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Stolperkurs ins Chaos

von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Hallo ihr Lieben... ich werfe einfach mal diese recht schräge Story in die Weiten dieses Archives und schaue mal, was ihr so dazu sagt. Viel Spaß beim Lesen. Komplett anzeigen

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Stolperkurs in die Tabuzone

Stolperkurs in die Tabuzone
 

Das geht nicht mit rechten Dingen zu, schießt es mir durch den Kopf. Und wenn mir solche Gedanken durch den Kopf schießen, will das schon was heißen. Warum? Nun ja, ich bin eine Dämonenjägerin, die sich vor nicht mal drei Sekunden darüber ärgerte, dass ihr ein ziemlich fieser Dämon ohne Vorwarnung auf die Lieblingsstiefel kotzte. Aber das ist nicht das, was mich so verunsichert. Es ist wohl eher die Tatsache, dass mir auf einmal der Boden unter den Füßen weg gezogen wird. So schnell, dass ich nicht mal mehr Scheiße sagen kann, was ich verflucht schnell kann, in diversen Sprachen und Dialekten. Und dann ist die Leitung tot. Sozusagen. Mit anderen Worten, ich werde ohnmächtig. Eine Tatsache, die mir schon sehr lange nicht mehr passiert ist. Ich glaube das letzte Mal geschah das, als ich den Weinkeller eines gewissen Grafen Dracula plünderte. Man sollte 200 Jahre alten Wein eben nur in Maßen genießen und nicht in Massen. Vor allem nicht nach einem massiven Massaker.
 

„Das muss ein Mensch sein. Ein weiblicher Mensch. Eine Menschenfrau.“ Diese weisen, gemurmelten Worte dringen in mein Bewusstsein, während mein Schädel dröhnt. Aspirin. Noch niemals in meinem Leben hab ich jemals so dringend eine Klinikpackung davon benötigt. „Woher willst du wissen, dass es eine Frau ist?“, sagt irgendwer. „Sie hat Brüste“, ist die einleuchtende Antwort. Habe ich Brüste, meinen die mich? Check… japp, habe ich. Eine rechts, eine links. Ergo zwei. Eine auf jeder Seite. Eine gute Handvoll. Alles unverändert. Check Complete. So weit, so gut. Wenigstens stimmt meine Anatomie noch.
 

Die reden also wirklich über mich. Nächste Frage – wer sind DIE? Wo bin ich? Oh bitte, bei allen Göttern des Universums – lass es nicht das sein, was ich vermute. Nicht den worst case, den Ernstfall. Nicht das. Bei allem, was mir lieb und teuer ist.

„Wir sollten sie wecken“, stellt eine Stimme fest. „Du bist dir viel zu sicher, dass es eine Sie ist. Es könnte auch ein Er sein“, wirft eine weitere Stimme fast beleidigt ein. Okay. Da streiten sich zwei Leute über mein Geschlecht, während ich versuche, mich krampfhaft an das zu erinnern, was vor ein paar Minuten passiert ist. Ich hatte einen Auftrag. Ich hab meinen Job gemacht. Da war ein Dämon, der mir auf die Stiefel kotzte, während ich ihm meinen Dolch in die Eingeweide rammte. Da war ein Riss im Universum. Scheiße…
 

„Nicht schon wieder“, murmel ich angefressen und mache die Augen auf. Ich hoffe, ich sehe jetzt nicht das, was ich mir vorgestellt habe. Life sucks, natürlich sehe ich genau das, was ich mir vorgestellt habe. Nun ja, meine Vorstellungskraft ist aufgrund meines Jobs grenzenlos. Aber der seltsame Dialekt, in dem die Leute reden, klingt zwergisch. Kleine, bärtige Wesen. Nun, klein ist relativ. Ich bin selber auch nicht gerade groß. Aber weitaus weniger behaart als die anderen Anwesenden. Hoffe ich zumindest.
 

26 Augen richten sich auf mich, während ich mich aufrichte und tapfer dagegen ankämpfe, niemand vor die Füße zu kotzen. Ich hasse unerwartete Dimensionssprünge. Ich hasse Götter. Ich hasse meinen Job. Und fremden Zwergen vor die Füße zu kotzen ist unhöflich und unwürdig. In genau der Reihenfolge. Ernsthaft.
 

Die 26 Augen folgen aufmerksam jeder meiner Bewegungen. Zwergenaugen, diese unverbrauchte, reine Luft. Scheiße, Mittelerde. Also doch das Worst Case Szenario. Mittelerde….

Meine Hand tastet unter der grob gewobenen Decke nach einer Waffe. Natürlich hat man mir die abgenommen. Was habe ich erwartet?
 

Ich meine, ich bin eine professionelle Dämonenjägerin. Grobes Profil meines Jobs. Nebenbei auch noch eine nicht bezahlte Hüterin des Gleichgewichts der kosmischen Balance der Welten (ehrenamtlich betrieben, mütterlicherseits genetisch bedingt und von daher Pflicht), dafür umso besser bezahlte Kopfgeldjägerin und seit gut 500 Jahren Teil eines Spiels, dessen Regeln ich nicht gemacht habe und noch viel weniger verstehe. Meine Gegner sind Dämonen, Vampire, Werwölfe und andere, nicht gerade nette Zeitgenossen. Ich fange sie ein, ich sorge dafür, dass sie nicht allzu viel Schaden in der menschlichen Welt anrichten- und natürlich auch in den anderen Welten.
 


 

„Verdammte Wichse!!!! Ich verlange verdammt noch mal sofort eine Erklärung! DAS ist nicht LUSTIG!“, brülle ich nach oben. 26 Augen blicken auf mich, blinzeln und zweifeln berechtigterweise an meinem Geisteszustand. „Bei allem, was mir heilig ist! DAS ist ja wohl das aller, allerletzte! Mittelerde???? HALLO???? Mittelerde? Geht es noch??“

Ich ignoriere die Zwerge und warte auf eine Antwort, eine Reaktion, irgendwas. Ein irres Kichern aus dem Nirgendwo, ein Blitz oder zumindest ein Wispern. Doch nichts passiert. 26 Augen starren mich weiterhin an.
 


 

„Was ist?“, frage ich schlecht gelaunt. Ich sollte nicht hier sein. Ich darf nicht hier sein. Mittelerde ist Sperrgebiet, Tabuzone und überhaupt. Wir machen keine Geschäfte mit denen und die keine mit uns. Die wissen nichts von uns, wir wissen alles über sie, was eigentlich schon zu viel ist. „Das wird weitreichende Konsequenzen haben“, murmel ich wütend vor mich hin.
 

„Das Wesen ist verwirrt“, sagt der Größte der Zwerge. Ich runzel die Stirn und krame das klägliche Randwissen, das ich über Mittelerde habe, zusammen. Zwerge. Also vor Frodo, irgendwo zwischen Smaug und einer großen Schlacht… Oder? Was weiß ich denn? Ich ramme lieber scharfe Gegenstände in finstere Gestalten, Geschichte und Hintergründe sind da zweitrangig.
 

„Das Wesen ist äußerst angepisst“, erkläre ich missmutig. Und angepisst ist noch ein nettes Wort für meinen derzeitigen Gemütszustand. Wie kann es jemand wagen, mich per Dimensionensprung nach Mittelerde zu befördern? Wie kaputt muss man sein, um so etwas zu tun? Nun ja, es gibt bestimmt eine Millionen Leute/Wesen/Kreaturen usw, die mich gerne los werden wollen. Aber Mittelerde? Das verbotene Niemandsland? Wer ist denn bitte so abgefuckt?

26 Augen blinzeln synchron und 26 Füße machen im Gleichschritt eine Bewegung nach vorne. Dieses Mal sitze ich so tief in der Scheiße, wie man es sich nicht vorstellen kann.
 


 

„HAAAALLLOOOO?!“, brülle ich erneut in Richtung Zimmerdecke. Irgendwer muss mich hören. Nichts passiert. Fuck, ich habe ein Problem. Oder 13 Probleme. 13 Zwerge, die mich argwöhnisch mustern und die Hände an die Waffen legen. An Morgensterne, Streitäxte, Schwerter, Pfeil und Bogen. Nein, ich korrigiere. 12 bewaffnete Probleme, gegen die ich mich laut kosmischen Abkommens zwischen den Welten, den Völkern und den Galaxien nicht wehren darf - und ein weiteres, von dem ich schon jetzt weiß, dass es mich noch tiefer in die Scheiße reiten wird. Problem Nummer 13 betrachtet mich aus kugelrunden, braunen Augen und ich seufze. Ich weiß schon jetzt, was passieren könnte und nicht passieren sollte, aber dennoch passieren wird.
 


 

„Du hast mich gefunden. Übersät mit Blut und blauen Flecken, richtig?“, frage ich Problem Nummer 13. Problem Nummer 13 nickt zustimmend. „Du hast mich hierher gebracht, voller Sorge und Mitleid. Scheiße, man, hast du keine anderen Hobbys? Warum in den Neun Welten hast du mich nicht einfach liegen lassen? HALLO????!!! Ich will nach Hause! Ich hab Feierabend!“ Natürlich hört keiner auf mich. Weder Problem Nummer 13, noch die 12 anderen, noch die verfluchten kosmischen Kräfte, die für den ganzen Mist verantwortlich sind. Und auf meinen Feierabend nimmt auch keiner Rücksicht. Das Universum ist ein Ort voller Sarkasmus, Ironie und Ungerechtigkeiten. Glaubt es mir, ich treibe mich schon lange genug darin herum.
 

„Das Wesen redet in Rätseln! Los, sage deinen Namen!“, fordert der große Zwerg mich auf und richtet sein Schwert auf meine Kehle. Ich schließe kurz die Augen und durchforste die Notfallregeln für derlei Situationen. Ich bin trainiert, diplomiert, zertifiziert und informiert. Ein wenig desorientiert, aber keineswegs desillusioniert.

Meistens jedenfalls. Wie war das noch? Neutral verhalten, nichts sagen. Scheiß Idee, wenn man ein scharf geschliffenes Schwert an der Kehle hat und Opfer der scheinbar gelangweilten kosmischen Kräfte wurde. Ich gehe die universellen Notfallregeln durch und erinnere mich. Regel Nummer eins- Klappe halten. Also sage ich nichts. Wie war das noch mit dem großen Ratgeber für unerwartete Situationen für Jäger? Denk nach, man…
 

„Rede“, sagt der große Zwerg. Die Schwertspitze ritzt meine Haut ein. Etwas Warmes läuft über meinen Hals. Blut. Mein Blut. Rot und warm. „Thorin, ist das nötig?“, fragt jemand im Hintergrund. Mehrere Stimmen geben ihre Kommentare ab. Nein, es ist unnötig, ein Wesen mit zwei Brüsten und wirren Worten mit einem Schwert anzuritzen. Ich gehe absolut konform mit dieser Ansicht.
 

„Ich traue niemand“, sagt Thorin.
 

Thorin Eichenschild, vermute ich. Ich hab den Unterricht über Mittelerde und der dazu gehörigen Geschichte ehrlich gesagt meistens geschwänzt/verpasst/verschlafen. Ich war zu dem Zeitpunkt mit anderen Dingen beschäftigt. Dinge mit grünblauen Augen und sehr geschickten Fingern, mit silbernen Worten und goldenen Küssen. Noch so eine Sache, die ich lieber nicht getan hätte. Aber ich bin auch ehrlich gesagt nicht davon ausgegangen, jemals hier zu landen.

„Ich dürfte gar nicht hier sein“, stelle ich furztrocken fest. Das ist die Wahrheit. Es gibt Neun Welten da draußen und Mittelerde zählt nicht dazu. Die ist außen vor, Sperrgebiet. Es sei denn, man heißt Dana McKinley und legt sich mit allen möglichen Leuten an. Dann landet man dort. Und sitzt fest. Niemand wird mich hier finden.
 

„Sperrt sie ein und sorgt dafür, dass sie rund um die Uhr bewacht wird!“, befiehlt Thorin gebieterisch. Okay. Einzelhaft für das zweibrüstige Wesen mit den wirren Gedanken. What a surprise.

Listen, Flashbacks und Flummis

2. Listen, Flashbacks und Flummis
 

Ich werfe mich mit einem Schnaufen auf das schmale Bett in der Kammer, in die man mich gebracht hat und greife in meine Hosentasche. Mit geübten Bewegungen pfeffere ich einen Flummi an die Wand und fange ihn auf. Immer wieder. Ich kann das stundenlang tun.

Pong. Pong. Pong. Der Flummi ist aus Hartgummi und macht nervige Geräusche, wenn er auf die Wand trifft. Ich fange ihn jedes Mal, egal, ob ich seinen Flug mit den Augen verfolge oder nicht. Regel 101 aus dem Leitfaden der Zermürbung von Feinden – gehe ihnen auf die Nerven und nutze dabei Gegenstände, die banal sind. Pong. Pong. Flummi aus Hartgummi und Wände aus Stein. Pong…

Vierzehn Pongs später verliert mein bärtiger Bewacher die Nerven und geht. Seine Anwesenheit wird durch Problem Nummer 13 ersetzt. Ein weiterer Punkt auf meiner Liste von Dingen, an die ich mich dringend halten sollte.
 

Hier die Liste, die sich ständig erweitert:

Punkt 1:

Finde dich damit ab, dass du anders bist (meist machbar, aber nicht immer vereinbar mit allen Wesen)

Punkt 2:

Schlage daraus Profit, aber lasse dich nicht dabei erwischen. Streite immer ab, dass du es warst

Punkt 3:

Sei gegen alles und für nichts, alternativ anders herum

Punkt 4:

Lasse dich niemals mit einem Lügengott ein

Punkt 5:

Falls Punkt 4 nicht machbar ist- siehe Punkt 2

Punkt 6:

Kontrolliere deine verdammten Pheromone

Punkt 7:

Trete der Gewerkschaft bei (Antrag liegt vor und muss abgeschickt werden) und schicke den Brief ans Finanzamt mit den Milzbrandviren endlich ab…

Punkt 8:

Siehe Punkt 4. Und trinke dabei niemals Met, Wein oder Whiskey

Punkt 9:

Siehe Punkt 8/6/4. Verschweige deine Schwäche für Seidentücher, Augenbinden, Federn und Fesselspielchen. Halte deine sexuellen Vorlieben bedeckt…
 

Punkt 10:

Kläre deine Herkunft und raste nicht aus

Erledigt. Trotzdem ausgerastet- zurecht
 

Punkt 11:

Halte dich an die universellen Regeln und bedenke- die Antwort ist immer 42

BULLSHIT, die Antwort ist 42,5158447 unter Berücksichtigung des aktuellen Mondstandes besteht eine Abweichung von Pi mal Daumen.

Punkt 12:

6 ist die Quersumme aus 42 und keine mystische Zahl. Ignoriere Punkt 11 unter allen Umständen, denn das ist Unsinn. Aber die Antwort ist trotzdem 42. Außer montags, da ist Ruhetag.
 

Punkt 13 (neu)

Hege keine Sympathien für Wesen, die sich deiner erbarmen. Nutze die Macht der Zermürbung und bau nicht noch mehr Scheiße. Wirf den beschissenen Flummi und bleib einfach cool.
 

Check, ist in Arbeit. Aber… ich stehe auf braune Augen und finde Flummis uninteressant, im Gegensatz zu den braunen Augen und der Tatsache, dass Punkt 6 gerade aus der Hand läuft… Ich kann diese pikante Mischung aus meinen und Problem Nummer 13´s Pheromonen riechen.

„Mein Name ist Kili“, sagt Nummer 13 und hat damit seinen Status als anonyme Nummer verloren. Ich werfe den Flummi erneut an die Wand. Plong. Fangen. Werfen. Plong. Fangen. Werfen. Augenkontakt. Plong, fangen.

In braune Augen gucken und werfen. Plong, fangen. Werfen, Plong, fangen. Werfen, gucken, Plock… Der Flummi rollt über den Boden und bleibt genau vor Kilis Füßen liegen, knallgrün wie ein Apfel. Ich denke an einen Apfel. Wie absurd.
 

Jenes schicksalhafte Kernobst wurde einst vor gut drei Jahrhunderten von geschickten, langen Fingern in die Luft geworfen und landete dann in meinem Schoß.
 

„Willst du?“, fragte mich damals eine Stimme. Gesprochen von einem Mann, den man Silberzunge nannte. Silberne Worte, Goldene Versprechen. Und eine Jägerin, die dort saß, wo sie eigentlich nicht sein sollte. In einer Dimension, weit weg von Midgard, mit dem Gott der Lügen. Fatale Kombination. Ich war hungrig und dreihundert Jahre dümmer als heute. Erpicht auf Ablenkung und erbost jammernd über das Unrecht, das mir wiederfuhr. Wie ungerecht mich doch meine Leute behandelt hatten… Und wenig später auf der Flucht, in der rechten Jackentasche hatte ich einen grünen Apfel… und zu meiner Linken einen Gott der Lügen, der mich mit leuchtenden Augen dazu angestiftet hatte, es allen heimzuzahlen.

Kili beugt sich hinunter und hebt den Flummi auf, hält ihn vor seine Nase. „Aus was ist der gemacht?“, fragt er staunend und lässt ihn fallen. Der Flummi federt vom Boden ab und landet sicher in seiner Hand. Eine kleine Hand, kaum größer als meine. Kili ist nur knapp einen Kopf größer als ich.

„Hartgummi. Erfindung aus Midgard.“ Das waren eigentlich schon zu viele Informationen. Braune Augen und ein Flummi bringen mich zum Reden.

„Midgard?“ Kili lässt den Flummi zweimal über den Boden in meine Richtung hopsen, bis ich ihn fange. Grellgrünes, verräterisches Hartgummi aus einer Welt, von der der braunäugige Zwerg bisher nicht mal wusste. Grellgrünes Hartgummi mit einem Bild von Spiderman. Und Ja, es gibt Spiderman wirklich. Wir treffen uns regelmäßig im Waschsalon. Superhelden müssen ihre Klamotten selber waschen, das ist vertraglich so vereinbart. Alles ist irgendwie irgendwo schriftlich festgehalten. Aber nur wenige wissen, wo genau.

Plong. Gucken. Werfen. Plong. The Show must go on. Plock… Verdammt… Schon wieder Punkt 6 vernachlässigt.

„Geht es dir gut?“ Ach du meine Güte, wie lange ist es her, dass mir jemand so eine Frage gestellt hat? Der Hartgummiflummi rollt in Richtung des braunäugigen Zwergs namens Kili. Ein Problem, das einen konkreten Namen hat. Regel 001 aus dem Standardwerk für Jäger – DTA… Don´t trust anybody… und niemand, der dir in schrägen Situationen freundlich entgegen kommt. Ich hätte mir diesen Satz schon 300 Jahre zuvor zu Herzen nehmen sollen.
 

„Du hast meinen Apfel in deiner Jackentasche“, sagte damals eine Stimme zu mir. Silberne Worte, untermalt von süßen Honig. „Und? Was wird jetzt passieren?“, fragte ich unschuldig zurück. Kernobst hin oder her. In jener Jackentasche waren damals noch eine Büroklammer, ein Kaugummi und ein verknüllter Einkaufszettel nebst einem Chip für einen Einkaufswagen und ein paar Handschellen. Und ein Flummi aus glitzerndem Hartgummi. Plong….

„Bist du hungrig, Lügenprinz?“, fragte ich damals arglos und ahnungslos. Zu der Zeit war ich nicht in der Lage, die Konsequenzen dieser Aussage zu verantworten. Ich verließ mich einzig und allein auf den Geruch und Geschmack der Pheromone, die unkontrolliert durch die Luft schwirrten. Ich wusste zu dem Zeitpunkt nicht mal, wo ich war.

„Ich bin ausgehungert“, sagte jene Silberzunge zu mir. Ich griff naiv in meine Jackentasche und hielt dem Mann mit den unergründlichen Augen den Apfel vor die Nase. Wir bissen beide gleichzeitig hinein. Ich glaube, das war der Tag, an dem ich meine Unschuld endgültig verlor. Keine Vergleiche zu Adam, Eva und dem Apfel. Das wäre vermessen. Und nicht annähernd vergleichbar mit dem, was folgte. „Ich fordere dich zu einem Spiel heraus. Ohne Regeln und Grenzen. Wirst du annehmen?“, fragte die Silberzunge mich kauend. Meine Finger krampften sich um den Rest des Apfels. Ich hatte gerade erfahren, wer ich war. Nein, was ich war. Kreatur. Bastard….Hin und her gerissen zwischen Genen und Beherrschung, der Aufgabe nicht mal ansatzweise gewachsen.

„Gerne. Was ist der Preis?“ Loki ließ sich Zeit mit der Antwort. „Nichts von Wert- eines Tages wirst du es wissen. So einfach ist das.“ Er grinste mich siegessicher an und ich legte ihm mit einem noch breiteren Grinsen Handschellen und Knebel an. „Deal. Und noch etwas- Du bist verhaftet wegen Hochverrates gegenüber Odin, Entführung einer Agentin der Kooperation und eines illegalen Fluchtversuches inklusive Geiselnahme. In Befugnis als rechtmäßige Jägerin nehme ich dich hiermit fest. Alles, was du von dir gibst, wird vor einem Ausschuss gegen dich verwendet werden. Die Flucht in Zwischendimensionen und die Entführung eines Agenten der Kooperation zur Wahrung des allgemeinen Gleichgewichtes zwischen den Welten zieht weitere Konsequenzen nach sich. Wir haben noch dreißig Minuten, bevor ich dich abliefern werde. Gefesselt. Irgendwelche Wünsche?“, sagte ich damals. Oh, glaubt mir, Loki hatte eine Menge Wünsche. Und ich eine Menge Spaß. Ohne Knebel, aber mit Handschellen. Eine halbe Stunde kann verdammt lang und sehr verdorben sein. Im Nachhinein hat er mir den Trick mit der Zellengenossin ziemlich übel genommen. Und mich beim Wort- wir spielen noch immer dieses verfluchte Spiel, von dem keiner weiß, um was es eigentlich geht. Man hatte mich damals auf den Lügengott namens Loki angesetzt, er war mein erster, richtiger Auftrag. Trickse einen Trickster aus. Was soll ich sagen, er ist voll darauf rein gefallen. Ich aber leider auch, auch wenn ich das zu jenem Zeitpunkt noch nicht wusste.

„Mir geht es bestens“, antworte ich nach dem Flashback. Der Flummi schnellt in die Höhe, einmal, zweimal, dreimal, ruht dann in Kilis Hand, die sich gut 20 Zentimeter über einem Tablett mit Essen befindet. Nichts Spektakuläres liegt darauf, nur Brot, Käse und daneben eine Flasche Wein. Aber es ist genug, um meinen Magen sehr laut knurren zu lassen.

„Bist du hungrig?“, fragt er mich freundlich. Ich würde für einen warmen Käsetoast morden. Es gab schon Schlachten epischen Ausmaßes wegen weniger banalen Gründen. Ich weiß es, ich war bei mindestens zwei dabei. Bei einer ging es um Sauerkraut ohne Piment und bei der anderen um drei Kilo Schmalz- feinstes Gänseschmalz ohne Flomen. Es geht niemals um vegetarische Dinge. Sorry, liebe Anhänger der fleischlosen Ernährung. Niemand wird jemals einen Krieg um Tofu starten. Niemand startet einen Krieg für Sojaquark oder ähnliche Produkte. Außer vielleicht für Kartoffeln.

„Ein wenig“, sage ich und mein Magenknurren straft meine Aussage Lügen. „Es ist gegen die Anweisungen Thorins. Aber wenn mir deinen Namen sagst, dann kannst du dich bedienen.“

Oh, armer, argloser Zwerg. Meinst du das Essen oder etwas anderes? Du bist durch und durch gut, befürchte ich.
 

„Ich gebe dir den hüpfenden Ball als Tausch“, sage ich langsam und gebe mir Mühe, nicht in die braunen Augen zu starren. Denke an Loki, sage ich mir. Ich habe zwar keine Ahnung, was das bringen soll, aber die Augen des Lügengottes sind wie ein See, tief verborgen hinter Gestrüpp auf einer Lichtung. Smaragdgrün und einladend. Aber wehe, du springst hinein. Dieses Gewässer ist voller Strudel und tückischer Strömungen. Dennoch ertrinkt man gerne darin.
 

„Das erscheint mir als redliches Geschäft“, erklärt Kili mir begeistert. Mit feierlicher Miene überreiche ich Kili den Flummi. „Mein Name ist Dana McKinley“, erkläre ich noch feierlicher und packe mir eine dicke Scheibe Käse auf eine noch dickere Scheibe Brot.

Plong. Plong. Plock Plock… Plong… Der Flummi tut seinen Dienst, prallt an der Wand ab und rollt über den steinernen Boden. Mit einem fast herausfordernden Plock bleibt er an meiner noch immer vollgekotzten Stiefelspitze hängen, rollt matt ein paar Zentimeter weiter und bleibt schließlich stehen. Meine rechte Hand greift nach dem Ball, genau wie die von Kili. Fingerspitzen berühren sich. Zwei Welten, die sich nicht berühren sollten. Ich grinse innerlich.
 

Kilis Augen sind braun. Schlicht und ergreifend braun, gütig und verzeihend. Sie richten sich neugierig auf mein Gesicht. Ich sehe Schmerz und Sehnsucht. Unerfüllte Sehnsucht und ein halbwegs repariertes Herz mit einem großen Riss in der Mitte. Du kannst es flicken, aber du wirst die Stiche immer sehen. Treffende Worte einer irischen Band für all jene Herzen, die jemals liebten und enttäuscht wurden. Oh weise Worte Bonos… Gebt dem Mann endlich den Friedensnobelpreis.

Fingerkuppen berühren sich, nur für ein paar Momente. Zwei Schläge eines Schmetterlingsflügels lang. Ein wenig Magie der atemberaubenden Art an einem Ort voller Magie und Ahnungen. Willkommen in Mittelerde, Dämonenjägerin McKinley.

Kilis Finger nehmen den Flummi erneut auf, werfen ihn an die Wand. Ich fange ihn auf, ohne zu überlegen, während ich den Rest der Käsestulle runterschlucke. Mit einer routinierten Bewegung werfe ich ihn an die karge Wand. Kili fängt ihn auf, hält ihn fest. Ich picke mit dem Zeigefinger der rechten Hand die Krümel meiner Stulle auf und wünsche mir für einen sehr kurzen Moment, mit dem Hartgummiball zu tauschen.

Zwischen meinen Schulterblättern brennt es. Verdammte Zeichen und Male. Es ist nur ein kurzes Brennen, kaum der Rede wert. Aber es ist da, präsent und nicht zu ignorieren. Das Resultat eines sehr leichtfertig gegebenen Versprechens und ein Grund zum Weglaufen. Aber man kann nicht vor den Tatsachen weglaufen, die auf einem liegen. Das ist dumm. Niemand kann seine Wurzeln verleugnen. Ich am allerwenigsten.

Das, was sich oberhalb dieser Wurzeln befindet, strebt nach Licht, Wahrheit, Gerechtigkeit und Frieden. Aber das, was darunter wurzelt, reicht tief hinab in Dunkelheit und Zweifel. Nährt seine Wurzeln an dämonischen Feuern und anderen Bestreben, die mir selber so zuwider sind, dass ich mich beschämt abwende. Und doch kann ich sie nicht leugnen. Der klassische Kampf Gut gegen Böse, ausgetragen auf meinem Rücken, in meinem Blut, meinem Wesen und meinen Genen.

„Dana McKinley?“ Kili lässt meinen Namen fast andächtig über seine Zunge rollen, spricht ihn mit zwergischen Akzent aus, der mich an irgendeine sehr alte, urtümliche Sprache denken lässt, deren Namen ich vergessen habe.

„Du blutest“, sagt die Stimme des Zwerges ein paar Augenblicke später. Er hat Recht. Thorins Schwert hat eine Wunde an meinem Hals hinterlassen, die noch immer blutet.

„Nicht der Rede wert, es wird bald aufhören“, erkläre ich gelassen und lecke mir die Finger ab. Ich muss den Zwerg ablenken, damit ich mal eben ein wenig mogeln kann. Sprich, meine Selbstheilungskräfte aktivieren. Es wäre nicht klug, das vor seinen Augen zu tun. Es ist aber auch nicht klug, die Wunde weiter bluten zu lassen.

Der Zufall kommt mir zur Hilfe, weil Kili gerade den Blick abwendet und sich dem Käse widmet.

„Siehst du, hat schon aufgehört“, sage ich zuversichtlich. Tatsächlich ist der Schnitt mit einer fast trockenen Kruste bedeckt.

In dem Moment, als Kili mir antworten will, öffnet sich die Tür und jemand betritt den Raum. „Nun, ich befürchte, es hat gerade erst angefangen“, sagt der Mann. Er ist sehr groß, hager und trägt graue Kleidung. Ich weiß sofort, wer er ist. Gandalf der Graue.

„Gandalf! Wie schön, dass du hier bist!“ Kili begrüßt den Zauberer freudig und mit Respekt, während der mich nicht mal für den Bruchteil einer Sekunde aus den Augen lässt. Ich weiß nicht so recht, wie ich mich verhalten soll. Ich hab gerade ein wenig rumgezaubert, damit ich nicht verblute und ich bin mir sicher, dass Gandalf das spürt, riecht oder sonst irgendwie bemerkt. Magie unter Gleichgesinnten hat ihren Wiedererkennungswert, egal, wo und von wem sie betrieben wird.

„Kili, würdest uns bitte alleine lassen“, sagt Gandalf vorsichtig und blinzelt dabei nicht mal. Ich bin ehrlich gesagt schon ein wenig beeindruckt von dem großen Mann mit der grauen Kleidung und dem urtümlichen Schlapphut. Wo bekommt man solche Sachen her? Ich habe mal irgendwann gehört, dass Gandalf nur deswegen ganz lange Der Graue hieß, weil sein Waschmittel so mies war. Ist aber nur ein Gerücht. Man sollte dem Gefasel eines besoffenen Trolls so oder so keine Beachtung schenken, sondern eine Runde MauMau mit ihm spielen. Leicht verdientes Geld.

„Also, Frau. Ich erspare dir und mir die lange Vorrede. Woher kommst du und was willst du hier?“ Ich seufze. Wäre ich eine gute Mitarbeiterin der Kooperation, dann würde ich jetzt in finsteres Schweigen verfallen. Aber das bin ich nicht. Ich bin eine verdammt gute Kopfgeldjägerin, eine prima Bewahrerin des Gleichgewichts der Welten. Aber keine gute Mitarbeiterin. So einfach ist das. Außerdem ist das ein Notfall und da darf ich improvisieren.

„Mein Name ist Dana McKinley und stamme aus einem Ort namens Midgard. Ich bin eine Kopfgeldjägerin und irgendetwas ist schief gelaufen. Ich sollte nicht hier sein.“

Ich mache eine Pause und warte auf eine Antwort. Gandalf neigt den Kopf nach links und mustert mich, wägt den Wahrheitsgehalt meiner Worte ab, überlegt schweigend und stellt meine Geduld auf eine harte Probe. „Dann ist es also wahr…“ murmelt er in seinen grauen Bart.

„Es gibt also andere Welten neben der Unseren, das stand eigentlich nie außer Zweifel. Deine Magie riecht fremdartig, Weib. Was bist du?“ Gandalfs Worte sind nun bedrohlich und lassen mich seufzen. Ich lege nur gerne meine persönliche Geschichte vor Fremden offen. Aber das hier ist ein Notfall und da muss ich improvisieren, scheiß auf Klappe halten und überhaupt.

„Das Ergebnis einer unglücklichen, aber sehr leidenschaftlichen Verbindung zwischen einem Dämon und einer Göttin“, antworte ich gequält. Nun ja, einer Halbgöttin und einem Herrscher eines kleinen Dämonenreiches, nichts Großartiges. Aber - Ich bin ein Bastard mit beschissenen Genen. Der personifizierte Kampf zwischen Gut und Böse auf zwei kurzen Beinen, mit platinblonden, kurzen Haaren und grünen Augen. Dazu bin ich blass wie der Vollmond, habe Sommersprossen auf der Nase und tue immer das, was ich nicht tun sollte. Warum? Weil ich es kann, weil es einfach mehr Spaß macht und weil es in meinen Genen liegt.

„Midgard? Götter und Dämonen? Und wie bist du hierhergekommen?“ Gandalfs Blick durchbohrt mich und spüre einen starken Zauber, der sich in meinem Bewusstsein ausbreitet und mich dazu bringen soll, die Wahrheit und nichts als die Wahrheit zu sagen. Diese Magie brennt so sehr, dass mir die Tränen in die Augen schießen. Mist. Soll ich mich jetzt widersetzen oder es zulassen? Ich entscheide mich für Tor B und schließe die Augen. Gandalfs Magie tut weh. Mir laufen die Tränen über die Wangen und heulen geht ja mal gar nicht. Punkt 14 auf meiner Liste.

„Ich jagte einen Dämon der Klasse Vier, der sein Unwesen in Midgard trieb; bei dem Kampf wurde ich in diese Dimension geschleudert. Das war nicht geplant“, stottere ich und fasse den Entschluss, dass es jetzt gut ist. Gandalfs Magie verursacht ein Knirschen in meinem Getriebe und das geht ja mal gar nicht. Gandalf macht den Mund auf, als sein Zauber an Kraft verliert und nickt dann.

„Verstehe. Ich glaube dir, Frau aus Midgard. Dir ist die besondere Sternenkonstellation sicher nicht entgangen, oder?“ Doch. Um ehrlich zu sein, ich hab nicht wirklich auf die Sterne geachtet, während ich damit beschäftigt war, Bannzauber zu sprechen und ein Schwert zu führen. Sterne gucken ist was für Romantiker und aus dieser Zielgruppe falle ich komplett raus.

„Nein, ich habe nicht darauf geachtet. Ich war abgelenkt“, erkläre ich leise. „Diese Konstellation war einmalig und wiederholt sich nur alle 180 Jahre“, beginnt Gandalf verheißungsvoll. In meinem Hirn rattert es sehr laut. „Ist die Konstellation noch da?“, frage ich ängstlich, obwohl ich die Antwort schon kenne. Das Universum und die kosmischen Kräfte haben einen sehr fiesen Sinn für Humor und sie sind sehr vorhersehbar. „Nein, sie ist in dem Moment vergangen, als Kili dich fand. Du kannst nicht einfach zurück in deine Welt.“

Na, was für eine unerwartete Überraschung. Ich kann nicht vorbei… wie der arme Balrog auf der Brücke… Nun, ich hab zwar den Unterricht geschwänzt, aber die Filme hab ich gesehen.

Habe ich etwas anderes erwartet? Nö. Irgendwann musste mir so was passieren. Ich bin für derlei Dinge prädestiniert, sozusagen vorbelastet. Gebt mir einen Riss im Universum oder eine fatale Sternenkonstellation und ich stolpere garantiert hinein. Tolle Wurst. Jetzt muss ich sehen, wie ich damit klar komme. Entschuldigt meine Wortwahl, aber das ist echt Scheiße. Ein gigantischer Haufen Drachenscheiße. Und ich kann die jetzt mit einem winzigen Teelöffel wegschippen.

Dinge, die man grundsätzlich nicht richtig machen kann

3. Dinge, die man grundsätzlich nicht richtig machen kann
 


 


 


 

„Was wird jetzt mir geschehen?“, frage ich leise und niedergeschmettert. Auch auf diese Frage habe ich bereits eine Antwort. Gandalf wird sich gleich beraten. Mit diesem Thorin Eichenschild und irgendwelchen anderen Gestalten, die sich verantwortlich fühlen. Vermutlich sogar ein paar Elben aus irgendeinem düsteren Wald oder einem anderem schicken Ort. Ich mag es gar nicht, wenn Leute, die mich nicht mal ansatzweise kennen, über mein Schicksal entscheiden. Obwohl, die Leute, die mich kennen, sollten auch nicht über mein Schicksal entscheiden. Beides ist nicht gut für mich.

„Ich werde mich beraten, Dana McKinley. Du bleibst hier.“ Gandalfs Worte überraschen mich nicht wirklich. Nennt mich Nostradamus. Nein, nennt mich lieber Dana. Oder verfluchtes, blondes Weibsstück, das mag ich auch noch.

Okay, ich bleibe also hier. Alleine mit einem halben Laib Brot, Käse und einem stumpfen Messer. Immer schön optimistisch bleiben, ich bin immer noch hungrig.

Nachdem ich mir die dritte, dick belegte Stulle einverleibt habe, betritt Kili den Raum. Sein Blick schweift zu dem Brot, dem Käse und dem Messer. Brot und Käse sind fast alle, das Messer liegt akkurat auf dem Tablett. Als ob ich mit einem Käsemesser irgendwas reißen könnte. Wo sind meine Waffen? Wo ist mein heißgeliebter Dolch mit der Rune? Bestimmt liegt er irgendwo in einer Truhe, vermutlich bei Thorins privaten Schätzen. Ich kann mich daran erinnern, das Zwerge auf Schätze und Gold stehen. Das tut weh. Der Gedanke daran schmerzt. Dieser Dolch bedeutet mir eine Menge. Er war ein Geschenk von jemand. Jemand ganz Besonderen. Ich seufze laut und setze mich auf das schmale, hölzerne Bett. Was für ein Dilemma.

„Du siehst aus wie jemand, der gerade sehr schlechte Nachrichten erhalten hat“, stellt Kili fest. Schlauer Zwerg. Ich bin ehrlich gesagt am Boden zerstört und habe Bauchweh von der letzten Käsestulle.

Leidig nicke ich und verdrehe die Augen. „Gandalf und Thorin beraten sich gerade mit den Ältesten Zwergen. Ich darf nicht dabei sein“, stellt Kili fest. „Bist du zu jung?“, will ich wissen. Komm, erzähle mir was, ich brauche Ablenkung von meinem Elend.

„Ja, bin ich. Ich bin erst 64 Jahre alt.“ Oha, was für ein Jungspund. Da bin ich ihm mit meinen 439 Jahren aber um einiges voraus.

Ich meine, ich habe einiges gesehen. Die allerletzten Jahre der Hexenprozesse, die Eroberung der neuen Welten. Diverse Kriege, das industrielle Zeitalter. Ich habe gesehen, wie Könige ihren Kopf verloren und Herrscher ihren Verstand. Hab den bitteren Nachgeschmack der Inquisition gekostet, den Ersten Weltkrieg ausgesessen und mich in den zwanziger Jahren köstlich amüsiert. Ich tanzte den Cha-Cha-Cha in kurzen Kleidern und presste meinen Körper ein paar Jahrzehnte zuvor in viel zu enge Korsetts. Ich floh vor einen Diktator, der ganz Europa in einen Krieg verwickelte. Ich habe meine BHs in den 70er Jahren verbrannt und war gegen den Krieg in Vietnam. Ich sah Präsidenten kommen und gehen, sah, wie jemand einen kleinen Schritt auf dem Mond machte. Ich küsste Vampire, weinte um gute Freunde und alte Feinde. Ich habe Werwölfe mit Flohkuren versorgt und Dämonen mit Mitteln gegen Warzen. Habe beim Pokern mit Hexen eine Menge Geld verloren. Ich hatte fantastischen Sex mit einem Lügengott. Noch Fragen?

„Ich bin nur ein wenig älter“, lüge ich lächelnd. Ich mag den Zwerg mit den braunen Augen. Mir ist klar, dass ich hier noch eine Weile fest sitzen werde und dass ich dringend ein paar Freunde brauche. Der Zwerg mit den braunen Augen ist doch schon mal ein guter Anfang.

Kili erwidert mein Lächeln und für einen Moment bin ich verwirrt, weil sich mein Herzschlag beschleunigt. Ich bin über 400 Jahre alt, ich bin eine Kopfgeldjägerin, abgebrüht und Sklavin meiner Hormone, Pheromone und Endorphine. Ich habe mir vor gut 200 Jahren abgewöhnt, mich von Emotionen leiten zu lassen, weil sie mir nur Schwierigkeiten bereitet haben. Anscheinend kommt hier gerade einiges durcheinander. Das kann ja noch heiter werden.

Kili gähnt nach einer Weile und mir selber kriecht die Müdigkeit mit Nachdruck in die Glieder. Der Tag war aufreibend, anstrengend und ermüdend. Meine Augen brennen und meine Sinne sind seltsam abgestumpft. „Ich glaube, ich werde ein wenig schlafen“, erkläre ich erschöpft. Lass die da oben Mal tagen und beraten, sowas dauert immer ewig. Kenne ich schon, ist nicht das erste Mal, dass man sich zusammen findet, um sich über mich und meine Person zu beraten. Das kann dauern. Zu einem Ergebnis kommen die eh nicht.

Kilis Augen weiten sich, während ich mir die Stiefel ausziehe und anschließend die Hose. Ach, verflixt, nach 400 Jahren hab ich mein Schamgefühl ehrlich gesagt verloren. Ich bin müde, ich schlafe nicht gerne in Stiefeln und Hosen. So einfach ist das.

Mit nackten Beinen und unter sorgsamen Blicken aus braunen Augen schlüpfe ich unter die Bettdecke, drehe dem Zwerg den Rücken zu und schließe die Augen. Das Bett knarzt ein wenig und ist nicht wirklich bequem, aber es muss reichen.

Als ich am Morgen erwache, bin ich alleine, allerdings nur kurz. Ich bin gerade soweit, dass ich in meinen zweiten Stiefel schlüpfe, als die Tür aufgeht und zwei Zwerge in Rüstung und grimmiger Miene mir andeuten, ihnen sofort und ohne Widerworte zu folgen. Was ich natürlich tue. Das wiederum verwirrt die beiden Zwerge, die wohl mit Gegenwehr gerechnet haben und nun irgendwie beleidigt sind. Wie man es macht, ist es verkehrt. Das gilt wohl in allen Welten. Also murre und knurre ich ein wenig vor mich hin, was die Laune der Zwerge beträchtlich hebt. Geht doch.

„Schneller“, sagt einer der Zwerge streng. Das wollen die nicht wirklich, oder? Ich kann verflucht schnell sein, das muss ich auch, sonst wäre ich schon lange nicht mehr am Leben. Wenn man Jagd auf Dinge macht, die ihre Form und ihr Aussehen verändern können und sich innerhalb von dem Bruchteil einer Sekunde in eine andere Dimension verziehen, dann muss man ziemlich schnell sein.

Also bin ich schneller. Wie die Herren Zwerge es wollten. Sie sind ganz schön außer Atem, während sie hinter mir her sprinten. Sie wollten es so und ich bin bemüht, mich den Wünschen meiner Gastgeber anzupassen. Zufrieden sind sie trotzdem nicht. Ich verschwinde um eine Ecke und werde ausgebremst. Etwas bremst mich aus. „Uff“, sage ich und pralle mit jemand zusammen.

„Guten Morgen“, murmelt mein Gegenüber mir zu und blinzelt mich an. Natürlich ist es Kili, in den ich gerannt bin. Alles andere wäre ja auch unsinnig. Ich verstehe die kosmischen Kräfte ja manchmal, auch wenn ich von ihren Handlungen und Fügungen nicht immer begeistert bin. Also, was tut man in solch einem Moment? Man lächelt. Man genießt lächelnd den unerwarteten Körperkontakt mit einem Zwerg, den man sehr sympathisch findet. Was sollte man auch sonst tun?

Zwei völlig verschwitzte Zwerge tauchen hinter mir auf, keuchend und scheinbar erleichtert über die Tatsache, dass ich nicht stiften gegangen bin. Kilis Hände ruhen auf meiner Hüfte, es fällt mir erst jetzt auf. „Bist du auf der Flucht?“, fragt er mich vorsichtig und sein Griff verstärkt sich ein wenig. „Nein, die Herren wollten, dass ich mich schneller bewege und anscheinend war das wohl zu schnell“, erkläre ich gleichmütig und mit einem Achselzucken.

Kili schenkt mir ein hinreißendes Lächeln, das mich friedlich stimmt. Mittelerde stimmt mich irgendwie friedlich und dieser braunäugige Zwerg kocht mich weich. Scheiße, wo soll das enden? Werde ich dann irgendwann mit meinen Gegner eine Diskussion führen, anstatt ihnen den Kopf von den Schultern zu trennen? Oder mich vorher entschuldigen? Auf jeden Fall schlummert meine dunkle Seite grad recht friedlich vor sich hin, was nicht das Schlechteste ist. Ich habe mich damit arrangiert, die Tochter einer Halbgöttin und eines Dämonenfürsten zu sein. Beide Seiten bekommen ihre Aufmerksamkeit, wenn es notwendig ist, der Rest findet sich.

„Wo bringt ihr sie denn hin?“, will Kili von den beiden nach Luft schnappenden Zwergen wissen. „Zum Rat, die haben eine Entscheidung getroffen.“ Huch, das ging ja mal schnell. Na, mal gucken, ob ich in eine Zelle wandere oder gleich in den Feuern des Schicksalsberges versenkt werde. Letzteres wäre ziemlich unangenehm. Immer schön optimistisch bleiben, sage ich mir und trete einen Schritt von Kili zurück. „Ich komme mit“, erklärt Kili in einem Ton, der keine Widerworte zulässt. Also gehen wir weiter.
 

„Wir bringen die Frau.“ Na, was für eine Ansage. Dass die kein Pfund Mettwurst ausliefern, ist wohl jedem klar. Wichtig aussehende Zwerge, drei Elben und Gandalf sitzen an einem runden Tisch und mustern mich ausgiebig. Es riecht nach Alkohol und Tabak. War das eine Ratssitzung oder eher ein gepflegter Herrenabend? Obwohl es da kaum Unterschiede gibt. Riecht auf jeden Fall so und sieht auch so aus.

„Tritt vor, Dana McKinley aus Midgard“, sagt Gandalf mit wichtiger Stimme. Ich muss dazu sagen, Midgard ist nur mein Zweiwohnsitz. Passt schon, ist nebensächlich. Ich trete also vor und stehe kerzengrade und voller angespannter Erwartung da.

„Wir vom kleinen Rat haben nach langer Beratung befunden“, beginnt Gandalf umständlich, während ich mir die Anwesenden genauer ansehe. Elben sind schon hübsch, meine Fresse. Groß, schlank, perfekt frisiert. Aber- sie riechen ziemlich streng nach Waldboden und Erde. Ich muss bei Gelegenheit mal fragen, woraus die ihre Beinkleider machen. Ich vermeide das Wort Strumpfhose jetzt lieber. Auf jeden Fall müssen die Dinger reißfest sein, bei all dem Gestrüpp im Wald.

Nun ja, ich will nicht wissen, wie ich gerade für die rieche und vor allem nicht, wie ich für die aussehe. Ich stand vor nicht mal 24 Stunden knöcheltief in Dämonenkotze, die übrigens noch immer an meinen Stiefeln klebt und eine graugrüne Kruste darauf bildet. Irgendwas ist ja immer. Wie meine Hose aussieht, wollt ihr gar nicht wissen. Eine Dusche ist ein frommer Wunsch. Gleich nach sauberer Unterwäsche.

„Wir haben also befunden, dass wir deine Geschichte für glaubwürdig halten.“ Ah ja. Das ist ja schon mal was wert. Also doch kein Trip zum Schicksalsberg. Fein. Trotzdem sitze ich hier fest. Ich weiß es einfach, diese Sternenkonstellation hat mir den Tag gründlich versaut. Und vermutlich auch die nächsten 180 Jahre.

„Weiterhin sind wir zu dem Entschluss gekommen, dass du bleiben darfst. Natürlich unter strenger Beobachtung. Wir werden eine passende Aufgabe für dich finden. Du darfst wegtreten.“ Diese Worte stammen von Thorin, der nicht wirklich begeistert dabei klingt und vermutlich überstimmt wurde. Ehrlich gesagt ist es mir egal, ich bin erleichtert, dass ich nicht geköpft oder weggesperrt werde. Das ist mehr, als ich erwartet habe.

„Habt vielen Dank für Eure Großzügigkeit“, sage ich geübt. Der Satz passt immer in solchen Situationen und ich kann gar nicht mehr zählen, wie oft ich ihn inzwischen benutzt habe.

„Kili und Fili werden sich um dich kümmern. Ihr zeigt ihr alles“, sagt Thorin dann zu Kili und Fili, die brav nicken. Natürlich ist es Kili, der sich kümmern wird. Wer sonst? Fili ist nur das Alibi.

Ich verbeuge mich und sehe zu, dass ich den verqualmten Raum verlasse.

Da stehe ich nun draußen auf dem Gang und weiß nicht so recht, was ich mit mir anfangen soll. Ich bin dreckig, ich hab keine Klamotten zum Wechseln und Frühstück gab es auch noch nicht.

„Ich bin dreckig, brauche frische Sachen und ich habe Hunger“, sage ich zu meinem Aufpassern. Passende Klamotten dürften nicht das Problem sein, ich bin ja klein. Was zu essen gibt es bestimmt auch und garantiert auch eine Badewanne oder eine Dusche. Ich bin ja schon mit einem Rinnsal oder einem Bottich und Seife happy.
 

„Was zuerst?“, fragt Fili ziemlich amüsiert und verschränkt die Arme vor der Brust. Ja, gute Frage. „Sauber werden, saubere Sachen, dann essen. Alternativ auch essen, während ich sauber werde.“ Beide Zwerge grinsen und deuten mir an, ihnen zu folgen. „Oh, noch was Jungs- ich trage keine Kleider. Unter keinen Umständen. Nicht mal zu meiner eigenen Beerdigung“, erkläre ich mit Nachdruck. Die beiden Zwerge grinsen noch breiter. „Das überrascht uns nicht. Bleib mal stehen…“, meint Fili gut gelaunt. Er blickt einmal an mir herunter und nimmt Maß.

„Was ist das für ein Zeug auf deinen Schuhen?“, fragt er neugierig. „Dämonenkotze. Kriegt man mit einer Bürste und etwas Fett prima weg.“ Fili verzieht angewidert den Mund und schüttelt den Kopf. „Dämonenkotze… Nicht besser als Orkgekröse, befürchte ich. Was sind Dämonen?“ Oh Shit. Eigentlich direkt mit mir verwandt. Was nicht heißt, dass man ihnen nicht den Kopf abschlagen darf. Aus rein beruflichen Gründen, versteht sich. Nicht zu verwechseln mit diversen Familientreffen, in denen sich die Anwesenden an den Hals gehen, weil das einfach zum Guten Ton gehört. Kennt ihr bestimmt von Weihnachten, wenn vermutlich auch in abgemilderter Form.

„Es sind Kreaturen der Finsternis, die großen Schaden anrichten, wenn man ihnen nicht Einhalt gebietet. Sie können von einer Seele Besitz ergreifen, sie zerstören oder ähnliche Sachen. Keine sehr angenehmen Zeitgenossen“, erkläre ich sachlich. „Und du jagst diese Dämonen?“, will Kili nun wissen. Er klingt total interessiert. „Ja, das tue ich. Ist mein Beruf.“

„Dann bist du im Kampf erprobt?“, hakt er weiter nach. „Bin ich. Mit den meisten Waffen.“ Mit Wehmut denke ich an meinen Lieblingsdolch. Er war ein Geschenk von Odin Allvater für meine Dienste zum Wohle der Welten. Eine ziemliche Ehre für jemand, den man in den meisten Welten als Persona non grata bezeichnet. Ich werde ihn irgendwann zurück verlangen.

Der Duft von Seife und Bleiche steigt mir in die Nase, die Luft wird feuchter. Der Gang macht an dieser Stelle einen sanften Bogen nach rechts. Wir folgen ihm und der Geruch wird stärker. Fröhliche, weibliche Stimmen plaudern durcheinander, es wird gekichert. Zwerginnen. Und vermutlich die Waschküche.

Tatsächlich stehen ein gutes Dutzend bärtige, vollbusige Zwergenfrauen an großen Bottichen und waschen Wäsche. Sie tratschen und kichern, wie das so unter Frauen ist. Unter bärtigen Frauen, obwohl das keinen Unterschied macht. Neugierig mustern sie erst mich, dann ertönt ein sehr angetanes, mehrstimmiges „Hallo Kili, Hallo Fili“ von den Damen. Einige werden rot, richten sich Haare und Bartspitzen, rücken das Mieder zurecht. Ah, verstehe. Die beiden Jungs sind heiß begehrt. Kann ich verstehen.

Nach einer halben Stunde habe ich es dann erfolgreich geschafft, mich gegen die Idee, doch mal ein Kleid anzuprobieren gewehrt und bin mit einem Stapel frischer Wäsche und Schuhputzzeug versorgt. Die Damen verabschieden uns mit einem Kichern und ich folge meinen beiden Aufpassern weiter durch die Gänge.

„Hier kannst du ein Bad nehmen“, erklärt Fili mir freundlich. „Wir warten hier“, fügt Kili hinzu. Das setze ich voraus. Die beiden dürfen jetzt brav vor der Tür warten, während ich ein Bad nehmen werde. In einem Holzzuber mit viel heißen Wasser und jeder Menge Seife.

Und mit lautem Gesang, der so schaurig schlecht ist, das er wohl eine Horde Orks das Fürchten lehren würde. Sind Orks eigentlich musikalisch? Ich weiß es nicht, wie gesagt, der Teil meiner Ausbildung war für mich ziemlich uninteressant. Mittelerde war tabu und mehr musste ich nicht wissen. Macht doch auch Sinn, oder? Wenn etwas Tabu ist, muss man auch nichts darüber wissen. Es sei denn, man sitzt irgendwann in einem Badezuber im Zwergenland und singt ein sehr versautes Lied über eine Holde Maid mit blonden Haar, die gar nicht mal so hold wohl war, denn ihre Schenkel waren so offen wie ihr Haar..… Was man nicht alles von Kriegern und Göttern bei einem gepflegten Saufgelage lernt. Hach, es geht doch nichts über Siegesfeiern nach einer erfolgreichen Schlacht.

Ich steige irgendwann aus dem Zuber, weil meine Hände schon schrumpelig sind, rubbel mich mit einem Handtuch trocken und ziehe mir saubere Sachen an. Danach schrubbe ich die Dämonenkotze von meinen Stiefeln und poliere sie, bis sie glänzen. Jetzt bin ich bereit für das, was mir so bevorsteht.

„Wie lautete der Text?“, fragt Kili mich mit roten Ohren, die noch roter werden, als ich ihm den Wortlaut ausführlich erläutere. Worte wie bebende Brüste, befreite Lüste und wohlgeformter Hintern kommen darin vor. Und das Wort mächtiges Gemächt. Zwei Zwerge lauschen andächtig und kichern wie zwei kleine Jungs.

„Das musst du den Elben erzählen. Die pochen doch immer so auf die Ästhetik“, schlägt Fili grinsend vor. Ich glaube, ich hab noch ein paar Texte parat, die einen empfindlichen Elben dazu bringen könnten, freiwillig aus dem Fenster zu springen. Ohne elegante Landung, versteht sich.

Kili wirft ihm einen finsteren Blick zu. „Sprich nicht über Dinge, von denen du keine Ahnung hast, Bruder“, knurrt er wütend. „Verzeihung“, murmelt Fili zerknirscht und wirft mir einen leidigen Blick zu. Okay, bestimmte, weibliche Wesen sind ein Tabuthema bei Kili, gut zu wissen. Bestimmt nicht Elben im Allgemeinen, sondern eher ein Elb. Oder gar eine Elbin? Geht mich nichts an. „Sie ist seit Jahren fort, Kili. Und Trunni hat geheiratet. Das Leben geht weiter“, meint Fili trocken.

In Kilis Blick liegt so viel Leid, dass ich weg schaue. Es ging um eine Elbin, jemand namens Trunni und um große Gefühle. „SEI STILL!“ Okay, das war eine sehr klare Ansage. Kilis Fäuste ballen sich und für einen Augenblick sieht es so aus, als ob er sich auf Fili stürzen will. Und es keine drei Sekunden später auch tut.

„Es ist die Wahrheit! Tauriel hätte sich für dich entscheiden können. Sie hat dich hingehalten. Und Trunni hat sehr lange auf dich gewartet. Die Elbin wusste das“, wehrt Fili sich, während die beiden über den Steinboden rollen und sich Fausthiebe verpassen. Ich lehne mich an die Wand und gucke zu. Da halte ich mich komplett raus. Brüder, gebrochene Herzen und Raufereien, das kenne ich nur zu gut. Egal, in welcher Dimension. Zum Glück habe ich keine Geschwister. Sie hätten eh nicht lang überlebt. Ich kann sehr gnadenlos sein, schiebt es auf meine Gene väterlicherseits.

„Was ist denn hier los?!“ Thorins Stimme donnert durch den Gang, was die beiden Raufbolde aber ignorieren.

„Geht um eine Elbin, die Tauriel heißt und irgendwen namens Trunni“, erkläre ich achselzuckend. Thorin seufzt und stellt sich in gebührendem Abstand neben mich. Er verschränkt die Arme vor der Brust und mustert mich kurz. Das Leder seiner Kleidung macht dabei knirschende Geräusche. „Du riechst wesentlich besser als gestern, Frau“, stellt er nüchtern fest. Ich glaube, das ist aus dem Munde eines Thorin Eichenschild schon fast ein Kompliment.

„Wo ist eigentlich mein Dolch?“, frage ich unvermittelt. „An einem sicheren Ort, bis ich ergründet habe, welche Magie sich darin befindet“, erklärt er mir gelassen und sein Blick wandert zu seiner Hand. Ich sehe zwei große Blasen, die dunkel verfärbt sind. Ja, dieser Dolch hat es in sich. Er ist eben nicht für Zwergenhände bestimmt, sondern nur für meine. So einfach ist das. Da hat der Eisfluch, der darauf liegt und netterweise von einem echten Eisriesen gesprochen wurde, gute Dienste geleistet. Hat mir aber auch schon ein paar Erfrierungen beschert, was ich Thorin jetzt aber verschweige.
 

„Er gehört dir nicht, Zwergenkönig. Ich mag unhöflich sein, aber er wird dir so oder so nichts nutzen, denn er ist nur für meine Hände bestimmt.“ Kili und Fili unterbrechen ihre Prügeleinlage und hören gespannt zu. „Siehst du, Onkel, ich sagte es doch“, beginnt Fili in einem sehr klugscheißerischen Ton. Er erntet dafür einen strengen Blick von Thorin und einen Fausthieb von Kili, der sich offensichtlich gerade daran erinnert, dass er sich mit seinem Bruder geprügelt hat.

„Der Dolch bleibt da, wo er ist“, meint Thorin gleichmütig und tritt einen Schritt vor. Er greift die beiden, sich noch immer am Boden wälzenden Zwerge und trennt sie. „Schluss jetzt. Reißt euch zusammen. Alle beide.“ Thorins Stimme donnert förmlich durch die Gänge und lässt die beiden Streithähne empfindlich zusammen zucken. „Fili hat angefangen“, klagt Kili. „Und Kili hat weiter gemacht“, sagt Fili. Oh man. Ich habe das dringende Bedürfnis, ein paar Kreaturen zu töten bei so viel negativen Schwingungen. Das ist nicht gut für mein seelisches Gleichgewicht.

„Krieg ich jetzt endlich Frühstück oder muss ich es mir selber jagen?“, frage ich genervt. Ich bin satt schon leicht reizbar, aber hungrig und gereizt ist bei mir eine sehr gefährliche Kombination.

„Das will ich sehen“, sagt Thorin belustigt. „Gut. Wo ist der Ausgang?“, will ich wissen. Mir ist klar, dass ich jetzt nach draußen gehen werde und meinen Worten Taten folgen lassen muss. Ohne eine Waffe, versteht sich.

Fünf Minuten später stehe ich an der frischen Luft und bestaune die einmalig schöne Kulisse. Grüne Wälder, sanfte Täler und Berge. Ich hab schon weitaus hässlichere Welten betreten, allerdings konnte ich die immer problemlos verlassen. Sei es nun mit oder ohne Dämonenkotze an den Schuhen.
 

Ich sehe mich um und entdecke auf der Wiese ein Kaninchen. Frühstück. „Nicht atmen“, flüstere ich den Zwergen zu. Zwerge haben die Angewohnheit, laut zu atmen, das ist genetisch bedingt. Sie haben große Lungen und müssen entsprechend viel Sauerstoff hinein befördern.

Das Kaninchen hat mich schon lange gewittert, es stellt sich auf die Hinterbeine und schnüffelt, die Löffel orten Geräusche. Nach einem weiteren, sehr vorsichtigen Schritt greife ich nach einem flachen Stein. Wenn ich jetzt vorbei werfe, dann bin ich das Gespött eines Zwergenkönigs, was eindeutig gegen meine Ehre als Jägerin geht. Trotzdem tut mir der Mümmelmann leid.

Der Stein beschreibt einen hohen Bogen durch die Luft und trifft das Tier am Hinterkopf. Es bricht ohne einen Mucks zusammen. Zum Glück. Ich fühle mich mehr als schuldig, als ich ihn aufhebe und Thorin präsentiere. Ich mache so etwas normalerweise nur in Notfällen, Jägerin hin oder her. „Muss ich es noch selber häuten und ausnehmen, oder reicht es?“, frage ich unwirsch. Ein paar Früchte hätten es auch getan, finde ich.

„Sie isst ihn vermutlich roh“, meint Fili grinsend. „Nein, ich trinke nur das Blut“, antworte ich bierernst. „Unsinn“, wirft Kili energisch ein und nimmt mir den toten Mümmelmann mit einem Lächeln ab. Thorin schenkt mir einen misstrauischen Blick, den ich ihm nicht mal verübeln kann und reißt Kili das Kaninchen aus der Hand, dreht sich um und geht.

„Ist der immer so gut gelaunt?“, frage ich leise, als ich sicher bin, dass er weit genug weg ist. „Meistens“, antworten meine beiden Aufpasser lachend. Ich mag die Jungs auf jeden Fall lieber als Thorin Eichenschild. Beruht wohl auf Gegenseitigkeit. Und meinen Dolch kriege ich wohl auch so schnell nicht wieder. Obwohl das mal eine gute Beschäftigung wäre – den Dolch finden und wieder an mich nehmen. Ich hab geschätzte 180 Jahre Zeit, es sei denn, irgendwem fällt noch was geniales ein, um mich wieder in meine eigene Dimension zu bringen. Auf der anderen Seite sind 180 Jahre Urlaub auch was Feines, das deckt sich mit meinem Anspruch an Resturlaub. Glaube ich zumindest.
 


 

„Das ist Wurst“, erklärt Fili mir wenig später am reich gedeckten Frühstückstisch. Ich finde das nett und ebenso überflüssig. „Das weiß sie doch, du Dummbart. Wurst gibt es überall“, sagt Kili ihm überheblich. „Woher willst du das wissen?“

„Woher willst du wissen, dass dem nicht so ist?“, mault Kili. Oin legt sein Hörrohr beiseite und grinst.

„Sind die immer so?“, frage ich sehr leise, während die beiden Brüder munter weiter diskutieren. Ich muss insgeheim schmunzeln, weil Oin nickt. So schwerhörig ist er dann wohl doch nicht. Er will bloß nicht immer alles hören. Auch keine schlechte Taktik.

„Es gibt in jeder Dimension Wurst. Ich war auf jeden Fall noch in keiner, in der es keine Wurst gab“, erkläre ich schließlich.

„Wie ist das, wenn man in fremde Welten reisen kann?“, fragt Fili sehr neugierig. Das ist eine verdammt gute Frage. Ich bin ja nicht zum Sightseeing in den Dimensionen unterwegs, sondern, um Bösewichten das Handwerk zu legen. Ich muss stets bemüht sein, so unauffällig wie möglich zu agieren. Genau das erkläre ich dem Zwerg nun auch.

„Ein ziemlich hektisches Leben“, stellt Balin schließlich fest, der unserem Gespräch aufmerksam folgt. Recht hat er. Die zwei Tage in Mittelerde sind dagegen echt Wellness pur.

Nach dem Frühstück, das für meine Verhältnisse schon eher die Tagesration ist, helfe ich beim Abräumen und melde mich freiwillig zum Spüldienst. Genau wie Fili und Kili, die darüber nicht besonders begeistert wirken, weil sie ja auf mich aufpassen sollen. Sowas nennt man Zugzwang. Ich frage mich, was ich wohl beim Geschirrspülen so anstellen könnte. Ich werde nicht mit einem Spüllappen die Herrschaft über dieses Zwergenreich an mich reißen, so viel ist klar. Dafür bräuchte ich noch eine Spülbürste. Thorin ist aber auch ein misstrauischer Bursche. Ich bin auf die Gastfreundschaft dieser seltsamen Gesellen angewiesen, was das Ganze auch nicht besser macht.
 

Eine Zwergin kichert, als Fili ihr zuzwinkert und wird rot. Die zweite schenkt Kili ein umwerfendes Lächeln. Sie trägt kleine, bunte Glasperlen in ihrem Bart, die leise klimpern. Kili erwidert das Lächeln nicht minder umwerfend und zwei kichernde Zwergenfrauen stecken die Köpfe zusammen. Manche Dinge sind eben überall gleich.

„Und jetzt?“, frage ich die beiden, als wir fertig sind. „Ich müsste mich noch dringend um ein paar Sachen kümmern“, murmelt Fili mit Seitenblick auf die Zwergin. Ah, verstehe. „Schon gut“, meint Kili seufzend. „Ihr könnt euch auch beide um dringende Sachen kümmern. Ich warte in meinem Zimmer. Mal ganz ehrlich- wo soll ich denn sonst hin?“ Mein Vorschlag wird mit glänzenden Augen angenommen.

Natürlich gehe ich nicht in mein Zimmer. Ich bin doch nicht so dumm, mir diese einmalige Gelegenheit, mich ein wenig umzusehen, entgehen zu lassen. Notfalls sage ich eben, ich hätte meine Begleiter verloren und mich verlaufen. Funktionierte bisher auch immer bestens. Ich habe auch schon ein ganz bestimmtes Ziel vor Augen. Ich muss herausfinden, wo Thorins private Gemächer sind. Denn da ist bestimmt auch mein Dolch.



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Kommentare zu dieser Fanfic (1)

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Von:  Amalaswintha
2015-05-03T21:02:41+00:00 03.05.2015 23:02
erstaunlich, dass hierzu noch niemand etwas gesagt hat...

ich finde diese Geschichte äußerst vielversprechend, weil sie sehr unterhaltsam ist und hoffentlich nicht in die Mary-Sue-Richtung abschwenken wird. der plot ist super und es lässt sich wohl noch so einiges mehr herausholen als eine Episode in Mittelerde - und an der gefällt mir besonders, dass sie nicht erst im HdR ansetzt.
vor allem der Hauptcharakter scheint ja schon mal recht vielschichtig zu sein :)

(ich bin nicht gut in Rezensionen)
Antwort von:  sevendevils
06.05.2015 10:40
Hallo und vielen lieben Dank für dein Feedback. Ich bin ein wenig schluderig mit den Updates, sorry. Ja, die Geschichte hat noch so einiges in petto, das kann ich sagen. Sie noch ein paar Kapitelchen.

Ich kann versprechen, es wird ein paar Mary-Sue Anwandlungen geben. Allerdings nicht vom Hauptcharakter, soviel sei verraten. Freut mich auf jeden Fall total, dass es dir bis hierher gefällt.

Sei an dieser Stelle gegrüßt, es geht bald weiter.


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