1 So, jetzt ist mein erster Fanfic endlich fertig! Jeder, der ihn lesen
will, sollte sich vergewissern, dass er in nächster Zeit keine Termine hat,
er ist nämlich ziemlich lang geworden. Alle Rechte an den verwendeten
Figuren liegen bei Square. Wenn ihr Rechtschreibfehler entdeckt habt,
Morddrohungen übermitteln wollt oder konstruktive Kritik habt, mailt sie
mir ruhig unter
3 P.S.: Wenn jemand einen eigenen FF-Fanfic hat, ich bin gern bereit, ihn
zu lesen.
4
5 Der Vater aller Monster - Teil 1
5.1 Prolog
Die Kapsel rauchte noch. Die ersten Strahlen der aufgehenden Sonne
berührten sie schon, nachdem sie eine lange Nacht hier in der Abadan-Ebene
gelegen und langsam abgekühlt war, aber dennoch war sie noch nicht kalt.
Die Luft, die sie auf ihrer Reise durchquert hatte, hatte sie so stark
aufgeheizt, dass jedes noch so stabile Gefährt verglüht wäre, aber die
Kapsel hatte dem ungeheuren Druck der Elemente standgehalten.
Die schlanke, trotz der nahenden Sonne immer noch in den Schatten
verborgene Gestalt senkte bedauernd den Kopf. Diese Raumkapsel war ein
Meisterwerk gewesen, ein fast vollkommenes Raumschiff. Undurchdringlich für
Meteore und herumfliegendes Eis, strahlungsabweisend und so hitzebeständig,
wie man ein solches Gefährt nur bauen konnte... Es war äußerst schade, dass
niemand außer ihm die beeindruckende Leistung mitbekommen hatte, die diese
Kapsel geschafft hatte.
Die Gestalt hob den Kopf hinauf zum Himmel, wo der Mond noch immer in einem
dämonischen Rot glühte. Die sogenannte "Träne des Mondes", das mit Abstand
gefährlichste kosmische Ereignis, das die Erde jemals heimgesucht hatte,
war bereits seit mehreren Stunden zu Ende, aber die Spuren konnte man dem
Erdtrabanten noch immer ablesen. Allerdings war er vermutlich der einzige,
der momentan zum Mond aufsah, denn die Folgen dieses höchst interessanten
Phänomens waren auf der Erde sicher noch viel weitreichender als dort oben.
Er fragte sich, was die "Träne des Mondes" überhaupt ausgelöst hatte.
Soweit er gehört hatte, konnte die Monsterschwemme nur dann stattfinden,
wenn die Lunatic Pandora zu einem gewissen Zeitpunkt an einem gewissen Ort
stand. Das war seit fast 20 Jahren nicht mehr der Fall gewesen, genauer
gesagt, seit man einen jungen und damals naiven Wissenschaftler aus Esthar
auf dem Mond ausgesetzt hatte.
Esthar...
Seine Heimatstadt, die ihn und seine Arbeit verraten hatte. Er hätte ihr
die absolute Weltmacht bringen können, aber diese verdammte Hexe Adell
hatte seine bahnbrechenden Forschungen zurückgewiesen und ihn im wahrsten
Sinne des Wortes zum Mann im Mond gemacht. Nun, das war aber auch
größtenteils seine Schuld. Er hatte auf die Grausamkeit und den Machthunger
dieser Xanthippe gesetzt, als er ihr seinen Plan vorgetragen hatte, aber
sie hatte in ihm vermutlich jemanden gesehen, der ihr irgendwann einmal
gefährlich werden konnte. Womit sie zweifellos Recht gehabt hatte, auch
wenn er damals weit entfernt von einer Machtübernahme gewesen war.
Heute war er es nicht mehr. Er hatte die Zeit auf dem weißen Himmelsgestirn
genutzt, sinnvoll genutzt. Er hatte seine Forschungen zu Ende geführt und
damit klammheimlich die größte Armee aufgebaut, die jemals auf dieser Erde
marschiert war. Jetzt musste er sie nur noch finden...
Hinter dem Mann stapfte auf muskelbepackten, lila Pfoten etwas heran, das
für die meisten Menschen dieser Erde einen großen Schrecken und bald
darauffolgenden Tod bedeutet hätte. Ihn ließ der Auftritt des Behemoth
kalt. Das riesige und äußerst gefährliche Monster kam näher an ihn heran,
ließ ein dumpfes Knurren aus der Kehle erklingen und sah den Störenfried,
der sein neues Revier so unverfroren betreten hatte, mordlüstern an. Ein
einfacher Mensch wagte es, einfach so ruhig vor ihm zu stehen und sich
nicht einmal umzusehen? Untolerierbar! Der Behemoth brüllte wütend.
Der Mensch tat so, als hätte er nichts gehört, was das Monster fast zur
Weisglut brachte, dann drehte er sich langsam herum. Das violette Tier
spannte die Muskeln, riss das Maul auf und - erstarrte. Dieser Mensch, der
ohne Waffe und Verteidigungsmöglichkeit vor ihm stand, der sogar die Hände
nicht aus den Hosentaschen nahm, war nicht irgend jemand. Er war etwas
Besonderes. Er hatte eine sonderbare Gabe. Er -
Auf einmal begann im kleinen, unterentwickelten Gehirn des Monsters etwas
zu ticken, etwas, das seit seiner Geburt da gewesen war, ohne dass es
beachtet worden wäre. Ein Instinkt, der den entfernten Ahnen des Behemoth
eingepflanzt worden war, um sich ihres unbedingten Gehorsams zu versichern.
Eine Sekunde lang versuchte die Kreatur dem unglaublichen geistigen Druck
zu widerstehen, aber das war nicht möglich. Langsam ging das Monster in die
Knie und blieb vor dem Menschen im Staub liegen. In seinen Gedanken war nur
noch Platz für ein Wort: Herr.
Die dunkle Gestalt lachte. "Sehr gut", flüsterte sie, mehr zu sich selbst
als zu dem Monster vor ihm. "Sehr gut. Du erkennst mich also noch. Und wenn
du mir so ohne Schwierigkeiten folgst, dann werden deine Artgenossen das
auch tun." Er setzte sich langsam in Bewegung und begann die Flanke des
Ungeheuers zu ersteigen. Jeder, der dieses Schauspiel verfolgt hätte, wäre
von anderen Menschen in die nächste Irrenanstalt eingeliefert worden, wenn
er erzählt hätte, dass jemand einen Behemoth als Reittier benutzte.
Dennoch, der sonderbare Mann saß oben, machte eine Handbewegung und hielt
sich fest, als das Monster sich vorsichtig erhob. "Und jetzt", verkündete
er triumphierend, "suchen wir deine Brüder und Schwestern, auf dass auch
sie sich uns anschließen. Und danach die anderen Monstergattungen. Alle
Ungeheuer dieser Welt!"
Bei diesen Worten setzte sich der Behemoth in Bewegung. Der Wind trug noch
einige Zeit ein grimmiges Lachen heran, dann erstarb jedes Geräusch. Die
Kapsel hatte aufgehört zu rauchen.
5.2 Kapitel 1
Der Morbol stieß ein markgefrierendes Geräusch aus, das jeden normalen
Menschen sofort aus den Socken gehauen hätte, die Dreiergruppe vor ihm
jedoch herzlich wenig ausmachte. Die Riesenpflanze begann sich langsam mit
seinem kleinen Verstand zu fragen, ob es wirklich so klug gewesen war, sich
mit diesen jungen Menschen einzulassen. Der überwiegende Teil seines
Denkens, der Teil, der sich von dem Schwerthieb, den ihm der mittlere Junge
verpasst hatte, beleidigt fühlte, schrie nach seinem Tod, aber die Vernunft
sagte ihm, dass es die Flucht ergreifen sollte, solange es noch in der Lage
dazu war.
Nicht, dass Vernunft das animalische Denken eines solchen Ungeheuers
beeinträchtigen konnte. Die blonde junge Frau, die auf den Namen Quistis
Trepe hörte, blinzelte einmal, holte eine Mega-Pille aus einer ihrer
Taschen und warf sie auf sich. Ihre beiden Kollegen, ein schlanker Gunblade-
Kämpfer und ein kräftig gebauter Faustkämpfer, hatten momentan mit den
Zuständen zu kämpfen, die der Kampf mit einem solchen Vieh unweigerlich
einbrachte und waren ihr somit nicht unbedingt eine große Hilfe. Auch gut,
musste sie eben eine Weile ohne sie auskommen.
Sie wartete, bis sie sich wieder imstande fühlte, etwas zu tun, dann sprach
sie Medica auf den Faustkämpfer, der gleich darauf begann, Alexander, die
heilige G.F. zu beschwören. Währenddessen griff die mutierte Pflanze den
Gunblade-Krieger mit ihrer Säureattacke an, was ihn sofort aufweckte und
(dank Kontern) gleich zurückschlagen ließ. Quistis hielt sich nicht damit
auf, auch ihn wieder zu klarem Verstand zu bringen, der Junge konnte mehr
einstecken, als man vermutete, wenn man ihn ansah.
Stattdessen schwang sie ihre Peitsche und hieb damit auf das Monster ein,
das gequält zuckte. Gleich darauf erschien Alexander, der ihm mit seinen
heiligen Lichtstrahlen mächtig einheizte und im nächsten Moment konnte der
braunhaarige Schwertkämpfer, obwohl beeinträchtigt, wieder angreifen. Er
schwächte das Monster um weitere wichtige Lebenspunkte, aber nicht genug,
um diesen Alptraum eines Floristen umzubringen. Das bedurfte schon etwas
mehr. Der blonde Boxer grinste grimmig und sprach den Aura-Zauber auf sich,
der ihn zu ungeahnten Leistungen befähigte. Quistis nickte kurz und
konzentrierte sich ihrerseits.
"Meteor!"
Der mächtige Zauberspruch ließ unzählige Meteore auf das Monster
einschlagen, welches schon gar nicht mehr wusste, wie ihm geschah. Der
Junge neben ihr mit der Narbe auf der Stirn hatte anscheinend genug davon,
darauf zu warten, dass ihn jemand von den üblen Nachwirkungen des
Mundgeruches der Pflanze heilte und nahm eine Hand von der Gunblade. Er
hielt sie vor sich und behandelte sich selbst, bis er wieder über seine
vollen Kräfte gebot. Wütend sah er den Morbol an. Er würde es bereuen,
ihnen über den Weg gelaufen zu sein, das versprach sein Blick.
Der blonde Faustkämpfer spürte nun anscheinend die Wirkung des Aura-
Zaubers, denn um ihn herum schossen plötzlich gelbe Flammen aus dem Boden
und er sammelte seine Kraft. Dann stieß er sich ab, rannte auf das Monster
zu und bearbeitete es mit einer Folge von Fußkicks und Fausthieben, dass
die Lebenskraft nur so strömte. Am Ende, als man schon denken könnte, er
wäre fertig, trat plötzlich noch einmal ein seltsamer Glanz in seine Augen
und er vollführte einen "Different Beat".
Quistis analysierte den Morbol und stellte erleichtert fest, dass die
furchtbare Attacke des Draufgängers ihm beinahe seine letzten Lebenspunkte
abgezogen hatte. Sie holte wiederum mit ihrer Peitsche aus und versetzte
dem Monster einen Hieb, der es zurückschleuderte. Aber es war noch nicht
tot. Noch einmal schleuderte es seine Säureattacke, diesmal auf sie selbst.
Sie spürte, dass die ätzende Flüssigkeit ihr lebensgefährlich schadete,
aber jetzt hatte sie keine Zeit zum Heilen.
Auch dem Jungen neben ihr schien der Kampf zu lang zu dauern. Er vollführte
einen solch kräftigen Schlag mit seiner Revolver-Schwert-Mischlingswaffe,
dass das Monster beinahe zweigeteilt wurde und nur noch wenige hundert
Lebenspunkte übrig blieben. Der andere Junge lachte auf und versetzte dem
Morbol mit einem Uppercut den Todesstoß. Die riesige Pflanze bäumte sich
noch einmal auf, sank aber dann zusammen und verschwand, als hätte es sie
nie gegeben.
Quistis nahm ihre traditionelle Siegespose ein, strich sich ihr gelbes Haar
aus dem Gesicht und drehte sich lächelnd zu ihren Gefährten um. Ein Morbol,
zwei Rumbrum-Drachen, ein Grendel und eine Drachen-Isolde. Keine schlechte
Bilanz, fürwahr. "Ihr habt eure Zustandskopplungen nicht gerade optimal
gewählt", meinte sie tadelnd. "Wenn ich dir nicht geholfen hätte, dann
wärst du bis in alle Ewigkeit versteinert gewesen, Xell. Und du hättest
auch noch länger weitergeschlafen, wenn das Vieh dich nicht selbst
aufgeweckt hätte, Squall."
"Sei mal nicht so vorlaut, Frau Allesweiß!" begehrte der Faustkämpfer auf.
"Wenn ich nicht beim letzten Rumbrum-Drachen eine Phönix-Feder auf dich
geworfen hätte, dann wärst du bis in alle Ewigkeit tot gewesen. Wo war denn
deine Resistenz gegen Feuer, als er uns angehaucht hat, häh?"
Quistis wollte gerade etwas entgegnen, als sie beide in ihrem Streit
unterbrochen wurden, von einer ruhigen, aber nichtsdestotrotz drohend
scharfen Stimme.
"Aufhören! Alle beide! Dreht euch sofort zu mir um!"
Die Stimme war so befehlend, dass sie sich auch umgedreht hätten, wenn sie
nicht gewusst hätten, dass die Stimme von Squall kam. Squall, die lebende
Legende. Der Hexen-Ritter. Der unbesiegbare Gunblade-Kämpfer. Und außerdem
der Schulsprecher ihres Gardens. Und im Moment sah er nicht sehr freundlich
aus. Nein, nicht wütend, eher irritiert. Es schien, als ob ihm nicht
aufgefallen wäre, dass Xell leicht zu reizen war und Quistis selten einem
Wortduell aus dem Weg ging.
"Was ist denn in euch gefahren?" fuhr er sie an. "Ich kann niemanden in
meinem Team gebrauchen, der versucht, auf Teufel-komm-raus der Beste zu
sein, auch wenn seine Freunde dabei drauf gehen! Wenn ihr jetzt glaubt,
dass ihr im nächsten Kampf so eine Art Duell austragen könnt, dann glaubt
nicht, dass ich euch wiederbeleben werde. Ich kämpfe mit niemandem, der
einen Kampf nicht ernst nimmt! Glaubt ihr etwa, wir hätten Artemisia
besiegen können, wenn ihr euch so idiotisch benommen hättet wie jetzt?"
Artemisia...
Die Hexe aus der Zukunft, die die Zeit hatte verschmelzen wollen und es
auch beinahe geschafft hätte. Die ihren ehemaligen Mitschüler Cifer unter
ihre Kontrolle gebracht hatte und ihn dazu gebracht hatte, einen
Monsterregen über Esthar niedergehen zu lassen. Die ein ganzes Schiff
voller SEEDs umgebracht hatte. Nur mit vereinbarten Kräften war es ihnen
damals mit Hilfe ihrer Freunde Irvine, dem galbadianischen Scharfschützen,
Selphie, der ziemlich kindischen Nunchaku-Kämpferin, und Rinoa, Squalls
großer Liebe gelungen, sie zu besiegen. Niemand hätte es allein vermocht,
diese übermächtige Hexe mitsamt ihrer ebenfalls äußerst starken G.F.
Griever zu besiegen.
"Ist ja schon gut", brummte Xell verlegen und kratzte sich am Kopf. "Reg
dich doch nicht so auf, es war doch nicht so gemeint. Tut mir Leid, dass
ich dich angeschnauzt habe, Quistie."
Die Angesprochene lächelte, als sie ihren Kosenamen hörte. "Mir tut's auch
Leid, Xell. Kannst du mir noch mal verzeihen?" Dabei lehnte sie sich an
seine Schulter und sah ihn so flehentlich an wie ein verwundetes Reh.
Der beinharte Faustkämpfer wurde ein bisschen rot und lachte dann verlegen.
"Lass das", protestierte er, "wann werdet ihr endlich damit aufhören, mich
zu veralbern?"
Quistis kam nicht zum Antworten, denn im selben Moment begann das
Funkgerät, das Squall in seiner Jackentasche trug, zu summen. Er murmelte
irgendetwas von Dank und den Technikern Esthars, die etwas erfunden hatten,
das wirklich Sinn machte, während er es hervorkramte. Er schaltete es ein
und hielt es ans Ohr - um es gleich darauf wieder so weit wie möglich von
sich weg zu halten.
Kein Wunder, denn aus dem Verstärker tönte Selphies ewigfröhliche Stimme,
die es nebenbei bemerkt ohne Schwierigkeiten mit einem Nebelhorn aufnehmen
konnte. Kaum jemand schaffte es, ihr 10 Minuten zuzuhören, ohne einen
mittelschweren Gehörschaden davonzutragen. Allerdings musste man sagen,
dass sie dank ihrer Stimme bei einer Schulveranstaltung auch keine
Mikrofone mehr benötigten. Alles hatte eben sein Gutes.
"Haaaaallo, Leute", krähte das Mädchen am anderen Ende der Leitung. "Ich
will ja nicht stöööören, aber ihr solltet euch beeilen und sofort hier
antanzen. Direktor Cid hat angerufen, wir sollen uns auf der Stelle bei ihm
im Garden meeeelden. Die Betonung lag auf soooofort!"
"Was?" wunderte sich Xell. "Was kann so wichtig sein, dass man uns unseren
ersten Urlaub seit guten vier Wochen absoluten Stresses nicht gönnt?
Schließlich haben wir ein paar Dutzend Feiern und Ehrungen wegen Artemisias
Niederlage hinter uns. Das kann uns der Direktor doch nicht antun!"
"Eeeer kann! Ich wiederhol' ja nur, was er gesagt hat. Übrigens, Squall",
fuhr sie fort, nun plötzlich etwas leiser, "du solltest dich beeilen,
zurückzukommen. Rinoa rennt hier schon rum wie ein eingesperrter Tiger und
sehnt sich nach dir-" An dieser Stelle hörte man ein dumpfes Krachen. Die
drei sahen sich verwundert an, bis Selphie weitersprach: "... so sehr, dass
sie schon damit beginnt, Dinge nach mir zu werfen. Beeeeeeil dich also,
wenn du willst, dass ich noch in der Lage bin, uns nach Hause zu fliegen.
Ende!"
Squall rieb sich bedeutungsvoll das linke Ohr, als er das Funkgerät wieder
verstaute. Dann erst bemerkte er, dass Quistis und Xell ihn schon beinahe
unverschämt angrinsten. "Was habt ihr denn?" wollte er wissen. "Ihr wisst
doch, wie Selphie ist. Das dürfte euch doch kein müdes Lächeln mehr
entlocken."
"Oh, wir denken dabei nicht an Selphie", meinte Xell betont unschuldig
drein sehend. "Ich dachte nur gerade daran, wie viel Zeit schon vergangen
ist, seit wir die Ragnarok verlassen haben. Ganze dreißig Minuten.
Wahnsinn! Wo er und Rinoa doch schon meistens nach der Hälfte dieser Zeit
ganz zappelig werden, wenn der andere nicht in der Nähe ist. Erstaunliche
Leistung, nicht wahr, Quistie?"
"Er überrascht mich wirklich." Die junge Frau lächelte verschmitzt. "Ich
dachte schon vor dem Morbol, dass er irgendwie fahrig wirkte, aber er hat's
noch ausgehalten. Das ist neuer Rekord."
"Ganz meine Meinung", schloss Xell sich an. "Kein Wunder, dass Rinoa schon
gewalttätig wird."
Einen Moment lang sah sich Squall versucht, seinen Freunden mit der
Gunblade etwas Hirn einzuhämmern, aber er entschied sich aus Rücksicht auf
seine Waffe anders. Schließlich war sie einzigartig, eine der mächtigsten
Waffen der Gegenwart: die Löwenherz. Dann jedoch drehte sich nach einem
kurzen Stirnrunzeln herum und marschierte in Richtung Ragnarok davon.
"...Lasst mich doch", meinte er lediglich. Und als er merkte, dass sich
seine sogenannten Freunde schon wieder das Lachen verbeißen mussten, fügte
er hinzu: "Und wenn ich auch nur ein unterdrücktes Kichern höre, bis wir
die Ragnarok erreichen, beschwöre ich Doomtrain, verstanden? Und jetzt
Abmarsch!"
Endlich kam die Ragnarok in Sicht, das ehemalige Raumschiff, das Squall und
Rinoa im Weltraum treibend entdeckt hatten, als er sie gerade zu retten
versuchte. Früher war es dazu bestimmt gewesen, die Esthar-Hexe Adell weit
weg von der Erde zu bringen, an einen Ort, wo man ihre Kräfte nicht mehr
fürchten musste, heute diente es der Gruppe, die diese Hexe getötet hatte,
als Transportmittel, um von einer Ehrung zur nächsten zu gelangen.
Anscheinend waren sie auch schon vom Schiff gesichtet worden, denn kaum
hatten sie das Schiff erspäht, sahen sie schon eine Gestalt im blauen
Kleid, begleitet von einer vierbeinigen Silhouette auf sich zurennen. Ein
paar Momente später fiel das blaue Etwas auch schon über Squall her, um ihn
mit den Armen zu umfangen und wehrlos zu machen und danach heftig zu
küssen!
Einen Augenblick lang gestattete sich Squall auch, Rinoas Kuss zu genießen,
aber dann schob er das geliebte Mädchen mit den samtweichen schwarzen
Haaren von sich. Ihre Hündin Angel, die neben ihr stand, sah das mit
Genugtuung, denn auch, wenn sie eine sehr intelligente Wegbegleiterin war,
die verstand, was Squall ihrer Herrin bedeutete, war sie doch etwas
eifersüchtig auf ihn. Momentan schien es ihr jedoch unangebracht, die
beiden zu stören, also ließ sie sich von Xell und Quistis kraulen.
"Sag' mal, bist du denn völlig übergeschnappt?" fragte Squall sein
Gegenüber, das ihn immer noch strahlend ansah. "Du hast doch keine
Kopplungen! Was fällt dir ein, auf dieser monsterverseuchten Insel aus der
Ragnarok zu gehen? Du hättest getötet werden können, Rinoa! Auch deine
Hexenkräfte sind nicht mächtig genug, um dich gegen die Monster hier zu
verteidigen, das muss dir doch klar sein!"
Rinoa, die diese Predigt hingenommen hatte, verschloss ihrem Geliebten mit
dem Zeigefinger den Mund. "Hättest du es denn zugelassen, dass mich ein
Ungeheuer angreift, mein edler Hexen-Ritter?" fragte sie flüsternd. "Wärst
du mir nicht viel mehr zu Hilfe geeilt und hättest diese bösartige Kreatur
in das Loch zurückgeschickt, aus dem es mich angriff?"
Squall musste hilflos lächeln. Dieses Mädchen schaffte es, ihn, den
Bezwinger der schrecklichsten Monster und Kämpfer dieser Erde, in die Knie
zu zwingen. Wenn die Schüler im Garden das wüssten, wären sie entsetzt.
Squall Leonhart, gefeierter Held und unschlagbarer Krieger, konnte sich
nicht gegen ein Mädchen wehren.
"Natürlich, meine Gebieterin", flüsterte er zurück, wohlweislich so leise,
dass die anderen es nicht hören konnten. Dann, um wenigstens einen Schein
von Herrschaft zu wahren, griff er nach Rinoas Kinn und hob ihren Mund auf
seinen. Und dieses Mal unterbrach er den Kuss nicht, sondern genoss dieses
Gefühl der Verbindung, der Zufriedenheit, das er früher, vor Rinoa, immer
in Kämpfen zu finden versucht, aber nie gefunden hatte. Auch sie schlang
ihre Arme wieder um seinen Hals und genoss seine sanfte und dennoch
fordernde Berührung, die sie in letzter Zeit so oft erfahren hatte, und von
der sie dennoch niemals genug bekommen konnte.
Sie lösten sich erst wieder von einander, als jemand Squall ungeduldig auf
die Schulter klopfte. Unwillig drehte sich dieser um und gewahrte Xell, der
auf seine Uhr sah und halblaut vor sich hinzählte. "2 Minuten 43, 2 Minuten
44, 2 Minuten 45... ah, du bist ja wieder in der Welt der Lebenden. Ich
wundere mich immer wieder, wie ihr es so lange aushalten könnt, ohne einmal
Luft holen zu müssen. Gibt's da irgendein Geheimnis?"
Während Squall noch überlegte, was er sagen konnte, um seine Würde zu
bewahren, kam ihm Rinoa zuvor. "Wieso?" wollte sie wissen. "Willst du es an
jemandem ausprobieren? An jemandem, den wir kennen?" Sie zwinkerte Xell
schelmisch zu.
Dieser wurde ein bisschen rot und drehte sich rasch weg, um Angel zu
streicheln. "Ach, ich meinte ja nur... Ich möchte schließlich auch nicht
der sein, der die Frage beantworten muss, welches Monster dem berühmtesten
Liebespaar des Gardens so lange die Luft abgeschnürt hat, bis sie
erstickten!"
"Falls es euch noch nicht aufgefallen ist", ließ Quistis vernehmen,
"Selphie hat offenbar schon die Motoren heißlaufen lassen. Ich schätze, sie
will so schnell wie möglich losfliegen. Und ich schließe mich ihr an.
Langsam bekomme ich genug von diesen Stufe-100-Monstern!"
Damit marschierte sie Richtung Raumschiff davon und nach einigen
Augenblicken schlossen sich die anderen an. Die Ragnarok war wirklich
gewaltig, und so richtig merkte man das erst, wenn man sah, wie groß sie
beim Herangehen wurde. Squall wunderte sich immer wieder, wie die Esthar-
Techniker so etwas schon vor Jahren schaffen hatten können, während die
anderen Völker noch nicht mal dran dachten, irgendwann ins All
hinauszukommen. Wahrscheinlich war es ebendiese Größe, die ihn fast die
Gestalt übersehen ließ, die betont lässig an der roten Außenhülle des
Fluggefährts lehnte. Er beschleunigte seine Schritte, um Irvine den
Scharfschützen als erster zu erreichen. Dieser grinste ihm entgegen.
"Na, wie war's? Habt ihr euch gut amüsiert, oder sind die Monster
inzwischen stärker geworden?" wollte er wissen.
Squall ignorierte die Fragen und kam sofort zur Sache: "Irvine Kinneas,
wieso hast du Rinoa ungekoppelt rausgehen lassen? Ich habe dir aufgetragen,
darauf zu achten, dass niemand in Gefahr gerät, während ich weg bin. Hast
du meinen Befehl nicht verstanden?"
Irvine blinzelte und hob dann abwehrend die Hände. "Wie? Du verlangst von
mir, Rinoa aufzuhalten, wenn sie dich nach einer halben Stunde herannahen
sieht? Himmel bewahre, da könnte ich ja gleich ungekoppelt und allein gegen
Ultima Weapon antreten, das wäre einfacher und ungefährlicher! Nein, nein,
keine Sorge", beschwichtigte er, als er sah, dass Squalls Miene sich zu
verdüstern begann, "ich hab' sie keine Sekunde aus den Augen gelassen. Wenn
irgendein böses Monster unsere Prinzessin angegriffen hätte, hätte ich mich
sofort drauf gestürzt und es Mores gelehrt."
Zum Beweis zog er die Exetor, sein Monster von einer Schusswaffe hervor und
lud sie probeweise. Dabei grinste er Squall beruhigend an. "Mein
Maschinchen hier kann auch ohne Kopplungen ganz schönen Schaden anrichten!"
"Heeeee, ihr da unten!" tönte eine Stimme aus dem Schiffsinneren, als
Squall gerade zu einer Antwort ansetzte. "Beeilt euch gefälligst ein
bisschen! Ich bin schon sooooo gespannt darauf, was Direktor Cid uns zu
sagen hat! Zum Reden habt ihr auch hier drinnen noch genug Zeit, also
steigt endlich ein, ich will loooos!"
Irvine verdrehte selig die Augen und murmelte etwas, das sich wie "Sie ist
so süß", drehte sich um und schrie: "Wir kommen schon, wir kommen schon!
Aber lass uns noch einsteigen, bevor du abhebst, ja?"
Dann rannte er die Einstiegsrampe hoch und auf die Brücke zu. Manchmal
fragte Squall sich, ob Irvine es überhaupt merkte, dass er der einzige war,
der es so lange in Selphies Nähe aushielt. Nicht, dass das Mädchen die
Leute vorsätzlich nervte, aber ihre eigenwillige Art konnten selbst sie,
ihre engsten Freunde nur bedingt lange ertragen. Auch er, dem man nachsagen
konnte, dass er sich von nichts und niemandem stören und beeinflussen ließ,
war es lieber, wenn er ein paar Minuten aus dem Raum zu gehen und die Ruhe
der Einsamkeit genießen zu können.
Er hielt sich jedoch nicht lang mit diesen Überlegungen auf, sondern
bedeutete den anderen, einzusteigen. Selphie hatte Recht, man sollte
Direktor Cid lieber nicht zu lange warten lassen. Ganz besonders nicht,
wenn er einen im wohlverdienten Urlaub störte. Wenn man dem Direktor etwas
nachsagen konnte, dann, dass er einem seine Freiheit mehr als alles andere
gönnte. Und wenn er seine Musterschüler nach so stressigen Wochen an ihrem
ersten freien Tag störte, dann musste das einen triftigen Grund haben.
Er stieg als letzter ein, schloss die Rampe und machte sich auf den Weg zur
Brücke. Auf dem Weg spürte er das Zittern, dass beim Start der Triebwerke
immer durchs Schiff lief und hielt sich instinktiv irgendwo fest. Selphie
hatte es ja mächtig eilig. Er beeilte sich, zu seinem Sitzplatz zu kommen,
bevor das Mädchen auf Höchstgeschwindigkeit beschleunigte.
5.3 Kapitel 2
Squall fühlte sich wohl, ein in letzter Zeit sehr selten gekanntes Gefühl,
und das nicht nur deshalb, weil Rinoa an seinem Arm hing und auch nicht
gedachte, ihn so schnell wieder loszulassen. Auch die Atmosphäre des Balamb-
Garden, die Bewunderung der Schüler (besonders der SchülerINNEN) und sogar
der Garden-Ausbilder, machte ihn stolz. Dass er nicht bereits so
eingebildet wie sein ehemaliger Konkurrent Cifer Almasy geworden war,
verdankte er einzig und allein seinen Freunden, die ihm nicht immer mit
freundlichen Worten klar gemacht hatten, dass er auch als größter Held des
ganzen Kontinents nicht besser war als jeder andere Schüler der
Kampfschule.
"Squall?" erklang Xells zur Abwechslung verlegen klingende Stimme hinter
ihm. Der Kampfsportler überholte Rinoa und ihn, kratzte sich am Kopf und
meinte: "Squall..., brauchst du mich unbedingt, wenn du zum Direktor gehst?
Weißt du, ich hab' ein Buch im Zimmer rumliegen, das ich ziemlich dringend
wieder..."
Squall spürte an seinem Arm, dass Rinoa innerlich kicherte. Es war ein
offenes Geheimnis, dass Xell und eine der Bibliothekarinnen der Garden-
Bücherei beinahe mehr Zeit zusammen verbrachten als Rinoa und er (aber nur
FAST!) Trotzdem schienen sie noch nicht gemerkt zu haben, dass bereits
jeder ihrer Freunde um diese Liaison wusste. Typisch Xell!
"Ist schon gut", meinte Squall, ohne eine Miene zu verziehen, was außer ihm
wohl niemandem gelungen wäre. "Geh ruhig und... bring dein Buch zurück. Ich
werde dich bei Direktor Cid entschuldigen."
Rinoa entschlüpfte ein Lacher, den sie erfolglos als Husten zu tarnen
versuchte. Xell sah sie einen Moment misstrauisch an und zuckte dann mit
den Schultern. Spielerisch salutierte er vor seinem Anführer, dann drehte
er sich um und rannte mit erstaunlicher Geschwindigkeit auf die Quartiere
zu. Wo die Bücherei doch erst in 20 Minuten aufmachte. Er musste sein Buch
wohl verlegt haben, oder gab es sonst einen Grund, warum er sich so beeilen
musste?
Nachdem er ihm kurz nachgesehen hatte, wandte sich Squall an Irvine, der
gerade versuchte, seinen Mantel vor Selphies Händen in Sicherheit zu
bringen, die anscheinend unbedingt einen Ärmel haben wollten: "Irvine, was
ist mit dir? Kommt ihr, du und Selphie, mit?"
"Niiiiichts da!" rief das Mädchen aufgekratzt. "Irvie hat mir versprochen,
Karten zu spielen, und das werden wir jetzt gefälligst auch tun! Wenn ich
gegen ihn spiele, gewinne ich komischerweise so oft. Viel Spaaaaaß noch!"
Das letzte, was er von Irvine sah, bevor er von seiner Freundin um die Ecke
gezerrt wurde, war ein verschwörerisches Blinzeln. Plötzlich glaubte Squall
zu wissen, wieso Selphie gegen den Scharfschützen solches Glück im Spiel
hatte...
"Und was ist mit dir, Quistis?" fragte Rinoa inzwischen die verbliebene
junge Frau. "Kommst du mit?"
Einen Moment lang wirkte die Angesprochene irritiert (sie hatte die letzten
Sekunden Irvine und Selphie hinterhergestarrt), aber dann nickte sie rasch.
"Klar!" meinte sie. "Ich hab' ja auch sonst nichts zu tun..." Irrte er
sich, oder hatte er da einen traurigen Tonfall aus Quistis' Antwort
herausgehört? Squall beschloss, das für den Moment zu ignorieren. Man
sollte seinen Direktor nicht allzu lange warten lassen.
"Also los. Und vergiss den SEED-Gruß nicht, wenn wir die Direktion
betreten, Rinoa."
"Ah, da sind Sie ja endlich", wurden sie von dem etwas älteren, dicklichen
Mann begrüßt, der vor langen Jahren einmal diesen Garden gegründet hatte.
Früher einmal, noch bevor Squall selbst seiner Ziehmutter Edea die Idee mit
den Kampfschulen in den Kopf gesetzt hatte, hatte ebendieser Cid mit ihr
ein Waisenhaus geführt, in dem nicht nur Squall, Quistis, Selphie, Xell und
Irvine gelebt hatten, sondern auch Ellione und Cifer. Erstaunlich, was sie
alles herausgefunden hatten, während sie der Hexe Artemisia hinterhergejagt
hatten...
Squall, Rinoa und Quistis salutierten, dann machte der Anführer der Truppe
einen Schritt nach vorn und fragte: "Wieso haben Sie uns rufen lassen,
Direktor?" Kein Vorwurf, dass er sie aus dem wohlverdienten Urlaub
zurückgeholt hatte. Die Ausbildung zum SEED lehrte einen als erstes,
unnötige Fragen einfach hinunterzuschlucken.
"Tja, Squall, zuerst möchte ich Sie fragen, ob Sie wirklich zur Erholung zu
dieser Monsterinsel rausfliegen müssen?" entgegnete Cid mit zweifelndem
Blick. "Können Sie nicht einfach eine Stadt besichtigen oder so was? Nein?
Na ja, ich hoffe, dass Sie nicht eines Tages durch diese Erholung mal
draufgehen. Aber zur Sache: Ich habe heute ziemlich... ungewöhnlichen
Besuch bekommen, der ausdrücklich Sie verlangt hat."
"Sie meinen wohl eher "unerwünschten Besuch", oder, Direktor Cid?" erklang
plötzlich eine wohlbekannte und arrogante Stimme hinter der Truppe. Alle
drei fuhren so schnell herum, dass man sie nicht mehr sah, bis sie
kampfbereit und mit gezogenen Waffen dastanden und den blonden jungen Mann
ansahen, der diese Worte ausgesprochen hatte. Er hielt eine Gunblade in
Händen und sah seine ehemaligen Kollegen herablassend an.
"Cifer", stieß Rinoa schließlich hervor, nachdem sie sich von dieser
Überraschung erholt hatte. "Was zum Kuckuck machst du denn hier? Hast du im
Garden nicht Hausverbot?"
Cifer würdigte sie keines Blickes. "Lange nicht gesehen, Squall", begrüßte
er seinen einzigen ebenbürtigen Gegner im Zweikampf. "Klammerst du dich
immer noch an deinen G.F. fest, oder hast du inzwischen gelernt, selbst zu
kämpfen?"
Squall ließ sich nicht provozieren. "Und hast du inzwischen gelernt, dich
nicht mit Leuten einzulassen, die dich ausnutzen und dann fallen lassen?"
entgegnete er. Er registrierte mit nicht unbeträchtlicher Freude, dass sein
Gegner die Gunblade fester packte und die Augenbrauen zusammenzog. Sein
Stolz war die größte, um nicht zu sagen einzige Schwachstelle des Jungen.
Dennoch beherrschte er sich besser als früher und griff ihn nicht sofort
an. Statt dessen traten zwei weitere Gestalten aus seinem Schatten. Fu-Jin
und Rai-Jin, Cifers einzige wirkliche Freunde und der ehemalige
Ordnungsdienst des Gardens. Sie hatten ebenfalls an der Seite der Hexe
gekämpft, aber nur wegen Cifer. Und sie waren nicht zu unterschätzende
Gegner. Squall und seine Freunde hatten einige Male gegen sie antreten
müssen, und als ehemalige Schüler des Gardens hatten sie ihnen erhebliche
Schwierigkeiten bereitet.
"Steckt eure Waffen mal weg, Leute!" versuchte Rai-Jin, ein großer,
muskelbepackter Junge mit einem nicht zu überhörenden Sprachfehler die
Situation zu beruhigen. "Wir sind mal nicht hier, um mit euch zu kämpfen."
"Direktor Cid! Erklärung!" fügte seine Partnerin, eine grauhaarige, junge
Frau mit Augenklappe hinzu. Ihr roboterhafter Ton betonte ihre Befehle, die
sogar Rai-Jin befolgte, obwohl er sehr viel kräftiger aussah als sie.
"Squall, Rinoa, Quistis! Stecken Sie ihre Waffen weg! Cifer und seine
Freunde sind heute ganz offiziell am Garden-Tor erschienen und haben um
eine Anhörung gebeten. Sie sind nicht gewaltsam hier eingedrungen",
bestätigte der Direktor Rai-Jins Worte, obwohl man merkte, dass auch er
sich in der Nähe der drei Kämpfer nicht wohlfühlte. "Hören Sie sie bitte
an!"
Squall entspannte sich, schob seine Gunblade, die mächtige Löwenherz, aber
nur zögernd wieder an ihren angestammten Platz an seinem Gürtel. Cifer -
und hier um eine Audienz ansuchen? Eher würde ein Rumbrum-Drache sich als
Haustier anbieten! Zumindest hatte er das bis jetzt gedacht...
"Du hast hier Einlass begehrt wie ein ganz normaler Kunde, Cifer?" fragte
er zweifelnd. "Das klingt nicht sehr nach dir. Hast du so viel Angst vor
uns oder ist dir dein Leben doch etwas wert?" Früher hätte er den blonden
Schwertkämpfer nicht so sehr gereizt, da dieser jede Gelegenheit zu einem
Übungskampf freudig begrüßte. Und seine Übungskämpfe gingen fast immer mit
Verletzten zu Ende. Aber Cifer und seine Freunde hatten so viel Unheil
gestiftet, dass er ihnen das ein bisschen heimzahlen musste. Und sei es
auch nur mit Worten.
In den blauen Augen seines Gegenübers blitzte es gefährlich auf. Der Garden-
Schüler Cifer hätte sich sofort auf ihn gestürzt, Direktor Cids Anwesenheit
hin oder her, aber der ehemalige Hexen-Ritter Cifer war beherrschter. Er
wusste, wenn er hier einen Kampf anfing, würde er gefangengenommen und den
Esthar-Behörden übergeben werden, die ihn immer noch suchten, weil er die
"Träne des Mondes" ausgelöst hatte. Wenn ihn die Verwandten der Opfer in
die Finger bekamen, dann würde ihm Esthars pazifistische Haltung in den
letzten Jahren überhaupt nichts nutzen. Sie würden ihn exekutieren, egal,
was dann geschah.
"Gib nur nicht so an, weil du durch diese Mauern hier geschützt bist!"
zischte er wütend. Rai-Jin und Fu-Jin legten zur Sicherheit ihre Hände auf
seine Schultern, damit er es sich nicht noch anders überlegte und seine von
Artemisia verliehenen Kräfte zur Anwendung brachte. "Wenn es nach mir
gegangen wäre, dann hätten wir dieses Gebäude im Sturm genommen und hätten
eine Anhörung ERZWUNGEN! Aber leider geht es nicht nach mir. Wir haben
einen Kunden, der uns dieses Vorgehen verbot. Leider."
"Einen Kunden?" Quistis wurde langsam neugierig. "Welchen Kunden? Seid ihr
etwa unter die Söldner gegangen?"
Auch sie beachtete Cifer nicht. Statt dessen streifte er die Hände seiner
Freunde ab und trat beiseite, damit man seinen Kunden sehen konnte. Kein
Wunder, dass man ihn bis jetzt nicht gesehen hatte. Immerhin war er nicht
größer als Angel, Rinoas Hund und schwebte außerdem über dem Boden, auch
wenn er in einer Einkaufsstraße durchaus damit Eindruck schinden würde.
"Koyo-Koyo!" riefen Squall, Rinoa und Quistis gleichzeitig aus.
Tatsächlich, das kugelförmige Ding, das langsam auf sie zuschwebte, war
wirklich das UFO des kleinen Außerirdischen, dem die drei Freunde schon
einige Male begegnet waren. Das Alien zeigte sich sehr interessiert an der
irdischen Kultur und hatte ihnen für ihre Hilfe eine einzigartige Triple-
Triad-Karte überlassen.
Ja, antwortete es, als es vor Squall angekommen war. Ich bin
zurückgekommen, weil ich euch gesucht habe. Vor einiger Zeit brauchte ich
eure Hilfe. Jetzt braucht ihr meine.
Ein paar Sekunden lang starrten sie das kleine blaue Wesen an, bis sich
Direktor Cid räusperte. Natürlich, er kannte das Alien ja nicht. "Squall,
ich wäre Ihnen sehr verbunden, wenn Sie mir erklären könnten, mit wem ich
es hier zu tun habe. Ich glaube nicht, dass ich diesem... Wesen bereits
begegnet bin. Und Sie, Cifer", wandte er sich an seinen ehemaligen Schüler,
"Sie sollten diesen Raum und am besten auch diesen Garden jetzt verlassen,
bevor sich jemand hier nicht mehr beherrschen kann!" Das war
unmissverständlich als Befehl gemeint.
Ärgerlich schürzte dieser die Lippen, aber er hatte sich auch jetzt noch in
der Gewalt. "Nicht, bevor wir bezahlt worden sind!", presste er hervor.
"Als wir diesen komischen Kerl begegnet sind, hätte ich ihn fast
zweigeteilt, als er eine Menge Gil fallen ließ. Weiß der Geier, wo er es
her hat, aber er hat versprochen, uns angemessen zu bezahlen, wenn wir ihn
zum Garden eskortieren. Und ohne dieses Honorar werden wir diesen Raum
nicht verlassen!"
Koyo-Koyo, der offensichtlich bestrebt war, die Situation friedlich
beizulegen, wendete sein Sternenschiff und hielt auf Cifer und seine
Freunde zu. Dann erschien sein seltsamer Traktorstrahl, in dem eine Menge
Gil erschien, mit der man in Galbadia ein mittleres Haus kaufen konnte. Rai-
Jin sog erstaunt Luft ein, und auch Fu-Jin schien erstaunt über die Menge
des Geldes zu sein. Dennoch zögerten sie nicht, sondern sammelten den
Reichtum ein.
Ich hoffe, das reicht als angemessene Bezahlung, ließ Koyo-Koyo vernehme.
Ich verstehe leider nichts von dieser Währung, aber es dürfte genügen. Mehr
habe ich nicht dabei.
Squall musste unwillkürlich lächeln. Wie viele Taschen das kleine Alien
wohl gelehrt haben musste, bis es diesen Haufen Gil beisammen hatte? Es
musste sie wirklich verzweifelt gesucht haben.
"Das reicht durchaus, Koyo-Koyo", versicherte ihm Quistis, bevor Cifer
etwas Gegenteiliges behaupten konnte. Der Junge warf ihr dafür einen
eisigen Blick zu, sagte jedoch nichts, sondern drehte sich abrupt um und
verließ beinahe rennend den Raum. Offenbar hatte auch ihm die Atmosphäre
des Gesprächs nicht zugesagt. Rai-Jin und Fu-Jin beeilten sich, ihm mit
vollen Taschen zu folgen. Die Tür wurde zugeworfen, dann waren die drei
verschwunden.
Direktor Cid hob wieder an: "Wenn Sie nun die Güte hätten, mir zu sagen,
wer uns um Hilfe gebeten hat. Langsam bekomme ich das Gefühl, dass ich hier
vollkommen überflüssig bin."
Squall wollte antworten, aber Rinoa kam ihm zuvor: "Dieses Wesen, Direktor
Cid, ist ein Außerirdischer, dem wir auf der Suche nach Artemisia begegnet
sind. Er stiehlt gerne Dinge von der Erde, um sie als Andenken zu behalten
und ist verrückt nach Elixieren. Er hat uns im Tausch dafür seine Triple-
Triad-Karte überlassen."
"Danke, Miss Heartilly", bemerkte Cid trocken, "doch ich würde es begrüßen,
wenn Sie von nun an dem Truppenführer das Wort überlassen würden."
Rinoa wurde etwas rot und trat einen Schritt zurück. Man merkte ihr noch
immer an, dass sie früher eine Widerstandstruppe geleitet hatte und deshalb
gewohnt war, Berichte vorzutragen.
"Nun, Squall", fuhr der Direktor fort, "haben Sie irgendeine Ahnung, wieso
Herr... Koyo zu uns gekommen sein könnte? Irgendwas?"
Der Angesprochene zuckte mit den Schultern. "Ich denke, das sollten wir
Koyo-Koyo selbst fragen. Ich dachte bisher, er sei schon längst zu seinem
Planeten zurückgekehrt."
Wie aufs Stichwort kam das UFO des Außerirdischen zwischen die zwei
geschwebt und verharrte dort. Koyo-Koyo war es offenbar nicht gewohnt,
Berichte anzuhören, und deshalb wunderte er sich, warum ihn keiner
ansprach.
Ich bin hierher zurückgekommen, weil sich eure Erde in Gefahr befindet. In
sehr großer Gefahr. Ich habe sie bemerkt, als ich eben in meine Heimat
zurückkehren wollte.
Quistis spitzte die Ohren. "Etwa eine Gefahr aus dem Weltraum? Ein Meteor
oder andere Außerirdische?"
Das blaue Alien schüttelte den Kopf, so gut es das ohne Hals vermochte.
Nein, meinte es, nichts aus dem Schwarzraum. Die Gefahr befindet sich
bereits auf eurem Planeten. Sie kam schon damals, bei dem großen
Himmelstunnel.
"Ich muss ehrlich sagen, dass ich kein Wort davon verstehe", bekannte
Rinoa. Sie hockte sich vor dem UFO hin und lächelte es an. "Erzähl uns
bitte alles von Anfang an, Koyo-Koyo. Wir verstehen einige deiner Begriffe
nicht."
Ich versuche es, sagte das Wesen. Damals, als ihr mir geholfen habt, meine
Energie zurückzugewinnen, habe ich sofort damit begonnen, mein Schiff zu
reparieren. Ich hatte vorläufig genug von eurer Heimat und wollte wieder
zurückfliegen, musste aber ein paar Tage lang die Teile des Schiffs suchen
und wieder einbauen. Schließlich wagte ich einen Testflug bis zu einer sehr
seltsamen Skulptur. Sie war über einem Steinkreis und schien auf
irgendetwas zu warten. Und dann kam von einem Moment auf den anderen der
rote Himmelstunnel.
"Einen Moment", unterbrach der Direktor. "Kann das einmal jemand
übersetzen? Ich komme nicht mehr ganz mit. Was meint er mit
"Himmelstunnel"?"
"Ich vermute, er meint mit der "Skulptur über dem Steinkreis" die Lunatic
Pandora, die zu dieser Zeit über dem Tears Point in Esthar schwebte. Sie
war es, die die "Träne des Mondes" auslöste, und wahrscheinlich bezeichnet
Koyo-Koyo die Monsterschwemme als "Himmelstunnel"", warf Squall ein.
"Klingt plausibel", bestätigte Rinoa. "Fahr fort, Koyo-Koyo."
Ich flog hinaus in den Schwarzraum, um nach der Ursache des Himmelstunnels
zu suchen. Der Außerirdische war etwas verwirrt, nachdem er diese ganzen
Begriffe gehört hatte, erzählte jedoch weiter. Dort sah ich den weißen
Begleiter eurer Erde, der auf einmal ein Teil des Himmelstunnels geworden
war.
"Das bestätigt Ihre Geschichte, Squall!" Cid nickte anerkennend.
Ich wollte den Tunnel genauer untersuchen, als ich bemerkte, dass ihr das
auch schon versuchtet, fuhr Koyo-Koyo unbeirrt fort. Mehrere Objekte waren
im Schwarzraum, die dem Himmelstunnel sehr nahe waren, und ich wollte nicht
von ihnen entdeckt werden, also wollte ich weiterfliegen. Aber auf einmal
war im Tunnel selbst ein Ding, das zu euch hinab wollte. Ich wurde
neugierig und folgte ihm. Es war sehr schnell, schneller als die anderen
Metallobjekte, aber ich blieb dicht hinter ihm und sah seinen Absturz in
den Erdwölbungen nahe den hohen Türmen. Es war anscheinend nicht sehr
beschädigt.
"Wie?" entfuhr es Quistis. "Er hat etwas IN der Monstersuppe schwimmen
sehen? Bist du dir sicher, dass du nicht die Esthar-Station meinst, die von
der Träne mitgerissen und zerstört wurde, Koyo-Koyo?" Dieser verneinte
jedoch.
"Und was ist mit dieser Kapsel, die Sie in Ihrem Bericht erwähnten,
Quistis?" ließ Cid vernehmen. "Die, in der Sie, Ellione und die Esthar-
Techniker zur Erde zurückkamen? Könnte Herr Koyo nicht die meinen?"
Wieder verneinte das Alien. Nein, das Objekt war direkt im Tunnel und
trennte sich erst kurz vor dem Boden davon. Und dann kam ein Mensch hervor.
Er blieb ein paar Minuten stehen, bis ein violettes Tier kam, das ihn nicht
mochte. Es wollte ihn angreifen, dann drehte er sich um und es fiel vor ihm
auf die Knie. Er machte ein komisches Geräusch, dann setzte er sich auf das
große Tier und ritt auf ihm weg. Das komische Geräusch folgte ihm.
Squall packte Rinoa am Arm. "Rinoa", stieß er hervor. "Sag mir, dass er
keinen Behemoth beschreibt! Sag mir, dass er nicht gerade behauptet hat,
dass jemand auf einem Behemoth geritten ist!"
Auch Rinoa war erschrocken, und Cids Gesichtszüge verrieten echtes
Entsetzen. Er hatte noch nie ein solches Ungetüm gesehen, aber er wusste,
wie gefährlich diese Kraftprotze waren. Nur Quistis blieb einigermaßen
beherrscht und holte den Laptop des Direktors, tippte einige Male auf der
Tastatur und zeigte dem Alien den Bildschirm, auf dem ein Bild eines
Behemoths erschienen war.
"War das das Tier, auf dem dieser Mensch weggeritten sein soll?" fragte sie
ihn.
Ja, bestätigte Koyo-Koyo, und er IST darauf weggeritten. Ich kann euch zu
der Stelle führen, wo das Objekt abgestürzt ist, wenn ihr mir nichts
glaubt.
"Das halte ich für eine sehr gute Idee", meinte Quistis nickend. "Was
meinen Sie dazu, Direktor? Sollen wir die Geschichte einmal überprüfen?"
Cid, der versuchte, das Gefühl zu verdrängen, dass ihm die ganze Sache
allmählich über den Kopf wüchse, nickte schnell. "Ja, fliegen Sie mit
Selphie, Irvine und Xell hin. Und wenn Sie einen konkreten Hinweis
erhalten, wo sich dieser... Monsterbeschwörer aufhalten könnte, dann zögern
Sie nicht, sie zu verfolgen! Sie haben in dieser Sache absolute
Handlungsfreiheit!"
Squall nickte. "Quistis!" wandte er sich an das blonde Mädchen. "Versuch,
Xell aus der Bücherei zu holen, ohne dass er Amok läuft und Selphie und
Irvine dazu zu überreden, ihr Kartenspiel zu einem anderen Zeitpunkt
fortzusetzen! Rinoa und ich werden in der Zwischenzeit zur Ragnarok gehen
und mit Koyo-Koyo einen Kurs berechnen. Komm so schnell du kannst wieder!"
Quistis nickte und wandte sich zur Tür. Squall glaubte allerdings einen
traurig-wütenden Blick zu sehen, der in seine und Rinoas Richtung ging. Sie
drehte sich allerdings gleich wieder weg und lief zum Aufzug. Er beschloss,
die Sache momentan auf sich beruhen zu lassen. Wenn jemand in seinem Team
Probleme hatte, dann meldete er sie vor dem Beginn einer Mission, so hatte
er befohlen. Nicht auszudenken, was passieren könnte, wenn jemand erst im
Kampf feststellen musste, dass er Fieber hatte!
"Ich denke aber nicht, dass Koyo-Koyo mit unseren Landkarten zurecht kommen
wird", flüsterte ihm Rinoa augenblinzelnd zu. "Glaubst du wirklich, er wird
an Bord der Ragnarok etwas ausrichten können?"
"Um ehrlich zu sein", entgegnete er schelmisch grinsend, "hatte ich vor,
auf gut Glück loszufliegen. Aber man kann die verbleibende Zeit doch auch
anders nützen, oder?"
"Aber nur, wenn du mich kriegen kannst! Wenn du mich bis zur Ragnarok
einholen kannst, kriegst du eine kleine Belohnung, wenn nicht..." Mit
diesen Worten rannte sie los. Einen Moment lang war Squall sprachlos über
diese vertraute Szene vor Direktor Cids Augen, dann warf er diesem einen
verzeihungsheischenden Blick zu - und rannte seiner Freundin nach, als wäre
Omega Weapon hinter ihm her!
Koyo-Koyo war sehr verwundert. Diese Menschen scheinen mir die Sache nicht
sehr ernst zu nehmen, wandte er sich an den Direktor, der den beiden
lächelnd nachsah. Ich bekomme Zweifel, die richtigen Leute gewarnt zu
haben.
"Sie sind vollkommen unbegründet", entgegnete Cid, "denn so sind junge
Menschen nun einmal. Sie können sich darauf verlassen: Wenn irgendjemand
auf dieser Welt es mit diesem Raumfahrer aufnehmen kann, dann sind sie es!
Aber damit tragen sie auch eine schwere Verantwortung, und die versuchen
sie eben zu überspielen."
Koyo-Koyo wirkte ziemlich verwirrt, aber er fragte nicht weiter, sondern
wendete sein UFO und schwebte den beiden hinterher. Direktor Cid schloss
die Augen. Es fiel ihm immer wieder schwer, diese jungen Leute, die Edea
und er aufgezogen hatten, in den Kampf zu schicken. Aber es war das Leben,
für das sie ausgebildet worden waren und - was noch wichtiger war - das sie
leben wollten!
"Na, war das nicht eine gute Idee, an dem komischen UFO mal einen Sender
anzubringen?" fragte Rai-Jin, stolz auf seine Idee. "Jetzt wissen wir, was
diese seltsame Blechbüchse war!"
Fu-Jin nickte ihm lediglich knapp zu, Cifer jedoch meinte: "Ja, das war
eine grandiose Idee. Bis heute dachte ich, dieses Stück Weltraumschrott
wäre ein völliger Fehlschlag gewesen, aber jetzt..."
Mit diesen Worten stieß er sich von der Wand ab, an der er lehnte und zog
er einen abgerissenen Computerausdruck aus der Tasche seines Mantels. "...
jetzt weiß ich, dass wir auf eine Goldmine gestoßen sind! Mit diesem
Monsterbeschwörer als Verbündeten wird es uns endlich möglich sein, Rache
an Squall und seiner Truppe zu nehmen! Endlich!" Er schwenkte ihn
triumphierend über seinem Kopf. "Der rote Punkt in den Bergen nördlich von
Esthar... das muss ein Versteck sein, in das sich unser künftiger
Auftraggeber zurückgezogen hat. Wir werden ihn suchen und finden!"
"Bist du mal sicher, dass du dich an Squall rächen willst, Cifer? Immerhin
hatte er Recht, Artemisia hat dich mal wirklich benutzt, um an ihr Ziel zu
gelangen", warf Rai-Jin ein.
"Stolz?" fragte Fu-Jin auf ihre roboterhafte Weise, was sie irgendwie kalt
wirken ließ.
"Stimmt", pflichtete ihr Cifer bei. "Ich will mich nicht rächen, weil die
SEEDs Artemisia besiegt haben, das war schließlich ihr Job. Ich hätte ihn
genauso gemacht, wäre ich nicht ihr Hexen-Ritter gewesen. Nein, ich will
mich rächen, weil sie mich besiegt haben, sogar mehrere Male! Mich! Ich
will, dass sie zugeben, dass sie mich nur dank ihrer verdammten G.F.
besiegen konnten!" Er ballte die Faust und steckte das Papier ruckartig
wieder in seine Tasche. Dann begann er wieder zu lächeln, allerdings
unheilversprechend. "So, was haltet ihr davon, wenn wir uns sofort auf den
Weg machen? Squall und seine Bande werden sicher bald losfliegen und die
Zeit, die sie verlieren werden, um die Kapsel zu untersuchen, gibt uns
nicht gerade viel Vorsprung! Dieses verrückte Alien hat uns ja zum Glück
genug Reserven überlassen, um die ganze Weltbahn zu kaufen, warum mieten
wir uns also kein Abteil?" Er klimperte grimmig lächelnd mit den Münzen in
seiner Tasche.
"Weit!" warf Fu-Jin auf ihre unnachahmliche Art ein.
Rai-Jin stimmte ihr zu. "Ja, wir müssen mal einen großen Umweg über
Fisherman's Horizon machen. Wir sollten schleunigst los, sonst kommen uns
die SEEDs mal zuvor!"
Cifer nickte und wandte sich um. "Dann nichts auf wie nach Balamb zum
Bahnhof! Und dann unserem Schicksal entgegen!"
5.4 Kapitel 3
Die Berge südlich der Weltstadt Esthar kamen schnell näher, sehr schnell
sogar. Die Geschwindigkeit, die von einer Rakete verlangt wurde, wirkte auf
der Erde wirklich unglaublich. Vor allem, wenn man im Cockpit saß. Squall
stand in der Mitte des Raumes und hatte die Hände verschränkt. Er hatte es
sich angewöhnt, vor einer Mission seine Freunde heimlich zu beobachten.
Rinoa saß an der linken Waffenkanzel und hatte sich entspannt
zurückgelehnt. Selphie plapperte angeregt mit Koyo-Koyo, der dies
augenscheinlich zu begrüßen schien, was das kleine Alien Squall noch
fremdartiger erscheinen ließ. Nun ja, vielleicht erwartete es sich
Informationen, was es als nächstes als Souvenir mit nach Hause nehmen
konnte...
Da das gelbgekleidete Mädchen gleichzeitig auch noch fliegen musste, stand
Irvine hinter ihr, um sie zu warnen, wenn etwas, das groß genug war, um die
Ragnarok zu beschädigen, in ihre Flugrichtung kam. Eine mittlere Bergkette
zum Beispiel. Irvine machte sich nichts vor. Er wusste genau, dass alle
anderen wussten, dass er Selphie sehr mochte, und deswegen machte es ihm
auch nichts aus, dass sie die bewundernden Blicke sahen, die er seiner
früheren liebsten Spielkameradin im Waisenhaus zuwarf. Leider war er sich
bei dem Mädchen selbst nicht sicher, ob sie seine Gefühle erwiderte,
deshalb beobachtete er sie nur verstohlen.
Squall schüttelte kurz den Kopf. Er selbst war froh, dass diese Phase der
aufkeimenden Liebe bei Rinoa und ihm bereits vorbei war. Es war einfach
lächerlich, mit ansehen zu müssen, wie die zwei füreinander schwärmten,
Selphie mit ihrer kindlichen Unschuld, Irvine mit einer für ihn absolut
untypischen Scheu, und sie nicht merkten, dass der andere genau so empfand.
Nun ja, andererseits hatte Selphie nie offensichtlich tiefergehende Gefühle
als Freundschaft für den Scharfschützen gezeigt, vielleicht verunsicherte
ihn das. Liebe war so kompliziert!
Weiter im Text. Xell stand hinter Squall und verdrehte gerade die Augen,
während er anklagend die Hände gen Himmel hob. Er war bei weitem nicht der
einzige, der Selphies Sprachtalent nicht zu schätzen wusste, eigentlich
gab's da außer Irvine fast niemanden, aber sie machte das bei den meisten
durch ihr fröhliches Wesen mehr als wett. Bei Xell nicht. Aber auch er
mochte das Mädchen, auch wenn er es nicht offen zeigte. Aber vielleicht war
das auch nur die Frustration, weil er bei seiner Lektüre gestört worden
war, die er zufälligerweise neben einer gewissen Bibliothekarin sitzend
gelesen hatte. Squall gestattete sich ein amüsiertes Schnauben, dann sah er
weiter.
Als letztes fiel sein Blick auf Quistis. Die ehemalige Ausbilderin des
Gardens hatte sich in den letzten Tagen ziemlich seltsam verhalten. Immer
wieder warf sie kurze Blicke auf Rinoa und ihn, aber auch auf Selphie und
Irvine, die teils traurig, teils anklagend waren. Er wurde daraus nicht
schlau, oder besser, er wollte es nicht werden. Wahrscheinlich war er für
diese Sache auch nicht der richtige Gesprächspartner. Sein Blick wandte
sich Rinoa zu. Das war wohl eher ein Job für das Mädchen, das es selbst
jetzt noch schaffte, den großen Helden und Hexenbezwinger Squall Leonhart
aus der Fassung zu bringen.
Er machte einen Schritt auf seine Freundin zu und flüsterte ihr zu: "Rinoa,
sieh jetzt nicht hin, aber ist dir schon aufgefallen, dass Quistis in
letzter Zeit sehr... deprimiert wirkt? Und zwar immer dann, wenn sie uns
zusammen über den Weg lief?"
Rinoa sah ihn überrascht an, dann begann sie zu strahlen. Sie flüsterte
zurück: "Ja, das ist mir auch aufgefallen, aber ich hab's nicht so ernst
genommen. Ich freue mich allerdings, dass es dir aufgefallen ist. Das zeugt
von einem guten Anführer. Soll ich mal mit ihr reden?"
Squall nickte und richtete sich wieder auf. "Quistis, Rinoa!" rief er. "Ihr
beide seht euch mal die Verteidigungssysteme an. Ich hoffe nicht, dass wir
von jemandem angegriffen werden, aber man kann nie wissen."
Xell sah ihn überrascht an. "Aber Squall", protestierte er. "Du weißt doch
genau, dass ich die Systeme gestern erst..."
Sein Truppenführer schnitt ihm mit einer Geste das Wort ab und versuchte,
ihn anzublinzeln, ohne dass es jemand anders sah. Er wusste allerdings
nicht, ob Xell das Zeichen verstehen würde. Anscheinend ja, denn er
widersprach nicht mehr. "Ich finde es aber trotzdem besser, wenn die beiden
es noch einmal überprüfen. Wenn dir langweilig ist, halte ich dich nicht
auf, die Waffenkontrollen zu checken, Xell!"
Einen Moment lang war der Faustkämpfer völlig perplex ob des scharfen Tons,
den Squall angeschlagen hatte, dann zuckte er mit den Schultern. "Soll mir
Recht sein", entgegnete er. "Immer noch besser, als hier drinnen taub zu
werden. Tschüss, ruft mich, wenn wir landen!" Dann verschwand er mit dem
Aufzug.
Rinoa stand auf und trat ebenfalls vor die Lücke, die der davonfahrende
Aufzug hinterlassen hatte. Quistis wirkte zwar nicht sonderlich begeistert,
erhob sich aber trotzdem und ging zu Rinoa hin. Eine Minute später fuhren
auch sie hinunter. Squall nickte und sah wieder nach vorn. Irvine blickte
ihn an, lächelte und gab ihm das O.K.-Zeichen. Dann wandte er sich wieder
seiner Arbeit oder eher Selphie zu. Squall war beruhigt. Er war sich selbst
nicht sicher gewesen, ob es eine gute Idee war, mit Quistis über ihr
Problem zu reden. Dass Irvine, der doch schon die eine oder andere
Erfahrung mit Frauen hatte (ach was, er war mit Abstand der Junge im
Garden, der am meisten über die weiblichen Bewohner der Kampfschule
wusste!) seine Entscheidung billigte, stimmte ihn fröhlicher, auch wenn man
es ihm wie üblich nicht ansah. Außerdem zeigte es ihm, dass der
Scharfschütze trotz gewisser ablenkender Faktoren noch immer auf seine
Umgebung konzentriert war.
"Cheeeef!" drängte sich Selphie in seine Gedanken. "Was haaaat Xell
eigentlich mit taub werden gemeint?"
Diesmal musste sich Squall beherrschen, um nicht zu grinsen. Es gelang ihm
nicht ganz.
Rinoa stapfte hinter Quistis her, die wirklich ein beeindruckendes Tempo
vorlegte. Es wirkte, als ob sie vor irgendwas weglaufen wollte. "Quistis,
warte!" rief sie ihrer Freundin nach. "Ich möchte mit dir reden."
Die Angesprochene verharrte, dann drehte sie sich betont langsam herum und
fragte beinahe feindselig: "Reden? Über was denn? Ich denke, unser Auftrag
ist völlig klar!"
Rinoa war beinahe schockiert, aber ihr Widerstandsgeist, von der Zeit als
Anführerin der Waldeulen bestens geschult, half ihr zu sagen: "Es geht
nicht über den Auftrag. Es geht um dich selbst, Quistis, und du weißt auch
warum!" Sie holte einmal tief Luft und fuhr dann fort: "Du kannst niemandem
von uns verheimlichen, dass du dich unwohl fühlst, wenn wir zusammen sind.
Aber wir können uns trotzdem nicht denken, warum das so ist. Hat dir
irgendjemand von uns etwas getan, Quistis, oder etwas gesagt, was dich
verletzt hat? Bitte sag es mir, damit ich dir helfen kann."
"Wieso?" fragte die blonde Frau, Rinoas Blick bewusst ausweichend, aber
nicht mehr so kalt wie vorher. "Hast du dich etwa um den Posten des
Psychiaters beworben? Mir geht's gut genug, danke! Ich werde diese Mission
schon durchziehen, wenn es das ist, wovor Squall sich fürchtet."
Rinoa wurde es langsam zu dumm. Wenn ihr Quistis dauernd auswich, dann
hatte sie keine Chance, etwas über ihr Problem zu erfahren. Aber die junge
Frau musste darüber reden, das spürte sie, auch wenn es ihr Stolz nicht
erlaubte. Sie ergriff Quistis' Arm und hielt ihn so fest, dass diese
erstaunt zu ihr aufsah. "Jetzt hör mir mal zu!" brauste sie auf. "Niemand
kann dir helfen, wenn du dich in ein Schneckenhaus zurückziehst! Irgendwann
musst du mit jemandem über den Problem, was es auch immer ist, reden, und
warum soll das nicht ich sein? Ich bin deine Freundin, Quistis, und die
anderen auf diesem Schiff auch! Oder ist es etwa wegen Squall und mir?
Liebst du ihn immer noch?"
Quistis versuchte, ihr zu entkommen, aber Rinoa packte auch noch ihren
anderen Armen und zwang sie zu bleiben. "Nein", gab sie zu, nun plötzlich
mit brüchiger Stimme, "ich liebe ihn nur noch wie einen Bruder. Aber
irgendwie... seid ihr trotzdem Schuld, und das macht es so schwer, darüber
zu reden. Bitte lass mich los, ich... will nicht darüber sprechen!"
"Warum?" bohrte Rinoa weiter. "Quistis, du siehst doch selbst, wie sehr es
dir zu schaffen macht. Du musst mit mir darüber reden, oder du wirst dich
nicht mehr auf die Mission konzentrieren können. So etwas kann dich das
Leben kosten! Komm, lass uns dir helfen, du weißt doch, dass wir deine
Freunde sind, wieso weigerst du dich auf einmal, mit uns zu reden?"
Einen Moment lang konnte ihr Gegenüber die Fassade noch aufrechterhalten,
dann sprudelten ihr die Worte förmlich aus dem Mund. Und Rinoa bemerkte
auch, dass Quistis, die stolze Quistis, Tränen in den Augen hatte. "Ja, ihr
seid meine Freunde. Aber jedes Mal, wenn ich euch sehe, werde ich daran
erinnert, dass es in euren Leben auch noch andere Menschen gibt, die euch
viel bedeuten. Squall und du, ihr seid zum Leidwesen vieler Schülerinnen
das Traumpaar der Schule, Irvine und Selphie sind einander vollkommen
verfallen, auch wenn sie's nicht zugeben können, und sogar Xell hat eine
Bewunderin gefunden, wegen der er sich schon eine halbe Stunde, bevor die
Bibliothek öffnet, auf die Lauer legt! Und ich? Ich habe niemanden, der
mich liebt. Und ich werde nie jemanden haben..."
Voll ungläubigem Staunen sah Rinoa, dass die Peitschenkämpferin auf dem
Boden sank und ihr Körper von stummen Schluchzern geschüttelt wurde. Einen
Moment lang war sie so erschrocken, dass sie nichts tun konnte, als Quistis
anzustarren, aber dann löste sich der Bann und sie ging ebenfalls in die
Knie. Sie zog (wenn sie das im Garden erzählen würde, würde sie jeder
sofort zu Dr. Kadowaki schicken, da war sie sich sicher) das weinende
Mädchen zu sich heran und versuchte, sie mit ihren Hexenkräften etwas zu
trösten, während sie redete: "Aber Quistis, was redest du da? Du weißt
doch, dass du im Garden einen riesigen Fanclub hast, der dich bewundert.
Uns allen hier, sogar Squall, von dem sogar ich es nicht erwartet hätte,
ist aufgefallen, dass du leidest, und wir alle wollen das beenden. Und denk
an Direktor Cid und Edea, die euch aufgezogen haben. Glaubst du im Ernst,
dass sie dich einfach deinem Schmerz überlassen würden?"
Ihr Schützling war während dieser Worte sichtlich ruhiger geworden, und
jetzt löste sie sich auch aus ihrer Umarmung und stand wieder auf. Sie
lächelte Rinoa dankend zu, was wegen der Tränen in ihrem Gesicht nicht ganz
ernst wirkte. "Du weißt aber, Rinoa, dass ich nicht diese Art von Liebe
gemeint habe", konterte Quistis. "Aber danke für deinen Trost. Ich denke,
ich hatte ihn dringend nötig." Sie wischte sich die Tränen aus den Augen
und als Rinoa sie wieder sehen konnte, was sie wieder die selbstbewusste
Frau, die sie kannte.
"Komm jetzt", meinte die Frau, "wir sind schon stark überfällig. Wir
sollten uns beeilen und diese blöden Systeme kontrollieren, damit niemandem
was auffällt."
Rinoa lachte hell auf. "Glaubst du denn im Ernst", fragte sie prustend,
"dass Squall uns deswegen hier herunter geschickt hat?" Sie kicherte noch
ein paar Sekunden, dann stand auch sie auf und wandte sich zum Aufzug um.
Die junge Hexe konnte sich gut vorstellen, dass ihre Freundin hinter ihr
jetzt sicher ein ungläubiges Gesicht machte und auch über diese Vorstellung
musste sie kurz grinsen. Dann lief sie los. Einen Moment lang war Quistis
anscheinend noch überrascht, dann folgte sie ihr.
"Ich sag's nur ungern, aber der Kerl, der dieses Ding gebaut hat, war ein
echtes Genie", bemerkte Irvine, während er staunend die kleine Delle
musterte, die die Stahlmunition seiner Exetor in der Außenhülle der Kapsel
verursacht hatte. "Ich schätze, wenn ich das Ding aufbekommen wollte,
müsste ich wahrscheinlich die Pulsarmunition rauskramen!"
Squall nickte ohne Kommentar. Dass die Kapsel einiges aushalten konnte, war
ja klar, da sie die Träne des Mondes überstanden hatte. Aber dass sie ihren
Waffen trotzen konnte, war wirklich überraschend. "Lass das lieber", warnte
er, als er sah, dass der Scharfschütze in seinen Taschen zu wühlen begann,
"die Einstiegsluke ist schließlich schon offen. Wir sollten die Kapsel
lieber nicht allzu sehr beschädigen. Sie könnte noch mal nützlich."
"Wenn du meinst." Irvine wirkte enttäuscht. "Aber gib doch wenigstens zu,
dass du selbst gern den "Herzensbrecher" eingesetzt hättest, stimmt doch
oder?"
Squall zuckte mit den Schultern. "... lass mich doch", brummte er und
wandte sich um, um nicht sehen müssen, wie Irvine sich das Lachen
verkneifen musste. "Habt ihr da drinnen schon was gefunden?" fragte er Xell
und Quistis, die sich zu zweit in das Raumfahrzeug gequetscht hatten und
das Innere durchsuchten. Dass die Kapsel nur für eine Person gebaut war,
erschwerte diese Aufgabe natürlich etwas.
"Wie zum Geier soll ich denn irgendwas aus diesem Computer rauskriegen,
wenn ich keinen Platz habe, um zwei Finger gleichzeitig zu rühren?"
beschwerte sich Xell lautstark, während er versuchte, das Gesicht mehr als
10 cm vom Bildschirm wegzubekommen.
"Jetzt meckere hier nicht so rum, Xell", verteidigte sich Quistis. "Ich bin
es sicher nicht, der von uns beiden den meisten Platz verbraucht!
Wahrscheinlich sehen wir hier nur die Folgen deiner Hot-dog-Sessions in den
letzten Wochen. Aber egal, ich muss sowieso mal raus an die frische Luft."
Mühsam befreite sich Quistis aus der Kapsel und atmete erleichtert auf.
"Hier liegt ja alles voller Mondsteine", bemerkte sie und bückte sich.
Tatsächlich, überall um die Kapsel verstreut lagen die seltenen Items, aus
denen man starke Zauber gewinnen konnte. "Ich glaube, ich stecke lieber ein
paar ein. Wäre eine Verschwendung, sie hier liegen zu lassen."
Im selben Moment hörte man von der Rückseite des Raumfahrzeugs ein Grollen
und im krassen Gegensatz Selphies helle Stimme: "Heeeee, Jungs, wir könnten
hier ein wenig Hilfe gebrauchen! Hier sind dreiiiii Quale aufgetaucht!"
Squall wollte schon nach der Löwenherz an seinem Gürtel greifen, als ihn
Irvine aufhielt. "Nichts da", meinte er. "Du hast heute deinen Spaß schon
gehabt, jetzt sind wir mal dran! Wartet mal, Mädchen, lasst mir auch noch
was von den Viechern übrig!" Und schon war er weg. Squall runzelte die
Stirn. Eigentlich war es ja verboten, dass ein SEED seinem Anführer
vorschrieb, wann er zu kämpfen hatte und wann nicht... aber Direktor Cid
hatte ihnen nicht umsonst unbeschränkte Handlungsfreiheit gewährt. Sollten
andere die Vorschriften befolgen, er wollte ohnehin noch einmal mit Quistis
reden.
Statt dessen hörte er eine andere Stimme hinter ihm. Braucht ihr mich noch?
wollte Koyo-Koyo wissen. Ich möchte endlich zu meinem Heimatplaneten
zurückfliegen. Ich habe euch alles gesagt, was ich gesehen habe. Ist meine
Anwesenheit hier noch nötig?
"Nein", sagte Squall schlicht. "Sie ist nicht mehr nötig. Du hast der Erde
einen großen Dienst erwiesen, Koyo-Koyo. Ich glaube nicht, dass wir dir
genug dafür danken können."
Bekomme ich dafür ein Elixier? fragte der kleine Außerirdische aufgeregt.
Seine schwarzen Augen sahen so bittend, dass Squall beinahe gelächelte
hätte. Beinahe.
Quistis hatte lächeln müssen. "Nein", meinte sie. "Wir werden dir kein
Elixier geben. Aber dafür das hier." Sie gab ihm ein Fläschchen, welches
das Alien sofort an Bord beamte. "Wir nennen es Heldentrank. Wenn du einmal
in Gefahr kommen solltest, trink es, und dir wird nichts passieren."
Danke, sagte der Außerirdische nickend und ließ sein UFO langsam höher
schweben. Vielleicht sehen uns ja einmal wieder. Ich habe von der
Redegewandten einige Dinge gehört, die ich unbedingt einmal begutachten
muss. Mit diesen Worten drehte sich das kleine Raumfahrzeug um 180 Grad und
beschleunigte, bis es nicht mehr zu sehen war. Squall und Quistis sahen ihm
noch einige Zeit nach.
"Hör mal", fing er an, "deinem Gesichtsausdruck nach hat Rinoa bereits mit
dir gesprochen. Wenn du jetzt auch noch mit mir reden möchtest..."
"Danke", entgegnete Quistis kühl. "Jetzt nicht. Was das angeht, will ich im
Moment nichts sagen. Vielleicht klärt es sich ja von allein. Ich danke dir,
dass du mir Rinoa auf den Hals gehetzt hast, aber das ist meine Sache, und
ich will sie allein ins reine bringen!"
Squall nickte und drehte sich um. Xell war gerade dabei, aus der Kapsel zu
kriechen. "Hey, Squall", rief er aufgeregt. "Kommt mal her, ihr zwei. Ich
glaub' ich hab' was Interessantes gefunden!"
Nachdem Squall und Quistis sich so platziert hatten, dass sie beide vom
Eingang auf den Bildschirm sehen konnten, machte Xell eine einladende
Geste. "Seht euch mal das an! Das ist eine Karte von Esthar, die in letzter
Zeit ziemlich oft aufgerufen wurde. Und jetzt schaut mal, was passiert,
wenn ich auf diesen roten Punkt hier in den Bergen drücke..."
Einen Moment lang geschah überhaupt nichts. Dann jedoch begannen sich von
diesem roten Punkt verschiedenfarbige Linien zu lösen, die begannen, Esthar
einzukreisen. Die Linien verharrten einige Augenblicke lang, und plötzlich
bewegten sich alle wie auf Kommando auf das Stadtzentrum zu. Als sie einen
bestimmten Punkt erreicht hatten, begann dieser gelb zu blinken.
"Und was soll das?" wollte Squall wissen. "Ich sehe nicht, wie uns das
weiterhelfen könnte."
Statt eine Antwort zu geben, betätigte Xell ein paar Tasten, und auf einmal
vergrößerte sich der Bildausschnitt um eine der Linien, sodass eine Schrift
deutlich wurde. Dort standen... einige Monster, zusammen mit
eingeklammerten, beängstigend hohen Zahlen und einige Standorte in Esthar,
zum Beispiel das Magielabor und das Einkaufszentrum. "Das ist nur bei
dieser Linie", erklärte Xell. "Bei anderen stehen andere starke Monster wie
Rumbrum-Drachen, Behemoths, Archeodinos, Morbole, was du willst. Und Ziele
wie die Residenz, die wichtigsten Kreuzungen und die Stadtausgänge. Und
jetzt zeige ich dir mal, was passiert, wenn man auf dieser Karte Esthar
anklickt!"
Einige Sekunden später erschien eine Großaufnahme der Residenz mit einigen
Verteidigern, die gleich darauf von den genannten Monstern besiegt wurden.
Und danach erschien eine Textbox mit der Nachricht:
Einsatzziel - Einnahme der Residenz; Überwältigung oder Auslöschung der
Militärkräfte; unbedingter Tod der Hexe!
"Wenn du mich fragst", ließ Xell vernehmen, "haben wir es mit einem Typ zu
tun, der mit einer Armee aus Monstern plant, Esthar zu erobern. Und er ist
offenbar davon überzeugt, dass Adell noch immer dort herrscht. Hier steht,
er will alle auslöschen, die sich ihm entgegenstellen, Squall!"
Dieser reagierte nicht sofort. Dann jedoch wies er den Faustkämpfer an:
"Druck das einmal aus und komm dann in die Ragnarok! Quistis, du gehst
schon mal vor und wirfst die Motoren an! Ich sehe mal, was die andern dort
hinten so lange machen! Wir müssen sofort nach Esthar, und zwar so schnell
wie möglich! Beeilung!"
Er fuhr herum um rannte zu Selphie, Irvine und Rinoa, die sich mit einigen
Galchimesäras herumplagten, die ihnen anscheinend über den Weg gelaufen
waren. "Hört jetzt auf mit dem Spielen!" rief er ihnen zu. "Die Sache ist
ernst! Wir müssen sofort abfliegen, also macht schneller!"
Sie hatten anscheinend verstanden, auch wenn nicht alle in der Lage waren,
seinem Befehl Folge zu leisten. Irvine war im Berserkerrausch, Rinoa gerade
dabei, ihn davon zu heilen und Selphie beschwor gerade Kaktor. Nach der
G.F.-Attacke blieb nur noch ein einziger der kleinen Quälgeister stehen,
den Irvine mit einem Schuss ins Jenseits beförderte. Sie nahmen alle drei
ihre Siegesposen ein, dann drehten sie sich um und liefen auf die Ragnarok
zu.
"Mann, konnte das nicht warten?" raunte Irvine Squall zu, der neben ihm her
lief. "Ich wollte die Punkte eigentlich Sephie überlassen!"
"Für so was haben wir jetzt keine Zeit!" fuhr Squall ihn an. "Ich erkläre
euch drinnen, was los ist. Es ist wichtig, dass wir so schnell wie möglich
nach Esthar kommen. Ich hoffe, es ist noch nicht zu spät!"
Der Präsident Esthars, Laguna Loire, sah erst auf, als die Tür zu seinem
Zimmer in der Residenz sich öffnete und eine ihm wohlbekannte Gruppe von
Kämpfern hereinschritt. Er lächelte glücklich und stand gemessen auf.
Immerhin verlangte man von einem Staatsoberhaupt eine gewissen Würde,
obwohl er nicht verstand, warum. Immerhin war er doch auch nur ein Mensch,
oder? Und genauso verlangte man von ihm, dass er beinahe immer etwas zu tun
hatte, sodass er fast keine Zeit hatte, sich mit seinen Freunden Ward und
Kiros, die neben ihm standen, und seiner Adoptivtochter Ellione mal einen
schönen Tag zu machen. Eben jetzt war er damit beschäftigt gewesen, ein
Gesetz über längere Ladenöffnungszeiten zu verabschieden, was einfach nur
lächerlich war, da der Handel in Esthar ohnehin nur noch virtuell
abgewickelt wurde. Aber es war nun mal sein Job...
Er versuchte, den SEED-Gruß nachzuahmen, den ihm die sechs jungen Leute
vormachten, aber er sah selbst, dass er sich nicht grade toll anstellte. Na
ja, war ja auch schließlich schon eine Zeitlang her, dass er selbst Soldat
gewesen war. Irgendwann würde er sie auch mal überraschen und den Gruß
perfekt nachmachen. Irgendwann würde er schon Zeit finden, ihn seinen
Freunden abzuschauen.
"Hallo, Elfenvolk", grüßte Kiros, sein dunkelhäutiger Freund aus der
Soldatenzeit die Gruppe, die ihnen schon früher geholfen hatte. Obwohl
Laguna nicht zurück sah, wusste er, dass Kiros die drei Jungen und drei
Mädchen angrinste. "Schön, dass ihr wieder mal vorbeikommt. Nehmt es Laguna
nicht übel, dass er euren Gruß parodiert, aber er hatte leider nur fünf
Minuten Zeit, ihn zu üben. Ward und ich haben lange versucht, es ihm
auszureden, aber er wollte nicht auf uns hören. Bitte nehmt davon Abstand,
ihn dafür zu töten, wenn auch nur deshalb, weil ihr damit einen Krieg
heraufbeschwören würdet!"
Ward, sein riesiges weißehäutiges Gegenstück, nickte lediglich und
versuchte zu lächeln. Seit er bei einem Unfall seine Stimme verloren hatte,
sah man ihn nicht oft fröhlich, aber wenn wirklich gute Freunde
vorbeikamen, dann munterte das sogar ihn auf.
"Kiros, noch einmal so eine Bemerkung und ich degradiere dich und Ward, der
dir zweifellos zustimmt, zu Büroboten!" kam sofort der Kommentar ihres
Freundes Laguna. Sie waren solche Szenen schon gewöhnt, eigentlich müssten
sie schon längst aus Esthar gejagt worden sein, wenn man von Lagunas
beleidigten Drohungen ausging. Dieser schüttelte den Kopf und murmelte
etwas von Undank und falschen Freunden, dann wandte er sich wieder
strahlend seinen Besuchern zu.
"Grinst nicht ihr auch noch so unverschämt, sonst kann ich mich gar nicht
mehr freuen, dass ihr gekommen seid. Seht, euer Anführer behält wenigstens
noch einen Rest von Anstand. Er sieht mich immer noch ernst an." Er wusste
natürlich, dass Squall, obwohl der Umgang mit Rinoa das schon ein bisschen
geheilt hatte, fast nie lächelte. Nur wenn seine Freunde, und ganz
besonders natürlich seine Lieblingshexe in der Nähe waren, konnte man
eventuell eins sehen. "Squall, mein Junge! Ich kann zwar jetzt nicht sagen,
dass du gewachsen bist, aber deine reizende Begleitung verleiht dir
irgendwie neue Größe. Miss Heartilly, ich kann gar nicht beschreiben, wie
anmutig Sie sich an seinen Arm klammern, mir fehlen wirklich die Worte.
Irvine, wieso hat man Sie mit dieser Monsterwaffe überhaupt hier
reingelassen? Wahrscheinlich nur, weil Sie gesagt haben, Sie müssten
Selphie vor mir schützen. Ich muss wohl mal wieder ein paar Wachen
entlassen, hab' ich das Gefühl! Xell, könnten Sie bitte damit aufhören,
mich so unverschämt anzugrinsen, sonst muss ich Sie abführen lassen. Sehen
Sie, Quistis hält sich wenigstens die Hand vor den Mund, auch wenn sie
darunter zweifellos auch über mich lacht!"
Squall wartete, bis sich die allgemeine Heiterkeit etwas gelegt hatte, dann
kam er zur Sache: "Tut uns Leid, aber wir sind diesmal leider dienstlich
hier! Wir sind froh, dass wir noch rechtzeitig gekommen sind, sonst wärst
du wahrscheinlich nicht mehr so fidel. Zeig ihm den Ausdruck, Xell!"
Dieser nickte, kramte in einer seiner Taschen und förderte dann einen
zerknitterten Zettel zutage. Er drückte ihn dem verdutzt dreinschauenden
Laguna in die Hand und meinte: "Hier. Ich bin gespannt, wie lange deine
gute Laune sich noch in deinem Gesicht halten kann, wenn du das hier
siehst!"
Laguna sah die Freunde einen Moment lang mit einem undefinierbaren Blick
an, dann winkte er Kiros und Ward zu sich und setzte sich an seinen
Schreibtisch. Ein paar Minuten lang starrten sie das Papier an, das ihnen
den baldigen Untergang ihrer Heimat prophezeite, dann sahen sie wieder auf.
Laguna selbst war nicht ganz so fassungslos wie seine Freunde, was wohl
daran lag, dass er als Präsident einer Weltstadt mit Verantwortung
umzugehen wusste. Und er war sich bewusst, dass Panik jetzt nicht
angebracht war, auch wenn sie momentan sehr verlockend erschien.
"Wo habt ihr das gefunden?" Kurz und präzise. Squall begann, ihn zu
bewundern.
"Auf einem der Berge südlich der Stadt", antwortete Quistis im selben Ton.
"In einer Raumkapsel, die während der Träne des Mondes auf den Planeten
kam." Sie erzählte sachlich und ohne Ausschweifungen die ganze Geschichte,
von Koyo-Koyos Ankunft bis zum Computerszenario, das Xell entdeckt hatte.
Nur ihr Gespräch mit Rinoa ließ sie aus, und niemand konnte es ihr
verdenken. Wer gab schon gern ein Problem zu?
Einige Augenblicke verstrichen, in denen sich die mächtigsten Beamten
Esthars darüber klar zu werden versuchten, dass diese absolut
unglaubwürdige Geschichte von absolut glaubwürdigen Personen vorgetragen
worden war. "Und ihr seid sicher, dass man diesem... Koyo-Koyo trauen
kann?" fragte Kiros vorsichtig. "Könnte es nicht sein, dass er euch
angelogen hat?"
"Natüüüürlich sind wir das!" beantwortete Selphie beinahe empört.
"Schließlich hat er jede Menge Geld und Risiko aaaauf sich genommen, um zu
uns zu kommen. Wieso sollte er sich in die Nähe von Menschen wagen, die ihn
mööööglicherweise töten könnten?"
Ward zuckte mit den Schultern. Kiros übersetzte: "Er meint, dass wir nicht
wissen können, warum uns dieses Alien belügen könnte, aber man sollte alle
Möglichkeiten in Betracht ziehen. Schließlich können wir nicht einfach das
Kriegsrecht über Esthar verhängen, wenn wir keine konkreten Beweise haben.
Und ihr müsst doch selbst zugeben, dass diese Geschichte mit dem Behemoth
ziemlich unglaubhaft ist!"
"Jetzt hört doch mal auf!" rief Irvine, langsam in Rage kommend. "Wir haben
auf seine Informationen hin eine Raumkapsel gefunden, die so stabil ist,
dass sie der Träne des Mondes und dem Aufprall hier auf der Erde
widerstehen konnte. Glaubt ihr nicht, dass er, wenn er diese Kapsel kennen
würde, nicht eine aus dem selben Material hätte, wenn er sich in
feindliches Gebiet wagt? Und wir haben Dokumente gefunden, die darauf
schließen lassen, dass der Pilot aus Esthar stammt, auch wenn es nicht
gerade ein sorgfältig geführtes Tagebuch ist! Was verlangt ihr eigentlich
noch, bis ihr euch der Gefahr bewusst werdet?" Er blickte die drei so
wütend an, dass Ward sich zu seiner vollen Größe aufrichtete und Kiros sich
spannte.
"Und wieso verlangst du von uns, Bürger, die seit Jahrzehnten in Frieden
leben, zu bewaffnen, gegen einen Feind, den wir nicht kennen?" fragte
Lagunas leise Stimme. Es wirkte irgendwie, als würde er mit einem
uneinsichtigen Kind sprechen. "Was glaubst du, was passieren würde, wenn
sich herausstellt, dass es diesen Feind gar nicht gibt? Die Leute würden
durchdrehen! Vielleicht nicht alle, aber es würde mit Sicherheit Verletzte
und möglicherweise auch Tote geben, wenn wir sie zum Narren halten. Willst
du, dass wir uns so etwas aufs Gewissen laden, Irvine? Verlangst du das von
uns?"
Der Scharfschütze sah betreten zur Seite. Er hatte sich nie sonderlich mit
Politik beschäftigt, aber auch er verstand jetzt, was Laguna fürchtete.
"Das heißt nicht", beschwichtigte der Esthar-Präsident, "dass ich euch
nicht glaube oder dass ich euch gar daran hindern würde, Nachforschungen
über diesen Astronauten anzustellen. Aber ich kann euch erst dann helfen,
wenn ihr mit eigenen Augen die Monsterarmee gesehen habt, die er eurer
Meinung nach gerade aufstellt."
Er stand auf und ging zum Fenster. Nachdem er kurz hinausgesehen hatte,
lächelte er und drehte sich wieder um. Dann wurde er wieder ernst. "Was ich
auf alle Fälle tun werde, ist, die anderen Staaten darüber zu informieren,
dass möglicherweise auch für sie Gefahr droht. Wer weiß, was dieser
Verrückte plant, wenn Esthar wirklich fallen sollte?"
"Du willst also die Hände in den Schoß legen und abwarten?" Rinoa wirkte
fast schockiert. "Du hast dich wirklich verändert, Laguna! Früher hättest
du dich aufgemacht, um diesen Monsterbeschwörer alleine fertig zu machen,
aber heute willst du lieber hier bleiben und auf den Tod warten? Ich kann
dich nicht verstehen!"
Kiros lächelte traurig. "Das ist auch gut so. Wenn jeder von euch verstehen
würde, zu welchen Handlungen Staatsoberhäupter oft gezwungen sind, dann
würdet ihr euch wahrscheinlich von jeder Autorität abwenden. Aber es sind
nun mal nicht alle so stark wie ihr, Rinoa. Diese Menschen da draußen in
der Stadt haben seit Adells Herrschaft friedlich gelebt, und sie wollen das
auch weiterhin tun. Willst du ihnen jetzt eine flammende Rede über Ehre und
Kampf halten, die dich vermutlich mehr begeistern würde als sie, und sie
dann in den sicheren Tod schicken?"
Rinoa sah nicht so aus, als wäre sie von der Entscheidung ihrer Freunde
begeistert, aber Squall warf ihr einen Blick zu, nicht mehr weiter zu
streiten. Er, der er selbst schon die Verantwortung über den gesamten
Balamb-Garden innegehabt hatte, konnte Laguna verstehen. Es war nicht
leicht, darüber hinwegzusehen, dass nicht jeder ein Kämpfer war, den man
ohne Gewissen einsetzen konnte.
Laguna klatschte in die Hände. "Aber jetzt genug von der Politik", rief er,
und plötzlich war er wieder der ein wenig linkische, aber gutherzige Ex-
Soldat, den sie alle kannten. "Ich habe jemanden herbestellt, der euch
gerne einmal wieder sehen wollte. Und ich glaube, ihr möchtet auch mit ihr
reden."
Bevor der Gedanke, wer diese Person sein könnte, Gestalt in den Köpfen der
Freunde annehmen konnte, öffnete sich auch schon die Tür und ein etwa 20-
jähriges, braunhaariges Mädchen mit weißem Rock und blauer Bluse bekleidet
kam herein: Ellione, ihre frühere große Schwester im Waisenhaus, die sie
und Lagunas Truppe zusammengebracht hatte. Sofort hellten sich alle
Gesichter, selbst das von Squall, auf.
Rinoa löste sich sofort von Squall und rannte auf das ältere Mädchen zu, um
es zu umarmen. "Ellione!" rief sie. "Du ahnst ja gar nicht, wie du uns
gefehlt hast! Wo hast du nur die ganze Zeit gesteckt? Wir haben dich bei
keinem einzigen unserer Besuche gesehen!"
Ellione lächelte wie eine Mutter, die ihr Kind streichelt. "Ich bedaure
auch, dass wir uns so lange nicht sehen konnten, Hexenschwester", flüsterte
sie. Mehr konnte sie nicht sagen, denn schon waren die anderen heran. Xell
und Selphie warfen sich ihr ungestüm an den Hals, während Quistis und
Irvine sich damit begnügten, ihr auf die Schulter zu klopfen und sie mit
leuchtenden Augen anzustarren. "Genug, genug", lachte sie schließlich. "Ich
freue mich ja auch, euch wiederzusehen, aber wenn ihr mich nicht bald
loslasst, werde ich es mir genau überlegen, bevor ich noch einmal zu euch
komme!"
Nachdem sie sich einigermaßen von ihren Anhängseln befreit hatte, ging sie
auf die verbleibenden vier Personen im Raum zu. "Du hast dich sehr
verändert, Squall!" bemerkte sie. "Früher wolltest du mich nie mit jemandem
teilen, und jetzt willst du mich nicht einmal mehr begrüßen? Was ist mit
dir los?"
"Ich habe lediglich gelernt, dass nicht alles mir gehört, was ich mir
wünsche", entgegnete dieser. Dann grinste er und umarmte seine liebste
Spielgefährtin aus Jugendtagen. "Schön, dich wiederzusehen, große
Schwester!"
Einen Moment lang ließ sich Ell diese Zärtlichkeit gefallen, dann löste sie
sich sanft von ihm und wandte sich ihrem Adoptivvater und dessen Freunden
zu, die sich offenbar schon vernachlässigt fühlten. Squall sah ihr nach,
bis er ein vertrautes Gewicht an seinem Arm spürte.
"Ich hoffe, du bist mir nicht böse, weil ich einfach so weggerannt bin",
flüsterte Rinoa ihm zu. Dann veränderte sich ihr Blick und sie fragte
drohend: "Aber was hatte diese innige Umarmung eben zu bedeuten, hä? Kann
ich dich denn keine drei Sekunden aus den Augen lassen, ohne dass du mir
untreu bist?"
Squall schob seine Hand unter ihr störrisch vorgeschobenes Kinn und
wisperte ihr zu: "Was glaubst du denn, wie ich mich gefühlt habe, als du
mich so mir nichts, dir nichts wegen Ell verlassen hast? Kannst du mir etwa
verdenken, dass ich mich irgendwo wegen dieses Seelenschmerzes trösten
musste? Du musst mir eben versprechen, mich nie wieder zu verlassen!"
Rinoa schmunzelte. "Das ist annehmbar!" meinte sie und schlang die Arme um
seinen Hals, bevor sie ihm einen langen Kuss gab.
"Jetzt fangen die schon wieder an", stöhnte Xell auf. "Passt auf,
irgendwann ersticken sie noch mal daran!" Die beiden ließen sich davon
nicht stören, sondern genossen es, die Lippen des anderen genauestens auf
den Geschmack zu prüfen.
Erst, als Laguna sich zurückhaltend räusperte, kappten sie die Verbindung
wieder, nicht ohne Bedauern. Sie sahen sich um und blickten direkt in Ells
und Lagunas Gesicht, die sie wie glückliche Eltern ansahen, und eben diese
Mienen ließen sie ein wenig rot werden und die Arme vom Körper des anderen
wegnehmen. Squall erinnerte sich noch genau daran, wie Edea und Cid
geschaut hatten, als sie sahen, wie er und Rinoa sich ihren ersten Kuss
gaben. Das war auf der Feier im Garden anlässlich ihres Sieges über
Artemisia gewesen, und die beiden waren, angelockt durch Irvine, Selphie
und Quistis, die wie gebannt auf die Terrasse sahen, Zeugen dieses
Ereignisses geworden. Xell, der ebenfalls zu ihnen gestoßen war, hatte
schon befürchtet, seine Ziehmutter würde in Ohnmacht fallen und hatte sich
auffangbereit hinter sie gestellt, aber Cid hatte Edea lediglich den Arm um
ihre Schulter und sie ihren Kopf an seine gelegt. Dann hatten sie wie
stolze Eltern lächelnd zugesehen. Er und Rinoa hatten erst nachher gemerkt,
dass die beiden auch zugesehen hatten und waren sofort noch röter geworden
als jetzt.
"Ich wollte euch die Szene ja nicht verderben", äußerte Laguna, sonderbar
hustend, "aber Ell möchte euch gerne einladen, noch einen Tag hier zu
verbringen. Wenn die Monsterarmee kommt, müsst ihr ohnehin hier bleiben, um
die Stadt zu verteidigen, und außerdem sieht man noch keine Anzeichen für
dieses Unternehmen. Also wagt es nicht, dem Befehl eurer großen Schwester
zuwiderzuhandeln!"
Squall sah die anderen an und nickte. Mit Ellione wollte sich keiner der
unbesiegten Hexenbezwinger anlegen.
Teil 2 is coming soon!
1.1 Kapitel 4
"Verwünscht sei diese verdammte Karte!" fluchte Cifer zum mindestens
fünften Mal an diesem Nachmittag. Seit er und seine zwei Begleiter hier an
den Bergen nördlich von Esthar, an die sich undurchdringliche Wälder
anschlossen, angekommen waren, hatten sie nichts anderes getan, als nach
einem möglichen Eingang zu einer Geheimbasis zu suchen, aber entdeckt
hatten sie nur, dass sie langsam müde wurden.
"Cifer, jetzt beruhig dich mal wieder!" versuchte Rai-Jin zu verhandeln.
"Wir suchen mal schon seit 8 Stunden! Lass uns doch mal eine Pause
einlegen, dann können wir ja meinetwegen mal die ganze kilometerlange Wand
abklopfen, okay?"
Fu-Jin, die ebenfalls schon ziemlich durstig war (kein Wunder, in dieser
Sandwüste!), nickte. "Ausruhen!" bekräftigte sie die Aussage ihres Partners
und verschränkte die Arme. Sie würde ebenfalls nicht weitersuchen, bis sie
zum in Esthar gemieteten Jeep gegangen und sich mal eine Weile in den
Schatten gelegt hatte.
Cifer brummte etwas Undefinierbares und nickte schließlich abgehackt. "Na
schön", fauchte er. "Aber nehmt gefälligst zur Kenntnis, dass ich nicht
eher von diesem Ort fortgehen werde, bis wir diesen blöden Eingang samt
Monsterbeschwörer gefunden haben! Geht schon mal vor, ich suche noch ein
paar Minuten."
Erleichtert, gleich nicht mehr diese sengende Sonne ertragen zu müssen,
rannten Rai-Jin und Fu-Jin zu einem der Felsen, die hier überall
herumstanden, so als habe ein tollwütiger Zyklop versucht, Kugelstoßen für
sein Volk populär zu machen. Dahinter hatten sie den Jeep geparkt, den sie
zusammen mit einigen nützlichen Kleinigkeiten, wie zum Beispiel gefüllte
Wasserflaschen und Heiltränke, in Esthar für das gesamte Restgeld von Koyo-
Koyo erstanden hatten. Es zu sparen, wäre ohnehin sinnlos gewesen. Wenn sie
Erfolg hatten, dann würden sie ohnehin genug von Esthars Reichtümern für
sich abzweigen können. Und wenn sie den ominösen Mann nicht fanden, dann
würden sie ohnehin für den Rest ihres Lebens Söldner bleiben, und Söldner
gaben ihr Geld immer zwischen zwei Aufträgen aus, das hatten sie gelernt.
Cifer starrte wütend auf die Karte. Er hatte gehofft, hier irgendwo einen
Hinweis auf das Versteck dieses Genies von einem Raumfahrer zu finden, aber
Pustekuchen. Auf der Karte war nur ein Gebiet markiert, dass gute 10
Kilometer durchmaß, und jeder Fingerbreit davon war massive Felswand, wenn
man sich hier umsah. Und dennoch musste es hier einen geheimen Eingang
geben, der entweder geschickt getarnt oder die Erfindung eines Witzboldes
war, der ihm besser nicht nachts auf einer Straße begegnen sollte!
Warum nur, warum spielte das Schicksal immer nur ihm so übel mit? Als
Artemisia ihn in ihre Dienste genommen hatte, hatte sich ein Jugendtraum
erfüllt: Von ihr hatte er Kräfte erhalten, die ihn weit von den anderen
Menschen abhoben, Ansehen, oder zumindest Respekt unter dem Militär
Galbadias und nicht zu vergessen die Möglichkeit, sich allen anderen SEEDs
im Kampf stellen und sie besiegen zu können. Er hätte sich Squall und seine
Truppe zuletzt aufgehoben, wäre sie nicht so gut geworden. Langsam hätte er
sie alle aufgesucht und einen nach dem anderen besiegt: Am Anfang den
Hasenfuß, dann seine ehemalige Lehrerin, Quistis, danach Rinoa, die Squall
ihm vorgezogen hatte, dann diese Megaphonstimme Selphie, Irvine, den
Scharfschützen, der auf seine Herrin geschossen hatte, und am Ende den
einzigen, der ihm unter allen Gegnern je gewachsen gewesen war: Squall
Leonhart!
Cifer hatte diese Duelle genossen. Anfangs hatte sich Squall immer von ihm
provozieren lassen und war deshalb leicht zu schlagen gewesen. Er wollte
seine Gunblade wie Cifer selbst mit einer Hand führen, verstand aber nach
einiger Zeit, dass er viel besser war, wenn er die Kraft beider Arme zum
Kampf benutzte. Er entwickelte sich zum Denker, der jeden Fehler
vorausahnen zu begann, sodass es ihm, dem "arroganten Schnösel", wie er im
Garden genannt wurde, immer schwieriger fiel, das Bürschchen mit der
Lederjacke zu schlagen. Den letzten Kampf im Garden hatte er nur gewonnen,
weil er Magie eingesetzt hatte. Das war seine letzte Lektion für Squall
gewesen: Vertraue niemals darauf, dass dein Gegner fair kämpft!
Genau. Und vertraue auch nicht darauf, dass dir dein Gegner jemals vergibt!
Das würde die Lektion sein, die er ihm jetzt in den Kopf hämmern würde.
Wenn er jemals seinen neuen Verbündeten fand. Er knüllte die Karte, die er
im Drucker dieses Raumfahrzeugs vor einigen Wochen gefunden hatte, zusammen
und ließ sie in seiner Tasche verschwinden. Ja, wenn. Im Moment sah es
nicht gerade danach aus.
Er ließ seinen Blick über die massive Felswand schleifen, die, obwohl sie
nicht dazu in der Lage war, ihn höhnisch anzugrinsen schien. Wo ist der
Eingang nur? hörte er sie flüstern. Bist du in der Lage, ihn zu finden?
Sein Zorn wuchs ins Unermessliche, ein Umstand, der ihm schon oft Ärger
eingebracht hatte, denn er brauchte immer ein Ventil, um ihn wieder
loszuwerden. Er bückte sich, hob einen Stein von der Größe seiner Hand auf
und schleuderte ihn mit aller Macht auf die Bergkette zu. Cifer schloss die
Augen. Sobald er das klackende Geräusch hörte, das den Aufprall des Steins
ankündigte, würde er sich umdrehen und sich zu Rai-Jin und Fu-Jin in den
Schatten begeben. Vielleicht hatten sie ja Recht, dachte er, vielleicht
sollte auch ich mich mal ausruhen.
Er wartete 20 Sekunden lang, bis er wieder aufsah. Wieso ertönte kein
Geräusch? Er hatte all seine Kraft in diesem Wurf gelegt, es schien ihm
unmöglich, dass der Stein es nicht bis zur Wand geschafft hatte. Dem war
auch nicht so. An diesem Abschnitt der steinernen Begrenzung lagen jede
Menge kleinerer Steine, aber keiner war auch nur entfernt so groß wie der,
den er geschleudert hatte. Cifer sah sich um, aber mit keinem Ergebnis. Der
Stein war ihm auch nicht aus der Hand gerutscht, er sah nirgendwo einen
vergleichbaren liegen. Er hatte es auch eigentlich nicht erwartet. Aber wo
zur Hölle...
Abrupt unterbrach er diesen Gedanken und zog langsam seine Gunblade. Ebenso
langsam hob er die Waffe vor sich und ging damit auf die Felswand zu. Als
sie mit der Spitze am massiven Stein anstieß, packte er sie fest und
schnitt damit in den Fels ein. Das Geräusch, das dabei entstand, war so
unangenehm, dass ihm die Zähne zu schmerzen begannen, aber dennoch nahm er
die Schwert-Revolver-Mischung, die seine Waffe darstellte, nicht weg. Er
ging weiter nach links, die Gunblade weiter ihre Spur in das Gestein
schneiden lassend.
Ein paar Augenblicke lang passierte nichts. Die Spur der Waffe war
inzwischen schon fast einen Meter lang und seine Ohren begannen zu pochen,
aber schließlich stieß er auf das, was er erhofft hatte: Die Schwertspitze
versank im massiven Fels. Natürlich war es nicht wirklich Stein. Cifer
schätzte, dass es sich dabei um ein Kraftfeld handelte, das nach außen hin
den Blicken Neugieriger durch ein Hologramm entzogen wurde, welches es wie
ganz gewöhnliches Berggestein aussehen ließ. Schlau war dieser
Monsterbeschwörer ja, gestand er sich ein, um nicht zu sagen paranoisch.
Aber er war nicht gewitzt genug für ihn gewesen!
Mit beiden Händen packte er den Pistolengriff der Gunblade und zog sie
wieder aus dem Fels heraus. Er nahm zwei Schritte Anlauf und stieß die
Waffe in das Kraftfeld, jede Sekunde lang darauf gefasst, dass eine
Alarmanlage losging, gekoppelt mit einem Selbstverteidigungssystem, das ihn
sofort grillte. Es geschah nicht. Jedenfalls konnte er keine Alarmanlage
hören. Dummerweise war das nicht das einzige, wobei er sich verschätzt
hatte. Die Stärke des Kraftfeldes war offenbar nur dafür berechnet worden,
um diese kleinen Kiesel und den Wüstensand daran zu hindern, hier herein zu
gelangen, aber nicht, um einen gut gebauten jungen Mann aufzuhalten, der
mit Anlauf darauf zu rannte.
Cifer stolperte noch einen Schritt weiter, nachdem das Feld ihn freigegeben
hatte, und fiel dann durch seinen eigenen Schwung hin. Zum Glück hatte die
Waffe nach vorn gestreckt gehabt, hätte er sie in einer Abwehrstellung vor
sein Gesicht gehalten, hätte er sich halbiert. Mit einem unschön klingenden
Wort kam er wieder hoch, packte sofort die Gunblade und sah sich nach allen
Seiten um. Das war überflüssig. Zur Linken und zur Rechten war ohnehin kein
Platz, um irgend jemanden zu verstecken, so schmal war der Gang, und nach
vorne hin herrschte solche Dunkelheit, dass er erst jemanden gesehen hätte,
wenn er direkt vor ihm gestanden wäre. Da er allerdings nichts hören
konnte, entspannte er sich und drehte sich um.
Das Kraftfeld hatte sein Eindringen offenbar noch nicht ganz verkraftet, er
sah, wie sich durchsichtige Stränge von Energie, die er durcheinander
gebracht hatte, wieder zu ordnen versuchten, beschloss aber, sie in Ruhe zu
lassen. Eine Bauchlandung reichte ihm. Des weiteren sah er den Wüstenboden
draußen vor sich. Das Hologramm wirkte nur nach außen, von innen her konnte
man jedem, der die solide Wand anstarrte, ins Gesicht lachen.
Einmal noch warf er einen Blick zurück, dann durchtrat er, diesmal
vorsichtiger, das Kraftfeld und atmete tief ein. Da auch die Luft davon
abgehalten wurde, in die Höhle hineinzukommen, musste sie durch
Ventilatoren zugeführt werden, aber er war noch nie ein Fan von Dosenluft
gewesen.
"Rai-Jin! Fu-Jin!" schrie er triumphierend aus. "Kommt sofort her! Ich habe
den Eingang gefunden! Aber nehmt unsere Sachen mit, wir werden sie
brauchen!"
Eine Minute hörte er einige hektische Geräusche, dann bogen auch schon
seine Freunde um die Ecke, Fu-Jin leichtfüßig ihren Wurfstern und den
Kampfstab ihres Partners tragend, Rai-Jin in seinem trampelnden Gang und
über und über behangen mit Wasserflaschen und kleinen Rucksäcken, in denen
Cifer Notrationen vermutete, die sie gekauft hatten.
"Was ist da mal los?" fragte der Junge aufgeregt, als sie ihn erreicht
hatten. Er schien gar nicht mitzubekommen, dass er außer Atem war. "Du hast
mal in den paar Minuten ganz allein den Eingang gefunden?"
"Wo?" wollte Fu-Jin wissen. Sie blickte sich suchend um.
Cifer schwoll an vor Stolz, als er lässig mit der Gunblade auf die Wand
hinter ihm wies. "Hier an dieser Stelle befindet sich ein Hologramm, das
Felsen vorspiegelt, wo in Wirklichkeit ein Gang durch die Berge beginnt.
Ein Kraftfeld hält den Sand und Steine davon ab, hineinzugelangen und so
vielleicht etwas zu verraten. Es ist ziemlich dunkel da drin, habt ihr
Taschenlampen mitgebracht?"
Fu-Jin nickte und zog drei leistungsstarke Lampen aus einer ihrer Taschen.
"Hier!" meinte sie und verteilte sie gleich. "Erstaunen!"
"Ja", schloss sich Rai-Jin ihr an. "Es ist wirklich unglaublich, dass du
mal in ein paar Minuten das gefunden hast, was wir zuvor drei Stunden
gesucht haben. Du bist mal ein Genie, Cifer. Wie hast du das nur gemacht?"
Probeweise ließ er seine Hand im Hologramm verschwinden, um wirklich sicher
zu sein, dass Cifer sie nicht nur verulkte. Aber so etwas würde er ohnehin
nie tun, dazu war ihm die Sache viel zu ernst.
Dieser verkniff es sich, zuzugeben, dass es vollkommener Zufall gewesen
war, der ihn den Eingang hatte finden lassen und behauptete: "Ach, das war
doch ein Kinderspiel! Kommt jetzt, ich will schnellstens unseren neuen
Verbündeten kennen lernen! Los!"
Als er jedoch losgehen wollte, hielt Rai-Jin ihn zurück. "Aber zuerst",
meinte er, als Cifer sich verwundert umdrehte, "wirst du jetzt gefälligst
mal was trinken! Fu-Jin und ich haben uns schon genug ausgeruht, aber du
wirst uns noch zusammenbrechen, wenn du dich nicht mal ein wenig schonst!
Trink endlich!"
Einen Moment lang sah Cifer ihn verblüfft an, dann lächelte er leise. Er
merkte wirklich erst jetzt, dass er schwitzte und ihm langsam heiß wurde.
Rai-Jin hatte Recht, man durfte die Wüste nicht unterschätzen, sonst war
man schneller tot, als man seine Unvernunft bedauern konnte. Dankbar nahm
er seinem Freund die Wasserflasche aus der Hand und nach einer zustimmenden
Geste von Fu-Jin trank er in vollen Zügen. Es war wichtig, Freunde zu
haben, in Momenten wie diesen spürte er das besonders. Und gerade jetzt
würde er sie brauchen, auch wenn er das noch nicht wusste.
Der ehemalige Wissenschaftler aus Esthar lehnte sich in seinem Stuhl zurück
und sah auf den Monitor, auf dem die bewaldete Rückseite der Berge gezeigt
wurde. Wunderbar. Noch eine Gruppe mit Chimära-Hirnen war eingetroffen. Sie
würden seiner ohnehin schon unglaublich starken Armee noch zusätzliche
Schlagkraft geben. Er glaubte nicht, dass irgendeine Allianz der Welt ihn
jetzt noch aufhalten konnte. Jedenfalls nicht nach seinem Wissensstand,
der, wie er zugeben musste, doch nachholbedürftig war.
Dennoch, seine Heimatstadt konnte allein unmöglich ein solches
Militäraufgebot haben, um seine Horde der schrecklichsten Monster dieses
Planeten aufhalten zu können. Zwar konnten sich die Esthar-Soldaten mit
jedem anderen Kämpfer auf dem Globus messen, aber gegen seine Schöpfungen
hatten sie nicht den Hauch einer Chance. Nicht einmal eine Armee, die durch
Hexenkräfte verstärkt wurde, konnte ihn besiegen.
Adell...
Der frischgeborene Raumfahrer ließ seine Gedanken zurückschweifen, zu jenem
Zeitpunkt vor ungefähr 20 Jahren, als er noch ein junger Mann war und davon
träumte, seiner Heimatstadt dabei behilflich zu sein, die Welt zu erobern.
Er hatte sich als jemand gesehen, der auf seine Weise ein Held war, weil er
den anderen Helden die Waffen gegeben hatte, um ihre Feinde unterwerfen zu
können. Und er hätte dieses Ziel auch einhalten können. Man hatte es ihm
nur nicht erlaubt.
Eine Theorie besagte, dass es irgendwann einmal ein Ur-Monster gegeben
hatte, eine schreckliche Bestie, gegen die sogar die superstarken Rumbrum-
Drachen und Morbole von heute wie Kleinkram aussahen: ein Geschöpf, gegen
alle elementaren Zauber immun und imstande, mit einem einzigen Hieb mehrere
Gegner ins Grab zu bringen. Eine Kreatur, die so widerstandsfähig war, dass
man tagelang auf sie einschießen konnte, ohne dass sie sonderlich viel von
ihren Health-Points verlor. Nicht, dass es einem so lange Zeit gelassen
hätte.
Man hatte dieses Ding, von dem man nicht einmal genau wusste, ob und wo es
existierte, Omega Weapon getauft, die Mutter aller Monster. Aus ihr waren
die ersten Geschöpfe hervorgegangen, die seinen Mitmenschen heute das Leben
so schwer machten. Sie waren nichts im Vergleich zu seiner Stärke, aber
anscheinend wusste das Ur-Monster, dass es bald verschwinden würde und
wollte der Menschheit noch ein Andenken zurücklassen. Die Kinder des Wesens
waren so schwach, dass ein normaler Mensch sie zwar nur mit sehr viel Glück
besiegen konnte, aber einem ausgebildeten Soldaten konnten sie nicht
gefährlich werden.
Es war seine Idee gewesen, diese "Kinder" herzunehmen und sie in den
geheimen Labors unter Esthar genetisch aufzubessern, zu verändern, bis sie
jeden noch so gut ausgebildeten und bewaffneten Kämpfer auf Erden mit
Leichtigkeit töten konnten. Er hatte die perfekte Angriffswaffe für Esthar
gefunden: eine Armee aus hochgezüchteten Bestien, die allen Widerstand auf
der Erde weggefegt hätten. Er wäre der Vater aller Monster gewesen!
Aber man hatte ihm diese Ehre nicht gelassen. Stolz war er gewesen, so
stolz, als er bei seinem Vorgesetzten vorgesprochen hatte, der begeistert
von dieser Idee gewesen war. Und beinahe geglüht hatte er, als man ihn vor
der großen Herrscherin Adell hatte vorsprechen lassen. Er hatte ihr in den
schillerndsten Farben geschildert, wie schnell Esthar die ganze Welt
beherrschen konnte, wenn sie ihm nur grünes Licht für seine Idee gäbe. Ein
paar Wochen lang schien sie auch sehr interessiert zu sein.
Aber dann begann ihr offenbar zu dämmern, wie gefährlich dieser kleine
Untergebene werden konnte, wenn er merkte, dass er seine übermächtige Waffe
auch gegen sie einsetzen konnte. Ihre ganzen Hexenkräfte, die gegen jeden
menschlichen Gegner so wirkungsvoll schienen, würden neben seiner Armee so
wirken wie ein Spatz gegen einen ausgewachsenen Adler. Einmal hatte sie
einen Aufstand niedergeschlagen, ein paar Dutzend Leute, die mit ihrer
Regierungsform unzufrieden waren, ohne jegliche Hilfe. Sie ging auf die
Leute zu und blickte sie an, als wären sie Küchenschaben. Dann schoss der
erste.
Sechs oder sieben wurden von ihrem darauffolgenden Energieangriff davon
geschleudert, zehn andere wurden durch plötzlich auftauchende Meteoriten
erschlagen. Ein paar, die fliehen wollten, fielen in eine Spalte, die ein
Erdbeben verursachte. Die wenigen, die mit ihren Waffen auf sie losgingen,
stürzten zu Boden, nachdem sie ihnen ihre Lebensenergie geraubt hatte. Es
war ein Massaker gewesen. Und ein ungleich größeres würde es geben, wenn
seine Kreaturen auf diese Hexe trafen. Aber es würde anders ausgehen.
Heute wusste er, wie er diesem Weibsbild begegnen musste. Damals, als sie
ihn festnehmen hatte lassen, war er starr gewesen vor Unglauben, ein paar
Momente zu lang. Hätte er Zeit genug gehabt, hätte er seine Schöpfungen
rufen können, die sie lange genug beschäftigt hätte, damit er fliehen
konnte, aber er hatte sich einfach geweigert zu glauben, dass sie ihn
ablehnte! Und das hatte er mit 20 Jahren Exil bezahlt. 20 Jahren Exil auf
einem Himmelskörper, auf dem es außer ihm nur ein paar primitive
Monsterarten gab, die ihm als Vorlage für weitere Neuschöpfungen dienten.
Er hatte diese lange Zeit gut genutzt. Er bezweifelte, dass Adell sie
ebenso gut genutzt hatte. Sie würde fallen. Und dann konnte er in seine
Heimatstadt zurückkehren. Nur nicht als Verfolgter, sondern als Eroberer.
Er lächelte dünn. Diese Vorstellung hatte etwas. Aber was war das? Schnell
setzte er sich auf. Auf einem der Monitore blinkte ein Warnsignal auf!
Hatte etwa jemand seine geheime Basis gefunden? Vielleicht eine Abteilung
Soldaten aus Esthar? Hastig drückte er ein paar Tasten, bis das Bild
herbeigezoomt wurde. Nein, keine Kompanie Soldaten. Nur drei junge Leute,
gerade dem Teenagerdasein entwachsen. Offenbar untersuchten sie gerade
seinen Gang, der direkt in die Wälder nördlich von Esthar hinausführte.
Grimmig verzog der Wissenschaftler die Lippen. Er würde dafür sorgen, dass,
wer sie auch immer waren, sie diesen Ausflug niemals vergessen würden.
Niemals. Er nahm Kontakt zu einigen der primitiven Gehirne auf, die am
Ausgang des Tunnels zu Tausenden herumlungerten. Ein paar folgten seinem
Ruf und empfingen seine Befehle, die für die drei Möchtegernschatzsucher
sehr unangenehm werden würden...
"Wie lange ist dieses dunkle Loch von einem Tunnel denn mal noch?"
beschwerte sich Rai-Jin, nachdem er wieder einmal fast gestolpert wäre.
Selbst mit den Taschenlampen war diese Finsternis hier so absolut, dass man
die Wände nicht sah, auch wenn sie einen halben Meter von einem weg waren.
Keiner antwortete. Auch Cifer und Fu-Jin gefiel es immer weniger, hier
herumzulaufen und nach jemandem zu suchen, von dem sie nicht wussten, ob er
noch hier war. Aber dennoch, dieser Gang war die einzige Spur, die sie
hatten. Wenn Squall und seine Truppe auftauchten, bevor sie den
Monsterbeschwörer gefunden hatten, dann würden sie sich eine verdammt gute
Ausrede einfallen lassen müssen, um ihre Anwesenheit hier zu erklären.
Nicht, dass sie irgendwie nützen würde.
Aber Cifer fiel etwas auf: Vor ihnen war die Finsternis nicht mehr so
massiv wie hinter ihnen. Irgendwo dort vor ihnen musste eine Lichtquelle
sein, und das bedeutete einen möglichen Ausgang aus diesem Maulwurfsgang.
Er hob die Gunblade, die er in den letzten Minuten locker in der Hand
gehalten hatte, wieder auf jede böse Überraschung gefasst. Er wollte jetzt
nicht aus Vorfreude in eine Falle laufen.
Langsam, aber doch wurde die Gegend heller, und man konnte sogar die Wände
erkennen. Einige Minuten später, in denen keiner von ihnen sprach, aber
seine Waffe bereitmachte, sah man dann den ersten echten Lichtstrahl, der
um eine plötzliche Biegung im Gang schien. Kein Zweifel: Hier war der Berg
zu Ende. Cifer sah noch einmal nach hinten, um sich zu vergewissern, ob
seine Freunde noch hinter ihm waren, dann lugte er um die Ecke und -
erstarrte.
Ihm bot sich ein Anblick, der jedem Großwildjäger des gesamten Kontinents
das Herz höher hätte schlagen lassen. Dumm war nur, dass auch nicht alle
Jäger der Welt diesen Anblick auch nur wenige Minuten überlebt hätten. Vor
ihm, auf einer riesig anmutenden Lichtung im sonst allgegenwärtigen Wald
hinter den Bergen, erblickte er die größte Monsteransammlung, die es seit
der Träne des Mondes wohl je gegeben hatte: circa hundert Rumbrum-Drachen
versuchten, nicht auf das Rudel Quale zu trampeln, das es sich neben den
Riesen gemütlich gemacht hatte. Ein gutes Dutzend Archeodinos war gerade
damit beschäftigt, sich mit einer ebenso großen Menge Behemoths um den
kargen Platz zu streiten, und von den Seiten strömten noch ihre ganzen
Clans heran. Die aus gut 250 bestehende Horde aus Stahlgiganten hielt sich
aus den allgemeinen Scherereien heraus und schärfte lieber seine
überdimensionalen Schwerter am Berggestein, wobei sie von einigen
Lebensverbietern misstrauisch beäugt wurden. Auf einer kleinen Hochebene
hatte es sich ein ganzer Garten von Morbolen gemütlich gemacht, der nun
Sonnenenergie tankte. Dazwischen wuselten schier unzählige Galchimesäras
herum, die wohl bestrebt waren, das Chaos hier noch zu vergrößern.
Drachenisolden, Schmelzdrachen, Grendels, Chimära-Hirne, Gogue Seals, alle
gefährlichen Monster dieser Welt hatten sich hier in schier unbegrenzter
Zahl versammelt.
Aber dennoch griffen sie einander nicht an. Das war absolut unmöglich.
Diese Ungeheuer kannten nur eins: alles, was nicht zu ihrer Spezies
gehörte, zu töten. Und bei dieser unglaublich großen Horde von Monstern
sollte es bis auf ein paar kleinere Reibereien wegen des Platzes friedlich
zugehen? Das war schon nicht mehr grotesk, dafür brauchte man ein neues
Wort! Cifer trat staunend aus dem Gang hinaus. In diesem Moment war es ihm
egal, ob ihnen die Monster den Weg abschnitten. Dieser Anblick war es wert,
getötet zu werden.
Auch Fu-Jin und Rai-Jin waren hinter ihn getreten, einer so sprachlos wie
die andere (und das nicht nur, weil Fu-Jin generell nicht viel sagte!).
Dieser vereinten Macht von Bestien aller Rassen konnte nichts widerstehen,
keine Armee aus keinem Land der Welt. Vielleicht eine Horde von SEEDs mit
ebenso vielen G.F. ausgestattet, aber so viele Schutzgeister gab es auf der
ganzen Welt nicht. Irgendwie machte Cifer das stolz. Das war immerhin seine
zukünftige Armee. Nichts würde sie aufhalten können. Schon gar nicht Squall
Leonhart.
"Cifer!" drang Rai-Jins Stimme an sein Ohr, aber er brauchte ein paar
Sekunden, um in die Wirklichkeit zurückzufinden. "Hmmmm?" machte er
fragend, drehte sich aber nicht um. Die Monstermenge hielt seinen Blick
noch immer gefangen. Dann plötzlich packte eine schmale Hand seine Schulter
und riss ihn ruckartig herum. Fu-Jins anderer Arm wies auf den
Stahlgiganten, den Behemoth, den Rumbrum-Drachen und die zwei Grendels, die
plötzlich vor dem Eingang der Höhle saßen. In diesem Moment hätte er
geschworen, dass ihn die Monster angrinsten.
"Scheiße!" entfuhr es ihm, und er hob schnell den Waffenarm. Das war
natürlich eine Falle gewesen, wie hatte er nur so dumm sein und die
schützende Höhle verlassen können? Egal, das half jetzt auch nichts mehr.
"Los, wir müssen sie fertig machen, bevor der Rest der Biester merkt, dass
wir da sind!" rief er seinen Freunden zu.
"Das wissen sie mal schon", entgegnete Rai-Jin, ohne sich umzudrehen. Cifer
wagte einen Blick zurück. Tatsächlich! Die versammelte Schar an Ungeheuern
hatte ihre momentane Tätigkeit aufgegeben, um sich dieses Ereignis
anzusehen. Auf einmal kam er sich wie ein Gladiator vor, der für sein
Publikum kämpft.
Fu-Jin ließ ihren Wurfstern fliegen. Er traf einen Grendel, der aufschrie,
sich aber sofort wieder fing. Es bedurfte mehr, um diese Viecher klein zu
kriegen. Der Behemoth griff Rai-Jin an, der aufstöhnte, jedoch stehen
blieb. Allerdings galt das auch für ihn und seine beiden Freunde. "Protes
einsetzen!" schrie er über das Monstergekreische hinweg. "Wir müssen Health-
Points sparen!"
Er setzte den Zauber ein und wartete auf seine nächste Chance zum Schlag.
Einer der Grendel kam nach vor und verletzte ihn mit seinem Klingenschwanz.
Wäre das ein Übungskampf gewesen, hätte er nur milde gelächelt. Die Kräfte,
die Artemisia ihm, Rai-Jin und Fu-Jin verliehen hatte, schlossen ungeheures
Lebenspotential und Stärke ein, was bedeutete, das jeder normale Mensch
ihnen hoffnungslos unterlegen war. Leider kämpften sie hier aber nicht mit
Menschen.
Rai-Jin warf einen Ultima-Stein, der die Monster stark verwundete, aber
keineswegs bremste. Der Rumbrum-Drache reckte sich und beschwor zum
Ausgleich Meteor, den Weltraumzauber. Es missfiel ihm, wieder nicht
angreifen zu können, aber sie mussten das Vieh irgendwie von seinen Zaubern
abbringen. Vorerst musste er sich allerdings um den Behemoth kümmern, für
den das gleiche galt.
"Seuche!" rief er und sprach den krankheitserregenden Zauber auf das
violette Biest. Es duckte sich wie unter Schmerzen und blieb dann stehen,
schlafend, schweigend und was auch sonst noch alles. So, jetzt würde es mal
richtig losgehen.
Langsam fand er Gefallen an dem Schauspiel, das sich ihm bot. Der
Wissenschaftler lehnte sich interessiert vor und betrachtete den
Bildschirm, auf dem die Schlacht zwischen seinen Schützlingen und den drei
Kämpfern (er zweifelte jetzt nicht mehr daran, dass es sich um eine
hervorragend ausgebildete Truppe handelte) immer weiter tobte. Es war
erstaunlich. Diese jungen Menschen, die fast überhaupt keine Rüstung trugen
und nichts weiter als Standardwaffen, wie zum Beispiel diesen Kampfstab
trugen, konnten den Ungeheuern schon länger widerstehen als jeder Esthar-
Soldat, den er gekannt hatte.
Oder... waren diese Krieger etwa aus seiner ehemaligen Heimatstadt? Waren
sie die Antwort auf seine Monsterhorde, von Adell geschaffen zu ihrem
persönlichen Schutz? Er besah sie sich näher. Sie sahen jung aus, jünger
als alle, welche die Hexe jemals rekrutiert hatte, aber er kannte ihre
Grausamkeit und Eroberungssucht. Sie würde vor nichts zurückschrecken, um
ihre Ziele zu erreichen. Ja, es war möglich, dass sie eine Elitetruppe
waren, geschickt, um ihn zu töten.
Aber wie viele gab es von ihnen? Regimente? Oder nur diese drei? Musste er
sich Sorgen um seine Angriffspläne machen, oder stellten sie nur ein
geringfügiges Hindernis dar? Der dunkel gekleidete Mensch lehnte sich
wieder zurück. Ob nun feindlich gesinnt oder nicht: Er brauchte
Informationen, um seinem Projekt den letzten Schliff zu geben. Und diese
drei waren die einzigen Menschen im Umkreis von mehreren Meilen, die ihm
diese Informationen liefern konnten.
Auch wenn er es nie zugeben würde, war das, was ihm während seiner Zeit auf
dem Mond am meisten gefehlt hatte, das Gespräch mit anderen Menschen
gewesen. Er hatte sich mit Arbeit betäubt, mit der Züchtung unzähliger
Monster, die ihm irgendwann auf die Erde folgen würden, aber er hatte
niemals mit jemandem vernünftig reden können. Er sehnte sich geradezu
danach, seinen Kreaturen den Befehl zu geben, von ihnen abzulassen, diese
jungen Leute hier herauf zu bitten und sie auszufragen. Aber konnte er sich
das erlauben? Sie waren sehr gefährlich, das bewiesen sie gerade.
Schließlich fasste er einen Entschluss. Er würde nicht in den Kampf
eingreifen. Sollten die jugendlichen Krieger verlieren, waren sie ohnehin
nicht so verhängnisvoll, dass sie ihn und seine Armee ernsthaft aufhalten
konnte. Aber wenn sie gewannen, dann würde er ihnen den Weg zu seiner
bescheidenen Kammer weisen, die Esthar-Techniker vor so vielen Jahren in
diesen Berg gesprengt hatten. Aber für diesen Fall musste er noch Vorsorge
treffen.
Er konzentrierte sich und aktivierte das kleine Gerät, das er sich vor
vielen Jahren, am Anfang seiner Experimente, hatte einpflanzen lassen. Es
war für sich schon eine kleine Sensation, ein Mikroschaltkreis, der auch
entfernte Bewusstseine finden und ihnen Befehle übermitteln konnte. Aber
seine große Wirkung entfaltete es erst, wenn es mit dem menschlichen Gehirn
gekoppelt war: Es war dann in der Lage, jedem einmal "vorprogrammierten"
Bewusstsein, das in einem bestimmten Umkreis weilte, und seien es auch noch
so viele, Befehle zu senden. Und nun benutzte er es, um ganz bestimmte
primitive Gehirnwellen zu finden, die er für seinen Schutz benötigte. Es
war gar nicht so leicht, all diese tierischen Geister auseinander zu
halten, aber man gewöhnte sich an alles.
Da, hier waren sie! Er übermittelte seine Nachricht, und wie immer
befolgten die Tiere seine Befehle widerspruchslos. Natürlich, sie hatten
schließlich in ihre Erbsubstanz einen kleinen Code implantiert bekommen,
seiner geistigen Stimme immer und überall zu gehorchen, ob sie die Order
billigten oder nicht. Jetzt konnte er sich wieder auf den Kampf
konzentrieren.
Was war denn das? Offenbar hatten die jungen Kämpfer es geschafft, einen
der Grendel ins Jenseits zu schicken! Dazu bedurfte es schon einiger Kraft
und Zähigkeit, mehr als ein normaler Soldat besaß. Der Kampf war also noch
lange nicht zu Ende. Er sah sich die drei genauer an. Der erste von links,
ein gut zwei Meter großer, braungebrannter Junge, wirkte sehr
grobschlächtig und stark, man merkte aber an seinen Hieben, dass er genug
Geschmeidigkeit besaß, um die Schläge mit seinem Kampfstab präzise zu
landen. Oft genug wich ein Monster furchtsam zurück, bevor es wieder
angriff.
Der zweite Krieger war ein Mädchen mit Augenklappe, grauhaarig, was ihr
aber ganz und gar nicht schlecht stand. Sie hatte einen überdimensionalen
Wurfstern in Händen, den sie mit großer Geschicklichkeit warf und der auch
immer wieder zu ihr zurückkehrte. Sie wirkte sehr konzentriert und glich
ihren Mangel an Kraft anscheinend durch Zauber aus, so unwissenschaftlich
das auch klang. Aber schließlich hatte er Adell gesehen, und danach glaubte
jeder an übersinnliche Fähigkeiten, der es überlebte.
Der dritte im Bunde schien der Anführer zu sein, jedenfalls verriet dies
sein Gesicht. Er wirkte sehr konzentriert, wenn er auch etwas... Spaß an
der Sache zu haben schien. Ein schlechtes Zeichen. Weiters warf er öfter
Blicke zu seinen Kameraden hinüber, um sich zu vergewissern, wie es um sie
stand. Auch kämpfte er mit einer Geschicklichkeit, die den Wissenschaftler
in Erstaunen versetzte. Seine Waffe, eine Gunblade, wie er zu erkennen
glaubte, wirbelte durch die Luft und schnitt durch Fleisch und Knochen,
ohne sich aufhalten zu lassen.
Dennoch, er hatte nicht umsonst Monster gezüchtet, die es allein mit der
Bevölkerung eines mittleren Dorfes aufnehmen konnten. Die drei würden alles
bieten müssen, was sie hatten, sonst sah er trotz all ihrer Kräfte schwarz
für sie. Er ertappte sich trotzdem dabei, ihnen Glück zu wünschen. Sie
konnten es brauchen.
Der Hauch des Rumbrum-Drachen heilte zwar Cifer, traf Rai-Jin aber schwer
und raubte Fu-Jin ihre letzten Lebenspunkte. Mit einem klagenden Laut fiel
sie zu Boden und der Wurfstern entglitt ihren Händen. Cifer fluchte. Ein
Grendel und der Stahlgigant waren zwar schon draufgegangen, aber wenn sich
nicht bald etwas änderte, würde das selbe auch mit ihnen passieren.
"Eine Phönix-Feder!" schrie er Rai-Jin zu, der ebenfalls schon kniete. Es
stand wirklich nicht sehr gut. Er war froh, dass sie sich in Esthar mit
jeder Menge Heiltränken eingedeckt hatten, so hatten sie immerhin eine
Chance. Dieser hatte anscheinend schon daran gedacht, denn Cifer hatte den
Befehl gerade ausgesprochen, da erhob sich der bullige Junge auch schon und
ließ eine silbern glitzernde Feder auf Fu-Jins leblosen Körper fallen.
Gleichzeitig griff der Behemoth an und verletzte Rai-Jin abermals schwer.
Cifer hatte schon die Befürchtung, er würde auch sterben, aber der
Stabkämpfer hielt sich noch aufrecht, wenn auch mit Mühe. Schweren Herzens
griff der Anführer in seine Hosentasche und förderte ein Elixier zutage. Er
warf es auf Rai-Jin, während Fu-Jin, die erleichtert nach ihrem Shurriken
gegriffen hatte und wieder aufgestanden war, sich heilte. Immerhin, die
Chancen glichen sich wieder etwas aus.
Hatte er da nicht ein Glitzern in den Augen seines Freundes gesehen, als er
geheilt wurde? Cifer war sich nicht ganz sicher, verschob die Frage jedoch
auf später, da ihn der zweite Grendel angriff. Ärgerlich steckte er den
Schaden ein und sah, dass Fu-Jin vom Rumbrum-Drachen attackiert wurde.
Mist, damit war sie wieder im Beinahe-tot-Bereich. Er sprach einen Aura-
Zauber auf sich. Die Sache musste ein Ende haben.
Dann lächelte Rai-Jin und griff an.
Was zum Teufel war das denn gewesen? Dieses Mädchen war tot gewesen, so
tot, wie man nur sein konnte, wenn man von einer Flammensäule von der
Stärke einer brennenden Ölquelle getroffen wurde! Und dennoch war sie nach
ein paar Sekunden wieder aufgestanden und kämpfte nun fröhlich weiter!
Hatte das vielleicht mit dieser komischen Feder zu tun, die dem anderen
Jungen aus der Hand gefallen war?
Halt, jetzt erinnerte er sich. Einer seiner Vorgesetzten hatte einmal eine
Theorie aufgestellt, dass jemand, der im Kampf starb, durch die Magie, die
in solchen Kämpfen freiwurde, seine Seele weiterhin im Körper halten
konnte. Dadurch war es möglich, durch einen genügend großen Schock einen
Menschen wieder zum Leben zu erwecken. Hatte man diese Technik etwa auch
schon perfektioniert? Ganz erstaunlich! Er hatte wirklich viel verpasst,
während seiner Zeit auf dem Mond.
Nun hatte er ein weiteres Thema, das er die drei Kämpfer fragen konnte,
wenn sie es schafften zu überleben. Allerdings sah es noch immer sehr
ausgeglichen aus. Sie hatten zwar zwei seiner Kreaturen getötet, aber die
anderen drei griffen unermüdlich an und ihre Kräfte begann anscheinend
langsam zu erlahmen, jedenfalls waren der dunkelhäutige Junge und das
Mädchen schon wieder gebeugt.
Was? Nahmen die Überraschungen denn nie ein Ende? Wieso leuchtete der
Körper des Anführers jetzt auf einmal golden auf? Was hatte das zu
bedeuten? Und wieso schossen plötzlich Feuerzungen rund um den anderen
Jungen aus dem Boden?
Cifer stellte mit Befriedigung fest, dass Rai-Jin vor seiner Heilung noch
Zeit gehabt hatte, seinen Limit Break vorzubereiten. Der Junge wurde von
Energiestrahlen umhüllt, sammelte all seine Kraft an, rief: "Drachentöter!"
und sprang auf den Behemoth zu. Er schwang den Stab mit einer Leichtigkeit,
mit der andere Leute Spazierstöcke in den Fingern kreisen lassen und ließ
ihn dem Monster direkt auf die Stirn prallen. Es kreischte angsterfüllt
auf, hielt sich aber noch aufrecht. Fu-Jin gab ihm mit einem gezielten
Schuss den Rest. Mit einem letzten Klagelaut sank der Behemoth in die Knie
und verschwand.
Blieben nur noch der Rumbrum-Drache und ein Grendel, wobei der Drache mit
Sicherheit den gefährlicheren Gegner darstellte. Nun war aber er wieder an
der Reihe, und wie zuvor Rai-Jin verspürte er die ungeheuren Energien, die
Todesangst oder der Aura-Zauber auslösten. Er genoss dieses Gefühl immer
wieder, auch wenn er in letzter Zeit nicht oft einen derart gefährlichen
Gegner gefunden hatte. "Teufelsklinge", rief er, während goldene Flammen
seinen Körper umtanzten. Dann fasste er die Gunblade mit beiden Händen (wie
Squall, dachte er ironisch, ich benehme mich wie er), begann sie um sich
herumzuschwingen, bis sich ein Wirbel um ihn bildete, und bewegte sich auf
den Drachen zu.
Dieser schien zu ahnen, was ihm blühte, denn er versuchte, vor der
tödlichen Schneide der Waffe davon zu kriechen. Es nützte ihm nichts. Cifer
hüllte ihn in den Wirbelwind ein, hob ihn in die Höhe und ließ die Klinge
einige Male durch den Körper des Tiers schneiden, bis er es wieder
herunterfallen ließ. Er selbst kam mit einem eleganten Satz wieder auf die
Beine und ging sofort wieder in Kampfstellung. Das Monster war noch immer
nicht tot. Nun, damit hatte er gerechnet. Rumbrum-Drachen zeichneten sich
durch hohes Stehvermögen aus.
Rai-Jin setzte nach und warf dem Monster einen Blitzga-Zauber nach, der es
endgültig zu Boden schickte. Der Drache verschwand, als hätte es ihn nie
gegeben. Nur viele Schrammen an den drei Fightern zeugten von seiner Kraft.
Einen Moment lang wunderte sich Cifer, dass Fu-Jin nicht angriff, aber dann
begriff er: Sie wollte auch ihren Limit einsetzen. Er wehrte einen
Standardangriff des verbleibenden Grendel ab, der, wie er bemerkte, sich
ganz und gar nicht mehr wohl in seiner Haut fühlte.
Dann war das Mädchen soweit. Um sie herum entflammte ein Feuerkranz, dann
packte sie den Wurfstern fest, lächelte grimmig und sprang auf das
reptilartige Geschöpf zu. "Sai!" schrie sie mit vollem Stimmaufwand und
trieb die Waffe mit ungeheurer Kraft durch die Schuppen des Monsters.
Dieses zuckte angstvoll zurück, als ihm sämtliche Lebenspunkte bis auf
einen abgezogen wurden. Es wusste, es hatte keine Chance mehr. Dennoch
würde es nicht fliehen. Dieser Gedanke war den Ungeheuern völlig fremd.
Cifer beendete den Kampf mit einem wohlgezielten Hieb, der den Grendel
beinahe zweiteilte. Nachdem sich das Tier unter Klagelauten in Luft
aufgelöst hatte, schwang er in wilder Euphorie seine tödliche Klinge durch
die Luft, so wie es der Ritus des Kampfes verlangte. Dann warf er einen
Blick auf seine Partner. Rai-Jin ging es sehr gut, kein Wunder, schließlich
hatte er selbst ihn geheilt, aber Fu-Jin hatte ziemlich viel abbekommen.
Sie würden sich um sie kümmern müssen. Später. Wenn es ein Später gab.
Wie auf Kommando sahen sie hinter sich. Doch sie sahen sich keinem weiteren
Kampf gegenüber, die anderen Monster hatten anscheinend das Interesse an
ihnen verloren. Seltsam. Aber nicht das Schlechteste, was ihnen passieren
konnte. "Los, zurück zur Höhle", krächzte er mühsam. Er brauchte unbedingt
wieder was zu trinken, seit ihrem Marschantritt hatte er keinen Tropfen
mehr in die Kehle bekommen. "Schnell, bevor diese Biester bemerken, dass
das Frühstück wegläuft!"
Erst, als ihn das beruhigende Schwarz des unterirdischen Gangs wieder
völlig einhüllte, gestattete sich Cifer, niederzusinken und die Gunblade
aus der Hand zu legen. Neben ihm sank Fu-Jin zu Tode erschöpft zu Boden,
nur Rai-Jin hielt sich noch aufrecht und suchte die Gegend nach Monstern
ab. Aber als er keine entdecken konnte, lehnte sich auch er gegen die Wand.
Eine solch unvorstellbare Armee..., und nur ein Bruchteil hatte sie fast
getötet. Nichts und niemand konnten diesen Gewalten widerstehen.
Er sah Fu-Jin an. Sie wirkte zwar auch körperlich erschöpft, aber er
wusste, dass ein Großteil ihres Zustandes darauf zurückging, dass sie
gestorben und wiederauferweckt worden war. Seit sie Artemisias Kräfte
bekommen hatten, war niemand in der Lage gewesen, sie zu töten, nicht
einmal Squall und die SEEDs. Er wusste, dass auch sie einen Schock bekommen
hatten, als sie das erste Mal getötet worden waren, aber er hatte nicht
gewusst, dass er so intensiv war. Inzwischen mussten sie es gewöhnt sein,
so oft, wie sie auf den Tor-Inseln gewesen waren. Er hoffte, er würde nie
im Kampf sterben müssen, wenn er nachher so aussah wie seine Partnerin.
Schließlich erhob er sich wieder. "Los, wir verschwinden hier!" meinte er,
während er misstrauisch einen Blick zurückwarf. "Diese Karte war nur ein
Trick! Aber sollte ich diesen Witzbold, der sie gezeichnet hat, jemals in
die Finger kriegen, dann wird er den Tag verwünschen, an dem sein Vater
seine Mutter kennen lernte!"
Fu-Jin nickte dankbar, Rai-Jin half ihr schweigend auf. Den beiden war der
Anblick der Monsterarmee noch schlechter bekommen als ihm, wenn sie so
fertig waren. Der Kampf, so schwer er auch gewesen sein mochte, konnte
diese unnatürliche Schweigsamkeit nicht verursacht haben. Jedenfalls nicht
allein. Als Cifer sich umdrehte und in der Dunkelheit verschwand, schwiegen
sie noch immer. Dennoch waren sie froh, denn sie hätten nie zu fragen
gewagt, ob sie die Suche nicht abblasen sollten. Fu-Jin nickte zum Zeichen,
dass sie allein gehen konnte, dann folgten sie ihrem Freund, der mit
unschönen Gedanken behaftet bereits einen beachtlichen Vorsprung hatte. Wut
war eine gute Kraftquelle, wenn sie lange genug anhielt. Niemand wusste das
so gut wie Cifer.
Einfach unglaublich. Wenn er daran dachte, wie sehr nur eins der Monster,
das er gegen diese sonderbaren Streiter geschickt hatte, einem ganzen Trupp
Soldaten zusetzen konnte, dann fragte er sich immer mehr, was die drei so
stark machte. Er hätte es niemals für möglich gehalten, dass jemand seine
Pläne so ernsthaft gefährden könnte, wie sie es taten. Und falls es
tatsächlich nur eine kleine Vorhut dessen war, was ihn in Esthar erwartete,
dann tat er besser daran, noch eine Weile mit seiner Rache zu warten und
neue Monster heranzuzüchten.
Geduld war eine Tugend, die er erst zu schätzen gelernt hatte, als man ihn
verbannt hatte. Man konnte Kraft aus ihr beziehen, die einen befähigte,
jahrelang auszuharren, ohne konkrete Pläne, aber dennoch bereit zu einer
Flucht, zu der es vielleicht nie Gelegenheit geben würde. Geduld war es
gewesen, die ihn davor bewahrt hatte, den Verstand zu verlieren, als er
nach einigen Jahren auf dem Mond die Menschen zu vermissen begann. Langsam
hatte sich dieses Gefühl des Verlustes in Hass und Verachtung gekehrt, aber
ein Rest davon war noch da. Der Wissenschaftler wusste und begrüßte das.
Wenn jemand sich vollkommen von der Menschheit isolieren konnte, dann war
er selbst kein Mensch mehr.
Nun, genug der Philosophie. Er hatte einfach noch nicht genug
Informationen, um seine Pläne verwirklichen zu können, aber schließlich
hatte er sich auch versprochen, sie von diesen jungen Leuten zu bekommen.
Er drückte einige Tasten auf der Tastatur, die den blonden jungen Mann
sicher wieder zu einem Wutausbruch hinreißen würden. Er faszinierte den
Forscher. Er wusste, wann man seine Gefühle im Zaum halten musste, im Kampf
beispielsweise, aber ansonsten gab er sich ganz ihnen hin. Außerdem
verstand er es, Menschen zu motivieren, was ihn bezweifeln ließ, dass er
von Adell kam. Sie bevorzugte Leute, die ihr blind gehorchten und keinen
Führerinstinkt besaßen. Aber woher kamen sie dann?
Galbadia? Der einzige Staat, der es vielleicht mit Esthar hätte aufnehmen
können, hätte er von seiner Existenz gewusst? Möglich. Centra? Nein, dort
lebte nichts mehr, und wenn, dann hatte es sich sicher nicht weit genug
entwickelt, um solche Champions ausbilden zu können. Dollet? Nein, dieses
friedliebende Städtchen steckte kein Geld in Kriegsforschung. Aber was
dann? Balamb? Fisherman's Horizon? Trabia? Alles viel zu unbedeutend, um
dem gesamten Esthar-Staat etwas anhaben zu können.
Er musste seine Gedanken unterbrechen, als der Computer meldete, dass der
Gang, der zu seinem Refugium führte, nun ohne Gefahr von jedermann betreten
werden konnte. Er bestätigte die Meldung und lehnte sich wieder zurück. Er
dachte zuviel, das hatte ihm auch seine Frau gesagt, als er noch in Esthar
gewesen war. Der Gedanke an sie machte ihn traurig, aber er verdrängte das
Gefühl. Er kannte Adell. Seine Frau hatte bestimmt keine zwei Wochen mehr
gelebt, nachdem er auf den Mond verbannt worden war. Andererseits, wenn man
bedachte, dass sie...
Diesen Gedanken verdrängte er mit aller Macht, zu der er fähig war. Jeder,
der ihm etwas bedeutete, war inzwischen tot. Wenn er anfing, darüber zu
spekulieren, ob noch jemand leben könnte, dann würde ihn das möglicherweise
dazu bringen, seine Eroberungspläne einzustellen. Das durfte nicht
geschehen. Sein Lebenswerk wäre dahin. Er musste sich jetzt einfach in
Geduld üben, bis diese jungen Kämpfer zu ihm gefunden hatten, dann konnte
er mit seiner Rache an Adell und Esthar beginnen. Nur Geduld.
1.2 Kapitel 5
Cifer rannte beinahe durch den schwarzen Gang, so als ob er irgend etwas
sehen konnte, was er abschütteln wollte. In ihm kochte eine Wut, die ihn
nur schwer wieder loslassen würde. Man hatte ihn für dumm verkauft,
betrogen, um seine Hoffnung gebracht. Am liebsten würde er sich Squall, der
sicher bald auftauchen würde, zum Kampf stellen, aber das brachte nichts.
Er würde wieder zu seinem Söldnerleben zurückkehren müssen, so wie er es
nach Artemisias Tod gemacht hatte. Welch glorreiche Zukunft!
Plötzlich blieb er so abrupt stehen, dass Fu-Jin und Rai-Jin, die hinter
ihm herkeuchten, in ihn hineinrannten. "Was soll das denn mal?" beschwerte
sich Rai-Jin. "Wieso bleibst du auf einmal stehen? Dort vorne nach der
Biegung ist doch schon mal der Ausgang!"
"Seht ihr es denn nicht?" fragte Cifer mit vor Zorn zitternder Stimme.
"Dort vorne links, ein paar Meter vor uns."
Fu-Jin sah an ihm vorbei und versuchte, etwas zu erkennen. Das brachte ihr
allerdings nur die Erkenntnis, dass man in dem Gang vor ihnen die halbe
Armee von Galbadia hätte verstecken können, und sie hätte sie nicht
bemerkt, bis sie vor ihr stand. "Finsternis!" antwortete sie einsilbig wie
immer. "Was?"
Cifer hob die Gunblade und ging ein paar Schritte nach vor. "Hier", rief
er, "ist noch ein geheimer Gang, der von diesem hier abzweigt! Dieses
paranoide Schlitzohr von Monsterbeschwörer hat sich einfach in einem
weiteren Gang versteckt! Und wir laufen durch den ganzen Berg und treffen
dabei auf seine Armee, die uns beinahe umbringt! Sehr nett durchdacht. Ich
kann allerdings nicht darüber lachen. Los, kommt! Statten wir diesem Herrn
doch mal einen Besuch ab."
Er wollte schon losgehen, als Rai-Jin ihn zurückhielt. "Warte doch!" sagte
er. "Wieso willst du mal wissen, dass wir nicht schon wieder in eine Falle
laufen? Es könnte doch sein, dass uns dieser Monsterbeschwörer endlich mal
aus dem Weg haben will, meinst du nicht?"
Ich kann Ihnen versichern, dass das nicht der Fall ist! erscholl plötzlich
eine Stimme aus einem versteckten Mikrofon irgendwo über ihnen. Wenn Sie
den Mut haben, dem Gang zu folgen, und daran zweifle ich nicht, nachdem ich
Sie kämpfen gesehen habe, werden Sie zu mir kommen. Ich erwarte Sie.
Das Mikrofon klickte, als Cifer gerade zu sprechen anfangen wollte. Er
schätzte es überhaupt nicht, manipuliert zu werden, und das wollte er
diesem Herrn gerade in unschönen Worten beibringen, als dieser den
Lautsprecher ausschaltete. Er schlug mit seiner Gunblade gegen die Wand,
was ihm nur ein paar Kratzer an der Waffe einbrachte, dann beruhigte er
sich wieder. "Also, ihr habt es gehört", meinte er betont friedlich.
"Folgen wir dem Gang, dann hat unsere Suche ein Ende. Oder wollt ihr etwa
aufgeben?" Er blickte seine Freunde scharf an. "Wenn ihr rausgeht, werde
ich allein weitermachen. Ich werde dafür sorgen, dass euch nichts passiert,
mein Wort darauf."
Fu-Jin schüttelte lediglich den Kopf und Rai-Jin entgegnete nach einem
leichten Seufzer: "Wo du hingehst, da gehen wir auch hin, das müsstest du
mal langsam wissen! Also los."
Der Anführer nickte zufrieden und ging mit vorgestreckter Waffe in den Gang
hinein. Diesmal dauerte es nicht so lange, bis sie auf etwas stießen. Die
Tür war aus Hartplastik, wie es sie in Massen gab und noch dazu völlig
schmucklos. Außerdem war sie offen und gewährte einen Blick auf ein Zimmer,
das wohl einen Kompromiss zwischen Komfort und Arbeit darstellte.
Computeranlagen nahmen einen großen Platz des Raumes ein, der restliche war
allerdings mit bequemen Sitzmöbeln, einem Kühlschrank, einem ziemlich
langen Tisch und einem gemütlich aussehenden Bett nett eingerichtet. Wer
immer das Zimmer gestaltet hatte, er hatte einen guten Geschmack, was seine
Art zu leben betraf.
"Kommen Sie nur herein!" ertönte eine kräftige Stimme vom Ende des Tisches,
welches von der Tür verdeckt wurde. "Ich habe Sie bereits erwartet. Ich
wäre Ihnen allerdings sehr dankbar, wenn Sie ihre Waffen wegstecken
würden."
Cifer zögerte kurz, steckte dann aber die Gunblade weg und betrat den Raum.
Er wollte hier einen Verbündeten gewinnen. Es würde nichts bringen, ihn
grundlos zu verärgern. Rai-Jin und Fu-Jin folgten ihm zögernd. Dann schloss
sich die Tür.
"Cheeeef!" tönte Selphies Stimme durch den ganzen Raum. "Wir nähern uns
jetzt dem Berg, deeeer auf der Karte eingezeichnet ist. Soll ich landen?"
"Noch nicht!", entgegnete Squall. "Versuch erst einmal, die Gegend nach
Monstern zu scannen. Wir können nicht wissen, wie viele sich hier
herumtreiben."
"Alles klar, Boss!" meinte Irvine. "Los, Sephie, lass uns diesen
Ungläubigen da hinten mal zeigen, was wir so alles drauf haben!"
"Wenn der Kerl nicht bald sein Mundwerk unter Kontrolle bringt, sorge ich
dafür, dass er in der nächsten Übungshalleneinheit einem halben Dutzend
Morbolen begegnet", brummte Quistis missmutig. "Seine gute Laune ist
absolut unnatürlich!" Seit sie Esthar verlassen hatten, war sie wieder in
ihre Depressionen zurückgefallen.
"Na komm schon, Quistie!" versuchte Rinoa sie flüsternd aufzumuntern.
"Merkst du denn nicht, dass Irvine nur deshalb den Coolen spielt, weil er
Selphie beeindrucken möchte? Ich glaube, selbst du musst zugeben, dass sie
ein schönes Paar wären, wenn sie endlich mal ein Date ausmachen würden."
Quistis nickte lediglich und sah dann zur Wand hin. Aber wenigstens sah sie
jetzt nicht mehr grimmig, sondern nur ausdruckslos drein. Rinoa wusste
dennoch nicht, ob das ein Fortschritt sein sollte. "Was machen wir jetzt,
Squall?" wandte sie sich ihrem Freund zu. "Wollen wir nicht langsam
aussteigen? Mir schlafen die Füße ein!"
"Dann muss ich dich wahrscheinlich tragen", verkündete er todernst. Er ließ
jedoch keine Zeit für Lacher und kam gleich zur Sache: "Die Mission wird
folgenderweise vonstatten gehen: Zuerst wird Selphie versuchen, diese
Felswand mit den Scannern der Ragnarok nach Löchern abzusuchen, dann werden
wir Analyse-Zauber einsetzen. Ich glaube nicht, dass das funktioniert, aber
wenn, dann ersparen wir uns jede Menge Arbeit. Dann werden wir GEMEINSAM
den Unterschlupf des Monsterbeschwörers durchsuchen und wenn wir ihn
finden, dann werden wir ihn ebenso GEMEINSAM angreifen, in zwei Gruppen.
Ich will niemanden sehen, der alleine den Helden spielen will, klar? Die
erste Gruppe werden Quistis, Rinoa und ich bilden, Xell, du gehst mit
Irvine und Selphie in die zweite. Ihr greift ein, wenn wir versagen
sollten. Hier draußen behalten wir die momentanen Kopplungen bei, aber wenn
wir reingehen, hat jeder mindestens eine G.F. gekoppelt, verstanden?"
"Klar, das werde ich extra beaufsichtigen", meldete sich Xell zu Wort. "Die
Brothers fühlen sich richtig wohl in der Nähe von so viel Gestein, hab ich
das Gefühl. Aber hast du selbst deine G.F. gekoppelt, Squall?"
"Natürlich", bestätigte dieser. Wohlweislich verschwieg er allerdings, dass
er erst kurz vor dieser Ansprache daran gedacht hatte, seine Schutzgeister
anzurufen. Wenn die Kadetten im Garten das wüssten, würde eine Welt für sie
zusammenbrechen. Squall Leonhart, Meisterschüler des Balamb-Gardens,
Hexenbezwinger und -ritter, Symbol für den Kampf vergisst, sich auf den
Kampf vorzubereiten. Zum Glück war es ihm rechtzeitig wieder eingefallen,
Doomtrain, Ifrit, Bahamut, Leviathan und Diabolos zu koppeln.
"Selphie, lande dort vor der Felswand. Wenn irgend jemand tatsächlich dort
wohnt, dann muss er die Ragnarok ohnehin schon von weitem gesehen haben.
Sehen wir uns draußen mal ein bisschen um. Aber passt auf Monsterattacken
auf! Schließlich kämpfen wir diesmal gegen den Herrn der Fauna!"
Squall unterdrückte ein Gähnen. Wachehalten hatte noch nie zu seinen
Lieblingstätigkeiten gezählt, aber hier in der Wüste, wo es absolut nichts
zu sehen gab, war es die Hölle. Beinahe hätte er die Gunblade aus der
Scheide gezogen und sich auf die Waffe gestützt, aber er beherrschte sich.
Wenn nicht er, wer sollte dann hier sonst wenigstens einen Schein von Würde
wahren?
Immerhin ging es Selphie und Xell auch nicht besser. Xell ging schon seit
einer Viertelstunde auf und ab, um der Müdigkeit ein Schnippchen zu
schlagen, und Selphie machte ebenfalls kein Hehl daraus, dass ihr diese
Tätigkeit nicht gerade zusagte: "Also, das ist ja noch stumpfsinniger
aaaaals die Zeit damals im Bezirksgefängnis! Diese Langeweile ist ja nicht
aaaaauszuhalten!"
"Irgend einer muss schließlich Wache stehen. Jederzeit könnten hier ein
paar Monster vorbeilaufen, und was würdest du dann sagen, wenn wir
überrascht werden?" meinte Squall, ohne sein Gesicht zu ihr zu drehen.
Dieser Satz kam ihm selbst einstudiert vor, aber wenn man einige Zeit lang
nichts tat, dann war der Kopf anscheinend immer wie leergefegt. Deshalb
bevorzugte er es auch, immer in Bewegung zu bleiben.
Als Selphie ihm widersprechen wollte (was garantiert mehrere Minuten
Dauerfeuer auf seine Ohren bedeutet hätte. Man sollte das nicht falsch
verstehen, er hatte Selphie gern. Auch alle anderen, Xell eingeschlossen,
auch wenn er es nicht zugab, mochten Selphies kindliche Art. Aber ihr mehr
als einige Minuten lang zuzuhören, das schaffte nur Irvine, und das war
eine Fähigkeit, um die Squall ihn beneidete) wurde sie von Xell
unterbrochen.
"He, habe ich jetzt schon Wahnvorstellungen, oder ist dort drüben
tatsächlich etwas?"
Er zeigte auf eine Stelle ungefähr einen Kilometer von ihrer Position
Richtung Süden. Squall konnte nichts erkennen, aber das war zwischen diesen
Steinen auch ziemlich schwierig. Wenn es ein kleines Tier war, das Xell
gesehen hatte, dann war es sicher schon wieder in einem Bau verschwunden.
Andererseits, wenn es etwas anderes war... "Was meinst du?" fragte er.
Xell wies auf eine Stelle ungefähr einen Kilometer südlich von ihrer
Position. "Dort drüben", meinte er. "Da hat irgendwas das Sonnenlicht
reflektiert. Ich hab' ein großes, schwarzes Ding gesehen. Oder besser
mehrere", berichtigte er, als sich in der Richtung wieder etwas rührte.
"Ja, ich seeeeh's auch!" meldete Selphie pflichtbewusst. "Könnnnten das
Schmelzdrachen sein, Xell?"
Dieser kniff die Augen zusammen und sah einige Zeit angestrengt in die
Richtung der seltsamen Zeichen. "Ja, könnte was dran sein", gab er
schließlich zu. "Und zwar nicht grade wenige. Was sollen wir jetzt machen,
Squall? Warten wir hier auf sie oder gehen wir den Biestern entgegen?
Squall dachte kurz nach und runzelte dabei charakteristisch die Stirn. Die
Monster kamen anscheinend in ihre Richtung, aber sicher war das nicht. Und
wenn sie sich zu weit von der Felswand entfernten, dann liefen ihre Freunde
in Gefahr, von einem weiteren herumstreunenden Monster angefallen zu
werden. Ungekoppelt wie sie waren, hätten sie keine Chance gegen die
hiesigen Ungeheuer. "Wir bleiben hier", entschied er. "Koppelt beide sofort
Feuga in der Element-Abwehr und Aqua im Angriff! Xell, du versuchst, die
Monster zu stoppen, Selphie, du koppelst Schlaf! Einer koppelt Beleben. Den
Rest könnt ihr frei wählen. Und vergesst die G.F. nicht!"
Jetzt, da die Monster näher heran waren, konnte auch er sehen, dass es sich
um eine ungewöhnlich große Gruppe handelte. Fünf, eher sechs der
schwarzgepanzerten Ungeheuer marschierten geradewegs auf sie und damit auf
die Felswand zu. Ein gutes Zeichen, was ihre Suche betraf, aber die konnte
erst dann beendet werden, wenn sie diesen Kampf bestanden hatten. Er zog
die Gunblade und schwang sie ein paar Mal probeweise durch die Luft, um die
optimale Gewichtsverteilung herauszufinden. Aus den Augenwinkeln
beobachtete er, dass Selphie ebenfalls ihr Nunchaku hervorzauberte und Xell
erwartungsvoll die beiden geballten Fäuste zusammenschlug. Er lächelte.
Dann waren die Monster heran. Squall war der erste, der Kampfbereitschaft
erlangte und analysierte den ersten Schmelzdrachen erst einmal. Level 100?
Nun, er hatte sich in den letzten Kämpfen fordernde Gegner gewünscht. Jetzt
wünschte er sich, er hätte damals die Klappe gehalten. Xell kam ein paar
Sekunden nach ihm auf Touren und verpasste einem der Gegner eine Kopfnuss,
die ihn in die Knie sinken ließ. Kurz darauf erstarrte er in
Regungslosigkeit. Die Stop-Kopplung hatte gewirkt. Hervorragend, das gelang
fast nie.
Dann hatten die Monster jedoch genug von dieser Behandlung. Einer hauchte
Squall an, der zwar nur milde darüber lächeln konnte (was er allerdings
nicht tat), der zweite warf sich mit seinem ganzen Körpergewicht Xell
entgegen, der den Angriff jetzt nicht mehr lächelnd hinnahm. Selphie griff
nun ebenfalls in den Kampf ein und schwang ihre Waffe. Sie ließ sie auf
einen Schmelzdrachen niederfahren, der noch nicht in den Kampf eingegriffen
hatte, und siehe da: Er schlief ein. Dennoch, vier waren noch immer
handlungsfähig.
Dieser nahm das Mädchen ins Visier und versetzte ihr einen Schlag, der sie
taumeln ließ. Squall, der nun ebenfalls langsam zu kämpfen anfangen wollte,
hob die Gunblade, rannte auf den Drachen zu, der Selphie angegriffen hatte
und schlug zu. Seine Ultima-Kopplung machte sich bemerkbar: Dem Monster
schwanden fast die Sinne, als ihm 9999 HPs auf einmal abgezogen wurden.
Pech nur, dass diese Biester die Wörter aufgeben und davonlaufen nicht
kannten. Ein solches Monster kämpfte, bis man ihm auch den letzten
Lebensfunken aus dem Körper geschlagen hatte, ohne irgendwelche Einbußen.
Aber das machte den Kampf ja so reizvoll für die SEEDs.
Xell setzte nach und verpasste dem nächsten Drachen ein paar Haken, die
jeden Berufsboxer aus dem Ring geschleudert hätten, das Biest aber
lediglich nur wütender machten. Selphie, die nun ebenfalls an die Reihe
kam, griff auf eine ihrer Guardians zurück. Squall war beinahe schon wieder
kampfbereit, als die verbliebenen vier Drachen hintereinander angriffen. Er
wurde zweimal getroffen, Xell einmal und einer ging auf Selphie los, die
während ihrer Beschwörung nichts davon mitbekam. Mann, waren diese
Ungeheuer stark! Squalls Lebenskraft war um beinahe die Hälfte
herabgesunken und er verbrauchte seine Runde darauf, sich wieder zu heilen.
Xell hielt davon nichts. Er stürzte sich auf den nächstbesten Drachen, der
unter der Wucht seiner Faustschläge erbebte.
Dann war Selphie bereit. Kaktorius wuchs aus der Erde, sprang in die Höhe
und ließ einen tödlichen Hagel aus Stacheln auf die Monster niedergehen.
Sie duckten sich, konnten ihnen aber nicht entrinnen. Jedem der
Schmelzdrachen wurden mehrere Tausend Lebenspunkte entrissen. Trotzdem ging
noch keiner zu Boden. Dazu waren sie zu zäh. Einer der Drachen war wieder
an der Reihe und griff Xell an, der langsam in den gefährlichen Bereich
kam. Wenn nicht bald was geschah, würde er sterben.
Squall nahm die Gunblade in eine Hand und sprach Flare auf das Monster, das
schon am schlimmsten verwundet schien. Die Antimaterie-Explosion verzerrte
die Umrisse des Wesens bis zur Unkenntlichkeit, dann brüllte der Drache
noch einmal und stürzte zu Boden. Nach einer Sekunde verschwand er. Aber
fünf waren noch da, drei davon noch handlungsfähig. Er wurde zum Ausgleich
wieder von einem Monster attackiert, was ihm aber nicht sonderlich viel
abzog. Selphie versetzte dem Schmelzdrachen, der ihr am nächsten stand,
einen wuchtigen Hieb, bemerkte aber zu spät, dass sie damit denjenigen, der
gestoppt war, aus seinem Zustand befreite. Sie wurde ein bisschen rot, aber
sie konnte nichts mehr machen.
Das befreite Tier warf seinen gepanzerten Kopf zurück und griff Xell an,
der beinahe schon wieder handlungsfähig gewesen wäre. Die Attacke war
derart heftig, dass der Faustkämpfer seine letzten Health-Points abgeben
musste und tot zu Boden sank. Squall verzog grimmig das Gesicht. Das wurde
ja immer schöner. Er verließ sich darauf, dass Selphie ihren Kameraden
wiederbeleben würde und beschwor seinerseits Leviathan.
Ihm fiel auf, dass die Schmelzdrachen ihn nicht mehr als einmal angehaucht
hatten. Man könnte fast annehmen, dass sie aus ihren Fehlern lernten, aber
das war absurd. Diese Tiere waren zwar stark und zäh, aber keinesfalls so
intelligent, sich auf die Gegner einzustellen. Er fühlte, wie die Wasser-
G.F. von seinen Bemühungen erfuhr und ihrerseits den Kontakt herstellte.
Dann hob er die Hand, so als wolle er den Monstern Einhalt gebieten und
verschwand zugunsten des Schutzgeistes.
Nachdem Leviathan seine Arbeit erledigt hatte, stellte er fest, dass
Selphie Xell tatsächlich wiederbelebt hatte und dieser seinerseits wieder
zum Angriff überging. Anscheinend beschwor auch er gerade eine G.F., das
Beste, was man bei einem solchen Gegnerhaufen machen konnte. Es standen
noch immer alle fünf Monster, eins davon schlief noch immer. Und eins griff
Selphie an, um gleich darauf mit ihrer Rächen-Kopplung Bekanntschaft zu
machen. Kluges Mädchen. Je stärker der Gegner, desto schmerzhafter war das
für ihn. Gleich darauf setzte sie dem Vieh nach, um ihm noch einmal die
Härte ihrer Waffe zu demonstrieren.
Xell sprang nach vor, als sein Schutzgeist erschien. Er ging in
Kampfstellung, verschwand und machte damit Alexander Platz, der daraufhin
seine himmlischen Strahlenbündel auf die Monster abschoss. Sie wurden
schwer getroffen, und zwei von ihnen überlebten dieses Inferno nicht mehr.
Nun waren es nur noch zwei, allerdings war jetzt auch der letzte
aufgewacht. Und attackierte ihn sofort. Squall steckte den Schaden ein und
wollte seinerseits zum Gegenangriff übergehen, als er bemerkte, dass
Selphie kurz vor dem Exitus stand.
Also verzichtete er auf den Hieb und heilte das Mädchen, das sich daraufhin
wieder gekräftigt aufrichtete. Der zweite Drache, welcher Selphie vorher
angegriffen hatte, machte schon eine Bewegung auf sie zu, dann (Squall war
erstaunt, denn so etwas hatte es noch nie gegeben) zuckte es zurück - und
stürzte sich auf Xell. Anscheinend lernten die Biester doch! Aber wieso?
War daran etwa auch dieser Monsterbeschwörer schuld? Dass Monster, die
normalerweise keinen Affen im IQ-Test schlagen konnten, auf einmal
bemerkten, welcher Kämpfer gefährlich war und welcher nicht? Noch ein
weiterer Grund, diesen komischen Kauz mal genauer unter die Lupe zu nehmen.
Langsam wurde er Squall wirklich unheimlich.
Anscheinend war Xell genauso verblüfft wie er, denn er starrte das Monster
an, als hätte es sich gerade auf die Hinterpfoten gestellt und den Garden-
Gruß vollführt. "Xell!" schrie er seinem Kampfgenossen zu. "Wach wieder
auf, verdammt!"
Der blonde Junge straffte sich, nickte kurz und ging wieder in
Kampfstellung. Dennoch merkte man ihm an, dass er verunsichert war. Kein
Wunder, Monster dieser Gattung waren schon so wie sie waren gefährlich,
aber wenn sie nun auch noch lernten, sich auf Kampfsituationen
einzustellen, dann konnten sie auch für eine Truppe wie sie wieder tödlich
sein. Aber Xell war nicht umsonst in einem Garden ausgebildet worden. Auch
wenn er selbst noch zögerte, sein Körper hatte den Hieb registriert und
wollte sich nun dafür revanchieren. Der Faustkämpfer sprang vor und
bearbeitete den Schmelzdrachen mit den Fäusten, bis er zusammenbrach und
wie seine Vorgänger verschwand.
Nun stand nur noch ein Ungeheuer, welches sich augenscheinlich nicht wohl
fühlte. Es hatte wohl gemerkt, dass es alleine keine Chance gegen die drei
SEEDs hatte. Squall hatte fast den Eindruck, dass sich das Monster
zurückgezogen hätte, wenn es dazu fähig wäre. Nun, er hatte nicht vor, es
entkommen zu lassen. Wenn es (wie auch immer) dem Monsterbeschwörer noch
Meldung machen konnte, bevor sie ihn stellen konnten, dann würde er all
ihre Stärken und kennen und sich darauf einstellen. Und bei einer solchen
Armee, die dieser Typ anscheinend aufzubauen imstande war, konnte das sehr
wohl eine tödliche Schwäche sein.
Er packte die bläulich-schimmernde Gunblade fester, rannte auf den Drachen
zu und ließ die Klinge durch Haut und Knochen des Tiers fahren. Das
Ungeheuer war nun schon von solchen Wunden übersät, aber jeder SEED-
Anwärter wusste, dass ein solches Monster solange kämpfen würde, bis es
sich nicht mehr rühren konnte. Squall sah, wie animalische Wut in den Augen
des Schmelzdrachen hochschoss, sich seine gewaltigen Muskelpakete unter der
Haut spannten, ein gereiztes Knurren aus der rauen Kehle ertönte - und er
sich langsam zurückbewegte!
Squall war so erstaunt, dass ihm fast die Waffe aus der Hand gefallen wäre,
was mit Sicherheit seinen Tod bedeutet hätte, denn dann hätte der Drache
sicher wieder angegriffen, da er den Hieb nicht mehr hätte parieren können.
Auch Xell und Selphie starrten das Monster an, als hätte es gerade "Eyes on
me" angestimmt, aber das Mädchen kam als erster wieder zu sich.
"Heeeeee!" rief sie dem Drachen nach. "Wo willst duuuu denn hin? Wir sind
noch nicht fertig!" Bei diesen Worten zog sie einen Stein aus der Tasche
und warf ihm dem Monster, das nun schon einige Meter weggekrochen war,
nach. Weiße Lichtkugeln umschlossen den Körper des Untiers, als der Holy-
Zauber seine Wirkung tat und es niederstreckte. Das Monster bäumte sich
noch einmal auf, so als ob es das Leben zurückhalten wollte, welches nun
aus ihm herausströmte, dann sank es jedoch nieder und verschwand.
Squall schwang traditionsgemäß seine Klinge, aber tief im Inneren war er
erschüttert. Wenn alle Monster in der Nähe ihres Herrn und Meisters solche
Schläue aufwiesen, dann gute Nacht. Dann würden alle SEEDs der Welt eine
Horde von solchen Untieren nicht mehr aufhalten können. Er bezweifelte
ohnehin, dass sie eine vollkommen normale Monsterhorde aufhalten konnten,
deshalb war es umso wichtiger, den Monsterbeschwörer zu finden und zu
töten, wenn er solches im Sinne hatte. Aber wieso sollte er sich sonst hier
draußen irgendwo verstecken, wenn nicht, um eine Armee aufzubauen?
Nachdem er seine Siegespose beendet hatte, sah er sofort zurück zum Rest
seiner Truppe. Nein, Irvine, Quistis und Rinoa, die nebenbei offenbar
interessiert ihren Kampf verfolgt hatten, ging es noch immer gut. Zum Glück
hatte kein weiteres Monster die ungekoppelten Kämpfer angegriffen, sonst
wäre es ihnen schlecht ergangen. "Los, zurück zu den anderen!" befahl
Squall. "Wir hätten uns ohnehin nicht so weit von ihnen entfernen sollen!"
Aber er hatte auch nicht damit gerechnet, dass sie ein ernstzunehmender
Feind wie diese Schmelzdrachen angriff.
Irvine musterte sie kritisch, als sie mit gezogenen Waffen auf ihn, Rinoa
und Quistis zukamen. Dann begann er zu klatschen, wenn auch nur ganz leise.
"Nicht schlecht, nicht schlecht", kommentierte er den Kampf. "Ihr habt die
Viecher ja echt Mores gelehrt. Alle Achtung. Aber dass du dich von ihnen
hast umpusten lassen, Xell, tss, tss, tss! Außerdem, hättet ihr nicht
wenigstens ein paar Limits zeigen können? Ein paar Spezialeffekte hätten
dem Kampf echt gut getan! Ihr denkt wohl überhaupt nicht an euer Publikum,
was?"
Squall und Xell beachteten ihn gar nicht. Wenn Irvine mal nicht den Coolen
raushängen ließ, dann war er entweder krank oder er musste gerade auf seine
Mutter schießen, die die Weltherrschaft anstrebte. Selphie merkte
allerdings nicht, dass der galbadianische SEED sie nur auf den Arm nehmen
wollte, denn sie marschierte sofort auf ihn zu und sah ihn böse an.
"Waaaaas willst du damit sagen?" fuhr sie ihn an. "Glaubst du vielleicht,
du hättest das besser hingekriegt? Dann beweis es gefälligst! Los, looos,
wir duellieren uns, hoch mit dir! Rinoa, Quistis, seid ihr meine
Sekundanten?"
Die anderen sahen das zornige Mädchen belustigt an, aber das merkte sie in
ihrer Wut gar nicht. Irvine blinzelte ihnen für Selphie nicht sichtbar zu,
dann schlug er die Hände über den Kopf und rief schlecht schauspielernd:
"Du lieber Himmel, nur das nicht! Mein guter Ruf wird auf ewig ruiniert
sein, wenn überall bekannt wird, dass ich mich mit einem Mädchen geschlagen
habe! Bitte, Mylady, verzeiht diesem Unwürdigen, der euer Geschick nicht
richtig auffasste und nehmt seine demütige Entschuldigung an." Bei diesen
Worten ging er plötzlich in die Knie, ergriff Selphies Hand und küsste sie.
Auf einmal wurde es völlig still. Nein, nicht so still, wie es ein Lehrer
in der Schulklasse verlangt, sondern die Stille, die entsteht, wenn man auf
einer Party lauthals verkündet, dass der Gastgeber soeben verstorben ist.
Alle starrten auf Irvine, der sein Gesicht wieder von Selphies Hand
zurückzog. Anscheinend war niemand mehr über seine Aktion überrascht als er
selbst, denn er hob völlig fassungslos den Kopf und sah seiner Freundin
unsicher in die Augen. Auch Selphie war vollkommen überrumpelt worden, denn
sie verzichtete auf ihr kindisches Auftreten und sah ihren Jugendfreund mit
dem Blick an, den sich normale Teenager zuwerfen, wenn einer den anderen
fragt, ob er mit ihm gehen will.
Squall, der, obwohl er seit seiner Begegnung mit Rinoa schon ein bisschen
geläutert war, nicht sehr viel für Liebesgeschichten übrig hatte, runzelte
die Stirn. Selphie erschien ihm plötzlich viel älter, als ihr Auftreten
vermuten ließ. Zum ersten Mal, seit er sie kennen gelernt hatte, sah er in
ihr die junge Frau, die sie war, nicht das übermütige Kind. Das war
ziemlich ungewohnt. Er sah in die Gesichter der anderen. Quistis' Miene
zeigte mäßige Überraschung, gepaart mit Frust, Xell fassungsloses Erstaunen
über die Tat seines Freundes, und Rinoa stand lächelnd neben ihm. Sie warf
Squall einen "Ich-hab's-gewusst"-Blick zu und weidete sich dann wieder an
den zögernden Blicken von Irvine und Selphie.
Squall musste plötzlich an seinen ersten Kuss mit Rinoa denken. Das war
damals auf der Feier im Balamb-Garden gewesen, die anlässlich von
Artemisias Niederlage stattgefunden hatte. Er und Rinoa hatten nicht
bemerkt, dass all ihre sogenannten Freunde hinter dem Vorhang gestanden
hatten und sie angafften. Auch Edea und Cid waren schließlich darauf
aufmerksam geworden und hatten sich einen Blick auf das gestattet, was
Selphie, Irvine und Quistis so faszinierte. Xell, der inzwischen auch
herangekommen war, war sofort hinter Edea getreten, um sie aufzufangen,
wenn sie in Ohnmacht fallen sollte, aber das war gar nicht der Fall
gewesen. Ihre Ziehmutter hatte lediglich die Hand ihres Mannes gedrückt und
ihren Kopf an seine Schulter gelegt, dann hatten sie beide lächelnd diesem
Ereignis beigewohnt. Ungefähr so wie Edea damals sah Rinoa jetzt aus.
Squall fiel auch jetzt noch immer ein Stein vom Herzen, wenn er daran
dachte, dass Irvine ihren Kuss beinahe gefilmt hätte, wenn die Batterie
nicht aufgegeben hätte.
Dann fand Selphie ihre Beherrschung wieder. Sie hob theatralisch die Hand
und verkündete betont hochnäsig: "Wir vergeben ihm. Er möge sich jetzt
zurückziehen." Dabei machte sie eine Handbewegung, die verdeutlichen
sollte, Irvine möge sich schleunigst verziehen.
Dieser kam der Aufforderung nur sehr langsam nach. Er starrte immer noch
Selphies Gesicht an, dann jedoch stand er abrupt auf, drehte sich von einem
Augenblick zum anderen um und rannte beinahe auf die Felswand zu. Sofort
begann er damit, einen Eingang zu finden, während er es panisch vermied,
einen Blick zurückzuwerfen. Die anderen sahen immer noch abwechselnd ihn
und dann Selphie an, die wieder grinste.
"Daaaaamit erkläre ich das Duell für abgeblasen! Meine Sekundantinnen
kööönnen sich zurückziehen! Was sollen wir jetzt machen, Chef?" wandte sie
sich an Squall.
Dieser blinzelte ob dieser Wendung der Ereignisse, dann dachte er kurz nach
und meinte dann: "Nun, ich denke, zuerst müssen wir den Eingang finden, der
ja hier irgendwo sein muss. Also, Rinoa, Quistis, nehmt euch an Irvine ein
Beispiel! Seht ihr, wie fleißig er schon am Suchen ist, während ihr in der
Gegend rumsteht? Und ihr, Selphie und Xell, kommt mit mir. Wir werden
weiter Wache hal..."
"Nicht mehr nötig, Squall!" kam auf einmal Irvines triumphierende Stimme
von hinten. Squall drehte sich mit der nötigen Würde, die ein Anführer
ausstrahlen muss, aber dennoch sehr schnell um und sah den Scharfschützen,
dessen linker Arm beinahe bis zur Gänze in der scheinbar massiven Felswand
verschwunden war. "Ich denke mal, ich habe den Eingang gerade gefunden!",
erwähnte er ebenso überflüssigerweise wie grinsend.
"Scheint so", bestätigte Squall. Er ging zu ihm hin und betrachtete das
Phänomen. "Anscheinend ein Hologramm", bemerkte er. "Dieser Kerl, wer immer
er auch ist, hat wirklich alles getan, um sich zu schützen!"
"Also, was ist?" fragte Quistis angespannt. "Gehen wir jetzt rein?" Ihre
Laune hatte sich nicht gebessert, was angesichts der Szene vorhin durchaus
verständlich war. Squall nahm sich vor, ein längeres Gespräch mit Direktor
Cid über sie zu führen, wenn diese Mission vorbei war. Vielleicht auch mit
ihrer Ziehmutter Edea, aber momentan konnte das warten. Jede Minute, die
sie hier verplemperten, gab ihrem Gegner mehr Zeit, seine Verteidigung
vorzubereiten.
"Squall, wir müssen noch die G.F. umkoppeln!" ermahnte ihn Rinoa. Er nickte
und entließ ein paar der Schutzgeister in ihre Sphäre zurück. Xell und
Selphie machten dasselbe, und Rinoa, Quistis und Irvine, der nun endlich
wieder den Arm aus dem Berg herausgezogen hatte, riefen sie zu sich. "Wir
sind fertig!" meinte Rinoa schließlich. "Gehen wir jetzt?"
Squall antwortete nicht, sondern zog lediglich seine Gunblade und ging
langsam durch das Tor. Die anderen folgten ihm ebenso vorsichtig.
Cifer lehnte sich genervt zurück. Fast eine ganze Stunde diskutierten er,
Fu-Jin und Rai-Jin nun schon mit diesem seltsamen Kerl, und sie hatten noch
immer so gut wie nichts über ihn herausgefunden. Nun ja, er diskutierte,
die anderen beiden beschränkten sich darauf, gelegentlich Fragen
einzustreuen, die meist nicht beantwortet wurden. Aber im Gegenzug kannte
der Beschwörer jetzt das aktuelle politische Klima, die neuesten
Waffenentwicklungen, die Verbreitung der meisten Monsterarten (obwohl er
die wahrscheinlich selbst gut genug kannte) und den neuen Präsidenten von
Esthar.
Er hatte nicht glauben können, dass Adell nicht mehr auf dem Thron der
Stadt saß und Cifer ausgiebig darüber berichten lassen. Für einige Momente
wirkte er seltsam desorientiert, so als ob etwas seine gesamten Pläne
durcheinander geworfen hatte. Diese Kleinigkeit vermerkte Cifer stumm in
seinem Gedächtnis. Der Wissenschaftler musste einen guten Grund gehabt
haben, um in einen Krieg gegen seine Heimatstadt zu ziehen, und anscheinend
spielte Adell da eine größere Rolle. Nur die SEEDs und ihre eigene
Geschichte hatte der blonde Junge bis jetzt verschwiegen, und das war auch
gut so. Bevor er mit diesem letzten großen Geheimnis herausrückte, musste
der Mann erst einmal selbst etwas preisgeben.
"Und Sie behaupten, eine so mächtige Hexe wie Adell wäre kurz nach meinem
Verschwinden von einem Soldaten mit einer mickrigen Handvoll Verbündeter
versiegelt und dann in den Weltraum geschickt worden?" Kurz zeigte sich ein
amüsiertes Lächeln auf seinen Zügen. Er hatte nicht gelächelt, seit er sie
hereingebeten hatte. "Welche Ironie! Zuerst lässt sie eine echte Gefahr wie
mich auf den Mond schießen und dann wird sie von einem kleinen Mann wie
diesem... Laguna Loire, nicht? Wird also von ihm tiefgefroren und ebenfalls
in einem Sarg hinaufgeschossen. Aber Sie haben auch noch erwähnt, dass sie
vor kurzem wieder heruntergeholt wurde. Wieso hat sie dann nicht bereits
wieder die Macht ergriffen?"
Die Frage war so beiläufig gestellt worden, dass Cifer fast geantwortet
hätte. Aber er beherrschte sich im letzten Moment. "Diesen Punkt möchte ich
jetzt noch nicht beantworten, Mister. Erst sollten Sie selbst ein paar
Dinge erklären, finde ich." Wie zufällig bewegte sich seine Hand zur
Gunblade, die er vorsichtshalber auf den Tisch gelegt hatte. Auch Rai-Jin
und Fu-Jin spannten sich.
Eine Sekunde lang sah der Wissenschaftler so aus, als wollte er sich auf
die drei stürzen, trotz seiner offenkundigen Unterlegenheit, dann sah er
jedoch die Sinnlosigkeit seines Unternehmens ein. "Sie haben wahrscheinlich
Recht. Bitte verzeihen Sie mir, aber nach einer so langen Zeit im Exil war
ich begierig darauf zu erfahren, wie es in der Welt aussieht. Bitte stellen
Sie ihre Fragen. Ich kann aber nicht versprechen, dass ich alle beantworten
werde!"
Cifer nickte gelassen. Das war zu erwarten gewesen und akzeptabel. "Wie
lange waren Sie auf dem Mond im Exil und was haben Sie in dieser Zeit
gemacht?" begann er.
"Es muss etwa 20 Jahre her sein, seit Adell den Countdown heruntersagte.
Die Reise selbst dauerte ungefähr einen Tag, dann wurde ich auf einer
stillgelegten Esthar-Basis auf der südlichen Mondhalbkugel ausgesetzt. In
den ersten Jahren forschte ich wie verzweifelt nach einer Möglichkeit,
wieder nach Hause zu kommen. Die Raumfahrtkapsel, die sie zweifellos
gefunden haben, stammt von mir. Sie war perfekt bis auf ein winziges Teil:
den Treibstoff. Die Esthar-Techniker hatten es so eingerichtet, dass ich
alle nötigen Teile auf der Raumstation fand, um das Raumschiff selbst zu
bauen, aber sie machten sich offenbar einen Spaß daraus, alles, woraus man
Treibstoff produzieren konnte, mitzunehmen!" Sein Gesicht verzerrte sich
vor Hass, und Cifer zog es vor, ihn nicht zu unterbrechen. Hass bringt die
Leute dazu, viel mehr zu erzählen als ein klarer Kopf wagen würde.
"Beinahe wäre ich an diesem Scherz zugrunde gegangen. Erst nach ein paar
Wochen, in denen ich wie verrückt die Raumstation durchquert hatte, fing
ich mich und richtete ein altes Labor so ein, dass ich darin mein altes
Forschungsprojekt wieder aufnehmen konnte." Er machte eine Pause, so als ob
ihn die Erinnerung schmerzen würde.
"Genexperimente!" vermutete Fu-Jin. Rai-Jin übersetzte für den
Wissenschaftler: "Fu-Jin meint, dass Sie mal wahrscheinlich Ihre
Forschungen über Monsterzüchtung fortgeführt haben." Cifer nickte kühl.
"Natürlich hat er das. Wie hätte er sonst diese ganze Armee
zusammenbekommen können? Auf dem Mond hatte er genug Zeit dazu!"
Offenbar war der Beschwörer überrascht. Er hatte anscheinend nicht damit
gerechnet, dass seine Gegenüber von seiner Arbeit wussten. Er fasste sich
allerdings schnell wieder. "Das ist richtig, wenn ich mir auch nicht denken
kann, woher Sie das wissen. Die Monster auf dem Mond waren genauso schwach
wie die, die ich auf der Erde erforschte. Ich machte mir mein Wissen
zunutze und formte sie so um, dass sie jeden mir bekannten Kämpfer besiegen
konnten. Drachen entstanden, Behemoths, Morbole, um nur einige zu nennen.
Meine Armee war unbesiegbar, auch wenn ich nie zu hoffen gewagt hätte, sie
irgendwann auf der Erde anführen zu können. Ich weiß bis jetzt nicht, warum
die Träne des Mondes wieder beschworen wurde und warum."
Bei diesen Worten sah er die drei so scharf an, dass Rai-Jin blinzeln
musste und Fu-Jin den Blick dem Boden zuwandte. Einzig Cifer schaffte es,
gelassen zu bleiben. Der Kerl hat eine befehlsgewohnte Stimme, fast so wie
Artemisia. Aber nicht so stark wie die Hexe, dachte er. Er dankte seiner
ehemaligen Herrin im Stillen für diese Beherrschung, die sie ihn
unwissentlich gelehrt hatte, als sie ihm ihre Macht zeigte.
"Immer der Reihe nach", meinte er kühl. "Erzählen Sie fertig. Sie haben
schon viel von uns gehört. Bevor ich weitererzähle, will ich auch den Rest
der Geschichte erfahren. Sehen Sie's doch als Vertrauensbeweis."
Der Wissenschaftler lachte kurz und bitter. "Vertrauen", murmelte er,
begann jedoch wieder zu sprechen: "Nun, es gibt nicht mehr viel zu
erzählen. Ich wies meine Schöpfungen an, die Kapsel zum Startpunkt der
Träne zu bringen und mit mir auf die Erde zu fliegen. Während des Fluges
wertete ich alte Vermessungskarten aus der Station aus, die mir diesen Gang
durch den Berg enthüllten. Es ist ein alter Bergwerksstollen, der aber
schon längst vergessen ist, aber das nur nebenbei. Jedenfalls begann ich
damit, die Kinder all jener Monster, die ich damals in Esthar veränderte,
zu mir zu rufen. Und wie Sie unzweifelhaft sehen konnten, bilden sie die
mächtigste Armee, die man sich nur vorstellen kann. Das dachte ich
zumindest bisher." Er runzelte die Stirn und blickte die drei mit einem
respektvollen und abschätzenden Blick an. "Bis Sie kamen und fünf meiner
stärksten Kreaturen erschlugen, ohne dass einer von ihnen starb. Ich habe
Ihnen jetzt alles erzählt, was sich in meinem Leben an Wichtigem zugetragen
hat. Nun verraten Sie mir eine letzte Sache: Gehören Sie zu einer
Spezialeinheit aus Esthar, die fähig und willens ist, mich zu vernichten?"
Irrte sich Cifer, oder war der Blick dieses Kerls lauernd geworden?
Vorsichtshalber legte er seine Hand neben die Gunblade und ließ seine
Finger über den Griff tanzen. Der Monsterbeschwörer sollte wissen, wie weit
er gehen durfte. "Nur die Ruhe, Doktor, oder was Sie auch sonst sind. Wir
kommen nicht aus Esthar, und wir haben mitnichten die Absicht, Sie zu
vernichten. Im Gegenteil. Wir haben den weiten Weg von Balamb hierher
unternommen, um uns Ihnen anzuschließen!"
Nun wirkte der Beschwörer überrascht. "Sich mir anschließen? Warum? Hat der
neue Herrscher von Esthar Sie rausgeschmissen oder dienten Sie Adell?"
Cifer schüttelte den Kopf. "Keins von beiden. Aber wir haben einen
gemeinsamen Feind, der mindestens so gefährlich ist wie die gesamte Esthar-
Armee." Und damit begann er zu erzählen. Er berichtete, wie die Gardens
gegründet worden waren, wie eine ansehnliche Zahl von Kampfexperten
ausgebildet worden war, die gegen übernatürliche Wesen geschickt worden
waren. Darüber, wie sie in diesen Wesen die G.F. fanden und diese
Schutzgeister einsetzten, um zu mächtige Leute zu stoppen. Er beschrieb,
wie er und seine Stiefgeschwister im Garden ausgebildet worden waren, wie
er, Rai-Jin und Fu-Jin zu Artemisia gekommen waren und wie Squall und die
anderen SEEDs die übermächtige Hexe schließlich besiegten. Er erwähnte
auch, dass es nur sehr wenige SEEDs außer dieser Truppe gab, die solche
enormen Kräfte besaß.
"Unglaublich", flüsterte der graugekleidete Mann am anderen Ende des
Tisches. "Da bin ich gerade einmal 20 Jahre weg, und schon wird eine neue
Elite-Einheit gegründet, die mir gefährlich werden kann. Und Sie behaupten,
diese sechs Leute könnten Rumbrum-Drachen und Morbole mit der selben
Leichtigkeit wie Sie selbst töten?"
Cifer knirschte mit den Zähnen. "Ich muss zugeben, dass es ihnen sogar noch
leichter fällt, wegen ihrer verdammten Schutzgeister und den Kopplungen,
die sie ihnen verleihen. Soweit ich gehört habe, fliegen sie zum Trainieren
zum Tor der Hölle raus."
Der Wissenschaftler wollte etwas erwidern, aber er wurde durch ein
Warnzeichen unterbrochen. Hastig ging er zum Pult hinüber, das eine Menge
Überwachungsmonitore aufwies. Einige Sekunden starrte er hinein, dann
verkündete er: "Wenn ich Ihnen richtig zugehört habe, dann sind die Leute,
die Sie eben beschrieben haben, gerade auf den Gang gestoßen. Kommen Sie
bitte einmal her."
Das brauchte er Cifer nicht zweimal zu sagen. Er stand mit solcher
Geschwindigkeit auf, dass der Stuhl umflog und war zwei Sekunden später am
Monitor. "Zur Hölle!" fluchte er. "Das sind wirklich die SEEDs. Sie müssen
wie die Verrückten gesucht haben, um den Gang so schnell zu finden." Rai-
Jin und Fu-Jin waren ebenfalls nähergekommen, um den Bildschirm zu
betrachten. Auch auf ihren Gesichtern zeigte sich Missbilligung.
"Quistis!" bemerkte Fu-Jin plötzlich. Rai-Jin runzelte die Stirn und
zählte: "Squall, Rinoa, Xell, Selphie, Irvine... sie hat mal Recht, Cifer!
Quistis Trepe fehlt!"
"Niemals!" Cifer lachte humorlos. "Unsere liebenswerte Ex-Ausbilderin würde
ihre Kameraden nie im Stich lassen. Seht, da kommt sie schon um die Ecke
geschlichen! Sie bildet das Schlusslicht, um ihren lieben Squall zu
schützen." Diesmal lachte er gehässig. "Aber diesmal wird sie nicht
imstande sein, ihn zu schützen. Diesmal werden sie sterben!"
Er drehte sich zu ihrem Gastgeber um. "Wir sollten schnell handeln, Doc.
Ich möchte mich unbedingt noch von ihnen verabschieden, bevor sie auf die
Monsterarmee treffen. Sie sollen noch wissen..." Plötzlich bemerkte er den
seltsamen Ausdruck auf dem Gesicht des Forschers. "He, geht es Ihnen mal
gut?" wollte Rai-Jin wissen, der sich ebenfalls nach Cifers abgebrochenem
Gespräch umgedreht hatte. "Angst?" fragte Fu-Jin ein bisschen herablassend.
"Trepe? Quistis Trepe? Aber wie ist das mö." Von einem Moment auf den
anderen fasste er sich wieder. "Ja, wir sollten diesen jungen Kämpfern
tatsächlich entgegengehen. Folgen Sie mir. Wir werden sie auf der Lichtung
bei meinen Haustieren erwarten. Sie werden aus nächster Nähe beobachten
können, wie Ihre Feinde sterben."
Er ging durch den Raum und öffnete eine weitere Tür. "Dieser Gang führt
schneller durch den Berg. Wir werden früh genug am Schauplatz sein, um uns
gute Plätze sichern zu können. Wollen Sie mir bitte folgen?" bat er
höflich.
Cifer grinste. "Mit Vergnügen. Kommt, Rai-Jin und Fu-Jin! Auf diesen
Anblick warte ich schon sehr lange!" Sie betraten den Gang und fingen an zu
laufen. Der blonde Junge konnte es gar nicht abwarten, Squall am Boden zu
sehen. Er malte sich aus, wie er ihm selbst ins Gesicht sagte, dass er
diesmal nicht die richtige Seite gewählt hatte. Er war so sehr in seine
Gedanken versunken, dass er nicht bemerkte, wie der Monsterbeschwörer
nachdenklich ein wenig hinter ihnen blieb.
"Quistis Trepe...", murmelte er. "Und ich Narr dachte, bereits alles Nötige
über diese Welt zu wissen. Dabei habe ich das Wichtigste erst jetzt
erfahren. Quistis..." Er rannte wieder etwas schneller, um nicht den
Eindruck zu erwecken, absichtlich zurückzufallen. Bald. Bald würden alle
Überraschungen aus der Welt geschafft sein. Dann würde er seine Rache
vollenden. Bald.
Squall hielt die Gunblade vorgestreckt, um eventuell angreifende Monster
abzuwehren. In dieser Finsternis hätten sich nicht nur Schattenkriecher
verstecken können, sondern auch jedes andere Ungeheuer, sofern es in den
schmalen Gang passte. Das würde ihnen immerhin die stärksten Angriffe
ersparen. Die anderen folgten ihm nach, jeder mit gezückter Waffe. Jeder
von ihnen wusste, dass sie wieder einem Gegner gegenüberstanden, der
annähernd so mächtig war wie Artemisia. Dennoch hatten sie keine Angst. Sie
waren ausgebildet worden, um übernatürliche Kräfte von dieser Welt
fernzuhalten. Der Tod war für sie zum täglichen Begleiter geworden.
"Squall, da vorn wird's heller!" flüsterte Xell aufgeregt. Wegen des
schwachen Echos konnte dieser ihn sogar verstehen und nickte zum Zeichen,
dass er das selbst auch bemerkt hatte. Vor ihnen befand sich eine Biegung,
hinter der Tageslicht zu sehen war. Anscheinend hatten sie den ganzen Berg
durchquert, und dahinter mussten dann die undurchdringlichen Wälder
nördlich von Esthar liegen. Aber wieso sollte jemand an einem Gang
Verwendung finden, der im tiefsten Gestrüpp endete?
Squall packte seine Waffe fester, sprang in einer fließenden Bewegung um
die Ecke, schwang die Gunblade, um eventuelle Feinde abzuschrecken - und
ließ sie wieder sinken, als er sah, mit wie vielen Gegnern er es zu tun
hatte. Das Bild, das sich ihm darbot, war so unglaubwürdig, dass er
losgelacht hätte, wäre er jemand anders gewesen. Legionen von Monstern, die
stärksten, gegen die sie je gekämpft hatten, bevölkerten eine riesige
Lichtung, die sie sich niedergetrampelt hatten. Hinter ihm traten auch die
anderen aus dem Schatten.
"Allmächtiger!" stöhnte Xell, als er sich umsah. Irvine fuchtelte nervös
mit der Exetor herum, während Rinoa Squall an der Hand packte. Quistis rieb
sich die Augen und murmelte einige Dinge, die wie "Ich glaub's nicht"
klangen. Und Selphie blieb vollkommen still, was auch ihre Erschütterung
zum Ausdruck brachte. Eine geschlagene Minute starrten sie auf dieses Bild,
das unglaubliche Macht darstellte, bevor Rinoa mit heiserer Stimme etwas
hervorbrachte: "Squall, wir müssen... den Monsterbeschwörer finden. Wenn er
stirbt, dann werden sich die Monster wieder zerstreuen." Sie klang nicht
sehr überzeugt.
Einen Augenblick lang gelang es Squall nicht, sich von dem Anblick
loszureißen, dann schüttelte er kurz den Kopf. "Du hast Recht", murmelte
er. "Bis jetzt haben uns die Biester nicht bemerkt. Wir müssen versuchen,
so schnell wie möglich den Waldrand zu erreichen, dort können sie uns nicht
mehr so schnell verfolgen. Wahrscheinlich hat sich dieser Typ irgendwo in
diesem Wald einen Unterschlupf gesucht." Er wagte einige Schritte, und so
unglaublich es auch klang, keines der Ungeheuer bemerkte ihn, als er aus
den Schatten trat und einige Schritte auf den Platz hinaus machte. Langsam
ging er weiter, um nur keins der riesigen Augenpaare auf sich zu lenken,
immer auf einen Angriff gefasst. Doch keiner kam.
Quistis ging noch immer nervös als letzte. Mit Unbehagen sah sie nach links
und rechts, aber anscheinend waren die Monster auf etwas anderes
konzentriert, denn sie blickten überall hin, nur nicht zu ihnen. Das machte
sie stutzig, deshalb sah sie sich kurz um. Ein ersticktes Keuchen kam aus
ihrer Kehle. "Squall!" rief sie. "Die Monster haben uns eingekreist! Der
Gang ist von lauter Archeodinos verstellt!"
Squall blieb abrupt stehen und sah nach allen Richtungen. Auf einmal schien
es, als ob sich alle Blicke hier im Tal auf seine Einsatztruppe richteten.
Eine Falle, schoss es ihm durch den Kopf. Eine verdammte Falle! Und sie
waren darauf reingefallen. Aber das nützte ihnen jetzt auch nichts mehr.
"Im Kreis aufstellen!" befahl er knapp. "Sobald eines der Viecher auch nur
blinzelt, sprecht Aura auf euch! Und dann versucht, den Gang zu erreichen!
Alle, die das hier überleben, treffen sich bei der Ragnarok!"
"Keine Angst, mein junger Freund!" erscholl da plötzlich eine
wohlklingende, aber hämische Stimme auf dem Hügel, den die Morbole
einnahmen. Zwei von ihnen rückten zur Seite und gaben den Blick auf einen
Mann Ende dreißig, Anfang vierzig frei, der sie mit unverhohlener Neugier
betrachtete. Der hatte einen einfarbigen Anzug aus dunklem Grau an, welches
fast dieselbe Farbe wie sein Haar hatte. Seine Blicke waren stechend, sein
Mund verriet großen Ernst. Dennoch genoss er seinen Triumph, das spürten
die SEEDs. "So also sehen die besten Kämpfer der Welt aus. Ich muss
gestehen, ich hätte Ihnen nicht zugetraut, auch nur mit einem einzigen
Esthar-Soldaten fertig zu werden, wenn ich nicht eines Besseren belehrt
worden wäre. Bitte nehmen Sie die Waffen herunter! Ich bezweifle, dass Sie
es mit dieser Übermacht an Gegnern aufnehmen können, außerdem werden sie
Sie momentan nicht angreifen, mein Wort darauf. Momentan."
Keiner hinter ihm nahm die Waffe herunter, das spürte Squall. "Sie werden
doch wohl verstehen, dass wir uns in dieser Situation nicht auf Ihr Wort
verlassen können!" rief er dem ehemaligen Esthar-Bewohner zu. "Woher kennen
Sie uns und unsere Kräfte?"
Der Wissenschaftler zuckte gleichmütig mit den Schultern. "Nun gut, ich
kann verstehen, dass Sie mir nicht trauen. Aber ich denke mir, dieser junge
Mann hier möchte einfach gerne noch ein paar Worte mit Ihnen wechseln,
bevor ich meine Armee auf Sie hetze." Damit machte er den Platz frei und
hob die Hand zu einer präsentierenden Geste. Und statt ihm erschien...
"Cifer", flüsterte Rinoa schockiert. "Du Hundesohn!" brüllte Xell mit
ohnmächtiger Wut in der Stimme. "Was hast du bei diesem Bastard da oben zu
suchen?"
Cifer grinste spöttisch. "Reg' dich ab, Hasenfuß!" rief er herablassend.
"Ich habe nur einen neuen Verbündeten besucht, das ist alles! Was habt ihr
denn gedacht, was ich mache? Die Hände in den Schoß legen und mir diese
Gelegenheit entgehen lassen?"
"Du würdest vermutlich auch unsere Mutter töten, um an mehr Macht zu
gelangen!" sagte Irvine angewidert. Er sprach nicht besonders laut, aber
seine Missbilligung spürte man anscheinend bis nach oben, denn Cifers Stirn
verdüsterte sich. Dennoch war es Rai-Jin, der statt ihm antwortete: "Da
täuschst du dich aber mal in ihm", entgegnete er. "Cifer geht es nicht um
Macht. Er will nur mal eben seine Rache dafür haben, dass ihr ihn so oft
geschlagen habt, mehr nicht. Es geht um seine Ehre."
"Ehre!" Quistis spucke aus. "Wie kann jemand Ehre besitzen, wenn er seine
eigene Schule angegriffen und dabei zugesehen hat, wie jemand versucht,
ganze Städte auszuradieren? Du hast keine Ehre mehr, die du noch retten
könntest, Cifer!"
"Still!" fauchte Fu-Jin, die nun ebenfalls neben ihre Partner getreten war.
"Stolz!"
"Nein, wiiiiir werden nicht still sein!" schrie Selphie wütend. "Mir
egaaaal, ob Cifer in seinem Stolz verletzt ist, aber wenn er sich deshalb
auf die Seite eiiiiiines Verrückten stellt, ist er nur ein dreckiger
Verräter, weiter nichts!"
"Fu-Jin, Rai-Jin, was soll das?" wandte sich Rinoa an Cifers Freunde. "Ihr
habt doch schon einmal gemerkt, dass Cifer sich nur von seinem Hass
antreiben lässt und deshalb von jedem steuerbar ist, der ihm unser Ende
verspricht. Warum merkt ihr das jetzt nicht?"
Cifer hob die Hand. "Sei still, Rinoa! Sie haben frei entschieden, mit mir
zu gehen." Dann wandte sich sein Blick Squall zu. "Was ist mit dir,
Squall?" fragte er seinen ehemaligen Trainingspartner. "Hast du mir nichts
zu sagen? Keine Beleidigungen? Keine Aufforderung zu einem Duell, um das
alles hier zu beenden?"
Squall blickte ihn kalt an. "Ich habe dir das schon einmal gesagt",
verkündete er. "Du bist für mich niemand mehr, mit dem ich etwas zu
besprechen habe. Du bist nur unser Feind. Wenn du mit mir kämpfen willst,
dann komm herunter und tu es, ansonsten hör auf mit dem Geschwafel! Damit
erreichst du nichts."
"Eine ausgezeichnete Idee!" erklang es hinter den drei ehemaligen Garden-
Schülern. Cifer drehte sich verwundert um, als er von etwas Grünem hart im
Gesicht getroffen wurde. Er verlor das Gleichgewicht, hing eine Sekunde
lang in der Luft und stürzte dann auf den Boden, um den Hügel
hinabzurollen. Er hatte Glück, denn der Hügel war nicht hoch, und er konnte
seine Rutschpartie bald abbremsen. Stöhnend versuchte er festzustellen, ob
er sich etwas gebrochen hatte, aber die Hexenkraft in ihm hatte ihn davor
bewahrt. Er richtete sich auf und gewahrte, dass auch Rai-Jin und Fu-Jin
neben ihm wieder auf die Füße kamen, allerdings langsamer als er.
Mit mordgierigen Augen sah er hinauf auf den Hang. Die Morbole hatten sie
hinterrücks angegriffen und den Hang hinabstürzen lassen. Aber das hatten
sie nicht deswegen getan, weil jemand die Kontrolle verloren hatte, sondern
weil jemand Kontrolle ausgeübt hatte! Er zog die Gunblade und schrie
hasserfüllt: "Was soll das? Wieso hast du das getan, du verrücktes, altes
Wrack? Ich habe dir meine Kraft angeboten, meine Kenntnisse und mein
Vertrauen! Wieso hast du das getan?"
Der Monsterbeschwörer erwiderte seinen Blick ruhig. "Weil du für mich nicht
mehr länger von Nutzen bist", erwiderte er mit einer Stimme, die Feuer
gefrieren hätte können. "Du hast mir alles gesagt, was ich wissen muss, um
Esthar zu überrennen und zu halten. Jetzt brauche ich dich nicht mehr."
Dann wandte er seinen Blick von Cifer ab, was diesen noch rasender machte,
und sah Squalls Truppe an, die sein Vorgehen ebenso überrascht hatte wie
den blonden Jungen. "Ist es wahr, dass unter euch eine Quistis Trepe ist?"
fragte er.
Alle Augenpaare richteten sich erschrocken auf die blonde junge Frau. Auch
sie selbst schien erstaunt, antwortete aber: "Das bin ich. Warum wollen Sie
das wissen?" Sie ging in Verteidigungsstellung.
Der Wissenschaftler gab keine Antwort. Er nickte lediglich zufrieden und
rief den Monstern zu: "Tötet sie! Und danach schafft die Leichen in den
Sicherheitsraum, bis auf dieses Mädchen! Sie wird nur betäubt!" Und im
selben Moment brach die Hölle los.
Keiner der SEEDs hatte noch Gelegenheit gefunden, einen Aura-Zauber
auszusprechen, dennoch fiel die erste Reihe Monster, die auf sie zu eilte,
binnen Sekunden in sich zusammen. Irvine und Selphie standen Rücken an
Rücken und jedes Ungeheuer, das in ihr Blickfeld kam, verschwand bald
darauf durchlöchert oder zusammengeschlagen. Rinoa stand mit Xell und
Squall in einer Truppe, die sich gegen mehrere Rumbrum-Drachen,
Drachenisolden und Grendels zur Wehr setzte. Cifer, Rai-Jin und Fu-Jin
sahen sich plötzlich von mehreren Morbolen und Stahlgiganten bedrängt, von
denen einige nach kurzer Zeit den Geist aufgaben. Quistis wurde lediglich
von einigen Behemoths und Archeodinos so umstellt, dass sie nicht fliehen
konnte, einige Galchimesäras versuchten vergeblich, sie einzuschläfern.
Viele der Monster fielen unter ihren Hieben, nicht eins griff sie an.
Dennoch musste sie zusehen, wie erst Selphie, dann Fu-Jin, Xell, gefolgt
von Rai-Jin, Irvine und Rinoa unter unmenschlichen Hieben schließlich ihr
Leben aushauchten. Squall, der gerade seine Geliebte wiederbeleben wollte,
wurden von einem Grendel die letzten Health-Points abgezogen. Er fiel neben
Rinoa zu Boden. Cifer, der als einziger noch stand, wenn auch unter fast
allen Zuständen leidend, warf ihr einen vernichtenden Blick zu. "Du!"
schrie er. "Du hast uns verraten!" Dann wurde er von einem Stahlgiganten
zum letzten Mal getroffen.
Quistis schrie ihren Schmerz hinaus, als sie einen Behemoth mit einem
einzigen Hieb niederstreckte. Sie hatte die anderen nicht verraten. Und
doch, wieso kannte dieser Unmensch dort oben ihren Namen? Wieso hatten alle
sterben müssen? Wieso... Einer der Galchimesäras hatte mit seinem
Schlafzauber Erfolg gehabt. Sie fiel auf die Knie und verlor ihre Waffe.
Sie richtete sich darauf ein, nie wieder zu erwachen.
Teil 3 is coming soon!
1.1 Kapitel 6
"Quistis", flüsterte jemand neben ihr. "Quistis, wach auf. Der Kampf ist
vorbei."
"Squall?" flüsterte sie schwach zurück. Nein, Squall hatte keine so tiefe
Stimme. "Irvine?" fragte sie unsicher. Sie versuchte, die Augen zu öffnen,
aber ein paar Momente lang sah sie überhaupt nichts.
"Gott sei dank", meinte die Stimme mit deutlicher Erleichterung. "Ich
dachte schon, du würdest nicht mehr erwachen. Das wäre zu viel gewesen,
dich durch meine eigene Hand zu verlieren, nachdem ich dich durch eine
glückliche Fügung wiedergefunden habe."
"Sie!" stieß sie mit eisigem Entsetzen hervor. "Wieso haben Sie mich nicht
sterben lassen?" Neben ihr auf einem sehr komfortablen Bett saß der Mann,
den sie zu töten ausgezogen waren. Der Monsterbeschwörer sah sie mit einem
Blick an, der Erleichterung, Neugier, Unsicherheit und... Glück ausdrückte.
Aber wieso das?
"Dich sterben lassen? Nein. Ich wollte dich nicht endgültig verlieren,
nicht, nachdem ich damals schon glaubte, dich verloren zu haben."
"Damals? Was meinen Sie damit? Ich habe Sie noch nie im Leben gesehen?"
Quistis setzte sich langsam auf und wich ein wenig vor dem Mann zurück. Was
wollte er von ihr? Sie war noch immer etwas schwach, wahrscheinlich eine
Droge, aber sie konnte sich zur Wehr setzen, wenn nötig. Man hatte sie
nicht einmal gefesselt, nur die Peitsche lag außerhalb ihrer Reichweite auf
einem langen Tisch.
Der Blick des Mannes wurde noch ein wenig trauriger. "Ja..., das stimmt
leider. Adell hat mir nicht die Zeit gelassen, dich sehen zu können." Er
stand auf und ging zu einem der Monitore hinüber, die von überall im Zimmer
aus gesehen werden konnten. Er ließ sie dabei nicht aus den Augen, genauso
wenig wie sie ihn. "Du bist ein Waisenkind, nicht? Du weißt nicht, woher du
kommst, wo du geboren wurdest. Ich vermute, dass du in irgendeinem
Waisenhaus aufgewachsen bist und dann von dieser eigenartigen Kampfschule
rekrutiert wurdest, weil du niemanden hattest, der etwas dagegen sagen
konnte. Ist das richtig?" Er drückte einige Befehle in die Tastatur.
"Woher wissen Sie das?" Quistis wurde heiß und kalt. Wie konnte dieser
Mensch, der so lange Zeit auf dem Mond gewesen war, von ihrer Vergangenheit
wissen? Wer war er?
Er antwortete nicht. Aber auf dem Bildschirm erschien ein Bild. Es war ein
Bild eines Hauses, eines nicht sehr großen Hauses. Es schien sich um eine
Wohnung in Esthar zu handeln, denn sie war sehr modern eingerichtet. Sie
stellte offenbar eine Mischung aus Arbeitszimmer und normaler Wohnung dar,
vergleichbar mit der Einrichtung hier in diesem Raum. Irgendwie... berührte
Quistis dieses Bild. Sie hatte dieses Zimmer schon einmal gesehen, das
wusste sie. Es musste in ihrer Kindheit gewesen sein. Aber sie war vor
ihrem Besuch mit Edea niemals in Esthar gewesen!
Das Bild wechselte. Eine Frau erschien. Eine junge Frau, Anfang zwanzig.
Sie wurde offenbar von jemandem gefilmt, denn das Bild wackelte hin und
her. Sie lachte und stellte sich in Positur, wie für eine Malerei. Dann kam
sie näher und nahm dem Filmer die Kamera aus der Hand. Das Bild wurde
schwarz. Quistis war wie gelähmt. Sie kannte diese Frau. Dieses Gesicht.
Und diese Stimme, so weich und hell. Es war lange her, dass sie diese
Stimme gehört hatte. Sehr lange. "Wer... ist das?" würgte sie hervor. "Und
wer sind Sie?"
Offenbar hatte ihre Reaktion auf diese Kurzfilme den Beschwörer in seiner
Meinung über sie bestärkt, denn seine Stimme war nun nicht mehr unsicher.
"Ich", fing er an, "war früher ein Wissenschaftler in Esthar mit Namen
Feyjar Standron. Zumindest bis zu dem Tag, an dem ich die junge Frau kennen
lernte, die du auf diesem Film gesehen hast. Ich verliebte mich in sie, und
ungefähr ein Jahr später heirateten wir, obwohl wir erst zwanzig waren. Ich
nahm den Namen ihrer Familie an, als ich Siviane Trepe zur Frau nahm."
Quistis sog entsetzt Luft ein, aber er sprach sofort weiter, ohne ihr Zeit
zu einer Frage zu geben: "Wir waren nur ungefähr ein Jahr zusammen, bevor
ich eine Entdeckung machte, die mich berühmt machen hätte können. Siviane
war skeptisch, aber sie wusste, dass ich dadurch weit nach oben kommen
konnte. Und wir brauchten dringend Geld, auch wenn ich das damals noch
nicht wusste. Ich durfte meine Idee, die Monster in der Gegend gentechnisch
zu verändern und damit zu einer unbezwingbaren Wache für Esthar zu machen,
Adell persönlich vortragen, und sie war interessiert. Nur kam ihr
irgendwann der Gedanke, dass ich ihr mit dieser Armee gefährlich werden
könnte, und sie ließ mich festnehmen. An dem Tag, als ich zur Rakete
geführt wurde, um zum Mond geschossen zu werden, ließ man mich noch einmal
mit Siviane reden. Unter unzähligen Liebesbeteuerungen gestand sie mir
schließlich, dass sie schwanger war. Dann zerrte man mich fort und schickte
mich ins Exil im All."
Er unterbrach sich und sah Quistis an, die ihn nunmehr wie vom Donner
gerührt anstarrte. Ihre Lippen formten Worte, aber sie brachte keins davon
hervor. "Meine Frau war schwanger, Quistis! Mit einem Mädchen!" Er schritt
auf sie zu und ergriff sie an den Schultern. "Quistis, du bist meine
Tochter! Du bist die Tochter, die Adell aus Esthar fortbringen ließ, bevor
sie deine Mutter und meine Frau tötete! Du hast sie auf dem Bild erkannt!"
Sie sah ihm ins Gesicht und versuchte, etwas zu sagen, brachte aber nur ein
Krächzen hervor. Nervös fuhr er sich durch das grauwerdende Haar. "Du musst
mir nicht sofort Glauben schenken", versicherte er. "Aber du wirst merken,
dass ich die Wahrheit sage. Sieh dir die Filme noch einmal an, Quistis! Du
hast deine Mutter erkannt, als du sie sahst! Du bist meine Tochter!" Er
stand auf und trat einen Schritt zurück. "Du brauchst wahrscheinlich Zeit,
um das alles zu verarbeiten, das verstehe ich. Ich werde dich jetzt allein
lassen." Damit wandte er sich zur Tür und schloss sie hinter sich.
Eine Minute lang saß das Mädchen einfach nur da, ohne zu denken, nur auf
die Tür sehend, die sich hinter diesem Mann geschlossen hatte. Dann
richtete sie ihren Blick auf den Monitor, der ihr diese so vertrauten
Bilder gezeigt hatte. Und dann warf sie sich auf das Bett und begann zu
schluchzen, leise und völlig verwirrt.
Als sich die Tür das nächste Mal öffnete, saß Quistis aufrecht auf dem
Bett, mit ihrer Peitsche in der Hand. "Du hast dich hoffentlich beruhigt,
oder?" versuchte der Wissenschaftler ein Gespräch anzufangen. "Wenn nicht,
kann ich dir noch ein wenig Zeit lassen."
"Kommen Sie nur herein", sagte Quistis kühl. "Das Zimmer gehört ja
schließlich Ihnen!"
Er wirkte enttäuscht. "Du glaubst mir noch immer nicht, wie?" murmelte er.
"Es gibt keinen eindeutigen Beweis, dass Sie tatsächlich mein Vater sind!"
entgegnete sie ihm. "Auch wenn ich meine Mutter im Film erkannt habe, muss
sie noch lange nicht Ihre Frau gewesen sein. Sie könnten genauso jemand
gewesen sein, der sie gekannt hat und der mich belügen will, damit ich ihm
vertraue."
"Und warum sollte ich das tun?" fragte er sie ruhig. "Warum sollte ich
dieses Risiko auf mich nehmen? Ich hätte dich sterben lassen können,
erinnere dich. Ich habe es nicht getan."
Darauf konnte Quistis nichts erwidern. Aber sie war nicht bereit, diesen
Mann, der beabsichtigte, mit einer Horde Monster seine Heimatstadt zu
stürmen, als ihren Vater anzuerkennen. "Was ist mit meinen Freunden?"
konterte sie zornig. "Wieso haben Sie sie sterben lassen, wenn Sie wussten,
dass ich Ihre Tochter bin?"
"Jemand, der im Kampf stirbt, ist nicht endgültig tot, gerade du müsstest
das wissen, Quistis", meinte er zaghaft lächelnd. "Einige dieser
interessanten Federn, die ihr so massenhaft bei euch tragt, haben sie
schnell wieder ins Leben zurückgeholt, auch wenn sie noch eine Zeitlang aus
Sicherheitsgründen betäubt werden mussten. Schließlich konnte ich nicht
riskieren, mit ihnen in einem Zimmer zu sein, wenn sie erwachen."
"Sie leben?" Quistis riss die Augen auf. "Ich will sie sehen!"
"Wenn du willst" sagte ihr Vater achselzuckend. "Sie sind im ehemaligen
Sicherheitsraum für einen Bergeinsturz untergebracht. Dort dürfte die Tür
eine Zeitlang ihren Angriffen standhalten. Du kannst sie gerne durch die
dort angebrachte Kamera beobachten."
"Ich will sie nicht nur sehen, ich will zu ihnen!" erwiderte Quistis
hitzig. Squall und die anderen lebten noch! Sie musste sofort mit ihnen
reden und sie bitten, den Berg sofort zu verlassen, damit sie mit mehr
Unterstützung zurückkommen konnten und ihren Vater... Sie biss sich auf die
Zunge. Sie begann schon, diesen Mann in Gedanken ihren Vater zu nennen. Das
war ein wunder Punkt, sollte es jemals wieder zum Kampf mit ihm kommen.
Aber schön langsam fing auch ihr Zweifel an zu bröckeln. Nur noch ein paar
Mal diese Filme ansehen, dann würde sie ihm glauben.
"Das würde ich nicht unbedingt empfehlen!" wehrte der Monsterbeschwörer ab.
"Ich habe sie schon einmal ein paar Minuten lang beobachtet und sie...
nein, sieh lieber selbst. Du würdest mir ohnehin nicht glauben."
Er trat an die Tastatur heran, gab einen Befehl ein und das Bild auf dem
Monitor veränderte sich zu dem eines ziemlich großen, sehr massiv
aussehenden Raums. Ein großer Tisch stand in der Mitte, und einige Kojen
waren an den Wänden untergebracht. In zwei der Kojen hingen Xell und
Selphie herum, Rinoa ging nervös im Zimmer auf und ab, Squall saß in einem
der Sessel. Auf der anderen Seite lag Rai-Jin in einer Koje, die ziemlich
klein für ihn war. Neben ihm lehnten Cifer und Fu-Jin an der Wand. Quistis'
Herz machte einen Luftsprung. Sie waren tatsächlich noch am Leben.
"Sieh sie dir ruhig an. Aber ich warne dich: Es wird vielleicht sehr
schmerzvoll für dich sein!" bat sie der Wissenschaftler zu sich. Einen
Moment lang sah Quistis ihm scharf ins Gesicht, dann setzte sie sich auf
den Stuhl vor dem Monitor, da sie keine Hinterlist in seiner Miene
entdecken konnte. Irgendwie würde sie ihren Freunden zur Flucht verhelfen.
Sie vertrauten ihr. Sie hatten sich immer vertraut.
"Auch wenn's dir nicht gefällt, Squall, ich sag's noch mal: Deine feine
Freundin hat uns alle an diesen Mistkerl verraten!" verkündete Cifer
gerade. Nun, von ihm war das keine Überraschung. Er hatte sie nie gemocht.
"Hör auf, solchen Blödsinn zu reden, Cifer!" zischte Rinoa ihn an. "Quistis
würde niemals ihre Freunde verraten!"
"Wie nobel!" ließ Rai-Jin von sich vernehmen. "Als ich sie das letzte Mal
gesehen habe, schien sie mal ziemlich abweisend zu euch zu sein. Oder sehe
ich das falsch?"
Rinoa antwortete nicht, sondern setzte ihre Wanderung durchs Zimmer fort.
Sag ihnen, dass ich es nicht war, Rinoa, flehte Quistis sie an, aber das
schwarzhaarige Mädchen widersprach Rai-Jin nicht. Dafür Squall.
"Quistis ist ein SEED", entgegnete er ruhig. "Sie wurde dazu ausgebildet,
übermächtige Wesen auszuschalten, und das mit einem gesamten SEED-Team.
Noch nie hat ein SEED, der noch dazu Ausbilder war, einen solchen Verrat
begangen, Cifer, das weißt du. Und Quistis am allerwenigsten!"
"Und da bist du dir sicher?" fragte dieser störrisch. "Ich wäre auch fast
SEED geworden, und ich habe den Garden verlassen. Viele SEED-Anwärter haben
sich kaufen lassen, um irgendwelche Dörfer zu bewachen. Nicht alle sind so
edel wie du, Squall. Die meisten Menschen haben ihren Preis. Man muss ihn
nur kennen."
Squall zog die Gunblade so schnell, dass man sie erst sah, als sie in
seiner Hand lag. Er sprang über den Tisch auf Cifer zu, der es gerade noch
schaffte, seine eigene Waffe hochzureißen. Die beiden kämpften in dem Raum,
und keiner der anderen wagte es, ihnen zu nahe zu kommen. Es wären
vielleicht noch weitere Narben entstanden, wäre nicht plötzlich ein
Projektil zwischen den Kämpfern durchgeschossen und hätte sich in einer der
Wände gebohrt.
"Hört auf mit dem Quatsch!" fuhr Irvine sie an, seine Exetor rauchte noch.
"Egal, ob Quistis uns verraten hat oder nicht, es hilft uns nichts, wenn
ihr euch gegenseitig umbringt! Wir müssen hier raus und den
Monsterbeschwörer töten, bevor er Esthar angreift, rafft ihr das nicht?"
Die beiden gingen tatsächlich auseinander, wenn auch widerwillig. "Du
kannst die Wahrheit nicht verleugnen, Squall", brummte Cifer. "Dieser
Forscher kannte sie, das haben wir gemerkt. Er machte ein ganz komisches
Gesicht, als wir ihren Namen erwähnten." "Untreue" fügte Fu-Jin finster
drein sehend hinzu.
"Squall, du musst zugeben, dass Quistis sich in letzter Zeit sehr seltsam
verhalten hat", flüsterte Xell leise, aber alle hörten ihn. "Ich will damit
nicht behaupten zu wissen, dass sie eine Verräterin ist, aber du hast
selbst gesehen, wie der Beschwörer den Monstern befohlen hat, sie zu
verschonen. Wir sollten zumindest die Möglichkeit in Betracht ziehen, dass
sie auf der anderen Seite steht!"
"Xell hat Recht, Squall!" Selphie setzte sich auf. "Ich will auch nicht
glauben, dass Quistis so etwas tuuuuun würde, aber als SEEDs müssen wir
darauf gefasst sein, sie gegen uns zu haben. Daaaas ist die Sachlage."
Quistis war geschockt. Sie trauten ihr wirklich so etwas zu? Squall, bitte
weis sie zurecht! bat sie inständig, aber ihre Gebete wurden nicht erhört.
Squall sah die beiden lediglich an, steckte seine Gunblade wieder ein,
setzte sich hin und verbarg das Gesicht zwischen den Händen.
"Die beiden sind wenigstens realistisch, Squall!" bekräftigte Cifer, der
wieder an der Wand lehnte. "Irgendwann wirst auch du es einsehen müssen."
"Halt den Mund", murmelte Squall müde, aber er wirkte nicht sehr
überzeugend. Sogar er? Verdächtigte sogar er sie? Quistis fühlte sich, als
ob ihr Herz in Stücke gerissen und dann von einem hungrigen Monster Stück
für Stück verspeist würde. Waren das wirklich die Menschen gewesen, denen
sie wie keinen anderen vertraute, die eben gehört hatte? Obwohl sie
versuchte, es zu unterdrücken, entkam ein Schluchzen ihrer Kehle.
"Ich weiß, wie dir zumute ist, Quistis", erklang die Stimme hinter ihr
beruhigend. "Glaub mir, ich habe dasselbe durchgemacht wie du, als ich zur
Rakete gezerrt wurde, immer weiter von deiner Mutter weg. Und keiner,
absolut keiner dieser Feiglinge von Esthar-Bewohnern versuchte, irgendwas
zu tun, obwohl Adell weit weg in ihrer sicheren Residenz weilte. Manche der
Leute kannte ich gut, aber niemand bequemte sich, wenigstens zu
protestieren, obwohl den meisten Soldaten auch nicht wohl bei dem Gedanken
war, jemanden, der all sein Wissen für die Stadt eingesetzt hatte, auf den
Mond zu schießen. Ich habe es noch nie zugegeben, und ich werde es auch
nicht wieder tun, aber in den ersten Jahren im Exil war es nur die
Verachtung, die ich für diese Menschen empfand, die mich überleben ließ."
Er legte ihr den Arm auf die Schulter und sie ließ es geschehen. Alle
hatten sich gegen sie gewandt. Warum sollte sie den Trost, den sie nun
spürte, zurückweisen? In der Zwischenzeit hatten die Gefangenen nichts
gesagt, aber jetzt stand Squall auf, mit gebeugten Schultern und
verkündete: "Alle mal herhören. Ja, auch du, Cifer, auch wenn's dir
schwerfällt! Wir müssen jetzt mal versuchen, diese Tür da aufzubekommen,
dann kannst du mit deinen Kumpanen meinetwegen abhauen. Wir werden
jedenfalls versuchen, die Zuflucht des Feindes zu finden und ihn... und
Quistis... zu töten!"
Cifer sah ihn einen Moment lang trotzig an, dann wurde er nachdenklich.
"Natürlich werden wir abhauen!" behauptete er. "Glaubst du im Ernst, ich
würde mich auf dieses Himmelfahrtskommando einlassen?" Aber an seinen Augen
konnte man sehen, dass er das noch nicht entschieden hatte. Er war stolz.
Und sein Stolz hatte den angeblichen Verrat von Quistis noch nicht
vergessen. Dafür wollte er sie tot sehen. Sie und ihren Vater. Die Zeit
würde zeigen, ob sein Stolz oder sein Überlebensinstinkt stärker war.
Das war zuviel! Sogar Squall! Der Junge, den sie einst geglaubt hatte zu
lieben! Wie konnte er nur denken, sie würde ihn und die Menschen, mit denen
sie aufgewachsen war, verraten? Zwei Tränen rannen ihr über die Wange, aber
sie wischte sie schnell ab.
"Quistis, fühlst du dich nicht wohl?" fragte ihr Vater hinter ihr. "Du
solltest dich hinlegen und die Sache erst mal überschlafen. Ich glaube
nicht, dass sich die Meinung deiner Freunde dort unten ändern wird, aber
vielleicht siehst du selbst die Sache dann nicht mehr so schlimm!"
"Nein!" flüsterte sie. "Nein!" wiederholte sie lauter. "Das wird nicht
passieren. Sollen sie doch alle miteinander zur Hölle fahren! Wenn sie mir
einen solchen Verrat zutrauen..., dann will ich sie nie wieder sehen! Ich
will, dass sie leiden, so wie ich gelitten habe, als sie diese Worte
ausgesprochen haben!"
Ganz auf ihre düsteren Gedanken konzentriert, verabsäumte Quistis, ihrem
Vater ins Gesicht zu blicken, wo sie ein böses Lächeln gesehen hätte. Gut,
dachte er, sehr gut. Das ist die Tochter, die ich mir gewünscht habe. Sie
wird mir eine große Hilfe sein. Willkommen daheim!
"Vielleicht kann ich dir dabei helfen", bot er unschuldig an. "Ich habe
deinen Freunden nie das Schicksal zugedacht, in diesem Bunker zu verrotten.
Wahrscheinlich hätte die Tür ihren seltsamen Waffen ohnehin nicht lange
widerstanden. Ich hatte eigentlich etwas anderes für sie vorgesehen, etwas,
wo sie ihre Kraft sinnvoller einsetzen können..., aber nein, das würdest du
nicht gutheißen. Vergessen wir's."
Quistis blickte ihn mit kalten Augen an. "Das sind nicht meine Freunde!"
sagte sie leise. "Was hast du ihnen zugedacht? Ich höre!"
Teilnahmslos hörte sie ihm zu. Sie hatten sie von sich gestoßen, sie
verleumdet und des Verrats bezichtigt. Das würden sie büßen. Der Plan, den
ihr Vater (sie war nun bereit, ihn so zu bezeichnen) vorschlug, war gut.
Sie würden Schmerzen erleiden, große Schmerzen, aber sie hatten die Chance
zu überleben, was die Möglichkeit ausschloss, dass sie ablehnten. Am Ende
der Erklärung stand sie auf. "Ich gehe zu ihnen!" verkündete sie. "Ich
werde ihnen deine Botschaft überbringen. Bereite du deine Überraschung
vor,... Vater."
Sie ging und schloss die Tür hinter sich. Der Monsterbeschwörer lächelte.
Alles verlief nach Plan. Vater und Tochter würden bald ihre Rache nehmen
können, an Esthar, und dann, mit ihrer Hilfe, am Balamb-Garden, der ihnen
noch gefährlich werden konnte. Wenn ihre Macht über Esthar dann gefestigt
war, konnte man Galbadia getrost vergessen. Gegen diese Armee, über die er
gebot, konnte auch das gesamte Heer Galbadias nichts ausrichten. Er
aktivierte das Gerät in seiner Hirnrinde und rief seine Armee. Sie sollten
heute eine weitere Aufgabe bekommen.
"Woraus ist diese blöde Tür?" staunte Xell erschöpft, nachdem er fast 10
Minuten darauf eingeschlagen hatte. Auch Blitzga-Zauber, die beiden
Gunblades und Irvines Exetor hatten nicht mehr als ein paar Dellen
hinterlassen. "Sie muss ja mindestens einen halben Meter dick sein!"
"Squall, das bringt nichts!" meldete sich Rinoa. "Wir müssen Limits
anwenden, sonst kommen wir hier nie raus." Sie wollte gerade einen Aura-
Zauber auf sich sprechen, als man an der Tür ein Geräusch hörte.
"Warte!" wies Squall sie an. Er ging in Angriffsstellung. Sollte der
Monsterbeschwörer wirklich so verrückt sein, sie angreifen zu wollen, dann
würden sie ihren Auftrag schneller erledigen können als gedacht. "Alle in
Angriffsposition! Und allergrößte Vorsicht! Vielleicht kommen gleich ein
paar Monster rein!"
Die Tür entriegelte sich mit einem lauten Zischen. Die extrem komprimierte
Druckluft in einer Spalte zwischen den Metallplatten waren es wohl gewesen,
die die ungeheure Wucht ihrer Angriffe abgefangen hatten. Sie waren
wahrlich ein Meisterwerk estharischer Baukunst. Squall wunderte sich, dass
er in der Stadt selbst so wenig von diesem erstaunlichen Material gesehen
hatte, beantwortete sich aber gleich darauf selbst, dass es wohl hinter den
dünnen Kunststoffschichten verborgen war, die Esthar auszeichneten. Selbst
die Monsterarmee würde es nicht leicht haben, diese Wände zu durchbrechen,
aber genug Menschen würden auf den Straßen sterben oder früher oder später
verhungern.
Die Tür schwang langsam auf und nachdem sich der Dampf verzogen hatte,
erkannte man eine schmale, blonde Gestalt, die die Anwesenden kühl
musterte. Cifer erkannte sie als erste. "Die Verräterin!" heulte er.
"Stirb, du Miststück!" Er holte weit mit seiner Gunblade aus und wollte
sich auf Quistis stürzen, diese blickte ihn jedoch nur verachtend an und
hob die Hand. "Stop!" Der Zeit-Zauber wirkte sofort und ließ Cifer auf der
Stelle erstarren. "Ich bin nicht hierher gekommen, um meine Zeit mit einem
Kampf zu verschwenden!" erklärte sie dem stocksteifen Jungen und fuhr dann
fort: "Und wenn ihr nicht noch länger hier herinnen bleiben wollt, dann
folgt mir."
"Quiiiiistie ist unschuldig!" jubelte Selphie und hüpfte in die Luft. "Los,
folgen wir ihr!"
Squall steckte zögernd seine Gunblade ein, lächelte dann aber und gab das
Zeichen zur Entwarnung. Ebenfalls zögernd, aber mit aufkeimender Hoffnung
verstauten auch die anderen ihre Waffen und gingen durch die Tür. Rinoa
blieb mit Rai-Jin und Fu-Jin zurück, um Cifer zu erlösen. "Anti-Z!" rief
sie und packte den Jungen gleich darauf am Arm. Auch Rai-Jin griff zu und
Fu-Jin stellte sich vor die Tür, damit er sich nicht auf Quistis stürzte,
die ihn immer noch ernst musterte.
"Cifer, hör auf!" zischte sie ihm zu. "Ich weiß, dass du dich an ihr rächen
willst, aber tu das gefälligst später! Jetzt haben wir keine Zeit dazu! Wir
müssen den Monsterbeschwörer finden, verdammt noch mal! Er hat dich
verraten und angegriffen, das ist sicher, oder? Quistis kannst du dir
später auch noch vornehmen!"
Einen Moment lang bäumte sich Cifer noch in ihrem Griff auf, dann
entspannte er sich. Mit glitzernden Augen rief er Quistis zu: "Hüte dich,
irgendwas zu tun, das mir verdächtig vorkommt, sonst werde ich dich
schneller töten, als du bereuen kannst!" Dann wand er sich aus den Händen
der anderen heraus und marschierte so würdevoll wie möglich an der blonden
Frau vorbei. Rai-Jin und Fu-Jin folgte ihm.
Rinoa wartete, bis Quistis draußen war, dann ging sie ebenfalls durch die
Tür und schloss sie. Dabei ließ sie ihre Freundin nicht aus den Augen. Alle
außer Cifer wollten glauben, dass Quistis sie nicht verraten hatte, auch
Squall. Sie wollte das auch, aber... irgendetwas, vielleicht ihre
Hexenkräfte, machte sie stutzig. Und sie hatte den Blick der jungen Frau
gesehen, mit dem sie alle gestreift hatte. Kein Gefühl hatte darin gelegen.
Sie musste vorsichtig sein.
"Wir müssen hinaus zur Ragnarok!" verkündete Quistis gerade. "Der
Beschwörer will seine Armee dort sammeln und auf die letzten Nachzügler
warten. Dann wird er ihnen die Befehle eingeben, um Esthar einzunehmen. Es
wird vielleicht noch einen Tag dauern, dann wird die Monsterhorde auf die
Stadt zumarschieren."
"Eine Frage noch", unterbrach Squall. "Wieso wollte der Feind dich nicht
töten?" Es wurde völlig still.
"Weil er etwas in mir sah, was er sehr vermisst hat", beantwortete Quistis,
noch immer ohne Gefühl in der Stimme. "Er hatte früher einmal eine Tochter,
die mir sehr ähnlich sah. Er glaubt, dass ich in Esthar geboren bin und nur
ins Waisenhaus gebracht wurde, weil Adell mich für ungefährlich hielt.
Seine Frau hat sie jedoch getötet. Er glaubt, dass er nur noch mich auf der
Welt hat." Sie drehte den Kopf. "Folgt mir jetzt. Wir müssen ihn
überraschen."
Rinoa wurde immer unbehaglicher. An der Geschichte mit der Tochter war mehr
Wahres, als Quistis zugab, das spürte sie. Dennoch folgte sie den anderen.
Sie hielt sich in Squalls Nähe auf, um ihn schützen zu können, sollten sie
in einen Hinterhalt geführt werden, blickte aber immer wieder zu Cifer
zurück. Er war der einzige, der dieser Rettungsaktion außer ihr misstraute.
Als sie zum Kraftfeld kamen, nahm Quistis Anlauf und sprang hindurch. Die
anderen folgten. Rinoa spürte ein seltsames Kribbeln. Zögernd holte sie
unter den erstaunten Blicken von Cifer, Rai-Jin und Fu-Jin ihre Waffe
hervor. Dann schritt sie ohne ein Wort durch das Kraftfeld. Und sah gerade
noch, wie Quistis in einem Gang verschwand, den die Monster hinter ihr
sofort wieder schlossen. Sofort schoss sie auf einen Morbol, der nahe bei
ihr stand, aber seltsamerweise stürzte er sich nicht auf sie. Das war
richtiggehend unheimlich.
"Bitte hören Sie mir jetzt gut zu!" erklang die Stimme des
Monsterbeschwörers vom Rücken eines weit entfernten Rumbrum-Drachen. Der
Anblick war so unglaublich, dass er schon lächerlich wirkte: ein Mensch auf
einem Monster, das ihn um das 10-fache an Körpermasse übertraf. Nein, zwei
Menschen. Wäre Squall nicht Squall gewesen, dann wären ihm vermutlich
Tränen des Zorns in die Augen geschossen, aber so sah er nur mit einem
wütenden Flackern im Auge zu, wie sich der Kopf des Monsters herabbeugte
und Quistis aufsteigen ließ. Dann beförderte er sie zum Beschwörer auf den
Rücken.
Rinoa fluchte. Wieso hatte sie ihre Bedenken bloß nicht Squall mitgeteilt?
Er hätte ihr sicher geglaubt, er war schließlich ihr Hexen-Ritter! Sie
stellte sich an seine Seite, und er lächelte ihr ermutigend zu, auch wenn
sie wusste, dass er tief im Inneren nur verletzt und ängstlich war. Aber
das zeigte er für gewöhnlich nur, wenn sie beide zusammen waren. Dann
schüttelte sie den Kopf und verdrängte diese schönen Erinnerungen. Jetzt
galt es erst einmal zu hören.
"Wie Sie sehen, haben meine Geschöpfe Sie noch nicht getötet!" fuhr der
Wissenschaftler fort, an dessen Seite Quistis sie kalt musterte. "Das ist
aber nur so, weil ich mit Ihrer Freundin Quistis übereingekommen bin, Ihnen
eine Chance auf Überleben einzuräumen. Meine Monster werden vor Ihnen einen
100 Meter langen Gang öffnen. Wenn Sie diesen Gang betreten, werden Sie
sofort von Ihnen angegriffen. Sollten Sie es tatsächlich schaffen, diese
Angriffe erfolgreich abzuwehren und den Gang wieder zu verlassen, werden
wir Sie Ihr Raumschiff besteigen und davonfliegen lassen. Sollte das nicht
der Fall sein, werden wir Ihnen Grabsteine aus dem besten Laden von Esthar
hierher schicken lassen!"
"Und was würde passieren, wenn wir diesen verdammten Gang ignorieren und
statt dessen Sie und Ihre Überläuferin angreifen würden?" Cifer sprühte
förmlich vor solcher Wut, die Squall selten bei ihm gesehen hatte. Dennoch,
Quistis war davon nicht beeindruckt. Sie sah ihn mit einem Blick an, der
sogar Shiva hätte frösteln lassen. Er musste den Blick als erster abwenden.
"Quistis!" mischte sich Xell in das Gespräch ein. "Hast du wirklich alles
verraten, was du im Garden gelernt hast? Was hat dir dieser Wahnsinnige
dafür geboten? Halb Esthar? Oder die halbe Welt?" Auch er war wütend, aber
im Gegensatz zu Cifer hoffte er noch immer, Quistis würde sich nur
verstellen. Squall wusste aber, dass dem nicht so war. Er gebot dem
Faustkämpfer zu schweigen.
"Warum?" fragte er. Nur dieses eine Wort. Aber vermutlich hätte sie auch
keine andere Frage beantwortet. "Weil ihr mich sehr enttäuscht habt,
Squall!" rief sie ihm ebenso ruhig zu. "Und weil ich euch nicht angelogen
habe. Dieser Mann hier musste mir nichts anbieten. Er ist mein Vater!"
Alle außer Rinoa waren überrascht, aber sie senkte nur traurig den Kopf. Es
war also tatsächlich richtig gewesen, was ihr die innere Stimme sagen
wollte. Sie hätte auf sie hören sollen. "Aber halten wir uns nicht allzu
lange mit Gesprächen auf" redete Quistis weiter. "Ihr wisst, dass ihr uns
durch diese Armee nicht erreichen könnt. Euch bleibt nur der Korridor.
Bleibt und sterbt oder geht und kämpft." Mit diesen Worten öffnete sich der
Gang. 100 Meter. Lächerliche 100 Meter! Aber unter diesen Umständen war der
Weg zum Mond auch nicht viel länger.
Squall resignierte. "Cifer, habt ihr Aura-Steine? Wenn ja, dann nützt sie
jetzt! Wir werden, bevor wir loslaufen, Protes und Shell auf alle sprechen,
außerdem Regena. Selphie, du bleibst im Hintergrund und heilst, greif nicht
selbst in den Kampf ein! Wir anderen werden versuchen, so viele Monster wie
möglich zu töten, damit wir den Weg freibekommen."
Cifer widersprach ihm zu aller Verwunderung nicht, er fragte lediglich:
"Glaubst du etwa auch, dass sie den Gang wieder schließen werden, sobald
wir drin sind? Endlich wirst du vernünftig!"
"Ich weiß lediglich, dass wir auf alles gefasst sein müssen!" gab Squall
mit fester Stimme zurück. "Jeder soll seine Zauber aussprechen. Und
verzichtet auf G.F.! In diesem Kampf würde das zu lange dauern!" Er
wartete, bis alle die lebensverlängernden Zauber gesprochen hatten, dann
rief er: "Los!"
Im nächsten Augenblick rannten alle wie ein Mann los. Einen Augenblick lang
waren die Monster zu überrascht, um anzugreifen, und sie konnten gute 10
Meter zurücklegen. Aber dann brach die Hölle los. Von allen Seiten schossen
Feuerstrahlen aus Drachenhälsen, giftiger Morbolatem und Zauber heran. Ein
Archeodinos trat Squall in den Weg, wurde jedoch von seinem Multi
weggeräumt. Angel, Rinoas Hund, riss einen Wild Hook in die Höhe und ließ
ihn mit ungeheurer Wucht zu Boden krachen. Irvine schoss pausenlos
Silbermunition in die Reihen der Monster. Rai-Jin konnte seinen Limit nicht
anwenden und warf statt dessen einen Ultima-Stein, der drei Quale verenden
ließ. Fu-Jin halbierte zwei Galchimesäras, die sich zu nahe an sie
herangewagt hatten. Cifer hob mit seinem Limit einen Stahlgiganten in die
Höhe und zerschnipselte ihn förmlich, und Selphie versuchte derweil, ihre
Lebenspunkte auf dem nötigen Level zu halten, denn sie wurden trotz der
vielen Treffer, die sie anbrachten, noch öfter selbst getroffen. Xell blieb
bei ihr und prügelte die Ungeheuer nieder, die dem Mädchen zu nahe kamen.
Squall sprach statt seiner Spezialfähigkeit Meteor und wieder fielen einige
Monster. Rinoa rief noch einmal Angel, um die Feinde mit Sternschnuppe zu
dezimieren, und ein halbes Dutzend Ungeheuer bezahlte einen Angriff mit
ihrem Leben. Selphie warf ein Mega-Potion, während Irvine Squalls Weisung
missachtete und eine G.F. beschwor. Sie verloren beinahe den Kontakt, aber
Eden war um ein Fünkchen schneller als die Hiebe der Monster. Der "Hauch
des Universums"-Angriff löschte beinahe alle Monster im näheren Umkreis des
Scharfschützen aus. Xell versuchte derweil, gleich zwei Grendels
gleichzeitig niederzustrecken, tat sich aber schwer damit. Rai-Jin fegte
mit seinem Drachentöter einen Rumbrum-Drachen von den Füßen und Fu-Jin
beförderte einige Monster mit dem Tornado-Zauber aus ihrer Laufrichtung.
Cifer glänzte förmlich vor Erregung, als er zwei Chimära-Hirne gleichzeitig
angriff und zurücktrieb. Sie waren fast 30 Meter weit gekommen.
Aber das war zu wenig. Pausenlos strömten mehr Monster heran, und vor ihnen
bildete sich langsam ein Wall, der bald nicht mehr zu durchbrechen sein
würde. "Lasst von den Monstern ab", brüllte Squall, während er eine Drachen-
Isolde zweiteilte. "Wir müssen durchbrechen!" Er wusste nicht, ob ihn seine
Freunde verstanden hatten, aber er verschwendete auch keine Zeit damit, es
herauszufinden. Er räumte mit Blast-Zone einen Teil des Weges frei und
rannte sofort los, blind um sich hackend. Er sah nicht, dass Cifer neben
ihm rannte und einige aufdringliche Gogue Seals und Schmelzdrachen
fernhielt. Hinter ihnen rannte Rinoa, die anscheinend etwas versuchte, mit
Irvine als Leibwache, der die Monster auf Distanz hielt. Xell, der schon
etwas erschöpft wirkte, bildete mit Selphie, die gerade ein Final-Elixier
warf, den Abschluss.
Es reicht nicht, schoss es Squall durch den Kopf. Egal, wie schnell wir
sind, wir werden immer noch durch Monster aufgehalten. Und wenn... Im
selben Augenblick sah er in den Augenwinkeln, dass Selphie durch einen
Morbol und einen Stahlgiganten niedergestreckt wurde. Auch das noch!
Verzweifelt stach er auf alles ein, was nicht menschliche Hautfarbe
aufwies. Jetzt war es aus. Wenn sie nicht mehr regelmäßig geheilt wurden,
dann war der Kampf schon so gut wie verloren. Er drehte den Kopf, um Rinoa
noch ein letztes Mal zu sehen, bevor...
Er erstarrte. Das war nicht möglich! Im ersten Moment wollte er seinen
Augen nicht trauen, dann fingen sie wieder an zu glänzen. Deswegen hatte
Rinoa nicht gekämpft! Sie hatte auf ihr Limit gewartet! Der "Unsichtbare
Mond", den Angel auf sie zauberte, erfüllte ihn mit neuer Kraft. Er schrie
begeistert auf, tötete einige Drachen, die ihm im Weg standen, durch seinen
Herzensbrecher und schrie dann: "Haltet euch nicht mit den Monstern auf!
Wir müssen zum Schiff, bevor die Wirkung nachlässt!"
Er wunderte sich, dass sogar Cifer widerwillig, aber doch von dem Rudel
Drachen-Isolden abließ, das er gerade vor sich hertrieb und zur Ragnarok
rannte. Fu-Jin und Rai-Jin folgte ihm, nachdem sie sich ihrer Gegner
entledigt hatten. Rinoa schenkte Angel für ihren unschätzbaren Dienst
schnell noch eine Leckerei, dann drehte sie sich ebenfalls um und lief den
dreien nach. Irvine warf Selphies schlaffen Körper über die Schulter und
schoss einen Behemoth, der ihm den Weg versperrte, so glücklich an, dass
dieser umfiel und dabei ein paar Galchimesäras zerquetschte. Xell, der es
nicht lassen konnte, beschwor noch kurz die Brothers, die einige
heranstürmende Wild Hooks über die Köpfe der anderen hinwegkatapultierten,
dann schloss er sich ebenfalls der allgemeinen Flucht an. Squall selbst
bildete das Schlusslicht, nachdem er zwei zudringliche Lebensverbieter noch
niedergeschlagen hatte.
Sofort, nachdem er die Schleuse passiert hatte, drückte er den Knopf, um
sie zu verschließen, aber das war nicht nötig: ihre Feinde hielten Wort und
die Monster damit zurück. Erleichtert ließ er sich niedersinken. Irvine
hatte Selphie inzwischen sanft an eine der Außenwände gelehnt und zauberte
gerade Erzengel auf sie. Sie wollte sofort wieder nach ihrer Waffe greifen,
als er sie zurückhielt. "Es ist vorbei, Sephie", meinte er beruhigend. "Wir
sind in Sicherheit."
"Bin ich frooooooh!" seufzte das Mädchen glücklich und ließ sich wieder
zurücksinken. "Das waaaar aber wirklich knapp!"
Cifer, der mit Rai-Jin und Fu-Jin an einer anderen Wand lehnte, war
ungewöhnlich schweigsam, aber Squall zog es vor, diesen Zustand so lange
wie möglich beizubehalten. In diesem Moment erklang Rinoas Stimme aus dem
Bordlautsprecher: "Achtung, Achtung! Haltet euch gut fest dort unten, Xell
startet nämlich gleich! Xell, bitte voooorsichtig!" rief sie, als das
Raumschiff so schnell abhob, dass alle durcheinandergeschüttelt wurden.
"Ist der Hasenfuß jetzt vollkommen durchgedreht?" rief Cifer, während er
versuchte, wieder auf die Füße zu kommen. Keiner war imstande zu antworten.
Squall kämpfte sich mühsam hoch. Er musste ins Cockpit, um zu entscheiden,
wo sie wieder landen sollten. Esthar musste gewarnt werden, aber der Balamb-
Garden hatte ebenfalls ein Recht darauf, informiert zu werden, genau wie
Galbadia und die anderen Staaten, dass möglicherweise bald ein Krieg
beginnen würde. Aber wo sollten sie zuerst hin?
"Ah, Squall", begrüßte ihn Rinoa, als er schwankend die Brücke des Schiffes
betrat. "Ich wollte dich gerade suchen." "Hab ich dir denn so sehr
gefehlt?" fragte er, obwohl ihm momentan nicht gerade der Sinn nach Humor
stand. "Das natürlich auch", grinste sie, bevor sie ihm einen Kuss gab.
Dann wurde sie wieder ernst. "Squall, ich denke, wir sollten beim
Waisenhaus landen. Edea kann uns vielleicht sagen, wieso Quistis sich
diesem Wahnsinnigen angeschlossen hat, außerdem könnte sie einen
Gegenzauber kennen. Immerhin ist sie die älteste noch lebende Hexe, auch
wenn sie keine Kräfte mehr hat!"
Squall dachte darüber nach. Ja, was Rinoa sagte, klang sinnvoll. "Xell,
schalt die Lautsprecher im Frachtraum ein!" wies er den Piloten an. "Alle
mal herhören! Wir werden beim Waisenhaus landen und Edea um Rat fragen,
bevor wir die anderen Staaten warnen. Quistis hat bestimmt nicht gelogen,
als sie sagte, dass die Armee noch nicht einsatzbereit ist, und sonst wird
die Schutzbarriere von Esthar den Angriffen schon eine Weile standhalten.
Cifer, kommt ihr mit?"
"Nein", tönte es blechern. "Setzt uns bei den Centra-Ruinen ab! Ich habe
keine Lust auf dieses Himmelfahrtskommando. Wir werden eine Zeitlang
untertauchen, dann wird man uns schon vergessen."
Squall war zwar ein bisschen überrascht, dass Cifer so leicht aufgeben
wollte, aber er respektierte seinen Wunsch. Er nickte Xell zu, Kurs auf die
Centra-Ruinen zu nehmen. Er wunderte sich, wieso sein ehemaliger Gegner sie
überhaupt kannte, aber dann dachte er sich, dass Cifer wahrscheinlich dort
den Trick gefunden hatte, mit dem er Odin damals überlistet hatte. Dann
schloss er die Augen. Er hoffte, Edea würde ihnen helfen können. Er fühlte
sich von dieser Situation völlig überfordert. Quistis hatte sich gegen sie
gewandt, ihr angeblicher Vater würde seine Armee bald beisammen haben und
es war ihnen nicht gelungen, ihn aufzuhalten. Dankbar nahm er es hin, dass
Rinoa ihn umarmte und mittels Hexenkraft Trost in ihn überfließen ließ. Er
drückte sie an sich und sah aus dem Fenster. Was für eine Zeit.
"Sie haben es tatsächlich geschafft! Diese SEEDs sind wirklich Gegner, die
man fürchten muss!" bekannte der Monsterbeschwörer widerwillig. Er hatte
wohl nicht geglaubt, dass Squall, Cifer und die anderen diesen
Spießrutenlauf überstehen würden. Quistis hatte gewusst, dass sie dazu
fähig waren.
"Aber sie sind die einzigen ihrer Art", erinnerte sie ihn. "Alle anderen
SEEDs sind entweder noch nicht lange ausgebildet oder im Kampf gegen die
letzte Hexe gestorben. Wir müssen niemanden fürchten außer sie. Mit den
G.F.s könnten sie uns erhebliche Schwierigkeiten machen, aber aufhalten
können sie uns nicht, Vater!"
"Ah ja, diese G.F.s..." murmelte er, während er sie ansah. "Hast nicht auch
du noch einige davon "gekoppelt", wie ihr es nennt?"
Ja, daran hatte sie noch gar nicht gedacht. Die G.F.s waren das letzte
Bindeglied zu ihrer Vergangenheit. Nur sie erinnerten noch daran, dass sie
zu Beginn dieses Auftrages SEED gewesen war. Aber sie hatte sich vom Garden
losgesagt, im selben Moment, als sie die anderen gegen die Monster antreten
ließ. Sie wusste, dass es unvorsichtig war, aber dennoch war sie sich
sicher, dass sie die Schutzgeister nicht mehr mit gutem Gewissen einsetzen
konnte. Sie ließ sie frei. Squall und die anderen würden dadurch bessere
Chancen haben, aber das war ihr in diesem Moment egal.
"Nein, jetzt nicht mehr!" Sie sah ihn fest an. "Ich lasse die Vergangenheit
hinter mir!"
Feyjar Trepe ließ nicht durchblicken, ob er mit dieser Entscheidung
einverstanden war. Er suchte in seinen Taschen nach etwas und hielt es dann
hoch. Es war ein Anhänger, seltsam geformt. Er war silbern und bestand aus
zwei Strichen, die sich in der oberen Hälfte des senkrechten kreuzten. Bis
auf ein paar zierende Linien war er schmucklos, aber es war auch nicht die
Schönheit des Anhängers, die Quistis beeindruckte. Der Anhänger besaß
Macht, stark und rein, auch wenn sie durch die Größe des Schmuckstücks
gebändigt war.
"Was ist das?" fragte sie interessiert. "Hast du dieses... Ding auf dem
Mond gefunden?"
"Ja", bestätigte er. "So könnte man es nennen. Ich glaube, dass es große
Macht besitzt, aber ich weiß nicht, wie man sie einsetzt. Aber vielleicht
gelingt es ja dir, sie dir zunutze zu machen. Sie kann dich möglicherweise
vor den SEEDs schützen, wenn sie dich angreifen. Ich werde dann
wahrscheinlich zu beschäftigt sein, um uns beide abschirmen zu können. Das
musst du dann übernehmen."
Quistis nickte und griff nach dem Anhänger. Als er in ihre Hand glitt,
begann er sich zu erwärmen, sodass er genau ihre Körpertemperatur
erreichte. Es fühlte sich sehr gut an, als sie ihn sich an einer Kette um
den Hals hängte. Er vermittelte ihr tatsächlich ein gewisses Gefühl von
Schutz, auch wenn sie bezweifelte, dass er gegen einen Schwertstreich
helfen würde. Sie sah hinaus auf die Armee von Monstern, die sich langsam
wieder formierte. Viele der Bestien waren verletzt, aber noch mehr waren
tot. Sie hatte gewusst, dass die SEEDs große Löcher in der Monsterhorde
hinterlassen würde, aber sie war dennoch beeindruckt. Auch wenn es niemals
genug Schaden war, um sie aufzuhalten, waren die Verluste groß.
Wenn Rinoa nicht ihre Spezialtechnik angewandt hätte, wären sie jetzt tot
und könnten ihnen nicht mehr schaden. Obwohl sie versuchte, es zu
unterdrücken, freute sich ein Teil von ihr darüber, dass ihre ehemaligen
Freunde entkommen waren. Aber das würde sie beim nächsten Mal auch nicht
schützen. Dessen war sie sich sicher. "Wie lange brauchen wir noch, um
unsere Armee zu vervollständigen?" fragte sie.
"Nur noch ein paar Stunden, mein Kind. Nur noch ein paar Stunden. Die
letzten Truppen werden schon bald eintreffen."
1.2 Kapitel 7
Edea versuchte gerade, Skirr, einen Jungen, der seit kurzem in ihrem
Waisenhaus lebte, dazu zu bringen, seine Geschwister in Ruhe zu lassen, als
die Ragnarok landete. Momentan lebten drei Kinder bei ihr, Skirr und zwei
jüngere Mädchen namens Lana und Veilu. Skirr erinnerte sie irgendwie an den
jungen Cifer. Er hatte auch immer versucht, die anderen bei seinen
Zieheltern auszustechen, eine Eigenschaft, die er bis heute behalten hatte.
Natürlich rannten alle drei zum Fenster und sahen mit großen Augen das
riesige Raumschiff an, welches gerade vor dem neuaufgebauten Gebäude
landete.
"Mama, Mama!" rief Veilu aufgeregt. "Ist das ein UFO? Was will es bei uns?"
Lana, die jüngste, wurde ängstlich und rannte zurück zu Edea, um sich an
sie zu klammern. Die ehemalige Hexe beruhigte sie und strich ihr über die
Wange. "Nein, Lana, das ist kein UFO, und es will dich auch nicht wegholen.
Das sind nur ein paar Gäste, die uns besuchen wollen."
"Gäste?" fragte Skirr misstrauisch. "Welche Gäste können sich solch ein
Ding leisten? Der Präsident von Esthar oder der Militärchef Galbadias?"
"Weder noch", entgegnete Edea. "Da ich mal denke, dass ihr ohnehin nicht
ins Bett gehen würdet, wenn ich es euch befehle, könnt ihr ruhig vom
Fenster aus zuschauen. Keine Angst, das sind nur eure Vorgänger hier." Mit
diesen Worten verließ sie das Haus und wartete, bis sich die Klappe der
Ragnarok öffnete und ihre Kinder heraustraten. Sie waren nicht ihre
leiblichen Nachkommen, aber sie hatte sie aufgezogen, und deshalb waren sie
ihre Kinder, basta! Aber irgendwas stimmte heute anscheinend nicht. Wieso
war Quistis nicht dabei? Und wieso kam nicht zumindest Selphie hier
heraufgerannt, um sie zu begrüßen? Von Squall war sie es gewöhnt, dass er
seine Gefühle zurückhielt, und Irvine und Xell bemühten sich auch, einen
gewissen Stolz als SEEDs zu wahren, aber die kleine Selphie hatte solche
Formalitäten immer über Bord geworfen. Was war los?
"Schön, euch einmal wiederzusehen, meine Kinder!" begrüßte sie die
herankommende Schar. "Natürlich auch dich, Rinoa. Was ist los? Ist etwas so
Schlimmes geschehen, dass ihr eure Mutter nicht einmal umarmen könnt?"
Selphie warf sich an ihren Hals und rief: "Etwas Fuuuuurchtbares ist
passiert, Mama! Soooo was Schlimmes ist noch nie auf der Welt passiert!"
Als Edea verwundert die anderen anstarrte, fragte Xell rasch: "Hast du etwa
Neuzugang bekommen, Mama?" Er deutete auf das Fenster, wo die drei Kinder
immer noch standen und die Neuankömmlinge erstaunt musterten. Er winkte
ihnen zu, aber nur Skirr traute sich zurückzuwinken. "Oh ja, ich habe ihnen
schon gesagt, dass ihre älteren Geschwister gerade angekommen sind. Wollt
ihr nicht mal reinkommen und sie begrüßen?"
"Nein, lieber nicht!" wandte Squall ein. "Wir müssen etwas Ernstes mit dir
besprechen, Mama. Kannst du sie nicht ins Bett schicken oder so?"
"Ich gehe rein und rede ein wenig mit ihnen", erbot sich Rinoa. "Ich werde
ihnen die Geschichte des unbesiegbaren Squall Leonhart erzählen. Sogar die
großen Kinder im Garden schwärmen noch davon." Kichernd lief sie aufs Haus
zu, während Squall etwas Undefinierbares brummte.
"Du musst uns helfen, Mama!" schaltete sich Irvine ins Gespräch ein.
"Quistis ist übergeschnappt! Sie hat sich auf die Seite eines wahnsinnigen
Wissenschaftlers gestellt, der versucht, Esthar zu zerstören!"
"Jetzt mal langsam, ihr alle", sagte Edea mit einer beruhigenden Geste.
"Erzählt mir mal alles von Anfang an, damit ich mitkomme. Dann werden wir
weitersehen."
Squall begann zu erzählen, nur unterbrochen von kleinen Einwürfen der
anderen, die natürlich auch etwas zur Geschichte beitragen wollten. "Tja,
und nachdem wir mit Müh und Not entkommen waren, haben wir Cifer und seine
Kumpane an den Centra-Ruinen abgesetzt und sind dann zu dir geflogen. Rinoa
meinte, dass du dich vielleicht noch an einen Zauberspruch erinnern kannst,
der Quistis wieder zur Vernunft bringt. Kannst du uns dabei helfen?"
Einen Moment lang war Edea still, dann begann sie den Kopf zu schütteln.
"Einen solchen Zauber gibt es nicht. Und Quistis hat auch nicht den
Verstand verloren, ich glaube eher, dass ihr sie durch etwas so sehr
gekränkt habt, dass dieser Beschwörer sie auf seine Seite ziehen konnte. Du
hast erzählt, dass Quistis sich sehr einsam fühlt, Squall. Habt ihr
irgendwann mal etwas gesagt, was ihr das Gefühl gegeben haben könnte, dass
sie nicht mehr euer Vertrauen genießt?"
Betreten sah der Gunblade-Kämpfer zu Boden. Xell antwortete statt ihm: "Ja,
haben wir. Als wir eingeschlossen waren, haben wir uns gefragt, ob wir es
nicht vielleicht Quistis zu verdanken hätten. Aber ich habe nur die
Möglichkeit ausgesprochen, weil wir gelernt haben, auf alles vorbereitet zu
sein. Ich konnte doch nicht ahnen, dass sie zusieht und das für bare Münze
nimmt..."
"Ja, das ist wahr!" warf Irvine ein. "Wir haben nur die Möglichkeit in
Betracht gezogen, aber in Wahrheit hat doch sogar Cifer gehofft, dass sie
uns retten kommt. Der Angeber ist doch nur so über sie hergezogen, damit er
einen Vorwand hatte, an Squall seine Wut abzulassen."
"Nun, wenn das so ist, kann ich Quistis verstehen!" Edea sah traurig zum
Himmel hinauf. "Es tut furchtbar weh, wenn man von jemandem, den man liebt,
hören muss, dass er einem nicht mehr vertraut. In einer solchen Situation
würde man auf jede Stimme, die einem Hilfe verspricht, hereinfallen. Ich
glaube diesem Menschen sogar, dass er Quistis' Vater ist. Sie kam
tatsächlich mit einer Botin aus Esthar. Aber er nutzt sie nur aus.
Vielleicht glaubt er sogar, ihr damit das Beste zu tun, aber er wird sie
damit zerstören." Einen Moment lang dachte sie nach, dann sah sie ihnen
fest in die Augen. "Als erstes müssen wir alle Hilfe zusammentrommeln, die
wir finden können. Xell, du fliegst nach Balamb und warnst den Garden und
die Bevölkerung vor den Monstern in der Gegend. Vielleicht sind auch sie
von diesem Mann beeinflusst. Irvine, du gehst zum Galbadia-Garden. Du
kennst dort viele Leute, vielleicht wollen uns ja ein paar von ihnen
helfen, auch wenn Galbadia selbst nicht eingreifen will. Selphie, du wirst
zum Trabia-Garden gehen und dort um Hilfe bitten. Sie werden vielleicht
nicht viel tun können, aber fragen können wir ja. Und warne auch die
Shumis!"
"Okaaaay, Mama, Sir!" Selphie salutierte.
"Ich nehme an, ich soll dann nach Esthar gehen und Rinoa nach Galbadia zu
ihrem Vater, wie?" vermutete Squall, doch Edea schüttelte den Kopf. "Nein,
genau andersrum!" Sie nahm ihn beiseite und flüsterte ihm zu: "Warum
glaubst du denn, habe ich die drei an diese Orte geschickt? Damit sie ihre
Angelegenheiten dort in Ordnung bringen können! Irvine und Selphie fühlen
sich wohl bei euch, aber ich glaube, vor einem solchen Kampf sollten sie
noch einmal mit ihren Freunden in ihren alten Schulen reden können. Und
Xell? Willst du ihm das Recht vorenthalten, sich von seiner Familie zu
verabschieden, wenn er gegen diesen Kerl ziehen muss? Und du und Rinoa, ihr
seid doch über beide Ohren ineinander verliebt. Versuch jetzt nicht, dich
rauszureden, junger Mann!" meinte sie streng. Squall wurde ein wenig rot.
"Sicher seid ihr das. Aber ihr wisst, dass eure Eltern nicht unbedingt
damit einverstanden sind. Oberst Carway war noch nie sehr begeistert davon,
dass du ihm seine Tochter ausspannst, und Laguna ist nicht recht wohl bei
dem Gedanken, mit dem Oberst verwandt zu sein. Also solltet ihr euch mit
ihnen aussprechen. Du wirst sehen, wenn man seine Angelegenheiten geregelt
hat, dann fühlt man sich viel besser. Und wer sich gut fühlt, erzielt auch
bessere Ergebnisse, habt ihr das nicht gelernt? Wenn nicht, muss ich mit
Cid mal ein ernstes Wort reden!"
Squall zeigte eins seiner seltenen Lächeln. "Zu Befehl, Mama!" bekräftigte
er nickend. "Los, Leute, ich hole noch Rinoa, dann fliegen wir los.
Selphie, ich hole dich später wieder mit der Ragnarok ab, Irvine, du kommst
nach Deling City, wenn's mit dem Garden nicht klappen sollte! Rinoa setze
ich gleich in Esthar ab. Sie wird dort auf uns warten!" Er ging ins Haus,
um Rinoa klarzumachen, dass sie die "süßen Kleinen" jetzt wieder verlassen
musste.
"Ach, Xell", wandte sich Edea an den blonden Jungen. "Wenn du in Balamb
bist, dann sorg bitte dafür, dass..." Den Rest flüsterte sie ihm ins Ohr.
Er sah sie skeptisch an, zuckte dann aber mit den Schultern. "Na ja, wenn
du darauf bestehst... aber ich weiß nicht, ob Direktor Cid davon begeistert
sein wird!" "Ihn kannst du ruhig mir überlassen", entgegnete sie. "Er wird
es nicht wagen, meinen Wunsch abzuschlagen!"
In diesem Moment kam auch Squall mit Rinoa wieder heraus, sie winkte den
Kindern noch einmal zu, dann begaben sie sich alle zur Ragnarok und flogen
ab. Edea sah dem Raumschiff gedankenversunken nach. Es war wirklich eine
verfahrene Situation. Quistis davon zu überzeugen, dass sie auf der
falschen Seite stand, würde schwierig werden, sehr schwierig. Aber zusammen
müsste es möglich sein. Sie hoffte es. Sie wollte ihr kleines, starkes
Mädchen nicht an einen dahergelaufenen Eroberer verlieren.
Als sie Schritte hinter sich hörte, lächelte sie und sagte, ohne sich
umzusehen: "Es wird auch Zeit, dass ihr auftaucht! Squall und die anderen
sind bereits wieder abgeflogen, Cifer. Aber ich vermute, mit ihm wolltest
du ohnehin nicht sprechen." Sie hörte, wie die Schritte überrascht
stoppten. "Nein", gab der Junge zu, als er sich wieder gefangen hatte.
"Woher hast du gewusst, ob ich überhaupt hierher komme?" Edea drehte sich
um. "Cifer, ich habe dich so viele Jahre um mich gehabt, ich weiß, dass du
besonders Squall gegenüber niemals zugeben würdest, dass du deine Mutter um
Hilfe bittest! Deshalb bist du bei den Centra-Ruinen ausgestiegen."
"Wenn du schon alles über mich weißt, dann sag mir jetzt gefälligst, was
ich tun soll!" verlangte er wütend. Er mochte es nicht, wenn man ihm
überlegen war. "Ich habe keinen Grund, an diesem Wahnsinnsunternehmen
teilzunehmen, außer dem, dass ich mich rächen will! Aber das rechtfertigt
noch lange nicht dieses Risiko!"
"Das musst du ganz allein entscheiden!" meinte Edea mit den Schultern
zuckend. "Aber erinnere dich, dass du damals auch keinen anderen Grund
hattest, wiederholt gegen Squall zu kämpfen, außer dem, dass er dich einmal
geschlagen hat! Das war doch auch ein nicht unerhebliches Risiko, oder?"
Einen Moment lang dachte Cifer nach. Fu-Jin und Rai-Jin, die dieses
Wortduell verfolgten, warfen sich einen erstaunten Blick zu. Squall und die
anderen mochten Cifer im Kampf überlegen sein, aber mit Worten hatten sie
es noch nie mit ihm aufnehmen können. Und die ehemalige Hexe Edea brachte
ihn so weit, dass er nicht mehr wusste, was er sagen sollte! Plötzlich
lächelte er. "Du hast Recht", gab er zu. "Ich habe wirklich einen guten
Grund, mich gegen diesen Mistkerl zu stellen. Den besten, den ich haben
kann. Aber wie sollen wir nach Esthar kommen? Ich glaube nicht, dass du dir
in der Zwischenzeit ein Schnellboot angeschafft hast, oder?"
"Nein!" Edea lachte. "Aber ich habe Xell gebeten, uns mit dem Balamb-Garden
hier abzuholen. Ich glaube, er wird bald zurück sein." Nun waren die drei
wirklich verblüfft. "Woher?" wollte Fu-Jin wissen. "Ja, woher wussten Sie
mal im Vorhinein, dass wir mitkommen?" fügte Rai-Jin hinzu. Edea lachte
wieder, diesmal etwas lauter. "Glaubt ihr wirklich, dass ich euch so
schlecht kenne? Ich wusste sofort, als ich die Geschichte hörte, dass Cifer
wild auf diesen Kampf ist. Eine ganze Armee Monster! Wo es doch immer schon
sein Traum war, allen zu beweisen, wie gut er ist." Cifer grinste schief.
"Gebt es auf, ihr beiden. Sie ist mir einfach über. Aber wehe, du verrätst
weiter, dass ich das gesagt habe!" "Natürlich nicht. Und jetzt kommt rein,
ich muss die Kinder noch ins Bett schicken, bevor wir aufbringen. Ihr könnt
ihnen ja vielleicht eine Gute-Nacht-Geschichte erzählen, während ich mich
reisefertig mache!" Sie drehte sich um, ohne die verdutzten Gesichter der
drei noch weiter zu beachten.
Rinoa war die erste, die aus dem Raumschiff wieder ausstieg. "Und wenn
Laguna EIN schlechtes Wort über uns sagt, dann richtest du ihm aus, das
Duell findet morgen vor der Residenz statt!" flüsterte Squall Rinoa zu,
während er ihr mit dem Handschuh durchs Haar fuhr. "Mach ich!" versicherte
sie ihm grinsend. "Und du sagst meinem Vater, wenn er sich nicht anständig
benimmt, lade ich ihn nicht zur Hochzeit ein!" Sie küsste ihn noch einmal,
dann sprang sie die Rampe hinunter und sah zu, wie sich die Klappe wieder
schloss.
Nachdem die Ragnarok wieder verschwunden war, rief sie sich den Bauplan
Esthars in Erinnerung und machte sich auf den Weg zur Residenz. Unterwegs
konnte sie einige Gesprächsfetzen aufschnappen, wie: "Hast du gehört?
Irgendwo in der Wüste sollen sich Monster ansammeln." Und "Das muss
tatsächlich ernst sein. Der Präsident hat alle Militärs gebeten, sich
bereitzuhalten." Nein, sie mussten Esthar verteidigen, schon allein, um
diese Menschen zu schützen, die ihnen und Laguna vertrauten.
Sie hatte gar nicht gemerkt, wie schnell sie gegangen war, denn sie stand
bereits vor der Residenz, als sie diesen Gedanken beendet hatte. Sie setzte
sich auf das Transportband, ließ sich in das riesige Gebäude
hineintransportieren und lief dann den langen Gang entlang, der zum Büro
des Präsidenten führte. Zuerst wollten die Ehrenwachen vor der Tür sie
aufhalten, aber dann erkannten sie, wer sie war und ließen sie passieren.
Laguna war gerade damit beschäftigt gewesen, mit Ward und Kiros zu
streiten, als sie eintrat. "... und ich sage, es ist noch zu früh!"
behauptete er. "Wenn wir es den Leuten jetzt schon sagen, geraten sie in
Panik und wenn sich dann nichts tut, sind sie sauer auf uns!"
"Hey, ich hab ja nur einen Vorschlag gemacht", wehrte sich Kiros. "Aber
sieh mal hinter dich, wir haben nämlich Besuch bekommen."
Der Präsident drehte sich um und setzte sofort ein strahlendes Lächeln auf,
als er Rinoa erblickte. "Rinoa! Welch nette Überraschung! Aber wieso bist
du allein hier? Ist den anderen etwas zugestoßen?" Plötzlich wirkte er sehr
besorgt. "Nein, nein", wehrte sie ab. "Den anderen geht's gut, bis auf
Quistis." Dann erzählte sie knapp die ganze Geschichte. Als sie geendet
hatte, war die gute Stimmung im Raum verflogen.
"Das heißt also, dass wir jetzt nicht nur diesen Wahnsinnigen gegen uns
haben, sondern auch jemanden, der ihm Einzelheiten über Esthar berichten
kann." Laguna wirkte ziemlich besorgt. "Und das wiederum heißt, dass wir
den Vorteil verlieren, den wir wegen seinen schlechten Informationen
hatten. Ich glaube, unter diesen Umständen können wir es nicht riskieren,
den Kampf in der Stadt stattfinden zu lassen. Wir werden ihn auf die Ebene
davor verlagern, dort können wir dann auch unsere schweren Waffen
einsetzen." Als er Rinoas erschrockenen Gesichtsausdruck bemerkte, machte
er eine abschwächende Geste. "Nichts Ernstes. Nur ein paar Elektrokanonen,
die noch aus der Zeit von Adell stammen. Sie werden nicht genug Feuerkraft
haben, um die Monsterhorde zu stoppen, aber wir können sie immerhin damit
verhindern, dass zu viele der Bestien in die Stadt gelangen."
Einen kurzen Moment schloss er die Augen, dann riss er sie wieder auf und
wandte sich mit befehlsgewohnter Stimme an Kiros und Ward: "So, ihr beiden!
Ich glaube, JETZT ist der Zeitpunkt gekommen, an dem die Bevölkerung in
Panik geraten darf. Ruft das gesamte Militär zusammen und macht ihnen klar,
dass sie sich auf der Ebene vor der Stadt Richtung Grandieri-Wald
versammeln sollen. Wenn sie Glück haben, bekommen sie bald Gesellschaft zum
Kartenspielen, bevor die Monsterschwemme anrollt. Und bringt Ell an einen
Ort, wo sie sicher ist, aber ihre Kräfte wenn nötig einsetzen kann. Ab mit
euch!"
Die beiden verschwanden. Laguna stellte sich in seiner Lieblingsposition
ans Fenster und sah hinaus. "Nun, da das Offizielle jetzt erledigt ist,
können wir ja offen reden. Edea hat Recht, wenn man in die Schlacht zieht,
sollte man vorher noch alles Wichtige erledigen. Wir hätten dieses Gespräch
längst führen sollen." Er drehte sich um und blickte in Rinoas finsteres
Gesicht. "Was ist? Hab' ich etwa was Falsches gesagt? Du siehst genau so
aus wie Ell, als ich ihr verbieten musste, wegen eines Attentäters
rauszugehen."
"Wir hätten dieses Gespräch längst führen sollen!" Rinoa schnaubte
verächtlich. "Genau so fängt mein Vater auch immer an, wenn er mir etwas
ausreden will! Aber egal was du auch sagst, ich werde mich NICHT von Squall
trennen! Wenn wir diese blöde Schlacht überleben, dann werden wir uns
irgendwo hin zurückziehen, wo uns keiner von euch zwei finden kann. Ich
hätte eigentlich gedacht, dass du mit unserer Beziehung einverstanden bist,
Laguna, aber da habe ich mich wohl geirrt. Wahrscheinlich willst du nur,
dass Squall auch noch eine Weile dir gehört."
Laguna hatte diese Litanei stillschweigend über sich ergehen lassen. Er
setzte sich auf die Ecke seines Schreibtischs und sah Rinoa erstaunt eine
Weile lang an. Sie wurde unsicher. Ihr Vater hätte ihr nach dieser Rede
zumindest widersprochen, wenn nicht gar einen Streit angefangen. Dass der
Esthar-Präsident so ruhig blieb, brachte sie völlig aus dem Konzept.
"Ich glaube, du hast mich da komplett falsch verstanden, junge Dame",
entgegnete Laguna immer noch ruhig. "Ich habe nicht vor, mich gegen dich
und Squall zu stellen, im Gegenteil. Ich glaube nicht, dass ich überhaupt
das Recht dazu habe. Squall ist zwar mein Sohn, aber da ich ihn vor ein
paar Monaten das erste Mal gesehen habe, kann ich doch keine
Besitzansprüche auf ihn erheben. Er würde das doch ohnehin nicht zulassen,
oder?"
Nun war Rinoa überrascht. "Dann hast du wirklich nichts dagegen, dass er
und ich zusammen sind?" vergewisserte sie sich. "Und nenn mich nicht junge
Dame! Das hat mein Vater auch getan und ich hasse das!"
"Nein, ich habe wirklich nichts dagegen,... junge Dame! Ich glaube, du
bewertest deinen Vater viel zu streng, Rinoa. Versteh mich nicht falsch",
sagte er schnell mit einer abwehrenden Handbewegung, "ich halte ihn für
einen arroganten, kalten Mann, der niemandem, besonders dir nicht, seine
Gefühle offenbaren würde. Aber glaubst du nicht, dass das auch zum Teil
deine Schuld ist? Zuerst ist ihm seine Frau gestorben, und dann hast du
dich auch noch von ihm abgewandt. Wenn er auf Botschafterempfängen nicht
immer so herablassend wäre, könnte er mir sogar Leid tun. Ich hoffe, dass
ich mich mit dir besser verstehen werde als mit ihm. Also wehe, wenn ich
irgendwelche Schattenseiten an dir entdecken sollte!"
Rinoa strahlte ihn an. "Ach, die wirst du noch früh genug zu spüren
bekommen", feixte sie. "Besonders in nächster Zeit. Squall und ich haben
nämlich beschlossen, endgültig zusammenzuziehen. Und wir haben auch schon
überlegt, ob wir dich zur Heirat einladen sollen!"
Jetzt war zur Abwechslung Laguna baff, was Rinoa weiterhin grinsen ließ.
Dann schrie er auf. "Ich Unglücksseliger!" brüllte er. "Womit habe ich das
nur verdient? Hätte ich vorher nur nicht so gut von Carway geredet, jetzt
muss ich ihn bald mit SCHWAGER ansprechen! Das ist zuviel!" Er sank
zusammen. Rinoa musste beinahe lachen, als er wie ein Häufchen Elend vor
ihr saß. Dennoch hörte sie unterdrückte Freude in seiner Stimme, als er
leise sagte: "Aber versprich mir wenigstens eins: Kommt nicht so bald auf
die Idee, ein Baby zu haben! Für die Bezeichnung Großvater fühle ich mich
noch entschieden zu jung!"
Das Mädchen wurde ein bisschen rot, dann lachte sie und umarmte Laguna, der
dies willig geschehen ließ. "Versprochen... Papa!" meinte sie grinsend. Den
nächsten Satz des ehemaligen Soldaten verstand sie nicht genau, aber sie
nahm an, dass es sich um "Was hab ich nur verbrochen?" handelte.
Er löste sich nach einer Weile wieder von ihr, mit der Begründung: "Lassen
wir das jetzt lieber. Am Ende sieht uns noch jemand und erzählt es Squall.
Er fordert mich dann sicher zu einem Duell heraus, und darin hab ich nicht
so viel Übung wie er." Rinoa kicherte leise und hängte sich bei ihm ein.
"Na, dann gehen wir mal zu den Truppen und warten auf ihn. Dann kann ich
dich vor ihm beschützen!"
Laguna versuchte, wenigstens etwas Würde zu bewahren, als Rinoa ihn aus dem
Raum zerrte. Es gelang ihm nicht sonderlich gut. Er erkannte, dass er,
sollte Esthar den Krieg überstehen, nicht viel Frieden finden würde... mit
dieser Schwiegertochter... und ihrem Vater! Trotzdem seufzte er glücklich.
Endlich kam wieder ein wenig Schwung in sein altes Leben!
Xell hielt sich nicht lange damit auf, der Ragnarok nachzuwinken, als sie
am Horizont verschwand, dazu war er einfach nicht der Typ. Statt dessen
rannte er auf Balamb zu, seine Heimatstadt, wo er nach seiner Zeit im
Waisenhaus von der Familie Dincht aufgenommen worden war. Hier hatte er das
erste Mal seinen Großvater gesehen, als er in Militäruniform Leute
kommandierte. Und hier hatte er den Entschluss gefasst, selbst Kämpfer zu
werden. Seinen Eltern war es zwar nicht unbedingt recht gewesen, dass er
sich für einen so gefährlichen Beruf entschieden hatte, aber wie alle
Einwohner Balambs waren sie natürlich stolz darauf, was aus ihm geworden
war.
Als er näher kam, bemerkte er drei Beißkäfer, die vergeblich versuchten, in
die Stadt zu gelangen. Sie hatten nicht mal mehr Zeit, einen Gedanken an
Flucht zu verschwenden, als er schon zwei von ihnen mit einem flüchtigen
Schlag aus der Luft geholt hatte. Auch der dritte lebte nicht sonderlich
viel länger. Xell runzelte die Stirn und musste lachen, als ihm einfiel,
dass dafür eigentlich Squall zuständig war. Nachdem er dem Monsterheer von
Quistis'... Vater gegenübergestanden war, waren solche Gegner der reinste
Hohn für ihn, aber wegen seiner immensen Kräfte vergaß er oft, dass auch
diese Art Ungeheuer für Nicht-SEEDs tödlich sein konnte. Er wollte sich gar
nicht ausmalen, was hätte geschehen können, wenn diese Viecher auf eins der
Nachbarskinder getroffen wären...
Er schüttelte die trostlosen Gedanken ab und schritt mit einem Lächeln
durchs Eingangstor. Der Gebrauchtwagen-Verleiher grüßte ihn freundlich,
genau wie der Ladenbesitzer und der Hotelier, die er auf dem Hauptplatz des
Ortes traf. Alle waren stolz darauf, dass jemand aus ihrer Kleinstadt dabei
gewesen war, als Artemisia bezwungen wurde. Schade, dass er ihnen jetzt
solche Nachrichten überbringen musste. Aber erst mal würde er seine Familie
besuchen, wie Edea ihm geraten hatte.
Als er anklopfte, hörte man eine wohlbekannte Stimme, die laut verkündete:
"Ja, ja, ich komm ja schon. Sie brauchen nicht gleich die Tür
einzuschlagen, ich höre noch sehr gut! Ach, das ist ja wie damals, als die
Galbadier die Stadt besetzten..." Nachdem die Tür sich geöffnet hatte,
blickte Xell in das überraschte Gesicht seiner Ziehmutter. "Xell!" keuchte
sie. Dann fingen ihre Augen an zu leuchten, und sie umarmte ihren Sohn
stürmisch. "Xell, mein Junge! Dass du dich auch wieder mal hier sehen
lässt! Meine Güte, drück doch nicht so fest zu, du weißt doch, dass normale
Menschen wie ich es nicht mit dir aufnehmen können. He, Jungs, kommt mal
her, Xell ist wieder da!"
Einen Moment lang hörte man hektisches Stuhlrücken, dann stürmten die
Nachbarsjungen herein, die ihre Mutter mal wieder hinter sich ließen.
"Xell, wieso bist du her gekommen?" "Hast du eine wichtige Mission?"
"Kommen wieder neue Feinde nach Balamb?" "Wieso sind die anderen SEEDs
nicht da?" Von überall strömten die Fragen auf ihn ein, aber er machte
lachend eine beschwichtigende Geste.
"Ruhe, Ruhe mal, Leute, ich kann doch nichts sagen, wenn ihr so
herumschreit! Na also, schon besser. Nein, ich bin allein hier, und es
kommt auch kein neuer Einmarsch von Feinden auf euch zu. Ich wollte euch
einfach nur mal einen überraschenden Besuch abstatten, um zu sehen, ob man
sich noch an mich erinnert."
"So'n Quatsch, wie könnte man dich vergessen?" meinte einer der Jungen. Der
andere ging in seine persönliche Kampfstellung, wie er es nannte und
behauptete: "He, Xell, ich hab eine neue Kampftechnik entwickelt, mit der
ich jedes Monster fertig machen kann, das Balamb zu nahe kommt. Wenn ich
alt genug bin, melde ich mich auch beim Garden an." Ihre Mutter lächelte,
sagte aber: "Du bist noch viel zu jung, um das zu entscheiden. Xell ist
auch erst in den Garden gegangen, als er älter war als du! Momentan musst
du noch viel lernen."
"Ja, das solltest du", stimmte Xell zu. "Und überleg dir wirklich gut, ob
du SEED werden willst. Es könnte sein, dass du dann Dinge tun musst, die
dir nicht gefallen." Einen Augenblick lang starrte er ins Leere, dann fing
er sich wieder und bemerkte: "Aber wenn du bis dahin deine Techniken übst,
um Balamb zu beschützen, brauche ich ja gar nicht mehr so oft herzukommen.
Wer weiß, vielleicht bist du ja in ein paar Jahren der große Held, wenn
sich an mich gerade noch meine Eltern erinnern."
"So, jetzt aber raus mit euch!" bestimmte Frau Dincht fest. "Ihr seht doch,
dass der Junge erst mal was essen und sich ausruhen muss. Zweifellos hat er
gerade mehrere gefährliche Monster besiegt, bevor er hierher gekommen ist.
Ihr könnt ja in der Zwischenzeit in der ganzen Stadt verbreiten, dass er
wieder da ist. Auf Wiedersehen, Frau Nachbarin!"
Nachdem die Nachbarsfamilie draußen war, wandte sich seine Mutter wieder zu
Xell um. "So, und jetzt wirst du dich erst mal hinsetzen und mir ganz genau
erzählen, was passiert ist", sagte sie ernst. "Du hast vorher so bekümmert
gewirkt, als du über die Pflicht gesprochen hast. Was ist los?"
Vor seinen Eltern konnte man anscheinend nichts Wichtiges verbergen. Xell
setzte sich und fing an zu erzählen. Er war bei weitem kein so guter Redner
wie Squall oder gar Laguna, aber die Geschichte fand beinahe von allein den
Weg zu seinen Lippen. Nach ein paar Minuten war er fertig und blickte seine
Mutter, die die ganze Zeit wortlos zugehört hatte, herausfordernd an. Was
würde sie dazu sagen?
"Schlimme Geschichte, wirklich", brachte sie nach einer gewissen
Sammelphase heraus. "Und ich dachte, ihr hättet nach eurem großen Kampf
jetzt endlich eine Chance auf Ruhe und Frieden. Dass deine... Freundin (Sie
brachte es nicht fertig, die ehemalige Waisenhaus-Gefährtin ihres Sohnes
Schwester zu nennen) so etwas getan hat, tut mir Leid. Es muss dir sehr
schwer fallen, gegen einen solchen Gegner anzutreten. Du wirst doch
antreten, oder?"
Irrte er sich, oder klang seine Mutter traurig? "Ja", antwortete er. "Ich
muss. Ich und die anderen, wir sind die stärksten Kämpfer dieser Welt. Wir
können nicht einfach kneifen, weil wir Skrupel haben, einen Gegner zu
bekämpfen. Wir wurden ausgebildet, um die Menschen vor übernatürlichen
Mächten zu schützen, und das werden wir tun. Wir sind SEEDs!"
Seine Mutter lächelte. "Du brauchst dich hier nicht zu verstellen, Xell",
tadelte sie liebevoll. "Du bist völlig verunsichert, weil du gegen jemanden
kämpfen sollst, dem du vertraut hast und der sich von euch abgewandt hat.
Das macht einem schwer zu schaffen, das hat schon dein Großvater gewusst.
Aber du darfst die Hoffnung nicht aufgeben. Vielleicht wendet sich ja doch
noch alles zum Guten!"
Er lächelte zurück, aber es war nicht ganz echt. "Danke, Mum! Aber ich
glaube nicht so recht an Wunder, die genau dann auftauchen, wenn man sie
braucht. Wir werden uns wahrscheinlich ganz auf uns selbst verlassen
müssen. So, ich muss wieder los. Ich habe... Edea versprochen, mit Direktor
Cid zu sprechen. Er muss uns mit dem Garden helfen, dann gelingt es uns
vielleicht, den Beschwörer einzuschüchtern."
"Glaubst du das wirklich, nachdem Quistis ihn nun berät?" fragte seine
Mutter, aber dann stand sie auf. "Nun, das wird sich ja alles finden. Aber
ich hatte gehofft, dass du noch etwas länger bleiben könntest. Dein Vater
wäre bald nach Hause gekommen und er hätte sich sehr gefreut, dich
wiederzusehen. Irgendwie ist er immer dann außer Haus, wenn du mal Zeit für
uns findest." Sie umarmte ihn, aber Xell löste sich nach einer ihm lange
erscheinenden Zeit von ihr.
"Mum", beschwerte er sich. "Du tust ja so, als würde ich in den sicheren
Tod gehen! Das ist nicht sehr aufbauend, weißt du? Ich habe einen sehr
schweren Kampf zu bestehen, aber das heißt nicht, dass ich beabsichtige,
mich vom nächstbesten Monster besiegen zu lassen."
Seine Mutter rieb sich die Augen. "Natürlich", antwortete sie. "Der größte
Krieger Balambs, einer der Bezwinger Artemisias, kann ja von Monstern nicht
mehr ernsthaft verletzt werden. Das denken die Leute da draußen, Xell. Aber
ich weiß, dass du nicht immer Krieger warst, und damals musstest du dir von
Leuten helfen lassen. Und dass einer derjenigen, denen du dich früher
anvertraut hast, jetzt gegen dich steht. Deswegen wirst du zögern, deine
Freundin zu töten, solltest du diese Gelegenheit haben." Sie hob die Hand,
als er widersprechen wollte. "Du wirst zögern, Xell, aber das ist nichts
Schlechtes. Im Gegenteil, wenn du Quistis ohne Schuldgefühle umbringen
könntest, hätte ich Angst vor dir. Ich vertraue darauf, dass du das
Richtige tun wirst." Sie wischte sich mit der Schürze über das Gesicht.
"Geh jetzt, Xell. Aber versprich mir, dass du mich nach diesem Kampf
besuchen wirst. Und der nächste Besuch sollte etwas länger sein als dieser
hier." Xell grinste sie an. "Versprochen. Ich hoffe, Dad ist beim nächsten
Mal auch da. Ich sehne mich schon wieder nach seinem herzlichen "Findest du
auch mal wieder eine Minute Zeit für deine Familie?" Tschüss, Mum. Ich
komme bestimmt wieder!" Ein paar Sekunden später fiel die Tür hinter ihm
zu.
"Ja", flüsterte Frau Dincht, während sie sich wieder setzte. "Ja, das hoffe
ich wirklich."
"Das sind wahrlich nicht die Nachrichten, die ich mir erhofft hatte",
kommentierte Direktor Cid Xell's Rapport. Er hatte schon Schlimmes geahnt,
als er den jungen Faustkämpfer aus dem Lift treten hörte und Shou ihm
mitteilte, der Direktor wäre nicht zu sprechen. "Der Termin, der wichtiger
ist als meine Nachrichten, muss erst noch festgesetzt werden!" hatte er ihr
geantwortet. "Und nebenbei kann auch keine Arbeitsunterbrechung so viel
Schaden anrichten wie ich, wenn ich die Tür aus den Angeln hebe! Also,
kriege ich eine Audienz oder muss ich einfach so ins Büro platzen? Squall
schickt mich mit einer äußerst dringenden Meldung!" Aber das, was er gehört
hatte, übertraf seine wirrsten Alpträume.
"Quistis ist also jetzt auf der Seite dieses Monsterbeschwörers, den sie
für ihren Vater hält? Ich muss gestehen, hätte ich es nicht aus Ihrem Mund
gehört, würde ich es nicht glauben! Eine ehemalige Ausbilderin hat ihre
eigene Lehre verraten?" Sorgenvoll schüttelte er den Kopf. Er hatte schon
einmal so etwas durchgemacht, als er Squall und seine Freunde gegen seine
Frau Edea antreten ließ. Damals war zum Glück niemand getötet worden. Aber
würde das diesmal auch so sein? Würde er eins seiner ehemaligen
Waisenhauskinder verlieren? Oder gar alle seine Geschwister?
Seufzend stand er auf. "Wenn ich recht verstehe, dann sollen wir Ihnen wohl
bei der Verteidigung von Esthar zur Seite stehen. Nun, da eine der unsrigen
den Angriff leiten wird, haben wir wohl kaum eine andere Wahl, wie? Shou",
wandte er sich an seine Assistentin. "Sagen Sie Niida Bescheid, dass wir
ihn auf der Brücke brauchen! Wir müssen auf dem schnellsten Weg nach
Esthar! Haben wir dieses Gerät aus Esthar schon getestet, das es dem Garden
ermöglicht, über hohe Klippen zu fliegen? Egal, wir werden es riskieren
müssen."
Die junge Frau verschwand. Xell sah ihr nach, dann sagte er: "Auf ein Wort
noch, Direktor. Bevor ich nach Balamb kam, war ich mit den anderen bei Edea
im Waisenhaus. Sie besteht darauf, dass wir sie mit dem Garden abholen
kommen. Und sie hat extra darauf hingewiesen, dass Sie es mit ihr zu tun
bekommen, wenn Sie diesen Befehl verweigern!"
"Hat sie das, ja?" murmelte Cid. Es gefiel ihm ganz und gar nicht, dass nun
auch seine Frau in Gefahr geraten sollte, wenn ihre Kinder schon an
vorderster Front stehen würden. "Nun, da habe ich ja wohl keine Wahl. Sie
würde mich über alle Kontinente jagen, wenn ich diesem Befehl
zuwiderhandle. Gut, wir machen also einen Zwischenstopp auf Centra. Haben
Sie sonst noch unangenehme Nachrichten für mich?"
Xell lächelte leicht. "Nein, für heute nicht. Aber keine Sorge, zweifellos
kommen wieder welche rein, wenn wir Esthar erreicht haben." Cid rollte mit
den Augen. "Ja, vermutlich", bestätigte er.
Selphie drehte sich um und nickte Irvine zu, der hinter ihr in der Ragnarok
stand und den Knopf für die Schließung der Schleuse betätigte. "Bis
späääääter!" rief sie ihm zu. "Amüsiert euch guuuut!" "Pass gut auf dich
auf, Sephie", antwortete Irvine. "Nicht, dass du uns im Endkampf einfach im
Stich lässt!" Er versuchte zu grinsen, aber es gelang ihm nicht richtig. Er
fühlte sich noch immer etwas unwohl, wenn er mit ihr sprach. Sein Gegenüber
strahlte ihn an. "Keine Soooorge! Schließlich schuldest du mir noch eine
Partie Triple Triad. Ich verlaaaaange, dass wir sie nach dem Kampf in
Esthar austragen." Diesmal grinste er wirklich. "Versprochen." Er sagte
noch etwas, aber die sich schließende Klappe unterbrach das Gespräch.
Das Mädchen prüfte das Netz, das noch immer an der Wand ihres ehemaligen
Gardens hing. Es war inzwischen zwar versucht worden, die Tür auszubessern,
aber noch immer bestand ein nicht unbeträchtliches Risiko, wenn man unter
den Steinen durchging. Sicher war sicher. Und so sportlich, wie sie war,
bereitete es ihr ohnehin keine Mühe, die Mauer zu erklimmen. Als sie oben
angekommen war, war sie angenehm überrascht. Die Wiederaufbauarbeiten des
Trabia-Gardens hatten zwar schon vor Monaten begonnen, aber am Anfang war
die ganze Sache etwas schleppend vorangegangen, weil das nötige Geld für
dieses Projekt fehlte. Erst, als die Schwesterschule in Balamb beschloss,
Trabia das Bare zu spenden, welches sie für die Beseitigung der Hexe Adell
von Esthar bekommen hatte, ging es aufwärts. Zuerst hatte der Direktor das
Geld gar nicht annehmen wollen (O-Ton: "Wir können doch kein Geld von
Ausländern annehmen!"), aber als Selphie selbst gekommen war und es ihm als
ehemalige Schülerin überreicht hatte, fügte er sich.
Während der Balamb-Garden stark an ein überdimensionales Schneckenhaus
erinnerte, und der Galbadia-Garden von außen wie ein zum Angriff bereiter
Käfer aussah, hatten sich die Verantwortlichen offenbar entschlossen, die
Kampfschule von Trabia im Esthar-Stil zu gestalten: hoch, aber alles
abgerundet und lichtanziehend. Selphie vermisste zwar den Stil des alten
Gebäudes sehr, aber die Stadt von Squalls Vater hatte auch ihre Reize. Sie
glaubte, dass man in diesem Garden gut arbeiten würde können. Langsam ließ
sie sich zu Boden gleiten.
"Selphie?" meldete sich plötzlich eine Stimme, die vom Gebäude her kam.
"Selphie Tilmitt? Du alte Draufgängerin lebst noch immer? Himmel, was führt
dich denn hierher zurück?"
Sie hatte die Stimme sofort erkannt. "Kiveni? Die haben dich noch immer
niiiicht rausgeworfen? Wo bist duuuu denn?" Wild schwenkte sie den Kopf und
fand ihre beste Freundin in Trabia unter einem der jungen Bäume, den sie
nach dem Raketenbeschuss gepflanzt hatte. Sie pflegte immer zu sagen, dass
diese Bäume ihr dabei halfen, das Feuer zu vergessen. Allerdings hatte sie
Selphie gestanden, dass sie noch immer davon träumte.
Kiveni hatte sich aufgesetzt. "Na, hier, wo denn sonst? Aber wieso bist du
allein hierher gekommen? Wo sind deine neuen Freunde aus Balamb? Mann, ich
hätte zu gern noch einmal diesen netten Kerl aus Galbadia gesehen, wie hieß
er noch mal... ah, ja Irvine Kinneas!"
Selphie hob misstrauisch die Augenbrauen. "Wieso denn daaaas?" erkundigte
sie sich argwöhnisch. "Hast du etwa voooor, etwas mit ihm anzufangen? Tja,
ich muss dich enttäuschen, momentan fliegt er gerade mit Squall nach
Galbadia."
Kiveni grinste sie an. "Habe ich da etwa Eifersucht aus deiner Stimme
gehört? Man könnte meinen, du findest mehr an ihm als ich! Aber setz dich
erst mal, bevor du deiner Entrüstung Luft machst, man kann doch nicht den
ganzen Tag stehen. Und jetzt erzähl mal, was sich so in den letzten Monaten
abgespielt hat. Hast du im Garden schon einen Jungen gefunden, der dir
gefällt?"
Selphie sah sie vorwurfsvoll an. "Duuuu hast schon immer versucht, mich zu
verkuppeln. Nicht, dass ich dir deswegen böse wäre, aber ich denke, dass
ich dabeiiii auch noch ein Wörtchen mitzureden habe! Und wegen Irvine, da
gibt's nichts zu erzählen. Wir sind nur gute Freunde, wie damals im
Waisenhaus, weiter niiiichts."
Ihre Freundin wirkte überrascht. "Tatsächlich?" erkundigte sie sich. "Als
ihr das letzte Mal hier wart, hab ich wirklich geglaubt, dass er mehr für
dich übrig hätte. Er schien ständig Blicke auf dich zu werfen, hast du das
etwa nicht gemerkt? Ich glaube nicht, dass das allein deshalb war, weil er
in dir eine alte Spielkameradin entdeckt hatte. Hat er in all der Zeit
wirklich nicht versucht, dir näher zu kommen?"
Selphie wurde ein bisschen rot, als sie an den Handkuss dachte, den Irvine
ihr vor dem Kampf gegen den Beschwörer gegeben hatte. Damals hatte er nicht
so cool gewirkt wie sonst, wenn er ein Mädchen anmachte (Sie hatte ihn oft
genug dabei beobachtet). Eher überrascht über sich selbst. Komischer
Gedanke. "N-nein, nicht wirklich. Jedenfalls nichts Eindeutiges. Aaaaaber
lass uns jetzt bitte das Thema wechseln, ja?"
"Wieso denn? Hab ich etwa einen wunden Punkt berührt?" hakte Kiveni
grinsend nach. "Gut, wenn es dir wirklich zu peinlich ist. Aber ich beharre
weiterhin darauf: Der Typ hat etwas für dich übrig. Weswegen bist du jetzt
hergekommen? Du hast vorhin erwähnt, er und dieser andere tolle Typ,
Squall, wären nach Galbadia geflogen. Übrigens" fragte sie, die Stimme
senkend, "ist der noch immer mit dieser Rinoa zusammen?"
Als Selphie nickte, seufzte sie. "Schade", kommentierte sie, "wieder ein
gut aussehender freier Junge weniger auf der Welt. Ich hab wohl nie Glück!"
"Aaaach was, das wird schon mal werden!" versuchte ihre Freundin sie zu
trösten. "Was deine Fraaaage von vorhin angeht: Ich bin hier, weil ich den
Direktor um Unterstützung bitten muss. Es wird bald einen mächtig wichtigen
Kampf geben, bei dem wir alle, die nur ein bisschen kämpfen können, um
Hilfe bitten müssen. Wiiiiiirklich üble Sache!" Dann erzählte sie die ganze
Geschichte, angefangen von Koyo-Koyos Erscheinen im Garden. Kiveni hörte
ihr zu, ohne eine Zwischenfrage zu stellen, und auch, als Selphie geendet
hatte, sagte sie eine ganze Weile lang nichts.
"Mann!" kommentierte sie schließlich. "Das ist aber echt ernst! Und ihr
wollt tatsächlich gegen eure eigene Fast-Schwester antreten? Hört sich nach
einem schweren Gewissenskonflikt an, wenn du mich fragst! Willst du das
denn wirklich?" Als sie sah, wie unglücklich Selphie drein sah, legte sie
ihr den Arm um die Schulter. "Tut mir Leid. Das hätt' ich nicht fragen
müssen. Natürlich, du bist ein SEED und musst tun, was man dich gelehrt
hat. Langsam kommen mir Zweifel, ob ich selbst zum SEED geeignet bin, wenn
ich dann solche Entscheidungen fällen muss!"
"Ich bezweifle, ob dann überhaupt jemand zum SEED geeignet ist!" flüsterte
Selphie. Sie sah so ernst aus, dass sie Kiveni fast wie eine Fremde vorkam.
"Ich will nicht gegen Quistis kämpfen, wirklich nicht. Aber wenn wir uns
ihr und ihrem Vater niiiicht entgegenstellen, dann wird Esthar zerstört.
Und das können wir nicht zulassen."
Minutenlang schwiegen beide und Selphie lehnte sich an die Schulter ihrer
Freundin. Dann, nachdem beide ihre trüben Gedanken durchgekaut hatten,
sahen sie sich an. "Komm schon", meinte Kiveni. "Du machst mir ja angst! So
kenne ich dich ja überhaupt nicht. Ich werde dich jetzt erst mal im Garden
herumführen, dann werden wir sehen, ob ich die wahre Selphie nicht doch
wieder rauslocken kann. Wir haben jede Menge toller Sachen eingebaut, die
wir früher nicht hatten, dank eurer Riesenspende. Ich muss dir unbedingt
zeigen, was wir mit deinem alten Zimmer gemacht haben!"
Von einer Sekunde auf die andere strahlte Selphie sie wieder an. "Na, dann
looooos!" rief sie. "Ich hab nicht allzu viel Zeit und will uuuunbedingt
alles sehen. Wieso sitzt du noch hier? Wir sollten längst unterwegs sein!"
"Na also", lachte Kiveni. "Das ging ja schnell. Du bist wieder ganz die
alte. Wir gehen jetzt mal gemütlich den Garden durch, und nachher bringe
ich dich gleich zum Direktor. Keine Sorge wegen der Unterstützung, wir
haben zwar hier keine richtigen SEEDs, aber kämpfen können wir deshalb
auch!"
"Weiß ich dooooch!" krähte Selphie fröhlich. "Schließlich hab ich's ja hier
gelernt! Los, gehen wir endlich, wir haben schon genug Zeit vertrödelt!"
Dann erst bemerkte sie, dass Kiveni sie verschlagen angrinste. "Waaas ist
denn?" "Nichts, nichts", behauptete die. "Ich frage mich nur, ob dieser
Irvine wirklich..."
Die Kadetten im Garden staunten nicht schlecht, als sie Kiveni Sekunden
später lachend hereinlaufen sahen, verfolgt von der größten Heldin des
ganzen Gardens, die sie wutschnaubend aufforderte, endlich mit "diesem"
Thema aufzuhören. Sie fragten sich, ob man vom vielen Lernen
Wahnvorstellungen bekommen konnte, kamen dann zu dem Schluss, dass das
nicht wahrscheinlich war und rannten hinter den Mädchen hinterher.
Schließlich sah man so etwas nicht alle Tage!
Hätte Irvine gewusst, über was Selphie zu der Zeit, als er die Ragnarok
verließ, plauderte, wäre seine Laune vermutlich himmelhochjauchzend
gewesen. So war er ziemlich nachdenklich, als er das Schiff in der Ferne
verschwinden sah und sich dann bereitmachte, den Galbadia-Garden zu
betreten. Wieso konnte er nur nicht mehr so ungezwungen mit dem Mädchen
reden, seit er ihr diesen verwünschten Kuss gegeben hatte? Er konnte ohne
Übertreibung behaupten, schon einige Erfahrung in solchen Sachen zu
besitzen, aber so unsicher war er nie gewesen. Er wollte mit Selphie
zusammensein, nichts lieber als das, und es dämmerte ihm auch schon eine
Zeitlang, dass aus einer solchen Beziehung auch mehr werden könnte, aber
das war nur seine Meinung.
Bei Selphie wusste man nie, woran man war. Sie versteckte alles, was zu
einem erwachsenen Menschen gehörte, tief in sich und ließ immer nur das
Kind sprechen. Nur bei diesem Handkuss hatte er gedacht, ihre wahren
Gefühle sehen zu können, aber dann war sie wieder in ihr altes Ich
zurückgefallen. Andererseits war es genau diese Unschuld, die ihn anzog.
Die meisten anderen Freundinnen, die er gehabt hatte, hatten in ihm den
coolen Draufgänger, den charmanten Verführer oder den wortgewandten Freund
gesehen, mit dem sie angeben konnten, aber mit Selphie war das anders. Sie
sah in ihm anscheinend nur so etwas wie einen Bruder und Spielgefährten.
Wieso musste Liebe etwas so Kompliziertes sein?
"Irvine Kinneas?" fragte auf einmal eine Stimme neben ihm. "Bist du's
wirklich, du alter Schwerenöter?" Er sah sich suchend um und entdeckte mit
seinem Kennerblick rasch ein hellhaariges, schlankes Mädchen mit Brille,
das ihn erfreut musterte. "Was treibt dich denn hierher? Hast du die
Mädchen in Balamb schon alle durchprobiert und willst dich wieder hier
austoben?"
Irvine konnte nicht von sich behaupten, dass er ein gutes Namensgedächtnis
besaß, aber gewisse Personen merkt man sich leicht. Zum Beispiel jene, die
einem immer das ins Gesicht schleuderten, was sie dachten. "Crys?" fragte
er. Dann setzte er ein gewinnendes Lächeln auf, rückte seinen Hut zurecht
und verbeugte sich leicht. "Tja, ich muss zugeben, dass in Balamb der
Andrang nach mir nicht so groß ist wie erhofft, mein Gruppenführer Squall
beansprucht leider den größten Fanclub für sich. Also zog ich es vor,
reuevoll wieder hierher zurückzukommen und hübschen Damen wie dir die Frage
zu stellen, wie es derzeit um sie steht."
Crys kicherte leise. "Du hast dich überhaupt nicht verändert, Kinneas!"
meinte sie gespielt streng. "Du versuchst es immer wieder mit der gleichen
Masche, und ich muss dann immer wieder erstaunt feststellen, dass sie auch
bei mir wirkt. Aber als wir zusammen waren, hast du mir immer einen
Handkuss gegeben, wenn du nach einer kurzen Affäre reuevoll zurückgekehrt
bist!"
Irvine schlug sich an die Brust und verzog das Gesicht. "Oh, das gibt
meinem Herz den Gnadenstoß. So lange musste es sich nach den wunderschönen
Galbadianerinnen verzehren, und dann hört es solch brutale Worte! Aber du
hast ja Recht, ich vernachlässige wirklich meine Pflichten als Galan." Er
nahm ihre ausgestreckten Finger sanft hoch, nahm den Hut ab, beugte sich zu
ihnen hinunter und - erstarrte.
Es ging nicht. Er konnte ihre Hand unmöglich küssen, ohne dass sofort diese
unangenehme und doch so wertvolle Erinnerung in ihm hochschoss. Beinahe
hastig ließ er ihre Hand los, setzte seinen Hut wieder auf und drehte sich
um. "Tut mir Leid", murmelte er. "Ich kann das nicht tun. Hab's wohl in
Balamb während den vielen Ehrungen verlernt."
Er spürte Crys' Blick, erstaunt, aber nicht verletzt. "Wer ist sie?" Nur
drei Worte. Aber sie erschreckten ihn mehr als jeder Vorwurf, den sie ihm
hätte machen können. Dennoch hatte er sich gut genug in der Gewalt, um
keine dumme Gegenfrage zu stellen. Das hätte seinen guten Ruf hier völlig
ruiniert, dachte er zynisch. Crys deutete sein Schweigen anscheinend
falsch, denn sie fuhr fort: "Irvine, ich will jetzt keine Ausrede hören!
Ich weiß, dass du außer mir hier in Galbadia eine Menge Freundinnen
hattest, wahrscheinlich auch noch gleichzeitig. Aber ich bin nicht so wie
die meisten anderen, die auf deinen Charme reingefallen sind und mächtig
damit angegeben haben. Ich kenne dich. Ich weiß, dass du bisher noch nie in
Verlegenheit warst, wenn es darum ging, ein Mädchen zu küssen. Also,
welches erstaunliche Geschöpf hat dich derart bezaubert?"
"Ich weiß nicht, ob du sie kennst", erklärte er zögernd, drehte sich aber
noch immer nicht um. "Sie war damals im Waisenhaus, wo ich aufwuchs. Ich
habe sie zusammen mit den anderen getroffen, als sie einen Scharfschützen
für das Edea-Attentat suchten. Ihr Name ist Selphie Tilmitt."
"Selphie Tilmitt", wiederholte sie. "Ja, ich habe von ihr gehört, wenn auch
nur wenig. Angeblich soll sie ziemlich kindisch sein und einen komischen
Sprachfehler zu haben. Außerdem soll sie sehr unbekümmert sein, auch im
Kampf. Hast du früher nicht immer behauptet, dass du solche Eigenschaften
bei einem Mädchen nicht gerade schätzt?"
"Das geht dich nichts an!" platzte er heraus. Er zitterte vor Wut. Was fiel
ihr ein, an seinem Privatleben herumzunörgeln. "Mit Selphie kann ich
wenigstens über alles reden, nicht nur darüber, wie hübsch sie aussieht!
Außerdem ist sie eine hervorragende Kämpferin! Ich glaube nicht, dass eine
von euch den Kampf mit Artemisia überlebt hätte! Sie schon!" Jetzt drehte
er sich um, mit zornigem, aber verunsichertem Blick. "Und sie schafft es,
dass ich mich in ihrer Nähe wirklich wohl fühle. Das war bei fast keiner
von euch so", fauchte er.
Zu seinem nicht geringen Erstaunen lächelte Crys. "Wenn mir das jemand
gestern gesagt hätte", schmunzelte sie. "Der große Casanova Irvine Kinneas,
von einem Mädchen verunsichert, das sich benimmt wie ein Kind! Einfach
großartig!" Schlagartig wurde sie wieder ernst. "Du bist dir nicht sicher,
ob sie deine Gefühle erwidert, nicht wahr?" vermutete sie. "Deshalb
konntest du mir keinen Handkuss geben. Und deshalb bist du so gereizt. Du
weißt einfach nicht, wie du dich ihr gegenüber verhalten sollst."
Irvine war überrascht. "Woher weißt du das alles?" wollte er wissen. Sie
lächelte wieder, diesmal allerdings traurig. "Was glaubst du denn, wie es
mir gegangen ist, als wir ein Paar waren?" fragte sie leise. "Ich wusste
einfach nicht, was ich machen sollte, um deine Aufmerksamkeit von all den
anderen Mädchen auf mich zu lenken. Du wolltest damals keine echte
Beziehung, du wolltest dir nur einen Ruf aufbauen. Ich habe dich wirklich
geliebt, Irvine, damals. Aber ich wusste nicht, wie ich es dir sagen
sollte." Sie trat näher an ihn heran. "Deshalb gebe ich dir einen Rat. Rede
mit Selphie über das, was du für sie empfindest. Wenn du es für dich
behältst, wird dich die Ungewissheit eines Tages auffressen."
Einen Moment lang sah Irvine sie an, voller Erstaunen, was aus dem
schüchternen, naiven Mädchen geworden war, das vor Jahren einmal mit ihm
gegangen war. Dann verzog er die Lippen und hob ihr Kinn hoch. "Du bist
wirklich etwas Besonderes", flüsterte er. "Schade, dass ich das nicht
früher gemerkt habe. Wie dumm ich doch damals war."
"Ja, sehr schade", stimmte sie zu. Dann hängte sie sich bei ihm ein und sah
ihn spitzbübisch an. "Ich denke, dafür habe ich eine Entschädigung
verdient. Du lässt dich von mir jetzt durch den Garden führen, so, dass uns
alle sehen. Und dabei erzählst du mir, weswegen du wirklich gekommen bist!"
"Einverstanden!"
Überall, wo sie entlanggingen, steckten die Schüler die Köpfe zusammen und
murmelten Dinge wie: "Doch, das IST Irvine Kinneas. Und er ist wegen Crys
zurückgekommen..." Die beiden ließen sich davon nicht stören. Irvine
erzählte die ganze Geschichte, und Crys hörte ihm zu, wobei sie
gelegentlich kleinere Fragen stellte. Schließlich, als er fertig war, waren
sie beim Büro des Direktors angekommen.
"Da habt ihr ja einiges am Hals, du und deine Freunde", bemerkte sie und
ließ seinen Arm los. "Was habt ihr jetzt vor zu tun?" Er zuckte mit den
Schultern und meinte: "Squall hat mich hierher geschickt, um den Galbadia-
Garden aufzufordern, den anderen Gardens bei der Schlacht beizustehen. Aber
ich weiß nicht, ob sich das mit den Interessen Galbadias vereinbaren lässt.
Schließlich ist Esthar eine Konkurrenzstadt."
"Da mach dir mal keine Sorgen", entgegnete sie. "Unser neuer Direktor hält
nicht viel von Politik. Für ihn zählt nur, ob der Auftraggeber vermögend
genug ist und ob die Schüler ihre Fähigkeiten perfektionieren können. Ich
denke, wir beide könnten ihn dazu bewegen, euch zu helfen."
"Wieso habe ich bloß das Gefühl, dass du mich nicht zufällig hierher
geführt hast?" fragte er sie mit einem Augenzwinkern. "Vermutlich, weil dem
so ist!" antwortete sie. "Komm jetzt! Wenn ich die Sachlage richtig
verstanden habe, haben die Esthar-Bürger nicht mehr viel Zeit und wir einen
weiten Weg!" Sie öffnete die Tür und betrat das Direktorat. Irvine folgte
ihr.
Obwohl man es ihm nicht ansah, war Squall ziemlich mulmig zumute, als er
die Ragnarok vor Deling City, der Hauptstadt von Galbadia, landete. Er
hatte keine Angst vor Oberst Carway, und er hatte auch sicher keine Scheu,
Rinoas Vater seine unverblümte Meinung über ihn ins Gesicht zu sagen,
sollte er es für unvermeidbar halten. Aber mit ihm über dieses Thema zu
reden, ohne dass es dabei zum Streit kam..., das war etwas, das er zwischen
den Kategorien "Vielleicht klappt es eventuell, wenn du viel Glück hast"
und "Versuch's erst gar nicht" einstufte.
Er verließ das Raumschiff langsam, schloss die Luke sorgfältig und ging
ohne besondere Eile auf die Stadt zu. Das konnte er immerhin anderen so
erklären, dass er Irvine genug Zeit lassen musste, hierher zu kommen, wenn
er keinen Erfolg hatte, aber er zweifelte nicht daran, dass keiner seiner
Freunde das glauben würde. Es war schrecklich, wenn die Leute einen so gut
kannten! Besonders, wenn es sich dabei um einige der größten Klatschmäuler
von ganz Balamb handelte.
Die Stadt war immer noch so hektisch wie früher, auch wenn jetzt nicht mehr
so viele Soldaten herumlungerten. Squall musste schmunzeln, wenn er daran
dachte, dass auch sein Vater mal hier "herumgelungert" war. Galbadia war
schon immer ein Militärstaat gewesen, das hatte sich auch in den letzten
Monaten nicht geändert. Die Einwohner waren noch immer etwas nervös, was
das neu aufgetauchte Esthar anging. Er glaubte kaum, dass sich das
galbadianische Heer dazu bereit erklären würde, dem Feindstaat zu helfen.
Er nahm nicht den Bus, da er es gewohnt war, in Städten herumzulaufen. Er
war so fast so schnell wie die öffentlichen Verkehrsmittel, mit dem
Vorteil, dass er sich nicht zusammenquetschen lassen musste. Die Villa von
Oberst Carway lag etwas außerhalb des Zentrums, was nicht unbedingt
schlecht war. Es kamen nicht mehr so viele Leute hierher, was bedeutete,
dass es hier deutlich ruhiger war. Selbst eine bewaffnete
Auseinandersetzung zwischen dem Oberst und ihm (jetzt war er schon so weit,
dass er so etwas annahm!) würde man außerhalb dieses Gebäudes nicht hören.
Er brauchte nicht lange zu warten, bis er hineingebeten wurde. Sein Name
war in diesem Haus nicht sehr beliebt, es war anzunehmen, dass auch Rinoas
Vater dieses Gespräch so schnell wie möglich hinter sich bringen wollte.
Aber diesmal würde er nicht nur ein formelles Gespräch führen müssen. Als
sich die Tür zu Carways Arbeitszimmer hinter ihm schloss, kam es ihm vor,
als wäre er eingeschlossen worden, wie damals der Trupp, den Quistis
angeführt hatte. Quistis...
"Nun, Herr Leonhart, was verschafft mir die Ehre Ihres Besuches?" drang die
Stimme des Obersts durch seine Gedanken. "Sie wollten mich umgehend
sprechen, also kommen Sie auch gleich zur Sache!"
Squall zeigte nicht, dass ihm der Ton Carways nicht gefiel und nahm Haltung
an. "Ich bin hier, weil ich ein offizielles Ansuchen der SEEDs an das
galbadianische Militär zu überbringen habe. Ein äußerst dringendes
Ansuchen!"
Rinoas Vater, der in seinem hohen Sessel saß, hob eine Augenbraue. "Äußerst
dringend, so? Und um was möchten die allmächtigen SEEDs das Heer von
Galbadia bitten?"
Wäre Xell hier gestanden und nicht Squall, dann hätte er den Oberst
vermutlich angeschrieen, er blieb jedoch völlig ruhig. Äußerlich zumindest.
Rasch und ohne Ausschmückungen schilderte er die Lage, in der sich Esthar
momentan befand. Er versuchte, im Gesicht seines Gegenübers zu lesen, aber
es blieb unbewegt. Nur die Augen musterten ihn nicht unbedingt freundlich.
"Deshalb bitten wir im Namen von Esthar um Hilfe gegen das Monsterheer!"
beendete er sein Plädoyer.
Carway nickte, stand auf und ging um den Schreibtisch herum. "Nun, ich
denke nicht, dass ich Ihnen in dieser Sache behilflich sein kann,
Leonhart", verkündete er. "Natürlich werde ich sie an das Oberkommando
weiterleiten, aber ich bezweifle, dass sie sich schnell genug auf eine
Strategie einigen können, wie mit dieser Gefahr umzugehen ist. Immerhin
steht auch Galbadia auf dem Spiel, wie Sie selbst gesagt haben."
Und sollten Sie schnell genug eine Strategie finden, so werden die Soldaten
wahrscheinlich in dem Moment unabkömmlich sein, dachte Squall. Das war
keine Überraschung. "Wenn dies alles ist, was Sie mir zu sagen hatte, dann
können Sie ja wieder gehen", merkte der Oberst an. "Ich werde mich bemühen,
meinen Vorgesetzten schnellstmöglich zu informieren, aber wie gesagt, ich
bezweifle, dass das Heer rechtzeitig einsatzbereit sein wird! Tut mir
Leid!" Mit diesen Worten drehte er sich um.
So hört es sich aber nicht an, dachte der SEED. Eher im Gegenteil. "Wenn
Sie noch einige Minuten für mich opfern könnten, würde ich gerne noch etwas
Persönliches mit Ihnen besprechen, Oberst! Über Ihre Tochter!" sagte er
laut. Rinoas Vater lachte, aber es klang nicht gerade fröhlich. "Und was
gibt es da zu besprechen, SEED?" fragte er bitter. "Sie hat sich für Sie
entschlossen und gegen ihren Vater. Es ist entschieden!"
"Rinoa sieht das nicht so", entgegnete Squall. "Sie spricht nicht darüber,
aber ich glaube, sie würde sich besser fühlen, wenn sie wüsste, dass sie
mit unserer Beziehung einverstanden sind. Und ich ebenfalls." "So, denken
Sie das?" fragte Carway. Merkwürdigerweise klang es amüsiert. Er drehte
sich zu Squall um, der sehr erstaunt war, als er ihn lächeln sah, wenn auch
ein wenig traurig. "Meine Tochter interessiert sich also das erste Mal seit
10 Jahren für meine Meinung? Welche Ironie!"
Er hob die Hand, als Squall etwas sagen wollte. "Sie haben Recht, Leonhart,
wir hätten dieses Gespräch schon länger führen müssen. Egal, was Sie von
mir halten, ich habe meine Tochter geliebt, auch wenn wir oft nicht einer
Meinung waren. Es fiel mir damals sehr schwer, einzusehen, dass sie sich
nach dem Tod meiner Frau gegen mich wandte. Als sie sich dann den Waldeulen
anschloss und danach mit Ihnen ging, um gegen Artemisia zu kämpfen, wusste
ich, dass ich sie endgültig verloren hatte. Ich beschloss, jeglichen
Kontakt zu ihr abzubrechen, da sie mich anscheinend vergessen wollte. Und
jetzt höre ich von Ihnen, dass sie insgeheim wissen möchte, was ich über
sie und ihre Beziehung denke!"
Squall war verwirrt. Er hätte nicht gedacht, dass dieses Gespräch derart
persönlich werden würde. "Oberst, ich glaube nicht, dass Rinoa es möchte,
wenn Sie sich von ihr zurückziehen. Sie hat zu Ihnen zwar nicht gerade ein
perfektes Verhältnis, aber das habe ich auch nicht zu meinem Vater! Dennoch
würde ich nicht zögern, mit ihm zu sprechen, wenn ich glaube, dass er etwas
Falsches macht. Und er auch nicht, wenn es um mich geht!"
"Ah ja, Präsident Loire!" Carway lächelte jetzt breit, wenn es auch nicht
vollkommen echt war. "Mir graust vor dem Gedanken, möglicherweise einmal
mit ihm verwandt zu sein. Hören Sie mal... Squall!" Er sah ihn direkt an,
mit festem Blick. "Sie können Rinoa mitteilen, dass ich jederzeit gern mit
ihr sprechen würde, wenn sie es möchte. Und was Sie beide angeht: Wir waren
oft verschiedener Meinung, aber ich habe ihr immer vertraut, wenn es um die
Wahl ihrer Freunde ging, und das tue ich auch jetzt. Ich glaube nicht, dass
Sie wissen möchten, was ich von Ihnen halte, doch ich glaube, dass Rinoa
mit Ihnen glücklich ist. Aber sollte mir jemals zu Ohren kommen, dass Sie
sie unglücklich machen, dann werde ich persönlich kommen und sie wieder zu
mir holen, ist das klar?"
Squall hielt dem Blick stand. "Ich glaube auch nicht, dass Sie wissen
möchten, was ich von Ihnen denke", sagte er. "Aber ich hatte niemals vor,
Rinoa wehzutun. Ich möchte mit ihr zusammen sein, solange sie mich liebt.
Sollte sie aber irgendwann einmal unglücklich bei mir sein, dann wäre ich
der erste, der ihr raten würde, zu Ihnen zurückzukehren!"
"Das möchte ich Ihnen auch geraten haben!" bestätigte Carway. Dann verzog
er die Lippen, und diesmal wirkte er ehrlich amüsiert. "Aber ich gehe davon
aus, dass das nicht so bald der Fall sein wird. Gehen Sie jetzt, bevor ich
meine Zugeständnisse noch einmal überdenke!"
Squall nickte, salutierte und ging aus dem Raum. "Ich werde Sie nicht
enttäuschen, Oberst!" rief er noch, bevor er die Tür passierte. "Ja, das
hoffe ich! Das hoffe ich wirklich!" meinte dieser nachdenklich. Neben ihm
klingelte das Telefon. Er hob ab, lauschte der erregten Stimme am anderen
Ende und legte nach ein paar Schlussworten wieder auf. Der Galbadia-Garden
war gegen seine ausdrücklichen Befehle abgehoben und nahm Kurs über das
Meer. Er hatte es nicht anders erwartet.
Teil 4 is coming soon!
1.1 Kapitel 8
"Waaaas ist, wenn die beiden es nicht geschafft haben?" fragte Selphie
argwöhnisch. "Vielleicht halten es diiiiie Gardens für zu gefährlich, um
einzugreifen!" Squall beantwortete die Frage nicht einmal. Selphie wusste
genauso gut wie er, dass zumindest der Balamb-Garden kommen würde, und wenn
es mit dem aus Galbadia Schwierigkeiten gegeben hätte, wäre Irvine heraußen
gestanden, um sich von Squall abholen zu lassen. Aber er hatte gar nicht
heraußen stehen können, weil es kein Heraußen mehr gab. Denn der Garden war
weg. Sie würden kommen. Doch es könnte zu spät sein.
"So ein Quatsch!" kommentierte Rinoa. "Wenn überhaupt, dann werden sie ein
bisschen später kommen, solange müssen wir eben durchhalten! Aber die
beiden würden uns niemals im Stich lassen! Glaubst du etwa, Irvine hätte
eine neue Eroberung gemacht und uns darüber vergessen?" Sie schielte
grinsend zu Selphie hinüber, die ärgerlich schnaubte. "Blöööödsinn!"
erwiderte sie. "Aber vielleicht ist ihnen etwas zugestoßen? Squall, was
meeeeinst du?"
Auch darauf antwortete Squall nicht. Er stand einfach mit verschränkten
Armen da und starrte in die Richtung, aus der die Monsterarmee kommen
würde. Wenn es den Monstern auf den anderen Kontinenten gelang, so
ausgezeichnete Kämpfer wie Irvine und Xell zu töten, dann waren ihre
Chancen noch schlechter, als sie ohnehin schon waren. Aber die beiden
wussten um die Wichtigkeit ihrer Aufgabe. Sie würden eher aus den Kämpfen
fliehen, als ein Wagnis einzugehen. Sorgen machte er sich viel mehr um die
Anzahl der Kämpfer, die die Stadt verteidigten. Die Soldaten, die bisher
hinter ihnen standen, gemischt mit einigen SEED-Anwärtern aus Trabia, waren
vielleicht genug, um die Monster zu töten, die zwischen seiner Truppe
durchbrachen. Aber sie würden ihnen nicht mehr bei ihrem Kampf helfen
können, und allein konnten sie diese ungeheure Anzahl an Monstern unmöglich
besiegen. Die Gardens MUSSTEN einfach kommen.
Dennoch gab es auch etwas, aus dem der doch eher pessimistisch eingestellte
Squall Hoffnung schöpfte: Ihm war aufgefallen, dass die Monster beim Kampf
im Grandieri-Wald sehr viel stärker gewesen waren als auf der freien Ebene.
Offenbar konnte der Beschwörer die Monster nicht mehr ganz kontrollieren,
wenn sie in einer solchen Zahl auftraten, was bedeutete, dass sie nicht mit
all ihrer Kraft angriffen. Nicht, dass das irgendeine Bedeutung hatte, wenn
die Verstärkung nicht eintraf. Sollten die Gardens nicht auftauchen, würde
die Monsterhorde sie durch die schiere Übermacht überrennen.
"Sie kommt!" schrie auf einmal einer der Esthar-Soldaten, der auf einem der
Elektrotürme positioniert war, die Laguna hatte aufstellen lassen. Sie
würden nicht sehr viel nützen, aber die Monster, die seine Gruppe und auch
das Verteidigungsheer durchdrangen, würden es dadurch nicht bis zur Stadt
schaffen. "Die Monsterhorde kommt!"
Er kniff die Augen zusammen. Tatsächlich. Man sah die Staubwolke zwar noch
kaum, aber sie war dennoch so breit, dass man wusste, was da angewalzt kam.
Er zog die Gunblade, die in bläulichem Feuer erstrahlte und stützte sich
damit ab. Es war noch zu früh, um G.F.s wirksam aufrufen zu können. Auch
Rinoa zog ihre Shooting Star hervor und Selphie spielte bereits mit ihrem
Nunchaku Marke "Traum oder Illusion" herum. Trotz der Furcht, die das Heer
hinter ihnen gepackt hatte, fingen einige an, beim Anblick dieser Waffen
Hoffnung zu schöpfen. Sie hatten Artemisia besiegt. Wieso sollten sie den
Monsterbeschwörer nicht auch besiegen? Squall wünschte sich, er könnte
diese Zuversicht teilen.
Plötzlich hörte er ein Auto näherkommen. Erstaunt drehte er sich um und
sah, wie Laguna zusammen mit Kiros, Ward und Professor Odyne ausstieg. Er
runzelte die Stirn. "Was macht ihr denn hier?" fragte er. "Ihr solltet
besser nicht in der Gegend herumstehen, wenn die Monster hier ankommen. Wo
ist Ell?"
"In Sicherheit, in einem der Schutztürme. Ich bin nur hier, weil ich mit
diesem Typen reden will, bevor er meine Stadt in Schutt und Asche legt.
Immerhin ist Adell tot, Esthar existiert schon seit Jahren ohne jeden
Krieg. Vielleicht können wir ihn ja von diesem Wahnsinn abbringen." Laguna
sah selbst nicht sehr überzeugt davon aus. "Ich muss es versuchen", meinte
er. "Wenn's nicht klappt, bin ich hier schneller wieder weg, als du mir mit
den Augen folgen kannst, versprochen!"
Squall's Miene zeugte von Skepsis, aber dann wandte er sich an Professor
Odyne: "Und warum sind Sie hier, Professor? Ich nehme nicht an, dass dieser
Suizid-Anwärter hier Sie kurzfristig zum Vizepräsidenten ernannt hat." Er
hörte, wie Laguna empört Luft einsog und Rinoa und Selphie leise kicherten,
achtete jedoch nicht darauf. "Das sei durchaus nicht so, oder?" antwortete
der untersetzte Wissenschaftler. "Präsident Loire habe mich lediglich
gebeten mitzugehen, weil dieser Feind früher war mein Untergebener.
Vielleicht höre er ja auf einen ehemaligen Vorgesetzten, oder? Es sei einen
Versuch wert, oder?"
Squall zuckte mit den Schultern und drehte sich wieder um. Als Laguna neben
ihn trat, hörte er seinen Vater flüstern: "Um auf dieses Suizid-Thema
zurückzukommen: ICH bin es nicht, der hier vorne stehen bleibt, wenn die
Monster hier antanzen, falls du das vergessen hast!" Squall nickte
lediglich. Er hätte auch nichts sagen können, denn in diesem Moment hörte
man einen weiteren Posten rufen: "Der Balamb-Garden kommt! Der Balamb-
Garden ist in Sicht!"
Tatsächlich. Man konnte bereits die schneckenhausförmige Silhouette der
Kampfschule ausmachen. Aber nur zaghafter Jubel brach in den Reihen der
Verteidiger aus, denn auch das Monsterheer war nun heran. Man konnte
bereits einen sogar für diese Tierart riesigen Rumbrum-Drachen erkennen. Er
war so groß, dass Squall sich unwillkürlich fragte, ob er mit seinem
Herzensbrecher bei diesem Vieh eine Chance hatte. Und auf ihm standen zwei
Gestalten: der Beschwörer und auch Quistis.
"Sieh an, da sind unsere Freunde ja wieder", bemerkte Feyjar Trepe. "Aber
nicht vollständig, wie ich sehe. Aber wer sind diese zwei Neuen, die neben
dem Anführer stehen? Und diesen Riesen mit seinem kleineren Freund beim
Auto kenne ich auch noch nicht."
Quistis strengte die Augen an. "Der Riese und sein Freund sind Ward und
Kiros, die obersten Berater des Präsidenten." Sie achtete nicht auf das
überraschte Gesicht ihres Vaters und fuhr fort: "Der kleine Mann im
Vordergrund ist Professor Odyne, der Zauberforscher. Und der Mann neben
Squall ist der Präsident selbst, Laguna Loire! Anscheinend will er mit uns
sprechen!"
"So, die ganze Hochprominenz ist also vertreten." Ihr Vater schüttelte
verwundert den Kopf. "Meine Achtung vor der neuen Führungsspitze von Esthar
steigt angesichts dieses Mutes. Aber dieses Gespräch ist sinnlos. Wir
werden Esthar einnehmen, egal, was er zu sagen hat!" Quistis schwieg.
"Sie da, Feyjar Trepe! Und auch du, Quistis! Wenn du dich noch an meinen
Namen erinnerst, er lautet Laguna Loire, und ich bin der derzeitige
Präsident von Esthar!" Laguna machte eine Pause, um seine Stimme zu
schonen. "Ich will Sie im Namen aller Esthar-Bürger bitten, mit diesem
Wahnsinn aufzuhören! Adell, die Sie damals auf dem Mond aussetzen ließ, ist
tot! Ihre Tochter und mein Sohn haben sie gemeinsam besiegt! Dass Ihre Frau
durch sie sterben musste, tut mir Leid, aber niemand konnte etwas tun! Sie
kennen Adells Macht, sie war zu stark, um sie anzugreifen!"
"Sie haben es gewagt", schrie Feyjar zurück. "Und dass sie besiegt werden
konnte, haben diese jungen Leute gezeigt! Aber damals hat keiner, absolut
niemand versucht, sie aufzuhalten, als sie mich ins Exil schickte oder
meine Frau ermordete! Niemand dieser verfluchten Esthar-Bürger, wie Sie sie
nennen, ist aufgestanden und hat ihr widersprochen!" Er sprühte geradezu
vor Hass. Quistis wollte ihm beruhigend die Hand auflegen, aber er
schüttelte sie ab. Er schien sie vergessen zu haben.
"Squall und seine Freunde konnten die Hexe nur besiegen, weil sie die G.F.-
Kräfte nutzten!" entgegnete Laguna. Professor Odyne, Ihre ehemaliger
Vorgesetzter, kann Ihnen bestätigen, dass niemand sonst dazu in der Lage
gewesen wäre!" "Das sei richtig!" begehrte der Wissenschaftler auf. "Adell
sei gewesen viel zu stark, um allein angegriffen zu werden, oder? Es hätte
gebraucht viele Opfer, um sie zu besiegen, oder? Nur die SEEDS..."
Der Beschwörer fiel dem Professor ins Wort. "Halten Sie den Mund,
Professor! Ich erkenne Sie wieder, ja. Sie hätten damals Ihr Wissen über
Hexen ausspielen können, um Adell aus dem Weg zu schaffen, aber Sie taten
es nicht. Ich habe kein Interesse an Ihren Ausreden!" Quistis ergriff ihn
am Arm. "Vater!" zischte sie warnend, aber er beachtete sie nicht. "Sie
haben mir keine Chance gelassen, also lasse ich Ihnen auch keine. Meine
Schöpfungen, die Sie abgelehnt haben, werden jeden einzelnen von Ihnen
töten!" Er wollte die Hand heben, als Quistis ihn herumriss. "Vater",
begehrte sie auf. "Lass ihnen doch wenigstens Zeit, sich zurückzuziehen!
Sie sind immerhin gekommen, um zu verhandeln! Lass sie gehen, sie kommen
doch ohnehin nicht weit!"
Sein Blick zeugte von Wahnsinn. "Ja", gab er zu. "Das stimmt. Welchen
Unterschied macht es also, wenn sie jetzt sterben? Keine Sorge, meine
Tochter, bald ist alles vorbei. Dann sind deine Freunde, die unseren Tod
wollen, selbst tot und Esthar gehört uns. Erst dann können wir in Frieden
leben, denn wer könnte uns danach noch gefährlich werden?" Nur zögernd ließ
Quistis seinen Arm los. Und im selben Moment setzte sich die Monsterhorde
in Bewegung, direkt auf die Verteidiger zu!
"Laguna!" schrie Kiros, während er dem Präsidenten seine MG zuwarf, "fang!"
Laguna fing sofort an, in die Monstermenge zu ballern, womit er aber nicht
sehr viel Schaden anrichtete. "Gut, dass ich verrückten Monsterbeschwörern
grundsätzlich nicht traue, was, Squall?" fragte er, aber sein Sohn hörte
ihm nicht zu, denn er beschwor gerade wie seine Freunde eine G.F. Laguna
begann, mit Odyne, Kiros und Ward im Schlepptau rückwärts zu rennen, auf
die noch sichere Verteidigerlinie zu. Eben, als er sie erreichte,
erschienen in Sekundenabständen Bahamut, Alexander und Kaktor und brachten
Tod über die erste Monsterreihe. Aber noch immer war die Ebene voll von
ihnen.
Squall warf schnell seine vorbereiteten Schutzzauber über sich und spreizte
die Beine. Jetzt wurde es ernst, jetzt mussten sie zeigen, was in ihnen
steckte. Er sah aus den Augenwinkeln, wie Rinoa und Angel zusammen auf die
Horde zuliefen, um sie mit "Sternschnuppe" zu dezimieren, aber auch das war
nur ein Tropfen auf dem heißen Stein. Selphie warf Ultima- und Meteor-
Steine um sich, während sie auf ihr Limit wartete und er selbst sprang in
die Luft und fegte einige der Ungeheuer mit seinem "Schicksalszirkel" zu
Boden. Den Angriff eines Gogue Seals beantwortete er mit einem Konter, der
das Monster gegen seinen Hintermann warf. Selphie beschwor "Mega-Vita", was
sich glücklicherweise auch auf ihre Hintermänner auswirkte, denn auch wenn
sie viele Monster töteten, nur zu viele kamen auch durch. Die Verteidiger,
unterstützt von den Elektrokanonen, taten ihr Bestes, um die Bestien
aufzuhalten, aber mehr als einer lag schon tot auf dem Boden.
Dann war der Garden heran, und mit einem freudigen Aufschrei landeten vier
Gestalten neben ihnen, die sich sofort in den Kampf stürzten. Squall
leistete sich nicht den Luxus, zu überlegen, wo zum Teufel Cifer, Rai-Jin
und Fu-Jin herkamen, statt dessen vollführte er einen "Herzensbrecher", der
drei Rumbrum-Drachen und zwei Grendel tot hinfallen ließ. Aber genug
Monster standen noch. Rai-Jin zauberte einige Blitzga auf eine Gruppe
Lebensverbieter, die sofort auseinander fielen. Fu-Jin griff sofort drei
Drachen-Isolden an, die sich an ihr vorbeidrängen wollte und schaffte es
tatsächlich, sie zurückzutreiben. Cifer wandte seine "Teufelsklinge" an und
stoppte so den Vormarsch eines Rudels Archeodinos. Xell unterstützte ihn
dabei tatkräftig, wobei er keinen Unterschied machte, ob seine Kicks nun
Stahlgiganten oder Archeodinos trafen. Rinoa rief noch einmal Angel und
zwei Morbole wurden von der "Angel-Kanone" durchstoßen.
Plötzlich erschien ein seltsames Licht am Himmel und vier Schwerter fielen
herunter, wobei eins sogar einen Behemoth an den Boden nagelte. Gilgamesh
erschien in einem Wirbel aus roter Farbe, nahm ohne eine Miene wegen der
Gegnermasse zu verziehen, das Masamune zur Hand und spaltete mehr als zwei
Dutzend Monster in der Mitte durch. Dann verschwand die sonderbare G.F.
wieder. Squall dankte ihm im Stillen, während er einen weiteren
Herzensbrecher vollführte, der sieben Ungeheuer das Leben kostete. Neben
ihm zauberte Fu-Jin Tornado auf ein Rudel Galchimesäras, das sofort tot
war, als es am Boden aufschlug. Rai-Jin erlegte mit seinem "Drachentöter"
einen Schmelzdrachen, den er so heftig nach hinten schmetterte, dass auch
sein Hintermann sein Leben aushauchte, während Selphie vier Meteor-Zauber
auf einmal auf die Horde losließ. Cifer probierte noch einmal seine
Teufelsklinge an zwei Morbolen aus, die in Stücken wieder auf die Erde
zurückkamen. Xell hatte sich inzwischen ganz den Stahlgiganten zugewandt,
von denen er mit seinem "Xell's Final Heaven" gleich fünf auf einmal
durchbohrte. Rinoa ließ Angel mit dem "Angel Strike"-Befehl einen besonders
großen Rumbrum-Drachen hochheben und auf einige Drachen-Isolden und Chimära-
Hirne fallen, die ebenfalls in die Erde gestampft wurden.
Dennoch, hinter ihnen wurde die Sache langsam ungemütlich. Trotz unzähliger
Phönix-Federn lagen schon viele Verteidiger tot am Boden. Wenn nicht bald
Verstärkung kam... "He, Leute!" erschallte in diesem Moment eine Stimme
über ihnen. "Lasst mir auch noch ein paar von den Viechern übrig!" Irvine
sprang über das Geländer seines ehemaligen Gardens, der bereits begann,
neue Verteidiger auszuspucken, landete neben Selphie und begann sofort, die
Bestien mit Pulsarmunition zu beschießen. Zwei Morbole und ein Grendel
waren unter seinen ersten Opfern. Gut, dachte Squall, während er den
Angriff eines Chimära-Hirns konterte, jetzt haben wir drei Teams und neue
Verteidiger. Damit halten wir wieder ein bisschen länger durch. Aber wie
lange noch? Er warf einen Mega-Phönix hinter sich, um die Lage des Heeres
ein wenig zu verbessern und spürte dankbar die Wirkung des von Rai-Jin
geworfenen Final-Elixiers. Dann konzentrierte er sich wieder auf den Kampf.
Quistis wurde immer unwohler, je länger sie den Kampf betrachtete. Du
gehörst nicht hierher, flüsterte der SEED in ihr, du musst die Menschen vor
diesen Monstern beschützen! Dass ihr Vater sie anscheinend gar nicht mehr
wahrnahm, sondern verzückt bemerkte, wie seine Schöpfungen mehr und mehr
Verteidiger töteten, verstärkte die Stimme noch, aber sie hatte die
Verleumdungen aus dem Mund ihrer Freunde noch nicht vergessen. Dieser Trotz
hielt sie davon ab, etwas zu unternehmen. Nervös sah sie zu den Gardens
hinüber, um das Sterben nicht länger mit ansehen zu müssen.
Und blickte in das Gesicht ihrer Mutter. Natürlich nicht ihrer richtigen
Mutter, sie war tot, aber die Frau, die sie aufgezogen hatte, die sie wie
ihr eigenes Kind geliebt hatte, stand an der Seite ihres Mannes auf der
Brücke des Balamb-Gardens und sah sie an. In ihrem Blick lag ebensoviel
Zorn wie Trauer. "Mama!" flüsterte Quistis betroffen. Edea war hier! Der
Kopf ihres Vaters fuhr herum und gewahrte Edea. "Deine Mutter ist tot,
Quistis!" schrie er mit überschnappender Stimme. "Diese Frau hat dich
aufgezogen, aber sie hat dich nicht geliebt, wie deine Mutter es getan
hätte! Sieh sie nicht an!"
Quistis konnte ihre Augen nicht von Edea abwenden, ganz gleich, wer es ihr
befohlen hätte. Und als hätte ihre Ziehmutter gewusst, dass sie Quistis'
ungeteilte Aufmerksamkeit hatte, zeigte sie mit ihrer Hand zu den SEEDs
hin, die noch immer gegen die Monster fochten. Sie folgte der Richtung der
Hand und sah wieder den Kampf vor sich. Irvine! schoss es ihr durch den
Kopf. Bist du verrückt geworden? "Nein", schrie sie, packte ihren Vater und
riss ihn um. Im nächsten Moment fühlte sie sich hinten an der Kleidung
gepackt und hochgehoben.
"Vorsicht!" schrie Irvine, aber Selphie war gerade dabei, Ultima-Zauber auf
einige Gogue Seals und Stahlgiganten anzuwenden. Aus den Augenwinkeln hatte
er bemerkt, wie sich von hinten ein Schmelzdrache an das Mädchen
heranschlich. Blitzartig erinnerte er sich an seine erste Unterrichtsstunde
im Galbadia-Garden, in der es lautete: "G.F.s sind die Grundlage der Stärke
der SEEDs, aber sie sind launische Partner. Man darf sie nicht verärgern,
wenn man am Leben bleiben will! Sie sind Geister, die den Regeln des
Kampfes unterworfen sind, also hütet euch, jemals diese Regeln zu
verletzen! In diesem Fall werden euch die Schutzgeister sofort verlassen
und ihr steht ohne Schutz da!" Selphie's Verteidigung ist nur nach vorn
ausgerichtet! Was passiert, wenn ein Monster sie gegen die Kampfesregeln
von hinten tötet? Kann man sie dann überhaupt wiederbeleben? Aber was
passiert mit mir, wenn ich dieselben Regeln breche, um sie zu retten?
Doch während sein Kopf noch Für und Wider dieser Aktion abwog, reagierte
sein restlicher Körper bereits. Er fuhr herum, riss die Exetor hoch und
schoss den Drachen mit einem gezielten Treffer nieder. Einen Moment lang
wartete er, dann durchströmte ihn wilde Freude, als er bemerkte, dass ihn
seine gekoppelten G.F.s nicht verlassen hatten. Er drehte sich um und
wollte schon auf das nächste Monster anlegen, als - ihn das Schwert des
Stahlgiganten mit voller Wucht traf und durchbohrte. Er sah verwirrt auf
die Waffe herab, die ihn eben getötet hatte. Wieso das? dachte er, ohne
Schmerz zu verspüren. Ich spüre Ifrit und die anderen doch noch! Wie kann
es dann sein, dass...
Bevor er den Gedanken zu Ende denken konnte, zog der Stahlgigant das
riesige Schwert wieder aus seiner Brust heraus und er fiel zu Boden. Das
letzte, was er hörte, bevor sich sein Blick trübte und eine sonderbar
endgültige Finsternis ihn einhüllte, war Selphies Stimme, die etwas schrie:
"NEIN! Irvine! Erzengel!" Es war der schönste Klang, den er jemals in
seinem Leben gehört hatte, auch wenn er von den Todesschreien von Menschen
und Monstern etwas getrübt wurde. Er versuchte zu lächeln, als das Mädchen
noch einmal Erzengel auf ihn zauberte, dann schloss er seine Augen.
Squall sah verwundert nach vorn zu dem riesigen Rumbrum-Drachen, auf dem
eigentlich der Beschwörer und Quistis stehen sollten. Jetzt sah man den
Mann nicht mehr, offenbar war er gestolpert, deshalb sahen sich die Monster
momentan verwirrt um. Einige wenige griffen noch mit unverminderter Wucht
an, aber die meisten fragten sich wohl gerade, warum sie hier miteinander
gegen Menschen kämpften, die sie sehr wohl töten konnten. Und Quistis wurde
von dem Rumbrum-Drachen gerade auf den Boden geschmettert!
"Quistis!" schrie er und wollte sich gerade einen Weg durch die Monster
bahnen, um seiner Freundin zu helfen, als er Selphie schreien hörte. Hastig
drehte er den Kopf und riss die Augen auf. Irvine lag tödlich getroffen auf
dem Boden, aber seltsamerweise konnten ihm die Wiedererweckungssprüche des
Mädchens nicht mehr helfen. Dann, nach ein paar Sekunden begann sein Körper
in einem purpurnen Licht zu glühen und seine gekoppelten G.F., Ifrit,
Pandemona und Siren lösten sich von seinem Körper und schwebten gen Himmel.
Da Rai-Jin und Fu-Jin sich momentan um seine Monster kümmerten, von denen
sich nicht wenige selbst anfielen, hatte er genug Zeit, die Schutzgeister
anzurufen: "He, wartet! Wo wollt ihr hin? Der Kampf ist noch nicht vorbei!"
Siren drehte sich um und blickte ihn mit ihren strahlenden Augen ernst an.
"Dieser Mensch hat gegen die Gesetze des Kampfes verstoßen, die Hyne einst
aufstellte! Er ist tot und wir somit frei! Lebt wohl!"
Er tötete einen Lebensverbieter, der sich zu ihm durchgekämpft hatte und
rief: "Bleibt hier! Wir haben euch besiegt, in einem ehrlichen Kampf! Sagt
Phönix, er soll Irvine wiederbeleben!" Nun drehte sich auch Ifrit um und
seine volltönende Stimme ließ die Monsterhorde erzittern: "Wir sind frei,
wenn jemand den Kampfregeln zuwiderhandelt, Mensch! Selbst wenn Phönix den
Toten wiederbeleben könnte, was nicht der Fall ist, würden wir ihn nicht
darum bitten! Was willst du dagegen unternehmen?"
Squall wurde von einem Zorn ergriffen, den er noch nie verspürt hatte.
"Wenn ihr jetzt flieht und uns im Stich lasst", brüllte er, "dann schwöre
ich, werde ich euch jagen, wohin ihr auch geht! Ich werde gegen euch
kämpfen und euch töten, ohne Gnade! Und wenn ihr darum fleht, wieder unsere
G.F. sein zu dürfen, ich werde euch töten, wie ihr Irvine habt sterben
lassen!"
Er wusste nicht, ob es sein Blick war, oder ob die drei Guardian Forces
selbst zu dem Schluss kamen, dass sie hier noch etwas zu erledigen hatten.
Jedenfalls blähte Pandemona plötzlich ihren Windbeutel auf und saugte die
ihr nahestehenden Monster ein, um sie gleich darauf wieder auf ihre
Artgenossen herabstürzen zu lassen. Auch Ifrit beschwor einen Meteor aus
dem All und ließ ihn auf die Ungeheuer herabstürzen. Nur Siren blickte ihn
noch aus ihren unmenschlichen Augen an. "Wir werden euch helfen", sagte sie
schließlich. "Aber euren Freund wiederbeleben können wir nicht. Das kann
niemand." Ihr Sirenengesang ließ einem Rumbrum-Drachen den Meteor-Zauber im
Hals stecken bleiben.
Squall blickte sich wieder um. Selphie hatte Irvines Kopf auf ihren Schoß
gelegt und weinte. Sie schien den Kampf völlig vergessen zu haben, mit ihr
war momentan nicht zu rechnen. Wieder drehte er den Kopf. Cifer, Xell und
Rinoa hatten, während Rai-Jin und Fu-Jin ihn beschützt hatten, eine Bresche
in die Monstermenge geschlagen, die sich langsam wieder zu formieren
begann. Sie wollten zu Quistis vordringen, aber sie kamen immer langsamer
voran. "He, Wunderknabe!" schrie Cifer ihm zu, während er einem
Stahlgiganten die Waffe aus der Hand schlug. "Hilf uns mal ein bisschen!"
"Ihr beide bleibt hier!" befahl Squall seinen beiden Helfern, ohne sie
anzusehen, dann rannte er zu Rinoa, Cifer und Xell hin, die bereits wieder
eingekreist wurden. Um Irvine konnten sie sich später kümmern. Jetzt
mussten sie Quistis helfen. Dann sah er das Licht kommen.
Der Aufprall war grauenhaft. Der Rumbrum-Drache hatte sie aus einer Höhe
von mindestens 10 Metern fallen lassen. Sie fragte sich ohnehin, wieso sie
sich nichts gebrochen hatte. Mühsam stemmte sich Quistis hoch und sah nach
oben, in ein Paar funkelnder Monsteraugen. Aber noch heller loderten die
Flammen in den Augen ihres Vaters. "Du Verräterin!" sagte er mit einer
Stimme, die so kalt war, dass sich Quistis unwillkürlich duckte. "Du bist
nicht meine Tochter. Meine Tochter würde mich nicht davon abhalten, meine
Rache zu vollenden. Ich werde dich töten, und mit dir werden deine Freunde
sterben. Einen hat es ja schon erwischt."
Irvine! Dieser Gedanke ließ pure Wut in ihre Adern strömen und gab ihr die
Kraft, aufzustehen und ihren Vater ins Gesicht zu sehen. Es war die Miene
eines Fanatikers. Er würde nicht eher ruhen, bis der letzte Einwohner
Esthars tot war, das sah sie jetzt. Wieso hatte sie das nicht nur schon
früher gemerkt? Dann wäre Irvine jetzt noch am Leben! Aber ohne G.F. konnte
sie diesen Ur-Drachen nicht besiegen.
Der Beschwörer lachte irre. "Ich hätte es wissen müssen", sagte er zu sich
selbst. "Es gibt niemanden, dem man vertrauen kann. Alle sind gegen mich
und meine Schöpfungen. Sogar diese seltsame Energie auf dem Mond. Ich habe
sie gefragt, ob sie mir helfen wolle, auf die Erde zu gelangen, aber sie
hat nicht geantwortet und meine Monster angegriffen. Ich habe sie
vernichtet, nur ein Anhänger blieb von ihr zurück. Aber von dir,
Verräterin, wird nichts mehr zurückbleiben!"
Quistis fasste sich an die Brust. Der Anhänger vom Mond! Eine Energie, die
die Monster angegriffen hatte! Konnte es sein, dass... Sie sandte mit Hilfe
ihrer SEED-Kräfte eine Botschaft in das kühle Metall. Da! Eine Antwort! Die
Macht, die ihren Vater auf dem Mond angegriffen hatte, war eine G.F.! Eine
G.F., die der Erdtrabant erschaffen hatte, um sich gegen die Monster zu
verteidigen! Hastig versuchte sie, ihren Geist mit dem fremden Bewusstsein
zu koppeln, aber es war so anders als die irdischen Schutzgeister. Sie
hörte, wie der Drache Luft einsog, um sein tödliches Feuer auf sie zu
schleudern. "Stirb!" kreischte der Beherrscher des Tieres. Der
Flammenstrahl schoss auf sie zu und hüllte sie ein.
Die Health-Points der neuen G.F. waren nach diesem Angriff fast
aufgebraucht. Auch wenn sie es gerade noch geschafft hatte, sie zu koppeln
und aufzurufen, eine weitere Chance hatte sie nicht mehr! Mühsam nahm sie
noch einmal Kontakt mit dem Schutzgeist auf, wobei sie hoffte, dass der
Drache und sein Herr lange genug verwirrt sein würden, um sie nicht
anzugreifen. Sie sah das Gesicht des fremden Wesens vor sich, wie es sie
verwirrt anstarrte. Es war noch nie zuvor gekoppelt worden. Aber es
erkannte langsam seinen Besitzer. Wieder sog der Drache Luft ein, um zu
einem noch gewaltigeren Feuerstoß anzusetzen.
"Seraphim!" flüsterte Quistis. Dann umtanzten grüne Flammen sie und sie
rief mit lauter Stimme: "Zorn Gottes!" Dann verschwand sie. Und die
Lichtgestalt kam. Man konnte nicht sehen, welche Gewänder der Engel trug,
denn das Licht blendete so stark, dass man keine Konturen erkennen konnte.
Nur seine Augen verrieten ein bisschen über sein Wesen. Er kannte keinen
Hass, keine Gerechtigkeit oder Rache. Er erfüllte nur seinen Zweck, für den
er geschaffen worden war. In der linken Hand schwang er ein Schwert, an dem
meterlange Flammen züngelten. Und mit diesem holte er aus und ließ es durch
den Körper des Drachen gleiten, als wäre er aus Gelee.
Nachdem sie aufgetaucht war, versuchte Quistis festzustellen, ob ihr Vater
noch lebte. Aber nichts konnte seine verkohlten Überreste mehr von denen
des Drachen unterscheiden. Sie fiel auf die Knie. Diese G.F. war so anders
gewesen, so viel stärker... Das waren ihre letzten Gedanken, dann fiel sie
in Ohnmacht.
Selphie erwachte aus ihrer Lethargie. Für einige Zeit hatte es in ihrem
Leben nur sie und Irvines starres Gesicht gegeben, welches sie unaufhörlich
streichelte. Sie hatte nichts gedacht in dieser Zeit, wie ein Roboter hatte
sie seinen toten Körper angesehen und ihn liebkost. Jetzt wurde sie aus
diesem Zustand gerissen, durch einen Behemoth, der auf sie zurannte.
Erstaunt sah sie ihn an, sie war sich nicht bewusst, in welcher Gefahr sie
schwebte. Einige Schritte, bevor er sie erreichte, traf ihn eine Wurfwaffe,
die ihn niederstreckte. Dann erschienen zwei Gesichter vor ihr.
"Aufwachen!" herrschte Fu-Jin sie an. "Hilf uns mal ein wenig", schloss
sich Rai-Jin ihr an. "Die Biester drehen mal durch, jetzt, wo keiner mehr
Kontrolle über sie ausübt!"
Selphie sah sich um. Tatsächlich, die Monster, die jetzt ohne Führung
waren, stürzten sich zum Teil aufeinander, aber auch oft auf die Menschen
in ihrer Nähe. Auf einmal wuchs Zorn in ihr, als sie sich erinnerte, dass
solch ein Geschöpf Irvine getötet hatte. Und er verwandelte sich in blanken
Hass, als sie einige Stahlgiganten sah, die ihn ihre Richtung stapften.
"Ihr", flüsterte sie. "IHR!!!!" Sie hob ihr Nunchaku auf, visierte die
Monster an und wartete, bis die goldenen Blitze um sie herum erstarben.
"THE END!" rief sie mit einer Stimme, die durch das ganze Tal zu hören war.
1.2 Kapitel 9
Als sie wieder erwachte, wusste sie zunächst nicht, wo sie war. Erst nach
und nach wurden aus den unförmigen Klumpen um sie herum die
Einrichtungsgegenstände der Krankenstation des Balamb-Garden. Auch ein
Gesicht schälte sich langsam aus den Umrissen heraus. "Na, bist du endlich
aufgewacht?" fragte die dazugehörige Stimme erleichtert. "Ich dachte schon,
wir verlieren dich ganz!"
Selphie sah sich um. "Was... ist passiert?" fragte sie. Ihre Stimme wollte
ihr nicht mehr ganz gehorchen. Dr. Kadowaki zuckte mit den Schultern. "So
genau weiß ich das auch nicht", meinte sie bedauernd. "Ich weiß nur, dass
du und Quistis gestern von Squall und den anderen hier reingebracht wurdet,
als der Kampf zu Ende war. Sie haben irgendwas davon gefaselt, dass ihr
beide für den Sieg verantwortlich seid und ich euch schnellstmöglich wieder
zusammenflicken soll. Quistis ist schon ein paar Stunden später wieder
aufgewacht, aber du hast einfach weitergeschlafen, so als wolltest du gar
nicht mehr aufwachen. Erinnerst du dich noch an etwas?"
Sie versuchte es. Bilder tauchten vor ihrem Auge auf, erst Bilder von
unzähligen Monstern, dann von Irvines totem Gesicht. Diese Vorstellung
trieb ihr die Tränen in die Augen, aber sie zwang sich, weiterzuforschen.
Sie erinnerte sich an eine Gruppe Stahlgiganten, die auf sie zukam und an
ein unglaublich dunkles Gefühl. Dann fiel es ihr wieder ein. "The end",
flüsterte sie. "Ich habe... den stärksten aller Zauber eingesetzt!" Sie
hatte den ultimativen Zauber erst ein einziges Mal aufgerufen, das war in
einem Zufallskampf gewesen. Aber dass er zu solchem fähig war, hatte sie
nicht gewusst.
Dr. Kadowaki hob die Augenbrauen. "Ach, das meinten die anderen. Ich konnte
gar nicht glauben, dass du alle verbleibenden Monster allein besiegt haben
sollst!" In ihrer Stimme schwang Bewunderung mit. "Warst das wirklich du?"
Selphie nickte und drehte den Kopf zur Seite. Sie konnte sich über diesen
Triumph nicht freuen. Der Sieg war zu teuer erkauft. Viel zu teuer.
"Irvine", sagte sie. "Irvine ist tot." Sie merkte vor Trauer gar nicht,
dass sie auf einmal ganz normal sprach. Sie setzte sich auf, zog die Knie
an und versteckte den Kopf dahinter. "Er... hat sich für mich geopfert und
ist dafür gestorben. Warum nur? Warum hat er sein eigenes Leben
weggeworfen, um mich zu schützen?"
"Kannst du dir das nicht denken?" fragte eine sanfte Stimme von der Tür
her. Einen Moment lang schluchzte sie einfach weiter, bevor sie bemerkte,
wem diese Stimme gehörte. Sie erstarrte förmlich. Unmöglich! Absolut
unmöglich! Er war tot! Aber dennoch hörte sie die Schritte, die langsam auf
sie zukamen. Das war sein Gang, eindeutig. Zaghaft hob sie den Kopf,
wartete, bis sich der Tränenschleier etwas gelichtet hatte und - schrie
auf.
Sie versteckte ihren Kopf wieder zwischen den Knien und schrie weiter: "Du
bist nicht hier! Du bist nicht hier! Du bist tot! Lass mich in Ruhe!
Verschwinde!" Dann fiel sie wieder in hemmungsloses Schluchzen zurück. Nur
am Rande ihres Bewusstseins bekam sie mit, wie Dr. Kadowaki die Person
anschnauzte: "Ich habe Ihnen doch gesagt, dass Sie so bald noch nicht zu
ihr dürfen, Kinneas! Sie sehen doch, dass sie gerade erst aufgewacht ist!
Ich warne Sie, wenn sie Ihretwegen jetzt einen Schock bekommt, werfe ich
Sie persönlich aus dem obersten Fenster des Gardens!"
Sie bekam keine Antwort. Selphie spürte, wie sich jemand zu ihr auf das
Krankenbett setzte. Beinahe hysterisch rückte sie so weit zurück, bis sie
bei der Wand anstieß. Die Person folgte ihr. Sie wollte niemanden sehen,
sie wollte in diesem Moment für immer so sitzen bleiben, aber jemand löste
mit sanfter Gewalt ihre Arme, die um ihre Füße geschlungen waren und hoben
ihr Gesicht in die Höhe. Sie schloss die Augen. Sie wollte nichts sehen,
was sie verletzen würde, sie wollte das Phantom nicht ansehen. Ihre Sinne
narrten sie. "Lass mich in Ruhe!" rief sie noch einmal. "Geh fort! Du bist
nicht er! Er ist..."
An diesem Teil des Satzes wurde sie unterbrochen, als ihr jemand sanft die
Lippen mit einem Kuss verschloss. Sie war so überrascht, dass sie sogar
aufhörte zu weinen. Der Kuss war nicht scheu, auch nicht fordernd, aber er
wirkte beruhigend auf sie. Als dieser Jemand seine Lippen wieder von ihren
wegnahm, verspürte sie ein Gefühl des Verlustes. Aber sie war nun bereit,
die Augen zu öffnen. "Das... ist unmöglich", hauchte sie förmlich. "Du bist
tot! Du bist... vor meinen Augen gestorben! Wie...?"
Irvine verschloss ihr die Lippen mit dem Zeigefinger. Er strahlte sie
derart glücklich an, dass sie plötzlich gar nicht mehr das Bedürfnis
verspürte, etwas zu fragen. "Würden Sie uns wohl einige Minuten allein
lassen, Doktor?" fragte er Kadowaki. Sie brummte irgendetwas vor sich hin,
sagte aber: "Aber nur ein paar Minuten! Und wenn Sie auf dumme Gedanken
kommen sollten, ich bin gleich im Nebenzimmer!" "Keine Sorge." "Pah!"
Als sich die Tür geschlossen hatte, wandte er sein Gesicht wieder ihr zu.
"Pssst!" sagte er. "Sag jetzt bitte nichts. Du bist noch zu schwach dazu.
Lass mich lieber erzählen." Sie nickte. Sie war momentan auch gar nicht in
der Lage, etwas anderes zu machen. "Ich war wirklich tot, als der
Stahlgigant mich niederstach", fing er an zu erzählen. "Ich weiß nichts
davon, was danach geschah, aber die anderen haben mir erzählt, dass Quistis
den Monsterbeschwörer besiegt hat und du The end eingesetzt hast. Danach
seid ihr beide zusammengebrochen. Nachdem sich alle ein wenig erholt
hatten, brachte Edea Ell und Rinoa dazu, einen Teil ihrer Kräfte auf mich
zu übertragen. Ich kann nicht beschreiben, wie es sich anfühlte, ich
glaube, bei der Geburt verspürt man dasselbe. Ich wollte sofort aufspringen
und das nächstbeste Monster anvisieren, als ich dich sah. Wir haben dich
und Quistis sofort hierher gebracht, aber während sie nach ein paar Stunden
wieder fit war, bist du nun schon seit nahezu anderthalb Tagen hier. Ich
bin die ganz Zeit hier gewesen und habe gewartet, dass du aufwachst, auch
auf die Gefahr hin, von Dr. Kadowaki skalpiert zu werden. Ich wollte dir
nämlich etwas sehr Wichtiges sagen."
Ihre Augen flackerten. Sie wusste, was er ihr sagen wollte, aber sie konnte
es einfach nicht glauben. Ihr Atem beschleunigte sich. Irvine zog sie ganz
nah zu sich heran und flüsterte ihr leise ins Ohr: "Du hast mich gefragt,
warum ich mich für dich geopfert habe. Ich habe es getan, weil ich dich
liebe, Selphie. Ich liebe dich." Als er den Kopf wieder zurückzog, sah er,
dass in ihren Augen schon wieder Tränenbäche warteten. Blitzartig fragte er
sich, ob es so klug gewesen war, ihr jetzt schon davon zu berichten.
Immerhin, vor ein paar Minuten hatte sie noch geglaubt, dass er tot war und
jetzt das...
Mit einer Schnelligkeit, die er ihr in diesem Zustand niemals zugetraut
hatte, setzte sie sich auf und umklammerte ihn mit beiden Armen. Er bekam
fast keine Luft mehr, so fest hielt sie ihn. "Ich dich auch, Irvine!"
jauchzte sie glücklich. "Ich liebe dich auuuuch!" Na also, dachte Irvine
zufrieden. Der Sprachfehler ist auch wieder da. Jetzt ist alles wieder in
Ordnung. Er legte ihr ebenfalls die Arme um den Rücken und drückte das
diesmal vor Glück weinende Mädchen fest an sich. Sie saßen lange so da. So
lange, bis Dr. Kadowaki wieder hereinkam und ihn sehr bestimmt aus dem
Zimmer bugsierte.
"Ich kann mich nicht erinnern, Laguna jemals so aufgekratzt gesehen zu
haben!" bemerkte Squall. Er runzelte die Stirn. "Und ich habe ihn nun schon
bei weiß Gott nicht wenigen Dummheiten gesehen!" Rinoa, die sich bei ihm
eingehängt hatte, schmunzelte. "Das ist doch verständlich, oder, mein
großer starker Beschützer?" neckte sie ihn. "Immerhin wurde gerade seine
Stadt gerettet. Das ist doch ein ziemlich triftiger Grund zum Feiern,
denkst du nicht?"
Squall blickte seinen Vater an. Er wusste nicht so recht, ob er heulen oder
lachen sollte. "Mag ja sein", gab er zu. "Aber muss er deswegen den
Schlagzeuger aus der Band vertreiben und sich selbst daran versuchen? Ich
meine, er hat dafür ungefähr so viel Talent wie ein gichtgeplagter
Gartenzwerg!" Tatsächlich. Der Esthar-Präsident hatte wirklich schon ein
paar Gläser zu viel intus, denn er hatte der Band gedroht, sie allesamt aus
der Stadt zu schmeißen, wenn sie ihn nicht unverzüglich mitspielen ließen.
Rinoa kicherte leise über diesen Vergleich. "Könnte hinkommen!" bestätigte
sie noch immer grinsend. "Aber es hätte viel schlimmer kommen können. Stell
dir mal vor, er hätte sich an der Trompete versucht!" Nun, DAS wollte er
sich besser nicht ausmalen!
"Na, bei euch herrscht ja anscheinend eine Bombenstimmung!" hörten sie eine
bekannte Stimme hinter sich. Als sie sich umdrehten, konnten sie gerade
noch sehen, wie Xell zu Laguna hinsah und das Gesicht verzog. Wie Squall
hatte er die SEED-Uniform an, was beiden gut stand, und seine Begleitung
war niemand anders als die junge Bibliothekarin aus dem Balamb-Garden. Sie
wusste augenscheinlich nicht, wohin vor lauter Glück, denn sie brachte kein
Wort heraus, um sie zu begrüßen. Rinoa, die in ihrem smaragdgrünen
Abendkleid einfach hinreißend aussah, lächelte ihr aufmunternd zu. "Ich
frage mich ernsthaft, wo du dich verkriechen willst, wenn sich die Leute zu
fragen beginnen, ob der Sohn des Gastgebers wohl seine Begabung in Sachen
Entertainment geerbt hat, Squall!" ließ Xell vernehmen.
Dieser schnitt eine Grimasse und antwortete: "Nun, ich hatte eigentlich
gehofft, dass du mich wegen einer wichtigen Angelegenheit hier wegholen
könntest..." "Keine Chance", erhob der Faustkämpfer Einspruch. "Meine
Begleitung und ich sind gerade erst gekommen und haben vor, das Fest auch
noch ein wenig länger zu genießen, nicht wahr?" Er legte dem jungen
Mädchen, welches noch mehr errötete, den Arm um die Schultern und sah es
grinsend an. "Ich kann dir schließlich nicht immer aus der Patsche helfen,
Squall! Wieso fragst du nicht Irvine?"
"Der ist momentan... verhindert", entgegnete Rinoa. "Er hat sich seit
gestern nicht mehr aus der Krankenstation weggerührt. Er will um jeden
Preis dabei sein, wenn Selphie wieder aufwacht. Keine Sorge", winkte sie
ab, Xells Frage vorausahnend, "es geht ihr gut. Sie schläft nur ein wenig
länger als sonst. Aber ich möchte zu gerne wissen, was sie sagt, wenn sie
aufwacht." Weiter konnte sie nichts sagen, denn in diesem Moment schritten
Ward und Kiros zwischen sie.
"Squall" zischte Kiros bittend, "du musst Laguna zur Vernunft bringen! Wenn
er noch weiterhin so spielt, wird er die nächsten Wahlen niemals überleben.
Du als sein Sohn solltest dich für das Image deines Vaters doch
verantwortlich fühlen!" Ward nickte zustimmend und blickte besorgt zu
Laguna hinüber, der gerade wieder ein Solo einlegte, welches ihnen einen
Schauer über den Rücken laufen ließ. Squall nickte ernst. "Mag schon sein.
Aber momentan interessiere ich mich mehr für MEIN Image, und das wird
gewaltig leiden, wenn ich jetzt zu ihm hingehe und mich mit ihm öffentlich
zeige! Ihr müsstet solche Auftritte von ihm doch schon gewohnt sein, holt
ihr ihn doch runter! Ich habe jedenfalls vor zu verschwinden, wenn er auch
nur einmal meinen Namen nennt!"
Kiros knirschte mit den Zähnen und warf Ward einen hilfesuchenden Blick zu.
Der Riese zuckte nur mit den Schultern und deutete unauffällig auf die
Kabel, die zur Bühne führten, wo die Musiker saßen. Kiros nickte, auf
einmal diabolisch grinsend und beide verschwanden in der Menge von SEED-
Anwärtern aller Gardens, Esthar-Bürgern und normalen Soldaten, die sich
alle in der Residenz eingefunden hatten. Squall hatte das Gefühl, dass die
Scheinwerfer, die die Band beleuchteten, in den nächsten Sekunden einen
bedauerlichen Stromausfall haben würden.
"Irvine Kinneas wollte wirklich nicht auf diese Party hier?" knüpfte die
junge Bibliothekarin an das unterbrochene Gespräch an. "Mag sein, dass ich
ihn verkenne, aber ich habe gehört, er würde kein Fest auslassen!"
Rinoa schüttelte den Kopf und lächelte Squall an. "Das ist normalerweise
auch richtig", bestätigte sie. "Aber ich glaube, dass ihm der Augenblick,
in dem Selphie aufwacht, wichtiger ist als die ganze Nacht auf dieser Party
hier." Xell blickte sie nachdenklich an. "Ja, scheint so", meinte er.
"Hätte mir das jemand vor ein paar Wochen gesagt, hätte ich ihn sofort zu
Dr. Kadowaki geschickt... hallo, was ist denn da hinten los?"
Squall dachte im ersten Moment, dass er den Stromausfall meinte, der soeben
stattgefunden hatte, aber Xell sah verwundert in Richtung Eingang. Erst
nach ein paar Sekunden konnte er erkennen, was sein Freund meinte: Irvine
war in den Saal gekommen, hatte seinen Hut in die Luft geworfen und nach
dem erstbesten Mädchen gegriffen, das in seiner Nähe stand. Er hatte das
total verwirrte Ding ein paar Mal herumgewirbelt und wieder losgelassen.
Jetzt kam er mit einer zweiten Tanzpartnerin auf sie zu. "Leute!" rief er,
als er sie sah. "Lasst uns feiern!" Mit diesen Worten ließ er das Mädchen
gehen, das noch immer sehr verdattert drein sah - und griff nach Rinoas
Hand!
Diese war so verdutzt, dass sie sich protestlos mitziehen ließ und einige
Schritte mit ihm mittanzte, bevor er sich mit unverständlichen Jubelrufen
zum Büffettisch durchdrängte. "Jetzt ist er vollkommen verrückt geworden!"
erkannte Squall Cifers sarkastische Stimme. "Ich hab's ja gleich gesagt,
wer so lange in der Krankenstation sitzen bleiben kann, ist nicht normal!
Zu viele Dämpfe!" Als Squall zu ihm, Rai-Jin und Fu-Jin zurücksah, war sein
Gesichtsausdruck so überrascht, dass Rai-Jin lauthals zu lachen begann.
Sogar Fu-Jin musste sich das Grinsen mit der Hand verhalten. "Was ist?"
fragte Cifer scheinbar ruhig. "Willst du deine Freundin nicht wieder
zurückholen?" Dann fing auch er zu lachen an. "Sonst brennt sie dir noch
mit diesem Verrückten durch!"
Einen Moment lang sah er sich versucht, seinem ehemaligen Trainingspartner
gründlich die Meinung zu sagen, dann erinnerte er sich erst wieder.
Schuldbewusst drehte er sich um und konnte Rinoa gerade noch auffangen, als
sie auf ihn zustolperte. "Großer Gott!" entfuhr es ihr. "Was hat Selphie
bloß mit ihm gemacht? Konfus auf ihn gezaubert?" "Ach, die Kleine war das?"
mischte sich Cifer wieder ins Gespräch. "Deshalb hat dieser Irre Fu-Jin,
als er an uns vorbeigerannt ist, also eine Kusshand zugeworfen. Und mir hat
er zugerufen: "Viel Spaß noch, ihr Unwissenden!" Ich hab mir gleich
gedacht, dass ihm was zu Kopf gestiegen ist. Aber das dieses Etwas Selphie
war..."
Xell, der dieses Gespräch anscheinend wieder in normale Bahnen lenken
wollte, fragte schnell: "Was macht ihr eigentlich noch hier? Nach dem Kampf
wart ihr auf einmal verschwunden! Wir dachten schon, ihr hättet euch aus
dem Staub gemacht!"
Rai-Jin sah ihn groß an. "Ohne mal unser Geld abzuholen? Wir sind Söldner!
Wir haben mal ein Anrecht darauf, für unseren Einsatz bezahlt zu werden!"
Squall drehte verwundert den Kopf, als er sicher war, dass Rinoa wieder
stehen konnte. "Bezahlt?" fragte er. "Ich dachte, du wolltest diesen Kampf
unbedingt für dein Image bestehen, Cifer!" "Und?" entgegnete dieser
schulterzuckend. "Man kann doch auch das Nützliche mit dem Angenehmen
verbinden, oder?" Dann sah er sich suchend um. "Du weißt nicht zufällig, wo
sich dein Vater rumtreibt? Ich möchte ihm so bald wie möglich die Rechnung
vorlegen. Ich glaube, wir werden eine Zeitlang nicht arbeiten müssen!"
Squall sah kurz über seine Schulter. "Ich glaube, mit ihm kannst du heute
nicht mehr rechnen", bemerkte er, als er Kiros und Ward sah, die Laguna an
beiden Armen gepackt hatten und mehr hinauszerrten als -geleiteten. Er
verzog die Lippen, als er Cifers ungläubiges Gesicht sah, dann blickte er
wieder zu Laguna hin. "Lasst mich los, ihr beiden", verlangte er gerade.
"Was soll denn das? Ich bin sicher, das Licht wäre gleich wieder
angegangen..." Als sie an der Gruppe vorbeikamen, bemerkte er sie und rief
ihnen zu: "Hallo, Leute! Tolle Stimmung hier, nicht? Ich hoffe, ihr
amüsiert euch gut. Ich komm gleich wieder, sobald ich diese Nichtsnutze
hier gefeuert habe..." In diesem Augenblick fiel die Tür hinter den dreien
zu und kappte die Verbindung.
Rinoa, die sich inzwischen schon wieder erholt hatte, sah Cifer so
unschuldig wie möglich an. "Tja", meinte sie. "Es scheint so, als ob ihr
noch bis morgen hier bleiben müsstet, nicht wahr, Cifer?" "Ja, scheint so",
antwortete dieser, noch immer auf die Tür starrend. "Also, Leute hast du in
deinem Freundeskreis, Squall... ich möchte nicht mit dir tauschen!" Dieser
lächelte Rinoa zu, nahm sie in den Arm und sagte: "Das hoffe ich doch!
Sonst müsste ich mit dir um Rinoa kämpfen. Kommt, sehen wir mal nach, ob
Irvine am Büffet noch etwas für uns übriggelassen hat!"
Traurig starrte Quistis auf die hellen Lichter, die immer wieder aus den
Fenstern der Residenz blitzten. Natürlich wäre sie auch gerne auf diese
Feier gegangen, aber sie ahnte, dass sie die gute Stimmung verdorben hätte,
wenn sie aufgetaucht wäre. Wahrscheinlich hätte sich jeder in ihrer Nähe
unwohl gefühlt, ihre Freunde vielleicht ausgenommen. Als sie gestern
aufgewacht war, hatte sie sofort versucht, den Garden zu verlassen und
wegzulaufen, aber die anderen hatten am Haupttor auf sie gewartet.
Sie war darauf gefasst gewesen, zumindest aus Irvines Mund Beschimpfungen
und Flüche zu hören, aber sogar er hatte kurz den Hut gehoben, sie
angelächelt und "Willkommen zuhause" gesagt. Obwohl er sie nach einer
kurzen Umarmung sofort wieder verlassen hatte, um zu Selphie
zurückzukehren, war kein Hass bei ihm zu spüren gewesen. Auch Xell hatte
ihr nur (ziemlich fest) auf die Schulter geklopft, Rinoa hatte sie warm
angesehen und ihre Hände gehalten, und Squall hatte sie sogar angelächelt
und umarmt! Sogar Ell war bei ihnen gewesen und hatte ihr gesagt, dass
jeder in Esthar wusste, dass sie den Sieg ermöglicht hatte.
Trotzdem, sie wollte auch aus einem zweiten Grund nicht gehen. Sie hatte
jemanden getötet. Das war zwar im Leben eines SEED nicht zu vermeiden, aber
niemand hier wusste, wie es war, den eigenen Vater umzubringen. Quistis war
nicht umsonst Ausbilderin gewesen, sie konnte ihre Gefühle verstecken. Bald
würde sie sich überzeugt haben, dass es ihre Pflicht gewesen war, diesen
Verrückten umzubringen. Aber bis dahin würde ihr Herz ihr zuflüstern, wer
dieser Verrückte gewesen war.
Sie wischte eine einzelne Träne aus dem Gesicht, als sie Schritte hinter
sich hörte. "Mama!" entfuhr es ihr, als Edea schließlich ins Licht trat.
Sie sah ihre Ziehtochter warm an und fragte: "Hast du etwas gegen etwas
Gesellschaft?" "Wieso... bist du hier? Du weißt doch, wie gefährlich es
ist, die Übungshalle zu betreten! Du hättest getötet werden können!"
Quistis klammerte sich am Geländer fest. Edea lächelte nur. "Squall hat mir
Eden geborgt", antwortete sie. "Ich wollte mit dir sprechen."
Quistis drehte sich wieder um. "Worüber denn?" fragte sie bitter. "Über
meine Gründe, warum ich mich ihm angeschlossen habe? Oder über die, warum
ich ihn getötet habe?" "Keins von beiden!" Edea lehnte sich neben sie ans
Geländer. "Ich wollte nur wissen, was du jetzt zu tun gedenkst!" "Was?"
Quistis war überrascht. Was sie jetzt tun wollte? Nun, ehrlich gesagt hatte
sie noch nicht darüber nachgedacht. Sie konnte nicht im Garden bleiben,
vielleicht würde es ihr sogar erlaubt werden, aber sie würde immer wieder
die Blicke der Schüler im Rücken spüren. "Passt auf euch auf, sonst
passiert euch das Gleiche wie ihr!" würden sie sagen.
"Ich... weiß nicht", fing sie zögernd an. "Ich habe daran gedacht, meinen
SEED-Rang niederzulegen und als freie Söldnerin zu arbeiten. Vielleicht
bewerbe ich mich auch irgendwo beim Militär!" Sie wusste, dass sie das
nicht tun würde, und Edea wusste das auch. Sie hatte die Methoden des
Militärs immer verabscheut, und als Söldner zu arbeiten,... vielleicht,
aber ganz allein? Das konnte sie sich nicht vorstellen. "Wieso?"
Edea blickte sie an. "Weil ich dich sonst bitten würde, mit mir zu kommen
und im Waisenhaus zu arbeiten" sagte sie. "Du könntest mir dabei helfen,
die neuen Waisenkinder zu betreuen, die sicher bald eintreffen werden. Mehr
als ein Kind hat gestern seine Eltern verloren. Du könntest das für diese
Kinder sein, was Ell einst für euch war."
Quistis sah Edea ein paar Augenblicke lang an, dann entgegnete sie: "Ich
weiß nicht. Ich habe mit Kindern nicht sonderlich viel Übung.
Vielleicht..." "Spar dir dein Vielleicht!" rief Edea. "Wieso zögerst du
überhaupt? Quistis, wenn du mir im Waisenhaus Gesellschaft leisten würdest,
würde das nicht nur dir, sondern auch mir helfen. Was glaubst du denn, wie
es ist, wenn Cid den Garden leiten muss und ich das Haus? Ich bin sehr
allein, seit ihr alle im Garden seid, Quistis. Ich würde mich freuen, wenn
du mit mir kämst! Und außerdem würden Squall und die anderen uns besuchen
kommen, wenn sie Zeit haben. Du kannst dieses Angebot einfach nicht
ablehnen!"
Quistis hatte ihr mit immer größerer Hoffnung zugehört. Sie stellte sich
aufrecht hin, vollführte den SEED-Gruß und lächelte ihre Mutter an. "Ich
nehme Ihr Angebot an!" sagte sie förmlich. "Mama", fügte sie hinzu. Dann
ließ sie sich von Edea umarmen.
"Was für eine Nacht!" bemerkte Rinoa, als sie sich neben Squall auf das
neue Doppelbett fallen ließ. Bisher waren sie zwar miteinander gegangen,
aber geschlafen hatten sie immer noch in den eigenen Zimmern. Das änderte
sich ab heute. "Erst dieser Zirkus mit Laguna, dann kommt Irvine herein und
hinterlässt ein Tohuwabohu und dann auch noch Xells alberne Trinksprüche!"
Squall lächelte. Er fühlte sich nicht betrunken, und zweifellos war er auch
nicht halb so blau wie sein Vater, aber leichter Nebel hatte sich bereits
in seinem Kopf gebildet. "Ach, komm", beschwichtigte er. "Du hast doch
selbst auch mitgelacht! Und gib zu, es sah urkomisch aus, als Irvine
plötzlich versuchte, noch einmal auf die Krankenstation zu gehen und schon
beim Aufstehen zusammenklappte!" "Ja, das stimmt! Aber jetzt schlafen dein
sauberer Herr Vater und er bereits seinen Rausch aus, Cifer ist gerade
dabei, seinen gerade erst verdienten Lohn im Triple Triad an Xell zu
verlieren, während Fu-Jin und Rai-Jin ihn verzweifelt beobachten, und die
anderen streifen noch irgendwo herum." Sie legte den Kopf schief und sah
ihn an. "Wir sind endlich allein."
Squall rückte ein wenig näher an sie heran und streichelte ihre Wange.
"Denkst du nicht auch, dass wir unser neues Zimmer noch ein wenig feiern
sollten?" fragte er leise. Sie hörte aus seiner Stimme, dass er ein
bisschen nervös war. Er war so süß, wenn er unsicher war! Sie nahm seine
Hand und legte sie an ihre Brust. "Ja", flüsterte sie zurück. "das finde
ich auch." Sie spürte förmlich, wie sein Puls raste, aber ihr ging es kaum
anders. Vermutlich war das bei jedem so.
Trotzdem schob sie sich an ihn heran und küsste ihn sanft. Der Kuss löste
ihre Spannung, und sie umarmten sich. Es dauerte ziemlich lange, bis sich
ihre Lippen wieder voneinander lösten. "Weißt du, was ich jetzt gern machen
würde?" fragte sie ihn. Seine Augen glitzerten erwartungsvoll. "Laguna hat
zu mir gesagt, er möchte noch nicht so bald Großvater genannt werden
müssen. Ich hätte Lust, ihn zu ärgern." Das Zimmer war dunkel, aber sie sah
trotzdem, wie er rot wurde. Grinsend legte sie ihm den Finger auf den Mund.
"Natürlich noch nicht jetzt. Ein wenig Zeit möchte ich dich schon noch für
mich allein haben!"
Sie küsste ihn noch einmal, aber diesmal unterbrachen sie sich nicht noch
einmal zum Sprechen. Die restliche Nacht sprachen sie kein Wort mehr. Es
war auch nicht nötig.
The end
So, ich hoffe, derjenige, der sich bis hierher durchgekämpft hat, ist jetzt
nicht enttäuscht. Wer will und Zeit hat, kann gerne eine Mail schreiben, um
seine Meinung kundzutun!
Noch mal zur Erinnerung: g.girlinger@aon.at