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Modern world with problems...

{HicksxAstrid}
von

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Astrid Hofferson

Richard Hofferson hörte schon die laute Musik und die Stimme des Sängers Bon Jovi, noch bevor er einen Fuß in das mehrstöckige Treppenhaus gesetzt hatte und er seufzte hörbar genervt auf. Seit Jahren schon versuchte er seine Tochter Astrid dazu zu bewegen, ihre Liebe zur Musik ein wenig leiser zu frönen, damit nicht jedes Mal die komplette Nachbarschaft an seiner Wohnungstür Sturmklingeln würde. Um so mehr blickte er sehnsüchtig den kommenden sechs Wochen der Sommerferien entgegen, die Astrid bei ihrer Mutter in der kleinen Küstenstadt Berk verbringen wird.

Er schob den Schlüssel ins Türschloss und wollte sie bereits aufdrehen, als Astrid die Tür aufriss und ihm kurz in die Arme fiel, nur um rasch zurück in den Wohnung zu stapfen.

„Hi, Dad!“ sagte sie nur knapp, dann verschwand sie wieder in ihrem Zimmer und ließ ihren Vater leicht verwirrt im Treppenhaus zurück.

„Hi... Astrid!“ sagte er noch, doch da wurde die Zimmertür schon zu geschlagen und somit Jovis markante Stimme gedämpft. Erneut seufzend betrat er die Wohnung, schloss die Tür hinter sich und hängte seinen Mantel auf, bevor er aus den Schuhen schlüpfte und dann erst einmal sein Schlafzimmer ansteuerte. Er musste aus den formellen Klamotten raus. Seit der Mittagsstunde brachte ihn der zu enge Schlipps beinahe um, doch ausgerechnet heute jagte ein Termin nach dem anderen hinter her und ihm blieb nur selten zeit für eine Tasse Kaffee zwischen durch.

Noch ein Grund, sich auf die kommenden Wochen ohne seine Tochter zu freuen. Man sollte ihn nicht falsch verstehen, er liebte seine Tochter über alles. Doch welcher Vater wäre nicht froh, seine pubertierende Tochter mal eine Weile los zu werden?

„Dad? Sag mal, hast du wieder einem meiner Sweatshirts an deine Freundin verliehen?“ schrie Astrid, damit ihr Vater sie trotz der verschlossenen Tür und der lauten Musik vernehmen konnte. Das dritte Seufzen innerhalb von fünf Minuten. Das war selbst für Richard ein Rekord. Er antwortete nicht, sollte sie doch erst mal die Musik leiser drehen.

„Dad?“

Immer noch keine Antwort und dann endlich wurde die Musik gedämpft und die Tür geöffnet.

„Tu nicht so,, als hättest du mich nicht gehört, du hättest mich auch einfach bitten können, die Musik leiser zu machen.“ sagte sie und schlug ihm gegen die Schulter.

„Hey. Wieso muss bei dir eigentlich immer alles mit Gewalt unterstrichen werden? Ist ja wie bei deiner Mutter!“ sagte er säuerlich und rieb sich die Schulter.

Zufrieden brach Astrid darauf in ein Grinsen aus: „Du nennst es Gewalt, ich nenne es Kommunikation. Also, hast du mein Sweatshirt jetzt oder nicht?“

Richard schüttelte den Kopf: „Nein, habe ich nicht!“

„Sicher? Hör mal, Dad. Du weißt, dass ich grundsätzlich keine Einwende gegen deine Weibergeschichten habe. Du und Mum, ihr lebt schließlich getrennt. Aber hör auf damit, diesen Frauen immer meine Sachen zu geben, okay?“

Sie hob mahnend den Zeigefinger und blickte ihn streng an, sodass Richard förmlich spürte, wie er um die Hälfte seiner eh schon kleinen Körpergröße schrumpfte.

„Du sagst, es sei okay und dennoch höre ich förmlich diese Schuldzuweisung heraus. Wie machst du das immer nur?“ fragte er perplex, als Astrid wieder zurück in ihr Zimmer ging.

„Weiß nicht, hab ich vermutlich von Mum!“ sagte sie noch, dann war sie wieder in ihrem Zimmer verschwunden.
 

„Hast du deiner Mutter schon Bescheid gegeben, dass du kommst?“ fragte Richard, als sich die beiden in der Küche zum vorerst letzten, gemeinsamen Abendessen einfanden.Astrid hatte inzwischen ihr Sweatshirt gefunden und es zu den anderen in einen ihrer Koffer gestopft.

„Nein, es soll ja immer noch eine Überraschung sein. Nur Raffnuss weiß Bescheid, damit ich mich im Notfall bei ihr einquartieren kann.“ antwortete sie, ohne den Blick von ihrem Brot ab zu wenden.

„Was ist mit deinem besten Freund? Diesem... wie war noch gleich sein Name... Higgers?“

„Hicks, Dad. Sein Name ist Hicks. Und glaub nicht, ich hätte nicht versucht, ihn zu erreichen. Seit Monaten schreibt er mir nicht mehr und antwortet auch nicht auf meine E-Mails. Selbst wenn ich ihn anrufe, geht er nicht dran. Es ist... als sei er wie vom Erdboden verschluckt. Ich hoffe, ich kann herausfinden, was los ist!“ sagte sie und klang sowohl wütend als auch besorgt.

„Vielleicht hat er eine andere gefunden?“

Richard bereute seine Worte bereits, noch bevor der Satz beendet war und er schloss die Augen, sich mental auf das, was folgen würde, vorbereitend.

Und tatsächlich. Kurz darauf hörte man Besteck auf den Teller fallen und einen Stuhl, der hektisch nach hinten geschoben wurde. Schritte. Dann wurde eine Tür zu geschlagen und es wurde schlagrtig ruhig.

Richard seufzte. Er hatte das Thema schön öfters angesprochen, als ihm auffiel, dass sich Astrid offenbar nie großartig für Jungs ihres Alters interessierte. Und nachdem sie ihm mehrfach versichert hatte, dass sie nicht auf Frauen stand, fiel ihm eigentlich nur ihr alter Kindergartenfreund Hicks ein, mit dem sie trotz der großen Distanz zwischen ihnen immer noch regen Kontakt pflegte. Doch Astrid hatte stehts eine mögliche Beziehung mit dem schmächtigen Burschen aus Berk verneint, dabei die Arme vor der Brust gekreuzt und den Kopf geschüttelt, um ihre Aussage so stark wie möglich zu unterstreichen.

„Hicks ist mein bester Freund, wenn nicht sogar “der“ beste Freund. Ich kann immer zu ihm kommen und wirklich mit allem über ihn reden. Selbst Dinge, die Jungs... eigentlich nichts angehen. Aber ich würde niemals... nein, völlig absurd. Wir würden uns diese wunderbare Freundschaft niemals mit einer festen Beziehung kaputt machen wollen.“ hatte sie gesagt und damit das Gespräch auch schon beendet. Jeder weitere Versuch, Astrid die Möglichkeit nahe zu legen, dass sie vielleicht doch romantische Gefühle für ihren besten Freund hegte wurden von mal zu mal immer aggressiver von der Blonden im Keim erstickt.
 

Eine Weile stand Astrid kochend an ihrer Zimmertür gelehnt und versuchte, die aufkommenden Mordgedanken an ihren Vater so gut es geht wieder zu unterdrücken. Inzwischen glaubte sie, dass er das Thema nur ansprach, um sie zu ärgern, sie auf die Palme zu bringen, bis sie irgend einen Fehler macht. Was falsches sagt oder sich verspricht und er damit die Bestätigung hätte, nach der er sucht.

Aber es gab nichts zu bestätigen. Hicks war ihr wichtig. Er war ein Teil ihrer Familie gewesen, auch wenn er sie anfänglich mit seiner tollpatschigen Art stehts an den Rand eines Nervenzusammenbruchs getrieben hatte. Doch ein unschuldiges Lächeln und schon hatte sie ihm alles vergeben. Er war für sie da gewesen, als ihre Eltern sich scheiden ließen und er hatte ihr geraten, auf ihr Herz zu hören, als sie sich entscheiden musste, bei ihrer Mutter in Berk zu bleiben oder mit ihrem Vater nach London zu ziehen.

Sie stieß sich mit einem Fuß von der Tür ab, seufzte und ließ sich auf ihr Bett fallen. Nun, da das Thema mal wieder angesprochen war, ging ihr das Gesicht des braunhaarigen Chaoten nicht mehr aus dem Kopf. Warum meldete er sich nicht mehr bei ihr? War etwas in Berk vorgefallen? Ein Unfall? Eine Katastrophe? Das Ungeheuer von Loch Ness? Ernsthaft, es könnte sogar ein Meteorit auf die kleine Küstenstadt gestürzt sein und keinem wäre es aufgefallen. So abgeschottet war Berk vom Rest Groß Britanniens. Hicks wöchentliche E-Mails waren die einzige Informationsquelle für sie. Und diese Quelle war nun versiegt.

„Hicks! Was ist nur los? Was passiert nur da oben bei euch?“ flüsterte sie, mit der kindischen Hoffnung, wie aus dem Nichts wurde seine Stimme ihr Antworten. Doch sie hörte nichts, also schloss sie müde die Augen und ihr Bewustssein driftete sobald in einen unruhigen Schlaf ab...
 

Am frühen Morgen des nächsten Tages waren alle Koffer in dem kleinen, blauen Mini, den Astrid von ihrem Vater zur bestandenen Führerscheinprüfung geschenkt bekommen hatte, verstaut. London lag noch in der Dunkelheit der Nacht und ihr Vater war noch so müde, dass er es nicht zu Stande gebracht hatte, sich umzuziehen und somit in Pyjama und Morgenmantel an der Straße stand, um sie zu verabschieden.

„Ich hab dir gestern Abend noch ein paar Sandwiches für die Fahrt gemacht. Und hier eine Thermoskanne Kaffee, die wirst du gebrauchen!“ sagte er, unterdrückte ein herzhaftes Gähnen und zog dann seine Tochter für eine lange Umarmung zu sich.

„Du wirst mir fehlen, Dad!“ sagte sie leise.

„Du mir auch, mein Schatz. Fahr vorsichtig, grüß deine Mutter von mir und finde heraus, was mit deinem Freund ist. Und wenn irgendetwas ist, egal was, dann...“

„...ruf an. Ja, Dad, ich weiß. Ich bin kein kleines Mädchen mehr!“

Frech streckte sie ihm die Zunge raus und Richard konnte trotz der frühen Stunde die Kraft für ein Lächeln aufbringen.

„Leider. Schau dich an, Astrid. Nächste Woche wirst du 18 und du hast dich in eine tolle, junge Frau entwickelt. Ich bin stolz auf dich!“

Wieder zog er sie in eine Umarmung und Astrid verdrehte schon die Augen.

„Dad, wenn du nicht willst, dass ich fahre, dann sag es doch einfach!“

Sofort drückte ihr Vater sie wieder von sich und winkte in Richtung Auto: „Bloß nicht, ich hab mich so auf die nächsten Wochen ohne dich gefreut!“ sagte er stichelnd, kassierte dafür aber sogleich die Rechnung in Form eines Schlages gegen die Schulter.

„Aua!“

„Das war dafür, dass du frech geworden bist, Dad!“ sagte sie. Dann drückte sie ihm jedoch noch rasch einen Kuss auf die Wange.

„Und das ist für alles andere!“

Astrid stieg in ihren Wagen, schloss die Fahrertür hinter sich und ließ den Motor aufheulen. Richard trat einen Schritt von der Bordsteinkante weg und winkte ihr zum Abschied nach, als sie den Wagen aus der Parklücke manövrierte, die Straße hinab fuhr und schon bald nach der ersten Kurve nicht mehr zu sehen war...

Das ist Berk...

„I take... two steps forward, I take two steps back. We come together, cuz opposites attract, And you know, it ain't fiction, Just a natural fact. We come together cuz opposites attract!“

Es war später Mittag, als am Horizont die blau schimmernde Nordsee und das kleine Hafenstädtchen Berk in Sicht der blonden Teenagerin aus London kam. Ihre Fensterscheiben waren herunter gekurbelt, das Radio laut aufgedreht und Astrid sang fröhlich mit zu Paul Abdul's Song Opposites Attract! Das sie dabei nicht jede Tonlage traf oder ein Wort verschluckte, da ihr der Text nicht ganz geläufig war, stört sie nicht. Schließlich war sonst niemand mit ihr im Auto, um sie mit einem quälenden Blick darum zu bitten, mit dem Katzengejammer aufzuhören.

Auf dem Beifahrersitz lag groß ausgebreitet eine Karte des nördlichen Englands und Schottlands, im Becherhalter stand ein halbleerer, kalter Kaffeebecher, aus dem sie gelegentlich noch einen Schluck nahm und irgendwo auf dem Rücksitz hatte sie noch eine Papiertüte mit ein paar Pommes und einem halb aufgegessenen Cheesburger.

7 Stunden war sie nun unterwegs gewesen und so langsam meldete ihr Sitzmuskel Protest an, wenn sie noch länger im Auto sitzen müsste. Doch als die Straßenschilder ihr verrieten, dass es bis Berk nur noch wenige Kilometer waren, war noch einmal der letzte Rest Adrenalin in die Adern der jungen Frau gepumpt worden und sie hatte ein letztes Mal das Gaspedal durchgedrückt, um endlich ihr Ziel zu erreichen.

„Hoffentlich haben sie in den letzten 4 Jahren nicht zu viel in der Stadt verändert!“ dachte sie, doch eigentlich war diese Sorge unbegründet. Berk hatte sich seit über 100 Jahren nicht mehr großartig verändert. Die Häuser wurden zwar mit der Zeit modernisiert und die Läden und Geschäfte im Stadtzentrum haben schneller den Besitzer gewechselt, als der alte Schankwirt Grobian seine Unterhose, aber dennoch blieb das Gesamtbild im großen und ganzen erhalten.

Es gab drei wesentliche Bezirke in Berk. Den Hafen, das Stadtzentrum und die Wohnsiedlung. schön ordentlich nebeneinander aufgereiht. Die Gefahr, sich zu verfahren oder zu verlaufen war damit gebannt gewesen.

Astrid kämpfte mühevoll gegen ein breites Grinsen an, als sie an den vielen, kleinen Läden der Stadt vorbei fuhr, das Kreischen der Möwen vernahm und die salzige Luft einatmete. Die Vorfreude, ihre Mutter und all ihre alten Freunde wieder zu sehen, war einfach zu überwältigend. Und beinahe wäre Astrid vor Freude aufgesprungen, als sie Raffnuss, Taffnuss und Rotzbacke sah, die zu dritt ein paar Fahrradständer vor einem kleinen Cafe belagerten.

Sofort bremste sie ihren Wagen und schlug auf die Hupe, worauf die drei Freunde vor Schreck beinahe von den Fahrradständern gerutscht wären und Astrid sich vor Lachen kaum noch halten konnte.

Zunächst waren sie verärgert, doch als sie ihre alte Freundin Astrid hinter dem Lenkrad erkannten, erstrahlten ihre Gesichter. Schnell hatte die Blonde ihren Mini am Straßenrand geparkt, dann war sie auch schon hinaus gestürmt und lief ihnen entgegen.

„Astrid! Du bist es wirklich!“ rief Rotzbacke, hellauf begeistert, doch bevor er die Blonde in die Arme schließen konnte, war Raffnuss schneller gewesen und schon fand sich Astrid in den fast schon knochenbrechenden Fängen ihrer ehemals besten Freundin wieder.

„Mensch Astrid. Wurde auch Zeit, dass du endlich ankommst. Taffnuss und ich haben nämlich ne Wette am laufen. Er hat gewettet, dass du auf dem Weg hier her nen Unfall bauen würdest.“ sagte sie lachend und Taffnuss, missmutig darüber, schon verloren zu haben, wand den Blick mit verschränkten Armen ab.

„Na, schön dass du so viel vertrauen in meine Fahrkünste hast, Raff!“ sagte Astrid anerkennend.

„Ja, ich wette, dass du erst auf dem Heimweg nen Baum knutschen wirst!“

Für gewöhnlich ein guter Grund, zutiefst empört zu sein, doch Astrid kannte die Macken der Zwillinge inzwischen zu gut. Da wunderte sie sich über gar nichts mehr.

Derweil schob sich Rotzbacke nun endlich ins Bild.

„Astrid, wie schön, dich wieder zu sehen. Gut siehst du aus. Trainierst wohl fleißig, um dich in Form zu halten. Das tue ich selbstverständlich auch, schließlich wollen diese Lieblinge gepflegt werden!“

Und nach diesem Satz schob er einen seiner Ärmel hoch und spannte den Arm an, um seine Muskeln zu demonstrieren. Danach zwinkerte er Astrid an, doch die Frau seines Begehrens schien wenig von ihm Begeistert zu sein.

„Ja ja, Rotzbacke. Sehr schön, aber ich gehe immer noch nicht mit dir aus. Ich dachte, die Abfuhr von vor 4 Jahren vor der ganzen Gruppe hätte dir das klar gemacht?“ fragte sie grinsend.

Rotzbackes Lächeln verschwand und der Ärmel wanderte wieder in Richtung Hand.

„Ich bin nun mal ein Siegertyp, irgendwann wirst du vor dem mächtigen Rotzbacke einknicken!“

„Ja klar, und Justin Bieber wird der 45. Präsident der Vereinigten Staaten!“

Ehe Rotzbacke darauf etwas erwidern konnte, wurde er schon von Raffnuss grob zur Seite geschoben.

„Hey, wollen wir gleich mal rüber zu Grobian gehen und deine Rückkehr feiern? Die Bar ist so schäbig wie immer aber sein Bier ist das Beste. Und wir sind ja alle Volljährig!“ schlug sie vor und ihr Bruder stimmte sofort begeistert ein.

„Super, dann besaufen wir uns und wer zu erst kotzt, hat verloren... ne warte mal. Heißt es nicht, kein Bier vor Vier?“

Darauf gab von Raffnuss einen Hieb auf de Schädel.

„Du Idiot, wir hatten es gestern doch auch schon Vier. Und das war gestern, also ist jetzt nach Vier von gestern.“ erklärte sie stolz.

„Scheiße man, du hast Recht. Das ist voll der logische Scheiß!“

Sollte Astrid bisher noch keine Bedenken wegen ihrer Reise gehabt haben, so hatte sie Sie jetzt. Doch es war auch schön zu sehen, dass sich ihre Freunde in den vergangenen vier Jahren so gut wie gar nicht verändert hatten. Rotzbacke war immer noch der arrogante Muskelberg und die Zwillinge wetteiferten weiter darum, wer von ihnen verrückter war.

Doch nun wurde es an der Zeit, dem ganzen vorerst eine Ende zu bereiten.

„Tut mir leid, Leute. So... schön das auch klingt, aber ich will erst bei meiner Mum vorbei schauen und meine Sachen auspacken. Aber wie wäre es mit heute Abend? Wir könnten dann die ganze, alte Clique einladen. Ich würde mich nämlich auch freuen, Fischbein und Hicks wieder zu sehen!“

Das Lächeln auf den Gesichtern ihrer Freunde erstarb und sich warfen sich alle unsichere Blicke zu. Bei Astrid schrillten darauf hin sofort die inneren Alarmglocken, doch noch wollte sie sich nichts anmerken lassen.

„Ja, weißt du...“ begann Rotzbacke, sich dabei nervös den Nacken massierend, „...wegen Hicks, es ist so...autsch“

Raffnuss stieß dem schwarzhaarigen den Ellbogen in die Seite und brachte ihn somit zum Schweigen.

„Das lass dir mal lieber von deiner Mutter, erklären. Astrid. Ernsthaft, sie... sie kann dir alles sagen!“

Astrid spürte, wie ihre Hände zu zittern begannen und sofort schob sie Sie in ihre Jackentasche. Sie hatte die ganze Zeit befürchtet, dass irgendetwas passiert war, hatte sich die Fahrt über aber eingeredet, dass er nur zu beschäftigt war oder es Probleme mit der Kommunikation gäbe. Dies ist Berk, ein Ort am buchstäblichen “Arsch der Welt“. So etwas war durchaus möglich. Doch nun, wo sie die traurigen Gesichter ihrer Freunde sah, war der Knoten im Hals und das bedrückende Gefühl in ihrer Magengegend wieder zurückgekehrt. Sie wollte ein wütendes Gesicht aufsetzen, ihre Freunde anschreien, auf den Boden stampfen, sie schlagen und schlussendlich anflehen, ihr zu sagen, was mit Hicks geschehen ist. Doch sie brachte nichts dergleichen zu Stande. Kein Fluch kam über ihre Lippen, keine Voraussage für einen Mord oder eine andere Gewaltandrohung. Nur ein simples „Okay!“

Und als sie so langsam anfing, ihr Umfeld wieder wahr zu nehmen, saß sie schon wieder in ihrem Auto, beide Hände ans Lenkrad gekrallt. So fest, dass die Fingerknöchel weiß wurden. Raffnuss, Taffnuss und Rotzbacke hatten sich von ihr verabschiedet mit dem versprechen, am Abend mit ihr über alles zu reden.

„Jetzt keine Panik, Astrid. Keine... Panik!“ sagte sie zu sich selbst doch mit jedem Wort wurde das Zittern, dass nun ihren ganzen Körper gepackt hatte, schlimmer und sie schlug schlussendlich eine hand vor ihren Mund und Tränen entglitten ihren Augen.

Astrid schüttelte sich und versuchte die Kontrolle zurück zu erlangen. Sie atmete mehrmals tief ein und wieder aus und wischte die Tränen mit dem Ärmel ihrer Jacke weg. Dann steckte sie den Autoschlüssel ins Zündschloss und fuhr los. Nun wollte sie nur noch zu ihrer Mutter, sie wollte endlich Antworten haben. Und womöglich eine starke Schulter.
 

Astrids Mutter bewohnte ein kleines aber feines Haus am Stadtrand. Hinterm Haus begann der große Wald von Berk und zwischen dem Grundstück und dem der Nachbarn war genügend Platz, dass sehr gut noch ein Drittes mit Haus und Garten dazwischen passen würde. Astrid parkte am Straßenrand, sprang aus ihrem Wagen und lief förmlich den kleinen, gepflasterten Weg zur Haustür hoch. Dann klingelte sie Sturm und wartete ungeduldig auf ein Lebenszeichen.

„Herr Gott noch mal, ich bin ja gleich da. Hören sie auf, meine Türklingel zu malträtieren!“ hörte man eine wütende Stimme von Innen und sofort fühlte sich Astrid ein wenig besser. Ihre Mutter war zu Hause. SIE war zu Hause. Die erste, gute Nachricht, seit die Berk erreicht hatte.

Die Tür wurde mit viel Kraft aufgerissen und eine Frau mittleren Alters stand schließlich vor ihr. Ihr wütendes Gesicht schmolz förmlich dahin, als sie ihre Tochter erkannte.

„A.Astrid?!“

„H-Hallo Mum. Ähm... Überraschung!“

Kurz darauf lagen die beiden Frauen sich in den Armen und wieder musste Astrid um das Wohlbefinden ihrer Knochen bangen, als sie die Umarmung ihrer Mutter als Eisern wie eh und je entpuppte.

„Astrid. Oh Astrid, wie schön, dich endlich wieder zu sehen. Du hast mir gefehlt, mein Kind. Das ist wahrlich eine Überraschung!“ sagte Helga Hofferson und sie war den Tränen nah.

Schnell war der jungen Frau Platz geschaffen, damit sie eintreten konnte.

„M-meine Koffer sind alle im Wagen, ich wollte fragen... ob es dir was ausmachen würde, wenn ich...“

„Aber nein, ganz und gar nicht!“ unterbrach Helga ihre Tochter und winkte das Thema sogleich ab, als sei es selbstverständlich, dass Astrid während ihres Aufenthaltes in Berk bei ihrer Mutter wohnen könnte.

„Deine Koffer können wir aber später noch rein holen. Sets dich erst einmal, ruh dich aus. Du hast sicherlich eine lange fahrt hinter dir.Möchtest du etwas trinken?“

„Nein danke, Mum. Ich bin nicht durstig!“

Ein wenig unsicher stand Helga nun vor ihrer Tochter, bevor sie schließlich nickte und sich dann zu ihr in das kleine Wohnzimmer setzte.

„Du kannst dein altes Zimmer beziehen. Du wirst sehen, es hat sich kaum verändert. Das Bett ist vielleicht ein wenig klein für dich, aber ich bin sicher, wir werden auch dafür eine Lösung finden!“ erzählte sie. Anhand ihrer Hände konnte Astrid erkennen, wie aufgeregt ihre Mutter war. Sie zitterten unkontrolliert, sie konnte nicht mal ein Glas Wasser halten, ohne die Hälfte zu verschütten.

Astrid selbst spürte, wie das Unbehagen in ihrem Inneren immer mehr an intensität zunahm. Sie wusste, dass ihre Mutter erst einmal sie alles mögliche ausfragen würde. Wie erging es ihr bis her, wie verläuft die Schule, wie ist das Leben in London, wie geht es ihrem Vater? Doch Astrid selbst wollte nur eines wissen.

„Mum, was ist mit Hicks? Was ist los?“ brach sie heraus und überraschte damit ihre Mutter, die gerade selbst zu ihrer ersten Frage ansetzen wollte.

Helga blickte ihre Tochter erst mit offenem Mund an, dann sackten ihre Schultern sichtbar herab und das aufgesetzte Lächeln, mit dem sie ihre Nervosität bisher verdeckt gehalten hatte, fiel wie eine Maske.

„Oh Astrid!“

Der Knoten in ihrem Hals zog sich enger zusammen...

„Es tut mir leid... Hicks... er...!“

Die Bauchschmerzen meldeten sich und ihr wurde Übel...

„...Hicks... er... es gab einen furchtbaren Unfall!“

Astrid glaubte, keine Luft mehr zu bekommen und alles wurde schwarz...

Ein wenig Licht im Unklaren!

„Hier, trink das. Danach geht’s dir besser!“

Vorsichtig umschlangen Astrids zitternde Hände die heiße Teetasse, die ihr ihre Mutter aus der Küche mitgebracht hatte, bevor sich die Ältere zu ihrer Tochter auf's Sofa setzte. Sie wartete, bis Astrid zögerlich den ersten Schluck nahm und sofort das Gesicht verzog, als der heiße Tee ihr fast die Lippen verbrühte.

„Danke... Mum.“

Astrid streifte die Decke ab, die ihre Mutter ihr gebracht hatte. Sie war ohnmächtig geworden, aber nicht krank. Und nun wollte sie Antworten.

„Mir geht’s gut Mum!“ sagte sie, als sie den besorgten Gesichtsausdruck im Gesicht ihrer Mutter sah.

„Bitte, erzähl mir jetzt von diesem Unfall.“

Helga zögerte. Sie wollte, dass sich Astrid erst richtig erholt, bevor sie die ganze Geschichte hört, aber schnell wurde ihr klar, dass es die Unwissenheit war, was ihre Tochter am meisten zusetzte.

„Also gut... ich erzähle dir, was vor ein paar Monaten geschah. Dein Freund Hicks und seine Mutter Valka hatten... eine Autounfall. Ein paar Kilometer westlich von hier. Es hatte stark geregnet und Valka muss die Kontrolle über den Wagen verloren haben. In einer Kurve... kamen sie von der Straße und stürzten einen Abhang hinab!“

Astrid spürte wieder, wie es ihr schwerer fiel zu atmen, doch noch behielt sie die Kontrolle über sich und griff dann vorsichtig nach der Hand ihrer Mutter.

„Ist Hicks... ist er... hat er...“

Daraufhin wurde sie sofort von Helga in eine Umarmung gezogen. Eine Hand strich über ihren Rücken, während sie zusammen begangen, langsam hin und her zu wippen.

„Er lebt, Astrid. Er hat überlebt!“ flüsterte sie ihrer Tochter ins Ohr.

Die Fesseln, die ihren Brustkorb bisher fest umschlossen hatten, fielen ab und Astrid konnte endlich durchatmen. Sie seufzte vor Erleichterung hörbar auf und schmiegte sich mehr an ihre Mutter.

„Oh Gott sei dank. Gott sein dank, er lebt. Mum, als der Kontakt abbrach habe ich schon mit dem schlimmsten gerechnet. Raffnuss, Taffnuss und Rotzbacke wollten mir nicht sagen, was passiert war und... und ich wäre beinahe verrückt geworden vor Sorge um ihn!“ sagte sie hektisch. Dann wischte sie sich ein paar Tränen aus den Augen und ihre Lippen konnten endlich wieder Lächeln.

„Da... ist noch mehr!“

Astrids Lächeln erstarb schlagartig.

„Mum?“

„Hicks hat den Autounfall überlebt. Doch er war sehr schwer verletzt. Und seine Mutter... Valka hat es nicht geschafft!“

Astrid's Hand wanderte langsam hinauf und legte sich vor ihren offenen Mund.

„Mrs. Haddock ist... tot?“

Kurz darauf war Astrid aufgesprungen, hatte alles stehen und liegen gelassen und war schon auf dem Weg in den Flur, um ihre Jacke zu greifen. Helga lief ihr hinter her, ihr nachrufend, was sie denn jetzt vor hätte.

„Hicks braucht mich jetzt. Ich muss zu ihm!“ rief sie ihrer Mutter zu, bevor sie das Haus verließ und zu ihrem Auto lief.

„Astrid, warte. Du solltest jetzt nichts überstürzen, du bist doch gerade erst angekommen. Und du weißt doch gar nicht, ob er dich sehen will!“

„Ich bin seine beste Freundin, Mum. Natürlich will er das!“

Was sollte diese dämliche Frage überhaupt? Doch Astrid schluckte die Wut einfach runter und kramte nach ihrem Autoschlüssel. Wieso mussten solche Dinge immer so schwer zu finden sein, wenn man es eilig hatte? Helga hatte derweil zu ihr aufgeholt und sie musste sich erst einmal am Auto abstützen und nach Luft ringen.

„Astrid... du verstehst nicht. Hicks... er hat sich verändert, er ist nicht mehr der selbe Junge, den du kanntest. Der Unfall, der Tod seiner Mutter, die ständigen Schmerzen, dass alles hat ihn zu einer völlig anderen Persönlichkeit werde lassen!“ versuchte sie zu erklären, doch alles was Astrid aufnahm war die Nachricht, dass Hicks Schmerzen hatte. Sie ließ beinahe die Autoschlüssel fallen und wand sich zu ihrer Mutter.

„Er hat Schmerzen? Und das sagst du mir erst jetzt? Warum, wieso?“ fragte sie barsch, worauf Helga tatsächlich einen Schritt von ihr zurück wich.

„Ich... ich weiß es nicht genau. Wir alle wissen nur, was sein Vater gesagt hat. Dass er noch immer Verletzungen von dem Unfall hat und dass die auch nicht mehr verheilen werden. Bitte Astrid, hör auf mich und überlege es dir sehr gut, ob du jetzt zu ihm fahren willst. Ob du... ihn so sehen willst?“

Astrid stockte in ihrem Versuch, den Wagen aufzuschließen und stumm warf sie einen langen, wütenden Blick auf ihre Mutter. Wie konnte sie so etwas nur sagen?

Hicks war ihr Freund. Ihr bester Freund. Er hat ihr nie den Rücken gekehrt, ihr nie weh getan, sowohl körperlich als auch mental. Er war immer für sie da gewesen. Und selbst wenn er alle Zähne verlieren, ihm die Haare ausfallen und er ein Bein oder ein Arm vermissen würde. Sie würde ich trotz allem sehen wollen.

„Tritt bitte vom Wagen weg, Mum!“ sagte sie kühl, dann stieg sie ein.
 

Astrid brauchte ein paar Minuten mehr als vermutet, um das Haus der Haddocks zu finden. Ein großes, zweistöckiges Haus mit entsprechendem Garten und Zufahrt. Astrid erinnerte sich daran, wie sie nachts heimlich über den Apfelbaum im Garten geklettert war, um zu Hicks ins Zimmer zu kommen, ohne dass seine Eltern davon erfuhren. Noch immer ragte der alte Baum hinter dem Haus hervor und von außen machte das gesamte Anwesen des Bürgermeisters von Berk einen friedlichen Eindruck.

Astrid brachte den Motor zum schweigen, stieg aus und schlang ihre Jacke fester um sich. Sie war das kalte Wetter in Berk einfach nicht mehr gewohnt. Rasch war der kurze Weg zur Haustür genommen. Als sie vor der Tür stand, atmete sie noch ein letztes Mal tief durch, dann drückte sie auf die Klingel.

Es dauerte ein paar Sekunden, bevor sie schwere Schritte hinter der Tür vernahm. Dann wurde das Türschloss aufgeschlossen, der Knauf umgedreht und die Tür geöffnet. So fand sich Astrid nun von der massigen und muskulösen Gestalt des Bürgermeisters von Berk wieder. Haudrauf Haddock.

Stoike kniff, verwundert über seinen Gast, die Augen zusammen und kam ihr ein wenig näher. Dann aber fing er an, das Mädchen zu erkennen und sein Gesicht wurde durch ein breites Grinsen erhellt.

„Beim Barte meiner Ahnen. Astrid! Tut gut, dich mal wieder hier zu sehen, junges Fräulein. Hatte schon befürchtet, diese Spießer aus der Großstadt hätten dich deine alte Heimat vergessen lassen. Komm rein.“

Er drehte um und marschierte zurück ins Haus, deutete mit einem Wink seines breiten Arms Astrid darauf hin, ihm zu folgen.

Sie schloss die Haustür hinter sich, folgte Haudrauf durch den Flur ins geräumige Wohnzimmer. Sie war verblüfft, dass selbst nach vier Jahren, alles noch genau so aussah wie früher.

„Kommst genau richtig, hab' gerade Tee fertig gemacht. Magst du auch 'ne Tasse?“

Astrid war noch völlig von der Wirkung ergriffen, die der Raum auf sie hatten, als Haudrauf mit einer Tasse Tee vor ihrem Gesicht herum schwenkte.

„Oh, nein danke. Ich hatte... heute schon welchen!“ sagte sie rasch.

„Tjoa. Wer nicht will, der hat schon!“ sagte er und leerte mit einem Zug die Tasse selbst. Dann wieß er auf das Sofa und Astrid setzte sich.

„Also. Ich vermute, du bist nicht gekommen, um mit deinem alten Bürgermeister 'ne Tasse Tee zu trinken, oder? Du bist wegen meinem Sohn hier, stimmt's?“ fragte er.

Astrid nickte zur Antwort nur.

„Dacht' ich's mir. Nun, ich werde es kurz machen. Hicks is' nicht da. Is' er nie um diese Zeit!“ sagte er und zuckte dabei mit den Schultern, als wäre die Abwesenheit seines Sohnes für ihn nichts ungewöhnliches mehr.

„Wie meinen sie das?“ fragte Astrid darauf.

Haudrauf leerte die nächste Tasse mit einem Zug und wischte sich mit der Hand etwas Tee vom Bart.

„Ich meine damit, dass Hicks nicht da is'. Er verlässt noch vor den ersten Sonnenstrahlen das Haus und kommt erst wieder, wenn es da draußen so finster is', wie im Rachen des Fenriswolfes persönlich. Ich weiß nicht, was er den ganzen Tag treibt. Ich weiß auch nicht, wohin er geht. Aber ich vermute, dass das seine Art ist... damit fertig zu werden!“

Haudraufs gesicht verdunkelte sich, als die Erinnerung an seine liebe Frau zurückkehrten. Astrid hatte den Bürgermeister von Berk immer als den starken Mann gesehen. Der nie zurück geschreckt war und stehts das Haupt stolz erhoben getragen hat. Auch jetzt schien er alles daran setzen zu wollen, vor Astrid nicht einzuknicken, doch seine Fassade zeigte Risse, durch die Astrid sehen konnte, wie gebrochen der Mann eigentlich war.

„Ich... ich möchte ihnen mein herzlichstes Beileid aussprechen, Mr. Haddock.“

„Danke, Astrid. Schon zu sehen, dass du immer noch das nette Mädchen von früher bist. Aber... vielleicht kannst du mir einen gefallen tun!“
 

Kurz darauf standen Astrid und Haudrauf im Garten vor dem alten Apfelbaum und Astrid warf dem älteren Mann einen entrüsteten Blick zu.

„Sie wollen, dass ich in sein Zimmer einbreche?“ fragte sie wütend und entsetzt zu gleich über dieser Bitte.

„Ich weiß, dass klingt falsch. Aber Wenn Hicks nicht gerade weiß sonst wo is', sperrt er sich immer in seinem Zimmer ein. Ich will doch nur wissen, was los ist, Astrid. Ich... ich mach mir Sorgen!“

Für gewöhnlich konnte Astrid dem Blick von hundert Katzenbabys stand halten, ohne mit der Wimper zu zucken. Doch ihre eigene Sorge um Hicks hätte sie vermutlich sogar dazu gebracht, in einer Bank einzubrechen.

„Also gut. Aber sie bleiben hier und fangen mich, falls ich stürze!“

„Na Logisch. Bist ja schließlich die Freundin meines Sohnes!“

er lächelte sie mit dem selben, schelmischen Blick an, den sie schon von ihrem eigenen Vater hasste, doch Haudrauf war zu groß und kräftig, um ihn zu schlagen, also beließ sie es bei einem genervten Schnauben.

Es war Jahre her, seit dem Astrid das letzte Mal einen Baum bestiegen hat. Doch als sie das erste Mal seit langer Zeit wieder eine Hand auf die knorrige Rinde legte, da wusste sie sofort, welchen Ast sie ergreifen, welches Astloch umgehen und welche Gabelung sie ausnutzen musste. Und obwohl sie es nicht zu geben wollte, machte ihr die kleine Kletteraktion sogar Spaß. Bis sie endlich das Fenster zu Hicks Zimmer erreicht hatte.

„Ich bin oben!“ rief sie hinab.

„Kriegst du das Fenster auf?“ fragte Haudrauf und astrid nickte.

„Ja. Der Riegel ist schon seit Jahren verrostet. Hicks hat ihnen nie davon erzählt, damit es nicht ausgetauscht wurde.“

Darüber konnte Haudrauf nur den Kopf schütteln, während Astrid mit ein wenig Kraft und Fingerspitzengefühl das Fenster hoch schob und sich dann durch die Öffnung hinein zwang.

Im Inneren blieb Astrid eine Weile vor dem Fenster stehen, sah sich um und ließ den Raum auf sich wirken. Alles hatte sich verändert, nichts war mehr so wie in ihrer Erinnerung.

Die Möbel waren alle neu: Ein großes Bett mit grünen Laken, ein Kleiderschrank und ein überdimensionaler Schreibtisch mit einem Stuhl.

Überall im Raum stapelten sich Bücher, auf dem Boden, dem Bett und dem Schreibtisch waren unzählige, lose Blätter verteilt mit kleinen aber komplexen Skizzen oder einfachen Zeichnungen.

„Astrid? Hast du schon was gefunden?“ schallte die Stimme von Haudrauf durchs Fenster.

„Nein, noch nicht. Aber ich schließe ihnen die Zimmertür auf, dann können sie hoch kommen!“ rief sie zurück, dann wand sie sich der Tür zu, in dem der Schlüssel steckte und schloss sie auf.

Kurz darauf war Haudrauf mit im Zimmer und zusammen gingen sie die einzelnen Skizzen durch.

„Das hat Hicks also die ganze, letzte Zeit getan. Gemalt!“

„Gezeichnet, Mr. Haddock. Der Begriff trifft es eher. Und wenn sie mich fragen geht das hier über einfache Zeichnungen hinaus. Das sind Blaupausen, Pläne und Darstellungen von... von irgendwelchen Konstruktionen. Hier... dass sieht wie ein Segel aus oder eine Art... Flosse!“ erklärte sie und hob das Blatt Papier mit der Skizze hoch, dass sie in den Händen hielt.

„Aber wozu? Will er irgend ein Flugklapparatismus bauen oder so?“

Auf seine Frage hatte Astrid keine Antwort. Ihr selbst waren die vielen Skizzen ein Rätsel. Ihr war klar, dass Hicks etwas im Kopf hatte, aber so was hätte sie sich nie erträumen lassen.

Sie legte die Blätter wieder auf den Schreibtisch und setzte sich erst einmal auf die Bettkante. Das ganze wurde langsam alles zu viel für sie und die Strapazen der langen fahrt machten sich wieder bemerkbar. Am liebsten würde sie sich einfach aufs Bett legen und sofort einschlafen. Doch dann bemerkte sie eine kleine, orangfarbene Dose auf dem Nachtschrank stehen. Sie ergiff die Dose und sofort hörte man ihren Inhalt klappern.

Tabletten.

Sie lass die Beschriftung und wand sich dann an Haudrauf.

„Mr. Haddock. Seit wann nimmt Hicks Vicodin?“

Hicks Haddock

Berk war für viele, verschiedene Dinge bekannt: Die Sturheit seiner Einwohner, die Überpopulation von Schafen und für die Tatsache, dass es in der kleinen Küstenstadt mehr Niederschlag gab als im Rest Schottlands. Und an diese Tatsache erinnerte sich Astrid schnell wieder, als sie auf dem Weg zu Grobians Kneipe von einem heftigen Regenguss überrascht wurde. Schon nach wenigen Minuten war sie bis auf die Haut durchnässt, die Haare klebten ihr im Gesicht und die Kälte ließ ihre Zähne klappern.

„Wozu kaufe ich mir in London extra einen wetterfesten Regenmantel? Das hat man nun davon, wenn man auf eine schön animierte Werbekampagne im Fernsehen rein fällt!“ schnaubte sie wütend und strich sich die nassen Strähnen aus den Augen, nur um sofort weitere, unverständliche Flüche zu grummeln, als sie zurück ins Gesicht fielen.
 

Nachdem Astrid von Hicks Vater nichts über die Tabletten ausquetschen konnte, hatte sie beschloss, zu gehen und zu ihrer Mutter zurück zu kehren. Dort stand erst einmal eine Entschuldigung auf dem Plan, denn Astrid wurde auf dem Rückweg klar, dass ihre Mutter es eigentlich nur gut mit ihr gemeint hatte.

Doch glücklicherweise hatte Helga ihrer Tochter den kleinen Wutausbruch nicht krumm genommen. Ganz im Gegenteil, sie konnte sie sehr gut verstehen und kurz darauf lagen sich Mutter und Tochter wieder in den Armen.

Es brachte nicht viel, sich weiter über Hicks den Kopf zu zerbrechen, so lange sie ihn noch nicht selbst getroffen hat. Was sich als schwierig erweisen würde, wenn man bedenkt, dass der junge Ausreißer den ganzen Tag über lieber verschwunden blieb. Also fanden Astrid und ihre Mutter schnell andere Gesprächsthemen, angefangen bei ihrer schulischen Laufbahn. Helga war außerordentlich stolz auf die Leistungen, die Astrid bis her in den verschiedenen Unterrichtsfächern erbrachte und sagte ihr ihre volle Unterstützung zu, sollte sich die Blonde wirklich dazu entschließen, später Medizin zu studieren.

„Das ist gut. Sehr gut sogar. Dann kannst du die Knochenbrüche und die Prellungen, die du mit deiner Art der “Kommunikation“ verursachst später auch wieder medizinisch versorgen.“ hatte Helga gescherzt.

Dann kamen sie kurz auf ihren Vater zu sprechen, doch Helga wollte nicht viel über ihn wissen. Sie nahm den Gruß nickend hin und fragte kurz nach seinem Wohlbefinden. Alle anderen Themen, die ihn betrafen winkte sie danach ab.

„Dein Vater und ich haben beschlossen, unsere Leben getrennt weiter zu führen. Also muss ich mich nicht für den Unsinn interessieren, den er treibt!“

Astrid hatte ihr zwar beigepflichtet, doch traurig stimmte sie es schon. Die letzten Jahre hatte sie immer wieder gehofft, dass sich ihre Eltern eines Tages wieder versöhnen würden. Doch mit jedem, gescheiterten Versuch schwand diese Hoffnung ein Stückchen mehr.
 

Nach der gemütlichen Runde im Wohnzimmer half Helga beim Auspacken der Koffer und Astrid legte sich dann selbst noch für knapp zwei Stunden auf's Ohr, bis der Wecker ihres Smartphones sie daran erinnerte, dass sie an diesem Abend ja noch verabredet war.
 

Und nun waren wir da, wo dieses Kapitel anfing. Astrid im Regen auf dem Weg zu Grobians Kneipe und sie dankte allen bekannten Göttern der verschiedensten Religionen auf dieser Welt, als sie endlich die kleine Kneipe mit der flackernden Leuchtreklame erreichte.

„Grobians Bierhöhle! Einen besseren Namen hätte er sich wohl nicht ausdenken können!“ kommentierte die den Schriftzug der Leuchtreklame, bevor sie die Tür öffnete und über die Schwelle trat.

Ein Schwall aus Rauch, Hitze und dem Gestank von Bier schlug ihr entgegen, als sie durch die Tür ging und es trieb ihr sogleich ein paar Tränen in die Augen. Doch nach einigen, kurzen Atemzügen gewöhnte sie sich rasch an die Knappheit von frischer Luft und mit halb geöffneten Augen blickte sie durch die zwielichtig gehaltene Kneipe auf der Suche nach ihren Freunden. Und sie fand sie auch schnell.

An einem langen Tisch, nahe der Fenster saßen Rotzbacke, Raffnuss, Taffnuss, Fischbein und Grobian, der sich einen Stuhl genommen hatte und am Tischende saß, wild mit den Händen gestikulierend. Offenbar erzählte er gerade wieder eine seiner Geschichten aus seiner Jugend.

„Un' dann... plötzlich wie aus'm Nichts schossen riesige Tentakel aus'm Wasser und schnappten nach meinem Kahn. Ich war noch immer damit beschäftigt, den gierigen Wahl mir vom Leib zu halten un' musste rasch überlegen. Was sollte ich tun? Also schnappte ich mir meine Harpune und...“

„Hey Astrid. Komm rüber!“ brüllte Raffnuss und unterbrach Grobian damit in seiner Erzählung. Die anderen Jugendlichen drehten sich ebenfalls zu ihr um, so wie auch Grobian selbst, der seine Mütze zum Gruß hob und sie mit seinen lückenhaften Zähnen anlächelte. Besonders auffällig war dabei der große Eckzahn aus Eisen, der im schwachen Licht der flackernden Deckenbeleuchtung funkelte.

„Moin Astrid. Wie schön, dass du den weiten Weg nach Berk zurück gefunden hast, Mädel. Bist aber ganz schön in die Höhe gewachsen!“ sagte Grobian sogleich.

Astrid setzte sich an den Tisch, nickte jedem freundlich zu und schälte sich dann aus ihrem durchnässten Mantel.

„Danke Grobian. Wie schön, dass du immer noch der leidenschaftliche Geschichtenerzähler von früher bist!“ sagte sie anerkennend, was Grobians Lächeln breiter werden ließ.

„So, aber genug von meinen ollen Geschichten. Kundschaft wartet un' ihr habt euch sicherlich viel zu erzählen. Noch einen guten 'nabend, Astrid!“

Damit zog sich der Ältere Mann zurück und die Jugendlichen waren unter sich.

„Puh, ist das ein Wetter draußen. Das einzige, was ich unten in London wohl nicht vermisst habe, die letzten Jahre. Hey, Fischbein. Schön dich wieder zu sehen!“ sagte sie und klopfte dem schüchternen, aber korpulenten Jungen auf die Schulter.

„J-ja, Astrid. Schön... schön, dich ebenfalls zu s-sehen!“ stammelte er nervös. Alle außer Astrid konnten darauf den starken Rotschimmer auf seinem Gesicht sehen, doch keiner sagte etwas. Stattdessen warfen sie sich vielsagende Blicke zu.

„Also. Ich nehme an... du hast mit deiner Mutter über Hicks gesprochen?“ fragte Rotzbacke vorsichtig, worauf Astrid nickte.

„Und mit seinem Vater, ja. Ich weiß also Bescheid. Was ich mich jetzt natürlich Frage ist, wohin er jeden morgen verschwindet?“

„Keine Ahnung. Ich hab mal versucht, ihm zu folgen. Doch dann war da plötzlich dieses voll krasse Streifenhörnchen und ich hab mich gefragt, wie hoch man so ein Vieh in die Luft schmeißen kann... und dann war Hicks verschwunden. Ach, keine Ahnung. Das ist alles zu kompliziert für mich!“ sagte Taffnuss und er kratzte sich am Kopf, bevor er einen der Bierkrüge ergriff, die auf dem Tisch standen und einen Schluck davon nahm.

„Hey, das ist Meiner!“ schimpfte Raffnuss sofort und sie schlug ihrem Bruder gegen die Seite.

„Oh, 'tschuldigung!“

Taffnuss spuckte das Bier zurück in den Krug und schob ihn zu seiner Schwester.

„Bitte!“

„Na also!“ und Raffnuss nahm selbst einen kräftigen Zug, worauf Astrid, Fischbein und Rotzbacke sich angewidert wegdrehten.

„Hey Astrid. Auch ein Bier?“ rief Grobian hinter der Theke hervor, doch Astrid schüttelte sofort den Kopf.

„Mir ist gerade die Lust auf jegliches Getränk vergangen!“
 

Doch schnell war dieser unschöne Moment vergessen und schon bald saßen die fünf wieder dicht zueinander gebeugt zusammen. Astrid hatte sogleich angefangen, die anderen über die vergangenen vier Jahre auszufragen. Wie es ihnen ergangen war, was sie erlebt hatten und, was am wichtigsten war, was sie für die Sommerferien geplant hatten.

„Raff und ich wurden vom Unterricht ausgeschlossen, weil wir die Toiletten in die Luft gejagt haben!“ sagte Taffnuss stolz und klopfte sich selbst auf die Brust.

„Ja, dass war voll cool. Nächstes Jahr sind die Waschbecken dran!“ fügte Raffnuss hinzu.

„Ich werde die Sommerferien nutzen, um noch mehr zu trainieren. Was ist, Astrid? Bist du dabei? Nur wir beide in der Trainingshalle, bis unsere Körper völlig verschwitzt sind und unsere Klamotten an uns Kleben... uff!“

Nach einem heftigen Tritt unterm Tisch in Rotzbackes Lendenbereich, zuckte der Schwarzhaarige schmerzvoll zusammen, fiel vom Platz und schrumpfte zu einer wimmernden Kugel zusammen.

„Trainiere erst einmal dein Hirn, du Idiot!“ gab Astrid kühl von sich, während Raffnuss und Taffnuss sich vor lachen nicht mehr einkriegten und Fischbein ein wenig Mitleid für Rotzbacke empfand.

Fischbein selbst brachte nur wenig über die Lippen außer einer Ansammlung gemurmelter Wortbrocken. Astrid glaubte so etwas wie “Lesen“, “Lernen“ und “...es ihr endlich sagen!“ zu verstehen, konnte sich aber daraus keinen Reim machen. Fischbein war aber schon immer sehr schüchtern gewesen, daher beschloss sie, ihn nicht weiter zu bedrängen.
 

Die Stunden vergingen und schon bald war es kurz nach Mitternacht, als Astrid so müde war, dass sie beinahe mit dem Kinn auf die Tischkante geknallt war. Raffnuss und Taffnuss waren so betrunken, dass sie zusammen an der Bar saßen, die Arme über die Schultern des jeweils anderen gelegt und zu einem Song aus Grobians alter Jukebox grölten. Rotzbacke lag immer noch am Boden und spielte nach dem Tritt in seine Weichteile den sterbenden Schwan und Fischbein hatte nach dem vierten Bier endlich den Mut gefunden, ganze Sätze an Astrid zu richten. Nach dem fünften jedoch brach er zusammen und schlief noch an Ort und Stelle in einer Pfütze seines eigenen Speichels ein. Obwohl ein wenig eklig musste Astrid zugeben, dass der Anblick doch etwas süßes an sich hatte.

„Wie ein zu groß geratenes Baby!“ sagte sie leise, doch sicherlich war Fischbein eh nicht mehr in der Lage sein Umfeld war zu nehmen.

Astrid selbst hatte nur ein einziges Bier bestellt und nur selten mal daran genippt. Sie war keine große Trinkerin, auch wenn sie sich an die eine oder andere Party erinnern kann, auf die sie von Klassenkameradinnen eingeladen wurde. Ihr Vater hatte nach ihrer Rückkehr immer streng gefragt, ob sie noch Jungfrau sei, besorgt darüber, dass irgend ein College-Knabe seine Tochter befingert haben könnte.

„Hey Grobian. Du passt doch auf die vier auf, oder?“ rief sie dem alten Wirt zu, als sie aufstand und ihrem Mantel überwarf.

„Keine Sorge, Astrid. Die sind hier so sicher wie in Abraham's Schoß... hoff' ich zumindest!“

Das reichte der Blonden als Aussage und sie verabschiedete sich. Sie war müde, kaputt und alles, was sie jetzt noch wollte, war in ihre Matratze horchen.

Als sie die Kneipe verließ und die kalte Nachtluft ihre Sinne vom Rauch und Dunst des Bieres frei blies, fühlte sie sich sogleich ein wenig munterer und sie trat mit raschen Schritten den Heimweg an.

Doch auf halber Strecke beschloss sie plötzlich, die Richtung zu wechseln und schon bald fand sie sich vor dem Haus der Haddock's wieder. Das Haus selbst lag im Dunkeln, aus keinem der Fenster schien Licht. Haudrauf musste schon schlafen. Und Hicks? Astrid wusste nicht, ob der Junge bereits wieder in seinem Zimmer war, oder es für seine heimliche Rückkehr noch zu früh war. Dennoch wagte sie den versuch, schlich um das Haus in den Garten und begann, den Apfelbaum empor zu klettern.

Doch noch bevor sie sich den ersten Ast hoch ziehen konnte, erschrak sie beim Klang einer Stimme zusammen und ließ sich wieder zu Boden fallen.

„Also stimmt es, was man sich so erzählt. Die wilde und unerschrockene Astrid Hofferson ist nach Berk zurückgekehrt!“

Bei der Nennung ihres Namens erkannte Astrid endlich die Stimme und mit weit aufgerissenen Augen und klopfendem Herzen drehte sie sich langsam um.

Auf einem der Gartenstühle saß die gebrechliche Gestalt eines Jungen. Ein wenig Mondlicht brach durch die Wolken und ließ seine bleiche Haut weiß leuchten, während seine Augen umso dunkler wirkten. Ein Bein war zum Körper angewinkelt, das andere hing zum Boden herab. Die Hände waren tief in den Taschen seines Kapuzenpullovers vergraben.

„Hicks...!?“

Hicks Haddock saß dort, doch keins seiner üblichen, frech und freundliche Grimassen zierte sein Gesicht. Nicht einmal ein Lächeln, welches Astrid zeigte, dass er sich über ihr Wiedersehen freuen würde.

Nichts außer blanker Leere...

Kalte Enthüllung

Astrid brachte kein Wort über die Lippen und auch Hicks schien sich nun damit zufrieden zu geben, zu schweigen. Die beiden Teenager starrten sich an, bis der Junge den Blickkontakt abbrach und sich vom Stuhl erhob. Erst dann riss sich Astrid aus der Schockstarre.

„Hicks!“

Bei der Nennung seines Namens hielt er inne und er wand sich wieder seiner alten Freundin zu, die nun einen Schritt auf ihn zugegangen war.

„Dir scheint es gut zu gehen, Astrid. Das... freut mich. Wirklich. Aber... warum bist du hier? Solltest du dich nicht... ausruhen? Du hast sicherlich einen langen Tag hinter dir!“

Ein wenig unsicher trat Astrid auf der Stelle und spielte mit ihrem fransigen Pony vor der Stirn.

„J-ja. Der Tag war wirklich lang. Aber... aber ich bin nicht müde.“ log sie und hoffte, dass man im schwachen Mondlicht, das ab und zu durch die Wolken brach, nicht erkennen konnte, wie erschöpft sie eigentlich war.

„Du solltest dennoch nach Hause gehen. Sicherlich regnet es gleich wieder. Du würdest dich nur erkälten!“

Er wand sich ab und kramte in seiner Tasche nach seinem Hausschlüssel, als Astrid den nächsten Schritt auf ihn zu ging.

„Hicks, warte! Bitte!“

Der Jüngere hielt inne und drehte sich noch einmal zu seiner Freundin um, die wieder nach den richtigen Worten suchte.

„Ich... ich hab von deinem Unfall gehört...“ begann sie, worauf Hicks aber nur mit den Schultern zuckte.

„Berk is' eine kleine Stadt. Hier erfährt jeder alles!“ sagte er nur und kramte wieder weiter nach seinem Schlüssel.

„Hicks, ich will dir helfen. Lass uns... lass uns darüber reden, dann geht es dir vielleicht besser!“ schlug sie vor. Doch dann wirbelte Hicks plötzlich herum, wütend, und stapfte auf sie zu.

„Ich will aber nicht darüber reden, Astrid. Ich habe genug darüber geredet. Mit meinem Vater, mit meinem Arzt, meinem Therapeuten, ja sogar mit Grobian. Einem Barkeeper, man stelle es sich vor. Und jeder sagte das selbe, sie alle wollten mir den gleichen Scheiß einreden. SCHLUSS DAMIT, ICH HAB GENUG! GENUG GEREDET!“

Astrid war vor Hicks zurück gewichen und sah ihn aus geschockten, geweiteten Augen ängstlich, ja fast panisch an, während Hicks selbst offenbar langsam realisierte, wen er da eigentlich gerade angeschrienen hatte. Seine Gesichtszüge entspannten sich wieder und er ließ die Arme, mit denen er gerade eben noch wild durch die Luft gestikuliert hatte, wieder sinken.

„Es... es tut mir leid, Astrid. Ich weiß, du meinst es nur gut. Ich... ich hätte nicht die... Beherrschung verlieren dürfen!“

Er seufzte, bevor er sich wieder von ihr abwandte und zurück zur Tür ging. Sogleich riss sich Astrid erneut aus der starre, lief ihm hinter her und ergriff seine Hand.

„Geh lieber nach Hause, Astrid.“ sagte Hicks mit ein wenig Nachdruck.

„Nein. Du bist mein bester Freund und ich werde dich jetzt nicht allein lassen!“ sagte sie und drückte seine Hand ein wenig mit ihrer.

„Bitte, Hicks!“

Er seufzte, dann schloss er die Gartentür auf und trat einen Schritt zur Seite.

„Dann komm rein!“
 

Kurz darauf waren sie in Hicks Zimmer. Astrid saß auf seinem Bett, während Hicks im Schneidersitz den Stuhl bevorzugte. Er blieb voll bekleidet, selbst die Schuhe behielt er an. Astrid wunderte sich darüber, sagte aber nichts und sie versuchte ihre Aufmerksamkeit dem Stück Faden zu widmen, der aus ihrer Hose Abstand, direkt oberhalb des linken Knies.

„Du... du hast dein Zimmer renoviert!“ sagte sie mit einem schwachen Lächeln und ließ kurz einen Blick durch das Zimmer schweifen.

„Ja, ich... ich wuchs langsam aus den alten Sachen heraus, wenn du verstehst, was ich meine!“ antwortete er.

Astrid nickte. Dann schloss sie die Augen und seufzte frustriert.

Dies war der Grund, weshalb sie die lange Fahrt aus London überhaupt auf sich genommen hatte. Den ganzen Tag versuchte sie etwas über ihn heraus zu bekommen. Und nun, da sie endlich vor ihm saß, fand sie nicht die richtigen Worte. Hicks schien das ebenfalls zu bemerken, denn auf seinen Lippen zeichnete sich ein schwacher Anflug eines Lächelns.

„Ziemlich unangenehm die Situation gerade, was?“ fragte er, leicht lachend.

Schlagartig entspannte sich Astrids Körper beim Klang seiner Stimme und auch sie lächelte nun.

„Ja. Sogar ziemlich peinlich. Erinnere mich daran, dir das irgendwann heimzuzahlen. Das du mich aber auch immer in solche Lagen bringen musst!“ sagte sie.

Hicks verdrehte die Augen, doch sein Lächeln wurde breiter.

„Ist das jetzt wieder eine Anspielung auf die Geschichte mit dem stummen Sven und seinen blau gefärbten Schafen? Ich sagte es dir schon damals, dass das Rotzbackes Schuld war, dass du aus dem Busch geschubst und geschnappt worden bist.“

Darauf lachten beide, bis Hicks mit einer Hand in der Tasche des Kapuzenpullis herum kramte. Astrid versuchte so zu tun, als würde sie nicht bemerken, wie er im Inneren der Tasche eine Dose öffnete und dann die Hand, geschlossen um etwas, zum Mund führte. Doch Tatsache war, dass Hicks offenbar gar nicht versuchte, die Medikamente zu verstecken. Und das bereitete Astrid nur noch mehr Sorgen.

„Hicks... ich muss dir was gestehen!“ begann sie und sofort blickte der Braunhaarige neugierig auf.

„Dein Vater bat mich... am Nachmittag in dein Fenster zu steigen. Ich war heute also schon in deinem Zimmer!“

Sofort schloss sie die Augen und wartete die Schimpftirade ab, die sicherlich gleich folgen würde. Doch Hicks blieb überraschend ruhig.

„Das dachte ich mir schon. Dad... hat offenbar vor kurzer Zeit angefangen, sich für mein Leben zu interessieren!“ sagte er säuerlich und drehte seinen Stuhl unter sich, um die Wand mit seinen Augen zu fixieren.

„Er macht sich Sorgen um dich.“

„Er macht sich eher Sorgen darum, dass er bald allein in diesem Haus sitzen wird.“ kam von Hicks gereizt die Reaktion und wieder zuckte Astrid unter der scharfen Stimme des Jungen zusammen.

„Tut mir leid, Astrid.“ entschuldigte sich Hicks aber sogleich wieder und ein erneutes Seufzen ging durch den Raum.

„Aber... ist das nicht... Ironie? Da muss meine Mum erst... erst... sterben, bevor er anfängt... mich wahrzunehmen!“

Hicks Stimme brach und heiße Tränen entglitten seinen Augen. Astrid war schon aufgesprungen, als sie bemerkt hatte, wie sein Körper unkontrolliert zu zittern begann und ließ sich vor dem Stuhl auf die Knie fallen, um ihn sanft in ihre Arme zu ziehen. Hicks vergrub sein Gesicht in ihrer Schulter, immer noch weinend und nach Luft schnappend, seine Hände ruhten auf ihrem Rücken und ihre strichen langsam und sanft auf und ab über seinen.

„Ssssch, ist gut, Hicks. Alles wird gut, ich bin bei dir.“

„Ich... ich vermisse sie... Astrid. Ich ver-vermisse sie so... so sehr!“

Langsam wiegte sie ihn hin und her und redete immer wieder beruhigend auf ihn ein, bis das Schluchzen aufgehört hatte und er langsam ein und ausatmete. Hicks war in ihrem Armen eingeschlafen und das erleichterte sie ein wenig.

Es fiel ihr nicht schwer, den schwachen und fragile Körper zum Bett zu hieven, ohne ihn dabei zu wecken. Zwar regte er sich ab und zu und gab ein kurzes stöhnen von sich, doch ansonsten blieb er ruhig. Mit dem Daumen wischte sie ihm die restlichen Tränen von den Wangen, dann begann sie, ihm die Schuhe auszuziehen.

Erst der rechte Stiefel, dann der Linke. Doch als sie beim linken den Schnürsenkel geöffnet hatte und damit begann, den Stiefel vom Fuß zu ziehen, hielt sie vor Schreck den Atem an und ihr Herz setzte kurz aus, als sie sah, dass der linke Fuß... aus Metall war.

Völlig schockiert ließ sie die Stiefel zu Boden fallen und besah sich die aufwendige und naturgetreue Stahl-Prothese an. Dann schob sie zögerlich das Hosenbein hoch.

Hicks komplettes, linkes Bein bis kurz unterm Knie war durch eine Prothese ersetzt. Astrid legte die Hand vor ihren geöffneten Mund und fing nun selber an zu weinen. Nun endlich verstand sie, was ihre Mutter meinte. Nun war ihr klar, warum Hicks Schmerzmittel zu sich nahm.

„Oh Hicks!“

Vorsichtig zog sie das Hosenbein wieder runter, dann legte sie sich dicht neben ihm aufs Bett und legte einen Arm um seine schultern, ihr Gesicht nah seinem Nacken.

„Es... es tut mir so unendlich leid!“ flüsterte sie.

Dann schloss sie die Augen und ihr Bewusstsein driftete in einen traumlosen Schlaf...
 

Sie erwachte, als warme Sonnenstrahlen auf ihr Gesicht fielen und Vögel im Apfelbaum vor dem Fenster zu singen begannen. Müde hob sie den Kopf und rieb sich beide Augen, bevor sie sich ganz erhob und die Arme streckte.

„Hrngh... ich fühle mich wie gerädert... wo bin ich?“ fragte sie sich und warf einen langen Blick durch den Raum. Erst dann kehrten die Erinnerungen der Nacht zurück und sie fing an, Hicks Zimmer wiederzuerkennen.

Dann wurde ihr Gesicht schlagartig rot, als ihr einfiel, dass sie Hicks ins Bett gebracht, sich dann daneben gelegt und sich an ihn gekuschelt hatte. Doch warum war ihr dass plötzlich so unangenehm? Früher haben die beiden sehr oft in einem Bett geschlafen und gelegentlich sogar gemeinsam gekuschelt. Doch was sie noch mehr störte war der Fakt, dass von ihrem Freund jede Spur fehlte.

„Hicks?“

Doch natürlich erhielt sie von niemandem eine Antwort...

Die geschenkte Axt

Immer wieder musste sich Astrid darüber wundern, was für eine gute Zuhörerin Raffnuss sein kann, wenn ihr Bruder nicht in ihrer Nähe war. Vielleicht war jeder von ihnen die eine Hälfte eines defekten Gehirns und sie konnten nur ihrem Wahnsinn frönen, wenn beide Hälften beisammen waren. Oder aber, Raffnuss hatte einfach nicht die Lust, ohne ihren bekloppten Bruder irgendetwas... na ja, Beklopptes anzustellen. Jedenfalls kannte sie den einen oder anderen Psychologen, die oder der gerne mal ein paar Versuche mit den beiden durchführen würde.

„Und dann ist er einfach abgehauen? Hah, typisch für Männer. Aber ich hätte nicht gedacht, dass Hicks ebenfalls einer von denen ist, die nach ihrem ersten Mal die Kurve kratzen!“ sagte Raffnuss, offensichtlich überrascht ober Astrids Erzählung des gestrigen Abends.

Astrid gab es inzwischen auf, jedem an die Gurgel zu springen, der sie und Hicks als Paar darzustellen versuchte.

„Hicks und ich haben nicht miteinander geschlafen. Wir haben nebeneinander geschlafen und mehr nicht!“ korrigierte sie mit einem langen Seufzen. Dann nahm sie schnell einen großen Schluck aus ihrem Kaffee.

Sie und Raffnuss hatten sich gleich telefonisch zum Frühstück in dem einzigen, vernünftig aussehenden Lokal der Stadt verabredet. Natürlich war die Schwester der Thorsten-Zwillinge zu spät gekommen und so hatte sie Astrid schon bei ihrer dritten Tasse Kaffee angetroffen.

„Echt? Ist ja noch bescheuerter. Warum hast du es ihm nicht besorgt? War doch die Gelegenheit schlecht hin!“

Dies kommentierte sie nur mit einem Augenrollen und langsam fragte sich Astrid, warum sie nicht Fischbein oder Rotzbacke statt Raffnuss angerufen hat?

„Könnten wir jetzt bitte das Thema “Sex“ abhacken? Ich habe nicht mit ihm geschlafen und damit basta. Sag mir lieber, was wir jetzt wegen seinem ständigen Verschwinden tun sollen?“ fragte sie gereizt und hätte beinahe ihren vierten Kaffee um geschmissen.

Raffnuss nickte, dann nippte sie kurz an ihrer eigenen Tasse und legte die Stirn in Falten. Sofort hielt Astrid gespannt den Atem an, als sie bemerkte, wie ihre Freundin immer tiefer in ihre Gedanken versank. So ein Anblick war selten und Astrid verglich ihn sogleich mit den 8 modernen Weltwunder.

Nach 5 Minuten konzentrierter Stille kam jedoch immer noch nichts über die Lippen der Thorsten-Tochter und Astrid begann, den Kopf fragend schief zu legen.

„Raff? Woran... denkst du gerade?“

Raffnuss schreckte auf, blickte Astrid mit großen Augen an und begann wieder zu realisieren, wo sie war.

„Oh, ich versuchte mich gerade an den Tag zu erinnern, als Taff und ich Hicks mal gefolgt sind!“ begann sie und rieb sich dann die Schläfe, als hätte das Denken ihr Kopfschmerzen bereitet. Da wurde Astrid sofort hellhörig und sie wäre beinahe über den Tisch zu ihrer Freundin gesprungen.

„Echt? Ihr seid ihm gefolgt Wohin?“

Wieder legte Raffnuss ihre Stirn in tiefe Denkfalten,

„Nun... ich weiß noch, dass wir in den Wald gingen... und dann...“

„Und dann?“

„Und dann... war er weg! Echt unheimlich, sag ich dir.“

Müde seufzend schloss Astrid die Augen und sackte auf ihren Platz zurück. Sie hatte gerade noch gehofft, endlich eine Spur zu haben. Ihre Freundin schien ihre fallende Stimmung ebenfalls zu bemerken, denn sie setzte eine beteuerte Miene auf.

„Tut mir leid, Astrid. Wir hätten damals vielleicht hartnäckiger sein sollen. Taff und ich haben es echt vermasselt!“

„Nein, Raff!“ sagte Astrid und legte mit einem schwachen Lächeln ihre Hand auf die ihrer Freundin, „Ist schon okay. Ist ja nicht eure Schuld. Komm, lass uns endlich was zu Essen bestellen und dann gehen wir!“
 

Nach einem ausgiebigen Frühstück und noch einigen typischen Mädchengesprächen verabschiedeten sich die beiden Freundinnen vor dem Lokal, drückten sich noch gegenseitig einen Kuss auf jede Wange und gingen dann getrennte Wege. Die junge Hofferson war alles andere als zufrieden mit ihren bisherigen Erfolgen an diesem Tag. Raffnuss und Taffnuss waren die wohl neugierigsten Menschen in Berk. Überall haben sie bisher ihre Nase rein gesteckt, also war es klar, dass Astrid als erstes einen der beiden Zwillinge ausfragen würde. Doch Raffnuss wusste genau so viel wie jeder andere in der Stadt. Nämlich gar nichts.

Ein wenig frustriert von der Situation und der Tatsache, einen ganzen Morgen verschwendet zu haben fuhr sich Astrid durch die Haare und versuchte, sich den nächsten Schritt zu überlegen. Außer ihr war keiner so richtig mit Hicks befreundet gewesen. Rotzbacke, Raffnuss und Taffnuss hatten sich steht's Späße über seine Tollpatschigkeit oder seine schwache Statur gemacht. Nur Fischbein hielt sich steht's raus.

Fischbein.

Astrid wusste nicht, wie gut Fischbein und Hicks miteinander befreundet waren und sie bezweifelte, dass sie von ihm die gewünschten Antworten erhalten würde. Doch sie näherte sich langsam dem Punkt, an dem sie jeden Fragen würde, selbst den stummen Sven. Also ging sie los, zurück zum Wohnviertel und lief die Häuserreihen ab, bis sie endlich vor dem Haus der Ingerman stand.

„A-Astrid? D-Du hier? Wie... womit kann ich... dir helfen?“ stotterte Fischbein nervös, nachdem er die Tür geöffnet und sich von dem ersten, großen Schock erholt hatte.

„Nun, du könntest mich doch erst einmal herein bitten!“ schlug Astrid vor, ein wenig über Fischbeins Unsicherheit amüsiert.

„O-Oh ja... ja natürlich... komm rein!“

Er trat bei Seite und öffnete die Tür ganz, damit Astrid eintreten konnte. Wie schon die Male zuvor, als sie ein Haus in Berk betrat war sie davon fasziniert, wie wenig sich geändert hatte, wenn man jetzt mal Hicks renoviertes Zimmer vergaß.

„Meine Eltern... meine Eltern sind nicht da, wir können also... ins Wohnzimmer gehen!“

Astrid nickte und folgte dem Flur, Fischbein dicht an ihren Versen.

„Möchtest du... etwas... trinken?“ fragte er, sobald sein Gast sich auf das große Ledersofa niedergelassen hatte.

„Gern. Wasser bitte!“

„Ja, natürlich. Wasser. Kommt sofort!“

Und somit war Fischbein so rasch wie er mit seinen kleinen Beinen konnte in Richtung Küche verschwunden.

„Was... ähm... was bringt dich denn zu mir?“ fragte Fischbein, als er mit einem Glas Wasser für Astrid zurück kam und ihr gegenüber am Tisch Platz nahm. Dankend nahm die junge Frau das Wasser und trank es erst halb leer, bevor sie zu einer Antwort ansetzte.

„Nun... ich wollte mit dir über Hicks sprechen!“

Stille.

Nach der Erwähnung dieses Namens hatte Fischbein begonnen, sie mit offenem Mund anzustarren, bis er sich selbst aus der Starre ris und den Blick senkte.

„Ach so...“

Astrid war sich nicht sicher, ob sie es richtig verstanden hatte, aber klang Fischbein... enttäuscht? Wenn ja, worüber?

„Ja... ja natürlich, du... ähm... du willst über Hicks sprechen. Was willst du den... von mir hören?“ fragte er, den Blick weiter auf den Tisch gerichtet. Schlagartig fühlte sich Astrid schuldig, obwohl sie nicht einmal wirklich verstehen konnte, was sie falsch getan hatte.

„Ähm, ist das vielleicht ein schlechtes Thema? Habt ihr... also du und Hicks... habt ihr vielleicht Streit?“ fragte sie vorsichtig nach, worauf Fischbein sofort hektisch mit dem Kopf schüttelte.

„Nein, nein. Alles in Ordnung, Astrid.“

Sie glaubte ihm zwar kein Wort, aber sie war hier, um eine Antwort zu ihrem Problem zu finden, nicht um sich noch eines auf die Schultern zu laden. Um Fischbein konnte sie sich später noch kümmern und mit Hilfe eines Schraubstockes erfahren, was mit ihm los ist.

„Also gut. Ich habe gehofft, dass du mir vielleicht helfen könntest, herauszufinden, wohin Hicks jeden Morgen verschwindet. Ich habe schon Raffnuss gefragt. Sie sagte mir, dass sie und Taffnuss mal versucht haben, ihm zu folgen, ihn dann aber in den Wäldern verloren haben.“

„Hm!“ Fischbein legte die Stirn in Falten, „Der Wald ist ziemlich groß. Und er beginnt gleich am Fuße der Berge. Das Gebiet ist also ziemlich zerklüftet. Erdspalten, Höhlen, Senken und Felsklüfte, der perfekte Ort also, um sich zu verstecken und sicher zu gehen, dass einen niemand findet. Ich sage es nur ungern, aber so lange du Hicks keinen Peilsender anklebst, wird es wohl unmöglich sein, ihm unbemerkt bis zu seinem Versteck zu folgen.“

Enttäuscht ließ Astrid darauf die Schultern sinken und lehnte sich in das weiche Leder der Rückenlehne. Mit einer solchen Antwort hatte sie schon irgendwie gerechnet.

„Das heißt, ich stehe wieder bei 0. Danke Fischbein, du warst eine große Hilfe!“

Sie erhob sich aus dem Sofa und schenkte ihrem Freund ein Lächeln, bevor sie wieder Richtung Haustür ging.

„Warte!“ rief Fischbein aus dem Wohnzimmer ihr nach und kam dann zu ihr geeilt, als sie die Haustür schon halb durchschritten hatte.

„Ja?“

„Unmöglich ist vielleicht der falsche Begriff. Schwer passt da schon besser. Es ist verdammt schwer, Hicks in den Bergen nicht aus den Augen zu verlieren. Aber... nicht unmöglich!“ sagte er und versuchte nun selbst ein wenig zu Lächeln.

„Fischbein, versuchst du mich gerade dazu zu motivieren, ihm doch zu folgen?“

„Na ja, das wäre doch die offensichtlichste Vorgehensweise. Er geht nachts weg und wenn du wissen willst wohin, dann folge ihm. Du und Hicks, ihr wart die besten Freunde und nahezu unzertrennlich, als du noch hier in Berk gewohnt hast. Du bist sicherlich die Person, der er am ehesten Verzeiht, wenn du sein Geheimnis lüftest!“

Ein wenig berührt von seinen Worten strahlte sie ihn förmlich an und drückte ihm dann einen kurzen Kuss auf die Wange.

„Danke Fischbein, du bist echt großartig!“ sagte sie und dann lief sie motiviert und mit neuem Elan zu sich nach Hause.

Fischbein selbst war nach dem Kuss fast aus allen Wolken gefallen und konnte sie nur durch einen festen Griff an die Türklinke retten. Doch rasch gab die Türklinke unter seinem Gewicht nach und er riss sie heraus, während er zu Boden ging.

„Sie... sie liebt mich also... doch!“ säuselte er verträumt.
 

„Du willst ihm folgen? Mitten in der Nacht? Nun ich muss schon sagen, die Idee ist gewagt!“

Astrid schenkte ihrer Mutter nur wenig Aufmerksamkeit, während sie ihren Rucksack mit allerlei Dingen wie Verpflegung, einer Taschenlampe und anderem Kram füllte.

„Es ist der einzige Weg, Mum. Ich muss das einfach tun!“ sagte sie knapp und begann dann, ihre Koffer nach ihren guten Wanderstiefel zu durchwühlen.

Helga blieb amüsiert in der Tür gelehnt, die Arme vor der Brust verschränkt.

„Ich sage ja nicht, dass du es nicht tun sollst. Du bist einer Hofferson, nachts allein in den Bergen herum zu klettern ist für unsere Familie so normal wie das Ahmen in der Kirche. Dein Vater wäre es, der dich eher an ein Bett fesseln würde, als dich da raus zu lassen!“

Bei diesem Kommentar musste Astrid unweigerlich grinsen und ihre Mutter tat es ihr nach.

„Da kann ich ja froh sein dass du in Berk geblieben bist und Dad nach London zog... und nicht umgekehrt!“ sagte sie.

„Pah, London!“ sagte Helga darauf abfällig und wand ihren Blick zum Fenster, „Ich würde mich niemals diesem Großstadtzirkus anschließen. Berk ist meine Heimat, hier gehöre ich hin. Außerdem, wenn London irgendwann von Nazivampiren angegriffen wird, weiß ich, dass ich in Sicherheit bin!“

Nun musste Astrid doch verwirrt den Blick zu ihrer Mutter richten: „Nazivampire?“

Helga schmunzelte darauf ein wenig.

„Als ich mal bei den Ingerman eingeladen war lag eines von diesen... Comicbüchern von ihrem dicken Sohn, wie war noch gleich sein Name...?“

„Fischbein!?“

„...ja richtig, Fischbein, herum. Ich war nie ein großer Comic-Freund, das ist eher Sache für deinen Vater. Aber es lag halt darum und ich blätterte mal durch. Nicht nur, das es spiegelverkehrt gedruckt war, es war auch recht brutal und ich musste mich schon wundern, dass die Ingerman ihr Kind so etwas lesen lassen.“

Helga schien empört, doch in ihren Augen konnte Astrid den Funken erkennen, den sie immer sah, wenn ihrer Mutter etwas gefiel. Und da sie von Fischbeins Vorlieben wusste, konnte sie nur lachen.

„Was?“ fragte ihre Mutter perplex.

„Das ist kein Comic, sondern ein japanischer Manga. Die liest man nun mal von Rechts nach Links.“

Plötzlich stieß sich mit Helga mit einem lauten „Aah“ von der Türlehne ab und verließ das Zimmer mit eiligen Schritten. Astrid blickte ihr nur verwundert hinter her, bis sie mit einer großen Schachtel zurück kam.

„Hier, das wollte ich dir noch geben. Kann nützlich sein, wenn du allein über die Felsen krackselst.“ sagte sie und überreichte Astrid die Schachtel. Sie war schwer und lang und bevor Astrid den Inhalt überprüfte, wog sie die Schachtel erst in beiden Händen. Dann öffnete sie den Deckel und beim Anblick einer handlichen, schwarzen Axt hielt sie den Atem an.

„Eine... eine Axt?“

„Eine Blackfield Tactical Axt. Sie gehörte deinem Vater, als er als Soldat im nahen Osten stationiert war. Sie ist handlich und nützlich.“

Astrid umschloss den kurzen Hartgummigriff und hob die Waffe aus der Schachtel Sie hatte eine scharfe, gebogene Klinge und ein langes, spitzes Ende. Das Metall und der Griff waren komplett schwarz gehalten.

„Sie hilft dir sicherlich, beim Klettern halt zu finden und du kannst mit ihr Holz klein Schlagen und dich notfalls sogar verteidigen!“ erklärte ihre Mutter.

Astrid blickte zu ihr auf, ein breites Lächeln auf den Lippen.

„Du bist wohl die einzige Mutter auf Erden, die ihrer Tochter freiwillig eine Axt in die Hand drückt, oder?“ fragte sie, bevor sie aufstand und ihre Mutter dankbar in die Arme nahm.

„Du bist meine Tochter und damit eine Hofferson. Die Frauen unserer Vorfahren hatten alle Äxte und ich bin mir sicher, es gab mal Legenden über eine junge Wikingerfrau namens Astrid, die mit einer Axt einem Bären den Kopf abschlug. Nimm sie einfach mit, wenn du deinen Freund suchst, okay?“

„Ja Mum, dass mache ich!“

Ohnezahn

Aufgedreht wie ein Kreisel kurz vorm loslassen saß Astrid zähneklappernd hinter dem Steuer ihres Autos, beide Hände fest um einen dampfenden Iso-Becher voll Kaffee geschlossen und die Augen gespannt durch die Frontscheibe auf das Haus der Haddocks gerichtet. Neben ihr hatte Raffnuss die Rücklehne des Beifahrersitzes zurück gelehnt und war so laut am schnarchen, dass jeder Regenwald dieser Welt darunter zu leiden haben müsste. Sie hatte unbedingt darauf bestanden, Astrid bei ihrer Überwachungs- und Spionageaktion, wie sie es so schön betitelt hatte, zu unterstützen doch kaum war der Motor abgestellt und der Kaffee verteilt worden, war die Thorsten-Schwester auch schon eingeschlafen.

„Tolle Hilfe!“ hatte Astrid gemurmelt. Doch eigentlich kam ihr der Schlaf von Raffnuss ganz gelegen, den sie wollte Hicks allein verfolgen.

Was sie hier tat war mehr als eine einfache Verfolgung. Es war ein Vertrauensbruch. Sollte Hicks sie dabei erwischen, wie sie ihn verfolgte, würde das ernsthafte Konsequenzen für ihre Freundschaft mit sich ziehen.

„Pah, als ob da noch mehr zu Bruch gehen konnte!“ hatte sie beiläufig gedacht. Doch sie wusste, dass dieser Gedanke idiotisch war. Trotz der mehrmonatigen Funkpause zwischen ihnen war Hicks immer noch ihr bester Freund und die einzige Person auf der Welt, der sie blind ihr Leben anvertrauen würde. Ein guter Zuhörer, wenn niemand zuhörte, ein Verteidiger, wenn sie allein stand und eine Stütze, an die sie sich lehnen konnte, wenn alles drohte, auf sie herab zu stürzen. Und das alles riskierte sie nun zu verlieren, wenn sie sich dumm anstellte.

Astrid nahm den nächsten Schluck ihres Kaffees und sie wünschte sich, ihr Auto vor der Reise noch einmal zur Inspektion gebracht zu haben. Dann hätte man den Schaden an der Heizung rechtzeitig feststellen und reparieren können und sie würde jetzt nicht frieren.

Frieren. Im Sommer. Noch eines dieser unglaublichen Eigenschaften dieser Region. Das ganze Jahr über war es kalt.

„Globale Erwärmung am Arsch!“ kommentierte sie die Kälte knapp.
 

Dann jedoch wurden alle trüben und finsteren Gedanken bei Seite geschoben, als sie dank des Lichtes der Straßenbeleuchtung erkennen konnte, wie die Vordertür des Hauses geöffnet wurde und jemand hinaus lief. Eine Person mit grünem Kapuzenpulli, brauner Lederjacke und einem geschultertem Rucksack.

„Da bist du ja endlich!“ sagte sie zufrieden und beobachtete, wie Hicks die Straße entlang wanderte, trittsicher den Weg in den Wald nehmend. Als Astrid sich sicher war, dass er sie nicht bemerken würde, verließ sie den Wagen, nahm ihren Rucksack und steckte die Axt an den Gürtel und schloss dann leise die Wagentür hinter sich, bevor sie flinken Fußes die Verfolgung aufnahm.

Es fiel ihr leicht im Dunkeln sich rasch hinter einem parkenden Auto oder einer Ecke zu verstecken, wenn Hicks sich mal umsah, was er ziemlich häufig tat. Doch gleichzeitig wurde es auch schwer, den Jungen im Auge zu behalten, denn besonders hell gekleidet war er nicht.

Und dann erreichten sie den Wald und Astrid begann zum ersten Mal an ihrem Plan zu zweifeln. Es war völlig unmöglich, problemlos Hicks durch den Wald zu folgen, ohne ihn aus den Augen zu verlieren und sich selbst dabei zu verlaufen.

„Astrid, hör auf zu zögern. Du bist eine Hofferson. Du verirrst dich nicht... außerdem hat dein Smartphone GPS, im Notfall kann dich der NSA überall finden!“ scherzte sie leise und folgte dann beherzten Schrittes dem Pfad in den Wald.
 

Mit der Zeit dämmerte es auch langsam und mit jeder Minute wurden die Sichtverhältnisse besser. Doch gleichzeitig hieß dass für Astrid, um so vorsichtiger zu sein, damit Hicks sie nicht bemerkte. Jedes mal, wenn sie ein neues Versteck erreichte, wartete sie, bis der Junge nur noch undeutlich zu erkennen war, bevor sie raschen Schrittes weiterging, um wieder einige Meter aufzuholen. Dann versteckte sie sich wieder und beobachtete aus ihrer Deckung heraus, welchen Weg Hicks genommen hatte.

„Wow, ist ja ziemlich einfach. Ich frage mich, wie die Zwillinge das verhauen konnten!“
 

Doch mit der Zeit würde das Terrain immer felsiger und steiler. Hicks Weg führte die beiden immer tiefer ins Gebirge, vorbei an klaren, fließenden Bächen, entlang steiler Abhänge und mit Hilfe eines umgestürzten Baumstammes über einen tiefen Abgrund. Es wurde schnell klar, dass Hicks wegen der Beinprothese nicht mehr der talentierte Kletterfuchs von früher war, mit dem sie zusammen jeden Baum und jedes Dach in ihrer Kindheit unsicher gemacht hatten. Wann immer er einen Punkt erreichte, denn er nicht überwinden konnte, weil, zum Beispiel der Steilhang wirklich zu schwierig war, bog er für einen längeren aber einfacheren Weg ab, um dennoch ans Ziel zu kommen. Astrid selbst hatte es da einfacher. Sie konnte die Steilwand mühelos hochklettern, wobei sie ihre neue Axt zur Hilfe nahm, was die ganze Sache sogleich um ein vielfaches erleichterte.
 

Und trotz ihrer Bemühungen und ihrer Vorsichtig geschah, was sie die ganze Zeit im Hinterkopf befürchtete. Sie verlor ihn.

Die Sonne hatte sich inzwischen gezeigt und nun konnte sie deutlich ihre Umgebung erkennen. Doch von ihrem Freund fehlte plötzlich jede Spur. Immer wieder drehte sie sich im Kreis, ließ ihren Blick durch den Wald schweifen. Doch sie fand ihn nicht mehr.

„Verdammte SCHEIßE!“

Wütend schmiss sie die Axt zu Boden und die Klinge grub sich einige Zentimeter ins brüchige Felsgestein. Dann ließ sie sich auf einen moosbedeckten Baumstumpf nieder und atmete erst einmal tief ein und wieder aus.

„Was habe ich falsch getan? Ich hab ihn doch immer im Auge behalten, habe ihn nie zu weit gehen lassen, sodass ich seinen Weg nicht verfolgen konnte. Und trotzdem ist er weg. Wieso? Wie macht er das? Ich fasse es nicht, ein Krüppel hat mich abgehängt!“ rief sie wütend und raufte sich die Haare. Doch sogleich bereute sie, was sie gesagt hatte und ihre Schultern sackten zusammen, als sie laut seufzte. Sie hatte sich vergessen, hatte Hicks einen Krüppel genannt und nun fühlte sie sich schuldig. So schuldig wie das eine mal, als sie ihren Vater einen unsozialen Saftsack genannt hatte. Zu ihrer Verteidigung, er hatte sich damals selbst einen riesen Schnitzer erlaubt.

Nun überlegte Astrid, was sie tun sollte. Auf eigene Faust weiter suchen, mit der Hoffnung, Hicks wieder zu finden? Quasi zufällig über ihn zu stolpern? Wie hoch waren da wohl ihre Chancen? Zehn Prozent? Acht Prozent?

„Vermutlich weniger als einen!“ sagte sie frustriert.

Doch nun war sie hier, irgendwo im nirgendwo und der Tag war noch jung. Und wenn Astrid eines war, dann stur. Also zog sie die Axt wieder heraus, befestigte sie an ihrem Gürtel und ging weiter. Vielleicht half es, wenn sie die ganze Situation methodisch angehen würde? Hicks war körperlich stark eingeschränkt, somit also auch seine Mobilität und die Möglichkeit an Wegen, die er genommen haben könnte. Das klang zwar gemein, war aber ein Fakt, der sich nicht abstreiten ließe. Also musste sie einen Weg nehmen, der einfach zu folgen war.
 

Die Zeit verging und schon bald hatte Astrid jegliches Zeitgefühl verloren. Sie wusste nicht ob sie schon Stunden oder erst Minuten unterwegs war, als sie schließlich den Rand einer großen, malerischen Senke erreichte. Ein kleines, verstecktes Tal, fernab neugieriger Augen und auf einmal keimte in ihr wieder Hoffnung auf, denn eine Innere Stimme sagte ihr: „Du hast gerade ins Schwarze getroffen!“

Ein Bach floss durch das Tal, gespeist von einem kleinen Wasserfall, der aus dem Felsgestein heraus sprudelte. Nur wenige Tannen versperrten die Sicht hinauf zum blauen Himmel und deshalb strahlte viel Sonnenlicht hinein. Zwischen weißen Felsen, die aus dem Erdreich ragten wuchsen hohe Gräser und Bergblumen in den verschiedensten Farben.

„Das... ist ja das reinste Paradies!“

Astrid machte, verträumt vom Anblick, der sich ihr bot, einen Schritt nach vorne, näher auf den Abhang zu, der hinab ins Tal führte. Doch der Boden war nicht fest. Nein, stattdessen setzte er sich aus losen Steinen und Kies zusammen und als Astrid ihren unüberlegten Schritt nach vorne setzte, rutschte der Kies unter ihrem Stiefel weg. Sie verlor das Gleichgewicht, stürzte und rutschte in einer kleinen Kieslawinen hinab ins Tal. Sie stieß einen spitzen und lauten Schrei aus, bis sie endlich zum stillstand kam und erst einmal eine Weile vor Schmerzen stöhnend am Boden liegen blieb. Sie hatte sich die Haut an den Händen aufgeschürft und aus einem tiefen Krater an der Wange quoll Blut hervor, doch alles in allem nichts ernstes. Und obwohl ihre Knochen protestierten, stemmte sich das blonde Mädchen auf die Beine und sah sich um.

Sie war am Grunde des Tals angekommen. Zwar hatte sie sich eine andere Art vorgestellt, hier herunter zu kommen, aber jedenfalls war sie jetzt da. Nun konnte sie weiter nach Hicks suchen.

Sie folgte dem Bach, bis sie den Wasserfall erreichte und damit das Tal ein mal komplett durchquerte. Hier waren die Wände besonders Steil, führten geradewegs hinauf und ließen keine Möglichkeit dar, an ihnen hinauf zu klettern. Doch eine Höhle führte hinter den Wasserfall und als sie sich dem Eingang näherte, blickte ihr nur Dunkelheit entgegen.

„Hicks?“ rief sie, bekam aber keine Antwort.

„Hm, sollte ich doch Pech haben?“ fragte sie sich und war schon dabei, wieder umzudrehen, als ein lautes Grummeln aus der Höhle zu ihr hinaus drang.

Wie erstarrt blieb Astrid in der Bewegung stehen. Ihr Herz schlug unnatürlich schnell, hatte aber bei dem Geräusch selber beinahe einen Aussetzer gehabt. Langsam und mit einem ersten Anflug von Panik wand sie sich wieder der Höhle zu.

„H-Hallo?“

Wieder das Geräusch, doch dieses Mal ähnelte es eher einem Knurren. Dann hörte man schwere Schritte. Sie kamen näher.

„Okay Hicks... du hast mich erwischt. Toll, wie du mich erschreckt hast, geschieht mir recht, was?“ redet sie nervös drauf los, während sie langsam einen Schritt nach den anderen nach hinten machte.

Das Knurren wurde lauter, drang nun auch öfters aus der Höhle heraus.

„I-ist gut... Hicks. Du kannst... du kannst damit aufhören!“
 

Dann jedoch offenbarte sich ihr etwas, was sie in ihrem ganzen Leben nicht mehr vergessen würde.
 

Ein riesiges Ungetüm aus schwarzen Schuppen trat aus der Finsternis der Höhle. Getragen von vier starken Beinen zermalmte es kleinere Felsen unter den scharfen Krallen. Ein langer Schwanz peitschte durch die Luft, zwei große Flügel wurden ausgestreckt, als das Ungetüm die Höhle verließ, was es sogleich doppelt so groß erscheinen ließ. Zwei grüne Augen mit schlitzförmigen Pupillen fixierten sie, als sei sie ein wehrloses Stück Beute. Aus seiner halb geöffneten Kehle drang wieder ein bedrohliches Knurren und Donnern.

„Ein... Drache...“ flüsterte Astrid, erfüllt von Ehrfurcht und panischer, unbeschreiblicher Angst. Ihre Schritte stoppten, als ihre Beine jegliche Kraft verloren hatten, weiter zu gehen. Die Angst hatte sie gelähmt wie ein Gift, ihre Axt hing völlig unnütz an ihrem Gürtel.

„Er... er wird mich töten... er wird mich töten... er wird mich töten... er wird mich töten!“ erklang immer wieder ihre eigene, panische Stimme in ihrem Kopf. Sie schrie sich selbst an, versuchte sich aus der Angststare zu befreien, damit sie umdrehen und die Beine in die Hand nehmen konnte. Doch es gelang ihr nicht und der Drache kam ihr immer näher. Seine Nüstern verengten und weiteten sich bei jedem Schnaufen, die Flügelmembranen vibrierten in der Luft und sein Knurren wurde immer intensiver.

Astrid schloss die Augen, während Tränen über ihr Gesicht liefen. Nun blieb ihr nichts mehr übrig, als auf das unabwendbare Ende zu warten. Sie hörte, wie der Drache ihr immer näher kam, dann zuckte sie unter seinem lauten Gebrüll zusammen, worauf ihre Beine nachgaben und sie auf die Knie fiel. Sie spürte bereits den heißen Atem des Drachen im Gesicht. Der Geruch von totem Fisch ließ ihr übel werden und sie rang damit, sich nicht zu übergeben. In der Stunde ihres Todes wollte sie wenigstens etwas Würde bewahren.

Doch dann vernahm sie weitere Schritte, leichtere, die über den Kiesboden liefen, dann ein schlittern und eine ihr wohl vertraute Stimme.

„HALT!“

Das Knurren des Drachens hörte schlagartig auf, der heiße Atem verschwand und sie konnte nun jemanden schwer atmen hören.

„Zurück. Beruhige dich, mein Freund. Sie tut dir nichts!“

Das war Hicks. Und er sprach mit dem Drachen?!

„Komm, geh zurück. Sie ist eine Freundin, bitte beruhige dich wieder, Ohnezahn!“

Ohnezahn? Dieses Monster hatte einen Namen?

Nun endlich wagte sich Astrid, die Augen wieder zu öffnen. Hicks stand vor ihr, den Rücken zu ihr gekehrt und beide Arme erhoben. Der Drache hatte die Flügel wieder angelegt und die Augen waren aufgegangen, wie bei einer Katze, die sich freute, ihr Herrchen wieder zu sehen.

Hicks trat auf den Drachen zu und kurz darauf drückte es ihm die Nase gegen die offene handfläche. Kurz darauf streichelte Hicks ihm über den gesamten Kopf.

„Ja, du bist ein guter Junge. Na komm, Ohnezahn. Leg dich wieder hin und schlafe weiter, okay?“

Der Drache nickte, als hätte er jedes Wort verstanden, dann drehte er sich um und sprang mit einigen leichtfüßigen Bewegungen zurück in die Höhle.

Hicks drehte, als Ohnezahn nicht mehr zu sehen was, sich zu Astrid um und streckte ihr die Hand entgegen.

„Alles in Ordnung bei dir?“ fragte er mit besorgter Miene.

Doch nun wurde es dem Mädchen doch zu viel und sie beugte sich hustend nach vorne. Kurz darauf erbrach sie sich vor Hicks Füßen, kippte dann zur Seite und wurde ohnmächtig...

Erste Annährung...

„Astrid!“

Eine Stimme drang in der Finsternis zu ihr durch. Sie klang fern und verzehrt, dennoch erzeugte sie ein wohliges Gefühl der Vertrautheit. Astrid wollte die Augen öffnen, doch es gelang ihr nicht.

„Astrid!“

Wieder diese Stimme. Nun Lauter, kräftiger, als stände jemand direkt neben ihr, würde ihre Hand halten, sie immer wieder sanft drücken und ihren Namen nennen.

„Astrid, wach auf!“
 

Schlagartig öffnete sie die Augen und blickte hinauf zum Himmel, dessen kräftiges Blau langsam in ein sanftes Orang-Rot wechselte. Dann schob sich das Gesicht ihres besten Freundes in ihr Blickfeld und grassgrüne Augen schauten besorgt auf sie herab. Seine Lippen formten sich zu einem sanften Lächeln, als sie heftig zu zwinkern begann.

„Hicks?“ fragte sie zögernd, als hätte sie Angst, die Nennung seines Namens würde den Traum zerplatzen lassen, in dem sie sich gerade befand. Doch als er erneut sanft ihre Hand mit seiner drückte wurde ihr klar, dass das kein Traum war. Es war real.

„Freut mich, dass du wieder unter den lebenden wandelst!“ sagte er und schenkte ihr sein inzwischen selten gewordenes Lachen.

„Was ist passiert?“ fragte Astrid, noch immer leicht benebelt von der langen Ohnmacht und mit der Hilfe ihres Freundes setzte sie sich langsam aufrecht. Sie sah sich um und erkannte die Senke, die sie gefunden hatte, als sie Hicks gesucht hatte.

Dann kamen die Erinnerungen zurück und sofort war sie auf den Beinen, sah sich ängstlich um und ihr Herz begann wieder zu rasen.

„Hicks. Der Drache. Da war ein Drache. Er war schwarz und er wollte mich fressen. Wir müssen hier weg, bevor er zurück kommt und uns tötet!“ sagte sie, fast panisch. Ihr Körper wollte auch sogleich losrennen, doch sie wusste gar nicht, in welche Richtung, bis Hicks ihr die Hände auf die Schultern legte und sie zwang, ihm in die Augen zu schauen.

„Astrid, beruhige dich. bitte Der Drache tut dir nichts.“

„...was?“

Sie blickte ihn perplex an und versuchte sich aus dem von ihm Gesagten einen Reim zu machen. Woher wollte er das wissen? Wieso war er sich so sicher, dass dieses Monster ihnen nichts tun würde.

Hicks schien ihre Gedanken zu erraten und ein wenig verlegen schaute er zu Boden, überlegend, welche Worte er nun wählen sollte, um Astrid die Situation zu erklären.

„Astrid, der Drache tut dir nichts. Er ist harmlos, glaub mir. Sein Name lautet Ohnezahn und er ist mein Freund!“ erklärte er langsam, ließ aber ihre Schultern nicht los, falls sie doch plötzlich den Drang verspüren sollte, weg zu laufen.

„Dein Freund!“ wiederholte sie steif.

Hicks nickte und wand sich dann zur Höhle: „Ohnezahn. Komm raus und zeig dich, mein Freund!“

Schritte waren zu hören, dieses Mal jedoch weniger bedrohlich als beim ersten Mal und der schwarze Drache zeigte erneut seinen Kopf, als er aus dem Schatten heraus trat. Die Flügel blieben angelehnt, die Augen waren geweitet, wie bei einer zu groß geratenen Katze und vorsichtig ging er über den Kiesboden und näherte sich Hicks uns Astrid.

Das Mädchen zuckte sofort zusammen und wollte zurückweichen, doch Hicks hielt sie fest.

„Hicks!“ begann sie flehend und warf ihm einen vielsagenden Blick zu, „Lass mich los. Bitte!“

Doch der Junge ignorierte sie. Stattdessen war sein Blick auf den Drachen fixiert und dann ließ er eine Hand Astrid und streckte sie Ohnezahn entgegen. Der Drachen drückte seine Schnauze wieder in die offene Handfläche und gab ein zufriedenes Schnurren von sich.

„Und jetzt du!“ sagte er und nahm Astrids Hand.

Ihre Augen weiteten sich vor Schreck, als sie erkannte, was er vorhatte und sie versuchte sich aus seinem Griff zu befreien.

„Nein, Hicks, du kannst nicht...“

„Oh doch, ich kann. Du bist mir heimlich gefolgt, Astrid. Du hast mir nach spioniert und damit mein Vertrauen missbraucht. Glaube nicht, dass ich dir das so einfach verzeihen werde.“ sagte er und sie konnte klar die Wut und die Enttäuschung aus seiner Stimme heraus erkennen. Dann jedoch entspannte sich sein Blick wieder, als er seine Finger zwischen ihre schob und ihre Handfläche dann gegen Ohnezahns schuppige Nase drückte. Astrid hatte kurz davor die Augen zugekniffen und das Gesicht abgewandt, doch als ihre haut über die warmen und weichen Schuppen des Drachen glitten, spürte sie ein Kribbeln, das langsam ihren Arm hinauf lief, sich über die Schulter auf den ganzen Oberkörper verteilte und schließlich den gesamten Körper durchzog. Ihr Atem blieb still, als sie die Augen wieder öffnete und mit offenem Mund zusah, wie Hicks ihre Hand über den Nasenrücken des Drachen hinweg zur Stirn und zum Nacken des Drachen schob. Ohnezahn schnurrte, die Berührung gefiel ihr und schon bald streckte er seinen Körper von selbst Astrids Hand entgegen.

„Er mag dich. Also denke ich, ich kann dir verzeihen!“ flüsterte Hicks ihr ins Ohr.

„Das ist... unglaublich!“ hauchte Astrid.

Ihr Freund hatte inzwischen ihre Hand los gelassen, seine andere jedoch ruhte weiterhin auf ihrer Schulter, jedoch war sein Griff nun lockerer. Astrid nutzte nun beide Hände, um über den Körper des Drachen zu streichen und mit jeder Sekunde wuchs ihre Faszination, während ihre Angst schrumpfte.

„Wow. Ein Drache. Ich berühre gerade einen echten... Drachen!“ sagte sie und ihre Lippen zuckten zu einem verträumten Lächeln.

„Ja, und jetzt lass mich euch aneinander vorstellen. Astrid Hofferson, das ist Ohnezahn, mein bester Freund. Ohnezahn, das ist Astrid Hofferson, meine beste Freundin!“

Ohnezahn gluckste zufrieden und nickte mit seinem großen Kopf einmal. Astrid, die über das Geräusch lachen musste, nickte ebenfalls.

„Okay Ohnezahn. Mission erfüllt. Du kannst wieder in die Höhle gehen, wir fliegen nachher noch eine Runde!“

Der Drache gluckste erneut, machte dann ein paar Schritte rückwärts, bevor er sich umdrehte und zurück in die Höhle trottete.

Astrid sah ihm nach, bis auch der Schwanz gänzlich vom Schatten der Höhle verschluckt war. Dann drehte sie sich langsam zu Hicks herum, dennoch nun wusste sie, was ihr bevorstand, als sie erneut den enttäuschten Blick in seinem Gesicht sah.

„Hicks...“ begann sie, „Es tut mir so unglaublich, unglaublich leid. Ich weiß, dass ich dir nicht hätte folgen sollen, aber... was soll ich sagen... ich habe mir halt Sorgen gemacht. Ich wollte wissen, was mit dir los ist?“

„Du weißt sehr gut, was mit mir los ist. Meine Mutter, die einzige Person in Berk, außer dir natürlich, die mich nicht wie Luft behandelt hat, ist gestorben und wie du ja letzte Nacht gesehen hast habe ich bei diesem Unfall mein Bein verloren. Stattdessen trage ich jetzt dieses... dieses... Ding!“ und damit zeigte er auf ein linkes Bein. Man sah es nicht, du sie wusste, dass er seine Beinprothese meinte.

„Und auf einmal fängt mein Vater an, sich um mich zu kümmern. Tag und Nacht war er im Krankenhaus und hat nach mir gesehen. Verstehst du, Astrid? Vor dem Unfall war ich nur Hicks. Nur Hicks, der kleine, schmächtige Sohn des Bürgermeisters, der nichts Ordentliches zu Stande brach. Und jetzt behaupten alle, sich Sorgen um mich zu machen und fragen nach meinem Wohlbefinden. Warum? Was hatte sich geändert? Nichts, Astrid. Rein gar nichts. Ich bin immer noch der selbe, unnütze Junge von früher. Inzwischen sogar noch weniger als das.“

Wieder blickte er an seinem Bein herab, dann seufzte er, fuhr sich durchs Haar und wand sich ab, bevor er in die Jackentasche griff und seine Schmerzmittel heraus holte. Er schluckte eine, dann verschwand die Dose wieder in der Tasche.

„Es... es tut mir leid, Hicks. Mir war nicht bewusst, wie du dich fühlst!“

„Ich mache dir auch keinen Vorwurf, Astrid. Trotz allem warst du steht's für mich da. Aber als deine Eltern sich scheiden ließen, wusste ich, dass du genügend Sorgen hattest, da wollte ich dich nicht auch noch mit meinen belasten.“

Darauf spürte er erneut Astrids Arme, die ihn umschlangen und fest an sich drückten. Ein wenig ließ er sich in ihre Umarmung fallen und er war wieder den Tränen nahe, wie schon den Morgen in seinem Zimmer.

„Hicks. Ich bin jetzt hier. Ich bin für dich da. Und du hast nun auch Ohnezahn. Du bist nicht mehr allein. Verzeih mir, dass ich nicht für dich da war. Meine Sorgen sind nichts im Vergleich zu deinen.Nicht einmal in meinen Alpträumen kann ich nachvollziehen, was du erleide musst!“

„Astrid...“

Wieder ließ sie ihn nicht zu Wort kommen.

„Wir stehen das Durch. Zusammen. Ich helfe dir. Aber bitte... bitte rede mit mir. Schließe dich nicht aus.“

Eine Weile standen sie schweigend am Bach bis die Sonne vollends unterging und die Sterne über ihnen funkelten. Erst dann löste sich Astrid von Hicks und zog ihn herum, damit sie sich in die Augen sehen konnte. Einen Moment lang verlor sie sich im Glanz seiner Augen.

„Astrid?“

„ich bin für dich da!“ hauchte sie als Antwort, bevor sie ihn zu sich zog und ihre Lippen sanft zu einem gefühlvollen Kuss auf seine legte. Dabei schloss sie die Augen.
 

Doch dann wurde ihr bewusst, was sie da eigentlich tat. Sofort sprang sie von Hicks weg, hatte die Augen in Panik weit aufgerissen und begann, unkontrolliert zu zittern.

„Oh nein!“ begann sie. „Oh nein, Hicks. Tut mir leid. Tut mir leid, ich wollte nicht... wie konnte ich nur... du bist mein bester Freund, ich deine beste Freundin. Wir dürfen nicht... ich hätte dich nicht... ich darf mich nicht in dich verl...!?“

weiter kam sie nicht, denn Hicks war auf sie zugegangen, hatte die Distanz zwischen ihnen wieder geschlossen, sie zu sich gezogen und sie dieses Mal von sich aus geküsst.

„Astrid Hofferson!“ sagte er schnell nach einer kurzen Pause, in der beide zu Atem kamen.

„J-ja?“ fragte sie unsicher und aufgeregt zugleich.

„Ich liebe dich!“ sagte er.
 

Als Antwort wurde er von Astrid wieder zu einem innigen Kuss an sie gezogen...

Von Anfällen, Vicodin und Nachtflügen...

Es war kalt geworden über Nacht. Ein eisiger Wind wehte durch das Tal und ließ Astrid erzittern, worauf sie sich näher an Hicks Körper kuschelte und ihr Gesicht seinem warmen Atem entgegen streckte. Der Junge legte sofort einen Arm um ihre Taille und zog sie näher zu sich.

Beide hatten sich ins Gras gelegt, nach dem sie mit einem leidenschaftlichen Kuss sich gegenseitig ihre Liebe gestanden hatten. Doch noch immer wirkte dies alles für Astrid völlig surreal. Sie war sich ihrer Gefühle für Hicks gar nicht bewusst, bis zu dem Zeitpunkt, als sie aus ihrer Ohnmacht erwachte und er das Erste war, was sie sah. Vielleicht hatte sie schon immer etwas für ihn empfunden, doch ihre Regeln und Gebote hatten es den Beiden nicht erlaubt, etwas miteinander anzufangen.

„Warum jetzt?“ fragte sie leise und blickte in die Augen ihres Freundes.

„Vielleicht, weil wir aufgehört haben, uns mit geschlossenen Augen anzusehen? Ich muss aber gestehen... dass ich dich schon geliebt habe, als du noch in Berk wohntest!“

Überrascht hob Astrid die Augenbrauen: „Echt?“

„Ja. Aber du warst meine beste Freundin, ich hatte mir nicht getraut, dir irgendetwas zu sagen. Ich wusste einfach nicht, was du für mich empfandest und habe daher geschwiegen. Doch heute... gerade eben... als du mich geküsst hattest, waren alle Zweifel wie weggeblasen und ich wusste, dass ich die Chance ergreifen musste, bevor sie verflog.“

Sie schmiegte sich wieder an seine Brust, schloss die Augen und lächelte zufrieden.

„Dann bereue ich es jetzt nicht, dir gefolgt zu sein. Ich habe meine Freundschaft mit dir riskiert und etwas Unglaubliches dafür bekommen!“

Hicks sagte nichts mehr und wieder blieben die Beiden schweigend nebeneinander liegen.
 

Doch als Hicks begann, immer schneller und flacher zu atmen, drückte sich Astrid wieder ein wenig von ihm, damit sie besser in seine Augen blicken konnte.

„Hicks...?“

Hicks kniff die Augen zusammen, seine Miene war verzerrt und er zog die Luft durch zusammengebissene Zähne ein.

„E-Entschuldige, Astrid!“ sagte er angestrengt, dann drehte er sich auf den Rücken und setzte sich auf. Zeitgleich zog er das linke Bein und die Prothese an und umschloss mit beiden Händen die Trennstelle.

Wieder zuckte er zusammen, der Schmerz schoss in Wellen durch seinen Körper und rasch durchwühlte er seine Jackentaschen auf der Suche nach etwas.

„Hicks!“ besorgt legte Astrid ihm eine Hand auf die Schulter und sie versuchte auf stumme Art ihn zu beruhigen.

Endlich schien Hicks gefunden zu haben, was er gesucht hatte, denn in seiner vor Schmerz zitternden Hand war die kleine Vicodin-Dose. Angestrengt versuchte er den Deckel zu lösen, ließ dann aber die Dose ins Gras fallen und stieß ein markerschütterndes Wehklagen aus. Sofort umklammerten seine Hände sein linkes Bein, Tränen rannen über sein Gesicht und immer wieder Schrie er auf.

„Hicks. Hicks!“

Astrid wusste nicht, was sie tun sollte. Handlungsunfähig saß sie daneben und sah zu, wie ihr Freund in Schmerzen auf dem Boden kauerte. Kurz darauf war ein Brüllen aus der Höhle zu vernehmen und Ohnezahn rauschte durch den Wasserfall hindurch zu seinem Freund. Erst warf er Astrid einen wütenden Blick hoch, doch schnell schien der Drache zu erkennen, dass nicht sie der Grund für Hicks Schmerzen war, sondern wieder sein fehlendes Bein. Der schwarze Drache schmiegte sogleich seinen Kopf an Hicks und der Junge schlang schwach einen Arm um ihn und drückte sein rot angelaufenes Gesicht gegen die Schuppen.

„L-Lass es aufhören... bitte... lass es... aufhören. Es... es tut so... weh!“ brach er hervor.

Astrid wusste nicht, ob er mit ihr sprach oder mit dem Drachen, aber sie wusste, dass sie etwas tun musste. Und obwohl ihr selbst der Gebrauch von Medikamenten zuwieder war, trotz ihrer Zukunftspläne, Arzt zu werden, ergriff sie die Vicodin-Dose, schraubte sie auf und holte zwei Tabletten hervor.

„Hier, Hicks. Nimm sie, gleich geht es dir besser. Nimm!“

Sie legte ihm die Vicodin an die Lippen und warf sie dann gleich hinein, als er den Mund öffnete. Dann setzte sie sich dicht neben ihn, legte eine Hand auf seine, die immer noch fest sein Beinstumpf umschloss und legte ihren Kopf auf seiner Schulter ab.

„Sssssch, schon gut, Hicks. Es ist gleich vorbei. Gleich ist es vorbei. Sssssch!“ flüsterte sie ihm ins Ohr und begann dann, sanft hin und her zu wippen.
 

Bald darauf wurde es wieder stiller. Von Hicks war nur noch ein leises Wimmern zu hören. Noch immer liefen Tränen über sein Gesicht und benetzten die Schuppen des Drachen, doch die Schmerzen waren vorerst verschwunden.

„A-Astrid!“

Seine Stimme klang heiser und gebrochen und das blonde Mädchen lief es kalt über den Rücken, als sie ihren Freund vernahm.

„Ja. Ich bin hier!“ sagte sie schnell und strich ihm durchs Haar.

„Es tut mir leid!“

„Brauch es nicht, Hicks. Es ist nicht deine Schuld. Du kannst nichts dafür. Ich bin für dich da. Ohnezahn auch. Wir passen auf dich auf!“ sagte sie, immer noch flüsternd mit der Hoffnung, ihre ruhige Stimme würde auch ihn etwas zur Ruhe kommen lassen. Und als hätte er sie Wort für Wort verstanden, stupste Ohnezahn Hicks Wange mit der spitze seiner Schnauze an und gab ein zusprechendes Schnurren von sich. Hicks blickte seinem Freund in die grünen Augen, dann umarmte er dessen Kopf, bevor er sich an Astrid wand, sie in die Arme schloss und Astrid ihm darauf einen Kuss gab.

„Wir sollten dich auf andere Gedanken bringen!“ sagte sie, „Sollen wir nach Hause? Ich kann dich stützen, wenn es zu viel wird!“

Doch darauf schüttelte Hicks energisch den Kopf und wischte sich dann die Tränen aus dem Gesicht.

„Nein!“ begann er, nun wieder mit einer etwas kräftigeren Stimme, „Ich war noch nicht mit Ohnezahn fliegen. Wir fliegen immer zusammen, wenn die Nacht eingebrochen ist, damit uns keiner sieht. Sicherlich wartet er schon die ganze Zeit darauf!“

Astrid überlegte zunächst, ob sie ihm widersprechen sollte. Hicks hatte gerade erst einen Schmerzanfall hinter sich, wie konnte er da plötzlich daran denken, sich auf den Rücken eines Drachen zu setzen und durch die Luft zu fliegen. Doch dann traf sie der eigentliche, beunruhigende Gedanke.

Hicks flog. Auf einem Drachen. Durch die Luft.

„Sagtest du gerade... fliegen?“ fragte sie nach mit der Hoffnung, sich einfach verhört zu haben.

„Nein, schwimmen. Noch nie den Schmetterling durch die Wolken gemacht?“ fragte Hicks sarkastisch zurück und deutete dann auf Ohnezahns Flügel, „Was meinst du, wofür die gut sind?“

Astrid konnte das immer noch nicht ganz glauben.

„Also... du fliegst. Auf Ohnezahn durch die Luft. Das ist... das ist... mir fehlen die Worte!“

„Sag doch einfach: Unglaublich. Ich fliege jeden Tag mit Ohnezahn eine große Runde, seit wir uns hier das erste Mal kennen gelernt haben!“ erklärte Hicks.

Dann stand er langsam auf und schritt mit etwas wackeligen Beinen zur Höhle. Astrid folgte ihm.

„Ja aber, ist das nicht gefährlich? Wie hoch fliegt ihr denn?“

„Oh, gute Frage. Ich hab die Höhe nie gemessen... ein paar hundert Meter? Vielleicht sogar mehr. Ich weiß es nicht!“

Während er das sagte, betrat er die Höhle und holte dann hinter einem Felsen einen Sattel hervor. Und eine große Stoff-Flosse. Jene Flosse, von der Astrid die Skizze in seinem Zimmer gesehen hatte.

„Wofür ist die gut?“ fragte sie und deutete auf die Flosse.

„Ist es dir noch gar nicht aufgefallen?“ fragte Hicks zurück, offensichtlich verwundert darüber, dass Astrid etwas ziemlich Offensichtliches entgangen ist.

„Nein, was meinst du?“

Darauf zeigte Hicks hinaus zu Ohnezahn: „Sieh dir seinen Schwanz an!“

Nun, da er es erwähnte, fiel es Astrid auf. Ohnezahn besaß an der Schwanzspitze Flossen. Beziehungsweise, eine Flosse. Die Zweite fehlte und als die zwei sich wieder dem Drachen näherte, und Hicks begann, die künstliche Flosse an den Schwanz zu binden, erkannte Astrid die vielen Narben und fehlenden Schuppen. Nun ging Astrid ein Licht auf.

„Deswegen fliegst du mit. Damit er überhaupt wieder fliegen kann!“ sagte sie.

Hicks nickte und schenkte ihr ein anerkennendes Lächeln: „Ja, ohne seine zweite Schwanzflosse kann er seinen Körper nicht stabilisieren und ist somit nicht in der Lage, zu fliegen. Die Schwanzflosse, die ich ihm gebaut habe, lässt sich mit einer Steuerung am Sattel ein und aus falten. Somit reguliere ich mit meinem Fuß die Geschwindigkeit und die Flugrichtung!“ erklärte er.

Dann endlich war die neue Schwanzflosse befestigt und er konnte den Sattel aufsetzen.

„Wow. Du und Ohnezahn, ihr habt echt was, was euch verbindet!“ bemerkte Astrid und als Hicks sie darauf verwirrt anblickte, deutete sie auf seine Beinprothese, dann auf die künstliche Schwanzflosse.

Hicks und lächelte dann schwach: „Ja, da hast du Recht!“

Dann griff er fest an den Sattel und zog sich hoch auf Ohnezahns Rücken, ein Bein schwang er dabei einmal um den massigen Körper des Drachen und setzte dann beide Füße, echt und unecht, auf die Steigbügel. Der linke war mit der künstlichen Schwanzflosse verbunden. Dann hackte er zwei Lederriemen an seinen Gürtel und streckte Astrid eine Hand aus.

Eine Weile stand Astrid da, blickte verwirrt auf die ihr zu gestreckte Hand und dann in das grinsende Gesicht von Hicks, bevor sie begriff, was ihr Freund von ihr wollte und sie sofort kopfschüttelnd einen Schritt zurück machte.

„Oh... Oh nein. Nein, nein, nein, nein, nein. Vergiss es. Ich werde nicht fliegen. Schlag dir das aus dem Kopf, ich bleibe am Boden!“ sagte sie energisch.

Hicks verdrehte die Augen und ließ die Hand sinken.

„Komm schon, Astrid. Sei kein Feigling. Das macht großen Spaß und der Ausblick ist atemberaubend. Ich verspreche dir, du wirst es nicht bereuen!“

„Nicht bereuen?“ schallte es von der Blonden zurück, „Vielleicht, aber ich kann auch genau so gut abrutschen und in die Tiefe stürzen. Und dann wäre ich tot. Toller Plan, Hicks. Nur damit du es weißt, es gibt noch Dinge, die ich in meinem Leben zu tun gedenke.“

Nun wurde Hicks neugierig: „Ach, und die wären?“

„Mein 18. Geburtstag, mein Medizin-Studium starten und absolvieren, Johnny Depp kennen lernen und mit dir im Bett...!?“

Noch rechtzeitig realisierte sie, was sie da beinahe gesagt hätte und schlug sofort die Hand vor den Mund. Ihr Gesicht hatte derweil schon die Farbe einer Tomate angenommen.

Auch Hicks lief rot an, musste sich dann aber abwenden und versuchte krampfhaft, sein Lachen zu unterdrücken, was Astrid natürlich bemerkte. Sie trat auf ihn zu und schlug ihm gegen die Seite.

„Aua!“

„Das war dafür, dass du mich ausgelacht hast. Und ich bleibe dabei, ich werde nicht auf diesen Drachen steigen!“ Um ihre Aussage zu bekräftigen, verschränkte sie noch die Arme vor der Brust, dann wand sie den Blick und damit das ganze Gesicht ab. Noch immer hing ein Rotschimmer über ihren Wagen.

„Astrid?“ begann Hicks zögerlich, „Liebst du mich?“

„Ja!“ grummelte Astrid als Antwort.

„Und vertraust du mir?“

„Natürlich!“

„Dann steig auf. Ich bin für dich da. Ohnezahn auch. Wir passen auf dich auf!“

Er hatte die selben Worte genutzt, mit denen sie ihn zuvor noch aufbauen wollte und nun fiel es ihr immer schwerer, ihre ablehnende Haltung aufrecht zu erhalten. Schließlich seufzte sie und biss sich auf die Unterlippe.

„Also gut. Einen Flug. Aber einen kurzen und wenn ich sage, dass wir landen sollen, landen wir auch, ist das klar?“

„Wie Kloßbrühe!“ antwortete Hicks und streckte ihr dann wieder die Hand aus. Astrid ergriff sie und ließ sich hoch auf den Sattel ziehen, vor Hicks. Dann band er einen weiteren Lederriemen um ihre Taille und griff unter ihren Armen hindurch zu den beiden Handschlaufen.

„Leg deine Hände an meine und halte dich fest!“ sagte er.

Astrid folgte seinen Instruktionen. Ihr Herz raste wieder und Schweiß lief über ihre Stirn. Sie war aufgeregt. Sowohl aus Angst, als auch aus Neugier denn es wäre gelogen, wenn sie abstreiten würde, dass sie schon gern einmal die Welt von oben sehen würde.

Dann stieß Hicks Ohnezahn einen Fuß in die Seite und gab dem Drachen damit das Zeichen, los zu fliegen.

Ohnezahn schrie freudig auf, dann breitete er die Flügel aus und stieß sich kraftvoll mit allen Vieren vom Boden ab. Seine Flügel schlugen gleichmäßig auf, während sie sofort mehrere Meter in die Höhe schnellten. Astrid hatte vor Schreck die Augen zusammen gekniffen und einen schrillen Schrei von sich gegeben, doch der Wind, der an ihren Ohren vorbei rauschte, schluckte jedes Geräusch.

„HIIIIIICKS!“ schrie sie, doch der Junge reagierte nicht. Von ihm konnte sie nur ein freudiges Jauchzen vernehmen. Als Ohnezahn eine gute Höhe erreicht hatte, entfaltete Hicks mit der Fußsteuerung die Schwanzflosse und sie bewegten sich nicht mehr aufwärts, sondern vorwärts. Astrid ließ die Augen jedoch geschlossen und Hicks Hände fest umklammert.

„IchwerdesterbenIchwerdesterbenIchwerdersterbenIchwerdesterben!“ stammelte sie ununterbrochen, bis Hicks eine Hand los ließ, um ihr in die Seite zu stupsen. Sie zuckte erschrocken auf und öffnete dabei die Augen.

Und dann fehlte ihr die Luft zum Atmen, als sie von dem Bild förmlich erschlagen wurde, das sich ihr bot.

Ohnezahn hatte sämtliche Wolken unter sich gelassen und nun hingen tausende von Sternen über ihnen. Große und kleine, hell leuchtende und schwach leuchtende, pulsierende, blinkende und funkelnde Sterne. Noch nie hatte sie einen solch reichen Sternenhimmel gesehen. Hier oben verdeckte keine Wolke die Sicht, hier reichte kein Licht einer Stadt hinauf.

„Das ist...“ sie beendete den Satz nicht, sondern streckte ihre Hände empor, als würde sie erwarten, gleich die Sterne zu berühren.

„Es ist atemberaubend, nicht wahr?“ fragte Hicks und beendete damit ihren Satz.

„Ja. Das ist es. Unglaublich. Er ist unglaublich!“ und damit streichelte sie Ohnezahns Kopf, worauf der Drache ein zufriedenes Gurgeln von sich gab.

„Danke Hicks, dass du mir dieses Geschenk gemacht hast!“

Hicks schlang darauf einen Arm um ihren Bauch, zog sie sanft an sich heran und legte seinen Kopf auf ihre Schulter.

„Mit dir hier zu sein... das ist wirklich ein Geschenk, Astrid. Das Größte von Allen. Danke. Ich liebe dich.“

„Ich... ich liebe dich auch, Hicks!“

Sie küssten sich und übersahen somit, wie Ohnezahn schmatzend die Augen verdrehte...

House MD

Es war wieder kurz nach Mitternacht, als Hicks und Astrid sich für die Nacht von Ohnezahn verabschiedeten und gemeinsam den Weg aus dem Tal nahmen, um nach Hause zu gelangen. Beide schwiegen während des Weges, was sowohl Astrid mehr als unangenehm war.

Hicks jedoch nicht.

Wegen den letzten Monaten war er Stille und Einsamkeit gewohnt, daher fiel es ihm eher schwer, wieder mit anderen Menschen zu interagieren, auch wenn es dann doch bewundernswert war, dass er Astrid geküsst und ihr seine Liebe gestanden hatte.

“Ist das wirklich passiert?“ fragte er sich und legte Gedankenverloren seine Finger an die Lippen, als würde immer noch etwas von Astrid an ihnen hängen.

Das blonde Mädchen bemerkte die Geste, ergriff seine Hand und schob ihre Finger zwischen seine.

„Ja, Hicks. Das ist wirklich passiert!“ sagte sie lächelnd und hielt kurz an, um ihm erneut einen kurzen Kuss zu geben.

„Kannst du jetzt auch noch Gedanken lesen?“ fragte Hicks.

Eine Antwort erhielt er darauf nicht. Stattdessen wurde er von seiner Freundin weiter gezogen.
 

„Hicks. Darf ich... darf ich heute Nacht wieder bei dir bleiben?“ fragte sie nach einer Weile. Sie klang dabei sogar ein wenig schüchtern und wäre es nicht stockfinster im Wald, könnte Hicks nun ihr errötetes Gesicht sehen.

Er hielt an, blickte zu Boden und wünschte sich, er hätte diese Frage einfach überhört. Es fiel ihm schwer, einfach ja zu sagen. Genau so schwer, als wenn er sie abweisen würde. Aber er kann sie nicht abweisen. Sie hatte bereits mit ihm in einem Bett gelegen und dabei von seinem Bein erfahren. Das war Hicks klar gewesen, als er nach diesem Treffen in seinem Bett aufwachte, Astrid neben sich schlummern sah und bemerkte, dass seine Schuhe auf dem Boden lagen.

Er war ihr dankbar dafür, dass sie es noch nicht angesprochen hatte. Sein Bein. Der Grund für sein Leid. Der Grund, warum er sich für so klein, schwach und gebrechlich hält. Und er wusste, wenn er sie diese Nacht wieder bei sich schlafen lassen würde und vielleicht sogar die nächste ebenfalls, würde früher oder später das Thema angebrochen werden.

„Astrid... ich weiß nicht, ob das eine so gute Idee ist!“ sagte er nach langsam hin und her.

„Hicks!“ sie war einige Schritte weiter gegangen, als er gestoppt hatte und drehte sich nun zu ihm um, „Es tut mir leid. Du weißt, dass ich nichts von dem jemals für dich gewollt hätte. Du bist die letzte Person auf dieser Erde, die so etwas...“ und sie zeigte auf sein Bein, „...verdient hätte. Aber, damit ich dir helfen kann. Damit ich deinen Schmerz verstehen kann, muss ich wissen, was passiert ist!“

Er hob den Kopf, schaute sie mit einem gequälten Gesichtsausdruck an und blickte dann wieder zu Boden.

„Astrid... bitte zwing mich nicht dazu!“ bat er.

„Ich zwinge dich zu nichts, Hicks. Ich bitte dich.“ Sie ging zu ihm, legte ihrem Freund sanft eine Hand gegen die Wange und hob sein Gesicht wieder an, damit sie ihm in die Augen blicken konnte.

„Und ich... ich verspreche dir, dass ich auf keinerlei Art über dich urteilen werde.“

Sie versuchte zu Lächeln, Hicks versuchte, seine Tränen zurück zu halten. Wieder war er hin und hergerissen von der Entscheidung, Astrid die ganze Geschichte zu erzählen oder sie weiterhin für sich zu behalten und damit der Möglichkeit zu entgehen, dass sie ihn doch geringschätzen würde. Geringschätzen dafür, was er nun war. Geringschätzen, was sie sehen würde, wenn er die Prothese abnehme.

Doch als er wieder in ihre Augen voller Liebe, Güte und Zuneigung blickte, war der Entschluss gefällt.

„Lass uns... lass uns erst zurück in meinem Zimmer sein, okay?“ fragte er.

Astrid nickte.
 

Die Tür wurde leise von Hicks hinter ihnen geschlossen. Dann zog er den Schlüssel aus der Hosentasche und schloss ab. Astrid hatte derweil das Licht der Schreibtischlampe angeknipst und sich auf den Stuhl gesetzt, damit Hicks das Bett für sich hatte.

Sie sagten nichts, als sie anfingen, Schuhe und Jacken auszuziehen. Auch blieben sie stumm, als Astrid sich bis auf die Unterwäsche auszog und dann eines von seinen langen T-Shirts drüber zog und als er nur in Boxershorts und Shirt auf dem Bett saß. Nur eine verräterische Röte lag auf ihren Gesichtern, doch sie bliebe stumm.

Erst als Hicks erneut zu seiner Jacke griff um weitere Vicodin zu nehmen, stand auch Astrid auf und setzte sich dann dicht zu ihm aufs Bett, eine Hand auf seinem Rücken, die Stirn sanft gegen seinen Kopf gelehnt.

Dann irgendwann fing Hicks an, zu erzählen...
 

»Rückblick«
 

Schmerzen. Das stärkste und größte Gefühl, dass er empfand, als sein Bewusstsein langsam zurück kehrte. Schmerzen... und Kälte. Nässe. Regen. Wassertropfen fielen auf ihn herab, durchweichten seine Kleider und ließen die Kälte bis zu seiner Haut durchsickern. Orientierungslosigkeit empfand er ebenfalls. Sein Kopf ruhte auf etwas Hartem, Schimmerndem. Asphalt. Eine Straße. Vom Regen ganz nass und von einem weißen Licht beleuchtet. Das Licht blendete Hicks, doch er hielt die Augen geöffnet. Etwas lief über die Straße, zog sich langsam wie ein Film über die glänze Oberfläche und verwusch dann im Regen.

Es war Blut. Und sein erster Gedanke war: „Mein Blut!“

„Mum?“

Seine Stimme erklang ihm fremd, wie von einem anderen Menschen. Doch als er erneut nach seiner Mutter rief und dabei die fremde, krächzende Stimme hörte, war ihm klar, dass es seine war.

Der Schmerz begann langsam, wieder jeglichen Gedanken zu übermannen und so driftete sein Bewusstsein langsam wieder ins Leere, während seine sich langsam schließenden Augen ein flimmerndes, blaues Licht in der ferne vernahm, dass sich rasch näherte...
 

„...und zudem sind mehrere Rippen gebrochen. Wir wissen noch nicht, ob sie seine Lunge punktiert haben, aber wir sollten mit dem schlimmsten rechnen.“

Eine fremde, weibliche Stimme drang in sein Ohr, als er erneut wieder zu sich kam. Er spürte dieses mal nicht die kalte und harte Straße sondern etwas weiches unter sich. Eine Matratze? Ein Bett?

„Wir müssen uns erst um das Bein kümmern. Die Wrackteile des Autos haben es an mehreren Stellen förmlich durchsiebt.“ sagte eine andere Stimme, dieses Mal männlich.

Er versuchte die Augen zu öffnen, doch seine Augenlider waren so schwer und er fühlte sich so schwach, dass er nichts tun konnte, als Regungslos da zu liegen und den beide Stimmen zuzuhören.

„Der Unfall hatte ihn halb aus dem Auto geschmissen. Er war unter dem Wrack eingeklemmt, das Gesicht zum Boden. Er muss Stunden in der Kälte verbracht haben!“

„Nun gut, bereiten sie die OP vor!“

Hicks versuchte etwas zu sagen, versuchte, sich bemerkbar zu machen. Was war passiert? Wo war er? Wo war seine Mutter und warum fühlte er nichts mehr? Wo waren die Schmerzen, die ihn zuletzt in die Ohnmacht getrieben hatten? Nur ein leises Stöhnen entglitt seinen gesprungenen Lippen, dennoch schien er gehört worden zu sein.

„Er ist wach, Doktor!“

„Erhöhen sie die Dosierung, lassen sie ihn weiter schlafen!“

„Nein!“ wollte Hicks brüllen. Er wollte nicht schlafen, er wollte Antworten. Doch er konnte sich nicht wehren und wieder verlor er die Kontrolle über sein Bewusstsein...
 

„Oh Hicks... mein Sohn. 's tut mir so leid! So... so unendlich leid!“

War das sein Vater? Hicks hatte Haudrauf noch nie weinen gehört, geschweige denn, dass er sich bei ihm entschuldigt hatte. Was war passiert? Was hatte er verpasst? Wie lange war er weggetreten.

Als er langsam die Augen öffnete und seine Umgebung wieder war nahm, fand er seinen Vater neben sich sitzend. Er selbst lag in einem Bett, eine weiße Bettdecke war ihm bis zur Brust hochgezogene worden, seine Arme ruhten auf der Decke.

Er nahm das regelmäßige Piepen eines Herzmonitors wahr und vermutete sofort, dass es seiner war.

Haudrauf hatte den Kopf gesenkt und seine massige Hand auf eine von Hicks gelegt, mit dem Daumen immer wieder über den Handdrucken streichend.

„D-Dad?“ seine Stimme klang immer noch schwach, doch nun klang sie schon mehr nach seiner eigenen.

Haudrauf riss den Kopf hoch und er wischte sich die Tränen aus dem Gesicht, bevor er glücklich die Mundwinkel hob und Hicks Hand fest umschloss.

„Mein Sohn, du bist wach. Oh, Gott sein dank. Wie... wie fühlst du dich?“

Hicks wollte hämisch lachen. Wie fühlt man sich wohl, wenn man in einem Krankenhaus lag?

„Als wäre ich von einer Horde Wikinger niedergetrampelt!“ antwortete er langsam.

Haudrauf schmunzelte und strich seinem Sohn dann ein paar Strähnen aus dem Gesicht.

„Oh Junge, du hast mir solche Sorgen bereitet. Ich dachte... ich dachte, ich hätte dich auch verloren!“ gestand der stämmige Mann und sein Lachen schwand. Neue Tränen rannen ihm in den Bart, doch er tat keinen Versuch, sie zu verbergen.

„Dad? Was ist passiert? Was meinst du mit 'auch verloren'? Und wo ist... Mum?“

„Ihr... ihr hattet 'nen Unfall. Einen Autounfall, du und deine... deine Mum. Oh Hicks... es tut mir so leid!“

Er senkte wieder den Kopf und gab sich seinem Schmerz hin, während Hicks anfing, panisch zu zittern. Sein verstand setzte langsam die Puzzle-Teile zusammen, doch er schüttelte wild den Kopf, als wolle er die Wahrheit nicht akzeptieren.

„Nein... nein, dass kann nicht... NEIN, MUM!“

Er setzte sich auf, riss Schläuche und Kabel von sich und versuchte, aus dem Bett zu kommen.

Haudrauf schaute ihm erst fassungslos zu, bevor er seinen Arm ergriff und versuchte, ihn wieder ins Bett zu ziehen.

„Nein, Hicks. Was... was hast du vor?“

„Ich muss zu Mum. Sie... sie ist nicht tot. Sie kann nicht tot sein. MUM... MUM!“

Er riss sich von seinem Vater los und bevor Haudrauf etwas sagen konnte, war er auch schon aus dem Bett gesprungen. Doch nur ein Fuß machte den Kontakt mit dem Fußboden und hilflos konnte Hicks nur laut aufschreien, als er zu Boden ging. Er krümmte sich vor Schmerzen und suchte dann die Ursache seines Sturzes.

Was er erblickte ließ ihn vor Schreck starr und bleich werden.

„N-Nein... Dad... Wo ist... wo ist mein Bein, D-Dad?“ fragte er, während er in Tränen ausbrach. Haudrauf konnte nichts sagen, außer zu seinem Sohn zu laufen und ihn sanft in die Arme zu nehmen. Schließlich fing Hicks an zu schreien. Er schrie, bis seine Stimmbänder blutig rissen. Er schlug um sich, bis seine Wunden und Nähte wieder aufgingen, bis Schwestern und Ärzte kamen, um ihn ruhig zu stellen. Er schrie, weinte und verkrampfte, bis die Beruhigungsmittel ihn zurück in einen tiefen Schlaf versetzten...
 

Er verweigerte Nahrung. Nährstoffe nahm er nur über den Tropf auf.

Er verweigerte Besucher. Nur die Ärzte waren die einzigen Person, die sein Zimmer betraten.

Er verweigerte Antworten. Jedes Mal verließen die Schwester den Raum, seufzend.

Tag und Nacht saß er auf seinem Bett, sein gesundes Bein angezogen und die Stirn gegen das Knie gelehnt. Er weinte, bis er keine Tränen mehr hatte. Danach war sein Blick einfach nur leer und matt.

Er verlor Gewicht, sein Gesicht fiel ein und er wurde blass.

Wenn sein Vater doch das Zimmer betrat und sich an sein Bett setzte, wurde er ignoriert, bis Haudrauf sich wieder bei ihm entschuldigte und ihn allein ließ.

Behandlungen ließ er Wortlos über sich ergehen doch auf keine Frage der Ärzte oder Schwestern ging er ein.
 

Dann kehrten die Schmerzen wieder. Sein fehlendes Bein protestierte unter der Belastung und gab dem Jungen keine Sekunde der Ruhe. Die Nächte lag er wach, weinend, schwitzend und beide Hände den Stumpf umklammernd, während er versuchte, laute Schmerzensschreie zu unterdrücken. Die Schwestern gaben ihm Schmerzmittel. Doch schon bald waren die herkömmlichen Dosierungen nicht genug. Der Schmerz wurde stärker, einnehmender, intensiver.

Schließlich konnte er sein Schweigen nicht länger aufrechterhalten und er flehte die Ärzte an, etwas zu tun.

„M-machen sie... das es aufhört. Es soll aufhören... b-bitte!“ flehte er unter größten Anstrengungen. Doch die Ärzte weigerten sich, sagten, eine höhere Dosierung sei zu gefährlich für ihn. Er allerdings wollte davon nichts hören.
 

Und schließlich sollte sich ein Arzt sich seiner erbarmen...
 

Eine Woche nach dem Unfall und dem Tod seiner Mutter wurde die Tür zu seinem Krankenzimmer aufgestoßen. Es war mitten in der Nacht und wiedereinmal hatte sich Hicks vor Schmerzen schreiend im Bett hin und her gewunden. Als das Licht des Flures ins Zimmer fiel, blickte er auf und erkannte durch den Tränenschleier einen Mann in der Tür stehen. Er trug kein, weißen Arztkittel und er stützte sich auf einen Stock. Er humpelte leicht, als er das Zimmer betrat und die Tür hinter sich schloss.

„Hi!“ sagte er zur Begrüßung und nahm dann neben ihm auf einem Stuhl platz.

Der Mann hatte ergrautes Haar, einen ungepflegten 3-Tage-Bart und dunkle, stechende Augen. Er spielte erst ein wenig mit seinem Stock, sah sich dann im Zimmer um und holte dann eine Dose mit Tabletten aus seiner Jackentasche. Eine davon warf er sich ein, zwei weitere hielt er Hicks hin.

„Ich bin Doktor Gregory House. Und du bist mein neuer Patient!“

Über den Schatten springen...

„Ich... hab von ihnen gehört!“

Hicks setzte sich langsam auf, nachdem er die Tabletten genommen, geschluckt, und dann mit Erleichterung feststellen konnte, dass die Schmerzen schwächer wurden. Fort gingen sie nicht, doch nun waren sie deutlich einfacher zu ertragen.

„Das überrascht mich nicht, in diesem Krankenhaus wird so oft über mich geredet, dass ich eine eigene Talk-Show verdient hätte!“ antwortete House schnell und zog dann mit seinem Stock Kreise auf dem Fußboden.

„Sie sollen ein... riesiger Arsch sein!“

„Beleidigst du eigentlich jeden Fremden, den du gerade erst kennen gelernt hast? Oder gibst du nur stumpf wieder, was die Schwestern gesagt haben?“

Hicks versuchte zu grinsen: „Ein wenig von beidem!“

„Hm, ich denke, diese Antwort kann ich gelten lassen!“

Er stand auf und humpelte um das Bett herum zum Fenster. Ein kurzer, prüfender Blick durch die halb geschlossenen Jalousien, dann drehte er sich um und lehte sich gegen das Fensterbrett.

„Ich werde dir jetzt mal erzählen, warum ich hier bin. Es geht nicht darum, dass ich ein Arzt und du ein Patient bist und ich dir unbedingt helfen möchte. Dein Fall interessiert mich nicht. Autounfall, der tot der Mutter und der Verlust eines Körperteils... so etwas reizt mich nicht. Wenn du morgens früh die London Times in die Hand nimmst, liest du auf jeder zweiten Seite ähnliche Schicksalsschläge. Der Mensch stumpft nach einer Weile ab, es sei denn, er erleidet selbst solch eine Situation.

Wenn die inzwischen eingesetzte Wirkung des Vicodins deinen Sehnerv nicht zerstört hat, wirst du sicherlich erkannt haben, dass ich am Stock gehe. Ich bin also ein Krüppel, genau so wie du, wobei ich mein kaputtes Bein noch mit mir herum schleppen darf.

Ich tu dies hier also nicht weil ich will, sondern weil ich es muss. Keiner in diesem Krankenhaus weiß, was du derzeit durchmachst. Keiner außer mir. Du hast Schmerzen und willst sie los werden. Genau wie ich. Erwarte aber nicht, dass ich jeden Tag in dein Zimmer komme und dir die Hand halte, ich habe 'Lemminge' dafür, die diesen Job übernehmen können. Was ich aber tue, ist dir Vicodin zu verschreiben. Ein Schmerzmittel. Es ist besonders stark und sollte dir helfen, mit deinem Problem fertig zu werden, bis es sich von ganz allein gelöst hat. Irgendwann wirst du dich an die Schmerzen gewöhnt haben und sie kaum noch wahrnehmen. Doch bis dahin... wirst du durchhalten müssen, die Tabletten nehmen, wenn es nicht mehr auszuhalten ist und wieder lernen zu gehen!“

Er stieß sich vom Brett wieder an und humpelte zur Tür. Hicks erhielt gar nicht die Chance, etwas zu erwidern, da hatte House auch schon die Tür geöffnet und war im Gang verschwunden...
 

» Gegenwart «
 

Hicks rollte die orangene Dose mit seinen Vicodin-Tabletten zwischen seinen Handflächen hin und her und stellte sie dann auf seinen Nachtschrank.

„In dieser Nacht konnte ich das erste Mal seit meinem Unfall wieder ruhig schlafen. House versorgte mich mit Vicodin, seine Ärzte versorgten meine Wunden und Dad versuchte, mich zum reden zu bewegen. Nach einer weiteren Woche wurde mir die Prothese gezeigt und man brachte mir bei, sie festzubinden und mit ihr zu gehen. Ich war einen weiteren Monat in der Reha, bevor ich aus dem Krankenhaus entlassen wurde und nach Hause kam. Dad fuhr mich, wir schwiegen die ganze Fahrt über. Ich glaube, ich habe seit damals nicht mehr als drei Sätze an ihn gerichtet!“

Er senkte den Kopf, worauf Astrid ihn sanft zu sich zog.

„Dein Vater trifft keine Schuld, Hicks!“

„Ich weiß... aber trotzdem... ich bin immer noch so... so wütend auf ihn. Und enttäuscht. Hätte er früher schon Interesse für mich gezeigt, hätte er mich von Anfang an als seinen Sohn anerkannt, hätten Mum und ich ein ganz anderes Leben führen können und vielleicht... vielleicht wäre es niemals soweit gekommen!“

Sie wusste nicht, ob irgendetwas, was sie nun sagte, ihm helfen würde.

„Wir... wir sollten ins Bett!“ sagte Hicks nach einem kurzen Blick auf die Uhr. Es war kurz vor drei.

Astrid nickte und sie ließ sich bereits rücklings auf die Matratze fallen. Jedoch setzte sie sich rasch wieder auf, als sie bemerkte, dass Hicks sich nicht rührte.

„Hicks? Alles okay?“ fragte sie leise.

Er nickte, biss sich auf die Lippen und blickte dann hinab zu seinem Bein.

„Weißt du... ich habe bisher niemandem meinen... meinen... Stumpf gezeigt, Astrid. Und ich weiß nicht, ob ich es jetzt kann.“

Er kniff die Augen zusammen und wand sein Gesicht ab. Er wollte nicht, dass sie seinen zernarbten Stumpf sah, dass sie womöglich davon abgeschreckt wurde und ihn womöglich abstoßend finden könnte. Es war schwer vorstellbar bei Astrid, doch die Möglichkeit bestand und er würde sie dann für immer verlieren.

Doch seine Freundin war bereits vom Bett geklettert und hatte sich vor ihm auf den Boden gekniet. Als ihre schlanken Hände sein Knie umschlossen, öffnete er die Augen und blickte sie angespannt an.

„A-Astrid, ich...“

„Ssssch, schon gut, Hicks. Lass... lass mich das machen, okay?“

Er zögerte mit einer Antwort, bevor er dann langsam begann, den Kopf zu schütteln.

„Hicks. Bitte. Du weißt, ich würde dir nie etwas böses wollen. Und es wäre besser wenn du... wen wir das hier tun. Du weißt, ich liebe dich, also bitte verstecke dich nicht vor mir!“

Wieder zögerte er, dann aber hörte man ein sich geschlagen gegebenes Seufzen und dann legte er seine Hände an die Trennstelle von Bein und Prothese. Astrid tat es ihm nach und zusammen begannen sie, die Schnallen zu lösen und die Verbände abzunehmen. Dann, vorsichtig, nahm Astrid die Prothese ab und legte sie sorgfältig neben das Bett. Der Stumpf war nun nur noch von ein paar alten Verbänden umwickelt. Hicks hatte bereits wieder den Blick abgewandt, um Astrids Reaktion nicht mitanzusehen. Und sie war auch erschrocken. Erschrocken von dem vernarbten Gewebe, als sie die Verbände löste und den Stumpf frei legte.

Stille herrschte im Raum und Hicks rechnete jeden Augenblick damit, dass Astrid aufstehen, ihre Sachen nehmen und den Raum verlassen würde, ein leises „Sorry!“ auf den Lippen.

Doch nichts dergleichen geschah, stattdessen spürte er ihre Lippen auf seinem Knie, dann setzte sie sich wieder neben ihn und zog ihn mit sich hinab auf die Matratze, bevor sie die Decke um ihre Körper warf und sich an seine Seite kuschelte.

„Astrid!?“

„schon gut, Hicks. Ich bin da. Ich bleibe, ich geh nicht weg. Du brauchst keine Angst haben!“

Sie küssten sich und Hicks gelang es sogar, leicht zu lächeln.

„Danke, Astrid. Du bist die Größte!“

„Ich weiß!“ antwortete sie und musste sofort lachen. Hicks lachte mit und schlug ihr sanft gegen die Schulter.
 

„Du, Hicks?“

„Ja, Astrid?“

Es war bereits Stockfinster im Zimmer. Hicks hatte die Lampe auf seinem Beistelltisch ausgeknipst und dann Astrids Hände ergriffen, um seelenruhig neben ihr einschlafen zu können. Doch als ihre Stimme aus der Finsternis erklang, war er sofort wieder hellwach.

„Ich... kann immer noch nicht schlafen. Erzählst du mir, wie du Ohnezahn getroffen hast?“

Hicks blinzelte mehrmals, dann fing er sich und räusperte sich kurz.

„Wie ich... also, dass ist... ja, warum eigentlich nicht? Also, begonnen hatte alles vor exakt einem Monat...“

Ohnezahn

„Sohn! Sohn, mach die Tür auf, bitte!“

Haudraufs Stimme klang stumpf, als er versuchte, durch die Tür hindurch mit seinem Kind zu sprechen. Doch er erhielt keine Antwort. Also hämmerte er erneut mit seiner groben Faust gegen die Tür und die Scharniere ächzten bereits unter der Belastung.

„Sohn, ich breche die Tür auf, wenn du mir nicht öffnest!“ sagte er nun mit einem bedrohlichen Unterton.

Doch es kam wieder keine Antwort und der Ärger verflog so schnell, wie er gekommen war. Haudrauf seufzte, ließ die Schultern sinken und machte auf dem Absatz kehrt.

Seit Tagen war Hicks nun schon aus dem Krankenhaus entlassen. Seine Reha hatte ihn in kurzer Zeit weit gebracht, er brauchte keine Krücke um zu gehen. Er hatte zwar bei jedem Schritt, denn er getan hatte, als sein Vater ihn abholte, sein Gesicht kurz verzogen, doch kein Wort, kein Ton kam über seine Lippen. Während der Fahrt hatten sie nicht miteinander geredet und als sie zu Hause ankam, war Hicks sofort in seinem Zimmer verschwunden. Haudrauf sah ihn seitdem nur noch, wenn sie sich zufällig im Flur begegneten.

Wenn Hicks nicht in seinem Zimmer war, dann war er in der Schule, vergrub sich hinter seinen Büchern und paukte, um sein Kopf mit anderen Dingen zu füllen als schmerzhaften Erinnerungen. Und obwohl sich seine Noten kurzerhand auf einem Höhenflug befunden hatten, ließ er sich nach einigen Wochen von seinem Arzt, Dr. House, vom Unterricht freistellen. Die Blicke, mit denen seine Klassenkameraden nun förmlich durchbohrten war zu viel des Guten. Er war es gewohnt, der Außenseiter zu sein, von de meisten ignoriert und von vielen anderen gepiesackt zu werden. Fischbein und Raffnuss waren die einzigen, die er seine Freunde nennen konnte.

Doch nun waren ihre Blicke anders. Mitleid, Reue, Schuld. Viele machten sich Vorwürfe, andere hatten Mitleid mit ihm und versuchten schon bald, sich als seine Freunde zu deklarieren.

„Heuchler!“

Jeden Abend schlug er die Tür hinter sich zu und warf seinen Rucksack gegen die Wand.

„Alles Heuchler. Lügner!“

Tränen rannen ihm über die Wangen, während er innerlich zu brodeln begann und die Zähne zusammen bis.

„Jeder Einzelne. Sie wissen nichts. Gar nichts. Sie... sie haben keine Ahnung.“
 

In dieser Nacht hatte Haudrauf seinen Sohn schreien gehört. Schreie vor Wut, Schreie vor Zorn und Schreie vor Schmerzen. Doch er konnte nichts tun, Hicks ließ ihn nicht an sich ran. Und er konnte es ihm nicht verübel.
 

Als Haudrauf also nun im Flur stand und seinen Rücken der Tür zu Hicks Zimmer gewandt hatte, wollte er wieder runter ins Wohnzimmer gehen, als er hörte, wie das Schloss geöffnet und der Türgriff nach unten gedrückt wurde. Langsam drehte sich Haudrauf wieder um und stand nun seinem Sohn gegenüber.

Hicks Augenringe waren noch markanter geworden, sein Körper ausgehungert und seine Haare dünner. Haudrauf blieb der Atem weg und er machte einen Schritt zurück.

„Dad!“ begann Hicks mit emotionsloser Stimme.

„Hicks, mein Sohn!“ Er versuchte wieder einen klaren Gedanken zu fassen und in seinem Kopf hörte er, schräger weise, Grobians Stimme, die ihn anschreit.

„Da is' dein Junge. Er steht da un' nu' tu was, Haudrauf. Sei einmal in deinem Leben ein Vadder!“

Haudrauf ging langsam auf Hicks zu und er wollte seine Hand auf die Schulter des Jungen legen, als dieser von ihm zurück wich.

„Hicks...?“

„Wieso? Wieso jetzt, Dad?“ fragte er, wütend und gleichzeitig verletzt. Haudrauf glaubte, dass Hicks jeden Augenblick zusammen klappen könnte.

„Was meinst du?“ fragte er unsicher, was jedoch Hicks Wut nur noch weiter anfeuerte.

„Du weißt es ganz genau, Dad. Jahrelang war ich der ungewollte Sohn und jetzt kommst du an und gibst vor, dir Sorgen um mich zu machen. Wieso? Weil Mum tot ist? Weil ich zu einem Krüppel geworden bin? Weil du jetzt endlich erst begriffen hast, dass ich dein verdammter Sohn bin? Wieso, Dad, was ist anders?“

Ihm fehlten die Worte und obwohl er immer wieder den Mund öffnete, kriegte er keinen Satz zu Stande.

„Hast du eigentlich die leiseste Ahnung, wie ich mich gefühlt habe, darüber, dass mein eigener Vater kein Interesse an mir und meinem Leben hat? Das du mir immer diesen enttäuschten Blick zugeworfen hast, als hätte dir jemand zu wenig Speck auf den Brot getan?“

Dann wand sich Hicks zur Seite ab und sprach mit verstellter Stimme weiter, die dem Akzent seines Vaters glich: „‘tschuldigung, Frau Wirtin. Sie haben mir hier eben ‘grade den falschen Nachwuchs serviert. Ich hatte ‘nen extra großen Burschen mit fetten Muckies bestellt. Diesen kühnen Helden von ‘ner Tageskarte. Dieser… Hänfling da, is‘ doch nur ‘ne halbe Portion!“

Zunächst war Haudrauf geschockt, doch dann wurde er selbst wütend und er stieße Hicks grob gegen die Schulter.

„Zügle deine Zunge, junger Mann. Ich bin immer noch dein Vater!“

Doch nun war die unsichtbare Linie überschritten und Hicks explodierte: DU BIST NICHT MEIN VATER, UND DU WARST ES NIE. DU HAST DICH IMMER DAGEGEN GEWEHRT, MEIN VATER ZU SEIN. ALSO WAG ES NICHT… WAG ES NICHT, DICH JETZT FÜR MICH ZU INTERESSIEREN. ICH BRAUCHE DICH NICHT. WEDER DICH, NOCH EINEN VON DIESEN ANDEREN HEUCHLERN!“

Er schob sich an Haudrauf vorbei, eilte die Treppe hinab und war durch die Haustür verschwunden. Sein Vater ließ er fassungslos zurück. Haudrauf fasste sich ans Herz, stolperte a die Wand und rutschte zu Boden, bevor langsam zu realisieren begann, was er getan hatte.

„Ich war das…!“

Und er war wieder den Tränen nah…
 

Wütend, weinend und die Fäuste ballend war Hicks durch die Straßen marschiert, schnellen Schrittes um das Haus seiner Schande, wie er es inzwischen nannte, schnell hinter sich zu bringen. Passanten, die ihn freundlich grüßten, ignorierte er und schon bald befand er sich im Laufschritt. Er wollte seinen Vater hinter sich lassen, die Menschen, Berk selbst. Er wollte nur noch weg.

So lief er in den Wald, versuchte die aufkommenden und wieder stärker werdenden Schmerzen in seinem Bein so gut es ging noch zu unterdrücken und hatte sich schon bald zwischen den unzähligen Bäumen und Büschen verirrt.

Eine Stunde war vergangen, bis Hicks sich beruhigt hatte und erst einmal, gelehnt an einen Baum, zu Boden rutschte und sein Beinstumpf massierte. Dann holte er schnell seine Vicodin heraus und warf sich zwei Tabletten ein, bevor er geduldig abwartete, dass die Schmerzen wieder vergingen.

Und dann fühlte er sich miserabel.

Er hätte vor seinem Vater nicht die Geduld verlieren sollen, immerhin war es für ihn zurzeit auch nicht leicht. Er war der Bürgermeister der Stadt Berk, ein Mann mit hohen Ansehen und einem Ruf, den es zu verlieren galt. Menschen wählen starke Anführer, daher hatte Haudrauf den Posten ja schon so lange gehalten. Doch nun, da er seine Frau und auch fast seinen Sohn verloren hatte, begann das steinerne Podest unter seinen Füßen zu bröckeln.

„Na ja, offensichtlich bin ich genau so wenig ein guter Sohn, wie er ein guter Vater!“ sagte er mit gedämpfter Stimme, bevor er durch das lichte Blätterdach hinauf ins Sonnenlicht blickte, die Augen schloss und kurz die Wärme auf seinem Gesicht genoss. Er vergaß sogar kurz seine Schmerzen…
 

Doch schon bald war er wieder unterwegs. Hicks beschloss, weiter ins Gebirge zu gehen und somit der ärztlichen Anordnung, sich ein wenig mehr zu bewegen, Folge zu leisten. Es fiel ihm deutlich leichter als zu beginn, dennoch konnte er sich nicht an seine Prothese gewöhnen.

„Ach, Gott muss mich hassen. Andere verlieren ihr Taschenmesser oder ein Becher. Aber ich… ich muss gleich mein halbes Bein verlieren!“ seufzte er und folgte dabei unbewusst seinen Kiespfad, der ihn immer weiter in die Berge führte.

„Und dann natürlich auch nur das Halbe. Für einen ganzen “Erfolg“ reicht es bei mir ja nie! Und außerdem… wo bin ich eigentlich?“

Er hatte den Rand eines kleinen, malerischen Tals erreicht, durch den ein breiter Bach floss, der nach hinten immer breiter wurde und in einem See endete, der von einem Wasserfall gespeist wurde. Blumen verschiedenster Sorte wuchsen zwischen den weißen Felsen, die aus dem Erdreich ragten.

„Wow!“
 

Plötzlich rauschte etwas Gewaltiges, Schwarzes an ihm vorbei und Hicks war vor Schreck rücklings zu Boden gestolpert. Ein gewaltiges Tier, das angestrengt versuchte, die Felswand des Tals hinauf zu klettern, dann aber zurück fiel. Hicks rutschte sofort zum Rand, und beobachtete sprachlos, wie das Ungetüm ein paar schwarzer Flügel ausbreitete und seinen Sturz abfing, um kurz über den Boden zu segeln, bevor er unsanft abstürzte.

„Was… was ist das?“

Noch nie in seinem Leben hatte Hicks ein solches Tier gesehen. Ein Schwanz, Flügel, vier Beine und eine schuppige Haut.

„Ein… Ein Reptil? Aber solch großen… Reptilien gibt es doch gar nicht!“

Das Tier brüllte laut, dann züngelten aus seinem offenen Maul violette Flammen und verbrannten die Erde um sich herum.

Nun war Hicks beinahe das Herz stehen geblieben und er kauerte sich näher an das Felsgestein, auf dem er lag.

„Ein Drache…“ hauchte er. Er begann zu zittern, sein Atem wurde schneller und flacher. War es Panik? Angst?

Natürlich hatte er Angst. Noch nie zuvor hatte ein Mensch einen waschechten Drachen gesehen. Zwar war Hicks ein großer Drachen-Fan, doch er lebte steht’s mit dem Wissen, das solche Wesen nur in Filmen, Serien, Videospielen und Fantasy-Büchern existierten.

Doch nun sah er einen, lebendigen, realen Drachen.

Der Drache brüllte noch eine Weile, bevor er zum See ging und begann, Fische zu jagen, die zu nah an der Oberfläche schwammen.

Hicks holte derweil sein altes Sketch-Buch aus der Innentasche seiner Jacke und einen Stift, schlug eine leere Doppelseite auf und begann, die Form des Drachen zu skizzieren. Nebenbei beobachtete er, wie der Drache nach dem erfolglosem Fischversuch immer wieder versuchte, die Steilwand hinauf zu klettern.

„Wieso… fliegst du nicht einfach weg?“ fragte er leise und stand dann auf, um einen Ort zu erreichen, von dem er den Drachen besser beobachten konnte. Doch dann durchzog ein starker Schmerz wieder sein Bein, er stolperte, rutschte auf dem Kies aus und stürzte laut schreiend den Abhang hinunter.

Er überschlug sich mehrmals, schlug sich die Stirn blutig und prellte sich einige Knochen, bevor er stöhnend zum Stillstand kam und dann einen markerschütternden Schrei von sich gab, als sein Bein sich wieder meldete. Er blickte zu seiner Prothese hätte sofort am liebsten erneut aufgeschrienem.

Die Prothese war verborgen, viele Bauteile hatten sich gelöst und einige andere hatten sich in den Stumpf gebohrt. Hicks trieb es die Tränen in die Augen doch er schlug sofort seine Hände vor den Mund, als ihm wieder einfiel, dass da immer noch ein Drache war.

Ein Drache, der ihn bemerkt hatte.

Hicks setzte sich auf und versuchte aufzustehen, doch dass, was von seiner Prothese übrig war, war nicht stark genug, sein Gewicht zu stützen und so stolperte er immer wieder, wimmernd, zu Boden. Gleichzeitig sah er sich panisch nach dem Drachen um und ihm rutschte das Herz in die Hose, als er ein paar grüne Augen sah, dass ich beobachtete und näher kam.

Ein wütendes Knurren drang aus der Kehle des Drachen und schon bald hatte er zu dem armen und verletzten Jungen aufgeholt. Der Geruch von Blut trieb ihn in die Nüstern, gepaart mit Angstschweiß und dem typischen Geruch eines… Menschen.

Hicks versuchte rücklings von dem Drachen wegzurutschen. Er hatte Angst, wollte schreien und wegrennen, doch beides war ihm versagt. Er stieß mit dem Rücken gegen einen Felsen und war dem schwarzen Ungetüm hilflos ausgeliefert.

„Bitte… bitte… friss mich… nicht! Bitte!“

Hicks schloss die Augen und drehte sein Gesicht weg, Tränen lief ihm bereits in den Kragen, gemischt mit dem Blut aus seiner Kopfwunde.

Der Drachen, bedrohlich knurrend, zog den Geruch des Jungen ein, und warf einen prüfenden Blick über dessen gebrechlichen und ängstlich zitternden Körper. Dabei fiel ihm das Bein auf, die verbogene und zerstörte Prothese und das fiele Blut. Dann blickte der Drache zu seiner eigenen Schwanzflosse, dann wieder zurück zu dem Bein des Jungen und schließlich zum Gesicht. Hicks hatte sich immer noch abgewandt, schwer atmend und sich langsam darauf gefasst machend, gleich bei lebendigen Leibe zerfleischt zu werden.

Der Drache näherte sich ihm weiter, öffnete sein Maul und… brüllte Hicks aus voller Kehle an.

Dann drehte er sich um, stieß sich mit einem seiner Hinterbeine von dem Felsen ab und lief zurück um in einer kleinen Höhle neben dem Wasserfall zu verschwinden.

Vorsichtig wagte Hicks es wieder, die Augen zu öffnen und sich nach dem Drachen umzusehen. Er hörte sein Brüllen und sah noch, wie sein Schwanz in der Höhle verschwand, bevor er erleichtert aufatmete und dann dagegen ankämpfte, nicht in Ohnmacht zu fallen…

Hicks schaffte es, mit den abgebrochenen Teilen seiner Prothese eine der Felsenwände hinauf zu klettern. Er trieb die zwei Metallstreben, dessen Verschraubungen abgebrochen waren, immer wieder wie Kletterhacken in den Fels, stützte sich mit seinem gesunden Bein ab und erreichte unter größter Kraftanstrengung und der Wirkung von gleich 4 Vicodin die obere Kante. Dabei wurde er von dem Drachen beobachtet, der von dem Eingang der Höhle lag. Schon fast sehnsüchtig blickte er dem Jungen nach. Auch er wollte offenbar aus diesem Tal heraus.

Irgendwie schaffte Hicks es dann auch bis zum Rand der Stadt, bevor er zusammen brach und von einigen Passanten aufgefunden wurde, die sogleich den Notarzt riefen.

Eine Woche verbrachte er dann erneut im Krankenhaus. Seinem Vater und seinem Arzt Dr. House erzählte er, er wäre beim Spaziergang in den Bergen abgerutscht und einen Berghang hinab gefallen, was sogar fast der Wahrheit entsprach.

Eine neue Beinprothese war fällig. Mehr Stahl, weniger Kunststoff und dadurch deutlich widerstandsfähiger.

„Rostfrei, widerstandsfähig und dennoch leicht. Fast wie ein Sportwagen. Wer weiß, vielleicht stehen sogar die Frauen drauf!“ hatte House die Prothese kurz kommentiert, bevor er wieder von dannen gehumpelt war. Doch vorher hatte er Hicks weitere Vicodin verschrieben, worüber der Junge dankbar war.

Die Tabletten waren inzwischen von einer Notlösung zu einem Bestandteil seines Lebens geworden. Mehrmals am Tag warf er sie inzwischen ein, immer wieder, wenn die Schmerzen sich zurück meldeten. Es war die Angst vor den Schmerzen, die ihn jegliche Warnung vor der Sucht nach Schmerzmitteln ignorieren ließ.
 

Nach einigen Tagen stand Hicks erneut am Rande des Tals. Dieses Mal ausgerüstet mit einer Strickleiter, seinem Rucksack und einem… Fisch.

Hicks schlug die Leiter mit zwei großen Bolzen fest, entrollte sie dann und kletterte an ihr herab ins Tal. Somit war ein sicherer weg hinein und wieder hinaus geschaffen. Dann holte er den Fisch aus dem Rucksack und trat langsam auf die Höhle zu.

Von dem Drachen fehlte jede Spur, als machte er langsam einen Schritt nach dem anderen, bis der Sprühnebel des Wasserfalls sein Gesicht benetzte. Ein Knurren ließ ihn inne halten, dann wieder einen Schritt zurückgehen, als der Drachen sich langsam aus der Höhle bewegte, den Kopf tief gebeugt.

Hicks bekam es wieder mit der Angst zu tun und dennoch streckte er den Arm aus und hielt dem Drachen den Fisch hin.

Das Tier begann zu schnuppern, roch den für ihn leckeren Duft des Fisches und kam vorsichtig immer näher, die Augen vor Neugierde geweitet. Dann öffnete er den Mund langsam und Hicks konnte in ein großes, zahnloses Maul blicken.

„Hah… keine Zähne. Ich hätte schwören können, du hättest…“

Wie aus dem nichts entblößte der Drache eine Reihe spitzer, weißer Zähne und er schnellte mit dem Kopf nach vorne, um dem Jungen den Fisch aus den Händen zu reißen. Hicks selbst hatte darauf sofort erschrocken die Hand zurück an die Brust gezogen, während der Drache genüsslich zu kauen begann.

„…welche!“

Dann war der Fisch herunter geschluckt und der Drache wand sich wieder schnuppernd dem Jungen zu. Hicks stolperte sofort zurück, fiel zu Boden und rutschte wieder ein wenig von ihm weg.

„Nein, nein. Das war‘s leider. Ich… ich hab… nichts mehr!“

Er konnte den heißen Atem des Drachen auf seiner Haut spüren und er schloss wieder die Augen, dieses Mal sicher, dass seine letzte Stunde geschlagen hätte. Doch er vernahm daraufhin ein würgen und plötzlich fiel ihm etwas in den Schoß.

Als er die Augen wieder öffnete, fand er den halben Fisch auf sich liegen und einen Drachen, der sich auf sein Hinterteil hat fallen gelassen und ihn nun auffordern anblickte.

Hicks war verwirrt. Was wollte er von ihm?

Der Drache blickte kurz auf den Fisch, dann wieder zu ihm.

Erwartete er etwa, dass er den Fisch aß?

Hicks nahm vorsichtig die Fischhälfte in die Hände und hielt sie hoch, der Drache schien darauf zu nicken und blickte ihn weiter erwartungsvoll an.

Zögerlich führte der Junge den Fisch zum Mund und obwohl er rohen Fisch über alles hasste, bis er ein grobes Stück heraus.

„Hm Hmmmm!“

Er streckte dem Drachen den Rest wieder hin, doch der blickte ihn weiter an und schluckte dann.

Hicks ließ die Schultern sinken. Er sollte den Bissen also auch runterschlucken.

Unter größter Anstrengung, nicht gleich vor dem Drachen seinen kompletten Mageninhalt zu erbrechen, schluckte Hicks den Fischbrocken herunter, stöhnte dann angewidert und versuchte trotz allem zu Lächeln.

Verwundert über die Mimik des Jungen, über die nach oben gezogenen Mundwinkel versuchte der Drache es ihm nach zu tun und schon langsam die Mundwinkel in die Höhe, bis man ein breites, zahnloses Lächeln erkannte.

Völlig erstaunt von dem Verhalten des Drachen, legte Hicks den Fisch bei Seite und versuchte sich dann einen Reim daraus zu machen. Dabei stand er langsam auf, hob eine Hand und streckte sie dem Drachen entgegen.

Der Drache beäugte das Geschehnis fasziniert und ließ die Hand des Jungen, die seiner Nase immer näher kam, nicht aus den Augen. Dann entglitt ihm ein leises Knurren und sofort zog Hicks seine Hand wieder zurück. Er atmete mehrmals tief durch, wagte dann aber wieder einen Versuch, wobei er sein Gesicht wegdrehte und die Augen zukniff.

Langsam kamen sich Hand und Schnauze immer näher. Der Drache zog dabei sorgfältig den Geruch des Jungen ein und schließlich, kam er ich entgegen und er drückte seine schuppige Nase in die Handfläche des Jungen.

Hicks öffnete die Augen wieder, wand sich dem Drachen zu und zum ersten Mal seit langer Zeit, lächelte er vor Freude…

„Ohnezahn!“

Sie wollten doch nur Frühstücken...

Als Astrid nach einer geruhsamen Nacht erwachte und sich sogleich vom Sonnenlicht, dass durch Hicks Zimmerfenster fiel, begrüßen ließ, fiel ihr als aller erstes auf, dass Hicks noch da war. Verwundert über diese Tatsache blieb sie erst einmal einige Minuten blinzelnd liegen, während Hicks auf der Bettkante saß und vorsichtig seine Beinprothese am Stumpf festband und justierte.

Dann, als alle Verbände gewickelt und Schlaufen gebunden waren, knickte er das Bein zur Probe ein wenig hin und er und stand dann auf, um seinen Stand zu prüfen und die Belastung auszutesten. Dabei wirkte das bei ihm souverän, als hätte er sein ganzes Leben jeden Morgen nichts anderes getan.

„Natürlich wirkt er souverän, du Idiot. Er war förmlich dazu gezwungen, sich schnell daran zu gewöhnen!“ ermahnte sich Astrid in Gedanken selbst und sie schüttelte seufzend den Kopf.

„Guten Morgen, Astrid. Hast du... hast du gut geschlafen?“

Warum war Hicks immer noch so unsicher? Natürlich, das war die erste Nacht, die er und sie als Paar miteinander verbracht hatten, aber früher haben sie doch so oft mal das Bett gemeinsam geteilt. Doch Astrid war auch klar, dass sie sich selbst nicht so cool gab.

„Dir auch einen guten Morgen. Und ja, ich habe sehr gut geschlafen. Ich hatte diesen Traum, dass ich Rotzbacke meine Faust hab spüren gelassen. Wenn ich so etwas träume habe ich immer gut geschlafen!“ sagte sie lächelnd, während sie sich aufsetzte.

„Aber... warum bist du noch hier? Verstehe mich bitte nicht falsch, ich finde es schön, dass du da bist. Aber ich habe damit gerechnet, dass du schon längst weg währst um zu Ohnezahn zu gehen!“

„Ja, weißt du,“ begann Hicks darauf stotternd und dabei achtend, ihrem Blick zu meiden „ich dachte mir... dass du vielleicht mal einen Tag... nur mit mir verbringen möchtest. Also nur wir zwei. Allein. Aber ich kann auch verstehen... wenn du lieber etwas anderes... tun würdest. Kann ich verstehen, kein Problem... Astrid!“

Ohne zu zögern hatte Astrid die Decke von ihren nackten Beinen gezogen, war aufgesprungen und hatte Hicks zu einem langen und leidenschaftlichen Kuss in die Arme geschlossen. Er war zunächst ein wenig überrumpelt und es fiel ihm schwer, seine Arme um ihre Taille zu legen, wie sie so gut wie nichts anhatte, außer ihrer Unterwäsche und seinem, alten Shirt. Doch dann genoss er den Kuss, erwiderte ihn und legte seine Hände auf ihre Schultern.

„Ich würde liebend gern den Tag mit dir verbringen, Hicks.“ sagte sie lächelnd, nachdem sie sich voneinander gelöst hatten. Dann begann sie zu kichern, als sie bemerkte, wie rot ihr Freund geworden war.

„O-okay... alles klar. Ich werde dann... ich werde dann unten auf dich warten und du kannst dich... umziehen. Ja genau, so... so machen wir das!“

Und somit hatte Hicks noch ein grünes Kapuzenhemd geschnappt und war durch die Tür nach draußen verschwunden, Astrid konnte sich ein Kichern nicht verkneifen, bevor sie ihre Sachen zusammen suchte.

„Süß!“
 

Kurz darauf kam sie in die offene Küche getreten, wo Hicks am Tisch saß, ein Glas Fruchtsaft zwischen de Händen. Er blickte zu ihr auf und ein Lächeln stahl sich auf seine Lippen, so wie auf ihre.

„Und, was hattest du denn so für uns heute geplant, Hicks?“ fragte Astrid, während sie sich ihm gegenüber setzte.

„Na ja, ich dachte... also wir könnten... also theoretisch...“

„Du hast keinen Ahnung, richtig?“ fragte sie, als die das Trauerspiel nicht länger mitansehen konnte.

Sofort ließ Hicks die Schultern sinken und seufzte: „Nicht die blasseste Ahnung. Tut mir leid, Astrid. Ich war noch nie in einer Beziehung, ich weiß nicht... was man da den ganzen Tag macht!“

Astrid stimmte ihm nickend zu, auch sie wusste es nicht.

„Aber ich weiß, was man dafür Nachts wunderbar tun könnte!“ sagte sie, ein wenig geistesabwesend. Doch dann blickte sie erschrocken auf. Hatte sie das tatsächlich laut gesagt? Nun, Hicks Gesichtsausdruck nach zu urteilen, hatte sie.

„A-Astrid!?“

„Äh, vergiss, was ich gesagt habe. Du hast nichts gehört. Wollen wir... wollen wir heute nicht ein wenig in die Stadt gehen? Ich kenne ein gutes Lokal zum Frühstücken.“ fragte sie rasch, um das Thema zu wechseln.

Sein schockiertes Gesicht verschwand und er ließ den Blick sinken. Damit hatte Astrid schon gerechnet.

„Ich weiß nicht, ob das eine so gute Idee ist, Astrid. Was ist, wenn wir die anderen treffen?“

„Hicks, ich will, dass du die anderen triffst. Sie machen sich schließlich Sorgen, alle machen sich Sorgen um dich.“

Seine Hand wanderte zu seinem linken Knie und sein Blick ruhte ebenfalls darauf. Viele Leute in Berk wussten noch nicht, dass er sein Bein verloren hatte und er war auch noch nicht bereit, mit der Prothese vor Rotzbacke und Taffnuss zu treten, die ihn während der Schulzeit schon immer im Visier hatten.

„Hör mal, ich kann mir vorstellen, dass das schwer für dich ist. Aber lass es uns versuchen, okay? Nur zu dem Lokal, was Frühstücken, danach kommen wir gleich wieder hier her und... na ja, bleiben unter uns. Einverstanden?“

Er zögerte noch und dachte lange darüber nach. Dann aber nickte er schwach, worauf Astrid ihn aufmunternd anlächelte.
 

Kurz darauf waren beide gemeinsam unterwegs durch die Straßen von Berk. Hicks hatte sich noch eine Jacke über geworfen und Astrid ihren Regenmantel. Der Himmel bewölkte sich langsam, das Sonnenlicht wurde immer mehr ausgegrenzt. Es würde bald wieder regnen.

Immer wieder blickte Hicks zu seinem Bein herab, wenn sie jemandem auf dem Weg begegneten. Astrid bemerkte es ebenfalls und warf selbst einmal zur Prothese. Doch Hosenbein und Chucks machten es unmöglich, etwas von dem glänzenden Stahl zu erhaschen.

„Mach dich nicht kirre, Hicks. Man sieht es nicht!“ flüsterte sie ihm leise zu und er nickte.

„Ich weiß... es ist nur schwer, es nicht zu tun!“

Sie gab ihm im stillen Recht und schon bald hatten sie das kleine Lokal an der Hauptstraße erreicht. Astrid hielt Hicks die Tür auf und sofort wurden sie von warmer Luft begrüßt, die ihnen ins Gesicht schlug.

„Komm, wir setzen uns ans Fenster, dann können wir ein wenig die Leute beobachten!“ schlug Astrid vor und steuerte sogleich einen Tisch mit zwei Sitzbänken an, die am Fenster standen. Astrid auf der einen, Hicks auf der anderen Seite.

Ein Kellner, ein schneidiger Typ namens Bob, trat an sie heran und nahm rasch ihre Bestellungen auf, dann ließ er sie wieder allein und sofort wand Astrid sich dem Fenster zu.

„Weißt du noch? Früher haben wir oft zusammen gesessen und über die Leute gelästert, die an uns vorbei gingen!“ sagte sie leise kichernd.

Hicks Lippen zuckten zu einem Lächeln: „Ja, zum Beispiel über Mrs. Jorgenson, die immer fiel zu fiel Make-Up auftrug.“

„Du hast sie immer mit einem Clown verglichen!“

„Sie war auch einer!“

Beide fingen an zu lachen und rasch wurden weitere Geschichten ihrer gemeinsamen Kindheit ausgetauscht, bis Bob mit zwei großen Tabletts zurück kam.

Kurz darauf war der Tisch voll gestellt mit einem üppigen Frühstück.
 

„Ich... ich geh mal kurz auf die Toilette. Bin gleich wieder da!“

Mit diesen Worten rutschte Hicks von der Bank und ließ Astrid allein zurück am Tisch. Die Blonde dachte sich nichts bei, doch als sie Hicks hinter her sah, ertappte sie sich, wie ihre Augen an seinem Hinterteil hängen blieben.

„Oh Gott, Astrid. Bist du schon so Notgeil?“ fragte sie sich selbst und wand ihr rot angelaufenes Gesicht zum Fenster.

„Ha-Hallo Astrid...“

Eine bekannte Stimme riss sie aus ihren Gedanken und sie drehte sich zur Quelle um. Ihr wäre fast das halbe Brötchen aus der Hand gefallen, als sie Fischbein vor dem Tisch stehen sah.

„Fischbein?! Was machst du denn hier?“

Der stämmige Junge setzte sich sofort unaufgefordert auf Hicks Platz und geriet wieder ins stottern.

„Oh... ich... ich war nur z-zufällig in der G-Gegend und hab... hab dich d-durchs Fenster gesehen. Zuerst dachte ich... du würdest... mit H-Hicks hier sitzen. Aber das ist... unwahrscheinlich, schließlich verschwindet er immer um diese Zeit.“

Astrid legte ihr Frühstück ab und säuberte sich erst einmal die von Butter beschmierten Finger an einer Serviette.

„Nun ja, also eigentlich ist es wirklich so, dass...“

„Warte, Astrid. Ich... ähm... ich wollte dich gern noch was... was fragen!“

Astrid verstummte, spürte aber sogleich Panik aufkommen, als sie Hicks wiederkommen sah. Fischbein bemerkte ihren Blick zu ihrem Freund nicht und bereitete sich weiter damit vor, die richtigen Worte zurecht zu legen, während Hicks immer näher kam und schließlich Fischbein auf seinem Platz saß. Sofort warf er einen besorgten Blick zu Astrid, die ihm mit einem Handzeichen unter dem Tisch signalisierte, zu bleiben wo er war.

Hicks nickte, bemerkte aber dann, dass der Platz hinter Fischbein frei war und setzte sich rasch dort hin.

„Also, Fischbein. Was willst du mich denn fragen?“

„Nun... also... du sagtest ja oft genug... das da zwischen dir und Hicks nichts... nichts läuft, richtig?“

Astrid seufzte. So langsam verstand sie, worauf das ganze hinaus laufen würde.

„Hör mal, was das angeht, solltest du vielleicht wissen...“

„Warte, lass mich aussprechen!“ unterbrach Fischbein sie sofort und hob dabei beide Hände.

„Was ich... fragen wollte, ist... würdest du dann... vielleicht mit mir mal... ausgehen?“

Mitten auf die 47...

Astrid konnte, als sie am Fischbein vorbei zu Hicks blickte, sehen, wie ihr Freund nach Fischbeins Frage zusammen zuckte und ihr dann einen angespannten und erwartungsvollen Blick über die Schulter zu warf. Fischbein hatte den Blick wieder gesenkt und bemerkte dadurch immer noch nicht, wer hinter ihm saß und das Gespräch mit anhörte.

Unbehagliches Schweigen breitete sich zwischen ihnen aus, bis Astrid die Überreste des Frühstücks bei Seite schob und Fischbeins Hand mit ihren Beiden ergriff. Der blonde Junge blickte auf, Hoffnung glänzte in seinen Augen, doch sie erlosch, als er Astrids trauriges, schwaches Lächeln sah.

„Fischbein... ich finde es wahnsinnig, wahnsinnig süß und mutig von dir, mich das zu fragen. Du gabst mir die Gelegenheit, mitzuerleben, wie du über deinen eigenen Schatten gesprungen bist. Danke dafür. Aber leider muss ich dein Angebot ablehnen. Es tut mir leid!“

Er senkte wieder de Blick, öffnete ein paar Mal den Mund, um etwas zu sagen, ließ es aber. Auch Hicks Blick wurde traurig, ihm tat Fischbeins Situation leid und ein wenig fühlte er sich schuldig dafür. Schließlich war er ja der Grund, warum sie ihm abgesagt hatte.

„A-Also nicht... okay, damit... damit habe ich s-schon gerechnet!“ begann Fischbein stotternd.

Darauf ergriff Astrid seine Hand fester: „Aber bitte lass dich davon nicht unterkriegen. Ich bin mir sicher, dass da draußen die richtige auf dich wartet und wenn du den Mut beibehältst und weiter suchst, wirst du sie am Ende auch finden und ihr werdet glückli...“

„Ist es wegen Hicks?“

Sie hob überrascht die Augenbrauen. Fischbeins rüde Unterbrechung und sein ernster Gesichtsausdruck ließ sie inne halten. Dann ließ sie seine Hand los und lehnte sich zurück gegen die Rückenlehne der Bank. Sollte sie ihn anlügen oder ihre Gefühle für Hicks öffentlich machen?

Sie entschloss sich für die zweite Option.

„Ja... ja, Fischbein, es ist wegen ihm. Ich... ich liebe Hicks. Tut mir leid!“

„Warum? Warum ihn?“ fragte er energisch drängend.

Nun war Astrid erst recht überrascht. Sie hatte erwartet, dass Fischbein enttäuscht sein würde, aber aggressiv?

„Was meinst du damit?“ entgegnete sie.

„Er hat sich seit Monaten nicht gemeldet und zieht es lieber vor, irgendwo in der Wildnis zu verschwinden, als seiner besten Freundin etwas von seiner kostbaren Zeit zu widmen! Wie kannst du so einen Jungen lieben? Er... er ist ein egoistischer Einzelgänger geworden, Astrid. Es kümmert ihn inzwischen einen Dreck, was mit seinen Freunden ist und dennoch hältst du ihm die Treue?“

Er hatte sich in seiner energischen Rede nach vorne gebeugt und die Hände auf die Tischplatte gelegt. Zunächst war Astrid zurückgewichen, doch nun wurde sie selbst wütend.

„Was fällt dir ein, so über Hicks zu sprechen? Du hast nicht den blassesten Schimmer, was er gerade durchmacht und du wagst es, über ihn zu urteilen? Fischbein, ich bin verdammt enttäuscht von dir. Ich dachte, du währst besser?“

„Ich bin besser. Und deswegen verstehe ich nicht, warum du... du... diesem nutzlosen Bastard hinterher läufst?“

Astrids Kinnlade fiel und empört blickte sie Fischbein in die Augen. Dann wollte sie sich vor ihm aufbauen und die Fäuste auf den Tisch fallen lassen, doch jemand war schneller als sie.

Hicks war schneller.

Ein lautes Poltern ging durch das Lokal, als Hicks zornig auf den Tisch schlug und sich dann erhob. Fischbein und Astrid blickten sich zeitgleich nach ihm um und als der blonde Junge ihn endlich erkannte, weiteten sich seine Augen vor Schreck.

„H-Hicks?!“

Hicks kam um den Tisch herum und stand nun vor Astrid und Fischbein, die Fäuste geballen, die Stirn wütend gerunzelt und die Zähne zusammenbeißend.

„Egoistischer Einzelgänger, nutzloser Bastard. Das sind also deine Gedanken über mich, Fischbein. Na schön, dann lass dir was von diesen nutzlosen Bastard gesagt lassen. Du warst steht's jemand, den ich zu meinen wenigen Freunden gezählt habe. Es tut mir leid für dich, dass Astrid deine Gefühle nicht erwidert und es tut mir leid, wenn ich die letzten Monate ein wenig... beschäftigt war. Tja, das passiert wohl, wenn die eigene Mutter bei einem Autounfall stirbt und man selbst sein VERFICKTES BEIN VERLIERT!“

Alle im Lokal zuckten zusammen, als Hicks seine Stimme erhoben hatte und gleichzeitig sein Hosenbein leicht hoch schob und Fischbein somit die Beinprothese zeigte. Er schnaubte ein paar mal, bevor er weiter sprach: „Das du, Rotzbacke oder Taffnuss zu BESCHEUERT seid, dass zu begreifen ist allerdings nicht meine Schuld. Und das hier, tut mir auch nicht leid!“

Bevor ihn jemand stoppen konnte, hatte Hicks Fischbein am Hinterkopf gepackt und sein Gesicht gegen die Tischplatte geschlagen. Man hörte Knochen brechen und kurz darauf lief Blut aus seiner gebrochenen Nase und er schrie vor Schmerzen laut auf.

„Willkommen in meiner Welt, Arschloch!“

Hicks drehte sich um und marschierte wortlos aus dem Lokal.

Astrid, die sich während der ganzen Wutrede ihres Freundes zurückgehalten hatte, blickte ihm geschockt nach. Was war da gerade passiert? Hicks war noch nie gewalttätig geworden. Er hatte sich noch nicht einmal getraut, früher jemandem einen Klaps auf die Schulter zu geben, aus Angst, doch jemanden damit zu verletzen. Auch die anderen Gäste wechselten entsetzte Blicke und beunruhigte Sätze.

„Das war doch Hicks Haddock...“

„...der Sohn des Bürgermeisters...“

„...mit dem Unfall?“

„Habt ihr sein Bein gesehen...“

„...er war doch sonst nie so!“

„Grundgütiger...“

Astrid stand langsam auf und ließ die Bezahlung und noch etwas extra Geld auf dem Tisch liegen, bevor sie ihren Mantel nahm und sich ein letztes Mal an Fischbein wand, der noch immer wimmernd am Tisch saß und sich die blutige Nase hielt. Sie nahm einige Serviette vom Nachbartisch und reichte sie ihm.

„Hier, versuch damit die Blutung zu stoppen. Dann geh nach Hause und kühl die Nase. Und vor allem, kühl deinen Kopf. Ich will nicht sagen, dass es gut war, dir die Nase zu brechen... aber du hast selbst schuld. Hicks hat Probleme, das weißt du. Also mach sie bitte nicht schlimmer, als sie schon sind. Kümmere dich um deine Nase und... wenn du wieder der alte Fischbein bist, darfst du dich wieder bei mir melden. Vorher nicht.“

Dann drehte auch sie sich um und ging.
 

Hicks einzuholen erwies sich als schwieriger, als erwartet. Bevor sie ihn endlich erreichte, waren sie bereits im Hafenviertel, und marschierten den Kai hinab in Richtung Meer.

„Hicks... Hicks, warte auf mich!“

Er reagierte nicht, bis sie das Ende des Kais erreicht hatten. Dort setzte sich Hicks auf die Kaimauer, warf zwei Vicodin ein und senkte dann den Blick, bevor er das Gesicht in den Händen vergrub.

„Was ist nur aus mir geworden, Astrid?“ fragte er leise, während sich seine Freundin dicht neben ihn setzte.

„Hicks, du hast die Kontrolle verloren, na und? So etwas passiert, mach dich jetzt nicht zu sehr fertig deswegen. Und außerdem... hättest du ihm nicht die Nase gebrochen, hätte ich es getan!“

Sie versuchte, aufmunternd zu klingen, doch sie erzielte nicht das gewünschte Ergebnis.

Also legte sie einen arm um seine Schultern und zog ihn dicht an sich heran.

„Ich... ich habe Fischbein die Nase gebrochen. Die Nase, Astrid. Ich konnte früher nicht einmal einem Insekt etwas zu leide tun und nun breche ich einem meiner Freunde die Nase!“

Er klang entsetzt, geschockt und angewidert. Angewidert von sich selbst.

„Hey, ist ja gut. Hicks, sieh mich an!“

Er hob den Blick und schaute ihr in die Augen. Liebevoll blickte sie zurück.

„Seit Jahren hast du den Ärger über die anderen in dich hinein fressen lassen. Wenn Rotzbacke oder Taffnuss dich geärgert hatten, hast du meist nur gelächelt und weiter gemacht. Es ist... vollkommen normal, das irgendwann die Sicherungen mit dir durchgehen und das ist auch gut, dass du dann ab und an mal die Luft raus lässt. Ja gut, es hat bei deinem ersten Mal Fischbein getroffen. Das ist Pech. Aber ich muss sagen, dass mich der wütende, brutale Hicks ein wenig... angetörnt hat!“ gestand sie mit einem leichten Rotschimmer auf den Wangen.

„Es sollte aber keinen brutalen Hicks geben... Moment, was?“

Nervös grinste Astrid ihn an, als er sie mit seinem geschockten Gesichtsausdruck förmlich punktierte. Dann biss er sich auf die Unterlippe und sie sah ihm an, dass er ein Lachen unterdrückte. Das beruhigte sie um so mehr und ihr Grinsen wurde breiter.

„Ach, das gefällt dir wohl, was? Du kleiner Perversling!“

Sie begann, ihm mehrfach in die Seite zu zwicken und zu kitzeln, bis er sich nicht mehr zurück halten konnte und vor lachen laut los brüllte und beinahe, sich kugelnd, von der Kaimauer fiel.

Astrid lachte mit und ließ ihm dann die Chance, sich zu revanchieren, bis beide, völlig außer Atmen, aneinander angelehnt auf dem Boden saßen und nach Luft rangen.

„Das... war nötig!“ japste Hicks und Astrid stimmte ihm nickend zu.

„Komm, Rambo. Lass uns nach Hause gehen.“ sagte sie, stand auf und half ihm, auf die Beine zu kommen.

„Sollten wir nicht vorerst Fischbein aufsuchen, damit ich mich entschuldigen kann?“

„Bloß nicht!“ erwiderte sie und stemmte eine Hand in die Hüfte, „Es tut ihm sicherlich gut, wenn er erst einmal ein paar Tage Angst und Respekt vor dir hat. Dann überlegt er es sich das nächste mal zwei Mal, bevor er dir gegen's Bein pisst!“

Hicks verzog die Lippen wieder zu einem leichten Lächeln.

„Das macht nichts!“ sagte er, „Meine Prothese ist aus 'rostfreiem' Stahl!“

Nicht jeder sollte Singen...

„Stay close to me... Count one, two and three... Up in throug your sleeve... Busting throug the seam... Open your eyes and see – You'll see...“

Leise, dennoch mit wunderbarer Stimme sang Hicks vor sich hin, während er mit flinken Füßen durch die Küche eilte, Gemüse in einer Pfanne anbriet und zeitgleich ein wenig, zartes Fleisch auf der Arbeitsfläche vor würzte. Wasser brodelte in einem Top, das Gemüse zischte, als er den Inhalt der Pfanne kurz mit einem Kochlöffel umrührte, bevor er sich weiter ans würzen machte.

Schon als kleiner Junge hatte er seiner Mutter steht's in der Küche geholfen, bis er schließlich selbst das Essen übernehmen und somit Valka etwas Arbeit im Haushalt abnehmen konnte. Kochen hatte sich zu einer interessanten Leidenschaft entwickelt. Es war ähnlich wie das entwerfen und Erfinden seiner vielen, kleinen Gerätschaften. Es war die Herausforderung aus wenig etwas zu machen, dass dennoch jedem gefiel oder besonders nützlich war. Beim Kochen musste es halt nur jedem Schmecken.

Haudrauf hatte seine Küche erst zu schätzen gewusst, nachdem Valka starb. Davor hatte er steht's in dem Glauben am Esstisch gesessen, das Mittagessen wäre von seiner Frau gemacht worden.

„Bist du bald fertig, Astrid?“ rief er von der Küche aus die Treppe hinauf zum zweiten Badezimmer des Hauses, das inzwischen nur noch von Hicks genutzt wurde, während sein Vater das im Erdgeschoss nutzte. Von seiner Freundin kam jedoch keine Antwort. Stattdessen konnte er immer noch die Dusche Rauschen und Astrid singen hören. Und bei ihrer schiefen Tonlage musste er grinsen. Vier Jahre Pubertät und sie traf immer noch nicht die richtigen Töne.

„Dafür traf sie meine sehr gut!“ dachte er und wurde ein wenig Rot, bevor er zurück in die Küche eilte, als er merkte, dass das Wasser im Kochtopf am überkochen war.
 

Astrid hatte unter dem heißen Wasser der Dusche völlig die Zeit vergessen. Nichts tat sie lieber, als unter der Dusche zu stehen. Nur ein heißes Schaumbad konnte das noch toppen, doch sie hatte Hicks versprochen, nach einer raschen Dusche ihm beim Kochen zu helfen.

In der Fensterbank stand ein altes Radio, knisternd dröhnte aus dem verstaubten Lautsprecher der Song „Angel with a Shotgun“ von Cab und Astrid hatte ihre Shampooflasche in die Hand genommen, es vor ihre Lippen gehalten und angefangen, zum Lied mit zu singen.

„I'm an angel with a shotgun... Fighting 'til the war's won... I'dont care if heaven won't take me back... I'll throw away my faith, babe... Just to keep you safe... Don't you know, you're everything I have?“

Völlig von der Musik gepackt hüpfte sie leicht auf der Badematte hin und her, bevor sie sich kurz aus dem Rhythmus reißen konnte, um ihre Haare zu waschen. Doch stehts waren ihre Lippen weiterhin in Bewegung und sie grölte aus vollen Hals weiter.

„Sometimes you win... You've got to sin... Don't mean I'm not a believer... And Major Tom... Will sing along... Yeah, they still say, I'm a dreamer...“

Plötzlich klopfte es an der Badezimmertür und Astrid ließ vor Schreck die Shampooflasche fallen und gab selbst ein kurzes kreischen von sich.

„Astrid? Alles okay?“ drang gedämpft Hicks stimme zu ihr durch. Astrid steckte den Kopf zwischen dem Duschvorhang hindurch und schaute, peinlich berührt, zur Tür.

„J-ja, Hicks. Alles super. Was... was gibt’s denn?“ rief sie zurück. Zum ersten Mal war sie froh darüber, dass sie und Hicks in ihrer Beziehung noch völlig am Anfang standen und er jetzt nicht mit ihr im Badezimmer stand.

„Obwohl... es doch ziemlich heiß wäre, wenn er mit mir unter der Dusche stände... seine Prothese ist ja rostfrei... Gott, Astrid. Was denkst du da schon wieder!“

Sie schlug sich die flache Hand gegen die Stirn und vertrieb mit einem Kopfschütteln die falschen Gedanken.

„Ich wollte nur sichergehen, dass du die Zeit nicht vergisst. Das Essen ist gleich fertig.“ hörte sie ihn sagen, dann hörte sie Schritte, welche die Treppe hinab stiegen.

Sofort drehte Astrid das Radio leiser, duschte rasch zu ende und sprang dann förmlich aus der Dusche, um sich zu trocknen und neu anzukleiden. Bevor sie zurück zum Haus der Haddocks gingen, hatte Astrid bei ihrer Mutter einige Dinge geholt.

Und mit einigen Dingen waren alle gemeint. Fix waren die Koffer wieder gepackt, im Auto verladen und Helga ein Kuss auf die Wange gedrückt, schon hatte Astrid auch schon ihr Auto vor dem Haddock-Anwesen geparkt und ihren gesamten Kram zu Hicks ins Zimmer gestellt.

Es war ihr Vorschlag gewesen, dass Astrid die ganzen Ferien bei ihm verbringen würde. Zwar hatte er sich zunächst dagegen gesträubt, doch Astrid hatte ihren Freund schnell um den Finger gewickelt und überredet.
 

Noch mit etwas feuchtem, offenem Haar trat sie in die Küche, wo Hicks bereits den Tisch gedeckt hatte und begann, das Essen auf zwei Tellern zu servieren. Der Duft einer deftigen Mahlzeit stieg ihr in die Nase und sofort lief in ihrem Mund das Wasser zusammen.

„Oh Hicks, das riecht wunderbar. Und es sieht alles so... toll aus!“ sagte sie und überblickte den Tisch.

„Danke... es ist nichts besonderes. Nur das, was ich aus dem bisschen machen konnte, was ich noch im Kühlschrank fand. Offenbar hat Dad wieder mal vergessen, einkaufen zu gehen.“

Er blieb bescheiden doch man sah ihm an, wie sehr er sich über das Kompliment seitens Astrid freute. Beide setzten sich und begannen zu essen.

Als Astrid das zart gebratene Fleisch probierte und spürte, wie es auf ihrer Zunge förmlich zerfiel und dabei sein ganzes Aroma frei ließ, wäre sie beinahe mit einem lustvollen Stöhnen vom Stuhl gerutscht. Noch nie zuvor hatte sie etwas so Gutes gegessen und dabei hatte sie mit ihrem Vater einige gute Restaurants in London besucht.

„Hicks, dass ist... oh Hicks. Hicks, das ist einfach... oha, Hicks!“

Sie brachte einfach nicht die richtigen Worte zu standen, stattdessen stammelte sie immer wieder nur seinen Namen und versuchte einen Satz zu beginnen.

„Ich nehm mal an, es schmeckt dir!“ vermutete der braunhaarige Junge, leicht irritiert von der Reaktion seiner Freundin.

„Mir schmecken? Ich könnte mich reinlegen! Wie machst du das, ich meine... wie nur? Wenn ich mich selbst in die Küche stelle, endet es immer im Chaos. Erinnerst du dich an den Weihnachtspunsch, den ich zu unserem letzten, gemeinsamen Weihnachtsfest gemacht hatte?“

Hicks verzog bei der Erinnerung das Gesicht: „Du meinst... urghs... deinen Reierflipp? Soweit ich weiß saß Rotzbacke den ganzen Abend weinend in der Ecke, weil er einen ganzen Krug davon geleert hatte.“

Astrid nickte, dann lachte sie und ließ Gabel und Messer fallen.

„Hihi... ja, das war königlich. Ich werde diesen Anblick nie vergessen. Was meinst du, sollte ich ihm bald mal wieder einen untermischen, sein Gesichtsausdruck fotografieren und im Internet posten?“

Bei dem Gedanken musste Hicks selbst kichern: „Ja, aber stell es dann noch nicht rein. Nutze es lieber als Druckmittel um Rotzbacke schön an der kurzen Leine zu halten!“
 

Die Teller waren schnell geleert, die Reste ordentlich verpackt und für Haudrauf für später in den Kühlschrank gestellt. Dann hatte sich Hicks, der von der ganzen Arbeit müde wurde, auf die Couch im Wohnzimmer gelegt, sein gesundes Bein zu Boden, die Prothese auf der Armlehne abgelegt. Astrid lag dicht neben ihm, den Kopf auf seiner Brust.

„Was machen deine Schmerzen?“ fragte sie leise, um die Ruhe, die ins Haus eingekehrt war, nicht zu sehr zu stören.

„Die Vicodin wirken noch. Ich werde die nächsten Stunden meine Ruhe haben, Astrid!“ antwortete er flüsternd, während ihm schon die Augen zu fielen. Astrid hob den Kopf und warf ihm einen besorgten Blick zu, wurde aber dann von ihrem Handy abgelenkt, das aufgeregt auf dem Wohnzimmertisch zu vibrieren begann.

Sie griff nach dem Unruhestifter, öffnete die Tastatursperre und blickte dann auf das leuchtende Display.

„Ich hab eine SMS von Raffnuss!“ sagte sie überrascht. Hicks öffnete wieder die Augen und blickte ebenfalls auf.

„Was will sie?“ fragte er.

Astrid öffnete die Nachricht und las dann vor:
 

„Astrid, komm heute Abend um 8pm zu Grobians Bar. Wir schmeißen eine Party. LG Raffnuss“
 

Kurz blickte Astrid auf die digitale Uhr in der oberen Ecke ihres Displays. Es war 18:27 Uhr.

Dann wand sie sich an Hicks, der mit einem vielsagendem Blick zurück blickte. Sie seufzte darauf.

„Komm schon Hicks. Das wäre genau das richtige für dich, um zurück ins Leben zu finden.“

Doch er schüttelte den Kopf.

„Nein Astrid. Eine Party ist jetzt das Letzte, zu der ich gehen möchte. Aber geh du ruhig.“ sagte er und legte den Kopf wieder auf dem Sofa ab.

Astrid wollte gerade widersprechen, als ihr Handy erneut vibrierte. Wieder eine Nachricht von Raffnuss.
 

„Ay, Astrid. Stimmt es, dass Hicks Fischbein die Nase gebrochen hat? Voll Cool!“
 

„Hicks bitte. Alle werden da sein. Raffnuss, Taffnus, Rotzbacke, Fischbein und sogar Grobian. Ich möchte ungern allein dort auftauchen, bitte. Tu es für mich!“ sie drückte ihm einen Kuss auf die Lippen, doch er schüttelte den Kopf und setzte sich dann auf, wobei Astrid zur Seite weg rutschen musste.

„Tut mir leid... aber ich will da nicht hin. Es geht nicht um Raffnuss oder Grobian... aber ich will nicht vor die anderen treten. Ganz besonders nicht vor Fischbein. Nicht nach dem, was heute morgen passiert ist!“

„Aber Hicks, wir könnten das doch endlich aus der Welt schaffen.“

„Ich sagte nein!“

Sie zuckte unter seinen scharfen Worten zurück, erschrocken über die plötzliche Wut in seiner Stimme und der Härte seiner Mimik. Doch rasch zerfiel die starre Maske und Hicks seufzte. Er ergriff ihre Hand und legte seine Lippen gegen ihren Handrücken, bevor er weiter sprach: „Es tut mir leid, Astrid. Ich wollte dich nicht anfahren. Du... warst bisher immer so gut zu mir, du hast mir geholfen und standest an meiner Seite. Selbst, als ich nicht mehr ich selbst war und dieser andere Hicks Fischbein verletzt hat. Ich weiß wirklich nicht, womit ich ein so gütiges Wesen wie dich als meine Freundin verdient habe. Aber bitte, dränge mich nicht. Seit dem du da bist habe ich so viele, schnelle Schritte gemacht, dass ich Angst habe zu stolpern.“

„Oh Hicks!“

„Geh allein zu dieser Party. Treff dich mit deinen Freunden und habe Spaß. Vergiss die Sorgen, die du mit mir hast und amüsiere dich. Ich werde einfach zu Ohnezahn gehen und ihm noch ein wenig Gesellschaft leisten. Dann war er heute nicht den ganzen Tag über allein.“

Er schenkte ihr ein aufmunterndes Lächeln und Astrid konnte nicht anders, als zurück zu lächeln.

„Bist du sicher?“ fragte sie dennoch noch einmal nach.

„Ja, bin ich. Nun geh, mach dich fertig!“
 

Sie zögerte noch eine weile, doch dann gab sie den versuch auf, ihn vielleicht doch noch davon zu überzeugen, mit ihr mit zu kommen und sie eilte hinauf, um sich in Ruhe in einige hübsche leider zu zwängen. Aufgebretzelt und leicht geschminkt kam sie dann zurück ins Wohnzimmer. Hicks lag immer noch auf der Couch und war schon halb am schlafen, als sie seine Stirn anschnippte und ihn wieder weckte.

„Und... wie sehe ich aus?“ fragte sie und drehte sich einmal um die eigene Achse. Hicks beäugte sie vom Kopf bis Fuß, bis er den Kopf fragend schief legte.

„Wozu das Make-Up?“

„Warum nicht?“ fragte Astrid zurück.

Darauf zuckte Hicks mit den Schultern: „Dein Gesicht ist auf seine natürliche Art und weise wunderschön und perfekt. Make-Up, egal wie teuer oder exquisite es ist, würde dich in einem weniger schöneren Licht zeigen!“ sagte er, immer noch halb schlafend.

Astrid fasste sich ans Herz und fast hätte sie sich auf Hicks gestürzt. Stattdessen ging sie vor ihm in die Hocke, legte seinen Kopf zwischen ihre Hände und versiegelte seine Lippen mit ihren. Doch dieses Mal wollte sie mehr und ehe sich Hicks versah, hatte sie ihre Zunge zwischen seine Lippen geschoben und erkundete mit ihr seine Mundhöhle, bis sie seine Zunge fand und sich an sie schmiegte. Hicks, völlig überrumpelt, gab ein gedämpftes Stöhnen von sich und er wollte erst zurück schrecken, doch Astrid hatte ihn fest im Griff. Ihr völlig ergeben und übermannt von den Gefühlen, die der Zungenkuss in ihm auslöste, schloss er die Augen, während sich sein restlicher Körper ihr leicht entgegen streckte.

Erst nach einer ganzen Minute löste sie sich von ihm und wischte sich eine kleine Spur Speichel aus dem Mundwinkel. Hicks blieb, schwer atmend und rot angelaufen liegen und sah sie geschockt, als auch verlangend an.

„Bis später!“ flüsterte sie ihm darauf noch ins Ohr, wobei sein Hörorgan fast von ihren Lippen berührt wurde und ihn noch mehr in Ekstase versetzte. Dann stand sie auf, zwinkerte noch einmal und ging dann...

Mambo, Cha-Cha-Cha und... ach ich bin zu alt für diesen Sch**ß

„Okay Ohnezahn, und jetzt probieren wir noch einmal die Rolle. Und los!“

Hicks entspannte seinen linke Fuß, um die Schwanzsteuerung erneut zu betätigen und seinem Drachen die Möglichkeit zu geben, sich bei steigender Höhe um die eigene Achse zu drehen. Auf diese Weise schossen sie durch eine Wolke und ließe sie auseinander treiben, bis Hicks den Flug wieder stabilisierte, Ohnezahn die Flügel ausbreitete und sie sanft zwischen dem Wolkenmeer und dem Sternenhimmel hindurch glitten. Hicks ließ dabei die Handschlaufen des Sattels los und lehnte sich ein wenig nach hinten. Dann schloss er die Augen.

Der frische Zugwind rauschte in seinen Ohren, zerzauste sein Haar und kühlte sein Gesicht ab, doch gleichzeitig fühlte er sich richtig wohl dabei und nahm dafür gern die Gefahr einer folgende Erkältung in Kauf.

Auch Ohnezahn schien den Flug zu genießen, doch jedes Mal warf der Drache einen besorgten Blick zu seinem Reiter, bis er schließlich genug vom Warten hatte. Hicks hatte etwas auf dem Herzen und nun musste er ihm nur noch deutlich machen, dass er ihn erst wieder runter lassen würde, wenn er es ihm sagen würde.

„Na gut, mein Freund. Fliegen wir wieder zurück, einverstanden?“

Er trat in den mechanischen Steigbügel und wollte Ohnezahn zum Sinkflug verhelfen, doch der blieb weiterhin auf Kurs in Richtung Horizont. Die Augen halb geschlossen machte er keine Anstalt, dem Wunsch seines Reiters Folge zu leisten.

„Was ist denn jetzt los? Ohnezahn, was hast du?“

Immer wieder trat Hicks in den Steigbügel und versuchte mit der Nachjustierung der Schwanzflosse Ohnezahn zum Landen zu bewegen. Doch der Drache blieb stur.

„Okay, Ohnezahn. Das ist jetzt nicht mehr witzig, bring mich runter! Aaaah!“

Mit seinem linken Schuppenzipfel verpasste der Drache seinem Reiter einen Schlag gegen die Wange, dann blies er eine kleine Rauchwolke aus.

„Ohnezahn, warum hast du das gemacht? Was soll das?“

Doch der Drache antwortete nicht. Wie auch?

„Na schön, Ohnezahn. Was willst du? Bist du sauer, weil ich heute erst so spät zu dir ins Tal gekommen bin?“

Der Drache schüttelte den Kopf.

„Weil ich dir keinen Isländischen Fisch mitgebracht habe?“

Wieder ein Kopfschütteln.

„Habe ich irgendetwas getan, was dich verärgert hat?“

Dieses Mal fügte Ohnezahn zum Kopfschütteln noch eine Rauchwolke hinzu, als ob er damit etwas signalisieren wollte. Hicks legte die Stirn in Falten und dachte schärfer nach.

„Hab ich... irgendetwas nicht getan?“ fragte er und kassierte damit das erste Nicken in dieser heiteren Raterunde.

„Hab ich vergessen dir was mitzubringen?“

Kopfschütteln.

„Hab ich vergessen, dir zu sagen wie schön poliert deine Schuppen sind?“

Kopfschütteln und ein erneuter Schlag gegen die Wange.

„Autsch, okay. Mit Schmeicheleien krieg ich dich also nicht rum, schon verstanden!“

Er rieb sich die rot angelaufene Wange und suchte dann wieder nach Fragen, die er seinem Drachen stellen konnte. Dann aber, Achtung Wortspiel, fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. Als er seinen Fehler erkannt hatte, schlug seine Stimmung schlagartig von genervt in traurig über und Ohnezahn schien das, ohne dass der Drache ihn ansehen musste, war zu nehmen.

„Ich spreche für gewöhnlich mit dir, wenn mich was bedrückt. Ach Ohnezahn, inzwischen liest du mich wie ein offenes Buch. Tut mir leid mein Freund, dass ich dir nicht schon

früher gesagt habe, was dieses Mal mit mir los ist. Vermutlich dachte ich, dass du deine Probleme langsam leid wärst!“

Der Drache drehte ihm den Kopf zu und sah ihn eindringend mit seinen großen Augen an. Hicks wusste, was er ihm sagen wollte: „Ich will immer wissen, was dich bedrückt!“

„Ach Ohnezahn, ich weiß gar nicht, wie ich anfangen soll. Astrid ist heute zu dieser Party eingeladen und sie bat mich, dass ich mit ihr mitgehe. Aber ich habe nein gesagt, weil ich mich nicht traue, vor Fischbein, Rotzbacke und Taffnuss zu treten. Und ich schätze, ich habe Astrid enttäuscht. Seit sie hier ist, war sie nur um mich besorgt und hat sie um mich gekümmert. Und ich enttäusche sie dafür. Super Hicks, ganz große Einzelleistung!“

Ohnezahn gab ein mitfühlendes Raunen von sich, dann warf er seinem Reiter einen liebevollen Blick zu und sofort heiterte sich Hicks Miene auf.

„Ich wünschte, ich könnte es ihr irgendwie wieder gut machen. Aber sieh mich doch an. Was kann ich schon großes Leisten? Ich bin weniger als der Durchschnitt, ich sehe nicht besonders aus und zudem bin ich ein Vicodin-Süchtiger Krüppel, mit einer immer größer werdenden Tendenz zu Gewaltausbrüchen. Du hättest mich heute Morgen erleben sollen, Ohnezahn, als ich Fischbein die Nase brach. So viel... Blut. Ich wusste gar nicht, dass der Menschliche Körper so viel von diesem roten zeug durch die Nase verlieren kann. Ein schöner Anblick war das nicht, dass kann ich dir sagen!“

Ohnezahn antwortete nicht, sondern warf ihm wieder einen seiner stummen aber intensiven Blicke zu.

„Was?“ fragte Hicks, rollte aber sogleich mit den Augen. Drachen können ja nicht sprechen. Also musste er wieder raten.

„Soll ich etwa doch zu der Party gehen?“

Ohnezahn nickte.

„Hast du mir überhaupt zugehört? Es werden alle da sein. Alle. Ich... ich will das nicht!“ er schlang die Arme um sich und schaute weg. Sofort wirkte er wieder klein und verletzlich. Also, noch kleiner.

Ohnezahn seufzte, dann setzte er endlich zum Sinkflug an und schon bald hatten sie wieder festen Boden unter den Füßen. Doch Ohnezah blieb dabei, seinen Reiter eindringlich anzustarren, bis Hicks schließlich seufzend nachgab.

„Also... also gut. Ich geh hin. Zufrieden? Aber bei dem ersten Anzeichen von Problemen bin ich raus!“

Ohnezahn nickte, mit sich und der Welt zufrieden. Er stupste seinen Freund und Reiter ein letztes Mal gegen die Wange, dann trottete er zurück in seine Höhle.
 

Astrid Hofferson hätte nie gedacht, dass ihr einmal der Wunsch kommen würde, sich maßlos zu betrinken, damit sie den Abend so schnell wie möglich vergessen konnte.

Als sie Grobians Kneipe erreichte und sogleich von so lauter Musik begrüßt wurde, dass ihr fast das Trommelfell platzte, sah sie zu ihrem Erstaunen nicht nur Raffnuss, Taffnuss, Fischbein und Rotzbacke, sondern auch andere Kameraden aus der Schule, allen voran ein schwarzhaariges Mädchen namens Heather.

„Wer hat die denn eingeladen?“ fragte Heather sofort mürrisch, als sie Astrid in der Tür stehen sah.

Sofort traten die beiden Mädchen aufeinander zu und die Spannung im Raum war zum bersten, bevor Raffnuss dazwischen ging und sie voneinander trennte.

„Ich hab sie eingeladen. Also mecker nicht und geh wieder zu deiner Clique!“ sagte die Ältere. Heather warf Raffnuss einen enttäuschten, Astrid einen angewiderten Blick zu, bevor sie, die Arme vor der Brust verschränkt zurück zu ihren Freunden ging.

Astrid entspannte sich sofort wieder und blies die angestaute Wut aus, bevor sie sich ihren eigenen Freunden zu wand.

„Irre ich mich, oder hat sie was mit ihren Brüsten machen lassen?“ fragte sie sofort herablassend und deutete auf ihre eigenen, um ihre Frage besser zu unterstreichen. Raffnuss zuckte mit den Schultern. Dann antwortete Taffnuss ihr: „so weit ich weiß, hat sie sich die Möpse vergrößern lassen, um Hicks schöne Augen zu machen. Ist aber voll nach hinten losgegangen!“

Nun wurde Astrid neugierig: „Ach ja, wieso?“

„Als sie ihn drauf ansprach, sagte er nur, dass sie unsymmetrisch seien und das ziemlich... krank sei. Dann hat er sie im Flur vor den Klassenräumen stehen gelassen und auch sonst bis zu seiner Freistellung von der Schule ignoriert!“

Astrid musste sofort breit grinsen und sie blickte über die Schulter zu Heather, die ihren Blick bemerkte und giftig zurück sah. Vielleicht würde der Abend ja doch noch lustig werden.
 

Die Zeit verging, Getränke wurden verteilt, die Musik wechselte immer wieder von einem schnellen Song zu einem noch schnelleren und als Rotzbacke sein viertes und Astrid ihr zweites Bier geleert hatten, stand der dunkelhaarige Junge auf, richtete seine Frisur und trat voller Selbstbewusstsein an Astrid heran.

„Meine Liebe, darf ich sie zu einem Tanz auffordern?“ fragte er mit geschwollener Stimme und zunächst musste Astrid ihn perplex ansehen, bevor sie zu lachen begann. Rotzbacke lachte mit, auch wenn er ganz offensichtlich nicht wusste, warum.

„Du... du willst tanzen? Du weißt, wie das geht?“ fragte sie unglaubwürdig und atmete erst einmal tief durch. Eine Stimme in ihrem Kopf sagte ihr, dass sie das unter keinen Umständen verpassen durfte, als nickte sie.

„Na gut, tanzen wir. Zeig mal, was du drauf hast!“

Sie gingen in die Mitte, skeptisch und neugierig beäugt von den anderen Party-Gästen und auf ein Zeichen Rotzbackes hin, wechselte Grobian zu einem langsameren Lied.

Nun hatte Rotzbacke Probleme damit, zu wissen, wohin mit seinen Händen, bis Astrid sie genervt an ihre Taille und Schulter führte und sie das gleich bei ihm tat.

„Augen nach oben!“ ermahnte sie ihn, als sie bemerkte, wie er unkontrolliert auf ihren Ausschnitt starrte.

„Sorry!“ murmelte Rotzbacke nur und schon ging es auch schon los.

Astrid wollte nicht sagen, dass Rotzbacke nicht tanzen konnte, aber schon nach wenigen Minuten schmerzten ihre Füße, weil ihr Tanzpartner so ungeschickt war und ihr immer auf die Füße trat.

„Ich dachte, du kannst tanzen?“

„Kann ich auch. Ist doch nicht meine Schuld, wenn du nicht weißt, wo du deine Füße hinbewegen sollst.“

Darauf drückte Astrid ihre Hand an seiner Schulter fest zu, sodass der Junge vor Schmerzen das Gesicht verzog und in die Knie ging.

„Was hast du gesagt?“ fragte sie ihn. Ihre Hand ließ nicht von seiner Schulter los und schon mal schlug Rotzbacke mit der Faust immer wieder auf den Boden und bettelte um Vergebung. Die Jugendlichen, die das ganze Treiben beobachtet hatten, begannen zu lachen und auch Grobian konnte das ein oder andere Kichern nicht zurück halten.

„Schon gut… schon gut, es tut mir leid. Es tut mir leid!“

Er war den Tränen nah, bis Astrid sich mit einem bösen Grinsen dann doch erbarmte und ihn los ließ. Sofort rutschte Rotzbacke von ihr weg, rieb sich die schmerzende Schulter und verschwand in der Menschenmenge. Nun stand Astrid allein auf der Tanzfläche und sie stemmte siegessicher eine Hand in die Hüfte.

Sie bemerkte nicht, wie es schlagartig im Raum, abgesehen von der Musik, still wurde. Die Party-Gäste blickten alle zur Tür und bestaunten mit Ehrfurcht, und Fischbein mit Schrecken, das Eintreffen eines Neuankömmlings, der jedoch die Blicke der anderen mied und wortlos zur Mitte trat, um sich hinter Astrid zu stellen. Dann tippte er ihr leicht auf die Schulter.

„Darf ich… um den nächsten Tanz bitten?“

Beim Klang von Hicks Stimme schloss Astrid erst einen Moment die Augen, atmete tief durch und drehte sich dann mit einem freudigen Lächeln um.

„Hicks. Du bist doch gekommen?“

Freudig schlang sie ihre Arme um den Hals ihres Freundes und zog ihn fest an sich. In diesem Moment waren ihr die Blicke der anderen egal.

„Das ist Hicks!“

„Hicks Haddock…“

„…der die Schule verlassen hat?“

„Wie gut er aussieht…“

„…eine Prothese als Bein. Aus Stahl!“

Nun wurde ihr das Getuschel jedoch zu viel und nachdem sie einen wütenden Blick durch die Runde schmiss und damit die meisten zum Schweigen brachte, wollte sie Hicks mit sich aus dem Mittelpunkt ziehen.

Hicks ließ sie aber nicht. Stattdessen zog er sie wieder zu sich.

„Hicks?“

„Ich hatte um einen Tanz gebeten, richtig?“

Astrid, erst noch verblüfft von seiner Frage, lächelte wieder und ergriff dann eine Hand von ihm, während die andere seine Schulter umfasste. Hicks ging ebenfalls in Position und beide wandten sich an Grobian, der darauf sofort ein neues Lied abspielen ließ. Ein Klavier begann zu erklingen und kurz darauf begannen Hicks und Astrid ihren langsam Tanz.
 

Make my wish come true, let darkness slip aside!

Hiding all our Hope, mocking what we treasure!

Battles we can win, if we believe our souls!

Hang in for the light, till down!
 

“Was hat dich umgestimmt, doch her zu kommen?” fragte Astrid leise.

Hicks zuckte leicht mit den Schultern und er schien sich zunächst vor einer Antwort zu sträuben.

„Sagen wir… ein gemeinsamer Freund hat mir den richtigen Weg gewiesen. Er erkannte meine Sehnsucht nach dir und hat ein wenig nachgeholfen“

Astrid kicherte leicht, und sie merkte sich im stillen, Ohnezahn dafür mit einem großen Fisch zu danken.
 

Fate will not leave you, hate will not heal you!

Pray and one day, peace shall flow…

…everywhere!
 

Das Licht wurde gedämpft, nur noch eine Lampe schien voller Kraft und ließ das tanzende Paar aus der Menge hervorheben. Zeitgleich ließ es die anderen im Schatten verschwinden, sodass Hicks nur noch Astrid, und Astrid nur noch Hicks wahrnehmen konnte. Sie tanzten weiter, drehten sich mit jedem Schritt ein wenig mehr im Kreis und lehnten sich dabei immer enger aneinander, bis ihr Kopf auf seiner Schulter ruhte.
 

Make my wish come true, let darkness slip aside!

Hiding all our Hope, mocking what we treasure!

Battles we can win, if we believe our souls!

Hang in for the light, till down!
 

„Danke!” flüsterte er leise und Astrid, die die Augen bereits geschlossen hatte, blickte auf.

„Wofür bedankst du dich?“ fragte sie leise.

„Für alles. Für das hier. Dafür, dass du da bist und mich nicht wie einen Anker der finsteren See überlässt!“

Darauf legte Astrid ihm die Hände an die Wangen, zog ihn zu sich und küsste ihn!
 

Fate will not leave you, hate will not heal you!

Pray and one day, peace shall flow…

…everywhere!

Heather, diese miese.... >.<

Schlagartig fühlte sich Hicks zurück an die unangenehme Zeit im Klassenzimmer zurück versetzt, als er zwischen Astrid und Raffnuss und gegenüber von Taffnuss, Fischbein und Rotzbacke an einem Tisch saß, jeder ein Glas oder eine Flasche vor sich stehend. Von allen Seiten spürte er die Blicke der anderen. Einige warfen ihm verstohlene, kurze Blicke zu, andere starrten ihn direkt ohne jegliches Schamgefühl an und jeder von ihnen versuchte einen Blick auf sein falsches Bein zu erhaschen. Hicks konnte nicht kontrollieren, wie seine Hand immer wieder zu seinem Knie wanderte und er seinen Stumpf durch den Stoff der Hose leicht massierte, als würde das die durch das viele Vicodin abgeschwächten Schmerzen endgültig vertreiben.

Doch er riss sich zusammen und versuchte so gut es ging die Blicke zu ignorieren. Es war ja nur ein Abend und er tat dies für Astrid.

Er richtete seinen Blick nach vorne und erwischte sofort Fischbein, der, fast schon ängstlich, ihn angestarrt hatte. Sofort zuckte Fischbein bei dem Blickkontakt zusammen und er wand sich ab, warf aber immer wieder verstohlene Blicke zu seinem ehemaligen Freund. Hicks selbst ließ sich weder Wut noch Freude anmerken und blickte ihn einfach emotionslos an.

„Sieht aus, als sei deine Nase wieder verheilt!“ erklang Astrids Stimme neben ihm.

Fischbein atmete erleichtert auf, dass Astrid seine Aufmerksamkeit auf sich zog und er damit nicht mehr gezwungen war, irgendwie Hicks Blick auszuweichen.

„J-Ja... tut schon gar nicht mehr weh, wen ich drauf drücke. Aber... ich hatte den Schlag auch verdient... hab mich wie ein Idiot aufgeführt!“

Vorsichtig suchte er darauf Hicks Gesicht nach irgendeiner Regung ab, doch der verzog nicht einmal einen Mundwinkel.

Rotzbacke war der nächste, der die Stimme erhob und somit alle Aufmerksamkeit auf sich lenkte: „Ich kann immer noch nicht glauben, dass du dich von diesem Hungerhaken hast schlagen lassen. Und dann noch die Nase gebrochen, ernsthaft Fischbein, reiß dich das nächste mal zusammen und sei ein Mann. Bei mir hätte er das nie geschafft!“

Hicks ignorierte die Aussage seines Cousins, stattdessen begann er, leise zu zählen.

„3... 2... 1...!“

Kurz darauf hörte man Bewegung unter dem Tisch und schon lag Rotzbacke fluchend und wimmernd am Boden. Astrid hatte ihm einen Tritt zwischen die Beine versetzt... schon wieder.

Raffnuss und Taffnuss brachen in schaden freudiges Gelächter aus und Astrid grinste ihren Freund siegessicher an, der als Reaktion anerkennend zurück lächelte.

„Also. Ihr beide habt nun endlich zueinander gefunden. Das wurde aber auch Zeit!“ zufrieden verschränkte Raffnuss die Arme vor der Brust, worauf sie von ihrem Bruder einen Schlag gegen die Schulter bekommen hatte.

„Gar nichts hast du gewusst!“

„Hab ich wohl!“

„Nein hast du nicht... warte mal... was hast du nicht gewusst?“

Während die Zwillinge sich in den Haaren hatten, lehnte sich Hicks sachte zu Astrid, um ihr besser zuflüstern zu können.

„Hast du dich auch schon mal gefragt, wer von den Beiden die treibende Kraft des Wahnsinns ist?“

„Eine Zeit lang dachte ich, es wäre Raffnuss. Aber wenn du sie allein antriffst ist sie eigentlich ganz okay!“ antwortete sie kichernd und hielt ihr Grinsen hinter ihrer Hand versteckt.

Rotzbacke hatte derweil seinen Stolz wiedergefunden und sich zurück an den Tisch gesetzt.

„Autsch... ich kann das immer noch nicht fassen. Astrid, meine Astrid, vergeben. Und das nicht an mich? Wessen Hundewelpen muss ich in meinem letzten Leben überfahren habe, dass ich das verdient habe? Astrid, sag es mir. Was hab ich falsch getan, dass du meine unendliche Liebe nicht erwiderst?“ fragte er, leicht theatralisch mit zu ihr ausgestrecktem Arm.

Astrid wich von seiner Hand zurück, leicht angewidert.

„Uh, lass mich überlegen. Alles?“

Rotzbacke fasste sich ans Herz, dann aber rutschte er zurück auf seinen Platz und warf einen abwertenden Blick zu Hicks.

„Aber jetzt mal ernsthaft, was findest du an ihm? Tut mir leid, das sagen zu müssen, Cousin, aber du bist nicht wirklich... männlich. An dir ist doch nichts dran. Jetzt sogar noch weniger!“

Alle verstummten, selbst die Zwillinge, als hätten sie sich gerade verhört. Als Rotzbacke die Blicke von 4 seiner Freunde auf sich spürte, bemerkte auch er, dass er einen Fehler gemacht hatte.

„Was hast du da gerade gesagt?“ fragte Astrid mit tödlicher Stimme und wäre sie Supergirl, hätte ihr Hitzeblick aus Rotzbacke längst ein verkohltes Häufchen Asche gebrannt.

„Ich ähm... also so war das jetzt auch nicht gemeint... was ich sagen wollte ist...

„Darf ich mal kurz!“

Rotzbacke verstummte und Astrid hielt in ihrer Bewegung, die Faust zu heben inne, als Hicks an Raffnuss vorbei ging und den Ausgang ansteuerte, de Kopf gesenkt, sodass seine braunen Strähnen sein Gesicht verdecken.

„Hicks!“ Astrid rief ihm nach, doch ihr Freund ging schnurstracks weiter und war dann schließlich durch die Tür verschwunden. Alle sahen ihm nach, selbst Grobian, der eigentlich nicht viel von der ganzen Situation mitbekommen hatte.

„Was'n mit dem Jungen nu' schon wieder?“ fragte er in die Runde, doch niemans konnte ihm antworten.

„JORGENSON!“

Astrids Stimme glich dem Donnern eines heran nahenden Gewitterts und Rotzbacke war bereits aufgesprungen und wich rücklings von Astrid zurück, die Hände zum Schutz erhoben.

„Bi-bitte beruhige dich, Astrid. Es... es sollte nur ein Spaß sein. Ein Witz. Es war nicht... böse gemeint!“

„HÄLST DU EIN VERLORENES BEIN FÜR EINEN SCHERZ? EINE BRÜLLER? ALS EIN ZIEL DEINER EH MIESEN WITZE?“

Alle im Raum zuckten bei jedem Wort, dass Astrid schrie zusammen, als würde sie selbst angeschrien werden. Rotzbacke hatte derweil das Ende der Fahnenstange erreicht, als er mit dem Rücken an der Wand stand.

Dann sah er auch schon den ersten Faustschlag auf sich zufliegen und er betete nur noch, dass man bis zu seiner baldigen Beerdigung alle seine Körperteile wieder gefunden hat.

Alle waren von dem Schauspiel wie gefesselt, außer Fischbein, der bemerkte wie Heather sich von ihrer Clique löste und Hicks nach draußen auf die Straße folgte.

„Oh oh!“
 

Es hatte wieder zu regnen begonnen. Hicks saß, angelehnt an der kalten Backsteinmauer, auf dem Boden der Seitengasse neben der Kneipe, die Kapuze seines Pullovers tief im Gesicht liegend und sein Bein entblößt, sodass seine Stahlprothese im Licht der schwachen Außenbeleuchtung funkelte.

„Das war ziemlich gemein, was?“

Hicks blickte auf, fest damit rechnend, eigentlich Astrid zu erblicken. Doch es war Heather, die schwarzhaarige Tochter von... ja von wem eigentlich? Heather war erst vor einigen Jahren nach Berk gezogen und eigentlich wusste er rein gar nichts über sie.

„Was willst du?“ fragte er müde, zeitgleich barsch. Obwohl er sich ein wenig darüber freute, dass man ihm gefolgt war, hätte er sich mehr gefreut, wenn die Person Astrid gewesen wäre. Nicht Heather.

„Dir Gesellschaft leisten. Deine Freundin ist ja mehr damit beschäftigt, deinen Cousin zu verprügeln, als dir nach zu laufen!“

Sie setzte sich an die Mauer ihm gegenüber, zog aber noch fix ihre Jacke über. Das es regnete und langsam ihr Make-Up verlief schien sie nicht zu stören, was Hicks verwunderte. Sonst legte das Mädchen immer sehr viel Wert auf ihr Äußeres.

Ihre Stimme hatte etwas abwertendes an sich, was Hicks ganz und gar nicht gefiel.

„Astrid tut das, was sie für richtig hält. Sie weiß, dass ich nicht ständig betüttelt werden will. Ich bin kein Kind mehr, Heather!“

„Aber du bist auch kein richtiger Mann mehr!“ entgegnete sie.

Verwundert und ärgerlich blickte er auf: „Was?“

Sofort hob Heather beschwichtigend die Hände.

„Versteh mich bitte nicht falsch, Hicks. Natürlich bist du ein Mann. Aber du musst verstehen, dass du mit deinem fehlendem Bein nicht mehr... normal bist. Jemand in deiner Situation sollte nicht auf sich allein gestellt werden. Was du brauchst, ist jemand, der rund um die Uhr für dich da ist, der sich um dich kümmert und dir dein Leben erleichtert!“

Hicks wusste nicht, wie er Heathers Aussage einordnen sollte. Machte sie sich über ihn lustig oder machte sie sich Sorgen? So oder so, Wut stieg in ihm auf und er hätte nicht gut Lust, sie ein wenig von seinen schmerzen spüren zu lassen. Erschrocken von solchen Ideen zog sich Hicks an der Mauer hoch auf die Füße. Heather folgte seinem Beispiel.

„Ich habe keine Ahnung, was du für eine Vorstellung von mir hast, Heater. Ja, ich bin ein Krüppel. Aber ich bin nicht so schwach und gebrechlich, dass ich auf die Hilfe anderer angewiesen bin. Merk dir das. Ich habe mein Leben bisher allein gemeistert, ich werde es auch wieder schaffen. Und wenn doch, dann bist du sicherlich die letzte Person auf dieser verfluchten Welt, die ich im Hilfe bitten würde.“

Er warf ihr einen letzten, verletzten Blick zu, dann schob er die Hände in die Jackentaschen und humpelte leicht zurück auf die Straße und von dannen. Heather sah ihm nach, bis er außer Sichtweite war. Dann erst verzog sich ihre Lippen zu einem süffisanten Lächeln.

„Na also, der Stein wäre ins Rollen gebracht. Jetzt muss ich die Saat nur noch hegen, damit ich in aller Ruhe meine Früchte sammeln kann!“

Oh je...

Seine Kleidung war durchnässt, sein Körper unterkühlt und seine Prothese gab bei jedem Schritt ein quietschendes Geräusch von sich. Offensichtlich hatte sich Wasser im künstlichen Fußgelenk gesammelt. Hicks wollte nun aber nicht großartig darüber nachdenken. Er war wütend, ihm war kalt und alles was er jetzt noch wollte waren trockene Klamotten, zwei Vicodin und ein warmes und gemütliches Bett.

Er schloss die Haustür hinter sich und schüttelte erst einmal den überschüssigen Regen von seinem Körper, bevor er die Treppe hinauf in den ersten Stock ansteuerte.

„Sohn?“

Als sein Fuß die erste Stufe betrat, hielt er beim Klang der Stimme seines Vaters inne, drehte sich aber nicht um, um Haudrauf in die Augen zu blicken.

„Vater?“

Haudrauf zuckte leicht zusammen. Sonst hatte Hicks ihn immer 'Dad' genannt. Vater hingegen klang so... distanziert.

„Ich, ähm, ich wollte fragen, ob du zu mir ins Wohnzimmer kommen möchtest? Ich hab Tee gekocht un' wir könnten uns mal wieder... na ja, unterhalten!“ begann er, seufzte aber, als er sah, wie Hicks Schultern herunter sackten.

„Vater, wir haben uns nie lange unterhalten. Warum also jetzt damit anfangen?“

Er sah ihn immer noch nicht an, blickte weiter stur die Treppe an.

„Es ist nie zu spät für'n Anfang!“

„Verzeih mir, Vater. Aber du erwischt mich gerade zu einem ziemlich schlechten Zeitpunkt. Lass uns ein andern Mal reden, 'kay?“

Er nahm die ersten Stufen, bevor Haudrauf's Stimme ihn wieder zurück hielt.

„Das sagst du immer, Sohn. Ich find', die Zeit ist jetzt genau perfekt. Bitte Hicks.“

Ein seufzen wahr zu vernehmen, dann wand Hicks seinen Blick seinem Vater zu.

„Ich zieh mich schnell um, dann komm ich.“

Haudraufs Miene erhellte sich und er nickte, bevor er zurück ins gemütlich beheizte Wohnzimmer ging und Hicks die Treppe empor stieg.
 

Fast 20 Minuten wartete Haudrauf darauf, dass sein Sohn zu ihm ins Wohnzimmer zurück kam und er begann sich schon zu fragen, ob Hicks ihn angelogen hatte, nur um endlich von ihm weg zu kommen. Er konnte es ein wenig verstehen und das machte den älteren Mann nur um so trauriger.

Doch dann hörte er Schritte und das leise Quietschen der Bein-Prothese, als Hicks die Treppe hinab kam und sich zu ihm ins Wohnzimmer gesellte. Er trug eine helle Trainingshose und ein T-Shirt. Mehr nicht. Im Schein des Kaminfeuers glänzte der stählerne Fuß, der unter dem Hosenbein hervor lugte, doch Haudrauf mied jede Blick zum künstlichen Körperteil seines Sohnes.

Hicks bemerkte dies, ließ es aber unkommentiert und setzte sich in den großen Ledersessel vorm Kaminfeuer. Haudrauf reichte ihm darauf eine Tasse mit heißem und dampfenden Tee, die Hicks leise dankend entgegen nahm.

„Also... danke mal wieder für dein köstliches Essen, Hicks!“ begann Haudrauf.

Sein Sohn nickte als Antwort und nippte an seinem Tee.

„Das Kochen scheint dir im Blut zu liegen. Deine Mutter...“

„Vater!“

Hicks mahnende Stimme ließ Haudrauf inne halten. Dann erinnerte er sich, dass Hicks noch nicht bereit war, mit ihm über Valka zu sprechen.

„Verzeih mir.“

Eine unbehagliche Stimme legte sich wieder über den Raum, nur das Knistern des Feuer war zu vernehmen. Hicks leerte seine Tasse, dann stellte er sie ab und erhob sich aus dem Sessel.

„Ich sollte jetzt gehen!“ sagte er knapp und wand sich in Richtung Tür.

Haudrauf stand ebenfalls auf und streckte sich nach der Schulter seines Sohnes: „Hicks, warte. Geh noch nicht!“

Hicks drehte sich wieder um und schlug die Hand bei Seite.

„Du willst also mit mir reden, ja? Nach fast 18 Jahren, die du mich hast ignoriert willst du jetzt reden? Hast du überhaupt eine leiseste Ahnung, wie verarscht ich mir vorkomme? Ich habe steht's versucht, in deinen Augen Anerkennung zu finden, habe mich abgemüht, damit du einmal sagen konntest, dass du stolz auf mich wärst. Seit meiner Einschulung habe ich alles gegeben um spitzen Noten nach Hause zu bringen, ich habe den größten Teil meiner Freizeit geopfert, dir und Mum bei allen möglichen Dingen zu helfen, sei es der Haushalt oder deine kräftezehrenden Wahlkampagnen. Ich habe gekocht, geschwitzt, geackert wie ein Verrückter... und du hast mich nicht einmal angesehen. Du siehst mich jetzt immer noch nicht an. Jedes Mal wenn wir uns zufällig begegnen, siehst du weg. Du sagst, dass es dir leid tue und du ein besserer Vater sein willst, aber ich sehe es. Der gleiche, enttäuschte Blick, den du auch vor meinem Unfall hattest. Du willst mir etwas Gutes tun? Dann sieh mich endlich an!“

Erschrocken von seiner Ansprache zog Haudrauf die Hand zurück.

„Hicks, ich...“

„Sieh mich an, Vater!“ rief Hicks erneut dazwischen.

Und dann endlich tat Haudrauf, was sein Sohn von ihm verlangte. Er hob den Blick und sah seinen Sohn direkt ins Gesicht. Dann besah er sich den Rest seines schmächtigen Körpers.

„Ich weiß, dass ich nicht der Sohn bin, den du dir gewünscht hast. Ich bin nicht besonders groß und auch nicht besonders stark. Aber ich kann mit recht behaupten, das ich genügend Grips habe, um das alles wieder auszugleichen. Mum hatte das erkannt und sie hatte mich so geliebt wie ich bin. Ich wünschte... ich wünschte, dass du das auch erkannt hättest!“

Er drehte sich wieder zum gehen um, blieb aber dann im Türrahmen noch einmal stehen.

„Verzeih mir, Vater. Ich bin mir sicher du hattest dir ein anderes Ende aus diesem Gespräch gewünscht. Aber... ich bin noch nicht bereit, dir zu vergeben. Noch nicht!“

Der letzte Satz war leise geflüstert, dennoch konnte Haudrauf ihn verstehen und als Hicks verschwunden war, wusste Haudrauf, dass die Hoffnung noch nicht verloren war. Er würde es bei Hicks wieder gut machen, schon bald. Er brauchte nur geduldig sein und seinem Sohn die Zeit lassen, die er brauchte.
 

Hicks wusste nicht, wie lange er schon in seinem Zimmer saß, gebeugt über seine Skizzen und Entwürfe und damit beschäftigt, einer neuen Idee Leben einzuhauchen, als jemand an sein Fenster klopfte und kurz darauf Astrid herein stieg.

„Hey!“ sagte sie knapp zur Begrüßung, dann schloss sie das Fenster hinter sich und blieb nervös vor Hicks stehen. Ihr Freund blickte nicht auf, sondern zeichnete weiter an seinem Entwurf, während Astrid langsam vor sich hin tropfte. Noch immer regnete es draußen und es sah auch nicht so aus, als würde es in den nächsten Stunden aufhören.

„Du solltest dich umziehen, du erkältest dich sonst noch!“ kam es von Hicks.

Astrid nickte, dann suchte sie sich ein paar trockene und bequeme Klamotten heraus und verschwand im Badezimmer.

Es dauerte nicht lang, da kam sie zurück, schmiss die nassen Klamotten in den Wäschekorb und setzte sich dann aufs Bett.

„Hicks, es... es tut mir leid. Glaub mir, ich habe nicht gewollt, dass die Party so für dich endet!“ begann sie.

„Mhmm!“ kam nur knapp die Antwort von Hicks zurück. Er machte immer noch keine Anstalt, sie anzusehen, geschweige denn, überhaupt einen Muskel zu bewegen.

„Fischbein hat mir erzählt, dass er gesehen hat, wie Heather dir gefolgt ist. Ist... alles in Ordnung?“

„Alles gut!“

Von mal zu mal fühlte sich Astrid unwohler. Irgendetwas stimmte nicht.

„Hat sie dir... irgendetwas getan? Soll ich mich morgen mal mit ihr unterhalten?“

Dann endlich eine Reaktion. Hicks hatte den Bleistift in seiner Hand in zwei Teile zerdrückt. Das obere Teil rollte über den schräg gestellten Schreibtisch zu Boden.

Hicks selbst drehte sich in seinem Stuhl zu seiner Freundin um.

„Wieso? Glaubst du etwa, dass ich nicht selbst mit Heather fertig geworden bin?“

Seine Stimme klang scharf und zurechtzuweisend. Astrid rutschte ein wenig auf dem Bettlaken von im weg.

„Nein, das wollte ich damit nicht sagen. Ich dachte nur, vielleicht...“

„Du dachtest, dass ich ohne Hilfe nicht einmal mit einem kleinen Mädchen fertig werde. Wahrscheinlich denkst du auch, dass ich immer eine helfende Hand brauche, weil ich nicht mehr in der Lage bin, irgendetwas allein fertig zu kriegen. Weil ich schwach bin!“

Astrid stockte in ihrem versuch, Hicks zu erklären, wie sie die Dinge sah, als er ihr ins Gesicht blaffte und für einen Moment fehlten ihr die Worte.

Hicks wand sich derweil wieder seiner Zeichnung zu.

„Jeder Mensch hat nur noch Mitleid mit mir übrig, alle halten sie mich für klein und schwach. Ich sehe es in ihre Augen, jeden Tag. Und du... ich dachte eigentlich, in dir etwas anderes gesehen zu haben, doch jetzt sehe ich den selben Blick auch bei dir. Vermutlich habe ich ihn vorher nicht wahrgenommen, weil ich so verliebt in dich bin. Aber du bist nicht anders. Sag mir, Astrid, liebst du mich nur aus Mitleid?“

Ein betretendes Schweigen hüllte die beiden ein, dann stand Astrid langsam auf und trat zu ihm an den Schreibtisch. Als Hicks sich zu ihr umdrehen wollte, wurde sein Gesicht sofort wieder zur Seite geschlagen und seine Wange lief rot an.

Astrid hatte ihn geschlagen und als er, betäubt vom Schmerz, die Augen wieder zu seiner Freundin richtete, sah er ihre Tränen und die Wut in ihren Augen.

„Wag es... wag es ja nicht, so eine Frage zu stellen, Hicks. Ich liebe dich nicht, weil du deine Mutter verloren hast oder jetzt ein Stahl-Bein trägt. Ich liebe dich um deinetwillen, weil du mein bester Freund und steht's für mich da warst. Du hast mir immer geholfen und jetzt... jetzt will ich dir helfen. Natürlich habe ich Mitleid mit dir. Sie nicht zu haben wäre falsch. Aber ich sah dich niemals als schwach, ganz im Gegenteil. Du bist der stärkste Mensch, den ich kennen gelernt habe, weil du die Kraft gefunden hast, weiter zu machen.

Also rede nicht so abfällig über meine Gefühle für dich.“

Sie schauten sich einen Moment lang in die Augen, dann stürmte Astrid durch nach draußen in den Flur und schlug die Tür hinter sich zu. Hicks zuckte bei dem Knall zusammen und blickte ihr dann nach, bevor er traurig den Kopf hängen ließ...

Echt versauter Inhalt... am besten nicht lesen >.<... ich sagte: nicht lesen!... ach, macht doch was ihr wollt!

Astrid konnte sich nicht erinnern, wann sie das letzte Mal so stark und so lang geweint hatte. Als ihre Eltern eines Abends zu ihr ins Zimmer kamen und ihr sagten, dass sie sich scheide lassen würden, hatte sie nur ein paar Tränen vergossen, jedoch auch ihre Beweggründe verstanden. Als sie schließlich von Hicks abschied nahm, kurz bevor sie zu ihrem Vater in den Wagen stieg, um nach London zu ziehen, hatte sie geweint, sich jedoch von ihm aufbauen lassen mit dem Versprechen, dass er ihr jeden Tag schreiben würde. Als ihre beste High-School Freundin die Schule wechseln musste, lagen sich beide Mädchen bitterlich weinend in den Armen doch nichts von dem war mit den Tränen zu vergleichen, die sie in der Nacht vergoss, als sie im Wohnzimmer auf dem Sofa lag, die Beine angezogen und eine Wolldecke eng um sich geschlungen.

Hicks Blick, enttäuscht, wütend, verletzt, blieb ihr in Erinnerung, was die ganze Situation nur noch schlimmer machte. Was war passiert? Der Tag hatte doch so gut angefangen. Sie glaubte, dass sie und Hicks einfach für einander geschaffen waren und das sie ihm helfen könnte, alles durchzustehen, was ihnen noch bevorstand, so wie sie mit seiner Hilfe gerechnet hatte.

Und nun das.

Ob sie Hicks etwas Zeit für sich lassen sollte? Nur so lange, bis er sich wieder ein gekriegt hatte.

„Tss, hör dich doch mal an, Astrid. Deine Beziehung mit Hicks ist erst zwei Tage alt und schon denkst du darüber nach, sie zu pausieren? Wegen eines dämlichen Streites?“ hörte sie eine Stimme in ihrem Kopf, die sie ziemlich stark an ihre eigene Erinnert.

Sie wischte sich wieder neue Tränen aus dem Gesicht, hielt dann aber inne, als sie Schritte vernahm. Und ein verräterisches Quietschen sagte ihr, dass es Hicks war, der langsam die Treppe hinunter kam.

Sie schloss die Augen, beruhigte ihren Atem und tat so, als würde sie schon schlafen. Sie konnte hören, wie er ins Wohnzimmer kam und sich ihr näherte.

Astrid versuchte ruhig zu bleiben, aber mit jedem Schritt, den sie vernahm schlug ihr Herz schneller.

Dann fühlte sie die Bewegungen, als Hicks sich auf das Sofa setzte. Nein, um genau zu sein, setzte er sich auf sie. Astrid lag auf dem Rücken und Hicks nun auf ihrem Schoß, die Beine links und rechts angewinkelt. Dann ergriff er ihre Hände und drückte sie fest.

„A-Astrid?“ seine heisere Stimme war nicht mehr als ein Flüstern, doch sie konnte heraus hören, dass er ebenfalls emotional wie sie am Boden lag.

„Es... es tut mir leid. Es tut mir so, so leid.“

Astrid öffnete die Augen und blickte auf. Hicks hatte den Kopf gesenkt, die Zähne zusammen gebissen und weinte bitterlich, während er ihre Hände zitternd hielt.

Nun begann auch sie wieder zu weinen, doch es waren mehr Tränen der Freude und der Erleichterung.

„Hicks. Oh Hicks!“

Sie zog ihn zu sich herunter und sofort waren ihre Lippen zu einem feuchten Kuss verbunden.Der salzige Geschmack seiner Tränen lag ihr auf der Zunge. Als sie sich wieder lösten, löste sie eine Hand von ihm und wischte ihm die Tränen aus dem Gesicht.

„A-Astrid. Bitte... bitte verzeih mir, ich war dumm. So... so dumm. Du bist... du bedeutest mir so viel... einfach alles. Und ich h-hab dich verletzt. Es tut mir so l-leid. Ich... ich liebe dich!“

Astrid lächelte: „ich dich auch, Hicks!“

„Komm... komm bitte wieder hoch, ja? Ich will... ich will nicht länger von dir getrennt sein!“

Noch immer kämpfte er mit den Tränen und er zitterte. Darauf hin schloss Astrid ihn erst einmal in eine feste Umarmung und wartete, bis er sich ein wenig beruhigt hatte.

„Ja, ich komme mit dir!“

Sie ließ seine Hand nicht los, als sie zusammen aufstanden, die Decke nahmen und gemeinsam die Stufen empor stiegen und zurück in sein Zimmer gingen. Als die Tür sich schloss, lehnte sich Hicks gegen diesen, als Astrid wieder ihre Arme um ihn geschlungen hat und nach einem weiteren Zungenkuss rang. Hicks zögerte, ließ dann aber seine Hände über ihren unbekleideten Rücken wandern. Jede Berührung von ihm schickte förmlich einen Stromschlag durch ihren Körper und von Sekunde zu Sekunden wurde ihr wärmer.

„Bett!“ sagte sie nur knapp, Hicks aber verstand nicht ganz.

„W-Was?“

„ich sagte: Bett!“

Schon war Hicks zum großen Bett gezerrt und auf die Matratze geschubst worden. Dann legte sich Astrid daneben, warf die Decke über ihn und sich und kuschelte sich eng an seinen Körper. Sein heißer Atem blies ihr gegen die Stirn und zerzauste ihren Pony.

„A-Astrid!“ Er keuchte erschrocken auf, als er ihre Finger unter seinem T-Shirt spürte, doch er zögerte damit, sie zu stoppen. Doch sie hielt selbst inne und blickte dann hoch in seine Augen.

„Entspann dich, Hicks. Ich will dir nur Gutes. Und ich verspreche dir, wenn es zu viel wird, hören wir sofort auf. Okay?“ fragte sie.

Hicks zögerte, doch dann nickte er: „O-Okay!“

Astrid konnte förmlich den Kloß spüren, den er im Hals haben musste. Doch das machte es alles nur noch schlimmer, den seine Schüchternheit turnte sie um so mehr an.

Wieder schob sie ihre Hände unter sein T-Shirt und sie strich über den flachen Bauch hinauf zu seiner Brust, wo sie einen Augenblick verweilte, bevor sie langsam weiter empor stieg und ihm dann das T-Shirt über den Kopf zog. Die Decke rutschte dabei zu den Beinen und sie selbst musste sich aufsetzen. Nun lag Hicks mit nacktem Oberkörper unter ihr und er musste sich zusammen reißen, nicht die Arme vor der Brust zu verschränken.

„Würdest du... würdest du bitte nicht so... starren?“ fragte er klein laut und wand den Blick ab.

„Tut mir leid, Hicks, aber den Gefallen tue ich dir nicht!“ antwortete sie frech grinsend, dann legte sie ihre Hände wieder auf seine Brust, beugte sich hinunter und begann, seinen Hals zu liebkosen.

Er seufzte unter ihren Berührungen auf verspannte sich aber auch, weswegen Astrid sich wieder hoch stemmen musste, um ihm in die Augen blicken zu können.

„Ich sagte doch, dass du dich entspannen sollst!“ sagte sie, leicht enttäuscht.

„Tut... tut mir leid, A-Astrid. Ich habe... so etwas nur n-noch nie gemacht!“

Sie lächelte wieder böse, als hätte sie nur darauf gewartet, dass er das sagen würde, bevor sie sich wieder in seinem Nacken vergrub.

„Sehr gut!“ hörte er sie gedämpft sprechen, bevor er nun auch ihre Zunge auf seiner Haut spürte.

Astrid konnte förmlich die Gänsehaut spüren, und leise kichernd beschloss sie, die nächste Stufe zu erreichen. Sie zwängte ein Bein von ihr zwischen seine und drückte dann ihren Oberschenkel gegen seinen Schritt. Das sie bereits einen Gegendruck verspürte, war zu erwarten.

„Astrid!“ Hicks rutschte einige Zentimeter von ihr weg, sein Gesicht vor Scham nun rot wie eine Erdbeere. Astrid jedoch blieb an ihm dran und sofort konnte er ihr Bein wieder spüren.

„Sssch, brauch dir nicht peinlich zu sein, Hicks. Ich bin deine Freundin, schon vergessen!“ sagte sie beruhigend, bevor sie ihn sanft küsste.

Hicks werte sich nicht länger und ließ sich wieder tiefer ins Bett sinken, während sich Astrid kurz aufsetzte und ihren BH löste. Der Stoff fiel zu Boden, gleichzeitig weiteten sich Hicks Augen, als er ihren perfekt geformten Busen sah.

„Du.. du bist... wunderschön!“ stammelte er und Astrid kicherte darauf.

„Danke, du bist aber auch ganz gut bestückt!“ sagte sie frech und drückte ein wenig weiter gegen seinen Schritt, worauf Hicks wieder schüchtern den Blick abwandte. Astrid hatte jedoch genug davon und sie nahm sein Gesicht in beide Hände, um ihn wieder zu sich zu drehen.

„Wage es ja nicht, dich jetzt abzuwenden, Haddock. Das beste kommt ja erst noch!“

„Willst du wirklich... mit mir... schlafen?“

auf seine Frage hin brauchte sie nicht antworten, sondern die lächelte ihn einfach nur verliebt an. Dann beugte sie sich herab und rang wieder in einem Zungenkuss mit ihm, bevor nun auch er endlich seine Arme um sie schlang und sie fester zu sich herab drückte.

„Na endlich!“ keuchte sie zwischen seinen Lippen hervor, bevor sie mit der Hand nach seiner Hose griff...
 

Als Astrid aus ihrem tiefen Schlaf erwachte und die liebliche Sonne auf ihrem Gesicht spürte, konnte sie zudem etwas schweres und etwas kaltes ausmachen. Das schere war Hicks Arm, der gekuschelt an ihrem Rücken schlief und ihn über ihren Körper gelegt hatte, um sie fester an sich zu drücken. Das kalte war der Stahl seiner Prothese, die an ihrem Unterschenkel rieb. Ihre und seine Beine hatten sich im Schlaf irgendwie leicht ineinander verhakt. Sie hörte ihn leise und ruhig atmen

und lächelte, als sie an die Ereignisse der Nacht zurück dachte. Sie und Hicks hatten miteinander geschlafen. Zum ersten Mal. Und selbst in ihren versautesten Träumen hätte sie es sich nicht so schön vorstellen können. Das sie Grundsätzlich das Ruder in der Hand gehalten hatte störte sie nicht. Sie wusste, wie schüchtern Hicks beim Thema Sex war. Sie wunderte sich mehr darüber, dass er das alles mit sich machen ließ.

Sie spürte Regung hinter sich, als Hicks langsam ebenfalls erwachte. Sein Atem wurde schneller, unruhiger und er versuchte sogleich, seine Prothese von Astrid zu befreien.

„G-Guten Morgen, A-Astrid!“ sagte er angestrengt.

Als die Blonde sich umdrehte, sah sie ihn mit einem zusammen gekniffenen Augen lächeln. Schweiß perlte auf seiner Stirn und er zitterte.

„Hast du wieder einen Anfall? Hast du Schmerzen?“ fragte sie sogleich besorgt und sie ohrfeigte sich innerlich dafür, falls ihr nächtlicher Drang nach seinem Körper ihm nun diese Schwierigkeiten bereiteten.

„Sc-Schon gut, Astrid. Ist nicht deine Schuld... die letzte Nacht... sie war perfekt, d-danke dafür. Ich hätte nur... vorm schlafen gehen die Prothese abmachen sollen!“

Dann wand er den Blick ab und er wurde etwas rot um die Nase: „Würdest du... würdest du mir... helfen?“

Hatte er solche Schwierigkeiten damit, nach Hilfe zu fragen? Astrid vermutete, dass es normal war, wenn man die Umstände bedachte und daher nickte sie sofort und ohne zu zögern.

„D-Danke. Nimm mir... nimm mir bitte die Prothese ab, j-ja?“

Sofort schlug Astrid die Decke vom Bett, setzte sich auf und krempelte Hicks Hosenbein hoch, bevor sie die Verbände und Schlaufen löste und dann vorsichtig die Prothese abnahm. Hicks zuckte jedes Mal zusammen und gab dann einen erstickenden Schrei von sich, bevor er schnaufend nach Luft schnappte.

„Hicks... dein Stumpf ist ganz rot!“ sagte sie beunruhigt.

„Das... das sind Hautirritationen... völlig normal. Im Badezimmer habe ich... eine Salbe dafür. Holst du... sie bitte?“

Sie antwortete nicht, sondern war bereits aufgesprungen und ins Bad geeilt. Sie brachte auch frische Binden mit und kurz darauf saß sie wieder im Bett, ein Handtuch unter dem Stumpf ausgebreitet und dabei, die geröteten Stellen einzucremen, bevor sie alles mit den Binden umwickelte.

Derweil warf sich Hicks wieder die Vicodin ein und ließ sich dann zurück ins Kissen fallen.

„Du wirst den morgen wohl oder übel im Bett verbringen müssen!“ sagte Astrid.

Da schlug Hicks sich stöhnend die Hand an die Stirn.

„Verflucht, Ohnezahn wird sicherlich wieder eingeschnappt sein. Gestern hatte ich ja noch eine 'Ausrede', aber heute?“

Er lachte leicht, Astrid lachte mit. Dann legte sie sich wieder zu ihm und legte einen Arm um seine Brust.

„Die gestrige Nacht war... super!“ gestand Hicks erneut mit einem Anflug von leichter Schamesröte.

Astrid boxte ihn dafür gegen die Schulter.

„Nur super? Du hattest wilde, hemmungslosen Sex mit einer Hofferson-Frau. Die Nacht war Awesome!“

„Verzeiht meine Wortwahl, Mylady!“ Hicks lachte, als Astrid ihn zur Strafe für seine freche Antwort zu kitzeln begann. Dann lag sie wieder halb auf ihm.

„Du wirst Heather dennoch die Hölle heißt machen, oder?“ fragte Hicks mit hochgezogener Augenbraue.

„Das ist so sicher wie das Amen in der Kirche!“ antwortete Astrid und kurz verzog sich ihr Gesicht zu einer grimmigen Maske. Doch als sie Hicks Hand auf ihrer Wange spürte, zerbröselte die Maske zu Staub.

„Tu mir aber einen Gefallen, ja?“

„Welchen?“

„Lass mich dabei sein, wenn sie leidet!“

Astrid blickte ihn mit offenem Mund an, dann brach sie in schallendes Gelächter aus, bis ihr die Tränen kamen und sie angestrengt nach Luft schnappen musste. Hicks kicherte leise mit.

„Ist in Ordnung, du kleiner Sadist. Aber da du zur Zeit eh nicht aus dem Bett kommst... was hältst du davon, wenn wir da weiter machen, wo wir heute Nacht aufgehört haben?“ sagte sie verführerisch und Hicks spürte schon, wie eine ihrer Hände wieder zu seiner Hose wanderte.

„Du nutzt es eiskalt aus, dass dein Freund ans Bett gefesselt ist?“ fragte er empört gespielt, als Astrid auch mit dem Kopf nach unten wanderte.

Was dann geschah, ließ ihn wieder die Sinn verlieren.

„Daran... könnte ich mich gewöhnen!“

Alvin vs Eldarin

„So, und jetzt beugst du deinen Fuß leicht nach hinten... genau so. Und schon kann Ohnezahn problemlos höher aufsteigen!“

Ein wenig nervös umklammerte Astrid fest die beiden Schlaufen von Ohnezahns Sattel und ließ sich von Hicks, der dich an sie geschmiegt hinter ihr saß und die Arme um ihre Taille geschlungen hatte, erklären, wie sie die Flossensteuerung bediente.

„Ich weiß immer noch nicht, warum ich das hier mache?“ sagte sie und versuchte dabei angestrengt, nicht nach unten zu schauen.

„Weil ich will, dass du lernst, wie man Ohnezahn fliegt. Nur für den Fall, dass... na, egal!“

Der Satz gefiel ihr nicht und sofort drehte sich Astrid zu ihrem Freund mit einem besorgten Gesichtsausdruck um.

„Für den Fall, dass was?“ fragte sie und machte mit ihrem Blick deutlich, dass sie Hicks dieses Mal keine Möglichkeit ließ, vom Thema abzulenken.

„Nur für den Fall, dass mir was zustößt. Ohnezahn ist immer noch von mir als Reiter abhängig, damit er fliegen kann. Wenn mir was passiert, dann ist er förmlich an den Boden gekettet!“ erklärte er, hielt aber dabei ihrem Blick stand.

Astrid nickte langsam, denn sie verstand. Dennoch wollte sie es sich nicht vorstellen, dass ihrem Freund etwas passiert. Schon wieder.

„Und jetzt versuch einfach, den Flug ein wenig zu genießen, okay? Hör zum Beispiel auf, ständig Ohnezahns Schuppen anzusehen und schau dich um!“

Er gab ihr einen kleinen Stups gegen die Rippen und Astrid protestierte mit einem kurzen Schrei, bevor sie den Blick hob.

Vor ihr erstreckte sich ein einziges Wolkenmeer, über ihr das tiefe Blau des Himmels und die strahlende Sonne.

Hicks hatte entschieden, dieses eine Mal bei Tageslicht zu fliegen, weil über Berk eine dicke Wolkendecke hing. Also war es für ihn, Ohnezahn und Astrid ungefährlich, durch den Himmel zu rasen und dabei alles auf der Erde zurück zu lassen.

„Und das machst du wirklich jeden Tag?“ fragte sie ihn nach einer weiteren Stunde in der Luft.

„Jepp. Und ich kann immer noch nicht genug davon kriegen. Nicht war, Kumpel?“ Dabei strich er seinem Drachen über die Flanke und Ohnezahn gab ein zufriedenes Brummen vor sich, bevor er einen lilanen Blitz heißer Flammen abschoss, die einige Meter vor ihnen explodierte. Hicks riss bereits erschrocken die Augen auf, als er bemerkte, dass Ohnezahn die Explosion ansteuerte.

„Oh nein, nein Ohnezahn, nicht!“
 

Zurück im Tal saßen Astrid und Hicks grimmig nach dem Flug an einem knisterndem Feuer, rösteten ein paar Marshmallows und blickten zu Ohnezahn, der zufrieden vor einem Haufen Fisch saß und einen nach dem anderen hinunter schlang.

„Danke für nichts, du nutzloses Reptil!“ fluchte Hicks säuerlich und wand sich dann an Astrid. Kurz stockte er, dann musste er sich eine Hand vor den Mund halten, um nicht in schallendes Gelächter auszubrechen.

Astrids Gesicht war von schwarzem Ruß bedeckt, ihre Haare standen alle weit nach hinten ab und bei jeder Bewegung ihres Kopfes rieselte ein wenig Asche herab.

Hicks hatte sich, bevor sie die kleine Feuerkugel durchflogen, hinter Astrids Rücken versteckt und somit war ihm ungewollte Maskerade erspart geblieben.

„Gibt es da irgendetwas zu lachen, Haddock?“ fragte Astrid in einem gefährlich kühlen Ton.

Hicks, der es nicht wagte, die Lippen voneinander zu lösen, schüttelte nur den Kopf, doch er hatte bereits Tränen in den Augen und schließlich konnte er sich nicht mehr zurück halten. Ohnezahn schreckte von seinem Fisch auf, als Hicks förmlich von seinem Platz fiel und sich den Bauch halten musste, als er aus voller Kehle lachte. Als er bemerkte, dass es seinem Reiter gut ging, fraß er weiter.

Hicks brauchte einige Minuten, bis er sich beruhigt hatte und er stemmte sich auf die Hände, um sich wieder aufzusetzen, als er den Schatten seiner Freundin auf sich spürte.

„Da da daa, ich bin tot!“ sagte er, immer noch grinsend und dann spürte er auch schon ihre Faust schmerzhaft gegen seine Schulter.

„Auaaa!“

„Das war dafür, dass du mich ausgelacht hast!“ sagte sie streng und hielt ihren Zeigefinger gefährlich nahe vor seinem Gesicht.

Dann ging sie zu ihm herunter, warf ein Bein um ihn, setzte sich auf seinen Schoß und drückte ihn mit einer Hand zu Boden.

„Und das ist für alles andere!“

Und schon lagen sie sich küssend wieder in den Armen. Ohnezahn, der das alles beobachtete, rollte nur mit den Augen, drehte sich schmatzend um und verdeckte seine Augen mit seiner heilen Schwanzflosse. Menschen beim Paarungsritual zu beobachten war keines seiner Hobbys.
 

„Wow, Astrid. Halt mal!“

Hicks musste die eifrigen Hände seiner Freundin packen und ihm Zaume halten, bevor die Blonde endlich mit den Liebkosungen aufhört, sich aufsetzte und ihn fragend anstarrte.

„Was?“ fragte sie verwundert. Hatte sie was falsches gemacht.

„Wir... wir können doch nicht vor... Ohnezahn... außerdem hattest du doch erst letzte Nacht und heute morgen... du weißt schon!“ sagte er stammelnd und zog sein Hemd und seine Jacke wieder zurecht.

Astrid blickte zum schwarzen Drachen, dann zurück zu Hicks. Nun stand sie kurz davor, los zu lachen.

„Ist gut, tut mir leid. Es ist nur so, dass du mich ganz wahnsinnig machst, Haddock!“ den letzten Teil flüsterte sie ihm ins Ohr und wieder wurde Hicks knallrot im Gesicht bei dem Gedanken, dass seine pure Anwesenheit andere Menschen, na ja... erregen könnte.

„Wir sollten auch langsam zurück gehen. Ich will schauen, dass ich diese Heather noch irgendwo erwische!“ sagte Astrid nach einem prüfendem Blick zum Himmel. Es war vermutlich bereits später Nachmittag.

„Was hast du denn vor?“ fragte Hicks.

Beide standen auf und begannen, ihre Sachen zusammen zu packen.

„Och, nichts besonderes. Ich wollte ihr nur erzählen, was gestern Abend dank ihrer kleinen Hilfe passiert ist und natürlich wie die Geschichte geendet hat.“

Sie trug ein bitterböses Lächeln auf den Lippen und warf Hicks ein vielsagenden Blick zu, der immer noch versuchte, seine Schamesröte irgendwie in Griff zu bekommen.

„Du... du willst ihr von letzter Nacht erzählen? Von... von uns?“

„Ja. Der Fakt, dass sie uns dabei geholfen hat, unsere Beziehung noch mehr zu festigen, wird sie an die Decke befördern. Vertrau mir.“

Hicks war sich der Sache noch nicht ganz so sicher, doch er wusste, dass wenn Astrid sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, war es so gut wie unmöglich, sie davon abzubringen.
 

An diesem Abend war Heather alles andere als Gut gelaunt, was sie sogleich an der nichts ahnenden Haustür ausließ, als sie zurück nach hause kam. Sie schlug die Tür so stark zu, dass das Holz unter der Wucht zitterte und die Schrauben der Türangeln zu protestieren begannen. Doch ihr war es egal.

Sie stürmte in die Küche, riss den Kühlschrank auf und nahm sich eine Cola-Dose heraus. Dann nahm sie aus dem Schrank ein paar Chips und ging damit zurück ins Wohnzimmer.

Sie würde Astrid Rache schwören. Und wenn es das letzte war, was sie täte.

Es war früher Abend, als Heather mit ihren Clique im Dinner saß und die 4 Mädchen sich zögerlich über eine einzelne Bestellung Pommes hermachten. Schließlich musste jeder der 5 auf ihre Linie achten.

Und dann kam Astrid. Heather hatte sie erst bemerkt, als sie breit grinsend und mit verschränkten Armen vor der Brust vor ihrem Tisch stand. Einige Schritte hinter ihr stand Hicks, der ein wenig beschämt zu Boden blickte, als wäre da etwas unglaublich Interessantes und er dürfte es nicht wagen, was auch immer es war, aus den Augen zu verlieren.

„'nabend Heather!“ hatte Astrid sie begrüßt und dabei die anderen Mädchen, die ihr alle giftige Blicke zuwarfen, ignoriert.

„Was willst du, Astrid?“

„Mich nur bei dir bedanken. Hättest du Hicks gestern Abend nicht diesen Floh ins Ohr gesetzt... wow, ich glaube, ich hätte dann noch Wochen lang warten müssen!“

Astrid schien erleichtert und das war ein Gemütszustand, den Heather bei ihr überhaupt nicht ausstehen konnte.

„Ich weiß gar nicht, was du meinst!“ antwortete sie Achselzuckend und nahm dann einen großen Schluck von ihrem Getränk.

„Das weißt du sehr wohl, du kleine, hinterhältige Schlampe. Aber egal, ich bin nur hier, um dir zu sagen, wie... abgefahren... geil... die letzte Nacht mit Hicks war. Stell es dir vor, wir lagen in seinem Bett... nackt... unsere Körper waren von Schweiß bedeckt und wir haben uns hin und her gereckt. Die Emotionen waren unbeschreiblich, und wie kraftvoll er... immer wieder... rein und raus... einfach unglaublich. Ich glaube, nein ich verspreche dir, dass jeder Sex, den ich danach haben werde, nichts im Vergleich zu diesem war. Und Hicks ist einfach... whoa, ich kann das gar nicht mit Worten beschreiben, wie unglaublich gut er war!“

Dabei blickte sie zu ihrem Freund und zwinkerte sie an, der nun alles daran tat, sein Gesicht zu verberen.

„Dafür wollte ich dir danken, Heather. Ohne dich wäre es nie dazu gekommen und ich müsste jetzt immer noch auf mein erstes Mal warten. Danke, du bist offenbar doch nicht völlig Nutzlos, wie alle immer behaupten. Na dann, Mädels. Noch einen schönen Abend!“

Dann hatte sie sich mit einem zuckersüßen Lächeln umgedreht, ihren Arm bei Hicks eingehakt und war gegangen. Heather war die Luft weg geblieben und sie hätte vor Wut am liebsten laut aufgeschrien.
 

„Oh, Hofferson, dass wirst du bereuen. Ich weiß noch nicht wie und wann, aber du wirst es bereuen.“ murmelte sie leise vor sich hin, während sie die Cola leere und immer wieder in die Chipstüte griff.

„Wer wird was bereuen, Heather mein Liebling?“

Ihr wäre fast die Dose aus der Hand gefallen bei de Klang einer männlichen, ihr vertrauten Stimme. Langsam drehte sie sich um, blickte zur Wohnzimmertür und als sie den großen, breitschultrigen, bärtigen Man sah, der dort stand, gekleidet in einem dunklen Anzug und einem dazu passenden Mantel, breitete sich ein freudiges Lächeln auf ihrem Gesicht auf. Sie sprang aus dem Sessel, ließ alles stehen und liegen und fiel ihm in die Arme.

„Dad! Du bist wieder zu Hause!“ sagte sie voller Freude.

Der bärtige Mann zog sie fest an sich und lachte herzlich.

„Ja, mein Kind. Ich bin wieder da. Und jetzt schau dich an, wie groß du geworden bist. Und du wirst deiner Mutter von Tag zu Tag ähnlicher. Ich soll dir übrigens liebe Grüße ausrichten.“

„Ist sie in London geblieben?“

Heahers Lächeln schwand. Ihr Vater zu sehen war eine Freude, aber über ihre Mutter würde sie sich noch mehr freuen.

„Die Geschäfte laufen nicht mehr so gut seit diesem... Desaster von vor 5 Monaten. Sie ist in London geblieben um die Presse zu beruhigen und die Schandmäuler zu stopfen.“

Schlagartig hatte sich die Stimmung ihres Vaters gewandelt und wütend ließ er seinen Mantel zu Boden fallen und knöpfte sein Sakko auf. Erst jetzt, wo er nicht mehr in der Tür stand, bemerkte Heather zwei weitere Anzugträger. Einen jungen, schmalen mit schiefem Grinsen und einer langen Narbe im Gesicht und einen großen mit Schnurrbart und schwarzem Haar. Sie blieben im Flur stehen, darauf wartend, dass Heathers Vater ihnen erlauben würde, ins Wohnzimmer und somit ins Licht zu treten. Doch er machte keinerlei solcher Anstalten.

„Du bist also immer noch auf der Suche nach deiner Hauptattraktion?“ fragte Heaher.

Ihr Vater, der sich inzwischen in den Sessel gesetzt hatte, nickte.

Ich habe bald ganz Großbritannien auf den Kopf gestellt doch dann ist es mir wie Schuppen von den Augen gefallen. Als Valka, diese verlogene Schlampe, meinen Drachen befreit hat, hat sie ihn sicherlich an einem Ort versteckt, von wo aus sie ihn leicht erreichen kann. Daher bin ich hier. Ich habe dieses Gefühl, dass der Drache in Berk ist.“

Heather seufzte und ließ sich dann auf dem Sofa nieder.

„Dad. Ich hoffe du weißt, dass es mir schwer fällt zu glauben, dass du eine Drachen gefangen hattest!“

„Ob du mir glaubst oder nicht tut hier nicht zur Sache. Ich weiß es und sobald er wieder gefangen und in meinem Zoo in London ausgestellt ist, wirst auch du mit glauben. Genau so wie der Rest der Welt!“

Dann wand er sich an die beiden Männer im Flur.

„Dagur, Rohling. Kommt rein!“

Die beiden Männer traten ein, blieben aber dennoch nahe der Tür.

„Ich will das ihr zwei anfangt, die Stadt zu durchsuchen. Beordert so viele unserer Männer her, wie nötig. Aber bleibt diskret. Ich will nicht, dass die Presse davon Wind bekommt. Findet diesen Drachen und bringt ihn mir!“

Die beiden Männer nickten, dann nahmen sie ihre Mäntel und verließen das Haus. Heather blickte ihnen nach, bevor sie beschloss, erst einmal das Feld zu räumen und auf ihr Zimmer zu gehen.

Ihr Vater blieb sitzen und blickte zornig aus dem Fenster.

„Ich werde dich finden. Das schwöre ich, so war ich Alvin der Schreckliche genannt werde!“
 

»Eldarin: „Alvin der Schreckliche? Wow, und damit geht der goldene Vollpfosten in der Kategorie: dümmster Name eines Bösewichts, an Alvin den Schrecklichen!“

*alle im Saal applaudieren, während Alvin sich erhebt, an Darth Vader, Voldemort, Lex Luthor und dem Joker vorbei geht und nach vorne zum Podium eilt, um von Eldarin den Goldenen Vollpfosten entgegen zu nehmen.

Eldarin: „So Alvin. Wie fühlt man sich mit dem beklopptesten Namen aller Zeiten?“

Alvin: „Vorsicht, du rot gekleideter Flattermann, bevor ich dafür Sorge, dass jemand dein Gesicht gegen die Erde schmeißt!“

Eldarin: „Droh mir noch einmal, und ich schmeiße die Erde gegen dein Gesicht!“

Alvin: *Angst*«

Crap-Chapter Number One

„Ich soll was tun?“

Hicks rollte seufzend mit den Augen und rupfte dann ein Büschel Gras aus der Erde. Dieses Büschel übergab er Astrid, die darauf nur verwirrt auf das Grünzeug in ihrer Hand blickte.

„Du sollst ihm das Drachengras unter die Nase halten!“ sagte er und rupfte dann erneut ein Büschel heraus. Dann hielt er es Ohnezahn vor die Schnauze und sofort fiel der Drache wie benommen auf den Bauch und er reckte sich der Hand mit dem Gras entgegen.

„Das Check ich jetzt nicht ganz!“ gestand sie.

Wieder ein Seufzen und Hicks fragte sich langsam, ob er an dem Verstand seiner Freundin Zweifel musste.

„Das ist Drachengras. Drachen sind völlig verrückt danach und sind sofort unterwürfig, wenn du welches in der Hand hast.“ erklärte er und ließ Ohnezahn sich nun auf den Rücken rollen, bevor er begann, seinen Bauch zu kraulen.

„Und das hier solltest du auch wissen!“

Seine Hand wanderte hoch zum Hals und plötzlich verdrehten sich Ohnezahns Augen und er schlief schlagartig ein. Astrid war verblüfft.

„Wie... woher weißt du so viel über Drachen?“

„Durch Beobachtung und praktische Experimente. Natürlich alle harmlos. Du hast wohl vergessen, dass ich Ohnezahn immerhin jetzt schon einige Monate kenne. Und ich schreibe alles…“ er holte ein Ledergebundenes Notizbuch aus seine Jackeninnentasche, „…hier drin auf. Ich nenne es schon das ‘Buch der Drachen‘! Ulkig, oder?“

„Eher nerdig. Aber bei dir ist nerdig süß!“ sagte sie kichernd und drückte ihm einen Kuss auf die Wange, bevor sie sich zu Ohnezahn hinab beugte und ihm über die weichen Schuppen kraulte. Der Drache, immer noch schlafend, begann sich zufrieden zu rekeln und schmatzende Geräusche von sich zu geben. Hicks und Astrid begann darüber zu lachen und legten sich dann ebenfalls ins Gras.

„Zuhause habe ich noch 6 andere Notizbücher. Wer weiß, vielleicht zeig ich dir meine gesammelten Werke irgendwann mal. Dann machen wir aus dir auch eine richtige Drachenreiterin!“ erzählte Hicks vorfreudig, während er hinauf in den blauen Himmel blickte.

„Eine Drachenreiterin? Du ließt zu viele Fantasy-Bücher, Hicks. Aber brauch ich dazu nicht mein eigenen Drachen?“ fragte sich kichernd und gleichzeitig herausfordern.

Hicks stemmte sich auf die Hände und blickte über Ohnezahns Bauch hinweg zu seiner Freundin.

„Das ist sicherlich kein Problem. Ich habe irgendwie das Gefühl, dass Ohnezahn nicht der einzige Drache auf der Welt ist. Na gut, vielleicht der einzige in Berk. Aber wenn wir ein wenig suchen, finden wir sicherlich auch einen für dich!“

Astrid war sich nicht sicher, ob sie Hicks Optimismus teilen konnte und sie wand den Blick von ihm ab. Ein eigener Drache wäre schon cool. Doch das würde auch ihre sämtlichen Pläne für die Zukunft ändern.

„Zukunft.“ Flüsterte sie leise und dann legte sich ein Schatten über ihr Gesicht.

Sie hatte völlig vergessen, dass die Sommerferien nicht ewig andauern würden. Noch etwa 5 Wochen, dann würde sie zurück in London sein und ihr Medizin-Studium beginnen. Dann könnte sie nicht mehr mit Hicks die ganze Zeit im Bett kuscheln, mit ihm Frühstücken oder auf Ohnezahns Rücken reiten. Die Medizin war kein Zuckerschlecken, wer das Studium bestehen will, muss sich voll reinhängen. Wie sollte sie da Zeit für eine Beziehung finden? Und dann auch noch womöglich eine Fernbeziehung.

„Hicks. Wie sehen deine Pläne für die Zukunft aus?“ fragte sie schließlich und traf den Braunhaarigen damit unvorbereitet.

„M-Meine Pläne für die Zukunft? Hm… nun, das weiß ich im Moment nicht so genau. Bisher war geplant, dass ich wie vorgesehen mein Studium der angewandten Naturwissenschaften beginne und auch hoffentlich durchziehen. Ich wollte dafür nach Aberdeen, zur Robert Gordon Universität gehen. Die Stadt ist ja nur eine halbe Stunde mit dem Auto von Berk entfernt.“ Erzählte er.

Nun war Astrid neugierig geworden. Hicks hatte noch nie ein Wort darüber fallen gelassen, dass er ebenfalls studieren wollte. Und dann im Bereich der angewandten Naturwissenschaften. Man konnte sagen, dass die Medizin ebenfalls dazu gehören würde.

„Schwebt dir ein besonderer Bereich vor?“ fragte sie. Astrid spürte die Aufregung aufsteigen. Sah sie eine Chance, dass sie und Hicks vielleicht ähnliche Studiengänge besuchen würden? Dann könnte sie ihn ja überreden, vielleicht sein Studium in London zu machen und nach den Ferien einfach mit ihr mit zu kommen.

„Die Bionik. Ich finde es durchaus interessant, die Natur als Vorbild für die Entwicklung neuartiger Technologien zu nehmen. Leonardo da Vinci zum Beispiel hatte überlegt, den Flügelschlag einer Fledermaus oder eines Spatzs als Vorbild für seine Flugmaschine zu nehmen. Leider hatte er sich in dem Fall geirrt!“

„Hätte er ein anderes Tier nehmen sollen?“

Darauf schnippte Hicks in die Finger und grinste breit: „‘esatto! Er hätte sich zum Beispiel an einem Falken orientieren müssen. Ein Geschöpf das durch die Luft gleitet!“

Astrid lächelte wieder, als Hicks weiter begeistert über die Erfindungen und die Ideen von Leonardo da Vinci schwärmte. Dann kuschelte sie sich enger an Ohnezahn und kraulte ihm weiter über die Schuppen.

Sie stockte aber, als sie von Hicks ein tiefes Seufzen hörte.

„Nun, das waren jedenfalls meine Pläne. Aber was wird aus Ohnezahn?“

In diesem Moment wachte der Drache auf. Er schmatzte müde, gähnte mit weit aufgerissenem Maul, spürte aber sofort die bedrückte Stimmung seines Reiters und Freund und warf ihm einen besorgten Blick zu. Hicks legte ihm eine Hand auf die Nase und lächelte traurig.

„Ich kann ihn nicht mitnehmen und allein lassen will ich ihn auch nicht. Ich will auch niemanden sonst von ihm erzählen. DU bist die einzige Person, der ich vertraue, dass du nicht gleich zur Presse läufst oder ihn für viel Geld an irgendeinen Zoo verkaufst… oder noch Schlimmeres.“

Er legte seine Stirn gegen die seines Drachen und schloss die Augen.

Astrid verstand sein Elend und fühlte sogleich mit. In der kurzen Zeit, die sie Ohnezahn nun schon kannte, hatte sie ihn ins Herz geschlossen und sie weiß, dass es schwer für sie sein wird, sich von ihm zu verabschieden. Wie schwer es Hicks aber haben wird, konnte sie sich nicht vorstellen.

Rasch war sie aufgesprungen und eilte zu ihrem Freund.

„Hey, lass den Kopf nicht hängen. Ich bin mir sicher, uns fällt schon noch irgendetwas ein. Vergiss nicht, du bist nicht mehr allein. Jetzt haben wir zwei Paar Gehirnhälften, die wir mit unseren Überlegungen zum Schmelzen bringen können!“

Sie stieß ihm sanft gegen die Rippen und konnte so Hicks wieder ein Lächeln auf die Lippen zaubern.

„Und jetzt hinfort mit den finsteren Gedanken und rauf auf den Sattel. Ein Drache gehört in die Luft und mit ihm sein Reiter!“

„Aber… es ist doch noch hell?“ entgegnete Hicks verwundert.

„Kein Mensch wird euch für einen Drachen und seinen Reiter halten, wenn denn überhaupt jemand euch aus der Entfernung sehen sollte. Außerdem, schau dir Ohnezahn an, der brennt doch schon förmig auf einen Flug mit dir. Und zwar nur mit dir.“
 

Kurz darauf beobachtete Astrid vom Grün der Wiese aus, wie Hicks und Ohnezahn durch den schimmernden, blauen Himmel flogen, Saltos vollführten, sich drehend durch Wolken bohrten und andere, verrückte Stunts hinlegten. Bei den halsbrecherischen Manövern war sie froh, dieses Mal auf dem Boden geblieben zu sein. Vermutlich hätte sie sich schon nach wenigen Minuten übergeben.

Der Flug war nicht nur für Ohnezahn nötig, auch Hicks brauchte die Ablenkung von seinen trüben Gedanken. Und Astrid war sich sicher, dass sie eine Lösung für ihr Zukunfts-Problem finden werden.

Plötzlich zuckte sie zusammen, als es aus ihrer Hosentasche laut zu schrillen begann und die Stimmen der Black Eyed Peas mit ‘I got a feeling‘ die Luft im Tal erfüllten. Sie nahm ihr Smartphone hervor und blickte erstaunt auf den Namen des Anrufers.

„Hicks?“

„Hey Astrid. Du verpasst hier was, die Aussicht ist spiiiiitze, uhaa!“ kurz war seine Stimme von einem Rauschen überlagert und als sie rauf blickte, sah sie, wie Ohnezahn einen Sturzflug hin legte, sich einmal drehte und dann wieder hoch schoss.

„Verlier bloß dein Handy nicht, Hicks?“

„Was?“

„ICH SAGTE, VERLIER DEIN HANDY NICHT!“ brüllte sie, halb lachend, ins Mikro.

„Nein, tu ich nicht. Hab’n Funkgerät am Ohr. Ist mit dem Handy in meiner Tasche verbunden. Cool, oder?“

Astrid schüttelte grinsend den Kopf. Auf was für Ideen ihr Freund immer kam.

„Ich wollte dir nur sagen, dass es gleich anfängt zu regnen! Ich sehe schon die dunklen Wolken aufziehen.“

„Ist gut, dann lauf ich schnell in die Stadt und hole ein paar Regenmäntel und einen Schirm!“

„Warte, wenn ich lande, können wir zusammen in die Stadt gehen!“ entgegnete Hicks.

Plötzlich hörte sie ihn vor Schmerzen aufschreien, dann säuerlich grummeln.

„Hicks, alles in Ordnung?

„Ja, Ohnezahn hat mir nur wieder eine Ohrfeige verpasst. Danke, du nutzloses Reptil. Auuu!“

„Lass mal stecken, Hicks. Ich komme so schnell wie möglich wieder. Offenbar will Ohnezahn noch ein wenig mehr Zeit mit dir verbringen. Es ist doch nur Regen, wir werden dann mit ihm in der Höhle warten!“

„Ist gut!“ kam dann noch knapp die Antwort. Dann, als Astrid das Smartphone vom Ohr nahm und auflegen wollte, stockte sie, als seine Stimme erneut zu hören war.

„Ich liebe dich!“

Sie blieb kurz wie angewurzelt stehen und musste ein freudiges Jauchzen unterdrücken.

„Ich liebe dich auch!“

Dann legte sie auf…
 

Mit einem süfisanten Grinsen im Gesicht beobachtete Heather aus ihrem sicheren Versteck heraus, wie Astrid durch den Wald zurück nach Berk lief. Die Blonde hatte sie nicht bemerkt und pfiff nichts ahnend leise ein Lied vor sich her, während Heather hinter ihrem Versteck hervor kam und ihr nachsah.

Dann blickte sie in die Richtung, aus der sie gekommen war.

„Astrid und Hicks kommen hier her… aber nur Astrid geht zurück? Wenn das mal nicht verdächtig ist!“

Somit begann sie, zwischen den Felsen entlang zu wandern und so gut es ging den Weg ihrer einstigen Klassenkameradin zurück zu verfolgen. Bis sie schließlich das Tal erreichte und sie einen Moment von der puren Schönheit dieses Ortes gefesselt war.

Erst der Schrei eines Drachen, der über die Wolken donnerte und von den Felswänden hallte, ließ sie zusammen schrecken und Deckung suchen. Sie blickte rauf und riss die Augen auf, als sie Hicks auf einem schwarzen Drachen reiten sah.

Sie zögerte nicht lange, sondern nahm sofort ihr Handy und schoss ein paar Bilder mit der integrierten Kamera. Mit raschen Fingern waren die Bilder versendet, dann wählte sie die Nummer des Empfängers und wartete ungeduldig die Freizeichen ab.

„Ja, was ist?“ meldete sich eine ungeduldige, ruppige Stimme.

„Hallo Vater. Du solltest mal deine Nachrichten checken, ich habe etwas gefunden, was du verloren hast!“ sagte sie.

Kurz konnte man Alvin nur atmen hören, dann war einen Augenblick lang stille, bevor er wieder sprach.

„Wo bist du?“

„In den Bergen, nicht weit von der Stadt. Peilt mein Handy an, dass kannst du doch sicherlich. Dann findet ihr euren Drachen.“

Sie konnte ihren Vater schon am Ende der Leitung triumphierend Lächeln sehen.

„Ich schicke gleich genügend Männer vorbei… warte, ich komme am besten auch. Bleib, wo du bist!“

„Ach Dad.“ brach sie noch heraus, bevor ihr Vater die Chance hatte, aufzulegen.

„Was ist denn noch?“ fragte er nun wieder ruppig.

„Hicks Haddock reitet diesen Drachen und scheint gut befreundet zu sein.“

„Hicks… Haddock?“

„Genau… Valkas Sohn!“

Alvin, der Schreckliche

Hicks wusste, dass etwas nicht in Ordnung war, nachdem er mit Ohnezahn wieder gelandet war und sein schwarz geschuppter Freund anfing, etwas in der Luft zu wittern und ein tiefes, bedrohliches Knurren seiner Kehle entsprang.

„Ohnezahn, was hast du denn, mein Freund?“

Er versuchte den Drachen zu beruhigen, ging vor ihm hinab auf ein Knie und versuchte ihn auf seine Augen zu fixieren. Doch Ohnezahn schien ihn gar nicht wahr zu nehmen. Wütend begann der Drache, unkontrolliert mit dem Schwanz durch die Luft zu peitschen, gleichzeitig waren seine Augen von einer Panik erfüllt, die Hicks noch nie gesehen hatte.

„Ist es das Gewitter? Du hast doch sonst keine Angst vor…?“

Er stockte, als er Stimmen vernahm, die vom Tal-Eingang zu ihnen herüber schallten. Da es mehrere, verschiedene, männliche Stimmen waren, konnte es nicht Astrid sein und nun verstand Hicks ein wenig, warum Ohnezahn so aufgewühlt war.

„Geh… versteck dich in der Höhle. Schnell!“ sagte er und wies auf den Höhleneingang.

Ohnezahn zögerte. Man konnte ihm ansehen, dass er seinen Freund nicht allein lassen wollte.

„Mach dir um mich keine Sorgen, Ohnezahn. Jetzt geh. Bitte!“

Zögerlich nickte der Drachen, drehte dann um und eilte in den Schatten der Höhle. Hicks sah ihm nach, bevor er sich auf die Füße hoch stemmte und den Stimmen entgegen ging…
 

Astrid beschloss, auf dem Rückweg zum Tal noch einmal beim Dinner zu halten und für Hicks und sich etwas zu Essen für Unterwegs zu holen. Schließlich hatte keiner der beiden an diesem Tag schon etwas gegessen und wenn sie schon den halben Tag in einer Höhle verbringen mussten, dem Regen dabei zusehend, wie er das Tal langsam überschwemmte, dann könnten sie da ja auch beim Essen machen.

„Ihre Bestellung kommt sogleich!“ entgegnete der freundliche Mann am Schalter und drehte sich mit seinen Notizen in Richtung Küche um, während Astrid beschloss, sich noch ein wenig zu setzen, bevor sie vom lauten warten angelaufene Füße bekam.

Als sie am Fenster saß und hinaus blickte, hatten die Wolken bereits den Himmel komplett bedeckt. Bis zum Einsetzen des Regens würde es nicht mehr lange dauern. Mit etwas Glück schaffte sie es noch rechtzeitig zurück zum Tal, ohne bis auf die Haut durchnässt zu sein. Dann könnte Ohnezahn ihnen ein kleines Feuer machen und Astrid könnte sich in Hicks Umarmung zusätzlich aufwärmen.

„Der Boss sagte, wir sollen in der Stadt bleiben, falls er wieder entkommt!“

Gelangweilt schob Astrid den Salzstreuer hin und her und kurz malte sie sich eine romantische Gangster-Geschichte in ihrem Kopf aus, als sie die Worte des Mannes am Nachbartisch vernahm.

Doch dann schüttelte sie den Kopf und beschloss, lieber nicht weiter andere Menschen zu belauschen. Das würde die Fantasie nur anregen und das nicht immer in positive Richtungen.

„Alvin selbst ist vor Ort. Das wird sicherlich nicht lange dauern und dann hört er auch endlich auf, uns quer durch die Weltgeschichte zu jagen. Stell dir vor, letzten Monat war ich in Russland. Russland. Weißt du, wie kalt es dort ist?“

Alvin. Wo hatte sie den Namen schon mal gehört? War Alvin nicht einer dieser stinkreichen und bekannten Manager aus London? Astrid erinnerte sich, immer wieder einen kleinen Artikel in einem ihrer Klatsch-Zeitschriften gelesen zu haben. Ein unberechenbarer Mann dem man schon oft ein hohes Maß an Wahnsinn zugesprochen hat. Vor einiger Zeit fiel er in Ungnade, weil er der Presse ein seltenes und exotisches Tier für seinen Privatzoo vorstellen wollte, der Käfig aber bei der Enthüllung leer war.

Moment mal. Seltenes, exotisches Tier?

„Tss, ein Drache. Hätte nie gedacht, dass wir den widerfinden!“

„Nicht so laut, du Idiot. Willst du die Trottel in diesem Kuhkaff etwa dazu anregen, die Presse einzuschalten?“

Astrid wäre beinahe der Salzstreuer aus den Händen gefallen, als sie das hörte.

Sie suchten Ohnezahn. Und Scheinbar wussten sie schon, wo er sich versteckt hält. Aber wie? Wie konnten sie ihn finden?

„Hicks!“

Astrid wäre am liebsten losgestürmt, doch dann hätte sie die beiden Männer auf sich aufmerksam gemacht. Also musste sie entweder warten oder ganz ruhig sich von ihrem Platz erheben und so tun, als hätte sie nichts gehört.

„Junge Dame, ihre Bestellung ist fertig!“ rief der Mann am Schalter und Astrid dankte Gott für sein plötzliches Erscheinen. Rasch war sie aufgesprungen und trat lächelnd an den Schalter heran.

„Das macht dann 18,95£!“

Astrid legte ihm wortlos einen Zwanziger hin, nahm die Tüten und verabschiedete sich, bevor sie mit eiligen Schritten das Dinner verließ. Aus den Augenwinkeln heraus sah sie, dass die beiden Männer noch immer am Platz saßen und ihr keine Beachtung schenkten.

Vor dem Dinner drückte sie den Einkauf sogleich einem jungen Paar in die Hand, dass zufällig vorbei kam.

„Hier, guten Appetit!“ sagte sie rasch und lief dann eiligst nach Hause.

Sie würde ihre Axt brauchen…
 

Hicks versuchte sich seine Nervosität nicht anmerken zu lassen, als er dreizehn Männer zählte, die angeführt von einem breitschultrigen, bärtigen Mann mit schwarzen Haaren und Anzug durch das Tal geschritten kamen. Die Männer verteilten sich sogleich, bis Hicks, wenn er sich im Kreis drehe, in jeder Richtung einen vorfinden würde.

„Entschuldige bitte unser forsches Eindringen, mein Junge. Ich hoffe doch, wir haben dich nicht bei etwas wichtigem gestört!“ begann der Anzugträger.

Hicks fragte sich, wie jemand mit einem Anzug in die Berge gehen konnte. Und dann noch bei so einem Wetter.

„Nein… nichts Wichtiges. Wer sind sie?“ entgegnete Hicks, beobachtete aber weiter aus den Augenwinkeln die anderen Männer, die nun unruhig in einem großen Kreis um ihn herum gingen.

„Och, ich? Oh, niemand Besonderes. Ich bin nur ein herkömmlicher Mann, der eine lange Fahrt hinter sich gelassen hat um etwas zu finden, was ihm gestohlen wurde!“

„Das tut mir Leid für sie. Vielleicht sollten sie es mal mit der Polizei versuchen, anstatt selbst auf Diebesjagd zu gehen!“

Der Mann grinste und trat einige Schritte näher.

„Du bist ein aufgeweckter, kleiner Junge. Wie alt bist du? Wissen deine Mutter und dein Vater, dass du dich ganz allein in den Bergen herum treibst?“

Einige der Männer lachten höhnisch, verstummten aber, als der Anzugträger ihnen mahnende Blicke zuwarf. Hicks antwortete ihm nicht. Er hielt seinem Blick stand und wich auch nicht zurück, als er näher kam.

„Nein. Natürlich wissen sie es nicht. Nun, deine Mutter auf jeden Fall nicht. Denn die ist ja schon tot!“

Hicks Augenbrauen zuckten und er ballte die Hände zu Fäusten, wagte es aber nicht, sich auf den Mann zu stürzen. Sein Gegenüber bemerkte die plötzliche Reaktion und sein Grinsen wurde etwas breiter.

„Oh ja… ja, ich kannte deine Mutter. Sie hat früher für mich gearbeitet, weißt du. Valka Haddock. Ein kluges und willensstarkes Mädchen, wusste steht‘s, was sie wollte. Nur leider hatte sie so etwas wie ein Gewissen!“

Er begann, um Hicks herum zu gehen und ihn zu mustern wie eine Rarität.

„Du bist ihr sehr ähnlich. Die Haare, die Augen. Sicherlich hast du auch viel von ihrem Charakter geerbt. Ist es nicht so… mein lieber Hicks!“

Er stand nun wieder vor ihm, grinste ihm breit ins Gesicht und er hatte eine Hand auf seine Schulter gelegt. Hicks spürte den Druck, mit dem er ihn runter drücken wollte, doch er hielt ihm stand.

„Was wollen sie?“ fragte er.

„Das weißt du sehr genau. Ich will meinen Drachen zurück. Und ich weiß, dass du weißt, wo er sich in diesem Augenblick aufhält!“

Nun versuchte Hicks spöttisch zu lachen: „Ein Drache? Sind sie auf den Kopf gefallen, alter Mann? So etwas wie Drachen gibt es doch gar nicht!“

Kurz darauf war er keuchend auf allen Vieren am Boden. Der Mann hatte ihm das Knie in die Magengrube getrieben. Er versuchte zu Atem zu kommen und die Schmerzen zu ignorieren, als er an den Haaren gepackt und hoch gezogen wurde.

„Spiel nicht mit mir, du kleiner Scheißer. Ich weiß, dass du dich mit diesem Biest angefreundet hast, ihr wurdet gesehen. Zusammen. Durch die Luft fliegend.“

Er ließ Hicks los, indem er ihn rüde zu Boden schmiss. Dann wand er sich an seine Männer.

„Durchsucht das Tal. Ich will jeden Stein umgedreht haben, verstanden? Und du da, du kommst zu mir!“

Einen wies er an, zu sich zu treten, der Rest verteilte sich und begann, das Tal zu durchsuchen.

„Ja, Alvin?“

Alvin. Hicks versuchte sich an den Namen zu erinnern, doch seine Gedanken waren immer noch vom Schmerz betäubt. Und sein Bein meldete sich auch wieder.

„Oh,“ dachte er, „dass ist gar nicht gut!“

Alvin trat wieder an Hicks heran und ging vor ihm in die Hocke, dann strich er ihm mehrmals über den Kopf.

„Weißt du, deine Mutter hatte den bedauerlichen Fehler gemacht, sich gegen mich zu stellen und deinen Freund zu befreien. Dafür hat sie schließlich ihre gerechte Strafe erhalten. Und wie ich gehört habe, bist du ebenfalls in ihrem kleinen… Unfall verwickelt gewesen!“

Der Autounfall, Valkas Tod, Hicks verlorenes Bein. Das alles war also von ihm arrangiert gewesen?

Er ballte die Hände wieder zu Fäusten und versuchte einen klaren Gedanken zu kriegen. Alvin selbst begann über die Versuche von Hicks, wieder hoch zu kommen zu lachen.

„Ja ja, streng dich an, Kleiner. Zeig mir den Willen der Familie Haddock. Was ist schon ein abgetrenntes Bein gegen den Verlust eines weiteren, treuen Freundes?“

„Sie… sie verdammter Bastard…“ brache er hervor, was Alvin aber nur noch mehr amüsierte.

„So haben mich schon viele genannt. Das Problem ist nur, dass ich zu viel Geld und Macht besitzt, als das mich wirklich jemand ernsthaft behelligen kann. So, und ich glaube, wir könnten die Sache ein wenig mit deiner Hilfe beschleunigen!“

Hicks wurde gepackt und auf den Rücken gedreht. Dabei fiel die Vicodin-Dose aus seiner Jackentasche und Alvin hob sie neugierig auf.

„Ah ja, du musst ja Schmerzmittel nehmen, damit du die Schmerzen in deinem Beinstumpf ertragen kannst. Na, so ein Glück für mich!“

Er stand auf und schmiss die Dose mit aller Kraft fort. Dann ging er wieder zu Hicks in die Beuge.

„Und jetzt wirst du mir helfen, deinen Freund aus seinem Versteck zu locken.“

Hicks wollte sich wehren, als eine Hand nach ihm griff, doch der Schläger von Alvin hielt ihn fest, und als Alvin selbst seinen festen Griff sein Bein, knapp oberhalb der Prothese schloss, konnte er nichts anderes tun, als aus voller Kehle zu schreien.
 

Ein lautes, zorniges Brüllen ließ die suchenden Männer und Alvin selbst inne halten, und Hicks, der vor Schmerzen fast ohnmächtig war, versuchte halb benommen die Augen offen zu halten und den Kopf zu schütteln. Ein leises Nein formte sich auf seinen Lippen, doch es war zu spät.

Ohnezahn brach durch den Wasserfall hervor und stürzte sich mit seinen Klauen voran und ausgebreiteten Flügeln auf zwei der Männer, die unglücklich in seiner Bahn standen. Sie wurden zu Boden geworfen und lange, blutige Striemen zierten darauf ihre Bäuche und Gesichter. Ein weiterer Mann, der sich auf den Drachen mit lautem Gebrüll stürzen wollte, wurde von seinem heißen Plasmastrahl durch die Luft und gegen die felsige Wand geschleudert.

Alvin erhob sich zufrieden und er klatschte in die Hände.

„Bravo, einfach Weltklasse. Er hat nichts an seiner alten Stärke eingebüßt. Mein Drache. Mein kostbarster Besitz. Es wird Zeit, dich wieder nach Hause zu holen!“

Ohnezahn fixierte Alvin mit zornigem Blick und er machte sich schon bereit, in anzuspringen und seine Klauen und Zähne in seinem Fleisch zu versenken. Doch Alvin schien keine Angst zu haben, ganz im Gegenteil. Freudig streckte er die Arme zur Seite aus.

„Willst du es wirklich gegen mich wagen, Drache? Dann schau doch mal genauer hin!“

Er machte einen Schritt zur Seite und Ohnezahn riss panisch die Augen auf.

Alvins Schläger hatte Hicks hoch auf die Beine gezogen und den keuchenden und verschwitzten Jungen ein Messer an die Kehle gehalten.

„Du hast zwei Möglichkeiten, Drache. Ergib dich, und der Junge lebt. Widersetz dich uns weiter, und mein Handlanger wird deinem Freund die Kehle aufschneiden.“

Ohnezahn hielt inne. Dann blickte er sich um, warf jedem der sich ihm nähernden Männer einen drohenden Blick zu, zuckte aber zusammen, als er Hicks schwache Stimme vernahm.

„O-Ohnezahn… kümmere dich nicht um mich… flieh… flieh soweit… wie du kannst!“ sagte er, doch Ohnezahn konnte nicht. Er konnte seinen Freund nicht zurück und dem sicheren Tod überlassen. Er wollte, dass Hicks lebt, also zog er die Flügel ein und senkte mit geschlossenen Augen den Kopf.

„Gutes Biest!“
 

Hicks konnte und wollte nicht glauben, was er da sah. Hilflos musste er mitansehen, wie mehrere Männer mit Ketten und Seilen auf Ohnezahn zu gingen und sein Freund nicht tat, um sie davon abzuhalten.

„Nein!“ begann er und er fasste endlich wieder klare Gedanken. Er konnte die Klinge an seinem Hals spüren, doch der Schläger war zu sehr auf Ohnezahn selbst fixiert. Also hob Hicks das linke Bein und schlug dem Mann voller Wucht die Beinprothese gegen das Schienbein.

Das Messer fiel zu Boden, der Mann folgte schreiend und sich das Schienbein haltend. Hicks war frei.

„Ohnezahn!“ rief er und nahm sofort die Beine in die Hand, um zu seinem Freund zu gelangen.

Der Drache reagierte ebenfalls, öffnete die Augen und hob sofort den Kopf.

Doch da war es bereits zu spät. Die Männer schmissen sich auf Ohnezahn, klemmten seine Flügel unter ihrem Gewicht ein und versuchten, die Seile und Ketten um seinen Körper zu binden.

„Lasst ihn los, ihr Schweine!“ rief Hicks, während er weiter auf Ohnezahn zu lief.

Der Drache versuchte, um sich schlagend und mit dem Maul schnappend, die Angreifer von sich zu stoßen, er erwischte sogar eine von ihnen am Bein und schleuderte ihn quer durch die Luft.
 

„Genug mit diesem albernen Tanz!“

Wie aus dem Nichts war Alvin in Hicks Weg erschienen. Er packte ihn mit einer Hand an der Schulter, während die andere auf seine Brust zuflog. Etwas blitzte in seiner Faust, doch erst als Hicks den Schmerz spürte, fühlte, wie etwas seine Haut durchstieß, sich zwischen die Rippen schob und seine Lunge durchbohrte, war ihm klar, dass Alvin ihn mit einem Messer erstochen hatte.

Er brachte keinen Schrei hervor, stattdessen lief Blut aus seinem Mund und gleichzeitig verlor er eine große Menge durch die Eintrittswunde.

Er fiel rücklings zu Boden, Alvin folgte ihm.

„Weißt du, Junge. Das ist schon sehr komisch. Ich hatte doch tatsächlich mit dem Gedanken gespielt, dich am Leben zu lassen.“

Ohnezahn schrie vor Wut auf und erneut versuchte er sich, von seinen Angreifern zu befreien, doch für ihn gab es kein Entkommen mehr. Die Ketten und Seile hatten ihn festgeschnürt und um sein Maul hatte man einen Korb aus festen Lederriemen gebunden.

„Bringt ihn raus und verladet ihn im Truck. Und dann fahren wir zurück nach London.“ Befahl Alvin.

Dann blickte er auf den Ärmel seines Anzugs und bemerkte angewidert das Blut des Jungen, das den Stoff durchtränkt hatte.

„Und bringt mir einen neuen Anzug. Der hier ist ruiniert!“
 

Ohnezahen wehklagende Schreie waren über das Tal zu vernehmen, doch sie wurden bei jedem Mal schwächer und schwächer, bis Hicks, der auf dem Rücken lag und mit halb geschlossenen Augen hoch zum Himmel blickend seinen Freund nicht mehr vernahm.

„Ohne…zahn!“

Kälte ergriff seinen Körper, und sie wanderte immer höher.

„Mum…“

Hicks hatte versagt. Er hatte sich und Ohnezahn versprochen, auf ihn aufzupassen und dafür zu sorgen, dass man seine Freiheit nicht gefährden würde. Für ihn war der Drache zu einem besten Freund geworden. Und nun war er fort.

Ein letzter Gedanke zeigte sich in Form eines Bildes vor seinem geistigen Auge. Das Lächeln des Mädchens, dass er liebte.

„…Astrid…“

Sturmpfeil, Astrids Drache

Der Regen hatte eingesetzt, als Astrid endlich den Wald erreicht hatte. Ein wahrer Wolkenbruch ließ die Erde schlammig werden und machte das Vorankommen schwer, doch die junge Frau biss einfach die Zähne zusammen und lief weiter. Immer weiter.

Ihr Herz raste, ihre Gedanken waren nur ein Wirbel aus Bildern und Worten. Im Zentrum dieses Sturmes:

Hicks.

„Wie konnte ich nur so dumm sein, sie allein zu lassen? Wie konnte ich so blöd sein, einfach weg zu gehen?“ fuhr sie sich immer wieder in Gedanken an, während sie versuchte, beim Laufen nicht auf dem matschigen Boden auszurutschen. Doch immer wieder kam sie ins Stolpern, fiel auf die Knie oder legte sich sogar komplett lang. Sie schmeckte Blut, als sie sich beim Sturz die Lippe aufgebissen hatte. Schnell zog sie sich jedoch wieder auf die Beine, ignorierte den Schmutz und das Wasser, das ihre Kleider durchweichte und lief weiter. Immer weiter. Ihr Freund war in Gefahr, dass konnte sie spüren. Alvin war vor Ort, der Mann der schon unzählige Prozesse wegen Bedrohung, Diebstahl, Freiheitsberaubung, Erpressung und sogar Mord als unbehelligter Bürger verlassen hatte.

„Hicks. Was auch immer gerade passiert, halt durch. Ich bin gleich bei dir!“

Astrid wusste nicht, ob Ohnezahn in der Lage war, seinen Reiter allein gegen Alvin und seine Band zu verteidigen. Sie traute dem Drachen sehr viel zu. Vieles, zu dem andere, gewöhnliche Tiere seiner Größe nicht in der Lage waren.

„Ohnezahn wird ihn beschützen. Er muss. Er ist ein Drache!“

Dennoch blieb der Zweifel, wie ein matschiger Wurm der an ihrem Verstand nagte, immer lauter und immer kräftiger.

Als sie Stimmen durch das Rauschen des Regens vernahm, stürzte sie in letzter Sekunde hinter einen Baum. Es waren die Stimme mehrere Männer und… das Brüllen eines Drachen?

„Ohnezahn!“

Astrid lugte hinter dem breiten Stamm hervor und sah in einigen Metern Entfernung die Gruppe von Männern, die mit Leinen und Ketten einen Drachen hinter sich her zogen. Einen schwarzen Drachen.

„Oh nein!“ sie drückte sofort eine Hand vor ihren Mund und ihr Herz setzte aus, als sie nirgends eine Spur von Hicks fand und dann Ohnezahns wehklagendes Schreien vernahm.
 

„Beeilt euch. Dieses abscheuliche Wetter ertrage ich keine weitere Sekunde. Bringt ihn gefälligst schneller voran. Wenn es sei muss, tretet ihm in den Hintern!“ brüllte Alvin über die Köpfe seiner Männer hinweg. Grummelnd war von allen ein Ja zu vernehmen und sie gingen zügig weiter.

Astrid konnte nur hilflos zusehen, wie sie Ohnezahn aus dem Wald schafften und vermutlich auf einen Lastwagen oder etwas ähnlichem verladen würden.

Schweigend und tatenlos stand sie an den Baum gelehnt und versuchte ihre Gedanken neu zu ordnen, versuchte zu überlegen, was sie tun sollte.

„Hicks! Ich muss Hicks finden!“

Sie stürzte los, eilte ihren geschlungenen Pfad in die Berge hinauf und versuchte so schnell wie möglich ins Tal zu kommen.
 

Keuchend kam sie am Eingang des Tals zum stehen und sie musste sich keuchend auf ihre Knie stützen. Ein grauer Nebelschleier hing über der Schlucht, der Regen machte die Sicht zusätzlich schwer. Doch Astrid ließ sich von ein wenig Regen und Nebel nicht beeindrucken. Sie stürzte sich förmlich den Kiespfad hinab und folgte im Laufschritt dem Flusslauf.

„Hicks. HICKS!“

Keine Antwort. Astrid rief weiter nach ihrem Freund und drehte sich mehrmals um die eigene Achse, um ja nicht etwas zu übersehen, was sie später bereuen würde.

Und dann fand sie ihn.

Und ihr Herz setzte aus.

Hicks lag am Boden, durchnässt, leblos, bleich.

Astrid’s Beine begannen zu zittern und sie schaffte es kaum, einen Schritt vor den anderen zu setzen. Sie sah Blut, dass aus seinem Mundwinkeln lief, dass seine Jacke rot verfärbt hatte und sich mit dem Regenwasser am Boden sammelte.

Ihre Hände wanderten zu ihrem Mund und sie fiel auf die Knie. Heiße Tränen rannen ihr übers Gesicht. Sie war zu spät.

„O-Oh nein… nein bitte nicht. H-Hicks!“

Sie kauerte sich zu einer Kugel zusammen und legte eine Hand auf die Brust ihres Freundes.

„…strid.“

Sie stockte und hielt den Atem an, als sie schwach seine Stimme vernahm.

„…Astrid.“

Ihr Kopf schnellte hoch, sie wischte sich die Tränen aus dem Gesicht und sie kam näher.

„Hicks… Du lebst!“

Sie war überglücklich und vergaß für einen Augenblick, in Tränen aufgelöst, die Situation. Hicks war noch am Leben und das war alles, was nun zählte.

„Astrid… du bist… zurück. Du bist… gekommen!“ Seine Stimme war nicht mehr als ein geschwächtes Flüstern und bei jedem Wort lief etwas mehr Blut aus seinem Mundwinkel. Dennoch schaffte er es, die Lippen zu einem Lächeln zu verziehen.

„Ich wusste, dass du… zurückkommen würdest!“

„Ja, Hicks. Ja, ich bin da. Ich bin hier. Spar aber deine Kraft, wir müssen dich ins Krankenhaus bringen, so schnell wie möglich!“

Sie holte bereits ihr Smartphone aus der Tasche, bereit den Notarzt anzurufen, dass sie einen Helikopter samt Rettungsteam schicken sollen. Doch als die kalte Hand von Hicks ihre umschloss, hielt sie inne.

„Nein… keine Zeit… du musst, Ohnezahn… retten!“ sagte er leise, sein Lächeln war wieder vergangen.

„Was… was redest du denn da? Hicks, du brauchst medizinische Hilfe, einen Arzt, sonst… Hicks… du darfst nicht sterben!“

Er hustete schwach, was aber so etwas wie ein Lachen sein sollte. Hicks hatte die Lippen wieder leicht verzogen.

„Astrid… dafür ist es… schon zu spät. Bitte… ich hab nicht mehr… viel Zeit. Bitte, nimm das!“

Er griff in seine Hosentasche und holte eine silberne Kette mit einer Pfeife hervor. Astrid blickte verständnislos in die offene Hand ihres Freundes und nahm zögerlich die Pfeife entgegen.

„W-Was… ist das?“

„Ich wollte… es dir eigentlich zu deinem… Geburtstag schenken. Wenn du 18… wirst! Lustig… wie das Schicksal alles neu würfelt… oder?“

Sie blickte wortlos auf die Pfeife, dann zu Hicks, der sie mit halb geschlossenen Augen anstarrte, immer noch ein sanftes Lächeln auf den Lippen.

„Jetzt… blas schon rein… ich werde sicherlich nicht mehr… älter!“

Sie zögerte, führte dann die Pfeife aber zu ihren Lippen und blies hinein. Ein lauter, heller Ton hallte durch das Tal und verhallte erst nach einigen Sekunden.

Astrid ließ ihren Blick durch das Tal schweifen und zuckte dann erschrocken zusammen, als ein lautes Schreien als Antwort durch das Tal zurück hallte. Flügelschläge, mehrere waren zu hören und aus dem Regendunst stürzten 4 Drachen hindurch. Astrid wäre beinahe vor Schreck auf ihren Rücken gestolpert, als die Drachen in einem großen Bogen um die beiden herum kreisten und sich dann um sie herum auf dem Boden niederließen.

„Drachen… so viele Drachen.“ Sagte Astrid perplex und Hicks brachte ein hustendes Lachen zu Stande.

„Da ist sie ja… die Kavallerie…“ sagte er leise.

Jeder Drache hatte eine andere Größe, Farbe und Form. Keiner glich dem anderen.

Ein riesiger, roter Drache mit langen Klauen und langen, geschwungenen Hörnern. Ein kleiner, breiter Drache, dem man nicht ansah, dass seine kleinen Flügel ihn zum Fliegen brachten. Ein grüner Drache mit gleich zwei Köpfen, deren lange Hälse sie verrenken konnten wie den Körper einer Schlange.

Und ein blauer Drache, dessen großer Kopf hoch über dem Boden getragen wurde und dessen Körperbau an die Form eines stolzen Falken oder Adlers erinnerte.

Astrid war sprachlos und ihr fiel die Pfeife aus der Hand.

Hicks winkte den Blauen mit schwacher Hand zu sich und sofort beugte dieser seinen Kopf und trat ein paar Schritte auf ihn und Astrid zu.

„Hör mir… jetzt ganz genau zu… Astrid. Ich… zeige dir… wie du ihr Freund werden… kannst. Steh… auf!“

Sie zögerte mit seinem Wunsch, hievte sich dann aber auf ihre wackligen Beine. Der Drache beäugte sie angespannt aus gelben Augen und die Angst, die sie schon bei Ohnezahn verspürte, war wieder da.

„Hab… keine Angst, Astrid. Ich habe sie schon… vor Monaten… gezähmt. Jetzt… geh auf sie zu und strecke deine Hand aus!“

Astrid nickte, streckte dann ihren Arm aus und trat auf den blauen Drachen zu. Der Drache zuckte hin und her, ließ den Schwanz durch die Luft peitschen und schrie dann laut auf. Astrid stolperte zurück und zog sogleich die Hand an die Brust.

„Die Axt… leg die Axt… weg. Sie fürchtet sich… davor?“ erklärte Hicks angestrengt.

Sofort griff Astrid an die schwarze Axt an ihrem Gürtel, band sie los und schmiss sie einige Meter von sich. Der blaue Drache folgte der Axt mit seinem Blick und richtete sich dann wieder an Astrid. Die erhob erneut den Arm und trat auf den Drachen zu.

Der Drache folgte ihrem Beispiel und streckte sich langsam und zögerlich dem Arm entgegen. Als nur noch wenige Zentimeter sie von einander trennten, schloss Astrid die Augen und drückte die Handfläche schließlich gegen die warme, schuppige Schnauze.

Erst als der Drache sich gegen ihre Hand förmlich schmiegte und ihren Geruch einatmete, öffnete Astrid wieder ihre Augen und ein breites Lächeln zuckte über ihr Gesicht.

„Ich… ich hab‘s geschafft. Hicks, ich hab‘s geschafft. Ich habe mich mit meinem Drachen angefreundet!“ jubelte sie, überwältigt von den Glücksgefühlen, dass dieses Ereignis in ihr auslöste.
 

„Bravo… Astrid… ich wusste, dass… du es schaffen würdest. Jetzt… rette bitte… Ohnezahn… ich… ich… liebe … dich!“

Seine Kraft verließ ihn und Hicks schloss müde die Augen. Dann entspannte sich sein Körper und mit einem letzten Lächeln auf den Lippen verließ ihn der letzte Lebenswille.

Astrid hielt in ihrer Freude über den Drachen inne, und drehte sich langsam, schwer atmend um.

„Hicks?“

Sie fiel vor ihm auf die Knie und ergriff seine kalte, leblose Hand.

„H-Hicks?“

Die Drachen senkten alle den Kopf, als Astrid, in Tränen aufgelöst ihren Kopf auf seine Brust legte und ihre Welt förmlich über ihr zusammen brach…

Astrid, die Drachenreiterin

Die Scheibenwischer des Trucks waren im Dauerbetrieb, als der heftige Regen die Sicht auf die Straße um ein vielfaches verschlechterte. Verschwommen konnte man in der Finsternis die Rücklichter zweier Wagen erkennen, die auf der nassen Straße voran fuhren. In einem von diesen Wagen saß Alvin. Zwei weitere folgten dem Truck mit sicherem Abstand, somit bestand die Kolone aus fünf Fahrzeugen.

„Mach mal das Radio an!“ bat der Beifahrer müde. Er hatte bereits die Rücklehne verstellt und die Augen geschlossen, doch offenbar war der Mann nicht der Typ, der beim Autofahren ruhig schlafen konnte.

Grummelnd und sich fragend, warum er es nicht selber tat, griff der Fahrer mit einer Hand zum Radio, schaltete den erst besten Sender ein und ließ die Musik den Raum erfüllen.

Doch schon begann sein Beifahrer wieder zu Murren.

„Bah, mach mal ‘nen anderen Sender rein. Dieses Katzengejammer erträgt ja keiner!“

„Warum machst du es nicht selber? Bin ich hier dein Bimbo, oder wat?“

„Du bist der Bimbo vom Chef. Und der Chef mag mich lieber als dich. Also tu, was ich sage!“

Erneut ein Grummeln, doch er gab sich geschlagen und schaltete so lange durch die Sender, bis sein Kollege zufrieden war. Dann konnte er sich wieder auf das Fahren konzentrieren.

Ein Knacken und Knistern war zu hören, als das Funkgerät ansprang und die Stimme ihres Bosses zu hören war.

„Wie ist der Zustand des Drachen?“ fragte er.

Sofort war der Beifahrer wach und munter und blickte durch ein kleines Sichtfenster in den Ladebereich. Ohnezahn lag dort, angekettet am Boden und die einzige Bewegung, die man ausmachen konnte, war das heben und senken seines Bauches.

„Er hat sich offenbar mit seiner Lage abgefunden. Er ist ruhig!“

„Gut. Wir wollen ja nicht, dass er während der Fahrt eingeht!“

Wieder ein Knistern, dann wurde das Gerät still.

„Meinst du nicht, dass war’n bisschen zu viel?“ fragte der Fahrer nach einigen weiteren, stillen Minuten.

„Was meinst’e?“

„Na, ich meine diesen Jungen. Wie alt war er… 17, 18? Der Boss hätte ihn nicht töten müssen!“

Daraufhin erhielt er einen Schlag auf den Hinterkopf versetzt und säuerlich knurrte er seinen Kollegen an, der finster zurück blickte.

„Bist du dumm oder so? Hast du nicht aufgepasst, als der Boss mit diesem kleinen Scheißer geredet hat? Das war der Sohn von Valka. Die Schlampe, die uns zum Jahresanfang so viel Ärger bereitet hatte.“

„Davon weiß ich nichts, ich bin erst seit ein paar Wochen Mitglied in Alvins Bande!“

Der Beifahrer lehnte sich wieder zurück und verschränkte die Arme hinter dem Kopf.

„Dann klär ich dich mal auf. Valka kam zu unserem Boss, weil sie und ihre Familie in Geldsorgen gerieten. Jedoch hatte sie dieses Problem immer vor ihrer Familie geheim gehalten und sie wollte offenbar nicht, dass ihr Sohn seine Pläne für die Zukunft aufgibt. Irgendwas von Wissenschaft oder so… keine Ahnung, was es war, jedenfalls wollte dieser Hicks studieren gehen. Na ja, darum brauch er sich jetzt wohl keine Sorgen mehr zu machen.“ Ein Grinsen huschte kurz über seine Lippen.

„Nun, Valka arbeitete daraufhin eine Zeit lang für Alvin, erledigte kleine Botengänge und immer wieder half sie ihm…unfreiwillig bei seinen kleinen, dunklen Geschäften. Und dann fanden wir diesen Drachen.

Keine Ahnung, welcher Wahnsinn Valka gepackt hatte, aber sie beschloss, das Vieh zu befreien und es zu verstecken. Dann kehrte sie London endgültig den Rücken und blieb bei ihrer Familie in Berk. Hat wohl geglaubt, dort vor Alvin sicher zu sein.“

Der Fahrer nickte verstehend: „Und dann ließ Alvin ihr Auto sabotieren…“

„…damit es wie ein Unfall aussah. Genau. Das ihr Sohn mit ihm Wagen saß war quasi ein kleiner Bonus. Jedenfalls weißt du jetzt, dass man den Boss nicht hintergeht!“

Wieder ein Nicken des Fahrers und damit war die Eklärungsstunde beendet.

Er richtete seinen Blick wieder auf die Straße.
 

Plötzlich ging ein Ruck durch den Track und der Fahrer musste sofort mit der Lenkung Gegensetuern, um nicht von der Straße zu kommen. Sein Beifahrer war wie vom Blitz getroffen und warf sofort einen Blick nach hinten. Doch Ohnezahn schien zu schlafen.

„Was war das?“

„Keine Ahnung. ‘ne plötzliche Windböe?“

Sie tauschten verwirrte Blicke aus, dann gab es einen erneuten Ruck, dieses Mal von der anderen Seite.

Sofort schaltete sich das Funkgerät wieder ein.

„Was ist da hinten bei euch los, warum fahrt ihr wie zwei hirnverbrannte Trunkenbolde?“ zischte Alvins Stimme knisternd durch den Lautsprecher.

„Keine Ahnung, Boss. Da war plötzlich dieser Ruck. Aber es ist nicht der Drache.“
 

Plötzlich erschien wie aus dem Nichts im Licht der Scheinwerfer ein blau-gelbes, geflügeltes Ungetüm und es stürzte sich mit weit aufgerissenem Maul und spitzen Krallen auf die Fahrerkabine. Die beiden Männer schrien auf und der Fahrer riss das Lenkrad herum, kurz bevor das Monstrum im letzten Moment hoch zog und über den Track hinweg flog.

Der Truck durchbrach die Leitplanke, kam von der Straße und fuhr mit einem lauten Donnern einen seichten Abhang hinab. Im schlammigen Boden konnten die Reifen keinen Halt greifen und der Fahrer kämpfte verzweifelt mit der Kontrolle. Er riss das Lenkrad immer wieder hin und her und versuchte den Truck abzubremsen, doch dann verlor er die Kontrolle und das Ungetüm aus Stahl kippte zur Seite um und überschlug sich einmal. Auf der Seite liegend schlitterte er noch etwas über ein durchgeweichtes Feld, bevor er mit eingeschlagenen Scheiben und eingedelltem Anhänger zum Stillstand kam.
 

Alvin schrie wütend den Fahrer seines Wagens an, zu stoppen und umzudrehen, damit sie zum Truck kamen. Der Fahrer wollte gehorchen, doch dann beobachteten sie mit Schrecken, wie sich ein großes, rotes Ungetüm auf den Wagen vor ihnen stürzte, seine Hinterkrallen im Dach verkeilte und das Auto mit sich in die Luft hob, nur um es nach wenigen Metern auf den Boden fallen zu lassen.

„Anhalten. ANHALTEN!“ brüllte Alvin.

Sein Fahrer trat in die Bremse und kaum war der Wagen zum Stillstand gekommen, sprang er hinaus und eilte von der Straße.

Die Luft war erfüllt von Schreie und donnerndem Gebrülle unterschiedlichster Tonlagen. Alvin blickte sich um. Wo er hinsah er kannte er einen Drachen, der sich aus dem Himmel herab auf seine Leute stürzte.

Dann begannen die Flammen.

Die Drachen zündeten die Bäume und Felder an, die trotz des heftigen Regens sofort lichterloh in Flammen aufgingen.

„Drachen… so viele Drachen!“

Ein breites Grinsen zierte sein Gesicht und sofort lief er los und brüllte seinen Männern zu, diese Drachen einzufangen.

Doch seine Männer waren völlig in Panik und liefen schreiend kreuz und quer, um den Angriffen der fliegenden Echsen zu entgehen.

„Hört auf, Angst zu haben. Kämpft. KÄMPFT. WIR SIND MENSCHEN, WIR SIND ÜBERLEGEN, ÜBERALL UND IMMER!“

Doch niemand hörte ihm zu, und niemand kümmerte sich um den Track, dessen Luken nun halb offen waren.

Ohnezahn hatte glücklicherweise den Crash heil überstanden, seine Ketten jedoch nicht. Doch noch wagte er sich nicht nach draußen, sondern schob nur seinen Kopf in Richtung Freiheit, um einen Blick zu erhaschen, was für den Krach da draußen verantwortlich war.

Immer wieder lief Alvin im Kreis und versuchte einen seiner Leute zu fassen zu kriegen. Dabei musste er auch steht’s den Drachen ausweichen, die mit Krallen, Klauen und Zähnen nach ihm schnappten.

Und dann landete ein blauer, Vogelartiger Drache vor ihm und eine junge und hasserfüllte Schönheit mit Axt sprang hinab und trat auf Alvin zu.
 

Alvin brauchte nicht lange darüber nachdenken, wer das Mädchen war und was der Grund für ihr kommen war.

„Nun, dass nenne ich einen vortrefflichen Auftritt, meine Liebe. Auf dem Rücken eines Drachen reitend führst du eine Schar dieser mächtigen Wesen in die Schlacht gegen euren gemeinsamen Feind. Das hat für war etwas Poetisches. Und dein Blick, als versuchtest du dich selbst zu einem Abbild des Racheengels zu machen. Lass mich raten. Der junge Hicks, war er dein Freund? Nein warte… dein Liebhaber?“

Mit einem Aufschrei stürzte sich Astrid auf Alvin und riss ihre Axt durch die Luft. Alvin hob nur einen Arm und die Klinge der Waffe prallte an ihm ab.

Verwundert stolperte Astrid zurück. Ihr Schlag hätte ihm den Arm sauber abtrennen müssen.

„Du scheinst überrascht.“

Daraufhin begann Alvin, sich den teuren Anzug vom Körper zu reißen und zum Vorschein kam so etwas wie ein Enger, dunkler Schutzanzug. Viele Stellen am Körper waren durch glänzende Metallplatten bedeckt.

„Glaubst du etwas, ich gehe auf Drachenjagd ohne mich anständig zu schützen, dummes Gör?“

„Gut, versteck dich hinter deinem Anzug, Alvin. Umso mehr Freude werde ich verspüren, wenn ich dich da heraus pulen werde. Stück… für Stück… für Stück!“

Und erneut stürzte sie sich auf ihn.
 

Endlich hatte Ohnezahn die letzten Ketten von seinem schuppigen Körper geschüttelt und er traute sich nun, hinaus aus dem Truck zu klettern. Freude stieg in ihm auf, als er die Schreie der anderen Drachen erkannte. Die, die Hicks selbst vor Astrid immer noch geheim gehalten hatte. Sie alle waren gekommen, um ihn zu befreien.

Er stieß ein lautes Brüllen aus, bevor er sich mit in den Kampf schmiss. Seine heißen Plasmaschüsse zuckten daraufhin dicht über den Boden hinweg und brachten unzählige Männer verletzt zu Fall. Doch keinen von ihnen würde er töten.

Nein, den Tot hatte nur einer verdient.
 

Vor Schmerzen Aufschreiend wurde Astrid zu Boden geworfen und ihre Axt fiel ihr aus der Hand. Alvin hatte ihren letzten Angriff kommen sehen, war ihm ausgewichen und hatte selbst einen Treffer gegen ihren Arm gelandet. Ein Knacken war zu vernehmen, ihr Arm war gebrochen und nun schien der Schmerz, sich mit den anderen Prellungen und Schürfwunden dieses Kampfes zu vereinen und ihr Bewusstsein zu rauben. Nur mit viel Mühe hielt sie sich wach und stemmte sich wieder auf die Füße.

Alvin selbst spuckte etwas Blut aus. Doch sein Grinsen verging nicht.

„Das muss man dir lassen, Mädchen. Du weißt, wie man einen alten Mann wie mich unterhält. Dein Freund war keine große Herausforderung gewesen. Hicks hatte sich nicht einmal gegen mich gewehrt, als ich ihm das Messer in die Brust stieß. Na ja, was kann man auch schon von einem gebrochenem Krüppel erwarten?“

„Wagen sie es…“ begann Astrid Zähneknirschend, „Wagen sie es nie wieder, so über Hicks Haddock zu sprechen. Er starb, um seinen Freund zu beschützen. Es gibt keinen… ehrenvolleren Tod. Er war ein viel besserer Mensch als sie es jemals sein werden. Also halt den Rand du mieser, alter, fetter Sack und lass dir endlich das Herz rausreißen!“

Alvins Grinsen verschwand, sein Gesicht verzog sich vor Zorn.

„Du kleine Schlampe. Wenn du ihn so sehr geliebt hast, dann sollst du ihm halt folgen!“

Er zog ein Messer aus einer Tasche und lief Auf Astrid zu, die sich immer noch nicht ganz von dem letzten Schlag erholt hatte.

Doch bevor Alvin zum tödlichen Hieb ausholen konnte, wurde er von einem lilanen Plasmablitz getroffen und durch die Luft geschleudert. Überrascht und dann voller Freude drehte sich Astrid zum Schützen um.

„Ohnezahn! Es geht dir also gut, mein Freund. Wie schön.“

Der Drache schenkte ihr ein kurzes, zahnloses Lächeln, dann richtete er seinen Blick, finster und zornig, wieder auf Alvin, der zur Flucht ansetzte.

„Du entkommst mir nicht, Alvin!“ brüllte Astrid ihm hinter her, ergriff die am Boden liegende Axt und folgte ihm, weg von den Bränden und den Kampfgeschehen der anderen Drachen und Männer.
 

Das Rauschen der Meere war zu vernehmen und schon bald endete die Wiese an einer steilen Klippe. Das Meer brach unter ihr an spitzen und kantigen Felsen, doch von Alvin fehlte jede Spur.

Sie blickte sich um, konnte aber wegen der Finsternis und des Regens nicht viel erkennen. Und als sie plötzlich Schritte hinter sich hörte, war es schon zu spät. Alvin schlug mit beiden Händen auf ihren Rücken ein und schmiss sie somit zu Boden. Astrid konnte sich nicht fangen, glitt über den Abgrund und drohte, in den sicheren Tod zu stürzen, als ihre Hände noch schnell einen sicheren Halt ergriffen.

Alvin baute sich derweil triumphierend über ihr auf.

„Du bist zu naiv, dummes Gör. Folgst dem Schuft ganz allein durch die Nacht und bleibst dann zu nah an der Klippe stehen. Du hast bisher einen guten Kampf geliefert, aber nun hat Fortuna dich verlassen.“

Er ging vor ihr hinab auf ein Knie und seine Hand legte sich auf ihre, die immer noch verzweifelt sich am Rand der Klippe festkrallten.

„Richte Hicks von mir schöne Grüße aus. Sag ihm, dass die Schuld seiner Schlampen-Mutter beglichen ist. Und was dich anbelangt, so soll er nicht allzu enttäuscht über seine Freundin sein. Eine bessere hätte er eh nicht verdient!“

Und dann schlug mit beiden Fäusten auf ihre Hände. Astrid schrie vor Schmerzen laut auf und war gezwungen, los zu lassen. Ihre Augen weiteten sich vor Schreck, Panik und Angst, als sie hilflos die Arme durch die Luft wedelte, aber nichts zu fassen bekam, was sie vor ihrem Sturz bewahren konnte.
 

Siegessicher sah Alvin ihr nach, bis er von etwas gewaltigem Niedergeschmissen wurde und über den Rand der Klippe nur noch beobachten konnte, wie der schwarze Drache, den er gefangen hatte, dem Mädchen hinter her stürzte. Sie trafen sich in der Luft, das Mädchen zog sich auf seinen Rücken und in der wirklich allerletzten Sekunde breitete der Drache seine Flügel aus und brachte sie wieder hinauf.

Alvin zog sich wieder auf die Beine und blieb an der Klippe stehen, während der Drache und das Mädchen nun vor ihm in der Luft hielten.

„Du irrst dich, Alvin. Hicks hat sogar eine bessere Freundin als mich verdient. Eine, die ihn nicht allein sterben lässt. Aber eines kann ich dir versprechen. Einen besten Freund hat er schon. Ohnezahn!“

Der Drache brüllte, dann riss er das Maul auf und in seinem Rachen brannte bereits sein Feuer.

Alvin lachte und breitete die Arme aus.

„Wunderbar, einfach wunderbar. Dann bring es nun zu Ende, Astrid, Drachenreiterin!“

Auf Astrids Kommando hin schoss Ohnezahn seinen Plasmablitz gegen den Klippenrand unter Alvins Füßen. Der Fels zersprang, Alvin verlor das Gleichgewicht und stürzte. Doch kein Schrei entglitt seiner Kehle, nur ein langes und höhnendes Lachen, bis er in der Nacht und den Fluten verschwand…

Eldarin

Wärme.

Alles was er fühlen konnte in diesem Augenblick war wärme. Keine Kälte, kein Regen, der auf sein Gesicht niederging, keine Schmerzen, die mit jeder Welle, die durch seinen Körper zuckte, ihn zu lähmen drohte.

Das Atmen fiel ihm leicht, leichter als jemals zuvor in seinem Leben.

Und diese unbeschreibliche Wärme.

Als Hicks die Augen öffnete und verwundert zu einem unbeschreiblich eindrucksvollen Sternenhimmel blickte, spürte er ein wohliges Gefühl der Vertrautheit. Aber noch nie hatte er einen so schönen Sternenhimmel gesehen, nicht einmal, als er mit Ohnezahn die höchsten Höhen beflogen hatte.

„Wo bin ich?“

Seine Erinnerungen waren noch vorhanden, er sah bildlich vor seinem inneren Auge, wie Alvin ihn niederstach, er zu Boden ging und langsam das Bewusstsein verlor. Er wusste auch noch, wie Astrid ihn fand und wir er ihr half, ihren ersten Drachen zu zähmen bevor er starb.

„Ich bin also… tot. Ist das hier… das Leben danach?“

Er setzte sich langsam auf und fand sich auf einer kleinen Bank am Rande einer bunt bewachsenen Allee. Trotz des Sternenhimmels konnte er Sonnenlicht auf seiner Haut spüren und er kniff die Augen zu, als er in das strahlende Licht eines Sonnenaufgangs blickte.

Er beschloss, nicht länger auf der Bank liegen zu bleiben und schwang die Beine über die Bank zu Boden. Und dann konnte er fühlen, wie beide Füße den Boden berührten.

Er blickte an sich herab und hielt den Atem an.

Seine Beinprothese war verschwunden, stattdessen war da wieder sein echtes Bein. Sein Bein.

Es war wieder da.

Er hielt eine Hand vor den Mund und Tränen der Freude entglitten seinen Augen. Darum spürte er keine Schmerzen mehr, deshalb fehlte das belastende Gewicht der Prothese.

Sein Bein war wieder da.
 

Als er aufstand und seine ersten Schritte wagte, war es, als hätte er das Bein nie verloren. Problemlos konnte er gehen, laufen, hüpfen und springen. Und dabei lachte er freudig auf, denn kein Schmerzen hinderte ihn mehr daran.

Doch dann traf ihn die traurige Erkenntnis und sein Lächeln wurde schwächer.

„Ich bin also… wirklich tot!“
 

Hicks schüttelte den Kopf und er verdrängt sofort die finsteren Gedanken. Erst einmal wollte er sich umsehen. Wo war er, was war dies für ein Ort und war er hier allein?

Als er sich genauer umsah war der erste Eindruck, der ihn fing, der einer Stadt. Aber keiner gewöhnlichen Stadt. Der Ort war im Einklang mit der Natur, die Häuser aus Holz und Stein und mit roten Dachziegeln, und er schien wie aus einem Märchenbuch zu entspringen. Und er war auch nicht allein.

Hicks wusste nicht, wie er die ganzen Menschen, die an ihm vorbei durch die Allee spazierten, übersehen konnte. Keiner schien besonders alt oder jung zu sein, sie alle waren in der Blüte ihres Lebens. Sie lachten, spielten, unterhielten sich und gingen gemeinsam spazieren. Dennoch erschienen sie leicht Schemenhaft. Als Hicks auf ein Mädchen und einen Jungen zuging, verblassten immer mehr ihre Gesichter, sodass er nur noch grobe, menschliche Züge erkennen konnte, als er vor ihnen stand.

„Ähm… Entschuldigung. Könnt ihr mir sagen, wo ich hier bin?“

Doch die Gestalten schienen ihn nicht zu bemerken. Ungestört führten sie lachend ihre Unterhaltung fort, von dem Hicks ebenfalls nicht mehr als ein unverständliches Flüstern verstand.

„Hallo? Könnt ihr mich sehen, mich hören? Hallo?“

Er winkte mit einer Hand vor ihren Gesichtern, doch sie reagierten immer noch nicht. Dann versuchte er das Mädchen an der Schulter zu berühren, erschrak aber, als seine Hand durch sie durch ging, wie durch Rauch.

„Es ist zwecklos. Sie können dich nicht sehen!“

Hicks blickte sich um und suchte den Mann, der gerade u ihm gesprochen hatte.

„Aber… sie können es. Wo sind sie? Zeigen sie sich!“ rief er und drehte sich immer wieder um die eigene Achse.

„Folge der Allee bis du zu einer großen Terrasse kommst. Dort findest du mich!“ sagte die Stimme und erstarb dann. Hicks rief noch mehrmals nach ihr, erhielt aber keine Antwort.

Da er keine andere Wahl hatte, folgte er dem Menschenstrom der Allee entlang. Gleichzeitig sah er sich weiter um.

Dieser Ort schien keinen, normalen Himmel zu besitzen. Er konnte Mühelos Monde und Sternennebel ausmachen und das obwohl, die Sonne schon aufgegangen war. Und selbst die schien nicht normal zu funktionieren, denn sie hatte sich noch keinen Millimeter bewegt, als würde diese Welt in einer ewigen Morgendämmerung existieren.

Dann erreichte er die Terrasse und er blickte sich suchend um.

Seine Augen stoppten bei einer Gestalt, die am Geländer lehnte. Der Mann hatte ihm den Rücken gekehrt, doch anders als die anderen wirkte er nicht Schemenhaft und er verblasste auch nicht, als er ihm näher kam.

Der Saum eines dunkelroten Mantels wehte leicht auf und ab, obwohl Hicks keinen einzigen Luftzug spüren konnte. Die Haare waren schwarz und zottelig, im Nacken deutlich länger und zu einem kunstvollen, langen Zopf zusammen gebunden. Auf der Schulter saß ein Rabe, der sich umdrehte und Hicks aus dunklen Augen heraus anstarrte.

Hicks trat dennoch näher und warf selbst einen Blick über das Geländer. Unter ihnen erstreckte sich eine Gigantische Stadt, dessen Enden mit dem Horizont verschmolzen. Die Ziegeldächer glänzten im Sonnenlicht und unzählige Gestalten waren auf den Straßen und Plätzen zu erkennen.

„Wahrlich atemberauend, nicht wahr? Wer hätte sich vorgestellt, dass sich das Paradies als zeitlose Metropole entpuppen würde?“ Sagte der Mann.

Leuchtende, rote Augen trafen trübe, grüne, als Hicks und der Fremde sich ansahen.

„Wo bin ich hier? Ist das hier das… Totenreich? Seit ihr der… Tod?“

Der Mann blinzelte ihn perplex über die Frage an, bevor er in schallendes Gelächter ausbrach, was den Raben auf seiner Schulter verschreckte und dieser begann, ihn wütend an zu kreischen.

Als der Mann sich wieder eingekriegt hatte, strich er dem Vogel über den Kopf und entschuldigte sich leise bei ihm. Dann wand er sich wieder Hicks zu.

„Nein, ich würde es mich niemals wagen, mir den Titel meines Bruders anzumaßen. Und nein, das hier ist auch nicht das Totenreich, auch wenn es ihm in Schönheit und Glanz in Nichts nachsteht. Dies ist meine Heimat und ich habe dich hier her geholt, bevor du die endlose Reise im Leben danach antreten konntest. Sieh es quasi als eine Art… hm…“ er schnippte mit den Fingern, „Boxenstopp!“

Hicks dachte über die Worte des Fremden nach und blickte dann wieder hinab auf die Stadt.

„Und warum… bin ich hier?“

„Nun, das ist die entscheidende Frage, richtig? Warum sind wir hier? Was ist der Sinn in unserer Existenz? Warum lehnt Christian Bale die Rolle als Batman ab? Nun, nicht auf jede Frage kann oder werde ich dir Antworten geben. Aber auf ein paar schön. Komm, gehen wir ein Stück!“
 

„Lass mich dir zuerst eine Frage stellen, Hicks. Was weißt du, über deine Vorfahren?“ fragte ihn der Fremde, während sie eine Treppe hinab in die Stadt nahmen.

Über diese Frage war Hicks zunächst verwirrt, wusste er doch bescheiden wenig über die Haddocks, die vor ihm waren.

„Nicht besonders viel… fürchte ich. Wieso fragt ihr?“

„Nun, das würde uns viel Zeit ersparen. Obwohl uns auch das nicht stören sollte. Weißt du, Zeit hat hier nämlich genau so wenig Macht wie die restlichen, lästigen Gesetze der Natur, mit denen du bisher vertraut bist.

Weißt du, einer meiner Brüder scheint Gefallen daran gefunden zu haben, den Verlauf der Geschichte ab gewissen Punkten zu wiederholen. Ob er das tut um mir selbst Steine in den Weg zu legen kann ich nicht sagen. Seine Pfade sind wie die aller meiner Familie unergründlich.

Vor knapp über eintausend Jahren bevölkerten Wikinger den nördlichen Teil Europas, wie du sicherlich weißt!“

Hicks nickte. Er konnte sich noch gut an den Geschichtsunterricht in der Schule erinnern.

„Gut. Nun, auf einer kleinen Insel, die zufällig damals den Namen Berk trug, wuchs ein junger Mann auf, der alles andere als ein großartiger Wikinger wurde. Er sah aus wie du, er redete wie du, er handelte und er hieß auch wie du. Hicks Horrendous Haddock der Dritte, um genauer zu sein. Er war der erste Wikinger, der sich mit Drachen anfreundete und somit zum Frieden zwischen Drachen und Menschen mitwirkte.“

Sie erreichten eine weitere, tiefer liegende Terrasse und der Fremde wies auf ein paar Stühle und Tische. Er setzte sich dann, Hicks zögerte erst noch. Dann ließ der Mann den Raben über den Arm entlang hüpfen, bis er auf dem Tisch Platz nehmen konnte. Dann begann er, das Gefieder des Vogels mit zwei Fingern zu streicheln.

„Heißt das also, es gab schon früher Drachen? Warum… wurden sie dann immer als Fabelwesen bezeichnet, die nicht wirklich existieren, wenn sie die ganze Zeit über gelebt haben?“ fragte Hicks.

„Weil sie es eben nicht taten. Lass mich zu Ende erzählen, dann wirst du es vielleicht verstehen.

Der Hicks von damals gab mir die Hoffnung, dass Drachen und Menschen sich schlussendlich verstehen würden und ich setzte große Erwartungen auf ihn. Doch dann, vier Jahre nach seinem Sieg über die tyrannische Drachenkönigin, bei der er übrigens ein Teil seines linken Beines verlor, wurde Hicks im Schlaf von einem seiner Wiedersache, einem Verbannten namens Alvin ermordet. Der Frieden zwischen Drachen und Menschen fing an zu wanken und nur ein Jahr später lagen sich beide Rassen wieder blutend an der Kehle. Da beschloss ich, einzugreifen. Ich zerriss das Gefüge der Zeit und verbannte die Drachen aus deren Fluss. Hilflos setzte ich sie dem zeitlosen Sturm aus und schützte sie zeitgleich vor der völligen Ausrottung durch den Menschen. Ich wusste, dass eines Tages die Zeit reif war, dass die Drachen zurückkehren konnten. Und dieser Zeitpunkt war gleichzeitig der Tag deiner Geburt, Hicks. Du warst meine nächste, große Hoffnung auf Frieden zwischen Drachen und Menschen!“

Das Gesicht des Fremden verfinsterte sich und er wand den Blick ab.

„Und dann beschloss mein Bruder, die Geschehnisse zu wiederholen. Und nun bist du hier, genau wie dein Vorfahre vor knapp eintausend Jahren. Lustig übrigens, er hatte denselben, verwirrten Gesichtsausdruck wie du jetzt!“
 

Schweigen legte sich über die beiden. Der Fremde gab Hicks die Zeit die er brauchte, die ganzen Informationen zu verdauen. Er schien es selbst auch gar nicht eilig zu haben. Lächelnd strich er weiter über das Gefieder des Rabens und blick ab und zu hinab auf seine Stadt oder genoss die warmen Sonnenstrahlen auf seiner Haut.
 

„Und was… geschieht nun mit mir?“ fragte Hicks vorsichtig nach.

„Nun, für gewöhnlich wäre das nun das Ende. Ich müsste deine Seele nehmen und zu meinem Bruder bringen, dem Tod. Der wiederum entscheidet dann, ob deine Seele ins ewige Paradies kommt oder ob sie von allen Erinnerungen gereinigt und dann zu einem späteren Zeitpunkt wiedergeboren wird. Darauf habe ich keinen Einfluss, aber…“

Der Fremde legte die Stirn in Falten und legte seine Hand ans Kinn.

„Aber?“ fragte Hicks nervös nach.

„Aber wer soll dann die Drachen und die Menschen zusammen bringen? Es tut mir wirklich leid, falls du gerade Hoffnung bekommen solltest, dass ich dich zurück schicken kann. Denn das kann ich nicht. Also, ich darf es nicht, um genauer zu sein!“

Er seufzte und ließ die Schultern sinken.

Hicks nickte langsam. Auch er hatte langsam verstanden, dass es keinen Weg zurückgeben konnte.

„Dürfte ich dann… etwas vorschlagen?“ fragte er zögerlich und sofort wurde der Fremde hellhörig.

„Aber natürlich. Welche großartige Idee hast du denn?“

„Ich wüsste da jemanden, der meine Stelle einnehmen kann. Aber… würdet ihr mir die Chance geben, es ihr selbst zu sagen? Damit ich sie ein letztes Mal sehen kann?“

Die Züge des Fremden wurden weicher und sein Lächeln breiter. Offensichtlich schien er Hicks Absichten durchschaut zu haben und er nickte.

„Dann komm, du mutiger, junger Mann. Ich werde dich zu ihr bringen.“

Er hielt Hicks die offene Hand ihn und als er sie ergriff, verschwand alles um ihn herum in einem hellen Licht…

Das versprochende Ende...

Als Astrid Hofferson an diesem Morgen in ihrem Bett im Krankenhaus erwachte und ihr erster Blick hinaus aus dem Fenster gerichtet war, wo ein dunkler Himmel über der Welt hing und Regen hinab prasselte, hatte sie jegliches Zeitgefühl verloren. Es war sicherlich schon der dritte oder vierte Tag im Krankenhaus, und doch schmerzte ihr Herz noch so stark wie in der Nacht, als sie nach Alvins Tod mit den Drachen zurück ins Tal kehrte. Schützend hatten die Drachen einen Kreis um Hicks blassen Leichnamen gebildet und hinauf zum Wolkenverhangenen Nachthimmel geschrien, als würden sie ein Totenlied anstimmen und gemeinsam über den Verlust eines Freundes klagen.

Astrid selbst war, geschwächt von den Schmerzen und der Trauer, erschöpf zu Boden gegangen und hatte ihre Stirn auf seiner Brust abgelegt.

An den Rest erinnerte sie sich nicht mehr, nur noch an die Tränen, die ihren Blick verschleierten, an einige Lichter, die das Tal erhellten und an Stimmen, die aufgeregt und doch Fern in ihren Ohren zu vernehmen waren.
 

Man brachte sie ins Krankenhaus, behandelte ihre Wunden und ließ sie dann den ersten Tag in Ruhe. Schwestern und Ärzte berichteten später, sie haben die ganze Zeit ein Mädchen auf ihrer Station schreien und weinen gehört.
 

Am zweiten Tag trafen die Eltern ein. Obwohl Helga und Richard sich nur noch wenig zu sagen hatten in diesen Tagen, standen sie nebeneinander am Bett und warteten, eng aneinander gelehnt, darauf, dass ihre Tochter aufwachen würde. Als das Geschah, war Helga die Erste, die sich ans Bett setzte und ihre Tochter fest in die Arme schloss. Richard kam dann langsam dazu und legte seine Arme um beiden Frauen.
 

Dann kamen die Fragen. Größtenteils gestellt von Polizisten, die ausführlich um jedes Detail der vergangenen, schrecklichen Nacht baten und erst das Zimmer verließen, als Astrid erneut in Tränen ausgebrochen war und Helga damit drohte, mit dem Infusionsschlauch jeden zu erwürgen, der noch eine einzige Frage stellen würde.
 

Seit dem hatte man sie in Ruhe gelassen. Natürlich bekam sie einiges durch ihre Mutter mit. Offenbar waren überall im Norden Schottlands plötzlich Drachen gesichtet worden, was zu einer riesigen Welle der Euphorie, der Angst und der Faszination auf der ganzen Welt gesorgt hatte.

Drachen. Im Fernsehen laufen die Nachrichtensendungen im Wettlauf zueinander und sie alle berichteten nur noch über das Erscheinen der Drachen.
 

Astrid wollte den Fernseher schon bald abschalten. Sie hat die letzte Woche mit einem Drachen und ihrem besten Freund verbracht, nichts, was man ihr in den Nachrichten nun mitteilen konnte, war neu für sie.

Doch als ein Bild von Hicks und Alvin gezeigt wurde, hielt sie inne und drehte die Lautstärke auf.

„…soll angeblich der junge und kürzlich verstorbene Sohn des Bürgermeisters der Stadt Berk, dem Ort das im Zentrum des sich nun ausbreitendes Lebensraumes der Drachen befindet, Hicks Haddock dazu beigetragen haben, dass diese geflügelten Echsen nun überall in Schottland zu sichten sind. Wie nun durch unbekannte Quellen veröffentlich wurde, ist der auf mysteriöse Weise ums Leben gekommene Milliardär und Geschäftsmann Alvin Treacherous für den Tod an dem Haddock Sohn verantwortlich. Seine Firma und das Geschäft wird nun von seiner Tochter, Heather Treacherous übernommen. Die Polizei hat sich bisher nicht über diese neuen Informationen geäußert. Gerüchten zu folge…“
 

Nun also lag sie an diesem Morgen noch immer im Krankenbett. Ab und an sah sie etwas Großes an ihrem Fenster vorbei fliegen und sie vermutete, dass es ein Drache war. Das Fenster war nicht geöffnet, dennoch konnte sie den Ruf eines Drachen wahrnehmen. Ihres Drachen.

„Sturmpfeil!“

Sie lächelte leicht, als ihre Gedanken zu dem blauen, schuppigen Tier wanderten. All die Sorgen um ihre Zukunft, die sie einst gehabt hatten waren vergangen, nun würde sie alles dafür tun, um mit den Drachen zusammen zu sein. Mit Sturmpfeil und auch mit Ohnezahn.

„Du hast dir einen schönen Namen für sie überlegt. Sturmpfeil passt zu ihr! Sie ist schnell wie der Wind und saust auf ihrer Gegner zu wie ein Pfeil.“

Astrid blinzelte benommen die Person an, die an der Kante ihres Bettes saß, eine Hand über ihren nackten Arm streichen ließ und sie sanft aber traurig anlächelte.

„Hicks?“ fragte sie mit flüsternder Stimme, „Ist das ein Traum?“

„Nein… nein, das ist kein Traum, Astrid. Du bist wach und ich bin hier.“ Sagte er und legte nun seine Hand auf ihre Wange, damit sie ihn spüren konnte.

Doch keine wärme ging von seiner Hand aus und erschrocken darüber zuckte Astrid zusammen und setzte sich auf.

„Wie ist das möglich? Du… du bist gestorben! Und dennoch bist du hier?“

Hicks antwortete nicht sofort. Sein Lächeln wurde schwächer, doch er versuchte es aufrecht zu erhalten. Da bemerkte Astrid den anderen Mann im Raum, gekleidet in Rot. Er stand am Fenster und hatte den Blick nach draußen gerichtet.

„Astrid. Oh Astrid, es tut mir so leid. Du weißt gar nicht, wie sehr ich bei dir bleiben würde. Aber es geht nicht. Ich bin hier, weil ich dir noch so viele Dinge sagen und dich um so vieles Bitten möchte. Und… und um mich zu verabschieden!“

Seine Hand strich wieder über ihre Wange und sie schmiegte sich an seine Haut, bevor erneut Tränen aus ihren Augen rannen.

„Das ist nicht fair.“ Sagte sie.

„Ich weiß!“

„Du hättest nicht sterben müssen. Du… du hast so viel erdulden und ertragen müssen. So viel Leid und Schmerz. Das ist einfach… nicht fair!“

Hicks legte darauf seine Arme um ihre Schultern und zog sie an seine Brust. Dann strich er ihr durchs Haar und wiegte sie so lange hin und her, bis sie sich wieder beruhigt hatte.

„Kümmere dich bitte liebevoll um Ohnezahn. Und auch um die anderen Drachen. Ich war dazu bestimmt, den Frieden zwischen den Drachen und den Menschen zu sichern, so wie Eldarin er wollte!“

„Eldarin?“ fragte Astrid und Hicks deutete auf den Mann am Fenster.

„Nur leider bin ich dazu nicht mehr in der Lage. Doch wenn niemand da ist, der meine Aufgabe übernimmt, dann werden die Drachen wieder verschwinden, bis die Zeit reif dafür ist. Sag, Astrid, willst du meine Stelle einnehmen? Kannst du den Frieden bringen?“

Bevor sie antworten konnte, Küsste Hicks sie kurz, dann erst nickte sie und versuchte erneut, Tränen zu unterdrücken.

„Ich… ich werde es… versuchen!“ stammelte sie.

„Mehr verlange ich auch nicht. Du bist mutig, stark und klug, Astrid. Ich weiß, dass du es schaffen wirst. Aber bürde dir nicht alles allein auf die Schultern. Du hast Freunde wie Fischbein, die Zwillinge und… ja, auch Rotzbacke. Auch wenn ich bezweifle, dass er ein großartiger Drachenreiter wird!“

Hicks lachte über seinen Witz und auch Astrid konnte sich ein Kichern und ein Lächeln nicht verkneifen.

„Na also, du kannst ja doch noch lachen. Das freut mich. Verlier dich bitte nicht in Trauer und Einsamkeit, Astrid. Ich bin mir sicher, dass wir uns eines Tages wieder sehen werden.“

Astrid versuchte zu nicken, doch es fiel ihr schwer. So verdammt schwer.

„Zu guter Letzt möchte ich dich bitten, dass du meinem Vater etwas ausrichtest. Sag… dass es mir Leid tut. Alles. Und das ich ihm vergebe. Sicherlich leidet er im Moment genau so sehr wie du. Aber das braucht er nicht. Richte ihm das bitte aus, ja?“

Er legte seine Stirn an ihre und wischte die Tränen von ihrer Wange, nachdem Astrid zustimmend genickt hatte.

„Du bist unglaublich. Du bist schön, mutig, stark, intelligent und lieb. Ich kann immer noch nicht das Glück begreifen, dass ich hatte, dich kennen und lieben zu dürfen. Du hast mir die Tage versüßt, mich den Schmerz vergessen lassen und mir gezeigt, was heißt, wieder zu leben. Ich danke dir!“

Wieder drückte er ihr einen langen Kuss auf die Lippen, dann ergriff er ihre Hände.

„Lass mich dir dafür… ein letztes Geschenk geben!“

Astrid schaute ihn konfus an und auch Eldarin zeigte nun endlich Regung, in dem er sich umdrehte und Hicks einen verwirrten Blick zuwarf.

„Hicks?“

Doch der Junge reagierte nicht auf ihn. Er schloss die Augen und lächelte Astrid an, dann begann er zu leuchten, erst war es nur ein leichter Schimmer doch es wurde von Sekunde zu Sekunde intensiver.

„Was… was tust du da? Hör auf damit… argh!“

Als Eldarin seine Hand nach Hicks ausstreckte, zog er sie mit schmerzverzogener Miene schnell wieder zurück und betrachtete sie dann verwundert. Die Hand war schwarz angelaufen, als hätte er sich verbrannt.

Dann richtete er seinen Blick wieder auf Hicks und Astrid. Das Licht blendete sie nun und dann erlosch es mit einem Schlag.

Hicks war verschwunden und in Astrids Händen blieb ein kleiner, grüner Edelstein zurück.

Eldarin ließ die Hände sinken und seine Überraschung schlug um in ein lautes Gelächter, dass es Astrid kalt den Rücken runter lief.

„Nicht zu fassen. Einfach nicht zu fassen. Der kleine Hicks. Hat er doch eiskalt die Regeln umgangen und seine Seele an so einen Stein gefesselt.“

Er trat an das Bett heran und Astrid wich zurück, versuchte den Stein in ihren Händen vor Eldarin zu bewahren.

„Keine Angst, ich nehme ihn dir nicht weg. Aber ich finde, es fehlt noch etwas, um die ganze Sachen theatralisch abzurunden!“

Er schnippte und Astrids Hände begannen kurz zu leuchten. Als sie verwundert die Faust öffnete lag in ihrer Hand eine silberne Kette, in der der Stein eingefasst war. Als sie wieder den Kopf hob und etwas sagen wollte, war Eldarin verschwunden…
 

Astrid blickte auf den Stein, der von innen heraus leicht schimmerte. Dann legte sie sich die Kette um den Hals und als der Edelstein über ihrer Brust die Haut berührte, konnte sie förmlich Hicks Arme um sich spüren, wie er sie umarmte und fest an sich zog.

„Ich lieb dich!“ flüsterte eine Stimme in ihrem Kopf und als sich wieder Tränen aus ihren Augen stahlen, lächelte sie dazu.

„Ich liebe dich auch!“
 


 

THE END



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Kommentare zu dieser Fanfic (7)

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Von:  Angel-blue
2015-07-29T22:29:20+00:00 30.07.2015 00:29
Diese geschichte ist so cool, und romantisch. Du schreibst so gail, das ende war zum heulen (wortwörtlich) XD
Von: abgemeldet
2015-05-19T19:11:04+00:00 19.05.2015 21:11
Cool. Die fanfic ist Sehr Romantisch.
Von:  gigimarie
2014-06-08T00:57:02+00:00 08.06.2014 02:57
Das war voll romantisch!!! Och hätte fast mitgeheult

Von:  Locke100
2014-04-19T04:30:16+00:00 19.04.2014 06:30
Oh ist dass ein trauriges Ende
Von:  Locke100
2014-04-17T23:15:36+00:00 18.04.2014 01:15
Warum hast du die denn schon abgeschlossen
Von:  Locke100
2014-04-16T17:10:52+00:00 16.04.2014 19:10
Wieso schreibst du denn nicht weiter
Von:  Locke100
2014-03-28T22:35:34+00:00 28.03.2014 23:35
Also ganz ehrlich ich bin schwer beeindruckt von deiner Story wirklich sehr gut mach weiterso


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