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Der leere Hof meines Herzens

von

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1. Advent: Der Fund

Der Fund
 

„Sie dürfen die Braut jetzt küssen.“

Kaum wurden diese Worte ausgesprochen, sahen sich die beiden Frischvermählten verliebt in die Augen und unter dem Jubel und dem Applaus aller Hochzeitsgäste küssten sie sich.

Die Kirche war erfüllt mit Glück und Liebe.

Einzig der Priester, der diese Worte soeben ausgesprochen hatte, empfand nicht so. Mit gleichgültigem Gesichtsausdruck sah er zu, wie das Brautpaar durch die Bankreihen nach draußen schritt, hinein in ihr neues, gemeinsames Leben.

Er musste an seine eigene Hochzeit zurückdenken. Damals hatte er gehofft, eine Ehe zu führen, würde etwas Normalität in sein sonst so chaotisches Leben bringen, dass sonst nur von Tod und Einsamkeit bestimmt war. Und das es ihn glücklich machen würde. Letztendlich hatte er sich nur seinen Irrtum eingestehen müssen. Claudia hatte ihn zwar geliebt, er sie aber nicht. Das zu erkennen, war sehr bitter gewesen.

Als sie dann nach langer Krankheit verstarb, erschrak er darüber, wie wenig ihn das kümmerte. Liebe und Familienleben hatten ihm nicht das erhoffte Glück gebracht. Vielleicht gab es für ihn einfach kein Glück? Keine Erlösung? Er musste sich wohl damit abfinden, dass er einsam und innerlich tot war.

Der Priester warf einen Blick in seine nun leere Kirche und stieß einen tiefen Seufzer aus. Was für einen Dreck die Hochzeitsgäste doch hinterlassen hatten. Jetzt war es wohl an ihm, hier aufzuräumen.

Er wollte sich gerade an die Arbeit machen, als eine hämische Stimme ihn davon abhielt.

„Was soll der Seufzer? Du klingst ja, wie ein alter Mann.“

Neben ihn, auf einer der Kirchenbänke, materialisierte sich in goldenem Licht ein junger, blonder Mann. Ein Bein über das andere geschlagen und die Arme über die Rücklehne gehängt, grinste er den Priester breit an. „Kirei… ich dachte eigentlich, dass eine Hochzeit ein fröhlicher Anlass wäre, aber wenn man dir ins Gesicht sieht… könnte man meinen, man wäre zu Gast auf einer Beerdigung. Obwohl du ja immer so ein Gesicht machst.“

Kirei ignorierte die boshafte Bemerkung und machte sich ungerührt ans Aufräumen.

Der blonde Mann sah ihm eine Weile zu, dann sah er hinauf zum Altar und betätigte sich weiter als Alleinunterhalter. „Ich muss zugeben, dass ich eure heutige Auffassung von der Ehe nicht verstehen kann. Eine Frau für ein ganzes Leben.“

„Die Männer von heute sind nun einmal der Auffassung, dass sie nur die Frau heiraten sollten, die sie lieben, Gilgamesh“, antwortete Kirei beiläufig.

Gilgamesh schnaubte verächtlich. „Ihr verbindet tatsächlich heiraten mit Liebe?“

„Du sagst das, als hättest du nie aus Liebe geheiratet.“

„Hab ich auch nicht.“

„Dann hast du deine Frau aus politischen Gründen geheiratet?“

Gilgamesh hob überrascht eine Augenbraue. „Ich war doch nie verheiratet. Ich hatte Frauen, die mir zu Diensten waren, aber eine Ehefrau hatte ich nie.“

Kirei nickte verstehend. Offenbar stimmte die Legende über den Heldenkönig von Babylon nicht in jedem Detail. Als er die Bilder über Gilgamesh in einem Buch sah, hätte er nie erwartet, dass es sich bei dem König von Uruk um einen blonden Schönling gehandelt hatte.

Der Priester räumte den restlichen Müll weg und antwortete dabei mal mehr, mal weniger auf Gilgamesh’s Äußerungen über die Ehe.

Nachdem er alles in Müllsäcke gestopft hatte, warf er sie sich über die Schulter und ging zur Tür. „Ich entsorge das hier und kaufe dann was zum Abendessen ein. Bin bald zurück“, sagte er und wollte gehen, als Gilgamesh neben ihm auftauchte.

„Willst du mich hier etwa allein lassen?“, murrte der Blonde.

Kirei musterte den Geist schweigend. Er kannte ihn gut genug, um zu wissen, dass es nichts brachte, mit ihm zu diskutieren. Also ging er zur Tür hinaus, wissend, dass sein zweiter Schatten ihm folgte.
 

Auf dem Weg zur Müllsammelstelle schnatterte Gilgamesh unaufhörlich weiter. Kirei lief schweigend vorweg, sich darüber wundernd, wie dieser König die ganze Zeit weiterreden konnte, obwohl er keine Antwort erhielt. Offenbar liebte er es, sich selbst reden zu hören.

„Was kochst du heute eigentlich?“, fragte Gilgamesh schließlich.

Kirei warf die Müllsäcke zu den anderen und zuckte mit den Schultern. „Weiß nicht. Warum fragst du überhaupt? Du isst es ja doch nicht.“

„Wie wäre es denn, wenn du mal was Richtiges kochst, statt immer dieses Fertigzeugs… Was ist los?“

Kirei stand wie versteinert da und sah recht verwundert aus.

„Ich bin nicht sicher…“, murmelte der Priester und beugte sich wieder zu den Müllsäcken hinunter. Vorsichtig schob er ein paar von ihnen zur Seite und dann sah er es diesmal deutlich: zwischen den Müllsäcken lag, eingewickelt in eine weiße Decke, ein kleines Baby! Kirei klappte der Mund auf. Er hatte sich tatsächlich nicht geirrt.

Sofort hob er das kleine Bündelchen vorsichtig hoch und drückte es an sich. Das arme, kleine Ding war ganz kalt.

„Lebt es noch?“, fragte Gilgamesh ebenso überrascht.

Kirei fühlte den Puls. „Ja, es lebt noch. Aber es ist ganz kalt.“ Sofort wickelte der Brünette das Baby halb aus und legte ihm eine Hand auf den Bauch. Ein grünes Licht strömte aus seiner Handfläche und nach einigen Sekunden regte sich das Kleine und schrie laut. Kirei seufzte erleichtert. „Zum Glück, die Heilmagie hat gewirkt. Das Baby hatte hier offenbar nicht allzu lange gelegen, sonst hätten wir es ins Krankenhaus bringen müssen. Trotzdem muss es dringend ins Warme. Hier.“ Er drückte das Baby dem Blonden in die Arme.

Der war reichlich verwirrt. „Was soll ich denn damit?!!“

„Bring es zurück in die Kirche! Da ziehst du ihm die Sachen aus und wickelst es in eine warme Decke ein. Setz dich dann vor den Kamin, damit es sich wärmen kann.“

Gilgamesh verzog wütend das Gesicht. „Du wagst es, mir Befehle zu erteilen?“

Kirei seufzte. „Um Himmels Willen! Jetzt ist wirklich nicht die Zeit dafür! Dieses Baby braucht jetzt wirklich Hilfe, also bitte mach das jetzt und ich koche dir dafür was Richtiges, okay?“

Gilgamesh musterte sein Gegenüber. Zum ersten Mal, seit sie sich kannten, sah er aufrichtige Sorge im Gesicht dieses Mannes. „Na gut, dieses eine Mal werde ich gnädig sein… Und was machst du?“

„Ich hole Babynahrung und Windeln. Für das Baby“, erwiderte Kirei und lief davon.

Gilgamesh runzelte die Stirn. Was für ein Tag! Jetzt musste er auch noch Babysitter spielen.

Seufzend kehrte er zur Kirche zurück, um die Anweisungen zu befolgen.
 

Einige Zeit später kehrte Kirei ebenfalls in die Kirche zurück, mit Windeln, Babymilch und Essen im Gepäck.

Er wurde bereits von einem genervten Gilgamesh erwartet. „Da bist du ja endlich!“, polterte er und hielt ihm das krähende Baby hin. „Ich habe getan, was du wolltest, aber es hört immer noch nicht auf, zu schreien! Mir platzt fast der Kopf! Stell das sofort ab!“

Der Priester stellte die Einkaufstüten ab und nahm das Baby in den Arm. Sanft wiegte er es hin und her und brachte es zur Überraschung des Heldenkönigs mit Leichtigkeit zur Ruhe.

„Siehst du? So einfach ist das. Und jetzt machen wir erst einmal ein leckeres Essen für dich“, sagte Kirei sanft.

„Das wird auch Zeit“, moserte Gilgamesh, schnappte sich die Tüten und ging in Richtung Küche. „Ich bin schon am Verhungern!“

Kirei hob eine Augenbraue. „Ich habe eigentlich mit dem Baby geredet.“

Wütend wirbelte Gilgamesh herum. „Soll das etwa heißen, dass ich getan habe, was du wolltest und bekomme dafür nicht einmal was zu Essen?!“, zischte er zornig.

„Natürlich bekommst du was“, beruhigte Kirei ihn. „Aber erst mache ich dem Baby etwas zu Essen. Wer weiß, wann es zuletzt gefüttert wurde?“

Gilgamesh verzog das Gesicht. „Ich wurde auch schon eine Weile nicht mehr gefüttert“, moserte er und trug die Tüten in die Küche.

„Daran bist du ja wohl selbst schuld“, gab Kirei kühl zurück.

„Wie kannst du es wagen?! Denk lieber daran, was du versprochen hast: heute bekomme ich etwas Richtiges zu Essen, klar?!“
 

Nachdem er das Baby – und Gilgamesh – gefüttert hatte, wechselte er dem Baby, das sich als Junge entpuppte, die Windeln und wickelte es in eine warme Decke. Nun lag es auf der Couch und schlief selig.

Kirei kniete neben der Couch und beobachtete es.

Gilgamesh beobachtete ihn eine Weile dabei, dann stieß er sich von der Wand, an der er gelehnt hatte, ab und sagte: „Wir sollten auch langsam mal schlafen gehen. Es ist schon spät.“

Kirei antwortete nicht, was den König ziemlich verärgerte. „Kirei! Hörst du?!“

Genervt legte der Priester einen Finger auf den Mund. „Sscht! Nicht so laut!“, flüsterte er. „Du weckst das Baby noch auf! Du kannst dich ja schlafen legen, wenn du so müde bist. Ich bleibe noch eine Weile hier.“

Zu Gilgamesh’s Verwunderung ignorierte Kirei ihn wieder und widmete sich dem kleinen Bündelchen. Unschlüssig stand der Blonde im Raum und wusste nicht recht, was er tun sollte.

„Keine Sorge, mir geht es gut“, fügte Kirei schließlich hinzu.

Der König seufzte und ging allein ins Schlafzimmer.

Der Priester faltete die Hände ineinander und stützte sein Kinn darauf, während er das Baby weiter beobachtete, wie es friedlich schlief. Ein sanftes Lächeln stahl sich auf sein sonst so ausdrucksloses Gesicht. „Mir geht es gut…“
 

~ to be continued ~

2. Advent: Gib dem Kind einen Namen!

Gib dem Kind einen Namen!
 

Eine Woche war vergangen, seit Kirei und Gilgamesh ein kleines Baby in einer Müllsammelstelle aufgelesen hatten.

Der kleine Junge war wieder völlig gesund und brachte viel Leben in die Kirche von Fuyuki – sehr zum Leidwesen von Gilgamesh, der schon seit Tagen nicht mehr richtig durchgeschlafen hatte, da das Baby ständig weinte.

Kirei verstand nicht, worüber sein Servant sich eigentlich beklagte. Immerhin war der Priester es, der nachts aufstand und das Baby beruhigte.

Doch es gab noch eine Unstimmigkeit zwischen den beiden Partnern.

„Ich verstehe immer noch nicht, warum du das nicht machen willst“, warf Gilgamesh ein.

Kirei war gerade dabei, dem Baby die Windeln zu wechseln, und rollte genervt mit den Augen. „Fängst du schon wieder damit an? Ich will es nicht machen, weil es sinnlos wäre“, erwiderte er bestimmt. Sein Tonfall gab zu verstehen, dass das Thema für ihn damit beendet war.

Damit hatte er bei dem König von Babylon jedoch keine Chance.

„Warum sinnlos? Das weißt du doch gar nicht!“

Kirei seufzte. „Ich erkläre es dir gern noch mal. Ich möchte einfach keinen Aufruf starten, weil ich davon überzeugt bin, dass sich sowieso keiner darauf meldet. Das Baby lag im Müll! Warum sollte ich also nach seinen Eltern suchen?“

„Möchtest du etwa nicht wissen, warum sie es ausgesetzt haben? Vielleicht war es ja ganz anders? Möglicherweise waren es gar nicht die Eltern, sondern ein anderer? Und selbst wenn… könnte es Verwandte haben, wie die Großeltern, die danach suchen.“

„Ob du es glaubst oder nicht, aber diese Möglichkeit habe ich auch schon in Betracht gezogen. Jeden Tag lese ich die Zeitung und schaue die Nachrichten, ob irgendjemand eine kleinen Jungen vermisst. Aber bisher gab es nicht einmal einen Satz in diese Richtung. Glaub mir, Gilgamesh. Niemand sucht dieses Baby.“

Der blonde, junge Mann verengte seine Augen und beäugte seinen Master misstrauisch. „Ich habe so das Gefühl, es gibt einen anderen Grund, warum du nicht nach seinen Eltern suchen willst. Wenn du jetzt nach ihnen suchen lässt, könnte die Polizei auf den Fall aufmerksam werden. Die hättest du eigentlich sofort informieren müssen, damit sie sich der Sache annimmt. Und wenn sie keine Verwandten finden können, geben sie das Baby in ein Heim, bis es adoptiert wird. Und genau das willst du nicht. Du willst das Baby behalten, habe ich recht?“

Kirei antwortete nicht. Mit starrem Blick fixierte er das Baby, das vor ihm auf der Couch lag und energetisch mit den Beinchen und Ärmchen zappelte.

Gilgamesh wartete ein paar Sekunden, dann seufzte er stumm und fügte hinzu: „Wie es scheint, liege ich wohl damit richtig. Ich gebe zu, ich kann nicht nachvollziehen, wie man Vatergefühle für ein wildfremdes Kind entwickeln kann, aber offensichtlich ist das hier der Fall. Ich kann dir nur raten, dich nicht emotional auf das Baby einzulassen, denn wenn tatsächlich irgendwo Familie hat, die es wiederhaben will, wird diese ganze Geschichte sehr schmerzhaft für dich enden. Je schneller du den Knirps weggibst, desto besser ist es für dich, glaub mir.“

„Tenshi.“

„Hä?“

Kirei hob das Baby hoch und lächelte ihm sanft ins Gesicht. „Ich werde dich Tenshi nennen. Das ist ein schöner Name…“

Gilgamesh, der an der Wand neben der Couch lehnte, knickte mit einem Bein weg. „HÖR MIR GEFÄLLIGST ZU, KÖTER!!!!

„Ich habe dir zugehört, du selbstgefälliger König. Und wenn es dich glücklich macht, dann ja. Du hast recht. Ich will das Baby nicht an die örtlichen Behörden abgeben. Im Grunde ist es mir egal, welcher Grund dazu geführt hat, dass das Baby an diesem Ort gelandet ist. Wer auch immer dafür verantwortlich ist, irgendjemand in seiner Familie ist schlecht für das Baby – und die anderen haben ihn einfach gewähren lassen, statt das Kind zu beschützen! Und was die Behörden angeht – ich glaube kaum, dass die Jemanden finden können, der besser für das Kind sorgen kann, als ich.“

„Tatsächlich?“, fragte Gilgamesh wenig überzeugt. „Soviel ich weiß, bist du auch nicht viel besser, als die Leute, die du hier anklagst. Hast du dein Kind nicht ebenfalls weggegeben?“

Jetzt war Kirei doch überrascht. Er hatte dem Blonden nichts davon erzählt. Woher wusste er es also?

Der König schien diese Frage aus dem Gesicht des Priesters lesen zu können. „Ich habe zufällig zugehört, wie dein Vater Tokiomi davon erzählt hatte“, erklärte er und Kirei verzog verärgert das Gesicht. „Dein Vater meinte, du hättest deine kleine Tochter abgeschoben, nachdem deine Frau das Zeitliche gesegnet hatte. Und gerade du erlaubst es dir, ein Urteil über andere zu fällen?“

„Ich habe Caren nicht »abgeschoben«“, knurrte Kirei. Er war wütend, dass sein Vater mit Außenstehenden über solche Dinge gesprochen hatte. Wieder einer dieser Momente, in denen der junge Mann solche Wut auf seinen Vater verspürte, dass er ihn am Liebsten ermordet hätte. Ein schrecklicher Drang in ihm, hervorgerufen durch einen tief sitzenden Groll. Innerlich hatte er seinen Vater immer dafür gehasst, dass dieser ihm seinen Lebensweg aufgedrängt hatte. Doch da man ihm im Internat speziell für Ordensmitglieder Gehorsamkeit gegenüber Autoritäten eingebläut hatte, wagte er es nie, sich gegen ihn aufzulehnen. Dass sein Vater dies alles nur getan hatte, weil er ihn liebte und nur sein Bestes wollte, glaubte er ihm nicht mehr. Jedenfalls war dies der Schluss, zu dem Kirei nach dem Ende des Gralskrieges gekommen war. Ob dies der Wahrheit entsprach, würde er ohnehin nicht mehr herausfinden können – sein Vater war tot.

Aber so ein schlechter Vater wie sein eigener war er ganz sicher nicht! Und nach kurzem Zögern entschied er, dass Gilgamesh ruhig mehr darüber erfahren sollte.

„Als Caren geboren wurde… ging es Claudia gesundheitlich schon nicht mehr so gut. Nach einem Jahr war sie so schwach, dass sie oft nichts mehr allein machen konnte. Ich musste sie rund um die Uhr pflegen. Es dauerte nicht lange, bis ich mit der Doppelbelastung - Claudia zu pflegen und das Baby zu versorgen - überfordert war. Zudem schien es, als würde Caren spüren, wie schlecht es ihrer Mutter ging. Sie weinte oft, wenn sie bei ihrer Mutter war und wollte irgendwann nicht mehr zu ihr. Schließlich entschied ich mich dazu, Caren zu Claudia’s Eltern zu geben, damit sie vom Leid ihrer Mutter ferngehalten wird. Als Claudia dann gestorben war… wollte ich meine Tochter wieder zu mir holen.“

Nun war es Gilgamesh, der aufrichtig überrascht war. Davon hörte er zum ersten Mal.

„Und… warum ist sie nicht hier?“, fragte er vorsichtig.

Kirei schloss die Augen und schwieg ein paar Sekunden. Schließlich fuhr er fort: „Meine Schwiegereltern wollten sie mir nicht wiedergeben. Angeblich, weil es Caren bei ihnen besser hätte. Doch ich wusste genau… worum es in Wirklichkeit ging. Sie mochten mich nicht. Wäre es nach ihnen gegangen, hätte Claudia mich nie geheiratet. Und nachdem sie schon ihre Tochter an mich verloren hatten, wollten sie wenigstens über das Leben ihrer Enkelin frei verfügen. Wie ich hörte, erziehen sie sie streng religiös und haben sie auf dasselbe Internat geschickt, auf dem ich als Kind war. Wenn sie dann alt genug ist, soll sie Mitglied unseres Ordens werden.“

„Und du… wolltest das alles nicht?“

Kirei schüttelte den Kopf. „Claudia und ich haben schon vor unserer Hochzeit entschieden, dass, wenn wir mal Kinder haben, wir sie zwar religiös erziehen werden, dies aber keinesfalls ihr ganzes Leben bestimmen soll. Sie sollten selbst wählen, welche Rolle Religion in ihrem Leben spielen soll. Meinen Schwiegereltern passte das gar nicht. Sie versuchten, Claudia umzustimmen, aber sie hörte nur noch auf mich.“

Wieder schwieg Kirei eine Weile, dann sah er zu Gilgamesh auf und sagte leise: „Vielleicht hast du nicht ganz unrecht. Ich war kein besonders guter Vater, immerhin habe ich meine Tochter zu Menschen gegeben, von denen ich hätte wissen müssen, dass sie nicht gut für sie sind. Aber genau deswegen möchte ich Tenshi auf keinen Fall hergeben! Es könnte doch sein, dass er ebenso zu Menschen kommt, die ihm nicht gut tun. Es war Schicksal, dass ich dieses Baby gefunden habe. Davon bin ich überzeugt. Denn seit Tenshi in mein Leben getreten ist… fühle ich, wie die Leere in mir verschwindet…“

Kirei hob das Baby hoch, legte es sich in die Arme und betrachtete es liebevoll.

Gilgamesh ließ ihn mit dem Baby allein.

Er wusste bereits, dass Kirei einsam und lebensmüde war. Doch in diesem Augenblick merkte der König zum ersten Mal, wie einsam sein Partner wirklich war. Umso besorgter war er, wenn er an die leiblichen Eltern dachte. Was, wenn sie nach dem Kind suchten und es hier fanden?
 

~ to be continued ~

3. Advent: Der babysittende König

Der babysittende König
 

Kirei hätte es nie für möglich gehalten, etwas so Albernes zu machen, wie Grimassen zu schneiden. Doch seit Tenshi in sein Leben getreten war, tat er solch peinliche Dinge wie automatisch, ohne sich Gedanken darüber zu machen, wie er dabei aussah.

Und in diesem Moment war es einfach nötig, dass Baby irgendwie zu beruhigen. Das klappte auch ganz gut, er hörte schnell auf, zu weinen. Doch wenn Gilgamesh nicht bald fertig werden würde, würde das Gequengel gar nicht mehr aufhören.

Tenshi hatte Hunger.

Und zu Kirei’s großer Überraschung hatte sich sein Servant dazu bereiterklärt, das Fläschchen für das Baby zuzubereiten. Das hatte er noch nie machen wollen. Was wohl in ihn gefahren war? Und warum brauchte er bloß solange dafür? Immer wieder war lautes Gepolter aus der Küche zu hören. Am Liebsten wäre er sofort hingestürmt, um nachzusehen, was der Blonde da so trieb, aber er hatte ihm versprechen müssen, ihn das allein machen zu lassen.

Plötzlich näherten sich Schritte aus dem Flur.

Erleichtert, dass Gilgamesh es offenbar doch endlich geschafft hatte, wandte sich Kirei der Tür zu – und alle Gesichtszüge entgleisten ihm. Ein erschöpft lächelnder Gilgamesh stand dort und er war voller Milchpulver. Er sah aus, als wäre mehr Milchpulver auf seinem Körper gelandet, als in dem Babyfläschchen, das er ihm nun vor die Nase hielt.

„Siehst du? Ich hab es doch geschafft!“, verkündete er stolz.

„Uh-hu…“, murmelte der Priester, ihn immer noch fassungslos anstarrend. Dann schnappte er nach dem Fläschchen, doch der König entzog es seiner Hand.

„Warum willst du es denn jetzt haben?“, wunderte er sich. „Ich dachte, ich füttere ihn?“

„Eher nicht. Du wirst jetzt zurück in die Küche gehen und dort saubermachen.“

„Wie bitte?!“

„Ich gehe mal davon aus, dass es jetzt dort aussieht, wie nach einem Schneefall. So, wie du jetzt aussiehst…“

Gilgamesh’s Gesichtszüge verhärteten sich. „Du wagst es, so mit mir zu reden?“, sagte er im leisen, bedrohlichen Tonfall.

Kirei musterte ihn nachdenklich, dann erhob er sich und – zu Gilgamesh’s Überraschung – wischte ihm mit dem Daumen sanft etwas Milchpulver von der Wange. Der Blonde erstarrte.

„Du solltest dich auch etwas säubern“, flüsterte er, seine Hand ruhte auf seiner Wange. „Ein König sollte nicht so herumlaufen.“

Gilgamesh senkte seinen Kopf und murmelte kaum hörbar: „Ist gut“, drückte seinem Gegenüber dann die Flasche in die Hand und ging.

Kirei konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen. Inzwischen wusste er ganz genau, wie er mit dem eigensinnigen König reden musste, damit dieser spurte.
 

Es vergingen ungefähr zwei Stunden, bis Gilgamesh endlich damit fertig war, die Küche zu säubern und sich es dann bei einem Bad gemütlich zu machen.

Als er ins Zimmer zurückkam, stellte er fest, dass Kirei eingeschlafen war. Tenshi lag immer noch auf der Couch und machte ebenfalls ein Nickerchen.

Mit einem Seufzer ließ sich der König in einem Sessel nieder und beobachtete die beiden Schlafmützen eingehend. Vor allem Kirei. Seit der Knirps ein Teil dieser Wohngemeinschaft geworden war, kümmerte sich Kirei Tag und Nacht um ihn. Er war es, der nachts aufstand und das Baby beruhigte, wenn es weinte. Er war es, der mit ihm spazieren ging. Er fütterte ihn, badete ihn, wickelte ihn. Das zerrte manchmal ganz schön an seinen Kräften, dass war dem Blonden rasch aufgefallen. Darum hatte er beschlossen, ihm ab und an zur Hand zu gehen. Das Fläschchen zuzubereiten, sollte der erste Schritt werden… doch irgendwie hatte das nicht wirklich geklappt. Der König musste sich wohl oder übel eingestehen, dass er viel zu wenig über Babys wusste, um eine wirkliche Hilfe zu sein.

Mehr aus dem Drang heraus, irgendetwas zu machen, als aus wirklichem Interesse an seinem Inhalt, griff Gilgamesh nach der Zeitung, die auf dem Tisch lag, und blätterte darin.

Auf einer Seite hielt er plötzlich inne. Ein Artikel erregte seine Aufmerksamkeit: Sind Sie gerade Eltern geworden? Oder werden Sie bald Eltern? Sind Sie sich unsicher, wie Sie mit Ihrem Baby umgehen sollen? Dann kommen Sie heute um 14:00 Uhr ins Rathaus. Dort gebe ich für alle Eltern und andere Interessierte einen Kurs, wie man richtig mit Babys umgeht. Ich freue mich auf Sie.

Gilgamesh schmunzelte. Das war wohl wieder ein Beweis dafür, dass das Glück ihm stets hold war. Dieser Kurs war genau das Richtige! Er warf einen Blick auf die Uhr. Es war halb zwei. Das konnte er noch schaffen.

Ein leises Gebrabbel weckte seine Aufmerksamkeit. Das Baby war wach.

Gilgamesh erhob sich, legte die Zeitung auf den Tisch und näherte sich der Couch. „Na? Was hältst du davon, wenn wir beide einen kleinen Ausflug machen?“ Vorsichtig, um Kirei nicht zu wecken, hob er Tenshi hoch, nahm ihn auf den Arm und verließ leise das Zimmer.
 

Als Kirei wieder aufwachte, war es bereits dunkel im Zimmer.

Immer noch schläfrig, hob er seinen Kopf und rieb sich die Augen. So tief und fest hatte er schon lange nicht mehr geschlafen. Ein Baby im Haus zu haben, war eben manchmal sehr anstrengend und kräftezehrend.

Tenshi…

Warum hatte Tenshi ihn eigentlich nicht schon längst geweckt?

Plötzlich war Kirei hellwach. Er sprang auf, eilte zu seinem Schreibtisch und schaltete die Lampe an. Das Zimmer war leer. Kein Tenshi zu sehen.

Kirei schnappte leicht nach Luft. Sein erster Impuls war, die Kirche nach ihm abzusuchen, als sein ordnungsliebendes Auge auf den Couchtisch und auf die dort liegende, aufgeschlagene Zeitung fiel. Die hatte er ganz gewiss nicht dort liegen lassen. Er war sich sicher, sie ordentlich zusammengefaltet zu haben, nachdem er sie ausgelesen hatte. Hatte Gilgamesh sie aufgeschlagen?

Kirei ging zum Couchtisch und überflog die Seite, nach etwas suchend, dass ihm antworten gab. Schließlich fand er den Artikel über den Elternkurs. Er runzelte die Stirn. Er bezweifelte, dass Gilgamesh dorthin gegangen war. Andererseits benahm der König sich schon den ganzen Tag äußerst seltsam. Er hatte darum gebeten, das Fläschchen zuzubereiten. Sonst wollte er nie etwas für das Baby tun.

Kirei beschloss, zum Rathaus zu gehen und in diesem Kurs nach seinem Tenshi und dessen „Entführer“ zu suchen.
 

Als Kirei im Rathaus eintraf, kamen ihm schon einige Elternpaare entgegen. Offenbar war der Kurs bereits beendet.

Die Menge nach Gilgamesh und Tenshi absuchend, ging Kirei immer weiter in das Gebäude hinein. Ein Raum im zweiten Stock war als Austragungsort des Kurses gekennzeichnet.

Der Priester warf einen Blick hinein und fand schließlich den Übeltäter. Er unterhielt sich mit der Leiterin des Kurses, während Tenshi in einem Kinderstall saß und mit einer Rassel spielte. Kirei verzog das Gesicht. Er war in völliger Sorge und dieser selbstverliebte Fatzke flirtete hier in aller Seelenruhe mit irgendeinem Weib!

Wütend ging Kirei zum Kinderstall, hob Tenshi heraus, nahm ihn auf den Arm und ging ohne ein Wort hinaus.

Gilgamesh sah gerade noch, wie sein Partner zur Tür hinauslief. Schnell schnappte er sich seine Jacke und eilte ihm nach. „Hey! Jetzt warte doch mal!“, rief er ihm nach. „Woher wusstest du überhaupt, dass wir hier sind?“

„Gewiss nicht deshalb, weil du mir eine Nachricht hinterlassen hast“, knurrte Kirei giftig zurück und schritt stur weiter. Hinter sich vernahm er ein lautes Stöhnen.

„Bist du jetzt etwa sauer? Verschon mich bitte damit, Kirei. Ein Mann sollte sich nicht wie ein Weib benehmen.“

Kirei ignorierte ihn und verließ das Rathaus.

Draußen auf dem Gehweg holte Gilgamesh ihn schließlich ein.

„Würdest du bitte aufhören, mich zu ignorieren? Ich kann das nicht leiden.“

Kirei blieb so plötzlich stehen, dass der König gegen seinen Rücken prallte. Mit kaltem Blick drehte er sich zu ihm um. „Was kümmert es mich, was du leiden kannst und was nicht? Du hast Tenshi benutzt, um in diesem Kurs Weiber aufzureißen! Hast du behauptet, du wärest alleinerziehender Vater, um ihr Mitleid zu erhaschen? Du bist wirklich unmöglich!“

Jetzt war es Gilgamesh, der ernsthaft sauer wurde. „Ich wollte niemanden aufreißen!“, schnauzte er beleidigt. „Ich wollte in diesem Kurs lernen, wie man sich um ein Baby kümmert. Schließlich besitze ich keinerlei Erfahrung auf diesem Gebiet.“

„Warum musstest du unbedingt lernen, wie das geht?“

„Weil du ständig erschöpft bist! Du reißt dir förmlich beide Beine aus, um für den Knirps zu sorgen! Ich dachte, wenn ich weiß, wie man ein Baby versorgt, könnte ich dich etwas entlasten.“

Nun war Kirei überrascht. Das hätte er wirklich nicht erwartet. Besänftigt lief er weiter. „Du hättest es mir trotzdem sagen müssen“, sagte er tadelnd.

Gilgamesh zog eine Schnute. Ihm war völlig klar, dass er einen Fehler gemacht hatte, doch zugeben würde er das niemals. Aber irgendwie musste er das wieder geradebiegen.

Nach einer Weile sah der König die Lösung für sein Problem. Schnell überholte er den Priester und baute sich vor ihm auf, um ihn zum Anhalten zu bewegen.

„In dem Kurs wurde erwähnt, dass Babys viele Dinge benötigen. Ein Bett, einen Kinderwagen, eine eigene Wanne, Spielzeug und so weiter. Wir haben allerdings nichts davon. Nur Windeln, Babynahrung… eben das Nötigste.“

Kirei hob eine Augenbraue. „Ich weiß, dass wir das Alles nicht haben. Aber du weißt doch, dass ich nicht das Geld habe, um es zu kaufen.“

Gilgamesh schmunzelte überlegen. „Ich weiß. Und darum mache ich dir einen Vorschlag. Wir beide gehen jetzt in diesen Baby-Artikelladen und kaufen alles, was wir brauchen – und ich bezahle. Und dafür nervst du mich nicht mehr mit dieser Geschichte.“

Kirei schüttelte den Kopf. „Ich kann dich doch nicht bezahlen lassen…“, protestierte er, doch der blonde König war bereits im Laden verschwunden. Der Priester überlegte kurz, dann folgte er ihm zögernd.

Ein für ihr beider Geschmack zu fröhlicher Verkäufer kam auf sie zu. „Guten Abend, die Herren. Wie kann ich Ihnen behilflich sein?“

„Wir sind hier, um Sachen für das Baby zu kaufen. Gib ihm alles, was er benötigt. Geld spielt keine Rolle“, verkündete Gilgamesh großspurig und zog dann, wie von Zauberhand, einen Goldbarren aus seiner Jackentasche. „Davon kriegst du soviel du willst, wenn du deine Sache gut machst.“

Der Verkäufer bekam regelrecht Stielaugen, als er den Barren sah. Sofort wurde er ganz euphorisch und rieb sich freudig die Hände. „Selbstverständlich, werter Herr. Wenn Sie mir bitte folgen möchten? Woran haben Sie denn gedacht?“

Mit überheblichem Grinsen sah sich Gilgamesh im Laden um, der Verkäufer lief plappernd vor ihm her und behandelte ihn wie einen König – also genau nach seinem Geschmack.

Kirei seufzte nur über dieses ganze Getue und suchte sich einen Sitzplatz. Er beschloss, das Einkaufen auch Gilgamesh zu überlassen. Er hatte ja jetzt sooooviel Ahnung.

Also saß er mit dem Baby auf einem weichen Sitzkissen und rief dem Blonden ab und an eine Bemerkung zu. Nach einer Weile gewann Kirei den Eindruck, dass es dem König Spaß machte, einzukaufen. Das ließ ihn schmunzeln. Wer benahm sich jetzt wie eine Frau? Begeistert eilte der König auf ihn zu und hielt ihm etwas unter die Nase. „Sieh nur, was für tolle Sachen es hier gibt! Das hier zum Beispiel! Ich habe so etwas schon mal gesehen. Allerdings… irgendetwas stimmt hier nicht so ganz… Ist das hier so was wie ein Bierzapfer für Babys?“

Kirei lachte amüsiert. „Das ist kein Bierzapfer für Babys. Das ist eine Milchpumpe. Frauen pumpen damit die Muttermilch ab, wenn sie ihr Baby nicht stillen können. So etwas brauchen wir nicht.“

Gilgamesh musterte die Milchpumpe angewidert und brachte sie schnell ins Regal zurück.

Wieder lachte Kirei. Manchmal hatten sie wirklich viel Spaß zusammen.
 

Zur selben Zeit, einige Straßen weiter, durchstreifte ein Mann die Straßen, über den sich Kirei gewiss nicht gefreut hätte. Er und Gilgamesh galten zwar als die offiziellen Gewinner des Gralskrieges, doch waren sie nicht die einzigen Überlebenden.

Von den ursprünglich sieben Mastern, die an diesem Krieg teilnahmen, überlebten lediglich drei. Einer von ihnen war Kirei. Der Zweite ein Junge aus England. Der Dritte war der Mann, den Kirei von allen Mastern am Meisten interessierte und gleichzeitig verabscheute. Der Magierkiller, Kiritsugu Emiya.

Eigentlich wählte der Gral ihn als seiner würdig aus, doch Kiritsugu merkte, dass der Kelch die Wünsche nicht so erfüllte, wie es jeder dachte, und so befahl er seinem Servant stattdessen, den Kelch zu zerstören. Doch bevor dies gelang, empfing der Gral noch Kirei’s Wunsch. Die Folge war eine gewaltige Zerstörungswelle, die tausenden von Menschen das Leben kostete.

Fassungslos, dass solch ein Unheil geschah, obwohl er doch den Gral zerstören ließ, suchte Kiritsugu die Trümmer nach Überlebenden ab – und nach einer scheinbar vergeblichen Suche fand er schließlich einen kleinen Jungen. Shiro hieß er. Überglücklich brachte Kiritsugu ihn in ein Krankenhaus und beantragte die Adoption des elternlosen Jungen.

Heute hatte der kleine Männerhaushalt zum ersten Mal gemeinsam den Weihnachtsmarkt von Fuyuki besucht. Nun waren sie gerade auf dem Heimweg, als Shiro plötzlich anhielt.

„Sieh mal, da vorne!“, rief der kleine Junge aufgeregt und deutete mit dem Finger auf die Brücke vor ihnen. „Was macht denn diese Frau da?“

Kiritsugu sah ebenfalls zur Brücke. Dort, auf dem Brückengeländer, stand eine Frau. Ihre Schuhe lagen unten auf dem Boden, sodass sie mit nackten Füßen auf den verschneiten Geländer stand. Ihr melancholischer Blick war gen Himmel gerichtet.

Kiritsugu wusste sofort, was die Frau vorhatte. Er rannte so plötzlich los, dass Shiro vor Schreck hinten umfiel und mit dem Hintern im Schnee landete.

Die Frau tat einen Schritt nach vorne – doch bevor sie hinabstürzen konnte, umfingen sie Kiritsugu’s Arme und er zog sie zu sich herunter. Völlig außer Atem kniete Kiritsugu im Schnee. Die Frau hingegen rührte sich nicht.

Der kleine Shiro stürmte auf die beiden zu. „Bist du okay? Was ist denn mit der Frau?“

„Das würde ich auch gerne mal wissen“, keuchte der Schwarzhaarige und fuhr die Frau wütend an: „Sagen Sie mal, was denken Sie sich eigentlich?! Wollen Sie dem Jungen den Schock seines Lebens versetzen?! Warum…“

Kiritsugu verstummte, als die Frau in Tränen ausbrach.

„Es tut mir so leid…“, schluchzte sie.

Der Mann bedachte sie mit einem mitleidigen Blick. „Was ist denn geschehen? Nichts kann so schlimm sein, dass Sie diesen Weg wählen.“ Noch während er diese Worte sprach, kam er sich vor, wie ein Lügner. Er selbst wusste genau, dass es sehr wohl Dinge gab, die so schlimm waren. Dennoch konnte er nicht tatenlos zusehen, wie diese Frau starb.

Die Frau beruhigte sich allmählich wieder. Sie murmelte: „Oh doch… Ich habe das Liebste verloren, dass ich in meinem Leben besaß…“

„Und das wäre?“

Die Frau überlegte kurz, ob sie diesem fremden Mann ihre Geschichte erzählen sollte, doch irgendwie weckte die bloße Gegenwart des Kindes ihr Vertrauen.

„Vor drei Jahren… lernten mein Mann und ich uns kennen. Es war auf einer Studienreise in Frankreich, Paris. Wir verstanden uns von Anfang an sehr gut. Einige Jahre später haben wir dann geheiratet. Doch schon bald… veränderte sich alles. Er wurde ständig grundlos wütend…“

Kiritsugu verstand. „Hat er Sie geschlagen?“

Die Frau nickte. „Ja. Dabei gab es dafür überhaupt keinen Grund! Er hat einen guten Job, der ihn aber nicht zu sehr stresst. Dennoch ist er ständig wütend, wegen nichts! Vor über einem Jahr wurde ich dann schwanger. Und plötzlich veränderte er sich. Er schlug mich nicht mehr und wurde auch viel sanfter und liebevoller. Ich dachte schon, dass jetzt alles wieder gut wird. Doch einige Monate, nachdem unser Sohn geboren wurde, kam er auf die fixe Idee, dass es nicht sein Kind wäre. Ich kann mich nicht erinnern, dass er jemals so ausgerastet wäre. Als ich heute aus dem Krankenhaus wieder nach Hause kam, eröffnete mir mein Mann dann auch noch, dass er das Kind weggebracht hätte – und er wollte mir partout nicht sagen, wo er es hingebracht hatte! Den ganzen Tag habe ich die Stadt nach meinem Kind abgesucht, aber ich weiß ja nicht mal, wo es sein könnte! Mein Mann hatte das Kind schon vor drei Wochen weggebracht… Sicher ist es schon tot“, wimmerte sie.

„Das kannst du doch gar nicht wissen“, protestierte Kiritsugu sofort. „Du hast sicher nicht an den richtigen Stellen gesucht!“

Nun mischte sich der kleine Shiro wieder ein. „Warum suchst du nicht nach ihrem Baby? Du bist doch gut darin, andere Leute zu finden!“, schlug er vor.

Kiritsugu überlegte nicht lange. „Wenn du es willst, dann suche ich nach deinem Baby“, sagte er mit fester Stimme.

Die Frau brach in Tränen aus und nickte.
 

~ to be continued ~

4. Advent: Leise fällt der Schnee...

Leise fällt der Schnee…
 

„Ich bin wieder da…“

Kiritsugu atmete erschöpft aus und hing seinen Wintermantel auf den Garderobenhaken.

Der kleine Shiro eilte ihm im Flur entgegen.

„Hast du ihn gefunden?“, erkundigte er sich neugierig.

Der Schwarzhaarige schüttelte den Kopf. Auch heute war die Suche nach dem Jungen erfolglos geblieben. Zumindest hatte er keinen Todesfall eines Babys in den letzten vier Wochen ermitteln können. Der Junge lebte also. Nur, wo war er?

Plötzlich bemerkte Kiritsugu, dass Shiro etwas in der Hand hielt und aufgeregt mit den Füßen vor und zurück wippte.

„Was hast du denn da?“, fragte er leicht amüsiert.

„Mir ist etwas eingefallen!“, fiepte der Junge euphorisch. Er hielt seinem Vater ein Blatt hin. „Dieses Flugblatt habe ich vor ein paar Wochen auf der Straße gefunden. Die hingen da überall in der Stadt! Aber jetzt sind sie alle weg. Ich hab eines mitgenommen gehabt, um es dir zu zeigen, hab es aber vergessen. Heute hab ich dann meine Schultasche ausgeräumt und es wieder gefunden.“

Neugierig nahm Kiritsugu es. Tatsächlich hatte er dieses Flugblatt noch nie gesehen. Jemand hatte das Kind also in seiner Obhut und hatte bereits nach den Angehörigen gesucht. Doch da sich niemand gemeldet hatte, was hatte dieser Mensch nun mit dem Kind vor? Bei den örtlichen Behörden wurde kein Baby abgegeben.

„Wolltest du nicht noch irgendwohin?“, unterbrach Shiro seinen Gedankengänge.

Sofort warf Kiritsugu einen Blick auf die Uhr und zog sich hektisch wieder an. „Richtig. Ich habe heute noch einen Termin beim Amt. Wenn ich wieder da bin, gibt es Abendessen.“

Kiritsugu stopfte sich das Flugblatt in die Jackentasche und verließ das Haus wieder.
 

Zufrieden verabschiedete sich Kiritsugu von der Mitarbeiterin und schloss ihre Bürotür. Die Unterlagen, die ihn jetzt offiziell als Shiro’s Vater benannten, steckte er sich in die Innentasche seines Mantels. Wie gut, dass wenigstens das geklappt hatte.

Darüber nachdenkend, was es zur Feier des Tages zum Abendessen geben sollte, schlenderte Kiritsugu den Flur entlang Richtung Ausgang, als plötzlich zwei nur allzu bekannte Gestalten vor ihm aus einem Büro herauskamen.

Als er sie erkannte, verstecke sich der ehemalige Magierkiller hinter einem Schrank.

Kirei Kotomine.

Sein Erzfeind. Der einzige Master, vor dem er sich gefürchtet hatte. Warum, hatte er sich nie erklären können. Irgendetwas war ihm unheimlich an diesem Mann vorgekommen.

Der blonde Mann, der ihn begleitete, den kannte er ebenfalls. Ihn zu sehen, überraschte Kiritsugu besonders. Das war doch Archer? Warum war er noch hier? Müssten nicht alle Servants inzwischen wieder verschwunden sein?

Doch am Merkwürdigsten war das, was Kirei im Arm hielt: ein Baby!

Noch vor Beginn des Krieges hatte der Schwarzhaarige eingehende Recherchen über alle bisher bekannten Master durchgeführt. Auch über Kirei Kotomine. Ihm war nicht bekannt, dass dieser Mann verheiratet war oder ein Kind hatte. Woher kam dieses Baby also?

Plötzlich fiel ihm etwas ein und er zog das Flugblatt wieder hervor. Als er vorhin darauf sah, war ihm etwas seltsam vorgekommen. Als er es nun noch einmal durchlas, stockte er bei der angegebenen Adresse.

Er kannte sie genau.

Es handelte sich um die Kirche von Fuyuki.

Der Ort, an dem Kirei Kotomine lebte.

Sofort folgte er den beiden in vorsichtigem Abstand zum Hintereingang.

Dort sah er, wie Kirei das Baby in einen Kinderwagen legte, der dort stand. Er versteckte sich hinter der Türschwelle und lauschte.

„Ich kann immer noch nicht glauben, dass du den Knirps jetzt auch noch adoptieren willst“, murrte Gilgamesh und Kiritsugu zuckte unwillkürlich zusammen.

„Wir haben doch schon darüber gesprochen“, seufzte Kirei und deckte Tenshi zu. „Der Junge ist ohne Familie. Wie du es wolltest, habe ich in der Stadt Flugblätter verteilt und weiterhin die Medien durchforstet, ob es Nachrichten über Tenshi gibt. Niemand hat sich gemeldet, keine Nachrichten über ein vermisstes Baby. Und da ich mich die letzten vier Wochen um Tenshi gekümmert habe, spricht doch nichts dagegen, wenn ich ihn als meinen Sohn eintragen lasse. Das hat die Frau doch auch gesagt.“

„Sie sagte aber auch, dass sie noch einmal prüfen werden, ob es noch Angehörige gibt“, erinnerte ihn der König.

„Sicher. Doch auch, wenn sie welche finden, steht aufgrund der besonderen Umstände einer Adoption nichts im Wege. Vor allem, wenn diese bestätigen, dass sie es nicht mehr haben wollen. Immerhin haben wir das Baby im Müll gefunden, bei Minusgraden.“

Kiritsugu horchte auf. Offenbar hatte der Ehemann das Kind einfach auf den Müll gelegt. Zweifellos verwerflich. Und er musste zugeben, dass es sehr fürsorglich von Kirei war, das Kind mitzunehmen und es die ganze Zeit zu versorgen. Aber warum tat er das überhaupt?

Seit dem dritten Gralskrieg fungierten die Kotomine als Schiedsrichter und waren gleichzeitig die Vermittler zwischen dem Magierbund und dem Orden, die ursprünglich verfeindet waren.

Vielleicht wollte Kirei mit der Adoption seine Nachfolge sichern, ohne den Umweg einer Heirat eingehen zu müssen? Nach allem, was während des Krieges geschah, hatte Kiritsugu den Eindruck gewonnen, dass Kirei Frauen nicht besonders zu mögen schien.

Die Vorstellung, dass der kleine Junge in die Fußstapfen dieses Mannes treten musste und ein Mitglied des Ordens wurde, den er so verabscheute, ließ Kiritsugu schaudern.

Er musste die leibliche Mutter informieren und das Kind in Sicherheit bringen!

Er eilte wieder in den Flur zurück und zückte sein Handy.

„Haruka? Ich bin’s. Ich denke… ich habe dein Kind gefunden.“
 

Unruhig lief Kiritsugu auf und ab.

Das Abendessen war beendet und Shiro lag bereits im Bett.

Vorhin im Amt war er sich seiner Sache sicher gewesen, doch nun kamen ihm ernste Zweifel. Immer wieder musste er daran denken, dass der Vater seinen Sohn wie Müll weggeworfen hatte. Vielleicht war es falsch, dass Baby zurück in die Nähe dieses Mannes zu lassen?

Es klingelte an der Tür.

Das musste sie sein.

Was sollte er nur tun?

Kiritsugu öffnete die Tür und ließ die aufgeregte Frau herein. Diese sah ihn hoffnungsvoll an. „Du hast mein Baby gefunden? Wo ist er? Kann ich ihn sehen?“

„Haruka…“

Kiritsugu haderte mit seiner Entscheidung. Ihm graute es vor der Vorstellung, was geschehen würde, wenn der Mann das ungewollte Baby wieder sah. Dann sah er in das Gesicht der Mutter. Sie sah verängstigt und hoffnungsvoll zugleich aus. Sie war den Tränen nahe.

„Warum sagst du denn nichts?“, schluchzte sie. „Wo ist denn mein Yooki? Du sagtest doch, dass du ihn gefunden hättest? Bitte! Ich halte das nicht mehr aus! Ich will mein Baby zurück!“

Sie litt sichtlich unter der Trennung ihres Kindes. Das war deutlich.

Kiritsugu verstand nur zu gut, wie sich diese Frau fühlte.

Shiro war nicht sein einziges Kind. Er hatte noch eine Tochter. Illya.

Vor circa 10 Jahren wurde Kiritsugu von der Familie Einzbern angeheuert, damit er für sie den heiligen Gral gewinnen sollte. Die Einzbern verstanden sich seit jeher auf Alchemie. Und so begegnete Kiritsugu zum ersten Mal auf einen waschechten Homunculus.

Eine junge Frau mit schneeweißem Haar, blasser Haut und roten Augen.

Irisviel.

Eine Fehlkonstruktion, die allein als Gefäß für den heiligen Gral diente. Wenn die Zeit reif war, dass der Kelch erschien, würde ihre äußerliche Hülle nicht mehr gebraucht werden und sie würde sterben.

Am Anfang hielt er nicht viel von dieser Frau. Doch das Schicksal wollte es, dass die beiden sich im Laufe der gemeinsamen Zeit näher kamen. Schließlich heirateten die beiden und bekamen eine kleine Tochter. Kiritsugu hatte sein Familienglück nie wirklich genießen können, wusste er doch, dass er seine geliebte Frau opfern musste, um den Gral gewinnen und sein Ziel von einer Welt ohne Krieg und Trauer erreichen zu können.

Nach dem katastrophalen Ende des Krieges wollte Kiritsugu in das Schloss der Einzbern zurück, um seine Tochter zu holen. Doch das Familienoberhaupt war so erzürnt über sein Versagen, dass er ihm den Zutritt verweigerte.

Kiritsugu hatte seine Tochter seitdem nicht mehr gesehen und konnte auch nicht darauf hoffen, sie je wieder zu sehen.

„Bevor ich darauf antworte“, begann er schließlich langsam, „möchte ich, dass du mir etwas versprichst. Ich möchte, dass du das Kind nimmst und zu deinen Eltern gehst. Kehre nicht zu deinem Mann zurück. Ich will nicht, dass der kleine Junge in die Nähe dieses Mannes kommt. Wenn du mir das versprichst, sage ich dir, wo dein Kind ist.“
 

Seit dem Moment, als er sich an das pummelige Gesicht dieses kleinen Bündelchens verliebt hatte, fürchtete Kirei, dass eines Tages jemand kam und es ihm wieder wegnehmen wollte.

Er hätte nicht gedacht, dass es geschah, so kurz bevor er endlich ein glückliches Leben führen konnte. Warum war Gott nur so grausam?

Völlig entsetzt stand Kirei vor der Kirche und starrte auf die Frau, die die Mutter seines geliebten Tenshi sein sollte.

Sie nannte ihn allerdings Yooki. Auch ein passender Name für den Wonneproppen.

Warum sein Erzfeind Kiritsugu Emiya hier war, verstand er allerdings nicht.

Aber das war jetzt sowieso nicht wichtig.

Diese Frau, die ihr Kind weggegeben hatte, stand nun mitten in der Nacht hier vor ihm und wollte ihr Kind zurückhaben! Das war doch…

„Es tut mir sehr leid“, erwiderte Kirei nach langem Schweigen. Er hatte Mühe, seine Stimme ruhig und höflich klingen zu lassen. „Ten- ich meine, Ihr Sohn schläft bereits. Ich möchte ihn ungern jetzt aus seinem Bettchen holen. Kommen Sie bitte morgen früh wieder.“

Mit diesen Worten wollte Kirei zurück in die Kirche gehen, doch Haruka rief: „Kiritsugu hat behauptet, Sie wollen meinen Sohn adoptieren! Ist das richtig?! Das dürfen Sie nicht! Yooki ist MEIN Sohn! Bitte geben Sie ihn mir wieder!“

„Ich weiß nicht, wovon Sie sprechen“, sagte der Priester im bedrohlich-leisen Ton. „Gehen Sie jetzt, Sie wecken noch das Baby auf.“

Haruka schnappte sich seinen Arm und zog daran. „Ich werde nicht zustimmen, dass Sie mir mein Baby wegnehmen! Geben Sie es mir wieder!!!“

Jetzt wurde Kirei wütend. Was bildete sich diese Rabenmutter eigentlich ein? In einem Impuls hob der Priester seinen anderen Arm, holte aus und wollte ihr ins Gesicht schlagen – konnte sich aber gerade noch beherrschen.

Mit erhobenem Arm stand er da und funkelte Haruka böse an. Die hielt immer noch seinen Arm fest und wimmerte.

Kiritsugu wollte gerade eingreifen, als hinter Kirei jemand auftauchte.

Es war Gilgamesh – und er hatte Tenshi auf dem Arm.

Zeitgleich bemerkten Haruka und Kirei den König. Haruka entfuhr ein erleichterter Aufschrei und sie wollte zu ihrem Baby stürmen, doch Kirei hielt sie fest.

Wütend wandte er sich an Gilgamesh. „Was machst du da? Diese Frau ist eine Rabenmutter! Sie hat ihr Kind einfach weggegeben! Warum willst du ihr das Kind einfach so geben?!“

„Das stimmt nicht, so war das nicht!“, schrie Haruka, doch Kirei ignorierte sie stur.

„Du hast versprochen, dass du das Baby zurückgibst, falls sich Angehörige auffinden, die es lieben und nach ihm suchen!“, antwortete der blonde König. „So jemand ist jetzt hier. Willst du dein Wort etwa brechen?“

Kirei biss sich auf die Unterlippe. Er hatte das gesagt, das stimmte. Aber er hatte insgeheim gehofft, es nicht einhalten zu müssen.

Der sonst so amüsierte oder strenge Blick des Königs wurde mit einem Mal ganz weich. „Du weißt, dass du ihn nicht behalten kannst“, flüsterte Gilgamesh sanft. „Du solltest doch am Besten wissen, wie es ist, das eigene Kind zu verlieren. Warum willst du dieser Frau das Gleiche antun?“

Haruka sah abwechselnd zwischen Gilgamesh und Kirei hin und her. Schließlich ließ sie Kirei’s Arm los. Mitleidig betrachtete sie ihn. „Es tut mir leid, dass Sie Ihr Kind verloren haben. Aber Sie müssen mir glauben, dass ich mein Kind über alles liebe!“

Kirei begann zu zittern.

Geschockt erkannte Kiritsugu, dass der Mann, den er für kaltblütig und unheimlich hielt, mit Mühe die Tränen zurückhielt. Wollte er das Kind etwa doch nicht adoptieren, um seine Nachfolge im Orden zu sichern? Wollte er sein Vater werden… weil er das Kind liebte? Weil er für das fremde Kind Vatergefühle entwickelt hatte?

„Niemand liebt Tenshi mehr als ich…“, flüsterte Kirei kaum hörbar. Dann schnappte er sich plötzlich Tenshi und rannte mit dem Baby davon.

Zunächst überrascht, folgte ihm Kiritsugu.
 

Es dauerte nicht lange, da holte Kiritsugu seinen ehemaligen Kontrahenten ein.

Kirei saß auf einer Parkbank.

Es hatte zu schneien angefangen.

Der Priester hielt das Baby fest im Arm. Er hatte es zusätzlich in seine Jacke gewickelt, um es vor der Kälte zu schützen. Kiritsugu erkannte darin einen Ausdruck tiefer Liebe und Fürsorge.

Wie gebannt starrte Kirei nach vorne.

Kiritsugu folgte seinem Blick. Einige Meter weiter war ein Müllsammelplatz.

„Da habe ich Tenshi gefunden“, erklärte Kirei leise.

Der ehemalige Magierkiller nickte. Das hatte er sich schon gedacht.

„Darf ich mich setzen?“

„… Nur zu.“

Kiritsugu setzte sich neben ihn und seufzte. „Ich muss mich entschuldigen.“

„Wofür?“

„Ich habe dich falsch eingeschätzt. Wegen dem, was vorgefallen ist… dachte ich, dass Baby wäre nicht gut bei dir aufgehoben. Deswegen habe ich Haruka gesagt, wo ihr Junge ist und sie hergebracht. Hätte ich gewusst, dass du dieses Baby so sehr liebst… oder dass du auch ein Kind hast… ich meine…“

Kirei schüttelte den Kopf. „Nein. Du musst dich nicht entschuldigen. Ich an deiner Stelle hätte auch so gehandelt. Ich meine, wenn ich eine neutrale Person in dieser Sache wäre.“

Eine Weile schwiegen sie, dann fragte Kirei: „Was ist denn passiert?“

Kurz schilderte Kiritsugu ihm, wie er Haruka begegnet war und was sie ihm erzählt hatte.

Schweigend hörte der Priester ihm zu. Sein Blick war gen Boden gesenkt.

„Ich hatte schon geahnt… dass sie keine schlechte Mutter ist… als sie vor mir stand“, flüsterte er schließlich. „Aber ich hab es einfach nicht fertiggebracht, den Kleinen wieder herzugeben.“

„Doch. Ich war eine schlechte Mutter“, sagte plötzlich jemand.

Haruka war ihnen gefolgt. Schüchtern stand sie vor ihnen und musterte Kirei sanft.

„Ich hätte mich schon längst von meinem Mann trennen sollen. Aber ich verspreche Ihnen, dass ich das jetzt machen werde. Der Kleine wird es von jetzt an gut haben. Ich gebe Ihnen mein Wort.“

Kirei musterte das kleine Bündelchen in seinen Armen. Das Baby strahlte ihn an und brabbelte fröhlich vor sich hin. Er konnte nicht mehr. Tränen liefen ihm über das Gesicht, während er mit zitternden Fingern über die kleinen Wangen streichelte.

Dieser Anblick brach Kiritsugu das Herz. Er wünschte beinahe, dass die beiden ihm auf dem Amt nie begegnet wären. Am Liebsten würde er Kirei in den Arm nehmen und ihn trösten, doch angesichts dessen, was bereits alles zwischen ihnen vorgefallen war, wagte er es nicht, ihn zu berühren.

Hilflos musste er mit ansehen, wie Kirei schließlich aufstand und das Baby Haruka in die Arme legte.

Die Frau lächelte. „Sie sind so ein herzensguter Mann. Ich wünschte, ich wäre Ihnen früher begegnet. Haben Sie vielen Dank.“

Kirei erwiderte nichts. Er stand nur da und weinte stumm.

Haruka hielt ihr Baby überglücklich in ihren Armen und wiegte es sanft hin und her.

Der Brünette konnte diesen Anblick nicht ertragen. Ohne noch irgendetwas zu sagen, lief er davon.

„Warten Sie! Ihre Jacke!“, rief ihm Haruka nach, doch Kirei hörte sie nicht mehr.

Erst jetzt bemerkten die Frau und Kiritsugu, dass Gilgamesh auch im Park war. Er streckte die Hand aus. „Lassen Sie nur. Ich bringe ihm die Jacke“, bot er an.

Haruka gab sie ihm und der König machte sich auf den Weg zurück zur Kirche.
 

Gilgamesh brauchte nicht lange nach Kirei zu suchen. Er war im Kinderzimmer, saß im Schaukelstuhl neben dem Kinderbettchen und starrte an die dunkle Zimmerdecke.

Vorsichtig trat der König näher.

Kirei ignorierte ihn.

Der Blonde fürchtete, dass sein Partner jetzt wütend auf ihn war und wollte wieder gehen – als dieser plötzlich nach seinem Handgelenk griff.

„Geh nicht“, hauchte er kaum hörbar.

Gilgamesh trat direkt neben ihn, legte seine Arme um seinen Kopf und drückte diesen gegen seinen Körper, streichelte sanft durch sein braunes Haar.

Wieder ließ Kirei seinen Tränen freien Lauf.

Der König hielt ihn fest, bis er eingeschlafen war.
 

~ to be continued ~

Heiligabend: Das Glück an meiner Seite

Das Glück an meiner Seite
 

Gilgamesh rückte den Kragen der Jacke zurecht.

Er hätte es nie für möglich gehalten, dass er sich jemals wie ein Priester kleiden würde, aber irgendjemand musste ja die Weihnachtsansprache in der Kirche abhalten. Und seid der kleine Tenshi wieder bei seiner leiblichen Mutter war, lag Kirei nur im Bett. Er aß nichts mehr, schlief nicht und hatte kein einziges Wort mehr gesagt. In diesem Zustand konnte er den Menschen in Fuyuki keinen Weihnachtssegen schenken.

Der König von Babylon warf einen letzten, prüfenden Blick in den Spiegel und seufzte. Er hatte einen Plan, wie er Kirei endlich aufmuntern könnte – hoffentlich würde es funktionieren. Entschlossen nickte der König und machte sich dann ans Werk.
 

Die Weihnachtsmesse war mehr oder weniger geglückt. Der ein oder andere hatte sicher gemerkt, dass er kein echter Priester war. Zum Glück hatte Kirei im Vorfeld die Stellen in der Bibel markiert, die er während der Messe vortragen wollte.

Nun marschierte Gilgamesh in die Küche, um zu sehen, ob dort alles nach Plan verlief.

In der Küche werkelten mehrere Köche und Köchinnen herum, um ein prächtiges Festmahl zuzubereiten. Die Zutaten dafür hatte Gilgamesh extra aus seiner Schatzkammer hervorgeholt. Manchmal war er selbst überrascht darüber, was sich alles darin befand.

Eine Köchin kam mit einer Soßiere in der Hand auf ihn zu. „Mein Herr, ich wollte Ihnen nur Bescheid sagen, dass das Essen jetzt aufgetischt werden kann.“

Der König nickte.

Sofort machte er auf den Absatz kehrt, um Kirei zu holen. Wenn er sah, wie viel Mühe er sich gegeben hatte, um ihn ein leckeres Festtagsessen zuzubereiten, würde es ihm sicher besser gehen. Der Ärmste musste doch schon am Verhungern sein.

Ohne anzuklopfen betrat Gilgamesh das Schlafzimmer – und das war auch gut so. Kaum hatte er die Tür geöffnet, ließ ihn der Anblick erstarren: Kirei saß auf den Boden vor dem Bett und hielt ein Messer in der einen Hand. Sein Blick war völlig ausdruckslos und auf die blitzende Klinge gerichtet, dessen Spitze drohend auf seinem Handgelenk ruhte.

Nach einer kurzen Erstarrung vor Entsetzen, eilte Gilgamesh sofort zu seinem Partner und riss ihm das Messer aus der Hand.

„Bist du von allen guten Geistern verlassen?!“, polterte er und warf das Messer in die Ecke. „Ich kann ja verstehen, dass du traurig bist. Aber das Leben geht weiter!“

„Und darüber soll ich mich freuen, nehme ich an“, murrte Kirei leise und starrte auf den Boden. „Was willst du hier?“

„Ich will dich trösten, was denn sonst? Seit drei Tagen lässt du dich gehen. Es wird Zeit, dass du dich wieder aufrichtest! Denk doch an all die Dinge, die du noch hast!“

„Du verstehst das nicht, oder? Ich habe dieses Kind geliebt! Ich hatte endlich das Glück gefunden, nachdem ich immer gesucht habe! Und jetzt, wo Tenshi wieder aus meinem Leben verschwunden ist, spüre ich, wie leer mein Leben ist. Es ist unerträglich, besonders nachdem ich gespürt habe, wie sich das Gegenteil anfühlt! In meinem Leben gibt es nichts, wofür es sich noch zu leben lohnt, gar nichts mehr!“

Gilgamesh zuckte bei diesen Worten zusammen. Mit starrem Blick beobachtete er Kirei, als warte er darauf, dass dieser seine Worte zurücknahm. Als dies nicht geschah, schnappte er wütend nach Luft und stürmte hinaus.

Kirei saß noch eine Weile teilnahmslos auf dem Boden und starrte in die Leere. Dann erhob er sich beinahe mechanisch und tapste hinaus.
 

Ziellos irrte Kirei durch die verschneite Stadt.

Sein Wunsch zu sterben war seltsamerweise verschwunden – warum, konnte er sich nicht erklären. Es gab für ihn doch nichts mehr, wofür es sich zu leben lohnte! Dennoch fühlte er sich nicht mehr ganz so unglücklich, wie vorhin. Woran lag das nur?

„Kirei!“, rief plötzlich jemand.

Der Angesprochene hob den Kopf und sah sich suchend um. Vor einem Café entdeckte er schließlich die dazugehörige Person – und dessen Anblick erfreute ihn gar nicht.

„Emiya Kiritsugu“, knurrte er. Sein Kummer wich nun Wut. Er wusste nicht genau, warum er wütend war. Schließlich hatte Kiritsugu ja nichts Falsches getan, als er Mutter und Kind wieder vereinte. Aber seit er diesem Mann begegnet war, kam es ihm so vor, als würde ihm gar nichts mehr richtig gelingen.

Kiritsugu schlenderte zu ihm herüber. „Wie… fühlst du dich?“, fragte er vorsichtig, kam sich aber in der gleiche Sekunde dumm vor, diese Frage zu stellen.

„Wie soll es mir schon gehen? Das Glück, dass ich gefunden habe, ist verschwunden“, flüsterte Kirei leise.

Nachdenklich legte der ehemalige Magierkiller den Kopf schief. „Als Kind habe ich mich gefragt, was Glück überhaupt ist“, begann er dann zu erklären. „Ich hatte eine Freundin, Shirley hieß sie. Wir haben uns darüber unterhalten. Und ich denke, es ist genauso, wie sie es damals definiert hatte: Glück ist wie Glas. Genauso zerbrechlich. Auf den ersten Blick lässt sich das Glück nicht klar erkennen. Um es sehen zu können, muss man erst seinen Blickwinkel verändern.“

Kirei war überrascht. Diese Definition von Glück hatte er noch nie gehört. Das machte ihn nachdenklich. Er verabschiedete sich oberflächlich von Kiritsugu und machte sich auf den Heimweg. Er nahm einen anderen Weg, der ihn schließlich an einem altbekannten Ort vorbei führte. Zu seiner Verwunderung stand er vor dem Spielzeugladen, vor dem sie vor über einer Woche eingekauft hatten. Was war das doch für ein schöner Abend gewesen…

Doch etwas ließ den Priester stutzen. Dieser gemeinsame Einkauf war sehr schön gewesen. Aber ihm fiel nun auf, dass dies nicht an Tenshi lag. Wäre er allein mit dem Baby dort gewesen, hätte es ihm nicht annährend so viel Freude bereitet. Aber woran lag das bloß?

Auf den ersten Blick lässt sich das Glück nicht klar erkennen. Um es sehen zu können, muss man erst seinen Blickwinkel verändern.

Langsam weiteten sich Kirei’s Augen. Könnte das sein? War dieser Augenblick so schön… wegen IHM?
 

Gilgamesh war immer noch wütend. Der Schnee vermochte sein erhitztes Gemüt einfach nicht abzukühlen.

Was dachte sich dieser Kirei bloß? Einfach zu sagen, dass es nichts mehr in seinem Leben gab, wofür es sich zu leben lohnte. War der König denn kein Grund, weiterleben zu wollen? Sie hatten doch eine schöne, gemeinsame Zeit, oder nicht? Er hatte für diesen Mann so viele Opfer gebracht. Babys hüten gelernt, gekocht, alberne Zeremonien abgehalten, ihn eine ganze Nacht lang tröstend im Arm gehalten. Solche Dinge hatte er noch nie für einen anderen Mann getan. Und wie wurde es ihm gedankt? Und warum zum Teufel kümmerte ihn das überhaupt?

Er war doch nur irgendein Köter, wie jeder andere Mensch ebenso…

Unwillkürlich blieb Gilgamesh stehen. Er war im Park, in dem noch vor drei Tagen Kirei weinend auf einer Bank saß und sein geliebtes Baby hergeben musste. Heute saßen dort zwei Männer, die im Schutze der Bäume heimlich Zärtlichkeiten austauschten. Aus der Ferne beobachtete der König die beiden.

Nein, Kirei war kein Köter wie die anderen Normalsterblichen. Das hatte Gilgamesh schnell bemerkt. Sonst hätte er wohl kaum sein Interesse geweckt.

Bei der Erinnerung daran musste er lächeln.

Diese hässliche Welt hatte ihn fast schon gelangweilt, als dieser Mann seine Aufmerksamkeit erregte. Bei ihrer ersten Begegnung gewann der König noch den Eindruck, dass der junge Priester ein steifer, langweiliger Mensch war, der stets nur die Befehle von anderen befolgte und nicht selbstständig denken konnte. Doch nach einigen Tagen stellte er fest, dass Kirei durchaus interessant war. Allerdings schien es so, als wäre er nicht imstande, seine eigenen Gefühle zu verstehen. Also beschloss der König, diesen Mann unter seine Fittiche zu nehmen und ihm dabei zu helfen, sein Leben in neue Bahnen zu lenken und dadurch vielleicht glücklicher zu werden. Der Gralskrieg hatte nicht die erhofften Antworten gebracht und so entschied sich Gilgamesh dazu, auch weiterhin bei ihm zu bleiben, bis dieser am Ende seiner Suche angekommen war.

Im Nachhinein verstand Gilgamesh nicht mehr so richtig, warum er so gehandelt hatte. Er hatte angenommen, dass er sich nur deshalb um Kirei gekümmert hatte, weil dessen Sichtweise auf die Welt und die Menschen ihn unglaublich amüsiert hatten und er sehen wollte, was als Nächstes geschah. Doch mittlerweile war er sich seiner Motivation nicht mehr so sicher. Es würde nicht erklären, warum er Babymilch zubereitete, Babykram kaufte und Priesterklamotten anzog.

Er musste sich wohl oder übel eingestehen, dass er Kirei ganz einfach gern hatte.

Er, der einzig wahre König!

Tat unsinnige Dinge, weil er einen einfachen Mann mochte!

Das war nicht zu glauben!

Und das Schlimmste daran war, dass dieser Köter noch nicht einmal ebenso empfand! Hatte so getan, als sei er nicht einmal vorhanden! Und das war nun der Dank dafür, dass er sich so für ihn angestrengt hatte!

Wütend stapfte Gilgamesh weiter durch den Schnee.

Sollte dieser dämliche Priester doch bleiben, wo der Pfeffer wächst! Wenn er seinen Trost nicht wollte, dann bekam er ihn eben nicht! Er würde sich gewiss nicht um einen Mann bemühen, der ihn so vor den Kopf stieß! So weit kam es noch! Auf keinen Fall würde er noch tiefer sinken!

Gilgamesh hatte fast den Ausgang des Parks erreicht, als plötzlich Kirei vor seiner Nase auftauchte. Als dieser ihn erkannte, rannte er auf ihn zu und – zu Gilgamesh’s Entsetzen – umarmte er ihn fest.

„Ein Glück habe ich dich gefunden!“, murmelte Kirei erleichtert.

Erst jetzt fiel Gilgamesh auf, dass er ganz verschwitzt und atemlos war. „Was willst du denn von mir?“

„Na was schon? Ich habe dich gesucht, um mich zu entschuldigen und damit wir zusammen nach Hause gehen“, antwortete Kirei verwundert, ohne die Umarmung zu lösen.

Empört versuchte der König, sich aus der Umarmung zu befreien. „Nein! Ich will deine Entschuldigung nicht hören, du Bastard! Es interessiert mich nicht mehr, was du für Sorgen hast, verstanden? Und jetzt lass mich los und hau ab! Geh zurück in dein blödes, dich so deprimierendes Leben und suhl dich allein in deinem Selbstmitleid weiter!“

Kirei sah ihm kühl ins Gesicht. „Gut. Dann umarme ich dich jetzt solange, bis du es dir anders überlegst!“, erwiderte er entschieden und drückte den König fest an sich.

Dem war das ungeheuer peinlich, immerhin weckten sie die Aufmerksamkeit der anderen Leute und wurden angestarrt. Vergeblich versuchte er, den Priester von sich wegzudrücken, doch dieser war einfach viel stärker als er.

Schließlich gab er nach. „Na schön! Dann gehen wir eben zurück!“

Zufrieden lächelnd löste Kirei die Umarmung und machte sich auf den Heimweg.
 

In der Kirche angekommen betrat Gilgamesh als erstes die Küche.

Die Angestellten hatte er vorhin wieder weggeschickt.

Das Essen war inzwischen kalt. All die Mühe umsonst.

Kirei sah zum ersten Mal, was Gilgamesh vorbereitet hatte und kam aus dem Staunen nicht mehr heraus. „Hast du das für mich gemacht?“, fragte er beeindruckt.

Gilgamesh verschränkte die Arme vor der Brust und zog einen Schmollmund. „Ja, das habe ich. Aber jetzt ist alles kalt!“

Kirei überlegte kurz, dann meinte er entschieden: „Überlass das nur mir. Ich kriege das schon hin.“

Wenig später saßen die beiden am Tisch und aßen ein verspätetes Weihnachtsmahl.

Nun war es Gilgamesh, der beeindruckt war. Kirei hatte es tatsächlich geschafft, aus dem kalten Essen etwas Neues zu zaubern, das auch noch unglaublich gut schmeckte! Warum kochte er bloß so selten?

„Du bist so schweigsam“, wunderte sich Kirei und musterte sein Gesicht.

Gilgamesh wandte sich ab. Es war ihm immer noch peinlich, von dem Priester so fest umarmt worden zu sein. Bei Gott, offenbar mochte er ihn tatsächlich.

Der Brünette legte sein Besteck beiseite und räusperte sich vernehmlich. „Ich wollte dir noch etwas sagen. Wegen vorhin… was da passiert ist… Ich habe dich nicht kränken wollen und das habe ich offenbar getan. Dafür möchte ich mich entschuldigen. Tatsächlich ist es so… dass mir etwas klar geworden ist. Es stimmt eigentlich gar nicht, dass es in meinem Leben nichts gibt, wofür es sich zu leben lohnt. Mir ist bewusst geworden, dass ich dich habe.“

Gilgamesh verschluckte sich prompt an einem Stück Ente und hustete wie verrückt.

Kirei reichte ihm sein Glas Wein und wartete geduldig, bis dieser sich wieder beruhigt hatte.

„Wie habe ich das denn zu verstehen?“, hustete der Blonde verlegen.

„Bevor ich dich traf, war ich zutiefst unglücklich und habe nur so vor mich hin gelebt, ohne ein Ziel zu haben. Du hast dich meiner angenommen und mir geholfen, mich selbst besser zu verstehen. Du hast mir die Hoffnung zurückgegeben. Und als Tenshi zu uns kam, da hast du mir schon wieder geholfen. Du tust immer so viel für mich. Dafür bin ich dir unglaublich dankbar.“ Kirei legte eine kurze Pause ein und dachte nach. Dann fuhr er fort: „Ich hatte vorhin viel Zeit, über alles nachzudenken… und ich liebe Tenshi wirklich sehr. Aber es war auch schön, wie wir uns gemeinsam um ihn gekümmert haben. Und als er wieder verschwand… war ich nicht nur seinetwegen traurig, sondern auch, weil ich die ganze Zeit daran denken müsste, wie es wäre, wenn du auch wieder aus meinem Leben verschwindest.

Und ich… kann mir irgendwie gar nicht mehr vorstellen, ohne dich leben zu können.“

Gilgamesh’s Gesicht färbte sich puderrot. Schnell schnappte er sich sein Weinglas und leerte es in einem Zug. „Unsinn. Ich sagte doch schon, dass ich bei dir bleibe“, sagte er schließlich, ohne Kirei anzusehen. „Warum sollte ich fortgehen? Diese Welt ist ohnehin viel zu langweilig, als dass sie irgendetwas Interessantes zu bieten hätte, das ich unbedingt sehen will. Und selbst wenn doch… dann will ich es mit dir zusammen sehen…“

Kirei schmunzelte leicht. „Ja. Das machen wir.“ Der Priester erhob sich. „Machen wir uns fertig für das Bett? Es ist schon spät.“ Ohne eine Antwort abzuwarten, stand er vom Tisch auf, ging zu Gilgamesh rüber, nahm seine Hand und zog ihn auf die Füße. Dann führte er ihn ins Badezimmer. Dort nahmen die beiden doch tatsächlich ein gemeinsames Bad!

Gilgamesh war das alles sehr peinlich.

Hier in der Badewanne zu liegen, mit einem nackten Mann. Dabei machte ihn das doch sonst nicht so nervös. Und dass Kirei so tat, als wäre das völlig normal, machte es nicht unbedingt besser.

Nach dem Bad führte Kirei den König in sein Schlafzimmer.

Gilgamesh schluckte. Sonst dürfte er doch nie da rein. Was hatte Kirei nur vor?

Zu seiner Überraschung nichts Unanständiges. Er legte sich mit ihm ins Bett und nahm ihn in den Arm. Sanft strich er ihm über das Gesicht.

„Dich werde ich nicht so einfach gehen lassen“, sagte Kirei mit fester Stimme. Es klang wie ein Versprechen. Dann schmiegte er sein Gesicht an das blonde Haupt und schlief ein.

Gilgamesh betrachtete eine Weile das schlafende Gesicht des Mannes, dann schloss er ebenfalls die Augen.
 

In derselben Nacht bekam Kiritsugu noch seltsamen Besuch.

Ein fremder Mann klingelte zu später Stunde an seiner Haustür.

„Ähm… kann ich Ihnen irgendwie helfen?“, fragte er irritiert.

Der Mann nickte. „Ich möchte mich kurz vorstellen. Mein Name ist Yugo Asagi. Vor Kurzem haben Sie meine Frau kennen gelernt, Haruka.“

Kiritsugu riss erstaunt die Augen auf.

Der sogenannte Rabenvater fuhr sich etwas ratlos durch die Haare. „Ich glaube… ich bin Ihnen eine Erklärung schuldig.“
 

~ to be continued ~

28. Dezember: Geburtstag

Geburtstag
 

Als Gilgamesh an diesem Morgen erwachte, reckte er wie üblich seine Gliedmaßen. Doch dieses Mal hinderte ihn irgendetwas daran.

Es fühlte sich warm und weich an…

Verwirrt blinzelte der König zweimal, um etwas sehen zu können und den Grund zu entdecken, warum er sich nicht quer über das gesamte Bett ausstrecken konnte, wie ein Löwenjunges.

Er brauchte nicht lange, um festzustellen, dass Kirei der Grund für den Platzmangel war. Dieser schlief neben ihm und hielt ihn in seinen Armen.

Gilgamesh lächelte. Zu seinen Lebzeiten hatte er niemals mit einer anderen Person das Bett geteilt, nur, um zu schlafen. Jetzt musste er aber zugeben, dass es sehr schön war, solche Nähe zu verspüren. Tatsächlich könnte er den ganzen Tag hier so liegen.

Freudig umarmte er Kirei und schmiegte sich fest an seinen Körper.

Ein leises Brummen drang an sein Ohr.

Kirei war aufgewacht.

Zu schade.

„Morgen“, murrte der Priester schläfrig und rieb sich die Augen.

Gilgamesh brummte nur zurück und versuchte, Kirei am Aufstehen zu hindern, um nicht auf sein Kuschelkissen verzichten zu müssen.

Doch Kirei entzog sich rasch seiner Umarmung und setzte sich aufrecht auf das Bett. „Es ist fast Mittag. Sieh zu, dass du allmählich aufstehst“, ermahnte er den Blonden immer noch schläfrig.

Gilgamesh streckte sich und sah dann mit halb geöffneten Augen auf Kirei’s Rücken. „Warum liegst du dann noch im Bett?“, fragte er ohne jedes Interesse. Erst jetzt fiel ihm auf, dass Kirei bereits angezogen war. „Oder wohl eher wieder.“

Kirei wandte sein Gesicht nur ein kleines Stück zu dem König um, sodass dieser aber immer noch erkennen konnte, dass der Priester leicht gerötete Wangen hatte.

„Nun… Ich habe wie immer die Sonntagspredigt gehalten und kam dann zurück, um dich zu wecken und dabei… bekam ich Lust… na ja… ich wollte… ein bisschen kuscheln…“

Der Heldenkönig musterte ihn kurz, dann lachte er lauthals los. „Also wirklich…“, prustete er, „du schaffst es doch immer wieder, mich zu amüsieren.“

Kirei quittierte diese Frechheit mit einem Knurren und warf dem König ein Kissen ins Gesicht. „Steh endlich auf!“, schimpfte er und erhob sich.

„Gibst du deinem König keinen Guten-Morgen-Kuss?“, rief Gilgamesh ihm nach.

„Steh endlich auf, sonst zehre ich dich raus!“, polterte Kirei zurück.

Der König lachte und streckte sich noch einmal genüsslich, bevor er endlich aufstand.
 

Bei seiner täglichen Dusche ließ sich Gilgamesh heute besonders viel Zeit, nur, um Kirei zu ärgern.

Als er dann fast eine Stunde später in die Halle kam, sah er Kirei an der offenen Tür – er wirkte wie erstarrt.

Verwundert trat er neben ihn. Und nun erkannte er, was seinen Partner so durcheinander brachte: der Mann, der vor einer Woche hier war, um Tenshi abzuholen, stand nun vor ihm – und er hielt besagtes Baby im Arm.

„Was geht denn hier vor sich?“, fragte Gilgamesh und sah zwischen den beiden Männern hin und her.

Kirei löste sich nur mit Mühe vom Anblick seines geliebten Babys und sah nun Kiritsugu an, sein Blick schien dieselbe Frage zu stellen.

„Können wir vielleicht hineingehen, es ist ganz schön kalt hier draußen“, erkundigte sich Kiritsugu freundlich.

Kirei bat ihn herein.

Drinnen drückte Kiritsugu Gilgamesh das Baby in den Arm und setzte sich neben Kirei auf eine der vorderen Banken.

„Gut, wo soll ich anfangen?“, murmelte Kiritsugu und wischte sich nachdenklich über das Gesicht. „Vor ein paar Tagen klingelte ein Mann namens Yugo Asagi an meiner Tür. Es stellte sich heraus, dass er Haruka’s Ehemann ist.“

„Der prügelnde Ehemann?“, warf Gilgamesh ein und setzte sich neben die andere Seite Kirei’s.

Kiritsugu lächelte verschmitzt. „Ja… Das ist so eine Sache. Herr Asagi hatte da eine ganz andere Auffassung. Er erzählte mir, dass seine Frau psychisch labil sei und sich öfter selbst verletzen würde. Hinterher behauptete sie immer, er wäre das gewesen. Zum Glück glaubten die Menschen, die sie kannten, dass das nicht stimmte und so blieb es bisher ohne große Folgen. Als sie dann schwanger wurde, schien sich ihr Zustand zu bessern. Alles lief gut, bis… es Komplikationen gab und sie eine Todgeburt hatte.“

Kirei riss die Augen auf und sein Mund klappte leicht auf. „Was? Aber… Tenshi ist doch hier… Ich verstehe das nicht.“

„Tenshi ist nicht ihr Kind. Das Kind… der Junge, den Haruka zur Welt gebracht hatte, starb kurz nach seiner Geburt. Doch als Asagi seine Frau aus dem Krankenhaus abholen wollte, hielt sie plötzlich ein Kind im Arm. Sie behauptete, es wäre ein Irrtum gewesen und dass es ihrem Kind gut ginge. Asagi hat sich am Anfang nichts weiter dabei gedacht, bis er einige Tage später erfuhr, dass ein Baby aus der Geburtsstation entführt wurde.“

„Dann… hat diese Frau dieses Baby gestohlen?“, schlussfolgerte Gilgamesh fassungslos. „Und wir haben ihr ihre Diebesbeute zurückgegeben.“

„Aber warum hat Asagi das Baby im Müll abgelegt?“, fragte Kirei verwundert.

„Hat er nicht. Als er in den Nachrichten von dem entführten Baby erfuhr, stellte er seine Frau umgehend zur Rede. Sie hat ihm alles gebeichtet. Daraufhin bestand er darauf, dass sie das Baby zurückbringt, was sie allerdings nicht wollte. Sie floh mit dem Kind. Sie hatte vor, mit ihm die Stadt zu verlassen und wollte noch ein paar Dinge holen. Das Baby hatte sie im Müll versteckt, damit ihr Mann es dort nicht finden könne. Sie wusste, dass der Müll nicht vor Dienstag abgeholt werden würde.“

„Aber das ist doch total gefährlich! Das Kind hätte erfrieren können!“, ereiferte sich Kirei.

„Und… warum bringst du uns jetzt das Baby?“, warf Gilgamesh ein.

Kiritsugu lächelte. „Als Haruka wieder mit dem Kind ankam, griff Asagi sofort durch. Er ließ seine Frau einweisen. Irgendwie fand er heraus, dass sie mit mir in Kontakt getreten war und suchte mich auf, um mir alles zu erzählen. Ich berichtete ihm daraufhin von dir und… dann leiteten wir etwas für dich in die Wege.“ Kiritsugu zog einen großen Umschlag aus seiner Mantelinnentasche und reichte ihn Kirei.

Der öffnete ihn und bekam tellergroße Augen. „Eine Adoptionsbescheinigung?“

Kiritsugu nickte. „Ja. Tenshi ist jetzt offiziell dein Sohn.“

„Und was ist mit der echten Familie des Babys?“, wollte Gilgamesh wissen.

„Er hat keine. Sein Vater starb vor einem halben Jahr bei einem Unfall, seine Mutter während der Geburt. Da es sonst keine Verwandten hatte, sollte es in ein Waisenhaus untergebracht werden. Haruka hatte das wohl als Wink des Schicksals gesehen und den Kleine deswegen mitgenommen. Wie auch immer.“

„Aber… wie hast du das so schnell hinbekommen? So eine Adoption dauert doch Monate!“

„Ich habe noch ein paar Kontakte aus meiner Zeit als… na ja, du weißt schon. Ich habe sie ein letztes Mal genutzt und das Verfahren etwas beschleunigt, damit du heute die Papiere in den Händen halten kannst.“

„Warum?“

„Das müsstest du doch wissen. Außerdem… gäbe es wohl niemanden, der sich besser um den kleinen Knirps da kümmern könnte, als du.“

Sprachlos starrte Kirei die Dokumente in seiner Hand an. Das ausgerechnet sein Erzfeind ihm einen solchen Gefallen tun würde, war unglaublich.

Kiritsugu lächelte und klopfte ihm auf die Schulter. „Ich wünsche dir was.“ Dann erhob er sich und ging zur Tür.

„Ich danke dir!“ rief Kirei ihm noch nach.

Kiritsugu verabschiedete sich mit einem kurzen Wink und rief noch: „Alles Gute zum Geburtstag, Kirei Kotomine!“, dann war er auch schon zur Tür hinaus.

Gilgamesh spielte mit Tenshi’s kleiner Hand und schwieg für einen Moment. Schließlich sagte er vorsichtig: „Dann… haben wir jetzt ein Kind?“

„Sieht so aus“, murmelte Kirei und lächelte still vor sich hin. Dann fiel ihm etwas auf und er sah den Blonden freudig an. „Wir?“

„Ja, natürlich wir! Oder willst du mich jetzt loswerden, wo dein geliebtes Baby wieder da ist?“, schimpfte der König verärgert.

Kirei lächelte sanft. „Nein. Ich finde es nur schön, dass du wir gesagt hast.“ Der Priester legte ihm einen Arm um die Schulter und drückte ihn an seine Brust, schmiegte sein Kinn an den blonden Haarschopf. „Dann sind wir jetzt eine Familie, wie schön…“, seufzte er.

Gilgamesh errötete und wollte sich befreien. „Das sind wir ganz sicher nicht!“

„Jetzt zier dich doch nicht so!“, kicherte Kirei und drückte ihn noch fester an sich. „Ich wollte schon immer eine eigene Familie haben. Ich bin wirklich glücklich. Ich möchte, dass ihr beide für immer bei mir bleibt.“

Gilgamesh gab seinen Widerstand auf und ließ sich in die Umarmung hineinfallen. „Natürlich bleibe ich bei dir. Das habe ich doch schon damals gesagt, als wir in den Trümmern der Stadthalle standen. Und ich halte mich immer an das, was ich sage.“

Kirei lächelte sanft und gab dem König einen Kuss.

Das war der Beginn ihres Lebens zu Dritt.
 

~ Owari ~


Nachwort zu diesem Kapitel:
Tenshi - Engel Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Yooki - Sonnenschein

Das nächste Kapitel gibt es am 24.12. Komplett anzeigen

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Kommentare zu dieser Fanfic (7)

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Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  kawaii_kamy
2018-02-13T19:06:57+00:00 13.02.2018 20:06
Um ehrlich zu sein glaube ich nicht das Kirei so sanft und Menschlich wäre. Aber so ist es natürlich sehr süß und nett zu lesen. Ich finde es ja generell schön was zu Gil und Kirei zu finden. ^^ mal sehen wie sich das noch entwickelt.
Von:  Rajani
2014-12-31T14:04:09+00:00 31.12.2014 15:04
Gänsehaut!!! *verneig* das ist sooooo süß, herrlich, eine deiner besten Stories :D
Von:  Rajani
2014-12-31T13:52:42+00:00 31.12.2014 14:52
Uiuiui Kirei ist ja richtig betroffen... Ehrlich gesagt, ich hätte ihn nicht allein gelassen, aber Gilgamesh scheint mir eher so der Typ dafür zu sein, vor Wut wegzulaufen.
Dass Kirei ihn dann findet und ihn so lieb umsorgt um ihn wieder weich zu kriegen, ach herrlich :) aber dass die beiden da soooooo cool bleiben, Hut ab :D das muss ja knisternde Spannung pur gewesen sein.
Und ich bin unheimlich gespannt darauf, was nun mit dem Vater von "Tenshi" ist - war Haruka etwa doch nur eine verflucht gute Schauspielerin????
Von:  Rajani
2014-12-22T07:03:30+00:00 22.12.2014 08:03
T_T oh wie traurig. Armer Kirei. Und mein mp3-Player beschert mir dazu auch noch eine traurige Ballade die von Abschied handelt... *schnief-schnüff*

*nicht-vorhandenen-Hut-zieht* Chapaeu! Sehr gut!
Von:  Rajani
2014-12-22T06:35:09+00:00 22.12.2014 07:35
Oooooooh... hihi. Gilgamelsh und Kirei sind richtig süß :-D
Übrigens dass mit dem stehen bleiben und der andere kracht rein und fängt sich einen bösen Blick ein - kommt mir bekannt vor ;-) das passt perfekt oder.

Jetzt bin ich aber auch gespannt wie es mit dem Baby weiter geht :-D
Von:  Rajani
2014-12-09T19:45:36+00:00 09.12.2014 20:45
Ooooohhh Gänsehauteffekt! Das ist ja so traurig T_T jetzt will ich wissen, wie es weitergeht
Von:  Rajani
2014-11-30T20:17:55+00:00 30.11.2014 21:17
Oooooooooooh :D auch wenn ich die Serie nicht kenne, das ist jetzt schon Zucker! Bin mal gespannt, was es mit dem Baby auf sich hat, wenn Gilgamesh da so misstrauisch sein soll.

Gefällt mir sehr :)


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