Zum Inhalt der Seite

Black lilies and White guilt

von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Liebe Leser und Leserinnen
Dies ist meine erste Fanfiction überhaupt und ich habe mir auch noch einen Bereich ausgesucht, indem ich zuvor noch nie etwas geschrieben habe, denn ich wage mich an den Psychotriller.
Bitte also nicht zu streng bewerten, auch wenn konstruktive Kritik natürlich erwünscht ist. Ganz besonders würde mich natürlich interessieren on ich die Charaktere getroffen habe. Komplett anzeigen

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

1. Drangsalierende Fragen

Vorab als Info:
 

Ich halte mich größtenteils an das Buch, habe aber auch einige Filmelemente übernommen.

Das Aussehen der Personen übernehme ich beispielsweise aus dem Film, sowie Snapes „Tod“, da ich das Bootshaus für einen „schöneren Ort“ halte, um zu sterben. Auch die Art, wie Snape im Film stirbt, gefällt mir besser, als die im Buch.

(Weiterhin übernehme ich die komplette Szene im sechsten Teil von Dumbledores Ermordung, sowie Severus Heldenmut im dritte Film im Angesicht von Werwolf Lupin, da ich finde dass es seine versteckte Liebenswertigkeit zum Ausdruckt bring.)
 

Pairings sind keine geplant und ich habe die Altersstufe nur sicherheitshalber etwas hochgestellt.
 

Für diese Fanfiction habe ich außerdem noch einige Dinge an Harry Potter geändert.

Folgende Personen sterben NICHT bei der Schlacht in Hogwarts:

Severus Snape, Remus Lupin, Nymphadora Tonks und Fred Weasley

Diese Personen sind (mit Snape als Ausnahme) nicht unbedingt relevant für meine Geschichte, aber ich finde es sehr traurig bzw. schade dass diese gestorben sind.
 

Eine wichtige Veränderung ist auch, dass Harry beim Kampf gegen Voldemort nicht Snapes wahre Beweggründe preisgibt.
 

Ich würde sagen, den Rest versteht man auch so, wenn man meine Fanfiction liest.

Viel Spaß
 


 

Es war nun drei Wochen her.

Bereits drei Wochen.

Drei Wochen.

Immer wieder musste er sich diese Tatsache vor Augen führen.

Es war vorbei. Seit drei Wochen war es vorbei.

Vorbei, seit drei Wochen.

Drei Wochen.
 

Wie ein Mantra wiederholte er diese Worte im Stillen.

Seine Hand mit der Feder zitterte unmerklich und ein nachtschwarzer Tintentropfen löste sich von der Federspitze und tropfte auf die unbeschriebene Pergamentrolle, welche er vor sich ausgebreitet hatte.

Wie schon die Tage zuvor konnte er es immer noch nicht ganz begreifen.

Er hatte versucht, es in geschriebene Worte zu wandeln, sich so mehr Klarheit zu verschaffen, die wirren Gedankengänge in eine Reihenfolge zu bringen, um an einer Stelle ansetzen und sie dann Stück für Stück aufarbeiten zu können.

So wie er das früher immer getan hatte, aber es klappte einfach nicht.

Seit drei Wochen -genauer, seit er wieder in der Lage war, eine Feder zu halten- war sein Kopf so voll, wie diese Pergamentrolle leer war.

Frustriert schmiss er die Feder neben die Rolle auf seinen Schreibtisch und fuhr sich mit den Händen über die Augen.

Ich stelle immer noch nicht die richtigen Fragen.
 

Was hieß denn nun, dass es vorbei war?

Dass der Dunkle Lord nicht mehr unter ihnen weilte?

Was bedeutete es für ihn?
 

… Potter, Potter hatte überlebt. Mehr noch, er hatte den Dunklen Lord eigenhändig besiegt und war auf dem Weg in seine glorreiche und friedliche Zukunft.

Er würde heiraten, ja, ganz bestimmt. Auch sein Vater war bereits so ungeduldig damit gewesen.

Eigentlich überraschte es Severus, dass er nicht bereits einen ausführlichen Zeitungsbericht mit allen Details von Harry Potters und Ginevra Weasleys Hochzeit vorliegen hatte.

Aber da dies nicht der Fall war und Rita Kimmkorn, die wieder für den Tagespropheten schrieb, sich bestimmt nicht die Gelegenheit entgehen lassen würde, über so etwas zu berichten, -um gleich im Anschluss wilde Affären-Gerüchte über Potter oder Weasley in die Welt zu setzen- kam er zu dem Schluss, dass es tatsächlich noch zu keiner Hochzeit gekommen war.
 

Genau genommen war es nach dem phänomenalen Sieg über den Schwarzen Lord -bei dem sich Zeitungen und Radiosender gleichermaßen in Lobeshymnen überschlagen hatten- außergewöhnlich ruhig um Potter geworden.

Nicht, dass es ihn gestört hätte, aber es war doch ungewöhnlich.

Und unangenehm. In solchen Momenten musste Severus wiederwillig zur Kenntnis nehmen, dass Harry Potter weniger nach James Potter schlug, als er es vielleicht gerne gehabt hätte.

James Potter hatte noch nie eine Gelegenheit ausgelassen, Ruhm und Anerkennung zu ernten, die man ihm ohnehin so bereitwillig geschenkt hatte. Oder hätte selbst er nach so einer Schlacht eine Pause gebraucht und sich ebenfalls zurückgezogen?
 

Seine Kopfschmerzen begannen wieder damit, dumpf durch seinem Kopf zu hämmern.

Schon wieder.

Schon wieder hatte er sich erfolgreich in seinen eigenen Gehirnwindungen verlaufen.

Wie schaffte er es neuerdings, so von dem wesentlichen Kern einer Frage abzudriften, um sich am Ende an einer völlig anderen Antwort -die aber ihrerseits nur weiter Fragen aufwarf- wieder zu finden?

Es war zum Mäuse melken und je angestrengter er versuchte bei der richtigen Frage zu verweilen, desto mehr Nebenaspekte taten sich auf.

Er rieb sich über die Schläfen und versuchte es erneut.
 

Eine Frage, er wollte heute wenigstens noch eine Frage für sich beantworten.

Damit er nicht wieder das Gefühl hatte, den Tag komplett verschwendet zu haben.

Potter, ich war bei Potter.
 

Ja, Potter war am Leben und er würde glücklich werden.

Endlich, er hatte es geschafft eine scheinbar unverrückbare Tatsache aus seinem Gedankenstrom zu kanalisieren und sie auch festzuhalten.

Bevor sie ihm wieder entrissen werden konnte, musste er sie dringend aufschreiben.

Er griff zur Feder, deren Ende im schwachen Kerzenlicht vor getrockneter Tinte glänzte und tunkte sie entschlossen in sein Tintenfass.
 

Er schrieb: Harry Potter ist am Leben.
 

Den Punkt an das Ende des Satzes zu platzieren war ein wunderbares Gefühl. So schön abschließend.

Der zweite Satz formte sich vor seinem inneren Auge.
 

Er wird mit Ginevra Weasley glücklich werden.
 

Er pustete einmal über die frische Tinte.

Behutsam las er die zwei Zeilen erneut und überlegte, ob sie auch wirklich den Tatsachen entsprachen.

Ja. Das tun sie.

Soweit, so wenig.

Eine weitaus bedeutendere Frage war, ob Potter auch sicher war.
 

Nun, mit dem Tod des Dunklen Lords war mit absoluter Sicherheit sein größter Widersacher besiegt und die übrigen Todesser, die den Auroren entkommen waren, hatten mit Bestimmtheit andere Sorgen, als an den Luxus der Rache auch nur zu denken.

Und selbst wenn, Potter hatte bereits mehrfach bewiesen, dass er es mit ihnen aufnehmen konnte.

Außerdem hatte er ja immer noch seine treuen Freunde.
 

Severus schnaubte laut durch die Nase.

Selbst jetzt, wo der Junge und dessen Freunde Ronald Weasley und Hermine Granger ihm beinahe die Sterbebegleiter gespielt hatten, konnte er nicht völlig frei von Spott und Hohn an sie denken.

Er konnte eben nicht so einfach aus seiner Haut und ihr gemeinsamer Weg war durch zu viel Bitterkeit und Hass geprägt gewesen, um die Dinge objektiver zu betrachten, auch wenn Severus wiederwillig zugeben musste, dass sie ihm nicht mehr ganz so zuwider waren. Selbst Potter nicht.
 

Grollte er noch?

Hasste er Potter noch?
 

James Potter hasste er ohne Zweifel, das konnte er deutlich spüren. Die einzigen, noch deutlicheren Gefühle welche er schon seit einer so langen Zeit in seinem Inneren aufbewahrte, waren jene, die er Lily Evans entgegen brachte.

Noch so eine unerschütterliche Tatsache, aber er war bei Harry Potter in Sicherheit gewesen.
 

Nun, so lächerlich er Ronald Weasley und besserwisserisch und nervig er Hermine Ganger immer noch einschätzte, sie waren zweifellos maßgeblich am Krieg und dem Erfolg von Potters Mission beteiligt gewesen.
 

Diese Mission. Noch so ein dickes Fragezeichen, aber er wollte sich vor allem jetzt nicht damit befassen.

Dumbledore hatte ihm deutlich zu verstehen gegeben, dass es Dinge gab, die er ihm nicht anvertrauen würde und es schien Severus nicht der passende Zeitpunkt, sich mit einem Portrait über Abgeschlossenes und damit letztendlich Unwichtiges zu streiten.
 

Wie auch immer. Wo war ich doch gleich? Ja, Potters Freunde werden ihn beschützen. Der Orden des Phönix wird ihn beschützen und all die anderen, die für ihn gekämpft und die Schlacht in Hogwarts überlebt haben.

Zufrieden nickte Severus und tunkte die Feder erneut in die Tinte.
 

Harry Potter ist sicher., schrieb er.
 

Er hielt inne.

Die Frage von eben tauchte wieder aus den Tiefen seiner Gedanken vor ihm auf.

Hasse ich Harry Potter, James‘ Sohn noch?

Er wusste es nicht.

Das erschreckte ihn.
 

James Potters Sohn zu hassen war eine Konstante in seinem Leben gewesen und plötzlich war er sich dessen gar nicht mehr so sicher, wie er sich mit vielem in diesem vermaledeiten Monat plötzlich nicht mehr sicher war.
 

Die Frage laut zu fragen, stellte sich als sinnlos heraus. Der spartanisch eingerichtete Raum in Spinner‘s End bleib so stumm und wenig einladend wie zuvor.

Augenblicklich schämte sich Severus Snape für sein kindisches Verhalten. Er hatte noch nie Selbstgespräche geführt.
 

Er beschloss diese Frage auf ein andermal zu vertagen, aber ihn beruhigte, dass er bei dem Gedanken an ein Treffen mit Potter seinen alten Unmut aufwallen spüren konnte.

Severus senkte seinen Blick wieder auf die Pergamentrolle.

Wegen seiner kleinen und engen Schrift sahen die drei Sätze noch verlorener und erbärmlicher auf der ein Meter langen Pergamentrolle aus, als wie sie es so schon getan hätten.
 

Harry Potter ist am Leben.

Er wird mit Ginevra Weasley glücklich werden.

Harry Potter ist sicher.
 

Er seufzte.

Damit wäre er an einer weitaus prekären Frage angelangt. Eine Frage, die ihn mehr beschäftigte, als alles andere. Mehr, als er es selbst für möglich gehalten hatte.
 

War er frei?

Von seiner Aufgabe? Vielleicht, aber von seiner Schuld?
 

Er hatte alles getan um sie zu sühnen und hatte sich dabei weitere Schuld aufgeladen.

Er hatte gelogen, gefoltert… getötet. Er hatte auch Leben gerettet, zumindest jene, die er retten konnte. Dürfte ohne des Dunklen Lords Verdacht auf sich zu ziehen. Er hatte gelitten und so manches Mal den Groll des Lords auf sich gezogen. Er hatte sein Leben riskiert.
 

Aber reichte das aus? Letztendlich, letztendlich war er ja am Leben geblieben.

Er war am Leben.

Immer noch, obwohl er eigentlich hätte sterben sollen.
 

Severus selbst hatte nicht damit gerechnet, lebend und bei einigermaßen guter Gesundheit aus diesem Krieg heraus zu kommen.

Er hatte geglaubt, er würde sterben. Und wenn nicht im Kampf dann doch in einer Zelle in Askaban. Dorthin gebracht für den Verrat und Mord an Albus Dumbledore.

Und schon wieder hatte ihm der Potter-Bengel einen Strich durch die Rechnung gemacht, wie er es früher schon so oft getan hatte.

Potter, sowie Minerva McGonagall, Poppy Pomfrey, später auch einige Heiler aus dem St.-Mungo-Hospital und nicht zuletzt er selbst.
 

Potter, weil er ihn mit Dumbledores Segen rehabilitiert hatte, auch wenn Severus dem Bengel anrechnete, den wahren Grund dafür nicht preisgegeben zu haben.

Wieder eine Option, Potter nicht zu hassen, wie er beunruhigt feststellte.

McGonagall, weil sie ihn nach Potters knapper Zusammenfassung über sein wahres Gesicht hatte holen wollen, um seine Leiche ehrenvoll auf zu gebaren.

Pomfrey, weil sie von McGonagalls Patronus gerufen worden war und alles getan hatte, um das bisschen Leben das noch in ihm war, zu stabilisieren.

Die Heiler aus dem St.-Mungo-Hospital, weil diese sich, schon wieder auf Potters Anweisung hin, um ihn gekümmert und gesund gepflegt hatten.

Er selbst, weil er sich vor dem Ausbruch der Schlacht diverse Stärkungstränke zugeführt hatte, die sich noch in seinem Besitz befunden hatten. Und natürlich, weil er deshalb nicht schnell genug gestorben war.
 

Er war lediglich in eine Art Ohnmacht gefallen, ausgelöst durch den hohen Blutverlust und nicht zuletzt Naginis Gift.

Potter und seinen Freunden war sein flacher Atem durch die vielen Schichten seiner Kleidung entgangen, ganz davon abgesehen, dass sie sich in einer Stresssituation befunden hatten und selbst Minerva McGonagall wäre dieser wohl nicht aufgefallen, wenn sie nicht auf seiner Blutlache ausgerutscht und praktisch auf ihn gefallen wäre.
 

Nachdem man ihn zusammengeflickt hatte, war Severus neun Tage bewusstlos im St. Mungo gelegen.

Am zehnten Tag war er aufgewacht und hatte sich zuerst zutiefst verwirrt und dann wütend mit einer begriffsstutzigen und sichtlich eingeschüchterten Heilerin befassen müssen, bis sie schließlich jemanden geholt hatte der ihm erzählen konnte, was passiert war.
 

Als sich Severus‘ erste Schock über seine Rettung und Rehabilitierung legte, hatte er das St. Mungo auf schnellstem Wege verlassen wollen.

Seine Wunden waren geheilt und sein Körper zwar erschöpft, aber soweit gesund.

Aus diesem Grund hatte er sämtliche Wiederworte und Überzeugungsversuche der Heiler gnadenlos niedergeschlagen und war noch am gleichen Tag abgereist, auch um Minerva um die Möglichkeit zu bringen mit ihm zu reden.
 

Sie, Potter und der Orden des Phönix. Sie alle würden Antworten von ihm fordern, sich entschuldigen oder gar bedanken wollen.

Antworten, die er im Moment nicht geben konnte.

Entschuldigungen, die er nicht hören wollte und Danksagungen, die er nicht annehmen konnte.

Bereits zu diesem Zeitpunkt hätte er erkennen müssen, dass etwas nicht stimmte, aber selbst dann hätte Severus es dort nicht länger ausgehalten.
 

Nicht, so den Heilern ausgeliefert, mit so wenig Privatsphäre und eingesperrt in der drückenden Enge von Menschen, wie es dort nach dem großen Kampf der Fall gewesen war.

Stattdessen war Severus zurück in sein Elternhaus nach Spinner‘s End gegangen.
 

Kein angenehmer Ort, aber dort konnte er zur Ruhe kommen, sich alles noch einmal durch den Kopf gehen lassen.

Die Nachrichten des Tagespropheten verfolgen. Sich daraus seine Schlussfolgerungen ziehen. Schauen, was die Zukunft für die magische Welt bringen würde. Wieder Ordnung in sein Leben und seine Gedanken bringen. Seine nächsten Schritte planen. Seine Schutzmauern wieder aufbauen, um der Welt wieder grimmig und verschlossen wie eh und je entgegentreten zu können…
 

Das war der Plan gewesen.

Ein fataler Fehler, wie sich herausstellte.
 

Die erhoffe Ruhe hatte sich einfach nicht einstellen wollen. Im Gegenteil, die Stille drückte Severus bereits am ersten Tag unangenehm auf seine Ohren und sein Gemüt. Selbst seine Okklumentik versagte ihm zeit- und teilweise den Dienst, sodass er keine richtige Ordnung in seine Gedankenwelt bringen konnte.

Severus daraus resultierende Unzufriedenheit und seine innere Unausgeglichenheit hatten sich in Schlafmangel, Appetitlosigkeit und leichtem Händezittern geäußert.

Selbst ihn, der schon einiges er- und überlebt hatte, zermürbte so ein Zustand mit der Zeit. Außerdem hegte er den leisen Verdacht, dass seine Gnadenfrist bald vorbei wäre.
 

Severus war davon überzeugt, das Minerva sich in ihrem gryffindorischem Heldenmut und Ehrgefühl nicht mehr lange mit der Wartebank zufrieden geben würde.

Mit Sicherheit hatte sie seinen Zweitwohnort schon nachrecherchiert und würde bald vor seiner Tür stehen um von ihm Rede und Antwort zu verlangen.
 

Oh ja, ich kann sie mir gut vorstellen. Mit zusammengekniffen Lippen und diesem strengen und entschlossenen Blick durch ihre Bille.

Wie früher würde sie versuchen, sich in Dinge einmischen, die sie nichts angingen. Minerva McGonagall und ihr beinahe legendärer Gerechtigkeitssinn.

Und wahrscheinlich würde sie die Tür aufsprengen, wenn er ihr nicht öffnete.

Wenn sie doch nur zu seiner Schulzeit mehr…
 

Aber er schweifte schon wieder ab.

Viel zu weit, wie er frustriert bemerkte, hatte er doch in eine ganz andere Richtung denken wollen.

Die Kerze auf seinem Schreibtisch flackerte. Sie würde wohl bald ausgehen und Severus beschloss, es für heute gut sein zu lassen.

Es musste ohnehin schon weit nach Mitternacht sein, aber im Gegensatz zu den vorherigen Tagen konnte er das, was er gerade aus seinen Gedanken herauskristallisiert hatte, schon als gewaltigen Fortschritt sehen.
 

Severus schraubte den Deckel auf das Tintenfass, wobei ihn seine nun kaum noch zitternden Hände behinderten und verstaute es zusammen mit der Feder und der Pergamentrolle in der Schreibtischschubblade.

Er zog seinen Zauberstab -Minerva hatte ihm diesen dankenswerter oder auch naiver Weise auf den Nachttisch neben sein Bett im St.-Mungo-Hospital gelegt gehabt- und versiegelte die Schublade.

Dann löschte Severus die Kerzen und tastete sich im Dunkeln an der Wand zur Tür hinaus.

Nicht ganz so geschwant wie sonst wandelte er den Flur entlang und schließlich zu seinem Schlafzimmer.
 

Auch dort machte er sich nicht erst die Mühe, eine weitere Kerze oder seinen Zauberstab zu entzünden sondern schlüpfte umstandslos aus seinen Schuhen.

Erschöpft legte er seinen Umhang ab und warf ihn in die Richtung, in der er seinen Stuhl vermutete auf dem er gewöhnlich seine Kleider deponierte, die er am nächsten Tag nochmal tragen würde. Auch seine Schuhe kickte er in dieselbe Ecke.

Vorsichtig legte Severus seinen Zauberstab auf seinen Nachttisch, sodass er ihn vom Bett aus gut erreichen könnte.

Dann lies er sich -so wie er war- in sein Bett gleiten.
 

Am nächsten Morgen würde er sich vermutlich über die Unordnung und die Knitterfalten in seiner Wäsche ärgern, aber im Moment war er zu müde, sich auch noch darüber Gedanken zu machen.

Er hatte sich kaum hingelegt, da forderte der andauernde Schlafmangel seinen Tribut und Severus viel zum ersten Mal seit einer gefühlten Ewigkeit, in einen tiefen und einigermaßen erholsamen Schlaf.

2. Aufdringliche Gerüche

Als Severus Snape am nächsten Morgen seine Augen öffnete, blinzelte er gegen Helligkeit an.

Ich muss vergessen haben, die Rollläden zu schließen., dachte er und drehte seinen Kopf träge zum Fenster.
 

Tatsächlich waren die Rollläden nicht ganz geschlossen und die Helligkeit der Sonne hatte sich zu ihm hereingestohlen. Da es immer noch sehr kühl im Zimmer war, konnte es noch nicht sehr spät sein.

Auch wenn es erst Ende Mai war, zur Vormittagszeit würden in diesem Raum bereits stattliche Temperaturen herrschen, was Severus aber nicht von seiner normalen Garderobe abhalten konnte.
 

Angenehmer als die Kühle des Zimmers, war die Kühle, die Severus wieder in seinem Kopf vorfand.

Sie war bei weitem nicht so ausgeprägt wie zu seinen besten Spionagetagen, aber dennoch, den Ansatz, den er gestern endlich zustande gebracht hatte, hatte für ein Fundament gesorgt.

Kein Fundament, auf dem man ein großes Haus stellen könnte, -dazu würde er erst im Stande sein, wenn er diese eine, die wichtigste Frage überhaupt beantworten konnte- aber für eine Hütte würde es reichen.

Er blieb noch eine Weile liegen und genoss die neu gewonnene Klarheit. Dann stand er auf.
 

Wie zu erwarten hatte er sich im Schlaf jede Menge Knitterfalten zugezogen.

Missmutig stellte er fest, dass er den Stuhl in der Nacht nicht getroffen hatte, sodass sein Umhang, der drei Meter danebenlag, auch nicht von Falten verschont geblieben war.

Theoretisch konnte er sie wegzaubern, aber Severus hatte Haushaltszauber schon immer gehasst.

Dennoch, wenn er jetzt frische Kleidung anzog, dann müsste er die alte waschen.

Er nahm seinen Zauberstab vom Nachttisch und durchforstete sein Gedächtnis nach dem richtigen Spruch.
 

Fertig angezogen und ohne Knitterfalten verließ Severus sein Schlafzimmer, um sich im Bad direkt gegenüber etwas frisch zu machen.

Dann blieb er unschlüssig im Flur vor der Tür zu seinem Arbeitszimmer stehen.
 

Es wäre nur logisch mit der Auflistung weiterzumachen, solange er noch diese Kühle verspürte.

Mit dieser Kühle, ohne die er früher niemals hätte agieren können, könnte er zumindest ein paar weitere, nebensächlichere Punkte zu Pergament bringen.

Andererseits würde Severus sie dann vielleicht auch gleich wieder zunichte machen und er glaubte nicht, dass dies so früh am Tag sonderlich ratsam wäre.

Die Entscheidung wurde ihm abgenommen, als er von unten Geräusche wahrnahm. Ein Scharren und Klicken, welches, durch die dünnen Wände und Holztüren abgedämpft, für ihn aber unüberhörbar durchdrang.
 

Severus‘ Griff um seinen Zauberstab -den er reflexartig und blitzschnell gezogen hatte- festigte sich.

Leise schlich er die letzten Meter zur Treppe. Die Türe zum Wohnraum war nur angelehnt.

Allerdings würde Severus von hier aus nicht sehen können, ob dahinter jemand stand.

Er ging leise ein paar Stufen hinunter, dabei richtete er den Zauberstab auf die Tür.

Homenum revelio.

Der Zauber blieb wirkungslos. Er war der einzige Mensch im Haus.

Das kann nur heißen… , überlegte Severus und seine Augenbrauen zogen sich grollend zusammen.
 

Zügig ging er den Rest die Treppe hinunter und riss die Tür auf.

Nun befand er sich in seinem Wohnzimmer. Das Kratzen war hier lauter und kam aus dem Flur.

Severus durchquerte mit langen Schritten den Raum und spähte ärgerlich in den Flur.

Die Küchentür stand offen. Severus hatte einen guten Einblick in die Küche und durch das Küchenfenster.
 

Seine schwarzen Augen fixierten die braune Eule, die davor auf- und abschoss und dabei immer wieder mit Schnabel und Krallen gegen das dünne Glas schlug.

Mit einem Schwung seines Zauberstabs öffnete sich das Fenster und die Eule glitt auf den Küchentisch, wo sie ihn unschuldig mit ihren großen, bernsteinfarbenen Augen anstarrte.

Severus lies den Zauberstab in der Tasche seines Umhangs verschwinden und ging zu der Eule, um ihr den Tagespropheten abzunehmen und sie zu bezahlen.
 

Er war einfach noch nicht auf den Frieden eingestellt, versuchte er sich vor sich selbst zu rechtfertigen, während er Gold aus seiner Umhangtasche fischte. Es war fast so, als erwartete er einen Angriff, auch wenn er doch wusste, dass die Todesser ebenso wenig Zeit finden würden, sich an ihm zu rächen, wie sie es für Potter tun würden.
 

Severus kochte sich einen Kaffee und scheuchte die Eule aus der Küche hinaus. Dann machte er es sich mit der Zeitung im Wohnzimmer bequem.

Die heutigen Schlagzeilen drehten sich um ein geplantes Friedensabkommen zwischen Zauberern und Riesen, den Wiederaufbau der Winkelgasse und um die Festnahme eines Todessers. Severus nippte an seinem schwarzen Kaffee und blätterte weiter.
 

Der Rest beschäftigte sich ebenfalls mit keinen wirklich relevanten Themen, auch wenn Severus‘ Blick flüchtig über die Veröffentlichungen der Todeszahlen von Muggeln und Zauberern geschweift war. Sie befanden sich in einem dreistelligen Bereich.

Severus warf die Zeitung beiseite und lehnte sich in seinem Sessel zurück.

Diese Leben haben nicht in meiner Verantwortung gestanden. Und selbst wenn sie es getan hätten, ich hätte ihnen nicht helfen können.

Severus kratzte sich den linken Unterarm und ließ seinen Blick durch das trostlose Zimmer schweifen.
 

Er trank den letzten Schluck Kaffee und stellte die Tasse dann energisch auf dem wackligen Couchtisch ab. Seine Gedanken würden ihn nicht verschonen, da konnte er sich auch gleich weiter mit der Auflistung beschäftigen und Severus hatte das Gefühl, dass es ihm heute besser gelingen würde als gestern.

In seinem Arbeitszimmer angelangt, nahm er den Versiegelungszauber von der Schublade und lies sich auf dem unbequemen Holzstuhl nieder. Doch anstatt der angefangenen Pergamentrolle, holte er einen kleinen Zettel hervor und breitete ihn vor sich aus. Dann zog er Feder und Tinte und begann zu schreiben.
 

Es war ihm zuwider, mehr als nur die Antworten aufzuschreiben, aber Severus war zu der Überzeugung gelangt, dass er anders nicht mehr weiterkommen würde.

Statt also weiterhin den Faden zu verlieren, hatte Severus sich dazu durchgerungen, die Fragen nun doch schriftlich festzuhalten. Er würde mit den leichten beginnen und sich dann langsam zu der gewichtigsten vorarbeiten.
 

Kurz schoss Albus Dumbledores Abbild an seinem inneren Auge vorbei, doch Severus verdrängte es gleich wieder. Er würde und musste es auch ohne fremde Hilfe schaffen, eine Lektion die er schon im Alter von fünf Jahren verinnerlicht hatte. Severus hatte bereits fünf Fragen ausformuliert ehe er inne hielt:
 

Wird Hogwarts wieder öffnen?

Was wird Potter als nächstes tun?

Wer wird neuer Minister für Zauberei?

Werde ich verurteilt werden?

Habe ich noch Rückstände von Naginis Gift im Körper?
 

Nun wurden die Fragen schwieriger und alleine, sie in ganzen Sätzen zu bringen stellte sich als schwierigere Aufgabe als gedacht, heraus. Allerdings hätte er sich gleich für die erste Frage, die er vollständig zu Papier brachte, am liebsten selbst geohrfeigt. Immerhin, sie löste leichte Kopfschmerzen aus.
 

Möchte ich mit Minerva McGonagall reden?
 

Aber es war eine Frage, die ihn in der Tat sehr beschäftigte.

Nun, früher oder später wird sie ohnehin kommen und mich zur Rede stellen, ob ich nun will oder nicht.

Aber er hätte ein anderes Gefühl dabei, wenn er diese Frage, unabhängig davon ob er eine Wahl hatte, klären könnte.
 

Er tauchte die Feder wieder in die Tinte und schrieb die nächste Frage auf.

Hasse ich Harry Potter noch?

Damit hätte er nun sieben Fragen. Genug, um sich mit den Antworten befassen zu können.

Er zog die Pergamentrolle aus der Schublade.
 

Wird Hogwarts wieder öffnen?
 

Was diese Frage betraf, so war er sich der Antwort ziemlich sicher.

Ja.
 

Dazu hatte es sogar einen Zeitungbericht im Tagespropheten gegeben. Hogwarts würde wieder öffnen.

Pünktlich am 1.September würden neue und alte Scharen von Schülern mit dem Hogwarts-Express zur Schule fahren. Auch für Dumbledores Nachfolge war gesorgt. Minerva würde mit Sicherheit ihr Bestes geben.

Was Severus nicht wusste war, ob Horace Slughorn weiterhin bleiben und wer in Zukunft Verteidigung gegen die Dunklen Künste geben würde.

Aber das konnte ihm auch egal sein.

Hogwarts war Severus‘ erstes, richtiges und -wenn er es genau betrachtete-, auch einziges Zuhause gewesen, weswegen er an dem Fortbestand der Schule interessiert war.

Auch, wenn es für ihn keine Zukunft mehr auf Hogwarts geben würde.

Niemand würde ihn weiterhin auf Schüler loslassen und er war sich nicht sicher ob er sich wieder ein paar dumme, faule und respektlose Kinder würde antun können und dennoch löste der Gedanke Hogwarts nie wieder zu betreten eine merkwürdige Leere in Severus aus.

Er tauchte seine Feder erneut in Tinte.
 

Hogwarts wird mit der Schulleiterin Minerva McGonagall am 1. September diesen Jahres wieder öffnen.
 

Zufrieden mit dem Satz zog Severus seine Fragenliste zur Rate.
 

Was wird Potter als nächstes tun?
 

Auch um diese Frage zu beantworten musste Severus nicht lange überlegen, denn auch dazu hatte er mehr oder minder feste Tatsachen vorliegen.

Es war höchst unwahrscheinlich, dass Potter nichts von dem Aufruf des Ministeriums mitbekommen hatte, dass alle die in Hogwarts gekämpft hatten sich freiwillig zu einer Ausbildung zum Auror melden könnten. Schließlich war dieser Aufruf durch alle Zeitungen gegangen, sodass Severus nicht umhin gekommen war, ebenfalls Notiz davon zu nehmen.

Da Potter schon immer rege Begeisterung darin gezeigt hatte, den Helden zu spielen, würde er sich diese Gelegenheit nicht durch die Finger gleiten lassen. Dazu musste Severus weder Hellseher sein, noch auf die Schlagzeile darüber warten.
 

Potter wird eine Ausbildung zum Auror absolvieren., war sein nächster Satz.
 

Wer wird neuer Minister für Zauberei?
 

Auch eine einfach zu beantwortende Frage, wenngleich Severus nur oberflächlich daran interessiert war.

Es gab eigentlich nur einen in Frage kommende Kandidaten: Kingsley Shacklebolt und selbst Severus hielt ihn für einen fähigen, tatkräftigen und einigermaßen gerechten Mann.

Perfekte Voraussetzungen. Blieb zu hoffen, dass die Zauberergemeinschaft diese Chance auch wahrnahm.
 

Kingsley Shacklebolt ist der ideale Kandidat für das Amt des Zaubereiministers.
 

Nun kam er zu der ersten Frage, die ausschließlich ihn ganz persönlich betraf.
 

Würde er verurteilt werden?
 

Objektiv betrachtet gab es eine Menge Gründe, ihn zu verurteilen, trotz der Tatsache, dass sich sowohl Potter, als auch Dumbledores Portrait für ihn ausgesprochen hatten.

Er hatte viel Unrechtes und Grausames getan, um nicht aus seiner Rolle zu fallen.

Dinge welche weder er, noch ein anderer für ihn hätte rechtfertigen können.

Severus stellte fest, dass er seinem eigenem Schicksal relativ gleichgültig entgegen sah. Ob er nun hier oder wo anders war. Spielte der Ort denn wirklich eine Rolle?

Severus ließ seinen Blick durch das Zimmer schweifen und versuchte, Gründe dafür zu finden, warum es hier besser war als im Gefängnis.
 

In Spinner‘s End hatte er ein warmes Bett und ein Badezimmer.

Mit Sicherheit würde es ziemlich an seinem Stolz kratzen, in seinem eigenen Dreck zu schlafen, denn auch, wenn die Dementoren Askaban verlassen hatten, so war es doch alles andere als ein menschenfreundlicher Ort. Vielleicht doch ganz passend für ihn…
 

Im Gefängnis wäre er mit seinen Gedanken genauso alleine wie hier und es war nicht so, dass Spinner’s End irgendwelche glücklichen Erinnerungen oder gar Geborgenheit in ihm auslösen würde.

Allerdings hätte er vermutlich kein Pergament mehr, um seine Gedanken aufzuschreiben, keine Zeitung, die ihn von den Ereignissen da draußen in Kenntnis setzen würde und keine Bücher mehr, aus denen er sein Wissen beziehen konnte.

So gesehen war es hier um einiges angenehmer. Aber hatte er auch ein Anrecht darauf?
 

Severus schüttelte den Kopf, schon wieder hatte er sich verrannt.

Das eine hing einfach zu sehr mit dem anderen zusammen.

Aber ob er es nun verdient hätte oder nicht, Severus war sich sicher, nicht verurteilt zu werden.

Hätte das Zaubereiministerium vorgehabt, ihn ins Gefängnis zu bringen, dann hätten sie keine drei Wochen ungenutzt verstreichen lassen.

Vermutlich hätte er nicht mal einen Schritt aus dem Hospital treten können, wenn es in ihrem Sinne gewesen wäre, ihn zu verhaften.
 

Ich werde nicht verurteilt werden.
 

Als er das geschrieben hatte, kam er zu einer, für ihn interessanteren, Frage.

Nicht etwa, weil er Angst um sein körperliches Wohl gehabt hätte, sondern weil es seinen Forschergeist weckte.
 

Habe ich noch Rückstände von Naginis Gift im Körper?
 

Severus verließ sich in solchen Fällen grundsätzlich nur auf fundierte und belegte Tatsachen.

Unter normalen Umständen wäre er nun einfach in sein Labor gegangen, hätte sich Blut abgenommen und es anschließend auf Fremdkörper untersucht. Aber dies war nicht möglich.

Spinner’s End besaß kein eigenes Labor, ganz abgesehen davon das er all seine Zaubertrankzutaten, Kessel und Apparate in Hogwarts gelassen hatte.
 

Nicht, dass er seiner freien Beurteilungsgabe misstraute, aber er hätte in diesem Bezug lieber eine wissenschaftliche Bestätigung gehabt und da er es strikt abgelehnt hatte, sich von den Heilern des St.-Mungo-Hospitals näher untersuchen zu lassen, würde er sich bis auf weiteres auf sein Bauchgefühl verlassen müssen.

Deshalb wählte er eine unverfänglichere Formulierung bei der Beantwortung der Frage.
 

Ich glaube, dass Naginis Gift komplett neutralisiert wurde, da ich momentan keine körperliche Beeinträchtigung verspüre.
 

Nun war er an einer weitaus kniffligeren Frage angelangt.
 

Wollte er mit Minerva McGonagall reden?
 

Doch ehe er auch nur damit beginnen konnte, das pro und contra abzuwiegen, klingelte es an der Tür. Severus stutzte.
 

In Groschenromanen wäre dies so eine Stelle, in der die Person, die gerade Gegenstand der Gedanken des Protagonisten war, im denkbar ungünstigsten Moment -also jetzt- vor der Tür stehen würde.

Auch wenn Severus sich selbst sehr oft an der Stelle eines solchen Protagonisten gesehen hatte, beispielsweise wenn Schüler mal wieder in der letzten Unterrichtsstunde des Tages einen Kessel explodieren ließen oder der Dunkle Lord ihn in seiner wohlverdienten Nachtruhe gestört hatte, so glaubte er nicht recht, dass nun ausgerechnet Minerva McGonagall vor seiner Tür stehen sollte.

Das wäre einfach zu ironisch.
 

Nur, wer würde es sonst wagen, ihn zu stören? Und das auch noch unangemeldet?

Wer auch immer es ist, er ist äußerst ungeduldig., bemerkte Severus, als derjenige zum zweiten Mal klingelte.
 

Er hatte nun zwei Optionen:

Er könnte so tun, als ob er nicht zu Hause wäre oder hinuntergehen und dem Störenfried in alter Manier die Meinung geigen.

Severus entschied sich für letzteres. Er war niemand, der sich vor möglichen Unannehmlichkeiten feige im Haus versteckte.
 

Zum zweiten Mal an diesem Tag ging Severus also, von einem Geräusch gestört, hinunter und in den Flur.

Da die Sonne in einem günstigen Winkel zur Tür stand, konnte er durch die teils verglaste Holztür eine verschwommene Gestalt erkennen. Sie war kleiner als er selbst und ziemlich aufgeregt, wie sie da vor dem Fenster herumzappelte, wieder auf die Klingel drückte und versuchte, durch das Milchglas hereinzuspähen.

Severus leerte seinen Geist von allen Gedanken und ging mit seinem üblich ausdruckslosen und bestenfalls als gelangweilt einzustufendem Gesichtsausdruck zur Tür.
 

Bereits, als er öffnete, schlug ihm eine Welle schwerer parfümierter Luft entgegen.

Eine Mischung aus Kokosnuss, Kirsche und Vanille die Severus in seine empfindliche Nase stach.

Vor ihm und -für seinen Geschmack viel zu nah- stand Rita Kimmkorn. Er konnte nicht behaupten, dass er sonderlich überrascht gewesen wäre.
 

Sie trug ein seidiges, weinrotes Kleid, welches sich fürchterlich mit ihrer Krokodillederhandtasche biss und selbst für ihre Verhältnisse freizügig war. Dazu hatte sie schwarze, hohe Stiefel an und ihre giftgrüne Brille mit den Diamanten,-die auf ihrer Nase thronte- funkelten mit ihren zum Lächeln gebleckten Zähnen um die Wette. Die Reporterin hatte auch nicht an Rouge, Lidschatten und Wimperntusche gespart.
 

Diese Frau schien noch weniger Geschmack zu haben, als aus ihren Berichten zu entnehmen war. Außerdem hatte sie wohl eine neue Methode entwickelt, ihre Opfer an der Flucht zu hindern, indem sie diese mit ihrer Parfümwolke betäubte.

Severus hoffte nur, seine Augen würden nicht zu tränen beginnen, denn sonst wäre sein Ruf für immer und ewig dahin.
 

„Severus Snape! Mein Name ist Rita Kimmkorn!“, begann die Reporterin überschwänglich, kaum dass er die Tür komplett geöffnet hatte und streckte ihm ihre Krallenhand, mit den rot lackierten Fingernägeln, entgegen.

Severus machte keine Anstalten, einzuschlagen, sondern nickte ihr nur kühl und abschätzend zu.

Rita Kimmkorn ließ sich nicht beirren. Sie schien gar nicht mit einer freundlichen Erwiderung gerechnet zu haben. Stattdessen lächelte sie ihn weiterhin an und schwenkte mit der, zum Händedruck gestreckten Hand durch die Luft.
 

„Hübsch haben Sie es hier.“

Severus hob eine Augenbraue.

War das ihr Ernst? Sie wollte ihn so billig in ein Gespräch verwickeln? Sie hoffte wohl, er würde ihr ein bisschen entgegenkommen.

Nun, darauf kann sie lange warten.

Rita Kimmkorn räusperte sich.

„Hätten sie etwas dagegen, wenn ich eintrete?“

Severus schenkte ihr einen undurchdringlichen Blick.

„Ja, ich habe in der Tat etwas dagegen.“, sagte Severus knapp und verschränkte demonstrativ die Arme vor der Brust.

Er meinte, in ihren Augen Ärger aufblitzen zu sehen.
 

Die Verweigerung des Eintritts in seine Privaträume mit der abwehrenden Geste, kam der Weigerung, auch nur irgendetwas von sich preiszugeben, gleich. Als ob er das nicht vom ersten Moment an deutlich gemacht hätte.

Aber die Reporterin fing sich ausgesprochen schnell.
 

„Nun, ich denke Sie wissen, dass ich für den Tagespropheten schreibe -auch wenn ich natürlich schon meinen eigenen Bestseller veröffentlicht habe- und ich würde Ihnen gerne einige Fragen zu Ihrer doch höchst zweifelhaften und mysteriösen Rolle im Krieg gegen Sie-wissen-schon-wen stellen.“
 

Ja, genau das hatte Severus sich gedacht. Dass sie ihr Buch über Albus erwähnte, konnte nur bedeuten, dass sie vorhatte, sein Leben ebenfalls zu vermarkten. Zumindest war ihr Gespräch über den Punkt hinaus, an dem sie falsche Unschuld vorheucheln konnte.
 

„Und wie kommen Sie darauf, dass ich gerade mit Ihnen reden würde?“, fragte er forsch, während er sich gedanklich schon auf seinen letzten Schlag vorbereitete.

Es fehlte nur noch ein bisschen mehr Angriffsfläche, aber vermutlich würde er ohnehin unter die Gürtellinie zielen. Dafür, dass sie seine Zeit derart verschwendete.
 

„Ihre Geschichte interessiert mich brennend, ganz zu schweigen von meinen eifrigen Lesern!“, Kimmkorn ließ wieder ihre Zähne aufblitzen.

„Und denken Sie nur, ich biete Ihnen die Gelegenheit, endlich die Wahrheit ans Licht kommen zu lassen! Ein Mann ihres Formats würde das doch sicherlich nicht ablehnen, stimmt’s?“

Sie zwinkerte ihm zu.

„Sie können alle Gerüchte, die Ihrem Ruf schädigen, auf einmal aus der Welt schaffen die nach Potters sehr dürftigen Erklärungen, sie hätten alles auf Dumbledores Befehl hin getan und waren schon immer auf der Seite der Guten, in der magischen Gesellschaft kursieren. Und ich sage Ihnen, diese Gerüchte sind von erlesener Schärfe. Ganz abgesehen davon, dass ich sie am Gewinn beteiligen könnte.“

Sie hatte sich leicht vorgebeugt und lächelte ihn erwartungsvoll an.
 

Das war alles? Sie denkt, damit kann sie mich ködern?

Diese Frau schien entweder über wenig Menschenkenntnis, zu viel Fantasie oder über eine schlechte Kombinationsgabe zu verfügen. Severus war fast ein wenig enttäuscht, dass sie es ihm so leicht machte.
 

Glaubte sie wirklich, es kümmerte ihn, was ein paar dekadente Zauberer über ihn dachten?

Dachte sie, er würde ihr für Geld seine Seele ausschütten, die er nicht einmal Dumbledore zur Gänze offenbart hatte, weil er in dieser, wenig an Reichtum anmutenden, Gegend wohnte?

Dass er ihr wegen ihrer Aufmachung aus der Hand fressen würde?

Wie er es auch drehte und wendete, sie musste ihn offenbar für einen labilen, notgeilen und profitsüchtigen Trottel halten. Das würde Severus ihr mit gleicher Münze heimzahlen.
 

„Sie sind überaus resolut und halten sich offensichtlich für eine eloquente und verführerische Rednerin, Ms Kimmkorn.“, begann er langsam und mit dunkler Stimme, wobei er jedes einzelne R rollte.

Die Reporterin nickte Severus zu und schenkte ihm ein weiteres Lächeln, welches sie wohl für charmant hielt.

„Ich aber empfinde anders.“

Ihr Lächeln verblasste, aber Severus fuhr unbeeindruckt fort:
 

„Mit welcher Vermessenheit treten sie vor meine Tür? Ihre Berichte entbehren jegliche Grundlage. Ich hatte schon öfters das zweifelhafte Vergnügen zu bewundern, wie Ihr Geschreibsel bessere Arbeit beim Schmelzen der Synapsen im Gehirn leistete, als meine hochprozentigsten Säuren. Daran kann auch ihre infantile Aufmachung nichts ändern. Sie bringen mein Blut so sehr in Wallung, wie wenn ich meine Füße in Eiswasser stecke. Das können sie auch nicht mit Ihrer überzogenen Garderobe kompensieren.“, er ließ seinen Blick abfälligen über ihr Kleid wandern.
 

Trotz ihrer dicken Schicht Rouge konnte Severus ihre Wangen erröten sehen. Sie lächelte nun kein bisschen mehr.
 

„Ich jedoch bleibe lieber konservativ. Sie malträtieren mich mit Ihrem Äußeren, voll von unerträglicher Geschmacklosigkeit und sie maßen sich an, mein Image aufpolieren zu wollen? Das alleine ist schon eine Frechheit! An ihrem überparfümierten Geld hege ich keinerlei Interesse. Sie generieren kein, für mich in irgendeiner Weise erstrebenswertes Angebot. Daher würde ich es begrüßen, wenn wir diese Farce nun beenden.“, schloss Severus süffisant.
 

Er konnte sie deutlich nach Luft schnappen hören.

Kurz überlegte er, ob er ihr eine Chance für eine Erwiderung geben sollte, entschied sich dann aber dagegen und schlug ihr ohne Umschweife die Tür vor der Nase zu.

3. Ein persönlicher Rekord

Die Genugtuung, die Severus nach Kimmkorns Besuch durchströmt hatte, und die daraus resultierende gute Laune hielten gerademal bis zum Mittag an.

An den beiden letzten Fragen nach McGonagall und Potter abgequält, war seine Stimmung an einem neuen Tiefpunkt angelangt und er saß ausgelaugt im Wohnraum auf der Couch, ein Glas Elfenwein in der Hand.
 

Tatsächlich hatte er auf beide Fragen eine Antwort gefunden, doch diese waren so wenig zufriedenstellend, dass er sie nicht einmal aufgeschrieben hatte. Stattdessen versuchte er sie in Alkohol zu ertränken, etwas, dass er selbst in seinem, nicht mehr als nüchtern einzustufenden, Zustand als widerlich empfand.
 

Nein, er wollte nicht mit Minerva reden. Am wenigsten über die Themen, über die sie reden wollen würde. Darüber wollte er mit niemandem sprechen.
 

Er wollte seine Beweggründe nicht erläutern müssen. Nicht erzählen, was Nerhegeb ihm als seinen sehnlichsten Herzenswunsch zeigte. Dass er die ganze Zeit über versucht hatte, seine Schuld Lily gegenüber zu sühnen. Severus hatte Dumbledore schließlich nicht ohne Grund den Schwur abgenommen, zu schweigen.

Aber Minerva McGonagall würde trotzdem kommen und sich mit Sicherheit auch nicht so einfach abweisen lassen. Das wird wohl eine ziemlich hässliche Angelegenheit werden.
 

Was jedoch Harry Potter anging…

…er hasste ihn nicht mehr.
 

Nicht, das Severus ihn nun plötzlich mochte, aber er konnte ihn nicht mehr hassen. Jedenfalls nicht mehr so wie früher.

Nicht mehr dafür, dass Lily für ihn gestorben war. Dafür, dass er James Potter so ähnlich sah.

In diesem Punkt hatte Dumbledore wieder einmal Recht behalten. Der Junge hatte Lilys Opfer nicht beeinflussen können und sah er auch aus wie Potter, in seinem Herzen war er Lily ähnlicher.
 

Severus hatte das schon früher bemerkt, aber diese Erkenntnis immer sofort im Keim erstickt. Hatte gar nichts anderes in dem Jungen sehen wollen als ein Abbild seines Vaters, denn auf eine bizarre Art und Weise war es Severus leichter gefallen, den Jungen als James' Sohn zu hassen, als wenn er sich irgendwie mit Lilys Sohn arrangiert hätte.
 

Und der Bengel hatte ihm dies erleichtert, indem er diverse Schulregeln verletze. Das war auch immer Severus‘ Hauptargument gewesen, den Jungen zu verabscheuen. Das und sein unübersehbarer Stolz auf sein Haus und seinen Vater. Und dennoch hatte er seine Nase nie so weit oben getragen wie James Potter, auch, wenn sich Severus dies ebenfalls eingeredet hatte.

Der Junge hatte sich stets für andere und seine Überzeugungen eingesetzt. Hatte sich gegen Umbridge und das Ministerium gestellt, obwohl er wusste, was unweigerlich folgen würde.

Er hatte Lilys Mörder besiegt.
 

Harry Potter war so mutig und ausdauernd gewesen, wie früher Lily, wenn sie sich gegen ihre Hausgenossen gestellt hatte, um ihn zu verteidigen. Obwohl Severus es ihr nie gedankt hatte und auch Potter hatte man seinen Einsatz lange nicht gedankt. Außerdem hatte Potter seinem Wunsch entsprochen und den Inhalt seiner Erinnerungen größtenteils für sich behalten.

Und trotzdem war der Bengel unverkennbar auch Potters Sohn.
 

Er besaß die gleiche Ungeduld wie Potter.

Das gleiche Talent für Quidditch.

Die gleiche ungesunde Neugierde und Unbesonnenheit.

Den gleichen Drang nach Abenteuern.
 

Severus spürte wieder Wut in sich hochkochen und eine zweite Stimme in seinem Kopf meldete sich zu Wort.

Der Junge hat niemanden aus Langeweile und dem Gefühl der Überlegenheit heraus gequält.

Diese Eigenschaft, so schien es, war alleine seinem Vater und seinem Paten vorbehalten gewesen.

Severus seufzte lautlos.
 

Genau aus diesem Grund hatte er nicht mehr darüber nachdenken wollen. Immer wenn er versuchte, sich den Jungen schlecht zu reden, meldete sich diese zweite, nervige Stimme -die wohl einen Großteil seines Gewissens ausmachte- und vermieste ihm die Partie.

Nein, er hasste Harry Potter nicht mehr.

Eigentlich müsstest du ihm dankbar sein., sprach sein Gewissen. Dafür, dass du weiterleben durftest, an diesem schwärzesten aller Tage.

Dieser Tag, an dem Lily ihn und diese Welt für immer verlassen hatte, ausgelöst… durch seine Schuld. Seine Augen begannen zu brennen.
 

Was wäre, wenn er es nun einfach geschehen lassen würde? Wenn er sie zulassen würde, die Tränen, die er seit sechzehn Jahren aufgestaut hatte? Niemand würde sie sehen.

Aber er musste stark bleiben.
 

Wann immer er sich in den letzten Jahren eine Träne gestattet hatte, war es unweigerlich schwieriger geworden, die übrigen mit all seinen Gefühlen wegzuschließen. Und auch das hatte er nur geschafft, weil er seine Aufgabe nicht gefährden durfte.

Wenn er sich also nun erlaubte nachzugeben, würde er massive Schwierigkeiten haben, sich wieder zu sammeln. Das wollte er nicht riskieren.
 

Reiß dich zusammen. Du bist nicht mehr der kleine Junge, der seinen Eltern beim Streiten zusieht!

Severus leerte sein Glas und schob es dann mit der Flasche von sich weg.

Genug. Ich habe mich genug gehen lassen.
 

Eigentlich hatte er vorgehabt bei dem kleinen Muggelmarkt vorbeizuschauen, an dem er sich neuerdings mit Lebensmittel eindeckte, um nicht in die Winkelgasse zu müssen, aber das konnte er wohl vergessen.

Sein Magen knurrte. Er hatte bis auf den Kaffee am Morgen und den Elfenwein noch nichts zu sich genommen. Schwerfällig richtete Severus sich auf und ging schwankend zur Küche.

Ich hätte auf leeren Magen nicht so viel trinken sollen., verfluchte sich Severus.

Du hättest gar nichts trinken sollen., ergänzte seine Gewissen.

Am Türrahmen musste Severus sich kurz abstützen, da der Raum vor seinen Augen verschwamm.

Wenn ich doch nur mein Labor zur Verfügung hätte. Ein Entnüchterungsstrank und die Sache wäre erledigt.
 

Eigentlich verspürte er nicht den geringsten Appetit, aber wenn er mit seinem Essverhalten so weiter machte, wie er es die letzten zwei Tage gehandhabt hatte, würde er vermutlich noch in der nächsten Woche verhungern.

Severus durchforstete seine Vorratsschränke nach etwas Essbarem.
 

Er ärgerte sich über die vorherrschende Leere, aber er war es einfach nicht gewohnt, sich sonderlich um die Küche zu kümmern. Die längste Zeit, die er in Spinner’s End verbracht hatte, waren die Sommerferien gewesen. Zu Beginn der Ferien hatte er seine Vorratsschränke einmal aufgefüllt und damit dann den Sommer überstanden. Die restliche Zeit war er auf Hogwarts versorgt gewesen.

Fünf Minuten später begutachtete Severus seine Ausbeute.
 

Er hatte eine bereits abgelaufene Konservenbüchse mit Spagetti, trockenes Brot, etwas Käse, zwei noch halbwegs frische Eier, einen schrumpeligen Apfel, vergammelte Schnittwurst, Teebeutel; Butterschmalz und eine Auswahl an Gewürzen gefunden.
 

Severus zog aus seinem Geschirrschrank einen sauberen Teller und organisierte aus einer unteren Schublade eine Panne.

Er erhitzte mit dem Zauberstab den Herd und ließ Butterschmalz in der Pfanne zerlaufen.

Die zwei Eier angebraten und mit Gewürzen etwas verfeinert, gaben zusammen mit dem Brot ein halbwegs anständiges Abendessen ab.

Während er aß, ließ Severus den Tag nochmal Revue passieren.
 

Mit seinem Fragen war er ganz gut vorangekommen, auch wenn er mit den letzten beiden Antworten nicht zufrieden war. Wenigstens hatte er sich an der Kimmkorn-Ziege etwas abreagieren können. Severus hatte selbst bemerkt, wie frustriert er in den letzten Tagen gewesen war.

Als er aufgegessen hatte, dämmerte es bereits.
 

Severus griff nach seinem Zauberstab und ließ die abgelaufenen Lebensmittel sowie Eierschalen mit einem gedanklichen Wingardium Leviosa in den Müll fliegen. Leider war das auch schon alles, was er hier mit Magie bewirken konnte und es wurmte ihn, dass er den Abwasch nun per Hand erledigen musste.

Ich sollte mir doch mal ein paar mehr Haushaltszauber anschaffen., dachte er missmutig, während er Spülwasser einlaufen ließ.
 

Nachdem er die Küche aufgeräumt hatte, ging er nach oben, putzte Zähne und zog sein Nachthemd an. Dann ging Severus zu Bett.

Er hatte die Jalousie herunter-, das Fenster aber offen gelassen, sodass Severus die frische Nachtluft genießen konnte.
 

An solchen Abenden war er immer gerne auf Hogwarts Ländereien spazieren gegangen. Hatte der Stille und Einsamkeit, die nur von gelegentlichem Blätterrascheln durchbrochen worden war, gefrönt.

Diese Spaziergänge hatten es vermocht, sein Inneres so zu beruhigen, wie selbst seine Okklumentik es nicht vermochte.

Severus dreht sich auf die Seite und lauschte in die Nacht hinein. Entfernt konnte er einen Hund bellen hören. Severus Glieder wurden schwer und er leerte seinen Geist.
 

Eine Stunde später lag er immer noch wach. Er hatte geahnt, dass seine Gedanken es ihm heute wieder schwerer machen würde, zur Ruhe zu kommen.

Warum konnte er sie nicht einfach mit seiner Okklumentik vertreiben? Wieso nur war er so ruhelos?

Er müsste doch viel entspannter sein. Jetzt, ohne die Last seiner Doppelrolle auf den Schultern und ohne die ständige Furcht vor Potters Gefangennahme und Ermordung.
 

Am nächsten Morgen war Severus müde und schlecht gelaunt. Er hatte fast die gesamte Nacht wachtgelegen, nur von ein paar Minuten Dämmerschlaf durchbrochen, in denen er kurzzeitig eingenickt war, nur, um dann sofort wieder aufzuschrecken.
 

Das war frustrierender als die Schlaflosigkeit an sich, sodass Severus fast froh war, als endlich der Morgen graute.

Nun saß er in seinem Sessel im Wohnzimmer und mühte sich damit ab, wie immer eine Tasse Kaffee zu trinken. Die Zeitung von heute lag unangetastet neben der Untertasse auf dem Couchtisch. Severus hatte einfach noch nicht den Antrieb gefunden, sie aufzuschlagen.

Mit Sicherheit würde ohnehin nichts Wichtiges darin stehen, wenn sich die Titelseite um so etwas Banales, wie dem Austritt eines Quidditchspielers aus irgendeiner Nationalmannschaft drehte.

Severus trank mit zitternden Händen einen weiteren Schluck und stellte die leere Tasse ab. Das Zittern ließ ohne das zusätzliche Gewicht etwas nach.
 

Verdammt, bin ich müde.

Ohne einen Stärkungstrank gegen Müdigkeit würde er wohl noch eine Tasse Kaffee benötigen, wenn er den Tag überstehen wollte.

Und einkaufen gehen muss ich auch noch.

Er stöhnte und strich sich die fettigen, schulterlangen Haare aus den Augen. Severus warf einen Blick auf seine Standuhr. Die Uhr hatte er erst neulich dort aufgestellt. Vorher war sie im Besenschrank vor sich hin gemodert.
 

Severus fand sie ausgesprochen nützlich. Durch sie wusste er immerhin, dass die Zeit noch nicht stehen geblieben war, denn wenn jeder Tag fast identisch ist, konnte man leicht sein Zeitgefühl verlieren. Und Severus hasste es, die Kontrolle über etwas zu verlieren.
 

Die Standuhr zeigte ihm an, dass es 6:45 Uhr war. Viel zu früh, um einkaufen zu gehen, selbst an einem Dienstag. Er würde wohl noch warten müssen.

Er könnte sich wieder mit der Liste befassen, aber wenn Severus ehrlich zu sich war, dann graute es ihm förmlich davor.
 

Sich ständig mit seiner inneren Unruhe und Verwirrtheit befassen zu müssen, war schrecklich ermüdend, besonders wenn die Ergebnisse so wenig befriedigend waren. Außerdem war er von der Beantwortung der wichtigsten Frage immer noch meilenweit entfernt und er hatte möglicherweise ein klein wenig Furcht vor der Antwort…

Wie gerne hätte Severus wieder eine richtige Aufgabe oder sein Labor, aber es half ja nichts.
 

Vom Wünschen und Jammern würde er nicht weiterkommen. Mit seiner Zukunft konnte er sich eben erst befassen, wenn er sich Klarheit über die Gegenwart und einige, entscheidende Dinge der Vergangenheit verschafft hatte. Eher würde Severus‘ Kopf und sein Gewissen ohnehin nicht ruhen. Und auch er könnte nicht einfach irgendwie weiter machen, ohne diese Klarheiten und ein Ziel, das er verfolgen konnte. Ein weiteres, unerschütterliches Faktum.
 

Severus stand auf, mit der Absicht sich neuen Kaffee zu machen und im Anschluss doch noch die Zeitung zu lesen.

Er kam gerade bis zum Bücherregal neben der Tür zum Hausflur, ehe er durch die Türklingel gestört wurde.
 

Wieso bekomme ich auf einmal so viel Besuch?

Zwei Personen in zwei Tagen stellte eine Art persönlichen Rekord da.
 

Man sollte meinen, dass meine erlesene Gastfreundschaft hinreichend bekannt wäre., dachte Severus gereizt. Ich hoffe nur, dass es nicht wieder Rita Kimmkorn ist.

Er war wirklich nicht in Stimmung für ihre albernen Mätzchen. Der Schatten, den er durch die Schreiben in der Haustüre erkennen konnte, hatte jedenfalls die gleiche Größe und ungefähre Statur.

Wenn sie es tatsächlich war, konnte er nicht dafür garantieren, sie weiterhin nur mit Worten zu attackieren.

Allerding hüpfte die Person vor seiner Haustür nicht auf und ab, sondern stand steif wie eine Statue davor.

Und dieser Hut, den er durch das Milchglas sehen konnte, kam ihm verdächtig bekannt vor.
 

Natürlich musste sie sich ausgerechnet einen solchen Moment heraussuchen., dachte er grollend. Noch unpässlicher, als wie sie es gestern bereits gewesen wäre.

Was Severus wunderte, war die Uhrzeit. Sie war zwar stets eine Frühaufsteherin gewesen, aber dass sie so früh morgens vor seiner Pforte stehen würde, hätte er ihr nicht zugetraut.

Sie klingelte erneut.
 

Ärgerlich starrte Severus die Tür an. Als ob sie allein schuld an seiner Misere hätte. Dabei war er vor allem auf sich selbst zornig. Andererseits war es mal wieder so typisch für diese Frau dann aufzutauchen, wenn er sich erlaubte, sie kurzzeitig zu vergessen.

Als ob sie es geahnt hätte und ihn mit ihrem Besuch schleunigst an ihre Existenz zu erinnern.
 

Kurz spielte Severus mit dem sehr verlockenden Gedanken, sie einfach draußen versauern zu lassen, aber er verwarf die Idee. Das wäre wirklich kindisch und wenn Severus es geschickt anstellte und sie mit Abweisung und Hohn überhäufte, würde sie rauchend vor Zorn ohnehin alsbald wieder abziehen. Zumindest für einige Zeit. Dessen glaubte er sich gewiss.
 

Er verbarg seine Wut, die sowieso schon abzusinken begann, und ihr vermutlich nur Angriffsfläche bieten würde und ging gemächlich zur Haustür.

In Seelenruhe drehte Severus den Schlüssel im Schloss, wissend, dass er sie so ärgern konnte und öffnete langsam die Tür.
 

Vor ihm stand aufrecht, in ihrem langem, smaragdgrünem Umhang gehüllt, die Arme in die Hüften gestemmt, die Lippen schmal zusammengekniffen und die Augen aufmerksam hinter der Brille, Minerva McGonagall, seine alte Lehrerin und spätere Kollegin. In Windeseile analysierte Severus mit den geübten Augen eines Spions die Körpersprache seines Gegenübers.
 

Die mütterliche Geste der in die Hüften gestemmten Hände stellte alleine schon eine enorme Dreistigkeit ihm gegenüber dar. Zusammen mit Professor McGonagalls zusammengekniffenen Lippen fühlte er sich unangenehm in seine Schulzeit zurückversetzt.

Nur ihr Blick hinter den Brillengläsern wich von dem übrigen Ausdruck ab, den sie ausstrahlte und verpasste ihrem Auftreten etwas Markantes, dass Severus nicht richtig einordnen konnte.
 

„Severus“, sagte Minerva McGonagall schlicht.
 

Er ließ einen Moment verstreichen. Aus Unhöflichkeit und weil er nicht genau wusste, wie er sie am besten ansprechen sollte.
 

„McGonagall“, antwortete er schließlich.

Ihre Augenbrauen zogen sich zusammen und bildeten eine kleine Falte. Sie war mit der Anrede offensichtlich unzufrieden.
 

Ein weiterer Moment verstrich, während dem sie sich gegenseitig mit den Augen fixierten. Severus lauernd, McGonagall ernst. Erst als McGonagall den Blickkontakt unterbrach und damit begann, auch den Rest von Severus zu inspizieren, ergriff er das Wort.
 

„Was wollen Sie hier?“, fragte er abweisend.

Sie sah ihm wieder in die Augen. Schon wieder dieser Blick, den Severus nicht einschätzen konnte.

„Ich wollte Sie sehen.“, sagte McGonagall und musterte erneut seine Erscheinung.

Es war ihm irgendwie unangenehm. Sie sollte ihn nicht so anschauen. Was erhoffte sie sich zu finden?
 

In der nun nur noch sehr schwachen Hoffnung, die Sache doch noch schnell zu beenden, sagte Severus: „So? Nun, jetzt haben Sie mich gesehen. Damit ist der Grund ihres Besuchs also erfüllt? Ich jedenfalls lege keinen gesteigerten Wert darauf, Sie zu sehen.“

Severus verschränkte die Arme vor der Brust und blickte abwartend auf seine alte Kollegin.
 

Wenn sie nichts Wichtiges zu sagen hatte, sollte sie gehen. Er jedenfalls hatte keinerlei Skrupel, ihr wie Kimmkorn die Türe vor der Nase zuzuschlagen. Besonders dann nicht, wenn sie ihn weiterhin so unangenehm genau begutachtete.

Trotz ihres merkwürdigen, fast milden Ausdrucks schien sie nun schnell in ihre gewohnte Bissigkeit und Strenge zurückzufinden, in der sie sich von ihm derartige Unfreundlichkeiten nicht bieten ließ.
 

„Natürlich ist das noch nicht alles gewesen. Allein wegen Ihrer übermenschlichen Gastfreundschaft hätte ich mich nicht herbemüht! Ich habe einiges mit Ihnen zu besprechen und ob Sie nun gesteigerten Wert darauf legen oder nicht, Sie werden sich gefälligst anhören, was ich zu sagen habe!“

„Und wenn ich dennoch ablehne?“, fragte Severus provokant.

„Lassen Sie es besser nicht darauf ankommen. Ich habe mir schon länger vorgenommen, mit Ihnen zu reden und was heute morgen…“ McGonagall unterbrach sich und schaute an Severus vorbei, an den Türrahmen. Sie schien auf einmal ziemlich wütend zu sein, aber nicht auf ihn, wie Severus bemerkte.

Neugierde regte sich in ihm.
 

Was konnte Minerva McGonagall verärgert haben, was ihn direkt oder indirekt betraf, sodass sie ihn infolgedessen aufsuchte? Was war an diesem Morgen passiert?
 

„Ich würde gerne drinnen mit Ihnen über die Gründe meines Besuches reden.“, nahm McGonagall wieder den Gesprächsfaden auf.

Ihre Tonlage war eindringlich, fast bittend.
 

Severus Interesse war nun vollständig geweckt, aber er wollte nicht komplett klein beigeben. Das war schon alleine ihrer einstigen Rivalität geschuldet.
 

„Nun, wenn es so dringend ist, werde ich Ihnen gütigerweise ein paar Minuten meiner kostbaren Zeit opfern.“, meinte Severus ironisch und machte eine übertriebene, einladende Verbeugung.

Dann trat er zurück, um McGonagall an sich vorbei ins Haus zu lassen. Diese schnaubte und sah ihn scharf an, bevor sie ihm in den Flur folgte.
 

Severus führte seine alte Kollegin ins Wohnzimmer und setzte sich in seinen Sessel. McGonagall blieb einen Moment abwartend im Zimmer stehen. Schließlich sah sie ein, dass er ihr keinen Platzt mehr anbieten würde und setzte sich einfach auf die Coach, gegenüber von Severus.

Severus nahm dies missgelaunt zur Kenntnis. Er hatte gehofft, sie noch etwas länger stehen-lassen zu können. Es folgte eine Schweigepause, in der sie sich erneut gegenseitig musterten.
 

„Ein Tee wäre nicht schlecht.“, sagte McGonagall nach einiger Zeit.

Offenbar versuchte sie trotz allem immer noch, ihn in die Rolle des Gastgebers zu drängen. Severus nickte knapp.

„Gegen einen Kaffee hätte ich ebenfalls nichts einzuwenden.“, ließ Severus in gelangweiltem Tonfall verlauten.

„Wie wäre es, wenn Sie uns einen machen würden?“, antwortete McGonagall, deren unterdrückte Wut über sein kontraproduktives Verhalten, ihrer Stimme einen scharfen Klang verlieh.

Severus zog gespielt nachdenklich die Augenbrauen zusammen.
 

„Nein, ich denke nicht. Wenn ich Sie richtig verstanden habe, sind Sie nicht für ein Kaffeekränzchen gekommen und ich habe auch zu keinem geladen. Was also ist nun die Ursache für ihren destruktiven Wunsch nach meiner Gesellschaft?“

McGonagalls Mundwinkel zuckten leicht.

„Destruktiven Wunsch? Ich denke nicht Severus.“

Sie klang für ihre Verhältnisse ausgesprochen belustigt. Veralberte sie ihn gerade?

Severus Augen wurden schmal vor Verärgerung über ihr Amüsement. McGonagall entging es nicht.
 

„Beruhigen Sie sich. Sie sollten wirklich damit aufhören, Dinge in Bezug auf Sie so furchtbar persönlich zu nehmen.“ Ihre Stimme klang versöhnlich.

„Können wir nun endlich zum Wesentlichen kommen.“, knurrte Severus.
 

Kurz hatte er in Erwägung gezogen, ihr zu widersprechen, aber das hätte nur zu einer weiteren Diskussion geführt. So würden sie sich ewig im Kreis drehen und er hatte nicht vor, seinen gesamten Vormittag an Minerva McGonagall zu verschwenden.

McGonagall nickte und wirkte plötzlich wieder ausgesprochen ernst.

Unvermittelt deutete sie mit der rechten Hand auf den Tagespropheten, der zwischen ihnen auf dem Couchtisch lag.
 

„Haben Sie den Tagespropheten von heute bereits gelesen?“

Severus hob seine rechte Augenbraue. Lag Minerva McGonagalls Besuch in einem heutigen Zeitungsartikel begründet?

„Ich bin noch nicht dazu gekommen.“
 

Minerva atmete einmal tief durch, als würde sie sich wider besseren Wissens, an das Gelege eines wütenden Drachens heranmachen und rieb sich die Augen hinter den Brillengläsern.

Severus befiel ein leichtes Unbehagen. Minerva McGonagall schätzte es gewöhnlich und genau wie er gar nicht, um den Kern der Sache unnötig herumzureden oder ein Drama daraus zu machen. Warum also zierte sie sich nun so?
 

„Schlagen Sie bitte Seite neun auf,- “, sprach Minerva schließlich mit dumpfem Unterton.

„-aber ich muss Sie warnen. Der Artikel hat Sie zum Thema und das aus keinem schmeichelhaften Blickwinkel.“
 

Schweigen.
 

„Wirklich? Ich wusste nicht, dass es an mir eine schmeichelhafte Seite gibt, die man aus irgendeinem Blickwinkel betrachten könnte. Was auch immer im Artikel steht, schlimmer als die Wahrheit kann es nicht sein.“, antwortete Severus ruhig, den Blick auf die Zeitung gerichtet.
 

Es kümmerte ihn wirklich nicht. Soll doch das gemeine Volk denken, was es wollte. Er war nicht auf der Suche nach Freunden, die durch den Artikel möglicherweise abgeschreckt werden könnten.

Seine Befürchtung wäre eher die, dass seine „Beziehung“ zu Lily öffentlich bekannt werden könnte, aber daraus würde man wohl eher eine überdramatisierte Liebestragödie formen, als etwas, was ihn in keinem schmeichelhaften Blickwinkel beleuchtete.

„Lassen Sie das.“
 

Verwundert blickte Severus in Minervas Gesicht. Ihre Lippen waren schmal.

„Wie bitte?“, fragte Severus verständnislos.
 

„Vertrauen Sie mir, Leute die Sie nicht so gut kennen glauben Ihnen auch so, dass Sie ein Mistkerl sind, Sie müssen es nicht auch noch die ganze Zeit betonen. Was mich angeht, können Sie sich diese Sperenzchen sparen. Tut mir leid, aber den gefühlskalten, unliebsamen und untreuen Schuft nehme ich Ihnen einfach nicht mehr ab, Severus.“, sagte Minerva überzeugt.
 

Erneutes Schweigen.
 

Severus war tatsächlich überrumpelt.

Andererseits war das wieder so eigentümlich Gryffindor, dass es schon fast zum Lachen war. Nicht das er das tun würde. Allerding war da etwas Alarmierendes...
 

Was, zum Hippogreif, hat Potter ihr erzählt? Sie muss doch über etwas Bescheid wissen, um ihre Meinung in Bezug auf mich so zu verändern. Oder ist das wieder nur so eine Anwandlung von gryffindorischen Edelmut und Mitgefühl?
 

Was immer es auch war, ihre plötzliche Intension ihm gegenüber behagte ihm nicht, im Gegenteil.

Mitleid hatte Severus schon immer entschieden abgelehnt und verabscheut und war Mitgefühl nicht fast dasselbe? Er jedenfalls hatte keine Lust, Gegenstand der Auslebung ihres Charakters zu werden. Das hatte er nicht nötig. Aber wieviel wusste McGonagall nun tatsächlich über ihn Bescheid?
 

„So, so. Wie kommen Sie denn darauf?“, fragte er vorsichtig.

Sie schenkte ihm erneut einen durchdringenden Blick, jedenfalls versuchte sie es.
 

Er reichte weder an den des Dunklen Lords, noch an Dumledores Röntgenblick heran. Seine Okklumentik -selbst in ihrem etwas angeschlagenen Zustand- würde sie niemals durchdringen können, wenn Severus es nicht wollte. Dazu war er zu lange Spion gewesen.

Und dennoch bereitete ihm McGonagalls Ausstrahlung schon die ganze Zeit über leichtes Kopfzerbrechen. Er kam einfach nicht dahinter, aber irgendetwas war da an ihr...
 

„Sie haben im Krieg auf unserer Seite gekämpft. Sie haben sich der Gefahr zum Trotz und ohne Unterstützung vom Orden oder sonst jemanden um die Sicherheit von Potter und der Schüler gekümmert. Sie standen treu zu Albus und Sie haben beinahe ihr Leben verloren. Ich finde, dass sind ziemlich gute Gründe, meine Meinung über Sie zu revidieren, auch wenn ich nur einen Bruchteil von dem weiß, was wirklich passiert ist und ich die Gründe für ihren Einsatz nicht kenne.“

Also hatte Potter doch dicht gehalten.
 

„Da gibt es keine besonderen Gründe.“, sagte Severus gereizt.

Genau diesen Teil des Gespräches hatte er vorhergesehen und um jeden Preis meiden wollen.

„Nun halten Sie mich doch nicht zum Narren. Ich weiß, dass da noch mehr dahinter steckt. Sie sind nicht so einfach gestrickt, als das es das schon gewesen sein könnte.“, antwortete McGonagall nachdrücklich.

Es folgte ein weiteres, stummes Duell. Minerva gab schließlich nach.
 

„Wenn Sie schon nicht mit mir reden wollen, könnten Sie wenigstens den Artikel über sich lesen? Ich möchte Ihnen etwas dazu sagen.“, sagte sie leise.

Etwas beschwichtigt griff Severus nach dem Tagespropheten, bemüht seine Hände am zittern zu hindern, legte ihn auf seinen Schoß und schlug wortlos Seite neun auf.
 

Bereits bei der Schlagzeile runzelte er die Stirn.
 

-Severus Snape-

Wird der Gerechtigkeit bald genüge getan?

4. Neue Perspektiven

Severus saß aufrecht in seinem Sessel und schaute mäßig interessiert auf die Schlagzeile herab.
 

-Severus Snape-

Wird der Gerechtigkeit bald Genüge getan?
 

Wenn sie schon so fragen…

Mit der relativ präzisen Vorstellung, was im Artikel stehen würde, las Severus weiter.
 

Es freut mich, bekanntgeben zu können, dass ich wieder einmal etwas Licht ins Dunkel bringen kann. Severus Snape (38), ein wirklich schwer einzuschätzender Mann. Seine Rolle während des ersten und zweiten Krieges mit Sie-wissen-schon-wen soll ausschlaggebend für dessen Ende gewesen sein. Allerdings wurde diese Aussage nie mit schlagfertigen Argumenten begründet.
 

Für alle, die noch nicht darüber Bescheid wissen, möchte ich eine kurze Zusammenfassung dessen liefern, was Harry Potter oder auch der-Junge-der-lebt und der Sie-wissen-schon-wen besiegte, kurz nach dem Krieg zu seiner Person verlauten ließ:

Severus Snape, der bestätigter Todesser ist und mit Sicherheit noch mindestens im ersten Krieg auf der Seite von Sie-wissen-schon-wer diente, sei schon vor langer Zeit auf unsere Seite zurückgekehrt.

Er habe auf den Befehl von Professor Dumbledore, den er vor knapp zwei Jahren ermordete, für genannten in den Reihen von Sie-wissen-schon-wer spioniert. Snape habe versucht, Harry Potter und diverse andere Menschen, darunter die Schüler von Hogwarts, denen er letztes Jahr als Schulleiter von Hogwarts die dunklen Künste beibringen ließ, während des Krieges zu beschützen. Er sei essentiell am Sturz von Sie-wissen-schon-wen beteiligt gewesen, allerdings könne Harry Potter weitere Einzelheiten nicht preisgeben, da sie zu privat wären. Dies wurde auch vom Portrait des früheren Schulleiters Albus Dumbledore, der sich selbst einmal für die dunklen Künste interessierte, bestätigt.
 

Diese kurz gehaltenen Informationen und die eindeutige Andeutung auf eine lange und verzwickte Geschichte, weckten natürlich meinen Reporterinnengeist und ich wollte unbedingt mehr über Severus Snape erfahren.

Dies stellte sich jedoch als ausgesprochen schwierig heraus, da viele Zeugen bereits tot oder zu keiner Aussage bereit waren.

Was versuchten sie zu verheimlichen? Befürchteten sie etwas? War Severus Snape in Wirklichkeit etwa doch nicht der schwarze Ritter, den man uns verkaufen wollte?
 

Durch meine ausgezeichneten Beziehungen gelangte ich schließlich doch noch an Informationen, doch wer sich nun eine Bestätigung von Harry Potters Variante erhofft, wird sich wohl warm anziehen müssen, denn hierbei handelt es sich um eine Bandbreite an Verbrechen, Intrigen und dunklen Machenschaften, die Severus Snape bewiesenermaßen während des Krieges unter Sie-wissen-schon-wer beging. Wegen der Fülle an Ereignissen möchte ich deshalb zunächst auf den ersten Krieg eingehen.
 

Severus Snape, der an Hogwarts Zaubertränke und Verteidigung-gegen-die-Dunklen-Künste unterrichtet hatte, entwickelte und braute eine Reihe von Giften für Sie-wissen-schon-wen, welche die Opfer meistens über Stunden hinweg qualvoll verenden ließen.

Ich zitiere aus dem Bericht eines Aurors, allerdings möchte ich Personen mit schwachen Nerven dringendst anraten, diese Stelle zu überspringen.
 

„Die Verletzungen, die dem Opfer mit hoher Wahrscheinlichkeit durch ein hochprozentiges und neuartiges Gift zugefügt wurden sind an Abartig- und Niederträchtigkeit schwer zu übertreffen. Das Gift wurde oral verabreicht und verätzte auf dem Weg in den Magen langsam die Mundhöhle und Speiseröhre. Vom Magen gelang es in den Blutkreislauf und reicherte sich in den Gliedmaßen an, in denen es anfing, die Zellen abzutöten, allerdings ohne die Nervenbahnen zu verletzen, sodass das Opfer höchstwahrscheinlich unter starken Schmerzen litt. Der Vorgang setzte sich stetig Richtung Herz voran, wobei Gehirn und Lunge verschont blieben, um den Tod bei vollem Bewusstsein möglichst lange hinaus zu zögern. Die Todesqualen haben sich schätzungsweise eineinhalb Stunden hingezogen. Zusätzlich zum Zellensterben scheint das Opfer unter Erbrechen, starkem Fieber […] und Blutschwitzen gelitten zu haben.“
 

Zusätzlich stellte Severus Snape vor allem Halluzinogene her, die schwer nachzuweisen waren und ein Opfer gefügig oder verwirrt machten. So konnten beispielsweise Morde verübt werden, die wie Selbstmorde aussahen oder Manipulationen im Ministerium durch unter Halluzinogene stehende Beamte durchgeführt werden, die Sie-wissen-schon-wer einen Vorteil verschafften. Auch konnten damit besser kleine Gedächtnisänderungen vorgenommen werden, wie wenn man zum Beispiel den Obliviate-Zauber verwendet hätte, bei dem die Nachwirkungen leichter festzustellen sind und durchbrochen werden können.

Die genaue Anzahl an gebrauten und verwendeten Giften, Halluzinogene und anderen verbotenen Zaubertränken ist nicht bekannt, wird aber auf über 100 Flaschen geschätzt, bei denen ca. 80 zum Einsatz kamen, wie man aus dem Geständnis eines in Askaban inhaftierten Todessers entnahm.
 

Weiterhin war Severus Snape mit hoher Wahrscheinlichkeit bei der Folterung und Ermordung einer Ministeriumshexe beteiligt, deren Name wir zum Schutz ihres Ehemannes und ihrer Kinder nicht veröffentlichen.

Auch gibt es gewisse weitere Hinweise auf Körperverletzungen, Verstümmelungen, Folterungen durch den Cruciatus-Fluch und möglicherweise auch Morde durch den Avada Kedavra, die Snape durchführte.
 

Dies alles klingt für mich und auch für jeden normalen Menschen alles andere als ritterlich. Warum also verschaffte Albus Dumbledore Severus Snape eine zweite Chance und weshalb hätte Snape sie annehmen sollen, wo er doch scheinbar gefallen an seinen Tätigkeiten hatte?
 

Ich kann nur spekulieren, allerdings war der Anreiz tatsächlich Sie-wissen-schon-wer persönlich, da er Snape als Spion auf Hogwarts einschleusen wollte. (Wieder dem Geständnis eines Todessers zu entnehmen.) Wieviel Dumbledore davon ahnte oder wusste, bleibt nach seinem Tod ein Geheimnis. Aber Fakt ist, dass er Severus Snape schon als Schüler kannte und eine ungefähre Ahnung von seinem Werdegang gehabt haben muss. Was immer Snape Dumbledore auch erzählte und was Dumbledore sich davon auch versprach einen Todesser auf unschuldige Schüler loszulassen, Severus Snape wurde auf Hogwarts Lehrer für Zaubertränke. Da bereits wenige Zeit später Sie-wissen-schon-wer verschwand, kann man wohl nicht nachweisen, welchen seiner beiden Herren Severus Snape zu diesem Zeitpunkt seine Treue schenkte. Jedenfalls blieb Snape auf Hogwarts unter Dumbledores, manchmal umstrittenen Leitung und das fast 16 Jahre.
 

In diesen Jahren zeigte er offenbar keinerlei Anzeichen als Todesser, auch wenn er seine Faszination für die Dunklen Künste nie ablegte, da er sich fortan jedes Jahr für den Posten des Verteidigung-gegen-die-dunklen-Künste-Lehrers bewarb.
 

Als Sie-wissen-schon-wer nach dem Trimagischen Turnier vor bald drei Jahren wieder auferstand, kehrte Severus Snape allerdings zu ihm zurück. (Auch diesmal aus einem Todesser-Geständnis entnommen.) Mit Sicherheit tat er dies auf Dumbledores Befehl hin, aber wieviel Eigeninitiative steckte dahinter? Knapp zwei Jahr später und nachdem er nun doch Lehrer für Verteidigung-gegen-die-dunklen-Künste wurde, ermordete er jedenfalls Albus Dumbledore, seinen jahrelangen Fürsprecher. Ein ausgeklügelter Plan um Sie-wissen-schon-wen zu täuschen? Aber warum wusste dann niemand darüber Bescheid? Selbst Harry Potter, der nun so plötzlich vom Gegenteil spricht, war überzeugt von Snapes Verrat an Dumbledore und seiner Treue zu Sie-wissen-schon-wen.
 

Während des zweiten Krieges bleibt Snapes aktive Beteiligung wieder undurchsichtig, aber er war, wie erwähnt, als Schulleiter nicht sehr zimperlich mit seinen angeblichen Schutzbefohlenen auf Hogwarts. Auch während der Schlacht auf Hogwarts am 1. Mai griff er zunächst die Lehrerschaft an, flüchtete schließlich und war später scheinbar nur als Zuschauer anwesend, statt seine „wahre“ Treue zu beweisen und Harry Potter beizustehen.
 

Warum Harry Potter und sogar Dumbledores Portrait im Schulleiterbüro, zu dem Severus Snape als Schulleiter von Hogwarts im letzten Jahr Zutritt hatte, so überzeugt von seiner Unschuld und Aufrichtigkeit sind, bleibt unklar. Severus Snape selbst verweigerte mir eine Aussage aufs ausdrücklichste, als ich ihn gestern in seinem Haus aufsuchte. Er erschien mir nicht im Geringsten reumütig oder heldenhaft, sondern überlegen, geradezu hochmütig und schien die Welt dafür zu belächeln, dass er ungeschoren davon gekommen war.

Was immer Potter und Dubledore auch in ihm sehen mögen, ich jedenfalls frage mich was mit den ca. 20 Giften und Halluzinogene, von denen Severus Snape in seiner Position als Tränkemeister jederzeit neue hätte machen können, passiert ist und ob sich jemand die Mühe machen wird, ihn für seine Missetaten zur Verantwortung zu ziehen, damit der Gerechtigkeit Genüge getan werden kann.
 

Rita Kimmkorn
 

Als Severus den Artikel fertig gelesen hatte, faltete er die Zeitung ordentlich zusammen und legte sie auf den Couchtisch. Er verschränkte seine Arme.

„Ich scheine sie wohl verärgert zu haben.“, sagte Severus ruhig.

McGonagall sah ihn an, ganz so, als erwartete sie, dass er wie Weasleys wildfeurige Wunderknaller in die Luft gehen würde. Er erwiderte ihren Blick gelangweilt.

„Und? Fragen Sie sich auch, ob der Gerechtigkeit Genüge getan werden wird?“, fragte Severus sarkastisch.

Minerva schnaubte.
 

„Reden sie keinen Unsinn. Ich habe es Ihnen doch bereits gesagt, dass ich Ihnen den Schuft nicht mehr abnehme.“

Severus lehnte sich in seinem Sessel zurück.

„Ich verstehe ehrlich gesagt nicht, wieso sie überhaupt gekommen sind.“, sagte er. „Falls Sie dachten, ich wäre von dem Artikel so getroffen, dass ich eine Schulter bräuchte um mich auszuweinen, kann ich Sie beruhigen. Er berührt mich nicht im Geringsten und ich glaube auch nicht, dass ich nach dieser Wortklauberei vor Gericht gezogen werde, wo ich Sie als Zeugen brauchen könnte.“

McGonagall blähte verärgert die Nasenflügel.

„Nein, das dachte ich auch nicht.“, zischte sie. „Ich bin aus einem anderen Grund gekommen. Ich möchte Sie bitten, erneut die Stelle des Lehrers für Zaubertränke anzunehmen.“
 

Was?!

„Wie bitte?“, fragte Severus perplex und starrte Minerva an.

Er hatte sie durchaus verstanden und er glaubte auch nicht, dass Minerva McGonagall einen solchen Scherz machen würde, aber das konnte sie doch nicht wirklich gerade gesagt haben.
 

„Ich möchte, dass Sie nach Hogwarts zurückkehren.“, sagte Minerva sanft.

Nach Hogwarts zurückkehren. Nach Hause zurückkehren. Als Zaubertränke-Lehrer?
 

„Was ist mit Slughorn?“

„Ich schmeiße ihn nicht raus, falls Sie das denken. Horace sagt, er habe genug von der Arbeit und er möchte lieber in seinen Ruhestand zurückkehren.“

Severus verengte misstrauisch die Augen.

„Und was nötigt Sie dazu, gerade mir den Posten anzubieten? Wieso überhaupt Zaubertränke? Sie erinnern sich doch bestimmt, dass mein Wunschfach Verteidigung-gegen-die-dunklen-Künste ist. Für dieses Fach dürften Sie doch ebenso keinen Lehrer haben.“, stellte Severus giftig fest.

„Weil Sie und ich beide wissen, dass ich niemand anderes mit Ihren Fachkompetenzen in Zaubertränke finden werde.“, schnappte McGonagall.

„Eben. Ich bin für die Stelle im Grunde total überqualifiziert.“

Sie funkelten sich an, keiner war bereit, nachzugeben. Dann wurde Minervas Miene wieder etwas milder. Sie musterte ihn erneut.
 

„Wie geht es Ihnen?“

Irritiert vom plötzlichen Themenwechsel schwieg Severus.

„Sie sehen nicht gut aus. Noch blasser als normal und ich bin mir sicher, dass Sie bei unserer letzten Begegnung etwas mehr auf den Rippen hatten. Diese Gegend erscheint mir auch nicht gesundheitsfördernd und…“ Ihr Blick streifte seine Hände.

Severus verkrampfte sich unmerklich.
 

„Das soll nicht Ihre Sorge sein. Ich bin ein erwachsener Mann und Sie sind weder meine Gattin noch meine Glucke.“, sagte er dunkel. In seiner Stimme lag ein warnender Unterton.

Daraufhin schaute McGonagall ihn wieder so seltsam an und Severus begriff, dass es Sorge war, die ihr Gesicht furchte und ihre Augen von dem Tatendrang, es zu tilgen, glänzen ließen.

Von dieser Erkenntnis wurde ihm schlagartig schlecht.
 

Sie hatte also doch befürchtet, dass der Zeitungsartikel ihn emotional treffen könnte und hatte deshalb beschlossen, ihn aufzusuchen. Vielleicht hatte sie auch ohne den Artikel vorgehabt, ihm die Stelle anzubieten, aber das sie es jetzt tat, stand für Kameradschaft und ihr Vertrauen ihm gegenüber, dass sie ihm beweisen wollte.

Diese Frau. Diese unverbesserliche Gryffindor.

Auch wenn sich alles in ihm gegen jegliche Form von Mitleid sträubte, so konnte er doch nicht anders, als ein wenig Zuneigung für sie zu verspüren. Gleichwohl verabscheute er sie im gleichen Zug für ihren Großmut.
 

„Aus reiner Neugierde, wenn ich Zaubertränke unterrichte, wer gibt dann den Verteidigungs-Lehrer?“, fragte er forsch.

McGonagall hatte den Anstand, zumindest etwas unangenehm berührt auszusehen.
 

„Remus Lupin.“

„Ich lehne ab!“

„Nun seien Sie doch nicht albern, Severus. Ich weiß, dass Sie, Sirius Black und James Potter während Ihrer Schullaufban häufig aneinander geraten sind und ich weiß auch, dass die Verantwortung dafür zumeist nicht auf Ihrer Seite lag.“

Severus schnaubte abfällig, aber McGonagall fuhr ungerührt fort.

„Tatsache ist, das Remus nie aktiv beteiligt war und die Konfrontation zwischen Ihnen und Remus an Vollmond durch Sirius' Fehler ausgelöst wurde. Nicht zu vergessen, dass es Ihre Entscheidung war, Sirius Worten Taten folgen zu lassen und dass, obwohl Sie bereits als Schüler besonnen genug gewesen sind, derartiges nicht zu tun. Eigentlich können Sie Remus ganz gut leiden.“, fügte Sie scheinheilig hinzu.
 

„Sie leiden unter Wahnvorstellungen.“

„Wenn Sie die Stelle ablehnen, dann haben Sie also bereits anderweitige Pläne?“

„Erkranken Sie etwa an Alzheimer? Ich hasse es, mich wiederhohlen zu müssen. Das geht Sie ebenso wenig, wie alles andere, etwas an. Hören Sie auf, mich auszufragen und versuchen Sie erst recht nicht, sich in mein Leben einzumischen.“

McGonagall schien einzusehen, dass Severus nicht in der Stimmung war, weiter darüber zu reden.
 

„Ich möchte mich nicht in Ihr Leben einmischen. Ich möchte Ihnen nur sagen, dass Sie auf Hogwarts jederzeit willkommen sind. Überlegen Sie sich mein Angebot bitte.“

Sie stand auf und auch Severus erhob sich, machte aber keine Anstalten Sie nach draußen zu begleiten.

„Sie finden die Tür auch alleine.“

„Severus!“

Er hob beschwichtigend die Hände.

„Ich werde mir ihr Angebot überlegen.“

Minerva McGonagall nickte und wandte sich zum Gehen.

Da platzte es aus Severus heraus: „Warum muss es ausgerechnet Lupin sein?“

Sie blieb stehen und sah ihn nachdenklich an.
 

„Wissen Sie, nun, da der Krieg zu Ende ist, hat er keine Arbeit als Ordenskämpfer mehr und er ist nun Vater. Nymphadora kann auch nicht arbeiten. Sie bleibt zu Hause und kümmert sich um ihren Sohn und irgendwer muss ja Geld verdienen. Da es für Werwölfe allerdings nach wie vor schwierig ist, eine anständige Arbeit zu bekommen und Remus im Kampf gegen V- Voldemort seine Loyalität bewiesen hat, habe ich ihn eingestellt. Ich denke nicht, dass viele Eltern Widerspruch gegen seine Einstellung einlegen werden, da sie durch die Kinder bestimmt wissen, wer alles für sie gekämpft hat.“

„Und was gedenken Sie, wegen seines Zustands zu unternehmen?“

McGonagall seufzte
 

„Wenn Sie ihre alte Stelle wieder annehmen, könnten Sie den Wolfsbanntrank für ihn brauen. Wenn Sie ablehnen, dann wird er die Vollmondnächte wohl oder übel wieder in der Heulenden Hütte verbringen müssen. Schließlich sind nicht viele Tränkemeister in der Lage, den Wolfsbanntrank zu brauen.“

Sie hat mich also bereits gedanklich schon für alle möglichen Dinge eingeteilt. Wie schön zu wissen.

„Ich schätze, dass ich den Krankenflügel auch weiterhin mit Tränken ausstatten würde?“

„Wie bisher, aber glauben Sie nicht, dass Poppy oder ein anderer Kollege ihre Arbeit nicht zu schätzen wüsste.“

Severus hob erneut eine Augenbraue.

„Sie machen es einem nur nicht leicht, Ihnen das auch zu sagen.“, giftete Minerva hinterher.
 

Ja, das wusste er. Es entsprach nicht seinem Wesen, überflüssige und heuchlerische Nettigkeiten auszutauschen. Er war nie auf Freundschaften zwischen seinen Kollegen aus gewesen und es hatte sich ja auch in seiner Rolle als Spion bezahlt gemacht. Es war so viel leichter gewesen. War es immer noch. Er wollte sich nicht ändern. Dafür war es vermutlich ohnehin zu spät.
 

„Ich schicke ihnen noch heute eine Eule mit dem offiziellen Stellenangebot. Auf Wiedersehen, Severus.“

Er wartete, bis er das Quietschen der sich öffnenden Haustür hörte, dann sagte er, laut, sodass Sie ihn verstehen konnte: „Wenn Sie jemals wieder unangemeldet meine Ruhe stören, dann werde ich Ihnen Schwelltrank in den Tee rühren, Minerva.“

Die Tür glitt ins Schloss, aber Severus war sich sicher, sie leise lachen gehört zu haben.

5. Blühende Entscheidungen

Nachdem Minerva McGonagall gegangen war, war Severus einige Minuten in einem seltsam schwammigen Gefühl getrieben. Ein bisschen so, wie man sich in der Phase zwischen Wachen und Einschlafen fühlt.

Aber Severus war erwacht und, wieder mit sich allein, waren seine Gedanken zurück. Mit neuer Munition.

Severus saß in seinem üblichen Sessel im Wohnzimmer, die Hände, um sie am Zittern zu hindern, in die Armlehnen gekrallt und walzte die Anschuldigungen aus Rita Kimmkorns Artikel in seinem Kopf herum.
 

Nicht, weil die möglichen Auswirkungen des Artikels ihn nun doch sorgten, sondern weil die Anschuldigungen nicht so aus der Luft gegriffen waren, wie er vor Minerva behauptet hatte.

Sie hatten alte und neuere, gut und mit Okklumentik versteckte Erinnerungen geweckt. Bilder, die er sonst nie an sich heranließ.

Es waren die Folterungen und Ermordungen, denen Severus beigewohnt und die er selbst durchgeführt hatte. Er versuchte, sie wieder unter Verschluss zu bekommen.
 

Bilder von dem jungen Mann, dem er zum Vergnügen des Dunklen Lords ein selbsthergestelltes und tödliches Nervengift injiziert hatte.

Bilder von der Frau, der Aurorin, die er und seine Todesserkumpanen gefoltert hatten, um an Informationen über das Ministerium zu gelangen.

Bilder von Charity Burbages Ermordung bei der Todesserversammlung, bei der er Alastor Moodys Todesurteil unterzeichnet hatte.

Von den Muggelkindern, denen er im ersten Krieg beim Streben zugesehen hatte, sehr zur Erheiterung des Mörders und der Zuschauer. Zur Erheiterung von ihm…

Von Übelkeit ergriffen drückte Severus gewaltsam seine Kiefer zusammen.
 

Ja, es stimmte. Er konnte sich an das Gift erinnern, dessen Wirkung im Bericht des Aurors beschrieben wurde. Er hatte es tatsächlich hergestellt.

Severus linker Unterarm juckte und er fuhr über die nervende Stelle.
 

Zu jener Zeit war er von einer Mischung aus Machthunger, –oder zumindest dem Drang, endlich all seine Peiniger hinter sich zu lassen; seinen Vater, die Rumtreiber, gewisse Lehrkräfte- Wissensdurst –den der Dunkle Lord nahezu optimal stillen konnte, beziehungsweise die Freude, sein eigenes Wissen und Können unter Beweis zu stellen- und dem Gefühl, endlich voll und ganz akzeptiert zu werden, besessen gewesen.

Eine selbstzerstörerische Mischung die ihn dazu getrieben hatte sich der wahnwitzigen Idee, der Unterdrückung von Menschengruppen, anzuschließen.
 

Ja, der Dunkle Lord hatte ihn damals regelrecht hypnotisiert mit seinen Worten, seinen Versprechen, seinen Komplimenten über Severus‘ Kompetenzen, die er mitbrächte. Die er so dringend benötigen würde.

Er hatte von Ruhm und Ehre gesprochen. Von ihrem Anrecht, über die vermeintlich Schwachen und Wertlosen zu herrschen.

Deshalb hatte er sich dem Dunklen Lord angeschlossen und dessen einfach strukturierte Überzeugungen übernommen. Er hatte jemand sein wollen, zu dem man aufsah. Jemand, bei dem man es nicht wagen würde, nicht vor ihm zu kuschen.

Wie einfältig er damals gewesen war. Wie naiv, dem Dunklen Lord zu glauben.
 

Ja, er war jung gewesen, gerade mal Anfang achtzehn und dennoch hatte er schon von Kindesbeinen an über einen hellen und ausgeklügelten Kopf verfügt.

Wie hatte er sich nur so in die Irre und hinters Licht führen lassen können? Besonders, da der Lord keineswegs gnädig zu ihm gewesen war.

Ganz am Anfang hatte er ihn noch geschont, aber sowie Severus sich nach drei Monaten offiziell zu den Todessern zählen konnte, war es mit der „Gnade“ endgültig vorbei gewesen und Severus hatte langsam gemerkt, auf was er sich da eigentlich eingelassen hatte.
 

Auf ein grässliches Spiel bei dem die Devise lautete: „Gehorche und tu es ohne zu hinterfragen, denn du hast ewige Treue geschworen und diese wird bis zu deinem Ende eingefordert. Versagen oder Untreue wird auf das Härteste bestraft und die Gnade über sie -deine Strafe- zu urteilen, obliegt nicht dir. Du darfst dich bereichern, an Gold, Wissen und etwas Macht, aber vergesse nie deinen Herren, der dir diese Gunst zuteilwerden ließ und sei bereit es ihm jederzeit mit Zinsen zurück zu zahlen, denn du bist sein Eigentum, sobald du sein Zeichen erhalten hast.“
 

Ein Eigentum.

Ein Eigentum, wie Vieh gebrandmarkt. Nichts anderes war er, waren sie alle gewesen und mochten sie alle auch mit dem Brustton der Überzeugung das Gegenteil behauptet haben.

Severus selbst hatte sich ebenfalls dieser Illusion hingegeben, aber die Wahrheit war anders und die Welt grausam. Die Menschen waren grausam.

So grausam, Männer langsam und schleichend zu ermorden, Frauen zu foltern und Kinder zu töten.

So grausam, Lily zu töten…
 

Nun musste Severus wirklich an sich halten, seinen Mageninhalt zu behalten.

Er krallte seine Hände fester ins Polster und startete einen starken Versuch, seinen Geist zu leeren. Er schloss die Augen und atmete tief und langsam, während er die Erinnerungen mit jedem Atemzug zurückdrängte. Er musste sie hinter seine Mauern sperren und selbige, die Risse gekommen hatten, mit Okklumentik wieder hochziehen.
 

Das Bild eines verwitterten Schlosses mit Zinnen und Türmen vor Augen, deren Lücken im Mauerwerk von selbst geschlossen wurden, dauerte es eine Minute, dann hatte er sich wieder im Griff. Die Zugbrücke wurde hochgezogen und klappte krachend und stabil in die Senkrechte.

Schwer atmend stand Severus auf und ging in die Küche, um sich ein Glas Wasser einzuschenken.
 

Er wusste, dass er seine Okklumentik nicht so gebündelt einsetzen sollte.

Das hatte er selbst in seinen Tagen als Spion nur notgedrungen getan. Nur wenn es absolut notwendig war, damit seine Tarnung nicht aufflog; damit der dunkle Lord nichts erfuhr, das nicht für seine Ohren und Augen bestimmt war; damit der Krieg gewonnen werden konnte, damit Potter sicher war; damit Severus seine Aufgabe erfüllen konnte, um seine Schuld zu tilgen. Aber in diesem Moment war es für Severus notwendig gewesen, um seine Beherrschung zurückzuerlangen.
 

Severus angelte nach einem Glas aus dem obersten Fach und drehte den Wasserhahn auf.

Er prüfte mit dem Zeigefinger die Temperatur und als er sie als kalt genug empfand, hielt er das Glas unter den Wasserstrahl. Er ließ es volllaufen, drehte den Hahn zu und setzte es an die trockenen Lippen.

Das kalte Nass erfrischte ihn angenehm und er trank das Glas in einem Zug leer. Dann stellte er das Glas in der Spüle ab und stützte sich mit beiden Händen am Spülbeckenrand ab.
 

Dieser massive Kontrollverlust, was für eine Blamage. Wenn das jemand gesehen hätte…

Severus atmete aus.

Eigentlich müsste ich mir über den unverhofften Zukunftsaspekt Gedanken machen, den mir Minerva zeigte.
 

Minerva McGonagall, diese störrische Frau, die sich in den Kopf gesetzt hatte ihn nach Hogwarts zurück zu hohlen. Minerva McGonagall, die sich nach Rita Kimmkorns zugegeben, sehr findig strukturierten und formulierten Artikel Sorgen um ihn gemacht hatte.

Er schnaubte leise. Rita Kimmkorn hatte wirklich ganze Arbeit geleistet.
 

Potters Worte durch die Parenthesen durchbrochen, die das Gesagte in Frage stellten, waren zwar offensichtlich, aber auch sehr effektiv.

Der beharrliche Zweifel, den sie den ganzen Artikel über miteinfließen ließ und die Fragen nach den Hintergründen, spornten den Leser dazu an, Potters Version selbst aktiv anzuzweifeln.

Dazu noch die teilweise sehr dehnbaren Formulierungen, die Autorin und Leser Spielraum nach mehreren Seiten offen ließen

Auch dass sie keine festen Opferzahlen –ob nun wahre oder nicht- veröffentlicht hatte, war ein effektiver Schachzug gewesen.

Die menschliche Psyche neigt zu Übertreibungen und irgendwelche überhysterischen Hausfrauen würden ihm schon die über hundert Morde anhängen, die er mit den Giften, Halluzinogenen, unverzeihlichen Flüchen und schwarzer Magie hätte begehen können.

Auch die Veranschaulichung des Wortes „qualvoll“, war präzise ausgewählt worden.

Die eckigen Klammern bei dem Satz -„Zusätzlich zum Zellensterben scheint das Opfer unter Erbrechen, starkem Fieber […] und Blutschwitzen gelitten zu haben.“- waren ebenfalls recht raffiniert.

Der Leser hatte Platz sich noch ein paar grausame Nebenwirkungen auszudenken, die tatsächlich aus Speichelabgabe und Verfärbung der Finger, Zehen und Lippen ins bläuliche bestanden hatten.

Auch die namenlose, gefolterte Ministeriumshexe und ihre angebliche Familie, sowie die „einigen weiteren Hinweise“ sollte seine „gute Gesinnung“ bestreiten und von seiner Unmenschlich- und Grausamkeit überzeugen.

Die Informationen „bewiesen“ durch Aussagen von Todessern und Auroren wirkte für einen naiven Leser mit Bestimmtheit überzeugend.

Dass er sich auf den Befehl als Spion des Dunklen Lords in Dumbledores Hände begeben hatte und das möglicherweise mit dessen Billigung, würde mit Sicherheit ebenso für Empörung sorgen.
 

In diesem Zusammenhang stand auch die einzige Stelle, bei der ihn wirklich Wut überkam: Die Aussage, dass Severus entweder Dumbledore oder den Dunklen Lord als Herren gehabt hätte.

Im ersten Krieg hätte man den Dunklen Lord noch als seinen „Herren“ bezeichnen können, aber das war spätestens mit dem Plan, Lily zu ermorden, Geschichte gewesen und Dumbledore…

Nun, sie waren vieles füreinander, aber Dumbledore war nie Herr über ihn gewesen!

Eine erbärmlich und fast widerliche Unterstellung war das und sie stellte ihn als jemanden hin, der sich anderen Leuten kriecherisch unterordnete, wenn sie nur genug Macht hatten.
 

Dazu Kimmkorns „Erfahrungsbericht“ über ihre Begegnung mit ihm, der den Artikel auf ziemlich subtile Art und Weise rechtfertigte.

Der Rest bestand aus für den Leser schlüssig erscheinenden Verknüpfungen, zwischen seiner Rolle als Tränkemeister und Halluzinogenen, zwischen dem Verbleib von genanntem und Potters und Albus plötzlichem Meinungsumschwung.

Einigermaßen raffiniert eingefädelt.
 

Offenbar hatte dies aber nicht ausgereicht, um Minervas neuerliches Vertrauen in ihn und allem Voran in Potter und seine Darstellung von Severus zu erschüttern. Stattdessen hatte Kimmkorn erreicht, dass Minerva ihm seine, ach so gefährliche und verantwortungslose Stelle anbot.

Severus starrte aus dem Fenster an die Außenwand des gegenüberliegenden Hauses.

Würde er seinem typischen Verhaltensmuster folgen, würde er das Stellenangebot dennoch ungeöffnet zurückschicken, aber Severus hatte keine rechten Ambitionen dazu.
 

Er musste es sich eingestehen. Nach Hogwarts zurückzukehren war das, was er am ehesten tun wollte.

Nicht ausschließlich um Kimmkorn eins auszuwischen, sondern weil Hogwarts eben de facto sein richtiges Zuhause war und Severus konnte sich momentan keinen anderen Weg mehr für sich vorstellen, als den, den er bereits eingeschlagen hatte.
 

Dennoch verabscheute er die kleinen, besserwisserischen und faulen Plagen von Schülern.

Sicher, es gab Ausnahmen, Schüler, die sich zu benehmen wussten, aber die waren rar und so bestand der Unterricht in der Regel aus einem anderen Kaliber. Einem sehr einfältigen noch dazu.
 

Trotzdem, so glaubte er, könne er die Schüler ertragen. Nach dem Krieg würden es ohnehin völlig neue Verhältnisse werden.

Severus war entweder ein Todesser auf freiem Fuß oder ein Kriegsheld und so war er auf die Reaktionen gespannt, von denen einige für ihn mit Bestimmtheit amüsant werden könnten, wenn er am ersten Tag drohend am Lehrertisch sitzen und grimmige Blicke in die eintreffenden Schüler schicken würde.

Wahrscheinlich würde es sogar zu einem Kleinkrieg zwischen ihm, Schülern und Eltern ausarten und er könnte in seine gewohnte Rolle als unliebsamer Lehrer zurückkehren und allesamt rhetorisch runterputzen.
 

Vielleicht würden seine Gedanken dann auch etwas Ruhe geben und möglicherweise könnte er in angenehm trauter Umgebung eher eine Antwort auf die Frage nach seiner Schuld finden.
 

Ja, nach Hogwarts zurückzukehren war verlockend. Selbst wenn es nur als Zaubertränkemeister war. Selbst mit Rotzlöffeln, denen er Wissen in den dummen Schädel hämmern musste. Selbst mit Lupin als Kollegen.
 

Minerva hatte maßlos übertrieben, als sie behauptet hatte, er könne Lupin in irgendeiner Weise leiden. Der einzige Grund, warum Severus den Werwolf bei früheren Begegnungen näher um sich haben wollte war der, dass er ihm im Auge behalten wollte und weil er dann seinen Spott auf ihm abladen konnte.

Auch sein Versuch, Lupins Leben bei der Verfolgungsjagt mit den Potter-Doppelgängern zu retten, war keinesfalls ein Freundschaftsdienst gewesen.

Dieser Versuch lag ausschließlich in der Notwendigkeit begründet, möglichst viele Widerstandskämpfer zu erhalten. Es hatte rein gar nichts damit zu tun, dass Dumbledores gryffindorisches Bestreben, so viele Leben wie möglich zu retten, irgendwie auf ihn abgefärbt war oder gar, dass er Lupin mögen würde.
 

Ein weiterer, anregender Aspekt für Hogwarts wären seine verbalen Duelle mit Minerva, die er tatsächlich als Herausforderung genossen hatte. Er könnte Gryffindor auch wieder Punkte abziehen.

Es hatte ihm in der Tat eine boshafte Freude bereitet, den Bälgern Punkte abzuziehen und ihnen dann dabei zuzusehen, wie sie mit der Tatsache kämpften, dass er am längeren Hebel saß. Einfach köstlich.
 

Severus hatte sich entschieden, er würde Minervas Angebot annehmen, wenngleich noch nicht sofort. Er wollte sie etwas schmoren lassen und die Eule, wenn sie denn kam, mit den Unterlagen erst einmal einbehalten. So für drei, vier Tage.

Das war albern, andererseits würde McGonagall ihn vermutlich sonst damit aufziehen, so eilig zugesagt zu haben.

Weiterhin wollte Severus seine Auflistung aussetzen und sie erst auf Hogwarts wieder hervorholen.
 

Severus nickte sich selbst zu und überlegte, wie er den restlichen Tag einigermaßen sinnvoll verbringen könnte. Jeglicher Appetit war ihm jedenfalls vergangen.

Sein Blick glitt suchend durchs Zimmer und blieb am heutigen Tagespropheten hängen.

Entschlossen packte Severus den Propheten und warf ihn in den Kamin, wo er ihn mit einem Zauberstabschnipsen in Flammen aufgehen ließ.
 

Versunken beobachte Severus wie die Flammen an den Seitenrändern leckten und sich knisternd zur Mitte vorarbeiteten. Das Zeitungspapier rauchte und verbreitete dabei einen mindestens genauso intensiven und beißenden Geruch wie Rita Kimmkorn. Severus überlegte.
 

Ich könnte mich wieder dem theoretischen Studium der Zaubertrankbrauerei widmen. Ein, zwei Bände neuerrungene, lateinische Bände habe ich noch nicht durchgearbeitet, da bin ich mir sicher.

Die hatte Severus gekauft, bevor Dumbledore ihm verkündet hatte, dass er ihn umbringen musste. Danach hatte Severus zwischen unbrechbaren Schwüren, verfluchtem Halsbändern, vergifteten Met, Ermordungen, Todessertreffen, dem Krieg und anderen Kleinigkeiten keine Zeit mehr gefunden, sie auch zu lesen.
 

Sie müssten eigentlich irgendwo in meinem Bücherregal stehen.

Severus wandte sich vom Kamin ab, in dem die letzten Seiten nur noch schwächlich vor sich hin glommen und seinen deckenhohen und bereits überquellenden Bücherregalen zu.

Ich glaube, eines ist im linken Regal, dritte Reihe von oben.

Die Bücherregale unterteilten sich in Themengebiete und waren dann alphabetisch geordnet, sodass Severus im Normalfall keine Probleme hatte, ein gesuchtes Buch zu finden.

Er fuhr mit dem Zeigefinger die Buchrücken entlang und fand eines der gesuchten Bücher in der Mitte der vermuteten Reihe einsortiert. Es behandelte verschiedene Variationen von seltenen Gegengiften. Das andere war im mittleren Regal, zwei Reihen tiefer und befasste sich mit den genauen Auswirkungen beim Mischen seltener Zaubertrankzutaten.

Mit den zwei Büchern in der Hand stieg Severus die Treppe hinauf. In seinem Arbeitszimmer entzündete er Kerzen –denn das Zimmer verfügte über kein Fenster - und setzte sich an den Schreibtisch.
 

Er war gut in Latein, aber es würde trotzdem mühevoll werden, die Bücher durchzuarbeiten.

Theoretisch hätte er sich auch die Übersetzung holen können, aber Severus las Bücher lieber in ihrer Originalsprache, da es immer zu Übersetzungsfehlern kommen konnte und gerade bei Zaubertränken waren diese fatal. Also würde er sich durchbeißen müssen. Somit hatte er nun eben seine Beschäftigung für die folgenden Wochen.

Er holte Tinte und Feder für Notizen hervor und schlug die Abhandlung von seltenen Gegengiften auf.
 

Er war schon mehr als acht Stunden dabei, als er von unten Kratzgeräusche hörte und identifizierte sogleich eine Eule als Verursacher.

Vermutlich Minervas Botenjunge.
 

Er schrieb seinen angefangenen Satz zu Ende, blies die Kerzen aus und ging dann gemächlich Richtung Küche. Im übrigen Haus war es bereits dunkel und Severus entzündete mit einem gedanklichen Lumos seinen Zauberstab.

In der Küche schwang er in gewohnter Manier den Zauberstab, um den großen, dunkelgefiederten Uhu hereinzulassen, an dessen rechten Bein ein Brief gebunden war. Severus konnte bereits das Wappen von Hogwarts -Löwe, Schlange, Dachs und Adler die sich um den Buchstaben H gruppierten- auf dem Umschlag erkennen.
 

Der Uhu landete sanft auf der Lehne des Stuhls am Esstisch und streckte das Bein mit dem Brief aus. Dabei schaute er Severus erwartungsvoll an. Sein Blick schien zu sagen: „Wehe, du öffnest ihn nicht!“

Severus blinzelte gegen das letzte Sonnenlicht an, welches durch das Küchenfenster schien, verschloss es und machte sich daran, den Brief von dem Tier zu lösen.

Befreit von dem Brief begann der Uhu sofort, seinen Kopf nach allen Richtungen zu drehen, auf der Suche nach Futter. Severus öffnete indes den Brief und studierte den Inhalt.
 

In Minervas ordentlicher und spitzer Schrift standen dort alle Einzelheiten über seine neue, alte Stelle. Interessiert bemerkte er, dass sie sein Gehalt erhöht hatte.

Scheinbar war ihr keine Mühe zu groß, ihn zu überzeugen und er lächelte innerlich bei dem Gedanken, wieviel Stolz es Minerva gekostet haben musste, sich so auf ihn einzustellen.

Severus las den Brief ein zweites Mal sorgfältig, auf der Suche nach versteckten Dracheneiern, die sie ihm als kleine Rache unterjubeln wollte. Es sprach für sie, dass er keine fand.
 

Die freie Zeile für seine Unterschrift schien ihn anzulächeln, aber er würde noch warten.

Er faltete den Brief sorgfältig und steckte ihn zurück in das Kuvert, welches er in seinem Umhang barg.
 

Severus warf einen Blick nach draußen, oder vielmehr, an die gegenüberliegende Hauswand.

Ziemlich deprimierend, dass sein Wohnzimmer der einzige Ort war, an dem er weiter als drei Meter aus dem Haus schauen konnte. Er war wirklich froh, dass er dem Ort bald entfliehen dürfte.
 

Genau genommen gab es nur zwei Gründe, aus denen Severus in Spinner’s End wohnen geblieben war.

Zum einen, weil er für gewöhnlich nur sechs Wochen Sommerferien hier verbracht hatte und er sich nicht die Mühe hatte machen wollen, deswegen ein anderes Haus zu organisieren. Zum anderen, weil er es als eine Art Selbstbestrafung und Mahnmal für Lily sah.

Das war durchaus keine Übertreibung, da Severus in seiner Kindheit und Jugend dem Haus und allem Voran ihren Bewohnern, unbedingt hatte entfliehen wollte.
 

Zurückzukehren war, wie wenn man als Sträfling aus dem Gefängnis freikam, um dort als freier Mann einzuziehen. Hätte er allerdings nicht hier gewohnt, wären er und Lily wohl aber auch schwerlich Freunde geworden…
 

Severus registrierte, dass er seit knapp zwei Minuten in der Küche stand und in Gedanken versunken die Nachbarshauswand anstarrte. Selbst der Uhu hatte seine Nahrungssuche unterbrochen und blickte ihn mit schiefgelegtem Kopf an.

Hastig drehte Severus sich um und stieg nach oben. Er war müde und empfand seinen Studienfortschritt für heute als ausreichend.
 

Severus wollte gerade das Licht löschen, da fiel ihm ein, dass er seinen vorübergehenden, tierischen Mitbewohner noch nichts zu Essen gegeben hatte.

Also stiefelte Severus barfuß wieder hinunter, weniger, weil er sich um den Uhu sorgte, als vielmehr um die Einrichtung. Wer wusste schon, was der hungrige Vogel anzustellen vermochte, um an Nahrung zu kommen.
 

Die Tür zur Küche war geschlossen, dahinter war alles still. Trotzdem wollte Severus lieber auf Nummer sicher gehen. Er öffnete die Tür und leuchtete mit dem Zauberstab nach dem Uhu.

Wo steckt das Federvieh?

Da, am Fenster. Der Vogel saß unbeweglich auf der Küchenablage und sah, soweit Severus dies beurteilen konnte, -da er ja nur die Kehrweite des Uhus sah- durch die Scheibe. Das Ganze gab ein einigermaßen seltsames Bild ab.

Severus trat heran und tat es dem Vogel gleich. Ihm fiel vor Überraschung der Zauberstab aus der Hand.
 

Ungeschickt fing Severus ihn auf halben Weg zum Fußboden auf und entzündete ihn wieder. Dann schaute er erneut nach draußen.

Konnte er seinen Augen trauen oder war dies ein Zauber, eine Täuschung, vielleicht eine Falle? Aber wie hatten mögliche Angreifer die Informationen für solch ein Schauspiel erfahren? War das ein Scherz von Potter?

Was auch immer es mit dem hier auf sich hatte, Severus fand es nicht erfreulich.
 

Er trat noch näher ans Fenster und das Weiß reflektierte das Licht und erstrahlte hell.

Sie waren wirklich überall und das mit einer Selbstverständlichkeit, als wären sie schon immer dort gewesen.

An der Wand des Nachbarhauses, unten in der kleinen Gasse, seine eigene Hauswand, sogar das bisschen von der Hauptstraße, das er von seinem Standpunkt aus sehen konnte, war nicht verschont geblieben. Jeder Platzt war besetzt.

Überall, wirklich überall blühten weiße Lilien hervor.
 

Ihre langen Stängel bogen sich unter dem Gewicht der vollentfalteten Köpfe. Ein leichter Wind versetzte die Blumen zusätzlich in Schwingungen, sodass bei jedem Windhauch der Eindruck von Wellen auf See entstand.

Severus unterdrückte den Impuls, sich die Augen zu reiben und verließ die Küche. Er wollte sich vor der Haustür einen besseren Überblick verschaffen. Im Vorbeigehen griff er sich einen Reisemantel vom Garderobengriff und warf ihn sich über.

Vor der Tür machte Severus halt und sammelte seine Gedanken. Dann sperrte er vorsichtig die Tür auf, den Zauberstab bereit zum Angriff.
 

Warme Nachtluft flog ihm entgegen und brachte den wohligen Duft von hunderten Lilien mit sich. Severus atmete tief ein.

Der Geruch wurde vom Wind getragen. Wechselte mit der Stärke der Böen von intensiv zu unmerklich. Wie der Atem eines gigantischen Tieres.

Und noch etwas trug der Wind zu ihm. Severus brauchte einige Zeit, bis er sicher war, es sich nicht einzubilden.
 

Hell und wohlklingend hallte es verstärkt durch die schmalen Gassen. Unmöglich, den Ursprung zu orten.

Ein leises, weibliches Lachen.

Ganz nah.
 

Severus hob den Zauberstab, konnte aber niemanden erkennen.

Vorsichtig wagte er sich ein Stück aus dem Türrahmen.

Der Wind brauste auf. Das Lachen wurde lauter und kam eindeutig von links. Severus trat einen weiteren Schritt aus dem Haus.

Wer lachte da? Etwas an der Stimme war ihm vertraut und löste ein leichtes Stechen im Brustkorb aus.

Severus ging weiter und folgte dem Lachen. Er war kaum sieben Meter gegangen da traf sein Lichtstrahl auf etwas weißes, was zu groß für eine Lilie war.
 

Er hatte nicht die Zeit, es genau in Augenschein zu nehmen. Es flüchtete vor ihm die Straße entlang, als der Lichtschein es berührte. Trotzdem hatte Severus es erkennen können.

Ein weißer Umhang? Aber wer…?

Wie in Trance lief Severus los, dem Stoff hinterher. Bei der Abzweigung zu einer Gasse verlor Severus ihn kurzzeitig aus den Augen. Als er um die Ecke schoss, musste er jedoch schlagartig abbremsen.
 

Die Person im weißen Umhang stand, ihm den Rücken zugewandt, zwei Meter vor ihm.

Der Umhang reichte bis zum Boden und der Hinterkopf war in eine Kapuze gehüllt. Dennoch konnte man unverkennbar eine weibliche Silhouette durchschimmern sehen.

Die Frau hob ihre Arme. Mit zierlichen Händen machte sie Anstalten die Kapuze hinunter zu ziehen. Severus verfolgte, unfähig sich zu rühren, gebannt die Bewegung.
 

Sie hatte die Kapuze nun abgenommen und Severus Herzschlag beschleunigte sich rasant als glattes, langes, rotes Haar zum Vorschein kam. Leicht wie eine Feder wehte es im Wind und schmeichelte ihrer Gestalt.

Fliesend drehte sich die Frau um und Severus schnappte keuchend nach Luft. Sein Herz setzte schmerzhaft einen Schlag aus, als Lily ihn anlächelte.
 

Entsetzt und mit einem „Rums“ fiel Severus aus seinem Bett. Orientierungslos kämpfte er sich auf die Beine und verhedderte sich dabei in der Decke.

Sein Herz schlug nun wieder rasant gegen seine Rippen und Severus atmete heftig, als er zum Fenster stürzte und die Rollläden hochzog.
 

Er schaute nach draußen. Nirgendwo war auch nur eine weiße Lilie zu sehen.

Schwer stützte sich Severus am Fensterrahmen ab und wischte sich mit zittrigen Fingernden Schweiß von der Stirn.

Es war nur ein Traum. Alles war nur ein Traum.

Jetzt erinnerte er sich auch wieder. Er hatte den Uhu sehr wohl gefüttert und war danach ins Bett gegangen.
 

Ich bin selber schuld. Es war, weil ich in letzter Zeit noch häufiger als sonst an Lily gedacht habe. Meine Okklumentik ist geschwächt. Ich hätte meinen Geist vor dem Schlafengehen besser beherrschen müssen.
 

Severus stieß sich vom Fenster ab, griff nach seinen Zauberstab und sprach einen Lumos. Dann warf er einen Blick auf seinen Muggelwecker.

03:05 Uhr.

Er würde seinen Kopf leeren und sich wieder hinlegen.

Severus normalisierte seine Atmung und beruhigte seinen Geist, doch die ganze restliche Nacht sollte er keinen Schlaf mehr finden.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu dieser Fanfic (0)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.

Noch keine Kommentare



Zurück