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Leben nach dem Waisenhaus

von

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Vergessen

~~~~~ Joey Wheeler ~~~~~
 

Joey war in seinem Leben schon vieles gewesen, Waisenkind, Gangmitglied, Raufbold, Duellist. Nach der Schulzeit hatte er angefangen als Profigamer zu arbeiten, leider war er darin nicht sehr erfolgreich.

Er zeugte ein Kind mit Mai, zog mit ihr zusammen, heiratete sie, wurde wieder von ihr geschieden, weil es nicht mehr so richtig zwischen ihnen funktionierte und er mehr schlecht als recht für den Lebensunterhalt der Familie sorgen konnte und Mai irgendwann einfach die Nase voll hatte.

Der Blonde brachte sich selbst Gitarre spielen bei und war für eine Weile Gitarrist in einer kleinen Band, die sich allerdings nach einem Jahr auflöste. Später versuchte er sich als Türsteher in einer Bar, bekam allerdings eine Anzeige wegen Körperverletzung von einem angetrunkenen reichen Schnösel, den er rausgeworfenen hatte. Er landete aufgrund dessen für zwei Monate im Knast. Als er rauskam, war er nicht mehr derselbe.
 

Er hielt sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser, hatte immer gerade genug Geld um seine Miete für die Einzimmerwohnung, die sich in einem kleinen Dorf etwas außerhalb von Domino in einem Wohnblock befand und in der er seit der Scheidung wohnte, zu bezahlen und für alle anderen laufenden Rechnungen. Er war hochverschuldet und würde wohl sein Leben lang die Raten dafür abbezahlen müssen.

Am Essen sparte er sehr häufig, auch Kleidung und sonstige Dinge leistete er sich nur im äußersten Notfall. Reisen hatte Joey schon seit seiner Scheidung kaum unternommen, auch sonstige Vergnügungen gehörten nicht zu seinem Alltag. Filme sah er sich nur noch im Internet an, auf illegalen Webseiten. Kinos hatte der Blondschopf schon seit sechs Jahren nicht mehr von innen gesehen und auf seinem alten Röhrenfernseher hatte er nur zehn Programme, auf denen allesamt meist nur Schrott lief. Wenn er Bücher lesen wollte, versuchte Joey meist, diese irgendwie im Internet runterzuladen, nicht alles, was er suchte, fand er auch, aber das war ihm egal. Ebenso verfuhr er mit Musik.

Vor zwei Jahren hatte er angefangen, sich für Grafikdesign zu interessieren und sich über das Internet einiges an Wissen angeeignet, Programme runtergeladen und sogar für ein paar Leute Webseiten erstellt, anfangs noch ohne Bezahlung, doch später bekam er sogar Geld dafür. Leider hielten sich seine Aufträge in Grenzen, er konnte nicht davon leben.
 

Joey wollte vergessen was war. Wollte die Vergangenheit hinter sich lassen. Allerdings machte die Zukunft ihm Angst, also versuchte er im Hier und Jetzt zu leben. Die Gegenwart war das Einzige, was für ihn zählte.

Damals in der Schule hatte er noch Hoffnungen, Träume. Doch Seto Kaiba hatte sie alle zerschlagen. Hatte ihn einfach nicht wiedererkannt, nicht erkennen wollen. Und das obwohl er versprochen hatte, dass er ihn nie vergessen würde, dass sie sich eines Tages wiedersehen würden. Er hatte es sogar geschworen!

Anfangs hatte Joey wirklich noch daran geglaubt, dass Seto sich irgendwann doch noch erinnern würde, an die gemeinsame Zeit im Waisenhaus, er hatte sogar angefangen wieder das Amulett zu tragen, das Seto und Mokuba ihm damals geschenkt hatten, bevor Gozaburo sie damals adoptierte.

Selbst Mokuba schien ihn vergessen zu haben, doch ihm machte Joey keinen Vorwurf, er war damals erst sechs, kleine Kinder vergessen schmerzhafte Erfahrungen meistens recht schnell. Und der damalige Abschied musste für ihn sicher sehr schmerzhaft gewesen sein.
 

Manchmal hatte Joey darüber nachgedacht, den Brüdern einfach alles zu erzählen, ihnen als Beweis das Amulett zu zeigen, in denen man noch immer ihre Namen lesen konnte, wenn man genau hinsah. Damals im Waisenhaus hatten sie das Amulett aus einer Aluplatte ausschneiden und ihre Namen eingravieren lassen, ebenso das Kanji für Freundschaft. Doch am Ende hatte sich der Blonde dagegen entschieden, er wollte sich nicht in dieses eigentlich ziemlich heile Familienbild der Kaiba-Brüder drängeln.

Außerdem hatte er ja seine Schwester wieder, von der er sich allerdings in einer stillen Minute das Versprechen geben ließ, nicht mit Seto oder Mokuba über die Vergangenheit im Waisenhaus zu sprechen.
 

Was Joey allerdings am meisten wurmte, war die Tatsache, dass Seto Kaiba ein arrogantes Arschloch geworden war. Nichts erinnerte mehr an den kleinen, liebevollen Jungen, den er damals im Waisenhaus kennenlernen durfte. Nur manchmal, wenn Seto seinen kleinen Bruder ansah, konnte man erkennen, dass doch noch etwas von dem alten Seto tief in seinem Inneren schlummerte.

Joey war neidisch, weil der Braunhaarige nur seinen Bruder so ansah, sich allerdings nicht mehr daran erinnern konnte oder wollte, wer damals noch an seiner Seite war. Sie hatten damals sogar mehrmals in einem Bett geschlafen, sie hatten sich geküsst! Wie konnte Seto so etwas nur vergessen? Wie konnte er es wagen, ihn als einen Köter zu beschimpfen oder als Versager, wo er doch wusste, wie schmerzhaft diese Worte für Joey sein würden? Immerhin wusste Seto, aus welchem Grund der Blondschopf mit seiner Schwester überhaupt im Waisenhaus gelandet war und was sie vorher hatten ertragen müssen.
 

An manchen Tagen war Joey so wütend, dass er sich am liebsten auf den brünetten Firmenleiter gestürzt und ihm die Wahrheit ins Gesicht geprügelt hätte. Außerdem schuldete er ihm noch immer eine Ohrfeige. Es machte ihn rasend vor Wut, dass Seto sich nicht erinnerte. Er hatte versucht, ihn zu hassen. Es gelang ihm nicht. Spätestens als Noah die beiden Brüder in der virtuellen Welt zu Stein erstarren ließ, hatte der Blonde erkannt, dass es egal war, ob die beiden sich nun an ihn erinnerten oder nicht. Sie waren ihm noch immer wichtig. Und er würde sie nie im Stich lassen. Egal was passierte. Dennoch machte ihm diese Erkenntnis die ganze Sache nicht viel einfacher.

Ständig versuchte Joey die Aufmerksamkeit Setos auf sich zu lenken, mit allen Mitteln. Er forderte ihn zum Duell heraus, stritt mit ihm, gab ihm Widerworte, beschimpfte ihn sogar, nur um nicht von ihm ignoriert zu werden.

Er fühlte sich jedes Mal elend dabei. Es zerriss ihn innerlich. Mai war damals eine willkommene Ablenkung. Aber als Marik damals während des Schattenduells dafür sorgte, dass Mai sich nicht mehr an den Blonden erinnerte, hätte er schreien können vor Verzweiflung. Joey hätte es nicht noch einmal ertragen, einfach von einer geliebten Person vergessen zu werden. Mit allen Mitteln hatte er versucht, Mai aus dieser Hölle zu befreien. Und doch musste er sich damals geschlagen geben. Seine Kraft reichte nicht, um gegen Marik zu bestehen. Damals war es Yugi, der zusammen mit dem Pharao alles zum Guten wendete. Als Mai damals seine Seele mit diesem Orichalcos Siegel einfangen wollte, war der Blondschopf bereit, sich zu opfern, ohne auch nur eine Sekunde zu zögern.

Für Seto und Mokuba hätte er damals dasselbe getan, ebenso natürlich für Yugi und Tristan und vielleicht auch für Duke und Rebecca.
 

Joey wollte nicht vergessen werden, er hasste es, wenn man ihn ignorierte, es machte ihm Angst. Damals schon, als seine Mutter einfach die Familie verlassen hatte und sich danach erneut von ihm abwandte und einfach im Waisenhaus zurückließ, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken.

Es waren damals harte Zeiten gewesen, lange hatte er alleine das Viererzimmer bewohnt, weil es keine Neuzugänge gab, allerdings auch kein anderes kleineres Zimmer, das gerade frei war. Manchmal in der Nacht ertappte er sich dabei, dass er schlafwandelnd in Setos leeres Bett hochgekrabbelt war, um sich dort zusammenzurollen.

Am Tage verhielt er sich wie ein fröhlicher Junge, lachte, scherzte, alberte mit den anderen Kindern herum. Frau Shima war vermutlich die Einzige, die trotz allem den Schmerz in Joeys Seele erkennen konnte, immerhin hatte sie dafür gesorgt, dass ihre Tochter Kaori ihn damals adoptierte.
 

Eine Zeitlang lief sogar alles Bestens. Kaori war eine gute Ersatzmutter, allerdings war sie noch sehr jung, der Altersunterschied war einfach zu gering, um ein echtes Mutter-Sohn-Verhältnis aufbauen zu können. Joey hatte sie stets mit Namen angesprochen, nie mit Mutter oder ähnlichen Begriffen. Trotzdem war sie immer für ihn da und auch heute noch, obwohl sie längst nicht mehr in seiner Nähe wohnte und er nur noch sporadisch mit ihr Kontakt hielt.

Mit Mai lief das ähnlich. Auch nach der Scheidung standen sie regelmäßig in Kontakt, aber vermutlich eher notgedrungen aufgrund ihrer gemeinsamen Tochter, für die er Unterhalt zahlte, sofern ihm das möglich war.

Seine Tochter Vanessa war mittlerweile 13 Jahre alt und fuhr auch schon alleine mit dem Zug, so dass es recht günstig war, wenn sie das Wochenende bei ihrem Vater verbringen wollte, was sie in der Regel alle zwei Wochen tat und in den Ferien auch mal für längere Zeit.
 

Es war schwer für Joey gewesen, seine Tochter in Mais Obhut zu lassen, aber er hatte eingesehen, dass sie besser für Vanessa sorgen konnte, immerhin hatte sie ein gutlaufendes Gamecenter mitten in der Innenstadt von Domino City und ein schönes Haus. Er selbst hatte nur dieses eine Zimmer, wenn seine Tochter bei ihm übernachtete, musste er jedes Mal ein Klappbett aufstellen, da er sonst ja nur ein Bett besaß. Langsam wurde es aber komplizierter, da seine Tochter erwachsen wurde. Irgendwann würde sie es nicht mehr so gut finden, mit ihrem Vater in einem Zimmer zu schlafen. Der Blondschopf hatte Angst davor, dass sie dann nicht mehr zu ihm kommen wollen würde. Er stand zwar übers Internet und Telefon regelmäßig mit ihr in Kontakt, aber persönliche Gespräche und gemeinsame Unternehmungen waren trotzdem noch etwas ganz anderes.
 

Joey hatte sich vorgenommen, nicht mehr zurückzublicken. Er würde alles hinter sich lassen. Alles vergessen. Und nur noch jeden Tag genießen und so leben, als wäre morgen schon alles vorbei. Er hatte es aufgegeben, sich mit Seto zu streiten, um dessen Aufmerksamkeit zu bekommen. Der Blondschopf wollte einfach nur noch frei sein, frei von diesem tiefen Schmerz. Die Wunden in seinem Herzen waren vernarbt. Es war egal, dass die Kaiba-Brüder ihn vergessen hatten, solange seine Tochter ihn niemals vergaß, war es in Ordnung für ihn. Sein Leben würde weitergehen, auch wenn Seto und Mokuba darin nie wieder eine allzu große Rolle spielen würden. Joey war über den Schmerz hinweg.
 

So dachte er jedenfalls.

Erinnern

~~~~~ Mokuba Kaiba ~~~~~
 

Mokuba befand sich gerade im Kellergewölbe der Kaiba Villa und sah sich zum ersten Mal mit dem Problem konfrontiert, dass sie keinen Platz hatten. Zumindest nicht genug Platz für einen schalldichten Musikkeller. Weiß der Geier, warum sich sein Sohn ausgerechnet für Schlagzeug interessieren musste, er war erst sechs. Aber gut, wenn er sich zu Weihnachten einen Musikkeller wünschte, inklusive Schlagzeug und allem was dazu gehörte, dann sollte er ihn auch bekommen.

Leider hatte der Junge hier unten schon einen Karaoke Raum, einen Raum für seine riesige Modeleisenbahn und einen eigenen Partykeller mit eingebauter Theke, weil er im letzten Jahr darauf bestanden hatte, seinen Kindergeburtstag im Keller zu feiern, anstatt in einem der großen Säle der Villa. Wenn man dann auch noch den Weinkeller, die riesige Vorratskammer, den Fitnesskeller und die große Kühlkammer hinzuzählte, blieb kaum noch Raum für irgendetwas.

Dem Schwarzhaarigen blieb also nichts anderes übrig, als einen der zwei Lagerräume im hinteren Bereich auszuräumen und umzubauen. Heute war Sonntag, Termine hatte er keine und seine Frau war mit seinem Sohn bei seinem Bruder im Ferienhaus, sie würden erst am Mittwoch wiederkommen. Er hatte also Zeit und Ruhe. Außerdem sollte das hier ja eine Überraschung für Eric werden, er sollte also nichts davon mitbekommen.
 

Mokuba stand nun vor den unzähligen Kisten und seufzte niedergeschlagen. Es wäre natürlich einfacher, wenn er einfach irgendjemanden damit beauftragen würde, einen der Lagerräume zu säubern, das würde dann aber vermutlich bedeuten, dass der gesamte Inhalt dieser Kisten ungesehen im Container landete. In den Jahren, in denen er hier schon wohnte, und mit Sicherheit auch schon davor, hatte sich hier unten eine ganze Menge Zeug angehäuft. Nicht auszudenken, was alles verloren gehen könnte, würde er nicht alles erstmal ausgiebig unter die Lupe nehmen.

Hier lagerten nicht etwa wertvolle Dinge wie Kunstgegenstände oder dergleichen, denn dafür hatten sie ein eigenes Lagerhaus am Domino Pier. Auch wichtige Akten der Kaiba Corporation waren hier nicht zu finden, denn heutzutage wurde alles nur noch digitalisiert.

Was hier unten fein säuberlich in Kisten verpackt auf das Ausräumen wartete, waren Erinnerungen aus, wie Mokuba fast befürchtete, Jahrzehnten.
 

Erneut seufzte er niedergeschlagen und schnappte sich gleich die erste Kiste aus dem Regal direkt neben der Tür. Beschriftet war sie mit: ‚Babysachen Eric‘.

Er öffnete die Kiste mit einem Lächeln. Ja, das waren schöne Erinnerungen. Sein Sohn.

Er nahm aus der Kiste einen hellblauen Strampler heraus, den Eric nur zwei Wochen getragen hatte, bis er ihm zu klein wurde. Damals konnte man beinahe zusehen wie er wuchs.

Seufzend faltete er den Strampler wieder zusammen und legte ihn zurück.

Er schloss die Kiste wieder und trug sie hinaus in den breiten Flur, um sie dort an der rechten Wand abzustellen. Er würde später mit Rebecca reden, ob man diese Sachen wirklich aufbewahren musste oder ob es vielleicht nicht sinnvoller wäre, sie an ein Waisenhaus zu verschenken, immerhin war es Mitte Dezember und Weihnachten stand vor der Tür.

Eric würde die Sachen mit Sicherheit nicht mehr tragen und ob sie nochmal einen Sohn bekamen, war auch nicht klar. Und selbst wenn, könnten sie sich neue Sachen kaufen und waren auf die alten Babysachen gar nicht angewiesen.
 

Nachdenklich nahm Mokuba die zweite Kiste aus dem Regal und lass: ‚Spielkiste Eric‘. Er musste nicht hineinsehen, um zu wissen, was sich darin befand. Es war ausgedientes Spielzeug, mit dem Eric einfach nicht mehr spielen wollte. Er würde mit ihm reden und ihn fragen, was denn mit den Sachen passieren soll. Vielleicht könnte man das auch an ein Waisenhaus verschenken. Also stellte der Schwarzhaarige die Kiste zu der anderen auf die rechte Seite des Flurs.

Die dritte Kiste, die er dann aus dem Regal nahm, war etwas kleiner und hatte die Aufschrift: ‚Hochzeitskleid‘. Grinsend öffnete Mokuba sie und schaute fast ehrfürchtig hinein, ohne sich sonst irgendwie zu rühren. Er wagte nicht, das Kleid aus der Kiste zu nehmen, aus Angst er könnte es zerknittern. Es war zwar fein säuberlich in Folie verpackt und zusammengelegt, aber das spielte für ihn keine Rolle.

Mokuba konnte sich noch gut an seine Hochzeit erinnern und an das Kleid, das Rebecca trug. Sie hatte sich damals für pink entschieden, scheinbar ihre Lieblingsfarbe. Und doch sah sie darin einfach hinreißend aus.

Allerdings musste er sich eingestehen, dass das Kleid, das sie später am Abend getragen hatte, als die eigentliche Hochzeitsparty standfand, noch um einiges besser ausgesehen hatte. Für die Hochzeit selber wäre das Kleid aber eher unpassend gewesen, da es zu sexy war.

Lachend schloss der Schwarzhaarige die Kiste wieder und schrieb neben der Aufschrift: ‚Hochzeitskleid’ noch den Hinweis: ‚Nicht wegwerfen‘ hinzu.
 

Damals auf der Hochzeitsparty hatte es sich Seto nicht nehmen lassen, wenigstens einmal mit Rebecca zu tanzen. Das Bild der Beiden hatte Mokuba auch heute noch in seinem Kopf. Hätte er Rebecca nicht gerade erst geheiratet, wäre er wahrscheinlich an diesem Abend vor Eifersucht geplatzt.

Aber so sah er einfach nur stolz auf seine Frau und seinen großen Bruder, seine Familie und schoss kurzerhand ein Foto, welches bis zum heutigen Tage oben im großen Speisesaal seinen angestammten Platz an der Wand gefunden hatte, zwischen anderen wichtigen Erinnerungen.

Ein wenig verträumt stellte der Schwarzhaarige die Kiste auf den Flur, allerdings diesmal auf die linke Seite des Ganges. Er würde später einen anderen Platz für sie suchen müssen.
 

Die vierte Kiste, die er aus dem Regal zog, war mit ‚Setos alte Sachen‘ beschriftet. Mokuba wurde neugierig. Er hatte keine Ahnung wer diese Kiste zusammengestellt hatte, entweder war es Rebecca oder sein Bruder selbst, was er sich aber schwerlich vorstellen konnte.

Er schaute hinein und seine Augen weiteten sich erstaunt. In der Kiste lagen doch tatsächlich, kurz zählte er durch, vier von Setos weißen Mänteln, die er sehr gerne getragen hatte.

Mokuba hatte angenommen, dass Seto die Mäntel mit in das Ferienhaus genommen hatte, als er sich, zwei Monate nach seiner Scheidung, dahin zurückzog. Doch anscheinend war dies nicht der Fall, denn alle seine Mäntel befanden sich in dieser Kiste. Mehr hatte er damals nicht anfertigen lassen.

Unsicher, was er mit den Mänteln anstellen sollte, schloss der Schwarzhaarige die Kiste wieder und stellte sie vorerst links neben der Kiste mit dem Hochzeitskleid ab. Er würde heute im Laufe des Tages mit seinem Bruder telefonieren und ihn fragen, ob er die Mäntel behalten wollte.
 

Zwei Stunden verbrachte Mokuba damit, jede einzelne Kiste nach seinem Inhalt zu überprüfen und links oder rechts auf dem Gang vor dem Lager abzustellen. Es war eine schweißtreibende Arbeit, denn einige der Kisten waren verdammt schwer. Er hätte natürlich ein paar Bedienstete fragen können, die ihm beim Tragen halfen, aber die hatten mit ihren eigenen Arbeiten in der riesigen Villa schon genug zu tun, der Schwarzhaarige wollte sie damit nicht behelligen. Und jetzt war er ohnehin fast fertig mit dem Ausräumen. Nur ein paar alte Pappkartons, die nicht sehr schwer aussahen, standen noch herum. Leider waren diese nicht beschriftet, was für Mokuba bedeutete, dass er jeden einzelnen Karton genauestens nach seinem Inhalt überprüfen musste.

Vorsichtig zog er einen Pappkarton aus dem Regal, schaute hinein und keuchte erschrocken auf. In dem Karton befand sich altes Spielzeug. Spielzeug, das Gozaburo Seto damals weggenommen hatte, um ihn zu bestrafen, weil er angeblich von diesen ganzen Spielsachen abgelenkt wurde und nicht genügend lernte. Damals hatte Mokuba seinem Bruder wenigstens das Duell Monsters Deck wieder zurückgebracht und auch ein von ihm selbst gemaltes Bild eines Blue Eyes White Dragon.
 

Seufzend schaute sich Mokuba den Inhalt des Pappkartons genauer an, das Spielzeug war wirklich sehr alt, es lag immerhin schon 20 Jahre hier unten.

Eine alte Holzeisenbahn, dessen Farbe einmal rot glänzte und nun nur noch matt und blassrosa war. Ein alter brauner Teddybär, dessen linkes Auge fehlte. Ein altes zusammenklappbares Schachbrett ohne Schachfiguren. Ein ausgeblichenes Mau-Mau Kartenspiel. Ein weißer Plüschhund mit nur einem Schlappohr. Ein platter Fußball. Zwei Federballschläger, bei dem die meisten Saiten bereits gerissen waren. Eine zerbrochene Frisbeescheibe. Ein paar Actionfiguren, bei denen die Farbe abblätterte. Eine Handvoll kleiner Spielzeugsoldaten, denen zum Teil die Köpfe oder einige Gliedmaßen fehlten.

Traurig schloss der Schwarzhaarige den Pappkarton wieder, diese Sachen waren leider nicht mehr zu gebrauchen und auch wenn es ihm sehr schwer viel, er würde sie als Abfall aussortieren.
 

Beinahe schon ängstlich nahm Mokuba den zweiten Pappkarton aus dem Regal und öffnete ihn. Er blinzelte leicht und konnte es nicht fassen. In dem Karton lag Setos alte braune Tasche, die er damals im Waisenhaus bei sich hatte und auch die blaue Umhängetasche, die Mokuba sein eigen nannte, lag hier drin. Aber wie kamen die hierher? Gozaburo hatte die doch weggeworfen, weil sie alt und schäbig waren und nicht in seinen Vorzeigehaushalt hineinpassten?

Schockiert setzte der Schwarzhaarige sich auf den kalten Fußboden des Lagers und holte seine eigene Umhängetasche aus dem Karton. Er schaute hinein und fand, außer ein paar bemalten Blättern und ein paar alten Buntstiften, jedoch nichts Besonderes darin. Angestrengt dachte er nach. Irgendetwas sagte ihm, dass da noch etwas in dieser Tasche sein musste, er konnte sich aber nicht daran erinnern, was es war.

Mokuba durchsuchte die kleine Tasche genauer und entdeckte innen an der Seite einen fast unsichtbaren Reißverschluss. Ganz vorsichtig öffnete er ihn und griff in die kleine Seitentasche, um zu sehen, ob sich etwas darin befand.

Er ertastete etwas, was sich nach Papier anfühlte und zog es heraus. Zwischen den Fingern hielt der Schwarzhaarige nun ein ganz klein zusammengefaltetes Zeichenblatt. Vorsichtig, um das Blatt nicht zu zerreißen, faltete er es auseinander und schnappte nach Luft.

Auf dem Zeichenblatt war mit Buntstiften ein Bild aufgemalt, es war eine Abbildung von ihm und Seto als Kinder in einer liebevollen Umarmung, darunter stand in etwas krakeliger Schrift ‚für immer zusammen‘. Und ganz unten in einer Ecke hatte jemand einen kleinen, blonden Kopf mit Hundeohren und eine kleine Hundepfote gezeichnet, daneben die Worte ‚damit ihr mich nicht vergesst‘.

Mokuba blinzelte. Er konnte sich nicht an dieses Bild erinnern. Wer hatte es gezeichnet? Stand irgendwo vielleicht ein Name drauf? Suchend drehte er das Blatt um und starrte auf keuchend auf die Worte, die auf der anderen Seite des Blattes geschrieben standen:
 

„Für Seto und Mokuba, damit wir immer Freunde bleiben, euer Hündchen Joey“
 

Aber wie war das möglich?

Nach vorne schauen

~~~~~ Seto Kaiba ~~~~~
 

Seto saß wie immer im Arbeitszimmer seines Ferienhaues an seinem Schreibtisch. Rebecca war mit ihrem Sohn Eric draußen vor dem Haus und baute mit ihm zusammen einen Schneemann, sein Neffe hatte zwar darum gebeten, dass Seto ebenfalls half, dieser hatte jedoch abgelehnt, da er noch einige wichtige Dinge zu erledigen hatte. Er wollte heute unbedingt noch ein paar Grafiken seiner neusten Erfindung fertigstellen.

Seit er sich aus den geschäftlichen Angelegenheiten der Kaiba Corporation zurückgezogen hatte und Mokuba zusammen mit Rebecca die Leitung übernahm, war Seto nur noch damit beschäftigt, die Duell Disk zu verbessern. Am Anfang hatte er noch mit seinem besten Wissenschaftler Scott Irvine zusammengearbeitet, aber seit dieser an Altersschwäche verstarb, arbeitete der Brünette nur noch alleine. Mit den neuen Wissenschaftlern der Kaiba Corporation kam er nicht so recht klar.

Wenn er seinen Kopf freikriegen musste, fuhr Seto gerne mit seiner Harley Davidson durch die Berge und wenn er Besorgungen in der nächsten Stadt zu erledigen hatte, nahm er seinen schwarzen Porsche Cayenne.
 

Einmal in der Woche kam eine Bedienstete vorbei, die sich etwas um den Haushalt kümmerte, aber in der Regel machte er alles alleine, so dass sie meist nicht lange blieb oder oftmals sogar gar nicht kommen musste, weil Seto ihr einfach freigab.

Der Brünette war lieber alleine in dieser abgeschiedenen Gegend. Hier konnte er sich konzentrieren und neue Entwicklungen zu Papier bringen. Er hatte hier sogar ein kleines Labor ganz für sich allein, wo er verschiedene Versionen seiner Duell Disk zusammenbauen und testen konnte.

Seto würde nur noch nach vorne blicken, die Zukunft war alles, was für ihn noch wichtig war.
 

Das redete er sich zumindest ständig ein.
 

~~~~~ Mokuba Kaiba ~~~~~
 

Mokuba hatte auch die restlichen Pappkartons aus dem Lager geholt, sich allerdings vorerst nicht um deren Inhalt gekümmert und einfach nur im Gang abgestellt. Er würde sich später darüber Gedanken machen. Jetzt gab es erstmal wichtigere Dinge zu erledigen. Er musste Seto anrufen und ihn nach dem Bild fragen, das er in seiner alten Umhängetasche gefunden hatte. Also ging er mit dem Bild in der Hand nach oben in den großen Flur, um sich dort gleich das schnurlose Haustelefon zu schnappen.

Er wählte die Nummer des Ferienhauses und wartete, unruhig von einem Fuß auf den anderen tretend.
 

„Seto Kaiba, wer stört?“
 

„Seto, ich bin‘s, Mokuba.“
 

„Willst Du mit Deiner Frau sprechen? Die ist grade draußen mit Eric. Warte kurz, ich hol sie mal rein.“
 

Mokuba hob abwehrend die Hand.
 

„Nein, warte, ich wollte eigentlich mit Dir reden.“
 

„Ist was in der Firma passiert?“
 

Er schüttelte schnell den Kopf.
 

„Nein, nein, keine Sorge, mit der Firma ist alles in Ordnung…“
 

Der Schwarzhaarige zögerte und biss sich auf die Unterlippe.
 

„Sag schon, was ist los?“
 

Mokuba atmete einmal tief durch.
 

„…erinnerst Du Dich noch an meine blaue Umhängetasche, die ich damals im Waisenhaus getragen hatte?“
 

Kurz war es still, dann erklang ein leises Seufzen aus dem Telefon.
 

„Mokuba. Hatte ich Dir nicht gesagt, dass ich nicht mehr über das Thema Waisenhaus reden will?“
 

Mokuba wischte sich über die Augen und seufzte leise.
 

„Ich weiß, aber das ist wirklich wichtig.“
 

Erneut war es kurz still.
 

„Fein, aber das ist wirklich das letzte Mal, verstanden?“
 

Mokuba nickte, obwohl sein Bruder das ja eigentlich gar nicht sehen konnte.
 

„Natürlich. Ich hätte Dich auch nicht darauf angesprochen, wenn es nicht wirklich wichtig gewesen wäre.“
 

„Schon gut. Also, was ist nun mit der Tasche? Ich erinnere mich daran. Die hatte Gozaburo doch damals mit meiner eigenen Tasche entsorgt, oder?“
 

Wieder nickte Mokuba zustimmend.
 

„Das dachte ich auch. Aber ich hab sie unten im Lager gefunden, Du weißt doch, ich wollte das doch ausräumen, für Erics Überraschung.“
 

„Ja, hast Du erzählt. Die Tasche war also dort unten in einer Kiste?“
 

„In einem alten unbeschrifteten Pappkarton ganz hinten in einer Ecke. Deine Tasche war auch drin, aber da hab ich jetzt nicht reingeschaut.“
 

„Ist wahrscheinlich eh nichts Besonderes drin.“
 

Mokuba kniff die Augen zusammen.
 

„Dasselbe hab ich von meiner Tasche auch gedacht, als ich reingesehen hab. Nur ein paar alte bemalte Blätter und ein paar Buntstifte…“
 

Erneut zögerte er.
 

„Aber?“
 

„…aber ich hab innen an der Seite ein kleines Geheimfach entdeckt…“
 

Er lehnte sich seufzend mit dem Rücken an die Wand.
 

„Und?“
 

„…und ich hab noch ein zusammengefaltetes Zeichenblatt gefunden, allerdings…“
 

Er stockte, schüttelte leicht den Kopf.
 

„Allerdings was? Mokuba, lass Dir doch nicht alles aus der Nase ziehen, Du bist kein Kind mehr, also raus mit der Sprache. Was ist so wichtig an diesem Bild, dass Du mich dafür extra anrufen musst?“
 

Der Schwarzhaarige betrachtete sich die Buntstiftzeichnung und blinzelte sich ein paar Tränen aus den Augen.
 

„Es ist eine Abbildung von uns beiden als Kinder in einer liebevollen Umarmung, darunter steht ‚für immer zusammen‘. Und ganz unten in einer Ecke hat jemand einen kleinen, blonden Kopf mit Hundeohren und eine kleine Hundepfote gezeichnet, daneben die Worte ‚damit ihr mich nicht vergesst‘.“
 

Mokuba schwieg kurz.
 

„Das Bild kommt mir nicht bekannt vor, ich wusste auch nicht, wer es gemalt hat, also…“
 

Er rutschte nachdenklich an der Wand hinab und setzte sich auf den Fliesenboden.
 

„Also was, Mokuba?“
 

„…also hab ich das Bild umgedreht, um zu schauen ob dort vielleicht ein Name steht…“
 

Seufzend betrachtete er sich die Rückseite des Bildes.
 

„Und, steht da etwas?“
 

„Ja. Da steht: ‚Für Seto und Mokuba, damit wir immer Freunde bleiben, euer Hündchen…‘
 

„Hündchen? Wer ist Hündchen?“
 

„…Joey.“
 

Stille, dann ein erschrockenes Keuchen.
 

„Joey? Was hat Joey damit zu tun?“
 

Mokuba seufzte erneut und lass nochmal die Worte vor, die auf der Rückseite der Buntstiftzeichnung, in krakeliger Schrift, zu lesen waren.
 

‚Für Seto und Mokuba, damit wir immer Freunde bleiben, euer Hündchen Joey‘. Genau so steht es auf der Rückseite.“
 

Das Nächste was Mokuba durch das Telefon hörte, war ein dumpfer Aufprall.
 

~~~~~ Seto Kaiba ~~~~~
 

Seto hatte vor Schreck das Telefon auf seinen Schreibtisch fallen lassen und hielt sich gerade den Kopf, weil er mit einmal einen pochenden Schmerz dort fühlen konnte. Ein Bild tauchte plötzlich vor seinem inneren Auge auf, eine Buntstiftzeichnung, die er in der Hand hielt. Es war genau das Bild, das sein Bruder ihm gerade beschrieben hatte. Er konnte es genau vor sich sehen, die krakelige Schrift, den kleinen blonden Kopf mit den Hundeohren in der Ecke, all das hatte er schon einmal gesehen, vor langer Zeit.

Stöhnend schloss er die Augen, um das Bild zu vertreiben. Er hörte nur nebenbei die besorgte Stimme von Mokuba.
 

„Seto? Alles okay?“
 

Er griff nach dem Telefon und wischte sich leicht über die Augen.
 

„Alles gut. Mir ist nur das Telefon aus der Hand gerutscht.“
 

„Hast Du Dich an etwas erinnert?“
 

Seto schüttelte leicht den Kopf, um den Kopfschmerz loszuwerden.
 

„Schon möglich. Es ist eine Buntstiftzeichnung, richtig? Und die Schrift ist krakelig, als hätte ein Kind die Wörter geschrieben?“
 

Er hörte ein erschrockenes Einatmen.
 

„Ja! Genau das ist es! Hat Joey das gemalt? Warum war das in meiner Tasche? Wir haben ihn doch erst viel später kennengelernt! Oder war es vielleicht ein andrer Joey? Gibt ja sicher viele davon. Ist nur merkwürdig, dass ich mich nicht daran erinnern kann. Immerhin scheinen wir ja Freunde gewesen zu sein, also damals, vermutlich im Waisenhaus. Da waren ja viele Kinder und so.“
 

Seto seufzte. Mokuba redete noch immer so viel, wenn er aufgeregt war, dabei war er mittlerweile erwachsen.
 

„Ich weiß nicht, Mokuba. Ich kann mich auch nicht genau erinnern. Ich weiß nur, dass ich dieses Bild schon einmal gesehen habe, irgendwann. Ich konnte es mir jedenfalls bildlich vorstellen. Ob es tatsächlich Joey Wheeler gemalt hat und warum es in Deiner Tasche war, kann ich Dir allerdings wirklich nicht sagen.“
 

„Und wenn wir ihn einfach danach fragen?“
 

„Ich glaube nicht, dass es so eine gute Idee ist, außerdem weiß ich nicht einmal wo Wheeler jetzt wohnt und seine Telefonnummer hab ich ebenfalls nicht.“
 

„Ich könnte doch einfach Yugi danach fragen, der führt doch noch immer den Laden seines Großvaters. Vielleicht weiß der ja, wo Joey jetzt ist?“
 

Erneut seufzte Seto leise.
 

„Mokuba, muss das wirklich sein? Ist es wirklich so schlimm, dass Du Dich nicht mehr an das Bild erinnern kannst? Das ist doch viele Jahre her. Was bringt es Dir jetzt noch, wenn Du Dich an die Zeit im Waisenhaus erinnerst? Denk doch lieber an die Zukunft, an Deinen Sohn.“
 

„Aber, Seto! Da steht doch auf dem Bild: ‚damit ihr mich nicht vergesst‘. Also wer auch immer das Bild gemalt hat, wollte nicht von uns vergessen werden. Und wenn es wirklich Joey Wheeler war, der das Bild gemalt hat, dann ist er sicher wütend und verletzt gewesen, weil wir uns nicht an ihn erinnern konnten.“
 

Seto runzelte die Stirn und starrte aus dem Fenster.
 

„Wenn er es wirklich war, hätte er uns das doch gesagt.“
 

Ein Seufzen erklang aus dem Telefon.
 

„Hättest Du ihm denn auch nur ein Wort geglaubt? Damals?“
 

Seto schwieg und lehnte sich in seinem Sessel zurück. Er kannte die Antwort auf die Frage seines Bruders und sie gefiel ihm nicht.
 

„Vermutlich nicht.“
 

„Siehst Du. Also ist es kein Wunder, dass er nie etwas gesagt hat, wenn er es tatsächlich ist.“
 

„Aber trotzdem. Können wir die Sache nicht einfach auf sich beruhen lassen?“
 

„Nein, Seto! Diesmal nicht. Du hast Dich lange genug versteckt und die Vergangenheit einfach ignoriert. Als Du damals die Vergangenheit hinter Dir lassen und das Waisenhaus und Gozaburo vergessen wolltest, hab ich nichts gesagt. Als Du Dich dann nach der Scheidung zurückgezogen hast und Deine Ex-Frau vergessen wolltest, hab ich ebenfalls geschwiegen und einfach nur gehofft, dass Du irgendwann wiederzurückkommst. Aber jetzt bist Du schon so lange fort und versteckst Dich. Es ist wirklich genug! Ich werde Yugi anrufen und ihn fragen, ob er weiß, wo sich Joey aufhält und dann werde ich Joey nach dem Bild fragen und Du wirst mich diesmal nicht davon abhalten, Seto.“
 

„Moki…!“
 

„Komm mir nicht damit, Seto. Du weißt, dass das schon lange nicht mehr bei mir zieht. Bestell Becci und Eric einen lieben Gruß von mir. Ich meld mich später vielleicht nochmal. Bis dann.“
 

Seto starrte ungläubig auf das Telefon in seiner Hand. Sein frecher, kleiner Bruder hatte einfach aufgelegt.
 

„Ja, ist das denn zu fassen?“

Verzweifeln

~~~~~ Rebecca Kaiba ~~~~~
 

Rebecca beobachtete ihren Sohn Eric, der ausgelassen durch den Schnee tobte und mit Schneebällen auf Bäume zielte, aber meistens nicht traf. Sie war glücklich. Doch war es nicht immer so. Es gab Zeiten, da war sie kurz vor dem Verzweifeln. Das erste Mal fühlte sie sich so, als ihre Eltern bei einem Flugzeugabsturz ums Leben kamen, damals war sie gerade mal fünf. Ihre Eltern waren damals auf irgendeiner Geschäftsreise, während sie selbst bei ihrem Opa blieb. Das zweite Mal zerriss es ihr fast das Herz, als der Pharao Yugis Seele bei einem Duell gegen einen von Dartz Männern verlor. Beim dritten Mal war sie mehr als nur verzweifelt, als sie einsehen musste, dass Yugi Tea liebte und sie selbst nie eine Chance bei ihm haben würde. Damals war es Mokuba, der sie aus dieser Verzweiflung wieder rausholte. Und heute war es außerdem auch ihr Sohn, ihr kleiner Eric, ihr Sonnenschein.
 

Sie würde alles für ihn tun. Wenn ihr Sohn etwas wollte, dann konnte sie ihm meistens nichts abschlagen, nicht dass das nötig gewesen wäre, denn was auch immer Eric wollte, Rebecca konnte es sich leisten und Mokuba war genau derselben Meinung. Sie Beide waren sich einig darüber, dass sie Eric genau das geben würden, das sie selber nicht in ihrer Kindheit hatten, eben eine glückliche Kindheit mit Mutter und Vater, mit Eltern, die immer da waren, wenn sie gebraucht wurden. Sie Beide hatten sehr früh ihre eigenen Eltern verloren, Rebecca hatte damals noch ihren Opa und Mokuba seinen Bruder, aber es war eben nicht dasselbe. Eltern waren halt doch etwas ganz Besonderes. Und sie Beide wollten gute Eltern sein, für Eric, ihren gemeinsamen Sohn.
 

Natürlich war das nicht immer leicht. Eric war manchmal einfach zu verwöhnt und es war wirklich schwierig, aufzupassen, dass er nicht zu arrogant wurde. Da den richtigen Mittelweg zu finden, war wirklich schwer. Und trotzdem konnten Mokuba und Rebecca den Wunsch ihres Sohnes nach einem eigenen Musikkeller nicht ausschlagen. Aber damit es trotzdem noch eine Überraschung für ihn wurde, hatten sie ihm nicht gesagt, ob sie seine Bitte erfüllen würden oder nicht. Rebecca hatte Eric nur gesagt, dass sie mit seinem Vater darüber reden würde und sie würden es sich dann vielleicht überlegen. Mokuba hatte natürlich sofort zugestimmt, sich um alles zu kümmern. Aufgrund von Platzmangel im Keller hieß das allerdings, dass er erstmal einen Lagerraum ausräumen müsste und zwar so, dass Eric es nicht merkte, der spielte nämlich zu gerne im Keller mit seiner riesigen Modeleisenbahn, die er erst letztes Jahr zum Geburtstag bekommen hatte.
 

Also hatte Rebecca beschlossen einen Ausflug mit Eric zu machen und damit Mokuba ein paar Tage mehr Zeit hatte, den Lagerraum zum Musikkeller umzubauen, hatte sie Eric vorgeschlagen, dass sie doch mal wieder seinen Onkel Seto besuchen könnten, um hier in den Bergen etwas im Schnee herumtollen zu können, da in Domino zurzeit kein Schnee lag. Eric war natürlich sofort begeistert, nicht nur, weil er im Schnee spielen konnte, sondern auch, weil er seinen ‚coolen Onkel‘, wie er Seto nannte, wiedersehen durfte. Er hatte sich zwar gewundert, warum Mokuba nicht mitwollte, aber dieser hatte seinem Sohn einfach nur gesagt, dass er noch zu tun hätte und vielleicht später nachkommen würde, wenn es ihm möglich war. Eric hatte das akzeptiert, kam häufiger vor, dass entweder Mokuba oder Rebecca so mit der Arbeit in der Kaiba Corporation beschäftigt waren, dass ein gemeinsamer Ausflug kaum möglich war. Allerdings achteten beide darauf, dass wenigstens einer von ihnen immer bei Eric war, es sei denn, es trat mal ein absoluter Notfall ein, dann kümmerte sich Seto um Eric, was beide natürlich super fanden.
 

Allerdings machte Rebecca sich Sorgen um ihren Schwager. Denn der sah Eric manchmal mit ganz traurigen Augen an, besonders wenn Eric lange Zeit bei ihm war, mit ihm spielte, Ausflüge machte und dann wieder nachhause fuhr. Seto sah dann immer so aus, als würde ihm etwas das Herz zerreißen. Rebecca konnte sich darauf keinen Reim machen, allerdings vermutete sie, dass Seto sich vielleicht eigene Kinder wünschte. Warum er sich jedoch in diese Abgeschiedenheit zurückgezogen hatte und warum er sich nicht einfach eine liebe Frau suchte, um mit ihr eine Familie zu gründen, verstand Rebecca nicht. Vielleicht wäre es ganz gut, wenn sie mal mit ihm darüber reden würde. Am besten jetzt gleich.
 

„Eric?“
 

Ihr Sohn drehte sich mit einem Schneeball in der Hand zu ihr um.
 

„Ja, Mama?“
 

Rebecca deutete auf die Tür zum Ferienhaus.
 

„Ich geh mal kurz rein und unterhalte mich mit Deinem Onkel, ja? Mach hier bitte keine Dummheiten und lauf nicht zu weit weg, okay?“
 

Eric hob grinsend seine linke leere Hand in die Luft.
 

„Ja, Mama! Wenn Du dafür meinen coolen Onkel Seto in den Schnee locken kannst?“
 

Rebecca schüttelte lachend den Kopf.
 

„Ich werde es versuchen, Schnuffel.“
 

Ihr Sohn verzog seinen Mund zu einer beleidigten Schnute.
 

„Nenn mich nicht immer Schnuffel.“
 

„Wie denn sonst?“
 

Eric stampfte mit dem linken Fuß in den Schnee und streckte die rechte Hand mit dem Schneeball in die Höhe.
 

„Nenn mich Cool-Boy!“
 

Rebecca kicherte leise, nickte aber brav.
 

„Cool-Boy also. Gut, Cool-Boy Eric, dann pass mal schön auf, dass der Schnee nicht schmilzt, bevor ich nicht den coolen Onkel Seto aus dem Haus gelockt habe, okay?“
 

Eric zeigte ihr sein bestes Strahlelächlen.
 

„Okay!“
 

Rebecca warf noch einen letzten amüsierten Blick auf ihren kleinen Sohn und ging dann ins Ferienhaus.
 

~~~~~ Seto Kaiba ~~~~~
 

Seto saß noch immer an seinem Schreibtisch und starrte grimmig auf das Telefon in seiner Hand und verfluchte innerlich seinen kleinen Bruder, der es gewagt hatte, einfach aufzulegen, als plötzlich Rebecca durch die Tür seines Arbeitszimmers trat.
 

„Seto?“
 

Er zuckte leicht zusammen und drehte sich mit seinem Bürosessel zu Rebecca um, das Telefon hielt er noch immer in der Hand.
 

„Ja?“
 

Rebecca deutete auf das Telefon in Setos Hand.
 

„War das grade Moki?“
 

Seto nickte und stellte das schnurlose Telefon zurück in das Ladegerät auf seinem Schreibtisch.
 

„Er hatte nur etwas mit mir zu besprechen…“
 

Er zögerte kurz, fuhr sich mit einer Hand durch die Haare.
 

„…Eine uralte Sache.“
 

Rebecca seufzte leise.
 

„Ging es wieder um Deine Scheidung?“
 

Seto schüttelte den Kopf. Seine Augenbrauen zogen sich leicht zusammen. Müde rieb er sich über die Augen.
 

„Ich würde mich gerne etwas zurückziehen. Bin ein wenig erschöpft. Zuviel Bildschirmarbeit.“
 

Rebecca nickte kurz.
 

„Wenn es Dir wieder besser geht, dann kannst Du Dich gerne mit Eric im Schnee vergnügen, er hat wieder nach Dir gefragt.“
 

Seto seufzte, nickte aber.
 

„Ich denke, in einer Stunde bin ich wieder so gut wie neu. Kannst ihm also ausrichten, dass er mich dann wecken kann.“
 

„Das macht er sicher gern.“
 

Nebeneinander verließen Seto und Rebecca sein Arbeitszimmer. Rebecca ging wieder hinaus, Seto sah ihr noch kurz nach und ging dann seufzend die Treppen zu seinem Schlafzimmer hinauf.
 

Er wollte sich nicht an seine Scheidung erinnern, denn seine Frau hatte ihm das Schlimmste angetan, was man einem Mann antun konnte. Sie hatte ihn nicht betrogen, denn das hätte er vermutlich noch verkraften können und ihr wahrscheinlich sogar verziehen, immerhin arbeitete er sehr viel und war nicht so oft für seine Frau da, wie es vielleicht angebracht gewesen wäre. Sie hatte ihn auch nicht um sein Geld erleichtert, denn das hätte er mit Freuden für sie ausgegeben, schließlich hatte er mehr als genug davon. Was sie getan hatte, schmerzte viel mehr als alles andere, was er je hatte ertragen müssen, zumindest soweit er sich erinnern konnte.
 

Aileen Rao hatte Seto nach circa zwei Jahren mitgeteilt, dass sie ihn nicht liebte, dass sie ihn nie geliebt hatte und dass sie Seto nur geheiratet hatte, um von ihm ein eheliches Kind zu bekommen, das später Setos gesamtes Vermögen und die Firma erben konnte, wenn Seto und Mokuba aus dem Weg geräumt waren. Aber damit nicht genug. Sie hatte ihm damals auch noch an den Kopf geknallt, dass Seto ja impotent wäre und nicht in der Lage wäre, überhaupt Kinder zu zeugen und dass es eine reine Zeitverschwendung war, sich überhaupt mit ihm eingelassen zu haben….
 

Er hatte sie damals aus ihrem gemeinsamen Haus geworfen und die Scheidung eingereicht. Kurz darauf hatte er tatsächlich die Entscheidung getroffen, sich untersuchen zu lassen, ob er wirklich zeugungsunfähig war. Und, was er damals erfuhr, war etwas, was er einfach nicht ertragen konnte. Sein Vertrauensarzt hatte ihm schweren Herzens mitgeteilt, dass Seto tatsächlich niemals Kinder würde zeugen können. Er war zeugungsunfähig aufgrund der vielen Jahre in denen er zu viel Stress hatte, mit dem Tod seiner Eltern, mit dem Aufenthalt im Waisenhaus, mit Gozaburo, mit der Firma, mit den ganzen anderen Ereignissen, die sein Leben mehr als einmal auf den Kopf gestellt hatten. Außerdem spielte auch sein übermäßiger Kaffeekonsum eine tragende Rolle, denn um überhaupt so viel arbeiten zu können, brauchte er täglich zwei Kannen davon, wenn das mal ausreichte. Zusätzlich hatte Gozaburo ständig in seiner Gegenwart diese dicken Zigarren geraucht und Seto mehr als einmal diesen beißenden Qualm entgegen geblasen, so dass er gezwungen war, diesen Rauch einzuatmen, jahrelang. Eine Behandlung wäre außerdem auch nicht mehr möglich, da es dafür bereits zu spät war. Setos Zeugungsunfähigkeit bestand anscheinend schon seit seiner Kindheit und war nun aufgrund des andauernden Stresses, dem er all die Jahre ausgesetzt war, unheilbar, es war einfach schon zu spät.
 

Um all das zu vergessen, hatte sich Seto damals zurückgezogen und ließ seit dem Niemanden an sich heran. Seinem Bruder hatte er nur erzählt, dass er seine Frau vergessen wollte und dass er Zeit für sich brauchte. Mokuba hatte es damals so hingenommen und nicht weiter nachgefragt, wofür Seto ihm im Stillen dankbar war. Er wollte seinen kleinen Bruder nicht mit der Tatsache belasten, dass Seto niemals eigene Kinder haben würde. Als ihm sein Bruder etwas später stolz berichtete, Rebecca wäre schwanger, da hatte Seto das Gefühl, ihm würde ein schwerer Felsbrocken vom Herzen fallen. Er war so froh, dass Mokuba nicht dasselbe durchmachen musste, wie er selbst und dass es trotz allem einen späteren Erben für die Firma geben würde. Und als Eric dann auf der Welt war, da war Seto genauso glücklich, als wäre es sein eigener Sohn. Er freute sich jedes Mal darauf, seinen kleinen Neffen wiederzusehen, denn er wusste, er selbst würde nie eigene Kinder haben.
 

Niemals.

Nachdenken

~~~~~ Yugi Muto ~~~~~
 

Yugi saß mit seinem kleinen Sohn Yami Atemu im Wohnzimmer seines Spieleladens und fütterte ihn grade mit ein wenig zerquetschter Banane, als sein Telefon klingelte.
 

„Schatz! Gehst Du mal bitte ran?“
 

Teas Stimme erklang aus Richtung der Küche.
 

„Sorry, Liebling, kann grade nicht, sonst brennt unser Essen an.“
 

Er seufzte niedergeschlagen, gab seinem Sohn den Löffel, damit er selbst in dem Bananenbrei herumstochern konnte und ging hinaus in den Flur, um sich das Telefon vom kleinen Tisch an der Treppe zu holen.
 

„Kame Game Shop, Muto am Apparat, was kann ich für Sie tun?
 

„Yugi? Mokuba hier.“
 

Yugi lächelte ein wenig.
 

„Mokuba. Schön von Dir zu hören. Wie geht’s Eric und Rebecca?“
 

„Sehr gut, beide sind grade bei Seto im Ferienhaus, weil ich hier für Eric eine Überraschung plane, er wünscht sich nämlich unbedingt einen Musikkeller mit Schlagzeug und allem Drum und Dran.“
 

Yugi kicherte leise.
 

„Der Junge hat aber auch ständig so ausgefallene Wünsche.“
 

Ein Seufzen erklang aus dem Telefon.
 

„Wem sagst Du das. Pass bloß auf, dass Dein Sohn später nicht so wird.“
 

„Keine Sorge, dafür ist Tea zu streng.“
 

Tea steckte ihren Kopf aus der Küchentür.
 

„Hast Du was gesagt, Liebling?“
 

Yugi schüttelte schnell den Kopf.
 

„Nichts, Schatz, hab nur grade mit Mokuba geredet.“
 

„Ach so. Grüß ihn mal ganz lieb und Becci und Eric auch.“
 

Er nickte Tea zu.
 

„Werd ich ausrichten.“
 

Tea verschwand wieder in der Küche.
 

„Hab‘s gehört. Bestell Grüße zurück. Die Grüße an Becci und Eric werd ich später weiterleiten. Aber weshalb ich eigentlich anrufe. Weißt Du wo sich Joey gerade aufhält und hast Du seine Telefonnummer, so rein zufällig?“
 

Yugi zog eine Augenbraue hoch.
 

„Joey? Sicher weiß ich wo er ist, seine Telefonnummer hab ich allerdings nicht. Er hat sich auch schon lange nicht mehr bei mir gemeldet. Aber wenn Du willst, frag ich Mai mal nach seiner Nummer, sie müsste die eigentlich haben.“
 

Er hörte Mokuba seufzen.
 

„Wäre super. Ruf mich bitte an, wenn Du mehr weißt, ich bin den ganzen Tag zuhause.“
 

„Geht klar. Bis später.“
 

„Ja, bis später und danke.“
 

Yugi legte auf und suchte Mais eingespeicherte Nummer in seinem Telefon. Es klingelte ein paar Mal, allerdings ging niemand ran. Yugi wollte schon auflegen, als doch noch jemand abnahm.
 

„Valentine hier, Mutti ist nicht da, wer stört?“
 

„Vanessa? Yugi hier. Kannst Du mir die Telefonnummer Deines Vaters geben?“
 

„Klar kann ich. Wart mal kurz. Willst Handy oder lieber Festnetz?“
 

„Gib mir einfach beide.“
 

„‘key.“
 

Kurz war es still in der Leitung.
 

„Also Handy ist 0145/45938587 und Festnetz 05736/48587377.“
 

Yugi notierte sich beide Nummern auf einem Notizblock, der neben dem Telefon auf dem kleinen Tisch lag und nickte dankend.
 

„Danke Dir. Bestell Deiner Mutter einen schönen Gruß, ja? Von Tea auch.“
 

„Mach ich. Bis denn.“
 

„Ja, bis dann.“
 

Yugi legte erneut auf und wählte stattdessen Mokubas gespeicherte Nummer.
 

„Ja? Hast Du sie?“
 

„Sicher. Schreib‘s Dir auf. Handy 0145/45938587 und Festnetz 05736/48587377.“
 

„Okay, hab’s. Danke Dir, Yugi.“
 

„Kein Problem.“
 

~~~~~ Joey Wheeler ~~~~~
 

Joey saß wie üblich an seinem Schreibtisch und erstellte gerade das Design für eine neue Homepage, diesmal hatte er einen Auftrag von einem Delikatessengeschäft bekommen, dessen Besitzer sich noch vor Weihnachten online präsentieren wollte, wenn es denn zeitlich machbar wäre. Es sollte nichts Großartiges werden, nur eine kleine Internetpräsenz mit zwei Seiten, aber vielen Infos und Grafiken. Er würde dafür 24380 Yen bekommen (umgerechnet circa 180 Euro) und das war viel Geld für eigentlich relativ leichte Arbeit. Das einzig Aufwendige daran waren die verschiedenen CSS Effekte, die Joey in die verschiedenen Grafiken eingebaut hatte. Nicht alles funktionierte gleich beim ersten Versuch und es dauerte manchmal eine ganze Weile, bevor er den Fehler im HTML-Code oder in der CSS-Datei fand. Auch jetzt suchte er wieder nach einem Fehler, weil plötzlich der Farbverlauf im Hintergrund der Webseite nicht so funktionierte, wie Joey das wollte. Das Klingeln seines schnurrlosen Telefons, das sich auf seinem Lautsprecher neben seinem Computerbildschirm befand, riss ihn aus seinen Gedanken und er richtete sich etwas auf, um das Telefon aus der Ladestation zu nehmen.
 

„Wheeler?“
 

„Joey? Mokuba hier, hast Du kurz Zeit?“
 

Joeys Augen weiteten sich überrascht und er saß steif in seinem Sessel.
 

„Klar. Worum geht’s?“
 

Äußerlich ließ er sich seine Nervosität nicht anmerken, aber innerlich musste er sich zwingen, Ruhe zu bewahren. Nervös verkrallte er seine linke Hand in die Armlehne seines Sessels und kaute auf seiner Unterlippe.
 

„Also. Ich weiß gar nicht wie ich anfangen soll.“
 

Ein Seufzen erklang durchs Telefon.
 

„Du weißt doch sicher noch, dass Seto und ich im Waisenhaus waren, bevor Gozaburo uns adoptiert hatte, oder?“
 

Joeys Hand verkrampfte sich noch stärker, so dass die Fingerknöchel schon weiß durchschimmerten.
 

„Ja? Worauf willst Du hinaus?“
 

„Nun ja. Ich hab meine alte Umhängetasche, die ich damals im Waisenhaus immer dabei hatte, wieder gefunden, als ich hier im Keller der Villa einen Lagerraum ausgeräumt hatte. Und…“
 

Erneut erklang ein Seufzen aus dem Telefon, Joey kniff die Augen zusammen. Er erinnerte sich an die Umhängetasche und er konnte sich auch denken, was Mokuba dort drinnen gefunden hatte.
 

„…ich hab da ein Bild gefunden, innen in einer kleinen Seitentasche…“
 

Joey wagte kaum zu atmen, er wollte sich nicht schon wieder Hoffnungen machen, dass Mokuba sich vielleicht an das Bild erinnern konnte, das er damals für die beiden Brüder gemalt hatte.
 

„…Das Bild kam mir nicht bekannt vor…“
 

Nur mit Mühe und Not konnte sich Joey einen verzweifelten Aufschrei verkneifen, dafür musste er sich so hart auf die Unterlippe beißen, dass es anfing zu bluten.
 

„…ich hab auch Seto gefragt, aber…“
 

Fast panisch öffnete Joey die Augen und schüttelte verzweifelt den Kopf. Er wollte die nächsten Worte nicht hören.
 

„…er kann sich auch nicht an das Bild erinnern…“
 

Joey strich sich mit der linken Hand über die Augen, weil sich dort plötzlich Tränen gesammelt hatten, die er nicht aufhalten konnte.
 

„Und warum rufst Du ausgerechnet mich deswegen an?“
 

Seine Stimme klang monoton, man hörte nichts von dem inneren Kampf, den Joey gerade mit sich selbst austrug. Einerseits wollte er einfach auflegen, sein Telefon in die Ecke werfen und sich verzweifelt die Haare raufen, andererseits wollte er Mokuba erst die ganze Wahrheit ins Gesicht brüllen, um dann aufzulegen, das Telefon zu zertrümmern und sich die Haare zu raufen. Joey wusste genau, was jetzt kommen würde. Aber er wusste nicht, wie er darauf reagieren sollte.
 

„Naja. Auf der Rückseite des Bildes steht etwas geschrieben, was mich ein wenig verwirrt hat.“
 

Joey kniff wieder die Augen zusammen.
 

„Und was?“
 

Wieder ein Seufzen aus dem Telefon.
 

„Also, da steht: ‘Für Seto und Mokuba, damit wir immer Freunde bleiben, euer Hündchen Joey‘
 

Joey schwieg eine ganze Weile und auch Mokuba schien am anderen Ende des Telefons einfach schweigend abzuwarten. Es wäre so einfach. Joey könnte jetzt einfach sagen, dass er dieser Joey war, der das Bild gemalt hatte. Doch was war dann? Würde er damit die Erinnerungen der Kaiba-Brüder wieder erwecken? Er wusste es nicht. Er hatte Angst, dass er wieder enttäuscht wurde. Er hatte doch erst beschlossen, alles hinter sich zu lassen, alles zu vergessen. Warum musste ihn die Vergangenheit jetzt wieder einholen?
 

„Ich kann Dir leider nicht helfen, Mokuba. Vielleicht war es ja ein anderer Joey, gibt vermutlich viele davon. Vielleicht war es sogar ein Mädchen, also Joey als Kurzform für Josephine. Ich kann Dir wirklich nicht weiterhelfen. Tut mir leid.“
 

Ein langgezogenes Seufzen erklang aus dem Telefon, als hätte Mokuba abwartend die Luft angehalten.
 

„Nein, ist schon gut, muss Dir nicht leid tun. Es ist nur so: Dieser oder diese Joey wollte nicht von uns vergessen werden, deswegen dieses Bild. Aber dennoch kann sich keiner von uns erinnern und das macht diese Sache so traurig. Ich hatte einfach gehofft, dass Du vielleicht helfen könntest. Ich werde aber trotzdem nicht aufgeben, ich werde irgendwie versuchen, die Leiterin des Waisenhauses ausfindig zu machen, vielleicht kann Frau Shima uns irgendwie weiterhelfen oder der Direktor oder irgendein anderer Mitarbeiter des Waisenhauses. Trotzdem Danke, Joey.“
 

Joey wollte Mokuba sagen, dass seine Bemühungen vergeblich sein würden, das Waisenhaus existierte schon seit über 5 Jahren nicht mehr, der Direktor war vor 3 Jahren verstorben und Frau Shima vor 2 Jahren. Die Einzige, die noch Informationen liefern konnte, war Kaori Shima, die Tochter, aber die befand sich gerade auf einer Kreuzfahrt durch das Mittelmeer und war nur per Privathandy erreichbar, sofern sie denn Empfang hatte.
 

„Viel Glück, Mokuba. Vielleicht machst Du Joey ja noch ausfindig oder Du erinnerst Dich daran, wer Joey war.“
 

Verzweifelt krallte Joey wieder seine linke Hand in die Armlehne seines Sessels und wünschte sich, dass Mokuba endlich auflegte.
 

„Ja. Wäre wirklich super, wenn ich Joey finden könnte und noch besser, wenn ich mich erinnerte. Das nagt wirklich an mir. Dabei vergesse ich sonst nie irgendetwas. Ich kann mir einfach nicht erklären, warum ich mich absolut nicht erinnern kann. Ich hab das Bild ja eindeutig selbst in meine Tasche gesteckt und trotzdem erinnere ich mich nicht daran.“
 

Joey schaute nachdenklich auf seinen Computerbildschirm. Er wollte Mokuba nicht helfen, aber er klang so traurig, so ehrlich verzweifelt, weil er sich nicht erinnern konnte. Es zerriss Joey fast das Herz. Er öffnete die Google-Seite in seinem Internetexplorer und tippte nur ein Wort in die Suchmaschine.
 

Amnesie
 

Er öffnete gleich die erste Seite, die ihm angezeigt wurde. Eine Seite von wikipedia und er begann zu lesen.
 

„Joey? Bist Du noch da?“
 

„Ja. Ich hatte gerade eine Vermutung und such gerade nach Infos im Internet.“
 

Joeys Augen verengten sich zu Schlitzen, als er die Erklärungen auf der wikipedia-Seite las und etwas erregte seine Aufmerksamkeit.
 

Retrograde und anterograde Amnesie
 

Bei der retrograden (rückwirkenden) Amnesie tritt ein Gedächtnisverlust für den Zeitraum vor Eintreten des schädigenden Ereignisses auf (im Gedächtnis gespeicherte Bilder oder Zusammenhänge können nicht in das Bewusstsein geholt werden)
 

„Hattest Du während der Zeit bei Gozaburo mal einen Unfall oder einen schweren traumatischen Schock?“
 

„Ich weiß nicht, warum fragst Du?“
 

Joey seufzte.
 

„Vielleicht hast Du eine retrograde, also rückwirkende, Amnesie. Ein Gedächtnisverlust für einen bestimmten Zeitraum oder vielleicht auch nur für bestimmte Ereignisse. Mir fehlen allerdings die nötigen Informationen dafür. Ich bin kein Arzt, kann da also nur eine Vermutung äußern. Vielleicht solltest Du mal einen Psychologen aufsuchen, der sich genauer mit dem Thema auskennt.“
 

Kurz war es still in der Leitung, dann erklang ein Seufzen.
 

„Amnesie, das würde einiges erklären. Allerdings kann ich mich ja an das Waisenhaus erinnern, nur an dieses Bild nicht und nicht an Joey.“
 

Joey dachte nach und zog seine Augenbrauen zusammen.
 

„Und wenn Du einen Schock hattest, der im direkten Zusammenhang mit diesem Bild steht oder mit Joey?“
 

Wieder war es kurz still.
 

„Gut möglich. Gozaburo hatte mir die Tasche damals abgenommen, als ich in die Villa kam, angeblich wollte er sie zusammen mit Setos Tasche verbrennen. Vermutlich war ich damals so traumatisiert, dass ich Joey aus meinem Gedächtnis verbannt habe, ohne es zu wollen.“
 

Nervös strich sich Joey durch die Haare.
 

„Was ist mit Deinem Bruder? Hatte der auch so ein traumatisches Erlebnis?“
 

„Das weiß ich nicht genau. Ich weiß aber, dass er ein halbes Jahr nach unserer Adoption für einige Wochen im Kaiba Krankenhaus gelegen hatte, angeblich wegen seelischer und körperlicher Erschöpfung. Als er wiederkam, war er irgendwie anders. Irgendwie kalt und emotionslos. Er hat sich nur noch um seine Aufgaben gekümmert, die ihm Gozaburo aufgetragen hatte und hat versucht, mich von allen Dingen abzuschirmen, mich zu beschützen.“
 

Joey wurde unruhig und er tippte erneut ein Wort in die Google-Suchmaschine.
 

Verdrängung
 

Und wieder öffnete er gleich die erste Seite, die ihm angezeigt wurde, es war wieder eine wikipedia-Seite. Gleich der erste Satz machte Joey stutzig.
 

Als Verdrängung wird in der Psychoanalyse ein angenommener psychologischer Abwehrmechanismus bezeichnet, durch den tabuierte oder bedrohliche Sachverhalte oder Vorstellungen von der bewussten Wahrnehmung ausgeschlossen würden.
 

War es das? War das der Grund dafür, dass Seto Kaiba sich nicht mehr erinnerte? Weil er es bewusst verdrängt hatte, um zumindest der seelischen Erschöpfung entgegenwirken zu können, damit er für seinen Bruder da sein konnte und um ihn vor Gozaburo schützen zu können, ohne selbst dabei zugrunde zu gehen? Hatte Seto Kaiba Joey Wheeler bewusst aus seinem Gedächtnis gestrichen, weil er den Schmerz des Abschieds nicht mehr ertragen konnte? Aber was wäre wenn? Würde er sich jetzt wieder erinnern, jetzt wo dieses Bild wieder aufgetaucht war?
 

„Was hat Dein Bruder gesagt, als Du ihn wegen des Bildes gefragt hast?“
 

„Hm. Er meinte, er konnte sich das Bild bildlich vorstellen und er wusste auf Anhieb, dass es ein Kind gemalt hatte und dass es eine Buntstiftzeichnung war. Das hatte ich ihm am Telefon nicht mitgeteilt.“
 

Joey nickte nachdenklich.
 

„Verstehe. Das könnte bedeuten, dass er Joey bewusst verdrängt hat, seine Erinnerungen aber langsam wiederkehren, jetzt wo dieses Bild aufgetaucht ist. Die Gefahr, die durch Gozaburo ausging, ist ja schon lange vorbei und seelische oder körperliche Erschöpfung scheint Dein Bruder auch nicht mehr zu haben, denn wie ich gehört habe, lebt er ziemlich zurückgezogen.“
 

„Das stimmt. Wenn seine Erinnerungen zurückkehren, dann wäre das jetzt der ideale Zeitpunkt dafür. Vielleicht hatte er nur einen Auslöser benötigt, um sich wieder zu erinnern.“
 

„Vielleicht. Aber ich würde dennoch nicht zu viel erwarten. Dein Bruder hasst die Vergangenheit, er wird sich vermutlich noch immer gegen diese Erinnerungen wehren, nur wird es ihm sein Unterbewusstsein nun erheblich schwerer machen, das zeigt das Bild, das er sich vorstellen konnte, ohne es persönlich gesehen zu haben. Vielleicht reagiert sein Körper abwehrend, weil sein Unterbewusstsein und sein bewusstes Verdrängen im Widerspruch stehen. Ich bin wirklich kein Psychologe, das sind nur Vermutungen. Aber im Gegensatz zu Dir kann ich vermutlich nicht darauf hoffen, dass er sich einen sucht. Ich weiß auch nicht, ob es bei ihm überhaupt etwas bringen würde. Eine einfache Amnesie lässt sich vermutlich einfacher heilen, als eine bewusste Verdrängung.“
 

„Aber wie heilt man eine Amnesie?“
 

Joey biss sich nachdenklich auf die Unterlippe.
 

„Ich weiß nicht genau, aber ich würde vielleicht auf Hypnose tippen. Allerdings gibt es ja verschiedene Formen der Amnesie, wenn es denn eine ist, die Dich hat vergessen lassen. Da würde ich wirklich einen Psychologen fragen. Für Deinen Bruder kann ich allerdings nicht viel tun, der muss irgendwie selbst mit dem Problem fertig werden, pass einfach auf ihn auf, nicht dass er zusammenbricht in dieser Abgeschiedenheit.“
 

„Ich danke Dir, Joey. Du hast mir wirklich sehr geholfen! Danke!“
 

Seufzend schüttelte Joey den Kopf. Eigentlich hatte er nicht helfen wollen, hatte sich keine Hoffnungen machen wollen, aber jetzt war doch wieder dieser kleine Funken Hoffnung in seinem Herzen, der ihm Schmerzen bereitete. Er war so dumm.
 

„Schon okay, Mokuba. Besorg Dir einen Termin beim Psychologen und wirf ein Auge auf Deinen Bruder. Und meld Dich, wenn Du was Neues weißt, Telefonnummer hast Du anscheinend von mir.“
 

„Ja, die hatte mir Yugi freundlicherweise besorgt, ich wusste ja nicht, wo Du bist.“
 

„Schon klar. Ich wünsch Dir wirklich viel Glück, Mokuba. Vielleicht bis bald mal.“
 

„Ja, bis bald und noch mal Danke.“
 

„Kein Problem. Bye.“
 

„Bye.“
 

Joey legte auf und lehnte sich in seinem Sessel zurück. Amnesie und Verdrängung. Waren das die Gründe dafür, dass die Kaiba-Brüder ihn vergessen hatten? Was wäre wenn? Was würde er dann tun? Es waren 22 Jahre vergangen seit der Zeit im Waisenhaus. War eine Heilung überhaupt noch möglich? Joey wusste es nicht. Er wusste nur eins.
 

Es würde das letzte Mal sein, dass er diesen Funken Hoffnung in sich wachhalten würde, das allerletzte Mal.

Träumen

~~~~~ Seto Kaiba ~~~~~
 

Seto lag zusammengerollt in seinem Bett in der oberen Etage seines Ferienhauses und umarmte sein Kissen, als würde er eine Person umarmen. Seine geschlossenen Augenlider zuckten immer wieder unruhig. Ein leises Flüstern kam ihm wie automatisch über die Lippen.
 

„Ich werde Dich nicht alleine lassen, hörst Du, ich werde bei Dir bleiben solange ich kann, das verspreche ich Dir.“
 

Der Schlafende zog die Stirn in leichte Falten, seine Augenlider öffneten sich verwirrt und er starrte minutenlang einfach nur ins Leere. Ein schmerzhafter Stich in seinem Kopf ließ Seto erneut die Augen schließen und das Bild von blonden Haaren schob sich in seine Gedanken, der Kopf mit den blonden Haaren wurde angehoben. Setos Herz klopfte schneller, er konnte sich nicht erklären, worauf er wartete, was er erhoffte. Er sah das Gesicht, das zu den blonden Haaren gehörte und er richtete sich ganz plötzlich und erschrocken keuchend in seinem Bett auf.
 

„Was zur Hölle?“
 

Das Gesicht war kein Gesicht, es war einfach nur ein schwarzes Nichts. Ein schwarzes Nichts mit blonden Haaren.
 

Er rieb sich den Schweiß von der Stirn und schüttelte den Kopf. Das war doch alles nicht wahr! Seit wann hatte er denn solche Träume? Reichte es nicht, dass er ständig an seine Ex-Frau dachte und an seinen Hausarzt, der ihm eröffnet hatte, er wäre zeugungsunfähig? War er nicht schon genug gestraft? Warum drängten sich jetzt gesichtslose Menschen in seine Träume? Kannte er diese Person? War es dieser Joey, von dem Mokuba geredet hatte? War es gar wirklich Joey Wheeler? Die gesichtslose Person hatte blonde Haare, aber das musste nichts heißen, war vielleicht nur Zufall. Und wieso lag er mit dieser gesichtslosen Person in einem Bett? Wieso hatte er sie so umarmt und ihr auch noch beruhigende Worte zugeflüstert? Wer war diese blonde Person ohne Gesicht?
 

Mürrisch und durcheinander erhob sich Seto aus seinem Bett, rieb sich über die Augen und schüttelte wütend den Kopf. Er würde das Fenster öffnen, gänzlich wach werden und den Traum vergessen. Er wollte solche Träume nicht! Sie brachten ihn kein Stück weiter. Sie waren gänzlich unwichtig und einfach nur störend. Er würde sie verdrängen, wie er zuvor alle seine Träume verdrängt hatte, Träume über den Tod der Mutter nach Mokubas Geburt, Träume über den Unfall des Vaters, Träume über die widerlichen Beschimpfungen der Verwandten, Träume über die Abschiebung ins Waisenhaus, Träume über all die Qualen bei Gozaburo. Seto hasste Träume! Er brauchte keine Träume!
 

Wieder wischte sich Seto den Schweiß von der Stirn, ein beklemmendes Gefühl machte sich in seinem Brustkorb bemerkbar und er runzelte nachdenklich die Stirn. Was war nur los? Warum schwitzte er gerade so stark? Es war Winter und die Heizung in seinem Schlafzimmer war in der Regel immer aus, weil er in der trockenen Heizungsluft kaum schlafen konnte. Woher also der Schweiß? Und woher kam plötzliches dieses beklemmende Gefühl? Seto zitterte plötzlich und sein linker Arm wurde mit einem Mal taub. Übelkeit stieg in ihm hoch und das beklemmende Gefühl in seiner Brust verstärkte sich, er bekam kaum noch Luft.
 

„Was?“
 

Keuchend ging er vor seinem Bett in die Knie und verkrallte seine rechte Hand in seinen schwarzen Pullover, den er zum Schlafen nicht ausgezogen hatte. Er konnte nicht atmen! Schwarze Punkte tanzten vor seinen Augen, er blinzelte verwirrt und versuchte sich wieder aufzurichten. Er war nicht so schwach, dass er sich so in die Knie zwingen ließ!
 

Doch der Brünette kam nicht mehr dazu, seine Beine knickten einfach unter ihm weg und mit einem dumpfen Aufprall knallte er auf den Bettvorleger.
 

~~~~~ Eric Kaiba ~~~~~
 

Eric war freudestrahlend auf dem Weg, um seinen coolen Onkel aus dem Bett zu holen, um ihn dann hinaus in den Schnee zu ziehen und eine Schneeballschlacht mit ihm zu machen. Darauf freute er sich schon den ganzen Winter lang! Pfeifend und lachend sprang er die Stufen zu Onkel Setos Zimmer hinauf, klopfte einmal an die Tür und sprang dann, ohne eine Antwort abzuwarten, mitten in das Schlafzimmer und wollte sich gleich auf das Bett stürzen, um seinen Onkel zu wecken, doch war das Bett leer.
 

„Onkel?“
 

Verwirrt schaute der Junge sich um. Wo war Onkel Seto? War er etwa doch schon aufgestanden und hatte sein Schlafzimmer schon verlassen? Er zuckte mit den Schultern und wollte sich wieder umdrehen, um wieder hinaus zu gehen und stattdessen woanders seinen coolen Onkel zu suchen, als ein leises Stöhnen an seine Ohren drang, das irgendwie aus Richtung des Bettes zu kommen schien.
 

„Onkel Seto?“
 

Eric erhielt keine Antwort, nur ein weiteres Stöhnen. Irgendwie machte es ihm Angst. Er kniff die Lippen zusammen und straffte die Schultern. ‚Ein Kaiba hat vor nichts Angst.‘ Das sagte sein cooler Onkel Seto immer. Entschlossen und mit einem grimmigen Gesicht ging der Junge auf das Bett zu. Es lag wirklich niemand dort, aber das Stöhnen kam ganz klar aus der Richtung. Er krabbelte auf das Bett, um hinter das Bett schauen zu können, denn zwischen der Fensterwand und dem Bett war ein breiter Spalt. Das Stöhnen wurde lauter, Eric schaute über die Bettkante und seine Augen weiteten sich erschrocken.
 

„Onkel Seto!“
 

Sein Onkel lag dort zusammengekrümmt auf seiner rechten Seite auf dem Fußboden zwischen der Fensterwand und dem Bett und stöhnte leise. Die Augen waren zusammengekniffen, das Gesicht vor Schmerz verzerrt, die rechte Hand schien sich in seinen Brustkorb zu krallen. Eric wurde blass, sekundenlang konnte er sich nicht rühren oder ein Wort herausbringen, bis er fast panisch vom Bett sprang, in Richtung Tür stolperte und zur Treppe.
 

„Mama! Komm bitte ganz schnell in Onkel Setos Schlafzimmer! Er liegt auf dem Fußboden und scheint ganz starke Schmerzen zu haben!“
 

Seine Mutter tauchte am unteren Ende der Treppe auf.
 

„Was ist los?“
 

Eric deutete aufgeregt auf die Tür zum Schlafzimmer.
 

„Onkel Seto liegt zusammengekrümmt hinter seinem Bett auf den Fußboden und stöhnt vor Schmerz!“
 

~~~~~ Rebecca Kaiba ~~~~~
 

Sofort rannte Rebecca die Treppe hinauf. Schnell lief sie an ihrem kleinen Sohn vorbei ins Schlafzimmer ihres Schwagers, hechtete fast aufs Bett und schaute in den Spalt zwischen der Fensterwand und dem Bett. Dort lag Seto und schockiert kam ihr nur ein Wort in den Sinn, das sie völlig unbewusst laut aussprach:
 

„Herzinfarkt.“
 

Tief atmete sie durch und zwang sich zur Ruhe, drehte sich dann zu Eric um, der hinter ihr unschlüssig neben dem Bett stand.
 

„Eric, hol mir bitte sofort das Telefon aus Onkel Setos Arbeitszimmer. Ich weiß, Du hast sonst eigentlich keinen Zutritt dort, aber das ist ein Notfall.“
 

Ihr Sohn nickte aufgeregt und war auch schon aus der Tür verschwunden. Sie drehte sich wieder um und beugte sich ein wenig über ihren zusammengekrümmten Schwager.
 

„Seto? Kannst Du mich hören?“
 

Der Brünette stöhnte laut und öffnete ein Auge. Er war also noch bei Bewusstsein und ansprechbar.
 

„Du musst versuchen, ruhig zu atmen, okay? Du hast vermutlich einen Herzinfarkt. Ich ruf gleich den Notarzt an, aber wir sind hier ziemlich weit draußen, es wird also eine Weile dauern, bis der da ist. Bleib einfach ruhig liegen und konzentrier Dich auf Deine Atmung, schaffst Du das?“
 

Es erklang ein zustimmendes Brummen und das Auge wurde wieder geschlossen. Eric kam in dem Moment mit dem Telefon in der Hand und etwas außer Puste durch die Tür gerannt.
 

„Hier Mama!“
 

Rebecca nahm ihrem Sohn das Telefon ab und wählte die 119 für den Notarzt.
 

„Notrufleitstelle Domino City, Misami Ayaka am Apparat, wie kann ich Ihnen helfen?“
 

„Rebecca Kaiba hier, Standort zurzeit in Seto Kaibas Ferienhaus an der Uka Bay nördlich von Domino City nahe des Shirayama Schreins. Seto Kaiba persönlich hat vermutlich gerade einen Herzinfarkt, da wir so weit draußen sind, wird vermutlich ein Helikopter notwendig sein. Er ist zwar bei Bewusstsein und auch ansprechbar, scheint aber sehr starke Schmerzen im Brustkorb zu haben. Seine Atmung ist flach, aber, soweit ich sehen kann, regelmäßig, was ihn vermutlich eine Menge Konzentration kostet. Keine Ahnung, wie lange er das durchhält. Hab ich irgendwas vergessen?“
 

„Wie schnell ist sein Puls?“
 

Rebecca beugte sich wieder etwas tiefer zu ihrem Schwager hinab und fühlte an der Halsschlagader nach dem Puls.
 

„Unregelmäßig und viel zu schnell.“
 

„Nicht gut. Ich schicke Ihnen sofort einen Helikopter vorbei, bewahren Sie Ruhe und achten Sie darauf, dass er bei Bewusstsein ist, sollte er ohnmächtig werden, könnte sein Herz aussetzen, dann müssen Sie versuchen, zu reanimieren.“
 

„Ich weiß, ich bin mit den Erste-Hilfe-Maßnahmen sehr gut vertraut, alleine schon meinem Sohn zuliebe.“
 

„Sehr vorbildlich, der Helikopter wird voraussichtlich in 10 Minuten bei Ihnen eintreffen.“
 

„Vielen Dank.“
 

„Das ist unser Job!“
 

„Trotzdem danke.“
 

„Keine Ursache.“
 

Die Dame am anderen Ende der Leitung legte auf und Rebecca senkte seufzend das Telefon.
 

„Was ist mit Onkel Seto?“
 

Eric war zu ihr auf das Bett gekrabbelt und schaute ganz besorgt auf seinen coolen Onkel, der im Moment irgendwie gar nicht so cool aussah. Rebecca nahm ihren Sohn in den Arm und strich ihm beruhigend durch sein blondes Haar.
 

„Mach Dir keine Sorgen. Er kommt wieder in Ordnung, ja? Er ist doch cool, oder nicht?“
 

Eric nickte eifrig, auch wenn er gerade ein paar Tränen in seinen hellblauen Augen hatte. Rebecca schaute hinab zu ihrem Schwager, der noch immer zusammengekrümmt dalag und leise stöhnte.
 

Sie glaubte ein kleines Lächeln auf seinem Gesicht zu sehen, aber vielleicht irrte sie sich auch.



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Kommentare zu dieser Fanfic (27)
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Von:  night-blue-dragon
2019-10-21T11:58:07+00:00 21.10.2019 13:58
Hi,

interessante Story. Schade, dass sie nicht abgeschlossen ist. Gerade an so einer spannenden Stelle aufzuhören ist echt fies.
Ich sollte es mir wirklich abgewöhnen nicht fertige Storys zu lesen. *grummel*

lg night-blue
Von:  marronja
2016-10-11T20:19:16+00:00 11.10.2016 22:19
Ich würde gerne weiter lesen
Das ist so spannend
Von:  Streber_Nr1
2016-10-07T09:08:34+00:00 07.10.2016 11:08
Machst du noch weiter? Oder hast du es aufgegeben?
Bittttteeeee mach weiter. Ich will wissen was passiert
Dein schreibstil ist einfach nur genial
Lg streber
Von:  kikoxd
2015-04-16T20:10:29+00:00 16.04.2015 22:10
Aaahhhh wie kannst du nur so ein Ende zu schreiben !! Jetzt warte ich gespanntwie sonst was auf das nächste Kapitel.
Schreib schnell weiter :)

LG Kiko

PS: tolle FF, auch die vorgänger FF war super :D
Von:  jessi2000
2015-03-25T19:54:34+00:00 25.03.2015 20:54
Super Kapitel ......hoffentlich geht es kaiba bald wieder gut were schade wenn nicht☺
Von:  Onlyknow3
2015-03-25T07:31:37+00:00 25.03.2015 08:31
Vielleicht weil Seto es zu lange verdrängt hatte und seine Psyche es nicht verkraftet hat damlas die Trennung von Joey. Dazu noch sein Unfruchtbarkeit, seine Kinderlosigkeit die Trennung von seiner Frau. Das alles zusammen hat den Infarkt wohl Ausgelöst. So sehe ich das. Bin gespannt wie weiter geht, und wie Mokuba darauf reagiert, das es seinem geliebten bruder so schlecht geht. Wird Seto sich jetzt seiner verdrängten Vergangenheit stellen, wird er sich wieder an Joey erinnern? Sehr gutes Kapitel, mach weiter so freue mich auf das nächste.

LG
Onlyknow3
Von:  Lunata79
2015-03-24T21:23:27+00:00 24.03.2015 22:23
Warum muss das gerade jetzt passieren? Jetzt, wo das Geheimnis Joey gerade Thema ist.
Hat Seto wirklich einen Herzinfarkt?
Na, ich bin gespannt, wie es weitergeht.

Lg
Lunata79
Von:  Niua-chan
2015-03-24T21:21:02+00:00 24.03.2015 22:21
Nicht das auch noch... wobei es eine gute Möglichkeit darstellt, ihn sich wieder Erinnern zu lassen.
Ich hoffe es ist nur ein leichter Herzinfarkt und dass es Seto schnell wieder gut geht.
Von:  Gmork
2015-03-24T21:06:50+00:00 24.03.2015 22:06
Au weia!
(Sorry, dass ich fast sämtliche FF'S von dir in meiner Favo-Liste habe und mich trotzdem nie melde. Bin momentan recht kommentier-faul, eigentlich nicht meine Art. Ich hoffe, du nimmst es mir nicht übel.)
Habe mich erstmal sehr gefreut, dass du hier weiter geschrieben hast. Mochte die Vorgeschichte von den beiden auch schon sehr gern und war sehr glücklich, dass es eine Fortsetzung gibt.
Der arme Seto. Du bist wirklich immer für Überraschungen zu haben. Damit hatte ich nun wirklich nicht gerechnet. Alles nur wegen den blöden Erinnerungen. Ich hoffe, dass er wieder wird. Irgendwie hab ich den gefühlskalten, arroganten Seto viel lieber. Ausnahme ist natürlich, wenn er lieb zu Joey ist :))
Gott sei Dank hatte er gerade Besuch, als das passiert ist. Nicht auszudenken, wenn ihn niemand gefunden hätte.
Ansonsten hab ich nicht mehr viel zu sagen, außer, dass du schön flüssig schreibst und ich auch kaum bis gar keine Rechtschreibfehler ausmachen kann.. bei deinen anderen tollen FF'S übrigens genauso. =)
Fazit: Ich bin sehr gewillt an deinen Geschichten dran zu bleiben und vielleicht ab und zu auch mal was dazu zu schreiben und freue mich schon auf die nächsten Kapitel. Sorry, für den recht kurzen Kommentar, ist schon spääät.

Immer weiter so,
Anni

Antwort von:  Nightprincess
24.03.2015 22:21
Ich freue mich sehr, dass ich es immer noch schaffe, meine Leser zu überraschen. Manchmal überrasche ich mich sogar noch selbst, wenn sich meine Geschichten irgendwie selbstständig machen und teilweise in eine überraschende Richtung gehen, während ich ein Kapitel schreibe, genau das ist mir nämlich bei dem neuen Kapitel zu Happy Birthday, Joseph passiert, die ganze Krankheitsgeschichte von dem Seto dort war vorher überhaupt nicht geplant. Die Herzinfarktsache in dieser Geschichte hier hatte ich allerdings schon ganz am Anfang im Kopf, auch dass ausgerechnet der kleine Eric ihn findet. Irgendwie passte das ganz gut rein.
Was die Rechtschreibung angeht. Ich habe zwar keinen Beta-Leser, aber ich lese meine Kapitel meist mehrmals durch, bevor ich sie öffentlich stelle, aber selbst danach finde ich oftmals noch den einen oder anderen Fehler, den ich dann noch berichtige. Sind meist nur Kleinigkeiten, aber selbst die stören mich halt ^^
Von:  Onlyknow3
2015-02-15T19:31:07+00:00 15.02.2015 20:31
Was wenn Joey mit seiner vermutung recht hat, und Seto und Mokuba das wirklich haben. Dann hatte er die ganzen Jahre eine Grundlose wut auf die beiden. Wärend ich bei Seto wohl eher glaube das er genau weiß wer das Bild gemalt hat und das er auch der Grund ist das es mit seiner Frau nicht geklappt hat. Mach weiter so, freue mich auf das nächste Kapitel.

LG
Onlyknow3



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