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Flamme der Macht

Fantasy, Diplomatie und Intrigen inklusive :)
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Schon wieder ein neues Buch - Nummer fünf diesmal. Aber im Gegensatz zu denen davor weder Gay Romance noch in unserer Realität sondern ein Fantasy-Roman. Also eine ganz neue Richtung für viele meiner Leser :) Ich hoffe, es gefällt euch trotzdem, denn eins bleibt natürlich immer: Der gesellschaftskritische Aspekt.
Also starten wir hiermit ein Buch über Terrorismus, Revolutionen und Rassismus - aktuelle Themen also. Viel Spaß beim Lesen! Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Schrecklich geistreicher Titel, nicht? Könnt ihr den nächsten erraten? ^.- Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Maya ist schon ein recht behütetes Wesen, doch zum Glück nicht allzu doof :) Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Nein, nicht der vierte Tag ^.- Langsam nimmt die Geschichte Fahrt auf und ersten Abweichungen von absoluten Klischees erfolgen. Für mich eine absolute Erleichterung, da die absolut naive Maya wirklich kein leicht zu schreibender Charakter ist. Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Ich wünsche einen schweinegrippenfreien Februar! Und solltet ihr es doch kriegen, kommt bitte nicht in unsere Klinik. Lasst euch impfen. Ein Herz gegen Schweinegrippe. Und ein Herz für Ärzte, die aus jedem Zimmer Schweine-Isos machen müssen T.T Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Ich habe geschrieben, geschrieben und geschrieben und irgendwann bemerkt, dass ich vergessen habe, es in Kapitel aufzuteilen - soeben gemacht und dabei plötzlich bemerkt, dass ich schon mitten in Kapitel 9 steckte, obwohl ich mich in 6 wähnte.
Hat etwas Positives, es sind einige im Voraus geschrieben :) Und die kommen auch in nächster Zeit, schließlich muss ja bald endlich mal die Handlung losgehen. So langsam sind die Charaktere eingeführt, oder? Ich beginne hier langsam in die tatsächliche Geschichte einzusteigen, die ja zum Glück nicht über Kleiderschnitte, polierte Schuhe oder Kochrezepte geht (und wo Maya ihre Unschuld vom Lande langsam ablegt). Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Langsam, langsam schleichen wir auf den Plot zu ...
Viel Spaß beim Lesen :) Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Kommibetteln ist nicht erlaubt, aber darf ich sagen, dass ich mich sehr über Kommentare freuen würde? Ohne Feddback ist es schwer, eine Geschichte zu schreiben, da man keinen Eindruck kriegt, ob man Wichtiges vergessen hat, ob die Charaktere so rüber kommen wie gewünscht und ob die Handlung verständlich ist. Ich würde mich also sehr über Rückmeldung freuen :) Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
So, Maya hat nun einige Zeit in Lebensgefahr geschwebt, jetzt darf ihr Leben mal weiter gehen :) Auch wenn sie am Ende des Kapitels nicht wirklich in weniger Gefahr sein wird...
Kommentare sind übrigens weiterhin gern gesehen ;) Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Huch, ich habe vergessen, das Kapitel hochzuladen. Dieses ist schon länger fertig, das nächste habe ich auch schon. Es würde mich übrigens ganz inniglich freuen, wenn mir jemand sagt, was er hiervon hält! Danke auf jeden Fall an alle, die diese Geschichte lesen :) Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
So, meine Motivationszwischenstory ist beendet, es geht hier weiter :) Komplett anzeigen

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Der erste Tag

Maya hob eine Hand vor die Augen, geblendet von der strahlenden Sonne, als sie aus dem Zug ausstieg. Sie musste einige Schritte nehmen, bevor sich ihre Augen so weit an die Helligkeit gewöhnt hatten, dass sie aufsehen konnte. Mit dem Aufblicken sackte ihr Unterkiefer um sicher einen Zentimeter hinab und mit offenem Staunen betrachtete sie die Stadt, die sich vor ihr erstreckte.

Zenair. Sie hatte es geschafft. Sie hatte die Stadt ihrer Träume gefunden. Der in stummer Freude geöffnete Mund wandelte sich zu einem Lächeln, als über ihrem Kopf eine Schwebebahn hinweg zog. Zenair, Stadt der Technik und Erfindungen. Stadt des Wissens und der Künste. Sie sah in der Ferne auf der Spitze des Hügels, um den die Stadt errichtet war, die Akademie der höheren Bildung. Im Kreis darum zogen sich erst die Villen, dann die Häuser der Händler und höheren Handwerker, bevor die Stadt in viele kleinere Stadtteile zerfiel, in denen sich die verschiedensten Gruppen tummelten. Sinar, das Viertel der Alltagshandwerker. Odessa, das Viertel der Künstler. Lamati, das verruchte Viertel. Medin, das Hafen- und Handelsviertel. Alle reihten sie sich um Zenata, die Mitte von Zenair.

Maya betrachtete die Akademie des höheren Wissens. Das aus rotem Sandstein errichtete Gebäude war das Ziel eines jeden Schülers, die höchste Ehre eines jeden strebsamen Studenten. Ein Studium an dieser Akademie war das Sprungbrett in die Welt des Großen und Schönen. Maya festigte den Griff um die Mappe, die sie seit Stunden gegen ihre Brust drückte. Sie nickte, um sich selbst Mut zu geben. Heute war der Tag. Sie sah hinab und betrachtete ihre in Spitzensöckchen gekleideten Füße mit einem unsicheren Durchatmen. Das war ihr Schritt in die Zukunft. Sie holte tief Luft und setzte den Fuß nach vorn. Ein Schritt, ein zweiter und sie bewegte sich zum Aufgang zu den Schwebebahnen.

Heute war nicht der Tag, um Angst zu haben. Heute war der Tag, ein strahlende Zukunft zu beginnen. Sie schloss die Lider und genoss das Sonnenlicht auf ihrer Haut. Heute oder nie. Sie drückte den Rücken durch wie ihre Mutter sie gelehrt hatte, senkte das Kinn und richtete den Blick nach vorne.

Heute war ihr Tag.
 

Ein Gruppe Mädchen kicherte bei ihrem Anblick, als sie die Treppe der Schwebebahn hinab trat. Sie sah unsicher an sich hinab, ob sie einen Fleck auf ihr weißes, mit Blumen besticktes Kleid gemacht hatte, aber es schien so hell wie heute morgen, als ihre Mutter es akribisch auf übersehene Flecken abgesucht hatte. Mit einer Hand prüfte sie den Sitz ihrer Zöpfe, bevor sie weiter ging. Alles schien in bester Ordnung. Das gute Kleid, die polierten Schuhe, das mit Milch gekämmte und straff geflochtene Haar, alles schien, wie es sein sollte.

Trotzdem zog sie die Blicke mehrerer Studenten auf sich. Zwischen einem müden Lächeln und offenen Lachen schien ihr, dass die Reaktionen eher herablassend waren. Sie senkte den Kopf und versuchte, sich an der Seite von offenen Plätzen und Gängen zu halten, um nicht gleich von allen bemerkt zu werden. Sie ließ ihren Blick unauffällig zu den anderen Mädchen huschen.

Auch sie trugen knielange Kleider, jedoch waren ihre Röcke breiter, ganz als wären sie darunter ausgestopft. Sie hatten Ausschnitte, die ihnen erlaubten, Ketten auf der blanken Haut zu tragen. Und ihre Schuhe hatten hinten kleine Stangen, auf denen sie gingen, um größer zu wirken. Maya starrte die schönen, schlanken Gestalten an.

Na gut … sie schien hier etwas außer Mode zu sein. In ihrem Dorf war das, was sie trug, todschick. Aber wahrscheinlich auch nur auf ihrem Dorf. Vermutlich wirkte sie hier eher wie ein Dorftrottel auf ihren flachen Schuhen mit den Spitzensöckchen. Maya seufzte. Dann würde sie sich halt etwas Modisches nähen, sobald sie etwas Zeit hatte. Es war nicht der Weltuntergang, nicht die Schönste von allen zu sein. Sicher würde sich morgen keiner mehr an sie erinnern. Sie zog die Mappe näher vor ihre Brust und schlich weiter.
 

„Hast du das gesehen, Alden? Als würde man ein Kinderbuch über Landidylle aufschlagen und das erstbeste Mädchen raus schneiden.“ Ein Anfang zwanzig jähriger, blonder Student schüttelte den Kopf. Er hatte Maya, die am Rande des Platzes den Säulengang durchschritt, schon ein paar Sekunden beobachtet. „Ich dachte, die gäbe es nur im Märchen.“

„Wer weiß? Warst du je auf dem Land?“ Der als Alden bezeichnete, etwas jüngere Mann lehnte sich auf dem Denkmal zurück, auf das beide sich zum Sonnenbaden gelegt hatten. Er zog der Hut, der vorher sein dunkles Haar bedeckt hatte, über sein Gesicht, um die heiße Sonne aus seinen Augen zu halten.

„Keine zehn Zentauren könnten mich überzeugen, die Stadt auch nur einen Tag zu verlassen. Ich habe gehört, da gibt es kein fließendes, warmes Wasser.“ Daren schnaubte und sah auf den Hut, als könne er dadurch in die Augen seines Freundes blicken. „Ist doch eklig. Wie soll man denn da sauber bleiben?“

„Frag mich nicht. Ich war sicher noch nie auf dem Land.“ Der Jüngere hob den Hut und wandte den Kopf zu dem anderen. „Meine Mutter meinte immer, dass dort die Luft besser ist und wir sind jeden Sommer in unsere Villa in Orgen gefahren. Aber das heißt nicht, dass ich jemals einen Bauernhof betreten habe.“

„Warum solltest du auch? Da wohnt das niedere Volk.“ Der seitlich auf einem Arm Lehnende sah sich nochmal nach dem Mauerblümchen um. „Meinst du, die hat schon jemals … du weißt schon?“

„Nie im Leben.“ Der andere schnaubte. „Die hat vielleicht eine Kuh gemolken, aber bestimmt noch keinen Kerl.“

Daren prustete, hustete und sah schließlich mit einem breiten Grinsen auf und sagte: „Der war gut … einen Kerl gemolken … hey, wie wäre es mit einer Wette?“

„Ich bin ganz Ohr.“ Die Mundwinkel des Liegenden hoben sich.

„Der nächste Kasinobesuch wird dem spendiert, der sie zuerst rumkriegt.“

„Der sie zuerst ins Bett kriegt?“ Auch Alden sah sich nach ihr um, aber sie hatte den Platz wohl schon verlassen. „Meint Vater würde ausrasten, wenn er hört, dass ich mit irgendeiner Bürgerlichen geschlafen habe.“

„Nur, wenn du sie schwängerst.“ Der Ältere legte einen Arm um Aldens Schultern. „Komm, was er nicht weiß, macht ihn nicht heiß.“

Dieser verschränkte die Arme und seufzte tief, bevor er schließlich meinte: „Na gut.“

„So lob' ich mir das.“ Daren zog den Arm zurück und schlug dem anderen stattdessen auf die Schulter. „Ich wollte schon immer mal dein Geld verspielen.“

„Glaub mir, das hier wird dich kosten.“ Der Jüngere drehte sich zur Seite und schlug seinem Freund spaßhaft mit einem guten Stück mehr Kraft gegen die Schulter, sodass dieser taumelte. „Wir nähern uns ihr frühestens morgen um neun Uhr morgens und Gewalt ist absolut verboten.“

„Ich brauche keine Gewalt, wenn ich Frauen verführen kann.“ Dieser grinste.

„Wer weiß, ob die so einfach wird.“ Alden griff seine Tasche. „Den Mädels hier wedelt man einfach mit ein bisschen Geld vor der Nase rum, dann hat man sie schon sicher. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass das bei diesem braven Landei auch funktioniert.“

„Ich brauche weder Geld noch Gewalt, um eine Frau zu verführen.“

„Was bleibt denn dann bei dir noch übrig?“ Er grinste.

„Arsch.“ Daren setzte seinen Rucksack auf und schwang ihn dabei so, dass er den anderen nur verfehlte, da dieser zurück trat. „Auch wenn du nicht auf Kerle stehst, könntest du ruhig meine Schönheit anerkennen.“

„Träum weiter.“

„Mein Leben ist halt traumhaft.“

„Daren, halt den Rand.“ Alden schüttelte den Kopf. „Leys Party um sieben?“

„Werd' da sein.“ Der Ältere verabschiedete sich mit einem Winken.
 

„Name?“, fragte die Beamtin barsch ohne Aufzusehen.

„Maya Karmyn.“ Sie zog ihr Bestätigungsschreiben aus ihren Unterlagen. „Hier ist meine Einladu-“

„Brauch ich nicht. Welches Fach?“ Die Beamtin machte eine Handbewegung als wolle sie eine Fliege vertreiben.

„Interkulturelle Wissenschaften.“ Sie zog das Schreiben zurück an ihre Brust.

„Geben Sie mir Ihre Geburtsurkunde und die Einschreibegebühr von dreitausend Dukaten.“ Die Dame schrieb etwas in ein Buch, das sie aufgeschlagen hatte, um Mayas Namen darin zu suchen.

„Ich habe ein Stipendium ...“, murmelte diese und reichte ihre Urkunde über den polierten Tisch.

„Dann geben Sie mir die Stipendiumsbestätigung.“ Die Beamtin riss ihr das Papier praktisch aus den Händen.

Maya legte ihr das Bestätigungsschreiben, dass sie ihr zuvor schon hatte reichen wollen, auf den Tisch. Wer wusste schon, ob die Frau es nicht zerreißen würde bei dem Versuch, es ihr aus der Hand zu nehmen. Sie atmete tief durch. Die Beamtin war bestimmt genervt, weil die Immatrikulationstage stressig waren. Es lag sicher nicht an ihr. Oder hatte sie etwas falsch gemacht?

„Nun gut.“ Die Dame hatte das Schreiben währenddessen gelesen und sah das erste mal auf. „Das scheint so in Ordnung. Ich werde das Schreiben behalten. Sie kriegen eine Immatrikulationsbestätigung und einen Antrag für einen Ausweis. Füllen Sie ihn aus, lassen sie ein Bild von sich anfertigen und gehen Sie danach damit zu Büro 421.“

„Vielen Dank.“ Maya nahm die gereichten Unterlagen entgegen. „Zu wem gehe ich bezüglich des Wohnheims?“

„Büro 230.“ Die Beamtin machte eine wegwerfende Handbewegung. „Nächster!“
 

„Zweihundertdrei, zweihundertdrei … wo ist dieses verflixte Zimmer?“ Maya seufzte. Zu ihrer rechten stand einhundertneunzig auf der Tür, zu ihrer Linken zweihundertachtzehn. Hinter ihr lagen einhundertneunundachtzig und zweihundertneunzehn. Vor ihr lag nur leider ein Fenster. „Also ein anderer Gang.“

Sie hatte das Wohnheim mit tiefer Erleichterung betreten, als sie es nach einer Stunde des Suchens endlich gefunden hatte. Sie hatte nur nicht erwartet, dass die Herausforderung nicht der Weg zum sondern durch entsprechendes Wohnheim war. Zwei Etagen höher stieß sie auf Zimmer zweihundertvier und folgte dem Gang, bis sie schließlich endlich ihr Zimmer gefunden hatte. Ostflügel, siebter Stock, zweiter Gang links von der Treppe aus.

Mit einem müden Lächeln auf den Lippen schloss sie die Tür auf und hörte nur ein gezischtes „Scheiße!“, ein dumpfes Aufkommen eines großen Gegenstands auf dem Boden und eine aufgebrachte weibliche Stimme: „Raus hier!“

Maya nahm einen Schritt zurück und zog die Tür erschrocken zu. Was … was war das denn jetzt? Hatte sie doch die falsche Tür? Nein, zweihundertvier. Sie prüfte den Anhänger ihres Schlüssels. Zweihundertvier. Sie war richtig. Anscheinend hatte sie eine Mitbewohnerin. Eine, die nicht sehr erfreut schien, jemand Neues kennenzulernen. Maya atmete tief durch und klopfte.

„Ja, ja, gleich!“, fuhr sie eine genervte Stimme von drinnen an.

Eine andere Stimme zischte etwas zurück, aber es war zu leise als dass sie es verstehen könnte. Also zwei Mitbewohnerinnen? Wie groß waren die Zimmer hier denn? Sie sah zu den anderen Türen und schätzte den Abstand auf zwölf Ellen. Das reichte doch gerade, um die Betten unterzukriegen, oder? Wo sollte sie denn ihre Kleider aufbewahren? Eine Wanne passte da doch auch nie und nimmer hinein. Vielleicht reichte es für einen Zuber? Obwohl sie gehört hatte, dass es Badehäuser in großen Städten gab. Vielleicht war es vorgesehen, dass sie sich dort reinigte.

„Was?“, fragte eine barsche Stimme. Maya brauchte einen Moment, um zu registrieren, dass die Tür aufgerissen worden war. Darin stand eine dunkelhaarige Frau mit blonden Strähnen im Haar, die nichts als ein Männerhemd trug, dass ihr bei weitem zu groß und daher an den Ärmeln aufgerollt war.

„Ich wollte … ich ...“ Maya starrte sie mit geweiteten Lidern an. „Wollen Sie sich nicht etwas bedecken?“

„Sind Sie die Haushälterin oder so was?“ Die fremde Frau musterte sie von oben bis unten. „Oder von der Verwaltung?“

„Ähm, nein, ich bin … also-“ Ihr Blick fiel auf den Schlüssel, der noch immer in der Tür steckte. Wie sollte sie denn auf so etwas reagieren? Waren denn alle Menschen hier durchgehend unfreundlich? „Ich wohne in diesem Zimmer?“

„Aha?“ Es hob sich eine dunkle Augenbraue und die Fremde folgte dem Blick zum Schlüssel, den sie abzog und griff. „Zweihundertvier, Tatsache. Also meine Mitbewohnerin?“

„Ja, genau.“ Maya lächelte. „Sehr erfreut, Sie kennenzulernen.“

„Na dufte.“ Die andere schüttelte den Kopf. „Wenn 's denn sein muss.“ Sie wandte sich ab und ging zurück ins Zimmer. „Tom, raus hier. Find' 'nen anständigen Ort für 's nächste mal.“

„Tom?“ Maya nahm ihre Tasche und folgte ihr. „Sehr erfreut, Sie-“ Sie erstarrte und schaffte es daher nicht, den Satz zu beenden. Vor ihr stand ein junger Mann – ein gutaussehender Mann – ohne Hemd und knöpfte seine Hose zu. Wahrscheinlich war es sein Hemd, dass die Dame trug, die Maya immer noch nicht ihren Namen verraten hatte.

Sie senkte beschämt den Kopf und scheute vor ihm weg, als er sie passierte.

„Wir können auch zu mir gehen, Aaron ist pokern“, meinte er im Rausgehen, als er sich nochmal umdrehte.

„Du glaubst doch wohl nicht, dass ich jetzt noch-.“ Sie stieß einen Schrei aus und raufte sich die Haare. „Du bist doch unfassbar!“

Er blinzelte nur einmal und fragte nach einem Moment: „Kommst du?“

„Ja, ja. Idiot.“ Sie schüttelte den Kopf, griff ein Kleidungsstück und einen Schlüssel, die beide Teil eines Kleidungs- und Müllberges waren, der den Boden bedeckte und verließ das Zimmer.

Maya sah ihnen hinterher, blinzelte mehrfach und fragte schließlich den Raum, als könne er eine Antwort geben: „Was war das denn jetzt?“

Der zweite Tag

Nachdem ihre Mitbewohnerin auch am nächsten Morgen das Zimmer noch nicht wieder betreten hatte, erlaubte Maya es sich, ihre Sachen auf dem Boden etwas zusammen zu schieben – wobei sie angeekelt das Gesicht verzog, als sie Müll zwischen der Kleidung entdeckte – um unfallfrei zu ihrem Spind zu kommen. Für ein Waschbecken und Duschen musste sie auf den Flur, es gab pro Etage ein Gemeinschaftsbad. Sie sah den anderen Mädchen zu, wie diese ganz selbstverständlich die Hähne und Drehräder bewegten, mit denen Wasser hier zum Fließen gebracht werden konnte. Sie hatte von fließendem Wasser aus Leitungen gehört, aber es war etwas völlig anderes, so etwas auch einmal zu sehen. Es auszuprobieren entlockte ihr einen Laut des Entzückens. Zu entdecken, dass es sogar warmes – badewarmes – Wasser gab, ließ sie den Göttern für diese Chance danken. Sie mochte außer einem Bett und einem Spind hier nichts haben, aber diese neuen Eindrücke, diese vielen Erfahrungen ließen sie allen Unmut vergessen.

So trug sie ein glückliches Lächeln auf den Lippen, als sie beschwingten Schrittes zur Akademie ging. Sie mochte zwar noch kein neues Kleid genäht haben, aber bestimmt würde sie später Zeit haben, einen Stoffhändler zu suchen. Ob es stimmte, dass in Zenair jeden Tag Markt war? Sie brauchte einen Becher, um das Wasser der Leitungen trinken zu können und vielleicht etwas Obst, da sich ihre Rationen bereits zu Ende neigten. Sie hatte sich gestern nur in nächster Nähe ihres Schlafplatzes umgesehen und auf den ersten Blick keine Taverne erhascht. Wo ihre Kommilitonen wohl speisten? Sie hatte Gesprächsfetzen über eine so genannte Kantine aufgeschnappt, aber es nicht gewagt, den beiden Männern zu folgen. Und es geziemte sich nicht für ein Mädchen, zwei Männer anzusprechen.

Sie fürchtete nur, diesen Vorsatz würde sie vor Ende des Tages brechen müssen. Die Akademie war groß und sie hatte nicht die geringste Ahnung, in welche Richtung sie gehen musste. Ein paar Mädchen hatten schon gesagt, sie könnten ihr nicht helfen, andere hatten sie in Richtung von Aushängen geschickt, doch aus den hunderten Zetteln wurde sie nicht schlau. Sie seufzte tief, ließ ihre Tasche an ihre Seite sinken und schloss für einen Moment die Lider. Gab es denn hier niemanden, der ihr das alles hier erklären konnte?

„Kann ich helfen, schöne Dame?“, fragte sie ein junger Mann von der Seite.

Sie sah erfreut auf, erblickte einen blonden Jüngling von vielleicht zwanzig Lenzen neben sich und drehte sich lächelnd zu ihm mit den Worten: „Ich danke euch. Ich fürchte, ich bin etwas verloren. Mein Name ist Maya Karmyn und ich bin hier zum Studium der interkulturellen Wissenschaften.“

„Ah, interkulturelle Wissenschaften.“ Ein Mundwinkel seines Lächelns zuckte. „Das studiert ein … Bekannter von mir.“ Sein Lächeln verbreiterte sich. „Aber unwichtig. Mein Name ist Daren Odessaro.“

Welch ein hübscher und zuvorkommender junger Mann. Hoffentlich hatte er ein paar Minuten zu erübrigen, um einige ihrer Fragen zu klären. Auch wenn sie aufpassen musste, dass er nicht zu freundlich wurde, ihre Mutter hatte sie vor Männern gewarnt, die nur auf ihren Körper aus waren. Er hinterließ dasselbe Gefühl, auch wenn er weit kultivierter sprach als ein paar der Bauersjungen aus ihrem Dorf.

„Oh, fast wie der Stadtteil, wie lustig. Es freut mich sehr, Euch kennen zu lernen.“ Ob ihrer Worte fiel sein Lächeln ein Stück. Hatte sie etwas Falsches gesagt? War das etwas, was immer angemerkt wurde und er war dessen schon überdrüssig? „Wenn euer Bekannter auch dieses Fach gewählt hat, könntet ihr uns wohl vorstellen? Vielleicht könnte dieser mir erklären, wo ich finde, wann ich wo zu sein habe.“

„Jetzt noch nirgendwo, Fräulein Karmyn.“ Er lächelte wieder, doch es wirkte gezwungener als zuvor. „Soll ich euch vielleicht etwas herum führen, damit ihr morgen alles findet?“

„Aber in diesem Schreiben der Akademie steht“ - sie zog eben jenes hervor - „dass heute morgen die Ansprache des Rektors stattfindet.“

„Die ist wirklich langweilig und trägt nicht zum Studium bei.“ Er streckte eine Hand aus. „Kommt, ihr wollt doch nicht eure Zeit verschwenden.“

„Ich möchte die Ansprache gern hören. Könnt ihr mich zur Aula bringen, in der diese stattfindet, bitte?“ Sie betrachtete lieber seine Augen als die Hand. Er war merklich gut aussehend, doch sein mittlerweile falsches Lächeln behagte ihr nicht. Ihre Vermutung schien zu stimmen, er wirkte wie die Klasse Mann, vor der ihre Mutter sie gewarnt hatte. Sie hatte stets gesagt, Männer seien wie Tiere, ein einzelner gefährlich und wenn sie im Rudel auftraten, hatte man nur in der Gruppe Chance. Sie sollte schnellstens Freundinnen finden. Eine einzelne Frau konnte sie schließlich kaum des Werbens eines Mannes entziehen.

„Wie ihr wünscht.“ Er nickte und griff ihre freie Hand mit seiner. „Schaut, dass wir nicht getrennt werden, das Gedränge ist hier teils sehr groß.“

Doch, sie hatte ihn nicht falsch eingeschätzt – andererseits hatte sie gerade auch nicht viel Wahl, wenn sie endlich an ihr Ziel wollte. Seine Hand in ihrer war warm und groß. Es erinnerte sie daran, wie sie als kleines Mädchen an der Hand ihres Vaters gegangen war. Hoffentlich ging es diesem gut und die Trennung hatte seine Krankheit nicht verschlechtert. Er hatte sich so abgemüht, um ihr etwas Geld mitgeben zu können für ihren Start in dieser Stadt. Bis nächsten Monat sollte sie besser eine Arbeit gefunden haben.

Daren führte sie durch Gänge und Hallen, bis sie wenig später vor einer offenen Doppelflügeltür endeten, die in ein riesiges Auditorium führte. Sie konnte die Plätze kaum schätzen, es waren sicher zwei Acker Fläche, die dort Stufe um Stufe mit Tischen und Stühlen, mit ganzen Tischreihen in den vorderen Rängen, ausgefüllt waren.

„Das ist gigantisch!“, stieß sie ehrfürchtig aus.

„Das ist die achte Aula“, erklärte ihr Führer geduldig, „bist du sicher, dass du diese Rede hören willst?“

„Ganz sicher.“ Er hätte wahrscheinlich mehr Aufmerksamkeit verdient, doch sie konnte ihren Blick nicht von den geschnitzten Tischreihen lassen. Sie zählte zwanzig, bevor die Ebenen Stühlen mit nur vereinzelten Tischen eingenommen wurden. „Dieser Raum ist überwältigend.“

„Ähm … ja, okay. Wie wäre es, wenn wir uns nach der Rede wieder hier treffen und ich führe dich dann herum?“

„Oh, das kann ich doch nicht annehmen, Sie haben sich doch schon sehr um mich bemüht.“ Sie wandte sich lächelnd zu ihm. „Das wäre zu viel verlangt.“

„Aber nein, es wäre mit eine Freude.“ Sein Lächeln erreichte erneut seine Augen nicht.

„Vielleicht ein andermal.“ Sie zog ihre Hand aus seiner. So hilfreich das auch wäre, sie wollte nicht erneut von ihm unsittlich angefasst werden. „Habt Dank für Eure Hilfe und gehabt Euch wohl.“

„Ich … aber ...“ Er hob die Hand, doch überschritt nicht die Türschwelle, als sie eintrat und sich der Treppe neben den Tischreihen zu wandte.

Es war wohl besser so. Männer wie er waren ihr nicht geheuer. Ihre Mutter hatte sie extra gewarnt. Sie wäre ein dummes Mädchen, wenn sie nicht auf ihre Mutter hören würde.
 

Das Mädchen, neben das sie sich gesetzt hatte, hatte wohl kein Interesse gehabt, sich mit ihr zu unterhalten. Vielleicht lag es wirklich an dem Kleid. Die meisten sahen sie an, schüttelten den Kopf und versuchten, so schnell wie möglich das Gespräch mit ihr zu beenden. Sie merkten wohl, dass sie nicht von hier war. Aber war das wirklich ein Grund, sie so zu schneiden? Sie verließ das Auditorium mit gesenkten Kopf und merkte somit einen Hauch zu spät, dass der junge Mann vor ihr plötzlich gestoppt hatte – was sie direkt in seinen Rücken stoßen und ihn nach vorne stolpern ließ.

„Oh, bitte entschuldigen Sie, dass tut mir sehr Leid“, stieß sie erschrocken aus.

„Was? Nein, das-“ - er griff ihre Schulter und zog sie zur Seite, um aus der heraus strömenden Menschenmenge zu kommen - „mir tut es Leid. Hast du dich verletzt?“

„Nein, danke, es geht schon.“ Sie prüfte schnell ihre Tasche, aber dort schien noch alles am rechten Platz. „Es tut mir wirklich Leid, ich habe nicht aufgepasst.“

„Es ist auch schwer, in dieser Menge wirklich aufzupassen.“ Er lächelte sie an und einen Moment kam es ihr vor als würde ihr Herz stehen bleiben. Noch so ein gutaussehender junger Mann. In ihrem Dorf gab es natürlich auch junge Männer, aber keiner war so gepflegt, hatte weiße Zähne und so ein schönes Lächeln. Schwarze Haare umrahmten ein ebenförmiges, helles Gesicht, aus dem sie warme braune Augen ansahen. „Bist du auch neu an der Akademie?“

„Ja, ganz genau.“ Sie konnte nicht anders, sie lächelte zurück. „Mein Name ist Maya Karmyn. Ich bin hier zum Studium der interkulturellen Wissenschaften.“

„Echt?“ Er grinste breit. „Ich auch. Ich bin übrigens Alden. Alden Medinro.“

„Oh, auch ein Stadtteil. Heißen hier viele Leute wie Stadtteile?“ Hoffentlich würde es ihm nichts ausmachen, dass sie so offensichtlich nicht von hier stammte.

„Nein, nur die Adligen, denen die Stadtteile gehören.“ Sein rechter Mundwinkel hob sich. „Meinem Vater gehört Medin.“

„Ach du meine Güte!“ Sie hob eine Hand vor ihre Lippen.

„Nun, du konntest das nicht wissen, du hast mich nicht beleidigt mit deiner Frage.“, winkte er ab.

„Aber diesen Herrn Daren Odessaro habe ich bestimmt beleidigt. Es missfiel ihm, dass ich ihn nicht als Adligen erkannt habe. Ich wusste gar nicht, was ich falsch gemacht habe.“ Sie sah sich um in der Hoffnung, ihn zu entdecken. Das war ihr dann doch peinlich. Egal, wie er sich ihr gegenüber aufgeführt hatte, solch schändliches Benehmen sollte sie nicht an den Tag legen. „Ich sollte mich sofort entschuldigen. Dabei war er trotzdem so nett zu mir.“

„Ah, Daren.“ Auch sein Lächeln fiel für einen Moment. „Den kenne ich, der ist da etwas eigen. Ich denke, es ist besser, sich nicht zu entschuldigen. Das würde ihn nur mehr kränken.“

„Wirklich?“ Sie ließ die Hand sinken und legte sie vor ihr Herz. „Ich möchte keinen schlechten Eindruck hinterlassen. Gibt es nicht etwas, wie ich das wieder gut machen kann?“

„Lass ihm einfach ein paar Tage, damit sein Stolz sich erholt. Sprich ihn einfach nicht an und schau, dass er dich nicht sieht. Er vergisst das schon von selbst wieder.“

„Sicher?“ Sie legte den Kopf zur Seite. Nun, wenn er den junge Mann kannte, wusste er es wohl am besten. Wahrscheinlich war er der Freund, von dem Daren geredet hatte. Welch ein Zufall, dass sie gerade in diesen gelaufen war! „Nun, er hat bestimmt auch wichtigere Gedanken als ein Mädchen, mit dem er nur ein paar Sätze gewechselt hat.“

„Ganz genau.“ Alden lächelte wieder. Sein Lächeln erreichte auch seine Augen. Sie verbuchte das als wichtiges Zeichen, um die Ehrlichkeit ihres Gegenübers zu erkennen. „Aber es freut mich zu hören, dass wir im selben Studium sind. Du bist die erste, die ich treffe, die das auch studiert. Hast du schon alle Bücher gekauft?“

„Bücher?“, fragte sie erschrocken. „Es gab schon Buchlisten?“

„Ja, ist am Aushang. Hattest du noch keine Zeit, dir das durchzulesen?“ Seine Stimme blieb freundlich, gar nicht, als würde er sie tadeln wollen.

„Nein, ich … da sind so viele Zettel, ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll.“

„Komm, ich helfe dir. Ich habe auch noch nicht alles ganz genau gelesen. Zusammen finden wir bestimmt heraus, was wir alles brauchen.“

„Danke, das ist sehr nett von Euch.“ Sie seufzte erleichtert. Endlich jemand, der ihr helfen konnte! Obwohl es ein Mann war. Sie hatte sich mehr eine Freundin erhofft, aber wer war sie, ihn aufgrund seines Geschlechts abzulehnen? Er schien nicht auf ihren Körper aus zu sein und sprach dennoch mit ihr – eine ganz neue Erfahrung. Das war sie nur von ihrer Familie gewohnt.

„Von dir. Duze mich, wir sind doch im selben Studium. Wir sehen uns jetzt jeden Tag. Also kannst du mich gern Alden nennen, Maya.“

„Danke.“ Sie nickte lächelnd und folgte ihm.
 

„Elfische Bräuche und Traditionen.“ Sie nahm das Buch mit einem Lächeln hoch und legte es in den Korb zu den anderen Werken, die auf ihrer Bücherliste standen. „Hast du schon das andere für den Kurs gefunden?“

„Geschichte der elfischen Politik? Oder das Buch über die Hochzeitsriten?“ Alden wandte sich nicht von dem Regal ab, vor dem er stand. „Hier ist das über die Handelsrouten.“

„Für den Kurs gibt es vier Bücher?“ Sie sah noch einmal auf ihre Liste.

„Und den Atlant der Völker.“ Er zeigte zu seiner Rechten. „Der steht da drüben.“

„Danke.“ Sie nahm sich einen. „Hast du die Bücher schon gekauft?“

„Sie stehen in der Bibliothek meines Vaters. Ich habe alle bereits vor Jahren gelesen.“ Er griff ein Buch aus dem Regal vor sich. „Aber es gibt ein paar Neuerscheinungen. Lebräkum issidor, Sprachalmanach für Altelfisch … ich frage mich, ob es Sinn macht, das zu lernen.“

„Sprichst du die Sprache der Elfen?“

„Natürlich.“ Er wandte sich zu ihr. „Wenn man mit anderen Völkern Handel treibt, sollte man stets auch ihre Sprache sprechen. Als Besitzer des Medin-Viertels gehört der Hafen zu unserem Hoheitsgebiet. Jede Händlergilde, jedes Kontor und jedes Frachtlager der Stadt ist Teil unseres Landes.“

„Natürlich.“ Sie senkte den Kopf. „Das hatte ich nicht bedacht.“

„Na ja … ehrlich gesagt spreche ich auch nicht jede Sprache. Unsere Haupthandelspartner sind die Elfen und die Zwerge sowie die Zentauren und Halblinge. Wobei die Zentauren auch nur dazu zählen, weil die Halblinge uns deren Waren verkaufen. Darum spreche ich Iskarim, Brukdur und Weidan.“

Maya nickte langsam. Das war … nun … vermutlich waren das die Sprache der Elfen, Zwerge und der Goblins. Warum hießen die nicht Elfisch, Zwergisch und Halblinisch oder so etwas? Wie sollte das denn erst im Studium werden? Alden sagte das, als sei es völlige Allgemeinbildung. Vielleicht war es das für ihn, aber doch sicher nicht für sie! Sie hatte das Studium doch gewählt, gerade weil sie kaum etwas über andere Völker wusste. In der Schule hatte sie Bilder von fernen Städten gesehen, von wundersamen Wesen und Geschichten über gänzlich andere Kulturen. Aber es war so wenig gewesen und zu wissen, dass es bestimmt unendlich mehr zu erfahren gab – Maya lächelte. Sie hatte die Chance all das zu erfahren und vielleicht eines Tages den Leuten in ihrem Dorf beizubringen. Vielleicht würde sie als Lehrerin zurückkommen. Als Studierte voller wundersamer Erzählungen.

Sie zog „Hochzeitsriten der intelligenten Völker“ aus dem Schrank und legte es mit in den Korb. Insgesamt lagen da bereits acht andere drin. Sie wandte sich an Alden: „Sag mal, weißt du vielleicht, wo ich hier in der Stadt gut Arbeit finden kann?“

„Arbeit?“ Er blinzelte kurz. „Was willst du denn machen?“

„Nun … putzen, waschen, vielleicht kellnern. Es muss etwas sein, das ich neben dem Studium ausüben kann. Ich dachte, vielleicht kann ich abends in einer Taverne arbeiten.“

„Du meinst als Restaurantbedienung? Hm … ich kann mich ja mal umhören.“

„Danke!“ Sie lächelte breit. Bestimmt hatte man als Adelssohn gute Kontakte. Es war ein echter Glückszufall gewesen, dass sie Alden kennen gelernt hatte. Er war nett und hilfreich und das, obwohl er ein Mann war. Es war geradezu erstaunlich. Und es war nicht einmal unangenehm, mit ihm zu reden.

Vielleicht kam mit der Bildung Reife. Ihre Mutter hatte gesagt, dass Männer mit dem Alter freundlicher und höflicher wurden. Darum war ihr Vater ja auch so ein netter Mann – er war eben schon recht alt. Alden wirkte nicht sehr alt, aber er erinnerte sie an Männer wie ihren Vater oder ihren Onkel, die nett zu ihr gewesen waren und manchmal mit ihr gespielt hatten. Die Jungs in ihrem Alter hatten immer komische Spiele spielen wollen, vor denen ihre Mutter sie strikt gewarnt hatte.

Junge Männer wollten nur ihren Körper, das hatte ihre Mutter gesagt. Alden schien nicht so. Alden schien sie zu mögen, einfach als Person. Nicht als Mädchen sondern einfach nur als Mensch gesehen zu werden, das war ein ganz neues Gefühl – etwas, das sie nie für möglich gehalten hätte.

Es hatte etwas erstaunlich Befreiendes.

Der dritte Tag

„Guten Morgen, Fräulein Karmyn“, wurde sie vor der Tür ihres Wohnheims gegrüßt. Überrascht sah sie vom Gehweg auf und erblickte Daren gegen das Treppengeländer der wenigen Stufen, die vom Wohnheim zur Straße führten, gelehnt.

„Seid gegrüßt, junger Herr.“ Sie verbeugte sich schnell und wandte so den Blick wieder nach unten. „Ich wollte mich sehr dafür entschuldigen, dass ich Euren Namen nicht erkannt habe.“

„Wer hat dir das denn erklärt?“ Er hob die Augenbrauen, was sie nur sah, da sie heimlich doch nach oben schielte.

„Alden.“ Sie richtete sich vorsichtig auf – wer wusste schon, wie man sich Adligen gegenüber zu verhalten hatte? – und sah ihrem Gegenüber in die Augen. „Ich bin gestern in ihn gestolpert.“

„Zufällig.“ Daren nickte langsam. „Raffiniert ... na ja, egal, ich dachte, nach dem schlechten Start gestern geleite ich dich zur Uni. Ich habe mich auch nicht astrein verhalten.“

„Wirklich?“ Sie trat neben ihn, um mit ihm gehen zu können, sodass sie aufbrachen. Woher genau wusste er, in welchem Wohnheim sie lebte? War es eine gute Idee, einfach mit ihm zu gehen? Sie waren auf sehr öffentlichen Straßen, er würde sicher nichts Unanständiges tun, aber war es richtig, ihn nicht zur Rede zu stellen? „Ihr ward sehr freundlich.“

„Warum hast du dann mein Angebot ausgeschlagen, dich umher zu führen?“

Nun ... wäre es unhöflich, ehrlich zu sein? Ihre Mutter hatte ihr erklärt, dass man Männer leicht in ihrem Stolz kränkte, wenn man ehrlich war, also sollte sie wohl diplomatische Worte finden. Möglichst welche, die die aktuelle Situation auch mit einschlossen, sodass sie formulierte: „Es kam mir unsittlich vor, ein Mädchen und ein Mann allein auf einem Spaziergang in vielleicht unbeobachteten Gebiet ...“

„Ein ... was?“ Er starrte sie einen Moment lang an. „Wieso unbeobachtet? Die Akademie ist ziemlich voll. Und was glaubst du denn, was ich dir antun würde? Glaubst du, ich will dir an die Wäsche?“

„Was solltet Ihr mit meiner Wäsche wollen?“ Maya blinzelte. Hatte er gerade wirklich gesagt, was sie dachte? Hatte er sie völlig offen darauf angesprochen, dass es ihre Vermutung war, dass er Unsittliches mit ihr vorhatte und er das bemerkte? Das war doch sehr direkt. „Nein, ich dachte ... es geziemt sich nicht.“

„Warum nicht? Was sollte daran falsch sein?“ Ihm stand völliges Unverständnis ins Gesicht geschrieben. „Außerdem: wen sollte es interessieren?“

„Es ... nun ... achten die Menschen hier nicht auf so etwas?“ In ihrem Dorf wäre es ein großes Gesprächsthema gewesen, wäre sie mit einem Adligen spazieren gegangen. Da wurden Liebesgeschichten, Affären, Vermutungen einer heimlichen Schwangerschaft gesponnen, da war der Phantasie praktisch keine Grenze gesetzt.

„Nein?“ Er sah sich dennoch um. „Bei mir hat sich zumindest noch nie jemand dafür interessiert, mit wem ich spazieren war. Nicht einmal, mit wem ich im Bett war.“

„Wie kann das sein?“ Ihre Lider weiteten sich. Nicht nur, was er da völlig frei ansprach, auch was er da sagte, das war ... wie konnte das sein? „Müsst ihr sie nicht heiraten?“

„Nein!“ Er wich einen halben Schritt von ihr. „Warum sollte ich?“

Musste sie ihm das wirklich erläutern? Hatte er denn keine Aufklärung erfahren? Sie brauchte mit etwas Überwindung hervor: „Nun, weil ihr ... wenn ihr ... sie könnte doch schwanger sein.“

„Hast du jemals was über Verhütung gehört?“ Er prustete kurz und schüttelte den Kopf. „Meine Güte, habt ihr Landleute eigentlich gar nichts da draußen?“

„Ist das eine Form von Abtreibung?“ Sie hatte davon gehört, von Hexen mit Mixturen, von Kräutern, von sehr blutigen Eingriffen, bei der Mädchen um Mädchen starb bei dem Versuch, nicht in Schande zu leben.

„Nein, das-“ Er sah sich um und sprach leiser. „Das ist ein Stück Schafsdarm, den man überzieht, sodass kein Sperma in die Frau gelangt. Dann wird sie auch gar nicht erst schwanger. Völlig ungefährlich, nur ein bisschen teuer.“

Also keine fragwürdige Mixtur. Schafsdarm war etwas ihr sehr Bekanntes. Ein sehr reißfester Darm, gut für Salami oder Räucherwürste. Gut zugebunden hielt er einigem Druck stand. Sie wusste zwar nicht ganz, was eigentlich genau in einem Bett zwischen Mann und Frau passierte und wofür ein Schafsdarm dabei gut sein sollte, aber wenn das eine Frau vor einer Schwangerschaft schützte, war das etwas Wichtiges.

„Und wenn sie trotzdem schwanger wird?“, fragte sie vorsichtshalber nach.

„Das ... das ist kein schönes Thema. Erzähl mir lieber etwas über dich.“

„Mich?“ Sie sah suchend an sich herab. Was gab es da schon zu erzählen? Doch konnte sie sich gleichzeitig nicht des etwas schadenfreudigen Gedankens erwehren, dass alles nicht ganz so einfach schien, wie er ihr beteuert hatte – das war ein wenig subtiles Ablenkungsmanöver gewesen. „Ich stamme aus Kalduka, einem Dorf nördlich von Darkesch. Ich bin die Jüngste von Vieren, meine beiden Schwestern sind verheiratet und mein Bruder ist Soldat.“

„Ist der auch verheiratet?“, fragte Daren nach einem Moment des Schweigens.

„Nein.“ Sie zog unwohlig die Schultern zusammen, doch sprach nach einem Moment weiter. „Ein Mädchen hat mal behauptet, von ihm schwanger zu sein, aber da war er schon nicht mehr da und sie hatte eine Fehlgeburt ... keiner hat das Thema Hochzeit danach aufgebracht.“

„Was ist aus ihr geworden?“ In seiner Stimme lag ehrliches Interesse.

„Sie ist nach Darkesch gegangen und hat dort geheiratet. Sie ist im Dorf nicht mehr willkommen.“ Maya sah vorsichtig auf. „Bei uns wird keine Frau mit einem unehelichen Kind geduldet. Auch, wenn das Kind tot ist.“

„Das ist harsch.“ Darens Augenbrauen hatten sich etwas zusammen gezogen. „Nun, bei uns Adligen ist das nicht anders, aber die Stadtfrauen nehmen das nicht so genau. Mich überrascht, wie ähnlich sich unsere Kultur zu sein scheint.“

„Es sind beides kleine Welten.“ Sie zuckte mit den Schultern. Hatte sie es doch gewusst! Die Stadtmädchen würden sich nicht die Mäuler zerreißen, aber jeder aus Adelskreisen schon. Erstaunlich, dass er trotzdem so ruhig neben ihr her ging. Dachte er, dass niemand sie wahrnehmen würde? „Welche Vorlesung besucht Ihr heute?“

„Eine Podiumsdiskussion zu Orain. Ich studiere Politikwissenschaften.“ Er studierte sie kurz. „Wenn euer Bruder Soldat ist, kämpft er gerade dort?“

„Sein letzter Brief besagte, dass die Truppen dorthin ausrücken.“ Sie nickte. „Wisst Ihr etwas Genaues über die Lage in Orain?“

„Es scheint wohl Probleme mit Landstreichern zu geben, die Gehöfte überfallen.“ Er schnaubte. „Ein paar verarmte Bauern, sonst nichts.“

„Nun, das wird die Armee bestimmt schnell schlichten.“ Maya sah lächelnd auf. „Die Akademie ist wirklich schön. Wisst ihr, wann sie erbaut wurde?“

„Vor zweihundertdreiundachtzig Jahren. Bauleiter war Elhandrio, ein elfischer Professor. Er leitet schon seit mehr als zweihundert Jahren die Vorlesungen über elfische Kultur. Vermutlich wird er einer deiner wichtigsten Professoren.“

„Professor Elhandrio.“ Maya öffnete ihren guten Lederranzen und zog ein Blatt hervor. „Ich habe heute um elf eine Vorlesung bei ihm.“

„Er soll gar nicht so schlecht sein.“ Daren lehnte sich näher, um über ihre Schulter zu sehen und sprach mit gesenkter Stimme nah an ihrem Ohr. „Ich hatte auch mal eine Vorlesung bei ihm. Ich fand ihn wirklich gut.“

„Na, dann freue ich mich darauf.“ Sie machte einen Halbschritt zur Seite und packte den Zettel wieder ein. Warum kam er ihr andauernd so nah? „Vorher gibt unser Studiendekan noch eine Einführung. Ich muss mich beeilen.“

„Nun, dann ... sehe ich dich zum Essen? Die Vorlesung endet um ein Uhr, richtig?“

„Ich denke schon.“ Sie lächelte und nickte. In einer Mensa mit jemandem zu essen, sollte nicht allzu auffällig sein, oder? Auch, wenn er ihr teilweise zu nah trat, war er doch kein unangenehmer Mensch. Sie musste ihm ja eingestehen, dass er schon unverschämt gut aussah mit dem charismatischen Lächeln, wenn es denn seine Augen erreichte. „Ich wünsche Euch einen schönen Vormittag, Daren Odessaro.“

„Gehabt Euch wohl, Fräulein Karmyn.“
 

„Das ist echt eine harte Nuss.“ Daren verschränkte die Arme.

„Maya? Ich finde sie ganz süß.“ Alden lehnte sich neben ihm gegen eine Balustrade, die einen der Balkone begrenzte, von der man auf die Stadt hinab sehen konnte. „Wollen wir das mit der Wette beilegen? Sie ist nicht der Typ, um sie ins Bett zu zerren.“

„Hast du neuerdings Skrupel?“ Der Ältere schüttelte den Kopf. „Dass sie nicht der Typ dafür ist, macht es doch nur spannender. Das ist wenigstens mal eine Herausforderung.“

„Ja, aber ich fühle mich nicht gut dabei. Ihr würde das schrecklich viel bedeuten, glaube ich. Wir brechen ihr das Herz.“ Der junge Mann neben ihm verzog das Gesicht.

„Oh, das arme kleine Kuhmädchen.“ Daren schnaubte. „Weichei. Willst du aufgeben?“

„Nein!“ Alden fuhr auf. „Ich meine nur ... ach was soll's, ich gewinne doch eh. Du bist viel zu wenig sensibel für so ein Mädchen wie sie.“

„Ich habe heute ein Date mit ihr.“ Der andere grinste.

„Ich hatte gestern eins.“ Der Schwarzhaarige schnippte ihm gegen die Nase. „Und jetzt gehe ich mit ihr in die Vorlesung. Das holst du nicht mehr auf.“

„Glaubst du.“ Das Grinsen, das soeben erfolgreich vertrieben worden war, kehrte zurück. „Vielleicht mag sie dich mehr, aber sie endet trotzdem in meinem Bett.“

„Eingebildeter Gockel.“ Alden schüttelte den Kopf und wandte sich ab. „Bis später!“
 

Mayas Kinn befand sich gefühlt auf dem Boden.

Ein Elf. Ein echter Elf! Sie hatte nur Bilder von anderem Völkern in ihren Schulbüchern gehabt und irgendwie hatte sie immer erwartet, dass Elfen kaum größer als Halblinge, Gnome oder Goblins waren. Sie hatte hübsche Kreaturen in der Größe von Kindern erwartet.

Was – oder eher wer – da hinten hinter dem Podium stand, war ein Riese. Ein sicherlich zwei Meter großer männlicher Elf mit Ohren, die aus seinem weißblonden Haar hervor stachen und bis über seinen Kopf reichten. Sie konnte ihn nicht perfekt erkennen, aber er hatte hohe, scharfe Wangenknochen, die direkt in diese langen Ohren überzugehen schienen. Auch seine Augenlider zogen scharf nach hinten, sodass seine Augen wie die von Katzen wirkten. Er wirkte schmal, aber nicht dünn. Sie konnte nicht sagen, wie er diesen Eindruck erzeugte, aber er schien stark wie ein Bauer mit breitem Kreuz, ohne dass man Breite sehen konnte. Seine Statur hatte eine natürliche Erhabenheit, der die Bilder ihrer Schulbücher nie gerecht geworden waren.

„Er ist so ... schön“, hauchte sie ehrfürchtig.

„Was? Auf so was stehst du?“ Alden sah sie mit geweiteten Lidern an. „Der Kerl ist über sechshundert Jahre alt.“

„Macht doch nichts, er ist ewig jung.“ Sie lehnte sich etwas vor, auch wenn sie ihn dadurch nicht besser erkennen konnte. „Außerdem sage ich nur, dass ich ihn schön finde. Nicht, dass ich ... an irgendwelche unsittlichen Dinge denke.“

„Nenne mich altmodisch, aber ich möchte nicht auf solche Weise über irgendwelche anderen Völker als Menschen nachdenken.“ Ihr Sitznachbar schüttelte noch immer leicht den Kopf. „Elfen sind ja irgendwie ansehnlich, aber ... das ist wie als würde ich über Zentauren im Bett nachdenken. Das erfüllt mich mit Ekel.“

„Zentauren paaren sich in Betten?“ Maya sah erstaunt zur Seite. „Ich dachte, Zentauren leben in Wäldern oder in Ställen.“

„Das war metaphorisch gemeint.“ Alden verdrehte die Augen. „Jetzt gib Ruhe, ich möchte zuhören.“

Sie zuckte etwas zusammen, doch nickte und zog ihre Sachen hervor. Natürlich wollte sie auch zuhören. Aber sie hatte doch gar nicht mit der Diskussion angefangen ... nun ja, egal, er hatte ja recht, während einer Vorlesung hatte man nicht zu reden. Sie zückte ihren Füller und begann mitzuschreiben.
 

„Eine faszinierende Kultur“, schwärmte Maya schon wieder, „so rein und geregelt. Der Gedanke, dass alle ein intuitives Verständnis füreinander haben, eine Meinung teilen ... faszinierend.“

„Und barer Mist.“ Alden schüttelte den Kopf und störte sich nicht daran, dass er mit seiner wenig diplomatisch formulierten Meinung mitten in einer Traube Studenten stand, die sich durch den Ausgang zwängten. „Auf mich wirkt das eher, als würde man ihre Ewigkeit nutzen, um alle auf eine Linie zu diskutieren. Professor Elhandrio ist nicht freiwillig hier, weißt du das? Er wurde verstoßen, weil er die politische Ansicht seiner Mitelfen nicht teilt. Und jetzt steht er hier und predigt seit mehr als zwei Jahrhunderten, welch tolle Kultur und Politik Elfen haben.“

„Vielleicht bereut er seine jugendliche Meinung?“ Maya sprach leiser. Das hatte sie nicht gewusst. „Vielleicht hielt er das System früher für schlecht, aber hat über die Jahre etwas Besseres gelernt?“

„Wer einmal unglücklich ist, wird nicht plötzlich glücklich damit, nur weil er nicht mehr da ist. Er mag Heimweh haben, aber das heißt nicht, dass seine politische Meinung eine andere ist. Oder warum sollte er sonst immer noch im Exil leben? Seine Mitelfen wissen wahrscheinlich, wie es um sein Herz wirklich steht. Man kann andere selten lang über seinen inneren Glauben betrügen.“

„Hm ... vielleicht. Dafür verstehe ich noch zu wenig. Wahrscheinlich ist die Sache sehr viel komplizierter.“

Während sie sprachen, hatten sie die Kantine erreicht, die Alden ihr schon gestern gezeigt hatte. Jeden Tag ein Standardessen für wenig Geld, was Maya sehr schätzte – aber die Qualität erschien ihr unterirdisch. Alden hatte das bestätigt, aber ihr auch gleichzeitig erzählt, was Essen in Restaurants kostete. Demnach hatte Maya sich innerlich mit dem Gedanken an die Kantine abgefunden. Vielleicht würde sie ja Arbeit in einem Restaurant finden und dort essen können. Sie fragte sich nur, warum es nicht wie im Dorf Tavernen für einfache Menschen mit kleinem Lohn gab. So etwas schien hier eine Marktlücke.

Sie sah sich nur kurz nach Daren um, aber sah ihn nicht, sodass sie Alden folgte.

Die Welt des Adels

„Fräulein Karmyn!“, rief jemand sie aus etwas Entfernung.

Als sie sich umdrehte, sah sie Daren auf sie zu joggen und kurz vor ihr halten mit den Worten: „Wolltet Ihr mich versetzen?“

„Oh, entschuldigt, ich hatte Euch nicht gesehen in der Masse.“ Sie sah zu Alden. „Ihr seid einander bekannt, hörte ich?“

„Wohl oder übel.“ Er reichte Daren eine Hand und sie grinsten sich einen kurzen Moment an. „Was macht das Studium?“

„War spannend heute.“ Dieser wandte sich jedoch zu Maya und erzählte dieser von seinem Vormittag. „Das scheint ein weit größeres Problem zu sein, als wir dachten. Die paar Landstreicher sind eine ziemliche Horde. Sie fliehen vor den Meshtari, die Meshtari fliehen vor den Harpyen und die Harpyen scheinen vor irgendeinem Volk zu fliehen, dass aus der östlichen Wüste aus in die Waldregionen der Meshtari und von da aus in die Berge aufgemacht hat.“

„Weiß man schon, was für ein Volk das ist?“, fragte Maya interessiert, während sie sich in die Schlange der auf ihr Essen Wartenden eingereiht hatten.

„Nein, leider nicht. Oder vielleicht weiß man es, aber uns wird das nicht gesagt, wer weiß das schon.“ Daren zuckte mit den Schultern. „In der Zeitung stand ja gerade mal, dass Landstreicher durch Orain ziehen. Wo die Diskutierenden heute Ihre Informationen her hatten, ist mir ein Rätsel.“

„Wer war denn dabei?“, mischte sich Alden ins Gespräch ein.

Der Älteste nannte ein paar Namen, die dem anderen etwas zu sagen schienen, aber von denen Maya keine Ahnung hatte. Sie konnte nur sagen, dass keine weiteren Namen von Stadtteilen darin vorkamen.

„Hast du hier schon mal gegessen?“, fügte Daren seiner Ausführung an.

„Ja, gestern.“ Alden grinste. „Wir haben das hier mal ausprobiert.“

„Und?“ Der andere versuchte einen Blick zum Anfang der Schlange zu kriegen. „Wie schmeckt das?“

„Hast du in deinen zwei Jahren an der Akademie noch nie hier gegessen?“ Alden hob eine Augenbraue.

„Wieso sollte ich? Jesse meinte, das Essen sei gruselig.“

„Wer ist Jesse?“, fragte Maya nach.

„Sein Bruder. Und seit wann vertraust du auf das Urteil deines Bruders? Du hast dir noch nie etwas von ihm sagen lassen.“

„Das ist natürlicher Selbstschutz.“ Der Blonde sah zu Maya. „Kann man es essen?“

„Es ist den Mitteln angemessen.“ Sie lächelte unsicher.

„Die Götter stehen mir bei.“ Er warf die Hände in die Luft. „Warum stehen wir hier? Können wir nicht irgendetwas Ordentliches essen?“

Maya senkte nur den Kopf. Die Bücher hatten ein ordentliches Loch in ihre Finanzplanung gefressen. Sie würde bis zum Ende der Woche eine Arbeitsstelle gefunden haben müssen – und Lohn im Voraus.

„Du bist wie immer ein unsensibler Idiot.“ Alden legte einen Arm um ihre Schultern. „Uns schmeckt das hier, nicht?“

Sie lächelte vorsichtig, doch versuchte sich unauffällig unter dem Arm hinaus zu winden. So etwas war nicht stattlich. So eine beiläufige Geste gehörte nicht zwischen Mann und Frau. Als der Arm nicht abfiel, hielt sie jedoch inne. Warum gehörte das nicht zwischen Mann und Frau? Es gehörte zwischen Freunde. Sie hatte Männer so den Arm umeinander legen sehen, hatte Frauen sich so umschlingen sehen. Warum musste Mann und Frau immer etwas anderes sein? Warum konnten sie nicht einfach Mensch und Mensch sein und solch eine Geste wäre in Ordnung? Musste sie immer eine sexuelle Komponente haben, nur weil sie zwei Geschlechtern angehörten?

Daren seufzte bei ihrem Anblick und sah sich um, bevor er leise fragte: „Ist dir klar, wie viele Leute uns hier sehen?“

Aldens Arm fiel in einer fließenden Bewegung von ihr ab und sein Grinsen verschwand. Mehr noch, er entfernte sich um sicherlich einen halben Schritt. Der Ältere wandte sich zu ihr: „Nichts für ungut, aber keiner von uns kann Gerede vertragen. Über jeden Adligen werden gern irgendwelche kitschigen Liebesgeschichten mit Bürgerlichen gesponnen.“

„Das verstehe ich.“ Das konnte sie ohne jede Bitterkeit sagen. Es war nicht so, als hätte sie sich irgendwelche Träume mit einem dieser zwei an ihrer Seite ausgemalt. Das waren Adlige, in deren Welt hatte sie nichts zu suchen, das war ihr ab der ersten Begegnung mit Daren klar gewesen. Warum sonst sollte sie ihn immer noch siezen, während er sie durchgehend duzte? Eigentlich bestätigte er auch nur, was sie heute morgen erst gesagt hatte. Ein zu intimes Verhältnis war unsittlich. „Ich möchte auch keine Geschichten über mich verbreitet wissen. Ich habe eine gute Erziehung genossen.“

„Das haben wir bemerkt. Es ist angenehm, mit dir zu reden. Du beleidigst einen nicht mit jedem dritten Satz.“ Alden hatte seine Stimme gesenkt und sah sich um, als würden ihn die anwesenden Damen erschlagen, wenn sie das hören würden. Vielleicht war seine Angst berechtigt. Maya hatte bereits mehrere Mädchengruppen bemerkt, die sie unverhohlen anstarrten.

„Können wir einfach Freunde sein?“, fragte sie lächelnd.

„Freunde? Mann und Frau? Ein Adliger und eine Bürgerliche?“ Daren schnaubte. „Das wird dein Vater dir niemals glauben.“

Der Brünette wandte den Blick zu Boden.

„Warum redet ihr dann überhaupt mit mir?“, fragte Maya mit Zorn in der Stimme, der aus einem guten Schuss Enttäuschung erwuchs. Warum standen die zwei hier mit ihr, wenn keiner langfristig etwas mit ihr zu tun haben wollte? Da war sie so froh, sich so gut mit zwei Menschen zu verstehen, selbst wenn es Männer waren. Was sollte das plötzlich? Als hätte Daren eine Kehrtwende gemacht – heute morgen noch hatte er schamlos mit ihr über Beischlaf gesprochen.

„Alden, du gehörst hier nicht hin.“ Dieser schien sie völlig zu ignorieren.

„Halt den Rand.“ Der Jüngere hob den Blick wieder, die Lider verengt, der Mund nur ein Strich, wenn er nicht gerade sprach. „In der ganzen Adelsklasse in dieser Stadt gibt es vier Adlige an dieser Akademie. Emilienne kann keiner ausstehen und Iswan ist langweilig. Was hast du denn die letzten zwei Jahre hier gemacht? Jeden anderen ignoriert?“

„Ja.“ Daren zog Alden aus der Schlange heraus und dieser ließ sich ein paar Meter mitziehen, bevor er bockig stehen blieb. „Ja, ich habe hier jeden anderen ignoriert. Ich bin auf ein paar Partys gegangen, habe ein paar Mädchen verführt, mit ein paar Jungen gescherzt, aber ich habe mich ganz sicher mit niemandem hier angefreundet. Deine Rolle hier ist von Erhabenheit geprägt. Du kannst mit Leuten reden, aber nicht zu lange, nicht zu oft und erst recht nicht auf langfristiger Basis.“

„Das ist doch völliger Mist!“, wetterte Alden.

Maya war ihnen einfach gefolgt, etwas perplex über den plötzlichen Wortwechsel.

„Hüte deine Zunge, Alden Medinro und entsinne dich deines Standes.“ Daren bohrte einen Finger in des anderen Brust. „Bürgerliche sind Mitbürger, sie sind Verhandlungspartner oder Angestellte, aber keine Freunde, keine Gleichberechtigten. Du kannst für so etwas deinen Stand verlieren.“

Der Angesprochene seufzte tief und schien etwas in sich zusammen zu sacken. Anscheinend schien er unter dem Strich doch zuzustimmen. Auch Maya senkte den Blick, da sie wusste, was das für sie bedeutete. Das zum Ende ihrer ersten zwei eigenen Bekanntschaften ... gerade wäre ihr eine Umarmung ihrer Mutter sehr recht. Sie mochte es nicht so genau beschrieben haben, aber davor hatte sie sie gewarnt, da war Maya sich sicher.

„Halt mal.“ Alden sah auf. „Angestellte. Maya, sagtest du nicht, du suchst Arbeit? Kochen, putzen und so etwas?“

„Ja?“ Sie sah vorsichtig auf.

„Magst du meine Haushälterin werden? Niemand kann was dagegen sagen, dass ich mit meiner Haushälterin rede.“

Daren verdrehte die Augen, seufzte, doch sah zu ihr. Beide sahen zu ihr. War das ein ernst gemeinter Vorschlag? Haushälterin für ihren Mitstudenten? Er schien Geld wie Heu zu haben, wenn man mal bedachte, dass er jeden Tag mehrfach in Restaurants ging, aber der Gedanke ... nun ja, zumindest wäre es Arbeit. Sie könnte sie machen, bis sie beide einander überdrüssig wurden. Und es wäre schon schön, weiter mit Alden reden zu können. Er war ein sympathischer Mensch, ganz ab von der Betrachtung, dass er ein attraktiver Mann war.

„Welche Arbeiten gibt es denn zu tun? Wie viele Stunden sind das? Was verdiene ich dabei? Ich möchte wirklich arbeiten, nicht nur zum Schein, aber ich muss mich auch ernähren können.“

„Komm doch nach der Vorlesung mit mir.“ Alden lächelte. „Ich zeige dir meine Wohnung und was es da so gibt und wir besprechen das.“

„Das zum nächsten Kasinobesuch.“, murmelte Daren in die andere Richtung.
 

Aldens Wohnung war ... gewöhnungsbedürftig. Es war nicht schrecklich schmutzig, nicht wirklich unaufgeräumt, nicht gänzlich ungespült, aber das lag vermutlich daran, dass er erst seit einer Woche hier wohnte. Warum er überhaupt hier wohnte und nicht bei seinen Eltern, die Frage wagte sie nicht zu stellen. Was sollte dieser allein völlig lebensunfähige Mann in einer eigenen Wohnung, wenn seine Eltern nur einen Steinwurf entfernt wohnten? Ein Mann lebte bei seiner Mutter, bis er heiratete und wurde dann von seiner Frau versorgt, bis entweder er oder sie starb. Selbst dann versorgte ihn seine Tochter.

Etwas anderes hatte sie noch nie erlebt. Was ein Mann also ganz allein in einer Wohnung sollte, das verstand sie wahrlich nicht. Männer waren schlichtweg nicht in der Lage, sich um sich selbst zu kümmern, darum hatten sie doch Frauen. Aber gut, wenn man eine Frau bezahlen konnte, war das wohl auch ein Weg. Schließlich hatte er das Geld, um sich jemanden zu leisten, der wusch, aufräumte, spülte und kochte. Denn genau das würde er alles brauchen, er konnte nichts davon selbst.

Sie begann ihre Arbeit noch am selben Tag und erstellte eine Liste mit Einkäufen für den nächsten. Nicht nur für ihn, auch für sich selbst. Er hatte ihr erlaubt, etwas Platz in der Küche für sich zu nehmen. Wenn sie schon Frühstück und Abendessen machen würde, wäre es nur sinnvoll, es für sie beide zu machen. Jetzt musste sie nur noch einen Markt entdecken, dann wäre sie erst einmal versorgt. Alden hatte sogar eine Wanne, in der sie waschen könnte. Mit dem fließend warmen Wasser wäre das ein Kinderspiel. Die Stadt hatte schon ganz erstaunliche Annehmlichkeiten.

Nach einer halben Stunde aufräumen verabschiedete sie sich vorerst, da sie keinerlei Putzlappen zur Hand hatte. Ihr neuer Arbeitgeber lächelte und winkte ihr, bis sie die Treppe hinab ging. Das schien doch ein angenehmes Arbeitsverhältnis zu werden. Ihre Mutter wäre bestimmt stolz auf sie, was sie für eine tolle erste Anstellung gefunden hatte.
 

Maya stand vor einer geschlossenen Tür. Das war zugegebenermaßen das erste mal in ihrem Leben. Die Türen im Dorf konnte man zwar schließen, aber nicht abschließen. Dort wurden Türen respektiert. Hier in der Stadt, wo keiner den anderen kannte, war es wohl ganz normal, dass man diese abschloss. Trotzdem irritierte es sie. Mehr noch, wenn sie auf der anderen Seite der Tür zu sein hatte und nicht hindurch kam.

Das an ihrem ersten Arbeitstag! Hatte Alden vergessen, dass sie kommen würde? War er ausgegangen? Sie klopfte noch einmal und drückte ihr Ohr gegen die Tür. Auf der anderen Seite konnte sie Geräusche hören, aber sie war nicht ganz sicher, was. Sie erloschen auch wieder. Sie klopfte noch einmal und diesmal war etwas wie „Ja, ja, verdammt.“ zu vernehmen.

Hatte Alden etwa geschlafen? Es war sieben Uhr morgens! Welcher Mensch schlief denn um diese Zeit? Wenige Momente später wurde die Tür von Alden geöffnet – gekleidet in einer Bettdecke. Halb bekleidet. Sie wandte den Blick ab, um nicht versehentlich seine Scham zu sehen.

„Maya? Wie spät ist es?“, murmelte er schlaftrunken.

„Es ist sieben Uhr.“

„Wir haben erst um neun Vorlesung, oder?“ Er rieb sich die Augen. „Hätte in einer Stunde nicht auch gereicht?“

„Das Frühstück ist die wichtigste Mahlzeit des Tages, sie gehört gut vorbereitet und sollte keinesfalls hastig eingenommen werden.“ Außerdem hatte sie niemals erwartet, dass ein Mensch um diese Uhrzeit noch schlief. „Ich weiß noch nicht, wo alles in deiner Küche steht. Oder wie lang du für deine Morgentoilette benötigst.“

„Wie bitte?“ Er starrte sie an. Das Starren spürte sie, selbst ohne hinzusehen.

„Um dich fertig für den Tag zu machen“, spezifizierte sie. Vielleicht gab es das Wort Morgentoilette hier nicht?

„Äh ... ja. Komm rein.“ Er trat nach hinten und gab ihr so den Weg frei. „Ich geh dann mal ... zur Morgentoilette ... das Wort ist ziemlich missverständlich, findest du nicht?“

„Wieso?“ Ganz unbewusst wandte sie ihm den Blick zu, doch senkte ihn natürlich sofort. Er war immer noch nicht wieder bekleidet. Er hatte ja nicht einmal Haare auf der Brust! Wie konnte ein Mann so nackt sein? Ihr Bruder und ihr Vater hatten Haare, das wusste sie, die hatte sie ein paar mal betrachtet.

„Egal. Bis gleich.“ Er schüttelte den Kopf und ging Richtung Bad.

Sie nahm ihre Einkäufe vom Markt, welcher mit wenigen Nachfragen bei Einheimischen nicht schwer zu finden war, und begann mit der Zubereitung einiger einfacher Speisen in der Küche. Sie wusste ja nicht einmal, was Alden mochte. Also hatte sie einfach die Dinge genommen, die sie selbst mochte. Nebst ein paar exotischer Sachen, denen sie nicht widerstehen konnte. Alden hatte ihr genug Geld gegeben, um die ganze Woche davon einkaufen zu können. Sie würde nach und nach alles ausprobieren, was in der Stadt geboten wurde.

Es war nicht einmal schwer, wenn man einfach in eine Schwebebahn steigen konnte, die einen den ganzen Berg hoch fuhr. Sie hatte nicht die geringste Ahnung, wie dieses Transportmittel funktionierte, aber es war fabelhaft. Auch das fließende Wasser jeden Morgen war ein Genuss. Wenn es so etwas wie die Kühlkammern, die sie im Dorf in die Erde gruben, hier auch geben würde, wäre das noch besser, dann könnte man Lebensmittel etwas aufbewahren. Aber hier gab es Häuser mit vielen Etagen, die größtenteils weit über der Erde lagen. Ihr würde wohl nichts anderes übrig bleiben als jeden morgen den Markt aufzusuchen. Hoffentlich würde der in Lake eingelegte Fisch heute Abend noch genau so gut sein.

Oder gab es in Städten vielleicht sogar einen Abendmarkt? Den ganzen Tag einkaufen zu können, das wäre wahrer Luxus ... aber gar nicht so unvorstellbar in dieser Stadt. Bestimmt würde der Fischmarkt und der Fleischmarkt abends geschlossen haben, aber Gemüse und Obst konnte man über Tag lagern. Andererseits, die könnte sie auch hier lagern. Wirklich wichtig waren ja gerade Fisch und Fleisch, deren Lagerung so schwierig war. Sie schnitt ein Stück der Salami und probierte diese. Ein Lächeln breitete sich auf ihren Lippen aus. So gut ... voller Gewürze. Die Gewürze waren so oft knapp in ihrem Dorf, aber heute hatte sie mehr Gewürzhändler gesehen als ihre Hände zählen konnten. Pfeffer, Koriander, selbst Safran gab es zu kaufen. Einmal mit Safran kochen, das wäre ein Traum ... vielleicht ein erreichbarer Traum, wenn sie daran dachte, mit welcher Leichtigkeit Alden sein Geld ausgab. Vielleicht sollte sie sich der Köchin seines Elternhauses vorstellen lassen, um dort zu lernen.

Was sie alles tun könnte! Aber zuerst einmal brauchte sie Kleider. In ihren zwei guten Kleidern konnte sie weder putzen noch kochen. Beim Zubereiten des Rühreis schlang sie einen Bettbezug des Hauses um sich, da sie keine Schürze hatte. Ein Arbeitskleid für das Putzen und eine Schürze, die waren zuerst an der Reihe. Dann ein modisches Kleid für die Universität und wenn dann noch etwas vom Lohn übrig war, könnte sie sich nach Schuhen umsehen. So schöne Schuhe wie die Mädchen hier trugen, mit Riemchen und Absätzen ... das wäre ein Traum. Vielleicht würde sie dann auch Freundinnen finden.

Lächelnd summte sie und deckte den Tisch.

Neue Einblicke

„Wow.“ Alden stand staunend vor dem gedeckten Tisch. „Das sieht ja fast so aus wie zuhause.“

Maya lächelte. Sie würde definitiv bei der Köchin in die Lehre gehen, wenn sie ein paar Stunden Zeit hatte. Mit dieser riesigen Auswahl an Lebensmitteln gab es fraglos spannende Gerichte, die sie nicht kannte.

„Fehlt eigentlich nur das Gebäck ... kannst du auch backen?“, fragte er und griff nach dem Brot, das sie von einem Bäcker hatte, und dem Wurstteller.

„Dafür bräuchte ich einen Ofen.“ Sie warf einen Blick in die Küche. „Man könnte einen neben das Fenster bauen mit einem Abzug nach draußen. Aber dafür müsste man die Wand durchbrechen.“

„Ich kann ja mal den Vermieter fragen.“

„Wer ist der Vermieter?“ Bestimmt ein Zenataro, Besitzer des Viertels. Langsam verstand sie das System.

„Mein Onkel mütterlicherseits, Brahil Zenataro.“

Hatte sie doch recht gehabt. Und natürlich waren die Adligen auch alle verwandt. Bei fünf Adelsfamilien in der Stadt musste man wohl recht viel untereinander heiraten. Ob das Probleme gab? Alden sah eigentlich ganz gesund aus.

Im Dorf wusste man schon lange, dass man hin und wieder jemanden von außerhalb heiraten musste, sonst häuften sich die behinderten Kinder. Früher hatte sie immer geglaubt, sie würde irgendwann einen ihrer Cousins heiraten, doch als sie ihre Mutter gefragt hatte, meinte diese, sie sei schlau, also solle sie sich besser auf der Akademie einen Mann suchen.

Einen, mit dem ihre Eltern zufrieden wären. Darunter konnte sie sich nicht wirklich jemanden vorstellen. Die Männer ihrer Schwestern waren junge Männer aus dem Dorf, einer ein Bauer, der andere ein Soldat wie ihr Bruder. Er war der Grund gewesen, warum dieser überhaupt zur Armee gegangen war. Er hatte Geschichten aus fernen Landstrichen und Völkern erzählt, über die sie nur in Schulbüchern gelesen hatte und ebenso wie sie war ihr Bruder versessen darauf, etwas anderes als ihr kleines Dorf zu sehen. Nur hatte dieser nicht die Noten gehabt, um durch etwas anderes als das Militär in die Welt zu kommen.

Wahrscheinlich waren die Geschichten ihres Schwagers ein Grund gewesen, warum sie dieses Studium gewählt hatte. Die Faszination an Dingen, die Welten entfernt schienen. Davon hatte sie wahrlich eine Menge. Dieser Leidenschaft nachgehen zu können, das war ... es war ein Traum, der sich nun erfüllte.

Ein Traum wie die sternförmige Frucht, die auf ihrem Teller lag. Beim ersten Biss verzog sie das Gesicht, der zweite ließ sie erzittern und doch war es interessant. Sie sollte die Frucht mit Fisch kochen, sie war ähnlich wie eine Zitrone. Sie probierte ein Stück Ei mit einem Gewürz, von dem der Händler gesagt hatte, sie solle es an Fleisch ausprobieren. Sie sah sofort, was er meinte. Rind oder Schwein, daran würde es passen.

„Du siehst glücklich aus“, bemerkte Alden, der ihr zusah, während er Rührei auf seinem Brot verteilte.

„Es gibt so viele Dinge zum Ausprobieren“, erklärte sie mit einem glücklichen Lächeln und zeigte auf die sternförmige Frucht, „so etwas habe ich noch nie gesehen. Ich werde schrecklich viele neue Dinge kochen können.“

„Die Frucht habe ich bisher nur als Limonade gesehen. Unsere Köchin hat es mit ein paar anderen Sachen aufgekocht, abkühlen lassen und im Sommer mit Eis serviert.“

„Eis?“, fragte Maya nach. Sie hatte über Eis in der Schule gelernt. Es kam auf den Bergspitzen vor und wurde durch Wärme zu Wasser.

„Oh, das kann ich erklären!“ Alden lehnte sich grinsend vor. „Die Elfen bauen es auf den Bergen ab und packen es in Behältnisse, in denen es irgendwie kalt bleibt. Keiner außer den Elfen weiß genau wie die funktionieren, genau wie mit unserer Schwebebahn. Die haben Elfen gebaut und keiner weiß, wie die funktioniert.“

Nun, dann war sie zumindest nicht die einzige. Sie hatte schon gedacht, dass jeder hier all diese Dinge verstand, nur sie nicht. Sie probierte ein weiteres Gewürz, musste dabei jedoch feststellen, dass sie ganz klar zu viel auf das Ei gestreut hatte. Sie versuchte es mit einer kleineren Portion, konnte aber trotzdem nicht ganz einordnen, wo sich dieses Gewürz wohl am besten machen würde. Der Händler hatte gesagt, es sei für alle herzhaften Speisen geeignet ... vielleicht sollte sie es an Kartoffeln ausprobieren.

„Willst du all diese Gewürze ausprobieren?“ Er sah ihr noch immer fasziniert zu, da sie natürlich für jedes Gewürz erneut den Mörtel benutzte. Und sie hatte fünf kleine Säckchen vor sich stehen.

„Im Dorf benutzen wir eine handvoll ... Pfeffer, Chili, Salz, Paprika und ein paar Kräuter, das war es schon. Und ein paar davon sind so teuer, dass wir sie nur selten verwenden. Salz und Fisch, das kommt bei uns von weit weg. Hier war das alles viel günstiger, aber dafür gibt es auch eine Auswahl, die mir völlig fremd ist. Aber ich will das unbedingt lernen. Wie sonst soll ich dir täglich etwas Leckeres kochen?“

„Bitte nicht, indem du Selbstvergiftungsversuche unternimmst.“ Er hob beide Augenbrauen. „Kann man das nicht anders lernen?“

„Ich würde gern bei der Köchin deiner Eltern in die Lehre gehen. Vielleicht kann ich ihr zusehen, während sie bei ihnen kocht und dir danach etwas machen?“

„Melin ist aber ziemlich bösartig. Sie schreit viel. Von all unseren Angestellten macht sie mir am meisten Angst“, gab Alden völlig frei zu.

„Kannst du mich ihr vorstellen?“, fragte Maya, deren Lächeln nicht im Ansatz geschwunden war.

„Klar.“ Er trank die Milch, für die sie heute morgen eine Kanne gekauft hatte. Sie sollte sie abends mitnehmen, sonst müsste sie morgens erst hierher, bevor sie den Markt besuchen konnte. „Wir haben bis drei Vorlesung, dann können wir meinetwegen hin. Melin ist eh am besten drauf, wenn sie Kuchenteig anrührt.“

Trotzdem probierte Maya auch noch die anderen drei Gewürze. Bei einem kam Alden um den Tisch herum und stellte ihr Fragen dazu – sie konnte zwar auch nur wiederholen, was der Händler gesagt hatte, aber er schien ein echtes Interesse zu entwickeln. Allerdings verzog er beim Probieren das Gesicht, auch wenn es gar nicht so schlimm war. Weitere wollte er nicht mehr anrühren, aber sie schätzte den Versuch.

Ein Mann, der sich für die Interessen einer Frau auch nur im Ansatz begeistern konnte, war etwas, was sie in ihrer Kindheit zuletzt gesehen hatte. Ein kleiner Junge hatte einmal mit ihrer Puppe spielen wollen – das Gelächter, dem er dafür ausgesetzt war, hatte ihn nie wieder fragen lassen. Je älter Jungen wurden, desto eher drehten sie sich ab, sobald sich ein Gespräch einem „Frauenthema“ oder einer „Frauenbeschäftigung“ näherte. Alden schien davon unbeeindruckt. Er erzählte ihr ganz frei, dass er als Kind oft in der Küche gewesen war, um Melin zuzusehen. Damals sei ihre schlechte Laune wohl noch nicht so durchschlagend gewesen.

Der ganze Weg zur Akademie wurde von solchen Themen belebt und sie tauschten Kindheitserinnerungen, die den anderen stets lachen ließen. Ihrer beider Leben war stets von Freude erfüllt gewesen und beide trugen das Lachen ihrer Kindheit im Herzen.

Die Vorlesungen fühlten sich schon fast ablenkend an.
 

„Was ist?“, fragte Alden ein paar Tage später, als Maya sehnsüchtig ein paar Mädchen hinterher sah.

„Nichts, schon gut.“ Sie wandte sich ab und holte auf. „Ich freue mich darauf, wenn ich das neue Kleid fertig habe. Ich mache mir ein blaues im Stil der Mädchen hier.“

„Wird dir bestimmt stehen.“ Er sah auch zu ein paar Mädchen, betrachtete Maya wieder. „Willst du dich auch auf solch hohen Schuhen quälen?“

„Sie sind hübsch!“ Sie lächelte ihm zu. „Vielleicht ein kleiner Absatz?“

„Ich verstehe euch Frauen nicht.“ Er schüttelte den Kopf. „Dein Kleid ist doch hübsch. Was ist denn der Unterschied zwischen diesem Schnitt und dem da? Die zeigen mehr Bein und Brust, das war es doch.“

„Sie wirken viel eleganter“, erklärte Maya, „sie gehen nicht, sie schreiten. Sie tragen Kleider, die nicht zum Arbeiten sondern zum Ausgehen sind. Ich trage ein Arbeitskleid mit hübschem Muster.“

„Wie du meinst.“ Er warf seine Tasche über seine Schulter und trug sie so lässig in einer Hand. „Schaffst du neben der Arbeit, dem Nähen und deinem Kochunterricht noch deine Hausarbeit?“

„Im Wohnheim muss ich nicht viel verrichten.“ Maya legte den Kopf zur Seite. Das meinte er doch, oder? Oder die Hausarbeit bei ihm?

„Ich meine den Aufsatz über elfische Bräuche.“ Er blieb stehen und drehte sich zu ihr. „Der Aufsatz, den wir Montag einreichen müssen?“

„Ach den.“ Sie nickte. „Den habe ich fertig. Aber sag mal, gibt es dort wirklich keine Rollenteilung? Mann und Frau machen genau dasselbe? Es gibt nichts geschlechtertypisches?“

„Frauen werden schwanger, Männer spenden den Samen. Ich denke, das dürfte der einzige Unterschied sein.“ Alden zuckte den Schultern. „Ich kann mir das auch nicht ganz vorstellen. Ich hätte ja gedacht, dass einer eine mehr weibliche, einer eine mehr männliche Rolle einnimmt. Aber es wird wohl alles im Einklang miteinander verrichtet.“

„Beide putzen? Beide kochen? Beide arbeiten?“ Maya schüttelte langsam den Kopf. „Wie erziehen sie die Kinder, wenn beide arbeiten?“

„Kinder sind so selten, es nehmen sich beide frei. Sie gehen erst wieder arbeiten, wenn das Kind groß genug ist, die Zeit allein mit anderen Kindern zu verbringen.“

„Das muss ein schönes Leben sein.“ Maya sah zum Himmel auf. „Aber ich glaube, ich hätte Angst, meine Weiblichkeit zu verlieren. Was ist denn eine Frau noch, wenn sie genau wie ein Mann ist? Wo ist denn da noch der Unterschied? Da könnten auch alle Männer sein. Oder alle Frauen. Dann bräuchte man nur Samenzellen, ansonsten wären Männer überflüssig.“

„Wusstest du, dass einer der Gründe, warum sie Leadar zum König erhoben haben, ist, dass er männlich ist? Weil die meisten anderen Kulturen einen Mann in einer Führungsposition erwarten?“

„König Leadar wurde gewählt?“ Maya wich erschrocken zurück.

„Eher gezwungen. Die anderen Völker wollten einen Repräsentanten, der für die Gesamtheit der Elfen spricht und sie haben entschieden, einen möglichst durchschnittlichen, männlichen Elf zu ihrem König zu machen, damit sie jemanden in einer Führungsposition haben. Dabei hat er überhaupt nichts zu führen. Seine Entscheidungen sind bindend, aber jede Entscheidung entspricht sowieso dem Konsens der Elfen.“

„Das ist irgendwie ... das entspricht nicht ganz dem Bild, das ich von einem König habe.“ Maya hob amüsiert die Mundwinkel. „Er ist mehr ein Sprachrohr oder ein Vermittler.“

„Aber dafür hat er einen Palast.“ Alden grinste. „Ich würde den Job annehmen.“

„Hat er den dann nicht auch nur, weil andere Völker das erwarten?“ Maya schüttelte den Kopf. „Das wirkt falsch auf mich.“

„Elfen sind halt eine ganz eigene Gesellschaft. Darum studieren wir schließlich. Jedes Volk dieser Welt unterscheidet sich in seinen Grundsätzen von unserem. Alle haben ganz eigene Strukturen, ganz eigene Werte und Normen.“

„Ich würde das Konzept von Mann und Frau nicht aufgeben wollen. Vielleicht wäre es anders, wenn ich ohne aufgewachsen wäre. Aber sich plötzlich umstellen, eine ganz neue Rolle im Leben bekommen ... nein, es ist leichter so, wie es ist. Ich bin gern eine Frau.“

„Wirklich?“ Alden blieb stehen und musterte sie vorsichtig. „Heiraten, Kinder kriegen und zuhause bleiben? Ist das dein Traum des Lebens? Wozu studierst du dann? Man merkt, du interessierst dich richtig. Du bist nicht wie die anderen Mädchen hier. Die wurden von ihren Eltern hin geschickt, um einen studierten Mann zu heiraten. Du bist nicht so.“

„Ich soll auch einen Mann hier suchen.“ Trotzdem stockte sie. Das hatte ihre Mutter gewollt. Sie sollte einen studierten Mann finden und den dann heiraten. Sie wollte das auch. Aber sie wollte dann auch Lehrerin werden. Sie wollte auch in ihrer Ehe arbeiten. Sie wollte nicht nur Mutter und Hausfrau sein. „Und einen Beruf erlernen. Ich würde gern das, was ich lerne, Kindern in der Schule lehren.“

Alden betrachtete sie noch einen längeren Moment und sagte schließlich: „Du wirst deinen Mann sehr glücklich machen.“

Maya ließ das stolz lächeln.

Abwege

Melin war streng, aber sie war fair. Sie war übellaunig und ließ das durchgehend an anderen aus, aber wirklich böse wurde sie nur, wenn man etwas falsch machte. Ein Mensch, der sich anstrengte, verdiente ihre Aufmerksamkeit. Das war ein Konzept, mit dem Maya gut leben konnte. Anstrengung machte ihr nichts, wenn sie für ein Thema brannte. Kochen war etwas, was sie mit Liebe tat. Gerade, dass es sehr viel zu erlernen gab, erfüllte sie mit unsäglicher Freude.

Alden war auch nicht zurückhaltend mit Lob. Eher war er so überschwänglich, dass sie hin und wieder errötete. Auch nahm er das mit dem Angestelltenverhältnis wenig genau, er wollte wohl wirklich einfach Zeit mit ihr verbringen. Sie fand sich immer öfter für Hausarbeiten in seiner Wohnung wieder. Er hatte eine recht üppig bestückte Bibliothek, da er nicht nur alle Kursbücher sondern auch Nachschlagewerke und andere grundlegende Schriften besaß.

Ein äußerst spannendes Werk, das sie am Anfang des Kurses erwartet hätte, handelte von der Entstehung der verschiedensten Rassen. In der Schule hatte sie etwas über eine Art magischen Urknall gelernt, bei der sich alle Rassen aus Menschen heraus entwickelt hatten. Das war vermutlich die Version, die die Menschen gern gehabt hätten. Die Wahrheit war, dass es einst Zwerge und eine menschenähnliche Rasse gab, die von den Zwergen ähnlich wie Sklaven gehalten wurde. Bei diesem magischen Urknall, bei dem ein Zwerg namens Udadrax zum ersten Gott der bekannten Welt wurde, kam es zu einer Entartung der Magie. Udadrax konnte die Zwerge vor den Auswirkungen schützen, aber die menschenähnliche Rasse und die Tiere mutierten. Heraus kamen Menschen, Elfen, Halblinge, Schelme, Riesen und mehrere Kreuzrassen der menschenähnlichen Rasse und Tieren. Dass Udadrax Kontrolle über die Magie erlangte und die wilde Magie somit in den magischen Kern zurückzog, löste eine verzerrte Mutationswelle hervor. Statt Weiterentwicklungen auszulösen kam es zur Ausbildung so genannter seelisch verkrüppelter Rassen, Zitat des Autors. Es entstanden Dunkelelfen, Orcs, Goblins, Gnome und Trolle sowie weitere Mensch-Tier-Kombinationen. Erneut wurden nur die Zwerge vor Mutationen geschützt.

Der Autor fuhr fort mit genauen Beschreibungen aller Rassen, was Maya das Gefühl gab, mit dem Lesen eines Buches ihr halbes Studium absolviert zu haben. Sie wagte es sogar, mit dem Buch zu Professor Elhandrio zu gehen und zu fragen, warum es nicht auf der Empfehlungsliste stand. Dieser sah sie nur erstaunt an – so sehr, wie ein über sechshundert Jahre alter Elf eben wirken konnte, was nicht ausdrucksstark war – und fragte, ob sie das Buch nicht bereits in der Schule gelesen hätte.

Sie hatte beschämt den Kopf gesenkt und sich vorgenommen, ab jetzt immer erst Alden zu fragen. Ein Schulbuch ... die Stadt hatte wohl höhere Ansprüche an ihre Schüler. Möglicherweise waren alle Bücher in Aldens Bibliothek Schulbücher und sie war die einzige, die solch grundlegende Dinge nicht wusste. Es gab ihr den Ansporn, absolut jedes Buch bei ihm zu lesen, sodass er ihr nach nur anderthalb Wochen einen Schlüssel zu seiner Wohnung überreichte. Er meinte, so eifrig sei er dann doch nicht, er bräuchte Freizeit.

Die nahm er sich auch recht regelmäßig. Er ging sicher jeden zweiten bis dritten Nachmittag aus und fast jeden Abend. Manchmal zu seiner Familie, manchmal mit Daren, manchmal wusste sie es nicht ganz genau, aber fragte auch nicht.

Insgesamt konnte sie nach einem Monat des Studiums quittieren, dass sie sehr viel Spaß hatte, einen traumhaften Job und sehr nette neue Bekannte – selbst Daren sprach mit ihr, wenn auch immer mit einer gewissen Grundanspannung. So als könne jederzeit jemand aus einem Busch springen und ihn anklagen, eine Affäre mit ihr zu haben. Ein zweiter Haken war wohl ihre Mitbewohnerin – sie löste es damit, so wenig wie möglich im Wohnheim zu sein und ihre Sachen nur oben auf ihr Bett oder in ihrem Spind zu legen. Das gab ihr die Hoffnung, dass sie frei von unerwünschten Flüssigkeiten bleiben würden, mit der ihre Mitbewohnerin höchst regelmäßig in Kontakt kam. Maya schüttelte nur den Kopf. Wenn sie nicht dran dachte, musste sie sich die Realität ihrer Unterkunft nicht vor Augen führen. Es war nur eine Frage der Einstellung.
 

„Morgen.“, grüßte Daren recht informell, als sie sich zu ihm setzte.

„Guten Morgen.“ Sie nickte ihm zu und lehnte sich gegen die Parkbanklehne, um die warmen Sonnenstrahlen auf ihrer Haut zu genießen. Nach drei Tagen Regenwetter war das eine willkommene Abwechslung, auch wenn die Pflanzen sich bestimmt nicht beschwert hatten. Sommer war schon etwas Schönes.

„Wo hast du Alden gelassen?“

„Der redet noch mit Professor Returax. Beim vierten Handelsabkommen der hundertzweiundsechzigsten Dynastie habe ich entschieden, dass mir das zu viel wird.“

„Alden ist seltsam fokussiert.“ Der Ältere schüttelte den Kopf. „Er ist zwar der jüngste Sohn der Medinros, aber trotzdem von der Hauptlinie. Er wird ganz bestimmt einen Posten als Hafenvorsteher oder Buchprüfer der Kontore oder dergleichen erhalten. Das Studium ist mehr so ein Beweis, dass er für ein Thema hart arbeiten kann und genug Intelligenz und Fleiß für solch einen Posten hat. Aber er hängt sich da ja richtig rein.“

„Es schadet sicher nicht, das Studium mit Bestnoten abzuschneiden. Die Kenntnisse werden ihm gerade am Hafen bestimmt nutzen. Er hat dort doch auch viel mit anderen Völkern zu tun, richtig?“

Daren nickte nur langsam, sah sich schließlich vorsichtig um und fragte sie flüsternd: „Sag mal ... was läuft da jetzt zwischen euch?“

„Läuft?“ Sie legte den Kopf schief. „Wir sind Freunde. Nebenher arbeite ich als Haushälterin und Köchin für ihn.“

„Nicht mehr?“ Er hob eine Augenbraue. „Warum geht ihr dann so oft aus?“

„Wir gehen nie aus.“ Ihre Stirn legte sich in Falten. „Mir sagt er zwei- bis dreimal die Woche, er ginge mit dir aus.“ Sie hatte doch noch die Erlaubnis erhalten, Daren zu duzen. Es war ihr Zeichen, dass er sie mochte. Niemand außer Alden duzte Daren.

„Mir sagt er andauernd, ihr hättet etwas geplant.“ Der andere sah sich noch einmal um. „Mir kommt er komisch vor, weißt du? Anders irgendwie. Es sind ganz kleine Dinge, aber ich kenne ihn seit Jahren. Ich will einfach nicht ... ich mache mir Sorgen um ihn. Jetzt, wo er aus dem Haus ist, erwartet jeder von mir, dass ich auf ihn aufpasse. Er darf einfach nicht in Schwierigkeiten kommen. Nicht, dass er sich mit den falschen Leuten trifft und ... ach, ich weiß auch nicht.“

„An was denkst du?“ Diesmal flüsterte sie auch.

„Frauen, Drogen, illegales Glücksspiel, was weiß ich. Die Sachen, in die man sich verheddern kann, wenn keiner ein scharfes Auge auf einen wirft.“

„Das kann ich mir bei Alden nicht vorstellen.“ Nun gut, andererseits kannte sie ihn knapp fünf Wochen, was war ihr Urteil da schon wert? „Und was machen wir jetzt?“

„Ich werde jemanden anheuern, der ihm unauffällig folgt.“ Daren nickte mehr zu sich selbst als zu ihr.

„Ist das nicht etwas ... drastisch?“, fragte sie erschrocken, „Wir könnten ihn auch fragen.“

„Wir können ihn zur Rede stellen, sobald wir wissen, was er da macht. Ich will nicht mit einer Lüge abgespeist werden.“ Seine Züge verhärteten sich. „Sich die Hörner abstoßen ist eine Sache, aber auch dafür gibt es einen vorgesehenen Rahmen. Alden tanzt zu sehr aus der Reihe. So etwas muss frühzeitig eingedämmt werden.“

„Du bist wirklich streng.“ Maya lächelte. Es war herzergreifend, wie sehr Daren sich sorgte. Das war wahre Freundschaft, wenn auch sehr übertrieben kontrollierend.

„Nein.“ Er lehnte sich wieder zurück. „Ich bin die Warnung. Sein Vater ist streng. Vor dessen Zorn will ich ihn bewahren.“

„Würde er ... was kann Alden denn passieren?“, fragte sie besorgt.

„Tja.“ Daren seufzte tief. „Wir Adligen sind eine ganz kleine Gruppe. Jeder weiß über jeden Bescheid, alle kennen sich. Dieser Gruppe zu erzählen, was man falsch gemacht hat, ist schon eine ziemlich harte Strafe. Wenn jeder, mit dem du reden kannst, weiß, was du falsch gemacht hast, das ist ... nicht gerade angenehm.“ Das konnte sie sich vorstellen. Im Dorf kannte auch jeder jeden. Tratsch konnte verheerend sein. „Auch sind unsere Familien gleichzeitig unsere Arbeitgeber. Wenn wir eine gute Arbeit wollen, hängt das am Wohlwollen der Familie. Unsere größte Angst ist natürlich stets, verstoßen zu werden.“ Er betrachtete sie einen Moment schweigend. „Seien wir ehrlich, wir sind ziemlich lebensunfähig. Keiner von uns hat sich jemals selbst um Essen, ein Dach über dem Kopf oder ein Einkommen kümmern müssen. Ich wüsste nicht im Ansatz, was ich machen müsste.“

„Man fragt sich rum.“ Sie legte den Kopf zur Seite. „Ich wusste das auch alles nicht und ich habe trotzdem nun alles, was ich brauche.“

„Ja, aber du kannst zumindest irgendetwas. Du weißt, wie man putzt, kocht und wäscht. Was hätte ich denn bitte anzubieten? Schönschrift? Ich kann Reden verfassen und gut Informationen einholen, aber was genau soll ich damit machen? Leute, die Schreiberlinge einstellen, gehören zur Familie.“

„Du bist ein junger, kräftiger Mann. Du könntest Vorarbeiter oder Handlanger werden und dich von da aus umsehen.“ Sie lächelte ihn an.

Er blinzelte nur einmal, atmete tief durch und fragte flüsternd: „Was ist das?“

„Was? Ein Vorarbeiter? Vorarbeiter sind Menschen, die Materialien für Handwerker vorbereiten. Zum Beispiel holen sie Rohleder von den Schlachtern, bringen es zu den Gerbern und von den Gerbern zu den Schustern. Handlanger tragen einfach nur Materialien von einem zum anderen Platz auf die Anweisung anderer. Wenn man nichts weiß und versteht, ist das ein guter Platz zum Lernen. Und da du bestimmt gut planen kannst, wärst du sicherlich schnell in der Organisation all dieser Transporte. Infrastruktur wäre sicher ein guter Arbeitsbereich für dich.“

„Hm ... stimmt. Das ist nicht so anders als mein geplanter Job. Mein Onkel, das Familienoberhaupt, will, dass ich die Planung der Stadtfeste übernehme. Weinfässer organisieren ist vermutlich nicht so viel anders wie Leder zu besorgen.“

„Du klingst nicht glücklich mit dieser Arbeit.“, wagte sie aus seinem Ton zu deuten.

Daren schnaubte nur und schüttelte den Kopf. Sie blieb still, was ihn nach einem Moment dazu brachte, weiter zu sprechen: „Stadtfeste sind schön und ich mag sie. Aber wir haben so viele Kunsthandwerker, die versorgt werden wollen. Ich könnte auch zu den Zwergen reisen und mit ihnen über Edelsteine verhandeln. Oder Edelmetalle. Meine Cousine zum Beispiel reist mit wechselnden Kunsthandwerkern zu anderen Völkern und organisiert Kunstausstellungen. Ich durfte einmal zu einer Ausstellung in der Hauptstadt der Elfen mitkommen, die haben einmal im Jahr eine Kunstmesse, wo alle Völker Kostbarkeiten zusammen tragen. Kannst du dir vorstellen, wie atemberaubend schön das ist? Überall Schmuck und Gemälde ferner Länder, feingewebte Teppiche und goldbesetztes Geschirr aus Knochenporzellan. Meine Familie verwaltet so viele spannende Arbeiten und ich soll einfach nur ein jährliches Massenbesäufnis veranstalten. Was mache ich denn den Rest des Jahres? Daumen drehen?“

„Deiner Cousine helfen.“ Maya lächelte. Was er erzählte, klang traumhaft schön und sie hoffte, das eines Tages auch sehen zu können. „Oder selbst ein Kunsthandwerk erlernen.“

„Selbst?“ Er starrte sie einen Moment lang an. „Ich habe als Kind mal gezeichnet und Querflöte gespielt, aber ich glaube nicht, dass ich irgendetwas davon wirklich kann.“

„Ich wurde auch nicht mit der Fähigkeit geboren, jedes Gericht dieser Welt zu kochen. Man muss üben, üben und üben. Je mehr man sich anstrengt, desto besser kann man etwas am Ende.“

„Ich wollte schon immer Schnitzen lernen.“ Er betrachtete den Himmel. „Mein Bruder würde mich auslachen, wenn er das wüsste.“

„Jeder Mensch hat Träume und keiner gehört dafür geächtet.“ Sie legte eine Hand auf Darens. „Probier es doch. Du kannst bestimmt problemlos einen Lehrmeister finden, ihr verwaltet all diese Künstler schließlich.“

„Vielleicht.“ Sein Blick fiel auf ihre Hand. „Die Frage ist vielleicht nicht sehr höflich, aber warum bist du so gut erzogen? Dein Verhalten passt mehr zu einer Adligen als einer Bürgerlichen.“

„Meine Großmutter war Erzieherin. Mein Großvater war Gärtner der Aderen, einer Landadelsfamilie. Meine Mutter erzählt nicht viel von ihnen, sie sind irgendwie zerstritten, aber auch meine Mutter empfand eine gute Erziehung für sehr wichtig. So ungewöhnlich ist es aber nicht. Die Mädchen in unserem Dorf sind alle sehr gut erzogen. Vielleicht durch meine Mutter, sie hat in unserem Dorf einen Kindergarten eingerichtet. Alle Dorfbewohner haben an der Einrichtung mitgearbeitet und die Mütter bezahlen sie mit Lebensmitteln. Darum sind wir neben dem Bürgermeister und dem Arzt eine der wohlhabensten Familien des Dorfes. Natürlich nichts im Vergleich zu euch, aber wir haben nie hungern müssen und konnten uns ganz auf die Schule konzentrieren. Ich hatte Sonderunterricht, während andere Kinder auf den Feldern helfen mussten.“

Daren nickte langsam und lächelte schließlich. Ohne eine weitere Nachfrage verfielen sie in ein angenehmes Schweigen und genossen die Sonne für den Rest ihrer Mittagspause.

Der erste Liebeskummer

Maya fragte hin und wieder, wohin Alden ging und berichtete es Daren. Der versicherte ihr, er würde sich um die Sache kümmern und somit dachte sie nicht weiter darüber nach. Sie glaubte nicht, dass Alden wirklich etwas Verruchtes tat, dazu war er zu nett. Aber was wusste sie schon von der Welt der Männer? Daren verstand ihn sicherlich besser und weiterhin war es ja auch ein Thema, das zwischen Männern zu bleiben hatte. Er würde sich schon darum kümmern.

Sie währenddessen präsentierte ihm stolz das neue Kleid und genoss seine Komplimente. An ihr schien er den Unterschied verschiedener Modestile dann doch zu merken, schließlich bemerkte er ja auch, dass sie sehr viel hübscher wirkte in diesem Kleid. Wie ein Gentleman bot er ihr den Arm an auf dem Weg zur Akademie. Daren hob nur die Augenbrauen, als er sie mittags zusammen sah, aber gab keinen weiteren Kommentar. Wahrscheinlich war es in Ordnung, wie Alden sie behandelte. Sie hoffte es um seiner willen.

Sie wagte sogar den Versuch, ein paar Mädchen in ihrem Studiengang anzusprechen. Das erntete ablehnende Blicke und den Hinweis einer Mitstudentin, dass Professor Elhandrio sie sehen wollte. Sie verstand es als Bitte zu gehen und somit tat sie das, auch wenn es ihr Herz schwer werden ließ. Was machte sie denn falsch? Warum wollten die Mädchen nichts mit ihr zu tun haben?

Sie überlegte, ob die Sache mit Professor Elhandrio erfunden war, aber schloss im Endeffekt, dass sie zumindest bei ihm nachfragen sollte. Vielleicht hatte er dem erstbesten Mädchen die Nachfrage ausgerichtet und war davon ausgegangen, dass sie befreundet waren. So wie alle Mädchen nunmal befreundet sein sollten.

„Professor?“ Ihre Stimme war mehr ein vorsichtiges Flüstern als eine selbstbewusste Nachfrage. Sie war noch immer überwältigt von diesen edlen, scharfen Zügen des elbischen Gesichts, wo Unterkiefer und Wangenknochen auf die spitzen, langen Ohren zuliefen. Vielleicht könnte sie eines Tages einen Elfen heiraten. Sie wusste nicht ganz, was ihre Mutter dazu sagen würde, aber keiner könnte sagen, dass sie dann nicht einen besonderen Mann hatte.

„Miss Karmyn. Was hat Sie aufgehalten?“ Er winkte sie zu seinem Schreibtisch.

„Mir wurde gerade ausgerichtet, dass Sie mich sehen wollten. Ich bin sofort gekommen.“ Sie trat vorsichtig einen Schritt näher.

„Jetzt erst? Ich hatte letzte Woche eine Kommilitonin gebeten, Ihnen das auszurichten.“ Seine Stimme trug einen Hauch von Verärgerung, jedoch verzog er keine Miene. Das hatte sie schon oft beobachtet, diese Kühle, diese Ausdruckslosigkeit. Man musste sehr genau auf die Nuancen in der Sprache von Elfen achten. Nicht, dass sie viele kennen würde, aber das bestätigten auch die Bücher.

„Nun gut, dann ist es nicht Ihre Schuld. Setzen Sie sich.“ Er wies auf einen der beiden Stühle an der der Tür zugewandten Seite des Schreibtisches und wartete, bis sie seiner Bitte gefolgt hatte. „Ihre Hausarbeiten sind von außerordentlicher Qualität und ich möchte Sie sehr loben für das Engagement, dass sie bei deren Ausarbeitung zeigen. Ihre Quellen sind wohl gewählt und die Zusammenhänge, die sie in Ihrem Aufsatz über traditionelle Tänze gefunden haben, sind ein Thema, mit dem sich Historiker und Sozialforscher auseinander setzen. Woher stammt Ihr Interesse?“

„Ich bin sehr neugierig.“ Maya drückte den Rücken durch und überprüfte schnell ihre Sitzhaltung auf Akkuratheit. „Ich stamme aus einem kleinen Dorf im Norden, wo unser Zugang zu Wissen eher beschränkt ist. Die Akademie ist für mich ein kleines Paradies, wo ich meinen Durst stillen kann.“

„Ihr Wissensdurst über traditionelle elfische Tänze?“ Amüsement schwang in der Stimme des Professors mit.

„Über alles!“ Sie konnte ihre Begeisterung kaum halten. „Tänze, Bräuche, Feste, Kunst, Kultur ... es sind so viele Dinge, die mich faszinieren. Die Art, die Welt ganz anders zu betrachten als andere es tun. Dieser Gedanke, dass ein Volk eine Einheit im Geist hat, ein gegenseitiges Verständnis für jedes Mitglied der Rasse, ein innerer Zusammenhalt, das klingt für mich nach einem kaum fassbaren, aber sehr erstrebenswerten Zustand. Gerade bei uns Menschen ist das Verständnis füreinander ja ein eher wenig verbreitetes Gut.“

„Und doch fördert es Individualität, was nichts Schlechtes bedeuten muss. Gerade aus dem Gefühl der Ablehnung scheinen oft ganz erstaunliche, produktive Kräfte zu erwachsen. Das Kunsthandwerk der Menschen ist eines der schönsten, da sie am meisten zum Ausdruck von Gefühlen fähig sind. Ein künstlerischer Ausdruck wohl, ein produktiver. Wie Sie selbst in Ihren Aufsatz schrieben, gehören Zentauren zu den ausdrucksstärksten Völkern, nur ist ihr Ausdruck eine Verflüchtigung von Energie.“

„Ist es das wirklich? Ihr Ausdruck ist temporär und situationsgebunden, er folgt keinem Muster und kann nicht erhalten bleiben und doch scheint mir gerade das das Faszinierende. Emotion ist etwas, dass sich schwer in Form fangen lässt, daher denke ich, dass der Gesang und Tanz der Zentauren vielleicht eine der direktesten Ausdrücke von Emotionen ist.“

„Wohl gesprochen.“ Professor Elhandrio nickte. „Ich sehe eine strahlende Zukunft für Sie, Miss Karmyn. Ich würde Sie gern mit einigem an zusätzlicher Literatur versorgen, jedoch müssen Sie dafür Iskarim erlernen.“

„Ich werde mich bemühen.“ Sie zog Papier und Füller hervor. „Können Sie mir Bücher zum Erlernen der Sprache empfehlen?“

Professor Elhandrio lächelte und nickte. Maya starrte fasziniert auf seine Lippen. Sie hatte ihn noch nie lächeln sehen, hatte bisher nur ein leichtes Heben höchstens eines Mundwinkels geerntet, aber noch nie ein volles Lächeln. Elfen lächelten nur für sehr wenige Wesen und in sehr seltenen Momenten. Somit war es ihr auch nur eingeschränkt peinlich, nachfragen zu müssen, was er danach gesagt hatte.
 

„Er ist so schön“, schwärmte sie Alden auf dem Weg zu dessen Wohnung vor, „und dieses Lächeln – solch eine Ehre!“

„Ja, ja“, murmelte dieser nur, da es nicht das erste mal war, dass sie all das wiederholte, „hinreißend.“

„Mach dich nicht lustig über mich! Nur weil du nicht auf Elfen stehst, heißt das nicht, dass ich ihn nicht hübsch finden darf.“ Sie verschränkte beleidigt die Arme.

„Ich bin einfach nicht schwul.“ Er warf ihr einen kurzen Seitenblick zu. „Heißt, ich stehe nicht auf Männer.“

„Ich meine ja auch nicht ihn persönlich. Findest du Elfinnen nicht ästhetisch?“ Nicht, dass sie jemals eine echte gesehen hätte.

„Selbst wenn! Wenn überhaupt, hätte ich höchstens bei einem Elfen eine Chance und daran habe ich kein Interesse. Ich finde deren Paarungen ziemlich widernatürlich. In meinen Augen gehören Mann und Frau zusammen und sonst niemand.“

„Was meinst du?“ Sie löste die verschränkten Arme und griff die Träger ihres Rucksacks. Irgendwie ahnte sie schon, dass ihr gerade irgendeine fundamentale Information fehlte.

Alden musterte sie und schien zu demselben Schluss zu kommen, da er erklärte: „Elfen heiraten nur gleichgeschlechtlich. Es gibt keine gegengeschlechtlichen Paare. Elfen sind der Auffassung, dass wahre Liebe nur bestehen kann, wenn die Vereinigung frei von allen Gedanken der Fortpflanzung geschieht.“

„Nein.“ Maya hob eine Hand vor ihren Mund, die Lider vor Schrecken geweitet. „Gleichgeschlechtlich? Mann mit Mann? Frau mit Frau? Unser Professor würde nur ...“

„Es ist ihre Kultur. Du hättest bei Professor Elhandrio niemals eine Chance. So funktioniert das bei den Elfen. Deswegen haben sie ja auch so selten Kinder.“

„Wie haben sie denn da überhaupt Kinder?“ Maya schüttelte nur den Kopf. Wie sollte denn so etwas gehen? Hatten sie kein Schamgefühl? Ein Mann, der mit einem Mann lag ... nein, so etwas würde kein anderes Volk dulden. Dass man mit ihnen noch sprach und handelte, dass man die Elfen überhaupt als intelligentes Volk ansah bei einem solch barbarischen Verhalten – undenkbar. Wie hatte sie ihn hübsch finden können? Der Gedanke, was er vielleicht abends tat, erfüllte sie sofortig mit Ekel.

„Ein Pakt zwischen zwei Paaren. Alle schlafen miteinander, bis beide Frauen schwanger sind, ein Kind behalten sie, eines geht an das männliche Paar.“ Alden seufzte tief. „Wir müssen Toleranz für die Sitten anderer Kulturen zeigen.“

„Aber nicht für so etwas. Wie soll denn ein Kind gescheit aufwachsen, wenn ihm Vater oder Mutter fehlt? Das kann doch nicht gut gehen. Kein Wunder, dass Elfen solch verzogene Weltansichten haben.“

„Die Paare erziehen die Kinder zusammen. Jedes Kind hat zwei Mütter, zwei Väter“, warf Alden ein.

„Nun ... trotzdem ... ich weiß nicht, das klingt nicht richtig in meinen Ohren. Zwei Mütter und zwei Väter? Sorgt das nicht oft für Streit?“

„So halten es die Elfen seit ihrer Entstehung. Sie sind nur zum eigenen Geschlecht hingezogen, sie erziehen die Kinder als Gruppe. Ich habe dergleichen nie von einem anderen Volk gehört, aber bei den Elfen scheint es gut zu funktionieren. Und so ist auch garantiert, dass jedes Kind mindestens ein Kind im selben Alter hat. Die Geburten sind oft so weit auseinander, teilweise gibt es in einem Jahrhundert nur ein Kinderpaar.“

„Ich verstehe den Sinn, aber ich weiß nicht, ob ich es gutheiße.“ Maya seufzte tief. „Ich hoffe, ich kann so eine Gruppe eines Tages kennen lernen. Ich würde gern wissen, wie so ein Leben funktioniert. Gerade erscheint es mir fremd und abartig, aber auch faszinierend.“

„Du wirst bestimmt eines Tages mehr Elfen kennen lernen.“ Alden lächelte. „Wir könnten zusammen nach Eloarune reisen. Außer, du erzählst mir da den ganzen Tag, wie hübsch du Elfen findest.“

„Ich kann mich beherrschen.“ Maya lächelte kokett. „Und wieso nicht? Bist du eifersüchtig?“

„Vielleicht.“ Alden warf ihr einen langen Blick zu, der von keinerlei Lächeln oder Grinsen begleitet wurde. „Was, wenn ich es wäre?“

Maya senkte nur den Blick. Was sollte sie darauf schon antworten? Alden würde niemals mit ihr zusammen sein. Also warum darüber auch nur nachdenken? Es brachte doch eh nichts. Demnach schwieg sie statt zu antworten, bis Alden nach einigen Minuten ein anderes Thema anschnitt.
 

Melin war dazu übergegangen, sie nicht nur zuschauen sondern mitarbeiten zu lassen. Nicht nur das, sie ließ sie einige Speisen selbst zubereiten und unterstützte sie nur mit Anweisungen. Vielleicht noch ein, zwei Wochen und Maya könnte einfach nur noch nach Rezepten fragen und diese umsetzen. Sie hatte gelernt, welche Gewürze in welcher Form welchen Effekt hatten und zu welchen Speisen sie am besten passten. Sie sah ihre Ausbildung demnach als fast abgeschlossen.

Das neue Projekt konnte also problemlos Iskarim heißen. In der Schule hatten sie nur gelernt, welche Worte ihrer eigenen Sprache als Dialekt zählten und was demnach die Hochsprache war, aber nie, dass andere Völker andere Sprachen sprachen. Demnach war das Erlernen einer anderen Sprache etwas völlig Neues und sie stellte schnell fest, dass sie ohne einen Lehrer nicht weit kommen würde.

Dieser war zum Glück schnell gefunden, schließlich kannte sie zwei Leute, die Iskarim fließend sprachen. Sowohl Alden als auch Daren erklärten sich bereit, ihr zu helfen, wobei sie schnell eingestehen musste, dass sie bei Daren weit mehr lernte. Das lag nicht unbedingt daran, dass er besser unterrichtete sondern mehr, dass Alden sie zunehmend ablenkte.

Sie erkannte problemlos, warum, schließlich war sie nicht dumm. Sie hatte drei ältere Geschwister. Jeder war einmal verliebt gewesen oder jeder hatte sich in ihren Augen dümmer als der Vorgänger angestellt. Sie hatte immer gedacht, sie würde das nie treffen, aber sie sah sich aus dem Nichts heraus grinsen, erröten oder Antworten hervor stottern in Aldens Beisein. Der Zustand war zum verrückt werden.

Besonders, wenn man wusste, dass es vorbei gehen musste. Alden war völlig außerhalb ihrer Reichweite. Alden war praktisch tabu. Also sollte sie sich da nicht hinein steigern.

Das war leider leichter gesagt als getan. Sie erwischte Alden immer wieder dabei, wie er sie einfach nur ansah. Es ließ sie errötend den Blick abwenden, nur um ein paar Momente später wieder hinzusehen und auch einen leichten Rotschimmer auf seinem nun abgewandten Gesicht zu entdecken.

Wäre Alden jemand, den ihre Eltern akzeptieren würden? Ja, wenn er ein Adliger blieb. Aber für den Fall, dass er auf die waghalsige Idee kam, seinen Stand aufzugeben, um sie zu heiraten ... nein, so etwas würde ihre Mutter nicht akzeptieren. Ihr Vater fände das vielleicht romantisch, aber ihre Mutter war die, die jeden Heller zweimal umdrehte und alle Mitgiften, Vorschüsse und Anleihen genau berechnete. Ohne seinen Adelsstand wäre Alden ein Mann ohne Beruf, ohne Geld, ohne Fähigkeiten, ohne Familie.

Er würde nicht akzeptiert werden. So wie seine Familie sie nicht akzeptieren würde. Also sollte sie sich das aus dem Kopf streichen. Nein hieß nein und blieb nein. Ende der Geschichte.

„Du bist irgendwie nicht ganz bei der Sache“, merkte Daren an, als sie das unzähligste mal in ihrer Lernstunde seufzte.

„Entschuldigung.“ Sie erhob sich und glättete mit einer Hand ihr Haar. „Möchtest du etwas Tee? Ich denke, ich brauche eine Pause.“

„Tee klingt gut.“ Er griff nach seinem eigenen Lehrbuch und lehnte sich auf seinem Stuhl zurück.

Sie waren dazu übergegangen, die Iskarim-Lernstunden in Aldens Bibliothek abzuhalten, auch wenn der Besitzer der Wohnung gar nicht da war. Es störte ihn nicht, die Wohnung lag zentral und Maya hatte stets eine Küche für schnelle Erfrischungen zur Hand. Auch konnte man sich in einer Bibliothek, einem Wohnzimmer, einem Esszimmer, Küche, Flur, zwei Bädern und dem Schlafzimmer problemlos aus dem Weg gehen, selbst wenn sie alle anwesend waren.

Was zunehmend seltener war. Aldens Angaben, wohin er ging, bezogen sich immer mehr auf Familienmitglieder, doch weder Daren noch Maya waren wirklich geneigt, ihm zu glauben. Leider war der Detektiv, den Daren angeheuert hatte, verschwunden, sodass sie nicht wirklich weiter gekommen waren an der Front.

Daren hatte einmal vorgeschlagen, ihm zu folgen, aber das hatten sie nie umgesetzt. Vielleicht sollten sie ... aber nein, Maya wollte an das Gute glauben. Oder anders herum, sie wollte gar nicht so wirklich wissen, was Alden machte. Sie wollte ihm vertrauen und vor allem wollte sie keinen Stich in ihrer Seifenblase, auch wenn der ihr wahrscheinlich gut tun würde.

„Du bist unkonzentriert in letzter Zeit“, merkte Daren an, als sie ihm den Tee servierte.

„Ich ... ein bisschen. Entschuldige.“

„Du brauchst dich nicht immer zu entschuldigen.“ Er hob die Tasse und atmete das Aroma tief ein. „Warum bist du so unkonzentriert?“

„Ach, dies und das. Das Studium, die vielen Projekte, Heimweh, das Übliche-“

„Und Alden?“, unterbrach er sie.

Sie spürte ihre Wangen heiß werden. Ja, Alden ... so wirklich konnte sie das wohl nicht verheimlichen, sodass sie antwortete: „Vielleicht auch ein bisschen.“

„Nicht nur ein bisschen.“

„Hör zu, Daren.“ Sie hob den Blick. „Ich weiß, dass aus Alden und mir nie etwas werden könnte. Deswegen versuche ich auch, all das zu unterdrücken. Aber es ist schwer, verstehst du? An manchen Tagen ist es so schrecklich schwer, dass ...“

„Ich sehe ein Drama auf uns zukommen.“ Daren seufzte tief. „Wenn Alden verstoßen wird, verliert er seine Familie, all sein Geld, seine Zukunft, diese Wohnung und all seine Freunde. Keiner von uns darf sich dann mehr mit ihm unterhalten.“ Er beobachtete sie für einen Moment, doch sie hatte nur schambewusst den Kopf gesenkt. „Vielleicht solltest du den Job hier kündigen. Die Nähe macht es nicht leichter.“

Nein. Maya zuckte zusammen. Nein, das ... dann würde sie Alden nur noch in den Vorlesungen sehen. Dann könnte sie nicht mehr mit ihm reden. Dann ... bei Raziel, Daren hatte Recht. Das wäre das einzig Sinnvolle, wenn sie wirklich verstanden hatte, dass zwischen ihnen nichts sein könnte. Aber sich ganz von Alden abwenden? Er war doch ... oh, sie hatte sich schon viel zu tief in dieser Sache verlaufen.

„Kannst du das?“, fragte Daren nach, der anscheinend die wechselnden Gesichtsausdrücke beobachtet hatte.

„Ich ... ich weiß ... ich kann ... aber ... es ist doch-.“ Sie hob die Hände und bedeckte ihr Gesicht mit ihnen. Wie sollte sie dem anderen so in die Augen sehen? Sie konnte weder in die eine, noch in die andere Richtung. Wo sollte sie hin? Was sollte sie ihm sagen, was sie wollte? Sie wusste es doch selbst nicht einmal.

Daren seufzte erneut, erhob sich und zog sie in seine Arme. Ein Schluchzen brach aus ihr hervor und er ließ ihr einen Moment, bevor er ihr auf den Rücken klopfte und sie wieder gehen ließ. Schließlich sagte er: „Wir können es dir leichter machen. Komm, wir verfolgen ihn wirklich morgen einmal. Ich fürchte, danach wird es dir nicht mehr so schwer fallen, das mit ihm zu beenden.“

Maya nickte nur und floh in die Küche, um ihre Tränen zu trocknen.

Aldens Geheimnis

Alden hatte sie abends sicherlich dreimal gefragt, ob etwas war. Daren lenkte ihn erfolgreich ab. Zum Frühstück war ihre Aussage, dass sie sich nicht wohl fühle. Was sicherlich stimmte, als sie morgens der Küche Lebewohl sagte. Sie hätte weinen können bei dem Gedanken, nie wieder diese schöne Wohnung zu betreten. Es war einfach zu traurig.

Und wenn es schon so schwer war, sich von einer Küche zu trennen, wie sollte sie Alden das sagen? Wie könnte sie ihm je wieder in die Augen sehen, sobald die Worte ihre Lippen einmal verlassen hatten? Sie versuchte die Gedanken zu verbannen, denn jeder einzelne zerriss ihr das Herz und drohte, sie wieder weinen zu lassen.

Beim Mittagessen gab sie vor, keinen Hunger zu haben – was nur eine halbe Lüge war, sie hätte keinen Bissen herunter bringen können – und versuchte stattdessen, sich mit ihren Lehrbüchern abzulenken. Nicht einmal das Märchenbuch auf Iskarim, dass sie zu Lernzwecken ausgeliehen hatte, konnten sie jedoch wirklich fesseln.

Alden fragte sie mehrfach, ob sie nicht nach Hause gehen wolle. Aber welches zuhause? Sie hatte nur den Kopf abgewandt. Es gab da eine schöne Wohnung, die schien ihr mehr zuhause als alles andere in ihrem Leben und da würde sie nie wieder hingehen.

Daren schlug schließlich nach der letzten Vorlesung vor, sie nach Hause zu bringen. Das war wahrscheinlich das Zeichen. Sie nickte nur und akzeptierte den Arm, den er um sie legte. Alden blieb zurück, das Gesicht eine einzige Frage, tief verfurcht von Sorge und Zweifeln.

Er war ein guter Freund.

Hinter der ersten Abbiegung fragte Daren sie: „Willst du wirklich mitkommen?“

Sie nickte nur stumm. Was blieb ihr schon anderes übrig? So konnte sie Alden ja nicht einmal ins Gesicht sehen, geschweige denn Lebewohl sagen. Daren hatte Recht, der Wahrheit ins Gesicht zu sehen war das einzig Sinnvolle.

„Bleib hinter mir“, sagte er nur und spähte zurück um die Ecke, bevor er normalen Schrittes den gerade gegangenen Weg zurück nahm.
 

Alden hatte einen Kaffee mitten auf einem der Flanierplätze Medins genommen. Mehrere Menschen hatten ihn gegrüßt, als seien sie alte Freunde und im Kaffeehaus hatte man sein Geld abgelehnt und ihm stattdessen noch ein paar extra Kekse serviert. Es machte Maya unabwendbar klar, was für ein himmelschreiender Unterschied zwischen ihnen bestand. Er war zwar nicht der erste Erbe des Stadtviertels, aber der dritte – jeder hier wusste, dass ihm in wenigen Jahren die Verwaltung des gesamten Viertels zufallen würde. Und damit machte es ihm jeder schon heute recht.

Dass er im Anschluss wirklich nach Lamati aufbrach, gab ihr gleichzeitig einen Stich und Erleichterung. Gleich würde er irgendetwas tun, was sie ihm nicht verzeihen könnte. Und auch wenn es weh tun würde, es würde die Trennung leichter machen.

Weder in Zenata noch in Medin waren Daren und sie aufgefallen, sie hatte sich problemlos in die Masse einfügen können. In Lamati sah das ganz anders aus. Es war nicht unbedingt ein armes Viertel, aber die Menschen trugen einfachere Kleidung, gingen anders, wirkten anders. Oder eher wirkten sie wie eine seltsam homogene Masse, aus der Daren und mehr noch sie selbst unangenehm hervor stachen.

Sie mit ihrem kurzen Kleid, den Absatzschuhen, der adretten Frisur – sie wirkte falsch zwischen all den schmutzigen Mädchen, deren Brüste nur halb verdeckt waren, deren Kleider durch Löcher und Risse selbst die Oberschenkel noch durchscheinen ließen.

Alden bemerkte sie dennoch nicht. Auf eine bizarre Art und Weise stach er nicht einmal aus der Masse hervor. Auch sein Gang hatte sich verändert, er lief gebückter, lässiger, ohne die Selbstsicherheit seines Adelsstandes. Er war nicht das erste mal hier, das ließ sich fraglos erkennen. Maya war beruhigt festzustellen, dass Daren diese Fähigkeit nicht besaß. Er betrachtete mehrere der Vorbeigehenden mit unverhohlenem Ekel.

Alden währenddessen schlängelte sich durch die Massen, bog in eine Seitengasse, schließlich in eine weitere, die verlassen schien. Daren stoppte hinter Häuserwänden, folgte erst mit Abstand, beobachtete Alden stets für einige Momente. Auch wenn Lamati keine gewohnte Umgebung war, es schien nicht das erste mal, dass er jemanden beschattete.

Nach der dritten Abbiegung hatten sie Alden verloren. Maya seufzte, halb in Enttäuschung, halb in Erleichterung. Daren eilte zur nächsten Abbiegung, sah nach rechts und links und kam zurück, die Augen auf den Boden gerichtet.

„Hier“, flüsterte er schließlich und legte eine Hand auf eine unscheinbare Holztür, gerade mal knapp über Mayas Kopfhöhe war, schmucklos in eine fensterlose Wand eingelassen.

„Bist du sicher?“, flüsterte sie zurück, nachdem sie heran gekommen war.

„Die Spuren weisen zu dieser Tür“ Daren legte sein Ohr daran. „Sollen wir ihm folgen?“

„Was ist das für ein Ort?“ Maya betrachtete die völlig trostlose Wand.

Der Gang, in dem sie standen, war gerade mal schulterbreit, die Häuser mit bis zu drei Stockwerken hatten oft erst ab dem ersten Stock Fenster. Jedes Haus glich dem anderen, jede Tür genau wie die andere.

„Etwas extrem Illegales“, erwiderte Daren nur und sah zu ihr, „es könnte gefährlich sein.“

Maya sah nur zwischen ihm und der Tür hin und her.

„Tja ... Neugierde kann tödlich sein“ Daren lächelte. „Ich geh rein.“

Maya griff nur sein Hemd und folgte ihm somit. Sie würde ganz bestimmt nicht allein in diesem Viertel bleiben. Lieber traf sie die Geliebte Aldens oder ... oder irgendetwas extrem Illegales, was auch immer das sein mochte.

Hinter der Tür befand sich ein Flur, links und rechts je eine Tür, am Ende eine Treppe. Daren öffnete beide Türen, nachdem er gehorcht hatte, aber beide zeigten leere Einzimmerwohnungen. Einfache, ärmliche Wohnungen mit nichts als einem Bett und einem Schrank. Daren wies sie an, unten an der Treppe zu warten und erforschte die anderen Stockwerke. Dass Maya seine Schritte hörte, war das einzige, was sie nicht hinter ihm her laufen ließ. Als er wieder hinab kam, musste sie sich vor Erleichterung am Treppengeländer festhalten, damit ihre Beine sie weiter halten konnten.

„Alle Zimmer oben sind auch leer“ Daren sah sich um. „Oben gab es keine weiteren Ausgänge“ Er begann an verschiedenen Stellen gegen die Wand zu klopfen und lauschte. „Irgendwo muss ein geheimer Gang sein ...“

Maya sah ihm nur mit geweiteten Lidern zu. Wo hatte Daren all das gelernt? Wie kam er gerade auf einen Geheimgang? Und was mochte Alden tun, was solch einer Geheimhaltung bedurfte?

„Hier“ Daren tastete die Wand ab und drückte schließlich dagegen, was einen Gang freigab. „Ein waschechter Geheimgang ... Alden, langsam machst du mich neugierig, alter Freund.“

Maya zauderte nur kurz, doch folgte ihm schließlich. An der Seite des Gangs standen Öllampen und Zündzeug. Daren entzündete eine Lampe, bevor er die Tür hinter ihnen schloss. Vor ihnen erstreckte sich ein Gang, der in eine Treppe in den Untergrund überging. Je weiter sie hinab stiegen, desto stickiger wurde es und desto schneller atmete Maya. Dennoch gab es für sie kein zurück. Zum guten wie zum schlechten, sie würde bei Daren bleiben.

Sie kamen an die erste Kreuzung, die Gänge mittlerweile nur noch aus Stein gehauen. Im Stein waren Zeichen eingehauen, wahrscheinlich Wegweiser, aber Maya erkannte sie nicht.

„Brukdur-Runen“, löste Daren das Rätsel.

„Und was sagen sie?“

„Es sind Zahlen. Wir kommen aus drei, rechts ist zwei, vor uns sieben, links fünf“, antwortete er.

„Dann gehen wir gerade aus“, entschied sie.

„Warum?“ Er wandte sich fragend zu ihr.

„Wenn es die Zahlen der Zugänge sind, dann ist die höchste Zahl am ehesten kein Ausgang sondern unser Ziel“, teilte sie ihre Überlegungen mit.

„Hm ... besser als keine Idee“ Er setzte den Weg gerade aus fort.

Sie folgten auch der nächsten Kreuzung in Richtung sieben, auch wenn es hierbei nach links ging. An einer weiteren mussten sie zwischen sieben und zehn entscheiden – wobei ihr eigener Rückweg die Zahl sechs trug – und gingen in Richtung zehn. Maya war dazu übergangen, den Weg, die einzelnen Kreuzungen und ihre Abbiegungen mitzuschreiben und mitzuzeichnen. Einige weitere Abbiegungen konnte sie dadurch feststellen, dass sie sich um einen zentralen Punkt bewegten und wies sie an der nächsten Kreuzung, in dessen Richtung zu gehen.

„Schlaues Mädchen“, lobte Daren und nickte ihre Entscheidung ab, „ich vermute, in diesem Labyrinth ist uns unser Detektiv verloren gegangen.“

„Glaubst du, er ist tot?“, flüsterte sie vorsichtig.

„Vermutlich werden wir es sicher wissen, sobald wir heraus gefunden haben, was eigentlich unser Ziel ist“ Er warf einen Blick über seine Schulter. „Du willst nicht zufällig mit mir schlafen, bevor wir in unser möglicherweise sicheres Ende laufen?“

„Bitte?“, zischte sie mit geweiteten Lidern.

„Versuch war es wert“ Er zuckte mit den Schultern. „Auf geht's.“
 

Eine Tür versperrte ihren Weg.

Nicht nur das, mittlerweile war es so stickig, dass Maya Beklemmungsängste bekam. Sie atmete so schnell, dass Daren ihr hin und wieder Mund und Nase zu hielt und sie beruhigte. Wenn er das nicht gerade tat, suchte er einen Weg, die versperrte Tür zu öffnen, doch sie schien keinen Mechanismus zu haben.

Nach einigen Minuten, in denen Maya immer wieder mit der Panik kämpfte, die der fehlende Sauerstoff verursachte, trat sie schließlich vor und klopfte mit voller Kraft an.

Daren sah sie erschrocken an, doch nickte schließlich. Er hatte sogar die Großzügigkeit vor sie zu treten, als die Tür sich kurz darauf wirklich öffnete.

Ihr Gegenüber war ein älterer, hagerer Herr mit grau meliertem schwarzen Haar und Bart. Nicht nur ein Bärtchen, ein ganzer Vollbart – er war zwar gekämmt, aber nicht gestutzt. Maya konnte nicht ganz beurteilen, ob sie ihn eher als ansehnlich wild oder verwildert beurteilen sollte. Unter dem vielen Haar konnte man die Lippen kaum erkennen, aber seine Augen lächelten nicht. Zwar hatte er tiefe Falten, doch wirkten sie eher streng als väterlich.

„Was wollt ihr hier?“, fragte sein Gegenüber ruppig.

„Guten Abend, guter Herr. Bitte entschuldigen Sie die Störung. Wir suchen einen Freund und vermuten ihn bei Ihnen“, sprach sie an Darens Seite vorbei. So ganz traute sie sich nicht nach vorne.

Sein Mundwinkel hob sich. Man erkannte es an der Bewegung des Haares. Er musterte sie ohne jede Scheu und trat schließlich zur Seite, während er eine Hand zu einem Raum zur Rechten ausstreckte und sagte: „Bitte nehmt Platz, während ich mich nach diesem Freund erkundige. Wie sind Eure Namen?“

„Ed und Maya“, erwidere Daren und legte einen Arm um ihre Schultern.

Vermutlich sollte ihr das sagen, dass sie ihn nicht korrigieren sollte. Aber warum nannte er ihren echten Namen und seinen nicht? Oder gab es einen Code zwischen Alden und ihm? Daren setzte sich mit ihr in den angewiesenen Raum, in dem die Luft nicht viel, aber zumindest ein wenig besser war. Damit konnte sie leben.

Der Alte, der seinen Namen nie genannt hatte, schloss die Tür, durch die sie gekommen waren mit einem Schloss, dessen Schlüssel wohl nur er trug und schritt den Gang hinab, dessen Ende im Dunklen gelegen hatte. Er hatte keinerlei Licht dabei gehabt. Maya und Daren blieb ihre Öllampe, die sie auf den Tisch stellten.

Maya öffnete den Mund, doch Daren legte einen Zeigefinger auf seine Lippen, sodass sie schwieg. Er deutete nach oben, schließlich auf seine Ohren. Maya studierte kurz die Decke und erkannte schließlich eine Art Falltür, gut verborgen im Stein, aber sicher nicht geräuschdicht. Darüber könnte man sie abhören. So langsam begann sie, Darens Denken zu verstehen.

So langsam begann sie auch zu verstehen, dass Daren nicht ansatzweise gescherzt hatte. Das hier könnte ihr Ende sein. Sie waren Alden zu irgendeiner Art Untergrundorganisation gefolgt und es war ganz klar kein Freizeittreff gepflegter Herren. Sie wusste nicht, was es sein könnte, aber es konnte sich um nichts Gutes handeln. Und jetzt saßen sie hier drin fest.

Durch die Luke drangen Stimmen, aber sie konnten keinen Satz genau ausmachen. Daren erhob sich sofort und drückte sein Ohr gegen sie Decke – sie war nicht allzu hoch – doch auf seinem Gesicht stand Frustration, sodass Maya nicht fragen musste, ob er etwas hören konnte oder nicht. Nach ein paar Minuten der Diskussion wurde es leiser, schließlich still. Kurz darauf kamen Schritte den Gang hinunter. Maya erhob sich auch und trat hinter Daren.

Dieser zischte: „Egal, was passiert, sag erstmal gar nichts. Nenne weder Aldens noch meinen Namen, verstanden?“

Sie nickte nur, auch wenn sie nicht ganz verstand, warum. Daren würde seine Gründe haben. War er ab jetzt also Ed. Sie spähte an Darens Arm vorbei in die Dunkelheit.

Knospen der Revolution

Wer auch immer sich näherte, sie – es waren zwei Personen – trugen kein Licht bei sich.

In den Schein ihrer Öllampe traten schließlich der ältere Herr und Alden. Maya wollte ihn schon erleichtert begrüßen, als sie sich erinnerte, dass sie seinen Namen nicht nennen sollte. Sein Gesicht wirkte auch nicht gerade einladend.

„Was hat dich besessen, mir zu folgen, Ed?“ Alden klang nicht wirklich wütend, eher frustriert.

„Neugierde“ Daren zuckte mit den Schultern. „Und Sorge.“

„Ich weiß, was ich tue“ Alden seufzte. „Warum hast du sie in Gefahr gebracht?“ Er nickte zu Maya.

„Sind wir in Gefahr?“ Darens Stimme nahm Ernst an.

„Ihr könnt gehen unter der Voraussetzung, dass ihr beide schwört, nie über diesen Ort zu sprechen, mich nie hierzu zu befragen und mir nie wieder zu folgen. Ich vertraue auf euer beider Integrität.“

„Ich fühle mich geehrt“ Daren drehte sich zu Maya. „Willst du gehen?“

Wollte sie? Ehrlich gesagt ja. Sie wollte vergessen, dass sie Alden jemals gefolgt war. Sie wollte von diesem Ort nichts wissen. Sie wollte ihr Studium abschließen und heiraten und Kindern Geschichten über die Welt erzählen.

Schöne Geschichten über Elfen und Zwerge und andere Wesen, die für Dorfkinder nichts anderes als Fabelwesen waren. Sie wollte nichts über Hexen im Wald oder Morde im Dunkeln oder Geheimgänge unter der Erde wissen.

Nur wusste sie über all diese Dinge schon.

Und auch in ihr brannte eine Neugierde, die sicherlich nicht gesund war. Dieselbe Neugierde, die sie in Darens Augen brennen sah. Daren war bereit, sein Leben aufs Spiel zu setzen. War sie es auch?

„Ich gehe nur mit dir“, entschied sie.

„Dein Pech“ Er nickte Alden zu. „Ich bleibe. Ich will wissen, was du hier machst. Auch wenn ich vermute, dass es mehr als einen Schwur benötigt, wenn ich dem, was du erzählen wirst, nicht zustimme.“

„Es kostet dein Leben“, bestätigte Alden.

Maya erschauderte. Wollte sie das wirklich? Sie konnte einfach umdrehen. Sie konnte gehen. Sie musste das nicht hören. Sie hatte ein Leben da draußen, zu dem sie zurückkehren konnte. Sie musste sich nicht irgendwelche Schauermärchen weit unter der Erde anhören. Und doch klammerte sie sich einfach nur stumm an Darens Arm. Ein Arm, der sich um sie legte, der sie zurück zu dem Tisch mit den zwei Seitenbänken leitete, auf dem ihre Öllampe stand, die noch immer die einzige Lichtquelle darstellte.

„Ich werde euch erzählen, was wir hier machen. Danach werdet ihr entweder Mitglieder oder sterben. Und wenn eure Mitgliedschaft nicht glaubhaft ist, werdet ihr auch sterben. Seid ihr euch der Konsequenzen bewusst?“

„Wenn wir nicht aus vollstem Herzen zustimmen, werden wir umgebracht? Das klingt harsch“ Daren lehnte sich gegen den Stein. Direkt hinter den Bänken endete der aus blankem Stein geschlagene Raum. Er hatte den Arm von Maya genommen und seine verschränkt.

„Noch könnt ihr gehen“, mahnte Alden sie ein letztes mal und sah zwischen ihnen hin und her. Schließlich seufzte er und nickte dem Mann neben sich zu.

„Ed und Maya, richtig?“ Er beäugte sie beide.

„Es sind nicht unsere richtigen Namen“, versicherte Daren.

„Etwas anderes hatte ich von Eduross Freunden auch nicht erwartet“ Eduross also. Maya prägte sich den Namen ein. Alden lief hier unter dem Namen Eduross. „Mein Name ist Nadir. Natürlich auch nicht mein richtiger Name.“

„Das Sicherheitssystem ist gut durchdacht. Auch wenn die Aufnahmeprinzipien der Überarbeitung bedürfen“ Daren trug ein arrogantes Lächeln auf den Lippen. Maya seufzte nur. Darens Selbstüberzeugung war ein ebenso großer Vorteil wie Nachteil.

„Ihr erhaltet Sonderbehandlung, weil Eduross für euch die Hand ins Feuer legt. Wenn ihr uns betrügen solltet, wird er dafür sterben.“

Maya hob eine Hand vor den Mund. Ihr Blick legte sich auf Alden. Sie hatten ihn schrecklich in Bedrängnis gebracht, nicht wahr? Sollten sie beide nein zu all dem hier sagen, würde man ihn auch bestrafen? Auf was hatte er sich hier nur eingelassen? Mit was für gefährlichen Leuten hatte er hier zu tun?

„Nun gut, ihr scheint euch sicher zu sein“ Nadir nickte. „Was wir hier aufbauen, ist eine Revolution. Unser Ziel ist es, die aktuelle Regierung zu stürzen und sie durch eine neue zu ersetzen.“

Wie bitte? Maya blinzelte überrascht. Die Regierung stürzen? Aber warum denn? Es ging den Menschen doch nicht schlecht. Bevor sie fragen konnte, tat Daren das für sie: „Warum?“

Nadir nickte Alden zu und dieser fuhr fort: „Die aktuelle Regierung ist eine Schattenregierung. Sie ist völlig abgeschnitten vom Volk. Niemand weiß, wer die Entscheidungen trifft und warum sie getroffen werden. Die Steuern werden in die Infrastruktur und das Militär gesteckt und prinzipiell läuft das bisher gut. Aber wie lange noch? Was machen wir mit einer Regierung, von der wir nicht wissen, wann sie was entschließt?“

„Das Interesse der Bürger an der Regierung ist gering, solange es gut läuft. Warum sollte man daran etwas ändern?“, fragte Daren nach.

„Weil nur die Fassade funktioniert. Die Regierung tut alles, damit der Status quo gehalten wird. Dazu gehört, in Hungersnöten das Volk zu sättigen, aber dazu gehört auch, in guten Zeiten Krieg zu führen, um die Bevölkerung auf einem Niveau zu halten. Und kann man gerade niemanden angreifen, wird daraus ein Bürgerkrieg. So lange die Regierung die Presse kontrolliert, funktioniert das System. Aber das heißt auch, dass alle, die zu genau nachfragen, getötet werden.“

„Stehst du auf den Abschussliste? Hast du zu viel gefragt?“ Daren hob eine Augenbraue.

„Ich noch nicht. Andere hier schon.“

„Ein Sammelsurium politischer Flüchtlinge also. Das erklärt die Geheimhaltung. Aber es erklärt immer noch nicht, warum diese Regierung gestürzt werden sollte. Außer wenn Angst und Selbstsucht neuerdings als angesehenes Motiv gilt, um tausende von Menschen in Chaos zu stürzen.“

Maya wusste nicht, ob sie faszinierte Bewunderung oder erschrockene Faszination für Daren aufbringen sollte. Gerade steuerte er sie in den sicheren Tod.

„Deine Zunge ist scharf wie immer“ Alden schüttelte lächelnd den Kopf. „Du weißt, dass ich mich für ein solches Motiv nicht hergeben würde.“

„Das ist wahr“ Daren lächelte. „Also hör auf, um den heißen Brei herum zu reden.“

„Nun gut“ Alden nickte. „Der Status quo hat Vor- und Nachteile. Vorteil ist sicherlich ein recht stabiles Land. Bauern ernten, Handwerker werken, Adlige scheffeln Geld. Jeder hat seinen Platz und wenn einer über die Strenge schlägt, wird er eliminiert. Das ist unser Status quo seit Einführung dieser Regierung, also seit dreihundert Jahren. Aber das heißt auch, dass wir uns in dreihundert Jahren kaum weiterentwickelt haben. Die anderen Völker hängen uns ab. Selbst die Gnome sind langsam fortschrittlicher als wir.“

„Aber ist das etwas Schlechtes? Ist es schlimm, wenn die Bauern ernten und die Handwerker werken?“ Maya bemerkte, dass Daren ganz bewusst die Adligen ausließ. Ihm war es wohl ganz recht, wenn die Adligen Geld bekamen.

„Aktuell nicht. Aber sobald sie mit Manufakturen und Erntemaschinen konfrontiert werden, sobald Korn aus Weidan und Stoff aus Iskar günstiger sind als alles, was ein Bauer oder Handwerker bei uns je produzieren kann, bricht das System in sich zusammen. Eine Hungersnot wird ausbrechen, die auch die Regierung nicht mehr bezahlen kann und die Revolten der Arbeiter wird die Adelsklasse und die Regierung auslöschen. Und dann erwartet uns Chaos. Und ich glaube nicht, dass ein anderes Volk uns zu Hilfe eilen wird. Sie werden warten, bis wir uns gegenseitig ausgelöscht haben und unser Land unter sich aufteilen. Vielleicht enden wir sogar wieder als Sklaven, so wie wir es vor der Magieapokalypse waren.“

„Und wann erwartet ihr diese eher unschöne Entwicklung?“ Daren wirkte nachdenklich.

„Nach aktuellen Hochrechnungen in zwanzig bis fünfzig Jahren“ Alden seufzte. „Es ist schwer, ein genaues Datum zu nennen, aber es wird in unsere Lebensspanne fallen. Und ich weiß, dass ich dir das alles nicht genauer erklären muss. Du hast dieselben Zeichen wie ich gesehen.“

„Und doch weißt du nicht, ob unsere Regierung nicht bereits gegensteuert. Wie du selbst sagst, handelt es sich um eine Schattenregierung. Kein einziger Beschluss ist öffentlich. Es könnte sein, dass bereits hunderte Maßnahmen geplant sind und du weißt nichts davon.“

Maya war ehrlich beeindruckt von Darens Einwänden. Er wusste absolut, von was er da sprach, während sie all diese Informationen erstmal verarbeiten musste. Er studierte wohl nicht umsonst seit zwei Jahren politische Wissenschaften.

„Wie du selbst schon deduziert hast, birgt dieses Versteck eine Menge politischer Flüchtlinge. Unter ihnen natürlich eine Menge, die das Problem auch erkannt haben und die versucht haben, der Regierung entsprechende Vorschläge zu unterbreiten. Die Antwort war ein Messer im Nacken in der Nacht, dem die hier Anwesenden oft sehr knapp entgangen sind. Das stärkt mein Vertrauen in diese Regierung nicht sehr. Ich fürchte, sie missachten die zunehmende Industrialisierung der anderen Völker.“

„Dennoch hast du keinen stichhaltigen Beweis, nicht wahr?“ Daren legte den Kopf zur Seite.

„Wir haben ein Mitglied der Schattenregierung festgenommen und verhört“ Aldens Gesicht hatte sich verdunkelt.

Nadir legte eine Hand auf seinen Arm.

„Ed wäre ein formidabler Verbündeter, wenn wir ihn überzeugen können. Ich spiele mit offenen Karten. Es bringt nichts, vitale Informationen geheim zu halten. Wenn er nicht zustimmt, werdet ihr ihn sowieso töten, also kann ich auch alles offen legen“, wandte sich Alden an diesen, sodass der ältere Herr schließlich nickte.

„Ich schließe aus der Reaktion, dass dieser Fakt nicht mal allen Mitgliedern bekannt ist?“ Alden nickte auf Darens Rückfrage. „Ich schließe weiterhin, dass du nicht irgendwer für diese Organisation bist?“

„Nicht wirklich“ Ein nicht allzu freundliches Lächeln legte sich auf Aldens Lippen. „Diese Organisation hat drei Anführer. Ich bin einer davon.“

„Dann überzeuge mich mal von dem Plan, den ihr ausgearbeitet habt“ Das Lächeln auf Darens Lippen wirkte auch nicht gerade nett.

Maya legte die Arme um sich selbst. Ihr war nicht mehr danach, hilfesuchend nach Daren zu greifen. Aktuell schien er ihr keine Hilfe. War sie denn von Wahnsinnigen umgeben? Die Regierung stürzen, was für ein barer Unsinn!

„Wie habt ihr es geschafft, ein Mitglied festzunehmen, wenn alle Mitglieder geheim sind?“, fragte sie demnach.

„Weil nicht jeder Geheimhaltung gleich schreibt, Maya“ Alden wandte sich zum ersten mal ihr zu. „Dieser hat geprahlt mit seiner neuen Stellung. Aber anscheinend kommunizieren selbst die Mitglieder der Schattenregierung nur über Schaltstellen und die einzelnen kennen sich gegenseitig nicht, was uns nur bedingt weiter bringt. Wir wissen, an welchen Verteiler dieser Mann seine Briefe gab, aber wir wissen auch, dass mit dessen Festnahme der Verteiler nutzlos ist. Er könnte uns höchstens sagen, in welche Landstriche er die verschiedenen Briefe sandte, aber wir wissen nicht, wie viele Verteiler zwischen den Mitgliedern stehen.“

„Das klingt wie ein sehr kompliziertes System, in dem viele Informationen verloren gehen“, merkte Maya an.

„Es ist auf jeden Fall so komplex, dass zeitnahe Entscheidungen unmöglich sind. General Aledoro, der Oberbefehlshaber der Armee, trifft solche. Die Schattenregierung entscheidet nur langfristige Entwicklungen und die – so wir das beurteilen können – auf reichlich uninformierter und undurchdachter Basis.“

„Wie konnte so ein System dreihundert Jahre bestehen?“ Maya legte die Stirn in Falten. Sie verstand nicht viel von Politik, aber sie begann zu verstehen, wo das Aldens Problem mit der aktuellen Regierung lag.

„Durch äußerst bedachte Generäle“, antwortete Daren an Aldens statt, „zwischendurch gab es einen nicht ganz so begabten, das endete in einem verheerenden Bürgerkrieg. Du hast vielleicht in der Schule darüber gelernt.“

„Also leben wir im Endeffekt in einer Diktatur eines Mannes, der durch eine unbestimmt große Gruppe Unbekannter unterstützt wird?“ Sie legte den Kopf zur Seite.

„So sieht es aus“ Alden nickte. „Und damit hast du direkt die zweite Gefahr genannt – jeder neue General und jede Unpässlichkeit des Generals stellt eine Gefahr dar. Das System hat eher durch ein Wunder bisher gut funktioniert. Aktuell läuft es jedoch vor eine Wand.“

Maya sah zu Daren, der nickte. Er schien die Meinung der Anwesenden zu teilen. Wenn ein in Politik Studierter so dachte, musste wohl etwas dran sein, auch wenn sie das nicht überblicken konnte. Schließlich nickte sie auch, was wohl die erwartete Reaktion war.

„Der Plan?“, fragte Daren noch einmal.

„Diese Gruppe ist in drei Bereiche geteilt, daher auch drei Anführer. Die eine Gruppe beschäftigt Informanten und Assassine. Sie sammeln Informationen über die Regierung und ihre Mitglieder und bilden Leute aus, die diese festnehmen oder töten können, wenn das notwendig wird. Eine weitere Gruppe beschäftigt sich mit dem zukünftigen Regierungssystem, schreibt eine Verfassung und arbeitet ein Gesetzwerk aus. Und meine Gruppe beschäftigt sich damit, wie wir unsere Nachbarn und die Bevölkerung auf unsere Seite bringen. Ich bin die Außenrepräsentation.“

„Das klingt durchdacht. Alle Revolutionen sind stets daran gescheitert, dass entweder nur die Assassine oder die Reformer vertreten waren. Und ich habe noch nie von einer Revolution gehört, die sich mit Außenrepräsentation beschäftigt“ Daren lehnte sich vor und legte die Arme auf die Tischplatte. „Wie viele Leute hat deine Gruppe? Was ist eure Vorgehensweise?“

„Meine Gruppe hat mich und unsere Vorgehensweise würde ich gern mit dir planen“ Alden seufzte. „Ich war der mit der Idee, dass die Regierung sicher durch diplomatische Beziehungen ins Ausland stabilisiert wird, und bei dem, was wir wissen, möglicherweise zu Teilen im Ausland liegt. Also empfinde ich es als wichtig, zumindest die angrenzenden Länder auf unsere Seite zu bringen. Während mir darin zwar alle hier zustimmten, sind die Mitglieder zumeist Studierte oder Fernreisende wie Händler. Die Kombination von jemandem, der Theorie und Praxis beherrscht, gibt es aktuell nicht.“

„Jemand wie ich?“ Ein Lächeln legte sie auf Darens Lippen.

„Jemand wie du“ Alden nickte und lehnte sich ebenfalls vor. „Ich brauche dich, um einen sinnvollen Plan aufzustellen.“

„Du fragst reichlich spät“ Daren hob eine Hand und stupste Alden mit einem Finger auf die Nase. „Du hättest ruhig früher mal einen Ton sagen können. Du kennst meine Einstellung zur Regierung doch. Ich halte meine Meinung nicht gerade hinterm Berg.“

„Trotzdem ist einer geheimen Organisation beizutreten, die im Kompletten auf der Abschussliste der Regierung und des Militärs steht, nochmal etwas anderes“ Alden griff die noch immer erhobene Hand. „Ich bin froh, dich bei uns zu haben, Ed.“

„Was soll ich schon tun, wenn du so nett bittest, Eduross?“ Daren grinste. „Dann sind wir drei ab jetzt die Außenrepräsentationsgruppe.“

„Drei?“ Alden warf einen schnellen Blick zu Maya.

„Drei“ Daren lehnte sich zurück und legte einen Arm um Maya. „Jede Diplomatentruppe braucht eine hübsche Frau in ihren Reihen. Und was soll sie sonst machen? Assassine werden?“

Maya sah zwischen den beiden hin und her und wusste durch Aldens Nicken ihr Schicksal besiegelt. Ob sie nun wollte oder nicht, sie war Mitglied der Revolution. Eine Diplomatin für die Revolution. Was würde ihre Mutter bloß zu all dem sagen?

Beitritt

„Ihr werdet uns demnach beitreten?“, fragte Nadir noch einmal nach.

„Natürlich.“ Daren nickte und damit schien von ihr keine weitere Reaktion erwartet zu werden. Sie war halt nur eine Frau. Was war sie schon mehr als schmückendes Beiwerk? Historische Taten waren das Metier von Männern. Es reichte, wenn sie sich im Hintergrund hielt.

„Dann folgt uns nun. Wir werden euch den wichtigsten Gruppenmitgliedern vorstellen und euch den Eid der Revolution schwören lassen.“

Nadir erhob sich und sie folgten ihm aus der kleinen Kammer den dunklen Gang entlang. Daren nahm ihre Öllampe mit. Je näher sie in den Gang vordrangen, desto weniger stickig wurde es und Maya wurde erfüllt von der Erleichterung, wieder atmen zu können. Am Ende des Gangs führte eine einfache Holzleiter durch eine Luke nach oben.

„Welcher großartige Stratege hat diesen Unterschlupf entworfen?“, murmelte Daren, als Nadir als erster die Leiter hoch stieg, „ein unterirdisches Labyrinth, ein Keller, der selektiv von oben zugänglich ist mit Räumlichkeiten, wo ein einziger guter Kämpfer sich durch Wachlegionen schlachten könnte ...“

„Seit wann bist du auch Militärstratege?“ Alden hob eine Augenbraue.

„Du weißt, dass das hier meine Leidenschaft war, seit ich ein kleines Kind war.“

„Du hattest schon immer spannende Freizeitaktivitäten.“ Alden erklomm die Leiter. „Das hier ist der Sitz der ehemaligen Gilde der Assassine.“

„Ehemalig? Gibt es die nicht mehr?“ Daren setzte einen Fuß auf die Leiter und sah nach oben, wo Alden sich gerade durch die Luke geschwungen hatte.

„Die Gilde ist jetzt die Revulotion. Alle Gildenmitglieder sind uns beigetreten und sie haben uns ihr Hauptquartier gegeben. Oder richtiger, die Gilde der Assassinen hat zusammen mit mehreren politischen Flüchtlingen die Revolution gegründet.“

„Und wahrscheinlich ist die Gilde nebenher noch eure beste Einnahmequelle?“ Daren schnaubte.

„Teils, teils.“ Daren war fast oben angekommen und Alden lehnte sich vor, um ihm etwas ins Ohr zu flüstern, doch Maya konnte es unten an der Leiter noch hören. „Die meisten Mitglieder unserer Gesetzesgruppe leben noch, gerade weil die Gilde der Assassine sie nicht getötet sondern gewarnt und in unsere Reihen gebracht hat. Die Schattenregierung selbst hat uns die meisten Mitglieder zugespielt.“

„Und dann haben sie die Regierung angelogen und kassiert?“ Daren grinste über die Schulter. „Verwegen, mein guter Junge.“

„Nadir ist halt gut.“ Alden reichte Daren eine Hand und half ihm das letzte Stück hoch. „Und übrigens der Leiter der ehemaligen Assassinengilde.“

Maya sah Daren für einen Moment sprachlos, doch konzentrierte sich schließlich darauf, die Leiter hoch zu steigen. In ihrem Kleid und den hübschen Riemchenschuhen war das nicht so leicht, schließlich wollte sie möglichst nicht ihre neue Kleidung ruinieren. Oben angekommen fand sie sich in einem einfachen, mit Holz ausgeschlagenen Raum wieder, wo eine einzige Tür in eine Art Schankraum führte, wo mehrere Männer an langen Tischen saßen und sich unterhielten.

Eher gesagt mehrere in Mäntel, Bauern- oder Hafenarbeiterkleidung gewandete Männer, die in den meisten Kneipen der Stadt nicht ansatzweise aufgefallen wären. Manche hatten Narben, die wenigsten sahen wirklich gepflegt aus, ein paar schienen zu riechen. Auf den ersten Blick unauffälliges Gesindel, doch mit der Information, wahrscheinlich die Assassinengilde vor sich zu haben, bemerkte sie bei vielen mindestens einen Dolch, teils mehrere mehr oder weniger versteckte Waffen.

Es saßen auch einige gepflegte Herren dazwischen, von denen sie vermutete, dass es sich um Mitglieder der Gesetzesgruppe handelte. Überrascht bemerkte sie bei genauerer Musterung einen Zwerg unter diesen und zwischen zwei älteren, von Narben gezierten Herren saß eine Halblingfrau. Mit einem kurzen Anflug von Begeisterung sah sie sich um, ob sie vielleicht auch einen Elf entdeckte, allerdings hatte sie kein Glück.

„Wir dürfen zwei neue Mitglieder begrüßen: Ed und Maya“, stellte Nadir sie vor und die Sitzenden begannen zu klatschen und zu pfeifen.

Maya blinzelte überrascht. So viel Herzlichkeit hatte sie von Mördern nicht erwartet. Ein Mann nahe der Theke, auf der mehrere Fässer mit Zapfhähnen standen, erhob sich und öffnete einen Schrank neben dieser. Heraus holte er ein dickes, sehr alt aussehendes Buch und trat damit näher.

„Der Kodex der Gilde der Assassine.“ Nadir wandte sich zu Daren. „Nun ist er der Kodex der Revolution. Er beschreibt, wie Geheimhaltung zu wahren ist und wie Mitglieder miteinander umzugehen haben. Mit eurem Beitritt verpflichtet ihr euch, dem Kodex zu folgen, daher verlangen wir von jedem Mitglied einen Schwur auf das Buch.“

Daren streckte folgebereit eine Hand aus. Es entlockte Nadir, der mit den tiefen Furchen im Gesicht doch sehr ernst und streng aussah, das erste kleine Lächeln, das Maya bisher gesehen hatte. Ohne auch nur einmal in das Buch gesehen zu haben, schwor Daren ohne jegliches Zögern, alles, was in diesem Buch stand zu befolgen. Maya murmelte die Worte nur, als man es ihr vorhielt. Wahrscheinlich würde man sie für schüchtern halten.

Schüchtern war sie vielleicht nicht, aber eingeschüchtert ganz fraglos. Eine nicht gerade geringe Anzahl der Leute in diesem Raum würde sie töten, wenn sie auch nur den kleinsten Fehler beging. Also wagte sie ihre erste eigenständige Aktion seit Beginn dieses desaströsen Nachmittags und fragte Nadir: „Darf ich den Kodex lesen?“

„Natürlich doch.“ Er drückte ihr das schwere Buch in die Hand. „Aber vorsichtig damit.“

Sie verzog sich mit dem Buch ans Ende eines Tisches. Wenn sie schon irgendwie hier rein geraten war, wollte sie auch lebend wieder raus. Ein Regelwerk, wie man hier überlebte, kam ihr höchst gelegen. Daren währenddessen ließ sich von Alden verschiedensten Leuten vorstellen und schon bald entfachte eine politische Diskussion, an der sie aktuell nicht das geringste Interesse hatte.

Sie wollte einfach nur nach Hause.

Sie wollte etwas Zimtkuchen, den ihre Mutter nur machte, wenn ein ganz spezieller Gewürzhändler, der nur zweimal im Jahr kam, durch ihr Dorf zog. Sie wollte mit Barno, dem Hund ihres Nachbarn, auf einer Wiese sitzen und Gänse hüten. Sie wollte mit Nessa, ihrer etwas eingebildeten Freundin aus Kindheitstagen, über die Dummheiten der Jungs lästern, an denen beide im Geheimen doch irgendwie Interesse hatten.

Sie wollte nicht im Keller eines geheimen Hauptquartiers sitzen und ein Buch lesen, das nur deshalb so dick und schwer war, weil die Seiten aus Leder waren, auf die mit roter Tinte – oder Blut – ein Kodex geschrieben war. Sie wollte vor allem nicht wissen, aus was oder wem das Leder gewonnen worden war.

Die Regeln in und an sich waren einfach. Jedem Mitglied war mit Respekt zu begegnen, man verriet einander nicht, man verkaufte keinen anderen, man erzählte nicht mal seiner Katze, was das hier für ein Ort war. Geheimhaltung war kein allzu schweres Konzept. Und die Strafe für so ziemlich jedes Vergehen war der Tod, das machte es recht einfach.

Sollte sie irgendjemandem, seien es ihre Eltern, die Polizei oder ein Mitstudent, etwas erzählen, war die Strafe der Tod. Sie durfte mit Daren und Alden auch nur hier planen, Aldens Wohnung war tabu. Sie hatte mindestens einmal die Woche hier zu sein, um zu bestätigen, dass sie noch lebte, außer sie kündigte eine längere Abwesenheit an. Und schriftliche Aufzeichnungen mussten stets vernichtet werden.

Sie prägte sich die Karte des unterirdischen Labyrinths, die sie gezeichnet hatte, genau ein und trat hinüber zu einem kleinen Kamin, der den Raum heizte, um ihre Zeichnung hinein zu werfen. Darauf nahm sie den Kodex und legte ihn Daren vor die Nase, damit er ihn auch las.

Dieser verstummte überrascht und starrte das Buch mit einem Ausdruck von Faszination und Ekel an.

„Ja, das ist Menschenhaut“, bestätigte Maya, die genug Zeit mit dem Buch verbracht hatte, um die typischen Schlachttiere des Landes alle aus zu streichen. Es gab immer noch keine Sicherheit für ihre Aussage, jedoch eine hohe Wahrscheinlichkeit.

Daren hob überrascht den Blick und sah sie einen Moment an, bevor er stumm eine Hand ausstreckte und sie neben sich auf die Bank zog, als sie diese ergriff. Mehr noch, er legte den Arm um sie und zog sie ganz nah zu sich heran. Er begann, das Buch nebenher zu lesen, während er sich weiter unterhielt.

Sie schloss nur die Augen und verlor sich in ihrer Erinnerung an das sanfte Gras ihrer Heimat und die vielen Tiere, mit denen sie ihre Tage verbracht hatte. Was auch immer Alden und Daren diskutieren mochten, auch wenn es wichtig war, sie verschloss die Ohren davor. Für einen Tag hatte sie genug über Tod und Ermordungen gehört.
 

„Während Zwerge natürlich die älteste Rasse sind und im Bergbau keine Konkurrenz besitzen, haben sich Elfen von allen nachfolgenden Rassen am meisten in einer Führungsrolle etabliert. Seien es Luxusartikel oder Kunst, die Elfen sind vor allem für ihr hohes Kulturangebot bekannt. Jedoch waren natürlich weder Webteppiche noch Goldketten oder Portraits die Grundlage ihres heutigen Erfolgs. Die Elfen genießen ihre heutige Position durch die technischen Errungenschaften, die bis heute in unserer Welt einzigartig sind. Pumpensysteme, Heizungsysteme und Fortbewegungsmittel wie die Schwebebahn wurden von Elfen erfunden, sie sind praktisch die Begründer des Begriffs Infrastruktur. Die größte Erfindung der Elfen ist jedoch ihre Hauptstadt Eloarune selbst. In den Bergkriegen im Jahr 826 sowie den Elfenkriegen im Jahr 967 konnten sich die Elfen dadurch verteidigen, dass sie die Stadt in den Himmel hoben und sich so ihren Feinden entzogen.“

„Den Elfenkrieg haben sie trotzdem verloren“, flüsterte Alden ihr von der Seite zu, „die Dunkelelfen haben die Stadt abgeschossen. Das hat die Elfen beinahe all ihre Errungenschaften gekostet. Sie mussten von den Menschen gerettet werden.“

Maya versuchte sich auf ihre Notizen zu konzentrieren, aber es war ihr, als würden die Worte ihres Professors zum einen Ohr hinein und zum anderen wieder hinaus gleiten. Sie war noch immer von Erstaunen erfüllt, dass sie gestern Abend einfach hatten gehen dürfen. Sie hatte mehr Misstrauen erwartet nach allem, was sie von der Revolution erlebt hatte. Aber sie hatten alle gehen dürfen, sie hatte für Alden und Daren gekocht und war in ihrem Wohnheim ins Bett gefallen, wobei sie den nackten Mann im anderen Bett problemlos ignoriert hatte.

Wie sollte sie da wieder raus kommen? Sie wollte doch nur studieren. Sie wollte lernen und schließlich lehren. Was hatte sie denn mit der Regierung zu tun? Das ging doch weit über ihren Kopf hinaus. Und jetzt war sie ein Staatsfeind, ein Verräter an ihrem eigenen Land und das nur, weil sie ihrer unglücklichen Liebe hinterher geschlichen war.

Hätte sie sich einfach gleich von Alden getrennt, dann wäre sie jetzt nicht in dieser Lage. Dann würde man ihr vielleicht ein paar Fragen stellen, wenn man Alden festgenommen hatte, aber man würde nicht erwarten, dass sie etwas wusste. Eine Haushälterin, die ein paar Wochen für ihn gearbeitet hatte, wer wäre das schon? Aber nein, sie musste ja in den Hintergassen von Lamati umher schleichen.

Hätte ihr nicht vorher auffallen können, was für eine kolossal schlechte Idee das alles war? Spätestens vor dem Abstieg in den Untergrund hätte sie doch umkehren müssen. Was hatte sie da bloß geritten? Sie war doch sonst so vorsichtig, hatte stets auf die innere Stimme der Vernunft – die Stimme ihrer Mutter – gehört. Und natürlich musste das eine mal, wo sie nicht ganz hingehört hatte, vollkommen desaströs enden. Wie hätte es anders sein können?

„Bis heute unangefochten in seiner technischen Finesse ist der Bau der elfischen Bergbahn. Mit einer Steigung von bis zu 53 Grad überwindet die Bergbahn Steigungen, die sonst nur mit Bergziegen oder Serpentinen zu bewältigen sind. Hierbei ist zu erwähnen, dass die Bergbahn eine Zusammenarbeit von Elfen und Zwergen ist, bei der die Seillegierungen von einer Expertengruppe beider Rassen ausgearbeitet wurden.“

Wie sollte sie da denn wieder heraus kommen? Im Kodex stand, dass auch das Austreten aus der Gruppierung mit dem Tod bestraft wurde. Hatte sich denn nie ein Assassin zur Ruhe setzen wollen? Was war denn der Sinn, mit dem Morden viel Geld zu verdienen, wenn man es nie ausgeben konnte? Oder wurde jeder, der die fünfzig überschritt automatisch zum Führer der Gilde? Nardi war ein älterer Herr, sicherlich der älteste, den sie gesehen hatte, aber selbst er mochte höchstens Mitte fünfzig sein. Vielleicht war das ja deren Idee von Ruhestand ... die Verwaltungsarbeit machen.

Oh, es war doch egal, wie die Gilde der Assassinen funktionierte. Wichtig war, wie sie es schaffte, diese Sache zu überleben. Es gab nur zwei Möglichkeiten dafür. Entweder die Revolution erreichte ihr Ziel oder jeder außer ihr starb. Da Zweiteres sehr unwahrscheinlich schien, war ihre einzige Möglichkeit wohl, der Revolution ihre Kraft zu leihen. Aber was sollte sie schon ausrichten?

Sie konnte kochen und putzen, sie konnte einen Haushalt organisieren und grundlegende akademische Fähigkeiten besaß sie auch. Vielleicht könnte sie die Buchhaltung machen? Die Finanzen im Blick behalten? Die Versorgung der Mitglieder im Auge behalten? Sie könnte ein paar dieser stinkenden Mäntel waschen, aber mehr fiel ihr wirklich nicht ein. Die Worte Außenpolitik und Revolution konnte sie nicht im Geringsten zusammen bringen. Das sollten Daren und Alden zwischen sich ausmachen und wenn sie eine lächelnde Dame an ihrer Seite brauchten, würde sie da sein. Ansonsten konnte sie sich nicht vorstellen, eine Hilfe zu sein.

„Die Stadtbahn wurde im Jahr 973 als Besiegelung des Bündnisses von Iskar und Tayann gebaut, wodurch Zenair als Hauptstadt Tayanns designiert wurde und seitdem ist. Die menschliche Historie wird seitdem stark von einem elfischen Einfluss geprägt. So folgten dem initialen Bündnis mehrere Handelspakte, bis im Jahr 1081 der freie Handel eingeführt wurde, durch den Elfen und Menschen ohne Zölle und Passkontrollen zwischen Iskar und Tayann wechseln können. Dies bewirkte einen wirtschaftlichen Aufschwung und eine vermehrte Migration, die bis heute als Grund gesehen werden, dass in der Dürre von 1085 durch die elfische Ressourcenverwaltung eine Hungersnot unter den Menschen verhindert wurde. Damit begann eine noch engere Zusammenarbeit, in der Elfen sich vermehrt in die menschliche Innenpolitik einbrachten und schließlich als unabhängige Berater bei Krisen fungierten. Diese Rolle nehmen sie bis zum heutigen Tag ein. Die Weitsichtigkeit der Elfen konnte schon mehrere Krisen verhindern. Diesem Kapitel geteilter elfischer und menschlicher Politik werden wir uns morgen widmen, ich bitte sie als Vorbereitung folgende Kapitel Ihrer Bücher zu lesen.“

Maya besaß genug Geistesgegenwart die genannten Buchstellen mitzuschreiben. Sie sollte sich wohl freuen, dass ihre Kursarbeit sie gleichzeitig auf die Realität vorbereiten würde, der sie sich nun plötzlich gegenüber sah. Das war wohl etwas, was sie tun könnte – sie könnte sich erstmal über die aktuelle Außenpolitik und die Geschichte dieser Politik informieren, um zu wissen, wie die Länder um sie herum zu Tayann standen. Auch wenn Daren das studiert hatte, sollten sie nicht alle Arbeit auf ihn abwälzen. Wenn sie wirklich als eine Gruppe von drei Menschen diese Aufgabe übernehmen wollten, sollte jeder seinen Teil beitragen. Aktuell hatte sie nichts außer einem hübschen Gesicht beizutragen und bei Raziel, sie war zu mehr fähig, als eine Dekoration zu sein. Sie konnte recherchieren, sie konnte lernen über das, was auf sie zukommen würde. Wenn sie etwas gut konnte, dann war es, schnell eine Menge von Informationen in sich aufzunehmen. Sie würde Daren nach seinen Büchern fragen. Und sie würde sich auf ihr Iskarimstudium konzentrieren. Die Elfen waren sicherlich einer der wichtigsten Punkte auf ihrer Außenpolitikliste und sie würde das Gespräch mindestens verstehen müssen.

Bis dahin hatte sie noch viel zu lernen.

Leben unter Assasinen

In den wenigen Momenten, wo Maya einen Augenblick der Selbstreflektion zuließ, war sie erstaunt, wie sehr die drohende Lebensgefahr ihre kindischen Gefühle Alden gegenüber zurecht gerückt hatten. Was war da bloß in sie gefahren? Er war ein Mann, ja, ein netter noch dazu, aber er war doch sowieso völlig außerhalb ihrer Reichweite. Was sollte sie denn mit einem Mann, der ohne die Unterstützung seiner Familie nicht einmal überleben konnte? Wollte sie sich mit einer Beziehung nichts als freundlich lächelnden Ballast anschaffen? Ihre Mutter hatte ihr gesagt, dass das wichtigste Kriterium bei einem Mann war, dass er sie in der Not stützen konnte. Er musste in der Lage sein, sie physisch, emotional und materiell zu unterstützen, wenn sie es brauchte. Was war Alden davon schon? Ohne seine Familie hatte er nichts als seine Muskeln und sein Lächeln.

Ein schönes Lächeln, zugegeben, aber ganz wie Daren sagte, ohne ihre Familie wären sie verloren. Sie könnte ihm eine Anstellung finden, aber das war ja nicht der Sinn. Wenn er ein bisschen mehr der bürgerlichen Welt wüsste, vielleicht wäre er dann eine Möglichkeit, aber so, wie er war, reichte er nicht aus.

Ganz egal, wie verliebt sie war.

Und in aller Ehrlichkeit hatte die Sache mit der Revolution eine tiefe Kerbe in diese Verliebtheit geschlagen. Sie schnaubte und schüttelte den Kopf über sich. Es war eine interessante Erfahrung gewesen und sie war froh, dass sie ein solches Ende gefunden hatte.

Jetzt bereitete es ihr keine Gedanken mehr, morgens Aldens Tür aufzuschließen und auf einen möglicherweise nur teilweise bekleideten Mann zu treffen. Die Kumpanen ihrer Zimmergenossen begannen, sie mit einer gewissen Immunität auszustatten, was diesen Anblick anging. Wenn sie nicht in der Wohnung arbeitete oder mit ihm aß, saß sie auf dem Campus oder in seiner Bibliothek und las oder lernte. Teils mit Daren an ihrer Seite – oft setzte er sich einfach nur wortlos mit einem Buch zu ihr – doch meistens allein.

Bis sie selbst das Schweigen zwischen ihnen brach, als auch Daren bei ihnen in der Küche saß: „Es sind sechs Tage vergangen.“

„Was?“ Alden sah verwirrt auf.

„Arbeitslustig?“ Daren grinste.

„Ich darf ja über nichts sprechen, aber wir haben da gewisse Regeln zu befolgen“, versuchte sie vorsichtig zu formulieren.

„Was meinst du?“ Darens Stirn legte sich in Falten und Alden sah zwischen ihnen beiden hin und her.

„Die Anwesenheitspflicht. Erscheinen ist nach spätestens sieben Tagen Pflicht, wenn man sich nicht persönlich abgemeldet hat.“ Sie seufzte. „Hat jemand außer mir den Kodex gelesen?“

Die beiden jungen Männer sahen einander an, bevor sie praktisch synchron schuldbewusst den Kopf senkten. Maya seufzte nur. Ehrlich, warum sollte sie sich solchen Ballast antun? Nein, keiner der beiden würde einen gescheiten Ehemann abgeben.

„Morgen nach den Vorlesungen?“, schlug Alden vor.

„Ich habe bis vier Uhr“, warf Daren ein.

„Dann lasst uns danach essen und von da aus weiter gehen. Es dürfte das Unauffälligste sein. Treffen wir uns bei Gennevie?“ Alden hatte sich Daren zugewandt, der mit einem Nicken antwortete, bevor er zu Maya sah. „Ich fürchte, dann werden wir morgen das Abendessen verpassen.“

„Dann wirst du morgen ein üppiges Frühstück essen müssen, ich bin nicht einverstanden damit, Lebensmittel verfallen zu lassen.“

„Sehr gut, dann komme ich zum Frühstück.“ Daren lächelte. „Wann soll ich hier sein?“

„Um kurz nach sieben“, entschied sie ohne jegliches Einverständnis von Alden. Wenn dieser meinte, ohne Nachfrage über ihren Zeitplan zu verfügen, würde sie über seine Wohnung verfügen.

„Perfekt.“ Daren grinste, was bei Alden ein missbilligendes Zucken der Mundwinkel hervor rief. „Dann bis morgen. Beugt euch nicht zu lange über eure Bücher.“

„Das musst du nur ihr sagen.“ Alden verschränkte die Arme. „Raziel verbitte, dass sie mal was anderes tut als zu lesen.“

„Gerade Raziel als Gott der Wissenschaft wäre stolz auf mich, denke ich.“ Sie begann, den Tisch abzuräumen. „Und im Gegensatz zu mir musst zu deine Hausarbeit zur Bündnisgeschichte von Tayann und Iskar noch schreiben. Das ist essentielles Wissen für die Arbeit, die du vorhast zu machen, also halt dich ran.“

Alden seufzte nur und Daren lachte ihn leise aus. Als er den Mund öffnete, um doch noch etwas zu erwidern, fuhr ihm sein Freund nur ins Wort und meinte: „Sie hat absolut recht, die Elfen werden unser erstes Ziel sein.“

„Sei doch still.“ Alden verschränkte beleidigt die Arme.

Selbst Maya zauberte es ein Lächeln auf die Lippen.
 

Alden – Eduross, sie sollte beginnen in Pseudonymen zu denken – war in der Lage, sie schnell und effizient durch das Labyrinth zu führen. Auf Nachfrage gestand er ihnen sogar, dass die Kennzeichnungen überhaupt keiner Regel folgten und nur der Verwirrung dienten. Wer auch immer dieses Sicherheitssystem erfunden hatte, war ein Genie gewesen. Man bekam kaum Luft, wurde an der Grenze zur Panik gehalten, der Weg streckte sich vor den Augen ins Unendliche. Der letzte Part war das Schwierigste. Nach dem Klopfen vor der Tür zu warten, am weitesten von jeder Frischluftquelle entfernt, stickig, heiß, das ständige Gefühl des Erstickens – sie drückten sich durch die Tür und sogen die Luft dahinter dankbar ein.

„Sensible Gemüter“, spöttelte der Mann, der ihnen geöffnet hatte. Er war eine der gruseligen Gestalten, gehüllt in einen stinkenden Mantel, das Gesicht schwarz von Ruß hinter dem Schal und der Kapuze.

„Es fehlt die jahrelange Erfahrung mit diesen Gängen.“ Eduross richtete sich auf und nickte dem Mann zu.

„Es fehlt die jahrelange Erfahrung mit Folter.“ Dieser nickte zurück.

Maya schüttelte sich nur. Sie ahnte, warum Revolutionen sonst nicht alle drei Seiten abdeckten – wie sich die Diplomaten mit den Assassinen verstehen sollten, war ihr ein Rätsel. Dieser Mann löste bei ihr nichts als Ekel aus. Ed sah da nicht wirklich anders aus, er konnte es nur besser verbergen.

„Folgt mir“, sagte Eduross zu ihnen und führte sie eine Etage höher zu einem Tisch für vier Personen. Auf dem Weg hoben einige Gestalten ihre Humpen – manche mehr, manche weniger gepflegt – und Eduross wechselte kurze Worte, aber keiner schien ihn länger aufhalten zu wollen.

Maya wagte es erst, sich umzusehen, als sie sicher saß. Was sie erblickte, raubte ihr jedoch einen kurzen Moment den Atem. Hinter der Theke hatte eine Halblingdame gestanden, die sie beim Hereinkommen aufgrund der Größe nicht gesehen hatte. Aktuell ging sie die Tische ab, servierte Getränke und wusch alte Humpen.

Ein echter Halbling! Wie eine erwachsene Frau, nur halb so groß, aber alles gleich proportioniert. Eine hübsche Dame genau genommen, ein gebärfreudiges Becken, eine gut gefüllte Brust wie nach dem zweiten oder dritten Kind. Im Gegensatz zu einem Mensch hatte sie jedoch leuchtend rotes Haar, ein etwas dunklerer Ton ähnlich wie Blut. Auch waren die Ohren leicht gespitzt, die Hände und Füße etwas größer. Dennoch wirkte sie nicht zierlich, sie trug eine Aura von Kraft, Selbstsicherheit, vielleicht sogar ein wenig Gefahr mit sich.

„Das ist ja eine bemerkenswerte Wirtin!“ Das erste mal seit vielen Tagen lächelte Maya ehrlich.

„Lass sie das nicht hören.“ Eduross grinste. „Sie ist die Sprengstoffmeisterin. Sie bewirtet nur, wenn sie gerade keine explosiven Sachen zusammenbaut. Ihr Name ist Gerda.“

„Gerda ... ist sie aus Weidan?“ Die meisten Halblinge lebten zusammen mit den Zentauren in Weidan, demnach war es eine gute Schätzung.

„Nein, hier aus Tayann. Sie ist halb Halbling, halb Gnom oder Goblin, so genau weiß das keiner. Ihre Mutter war eine Prostituierte, die ihr Kind ins Waisenhaus gesteckt hat. Die meisten Assassine hier haben keine sehr fröhliche Vorgeschichte.“

„Assassine ... warum tritt jemand solch einer Gilde bei?“

„Ich vermute, es entwickelt sich über die Zeit ein gewisser Hass auf die Menschheit, wenn man genug Ablehnung erfährt. So scheint es mir zumindest bei denen, die über ihre Vorgeschichte sprechen. Alle haben recht ... merkwürdige Persönlichkeiten. Sie wirken ganz normal und kurz darauf schon nicht mehr.“

Wirklich? Der Mann vorhin hatte auf sie so gar nicht normal gewirkt. Auch Gerda schien nicht wirklich normal, sie beleidigte die Hälfte der Gäste beim Durchqueren des Raums. Andererseits wusste sie auch nicht, was „normal“ bei Assassinen bedeuten sollte. Jeder dieser Menschen wäre ihr sofort aufgefallen, wäre sie ihnen auf der Straße begegnet.

„Und was wollt ihr, ihr haarlosen Affen?“, grüßte Gerda sie, als sie bei ihrem Tisch vorbei kam.

„Was für Weine sind denn im Angebot?“, fragte Ed sie.

„Halt den Schnabel, Früchtchen.“ Sie hob mahnend einen Finger. „Wer sind denn die zwei Gestalten, Eduross?“

„Der Rest meiner Diplomatentruppe.“ Dieser lächelte sie mit einem Ausdruck von Stolz an.

„Ach, noch mehr von dem hochwohlgeborenen Gesindel? Bah, ihr seid alle widerwärtig. Wein! Als hätten wir nichts Besseres zu tun, als unser Geld für solchen Blödsinn auszugeben!“ Sie machte auf der Stelle kehrt und verschwand Richtung Theke.

„Sehr liebenswürdig.“ Ed schüttelte den Kopf. „Warum unterstützt die Gilde der Assassinen die Revolution?“

„Weil auch Assassine ein Gewissen haben. Als ihre Aufträge nur noch aus politischen Gegnern der Regierung bestanden – meist freundlichen, intelligenten Menschen – wandten sie sich gegen die Regierung. Sie nehmen die Aufträge zwar an, aber sie lassen die Opfer hierher verschwinden, sie töten nur wenige. Viele hier haben etwas dagegen, kluge Männer zu töten, die der Bevölkerung helfen wollen. Weil die Assassine aus dem einfachen Volk kommen und oft nur durch die Gnade solcher Menschen aufwachsen konnten, sind sie auf der Seite derer, die für das Volk kämpfen.“

„Das klingt idealistisch.“ Ed lehnte sich etwas vor. „Nicht dringend realistisch.“

„Sagen wir, es hat ein paar Jahre gedauert und ein paar Assassinenköpfe gekostet, um diese Einstellung durchzusetzen. Frag Nadir, wenn es dich genau interessiert. Er kann dir sagen, wie viele Mitglieder sterben mussten, die anderer Meinung waren. Er wird dir auch gern beschreiben, wie er ihre Leichen arrangiert hat, um die größtmögliche Wirkung zu erzielen.“

Maya schauderte es. Der alte Mann hatte wirklich nicht allzu schlimm gewirkt. Gerade bei ihm hätte sie nie gedacht, dass er etwas mit Assassinen zu tun hatte. Er hatte bei ihr nicht einmal den Eindruck einer Führungspersönlichkeit hinterlassen. Wie hatte sie sich so täuschen können? Oder war das alles nur eine Täuschung und ein ganz anderer stand hinter Nadir?

„Gut, Euch zu sehen, Eduross.“ Als hätte er sie gehört, tauchte Nadir plötzlich wie aus dem Nichts erschienen hinter ihnen auf.

„Habt Dank, Nadir. Maya wies uns darauf hin, dass wir spätestens alle sieben Tage zu erscheinen haben. Könnt ihr uns sagen, wie weit die Arbeit der Gesetzesgruppe gediegen sind? Wenn wir grobe Umrisse der geplanten Regierung haben, können wir unseren ersten diplomatischen Einsatz planen.“

Elfen. Es zauberte ein Lächeln auf Mayas Lippen. Sie würde Elfen sehen. Sie würde vielleicht sogar mit welchen sprechen. Selbst wenn sie nur als Dekoration mitkam, sie würde ein spannendes Abenteuer erleben. Eine diplomatische Mission klang vielversprechend, sie würde nichts tun müssen, was sie moralisch ablehnte. Reden war in ihren Augen stets in Ordnung. Und sie würden doch nur mit dem König reden, oder? Sie würden nicht … nein, bestimmt würden sie ihm nur einen freundlichen Vorschlag unterbreiten. Darin hatte die Gilde der Assassinen nichts zu suchen.

„Ich denke, sie werden innerhalb der nächsten zwei Wochen ein Konzept ausarbeiten. Ich denke, es würde eure Arbeit erleichtern, wenn ihr an ihren Treffen teilnehmen würdet. Dann könntet ihr euch ein Bild der … nennen wir es verschiedene Interessengruppen – ihr könntet verstehen, welche Meinungen in den Vorschlag einfließen.“, empfahl Nadir ihnen.

„Das würde uns äußerst helfen.“ Ed nickte, worauf Eduross folgte. „Gibt es einen Terminplan, wann die Gruppe sich trifft?“

Nadir lachte nur lauthals auf, bevor er dies in ein trockenes Husten übergehen ließ. Ed sah unsicher zu Eduross, der nur schmunzelnd den Kopf schüttelte. Es war jedoch der Ältere, der das Amüsement erklärte: „Keine Revolution wie unsere hat es je gegeben, weil noch nie so viele Schichten es miteinander ausgehalten haben. Ihr sprecht fast wie ein Adliger, Ed. Die Gesetzesgruppe besteht aus gut überlegten Männern, doch sie verbringen den Tag damit, sich ihre Meinung an den Kopf zu werfen und uns mit ihrem Geschrei fast zu verraten. Ob Tag oder Nacht, sie diskutieren sich den Mund fusselig.“

„Außer uns wird hier keiner einen Plan haben, der auch nur ansatzweise eingehalten wird, Ed. Die Gesetzesgruppe hatte mal einen, aber sie haben es schnell aufgegeben. Jetzt wird nur noch das Thema des Tages festgelegt und selbst da schweifen sie ständig ab. Du solltest dir das wirklich mal ansehen, ein faszinierender und inspirierender Haufen ist das.“

Maya fühlte sich an die bierschwangeren Diskussionen in der Schenke ihres Dorfes erinnert. Als Kind wurde sie bisweilen geschickt, ihren Vater zu holen, doch nach ihrem zehnten Winter hatte ihre Mutter es ihr strikt verboten, diese zu betreten. Selbst dieser unterirdische Schankraum fühlte sich wie etwas sehr Verbotenes an, ganz ab von der Tatsache, dass er der Gilde der Assassinen gehörte.

„Worüber diskutieren sie aktuell?“, riss Ed sie aus ihren Gedanken.

„Das Justizsystem. Sie wollen das Gericht aus der Hand der Adligen nehmen und in ein bürgerliches und ein Strafrecht aufteilen. Die Richter sollen eigens dazu ausgebildet werden und ihr Geld von der Regierung erhalten, um möglichst unparteiisch zu sein.“

„Welch ein Unsinn“ Ed schüttelte den Kopf. „Wer soll diese denn dann noch überprüfen? Wer soll die Ausbildung stellen? Die Adligen, die als Richter vorgesehen sind, begleiten ihre Vorfahren von Kind an. Wann soll denn ein Bürgerlicher eine solche Ausbildung beginnen? Wie soll man seine Persönlichkeit beurteilen, wenn man ihn gar nicht kennt? Adlige beobachten ihre Sprosse jahrelang, bevor dieses Amt zugeteilt wird. Wie sollen sie überhaupt unparteiisch sein, wenn sie Bürgerliche sind? Dafür ist die Gier jemandes, der nicht in Reichtum geboren wurde, doch oft viel zu überwältigend. Die Macht einer bestechlichen Persönlichkeit zu geben, das ist waghalsig.“

Maya fragte sich, ob es in Ordnung war, dass Ed so freimütig zugab, ein Adliger zu sein. Erkannte er nicht, dass er damit jemand war, den die meisten hier hassen würden? Sie hatte das System der Adligen nie als der Aufregung bedürftig angesehen, aber sie wusste um die Stimmen der wütenden Bauern, die Essen auf den Tisch ihrer Herren brachten, die dafür oft wenig anzubieten hatten.

„Der Justiziar unserer Nachbargemeinde ist ein Trunkenbold, der Frauen bedroht, Anzeigen gegen sie zu führen, wenn sie ihm nicht beiliegen. Ich fürchte, das System, was ihr beschreibt, ist auch nicht fehlerfrei.“, warf sie vorsichtig ein.

„Und hat man ihn dafür bei seiner Familie angezeigt?“ Ed hatte sich ihr zugewandt. „Selbst wenn diese nichts tun, gibt es keinen Druck anderer Adelsfamilien? Mit Land und Leuten nicht ordentlich umzugehen, das bedeutet bei uns, dass einer Familie dieses weggenommen wird.“

„Die nächste Adelsfamilie lebt anderthalb Tagesreisen entfernt.“ Maya kramte in ihrem Kopf nach Informationen. „Das Geschlecht der Alandro, wenn ich mich recht entsinne. Das Land ist karg, es leben nur wenige dort. Die meisten sind Schäfer, da der Boden wenig fruchtbar ist. Ich weiß nicht einmal, wo ihr Stammsitz ist.“

„Es klingt, als wüssten die Menschen gar nicht, dass sie sich auf legalem Wege beschweren können.“ Die beiden jungen Herren sahen einander an. „Wie mag es auf dem Land zugehen?“

„Nicht so wie hier, wenn ich das recht verstehe. Der Abstand schafft Anonymität, diese die Kriminalität. Vielleicht sind Landadlige der Kontrolle zu weit entzogen.“

Beide verfielen in eine Diskussion, wie das aktuelle System verbessert werden könnte, bis Maya irgendwann einwarf, dass – wenn man schon Adlige kontrollierte – man genau so gut Bürgerliche in den Berufen kontrollieren könnte. Ed schien das ungern zu hören, aber Eduross beurteilte den Punkt als valide. Im Endeffekt entschieden sie, sich ein genaues Bild des aktuellen Regierungsvorschlages zu machen und mit dieser soliden Grundlage ihre weitere Strategie zu planen.

Urgestein einer Regierung

Maya schwirrte der Kopf. All diese Ideen, all diese hehren Ideale!

Zu einer Idee wurden zwei bis zwanzig Meinungen eingeworfen, bevor jemand einen gänzlich anderen Vorschlag in den Raum schrie und die Meinungen dazu kamen. So sammelten sich gefühlt hundert Vorschläge, bevor die des Anfangs wieder aufgegriffen wurde und man nach Stunden des Kreisens um das Thema schließlich auf ein Konzept kam, mit dem keiner glücklich war.

Gegen Ende der Diskussion lag ihr Kopf in ihren Händen, die Arme auf ihre Knie gestützt. Eine erbärmliche Pose, wenn sie je eine eingenommen hatte und doch die einzige, die ihr schmerzender Kopf noch zuließ. Wenn das Politik war, wollte sie nicht so bald etwas damit zu tun haben. Wer machte so etwas denn freiwillig tagelang? Und so viele hier lebten weit weg von jeder Realität, wie sollten solche Männer denn je ein Volk lenken?

Sie hätte sich niemals hierauf einlassen sollen. Teil einer Revolution zu sein, das hieß, Landesverrat zu begehen. Bei der Ehre ihres Lebens hätte sie gegen solch fanatische Ideen kämpfen und sterben sollen. Vielleicht hätte ihr Tod diese Wahnsinnigen überzeugen können, dass ihre Vorschläge das Land zugrunde richten würden. All diese Neuerungen, weit weg von allem, weshalb sie sich einmal zusammen geschlossen hatten – ihre Ideen gingen mit ihnen durch und aus einem guten Ansatz war reines Chaos geworden. Warum musste eine Revolution gleich das ganze Rechtsbuch neu schreiben, wenn man doch nur an einigen wenigen Zweigen schneiden wollte?

Sie stolperte mitten in der Nacht in ihr Bett und antwortete auf die anstößige Frage ihrer Zimmernachbarin, mit wem sie die Zeit verbracht hatte, nur, dass es mehr Männer waren, als sie je wieder sehen wollte. Was die daraus machen würde, war Maya an dieser Stelle herzlich egal.
 

Daren und Alden waren von der miterlebten Diskussion natürlich begeistert gewesen und brachen direkt am nächsten Tag wieder auf, um mehr davon mitzuerleben. Maya währenddessen setzte sich mit einem Buch in Aldens Bibliothek und genoss ihre Ruhe. Wenn sie vor fremden Völkern ein Regierungssystem vertreten sollte, wollte sie gar nicht wissen, wie wenig Unterstützung es von denen bekam, die es erfunden hatten. Wie konnten diese zwei das nicht als absolut frustrierend empfinden?

Da beschäftigte sie sich lieber damit, wie die Regierung Iskars aufgebaut war. Wenn sie einen König überreden wollte, eine neue Regierung zu unterstützen, sollte sie in der Lage sein, ihm Vorteile aufzuzählen. Ein unabhängiges Rechtssystem zeigte sich zum Beispiel als ein äußerst ungünstiger Punkt in einer solchen Aufzählung, da in Iskar die Gerichtsbarkeit rein beim König lag. Jemand, der die Allmacht hatte, würde vermutlich ein System im Nachbarland, in dem dem Herrscher jede Macht darüber genommen wurde, kaum gutheißen. Ganz nebenher half ihr das Wissen in ihrer Hausarbeit.

An welchem Punkt hatte ihr Kopf eigentlich beide Meinungen als die ihren akzeptiert? Sie hieß die gesamte Revolution nicht gut, gleichzeitig sah sie es als ihre Aufgabe, für diese zu kämpfen. Ging ihre Loyalität so weit, dass sie ihr Leben für etwas geben würde, was sie nicht im Geringsten als richtig ansah? Wie viele solcher Meinungen existierten unhinterfragt in ihrem Kopf? Die Stimme ihrer Mutter war laut in ihren Gedanken, sie wusste, dass diese ihr guten Rat gegeben hatte und doch fand sie sich mit so vielen Einstellungen wieder, die diesen Worten widersprachen.

Frauen lebten für ihre Familie und die Arbeit in der Gemeinde, so hatte ihre Mutter sie gelehrt. Doch wie könnte sie damit auf Reisen gehen? Wenn sie einmal verheiratet war, hatte sie ihr Heim und bald auch die Kinder, die sie an einen Ort banden. Welche verheiratete Frau reiste denn noch? Höchstens bis zum nächsten Markt, um die Erzeugnisse der Heimarbeit und die Ernte zu verkaufen. Sie wollte ja gern Kinder und einen netten Mann, aber sie wollte noch so viel mehr. Die Elfen gab es zu sehen, den Kunstmarkt Eloarunes, die Gilde der Wunder in Hakdan und die Wüste des Ostens. Sie kannte Sand, aber ein ganzes Land aus Sand? Sie wollte so viel sehen und entdecken.

Vielleicht war das auch, warum sie diesen Wahnsinn unterstützte. Diplomatin zu sein, das hieß zu reisen, bei Königen vorzusprechen und die Schönheit der Hauptstädte zu sehen. Zenair allein war ein Augenöffner gewesen, wie viel mehr die Welt zu bieten hatte als das Leben in ihrem kleinen Dorf. Sie wollte mehr, so unglaublich viel mehr.

Also würde sie den Elfenkönig überzeugen. Seine Zustimmung gab ihr die Möglichkeit, weiter zu reisen, zu den Zwergen, den Zentauren und den kleinen Völkern. Sie musste ihn nur dazu bringen, dieser wahnwitzigen Regierung zuzustimmen.
 

Ein paar Tage später folgte sie den zwei begeisterten Revolutionären zum Versteck der Gilde, um sich über den aktuellen Stand aufklären zu lassen und ihre Aufwartung zu machen. Im Vorbeigehen wurde ihr von Gerda ein Getränk in die Hand gedrückt, was sie nach einem Moment des Studierens als Bier identifizierte. Sie setzte sich, zuckte innerlich mit den Schultern und nahm einen tiefen Schluck.

Alden und Daren – oder eher Eduross und Ed hier – stockten in ihren nie enden wollenden Gerede und starrten sie fassungslos an. Nachdem sie abgesetzt hatte, ließ der Geschmack sie husten und Gerda schlug ihr auf den Rücken. Mit einem schallenden Lachen ließ sie die drei sitzen. Maya sah ihr kurz nach, doch wischte sich schließlich sehr wenig damenhaft die Lippen mit dem Handrücken ab. Die zwei Männer starrten immer noch, sodass sie fragte: „Was denn?“

„Hast du gerade Bier getrunken?“ Eds Stimme enthielt zu gleicher Maßen Anerkennung und Entsetzen.

„Es schmeckt danach, ja. Warum nicht?“ Sie sah in den Krug. Es war ein Dunkelbier, ein stärkeres als das, was sie aus dem Dorf gewohnt war. Kein schlechtes Gebräu, auch wenn bisher nichts das zwergische Schwarzbier schlagen konnte, dass sie einmal bei ihrem Vater hatte probieren dürfen, als bei der Hochzeit des Bürgermeisters ausgeschenkt wurde. „Wie weit sind die Diskussionen denn gekommen? Reicht das Grundgerüst, damit wir planen können?“

„Gestern diskutierten sie eine allgemeine Wehrausbildung für alle Männer nach Abschluss der Schule.“, Ed schien in Gedanken.

„Spannend.“ Sie konnte es nicht verwehren, dass sich Sarkasmus in ihre Stimme schlich. „Das klingt danach, als wäre das Grundgerüst gegeben. Ich hoffe doch, dass solche Kleinigkeiten hinter den wichtigen Fragen stehen?“

„Das ist keine Kleinigkeit, hier geht es um die nationale Sicherheit!“ Ihr interner Politiker warf ihr einen bösen Blick aus seinen grünen Augen zu. „Das ist eine zentrale Frage im Aufbau der Exekutive, einem der drei Grundpfeiler der neuen Regierung. Dem General soll jegliche politische Macht genommen werden, was gleichzeitig die Möglichkeit gibt, die Truppen aufzustocken, da damit von ihnen viel weniger Gefahrenpotential ausgeht.“

„Mehr Soldaten, mehr Ausgaben – und wofür? Wenn wir in dreihundert Jahren keine größere Armee gebraucht haben, warum jetzt? Das Geld lässt sich besser anlegen.“ Maya fragte sich im selben Moment, als diese Worte aus ihrem Mund purzelten, woher ihre Dreistigkeit kam, diese auszusprechen. Wer war sie denn schon? Politik wurde von Männern gemacht, darin hatte sie doch nichts zu suchen. Sie verstand doch nicht einmal, von was sie da sprach. Was bildete sie sich ein, ein ganzes System überblicken zu können, über das sie kaum etwas wusste?

„Ein wahres Wort.“ Eduross legte dem Älteren eine Hand auf die Schulter. „Ebenso hat sie recht damit, dass das Wichtigste eigentlich entschieden ist. Wir sollten die Protokolle der Diskussionen zusammenfassen und das bisher erarbeitete Regierungsgerüst erstellen. Auf dessen Grundlage können wir unsere Planung beginnen.“

„Oh, Aktenarbeit.“ Sie merkte auf. „Das kann ich gut. Protokolle zusammenfassen klingt nach einer Aufgabe, die ich ausführen kann.“

„Deine Liebe für Papier und monotones Abschreiben werde ich nie verstehen.“ Trotz seiner Worte war sein Lächeln herzlich. „Sollten wir das nicht zusammen machen?“

„Nein, nein, geht ihr mal diskutieren. Wenn ich das allein mache, bin ich zumindest sicher, dass nichts durch fehlende Übergaben verloren geht. Ihr versteht doch beide etwas von Politik, ich muss das noch lernen. Papier ist ein wunderbares Medium zum Lernen, es heißt nicht umsonst »Papier ist geduldig«, nicht wahr?“

Die beiden jungen Männer schüttelten nur lächelnd den Kopf, doch ihre weichen Gesichtszüge verrieten ihr allgemeine Zustimmung. Die zwei würden die gesamte Verhandlungsarbeit haben, da konnte sie doch zumindest vorher die Grundlagen vorbereiten. Ganz wie in einem guten Haushalt, wo die Frau das Essen bereitete, damit der Mann vor seinen Freunden den Braten anschneiden konnte, als sei das Festmahl sein Verdienst. Nun, war es ja auch, es war ja sein Geld, von dem das Essen gekauft wurde. Genau wie sie nur hier war, weil sie blindlings in ihr Unheil getappt war.

Papiere zusammenfassen klang wie eine wunderbare Aufgabe, damit nicht auffiel, wie wenig sie hier herein passte und wie leicht man hier ohne sie auskommen könnte.
 

Maya entspannte es ungemein, wenn sie sich in der Abgeschiedenheit Papieren zuwenden konnte. So, wie sie in ihrem Dorf über jedem neuen Buch gebrütet hatte, es immer und immer wieder las, um jedes einzelne Detail zu behalten, so stürzte sie sich in die Arbeit mit den Protokollen. Was anderen wohl dröge und langweilig erschien, hieß für sie, in ihrer eigenen Geschwindigkeit in einer Masse von Worten zu versinken.

Für sie war es fast eine Kunst. Wie damals, als sich ihr aus den Schultextbüchern fremde Welten eröffneten, sich der Anblick ferner Länder und spannender Kreaturen vor ihren Augen manifestierten, so erschien ihr nun eine Ordnung, die sie sich in ihren kühnsten Träumen nicht hatte vorstellen können. Das Königreich, geleitet von einfachen Menschen, ausgewählt nach ihren Fähigkeiten, frei von Urteilen über Rasse, Alter, Geschlecht oder Missbildung. Eine Welt, wo ein Kind Minister werden könnte, wenn es denn das Geschick dafür besaß.

Was würde sie in dieser Welt tun? Sie könnte Professorin der Akademie werden. Oder vielleicht Richterin? Sie müsste nicht Schankmaid sein, sie könnte ein Restaurant führen, wenn sie denn wollte. Welch eine erstaunlich freie Welt! Was sie alles sein könnte … sie hatte nie darüber nachgedacht, etwas anderes als Mutter zu werden. Natürlich, man konnte Erzieherin oder Lehrerin sein, aber es ging um kleine Arbeiten, die neben der eigenen Familie zu verblassen hatten. Dass ihre Mutter neben ihrer Familie mehrere Stunden des Tages gearbeitet hatte, damit war sie stets etwas Erstaunliches gewesen. Maya hatte ihr Leben lang zu ihr aufgesehen und bewundert, was diese Frau alles leistete.

Was für einem kleinen Traum hatte sie da nachgeeifert? Sie könnte so viel mehr sein. Wenn sie das hier las, was wäre ihr nicht alles möglich? Man stelle sich vor, diese Regierung käme wirklich zustande. In dem Fall wäre sie eines der drei repräsentativen Gesichter der neuen Regierung. Auch wenn diese Gesetze von vielen Menschen ausgearbeitet wurden, so waren es Alden, Daren und sie, die das Konzept vor der Welt verteidigten. Was ließ sich daraus alles machen! Warum sollte es damit enden, ein paar Völker besucht zu haben? Wenn sie wollte, könnte sie eine Leitfigur dieser neuen Regierung sein.

Je mehr sie darüber las, desto mehr gefiel ihr der Gedanke. Gleiche Besteuerung aller Arbeitenden, Entzug aller Privilegien des Adels, eine zentrale Regierung und eine Anlaufstelle für Vorschläge durch die Bevölkerung, wer könnte zu so etwas Nein sagen? Adlige vielleicht, aber Alden und Daren waren gute Beispiele, dass auch reiche Menschen sehen konnten, dass Bereicherung auf Kosten anderer nicht richtig sein konnte. Als sie über die Einrichtung eines Versicherungssystems für Unfälle und Witwenrenten las, konnte sie sich der Vorteile des Systems nicht mehr erwehren.

Wie konnte es sein, dass so etwas noch nie vorher in Betracht gezogen worden war? Selbst wenn die Regierung aus Adligen bestand, die auf ihre Vorteile bedacht waren, warum setzten sie nicht zumindest das um, was der menschlichen Logik nach einfach sein musste?

Nein, je mehr sie lernte, desto weniger konnte sie das aktuelle System unterstützen. Ob sie jeden einzelnen Punkt dieses neuen Systems unterschreiben könnte, das war ihr nicht klar, doch die Ansätze waren etwas, was sie mit Feuereifer vertreten würde.

Sie schrieb ihre Zusammenfassung. Und mit jedem Wort ergaben sich ihr flammende Reden, die sie halten könnte, um andere davon zu überzeugen.
 

„Das ist ein Meisterwerk.“ Nadir betrachtete die Kopie ihrer Abschriften, die sie für ihn angefertigt hatte. Alden, Daren und sie selbst brauchten jeweils eine Version, natürlich, aber sie fand es nur recht, der grauen Eminenz ebenfalls eine Version zu vermachen. „Zu sehen, wie weit unsere Arbeit gekommen ist … wenn ich den Schreihälsen zuhöre, verliere ich stets den Glauben an ein günstiges Ausgehen dieses Vorhabens.“

„So, wie ich Eduross verstanden habe, habt ihr all dies schier allein geschultert. Ich hielt es für recht, euch die Früchte eurer Arbeit zukommen zu lassen.“

Eines seiner seltenen, feinen Lächeln wurde ihr geschenkt. In Gedanken fügte sie hinzu, dass er nun mal der war, der über ihr Überleben entschied und sich bei ihm gut zu stellen, konnte nur Gutes bedeuten. Ihre Berechnung klang in ihren eigenen Ohren schrecklich und doch war ihr bestens bewusst, dass sie sich in der Gilde der Assassinen befand und keiner hier sie aus reiner Herzlichkeit am Leben ließ. Diese Gestalten machten ihr Angst – manche flößten ihr Terror ein, wenn sie sie nur sah. Eduross und Nadir, das waren ihre Garanten am Leben zu bleiben. Jeder Schritt in diesen Gewölben machte ihr gewahr, dass sie in ständiger Gefahr schwebte, doch sie hatte nicht vor, sich ängstlich in einer Ecke zu verkriechen.

„Maya, ihr seid eine ganz liebreizende Person.“ Nadirs Lächeln trug etwas Väterliches in sich, vielleicht Stolz. „Ich wünschte mir, ich wäre ein paar Jahrzehnte jünger, um euch umgarnen zu können.“

„Umgarnen?“ Sie legte überrascht den Kopf zur Seite. „Oh, ihr meint, um um mich zu werben?“ Ganz, wie ihre Mutter es sie gelehrt hatte, drückte sie den unteren Rücken durch, hob die Brust und senkte das Kinn. „Ich danke euch für euer Interesse, doch muss natürlich ablehnen.“

„Eine zarte Blume aus gutem Haus.“ Er schüttelte den Kopf, während ihn sein Lächeln verließ. „Aus euch spricht eine erfrischende Ehrlichkeit und nichts von euch ist unehrlich oder gespielt. Ihr seid rein. Ich fürchte, wir werden euch hier früher oder später beschmutzen.“

Das fürchtete sie ebenso. Ihre Berechnung war nur der erste Schritt davon. Sie wünschte, sie könnte erhaben über all diese Erfahrungen hinweg schreiten und doch spürte sie bereits, wie die Menschen, die Wesen, die sie traf, sie veränderten. So nickte sie ihm zu, dankte für das Gespräch und ließ es zu, dass er mit seinem Daumen über ihre Wange strich.

Unter all den dunklen Schichten war Nadir ein einsamer, alter Mann. Es gab ihr die Gewissheit, dass er stets auf ihrer Seite bleiben würde, denn sie wusste, dass sie die einzige war, die dieses Gesicht sehen durfte.

Die erste Reise

Alden und Daren erarbeiteten eine Verhandlungsstrategie, organisierten die Reise und trafen alle Vorbereitungen wie die Beantragung eines Visums für sie. Die beiden selbst brauchten solcherlei als Adlige nicht. Wenn man sie als Bedienstete ausgegeben hätte, so hätte nicht einmal sie eines benötigt. Das hatte eine heftige Diskussion ausgelöst: Daren fand es besser, sie somit „inkognito“ reisen zu lassen, Alden entgegnete, dass sie keinen vertrauenswürdigen Eindruck geben würden, wenn man sie einschmuggelte.

Alden gewann. Nicht, weil seine Argumente besser waren, sondern weil sie nach drei Tagen der Streiterei ein Machtwort sprach, dass Nadir entscheiden sollte. Seine Autorität war ungebrochen, sie vertraute seinem Urteil und die zwei Kampfhähne gingen ihr langsam auf die Nerven. Ehrlich, im Großen und Ganzen ging es um die Zukunft eines ganzen Landes, einer fast unmöglichen Aufgabe und die zwei hatten nichts Besseres zu tun, als sich über solche Kleinigkeiten aufzuregen? Wie genau sollte das enden? Wollten sie vor dem König der Elfen über die Auslegung einzelner Gesetzespassagen diskutieren? Männer!

Die Nacht vor ihrer Abreise, eine kühle Nacht gegen Ende des Wintersemesters ihrer vorlesungsfreien Zeit, zog die Aufregung Maya in Aldens Bibliothek. Das Haus, in dem er lebte, hatte zu allen vier Seiten Türme und die Wohnung, die er bewohnte, mündete in einen solchen. Mochte er früher wahrscheinlich eine Treppe beherbergt haben, war er nur ein runder Raum, dessen Wände Alden mit Regalen gesäumt hatte. So unpraktisch eine runde Bibliothek auch sein mochte, das schützende Gefühl, das sie vermittelte, war unübertroffen. Auch wenn sie sicher ein Viertel der Bücher bereits gelesen hatte, der Raum verlor nie die Charme des erhabenen Alten und des erforschenswerten Neuen. Sie liebte es, auf dem gut bepolsterten Stuhl am Mahagoni-Schreibtisch in der Mitte des Raumes zu sitzen und durch die Werke zu stöbern.

Ganz des geplanten Vorhabens nach zog sie „Elfische Etikette“ aus dem Regal, ein dicker Wälzer, den sie dieses Semester bereits für ihren Kurs bei Professor Elhandrio rauf und runter gelesen hatte. Auch wenn sie viele Abschnitte auswendig konnte, beruhigte es ihre Nerven, die bekannten Wörter erneut in sich aufzunehmen. Elfen waren zurückhaltende, subtile Wesen. Sie sagten nicht ja oder nein, sie deuteten ihre Meinung an und erwarteten, dass ihr Gegenüber diese verstand und das Gespräch entsprechend lenkte. Elfen zeigten kaum Mimik oder Gestik, nutzten nur in seltenen Fällen Intonation sondern spannen Wörter in eine Form, die ihre Position vermitteln sollte. Es ging um delikate Unterschiede ihrer Formulierung.

Dass Elfen alle einer Meinung waren, war ein Irrglaube. Elfen vertraten die verschiedensten Positionen, sie äußerten sie jedoch als Vorschläge oder Ideen, sie bestanden nicht auf ihrer Meinung. Abstimmungen konnten zum Beispiel über die Lautstärke des Summens gefällt werden. Wem ein Vorschlag gefiel, der summte. Es war eine sehr friedfertige Art, viele Meinungen unter einen Hut zu bringen. Dass Professor Elhandrio wirklich verstoßen worden war, daran zweifelte sie stark. Es gab nur eine einzige Straftat, die derlei verlangte: Kopulation mit einem Dunkelelf.

Dunkelelfen waren für Elfen ein unausstehliches Anathem. Als verzerrte, missratene Kreaturen wurden sie bezeichnet, was für die doch sehr zurückhaltenden Elfen eine unheimlich starke Formulierung war. Dunkelelfen beteten eine dunkle Göttin an – Kirkarasch, die Göttin des Zufalls – und hatten eine streng hierarchische Gesellschaft, ganz im Gegensatz zu den Harmonie liebenden Elfen. Sie hatte interessiert nach Büchern über diese obskure Rasse gesucht, doch alles, was sie finden konnte, waren Warnungen vor dem Wahnsinn und der Grausamkeit dieser Kreaturen.

Alle Bücher waren sich einig: so rein und harmonisch die Elfen waren, so chaotisch und grausam waren Dunkelelfen. Sie hoffte bloß, dass sie niemals einen treffen musste.
 

Tayann war ein prinzipiell warmes Land, das aus sonnenverwöhnten, erdigen Gebieten bestand, die selten durch karge, trockene Landteile unterbrochen wurden. Es war keine sandige Wüste wie im fernen Osten, doch eines hatten sie mit dieser gemeinsam: nachts konnte es sehr kalt werden. Da sie es gewohnt waren, sich zu dieser Zeit in ihre Häuser zurück zu ziehen, waren Menschen keine sehr kälteresistente Rasse.

Maya durfte also feststellen, dass das, was sie als „Winter“ kannte, eine sehr milde Wetterlage war, weit entfernt von dem, was in den Bergen Iskars vorherrschte: Schneestürme. Schnee war für sie stets ein mythengleicher Stoff gewesen, eine weiße Pracht, die alles mit kristalliner Schönheit überzog. Dass er verdammt kalt und nass war, wenn er einem ins Gesicht wehte, war eine ganz andere Geschichte. Die Schönheit aus dem Reisewaggon zu bestaunen unterschied sich frappant davon, seinen Weg mit Gepäck durch den Sturm zu den verschiedenen Gondelbahnen zu kämpfen, die sie zu ihrem Ziel bringen würden. In der zweiten Bahn beweinte sie ihre mittlerweile völlig ruinierten Schuhe. Alden versprach ihr ein paar guter Stiefel, aber konnte sie dennoch nicht ganz beruhigen.

Die Schuhe, die ihre Mutter ihr geschenkt hatte, waren zerstört, sie war durchnässt, ihr war kalt und sie hatten noch Stunden des Wegs vor sich. Sie hatte sich das Reisen bei weitem schöner vorgestellt. Daren entschloss sich schließlich, seine Etikette fahren zu lassen und nahm sie einfach in den Arm. Er war so warm, dass ihre Kleidung nur noch klamm war, als sie die Gondel wieder verließen. Auch trug er ihre Tasche, sodass sie sich darauf konzentrieren konnte, ihren Mantel an sich zu pressen und so nicht weiter nass wurde. Sie dankte ihm schließlich aus vollem Herzen. Daren grinste, währenddessen sah Alden aus, als habe er auf eine Zitrone gebissen. In diesem Moment war ihr das völlig egal.

Sie beendeten den miserablen Tag in einem Vorort Eloarunes, der durch die Magie der Elfen unter einer Art Schutzzauber stand. Die Temperaturen waren angenehm und der Schnee und Wind blieben draußen. Maya trug ihre Tasche wieder selbst und verabschiedete sich im Hotel ohne viele Floskeln von ihren Begleitern, um ein Bad zu nehmen. Alden, der sie noch aufhalten wurde, speiste sie mit einem „Lass uns das beim Abendessen besprechen.“ ab und beantwortete seine Frage, wann sie die Herren zum Abendessen erwartete, mit dem Schließen ihrer Tür. Ihr war absolut bewusst, dass dies unhöflich war, aber ihr fehlten die Kapazitäten, sich darüber Gedanken zu machen.

Warm, gewaschen und in trockenen Kleidern sah die Welt anders aus. Sie flocht ihr noch nasses Haar, bevor sie an Darens Tür klopfte. Nach einem Moment öffnete er, lächelte ob ihres Anblicks und bat sie hinein. Zu ihrer Erleichterung schien er nicht mal ansatzweise genervt von ihrem vorherigen Ausbruch. Nachdem er die Tür geschlossen hatte, fragte er: „Geht es dir besser? Es ist leider nicht so leicht, jemanden auf Kälte vorzubereiten, wenn dieser nichts zum Vergleich hat.“

„Die Kälte war nicht unerwartet, aber niemand hat mir gesagt, wie nass es werden würde.“ Sie strich über ihr noch immer feuchtes Haar. „Ich mache euch keinen Vorwurf, aber ich war nicht gut vorbereitet. Ein Paar Stiefel hätte mir sehr geholfen. Als Alden mir den Mantel kaufte, hätte er gegerbtes Leder oder derartiges wetterfestes Material nehmen können.“

„Ich vermute, das beehrt mich mit deinem Besuch.“ Er legte eine Hand auf ihre Wange. „Sollen wir ihn auf seinem Zimmer schmollen lassen?“

„Das wäre sehr unhöflich.“ Sie trat einen Schritt zurück, unsicher darüber, was sie von seinem Gebaren halten sollte. „Wir wollten uns doch zum Abendessen treffen.“

„Wie du wünschst.“ Seine Mundwinkel zogen kurz hinab, bevor er wieder lächelte, doch es hatte etwas Gezwungenes. „Dann lass uns gehen.“
 

Maya war sehr erleichtert gewesen zu hören, dass sie nicht mehr zurück in den Schnee musste. Sie hatte dennoch ein gutes Paar Stiefel von Alden erhalten, bevor sie des Mittags nach Eloarune aufbrachen. Was man ihr dabei erneut unterschlagen hatte, war, dass sie die Stadt nicht mit einer Gondel erreichen würden. Sie wusste ja, dass die Hauptstadt der Elfen durch magische Wege, die nur diese beherrschten, schwebte – aber niemand hatte ihr gesagt, dass man fliegen musste, um dorthin zu gelangen. Sie hatte nichts gesagt, als sie auf eine Art riesige, steinerne Blüte gestiegen waren. Mit einem mulmigen Gefühl hatte sie geschwiegen, als eine Barriere ähnlich derer, die den Vorort umgab, sich um die Blüte geschlossen hatte. Doch sie hatte kurz geschrien, als die Blüte sich einfach in Luft bewegt hatte und mit ihnen davon schwebte.

Alden hatte die Lider geschlossen, Daren hatte mit einem schelmischen Grinsen auf seine Unterlippe gebissen und beide hatten schließlich lachen müssen, als sie Mayas erschrockenes Gesicht erblickten. Mit einem erbosten Schnauben setzte sie sich von dem steinernen Sockel auf den Boden, wo ihre Angst ein wenig nachließ und starrte diesen an. Wenn sie nicht hinaus sah, bemerkte sie schließlich nicht, dass sich alles um sie bewegte und mit einem einfachen Steinboden hunderte von Metern über einem Gebirge schwebte. Also studierte sie die Runen, die auf einen Edelstein in der Mitte der Platte zuliefen, der … leuchtete?

„Kann es sein, dass dieser Stein Licht aussendet?“

„Ja, er wird heller, je dunkler es draußen ist.“ Alden beobachtete sie lächelnd. „Elfen und Zwerge binden ihre Magie an Kristalle und erschaffen damit alle möglichen Geräte, die durch die gespeicherte Energie betrieben werden.“

„Sicher?“ Es bildeten sich Falten zwischen Darens Augenbrauen. „Ich dachte, die Kristalle seien magisch und die Zwerge und Elfen haben nur gelernt, diese Magie zu bändigen.“

„Egal wie, die Kristalle sind auf jeden Fall magisch. Dieser trägt die Platte, schützt uns vor dem Wetter und gibt uns Licht“, warf Alden ein.

„Das heißt, wenn ich den Kristall da raus nehmen würde, würden wir abstürzen?“, fragte Maya mit einem zweifelhaften Blick zu dem kaum gesicherten leuchtenden Edelstein.

„Wie … warum solltest du den Kristall nehmen wollen? Wie kommt man auf so eine Idee?“

Sie seufzte nur. Manchmal war sie vermutlich etwas naiv, aber in anderen Angelegenheiten waren ihre Begleiter wirklich hinterweltlerisch. Natürlich würden einige den Edelstein einfach klauen, wenn er so wenig gesichert war. Nicht während des Fluges, aber danach zum Beispiel. Magische Edelsteine waren bestimmt nicht gerade billig.

„Wir sind gleich da, bitte setze dich wieder, Maya.“, bat Alden sie.

Sie tat wie geheißen, etwas ruhiger, da sich die Stadt bereits schräg über ihnen erhob. Wenige Momente später erreichten sie die Oberfläche und schwebten durch die magische Barriere auf eine Art von Balkon, auf dem die schwebenden Blüten anzukommen schienen. Dieser bestand aus einem hellen Sandstein, in Mustern durchbrochen von einem weißen Gestein, dass sie auch in der Akademie gesehen hatte. Da es dort für Säulen verwendet worden war, wusste sie, dass es sich um ein teures Material handeln musste. Diese Gesteinsadern zogen sich in floralen Mustern den Boden und die Wände der umliegenden Häuser entlang. Das Gelb und Weiß der Steine wurden farblich gestützt von den Büschen und Sträuchern, die in Beeten die Wege säumten, sowie den Rankenpflanzen, die verschiedene Häuser empor wuchsen.

„Es ist wunderschön.“, fasste sie zusammen.

„Ja, Elfen lieben es hübsch.“ Daren ließ den Blick nur kurz schweifen. „Wir Adligen machen unsere Häuser auch schön, aber ganze Städte so zu bauen … andererseits darf sich dann auch nie etwas ändern. Es gibt hier exakt dieselben Läden und Restaurants wie vor fünfhundert Jahren. Wahrscheinlich arbeiten dort sogar dieselben Elfen. Da präferiere ich Zenair, das fühlt sich lebendiger an.“

Das mochte vielleicht sein, aber für Maya, die das erste mal hier war, war diese Schönheit ein einziges Wunder. Die Häuser waren verziert mit Stuckarbeiten, hatten Türme und Erker, offene Bögen und Innengärten, Säulen und überall Blumen. Wachsende Blumen, steinerne Blumen, Blumenmuster, nichts als Blumen und Ranken. Inmitten all dieser Pracht erwuchs der königliche Palast, ein grandioses, alles überflügelndes Gebäude aus Ziersteinen. In jedem Torbogen, in den Fenstern, überall leuchteten die magischen Kristalle. Wahrscheinlich sollte sie erhaben wirken wie die zwei Adligen an ihrer Seite, doch sie konnte den Blick nicht abwenden, drehte sich mehrfach um ihre eigene Achse und bestaunte die Pracht, die sich um sie herum erhob. Alden führte ihre Gruppe, sprach mit den Elfen im Empfang und wurde von diesen in einen Warteraum geleitet.

Der Plan war, dass er sprach, Daren ihm aushalf und Maya Rückfragen zu spezifischen Punkte ihres Gesetzesentwurfes Stellung bezog. Im Endeffekt musste sie also nicht sprechen, außer ihr wurde eine direkte Frage gestellt. Im Warteraum erhielten sie Getränke und Süßigkeiten, doch alle fühlten sich zu aufgeregt, um davon zu kosten. Maya setzte sich nach einigen Minuten neben Alden und hielt seine Hand, was ihn zumindest ruhiger atmen ließ. Sie warteten vielleicht eine halbe Stunde in Schweigen, als ein dunkelhaariger Elf in einer golddurchwirkten Robe eintrat und sie informierte, dass der König sie nun sehen würde.

Ehrlich gesagt war sie beim Anblick dieses selbst für einen Elfen sehr gut aussehenden Wesens davon ausgegangen, dass er der König war, aber sie wurde eines Besseren belehrt. Der König war ein noch hübscheres Wesen mit nussbraunen Augen und Haaren. Der berobte Elf, der sie hinein gebeten hatte, nahm neben dem König Platz, der auf einem Thron am Ende des Saales saß. Sie schlug sich innerlich vor die Stirn – er war der Konsorte des Königs, sein Ehemann. Die beiden waren ein blendend schönes Paar, erhaben in ihrem Auftreten und graziös in ihren Bewegungen. Wie schade, dass Elfen niemals außerhalb ihrer Rasse oder ihres eigenen Geschlechts heiraten würden. Sie hätte jeden von beiden mit Kusshand genommen. Oder beide. Elfen waren gottgleiche Geschöpfe. Sie würde sich wirklich konzentrieren müssen, dem Gespräch zu folgen statt nur das Königspaar anzuhimmeln.

Im selben Moment bemerkte sie, dass sie automatisch mit den anderen auf die Knie gegangen war und Alden bereits sprach. Nicht nur das, er war bereits mitten in der vorbereiteten Einleitung. Ihre Gegenüber hörten aufmerksam zu, verzogen jedoch natürlich keine Miene. Natürlich hatten sie dies auch nicht erwartet, aber es war dennoch verstörend, selbst nach zwanzig Minuten Vortrag keinerlei Reaktion zu erfahren. Alden endete schließlich mit einer genauen Darlegung ihres Anliegens: Der Bitte um Zustimmung oder Verbesserung ihres Vorschlags.

Die Reaktion des Königs

Der König wandte den Blick zu seinem Konsorten und sie schienen eine Art stiller Kommunikation zu führen, ohne ihre Mimik auch nur einmal zu verändern. Schließlich wandte der König sich zu ihnen und sprach: „Ihr scheint Euch Eurer Sache sehr sicher, Alden Odessario. Ihr wähltet weder einen falschen Namen noch versuchtet Ihr Euren zu verbergen. Was, wenn wir Euch Eurer Regierung als Verräter enttarnen würden?“

Direkt mit der Klinge durch das Herz. Maya schluckte und sah unsicher zu ihrem Anführer.

„Andere würden diese Revolution fortführen. Wir sind nur Mitglieder, einige wenige von vielen. Unsere Namen öffnen Tore, weshalb wir als Gesichter dieser Bewegung auftreten. Doch das macht uns nicht wichtiger als andere. Wir sind nur Botschafter. Es wäre sehr schade zu sterben, aber diese Revolution ist wichtiger als unser Leben.“

Wirklich? Maya unterdrückte das Seufzen. Eigentlich würde sie schon sehr gerne überleben. Nun ja, der Weg des Überlebens ging geradeaus. Sie mussten den Elfenkönig überzeugen oder sie würden sterben. Alden wusste das ganz genau, er war hier der bekannteste von ihnen allen.

„Über die Jahrhunderte habe ich einiges über Revolutionen gelernt. Die Erfolgreichen beinhalteten, dass Massen von unterdrückten Menschen die herrschende Kaste überrannten. Wenn eine Revolution scheiterte, war der Grund die fehlende Unterstützung der Bevölkerung oder die fehlende Information dieser. Revolutionäre tendieren daher dazu, sich früh Unterstützer zu suchen. Zeitungen, öffentliche Reden, Boten in entlegene Regionen – viele Wege wurden genommen und umgesetzt. Noch nie jedoch haben Revolutionäre in den umliegenden Ländern Unterstützung gesucht, außer die Regierungsform jenes Landes sollte eingeführt werden. Wie ist Euch diese Idee gekommen?“

„Die jetzige Regierungsform wurde gebildet, um Revolutionen Stand zu halten. Es ist unmöglich, eine Regierung zu überrennen, die in den Schatten lebt. Die üblichen Wege zu nehmen bedeutet daher, den Weg des Scheiterns zu beschreiten. Selbst wenn wir alle Mitglieder der Regierung finden würden, kann uns niemand versichern, dass nicht Garanten des Systems im Ausland sind. Möglicherweise seid sogar Ihr Teil unserer Regierung. Wir wissen dies alles nicht und kennen auch keine Möglichkeit, diese Informationen zu beschaffen, außer danach zu fragen.“

Maya konnte Alden nur bewundern dafür, dass er ohne Unsicherheit, ohne das leiseste Zittern seiner Stimme sprach. Er schien dies alles gut durchdacht zu haben. Natürlich … er hatte den Beitritt zur revulotionären Bewegung freiwillig gewählt. Er vertrat sie mit jeder Faser seines Daseins. Sie wusste nicht, ob sie sich einer Idee so verschreiben könnte. Alden gab dafür alles auf, seinen Stand, seine Familie, seine Zukunft. Vielleicht sogar sein Leben.

„Weiß die rechte Hand bei Euch, was die linke tut? Waren es nicht eben jene Revolutionäre, die Danijel Kontaro entführten und Euer Wissen über die Regierung aus ihm folterten?“ Der König sprach ohne jede Intonation, ohne jegliche Mimik oder Gestik.

Es lief Maya kalt den Rücken herunter. Plötzlich verstand sie Darens Anmerkung, dass Elfen nicht lebendig wirkten. Dieser König war wie eine schöne Statue, die minimale Regungen ausführen konnte.

„Doch, dies waren Mitglieder der Revolution. Wir bedauern diesen Vorfall sehr.“ Aldens Schultern sanken ein Stück, das einzige Zeichen, dass ihm dieses Thema mitnahm.

„Ihr seid demnach mit Folter nicht weiter gekommen. Ihr seid also hier in der Hoffnung, dass ich Euch etwas über Eure eigene Regierung verrate. Ich bin der wahrscheinlichste Kandidat für dieses Ansinnen, denn sowohl half ich diese Regierung zu bilden, als auch stütze ich sie seit Jahren. Ich weiß demnach am meisten. Andererseits scheint es mir nicht verständlich, wie Ihr glauben könnt, ich würde mein eigenes Werk zerstören – eine Nachbarregierung, die mir hörig ist.“

Maya ballte ihre Hände zu Fäusten. Natürlich war ihnen klar gewesen, dass der iskarische König ihrer Regierung nahe stand – aber dass er sie geschaffen hatte? Dass er sie sogar noch kontrollierte? Wahrscheinlich müsste er nicht einmal einen Tipp übersenden, er konnte vermutlich selbst den Truppen Tayanns den Befehl erteilen, sie zu ergreifen. Was hatten sie sich dabei gedacht, hierher zu kommen? Für einen als sehr subtil geltenden König waren das sehr unmissverständliche Worte.

„Die Regierung, die Ihr mit aufgebaut habt, half den Menschen, das Land zu einen, sie gab uns Frieden und Stabilität in Zeiten des Chaos. Ihr halft uns, auf lange Zeit in Harmonie und Frieden leben zu können. Doch der Preis dafür war, dass wir uns kaum weiter entwickelten, wir erstarrten in der Zeit und blieben hinter unseren Nachbarn zurück. Es ist Zeit für uns, wieder nach vorne zu blicken und mit dem, was wir von Euch lernten, eine stabile Zukunft zu schaffen. Unsere jetzige Regierung hat sich dazu als nicht in der Lage erwiesen. Würde sie auf die Stimmen des Volkes hören, gäbe es kein Bedürfnis, die Regierung zu stürzen. Doch die Verfolgung und Tötung derer, die für ihr Land ihre Stimme erheben ist ein Fakt, der in unseren Augen nicht geduldet werden kann.“ Erneut war kein Zweifel in Aldens Stimme.

„Und wenn Ihr an der Regierung seid, wie werdet Ihr mit Euren Zweiflern umgehen? Wie werdet Ihr jene handhaben, die keine Eurer Entscheidungen gut heißen, die Euch in jeder Handlung kritisieren? Was hält Euch davon ab, wie Eure Vorgänger zu werden?“

„Jeder darf gehört werden, Eure Majestät. Wir werden keine Meinung abtun, ohne diese diskutiert zu haben. Dies ist ein Grund, warum wir offen um Eure Meinung bitten. Wir wissen, dass wir jung sind, noch jünger in Euren Augen und ohne Eure Weisheit. Wir bitten nicht darum, dass Ihr denen, mit denen Ihr noch heute zusammen arbeitet, den Rücken kehrt. Wir bitten nur um Eure ehrliche Einschätzung unserer Vorhabens und Eure Vorschläge, wie wir dieses verbessern können.“

„Was ist Eure Einschätzung Eures eigenen Vorhabens, junge Maya?“, wandte der König sich unvermittelt an sie.

Sie blinzelte kurz, überrascht über die plötzliche Aufmerksamkeit. Ihre Anweisung war, auf direkte Fragen zu antworten, nicht wahr? Nur was sollte sie sagen? Es wäre ja wohl kaum richtig ehrlich auszudrücken, dass sie die Ideen zwar für sehr begehrenswert hielt, nur leider sehr unwahrscheinlich in ihrer Umsetzung. Sie entschied sich schließlich zu sagen: „Eure Majestät, ich bin ein Mädchen aus dem einfachen Volk. Ich trage keine Titel, ich bin mit geringer Bildung aufgewachsen. Politik war für mich stets ein Thema jener, die mehr gelernt haben als ich. Ich stand dieser Revolution lange skeptisch gegenüber und weiß auch heute noch nicht, ob wir die uns gesetzten Ideale erreichen können. Doch mir eine Welt vorzustellen, in der eine solche Regierung real sein kann, in der Menschen und auch andere Rassen in einem Land frei von Vorurteilen ihre Träume realisieren können, ist eine so schöne Vorstellung, dass ich bereit bin, all meine Kräfte dafür einzusetzen.“

„Dies scheint mir die überzeugendste Einstellung, die ich bisher gehört habe.“ Der König nickte und sah wieder zu Alden. „Ich werde Eurem Wunsch entsprechen und Euch meine Weisheit zur Verfügung stellen. Das bedeutet nicht, dass ich Euer Vorhaben unterstütze. Das ist keine Entscheidung, die durch ein Gespräch getroffen werden kann.“

Den Göttern sei Dank. Sie würden nicht sterben. Nicht heute zumindest. Der König würde ihnen sogar helfen. Maya lächelte erleichtert. Was auch immer er an ihren Worten gemocht hatte, es hatte ihn dazu gebracht, sie nicht zu verraten. Sie sah zu Alden und Daren, die voller Erwartung zum König aufblickten.

„Wie Ihr selbst sagtet, seid Ihr jung und es mangelt Euch an einem Überblick, was Eure Taten auslösen werden. Ich vermute, es ist Euer Plan, noch andere Völker aufzusuchen?“ Sie alle nickten. „Sucht als nächstes die Völker Weidans auf. Sobald Ihr deren Zustimmung errungen habt, kehrt zu mir zurück und ich werde Euch helfen.“

Den Göttern sei Dank. Er ließ sie wirklich gehen. Maya schloss kurz die Lider, atmete tief durch und drückte ihren Rücken wieder durch. Sie bedankten sich wortreich und verließen den Saal schließlich. Ihre Gegenüber zeigten natürlich keine Reaktion außer den traditionellen Verabschiedungen. Dennoch vermittelten sie das Gefühl, ihnen nicht feindlich gesinnt zu sein und das war wohl die Hauptsache. Es schien nicht, als habe man sie belogen. Der elfische König war sowieso dafür bekannt, stets nur seine Meinung zu sagen. Sein Wort galt, er trug keine Falschheit in sich. Das war in dieser Situation sehr rückversichernd. Bis zur nächsten Reise durfte sie weiterleben.
 

„Ich fasse es immer noch nicht, dass wir das wirklich getan haben.“, meinte Daren, als sie in der steinernen Blüte außer Reichweite der fliegenden Stadt waren. Mit einem tiefen Seufzen ließ er sein Gesicht in seine Hände sacken.

„Warum? Das lief doch gut.“ Alden lächelte ihm entgegen mit einem völlig arglosen Gesichtsausdruck.

„Du hast echt die Ruhe weg. In der Situation zu sein hat mir erst klar gemacht, wie absolut gefährlich das war. Mir war ja klar, dass der König etwas mit unserer Regierung zu tun hat, aber dass er sie aktiv mit geschaffen hat? Wir haben ihn gerade gebeten, uns zu helfen, seine eigene bestimmt gut durchdachte Erfindung zu zerstören.“

„Aber er hat auch nicht gerade Einspruch dagegen erhoben, dass es aktuell nicht gut läuft. Das einzige, was ihm missfiel, war, dass die neue Regierung nicht mehr unter seiner Kontrolle wäre. Das kann man mit ein paar guten Verträgen zum Wohlwollen aller lösen. Es ist ja nicht so, als hätte er keine Kompromissbereitschaft gezeigt. Die Weidaner zu überzeugen ist nicht gerade eine unlösbare Aufgabe. Die werden versuchen, uns Land abzuhandeln und darauf spekulieren, dass wir in der Umbruchsphase leicht angreifbar sind. Also werden sie einer Revolution vollen Herzens zustimmen in der klaren Spekulation, uns den Krieg zu erklären, wenn wir am schwächsten sind. Genau darauf können wir aber auch spekulieren. Wenn wir eine dringende Ablenkung brauchen, schicken wir Nachrichten nach Weidan, die Revolution sei in vollen Gange und bitten um Unterstützung. Das wird die Weidaner entweder dazu bringen, der Bitte nachzukommen oder – sehr viel wahrscheinlicher – uns den Krieg zu erklären. Egal wie, wir würden Truppen erhalten, die die Armee in Schach halten. Die Rolle der Weidaner in dieser Revolution ist ganz einfach: Sie sollen sich genau so opportunistisch verhalten, wie wir sie kennen.“

Das Lächeln auf Aldens Lippen behagte Maya nicht. Es wirkte ebenso überheblich, wie seine Worte klangen. Sie wusste, woher seine Meinung stammte und das behagte ihr noch weniger. Weidan war ein Agrarstaat, gemeinschaftlich geführt von Zentauren und Halblingen. Zentauren waren gute Krieger, aber ihre intellektuellen Fähigkeiten ließen zu Wünschen übrig. Halblinge waren schlau, aber Gemüse wuchs ihnen buchstäblich über den Kopf. Die zwei Völker hatten sich daher schon früh verbündet und auch wenn es immer mal wieder kleinere Streitereien gab, verstanden sie sich gut genug, um zusammen ein erfolgreiches Land zu führen. Niemand trat gern gegen Zentauren an, die Halblinge betrieben fleißig Handel und Gebietseroberungen konnten stets irgendwann wieder zurück geschlagen werden. Unter dem Strich blieben die Weidaner demnach seit Jahrhunderten bei ihrer traditionellen Agrarwirtschaft und strebten nicht nach Höherem. In Aldens Augen kam das dem Urteil „dummes Bauernpack“ gleich. Diese Worte hatte er natürlich nicht vor ihr benutzt, aber sie wusste ganz genau, dass er dasselbe auch von ihrer Heimat dachte.

Was ihm dabei entging, war, dass jenes „dumme Bauernpack“ auch in Tayann mehr als neunzig Prozent der Bevölkerung ausmachte. Maya hatte so eine leise Ahnung, dass das auch dem König der Elfen aufgefallen war. Darens Anwesenheit hatte ihn nicht im Geringsten interessiert, ihre hingegen schon. Sie so genau zu befragen und Weidan zum nächsten Ziel zu machen, bevor er weiter mit Alden reden würde … es klang verdächtig nach dem Auftrag „Lernt erst einmal, für wen ihr da eigentlich eine Regierung schaffen wollt“. Andererseits würde sie das gleich doppelt wurmen. Denn der Unterton dessen wäre „Ich habe eine Regierung geschaffen, die in der Lage ist, euer dummes Bauernpack unter Kontrolle zu halten – und ihr Dummköpfe wollt ihnen nun Macht in die Hände legen“. Sollte das wirklich die Idee des Elfenkönigs sein, so war er in ihren Augen seine Krone nicht wert.

Natürlich teilte sie die Zweifel daran, ob es günstig war, die Verantwortung so sehr aus den Händen derer zu nehmen, die etwas damit anzufangen wussten. Andererseits missfiel es ihr sehr, wie absolut überzeugt diese hohen Herren waren, dass einfache Bauern nicht in der Lage waren, das große Ganze zu sehen. Ohne Frage wäre das Land in den Händen ihres Nachbars Petri oder Hagen nicht gerade gut aufgehoben, aber ihre Mutter hätte bestimmt ein paar gute Ideen mit einfließen lassen können. Zu pauschalisieren, dass die Ärmsten keinesfalls in der Lage waren, dem Land etwas Gutes zu tun, war falsch. Das hatte auch die diskutierende Meute in den Kellern der Assassinengilde erkannt. Mit einem Mal wurde ihr der bunte Haufen aus Händlern, Künstlern und Geisteswissenschaftlern sympathisch.

Ganz im Gegensatz zu den Herrschern und Diplomaten, zu denen sie sich gerade zählte. Sie beobachtete Daren und Alden, die über das weitere Vorgehen diskutierten und sie dabei nicht einmal nach ihrer Meinung fragten. Sollte sie sagen, was sie wirklich dachte? Oder sollte sie schweigen und das alles weiter beobachten? Stand es ihr wirklich zu, so eine radikale Meinung einzunehmen? Was, wenn sie sich irrte? Ihr Gefühl sagte jedoch, dass sie keinem Irrtum aufsaß. Sie würde schweigen und zuhören. Ganz wie der Elfenkönig würde sie schauen, was diese beiden durch die Erfahrung mit den Weidanern lernen würden.
 

Wie geplant schwieg sie, auch als die beiden darüber diskutierten, warum der Elfenkönig sie nach ihrer Meinung gefragt hatte. Beide schlossen, dass er vermutlich überrascht gewesen war, eine Frau unter den Diplomaten zu sehen. Beide lobten sie ob ihrer demütigen, anständigen Antwort. Sie schwieg darauf nur.

In ihren neuen Stiefeln und einem regenfesten Überwurf über ihrem Mantel kehrte sie mit beiden am nächsten Tag zurück nach Zenair, wo sie nach dem Umziehen direkt der Gilde Bericht erstatten. Auch dort ließ sie den beiden den Vortritt, wie sie sowohl das genaue Gespräch als auch ihre Deutung nahe legten. Nadir nickte es ab und bat sie, die Reise nach Weidan vorzubereiten. Niemand fragte Maya nach ihrer Meinung. Ganz wie geplant war sie schönes Beiwerk, weiter nichts. Während sie die beiden die nächste Reise vorbereiten ließ, setzte sie sich zu den Diskutierenden und begann, die Sitzungen zu protokollieren. Der Sohn eines der Händler, der dies zuvor getan hatte, zeigte sich sehr erfreut, diese absolut undankbare Aufgabe zumindest für kurze Zeit abgeben zu können. Nach drei Tagen der Freiheit kehrte er jedoch zurück und setzte sich neben sie, um ihre Protokollierungskünste zu erlernen. Als Alden und Daren sie nach einer Woche baten, sich für die nächste Reise vorzubereiten, war ihr Schüler so gut ausgebildet, dass sie ihm die Arbeit guten Gewissens überlassen konnte. Er würde eine stets aktualisierte Form des Gesetzesentwurfes vorrätig halten.

Die Anweisung der beiden war, schicke bäuerliche Kleidung einzupacken, die auch mal schmutzig werden konnte. Sie würden es mit Schlamm, Matsch und vielen Ställen zu tun haben und es sei nicht auszuschließen, dass sie hin und wieder auch einen ausmisten müssten. Das alles hatte keiner von beiden je selbst erlebt, aber Darens älterer Bruder hatte wohl einige Zeit in Weidan verbracht. Für Maya klang das wie ein Ausflug nach Hause, demnach packte sie größtenteils Sachen, mit denen sie damals in Zenair angekommen war. Ein Paar Holzschuhe, ein Paar Lederschuhe und ein Paar guter Schuhe. Zwei Arbeitskleider, eine Schürze, ein gutes Kleid. Sie packte ihr Nähzeug, Flicken und mehrere Handvoll Kernseife. Das alles nahm Platz in dem Wanderrucksack, den sie seit ihrer Ankunft verstaut hatte. Wenn Sand und Dreck auf sie warteten, würde sie bestens gewappnet sein.



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Kommentare zu dieser Fanfic (11)

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Von:  SeraphEdo
2016-09-22T21:14:26+00:00 22.09.2016 23:14
Huuuiii, fertig (vorerst). Ich muss gestehen ich war gerade etwas enttäuscht, als der "nächstes Kapitel"-Button fehlte. Ich weiß auch gerade gar nicht wo ich anfangen soll, so viele Eindrücke, die ich erstmal verarbeiten muss.
Um ehrlich zu sein, war ich anfangs etwas perplex. Dieser Gedanke "Joka schreibt eine Teenie-Film-ähnliche Geschichte, in der sich zwei reiche Schnösel darum prügeln, wer das naive Bauernmädel zuerst flach legt" passte irgendwie nicht zu meinem "Joka"-Bild und dem, was ich so von dir kenne. Ich hab mich davon aber brav nicht abschrecken lassen, mit dem festen Glauben es wird anders und es kam auch anders! ^.^
Maya ist sowas von naiv und weltfremd aber sie macht sich zum Glück langsam. Mich würde interessieren, ob sie ihre Spitzensöckchen auch auf High Heels trägt....naja, lassen wir das... XDDD Ich bin irgendwie froh, dass sie nicht von jetzt auf gleich von Mauerblümchen zu DER Revoluzer-Queen digitiert, sondern dass man merkt, dass sie zweifelt, dass sie sich durch eine Dummheit selbst in ihre Lage geritten hat und dass sie anfängt ihr altes Leben zu vermissen (den Part fand ich übrigens sehr schön beschrieben, ich will jetzt auch Zimtkuchen... :0), aber man kann ihr dieses Denken auch nicht verübeln.
Ich weiß gegen aktuelles Ende nicht mehr, ob ich Alden oder Daren lieber mag...am Anfang war ich Pro-Alden, weil ich in Daren nur einen oberflächlichen Arsch sah, aber scheinbar hat er auch dazu gelernt! ^w^ Ich bin gespannt, wie sich das ganze entwickelt!
Insgesamt bin ich wirklich von dem ganzen politischen und historischen Konstrukt beeindruckt, was du aufgestellt hast! O.O
Wenn ich sowas lese, empfinde ich mich selbst für richtig unkreativ...man könnte wahrscheinlich ein Extrabuch nur über die Entstehung der Städte und der Kriege schreiben, wahnsinn!

Kleiner Kritikpunkt: mir fehlen teilweise Umschreibungen. Manche Handlungen sind mir etwas zu sprunghaft, zeigen keine wirklichen, schwerwiegenden Konflikte und bauen dadurch zu wenig Spannung auf, oder es fehlt an Emotionen oder Gedanken. Vielleicht bin ich da auch einfach nur zu pingelig, ich weiß nicht wie umfangreich das Projekt wird... XDDD

Ich bleibe einfach mal gespannt~ ❤
Von:  Lunatik
2016-01-25T14:18:05+00:00 25.01.2016 15:18
Ich habe herzlich gelacht, als er den Vorschlag sie einzustellen machte.
Freut mich, dass das Mädchen zumindest neue Dinge jetzt ausprobieren kann. Es kann nie schaden seinen Horizont zu erweitern.
Von:  Sennyo
2016-01-22T20:06:38+00:00 22.01.2016 21:06
--> „Was solltet Ihr mit meiner Wäsche wollen?“
XDD waschen und zum trocknen aufhängen, eindeutig. Und vielleicht die Blümchen überfärben xD
Von:  Sennyo
2016-01-22T19:56:57+00:00 22.01.2016 20:56
Autsch. Viel naiver und gutgläubiger gehts nicht mehr?
Und klar, dass Alden ihr rät, Daren einfach ein paar Tage zu ignorieren, damit er sich wieder einkriegt.. *hust*
Von:  Sennyo
2016-01-22T19:38:46+00:00 22.01.2016 20:38
Na bei so einer Wette kann ja nichts gutes rauskommen... Ich fürchte, die arme Maya hat noch einiges vor sich. Ich bin wirklich sehr gespannt, was du hieraus machst ^^
Dass Maya in der Stadt im Augenblick doch recht exotisch ist, ist schon mal sehr klar ^^
Von:  Lunatik
2016-01-20T22:35:57+00:00 20.01.2016 23:35
Bin ich froh über japanische Mensen...billig und lecker :D (dafür hapert es an der Auswahl)
Nun, die vielen Sprünge im Gespräch zwischen Maya und Daran haben mich zumindest zum Lachen gebracht. (So ein"wtf-Lachen. Die beiden sind nicht sonderlich an einander interessiert...)
Besonders die Stelle "was wenn sie doch schwanger wird" - "reden wir über was schöneres" LOL

Von:  Lunatik
2016-01-16T00:21:26+00:00 16.01.2016 01:21
P.S.
"vermutlich waren das die Sprache der Elfen, Zwerge und der Goblins. Warum hießen die nicht Elfisch, Zwergisch und Goblinisch oder so etwas?" - das ist meine Lieblingsstelle im Kapitel :D
Von:  Lunatik
2016-01-15T23:49:09+00:00 16.01.2016 00:49
Alden ist ein Arschl*ch.
Ok, yeah, langsam kriege ich Fragen, was Mayas Herkunft betrifft: Woher hat sie so viel Geld für die Bücher? Oder sind sie gar nicht so teuer? Wie kommt sie an ein Stipendium, wenn sie keine Ahnung hat? Wie ist das System in dieser Welt? Wo ging sie zur Schule? Wer hat dafür bezahlt? Gab es Abschlussprüfungen in der Schule, Aufnahmeprüfungen bei der Uni? Natürlich kann das in dieser Geschichte komplett alles anders sein, aber ich orientiere mich erstmal mal an unserer Welt und den mir bekannten Systemen ^^
In dem Zuge auch etwas aus unserer Welt:
Sind es nicht normal die Mittelschicht- und Oberschichttöchter, die mit 'Anstand' erzogen werden? Für ein Dorfmädel spricht sie zudem äußerst gewählt. Ich habe ja vermutet, dass ihre Familie im Dorf eine hohe Position hat (Dorfvorsitzender, Handel etc.), aber die Erwähnung des Vaters, der sich bemühen musste ihr Geld mitzugeben, ließ mich wieder schwanken.
Ihre Mutter ist aber hundertprozentig kein Dorfmädchen Oo (Ist jetzt meine Vermutung basierend auf Vergleichen aus unserer Welt, kann ja abweichen von deiner Fantasywelt)

>Gab es denn hier niemanden, der ihr das alles hier erklären konnte?
Ein "hier" zu viel.
Ich glaube sonst ist mir stilistisch nichts aufgefallen ^^

LG
Von:  Lunatik
2015-12-22T03:37:23+00:00 22.12.2015 04:37
Ich mag die Atmosphäre der Großstadt und die ganzen Namen sind sehr hübsch :)
Ich bin gespannt wie sich die Geschichte um Maya weiterentwickelt und hoffe im nächsten Kapitel erfahren wir auch den Namen der Mitbewohnerin xD diese war schon äußerst unhöflich
lg
Schöne Weihnachten ^.^
Von:  ranuff
2015-12-21T16:12:07+00:00 21.12.2015 17:12
Tiefe Einblicke des unwissenden Mädchens in einen neuen Abschnitt ihres Lebens ... wer hätte erwartet, dass sie soooo tiefe Einblicke erhält ^^
Hallihallöle erneut!
Die Inhaltsbeschreibung hat mich sehr neugierig gemacht und Kapitel Nr.1 hat diese ausreichend gefördert.
Soweit es die nächsten Monate also zulassen, werd ich auf alle Fälle dran bleiben ;)
Maya hat sehr viel Entwicklungspotential als Protagonistin und mit all den Vorinformationen bin ich sehr gespannt, wohin sie ihr Weg führen wird und wie sie da auf all diese sonderbaren "Personen" trifft.
Mit solch wettenden Idioten, lebensfrohen Mitbewohnerin und der typisch genervten Sekretärin dürfte dies jedoch kein Problem darstellen ^^
Ich denke nur, dass sich die Wette der Beiden anders entwickeln wird als sie denken ... Maya als Mädchen vom Lande, unbekannt, unwissend und zu so manchem Zeitpunkt wohl stark unterschätzt! ;D
Ich bin gespannt!
Auf ein baldiges Wiederlesen!
Ran


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