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Kyo Kara Maou Novel: Reise zum Beginn - Abenteuer in Dark Makoku

von

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Prolog

Prolog
 


 

Ich muss sagen, Yu-chan, ich bin wirklich enttäuscht. Habe ich dich nicht jahrelang mit all meiner mütterlichen Liebe überhäuft? Hat es dir jemals an irgendetwas gefehlt oder gemangelt?

Nun ja, ich meine nun nicht dieses schrecklich laute Auto mit dieser seltsamen Fernbedienung, welches du unbedingt zu deinem 5. Geburtstag haben wolltest und dann tagelang geschmollt hast weil du es nicht bekommen hast. Nein, ich rede von den ganz alltäglichen Dingen.

Du musst doch zugeben, dass du mit Abstand die schönsten Kleider im Kindergarten anhattest. Erinnerst du dich noch an das Blaue? Genau! Das mit den weißen Puffärmeln und der niedlichen, weißen Spitze am Saum. Ach! Das stand dir so gut! Wie eine kleine Alice im Wunderland! Dazu diese weißen Schleifchen in deinen Haaren! Wenn ich daran denke, gerate ich ins Schwärmen!

Ich muss gleich einmal das Fotoalbum suchen mit den Bildern darin! Da fällt mir ein... Ich habe Wolf-chan eh versprochen es ihm zu zeigen! So ein netter, wohlerzogener Junge! Cherie-sama ist bestimmt schrecklich stolz! Warum besucht uns Wolf-chan eigentlich nicht mehr? Habt ihr euch gestritten? Yu-chan, Streit kommt in der besten Ehe vor! Aber... Ihr seid doch noch nicht verheiratet, oder? Also, Yu-chan, ich warne dich! Wenn du schon geheiratet hast ohne mein Beisein, dann...

Aber das würdest du mir niemals antun, nicht wahr, mein kleiner Yu-chan?

Wenn ihr euch gestritten habt, dann sei der Klügere und gib nach. Nichts ist schlimmer als im Streit auseinander zu gehen! Ich werde das Fotoalbum einfach wasserdicht verpacken!

Warum konntest du kein Mädchen sein? Mädchen sind so viel einfacher! Vermutlich wäre ich dann nicht so enttäuscht. Jahrelang habe ich diese verschmutzten Baseballsachen gewaschen. Deine Begeisterung für diesen schmutzigen Sport habe ich sowieso nie verstanden. Da muss ich schon Shori danken, dass er nie solch seltsamen Leidenschaften entwickelt hat. Jetzt fang nicht wieder an über seinen Bruderkomplex zu schimpfen! Sei froh, dass du so einen tollen, vernünftigen und liebevollen Bruder hast. Für mich als Mutter von zwei Dämonenkönigen ist das alles aber auch nicht einfach. Shori kann ich jederzeit sehen. Aber du? Jetzt stehst du kurz vor deinem Abschluss an der Oberschule. Seit fast drei Jahren springst du zwischen den Welten hin und her. Hast du auch nur jemals eine Sekunde lang den Gedanken gehabt, das ich wissen möchte, wo mein Sohn steckt wenn er gerade nicht da ist? Ich bin so enttäuscht. Immer wieder versprichst du mir, mich mitzunehmen und mir dein Königreich zu zeigen und dann lässt du mich einfach zurück. Ein Mädchen würde das niemals tun. Shori auch nicht. Wolfram bestimmt auch nicht. Ach, und dieser gutaussehende Fechter, dieser Conrad, bestimmt auch nicht. Die ehren ihre Mütter! Habe ich was falsch gemacht? Hast du doch noch mehr Zuneigung gebraucht? Vielleicht hattest du doch ein Trauma bei dieser Entführung damals in Boston und hast mir unterbewusst noch nicht verziehen, dass dich diese Dame vom Sozialdienst einfach mitnehmen wollte.

Ach, Yu-chan! Ich will doch nur dein Bestes! Ken-chan hat sich schon für unser abendliches Curry angekündigt. Handys und sms sind schon eine tolle Sache! Daher werde ich nun meine Tasche packen und auf dich warten. Gleich hast du Schulschluss. Und diesmal komm ich mit!

Kapitel 1

KAPITEL 1
 


 

„JA!!!“, rief ich laut aus und merkte wie Murata neben mir erschrocken zusammen zuckte.

„Hast du dich gefunden?“, seine Frage klang nicht wirklich interessiert. Ich wunderte mich eh, warum Murata seine letzten beiden Unterrichtsstunden schwänzte und nun mit mir zusammen vor der großen Ergebnistafel meiner Schule stand und mit mir meinen Namen suchte. Mir war klar, dass ich nicht ganz oben bei den Besten der Jahrgangsstufe zu finden sein würde. Dafür war ich einfach viel zu selten da. Körperlich zwar schon, geistig eher weniger. Ich war viel zu sehr mit meinen Gedanken bei meinem Job.

Denn ich, Yuuri Shibuya, 18 Jahre jung und seit wenigen Augenblicken stolzer Besitzer eines japanischen Oberschulabschlusses, war eigentlich seit fast drei Jahren der 27. Dämonenkönig von Shin Makoku.

Zunächst äußerst widerwillig, doch nun war dieser „Job“ mein ganzer Lebensinhalt.

Ich hatte mir vorgenommen in beiden Welten mein Zuhause zu haben. Doch mit dem heutigen Tage könnte sich das nun ändern. Ich hatte meinen Schulabschluss in der Tasche. Für eine Universität hatte ich mich nicht beworben weil ich schlichtweg, nun ja, keinen Sinn darin gesehen habe. Mein fünf Jahre älterer Bruder Shori hingegen hatte von jeher nur ein Ziel vor Augen: Studieren und Gouverneur von Tokyo werden. Selbst wenn es für unsere Familie überraschend war, wusste er schon Jahre im Voraus, das er der von Bob erwählte Dämonenkönig der Erde sein würde. Er konnte sich daher sein Leben so um diesen Posten zurecht stricken, aber ich...?

Was sollte ich in Shin Makoku mit einem Universitätsabschluss? Sicher, mein königlicher Berater und Lehrer Günter von Kleist würde sich über ein bisschen mehr Bildung meinerseits freuen, aber er dachte da eher an die Geschichte der Dämonen als an Bilanzen und Statistiken der japanischen Wirtschaft.

Da ich aber jemand bin, der etwas zu Ende bringt was er anfangen hat, habe ich beschlossen, wenigstens meine Laufbahn in der Oberschule erfolgreich zu beenden, bevor ich mich vollends meinen dämonischen Aufgaben widme.

Nun würde ich hauptsächlich nur noch in Shin Makoku leben, so wie es mir vorherbestimmt wurde.

In den letzten Jahren war mir mehr und mehr bewusst geworden, dass nicht nur meine Seele sich in dieser Welt wohler fühlte, sondern mein ganzes Ich.

Natürlich hatte auch Murata seinen Teil dazu beigetragen. Während ich als Doppelschwarzer zum Dämonenkönig gekrönt wurde, stellte sich bei meinem mittlerweile besten „vermeintlich menschlichen“ Freund heraus, dass er die Seele des Großen Weisen in sich trug und er somit zur doppelschwarzen Eminenz von Shin Makoku auserkoren war.

Zuvor hatten Murata und ich eigentlich weniger Kontakt zueinander. Wir waren in der Mittelschule zwei Jahre in der selben Klasse, hatten aber nie viel miteinander zu tun.

Er ging anschließend an eine elitäre Jungenoberschule während ich nur eine Staatliche besuchen dürfte. Und er war der Grund warum ich in einer Toilette heruntergespült wurde und in Shin Makoku landete. Mit ihm konnte ich hier auf der Erde über alles reden was mich beschäftigte. Mit Themen aus beiden Welten. Wer sonst würde mir all das glauben was mir seit Beginn der Oberschule widerfahren war?

Nach so vielen gemeinsamen Abenteuern und Muratas Übernahme des Managements meiner gegründeten Baseball-AG kann ich mit Stolz sagen, das Murata hier auf der Erde mein bester Freund ist.

In Shin Makoku muss er sich diesen Titel jedoch teilen.

Zum Einen gibt es dort meinen Namensgeber, Conrad Weller, einem Halbdämon. Uns verbindet eine Freundschaft, die sich schwer definieren lässt. Er ist wie ein großer Bruder. Ich möchte damit nicht sagen, dass Shori ein schlechter Bruder wäre! Nein! Shori ist speziell. Sehr speziell. Manchmal auch anstrengend speziell. Aber es hat Vorteile Shori als Bruder zu haben. Denn mir konnte wirklich nichts zu stoßen. Auf der Erde wachte Shori mit Argusaugen über mich. In Shin Makoku tat dies Conrad. Nur Conrad tat dies, sagen wir, wesentlich dezenter. Conrads eigentliche Aufgabe war mein Schutz. Er war meine Ein-Mann-Leibgarde. Er hatte oft genug bewiesen, dass er sein Leben für mich geben würde, selbst wenn ich das nicht wollte. Dadurch das Conrad damals meine Seele zur Erde gebracht hatte, ist er neben Muraken auch der Einzige, der mit dem Leben auf der Erde vertraut ist. Er liebt Baseball ebenso sehr wie ich und war mir behilflich, es als Volkssport einzuführen.

Conrad ist in allen Bereichen für mich da und steht mir stets zur Seite. Ich vertraue ihm voll und ganz.

Und das führt mich zu meinem darauf eifersüchtigen besten „dämonischen“ Freund.

Wolfram von Bielefeld. Normalerweise müsste ich nun laut seufzen, aber man gewöhnt sich an so einiges mit der Zeit.

Er ist launisch, überheblich, anstrengend, unendlich stolz und hat einige arrogante Züge an sich und... ach verdammt. Anders könnte ich mir Wolf auch gar nicht vorstellen!

Dazu kommt, dass er unbeschreiblich gut aussieht. Und das sag ich und ich bin ein Kerl!

Er schaut aus wie aus einem Shoujo-Manga entsprungen. Absolut bishonen! Wundervoll tiefgründige grüne Augen, lange schwarze Wimpern, porzellanfarbene Haut, ideal geschwungene Lippen, honigblondes Haar... ach ja, vielleicht sollte ich es erwähnen... er ist mein Verlobter!

Und das ist der Punkt, der so einiges an dieser Freundschaft erschwert.

Denn ich bin es unfreiwillig! Und er? Er findet es mittlerweile anscheinend traumhaft!

Denn er ist zudem extrem eifersüchtig und aufbrausend und besitzergreifend! Er traut mir alles zu! Ich, der noch nie wirklich irgendeine intime Beziehung zu irgendeinem Mädchen hatte bin in Wolframs Augen der größte Schwerenöter auf zwei Beinen in beiden Welten!

Und wie ich aus dieser Verlobte-Misere herauskomme ist mir bisher auch nicht eingefallen. Denn darüber kann ich irgendwie mit wirklich niemanden reden! Wolfram und meine Mutter planen hinterrücks schon die Hochzeit bis ins kleinste Detail („Mutter, er ist ein

M-A-N-N!“ „Yu-chan, du sollst Mama zu mir sagen!“). Conrad ist Wolframs Halbbruder. Ich würde ihn in eine Zwickmühle bringen, da er mich UND seinen kleinen Bruder schützen will. Gwendal, der Älteste der drei ungleichen Brüder, hat ein Faible für alles Niedliche. Was gäbe es Niedlicheres als der Gedanke an Wolfram im Brautkleid? Da würde selbst ich schwärmen! Und mein königlicher Berater? Günter könnte sich vermutlich nicht zwischen Nasenbluten, Weinen oder Ohnmacht entscheiden sobald ich das Wort Hochzeit aussprechen würde. All meine Hoffnungen diesbezüglich steckten in Muraken. Betonung auf steckten. Dieser hatte in den letzten zweieinhalb Jahren nichts besseres zu tun als mich mit der ganzen Wolfram-Geschichte aufzuziehen oder meine verzwickte Lage noch zu verschlimmern indem er Wolfram Tipps und Kniffe verriet wie man „so was“ auf der Erde handhabt! Mir muss ganz bald eine Lösung für dieses Problem einfallen. Ich schiebe das nun schon so lange vor mich her. Nur fehlt mir wirklich eine zündende Idee, da mir Wolfram mit der Zeit sehr wichtig geworden ist und ich ihn weder kränken noch verletzen möchte... und sei es auch nur sein überheblicher Stolz oder sein Ehrgefühl!
 

„Shibuya! Tagträumen kannst du auch ein andermal!“, Muraken riss mich aus meinen Gedanken, „Jennifer wartet mit dem Curry und wir haben heute noch viel vor!“

Ich entfernte das Fahrradschloss und hob mein Rad aus dem Ständer. Murata klemmte seine Tasche zu meiner auf den Gepäckträger und so verließen wir gemeinsam das Schulgelände. „Was nun, Shibuya, was hast du vor?“, Muraken hatte seine Arme hinter seinem Kopf verschränkt und blickte mit einem seltsamen Lächeln auf den Lippen zum Himmel hinauf, während wir langsamen Schrittes durch mein Wohnviertel gingen.

Mein Blick folgte seinem. Es war ein wundervoller Tag. Strahlend blauer Himmel und vereinzelte Schäfchenwolken bei angenehmen 20 Grad. Ideales Baseballwetter.

„Was genau meinst du?“

Sein Lächeln verstärkte sich: „Die Oberschule ist geschafft! Nur noch Zeugnisse abholen. Und dann? Was hast du vor?“

„Kannst du dir das nicht denken?“

„Denken kann ich mir viel. Du wirst doch genaue Pläne haben!“

Sein Blick wandte sich mir zu.

Ich schwieg und sah zu ihm. Stimmt ja! Ich hatte nie Murata gefragt, was er nun machen wollte. Er war „Seine Eminenz“. War er dadurch verpflichtet, sich nach mir zu richten in seiner Zukunftsplanung?

„Ich gebe dich frei!“, ich blieb abrupt stehen und sah ihn bestimmt an.

Er war zwei Schritte vor mir zum Stehen gekommen und drehte sich überrascht um: „Was?“

„Na, du musst dich doch bestimmt danach richten wie ich mich entscheide, oder nicht! Und wenn du lieber ein Leben auf der Erde führen möchtest, dann kannst du hier bleiben. Du musst mich nicht begleiten! Ich habe nicht das Recht dich zu zwingen mit mir in eine Welt zu gehen, in die du nicht gehen möchtest oder nur mitgekommen bist, weil deine Seele dich dazu zwingt oder...“

„Stopp!“

Ich war eindeutig ein Kind meiner Mutter. Einmal im Redefluss und es endet im absoluten Unsinn. Murata sah mich zunächst verwundert an und dann lachte er. Er hielt sich den Bauch vor Lachen und ich stand nur da und verstand nichts mehr.

„Glaubst du wirklich, ich bin nur wegen dir in Shin Makoku?“, er hatte sich gefangen und sah mich mit schiefem Grinsen an, „Du warst eine meiner Aufgaben und bist es eigentlich immer noch. Du bist der Maou. Und du bist es nicht. Zur Zeit bist du noch nicht ganz eins mit dir und deiner Seele. Und ja. Ich bin Murata. Geboren auf der Erde. Und davor war ich Christine und die unzähligen Leben zuvor stets jemand anderes. Ob hier auf der Erde oder drüben!“, er räusperte sich und rückte seine Brille zurecht. Sein Blick wurde ernster: „Ich bin wie du dadurch in beiden Welten zu Hause. Und in welche Welt ich gehöre entscheide ich selbst als Murata und kein Shinou oder Maou oder sonst wer. Ich möchte wissen, wie du dich entschieden hast wie es in deinem Leben nun weitergehen soll. Dann sehen wir, ob wir noch eine Zeit lang gemeinsam einen Weg beschreiten werden oder nicht.“

Er drehte sich wieder um und machte Anstalten zum weitergehen: „Und aus deinem Gesagten schließe ich nun, dass du deinen Lebensmittelpunkt nach Shin Makoku verlegen möchtest, nicht wahr?“

„Ja!“, lautete nur meine knappe aber wahrheitsgetreue Antwort.

„Dann werden wir noch eine ganze Zeit lang der Maou und seine Eminenz sein!“

Ich konnte ein freudiges Aufleuchten in seinen Augen erkennen als ich ihn aufgeholt hatte und mein Fahrrad nun auf gleicher Höhe neben ihm herschob.

„Und nun komm schon, Shibuya, mein Curry wird kalt!“
 

Ein erleichtertes Seufzen schallte durch den Raum in dem er sich alleine befand. Er saß an einem großen Schreibtisch direkt vor den raumhohen Fenstern, welche über die ganze Zimmerseite reichten. Vor diesem Schreibtisch stand ein langer Tisch mit 12 Stühlen, welche eine aufwendige Samtpolsterung aufwiesen. Die Wand zu seiner Rechten zeigte Karten. Zum Einen die bekannte Welt rund um das Königreich und zum Anderen das Königreich an sich mit seinen eingeteilten Fürstentümern. Die Wand zu seiner Linken war durch ein großes Holzregal mit Büchern und Akten zugestellt.

Gwendal von Voltaire schob den letzten Stapel Dokumente zur Seite. Er hatte es tatsächlich geschafft. Er hatte alle liegengebliebenen Papiere und Verordnungen seiner Majestät der letzten Wochen gelesen, überprüft und auch abgesegnet soweit es in seinem Ermessen und seines Erachtens im Ermessen seiner Majestät war.

Nun konnte er endlich erleichtert ausatmen. Yuuri war ein guter König. Er hatte lange gebraucht um das zu verstehen und zu akzeptieren. Yuuri dachte an sein Volk und er tat alles für die bessere Verständigung zwischen seinem Volk und den Nachbarländern. Noch nie gab es so friedliche Zeiten wie zu diesem Zeitpunkt. An einen Krieg war nicht einmal zu denken. Vor drei Jahren hatte es da noch ganz anders ausgesehen. Und vor drei Jahren hätte Gwendal auch niemals gedacht, dass so ein Junge einer solch verantwortungsvollen Aufgabe gewachsen gewesen wäre. Aber auch er lernte mit seinen mehr als 130 Jahren noch gerne dazu. Eine grauschwarze Strähne fiel ihm ins Gesicht.

Er war sehr früh aufgestanden mit dem Ziel, diese Arbeiten heute zu beenden. Nun war es Zeit, sich um die eigenen Bedürfnisse zu kümmern. Zudem war es auch schon lange nötig, sich in seinem eigenen Schloss um die dort liegengebliebenen Aufgaben zu kümmern.

Er entfernte das Haarband, welches seine langen Haare zu einem Zopf zusammengehalten hatten und strich sich die herausgefallene Strähne nach hinten.

Ein plötzlicher Knall ließ ihn zusammenzucken und sein Haarband fiel auf die Tischplatte. Die Tür zum Raum war aufgerissen worden, ohne das zuvor angeklopft worden war und ein völlig aufgelöster, augenscheinlich junger Mann mit langen, eisgrauen Haaren und in einer weiten weißen Robe gekleidet starrte ihn mit aufgerissenen, violetten Augen hilfesuchend an.

Augenblicklich spürte Gwendal das Pochen seiner Falte zwischen den Brauen. Lange hatte diese so lang herbeigesehnte Ruhe nicht gehalten. Genervt hob er sein Haarband auf und band sich rasch den Zopf neu. Was konnte denn nun schon wieder sein? Seine Majestät Yuuri war doch noch gar nicht wieder von seinem Ausflug zur Erde zurück, oder?

„Lord von Kleist, was gibt es?“

Wieso fragte er überhaupt? Günter würde es ihm sowieso bis ins kleinste Detail hinein ausreichend berichten ohne zuvor gefragt worden zu sein.

„Lord von Voltaire! Es ist schrecklich! Nicht auszudenken, was seine Majestät dazu sagen würde, wenn er es wüsste! Ich habe alles Erdenkliche getan um ihn davon abzuhalten aber er wollte nicht hören! Und jetzt wo Lord Weller im Grenzdorf beim Ausbau hilft, seit ihr der Einzige, der ihn zur Vernunft bringen könnte!“, Günter schnappte theatralisch nach Luft.

Natürlich. Gwendal seufzte. Diesmal nicht vor Erleichterung, sondern aus Sorge. Günter hatte keinen Namen nennen müssen. Wenn Yuuri „außer Haus“ war gab es nur ein Sorgenkind. Dieses Sorgenkind wurde jedoch schlagartig wieder vernünftig, sobald Yuuri wieder da war. Tat er es aus Langeweile?

„Was ist mit Lord von Bielefeld?“, lautete daher seine Frage an den aufgelösten königlichen Berater und Lehrer.

„Er ist alleine los!“

Gwendal sprang sofort mit deutlich wütendem Gesichtsausdruck auf: „Wie bitte?“

„Er hat sich seine Männer geschnappt und meinte, er wolle dies schnell erledigen bevor seine Majestät, dieser Waschlappen und so weiter worauf ich nun nicht näher eingehen werde weil es absolut unangemessen ist selbst wenn er der Ver-“

„Kommt zum Punkt!“

„Ähm, ja, also... er ist auf und davon. Nach Herkas. Zu den Hexen!“

Gwendal schlug heftig mit der Faust auf den Tisch, so dass Günter verschreckt einen Meter nach hinten und somit schon wieder aus dem Raum heraus sprang. Auch Gwendal selbst war über die Wucht seines Schlags auf den Tisch erschrocken. Dafür schmerzte nun seine Hand. Und das alles wegen Wolfram!

„Man sollte diesem verwöhnten Balg einfach mal ordentlich den Hintern versohlen!“, entfuhr es Günter leise, doch sofort erwiderte er lauter, „Oh, verzeiht, ich habe gerade wohl laut gedacht. Diese Äußerung stand mir nicht zu. Ich...“

„Ist schon gut, Günter, du hast ja Recht!“, zischte Gwendal und ging schnellen Schrittes an Günter vorbei, „Ich werde ihm nachreiten!“

„Aber Ulrike ließ verkünden, dass heute seine Majestät wiederkommen wird!“, Günter hastete dem aufgebrachten ältesten Sohn der Ex-Dämonenkönigin Cecilie von Spitzweg hinterher.

„Der fehlt jetzt noch!“, schnaubte dieser und verdrehte die Augen.

„Wie bitte?“, Günter schien den ironischen Unterton von Gwendals Aussage überhört zu haben und wollte sich gerade darüber entrüsten als Gwendal ihm ins Wort fuhr: „Ihr bleibt hier und lasst euch für den König eine plausible, aber verschönte Erklärung einfallen wo sich sein halber Hofstaat gerade herumtreibt! Und schickt eine Taube zu Conrad. Er soll sofort nach Herkas kommen und mich daran hindern, seinem geliebten kleinen Bruder den Hals um zu drehen!“

Wütend stapfte der Dämon davon und Günter blieb verwirrt und erstaunt zugleich zurück: „Aber er ist doch auch Ihr Bruder!“
 

„Schmeckt es dir, Ken-chan?“, Miko Shibuya, wunschgemäß von fast allen nur Jennifer genannt, beugte sich über die Tischplatte und schenkte Murata eine weitere Kelle ihres berühmt-berüchtigtem Curry nach.

Murata strahlte über das ganze Gesicht: „Wie immer vorzüglich, Mama-chan!“

Ich stöhnte auf: „Mutter, du sollst uns doch nicht so kurz vor der Abreise mästen!“

„Für dich immer noch Mama-chan, mein kleiner Yu-chan!“, flötete sie nur zurück und schon hatte ich auch eine weitere Kelle Nachschlag auf meinem Teller. So würden wir heute nicht mehr nach Shin Makoku kommen! Und als wäre das nicht schon sinnloser Verzögerung genug hörte ich die Haustüre ins Schloss fallen. Kurz darauf öffnete sich die Tür zum Wohnzimmer und ein Paar bebrillter schwarzer Augen schienen jeden Einzelnen an der Essenstafel abzuscannen.

„Sho-chan! Das du es noch rechtzeitig zum Essen schaffst!“, Miko sprang sogleich auf und lief in die Küche, um ein weiteres Gedeck aufzutischen.

„Guten Abend, großer Bruder von Shibuya!“, Murata's Grinsen fand doch noch eine Steigerung.

„Guten Abend, Freund meines kleinen Bruders!“, kam es relativ monoton zurück.

Ach, hier ändert sich wirklich nichts! ,dachte ich und nahm einen großen Schluck Wasser aus meinem Glas.

„Geht ihr heute wieder rüber?“, Shori nahm mir gegenüber Platz und nahm sich selbst mit der Kelle aus dem übergroßen Topf eine reichliche Portion.

Ich setzte mein Glas kurz ab: „Ja, eigentlich schon!“

„Und ich gehe mit!“, tönte meine Mutter fröhlich während sie sich wieder auf ihren Platz setzte.

Wumm! Ich habe mich noch nie im Leben so sehr verschluckt. Ich hustete laut los und bekam keine Luft. Mein Gesicht lief bei der ganzen Husterei und Japserei knallrot an. Murata blieb anteilnahmslos sitzen (Das merke ich mir!), meine Mutter stand wohl unter Schock (ob wegen meiner Husterei oder dem ziemlich offensichtlichen Grund meines Verschluckens und Hustens) und nur mein Bruder sprang entsetzt auf, hastete um den Tisch herum und schlug mir dermaßen heftig auf den Rücken, dass ich dachte, ich würde meine Wirbel zwischen den Rippenbögen wiederfinden. Woher hatte dieser Mädchenspiele-Zocker nur solche Kraft? Durch das bisschen Karate alle paar Wochen mit Bob? Als er dann noch für diesen „Heimlich-Griff“ ansetzte hob ich entwarnend die Hand. Doch er blieb noch schultertätschelnd und mit besorgtem Blick neben mir stehen bis ich mich vollends erholt hatte. Ich muss mir langsam aber wirklich auch mal Gedanken um Shoris übertriebene Besorgnis mir gegenüber machen. Okay. Jetzt gerade war es vielleicht berechtigt und aufgrund der Untätigkeit meiner sonstigen Verwandtschaft und Bekanntschaften an diesem Tisch auch wirklich hilfreich... aber normal war das nicht. Na ja, Shori an sich war mit all seiner übertriebenen Bruderliebe noch nie normal gewesen!

Mein Blick wandte sich nun meiner Mutter zu, die ihr stets immer gut gelauntes Gesicht wohl sehr schnell wiedergefunden hatte: „Mutter, das geht nicht!“
 

Miko Shibuyas Mimik änderte sich schlagartig. Bildete es sich Yuuri nur ein oder konnte er Tränen in den Augen seiner Mutter erkennen. Gerade wollte er seine Aussage begründen als Murata ihm zuvor kam: „Shibuya, warum eigentlich nicht? Warum nehmen wir deine Mama eigentlich nicht mal mit?“
 

Memo an mich selbst: Murata bei nächster Gelegenheit erwürgen!

„Siehst du, Yu-chan, selbst Ken-chan findet das es an der Zeit ist, dass ich sehe, was für ein toller König du geworden bist! Es ist doch nur verständlich das ich als deine dich über alles liebende und besorgte Mama sehen will, wie du so lebst!“

„Wenn das so ist, komme ich natürlich auch wieder mit!“, Shori's Gesichtsausdruck war wie immer. Er erinnerte mich an Gwendal. Strategisch, überlegt, reif und energisch.

Verdammt! Drei zu eins! Verdammt, verdammt, verdammt!

„Ich muss mir das Gesicht waschen. Danach reden wir weiter!“

Eilig verließ ich das Wohnzimmer, raste die Treppen hoch, den Gang entlang ins große Bad und verschloss die Türe hinter mir.

Sind die denn alle verrückt? Shin Makoku war doch kein Urlaubsdomizil!

Ich starrte in den Spiegel über dem Waschbecken und ließ Wasser in das Becken. Einige Male wusch ich mir mit dem eiskalten Wasser über das Gesicht und betrachtete dann mein Spiegelbild. Was nun, Shibuya, was nun?

Im Spiegel sah ich hinter mir die Badewanne. Es war Wasser eingelassen worden. Vermutlich hatte dies Murata schon in weiser Voraussicht getan.

Könnte ich alleine einfach rüber? Die Kraft dazu hatte ich. Murata selbst hatte mir dies oft genug gesagt. Er würde nur als mein Navigator dienen und die Kraft der Dimensionssprünge läge ganz allein bei mir.

Nein, das kann ich doch nicht machen! Das wäre Murata gegenüber nicht fair. Obwohl...er hätte mich ersticken lassen, oder nicht? Und dann ist er mir noch in den Rücken gefallen! Es wäre nur gerecht wenn ich jetzt alleine nach Shin Makoku reisen würde!

Ob es überhaupt klappt?

Ich schloss die Badezimmertür wieder auf, doch statt den Raum zu verlassen verharrte ich noch einen Augenblick an der Tür mit der Hand auf der Klinke. Ich schielte wieder zur Badewanne. Ein Versuch wäre es doch wert es alleine zu probieren. Und wenn es nicht klappte, könnte ich mich immer noch umziehen und mir was einfallen lassen, wie ich Shori und Mutter aus dieser geplanten Reise wieder auslade.

Ich holte tief Luft, drehte mich auf dem Absatz um und sprang mit Schuluniform und Hausschuhen in die Wanne.

Ein lautes Platsch.

Es tat sich nichts. Mist! Warum denn nicht?

Ich will nach Shin Makoku! Nein, ich muss sogar nach Shin Makoku!

Da saß ich nun. Klitschnass in meiner Uniform in der kalten Badewanne. Gesund war das nicht. Ich fror schon leicht. Und ein Zucken durchfuhr mein Bein. Na toll. Was für ein Tag. Zuerst fast erstickt und nun dabei zu erfrieren! Moment! Seit wann zuckt das Bein beim Erfrieren? Mein Blick wanderte zum rechten, zuckenden Bein.

Was war das? Seit wann haben wir ein schwarzes Loch in der Badewanne? Und der kleine Strudel? Ha! Der Strudel wird größer! Und plötzlich spürte ich den mir so bekannten und vertrauten Sog. Nochmal tief Luft holen! Um mich herum verschwamm alles in blau und schwarz. Es fühlte sich immer wieder aufs Neue so an, als würde man von einem riesigen Staubsauger eingesogen! Anfangs sehr befremdlich, doch mittlerweile und erst Recht heute liebte ich dieses Gefühl! Shin Makoku, Wolfram, Conrad, Greta, Günter, Gwendal, all meine lieb gewonnenen Freunde... ich komme!
 

Ich schlug die Augen auf und erkannte zunächst... Nichts. Absolute Dunkelheit. Wo war ich? Stimmt. Murata war der Navigator bei unseren Sprüngen. Ohne ihn konnte ich überall landen. Nur... wo war dieses überall diesmal? Mein Blick ging nach rechts. Alles dunkel. Dann nach links. Ebenfalls totale Schwärze. Nach oben. Sterne. Durch eine kleine, runde Öffnung an der Decke konnte ich den Nachthimmel und Sterne entdecken.

Ich streckte meine Hände aus und relativ schnell sah ich meinen ersten Verdacht bestätigt. Na toll. Ich saß in einem Brunnen. Nur... wo war dieser Brunnen? In Shin Makoku oder in der Menschenwelt? Größtenteils hatten wir freundschaftliche Beziehungen zu den einzelnen Staaten der Menschenwelt aufbauen können seit Beginn meiner Amtszeit als Maou. Etwas, wo ich schon zu Recht ein bisschen stolz drauf sein konnte. Nur hatten dennoch viele Menschen aus mehrerer Jahrhunderte stammender Tradition und Aberglaube oder eher stupider Unwissenheit Angst vor Doppelschwarzen. Und ich hatte weder meine Haare gefärbt noch meine Kontaktlinsen dabei. Mist! Warum hatte ich daran nicht gedacht?

Und wie komme ich aus diesem Brunnen heraus? Alleine war das nicht zu schaffen! Alles war total schmierig und nichts, wo man Halt finden könnte. Mir blieb nur eine Möglichkeit:

„Hallo? Ist da oben jemand? Ich bin in den Brunnen gefallen! Hallo?“

Stille.

Kein Wunder. Anscheinend war es mitten in der Nacht. Wenn Günter wüsste, dass seine Majestät in einem Brunnen fest saß würde er vermutlich höchstpersönlich mit einem Seil um die Taille hineinspringen. Manchmal vermisste ich selbst Günter!

„Hallo? Ist da irgendjemand?“

Ich glaube, das wird eine lange kalte Nacht! Aber lieber in einem kalten, nassen Brunnen festsitzen, als nun mit meiner Mutter ausdiskutieren, warum ich sie noch nicht mit nehmen möchte.

Plötzlich erkannte ich ein Flackern an der oberen Innenseite des Brunnens. Es näherte sich jemand mit einer Fackel!

„Hier unten! Ich sitze im Brunnen und komme nicht heraus! Hilfe!“

Das Flackern wurde intensiver. Der Lichtschein auf der schwarzen Steinwand des Brunnens weitete sich aus. Die Fackel näherte sich! Man hatte mich gehört.

Anscheinend habe ich doch etwas Glück im Unglück.

Tatsächlich! Ich erkannte den schattigen Umriss einer Frauengestalt am Brunnen, welcher sich zu mir hinunterbeugte: „Ist da unten jemand?“

Es war eine recht junge Mädchenstimme.

„Ja! Ich bin in den Brunnen gefallen und komme nicht heraus! Hast du ein Seil oder so dabei an dem ich hochklettern kann?“

Ich nahm die Version des in den Brunnen Gefallenen, da ich immer noch nicht wusste, wo genau ich gelandet war. In der Menschenwelt würde vermutlich niemand glauben wie ich hier her gekommen war und zudem wäre es dann auch nicht förderlich mit diesen dummen Vorurteilen Doppelschwarzen gegenüber und deren „bösartiger Magie“ aufzuräumen!

„Moment! Ich hole Hilfe! Wir haben Soldaten hier stationiert! Die sind stark! Die können euch herausziehen!“, rief das Mädchen herunter und verschwand sogleich.

Sollte mich dies nun beruhigen? Stationierte Soldaten? Das hörte sich nicht gerade nach einer friedlichen Region an. Und Shin Makoku war und ist friedlich. Ich wüsste von stationierten Soldaten in meinem Königreich. Ich wüsste auch über stationierte Soldaten in uns befreundeten oder verbündeten Menschenreichen. Ich war doch nur knapp 2 Monate nach Zeitrechnung der Erde nicht da! Wo also war ich bitte schön gelandet? Vielleicht wäre es besser so lange im Brunnen zu bleiben, bis ich wieder genug Kraft gesammelt hatte, um einen Rücksprung zur Erde wagen zu können. Am Brunneneingang wurde es schlagartig sehr hell. Ich hörte viele Stimmen näher kommen. Eindeutig viele männliche Stimmen. Eindeutig mehr als zehn.

Oh je, Shibuya, wo hast du dich da nur wieder reingeritten?

Kapitel 2

Kapitel 2
 


 

Nun erschienen schemenhaft die Schatten einiger Männer an der Brunnenöffnung. Ich konnte beim besten Willen bei den Uniformen keinerlei Farben oder sonstige Abzeichen erkennen, welche mir auch nur den leisesten Hinweis geben würden wo ich genau gelandet war. Innerlich betete ich, dass es nicht allzu weit weg von Shin Makoku sein würde. Die uns angrenzenden Nachbarländer waren uns alle ausnahmslos freundlich oder neutral gesinnt. Alles über deren Grenzen hinaus würde schwierig werden. Ich erinnerte mich an meine „Fehllandung“ mit Murata damals in Caloria. Damals hatten wir wohl Glück gehabt. Murata hatte sich seine schwarzen Haare aus mir fadenscheinigen Gründen zuvor auf der Erde gebleicht und Kontaktlinsen getragen und ich konnte mich doch ganz gut tarnen. Zudem hatte mich Susannah Julias Talisman zu Flynn Gilbit geführt und dies war der Beginn einer länderübergreifenden Freundschaft geworden. Solch Glück dürfte ich nun nicht mehr erwarten, wenn ich denn wirklich in einem Gebiet gestrandet war, indem man Dämonen feindlich gesinnt war. Ich blickte auf meinen blauen Anhänger. Der schwache orange Schein der Fackeln am Brunnenrand schimmerte schwach auf dem strahlenden Blau.

„Ist da unten wirklich jemand?“, unterbrach mich eine dunkle Männerstimme in meinen Gedanken.

„Ähm, ja. Ich bin hineingefallen!“

„Seit ihr verletzt?“, fragte eine weitere männliche Stimme mit besorgtem Unterton. Also misstrauisch waren sie nicht. Normalerweise waren in Dörfern stationierte Soldaten stets äußerst vorsichtig.

„Nein. Mir geht es gut. Wenn ihr mir ein Seil herunterwerfen würdet könnte ich selbst hinausklettern!“

Stille. Die beiden Schatten verschwanden. Dann hörte ich weitere Gespräche und plötzlich landete das Ende eines Seils neben mir: „Bindet es euch um. Wir helfen euch heraus!“

Oh je. Nun war es also soweit. Ich sollte schlimmstenfalls damit rechnen, dass man das Seil vor Schreck los ließ sobald ich den Brunnenrand erreichte.

Ich band das Seilende um meine Taille, seufzte nochmals still in mich hinein und begann den Aufstieg. Ich war wirklich ein Waschlappen. Ich hatte doch schon viel schlimmere Situationen gemeistert! Die Soldaten oben zogen kräftig an. Ich hatte kaum eine Möglichkeit mich aus eigener Kraft nach oben zu ziehen. Innerhalb weniger Augenblicke sah ich über den Brunnenrand hinweg auf einen mittlerweile hell erleuchteten Dorfplatz, auf dem sich wohl einige Dorfbewohner zu den bereits versammelten Soldaten gesellt hatten und mich nun alle ausnahmslos anstarrten wie die neuste Attraktion in einem Zoo.

Mir stieg dadurch eine leichte Röte ins Gesicht. Ich kannte zwar das Gefühl im Mittelpunkt zu stehen, aber in solchen Situationen war es mir dann doch unangenehm.

Schnell versuchte ich die Uniformen näher zu betrachten, um sie dann zuordnen zu können.

Die rund zwölf Männer trugen einheitlich blau. Es war ein kräftiges Königsblau mit rot abgesetztem Saum. Diese Uniformen kamen mir verdammt bekannt vor.

„Yuuri! Was machst du hier?“, aus dieser Ansammlung von Soldaten trat nun einer heraus und stampfte mit großen und schnellen Schritten auf mich zu. Ich war mir gerade nicht so sicher ob ich jubeln oder schreien sollte. Denn sein Gesicht war weder freundlich noch schien es glücklich über meinen Anblick zu sein.

„Wolfram!“, das klang eher freudig überrascht. Also überwiegte wohl mehr dieses Gefühl in mir. Das war bei Wolfram und mir eh ein schwieriges Thema.

Eine Armlänge vor mir kam er zum Stehen. Seine Augen funkelten zornig, dennoch konnte ich auch ein wenig Freude darüber mich zu sehen darin erkennen.

„Zuerst lässt du dich wochenlang nicht blicken, treibst dich sonst wo herum und machst deinem Ruf als leichtes Bürschchen alle Ehre und nun störst du mich auch noch bei meinem Auftrag! Was willst du hier in Herkas?“

Ich blickte irritiert in sein schönes Gesicht. Herkas? Meine Ehre als was? Mann, war ich froh ihn zu sehen!

Ach egal! Ich musste Wolfram erst einmal drücken! Blitzschnell legte ich meine Hände auf seine Schultern und zog ihn an mich heran. Er war darüber wohl so überrascht das keine Gegenwehr erfolgte. Ich legte meine Arme um seine Schultern und presste ihn an mich:

„Ich bin so froh dich hier zu sehen! Ich glaube mir wäre niemand gerade lieber als du!“

War Wolfram geschrumpft? Wieso ging er mir plötzlich nur noch bis zur Nasenspitze? War etwa ich so viel gewachsen in der Zeit auf der Erde?

Wolfram legte seine Hände auf meine Brust und schob mich abrupt von sich weg:

„Nicht hier, du Waschlappen!“ Sein Kopf war hochrot während er sich noch einen weiteren Schritt von mir entfernte. Aber ich konnte deutlich erkennen, dass sich sein erster Ärger über mein Auftauchen hier gelegt hatte und wohl doch der Freude über unser Wiedersehen gewichen war. Ich legte den Kopf schief und grinste: „Tut mir leid, Wolf. Ihr habt mir alle ziemlich gefehlt!“

„Dann komm das nächste Mal einfach schneller wieder zurück!“, zischte er nur leise zurück, „Komm mit!“

Ich nickte und folgte ihm. Wir schritten durch die Gruppe der Soldaten über den Dorfplatz hinweg zum anderen Ende, wo auf einer kleineren Wiese mehrere Zelte aneinandergereiht aufgestellt worden waren. Wolfram schwieg mit gesenktem Kopf. Er schien über irgendetwas nach zu denken.

„Herkas heißt dieser Ort also“, versuchte ich die angespannte Stimmung zu lockern, „Ich sollte dann wohl eher fragen was du hier mit deinen Soldaten machst, nicht wahr?“

„Gleich!“, kam fast unverständlich zurück.

Okay. Ich kann warten, dachte ich mir. Wolfram war nie der Typ gewesen, der lange mit irgendetwas zurück hielt.

Wir gingen zielstrebig auf das größte Zelt zu. Er öffnete die Schlaufen am Eingang und schlüpfte durch den freigewordenen Spalt. Ich tat es ihm gleich und betrat sein angenehm warmes Quartier. Erst jetzt wurde mir bewusst, dass ich immer noch in der klitschnassen Schuluniform steckte und in Shin Makoku war es immer um einige Grad kühler als auf der Erde.

„Zieh dich aus und wärme dich erst einmal am Feuer“, Wolfram hatte sich mir zugewandt und zeigte mit seiner rechten Hand auf eine kleine Feuerstelle, welche zentral im Zeltmittelpunkt errichtet worden war. Ich nickte nur. Gegen diesen Vorschlag war absolut nichts einzuwenden. Ich setzte mich auf einen kleinen Schemel direkt neben besagter Feuerstelle und begann damit, die nassen Kleidungsstücke abzulegen. Wolfram drehte sich mit dem Rücken zu mir und starrte zu Boden.

„Also?“, fragte ich schließlich.

„Du hast dich ganz schön verändert, Yuuri“, begann er leise.

„Wie?“, ich starrte verwundert an mir herunter. Hatte ich das wirklich?

„Nun ja, du bist größer geworden. Und deine Haare länger...“ „Ich habe es vor lauter Prüfungsstress nicht zum Friseur geschafft!“, seufzte ich. Obwohl ich mir eingestehen musste, dass ich meine längeren Haare eigentlich mochte. Durch das Baseballspielen hatte ich mir angewöhnt die Haare stets sehr kurz zu tragen. Doch durch den immensen Lernstoff in den letzten Wochen war auch mein geliebtes Baseball zu kurz gekommen.

„Es ist nicht mehr viel Unterschied zu...“, er machte eine Pause, „ ...zu ihm zu erkennen!“

„Ihm?“

„Na, dein anderes Ich. Dem Maou.“

„Wirklich?“, ich stand auf und schritt an ihm vorbei zum großen Standspiegel, um mich näher zu betrachten. Das ich nur noch mit einer Boxershorts bekleidet war schien mich persönlich nicht zu stören. Schließlich hatten Wolf und ich auch schon einige Male gemeinsam in meinem Schwimmbad von Badewanne gebadet, doch Wolfram drehte erneut verschämt sein Gesicht weg.

Meine Erinnerungen an mein Aussehen als Maou waren reichlich düster. Sah ich so aus wenn mein „wahres Ich“ hervortrat? Es stimmte schon. Ich wurde erwachsen. Und das war nun auch Äußerlich erkennbar. Vom Körperbau des einst 15-jährigen, der nach Shin Makoku kam, war nicht mehr viel zu erkennen. Das harte Training, ob auf der Erde beim Baseball oder hier mit Conrad, schien endlich Früchte zu tragen. Zudem hatte ich trotz der Lernerei wenigstens mein morgendliches Jogging sowie meine Sit-up's eisern durchgezogen. Es zeichneten sich jetzt deutlich Muskeln ab. Ein stolzes Grinsen huschte mir über mein Gesicht.

Wolfram Graf von Bielefeld schritt langsam zu seinem Bett. Es war kein gewöhnliches Feldbett, wie man es in solch einem Lager vermutet hätte. Nein! Wolfram hatte ein riesiges Bett mit Baldachin. Und dieser war ein rüschchenverzierter Spitzenvorhang der mich stark an Urgroßmutters Gardine erinnerte. Ich musste innerlich schmunzeln. Mir war in den letzten Jahren aufgefallen, dass die Dämonen einen seltsamen Geschmack hatten (Fand man mich, einen durchschnittlichen Baseballjungen, hier sehr attraktiv!), aber selbst hier hätte jeder Dämon in Wolfram seinen Meister gefunden!

Er nahm sein mir wohlbekanntes rosafarbenes Nachthemd und warf es zu mir herüber: „Zieh das über bevor du dich erkältest und ich mir dann von Günter eine Predigt anhören darf!“

Er sah mich immer noch nicht direkt an. Seinem Blick folgend fand er wohl meine Füße interessanter.

Wenig begeistert sah ich mir das Nachthemd in meinen Händen an.

„Stell dich nicht so an, du Waschlappen! Dich sieht darin sowieso niemand! Und als dein Verlobter hab ich das Recht dich in allem zu sehen was du trägst... oder auch nicht trägst!“,

sein Blick war kurz hoch gehuscht und an meinem Oberkörper für wenige Augenblicke haften geblieben, nur um dann wieder verschämt zu meinen Füssen zu sinken. Was war nur mit Wolfram los? Er war doch sonst nicht so... hm... eingeschüchtert?

„Nenn mich nicht immer so!“, kam es von mir zurück. Eigentlich wusste ich, dass ich dies nicht mehr zu sagen brauchte, da es wirklich nichts brachte. Ich versuchte nur durch dieses „Ritual“ Wolfram das Gefühl zu vermitteln, dass ich trotz Wachstumsschub und Zunahme der Muskelmasse immer noch der Yuuri war, der vor fast zwei Monaten in Erdenzeit gerechnet in die Badewanne des Schlosses des blutigen Eides sprang mit dem Kommentar, dass man sich nach der Prüfungsphase wiedersehen würde.

„Wie viel Zeit ist hier eigentlich seit meiner Abreise vergangen?“, denn in Shin Makoku liefen die Uhren seltsamerweise etwas anders.

„Knapp sechs Monate!“, kam trocken und leicht beleidigt klingend zurück. Er hatte nun auch angefangen, sich seiner Uniform zu entledigen und sich für das Zubettgehen fertig zu machen.

„Wow! So lange? Nun denn“, ich versuchte den Eingang des Nachthemdes zu finden. Ich war so ein Kleidungsstück nicht wirklich gewohnt: „Ich werde nun nicht mehr so viel verschwinden! Ich habe die Schule beendet und bleibe euch länger erhalten!“

„Wirklich?“, Wolframs Blick ging schlagartig nach oben und er sah mir direkt in die Augen. Ich konnte ein freudiges Aufleuchten erkennen.

„Ja, wirklich!“, bestätigte ich. Wolframs Nachthemd war ganz schön eng. Der Stoff spannte und mein Kopf wollte nicht durch die dafür vorgesehene Öffnung. Ich zerrte wie wild herum. Meine Arme steckten schließlich schon in den Ärmeln.

„Das Hemd hat einen Knopf! Du Weichei musst zuerst den Knopf aufmachen!“, Wolfram, ebenfalls nur noch mit der landestypischen Unterwäsche (ein Stückchen schwarzer Stoff welches nicht einmal die Bezeichnung String verdienen würde) bekleidet, schien auf mich zu zu kommen um mir in meiner Notlage zu helfen. Genau sagen konnte ich das aber nicht, denn das Hemd versperrte mir die Sicht.
 

„Oh! Lord von Voltaire! Ihr! Hier!“, der Soldat stolperte nervös zwei Schritte nach hinten und konnte sich gerade noch rechtzeitig abfangen, ehe er auf seinem Hintern gelandet wäre. Eine Gruppe Reiter war wie aus dem Nichts aus dem Dunkel der Nacht zum Zeltlager vor den Toren des Dorfes Herkas gestoßen. Lord Gwendal von Voltaire führte diesen kleinen Trupp an. Sein Blick war mehr als finster, als er sich von seinem Pferd zu dem sich gerade aufrappelnden Wachposten hinunterbeugte und ein: „Wo steckt er?“ , raunte.

„Wer?“, der Soldat schien entweder reichlich dumm oder lebensmüde zu sein. Gwendal seufzte. Er hoffte auf Letzteres. Denn dumme Soldaten konnte kein Heer gebrauchen, auch nicht die Leibgarde seines jüngsten Bruders. Seine Augen funkelten noch eine Spur energischer. Der Soldat wusste direkt, dass dies hier eine ernste Lage für ihn war und der Lord keine weitere Verzögerung dulden würde, daher hob er nur seine rechte Hand und verwies auf das Zelt in der Mitte des Lagers: „Da...da...da hinten ist Lord Wolfram Graf von Bielefeld, m...m...meine Exzellenz!“

„Geht doch!“

Konnte der Soldat da gerade etwa ein amüsiertes Lächeln auf dem Gesicht des sonst so ernst und finster dreinschauenden Lords erkennen?

Gwendal stieg von seinem Pferd und drückte dem Wachposten die Zügel in die Hand:

„Ich wünsche keine Ankündigung. Und keinerlei Störungen. Sollte Lord Weller allerdings eintreffen, so weist ihm ebenfalls so zügig den Weg, wie ihr ihn mir gewiesen habt!“

„N...n...natürlich, meine Lordschaft!“, und mit einer zackig nervösen Verbeugung führte der Soldat Gwendals Pferd zur nächsten Tränke.

Gwendal marschierte strammen Schrittes auf das besagte Zelt zu. Vor dem Eingang spannte er seine Schultern und holte tief Luft. Er hatte nun eine wichtige Aufgabe zu erfüllen, die wohl in den letzten 85 Jahren viel zu kurz gekommen war: die Zurechtweisung seines kleinen Bruders. Anderswo würde man dies auch Erziehung nennen. Aber bei einem jungen Mann wie Wolfram es bereits war, war wohl mit Erziehung nicht mehr viel zu machen. Jetzt halfen nur noch Konsequenzen. Ja, Wolfram sollte nun alle Konsequenzen aus seinem erneuten und sich ständig wiederholenden Ungehorsam ziehen. Ohne auch nur etwas zu sagen oder sich ankündigend zu räuspern schob er den Stoff des Eingangs beiseite und trat ein.

„Was...“, Gwendal hatte sich schon alles im Kopf zurechtgelegt für die geplante lange Predigt, die er Wolfram halten wollte, doch das was er nun zu Gesicht bekam, machte ihn sprachlos. Der Anblick fegte durch ihn hindurch und raubte ihm den letzten Inhalt seiner Gehirnzellen.

Wolfram sprang, nur in Unterwäsche bekleidet um einen Mann herum, welcher auch nicht viel mehr anhatte, der allerdings mit halben Oberkörper in eines von Wolframs rosafarbenen Nachthemden feststeckte während Wolfram zeternd um Stillstand bat, weil sich Haare um einen Knopf gewickelt hätten.

„Wolfram! Wie kannst du nur!“, dröhnte nun Gwendals Stimme durch das gesamte Zelt. Wolfram hielt augenblicklich inne. Sein Blick fiel auf den Eingangsbereich, wo er seinen ältesten Bruder entdeckte. Und dieser war kreidebleich mit hängenden Schultern.

„Wie?“, war alles was er in der Kürze der Zeit sagen konnte, ehe sein Bruder anfing, ihn zurecht zu weisen.

„Du bist der Verlobte seiner Majestät! Das ist Hochverrat! Er kann dich hinrichten lassen!“, er holte tief Luft: „Wobei ich bezweifle, dass er das tut. Aber du kannst ihn doch nicht betrügen!“

„Was?“, sollte das Wort Verwirrung eine Steigerungsform suchen, so war sie hiermit gefunden: Wolfram. Aber auch das wandelnde Nachthemd schien gerade mehr als überrascht und irritiert zu sein über die plötzlich hinzugekommene neue Stimme im Zelt.

Gwendal trat auf Wolfram zu. Seine Falte zwischen den Augen, die zuvor noch aus lauter Ärger und Wut über den Feuerdämonen gepocht hatte wechselte die Form in eine aufrichtige Sorgenfalte:

„Wolfram, wenn du solchen Kummer wegen Yuuri hattest, der dich zu diesem Fehltritt gezwungen hat, dann hättest du doch mit mir reden können. Oder mit Conrad. Oder weiß er hier von?“

„Was weiß ich?“

Alle Blicke, soweit sie blicken konnten, gingen wieder zum Zelteingang, wo nun der Mittlere der drei ungleichen Brüder stand und sich nun erst einmal die ganze Situation mit einem Lächeln im Mundwinkel ansehen musste.

Das Nachthemd fing plötzlich an freudig auf und ab zu hüpfen und in die Richtung zu stolpern, aus dem es Conrads Stimme vernommen hatte.

„Möchte er der Verantwortung entfliehen?“, rief Gwendal aus und zog sogleich sein Schwert.

„Nicht, Bruder, das ist doch nur...“, das Nachthemd stolperte nun wirklich und fiel der Länge nach vor Conrads Füße. Dabei zerriss das teure Gewand nun endgültig und heraus strahlten zwei schwarze Augen umrahmt von zerzaustem schwarzen Haar.

„YUURI!“
 

Siehst du, Muraken, ich kann es doch! Ohne deine Fähigkeit als Navigator bin ich dort gelandet, wo ich hinwollte. Sicher. Er ist nicht das Schloss des Blutigen Eides oder Shinous Tempel. Aber was hätte ich auch dort gewollt, wenn sich alle hier, in diesem Zelt vor den Toren eines Ortes namens Herkas, befanden? Nur meinen ganzen Auftritt nach so langer Zeit, die hier verstrichen war, hatte ich mir anders vorgestellt. Ein bisschen weniger chaotisch. Ein bisschen mehr eines Königs würdig. Aber man kann nicht alles haben. Eins nach dem Anderen. Schließlich bin ich noch ein junger König und lerne dazu.
 

„Majestät! Wo kommt ihr denn her?“, Conrad beugte sich zu mir herunter und reichte mir seine Hand, um mir auf zu helfen.

Ich seufzte. Es hatte sich nichts geändert: „Conrad! Wie oft denn noch? Ich heiße Yuuri! Und das ist deine Schuld, das ich so heiße! Also sage dann bitte auch Yuuri!“

„Natürlich!“, er lächelte sanft und mir absolut vertraut als er meine Hand nahm und mich hochzog, „Oh! Du bist groß geworden!“

Ich konnte einen fast väterlichen Stolz in seinen Augen sehen. Auch Gwendal war nicht minder überrascht. Und mir fiel diesmal richtig bewusst auf, wie sehr ich wohl gewachsen war. Ich konnte Conrad beinahe geradewegs in die Augen blicken!

„Ihr seit doch ihr selbst oder ist es der Maou?“, hörte ich Gwendal hinter mir fragen.

Ich wandte mich ihm zu: „Ja, ich bin ich. Anscheinend war meine Erscheinung als Maou bisher immer nur mein Aussehen als Erwachsener. Wir werden uns nun ähnlicher, mein zweites Ich und ich!“

„Das wird es uns aber in Zukunft um einiges erschweren zu wissen, wann es Zeit ist, euch aus dem Weg zu gehen!“, fügte Gwendal nachdenklich hinzu, aber an seinen hochgezogenen Mundwinkeln konnte ich erkennen, dass er darin nicht wirklich einen Grund zur Besorgnis sah.

„Also, wo kommst du her und wo ist seine Eminenz?“, fragte Conrad erneut.

Ich zog das zerrissene Nachthemd zurecht um mich etwas zu bedecken und sah im Blickwinkel, wie auch Wolfram sich nun etwas überzog. Er schien aus irgendeinem Grund erleichtert zu sein, dass ich nun alle Aufmerksamkeit auf mich gezogen hatte:

„Ich bin alleine hergekommen!“

„Ohne seine Eminenz? Wie ist denn das möglich? Sagtet ihr nicht einmal, dass nur er den richtigen Zielort finden kann? War es dann nicht waghalsig diese Reise allein anzutreten?“, Gwendal legte den Kopf leicht schräg.

„Ähm. Murata ist verhindert. Er konnte nicht“, dies entsprach ja der Wahrheit. Ohne mich konnte er wirklich nicht, „Und ich dachte, es sei an der Zeit, dass ich selbst nun ein wenig mehr Verantwortung für mein Handeln übernehme und dazu gehört auch, dass ich allein an den Ort komme, wo ich hin möchte!“ Diese Aussage war ja so gesehen auch korrekt.

„Aber woher wusstest du, dass ich hier bin?“, kam es nun von Wolfram.

„Ehrlich gesagt, wusste ich das ja nicht!“, ich überlegte kurz und sprach dann meine Gedanken wohl laut aus, „Als ich in die Badewanne sprang, um nach hier zu kommen, tat sich zunächst nichts. Ich dachte nur, dass ich unbedingt nach Shin Makoku möchte. Und als es dann losging, dachte ich an euch!“

„An uns?“

„Ja, zuerst schoss mir dein Name durch den Kopf! Ich dachte nur: Wolfram, Conrad und so weiter...ich komme! Vermutlich bin ich daher in der dir am nächsten liegenden Wasserstelle gelandet!“ Ich sah Wolfram direkt in die Augen. Als ich sagte, dass mir sein Name als Erstes in den Sinn gekommen wäre, schien ihn das irgendwie zu freuen. Warum war mir eigentlich sein Name zuerst in den Sinn gekommen? Vielleicht wegen dieser ganzen Verlöbnis-Thematik, die mich so beschäftigte? Hatte ich dann jetzt nicht einen Fehler gemacht indem ich ihm dadurch das Gefühl gab, dass ich an ihn dachte obwohl ich ja eigentlich nur an ihn dachte weil ich diese Verlobung auflösen wollte? Nannte man so etwas nicht jemandem falsche Hoffnungen machen? Mist. Das alles war einfach zu neu für mich. Obwohl... wer sonst steckte in solch einer verzwickten Situation? Das wäre jedem zu neu!

„Und warum seit ihr nicht im Schloss?“, fragte ich neugierig und konnte direkt an Wolfs plötzlichem Zusammenzucken erkennen, dass ich das wohl besser nicht angesprochen hätte, denn plötzlich richteten sich auch noch alle Blicke auf ihn.

Ehe Gwendal los schimpfen konnte begann Conrad beschwichtigend zu berichten: „Vor einigen Tagen erreichte uns eine Nachricht aus diesem Dorf hier. Es war ein Hilfegesuch. Da du aber noch nicht da warst und es zunächst nicht dringlich erschien, wollten wir erst einmal abwarten!“

„Hilfegesuche sind doch aber immer dringlich!“, gab ich zu bedenken.

„Genau meine Rede!“, zischte Wolfram schmollend, wurde aber zuerst durch Gwendals Schnauben und dann von Conrads weiterer Berichterstattung unterbrochen:

„Nun ja, es war ja nicht das erste Mal das wir ein Hilfegesuch dieser Art aus diesem Ort hier bekamen.“

„Nicht?“

„Nein. Wir erhalten in regelmäßigen Abständen ein solches Gesuch!“

„Aber warum hilft man denn dann nicht endlich?“

„Hab ich auch gesagt!“

Wieder wütendes Schnauben. Wolf konnte einem richtig leid tun. Bisher hatte er genauso reagiert wie ich es auch getan hätte.

„Weil es um die Hexen geht und da gibt es eigentlich keine perfekte Lösung!“, schaltete sich nun Gwendal erklärend ein.

„Um die Hexen? Um echte Hexen?“, irgendwie kamen mir gerade ein Haufen alter, bewarzter Frauen auf fliegenden Besen in den Sinn mit einem ganzen Dorf aus Lebkuchenhäusern. Ich sollte mir morgen früh dieses Dorf einmal genauer ansehen!

Conrad schien genau diese Gedanken in meinem Kopf zu erahnen: „Die Hexen hier sind nicht zu vergleichen mit den Hexen aus den Märchenbüchern auf der Erde. Sie sind eine kleine Gruppe von Menschen mit magischen Fähigkeiten. Das ist alles.“

„Und diese kleine Gruppe hat also ein Problem und braucht Hilfe!“, schlussfolgerte ich nun.

„Nein“, erwiderte Gwendal, „die Menschen in diesem Dorf hier haben ein Problem mit den Hexen!“

„Die Hexen sind eigentlich ein Stamm von Frauen. Amazonen.“

„Frauen? Echte Amazonen?“, jetzt wandelte sich das Bild von einer bewarzten, alten Frau in ein Bild von Wonderwoman.. Anscheinend musste sich dieser Gedanke auf meinem Gesicht widerspiegeln.

„Das ist es weswegen ich die Sache erledigen wollte, bevor dieses leichte Bürschchen wieder da ist!“, Wolframs Gesichtsfarbe änderte sich schlagartig. Ebenso war seine engelsgleiche Mimik Geschichte. Er stand wieder einmal vor einem temperamentvollen Eifersuchtsanfall. Innerlich seufzte ich laut auf. Das war etwas was ich irgendwie nie vermissen würde. Conrad legte beruhigend eine Hand auf die Schulter seines jüngsten Bruders und Wolf schien sich dadurch auch ein wenig zu zügeln: „Im letzten Hilfegesuch stand, dass die Hexen einen Dorfbewohner hier tödlich verletzt hätten. Mittlerweile weiß ich aber, dass dies nur ein Irrtum war und es sich um einen unglücklichen Zufall bei der Feldarbeit gehandelt hat. Die Hexe war zur falschen Zeit am falschen Ort und tot ist auch niemand, sondern nur verwundet!“, berichtete nun Wolfram.

„Dennoch hatte ich dir strikt untersagt, hier alleine herzukommen und Untersuchungen jedweder Art anzustellen!“, schnaubte Gwendal nun erneut.

„Ich bin ja nicht ganz alleine hier!“, fauchte Wolfram zurück, „Ich habe sehr gute Männer zu meinem Schutz mitgenommen!“

„Ja, die Qualifikation dieser Männer habe ich gesehen!“, entgegnete Gwendal amüsiert:

„Zudem ging es nicht um deinen Schutz, sondern um die ganze allgemeine Situation und die Rücksprache mit seiner Majestät!“

„Ich bin der Verlobte seiner Majestät! Es gehört zu den Aufgaben des Verlobten, sich um die Belange seiner Majestät zu kümmern und einen Teil seiner Aufgaben zu übernehmen!“

„Also, weißt du, Wolfram, so ernst brauchst du meine Belange und so nicht zu nehmen!“

„Sei still, Waschlappen!“, fauchte er nun mich an, „Ich wollte diese Situation hier ohne Yuuri klären!“

„Wolfram, du kannst dich nicht immer mit deinem Status des Verlobten seiner Majestät für deine Fehlentscheidungen herausreden. Gwendal hatte schon Recht mit der Entscheidung, erst einmal abzuwarten bis Yuuri wieder zurück ist“, versuchte Conrad die mittlerweile laute und gereizte Stimmung mit ruhigen und leisen Ton zu beschwichtigen.

Wolframs Augen sprühten Funken in Conrads Richtung: „Ich diene aber nicht Gwendal und seinen Entscheidungen sondern Yuuri! Er ist mein König UND mein Verlobter!“

Oh je. So würden die Drei noch am nächsten Morgen hier stehen und sich streiten. Ich konnte aber auch alle drei Parteien gut verstehen. Bis auf das mit dem Verlobtenzeugs und so hatte Wolfram auch Recht. Jemand hatte um Hilfe gebeten und er wollte schnellst möglichst helfen. Aber auch Gwendal hatte Recht. Dies war ein Hilferuf mit wohl jahrelanger Vorgeschichte. Überstürztes und unüberlegtes Handeln hätte die Situation noch verschlimmern können. Regieren ist echt nicht einfach. Und es war eigentlich mein Job und ich war, wie so oft, im entscheidenen Moment nicht da gewesen. Daher war es nun meine Pflicht die zerstrittenen Brüder wieder zu versöhnen.

„Also, ihr habt beide Recht! Klar hätte man auf meine Entscheidung warten müssen, aber ich bin grundsätzlich der Meinung, dass wenn jemand um Hilfe ruft, erst Recht wenn es schon mehrfach der Fall war, man sofort helfen sollte. Wenn ich ertrinke, hilft es mir schließlich auch nicht weiter wenn erst drei Wochen später der Rettungsschwimmer ins Wasser springt!“ Ich konnte Conrads Grinsen im Blickwinkel erkennen.

„Wie ist denn nun die aktuelle Situation? Gwendal?“

„Im letzten Krieg haben die Amazonen ihr Land verloren. Auf diesem Land steht nun unter anderem dieses Dorf, welches während des Krieges ein Auffanglager für Flüchtlinge war. Nun wollen die Amazonen anscheinend aber, dass die Dorfbewohner verschwinden und sie ihr Land zurückbekommen. Die Dorfbewohner sehen dies aber mittlerweile als ihre Heimat an und wollen nicht weg. Somit fällt auch eine Umsiedlung aus. Zur Zeit hausen die Amazonen in einem Wald wenige Kilometer von hier und jedes Mal, wenn ein Dorfbewohner einer Amazone begegnet, geht anschließend ein Hilfegesuch an uns!“

„Okay. Dann wäre es doch mal am Besten, wenn ich mich mit den Amazonen und den Dorfbewohnern zusammensetze und wir nach einer Lösung suchen, nicht wahr?“, fragte ich in die Runde und stellte zu meiner Erleichterung fest, dass nun auch Wolfram wieder strahlte.

„Das habe ich bereits alles für dich arrangiert! Wenn du willst sitzen wir morgen alle zusammen bei der Ältesten des Amazonenstammes am Mittagstisch!“, teilte er stolz mit und ich nickte ihm lächelt zu.

„Dann wäre ja nun alles gesagt, nicht wahr?“ Meine Frage wurde mit allgemeinem Nicken beantwortet.

„Dann möchte ich jetzt gerne schlafen!“, ich streckte mich. Conrad und Gwendal begaben sich zum Zeltausgang und wünschten uns eine angenehme Nacht. Ich konnte erkennen, dass sich Conrad als Wache neben den Eingang des Zeltes positionierte. Es hatte keinen Sinn jetzt hinaus zu gehen und ihn zu bitten, sich selbst hinzulegen und diese Arbeit einem der Soldaten zu übertragen. Er würde nicht auf mich hören. Also begab ich mich in Richtung Bett. Wolfram folgte mir. Ich entgegnete nichts. Denn zur Abwechslung war dies heute mal sein Bett in dem ich schlief. Und ich muss sagen, dass ich überraschend schnell und sehr gut einschlief.

Kapitel 3

KAPITEL 3
 


 

Der Stoff meiner Uniform kratzte ungemein. Ich hätte sie gestern noch richtig auswaschen müssen. So war sie nach dem Ausziehen nur zum trocknen an die Feuerstelle gelegt worden und hatte beim Anziehen heute morgen den Charme eines Brettes. Auch war ich ganz froh, dass man für mich im Dorf noch Stiefel in der passenden Größe aufgetrieben hatte. So ein offizieller Besuch des Königs, der in Hausschuhen kam, hätte vermutlich mehr als seltsam gewirkt.

Ich war noch nie ein großer Freund des Reitens gewesen. Obwohl es mit meiner schwarzen Stute Ao mittlerweile ganz gut klappte. Nur war diese nicht hier und alle vorhandenen Pferde waren mir fremd gewesen, so dass ich mich entscheiden musste, ob ich bei Wolfram oder Conrad mit ritt. Ich entschied mich für Conrad. Das wiederum schien Wolfram sauer aufzustoßen. Beleidigt ritt er einige Meter vor uns her und würdigte mich keines Blickes. Aber um ehrlich zu sein war mir das gerade egal.

Ich war schon ein wenig aufgeregt! Gleich würden wir in den Wald einreiten, in dem echte Amazonen lebten. Und echte Hexen. Um genau zu sein: Amazonenhexen!

Es war erstaunlich, dass ich selbst jetzt noch so viel Neues in meinem eigenen Königreich kennenlernte. Vermutlich hatte mir Günter in einer seiner vielen Unterrichtsstunden von diesem Volk berichtet. Ich weiß es nicht. Es fällt mir oft sehr schwer, seinen sehr ausschweifenden Berichten, die zudem doch recht ausgeschmückt geschildert wurden, von Anfang bis Ende zu folgen.

„Wir werden bereits beobachtet!“, flüsterte Conrad leise und ich blickte mich überrascht um. Woher wusste er das? Ich konnte nichts erkennen. Für mich sah alles nach Wald aus. Hier ein Baum und dort, da ein Farn und da hinten Gestrüpp. Ich sah weit und breit niemanden. Aber auch die anderen Soldaten in meinem Gefolge nahmen eine wachsamere Haltung an. Nun ja, sie hatten alle 80 bis 100 Jahre mehr als ich auf dem Buckel.

Und mindestens die Hälfte dieser Zeit hatten sie beim Militär verbracht. Alle in den Leibwachen von Gwendal, Conrad und Wolfram. Somit hoch qualifizierte, handverlesene Männer. Wir ritten auf eine sehr große Lichtung im Wald zu. Wolfram zog die Zügel und brachte seine weiße Stute zum Stillstand. Er drehte sich zu uns herum, wieder ohne mich dabei anzusehen (wie kann man nur so stur sein?) und meinte dann an Gwendal gewandt:

„Wir werden hier warten müssen!“

„Oh je. Er ist wirklich gekränkt!“, flüsterte Conrad erneut. Diesmal noch leiser. Auch Conrad wusste um Wolframs sehr gutes Gehör.

Ich zuckte nur mit den Schultern: „Jetzt, wo ich vorhabe, länger hier zu bleiben als gewöhnlich, werde ich so wieso nicht drum herum kommen, diese unliebsame Geschichte mit ihm aus der Welt zu räumen!“ Ich versuchte ebenso leise zu reden wie Conrad.

Dieser drehte sich nun leicht zu mir herum. Seine klaren, braunen Augen mit den silbernen Sprenkeln darin sahen bekümmert aus: „Majestät, ihr wisst, dass ich euch dabei nicht zur Seite stehen kann und werde!“ Ich seufzte lauter und auch Conrad wusste, was ich nun sagen würde und lächelte bereits, bevor ich den Mund aufmachen konnte: „Für dich Yuuri! Und ja, ich weiß! Er ist dein Bruder. Ich möchte ihm auch nicht weh tun. Ich habe ihn sehr gern, aber ich bin nun mal nicht schwul! Das war alles ein ganz blödes Missverständnis!“

Conrads Blick richtete sich nun wieder ernsthafter nach vorne: „Sie kommen!“

„Wo?“, ich konnte immer noch nichts sehen.
 

Wie aus dem Nichts stand plötzlich eine Frau neben unserem Pferd. Ich erschreckte mich so sehr, dass ich mich instinktiv in Conrads Seite krallte um nicht vom Pferd zu fallen.

Nachdem ich mich vom ersten Schreck erholt hatte, erkannte ich, dass neben jedem Pferd unserer Gruppe eine junge Dame stand. Sie trugen alle Waffen. Meist Pfeil und Bogen oder so kleine Stichmesser. Aber diese waren entweder auf den Rücken geschnallt oder am Gürtel befestigt. Sie schienen nur zu unserem Geleit gekommen zu sein.

Ich beschloss, die mir am nächsten Stehende genauer zu betrachten, da sie alle ziemlich identisch aussahen. Sie war in Menschenjahren vielleicht Mitte 20. In Dämonenjahren kann ich das nicht so genau sagen. Zudem wusste ich nicht, ob diese Amazonenhexen Dämonen im eigentlichen Sinne waren oder so eine Mischform. Aussehen taten sie auf jeden Fall durch und durch menschlich. Aber das taten Wolfram, Gwendal und Günter auch. Na ja. Bis auf dieses abnormal gute Aussehen natürlich!

Aber diese Amazonen standen in Punkt Aussehen den Dämonen in Nichts nach! Alle diese Frauen wären auf der Erde bestverdienende Super-Topmodels geworden!

Topmodel Nummer Eins, welche neben uns stand, hatte hüftlanges, blondes, gewelltes Haar, welches golden schimmerte. Sie hatte die interessanteste Augenfarbe, die ich jemals gesehen habe: ein stechendes Eisblau mit Goldpigmenten. Ihr ovales Gesicht wies keinerlei Unebenheiten auf, ihre Haut war makellos, ebenso wie ihr ganzer, durchtrainierter Körper. Unendlich lange Beine, eine wohlgeformte Hüfte, ein praller Busen. Sie hatte die perfekten Maße! Alles äußert knapp und eng bekleidet. Ein lebendig gewordener Männertraum!

Ein stark stechender Schmerz ging plötzlich von meiner linken Kopfhälfte in den Rest meines Körpers über. Neben dem Pferd, auf dem ich saß, fiel ein halber Apfel zu Boden.

„Au!“, entwich es mir. Conrad fuhr herum.

„Starr sie nicht so an, du perverser Schwerenöter!“, schnauzte schließlich Wolframs Stimme von der linken Seite und mir den schmerzenden Punkt am Kopf reibend blickte ich ihn überrascht an. In seiner linken Hand hielt er die andere Hälfte des Apfels.

„Spinnst du?“, pfefferte ich zurück.

Conrads Pferd entdeckte die Apfelhälfte neben sich liegend und fing an, die Tatwaffe genüsslich zu vertilgen.

„Das hier ist keine Fleischbeschauung und auch kein Einkauf für deinen Möchte-gern-Harem!“, giftete Wolfram mit hochrotem Kopf und wutverzerrtem Gesicht weiter:

„Besinn dich wenigstens jetzt einmal auf deine Verantwortung als König und deine Aufgabe hier! Zudem ist es widerwärtig in der Gegenwart deines Verlobten...“ „Ich habe nicht darum gebeten, dein Verlobter zu sein!“, schnauzte ich ihn unterbrechend zurück: „Das war alles ein ganz großer Irrtum! Und das weißt du auch! Ich habe das Spiel nur dir und deinem falschem Ehrgefühl zu Liebe bisher mitgespielt aber es reicht, Wolfram! Diese Eifersucht macht niemand mit! Erst Recht niemand, der nicht das für dich empfindet was er empfinden sollte wenn man mit dir verlobt ist! Ich bin nicht schwul! Ich stehe nicht auf Männer! Ich werde dich nicht heiraten! Daher ist diese ganze Verlobung nichts weiter als eine dämliche, mich total nervende Farce!“

Wumm.

Ich hatte es gesagt.

Es war raus.

Scheiße.

Alle auf dieser Lichtung sahen uns an. Alle. Gwendal. Conrad. Mindestens dreißig Soldaten und ebenso viele Amazonen plus eine uralte Dame, die während unserer Streiterei in die Mitte der Lichtung getreten war.

Wolframs Gesichtsfarbe hatte sich schlagartig von dunkelrot in kreidebleich gewandelt. Seine Augen waren weit aufgerissen. Sein Mund leicht geöffnet. Ich konnte ein Zittern seiner von mir so bewunderten Lippen erkennen. Er überlegte, ob er noch was erwidern sollte, schwieg aber. Dann neigte sich sein Blick ganz langsam nach unten, schräg von mir abgewandt. Um seine Augen herum erkannte ich eine leichte Röte, ebenso ein Schimmern.

Verdammt! Er weinte!

„Wolfram! Ich... ich wollte nicht...“, doch da löste er die Spannung in den Zügeln, gab seiner Stute die Sporen und ritt quer durch unsere Gruppe von der Lichtung runter zurück in den Wald. Bald darauf war nicht einmal mehr der Hufschlag seines Pferdes zu hören. Absolute, beklemmende Stille.

„Nicht gut“, Gwendal blickte finster, mit deutlich zu erkennender pochender Stirnfalte zu mir herüber, schüttelte einmal den Kopf und stieg dann vom Pferd ab. Er wandte sich an die ältere Frau, welche sich bisher weder geregt noch irgendetwas gesagt hatte, sondern nur schweigend alles beobachtete: „Wir bitten dieses an sich geplante Vier-Augen-Gespräch zu entschuldigen und hoffen, dass unsere Gespräche heute einen erfreulicheren Ausgang finden!“

„Gewiss. Gewiss. Junge Menschen sind ja so gefühlsbetont und aufbrausend. Heute noch der große Streit und morgen wieder in flammenster Leidenschaft und Liebe zueinander vereint, nicht wahr?“ , und plötzlich durchbohrte mich ihr Blick: „Beachten wir diesen Gefühlsausbruch nicht weiter. Es wird sich schon bald alles zum Rechten richten!“

Dieser Blick! Er kroch eisig durch Mark und Bein. Wortwörtlich. Der Schauder durchlief mich so heftig, dass ihn selbst Conrad vor mir spürte und mich besorgt ansah.

„Ist dir kalt, Yuuri?“

„Nein. Conrad?“

„Hm?“

„Ich bin zu weit gegangen, nicht wahr?“

„Ja.“

Conrad war immer ehrlich zu mir. Conrad war auch direkt. Conrad würde nie etwas sagen, was mich verletzen würde. Und er wusste, dass mir ein „Nein“ wesentlich lieber gewesen wäre. Verdammt. Ich hatte wirklich ganz großen Mist gebaut.
 

Irgendwie lief alles wie in einer Dokumentation über Friedensvertragsabschlüsse ab, mit denen man im Geschichtsunterricht bombardiert wird. Es kam mir auf jeden Fall so vor. Ich muss aber gestehen, dass ich nicht wirklich da war. Körperlich schon. Gedanklich jedoch nicht. Da war ich bei Wolfram. Immer und immer wieder schoss mir dieses Bild seiner Augen durch den Kopf. Ich hatte noch nie so viel Schmerz und Trauer in zwei Augen gesehen. In den für mich zwei schönsten Augen der Welt. Ach, beider Welten! Diese Augen sprühten sonst vor Leidenschaft, Kraft, Energie, Willen, Lebenslust, Enthusiasmus, Freude...ach, Wolfram konnte so viel Gefühle stets mit nur einem Blick zeigen und nun... diese Augen... als sich ihr Blick nach unten richtete... sie wirkten wie...wie... tot. Kalt, leblos, kraftlos, willenlos. Einfach tot. Und ich hatte sie getötet.

Ja, ich wollte diese Sache aus der Welt schaffen. Und ja, ich hatte auch komplett die Wahrheit gesagt. Nur wusste ich schon in dem Moment wo ich sie ihm an den Kopf warf, dass dies der falsche Weg war wie ich es tat. Ich hatte ihn nicht nur vor seinen ganzen eigenen Soldaten, sondern auch vor seinen Brüdern und deren Soldaten sowie dem ganzen Volk der Amazonenhexen bloß gestellt.

Ich wollte das ursprünglich unter uns klären. Und zwar möglichst so, dass man sich anschließend noch in die Augen sehen kann. Bestenfalls sogar so, dass man noch befreundet sein konnte. Denn Wolfram ist mein bester Freund. Okay. Wohl eher war mein bester Freund. Allein für Greta, meiner Adoptivtochter, war er immer der ideale Vater gewesen. Und Greta liebte Wolfram ebenso wie sie mich als ihren Papa liebte. Wie sollte ich meiner Tochter diesen von mir verzapften Bockmist erklären. Wolfram hatte alles Recht der Welt jetzt aus unserem Leben zu verschwinden. Und das würde er bestimmt auch tun. Er würde zu seinem Onkel ins Schloss der Familie von Bielefeld flüchten und nie wieder rauskommen noch mit mir reden.

Die Stimmung um mich herum schien besser zu sein als nach diesem Skandal zu erwarten gewesen wäre. Ich beschloss, mich nun doch auf die Gespräche um mich herum zu konzentrieren, an denen ich bisher höchstens durch Nicken und an teilnahmslos nebenher trotten oder sitzen teilgenommen hatte.

Die ältere Dame von der Lichtung war das Oberhaupt des Clans und die Dorfälteste.

Sie stellte sich uns als Cha'ara vor und ihre Assistentin (welche zuvor neben meinem Pferd gestanden hatte) namens Lila'ya berichtete, Cha'ara sei nun 1678 Jahre alt und hätte diesen Streit, den es hier zu schlichten galt, schon vom ersten Moment an miterlebt.

Dieses immens hohe Alter klärte für mich die Frage ob dämonisch oder nicht. Selbst Dämonen werden selten so alt!

Für ihr erstaunlich hohes Alter war Cha'ara extrem rüstig. Sie führte uns in ihr Dorf, welches eigentlich aus vielen Baumhäusern, in unterschiedlichen Höhen angelegt, auf riesigen Bäumen lag. Wir wurden in kleinen, von Wasserkraft angetriebenen Fahrstühlen nach oben gebracht, während ein Großteil der Amazonen, ebenso wie Cha'ara, im gleichen Tempo neben uns her hochkletterten. Ich war erstaunt und tief beeindruckt.

Die einzelnen Baumhäuser waren mit Hängebrücken verbunden und über diese führte man uns zum Größten. Man teilte uns mit, dass dies das sogenannte Ratszentrum sei, der Herrschaftssitz der Amazonen.

Drinnen war alles viel größer und geräumiger als es von außen den Anschein gemacht hatte. Man führte Gwendal, Conrad, eine Handvoll Soldaten und mich in einen großen ovalen Raum und bat uns, an einer reich gedeckten Tafel Platz zu nehmen. Ich sah fragend zu Conrad beim Anblick der Speisen und Getränke und musste an Günters Warnungen denken, nie etwas zu mir zu nehmen, was nicht von uns selbst hergestellt oder geprüft worden war. Conrad schmunzelte: „Esst nur das was ich vorher schon zu mir genommen habe, eure Majestät!“

Ich nickte. Ich hatte gerade keine Lust mehr, Conrad erneut zu ermahnen, dass ich mit dem von ihm gewählten Namen angesprochen werden wollte. Irgendwie fehlte mir die Energie.

Nachdem wir alle Platz genommen und uns die Bediensteten die Gläser gefüllt hatten, begann Gwendal das eigentliche Gespräch, weswegen wir hier waren.

„Wir danken euch für dieses doch recht kurzfristig angesetzte Gespräch.“

„Ach“, Cha'ara lächelte und durch all ihre unzähligen Falten wirkte sie auf mich wie eine gutmütige, liebevolle Großmutter und nicht wie das Oberhaupt einer Gruppe Amazonen,

„Wir haben eigentlich zu danken. Ich spreche für mein ganzes Volk, wenn ich sage, dass es uns eine außerordentliche Ehre ist, den 27. Maou des Großreiches der Dämonen in unserem bescheidenen Dorf empfangen zu dürfen!“

Ich spürte eine leichte Röte um meine Nasenspitze: „Vielen Dank!“

Gwendal fuhr mit sachlichem Ton fort: „Wie ihr vermutlich bereits wisst, baten uns die Bewohner des Ortes Herkas um unsere Hilfe. Ich möchte hier zu Beginn sagen, dass wir nicht hier sind, um Anschuldigungen auszusprechen noch einen unnötigen Streit zu beginnen. Das wäre ganz und gar nicht im Sinne meiner Majestät, König Yuuri.“

Er holte tief Luft: „Dennoch wollen wir dem Ganzen nun nachgehen. Einige Dorfbewohner beschuldigen sie der Handgreiflichkeiten ihnen gegenüber bis hin zu Gewaltverbrechen. Man sagt, sie wollen die Bürger Herkas vertreiben, um an deren Land zu kommen, welches sie als ihr Eigenes betrachten. Wie stehen sie dazu?“

Cha'ara ließ ihren Blick von Gwendal zu mir herüber schweifen, ehe sie leise, aber bestimmt antwortete: „Vor bis rund 800 Jahren war alles Land südlich des Schlosses des Blutigen Eides vom großen Shinou selbst, uns, dem Clan der Tritassa, zugesprochen worden. Doch durch die vielen Kriege an den Grenzen ganz Shin Makokus kamen auch viele Flüchtlinge zu uns. Wir nahmen sie alle herzlich auf. Gaben ihnen was wir hatten und noch mehr um sie ihre traumatischen Erlebnisse ein wenig vergessen zu machen“, ihr Blick, der immer noch auf mich gerichtet war, wurde trauriger: „Doch viele von ihnen fürchteten uns. Wir hatten ausgesprochen viele begabte Magier unter uns. So entstanden die ersten Reibereien. Aus diesen wurden Streitereien. Schließlich sogar Kämpfe. Wir konnten jedoch nicht hingehen und die ursprünglichen Flüchtlingsfamilien, welche sich nun über Generationen hier angesiedelt hatten, ihrer neugewonnenen Heimat verweisen. Mein Volk zog sich daher mehr und mehr zurück. Bis hier hin. In diesen kleinen Wald. Und hier wollten und möchten wir auch eigentlich in Frieden leben. Nur, seit dem letzten Krieg vor über 20 Jahren, hat sich die Lage dramatisch verändert!“

Sie nahm einen großen Schluck aus ihrem Wasserglas. Ich tat es ihr gleich. Und während wir tranken behielten wir trotz allem Blickkontakt. Es war als würde sie mich mit diesen Augen aufsaugen. Und das meine ich nicht negativ. Sie erinnerte mich mehr und mehr an die Großmutter, welche abends am Bett ihrer Enkel saß und von alten Zeiten erzählte. Doch diese Traurigkeit in ihren Augen zeigte mir, dass dies wirklich schwere Zeiten waren. So schwer, dass sie diese nicht in die richtigen Worte fassen wollte, sondern lieber sanftere Worte suchte. Sie wollte wirklich keinen Streit. Sie suchte auch den Frieden für sich und ihr Volk. Die Worte, die sie wählte, sollten daher keinen Anschein von Vorwürfen haben, obwohl sie bestimmt dazu berechtigt gewesen wäre. Schließlich hatte sie alles miterlebt.

„Unser Wald war vorher wesentlich größer. Wir lebten von dem was der Wald uns gab und von kleinen Feldern, welche wir in den Lichtungen des Waldes anlegten. Doch die Bewohner der umliegenden Dörfer benötigten anscheinend durch die weitere Zunahme an Flüchtlingen größere Felder und begannen, den Wald nach und nach zu roden. Dort, wo nun Herkas liegt bis hier her, dort war vor 20 Jahren noch dichter Wald!“ Sie seufzte.

Ich konnte nun die nackte Existenzangst um ihr Volk erkennen.

„Wir haben versucht mit ihnen zu reden, doch sie fürchten uns durch die alten, sehr aufgebauschten Geschichten mehr denn je. Daher habe ich meine Amazonen angehalten, jeden Holzfäller, der sich diesen letzten Bäumen nähert, zu verjagen. Allerdings mit der strikten Auflage, niemanden zu verletzten oder gar zu töten!“

„Man wirft euch aktuell jedoch einen blutigen Angriff vor. Zunächst wurde uns von Toten berichtet, aber Lord von Bielefeld konnte diesen Vorwurf durch seine Ermittlungen entkräftigen. Was sagt ihr dazu?“, fragte Gwendal nach.

Als er Wolframs Namen erwähnte zuckte ich zusammen. Wolf hatte viel unternommen um diese Situation hier und somit voll und ganz in meinem Sinne, friedlich zu lösen. Ich dachte an Wolfram, als ich ihn kennenlernte. Da waren friedliche Lösungen für ihn fast indiskutabel. Er hatte schnell die Hand am Griff seines Schwertes und konnte sich andere Lösungswege als der Weg des blutigen Kampfes nicht vorstellen. Wolf hatte sich sehr zum positiven verändert. Er hatte sich für mich verändert. Ich schluckte. Ich Idiot.

„Am Waldrand tauchten wieder Holzfäller auf. Diese waren aber in Begleitung. Vermutlich Söldner“, sie atmete tief ein.

„Und daher wurde ich hinzugerufen!“, eine dunkle Stimme ließ uns alle zusammenfahren.

Diese Stimme kannte ich! Ich drehte mich blitzartig um. Lässig, an die Tür gelehnt mit verschränkten Armen, stand er da. Er trug elegante, sehr hochwertige Kleidung, die ihn von den Dorfbewohnern in Herkas und erst Recht von den doch recht leicht bekleideten Amazonen unterschied. Er war sofort als ein Adeliger zu identifizieren.

Er hatte einen Oberkörper, den ich so noch kein zweites Mal im Großreich der Dämonen gesehen hatte und der mich immer und immer wieder an nur eines erinnerte: American Football! Unter seiner leicht schiefen, aber dennoch sehr ausgeprägten Adlernase zeigte sich ein amüsiertes Grinsen: „So sieht man sich wieder, Kleiner! Habe schon von deiner mutigen Heldentat dem Jüngsten der Drei gegenüber gehört!“

Er löste sich vom Rahmen und schritt auf mich zu: Adalbert von Grantz!

Na toll!, dachte ich, es macht im Reich schon die Runde!

Gwendal sprang auf: „Was wollen sie denn hier, Grantz!“

„Ich bat ihn um Rat!“, beschwichtigte Cha'ara ruhig: „Diese Söldner waren brutal. Sie schlugen unsere Amazonen immer weiter zurück und vernichteten unsere Abwehr! Aber auch er musste sich an meine Regel halten weder Blut zu vergießen noch gar zu töten!“

„An diese Regel habe ich mich auch gehalten, auch wenn mir dies in der gegebenen Situation sehr schwer fiel“, vollendete Adalbert Cha'aras Erklärung, „Man lässt sich ungern abschlachten!“

Lila'ya brachte sich nun auch ein: „Herr Grantz und ich gerieten in einen Hinterhalt bei einer normalen Patrouille. Auf der Flucht über ein Feld rannten wir durch eine Gruppe Feldarbeiter hindurch und dann...“ „Dann erwischte ein Pfeil der Söldner einen Bauern. Es war ein Streifschuss an der Schulter. Dennoch... ein gefundenes Fressen für die Söldner. Man beschuldigte die Tritassas den Bauern aus Herkas verwundet zu haben!“, Adalbert wirkte angespannt.

„Und Herkas sah sich dann darin bekräftigt, sich an uns zu wenden“, fügte schlussendlich Gwendal leise hinzu.

Es folgte eine längere Zeit lang eine fast unheimliche, nachdenkliche Stille.

Ich räusperte mich schließlich: „Gwendal?“

„Ja, Majestät?“

„Ich erlasse folgenden Beschluss!“

Wumm.

Das zweite Mal an einem Tag. Wieder wurde ich von allen Anwesenden angestarrt. Doch ich schüttelte die Blicke ab:

„Dieses Beschluss gilt ab dem heutigen Tage bis in alle Ewigkeit oder so ähnlich und ist unabänderlich!“

„Aber Majestät, sollten sie nicht...“, versuchte Gwendal einzuwenden, doch ich ließ mich nicht beirren, sondern blickte ihn ernst an:

„Wolfram hatte Recht. Ich bin ein Waschlappen. Stets habe ich auf euch alle gebaut und gedacht, ihr werdet es richten. Ihr habt euch alle für mich verändert und nur so haben wir es bisher so weit gebracht. Es ist wirklich an der Zeit, dass ich mir meiner gegebenen Aufgabe als König dieses Reiches bewusst werde und auch so handle. Daher fälle ich nun dieses Urteil, Gwendal. Spricht da etwas gegen?“

Gwendal nickte, schien aber irgendwie mit meiner plötzlichen Ansage überfordert:

„Nichts spricht dagegen, Majestät!“

Conrad musste grinsen. Auch in Adalberts Augen erkannte ich so etwas wie überraschte Bewunderung.

„Also: Der Wald der Tritassas darf weder abgeholzt noch in seiner Natürlichkeit beschädigt werden. Dieser Wald ob steht allein der Verantwortung und der Fürsorge des Clans der Tritassas. Die angrenzenden Dörfer und Völker haben diese Vorschrift zu achten. Jedwede Zuwiderhandlung wird auf das Schärfste bestraft!“

„Auf das Schärfste?“, fragte Gwendal vorsichtig nach. Er hatte bisher alles mitgeschrieben.

„Ja“, bestätigte ich, „auf das Schärfste. Ich denke da so an eine menschenlebenslange Haftstrafe! In Dämonenjahren ist das doch nicht zu viel, oder?“

Adalbert unterdrückte sich hörbar ein Auflachen.

„Was ist mit den Dörfern. Sie behaupten, sie haben ihre Ländereien nur erweitern müssen, weil das Getreide durch die schlechten Ernten in den letzten Jahren nicht ausreichte für alle Bewohner!“, fragte nun Cha'ara. Ich fand es schon erstaunlich und es sprach absolut für sie, dass sie sich um das Wohl der Dörfler sorgte.

„Welchem Haus ist dieses Gebiet zugeteilt?“, das war echt peinlich das ich das nach fast drei Jahren Regentschaft immer noch nicht richtig zuordnen konnte, aber die Anwesenden schienen es mir nachzusehen.

„Dem Hause der von Grantz!“, antwortete Adalbert.

Oh! dachte ich, das Stofftier! Das Haus der von Grantz stand unter der Führung von Adalberts Vater, nachdem Adalbert dem Dämonenreich den Rücken gekehrt hatte und somit als Verräter am Großreich und seiner Majestät, also mir, galt. Ich sah das Ganze allerdings nicht mehr so eng. Im Gegenteil: Ich hatte Adalbert, trotz mehrstimmiger entsetzter Aufschreie in den Adelshäusern, mehrfach angeboten, ins Großreich zurück zu kehren. Doch er hatte jedes Mal abgelehnt. Sein Vater hingegen schien sich für das unehrenhafte Verhalten seines Sohnes so sehr zu schämen, dass er sich keiner seltsamen Ausrede zu Schade war, um nicht an den regelmäßigen Versammlungen der Adelshäuser teilnehmen zu müssen. Grundsätzlich wurde daher eines von Gwendals Stofftieren auf den leeren Stuhl der Familie von Grantz bei eben diesen Versammlungen gesetzt. Innerlich nahm ich mir nun nicht zum ersten Male vor, dem Schloss von Grantz einmal einen überraschenden Besuch abzustatten, nur um endlich einmal herauszufinden, wie Adalberts Vater wohl aussah und auch um ihm diese unsinnige Scham mir gegenüber zu nehmen.

„Sehr gut!“, fuhr ich fort, „Dann ist es nun Aufgabe der Familie von Grantz, sich in der jeweiligen Erntezeit um das genaue Ausmaß dieser Ernte und derer gerechten Verteilung zu kümmern und sollte es dann nicht reichen, so hat sich das Haus von Grantz direkt an mich zu wenden und wir stellen die möglichen Hilfsgüter und Lebensmittel oder was auch immer zur Verfügung!“

„Und die Söldner?“, Adalbert nahm nun mir schräg gegenüber Platz.

„Wir werden einige der stationierten Soldaten vorerst hier lassen und sie mit der Suche nach den Söldnern sowie deren Auftraggebern betrauen! Ich denke, es ist nur eine Frage der Zeit, wann diese gefasst werden oder verschwinden.“

Es herrschte wieder Stille.

„Ist das alles in Ordnung so?“, fragte ich nun doch vorsichtig in Gwendals Richtung.

Er zog eine Augenbraue hoch und nickte schließlich: „Es ist auf alle Fälle einen Versuch wert es so zu verkünden und dann warten wir ab, ob alles zum Guten verläuft!“

„Mein Volk und ich stehen dem nicht im Wege!“, fügte Cha'ara noch hinzu.

Conrad und Adalbert nickten mir ebenfalls ermutigend zu. Anscheinend machte ich diesen Job hier doch nicht ganz so verkehrt.

Doch nun würde ich mich wohl einer weitaus schwierigeren Situation stellen müssen. Diese war blond und hatte ein ziemlich hitziges Temperament.

Und hätte ich geahnt, was alles genau in den nächsten Wochen auf mich zu kommen würde, wäre ich vermutlich genau jetzt in den nächsten Tümpel zurück zur Erde gesprungen und hätte mit der Aussicht, so schnell nicht wieder her zu müssen, das Studieren an einer Universität diesen Katastrophen vorgezogen!

Kapitel 4

KAPITEL 4
 


 

Zwei Dinge standen ganz weit oben auf meiner heutigen To-Do-Liste:

Erstens: BADEN!!! Ganz dringend! Ich hatte das Gefühl, dass ich mich selber riechen konnte und das gefiel mir ganz und gar nicht. Zudem freute ich mich auf die saubere Schuluniform, die mich im Schloss des Blutigen Eides nach einem langen Bad erwarten würde.

Zweitens: Wolfram aus dem Weg gehen. Ich weiß, eigentlich sollte ich auf mein wirklich schlechtes Gewissen hören und ihn sofort aufsuchen. All meine Gedanken kreisten seit Stunden nur um ihn. Ich musste mich bei ihm entschuldigen! Ich wusste auch, dass es keine normale Entschuldigung werden dürfte. Schließlich war die Kränkung, die ihn durch mich widerfahren war, unaussprechlich groß gewesen. Aber es war noch nicht einmal sein gekränkter Stolz, der mich so beschäftigte. Ich hatte ihn wirklich tief im Herzen verletzt. Ich fühlte mich noch schlimmer als nach dieser Sache in den Höhlen vor knapp zwei Jahren im Königreich des heiligen Sandes, wo ich ihn, wohlgemerkt aus Versehen, niedergestochen hatte. Der Anblick seiner Augen hatte sich in mich hinein gebrannt. Zum wohl hundertstem Male an diesem Tage seufzte ich deswegen laut auf.

„Er kann einem das Leben manchmal ganz schön schwer machen, nicht wahr?“, Conrad blickte geradeaus während er neben mir her ritt.

Nach unserem Gespräch mit Cha'ara verlief alles weitere problemlos und zügig. Adalbert meinte, dass er so lange im Dorf bleiben würde bis unsere Soldaten die Söldner gefasst hätten. Ich denke, er meinte damit, dass er unseren Soldaten dies wohl nicht zutrauen würde und die Söldner selbst zur Strecke bringt. Meinetwegen.

Die Dörfler erklärten sich mit meinem Beschluss einverstanden. Sie versprachen, die Tritassa in Ruhe zu lassen und bei einer drohenden Hungersnot die Familie von Grantz zu unterrichten an statt für die nächste Saison ihre Felder zu vergrößern.

Jetzt galt es nur noch abwarten, ob dass auch alles so funktionierte, wie ich mir das dachte. Gwendal drängte dann zum Aufbruch. Ihm war nicht ganz wohl bei dem Gedanken, dass Günter, Anissina und nun wohl auch Wolfram allein im Schloss waren.

Aufgrund der doch größeren Strecke teilte man mir ein eigenes Pferd zu. Es war eine ältere braune Stute, welche Conrad als geeignet für einen Reitanfänger erachtet hatte und nun trabten wir nebeneinander her.

„Nein, Conrad. Ich bin es, der sich das Leben selbst unnötig schwerer macht!“, ich blickte meiner Stute in die hellbraune Mähne.

Gwendal ritt nur etwas voraus, zog jedoch plötzlich die Zügel etwas an damit sein Pferd, ein brauner Hengst mit schwarzer Mähne, das Tempo verlangsamte und somit auf meine Höhe kam. Zunächst ritt er schweigend links, Conrad rechts von mir. Fühlten sie eine Bedrohung für mich?

„Gwendal, wenn ihr was zu sagen habt, so sagt es bitte!“, entfuhr es mir schließlich und ich schielte zu ihm herüber.

„Ihr habt euch heute sehr gut verhalten“, er pausierte, „ich meine bei dem Gespräch!“

„Danke!“

„Und was habt ihr nun vor?“

Wieso fragten mich alle neuerdings immer diese Frage? Okay, bei Murata hatte ich wenigstens eine Antwort gewusst, aber hier...

„Ich weiß es nicht.“

„Wollt ihr die Verlobung lösen?“

Ich schwieg. Eigentlich war das mein Plan gewesen, ja. Aber nach diesen Augen!

„Ich habe das Gefühl, dass egal wie ich mich entscheide, ich mich falsch entscheiden werde. In dieser Situation würde es immer einen Verlierer geben. Soll ich mich zu einer Heirat zwingen, nur damit Wolfram glücklich wird? Ich bin nicht schwul! Was wäre ich für ein Ehemann? Ich könnte Wolf nicht glücklich machen!“, dachte ich laut nach, „Und wäre das dann wirklich das, was Wolf möchte? Ich glaube nicht. Ich hätte viel eher eingreifen müssen!“

„Wolfram ist aufbrausend, egoistisch, jähzornig, dominant, verwöhnt, neugierig...“

„Ja“, unterbrach ich Gwendal, „das weiß ich doch alles...“

„Und“, redete er weiter, und diesmal durchbohrte mich ein Blick, den ich noch nie zuvor bei Gwendal gesehen hatte, „er ist aufrichtig. Er ist aufrichtig sich selbst und euch gegenüber. Er ist aufrichtig in seiner Liebe zu euch. Er hat euch nicht gemocht, als ihr zu uns kamt und hat da auch keinen Hehl draus gemacht. Er hat euch sogar aufrichtig gehasst. Doch nun ist er bereit sein Leben für euch zu geben. Nicht nur, weil er euer Soldat ist. Wir würden alle unser Leben für euch geben, euer Majestät. Sondern weil er euch liebt. Gewiss, ihr hättet schon länger ehrlicher sein sollen. Mit ihm und mit euch selbst. Habt ihr euch nicht einmal wirklich hinterfragt, warum ihr die Auflösung der Verlobung so lange vor euch hergeschoben habt? Doch nicht nur wegen Wolframs Ehre!“ Ein ungläubiges Lächeln umspielte seine Lippen.

„Weil ich ihn als Freund nicht verlieren wollte!“, flüsterte ich nachdenklich.

„Wirklich? Denn das habt ihr nun geschafft! Wolfram ist nun so erwachsen, dass er dennoch seine Pflicht nicht vergisst, an eurer Seite zu kämpfen bis zum Tod. Er wird euch nicht von der Seite weichen. Auch wenn es ihn quält.“

Das wollte ich nicht. Klar, hatte ich Angst davor, Wolfram gar nicht mehr zu sehen. Ich hatte sogar wahnsinnige Angst davor. Er war fast immer Tag und Nacht bei mir gewesen! Ich musste mir sogar eingestehen, dass es Nächte auf der Erde gab, wo ich ihn neben mir im Bett vermisste. Ich hatte mich an seine ständige Präsenz so sehr gewöhnt, dass er mir jetzt, wo er nicht hier neben mir her ritt, schon fehlte. Aber das waren doch nur freundschaftliche Gefühle! Oder?

Wieso oder? Klar! Rein freundschaftlich! Ich bin nicht schwul! Ich steh auf Mädchen!

Auf welches Mädchen eigentlich? Keine Ahnung! Auf eines mit smaragdgrünen Augen vielleicht? Wieso denk ich jetzt wieder an diese Augen?

„Da hinten ist schon das Schloss zu sehen!“, unterbrach Conrad die angespannte Stimmung.

Na toll.

Auf einmal hatte ich überhaupt nicht mehr das dringende Bedürfnis in eine Badewanne zu kommen. Ich wollte nur noch in eine andere Richtung reiten!
 

„MAJESTÄT!“, schallte es im Dolby Surround durch den Eingangshof meines Schlosses.

Ich stieg von meinem Pferd ab nachdem ein Soldat die Zügel entgegen genommen hatte und wurde auch sogleich an den Oberarmen gepackt und an eine Männerbrust gezogen. Diese Arme fingen dann an mich kräftig an diesen Mann zu drücken, durch dessen strahlendes Auftreten ich jedes mal aufs Neue geblendet wurde.

„G...G...Günter...ihr zerquetscht mich!“, röchelte ich. Denn durch meinen Wachstumsschub bohrte sich nun ein Teil seines Schlüsselbeins in meinen Kehlkopf.

Günter von Kleist bemerkte dies jedoch und schob mich ein wenig von sich weg:

„Oh, meine Majestät! Was habt ihr euch verändert! Euer Aussehen! Eure Haltung! Eure Taten!“, sogleich zückte er wieder ein Taschentuch und tupfte sich die Tränen aus den Augenwinkeln.

„Ach, schön, Günter, dass es euch auch gut geht!“, verlegen kratzte ich mich am Hinterkopf.

„Wenn ihr wüsstest, Majestät!“,

Oh je, er holt wieder aus!

„In der Zeit ohne euch hier an meiner Seite zu wissen ging es mir wahrlich nicht gut. Konntet ihr denn eure gesetzten Ziele auf der Erde erreichen?“

„Ja, Günter, ich habe meinen Abschluss und werde euch so bald nicht mehr verlassen!“, an Günters strahlenden Augen erkannte ich, dass er das Wörtchen „euch“ nur auf sich allein bezog. Ich schluckte. Bitte nicht noch mehr Missverständnisse! Doch da zog er mich wieder näher an sich heran und flüsterte mir mit sachlichem Ton ins Ohr: „Egal, was vorgefallen sein mag, wir haben die Schäden hier in Grenzen gehalten und er steht nun unter Arrest.“

„Wie?“, ich stand stocksteif da, „er ist also wirklich noch hier?“

„Warum denn nicht? Er war nur sehr launisch und unausstehlich bei seiner Ankunft!“

Er hatte mich wirklich nicht verlassen! Shinou sei Dank! Moment! Was denk ich da schon wieder? Schluss jetzt!

Ich bemerkte erst jetzt einige größere Rußflecken an einigen Säulen und Wänden des Innenhofes, welche die Dienstmädchen versuchten, mit Wasser weg zu schrubben.

Ja, er war hier. Und er war sichtlich immer noch sauer. Und er stand unter Arrest. Dann war er richtig sauer, wenn Günter nur noch diesen Schritt als Lösung gesehen hatte.

„Er ist nicht sauer!“, hörte ich Günters sachliche Stimme in meinen Gedanken, „Er ist nur enttäuscht. Er wird sich sehr bald wieder fangen!“ Ich nickte. Das war zu hoffen!

Wir schritten nebeneinander die Treppen hoch und dann den Gang entlang, der mich ins Büro führen würde.

„Günter?“

„Ja, euer Majestät?“

„Ihr ward doch eine Zeit... eins mit ihm... nicht wahr?“

Günter wurde leicht rot. Es stimmte schon. Günter hatte einen Teil seiner Seele in Wolfram gelassen, als dieser sich nach Abgabe all seiner magischen Fähigkeiten auf die Suche nach mir begab. Er wollte mich im Land des heiligen Sandes finden und vor Sararegui und seinem Bruder retten. Da aber Dämonen mit magischen Kräften das Land aufgrund der exorzistischen Kräfte nicht einmal betreten konnten, waren meine Gefährten vor dessen Küste auf einem Schiff dazu verbannt gewesen, zu hoffen, dass ich irgendwie alleine wieder herausfand, da Iossac tot schien und Conrad für die Anderen noch als Verräter galt. Nur war Wolfram das Warten zu dumm. Er gab seine magischen Fähigkeiten auf um an Land gehen zu können. Günter gab ihm zum Schutz einen Teil seiner Seele in einem kleinen Brustbeutel, gefertigt aus Günters Haaren, mit. Dadurch verfügte Wolfram auch über die hervorragende Fechtkunst des königlichen Lehrmeisters... leider teilten die beiden aber auch ihre Gedanken miteinander. Wolf hatte mir oft im Nachhinein berichtet, dass ihn das schier wahnsinnig gemacht hätte, aber er es für mich durchgestanden hätte. Wolf hatte viel für mich durchgestanden. Denn als er mich schließlich gefunden hatte, stach ich ihn aufgrund einer Verwechslung und meiner Erblindung nieder. Und dies hatte er mir auch nie zum Vorwurf gemacht!

„Ja, war ich!“

„Glaubt ihr, er verkraftet es?“, Günter sah meinen schuldbewusst nach unten gerichteten Blick.

„Er hat es doch die letzten drei Jahre auch verkraftet. Lord von Bielefeld und ich sind uns in manchen Dingen sehr ähnlich. Vielleicht hat auch deswegen die Übernahme meiner Seele in seinem Körper so gut geklappt. Wir können beide schweigend und ohne eine Gegenleistung dafür zu erwarten, lieben!“

Wenn Conrad wüsste, dass seine schlechten „Günter liebt euch“-Witzchen ein Körnchen Wahrheit enthielten, dann würde er mich bestimmt nicht mehr mit diesen schocken!

„Danke, Günter!“

Ich ging nicht mit Günter ins Büro. Er beschwerte sich auch nicht, dass ich vielleicht meine Studien bei ihm vernachlässigen würde. Er sah mir nur schweigend nach, wie ich den Gang weiter hinunter ging. Ich dachte an meinen ersten Punkt auf der Liste. Und vielleicht würde ich danach den zweiten Punkt vergessen und doch das Gespräch mit Wolfram suchen.
 

„Endlich Ruhe!“

Ich schloss meine Zimmertüre und sank die Innenseite der Zimmertür herunterrutschend auf den Boden.

Mein Zimmer. Na ja, eher mein Einraumappartement. Hier hatte sich nichts verändert!

Ich sprang auf und lief zum Schrank. Ich nahm eine frische Uniform heraus sowie meinen Rasierer und Rasierschaum. Auch wenn es noch nicht viel war, so hatte ich vereinzelten Bartwuchs und der störte mich. Von meinem Zimmer führte direkt eine Tür in mein Privatbad. Auf dem Weg dorthin entledigte ich mich meiner Kleider.

Zunächst setzte ich mich auf einen Schemel vor einem kleinen Waschbecken mit Spiegel darüber und begann mein Gesicht zu waschen. Anschließend verteilte ich großzügig den Rasierschaum auf meine drei Stoppeln und während ich mich rasierte, pfiff ich leise vor mich hin. Zum Abschluss goss ich mir, wie immer, einen Bottich Wasser über den Kopf. Das hatte den Vorteil, das ich die Haare schon einmal vom gröbsten Schmutz befreit hatte und auch der letzte Rest Rasierschaum davon gespült wurde.

„Dir geht es anscheinend richtig gut!“, hörte ich plötzlich eine mir sehr vertraute Stimme und zuckte zusammen. Ich fuhr herum. In den Wasserdampfschwaden über der riesigen, poolähnlichen Badewanne, sah ich zwei smaragdgrüne Augen aufleuchten.

„Wolfram! Du? Hier? Ich dachte, du stehst unter Arrest!“, ich sprang auf, vollkommen vergessend, dass ich nichts anhatte.

„Stehe ich auch, Waschlappen! Unter Zimmerarrest! In deinem Zimmer! Das habe ich mir nicht ausgesucht, sondern Günter!“

Er rührte sich nicht. Er blieb im Wasser. Sollte er doch. Aber eigentlich wollte ich zuerst baden und dann, danach und dann auch nur eventuell mit Wolf reden. Nun sah ich mich wieder in die Ecke gedrängt.

„Ähm, Wolf, ich...“

„Lass gut sein, Yuuri.“

Ich sah wie er in den Dampfschwaden verschwand und hörte am anderen Ende der Wanne, wie er herauskletterte. Er nannte mich zumindest noch Waschlappen und Yuuri. Das ließ auf ein besseres Gespräch hoffen als vor einigen Stunden noch befürchtet!

Ich hörte seine Schritte, die mir von hinten immer näher kamen.

„Ich werde dir hier deine Ruhe lassen und wir sprechen dann später, wenn du reden willst!“, sagte er im normalen Tonfall. Ich drehte mich zu ihm herum und...
 

„Uahhhhhhhhhhh!!!!!!!“
 

Was zum Henker war das?

Oder wer war das?

Oder wie war das möglich?

Den Schrei hatte man bestimmt in ganz Shin Makoku gehört!

Ich war rückwärts vom Schemel gefallen und starrte die Person an, die zuvor eindeutig mit Wolframs Stimme zu mir sprach.

Ich merkte eine warme Flüssigkeit, welche aus meiner Nase über die Lippen, das Kinn entlang und schlussendlich auf den Boden tropfte.

Diese smaragdgrünen Augen gehörten doch auch zu Wolfram. Diese starrten mich vollkommen irritiert an: „Yuuri, was ist?“ Das war auch Wolframs Stimme!

Ich kniff meine Augen zu.

Sei normal, sei normal, sei normal!

Augen auf.

Verdammt!

„Majestät!“, Conrad stürmte ins Badezimmer, alarmiert durch meinen Schrei mit seinem Schwert in der Hand und starrte dann das nackte Ich und den nackten Wolfram an.

„Alles in Ordnung hier?“, fragte er schließlich an mich gewandt.

Conrad! Siehst du es etwa nicht? Das ist nicht Wolfram!

„Alles in Ordnung. Er hat mich gesehen und plötzlich geschrien, mehr nicht. Vermutlich hat sich dieser Waschlappen nur erschreckt!“, zischte die Wolframstimme aus diesem Körper, der da nackt und leicht breitbeinig vor mir stand.

Ich rappelte mich auf. Das Blut tropfte immer noch aus meiner Nase und mein Kopf musste die Farbe einer prallen Tomate haben. Thema prall...

„Wolfram oder so...ähm... könntest du dir bitte etwas überziehen. Sonst hört das bluten bestimmt nicht auf!“

Conrad und er blickten sich nur irritiert an, dann nahm der Ältere ein Handtuch vom Boden und reichte es dem Jüngeren. Dieser wickelte es sich um die Hüfte: „Besser?“

„Nein!“, schrie ich fast hysterisch, „Du sollst auch deine Brüste bedecken!“

„Brüste?“, entwich es Conrad und Wolfram gleichzeitig. Sie sahen mich an, als hätte ich den Verstand verloren. Vielleicht hatte ich das auch!

Vor mir stand eine nackte, atemberaubende Blondine mit Wahnsinnshintern und Riesenbrüsten! Sie hatte diese smaragdgrünen Augen, die ich schon bei Wolfram so faszinierend gefunden hatte. Ebenso seine Haarlänge. Ich habe nichts gegen Kurzhaarfrisuren bei Mädchen! Ihre Haut war rein und porzellanweiss und ihre Lippen hatten einen samtigen Schimmer...es war Wolframs Kopf auf dem Körper einer ganz heißen Braut! Und das sah absolut fantastisch... nein, mal ehrlich, es sah scharf aus!

Kleiner Nachteil: sie hatte Wolframs Stimme und leider auch sein Mundwerk!

„Schaff sie... ich mein ihn...raus!!!“, maulte ich Conrad an, fuhr herum und sprang ins Becken. Ich musste mich ganz dringend abkühlen! Ganz, ganz dringend!

„Und lass ES was anziehen!!!!“

Kapitel 5

KAPITEL 5
 

Wie lange kann ein Mensch im Wasser bleiben ohne sich aufzulösen? Ich hätte mich natürlich auch auf die Erde zurückteleportieren können... aber da wartete ja nur das nächste Übel in Form von Mutter, Murata und Shori auf mich.

Nun saß ich da. In meiner Badewanne. Mal wieder. Und traute mich nicht aus dem Bad.

Es gibt Dinge, die ändern sich nie. Vielleicht war ich nur von allem gestresst und hatte mir das eingebildet. So eine Art Burnout. Wen wundert's? Die letzten drei Jahre hatten es ja auch in sich. Und dieses Hin und Her zwischen den Dimensionen... hatte man das überhaupt schon einmal wissenschaftlich untersucht ob das gesundheitsschädigend war?

Vermutlich nicht. Aber bestimmt lag es daran. Es konnte nicht gesund sein ständig aufgesaugt, herumgewirbelt und ausgespuckt zu werden. Genau! Das würde es sein! Das geht wieder weg! Meine Augen haben mir einen Streich gespielt und ich gehe da nun raus und alles ist beim Alten! Glaube ich! Hoffe ich!
 

Seufzend kletterte ich aus der Wanne und trocknete mich ab. Langsam zog ich mir die Schuluniform an, auf die ich mich so gefreut hatte. Wo war diese Vorfreude nur hin?

Shibuya!, ermahnte ich mich, es gab bisher für alles eine Lösung!

Gab es in Shin Makoku Psychotherapie? Ein Berufsstand, den ich dringend einführen müsste!

Wieder stand ich vor einer Badezimmertür mit der Hand auf der Klinke. Diesmal kehrt machen wie auf der Erde? Nein, ich musste mich dem hier stellen!

Augen zu und durch! Langsam drückte ich die Klinke nach unten und öffnete die Türe.

Und blieb erst mal wie angewurzelt stehen.
 

War ja klar!, schoss es mir durch den Kopf.

Mein halber Hofstaat versammelt in meinem Schlafzimmer. Ich stöhnte auf.

Wolfram stand mit dem Rücken zu mir an den Fensterrahmen gelehnt mit Blick in den Schlossgarten. Er hatte seine blaue Uniform an. Shinou sei Dank!

Conrad stützte sich knapp hinter ihm an meinem Schreibtisch ab und lächelte mich, wie immer, freundlich an. Ich konnte aber seinen Augen eine Entschuldigung für dieses Aufgebot hier entnehmen.

Auf meinem Bett saß Cherie. Mit gutgelauntem Gesichtsausdruck und sehr tief ausgeschnittenem Kleid strahlte sie mich an.

Gwendals Gesichtsausdruck hingegen war mehr strategisch. Er hatte das einzig Richtige getan und ich hätte gerne mit ihm getauscht: Er stand neben meiner Zimmertür, bereit zur Flucht. Das lag aber vermutlich an der rothaarigen Schönheit, welche mitten im Raum stand, mit verschränkten Armen und herausforderndem Blick. Anissina war auch die Erste, die das Wort ergriff: „Ihr habt also ein Problem, euer Majestät!“

Ich sah mich schon an einer ihrer Maschinen namens Hirn-wieder-hinbiegen-kun angeschlossen, doch dieser Gedanke wurde von einem Aufschrei direkt neben mir unterbrochen: Günter!

Mit gezücktem Taschentuch starrte er mich eingehend von oben bis unten an, schnäuzte sich laut und legte mir dann seine Hand auf die Schulter: „Ist es wahr? Ihr erkennt Lord von Bielefeld nicht? Seit ihr krank?“

Ach, Günter, wenn es nur das wäre!

Ich grinste verlegen und kratze mich am Hinterkopf: „Doch, doch. Ich erkenne ihn schon, irgendwie... halt nur anders!“

„Was heißt hier anders?“, schnaubte es vom Fenster her. Wolfram drehte sich zu mir herum und... ich sprang vor Schreck wieder einen Meter zurück in die offene Badezimmertür.

Immer noch! Diese Täuschung war wirklich hartnäckig!

Er hatte zwar nun endlich etwas an, aber das minderte keinesfalls diese sexy Ausstrahlung. Und dann schritt er auch noch auf mich zu! Seine Uniform war an den Stellen mit den neugewonnenen Rundungen extrem gespannt. Jeder normale Mann hätte sich gewünscht, dass diese Nähte nicht mehr lange halten würden!

„Ich bin ich! Was soll an mir anders sein?“, fauchte er, blieb auf halber Strecke zu mir stehen, vermutlich weil sich meine Augen mit jedem weiteren seiner Schritte noch mehr weiteten, und setzte sich zu seiner Mutter auf mein Bett.

Na toll. Zwei Sexbomben auf meinem Bett!

Unter anderen Umständen würde ich vor Glück heulen!

„Verdammt, seht ihr das denn nicht?“, und meine Hand deutete auf ihn. Ich erntete verwunderte Blicke.

„Was sollen wir sehen, Yuuri?“, Conrads Blick zeigte Sorge.

Ich schluckte. Ich musste es sagen! Denn nur so konnte man mir helfen!

„Wolfram ist eine Frau! Er ist eine sie! Er... ich meine sie, schaut aus wie er!“

Wolframs Kinnlade fiel kommentarlos nach unten. Gwendal hob erstaunt eine Augenbraue. Conrad blickte eingehend auf seinen jüngeren Bruder... oder war es nun seine Schwester?

Anissina und auch Cherie brachen in Gelächter aus und Günter... Günter fiel einfach um.
 

Nachdem man sich etwas beruhigt hatte, versuchte man nun, mein Problem, soweit das mit den beteiligten Personen möglich war, sachlich zu besprechen.

Günter hatte sich schluchzend auf meinen Stuhl am Schreibtisch gesetzt.

Hey, Günter, mir ist zum Heulen zu Mute! Ich tick nicht mehr richtig, nicht du!

Ich hatte mich im Schneidersitz vor mein Bett gesetzt und starrte Wolfram an. War unsere Situation nicht schon verfahren genug? Musste ich jetzt noch solche Wahnvorstellungen haben? Denn eines war schnell klar: nach Aussage der Anderen war Wolfram männlich. Das war er schon seit dem Tage seiner Geburt, dass konnte Cherie nur bestätigen. Wolfram war sogar kurz davor, sich seiner Uniform zu entledigen um wirklich jeden Zweifel zu widerlegen, doch ich bat ihn flehend, mir das nicht noch einmal an zu tun. Nun war er eingeschnappt.

„Wie schaut denn mein Wolfie für euch aus, Majestät!“, mit freudig verträumten Gesicht strahlte mich Cherie an.

„Er schaut aus wie ihr, nur...“, ich sollte jetzt nicht jünger sagen, das würde ich nicht überleben, „...nur kleiner!“

„Hmpf!“, entwich es Wolf. Ich bemerkte, dass ich ihn anlächelte.

„Hach, das ist doch alles perfekt!“, rief Anissina plötzlich aus, „Ihr hattet doch immer ein Problem mit Wolframs Männlichkeit! Jetzt, wo er für euch eine Frau ist, kann doch die Hochzeit stattfinden! Ich mache dann auch eine Ausnahme für Wolf und er wird Mitglied in meiner Vereinigung zur Stärkung der Rechte der Frauen!“

„Das ist doch nicht euer Ernst!“, schnaubte Günter und schnäuzte sich erneut.

Anissina hatte aber Recht. Ich hatte als einziges Hindernis bisher nur verkündet, dass ich Wolf nicht heiraten könne, weil er ein Mann sei. In meinen Augen war er aber nun kein Mann mehr. Aber dennoch...

„Er ist nicht der Wolfram, den ich kenne. Klar, habe ich dies als Hindernis benannt, aber...“, ich schluckte und sah dann verschämt zu Wolfram, „ich habe mich in den letzten drei Jahren daran gewöhnt, einen Verlobten zu haben und keine Verlobte.“

Wolf zuckte und blickte mir direkt in die Augen. Es war lange her, dass wir diesen direkten Augenkontakt hatten. Vor allen Dingen, diese Augen, die nicht wütend, böse oder zornig über etwas von mir Gesagtem waren. Dies waren die Wolfram Augen, die ich so mochte.

Ich spürte eine leichte Röte im Gesicht.

„Aber du hast doch großspurig verkündet, die Verlobung aufzulösen!“, murmelte er schließlich kleinlaut.

„Ja, schon. Darüber wollte ich ja noch mit dir sprechen weil es vermutlich nicht so richtig rüber gekommen ist und da was falsch verstanden worden ist!“

Was war denn bitte schön nicht richtig rüber gekommen? Ich habe alles so gesagt wie ich es meinte! Was rede ich da wieder für einen Unsinn?

„Siehst du, Wolfie, ich habe dir doch gesagt, dass es nur ein Versehen war wegen der angespannten Situation bei den Hexen!“, säuselte Cherie und tätschelte behutsam Wolframs Kopf.

„Die Hexen!“, laut polterte der Stuhl auf den Boden, der durch das heftige und plötzliche Aufspringen von Günter umgeworfen worden war. Wir alle zuckten zusammen.

Er hastete auf mich zu, kniete sich vor mir nieder, umfasste meine Schultern mit beiden Händen, zog mich zu sich heran und blickte mir tief in die Augen.

„Günter, diese Nähe ist mir etwas zu viel...“, stammelte ich, doch er ignorierte meinen versteckten Wunsch auf etwas mehr Distanz.

„Was genau ist bei den Hexen vorgefallen?“, seine Stimme klang ernst.

„Ähm... normale Gespräche halt!“, war meine irritierte Antwort.

„Nein, nein! Ich brauche mehr Details! Gwendal?“, sein Blick durchbohrte nun den Ältesten der drei Brüder, der immer noch an der Zimmertür gelehnt stand und bisher alles nur mit angehört hatte.

Er legte den Kopf seitlich und man sah, dass er alle Geschehnisse gedanklich noch einmal Revue passieren ließ: „Wir speisten gemeinsam. Aber ich denke nicht, dass das Essen vergiftet war oder dergleichen. Sonst hätten Conrad und ich ebensolche Wahnvorstellungen!“

„Zudem nahm Yuuri nur Speisen und Getränke zu sich, die ich vorab überprüft habe“, wandte Conrad ein, „aber...“

Er hielt kurz inne, blickte von mir zu Wolfram und wieder zurück: „Du hast doch gefroren, Yuuri, nicht wahr? Nach dem Streit, meine ich!“

Ich nickte: „Ja, aber nur kurz. War wie ein Schauer!“

Günter zuckte zusammen: „Wie genau lief der ab?“

Ich dachte nach. Ja, wie genau lief der ab?

„Nachdem Wolfram die Lichtung verlassen hatte“, ich blickte entschuldigend zu Wolfram, doch er schien dies nicht wirklich wahr zu nehmen, „entdeckte ich Cha'ara und sie sah mich so... so... intensiv an. Da ist mir ein kalter Schauer über den Rücken gelaufen!“

„Stimmt. Sie sagte etwas von jungen Liebenden. Heute Streit und morgen in Liebe vereint!“, vervollständigte Gwendal nachdenklich den Satz, „Ich habe das aber eher für eine Entschuldigung für derer beider kindisches Verhalten gehalten als...“

„...für einen Fluch!“, beendete Günter den Satz.

Ein Fluch? Ich war verflucht? So richtig wie in alten Märchenbüchern? Ich schluckte schwer.

„Und wir wissen, wie man alte Flüche löst, nicht wahr, mein lieber Gwendal?“, rief Anissina begeistert aus. Gwendals Begeisterung hielt sich in Grenzen.

„Wie denn?“, fragte ich und bereute sogleich meine Frage.

„Na, durch einen Kuss!“, flötete sie fröhlich.

WAS???? Kuss??? Ich???

„Leider muss ich Lady Anissina da zustimmen. Aus eigener Erfahrung. Auch wenn es mir absolut widerstrebt, euch dazu zu raten, euer Majestät, so solltet ihr Lord von Bielefeld küssen!“, Günter zückte erneut sein Taschentuch.

„Ach, wie romantisch!“, kreischte Cherie und sprang klatschend auf.

Ich stand wahrlich unter Schock. Wolfram schien es nicht anders zu ergehen.

Wir hatten uns schon einmal geküsst. Obwohl, das stimmte so auch nicht. Damals hatte sich Shinou Wolframs Körper bemächtigt und mich dann in Dry Wind, einer altertümlichen Maschine aus Shinous Zeiten, welche Paaren die Zukunft offenbaren sollte, geküsst. Also war es zumindest für Wolfram der erste Kuss zwischen uns. Der erste Bewusste. Wenn ich denn diesem Vorschlag zustimmte! Aber was hatte ich schon für eine große Auswahl. Anscheinend handelte es sich wirklich um einen Fluch. Und ich hatte mir diesen Fluch durch mein Verhalten auf der Lichtung selber eingebrockt. Also musste ich nun auch selbst etwas tun um diesen Fluch aufzuheben. Und dadurch, dass Wolfram in meinen Augen eindeutig weiblich war, konnte das doch nicht so schwer sein, oder?

„Okay, ich mach's!“, ich sprang auf. Sogleich erkannte ich die aufsteigende Röte in Wolframs Gesicht. Ihm war es so schon peinlich genug, dass wir uns hier so ohne großer romantischer Vorgeschichte und erst Recht nach solch einem heftigen Streit küssen sollten. Aber dann noch vor so vielen Augenzeugen.

„Ich bitte euch, Wolf und mich allein zu lassen!“, sagte ich bestimmt und deutete mit dem Kopf Richtung Tür, „Bitte wartet einen Moment draußen!“

„Och! Schade!“, Cherie wirkte absolut enttäuscht, aber ging schließlich als Erste aus dem Zimmer. Gwendal folgte ihr ohne weiteren Kommentar. Anissina strahlte: „Das klappt schon! Ansonsten habe ich in meiner Werkstatt bestimmt etwas, was Abhilfe schaffen könnte!“

„Sicher, Anissina, sicher!“, Bitte nicht!

Conrad legte mit zuversichtlichem Blick seine Hand auf meine Schulter: „Viel Erfolg!“

Wieso Erfolg? Das war doch nur ein Kuss! Konnte ich da etwas falsch machen?

Anissina, Conrad und Günter begaben sich ebenfalls zur Türe, wobei sich Günter unter Tränen nochmals schnäuzte. Er tat so, als würde ich in den Krieg ziehen gegen einen übermächtigen Feind. Sie schlossen die Tür hinter sich und ich seufzte laut auf: „Endlich!“

Ich drehte mich wieder zu Wolfram um. Er saß immer noch starr im Bett.

Dann sprang er auf und landete genau vor meinen Füssen. Da war es wieder! Dieses Aufblitzen in seinen Augen, das Grinsen bei leicht schräger Kopfhaltung.

„Dann komm, Waschlappen, bringen wir es hinter uns!“

Genau! Ich küsse jetzt eine Frau. Das war ja nicht weiter schlimm. Das bewies nur, das ich nicht schwul war! Das diese Frau den Namen Wolfram hatte lassen wir jetzt mal motivationssteigernd außer Acht!

Ich legte meine Hand unter sein Kinn und hob sein Gesicht zu mir hoch. Langsam näherte ich mich seinem Gesicht an. Er schloss die Augen und öffnete seinen Mund leicht.

Ich merkte, wie mein Herz zu rasen begann. Warum? Es ist doch nur Wolfram!

Gleich würde es mir aus der Brust springen. In meinen Ohren rauschte es durch die beschleunigte Blutzufuhr. Waren seine Lippen schon immer so rosig? Was dachte ich da? Ich musste das hier doch nur schnell hinter mich bringen! Nur noch wenige Zentimeter trennten uns. Ich spürte bereits seinen Atem.

Er öffnete ein Auge: „Schaffst du es heute noch?“ Was? Ach, dieser Kerl!

Blitzschnell zog ich sein Gesicht noch näher an meines heran, schloss meine Augen und presste meine Lippen auf seine. Direkt bereute ich, dass ich dies nicht zärtlicher getan hatte. Seine Lippen waren unglaublich weich und warm. Diese Wärme schien in mich über zu gehen. Unbewusst legte ich meine Arme um ihn und zog ihn näher an mich heran um den Kuss zu intensivieren. Ich spürte keine Gegenwehr. Im Gegenteil. Wolfram öffnete erneut leicht seine Lippen und schon bald konnte ich seine Zunge in meiner Mundhöhle spüren. Innerlich zuckte ich zusammen und wäre am Liebsten fortgesprungen, doch er schmeckte so unglaublich süß. Ich wollte unbedingt mehr davon! Was war mit mir los? Willig ging ich auf sein Zungenspiel ein. Auch er legte die Arme um meinen Hals und unsere Körper pressten sich aneinander. Ich spürte auch seinen beschleunigten Herzschlag. Warum fühlte sich das alles nur so unglaublich gut an? Wir brachen beide zeitgleich ab um Luft zu holen, dennoch verharrten wir in der eng umschlungenen Position. Ohne auch nur etwas zu sagen blickten wir uns lange und tief in die Augen.

„Majestät!“, schallte es von vor der Tür, „Seit ihr fertig?“

Mit plötzlicher Schamröte und Bewusstwerden was soeben zwischen uns vorgefallen war, sprangen wir auseinander und im gleichen Moment wurde die Türe wieder aufgerissen.

Günter hatte es wohl keinen Augenblick länger ausgehalten: „Hat es funktioniert?“

„Was hat funktioniert?“, ich war verwirrt.

„Na, die Aufhebung des Fluchs!“

Stimmt ja! Da war ja noch was! Ich blickte zu Wolfram hinüber und sackte innerlich zusammen: „Nein. Hat es nicht.“

Und das entsprach der Wahrheit. Vor mir stand immer noch die vollbusige Version einer jüngeren Cecilie von Spitzweg. Warum hatte es nicht funktioniert?

„Vielleicht habt ihr euch nicht richtig geküsst“, warf Anissina ein während sie neben all den anderen Günter in mein Zimmer gefolgt war.

„Doch, haben wir!“, flüsterte Wolfram verlegen. Ja, wir hatten uns richtig geküsst. Dies war ein perfekter erster richtiger Kuss gewesen. Wieso erster? Sollte es eigentlich nicht auch der Einzige bleiben?

Günter sank erneut auf den Stuhl und stöhnte verzweifelt auf: „Dann bleiben uns nur noch folgende Möglichkeiten!“

Alle blickten ratlos zu meinem Lehrer: „Zum Einen sollte man diese Hexe wieder aufsuchen und sie bitten, den Fluch von euer Majestät zu nehmen und zum Anderen sollten wir Shinou um Rat befragen. Er ist über 4000 Jahre alt. Vielleicht kennt er sich mit solch hartnäckigen Flüchen aus!“

„Ich werde Iossac damit beauftragen, eine königliche Botschaft an die Hexen persönlich zu überbringen!“, Gwendal drehte sich auf dem Absatz um und verließ mein Zimmer.

Anissina lief ohne weiteres zu sagen hinter ihm her. Ich hoffte für Gwendal, dass sie ihn nun nicht an irgendeine Gerätschaft anschloss um eine weitere Möglichkeit für mich zu finden.
 

Es war schon die Nacht angebrochen, als wir Shinous Tempel erreichten. Wir, dass waren Wolfram, Conrad, Günter und ich. Nur wenige Fackeln beleuchteten den Eingangsbereich und die beiden weiblichen Wachen ließen uns schweigend passieren. Von Ulrike fehlte jedwede Spur. Ich hatte die Hohepriesterin bisher immer angetroffen, zu jeder Tageszeit, von daher verwunderte es mich schon etwas. War ich vielleicht davon ausgegangen, dass sie keinen Schlaf benötigte? Ich kannte sie meditierend. In der Meditation wollte sie Shinou näher kommen. Doch wozu brauchte man eine Meditation, wenn derjenige neben einem stehen konnte weil er diese Tempelanlage schlichtweg nicht verlassen konnte?

Wir betraten daher alleine den großen Saal und blickten uns suchend um. Auch hier keine Ulrike, aber ein sichtlich gelangweilter Shinou. Er saß auf einer Treppenstufe und blickte zu uns auf. Sein breites Grinsen huschte über sein Gesicht. Vermutlich freute er sich über eine willkommene Abwechslung.

„Du hast ein Problem, nicht wahr?“, sagte er ohne uns vorher Willkommen zu heißen und blickte mir direkt ins Gesicht.

Ich nickte nur.

„Lass mal sehen!“, rief er schon fast freudig aus und sprang in die Höhe, um direkt auf meiner Schulter zu landen. Shinou war seit dem Kampf mit Geneus vor zwei Jahren immer noch nicht größer geworden. Auch seine Macht schien fast gänzlich verschwunden zu bleiben. Dies irritierte mich, glaube ich, jedoch mehr als ihn. Vermutlich hatte es schlichtweg damit zu tun, dass er seit 4000 Jahren tot war und einfach nicht, wie es sich für Tote eigentlich gehörte, vom Diesseits verabschieden wollte. Er sagte stets, er wolle sein Leben im Ruhestand genießen. Aber was bitte schön war das für ein Leben, in einem Tempel festzusitzen?

Eigentlich mochte ich es nicht, wenn er auf meiner Schulter stand. Er machte dies eigentlich mehr bei Murata, aber dieser war ja nicht hier.

Doch dann legte er behutsam seine kleine Hand auf meine Schläfe und schloss die Augen. Ich merkte, wie sich mein Blick Richtung Wolfram richtete.

„Wow! Das nenn ich mal ein Weibsbild!“, stöhnte Shinou begeistert auf und ich lief rot an.

Ebenso wie Wolfram. Doch bei ihm war es nicht die Scham über Shinous Aussage, sondern die aufsteigende Wut: „Jetzt findet eine Lösung seine Optik wieder klar zu bekommen!“

„Hm“, er verschränkte seine Arme und senkte überlegend den Kopf: „Flüche löst man eigentlich mit einem Kuss!“

„Das haben wir bereits versucht!“, seufzte ich und Wolfram nickte verlegen zustimmend.

„Ha! Da wäre ich gern dabei gewesen!“, Shinou lachte hell auf.

„Ihr....!“, schrie Wolfram und machte einen Schritt auf mich zu. Ich war mir aber sicher, dass diese Wut Shinou galt und wünschte mir daher noch intensiver, er möge von meiner Schulter springen.

„Ihr solltet euch nicht über das Leid anderer amüsieren.“ Hinter uns erschien die zierliche, kleine Gestalt von Ulrike. Ihr blassviolettes, unendlich langes Haar war untypischerweise hochgesteckt. Sie hatte vermutlich ein Bad genommen. Sie schritt durch uns hindurch und Shinou nutzte diese Gelegenheit, um bei ihr 'aufzuspringen'.

„Guten Abend, euer Majestät“, ihr sanfter Blick streifte mich und blieb ebenfalls bei Wolfram haften, „Ihr solltet in der Gegenwart des Shinous euer Temperament zügeln, Lord von Bielefeld. Gerade ihr!“

Wolfram ging den zuvor gesprungenen Schritt wieder zurück und blickte verlegen zu Boden.

„Baron von Kleist, es wundert mich, dass ihr die von euch erdachte Lösung nicht direkt seiner Majestät geschildert habt und stattdessen zuerst uns aufsucht. Ich kann euch versprechen, einen anderen Vorschlag wüssten wir auch nicht seiner Majestät zu unterbreiten!“

Günter zuckte zusammen: „Ich kenne es nur aus alten Schilderungen aus eurer Zeit, Shinou. Seit dem achten Maou allerdings scheint es keinen genauen Anhaltspunkt für dessen Aufenthalt zu geben“, flüsterte Günter schließlich, „Ich wollte seiner Majestät keine falschen Hoffnungen machen!“

Als Günter den achten Maou erwähnte, zuckte auch Conrad zusammen.

„Um was geht es, Conrad?“, fragte ich meinen Namensgeber neben mir.

Er redete nun lauter, damit ihn alle wohl verstehen konnten: „Ihr meint doch sicherlich das Zepter der Segnung, nicht wahr, Günter?“

Günter nickte: „Ja. Shinous eigenes Zepter, welches damals von einem Maou zum Nächsten weitergereicht wurde. Es verschwand damals mit dem achten Maou spurlos!“

„Aber ich hab doch ein Zepter!“, warf ich ein.

„Das ist eine Fälschung!“, entgegnete Günter beschämt, „Und es tut mir unendlich leid, dass wir nicht dazu in der Lage waren, die echte Reichsinsignie für seine Majestät Yuuri rechtzeitig zur Krönung gefunden zu haben! Wir hoffen aber dennoch, dass wir es bis zur Hochzeit schaffen, eine nennenswerte Spur über den Verbleib des Zepters zu ermitteln!“

Hochzeit? Was für eine Hochzeit?

„Ach, Günter, macht euch keinen Kopf wegen so einem Zepter!“, winkte ich ab.

„Aber ja doch!“, schluchzte er plötzlich auf, „ Mit diesem Zepter wäre das alles doch gar nicht erst passiert!“

Während Günter sich wieder einmal ausgiebig in sein Taschentuch schnäuzte entwich mir nur ein fragendes: „Hä?“

„Man sagt dem Zepter der Segnung nach, es würde den Maou vor Flüchen und Verwünschungen aller Art schützen“, erklärte nun Conrad und ich nickte verstehend.

„Man sagt es ihm nicht nur nach, so ist es auch! Schließlich hab ich selbst es angefertigt!“, Shinou legte sich stolz eine Hand auf die Brust.

„Und wo ist es dann jetzt? Wieso ist es seit 19. Maougenerationen verschwunden?“, Wolf fragte wohl die Fragen aller Beteiligten.

„Es war damals beschädigt aufgrund einer Unachtsamkeit des achten Maou und ich gab der damaligen Hohepriesterin den Hinweis, es nach Dark Makoku zu schaffen, wo es sich mit neuen Kräften aufladen könne!“, Shinou sprang nun wieder auf seine Treppenstufe.

„Dark Makoku? Aber das ist doch nur eine Legende!“, Günter schien belustigt.

„So, so!“, Shinou sprang galant vor Günters Füße, „Ein toller Lehrmeister seid ihr, Baron von Kleist! Wo glaubt ihr, wurde ich geboren? Bestimmt nicht innerhalb einer Legende!“

„Nun ja, über eure Herkunft ist nicht viel bekannt!“, entschuldigte sich Günter und es entsprach auch der Wahrheit. Die Bücher standen voll von Shinous Heldentaten zu seinen Lebzeiten, aber es wurde nie über Shinous Zeiten vor seiner Zeit als erster Dämonenkönig berichtet.

Shinou seufzte: „Ja, ich weiß! Bisher wollte ich das auch eigentlich nicht groß erwähnen. Er weiß aber alles Nötige!“

„Er?“, fragte ich und im gleichen Moment wusste ich aber auch schon auf wen er angespielt hatte. Er sah, dass ich die Antwort eigentlich schon wusste und fuhr fort:

„Ich werde euch begleiten müssen. Damals schickten wir einen Gesandten mit dem Zepter nach Dark Makoku. Er kam nie zurück. Daher werden wir das Zepter wohl auf dem Weg dorthin finden. Und ich bin der einzige Lebende...“, er zögerte und grinste über seine eigene Aussage, „na ja, sagen wir die einzige Existenz hier, die den Weg kennt. Nur ohne ihn komme ich hier nicht weg! Wo ist er eigentlich?“

„Verhindert! Ich werde ihn holen!“, sagte ich rasch um weiteren Nachfragen über Muratas Verbleib aus dem Weg zu gehen.

Also doch eher als geplant zurück. Ich schluckte. Es ging wirklich von einer Katastrophe in die Nächste. Murata, Mutter und Shori.

„Ich werde ihn begleiten und dafür sorgen, dass wir umgehend zurückkehren!“, Wolfram hatte diesen zu allem entschlossenen Blick, der keine Widerrede duldete.

Oh je. Murata, meine Mutter, Shori UND Sexbombe Wolfram! Konnte das Schicksal noch mehr mit Überraschungen für mich aufwarten? Ich hoffte inständig nicht.
 

Aufgrund der nun gegebenen Eile gingen wir hinaus zum Brunnen im Innenhof vom Tempel. Mir war immer noch nicht ganz wohl bei der Sache. Wie viel Zeit mochte wohl auf der Erde verstrichen sein, seitdem ich einfach geflüchtet war? Wie würde die Stimmung dort sein?

Shinou hatte es sich diesmal auf Günters Schulter bequem gemacht und wies Ulrike mit einem Blick an, mir ein Glas zu reichen. Ich verstand nicht, warum ich jetzt noch etwas trinken sollte.

„Du solltest es jetzt bereits zu dir nehmen. Wenn ihr zurückkehrt werden wir direkt aufbrechen und dann solltest du über deine ganze Macht verfügen können!“, erklärte der blonde Ex-Dämonenkönig und nickte mir zuversichtlich zu.

„Meine ganze Macht?“, ich verstand immer noch nicht so recht. War ich etwa noch mächtiger als ohnehin schon?

„Die Seele des Maous ist empfänglich für die Magie aller Elemente. Das wäre die Feuermagie, die Lord von Bielefeld vorzüglich beherrscht. Dann die Erdmagie, die Lord von Voltaire benutzt sowie die Windmagie, die meine Wenigkeit gelegentlich zum Einsatz bringt. Das vierte Element, das Wasser, welche als Schwierigste unter allen vier Elementen gilt, beherrscht eure Majestät ja schon fantastisch“, Günter geriet wieder ins Schwärmen, fing sich aber schnell wieder, „Wir sollten daher die drei noch ruhenden Elemente in euch erwecken. Da dies mitunter ein wenig Zeit in Anspruch nehmen könnte, solltet ihr jetzt, hier, an diesem ehrfürchtigen, heiligen Ort, den Pakt schließen!“

„Okay!“, war nur meine knappe Antwort. Ich nahm das Glas von Ulrike entgegen und spülte mir dessen Inhalt mit einem Schluck herunter. Obwohl sich das Glas in meinen Händen kühl angefühlt hatte, so hatte das Wasser an sich eine lauwarme Temperatur und brannte sogar ein wenig im Rachen, „Und nun, Wolfram, auf geht’s!“

Ich wandte mich dem Brunnen zu, wartete, bis Wolfram neben mir stand, packte seine Hand, nickte Conrad und Günter nochmals zu und holte tief Luft. Wir sprangen auf den Brunnenrand, stießen uns daran ab und verschwanden gänzlich im zwanzig Zentimeter tiefen Wasser.
 

Nach Luft schnappend tauchten Wolfram und ich in der heimischen Badewanne der Familie Shibuya wieder auf. Schnell sprang ich heraus. Diese intime Nähe zu Wolfram war für mich eh oft genug schwer zu ertragen, aber in seinem derzeitigen Körper und dann noch in einer enganliegenden, nassen Uniform... das war einfach ein bisschen zu viel des Guten.

„Ich besorge uns schnell etwas Trockenes zum Anziehen!“, und schon lief ich hinaus auf den Gang in mein Zimmer. Ich schnappte mir schnell zwei Trainingsanzüge und eilte zu Wolfram zurück.

Mit dem Rücken zu ihm gewandt zog ich mich schnell um und versuchte dabei angestrengt, nicht in den Spiegel über mir zu schauen um einen Blick auf ihn erhaschen zu können.

Der Trainingsanzug passte ihm.

„Sag mal, spannt es dir hier nicht zu sehr?“, und ich legte meine Hände auf seine imaginäre Brust. Er blickte meine Hände an, die für ihn etwa zehn Zentimeter vor seiner Brust in der Luft schwebten und sein Blick verfinsterte sich: „Was machst du da, perverser Waschlappen? Legst du gerade deiner Einbildung die Hände auf den Busen?“

Erst jetzt erkannte auch ich, was ich da tat und zog blitzartig meine Hände mit hochrotem Kopf zurück.

„Also doch!“, giftete Wolfram.

„Yu-chan! Ist da oben alles in Ordnung? Wir warten hier auf dich!“

Manchmal ist Mutters Timing einfach perfekt! Die Tür öffnete sich noch ehe mir Wolfram würgend an den Hals springen konnte und meine Mutter stand erstaunt in der Tür:

„Wolf-chan!“ Ihre Begeisterung für den blonden Feuerdämonen war ihr im Gesicht abzulesen.

„Mama-san!“, Wolfram strahlte sie mit dem lieblichsten Lächeln an, was er aufzubieten hatte. Es änderte sich wirklich nichts!

„Hat dich Yu-chan extra als unsere Reisebegleitung hergeholt? Das ist aber ausgesprochen lieb von dir, Yu-chan!“, meine Mutter drückte mich an sich.

„Ja-hahaha! Genau, Mutter! Für das ganze Gepäck und so!“

Ich erkannte Murata und Shori hinter meiner Mutter. Ersterer mit einem seltsamen Gesichtsausdruck. Er wusste also Bescheid. Aber das war auch nicht anders von Murata zu erwarten. Meine Mutter ließ von mir ab (ohne nicht nochmal ermahnend „Das heißt Mama, Yu-chan!“ zu sagen) und widmete sich Wolfram. Dieser liebte die plötzliche Aufmerksamkeit. Solange sie sich heute wieder nicht über die geplante Hochzeit unterhielten konnten sie sich ruhig miteinander beschäftigen. Mutter nahm ihn schließlich an die Hand und zog ihn zur Treppe: „Ich habe Yu-chan schon gesagt, dass ich das Fotoalbum gefunden habe mit diesen reizenden Bildchen von Yu-chan im Kleidchen! Das muss ich dir unbedingt zeigen!“

„Ähm, Mutter, das musst du wirklich nicht...“,doch sie waren schon verschwunden. Ich seufzte laut auf.

„Geschieht dir ganz Recht, Shibuya!“

Ach ja, da war ja noch was! Verlegen und am Hinterkopf kratzend blickte ich zu Murata. Auch Shoris Blick war finster.

„Hier ist also keine Zeit vergangen?“, fragte ich mit unschuldiger Mine.

„Du bist vor knapp fünf Minuten ins Bad gestürmt!“, antwortete Shori trocken, „Aber dein Freund hat mich schon über deine Flucht in Kenntnis gesetzt! Yuuri! Wie konntest du nur?“

„Tut das jetzt wirklich noch was zur Sache? Murata! Es gibt Probleme. Shinou gab mir den Auftrag, dich zu holen!“, fiel ich direkt mit der Tür ins Haus.

„Immer mit der Ruhe, Shibuya! Du bist gerade erst angekommen. Du solltest dich stärken und ein wenig ausruhen, bevor wir aufbrechen. Das weiß auch Shinou!“

Murata hatte Recht. So kurz hintereinander klappten Dimensionssprünge eigentlich nicht. Ich nickte verstehend: „Gut, dann werde ich jetzt erst mal was essen und euch berichten, was vorgefallen ist!“

Wir gingen ins Wohnzimmer. Mutter und Wolfram waren im Arbeitszimmer meines Vaters neben dem Wohnzimmer. Ich konnte die aufgeregte, unaufhörlich plappernde Stimme meiner Mutter so gut hören, als wäre sie direkt neben mir: „Sieh her, Wolf-chan! Und nun lächeln! Ja! Ach, das ist so schön geworden! Und nun pass auf...“

Was machten sie da nur? Ach, egal! Das Wort Hochzeit war noch nicht gefallen und das beruhigte mich. Ich nahm Platz am Tisch und begann mein Curry aufzuessen. Es war immer noch warm. Für mich waren drei Tage vergangen, auf der Erde anscheinend wirklich nur fünf Minuten.

Ich berichtete Murata und Shori ausführlich, was passiert war und stoppte peinlich berührt nach den Erlebnissen im königlichen Bad.

„Das heißt, für dich ist Bielefeld nun eine Frau!“, schlussfolgerte mein älterer Bruder.

Ich nickte.

„Das ist doch gar nicht so schlecht, Shibuya! War es nicht das, was dich bisher an deinem Verlobten gestört hatte? Ich meine, dass er keine Verlobte war?“

„Murata! Nur ich sehe ihn so. Niemand anderes! Oder ist euch irgendetwas an ihm aufgefallen?“

Beide schüttelten gleichzeitig ihre Köpfe.

„Zudem ändert das Geschlecht doch nicht die Tatsache, dass ich nicht weiß, was ich für ihn...oder für sie... oder wie auch immer empfinde! Bin ich denn zu altmodisch in meiner Annahme, dass man aus Liebe heiraten sollte und nicht weil ich ihm eine reingehauen habe?

Außerdem bin ich mir ziemlich sicher, nicht schwul zu sein. Klar, solange ich mir einbilde, er sei eine Frau ist alles schön und gut... Aber ich weiß nun mal, dass er keine wirkliche Frau ist! Und ich finde es für unsere Freundschaft nicht förderlich, dass ich ihn ständig in Körbchengröße Doppel D sehen muss! Daher wollen wir diesen Fluch so schnell wie möglich von mir nehmen!“

„Normalerweise löst man Flüche, indem man sich küsst!“, gab Murata mit schlauem Unterton von sich. Ich grummelte verlegen: „Das haben wir schon probiert!“

„Echt?“ Murata strahlte überrascht, Shori hingegen stand unter Schock.

„Da wäre ich sehr gerne dabei gewesen!“

„Oh, Murata, du und Shinou passt wirklich Bestens zusammen!“, seufzte ich, „Sei froh, dass Wolf das gerade nicht gehört hat. Sonst wäre dir das passiert, wovor wir Shinou noch so gerade bewahren konnten!“

„Das kann ihm aber selbst jetzt von anderer Seite her auch noch blühen!“, knurrte Shori stattdessen und ließ einen bösen Blick auf Murata niedersausen, der jedoch weiterhin breit grinsend da saß und mir beim vertilgen der letzten Curryreste zu sah.

„Sieh nur, Yu-chan! Ist das nicht toll geworden?“, meine Mutter betrat mit Wolfram im Schlepptau das Wohnzimmer und hielt mir ein Foto hin. Wolfram hinter ihr wirkte etwas verlegen. Ich nahm das Bild um es näher zu betrachten. Es war ein Ganzkörperportrait von Wolfram in meinem alten Sonntagsanzug. Es war wirklich sehr gut geworden. Ich hätte meiner Mutter solch gute Fähigkeiten als Fotograf gar nicht zugetraut.

Aber am Besten an diesem Bild gefiel mir, dass Wolfram darauf durch und durch männlich war! Der Fluch war also an die Realität gebunden! Für mich war dies nur eine weitere Bestätigung, dass ich verflucht war und nicht Wolfram.

„Das ist wirklich ein sehr schönes Bild, Mutter. Ich wusste gar nicht, dass du meinen alten Anzug aufgehoben hast!“

„Ach, Yu-chan, ich werfe doch nichts weg indem du so toll ausgesehen hast! Aber Wolf-chan steht er auch ausgesprochen gut!“

Sie ging in die Küche und wickelte die Digitalkamera in Frischhaltefolie: „Die nehmen wir mit. Ich muss doch Shouma zeigen, wo ich überall war! Er ist ja selber schuld wenn er lieber auf einer Konferenz ist!“

Ich hielt inne. Stimmt ja! Da war ja noch was! Meine Mutter wollte mit!

„Ähm, Mutter...“

„Das ist eine hervorragende Idee, Mama-san!“, wurde ich von Wolfram unterbrochen. Mein Kopf fiel mit einem lauten Knall auf die Tischplatte.

Alles starrte zu mir. Dann rappelte ich mich auf: „Okay, ihr habt gewonnen. Ich gebe auf! Dann reisen wir alle gemeinsam morgen früh nach Shin Makoku. Und da das ziemlich kräftezehrend für mich sein wird, leg ich mich jetzt hin!“

Da ich wusste, das Wolfram sich später zu mir ins Bett legen würde beschloss ich so schnell wie irgend möglich einzuschlafen. Denn sobald sich dieser Körper zu mir ins Bett legen würde, würde ich bestimmt kein Auge mehr zu machen können!

Kapitel 6

KAPITEL 6
 


 

Die Sonne ließ ihre ersten Strahlen über die Hügel des Neue Dämonenkönigreiches erstrahlen und spendete den Soldaten das benötigte Licht für ein schnelleres Vorankommen des Vorbereitungen.

Eifrig wurden mehrere Kutschen mit Proviant, Kleidung und Wasser beladen und vom Schloss des Blutigen Eides aus zum Hafen entsendet.

Lord Gwendal von Voltaire stand nachdenklich am Fenster des Büros seiner Majestät und beobachtete das wirre Treiben im Hof.

Auf seiner Stirn sammelten sich heute mehrere Falten der Besorgnis. Viele Gedanken und Probleme plagten ihn.

Es war unabdingbar, dass dieses Zepter der Segnung gefunden werden musste.

Zum Einen, da es ein altehrwürdiger Schatz von Shin Makoku war und wieder an seinen rechtmäßigen Platz gehörte.

Zum Anderen, da es dem Maou Schutz bot. Und es stand außer Frage, dass Yuuri Schutz brauchte. Der Junge hatte ein ausgesprochenen gutes Talent darin sich in die seltsamsten Abenteuer zu stürzen und darin äußerst selten, ja eigentlich nie, ohne Probleme wieder herauszukommen. Seitdem Yuuri in ihr Reich gekommen war und das Amt des Dämonenkönigs übernommen hatte, musste sich Gwendal eingestehen, dass er viele schlaflose Nächte gehabt hatte. So auch die letzte Nacht.

Er war ganz froh gewesen, dass er die letzten Wochen so hervorragend alles abgearbeitet hatte, was auf dem Schreibtisch liegen geblieben war und so hatte er die letzte Nacht ausschließlich dazu nutzen können, die anstehende Reise zu planen und zu organisieren.

Denn mit Günter hatte er diesbezüglich nicht rechnen können. Seitdem bekannt geworden war, wohin diese Reise gehen würde, hatte sich der königliche Lehrmeister in der Bibliothek verbarrikadiert und wart nicht mehr gesehen. Er nannte dies: Studien über das Unbekannte zur Unterstützung seiner Majestät Yuuri!

Daraus schloss Gwendal, das sich Baron von Kleist dazu entschlossen hatte, an dieser Reise teilzunehmen. Und das wiederum stellte nun ihn, Lord von Voltaire, vor ein riesiges Problem: Wer sollte in der Abwesenheit seiner Majestät regieren?

Denn es stand auch außer Frage, dass Gwendal mit nach Dark Makoku reiste.

Als Ältester der drei Brüder und Sohn der Ex-Dämonenkönigin Cecilie von Spitzweg war es sogar seine Pflicht!

Er ging alle Namen aller Dämonen, die nicht für diese Reise eingeplant waren, in seinem Kopf durch.

Anissina Gräfin von Karbelnikoff. In Gwendal kroch ein eisiger Schauer hoch. Nein! Das konnte er seinem Reich nicht antun! Sie würde Schäden verursachen, die er bis an sein Lebensende nicht einmal ansatzweise beheben können würde.

Cecilie Herzogin von Spitzweg. Seine Mutter. Sie war da. Sie hatte ihre seit langem andauernde Reise auf der Suche nach Liebe pausiert, um, wie sie sagte, sich davon zu erholen. Sie hatte die meiste Erfahrung. Schließlich hatte sie diese Position jahrelang besetzt. Nur war nicht seine Mutter die eigentliche Regentin gewesen, sondern ihr Bruder Stoffel Herzog von Spitzweg. Und Gwendal befürchtete, dass wenn er die Landesgrenzen überschritt, sich seine Mutter wieder von Stoffel einwickeln lassen würde. Mutter war die Einzige, die Stoffel mehr politisches Geschick zu traute als sich selbst.

Und wäre dem der Fall, so wäre vermutlich eine Revolution im Volke zu Gange wenn seine Majestät Yuuri und er von ihrer Reise zurückkämen.

Ein Oberhaupt aus den anderen Adelshäusern zu Rate ziehen? Schlagartig fiel ihm Valterana, Herzog von Bielefeld, ein. Wolframs Onkel. Irgendetwas ließ Gwendal innerlich zögern, dies auch nur wirklich in Erwägung zu ziehen, aber ihm gingen langsam die Möglichkeiten aus!

Es klopfte.

„Herein!“

Ein junger, gut trainierter Mann mit orangerotem Haar betrat das Büro, dicht gefolgt von einem blonden Hünen mit Adlernase. Beide blieben im angemessenen Abstand zu Gwendal stehen.

„Eure Exzellenz, ich komme soeben aus Herkas zurück“, Iossac verbeugte sich knapp und bemerkte Gwendals finsteren Blick, der Adalbert von Grantz musterte, „und der junge Herr von Grantz begleitete mich zurück, da wir interessante Informationen haben!“

„So?“, Gwendal wusste, dass Adalbert sich auf die unzähligen Einladungen seiner Majestät Yuuri berufen konnte. Zudem hatte der vor vielen Jahren abtrünnig gewordene Dämon in der jüngsten Vergangenheit oftmals bewiesen, dass er Yuuri ein loyaler Gefolgsmann war. Also warum jetzt aufregen?

„Cha'ara ist tot“, begann nun von Grantz und Gwendal starrte ihn ungläubig an.

„Was ist geschehen?“

„Das Alter!“, Adalbert wedelte mit seiner Hand und grinste schief, „Es schien fast so, als habe sie nur noch darauf gewartet eine Lösung für den Konflikt zu finden um dann abzudanken! Iossac berichtete mir von dem Fluch, der nun auf Yuuri lastet!“

„Es heißt immer noch seine Majestät!“, schnaubte Gwendal, doch an Adalberts Mimik konnte man ablesen, dass ihn Gwendals Belehrungen wenig scherten.

„Cha'aras Nachfolgerin ist nun ihre ehemalige Assistentin und sie sagte, im Normalfall müsse sich der Fluch mit dem Ableben der Hexe auflösen!“

„Wir haben die Zeiten verglichen und festgestellt, dass dies wohl auf unseren jungen Herrn nicht zutrifft“, erklärte Iossac weiter, „Daher nehmen die Hexen an, dass dieser große und sehr mächtige Zauber, der diesen Fluch ausgelöst hat, nur durch eine bestimmte Handlung seiner Majestät gebrochen werden kann!“

„Kuss haben wir schon ohne Ergebnis versucht!“, warf Gwendal direkt ein und verschränkte nachdenklich die Arme vor seiner Brust.

„Ha! Hat es der dritte Sohn doch geschafft! Wer hätte das dem Prinzchen zugetraut!“

„von Grantz! Zügelt eure Zunge! Es ist mein Bruder, von dem ihr da sprecht!“, knurrte sein Gegenüber, doch auch jetzt ließ sich Adalbert von Grantz davon nicht einschüchtern. Er war ein viel zu stolzer Dämon um sich von irgendjemanden sagen zu lassen, was er zu denken hatte. Auch wenn er seine Gedanken oftmals unangemessen laut kund tat.

„Darkaskos teilte uns mit, man sei nun in den Vorbereitungen für eine Expedition nach Dark Makoku?“, Iossac versuchte, die Situation zu entschärfen.

„Ja. Sobald seine Majestät Yuuri seine Eminenz von der Erde geholt hat brechen wir auf!“

„Das ist ein gewagtes Abenteuer, von Voltaire!“, von Grantz setzte sich galant auf den Stuhl am Ende des Tisches, „In eine von uns noch nie erkundete Region. Mit einem noch recht unerfahrenen jungen König. Ich biete euch gerne meine Dienste an. Ein erfahrenes Schwert mehr zum Schutze seiner Majestät ins Unbekannte kann doch nicht schlecht sein!“

„Hm?“, Gwendal dachte nach. Es stimmte schon. Man konnte Adalbert von Grantz viel Schlechtes nachsagen, aber er war ein erfahrener Krieger und hervorragender Schwertkämpfer. Nur störte es Gwendal irgendwie, denn so uneigennützig handelte Grantz eigentlich nicht: „Was erwartet ihr euch selbst von der Reise, Grantz?“

Adalbert grinste schief und antwortete, für Gwendal schon fast zu ehrlich: „Ich will wissen, wo dieser Shinou herkommt, der es geschafft hat, ein ganzes Volk 4000 Jahre lang nach seiner Pfeife tanzen zu lassen. Das ist alles. Nennen wir es: Neugier auf die eigenen Wurzeln!“

Gwendal nickte und erneut wurde die Tür zum Büro aufgerissen, diesmal ohne Anzuklopfen. Er musste nicht einmal hinsehen, um zu wissen, wer solch Dreistigkeit wagte, doch es wunderte ihn, dass der eisgraue Schönling aus der Versenkung aufgetaucht war. Das konnte nur eines bedeuten und Günter bestätigte seinen Verdacht:

„Seine Majestät ist zurück!“
 

„Wieso ist es hier auch erst früher Morgen? Seit ihr sicher, dass nicht schon einige Tage vergangen sind?“, fragte ich Ulrike, die schon auf uns am Brunnen innerhalb der Tempelanlage Shinous gewartet hatte.

Die Hohepriesterin lächelte mich milde an: „Aber ja, eure Hoheit. Ihr seit erst vor wenigen Stunden mit Lord von Bielefeld abgereist!“

Das verstand ich nicht. Normalerweise war doch stets eine Zeitverschiebung, wenn ich hin und her reiste.

Murata legte die Hand auf meine Schulter: „Hast du es immer noch nicht verstanden, Shibuya?“

Ich zuckte mit den Schultern und schüttelte verneinend den Kopf. Er schob sich, wie so oft wenn er mich an seinem Wissen über meine neue Heimat in Kenntnis setzen wollte, die Brille zurecht: „Du bestimmst die Zeiten!“

„Hä?“, irgendwie half mir diese Aussage nicht wirklich weiter. Shinou, welcher auf Ulrikes Schulter saß, versuchte Abhilfe zu schaffen: „Damals habe ich die Zeiten deines Erscheinens hier festgelegt. Ich wählte jedes mal Orte und Zeiten, wo dein Auftauchen am Nützlichsten war. Nun liegt jedoch die ganze Macht bei dir. Anscheinend handelt jedoch noch mehr dein Unterbewusstsein oder deine Seele als Maou und bestimmt die Zeit. Auch hier in dieser Welt hat ein Tag 24 Stunden und ein Jahr gewöhnlich 365 Tage!“

„Allerdings solltest du jetzt nicht denken, dass du nun Dinge zu deinem Vorteil dadurch ändern könntest!“, mein Blick fiel wieder auf Murata.

„Damit meine ich, dass du von hier zur Erde kehrst um dann von dort wieder hier in der Vergangenheit zu landen, um Geschehenes zu ändern!“

„Auch wenn deine magischen Fähigkeiten unermesslich scheinen und dadurch größer als ich bei Weitem gedacht noch erahnt hätte, wäre dir von diesem Schritt abzuraten! Es könnte nämlich dadurch passieren, dass du zwischen den Dimensionen hängen bleibst!“, fügte Shinou noch erklärend hinzu. Na, das war ja weniger berauschend. Aber ich hatte auch nicht vor, irgendetwas Vergangenes zu ändern. Bisher war ja meist immer alles gut ausgegangen und ich hoffte auch, dass es so blieb.

„Och, der ist ja niedlich!“, durchbrach uns ein Aufschrei und ich zuckte peinlich berührt zusammen. Stimmt ja, die habe ich ganz vergessen! schoss es mir noch durch den Kopf während ich aus meinem Blickwinkel heraus sah, wie meine Mutter an mir vorbei hüpfte und sich über Ulrike beugte. Mit einem Gesichtsausdruck der totalen Entzückung begutachtete sie Shinou, der sie wiederum etwas überrumpelt anstarrte. Und dann hob sie ihn auch noch hoch! Wie ein kleines Mädchen mit einer neuen Puppe! Ich wagte es nicht auch nur ansatzweise an die Konsequenzen zu denken!

„Wie funktioniert der denn?“, sie drehte ihn um und starrte auf seinen Rücken, dabei hob sie seinen Umhang hoch um vermutlich das Batteriefach zu finden.

Doch Shinou blieb außerordentlich ruhig im Anbetracht dieser doch äußert unangenehmen Situation für ihn: „Und dürfte ich erfahren, wer sie sind?“

Meine Mutter blickte überrascht: „Und er ist interaktiv! Nein! Was für eine tolle Erfindung!“

Es war Shori, der die Situation rettete: „Mutter, das ist Shinou. Der erste Dämonenkönig und derjenige, der Conrad damals den Auftrag gab, Yuuris Seele zur Erde zu bringen!“

Ihr Blick wandte sich erschrocken dem blonden Mann in ihrer Hand zu: „Sie sind DER Shinou?“

Es kam nicht oft vor, dass ich meine Mutter mal beschämt sprachlos erlebte.

Shinou lachte laut auf: „So, dann muss ich ihnen also danken, dass sie zwei so fähige Dämonenkönige großgezogen haben!“

„Hahaha“, ich blickte immer noch beschämt, als ich Mutters Griff um Shinou löste und ihn wieder auf Ulrikes Schulter setzte, „ja, das ist meine Mutter. Sie wollte unbedingt mal unser schönes Reich sehen.“

Ich wandte mich an sie: „Das Mutter, das ist Shinou. Wir befinden uns hier in seiner Tempelanlage, welche auch der hauptsächliche Wohnsitz von Murata ist, wenn wir hier sind und das“, ich wies ausschweifend auf Ulrike, „ist die Hohepriesterin des Tempels, die ehrwürdige Ulrike-sama!“

„Aber sie sind doch noch ein kleines Mädchen!“, flüsterte meine Mutter erstaunt.

„In dieser Welt ist vieles anderes als es den Anschein hat, Mama-chan. Ulrike feiert bald ihren 850. Geburtstag, nicht wahr Ulrike?“, Muraken grinste.

„Ja, eure Eminenz. Aber ich feier eigentlich für gewöhnlich nicht!“, erklang schüchtern Ulrikes glockenhelle Stimme.

„Sie müssen mir unbedingt verraten, was ihr Geheimnis für diese jugendlich straffe Haut ist!“, rief Mutter begeistert aus. Oh je. Das konnte was werden! Ich fragte mich, wie sie wohl auf die Kohi's reagieren würde!

Erst jetzt wurde mir bewusst, dass sich Wolfram bisher den ganzen Tag sehr ruhig verhalten hatte. Zunächst dachte ich, es läge daran, dass ich versuchte, Situationen mit ihm alleine zu vermeiden. So war ich noch früher als sonst aufgestanden und war ins Wohnzimmer geschlichen. Ich schickte schließlich meine Mutter, um ihn wecken zu lassen. Und beim Frühstück war zwischen uns auch kein einziges Wort gefallen. Ich drehte mich zu ihm herum und versuchte mich auf sein Gesicht zu konzentrieren, denn schließlich war das ja noch das Alte: „Alles in Ordnung bei dir, Wolfram?“

Er fuhr auf die plötzliche Ansprache meinerseits zusammen.

„Was soll schon sein, du Waschlappen!“, fauchte er und stiefelte an mir vorbei zum Haupttor, „Ich will die Situation nicht nur noch unerträglicher für dich machen, als sie ohnehin schon ist!“

„So schlimm ist es auch nicht! Ich habe mich schon daran gewöhnt!“, rief ich hinterher und hätte mir für diese Aussage am Liebsten selber in den Hintern getreten.

Denn: zuerst blieb er abrupt stehen, dann drehte er sich in Zeitlupe zu mir herum und da wusste ich, das ich nicht mehr lange leben würde!

„Das hättest du wohl gerne, was, Yuuri? Glaubst du wirklich, ich dulde es auch nur unbedingt länger als nötig, dass du in mir...in mir... so ein billiges Frauenzimmer siehst? Damit du mich dann so befingern kannst wie im Badezimmer?“, die Blicke der anderen richteten sich nun äußerst interessiert auf uns, „Ich habe auch als Mann meine Qualitäten! Aber du warst ja zu … zu... hinterwäldlerisch in deiner verweichlichten Weltanschauung um das nur einen Augenblick lang zu bemerken geschweige es denn auch nur mal auszuprobieren! Sobald es auch nur ansatzweise mit uns Fortschritte gab warst du stets sehr zeitintensiv damit beschäftigt, wieder zwei Rückschritte zu machen! Das macht es Einem wirklich schwer dich zu mögen!“

Seine Hände waren zu zwei Fäusten geballt und er atmete in seiner Aufregung sehr schwer:

„Glaubst du, es macht Spaß, mit einem solchen Waschlappen und leichtem Bürschchen wie dir drei Jahre lang verlobt zu sein? Drei Jahre, in denen du meine...“, er schluckte, denn anscheinend fiel ihm jetzt erst unser Publikum auf, „ach...vergiss es, Yuuri!“

Er drehte wieder ab und marschierte weiter. Ich atmete erleichtert aus. Zum Einen, weil ich noch lebte und zum Anderen war es mir lieber das Wolfram noch vor der langen Reise auf einem kleinen Schiff mal Dampf abgelassen hatte. Dennoch ließen mich seine gesagten Worte auch nicht kalt. Betreten sah ich zu Boden. Er hatte schon recht. In den letzten drei Jahren war ich kein Bilderbuch-Verlobter gewesen. Ich hatte mich daran gewöhnt mit ihm mein Bett zu teilen. Ich hatte mich auch daran gewöhnt, das er meine Tochter Greta auch als seine Tochter und meinen Bruder auch als seinen Bruder ansah. Das fand ich ehrlich gesagt sogar ganz schön. Auch das meine Mutter ihr erwünschtes 'Mama' von Wolfram bekam zeugte nur von seiner Ernsthaftigkeit bei dieser ganzen Verlobungsgeschichte.

Meine Mutter trat neben mich und legte mir ihren Arm um die Schultern: „Yu-chan, Streit ist nie gut. Natürlich müssen angestaute Sachen mal gesagt werden, aber ihr Zwei gehört doch zusammen! Du hast ihn doch sehr, sehr gern!“

„Ja, habe ich, aber Mutter, ich bin nicht schwul!“, mein Ton klang genervter als ich beabsichtigt hatte.

Sie lächelte wie nur eine Mutter lächeln konnte. Sie nahm das Foto, welches sie am Vorabend von Wolfram gemacht und ebenfalls in Folie eingewickelt hatte, aus ihrer Tasche, öffnete die Jacke meiner Schuluniform und steckte es mir in die linke Innenbrusttasche: „Yu-chan, merke dir: Sobald man etwas denkt oder fühlt bekommt es Bedeutung! Vorher nicht!“
 

Murata blieb noch im Tempel, während wir mit der bereitstehenden Kutsche zum Schloss fahren wollten. Er wollte mit Shinou dessen Vorstellung von 'Mitnahme' besprechen.

Wolfram war schon voraus geritten, so dass nur noch meine Stute Ao neben der Kutsche stand. Mutter und Shori nahmen in dieser Platz und der Kutscher fuhr langsam an. Ich ritt auf der Fensterseite meiner Mutter nebenher um ihr alles zu erklären, was sie aus dem Fenster sehen konnte.

„Und da hinten ist auch schon mein Schloss. Es hat den unheimlichen Namen 'Schloss des Blutigen Eides', aber mach dir keine Sorgen, Mutter! Es ist sehr schön und überhaupt nicht wie sein Name vermuten lässt!“

„So ein großes Schloss hast du?“ mit geweiteten Augen blickte sie aus dem Fenster. Sofort suchte sie den Fotoapparat heraus und knipste drauf los. Ich kam mir vor wie ein Fremdenführer für eine japanische Reisegruppe.

„Böses Omen! Böses Omen!“, krächzte es vom Himmel und sie sah auf.

„Was ist das?“, rief sie verwundert aus.

„Oh, das hat mir Wolfram mal erklärt“, wenn ich so drüber nachdenke hat er mir viel erklärt, „Das sind die Paradiesvögel. Ihr Name klingt bei weitem schöner als sie aussehen. Sie stehen auf der Liste der 666 verschiedenen zu schützenden Arten in meinem Königreich. Obwohl ich ehrlich gesagt nie das Gefühl hatte, das sie bei der Anzahl, die hier herumflattert, wirklich bedroht sind!“ Ich glaubte sogar, dass auf dieser Liste fast jedes Tier im ganzen Königreich stand!

Mutter schoss auch davon eine Reihe Fotos. Wenn das so weiterginge, hätte sie die erste Speicherkarte noch vor Erreichen des Schlosses voll. Aber zu meiner Erleichterung betrachtete sie alles mit großen Augen und schweigend. Vielleicht würde es ja doch nicht so schlimm werden.
 

Wir erreichten den Innenhof meines Schlosses. Kaum war ich aus dem Sattel gestiegen beschallte mich schon Günters: „Majestäääääääät!“

Er hastete die Treppen herunter und fiel mir um den Hals.

„Günter, ich war nur eine Nacht nicht da!“, stöhnte ich auf.

„Ach, Majestät! Ohne euch an meiner Seite schien mir diese Nacht so endlos! Ich habe kein Auge zu getan und stetig für eure gesunde Rückreise zum großen Shinou gebetet!“

„Ha, da wird er sich aber gefreut haben, dass er auch nicht schlafen konnte!“

„Wie meinen, Majestät?“

„Günter, sie sehen fantastisch aus!“, das meine Mutter manchmal ein perfektes Timing hat, habe ich ja schon einmal erwähnt, nicht wahr?

Günters Mimik nach zu urteilen schien er überfordert. Wäre ich nach einer durchgemachten Nacht und dem anschließend zu gut gelaunten Wesen meiner Mutter aber auch!

Sie umarmte ihn so ungeniert wie er mich zuvor umarmt hatte. Vermutlich hielt sie das hier für die gängige Begrüßung. Ich sollte sie darüber aufklären bevor sie Gwendal begegnete!

Shoris Begrüßung hingegen erstreckte sich auf ein kühles Nicken. Es war kaum vorstellbar, dass er und Mutter verwandt waren. Obwohl, wenn ich mir Gwendal, Conrad und Wolfram ansah und deren Mutter Cecilie, dann wusste ich, dass meine Familie so unnormal oder seltsam nicht sein konnte.

„Jennifer-san! Es freut mich, sie auch hier begrüßen zu dürfen!“, Conrad verbeugte sich galant und gab ihr einen Handkuss, was meine Mutter zu einem freudigen Aufschrei hin riss.

„Der gutaussehende Fechter ist auch da! Yu-chan! Du machst deinem Paten aber hier nicht so viel Kummer, oder?“

„Nicht doch, Jennifer-san! Yuuri macht seine Aufgabe hier zur vollsten Zufriedenheit des ganzen Königreiches! Noch nie hatten wir so friedliche und angenehme Zeiten in unserer Geschichte! Das liegt bestimmt an eurer großartigen Erziehung!“, Conrad wusste wirklich, wie man mit Frauen jeden Alters umging.

Er reichte ihr seinen Arm und sie hängte sich strahlend bei ihm ein: „Dann wollen wir euch einmal Yuuris zweites Zuhause näher zeigen!“

Er nickte mir mit einem leichten Lächeln auf den Lippen zu. Meine Mutter war also erst einmal abgelenkt. Ich wandte mich wieder an Günter: „Wie schaut es aus?“

„Lord Gwendal hat ebenfalls die Nacht durchgearbeitet und so steht unserer sofortigen Abreise nichts mehr im Wege! Der 'Rote Seestern' liegt beladen im Hafen und kann jederzeit ablegen!“

Wir schritten nebeneinander her erneut auf dem Weg zu meinem Büro. Diesmal würde ich es auch betreten.

Die Tür stand bereits offen und ich entdeckte Gwendal neben meinem Schreibtischstuhl stehend. Er wies mir an mich auf eben diesen zu setzen. An der großen Tafel saßen bereits Iossac, über dessen Mitreise ich mich freute; Adalbert, über dessen Mitreise ich noch nichts wusste und Wolfram, über dessen Mitreise ich ganz genau wusste, aber wo ich nach dem erneuten Streit im Tempel nicht ganz genau wusste, ob das gut oder schlecht für mich war. Eigentlich war es bisher immer gut gewesen, Wolfram an meiner Seite zu wissen. Er stand mir noch näher als Conrad und das hätte ich damals, so kurz nach meiner Ankunft hier, niemals für möglich gehalten. Das unsere Situation derzeit so aussichtslos verschärft war schien uns beide schwer zu belasten und zu beschäftigen. Mit verschränkten Armen und abgewandtem Blick lehnte er sich schmollend auf seinem Stuhl zurück.

Ich seufzte innerlich auf. Wir hatten nun einige Wochen auf See vor uns. Ich musste diese Chance nutzen und diese Sache zu einem guten Ausgang bringen. In welche Richtung dieser Ausgang zeigte war mir gerade jetzt schon fast egal. Ich wollte nur den Wolfram zurück, den ich kannte. Und das sowohl körperlich als auch in allen anderen Bereichen. Egal was er nun zu diesen Bereichen zählte oder ich.

Shori war uns ins Büro gefolgt. Da er das Schloss schon recht gut kannte, hatte er keinen Sinn darin gesehen, Conrad und Mutter zu folgen.

Gwendal schien freudig überrascht über sein Erscheinen und das wiederum überraschte mich. Es kam nicht häufig vor, dass Gwendal lächelte und sein Gesicht frei war von jedweden Falten!

„Majestät, wir waren gerade beim letzten Punkt angekommen zur Planung unseres Vorhabens!“, erklärte er mir sachlich, „Wir reisen mit genau 30 Mann. Zum Einen wären das wir...“. Er holte aus und zeigte auf die bereits Anwesenden.

„Wolfram, Iossac, Günter, eure Majestät, seine Eminenz in Begleitung von Shinou, Conrad, Lord Adalbert von Grantz sowie ich sowie elf ausgewählte Soldaten und zehn Mann Schiffsbesatzung. Wir wählten den 'Roten Seestern', da nach Shinous Schilderung ein normales Schiff Monate brauchen würde. Der Seestern schafft die Strecke in einem Drittel der Zeit, hat aber den Nachteil, dass wir aufgrund des mangelnden Platzes keinen Komfort zu erwarten haben. Wir benötigten jede freie Stelle für den Proviant!“

Ich nickte verstehend. Gwendal beachtete dies aber nicht und fuhr weiter fort:

„Die Frage, die jetzt noch im Raume stand, war: Wer vertritt euch während eurer Abwesenheit?“

Ähm. Das war eine wirklich gute Frage! Normalerweise pflegte ich in einem solchem Fall zu sagen: Gwendal, ihr macht das schon! Und weg war ich.

Dies war nun ja nicht möglich. Auch meine zweite Reserve, Günter, fiel aus.

„Was ist mit Cherie?“, fragte ich vorsichtig.

„Ihr meint dann wohl eher Stoffel!“, antwortete Adalbert trocken und schielte zu mir herüber. Er hatte Recht. Schon von Anfang an hatte man mich vor Stoffel gewarnt. Wenn ich nun einige Wochen nicht zu gegen wäre und Cherie würde mich vertreten, wäre das seine Chance! Oh je. Eine schwierige Frage. Wer blieb denn noch?

„Ich würde es machen!“, eine Stimme, mit der ich gar nicht gerechnet hatte, riss mich aus meinen Gedanken.

Shori stand mit ernstem Gesichtsausdruck da: „Ich bin der Dämonenkönig der Erde. Ich wurde von Bob ausreichend ausgebildet. Und durch meine Aufenthalte hier kenne ich mich ja auch schon ein wenig aus. Wenn Cherie mir als Beraterin zugestellt werden würde, denke ich, dass ich deinen Job schon ganz gut hinkriege!“

Gwendal nickte: „Der Gedanke kam mir bei eurem Erscheinen gerade auch. Ihr seit die Idealbesetzung!“

Na, danke! Ich weiß auch, dass ich noch lange nicht gut genug bin!

„Heißt das, es sind nun alle Fragen geklärt?“, ich sah reihum in alle Gesichter. Nun ja, Wolfram zeigte mir seinen Hinterkopf, aber ich würde schon auf der langen Reise dafür sorgen, dass sich das wieder änderte!

„Wie? Ihr fahrt weg?“

Ach ja... was mach ich eigentlich mit Mutter?

Kapitel 7

KAPITEL 7
 

Logbucheintrag 1. Zeit: Früher Mittag. Ort: Hafen, am unteren Teil der Gangway zur HGK Roter Seestern. Verabschiedung.
 

So lauteten meine ersten Sätze in meinem soeben angefangenem Tagebuch. Ich wollte schon immer so etwas schreiben. Zudem dachte ich mir, dass dies eine willkommene Abwechslung auf der bevorstehenden, doch sehr langen Reise sein würde.

Der Hochgeschwindigkeitskreuzer Roter Seestern lag prachtvoll vor Anker. Für mich war er immer wieder ein atemberaubender Anblick. Er war in seiner ganzen Form eher wie ein überdimensionales Motorboot, jedoch mit Segeln versehen. Zudem hatte es eine magische Schiffsschraube, die dieses Schiff bei gutem Wind so tatkräftig unterstützte, dass es in atemberaubender Geschwindigkeit nur so über das Wasser dahin schoss! Dies war eine der wenigen Erfindungen, welche Anissina ohne Zweifel gelungen waren. Dies und 'Lass-mich-den-Ruf-deines-Herzen-hören-kun' ,ein Ohrstöpsel, welcher die Dämonensprache in Erdensprache übersetzte und umgekehrt. Ohne diesen hätte Mutter hier zweifelsohne große Probleme.

Es war wirklich alles bereit um in See zu stechen. Es fehlte nur noch die vollständige Besatzung.

Wir waren vom Schloss aus gemeinsam zum Hafen aufgebrochen, um dort von allen Abschied zu nehmen. Mir war nicht mehr viel Zeit geblieben, um irgendetwas zu packen. Günter jedoch sagte, man habe an alles gedacht. Selbst Morgif war aus der königlichen Schatzkammer geholt worden und hing nun mit seltsamen Lauten gurrend an meinem Gürtel. Ich hatte mich an diese Geräusche im Hintergrund schon lange gewöhnt. Nur Mutter fand es zunächst etwas....befremdlich, versuchte sich aber während der Kutschfahrt zum Hafen tatsächlich an einem Gespräch mit ihm.

Ich hatte Heathkleif noch schnell eine Taube entsendet mit der Information, dass Greta ihren Aufenthalt bei ihm noch um einige Wochen verlängern solle, da ich mich auf Reisen befand. Ich hatte mich eigentlich sehr auf ein Wiedersehen gefreut, zumal sie so schnell erwachsen wurde. Mittlerweile war sie 13 und in wenigen Jahren würde sie in ihr Geburtsland zurückkehren und dort zur Kaiserin gekrönt werden. Mir blutete das Herz wenn ich daran dachte. Die eigenen Kinder ziehen zu lassen ist wirklich schwer für einen Vater! Daher konnte ich meine Mutter gerade verstehen. Tief bedrückt stand sie neben mir an der Gangway und sah zum Bug des Schiffes hinauf:

„Jetzt bleibst du gar nicht hier!“, seufzte sie enttäuscht.

„Mutter, ich habe eine Bitte an dich“, versuchte ich sie aufzumuntern, „Shori hat nun eine schwere Bürde zu tragen und er wird dich brauchen. Ich lege dir daher Shoris Wohl und das meines Königreiches vertrauensvoll in die Hände!“

„Ach, Yu-chan, das hast du aber schön gesagt! So erwachsen!“, sie klatschte in die Hände.

„Macht euch keine Sorgen, euer Majestät! Ich bin auch noch da und sehe nach dem Rechten!“

Hinter mir ertönte die liebliche Stimme von Cecilie von Spitzweg.

Nachdem Shori bei Gwendal um ihre beratende Unterstützung gebeten hatte, hatten wir das ganze Schloss auf der Suche nach ihr auf den Kopf gestellt.

Doria, eines unserer Dienstmädchen, teilte uns schließlich mit, dass sie sich bereits in Begleitung von Anissina zum Hafen begeben hätte.

Angeblich, um die Beladung des Schiffes zu beaufsichtigen. Doch als ich mich hier so umsah, konnte ich den wohl wahren Grund schnell herauskristallisieren: alle Hafenarbeiter waren ausgesprochen gut aussehend und auch sehr gut gebaut. Mit nackten Oberkörpern stemmten sie die schweren Proviantkisten auf ihre Schultern und trugen sie schweißgebadet die Gangway hinauf. Cecilie und Anissina hingegen hatten es sich mit kühlen Getränken auf einer Kiste mit der Aufschrift 'von Kleist' bequem gemacht und beobachteten mit Funkeln in den Augen diese Männer bei der schweren Arbeit in der aufkommenden Mittagshitze.

Nach Dorias Mitteilung über den Verbleib seiner Mutter hatte es Gwendal noch eiliger zum Hafen zu kommen. Es war wahrlich nicht leicht mit Cherie zur Mutter!

Nun warteten wir nur noch auf die Kutsche aus dem Tempel. Murata hatte uns mitteilen lassen, dass er sich nur minimal verspäten würde. Warum dem so war, war mir nicht bekannt. Eigentlich war Murata, was Pünktlichkeit anbelangt, stets zuverlässig gewesen.

Es musste daher wohl mit Shinou zusammenhängen.

Cecilie war nun an uns herangetreten und betrachtete neugierig meine Mutter.

Oh je. Ich vergaß. Die beiden Damen waren sich bisher noch nicht vorgestellt worden!

Noch ehe ich irgendetwas sagen konnte drückte die größere Blondine meine doch recht kleine Mutter an ihre überdimensionale Brust: „Hach, und sie sind bestimmt die stolze Mama unserer Majestät!“

Meine Mutter versuchte zu nicken.

„Ich bin Cecilie von Spitzweg und die Mama von Wolfram. Ihr könnt mich Cherie nennen! Und da unsere Majestät meinem Wolfie gegenüber leidenschaftliche Gefühle hegt, sind wir beiden ja eigentlich schon verwandt!“

Bitte was???!!!

„Mutter!“

„Ja, Wolfram? Ist das nicht schön? Endlich die ganze Familie vereint!“, Cherie war ganz in ihrem Element.

„Endlich lerne ich euch kennen, Cherie! Ihr dürft mich gerne Jennifer nennen! Ihr übertrefft all meine Erwartungen! Sie sind eine erfolgreiche, selbstbewusste Frau und alleinerziehende Mutter von drei so wundervollen Söhnen und...“

Ich hörte nicht mehr hin. Das war schon ein bisschen zu viel des Guten. Eine allein war schon schwer zu ertragen wenn sie in Fahrt war, aber da sich nun auch noch Anissina dazu gesellte, waren sie eine absolut gefährliche Kombi! Wolf schien das ebenso zu sehen, denn auch er wich vor diesem Grüppchen respektvoll zurück als würde es sich um eine gezündete Ladung TNT handeln!

„...wirklich?....Ihr Yuuri auch?....Anissina!... Planen....Hochzeit!“

Schlagartig wurde ich wieder zurückgeholt.

„Hochzeit?“

An Wolframs peinlich verlegener Röte konnte ich mir schon vorstellen, was die drei Damen gerade besprochen hatten!

„Mutter! Es wird jetzt nicht geheiratet! Ich...ähm...ich...“

„Du gehst jetzt erst einmal auf große Fahrt, Yu-chan! Überlasse alles deiner Mama, Cherie und Anissina!“, und sie schob mich tatsächlich Richtung Gangway! Ich freute mich zwar wirklich für sie, dass sie ihre Traurigkeit über meine Abreise so schnell verwunden hatte, aber nun wusste ich, dass ich mir die ganze Reise über Gedanken machen würde, was mich bei meiner Heimkehr wohl erwartete!

Eine Kutsche kam direkt neben uns zum Stillstand und Murata stieg aus: „Shibuya! Es kann los gehen!“

„Konntest du nicht früher herkommen? Jetzt hat sich schon eine grauenvolle Vorstellung in mein Hirn gebrannt!“, meine Augen wiesen Murata den Blick auf das TNT. Er schmunzelte:

„Aber, Shibuya, es hätte schlimmer kommen können! Stell dir vor, sie würden sich nicht verstehen!“ Nein, dass wollte ich auch nicht.

„Was hat denn so lange gedauert?“, versuchte ich vom Thema und auch mich selbst abzulenken, während wir nebeneinander her die Gangway hoch liefen.

„Die Zeremonie für Shinou zog sich länger hin als erwartet“, seufzte er knapp.

„Stimmt ja! Shinou! Wollte er nicht mit?“

Ich blickte mich suchend um. Aus der Kutsche war niemand weiteres ausgestiegen. Nur der Kutscher kämpfte noch mit Muratas Wäschetruhe.

Ich bin schon da! hörte ich seine Stimme.

„Hä?“, wieder blickte ich mich um. Doch da stand nur Murata neben mir und am Ende der Gangway Wolfram und Conrad. Gwendal und Günter diskutierten irgendetwas neben der großen Kiste, auf der zuvor Cherie und Anissina gesessen hatten und die nur mit 'von Kleist' beschriftet worden war und Iossac und Adalbert standen bereits auf Deck und besprachen sich mit dem Kapitän.

Murata öffnete die Jacke seiner Schuluniform: „Nicht nur du trägst etwas an deinem Herzen, was dir wichtig ist, Shibuya!“

Er spielte vermutlich auf das Foto in meiner Brusttasche an. Ich ignorierte diese Bemerkung und betrachtete den Gegenstand, den er hervorzog.

An einer feingliedrigen, silbernen Kette baumelte ein kleiner Flakon, der mich ein wenig an die Miniatur-Parfümfläschchen in der Sammelvitrine meiner Mutter erinnerte. In diesem Flakon war aber keine Flüssigkeit, sondern eine hellleuchtende, wunderschöne, schneeweiße Perle.

„Was ist das?“, ich beugte mich herunter und betrachtete ihre Schönheit noch genauer. Von ihr ging ein warmes und weiches Strahlen aus.

„Schön, nicht wahr?“, flüsterte Murata, „Und vor allen Dingen hab ich ihn so immer im Blick und er kann nichts anstellen!“

Das ist wirklich nicht sehr nett! Habe ich denn jemals etwas Unvernünftiges angestellt?

Schon wieder hörte ich Shinous Stimme.

„Ich möchte jetzt nicht alles aufzählen müssen!“, Murata verschloss den Flakon behutsam unter seiner Jacke.

„Das ist Shinou?“, ungläubig schaute ich nun auf den versteckten Flakon auf Muratas Brust.

Er nickte: „Seine Seele. Stell es dir vor wie bei einem Computerprogramm. Auf das Minimalste komprimiert! Aber wehe, man macht den Flakon auf!“

Er legte ein schelmisches Grinsen auf.

Das wäre nicht ratsam. Du weißt, dass ich dir vertraue? fragte Shinou.

„Habe ich dich jemals enttäuscht?“

Nein. Nie.

Ich hatte das Gefühl, ein persönliches Gespräch zu belauschen und ging ein wenig auf Abstand. Shinou würde uns tatsächlich begleiten. Es war bestimmt nicht einfach für ihn, in einem Flakon herumgetragen zu werden. Ich beschloss daher aus Respekt ihm Gegenüber mich während der Reise niemals über die Enge auf diesem Schiff zu beschweren!
 

Logbuch, 2. Tag:

Die Stimmung an Bord ist gut. Viel Raum ist wirklich nicht. Teile mir meine Doppelbettkabine mit Murata und Shinou sowie Conrad und Wolfram. Wolfram beachtet mich immer noch nicht. Seine Sturheit ist wirklich beachtenswert. Es ist nicht einfach, jemandem so konsequent aus dem Weg zu gehen, wie er es bei mir tut, auf so engem Raum. Ich muss dringend mit ihm sprechen. Alleine. Doch das scheint hier unmöglich! Hatte mir das anders vorgestellt. Mist.

Obwohl kaum Wellengang herrscht steht er meist an der Reling. Sobald ich mich ihm nähere ergreift er die Flucht. Ich habe ihm die Tabletten meiner Mutter gegen Reiseübelkeit daher auf sein Nachtlager gelegt. Ich hoffe, er nimmt sie zu sich.
 

Logbuch, 12. Tag:

Conrad und ich haben beschlossen, an unserem morgendlichem Lauftraining festzuhalten. Heute war der Seegang allerdings etwas rauer, was unseren Lauf erheblich erschwerte. Günter, welcher mit Gwendal in einer Einmannkabine untergebracht ist, drängt mich seit Anbeginn der Reise, die Zeit für meine Studien zu nutzen. Dies erklärte mir auch den Inhalt der ominösen 'von Kleist'-Kiste. Sie war voll mit Büchern und Anschauungsmaterial aus unserer Bibliothek. Ich muss mir etwas einfallen lassen, wie ich dieser Folter aus dem Weg gehe. Wolfram scheint die Tabletten tatsächlich genommen zu haben. Er ist weniger an der Reling zu sehen, sondern schläft seitdem sehr viel. Ich mache mir Gedanken, ob diese Tabletten wohl die gleiche Wirkung auf Dämonen haben wie auch auf Menschen.

Murata ist viel beim Kapitän. Sie berechnen täglich die Route aufs Neue. Anscheinend ist es auch für Shinou nicht ganz einfach, sich an Dinge zu erinnern, die über 4000 Jahre her sind.

Iossac und Adalbert sitzen meist schweigend an Deck oder trainieren gemeinsam oder auch mit Conrad, Gwendal und Wolfram. Natürlich nur, wenn dieser gerade nicht schläft. Daher kann ich sagen, dass die Stimmung an Bord noch normal scheint. Morgen umschiffen wir laut Gwendal dann das östliche Ende von Groß Simaron. Danach erwartet uns eine unbestimmte Zeit lang nur die offene See und das absolut Unbekannte.
 

Logbuch, 23. Tag:

Ich sehe Wellen, Wasser und Wolken. Wolken, Wellen und Wasser. Wasser und Wellen und Wolken und Wasser und Wasser.... argh! Mir ist langweilig!

Aber ich habe eine Lösung für mein Günter-Problem gefunden. Im Lager stehen die ersten Proviantkisten leer. Jedes mal, wenn ich meine Ruhe brauche, verstecke ich mich in einer von ihnen. Murata nennt es kindisch. Ich nenne es 'bei Verstand bleiben'! Natürlich nimmt mir das Günter extrem übel, dass ich mich so sehr vor seinen Lehrstunden drücke. Wenn wir uns abends beim Essen treffen führt er sich auf, als wäre ich wochenlang verschollen gewesen. Wolfram sah heute beim Essen sehr blass aus. Anscheinend gehen die Tabletten zu Neige. Ich habe die letzten Tage verstärkt versucht, mich ihm anzunähern. Bei Gesprächen in der Gruppe, ich treffe ihn ja nur noch in Gruppen an, spreche ich explizit ihn an.

Bisher mit wenig Erfolg. Heute beim Abendessen bat ich ihn mir doch die Schüssel Bohnenmus herüber zu reichen. Das Resultat muss ich noch vor dem Zubettgehen aus meiner Uniform schrubben. Conrad versucht mich in meinem Vorhaben zu bestärken und rät mir, am Ball zu bleiben. Langsam ist es wirklich zum Verzweifeln. Er fehlt mir. Er fehlt mir wirklich! Ich vermisse unsere Gespräche. Ich vermisse selbst seine Neckereien. Das er in meinen Augen extreme Rundungen hat, habe ich schon mit Erfolg gelernt auszublenden, indem ich mich nur auf sein Gesicht konzentriere. Auch wenn mich die Dauer der Reise auf diesem kleinen Schiff wurmt, so halte ich dennoch an meinem Vorhaben fest, diesen Streit mit ihm aus der Welt zu schaffen solange wir an Bord sind!

Himmel! Es muss doch eine Möglichkeit geben, mit ihm zu reden!
 

Heute ist der 24. Tag unserer langen Reise. Es ist Abend. Ich stehe an der Reling und beobachte, wie die Sonne mit ihren letzten Strahlen am Horizont verschwindet. Aus der Kapitänskajüte höre ich Iossac fröhlich auflachen. Es ist irgendwie zum Ritual geworden, dass die Männer sich abends auf ein paar Gläser Schnaps beim Kapitän zusammensetzen und sich dazu alte Geschichten erzählen. Das hebt laut Conrad die Moral. Ich lächle in mich hinein. Ich könnte mich natürlich dazu setzen, aber ich weigerte mich weiterhin, Alkohol zu mir zu nehmen. Ich war immer noch nicht ganz ausgewachsen. Zudem war ich auch der Meinung, dass einer bei Verstand bleiben sollte, obwohl ich wusste, dass gerade Conrad und Iossac sich soweit unter Kontrolle hatten, nicht zu viel ins Glas zu schauen. Adalbert hingegen hatte in den letzten Nächten schon einiges...ähm...sagen wir vertragen. Er war ein richtig unterhaltsamer Mensch, wenn er nicht ganz bei Sinnen war. Ich würde mich daher im Laufe des Abends doch dazugesellen. Alleine, um seine Geschichten aus vergangenen Zeiten zu hören, die so viel unterhaltsamer geschildert wurden als von Günter.

Ich hörte ein plötzliches Würgen und anschließendem Fluchen an der Reling auf dem unteren Teil des Decks.

Würg „Und ...alles...ist...die Schuld...von diesem ...Waschlappen!“ Würg

Ha! Wolfram!

Ich blickte hinunter. Tatsache! Und er war alleine! Und er hatte Waschlappen gesagt!

Ach, wie hatte ich das vermisst! Moment, spinne ich jetzt total?

Leise schlich ich mich die Treppe zum unteren Deck herunter, um...

„Du kannst auch normal heruntergehen, Yuuri. Nicht das du Waschlappen noch über deine eigenen Füße stolperst und uns von Bord gehst!“, murmelte er weiterhin mit dem Rücken zu mir gewandt und immer noch über die Reling gebeugt.

Verdammt! Sein Gehör war wirklich ausgezeichnet. Ich kratzte mich verlegen am Hinterkopf.

„Und nun hör auf dich am Kopf zu kratzen und sag was du seit Tagen sagen willst. Ich bin nicht in der Verfassung dir gerade aus dem Weg zu gehen, also nutze diese einmalige Chance!“

Verdammt! Woher wusste er, dass ich mich kratzte?

„Wolfram,...ähm...wie geht es dir?“

Sein Kopf neigte sich zu mir mit funkelnden Augen: „Na, wie schaut es denn für dich aus wie es mir gerade so geht?“

„Sind die Tabletten schon...“, versuchte ich es weiter.

„Nein, es sind noch welche da. Ich hebe sie mir für die Tage mit schwerem Seegang auf!“, erklärte er und wandte sich wieder ab, „Danke dafür. War es das jetzt?“

„Nein!“, antwortete ich wahrheitsgemäß.

Eine frische Brise wehte über das Deck. Wolfram trug nur seine Uniformhose und sein weißes, weites Hemd locker darüber. Ich konnte ihn mir endlich seit langem wieder vom Ganzen betrachten, da von den von mir gefürchteten und mich noch mehr nervös machenden Rundungen dadurch nichts zu sehen war. Ich zog meine Jacke aus und legte sie ihm behutsam über die Schulter: „Es ist kalt.“

Ein Lächeln umspielte seine Lippen: „Wäre es dann nicht besser du behältst sie an, Waschlappen?“, und er deutete auf das Kleidungsstück.

Ich blickte betreten auf meine Füße: „Wolfram?“

„Hm?“

„Du fehlst mir.“

Wolframs Blick richtete sich gegen den Horizont. Die Sonne war nun ganz verschwunden, die ersten Sterne leuchteten am Firmament und auch der Halbmond spendete ein kühles, klar weißes Licht. Er wusste, dass es mir schwer gefallen war, zuzugeben, dass er mir fehlte. Ohne den Blick vom Himmel abzuwenden flüsterte er leise, doch dennoch sehr verständlich: „Du mir auch, Yuuri!“

Mir fiel ein riesiger Stein vom Herzen. Ich merkte, wie sich meine Körperhaltung entspannte.

„Sag mal, Yuuri... was soll diese Versteckerei in der Proviantkiste?“

Ich zuckte erschrocken zusammen: „Du weißt davon?“

Mit schräg gehaltenem Kopf und frechem Grinsen antwortete er mir in seiner typischen Stimmlage: „Natürlich! Es ist die Aufgabe eines Verlobten alles über seinen Verlobten zu wissen, selbst wenn dieser damit überhaupt nicht rechnet. Ich habe dich die ganze Zeit im Auge behalten! Und dieses Streching mit Conrad...das gefällt mir immer noch nicht!“

Ich musste leise lachen. Ja, dass war mein Wolfram! Auf sein Gesicht legte sich ein dunkler Schatten. Eine Wolke hatte sich vor den Mond geschoben.

„Yuuri“, er zögerte, und obwohl ich ihn aufgrund der schlechten Lichtverhältnisse nur schemenhaft erkennen konnte, sah ich das sein Blick beschämt war, „Wir haben seit dieser Sache noch nicht darüber geredet.“

„Dieser Sache?“, ich kam nicht mehr ganz mit. Wir hatten schon so lange nicht mehr ein normales Gespräch geführt.

„Der... der Kuss!“

„Oh! Die Sache! Hähähä! Ja, also, weißt du, Wolf, das...“

„Sag mir jetzt nicht, dass war nur wegen dem Versuch den Fluch zu brechen!“

„Eigentlich schon!“

„Rede keinen Unsinn, Yuuri! Das war doch mehr!“

„Was soll denn da mehr gewesen sein?“

Oh nein! Es fing schon wieder an! Wieso können wir nicht mal mehr fünf Minuten normal reden ohne uns wieder zu streiten?

„Der Kuss war lang...und intensiv... und schön.“

Sein Blick ging zu Boden. Seine Stimme war entgegen meiner Vorahnung leiser geworden.

„Ja, das war er.“ Argh!!!! Was rede ich denn da????

„Für dich auch?“, Wolframs Augen leuchteten auf. Sie sahen mich direkt an. Mit so großer Freude, aber auch mit Erwartung. Hilfe! Wie komm ich da nur wieder raus?

„Weißt du, Yuuri, ich will dir da schon seit sehr langem etwas sagen. Ich...ich...“

„Sag es nicht!“, unterbrach ich ihn, „Du verstehst da was falsch! Ich habe dich nur so geküsst weil ich mir da eingeredet habe, du wärst wirklich eine Frau! Das war nicht ehrlich! Und um ehrlich zu sein...“

Och nein! Ich Idiot! Ich wollte gerade diesen Satz richtig stellen, da läutete die Schiffsglocke laut und schrill und wir beide erschraken.

„STURMFRONT BACKBORD!“ schrie jemand von der Takelage herunter.

Was? Wo?

Ich beugte mich über die Reling, auch Wolfram neben mir tat es mir gleich. Und tatsächlich! Der Horizont zeigte eine von Blitzen durchzuckte, bedrohliche Schwärze!

Wolfram zog sich meine Jacke aus und warf sie mir entgegen: „Falls du denkst, wir sind hier fertig, dann hast du dich geschnitten!“

Er lief zum Mast, wo seine Jacke lag, und streifte sich diese über. Ich war ihm gefolgt. Ich wusste absolut nicht, wie ich mich in einer solchen Situation verhalten sollte. Und damit meinte ich beide Situationen: die mit Wolfram und die mit dem aufkommendem Sturm.

Eine plötzliche Welle packte das Schiff am Rumpf und ließ es kräftig aufschaukeln. Ich verlor die Balance und kippte nach hinten, konnte mich aber noch so gerade an der Reling fangen. Wolfram wurde auch überrascht und rutschte an mir vorbei. Blitzschnell ließ meine linke Hand die Reling los und erwischte Wolfram. Beinahe hätte es ihn von Deck gefegt. Erleichtert sah er zu mir auf und wir zogen uns gegenseitig in den sicheren Stand zurück.

„Wir müssen auf das Oberdeck, zu den Anderen!“, Wolfram hielt meine Hand weiterhin und zog mich die Stufen der Treppen hoch. Eine erneute Riesenwelle traf das Schiff, doch durch die erste Welle bereits wissend was kommen könnte war unser Griff am Geländer fest und der Stand sicher.

Plötzlich setzte schwerer Regen ein und durchnässte uns bis auf die Knochen. Innerhalb weniger Augenblicke waren wir mitten in diesen Sturm geraten! Alle Soldaten und die Schiffsbesatzung war auf den Beinen und versuchte, die Segel einzuholen.

Oben lief uns schon Conrad entgegen: „Majestät! Ein Glück! Geht mit Wolfram sofort unter Deck! Dort seit ihr sicher! Das Schiff kann nicht sinken!“

Ich wollte ihn in dieser Situation nicht an meinen Namen erinnern: „Nicht sinken? Das hat man von der Titanic auch behauptet!“

Wolfram nickte stattdessen und zog mich an Conrad vorbei Richtung Unterkünfte. Der Wind hatte nun um einiges an Stärke zugenommen und jeder Schritt gegen diesen und in den nassen Kleidern war mühsam. Ein erneutes Aufbäumen des Schiffes zwang uns in die Knie. Nur noch wenige Meter trennten uns von der Treppe zum Unterdeck.

Ein ohrenbetäubender Knall ließ mich zusammenfahren und nach oben blicken.

Ein Blitz war in den Fockmast gefahren und hatte einen Teil der Taue gelöst. Diese hielten die Segel zum Bramsaling, das ist eine Querstange zum Mast, welche nun herunterhingen. Durch die Schwere der Nässe und dem starken Wind gab die Bramsaling nach und krachte nun mit dem ganzen Gewicht auf uns herunter!

„Yuuri!“, hörte ich Wolfram noch schreien und spürte einen festen Schlag gegen meinen Brustkorb, der mich nach hinten katapultierte und mich mit voller Wucht mit dem Rücken gegen die Tür zur Unterdecktreppe schleuderte. Mit benebelten Sinnen blickte ich auf zu Wolfram. Er hatte mich mit aller Kraft weggestoßen und somit vor dem Erschlagen werden gerettet!

Er lächelte mich noch erleichtert und schwer außer Atem an, als das losgerissene Segel, welches nur noch von wenigen Tauen an des herunter gestürzten Bramsaling hing, vom Sturm erfasst wurde und sich aufblähte. Dadurch schoss das schwere Holzstück des ehemaligen Fockmastes über das Schiffsdeck, riss Wolfram im Vorbeiflug die Beine unter dem Körper weg und zog ihn mit sich über Bord!

„WOLFRAAAAAM!“

Mein Schrei war durch den Sturm hörbar und schenkte meinem nachfolgendem Handeln die Aufmerksamkeit aller an Bord.

Ich lief. Ich lief so schnell ich konnte und ohne auch nur über alles Weitere nachzudenken, der Spur der Verwüstung, die der zerbrochene Mast angerichtet hatte, nach bis zur zerfetzten Reling und sprang.

„MAJESTÄÄÄÄÄT!“

„YUURI!“

„MAJESTÄÄÄÄT!“

„SHIBUYA!“
 

Stille.
 

Es stach wie tausend Nadeln. Das Wasser war eisig. Ich konnte nichts sehen. Ich hörte die Schreie oberhalb von Deck.

„Yuuri! Halte durch!“, Conrads Stimme klang überhaupt nicht mehr so ruhig wie sonst.

Eine Welle packte mich und zog mich nach unten.

Wo war Wolfram? Ich wurde durch die unruhige See wieder nach oben gedrückt und nutzte die Chance für einen tiefen Atemzug, ehe mich der Sog wieder unter Wasser zerrte.

Wolfram?

Erneut geriet ich in einen Strudel und dieser entfernte mich spürbar vom Schiff.

Verdammt!

Ich brauche Licht! Ich kann in dieser Dunkelheit nichts sehen! WOLFRAM!

Der Talisman auf meiner Brust glühte auf. Doch ich hatte keine Zeit überrascht zu sein, denn erneut spuckten mich die Wellen kurzfristig aus und gaben mir Gelegenheit zum atmen.

Ich lasse nicht zu, das du wegen mir stirbst!

Dieser verdammte Ozean! Wo war Wolfram! DA! Da war was!

Wieder schoss ich zum Atmen an die Oberfläche und konnte es genauer erkennen. Nur wenige Meter von mir entfernt trieb das zerborstene Maststück mit seinen Segeln und darauf liegend: Wolfram! Langsam rutschte er bewusstlos von seinem provisorischen Rettungsfloß herunter und verschwand in der Schwärze des Meeres.

NEIN! Ich schwamm so schnell dies bei den Wellen möglich war, holte tief Luft und tauchte neben dem Floss hinab. Nur Dunkelheit. Ich musste tiefer tauchen. Das Meer wollte mir Wolfram nehmen! Ich konnte dies nicht zulassen. Ein Sog versuchte mich wieder nach oben zu zerren. Doch mit kaum noch Luft in den Lungen schwamm ich dagegen an.

Meine Hand berührte etwas. Etwas weiches. Wolfram!

Ich packte es einfach. Es fühlte sich an wie der gerüschte Kragen seines Hemdes. Ich war noch nie so glücklich über Wolframs seltsamen Geschmack! Mit allerletzter Kraft und absoluter Luftnot zog ich ihn an die Oberfläche. Dort krallte ich mich an dem Mast fest und versuchte Wolfram auf eben diesen zu drücken. Ohne festen Stand zu haben war so etwas fast ein Ding der Unmöglichkeit!

„Ich lasse dich hier nicht einfach sterben!“, schrie ich, um mir aus diesem Schrei die benötigte Energie für diesen Kraftakt zu holen.

Ich schaffte es tatsächlich, Wolfram einigermaßen sicher auf dieses Floß zu hieven. Ich nahm eines der vielen Seile, die an den Segelfetzen befestigt waren und wickelte es um Wolframs Taille. Das eine Ende des Seils knotete ich am Mast fest, das andere um meine Taille. Egal, wie sehr der Sturm jetzt noch an uns zerren würde, er würde uns nicht mehr trennen! Nun versuchte ich selbst auf das Floß zu kommen. Es dauerte eine Weile, doch schließlich gelang es mir. Ich versuchte nun, das Schiff zu erblicken. Die Wellen waren immer noch sehr hoch, der Sturm ließ jedoch von der Windstärke und vom Regen her deutlich nach. Der Himmel klarte etwas auf und ließ ein wenig Mondlicht zu.

Nichts. Weit und breit nichts. Das Schiff war verschwunden!

„CONRAD!“

„GWENDAL!“

Nichts. Der Sturm hatte es nicht geschafft, Wolfram und mich zu trennen. Aber er hatte es geschafft uns von den anderen zu trennen! In mir stieg Panik auf. Ich beruhigte mich erst, nachdem ich festgestellt hatte, dass Wolfram normal atmete und auch sonst keine schwerwiegenden Verletzungen hatte. Er war nur bewusstlos. Ich traute mich auch gar nicht, ihn näher zu untersuchen. Denn meine gestörte Optik hatte der Sturm auch da gelassen.

Ich merkte, wie mir trotz mehrfacher Ermahnung die Sinne schwanden. Ich war einfach zu erschöpft, um noch länger wach zu bleiben. Mein Kopf wurde immer schwerer und schlussendlich sackte ich über Wolfram gebeugt zusammen und schlief ein.

Kapitel 8

KAPITEL 8
 


 

„Majestääät!“, Günters Schluchzen fand seit Stunden kein Ende. Krampfhaft umschloss er mit hervorstechenden Knöcheln die Reling neben dem herausgebrochenem Stück, wo wenige Stunden zuvor der Sinn seines Lebens freiwillig über Bord gesprungen war.

„Euer Heldenmut im Angesicht des Sturms zur Rettung eures Liebsten wird in allen Geschichtsbüchern niedergeschrieben werden!“, er wischte sich mit seinem Ärmel über das Gesicht. Die Taschentücher waren ihm schon ausgegangen, „Doch wie konntet ihr es nur wagen, ohne mich zu springen? Ich wäre euch sofort gefolgt!“

Die Mannschaft um ihn herum schenkte ihm kaum mehr Beachtung. Lord Günter von Kleists grenzenlose Liebe zu seiner Majestät war allgemein hin bekannt. Es gab für die einzelnen Soldaten gerade an Bord nichts Wichtigeres, als den Roten Seestern wieder flott zu bekommen. Die Schäden waren beträchtlich.
 

„Meine Güte, er hat es wieder getan!“, Lord Gwendal von Voltaire beugte sich mit mehr als nur einer Falte auf seiner Stirn über die Seekarte in der Kapitänskajüte. Diese konnte ihn aber nicht wirklich weiterhelfen. Sie waren in unbekannten Gewässern. Mit einem beschädigtem Schiff. Mit einem vermissten König sowie dessen Verlobten, der zudem noch sein jüngster Bruder war. Mit einem hysterisch aufgelöstem königlichen Berater, der an der Reling hing und einem zweiten Bruder, den er von Iossac und Adalbert gewaltsam hatte unter Arrest nehmen müssen, weil er seiner Majestät auch noch hinter her gesprungen wäre. Die Situation, in der sie sich gerade befanden, war daher äußerst angespannt.

Seine Eminenz schien neben ihm der Einzige bei klarem Verstand zu sein, trotz der Sorgen, die auch er sich um die Beiden machte. Doch das ruhige Verhalten Muratas verwunderte jedoch selbst Gwendal. War dieser Murata nicht ein enger Freund von Yuuri? Sorgte er sich nicht? Doch die Wiedergeburt des Großen Weisen lehnte mit dem Rücken zur Wand und schien in Gedanken versunken. Schließlich löste er sich und schritt auf die Karte zu: „In diese Richtung!“, zeigte auf einen Punkt und betrachtete Gwendal bestimmend.

„Befindet sich dort seine Majestät Yuuri?“, Gwendal hob eine Braue.

„Nein!“, war Muratas Antwort, „Also um ehrlich zu sein, kann es sein, das er dort ist. Ich bin nicht hellsichtig. Ich kann nur sagen, dass Yuuri sowie auch ihr Bruder am Leben sind. Shinou spürt deutlich die Präsenz des Maous. Nur den ganzen Ozean nach ihnen absuchen würde uns nicht helfen! Wir sollten unsere Reise gezielt fortsetzen. Shibuya wird dies auch tun sobald er wieder Boden unter den Füssen hat. Das ist das was Shinou dazu sagt.“

Seine Eminenz beendete seinen Satz und wandte sich dann zum Gehen: „Wir sollten Herrn Weller nicht so lange im Arrest schmoren lassen. Er ist sich seiner Unüberlegtheit seines geplanten Handels inzwischen mehr als bewusst.“

„Das sehe ich auch so. Er hat aus Affekt dem jungen Herrn hinterher springen wollen“, Iossac legte seine Beine auf einem nebenstehenden Tisch hoch und lehnte sich zurück,

„Zudem können wir jede Hand bei den Reparaturen gebrauchen! Der Fockmast ist hinüber. Aber die anderen Segel können alle wieder in Stand gesetzt werden. Dann schaffen wir es für die anderen Reparaturen noch in einen Hafen!“

„In welchen Hafen denn? Es ist fast zwei Wochen her, dass wir Land gesehen haben. Nun ist unser Schiff beschädigt und wir werden mehr als das Doppelte zurück brauchen!“, wandte Adalbert ein.

„Wir sollten wie von Shinou geplant weiterreisen. Nur so haben wir auch eine Möglichkeit, Yuuri zu finden!“ Diese Stimme ließ alle Beteiligten zur Tür herumfahren. Conrad blickte in viele verwunderte Gesichter.

Iossac sprang lachend auf: „Hauptmann, ich hätte wissen müssen, dass euch meine Fesseln nicht aufhalten!“, dann klopfte er seinem jahrelangen Freund anerkennend auf die Schulter. Doch in Conrads Gesicht regte sich nichts. Weder Freude, noch Trauer. Optimismus noch Glaube. In seinen Augen spiegelte sich nur der eiserne Willen. Der Willen, seine Majestät Yuuri so schnell wie möglich wiederzufinden und ihn zurück nach Shin Makoku zu schaffen. Und er würde alles dafür geben.
 

Ich weiß nicht, wie lange wir da so umhertrieben. Die Sonne stand hoch am Himmel und brannte auf meinen Kopf, als ich zum ersten Mal zu mir kam. Meine Kleidung war starr vom getrockneten Salz des Meerwassers. Ich konnte nur verschwommen sehen, doch spürte ich unterhalb meines Gesichts, dass Wolframs Atem weiterhin regelmäßig ging. Ich strich halb blind mit meiner Hand über sein Gesicht, ehe mich der Schlaf wieder übermannte.

Ich träumte sehr viel zusammenhanglosen Schwachsinn. Ich wünschte mir sehnlichst einen Delfin herbei, der uns wie Flipper rettete. Und dabei kann ich Delfine gar nicht leiden! Dann fiel mir ein, dass Haie hier Pflanzenfresser waren. Hieß das, dass Delfine dann hier die Raubfische waren? Schnell und verzweifelt wünschte ich mir den Delfin wieder weg. Doch der Delfin dachte gar nicht daran. Plötzlich sah ich mich gefesselt an einem Marterpfahl und viele kleine Delphine hüpften um mich herum. Was für ein Geräusch machen eigentlich Delfine? Diese grunzten wie Schweine. Aber wenn Delfine grunzten, was machten dann hier die Schweine? Standen Schweine eigentlich auch auf der Liste der 666 bedrohten Arten von Shin Makoku? Wenn ja, dann würde ich dadurch auch auf der Liste stehen. Ich war schon ein echtes Schwein Wolfram gegenüber. Auch wenn er es nie offen gesagt oder zugegeben hatte, so wusste ich doch um seine Gefühle für mich. Und ich hatte nichts besseres zu tun als ihm ständig eins rein zu drücken! Von solchen Jungs wie mir riet man Mädchen in meiner Welt immer ab. Nun trugen die Delfine allesamt Brautkleider. Was ist das nur für ein Unsinn in meinem Kopf? Grillt mir die Sonne vielleicht gerade mein Hirn weg? Und dann dieses nervtötende unregelmäßige Rauschen die ganze Zeit. Wie von einem Radio mit verstelltem Sender! Könnte das mal bitte jemand ausmachen?
 

Ich öffnete blinzelnd meine Augen. Ich starrte genau in die Sonne. Das brannte! Doch plötzlich legte sich ein Schatten über mein Gesicht. Ich konnte absolut nichts erkennen. Nur ganz verschwommen einen menschlichen Umriss. Ein Mensch?

„Wolfram!“, stöhnte ich heiser auf. Das viele Salzwasser, was ich geschluckt hatte, hatte meinen Hals rau gemacht.

„Nein, Erika!“, flüsterte der Umriss.

„Hä?“

„Ihr seit Dämonen, nicht wahr? Ihr braucht nicht zu versuchen, es abzustreiten. Bei den Menschen gibt es niemanden mit schwarzem Haar und....“, ich merkte wie der Schatten näher an mein Gesicht heran kam, „Oh, tatsächlich! Und schwarzen Augen!“

„Ach wirklich?“, knurrte ich. Ich hatte nicht vor, diesem weiblichen Schatten jetzt bis ins Detail meine genaue Herkunft zu erklären.

Doch dieser plapperte einfach munter weiter: „Wisst ihr, wenn ihr Menschen wärt, dann hätte ich euch töten müssen.“

Oh, da haben wir aber mal ausnahmsweise Glück gehabt, dachte ich schon mehr ironisch.

„Nun“, der Schatten entfernte sich wieder von mir, „Wer seid ihr und von woher kommt ihr?“

„Stellt man sich üblicherweise nicht erst einmal selber vor?“, ich rappelte mich auf und hielt mir den Arm über die Augen. Ich mochte es nicht, jemanden nicht zu sehen, mit dem man die ganze Zeit sprach.

Sie lachte hell auf: „Ist recht! Ich bin Lady Erika von Hundshaupten! Ihr seit hier an meinen Privatstrand gespült worden!“

„Privatstrand?“

„Ja. Meine Familie lebt hier seit Anbeginn der Zeit. Zu unseren Aufgaben gehört es, den Strand sauber zu halten!“

„Habt ihr etwa auch Probleme mit Umweltverschmutzern?“

„Was soll das sein? Ähm, nein. Ich meine Piraten und so. Eindringlinge von außen. Eindringlinge, die in unser göttliches Reich eindringen möchten!“

„Welches Reich denn überhaupt?“, langsam hatte ich mich an das Licht gewöhnt und sah mich um. Wir waren tatsächlich an einen Strand gespült worden. Und dieser Strand sah aus wie die Karibikbilder im Reisekatalog. Schneeweißer Sand, meterhohe Palmen, kristallklares, azurblaues Wasser. Ich hob meinen Blick um endlich einmal meinen Gesprächspartner genauer anzusehen und stockte...

Sie hätte mir nicht antworten müssen. Ich ahnte bereits, wo wir waren.

Erika von Hundshaupten hatte ihre langen schwarzen Haare zu zwei seitlichen Zöpfen geflochten und trug ziemlich freizügig das, was man gewöhnlich im Urlaub so trägt. Einen knappen schwarzen Bikini. Dazu leger ein graues Tuch um die Hüften geknotet. Sie hatte, wie das Meer, dessen Wellen sanft an ihrem Strand brachen, azurblaue Augen und sie war... perfekt! Sie war ein Dämon! Und da ich in Shin Makoku weder Karibikstrand noch einer Familie von Hundshaupten die Aufgabe erteilt hatte, angespülte Menschen abzuschlachten, blieb mir nur eine Schlussfolgerung:

„Ihr seit in Dark Makoku, dem Reich der Schöpfer!“

Ich muss wohl ziemlich überrascht ausgesehen haben, denn sie lachte erneut: „Und wer seid ihr nun?“

„Also, mein Name ist Yuuri Shibuya und das...“, ich wurde von einem Stöhnen neben mir unterbrochen und fuhr herum. Wolfram hatte mit dem Gesicht nach unten neben mir gelegen und versuchte sich nun aufzurichten. Ich merkte, wie sich ein freudiges Strahlen auf mein Gesicht legte. Wolfram ging es gut!

„Yuuri...? Was...?“, er hielt sich den Kopf, während er diesen zu mir drehte.

„Nana!“, rief plötzlich diese Erika aus und sprang von uns weg.

Diesen Schrei kurz nach dem Aufstehen ließ auch Wolf schreckhaft zusammenfahren:

„Was denn?“

Erika fiel plötzlich auf die Knie, senkte ihr Haupt tief herunter, so dass sie bald mit der Nasenspitze den Sand ihres Strandes berührte und sprach nun sehr laut und förmlich:

„Oh, heiliger Nana! Ich habe euch nicht beizeiten erkannt. Ich, eure euch ergebene treue Hausherrin der Familie Hundshaupten, bitte untertänigst um Vergebung und hoffe, ihr könnt mir und meiner Familie dieses Missgeschick jemals vergeben!“

Wolfram, immer noch nicht ganz klar bei Sinnen, schaffte es von ihr zu mir zu blicken und ein „Was?“ heraus zu hüsteln. Anscheinend hatte er auch diesen Salzgeschmack im Mund, der im Rachen kratzte.

„Nana, darf ich meinen Blick erheben?“

„Sag mal, Yuuri, meint die mich?“

Ich zuckte mit den Schultern: „Anscheinend schon. Ich bin hier nur herkömmlich!“, und wies dabei auf meine schwarzen Haare.

Erst in diesem Moment fiel Wolfram auf, dass er es hier mit einer schwarzen „Einfaltigkeit“ zu tun hatte. Dadurch war seine Irritation noch größer.

„Wo sind wir?“

„Dark Makoku!“

„Wirklich?“

„Ja!“

„Und wie kommen wir hier her?“

„Du bist über Bord gegangen!“

Er hatte es nun geschafft, sich aufrecht neben mich zu setzen. Mehrfach strich er sich durch das sandverklebte Haar: „Hm. Das erklärt, warum ich hier bin. Aber nicht warum du hier bist!“

„Ich bin dir hinter her gesprungen!“

„Du bist...WAS?“, Wolfram stockte der Atem, „Wozu rette ich dich Waschlappen überhaupt, wenn dir dein Leben anscheinend eh nichts wert ist?“ Sein Blick wurde zornig.

Na, weil mein Leben ohne dich auch nichts wert wäre!, lag mir auf der Zunge, doch ich wich dieser Frage aus: „Ist das jetzt noch wichtig? Wir sind hier und haben die Anderen verloren. Was nun?“

Wolfram erhob sich, verzog aber dabei sein Gesicht und hielt sich am rechten Oberschenkel fest. Stimmt. Dort hatte ihn der Mast erwischt, als er Wolfram von Bord fegte. Es wunderte mich, dass nichts gebrochen war.

„Ähm?“, diese Erika hatte immer noch ihr Gesicht zum Sandboden gewandt und schielte fragend auf.

„Oh, also wenn ihr mich meint, dann erhebt euch bitte!“, bei Wolf hörte sich dies so beiläufig an. Manchmal schien das verwöhnte Bürschchen doch noch durch, obwohl er sich in den letzten Jahren gemacht hatte.

Erika stand nun wirklich auf, jedoch weiterhin mit gesenktem Blick: „Es ist mir eine Ehre, sie im Territorium der Familie Hundshaupten willkommen zu heißen, ehrwürdiger Nana!“

„Was meint ihr eigentlich immer mit diesem Nana?“, ich erhob mich nun ebenfalls. Auch mir schmerzten die Glieder und es entwich mir ein leichtes Stöhnen. Wolfram sah mich sofort besorgt an, daher zwang ich mich zu einem Lächeln: „Es ist alles in Ordnung. Ich bin lange nicht mehr so viel geschwommen. Das war nur ungewohnt!“

Er hob eine Augenbraue, entgegnete aber nichts. Ich hatte fest mit einem 'Waschlappen' gerechnet.

„Nana ist seine Heiligkeit, siebter Sohn von Gaaru und Nanimo, den Schöpfergöttern!“, erklärte sie und wies nun auf Wolfram, „und ihre Begleitung!“

„Was?“, ich starrte Wolfram an. Auch er war nicht minder überrascht.

„Ich bin sicherlich keine Heiligkeit! Mein Name ist Lord Wolfram von Bielefeld und...“

Erika zuckte bei seinem Namen zusammen und unterbrach ihn, wobei sie auch erschrocken wirkte darüber, dass sie es wohl gewagt hatte, ihn zu unterbrechen: „Von Bielefeld? Aber warum nehmen eure Heiligkeit ausgerechnet den Namen einer herkömmlichen Mätresse als Pseudonym auf Reisen?“

Tiefer konnten Kinnladen nicht fallen.

Ganz langsam wandte sich mein Blick an Wolfram. Ich konnte ein breites Grinsen kaum unterdrücken: „So, so. Du hast also eine Mätresse! Ist ja interessant!“

Wolfram lief schlagartig dunkelrot an: „Hab...hab ich nicht! Yuuri! Wie kannst du so etwas nur denken? Du weißt, dass du der Einzige für mich bist!“

„Ach ja? Was war denn damals mit dieser Prinzessin Elisabeth, deiner Verlobten?“, eigentlich wollte ich ihn nur aufziehen. Schließlich war er es immer, der jeden meiner Schritte mit Argusaugen beobachtete und eifersüchtig kommentierte. Diese neue Rollenverteilung fand ich daher recht amüsant. Seine Röte blieb erhalten, beschämt drehte er den Kopf weg: „Kommst du jetzt auch noch mit den alten Geschichten?“

„Oh, Nana, ich verstehe!“, rief diese Erika plötzlich strahlend auf, „Dies ist ihr neuer Partner!“

„WAS?“ (Ich)

„Richtig! Mein Verlobter!“, hörte ich da Stolz in seiner Stimme? Konnte man wirklich stolz darauf sein, mit mir, einem Waschlappen und einwandfrei lizenziertem Schwein made by Yuuri, verlobt zu sein? Wolfram erkannte mein verwundertes Gesicht und nun war er es, der lächelte. So schnell konnte sich das Blatt wenden.

„Aber ich bin wirklich nicht Nana!“, hörte ich Wolfram nun erläuternd.

Erika schüttelte vehement den Kopf: „Ihr seit bestimmt Opfer eines schlimmen Schiffsunglücks und eure Sinne sind umnachtet, eure Heiligkeit! Daher bitte ich euch: Seit Gast in meinem Hause und erholt euch, bis es euch besser geht. Ich stelle euch dann auch gerne alles für euer Fortkommen nach Kumo zur Verfügung!“

„Kumo?“, fragte ich.

„Die Hauptstadt, in dem sich der Wolkenpalast seiner Heiligkeit befindet!“, Erika drehte sich auf dem Absatz herum, „Und nun folgt mir in unseren bescheidenen Familiensitz!“
 

Eins hatte ich bereits gelernt in den letzten drei Jahren. Dämonen hatten einen sehr seltsamen Geschmack. Und Dämonen untertreiben gerne. Egal in welchem der nun beiden Länder! Denn ich sah nicht gut aus und bescheiden ist was anderes.

Dieser bescheidene Familiensitz konnte alleine im Innenhof mein ganzes Schloss des Blutigen Eides unterbringen! Es war ein Palast der Superlative. Überall huschte eifrig sehr viel Personal herum. Diese Familie von Hundshaupten musste sehr angesehen sein in Dark Makoku.

Lange führte man uns durch zahllose Gänge. Wenn wir unterwegs ein Dienstmädchen oder einen Wachposten trafen zuckten diese oftmals ehrfürchtig zusammen bei Wolframs Anblick. Vielleicht war diese Verwechslung gar nicht so schlecht. Dadurch könnte unser Fortkommen und die Suche nach den Anderen schneller vorangehen.

Wir betraten nun einen großen, hellen Raum von der Größe eines Baseballfeldes. In diesem Raum stand nichts. Nur die Wände waren voll von großen und sehr großen Gemälden.

Erika trat an eines heran: „Das ist seine göttliche Heiligkeit Gaaru!“

Ich trat heran. Ein sehr gut aussehender Mann mit leicht welligem hellgrauem Haar und tiefblauen Augen. Wolfram und Erika schritten bereits zum nächsten Bild: „Und das ist seine göttliche Heiligkeit Nanimo!“

Noch ein sehr gut aussehender Mann mit längerem, blondem Haar und tiefschwarzen Augen.

„Ich zeige euch eure Familienportraits, verehrter Nana, in der Hoffnung, sie mögen euch bei der Genesung von dieser Umnachtung helfen“, erläuterte Erika ihren Rundgang und blieb vor dem nächsten Bild stehen, auf dem ein Mann mit langen aschblondem Haar und violetten Augen abgebildet war, „Dies ist Hitotsu, euer ältester Bruder und Erstgeborener von Gaaru und Nanimo!“

„Hä?“, ich schluckte, „Aber das sind doch beides Männer! Wie soll das denn gehen?“

Erika und Wolfram sahen mich beide sehr irritiert an.

„Ihr Verlobter scheint mir auch dieses Unglück nicht ganz unbeschadet überstanden zu haben“, hörte ich Erika in Wolframs Richtung flüstern. Dieser jedoch nickte nur: „Keine Sorge. Dem geht’s gut. Der ist immer so begriffsstutzig!“ Sie schritten weiter durch diese Galerie und ich blieb verwundert zurück. Es gab wirklich noch sehr, sehr, sehr viele Dinge, die ich ganz dringend lernen sollte! Vielleicht waren Günters Lehrstunden doch nicht so schlecht! Aber wer, bitte schön, rechnet damit, dass männliche Dämonen auch Kinder kriegen konnten? Wolfram hatte mir gegenüber so was nie erwähnt! Nur, dass er nach der Hochzeit viele Kinder haben wolle weil er gerne eine große Familie hätte. Ich hatte gedacht, er meinte Adoption oder so. Wie soll das überhaupt gehen? Wo kommen die Kinder dann überhaupt raus? Mir wurde übel bei dem Gedanken. Nein, ich wollte das gar nicht denken!

Moment! Heißt das, Wolfram und ich müssen verhüten?

Argh! Nochmal Moment! WAS DENK ICH DA????

Ich schüttelte diese Gedanken ab und bemerkte schon einen gewissen Abstand zu Erika und Wolfram. Ich lief schnell hinterher, an einem Bild mit einem rothaarigen Schönling darauf und dem Untertitel 'Futatsu' und an einem Gemälde mit dem Untertitel 'Mittsu', auf dem ein eisgrauer Schönling mit grünen Augen kühl lächelte. Am darauffolgenden Bild hatte ich sie wieder eingeholt.

„Dies ist eure Schwester, die bezaubernde Yonno! Sie besucht uns häufig um sich von den Strapazen der Regentschaft zu erholen!“

HA! Genau! Ich werde Günter auch sagen, dass ich mich häufiger von Strapazen erholen muss! Bevorzugt an solch einem Ort wie diesen hier! Diese Schwester sah fast genauso aus wie Lady Cecilie von Spitzweg! Hilfe!

„Hier sind die ehrwürdigen Zwillingsbrüder Itsutsu und Muttsuno!“

Meine Komplexe wurden größer. Nur schöne Menschen...ähm...Dämonen in dieser Familie. Der eine Bruder hatte schwarzes Haar und braune Augen, der andere Bruder braune Haare und schwarze Augen.

„Und hier drüben hängt das Gemälde eurer lieblichen jüngeren Schwester Hachino!“

ARGH! Da wurde meine Einbildung tatsächlich auf Leinwand gebannt! Das war Wolfram! Eindeutig. Nur wesentlich längere Haare! Aber da stimmte alles! Selbst diese Wahnsinnsaugen!

„Und hier seit ihr!“, fuhr Erika fort und wir wandten uns alle um zu dem Bild an der gegenüberliegenden Wand. Und ich merkte, wie der Boden schwankte. Wolfram schien es ähnlich zu gehen. Das war doch nicht wahr!

Erika schien unsere kalkweißen Gesichter nicht zu bemerken und schritt auf dieses riesige Gemälde zu: „Eure großartige Heiligkeit, Nanatsu. Vom Volke auch Nana genannt!“

„Dieser Mistkerl!“, entfuhr es Wolf zischend.

„Na, so schlimm ist es doch auch nicht!“ beschwichtigte ich und blickte von ihm nochmals auf das Bild. Kein Zweifel. Er war es. Und er hatte nie irgendetwas erwähnt: Shinou.

Aber fiel Erika wirklich nicht der kleine Unterschied auf?

Okay, damals bei meiner Ankunft, war mir auch diese verblüffende Ähnlichkeit zwischen Wolfram und Shinou aufgefallen, aber Wolfs Augen hatten dieses berauschende Smaragdgrün, Shinous Augen waren von ausgeprägtem Saphirblau.

„Als ihr vor 5000 Jahren mit euren Vätern und den zwei älteren Brüdern verschwunden seit war dies ein schwerer Schlag für unser Volk!“, Erikas Blick richtete sich traurig zu Boden.

„Verschwunden?“, Wolfram spitzte die Ohren.

„Ja, der Erzählung meines Großvaters nach seid ihr nach einem Streit mit einigen von sehr niedrigem Adel außer Landes gegangen. Euren Vätern, Hitotsu und Futatsu hingegen zerbrach dies das Herz und sie folgten euch, um euch zu suchen und zurück zu bringen. Seitdem seit ihr alle verschollen. Eure Geschwister werden hoch erfreut sein, dass ihr gesund wiedergekehrt seit. Das lässt auch auf die Rückkehr der anderen Hochwohlgeborenen hoffen!“, Erika seufzte erleichtert auf.

Es war wirklich interessant. Das wir so schnell nach unserer Ankunft einen Teil aus Shinous rätselhafter Vergangenheit erfuhren, hätten wir niemals für möglich gehalten. Günter würde hyperventilieren wenn er das hier wüsste und sehen könnte!

Ob Murata das wusste? Das sein Shinou ein 5000 Jahre alter Gott aus einer anderen Welt war? Es war schwierig das für mich zu sagen. Murata war in seiner Rolle als Eminenz und Großer Weiser oft sehr undurchsichtig für mich. Shinou und Murata. Die Beiden passten daher wirklich gut zueinander!

„Moment!“, ich drehte mich zu Erika um, „Wie nannten sie Shinous...ähm...ich meine, Nanas Väter?“

„Ihr meint die Schöpfergötter Gaaru und Nanimo?“

Erika schien verwundert, dass ich das nicht wusste, doch nach der Antwort richtete ich mich an Wolfram: „Ich glaube, wir haben den gleichen Gedanken! Unsere Geschichte scheint da auf ein paar Lügen oder Halbwahrheiten aufzubauen. Wenn wir Shinou wiedersehen, erinnere mich daran, ihn ein paar Fragen zu stellen!“

Wolfram schien jedoch gedanklich anderweitig festzuhängen. Vermutlich, weil er soeben erfahren hatte, dass seine Familie aus niederem Adel aus Dark Makoku entsprang.

So wie ich mir das Gesagte zusammenreimte, hatte sich vor 5000 Jahren Folgendes zusammengetragen: Shinou hatte aus irgendeinem Grund Ärger mit seinen Eltern, hier zwei Väter, und riss von Zuhause aus. Kam in den besten Familien vor. Nur überschritt er dabei die Landesgrenze. Da das so nicht geht sind die Väter und seine zwei ältesten Brüder hinterher. Shinou hat zudem noch seine besten Freunde mitgenommen. Also praktisch seine Gang. Sie zogen durch die Lande und gründeten mal eben Shin Makoku. Aber seine nachgereisten Familienangehörigen fanden das wohl nicht so prickelnd und das löste den Krieg gegen die Schöpfergötter oder auch Begründer genannt aus. Dieser wird ja auch in der Hyme meines Königreiches erwähnt. Auch Wolfram erwähnt den Sieg über die Schöpfergötter in seiner Feuerbeschwörung. Ergo: Shinou war ein Eltern- und Brudermörder. Was mich störte: Ich hatte Shinou unwissentlich geholfen. Murata hatte mir damals auf meine Frage hin, wer der Begründer, der aus den Schöpfergöttern bestünde, denn überhaupt sei, nur fadenscheinig geantwortet, dass man das nicht so genau wüsste! Shinou wusste es auf jeden Fall sehr genau! Ob Murata beziehungsweise seine Seele näheres darüber wusste und er mich nur, wie er so schön zu sagen pflegte: zum Schutz, nicht genau darüber informierte, war mir nicht bekannt. Würde es aber ganz sicherlich beim nächsten Aufeinandertreffen werden!

„Ich werde euch durch meine Dienstmädchen in für euch geeignete Gemächer führen lassen. Ihr möchtet euch bestimmt erst einmal frisch machen und euch ausruhen. Ich werde in der Zwischenzeit ein Essen herrichten lassen. Ich bitte euch schon jetzt, diese Mahlzeit zu entschuldigen. Wir haben hier nicht mit solch ehrwürdigem und hohem Besuch gerechnet!“,

sie wies eine Wache, welche an der Tür positioniert war, an, eine Magd hereinzurufen, welche dann auch sogleich mit gesenktem Haupt erschien.

„Wenn eure Heiligkeiten mir bitte folgen würden!“, fiepste sie schon fast nicht hörbar und wir nickten zustimmend. Ich brauchte dringend ein Bad, ein Bett und frische Kleidung!
 

Das riesige Zimmer war geschmackvoll eingerichtet. Es ähnelte in der Aufteilung meinem Zimmer auf dem Schloss des Blutigen Eides. Das Dienstmädchen verwies auf frische Kleidung auf einem Stuhl und verließ nach einem tiefen Hofknicks das Zimmer.

Auch hier führte eine Tür an ein angrenzendes Badezimmer. Ich warf einen kurzen Blick hinein. Dieses war bei weitem nicht so groß wie meines, aber es war alles da, was man brauchte. Ich ließ Wasser in die Wanne einlaufen und betrachtete die verschiedenen Flakons und Flaschen mit Badezusätzen. Ich entschied mich für das Fläschchen mit grünem Inhalt, roch kurz daran und gab etwas davon ins Wasser.

„Wolfram? Magst du oder darf ich zuerst?“, rief ich während des Herausgehens und blieb bei dem mir gebotenen Anblick stehen, „Bist du verrückt?“

Mein Kopf leuchtete rot auf wie eine Ampel und mir rauschten die Sinne.

Wolfram hatte sich in der Zwischenzeit seiner Hose entledigt und zog sich sein verschmutztes Hemd über den Kopf. Er stand nur noch im Shin Makoku Feinripp da! Also nackt. Und mein ignorieren der gefährlichen Zonen funktionierte nicht wenn er...oder sie...ach verdammt! Wolfram hat nicht nackt zu sein in meiner Gegenwart!

Er sah mit Unschuldsblick zu mir herüber. Hatte er es vergessen? Mir wurde schwindelig, was an der mangelnden Blutzufuhr gelegen haben könnte. Mein Blut sammelte sich bei seinem Anblick an zwei Körperstellen. Er sah schon als Mann unverschämt gut aus. Und da konnte ich in den letzten drei Jahren froh sein, dass er das selbst von sich nicht wusste, denn sonst hätte er ganz leicht mit seinen Reizen spielen können und ich wäre bestimmt einmal schwach geworden...Moment mal...was denk ich denn jetzt schon wieder? Ich drehte hastig den Kopf zur Seite und suchte ein Taschentuch, da ich das Nasenbluten auf Dauer mit der Hand nicht würde stoppen können. Da lag eines. Dummerweise auf dem kleinen Schreibtisch direkt hinter ihm. Ich versuchte im großen Bogen, soweit dies in diesem mir plötzlich sehr klein vorkommendem Zimmer möglich war, um ihn herum zum Schreibtisch zu kommen.

„Was ist? Gefallen dir Frauen nun auch nicht mehr?“, säuselte er plötzlich lieblich und lächelte mich verstohlen an.

„Doch...ich meine...nein....ja, schon...aber nein....verdammt Wolfram! Zieh dir was über!“,

ich erreichte das Taschentuch und griff danach.

Doch er hatte es geahnt und ergriff meine Hand. Langsam führte er sie zu seinem Mund und küsste jeden einzelnen Finger zwischen seiner Worte: „Du hast doch gesagt, dass du mich küssen konntest, weil ich eine Frau war. Und das dir das auch gefallen hat. Willst du es dann jetzt nicht noch einmal versuchen?“ Seine Augen hielten den Blickkontakt währenddessen die ganze Zeit aufrecht. Ich konnte mich nicht mehr bewegen. Ich konnte nicht mehr atmen. Es war nicht der Körper, der mich gerade so faszinierte, es waren diese Augen!

Langsam versuchte ich meine Hand aus seinem Griff zu befreien, aber ich merkte selber, dass ich dies nicht mit der Intensität tat, die für eine wirkliche Befreiung nötig gewesen wäre. Er hingegen zog mich an meinem Arm näher zu sich heran. Ich sah ihm nicht auf den Körper, nur in seine Augen. Er zog sich schließlich an meiner Hand hoch auf die Zehenspitzen und sein Gesicht zog an meinem vorbei, bis seine Lippen mein Ohrläppchen berührten: „Woran denkst du?“, flüsterte er leise sinnlich in mein Ohr.

„An dich!“ Tat ich ja auch! Wer würde bei dem Anblick an etwas anderes denken können?

Er zog sein Gesicht langsam wieder zurück und seine Lippen blieben kurz vor meinen. Er lächelte: „Willst du mich küssen?“

„Ja!“ Klar, die Luft knisterte. Wer würde jetzt noch widerstehen können? Mein Herz raste und ich spürte seinen Atem auf meinem Gesicht. Oh ja, ich wollte ihn unbedingt küssen!

Ich beugte mich langsam zu ihn herunter und meine Lippen näherten sich seinen Lippen an.

„Gut!“, sagte er plötzlich in einem anderen Tonfall, ließ meine Hand los und drehte sich um, „Dann gehe einmal in dich und überlege dir gut, was du zu tun hast, damit ich dich wieder küsse während ich bade!“ Und er verschloss die Badezimmertür hinter sich.

„Was?“, ich stand immer noch in meiner vorgebeugten Haltung wie der letzte Idiot da. Er hatte es tatsächlich geschafft! Er hatte mich heiß gemacht und dann fallen lassen! Und es war noch nicht mal sein Körper der ausschlaggebende Punkt gewesen, der mich scharf gemacht hatte, sondern er selbst. Wolfram. Ich war ihm voll auf den Leim gegangen! Und er wusste es nun. Er wusste, dass ich ihn nicht nur als Frau küssen würde. Klar, hatte mich meine Einbildung über seinen Frauenkörper erst in diese Stimmung gebracht, aber nun war es raus!

Verdammt! Ich wollte doch nicht schwul sein! Ich muss mich setzen!
 

Erika von Hundshaupten war eine sehr stolze Dämonin. Sie war dem Königshaus von Dark Makoku und dessen Göttern loyal verbunden. Sie war stets mit allen Gesetzen und Reformen, Neuerungen und Befehlen einverstanden. Nichts konnte ihren Glauben an das System, unter welchem sie geboren und aufgewachsen war, ihrer Ansicht nach erschüttern.

Sie stand noch eine Weile vor dem Gemälde in ihrer Galerie und betrachtete das Bild des siebten Sohnes der Schöpfergötter. Ein teuflisches Grinsen umrahmte ihre von Natur aus brombeerfarbenden Lippen während sie leise zum Bild flüsterte : „Glaubten sie wirklich ich halte diesen kleinen Dämon für euch? Genoviene?“

Aus dem Dunkel des Raumes trat ein Mann hervor. Sein langes, dunkelgrünes Haar war streng nach hinten zu einem Zopf gebunden. Seine grünen Augen stachen deutlich aus dem blassen, kantigen Gesicht hervor. Er trug eine einheitliche graue Uniform, ohne jegliche Abzeichen oder Andeutungen auf einen erlangten Rang: „Ja, Mylady?“

„Sende eine Botschaft an ihre Göttlichkeit Yonno. Benachrichtige sie umgehend davon, dass wir Besuch haben. Ein unbedeutendes Mischblut und einen der Nachfahren dieses widerlichen Verräters!“

Kapitel 9

KAPITEL 9
 

Ein leises Seufzen schallte durch den Raum. Das war knapp gewesen, dass wusste er. Aber er musste etwas tun. Ihre Situation war verfahren. Und dieser dämliche Fluch, der auf seinem Waschlappen lastete, machte es nicht einfacher. Er tauchte unter. Das Wasser war herrlich warm und den Badezusatz, den Yuuri gewählt hatte, roch herrlich nach Lilien. Seltsam. Ob Yuuri wusste, dass Lilien in Shin Makoku den Namen Yuri hatten, benannt nach dem siebten Monat im Kalender? Er fuhr sich mit beiden Händen durch das blonde Haar. Dieser verdammte Sand klebte überall! Er tauchte wieder auf und entschied sich für einen roten Flakon am Beckenrand. Vielleicht würde er mit mehr Shampoo Erfolg haben.

Es roch nach Kirschblüten. Also mit erlesenen Düften ihrer Badezusätze kannte sich diese Lady von Hundshaupten aus. Dennoch hatte er ein seltsames Gefühl bei ihr. Yuuri hatte sie eindeutig zu intensiv angestarrt. Ob er Interesse an ihr hatte? Das sähe ihm Recht! Dieses leichte Bürschchen war doch hinter allem her! Aber das würde er sich nicht länger bieten lassen! Sanft massierte er sich das Shampoo auf seine Kopfhaut und erneut seufzte er auf. Ach Yuuri! Es war wirklich knapp gewesen. Beinahe hätte er selbst diese Nähe zu Yuuri nicht ausgehalten und wäre bei seinem Plan schwach geworden. Aber er musste nun den Spieß herumdrehen. Lang genug hatte er darauf gewartet, dass Yuuri auf ihn zu kam. Lang genug hatte er all seine Gefühle unterdrückt und dieser Idiot hatte es noch nicht einmal für nötig befunden, auch nur einmal an ihn zu denken. Und zwar so an ihn zu denken, wie er es immer an ihn tat. Wieso musste dieser Waschlappen auch so verdammt gut aussehen? Und wie konnte es überhaupt dazu kommen, das er, Lord Wolfram Graf von Bielefeld, sich in ihn verliebt hatte? Nein, es war kein einfaches 'Verliebtsein' mehr. Er liebte Yuuri. Er liebte Yuuri so sehr, dass es auf schmerzvolle Art und Weise weh tat, ihm nicht so nahe sein zu können, wie er es sich sehnlichst wünschte! Dabei war er Yuuri immer nah gewesen. Wenn sein geliebter Maou in Shin Makoku war wich er ihm nie von der Seite. Und wenn es ihm nicht persönlich möglich war vertraute er seinen Männern bei der Beschattung seiner Majestät. Denn sein Yuuri brauchte Schutz. Vor allem Schutz vor sich selbst! Gerade in der Zeit, bevor dieser zur Erde wegen irgendwelcher Abschlussprüfungen verschwunden war, schien es Wolfram, dass Yuuri zu sehr am anderen Geschlecht interessiert war!

Zudem wurden die Schreiben in den Palast von irgendwelchen Prinzessinnen und Ladys häufiger, die um eine Einladung zum besseren Kennenlernen des Maous baten! Er hatte einen Großteil dieser Anfragen verschwinden lassen. Denn es war im ganzen Reich bekannt, dass er der Verlobte seiner Majestät war. Nur schienen das aufgrund der Dauer dieser Verlobung mittlerweile einige vergessen zu haben. Nein, schlimmer noch! Man machte sich über Wolfram in den Adelskreisen lustig, dass er nicht fähig war, Yuuri zur Hochzeit zu bewegen! Und dann, neben diesem Gerede in den Adelskreisen, kam noch die Schmach von Herkas hinzu. Das war einfach zu viel gewesen! Er hatte einfach keine Kraft mehr. Er brauchte Erfolgserlebnisse. Und dies eben war ein kleiner Erfolg. Er hatte gespürt, dass Yuuri Wolfram meinte und nicht diese eingebildete andere Seite von ihm! Und vielleicht war es ihm nun gelungen, dass Yuuri darüber nachdachte, wie es mit ihm selbst und ihm nach Aufhebung dieses Fluches weitergehen würde.

Wolfram grübelte. Was wären die Konsequenzen, wenn sich Yuuri gegen ihn entschied?

Er war ein geborener Prinz. Seine Mutter, Cecilie von Spitzweg, war damals Dämonenkönigin gewesen, als er das Licht der Welt erblickte. Dieser Rang wurde ihm jedoch mit dem Abdanken seiner Mutter aberkannt. Dennoch war er 82 Jahre lang als Prinz erzogen worden. Er hatte auch seinen Stolz. Einen nicht zu verachtenden Stolz. Konnte er wirklich dann noch an Yuuris Seite bleiben? Er hatte militärische Verpflichtungen gegenüber seiner Majestät, aber Yuuri würde ihn nicht zwingen, nur deswegen zu bleiben. Oder? Wolfram tauchte erneut unter, um sich das Shampoo aus den Haaren zu spülen. Beim Auftauchen spürte er ein Stechen im rechten Oberschenkel. Der Mast hatte ihn heftig erwischt. Das würde noch einige Zeit schmerzen und ihn vielleicht auch im Kampf behindern, wenn es denn zu einem Kampf kommen sollte. Yuuri hatte Morgif am Bord des Roten Seesterns gelassen. Doch dadurch, dass Wolfram ein ausgebildeter Soldat war, trug er immer ein Schwert bei sich. Auch am Abend des Sturms. Und es war nicht in den Fluten abhanden gekommen. Das hieß für das Erste, dass Yuuri wehrlos war. Und als Soldat war es seine Aufgabe, seine Majestät zu schützen! Sollte sich Yuuri gegen ihn entscheiden, so würde er dennoch Yuuri sicher nach Shin Makoku zurück bringen und dann um seine Entlassung aus dem Militärdienst bitten. Auch wenn er Yuuri noch so sehr liebte, so war diese Liebe auch ebenso das Problem, wenn sie nicht erwidert wurde. Er hatte nun drei Jahre lang gelitten. Nun lag es ganz allein bei Yuuri. Wolfram hatte nicht länger vor zu warten. Er würde Yuuri endlich zu einer Entscheidung drängen müssen. Aber so leicht aufgeben wollte er dabei auch nicht!
 

Zwei hoch, eines fallenlassen... zwei hoch, eines fallenlassen...

„Oh, Majestäääät!“, unterbrach ihn ein lautes Aufschluchzen vom Bett neben ihm. Wie sollte er sich da konzentrieren? Gwendal legte entnervt die beiden Stricknadel in seinen Schoß und stöhnte auf: „Lord von Kleist, seiner Majestät geht es gut. Seine Exzellenz und Shinou haben es ihnen mehr als einmal bestätigt. Also bitte ich sie nun, solange wie sie sich mit mir eine Kabine teilen, sich zu beruhigen!“

In der Hoffnung, dass sich Günter seine Worte nun endlich zu Herzen nahm, widmete sich Gwendal von Voltaire wieder seiner liebsten Therapie: Dem Stricken kleiner Stofftierchen.

Diesmal wagte er sich an einen Hasen für Greta. Sie hatte sich von ihm einen kleinen Hasen gewünscht und es fiel Gwendal schwer, der jungen Prinzessin einen Wunsch abzuschlagen.

Es verwunderte ihn selbst, dass dieses kleine Menschenmädchen so viel Macht über ihn hatte, wenn sie ihn mit großen Augen ansah.

„Ich musste gerade daran denken, wie seine Majestät ohne Nahrung und ohne Wasser auf der See dahintreibt. Ganz auf sich allein gestellt und den gewaltsamen Mächten der See ausgeliefert!“

Erneut senkte Gwendal seine Nadeln: „Er ist nicht allein. Wolfram ist bei ihm!“

Das erneute Aufschluchzen durchfuhr Gwendal durch Mark und Bein.

„Das macht es ja noch schlimmer! Als wäre von Bielefeld für König Yuuri eine Hilfe!“

Gwendal spürte diese kleine Ader zwischen seinen Brauen pochen. Wieso hatte er es zu Beginn der Reise als Unproblematisch angesehen, mit dem königlichen Berater eine Kabine zu teilen? Er bereute diese Fehlentscheidung minütlich mehr!

„Wolfram und seine Majestät haben sich auch weiterentwickelt!“

„Es sind beides noch Kinder!“, seufzte Günter von Kleist und erhob sein Gesicht aus dem von Tränen durchtränkten Kissen des Einzelbettes, „Noch viel zu unüberlegtes Handeln prägt ihr Tun!“

„Yuuri hat sehr gute Arbeit in Herkas geleistet! Wolfram eben so, auch wenn dieser gegen meinen Befehl gehandelt hat!“

„Sehen sie, Voltaire, ich sagte doch, von Bielefeld kann keine Stütze für unsere Majestät sein. Er handelt viel zu impulsiv und wird auch seiner Majestät seine Flausen nicht ausreden, sondern sie mit Begeisterung unterstützen und ausführen! Es wurde viel zu lange in die falsche Richtung erzogen! Lord von Bielefeld ist und bleibt ein verzogenes Prinzchen! Und meine Sorge ist berechtigt, dass dies auch auf seine Majestät Yuuri abfärben könnte.“

Gwendals Blick verfinsterte sich. Wenn hier jemand versuchte, seine Majestät zu verziehen, dann war das eindeutig nicht Wolfram! Er mochte es nicht besonders, wenn schlecht über einen seiner Brüder gesprochen wurde. In gewisser Weise mochte Günter ja Recht haben, doch Wolfram war schon lange nicht mehr nur das verzogene Prinzchen. Und Yuuri war auch schon so eigenständig und vernünftig, sich Wolfram nicht als Vorbild zu nehmen. Dieser Gedanke war absurd.

Wolfram fehlte es lediglich an Widerstandskraft Yuuri gegenüber. Wenn Yuuri sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, konnte dieser sicher sein, dass Wolfram ihm half. Zunächst widerwillig, doch dann mit ganzem Einsatz und Eifer. In gewisser Hinsicht war dies nicht gerade förderlich. Aber für die Liebe hat manch einer schon blind gehandelt und bisher war immer alles gut gegangen. Das würde es diesmal auch! Denn trotz seiner erst 85 Jahren und seines Handicaps der Gefühle für seine Majestät Yuuri, so war Wolfram ein hervorragender Soldat und militärischer Stratege. Diese Tatsache erfüllte Gwendal schon mit etwas Stolz. Wolfram würde nie so unüberlegt handeln, dass Yuuri in irgendeiner Form in Gefahr geriet oder es seiner Majestät schlecht gehen könnte!
 

Mir geht es so schlecht! Mir dreht sich alles! Ich bin verwirrt und hungrig und müde und schmutzig! Ach, verdammt, Wolfram! Zuerst das und nun bist du ewig im Bad! Hast du dich aufgelöst?

Ich hörte ein Seufzen hinter der verschlossenen Badezimmertür.

Na toll. Entweder er genießt das Bad oder seinen Erfolg über mich!

Ich setzte mich wieder auf das Bett und wartete. Warum war ich eigentlich so erschöpft? Ich hatte doch auf See die ganze Zeit geschlafen!

Ich ließ mich nach hinten in die Kissen fallen und starrte den Baldachin über mir an.

Wolfram! Was mach ich nur? Jetzt spukten mir zwei Wolframs im Kopf herum. Der weibliche Wolfram mit all seinen körperlichen Reizen und der männliche Wolfram, den ich ehrlich gesagt bis vor kurzem noch für meinen besten Freund gehalten hatte und nun mit Gewissheit sagen konnte, dass da vielleicht doch mehr war! Und ich hatte ganz gewiss nie vorgehabt, dass da mehr war!

Ich legte mich auf die Seite, legte meinen Kopf auf den angewinkelten Arm und zog meine Beine an mich heran. Irgendwie wollte ich mich klein machen. Klein vor der Verantwortung die nun auf mir lastete. Die Verantwortung war Wolfram gegenüber. Ich musste mich entscheiden. Genauso wie ich mich dafür entschieden hatte, den Job als Maou hier sehr gut zu machen. Genauso wie ich mich entschieden hatte, meinen Lebensmittelpunkt hier in dieser Welt zu haben. Genauso musste ich mich nun endlich für oder gegen eine Beziehung mit Wolfram entscheiden. Und damit dürfte ich jetzt nicht die freundschaftliche Bindung zu ihm mit einbeziehen. Sondern ausschließlich: zu Wolfram stehen, ihn lieben und als Partner anerkennen oder nicht. Dieses Nachdenken machte mich noch müder.

Was hatte mich bisher daran gehindert? Genau! War das wirklich Liebe? Ich war noch nie wirklich verliebt! Und dann war das ja hier nicht so, dass ich es erst mal über längere Zeit versuchen könnte. Es würde direkt geheiratet werden. Dann war ich auf ewig...na ja...zumindest mein Leben lang, mit einem Mann verheiratet! Ich war doch nur ein ganz normaler Junge von der Erde. Normalerweise gehen Jungs wie ich nun an eine Uni oder machen eine Ausbildung. Ich hätte mich vermutlich für Letzteres entschieden und wäre wie mein Vater in einer Bank gelandet. Früher war das zumindest mein Plan. Dann eine nette Frau finden, ein kleines Haus und vielleicht ein oder zwei Kinder. Halt das ganz normale 08/15-Leben! Irgendwie war aber in meinem Leben schon lange nichts mehr normal! Wieso dann auch nicht eine unnormale Beziehung führen? Ich schmunzelte. Ein bisschen Normalität wäre allerdings schön gewesen! Dazu noch der Gedanke, dass gleichgeschlechtliche Beziehungen in Japan nicht gerne gesehen waren. Hier war das allerdings anders. Hier scherte es niemanden, wer mit wem. Und seit Kurzem wusste ich ja auch noch, dass der Familienplanung deswegen trotzdem nichts im Wege stand!

Ich öffnete meine Jacke und zog aus der linken Innentasche das in Folie eingewickelte Foto von Wolfram heraus.

Bin ich überhaupt fähig dich glücklich zu machen? Ich bin ein Idiot, ein Waschlappen und ein leichtes Bürschchen in deinen Augen, und dennoch willst du mich einfach nicht aufgeben!, ich schmunzelte und schloss die Augen.

Bitte gib mir noch etwas Zeit. Ich lass mir was einfallen, was dich glücklich macht. Aber erst mal will ich dich so wieder sehen, wie ich dich in Erinnerung habe. Das Frau-sein steht dir nicht! , dann schlief ich ein.
 

Conrad Weller rieb sich die schmerzende Schulter und betrachtete seine getane Arbeit. Er hatte mit Planken notdürftig das klaffende Loch, welches die heruntergefallene Bramsaling ins Deck gerissen hatte, notdürftig geflickt. Er war kein Zimmerer, doch so dürfte es wenigstens bis zur Ankunft in einem Hafen halten und dem nebenstehenden, sehr beschädigtem Fockmast etwas mehr Halt geben. Das Schlimmste, was nun passieren konnte, war, das der Fockmast komplett zusammenstürzte. Deshalb hatten die Männer um ihn herum vorsichtig damit begonnen, die anderen Segel abzulassen, um diesen zu entlasten. Solange sie noch über den Hauptmast verfügten, konnten sie mit halber Geschwindigkeit weiterreisen.

„Gute Arbeit, Hauptmann!“, Iossac Glie stand mit breitem Grinsen neben ihm. Auch er hatte die Reling wieder in Stand gesetzt, damit niemand mehr über Bord gehen konnte.

Conrad nickte: „Hoffen wir, das bald Land in Sicht kommt!“

„Deine Gedanken sind beim jungen Herrn, nicht wahr? Keine Sorge“, er richtete sein Augenmerk auf den wolkenfreien, strahlenden Himmel, „ ihm geht es sicherlich gut!“

„Hm, ja!“, doch Conrad machte sich Sorgen. Es beruhigte ihn keinesfalls, dass seine Eminenz zugesichert hatte, es würde Yuuri gut gehen. Ihn beschlich das Gefühl des Versagens. Er hatte Yuuri bei seinem Leben geschworen, ihn zu beschützen. Damals hatte er das nur getan, weil die Seele seiner geliebten Susannah Julia in Yuuri wiedergeboren worden war. Doch nun wollte er diesen Schwur ausschließlich nur für Yuuri erfüllen.

Er liebte Yuuri. Nicht so wie es vermutlich Wolfram tat. Aber zwischen ihnen herrschte diese tiefe Verbundenheit, die in Zeiten, wo immer Krieg geherrscht hatte so selten geworden war. Er legte den Hammer beiseite und blickte sich um. Bis auf den Fockmast waren alle dringlichsten Arbeit zügig erledigt worden. Adalbert von Grantz trug noch eine Ladung riesiger Segeltücher zum Hauptmast, wo sie gegen die Beschädigten ausgetauscht werden sollten. Seine Eminenz hatte auch bewiesen, das er mit Nadel und Faden umgehen konnte und versucht zu retten, was zu retten war. Langsam glitt nun der Rote Seestern wieder über das Wasser.
 

„Yuuri, du kannst nun rein!“, Wolfram rubbelte sich mit einem weichen Frotteehandtuch die letzte Feuchtigkeit aus den Haaren und betrat das Schlafzimmer. Er trug eine der grauen Uniformen, die von dem Dienstmädchen für sie bereit gelegt worden waren. Sie gefiel ihm ganz und gar nicht, aber der Kleiderwechsel war dringend nötig geworden.

„Yuuri?“, er entdeckte seinen Verlobten auf dem Bett liegend. War er etwa eingeschlafen? So lange hatte er nun auch nicht gebraucht! Er trat näher an den Schwarzhaarigen heran, dessen Atem tief und gleichmäßig ging.

„Hm, nachdenken schaut eigentlich anders aus“, flüsterte der blonde Dämon schon etwas enttäuscht. Hatte es vielleicht doch nicht funktioniert? Er würde es dennoch weiterhin versuchen. Diese Reise hier, jetzt nun nur noch zu Zweit, war ihre letzte Möglichkeit, diese Sache endgültig zu klären. Er setzte sich behutsam auf die Bettkante. Er sah so friedlich aus wenn er schlief. Doch, was hatte er da in der Hand?

Vorsichtig beugte Wolfram sich über ihn, um einen besseren Blick darauf zu bekommen.

Es war das Bild, welches Miko von ihm gemacht hatte in der Nacht vor der großen Reise. Yuuri hatte es bei sich? Sein Herz sprang vor Freude! Er machte sich also doch Gedanken um ihn! Es klopfte leise an der Zimmertür.

„Herein!“

Das Dienstmädchen von vorhin betrat schüchtern das Zimmer: „Mylady lässt ausrichten, dass das Abendmahl für ihre Heiligkeit hergerichtet ist. Ich soll euch in den großen Speisesaal geleiten!“

Was nun? Yuuri schlief tief und fest. Anscheinend hatte er sich wirklich verausgabt. Aber Lady von Hundshaupten warten zu lassen wäre unhöflich! Er erhob sich und ging zum Schreibtisch. In einer Schublade fand er das wonach er suchte: eine Feder, Tusche sowie Papier. Schnell notierte er darauf eine Botschaft und legte sie neben den schlafenden Maou:

„Ich bin bald wieder bei dir! Schlaf ruhig weiter!“

Mit verschämter Röte um die Nasenspitze hauchte er ihm vorsichtig einen Kuss auf die Stirn, wandte sich um und folgte dem Dienstmädchen aus dem Zimmer.
 

Ich saß in einem dunklen Zimmer und starrte auf vier Punkte. Ich hatte in der letzten Zeit oft viel Seltsames geträumt, daher war dies eine willkommene Abwechslung. Keine Hexen, keine Flüche, keine Delfine. Sehr schön. Diese Punkte hatten jeweils eine andere Farbe. Der Erste war tiefblau wie der Ozean, der Nebenliegende hatte ein sehr helles Lichtgelb und der Darauffolgende war Moosgrün. Der letzte Punkt leuchtete Flammenrot.

All diese Punkte schienen zu schweben. Sie schwebten in unterschiedlicher Entfernung zu mir, wobei mir der Blaue am nächsten und der Rote am Entferntesten waren.

Ich streckte vorsichtig meinen Arm nach dem blauen Punkt aus und erschreckte fürchterlich, als dieser daraufhin auf mich zu schoss.

„Ich bin der Geist des Elementes Wasser!“, rauschte eine Stimme, „Wir schlossen vor einiger Zeit unseren Pakt stillschweigend. Ich bin hier, um diesen Pakt zu erneuern. Ihr seit der Maou. Erwählt und ausgestattet mit der von ihm erschaffenen Seele des großen Shinou, unserem ersten Verbündeten.“

Ich war sprachlos. Der Punkt sprach! Nun flog der Hellgelbe zu mir herüber und blieb neben dem Blauen schwebend stehen: „Ich bin der Geist des Element des Windes!“, flüsterte es, „wir schlossen schon flüchtig einen Pakt. Dennoch gewährte ich euch, dem großen Maou, bisher nicht, mich voll und ganz zu kontrollieren. Ich bin hier, um mit euch das Bündnis einzugehen, den Wind zu befehligen!“

Schon strahlte der Grüne daneben auf: „Ich bin der Geist des Elementes Erde und Stein. Ihr habt die von mir übergebene Macht noch nicht zu voller Gänze erkannt“, seine Stimme klang dunkel und kräftig, nicht so rauschend wie das Wasser oder so leicht wie der Wind,

„ Ich bin nun hier um unseren Pakt zu bestärken!“

Während alle drei bisherigen Punkte es sehr eilig hatten zu mir zu kommen, um mir ihre Absicht kundzutun, schlich der rote Punkt mehr langsam auf mich zu, als ob er sich noch nicht so sicher sei, was er von mir zu halten habe: „Ich bin der Geist des Elementes Feuer“, zischte er. Es war kein unangenehmes Zischen, eher warm und weich, „Ihr habt bisher noch keinen Pakt mit mir geschlossen!“

Schmollte er deswegen? Können Elementgeister schmollen? Irgendwie erinnerte mich dieser Punkt an Wolfram!

Oh je...jetzt denk ich schon an Wolf während ich Pakte abschließe!

„Ich bin hier um euch die Herrschaft über das Feuer anzubieten und mit mir das Bündnis zu besiegeln!“

Ich nickte und hielt meinen Arm weiterhin vor mich ausgestreckt. Ein Punkt nach dem Anderen flog nun auf meine Hand zu und verschwand in deren Handfläche. Eine unbeschreibliche Wärme und Energie durchströmte mich und der dunkle Raum, in dem ich zu vor stand wurde schlagartig hell. Und da stand sie.

Wunderschön und mit strahlendem Lächeln: „Nun ist es an der Zeit, dass wir Beide Abschied voneinander nehmen, Yuuri!“

Ihre Stimme klang nicht mehr so traurig wie sie es oft tat, wenn wir uns in meinen Gedanken trafen.

„Aber warum, Julia?“, fragte ich sie da schon bedrückter.

Ihr Lächeln konnte Herzen erwärmen: „Weil du mich nicht mehr brauchst, Yuuri! Du bist nun soweit!“

„Ich bin was? Ich bin sicherlich noch nicht bereit!“, ich machte einen Schritt auf sie zu.

Sie strich sich eine Strähne ihres langen, hellblauen Haares hinter das Ohr: „Glaube an das Innerste deiner Selbst! Du bist nun ein vollwertiger Dämon, Yuuri. Du hast schon sehr oft bewiesen, dass du ein großartiger Maou bist. Shinou hatte Recht, als er mir damals sagte, das mit dir der größte Maou aller Zeiten über mein geliebtes Shin Makoku herrschen wird. Du bist nun erwachsen, mein kleiner Yuuri.“

„Was geschieht nun mit dir?“, ich wollte sie berühren, doch es gelang mir nicht.

Doch sie streckte ihre Hand aus und obwohl sie blind war, schaute sie mir direkt ins Gesicht und direkt in mein Herz: „Mach dir keine Sorgen um mich! Die Erinnerungen meiner Seele, welche in dir erweckt wurden, bleiben dir erhalten. Und somit bleibe ich immer in deinem Herzen, so wie du in meinem.“

„Aber... was ist mit Conrad?“

„Yuuri, ich bin vor langer Zeit gestorben und Conrad weiß das. Er hat damit gelernt umzugehen und auch meine Entscheidung akzeptiert, warum ich damals gehen musste. Er hat nun dich. Du bist wie unser Kind. So wie ich vom Jenseits über dich wachen werde, wird er es weiterhin vom Diesseits tun.

Du wirst dich nun nicht mehr in deine zweite Persönlichkeit verwandeln müssen. Das ist nicht länger nötig. Du hast den Pakt der Elemente geschlossen. Du bist nun weitaus mächtiger als es Shinou zu Lebzeiten war und dennoch wissen wir, dass du diese Macht stets weise einsetzen wirst, auch ohne mein Zutun. Ich bin sehr stolz auf dich!“

Unsere Finger berührten sich. Sie war mein altes Ich. Mein Leben vor diesem Leben. Und sie wollte mich verlassen. Lady Susannah Julia, die große Weiße, von Winscott, wollte mich verlassen und ins Jenseits übertreten! Mir liefen die Tränen die Wangen herunter. Dennoch versuchte ich zu lächeln. Sie hatte Recht. Sie konnte nicht ewig auf mich achten.

Sie schritt nun auf mich zu, blieb vor mir stehen und nahm den blauen Stein an meiner Brust, ihren Talisman, in ihre Hand: „Mein Yuuri, erfülle diesen Stein mit deiner ganz eigenen Art von Magie. Lass die Hoffnung und die Liebe, die du in dir trägst auf unsere geliebte Welt strahlen. Lass dich nie verführen von der Dunkelheit. Sei du selbst!“

„Susannah Julia“, ich schluchzte.

„Yuuri, erst die Summe der Erinnerungen, die Schönen aber auch die Traurigen, machen uns zu dem was wir sind! Vergiss mich nicht. Ich trage dich stets im Herzen. Leb wohl!“

Sie küsste mich auf die Stirn und lächelte ein letztes Mal.

Und so verschwamm langsam ihre Gestalt vor meinen Augen. Ihre freundlichen, gütigen Augen. Ihr Lächeln. Ihre weisen Ratschläge und auch oft ihr unterstützendes Eingreifen. All das würde es nicht mehr geben. Ich sank auf die Knie. Meine Tränen tropften auf den Boden. Wenn sich so erwachsen werden anfühlte, dann hätte ich ruhig noch länger Kind bleiben wollen!
 

Es ist vollbracht! Der Pakt ist beschlossen und er ist eins mit sich! Nun ist er so wie ich ihn gesehen habe!

Ken Murata lehnte sich mit dem Rücken an die Reling und blickte in Fahrtrichtung über den Ozean: „Hat er es verkraftet?“, fragte er Shinou mit melancholischem Blick.

Ich denke schon, kam nur zögerlich zur Antwort.

„Sie hat sich oft in seine Belange eingemischt, ihn aber auch oft vor Schlimmeren bewahrt und vergiss nicht, dass sie einen großen Beitrag dazu beigetragen hat, dass du noch hier bist!“, Murata seufzte.

Sie war eine von mir erschaffene Seele. Sie war fast perfekt. Und das was von ihr geblieben ist, ist perfekt! Aber es wurde Zeit!

„Ja. Du lobst dich schon wieder selbst in den Himmel!“, er lachte auf, „Und, ja. Ich weiß. Er hat sich noch zu sehr auf sie verlassen! Es wurde wirklich Zeit!“

Er löste sich von der Reling und beschloss, zu den Unterkünften zurück zu kehren: „Es war zudem sein Wunsch endlich alleine Verantwortung zu übernehmen. Und er war schon lange bereit dazu. Vielleicht sieht er das nun endlich selber ein!“

Er erreichte die Türe, die zum Unterdeck führte, als die Schiffsglocke mehrfach ertönte. Er hielt kurz inne und blicke nach oben auf den Hauptmast. Dort saß ein Matrose mit Fernrohr und schlug die Glocke: „LAND IN SICHT! LAND IN SICHT!“

„Das wurde Zeit!“, flüsterte Murata, wandte sich um und ging langsam die Treppen hinunter.
 

„Ich befürchte, es ist nicht das, was ihr sonst gewöhnt seid, eure Heiligkeit!“, Erika von Hundshaupten hatte die Tafel reichlich eindecken lassen. Normalerweise hätten all diese Speisen gewöhnlicherweise für ein Bankett mit mehreren Gästen gereicht. Wolfram war beeindruckt. Selbst zu Zeiten, wo man ihn mit königlicher Hoheit angesprochen hatte, hatte er noch nie so eine Auswahl und Fülle an exquisiten Gerichten vorsetzt bekommen.

Er legte sich eine Wachtel neben die Rosmarinkartoffeln auf den Teller und lächelte seine Gastgeberin an: „Es ist alles zu meiner vollsten Zufriedenheit! Ich weiß gar nicht, wie ich ihnen ihre Gastfreundschaft vergelten könnte!“

Erika lachte gekünstelt, wie es sich für Damen am Hofe gehörte, auf: „Aber, aber! Ihre erleuchtete Anwesenheit ist Dank genug! Was ist denn mit ihrer reizenden Begleitung?“

Ein Bediensteter zeigte Wolfram das Etikett einer wohl erlesenen Weinflasche. Er kannte weder das Weingut, noch sagte ihm etwas die Bezeichnung, daher nickte er nur zustimmend und wandte sich wieder an Erika: „Er war sehr erschöpft. Ihr müsst wissen, dass wir wirklich in einen Sturm gerieten und er hat mich aus einer brenzligen Situation heraus gerettet. Leider hat ihn das wohl mehr zu schaffen gemacht, als es bei unserer Ankunft den Anschein machte“.

Erika nickte, zögerte dann aber: „Wie konntet ihr denn bei euren Fähigkeiten in solch eine Notlage geraten?“

Beinahe verschluckte er sich an der Rosmarinkartoffel, welche er sich aus der Zunge zergehen lassen wollte. Diese Speisen waren wirklich vorzüglich! Nichts gegen das Essen auf dem Schloss des Blutigen Eides, aber hier stimmte alles auf den Punkt genau!

„Ich weiß es selbst nicht so genau!“, was sollte er nun sagen, damit er nicht aufflog, dass er nicht Shinou, sondern Wolfram von Bielefeld war?

Er biss sich überlegend auf die Unterlippe: „Vielleicht, weil ich zur Zeit wirklich nicht ich selbst bin. Sie sagten mir doch, dass sie mir und meiner Familie seit Generationen treu ergeben sind, nicht wahr? Ich kann ihnen doch vertrauen, oder?“ Wolfram versuchte eine geheimnisvolle Miene aufzusetzen.

Erikas Augen weiteten sich und sie beugte sich neugierig zu ihm herüber: „Aber natürlich! Ich würde alles tun, wenn ich dadurch euer Majestät helfen kann!“

Wolfram grinste innerlich. Es funktionierte. Vielleicht könnte er Informationen erlangen, die ihn und Yuuri weiterbrachten.

„Mir wurde etwas gestohlen und wir waren auf der Suche danach!“

„Nein! Wie schrecklich! Wer wagt es denn euch zu bestehlen?“

„Das konnten wir auch noch nicht herausfinden, doch die Spur führte uns vor ihre Küste!“

„Ich kann ihnen versichern, oh großer Nanatsu, dass meine Mannen und ich es nicht wagen würden...“

„Gewiss, gewiss! Das habe ich auch nie bezweifelt, meine Teuerste! Aber vielleicht habt ihr es gesehen!“, Wolfram legte verführerisch den Finger über die Lippen.

„Um was handelt es sich denn?“, Erikas Neugier war kaum zu bremsen und genau das war es, was Wolfram erreichen wollte.

„Es ist ein Zepter. Es schaut ganz herkömmlich aus, nur birgt es große Kräfte, die nur ich allein entfesseln kann.“

Erika schien nachzudenken: „Ein Zepter, sagt ihr?“

„Hm, ja!“

„Leider ist mir von keinem Zepter, welches in der jüngsten Vergangenheit hier gesichtet wurde, bekannt. Aber die Hauptstadt ist auch nur eine halbe Tagesreise entfernt. Vielleicht versuchen es die Diebe dort auf dem Markt zu verkaufen!“

„Das ist gut möglich!“, Wolfram ließ sich die Wachtel schmecken.

Erika sprang auf: „Wenn ihr es wünscht, lasse ich sofort eure Pferde satteln für eure Reise nach Kumo. Man sollte diesen Dieben keinen allzu großen Vorsprung lassen!“

„Da habt ihr vermutlich auch wieder Recht!“, flüsterte er, „Es ist schön, an einer Tafel mit einer bezaubernden Lady zu sitzen, welche noch so engagiert mitdenkt!“

Erikas Gesicht schimmerte rötlich: „Aber eure Heiligkeit! Beschämt mich doch nicht so! Ich werde umgehend alles in die Wege leiten! Vielleicht sollten sie sich unter das Volk mischen um eher an Hinweise zu kommen. Mein jüngerer Bruder hat eine Bürgerliche geheiratet. An sich eine Schmach, aber in unserem Falle ganz nützlich. Ihre Familie führt eine Pension. Ich werde dort ebenfalls euer Erscheinen ankündigen und um Mithilfe bitten!“

Wolfram nickte mit zuckersüßem Lächeln. Er hatte es geschafft. Sie würden dieses Schloss schnellstmöglich verlassen können und somit hatte er Yuuri wieder aus den Fängen einer potenziellen Konkurrentin gerettet. Zudem hatten sie nun die Zusicherung von Pferden und Proviant für die Reise in diese Hauptstadt namens Kumo, wo sie auch eine Unterkunft erwarten dürften. Wenn die Anderen ebenfalls gut aus dem Sturm herausgekommen waren, dann bestand durchaus die Möglichkeit, sie dort wiederzufinden.
 

Ich schrak auf und spürte das durch meine im Schlaf vergossenen Tränen klamme Kissen unter meinem Gesicht.

Sie war tatsächlich verschwunden. Ich war allein. Allein in meinem Körper und allein in diesem Zimmer. Denn mir fiel direkt die offene Badezimmertür sowie Wolframs Abwesenheit auf. Wo steckte er nur? Meine Hand ging nochmals über das Gesicht, um die letzten Tränen zu verwischen. Dann ließ ich sie neben mich auf die Matratze fallen. Unter meiner Hand knisterte es und mein Blick richtete sich auf ein kleines Stück Papier, welches zusammengefaltet direkt neben dem Foto lag.

Hatte er etwa das Bild gesehen? Was mochte er wohl gedacht haben, als er gesehen hatte, dass ich ein Bild von ihm mit mir trug? Dabei hatte ich es ja eigentlich nicht gewollt. Doch jetzt war ich meiner Mutter dankbar dafür gewesen, dass sie es mir eingesteckt hatte. Nun steckte ich das Bild wieder in meine Brusttasche. Wie hatte Murata gesagt: Das was einem Wichtig ist am Herzen tragen. Er hatte Recht behalten. Wie so oft.

Ich nahm das Blatt und entfaltete es. Es war eindeutig Wolframs wunderschöne Handschrift, doch was nützte mir die schönste Schrift, wenn ich nicht fähig war, sie zu lesen.

Moment! Julia hatte gesagt, dass die Fähigkeiten ihrer Seele in mir, die bereits erweckt worden waren, bleiben würden! Julia war von Geburt an blind gewesen. Sie hatte das Schreiben und Lesen daher nicht mithilfe ihrer Augen erlernt, sondern über ihre Sinne. Ich legte meinen Finger auf die schwungvoll notierten Buchstaben, schloss die Augen und ließ diesen über die einzelnen Reihen fahren. Es funktionierte tatsächlich noch! Ich konnte die Wörter vor meinem inneren Auge erkennen!
 

Yuuri

Ich wollte dich nicht wecken

Hoffentlich hast du gut schlafen können

Ich kehre bald zurück und bringe dir etwas zum Essen mit

Wolfram
 

Er war also zum Essen geholt worden. Dann würde er bestimmt bald wieder hier sein. Ich hatte auch großen Hunger, aber jetzt aufstehen und durch dieses fremde Schloss irren, dazu fehlte mir die Kraft. Ich ließ mich wieder rückwärts auf das feuchte Kissen fallen und verschränkte die Arme über meinem Gesicht.

Warum ausgerechnet jetzt? Warum musste Susannah Julia ausgerechnet jetzt verschwinden? Sie hatte mir irgendwie ein Gefühl der Sicherheit gegeben. Wenn ich nicht mehr Herr über meine Sinne oder eher über meine magischen Fähigkeiten war, hatte sie mich geführt.

Ich war also nun eins mit mir selbst. Bisher fühlte ich mich genauso wie vorher. Was sollte sich geändert haben? Auch Äußerlich war ich dem Maou schon ähnlicher geworden. Das war aber eher dem natürlichen Lauf der Dinge zu zu schreiben als der Tatsache, dass ich der Maou war. Ich hörte im Hintergrund das Öffnen einer Türe und das jemand etwas hereinrollte. Ich sah nicht auf. Ich blieb in meiner Position liegen. Die Türe wurde wieder geschlossen. Ich hatte nun den Pakt mit den Elementen richtig geschlossen. Ich verfügte nun über noch mehr magische Fähigkeiten. Ob ich sie jemals einsetzen würde müssen? Ich hoffte nicht. Wir hatten doch friedliche Zeiten. Groß-Simaron verhielt sich ruhig. Klein-Simaron und das Reich des Heiligen Sandes hatten mit ihren innerpolitischen Problemen genug zu kämpfen. Irgendwann würde es vermutlich wieder Annäherungsversuche zwischen uns geben. Wolfram würde aufpassen wie ein Luchs, dass diese Gespräche mit Sara nicht zu lange dauern und ohne seine Aufsicht ablaufen würden. Die Matratze unter mir schwankte etwas. Ich öffnete die Augen und sah direkt in ein Paar smaragdgrüne.

„Geht es dir nicht gut, Yuuri?“, Wolfram hatte sich besorgt über mich gebeugt. Von dem, was wenige Stunden zuvor vorgefallen war, wollte keiner von uns beiden anfangen.

„Sie ist weg!“, flüsterte ich leise und mein Blick glitt traurig an ihn vorüber um am Baldachin zu verharren.

„Wer?“, fauchte er, „Hast du dich hier etwa in der Zwischenzeit über ein Dienstmädchen hergemacht, du Lüstling?“

„Was?“, fuhr ich erschrocken zusammen, doch mir fehlte jetzt auch irgendwie die Lust zum Streiten, daher verdrehte ich nur die Augen und blickte zur gegenüberliegenden Wand.

Wolfram zögerte. Anscheinend weil er es gewöhnt war, dass ich alles abstritt was er mir zum Vorwurf machte. Seine plötzlich aufgetauchte Zornesröte verschwand ebenso schnell wieder wie sie aufgetaucht war. Mit ernster Miene setzte er sich neben mich auf die Matratze: „Nun sag schon!“

„Susannah Julia. Sie hat sich verabschiedet nachdem ich die Bündnisse mit den vier Elementen erneuert und abgeschlossen habe!“

„Du hast was?“, Wolfram sprang erstaunt auf, setzte sich aber direkt wieder.

„Ja, der Trank aus dem Tempel des Shinous hat wohl Wirkung gezeigt. Murata sagte ja, das es etwas dauern könnte“, diese Erklärung war wohl mehr an mich selbst gerichtet.

Wolfram wandte sich mir nun komplett zu: „Du weißt, was das heißt? Die Elemente haben dich vollends akzeptiert und als Maou anerkannt. Alle vier Elemente. Das kam seit Shinou selbst nicht mehr vor! Du bist nun... perfekt!“

„Ähm... Danke!“, doch ich schien mich nicht begeistert genug darüber für Wolfram anzuhören.

„Es war doch nur eine Frage der Zeit wann es soweit ist, Yuuri. Sie ist seit über 20 Jahren tot. Sie gehörte nicht mehr in unsere Welt!“, versuchte er mich zu trösten.

„Ja“, murmelte ich, „dennoch... dennoch fühle ich mich nun so allein!“

„Das bist du aber nicht!“, er lächelte mich voller Zutrauen an, „Du hast Conrad und Gwendal und Günter. Und unsere Greta! Und all die anderen!“

„Dich auch?“

Er lachte leise auf: „Natürlich, du Waschlappen! Als könnte ich jemals von deiner Seite weichen! Du bist mein Verlobter!“

„Stimmt, der bin ich!“,schmunzelte ich und bemerkte Wolframs erstaunten Gesichtsausdruck. Ich hatte ihm zum ersten Male weder widersprochen noch anders darüber gedacht.

Er sprang plötzlich auf: „Ich habe dir dein Abendessen mitgebracht!“, und er wies auf einen riesigen Servierwagen, der unter der reichlichen Auswahl an mitgebrachten Speisen zu zerbrechen drohte.

Und ich muss sagen, ich hatte einen Mordshunger!

„Aber vielleicht solltest du vorher doch baden! Du stinkst erbärmlich!“, mein blonder Lieblingsdämon rümpfte die Nase und ich lachte auf.

„Dann lässt du mich in Zukunft am Besten doch zuerst!“, ich schnappte mir eine Geflügelkeule und hüpfte ins Bad.

Kapitel 10

KAPITEL 10
 


 

Vom Schloss Hundshaupten führte ein gepflasterter Weg den oberen Kamm der Dünen entlang. Dieser Weg führte noch in Sichtweite des Schlosses in einen dichteren Wald, der die natürliche Grenze zwischen dem Inland und der Küste darstellte.

Yuuri Shibuya drehte sich noch einmal herum und winkte fast schon euphorisch zu den Türmen hinauf:

„Auf Wiedersehen! Und vielen Dank für alles!“

„Lass das“, zischte Wolfram auf dem Pferd neben ihm, „Als König benimmt man sich nicht so!“

Yuuri grinste ihn frech an: „Na, dann ist doch alles in Ordnung! Der bist ja nun du!“
 

Lady Erika von Hundshaupten erhob mit einem Lächeln ihre Hand zum Abschiedsgruß und huschte dann zügig vom Balkon: „Genoviene?“

„Ja, Mylady?“ Wie aus dem Nichts war der grünhaarige Dämon neben ihr wieder aufgetaucht.

„Hast du alles erledigt, worum ich dich gebeten hatte?“

„Ja, Mylady. Yonno ist darüber informiert worden, dass sich ihr nun abgereister Besuch für das Zepter interessiert und auch ihr Bruder ist unterrichtet!“

„Sehr schön!“, ein kühles Lächeln, „Es hat lange gedauert, dass jemand danach sucht!“

„Mylady, wie lange?“

Erika von Hundshaupten überflog all die Familienerzählungen und Sagen in ihrem Kopf, welche sie seit frühster Kindheit immer und immer wieder anhören musste: „Vor rund 2600 Jahren strandete ebenfalls ein Dämon aus dem anderen Reich an unserer Küste. Großvater las ihn auf. Dieser Fremde trug ein Zepter bei sich, welches nach eindeutiger Prüfung dem Verräter zugeschrieben werden konnte. Großvater erfüllte seine Pflicht und richtete den Fremden höchstpersönlich hin und überreichte Mittsu dieses Zepter. Dieser dreiste Dämon damals behauptete, er habe den Auftrag, dieses Zepter zu dessen Genesung nach hier gebracht zu haben. Es solle sich wieder mit der unvergleichlichen Kraft unseres Reiches aufladen und dann wieder zurückkehren!“

Ihre Augen blitzten bösartig auf: „Als würden wir einem Volk, welches sich aus aufständischen und niederem Volk und primitivstem Landadel zusammengesetzt hatte, eine solch mächtige und heilige Reliquie zurückgeben!“
 

Auf Deck herrschte erleichterte Stimmung. Es war Land in Sicht gekommen. Zwar schien es sich zunächst um eine Insel zu handeln, doch es war bereits deutlich ein größerer Hafen erkennbar. Gwendal stand mit einem Fernrohr an der Reling und betrachtete das Ziel, welches sie nach Wochen auf See ansteuern konnten.

„Scheint mir friedlich zu sein. Keine Patrouillen oder anderweitige Sicherheitsmaßnahmen!“, murmelte er und setzte das Fernrohr ab. Murata neben ihm nickte: „Wir werden jedoch unser Schiff hier zurücklassen müssen!“, lautete seine Antwort und Gwendal musterte den kleineren Freund seiner Majestät.

Adria! Kein Zweifel! Ich erinnere mich gut! Von dort aus kehrte ich meiner Geburtsstätte den Rücken. Ein hervorragender Platz zum Ankern.

Shinous Stimme war für alle hörbar. „Sind die denn nicht misstrauisch?“, fragte Adalbert mürrisch, welcher nur wenige Meter hinter ihnen am Hauptmast angelehnt ebenfalls das näher kommende Eiland musterte.

Adrias Bewohner treiben Handel nach Außen. Zumindest taten sie das zu meiner Zeit. Sie sind nicht so engstirnig wie die Bevölkerung im Landesinneren. Solange sie friedliche Absichten erkennen, dürfte man uns nicht misstrauisch gegenüber auftreten. Es sind an sich auch nur Fischer. Die Insel stand damals unter dem Schutz der Familie von Bielefeld!

Gwendal hob überrascht eine Braue: „von Bielefeld? Ahnen unserer Familie von Bielefeld?“

„Ja, so gesehen schon! Zwei aus dem Hause Bielefeld begleiteten uns damals nach Shin Makoku und sind die Mitbegründer unseres Königreiches!“, erläuterte Murata, „aber hier gibt es auch ein Territorium der Familie Voltaire, allerdings weiter im Landesinneren. Diese Familie war damals bekannt für die hervorragende Ausbildung des Heeres. Die von Bielefelds befehligten unter anderem die Seestreitmacht!“

Conrad, der dicht neben Iossac und Adalbert am Hauptmast lehnte, musste leicht auflachen: „Das gerade unser Wolfram einer Seefahrerlinie entspringt!“

Darüber mussten alle leicht schmunzeln. Wolfram konnte keinen Fuß auf ein Schiff setzen ohne von sofortiger Übelkeit heimgesucht zu werden.

Die von Bielefelds waren mir loyal ergeben. Vielleicht können wir dort die benötigte Unterstützung erfahren!

'Denkst du nicht, du solltest ihnen sagen, in welcher Verbindung du zu den von Bielefelds genau stehst?' dachte Murata, doch Shinou äußerte sich dazu nicht. Murata seufzte. Er hatte sich nicht geändert. Man würde ihm seine wahren Absichten Stück für Stück aus der Nase ziehen müssen. Und der Wiedergeburt des Großen Weisen war bewusst, dass Shinou Absichten hatte. Absichten, die selbst er sich nicht vorstellen konnte.
 

Wir ritten jetzt schon einige Stunden fast schweigend nebeneinander her. Bisher war die Zeit auch schnell vorübergegangen. Schließlich waren wir in einem fremden Wald in einem fremden Land. Es gab sehr viel Neues zu sehen. Wolfram schien sich auf jedes Geräusch zu konzentrieren. Ich vermutete, dass er selbst die Käfer im Laub der Bäume krabbeln hörte. An seiner Seite konnte mir wirklich nichts zu stoßen! Ich griff in die Satteltasche und zog den Wasserbeutel heraus. Es war nicht heiß. Die Temperaturen waren angenehm. Dennoch war mir das Reiten immer noch nicht so ganz geheuer, erst Recht auf einem mir fremden Pferd. Dadurch war es schon anstrengend. Zudem war es zwar ganz nett gewesen, dass man uns auch mit frischer Kleidung versorgt hatte und unsere in unser Gepäck gelegt wurde, doch fühlte ich mich in diesem fremden Stoff nicht so wohl. Auch ich trug wie Wolfram eine schlicht gehaltene graue Uniform. Darüber ein beigefarbenes Kapuzencape. Wolfram schien dies alles nichts auszumachen. Wohl der Vorteil, den man aus einer militärischen Ausbildung zog. Aus dem Blickwinkel jedoch bemerkte ich, dass er sich regelmäßig an sein rechtes Bein fasste. Es schmerzte ihn also doch! Wieso sagte er nichts?

„Geht es dir gut?“, unterbrach ich die Stille zwischen uns, nachdem er sich erneut über seinen Oberschenkel fuhr.

Seine Augen blitzten unter der Kapuze in meine Richtung: „Natürlich!“

„Aber dein Bein?“, fuhr ich besorgt fort.

„Dem geht es auch gut! Vermutlich nur eine Prellung. Nichts weltbewegendes!“, sein Blick wurde wieder nach vorne gerichtet.

Dieser Dickkopf! Ich trieb mein Pferd an, ritt dadurch mit ihm auf gleicher Höhe und griff nach seinen Zügeln. Das hatte ich mir einfacher vorgestellt. Im Western sieht man so etwas ständig. Nur ich wäre beinahe dabei vom Pferd gerutscht. Dadurch, dass ich mich noch fangen musste fiel mein Zug an den Zügeln härter aus als von mir beabsichtigt und beide Pferde hielten abrupt an.

„Was soll das denn nun schon wieder, Yuuri?“, pflaumte Wolf entgeistert und funkelte mich an.

„Runter vom Pferd!“, ich konnte genauso gut pflaumen!

Darüber überrascht schwang er tatsächlich sein Bein über den Sattel und stieg ab. Ich tat es ihm gleich und schritt zu ihm herüber.

„Was soll das?“, wiederholte er seine Frage, doch ich ging in die Knie und strich mit meiner Hand über sein rechtes Bein.

Zunächst reagierte er überrascht über meine plötzliche Berührung, doch dann erkannte ich, dass er sein Gesicht schmerzlich verzog: „Wusste ich es doch! Dein Bein ist nicht in Ordnung!“

„Unsinn!“, er zog das Bein vor meiner Hand zurück, „Das ist nur eine leichte Prellung und überhaupt nicht der Rede wert! Kann ja nicht jeder so herumjammern wie du!“

„Wo habe ich denn jemals herumgejammert?“, ich blickte ihn auffordernd an. Diesmal würde er sich nicht vor meiner Sorge um ihn drücken können.

„Los, zieh dich aus!“

„Ich soll was?“, er lief schlagartig rot an und trat noch einen Schritt zurück. Weiter ausweichen konnte er allerdings nicht, denn er stand mit dem Rücken zu seinem Pferd.

„Ich will mir das ansehen und behandeln. Also zieh dich aus!“, wiederholte ich mich.

„Ist nicht nötig!“

„Wolfram!“

„Ich sagte doch, dass es nicht nötig ist! Es geht wirklich!“

„Wolfram! Das ist ein Befehl! Zieh dich aus oder ich mach es!“, Oh. Das war absolut zweideutig. Nun verstand ich auch seine noch mehr aufsteigende Röte. Innerlich stöhnte ich auf. War unsere Situation wirklich schon so weit, dass ich nicht mal mehr sein Bein untersuchen konnte ohne vor Scham im Boden zu versinken?

Er räusperte sich und öffnete schließlich seine Gürtelschnalle: „Ich möchte nicht, dass du dich wieder verausgabst, Yuuri“, flüsterte er dabei, „Wir wissen nicht, inwieweit wir hier unsere Kräfte uneingeschränkt nutzen können!“

„Dann finden wir es jetzt heraus!“, gab ich nur zurück und zog nun am Hosenbein.

Ich zuckte beim Anblick zusammen: „Oh, Wolfram! Das schaut ja wesentlich schlimmer aus als gestern!“ Jetzt hatte ich es doch angesprochen! Die Situation, wo er nackt vor mir stand. Dort hatte sein Bein nur einen blassblauen Schimmer. Nun war es tiefblau, bis ins violette hinein und auch leicht angeschwollen. Das war keine leichte Prellung mehr. Dieses Hämatom von dem Ausmaß hätte ohne weiteres auf einen Bruch hindeuten können! Wie konnte Wolfram überhaupt stehen, geschweige denn laufen? Warum hatte ich gestern Abend nicht mehr danach gesehen? Nachdem ich aus dem Badezimmer gekommen war hatte er schon im Bett gelegen und geschlafen. Nach den gestrigen Vorkommnissen war ich darüber erleichtert gewesen. Und in der Früh war Wolfram seltsamerweise schon vor mir wach gewesen und hatte uns ein Frühstück auf das Zimmer geholt. Ich hatte da das Gefühl gehabt, dass er versuchte mich von Erika fern zu halten oder zumindest die Treffen zwischen ihr und mir nur auf das Notwendigste zu reduzieren. Dieses Verhalten kannte ich ja bereits von ihm. Er sah in ihr, wie in so fast jeder Frau in meinem Umfeld, eine potenzielle Bedrohung und so lange es ihm möglich war, würde er stets Sorge dafür tragen, dass ich mich nicht anderweitig festlegen würde. Konnte er sich denn gerade jetzt nicht denken, dass mir überhaupt nicht der Sinn nach anderen Frauen oder auch Männern stand? Wenn in meinem Kopf noch Zeit blieb, mir Gedanken um eine mögliche Partnerschaft zu machen, dann betrafen diese Gedanken meist ihn selbst!

Ich legte behutsam meine Hand auf seine Verletzung und schloss die Augen. Ich war nicht Gisela. Aber dennoch waren meine Heilkräfte mit Ihren vergleichbar! Ich konzentrierte mich und ließ den Schmerz in mich überfließen. Er schoss meinen Arm hoch in meine Schulter und verteilte sich dort, um dann aus mir heraus zu fließen. Ich stöhnte auf und merkte, wie Wolfram dadurch zurückwich.

„Yuuri!“

„Ist schon gut, Wolf. Alles in Ordnung!“, ich schenkte ihm ein zuversichtliches Lächeln, „wir sollten damit fortfahren, sobald wir die Pension erreichen. Für das Erste sollte es dir aber nun besser gehen!“

Er nickte nur beschämt: „Danke, Yuuri!“, und zog sich die Hose wieder an.

Als ich zurück zu meinem Pferd ging atmete ich innerlich erleichtert auf. Ich war froh gewesen, dass sich die Verletzung nur am Bein befand. Dies hatte uns vor einer weitaus unangenehmeren Situation bewahrt. Und obwohl ich normalerweise nach einem Einsatz meiner Magie oft sehr erschöpft war, konnte ich jetzt keine Veränderung an meiner körperlichen Verfassung feststellen. Ich fühlte mich ausgesprochen gut!

Ich schwang mich wieder auf das Pferd und trieb es an. Wolf war einige Meter voraus geritten und blieb plötzlich wieder stehen: „Sieh nur, Yuuri!“

Ich kam neben ihm zum Stehen. Wir hatten das Ende des Waldes erreicht. Vor uns weitete sich ein Tal mit riesigen Feldern und Wiesen aus bis zum Horizont. Und dort, am Horizont, war eine Stadt zu erkennen.

Eigentlich war die Stadt noch sehr ungenau zu sehen, doch das, was unseren Blick fesselte, das war unbeschreiblich... imposant!

Inmitten dieser Stadt türmte sich ein prachtvoller, riesiger Palast auf. Dieser war so groß, dass er in die Wolken überzugehen schien. Als würde er selbst zu einer Wolke werden! Ich hatte noch nie zuvor im Leben etwas Vergleichbares gesehen! Er schimmerte gold, rot und weiß. Mir blieb der Mund offen stehen.

„Das ist also Shinous altes Zuhause!“, flüsterte nun auch Wolfram ehrfürchtig, „Wieso verlässt jemand freiwillig so etwas?“

Das war eine gute Frage! Was war hier vorgefallen vor so langer Zeit?
 

Die Roter Seestern lag nun im Hafen von Adria. Ihr schnittiges Design stach auch hier ins Auge und ließ keinen Zweifel offen, dass dieses Schiff eine weite und lange Reise aus einem fernen Land hinter sich hatte. Die äußerlichen Beschädigungen bezeugten zudem noch die Schwere dieser Fahrt.

Man war der Crew der Seestern beim Anlegen weder misstrauisch noch unfreundlich begegnet. Im Gegenteil. Man war beim Verzurren der Taue behilflich und half bei der ersten Orientierung.

„Wir freuen uns wieder Besuch von Außerhalb zu bekommen!“, wandte sich ein älterer Fischer an Iossac, der sich durch seine vielen Spionageeinsätze in den unterschiedlichsten Regionen am Ehesten den neuen Gegebenheiten angepasst hatte und schon erste Kontakte knüpfte, „Es ist bestimmt schon 500 Jahre her, dass hier ein Handelsschiff aus Francia angelegt hatte. Und diese hatten sich nur in einem Unwetter verirrt. Da war ich noch ein junger Mann!“

„Warum glaubt ihr ist das so?“, fragte Adalbert, der den Fang des Fischers begutachtete. Die Ware war hervorragend. Auch schien es ausreichend Schiffe zu geben, die den Bürgern von Adria selbst die Möglichkeit geben würde, nach außen hin Handel zu betreiben.

„Die Herrschenden wünschen keinen Kontakt zu Außenstehenden“, seufzte der Alte und hob sich einen Korb mit frischen Muscheln auf die Schulter, „Sie verbieten die Vermischung von Mensch und Dämonen!“

Iossac, der sich ebenfalls einen der schwereren Körbe nahm und diesen hinter seinem Gesprächspartner helfend hertrug, behagte dieser Gedanke nicht. Es erinnerte ihn an vergangene Zeiten. Shinou sei Dank war die Innenpolitik seiner Majestät Yuuri da anders. Halbdämonen, wie er und Conrad waren, waren in Shin Makoku offiziell kein Problem mehr. Inoffiziell gab es bestimmt noch einige böse Stimmen, gerade in den Adelskreisen. Aber wenn selbst Wolfram von Bielefeld seine Meinung geändert hatte, so bestand noch Hoffnung, dass es in naher Zukunft eine vollständige Integration und Akzeptanz gab.

„Sie mögen selbst nicht die Vermischung zwischen Herrscherklasse und Adelsstand an sich. Man ist hier sehr streng mit der Rassentrennung!“, der Fischer hob den Korb auf einen Karren und dankte Iossac für die Mithilfe mit einem Nicken, „Aber wir hier auf Adria haben von jeher Glück! Unser Herr nutzt die Abgelegenheit zum Festland um diese Regeln etwas aufzulockern!“ Er lächelte verschmitzt.

„Hier soll die Familie von Bielefeld die Amtsgeschäfte leiten?“, auch Adalbert hatte es sich nicht nehmen lassen, zu helfen und warf zwei riesige Thunfische auf den Karren.

„Für Außenstehende seit ihr gut informiert! Ja, dies hier ist Bielefeld Territorium. Beziehungsweise, dass was vom riesigen Territorium nach dem Streit geblieben ist!“

„Streit?“, Conrad, der bisher Iossacs und Adalberts erfolgsversprechenden Versuche der Kontaktaufnahme mit der Bevölkerung aus einiger Entfernung beobachtet hatte, trug nun einen Korb mit Tintenfischen heran.

Der Fischer schien nicht so sicher, ob er Fremden die Geschichte seines Volkes erzählen wollte und zögerte. Er nahm auch Conrads Korb dankend entgegen und räusperte sich: „Dies sind die bestellten Waren seiner Lordschaft von Bielefeld. Ich denke, vielleicht wäre es besser, sie unterhalten sich mit ihm und begleiten mich auf sein Gut.“

Das lief besser als sie gedacht hatten! Iossac und Adalbert sahen zu Conrad. Die Entscheidungsgewalt lag bei ihm: „Ich werde Gwendal darüber in Kenntnis setzen. Er hat noch mit der Hafenaufsicht zu tun. Daher denke ich, dass unserer kleinen Expedition nichts im Wege steht!“
 

Wir erreichten die Stadtmauern am frühen Nachmittag. Die Tore standen weit offen und schienen unbewacht. Anscheinend vermutete niemand einen Angriff oder dergleichen. Woher auch? Dieses Land stand allein für sich. Eine fremde Armee würde nach wochenlanger Seefahrt nicht mehr die notwendige Motivation und Kraft für einen Angriff haben. Dennoch erblickten wir hier und dort stationierte Wachen auf den einzelnen Türmen.

Die Häuser wurden von den Stadtmauern her zur Innenstadt immer prunkvoller. Alles erinnerte mich hier an die Bauten des Schlosses Versailles in Frankreich. Hier schien niemand von Armut betroffen. Jeder Bürger ging einer Arbeit nach oder die feinen Damen, die unseren Weg kreuzten in riesigen, ausgefallenen, mich an die Barockzeit erinnernden Roben genossen die warme Sonne bei einem Spaziergang. Uns begegneten viele Männer in dieser unschönen gräulichen Uniform. Wir schienen wirklich nicht weiter aufzufallen. Das war für die ersten Tage vielleicht auch besser! Wir erreichten schließlich den Marktplatz, den Erika von Hundshaupten uns in eine Karte eingezeichnet hatte, welche aber nur Wolfram deuten konnte. Ich war ja schon mit der Schrift überfordert!

Er stieg vom Pferd und forderte mich mit einem Blick auf, es ihm gleich zu tun: „Wir sind in der Nähe der Pension. Wir sollten hier die Pferde an den Zügeln führen!“

Er hatte Recht. Der Marktplatz war beherrscht vom regen Treiben. Es war zu gefährlich, einfach hindurch zu reiten. Ich folgte Wolfram durch die Menge und betrachtete mir die reichen Auslagen der Händler. Hier feilschte niemand. Jeder bezahlte wohl das, was verlangt wurde. Für einen so stark besuchten Markt herrschte hier eine ungewöhnliche Stille.

„Wir sind da!“, Wolfram hielt an und zurrte die Zügel an einer dafür vorgesehenen Halterung am Eingang eines imposanten Gebäudes fest. Es war aus massiven, sandfarbenen Steinen errichtet worden und reichte wohl über fünf Stockwerke in die Höhe. An jedem zweiten Fenster wölbte sich ein aus Messing geschlagener Balkon hervor. Auf der Erde wäre allein dieser Anblick einem noblen 5 Sterne Hotel gleichgekommen. Wolfram hingegen schien unbeeindruckt, als er die Satteltaschen abschnallte und sie die Eingangsstufen hinauftrug: „Waschlappen, jetzt komm schon!“

Er hatte Recht. Wir hatten keine Zeit für Sightseeing! Wir mussten die Anderen finden und das Zepter! Schon sprang ich die Stufen ihm nach ins Innere.

Dort erschrak ich fürchterlich. Denn wie aus dem Nichts erschien vor mir ein Herr in schwarzen Gewändern. Ich wäre beinahe in ihn hinein gerauscht und drohte nun nach hinten wegzufallen, doch er hielt mich fest am Oberarm. Wolfram fuhr herum, funkelte erst den Herrn, doch dann mich schon leicht genervt an: „Yuuri!“ Doch in seinem Ausruf erkannte ich auch Besorgnis. Wolfram war manchmal wirklich schwer zu deuten!

„Entschuldigen sie, Sir! Ich wollte sie nicht erschrecken! Ich wollte ihnen nur meine Hilfe mit ihrem Gepäck anbieten!“

„Oh! Hähähä! So viel ist es doch gar nicht!“, verlegen kratzte ich mich am Kopf. Der Herr vor mir erinnerte mich optisch stark an Herrn Baker, dem Assistenten von Flynn aus Caloria.

„Natürlich können sie unser Gepäck nehmen! Wir wurden angekündigt!“, Wolfram schien wirklich keine weiteren Verzögerungen zu wünschen. Er erkannte in dem Herrn wohl wesentlich eher als ich einen Bediensteten des Hotels. Musste wohl an seiner Erziehung liegen. Unterrichtsfach: Sortiere optisch aus, wer adlig und wer Fußvolk ist, oder so in der Art. Ich schmunzelte.

„Gewiss. Wir haben mit eurer Ankunft gerechnet! Ich bin Kassel von Hundshaupten!“, er verbeugte sich tief. Ha! Also doch aus adligem Hause! Da hatte Wolfram wohl mal eine Stunde geschwänzt! Mein Schmunzeln wurde zum Grinsen. Doch Wolfram blieb weiterhin kühl in seiner Aussprache: „Freut mich. Ihre Schwester hat sie vermutlich über alles unterrichtet?“

„Sehr wohl, Sir. Ich werde sie hier wie jeden normalen Gast behandeln, um ihre Suche inkognito nicht zu behindern!“

„Sehr schön! Wir wünschen nun eigentlich nur erst einmal unser Zimmer zu sehen!“

„Jawohl, Sir!“

Anscheinend hatte Wolfram wirklich alles mit Erika besprochen und durchgeplant. Was blieb mir da noch zu machen oder zu sagen? War vielleicht auch besser wenn ich erst mal nichts tat oder sagte und alles still beobachtete. Auch im Foyer des Hotels herrschte reger Betrieb. Auch hier waren die Männer hauptsächlich in diesem einheitlichen Grau gekleidet. Vermutlich gerade eine Mode. So viele Soldaten konnte es doch in einer an sich friedlichen Welt gar nicht geben. Oder trog hier der Schein ganz gewaltig?

Ich folgte Wolfram und Kassel zu einem Fahrstuhl, wie es ihn auf der Erde wohl in den 1920'ern gegeben haben musste, fragte mich aber sogleich, wie dieser hier funktionieren würde in einer Welt, wo es keine Elektrizität gab. Anders als in Herkas hörte ich auch kein Wasser rauschen. Also war dieser wohl nicht mit Wasserkraft betrieben. Vielleicht mit Magie? Anissina würde weinen vor Glück, wenn sie dies sehen könnte! Obwohl... Anissina und weinen? Eine beängstigende und gruselige Vorstellung zu gleich! Der Fahrstuhl fuhr unsere schweigende Gesellschaft in den vierten Stock. Dort brachte uns Kassel zu einem Zimmer am Ende eines sehr langen Ganges: „Wie gewünscht, ein herkömmliches Zimmer!“, und er schloss die Tür, welche mit Schnitzereien, die ich nicht deuten konnte, verziert war, mit einem goldenen Schlüssel auf.

Es war trotz der Bezeichnung 'herkömmlich' ein außergewöhnlich schönes, großes und elegant eingerichtetes Zimmer. Unter Pension hatte ich mir eher eine Jugendherberge mit Etagenbetten vorgestellt, aber hier erwartete uns auch ein Doppelbett, welches in seiner Größe dem in meinem Zimmer im Schloss des Blutigen Eides in Nichts nachstand!

„Sollten die Herrschaften irgendetwas wünschen, so zögern sie bitte nicht, diesen Knopf zu drücken!“, Kassel von Hundshaupten verwies auf einen kleinen Klingelknopf direkt neben der Eingangstür, „Ich werde dann höchstpersönlich zu jeder Tages und Nachtzeit zu ihnen kommen!“ Er verbeugte sich tief, ausschließlich nur in Wolframs Richtung gewandt. Damit musste ich wohl in dieser Welt leben. Hier war ich wirklich nur herkömmlich. Also praktisch der ideale Ort für mich zum Urlaub machen! Wolfram schien diese neue Rollenverteilung auch nicht zu stören. Na ja, er hatte ja auch schon 82 Jahre Erfahrung als verzogenes Prinzchen!

Kassel von Hundshaupten verließ das Zimmer und schloss die Tür.

Überraschenderweise atmete Wolfram nun erleichtert laut auf und setzte sich auf den Bettrand. Mit verzogenem Gesicht strich er sich wieder über den rechten Oberschenkel. Es schmerzte ihn doch mehr als er zugeben wollte. Dieser Sturkopf! Das lange Reiten und Laufen musste ihn sehr belasten!

„Ich sollte mir das noch einmal ansehen, Wolf!“, ich machte einen Schritt auf ihn zu und wies auf sein Bein.

Er schüttelte den Kopf: „Nicht nötig, Yuuri! Über so viel Magie verfüge ich selbst noch, um dass wieder in Ordnung zu bringen!“

„Nun stell dich nicht immer so an und zeig schon her!“, es regte mich schon auf. Warum wollte er sich nicht helfen lassen. Es war doch nur sein Bein. Es würde schon auf keine weitere unangenehme Situation für uns hinauslaufen, solange er den Rest seiner Kleidung anbehielt!

„Yuuri, es ist mir unangenehm. Wenn du mich berührst. Ich meine, du hast in Herkas großspurig verkündet, dass du die Verlobung lösen willst weil ich dich nerve! Und nun spielst du seit Tagen den besorgten und überfürsorglichen Verlobten. Ich würde schon einmal gerne wissen wollen woran ich bei dir überhaupt bin! Ob du dir überhaupt Gedanken über uns machst! Das bezweifle ich nämlich sehr stark!“, er verschränkte die Arme vor seiner Brust. Nun war es also wieder so weit. Es war ja wirklich nur eine Frage der Zeit gewesen, wann wir das Thema wieder aufgreifen würden. Und an seiner Körperhaltung konnte ich nun ablesen, dass es nicht einfach werden würde. Wir schlitterten auf einen Streit zu. Aber diesmal nicht ohne alles zu sagen, was zu sagen war. Wir mussten diese Diskussion nun nutzen um die unausgesprochenen Dinge zwischen uns zu klären. Damit jeder von uns wusste, woran er beim Anderen war.

„Wolfram, es ist wirklich nicht so. Ich denke wirklich sehr viel nach über uns in der letzten Zeit! Verdammt! Weißt du überhaupt, wie schwer das hier für mich ist?", ich blieb ihm gegenüber direkt stehen und versuchte Blickkontakt herzustellen. Er sollte merken, dass ich diesmal nicht einfach die Flucht ergreifen würde.

„Du hast immer so eine abweisende Art, wenn ich in deiner Nähe bin. Ich habe stets das Gefühl, dass du nicht du selbst bist! Ich möchte keinen Partner, der meint, sich in meiner Gegenwart verstellen zu müssen!", seine Augen sahen mich verwundert an.

„ Glaubst du das wirklich? Du bist mir doch damals immer aus dem Weg gegangen. Mit jedem hast du mehr Zeit verbracht als mit mir!", protestierte er direkt, „was sollte ich denn davon halten? Die einzige Rolle, in der du mich an deiner Seite schon fast erduldet hast war die des Beschützers!"

„Ich war überfordert, verstehst du das nicht? Ich kam in eine neue Welt, man nannte mich Majestät, man wies mir einen Verlobten zu. Ich habe einfach versucht, eins nach dem anderen irgendwie richtig zu machen!"

„ Willst du damit sagen, wir hätten dich gedrängt, unser König zu sein oder ich hätte dich zu der Verlobung gedrängt?", er schien eingeschnappt.

„Mich hat niemand zu irgendeiner Entscheidung gedrängt. Ich habe mich damals entschieden, König von Shin Makoku zu werden und dieses Amt zu aller Zufriedenheit auszuführen. Unsere Verlobung hingegen hat einen anderen Hintergrund. Ich habe dir oft genug gegenüber gesagt, dass dies ein Missverständnis war. Ich habe nicht gewusst, dass wenn ich dir eine knalle du mit mir verlobt bist! Und ich habe damals auch nicht gewusst, dass dir das wohl so wichtig und ernst wird, sonst hätte ich vermutlich das alles direkt beendet!"

„Und nun? Willst du die Verlobung jetzt lösen?", ich hörte trotz des bissigen Untertons die Traurigkeit heraus.

„Ich habe unsere Verlobung die letzten Jahre einfach irgendwo akzeptiert. Ich mochte es, dass du immer an meiner Seite bist. Als Beschützer, als Freund. Aber ehrlich gesagt hab ich da auch nie mehr gesehen. Du bist 85 Jahre alt. Ich erst 18. Ich habe keine Ahnung von all dem. Ich weiß, ich habe zu wenig für uns gemacht. Ich habe zu wenig mit dir gemacht. Ich habe dich zu wenig beachtet. Doch du hast Recht. Ich bin ein Waschlappen. Ich bin ein Weichei! Ich habe immer eine Entscheidung vor mir hergeschoben! Doch ich bin jetzt im Moment auch noch nicht bereit eine Entscheidung zu treffen. Ich muss zugeben, dass ich in den letzten Wochen ziemlich viele neue Einsichten dazu gewonnen habe und sich seit Herkas in mir einiges bewegt hat, Wolfram. Und ich stehe dazu, wenn du sagst, ich sei ein Waschlappen oder ein Weichei, aber ich möchte dich bitten, mir Zeit zu geben um mir selbst klar zu werden, was ich will und was nicht. Wenn du denn jetzt in diesem Moment auf eine Entscheidung bestehst, wie es mit uns beiden in Zukunft weitergehen soll, dann würde ich vermutlich noch auf die Lösung der Verlobung bestehen. Du bedeutest mir viel, Wolfram, und das ist auch der Grund warum ich so... zögere. Du bist jemand, der eine ganz wichtige Position an meiner Seite hat und ich möchte, dass du das auch weißt! Aber ob das mehr ist als nur eine sehr enge Freundschaft... Ich halte mich noch nicht bereit genug für das alles. Noch nicht bereit genug für dich“, Wolfram drehte seinen Kopf weg. Ich fühlte mich zurückgeworfen an die Situation auf der Lichtung in Herkas.

„Wolfram, bitte gib mir noch etwas Zeit. Ich weiß, du hast lange genug auf eine Entscheidung gewartet, aber ich möchte es irgendwie richtig machen!“

Er reagierte nicht. Er betrachtete nach meiner langen Rede nur das Kissen auf seinem Bett.

„Ähm, ich werde dann jetzt ein paar Getränke besorgen!“, mit langsamen Rückwärtsschritt näherte ich mich der Tür. Es mochte bestimmt für ihn wieder wie eine Flucht ausgesehen haben, aber dem war nicht so. Ich hatte das Gefühl, er brauchte nun erst mal fünf Minuten für sich. Leise verließ ich den Raum und lief zur Treppe.

Solange ich nicht wusste, wie ich diesen Fahrstuhl bediente, war mir die Treppe irgendwie lieber. Ich war vermutlich in Höhe des dritten Stockwerks, als mir eine größere Gruppe entgegenkam. Ich presste mich mit dem Rücken an die Wand um sie auf der doch recht schmalen Treppe passieren zu lassen. Alles wieder einheitlich gekleidete Männer in dieser seltsamen grauen Uniform. Doch ich dürfte mich über deren Kleidungsstil nicht wundern, schließlich trug ich selbst diese Garderobe. Sie nickten beim vorübergehen freundlich in meine Richtung und ich erwiderte den Gruß. Es schienen ganz normale Gäste dieser Pension zu sein. Vielleicht sollte ich diesen Kassel von Hundshaupten einmal fragen, was es mit dieser einheitlichen Männertracht in Dark Makoku auf sich hat. So schlimm konnte der Geschmack der Dämonen doch wirklich nicht sein, dass dies nun der Mode entsprach. Doch ich hatte ja schon so viel Seltsames erlebt, seitdem ich in dieser Welt war.
 

„Dieses Weichei!“, murmelte Wolfram vor sich hin und rieb sich den schmerzenden Oberschenkel, „Noch länger warten soll ich also!“

Wütend darüber nahm er das Kissen und warf es energisch an die gegenüber liegende Wand: „Ich warte doch schon so lange!“

Aber was blieb ihm denn nun anderes übrig, als zu warten. Würde er nun Yuuri drängen, so würde er vermutlich wirklich wie angekündigt, diese Verlobung erst einmal lösen. Und das wollte Wolfram auch nicht.

Wieder fragte er sich, wie es soweit kommen konnte. Wieso hatte er sich nicht mit dem zufrieden gegeben, wie es war. Wieso hatte er die Stimmen, die er aus Adelskreisen vernommen hatte und die über seine mangelnde Eignung als Verlobter seiner Majestät lästerten, nicht einfach ignorieren können? Er hätte doch sein Leben leben können, wie er es die 82 Jahre vor Yuuri auch getan hatte und hätte dann diese Warterei als nicht so lästig empfunden.

Er hatte sich früher für nicht viel interessiert. Die Kunst, die Musik und der Kampf waren seine großen Leidenschaften gewesen. Wieso hatte er seine Zeit nicht lieber damit vergeudet als in sinnlose Gedanken an Yuuri, der ihn eh immer nur warten ließ oder seine Anwesenheit gar nicht zu schätzen wusste. Ja, vermutlich nicht einmal wirklich wahr nahm!

Wolfram spürte eine Wut in sich aufsteigen. Er konnte noch nicht einmal sagen, wem diese Wut genau galt. Ihm selbst, dass er sich zum Spielball dieser ihm fremden Gefühle in sich gemacht hatte oder Yuuri, der erst diese Gefühle in ihm wachgerufen hatte!

Er hatte doch an sich ein zufriedenstellendes Leben! Wieso war ihm nun dieses Leben nicht mehr genug? Es war ihm nicht mehr genug, seit er da war.

Dieses Weichei. Dieser tollpatschige, überfürsorgliche, treudoof dreinblickende, naive, jedem Rock hinterherschauende, wischiwaschipolitikführende Waschlappen!

Wolfram stöhnte auf: „Ich Idiot!“

Wer war denn hier das größere Weichei? Yuuri, oder derjenige, der sich in diesen Yuuri so unsterblich verliebt hatte, dass er sich ein Leben ohne diesen nicht einmal mehr ansatzweise vorstellen konnte. Was wäre denn das für ein Leben ohne Yuuri? Er erinnerte sich noch finster an die Zeit, als Yuuri nach dem Sieg über den Begründer wohl für immer gegangen war. Er hatte versucht sich nichts anmerken zu lassen. Doch seinen Brüdern hatte er nichts vormachen können. Oft hatte er sich sein Herz bei Conrad ausgeschüttet und ihm sein Leid geklagt, wie sehr er dieses leichte Bürschchen vermisste.

Nun war er schon so lange wieder da. Und nichts hatte sich zwischen ihnen verändert. Immer der gleiche Trott. Kein Vor und kein Zurück. Dabei war er so sicher, dass Yuuri derjenige war, mit dem er den Rest seines Lebens verbringen wollte. Der mit ihm die Abenteuer gemeinsam übersteht, die das Leben noch so zu bieten hatte. Der stets an seiner Seite war. Mit dem man zusammen sein konnte und sich das Leben teilte. Und der genauso fühlte wie er.

Sein Blick wurde trauriger. Dann würde er halt weiter warten müssen. Er war sich sicher, dass Yuuri derjenige war, den er zum weiteren Leben brauchte.

Es rüttelte an der Tür und er zuckte zusammen: „Hat er den Schlüssel nicht mitgenommen?“, und sein Blick auf das Tischchen neben der Türe bestätigte seinen Verdacht. Der Schlüssel lag noch da. Mit einem Seufzen erhob er sich und humpelte zur Tür. Er hätte die Zeit besser zum Behandeln seines Beines genutzt als sich wieder sinnlose Gedanken über Yuuri zu machen. Er drückte die Klinke nach unten und öffnete langsam die Tür: „Manchmal frage ich mich wirklich, wozu du einen Kopf auf deinen Schultern...“, er stockte, „...trägst!“ Vor der Tür stand nicht Yuuri. Verdammt! Er war unvorsichtig geworden. Sechs bewaffnete, in grau gekleidete Männer, grinsten ihn breit an. Wolfram versuchte schnell die Türe wieder zu zu schlagen, doch einer von ihnen hatte bereits seinen Fuß in die Türe gestellt: „So so, und ihr wollt gerne Nana sein!“

Wolfram stolperte nach hinten. Sein Blick fiel auf das Schwert, welches auf dem Bett lag. Er war wirklich unvorsichtig geworden. Dieses Gefühlschaos in ihm hatte zu sehr die Oberhand gewonnen. Noch über sich selber innerlich schimpfend drehte er sich um und versuchte zum Bett zurück zu eilen, doch etwas Hartes traf ihn genau zwischen den Schulterblättern.

„Wir sollen sie eigentlich an einem Stück und ohne Blessuren überbringen!“, räusperte sich einer amüsiert und Wolfram erkannte, dass derjenige eine Energiekugel in Händen trug. Die Angreifer waren also Nutzer des Maryokus! Verdammt!

Er rappelte sich wieder auf: „Ich reagiere jedoch nur auf zuvor an mich gerichtete höfliche Einladungen!“, fluchte er und sprang zum Bett. Auf den Millimeter genau erwischte er den Griff seines Schwertes und entledigte sich schnell seiner Scheide: „ Und egal, wer mich gerne sehen möchte... er muss sich schon was anderes einfallen lassen als dieses Begleitkomitee!“

„Ha!“, schrie einer der Angreifer von links und ließ sein Schwert auf Wolfram niedersausen, doch Wolfram parierte den Schlag mühelos, wich in entgegengesetzter Richtung aus und versetzte ebensolchen Angreifer mit seiner freien Faust einen kräftigen Hieb in die Magengegend. Dieser brach aufstöhnend zusammen.

Erneut schoss eine Energiekugel haarscharf an Wolframs Kopf vorbei und verpuffte an der Wand hinter ihm, wo sie einen riesigen Rußfleck hinterließ.

Der Magieanwender schien der Anführer dieser Gruppe zu sein.

„Denkt ihr, ihr könnt mich damit beeindrucken!“, zischte der blonde Dämon, sprang schnell auf einen Stuhl, trat sich von dessen Sitzfläche ab und ließ sich und sein Schwert auf den Angreifer zu seiner Rechten niedersausen. Dieser rollte sich zur Seite weg, doch Wolfram war sicher, ihn noch am Bein erwischt zu haben. Einige Blutspritzer an der Wand dahinter bestätigten dies. Erneut schoss eine Energiekugel auf ihn zu und er versuchte auszuweichen, doch diese streifte ihn am Arm. Ein brennender Schmerz durchfuhr ihn und ließ ihn zusammenfahren. Sein Bein machte ihn tatsächlich wesentlich langsamer. Auf Dauer würde er einen Schwertkampf mit diesen Attentätern nicht durchstehen. Zudem würde Yuuri jeden Augenblick zurückkehren. Er musste diese Sache hier erfolgreich erledigen, bevor seine Majestät in Gefahr geriet!

„Ich rufe die Elemente des Feuers!“, er erhob seine Hand und darin sammelten sich sofort die ersten flammendroten Energieteilchen, „Gehorcht dem siegreichen Volk über die Schöpfergötter!“

Die glühendheiße Kugel schoss sogleich auf den vermeidlichen Anführer zu, doch einer seiner Männer warf sich schützend vor ihn.

„Verdammt!“, zischte der Feuerdämon.

„Es stimmt also! Ein Feuermaryoku aus dem Clan der Bielefelds!“, lachte dieser auf, während sich sein Untergebener auf dem Boden wälzte, um die Flammen auf seinem Körper zu ersticken.

Wolfram schien überrascht, als sein wahrer Name fiel, doch er konnte sich nicht lange darüber wundern. Er spürte hinter sich die Präsenz eines weiteren Gegners und während er sich noch darüber ärgerte, dass er so unvorsichtig war, wurde ihm schwarz vor Augen.
 

Das nächste Mal nehme ich vielleicht doch den Fahrstuhl!, ging es mir durch den Kopf während ich die Treppen wieder hochstapfte. In meiner Hand trug ich einen wirklich schweren Präsentekorb. Den hatte mir unten an der Rezeption ein Mädchen in die Hand gedrückt, welches gekleidet war wie eine dieser Maids aus diesen ganzen neuen Cafes bei mir daheim in Saitama.

In diesem Körbchen war wirklich alles, was ein gemütliches Picknick im Grünen ermöglichen würde. Dabei hatte ich doch nur eine Flasche Wasser gebraucht.

Irgendwo zwischen dem dritten und vierten Stock kamen mir die Herren von vorhin wieder entgegen. Diesmal trugen jedoch zwei von ihnen einen größeren schwarzen Sack.

Ich nickte wieder freundlich, und der Vorderste grinste: „Einen angenehmen Aufenthalt noch in Kumo. Wir checken nun aus!“

„Oh, vielen Dank!“, entgegnete ich und machte mich wieder schmal, um sie vorbei zu lassen. Die Leute schienen mir hier alle bisher freundlich und wohlerzogen. Die letzten Stufen in mein Stockwerk schaffte ich dann auch noch und schlenderte den Gang hinunter.

Ob Wolfram noch Ruhe brauchte? Er würde schon etwas sagen! Ich wollte ihm erst mal etwas aus dem Korb geben. Schließlich redet es sich mit gefüllten Bäuchen weitaus angenehmer!

Ich stockte. Unsere Zimmertür war angelehnt. Wobei das ja nichts Schlechtes heißen musste.

Schließlich hatte ich nicht an den Schlüssel gedacht und Wolfram war dies bestimmt aufgefallen.

Ich betrat also unser Zimmer: „Wolf, sieh nur was...ich...“, ich sah mich suchend um.

Wo war er? Das Bett war leer. Ein Stuhl war umgefallen. Die mir gegenüberliegende Wand zeigte einen verrußten Abdruck, der zuvor nicht da war und neben mir, quer über die weiße Wand verteilt... Blutspritzer!

Mir glitt der schwere Korb aus der Hand, welcher laut aufschlug. Die Karaffe mit Wasser war zersprungen und der Inhalt verteilte sich nun großflächig vor meinen Füßen.

Wolfram?

Wolfram!!!

„WOLFRAAAAAM!“

Kapitel 11

KAPITEL 11
 

SPEZIAL
 

Abenteuer in Shin Makoku

oder

Dacascos Leiden & Shoris Kummer
 

Ach, Yu-chan, ich kann das nicht! Du weißt, dass ich dies nicht leichtfertig sage, denn deine Mama kann einfach alles, was zum Wohle ihrer zwei Jungs ist, aber das ist doch alles etwas viel für mich! Wie soll ich denn die Geschehnisse der letzten Wochen in wenigen Sätzen zusammenfassen? Das ist eine unmögliche Aufgabe, die du mir da gegeben hast!

Hier ist doch alles so neu für mich. Und auch vieles, was ich noch nicht so recht verstehe. Also, wenn du wieder da bist, muss ich dir ganz dringend ein paar Fragen stellen!

Aber das ist nun nicht so wichtig. Hier ist wirklich viel zu tun! Wir haben uns hier einiges vorgenommen! Es hat zwar ein paar Tage gedauert, bis ich mich hier eingelebt hatte, doch nun fühle ich mich hier so wohl, als wäre ich nie irgendwo anders gewesen. Ich muss aber sagen, dass ich mir schon Sorgen um deinen Vater mache. Du weißt doch, dass er nicht vernünftig isst, wenn ich nicht koche! Doch ich habe hier wirklich keine Zeit mir Gedanken zu machen. Wie ich schon sagte, wir haben hier einiges zu tun!

Cherie ist wirklich eine beachtenswerte Persönlichkeit! Ich kann es immer noch nicht ganz fassen, dass sie 260 Jahre alt sein soll!

Yu-chan, 260!!!!

Ich bin 44 und habe das Gefühl, neben ihr wie die ältere Schwester zu wirken. Ich verstehe nun endlich, woher du diese Komplexe hast. Dabei muss ich doch schon mit Stolz sagen, dass du dich wirklich hervorragend entwickelt hast. Du bist so ein stattlicher, junger und hübscher Mann! Und dann auch noch ein König! Ach!

Ich muss sagen, dein Volk liebt dich sehr. Ich war nun einige Male in der Stadt und alle begegneten mir stets freundlich und hilfsbereit und sprachen nur in den löblichsten Tönen über dich! Auch Shori zeigt mir immer wieder auf, was für tolle Arbeit du hier schon geleistet hast. Er hat hier ja kaum was zu tun.

Obwohl, so genau kann ich das nicht sagen. Er ist sehr oft in deinem Büro und brütet über den Unterlagen. Er sagt, er habe sich erst einmal die Schrift hier aneignen müssen. Mittlerweile spricht er auch schon die Sprache! Er sagt immer, dass es für ihn als Dämonenkönig der Erde wichtig sei die Sprache seines Bruders sprechen zu können. Es ist wirklich erstaunlich für mich, dass ich gleich mit zwei so fantastischen Söhnen gesegnet bin! Obwohl mir ein Mädchen auch sehr lieb gewesen wäre. So eine süße Tochter, die ich in all diese niedlichen Kleidchen stecken könnte, die ich unten auf dem Markt gesehen habe. Ich konnte nicht umhin, dir eines zu kaufen! Und wenn es dir nicht gefällt oder gar zu klein ist, weil du wächst ja so rasant die letzte Zeit, so passt es ganz bestimmt Wolfram!

Ich habe heute vor, Sangria, Eva, Doria und Lasagna in die Geheimnisse des Currys einzuweisen. Das ist bestimmt keine leichte Aufgabe, aber absolut von Nöten!

Ich habe hier nichts gegen die einheimische Küche einzuwenden, aber meine Jungs müssen doch bei Kräften bleiben! Doria ließ mir eben die Nachricht zu kommen, dass es ihr gelungen sei, alle benötigten Gewürze dafür aufzutreiben. Das heißt, bis du wieder zurück bist wird dich hier ein gutes, hausgemachtes Curry erwarten!

Wusstest du eigentlich, dass man hier im Schloss dem Glücksspiel frönt? Ich weiß wirklich nicht, ob ich das gut heißen soll! Mir ist jetzt schon mehrfach der Begriff Liebeslotterie zu Ohren gekommen und das sich die Einsätze verändert haben. Ich werde mich für dich dahinterklemmen und Genaueres herausfinden! Ich hoffe doch nicht, dass sich in den Kellern deines Schlosses eine Spielerhölle befindet!

Ach ja, dein Schloss ist wirklich sehr schön. Ich habe allerdings Shori nun mehrfach den Antrag auf Namensänderung unterbreiten lassen. Er weigert sich, mir da auch nur einen Augenblick Gehör zu schenken. Notfalls muss ich da auch mal mit diesem Shinou darüber reden. Also dieser Name: Schloss des Blutigen Eides! Findest du nicht, der hört sich nach blutigem Wikingertum an? Oder nach Meuchelmord? Das passt doch gar nicht zu dir, Yu-chan! Meine Namensvorschläge bisher waren da wesentlich wohlklingender, wie: Friedenspalast oder Schloss der Blumen. Letzteres fand auch bei Cherie Begeisterung!

Ich wusste gar nicht, dass sie dir zu Ehren eine Blumensorte gezüchtet hat. Gerade steht ein Strauß 'Yuuris Unschuld' auf meinem Nachttischchen. Wirklich sehr schön! Cherie arbeitet gerade an einer Neuzüchtung, welche den Namen 'Shoris Kummer' tragen soll. Sie unterstützt Shori wirklich mit voller Inbrunst! Also eine solche Partnerin an Shoris Seite ist schon wünschenswert! Ich muss nun leider meine Aufzeichnungen unterbrechen, mein lieber Yu-chan, denn das Curry macht sich ja nicht von alleine und es soll ja fertig sein, wenn du wieder kommst! Ich sagte ja bereits, hier ist viel zu tun!
 

In der Küche des Schlosses des Blutigen Eides herrschte rege Aufregung. Die Mutter des Königs gab heute eine Vorstellung zum Besten, die sich fast niemand bei Hofe entgehen lassen wollte! Alle Plätze an den Fenstern waren belegt mit neugierigen Augenpaaren, die in die doch recht kleine Küche stierten und jeder Handgriff der so ehrenwerten Königsmutter wurde leise murmelnd diskutiert und auch stellenweise notiert. Wann hatte man schon einmal eine solch hohe Persönlichkeit hinter einer Kochstelle stehen sehen?

„Aus dem Weg! Aus dem Weg, meine Herren!“, ertönte eine energische Frauenstimme und bahnte sich einen Weg zu der offenstehenden, jedoch vollends belegten Küchentür.

Anissina von Karbelnikoff, eine der drei großen Dämoninnen ihrer Zeit, betrat schließlich den kleinen Raum und warf dabei schwungvoll ihren langen Pferdeschwanz. Der feuerrote Schopf peitschte nach hinten und ließ sogleich drei neugierige Soldaten, deren Uniformen nach sie aus dem Gefolge Weller waren, ihre Balance verlieren und nach hinten stürzten. Anissina schenkte doch dem von ihr verursachtem Tumult wie immer wenig Beachtung. Voller Stolz und mit vor Freude aufleuchtenden Augen trug sie einen Gegenstand herein und hielt ihn majestätisch in die Höhe: „Werte Jennifer-sama, seht her, was ich mir zur Unterstützung eurer Pläne habe einfallen lassen!“

Zumindest war nun alle Aufmerksamkeit auf die junge Dämonin gerichtet.

„Ich nenne es 'Fix gekocht und rein damit-kun', den Prototypen eines Kochtopfes, der mit Einsatz magischer Kräfte das Essen in der Hälfte der Zeit gar werden lässt! Denn auch wir sollten an Morgen denken und Energie sparen!“

Miko Shibuya legte den Kopf schräg zur Seite und betrachtete Anissinas Mitbringsel: „Aber Anissina-chan! Das schaut aus wie ein herkömmlicher Schnellkochtopf!“

Anissina schien das Wort 'herkömmlich' einfach überhört zu haben und setzte ihren neusten Geniestreich auf den Herd: „Stimmt genau. Ein Kochtopf, der das schnelle Zubereiten der Speisen ermöglicht!“ Sie blickte sich suchend um. Miko hatte auf einmal das Gefühl, dass sich ihre Zuschaueranzahl schlagartig verringerte. Um genau zu sein, stand plötzlich nur noch ein Soldat am Fenster und beobachtete die Geschehnisse.

„Dacascos! Das ist aber nett, dass du dich freiwillig meldest!“, schoss es begeistert aus Anissina heraus und der Angesprochene zuckte erschrocken zusammen. Nun wurde er sich seiner Lage bewusst. Entsetzt ließ er das Fensterbrett los, auf welchem er sich zuvor noch abgestützt hatte und stolperte nach hinten in das Blumenbeet.

„Nun komm herein und teste für uns diesen Kochtopf!“

„Aber...aber...ich bin nun zur Wache eingeteilt. Ich kann unmöglich meine Pflicht vernachlässigen!“, er versuchte, sich krabbelnd aus dem Staub zu machen, aber Anissina war schneller: „Pappelerpapp! Günter ist nicht da! Dem fällt das also gar nicht auf. Zudem unterstützt du hier das Allgemeinwohl!“, sie klatschte begeistert in die Hände, „Und was gibt es Erfüllendereres in der Soldatenpflicht, als seinem Volk so dienlich zu sein!“

Dacascos stand die nackte Angst ins Gesicht geschrieben. Er war in die Fänge der roten Teufelin geraten! Still schickte er noch ein Gebet an den großen, jedoch abwesenden Shinou, er möge seine Frau Amblin und seine Tochter nach seinem Ableben schützen, ehe sich Anissina den kahlköpfigen Soldaten schnappte und ihn in die Küche schleifte.
 

„Wuuuuuuaaaaaah!“, ertönte vom Hof her ein Schrei, dicht gefolgt von einem lauten Knall. Dunkle Rauchschwaden zogen an den raumhohen Fenstern des Büros seiner Majestät vorüber. Es folgte einen kurzen Augenblick lang eine beklemmende Stille, dann ein Aufschrei: „Dacascos, wir sind noch nicht fertig!“

„Hahaha! Anissinas Arbeitseifer zum Wohle des Königreiches ist trotz Gwendals Abwesenheit ungebrochen!“, kicherte Cecilie von Spitzweg und beugte sich nach vorne, um ein Dokument in ihre Richtung zu drehen. Shori blickte auf und erstarrte. Er sah genau in das reichlich ausladende Dekolletee der ehemaligen Dämonenkönigin und schluckte.

Cherie war ihm in den letzten Wochen schon eine große Hilfe gewesen, gerade mit dem ganzen Schriftverkehr in der ersten Zeit, doch raubte ihm diese vollbusige Schönheit auch den Verstand. Die plötzlich aufsteigende Röte seiner Majestät Shori war der Dämonin nicht verborgen geblieben. Sie beugte sich noch tiefer um ihm dann betörend ins Ohr zu flüstern: „Gefällt euch, was ihr da seht?“

Shori sprang erschrocken auf und riss dabei seinen Stuhl um:

„Nein...ich meine...doch....sehr...aber...!“

Cherie lachte erneut hell auf: „Aber, aber, eure Majestät! Es ist nichts wofür ihr euch schämen müsstet!“

Sie lief, mit ihrem Finger die Maserung der Tischplatte nachzeichnend, einmal um den Tisch herum und lehnte sich Shori gegenüber an diesen an. Mit verführerischem Blick musterte sie den älteren Bruder und Vertreter seiner Majestät Yuuri genau: „Habt ihr eigentlich eine Freundin?“

„Hä?“, war alles was Shori mit weit aufgerissenen Augen hervor stammeln konnte.

Nannte man so was auf der Erde nicht sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz?

Sie beugte sich erneut zu ihm vor: „Ich bin ihnen sehr gerne behilflich, erste Erfahrungen mit dem anderen Geschlecht zu sammeln, Shori-sama!“, und ließ ihre rot lackierten Fingernägel über seinen Brustkorb kreisen.

Shori stand der Schweiß auf der Stirn. Hätte man nicht wenigstens diesen kläffenden Spitz da lassen können, diesen Wolfram? Oder diesen Großmutterersatz und Mädchen für Alles Günter? Halt irgendjemanden, der ihm diese Frau vom Leib halten könnte?

Er hatte ja wirklich nichts gegen sie. Und sie sah ja auch einfach umwerfend aus, aber sie war die Mutter von Yuuris Verlobten. Schlagartig fiel Shori wieder ein, dass dies ja dann sein Schwager werden würde und er sich daher zukünftig die Bemerkung kläffender Spitz verkneifen sollte. Aber er hatte auch schon ganz andere Bezeichnungen für den blonden Feuerdämonen gehört. Nun denn, er konnte doch nichts mit einer 260 Jahre alten Frau anfangen! Der angehenden Schwiegermutter seines Bruders! Zudem wollte er das auch gar nicht! Er hatte seinem Bruder versprochen, sich hier auf die Aufgaben eines Königs zu konzentrieren und sich um alles zu kümmern, was ihm täglich vorgelegt wurde und das beinhaltete doch wohl nicht die sexuellen Wünsche seiner potenziell neuen Verwandtschaft!

Cherie kam ihm immer näher. Sein Herz raste. Sein Blut rauschte. Der Schweiß floss.

Die Tür wurde aufgerissen.

Ein übelst mitgenommener und mit Ruß beschmierter Dacascos stand keuchend in der Tür, blieb jedoch bei dem Anblick, der sich ihm gerade bot, peinlich berührt stehen. Seine Körperhaltung wurde plötzlich extrem steif und starr mit nach oben gerichtetem Blick zur Zimmerdecke.

Shori war es gerade ganz egal, warum dieser Soldat hereingeplatzt war. Er hätte diesen knutschen können. Denn just in diesem Moment hatte Cherie von ihm abgelassen und war mit betretener Miene wieder auf die andere Seite der Tischplatte gekehrt.

„Majestät Shori-sama! Euer treuer Diener Dacascos bittet höflichst um Verzeihung wegen dieser Störung, aber ich habe Bericht zu erstatten!“

„Na, dann berichten sie!“, Shori stellte seinen Stuhl wieder in die richtige Position, als etwas an diesem Soldaten vorbeischoss und direkt neben seinem Tisch stehen blieb:

„Sho-chan, ich kann so nicht arbeiten! Die ganze Küche steht in Flammen!“

„Mutter, was hast du getan?“, erneut sprang er auf und warf dabei den Stuhl um.

Wie hielt Yuuri das nur aus? Eine stille, friedliche Regentschaft war doch hier schlichtweg unmöglich! Hier ging es zu wie in einem Taubenschlag!

Cherie beugte sich aus einem der Fenster: „Stimmt. Die Küche brennt!“, doch die Altkönigin schien keinesfalls besorgt darüber zu klingen.

Shori blickte ebenfalls aus dem offenstehenden Fenster und zauberte dadurch Cherie ein zufriedenes Lächeln auf das Gesicht. Denn unbedachterweise presste er sich dadurch an ihren Vorbau vorbei. Shori versuchte diese Tatsache zu ignorieren und ließ lieber seinen Blick über den Hof schweifen zu der gegenüber liegenden Küche. Die Löscharbeiten waren unter den schroffen Anweisungen Anissinas und der als Feldwebel gefürchteten Gisela im vollen Gange.

„Dann wird heute Abend wohl kalt gespeist“, säuselte Cherie und etwas leiser an Shori gewandt, „Für die heiße Küche könnt ihr aber gerne in meine Gemächer kommen!“

Erneut über so viel Offenheit geschockt wich Shori wieder vor Cherie zurück und knallte mit dem Hinterkopf an den Fensterrahmen. Das tat weh! Verdammt!

„Sho-chan! Alles in Ordnung? Tut es sehr weh?“, Miko eilte zu ihrem ältesten Sohn und streichelte ihm behutsam über die schmerzende Beule.

„Ich hätte immer noch Meldung zu machen!“, ertönte diesmal etwas leiser Dacascos Stimme. Dieser war sich nun absolut nicht sicher, ob ihm noch irgendjemand Gehör schenken würde.

„Ja ja, reden sie einfach!“, stöhnte Shori schon leicht genervt klingend auf, während ihn zwei Frauen, seine Mutter und Cherie, liebevoll und liebestoll betätschelten.

„Die Prinzessin ist soeben nach Hause gekehrt!“, doch diese Information hätte sich Dacascos auch sparen können, denn ein braun gelockter Wirbelwind stürmte das Büro:

„Yuuuuuuuuuuriiiiiiiiiii!“

Stille.

„Prinzessin? Hat Yu-chan denn noch eine Verlobte?“
 

Da man schon die Tische im Garten für den täglichen Kaffee am Nachmittag eingedeckt hatte, hatten die selbstgebackenen Kuchen von Eva den Brand überlebt und man hatte beschlossen, doch dieses erste Kennenlernen an die Kaffeetafel zu verlegen.

„Yu-chans Tochter?“, Miko Shibuya starrte das junge Mädchen ihr gegenüber mit großen Augen an.

„Yuuri hat sie adoptiert“, erläuterte nun Shori, um jedwede falsche Vermutung seiner Mutter sofort im Keim zu ersticken.

„Yu-chan hat eine Tochter und er hat es mir nicht gesagt?“

„Er wollte dich damit bestimmt überraschen, Jenny, wenn er zurück ist!“, versuchte Cherie sie zu beruhigen.

„Onkel Shori?“, meldete sich nun auch etwas kleinlaut das zierliche junge Mädchen mit den großen braunen Augen neben dem dritten Doppelschwarzen des Reiches, „Wer ist diese nette Lady?“

„Oh stimmt! Wie konnte ich mich nicht vorstellen!“, Miko verließ ihren Platz und eilte zu ihr um die gedeckte Tafel herum, „Ich bin deine...“, sie zögerte bei diesem doch für sie recht ungewohnten Wort, „...deine Oma Jenny!“

Shori verschluckte sich am Kaffee und hustete laut auf. Miko ließ sich jedoch nicht weiter stören und fuhr eifrig fort: „Ich bin die Mama von Yu-chan und Sho-chan! Und du bist Yu-chans Tochter, ja? Oh wie schön! Und wie hübsch du bist! Dir stehen bestimmt die ganzen Kleidchen auf dem Markt ganz toll! Ach, wir müssen unbedingt zusammen einkaufen gehen! Und...“

„Mutter!“, unterbrach sie Shori, doch sie schenkte ihrem Ältesten keine Beachtung.

„...und so schöne Haare hast du! Darf ich dir auch kleine Zöpfchen flechten? Bei Yu-chan hat das nie so wirklich geklappt. Er wollte nie stillhalten...“

„Mutter!“

„Wie alt bist du denn jetzt überhaupt? Ich habe bestimmt ganz viele Geburtstage von dir verpasst! Was bin ich nur für eine schlechte Oma! Das müssen wir...“

„Ähm...Mutter!!!“

„...alles nachfeiern! Genau! Wir feiern eine Geburtstagsfeier nachträglich für alle Geburtstage, die ich von meiner Enkelin verpasst habe!“

„MUTTER!“, Shori war aufgesprungen und erneut, zum dritten Male an diesem Tag, fiel der Stuhl zu Boden.

„Sho-chan? Was ist denn? Geht es dir nicht gut?“, Miko betrachtete ihn besorgt, doch er stellte sich seinen Stuhl wieder zurecht und setzte sich.

„Du solltest ihr auch einmal die Möglichkeit geben, zu Wort zu kommen!“, sagte er schließlich mit ruhigerem Ton und wies auf Greta.

Cherie kicherte: „Yuuri und Wolfram haben sie kurz nach Yuuris Krönung adoptiert. Sie verbringt stets ein halbes Jahr mit ihrer Freundin Prinzessin Beatrice in einem Internat in Cavalcade in der Menschenwelt und die andere Jahreshälfte bei uns. Yuuri wünscht sich, dass sie beide Welten ausreichend kennenlernt, denn schließlich soll sie einmal eine weise und gerechte Kaiserin von Zorashia werden!“

„Oh!“, flüsterte Miko beeindruckt und betrachtete sich ihre Enkelin genauer.

Diese strahlte sie an: „Eigentlich müsste ich ja traurig sein, dass Yuuri und Wolfram nicht da sind, aber dennoch freue ich mich hier zu sein! Ich habe dich, Shori“, sie wandte sich an ihren Onkel und strahlte diesen so sehr an, dass er verlegen rot wurde, „nach so langer Zeit wiedergesehen und dich, Jenny“, sie dreht ihren Kopf herum und erwies Miko das gleiche, herzerwärmende Lächeln, „meine Oma, habe ich endlich kennengelernt! Ich bin so glücklich! Mein Name ist Greta. Prinzessin von Shin Makoku, und ich würde mir gerne von dir Kleider anziehen oder mir Zöpfe flechten lassen!“

Sie verbeugte ihren Kopf. Miko klatschte begeistert in die Hände: „Nein! Bist du süß! Und so wohl erzogen!“ Miko schloss das Mädchen so gleich in ihre Arme und drückte sie herzlichst. Kaum hatte sie sich von ihrer neu hinzugewonnenen Enkelin gelöst, wandte sich ihr Blick schon zu Cherie, welche genüsslich an ihrem Tee nippte: „Cherie, sollten wir unsere süße Enkelin nicht in unsere Pläne einweihen?“

„Aber gewiss, meine Teuerste! Jede helfende Hand bei unserem Unterfangen kann nur von Nutzen sein!“, flüsterte die ehemalige Dämonenkönigen fast schon verschwörerisch.

„Mutter, ich möchte euch bitten, mich weiterhin aus diesen Plänen herauszuhalten. Ich werde nichts tun, was Yuuri, und da bin ich mir ziemlich sicher, dass es so ist, nicht möchte!“

„Sho-chan, nun sei doch nicht so! Natürlich möchte Yu-chan es! Ich habe doch noch am Hafen mit ihm darüber gesprochen!“, Miko strich ihrem Ältesten liebevoll über die Schulter.

„Das kann ich mir irgendwie gar nicht so richtig vorstellen!“, Shori fuhr sich grübelnd über die Stirn, „Zudem kann auf dieser Reise viel passiert sein! Was ist wenn er seine Meinung geändert hat und es dann nicht mehr will?“

„Dann findet es halt statt zu Ehren dieses komischen Zepters oder weil sie gesund wieder gekommen sind. Wir werden doch wohl nicht so fantasielos sein!“, schaltete sich nun auch Anissina wieder ein.

„Ähm, um was geht es eigentlich?“, Greta ließ ihren Blick über alle Beteiligten in der Runde schweifen. Selbst die Dienstmädchen im Hintergrund schienen informiert zu sein und tuschelten und kicherten eifrig.

„Na, wir planen eine Hochzeit!“, rief Miko begeistert aus.

„Die Schönste und Größte, die jemals in Shin Makoku stattgefunden hat!“, ergänzte Anissina.

„Ausgestattet mit meiner Erfahrung aus meinen drei bisherigen Hochzeiten!“, fügte Cherie, mit seltsamen Blick auf Shori, der diesen frösteln ließ, hinzu.

„Eine Hochzeit!“, rief Greta begeistert aus, „Aber wer heiratet denn?“

„Die Beiden, die es am Wenigsten wissen. Und wenn sie es wüssten, kämen sie vermutlich nie wieder!“, seufzte Shori und verwirrte damit den kleinen braunen Lockenkopf umso mehr.

„Na, deine Väter!“, wisperte ihr schließlich das Dienstmädchen Eva ins Ohr und legte der freudig überraschten Prinzessin einen weiteren ihrer Lieblingskekse auf den Teller.

„Wie toll! Wie kann ich denn helfen?“

„Nun, wir wollen, dass es eine Hochzeit wird, die beide Welten vereint. Also, nicht nur eine Zeremonie nach Shin Makoku-Art, sondern auch Elemente aus einer Trauung auf der Erde!“, erklärte Anissina ihrem Pflegekind. Denn stets wenn Yuuri und Wolfram auf Reisen waren, waren sie und Gwendal es, die sich liebevoll um das kleine Mädchen gekümmert hatten. Daher war auch Gretas Verehrung für die rothaarige Dämonin ausgesprochen groß.

„Dazu gehören Ringe, die sich die beiden Vermählten anstecken!“, erklärte nun ihre neu hinzugewonnene Oma Jenny.

„Nur unser Problem ist, dass wir die genaue Ringgröße der Beiden nicht wissen!“, seufzte die blonde Dämonin.

„Was gar nicht so übel ist weil ohne Ringe keine Hochzeit ohne deren Wissen!“

„Unsinn, Sho-chan! Es wird geheiratet. Basta! Die beiden haben doch bereits ein Kind zusammen! Da ist es doch schon verpflichtend den Bund einzugehen!“, wurde Shori prompt von seiner Mutter ermahnt.

„Ich weiß ihre Fingergröße!“, kam es nun zögerlich von Greta. Alle Blicke schossen nun in die Richtung der kleinen 13-Jährigen.

„Woher denn das?“, fragten sie wie aus einem Mund.

„Wir halten oft Händchen beim Spazierengehen. Ich kann daher mit meinen Händen die genaue Ringgröße jedes einzelnen Fingers der Beiden vorzeigen...wenn das hilft, meine ich!“

Miko zog ihre Enkelin aus dem Stuhl hoch und drückte sie erneut an sich: „Und wie uns das hilft! Nun können wir endlich mit der Mission: Haubenpower richtig loslegen!“
 

„Es tut mir leid, ich habe alles versucht. Ich habe allen Juwelieren des Landes und in den angrenzenden Ländern eine Anfrage gestellt mit der Begründung, dass es sich um seine Majestät handelt, aber es war keine Unze mehr zu bekommen“, der königliche Juwelier blickte betreten auf den roten Teppich im Thronsaal des Schlosses des Blutigen Eides.

Auch Cherie seufzte betrübt auf.

„Was ist denn?“, fragte Miko ihre Freundin und diese antwortete ihr so gleich:

„Ich wollte die Ringe aus dem äußerst seltenem Metall Smaragolit herstellen lassen. Es ist ein sehr magisches Metall und man sagt ihm ewige Verbundenheit nach. Es hätte so schön gepasst! Auch zu Wolframs Augen oder dem schwarzen Haar seiner Majestät! Nur ist dieses Metall mittlerweile so selten, dass man es nicht einmal mehr auf dem Schwarzmarkt bekommen könnte!“

„Man müsste es selbst abbauen!“

Alle Blicke wandten sich um.

Dacascos erschrak. Hatte er etwa gerade laut gedacht?

„Wie meint ihr das genau?“, hakte nun Anissina ein und ging auf ihn zu.

Dacascos mochte es ganz und gar nicht, wenn Lady Anissina von Karbelnikoff ein Auge auf ihn geworfen hatte. Dies war oftmals mit großen Schmerzen für ihn verbunden gewesen.

Daher versuchte er schnell eine zufriedenstellende Antwort zu finden: „ Im Tal der Drachen sind nachweislich Smaragolitsteine zu finden, nur traut sich da niemand hin....wegen der Drachen... meine ich. Ich weiß dass weil mich Amblin, also meine Frau, jedes Jahr zum Hochzeitstag sinnloserweise damit beauftragt, ihr dort einen solchen Stein zu holen! Und in zwei Wochen ist es wieder soweit!“, er stöhnte auf.

„Wenn sich von euch verweichlichtem Männervolk da niemand hin traut, so hält uns Frauen das noch lange nicht davon ab!“, Anissinas Augen spiegelten die absolute Vorfreude wider.

„Denkst du wirklich, dass ist eine gute Idee, Anissina?“, Cherie zweifelte noch.

„Aber natürlich! Es sind doch nur Drachen!“

„Genau! Und hier geht es um das zukünftige Glück unserer Söhne! Da werden wir es diesen Drachen schon gehörig geben!“, Miko ballte strahlend die Siegesfaust.

„Aber Jenny-sama, die Drachen stehen auf der Liste...“,begann Dacascos den Satz und wurde von Miko unterbrochen: „Der 666 bedrohten Arten. Ja, Yu-chan hat mir von einer solchen Liste erzählt! Ich habe ja auch nicht vor, irgendeinem Lebewesen ein unnötiges Leid zu zu fügen. Ich will nur so einen Stein! Und eine liebende Mutter ist bereit, jedes Wagnis in Kauf zu nehmen für das Glück ihres Kindes!“

„Da hast du recht!“, Cherie erhob sich von der Lehne des Throns.

Shori, der bisher nur schweigend auf eben diesem Thron gesessen hatte, seufzte auf:

„Dann werde ich euch trotz meiner verweichlichten Männlichkeit“, er blickte finster zu Anissina, „wohl begleiten müssen. Yuuri würde mir nie verzeihen, wenn euch allen etwas während meiner Amtszeit zu stieße!“

„Oh, Sho-chan! Ich wusste, dass dir das Eheglück deines Bruders am Herzen liegt!“

Irgendwie verstand seine Mutter da eindeutig etwas falsch.
 

In den Stallungen des Schlosses des Blutigen Eides herrschte am frühen nächsten Morgen reger Betrieb.

Dacascos konnte sich nicht entsinnen, jemals so viel Damenbesuch an seinem Hauptarbeitsplatz empfangen zu haben.

Zunächst war da die Altkönigin, Cecilie Herzogin von Spitzweg, die von allen nur Cherie genannt werden wollte. Sie trug heute einen sehr zugeknöpften Reitanzug. Dies war für alle Anwesenden schon befremdlich genug, doch dass sie dann noch so elegant in den Sattel von Wolframs Stute Shiroi aufschwang und sich dadurch direkt als geübte Reiterin erwies, hätte ihr dann doch niemand zugetraut. Sie hob Greta zu sich hoch und setzte das doch recht zierliche Mädchen hinter sich. Die junge Prinzessin hatte darauf bestanden bei der Suche nach dem seltenem Metall für die Ringe ihrer Väter behilflich zu sein.

Dacascos führte Miko zu der pechschwarzen Stute, die er schon fertig gesattelt hatte: „Dies ist Ao. Lord Weller hat sie eigens für seine Majestät Yuuri gezüchtet. Sie ist das folgsamste Pferd im Stall und sollte ihnen als ungeübte Reiterin...“

„Ha! So schwer wird das schon nicht sein! Ist bestimmt wie Fahrradfahren ohne Pedale!“

„Mutter, ich weiß nicht so Recht ob du das vergleichen kannst!“

„Das heißt Mama, Sho-chan! Du musst nicht alles hier von deinem Bruder übernehmen!“, und noch während sie dies sagte schwang auch sie sich in den Sattel, „Seht her, Jennifer von Yokohama sitzt stets oben auf!“

Shori seufzte und wandte sich dann an Dacascos, der ihm nun sein ihm zugeteiltes Pferd an den Zügeln übergab: „Und dies ist Nokanti, das Pferd seiner Lordschaft Weller!“

„Aha“, murmelte Shori und begutachtete das Tier genau. Er hatte während seines Trainings bei Bob in der Schweiz und auch in den Staaten Reitunterricht nehmen müssen, daher war ihm das nicht mehr ganz so fremd. Aber irgendwie zögerte er noch, sich in den Sattel zu setzen. Er war schon von diesem ganzen Ausflug wenig angetan. Wieso ein Metall suchen, welches man für Ringe brauchte, welche man für eine Hochzeit brauchte, welche ganz sicherlich nicht stattfand? Das waren ihm schlichtweg zu viele 'welche'!

„Sho-chan, nun beeile dich doch schon!“

Auch Anissina war auf ein braunes Pferd aufgestiegen und Dacascos bestieg seinen Schimmel. Alle waren sie bereit aufzubrechen.

„Da muss ich wohl durch!“, sagte er mehr zu sich selbst und kletterte seufzend in den Sattel.
 

Vor ihnen lag nach nur einem halben Tagesritt das Tal der Drachen. Shori fühlte sich an den Grand Canyon erinnert, den er damals als Kind mit seinen Eltern besucht hatte, als sie noch in den Staaten lebten. Nur war dieser Canyon weißlich, was auf einen hohen Kalkanteil hinwies, und stark bewaldet.

„In diesem Tal sind zwei Arten der Drachen beheimatet“, begann Anissina aus einem mitgebrachten Buch mit der Aufschrift 'Baron Günter von Kleist Enzyklopädie der Tiere' vorzulesen, „Die großen Flugdrachen und die kleineren Erddrachen!“

Sie blickte auf: „Mit Flugdrachen habe auch ich schon meine Erfahrungen gemacht. Solange wir uns nicht ihren Nestern nähern dürfte alles glimpflich ablaufen!“

„Was genau meint ihr mit glimpflich?“, warf Dacascos mit zitternder Stimme ein.

„Damit meine ich, dass wir die Reduktion der Gruppe um ein bis zwei verweichlichter Männer für unser Ziel gut verkraften können!“, Anissina grinste schelmisch über das ganze Gesicht. Bei Dacascos hatte dies seine Wirkung nicht verfehlt. Er wünschte sich an jeden Ort dieser Welt, nur nicht an diesen! Shori hingegen blieb unbeeindruckt. Er hatte die Kräfte eines Maou. Er hatte seinem Bruder versprochen, hier auf Alles und Jeden aufzupassen, also tat er das auch!

„Hach, seht nur! Da oben ist ein Flugdrachen!“, jauchzte plötzlich Miko auf und zeigte mit ihrem Finger auf ein fliegendes Objekt am Himmel. Reflexartig duckten sich zunächst alle, ehe Cherie als Erste ihren Kopf erhob und sich das Besagte genauer ansah: „Aber nein, Jenny! Das ist ein Mitglied des Flugknochenvolkes. Ihre Majestät Yuuri sagt immer Kohi zu ihnen. Die sind ganz harmlos. Normalerweise ist derzeit ihre Zeit der Häutung!“

Anissina blätterte ein paar Seiten in ihrem Buch: „Nein, die ist seit zwei Tagen vorbei!“, entnahm sie ihrer Recherche.

„Sich häutende, fliegende Skelette? Interessant!“

Mutter schockt hier wirklich nichts!, dachte sich Shori und stieg aus dem Sattel: „Da wir ja hier mit den Pferden nicht wirklich weiterkommen, sollten wir nun mit der Suche nach diesen Steinen beginnen bevor es dunkel wird!“

„Onkel Shori hat Recht. Ich mag nicht hier sein wenn es dunkel ist!“, flüsterte Greta. Sie mochte Tiere, aber die Dunkelheit der Nacht in einem fremden Wald wollte sie dennoch vermeiden.

Also stiegen alle ab und banden die Pferde ringsum einen Baum. Vorsichtig gingen sie den Schotterweg hinunter, den sie am Geeignetsten gehalten hatten und befanden sich alle keine dreißig Minuten später am Grund des Canyons.

„Wo fangen wir denn nun an mit unserer Suche?“, Miko Shibuya drehte sich einmal um ihre eigene Achse. Wo konnten sie in einem so großen Terrain mit der Suche am Ehesten beginnen?

„Ich würde sagen, da es sich um ein Gestein handelt, werden wir am Ehesten fündig an der Felswand!“, Anissina deutete auf den Steilhang, „Wie gut, dass ich an Kletterausrüstung gedacht habe!“ Sie nahm ihren Rucksack vom Rücken und zog einige Seile und Karabiner hervor, sowie sechs kleinere Pickel und stattete Jeden in ihrer kleinen Reisegruppe damit aus.

Shori verdrehte die Augen: „Wäre es dann nicht besser gewesen, wenn wir uns von da oben“, er wies auf die Kamm des Steilhangs, „abgelassen hätten anstatt nun wieder mühsam daran hochzukrakseln?“

„Ihre Majestät Shori-sama denkt wirklich an alles!“, Dacascos strahlte und erntete dafür von Anissina einen böse funkelnden Blick, der ihn wieder zusammenfahren ließ.

„Also müssen wir jetzt wieder da hoch?“, Gretas fragende braune Augen wendeten sich an ihre beiden Großmütter.

„Scheint wohl so!“, antwortete die blonde Dämonin der Superlative und zuckte mit der Schulter des in die Hüfte gestemmten Armes.

„Es hat ja auch niemand behauptet, dass es einfach wird!“, Anissina lief den ersten Teil des Hanges entlang und suchte die Geröllwand ab, „Am Besten wäre diese Stelle hier geeignet! Sie hat viele Vorsprünge und versteckte Nischen. Die Wahrscheinlichkeit dort einen Smaragolit zu finden erachte ich als ausgesprochen hoch!“

„Dann auf!“, Miko schien in ihrem Eifer ungebremst und lief zurück zu dem Geröllweg, von ihrer begeisterten Enkelin dicht gefolgt.

„Auf auf!“

Der Aufstieg war weitaus schwieriger zu bewältigen als der Abstieg und es war bereits Nachmittag, als sie erneut neben ihren Pferden und schon leicht aus der Puste ihren ursprünglichen Startpunkt erreichten und zu der von Anissina vorgeschlagenen Stelle marschierten. An einem zuvor von Shori in die Felswand geschlagenen Haken befestigten sie das Seil, welches mit ausreichend Sicherungsgeräten ausgestattet wurde. Anissina blickte am Seil entlang hinunter: „Die Nischen sind wesentlich kleiner, als sie von unten schienen. Wir dürften da nicht hineinpassen“, sie richtete sich an Greta, „aber für dich und Jenny-sama ist es vermutlich kein Problem!“

„Ich weiß nicht, ob wir Mutter...“

„Natürlich ist das kein Problem!“, Mikos Talent, ihrem Sohn über den Mund zu fahren, war diesem schon seit Geburt bekannt, dennoch ärgerte es ihn ungemein. Doch noch ehe er sich dazu äußern konnte hatte sich diese schon das Gurtzeug umgeschnallt und ließ sich von Dacascos an das abgelassene Seil schnallen. Greta, tief beeindruckt vom Eifer ihrer neuen Großmutter, tat es ihr gleich: „Wir werden euch einen solchen Stein für Yuuri und Wolfram hochholen!“

„So ist es richtig, meine kleine Greta-chan!“, flötete Miko Shibuya und verschwand auch schon sich rückwärts ablassend aus dem Sichtfeld.

Greta folgte ihr zunächst wesentlich vorsichtiger, doch als sie ein sicheres Gefühl für den Untergrund und die dazu geeignete Körperhaltung fand, stand sie ihrer Großmutter in nichts nach.

„Wer hätte vor drei Jahren gedacht, dass Menschen sich für unseren König in die Tiefe stürzen!“, flüsterte Anissina erstaunt und beobachtete ihre zwei Begleiterinnen, die sich immer tiefer hinunterwagten zum ersten Vorsprung mit größerer Nische, welche wohl einer kleineren Höhle gleichkam.

Unten angekommen löste sich Miko vom Sicherungsseil und zückte ihre Taschenlampe, welche sie am Gürtel befestigt hatte. Langsam schritt sie auf die Höhle zu und leuchtete in sie hinein.

„Vom Eingang her bin ich nicht schmal genug, aber es geht tiefer hinein, als es vermuten lässt!“, rief sie den Anderen nach oben zu.

„Und Greta? Passt sie durch den Spalt?“, Cherie beugte sich vorsichtig nach vorne um die Geschehnisse wenige Meter unterhalb besser sehen zu können.

„Ich denke schon, das ich hineinpasse!“, rief diese nach ihrer Ankunft unten aus.

„Sehr schön, meine Kleine!“, Anissina hob ihren Daumen hoch und schenkte Greta so die benötigte Zuversicht und den Mut, sich alleine in diese Höhle zu zwängen.

„Wie schaut denn so ein Stein aus?“, rief sie nach oben.

Cherie fasste sich grübelnd ans Kinn und ließ ihren Blick schweifen: „Hm, also schwarz und grün und golden gesprenkelt! Er ist unverkennbar!“, sie geriet ins Schwärmen, „Er funkelt und strahlt unvergleichlich schön mit einer solchen Brillianz und zieht einen sofort in seinen Bann!“

„Aha!“, schielte Shori sie von der Seite mit zusammengekniffenen Augen an. Für wen suchten sie diesen Stein genau? Für seinen Bruder oder doch eher für Cherie?

Mit Mikos Taschenlampe ausgerüstet verschwand nun die kleine Greta in der engen Spalte, die sich wirklich als Höhleneingang entpuppt hatte.

Miko versuchte sie von außen im Auge zu behalten, doch bald verschwand auch der Schein der Taschenlampe gänzlich. Eine beklemmende Stille herrschte unter allen Anwesenden.

„Ich glaube, ich habe etwas!“, hörte man ganz leise Greta rufen und es klang als wäre sie in größerer Entfernung!

„Sehr schön, Greta-chan! Dann komm doch bitte wieder zurück!“

„Ich finde den Weg nicht!“

Die Augen der Erwachsenen weiteten sich!

„Hat sie sich denn kein Seil um die Hüfte gebunden?“, schrie Shori entsetzt von oben zu seiner Mutter herunter.

„Das hättest du doch vorher vorschlagen können, Sho-chan!“, entgegnete seine Mutter mit besorgtem Blick nach oben und wandte sich dann an den Spalt, „Halte durch, meine Kleine! Onkel Shori und Oma Jenny lassen sich was einfallen!“

„Verdammt!“, Shori schnallte sich das nächste Gurtzeug um und befestigte dessen Karabiner am Seil.

Dacascos neben ihm zuckte plötzlich zusammen.

„Was ist?“, fragte er seinen einzig männlichen Reisebegleiter.

„Ich bin mir nicht sicher, eure Majestät Shori-sama, aber ich glaube, der braune Felsen zu Jenny-samas Füssen hat sich bewegt!“

„Was?“, Shoris Blick schoss herum und geradewegs zu der von Dacascos benannten Stelle.

Tatsächlich! Alle Felsen auf diesem Vorsprung bewegten sich!

„Mutter! Sofort vom Vorsprung herunter!“, schrie er und erntete einen verwirrten Blick seiner Mutter. Doch da war es bereits zu spät!

Der Fels, der Miko am nächsten war, schien sich zu entfalten und eine riesige, bräunlich geschuppte Eidechse mit langen, spitzen Zähnen und gefährlichen, dornenähnlichen Spitzen an ihrem Schwanzende fauchte Miko böse an.

„Die Erddrachen besitzen die Fähigkeit, sich fast gänzlich perfekt an ihre Umgebung anzupassen um so ihrer Beute aufzulauern. Sie bevorzugen fleischliche Kost und können hervorragend klettern!“, las Anissina aus 'Baron Günter von Kleist Enzyklopädie der Tiere' laut vor.

„Geht so eine Info nicht wesentlich früher?“, Shoris Fauchen war mit dem der Erddrachen vergleichbar und er sprang schon fast in die Tiefe, um zu seiner Mutter zu eilen.

„Jenny-sama! Fangt!“, Dacascos warf sein Schwert zu der Königsmutter hinunter und dies geschah keinen Augenblick zu spät, denn gerade wollte das fauchende Raubtier nach Miko schnappen, da landete eben dieses Schwert auf dessen Kopf. Wütend und Kopf schüttelnd wich es zunächst erst einmal zurück und...

„Hier ist noch eine Info! Sie jagen im Rudel!“

„Argh!“, Shori, auf halber Höhe zu seiner Mutter, fluchte innerlich die komplette Liste aller ihm bekannten Schimpfwörter herunter.

...denn tatsächlich schien sich die dieser Drache da unten im rasenden Tempo zu vermehren!

Miko schnappte sich das nun am Boden liegende Schwert und positionierte sich einer perfekten Ausfallstellung, welche ihr ins Blut übergegangen war in ihrer Zeit als landesweit beste Universitätsfechterin mit dem gefürchteten Namen Jennifer von Yokohama.

Ein Drache links von ihr setzte zum Sprung an, ein weiterer rechts ebenso. Beide konnte sie nicht auf einmal parieren! Eine Lichtkugel sauste an ihr vorbei, erwischte den linken Drachen, welcher einen schreienden Laut von sich gebend die Felswand hinunterstürzte.

„Miko, beeil dich und hol Greta da raus!“, Cherie flüsterte eine weitere Beschwörungsformel und es bildete sich eine zweite Energiekugel in ihren Händen. Diese schien auch nötig, denn durch den Aufschrei des abgestürzten Drachens schienen nun alle Drachen der näheren Umgebung auf die potenzielle Beute aufmerksam gemacht worden zu sein!

„Greta, folge meiner Stimme!“

„Hier schallt alles, ich kann nicht genau sagen wo ich lang muss!“

Shori landete neben seiner Mutter: „Versuch da rein zu kommen und hol die Kleine da raus! Ich halte die hier mit den Anderen auf!“, zischte er mit befehlenden Unterton. Miko nickte.

„Und Mutter! Bind dir ein Seil um!“

Der nächste Drache sprang. Miko versetzte diesem noch einen Hieb und warf dann Shori das Schwert zu.

„Dacascos! Ich brauch Wasser!“, rief Shori nach oben, während er das Schwert geschickt auffing.

„Habt ihr Durst?“, rief der Dämon dem Dämonenkönig in Vertretung nach unten.

„Dacascos!“, Anissina funkelte den Soldaten an, schnappte sich dessen Wasserbeutel vom Gürtel und warf ihn zu Shori nach unten, „Er nutzt das Wasser Maryoku!“

Miko hatte es mit einigen Mühen in die Höhle geschafft und schritt nun vorsichtig voran:

„Greta-chan! Rede mit mir, damit ich weiß, wo ich dich finden kann!“

„Ja, Jenny, ich bin hier drüben!“

Der Wasserbeutel klatschte Shori vor die Füße und platzte auf. Das wertvolle Gut verteilte sich nun über den halben Vorsprung.

„Sehr schön!“, murmelte Shori und ein zuversichtliches Lächeln umspielte seine Lippen.

Eine weitere Energiekugel traf einen Drachen hinter ihm.

„Shori-sama! Ich gebe euch Rückendeckung!“, trotz dem Ernst der Lage schien Cherie ihm immer noch schöne Augen machen zu wollen!

Er konzentrierte sich, atmete tief ein und aus, spürte die Energie der Elementarteilchen, die ihn umschloss, griff mit seinem Geist danach, formte und mehrte sie und...

Eine riesige Wasserfaust bildete sich und fegte den halben Vorsprung mit einem Schlag leer!

Doch zwei Drachen wichen aus und verschwanden... in der Höhle!

„Mutter! Greta!“, Shori versuchte hinein zu kommen, doch er war viel zu groß!

„Mutter! Greta!“, schrie er schon verzweifelt in die Höhle.

„Sho-chan! Ich habe Greta gefunden!“, hörte er nur leise ihre Stimme.

„Da sind Drachen bei euch!“

„Nein, hier sind keine Drachen!“

ARGH! MUTTER! Er stöhnte auf. Sie war unbewaffnet! Sie hatten keine Chance gegen die Raubtiere! Panik stieg in ihm auf.

„Shori-sama? Alles in Ordnung da unten?“, rief Cherie besorgt.

Shori blieb nichts anderes übrig.

„Verschwindet von da! Schnell! Lauft zu den Pferden!“

„Aber warum...“, fragte Cherie erstaunt, doch da wurde sie auch schon von Dacascos und Anissina geschnappt und schnell weg gezogen.

„Was hat er vor?“, hustete Dacascos noch im schnellen Laufen.

„Ich habe da so eine Ahnung! Das wird ein Anblick!“, Anissina schien in Dacascos Augen den Ernst der Lage nicht so ganz zu begreifen.

Als Shori sah, dass die drei Dämonen aus der Gefahrenzone waren wandte er sich wieder dem Höhleneingang zu: „Mutter, Greta?“

„Ja, Sho-chan, wir sind gleich da!“

„Haltet sofort die Luft an!“

„Was?“

Shori ignorierte die letzte Frage. Er brauchte nun alles. Alles an Konzentration. Alles an Energie. Alles an Kraft.

„Wow! Das ist ja wie bei seiner Majestät Yuuri-sama!“, Dacascos blieb auf Höhe des Pferderastplatzes stehen und beobachtete das Geschehen.

Cherie klatschte begeistert: „Wie wunderschön!“

Ein riesiger Wasserdrache erschien über Shori. Er war über weite Stecken zu erkennen!

„Fantastisch!“, stöhnte Anissina auf.

„Speng den Felsen und hol sie da raus!“,befehligte Shori laut seinen Drachen und dieser schoss in den kleinen Spalt der Höhle.

„Ich habe Yuuri versprochen euch zu beschützen!“, Shoris Augen blitzten wütend auf.

Ein lautes Grummeln innerhalb des Berges war vernehmbar.

Es folgte ein ohrenbetäubender Knall.

Die komplette Felswand explodierte und zersprang in abertausend Stücke, welche in alle Himmelsrichtungen katapultiert wurden.

„In Deckung!“, schrie Dacascos und warf sich schützend seine Arme über den Kopf.

Cherie errichtete schnell einen Schutzwall über aller Köpfe und über die erschrockenen und nervösen Pferde. Die Erde bebte.

Gesteinsbrocken splitterten am Schutzwall ab.

Es war vor lauter Schutt, Rauch, Geröll und Wasser nichts zu erkennen.

„Shori-sama!“, schrie nun als Erste Cherie auf. Auch Anissinas und Dacascos Augen weiteten sich, als sie ihre Gefährten in dem sich langsam lichtenden Chaos nicht ausfindig machen konnten.

„Seht, da oben!“, Anissina atmete erleichtert aus.

Weit über ihren Köpfen schwebten zwei große Wasserblasen. In einer befand sich Shori, der erleichtert zu der anderen Blase hinüber sah, in der sich seine Mutter befand und eine freudig strahlende Greta fest im Arm umschlossen hielt.

Langsam schwebten diese Blasen zu den Anderen auf den Boden und zerplatzten.

Auf allen Vieren abgestützt keuchte Shori erschöpft auf: „Geschafft!“

„Ja, geschafft! Seht mal, was ich hier habe!“, Greta hielt einen funkelnden Gesteinsbrocken in der Größe eines Fußballs über ihren Kopf.

Alle sanken erleichtert auf den Boden und ließen sich erschöpft ins weiche Gras fallen.

„Das ist ja großartig! Der reicht ja für Ringe für jeden im Schloss!“, rief Cherie begeistert aus.

„Das war so was von klar!“, seufzte Shori entnervt und verdrehte die Augen.

Seine Freunde lachten über seine Bemerkung hell auf.

„Oh nein!“, Miko sprang plötzlich auf und alle unterbrachen ihr fröhliches Gelächter und blickten sie fragend und erschrocken zugleich an.

„Jetzt habe ich Yu-chans Curry komplett vergessen!“

Diesmal lachte auch Shori.

Kapitel 12

KAPITEL 12
 


 

Ich weiß nicht, wie lange ich da stand. Der Raum schien sich um mich herum im rasenden Tempo zu drehen.

Er war weg.

Wolfram war weg.

Und alles deutete auf einen Kampf hin!

Was war hier geschehen?

Was war das für Blut? Und vor allem... wessen Blut war das?

In mir kroch die absolute Panik hoch.

Ich war allein.

In einer fremden Stadt.

In einem fremden Land.

Und Wolfram wurde eindeutig gewaltsam verschleppt!

Was sollte ich tun? Zu wem konnte ich gehen?

Meine Beine gaben nach.

Wie paralysiert starrte ich die Wand an.

Die blutbeschmierte Wand.

Wolfram!

Mein Herz raste.

Ich hatte das Gefühl, als würden sich zwei durchsichtige Hände um meinen Hals legen und langsam zudrücken.

Ich keuchte auf.

Wolfram!

Er war doch verletzt! Er war doch gar nicht fähig, sich zu verteidigen!

Warum hatte ich ihn nur alleingelassen?

Ich Idiot!

Wenn das sein Blut war, dann war er schwer verwundet worden!

Shibuya, beruhige dich!

Wenn du noch mehr in Panik verfällst, bringt das niemandem etwas!

Es war alles meine Schuld!

Hätte ich doch bloß in Herkas die Klappe gehalten, dann wäre ich nicht verflucht worden und dann hätten wir nicht diese Reise machen müssen!

Ich verdammter Idiot!

Meine Faust schlug auf den Boden.

Shibuya, beruhige dich!

Nein, ich kann mich nicht beruhigen.

Ich war wütend!

Wütend auf meine Naivität.

Wütend auf mein absolut falsches und unaufrichtiges Verhalten!

Tränenbäche flossen über meine Wangen.

Durch das geschlossene Fenster nahm ich aufgebrachte Geräusche war.

Es war mir egal.

Diese Wut in mir kroch hoch.

Sie schrie.

Wolfram!

Diese Wut wollte raus.

Sie suchte sich mit unbändiger Kraft einen Weg aus mir heraus.

Die Fensterläden des Zimmers klapperten, die Stimmen von der Straße her wurden lauter, panischer.

Shibuya, beruhige dich!

Im Zimmer wurde es schlagartig stockfinster. Der zuvor wolkenfreie Himmel hatte sich verfinstert. Die Fensterläden klappten nun wild auf und zu. Starker Regen prasselte an die Scheiben.

Wolfram!

Und da schoss mir das Bild durch den Kopf.

Auf der Treppe.

Die Männer.

Der große schwarze Sack!

Wolfram!

Ich sprang auf.

Sie konnten noch nicht weit sein!

Und wenn, dann würde ich jeden Stein in dieser Stadt umdrehen!

Wenn es sein müsste, würde ich diese ganze Stadt dem Erdboden gleichmachen bis ich Wolfram wieder gefunden hatte!

Mein Atem ging schwer!

Shibuya, beruhige dich!

NEIN!

Ich fuhr herum und rannte los.

Ich bin in meinem ganzen Leben noch nie so schnell gerannt. Nicht einmal beim Baseball. Ich stürmte die Treppe so schnell hinunter, dass es schon erstaunlich war, dass ich nicht fiel. Ich raste durch das Foyer und schlug die Tür nach draußen so heftig auf, dass sie an die Wand schlug und das in ihr eingelassene Glas zersprang.

Ich rannte weiter.

Mit einem Satz die Treppenstufen nach unten. Draußen tobte ein heftiger Orkan mit Sturm und Regen. Die Dämonen versuchten sich alle in Sicherheit zu bringen.

Ich rannte durch die Masse hindurch, nicht nach links und rechts sehend, einfach nur Richtung Marktplatz. Dort hatte ich so viele von diesen Männern in dieser grauen Uniform gesehen.

Ich würde mir einfach einen schnappen, irgendeinen!

Und dann würde er mir sagen müssen, wo sie mit Wolfram hin waren!

Er würde es müssen!

Shibuya, beruhige dich!

Ich würde kein Schweigen dulden!

Ich würde Antworten bekommen!

Ich rannte über die gepflasterte Straße und hatte schon einen dieser Männer in Grau ins Auge gefasst, als...

„Vorsicht!“

...ein heftiger Aufprall erwischte mich seitlich.

Dann klarte der Himmel schlagartig wieder auf.
 

„Du hättest ihn liegenlassen sollen, Rebekah!“, diese Stimme klang älter und reifer. Ich konnte einen besorgten Unterton erkennen. Wie bei meiner Mutter, wenn sie mir von etwas abriet.

„Er ist mir aber vor den Karren gelaufen! Ich habe doch Schuld daran!“, diese Stimme war eindeutig einem jüngeren Mädchen zu zu schreiben.

„Dann hätte er besser auf den Weg achten sollen!“, war die kühle Antwort.

„Aber Mutter!“, also doch! Ein Mutter-Tochter Gespräch, wo ich Ohrenzeuge wurde.

Ich lag einigermaßen weich auf etwas, was knisterte. Den Geruch kannte ich, doch ich konnte es nicht zuordnen. Mein Schädel brummte höllisch. Was war geschehen?

Ach ja, ich hatte beim Überqueren der Straße nicht auf den Verkehr geachtet! Seltsam. Mir war nie so bewusst gewesen, dass es in meiner mittelalterlichen Welt Verkehr hab!

Ich wollte Wolfram finden! Verdammt!

Ich hörte ein Klopfen und dann das öffnen einer Tür. Es war nicht die Tür zu dem dunklen Zimmer, in welchem ich untergebracht war.

Es folgte unverständliches Gemurmel. Eindeutig die ältere Frauenstimme von vorhin und eine dunkle Männerstimme. Dann wurde diese Tür wieder geschlossen und die Frauenstimme näherte sich: „Ich werde heute länger auf der Arbeit gebraucht, Rebekah! Sorge noch vor deinem Dienstantritt, dass der Fremde da drin aufwacht und verschwindet! Wir können uns nicht noch mehr Probleme leisten!“

„Ja, Mutter!“

Wieder Schritte, die sich entfernten. Wieder eine Tür, die geöffnet und geschlossen wurde.

Stille.

Gerade, als ich überlegen wollte, ob ich in der Lage war aufzustehen, öffnete sich die Tür zu meinem Zimmer. Der helle Schein einer Kerze erleuchtete alles. Ich lag auf einem Strohlager! Das war also der Geruch gewesen! Altes, feuchtes Stroh!

„Du bist wach?“, sie war tatsächlich noch ein recht junges Mädchen, wobei ich mit der Bezeichnung 'jung' in der Dämonenwelt immer etwas vorsichtig bin. In Menschenjahren war sie vielleicht so alt wie meine Greta.

Ich nickte.

Sie hatte schulterlanges braunes Haar und blaue Augen. An und für sich ein hübsches Mädchen, doch gefiel mir ihr Kleidungsstil nicht: eine gräuliche Uniform!

Trotz des hämmernden Schmerzes in meinem Kopf versuchte ich mich aufrecht hinzusetzen.

Ich schien kein Gefangener zu sein, wenn ihre Mutter verlangt hatte, dass ich verschwinden solle. Von daher konnten nicht alle, die hier Grau gekleidet waren, zu den Entführern meines Wolframs gehören. Ich versuchte ein freundliches Lächeln.

Dies schien zu klappen, denn sie lächelte auch: „Was machst du hier? Weißt du nicht, dass es hier für dich zu gefährlich ist?“

„Hä?“ Fragte man eigentlich nicht zuerst nach einem Namen oder woher man kam?

Sie setzte sich neben mich. Sie schien keine Angst vor mir zu haben.

„Wenn sie dich finden, dann töten sie dich!“

So heftig konnte doch der Schlag an meinem Kopf gar nicht gewesen sein, dass ich kein Wort von dem verstand, was sie mir da sagte.

„Wovon sprichst du denn da bitte überhaupt?“, ich sah sie fragend an.

Ihr Lächeln blieb: „Na, du bist doch ein Mischblut, nicht wahr?“

Ein Misch-was? Sie schmunzelte wohl über meinen in dem Moment bestimmt sehr dämlich aussehenden Gesichtsausdruck.

„Anscheinend hast du keine Ahnung, hm?“

Das konnte ich nur bestätigen und ich nickte heftig.

„Gut. Dann fang ich mal von vorne an. Ich bin Rebekah und wer bist du?“

Na endlich! Worte, die ich verstand und Fragen, die ich auch beantworten konnte!

„Ich bin Yuuri Shibuya!“

„Das ist ja ein seltsamer Name! Woher kommst du denn, Yuuri Shibuya?“

„Aus Shin Makoku!“

Sie sprang auf und blieb wie erstarrt stehen: „Das kann nicht sein!“, wisperte sie.

„Ähm, doch, eigentlich schon. War eine lange Reise!“

Sie kniete sich nun vor mir nieder und nahm meine beiden Hände in ihre Kleineren.

Mit großen Augen, die Ehrfurcht und Freude zugleich zeigten, schien sie jede einzelne meiner Gesichtsporen zu begutachten: „Das heißt, die Legende stimmt und er hat es tatsächlich geschafft? Ihr seit alle frei?“

Ich zögerte: „Wer hat was geschafft? Und frei waren wir schon immer... denke ich....also, so genau kenne ich die Landesgeschichte auch noch nicht!“

Gut, dass ich ihr nicht erzählt habe, dass ich der König bin. Das wäre ja ansonsten richtig peinlich!

„Nanatsu!“

„Ach, der!“, ich nickte und war gespannt, was ich mir nun wieder über unseren Shinou anhören dürfte, „Was hat er denn gemacht?“

„Er hat seine Brüder und Schwestern gerettet!“

„Ach, du meinst diesen Mittsu und Itsutsu und die...“

„Nein!“, sie sprang entsetzt auf und starrte mich schockiert an, „Nicht die! Die Anderen!“

Ich grübelte. Anscheinend schien Shinou aus einer wahren Großfamilie zu kommen. Wie viele Geschwister hatte der denn noch?

„Du bist doch auch einer!“, sie setzte sich wieder, diesmal neben mich.

„Ein was?“

„Ein Mischblut!“

„Was soll denn ein Mischblut sein?“

Nun blickte sie irritiert.

„Entschuldige, die dumme Fragerei, aber bei uns gibt es solche Bezeichnungen nicht!“

Da nickte sie verstehend: „Mischblut sagen wir zu den verbotenen Kindern der Götter aus ihren...“, sie zögerte, „nun ja, aus ihren Vergnügungen mit dem Adel oder dem Volke!“

„Und warum sollte man mich, wenn ich ein Mischblut wäre, umbringen wollen?“

„Du bist ganz sicher ein Mischblut!“, sie betrachtete mich wieder von oben bis unten, „entweder man hat schwarzes Haar oder schwarze Augen, beides zusammen bezeugt einen Gott als Elternteil! Und das ist verboten! Der große Schöpfer Gaaru hat dies damals verboten und den Befehl erteilt, alle Kinder dieser Verbindungen töten zu lassen!“

„Bitte was?“, diesmal sprang ich auf. Das war doch wohl ein Scherz! Ein Obergott ließ seine eigenen Kinder hinrichten?

Doch Rebekah nickte nur bekümmert: „Doch Nanatsu stellte sich damals gegen dieses Urteil und weigerte sich, seine Brüder und Schwestern zu töten. Er floh mit Einigen von ihnen und seinen treuesten Gefolgsleuten! Er wollte ein freies Land gründen, wo alle in Frieden leben konnten!“

Ich setzte mich wieder. Diese Version der Geschichte warf plötzlich ein ganz anderes Licht auf Shinou.

Vielleicht war dieser Kampf gegen die Schöpfergötter beziehungsweise den Begründer gar kein Familienzwist mehr. Er wollte nur seine Geschwister und Freunde schützen!

Dann wäre es ja eigentlich Notwehr gewesen was wir getan hatten!

„Doch seit seinem Verschwinden vor so vielen tausend Jahren sagt man, er habe sie alle in den Tod geführt!“, fuhr sie mit ihrer Erzählung fort.

„Nein, dass hat er nicht. Er hat sein Land gegründet und dort sind sie wirklich alle frei! Und mittlerweile gibt es auch keine Kriege mehr. Es ist alles friedlich!“

Ich legte ihr meine Hand auf die Schulter, als sie sich über diese Nachricht zu freuen schien. Doch dann zögerte sie: „Aber warum seit ihr dann wieder zurück gekehrt?“

Ja, warum eigentlich? Weil ich ein Idiot bin. Darum!

„Ähm, wir waren auf der Suche nach Shinous...ich meine Nanas Zepter und dann wurde ich von meinen Freunden getrennt!“

„Getrennt?“

„Ja, mein Freund Wolfram wurde entführt und als ich die Täter verfolgte...“

„Habe ich dich mit meinem Karren angefahren!“, unterbrach sie mich mit einem Seufzen, „Das tut mir so leid! Ich habe durch das plötzliche Unwetter nichts mehr gesehen und plötzlich standest du da!“ Sie legte beschämt ihr Gesicht in die Hände.

Ich konnte ihr ja nun schlecht sagen, dass sie nun wirklich keine Schuld traf. Das Unwetter ging ja auch auf meine Kappe! Ich hatte einfach die Beherrschung verloren! Das dürfte mir nicht noch einmal passieren. Ich stöhnte auf. Ach, es gab in der letzten Zeit so viel, wofür ich mir selbst in den Hintern treten konnte! Wie konnte Susannah Julia nur glauben, ich sei schon so weit? Ich hatte eindeutig bewiesen, dass dem ja wohl nicht so war!

„Wegen mir hast du nun die Spur zu deinem Freund verloren!“, schluchzte Rebekah nun neben mir.

„Ehrlich gesagt, nicht ganz!“, antwortete ich, „Was bedeuten diese grauen Uniformen?“

„Die hier?“, sie wies überrascht an sich herunter und ich nickte.

„Das heißt, dass ich eine Angestellte im Palast bin. Ich bin aber nur eine kleine Schneiderin, nicht mehr!“

„Palastangestellte, hm?“, ich dachte nach.

Warum sollten Palastangestellte Wolfram entführen?

Ich richtete mich wieder an Rebekah: „Wie komme ich in den Palast rein?“

Sie zuckte erschrocken zusammen: „Rein? Du?“

„Ja! Ich bin mir ganz sicher, dass ich dort den entführten Freund finden werde!“, ich kramte in meiner Brusttasche. Da war es. Ich hatte es extra aus meiner verschmutzten Schuluniform herausgenommen und in die Brusttasche dieses grauen Anzugs gesteckt: Wolframs Foto.

„Das ist mein Freund!“, ich hielt ihr das Bild hin, „Wir sind verlobt!“

Hey! Warum sag ich ihr denn das?

„Er sieht aus wie Nanatsu auf den Bildern im Schrein!“, flüsterte sie leise, doch dann weiteten sich ihre Augen und ihr Blick schoss zu mir auf, „Vielleicht haben die gedacht, dass Nanatsu zurückgekehrt ist und haben ihn deshalb gefangen genommen! Auf Nanatsu wartet die Todesstrafe!“

Ich schluckte: „Was? Aber der echte Nanatsu ist doch schon seit 4000 Jahren tot!“

Diese Aussage schien Rebekah nicht so zu gefallen, doch dann schmunzelte sie: „Du machst Scherze! Ein Gott kann nicht auf normalen Wege sterben!“

Nun ja, stimmte schon. Für einen Toten war Shinou in den letzten Jahren ziemlich viel durch die Gegend spaziert.

„Na ja, sein Geist nervt manchmal noch rum!“

„Er soll ziemlich von sich überzeugt gewesen sein!“

„Oh ja!“

„Und auch nicht immer vernünftig gehandelt haben!“

„Da gebe ich dir auch vollkommen Recht!“

„Aber er soll ein toller Vater gewesen sein!“

„Bestimmt war er das....ähm...bitte was?“, mein Mund stand weit offen.

Sie lachte hell auf. Wollte sie mich nun hereinlegen? Sie wischte sich eine Träne aus dem Augenwinkel: „Nein, ernsthaft. Er hatte einen Sohn. Allerdings ein Mischblut weil seine Frau aus ganz niederem Adel stammte. Und sein bester Freund war nicht nur sein Halbbruder, sondern auch der vom Orakel beschworene Göttervernichter. Nanatsu war also mit Gaarus Urteil schon rein persönlich nicht einverstanden!“

Wow. Mir blieb fast die Luft weg. Shinou! Was ich hier so über dich erfahre haut mich glatt um! Du warst verheiratet? Mit einer Frau? Ich hatte ehrlich gesagt mittlerweile daran geglaubt, dass zwischen ihm und Murata... ach nein, Quatsch!

Und einen Sohn hatte er auch? Aber wo war der Sohn dann hin?

Und wer war dieser Göttervernichtende Halbbruder?

Den Job hatte im Endeffekt doch ich gemacht!

War ich mit Shinou verwandt?

Wir sahen uns doch gar nicht ähnlich!

Aber Wolfram!

Wolfram hatte schon einige Züge von Shinou.

Aber Wolfram und ein Halbgott? Hahahaha!

Verdammt!

Ich war es doch immer, der ihn für einen Engel auf Erden hielt.

Wenn er wirklich göttliches Blut in sich hatte würde ich mir das den Rest meines Lebens anhören dürfen!

Meine innere Liste an Fragen für Shinou wurde immer länger!

„Du willst also in den Palast, ja?“, wurde ich in meinen Gedanken von Rebekah unterbrochen.

„Ja! Und warum willst du mir helfen?“

„Ich habe die Geschichten um Nana früher sehr geliebt! Sie haben mir Hoffnung geschenkt! Du bist aus seinem Land! Deswegen helfe ich dir sehr gerne!“

„Aber nicht das du Probleme bekommst!“

„ Das geht schon gut! Mach dir um mich keine Gedanken! Hm...In der Uniform kommst du aber nicht weit!“, sie grübelte, „Du müsstest in alle Bereiche kommen können ohne groß durch die Sicherheitsmaßnahmen dort aufgehalten zu werden!“

„Das wäre am Besten!“

„Hm, warte einen Augenblick!“, sie lief aus dem Zimmer um nur wenige Augenblicke später mit einem riesigen Korb wiederzukommen.

„Ich hatte in den letzten Wochen viele Aufträge für die neuen Dienstmädchengarderoben. Und diese hier ist noch übrig geblieben. Und das hier“, sie fischte in den Korb hinein und ich dachte sie zöge ein totes Tier hervor, „Ist die alte Perücke meiner Mutter!“

Sie setzte sie mir schnell auf den Kopf und zupfte hier und da daran herum, dann nahm sie ein paar Haarnadeln und befestigte sie so fest, dass ich glaubte, die Perücke sei nun mit mir verwachsen: „Meine große Schwester arbeitet beim Palasttheater und sie hat mir gezeigt, wie man diese Perücken wirklich absolut rutschfest befestigen kann!“

Danach griff sie erneut in den Korb und fing an, mein Gesicht zu schminken: „Ich werde dir diese Sachen mitgeben. Denk daran, stets rechtzeitig den Lippenstift nachzuziehen. Sonst könnte auffallen, dass du kein echtes Dienstmädchen bist!“

Schlussendlich hielt sie mir einen kleinen Handspiegel vor das Gesicht: „Wow!“, entfuhr es mir. Ich sah aus wie eine richtig vornehme Dame. Vollkommen unmöglich, mich noch zu erkennen. Nicht mal meine Mutter wäre dazu in der Lage!

Rebekah hielt mir das Kleid vor um die Größe abzuschätzen. Dieses graue Kleid mit weißer Schürze und Puffärmeln sah wirklich aus wie aus einem Maid-Cafe!

„Yuuri?“

„Ja?“, ich betrachtete noch immer fasziniert mein Spiegelbild und war erstaunt über die Veränderung.

„Welche Körbchengröße möchtest du denn haben?“
 

„Sind wir endlich wach?“

Er spürte, wie er etwas Undefinierbares murmelte. Ihm tat alles weh. Das Bein pochte, die Schulter brannte und er war sich ziemlich sicher das an seinem Hinterkopf eine unschöne Beule nach diesem heftigen Niederschlag geblieben war.

„Ich habe euch nicht zur Erholung herbringen lassen!“

Diese dunkle Stimme wurde ungehaltener. Er blinzelte, konnte aber noch nicht so richtig das Umfeld wahrnehmen.

Er lag auf sehr weichem Untergrund, vermutlich ein Bett. Anscheinend behandelte man hier Gefangene oder Geiseln nicht allzu schlecht. Das ließ schon einmal hoffen.

„Mir wäre es ganz Recht, wenn ihr mir euren Namen nennen würdet, damit ich weiß, wie ich euch ansprechen soll!“

Der Besitzer der Stimme schien in gleichbleibender Entfernung zu ihm zu verharren. Er hob die Hand, um zu zeigen, dass er zwar wach, aber noch nicht ganz aufnahmebereit für ein Gespräch war.

„Und erspart mir dieses Nanatsu. Wir wissen Beide, dass ihr nicht Nanatsu seid. Nanatsu ist tot. Auch wenn das hier viele nicht wahrhaben wollen!“

Nun ja, tot war er einerseits schon. Andererseits konnte er auch ziemlich nervtötend sein.

Er musste schmunzeln und versuchte erneut gegen die Schwere seiner Lider anzukämpfen.

Diesmal spürte er das Näherkommen des Anderen: „Obwohl ich wirklich sagen muss, dass ihr ihm verblüffend ähnlich seid!“

Langsam schaffte Wolfram von Bielefeld es seine Augen zu öffnen.

„Geht doch!“, diese dunkle Stimme schien amüsiert zu klingen, „Erwartet übrigens nicht von mir, dass ich mich für die Art der Behandlung, die euch durch meine Männer widerfahren ist, entschuldige!“

Natürlich nicht!, ging es dem jungen Feuerdämonen durch den Kopf. Es war ein schummriges Licht in diesem Zimmer, in dem er erwachte. Es wurde bewusst dunkel gehalten. Wolfram bezweifelte jedoch, dass man dies ihm zu Liebe und seiner Kopfschmerzen getan hatte.

„Wisst ihr, Götter entschuldigen sich nicht!“

Götter?

Wolfram hatte plötzlich eine ganz üble Vorahnung, wohin er gebracht worden war und ließ seinen Blick durch den Raum wandern.

Dieser war nicht sonderlich groß. Vermutlich die Unterkunft eines Soldaten oder eines Bediensteten. Die Fenster waren mit schweren Vorhängen verhangen, so dass kein Licht hereinfallen konnte.

Auf einem schlichten Stuhl direkt neben seinem Bett saß der Inhaber dieser Stimme.

Er hatte eine ähnliche Statur wie Gwendal. Ebenso trug er wie sein ältester Bruder das lange Haar zusammengebunden, welches jedoch die Farbe von gefrorenem Wasser hatte. Die hohe Stirn des etwas zu kantig geratenen Gesichtes wurde von einigen langen Strähnen bedeckt, die er sich nun hinter sein rechtes Ohr strich, während er Wolfram musterte: „Ich erwarte immer noch einen Namen!“

Die Stimmlage kühlte erneut ziemlich ab. Auch die Mimik verfinsterte sich etwas.

Wolfram hatte während seiner militärischen Ausbildung gelernt, unter schwerer Folter zu schweigen, doch was würde es ihm hier nutzen? Vielleicht war die Situation nicht so aussichtslos, wie er jetzt vermuten würde. Diesen naiven Optimismus hatte er sich wohl von Yuuri abgeschaut.

Yuuri! Ob sie ihn auch erwischt hatten? Und wenn nicht... sein Waschlappen konnte doch keine fünf Minuten alleine, ohne Katastrophen zu verursachen, auskommen!

Aber es wäre besser, jetzt nicht nach Yuuri zu fragen. Wenn er ihnen unbemerkt entkommen war und sie nichts von ihm wussten, standen die Chancen sehr gut, dass sie auch nicht nach ihm suchten!

„Mein Name ist Wolfram Graf von Bielefeld!“, stöhnte er auf während er mühsam versuchte, sich in eine aufrecht sitzende Position zu bringen.

„Von Bielefeld also! Ha! Hätte ich mir denken können bei dieser Ähnlichkeit!“

Wolfram sah sein Gegenüber irritiert an. Woher kannte der Fremde die Familie von Bielefeld?

„Und ihr seid nicht aus Dark Makoku, habe ich erfahren!“

Woher wusste er das? Ha! Er wusste es! Dieser von Hundshaupten hatte er von Anfang an nicht so wirklich trauen wollen!

„Wenn ihr das schon wisst muss ich ja nicht darauf antworten!“, grummelte er zurück.

„Daraus schließe ich, ihr seit ein Nachfahre von... ach, wie hieß er noch gleich... ach ja, Leonard!“

„Nein. Rufus von Bielefeld! Leonard hat die Reichsgründung nicht mehr erlebt!“

Sein Gegenüber erhob sich überrascht vom Stuhl: „Rufus!“, er setzte sich neben Wolfram auf die Bettkante und kam Wolfram so nahe, dass es ihm schon unangenehm war,

„daher diese Ähnlichkeit!“

Durch die plötzliche Nähe zu ihm war es Wolfram nun möglich, seinen Gesprächspartner selbst genauer zu studieren.

Dieses Gesicht. Dieses lange, eisgraue Haar und die grellgrünen Augen hatte er schon einmal gesehen! Aber wo?

Er ging alle Bücher, die er je gelesen hatte in den letzten 85 Jahren, durch. Nichts.

Dann alle Personen, die er kannte. Keine kam ihm gleich.

Dann alle Bilder und dann stockte er: „Mittsu!“

Sein Gegenüber grinste verschmitzt: „Wie ich sehe, seit auch ihr informiert!“

Er stand wieder auf und ging zum Fenster. Schwungvoll schob er die schweren Vorhänge beiseite und ließ den Raum in warmen Sonnenlicht erstrahlen.

Das plötzliche Licht stach etwas in den Augen, doch Wolfram gewöhnte sich schnell daran.

„Stimmt genau! Ich bin Mittsu. Dritter Sohn der Schöpfergötter Gaaru und Nanimo. Oberhaupt der göttlichen Familie und Alleinherrscher über Dark Makoku!“

Na, da hab ich aber ein Glück!, dachte Wolfram fast schon ironisch, Ich hab nur noch mit Königen zu tun!

„Und ihr seit zum Tode verurteilt!“

Was? Das zum Thema Glück!

„Ihr fragt euch sicherlich warum, nicht wahr?“

Wolfram gab darauf keine Antwort. Hier stimmte doch was nicht. Wenn man ihn wirklich hinrichten wollte, warum hatte man es dann nicht schon beim Angriff in der Pension getan? Warum diese Umstände? Warum ihn erst mal dem Herrscher vorstellen?

„Die Tatsache, dass ihr euch fälschlicherweise für Nanatsu ausgebt, lasse ich nun mal außer acht!“

Hatte er doch gar nicht! Das war diese Hundshaupten gewesen! Er hatte von Anfang an gesagt, das er Wolfram von Bielefeld heiße! Und dies würde er auch niemals leugnen. Er war ein stolzer Dämon mit hervorragendem Stammbaum mit Wurzeln, die in die Zeit des großartigen Shinou zurück zu führen waren. Obwohl... ob Shinou wirklich so großartig gewesen war würde man erst noch herausfinden müssen. Bisher hatte er hier noch nichts Gutes über den ersten Maou von Shin Makoku vernommen!

„Ich lasse euch hinrichten, weil ihr ein von Bielefeld seid!“

Bitte was? Was hatte denn meine Familie getan? Dann doch lieber wegen dieser Nanatsu-Sache! , Wolframs überraschter Blick blieb Mittsu nicht verborgen und er lachte kurz auf.

„Wisst ihr, wir haben hier ein Gesetz!“, der eisgraue Schönling beugte sich nun sehr nah zu ihm herüber, „Dieses Gesetz hat noch mein Vater Gaaru verabschiedet und ist uns sehr wichtig!“

Wovon redet der da?, Wolfram verstand nicht, worauf der fremde Dämonenherrscher hinauswollte.

„Es lautet, dass alle mit unreinem Blute, also Mischlinge, sofort hinzurichten seien!“

„Ich bin ein blaublütiger Dämon mit hervorragendem Stammbaum! Was erdreistet ihr euch...“, nun konnte Wolfram nicht mehr an sich halten und ballte die Faust, doch der Andere lachte erneut kühl auf.

„Natürlich seid ihr das in eurer kleinen Welt da drüben auf der anderen Seite des Ozeans! Aber warum seit ihr erst auf die andere Seite gegangen? War es vielleicht Flucht vor den neuen Gesetzen meines Vaters?“

Wolfram stockte der Atem. Er wusste es nicht. In allen Geschichtsbüchern hatte es nie eine Erwähnung gefunden, warum Shin Makoku gegründet worden war. Und sein von ihm so verehrter Stammbaum fand auch keinen früheren Eintrag als Rufus und dessen Cousin Leonard von Bielefeld.

„Ich kann euch sagen, dass es Flucht war! Angeführt von meinem werten kleinen Bruder, der ja meinte, man täte den Dämonen mit Mischblut Unrecht!“

Wolfram atmete schwer: „Wollt ihr damit sagen, ich trage Menschenblut in mir?“

Diesmal lachte Mittsu erneut sehr laut auf: „Ihr habt keine Ahnung, nicht wahr? Nein, kein Menschenblut! Ihr tragt das Blut eines Gottes in euch!“

Das saß.

Wolframs Gesicht wandelte sich von Erstaunen über Unglaube bis hin zum Auflachen:

„Das ist doch Unsinn! Wer sollte denn mein Urahn sein wenn nicht Rufus von Bielefeld!“

„Oh, es ist schon Rufus!“, er strich Wolfram über die Wange, was diesen spürbar erschaudern ließ, „Nur war es damals nur gestattet, männliche Familienoberhäupter zu haben und so hatte man Rufus, ein wunderschönes Mädchen in ihrer frühen Jugend, zu einem Mann erzogen weil den von Bielefelds schlichtweg kein Sohn geschenkt worden war. Und diese kleine, dumme Rufus verliebte sich unsterblich in einen Gott. Die Beiden heirateten heimlich und bald darauf kündigte sich Nachwuchs an!“

Wolfram wollte das Ganze nicht so recht glauben, aber es stimmte schon. An der Spitze des Stammbaums hatte immer nur Rufus gestanden. Wer war das zweite Elternteil dieses Kindes?

„Vater konnte dies natürlich nicht dulden, zumal das Orakel die Vernichtung der Götter durch ein Mischblut verkündet hatte!“

„Ihr wollt mir jetzt aber nicht erzählen, das Rufus eure Frau war!“, unterbrach Wolfram ihn.

„Du liebe Güte, nein!“, zischte Mittsu, „Ich wäre von Sinnen gewesen hätte ich mich mit einem solch niederen Landadel eingelassen! Ist es denn so schwer, die Wahrheit zu erkennen?“

Wolfram grübelte. Und da fielen ihm plötzlich die Worte von Erika von Hundshaupten am Strand wieder ein: ' Von Bielefeld? Aber warum nehmen eure Heiligkeit ausgerechnet den Namen einer herkömmlichen Mätresse als Pseudonym auf Reisen?'

„Nanatsu!“ Es fiel ihm wie Schuppen von den Augen! All die Jahre hatte man ihm gesagt, wie ähnlich er Shinou war. Vom Aussehen, vom Stolz, vom Gerechtigkeitssinn. Und jedes Mal, wenn Shinou einen Körper gebraucht hatte, war er in seinen gefahren mit der Begründung, da habe er am wenigsten Widerstand.

Er stöhnte auf und begrub sein Gesicht in den Händen! Wie konnte er nur so blind sein?

Shinou, der erste Maou und Gründer von Shin Makoku und einer der Götter von Dark Makoku, war sein Urgroßvater!

„Ich bring ihn um!“, mit seiner Faust schlug er fest auf die Matratze. Hätte er in all den Jahren nicht einmal was sagen können?

„Da sind sie etwas spät dran! Das wurde schon erledigt!“, lachte Mittsu auf.

Wenn der wüsste!, schoss es dem impulsiven Dämon durch den Kopf.

„Aber wisst ihr, ich habe auch einen Sinn für Familie und da wir ja nun verwandt sind“, fuhr der Eisgraue fort, „habe ich euch einen Handel vorzuschlagen!“

„Einen Handel?“, Wolfram blickte auf. Was konnte denn ein Gott von ihm wollen?

„Ich schenke euch euer Leben sowie das Zepter, welches ihr sucht für euren Einsatz bei einem kleinen Spiel!“

Er wusste also auch über das Zepter Bescheid.

„Ihr wundert euch bestimmt, warum ich das mit dem Zepter weiß, nicht wahr?“

Eigentlich nicht. Hundshaupten hat geplaudert!

„Ihr habt schon Recht, dass ihr Lady von Hundshaupten verdächtigt!“

Verdammt! Kann der Gedanken lesen?

„Und nein, ich kann keine Gedanken lesen!“

Sehr lustig!

„Wirklich nicht. Eine Fähigkeit, die uns unser Vater Nanimo wieder nahm mit der Begründung, jeder solle seines eigenen Gedankenguts Herr bleiben. Ich bin nun weit über 6000 Jahre alt. Ich kann aus der Mimik lesen. Diese ist oft aufschlussreicher als jeder Gedankengang!“, er schien reichlich amüsiert über Wolframs Wechselbad der Gefühle in Mimik und Gestik in den letzten Minuten. Dadurch wurde Wolfram nun leicht zornig, versuchte aber, ruhig zu bleiben: „Was für Spiel wollt ihr denn spielen?“
 

Rebekah und ich schritten durch einen riesigen Torbogen im Foyer des Palastes. Alles erinnerte mich von der Größe und dem wilden Durcheinander hier an ein Flughafenterminal! Hier war gerade ein großes Kommen und Gehen. Vermutlich weil nun Wachablösung oder Schichtwechsel war. Wir hatten schon zwei Kontrollen passiert. Und wir waren nicht aufgehalten worden. Die Verkleidung war wirklich perfekt.

Kurz bevor wir das kleine Häuschen von Rebekahs Familie verlassen hatten, war ihre Schwester von der Arbeit heimgekehrt.

„Oh, Rebekah, du hast eine Freundin aus der Obrigkeit!“, hatte diese dann bei meinem Anblick gesagt und Rebekah hatte ihr bestätigt, dass ich eine der neuen Dienstmädchen für die oberen Stockwerke sei.

Anscheinend erkannte man dies an den unterschiedlichen kleinen bunten Markierungen an Schulter und Brust. Sie waren so klein, dass sie für mich aussahen wie eines dieser Labels einer Bekleidungsfirma, welche man auf der Erde oft auf Pullovern oder Hemden sieht. Meine waren rot und gelb und stachen bei dieser gräulichen Farbe und der weißen Schürze direkt ins Auge. Wir passierten noch ein weiteres Tor. Wir nickten den Wachen freundlich zu.

„Da vorne kommt nun ein Fahrstuhl. Ich darf nur bis zur zehnten Etage ohne Sondergenehmigung. Du fährst hoch in die 40. Etage. Dort gehst du direkt neben dem Fahrstuhl links in das offene Zimmer. Dort sitzt ein junges Mädchen namens Marielle“, Rebekah flüsterte so leise, dass es mir schwer fiel, sie genau zu verstehen, „und ihr sagst du, dass ich dich geschickt hätte weil du Arbeit brauchst! Sie ist meine Cousine. Wenn sie dein Kleid sieht wird sie dich schon in die richtige Etage schicken!“

Wir stellten uns in die Warteschlange vor diesem Fahrstuhl und schwiegen betreten.

So wie es aussah mussten wir nun Abschied nehmen. Ich mochte Abschiede gar nicht und dies hielt mich auch zurück.

„Yuuri Shibuya, ich wünsche dir ganz viel Erfolg bei deiner Suche nach deinem Verlobten! Und wenn ihr dann wieder in eurer Heimat seit, dann denk auch mal an mich und schicke mir eine Flaschenpost. Vielleicht kommt die ja an!“, sie lachte leise.

Sie hatte so viel für mich getan, obwohl ich eigentlich ein vollkommen Fremder für sie war. Sie wusste nicht einmal, wer ich wirklich war und half mir trotzdem, mich in die obersten Etagen dieses Palastes zu schmuggeln. Ohne sie würde ich vermutlich immer noch wütend und zornig durch die Straßen laufen. Ich zog sie an mich und umarmte sie. Ich merkte, wie erschrocken sie darüber war, doch dann schloss auch sie ihre Arme um mich.

„Rebekah, ich danke dir für alles! Du hast mir selbstlos geholfen! Daher werde ich dir keine Flaschenpost schreiben!“

Sie löste die Umarmung und sah mich enttäuscht an: „Nicht?“

„Nein! Denn ich werde dich mit meinem Verlobten besuchen! Das machen doch Freunde so, oder?“

Sie lächelte: „Ja, das stimmt!“

Der Fahrstuhl klingelte. Ein Herr trat heraus: „Die Etagen 40 und darüber bitte hier her!“

Rebekah gab mir einen kleinen Schubs: „Na los! Dann bis bald!“

„Ja, bis bald, Rebekah!“, und schon wurde ich von der Menge in den Fahrstuhl mitgerissen.
 

„Lady von Hundshaupten ist eine sehr loyale Freundin meiner Schwester. Sie ließ ihr ein Schreiben zukommen mit den Informationen über euch, welches jedoch meine Schwester nie erreichte“, fuhr der Götterdämon fort, während er zum Fenster ging und sich dort an den Rahmen lehnte, „und daher bin ich neben Lady von Hundshaupten auch der Einzige im Reich, der über eure Ankunft Bescheid weiß. Und ich kann euch garantieren, dass ich in wenigen Augenblicken der absolut Einzige sein werde!“

Ein kühles Lächeln umspielte die Lippen von Wolframs Gegenüber und ließen beim jungen Grafen alle Alarmglocken klingeln. Dieser Gott ging über Leichen für sein geplantes Spielchen! Doch unbeeindruckt von Wolframs Gesichtsausdruck erläuterte er ihm sein weiteres Vorhaben: „Ihr werdet weiterhin Nanatsu spielen! Ihr müsst wissen, dass seit dem Verschwinden eures Ahnen viele Mythen und Sagen um ihn im Volke kursieren. Oftmals auch gefährliches Gedankengut, welches wir Götter nicht dulden können und werden!“

Oh! Plante das Volk etwa einen Aufstand?

„Zudem glauben meine Schwestern weiterhin an seine Rückkehr. Ich breche ihnen ungern das Herz und enttäusche ihre Hoffnungen, daher beließ ich sie in diesem fälschlichen Glauben!“

„Ich soll also ihren kleinen Bruder spielen, ja? Aber ist es nicht allzu offensichtlich, dass ich nicht er bin?“

Mittsu löste sich vom Fensterrahmen und schritt wieder auf ihn zu: „Gewiss. Kleinere Unterschiede gibt es da schon. Ihr seit etwas kleiner, euer Haar ist etwas dunkler und die Augenfarbe weicht ab. Jedoch alles Makel, die sich schnell beheben lassen!“

„Beheben lassen?“, Wolfram schluckte. Wie meinte er das?

„Eure Augen werden wir mit einer blauen Lösung beträufeln. Es bildet sich eine hauchdünne Farbschicht, die euer Sehvermögen nicht beeinträchtigen wird!“

Ah, also ähnlich wie Yuuris Kontaktlinsen!

„Eure Haarfarbe ist nicht weiter zu beachten. Nanatsu ist seit über 4000 Jahren verschwunden. Im Volke lebt niemand mehr aus dieser Zeit, der sich an ihn erinnern könnte und meine Geschwister werden dem ebenso wenig Beachtung schenken! Und eure Größe...“, erneut fuhr ein musternder Blick über Wolfram, „Hm. Ihr seit noch jung und nicht ausgewachsen, nicht wahr?“

„Ich bin 85!“

Er lachte laut auf: „Wie ich mir dachte! Gerade aus den Säuglingsschuhen entwachsen!“

Natürlich! Mittsu war über 6000 Jahre alt! Für ihn waren 85 Jahre bestimmt ein Wimpernschlag!

„Zudem habt ihr neben dem langsameren Alterungsprozess die offensichtlichen Gene meines Bruders geerbt und werdet dadurch eine weitaus größere Lebenserwartung haben als der Dämon an sich!“

Wolfram grübelte. Bis auf seinen Onkel Waltorana waren alle männlichen Verwandten in irgendwelchen Kriegen gefallen. Ein von Bielefeld starb grundsätzlich den ehrenvollen Tod auf einem Schlachtfeld und nicht an Altersschwäche!

„Daher werde ich da etwas nachhelfen müssen!“

Wolfram dachte urplötzlich panisch an eine Streckbank.

„Ich bitte euch! Ich bin ein Gott! Zu solch altertümlichen Mitteln greife ich nicht!“

Und das mit dem Gedankenlesen glaube ich ihm dennoch nicht!

„Und wenn ich euer Spielchen mitspiele erhalte ich das Zepter?“

„Es war doch sowieso Nanatsus Zepter. Von uns kann dies hier niemand verwenden. Es ruht ganz allein seine Macht darin. Ihr spielt hier eine Zeitlang eure Rolle und dann könnt ihr mit dem Zepter das Land wieder verlassen!“

Wolfram grübelte. Er hatte im Laufe des Gespräches herausgehört, dass mit diesem Mittsu nicht zu spaßen war. Er würde ihn bestimmt nicht lebend entkommen lassen. Aber um erst einmal am Leben zu bleiben und um sich Gedanken machen zu können, wie er denn am Besten von hier entkam und das noch möglichst mit dem Zepter, sollte er dieses Angebot annehmen und mit spielen.

„Gut, ich bin dabei! Ich spiele diese Rolle!“

Mittsus Augen funkelten: „Ach, spielen wir denn nicht alle stetig eine Rolle?“
 

Dieses Gedränge in diesem Fahrstuhl erinnerte mich an eine überfüllte Tokioter U-Bahn in der Rush Hour. Das war mir viel zu eng. Zudem hatte ich Angst, dass jemand an meinen Haaren hängen blieb oder meine eingenähten Brustpolster zerdrückte und somit mein Undercover Einsatz noch vor Beginn gescheitert wäre.

„Etage 40!“, rief wieder der Mann, ich nannte ihn kurzerhand Fahrstuhlboy, und öffnete die Tür.

„Hier, ich!“, krächzte ich und presste und quetschte mich halbwegs heil nach draußen.

Einige andere 'Maids' stiegen mit mir aus und obwohl ich das Zimmer, welches Rebekah mir beschrieben hatte, schon sehen konnte, beschloss ich, mich ähnlich zu verhalten wie die anderen Maids und schloss mich ihnen an... nur um festzustellen, dass sie wohl auch alle zu dieser Marielle wollten.

Sie stellten sich alle der Reihe nach auf. Ich stellte mich bewusst als Letzte an und ließ auch Nachkömmlinge vor. Ich wollte unnötige Ohrenzeugen vermeiden, falls es nicht klappte oder hier in diesem Büroraum irgendjemand den Mann in mir erkannte.

Marielle saß an einem Schreibtisch und reichte den Mädchen einer nach der anderen Stempelkarten, welche diese dann in einen Apparat schoben und ein lautes 'Kling' ertönte.

Ein Stempelkartenabrechnungssystem also! Wie fortschrittlich für eine Welt, die mir bisher mehr wie europäisches Mittelalter vorgekommen war.

Hinter Marielle stand eine ältere Dame mit streng nach hinten gebundenen Dutt. Sie begutachtete alle Mädchen wie die Auslage in einer Metzgerei. Sie trug ein Krankenschwesternhäubchen. Vermutlich war sie hier so etwas wie die Leitung aller Maids der oberen Etagen.

Ich kam an die Reihe.

Lächeln, Shibuya, lächeln!

„Ähm... Hallo... Rebekah sagte, ich solle mich bei dir melden!“

Doch anstatt das mir Marielle antwortete, beugte sich die streng dreinschauende Alte mit hervorquellenden Augen zu mir herüber und betrachtete mich von oben bis unten.

Mist! Warum kann ich nicht Gedanken lesen!, schoss es mir durch den Kopf.

War ich aufgeflogen?

„Du bist ganz hübsch! Wie heißt du?“

Ähm... das hatte ich nun nicht erwartet! Obwohl... das hier waren ja auch alles Dämonen! Und anscheinend ging diese Geschmacksverirrung über zwei Kontinente!

„Yuuri!“, flüsterte ich und hätte mir im gleichen Moment eine scheuern können, „Ich meine Yurika, Mylady!“

Sie drehte sich von mir weg und nahm etwas weißes vom Tischchen hinter sich.

„Du bist zwar ungewöhnlich groß für ein Dienstmädchen, aber seine Heiligkeit wünscht ausschließlich ansehnliche Mädchen in den Privaträumen. Bei deinem Aussehen wird ihn wohl die Größe nicht stören!“

Sie kam wieder auf mich zu und band meine langen, falschen Haare zu einem lockeren Zopf und legte mir ein weißes Kopftuch um: „Du fährst nun hoch in den 140. Stock. Dort erwartet dich Hilde zum Einarbeiten! Das hier ist dein Ausweis!“, sie drückte mir eine rote Karte in die Hand, „Hast du das verstanden, Yurika?“

„Natürlich!“, ich machte einen eleganten Hofknicks. Den konnte ich gut, da ich ihn sehr lange mit Greta geübt hatte unter der Aufsicht von Günter.

Ich schritt wieder zurück zum Fahrstuhl und betätigte die Klingel.

Innerlich sprang ich auf! Was hatte ich für ein Glück! Die Karriereleiter rauf von 0 auf 100 in wenigen Minuten!

Ja, okay, ich war nur ein Dienstmädchen. Aber ein Dienstmädchen in den Räumlichkeiten seiner Heiligkeit! Wenn ich da nicht direkt an der Quelle für Informationen saß, dann wüsste ich auch nicht weiter. Es dürfte zumindest kein Problem werden, den Verbleib vom Zepter zu ermitteln. Und Wolframs Entführer zu finden. Und wenn Conrad und Gwendal es nach Dark Makoku geschafft hatten, dann würden sie auch irgendwann hier vorstellig! Ich musste mich jetzt nur vorsichtig verhalten und dürfte meine Tarnung nicht verlieren!

Die Fahrstuhltür öffnete sich erneut mit einem 'Kling'.

Kapitel 13

KAPITEL 13
 

„Irgendwie habe ich mir mehr erwartet als...“, Adalbert von Grantz zögerte etwas. Er schien einerseits überrascht, andererseits doch sehr enttäuscht über das, was man ihnen präsentierte: „Als das hier! Gerade weil es sich um die Verwandtschaft unseres verzogenen Bengelchens handelt!“

Man hatte sie in eine Bibliothek geführt.

Zunächst war Lord Conrad Weller zurück auf den Roten Seestern gekehrt, um seinen Bruder und Leiter dieser Expedition, Gwendal von Voltaire, darüber zu informieren, dass man einen Fischer zum Hauptsitz des Territoriums begleiten wolle. Sie hatten vor dem Hafen einer Fischerstadt der Insel Adria geankert und diese stand unter dem Schutz der Familie von Bielefeld.

Während seiner Vorsprache hatte Günter für einige Augenblicke sein Schluchzen unterbrochen und interessiert zugehört. Als Gwendal die geplante Visite genehmigte, war der seit Tagen zerstreute Berater aufgesprungen und hatte um seine Anwesenheit bei eben dieser Visite gebeten.

Conrad war zwar über den schnell wechselnden Gemütszustand des königlichen Beraters irritiert, doch fand er diese Bitte äußerst nützlich.

Schließlich gab es in ganz Shin Makoku keinen beleseneren Mann als Lord Günter Baron von Kleist! Sein Wissen, gerade was die Geschichte des Dämonenvolkes betraf, konnte in einem Gespräch mit dem derzeit regierenden Familienoberhaupt der Familie von Bielefeld hier im Bielefeld-Territorium auf Dark Makoku bestimmt nützlich sein!

Eben dieser Berater klappte nun laut ein Buch zu, welches er sich zum Verkürzen der Wartezeit aus einem der Regale genommen hatte und funkelte von Grantz untypisch finster an. Adalbert hatte zwar die Gedanken aller, seinem Naturell entsprechend, laut ausgesprochen, doch Günter achtete stets darauf, dass die Etikette eingehalten wurde!

Auch wenn es ihm selber nicht im Geringsten gefiel, dass seine Majestät Yuuri sich ausgerechnet eben diesen verzogenen Prinzen zum Verlobten erwählt hatte, so war dies doch ein unabänderlicher Zustand, den er zu akzeptieren hatte. Das ihm das gefallen sollte wurde schließlich nicht verlangt. Seines Erachtens wäre seine Majestät an seiner Seite viel besser aufgehoben!

„Ich bitte euch doch sehr, Lord von Grantz, ab jetzt und im Laufe des nun angekündigten Gespräches hier eure Wortwahl genau zu überdenken. Wir sind hier zu Gast in einer Kultur, die selbst ich noch nicht ganz begreife, da uns zu wenig Informationen vorliegen. Und ich würde mir ungern die Möglichkeit, an Informationen zu kommen, durch ihr loses Mundwerk zunichte machen lassen!“

Conrad schmunzelte. Er würde Recht behalten. Es war eine hervorragende Idee, das Günter sich ihnen angeschlossen hatte.

Auch er blickte sich um. Dieser Hauptsitz hatte mehr den Charakter eines Land- oder Jagdsitzes der Familie Voltaire. Hier war nichts, was darauf hinweisen würde, dass man sich hier im Hauptsitz der Familie von Bielefeld befinden würde. Alles war einfach und schlicht eingerichtet. Selbst der Weg, der vom Tor zum Haupteingang des Sitzes geführt hatte, war weder außergewöhnlich gepflegt noch bepflanzt gewesen. Alles deutete auf einen sehr verarmten Landadel hin.

Man hatte sie aber sehr freundlich empfangen, als man den Bediensteten am Eingang berichtet hatte, wer man war und was die Anliegen waren. So wurden sie in diesen Raum geführt mit der Bitte, sich einen kleinen Augenblick zu gedulden.

Auch Günter war der heruntergekommene Zustand des Anwesens aufgefallen und er war schon innerlich enttäuscht gewesen. Er hatte sich die Behausungen der Ur-Adelsfamilien, aus deren Linien sie schließlich alle entsprungen waren, weitaus pompöser vorgestellt.

Doch nach all der Enttäuschung musste er sich eingestehen, dass er umso freudig überraschter über die Fülle an Informationen in eben dieser Bibliothek war. Hier gab es so viele Bücher, Karten und Unterlagen, welche er zu gerne auf das Genaueste studieren wollte, dass ihm die Wartezeit gar nicht lang genug sein konnte.

Ein wortwörtliches Aufstrahlen entwich seinen Gesichtszügen, als er den Buchrücken überflog mit einer Überschrift, die ihn gleich fesselte: ' Territoriale Aufteilung vor und nach dem Krieg'!

Entzückt nahm er den dicken Band aus seinem Fach und blätterte begierig die nächsten Seiten um.

„Urteil Mittsu, dritter Sohn Gaarus und Nanimos, des alleinigen Herrschers von Dark Makoku, Stammesfürst aller Dämonen dieser Welt, Führer der oberen 25 Adelshäuser: Durch das verräterische Verhalten der Oberhäupter der Familie von Bielefeld“, Günter las diesen Auszug laut vor, „und der Zuwiderhandlung und der Befehlsverweigerung werden den verbliebenen Clanmitgliedern alle Ehren, Titel und Ländereien aberkannt. Die Leitung der Seestreitmacht fällt ab diesem Tage den Familien von Hundshaupten und von Seihenfeld zu. Die Gebiete des Festlandes werden zu gleichen Teilen den Familien von Greifenwald, von Freyen zu Leyenhaus und von Bastille de Rouge vermacht. Einzig das strategisch ungünstig gelegene Eiland Adria soll der Familie von Bielefeld als Wohnsitz dienen.“

„Das ist eine ganz schöne Degradierung!“, stöhnte Iossac von seinem Platz am Fensterbrett auf.

„Da habt ihr wohl Recht, meine Herren!“

Ein sehr groß gewachsener Mann mittleren Alters stand nun in der offenen Doppeltür der Bibliothek und lächelte trotz der Verkündung des widerfahrenen Leides seiner Familie seine Besucher freundlich an.

Er hatte hellblondes, überschulterlanges Haar, welches er offen trug. Seine dunkelbraunen Augen waren von vielen Lachfalten gekennzeichnet. Er schien ein äußerst sympathischer und angenehmer Gesellschafter zu sein.

„Ich bitte die Wartezeit zu entschuldigen. Sie hatten bestimmt eine lange und anstrengende Reise!“, er setzte sich an die Sitzecke und alle taten es ihm gleich.

„Ich bin Ludwig von Bielefeld. Derzeit leite ich die Geschäfte hier. Das mag für sie befremdlich klingen, aber wie sie soeben selbst aus diesem Buch entnommen haben“, er wies auf das Buch, welches Günter immer noch in Händen hielt, „sind wir schon lange kein Herzogtum mehr. Wir betreiben ausschließlich nur noch Handel mit dem Inland und äußerst selten politische Geschäfte!“

Er wandte sich an Günter, da dieser ihm wohl als der Vorstand dieser kleinen Besuchergruppe erschien, vermutlich wegen der erlesenen weißen Robe, die dieser trug:

„Wie kann ich euch denn behilflich sein? Mein Diener teilte mir mit, ihr seid aus Shin Makoku! Es hat mich wirklich gefreut, zu hören, dass Nanatsu es geschafft hat, dass Reich von dem er und Rufus so träumten zu gründen und zu erhalten!“

„Nanatsu? Ein mir befremdlicher Name! Mit Rufus meint ihr doch sicherlich euren Ahnen Lord Rufus von Bielefeld!“, schaltete sich Günter nun ein, „Und ich bitte auch sie um untertänigste Entschuldigung für unser plötzliches und unangekündigtes Erscheinen. Mein Name ist Lord Günter Baron von Kleist. Meine Begleiter sind Lord Conrad Weller“, er wies auf Conrad, der sich leicht verbeugte, „Herr Iossac Glie“, auch dieser tat es seinem Hauptmann und altem Kriegskameraden gleich, „und Lord Adalbert von Grantz!“

Ludwig von Bielefeld nickte seinen Gästen der Reihe nach zu, dann erhob er sich und ging ebenfalls zum Bücherregal: „Es war uns hier verboten, Gemälde unserer von seiner Heiligkeit Mittsu als Verräter betitelten Verwandten aufzuhängen. Das war Teil der Strafe. Dennoch“, er betätigte einen Hebel und ein Teil des Regals schlug wie eine Türe nach vorne auf, „ haben wir einige Stücke vor dem Verbrennen bewahren können!“

Es wurde ein weiterer Raum sichtbar mit weiteren Bücherregalen und einer Wand voller kleiner bis etwas größerer Gemälde. Günter stand fasziniert auf und trat näher heran.

„Das ist Rufus in sehr jungen Jahren!“, Ludwig von Bielefeld lenkte Günters Blick auf ein recht kleines Bild, auf welchem ein sehr junges Mädchen in einem sehr verspielten spitzenbesetzten Kleidchen in einer Blumenwiese saß und einen Kranz flocht.

„Aber Rufus...“, begann Günter stockend.

„Ja, er war eine sie. Ihr Vater, Lord Georg Großherzog von Bielefeld, hatte nur Töchter. Bei Rufus Geburt starb seine über alles geliebte Frau im Kindbett. Dennoch wurde zu jener Zeit vorgeschrieben, dass nur männliche Erben die Nachfolge antreten konnten. Also ließ Georg verkünden, er habe einen Sohn. Nur die engsten und vertrauenswürdigsten Verwandten kannten das Geheimnis!“

„Erstaunlich! Das ändert vieles in unseren Chroniken!“, flüsterte Günter und auch Conrad war aufgestanden, um sich das Bildchen näher zu betrachten.

„Niemand bei Hofe ahnte etwas von Rufus Doppelleben. Sie war eine hervorragende Schwertkämpferin, eine kühne Strategin und eine furchtlose Kämpferin“, fuhr Ludwig im ruhigen Ton fort, „ Nur lernte sie auf der Akademie ihren Vorgesetzten und Lehrmeister Nanatsu kennen!“ Er schritt die Bilderwand entlang und wies auf ein etwas größeres Bild mit einem Portrait.

Günter und Conrad folgten ihm. Adalbert und Iossac blieben aufgrund der Enge in diesem Geheimraum am Eingang stehen.

Conrad erkannte es zuerst und er stockte: „Shinou!“

Über Conrads Äußerung verwundert rückte der königliche Berater seine Brille zurecht und trat noch näher an das Bild heran: „Bei allen Flugdrachen! Er ist es tatsächlich!“

„Hatte er bei euch einen anderen Namen?“, fragte nun von Bielefeld erstaunt und Iossac räusperte sich lauter:

„Er ist unser Reichsbegründer und erster Maou! Wir kennen ihn alle nur unter Shinou und bisher hat er uns gegenüber auch nie einen anderen Namen erwähnt!“

„Er lebt noch? Wirklich?“, Ludwig schien wirklich freudig überrascht.

„Nicht wirklich!“, Adalbert hatte noch nie große Sympathie für den Gründer seines Reiches empfunden und dies war auch deutlich an seiner Stimme erkennbar, „er geistert gerade auf unserem Schiff herum!“

Lord Ludwig von Bielefeld schwanden die Sinne. Er musste sich an der Wand abstützen: „Das sind großartige Nachrichten! Das Volk wird jubeln vor Begeisterung! Nanatsu ist endlich heimgekehrt! Er wird sich der Tyrannei seines Bruders stellen und uns alle befreien!“

Iossac und Adalberts Blicke wanderten fragend rüber zu ihren Freunden, doch auch Conrad konnte nur ahnungslos mit den Schultern zucken.

Nur Günter schien das Alles kommentarlos aufzusaugen und irgendwo in seinem Kopf zu sortieren: „Was geschah mit Rufus?“

Ludwig von Bielefeld wandte sich ihm wieder zu: „Nun ja, Nanatsu war der siebte Spross von Gaaru und Nanimo und somit ein Gott. Jegliche intime Beziehungen, auch von Göttern zu den oberen Adelshäusern waren streng untersagt worden. Gaaru hatte nämlich die Eskapaden seines Mannes satt. Es gab bereits eine Unmenge an unehelichen Kindern! Aber das wohl ausschlaggebendste war die Prophezeiung vom großen Orakel!“

„Orakel?“

„Hm, ja, Lord von Kleist!“, Ludwig verließ den Geheimraum und steuerte wieder die Sitzecke an. Alle folgten ihm.

„Ihre Heiligkeit Yonno, das fünfte Kind von Gaaru und Nanimo und erstgeborene Tochter, besitzt die Gabe der Weitsicht. All ihre Prophezeiungen traten binnen kürzester Zeit ein! Leider sah sie die Ermordung aller Götter durch einen Doppelschwarzen!“

Die vier Freunde zuckten bei dem Begriff 'Doppelschwarzer' unwillkürlich zusammen, doch von Bielefeld schien dies gar nicht aufzufallen, denn er berichtete im ruhigen Ton weiter:

„Und Doppelschwarze gibt es so eigentlich nicht. Außer, es handelte sich um ein Mischblut. Das heißt also, um ein Kind aus einer Götter und Dämonen Verbindung!“

Ludwig von Bielefelds Augen wurden trauriger: „Rufus und Nanatsu heirateten heimlich. Sie waren sich so innigster Liebe zugetan, dass sie das neue Gesetz, alle Kinder und deren Kinder und so weiter sofort hinrichten zu lassen, ignorierten. Bis Rufus dann in freudiger Erwartung war, ihre geheime Identität aufflog und es im Palast die Runde machte. Ebenso geriet Nanatsu in einen fürchterlichen Streit mit seinen beiden Vätern weil er sich weigerte, bei dieser 'Säuberung', wie sie es nannten, mitzumachen und seine Geschwister zu töten. Er war dem Volk immer am Nächsten gewesen und hatte sehr viele Freunde, die sich im Nachhinein fast alle als Mischblütler entpuppten!“

Es herrschte eine betretene Stimmung in der Bibliothek. Ludwig von Bielefeld hätte gar nicht mehr weiter berichten müssen, was in der Vergangenheit geschehen war. Sie hatten es sich denken können.

„Die Zeiten der Säuberung waren die schlimmsten Jahre in der gesamten Geschichte Dark Makokus. Familien wurden auseinandergerissen. Es herrschte Misstrauen bis hoch in die höchsten Adelskreise, weil man oftmals nicht sicher gehen konnte, ob jemand ein Mischblut war oder nicht! Es begannen fürchterliche Kriege in den einzelnen Territorien. Nanatsu und Rufus flohen mit ihrem Neugeborenen. Viele ihrer Freunde, ob Mischblut oder Reinblütiger, schlossen sich ihnen an. Ihnen gelang es mit Hilfe der Flotte, die damals noch uns unterstellt war, von hier zu flüchten. Nachdem sich hier die schlimmsten Kriegswirren gelegt hatten verließen auch Gaaru, Nanimo, Hitotsu und Futatsu das Land. Denn sie dachten in all ihrem Hass, dass solange noch irgendwo ein Mischblut existiert sich irgendwann diese Prophezeiung erfüllen würde! Das war vor rund 4000 Jahren und seitdem haben wir nichts mehr vernommen. Weder von unseren Brüdern und Schwestern noch von den Göttern, die sie jagten!“ Er seufzte auf.

„Ein Doppelschwarzer würde die Götter vernichten, ja?“, Iossac kratzte sich am Kopf, „ob die unseren jungen Herrn meinten?“

„Yuuris Mutter ist ein Mensch und kein Gott“, warf Conrad ein.

„Aber ist nicht sein Vater ein Nachfahre von Kristel Winscott, welcher damals zur Erde reiste? Wer weiß, ob in deren Genen schon Götterblut floss!“

Günter nickte. Adalbert konnte mit dieser Vermutung Recht haben.

„Seine Majestät Yuuri hat auf alle Fälle die Götter geschlagen! Zumindest die Vier, die Shinou, ich meine, Nanatsu gefolgt waren!“

„Also stimmt das Gerücht und Gaaru und Nanimo sind tot?“

„Ja, Lord von Bielefeld. Dies kann ich mit großer Sicherheit sagen. Unsere derzeitige Majestät Yuuri, der 27. Maou von Shin Makoku, vernichtete die von uns als Begründer gefürchteten vier Schöpfergötter vor fast drei Jahren!“

Lord von Bielefeld atmete erleichtert auf: „Eure Majestät muss ein sehr mächtiger Dämon sein!“

„Hm, ja! Vor allem ein Dämon der immer mächtig viele Probleme verursacht!“, brummte Adalbert und erntete erneut einen giftigen Blick des königlichen Beraters. Doch diesen ignorierte er mit einem schulterzuckendem Grinsen.

„Ist eure Majestät denn mitgereist?“

„Ja, und zwar auf eigene Faust mit seinem Verlobten, Lord Wolfram von Bielefeld!“, Iossac schmunzelte und erhielt genau die Reaktion von seinem Gastgeber, die er sich erhofft hatte.

„Ein Bielefeld ist der Verlobte einer so mächtigen Hoheit?“, Ludwig von Bielefeld sprang erschrocken auf, setzte sich aber sogleich wieder ziemlich abrupt, „Dann hat Rufus Junge es tatsächlich überlebt und unsere Familie lebt in Shin Makoku in Ehren weiter!“

Conrad war sich sicher, dass er Tränen in den Augen des blonden Dämonen erkennen konnte. Was für Grausamkeiten musste diese Familie hier in Dark Makoku nur erdulden?

„Wie ihr vernehmen konntet benötigen wir daher ihre Hilfe“,wandte sich nun Günter wieder an ihn und dieser sah sogleich auf und mit fragender Mimik zum eisgrauen Schönling.

„Natürlich lasse ich euch all meine Unterstützung zukommen!“

„Wir suchen unsere Majestät sowie seinen Verlobten und ebenso Nanatsus Zepter der Segnung!“

„Nanatsus Zepter?“ ,von Bielefeld erhob sich und schritt an das große Fenster mit Blick in den Garten des Anwesens, „Hm. Vor vielen Jahrhunderten gab es das Gerücht, dass Nanatsus Zepter bei der Familie von Hundshaupten am Strand angespült worden sei. Es wurde der heiligen Familie übergeben. Demnach befindet sich dieses in Gewahrsam seiner Heiligkeit Mittsu!“

Die vier Dämonen von Shin Makoku stöhnten auf. Bisher hatten sie noch nichts Gutes über diese Götter hier erfahren. Und sie konnten sich auch alle sicher sein, dass wenn Yuuri überlebt hatte und sich hier aufhielt, er dies auch mittlerweile in Erfahrung gebracht hatte und sich in seinem typischen Leichtsinn schon auf den Weg zu diesem Mittsu gemacht hatte. Da der Fluch auch Wolfram indirekt betraf würde vom Feuerdämon auch kein Widerspruch erfolgt sein.

„Dann werden wir Yuuri und Wolfram sowie das Zepter bei diesem Mittsu finden!“, Conrad straffte seine Schultern. Warum schaffte es sein Zögling und Patenkind auch immer, sich in die schwierigsten Situationen zu manövrieren?

„Sagte ich nicht bereits, dass er mächtig viele Probleme verursacht?“, Adalbert lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und betrachtete die ausgearbeiteten Stuckarbeiten an der Zimmerdecke der Bibliothek.

„So aussichtslos ist es nicht!“, kam nun vom Fenster her und alle wandten ihre Blicke wieder dem Gastgeber zu, „Ich werde eine Versammlung der 25 Adelshäuser einberufen. Mittsu wird das nicht auf sich sitzen lassen und auch dort erscheinen. Und wenn ihre Majestät in seiner Nähe ist, so wird er auch dort erscheinen!“
 

'Kling'

„Wir sind im 140. Stockwerk!“

Der Fahrstuhlboy wies mit der Hand nach draußen auf den Gang. Die letzten 50 Stockwerke war ich der einzige Passagier gewesen. Das war ein vollkommen neues Gefühl der Befreiung in diesem Fahrstuhl gewesen wenn ich so an die ersten 40 Stockwerke zurückdachte. Ich war also nun wirklich richtig nah an diesen Göttern dran. Irgendwie beschlich mich ein seltsames Gefühl als ich aus dem Fahrstuhl trat und mich neugierig um blickte.

Plötzlich erschien direkt neben mir eine brünette Frau. Sie hatte schon einen leichten graumelierten Haaransatz, daher schätzte ich sie in Erdenjahren auf Anfang 60. Ihr Blick war ebenso streng wie der von der Dame mit dem Dutt im 40. Stockwerk und daher sprang ich ein wenig vor ihr zurück. Sie hob amüsiert den Mundwinkel: „Du bist also das neu angeforderte Dienstmädchen für den Thronsaal, ja?“

Ich nickte: „Und sie sind Hilde?“

Sie antwortete mir nicht. Stattdessen packte sie mich an meiner Hand und zerrte mich den unendlich langen, weißen Gang hinunter. Nachdem wir zigmal abgebogen waren und ich mir ziemlich sicher war, dass ich alleine den Weg zum Fahrstuhl nie mehr finden würde, blieb sie abrupt stehen und schubste mich in einen Raum, wo bereits andere Dienstmädchen begonnen hatten, Tabletts mit Speisen und Getränken darauf aus einer Durchreiche heraus auf einige Servierwägen zu stellen.

„Du bist ganz schön groß geraten!“, säuselte diese Hilde nun neben mir und ich bemerkte ihren begutachtenden Blick, „Aber du schaust erstaunlich gut aus. Das wird ihren Hoheiten gefallen!“

Ja ja, ihr habt alle keinen Sinn für wahre Schönheit! Ich bin ein Kerl in Frauenklamotten! Was, bitte schön, schaut an mir gut aus?

Sie zeigte mir einmal quer über den Gang eine riesige weiße Tür: „Dahinter speisen gleich die göttlichen Hoheiten. Dies ist nun dein künftiger Arbeitsplatz. Du bedienst nur. Du sprichst nicht. Du denkst nicht. Du bedienst nur!“

Ich nickte wieder verstehend.

Die sind hier vielleicht streng!

„Ach ja! Und du schaust niemanden an! Selbst wenn man dich persönlich anspricht, schaust du stets zum Boden und antwortest höflich und direkt! Hast du das verstanden?“

„Ähm, jawohl, Ma'am!“

Sie betrachtete mich argwöhnisch: „Das du mir keine Probleme machst!“

Solange ich nicht gefunden habe, was ich suche, bin ich lammfromm!

„Dann komm mit! Ich zeige dir die Küche!“

Mit einem Blick zurück zu dieser großen weißen Tür folgte ich ihr.
 

Es war ein riesiger Raum ohne Wände. Ringsum nur Glas. In diese Glasfronten waren, ebenfalls aus Glas, kleinere Halterungen eingelassen, in denen Kerzen befestigt wurden, welche ihr warmes Licht spendeten. Die Aussicht war phänomenal. Man befand sich über und in den Wolken. Eine Sicht zu allen Seiten bis zum Meer.

Inmitten dieses riesigen Raumes stand eine große, massive, runde Holztafel.

Das Holz wies eine rötliche Maserung auf. Wolfram überlegte lange, um was für ein Holz es sich wohl handeln könne, aber er kam nicht darauf. Diese Unwissenheit ärgerte ihn.

Um diese Tafel standen jeweils im gleichen Abstand zueinander zehn Stühle, wobei man eigentlich nicht Stühle sagen konnte. Es waren pompöse Throne. Jeder für sich anders. Jeder für sich imposant. Die beiden größten waren unbesetzt, ebenso die etwas kleineren Beiden links und rechts von ihnen. Dem Linken folgte ein gänzlich in Silber gehaltener, mit dunkelgrüner Polsterung. Dieser Thron war reichlich verziert mit Drachenmotiven. Es schien sogar so, als wäre er ein aus Silber gegossener Drache. Darauf saß ein Mann mit längerem eisgrauem Haar, welches er lose nach hinten zusammengebunden hatte und dessen fahlgrüne Augen ihn nun musterten.

Mittsu, dritter Sohn von Gaaru und Nanimo, erhob sich, um mit einem kühlen Lächeln auf ihn zu zu schreiten.

Wolfram schluckte. Ihre letzte Begegnung verlief äußerst schmerzhaft.

Mit einem „Dann werden wir den natürlichen Lauf der Dinge etwas beschleunigen!“ hatte der Götterdämon ihm eine Hand auf die Stirn gelegt. Schmerzen waren durch ihn hindurchgezogen wie ein Orkan aus Blitzen. Es hatte an seinen Armen und seinen Beinen, an seinem Rücken, seinen Schultern und seinem Brustkorb gezogen. Es hatte laute, unangenehme, knackende Geräusche in ihm gegeben und er war wie ein alter Leinensack in sich zusammengesunken. „Es sind einige Knochen zerbrochen!“, hatte Mittsu daraufhin sehr kühl geantwortet und legte die andere Hand auf Wolframs Brustkorb. Wärme durchflutete ihn. Schien in schweben zu lassen. Dann ließ Mittsu gänzlich von ihm ab, drehte sich herum und ging: „Ihr werdet nun umgekleidet. Leistet der Magd Folge. Sie kennt eure nächsten Schritte!“

Er hatte sich aufgerappelt und schnell festgestellt, dass es ihm nun nicht mehr an Größe mangelte.

Das Dienstmädchen, welches ihn nach dem Umkleiden von seinem Zimmer in diese Räumlichkeiten hinauf geführt hatte, verbeugte sich tief neben ihm und schritt rückwärts wieder zur Türe, um sich dort neben einem Wachposten und mit gesenktem Haupt zu positionieren.

„Ihr steht eurem Urahn in nichts nach!“, Mittsu legte seine Hand auf die Schulter des jüngeren, blonden Mannes und blickte mit abschätzendem Blick an ihm herunter, „Seine Kleidung an euch lässt die Täuschung nur noch realistischer wirken!“

Wolfram nickte nur. Er fühlte sich überhaupt nicht wohl in der ihm angedachten Rolle.

Zu sehr beschäftigten ihn noch die Gedanken an das Gespräch mit Mittsu wenige Stunden zuvor.

Die ihm zugewiesene Kleidung war eine Rüstung, wie er sie im ähnlichen Stil immer auf den Bildern von Shinou gesehen hatte. Nur der Umhang war um einiges länger und reichte ihm fast bis an den Boden. Sollte es zu einem Kampf kommen, wäre dieser äußerst unpraktisch. Anscheinend hatte Shinou damals genauso gedacht und diesen gekürzt. Der Pelzkragen dieses Umhangs schien aus Nerz gefertigt worden zu sein. Er bezeugte zwar nun seine edle Abstammung, doch war dies selbst für Wolfram, der als Prinz geboren und aufgewachsen war, sehr ungewohnt. Er mochte dieses kitzelnde Gefühl am Hals ganz und gar nicht. Vielleicht würde er sich in den nächsten Tagen daran gewöhnen. Innerlich zog es sich in ihm zusammen. In seiner Magengegend. Der Gedanke, hier zunächst festzusitzen und sich das Vertrauen dieser von allen benannten Götter zu erschleichen, widerstrebte ihm.

Er wollte raus hier. Er wollte Yuuri finden. Und er wollte auch nach seinen Brüdern suchen! Aber er musste auch Prioritäten setzen. Sie hatten diese Reise unternommen, um das Zepter der Segnung zu finden. Und dieses Zepter war hier. Es war zum Greifen nah. Er müsste nur die geeignetste Gelegenheit finden und diese dann ergreifen. Nur er war dazu in der Lage! Niemand sonst würde so nah an die Herrscher dieser Welt herankommen und so nah an das Zepter.

„Dann wollen wir euch einmal einweisen!“, flüsterte Mittsu an Wolfram gewandt und stellte sich nun laut räuspernd neben ihn.

Durch dieses Räuspern wurde es schlagartig still im Raum und alle Blicke richteten sich auf Mittsu. Wolframs Gefühl, dass dieser Mittsu wirklich das alleinstehende Oberhaupt der Familie war, bestätigte sich.

„Brüder! Schwestern! Wie ihr wisst, ist Nanatsu nach all den vielen Jahrtausenden wieder in unsere Mitte zurückgekehrt!“

Eine Gabel klirrte auf einen Tellerrand. Ein Glas fiel um. Ein Knarzen, wenn Holz über Holz schabt, erfüllte den Raum und zog nun die Aufmerksamkeit zurück an den Tisch. Eine augenscheinlich junge Frau war von ihrem goldenen Thron aufgesprungen. Dieser stand direkt rechts der vier Größten. In ihren geweiteten Augen sammelten sich deutlich erkennbar die Tränen. Eben diese Augen waren hellgrün mit leichten Silbersprenkeln. Wolfram musste an seine eigenen Augen denken, welche nun unter dieser unangenehm zu tragenden blauen Flüssigkeit brannten, die ihnen ihr kräftiges smaragdgrün genommen hatten.

Diese Frau, welche ihre hellblonden, langen Haare raffiniert hochgesteckt hatte, hob ihr imposantes Kleid, raffte es schnell und gekonnt leicht nach oben, um dann mit sehr schnellen Schritten, aber dennoch wie es sich für ihren Stand gehörte, im angemessenen Tempo, auf Wolfram zu zu eilen.

Wolfram erschrak über die verblüffende optische Ähnlichkeit zu seiner Mutter Cecilie. Doch dies schien auch nur die einzige Gemeinsamkeit zu sein, denn diese Dame kleidete sich weitaus weniger freizügig.

Sie blieb vor ihm stehen, strahlte über das ganze Gesicht und auch die Tränen schienen nichts von ihrer Schönheit zu nehmen: „Mein kleiner Nana!“, schluchzte sie und drückte Wolfram voller Inbrunst an sich.

Okay. Sie hatte doch Eigenschaften, die ihn an seine Mutter erinnerten und er musste sich zusammenreißen um nicht laut ermahnend 'Mutter' aufzuschreien!

Er ging die Bilder aus der Galerie von Lady von Hundshaupten gedanklich noch einmal durch um sich an den Namen zu erinnern: „Yonno!“, keuchte er schließlich kaum vernehmbar aus der doch recht festen Umarmung. Mittsu neben ihm grinste ihn bestätigend an. Anscheinend spielte er seine Rolle bisher gut.

Yonno löste sich von ihm und betrachtete ihn eingehend: „Ich bin so glücklich! Ich habe mir all die Jahre Vorwürfe gemacht! Es tut mir so leid! Es war alles meine Schuld!“

„Yonno! Nun beruhige dich! Wir haben dir oftmals gesagt, dass du nichts für deine Gabe kannst und somit auch nicht die Schuld trägst!“ , erwiderte eine Stimme hinter ihr und Yonno trat zur Seite, um Wolfram die Sicht auf eine weitere junge Frau zu ermöglichen.

Er erschrak erneut. Es war, als würde er in den Spiegel schauen! Sie war genauso groß wie er und trug ihr honigblondes, leicht welliges Haar offen. Nur ein zart rosafarbenes Haarband zierte ihren Kopf. Ebenso trug sie im gleichen Farbton ein weit ausladendes, mit vielen Rüschen verziertes Kleid. Ihr Körper wirkte so zerbrechlich. Wie eine Porzellanpuppe. Ob er auch so auf andere wirkte. Ihre Wangen schimmerten rötlich, als sie näher an ihn herantrat und ihn auch in die Arme schloss: „Du hast mir gefehlt, großer Bruder!“

Wolfram erinnerte sich an das zweite Frauengemälde in der Galerie: „Hachino!“

Sie nickte und strahlte.

„Ich weiß gar nicht, warum ihr euch so freut!“, schallte es nun von der Tafel her, „Er ist der Mörder unser Väter! Der Mörder unserer Brüder!“

Ein Paar tiefschwarzer Augen funkelten böse in Wolframs Richtung und er spürte, wie er innerlich zurückwich.

„Itsutsu! Schweig still! Wir sollten dankbar sein, dass Einer von Ihnen lebend zurückgekehrt ist!

Gerade in der jetzigen Zeit! Du weißt, was Nanatsu dem Volke bedeutet hat!“, Mittsu stand seinem jüngeren Bruder in der Lautstärke in nichts nach. Seine Stimme wirkte jedoch weitaus bedrohlicher.

„Und deswegen“, wandte sich nun eine weitere, jedoch recht ähnlich klingende Stimme an das amtierende Oberhaupt der Götterdämonen, „hebst du die Todesstrafe auf und heißt ihn hier willkommen, als wäre nichts gewesen? Pah! Die Probleme mit dem Volk hätten wir auch so wieder in den Griff bekommen wie die letzten Jahrhunderte davor auch!“

Ein Schwarzhaariger trat nun neben den Schwarzäugigen.

Das waren also die Zwillinge, Itsutsu und Muttsuno, dachte Wolfram, Vor denen sollte ich mich in Acht nehmen!

Diese Zwillinge wandten sich demonstrativ von Wolfram ab. Yonno legte jedoch mit einem Lächeln, welches Wolfram um Verständnis bat, eine Hand auf seine Schulter: „Jetzt, wo du wieder da bist, wird alles besser!“

„Yonno! Rede nicht so einen Unsinn daher! Es ist alles Bestens so wie es ist!“, schimpfte der braunhaarige Muttsuno, während er sich auf einen bronzefarbenen Thron setzte und nach seinem Weinglas griff.

„Und wenn du uns nicht bald mit einer wirklich aussagekräftigen Vision beehrst, die uns beweist, dass es gut ist, den da“, Itsutsu wies auf Wolfram, „willkommen zu heißen, dann halten wir Beide uns hier an das gegebene Gesetz und richten demnach!“

Wolfram schluckte. Jetzt ungefähr ahnte er, wie sich Yuuri damals beim ersten großen Aufeinandertreffen gefühlt haben musste. Gwendal und er hatten ihn auch so schroff behandelt.

„Hier richtet nur EINER!“, Mittsus Stimme hallte von allen Glaswänden wider.

Dieser Obergott scheint schnell die Fassung zu verlieren, schoss es dem blonden Feuerdämonen durch den Kopf, während er sich von Yonno in einem Sicherheitsabstand zu allen männlichen Götterdämonen durch den Raum schieben ließ.

„Kümmere dich nicht um sie, Nanatsu! Du weißt doch, wie hitzköpfig die Beiden sind!“, flüsterte die blonde Schönheit.

Ehrlich gesagt, wusste Wolfram das nicht, aber er würde es sich für die Zukunft merken und ihnen erst einmal aus dem Weg gehen.

Sie schob ihn auf einen goldenen Thron mit roter Polsterung: „Wir haben ihn an Ort und Stelle belassen, wie er war. Ich wusste, dass du eines Tages wiederkommen würdest!“

Wieder nickte er nur und setzte sich. Dieser Thron befand sich rechts von ihrem. Seine neu hinzugewonnene kleinere Schwester setzte sich links von ihm auf einen wohl in Platin geschlagenen Thron mit cremefarbener Polsterung.

„Sagt den Mädchen, sie können eindecken!“ Hachino winkte der Dienstmagd an der Türe zu.

Diese verbeugte sich und verließ den Saal.

„Wir sollten ein großes Fest zu deiner Rückkehr geben und das ganze Volk daran teilhaben lassen! Es sollte ein landesweiter Feiertag werden!“, Yonno strahlte über ihren eigenen Vorschlag.

Die Türe im Hintergrund wurde wieder geöffnet und ein gutes Dutzend Dienstmädchen trat herein. Jede von ihnen schob einen Wagen mit unterschiedlichsten Speisen darauf.

„Nun übertreib mal nicht, Yonno!“, maulte Muttsuno und nahm einen großen Schluck aus seinem Weinglas.

„Die Idee ist aber nicht schlecht!“, räusperte sich Mittsu, während ihm ein Dienstmädchen einen Teller mit dem ersten Gang servierte, „ Ich denke sogar, es ist genau das, was wir brauchen!“
 

Hilde drückte mir ein Tablett in die Hand und schob mich durch die riesige Doppeltüre, durch welche meine Kolleginnen zuvor all die Wägen mit Speisen darauf durchgeschoben hatten.

„Damit stellst du dich an die Säule direkt neben der Türe und schenkst nur nach, wenn nach Wasser verlangt wird! Und meide Augenkontakt!“, belehrte sie mich im Flüsterton.

Ich nickte verstehend und betrat den Saal. Beinahe wäre ich wie angewurzelt stehen geblieben.

Wo war ich hier? Oder besser gefragt: Was war das hier? Ich hatte so was noch nie gesehen! Nicht einmal auf der Erde! Wir waren wirklich über den Wolken! Im Himmel!

Man konnte also wirklich Götter zu ihnen sagen! Ich schluckte. Wo war ich hier hineingeraten? Langsam stellte ich mich neben die besagte Säule. Hilde dirigierte die anderen Mädchen in Position.

Das Tablett war schwer. Nicht, weil es so beladen war mit den gläsernen Karaffen, sondern eher aus der ungewohnten Position heraus, dieses die ganze Zeit still halten zu müssen.

In der Raummitte war eine große runde Tafel aus massivem, rotem Holz. Was war das für ein Holz? Ich ärgerte mich, dass ich das nicht wusste. Die Stühle um diesen Tisch herum waren eigentlich keine Stühle, sondern unterschiedliche Throne. Und bis auf vier waren alle besetzt.

Das waren also die Götterdämonen von Dark Makoku.

Ob ich noch all ihre Namen zusammenbrachte?

„Wir werden ein großes, imposantes Fest geben!“, sagte einer von ihnen. Er hatte langes eisgraues Haar. Wenn ich mich nicht irrte, war er Mittsu, der dritte Sohn. Und da die älteren Brüder nicht mehr lebten machte ihn das wohl zum Familienoberhaupt.

„Allerdings sollte sich das Volk wirklich darin integriert sehen! Es ist schließlich fast 4500 Jahre her, dass er verschwand. Er ist für das Volk nur noch eine schillernde Legende!“, eine kleinere Blondine nippte an einem Weinglas. Sie saß mit dem Rücken zu mir, aber ich erinnerte mich deutlich an das Portrait, welches ich in der Galerie von Erika gesehen hatte. Sie war Wolfram so ähnlich gewesen! Das musste Hachino sein.

„Nun, dann sollten wir was benennen, was ihn wieder mit dem Volk in Verbindung bringt und weswegen er zurück gekehrt ist!“, wandte dieser Mittsu wieder ein.

Es herrschte Stille am Tisch. Sie aßen alle die ihnen vorgesetzten Speisen. Der erste Gang waren Wachteleier im Spargelbett. Ich bekam Hunger.

Mein Blick wanderte weiter von Mittsu zu der ihm nächst sitzenden Blondine. Dazwischen waren die vier freien Plätze. Das musste demnach Yonno sein. Sie hätte wirklich Cheries Schwester sein können. Ihre Augen funkelten nur einen leichten Hauch heller. Sie hatte mit Abstand die glücklichste Ausstrahlung aller am Tisch. Dann folgte, mir halb abgewandt, ein blonder Herr in einem roten Umhang. Wer war das?

Ich ging nochmals gedanklich durch die Galerie. Mir fiel niemand ein. Ich ging einen leichten Schritt seitlich um einen besseren Blick auf ihn erhaschen zu können. Aber nicht zu weit, denn ich wollte nicht auffallen und meine Tarnung riskieren. In diesem Moment blickte er auf Hachino zu seiner Linken und ich konnte sein Gesicht im Profil erkennen.

Shinou!

Mich durchfuhr ein kalter Schauer.

Das Tablett in meinen Händen schwankte gefährlich.

Das konnte nicht sein!

Shinou konnte in zweierlei Hinsicht nicht hier sein.

Erstens: er war bei Murata und Murata war eindeutig nicht hier und zweitens, und diesen Punkt fand ich noch viel ausschlaggebender, er war tot!

Selbst tote Götter konnten doch nicht an einer Tafel hocken und genüsslich Wachteleier und Spargel essen!

Moment! Das war nicht Shinou! Waren Shinous Haare nicht eine kleine Spur heller?

Diese Haare waren honigblond! Eindeutig honigblond!

Dieser honigblonde Shinou fuhr sich mit einem Lächeln im Gesicht durch sein honigblondes Haar. Ich kannte diese Eigenheit. Er tat es immer, wenn er interessiert scheinen wollte, es aber nicht wirklich war. Wenn er sich in einer Situation nicht ganz und gar wohl fühlte!

Wolfram!

Er war hier! Nur wenige Schritte von mir entfernt! Ich hatte Wolfram gefunden!

Aber warum saß er hier, mit diesen Göttern an einer Tafel, und speiste?

Wusste er nicht, dass ich mir Sorgen machte und ihn suchte?

„Vielleicht sollten wir noch etwas nie Dagewesenes wagen!“, diese Yonno legte ihr Besteck beiseite und wies eine Magd an, ihr den nächsten Gang aufzutragen.

„Was meinst du, Schwester?“, auch Mittsu legte sein Besteck weg und sogleich entfernte man seinen Teller und tauschte ihn gegen einen anderen aus. Der zweite Gang war eine Suppe.

„Nanatsu war beim Volke beliebt für seine Nähe zu ihnen! Daher wäre es doch angebracht, diese Nähe mit etwas zu bestärken!“

„Aber Yonno, wie soll ich denn das bestärken?“, es war eindeutig Wolframs Stimme. Ich seufzte auf. Was hatte ich für ein Glück! Ihm ging es also gut. Das war mir erst einmal das Wichtigste. Meine anderen Fragen würde er mir schon noch beantworten müssen, sobald sich Gelegenheit dazu bot!

„Ich dachte da“, Yonno zögerte und sah verschwörerisch in Wolframs Richtung, „an eine Verehelichung zwischen dir und einer Bürgerlichen!“

WUMM!

Alle am Tisch fuhren zusammen und drehten sich dann zu mir herum.

Ich stand nur da. Mit weit aufgerissenen Augen und ebensolchem Mund. WAS?!
 

Ein Knall ließ Wolfram sowie alle Beteiligten am Tisch herumfahren. Einige Mägde eilten aufgebracht zu einer Magd direkt neben einer Säule. Diese stand stocksteif da und starrte ihn an. Sie hatte ihr Tablett mit Karaffen darauf laut scheppernd fallen gelassen und regte sich nicht.

Wieso starrte ihn diese Magd so an? Sie war etwas zu groß geraten für eine herkömmliche Magd. Sie hatte dunkelrotes, langes Haar, welches in einzelnen langen Strähnen unter ihrem weißen Kopftuch herausquoll. Ihr Mund stand ebenso weit offen wie ihre großen, tiefschwarzen Augen.

„Tut mir leid, eure Heiligkeiten! Sie hat heute ihren ersten Tag und ist noch reichlich ungeschickt!“, sagte eine an Mittsu gewandte, ältere Magd und stieß der rothaarigen Magd böse in die Seite, doch diese blickte Wolfram weiterhin paralysiert an.

„Nun starr nicht so und räume das weg!“, zischte die Ältere die Jüngere an und diese schien wie aus einer Trance zu erwachen und bückte sich sogleich nach den Scherben.

„Schon in Ordnung, Hilde!“, entgegnete Mittsu und wandte sich nun seiner Schwester Yonno zu, „die Idee halte ich für ausgesprochen gut! Dann sieht das Volk auch, dass wir uns ihm gegenüber öffnen wollen! Was sagst du dazu, Nanatsu?“

Wolfram verharrte noch bei der Magd. Er kannte diese Augen. Er kannte sie so gut. Er liebte diese Augen. Er spürte, wie sein Herz stolperte und sogleich anfing, wie wild zu pochen. Dieses Gefühl kannte er auch zu gut. Er hatte es jedes mal, wenn er ihm nahe war!

Er drehte sich zu Mittsu und Yonno herum, die ihn beide fragend ansahen: „Eine Bürgerliche, ja?“

Sie nickten beide. Yonno strahlte immer noch, Mittsus Gesichtsausdruck hingegen wirkte steinern.

„Irgendeine beliebige Bürgerliche?“, fragte er erneut. Wieder nickten beide.

Wolfram stand auf, drehte sich um und ging.
 

Wie konnte mir das nur passieren? Ich Idiot!

Ich kniete mich zu dem Scherbenhaufen zu meinen Füssen und begann sie einzusammeln.

Verdammt! Sie hatten mich alle angestarrt! Hoffentlich flog ich jetzt nicht aus dem Palastdienst! Ich hatte ihn doch gerade erst wieder gefunden! Wie sollte ich ihm denn sonst je wieder so nahe kommen und mir überlegen, wie ich ihn hier herausholen könnte?

Es näherten sich mir Schritte. Hilde hatte gesagt, ich solle meinen Blick gesenkt lassen.

Ich dürfte nicht noch mehr Fehler machen!

Die Schritte verstummten genau vor mir. Mist!

Ich darf nicht hoch blicken! Bloß nicht! Ich brauche diese Stelle um ihm nah zu sein!

Ich spüre, wie sich zärtlich eine Hand unter mein Kinn legt.

Was?

Mein Kinn wurde angehoben und mein Blick wurde dadurch automatisch auf zwei strahlend blaue Augen gelenkt. Langsam beugte sich der Kopf zu mir herunter und flüsterte mir ins Ohr:

„Meinen Waschlappen erkenne ich überall!“

Badumm... badumm.... mein Herz schlug mir bis zum Hals!

Noch immer über mich gebeugt suchte er erneut Blickkontakt mit mir.

Wolfram!

Seine Hand stützte immer noch mein Kinn.

Langsam näherte sich sein Gesicht dem meinen an: „Spiel dieses Spielchen mit!“, wisperte er leise über seine glänzenden zartrosa Lippen, bevor sich diese sanft auf meinen Mund legten.

Ich hatte das Gefühl mir zog es den Boden unter den Füssen weg.

Wolfram!

Seine Lippen waren so weich und warm. Ich fühlte mich wie berauscht!

Bitte lass diesen Kuss, warum auch immer er gerade zwischen uns stattfindet, nie enden!

Ich will nicht schon wieder von ihm getrennt werden!

Doch langsam und für mich fast schmerzlich, löste er seinen Mund wieder von meinem und lächelte. Etwas lauter, für alle im Raum vernehmbar, sagte er zu mir schon fast im Befehlston: „Heirate mich!“

Ich konnte nur noch nicken.

Warum nicke ich eigentlich?

Er ließ mein Kinn los, drehte sich um und ging wieder zurück an seinen Platz. Ich saß immer noch da vor meinem Scherbenhaufen. Um mich herum hörte ich die anderen Dienstmädchen eifrig tuscheln.

Hat mir Wolfram gerade einen Antrag gemacht und ich hab ja gesagt?

„Das habe ich noch nie erlebt!“, Hilde packte mich am Oberarm und zog mich zurück auf meine Beine. Ich wunderte mich, dass ich überhaupt stehen konnte. Sie fühlten sich an wie Pudding!

„Dein erster Arbeitstag und dann das! Hätte ich das geahnt, dann hätte ich schon vor Jahren ein Tablett fallen lassen!“, und sie schob mich aus dem Saal raus.
 

Wolfram setzte sich und betrachtete seine ältesten Geschwister an dieser Tafel: „War das so in eurem Sinne?“

Yonno klatschte in die Hände: „Fantastisch, Nanatsu! Du hast dich kein bisschen verändert! Immer noch so leidenschaftlich und stürmisch!“

„Und unüberlegt! Wir wissen nichts über diese Magd! Wir hätten doch eine erwählen können!“, warf Mittsu trocken ein und Wolfram erkannte eine leichte Spur des Misstrauens in den Augen des Familienoberhauptes.

„Dann wäre es aber vermutlich nicht so Erfolgversprechend für uns wie jetzt!“, Wolfram wies auf die nun nervösen und aufgeregten Dienstmädchen im Raum, „Nun wird sich diese Kunde im ganzen Reich verbreiten ohne unser großes Zutun!“

Mittsus ernster Gesichtsausdruck wandelte sich in ein überlegenes Grinsen: „Gut durchdacht! Du entstammst wirklich unserem Hause!“

Kapitel 14

KAPITEL 14
 


 

Ich muss schon sagen, Hilde hatte einen wirklich festen Griff.

Und ein wirklich zügiges Tempo.

Sie hatte mein Handgelenk fest umschlossen und zog mich aus dem Thronsaal heraus auf die unendlich langen, weißen Gänge. Eigentlich war es schon kein hinter sich herziehen mehr, sondern eher ein schleifen.

Leise murmelte sie irgendwelche unverständlichen Bemerkungen über Zufälle und Götter, die für sie unbegreiflich handelten und taten.

Ich war noch gar nicht wirklich wieder bei klarem Verstand, da hielt sie abrupt an, fuhr sich nachdenklich über das Kinn und schielte dann zu mir hoch:

„Ach, Mädchen, du kannst einem eigentlich leid tun!“

Ich zögerte.

Mein Puls raste immer noch, meine Beine schafften gerade so den normalen Stand und mein Herz raste wie der Kokutetsu zwischen Tokyo und Osaka. Mir ging Wolfram einfach nicht mehr aus dem Kopf.

Wieso sollte ich da jemanden leid tun?

„Die Götter spielen doch immer nur mit unsereins. Wer weiß, für welche Intrigen du nun missbraucht wirst!“

Diese Hilde schien gar nicht so ein Drachen zu sein, wie ich anfänglich vermutet hatte. Sie schien sogar richtig besorgt um jedes einzelne Mädchen, welches ihr unterstellt war. Vermutlich rührte daher ihre Strenge.

„Macht euch bitte keine Gedanken um mich!“, ich löste mein schmerzendes Handgelenk aus ihrer festen Umklammerung und sie lächelte.

Es war ein mütterliches Lächeln. So eins, welches eine Mutter ihrem Kind schenkt, welches auf eine lange Reise geht.

„Aber vielleicht hast du Glück! Der Legende nach war Nanatsu stets auf der Seite des Volkes!“

Ja, war er bestimmt. Und mein Wolfram war es an und für sich auch. Nun ja, Wolfram richtete sich immer nach mir. Er tat was ich mir direkt oder indirekt wünschte. Mittlerweile wusste ich auch, dass er dies nicht nur aus Pflichtbewusstsein seines Königs gegenüber tat. Er tat es, weil ich ihm wohl wichtig war. Weil ich sein Freund war.

Aber küssten Freunde sich und machten sich gegenseitig Heiratsanträge, welche sie auch noch bejahten?

Also, mein Heiratsantrag damals war eindeutig ein Missverständnis. Ein Unfall, der durch meine Unwissenheit über die Sitten und Gebräuche in dieser Welt herrührte!

Aber gerade eben... das war doch echt!

Obwohl, er hatte gesagt ich solle ein Spielchen mitspielen.

Hm.

Hatte ich deswegen genickt und den Antrag angenommen?

War es wirklich nur deswegen?

„Nun komm schon mit!“, riss mich Hilde aus meinen Gedanken und ich bemerkte, dass sie schon einige Schritte weitergegangen war. Ich sollte sie in diesem Labyrinth aus sterilen weißen Wänden nicht verlieren. Ich würde hier niemals wieder herausfinden!

Langsam setzte ich einen Fuß vor den Anderen. Noch immer hatte ich das Gefühl, der Boden unter meinen Füßen würde schwanken wie der Rote Seestern im Orkan.

Genau! Der Orkan! Wieso hatte ich so unüberlegt gehandelt? Wieso war ich direkt hinterher gesprungen? Es gab auch andere Möglichkeiten, Wolfram zu retten. Ich hätte mich doch nicht direkt, ohne nachzudenken, in die Fluten stürzen müssen!

Und wieso raste mein Herz immer noch? Oder gerade dann so heftig, wenn ich an Wolfram dachte?

Ob er noch lange da drinnen bei diesen Göttern im Saal speisen musste?

Wieso spielte er eigentlich Nanatsu? Diese blauen Augen standen ihm nicht! Aber er mochte es ja auch nicht so besonders, wenn ich Kontaktlinsen trug und meine Haare färbte, wenn wir unerkannt bleiben wollten während wir durch die Gebiete der Menschen reisten.

Seine grünen Augen hatten doch so etwas Besonderes! Aber anscheinend war diese Rolle, die er gerade spielte sehr wichtig und ernst!

Hilde vor mir bog wieder ab. Sie hatte ihr Tempo verlangsamt. Das kam mir sehr entgegen. Je weiter wir uns vom Saal entfernten desto mehr beruhigte ich mich. Dafür kam nun eine vollkommen neue Angst hinzu: Wohin brachte man mich? Ich hatte gerade Wolfram gefunden und nun entfernte ich mich wieder von ihm! Das dürfte ich nicht!

Diesmal war ich es, der stehen blieb. Hilde fiel dies sogleich auf und drehte sich zu mir herum:

„Warum gehst du nicht weiter?“

„Wohin gehen wir denn überhaupt?“

Sie lachte auf: „Du bist gut! Du bist doch nun kein Dienstmädchen mehr!“

„Nicht?“

„Du hast die größtmögliche Beförderung erhalten, die es in diesem Reich gibt!“, sie kam mir nun wieder näher und nahm behutsam meine Hand in ihre von der Arbeit rauen Hände, „Du bist nun eine Hoheit!“

Ehrlich gesagt, war ich das schon länger und ich hatte es nie so wirklich akzeptiert, dass man mich so nannte.

„Und daher bringe ich dich jetzt in die hoheitlichen Gemächer seiner Gottheit Nanatsu.“

JA!

Mein Gesicht musste wohl aufgestrahlt haben wie ein Flutlicht im Bostoner Fenway Park Stadion, denn Hilde kicherte: „Das ich das noch erleben darf! Liebe auf den ersten Blick!“

Hä? Wer? Ich?

„Aber anscheinend ergeht es seiner Hoheit Nanatsu ähnlich, sonst hätte er dich ja nicht gefragt!“,

Sie wandte sich wieder ab, „Wir sind gleich da!“

Ich würde Wolfram also nicht aus den Augen verlieren! Nein! Es kam noch besser! Ich wurde auf sein Zimmer gebracht!

Dann würde er irgendwann, ich hoffte sehr bald, kommen und wir würden uns Gedanken machen, wie wir hier am Besten verschwinden könnten!

Das meine Suche nach ihm so glücklich und schnell verlaufen war stimmte mich fröhlich und ich schaffte es nun, doch schneller zu laufen. Diesmal kam Hilde kaum noch nach.

„Stopp!“, rief sie und ich hielt an einer Gabelung.

„Dort ist es“, sie zeigte auf eine mit Messing beschlagene weiße Türe nur wenige Meter seitlich vor uns, „Du gehst hinein und wartest.“

Ich lächelte sie an: „Danke, Hilde! Wir werden uns doch bestimmt trotzdem noch sehen, nicht wahr?“

Sie lachte erneut hell auf: „Das denke ich doch! Solange du essen musst, werde ich diejenige sein, die dir das Essen serviert. Das ist seit 300 Jahren meine Aufgabe und das wird sie wohl auch noch eine Zeitlang bleiben!“

Ich verbeugte mich zum Abschied und ging zur Tür. Langsam drückte ich die schwere Klinke nach unten und blickte vorsichtig in den Raum.

Er war riesig. Es war mehr eine Wohnung, als ein Zimmer. Zuerst betrat ich den Eingangsbereich. Geradezu ging es zu einer gemütlichen, riesigen Sitzlandschaft vor einem Kamin. Über diesem Kamin hing ein riesiges Bild von Shinou. Obwohl... kann ich ihn jetzt noch Shinou nennen?

Links von mir entdeckte ich durch einen Türspalt, dass es da wohl zu den Waschräumen ging und rechts von mir fiel mein Blick auf ein riesiges Himmelbett. Und ich meine riesig, wenn ich riesig sage! Ich kannte hier schon einige große Betten. Das Bett in meinem Zimmer im Schloss des Blutigen Eides war schließlich nicht zu verachten, aber dieses Bett... das war ein Traum!

Wenn ich solch ein großes Bett hätte würde mich Wolfram nachts nicht mehr treten können, weil er einfach gar keine Möglichkeit dazu hätte an mich heranzukommen!

Die Verführung war einfach zu groß! Ich nahm Anlauf und sprang! Es federte herrlich!

Wieso benahm ich mich plötzlich so kindisch? Ich sprang auf einem riesigen Himmelbett Trampolin in einer Dienstmädchenuniform!

Shinou sei Dank konnte mich niemand aus Shin Makoku sehen. So benahm sich sicherlich kein König! Ich musste mir Günters Gesichtsausdruck vorstellen, wenn er mich jetzt so sehen würde und lachte laut auf! Verdammt! War ich gut gelaunt!

Ich ließ mich fallen und betrachtete seufzend die einzelnen Wellen die der gespannte Stoff des Betthimmels über meinem Kopf zog. Ich fühlte mich unglaublich leicht!

Ich hatte Wolfram gefunden! Ein riesiger Brocken war von meinen Schultern gefallen und hatte sich in Luft aufgelöst! Mit von mir gestreckten Armen und Beinen schloss ich meine Augen und atmete tief ein und aus.

Ich sah Wolfram vor mir.

Er hielt mein Gesicht am Kinn gestützt mit seiner Hand.

Langsam näherte sich sein Gesicht dem meinen an.

Seine Lippen berührten meine.

Zuerst ganz sachte, doch dann immer fordernder.

Und ich wollte es so. Ich wollte mehr!

Ich wollte von ihm berührt werden.

Ich wollte von ihm geküsst werden.

Ich wollte ihn spüren.

Ich wollte in seinen grünen Augen versinken.

Moment!

Schlagartig öffnete ich meine Augen und starrte wieder hoch an den Baldachin.

Ich bin nicht schwul!

Kerzengerade saß ich wieder im Bett.

Was war das?

Was waren das für Gedanken?

Und was um Himmels willen fühlte ich da?

Mein Herz klopfte wie wild! Wie konnte das sein? Er war doch mein bester Freund! Na ja, okay, ein bester Freund mit Zusatzpunkten. Und ja, wir waren nun in zweifacher Hinsicht verlobt!

Dabei hatte ich schon die einfache Verlobung als problematisch empfunden!

Meine Finger berührten vorsichtig meine Lippen.

Da hatte er mich geküsst. Das war so berauschend und schön zugleich gewesen!

Es war nicht das erste Mal das wir uns geküsst hatten.

Das erste Mal ging auf Shinous Kappe! Das zweite Mal hatte ich mir eingeredet, dass ich eine Frau küsste um den Fluch loszuwerden. Aber jetzt?

Moment!

Frau!

Ich ließ die Begegnung mit Wolfram noch einmal Stück für Stück Revue passieren.

Er saß am Tisch. Er stand vor mir. Er beugte sich zu mir herunter. Er küsste mich. Er ging wieder an seinen Platz.

Wo waren seine Brüste hin?

Wo seine wohlgeformten Hüften?

Er sah jetzt aus wie Shinou, ich meine Nanatsu, aber löste das gleich den ganzen Fluch?

Oder hatte ich mittlerweile so gut gelernt, es zu ignorieren, dass ich es nicht mehr sah?

Quatsch! Das ist Unsinn! Der Fluch war ja schon nicht real, wie konnte dann also eine Einbildung von der Einbildung real sein?

Ich warf mich wieder nach hinten in die Kissen. War der Fluch gebrochen? Und ich wieder geheilt? Wie ist mir das denn gelungen? Wir hatten doch noch gar nicht das Zepter!

Was hatte ich denn gemacht, dass der Fluch aufgehoben worden war?

Ich hatte einen Schlag an den Kopf bekommen durch Rebekahs Karren!

Nein! Das konnte es nicht sein! Da war das Unglück auf See weitaus schlimmer und da war Wolfram auch noch ganz Frau als wir hier strandeten.

Ich wurde rot als ich wieder an diese peinliche Situation vor dem Badezimmer dachte.

Ach, wie gerne hätte ich ihn da geküsst!

Oh! Schon wieder! Wieso denke ich so über Wolfram?

Er ist ein Mann. Ich bin ein Mann. Wir sind beide Männer. Unabänderbar. Ende.

Er schaut zwar schöner aus als alle Frauen beider Welten zusammen und hat auch einen tollen Körper und sein Lächeln ist umwerfend und... Verdammt!

Ich sollte kalt duschen!

Ich wollte gerade aufstehen, da hörte ich die Eingangstüre aufgehen. Ob das Wolfram war?

Schnell kletterte ich aus dem Bett und lief zur Türe.

Dort standen allerdings zwei Dienstmädchen, die, als sie mich entdeckt hatten, einen tiefen Hofknicks präsentierten und mit gesenkten Köpfen um Verzeihung baten. Dann erhob eine den Blick und lächelte freundlich: „Madame Hilde schickt uns, um Lady Yurika beim Wechsel der Garderobe behilflich zu sein!“

„In Ordnung!“, antwortete ich verlegen.

Doch dann dämmerte es mir: „Nein! Halt! Nicht nötig!“ , Wild gestikulierend wirbelte ich mit den Armen durch die Luft, „Ich kann mich schon ganz alleine umziehen! Sagt mir nur was ich anziehen soll!“

„Aber werte Lady! Es ist unsere Aufgabe, euch einzukleiden!“, die Größere der Beiden, ein Mädchen mit toupierten rosafarbenen Haaren, machte einen Schritt auf mich zu.

Dieser Schritt hatte für mich was wirklich bedrohliches! Sie dürften mich nicht umziehen!

Dann würde man sehen, dass ich ein Mann war! Rebekah hatte die Brustpolster in das Kleid hinein genäht! Und auch sonst war mein nackter Körper ganz sicher als absolut männlich zu erkennen!

Ich wich einen Schritt zurück. Doch das hielt die beiden Mädchen nicht davon ab, nun beide auf mich zu zu kommen!

„Bitte, lasst einfach etwas zum anziehen da! Ich brauche eure Hilfe wirklich nicht!“

Mir war bewusst, dass die Beiden nur ihre Arbeit verrichten wollten und die Aufträge erfüllen mussten, die man ihnen auftrug. Aber warum musste ausgerechnet ich so ein Auftrag sein?

Ich knallte mit dem Rücken an den Türrahmen zum Schlafzimmer.

Es gab kein Entrinnen!

Die Größere nahm meine Hand, die etwas Kleinere, mit perlmuttfarbenem Haar, umschloss meine Hüfte. So zogen und schoben sie mich auf die angelehnte Badezimmertüre zu.

„Ich brauche eure Hilfe nicht!“, mein Ton wurde unabsichtlich lauter. Das mag wohl an der aufsteigenden Panik gelegen haben, die sich nun in mir breit machte.

Wenn die Beiden heraus bekamen, dass Yurika ein Yuuri war, dann war ich die längste Zeit in Wolframs Nähe gewesen!

Sie schoben und zogen kräftiger.

„Wenn ihr es wünscht, könnt ihr nun auch zuerst ein Bad nehmen und wir cremen euch den Rücken!“

„Was?“

„Hier cremt nur einer diesen Rücken, und das bin ich!“

Oh Götter aller Welten! Ich danke euch!

„Lasst los!“, keifte es hinter mir und ich wusste, wer da gerade seinen Anfall bekam und ich muss sagen, gerade in diesem Moment war ich wirklich sehr glücklich darüber.

Augenblicklich ließen die beiden Mädchen von mir ab. Ein bisschen leid taten sie mir nun schon.

Denn Wolfram stand breitbeinig und mit geballten Fäusten in den Hüften in der Zimmertür. Mit rotem Kopf funkelte er die beiden Dienstmädchen an, welche sich sogleich ganz tief verbeugten und in dieser Körperhaltung langsam Richtung Zimmertür schlichen.

„Es tut uns so leid, eure Heiligkeit! Bitte vergebt uns!“, und schon waren sie verschwunden.

Ich seufzte laut und erleichtert auf. Das war wirklich knapp!

Die Zimmertür fiel leise ins Schloss.

„Da lasse ich dich auch nur einen klitzekleinen Augenblick unbeobachtet und du Schwerenöter bändelst gleich mit zwei Zimmermädchen an?“

Oh je! Wieso hatte Wolframs Eifersucht nicht auch gleich das Zimmer mit verlassen können?

Ich grinste verlegen und kratzte mich am Hinterkopf: „Wolf, ich glaube, du verstehst da was total falsch!“

„Was gibt es denn da falsch zu verstehen? Du wolltest mit den Beiden im Badezimmer verschwinden! Das war doch offensichtlich! Und sie sollten dich eincremen! Das ist doch wohl eindeutig die Aufgabe eines Verlobten! Wenn du eingecremt werden willst hast du dich an mich zu wenden und dir nicht jemand anderen zu suchen!“, er verschränkte die Arme vor der Brust und schmollte mit erhobenem Haupt und zugekniffenen Augen.

Ich musste lachen. Ich wollte eigentlich nicht lachen weil ich Wolfram nicht kränken wollte, aber ich konnte es beim besten Willen nicht mehr unterdrücken. Das war so typisch für ihn! Die Welt konnte untergehen, er konnte aussehen wie Shinou, aber Wolfram blieb nun mal Wolfram! Verwundert öffnete er ein Auge und schielte zu mir herüber.

„Oh, Wolf, was bin ich froh dich zu sehen!“, mit einem Satz war ich zu ihm herübergesprungen und schlang meine Arme um ihn, um ihn fest an mich zu drücken.

„Yuuri! Was soll denn das?“, rief er erschrocken auf, doch auch ich spürte, wie er nach kurzer Bedenkzeit die Arme um mich schloss.

„Ich hab mir wahnsinnige Sorgen gemacht! Was machst du hier? Und warum schaust du aus wie Shinou? Und...“, ich löste mich von ihm und blickte verwundert an ihm herunter, „wie hast du es geschafft so schnell zu wachsen?“

Tatsache! Er war größer. Und zwar nicht ein oder zwei Zentimeter, die ich mir durch einen Wachstumsschub hätte erklären können, sondern ein ganz gewaltiges Stück! Wir waren auf einer Augenhöhe! Vor vier Wochen kitzelten mich sein Haar noch an der Nase!

Wolframs Gesichtsausdruck bleib absolut nichtssagend!

Er schritt an mir vorbei auf die Sitzlandschaft zu und setzte sich direkt neben den Kamin, indem ein kleines Feuer brannte und eine angenehme Wärme schenkte.

Zunächst war ich stehen geblieben und hatte ihn mir genauer betrachtet. Er war nicht nur größer, sondern hatte auch breitere Schultern. Seine ganze Statur wirkte irgendwie erwachsener. Zunächst redete ich mir ein, dass dies mitunter an dem gewöhnungsbedürftigen Kleidungsstil liegen könnte. Dann an möglichen Schulterpolstern, welche in dieses Shinou-Cosplay eingearbeitet waren.

Aber das war es nicht. Nicht nur ich wurde erwachsen. Wolfram auch.

Und ich musste mir eingestehen, dass es ihm überhaupt nicht schlecht stand! Er hatte das Wiener Chorknabenimage abgelegt und hatte sich zu einem wahren Traum für Frauen, aber auch für Männer, entwickelt. Sein ganzes Erscheinungsbild konnte nun spielend das von Günter in den Schatten stellen! Wolfram sah nun zu mir herüber und die blauen Augen, welche für mich absolut gewöhnungsbedürftig waren, leuchteten unter seinen langen schwarzen Wimpern. Er lächelte auf. Anscheinend wurde ihm sowie mir selbst erst jetzt bewusst, wie sehr ich ihn die ganze Zeit anstarrte! Ich merkte wie mir eine Röte ins Gesicht stieg und setzte mich ihm gegenüber auf einen Fußhocker.

„Ich habe mir auch Sorgen um dich gemacht, Yuuri“, fing er leise an und seine Augen hielten den Blickkontakt zu mir. Ich merkte, wie mich das nervös machte, versuchte aber es nicht nach außen hin zu zeigen.

„Um es kurz zu machen“, begann er, „Ich bin Shinous Urenkel!“

Ich hab's geahnt! Wolf konnte nur göttlicher Abstammung sein!

„Somit bin ich ein Mischblut!“, er schluckte. Er war immer so stolz, ein reinblütiger Dämon zu sein und dies schien ihn irgendwie zu belasten.

„Ich finde das gar nicht schlimm! Ich bin doch auch einer! Und du hast dich doch auch an meinen menschlichen Anteil gewöhnt!“

Er grummelte: „Was mich daran stört, ist, dass Shinou es nicht für nötig befunden hatte, es mir zu sagen und ich die Wahrheit hier so vorgeworfen bekommen habe!“

„Da hast du allerdings Recht!“

„Hier denken alle ausnahmslos ich sei Shinou, also Nanatsu. Alle bis auf Mittsu!“, Wolframs Augen verengten sich zu Schlitzen, „Es ist sein Spiel, in dem wir beide nun die Figuren sind!“

„Was meinst du damit?“

„Ich weiß auch noch nicht, was er genau damit bezwecken will. Er bot mir Freiheit sowie das Zepter an, wenn ich mit spiele. Ansonsten die Strafe, die jedes Mischblut erfahren würde“, er brauchte nicht zu sagen, um was für eine Strafe es sich dabei handeln würde, denn man sah es deutlich an seinen Gesichtszügen, „Und natürlich ist mir klar, dass mich nach seinem Spiel die Strafe dennoch erwarten würde. Jedoch versteh ich den Sinn nicht. Er macht keinen Hehl daraus, das er für alle niederen Stände außer seinem eigenen nichts übrig hat. Dennoch lässt er von Hundshaupten verschwinden und alle Beweise vernichten, die belegen könnten, dass ich nicht Shinou bin. Und Shinou wird hier als Volksheld gefeiert. Also schlichtweg bin ich in meiner Rolle doch ein weitaus größeres Dorn in seinem Auge als als herkömmliches Mischblut! Aber er gibt alles, um die Täuschung, Nanatsu sei durch mich zurückgekehrt, zu erhalten. Sieh mich an, Yuuri! Er legt mir die Hand auf und ich bin so groß wie du! Er legt mir die Hand auf und all meine Verletzungen sind verschwunden! Mit Mittsu ist nicht zu spaßen! Er ist unglaublich mächtig und undurchschaubar! Er spielt ebenfalls eine Rolle! Selbst vor seinen Geschwistern! Er hält alle Fäden in der Hand! “

„Wolf, wir brauchen das Zepter nicht mehr! Lass uns hier verschwinden!“, und das war mir todernst! Ich wollte nicht, dass Wolfram länger hier einer Gefahr ausgesetzt war!

„Natürlich brauchst du es! Was ist mit dem Fluch?“

„Ich sehe dich wieder ganz normal. Na ja, nicht ganz normal, schließlich schaust du gerade aus wie Shinou. Aber du hast weder Brüste noch sonst irgendetwas...ähm...untypisches an dir!“

„Seit wann?“

„Seit dem Thronsaal! Also in der Pension warst du noch eine Frau!“

„Hm“, er legte sein Gesicht in die Hände, „Mittsu sagte, das Zepter reagiert ausschließlich nur auf Shinou. Du hast Shinous Nachfolge übernommen, also reagiert es auf dich!“, er blickte mir wieder direkt in die Augen, „das heißt, dass Zepter ist wirklich ganz in unserer Nähe! So nah, dass es den Fluch von dir genommen hat!“

War das die Erklärung, die ich eben gesucht hatte? Oder war die Erklärung eine ganz Andere, an die wir bisher überhaupt noch nicht dachten?

„Wir sollten wenigstens das Zepter noch irgendwie in die Finger kriegen, ehe wir hier verschwinden, Yuuri!“

„Warum, Wolfram? Warum weiterhin einer Gefahr aussetzen und uns für ominöse Zwecke von diesem Mittsu benutzen lassen?“

„Weil... weil...“, er sprang auf , „weil ich nie wieder Angst haben möchte, dass dich irgendein dämlicher Fluch erwischt! Denn davor kann ich dich nicht beschützen! Und wenn ich dich nicht davor schützen kann, aber dieses Ding kann es, dann will ich dieses Ding auch haben!“

Mit leicht rosa angehauchten Wangen setzte er sich wieder.

Er tat es schon wieder. Er setzte sein Leben für mein Wohl aufs Spiel: „Ob ich dir das jemals abgewöhnen kann?“, flüsterte ich.

„Wie?“

Ich lächelte bekümmert: „Warum machst du das für mich? Und bitte sag nun nicht, weil es deine Pflicht ist ob als Soldat oder als Verlobter!“

„Du weißt, warum!“, zischte er und neigte den Kopf wieder zur Seite, „Und warum springst du dann jedes mal hinterher wenn es dich stört, dass ich so handle?“

Ich lächelte müde: „Du weißt, warum!“

Sein Blick richtete sich augenblicklich auf mich und starrte mich ungläubig an. Ich wusste doch selbst noch nicht warum. Aber in mir drin war etwas, das mir sagte, dass es richtig war.

Egal was war, was ist oder noch kommt, ich wollte nicht von Wolfram getrennt sein.

Ich wusste noch nicht mit Sicherheit, wie ich die Schublade nennen sollte, wo ich diese Gefühle einordnen konnte, aber ich wusste mittlerweile definitiv schon, dass da was war. Und ich wusste auch, dass ich nicht länger davor wegrennen wollte und das ich mich dem Ganzen stellen wollte. Egal wie das Ergebnis aussehen mochte. Ich fand, dass war für mich schon eine große Einsicht!

Er erhob sich plötzlich und schritt langsam auf mich zu. Ich merkte ihm plötzlich eine Unsicherheit an, die er zuvor im Thronsaal nicht hatte. Dort war er sehr selbstbewusst aufgetreten, doch nun war er sich seines Handelns nicht mehr so sicher. Er blieb direkt vor mir stehen und kniete sich vor mich.

Er sagte nichts. Er sah mich nur an.

Ich sagte nichts und erwiderte seinen Blick.

Es lag etwas Unausgesprochenes zwischen uns in der Luft und keiner von uns beiden wagte es, es zu benennen.

Ich merkte wieder, wie mein Herz aussetzte und dann stolpernd in die Raserei überging.

Ich wollte ihn berühren. Für diesen einen kleinen Moment würde mir das schon reichen. Nur ganz kurz seine weiche Haut berühren, seine Wärme spüren. Nur ganz kurz.

Ich hob ganz langsam meine Hand. Er rührte sich nicht. Meine Finger glitten langsam auf seine Wange. Genau die Wange, die ich vor drei Jahren in absoluter Wut geschlagen hatte und somit einen Antrag gestellt hatte. Ich merkte, wie sich der Druck seines Gesichtes in meiner Hand verstärkte.

Seine Wange hinab zum Hals streichelnd näherte ich mein Gesicht dem seinen an.

Ich wollte ihn nur ganz kurz spüren. Ich spürte in mir ein Feuer, welches nach mehr verlangte. So sehr, als wäre es überlebenswichtig! Als könne ich ohne all dies keinen Augenblick länger atmen, fühlen, sein, leben.

Nur noch wenige Zentimeter trennten unsere Gesichter voneinander. Nur noch wenige Augenblicke trennten meinen Verstand vor dem totalen Aussetzen. Mein Atem ging hörbar schneller, nicht nur mein Atem. Seiner auch!

Wolfram! Wolfram, ich...

Es klopfte laut.

Wir beide zuckten erschrocken zusammen. Es hatte uns in die Realität zurück katapultiert!

Verdammt!

Es klopfte nochmals, diesmal ungehaltener.

„Nanatsu, öffne!“

Wolframs Augen weiteten sich.

„Yuuri! Vertrau mir! Versteck dich unter dem Bett und verhalte dich still!“

Natürlich vertraute ich ihm! Er würde schon wissen, was zu tun war. Er hatte da eindeutig mehr Erfahrung als ich. Er sprang auf, nahm mich an die Hand, die zuvor noch sein Gesicht berührt hatte und zog mich vom Hocker herunter durch den Eingangsbereich ins Schlafzimmer. Er hob die riesige Tagesdecke an und ich krabbelte unter das Bett. Die Tagesdecke fiel zurück in ihre Ursprungslage und Wolframs Schritte entfernten sich zügig.

Die Eingangstüre öffnete sich: „Tut mir leid, Mittsu. Ich hatte mich nach dem üppigen Mahl erst einmal hinlegen müssen!“ , hörte ich Wolfram lügen.

„Schon gut!“, ich hörte Schritte hereinkommen, „Ist diese Dienstmagd hier?“

„Nein. Sie wurde zur Kleideranprobe abgeholt!“, Wolframs Stimme hörte sich absolut glaubhaft an. Ich stellte es mir wahnsinnig schwierig vor, einen Gott anzulügen! Anscheinend waren Götter doch nicht allwissend oder allsehend! Unser Glück!

„Sehr gut! Wir haben da einiges zu besprechen!“, ich hörte, wie sich diese Stimme entfernte und wohl zum Kamin schritt. Sehr gut! Sie entfernten sich zwar vom Schlafzimmer, aber ich konnte noch alles hervorragend verstehen. Sollte Wolfram in Gefahr geraten, würde ich einschreiten können!

„Ihr habt euch wunderbar in eure Rolle eingefügt!“, fuhr Mittsu fort, „Niemand schöpft Verdacht, dass ihr nicht der Echte seid! Im Gegenteil! Meine Schwestern sind überaus glücklich! Ich denke sogar, dass sich Yonno bald wieder so weit gefangen hat, dass sie wieder aussagekräftige Visionen zu unser aller Zukunft erhalten wird!“

„Ist dies denn nicht auch mit einem Risiko behaftet?“, hörte ich Wolfram mit zweifelndem Unterton.

„Wie meint ihr das?“

„Wenn Yonno in diesen Visionen die Wahrheit erkennt, meine ich!“

„Yonno sieht nur euch. Solange ihr eure Rolle spielt bis zur Perfektion wird sie keine Zweifel hegen und so werden auch keine Zweifel an eurer Person in diesen Visionen auftauchen!“

„Ihr kennt sie da besser als ich!“

„Das ist wohl wahr! Weswegen ich hier bin“, er schien theatralisch tief Luft zu holen, „ist dieses neue Problem!“

„Neues Problem?“

„Ich fand die Idee zunächst ziemlich reizvoll. Und muss auch gestehen, dass ich sie auch weiterhin als äußerst interessant und dienlich erachte, da sie das Volk glücklich, nein, fast schon euphorisch stimmen wird. Meine Rede ist von diesem Dienstmädchen!“

„Was soll mit ihr sein?“

„Ihr wisst, dass diese Tatsache euren Einsatz gefährdet, nicht wahr? Wenn dieses Dienstmädchen auch nur den leisesten Verdacht hegt, dass ihr nicht der echte Nanatsu seit und dies kundtut, dann bedeutet das nicht nur für sie das Ende! Dann ist unsere Vereinbarung hinfällig. Ich hätte euch auch ein Mädchen besorgt, welches nach unseren Regeln spielt!“

Es herrschte Stille. Ich wünschte mir, die Gesichter der Beiden sehen zu können. Aber es wäre einfach zu gefährlich, jetzt aus meinem Versteck zu kommen!

Ein weiteres Klopfen an der Eingangstüre unterbrach diese Stille. Schritte gingen an der Schlafzimmertüre vorüber und öffneten die Tür.

„Ein Kleid für Lady Yurika!“

„Danke!“

Die Eingangstür wurde abrupt geschlossen, die angelehnte Schlafzimmertüre öffnete sich. Es landete etwas über mir auf dem Bett und die Türe wurde ganz verschlossen.

„Anscheinend scheint sie sich gerade nicht entscheiden zu können!“,hörte ich Wolfram wieder aus einiger Entfernung sagen.

„Nur verständlich, wenn man sein ganzes bisheriges Leben in Lumpen verbracht hat!“

Ich krabbelte zum anderen Bettende und lugte heraus. Langsam sah ich über die Bettkante und entdeckte mitten auf dem Bett das Kleid. Ich musste mich umkleiden! Vorsichtig und leise zog ich es zu mir herunter in die Deckung des Bettes. Aber wie sollte ich mich so im Sitzen umziehen?

Es war ein hochgeschlossenes Kleid in Bordeauxrot. Ohne Ausschnitt und mit langen Ärmeln. Aber reichlich verziert mit goldenen Schnüren und Zierrat.

„Ich denke, ihr müsst euch um das Mädchen keine Gedanken machen, Mittsu. Ich werde sie schon soweit im Griff haben, dass sie sich nie unüberlegten Handlungen hingibt!“

Ich zog leise meine Dienstmädchenuniform aus. Mist! Diese Brustpolster sind wirklich total festgenäht. Da hatte es Rebekah wohl aus Angst das etwas verrutschen könnte, zu gut gemeint. Da kam mir eine Idee! Ich riss den Puffärmel der Uniform ab!

RATSCH!

Oh, das war zu laut!

„Dürfte ich wissen, wie ihr gedenkt, dass zu machen?“

Ich atmete erleichtert auf. Sie hatten es wohl nicht gehört! Ich warf den abgetrennten Ärmel auf das Bett. Dann widmete ich mich dem zweiten Ärmel, wartete aber diesmal ab bis...

„Bezweifelt ihr meine Wirkung“, RATSCH , „auf das andere Geschlecht, Mittsu? Sollte ich mich nun gekränkt fühlen?“

Auch der Ärmel landete auf dem Bett. Nun noch den Rock! Ich band die daran befestigte Schürze ab, welche sich auch auf dem Bett zu den Ärmeln gesellte.

Wieder Stille. Hatten sie doch etwas gehört? Ich kroch vorsichtshalber wieder etwas in Deckung.

Doch dann hörte ich Mittsu laut auflachen. Dies nutzte ich für die erste Hälfte. RATSCH!

Was war ich doch über die mindere Qualität dieser Uniformen erfreut. Der Stoff ließ sich relativ einfach reißen.

„Natürlich nicht! Es ist wirklich erstaunlich! Nanatsu war in eurem Alter“, RATSCH , „auch ein rechter Frauenheld!“ Es gab Infos über Shinou, die wollte ich einfach nicht wissen! Aber ich hatte es geschafft! Ich hatte mir ein T-Shirt mit eingenähten Brüsten aus meiner Uniform herausgerissen! Dieses zog ich schnell an und begann dann das Kleid darüber zu ziehen.

„Aber sagt mir, was sind das eigentlich für seltsame Geräusche, die ich die ganze Zeit vernehme?“

WUMM!

Mist! Mist! Mist!

„Ich hörte nichts bis auf die Dienstmädchen auf den Gängen. Oder was meintet ihr?“

Ich hingegen hörte, wie Wolframs Stimme näher kam.

Verdammt!

Ich krabbelte wieder unter das Bett und dies war auch keine Sekunde zu spät, denn sogleich öffnete sich die Schlafzimmertür.

Schritte schallten von den Wänden. Ich hielt die Luft an. Jemand trat direkt an das Bett.

„Was ist denn hier passiert?“,ich hörte Mittsu genau über mir und schlagartig fiel mir das zerfetzte Kleid, welches ich auf das Bett geschmissen hatte, wieder ein!

Ich Idiot!

„Ich sagte doch bereits, dass ihr meine Wirkung auf das andere Geschlecht nicht unterschätzen solltet!“, hörte ich Wolfram von der Türschwelle her mit leicht amüsiertem Unterton sagen.

„Oh, das ging aber schnell!“

„Nimmt sich ein Gott denn nicht sofort das was er will?“

Wieder lachte das Oberhaupt der Götterdämonen laut auf: „Ihr scheint euch wohl richtig wohlzufühlen in dieser Rolle!“, dann wurde seine Stimme plötzlich sehr finster, „aber vergesst nicht, es ist nur eine Rolle, die ihr spielt und ich garantiere euch, ihr werdet sie nicht lange spielen!“

Es klopfte erneut. Wolframs Schritte entfernten sich. Mittsu blieb leider an Ort und Stelle stehen. Mir ging langsam die Luft aus.

„Ich habe eine wichtige Mitteilung an seine Heiligkeit Mittsu. Er soll sich in euren Gemächern befinden, werter Nanatsu!“

„Tretet ein!“

Mittsu entfernte sich. Shinou sei Dank! Jedoch hörte ich nun wieder Schritte in diesem Zimmer, welche wieder vor dem Bett verharrten. Dann wurde gegen das Bett getreten und ich erschrak fürchterlich: „Idiot!“

Ich schmunzelte.

Genau das magst du doch an mir!, dachte ich.

„Hör genau hin!“, wisperte er und seine Schritte entfernten sich wieder. Er schien zurück vor den Kamin zu gehen.

Was sollte ich denn genau hören?

„So, von Bielefeld also! Interessant!“ Oh, ich konnte Mittsu ganz leise auf dem Gang vor der Wohnung hören. Sie hatten wohl die Eingangstüre offen gelassen, ebenso die Schlafzimmertüre, aber Wolfram hatte dem Gespräch nicht beiwohnen dürfen!

„Das Schreiben erhielten wir vor wenigen Augenblicken. Es richtet sich an alle Oberhäupter der 25 Familien sowie an die gesamte göttliche Familie!“

Ich ordnete diese Stimme nun einem von Mittsus direkten Unterstellten zu.

„Wie lautet der Inhalt des Schreibens von diesem Bielefeld?“, Mittsus Stimmlage war kühl. Anscheinend war hier eindeutig nicht von unseren Bielefelds die Rede.

„Er beruft sich auf das Gesetz der Offenheit!“

„So, tut er das? Anscheinend haben wir ihm noch nicht genug genommen! Er besitzt eindeutig noch zu viel Dreistigkeit!“, das klang nun amüsiert.

„Von Bielefeld beruft sich auf unterschiedliche Gerüchte, die im Umlauf seien und auch die Adelshäuser betreffen würden und bittet in einer Vollversammlung um Aufklärung von Seiten seiner absoluten Göttlichkeit!“

„Ich kann mir nicht vorstellen, dass er bereits über Nanatsu Bescheid weiß! So schnell kann sich diese Kunde nicht bis in sein hinterwäldlerisches Inselreich durchgeschlagen haben! Gibt es in dem Schreiben irgendwelche Andeutungen?“

„Nein, eure Heiligkeit! Er hat allerdings den Termin recht kurzfristig angesetzt!“

Es war nichts mehr zu hören, dann fuhr der Bedienstete fort: „Und zwar schon morgen Mittag auf Schloss Ishiyosai!“

„Er wählt also neutralen Boden. Ein gut überlegter Schachzug. Glaubt er wirklich, ich müsse mich an den alten Schwur halten? Nun denn. Informiert die Anderen und bereitet alles vor. Wenn wir die Nacht durchreiten schaffen wir es vermutlich vor allen Anderen dort einzutreffen. Mich interessiert doch zu sehr, was dieser Bielefeld schon wieder ausheckt! Natürlich wird er dennoch nicht um eine Bestrafung für diese Unverfrorenheit herum kommen!“

„Jawohl!“

Die Schritte Mittsus gingen nun zügig an meiner Schlafzimmertüre vorüber.

„Uns spielt der Zufall in die Hände, mein werter Freund!“

Waren er und Wolfram Freunde? Hatte ich etwas verpasst?

„Wir brechen noch heute auf zu einer Vollversammlung aller Adelshäuser! Und wir werden dies für uns nutzen und eure Rückkehr und Begnadigung sowie eure Verehelichung mit diesem Bauernkind verkünden! Schafft also dieses Weibsbild her und bereitet euch vor! Ich lasse euch augenblicklich abholen!“

Er schien wieder kehrt zu machen, doch verstummten seine Schritte genau vor der Schlafzimmertüre. Ich konnte seinen Blick förmlich auf mir ruhend spüren!

„Und Bielefeld!“, sagte er nun etwas lauter. Es war das erste Mal, dass er Wolfram beim wahren Namen angesprochen hatte: „Wenn ihr euch schon amüsiert, dann achtet darauf, dass wir nicht noch mehr Wasser im Blut brauchen!“

Dann verschwanden seine Schritte gänzlich und die Tür fiel ins Schloss. Ich verharrte dennoch in meiner unbequemen Position unter dem Bett.

Leichtere Schritte näherten sich: „Du kannst rauskommen, Yuuri!“

Ich robbte nach vorne und nahm Wolframs Hand, die mir aufhalf, dankend entgegen:

„Was meinte der denn mit dem Wasser?“

„Na, dass wir verhüten sollen!“, antwortete er seufzend und setzte sich aufs Bett. Er wirkte angespannt.

„Du schaust gut aus. Das Kleid steht dir!“, flüsterte er schließlich und suchte mit müden Augen die meinen. Ich setzte mich neben ihn.

„Konntest du etwas in Erfahrung bringen?“, gähnte er und lehnte seinen Kopf an meine Schulter.

„Ein von Bielefeld hat diese Versammlung einberufen lassen aufgrund irgendwelcher Gerüchte, die er geklärt haben will. Dieser Bielefeld stammt von irgendeiner Insel und Mittsu mag ihn nicht besonders!“

„Mittsu mag niemanden besonders!“, Wolframs Stimme war nur noch ein leises Flüstern. Dieses ganze Theater hier schien ihn doch ziemlich zu zermürben. Er hatte die Augen geschlossen und sein Atem wurde regelmäßiger. Ich strich ihm eine Strähne hinter sein Ohr.

Er war tatsächlich eingeschlafen.

Wenn ich es richtig verstanden hatte erwartete uns nun eine lange Reise.

Und so wie ich Wolfram kannte würde er die ganze Reise über versuchen wachsam zu bleiben.

Ich ließ ihn langsam und vorsichtig nach hinten aufs Bett fallen und legte seine Beine hoch.

Auch wenn er jetzt größer und muskulöser war, so sah er immer noch aus wie ein Engel auf Erden wenn er schlief. Vorsichtig zog ich die Tagesdecke zusammen und deckte ihn ein wenig zu.

Dann setzte ich mich wieder auf die Bettkante und beobachtete jeden seiner Atemzüge.

Eben wäre es beinahe wieder passiert!

Ich musste schmunzeln bei dem Gedanken daran. Irgendwo schockierte mich das alles aber auch. Was sollte ich nur tun? Was war das für ein Gefühl in mir drin?

Ich legte mich neben ihn und wandte ihm mein Gesicht zu. Ich spürte meinen beschleunigten Herzschlag. Das war doch nicht normal!

„Idiot!“, nuschelte er plötzlich im Schlaf. Ich musste leise kichern.

Meine Güte, Shibuya! Du benimmst dich wie ein kleines verliebtes Mädchen!

WUMM!

Das war es!

„Oh Mann! Ich bin echt ein Idiot!“, wisperte ich mehr zu mir selbst.

Ich hatte es die ganze Zeit geahnt!

Ich hatte es die ganze Zeit gewusst!

Ich hatte es die ganze Zeit gespürt!

Nur habe ich mich immer dagegen gesträubt!

Mit der Aussage, in der Welt aus der ich komme, ist es ein Tabu.

Aber hatte ich nicht selbst beschlossen, nun fester Bestandteil dieser Welt zu sein?

Wieso sich dann nicht öffnen und es zu lassen?

Woher sollte ich denn wissen ob ich gut genug für Wolfram war wenn ich es nicht wenigstens mal versucht hatte?

Klar, liefen wir Gefahr, uns gegenseitig zu verletzten.

Aber so wie es gerade war, würde meine Hinhalterei und Ignoranz uns noch mehr verletzen!

Vorsichtig beugte ich mich zu ihm herüber. Ich wollte ihn nicht wecken. Ich wollte ihm nur nahe sein! Ich hatte so viel aufzuholen aus den letzten drei Jahren!

„Ich liebe dich“, flüsterte ich ganz leise gegen seine Lippen und hauchte einen zärtlichen Kuss hinterher.

Und wenn ich dass das nächste Mal sage, bist du wach!

Dann klopfte es schon wieder.

Kapitel 15

KAPITEL 15
 


 

„Oh! Das Kleid steht dir fantastisch! Ich wusste doch, dass ich mit dem Rot richtigliege!“, ertönte es direkt euphorisch, als ich die Türe öffnete.

Hilde!

„Aber das Kopftuch solltest du nun weglassen!“, sie sprang direkt um mich herum und entfernte das Tuch mit gekonntem Handgriff zügig von meinem Haupt.

„Die Mädchen sagten mir, du wolltest dich nicht umkleiden lassen?“

„Na ja, das war mir dann doch etwas zu übertrieben. Das kann ich doch schon noch alleine!“, antwortete ich flüsternd.

„Ist wohl nicht so einfach, sich daran zu gewöhnen,hm?“, sie strahlte mich an, „Aber das hat es uns schwierig gemacht, dir etwas Passendes zusammenzustellen. Ich habe die Größe aber anscheinend richtig eingeschätzt!“ Erneut musterte sie mich von oben bis unten.

Hinter ihr stand ein recht junger Soldat mit felsenfester Mimik und so kerzengerade, dass er mich an die Bobbys des Britischen Empire erinnerte.

Hilde beugte sich zu mir und flüsterte hinter vorgehaltener Hand: „Er ist hier um euch abzuholen! Und er ist ganz schön nervös wegen Nanatsu! Wie ist er denn so?“

Ich setzte mein breitestes Grinsen auf: „Impulsiv, energisch, aufbrausend, stur, zärtlich, besitzergreifend, leidenschaftlich...“, Hildes Augen wurden mit jedem Wort größer, „...aber das Beste, was mir jemals passieren konnte!“

Es war klar, das ich mich ausschließlich auf Wolfram bezog, aber das konnte ja Hilde nicht wissen. Sie schien sich wirklich für mich zu freuen.

„Ich bin eigentlich nur da, um dir eine kleine Auswahl an Kleidungsstücken vorbeizubringen für die Reise. Und um deine Uniform abzuholen für die Wäscherei!“

Ups! Die Uniform!

„Haha! Da gibt es ein kleines Problem!“

„Welches denn?“, ihr Blick wirkte irritiert.

Ich wies ihr an, mir leise zu folgen und wir betraten das Schlafzimmer. Wolfram schlief immer noch tief und fest. Vor dem Bett blieb ich stehen und bückte mich. Als ich Wolfram auf das Bett gelegt hatte und ihn mit der Tagesdecke zudeckte waren die letzten Fetzen der ehemaligen Uniform zu Boden gerutscht. Beschämt hielt ich sie ihr unter die Nase: „Das ist alles, was davon noch übrig geblieben ist!“

Sie starrte auf den schlafenden Wolfram, dann wieder auf mich und dann wieder auf den schlafenden Wolfram. Schließlich kicherte sie leise: „Das ihr jungen Mädchen euch keine Zeit damit lasst!“

Hä?

Sie nahm die Fetzen entgegen und verließ mit mir kichernd das Schlafzimmer.

Wieso dachten hier alle so was? Ich hatte gerade erst gelernt, zu verstehen, wie ich fühlte!

Da würde ich doch nicht schon gleich...

„Mylady!“, sprach nun der Soldat, der immer noch wie angewurzelt in der Eingangstür stand. Er schien auch kaum seinen Lippen beim Sprechen zu bewegen. Konnte man wirklich so nervös sein? Er sah doch, dass ich den vermeidlichen Chefdrachen der Dienstmädchenkolonne herzlichst empfangen hatte!

„Ihre Heiligkeit Mittsu erwartet euch bereits!“

„Hm, ja! Können sie dann ihn“, ich wies auf Wolfram, „auch tragen? Ich glaube, den kriegt nichts wach!“

Erschrocken starrte er mich an: „Mir ist es nicht erlaubt ohne seine Einwilligung seine Göttlichkeit zu berühren!“

Oh! Das war wirklich dumm! Denn wenn er schlief konnte er schlecht seine Einwilligung erteilen!

„Hm. Was mach ich denn da? Er war doch so erschöpft!“, nuschelte ich in mich hinein.

„Wer so wild durch die Betten hüpfen kann“, Hilde hielt meine Uniformfetzen empor, „der kann auch aufstehen!“, und sie krempelte sich die Ärmel hoch und marschierte wieder zurück ins Zimmer. So schnell konnte ich gar nicht darauf reagieren, da hatte sie sich schon die Tagesdecke geschnappt und zog kräftig daran.

Ich kam relativ überrascht über diese Aktion neben ihr zum Stehen.

Wolfram regte sich erschrocken, blinzelte und noch ehe er richtig schauen konnte, hatte Hilde mir die Tagesdecke mit einem Grinsen in die Hand gedrückt.

Natürlich! Eine Bedienstete dürfte sich so sicherlich nicht verhalten, aber musste sie mir deshalb gleich den schwarzen Peter zuschieben?

„Yuuri, was ist denn?“, fragte Wolfram verschlafen.

„Yuuri?“, kam es augenblicklich nun von Hilde sehr erstaunt.

„Ähm... ja, dass ist mein Kosename! Yuuri von Yurika! Ist kürzer! Haha!“, ich musste echt dämlich ausgesehen haben, denn Hilde glaubte mir kein Wort.

Wolfram hingegen schien durch die fremde Stimme im Zimmer sehr schnell wieder in seine Rolle zurückzufinden: „Ja, Yuuri klingt so lieblich!“, gähnte er.

„Natürlich steht es ihrer Hoheit frei, sich die Kosenamen seiner Frauen selbst auszusuchen!“, Hilde verbeugte sich tief.

Frauen? Wie? Hatten Götter mehr als eine?

Na ja, so gesehen hatte Wolf ja auch gar keine. Er hatte einen Mann!

„Mittsu erwartet uns bereits! Wir sollten uns beeilen!“

Wolfram streckte sich und war mit einem Satz aus den Federn gesprungen. Er strich sich schwungvoll die langen blonden Strähnen aus dem Gesicht und schielte zu mir herüber.

Dieser Blick! Er raubte mir die Luft zum Atmen! Diese grünen Augen!

Moment! Grün?

Hilde schien es noch nicht bemerkt zu haben.

Schnell flog ich Wolfram um den Hals.

Dieser war so überrascht, dass er mit dem Gleichgewicht kämpfte und beinahe nach hinten über auf das Bett zurückgefallen wäre: „Yu...“

„Deine Augen sind grün!“, flüsterte ich ihm ins Ohr und da hörte er auf, sich darauf zu konzentrieren uns abzufangen. Wir fielen.

„Nein! Wie stürmisch!“, rief Hilde aus und drehte uns anstandshalber den Rücken zu.

Wolfram griff blitzschnell in seine Gürteltasche und zog ein klitzekleines Fläschchen heraus: „Kipp mir das in die Augen!“, murmelte er leise zurück.

„Ich?“

„Natürlich, Weichei! Oder siehst du hier gerade einen Spiegel?“

Da hatte er auch wieder recht!

Nun lagen wir also auf dem Bett, ich auf Wolfram drauf, mein Herz raste in Warp-Geschwindigkeit weil ich ihn so unter mir spüren konnte und ich versuchte, ihm eine unbekannte Flüssigkeit ins Auge zu träufeln, während Hilde wohl dachte wir fielen trotz ihrer Anwesenheit übereinander her. Das würde die Palastgerüchteküche zum Brodeln bringen!

Kaum benetzte diese Flüssigkeit Wolframs Augen verwandelte sich sein wunderschönes Smaragdgrün in Shinous strahlendes Blau. Innerlich tat mir diese Veränderung weh, aber so lange wir noch hier waren gab es wohl keinen anderen Weg, als unsere Rollen weiterhin zu spielen.

Ich seufzte und stand auf.

Der Soldat hatte sich mittlerweile auch herein getraut und lugte vorsichtig suchend durch die offene Zimmertüre. Wolfram, der nun optisch wieder ganz und gar Nanatsu war, erhob sich ebenfalls und straffte seine Kleidung.

„Wenn eure Göttlichkeit und Mylady mir dann bitte folgen würden!“, flüsterte der junge Mann schon etwas verzweifelt und wir folgten ihm.
 

Iossac Glie ritt alleine auf eine Waldlichtung. Seine strahlendblauen Augen beobachteten jede Regung im Unterholz. Doch alles war ruhig.

Dieser Weg wies keinen Hinterhalt auf, keine Fallen.

Sie hatten bewusst dieses Treffen nun sehr kurzfristig anberaumt um den Göttern so wenig wie möglich die Gelegenheit zu geben, sich darauf vorbereiten zu können.

Denn eine längere Vorbereitung hieße für alle eine gefahrvollere Reise.

Iossac gab seinem Pferd die Sporen und ritt ein längeres Stück zurück bis zum Waldrand. Dort warteten einige Reiter und zwei Kutschen auf ihn.

„Ich denke, wir können gefahrlos passieren!“, rief er Lord Gwendal von Voltaire entgegen, welcher sich neben die größte Kutsche positioniert hatte. Sein Augenmerk war auf einen der beiden Insassen der Kutsche gerichtet: „Und sie sagen, wir wären bald da?“

„Ja, Lord von Voltaire. Niemand rechnet mit unserer Ankunft heute. Die Götter können durch den verspäteten Versand frühstens morgen früh Schloss Ishiyosai erreichen.“

„Und das nimmt ihnen die Chance uns böse zu überraschen!“, ergänzte Conrad.

Sein Pferd hielt schnaubend neben dem seines älteren Bruders. Auch er war voraus geritten und hatte nach möglichen Hinterhalten Ausschau gehalten.

„Wo ist von Grantz?“

„Er ritt noch weiter und wird uns auf halbem Wege wieder entgegenkommen!“, Conrad tätschelte den Hals seines folgsamen Hengstes.

„Hey, Hauptmann! Redet er immer noch nicht?“, Iossac hatte sich nun zu seinem Kumpanen herüber gebeugt und versuchte sich im Flüsterton, was ihm jedoch nicht so recht gelingen wollte, denn schon strafte ihn ein böse herüber schielender Blick des grauschwarzen Befehlshabers.

„Er schweigt sich immer noch aus!“, gab eben dieser dann zur Antwort, „Vielleicht sollte Conrad es noch einmal versuchen. Vielleicht handhabt man das so auf der Erde, aber es wäre hilfreich, wenn die Beiden nun mit der Sprache herausrücken würden!“

Conrad nickte seinem Bruder zu und trieb sein Pferd zu der hintersten Kutsche.

Die Karawane, nun mit Gwendal und Iossac an der Spitze, setzte sich wieder in Bewegung und so wendete er sein Pferd und ließ es schweigend eine ganze Weile neben der Kutsche her traben.

„Er wird nichts sagen, Lord Weller!“

„Damit habe ich gerechnet, eure Eminenz.“

„Selbst mir antwortet er nicht.“

Nachdem sie vom Sitz der Familie Bielefeld gemeinschaftlich auf den Roten Seestern zurückgekehrt waren, hatten sie viele Fragen an Shinou gehabt. Am Meisten brannte allen die Frage auf der Seele, warum ihr erster Maou und Reichsbegründer nie etwas gesagt hatte.

Doch er hatte sich weiterhin in Schweigen gehüllt. Es war, als hätte er sie verlassen, doch die kleine, leuchtende Perle im Flakon um Muratas Hals zeigte ihnen, dass er immer noch bei ihnen war. Adalbert hatte dies alles als vorhersehbar betitelt. Man hätte ihm nicht trauen sollen.

Es stand außer Frage, dass es vom Vorteil gewesen wäre, wenn Shinou ihnen vor dieser Reise die genauen Umstände, auf die sie hier treffen würden, geschildert hätte.

Doch nun war es zu spät. Sie mussten sich mit der gegebenen Situation abfinden.

Und sie mussten Yuuri wiederfinden. Doch was erwartete sie nun?

Lord von Bielefeld hatte sie begleitet und war zunächst recht enttäuscht darüber, dass er Shinous Stimme nicht vernehmen konnte. Doch es half alles nichts.

Sie mussten mit den Informationen, welche sie von Lord von Bielefeld bereits erhalten hatten, auskommen und das Beste daraus machen.

Günter hatte sich einige der Unterlagen aus dem Geheimraum des Bielefeld'schen Hauptsitzes mitgenommen und studierte diese mit dem Lord zusammen in der ersten Kutsche. Vielleicht würde er noch Informationen über die Götter von Dark Makoku zu Tage bringen, die ihnen dabei halfen, zu erfahren, worauf sie sich gefasst machen mussten.

Als sie mit einem Schiff der Familie von Bielefeld übergesetzt waren auf das Festland hatten sie alle ihre Garderobe gewechselt. Sie trugen nun die Uniformen der Familie von Bielefeld von Dark Makoku und waren so nicht mehr als Außenstehende zu erkennen.

Lord von Bielefeld würde sie als seine persönliche Leibwache mit in das Schloss Ishiyosai nehmen können und so hatten sie die Möglichkeit, dieser Vollversammlung beizuwohnen.

Diese Uniformen erinnerten Conrad an seine Zeit in Groß Simaron. Sie war ähnlich geschnitten, nur waren diese weiß mit goldenem Saum und blauen Abzeichen.

Günter hatte mit Abstand die schillerndste Ausstrahlung in der Uniform, die ihn wesentlich jünger erscheinen ließ als seine bisherigen weiten Roben und Gwendal wirkte etwas gewöhnungsbedürftig in diesen Farben, doch schien er sich selbst gar nicht so sehr damit zu befassen. Nur Adalbert hatte darauf bestanden, seine Alltagskleidung weiterhin zu tragen. Sie sei weder einem Land noch irgendeinem Heer zu zu ordnen und er wolle sich nicht, und wenn es auch nur der Tarnung diene, in irgendeine Uniform zwängen lassen.

Conrad beobachtete die Reinkarnation des Großen Weisen. Dieser betrachtete bekümmert die vorbeiziehende Landschaft. Auch er schien nicht ganz glücklich mit dem plötzlichen Schweigegelübdes seines Freundes zu sein und ebenso nicht damit einverstanden, dass er zuvor nichts erwähnt hatte.

„Ob ihm seine Familie etwas bedeutet hat?“, fragte Conrad laut.

Ken Murata erhob den Kopf, blickte zunächst in die Wolken und dann direkt zu ihm:

„Ja. Er hat sie alle geliebt. Auch seine Brüder und Väter!“

„Es muss schwer gewesen sein, sie im Streit zu verlassen!“

„Hm. Ja. Aber er musste sich für eine Seite entscheiden.“

„Warum dann für die Dämonen und nicht für seinesgleichen?“

Weil meine Liebe für sie größer war!

Murata erschrak während Conrad verschmitzt lächelte. Es hatte funktioniert. Er war darauf eingegangen!

„Schweifst du immer noch in deinen Gedanken umher und willst uns nicht daran teilhaben lassen?“, murmelte der Doppelschwarze und betrachtete den Flakon in seinen Händen.

Ich wüsste nicht, was ich noch zu berichten hätte, was du nicht schon längst wüsstest! Zudem pflegte schon mein Vater zu sagen, dass jeder seines Gedankenguts eigener Herr ist!

„Nur sollte seine Eminenz nicht dazu gezwungen werden, aus einer Sicht zu berichten, die nicht seine Eigene war!“, fügte nun Conrad hinzu.

Shinou lachte leise: Er kannte damals wie heute jeden meiner Schritte!

„Nicht die Schritte, die du mit Rufus tatest!“, flüsterte Murata nachdenklich, „Und auch nicht dein Handeln vor meiner Zeit!“

Gab es denn je ein vor deiner Zeit? Du bist der Ältere!

Nun lachte Murata: „Gewiss, ich bin 18. Und du eine körperlose Seele!“

Versuchst du mich aus der Reserve zu locken, alter Freund?

„Wie käme ich dazu?“, Murata kicherte und Conrad war sich sicher ein leises Brummen von dessen Brust zu hören.

Die Beiden neckten sich wie kleine Kinder. Ein verspielter Streit. Nie würde ein böses Wort fallen. Es klang wie das Spiel unter...

Lord Weller! Conrad zuckte zusammen. Ich werde es euch sagen, wenn die Zeit dazu gekommen ist. Solange behaltet diesen Gedanken für euch!

Das zum eigenen Gedankengut!, dachte Conrad und trieb sein Pferd an zu einem schnelleren Galopp.
 

Es ruckelte kurz heftiger. Der Weg war versehen mit Schlaglöchern und unsere Kutsche eilte dennoch im zügigen Tempo weiter.

Yonno schien dies jedoch überhaupt nicht zu stören. Seit Beginn der Fahrt plapperte sie fröhlich vor sich hin, als habe sie gerade das Sprechen für sich entdeckt. Ihre Schwester Hachino neben ihr verdrehte ab und an schon einmal genervt die Augen, doch dass machte dieses Gesprächs irgendwie auch amüsanter. Die beiden Göttinnen über die Dämonen schienen so ganz anders als dieser Mittsu. Dieser fuhr mit den beiden anderen Brüdern in einer Kutsche vor uns und auf sein Geheiß hin wurden Wolfram und ich zu den beiden Damen gesteckt. Mich störte dies nicht. Ich fand diese Reisebegleitung wesentlich angenehmer als diese finster dreinschauenden Brüder, mit denen ich bisher noch nicht wirklich das Vergnügen hatte.

Wolfram, welcher Hachino gegenüber saß, wirkte angespannt. Ich spürte deutlich, dass er sich nicht ganz wohl fühlte und auch nicht sicher war, was uns nun erwarten würde.

Mittsu hatte uns nur über eine Vollversammlung der 25 Adelsfamilien in Kenntnis gesetzt und das dort die geeignete Möglichkeit wäre, unser Verlöbnis, also das von Nanatsu und Yurika, zu verkünden.

„So, nun habe ich aber genug über das Wetter geplaudert!“, Yonno betrachtete mich mit einem freundlichen Lächeln, „Nun erzählt doch etwas über euch!“

Ich schluckte. Was sollte ich denn erzählen?

Sie dachte wohl, dass ich nicht wüsste, wo ich genau anfangen solle und begann neugierig ihr Interview: „Na, dann fangen wir doch mal mit eurem Namen an!“

„Yurika. Yurika Shibuya, eure Göttlichkeit!“, kam ziemlich schüchtern aus meinem Mund.

Sie kicherte: „Ach, lassen wir das doch mit dieser Förmlichkeit! Schließlich sind wir ja bald Schwestern! Ich wollte schon immer mit jemandem vom gewöhnlichen Volk befreundet sein und nun bekomme ich gleich eine Schwester! Hach! Aber woher stammt denn dieser außergewöhnliche Name Shi...shi...“

„Shibuya“, half ich ihr, „Ach, der ist ganz herkömmlich bei uns in Saitama!“

Oh je. Manchmal frage ich mich, wo ich meinen Kopf gelassen habe!

„Saitama? Von dieser Provinz habe ich noch nie gehört! Wo genau befindet die sich denn in unserem Reich?“

„Ähm... ganz weit im Nordosten!“

„Oh, im Gebirge?“, fragte nun Hachino interessiert.

„Ja ja, genau! Ein Dorf ganz weit oben im Gebirge!“

Ich bemerkte ein unterdrücktes Grinsen auf Wolframs Lippen.

„Es ist wirklich erschreckend, dass ich in all den Jahrtausenden kaum etwas von unserem Land weiß und noch weniger gesehen habe!“, seufzte die größere Blondine betrübt.

„Vielleicht solltet ihr einmal eine Rundreise machen!“, schlug ich vor.

„Das erlaubt Mittsu nicht! Egal, wie sehr wir es uns wünschen!“, kam es trocken von der Kleineren, „Wir haben den Palast ausschließlich nur zu Versammlungen zu verlassen oder für Visiten bei den Hauptsitzen der Adelsfamilien!“

Oh! Gefangen im goldenen Käfig!

„Das hört sich aber traurig an!“, flüsterte ich mitfühlend.

„Es ist zu seinem eigenen Nutzen! Er will nur keine Vision verpassen wenn sie denn mal wieder kommen sollte!“

„Hachino!“, wisperte Yonno erschrocken, „ Er macht sich doch nur Sorgen um uns!“

Der Blick der kleineren Schwester blieb jedoch kühl: „Ach Unsinn, Yonno. Hier sitzt Nana. Er weiß Bescheid. Du brauchst hier doch nichts schön zu reden! Mittsu benutzt uns alle. Und solange wir ihm von Nutzen sind, duldet er uns neben sich!“

Betretenes Schweigen.

„Visionen?“, fragte ich vorsichtig nach.

„Nun ja“, Yonno wirkte verlegen und schaute vorsichtig auf Wolfram, „Ich hatte keine mehr seit dem Vorfall. Und das wird auch der Grund sein, warum er Nana so schnell verziehen hat! Er denkt, ich hätte ein Trauma erlitten, welches durch seine Anwesenheit“, wie nickte in Wolframs Richtung, „behoben werden könne.“

„Nana hat nichts falsch gemacht! Es gab nichts zu verzeihen!“, giftete nun Hachino. Sie erinnerte mich nicht nur rein äußerlich an Wolfram. Auch sie hatte wohl ein impulsives Gemüt: „Und natürlich standest du damals unter Schock! Niemand konnte ahnen wie Vater deine Vision deutet! Und niemand konnte ahnen, dass es solche verheerenden Ausmaße annimmt!“

Hachinos Blick wanderte von ihrer Schwester zu mir und schließlich zu Wolfram: „Nana, Bruder, ich flehe dich an. Auch wenn ich mich noch so sehr freue, dich wieder zu haben, bitte geh wieder schnell weg von hier! Der einzige Nutznießer des ganzen Elends war Mittsu. Er wurde so zum Oberhaupt und Regent! Und er wird sich das nicht nehmen lassen. Er weiß um deine Beliebtheit beim Volke. Sie werden aufschreien und dich zum Oberhaupt wollen und es wird wieder blutig enden. Das weiß er und er wird es daher nicht so weit kommen lassen!“

In ihren großen, grünen Augen erkannte ich ebenso große Sorge und Angst.

Wolfram rührte sich nicht. Er sah sie nur an. Irgendetwas störte mich, aber was?

Dann erhob er sich und trotz des Schaukelns der Kutsche hatte er einen festen Stand.

Zuerst blickte er zu mir herunter: „Verzeih mir!“, dann zu Hachino. Er nahm ihre zierliche, zerbrechlich wirkende Hand, zog sie daran hoch in den Stand und drückte sie fest an sich. Mein Herz blieb stehen. Warum musste er sie jetzt umarmen? Er hatte doch mich!

Moment! War ich etwa eifersüchtig? Ich benahm mich ja schon wie Wolfram!

„Ich werde nicht gehen, kleine Schwester! Ich lasse euch nicht zurück! Ich habe diesen Fehler damals getan, ich werde ihn nicht wiederholen. Denn ich liebe euch. Ich habe euch auch damals geliebt. Euch und das gesamte Volk. Und ich werde keinen Einzigen mehr in dieser Tyrannei zurücklassen. Auch wenn das wieder ein Kampf bedeutet! Ich möchte nur, dass ihr das wisst!“

Was bitte war das denn? Er wollte gegen Mittsu antreten? Hatte ich das nun richtig verstanden?

Wolfram setzte die nun schluchzende Hachino wieder behutsam auf ihren Platz und setzte sich dann selbst. Sein Blick war so eigenartig. So fremd. Aber dennoch kam er mir bekannt vor.

Erneut sah er wieder zu mir. Was war hier los? Und da fiel es mir wie Schuppen von den Augen!

SHINOU!, schoss es mir durch den Kopf, Shinou ist in Wolfram!

Er grinste. Das bestätigte meinen Verdacht.

Das würde bedeuten, dass Shinou und somit Murata in der Nähe waren! Und wo die Beiden waren, waren Conrad und meine anderen Freunde auch nicht weit!

Mein Herz machte einen Sprung.

Aber Moment!

War Shinou verrückt geworden? Er konnte sich doch nicht einfach Wolframs Körper schnappen und den Krieg gegen Mittsu erklären.

Yonno seufzte auf und legte tröstend einen Arm um ihre Schwester. Auch sie kämpfte mit den Tränen: „Wir werden dich unterstützen, Bruder!“

Er nickte ihnen zu, dann erkannte ich, dass dieser seltsame Glanz in Wolframs Augen verschwand.

Er griff sich irritiert an die Stirn.

Ich nahm seine andere Hand in meine und drückte sie leicht. Dadurch sah er wieder direkt zu mir.

Ich lächelte ihn an. Ich spürte, dass er wusste, was gerade geschehen war und was Shinou getan hatte. Aber auch, dass ihn das schockierte.

Ich bin bei dir! Ich lass dich nicht damit allein!, versuchte ich ihm mit einem Lächeln gedanklich mitzuteilen und ich sah, wie sich seine angespannten Schultern lockerten. Er hatte mich auch ohne Worte verstanden.

Ich war zwar absoluter Pazifist, doch wenn Wolframs Leben in irgendeiner Form bedroht wäre, würde ich auch nicht davor zurückschrecken mein Schwert zu ziehen...

Verdammt! Ich hoffe, die haben Morgif mitgebracht!
 

Ein Lächeln huschte über sein Gesicht als er vorsichtig den kleinen Korken in die Flaschenöffnung des Flakons in seinen Händen zurückschob:

„Dein Ausflug war wohl vielsagend!“, flüsterte Ken Murata, der die Seele des Großen Weisen in sich trug.

Zunächst vernahm er nichts. Er teilte sich doch sonst immer mit!

Dieser von Bielefeld hatte Recht. Wir werden vor ihnen dort sein.

„Das war aber noch nicht alles, nicht wahr?“

Nein.

„Shibuya ist bei ihnen?“, es war mehr eine Feststellung als eine Frage, dass wusste auch die Seele des Shinou.

Ja. Die Beiden sind immer für eine Überraschung gut. Ihr werdet erstaunt sein!, hörte er da einen leicht vergnügten Unterton in der Stimme seines alten Freundes?

„Du hast doch wieder etwas getan!“, Muratas Augen verengten sich besorgt zu Schlitzen. Diese Sorge galt aber weniger dem ehemaligem Dämonenkönig als seinem Freund, dem Amtierenden sowie dessen Verlobten.

Wie kommst du nur darauf?, bekam er direkt zur Antwort. Shinous Gedanken waren für ihn immer ein offenes Buch gewesen. Sie waren immer einfach zu deuten. Allerdings spielte dabei immer auch dessen Anwesenheit eine Rolle. Shinous Pläne waren einfacher zu durchschauen, wenn er mehr von ihm sehen konnte als eine glänzende Seelenperle in einem Flakon.

„Du weißt, dass ich geschworen habe. Würde ich dich nicht hin und wieder bremsen, würdest du nur wieder völlig außer Kontrolle geraten!“, er seufzte.

Shinou lachte hell auf: Hast du Sorge, ich würde dich nicht genügend an meinem Leben teilhaben lassen?

Murata grinste: „Was für ein Leben, alter Freund? Du vergisst, dass du nur noch eine Seele in meinen Händen bist!“

Oh oh!, es war kein besorgtes, sondern eher ein amüsiertes Aufstöhnen, Mir scheint, da ist wirklich jemand gekränkt!

„Wenn ich dir nicht in Allem voll und ganz vertrauen würde, wären wir nicht da, wo wir jetzt sind. Und damit meine ich nicht die jetzige Situation!“

Ich weiß, du warst bisher mein Stratege, das hörte sich nun etwas kleinlauter an und Murata erhob erstaunt eine Braue, und ich habe nie bereut, dich dazu ernannt zu haben. Durch dein unglaubliches Wissen und deine Weisheit warst du mehr als nur einmal eine große Stütze für mich! Vertraue mir nur noch dieses eine Mal. Ich muss hier etwas erledigen, wozu ich damals nicht in der Lage war!

„Du meinst sicherlich, du willst das Shibuya etwas für dich erledigt, wozu du nicht in der Lage warst!“, Muratas nun trauriger Blick wandte sich zum Fenster der Kutsche. Die Landschaft sauste an ihnen vorüber. Er hatte auch Erinnerungen an diesen Ort. Erinnerungen, die er versucht hatte zu verdrängen, da sie ihm nie als relevant erschienen bei ihren bisherigen Abenteuern. Er stöhnte leise auf: „Du hast nicht nur mir eine große Aufgabe zugedacht. Auch er ist in große Fußstapfen mit vielen Problemen darin getreten!“

Die Kutsche hielt und der junge Doppelschwarze hörte das Schnauben eines neben ihm zum stehen kommenden Pferdes. Ein Paar blauer Augen, welche in eine imposante Nase und ein darunter befindliches breites Grinsen übergingen, lugten plötzlich durch die Seitentüre der Kutsche: „Wir sind da, eure Eminenz!“

Adalbert öffnete die Kutschtür nun gänzlich und so wurde die Sicht frei auf ein riesiges braunes Gemäuer.

„Das Kloster Schloss Ishiyosai! Immer wieder ein Besuch wert!“

Hörte Adalbert da etwa etwas Ironie in der Stimme des jungen Mannes, der sich nun seine Brille zurecht rückte und mit einem Satz aus der Kutsche sprang.

„Ihr habt euch also auch in so eine Kluft gezwängt!“, murmelte der ehemalige General des Dämonenheeres. Seine Eminenz in ungewohnter weißer Robe, die ihn doch stark an die Gewänder des königlichen Beraters erinnerten, schien ihm dann doch etwas zu übertrieben. Doch Murata ging auf die Bemerkung nicht näher ein. Er zog sich stattdessen eine riesige Kapuze tief über das Gesicht.

„Den Büchern nach werden Doppelschwarze als Mischblut gefürchtet und von den Göttern gejagt. Seine Eminenz daher als einen ihrer Mönche zu tarnen erschien uns daher als äußerst logisch!“, Lord Günter Baron von Kleist war aus der vorderen Kutsche entstiegen und betrachtete eingehend das uralte Gemäuer vor ihnen.

„Es sieht noch genauso aus wie vor fast 4500 Jahren!“, hörte er den Doppelschwarzen leise murmeln.

„Ihr ward bereits hier?“, Günters Augen funkelten vor Freude und unbändiger Neugier auf.

„Das Kloster stand schon vor allem Anderen hier!“, erklärte nun Lord von Bielefeld, der sich nach der langen Kutschfahrt hinter Baron von Kleist der Länge nach streckte, „Man sagt sogar, es wurde von den Urgöttern errichtet!“

„Urgötter?“, Adalbert fuhr zu ihm herum, „Wie viele Götter hüpfen denn hier noch rum? Mir hat ehrlich gesagt schon einer an sich nicht gepasst!“ Und dabei blickte er ziemlich offensichtlich auf Muratas Brustkorb, wo ein hell aufleuchtender Flakon baumelte.

Er mochte Shinou nicht. Und das würde sich auch niemals ändern. Es war einfach zu viel in der Vergangenheit vorgefallen. Adalbert von Grantz hasste es schlichtweg als Spielfigur in irgendwelche Spielchen verwickelt zu werden. Und alles was er bisher durch Shinou erlebt und ihm widerfahren war, waren lang geplante Spielchen gewesen!

Lag es im Naturell dieser Götter, Dämonen und Menschen nach ihrem Vergnügen und Belieben zu benutzen? Dazu hatte niemand ein Anrecht! Nicht einmal diese sogenannten Götter!

„Schloss Ishiyosai ist daher auch für die Götter ein heiliger Ort und somit neutraler Boden. Es diente stets für Friedensverträge oder dergleichen! Nach uraltem Recht darf hier jeder in diesen heiligen Hallen seine Meinung verkünden ohne eine Strafe dafür erwarten zu müssen!“

„Aber Bielefeld! Es mag sein, dass man sich innerhalb dieser Hallen daran hält, aber was geschieht, sobald man diese Hallen verlässt?“, Adalbert legte eine Hand an die braune, kühle Wand der meterhohen Feste.

„Bisher hat es sich nur einer getraut, gegen die Götter zu protestieren innerhalb dieses Gemäuers. Er hat das Land dann verlassen!“, von Bielefelds Blick traf Adalberts genau an Muratas Brustkorb. Dieser umschloss nun das kleine Gefäß mit seinen Händen und ließ es behutsam unter der Robe verschwinden: „Dann gehen wir erst einmal hinein und schauen, ob die Atmosphäre dort nun gemütlicher ist als damals!“, und er schritt an den Herren vorbei zu Gwendal, Conrad und Iossac, welche am Haupttor den dort patrouillierenden Mönchen die Ankunft der Gardision von Bielefeld mitteilten.
 

Es war eine seltsame Ruhe eingekehrt seit Shinous Gastauftritt.

Hachino hatte noch eine Weile geschluchzt, sich aber dann gefangen und sah nun mit noch geröteten Augen in die vorbeiziehende Dunkelheit der Nacht, die wir durchritten.

Wolfram war wieder eingeschlafen. Ich hielt immer noch seine Hand und sein Kopf war auf meine Schulter gerutscht. Sein ganzer Oberkörper war an meine Seite gelehnt und strahlte eine wunderschöne, angenehme Wärme ab.

„Ihr seht so schön zusammen aus! Das letzte Mal sah er so zufrieden aus an Rufus Seite!“, seufzte Yonno und betrachtete ihn schon fast mütterlich. Sie schien mir so wieso die perfekte Mutter! Wieso hatte sie keine Kinder?

„Ihr meint bestimmt Rufus von Bielefeld, nicht wahr!“

Sie nickte: „Ja, seine Frau!“, doch dann weiteten sich ihre Augen und eine leichte, verschämte Röte stieg ihr in die Wangen, „Also seine erste Frau! Mache dir da bitte keine Gedanken! Das ist nun mal das schwere Los...“

„...der Unsterblichkeit!“, ergänzte Hachino den Satz ihrer größeren Schwester,

„Daher sprechen wir im Allgemeinen nicht über so etwas. Es ist wirklich hart, an alle Freunde oder Menschen die man liebte erinnert zu werden, die bereits lange tot sind!“

Murata hatte immer gesagt, dass er seine Erinnerungen wie einen alten Film sehen würde. Er hatte in der ganzen Zeit viele Leben gehabt und viele Erinnerungen hinzugewonnen. Aber was wäre, wenn sein Körper die ganze Zeit ein unsterblicher Großer Weiser geblieben wäre. Im Tempel des Shinous darauf wartend, dass ein Maou auftaucht, der seinen Freund und Gründer des Reiches von dem Fluch des Begründers erlöste? Alle um ihn herum wurden groß, heirateten, bekamen Kinder, wurden alt, starben. Immer und immer wieder. Freundschaften flogen mit der Zeit dahin. Liebe? War Liebe da überhaupt möglich?

Ich hatte mich schon immer gefragt, wie Dunheely Weller und Cecilie von Spitzweg dieses Problem bewältigt hatten. Oder Nicola und Hube! Wie würde es da ausschauen, wenn Nicola immer älter wurde und starb, aber Hube noch viele viele Jahrzehnte vor sich hatte. Was mochten das für Qualen sein?

„Ich sehe deinen Augen an, dass du das Problem erkannt hast!“, Yonno beugte sich herüber und legte eine Hand auf mein Knie, „Aber nur weil Hachino und ich es nicht können einem Erwählten unser Herz zu schenken heißt das nicht, das Nana dich weniger liebt weil du sterblich bist. Er war schon immer anders als wir. Er war stets erfüllt von Liebe und Güte, weit über seine bloße Existenz hinaus! Er tat für Jeden alles was er konnte, obwohl er wusste, dass jedes dieser Leben eh vergänglich ist!“

„Yonno, zudem vergisst du, das wir gar nicht die Möglichkeit haben, jemanden unser Herz zu schenken!“, murmelte Hachino.

„Nicht?“

Sie lachte traurig: „Wie denn? Uns ist es untersagt, sich mit Dämonen oder Menschen jedweder Art einzulassen. Uns fehlt dadurch schlicht die Auswahl!“

Stimmte auch wieder!

„Nur Nana wollte sich da nicht einschränken lassen! Und da ich dies aus der Vergangenheit wusste, habe ich Mittsu den Vorschlag zu eurer Eheschließung unterbreitet. Vielleicht ist dies auch eine Chance für uns, die festgefahrenen Regeln etwas zu lockern!“

„Yonno! Sei nicht so vermessen zu glauben, Mittsu würde irgendeine Regel ändern! Ich vertraue dem, was Nana uns eben zu sicherte mehr als Mittsus Stimmungsschwankungen!“

Wolf seufzte leise im Schlaf und ich spürte, wie er meine Hand fester drückte.

Hatten wir ein Glück! Wir mussten nicht sterben mit dem Gedanken den Anderen auf ewig zurücklassen zu müssen!

Yonnos Blick richtete sich auf: „Wir sind da!“

Ich folgte ihrem Blick und entdeckte in der Ferne auf einem Hügel eine riesige Burg, die mit vielen Fackeln so hell erleuchtet war, dass man ihr ganzes Ausmaß erkennen konnte.

Sie war eine riesige Festung. In früheren Jahren galt sie bestimmt durch ihre hohen Mauern als uneinnehmbar. Das war also Schloss Ishiyosai. Und nachdem ich schon Shinou begegnet war, konnte ich mir sicher sein, dass wir unsere Freunde bald wieder sehen würden.

In mir erwachte eine unglaubliche Vorfreude, sie alle vor mir zu sehen.

Und dann würde ich mir Shinou erst einmal vorknöpfen müssen!
 

Es war früher Mittag. Ich war enttäuscht.

Wir waren mit den Kutschen durch das riesige Tor eingefahren und ausgestiegen. Wolfram war durch den abrupten Halt wach geworden, sagte aber nichts. Nachdem wir ausgestiegen waren eilten einige Männer in weißen Kutten zu uns und hießen uns willkommen. Sie alle erinnerten mich an Günter. Er stammte bestimmt von ihnen ab!

Mittsu war dann an uns herangetreten und gab den Mönchen die Anweisung, mich auf ein Zimmer zu führen.

Es war ein durchweg schlichtes Zimmer, so wie man es sich in einem Kloster nun einmal vorstellt. Und dort hatte ich die ganze Nacht wach auf dem Bett gesessen und auf Wolfram gewartet. Aber er kam nicht. Mittsu wollte mit seinen Geschwistern etwas besprechen. Das dieses Gespräch die ganze Nacht andauerte, hatte mich sehr bekümmert. Ich machte mir Sorgen.

Dann war schließlich einer dieser Mönche wieder gekommen und brachte mir ein ausreichendes Frühstück. Dieser Mönch hatte derweil die ganze Zeit mich stumm beobachtend in einer Zimmerecke gestanden und gewartet, bis ich fertig war.

Dadurch, dass ich vor lauter Sorge kaum einen Bissen herunter bekam, war seine Wartezeit nicht so lange.

Er forderte mich dann auf ihm zu folgen und so erreichte ich nun einen riesigen Saal der mich an das Unterhaus im Britischen Parlament erinnerte oder an einen übergroßen Kinosaal.

Vor der Wand gegenüber des Eingangs stand der kompletten Länge nach eine lange Tafel mit einem Dutzend qualitativ hochwertiger Sessel. Und davor reihten sich wie in einem Vorlesungssaal größere Einzeltische mit jeweils unterschiedlicher Anzahl an Stühlen dahinter. Auf jedem Tisch stand eine kleine Steintafel, auf der etwas mit goldenen Buchstaben geschrieben stand. Ich hätte die Tafeln berühren müssen, um zu erfahren, was darauf stand, aber das wäre zu auffällig gewesen. Ich vermutete, es handelte sich um Namensschilder der 25 Familien und während ich dem Mönch die Treppenstufen hinunter folgte, versuchte ich die Plätze zu zählen.

Er führte mich zu dem größten Tisch vor eben dieser Wand und zog einen etwas schlichteren Sessel hinter einem Roten hervor.

Er wies mich an, mich zu setzen.

Da saß ich nun. Relativ gut versteckt durch die vor mir stehenden großen Sessel und beobachtete, wie sich der Raum füllte.

Das war schon etwas ganz anderes als bei uns, wenn sich die zehn Adelshäuser zusammensetzten und ich auf einem Folterstuhl in deren Mitte gesetzt wurde!

Ich wusste immer noch nicht, was mit Wolfram war und merkte bei jedem erneuten Öffnen der Eingangstür, wie mein Herz hoffnungsvoll einen aufgeregten Sprung machte.

Aber auch die anderen Götter waren noch nicht erschienen.

Vermutlich betraten diese geschlossen als Letzte den Raum. Also musste ich mich in Geduld üben. Und das wäre wenigstens einfacher gewesen wenn mich nicht die Sorgen so quälen würden.

Obwohl ich so versteckt saß hatte ich das Gefühl, beobachtet zu werden.

Ich blickte mich suchend um, doch niemand schien explizit in meine Richtung zu schauen.

Die Türe öffnete sich erneut und eine Gruppe in weiß gekleideter Herren in Uniform erschien im Eingang. Unter ihnen war ein Mönch mit tief ins Gesicht gezogener Kapuze und somit für mich nicht genau zu erkennen. Neben ihm erschien ein großer blonder Mann, der mich unwahrscheinlich an Waltorana Herzog von Bielefeld erinnerte, nur das er wesentlich längere Haare hatte. Dahinter dann ein junger, braunhaariger Herr mit einem freundlichen Lächeln im Gesicht.

Conrad!

Ich sprang auf. Hinter ihm konnte ich Gwendal, Günter und Iossac erkennen!

Sie waren wirklich da! Ich wäre am Liebsten zu ihnen gelaufen. Nun betrat der Letzte dieser Gruppe den Raum und hätte ich meine Freunde nicht schon zuvor erkannt, dann wäre spätestens jetzt der Groschen gefallen! Adalbert zwängte sich durch die Gruppe durch und sah sich um. Der andere blonde Schönling, den ich nicht kannte, zeigte ihm dann einen Tisch in der hintersten Ecke des Saals.

Ich ärgerte mich, dass ich nicht einfach zu ihnen gehen konnte. Ebenso, dass sie mich aufgrund der Verkleidung nicht erkennen konnten. Meine Finger krallten sich in die rote Polsterung des Sessels vor mir. Ich beobachtete jeden Schritt der Gruppe, bis sie sich alle an diesen Tisch gesetzt hatten. Ich bemerkte, das Conrad sich nun die Zeit nahm, den Saal genauer zu betrachten. Seine silbergesprenkelten braunen Augen überflogen die sich füllenden Sitzreihen und kamen schlussendlich zu der langen Tafel mit den riesigen Sesseln.
 

Die Sessel waren alle noch unbesetzt. Wie auf einer Bühne, ausgestellt und für alle Augen im Raume gut ersichtlich, schienen diese Plätze ausschließlich den Göttern vorbehalten zu sein. Hinter dem siebten Sessel, welcher rot ausgepolstert war, erkannte er den Schatten einer jungen Frau. War sie eine der Göttinnen? Sie trug die dunkelroten Haare hochgesteckt und im gleichen Farbton ein weit ausgestelltes Kleid aus Samt und Seide.

Dieses Mädchen hatte jedoch einen Platz hinter den Sesseln. Dies deutete eher darauf hin, dass sie keine der Göttinnen war, aber dennoch hatte sie eine faszinierende Ausstrahlung auf ihn. Conrad bemerkte, dass sich ihre Blicke trafen. Braune Augen trafen auf tiefschwarze Augen.

Ich habe doch gesagt, es geht ihnen gut!

Conrad erkannte ihn im gleichen Augenblick wie er Shinous Stimme von Muratas Brust her vernahm: „Majestät!“

„Wovon redet ihr, Conrad?“, Günter von Kleist hatte sich seinen Platz direkt neben dem des ehemaligen Hauptmanns und Löwen von Ruttenberg ausgesucht und folgte nun Conrads Blick zu dem jungen Mädchen in der vordersten Reihe, welches ebenso gebannt zu ihnen heraufschaute.

„Majestät!“, rief da der königliche Berater schon etwas lauter und sprang euphorisch auf, wurde aber dann gleich von Gwendal hinter ihm rüde an der Taille umfasst und wieder auf den Stuhl gesetzt: „Ich denke, es hat einen Grund, warum seine Majestät in einem Kleid da steht, Baron von Kleist!“, zischte der Grauschwarze und Günter verstand sofort.

Seine Majestät Yuuri war in Nöten! So sehr, dass er sich als Frau hier einschleichen musste!

Wie konnte er nur in eine solche Situation geraten?

Und das ist noch nicht alles!

Noch bevor man nachfragen konnte, was Shinou genau meinte, öffnete sich erneut die Tür und im Saal wurde es schlagartig still. Alle Blicke richteten sich auf ihn.

Ein Mann mit kräftiger Statur, zu strengen Schlitzen verengten, grün funkelnden Augen und langem, eisgrauen Haar schritt die Treppen hinunter und begab sich zum größten Sessel mittig der riesigen Tafel.

„Mittsu!“, flüsterte Ludwig von Bielefeld.

Nun folgte diesem eine große, atemberaubend schöne Blondine mit freundlichen Gesichtsausdruck, die jedem Anwesenden zur Begrüßung zunickte und setzte sich neben den Eisgrauen.

Gwendal und Conrad tauschten vielsagende Blicke aus: Mutter, doch Bielefeld korrigierte ihre Gedanken mit einem trockenen: „Yonno!“

Ein weiteres Mal öffnete sich die Tür und ein Schwarzhaariger in dunkelblauer Uniform, dicht gefolgt von einem Braunhaarigen in hellblauer Uniform, schritten kurz hintereinander die Treppen mit versteinerter Mimik nach unten. Bielefeld seufzte: „Itsutsu und Muttsuno. Sie sind mit Vorsicht zu genießen. Sie sind Mittsus Kriegsstrategen!“

Erst als diese sich gesetzt hatten erkannte Conrad ein unheimliches Grinsen auf den Lippen des Eisgrauen, dessen Blick auf die Türe gerichtet war. Auch Yuuri wirkte plötzlich sehr angespannt.

Erneut knachzte die Türe und alle Blicke der Anwesenden im Saal wandten sich um.

„Wie ist das möglich!“, stöhnte plötzlich von Bielefeld und sprang auf.

Aber damit schien er nicht alleine zu sein. In diesem Saal sprang jeder mit erstauntem Gesichtsausdruck auf und starrte ungläubig zur Tür.

Überraschung!

„Deine Scherze waren schon einmal besser!“, Murata schien genervt.

„Aber wenn das Nanatsu ist“, Bielefeld wies auf Murata, „Wer ist dann das?“

Das Aufstöhnen und Gemurmel im Saal wurde immer lauter.

Mittsu grinste breit und zufrieden.

Nanatsu schritt langsam die Treppen seinen Geschwistern entgegen hinunter. An seinem Arm hatte sich Hachino eingehängt und diese strahlte über das ganze Gesicht. Das ihr niemand die gebührende Achtung schenkte, sondern alle nur ihren großen Bruder anstarrten, störte sie offensichtlich nicht.

Nachdem Nanatsu seine Schwester zu ihrem Platz begleitet hatte setzte er sich in den rotgepolsterten Sessel vor seine Majestät Yuuri.

„Ist das...seine Exzellenz?“, sprach nun Iossac als Erster diesen Gedanken aus.

„Ja, es scheint tatsächlich Wolfram zu sein!“, antwortete im Conrad.

„Was treiben die Zwei denn schon wieder?“, stöhnte Gwendal auf.

„Warum macht Lord von Bielefeld so was?“, seufzte Günter.

„Das ist euer Lord von Bielefeld?“, Ludwig von Bielefeld schien sehr verwirrt.

Unverkennbar ist er das! Ich sehe doch um einiges besser aus!

Murata verdrehte die Augen: „Läuft es wenigstens so wie du es dir gewünscht hast?“

Nein, es läuft genauso wie ich es gesehen habe!

„Was für ein Spiel spielt er jetzt wieder mit uns?“, brummte Adalbert ungehalten.

Mittsu spielt das Spielchen. Ich wechsle nur den Spielmacher aus.

Adalbert knurrte unzufrieden über diese Antwort, konnte dem aber nichts entgegnen, da nun ein braunhaariger, etwas zu klein geratener Herr nur wenige Plätze von ihnen entfernt aufgestanden war und aller Blicke auf sich zog.

„Ihre Göttlichkeit Mittsu! Was hat das zu bedeuten?“

„Baron von Bastille de Rouge, es freut mich, sie heute hier begrüßen zu dürfen!“, säuselte der Angesprochene und sein Grinsen schien sich noch eine Spur mehr in die Länge zu ziehen, „Natürlich werden wir heute alle ihre Fragen zur vollsten Zufriedenheit beantworten. Aber sind wir nicht in erster Linie alle zusammengekommen auf Einladung unseres Lord von Bielefeld?“

Die Köpfe drehten sich nun alle herum zu Ludwig von Bielefeld. Dieser erhob sich langsam: „Gewiss. Ich sprach diese Einladung aus aufgrund von Gerüchten, welche mir zu Ohren kamen, hochangesehener Mittsu, aber diese sind nun schlagartig alle revidiert, nach dem was wir hier nun miterleben dürften!“

Mittsu lachte laut auf und Bielefeld setzte sich.

„Das habe ich mir schon gedacht, auch wenn ich mich wundere, woher sie diese ominösen Gerüchte erfahren haben! Sie haben doch nicht etwa Spione in unseren Palast entsendet!“

Ludwig von Bielefeld sprang erneut erschrocken auf: „Das würde ich mich nie wagen, eure Heiligkeit! Mein ganzes Vertrauen und meine Loyalität ruht auf euren Schultern!“

„Sicher“, Mittsu nickte ihm zu und er setzte sich wieder.

Man spürte förmlich eine angespannte Stimmung zwischen den beiden Parteien.

„Dann werde ich ihnen jetzt meinen Bruder vorstellen“, er erhob sich und sein Arm fuhr weit ausschweifend in Nanatsus Richtung, „Darf ich vorstellen. Seine Göttlichkeit, Nanatsu, siebter Spross Gaarus und Nanimos, Herrscher über die östlichen Territorien Dark Makokus.“

Nanatsu erhob sich mit steinerner Miene, ließ seine Blicke durch den Saal schweifen und setzte sich schweigend wieder.

Wie eine Marionette.

„Wie wir alle wissen, kehrte uns Nanatsu vor vielen Jahren den Rücken. Es sind doch einige unschöne Dinge geschehen!“

Kann ich nur bestätigen.

„Doch er ist wieder zur Vernunft gekommen und nach Hause zurück gekehrt. Der Wunsch seinem Volke als guter Gott und Führer zu dienen war wohl stärker.“

„Aber stand nicht die Todesstrafe für seine Vergehen uns und vor allem unserer werten Schöpfer gegenüber an?“

Mittsu senkte den Blick: „Gewiss, Herzog von Rochefort, gewiss. Ich hatte auch schwer mit diesem Urteil aus der Vergangenheit zu kämpfen. Doch“, er zögerte, „ich kann mich nicht entsinnen, dass einer von ihnen“, sein Blick schnellte wieder hoch, „bei dieser Urteilsfällung schon zugegen war! Es war ein Urteil, welches ihre Urgroßeltern in eben diesen Hallen fällten und ich weigere mich daher, dieses zu vollstrecken!“

Ein Raunen ging durch die Menge.

Oh, du würdest, wenn du könntest, mir den Kopf mit einem Lächeln im Gesicht abschlagen, liebster Bruder!, zischte Shinous Stimme.

„Ich habe meinem Bruder seine Gräueltaten verziehen!“

Sicher.

„Und ich befehle euch, euch meinem Urteil zu beugen!“

„Nichts täten wir lieber als das, Hoheit! Aber was versprecht ihr euch davon? Zeigt dies dem Volk nicht Schwäche, wenn ihr eure eigenen Urteile nicht fällt?“

Mittsu wandte sich an den ihn Ansprechenden in der rechten Saalhälfte: „Warum so besorgt, Graf Freyen zu Leyenhaus? Wir werden dem Volke gar keine Möglichkeit geben, sich solchen Gedanken hinzugeben!“

Wieder wurde das Gemurmel lauter.

Mittsu wandte sich um und blickte Yuuri streng an: „Erhebe dich!“, zischte er und Yuuri sprang sogleich auf.

„Das ist Yurika Shibuya. Ein einfaches, unscheinbares, herkömmliches Mädchen vom Lande!“

„Wie kann er nur so unverfroren über unsere Majestät reden!“, schluchzte Günter leise auf.

„Und dieses Mädchen ist die Verlobte Nanatsus!“

Schlagartig herrschte Stille, ehe alle diese Stimmen sekündlich lauter wurden bis man sein eigenes Wort nicht mehr verstand.

Doch als Mittsu sich kurz räusperte, wurde es augenblicklich wieder still: „Wir werden ein großes Fest feiern. Die Verehelichung einer herkömmlichen Dämonin mit einem Gott soll ein Volksfeiertag werden! Wir wollen an diesem Tage die dunkle Vergangenheit begraben und vergessen. Und wir wollen auch den bisher minderen Gesellschaftsschichten, wie den Nachkommen der Mischblütler, die Möglichkeit geben, ein ehrenhaftes Leben zu führen!

Alle Dämonen des Volkes sollen gleichberechtigt sein unter unserer zukünftigen Herrschaft!“

„Was soll das bedeuten?“, flüsterte Lord von Bielefeld, „Er akzeptiert doch schon nicht die Existenz eines Mischbluts, wieso will er ihnen plötzlich Rechte einräumen?“

Es ist eine Falle!

Alle starrten nun wieder auf Murata. Was hatte Shinou mit Falle gemeint?

„Ich weiß, ich habe nun viel verkündet, was nun alle etwas beschäftigt. Daher möchte ich sie bitten, alles erst einmal auf sich Wirken zu lassen und nach einem über alle Maßen hervorragendem Mittagsbüffet stelle ich mich gerne all ihren Fragen!“

Mittsu erhob sich nun und schritt zügig aus dem Saal. Es dauerte noch eine Weile, bis die Ersten sich ebenfalls erhoben und mit lautem Gemurmel folgten.

Bielefeld blieb sitzen: „Eine Falle? Für wen?“

Für die, die er nie gekriegt hat und auch nie kriegen würde! Er war schon immer besessen davon es unseren Vätern Recht zu machen. Auch über deren Tod hinaus! Er würde niemals eines ihrer Gesetze abändern!

„Willst du damit sagen, er versucht sich Vertrauen zu erschleichen, nur um dann zu zuschlagen?“, Murata zog den Flakon wieder hervor. Er leuchtete intensiv weiß auf, als Shinou antwortete: Es wäre der finale Endschlag. Er lockt mit diesen falschen Versprechen die letzten Nachfahren der verbliebenen Mischblütler aus ihren Verstecken und vernichtet sie dann! Und er wird es so drehen, dass man nicht ihm diese Tat zuschieben kann, sondern Nanatsu. Also mir! Zwei Fliegen mit einer Klappe. Sein Problem mit der Angst vor dem Doppelschwarzen und sein Problem, dass ich ihm seinen Rang streitig machen könnte wären mit einem Schlag verschwunden. Er würde sogar noch tröstende Worte erfahren weil er mir ja in seiner Güte zuvor eine neue Chance gegeben hätte. Und ich befürchte dann auch, dass er in diesem Tumult dann auch den Grund findet, wieder nach den Geflohenen von damals zu suchen. Es würde auf einen Krieg mit Shin Makoku hinauslaufen!

„Das heißt also, er benutzt seine Exzellenz und den jungen Herrn, um dem Volk das Gefühl zu geben, sich nicht länger fürchten zu müssen?“, hakte Iossac nach.

„Und wenn sich dann die Mischblütler aus ihren Verstecken trauen tötet er diese!“, Adalbert sah mit finsterem Blick auf den Sessel, wo wenige Augenblicke zuvor noch der oberste der Götterdämonen gesessen hatte, „Ob die Beiden davon etwas ahnen?“

„Sicherlich nicht. Shibuya würde sonst diese Rolle nicht spielen. Ihnen wurde etwas anderes erzählt!“, flüsterte Murata nachdenklich.

„Wir müssen irgendwie an sie herankommen!“, Conrad beobachtete den stetig leerer werdenden Saal.

„Ich denke, das Büffet bietet bestimmt eine Möglichkeit, wenigstens an seine Majestät Yuuri heranzukommen!“, Günter erhob sich, „Aber ich bin mir nicht so sicher, ob es jetzt eine gute Idee wäre, ihn von unserem Verdacht zu unterrichten!“

„Iossac!“, Gwendal wandte sich dem königlichen Spion zu, „Schafft ihr das?“

Der muskulöse Orangehaarige grinste: „Natürlich!“ und verschwand in der hinaus strömenden Menge.

„Wieso schnappen wir uns die Beiden nicht einfach und machen die Fliege?“, Adalbert legte eine Hand auf den Griff seines Schwertes, um zu signalisieren, dass er jederzeit bereit war.

Wir hätten keine Chance gegen Mittsu. Er würde sie nicht entkommen lassen. Zumindest nicht lebend!

„Das passt gar nicht zu dir! Du bist doch sonst immer so siegessicher!“, murmelte der Doppelschwarze und betrachtete die Seelenperle bekümmert.

Wenn es nur um mich gehen würde, wäre es mir einerlei. Ich würde mich Mittsu stellen. Aber hier geht es um das Leben sehr vieler Dämonen! Und auch wenn es in der Vergangenheit nicht den Anschein gemacht hat...

„Wolfram ist euch wichtig!“, flüsterte Conrad und alle konnten das deutliche Flackern erkennen, was darauf folgte.
 

Ich saß immer noch etwas irritiert da.

So sah also eine Versammlung der 25 Adelshäuser von Dark Makoku aus.

Eigentlich war es nichts weiter gewesen, als die Zurschaustellung von Wolfram als Nanatsu und der Verkündung, dass er mich ehelichen wolle, oder wohl eher vielmehr solle.

Es hatte einige fragende Gesichter in der Menge gegeben, welche sich nun durch die Türe nach draußen presste um zum Büffet zu kommen. Ich blieb sitzen. Ich richtete mich da nach Wolfram. Ich hatte mit ihm keinen Augenblick mehr alleine und unbeobachtet verbringen können, seitdem wir aus seinen Gemächern im Wolkenpalast in Kumo abgeholt worden waren.

Ob er auch unsere Freunde in der Menge erkannt und gesehen hatte? Ich konnte es ihm nicht anmerken. Er saß ganz still da, seine Augen blickten leer auf die Tischplatte vor ihm.

Ich erhob mich und beugte mich von hinten über seine Schulter: „Du hast mir letzte Nacht gefehlt!“

Schwungvoll drehte er seinen Kopf in meine Richtung. Seine Wangen leicht gerötet und mit aufleuchtenden Augen. Wie sehr wünschte ich doch, sie wären grün!

„Er hält uns bewusst voneinander getrennt. Er ist vorsichtig!“

Yonno und Hachino wurden von zwei Mönchen abgeholt und erhoben sich. Doch Wolfram blieb weiterhin sitzen. Ich versuchte, die Dämonen um ums herum auszublenden, um mir wenigstens einen Augenblick Zweisamkeit mit ihm vorzustellen.

Doch er schien dafür gar nicht so richtig aufnahmebereit: „Hast du sie auch gesehen?“

„Ja“, antwortete ich wahrheitsgemäß.

„Ich fürchte, er auch!“

Ich zuckte zusammen. Konnte Mittsu ahnen, dass sich unsere Freunde auch hier befanden?

„Er hat eben so eine seltsame Bemerkung gemacht!“, flüsterte er.

„Wie?“

„Das ich noch nicht das Zepter hätte. Er hätte es aber mitgebracht. Und ich solle tun, was er sagt und auf keine dummen Gedanken kommen!“

„Wolf, bitte, lass uns verschwinden!“

„Es ist hier, Yuuri! Gib mir nur etwas Zeit und ich hole es uns!“

„Aber...“, ich konnte nicht weiter reden.

Einer der Mönche war nun zu uns getreten: „Ihre Hoheit Hachino wünscht ihren werten Bruder noch vor dem Essen alleine zu sprechen!“

Wolfram erhob sich. Ein müdes Lächeln umspielte seine Lippen: „Ich weiß, dass ich mich wiederhole, aber es tut mir leid. Ich muss!“

Er trat an mir vorbei und ging dem Herrn in der weißen Kutte nach.

In mir regte sich ein ganz flaues Gefühl.

Irgendetwas an dieser ganzen Situation passte mir ganz und gar nicht.

Wolfram schien bedrückt. Natürlich waren wir nicht in einer Position, hier fröhlich bei einander zu sitzen, aber so vertieft in Gedanken hatte ich ihn lang nicht mehr gesehen. Das letzte Mal war es so extrem... ich dachte nach...

In der Bibliothek von Shin Makoku! Einen Tag bevor der vom Begründer übernommene Shinou ihm die Kraft seines Herzens aus dem Körper riss!

Da hatte er gesagt, er würde schlecht schlafen. Aber er hatte doch in der Kutsche eigentlich ganz ruhig geschlafen.

In mir kroch Angst hoch. Es war doch alles in Ordnung mit ihm, oder?

Wieso hatte ich dann plötzlich das Gefühl, dass ich ihm noch etwas sehr wichtiges hätte sagen müssen?

Verdammt!

„Kann ich sie zum Essen begleiten?“, hörte ich hinter mir eine süßlich aufgesetzte Stimme und drehte mich herum. Ich erschrak. Wie konnte so etwas passieren? Unter all diesen Schönlingen, die diese Welt mir bisher vorgesetzt hatte und ich mit meinem Selbstwertgefühl dadurch in den tiefsten Keller gesaust war, tauchte in eben diesem Keller wieder Licht auf! Das Lächeln der jungen Frau vor mir ließ absolut schiefe Zähne erstrahlen. Das Make up war viel zu grell, der auf dem Kopf befindliche Turban reich geschmückt mit irgendwelchen Federn und das Kleid wirkte eher wie eine alte Gardine aus Großmutters Fundus!

Doch eine Tatsache ließ mich dann doch wieder knallhart in die Realität zurücksausen:

Muskulöse, starke Oberarme blitzen aus eben dieser Gardine hervor.

„Iossac!“, stöhnte ich glücklich auf.

„Ha!“, diese entstellte Erscheinung vor mir legte den Kopf schräg, „Dem jungen Herrn mache ich auch schon nichts mehr vor!“

Kapitel 16

KAPITEL 16
 


 

Iossac packte mich freundschaftlich an meiner Schulter und grinste breit. Dieser Lippenstift war zweifelsohne von einem so leuchtenden Rot, dass es in den Augen brannte.

Wie kam er nur immer auf seine Ideen für solche Verkleidungen?

„Ich bin froh, den jungen Herrn gesund und munter anzutreffen! Anscheinend seit ihr meinem Beispiel gefolgt. Ihr seht wirklich reizend aus!“, er betrachtete mein Kleid mit begeisterter Freude.

„Haha...ja, bin da so rein gerutscht!“

„Folgt mir doch bitte! Wir müssen euch ein wenig umgestalten!“, er zog mich an sich vorbei zu den ersten Treppenstufen.

Erneut spürte ich, dass ich beobachtet wurde und sah mich um, während ich neben Iossac her schritt.

Yonno und Hachino waren ebenso wie Wolfram und Mittsu bereits gegangen. Nur Itsutsu und Muttsuno standen dicht beieinander hinter ihren Sesseln. Und da spürte ich es ganz deutlich: ein unheimliches, bedrohliches Beobachten jeder meiner Schritte.

Itsutsus braune Augen durchbohrten mich mit eiskaltem Blick. Ahnte er etwas oder war es schlichtweg seine Antipathie dem normalen Volk gegenüber?

Ein Schauder durchlief mich. Dieses Zwillingspärchen war mir nicht geheuer und stand auf meiner Liste der zu meidenden Personen ganz weit oben direkt neben Mittsu!

Iossac schien dies nicht zu bemerken, oder es störte ihn nicht. Er schob mich zur Türe, an welcher das Gedränge deutlich nachgelassen hatte.

Im großen Foyer vor dem Saal waren sehr viele Tische aufgestellt, an denen die einzelnen Mitglieder der 25 Adelshäuser nun saßen und ihre Mahlzeiten zu sich nahmen.

Von Wolfram und den anderen Göttern fehlte aber jede Spur.

Ich spürte wieder, dass ich enttäuscht darüber war, das man Wolfram und mich so zu trennen versuchte.

Iossac dirigierte mich jedoch durch das Foyer hindurch. Wollte er nicht essen? Am gegenüberliegenden Ende kam er zum Stehen und blickte sich um: „Nun haben wir die neugierigen Blicke erst mal abgehängt. Doch solange ihr ausschaut wie die Zukünftige einer Gottheit werden wir nicht lange ungestört reden können“, er kratzte sich am Turban, „Wir sollten daher für kleine Mädchen gehen!“

„Ähm, was?“, doch mir blieb gar keine Möglichkeit, genauer nach zu haken, was mein königlicher Spion meinte, denn schon schubste er mich rückwärts durch eine Tür mit der Aufschrift 'Waschraum'.

Er schlüpfte hinterher und verschloss die Türe. Schnell zog er den Turban und die Gardine aus und entblößte darunter die weiße Gardeuniform, in der ich ihn schon zu Beginn der Veranstaltung gesehen hatte.

Blitzschnell entknotete er den weißen Turban und all die Federn, die diesen vorher schmückten, rieselten zu Boden.

„Was ist das?“, ich starrte erstaunt auf das, in was sich dieser Turban verwandelt hatte: eine weitere weiße Uniform!

„Nun machen wir aus euch erst einmal eine Leibwache!“

Ich verstand und öffnete das Kleid. Als ich es mir über die Schultern zog lachte Iossac auf: „Was habt ihr denn da gemacht?“, und er wies auf mein enganliegendes, aus der Dienstmädchenuniform herausgerissenes T-Shirt mit Brusteinsatz.

„Ich sagte doch, ich bin da so rein gerutscht. Ich musste improvisieren!“

„Das ist euch aber für einen Laien gut geglückt, junger Herr!“, lobte er mich, während er mir auch daraus half.

Schnell zog ich die Uniform an, während er aus seiner Gardine einen kleinen Beutel zog.

Grinsend warf er mir ein kleines Fläschchen zu: „Eure Augen!“, dann zog er die Haarnadeln aus meiner Perücke und rupfte sie mir hastig vom Kopf, „Da war aber ein Profi am Werk!“

„Hm, ja!“, ich öffnete das Fläschchen und angelte mir vorsichtig die Kontaktlinsen aus der Kochsalzlösung. Heute trug ich auch blau. Das erinnerte mich erneut an Wolfram. Wie es ihm wohl gerade ging?

Iossac legte meine rote Langhaarperücke zu seiner Gardine und zog ein braunes Kurzhaarmodell hervor. Für mich war es immer wieder erstaunlich, wie er es schaffte, diese ganzen Sachen mit sich zu tragen, ohne das es auffiel!

Während ich mir die neue Perücke aufsetzte, befeuchtete er einen Lappen am Waschbecken und wusch sich über das Gesicht. Der grässliche Lippenstift verschwand augenblicklich.

„Ihr solltet euch auch die Farbe entfernen“, meinte er schon fast spöttisch und nach einem kurzen Blick in den Spiegel befand ich, dass er Recht hatte. Ich hatte mich zwar stets sehr diskret geschminkt, einfach auch aus meiner Unerfahrenheit heraus, aber durch die weiße Uniform erstrahlte dieses Rouge auf meinen Wangen geradezu. Dankbar nahm ich das feuchte Tuch entgegen.

„Dann wären wir nun soweit, zu den anderen zu stoßen!“, der Orangehaarige stemmte grinsend die Hände in die Hüfte und betrachtete sein neustes Werk: Mich.

Von der Götterbraut Yurika keine Spur mehr! Er räumte unsere Sachen zusammen und wickelte sie fest in seine Gardine ein. Ich weiß nicht, mit welchem Trick ihm das gelang, aber mit nur wenigen Handgriffen sah die Gardine nicht mehr länger wie eine Gardine aus, sondern wie ein dezenter weißer, kleiner Marinerucksack, welchen er sich schnell über seine muskulöse Schulter warf.

Mit überprüfendem Blick nach draußen huschte er wieder ins Foyer und gab mir die Anweisung zu folgen!

Ich war nun einer aus dem Gefolge von Lord von Bielefeld. Niemand schien mich weiter zu beachten. Herrlich!

Iossac dicht folgend liefen wir wieder quer durch das Foyer. Und da konnte ich sie sehen.

Meine Freunde! Ich musste mich wahnsinnig zusammenreißen, nicht sofort los zu rennen und jedem Einzelnen um den Hals zu fallen. Aber ich konnte Günter ansehen, dass er dieses Gefühl ebenso mit aller Macht unterdrücken musste.

„Eure Majestät!“, schluchzte er aber dennoch leise, als ich neben ihm zum Stehen kam.

„Günter! Conrad! Gwendal! Adalbert! Murata! Ihr seid alle da! Was bin ich froh euch zu sehen!“, ich hätte heulen können!

„Und wir erst, eure Majestät!“

„Das heißt Yuuri, Conrad, Y-U-U-R-I!“

Er lachte und zog mich an meiner Schulter näher zu sich heran: „Oder wäre dir Yurika lieber?“

Ich lief rot an: „Conrad! Keine Witze! Das kannst du nicht!“

Alle lachten hell auf. Hatten mich soeben noch alle möglichen Sorgen ereilt, so fühlte ich mich nun wohl. Es fehlte nur noch einer: „Wolfram!“, flüsterte ich bedrückt.

„Könntet ihr uns vielleicht einmal genauer darüber in Kenntnis setzen, was vorgefallen ist?“, Gwendal schien meine Besorgnis um den blonden Feuerdämon zu teilen.

Ich seufzte: „Ich denke, es spricht nun nichts dagegen wenn ich nicht bis ins Detail gehe“, man nickte verstehend, „Wir kamen hier an, wir gingen nach Kumo und dort wurde Wolfram zunächst entführt. Auf der Suche nach ihm landete ich als Dienstmädchen getarnt im Palast und stieß wieder auf Wolf, der allerdings aussah wie Shinou, der allerdings hier Nanatsu heißt“, ich holte tief Luft, „der sich in diesem Moment auf Mittsus Wunsch hin dazu äußern sollte, ob er eine Braut aus dem Volk erwählen wolle und dann mich erkannte und mir dann diesen Antrag stellte. Nun sind wir hier. Er immer noch Nanatsu und ich Yurika. Ich kenne weder die Absichten der Götter hinter dem Ganzen, noch andere Details, nur...“, mein Blick schoss geradezu auf Muratas Brustkorb, „habe ich da ein wirklich ernstes Wörtchen mit jemanden zu reden!“

Murata hob beide Hände: „He he...halt mich da bitte raus!“

„Wenn ich mitkriege, dass du irgendetwas weißt, Murata, dann sei dir sicher, dass dieses ernste Wörtchen auch dich betreffen wird!“

„Warum spielt der Bengel überhaupt seine Rolle?“, hakte Adalbert nun nach.

„Wegen dem Zepter. Mittsu hat es und Wolfram will es, obwohl ich ihm gesagt habe, dass wir es nicht mehr bräuchten!“

„Nicht?“, Günters Augen weiteten sich erstaunt.

„Ja, der Fluch ist weg seitdem ich Wolfs Antrag... und er mich...... also...ich meine...ihr wisst schon!“, wie rot kann ein Mensch eigentlich werden?

Conrad lächelte verstehend, während die Anderen eher nicht verstehend zu mir starrten.

„Funktioniert wenigstens das wieder zwischen euch!“, Murata grinste und rückte seine Brille zurecht.

Von Bielefeld, der Herr, den ich nicht kannte, aber meinen Freunden wohl sehr geholfen hatte, stand etwas abseits und starrte mich fasziniert an.

Als sich mein Blick auf ihn richtete, verbeugte er sich knapp, aber nicht zu auffällig: „Ich würde mich geehrt fühlen, ihrer Majestät Yuuri weiterhin behilflich sein zu dürfen!“

„Sie sollten gehen“, war meine knappe Antwort.

„Wie?“, erschrocken hob er den Kopf.

„Ich belauschte ein Gespräch von Mittsu und einem seiner Männer. Er hat Lady von Hundshaupten verschwinden lassen weil sie uns half und zu viel wusste. Er wird auch so mit ihnen verfahren!“

„Er würde es doch nicht wagen, in diesen heiligen Hallen...“

„Er würde! Und solange ich selbst noch nichts genaues weiß und Wolfram noch zu tief drin steckt, bin ich nicht in der Lage alle zu beschützen! Daher bitte ich sie... reisen sie sofort ab!“

Er verbeugte sich tiefer: „Vermutlich habt ihr Recht! Ich kann nun nicht mehr viel für euch tun und möchte euch mit meiner Anwesenheit auch nicht unnötig Sorge bereiten. Ich erwarte sie alle dann wieder in Adria, nicht wahr? Ihr Schiff wird umgehend wieder Hochseetauglich sein!“

„Natürlich werden wir uns wiedersehen!“, konnte ich das wirklich sagen?

Er verbeugte sich erneut und wandte sich um zum Gehen. Mein Augenmerk richtete sich nun wieder voll und Ganz auf Murata: „Und nun zu dir, Shinou. Ich höre!“

„Vielleicht sollten wir das an einem ruhigeren und privateren Ort besprechen?“, warf Günter ein. Er hatte Recht. Um uns herum waren einfach zu viele Mithörer.

„Kommt mit!“, Adalbert wies auf einen Seitenausgang und wir folgten ihm.

Wir befanden uns plötzlich in einer kleineren Parkanlage inmitten des Innenhofes. Meterhohe, uralte Eichen spendeten Schatten in der doch recht heißen und unangenehmen Mittagssonne, welche uns durch ihr grelles Licht nach dem Heraustreten aus dem Klostergemäuer geblendet hatte. Relativ zentral lag ein kleiner Springbrunnen, an dem wir uns setzten.

Unser aller Augen waren nun auf Murata gerichtet. Dieser stöhnte schließlich auf und zog den kleinen Flakon unter seiner Mönchsrobe hervor: „Nun musst du dich ihren Fragen stellen.“

„Vor allen Dingen möchte ich wissen, was sein Auftritt letzte Nacht in der Kutsche sollte!“, meine Stimme hörte sich bedrohlicher an als beabsichtigt.

„Auftritt?“, Gwendal schien überrascht.

„Er ist gestern in Wolfram gefahren und hat verkündet, gegen Mittsu anzutreten“, war meine direkte Antwort und ich spürte allgemeine Anspannung.

Schon gut, schon gut! Ich sehe ja ein, dass es jetzt an der Zeit ist!

„Nicht nur erst jetzt!“, raunte Adalbert, der sich einige Meter von uns entfernt an einen Baum gelehnt gesetzt hatte.

Murata, welcher auf dem Brunnenrand Platz gefunden hatte, stellte den Flakon vor sich auf die Wiese und die Seelenperle leuchte plötzlich sehr grell auf....
 

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„Bruder!“

Eine liebliche, zarte Stimme hallte von den Wänden wieder und ich drehte mich herum.

„Oh, Bruder!“

Es umschlang meine Beine und ließ mich mit dem Gleichgewicht kämpfen. Dennoch musste ich lächeln, da ich wusste, was mich da so stürmisch umarmt hatte. Ich blickte nach unten und sah in zwei große, smaragdgrüne Augen.

„Du hast mir so gefehlt, großer Bruder! Wo warst du nur so lange?“

Ich lachte auf, bückte mich und umschloss ihre zierliche Taille mit meinen großen Händen. Schwungvoll warf ich sie nach oben und fing sie wieder auf. Sie jauchzte vor Vergnügen.

„Du hast mir auch gefehlt, meine kleine Hachino!“

Ich setzte sie auf meinen linken Unterarm und sie umschlang meinen Hals. Im kindlichen Übermut drückte sie mir einen Kuss auf die Wange: „Warst du mir auch treu?“, säuselte sie mir ins Ohr.

„Aber natürlich! Du weißt doch, für mich gibt es nur dich allein!“, ich zwinkerte ihr zu und ihr strahlendes Gesicht schien den ganzen Palast zu erleuchten.

„Das wir dich doch noch in diesem Jahrhundert sehen!“

Hinter mir kamen schwerere Schritte zum Stehen und durch das Weichen von Hachinos strahlendem Gesicht, wusste ich, dass mich nun keine freundliche Begrüßung erwarten würde. Ich drehte mich herum. Hachinos Griff wurde fester.

„Berichte mir, wie war es im Osten?“

„Ich war nur kurz im Osten, werter heiliger Vater Gaaru. Ich verbrachte den Großteil meiner Zeit in der Akademie beim Training!“

Der Mann scheinbar mittleren Alters hob mit skeptischer Mimik eine Augenbraue, ehe er sich eine Strähne seines hüftlangen, hellgrauen Haares nach hinten strich: „Denkst du nicht, dass du nach fast einem Jahrtausend des Trainings eine längere Zeit pausieren solltest und dich nicht lieber den Amtsgeschäften widmen solltest?“

„Aber Vater! Wäre dies nicht vermessen Mittsu gegenüber? Ihm liegen diese politischen Angelegenheiten viel mehr als mir. Ich würde ihm nur Kummer bereiten wenn ich mich da mehr einbrächte!“

„Dann widme dich mehr der strategischen Kriegsführung!“, warf er ein.

„Fällt dies nicht Itsutsu und Muttsuno zu?“, ich grinste, während mein Vater die Augen rollte, „Ich bin nun mal nicht zum Strategen und zum Politiker gemacht! Liebster Vater, ich möchte euch wirklich nicht enttäuschen. Daher erfreut euch doch an meinem Talent im Umgang mit der Magie und dem Schwert!“

Gaaru, der seine Augenfarbe seinem siebten Spross weitergegeben hatte, legte seinen Kopf nachdenklich zur Seite: „Es wäre dennoch von Nutzen gewesen, wenn du hier gewesen wärst, als es wieder so weit war!“

Meine freudige Stimmung verflog sogleich. Mir schwante Übles.

„Was ist geschehen, Vater?“

Er erkannte meinen besorgten Unterton.

„Es ist Yonno!“, flüsterte Hachino auf meinem Arm und mein Kopf fuhr erschrocken zu ihr herum: „Was ist mit ihr?“

„Ihre Visionen haben vermehrt zugenommen! Und ich werde nun eingreifen müssen!“, auch Vater schien wenig erfreut darüber.

„Was meint ihr?“

„Ich meine, das Nanimo es zu weit getrieben hat in den letzten Jahrhunderten. Wenn nun auch deine Schwester darunter leiden muss, werde ich eingreifen müssen!“

Ich seufzte innerlich. Wenn mein Vater Gaaru sich etwas vorgenommen hatte, war mit ihm nicht zu spaßen gewesen. Das wusste auch mein anderer Elternteil, mein Vater Nanimo.

Während Gaaru stets der Ruhigere und Besonnenere war, war Nanimo leb- und triebhaft. Mein ältester Bruder Hitotsu sagte einmal treffend: 'Er nimmt sich was er kriegen kann'!

Es war schon seit einigen Jahrhunderten zum Problem geworden, dass die amourösen Abenteuer meines Vaters Nanimo Früchte trugen. Bisher hatte es mein Vater Gaaru missbilligend und stillschweigend erduldet mit einem Schwerenöter liiert zu sein, doch aus für uns noch unerklärlichem Grunde mehrten sich die letzten Jahrzehnte die schmerzhaften Visionen meiner Schwester Yonno. Yonno besaß die Gabe der Weitsicht. Die besaß nur sie allein. Niemand im ganzen Reich konnte so treffsicher in die Zukunft blicken.

Ich setzte Hachino ab. Ich war mir nicht sicher, ob sie mit ihren erst 500 Jahren alles wissen sollte, was hinter den Türen unserer Eltern vor sich ging.

„Kann ich zu ihr?“

Mein Vater nickte.
 

Ich betrat die Gemächer meiner Schwester Yonno. Es roch nach Sandelholz und Minze.

Es waren alle Räumlichkeiten abgedunkelt worden. Vor ihrer Schlafzimmertüre stand ein Soldat an der Wand gelehnt. Ich trat näher heran und erschrak:

„Was machst du hier?“

Der Soldat hob den Kopf und seine Augen strahlten auf: „Nana, Liebster!“

Er fiel mir um den Hals und ich konnte nicht umhin, ihn ebenfalls fest an mich zu drücken:

„Rufus! Sag mir nicht, du hast dich hier her versetzen lassen!“

Dieser Soldat war niemand anderes als Rufus Graf von Bielefeld, Sohn des Großherzogs. Und nur mir war hier im Palast bekannt, dass es sich bei diesem hoch dekoriertem Soldaten eigentlich um eine zierliche, wunderschöne, junge Frau handelte.

„Natürlich! Wie sonst kann ich dir so nah sein? Du weißt, dass ich ohne dich nicht sein kann!“, ihr Blick schweifte traurig ab.

Mir huschte ein Lächeln über die Lippen. Ich strich ihr zärtlich über die leicht errötete Wange: „Jetzt zwingst du mich aber dazu, den Palast nie wieder zu verlassen!“

„Wie?“

„Ich kann doch die Frau, die mir das Wichtigste ist, nicht hier allein unter Göttern lassen!“, ich beugte mich zu ihr herunter und küsste sie leidenschaftlich.

Ich hatte in den 1500 Jahren meiner Existenz noch nie so empfunden. Ich war immer der Gott. Man fürchtete mich, bevor man mich überhaupt kennenlernte und man mied mich aus Angst. Rufus war da von Anfang an anders gewesen. Ich lernte sie an der Akademie kennen, als ich dort als Fechtmeister getarnt den Kadetten Unterricht erteilte. Der mit Abstand begabteste Fechter war Rufus gewesen und wir freundeten uns schnell an. Bei unseren vielen gemeinsamen Ausflügen erkannte ich jedoch schnell, dass da mehr war. Er war mehr als nur mein bester Freund. Ich beschloss ihm die Wahrheit zu sagen über meine wahre Existenz. Doch anstatt mir böse zu sein, dass ich nicht ehrlich war, weihte auch er mich in sein Geheimnis ein: er war eine Frau. Gerade mir, einem Gott, diese Wahrheit zu beichten, bezeugte mir große Zuneigung und so muss ich gestehen, fand eins zum Anderen.

Ich liebte Rufus. Und dennoch stand unsere Liebe unter keinem guten Stern. Sie musste ihrem Clan zu Liebe weiterhin die Rolle des künftigen Großherzogs ausfüllen und ich war nun mal an den Palast gebunden. Erst vor wenigen Jahren hatte schließlich mein Vater Gaaru die Verbindungen zwischen Göttern und Andersartigen unter Todesstrafe verboten, wobei die Todesstrafe natürlich nur an den jeweiligen Andersartigen vollzogen wurde.

Aus Sorge um Rufus waren wir daher zu einer geheimen Liebe verdammt.

Ich löste meine Lippen schon fast schmerzlich von den ihren. Wie gerne würde ich einfach alles hinter mir lassen, sie mir schnappen und einfach in eine Welt flüchten, wo es egal war, welchen Stand wir hatten.

„Nana? Bist du das?“, unterbrach mich Yonnos Stimme aus meinen Wunschträumen und Rufus und ich lösten schnell unsere innige Umarmung.

„Ja, liebste Schwester! Darf ich eintreten?“

„Aber natürlich! Du darfst mich immer stören!“

Ich strich Rufus nochmals über die Wange und betrat dann das Zimmer meiner Schwester.

Es war dunkel. Das Bett war unangetastet. Yonno saß mit dem Rücken zu mir auf einem Stuhl am Fenster und obwohl sie durch die zugezogenen Vorhänge nicht hätte hinaussehen können, haftete ihr Blick daran.

„Yonno“, flüsterte ich und ging einmal um sie herum. Ihre Arme waren an die Stuhllehnen gefesselt und ihre Gelenke schon blutig aufgescheuert. Die Wunden waren blutverkrustet und eitrig. In mir stieg Ekel auf. Ihre langen blonden Haare fielen ihr fahl ins Gesicht. Um ihre Augen war ein tiefschwarzer Schatten.

„Yonno!“, stöhnte ich auf und wollte ihre Fesseln lösen.

„Nein, tu es nicht!“, rief sie entsetzt und ihre leblosen Augen durchbohrten mich.

„Aber warum...warum...?“

„Vater hat Recht mich so unter Gewahrsam zu nehmen. Es dient nur zum Schutz!“

„Zum Schutz?“

„Zum Schutz vor mir selber!“, ein sehr müdes Lächeln zierte ihre sonst so vollen Lippen.

„Ich versteh nicht!“

„Ich habe keinen Sinn mehr gesehen!“, flüsterte sie nur leise zur Antwort.

Hatte sie versucht sich das Leben zu nehmen? Wir Götter konnten nicht ohne weiteres sterben.

„Was hat dich dazu getrieben?“, ich kniete mich vor ihr nieder und ich sah, dass sich in ihren Augen die Tränen sammelten.

„Nana, ich habe etwas schreckliches getan! Bitte bitte verzeih mir!“

Ich schluckte. Was war hier während meiner Abwesenheit vorgefallen? Vater hatte nicht so gewirkt, als wäre es wirklich so erst, wie es jetzt den Anschein machte!

Sie schluchzte. Meine Hand ruhte nun auf ihrem Knie: „Yonno, bitte sage mir, was geschehen ist. Ich werde nicht böse sein. Du bist meine geliebte Schwester!“

Sie schien nach Fassung zu suchen. Dann richtete sich ihr Blick auf die geschlossene Zimmertür: „Du liebst sie, nicht wahr?“

Ich zuckte zusammen. Woher wusste sie...?

„Ach, Nana, du bist mein kleiner Bruder. Meine Sorge um dich lässt mich wissen was dich beschäftigt!“

Ich schmunzelte. Natürlich. Sie hatte es gesehen. Und ich wusste auch, dass ich mich nicht davor zu fürchten brauchte, ihr die Wahrheit zu sagen. Yonno hatte mein vollstes Vertrauen!

„Ich habe sie bei der Vorstellung hier im Palast unter meine Fittiche genommen, weil es sich sonst nicht mehr lange verheimlichen lässt, liebster Bruder!“, sie lächelte mich an.

Irgendwie erinnerte sie mich an die Mutter, die wir aufgrund der Umstände nicht hatten. Sie hatte mich schon als kleinen Jungen stets liebevoll bemuttert und war mir nie von der Seite gewichen.

„Was meinst du?“

„Du wirst Vater. Spürst du denn das neue Leben in ihr nicht?“

Mich durchfuhr es wie ein Blitzschlag. Rufus war schwanger? Wie konnte das passieren? Oh! Mir war schon bewusst, wie so was geschehen konnte, aber das es mir passieren konnte!

Yonno erkannte mein überraschtes Gesicht und kicherte leise: „Genieße diese Freude in dir! Uns bliebe sie ansonsten verwehrt, wenn du dich nicht dagegen auflehnen würdest!“

Stimmt. Das Verbot! Würde Vater hier von erfahren, wären Rufus des Todes! In mir zog sich alles zusammen. Die Freude, die mich gerade noch durchflutet hatte wandelte sich in nackte Angst! Yonno hatte Recht! Um Rufus und mein Kind zu schützen musste ich gegen Vater rebellieren!

„Nicht nur sie solltest du schützen!“, flüsterte meine Schwester erneut, „auch deine Brüder und Schwestern!“

„Was ist mit ihnen?“, ich wusste gleich, dass Yonno nicht unsere Geschwister hier in den heiligen Wänden meinte, sondern eben diese Früchte der Untreue meines Vaters Nanimos.

„Ich hatte eine Vision!“, Yonno schluchzte wieder auf, „und Vater hat nun gesprochen!“

„Was für eine Vision?“

Sie schloss ihre müden Augen, atmete tief ein und aus. Es sah aus, als würde sie konzentriert etwas suchen. Eine Information, die tief in ihr vergraben schien.

Plötzlich strahlte ihr ganzer Körper golden auf und ich fiel vor Schreck aus meiner knienden Position auf meinen Hintern.

„Eine neue Zeit wird hereinbrechen!“, Yonnos Stimme klang untypisch tief und grollend. Es war nicht länger sie, die da sprach, sondern ihre Gabe: „Ein Knabe, geboren aus sterblich göttlichem Blut, gesegnet mit reiner Seele und mutigem Herz, gezeichnet mit schwarzem Haar und schwarzem Glanz der Augen, wird der göttlichen Ära durch blutigem Kampf ein Ende setzen!“ Mich fröstelte es. Der goldene Glanz verblasste langsam. Ihr Kinn sank erschöpft auf die Brust. Ihr Atem ging schwer.

Ich rappelte mich wieder auf und legte tröstend meine Arme um ihre Schulter.

„Binde mich bitte los. Und keine Angst, ich werde mir nichts tun. Ich will dich nur umarmen können, mein kleiner Nana!“

Ich zog mein Schwert aus der Scheide und befreite die Handgelenke meiner Schwester mit zwei schnellen Streichen.

Ihre Arme fielen an ihrem Körper entlang herunter. Es steckte keine Kraft mehr in ihnen. Dennoch erhob sie sich nun aus ihrem Stuhl und fiel gegen meine Brust. Mit meiner Hand unter ihrem Kinn stützend hob ich ihr Gesicht an.

Sie war in Tränen aufgelöst: „Er will sie alle töten! Hitotsu und Futatsu befinden sich bereits auf der Jagd nach jedem Einzelnen von ihnen. Da sie nicht wissen, wann dieser Knabe geboren wird oder bereits schon existiert, töten sie alle! Nana, sie töten alle!“

Ihre Arme umschlangen mich und sie weinte hemmungslos auf.

„Kleine Kinder, junge und alte Menschen! Viele wissen nicht einmal um ihre Herkunft! Auch...“, sie richtete ihren Blick wieder zur Türe, „auch schwangere Frauen werden hingerichtet und ihnen die Kinder aus dem Leibe geschnitten!“

Mir wurde schlecht. Rufus! Mein Kind!

Ihre von Tränenbächen untermalten roten Augen richteten sich wieder auf mich: „Mittsu bricht heute Abend zur Jagd nach Nordosten auf. In dein Gebiet. Dort sollen sich noch viele versteckt halten. Itsutsu und Muttsuno haben bereits in Kumo gemetzelt! Ich kann die Schreie des Volkes immer noch hören!“

Ich führte sie zu ihrem Bett. Ihr Körper zitterte. Ich war nur einige Wochen durch das Land geritten und hatte nach dem Rechten gesehen. Ich liebte das Volk. Ich hatte mir nie ein Leben hinter diesen Palastmauern vorstellen können. Yonno ging es da ähnlich. Doch ihr als Frau wurde von unseren Vätern stets verwehrt, die sicheren Mauern zu verlassen. Sie hatte noch nie die Berge oder die See gesehen außer in ihren Visionen! Und nun sah sie, wie man diese Menschen abschlachtete. Mir war so schlecht.

„Yonno... was...was soll ich tun?“

Sie atmete erneut tief ein und richtete dann einen für mich fest entschlossenen Blick auf mich: „Nana, rette so viele du kannst und lauf. Vergiss uns. Du hast Rufus. Du hast bald einen wundervollen Sohn, der dich braucht! Bring sie und so viele es geht in Sicherheit!“

„Aber wie soll das gehen?“, ich setzte mich zu ihr auf die Bettkante und legte mein Gesicht in meine Hände.

Ich spürte neben mir eine plötzliche Wärme und blickte wieder auf. Ihr Körper strahlte wieder golden und die dunkle Stimme zog meine ganze Aufmerksamkeit auf sich:

„Bielefeld, Voltaire, Wincott, Spitzweg, Grantz, Karbelnikoff, Kleist, Rochefort, Gyllenhaal, Radford“

„Das sind die Namen meiner Kameraden aus meinem Territorium!“, flüsterte ich nachdenklich, doch Yonnos Vision fuhr unbeirrt fort.

„Ein freies Land. Das siebenschneidige Schwert. Der Doppelschwarze!“

Yonno sank neben mir wieder in sich zusammen, doch dann richtete sie ihre Augen genau auf mich und ich erkannte, das es nicht länger ihre strahlend grünen Augen waren, sondern von unheimlichen gold-schwarz: „Tut mir leid, kleiner Bruder, jetzt tut es weh!“

Was?

Ihre Hand legte sich auf meine Stirn. Und dann hörte ich nur noch einen Schrei.

Das war mein eigener, markerschütternder Schrei.

Die Schlafzimmertüre wurde aufgerissen und Rufus stürmte mit gezogenem Schwert herein, doch blieb stehen, als sie keine Gefahr erkannte, sondern nur sah wie mein Körper erschöpft von der Bettkante auf den Boden rutschte.

In mir brannte alles. Was war das?

Ich versuchte mich aufzurappeln, doch es gelang mir nicht. Rufus versuchte mir aufzuhelfen, doch ich verwehrte ihr ihre Hilfe.

„Du solltest in deinem Zustand nicht schwer heben!“, flüsterte ich mit einem Lächeln, welches mir trotz der mich noch durchziehenden Schmerzen nicht wirklich schwer fiel.

Rufus schien nun endgültig verwirrt.

„Sie weiß es. Und ich weiß, dass ich dich wirklich liebe und brauche und ...ach, tut das weh“, ich zog mich am Bettpfosten hoch, „und ich bei allen mir zur Verfügung stehenden Mächten nicht zulassen werde, dass du noch unser Sohn für meine Gefühle für dich leiden müssen!“

Sie legte schnell eine Hand auf ihren Unterbauch und lächelte: „Also habe ich doch richtig vermutet!“

Yonno neben mir nickte lächelnd: „Ja, meine liebe Rufus!“

Meine Schwester erhob sich. Sie schien plötzlich all ihre Energie wiedergefunden zu haben!

Sie schritt auf meine Verlobte zu und streichelte ihr über das Haar: „Pass gut auf meinen kleinen Bruder auf und auch auf meinen kleinen Neffen, ja?“

In Rufus Augen spiegelten sich Tränen: „Aber ,Yonno-sama, das klingt so nach Abschied!“

„Yonno, was ist mit mir geschehen?“, fragte ich und ich spürte, wie auch meine Kräfte wiederkehrten. Irgendwie hatte ich sogar das Gefühl, dass diese wesentlich stärker waren als zuvor.

„Ich habe dir all meine Kraft gegeben“, sie drehte sich lächelnd zu mir herum, „Du wirst zwar nun keine Visionen haben so wie ich sie hatte, doch die Eingebungen, die du haben wirst, werden dir stets den richtigen Weg deuten. Du wirst diese Gabe viel eher brauchen als ich. Hier würde sie für die falschen Zwecke missbraucht!“

Sie schritt nun an Rufus vorüber zur Zimmertür: „Rufus, kehre zum Hauptsitz deiner Familie zurück und erwarte dort meinen Bruder. Meide jeden Kontakt mit den Göttern. Sie können es spüren!“, ihr Blick richtete sich auf Rufus Bauch.

Sie öffnete die Tür und wies Rufus an, zu gehen. Ich hielt sie kurz am Arm fest, drehte sie zu mir herum und küsste sie. Als sich unsere Lippen voneinander lösten, strich ich ihr sanft über ihre honigblonden Haare: „Ich werde ganz bald bei dir sein!“

Sie nickte und eilte hinaus.

Nun blickte Yonno wieder zu mir: „Du siehst ihn, nicht wahr?“

„Ja!“

„Du weißt, was du jetzt zu tun hast?“

„Ja!“

„Nana, wir werden uns wiedersehen! Ich bin in Gedanken immer bei dir!“

Ich rannte an ihr vorbei auch aus dem Zimmer. Ich wollte nicht zurückblicken. Denn ich hatte mit meiner neuen Gabe kein Wiedersehen mehr gesehen. Mein Herz schmerzte. Sie war meine Schwester, mein bester Freund, meine Mutter. 1500 Jahre lang waren sie und meine kleine Hachino die wichtigsten Menschen in meinem Leben gewesen. Und ich würde sie sicherlich nie wiedersehen.

„Leb wohl, Schwester!“
 

„Ich hätte nicht gedacht, dass du dich unserer kleinen Jagd so widerspruchslos anschließt!“, Mittsu lachte neben mir auf, „Hier sollen sich noch eine Menge von diesen Bastarden versteckt halten! Als Vater mir verkündete, du wolltest dich uns anschließen bei unserer Säuberung hielt ich es zunächst für einen Scherz! Aber da du sogar das siebenschneidige Schwert mitnimmst, scheint es dir wirklich ernst zu sein!“

Ich hatte die ganze Zeit geschwiegen. Wir waren die ganze Nacht durchgeritten und befanden uns nun im nördlichsten Teil meines Territoriums. Hier gab es einige Dörfer um das legendäre Kloster Ishiyosai. Meine schwarze Stute zeigte zwar noch keine Ermüdungserscheinungen, doch ich zog die Zügel zum Halt. Meine Brüder Itsutsu und Muttsuno hinter uns hielten ebenfalls.

„Was ist, Nanatsu?“, raunte mir der Jüngere der Zwillinge, Muttsuno, zu.

„Wir sollten uns nun verteilen, damit niemand entwichen kann!“, antwortete ich emotionslos. Ich hasste allein die Vorstellung daran, was meine Brüder gedachten hier zu tun. Aber ich musste mitspielen. Denn nur so konnte ich sie retten. Ich wusste, wo sie sich in ihrer Angst vor dieser sogenannten Säuberung versteckt hielten. Und nun lag es an mir, meine Brüder von ihnen wegzulocken und sie in Sicherheit zu bringen!

„In dir steckt ja doch ein Stratege!“, kicherte Itsutsu. Ich mochte dieses Kichern nicht. Ich mochte diese ganze überhebliche Art nicht, mit welcher meine Brüder hier agierten! Niemand, nicht einmal ein Gott, hatte ein Anrecht so über andere zu richten wie diese Drei es vor hatten. Ich konnte Hitotsu und Futatsu nicht daran hindern im Süden des Landes zu wüten, aber ich würde hier die Opferzahl in Grenzen halten, solang ich noch in der Lage war ein Schwert zu halten!

„Nun, es ist dein Territorium.Wo sollen wir unser Glück versuchen, werter Bruder?“, Mittsu

starrte mich eingehend an. Ich hoffte, dass all meine Tauben, die ich kurz vor der Abreise entsendet hatte, meine Freunde erreicht hatten.

Ich hatte ihnen, den zehn Oberhäuptern der hier ansässigen Adelsfamilien und derer Territorien die unter meiner Aufsicht standen, geschrieben, was anstand und was meine Pläne waren. Ich hatte ihnen freigestellt, sich mit mir zu verbünden oder es zu lassen. Ich würde beide Entscheidungen akzeptieren. Im direkten Kampf gegen meine Väter würden wir keine Chance haben. Wir würden flüchten müssen. Der Plan war, über das weite Meer in ein entferntes Land zu reisen und dort neu anzufangen. Ohne Götter und deren Launen. Ohne Angst. In Freiheit. Ein Reich, dass für jeden offen stand und eine Zuflucht für alle werden sollte, die Zuflucht suchten.

„Ich werde in diese Richtung reiten und jagen“, ich spuckte das Wort schon fast angewidert heraus, „und ihr verteilt euch auf die anderen drei Himmelsrichtungen!“, schlug ich vor.

Mittsu nickte: „Und heute Abend treffen wir uns wieder hier und berichten von unseren Erfolgen!“

„Natürlich!“, antwortete ich.

„Mal sehen, wer von uns die meisten Köpfe mitbringt!“,lachte Itsutsu und gab seinem Pferd die Sporen und ritt Richtung Westen. Muttsuno entschied sich für den Süden und empfahl sich. Mittsu schüttelte lachend den Kopf: „Als ob sie gegen uns eine Chance hätten, nicht wahr, Nanatsu?“

„Sicherlich nicht, Bruder!“

Er wendete sein Pferd und ritt Richtung Osten. Als er nicht mehr zu sehen war atmete ich erleichtert aus.

Nun ging es los. Ab jetzt war ich kein Gott mehr. Ab jetzt war ich Feldherr. Feldherr im Kampf gegen einen übermächtigen Gegner.

Meine schwarze Stute wieherte auf und im schnellen Galopp näherte ich mich dem nördlichsten Ende meines Territoriums.
 

Es war bereits früher Nachmittag, als ich den Wald verließ und einen kleineren Hügel erblickte. Auf diesem Hügel stand eine riesige Eiche und darunter graste ein Pferd.

Wenn mich meine Eingebung nicht täuschte, war ich hier richtig. Ich trieb mein Pferd im leichten Gang auf den Baum zu an. Schließlich erkannte ich eine Gestalt, welche in ein Buch vertieft auf einer der Wurzeln, die aus dem Erdreich rankten, saß und las.

Mir stockte der Atem. Ich hatte noch nie jemanden so aus der Nähe gesehen. Um diese Gestalten rankten sich zu viele Legenden und Sagen und keine hatte je ein gutes Wort über sie gefunden. Ich merkte, wie sich der Himmel dunkel über unseren Köpfen verzog. Ob ein Gewitter kommen würde?

Der Mann auf der Baumwurzel blickte ebenfalls auf und betrachtete besorgt die dunkler werdende Wolkendecke: „Wird dieses Land schließlich auch von der Dunkelheit verschlungen werden?“, seufzte er und da richtet sich sein Blick auf mich.

Ich merke deutlich, dass er ahnte, wer ich war und mit welcher eigentlichen Aufgabe ich betraut worden war, doch ich erkannte weder Furcht noch Entsetzen in seinen tiefschwarzen Augen.

„Obwohl uns der Untergang bevorsteht bleibt ihr gelassen!“, ich zog an den Zügeln und mein Pferd blieb nur wenige Schritte vor ihm stehen. Ich war absolut fasziniert von diesem Mann vor mir: „Oh! Ihr habt also tatsächlich schwarzes Haar und schwarze Augen!“

Ich musste ausgesehen haben wie ein kleines Kind, welches was Neues entdeckt hatte.

„Eure Neugier ist beneidenswert. Doch euch mit mir einzulassen wird euch nicht zu Gute kommen. Immerhin bin ich ein gemiedener Doppelschwarzer!“

Ja, er war es, den mir Yonno mit ihren Visionen gezeigt hatte. Er war es, den ich dann in meinen Visionen gesehen hatte. Der Wind strich sanft über seine langen, schwarzen Haare und sie schimmerten und glänzten wundervoll im Sonnenlicht.

„Das sehe ich anders. Es ist ein schönes Schwarz!“

Er blickte zur Seite. Hatte er eher damit gerechnet, dass ich mein Schwert zog und ihn niederstach, so wie es meine Väter und Brüder wünschten?

Ich stieg vom Pferd und näherte mich ihm. Ich merkte, wie mein Herz klopfte. Vor mir saß ein Doppelschwarzer! Ein Mischblut. Gezeugt von meinem Vater mit einem sterblichen Dämonen. Somit mein Bruder! Wie könnte ich meinem Bruder ein Leid zufügen? Zumal er so etwas Besonderes war. So etwas Schönes!

„Außerdem bin ich hier um euch zu holen! Ich will euer außergewöhnliches Wissen und eure Weisheit nutzen!“

Er wandte mir wieder sein Gesicht zu: „Wozu?“

Fragte er sich nicht, woher ich das alles wusste, oder dachte er, wir Götter seien allwissend. Obwohl, wenn ich allwissend wäre, dann würde ich ihn ja nicht brauchen!

„Um die Schöpfergötter und ihre Armee zu vernichten!“

„Die Schöpfergötter? Ihr glaubt, das ihr es mit ihren enormen Kräften aufnehmen könnt?“

Er schien erstaunt, ließ es sich aber nicht anmerken.

Ich ging noch einen Schritt näher auf ihn zu: „Mit eurer Unterstützung schon. Vertraut mir!“, ich reichte ihm meine Hand.

Er schmunzelte: „Ihr seit entweder ein gewaltiger Aufschneider oder ein wahrer Held!“

Er klappte sein Buch zu und erhob sich. Er war etwas größer als ich. Er sah mir in die Augen und ich konnte sehen, dass er mir vertraute. Dann nahm er meine Hand und nickte.
 

Wir waren erschöpft. Die Flucht von Schloss Ishiyosai verlief blutig. Nachdem ich am Abend nicht zum Treffpunkt bei meinen Brüdern erschienen war und ihr Jagdergebnis gleich Null ausgefallen war, hatte sie wohl eine Ahnung beschlichen und sie waren in den Norden aufgebrochen. Ausnahmslos alle waren nach Ishiyosai gekommen und wir hatten uns in einer riesigen Kolonne zur Küste aufgemacht. Dort wollten wir nach Adria übersetzen und schließlich mit der Bielefeld'schen Flotte in See stechen.

Auf halber Strecke hatten uns meine Brüder und ein Teil ihrer Armee eingeholt.

Siegbert von Voltaire hatte sie jedoch mit einem riesigen Erdwall aufhalten können. Dennoch war dieser dann erschöpft gewesen und ich hatte mir eine Schussverletzung zugezogen, welche mir den Schwertkampf unnötig erschwerte. Kurz vor Trisis, der kleinen Ortschaft mit Fährhafen nach Adria, stießen jedoch Rufus und ihr Cousin Leonard zu uns.

Die Männer meiner Brüder, die es über den Wall geschafft hatten und uns nun hinterrücks angriffen fielen größtenteils Rufus und Leonards Flammen zum Opfer.

Auf unserer Seite gab es auch einige schwere Verluste. Christiana von Karbelnikoff, Julius von Rochefort und schließlich beim heftigsten Gefecht am Fährhafen selber erlag Leonard von Bielefeld seinen schweren Verletzungen. Rufus geriet dadurch so außer Fassung, dass sie den ganzen Ort in Schutt und Asche legte. Dies war eigentlich nicht so von mir angedacht gewesen, doch verschaffte es uns so die Möglichkeit, die vielen Menschen gesund nach Adria überzusetzen. In Adria selbst gaben Rufus und ich uns das Eheversprechen. Trotz der Trauer, die wegen dem Verlust um Leonard unter uns herrschte, schien uns dieses Fest als sinngebendes Symbol wichtig zu erscheinen.

Ich hatte zwar verkündet, nicht mehr als Gott bezeichnet werden zu wollen, doch dies minderte schließlich nicht meine weiterhin göttliche Macht. Ich wurde zum Feldherr und Führer für Tausende.

Da die Bielefeld'sche Flotte die Einzige an dieser Küste war würde es Tage dauern, bis meine Brüder dazu in der Lage waren, unsere Verfolgung wieder aufzunehmen.

Mit über 120 Schiffen stachen wir in See. Alle bis auf den letzten Platz belegt. Es waren nicht nur Mischblütler, sondern auch Adlige und normale Dämonen aus dem Volke, die sich uns angeschlossen hatten in der Hoffnung auf ein besseres Leben.

Auf meinen Schultern ruhte nun eine ungeheure Verantwortung. Und diese belastete mich schon sehr. Doch ich hatte treue Gefolgsleute um mich geschart.

Und auch Daikenja, der Doppelschwarze, erwies sich vom ersten Augenblick an als guter Begleiter. Ich ernannte ihn zu meinem Strategen.

Als Dark Makoku am Horizont immer kleiner wurde sah ich deutlich die Dunkelheit über dem Zentrum des Landes wüten. Meine Väter waren erzürnt.

Ich wusste, dass der Kampf noch lange nicht zu Ende war. Ich wusste allerdings noch nicht, dass dieser Kampf über 4000 Jahre andauern würde!
 

Nach vielen Wochen auf See umschifften wir Menschenland. Nach weiteren vier Wochen trennten sich zwölf Schiffe von uns. Wir waren zur Proviantbeschaffung vor einem kleinen Küstenstaat namens Caloria vor Anker gegangen.

Die Gebrüder Wincott freundeten sich dort mit dem Herrscher an und dieser schloss sie aus mir zu dem Zeitpunkt unbekannten Gründen in seine Erbfolge mit ein. So beschlossen die Dämonen aus dem ehemaligen Wincottclan, ihre Zelte in Caloria aufzuschlagen.

Uns zog es jedoch weiter. Nach zwei weiteren Tagen ankerten wir vor einer Vulkaninsel.

Einer Vision zu Folge würde ich das siebenschneidige Schwert meines Vaters Nanimo in den Vulkan werfen und eine eigens für mich bestimmte Waffe daraus schmieden.

Also bestieg ich mit Daikenja den Vulkan der Insel Van da Viya.

Nachdem ich Vaters Schwert in den glühenden Schlund des Vulkans geworfen hatte, war dieser ausgebrochen und nur mit knapper Not hatten wir uns in Sicherheit bringen können.

Kurz bevor wir jedoch die Insel ganz verlassen wollten erschien es vor mir: die machtvollste Waffe, die je ein Dämon in Händen halten würde. Ich gab ihm den Namen Villem Dusoye Ihlay de Morgif, das erste Dämonenschwert des zukünftigen neuen Reiches!

Nach einer weiteren Woche erreichten wir endlich einen Küstenabschnitt eines wohl fast unbewohnten Landes. Es war größtenteils karg oder aber stark überwuchert. Wir schlugen unsere ersten Unterkünfte auf. Uns war es zunächst egal, wie es hier aussah, solange wir so schnell keinen Fuß mehr auf ein Schiff setzen mussten.

Sechs Wochen nach unserer Ankunft erblickte mein Sohn Henrik Graf von Bielefeld das Licht der Welt. Sein Haar war honigblond und die Augen strahlendgrün. Er war Rufus und mein ganzer Stolz und wir schworen einander für ihn und alle zukünftigen Dämonen ein friedliches Reich zu schaffen.

Es folgten lange Jahre des Friedens und des Aufbaus.
 

„Gut pariert! Du hast das Talent deiner Mutter!“

Mein Sohn, Henrik Graf von Bielefeld, war mittlerweile 18 Jahre jung, hatte aber die Statur eines Vierjährigen. Er liebte es, wenn ich mit ihm die Schwertkunst trainierte.

Nun lag ich auf dem Rücken unter ihm und der kleine Dämon pikste mir quietschend vor Vergnügen sein Holzschwert in die Rippen. Ich schnappte ihn mir und wirbelte ihn herum. Ich liebte es, Zeit mit meiner Familie zu verbringen.

Daikenja, mein Bruder, saß lesend unter einem Baum und dies erinnerte mich an unsere erste Begegnung.

Unser Ursprungslager hatten wir vor Jahren verlassen. Dort war mittlerweile schon ein kleiner Ort entstanden und unter der Leitung des Grafen von Karbelnikoff war man gerade dabei, einen anfahrtstauglichen Hafen zu errichten.

Viele von uns waren weiter landeinwärts gezogen. Es schienen friedliche Zeiten zu herrschen, doch Daikenja und ich wussten, dass diese friedlichen Zeiten nicht lange bleiben würden. Ich spürte die immer näher kommende Schwärze.

„Liebster!“, Rufus war seit Langem wieder dazu in der Lage, sich ganz Frau fühlen zu dürfen und trug an jenem Tage ein schlichtes braunes Leinenkleid, als sie zu uns in den Garten, hinter unserem Haus, eilte. In ihrem Gesicht erkannte ich Besorgnis.

„Ein Soldat war hier. Er bat mich, dir auszurichten, das du bitte ins Lager kommen sollst. Es gäbe da eine wichtige Angelegenheit!“

Daikenja blickte von seinem Buch auf und klappte es schließlich zu. Auch ich erhob mich.

War es nun soweit? Hatten sie uns gefunden?

„Ich bringe Henrik zur Amme und informiere dann Siegbert!“, sie wandte sich ab. Sie wollte nicht, dass ich die erneute Angst um unseren Sohn in ihren Augen sah.

Ich umarmte sie von hinten: „Ich werde sie aufhalten! Vertrau mir!“, dann hauchte ich meiner geliebten Frau noch einen Kuss auf die Wange und nahm die Zügel meines Pferdes, welche mir Daikenja reichte, entgegen.
 

Sie knieten zu Dritt vor mir in schon stark mitgenommenen Rüstungen. Zwei von ihnen kannte ich aus unserer Vergangenheit von unserer Flucht von Ishiyosai.

Die Botschaft, die sie mir brachten, war keine Gute. Eine dunkle Macht sei über ihre Länder hereingebrochen. Zuerst hätte sie das Menschenreich fast bis zur Gänze vernichtet und sei nun auf dem Vormarsch über Caloria zu uns. Diese dunkle Macht schien sich von Neid, Zorn, Wut und Missgunst zu nähren. Jeder, der von ihr befallen wurde, wurde zu einer Marionette ihrer bösartigen Macht.

Die Wincotts hatten ihre neue Heimat Caloria aufgeben müssen. Ebenso Lord Weller. Sie baten um Asyl und boten sich an, sich mit ihren verbliebenen Heeren meiner Streitmacht anzuschließen.

Meine Väter hatten es also getan. Ihre Angst vor dem Doppelschwarzen und ihre Wut auf ihren verräterischen Sohn hatte sie in ein Monstrum verwandelt, welches nun wütend über die Welt zog. Die Menschen nannten ihn Begründer. In meinen wagen Visionen hatte ich sie bereits kommen sehen: Die verschmolzenen Seelen meiner Väter und meiner beiden ältesten Brüder. Es würde nicht leicht werden. Ein Gott alleine zum Gegner war schon schwierig, aber die Vereinigung von vier Göttern im absoluten Blutrausch war eine Herausforderung, der sich nur ein Verrückter stellen konnte.

Ich seufzte. Ich war eindeutig dieser Verrückte.

Die Drei knieten immer noch vor mir und blickten sich um. Anscheinend hatten sie sich diese Streitmacht größer vorgestellt.

„Bitte verzeiht unsere Aufmachung. Ich bin Erhardt von Wincott. Hier, neben mir mein jüngerer Bruder Kristel von Wincott und mein guter Freund Lorenz Weller“, begann schließlich der Älteste unter ihnen.

„Es ist schön, sie in meiner Armee zu haben. Willkommen. Auch, wenn nicht viele dumm genug sind, es mit dem Begründer direkt aufzunehmen!“

Meine um mich gescharten Soldaten lachten auf. Ich achtete darauf, dass mein Heer stets gut motiviert war, denn die Zeiten, die uns bevorstanden, würden hart genug werden.

„Wir haben Geschichten über sie gehört. Wie sie den nördlichen Kontinent unerschrocken gegen die Invasion des Begründers verteidigt haben!“, Daikenja, der sich zwischen mich und die drei Neuankömmlinge gestellt hatte, wandte sich an den ehemaligen König der Menschen.

„Doch letztendlich wurden sowohl mein Land Simaron als auch Wincotts Caloria von der Armee des Begründers erobert!“, antwortete ihm der junge braunhaarige Mann mit bekümmerten Unterton.

„Doch solange es eure Armee gibt, können wir sie bekämpfen!“, fügte Erhardt von Wincott noch hinzu.

„Bitte! Wir wollen unsere gefallenen Landsleute rächen!“, Kristel von Wincott schien von feurigerem Temperament als sein älterer, ruhigerer Bruder.

„Ich habe keine besonderen Kräfte“, wandte nun Lorenz Weller ein und präsentierte mir sein Schwert, „doch mein Schwert wird euch gute Dienste leisten. Ich stehe ganz zu eurer Verfügung!“ Seine Augen spiegelten mir bedingungslose Treue wieder.

Ich musste schmunzeln, während Daikenjas Gesicht steinern wirkte.

„Jetzt, wo sie das gesagt haben, wird er sie ordentlich schinden“, ich wies auf Daikenja, dessen steinerne Mimik sich augenblicklich in ein herausforderndes Lächeln wandelte und mir galt: „Gewiss! Doch euch werde ich besonders hart arbeiten lassen!“

Über diese doch für einen Unterstellten dreiste Aussage waren unsere drei Neulinge doch sehr erstaunt.

„Wissen sie“, ich wandte mich erklärend an sie, „nur er redet so mit mir!“

„Würde euch nicht hin und wieder jemand bremsen, dann würdet ihr völlig außer Kontrolle geraten!“, kam es da wieder von meinem Bruder.

Ich stöhnte auf. Gegen ihn war kein Kraut gewachsen: „Vielleicht war es voreilig, euch zu meinem Strategen zu machen!“

Während die Wincott-Brüder und Weller noch etwas irritiert von unserem kleinen Dialog schienen erschallte das laute Lachen meines guten Freundes Siegbert von Voltaire über den Platz: „Keine Sorge, das tun die Zwei ständig!“ Der braunhaarige Hüne wirkte neben der zierlichen Gestalt meiner Frau noch kräftiger.

Rufus hatte sich wieder ihre Rüstung angezogen. Sobald es nach Kampf aussah, verfiel sie wieder in ihre alte Rolle. Auch wenn ich mir wünschte, ihr ein angenehmeres Leben bieten zu können, so war ich doch auf ihre Qualitäten auf dem Schlachtfeld angewiesen.

Das wir seit 18 Jahren Bett und Tisch teilten wussten hier im Lager nur die Wenigsten.

„Was ich mich nur frage, ist, ob unser Feldherr und unser Stratege Freunde oder Feinde sind“, sie lächelte und Daikenja und ich blickten einander wortlos an.

Sie stellten sich untereinander vor. Ich lächelte. Wir hatten eine Chance. Das wusste ich! Wir hatten es so weit geschafft, wir würden es auch noch weiter schaffen!

„Auf Sieg oder Tod!“, riefen sich meine künftigen Generäle entgegen.

Daikenja blickte ernst. Für ihn war der Tod nichts Wünschenswertes. Und er wusste, das er mich am Wenigsten ereilen konnte. Aber diese ehrenhaften Männer vor uns setzten all ihr Vertrauen in uns. Wir dürften sie nicht enttäuschen! Ich dürfte sie nicht enttäuschen!
 

Es dauerte nicht lange, da fiel das Heer des Begründers auch in unser Land ein. Es waren harte Kämpfe, die mir schnell aufzeigten, wie Vergänglich so ein Leben sein konnte!

Während sich die Anzahl meiner Männer rasend schnell dezimierte, schien das Heer des Begründers keinen Mann zu verlieren.

Es waren wirklich Marionetten. Wir streckten sie nieder und sie standen erneut wieder auf. Wie sollte ich meine Männer gegen ein Heer Untoter zum Sieg führen?

„Wir sollten uns zurückziehen!“, Daikenja war voller Sorge. Wir hatten in der derzeitigen Schlacht schon zu viele Leben sinnlos verloren. Siegberts Erdmaryoku, Erhardts Wassermaryoku sowie Rufus Feuermaryoku schienen die einzig funktionierenden Waffen zu sein, doch ich konnte sie nicht über ihre Erschöpfung hinaus kämpfen lassen!

„Wenn wir so weitermachen, werden unsere Verluste noch größer! Unsere Feinde scheinen nur Marionetten zu sein, die keine Ermüdung kennen!“

Ich wusste, dass Daikenja Recht hatte. Das hatte er immer, aber ich wäre nicht ich gewesen, wenn ich nicht wenigstens einmal widersprochen hätte: „Wenn wir nichts unternehmen, werden die Schwachen die Leidtragenden sein!“ In mir stieg eine unvergleichliche Wut hoch.

„Nein! Nicht!“, rief Daikenja, doch es hinderte mich nicht, mein mir treu ergebenes Dämonenschwert Morgif zu ziehen und seine Macht mit aller in mir ruhender Kraft auf die feindliche Armee zu schleudern!

Wir hatten sie empfindlich zurückgeschlagen. Für diesen Tag war die Schlacht beendet. Ich sank erschöpft von meinem Pferd.
 

Am gleichen Abend, es war sehr kühl, lehnte ich mich an den Baumstamm vor unserem aufgeschlagenen Lager. Vor mir spendete eine kleine Feuerstelle ein wenig Wärme. Drei Soldaten waren zu meinem Schutz um mich herum postiert. Dennoch hielt niemand den Doppelschwarzen auf, der auf mich zu schritt und vor dem ich mich am Meisten fürchtete. Ich wusste, das er mit meinem Eingreifen auf dem Schlachtfeld nicht einverstanden war und er würde mir wieder eine Predigt halten.

„Das kommt davon, wenn man übertreibt!“, er reichte mir einen Becher mit einer übel riechenden Brühe, die wohl meiner Genesung helfen sollte, „Selbst jemand mit so großen, magischen Fähigkeiten wie ihr hat Grenzen!“

Ich trank einen großen Schluck aus dem Becher: „Doch meine Anstrengung hat sich gelohnt, oder?“

„Ja, unsere Verluste sind offenbar geringer als erwartet!“, doch ich spürte seinen aufkeimenden Ärger darüber, dass ich nicht auf ihn gehört hatte.

„Ist ja schon gut!“, ich leerte den Becher und stellte ihn neben mich ab, „Ab jetzt werde ich brav auf den Rat meines Strategen hören!“

„Das sagt ihr zwar, doch habt ihr schon jemals widerspruchslos auf mich gehört?“, er hatte seine Augenbrauen zusammengekniffen. Das tat er immer wenn er mit mir böse wurde.

Ich schloss die Augen, weil die Erschöpfung einfach zu groß war und mir auch irgendwie die Kraft für ein sonst so übliches Gespräch zwischen uns fehlte: „Manchmal schon, oder? Doch es gibt Dinge, die ich einfach tun muss! Was glaubt ihr, warum ich eine Armee aufgestellt habe?“

Wir wussten beide die Antwort. Ich fühlte mich verantwortlich. Ich war einer der Götter gewesen, der diesem Volk Leid gebracht hatte. Nun brachte ich wieder Leid und Blutvergießen. Ich musste das beenden! Es war meine Aufgabe! Dann schlief ich ein.
 

„Das ist unsere letzte Schlacht! Der Sieg ist unser!“, rief ich meinem Heer motivierend zu. Die Sonne ging bereits unter an diesem Tage und vor uns erstreckte sich das riesige Heer des Begründers. Daikenja und ich hatten lange an unserem Plan zur Vernichtung dieser Übermacht gearbeitet. Nun war es soweit! Ich würde bis zum bitteren Ende kämpfen. Rufus, meine über alles geliebte Frau, stand mir zur Seite: „Natürlich. Wir können gar nicht verlieren!“

Wir hatten vier große Truhen bereit gestellt. Eine Truhe für jeden von ihnen.

„Können wir den Begründer damit tatsächlich besiegen?“, fragte Lorenz Weller hinter mir und Kristels Antwort beruhigte jeden von uns: „Die Ideen unseres Strategen sind immer erfolgreich.“

„Doch zuerst müssen wir so weit wie möglich hinter die feindlichen Linien vordringen!“, antwortete dieser.

Wir mussten sie im Zentrum schlagen und dort die in Hass und Wut miteinander verschmolzene Seele meiner Väter und Brüder trennen und bannen!

Die darauf folgende Schlacht war erbarmungslos, doch wir näherten uns dem Ziel mühsam mit vereinten Kräften an. Ein mächtiger Angriff des Begründers selbst konnte von mir abgewehrt werden.

Empfindlich getroffen sah er sich nun von uns umzingelt und ließ sich von uns in eine der Kisten zurückdrängen.

„Oh grausame Seele.

Ich werde deine Macht jetzt teilen

und dich für immer versiegeln!“

Er versuchte, aus der Kiste zu entkommen, doch ich zog Morgif und zerteilte ihn in vier große Teile. Jedoch kapselte sich ungeachtet aller ein fünfter Teil ab und traf mich an meinem rechten Arm. Schmerz durchzog mich, doch hinderte es mich nicht, die Zeremonie fortzuführen.

Hitotsu, mein ältester Bruder, verschwand in der ersten Kiste mit dem Namen 'Das Ende des Windes'. Lorenz Weller, der dieser Kiste am nächsten stand, griff sich an den linken Arm.

Futatsu, mein zweiter Bruder, zog es in 'Das Ende der Welt'. Siegbert griff sich mit schmerzverzerrtem Gesicht an sein linkes Auge.

In die dritte Kiste wurde mein Vater, Nanimo, gebannt. Bekümmert sah ich, wie sich Rufus ans Herz griff, als sich 'Das Feuer auf brennendem Eis' schloss.

Schließlich verschwand mein erster Vater, Gaaru, in die 'Der Grund des Spiegels' Kiste und Erhardt Wincott musste kurz von seinem Bruder gestützt werden.

„Sie vier haben sich mir und der Gerechtigkeit verpflichtet. Ein Körperteil von jeden von ihnen ist jetzt ein Schlüssel. Geben sie diese Truhen an ihre Nachkommen weiter, die sie für alle Zeit bewahren und beschützen sollen. Endlich ist der Begründer versiegelt!“

'Brüder! Väter! Es tut mir leid, dass es soweit kommen musste!', schoss es mir im gleichen Augenblick durch den Kopf, als meine Armee nach diesen von mir gesprochenen Worten aufjubelte.
 

Weller und die Wincotts waren in ihre Heimat zurückgekehrt. Wir hatten den Begründer besiegt und es schien Frieden einzukehren. Nach altem Ritus wollte ich der Erde, auf der wir diese Schlacht gewonnen hatten danken

„Den Geistern, die in diesem Boden ruhen, schwöre ich, denen, die hier zu Hause sind, nie etwas zuleide zu tun. Wir wollen nur in Frieden hier mit euch leben.“

Der Boden, auf dem ich niederkniete, erstrahlte und ein warmes Licht umfing mich. „Anscheinend wurde euer Schwur angenommen!“, Daikenja schien erfreut zu sein.

„Ja. Ich hörte eine Stimme, die mich anwies, hier ein Schloss zu bauen.“

„Dann ist dieser Ort...“, begann Rufus und Siegbert vollendete ihren Satz: „Er wird unsere Heimat!“

So begannen wir mit dem Schlossbau. Während dieser Zeit strömten viele Flüchtlinge in unser Land. Es waren die Vertriebenen aus allen Ländern, die nun bei uns eine neue Heimat suchten. Wir hatten zwar den Begründer besiegt, doch dadurch hatten wir allen anderen Völkern auch unsere Stärke gezeigt und diese wurde nun gefürchtet. Wir sahen uns mit neuen Problemen konfrontiert. Ich verstand den aufkeimenden Hass unserem Volk gegenüber nicht.

„Menschen fürchten alles, was anders ist als sie. Leute wie mich, die ihnen fremd erscheinen! Und jene, die große Kräfte besitzen. Sie werden von denen gefürchtet, die keine Kräfte haben!“, erklärte es mir mein weiser schwarzhaariger Freund.

Sollte ich nun auch auf meine Kraft verzichten, mit der ich alle beschützt hatte und auch weiterhin beschützen wollte um dieses Problem zu beseitigen?

„Ich kann die Leute, die auf mich angewiesen sind, nicht im Stich lassen!“, antwortete ich ihm darauf, „Doch ich will den Schwachen auch kein Leid zufügen!“

„Dann werdet König!“, Daikenjas Stimme klang fast wie ein Befehl, „Stellt die aus ihrer Heimat Vertriebenen unter euren Schutz und verteidigt sie gegen die unbegründet Misstrauischen. Gründet ein neues Reich!“

Dies war die Geburtsstunde von Shin Makoku. Dies war die Geburtsstunde eines neuen Königs. Eines Königs, der als Gott geborenen wurde, um mit den Dämonen für ein besseres Leben zu kämpfen. Fortan gab man mir den Namen Shinou.
 

Ein paar Jahre später kehrten auch Erhardt und Kristel von Wincott aus Caloria zurück. Auch sie waren wegen ihrer Kraft gefürchtet und gemieden, schlussendlich sogar verjagt worden und baten um Asyl. Das Schloss des Blutigen Eides war fertiggestellt worden und ich erklärte das Land zu unserer Heimat, welches ich als König beschützen würde.

Doch es fiel mir immer schwerer, ruhig zu bleiben, wenn ich von den aufkeimenden Problemen zwischen meinem Volk und den Menschen erfuhr. Ich empfand Undank und steigerte mich oftmals in eine ungewohnte Wut hinein.

Rufus und Daikenja erkannten mich oft nicht wieder. Ich verstand mich selbst nicht mehr.

Nach einer Audienz, bei der ich wieder so sehr in Rage geraten war über die neustesten Entwicklungen, wo ich selbst meine noch in mir ruhende göttliche Macht nicht mehr kontrollieren konnte, zog mich Daikenja besorgt zur Seite und fragte mich, was mich denn so aus der Fassung brächte.

Ich zeigte ihm meinen rechten Arm. Meinem Vater Gaaru war es schließlich doch gelungen, die Saat des Hasses in mich zu setzen und diese breitete sich nun schon über meinen ganzen Arm aus. Mein weiser Freund erschrak bei diesem Anblick zutiefst. Ich sah ihm an, dass er schon fieberhaft nach einer Lösung suchte.

„Verzeiht mir. Das belastet euch sehr!“

„Das passt gar nicht zu euch!“, ihn schien mehr mein hinnehmendes Verhalten an dieser Situation zu stören, als das großflächige Mal an meinem Arm, „Ihr seit doch sonst immer so siegessicher! Und die Schlacht ist noch nicht vorbei!“

Ich seufzte: „Die Chancen stehen ziemlich schlecht!“

„Doch ihr müsst es schaffen!“, er war verzweifelt, „Für Rufus! Für Shin Makoku! Nein! Für die ganze Welt!“

Ich lachte leise auf: „Ihr seit in der Tat unerbittlich!“

„Außerdem seit ihr nicht allein! Denn als ich eure Hand nahm, entschied ich, euch auf eurem Weg zu begleiten!“

Ich stand von meinem Thron auf und ging auf den Balkon. Es war eine sternenklare Nacht.

Mein ganzes Reich schien friedlich zu schlummern. Niemand konnte ahnen, wie es um ihren Herrscher stand: „Irgendwann wird er ganz von mir die Macht ergreifen. Dann habe ich keinen eigenen Willen mehr. Dann ergeht es mir wie meinen Brüdern. Ich werde zu einem Monster, dass nur noch vernichten will!“

„Majestät!“

Ich wandte mich um: „Doch ich lasse mich nicht einfach von ihm übernehmen!“

„Ich werde euch beistehen!“

„Danke!“, nun sah ich hinauf zu den Sternen. Ich hatte eine Vision. Eine Vision von einem großen König. Von einem friedlichen Reich und von einer friedlichen Welt.

„Die ferne Zukunft wird Hoffnung bringen!“, flüsterte ich zu den Sternen, „Einen Dämonenkönig, der mich übertrifft!“
 

Den darauffolgenden Tag verbrachte ich ausschließlich mit meiner Frau und meinem Sohn. Rufus weinte bitterlich, als sie die Wahrheit erfuhr und ich ihr meine weiteren Pläne mitteilte. Wir ließen auf einem nahen Hügel einen Schrein errichten nach Daikenjas Vorstellungen.

Ich hielt mich nur noch an diesem Schrein bis zu seiner Fertigstellung auf.

Am entscheidenen Tag verabschiedete ich mich von Rufus und Henrik.

Es war ein schwerer Abschied und es schmerzte mich, meine geliebte Frau und meinen so geliebten Sohn für immer verlassen zu müssen.

Dann ritt ich mit Daikenja alleine zum Schrein.

„Du wirst es tun, ja?“, fragte ich meinen alten Freund und Bruder und hatte beschlossen, bei unseren geplanten Vorhaben auf jegliche Titel in der Ansprache zu verzichten.

Er nickte schweigend.

„Ich laste dir eine wirklich schwere Bürde auf!“

„Ich habe euch geschworen, bei euch zu sein und euch zu dienen!“, war seine knappe Antwort.

Wir stiegen schließlich von unseren Pferden und betraten den Schrein. Nebeneinander her schreitend betraten wir nun einen großen Saal.

In der Mitte dieses Saales drehte ich mich zu meinem Freund um. Ich sah Traurigkeit in diesen wunderschönen schwarzen Augen: „Wir werden uns wiedersehen, mein Freund!“

Er nickte. Ich zog ein goldenes Kurzschwert aus meinem Gürtel und legte es ihm in die rechte Hand.

Dann führte ich seine Hand hoch, bis die Spitze des Kurzschwertes meinen Brustkorb direkt über meinem Herzen streifte. Ich spürte, wie seine Hand zitterte.

„Bruder“, flüsterte ich, „Ich bin dankbar für jeden Augenblick, den ich dich an meiner Seite wissen dürfte. Meine Väter haben nicht viel Gutes bewirkt, aber du warst mit Abstand das Beste!“ Seine Augen glänzten.

„Bitte steche schnell und hart zu und sobald du meine Seele hast verbrenne diesen verfluchten Körper! Verteile seine Asche über mein geliebtes Reich!“

„Ich...“, er zögerte, obwohl er wusste, dass er das nicht dürfte. Wir hatten lange und ausführlich jeden dieser Schritte geplant und besprochen.

Doch ich spürte, dass ich wohl doch zu viel verlangte. Ich atmete tief ein und aus, lächelte ihn an: „Bruder, verzeih mir... ich liebe dich!“, und trat dann einen Schritt nach vorne.

„Nein!“, schrie er auf, als sich das kalte Metall in mein Fleisch bohrte und augenblicklich mein Herz zum Stillstand zwang.

Um mich herum wurde es schwarz.
 

***************************************
 

Daikenja versiegelte meine Seele im Tempel, in dem ich von diesem Tage an ausharrte, und verbrannte wie versprochen meinen Körper. Die Asche wurde auf den zehn Territorien meines Reiches verteilt. Über Daikenja ließ ich meinen Nachfolger sowie die Neuunterbringung der Kisten verkünden. Alles weitere dürfte den hier Anwesenden ja nun wieder bekannt vorkommen.

Wir saßen alle wie erstarrt da. Das war also Shinous ganze Geschichte. Ich hatte das Gefühl gehabt, als wäre ich in dieser Geschichte er gewesen und hätte das alles selbst erlebt. Ich war fassungslos und rang nach Worten. Selbst Adalbert wagte es sich nicht irgendetwas zu sagen. Vielleicht hatte ihm nun diese Geschichte eine völlig neue Sicht auf Shinou gegeben?

„Ihr seht, hier spielt einiges zusammen!“, war Murata der Erste, der die Stille unterbrach.

„Dann ist Wolfram wirklich euer Ururenkel!“, Gwendal starrte in das aufflackernde Seelenlicht.

Ja. Rufus hat nicht neu geheiratet. Henrik blieb unser einziges Kind. Er hingegen hatte viele Kinder, doch durch die Kriegswirren der letzten Jahrtausende blieb mir nur noch Wolfram von Bielefeld als direkter Nachkomme.

„Und die Legende vom Doppelschwarzen? Wen hat denn ihre Schwester Yonno damit gemeint?“, Günter schien es wirklich ganz genau wissen zu wollen.

Ich habe damals geglaubt, Daikenja wäre gemeint gewesen, da die Visionen meiner Schwester meist immer sehr zeitnah eintrafen. Allerdings träfe diese Vision im Nachhinein doch auf Yuuri zu!

„Aber wie ist das möglich? Er hat keinen göttlichen Verwandten!“, warf Günter folgerichtig ein.

Stimmt. Die Wincotts waren ausschließlich dämonischen Ursprungs. Meine Schwester Yonno hat nur einen Doppelschwarzen gesehen. Sie kannte die Möglichkeit der anderen Welt nicht. Zum damaligen Zeitpunkt kannte ich sie selbst noch nicht. Erst als Kristel von Wincott auf Daikenjas Anweisung hin mit dem 'Grund des Spiegels' auf die Erde verschwand, war mir die erweiterte Auswahl bewusst. Ein Teil meiner Seele steckt in Yuuri. Aus diesem Teil meiner Seele habe ich, als der Begründer noch Teil von mir war, die perfekte Seele über viele Leben geschaffen, die Yuuri nun ist. Er ist somit eine Dämonen-Mensch Verbindung mit göttlichem Ursprung. Was das genau für ihn und seinen Körper heißt ist abzuwarten. Er ist schließlich der Erste seiner Art und ich habe auch keine Weiteren hergestellt.

Oh Mann! Shinous Humor ist genauso schräg wie Conrads!, stöhnte ich auf.

Anscheinend erklärt dieser Teil meiner Seele, der in Yuuri existiert auch seine Schwäche für die Bielefelds.

Ich lief scharlachrot an, während Shinou laut lachte.

Wir hörten, wie man drinnen aufstand und sich wieder zurück in den großen Saal begab.

„Anscheinend geht es weiter!“, und ich stand auf, „Was nun? Wenn ich als Yurika da drinnen nicht wieder auftauche ist Wolfram in Schwierigkeiten!“

Ein plötzlicher Stich ins Herz durchfuhr mich. Was war das? Ein dunkles Gefühl überkam mich, packte mich und drückte zu.

Doch ich war nicht allein. Shinous Licht flammte intensiv auf und fast zeitgleich schrien wir: „WOLFRAM!“

Unsere Freunde starrten mich irritiert an.

Ich rang nach Luft, die nicht in meine Lungen wollte: „Wolfram! Da stimmt was nicht!“

Kapitel 17

KAPITEL 17
 


 

Was wollte Hachino denn mit ihm besprechen?

Wolfram folgte dem Mönch in dessen weiter, wehenden Robe zielgerichtet durch die Massen.

War es so wichtig, dass dies nicht bis zum Ende dieser makaberen Zurschaustellung warten konnte?

Als er durch die Tür schritt wichen alle vor ihm zurück.

Er spürte, dass sie dies nicht aus Furcht vor ihm taten, sondern aus Ehrgefühl.

Aus Ehrgefühl Shinou gegenüber, dessen Rolle er hier so gekonnt spielte.

Shinou hatte es ihm gezeigt. Seine Geschichte. In dem Moment, wo der erste Dämonenkönig von Shin Makoku in der Kutsche in seinen Körper gefahren war, hatte er alle Erinnerungen des Einzigartigen an sich vorüberziehen sehen.

Sie hatten sich in ihm verankert, als wären sie nun seine eigenen Erinnerungen.

Erinnerungen an ein Leben, welches er selbst nie geführt hatte.

Hatte er bisher gedacht, dass Shinou in ihm nur ein Spielzeug gesehen hatte, welches er nach Belieben als Körper verwenden konnte, so hatte sich doch nun sein Bild geändert.

Sein Urahn war eine wirklich ehrenwerte Person gewesen. Mit festen Zielen und festem Glauben, diese zu erreichen.

Und es war sein Urahn. Irgendwie erfüllte ihn das mit Stolz. Auch wenn ihre derzeitige Lage, in der sie sich befanden, alles Andere als angenehm war, so spürte er doch das es richtig war, für diese Sache einzutreten und zu kämpfen.

So wie es Shinou getan hatte.

Er folgte dem Mönch nach draußen in einen begrünten Innenhof. Zügigen Schrittes an einem kleinen Brunnen vorbei zur gegenüberliegenden Seite und dort wieder in das Gebäude hinein.

Ein mulmiges Gefühl beschlich ihn. Man führte ihn wieder so weit von Yuuri weg. Wie sollte er nur so seinen Waschlappen im Auge behalten?

Aber nach dem Gespräch in der letzten Nacht mit Mittsu war davon auszugehen, dass er Yuuri nur noch selten sehen würde.

Aber dies war ihm lieber, als den Schwarzhaarigen nie mehr sehen zu können.

Ein Leben ohne Yuuri.

Ging das überhaupt?

Ihn ängstigte allein schon der Gedanke!

Selbst wenn er noch ewig warten müsste, er würde auf ihn warten.

Selbst wenn er die Verlobung lösen würde, er würde dennoch versuchen, in seiner Nähe zu bleiben.

Er hatte doch in den vergangenen drei Jahren gelernt, seine Gefühle zu unterdrücken.

Es war schwer gewesen, gewiss, aber es war auch ein schönes Gefühl.

Das Gefühl, ihm nahe zu sein. Das Gefühl, gebraucht zu werden. Und wenn es nur als Leibwache zu seinem Schutz war.

Solange er ihm nützlich sein konnte, würde er diese Aufgabe zu seiner vollsten Zufriedenheit erfüllen.

Natürlich wünschte er sich innerlich, Yuuri noch nützlicher zu sein als nur mit dem Schwert oder seinem Maryoku. Das er Yuuri in all seinen Lebensbereichen glücklich machen konnte.

Und wenn sich Yuuri gegen ihn entschied würde er ihm trotzdem das Glück wünschen, was dieser suchte. Nun ja, er musste dann ja nicht daneben stehen. Das wäre schon mit seinem Temperament nicht vereinbar. Allein der Gedanke, Yuuri in den Armen einer oder eines Anderen zu sehen ließ ihn erzürnen!

Sie schritten einen kargen Gang entlang. Der Mönch sprach nicht weiter. Nur die Schritte schallten.

Konnte Yuuri überhaupt in den Armen eines Anderen glücklich werden?

Was war eigentlich zwischen ihnen geschehen in Kumo.

In der kurzen Zeit, wo sie ungestört in seinen Gemächern waren?

„Und warum springst du mir dann jedes Mal hinterher wenn es dich stört, dass ich so handle?“, hatte er ihn gefragt und er hatte lächelnd: „Du weißt, warum!“, geantwortet.

Was wusste er?

War er Yuuri doch nicht gleich?

Er hatte sich vorsichtig vor ihm niedergekniet und ihn angesehen. Und dann hatte er ihm über die Wange gestrichen! Warum? Strich man jemanden, der nach seiner eigenen Aussage nur sein bester Freund war, so zärtlich über die Wange?

Er hatte da sein Gesicht in diese Hand gelegt und sie war weiter hinuntergeglitten, zu seinem Hals. Das hatte sich unglaublich angefühlt. Wie lange hatte er sich nach einer solchen Berührung gesehnt! Und dann war er ihm immer näher gekommen. Es hatten nur noch wenige Millimeter gefehlt... ach, dieser verdammte Mittsu!

Hätte er nicht später kommen können?

Wieso gab es in ihrem Leben so viele Störfaktoren? Wie sollte denn Yuuri sich seiner Gefühle sicher werden, wenn sie immer im entscheidenen Augenblick gestört wurden?

Der Mönch blieb stehen und wies auf eine riesige, doppelte Stahltür.

Wo war er hier?

„Das ist die Halle der Stille. Sie dient der Meditation. Sie ist absolut Geräuschundurchlässig. Ihre Heiligkeit wünschte einen Ort, wo man nicht so schnell gestört werden kann!“, erklärte ihm dieser.

So einen Ort brauch ich mit Yuuri auch!, dachte sich der blonde Dämon und näherte sich der Tür.

„Man erwartet sie bereits!“, der Mönch wandte sich ab und schritt den Gang wieder zurück, auf dem sie hergekommen waren.

„Na dann!“, seufzte er und schob die eine Hälfte der schweren Türe auf und trat ein.
 

Es war ein großer, fensterloser Raum mit dunkelgrauen Wänden, den ich betrat. An diesen Wänden entlang waren Tische aufgestellt. Sie waren wohl zur Seite geschoben worden. Die gegenüberliegende Wand war mit dunkelblauen Stoffbahnen drapiert.

Auf dem grauen Steinboden hörte ich jeden meiner Schritte.

„Hachino?“, fragte ich in den Raum hinein, da ich zunächst niemanden sah. Doch da erblickte ich eine Regung in der hintersten linken Ecke vor den Stoffbahnen. Dort saß jemand und hob den Kopf in meine Richtung.

„Hmpf!“, ertönte es.

„Was?“, ich trat näher heran. Die wenigen Fackeln an der Wand spendeten zu wenig Licht, um Genaueres zu erkennen.

Mit jedem weiteren Schritt wurden die Umrisse deutlicher.

Es war tatsächlich Hachino. Sie saß auf einem Stuhl mit nach hinten verdrehten Armen und gesenktem Kopf.

„Hmpf! Hmpf!“, ertönte es erneut.

Erst jetzt erkannte ich, dass ihre Hände wohl gefesselt waren.

Ich erhöhte mein Tempo und kam direkt vor ihr zum Stehen. Sie erhob ihren Kopf und sah mich an.

Ich erschrak. Sie war nicht zur gefesselt, sondern auch geknebelt. Ihre Augen waren stark gerötet. Sie hatte geweint!

„Halt still!“, flüsterte ich und entfernte ihr den Knebel mit einer ruckartigen Bewegung nach unten.

„Du bist nicht Nana!“, schluchzte sie.

Was? Woher wusste sie das?

Sie schluchzte erneut auf und die Tränen, die sie bis gerade wohl unterdrückt hatte, rannen wieder ihre Wangen herunter.

„Du bist nicht er! Wer bist du? Wieso tust du uns das an und spielst seine Rolle! Wo ist mein Bruder?“

„Ich...ich...“, ich wusste nicht was ich darauf antworten sollte.

Sie wusste also, das ich nicht er war. Woher? Ich nahm mein Schwert und schnitt ihre Fesseln durch.

Doch sie blieb regungslos sitzen.

„Ich wollte dich nicht verletzen! Glaub mir, ich wünschte, ich wäre er wenn es dir helfen würde!“, flüsterte ich zögerlich.

„Wer bist du?“, fauchte sie stattdessen und ihre Tränen tropften auf ihr Kleid.

Sie hob ihre Hände und warf sie schützend vor das Gesicht!

„Ich tu dir nichts! Ich bin nicht er, ja“, ich näherte mich ihr an. Ich hatte das Bedürfnis, sie trösten zu müssen: „Mein Name ist Wolfram. Wolfram von Bielefeld.“

Sie blickte irritiert auf: „von Bielefeld?“

Ich nickte und versuchte ein Lächeln.

„Rufus von Bielefeld?“, ihre Tränen stoppten.

„War meine Ururgroßmutter, ja!“, bis vor Kurzem hätte ich noch Ururgroßvater gesagt, aber das war ja nun ein Anderer, und diese Erkenntnis schien nun auch Hachino zu ereilen, denn es folgte ein leichtes Aufstrahlen ihrer Gesichtszüge.

„Du bist Nanatsus...“, fragte sie zögerlich, doch wurde sie von einem finsteren Lachen unterbrochen.

Ich fuhr herum. Nur wenige Schritte hinter mir, mit dem Rücken an einer Wand gelehnt und mit verschränkten Armen vor der Brust, stand er: „Schwesterchen, diese Erkenntnis ist für unseren kleinen Bastard nun etwas zu spät!“

Mittsu löste sich von der Wand.

„Was soll das?“, fragte ich ihn und deutete auf das am Boden liegende Seil, welches ich kurz zuvor von Hachino herunter geschnitten hatte.

„Ach, ich musste ihr nur ein paar Fragen stellen. Leider wollte unsere kleine Hachino nicht wirklich mitarbeiten“, er schritt an mir vorbei, holte aus und schlug der kleineren, immer noch auf dem Stuhl sitzenden Hachino so kräftig ins Gesicht, dass sie aufschreiend zu Boden stürzte. Ich bückte mich sogleich, um nach ihr zu sehen und ihr aufzuhelfen.

„Sie ist eure Schwester! Warum tut ihr so was?“, ich erkannte ihre rote Wange, die sie sich nun schweigend rieb.

„Hachino hat keine besonderen Aufgaben. Sie darf im Schloss aufgrund ihres Geburtsrechtes leben. Sie hat sich still zu verhalten und nett auszusehen. Das sind ihre Aufgaben. Doch nun musste ich erfahren, dass sie meine kleine Marionette um Hilfe bei meinem Umsturz gebeten hat!“

„Woher...“, woher wusste er von dem Gespräch in der Kutsche?

Er lachte grell auf: „Eigentlich wollte ich von ihr nur erfahren, was sie über das Mädchen weiß, welches ihr als eure Verlobte erwählt hat!“, er griff an mir vorbei und zog Hachino an ihren Haaren hoch. Sie schrie fürchterlich! Ich packte ihn am Arm, um sie aus seinem Griff zu befreien, doch stieß er mich brutal mit seinem anderen Arm von ihr weg.

„Sie hat nicht lange still gehalten bei meiner kleinen Befragung! Über dieses Weib wusste sie zwar nicht viel zu berichten, aber über eure Aussagen in der Kutsche“, er warf sie angewidert wie einen alten Putzlappen zu Boden, „bin ich doch maßlos enttäuscht!“

Sein Blick durchbohrte mich: „Hatten wir nicht eine Vereinbarung, Bielefeld?“

Hachino rappelte sich schluchzend hoch.

„Verschwinde, kleines Gör, bevor ich mir für dich noch etwas ganz anderes einfallen lasse!“, spuckte er in ihre Richtung.

Sie wandte mir ihr Gesicht zu. Ich konnte an ihren Augen ablesen, wie leid ihr das hier alles tat. Mühsam erhob sie sich. Sie schwankte. Er musste sie wirklich sehr gefoltert haben!

„Aber Bruder! Er ist unser Neffe...“, wandte sie zögerlich ein.

„VERSCHWINDE!“, schrie er sie an und sie zuckte fürchterlich zusammen, „Er ist ein dreckiges Mischblut! Das Schlimmste von allen! Von diesem verfluchten Verräter!“

Hachino stolperte bei seinem Ausbruch nach hinten, drehte sich auf dem Absatz um und rannte, so weit sie es konnte, weinend zur Tür.

Als die Türe wieder ins Schloss gefallen war richteten sich Mittsus Blicke auf mich, der immer noch auf dem Boden saß.

„Nun zu euch!“

Er legte den Kopf schräg und plötzlich umspielte ein unheimliches Grinsen seinen Mund:

„Für wie dumm haltet ihr mich?“

„Ich verstehe nicht ganz?“

Er kam einen Schritt näher und zog dabei einen Zettel aus der Seitentasche seiner Hose.

Langsam entfaltete er diesen: „Als mir von Hundshaupten von eurer Ankunft berichtete, erwähnte sie auch ein 'Mischblut' in eurer Begleitung!“

Unwillkürlich durchfuhr mich ein eisiger Schauer. Yuuri!

Er bemerkte meine Regung amüsiert, doch fuhr fort: „Seit eurer Ankunft habe ich euch beobachten lassen. Ich habe euch zu mir bringen lassen. Aber dieses Mischblut habe ich natürlich weiterhin beobachten lassen, da ich wissen wollte, wer er ist!“

Yuuri!

„Hier habe ich nun einen wundervollen Bericht von dieser Observation!“

Seine Augen huschten zwischen dem Blatt Papier in seinen Händen immer wieder überprüfend zu mir, um meine Reaktionen zu beobachten während er vorlas:

„Verdächtige Person verlässt Pension in Richtung Zentrum. Verfolgung erweist sich als schwierig aufgrund starkem Wetterumschwung. Zentrum dieses Orkans scheint verdächtige Person zu sein!“, er holte Luft, „Verdächtige Person wird von Lastkarren erfasst und von Anwohnern auf eben diesen gelegt und abtransportiert. Verfolgung zum Haus der Familie Demoray. Bis zum nächsten Morgen keine weiteren Vorkommnisse“, seine Sätze klangen abgehackt, „Zwei Frauen in Personaluniformen verlassen Haus. Eine Gruppe bleibt zur Überwachung am Haus, andere Gruppe folgt. Frauen trennen sich am Personalaufzug. Rebekah Demoray beginnt Dienstantritt in der Schneiderei. Andere Dame wird vorstellig als Yurika Shibuya im Dienstmädchentrakt der oberen Ebene. Verfolgung muss eingestellt werden.“

Mir wurde schlecht. Er hatte es gewusst!

„Also, Bielefeld. Das erklärt mir zumindest, warum ihr euch so schnell von der Idee der Brautwahl begeistern konntet! Ihr wähltet euren Begleiter! Ich muss schon sagen, es gehört einiges an Mut dazu, sich so dreist in den Palast einzuschmuggeln!“

Er faltete das Papierstück wieder zusammen.

Wenn er es wusste, war Yuuri hier keinen Augenblick länger mehr sicher!

„Also sprecht! Wer ist er!“

Was sollte ich sagen? Wie sollte ich reagieren?

Ich hoffte so sehr, dass Yuuri in Sicherheit war. Bei Conrad. Bei Gwendal.

Das Papierstück in seinen Händen flammte kurz auf und die leuchtenden Flammen ließen die Aschenstücke in die Höhe steigen, wo sie sich in kleinsten Teilchen auflösten.

„Ich wiederhole mich ungern!“, seine Stimme wurde ungehalten. Lauter. Bedrohlicher.

„Mein Verlobter!“, fauchte ich ihn schließlich an. Ich merkte, wie sich mein Puls beschleunigte.

Mittsu entwich ein kühles Lächeln: „Denkt ihr wirklich, ich akzeptiere irgendwelche Ausflüchte? Denkt ihr wirklich, ich wüsste nicht, was hier gespielt wird?“, seine Stimme wurde noch lauter.

„Ihr seit nur ein dreckiger Bastard! Ein Produkt, welches kein Anrecht auf Existenz hat!“

In mir stieg Wut auf!

Wie konnte er es wagen, so über mich zu sprechen?

„Und dieser Verlobte ist es ebenfalls! Also nennt mir seinen Namen!“, diese Worte schallten ohrenbetäubend von den Wänden wieder.

„Wagt es nicht, so über ihn zu denken noch zu sprechen!“, entfuhr es mir, doch er lachte nur grell auf und schritt auf mich zu. Ich wäre am Liebsten davongerannt.

Nur weit weg von diesem Monstrum, welches sich Gott schimpfte. Er blieb vor mir stehen und griff blitzschnell nach meinem Gesicht.

Er zog es zu sich heran und ich konnte seinen fauligen Atem riechen. Meine Füße schienen den Kontakt zum Boden zu verlieren. Warum konnte ich mich nicht bewegen? Warum wehrte ich mich nicht?

Egal, wie sehr ich es zu Unterdrücken versuchte, in meinen Augen spiegelte sich die blanke Panik. Ich spürte seine Kraft. Ich spürte seine Energie. Ich spürte seine Macht! Und ich war ihm wehrlos ausgeliefert!

Verdammt! Warum war ich nur so versessen auf dieses Zepter? Wir hätten längst verschwunden sein können. Yuuri!

„Ihr wollt mir also vorschreiben, wie ich über jemanden zu sprechen habe, ja?“, seine flüsternde Stimme in meinem Ohr hatte die Wirkung von herunterfahrenden Fingernägeln auf einer Schiefertafel, „Seid ihr von eurer Rolle hier selbst so überzeugt, dass ihr sie selbst im Angesicht eures Todes weiterspielt?“

„Nein!“, stöhnte ich auf, während seine Finger ihren Griff um meinen Unterkiefer verstärkten. Noch fester und er würde ihn mir zermalmen! Seine giftig grünen Augen brannten sich förmlich in mich hinein und musterten mich. Er schien meine Furcht förmlich aufzusaugen. Begierig, wie ein benötigtes Lebenselixier.

Abrupt ließ er mich fallen und trat einen Schritt zurück: „Als würde ich mir meine Finger an euch schmutzig machen. Wir werden mit euch weiterspielen, denn ihr seid uns noch von Nutzen!“

Ich war hart auf meinen Kniescheiben gelandet und keuchte auf. Ich griff mir an meinen schmerzenden Kiefer: „Was wollt ihr?“

„Wir haben etwas besseres als euch gefunden!“, er wandte mir teuflisch grinsend seinen Rücken zu. Es wäre vermessen und dumm nun aufzuspringen und ihm mein Schwert ins Kreuz zu jagen, auch wenn alles in mir danach schrie!

„Was besseres?“, wussten sie doch, wer Yuuri in Wirklichkeit war? Wussten sie, dass er der von Shinou erwählte Maou war? Die Panik in mir steigerte sich ins Unermessliche! Yuuri!

„Hat er wirklich geglaubt, wir würden seine Präsenz nicht spüren?“

Wen meinte er? Solange Yuuri sein Makoku unterdrückte war er so gut wie nicht zu spüren!

„Hat er wirklich geglaubt, er könne uns seinen Tod vorspielen?“

Yuuri hatte niemanden was vorgespielt, außer die Rolle meiner Verlobten!

„Von wem ist hier die Rede?“, ich zwang mich in den Stand.

Er wandte sich wieder mir zu, den Mundwinkel nach oben gezogen erinnerte er mich an eine abscheuliche Fratze: „Nun, was ist besser als die Fälschung?“

Mein Herz blieb stehen. Shinou. Er sprach von Shinou.

„Genau!“, er schien aus meinem Gesicht meine Gedanken lesen zu können, „Mein kleiner, dummer Bruder! Ich spürte ihn bereits bei unserer Ankunft hier auf Ishiyosai! Er ist hier!“

Er ballte seine rechte Faust und hielt sie sich betrachtend vor seiner Brust: „Nun ist die Zeit gekommen, ihn für seinen Verrat zu richten! Er soll büßen! Er soll leiden! Ich werde ihm sein unendliches Leben zur Hölle machen und wenn er mich dann um Gnade anwinselt, dann reiße ich ihm sein bastardliebendes mickriges Herz heraus!“

Er schien sich in seiner Wut selbst in Trance zu reden, doch dann schnellte sein Kopf wieder hoch und mit einem Satz stand er wieder direkt vor mir. Die Nägel seiner langen Finger bohrten sich nun links und rechts in meine Schulter und ich keuchte auf.

„Und womit lockt man einen abtrünnigen Gott aus der Reserve, mein kleines, blondes Spielzeug? Na, verratet es mir?“

Wieder scherte er sich nicht um die Distanz zwischen uns und rieb seine Wange an meiner. Der Ekel stieg in mir auf: „Keine Ahnung! Ich bin kein Gott!“

„Ha! Stimmt genau!“, er warf mich angewidert nach hinten und ich prallte hart auf einer Tischkante auf.

„Dieser Narr hat alles stehen und liegen gelassen für seine Rufus. Für sein ach so geliebtes, dreckiges Dämonenweib! Und was war das Produkt dieser verabscheuungswürdigen Liaison?“

Ich schluckte.

„Stimmt genau! Kennt ihr nun eure neue Rolle in unserem neuen Spiel?“, ich hasste dieses Grinsen. Ich hasste es!

„Ich kenne Nanatsu! Ich kenne ihn so gut! Er ist ein offenes Buch für mich!“, er lachte wieder grell auf und strich sich seine Haare nach hinten. Erneut erschien er wie aus dem Nichts direkt vor mir. Ich stand mit dem Rücken zum Tisch. Ich konnte nicht ausweichen: „Er würde für euch sterben!“, hauchte er mir zu.

„Ha! Für mich?“, entfuhr es mir und ich quälte mir ein Lächeln heraus, „Ich war ihm von jeher egal. Ich bin nicht Rufus. Und ich bin nicht Henrik!“

Mich durchfuhren erneut die Erinnerungen Shinous. Ich spürte seine Gefühle bei den Gedanken an die Beiden und seinen Schmerz, als er von ihnen Abschied nehmen musste.

„Glaubt ihr das wirklich?“, er schien amüsiert zu sein über meine Annahme, „Ich denke, wenn er euch sieht, dann sieht er sie und sich selbst. Ihr habt ihr Temperament, ihren Willen und ihre Augen. Ihr habt sein Aussehen, seinen Stolz und seinen verweichlichten Gerechtigkeitssinn. Oh, der Gute muss mächtig stolz auf euch sein!“

Er kicherte spöttisch. Irgendwie schmerzte mich dieser Spott mehr als der Aufprall zuvor auf den Tisch.

Die schwere Stahltür wurde wieder geöffnet und meine letzte Hoffnung, hier doch noch irgendwie heil heraus zu kommen, schwand dahin.

Itsutsu und Muttsuno stolzierten geradewegs auf uns zu. Mittsu drehte sich dadurch von mir weg und dies verschaffte mir einen kurzen Augenblick zum Luftholen.

„Ihr hattet Recht, Bruder! Dieser Knirps in Frauenkleidern macht gemeinsame Sache mit Bielefeld! Er hat seine Garderobe gewechselt und sitzt nun draußen mit dessen Leibwache im Park bei einem netten Schwätzchen!“, Muttsuno musterte mich im Vorübergehen, „Was machen wir nun mit dem da?“

Yuuri war also bei den Anderen! Shinou sei Dank! Hoffentlich waren sie nun nicht so dumm nach mir zu suchen. Hoffentlich schafften sie Yuuri hier weg!

„Hm!“, Mittsus stechender Blick stach wieder auf mich ein. Ich rührte mich nicht. Selbst meine Atmung flachte ab. Wenn Yuuri mit den anderen flüchten wollte, brauchten sie Zeit. Und ich hatte hier die drei schlimmsten Götter beisammen! Ich musste ihnen Zeit verschaffen. Aber wie?

„Ich denke, ich überlasse ihn euch zum spielen!“, ein unheimliches Grinsen machte sich auf seinem Gesicht breit, „Aber lasst noch etwas von ihm übrig. Er sollte noch kriechen können. Wer weiß, wie lange wir ihn noch brauchen!“

Er trat wieder so dicht vor mich, das er wieder seine Krallen in mein Gesicht bohren konnte und mich geringschätzend an funkelte: „Eure Schreie wird er nämlich nicht hören, aber eure Schmerzen und euer dahin schwindendes Leben spüren. Es wird ihn wahnsinnig machen und er wird in meine Falle tappen!“

Tappen? Shinou konnte nicht tappen! Er war nur ein Seelenlicht! Anscheinend wusste Mittsu dies nicht! Ich musste mich also auf eine lange Folter gefasst machen! Solange sie sich auf mich konzentrierten und Yuuri dabei außer Acht ließen war mir jede Folter recht. Aber ich würde mich wehren! Ich war ein Bielefeld. Ein Bielefeld gab nicht auf! Ein Bielefeld starb stets kämpfend auf dem Schlachtfeld mit einem Schwert in der Hand!

Mittsu ließ mich zur Seite stoßend los. Ich fiel zu Boden.

„Obwohl“, er sah zu seinen jüngeren Zwillingsbrüdern, „Er ist keine Herausforderung! Itsutsu, du darfst ihn haben! Muttsuno, du begleitest mich. Wir werden mit Yonno reden müssen. Diese kleine Göre Hachino hat sich bestimmt schon bei ihr ausgeheult! Ach ja, und dann ist da noch diese lästige Veranstaltung, die wir zu Ende bringen müssen!“

„Ihr könnt nun keinen Nanatsu mehr präsentieren“, keuchte ich vom Boden zu ihm hoch.

„Zerbrecht euch nicht meinen hübschen Kopf, Bastard!“, er schielte zu mir herunter, „es wäre ja nicht das erste Mal, dass ich mir für das plötzliche Verschwinden meines Bruders eine Ausrede einfallen lassen müsste!“

Er lachte auf und schritt zur Türe: „Viel Spaß, Itsutsu!“, und winkte fröhlich.

Muttsuno schien ein wenig enttäuscht beim anstehenden Schlachtfest nicht dabei sein zu dürfen, eilte aber dann seinem ältesten Bruder hinterher. Die schwere Tür öffnete und schloss sich erneut. Nun war ich alleine. Mit ihm. Ich schluckte während ich mich am Tisch abstützend wieder hochzog.

„Dann wollen wir mal sehen, was ihr Mischblütler von heute so drauf habt!“, jauchzte er fröhlich und sah mich arrogant und herausfordernd an, „Na los, darfst anfangen!“

Das ließ ich mir nicht zweimal sagen! Ich hatte eine Chance. Er war jetzt nur noch alleine! Er war doch ein in die Jahre gekommener Gott und hatte bestimmt das Training vernachlässigt! Ich hingegen war gut im Training geblieben! Ich musste nur alles geben! Dann würde ich ihn besiegen und hier rauskommen, zu Yuuri eilen und ihn retten und dann nur noch hier weg! Yuuri hatte Recht. Wir brauchten kein Zepter.

Er brauchte es nicht. Ich brauchte es nicht! Ich brauchte nur ihn! Und ich musste mich beeilen! Er brauchte mich! Dieser Waschlappen brauchte meinen Schutz!

„Ich rufe alle Elemente des Feuers! Gehorcht den Dämonen, dem siegreichen Volk über die Schöpfergötter!“

Ich legte die ganze Macht meines Maryokus in diesen Angriff. Ein riesiger Feuerlöwe erschien vor mir und raste auf Itsutsu zu.

Er hob überrascht eine Augenbraue und sprang hoch. Er sprang nach hinten an die Wand, stieß sich dort ab, überschlug sich in der Luft über meinem Kopf, während mein Löwe an der Wand verpuffte, und landete direkt hinter mir.

Verdammt!

Er legte seinen Kopf mit einem Grinsen zur Seite und steckte beide Hände in die Hosentasche: „War das schon alles?“, er hob sein rechtes Bein und trat.

Dieser Tritt landete genau auf meinem Brustkorb. Er war so heftig, dass es mich nach hinten katapultierte und ich mit voller Wucht genau auf die Wand prahlte, wo nur Sekunden zuvor mein Löwe sich aufgelöst hatte.

Er lachte über meinen wütenden und zugleich überraschten Gesichtsausdruck:

„Ihr schließt also tatsächlich noch Bündnisse mit den Elementen ab, ja?“

Erneut sprang er und stand direkt vor mir, immer noch in der lässigen Pose.

Gewiss schien ich in seinen Augen kein wahrer Gegner zu sein, doch ein wenig Respekt hätte er mir gegenüber schon erübrigen können!

„Man schließt keine Bündnisse ab. Man befiehlt einfach!“, mehr sagte er nicht. Weiterhin dieses dämliche Grinsen. Doch da durchschoss es mich.

Ich schrie auf! Es war wie abertausende Nadeln, die sich glühend in meinen ganzen Körper bohrten.

Er lachte auf, während ich fast besinnungslos vor Schmerz die Wand erneut entlang runterrutschte.

„Siehst, kleiner Abschaum, so geht das! Und? Hab ich dumme Formeln daher gebrabbelt oder mich groß bewegen müssen?“, immer noch die Hände in den Hosentaschen beugte er sich zu mir herunter, „Nein! Hab ich nicht! Mir gehorchen die Elemente auch ohne Bündnisse! Sie fürchten halt unsere naturgegebene Macht! Ja, selbst die Elemente fürchten uns!“

Er lachte, dann trat er wieder zu. Doch zu seiner Überraschung wich ich aus, rollte mich über die Seite und sprang dann einige Meter zurück: „Danke für die Aufklärung!“, zischte ich, „Dieser Monolog hat mir doch Zeit zum Verschnaufen gegeben!“

„Hmpf!“, ertönte da ein nasales Auflachen, „Du bist echt süß!“

„Was?“

„Wenn du dich nun ganz artig ein wenig von mir quälen lässt, dann finde ich für unser nächstes Treffen bestimmt eine angenehmere Beschäftigung!“

In mir stieg Brechreiz hoch! Ich? Mit dem?

Nur weil der schwarze Haare hatte war er doch noch lange nicht gleich mein Typ!

Ich zog mein Schwert: „Vergiss es!“, ich rannte los und holte aus, „Ich bin glücklich vergeben!“ Oh je, das entsprach doch eher meiner Wunschvorstellung als der Wahrheit!

Er wich aus. Noch ein Hieb. Erneut rettete er sich mit einem Sprung nach hinten, allerdings nahm er jetzt endlich doch die Hände aus den Taschen.

Ich sprang erneut auf ihn zu. Dieses Fléche, ein geschossartiger Sturzangriff, war eine meiner besten Angriffstechniken. Er stolperte fast, fing sich aber wieder.

Ich hatte es geschafft. Sein überhebliches Grinsen verzog sich:

„So macht das aber keinen Spaß!“, brummte er und hielt seinen Arm senkrecht vom Körper. Seine Handfläche zeigte offen nach oben, „Ich wähle Tetsu!“

„Was?“

In seiner Hand sammelten sich plötzlich viele Lichtpunkte, die seinen Arm zu verlängern schienen. Schließlich konnte ich kaum mehr etwas erkennen, weil mich dieses intensive, glühend weiße Licht so blendete.

„Nicht schlecht, nicht wahr?“, da war schon wieder dieses Grinsen! Das regte mich auf!

In seiner Hand lag plötzlich ein silbernes Langschwert! Wie hatte er das gemacht? Wo kam das Schwert her?

„Du bevorzugst also Feuer, hm?“, nun rannte er auf mich zu, zog sein Schwert von unten her nach und ließ es kurz vor mir nach oben schnellen.

Ich sprang rückwärts, parierte und ging über in ein Filo, einen bindenden Direktangriff entlang seiner Klinge.

Er parierte mit Riposte, einem unmittelbar folgendem Gegenstoß, welchem ich aber mühelos, durch mein jahrelanges hartes Training, ausweichen konnte.

Doch da durchzog es mich schon wieder. Nadel schossen mir in mein Sprunggelenk, noch während meines ausweichenden Sprungs und so knickte ich böse mit meinem Sprungbein um und krachte hart mit dem Knie auf die Steinplatten.

Er lachte hämisch auf: „Noch nicht begriffen, kleiner Bastard? Mein Lieblingselement ist das Metall!“

„Wie? Niemand beherrscht das Metall!“, zischte ich während ich mich darauf konzentrierte, meine Heilkräfte in den Fuß fließen zu lassen.

„Niemand, außer Muttsuno und ich!“, flötete er und stellte sich in Angriffsstellung.

Verdammt! Er griff mich zeitgleich mit seinem Metallmaryoku und dem Schwert an!

Wie sollte ich da ausweichen?

„Schon müde?“, er wechselte von der Angriffsstellung in die normale Körperhaltung, ließ sein Schwert sinken und legte den Kopf gelangweilt schief, „Das ist aber schade! So macht das keinen Spaß! Steh wieder auf, na los!“

„Wenn ein Gott was sagt“, ich sprang auf, volles Maryoku auf meine geschundenen Muskeln in den Sprunggelenken, „sollte man wohl springen, was?“, drehte mich in der Luft, landete hinter ihm, er fuhr überrascht herum und ich stieß mit aller Kraft zu.

Mein Schwert bohrte sich tief in seine linke Schulter. Ich spürte, wie ich sein Schlüsselbein durch das eindringen des Schwertes zerstieß.

Doch er blickte mich mit seinen braunen Augen nur anteilnahmslos an. Mein Schwert steckte in seiner Schulter. Blut färbte seine hellblaue Uniform und tropfte die Schneide entlang zu Boden. Er betrachtete mit müden Augen das Schwert, dann mich.

Und dann trat er einen Schritt auf mich zu. Ich hielt immer noch mein Schwert fest und es bohrte sich tiefer in ihn hinein. Doch das störte ihn nicht. Er stand nun direkt vor mir. Mein Schwert in ihm bis zu meinem Griff.

Was bitte war er? Er lächelte milde. Ich stand nur steif da. Er ließ seine Hand über meine Wange fahren, ganz sanft.

„Ich habe doch gesagt, du bist süß!“, grinste er. Seine Hand schoss von meiner Wange in meinen Nacken, packte mich am Hinterkopf und drückte diesen nach vorne.

Plötzlich spürte ich warme, feuchte Lippen auf den meinen. Panik stieg in mir auf! Dieser Irre küsste mich! Schlimmer noch! Er versuchte mir seine Zunge in meinen Mund zu schieben! Sofort aus meiner Schockstarre erwacht stieß ich mich mit aller Kraft von ihm ab und landete unsanft auf meinen Hintern.

Er lachte hell auf: „Das war ganz schön! Das war die Belohnung! Das...“, er zog langsam mein Schwert aus seiner Schulter, „tat nämlich ganz schön weh!“, und schmiss es mir vor die Füße. Mir war so schlecht! Ich hatte das Gefühl mich übergeben zu müssen!

„Wollen wir noch weiterspielen, oder magst du nun doch den angenehmeren Teil der Folter?“

„Halt deine Klappe!“, ich sprang auf, schnappte mir mein Schwert vom Boden und holte aus. Doch Schmerz durchfuhr mich und ließ mein Schwert noch vor dem eigentlich erfolgten Angriff kraftlos sinken. Diese Nadeln bohrten sich in meine Schulter, den Hals und den Brustkorb.

Wieso konnte ich diese Angriffe nicht sehen? Wie sollte ich so ausweichen?

Wie sollte ich ihn überhaupt besiegen?

Wie tötete man einen Gott?

In Shinous Erinnerungen hatte ich gesehen, wie er starb. Er war in Daikenjas Schwert gelaufen. Gerichtet auf sein Herz! Ich hatte Itsutsus Herz knapp verfehlt!

Ich musste es noch einmal versuchen. Aber wegen dieser blöden Nadelangriffe kam ich nur über Geschwindigkeit an ihn heran. Und die erreichte ich nur, wenn er abgelenkt war.

Verdammt!

„Was ist? Kommt da noch was?“

Ich atmete zischend aus: „Dich mach ich fertig! Niemand küsst mich ungestraft!“

„Ist das deine einzige Sorge?“, lachend warf er seinen Kopf nach hinten, „Was sagst du denn erst wenn ich mit dir fertig bin?“

Dieses Auflachen hatte ich genutzt: Meine Beschwörungsformel murmelnd rannte ich wieder auf ihn zu, mein Feuerlöwe tauchte neben mir wieder auf. Er unterbrach sein Lachen, starrte auf den Löwen. Ich sprang. Mein Löwe sprang.

Er musste meinem Löwen ausweichen. Er konnte also unmöglich konzentriert sein Maryoku auf mich anwenden.

Dachte ich.

Er sprang tatsächlich dem Löwen ausweichend in die Höhe, doch ich konnte nicht angreifen, da mich ein erneuter Nadelangriff sofort in die Knie zwang. Wieder mein Sprunggelenk!

Aber meine Arme taten es noch! Während ich getroffen zu Boden stürzte legte ich all meine Kraft in mein Schwert und warf.

Das Schwert durchbohrte ihn nur knapp unterhalb des Herzens.

MIST!

Aufstöhnend landete er neben mir auf beiden Füßen, mein Schwert erneut tief im Körper steckend.

„Du kapierst es nicht, hm? Du kannst mich mit deinem Schwert nicht ernsthaft verletzten. Es ist aus Metall. Metall kann mir nichts zur Leide tun. Er holte zum Schlag aus und traf mich mitten ins Gesicht. Ich hörte ein lautes Knacken. Das waren meine Nase und mein Kiefer!

Anscheinend hatte er meine eigentliche Absicht, sein Herz zu treffen, nicht bemerkt.

„Und du kennst wohl die Nachteile von Metall nicht!“, schrie ich ihn forsch an.

„Hä?“

„Es leitet Hitze!“ Mein Löwe, der hinter ihm gelandet war, war nicht erloschen. Er sprang nun erneut auf ihn zu, veränderte aber seine Gestalt in reine Glut und fuhr in mein Schwert, welches noch in seiner Brust steckte.

Er schrie auf! Schlagartig roch es bestialisch nach verbranntem Fleisch.

Mühsam und mit ohrenbetäubendem Geschrei zog er sich das glühend heiße Schwert aus dem Leib und ließ es vor sich auf den Boden fallen. Auf seiner Hand hatte sich mein Schwertgriff eingebrannt. Diese sah er nun mit zornigen, weit aufgerissenen Augen an:

„Du kleiner Bastard hast es gewagt!“

Sein Blick richtete sich auf mich. Seine Augen waren nicht mehr länger braun. Sie waren rot! Sein Körper schien zu verschwimmen. Ich spürte eine unsagbar starke Aura.

Er sammelte sein ganzes Maryoku um sich!

Ich wusste, dass das nun mein Ende sein würde. Gegen solch eine Macht konnte ich nicht antreten!

Yuuri!

War es das jetzt?

Yuuri, ich wünschte, ich hätte wenigstens den hier für dich besiegen können!

'Nutze deine Macht!'

Was war das? In mir hörte ich eine leise Frauenstimme.

„Wenn ich mit dir fertig bin schnappe ich mir deinen kleinen Freund und zieh ihm die Haut vom Fleisch!“, schrie Itsutsu aufgebracht.

Yuuri!

'Du bist Nanatsus Nachkomme! In dir steckt auch göttliche Kraft! Nutze sie!'

Wieder diese Stimme. Ich kannte sie!

'Konzentriere dich! Lege all deine Gefühle in sie! Bündle sie und lass sie raus!'

„Ich werde dich Fehlgeburt zerreißen!“, Itsutsus Maryoku erfüllte die Luft um uns herum. Sie brannte förmlich!

'Konzentriere dich!'

Ich schloss die Augen.

Konzentrieren! Ich musste mich konzentrieren!

Feuer. Ich spüre dich. Ich spüre die Elemente des Feuers um mich herum. Kommt zu mir, meine Verbündeten. Ich brauche euch. Kommt zu mir!

Etwas durchbohrte mich. Es stach höllisch am rechten Unterbauch. Er hatte mir mein eigenes Schwert in mich hineingestochen! Ich schrie auf! Dieser Schmerz!

Ich muss mich konzentrieren! Sie sammelten sich um mich. Meine mit mir verbündeten Elemente sammelten sich scharenweise um mich. Nun brannte auch die Luft durch mich!

'Und nun schlag zu!'

„Ich rufe alle Elemente des Feuers! Gehorcht den Dämonen, dem siegreichen Volk über die Schöpfergötter!“, schrie ich aus voller Inbrunst und deutete mit ausgestrecktem Arm auf Itsutsu.

Es war eine Explosion von ungeheurem Ausmaß. Es katapultierte mich sowie Itsutsu quer durch den Raum. Unser beider Maryokus waren mit voller Wucht aufeinandergeprallt!

Mein Feuer zerschmolz sein Metall, welches in glühenden Tropfen auf uns niederregnete. Ich versuchte vor Schmerz kriechend Deckung unter einem Tisch zu suchen, doch da packte mich Itsutsu am Bein und zerrte mich über den Fußboden. Das flüssige Metall brannte auf meiner Haut, aber auch auf seiner. Alles im Raum fing Feuer.

„Ich lass dich nicht davonkommen!“, schrie er hysterisch und hielt mich krampfhaft am Knöchel fest. Er hob sein Schwert und dieses sauste auf mich nieder.

„NEIN!“, schrie ich und warf mir schützend die Arme vor das Gesicht, doch es geschah nichts. Ich hörte plötzlich nur Itsutsus Aufschrei.

Er ließ mein Bein los und ich krabbelte unbewusst erst mal von ihm weg, ehe ich einen Blick auf ihn zurück warf.

Sein ganzer Körper stand in Flammen! Er schrie auf, warf wild mit seinen Armen um sich und verletzte sich dabei selber mit seinem Schwert.

Die Flammen um ihn wurden immer mehr. Immer fordernder. Selbst an mir züngelten sie hoch, brannten mir die Kleider vom Leib.

Doch ich spürte nicht wirklich diesen Schmerz. Mich quälten bereits schon so viele Schmerzen.

Ich robbte weiter in die von mir vermutete Raummitte. Ich konnte nichts sehen. Die Flammen versperrten mir die Sicht. Itsutsus Schreie verstummten. War er tot? Oder suchte er mich nun in den Flammen.

Ich konnte nicht aufstehen! Ich sah, wie ich eine lange Blutspur hinter mir herzog. Ich musste mich auf meine Wunde am Bauch konzentrieren. Ich verlor einfach zu viel Blut!

Langsam schwanden mir die Sinne.

Verdammt! Ich schaff es echt nicht mehr, was?

Aber so wie es aussah, hatte ich es doch geschafft. Ich hatte einen von ihnen mit in den Tod genommen!

Ein Lächeln kroch über mein Gesicht.

Ein Bielefeld stirbt stets auf dem Schlachtfeld.

Nun ging mir auch die letzte Kraft aus.

Ich blieb regungslos liegen. Bilder aus meinem Leben schossen mir durch den Kopf.

Reiten über die weiten Felder Shin Makokus bei Sonnenuntergang.

Mein Geigenspiel beim Ball anlässlich des 250. Geburtstages meiner Mutter.

Meine erste Kunstausstellung.

Meine erste Begegnung mit Yuuri.

Meine ersten Schwertstunden mit Conrad.

Ach, Conrad. Es tut mir so leid, dass ich dich jahrelang so herablassend behandelt habe.

Meine Gespräche mit Gwendal. Es tut mir leid, dass ich so selten auf deinen stets gut gemeinten Rat gehört habe.

Mein erster Kuss... Yuuri...

Mutter... bitte weine nicht... zu viel um mich...

Shinou... bist du... wirklich... stolz auf mich?

Yuuri... mein... Yuuri... wie gerne hätte... ich...dir...noch gesagt...das...ich...dich...liebe...
 

***********************************
 

„Tut mir leid, aber er war so besorgt, dass wir nicht wussten, wie wir ihn anders zum Schweigen bringen sollten!“

Wir waren geschlossen zu der übriggebliebenen Kutsche geeilt, mit der meine Freunde nach Ishiyosai gereist waren und Conrad warf mir einen länglichen, in Stoff eingehüllten Gegenstand zu.

„Was?“, doch ich brauchte nicht weiter zu fragen, denn aus dem Stoffbündel vernahm ich ein protestierendes Murren.

„Morgif!“, ich entwickelte mein treues Schwert und dieses strahlte mich mit verliebten Augen an, als es mich erkannte.

„Was?“

„Er hat zu laut gejammert!“, rief Iossac, „Da hatte von Grantz die rettende Lösung!“

Man hatte Morgif tatsächlich einen Knebel in den Mund gestopft. Wäre die Situation nicht so dramatisch, hätte ich lachen müssen. So entfernte ich schnell das Stoffknäuel welches stramm um sein Screammaskenähnliches Gesicht geknotet war.

„Muahhhhh!“, dankte er es mir glücklich, doch selbst mein Schwert bemerkte direkt, dass nun keine Zeit für eine lange und fröhliche Begrüßung war.

Conrad sprang wieder aus der Kutsche. Er warf jedem sein Schwert zu, die sie hatten zurücklassen müssen, da es ihnen nicht gestattet gewesen war, bewaffnet in die Klosterhallen zu treten.

„Und nun? Das Gelände ist riesig! Wie sollen wir da das Prinzchen finden?“, Adalbert zog noch das Rapiergehänge fester um seine Hüfte. Er hatte Recht. Shinou und ich hatten deutlich gespürt, dass etwas mit Wolfram nicht stimmte, aber wo er genau war konnte keiner von uns sagen!

Dennoch lief ich einfach los. Mit stehenbleiben und warten war noch niemanden geholfen worden. Ich spürte meine Freunde dicht hinter mir. Vom Hof ins Gebäude rein. Die Gänge und das Foyer waren wie leergefegt. Sie waren alle wieder hineingegangen. Mein Gefühl sagte mir, dass ich mich rechts halten sollte. Dort war auch wieder der Seitenausgang, der in den Park führte. Mich trieb es wieder in den Park.

„Majestät!“

„Yuuri!“

Ich drehte mich während des Laufens zu Conrad und Günter herum.

„Seit ihr sicher?“, fragte mich mein Namensgeber.

„Nein. Ist nur so ein Gefühl!“

Wir liefen am Brunnen vorbei wieder auf den hinteren Teil des Gebäudes zu.

Dort durch einen kleineren Torbogen und dann blieb ich stehen.

Wo lang?

Es war ein langer Gang in beide Richtungen. Alle paar Meter gingen Türen von diesem Gang ab in Räumlichkeiten. Und mein Gefühl war plötzlich verstummt.

Wolfram?

Was jetzt?

Ich hörte ein stilles Wimmern.

Was war das?

Mein Blick richtete sich nach rechts. Hinter einer schlanken Säule, am Boden kauernd, saß jemand.

Ich spürte, dass mich Conrad vorsichtshalber noch festhalten wollte, doch ich schüttelte seine Hand von meiner Schulter ab und trat näher heran.

„Hachino!“, entfuhr es mir, als ich um die Säule herum gesehen hatte.

Die Angesprochene zuckte erschrocken zusammen. Sie kauerte auf dem Boden mit angewinkelten Beinen. Ihr schönes Kleid, welches mich an Wolframs Nachthemd erinnerte, war ganz staubig und hatte einige Risse.

Ich kniete neben sie: „Hachino“, und ich legte ihr meine Hand auf den Kopf.

Ihr Blick war verwirrt: „Wer sind sie und wieso erdreisten sie sich, mich beim Namen zu nennen?“

Sie war jedoch viel zu aufgelöst um wirklich böse und zu dieser Aussage passend zu klingen. Ich lächelte, soweit mir das bei meinem inneren Drang zur Eile möglich war:

„Ich bin es. Yurika! Eigentlich heiße ich Yuuri!“

Zuerst starrte sie mich an, als wolle ich sie auf den Arm nehmen. Doch dann änderte sich plötzlich ihr Blick. Ihre Mundwinkel verzogen sich nach unten und neue Tränen schossen ihr aus den Augenwinkeln. Und dann, überhaupt nicht ihrem Stand und erst Recht nicht einer Göttin entsprechend, fiel sie mir um den Hals: „Sie haben ihn! Sie haben ihn! Sie wollen ihm wehtun! Er ist doch Nanas … er ist doch Nanas...“

Hachino! Beruhige dich!

Diese Stimme vernahmen wir alle. Sie war ruhig und sanft, zärtlich und fast väterlich.

Hachino ließ von mir ab und blickte suchend an mir vorbei, erkannte aber niemanden unter meinen Freunden, der ihr bekannt vor käme.

„Nana?“, flüsterte sie vorsichtig.

Ja, Hachino. Ich bin hier, auch wenn du mich nicht sehen kannst. Meine kleine Prinzessin, sprich, wo ist Wolfram?

„Nana!“, ihr Gesicht klarte sich auf. Langsam hob sie ihre Hand und deutete den Gang hinunter, „Im Meditationsraum am Ende des Ganges hinter einer Stahltür“, flüsterte sie die Antwort.

Hachino! Danke! Ich halte mein Versprechen! Vertrau mir!

Ich hatte keine Zeit genauer darauf einzugehen, was Shinou damit gemeint hatte noch mir darüber Gedanken zu machen. Kaum hatte Hachino uns die Richtung gedeutet, war ich aufgesprungen und rannte. Ich rannte so schnell, dass nur noch Conrad wirklich mithalten konnte. Vermutlich, weil er mein Tempo von unseren morgendlichen Lauftrainings am ehesten kannte.

Der Gang erschien mir unendlich lang. Doch bald erkannte ich eine große, stählerne Tür am Ende des Weges und stand kurz davor, mich gegen diese zu werfen, als...

„Nicht, Yuuri!“

Conrad packte mich mit aller Kraft und riss mich nach hinten um auf den Boden.

„Gut gemacht, Hauptmann! Das war knapp!“, Iossac war neben uns zum Stehen gekommen und reichte uns die Hand zum Aufhelfen.

„Was!“, rief ich zornig, doch Adalbert fuhr dazwischen: „Seit nicht blind vor Liebe!“, und deutete auf die Tür. Erst jetzt fiel mir auf, dass diese für eine Stahltür einen zu intensiven orangen Glanz hatte.

„Oh, sie glüht förmlich! Dahinter muss ein riesiges Feuer wüten!“, stöhnte Günter entsetzt auf.

Es stimmte. Die Tür strahlte eine ungeheure Hitze aus. Wie eine Kochplatte. Sie zu berühren würde jemanden sofort verbrennen!

„Ich muss da rein!“, schrie ich hysterisch, „Wolfram ist da drin!“

„Wir wollen alle da rein!“, Adalbert trat eine Tür vom letzten Raum des Ganges auf und verschwand darin, „Glie!“

Iossac erhörte seinen Ruf und folgte ihm. Sekunden später erschienen sie mit einer aus einem schweren Holzstamm heraus geschnitzten Bank und rannten damit zur Tür.

Wie mit einem Rammbock schmissen sie sich mit dem Stamm dagegen, doch die Tür öffnete sich nicht.

„Nochmal!“, rief Iossac und er und Adalbert schritten zurück um nochmal Anlauf nehmen zu können.

„Moment!“, schrie Gwendal, „Ich rufe alle Elemente der Erde! Gehorcht den Dämonen, dem siegreichen Volk über die Schöpfergötter!“

Er ballte seine Faust und schlug auf den harten Steinfußboden. Die Erde bebte. Es taten sich Risse auf und es bildete sich ein Erdwall, der auf die Türe zuschoss und laut krachend dagegen zerbarst.

Nichts. Die Tür blieb geschlossen.

Dieses Gemäuer konnten selbst meine Väter nicht niederreißen!

Shinous Aussage hinderte Adalbert und Iossac dennoch nicht daran, erneut mit dem Baumstamm auf die Türe zu zu rennen. Erneut trafen sie diese hart, doch da fing der Stamm sofort Feuer! Adalbert warf ihn zur Seite und rannte zurück in den Raum, um einen Neuen zu holen. In der Zwischenzeit wendete Gwendal erneut sein Maryoku an.

Die Wände des Raumes, in den wir so dringend wollten, erbebten, doch es gab weiterhin keine Möglichkeit des Eindringens!

Wolfram!

Ich sank auf die Knie.

Wolfram!

'Yuuri!' Ich erschrak. Das war Wolframs Stimme. Ich sah mich um. Meine Freunde versuchten weiterhin mit aller Kraft in den Raum zu kommen, niemand schien es zu hören! War ich der Einzige, der seine Stimme vernehmen konnte?

Wolfram!

'Yuuri!' Da! Erneut! 'Yuuri! Bitte verzeih mir, das ich nicht mehr bei dir sein kann!'

Was?

'Es war schön, dich kennengelernt zu haben! Vergiss mich bitte nicht zu schnell, mein Waschlappen! Ich liebe dich'

Stille.

Nur noch die Geräusche um mich herum.

Wenn Holz auf Metall kracht.

Wenn Erde auf Stein schlägt.

Wolfram? Nichts.

Wolfram? Nichts!

„WOOOOOOOOOLLLLLLLLLLFFFRRRRAAAAAAAAAAAM!“

Kapitel 18

KAPITEL 18
 

„WOOOOOLLLLFFFFRRRRAAAAAMMMM!“,

Ich kniete noch immer und schlug mit beiden Fäusten hart auf den Boden.

Iossac und Adalbert stemmten sich mit aller Gewalt gegen den Stamm beim erneuten Versuch, die Türe aufzubrechen. Doch durch die immense Hitze der stählernen Türe fing auch bald dieser massive Baumstamm Feuer.

Ich musste da rein!

Ich musste zu Wolfram!

Ich spürte eine Hand an meiner Schulter, die mich grob festhielt.

Erst jetzt wurde mir bewusst, dass ich aufgesprungen war und nur noch wenige Zentimeter von der glühendheissen Türe entfernt stand. Conrad, der mich gepackt hatte, riss mich erneut nach hinten: „Majestät! Es bringt niemandem etwas wenn ihr jetzt unüberlegt handelt!“

Der Boden erzitterte, die Wände um diese Türe erhielten Risse. Gwendal erhob sich. Schweiß perlte ihm von der Stirn. Er hatte sein Erdmaryoku schon zu oft angewandt.

Er würde zusammenbrechen, bevor wir auch nur eine Chance hatten, durch eine beschädigte Stelle in der Wand zu brechen.

Bevor wir auch nur eine Chance hatten, Wolfram zu retten.

Bevor ich meinem Wolfram...

„Diese Feuerbarriere ist magisch. Gwendals Erdmagie kann nichts ausrichten!“, seufzte Günter.

Wasser, dachte ich, Wasser ist der natürliche Feind des Feuers.

Und ich beherrsche alle Elemente, aber am Besten beherrsche ich das Wasser! Nur wie aktiviere ich diese Kraft in mir? Wolfram ist in Gefahr! Er war wegen mir hier! Er hatte dieses Verwechslungsspiel um Shinou gemacht nur um an das von mir benötigte Zepter zu kommen!

Er ist in dieses Intrigenspiel und somit in deren Falle geraten weil er stets für mich da sein will und da ist und nun braucht er mich! Er braucht mich!

„Geht alle zur Seite!“, sagte ich mit ernster, dunkler Stimme und trat genau vor die glutrote Tür.

Meine Freunde spürten meine aufsteigende Aura. Sahen, wie sich meine Pupillen zu Schlitzen zogen.

Ich holte tief Luft. Susannah Julia, ich weiß, dass du nicht mehr da bist, aber bitte erhöre mich. Bitte, hilf mir! Hilf mir die Kraft zu finden meinen Wolf da raus zu holen!

Der Stein auf meiner Brust wurde glühend heiß. Er schien sich durch den Stoff meiner Uniform zu fressen um sich in mich einzubrennen.

Diesen Schmerz ignorierend hob ich meine rechte Hand und schloss meine Augen. Dunkelheit. Laute panische Stimmen vor der Türe meiner Freunde und Begleiter. Und da hörte ich es. Hörte ich es wirklich oder war es mehr ein Fühlen.

Ich fühlte Wolf!

Umzingelt von seinen eigenen, unkontrollierbaren und beschworenen Flammen, am Boden liegend mit starken Schmerzen, verzweifelt nach Luft schnappend, mit langsam werdeneren Herzschlag, mit aussetzendem Puls, mit meinen Namen flüsternd auf den Lippen...

„WOOOOOLFRAAAAAAM!“
 

Die Energie war so stark, dass sie alle Anwesenden nach hinten katapultierte.

Nur Yuuri stand unangetastet vom Druck des Aufschlags, den sein Wasserdrache auf die Tür verübt hatte, da. Die Türe war zerborsten, das glühend heiße Metall hatte dem Druck der kalten Wassermaßen nichts entgegen zu setzten gehabt.

Fünf weitere Wasserdrachen rasten in den Raum und erstickten sogleich alle Flammen. Der dadurch entstehende Wasserdampfnebel versperrte den Anwesenden die Sicht. Doch das hinderte Yuuri nicht. Blind lief er in den Raum hinein. Er schien Wolfram noch zu spüren. Noch!

„Majestät!“, riefen Conrad und Günter zugleich und liefen nach.
 

Wolf... Wolf... wo bist du?

Ich spürte ihn schlagartig nicht mehr. Doch da. Ein schwacher Herzschlag wenige Meter vor mir!

„Wolfram!“, schrie ich panisch und ließ mich an erfühlter Stelle zu Boden sinken. Diese Nebelschwaden versperrten mir die Sicht!

VERSCHWINDET!

Um mich herum bildete sich eine Windrose und all der Wasserdampf wurde nach oben hin weg gesaugt.

Nach und nach lichtete sich der Raum. Er war gänzlich schwarz und verkohlt. Alles war den unaussprechlich heißen Temperaturen zum Opfer gefallen.

Und genau dort, wo ich ihn erfühlt hatte, lag Wolfram in einer in den Steinboden eingebrannten Blutlache.

Mein Herz setzte aus: „Wolf?“

Ich berührte ihn sachte am Oberarm. Sein Körper war heiß. Vermutlich noch durch die Hitze zuvor. Aber er regte sich nicht.

„Wolf? Bitte!“

Seine Augen waren geschlossen.

„Wolfram? Bitte bitte wach auf!“

Nichts.

Neben mir landete Günter auf seinen Knien und drehte Wolf auf den Rücken. Er wich etwas erschrocken zurück, atmete schwer und laut hörbar ein und legte dann seine Hand auf Wolframs nackten Oberkörper.

Ich legte seinen Kopf auf meine Oberschenkel. So hatte er es immer bei mir gemacht, wenn ich erschöpft war.

„Jetzt hör schon auf mit dem Unsinn! Steh auf jetzt!“

Der Großteil seiner Kleider war verbrannt. Sein ganzer Körper wies weniger Verbrennungsspuren auf, als ich angenommen hatte. Das mochte daran liegen, das sein Element das Feuer war und seine Haut dadurch von Natur aus resistenter gegen Brandverletzungen. Dennoch konnte man deutlich die Spuren eines harten Kampfes erkennen.

„Wolfram! Bitte!“, meine Stimme versagte langsam. Ich bekam keine Luft mehr.

„Wolfram!“

„Ich spüre keinen Herzschlag mehr, eure Majestät!“, wisperte Günter neben mir.

Ich hörte ihn kaum.

„Wolfram... steh auf!“

Ich nahm seine Hand, doch leblos rutschte sie mir aus der meinen und klatschte zu Boden.

Tränen stiegen in mir auf: „Wolfram! Ich habe gesagt du sollst aufwachen!“

„Majestät?“

„Weitermachen!“, schnauzte ich in Günters Richtung.

„Aber Majestät!“

„WEITERMACHEN!“

Günter ließ seine Hand auf Wolframs Brust und konzentrierte weiter sein Maryoku.

„Wolfram... wach auf... wach auf... bitte! Du sollst sofort aufwachen!“

Die Tränen liefen mir über das Gesicht. Immer wieder streichelte ich über seine geschundenen und zerkratzten Wangen.

Conrad riss den Ärmel seiner Uniform ab und presste diesen auf die blutende Stichwunde an Wolframs rechter Bauchseite.

„Ich brauche dich, Wolf. Bitte!“

Er wird es nicht schaffen!, hörte ich Shinous Stimme zögerlich in mir.

„Sei still!“, fauchte ich und alle starrten mich an.

Bald wurde ihnen aber wohl bewusst, das ich mit Shinou sprach: „Der Angriff galt dir! Er hat hier deine Rolle gespielt!“

In mir kochte Wut hoch. Warum Wolfram? Warum hast du das getan? Wir hätten doch einfach gehen können!

„Komm, Wolfram! Steh auf und lass uns nach Hause gehen!“, flüsterte ich und fuhr durch sein blutverklebtes Haar. Wie hatten sie es wagen können, meinem Engel so etwas anzutun? Ihn so zu quälen? Ihn so zu beschmutzen?

„Shinou! Mach ihn gesund! Rette ihn! Es ist deine Pflicht ihn zu retten! Bisher hast du uns nur Probleme gemacht! Rette meinen Wolfram!“, nun erst wurde mir bewusst, dass mir die Tränen über die Wangen liefen und auf Wolframs Brust, neben Günters Hände tropften.

Nein, Wolf, bitte! Wenigstens einen Herzschlag! Bitte! Wolf! Ich brauch dich! Ich brauch dich wirklich! Mit wem soll ich mich denn sonst streiten?

Shinou räusperte sich in mir: Ist das dein Ernst? Du willst mit ihm streiten?

„Sei still! Was weißt du schon?“

Ich wusste, dass Shinou auch litt und meine Aussagen ungerechtfertigt waren. Wolfram war alles, was er noch hatte. Sein letzter direkter Nachkomme. Seine letzte lebende Erinnerung an sein Leben, an Rufus, an Henrik. Sein Grund, warum er sein Leben hier in Dark Makoku aufgegeben hatte.

Ich weiß, dass du dich beruhigen solltest!

Ich legte meine Hände neben Günters auf Wolframs Brust. Ich vertraute Günters hervorragenden Heilkräften. Schließlich war er ein Mitglied vom Volk am See. Aber auch ich verfügte über diese Fähigkeit und vier Hände erreichten mehr als zwei!

Gwendal, Adalbert und Iossac überprüften vorsichtshalber den Raum um nach dem Verbleib von Wolframs Angreifern zu schauen. Murata stand dicht hinter Iossac, den Flakon fest in seiner Hand umschlossen. Das Leuchten von Shinous Seelenperle flackerte nur noch ganz schwach. Als würde es gleich verlöschen.

„Hey, Wolf, nun sag doch was!“, ich versuchte mich zu konzentrieren. Ihm die Schmerzen zu nehmen. Aber da war so viel Schmerz! Sein Schmerz. Mein Schmerz, der mich durchzog. Sein Körper unter meinen Händen kühlte merklich ab!

„Steh auf hab ich gesagt!“

In mir stieg nun auch Panik auf.

„Steh auf! Das ist ein Befehl! Hörst du! Ein Befehl!“

„Yuuri, beruhige dich!“, eine Hand legte sich auf meine Schulter.

„Fass mich nicht an!“, schrie ich und schlug Conrads Hand beiseite.

Meine Tränen wurden mehr. Sie waren nicht mehr nur Tränen der Trauer und der Verzweiflung sondern nunmehr auch Tränen der Wut und des Zorns.

„Majestät, ihr habt immer noch die Aura des Maous. Ihr solltet euch nicht zu etwas hinreißen lassen was unsere derzeitige Situation verschlimmern könnte“, gab Günter neben mir zu bedenken.

Er hatte Recht.

Noch hatte ich mich und diese Macht in mir unter Kontrolle. Es wäre fatal wenn nicht. Aber ich musste diese Macht doch irgendwie nutzen können! Was nutzte mir diese blöde Macht, wenn ich nicht die Menschen beschützen konnte, die ich liebte?

Ja, ich war mir sicher. Ich hatte Wolf mehr als gern. Ich hatte gerade eindeutig nur an ihn gedacht als ich an den Schutz meiner von mir geliebten Menschen dachte. Verdammt! Ich Idiot! Ich hatte es ihm nicht gesagt! Ich hatte es ihm nicht gesagt!

Ich Idiot! Ich hätte es ihm sagen müssen! Das ich ihn liebte! Das ich ihn so sehr liebte! Und nun machte er nicht seine Augen auf!

„Wolfram! Ich hab's kapiert! Ich hab es endlich kapiert! Nun wach auf und nenne mich Waschlappen oder was auch immer weil ich so lange gebraucht hab um das zu verstehen!“

Nichts.

Sein Mund schwieg.

Nie wieder würde er mich Waschlappen nennen.

Nie wieder wegen seiner Eifersucht mich einen Schwerenöter schimpfen.

Nie wieder würde ich einfach nur seine Stimme hören, welche mir seine stetige Anwesenheit an meiner Seite bezeugte.

Nie wieder würde er an meiner Seite sein können!

Die Lider seiner Augen blieben geschlossen.

Diese wunderschönen Augen in diesem wunderschönen Gesicht, welches trotz all der Blessuren die Unschuld eines schlafenden Engels aufwies.

Sein Mund blieb geschlossen. Diese wunderschönen Lippen.

Ich möchte sie noch einmal spüren! Wieso hatte ich es nur so spät begriffen? Diese wunderschönen, sanften, weichen Lippen.

Sie sagten nichts.

Mir schoss der Kuss durch den Kopf. Als er, als Nanatsu, sich für eine Braut entscheiden sollte, wählte er mich.

Er wählte mich. Er wählte stets mich! Ich Idiot!

Nie wieder würde er mich so überrumpeln können.

Nie wieder würde er mich Weichei nennen können.

Nie wieder würde er im Nachthemd nachts in mein Bett schleichen...

„Ich spüre weiterhin keinen Puls, euer Majestät!“, flüsterte Günter neben mir.

„Wir machen weiter!“

„Aber Majestät!“

„Verdammt, Günter! Mach was ich sage!“

Ich konnte mich nicht erinnern, jemals so grob zu Günter gesprochen zu haben.

Wolframs Arme lagen leblos neben seinem Körper.

Nie wieder würde ich seine Hand nehmen können.

Nie wieder würde er mich berühren.

Nie wieder sich nachts in mein Kissen krallen und mir meine Bettdecke wegnehmen.

Gwendal wandte sich ab. Er stand nun mit dem Rücken zu uns. Ich spürte seine Verzweiflung. Ich spürte seine Selbstvorwürfe.

Auch Conrad schien gerade von den aufkommenden Gefühlen der Trauer übermannt zu werden. Sein Gesicht verlor jede Wärme. Im Augenwinkel bildeten sich Tränen, während meine sich unentwegt ihren Weg nach draußen bahnten.

Seine Beine lagen bewegungslos und steif da.

Nie wieder würde er mich durch die Gänge des Schlosses jagen.

Nie wieder würde er mir auf Schritt und Tritt folgen.

Nie...nie... nie wieder...

„WOLFRAM!“, ich schlug heftig auf seine Brust, „Wie kannst du es wagen, mich hier alleine zu lassen? Du nennst mich einen Waschlappen? Ein Weichei? Einen Feigling?“, erneuter Schlag auf die Brust, „Wer ist hier feige? Wer haut einfach ab? Ich hab es kapiert! Ich hab es kapiert! WOLFRAM!“

Laut schluchzend warf ich nun meinen ganzen Kopf auf seine Brust und ließ alles nur noch raus.

Du darfst mich nicht verlassen. Bitte. Ich überlebe das nicht! Ich brauche dich!

„Majestät!“, Günters plötzlicher Ausruf ließ mich zusammenfahren, „Macht weiter!“

„Was?“, ich blickte verstört auf.

„Ich habe einen ganz schwachen Puls!“

WUMM!

Sieh an, sieh an... er findet das Licht nicht... wer hat das nur ausgemacht!

Shinou!

Ich erkannte ein leichtes Aufflackern unter meinen Händen. Shinou war in Wolframs Körper gefahren!

Er hatte ihm tatsächlich geholfen! Das nun merklich abgeschwächte, flackernde Licht zog an mir vorüber zu Murata, der den kleinen Korken des geöffneten Flakons mit traurigem Lächeln in der Hand hielt und darauf wartete, das Shinous Seele in eben diesen zurückkehrte.

Den Rest überlasse ich dir, Yuuri. Mehr kann ich nicht tun. Vermassel es nicht!

Auch seine Stimme war schwach und leise. Hatte Shinou sich verausgabt?

Ich sollte den Rest übernehmen?

Aber was konnte ich denn jetzt tun? Wie konnte ich Wolfram jetzt nur helfen?

Ich starrte auf meine Hände. Konnte ich denn noch mehr bewirken als nur einen Heilungszauber?

In mir krampfte es sich zusammen. Ich musste doch irgendwas tun können!

Murata schloss nun den Flakon und kniete ebenfalls neben mir: „Verbinde deine Seele mit seiner!“

„Das ist viel zu gefährlich! Majestät, ich bitte euch! Wir finden schon eine andere Lösung!“

„Wie mach ich das?“, unterbrach ich Günter ignorierend und starrte Murata an.

Ich hatte absolut keine Bedenken. Es ging um Wolfram. Ich würde alles tun.

„Shibuya, es wird die Hölle sein. Wenn ich von Bielefelds Zustand so sehe, wirst du nie geahnte Schmerzen durchleiden müssen. Willst du das wirklich?“

„Ja, will ich!“

„Okay, ich kann eure Seelen verbinden. Diese dürfen während der Beschwörung nicht getrennt werden. Das kann zu euer beider Tod führen. Du übernimmst einen Teil von seinen Qualen um die Heilung zu beschleunigen“, erklärte er, „aber ich muss dir sagen, das noch nie eine solche Verschmelzung länger als drei Tage gedauert hat. Darüber hinaus kann ich dir keine Garantie geben. Es liegt wirklich dann an dir!“

Günter wollte gerade Einspruch erheben, da fuhr Gwendal schon dazwischen: „Und wenn ich es versuche?“

„Eure Kräfte dürften nicht ausreichen bei seinem Zustand“, er wies auf Wolfram, „ich bezweifle sogar, dass die Kräfte des Maous ausreichend sind um ihn auf den Weg der kompletten Genesung zu bringen. Er hat viel zu viel Rauch eingeatmet, ganz zu Schweigen von den inneren und äußeren Verletzungen!“

„Ich mach's!“, ich sah Murata durchdringend an. Ich wollte keine Zeit mehr mit Reden vergeuden. Wolfram brauchte mich. Und ich brauchte ihn.

„Wir sollten uns damit beeilen und hier verschwinden!“, warf diesmal Iossac in den Raum,

„Egal, gegen was oder wen er hier gekämpft hat, es ist nicht mehr hier. Weder tot noch lebendig. Aber es wird zurück kommen!“

Conrad nickte zustimmend: „Wir sollten von hier flüchten. Wenn dieses Attentat von ganz oben befehligt wurde sind wir hier nicht sicher und können euch dann auch nicht ausreichend den Schutz bieten, den ihr während der Verschmelzung braucht!“

„Lord von Voltaire und ich sondieren die Lage und planen die Flucht. Macht ihn irgendwie transportfähig, Lord von Kleist!“, Iossac wies auf Wolfram und der angesprochene königliche Haus- und Hofmeister hob Wolframs Körper vorsichtig vom Boden.

„Ich werde mich um euch kümmern!“, flüsterte Conrads Stimme neben mir.

„Warum?“, entgegnete ich.

„Ich war bei einer solchen Verschmelzung schon einmal anwesend. Ihr werdet zu nichts mehr in der Lage sein!“

„Oh“, ein wenig verunsichert war ich nun doch, „Wie ist diese Verschmelzung ausgegangen?“

Seine silbergesprenkelten braunen Augen sahen mich eindringlich an: „Bei euch wird es besser verlaufen!“

Wieso konnte er denn nicht wenigstens jetzt einmal unehrlich zu mir sein?

Gwendal und Iossac verließen den Raum. Murata nahm meine Hand und lächelte:

„Du schaffst das, Shibuya. Wenn es einer schafft, dann du!“

Wow! So viel Vertrauen in mich hätte ich Murata nicht zugetraut!

Mit seiner anderen Hand nahm er die Hand von Wolfram und legte diese in meine. Mit beiden Händen umschloss er nun unsere ineinandergelegten und flüsterte im Summton etwas mir vollkommen unverständliches.

Conrad packte mich und hob mich auf seine Arme. Das war mir sehr unangenehm, aber ich vertraute ihm in dem was er tat. Somit standen er und Günter sich nun gegenüber mit jeweils Wolfram und mir auf dem Arm und Murata zwischen uns, weiterhin mysteriöse Formeln flüsternd.

Meine Hand wurde heiß. Unangenehm heiß. So heiß, dass der natürliche Reflex nur noch wegziehen möchte. Aber ich wusste, dass ich das nicht dürfte.

Diese unangenehme Hitze kroch nun hoch, erreichte meinen Ellbogen, dann meine Schultern. Gleichzeitig hatte ich das Gefühl, dass meine Beine abstarben. Es war kein Gefühl mehr in ihnen. Es war also doch ganz gut, dass ich auf Conrads Armen lag.

Die Hitze und dieses Taubheitsgefühl trafen sich knapp über meinem Bauchnabel und dann schrie ich auf.

Ich habe in meinem ganzen Leben noch nie so laut geschrien.

Mein Körper bäumte sich unkontrolliert auf.

Conrad hatte alle Mühe mich zu halten. Adalbert half ihm und brauchte all seine Kraft um mich in Position zu halten.

„Er schreit uns die Probleme noch her!“, hörte ich Adalbert schimpfen und spürte, wie er mir etwas weiches in den Mund stopfte. Diese Vermischung von Taubheit und Hitze setzte Schmerzen frei, die einem Gefühl des Zerrissenwerdens nahe kamen!

Daher störte mich der Knebel nicht weiter. Und dieser Schmerz weitete sich nun vom Zentrum meines Körpers aus. Zuerst nur strahlenförmig, doch dann mit voller Wucht im ganzen Körper. Mein Verstand setzte aus und spielte nicht mehr mit. Ich bäumte mich noch einmal verkrampft auf und dann wurde mir schwarz vor Augen.
 

Ich lief durch Feuer. Überall Feuer und kein Ende in Sicht. Meine Haut schmerzte zwar durch die Hitze, aber sie brannte genauso wenig wie meine Uniform. Ich hatte es also geschafft.

Ich war in Wolfram!

Und es schmerzte unglaublich!

Machte ich jetzt auch alles richtig?

Half ich ihm durch meine Anwesenheit?

Vielleicht sollte ich jetzt irgendetwas tun! Natürlich sollte ich etwas tun! Dazu war ich ja hier. Das Feuer verursachte Schmerzen. Also musste das Feuer weg!

Und wer konnte besser ein magisches Feuer bekämpfen als ich? Wenn da nur nicht diese Schmerzen wären, die mich von der für die Wassermagie benötigten Konzentration ablenkten!

Shibuya, jetzt reiß dich zusammen! Versuch es! Es geht um Wolfram!

Ich stoppte meinen Lauf durch die Flammen. Sie züngelten sich an mir hoch, doch außer den Schmerz war da nichts. Der Schmerz konnte nicht real sein. Er war Erinnerung! Wolframs Erinnerungen an den Schmerz, den er durchlitten hatte in der Flammenhölle. Auch ihn konnten die Flammen nicht verbrennen, aber ihn quälen. Und diese Qual musste ich nun von ihm nehmen. Ich streckte meinen Arm aus. Ich spürte die Kräfte des Maous in mir aufsteigen. Vor drei Jahren hätte ich diese Kraft noch nicht so kontrolliert aufrufen können. Eigentlich hatte ich sonst auch noch Probleme damit, aber jetzt funktionierte es ganz gut. Ich spürte, wie mich die aufsteigende Energie an den Fingerspitzen kitzelte. Den Schmerz weiterhin ignorierend konzentrierte ich mich nun auf die Form eines vollendeten Wasserdrachens. Und tatsächlich: Vor mir bildete sich das edle Geschöpf. Er schien zu brüllen, sein länger werdender Rumpf schlängelte sich in die Höhe. Mit einer ausschweifenden Armbewegung wies ich ihn an, sich über das Flammenmeer herzumachen, sich jede einzelne Flamme einzeln einzuverleiben und sie in ihrem Glutkeim zu ersticken. Um mich herum wurde alles blau und weiß. Mit jeder verschlungenen Flamme wurde der Drache größer und der entstehende Nebel dichter. Nach und nach verschwand auch das kleinste orangerote Schimmern und wich dem kühlen Blau. Ich atmete erleichtert aus. Die Schmerzen, die ich bisher versucht hatte, gänzlich zu ignorieren, waren verschwunden. Aber von Wolfram fehlte jede Spur. Ich musste also weiter suchen. Noch ehe ich einen Schritt machen konnte, spürte ich ein ruckeln, dann ein heftiges Holpern von unten.
 

Ich schlug die Augen auf.

Ich fühlte mich total benebelt.

Ich lag.

Soviel war klar.

Ich sah geradewegs in Conrads Augen: „Yuuri, geht es dir gut?“

Meine Stimme versagte total, daher versuchte ich ein Nicken. Ich lag mit meinem Kopf auf Conrads Schoss. Es ruckelte wieder so seltsam. Nun bemerkte ich, dass wir wohl in einer Kutsche saßen. Conrad gegenüber saß Günter. Er hatte Wolframs Kopf auf seinem Schoss gebettet. Günter selbst schien auch zu schlafen. Bis auf ein kleines Licht war es in der Kutsche auch dunkel. Es war wohl Nacht. Murata lag schnarchend im Fußraum. Über seinem Kopf baumelten Wolframs und meine ineinandergelegten Hände. Anscheinend von Murata mit einem Tuch mehrfach umwickelt und dieses dann fest geknotet.

„Er hatte Sorge, dass ihr euch einander verliert!“, flüsterte Conrad. Ein erneutes heftiges Aufhüpfen der Kutsche. Wir fuhren anscheinend mit sehr hohem Tempo.

„A...a...“, ich räusperte mich, „alles in Ordnung?“ Das war mehr ein Krächzen.

Conrad lächelte mild: „Ja. Iossac will nur unseren Vorsprung ausbauen, daher die Eile.“

Ich versuchte auch zu lächeln, war mir aber nicht so sicher, ob mir das gelang.

Alles fühlte sich taub an.

Ich wusste auch, dass mich bald eine neue Schmerzenswelle erreichen würde, denn Wolfram schien noch nicht über den Berg.

„Ich danke dir, Yuuri“,Conrad strich mir über das Haar, „Ich war bei seiner Geburt dabei. Ich hätte seinen Tod nicht mit ansehen können. Das hätte mich zu sehr ...“

Er schwieg betroffen. In seinen Augen spiegelte sich der Glanz der kleinen Kerze aus ihrer Laterne über unseren Köpfen.

„Conrad“, ich krächzte immer noch,wollte aber schnell weiter reden bevor mir die Sinne wieder schwanden, „solange ich lebe, so schwöre... ich... dir..., werde ich Wolfram...“, ich wurde wieder so müde, „...werde ich Wolf... mit meinem Leben... beschützen!“

Dann war auch schon wieder alles weg.

„Und ich dich auch, Yuuri, ich dich auch!“, hörte ich ihn aus weiter Ferne noch leise sagen.
 

Diesmal war alles schwarz. So schwarz, dass ich die Hand vor Augen nicht sah.

Aber die hätte ich auch nicht sehen können. Ich war absolut bewegungsunfähig. Ich lag wie festgeschnürt auf dem Rücken und konnte mich trotz größter Anstrengung nicht rühren. Und dann fing es an.

Plötzlich.

Ohne Vorwarnung.

Ohne eine leiseste Ahnung oder Vermutung wo es als nächstes passierte: Stiche.

Wie mit 1000 Nadeln zeitgleich. Und ich habe Nadeln immer gehasst! Mutter hatte immer Probleme, mich zu einem Arzt zu bringen wenn ich wusste, dass in irgendeiner Form eine Spritze bei diesem Besuch zugegen war.

Es stach mich so dermaßen und mit voller Wucht in den Rücken, dass ich dachte, man habe mich auf einer rotierenden Trommel aus Nägeln gespannt und diese rollte nun durch einen pechschwarzen Raum. Es tat so verdammt weh. Vor allem, weil ich nicht sehen konnte, von woher es jedes mal kam. Denn der Schmerz verstärkte sich durch den Überraschungseffekt.

Ruhig bleiben, Shibuya! Konzentriere dich! Zunächst wäre dir geholfen, wenn du etwas sehen könntest!

Ich brauche Licht! Ich brauche Feuer! Und woher Feuer nehmen? Ich war laut Günter fähig in allen Bereichen der Magie. Ich hätte mit allen Elementen Bündnisse abgeschlossen. Wasser- und Windmagie hatte ich schon verwendet, auch einmal Erdmagie versucht, aber noch nie Feuer! Warum auch? Ich hatte einen Feuerdämonen zum Verlobten. Den am Besten ausgebildeten Feuerdämonen im ganzen Königreich! Und dieser war mir ja nie von der Seite gewichen! Wenn Feuer benötigt wurde, hatte er sich darum gekümmert! Verdammter Mist!

Wenn du auf einer einsamen Insel strandest und hast vorher Zeit drei Gegenstände mit zu nehmen, dann nimm kein Feuerzeug mit. Denn, mein kleiner Yu-chan, das Feuerzeug ist schnell leer und dann hast du den Wunsch verschwendet und kein Feuer. Nimm lieber eine Anleitung zum Feuermachen mit!

Mutter, nicht jetzt! Ich denke nach! Und das ist schwer genug wenn man ständig aufgespießt wird!

Moment! Anleitung zum Feuermachen! Klar, Wolfram hatte es mir doch unzählige Male vorgemacht!

Mal schauen ob ich mir das gemerkt hatte:

„Ich rufe alle Elemente des Feuers! Gehorcht den Dämonen, dem siegreichen Volk über die Schöpfergötter!“

Tatsächlich! In meiner Hand entflammte eine kleine Feuerkugel!

Ha! Ich Genie! Siehst du das, Wolfram, siehst du das? Und nu?

Ich konnte jetzt zwar meine Hand sehen, die nun hell erleuchtet war durch die brennende Kugel darin, aber ich war immer noch bewegungsunfähig. Wie steuert man dieses Ding?

Vielleicht funktionierte es bei mir auch noch nicht so richtig. Oder das Feuer wollte nicht mehr den Dämonen dienen, weil es nun festgestellt hatte, dass wir die Schöpfergötter gar nicht besiegt hatten, sondern gerade durch deren Reich spazierten!

„Werd größer!“, maulte ich die kleine Flamme an. Und tatsächlich! Sie schien etwas zu wachsen.

In Gegenwart potenzieller Gegner sollte ich diese Technik nicht anwenden.

Sähe seltsam aus, dort Gespräche mit seinem eigenen Feuerball zu führen!

Ach, ich würde Feuer so wieso nicht mehr verwenden müssen, wenn ich erst einmal Wolfram wieder hatte!

„Noch größer....aaaahhh!“, da stach es mich wieder ins Bein und vor Schreck ließ ich meine Feuerkugel fallen.

Mist, dachte ich, aber erkannte dann, dass sie zu meinem Bein hinunterraste und dort eine kleine Nadel sich in Staub auflöste.

„Das geht ja einfach!“; war mein erstaunter Ausruf und ließ mich den Schmerz schnell vergessen. Ich brauchte einfach mehr Kugeln!

„Ich rufe erneut alle Elemente des Feuers! Gehorcht mir, dem Maou, beim Sieg über die Schöpfergötter!“

Einfach mal passend für mich umgeschrieben. Shinou möge es mir verzeihen!

Und tatsächlich! Überall erschienen kleine schwebende Flammen um mich herum. Sie wirkten fast wie Glühwürmchen.

„Wir müssen hier ein paar Nadeln auslöschen!“, wieso redete ich eigentlich mit denen?

Ob Wolfram sehen konnte was ich hier drin, in seiner Seele und seinem Körper, so trieb? Wenn ja, würde er bestimmt wieder kopfschüttelnd und mit verschränkten Armen vor der Brust, aber lächelnd, sagen: „Glaubst du, so macht man das richtig? Yuuri, du Waschlappen. Das du die Magie aber auch immer so abartig entstellen musst! Kannst du denn nichts richtig?“

Doch, Wolf, doch! Ich kann dich retten und ich werde dich retten!

Es hörte sich an wie das zischen von gerade gezündeten Silvesterkrachern, als meine Feuerglühwürmchenkugeln begannen, die Nadeln zu jagen und nach und nach einzuschmelzen. Mit jeder Nadel weniger war ich mehr fähig, mich zu bewegen. Bald darauf konnte ich aufstehen und stand in einem hell erleuchteten Raum.

„Ich danke euch, meine Elemente des Feuers!“, ich verbeugte mich vor den Feuerkugeln, welche sich nun nach und nach in Luft auflösten. Und schließlich löste sich auch der Raum auf.

Ich schritt auf ein blendend weißes Licht zu. Ich spürte, wie ich Wolfram immer näher kam.

Gleich wäre ich bei ihm!

Dann wachte ich auf.

Kapitel 19

KAPITEL 19
 

Anata wo suki da to
 

(Ich liebe dich so sehr!)
 


 

„Shibuya....

Hörst du mich....?

Shibuya...?“

Diese Stimme drang leise und rauschend zu mir.

Wie im Vorbeiflug. Ohne genaues Gespür woher und warum.

Ich fühlte mich wie in einer Milchsuppe.

Alles dämmrig. Weiß. Verschwommen.

Um mich herum Wärme, doch irgendwie auch kalt.

Irritierend. Irgendwo auch beängstigend.

„Shibuya?“

Diese Stimme. Ich kannte sie. Woher kam sie? Wer war es?

„Murata.“

Ich hörte mich selber sprechen, ohne genau zu wissen, wie ich das tat.

„Ja, Shibuya! Du musst aufwachen!“

Musste ich das wirklich? Ich hatte Wolfram noch nicht gefunden! Ich war kurz davor zu ihm durchzudringen! Und nun hing ich in dieser Milchsuppe fest. Kein Vor. Kein Zurück.

„Shibuya!“

„Majestät! Sie müssen die Augen öffnen!“

Günters Stimme klang wesentlich besorgter. Fast schon panisch!

Augen öffnen. Die sind gut! Sind sie denn nicht offen?

„Yuuri!“

Das war Conrad. Wie schön! Hatte er es doch noch verstanden! Er nannte mich beim Namen! Oder hing ich vielleicht nur in einer Traumdimension fest und dachte mir dieses Stimmengewirr nur aus?

Wieso sah ich nur dieses blendend weiße Licht um mich herum?

Wieso hörte ich nur ihre Stimmen?

„Vielleicht war es doch schon zu lange und er findet nicht zurück!“, hörte ich Gwendals Stimme. Leise. Zurückhaltend.

„Nein. Nein. Ich bin da!“, antwortete ich, merkte aber deutlich an meiner eigenen Stimmlage, dass ich mir selbst gar nicht mal so sicher war, ob ich da war. Und wenn ja, wo war ich?

„Shibuya! Du bist jetzt seit vier Tagen mit Bielefeld verbunden. Wir müssen abbrechen! Das wird zu gefährlich!“

„Nein! Ich war fast da!“, flüsterte ich abwehrend.

Ich vernahm allgemeines Seufzen.

„Shibuya! Das ist zu gefährlich! Wir kriegen dich ja jetzt schon nicht zurück!“

Stille.

Ich würde nicht aufgeben!

Wolf würde mich auch nicht aufgeben!

Langsam löste sich diese weiße Suppe vor meinen Augen auf.

Ich erkannte Umrisse. Schemenhaft. Aber sie wurden nach und nach deutlicher.

Ein Paar schwarzer Augen waren dicht über mein Gesicht gebeugt.

Hätte ich die Möglichkeit gehabt, ich wäre vor Schreck nach hinten ausgewichen.

Aber ich lag. Ich lag sogar relativ weich. Es war auch kein Ruckeln mehr zu spüren.

„Wo...wo sind wir?“, fragte ich leise in das Augenpaar, welches ich eindeutig meinem Freund Ken Murata zuordnen konnte. Schließlich gab es ja an und für sich niemanden in meinem engeren Umfeld mit schwarzen Augen.

Ich erkannte ein freudiges Lächeln: „Ah! Siehst du uns jetzt?“

„Hm.“

„Wir sind in einer Herberge. In der Nähe von Adria!“

Also immer noch in Dark Makoku.

„Wir konnten es nicht riskieren, euch weiterhin so zu transportieren!“, schien Günter meine nicht gestellte aber gedachte Frage zu beantworten.

Murata wich nun ein wenig von mir zurück. Neben ihm wurden Conrads Umrisse deutlicher.

Ich versuchte beruhigend zu lächeln. War mir aber nicht sicher ob mir das so wirklich gelang.

In meiner rechten Hand fühlte ich Wärme.

Wolfram!

„Wie...wie geht es ihm?“

„Seine Exzellenz ist immer noch in einem kritischen Zustand!“, begann Günter und ließ seinen Blick von mir abschweifen zu meiner rechten Seite. Zu meiner warmen Hand. Dort musste er wohl liegen.

„Seine Verletzungen scheinen alle zügig zu heilen...“, er stoppte, zögerte, suchte die richtigen Wörter, „allerdings scheint mir etwas anderes vorzuliegen, welches ihn am Aufwachen behindert!“

„Behindert?“

„Hm, ja, Majestät. Etwas Seelisches! Also nichts, was diese Seelenvereinigung weiterhin rechtfertigen würde!“

„Ich lasse Wolframs Hand nicht los!“, murmelte ich schnell und Günter sah wieder zu mir.

„Aber Majestät!“

„Nichts aber!“, ich hörte mich an wie ein kleines, bockiges Kind. Das wusste ich. Aber es war mein voller Ernst! Ich würde erst das Ganze hier beenden, wenn Wolfram wach und am Besten noch „Waschlappen“-schimpfend neben mir lag. Ich erwartete nicht, dass meine Freunde dies verstanden.

„Shibuya“, Murata flüsterte, „ich kann dich nicht mehr führen! Wenn du die Verbindung aufrecht erhältst kann es dich auch mit ziehen und ihr kommt beide nicht mehr...“

„Ich weiß, Murata!“, diesmal war ich mir sicher, dass mir das perfekte Lächeln geglückt war, „Aber mal ehrlich... ohne ihn will ich auch gar nicht zurück!“

Die Augen aller Anwesenden, Günter, Gwendal, Conrad und Murata, weiteten sich.

„Yuuri, du musst nicht...“, begann Conrad, doch ich hob meine linke Hand von der Matratze hoch um ihm zu deuten, das es nicht weiter sprechen sollte.

„Ich tue es nicht für euch. Ich tue es für mich. Ich habe es erkannt, Conrad. Und ich will es ihm wenigstens noch sagen können. Und ich werde wiederkommen. Mit ihm zusammen!“

Wieder Stille in diesem kleinen Raum.

Betretene Gesichter.

Sie wussten, dass sie mich nicht umstimmen konnten.

Und ich wusste auch, dass sie das auch gar nicht wollten.

Sie wussten, dass ich Wolframs einzige Chance war.

Und sie wussten, dass ich es schaffen könnte.

„Du solltest wenigstens etwas essen und trinken, bevor du wieder...“, Conrad beugte sich zu mir herüber und half mir in eine sitzende Position. Günter klopfte ein paar Kissen auf und legte sie mir stützend in den Rücken. Mein Blick huschte nach rechts.

Da lag er.

Schlafend, wie ein Engel. Die Sonnenstrahlen, die durch das kleine Fenster des Zimmers der Herberge fielen, umrahmten seine weichen Gesichtszüge. Wunderschön.

Sie hatten ihm die verbrannte Kleidung ausgezogen und ihn gewaschen.

Das Blut aus seinen Haaren war verschwunden.

Es war auch eine leichte Röte auf seinen Wangen zu erkennen. Innerlich atmete ich erleichtert auf.

Dieser Anblick gab mir noch mehr Hoffnung. Sein nackter Oberkörper wies auch keinerlei Verletzungen mehr auf. Selbst von der Stichwunde war nur noch eine rosafarbene Narbe zu sehen. Direkt unter der Narbe, die der Stich hinterlassen hatte, den ich ihm damals im Land des Heiligen Sandes zugefügt hatte.

Iossac betrat das Zimmer und reichte Günter ein Tablett. Darauf stand eine Karaffe mit Wasser mit dazugehörigem Glas. Ebenso ein Apfel und ein paar Scheiben Brot mit Aufschnitt.

Obwohl ich so lange in dieser Zwischenwelt der Seelenvereinigung war, verspürte ich nicht das geringste Hungergefühl. Aber ich wusste, dass es wichtig war, dass ich auch körperlich bei Kräften bleiben musste, wenn ich in wenigen Augenblicken wieder in Wolframs Innerstes zurückkehren wollte.

„Hier, Majestät. Es ist nichts besonderes,...“, Günter reichte mir das Tablett, nachdem er es eingehend untersucht hatte. Er war wirklich übervorsichtig.

„Schon gut, Günter“, ich nahm es vorsichtig entgegen. Es schwankte leicht. Mit einer Hand war dies doch recht schwierig, auszubalancieren.

Conrad griff ebenfalls unterstützend darunter und setzte es neben mich auf die Matratze.

Ich biss in eine Brotscheibe und kaute lustlos darauf herum.

Wenn dieses Gefühl des 'Müssens' nicht wäre, so wäre ich schon längst wieder auf der Suche nach Wolfram.

Conrad schien diese Gedanken in meinem Kopf schon zu erahnen und schmunzelte.

Ken hingegen hatte sich zu Iossac begeben und sie unterhielten sich leise. Dann wandte er sich in meine Richtung: „Shibuya!“

Ich nickte ihm zu, um ihm anzudeuten, dass ich aufmerksam zuhören würde, aber aufgrund des Essens nicht reden würde.

„Ich werde mit Glie und von Grantz zum Anwesen der von Bielefelds reiten und mich erkundigen, was mit unserem Schiff ist. Wir sind uns wohl alle einig, dass unter den gegebenen Umständen eine schnelle Abreise wichtiger ist als die Beschaffung des Zepters!“

Bin dafür, hörte ich die vertraute Stimme Shinous. Sie klang allerdings sehr... wie soll ich sagen... schwach. Murata bemerkte, dass meine Augen sich auf seinen Brustkorb richteten.

„Er hat sich übernommen!“, sagte er schließlich.

Das kann man so nicht sagen!, beschwerte sich der Gründer des Neuen Dämonenkönigreiches.

„Und ob!“, Murata rückte seine Brille zurecht, „In deiner derzeitigen Form war es leichtsinnig, auch noch große Teile deiner Kraft abzugeben!“

Gewiss hatte Murata Recht. Aber ich war Shinou sehr dankbar. Ohne ihn wäre Wolfram nicht mehr bei uns.

„Danke, Shinou!“, ich versuchte trotz Brotklumpen im Mund ein freundliches Lächeln, „Danke, dass du Wolf gerettet hast!“

Ich tat es nicht für dich!, kam als unerwartete, aber reichlich selbstbewusst klingende Antwort zurück, Ich tat es aus Eigennützigkeit! Er ist mein letzter direkter Nachkomme. Etwas sollte dieser Welt doch noch von mir erhalten bleiben!

Ich musste grinsen. Shinou war wirklich in Ordnung. Er hatte hier und da schon seine seltsamen Macken und Einfälle, aber da ich nun seine Lebensgeschichte kannte und festgestellt hatte, aus was für verkorksten Familienverhältnissen er entsprang, so hatten wir es doch mit ihm als ersten Dämonenkönig gut getroffen.

Ich schluckte den Brotklumpen hinunter und trank einen Schluck Wasser: „Ich habe kein Zeitgefühl wenn ich...“, ich nickte mit meinem Kopf in Wolframs Richtung, „...in ihm bin. Gebt mir 48 Stunden! Ich schaffe das!“

Gwendal, der mit gesenktem Blick und verschränkten Armen an der Zimmerwand in der hintersten Zimmerecke gelehnt hatte, richtete sich auf: „Gut. Eure Eminenz, ihr begebt euch in Begleitung zu von Bielefeld. Dieser Gott hier wird diesen vermutlich beobachten lassen. Daher bitte ich um Vorsicht. Wir erwarten eure Rückkehr in zwei Tagen in den Abendstunden. Sollte er“, er wies auf mich, „bis dahin nicht selbst erwacht sein, schafft ihr“, er blickte Murata fest in die Augen, „ihn wieder zurück!“

Murata nickte verstehend. Ich ebenfalls.

Innerlich freute ich mich über Gwendals Aussage. Sie bewies mir, dass er mir und meinen Fähigkeiten absolut vertraute. Dies war nicht immer so gewesen.

Günter entfernte das Tablett neben mir und erhob sich: „Wir sollten euch nun in Ruhe lassen, eure Majestät. Conrad bleibt zu eurem persönlichen Schutz da!“

Ich versuchte mich wieder hin zu legen, was mit nur einem Arm gar nicht so einfach war. Die Versuchung, die rechte Hand zu benutzen und Wolframs los zu lassen, war als reiner natürlicher Reflex da. Doch das dürfte nicht passieren. Daher verstärkte ich den Druck nur noch mehr.

„Ich passe auf, dass ihr euch nicht verliert!“, flüsterte Conrad zu mir, während er sich über mich hinweg beugte und erneut mit einem schalartigen Tuch unsere Hände umwickelte.

„Danke!“
 

*****
 

Ist das ein Stress!

Yu-chan Hier geht es drunter und drüber! Aber wahrscheinlich geht es bei dir gerade auch sehr turbulent zu! Ich habe dir ja schon berichtet, dass Sho-chan deine Arbeit hier ganz toll erledigt. Cherie ist ihm aber auch eine große Hilfe! Sie ist stets an seiner Seite und lässt ihn nie aus den Augen! Selbst Nachts höre ich ihn oft ihren Namen rufen!

Und jede seltene freie Minute helfen die Beiden mir auch tatkräftig! Wir wissen ja nicht, wann ihr genau zurückkehrt und daher wollen wir uns hier beeilen! Alles muss vorbereitet sein, so dass nur noch wenige Handgriffe von Nöten sind.

Sho-chan kümmert sich um die täglich eintreffenden Kutschen mit Gästen aus allen Ecken des Landes und darüber hinaus um deren Unterbringung. Ich wusste gar nicht, wie viele Leute du hier kennst und alle sind dir so wohlgesonnen! Hätte Cherie nicht die vorbereitete Gästeliste mit dem Titel 'Meine Hochzeit mit Ihrer Majestät' in Günter von Kleists Tagebuch gefunden, dann hätten wir bestimmt noch jemanden ungewollt vergessen!

Dieses Schloss kam mir bis vor Kurzem noch recht groß und geräumig vor, aber in den letzten Tagen ist es wirklich schwierig hier einen Ort der Stille zu finden.

Ich habe mich daher kurzerhand mit Sho-chan in deinem Zimmer einquartiert. Jedes Zimmer wird hier benötigt! Cherie ist eine hervorragende Gastgeberin. Es gibt nichts, worum du dir Sorgen machen müsstest.

Und die Abendessen mit all den Gästen fallen jedes mal so pompös und gigantisch aus das man gar nicht das Gefühl hat, dass die eigentlichen Feierlichkeiten noch kommen.

Cherie scheint wirklich mit dem nötigen Ernst an die Sache zu gehen!

Eine bewundernswerte Frau!

Also, es scheint alles gut zu funktionieren. Allerdings haben wir ein seltsames Problem, aber da werde ich später hier in meinem Bericht näher darauf eingehen!

Dennoch werde ich mit dir einige Takte reden müssen, wenn du wieder zurück bist!

Zum Einen: warum hast du deine Tochter, Greta, nicht mal mit nach Hause gebracht?

Findest du nicht, sie hätte ein Anrecht darauf gehabt, in all der Zeit, wo sie nun deine Tochter ist, ihre Großeltern einmal kennenzulernen? Ich muss schon sagen, dass ich da wirklich enttäuscht bin! Wie soll ich denn bitte die verlorene gemeinsame Zeit mit ihr wieder aufholen?

Ich war mit ihr nun einige Male unten in der Stadt, auch weil ich zum Juwelier musste, und dort habe ich ihr jeden Wunsch von den Augen abgelesen. Du musst jetzt nicht denken, dass ich Greta verwöhnen würde.

Nein! Keine Sorge! Sie ist zudem schrecklich bescheiden! Trotzdem kam ich nicht umhin, ihr bei eurem Hofschneider, übrigens ein sehr netter Herr, ein dutzend Kleider zu bestellen.

Schließlich ist sie eine Prinzessin! Immer diese Hosen! Das mag ja zum Reiten angenehm sein! Anissina verriet mir, dass du da, was Kleidung betrifft, auch nicht so besonders darauf achtest. Du würdest auch immer in deiner Schuluniform herumrennen. Also, Yu-chan! Jetzt, wo du die Schule erfolgreich beendet hast, solltest du dir da etwas anderes einfallen lassen! Wir haben da ebenfalls in diesem Tagebuch einige wunderschöne Entwürfe gefunden, welche wir deinem Schneider mitgegeben haben! Also, dein königlicher Berater scheint wirklich und stetig um dich besorgt zu sein.

Dieses Buch ist für mich wirklich eine große Hilfe! Ich erhalte so auch Einblicke in das Leben meines Sohnes, welche mir gar nicht so bewusst waren!

Ansonsten hat Anissina dich und deine Vaterqualitäten recht gelobt. Das wiederum macht mich schon stolz. Schließlich bist du doch ein sehr junger Vater!

Wie ich bereits eben geschrieben habe, haben wir es hier im Schloss mit einem seltsamen Phänomen zu tun. Ich weiß gar nicht, wo ich da genau anfangen soll, Yu-chan...
 

„Es ist schrecklich! Eine Katastrophe!“, die Türe zum königlichen Gemach wurde aufgerissen. Keuchend und außer Atem rang Dacascos um Luft: „Miko, ich meine Jennifer, ich meine mütterliche Königin... ach, Unsinn...Mutter des Königs...ach, wie auch immer!“

Miko Shibuya, alias Jennifer von Yokohama, ließ den Stift sinken und drehte sich zu der ihr persönlich zugeteilten Leibwache herum: „Schon gut, Dacascos! Was ist denn?“

„Es... es...“, er schluckte und versuchte, sich einigermaßen zu beruhigen um verständliche Worte formulieren zu können, „Es ist wieder da!“

„Schon wieder!“, Miko sprang auf. Das waren nun immer kürzer werdende Abstände zwischen den einzelnen Vorfällen und Sichtungen. Sie musste nun endlich etwas unternehmen!

„Wo?“

„Auf der Steinbank im Hauptgang des Ostflügels!“, kam die schnelle Antwort des kahlköpfigen Soldaten.

„Heute morgen war es noch der Brunnen im Garten!“

Dacascos sprang fast vor Schreck an die doch recht hohe Raumdecke. Er hatte den jungen Mann, der hinter ihn getreten war, gar nicht kommen gehört.

Shori Shibuya war durch das aufgebrachte Geschrei des Soldaten zum Schlafzimmer seines jüngeren und leider nicht anwesenden Bruders gelockt worden. Eine Sorgenfalte zeigte sich zwischen seinen Augenbrauen und Dacascos fühlte sich stark an Lord von Voltaire erinnert.

Ob es an der Arbeit lag, welche die Herrschaften hier zu erledigen hatten, dass sich solch Falten nach einer Weile heraus kristallisierten? Aber seine königliche Hoheit Yuuri hatte bisher noch nicht solche Spuren im Gesicht.

Miko seufzte, schien aber ihre von Natur aus nie enden wollende gute Laune nicht zu verlieren: „Dann werden wir uns jetzt darum kümmern!“

Sie schnappte sich Yuuris Baseballschläger, der am Schreibtisch lehnte und wog in prüfend ab: „Damit wird es wohl klappen!“

Shori zuckte zusammen. Irgendwie gefiel ihm dieses Bild ganz und gar nicht. Seine doch recht kleine und zierliche Mutter mit einem Baseballschläger in der Hand erinnerte ihn stark an eine Rebellin einer Straßengang: „Wollte Anissina sich nicht darum kümmern?, warf er schnell ein.

„Schon dabei!“, schallte es im Raum.

Alle Augen waren geweitet. Wo kam die rote Teufelin auf einmal her? Diesmal hatte es Dacascos wirklich vor Schreck umgeworfen.

Sie stand mitten im Zimmer und hielt triumphierend ihre neueste Meisterleistung in den Händen!

„Oh, Anissina! Was ist das denn Schönes!“, Miko strahlte absolute Begeisterung aus. Shori und Dacascos, die beide schon genau wussten, dass Anissinas Erfindungen meist alles andere als hilfreich noch nützlich waren, ahnten Übles.

„Das ist mein magischer 'Hinweggesaugt-in-Nu-kun'! Eine meiner brillantesten Einfälle in den letzten Wochen! Damit bekommen wir unser kleines Problemchen, wie der Name schon verrät, im Nu in den Griff!“, sie hob eine lange Teleskopstange in die Luft. Daran war ein Schlauch befestigt, der wieder rum an einer rechteckigen Box mündete, welche sie sich auf den Rücken geschnallt hatte. Shori fühlte sich sehr stark an Bill Murray als Ghostbuster erinnert, zudem schien ihm die Schutzbrille und der Helm, den Anissina sich aufgesetzt hatte, doch reichlich übertrieben!

„Bevor wir ihn aber benutzen können, muss er mit magischer Energie aufgeladen werden! Shori-kun?“, Anissina blickte auf und zur Tür, wo Shori bis gerade eben noch gestanden hatte. Doch da saß nur Dacascos auf dem Fußboden. Vom Dämonenkönig der Erde fehlte jede Spur!
 

Nur wenige Meter den Gang vor Yuuris Zimmer hinunter, hinter einer Säule versteckt, atmete Shori panisch tief ein und aus.

Das war knapp!

Er hatte es kommen sehen! Zuerst ließ man ihn hier mit all den Frauen allein und dann musste er auch noch ständig Gwendals Ersatzmann in Anissinas Experimenten spielen. Diesmal nicht!

„Dann musst du jetzt deinen ganzen Einsatz bringen, Dacascos!“, hörte er Anissina schließlich sagen und fühlte ein leicht schlechtes Gewissen aufkommen bei Dacascos anschließenden panischem Schrei.

„Sho-sama!“, säuselte es neben ihm.

Von einer Katastrophe in die Nächste!

Er spürte ein Gewicht auf seiner Schulter lasten und sah vorsichtig zur Seite. Er wusste, was nun kam.

„Warum versteckt ihr euch?“, grüne Augen durchbohrten ihn. Lange schlanke Finger ruhten auf seiner Schulter und ein Gesicht, welches ihm jetzt schon viel zu nah gekommen war, näherte sich ihm weiter.

Er spürte die Hitze aufsteigen. Dann drückten sich auch noch diese riesigen Brüste an seinen Oberarm. Langsam wurde es ihm doch alles viel!

„Cherie!“, stöhnte er auf und versuchte sich panikartig aus ihrem doch festen Griff zu lösen.

„Oh, entnehme ich da eine angeregte Freude in ihrer Stimme?“, die blonde Ex-Dämonenkönigin lächelte spitzbübisch.

Ganz sicher nicht!

Seit Tagen lauerte sie ihm fast schon auf. Nutzte jede Gelegenheit, ihm näher zu kommen!

Eine Nähe, die er nicht wollte! Sie irritierte ihn. Sie machte ihn nervös!

Das war alles schon fast beängstigend! Er hasste Situationen, die er nicht deuten noch mit ihnen umgehen konnte.

Und diese aufreizende Blondine schien diese Spielchen nahezu zu lieben!

„Ach, hier bist du!“, unterbrach eine weitere weibliche Stimme seine abschweifenden Gedanken.

Shori atmete innerlich erleichtert auf. Wie so oft in den letzten Tagen war es seiner Mutter zur rechten Zeit gelungen, das Szenario zu unterbrechen indem sie das „Schlachtfeld“ betrat.

Cherie ließ augenblicklich von ihm ab. Er nutzte die Gelegenheit um noch einen Schritt weiter nach hinten auszuweichen, so lange es ihm die Wand hinter ihm zu ließ.

Cherie hingegen schien enttäuscht. Was wollte sie nur von ihm? Er war doch nur ein ganz normal aussehender japanischer 24-jähriger Mann.

Wieso nutzte diese doch in aller Augen äußerst attraktive Frau jede Gelegenheit, ihm eindeutige Avancen zu machen?

Miko Shibuya schien die Misere, in der ihr Ältester die letzten Wochen steckte gekonnt, vielleicht sogar willentlich zu übersehen.

Wo war er hier nur hineingeraten!

War seine Liebe zu seinem Bruder wirklich all das wert?

„Wir wollen nun zum Angriff übergehen!“, Miko schwang den Baseballschläger. Es sah wirklich aus, als wolle sie um alles in der Welt dieses Problem noch heute aus der Welt schaffen! Hinter ihr stand ebenfalls die hoch motivierte rothaarige Dämonin in ihrer vollen Montur. Und dahinter ein entsetzlich erschöpfter Dacascos, der sich so gerade noch auf den Beinen zu halten schien.

Shori seufzte und hob die Schultern: „Also gut!“

Und noch während er das sagte, fragte er sich innerlich, warum er sich das wirklich alles antat.
 

„Da... da ist es!“, Dacascos stand hinter der aschgrauen Säule gute zehn Meter von der Steinbank im Hauptgang des Ostflügels entfernt. Der Ostflügel beherbergte die Lagerräume, sowie Wolframs Werkstätten und Galerie. Auch der Zugang zu den unterirdischen königlichen Schatzräumen war hier zu finden.

Cherie war ganz froh darüber, dass so niemand von den doch mittlerweile zahlreichen Gästen im Schloss dadurch in diesen Gängen unterwegs war.

Würde bekannt werden, mit welchen inneren Konflikten man im Dämonenkönigreich zu kämpfen hatte, würde man international an der Stärke des Reiches zweifeln.

„Und was nun?“, fragte sie leise die neben ihr stehende Miko.

Diese sah keinen Anlass darin sich irgendwo zu verstecken oder Schutz zu suchen. Breitbeinig und Baseballschläger schwingend stand sie nun mitten im Gang.

„Mutter, bitte ein bisschen weniger offensiv!“, zischte Shori schon etwas genervt, doch er wusste, dass es wenig Sinn machte.

„Hey!“, rief stattdessen seine Mutter nun wesentlich lauter als es nötig gewesen wäre, „Ich weiß zwar nicht, was du bist noch was du hier willst, aber du kommst denkbar ungünstig!“

Alle Augen der Anwesenden wanderten von Miko weg zur Steinbank, um keine Reaktion des angesprochenen Gegenübers zu verpassen. Doch nichts geschah.

Es saß auf der Steinbank und rührte sich nicht.

Shori überlegte. Konnte man überhaupt von sitzen sprechen? Sie wussten allesamt ja noch nicht einmal, um was genau es sich hier handelte.

Es war ein Licht. Ein großes, helles, gelb-weißes Licht. Es hatte die Umrisse eines Menschen. Das war eindeutig. Aber mehr Eindeutigkeiten gab es nicht. Anissina wollte es untersuchen. Sie wollte es einfangen und in ihr Labor bringen. Aber das war bisher nicht gelungen. Denn sobald man näher heran trat, verschwand es. Es löste sich wortwörtlich in Luft auf. Dacascos meinte, es würde sich um einen Geist handeln, aber Cherie versuchte dies mit der Aussage zu widerlegen, dass alles im Schloss des blutigen Eides durch eben diesen Eid von wohlgesonnener Natur sei und selbst wenn es ein Geist wäre, er der Aufforderung, zu verschwinden, dann Folge leisten würde.

Also, was war es und warum war es hier?

Miko schien nicht länger warten zu wollen und trat energisch einige Schritte auf diese Lichtgestalt, welche auf eben dieser Steinbank 'saß', zu.

„Du kannst hier nicht bleiben! Wir sind hier mitten in sehr wichtigen Vorbereitungen und wenn du nicht vorhast, hier kräftig mit anzupacken“, versuchte gerade seine Mutter einen Geist zur Mithilfe an dieser geplanten, von ihm immer noch nicht abgesegneten idiotischen Hochzeit zu überreden?, „dann möchte ich dich jetzt letztmalig höflich bitten, zu gehen!“

Sie blieb einen knappen Meter vor diesem Etwas stehen. Shori merkte, dass ihn die Besorgnis um seine Mutter aus der Deckung der Säule trieb und er ihr auf halber Strecke gefolgt war. Dadurch animiert, standen nun auch Cherie und Dacascos direkt hinter ihm. Nur Anissina stand noch hinter der Säule. Sie schien voll und ganz auf ihre Gerätschaft konzentriert. Anscheinend schien diese bereits jetzt schon nicht so zu arbeiten wie sie sollte.

Das war klar!

Miko beugte sich nun zu diesem Licht herunter.

„Mutter, bitte nicht...“, Shori atmete zischend ein.

„Psst!“, Miko hob beruhigend die Hand in seine Richtung. Er konnte erkennen, wie sie versuchte, dieses Etwas genauer zu betrachten. Wenn er es sich recht überlegte, war noch niemand je so nah an dieses Ding herangekommen, ohne das es sich dematerialisiert hatte.

„Was... bist.... du?“, wisperte sie leise und die Hand, welche den Baseballschläger zuvor noch fest umschlossen hatte, lockerte sich. Sie hielt ihre 'Waffe' nur noch locker am Körper herabhängend.

Dieses Licht schien aufzusehen. Es schien sie direkt anzusehen. Oder durch sie hindurch. Wer wusste das schon genau?

Sonst war keine weitere Regung wahrnehmbar.

„Ahhh!“, schrie Miko plötzlich auf, sprang einen kleinen Schritt nach hinten, ließ dabei den Schläger laut polternd fallen und schlug sich beide Hände vor den Mund, so dass nur noch ihre weit aufgerissenen Augen deutlich zu erkennen waren.

„Mutter!“, rief ihr Sohn entsetzt und war ohne zu zögern an ihre Seite gesprungen.

„Das... das ist doch nicht möglich!“, flüsterte sie durch ihre Hände dennoch gut verständlich. Shori legte seine Hand auf ihre Schulter und sah sie irritiert an: „Mutter, was ist?“

Er hatte diese Lichtgestalt, die nun hinter ihm noch immer regungslos auf der Steinbank saß fast völlig vergessen.

Miko nahm ihre Hände runter. Shori erkannte, dass es kein verängstigter Gesichtsausdruck bei seiner Mutter war. Es war eher, für ihn noch weitaus verwirrender, ein erstaunter. Mitunter sogar freudig überraschter.

„Wie... wie kannst du hier sein?“, fragte sie und löste sich aus dem Griff ihres Erstgeborenen, schritt um ihn herum und kniete direkt vor diesem Etwas nieder.

Cherie, Dacascos und auch Anissina, die nun zunächst ganz von ihrer Erfindung abgelassen hatte, eilten zu ihnen.

„Was ist denn?“, war es zuerst Cherie, die jedoch ihre Frage an den ebenso ahnungslosen Shori gerichtet hatte. Dieser hatte nun beschlossen, sich dieses Licht, ebenso wie es seine Mutter zuvor getan hatte, genauer an zu sehen und kniete sich nun neben sie.

Tatsächlich. Dieses Licht hatte menschliche Züge. Wenn man genauer hinsah, sah man nicht nur grobe Umrisse.

Es war ein junger Mann. Jünger als er selbst. So schien es zumindest. Sein Körperbau war schlank, fast schon zierlich. Seine Hände ruhten auf seinem Schoß und er schien Miko wirklich direkt anzusehen. Oder durch sie hindurch. Shori war sich da immer noch nicht so sicher.

Aber eines war klar. Dieser Blick war unendlich traurig. Diese Traurigkeit schien auch diese ganze Lichtgestalt zu verströmen. Man fühlte sich direkt damit verbunden. Man war automatisch in einer depressiven Stimmung!

Er hatte jedoch ein leichtes Lächeln auf den Lippen. Ein nachdenkliches Lächeln.

„Wolf-chan!“, seufzte Miko neben Shori besorgt auf.

„Was?“, entfuhr es Cherie und sie drückte Shori zur Seite um besser hinsehen zu können.

Ein weiteres Wort der ehemaligen Dämonenkönigin war nicht nötig. Sie wollte nach der Lichtgestalt greifen, jedoch ging ihr Griff durch diese hindurch. Ebenso reagierte sie darauf nicht. Daraufhin begann Cherie plötzlich hemmungslos zu schluchzen. Anissina und Dacascos sahen dies als Bestätigung der Identifizierung des Geistes. Es war eindeutig Wolfram von Bielefeld.
 

******
 

Nun war ich schon eine Weile wieder in dieser Dunkelheit und versuchte mich darauf zu konzentrieren, irgendwo auch nur den kleinsten Hinweis darauf zu bekommen, dass ich mich wieder Wolfram annäherte.

Aber zu meinem Leidwesen war da nichts.

Nur diese Schwärze.

Und langsam machte sich auch so etwas wie Panik in mir bemerkbar.

Denn hier hatte ich überhaupt kein Zeitgefühl. Jederzeit könnte mich Murata wieder zurückholen, weil das gesetzte Limit von Gwendal erreicht war.

Ich versuchte mich voll und ganz auf Wolfram zu konzentrieren.

Versuchte ihn mir vorzustellen. All meine Gedanken nur auf ihn zu fixieren.

Irgendwie hatte ich das Gefühl, in der Ferne einen kleinen hellen Punkt zu entdecken.

Minimal groß. Steckkopfnadelgroß. Aber es funkelte beim Gedanken an meinen Wolf und stach mir direkt ins Auge.

Ich zögerte keinen Augenblick und rannte los, auch wenn ich den Weg gar nicht so genau sehen konnte.

Aber der helle Punkt wurde mit jedem Schritt größer.

Bald nahm er mein ganzes Sichtfeld ein und ich lief geradewegs in dieses Licht hinein.

Es war so intensiv, dass ich meine Augen schließen musste und als ich plötzlich spürte, wie sich der Boden unter meinen Schuhen veränderte, blieb ich abrupt stehen.

Ich spürte eine warme Brise auf meinem Gesicht. Der laue, nach Sonne und Sommer riechende Wind wehte mir vereinzelte Strähnen über meine Wange und instinktiv versuchte ich sie mit meiner Hand nach hinter nur streichen.

Langsam öffnete ich meine Augen. Wo war ich hier?

Nach all den Erfahrungen, die ich bisher während dieser Vereinigung sammeln musste, kam mir das jetzt hier doch sehr… seltsam vor.

Meine Augen gewöhnten sich schnell an die veränderten Lichtverhältnisse und das erste, was ich sah, war ein Baum.

Ich stand unmittelbar davor. Also so richtig. Wäre ich einen Schritt weiter gegangen, hätte ich mir an diesem breiten Stamm vermutlich eine blutige Nase geholt.

Wo kam dieser Baum denn so plötzlich her?

Vor allen Dingen kam mir dieser Baum doch irgendwie seltsam vertraut vor.

Und nun fiel mir auch auf, dass ich Vögel zwitschern hörte.

War ich überhaupt noch in dieser Gedankenwelt? Das kann mir hier gerade viel zu echt vor!

Da mich der Baumstamm auf Dauer nun wirklich nicht interessierte und mich auch nicht weiterbrachte, drehte ich mich herum… und stockte.

Meine Beine wurden weich und schon fühlte ich den Aufschlag meines Steißbeines auf den harten Boden.

Das war doch nun wirklich nicht möglich!

Selbst, wenn ich nicht wirklich realisiert hatte, dass mich die anderen geweckt haben, so konnte ich unmöglich hier sein! Hier an diesem Ort!

Das wäre doch eine wochenlange Reise gewesen! Das hätte ich doch nun wirklich mitkriegen müssen!

Ich war eindeutig in Shin Makoku. Und das, was da vor mir so ziemlich gut zu erkennen den halben Horizont einnahm war mein Schloss!

Eindeutig war ich hier in meinem Dämonenreich und nicht mehr in Dark Makoku!

Wie… wie war das möglich?

Ich war irgendwie viel zu sehr in meinen eigenen Gedanken gefangen, so dass ich nicht merkte, wie meine Füße mich von ganz alleine auf die Stadt zu trugen.

Wie ich das Stadttor passierte, an meinen Soldaten, die dort Patrouille schoben, ungeachtet vorbei.

Die Hauptstraße entlang auf das Schloss zu.

An den eifrig beschäftigten Menschen vorbei, die mich sonst immer so fröhlich begrüßten, mir aber nun keinerlei Beachtung schenkten.

Alles war mir so vertraut und doch so fremd! Hier stimmte irgendetwas nicht und ich war nicht in der Lage zu sagen, was es war!

War dies nur ein ziemlich real wirkender Traum, vermutlich von Wolfram, in dem ich nun auch fest saß?

Ohne auch nur von irgendwem aufgehalten worden zu sein, angesprochen oder begrüßt, erreichte ich den Torbogen zum Innenhof. Und stockte erneut.

Was war denn das bitte für ein seltsamer Traum?

Also, es musste ganz eindeutig ein Traum sein!

Denn so ein Irrsinn war sicherlich nicht real!

Aber selbst Wolfram konnte ich so einen Traum nicht zu trauen.

Das hier war selbst für meinen Rüschennachthemdtragenen Blonden eine Spur zu dick aufgetragen!

War es ein von mir inszenierter Traum?

Dann doch wohl eher Albtraum! Aber zwitscherten die Vögel in Albträumen?

Was war hier geschehen? Was hatte man nur mit meinem Schloss gemacht?

War Shori übergeschnappt? Wobei… das war doch ziemlich offensichtlich, wer hier die Zügel in der Hand gehabt hatte!

Ich hätte es ahnen müssen! Miko und Cherie zusammen… und nun empfand ich doch etwas Mitleid mit meinem Bruder.

Seufzend versuchte ich über den Innenhof zu gelangen zum Haupteingang, ohne über die mit weiß und rosa Papierblüten versehenen Mini- Buxuskugeln zu fallen, die zu abertausenden hier herumstanden. Versuchte ebenso die monströsen rosafarbenen Schleifen an den Säulen links und rechts des Eingangs zu ignorieren.

Irgendwie fühlte ich mich gerade wie in einem Puppenhaus! Das konnte nur ein Albtraum sein!

Auch hier schien mich niemand zu beachten oder zu sehen.

Moment! Sehen! Konnte es vielleicht sein, dass man mich gar nicht sehen konnte?

Ich lief auf den mir nächst stehenden Soldaten zu. Sein Name wollte mir gerade nicht einfallen, aber das war mir auch gerade ziemlich egal weil ich nur raus finden wollte, ob es wirklich sein konnte…

Tatsache. Er sah geradewegs durch mich hindurch. Das war nun wirklich unheimlich!

Vielleicht war das hier ja gar kein Albtraum… vielleicht…

Nein! Daran wollte ich noch keinen Gedanken verschwenden! Ich musste Wolfram finden! Alles andere war zweitrangig. Es war egal, das mein Schloss derzeit Ähnlichkeit mit Barbie’s Traumhaus hatte und auch, dass ich hier ziemlich offensichtlich als Schlossgeist fungierte. Es musste einen Grund haben, warum ich hier war und das war Wolfram!

Wenn mich meine Gedanken an ihn hier hergeführt hatten, dann würde er auch hier sein!

Ganz sicher sogar!

Ich schritt an dem ahnungslosen Soldaten vorbei und blieb mittig im Hauptgang stehen.

Nun gut. Wo wäre ich an Wolframs Stelle, wenn mein Zuhause wie ein Mädchentraum aussieht. Hm. Wenn ich so an seine Nachthemdenauswahl dachte, dürfte es ihm hier gerade sehr gut gefallen!

Also fange ich am besten in seinem Zimmer an. Vielleicht war er dort. Wenn man mich nicht sehen konnte, vielleicht erging es ihm ja genauso!

Ich hastete die Treppe hoch in den ersten Stock. Diese Girlanden, die alles schmückten, um was man sie hätte wickeln können, und das war in einem Schloss erstaunlich viel, versuchte ich einfach zu ignorieren.

Nun stand ich vor seiner Zimmertür und atmete tief durch.

Komm schon, Yuuri, du hast jetzt nicht die Zeit!

Ich griff nach der Klinge und… griff durch sie hindurch.

WAS?!

Wie sollte ich denn… also wie war das… und dann klatschte ich mir die Hand an die Stirn.

Ich war ein Geist. Klar. Das konnte so nicht funktionieren!

Dummerweise bin ich noch nie länger mit einem Geist ins Gespräch gekommen, um mir erklären zu lassen, wie dieser Türen öffnet. Verdammt!

Was nun?

Ich konnte jetzt natürlich hier stehen bleiben, bis jemand die Tür öffnet oder… ja, was, oder?

Verdammt! Das dürfte doch echt nicht wahr sein? Wütend ballte ich die Faust und wollte sie gegen die Tür schlagen, als ich fiel.

Und zwar richtig.

Und zwar nicht, weil sich überraschenderweise die Türe geöffnet hätte, sondern schlichtweg, weil ich durch das eigentlich massive Holz hindurch fiel.

Das nächste, was ich sah, war der kalte Steinboden.

Und das nächste, was ich hörte, war eindeutig nicht Wolframs Stimme.

Um ehrlich zu sein, ich hatte gerade überhaupt keine Ahnung, wessen Stimme das war, aber sie drang laut schallend singend aus dem angrenzenden Badezimmer und da es nicht viele Tätigkeiten hab, die man in eben diesem Raum erledigen konnte in einem singenden Zustand hatte ich auch keine Lust, nach zu sehen.

Schnell rappelte ich mich wieder auf und beschloss spontan den gleichen Weg zurück zu nehmen, wie ich in diesen Raum gekommen war. Nur diesmal ohne harten Aufprall.

Wohin jetzt? Orte, die Wolfram im Schloss bevorzugte. Hm.

Da wäre ganz sicherlich der Trainingsplatz. Aber was würde er da alleine und vermutlich für niemanden sichtbar, wollen?

Dann noch seine Werkstatt. Ob er da wäre? Wenn ich über den Gang im Ostflügel gehen würde, käme ich am Garten im Innenhof vorbei. Dort saß er auch gerne am Brunnen mit einem Buch in der Hand.

Also hastete ich wieder zurück zur Treppe und die Stufen hinunter.

An den Soldaten und den Dienstmädchen, die beladen, ob mit Tabletts oder Wäschekörben, meinen Weg kreuzten. Ungeachtet von mir, da ich ja nun wusste, dass sie mir keinerlei Beachtung schenken konnten, schlitterte ich fast schon um die Ecke, die den Hauptgang mit dem Gang in den Ostflügel verband.

Durchschritt einen riesigen Stapel an Gepäckstücken, über den ich sicherlich im hohen Bogen gestolpert wäre, wenn ich nicht gerade diese körperliche Form hätte.

Was ging hier nur im Schloss vor sich?

Egal! Keine Zeit! Konnte ja schließlich jederzeit passieren, dass Murata mich weckte!

Näherte mich dem Abschnitt des Ganges, der zur einen Seite hin zum Garten offen lag und wo einige Steinbänke standen.

Und stoppte. Ich hatte das Schluchzen schon vernommen, noch bevor ich sie wirklich gesehen hatte.

Keine zehn Meter von mir entfernt erblickte ich zum ersten Male seit meiner Ankunft hier Gesichter, die ich wirklich kannte. Und das Stechen in meinem Herzen sagte mir zum Einen, dass ich sie alle wirklich vermisst hatte in den vergangenen Wochen und zum Anderen, dass ich meinem Ziel noch nie so nah war!

„Wolfram!“, kam es wispernd über meine Lippen und Cheries Schluchzen brach ab.

Anissina war die Erste, die sich langsam zu mir herumdrehte.

Hatte sie mich hören können? Wie war das möglich?

„Yu-chan!“, riss mich die kreischende Stimme meiner Mutter aus den Überlegungen, „Du auch?“

In ihren Augen sah ich das plötzliche Aufglimmen leichter Panik. Nur noch das Gesicht meines Bruders schien noch mehr geschockt zu wirken.

Sie konnten mich anscheinend alle sehen! Selbst Dacascos, da sein Mund weit aufklappte und er mit zittrigem Finger auf mich zeigte: „Aber… aber eure Majestät?“

Meine Mutter trat auf mich zu, wollte nach mir greifen, doch hinter ließen ihre Finger nur ein seltsames Kribbeln auf meiner Haut an den Stellen, wo sie durch mich hindurch glitten.

„Macht euch keine Sorgen um uns!“, ich passierte sie, anschließend Anissina und meinen Bruder. Schlussendlich kam ich neben der am Boden knienden und weinenden Cherie an.

Setzte mich neben sie und nur kurz erhob sie den Blick. Ihre Augen waren gerötet und ich konnte mich wirklich nicht erinnern, sie wirklich jemals so verzweifelt gesehen zu haben. Nicht mal, als wir damals wirklich gedacht hatten, er sei tot.

Und nun saß hier vor ihr, in einem seltsam lichten Schein, die Gestalt ihres jüngsten Sohnes.

Welche Mutter würde da nicht denken, ihr Sohn sei nicht mehr unter den Lebenden.

Das ich gerade meiner eigenen Mutter die gleichen Gedanken machte, fiel irgendwo in die Kategorie ‚unwichtig‘ in meinem Kopf.

Gerne hätte ich Cherie tröstend meine Hand auf die Schulter gelegt, doch das ging ja nicht. Aber sie hatten meine Stimme vernehmen können.

„Wir hatten ein paar Probleme! Aber das erkläre ich euch, wenn wir wieder hier sind! Ich bin jetzt hier, um Wolfram abzuholen!“, ich schmunzelte zuversichtlich in ihre Richtung, doch sie schien keinesfalls erleichtert.

Doch ich konnte mich jetzt nicht darum kümmern, jedes einzelne Familienmitglied zu beruhigen! Einzig und allein war mir nun Wolfram wichtig!

Seine Augen waren auf mich gerichtet. Dennoch konnte ich nichts in ihnen erkennen. Keine Freude, kein wirkliches Leid. Nur Leere.

Ich erhob mich und reichte ihm die Hand. Er war wie ich auch ein Geist. Sicherlich war es uns möglich, dass wir uns berühren konnten.

Aber er rührte sich nicht. Fixierte nur die einzelnen, ihm entgegengebrachten Finger.

„Wolf, lass uns gehen!“, dass er mich verstand bewies mir die Tatsache, dass er daraufhin sein Gesicht anhob, um mich anzusehen. Doch eine Reaktion erfolgte nicht.

Ich drehte meinen Oberkörper wieder zu den anderen herum: „Könntet ihr uns einen Augenblick allein lassen?“

„Aber Yu-chan! Du…!“, protestierte meine Mutter, wurde aber von Shori unterbrochen.

„Ist gut! Sieh zu, dass ihr bald nach Hause kommt!“, er nahm zuerst Mutter am Arm, die sich seltsamerweise nicht dagegen wehrte, dann bückte er sich ein wenig um Cherie wieder auf die Beine zu helfen und stützte auch sie ein wenig ab.

Schließlich nickten mir noch Anissina und Dacascos kurz zu und so entfernte sich die ganze Gruppe von mir. Gerne hätte ich nach all der Zeit der Trennung mit ihnen geredet, aber das musste warten. Auch meine Fragen bezüglich des Zustandes meines Schlosses.

„Wolf?“, flüsterte ich und setzte mich nun neben ihn, da er auf meine Geste bislang nicht reagiert hatte, „Was machst du denn hier?“

Keine Antwort. Er drehte mir nur sein Gesicht zu und schien mich zu betrachten.

„Wir machen uns Sorgen um dich! Willst du nicht mit mir mitkommen?“

Seine Lippen waren zu einer dünnen, blutleeren Linie zusammengepresst.

„Also, wenn du nicht mitkommst, dann bleibe ich auch hier! Ist zwar auf Dauer etwas langweilig …“

„Sei still!“, unterbrach er mich barsch, „Du bist nicht echt, nur Einbildung!“

„Hä? WAS?“, ich sprang auf, „Wie kommst du denn auf den Unsinn? Ich bin genauso echt wie du auch! Na ja. Gerade sind wir beide wohl nicht so wie wir sein sollten…“

Er lächelte in die Leere des Raumes hinter mir, mied den Augenkontakt: „Ich bin tot!“

Ich packte ihn an den Schultern. Zunächst überrascht, dass ich ihn wirklich berühren konnte, begann ich ihn leicht zu schütteln: „Du bist nicht tot, Wolf! Ich bin hier um dich zu holen!“

Seine grünen Augen, nun auf mich gerichtet, schienen kurz aufzublitzen. Das spornte mich an. Denn auch, wenn seine ganze Körperhaltung befremdlich unbeteiligt wirkte, so sprachen seine Augen doch eine andere Sprache: „Wohin bringst du mich?“

Die Stimme klang plötzlich seltsam leise, fast ängstlich: „Nicht wieder an diesen Ort?“

Ich schluckte. Natürlich befanden sich unsere Körper noch auf Dark Makoku.

Aber wenn ich ihm das nun sagen würde, stünden meine Chancen doch ziemlich schlecht, dass er mich begleitete.

„Ich bringe dich an meine Seite, Wolfram!“, ich festigte den Griff an seinen Schultern und seine Augen weiteten sich etwas, „Denn da gehörst du hin! Du kannst mich doch nicht einfach alleine lassen!“

Irgendwie versuchte ich nun doch ein wenig an sein Ehrgefühl zu appellieren um von dieser leidigen Frage, wohin ich ihn bringen wollte, abzukommen. Ich fühlte mich nun mal nicht wohl bei dem Gedanken, ihn noch anlügen zu müssen. Dazu kam noch, dass ich ein miserabler Lügner war und die Gefahr bestünde, dass er es merken könnte.

Ich zog ihn hoch in meine Arme. Drückte ihn an mich: „Wie konntest du einfach gehen? Weißt du denn nicht, was du mir damit antust?“

Er spannte sich merklich in meiner Umarmung an: „Was denn?“

Diese Worte kamen schrecklich leise, dennoch schmunzelte ich.

„Na, dann habe ich niemanden mehr, der mich nervt!“

Er drückte sich etwas von meinem Körper weg und funkelte mich an.

„Der mich nachts aus meinem Bett tritt!“, mit einem breiter werdenden Schmunzeln beobachtete ich, wie er sich noch einige Zentimeter von mir wegdrückte.

„Der Alles und Jeden, der mir zu nahe kommt, mit Eifersuchtsattacken angreift!“, fuhr ich fort und erkannte aufsteigenden Protest in seinen Augen.

„Niemand, der sich mit mir um unsere Tochter kümmert.“

Seine Züge wurden plötzlich wesentlich weicher, auch seine Haltung.

„Niemand der mich jederzeit und auch als einziger Waschlappen nennt und nennen darf weil mir sonst was fehlt!“

Jetzt unterdrückte er auch ein Lächeln.

Meine rechte Hand löste sich von seiner Schulter, strich sein Schlüsselbein entlang, dann den Hals hoch, stoppte unterhalb seines Kinns und hob dieses an.

Seine grünen Augen schienen nur so zu funkeln. Ich erkannte wieder den Willen in ihnen, das Feuer, all die Emotionen und die Leidenschaft!

„Der mir einfach seine Liebe gesteht ohne meine Antwort abzuwarten und dann vorhat wegzusterben!“, brummte ich und näherte mich mit meinem Gesicht an, „Hast du wirklich gedacht, ich lasse dich damit durchkommen? Selbst im Tod würde ich dir hinterherkommen!“

„Was?“, mehr konnte er nicht erwidern.

Sanft hatte ich meine Lippen auf die seinen gelegt und meinen linken Arm um seine Taille gelegt, um ihn wirklich sehr nah an mich heranzuziehen.

Ich hörte im Hintergrund nur quietschende Schreie.

„Siehst du das, Sho-chan? Siehst du das? Das macht die romantische Stimmung hier im Schloss!“

Sie hatten uns also doch nicht ganz allein gelassen. Damit hätte ich ehrlich gesagt ja auch rechnen müssen! Aber ich blendete es aus. Gerade stupste mich eine freche Zunge an die Lippen und wollte den Kuss intensivieren, den ich jedoch unterbrach: „Moment, Wolf!“

Er schien deutlich sichtbar nicht darüber begeistert zu sein, dass ich hier abbrach.

„Ich muss dir vorher noch unbedingt etwas sagen“, ich holte tief Luft, „bevor schon wieder in unserem Leben alles drunter und drüber geht und ich wieder den richtigen Moment verpasse!“

Er nickte nur, aber aus der Enttäuschung über den Abbruch in seinem Gesicht war nun Neugierde abzulesen.

„Es tut mir leid!“, begann ich und senkte den Kopf.

„Was tut dir leid?“

„Das ich so ein Idiot bin!“

Er lachte leise: „Und nur weil du mir etwas sagen wolltest, was ich schon lange wusste, hörst du auf mich…“

„Nein!“, unterbrach ich etwas lauter, „Das war noch nicht alles!“

„Nicht?“

„Ich war ein Idiot, weil ich erst mit dir unzählige Katastrophen bestehen musste, dann von dir getrennt werden musste um dich wieder zu finden und du dann auch noch fast getötet worden wärst und… ach, verdammt… vielleicht rede ich jetzt auch ziemlich viel unverständlichen Blödsinn, aber glaub mir, ich bin solche Reden nicht gewöhnt, weil ich sie echt nicht oft halte… eigentlich halte ich sie jetzt zum ersten Mal… aber egal… und dann war da noch das Problem, was einfach nicht aus meinem Kopf wollte mit dem das du ein Kerl und ich ein Kerl und dann dieses Verlobter da und Ehre hier und dann…“

„Yuuri?“, ich spürte seine Hand auf meiner Wange, hob den Blick und sah in ein absolut umwerfendes Lächeln. Würden wir uns gerade nicht gegenseitig in den Armen liegen, ich wäre umgefallen. Mein Herz raste sofort los, ohne Rücksicht darauf ob ich dieses Tempo überleben würde. Verdammt, was kasperte ich hier mit Worten herum, wenn es doch ganz kurz gesagt werden konnte… so schwer konnte das doch nicht sein!

Ich erwiderte sein Lächeln: „Was ich eigentlich die ganze Zeit sagen will… Ich bin echt froh, dass wir verlobt sind. Auch wenn es anfangs nur ein Missverständnis war, kann ich mir wirklich nichts Besseres vorstellen, als dich für jetzt und auf ewig an meiner Seite zu wissen und ich will, dass du mir versprichst, mich niemals mehr allein zu lassen! Ich liebe dich, Wolfram von Bielefeld! Ich liebe dich so sehr!“

Und dann schlangen sich zwei Arme um meinen Hals, warfen mich mit einem plötzlichen Gewicht auf meinem Brustkorb, mit wundervoll warmen Lippen auf die meinen gepresst, nach hinten und ich fiel.

Ich fiel durch unendliche Schwärze.

Weiter.

Tiefer.

Ich schloss im Rausch der Geschwindigkeit die Augen und spürte plötzlich den weichen Aufprall unter mir und den etwas härteren auf mir.

Ich öffnete die Augen und sah den blutroten Baldachin eines Himmelbettes.

War ich wieder zurück? Wie? Hatte Murata?

Ich vernahm aber nicht die Stimme meines Freundes.

„WOLFRAM!“, rief ich meine Gedanken aus und saß schwungvoll und recht zügig aufrecht im Bett.

Mein Kreislauf dankte es mir umgehend. Sofortiger Schwindel und Übelkeit packte mich, doch hinderte sie mich nicht daran, auf die andere Betthälfte zu blicken.

Und dann hätte ich am liebsten geweint.

Wolfram schlief. Noch immer. Unsere Hände waren immer noch ineinandergelegt, die Finger verschlungen. Und mich hatte auch niemand geweckt. Ich war von alleine aus dieser Verbindung erwacht… ohne ihn.

„Wolfram!“, ich schluckte und spürte deutlich die Tränen aufsteigen. Wie sie aus meinen Augenwinkeln die Wange herunterliefen. Ich hatte versagt.

Ich schlug mir die Hand vor das Gesicht. Mir war alles egal. Diese Tränen wollte und konnte ich nun nicht unterdrücken.

Ich hatte nicht den Menschen retten können, den ich so sehr liebte.

Ein leises Räuspern drang an mein Ohr. Vermutlich Conrad oder Gwendal.

Das war mir egal. Ich hatte versagt! Ich hatte es nicht geschafft, ihren Bruder zu retten. Wie sollte ich den Beiden überhaupt noch ins Gesicht sehen können?

Erneutes Räuspern.

„Was denn?“, brummte ich ohne aufzusehen.

Sah man denn nicht, dass ich nun erst einmal Ruhe brauchte?

Das ich allein sein wollte?
 

„Ich… liebe… dich… auch… und nun… hör auf zu… flennen, du Waschlappen!“



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Kommentare zu dieser Fanfic (13)
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Von:  Ceasar
2021-11-21T22:28:35+00:00 21.11.2021 23:28
Hut an, vor dieser wirklich wunderbaren Geschichte. Die Handlung, die Umsetzung, die Beschaffenheit der Charaktere, einfach phänomenal!
Und welches Pairing ist herzergreifender als Yuri und sein Wolfram?
Die Weiterführung der Geschichte wäre natürlich ein Traum!
Vielen, vielen Dank für diese unglaubliche, inspirierende und wundervolle Geschichte.
Von:  CocoYume
2020-05-24T20:11:42+00:00 24.05.2020 22:11
Der Schluss Satz hat mich zum flennen gebracht. Was eine tolle Geschichte! Ich liebe dieses Pairing!
Von:  Ryuuen
2018-08-02T17:23:49+00:00 02.08.2018 19:23
Würde auch immer noch gerne weiter lesen und wissen wie die Story endet. Schaue von Zeit zu Zeit nach ob es was neues gibt.
Von:  Yuna_musume_satan
2018-07-11T23:30:26+00:00 12.07.2018 01:30
Der letzte Satz bisher ist genial

Ich liebe dich auch und nun hör auf zu flennen, du waschlappen.

Einfach fantastisch ich würde gerne mehr lesen
Von:  Shion_Mitoshi
2016-05-15T15:46:02+00:00 15.05.2016 17:46
Das war einfach wundervoll*.*
Ich habe richtig geheult und konnte nicht mehr aufhören.
Du hast das so phänomenal geschrieben*.*
Yuuri und Wolfram für immer!*.* *.* *.* *.* *.*
Ich hoffe das war noch nicht das ende und es geht noch weiter^^
Ich liebe diese geschichte*.*
Bitte bitte bitte schreib diese atemberaubende Geschichte weiter*.*
Mach weiter so^^
Von:  YumeKahoko
2015-08-16T18:02:21+00:00 16.08.2015 20:02
Hallo!
Also ich muss das loswerden denn es brennt mir auf der Zunge seit ich diese ff lese. Sie ist so HAMMER toll genial. Alles klingt so plausibel als würde es perfekt so weitergehen. Ich wünschte sie würden das hier als Anime umsetzen!!! das wäre so suuuuper!!!
Ach und endlich yuri rafft es und gesteht. Oh wie wunderschön!!! YurixWolfram 4ever <3 <3 <3!!!
Schreib bitte gaaaanz schnell weiter!!!

LG
Von:  Lys_royal
2015-05-06T07:25:22+00:00 06.05.2015 09:25
Hi!
Also erstmal will ich loswerden, dass ich deine Story LIEBE!!! *.*
Ich habe sie in innerhalb von 2 Tagen komplett gelesen und zum Schluss hatte ich sogar Tränen in den Augen. Eine super Mischung aus Humor, Action und Drama. Das gelingt nicht Jedem.
Vor allem aber bringst du Yuuri sehr gut rüber. Insbesondere seinen inneren Konflikt bezüglich seiner Gefühle gegenüber Wolfram.
Du hast die Orte und die jeweiligen Situationen so super beschrieben, dass man sich alles vorstellen konnte. Ich hoffe es geht bald weiter.
Mach weiter so.

LG
Von:  YuriyKajomi
2015-04-10T18:46:58+00:00 10.04.2015 20:46
Wow! Dein Schreibstil gefällt mir wirklich sehr gut!^^ Es lässt sich gut und flüssig lesen. Auch die Story ist sehr spannend und mitreißend. Es ist mal lustig, mal traurig, mal einfach nur spannend, so dass man nur noch wissen will, wie es weiter geht!
Und das Ende dieses Kapitels, erst dachte ich, "er kann es doch nun wirklich, nicht geschafft haben. Wolfram muss doch wieder zurück sein. Er kann Yuuri doch nicht allein lassen." Und dann bei den letzten Satz musste ich nur noch grinsen, wenn auch mit Tränen in den Augen.

Ich hoffe doch, dass das nächste Kapitel nicht so lange auf sich warten lässt. Mächte doch gern wissen, wie es weiter geht.
Von:  Ryuuen
2015-04-06T22:50:31+00:00 07.04.2015 00:50
Einfach nur genial. Deine Geschichte hat mich so gefesselt, dass ich gar nicht aufhören konnte zu lesen. Wie man an der Uhrzeit sehen dürfte, dabei muss ich um 5 Uhr aufstehen.;-) Super Idee und ganz großes Lob für die Umsetzung. Ich bin sehr gespannt wie es weiter geht. Hoffe der nächste Teil ist bereits in Arbeit und es dauert nicht mehr lang bis wir diesen zu lesen bekommen.
Antwort von:  KamuiMegumi
07.04.2015 08:48
Danke! Hoffe, du überlebst den Tag trotz Schlafmangel. Die Story hier liegt derzeit auf Pause wegen 3 Gründen: -ich hatte sie vorgeschrieben und finde den Block nicht mehr...um wieder neu zurückzufinden muss ich mich selbst wieder einarbeiten, aber da ich - derzeit an 5 Naruto Geschichten arbeite (hauptsächlich anderes Portal und nicht bei animexx) fehlt mir irgendwie die Zeit und dann kommt noch dazu, dass - hier wenig Resonanz kommt...4 Kommentare in 15 Monaten ist nicht gerade motivierend. Aber ich habe mir dennoch vorgenommen, dass hier zu Ende zu bringen! Das es dauert tut mir leid!
Antwort von:  Ryuuen
07.04.2015 17:22
Das der Block verloren gegangen ist, ist natürlich blöd und dass es dir schwer Fällt jetzt wieder rein zu kommen finde ich verständlich, vorallem wenn man grad FF für eine ganz andere Serie schreibt. Die Resonanz ist leider wirklich gering, was mich sehr überrascht, weil ich finde die Geschichte so gut geschrieben, dass ich nicht das Gefühl hatte eine FF zu lesen, sondern dass dies die wirkliche Fortsetzung der Novel ist. Ich freue mich sehr, dass du sie zu Ende schreiben möchtest. Bitte schicke mir eine kurze ENS wenn es soweit ist, dass es hier weiter geht. Ich werde mich dann mal in Geduld üben. :-)
Antwort von:  KamuiMegumi
08.04.2015 22:10
Neues Kapitel!!!!
Von:  yujiro-shihoudani
2014-11-03T20:46:42+00:00 03.11.2014 21:46
ohh wie schade hab jetzt schon alles gelesen und musste feststellen wie toll du schreiben kannst und ich bin soooooo gespannt wie es weiter geht
hoffe es geht noch weiter
ich liebe dieses paaring und du hast da wirklich ne tolle story erschaffen

LG yujiro-shihoudani


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