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Zwischen Hölle und Hölle

von

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| eins |
 

In der Bahnhofshalle war es kühl, nichts war von dem warmen Spätsommer dort draußen zu spüren. Viele Menschen hasteten umher, mehr, als ich jemals auf einmal gesehen hatte. Schluckend packte ich meine Tasche fester, ließ meine Augen über die Aushänge gleiten.

Erst vor wenigen Minuten war mein Zug aus Shima angekommen, hatte mich ausgespuckt in diese fremde, große Stadt. Noch nie zuvor war ich in Tokyo gewesen, und jetzt musste ich für die nächsten Jahre hierbleiben. Oder zumindest die nächsten Wochen, denn genug Geld für die Rückfahrt hatte ich nicht mehr. Das hatte man von spontanen Fluchtaktionen. Vielleicht war das doch keine so gute Idee gewesen.

Meine Augen blieben an einem langen Zettel hängen. Nun ja, eher an mehreren Zetteln, die unordentlich mit Klebestreifen zusammengeklebt waren. Es war eine WG-Ausschreibung, genau so etwas hatte ich gesucht. Stirnrunzelnd las ich die krakelige Schrift.
 

So, du suchst eine Wohnung. Wir haben eine. Wenn du absolut männlich bist, kannst du hier wohnen.
 

Seid gegrüßt, werter Leser. Wir sind im Besitz einer größeren Wohnmöglichkeit und suchen einen weiteren Bewohner, der den letzten, freien Raum bewohnt. Wir würden uns wirklich sehr freuen, wenn der neue Mitbewohner höflich und intelligent ist.

Und verdammte Scheiße, niemals einen beschissenen Hundeallergiker oder neugierigen Neurotiker, kapiert?! Die kann ich nicht leiden!

Ansonsten sind alle sehr herzlich willkommen, wir würden uns wahnsinnig freuen, auch dich bald in unserer Mitte begrüßen zu dürfen. Hochachtungsvolle Grüße erreichen dich in diesem Moment.
 

Reita, deine Socken stecken in der blöden Waschmaschine fest. Und vergiss nicht, dass du diesmal mit dem Einkauf dran bist! Heute noch! Und bring Nagellackentferner, Kaffee und diesen komischen, stinkenden Käse mit. Und Klopapier. Ruki hat wieder alles aufgebraucht.
 

Hab ich gar nicht, du dämliche Diva!
 

Inkontinenter Choleriker!
 

Schnauze!
 

Hallo! Wir sind eine nette, fröhliche und harmonische Vierer-WG und würden gerne noch jemanden bei uns aufnehmen. Küche, Bad und Wohnbereich werden zusammen genutzt. Wenn du ebenfalls nett und fröhlich bist und in einer wundervollen WG wohnen möchtest, kannst du dich bei uns melden. Wir nehmen auch kurzfristig Mitbewohner auf.
 

Darunter stand viermal dieselbe Adresse, jedes Mal in einer anderen Schrift. Offenbar hatte jeder seinen Senf dazu abgegeben. Die schienen sich ja richtig gern zu haben.

Verzweifelt suchte ich nach weiteren Ausschreibungen, aber das war die einzige. Tief durchatmend schrieb ich mir die Adresse ab. Ich brauchte am besten heute schon einen Platz, und so schlimm klangen die vier auch wieder nicht.

Zumindest nicht alle.


 

| zwei |
 

»Verdammte Hacke, ich habe schon einen Staubsauger, okay? Na gut, unsere Putzfrau hat einen, genaugenommen ist es eine männliche Putzfrau, also ein Putzmann. Falls er sich denn mal an den Haushaltsplan hält, aber das ist ja immer so eine Sache. Für einen Vertreter sehen Sie wirklich erbärmlich aus, hat Ihnen das schon mal jemand gesagt? Na ja, ist ja auch egal. Jedenfalls brauche ich Ihren verschissenen Staubsauger nicht.«

Und schon wollte der blonde Typ vor mir die Tür wieder zu donnern. »Moment!«, wagte ich einzuwerfen, und schon wurde sie wieder aufgerissen.

»Sie sind aber auch einer der ganz hartnäckigen Sorte, was? Aber ich sag Ihnen mal etwas, ich habe jeden Tag beruflich mit nölenden, unzufriedenen Kackbratzen zu tun, da sind Sie kein Einzelfall. Oder verkaufen Sie gar keine Staubsauger? Ihre Tasche sieht auch etwas klein dafür aus. Vielleicht sind Sie so einer, der Tupperware verkauft. Die sind noch schlimmer. Haben Sie jemals miterlebt, wie Ihre Mutter zusammen mit den ganzen Weibern aus der Nachbarschaft eine Tupperparty schmeißt und Torte wegschlürft? Schrecklich, sage ich Ihnen. Vor allem die Folgen der Sahnemassen. Sagen Ihnen die Begriffe ›brauner Senf‹, ›Arschpissen‹, ›lange Katharina‹ oder ›Maleur de Kack‹ etwas? ›Diarrhö‹? ›Inkontinentia Popertia‹? Und wer durfte hinter den faltigen Hintern den Thron säubern? Ich! Und weswegen wird man als Kind von einer solchen fetzigen Fete psychisch gestört? Weil Typen wie Sie von Haustür zu Haustür rennen und so einen Müll verkaufen! Schieben Sie Ihren Hintern sonst wohin, vielleicht in eine Ihrer Tupperdosen, aber weg von meiner Tür!«

»Ich …«

»Oh, noch schlimmer als Tupper? Was verkaufen Sie dann? Spielzeug für perverse und verklemmte Rentner, die mit ihrem Rollator nicht mehr aus dem Haus kommen? Gebrauchte Unterhosen, lustige Kugelketten, leuchtende und rotierende Dil…«

»Reita, brüllst du schon wieder den Postboten an?« Ein honigblonder, junger Mann schob sich an mir vorbei durch die Haustür, zusammen mit einer fast schon sichtbaren Parfümwolke.

»Postbote?« Der Blonde vor mir sah mich überrascht an. »Oh. Haben Sie ein Paket für mich?«, fragte er plötzlich deutlich freundlicher und schien sogar zu lächeln. Konnte allerdings auch eine optische Täuschung sein.

»Nein, ich …«

»Dann ein Päckchen?«

»Hör mal …«

»Nicht mal ein kleines Päckchen? Was zur Hölle wollen Sie dann von mir?!«, meckerte er mich gereizt an, schlug die Tür vor meiner Nase zu und entfernte sich stampfend. Sprachlos stand ich nun vor der hölzernen Tür, fragte mich, wo ich hier gelandet war. Irritiert zog ich den Zettel aus meiner Tasche, verglich die Adresse. War ich im falschen Stockwerk? Nein, ich war zweifelsfrei richtig. In dieser Wohnung mitten in Shibuya lebte die WG, die auch kurzfristig Mitbewohner aufnahm. Wahlweise auch Postboten zur Schnecke machte.

Erneut drückte ich auf den Klingelknopf.

Zum zweiten Mal hörte ich, wie sich eine zeternde Stimme näherte – der Blonde von vorhin –, doch diesmal kam ihm jemand anderes zuvor, öffnete die Tür und grinste mich breit an. »Hey, kann ich dir helfen?«, fragte der Brünette fröhlich.

Im Hintergrund sah ich den Blonden, der sich mit der Parfümwolke stritt.

»Ich geb dir gleich Feierabend! Putz doch selber!«

»Aber du bist dran, Reita!«

»Willst du mit mir Fangen spielen, Sack?«

Der freundliche Mann zog die Tür hinter sich zu und räusperte sich. »Einfach ignorieren. Das ist normal hier.«

»Ähm. Gut. Ich bin hier wegen dem Aushang am Bahnhof, ich suche kurzfris…«

»KAI!« Die Tür wurde dem Brünetten von dem Blonden aus der Hand gerissen. »Verdammt, sag dem Sack, dass er selbst putzen soll!«

Bemerkenswert, dass besagter Kai immer noch lächelte.

»Uruha war letzte Woche dran. Laut dem Haushaltsplan, mit dem auch du einverstanden warst, bist du diese Woche dran. Einkaufen musst du auch noch«, gab er freundlich zurück.

»Was? Was fehlt denn jetzt schon wieder?!«

»Klopapier«, rutschte es mir heraus, bevor ich es verhindern konnte. Sofort schossen nadelspitze Blicke in meine Richtung.

»Woher weiß die Brieftaube, was wir einkaufen müssen?«, fragte der Blonde misstrauisch, wurde allerdings kommentarlos von dem Brünetten zurück in die Wohnung geschoben.

»Du meinst den Aushang wegen der WG?«

Ich nickte leicht, war mir nicht mehr ganz sicher, ob eine Nacht auf der Straße nicht doch angenehmer sein würde.

»KAI!« Noch einmal erschien der Blonde in der Tür, starrte mich seltsam an.

»Hm?« Unglaublich. Der Brünette lächelte noch immer.

»Jetzt hab ich es vergessen.« Die Tür knallte zu, wurde wieder aufgerissen. »Wo zur Hölle ist Ruki?«

»Schau mal in seinem Zimmer nach.«

Der Blonde sah ihn entsetzt an. »Bist du wahnsinnig? Ich soll da reingehen? Sterben? Sonst noch was?«

»Wenn du schon fragst, du könntest den Müll rausbringen. Und jetzt verschwinde. Also. Du hast unseren Aushang gelesen und möchtest das Zimmer?«, lächelte der Brünette mich an.

»Äh …«

»Super! Dann komm mal rein in die gute Stube. Müssten eigentlich alle da sein, Uruha hat meistens als Letzter Feierabend.«

Und schon wurde ich hineingezogen, die Tür hinter mir geschlossen.
 


 


 

Sieben Augen starrten mich an. Die Blicke waren bedrohlich, freundlich, schmachtend und abschätzig. Der bedrohliche Blick allerdings nur einäugig, da der Zwerg mir gegenüber ein Auge zukniff und mich mit dem anderen genau musterte. Er hatte wirres, braunes Haar und streichelte die Luft, schien mich aufspießen zu wollen. Neben ihm saß der schmachtende Honigblonde, feilte sich gelangweilt die Nägel und schien sehr viel Wert auf sein Äußeres zu legen. Hin und wieder zischte er den Blonden neben sich an, der ein Tuch um die Nase trug und den ich zumindest akustisch schon genauer kennenlernen durfte. Neben mir saß der lächelnde Brünette, sah mich freundlich an. »Jungs, das hier ist unser neuer Mitbewohner – wie heißt du eigentlich?«

»Aoi«, antwortete ich leise, eingeschüchtert von den starrenden Blicken.

»Gut, Aoi. Ich bin Kai. Wenn irgendwas ist, kannst du immer zu mir kommen. Ich weiß, dass es hier nicht immer einfach ist. Die Kosten werden alle geteilt, jeder muss mal einkaufen und putzen, ich zeig dir nachher dein Zimmer. Hast du sonst noch Fragen?«

Perplex sah ich ihn an. Er kannte mich nicht und ließ mich einfach so hier wohnen?

»Moment mal«, knurrte da auch schon der Blonde. »Aoi, ja? Und warum bist du hier?«

»Er sucht eine Wohnung, du Depp«, seufzte der Honigblonde und verdrehte die Augen.

»Ach was, Sack, das hätte ich mir gerade noch so selbst zusammenreimen können!«, keifte der Andere zurück und schon ging es wieder los.

»Warum tust du es dann nicht?«

»Ich muss mich vor dir doch nicht rechtfertigen!«

»Weil du es nicht kannst.«

»Was?!«

»RUHE!«, brüllte Kai dazwischen und warf warnende Blicke um sich, bevor er sich lächelnd zu mir drehte. »Gut, Aoi. Wir möchten dich natürlich ein bisschen kennenlernen. Erzähl mal, wo kommst du her?«

Ich schluckte schwer. War es wirklich eine gute Idee gewesen, hierher zu kommen?

»Ich … Ich komme aus Shima. Mie. Und heute bin ich mit dem Zug hier angekommen und suche nach einer Wohnmöglichkeit.«

»Warum bist du nicht in Shima geblieben?«, wollte der Zyklop mit schmalem Auge wissen. Die Frage musste ja kommen.

»Ich … verstehe mich mit meinem Eltern nicht so gut.«

Der bohrende Blick des Kleinen schien auf mehr Informationen zu warten, doch die konnte er vergessen. Das ging keinen etwas an.

»Gut. Du scheinst nett zu sein, mutig auch, sonst wärst du nie mit reingekommen. Ich denke, es ist kein Problem, dass du hier wohnst. Was sagt ihr?«, wandte sich Kai an die anderen, die daraufhin nachzudenken schienen.

»Er ist ein Mann«, lautete das Urteil des Blonden.

»Er mag Tiere.«

»Woher weißt du das denn?«, fragte der Nasenbedeckte den Kleinen und sah mich komisch an.

»Er hält es mit dir in einem Raum aus.«

»Was?!«

»Ich bin auch dafür, dass er hier einzieht. Er sieht heiß aus«, zwinkerte der Honigblonde über den Tisch hinweg zu mir. »Schade, dass du nicht blond bist, Süßer.«

»Warum streitest du dich dann eigentlich mit Reita? Er passt doch super in dein Beuteschema«, stichelte der Kleine, ließ eine Augenbraue hinaufwandern.

Sofort empörte sich der Blonde: »Als ob ich was mit dem Sack anfangen würde!«

»Ihr seid beide schwul und Ruru steht auf heiße Blondinen. Was spricht dagegen?«

»Ich bin nicht schwul!«

»Du stehst auf Männer.«

»Das ist ja wohl was ganz anderes!«

»Wie auch immer«, unterbrach Kai den Streit mit einem gequälten Lächeln, »möchtest du noch etwas wissen, bevor du hier einziehst? Am besten fangen wir damit an, dass wir uns vorstellen. Ich bin Kai, arbeite als Koch und tue das auch in meiner freien Zeit sehr gerne. Zum Beispiel hier. Du musst also nicht kochen.«

»Außer, du willst mal etwas Leckeres essen«, warf der Blonde griesgrämig ein, wurde aber von dem Honigblonden mit einem Stich in die Seite – mit der Nagelfeile – zum Schweigen gebracht.

»Ich bin Ruki. Mein Zimmer ist tabu. Koron-chan ist mein Hund und der gehört mir allein, verstanden?«, zischte der Kleine und streichelte die Luft schneller.

»Unser cholerischer Giftzwerg. Betrete sein Zimmer oder sprich ihn einfach so an und du bist tot«, ließ der Blonde es sich auch diesmal nicht nehmen, die Vorstellung zu vervollständigen.

»Ich bin Uruha. Färb deine Haare blond, Schatz«, säuselte der Honigblonde und zwinkerte wieder.

»Der Sack. Unsere Diva. Sein Zimmer besteht aus Kleidung und Nagellack.«

»Und der nervende Stinker mit dem Tanga im Gesicht ist Reita«, keifte Uruha zurück.

»Hey!«

»Er ist der absolut männlichste Kerl aller Kerle, er ist so männlich, er schlägt morgens mit seiner Latte Nägel in die Wand und holt mit seinem Teil die Zeitung rein.«

»Ganz genau. He, Moment mal!«

»Er vergibt gerne Spitznamen, auch du wirst einen liebevollen Namen von ihm bekommen. Wenn du sein Zimmer betrittst, wirst du in versiffter Wäsche untergehen oder von seinem Kampfvogel Keiji attackiert.«

»Ach ja? Und bei dir erstickt er gleich in Parfüm!«

»Lieber Parfüm als dein Gestan…«

»RUHE!«, unterbrach Kai die beiden Streithähne, lächelte mich an. »Also. Möchtest du hier einziehen? Du kannst heute schon dein Zimmer beziehen, wenn du magst.«

Unsicher ließ ich meinen Blick von einem zum anderen wandern. Sollte ich mir das wirklich antun? Hier in dieser Chaos-WG wohnen? Jeden Tag Streitereien bis zum Tinnitus und seltsame Mitbewohner? Ruki starrte seinen unsichtbaren Hund an, Uruha seine Fingernägel und Kai wartete lächelnd auf eine Antwort. Plötzlich sah mich Reita an. Seine dunklen Augen funkelten, schienen ebenfalls zu lächeln.

»Okay.«
 


 


 

Die Nacht war klar, die warme Sommerluft kam durch das geöffnete Fenster herein. Seufzend lehnte ich mich an das Fensterbrett, sah in die Dunkelheit hinaus. Nun wohnte ich also hier. In der verrücktesten WG, die ich jemals getroffen hatte. Aber ich war ein positiver Mensch, der erste Eindruck war nicht immer der beste. Bestimmt hatte ich nur einen schlechten Tag erwischt.

»Verdammte Scheiße, gib mir die Fernbedienung, du blöder Sack!«

Vielleicht aber auch nicht. Selbst hier, durch die geschlossene Zimmertür konnte ich noch die netten Worte der anderen hören.

Nachdem ich mich zum Einzug entschieden hatte, wurde ich von Kai in mein Zimmer verfrachtet. Es war nicht besonders groß und hatte nur wenige Möbel, aber das reichte mir. Meine Reisetasche war schnell ausgepackt, mehr als Klamotten, ein paar Bücher und meine Gitarre hatte ich nicht mitgenommen. Nun stand ich hier und sah hinaus auf die fremde, große Stadt. In meinem Heimatort war es in der Nacht dunkel und ruhig, Hier jedoch schien die Nacht zum Tag zu werden, der Himmel wurde nicht richtig dunkel, angestrahlt von den vielen Lichtern der Stadt.

»Du ziehst mir den letzten Nerv!«

Und meine Mitbewohner schienen auch nicht zur Ruhe zu kommen. Ob das wohl jeden Tag so war? Ich freute mich irgendwie darauf, den bunten Haufen hier näher kennenzulernen. Zwar schienen sie sich oft zu streiten, aber sie mochten sich definitiv. Sonst würden sie nicht seit vier Jahren zusammenwohnen, wie Kai mir verraten hatte.

Ich warf einen Blick auf die Uhr, es war bereits nach elf. Müde von der langen Reise und den Anstrengungen des Tages, beschloss ich schlafen zu gehen. Ich griff nach meinen Sachen, öffnete die Tür und geriet – wie sollte es anders sein – in einen Streit.

»Scheiße, gib mir sofort die Fernbedienung!« Reita stand wütend vor dem Honigblonden, der gemütlich im Sessel saß und fernsah.

»Nein.«

»Verdammt, glotz' in deinem eigenen Zimmer den beschissenen Film! Du hast da einen Fernseher! Ich nicht!« Nun zerrte der Blonde an den Händen des Anderen, der offenbar die Fernbedienung festhielt.

Ich räusperte mich, trat näher an sie heran. »Ähm, ich will euch nicht stören, aber …«

»Hast du schon, du Giftzwerg!«, fuhr mich Reita gereizt an, bemerkte dann, dass ich nicht Ruki war. »Was ist denn?«

»Ich suche das Bad.«

Uruha zeigte mit seiner freien Hand auf die Tür neben der Küche, die mir Kai vorhin gezeigt hatte. Warum er die Bäder ausgelassen hatte, sollte ich wohl jetzt erfahren.

Ich ging gerade auf die Tür zu, als der Blonde schreiend an mir vorbeiraste und sich vor die Tür warf. »Nicht so schnell! Wir haben zwei Bäder. Das Männerbad und das Weiberbad!«

»Reita, lass ihn einfach …«

»Oh nein! Wie weiblich bist du?« Verdutzt sah ich ihn an, fragte mich, ob er Tabletten nahm. »Ich meine, wie lange brauchst du im Bad?«

»Äh …«

»Das ist definitiv zu lange. Du kommst ins Weiberbad. Das ist da vorne.« Er zeigte auf die gegenüberliegende Tür. »Du teilst dir das Weiberbad mit Ruki und Uruha. Viel Spaß.« Grinsend raste er zurück ins Wohnzimmer.

Weiberbad …?
 

Abgesehen von einer Parfümwolke und überladenen Regalbrettern konnte ich nichts Außergewöhnliches feststellen und machte mich fertig, trat ein paar Minuten später im Schlafanzug wieder in den Flur. Inzwischen waren die anderen wohl auch müde, immerhin war kein Geschrei mehr zu hören. Die Tür zu Rukis Zimmer – falls ich mich richtig erinnerte – war zu, ebenso Kais. Uruha winkte mir fröhlich durch seine zu. Lächelnd ging ich zurück Richtung Wohnzimmer, neben dem mein Zimmer lag. Durch die halb geschlossene Tür konnte ich Reita sehen, der seitlich auf dem Sofa vor dem Fernseher lag; die Arme unter seinem Kopf, die Beine angezogen. Ich lehnte mich an den Türrahmen, betrachtete den Blonden, der völlig ruhig und entspannt den Film anschaute und gar nicht mehr aufbrausend wirkte.

»Reita?« Er reagierte nicht. Aber ich konnte von hier sehen, dass seine Augen offen waren. »Gute Nacht«, sagte ich leise.

Der Blonde brummte nur.

Ich drehte mich wieder um, stieß fast mit Uruha zusammen, der das Bad ansteuerte und mich anscheinend beobachtet hatte. »Mach dir nichts draus, der antwortet nie. Schlaf schön, Süßer.« Schon war der Honigblonde hinter der Tür verschwunden und ein unbeschreiblicher Lärm brach los. Da niemand alarmiert auf den Flur rannte, schien das normal zu sein. Kopfschüttelnd ging ich endgültig in mein Zimmer, schloss die Tür und ging ins Bett.


 

| drei |
 

»Verdammt, gehst du mir gewaltig auf die Nerven!«

Erschrocken fuhr ich hoch und riss die Augen auf. Mit rasendem Herzen und klingelnden Ohren sah ich mich verwirrt um, ließ meinen Blick durch den kahlen, weiß gestrichenen Raum wandern. Wo zur Hölle war ich? Und wer hatte da geschrien?

»Scheiße, ich glaube, es hackt!«

Dann kam die Erinnerung. Reita. Ich war in der Chaos-WG. Müde streckte ich mich, rieb mir dir Augen. Gestern war ich hier eingezogen, hatte meine netten Mitbewohner und deren harmonisches Miteinander kennengelernt.

»Zum letzten Mal, du dämlicher Sack, gib es wieder her!«

So langsam wandelte sich das hysterische Geschrei in ein frühkindliches Jammern. Seufzend schielte ich auf meine Uhr. Halb sieben. Offenbar waren hier nur Frühaufsteher, wenigstens würde ich keinen Wecker brauchen.

In Gedanken ging ich meinen Plan für heute durch. Ich musste unbedingt einen Job finden, irgendeinen, um hier in Tokyo überleben zu können. Wenn der Honigblonde – ich glaube, er hieß Uruha – recht gehabt hatte, dann müsste Reitas Latte bereits die Zeitung reingeholt haben. Vielleicht stand dort etwas drin.

Grinsend hievte ich mich hoch, griff nach meinen Klamotten, verließ mein Zimmer – und stieß gegen den Blonden, der sich direkt vor meiner Tür aufgebaut hatte und nun den Honigblonden ankeifte, der in der Küchentür stand.

»Kannst du nicht aufpassen?!« Wütend drehte sich Reita um, starrte mich blitzend an, dann wandelte sich sein Gesichtsausdruck in eine seltsam-verwirrte Fratze. »Wer bist du und wie kommst du hier rein?«

»Du solltest echt was wegen deinem Gedächtnis unternehmen, du bist ja schlimmer als Kai!«, knurrte Uruha, warf mir ein strahlendes Lächeln zu und stolzierte an uns vorbei zu seinem Zimmer. »Färb deine Haare, Schatz!«, rief er noch, dann knallte die Tür hinter ihm zu. Ich sah ihm hinterher, spürte eine Hand, die mein Gesicht drehte und befand mich kurz darauf Auge in Auge mit dem Blonden.

»Du bist gestern hier eingezogen, oder? Als ob ich so etwas vergessen würde – wie heißt du nochmal?«

»Aoi«, antwortete ich brav, verkniff mir einen sarkastischen Kommentar über Alzheimer.

»Aoi? Verdammte Hacke, wer hat dir diesen dämlichen Namen verpasst?«, regte sich mein Gegenüber sogleich auf, raufte sich die Haare. »Du heißt Schneewittchen.«

»Was?«

»Du hast schwarze Haare, weiße Haut und rote Lippen, weil du dir dauernd darauf herumbeißt. Wie diese Schnepfe aus dem Märchen.«

»Und das ist kein dämlicher Name?«

So viel zu den Spitznamen, vor denen mich der Honigblonde gestern noch gewarnt hatte.

Eine Weile druckste er herum, nestelte an seinem T-Shirt, bis er sich ruckartig umdrehte und schnaubend hinter einer Tür verschwand. Reita stand also auf Märchen, oder warum kannte er sich da so aus? Was für ein seltsamer Morgen.

Fast hätte ich vergessen, weshalb ich hier auf dem Flur stand, dann fiel mein Blick auf die Klamotten in meinem Arm und ich sah mich suchend um. Wo war das Badezimmer? Wenn man mal Hilfe brauchte, schien diese WG wie ausgestorben zu sein. Nichts war zu hören. Vielleicht waren nur wir drei im Moment in der Wohnung, Uruha wieder im Bett und der Blonde ebenfalls.

Mein Blick glitt über zehn Türen. Die hinter mir fiel aus, das war mein Zimmer. Rechts neben mir war der Flur zu Ende und die Tür führte ins Wohnzimmer, auf der anderen Seite des Flurs ganz am Ende war die Wohnungstür. Wenn ich mich richtig erinnerte, war gegenüber von meinem Zimmer die Küche und direkt daneben ein Bad. Links von meiner Tür musste das zweite Bad sein, gestern Abend lagen sie jedenfalls noch einander gegenüber. Dann mussten die restlichen vier Türen nahe der Wohnungstür die Zimmer der anderen sein, Uruha war hinter der Tür neben dem Bad gegenüber verschwunden. Gott, wie kompliziert. Ein riesiges Labyrinth, obwohl der Flur gar nicht so groß war. Vielleicht konnte ich den Blonden fragen, wo hier das Bad war.

Ich ging hinüber zu der Tür zwischen Küche und Uruha, klopfte an und öffnete sie, als keine Antwort kam.

»RAUS!«, schrie mich ein nackter und knallroter Reita an, der vor Schreck sein Handtuch hatte fallen lassen, »DAS WEIBERBAD IST DA VORNE!«, und mir fast ein drittes Nasenloch bohrte, als sein Arm Richtung Tür schoss.

»Entschuldige, ich wollte nicht stören, hab nur das Bad gesucht«, murmelte ich verlegen, drehte mich schnell um.

»DU HAST DAS FALSCHE GEFUNDEN!«

War ja nicht zu überhören.

Wie peinlich. Schon am ersten Morgen den Mitbewohner splitterfasernackt zu entdecken, war doch ein seltsamer Start ins gemeinsame Miteinander.
 


 


 

»Guten Morgen, Aoi!«, begrüßte mich ein strahlender Kai, als ich etwas später die Küche betrat. Der Brünette werkelte am Herd herum, schien zu kochen. »Frühstück ist gleich fertig, setz dich doch schon mal.«

»Guten Morgen, Kai.« So war das doch schon viel besser. »Machst du dir immer so viel Mühe morgens?«, fragte ich neugierig, sah mich in der sonnendurchfluteten Küche um. Der Raum war mit hellen Möbeln eingerichtet, geräumig und wirkte sehr gemütlich. An der Wand neben der Tür entdeckte ich eine Pinnwand mit lauter Fotos, die ich mir näher ansah.

»Das ist doch keine Mühe, das mache ich gerne. Vor allem für so nette Mitbewohner wie dich. Die anderen meckern sowieso immer nur herum.«

Und trotzdem lächelte er die ganze Zeit. So viel Optimismus in so einem schmalen Menschen. Aber was waren das denn für Fotos? Irritiert sah ich ein schlafendes und sabberndes Gesicht neben dem anderen. Am häufigsten war Kai zu sehen, hin und wieder Reita und dazwischen ein Foto von mir. Schlafend.

»Das ist das Hobby von dem dämlichen Sack. Freu dich auf eine zweifelhafte Karriere als Model«, brummte plötzlich neben mir der Blonde, starrte finster auf die Pinnwand. Uruha machte Fotos von seinen Mitbewohnern, wenn sie schliefen? Seltsames Hobby. Ich musste unbedingt nachsehen, ob ich einen Schlüssel für meine Tür auftreiben konnte.

»Reita, kannst du Uruha Bescheid sagen, dass er gleich los muss? Sonst kommt er wieder zu spät.«

Der Blonde ignorierte Kai, starrte weiterhin die Fotos an. Seufzend wandte sich der Brünette zur Tür, brüllte kurz: »URUHA!«, dann drückte er mir eine Tasse mit Kaffee in die Hand und scheuchte mich und den Blonden zum Tisch. Fast zeitgleich quetschten sich Ruki und der Honigblonde durch die Tür. Uruha pflanzte sich direkt neben mich und fummelte an seinen Nägeln herum, während der Kleine in der Tür stehen blieb. Ich lächelte ihn an, wusste nicht so recht, wie ich auf den eisigen, zusammengekniffenen Blick reagieren sollte.

»Er ist weg«, zischte es herüber und ich konnte beobachten, wie Ruki die Luft streichelte.

»Wer ist weg?«, fragte Kai freundlich, grinste ihn an.

»Du findest das also komisch, ja?«

Das Grinsen verrutschte. »Ich … Nein, aber …«

»Er ist weg.«

Genervt verdrehte der Blonde die Augen und holte tief Luft. »Wer ist weg, Zwerg?«

»Halt die Schnauze, du blöder Penner!«, meckerte Ruki los, seine Augen zuckten unruhig von einem zum anderen. Als sein Blick bei mir kleben blieb, schmälerten sich seine Augen noch ein wenig mehr, dann hob sich der linke Mundwinkel. »Morgen, Aoi-chan. Hast du gut geschlafen?«

Fassungslos sah ich ihn an. Der böse Blick stand im völligen Kontrast zu der freundlichen Stimme.

»Redest du eigentlich immer so wenig, Aoi-chan? Du hast auch gestern kaum was gesagt.«

»Ich …« … wurde direkt von Reita unterbrochen.

»Er kommt ja nie dazu, weil ihr die ganze Zeit redet!«

»Wer redet denn hier schon wieder, Penner?«

»Willst du mich provozieren, Giftzwerg?«

»Warum eigentlich nicht?«

»RUHE!« Kais Grinsen wirkte verzerrt. »Ruki, was ist verschwunden?«

»Einer der Kakteen ist weg. Verschwunden. Der Topf ist leer. Er ist weggelaufen«, winselte der Kleine, drückte sich an den Brünetten, der ihn umarmte.

»Vielleicht ist er eingegangen, das kann schon mal passieren.«

»Nein, gestern war er noch da. Er ist weggelaufen. Er versteckt sich unter meinem Bett, und wenn ich nachher ins Bett gehe, kommt er raus und ich trete drauf. Das tut doch weh!«

»Ach was, so gemein wird er nicht sein. Er ist bestimmt nur eingegangen. Wir kaufen dir einen neuen Kaktus.«

»Die anderen sind gewachsen, vielleicht haben sie ihn gegessen. Aber der Topf ist leer.«

»Vielleicht ist er weggelaufen, weil du ihn so genervt hast«, spöttelte der Blonde, verschränkte die Arme.

Sofort wurde aus dem weinerlichen Bündel eine Furie. »Vielleicht ist er auch bei dir im Zimmer und fällt nachher über dich her, um deine hässliche Visage zu bearbeiten!«

»Vielleicht war er auch nie da. So wie deine Scheißtöle!«

»Koron-chan ist da! Du bist nur zu blöd, um ihn zu sehen!«

»Wer ist denn hier kurzsichtiger als eine blinde Eule? Du kneifst doch dauernd die Augen zusammen, weil du keine Brille tragen willst!«

Deswegen also immer der böse Blick.

»Und du hast eine hässliche Nase, deswegen versteckst du sie auch dauernd!«

»Woah, das ist fies!« Reita sprang auf. »Und du bist so klein wie du dumm bist!«

»Und du bist so groß wie du blond bist!«

»Selber dick!«

Nach Luft schnappend riss sich Ruki von Kai los, stampfte Richtung Tür. »Das ist unter meinem Niveau, ich muss mich regenerieren!« Dann knallte die Tür zu, wurde wieder aufgerissen, als der Blonde beleidigt ebenfalls die Küche verließ, und erneut geräuschvoll geschlossen.

Neben mir seufzte es gelangweilt. »Kai, ist das Essen fertig?«
 


 


 

»Und du warst noch nie in Tokyo?«

Wir saßen gemütlich zu dritt am Tisch, aßen das leckere Frühstück, welches Kai gekocht hatte und plauderten. Von den anderen beiden war nichts mehr zu hören, offenbar hatten sich beide in ihren Zimmern verbarrikadiert.

Ich schluckte meinen Bissen hinunter und sah den Brünetten an. »Nein, nur einmal in Osaka, das war ein Schulausflug.«

»Dann war die erste Nacht bestimmt seltsam für dich in so einer großen und fremden Stadt.« Mitfühlend sah mich Kai an.

»Du kannst ja zu mir kommen, Süßer. In meinem Bett ist immer ein Platz für dich frei. Färb dir doch mal deine Haare, Blond würde heiß bei dir aussehen!«

Grummelnd widmete ich mich wieder meiner Schüssel. Niemals würde ich mir die Haare färben, vor allem nicht in dieser Wohnung. Uruha würde mich wahrscheinlich in seinem Zimmer einsperren und nie wieder herauslassen.

»Warum habt ihr eigentlich vier Ausschreibungen aneinandergeklebt?«, wollte ich dann wissen.

»Na ja, wir konnten uns nicht einigen, wer schreibt. Also haben wir alle eine geschrieben«, grinste Kai und nahm einen Schluck aus seiner Tasse.

»Das waren Ausschreibungen?«, wunderte sich der Honigblonde. Wahrscheinlich war der nette Einkaufszettel von ihm gewesen.

»Habt ihr hier eigentlich eine Zeitung?«

»Klar.« Der Brünette griff hinter sich, reichte mir eine Tageszeitung. »Warum brauchst du sie?«

»Ich wollte nach einem Job suchen.«

»Wenn du Hilfe brauchst, frag mich einfach. Ich muss erst nachher los, hab heute Spätschicht.«

»Da fällt mir ein«, der Honigblonde schlürfte den Rest seiner Suppe weg, »ich muss langsam mal los. Hoffentlich haben wir noch irgendwo Handschuhe, mir ist gestern ein Nagel abgebrochen. Schrecklich, sag ich euch!« Er erhob sich und taperte aus der Küche. Wo Uruha wohl arbeitete? In einem Nagelstudio wahrscheinlich nicht, sonst wäre das Nagelproblem kein Drama gewesen. Vielleicht als Frisör? Oder Verkäufer in einem Klamottenladen?

»Oh, bevor ich es vergesse. Du solltest vorsichtig sein wegen Ruki. Geh niemals in sein Zimmer. Es ist das neben der Tür, direkt neben Reitas.« Kai sah mich eindringlich an.

»Was ist denn mit seinem Zimmer?«

»Das weiß keiner. Noch nie war jemand dort drin. Er lässt keinen rein und kommt nur selten raus. Manchmal riecht es nach seltsamen Kräutern unter dem Türschlitz hindurch und man hört ihn kichern. Du hast ja gemerkt, dass er ein wenig cholerisch sein kann. Solange du nichts gegen seinen Willen tust und ihn nicht aufregst, ist er ganz lieb.«

»Wirklich?«

»Ja. Er scheint dich zu mögen, wenn er dich ›Aoi-chan‹ nennt. Das ist sehr selten bei ihm. Er gerät oft mit Uruha und Reita aneinander, aber nicht einmal sie trauen sich in sein Zimmer. Deswegen wirst du auch nie ein Foto von einem schlafenden Ruki an der Pinnwand finden. Wir wohnen seit vier Jahren hier und er zahlt regelmäßig Miete und alles. Aber niemand weiß, was und wann er arbeitet.«

Ich schob die leere Schüssel von mir, wusste nicht so recht, was ich sagen sollte. Das war wirklich eine seltsame WG. Und ich gehörte ab jetzt dazu.

Ein Poltern ließ mich aufschrecken, dann knallte die Wohnungstür zu. Kai warf einen kurzen Blick auf die Uhr. »Das war nur Reita. Er ist los zur Arbeit. Uruha müsste eigentlich schon lange weg sein, aber er ist oft zu spät.« Seufzend griff er nach dem Geschirr, stapelte es in die Spüle.

»Kann ich dir irgendwie helfen?« So untätig am Tisch kam ich mir komisch vor. Aber vielleicht mochte er es nicht, wenn jemand ihm dazwischenkam.

»Nein, nimm dir ruhig die Zeitung. Das bisschen Geschirr hier mach ich schnell fertig. Gegen die Küche im Restaurant ist das hier gar nichts.«

War nicht der Blonde diese Woche mit dem Haushalt dran? Offenbar nahm man das hier nicht so genau und schob es auf den netten und gutmütigen Optimisten ab. Vielleicht sollte ich ihm doch besser helfen.

»Schau nicht so, ich weiß genau, was du denkst. Du nimmst dir jetzt die Zeitung und ignorierst, dass ich spüle, klar?«, lachte der Brünette und warf sich ein Geschirrtuch über die Schulter.

Ich nickte ergeben und schlug die Zeitung auf. Überall prangten große Überschriften über irgendwelche dramatischen Ereignisse des Vortags, ganz anders als zu Hause, wo eher Ankündigungen wie das nächste, langweilige Dorffest angekündigt wurden. So groß war die Stadt auch nicht, wo ich herkam. Shima selbst schon eher, aber nicht das Dorf in der Nähe davon, wo mein Elternhaus stand. Hier in Tokyo war wirklich alles anders. Sogar die Stellenanzeigen. Hier war nicht nur ein winziger Absatz, in dem Zeitungsausträger gesucht wurden, sondern gleich mehrere Seiten. Da müsste ich doch fündig werden. Trotzdem geisterte mir noch eine Frage im Kopf herum: »Holt Reita die Zeitung wirklich mit … mit …«

Lautes Gelächter drang vom Flur in die Küche, dann kam Uruha rein. »So genau wissen wir das nicht, aber bei den Schreianfällen, die er morgens hat, kann er ja nicht besonders groß sein. Ich glaube nicht, dass er die Zeitung mit seinem kleinen …«

»Stopp!«, ging Kai dazwischen, hielt sich die Ohren zu. »Mach, dass du wegkommst. Los!«

Schon verschwand der Honigblonde kichernd, verließ mit krachender Tür die Wohnung. Stöhnend widmete sich der Brünette wieder dem Abwasch und ich senkte grinsend meinen Blick auf die Zeitung.
 

Schon bald sprang mich eine Anzeige regelrecht an. Ich hatte zwar keine Ausbildung und nicht besonders viel Erfahrung in der Arbeitswelt, aber diesen Job traute ich mir zu. Und die suchten nur eine Aushilfe, das würde schon klappen. Schnell schrieb ich mir die Telefonnummer ab, dazu noch die Adresse und griff nach meinem Handy, vereinbarte ein Vorstellungsgespräch mit der netten Dame am anderen Ende.

»Und? Hat es geklappt?«, wollte Kai wissen, als ich auflegte.

»Ich soll nachher vorbeikommen.«

»Das wird bestimmt interessant«, sagte der Brünette. Fragend sah ich ihn an, aber er schüttelte nur grinsend den Kopf und drehte sich wieder um.


 

| vier |
 

Es war gerade mal früher Nachmittag und trotzdem fühlte ich mich schon wie mehrmals überfahren. Nach einem recht ruhigen Vormittag mit Kai hatte ich mich hinausgewagt in die große, fremde Stadt. Immerhin musste ich pünktlich zu meinem Vorstellungsgespräch kommen. Der Brünette hatte mir noch erklärt, welchen Weg ich nehmen musste und welche Straßenbahn, und mit einem positivem Gefühl war ich losmarschiert. Zu Hause gab es zwei Bushaltestellen in der ganzen Stadt, hier sogar mehrere Bahnhöfe nur in der Nähe. Tausende Menschen hatte ich zu Gesicht bekommen, drei Straßenlaternen über den Haufen gerannt, war über unzählige Hundeleinen gestolpert, hatte mich mehrmals verlaufen und war fast in der Bahn zerquetscht worden, aber nun stand ich völlig fertig vor dem richtigen Gebäude. Schon von außen drang mehrstimmiges Geschrei an mein Ohr und ich fragte mich kurz, ob es wirklich die richtige Wahl gewesen war. Ich sammelte meinen gesamten Mut, stieß die mit bunten Buchstaben beklebte Tür auf – und hatte schon ein kleines Kind an mir kleben.

Ja, es war ein Kindergarten. Laut Anzeige suchte man hier eine Aushilfe, einen Betreuer, der kurzfristig einspringen konnte und sich den Job zutraute. Nun, warum nicht? Ich mochte Kinder, auch wenn ich nicht wirklich viel mit ihnen zu tun gehabt hatte bisher.

»Wer bist du denn?«, fragte das Mädchen im rosa Kleid an meinem Knie und schaute mich mit großen, braunen Augen an.

»Ich bin Aoi, und du?«, fragte ich zurück, schaute mich unauffällig um. Wo war denn hier das Büro? Der Flur hatte bemalte Wände, ein paar Spielsachen lagen herum und aus mehreren Türen hörte ich Kinderstimmen. Besonders groß schien der Kindergarten nicht zu sein, bis zum Ende des Flurs gab es genau fünf Türen, eine davon grau und trist, der Rest mit Basteleien beklebt.

»Ich bin Nanami«, meldete sich die Kleine zu Wort und ich sah wieder nach unten.

»Nanami, weißt du, wo hier das Büro ist?«

»Büro?« Sie sah mich fragend an.

»Ja, das … ist so ein Raum mit Schreibtischen und Telefonen, die ständig klingeln«, versuchte ich zu erklären. Schon wurde ich an der Hand gepackt und mitgezogen. Das Mädchen führte mich an den bunten Türen vorbei, stoppte vor der grauen und zeigte darauf. Ich lächelte sie an und klopfte.

»Herein!«, tönte eine Stimme, die ich als Ishida-san wiedererkannte, die Frau am Telefon. Schluckend versuchte ich die Nervosität zu verdrängen, immerhin wartete noch das Vorstellungsgespräch auf mich, und öffnete die Tür, trat ein. Dass Nanami immer noch an meiner Hose hing, bemerkte ich erst, als ich einer zierlichen Frau gegenüberstand und die Tür hinter mir schloss.

»Guten Tag, Sie sind Shiroyama-san, nicht wahr? Ich bin Ishida-san, die Direktorin hier. Setzen Sie sich doch bitte.« Ishida-san wies auf einen Stuhl, auf dem ich mich niederließ. Sofort kletterte Nanami auf meinen Schoß und machte es sich gemütlich. »Wie ich sehe, haben Sie bereits eines unserer Kinder kennengelernt«, lächelte mich die Frau an.

»Er sagt, er heißt Aoi! Und er ganz lange nach dem Büro gesucht!«

Ich spürte, wie ich rot wurde. Das musste nun wirklich nicht jeder erfahren.

Zum Glück überging Ishida-san die Worte. »Sie möchten also den Job übernehmen und als Aushilfe hier arbeiten. Haben Sie schon Erfahrungen mit Kindern? Nachhilfe gegeben, Praktika absolviert, Gruppen begleitet?«

Irgendwie sah ich in diesem Moment meine neue WG vor Augen. Die chaotischen und teils kindischen Mitbewohner. Aber mit ›richtigen‹ Kindern …

»Ähm … Also nicht so viel«, gab ich zu.

»Und Geschwister?«

»Nur ältere.«

»Ich hab auch Geschwister! Aber die sind doof, die nehmen mir immer meinen Ball weg!«

Ich musste lächeln, als Nanami beleidigt die Arme verschränkte und aussah wie eine schmollende, rosafarbene Kugel. »Dann versteck deinen Ball doch irgendwo, wo sie ihn nicht finden.«

»Meinst du echt?« Und schon hatte ich das erste Kind zum Strahlen gebracht.

»Sie können offenbar gut mit Kindern umgehen, das ist sehr wichtig. Wie sieht es aus mit anderen Dingen? Können Sie singen oder ein Instrument spielen?«

Singen? Oh Gott. Na ja, Kindern war es wahrscheinlich egal, ob es gut klang oder nicht. Hauptsache, die konnten mitgrölen.

»Ich kann Gitarre spielen«, antwortete ich und registrierte das zufriedene Nicken mir gegenüber.

»Sie trauen sich den Job also wirklich zu, ja? Sie müssen Stress aushalten können, Probleme lösen und sehr einfühlend sein. Außerdem brauchen Sie gute Sprachkenntnisse, da viele der Kinder hier noch Schwierigkeiten damit haben.« Ishida-san wühlte in einer Schublade und förderte einen Berg Papier zutage. »Sie machen einen guten Eindruck. Wenn Sie einverstanden sind, probieren wir es.«
 


 


 

Nach einer ganzen Stunde wurde ich endlich entlassen. Also aus dem Büro, nicht aus dem Job. Den hatte ich. Und eine neue Freundin namens Nanami, die am liebsten mit mir nach Hause gegangen wäre. Ishida-san hatte mich zur Märchenwald-Gruppe zugeordnet. Wenn ich mich richtig erinnerte, gab es noch die Kleeblattzwerge, die Butterkekse und die Schneckensammler. Wer dachte sich solche Namen eigentlich aus? Jedenfalls hatte ich dann gehen dürfen, morgen um acht würde mein erster Tag beginnen.

Nun saß ich wieder in der überfüllten Straßenbahn. Die Stadt zog an mir vorbei, es schien gar kein Ende zu geben. Die Sonne war schon teilweise hinter den hohen Gebäuden verschwunden, der Abend rückte näher. Mit jeder Station wurde es voller und ich stand auf, drängte mich schon mal Richtung Tür, damit die Bahn nicht weiterfuhr, bevor ich ausgestiegen war. Schon bald erreichte ich den Bahnhof, an dem ich am frühen Nachmittag eingestiegen war. Nach dem Ausstieg und dem Labyrinth der Bahnhofsgänge würde ich mich noch durch die Straßen kämpfen müssen, um den Supermarkt zu finden. Reita würde es wahrscheinlich wieder vergessen, einkaufen zu gehen, und so hatte ich Kai am Morgen angeboten, den Gang zum Supermarkt zu übernehmen.

Mit einem Quietschen kam die Bahn zum Stehen. Ich quetschte mich durch die Menschen, ploppte hinaus auf den Bahnsteig wie ein zusammengedrückter Schwamm und machte mich auf den Weg. Ich konnte mein Ziel nach längerer Suche schon sehen, ein grell beleuchteter Supermarkt in dieser schattigen Nebenstraße, als ein schrilles Pfeifen neben mir erklang. Oder eher über mir. Verwirrt sah ich nach oben, entdeckte meinen honigblonden Mitbewohner. Über mir. Auf einem Baugerüst.

»Na, Süßer? Hast du schon Sehnsucht?« Akrobatisch hangelte er sich hinab, baute sich in Blaumann, schweren Stiefeln und gelbem Helm direkt vor mir auf. Verdattert starrte ich ihn an. Uruha arbeitete als … Bauarbeiter?

»Woher wusstest du, dass ich heute auf dieser Baustelle arbeite?«

»Ich … Also …«, stotterte ich, immer noch leicht geschockt. »Also … Ich war … auf dem Weg zum … Super… Supermarkt …«

»Super-Supermarkt? Na, so toll ist der auch wieder nicht. Hm, schon fast fünf Uhr. Also ist es bald sechs Uhr. Hey, ich hab gleich Feierabend! Weißt du was? Ich mach einfach ein bisschen früher Schluss heute und komme mit, Schatz.« Ächzend zog sich der Honigblonde die Gartenhandschuhe von den Händen, warf sie auf den Boden und preschte davon. Kaum war die Staubwolke verschwunden, tauchte er wieder auf, eine pinke Tasche geschultert. »Ich ziehe mich zu Hause um. Na komm!« Und schon wurde ich wieder mitgezerrt.
 

»Hast du einen Einkaufszettel von Kai bekommen?«

Wir schlenderten durch die Regale, umfuhren Kinderwägen und wichen Rollatoren aus. Überall hasteten Menschen an uns vorbei, rammten uns mit ihren Einkaufswagen. Dazwischen standen Angestellte, die ihre überteuerten Produkte, getarnt als Sonderangebote, verkaufen wollten und den Weg versperrten. Ganz schön voll hier. In meiner Erinnerung waren Supermärkte Orte, in denen man sich erschreckte, wenn ein anderer plötzlich um die Ecke bog, weil man sich so allein fühlte zwischen Konserven, Obst und Reissäcken.

»Ja, hier …« Ich wühlte den zerknitterten Zettel aus meiner Tasche hervor, faltete ihn auf. Sofort riss ihn mir Uruha weg.

»Wir müssen unbedingt in die Kosmetikabteilung, Kai hat den Nagellackentferner vergessen. Du ahnst ja nicht, was mir gestern auf der Baustelle passiert ist!«, stöhnte er theatralisch, griff sich an den Kopf.

»Dir ist ein Nagel abgebrochen?«

»Ganz genau! Heute Morgen hab ich erst mal sehr lange gesucht, bis ich endlich Handschuhe gefunden habe. Kann ja nicht sein, dass die Jungs meine Nägel in diesem desaströsen Zustand sehen, der mittlere ist kürzer als der Rest!«

»Ich bin mir ziemlich sicher, dass es denen völlig egal ist.«

»Mensch, und ich hab gestern nicht genug gefeilt, was meinst du wohl, was da heute passiert ist?«

Tief durchatmend umkurvte ich eine übergewichtige Frau und steuerte auf die Gemüseabteilung zu, ließ meine Augen über das Angebot schweifen.

»Ganz genau! Ich bin hängengeblieben. Und beim Versuch, meinen Nagel zu retten, bin ich gegen das Gerüst gelaufen und hab mir an der anderen Hand den Nagellack abgekratzt. Das sah vielleicht schrecklich aus. Aber die Jungs waren so nett und haben mir noch einen zweiten Handschuh besorgt.«

Ich packte das von Kai gewünschte Gemüse in den Einkaufswagen und schob selbigen weiter.

»Und dann war auch schon Mittagspause. Verrückt, ich hatte noch nicht einmal angefangen zu arbeiten!«

Nach und nach wanderten Brot, Reis, Kaffee und Tee in den Einkaufswagen, ebenso Klopapier und Vogelfutter. Offenbar hatte Reita wirklich einen Vogel. Also einen echten. Mit Federn. Wie hieß der noch? Keiji?

»Aber am Nachmittag hab ich dann den Mörtel auf die Steine geschmiert. Und dann kamst auch schon du. Verrückt, wie schnell so ein Tag umgeht. Hey, nicht da entlang!« Die blubbernde Stimme hielt inne, zog mich in die andere Richtung. Weg vom Klopapier und zur Kosmetikabteilung. »Wo ist denn das Parfüm?«, murmelte er, griff nach kurzer Suche zu und sprühte sich erst mal von oben bis unten ein. »Das mache ich jeden Tag nach der Arbeit. Das Zeug ist aber auch unverschämt teuer, da sollen die sich mal gar nicht wundern, wenn die Probefläschchen immer leer sind!« Leer war der Flakon wirklich, als Uruha ihn wieder wegstellte. Eine sichtbare Parfümwolke umgab ihn, als er kreischend weiterrannte und eine Packung aus dem Regal zog. »Hier, das brauchst du unbedingt, Schatz! Das funktioniert gut, benutze ich auch. Damit sind deine Haare ganz blond!« Er hielt mir Bleichmittel unter die Nase.

»Nein danke. Ich bleibe lieber bei Schwarz.«

»Ach komm schon, du würdest so unverschämt heiß aussehen, Süßer!«

»Nein.«

»Na los, ich helf dir auch!«

»Nein.«

»Ist auch gar nicht teuer und hält ewig!«

»Nein!«

»Komm schon, Schatz, färb deine Haare!«

»NEIN, VERDAMMT!«

Das Stimmengewirr um uns herum erstarb, ebenso die Wrestlingkämpfe um die Ware. Stattdessen glotzten alle in unsere Richtung. Aber wenn ich gehofft hatte, Uruha würde nun peinlich berührt die Packung weglegen und sich aus dem Staub machen, dann hatte ich mich getäuscht. »Hey, da ist ein Verkäufer! Huhu, Sie da! Sagen Sie ihm, dass ihm blonde Haare viel besser stehen!«, brüllte er quer durch den Laden. Und schon suchte mein Rest an guter Laune im Keller die Falltür. Wo war nur das berühmte Loch, wenn man mal verschwinden wollte?

»Komm endlich!«, zischte ich den Honigblonden an und zerrte ihn mit mir Richtung Kasse.
 


 


 

Nach gefühlten tausend Jahren – in Wahrheit nur wenige Minuten, da der Supermarkt recht nah war – schloss Uruha schnatternd die Wohnungstür auf, während ich keuchend und beladen danebenstand. Natürlich hatte der Andere keine der schweren Tüten tragen können, immerhin gab es ja mindestens einen desaströsen Nagel zu beschützen. Schweigend folgte ich ihm hinein, schüttelte meine Schuhe ab und schlurfte Richtung Küche, während der Honigblonde zeternd im Bad verschwand. Kaum hatte ich die Tür aufgeschoben, schlug mir ein köstlicher Duft entgegen. Ganz egal, was Kai da kochte, es roch unheimlich gut! Meine Laune hob sich wieder.

»Hey, Aoi! Warte, ich helf dir!« Sofort nahm ein mir göttlich erscheinender Kai in Schürze ein paar der Tüten ab und verfrachtete sie auf den Küchentisch.

»Was kochst du denn da?«, fragte ich neugierig und schielte zu den Töpfen.

»Nichts Besonderes, nur Curry. Hast wohl Hunger, was?« Der Gott des Essens lächelte mich an und widmete sich dem Wegräumen der eingekauften Nahrungsmittel. »Wie war dein Vorstellungsgespräch?«

»Ganz gut, die Direktorin hat mich eingestellt. Morgen früh geht's los.«

»Hey, das ist ja toll!«
 

Ich fühlte mich wie zu Hause. Während ich half, den Tisch zu decken, erzählte Kai mir von seiner Arbeit und kochte. Fast wie eine Mutter. Und als dann noch die anderen dazukamen und wir gemeinsam aßen, war ich mir sicher, dass diese WG der beste Platz zum Wohnen in ganz Tokyo sein musste. Zumindest so lange, wie das Essen dauerte.

»Und, hat es euch geschmeckt?«, fragte der Koch erwartungsvoll, als wir satt und zufrieden auf den Stühlen hingen. Uruha und Ruki brummten nur und Reita schüttelte den Kopf.

»Ich fand es sehr lecker, Kai«, gab ich kund und wurde glücklich angestrahlt.

»Reita, du stehst auf dem Plan«, wagte der Brünette zu erwähnen.

Grummelnd kratzte sich der Blonde hinter den Ohren. »Welcher Tag ist denn heute? Ist die Woche nicht schon um?«

»Nein, sie hat gerade erst angefangen.«

»Ich bin mir sicher, dass sie um ist!«

»Du bist sogar zu blöd, um einen Kalender zu lesen«, kicherte Uruha und zog eine Nagelfeile hervor. Das war das Startzeichen.

»Ach ja? Und du bist zu blöd, um die Uhr zu lesen!«

»Wieso das denn?«

»Wer kommt denn hier jeden Tag zu spät zur Arbeit?«

»Woher willst du das denn wissen?!«

»RUHE!« Kai faltete die Hände, schien sich zu sammeln. »Bevor das hier wieder in so einen Streit wie letzte Woche ausartet, spüle ich lieber selbst!«

Zufrieden lehnte sich Reita zurück und nickte. Uruha zuckte nur gelangweilt die Schultern. Ruki streichelte unbeeindruckt die Luft. Und ich war einfach nur entsetzt. Die überließen alles Kai. Einfach so.

»Kai, ich kann auch …«

»Nein, brauchst du nicht«, wurde ich abgewimmelt. Der Brünette ließ Wasser in die Spüle laufen. »Ach, Ruki. Du hast noch kein Haushaltsgeld für diesen Monat abgegeben.«

»Mach ich gleich«, wisperte der Kleine neben mir und schielte mich von der Seite an. »Sag, Aoi-chan, hast du deinen Job bekommen?«

Perplex starrte ich ihn an. Woher wusste er davon?

»Job ist ein gutes Stichwort«, mischte sich Reita ein. »Wann gehst du eigentlich mal arbeiten, Giftzwerg?«

»Das geht dich ja wohl gar nichts an! Sieh lieber zu, dass du nicht gefeuert wirst, du Penner!«

»Dämlicher Vorgartenzwerg!«

»Dummsack!«

»Ausgekotzte Zwergpygmäe!«

Ruki schnappte empört nach Luft, stand ruckartig auf und blitzte mit kurzsichtigen Augen quer über den Tisch. »Das ist unter meinen Niveau, ich muss mich regenerieren!« Und schon war er weg.

»Der Kleine sollte sich mal einen neuen Spruch überlegen«, kommentierte Uruha gelangweilt den Abgang und gähnte.

»Als ob du bessere auf Lager hättest«, knurrte der Blonde, schien immer noch nicht genug zu haben.

»Bessere als du auf jeden Fall.«

»Du kriegst es doch nicht mal hin, dir einen Nagel richtig zu feilen, dann schaffst du es an deiner Sprache erst recht nicht!«

»Ach ja? Wenigstens weiß ich, wofür so eine Feile ist und versuche nicht Holz damit zu zersägen!«

»Weil du so weiblich bist!«

»Und du bist so männlich, wenn du Blähungen hast, röhrt der Rhythmusteil von ›Highway to hell‹ aus dem Bad!«

»Ein bisschen Po-esie muss sein.«

»Was soll denn jemand denken, der zu Besuch kommt? Oder Aoi?«

»Den Penner stört das nicht!«, brüllte Ruki aus dem Flur. »Der lässt sich einfach gehen, Aoi-chan gehört doch jetzt zu uns, da bleibt alles in der Familie!«

Während Kai mit einem Lachanfall kämpfte und ich tiefrot unter dem Tisch versank, stürmten auch Reita und Uruha aufgebracht aus der Küche, ließen lautstark ihre Türen knallen. Die darauffolgende Stille war schon fast unheimlich, nur das Klappern des Geschirrs war zu hören und das unterdrückte Lachen Kais.

»Ist … Sind die immer so?«, brachte ich dann doch noch heraus, starrte den Brünetten an.

»Mach dir nichts draus. Am besten gewöhnst du dich dran, das passiert jeden Tag.«

»Aoi-chan?« Ruki kam wieder herein. »Hast du denn den Job bekommen?« Er setzte sich auf die Tischkante und sah mich mit zusammengekniffenen Augen an.

»Hat er. Ab jetzt ist er Kindergärtner!«, erzählte Kai und grinste.

»Das ist schön, Aoi-chan. Hoffentlich macht es dir Spaß.«

Ich war noch immer verwirrt. Eben noch Geschrei und Gezeter, jetzt saßen wir hier friedlich und der Kleine flüsterte mit ruhiger Stimme. Vielleicht war er schizophren.

»Ich gehe dann schlafen. Gute Nacht, Aoi-chan und Kai-chan.« Ruki rutschte wieder hinunter, schlich in den Flur. »Verdammt, geh mir aus dem Weg, du blöder Penner!«, hörte ich ihn noch schreien.
 


 


 

Hustend öffnete ich die Badezimmertür und trat hinaus in den Flur. Nach einer zehnminütigen Folter im Bad schwor ich mir, nie wieder nach Uruha die Nasszelle zu benutzen. Abgesehen von seinen pinken Utensilien, die alle vorhandenen Ablagen, Regale und Flächen überfluteten, hatte er außerdem die Fliesen mit bunten Blumen beklebt und schien jedes Mal Unmengen Parfüm zu benutzen, wenn er darin herumwütete. Meine arme Lunge, ich hatte das Rauchen doch aufgegeben. Wer hätte ahnen können, dass derartige Duftstoffe genauso im Hals kratzten?

Ich wollte gerade eine Tür weiter mein Zimmer betreten, als ich den Lichtschein unter der Wohnzimmertür bemerkte. Leise schlich ich hin, darauf bedacht, nicht allzu viel Lärm zu machen. Irgendjemand schien noch vor dem Fernseher zu sitzen, Stimmen drangen aus dem Raum.

Vorsichtig öffnete ich die Tür und erblickte den Blonden, der genau wie gestern auf dem Sofa lag. Er wirkte ruhig, gar nicht mehr so wie vorhin. Aus dem wurde ich einfach nicht schlau. Waren Uruha oder Ruki in der Nähe, schrie er herum, als gäbe es kein Morgen. Allein schien er jedoch eher friedlich zu sein. War ein anderer im Raum, saß er besitzergreifend und herrisch auf seinem Platz, ließ niemanden an sich heran. So jedoch sah er … fast schon schwach aus. Zerbrechlich. Zumindest war das mein Eindruck nach so kurzer Zeit.

Plötzlich bemerkte ich den Blick Reitas. Er hatte bemerkt, dass ich hier stand und sah mich stumm aus dunklen Augen an, hatte mich beim Beobachten erwischt

»Äh … Ich wollte nur … Gute Nacht sagen«, stammelte ich ertappt und spürte, wie ich rot wurde. Reita sagte nichts, wandte nur den Blick wieder zum Fernseher. Unsicher trat ich zurück, schloss die Tür wieder und ging in mein Zimmer.


 

| fünf |
 

Panisch versuchte ich zu schreien, aber der Honigblonde presste seine Hand auf meinen Mund und lächelte lasziv. Er leckte sich über die Lippen, beugte sich über mich. »Stell dich nicht so an, Süßer.« Er kratzte mit einem pinken Nagel der anderen Hand über mein Kinn, den Hals hinab bis zu meiner nackten Brust. Ich wand mich hin und her, wollte, dass er mich losließ, doch der Andere kletterte nur auf mich, setzte sich breitbeinig auf meinen Schoß und fuhr sich aufreizend über die rosafarbenen Strapse, keuchte und warf graziös seine aufwändig frisierten Haare nach hinten. »Es wird dir gefallen.« Wieder erstickte er meine Laute, dann wanderten seine Hände langsam meinen Oberkörper hinab, gelangten zum Hosenbund und glitten ohne zu zögern hinein.

Ich schrie.

Und fiel aus dem Bett.

Mit rasendem Herzen starrte ich an die Decke, versuchte mich zu beruhigen. Verdammt, was war denn das für ein Albtraum? Zitternd zog ich mich an der Bettkante hoch, schielte zum Wecker. Kurz vor sechs. Dann konnte ich auch gleich aufstehen.

Misstrauisch sah ich mich um, erwartete schon fast, dass Uruha aus einer Ecke hervorgesprungen kam wie in meinem Traum, oder vielleicht aus dem Kleiderschrank, aber nichts geschah. Ich war allein, der Stuhl vor meinem Schreibtisch sah im dämmrigen Licht harmlos aus und nirgendwo waren Seile, die mich erneut an der hölzernen Sitzgelegenheit fesseln konnten. Durch die geschlossene Tür waren Geräusche aus der Küche zu hören, irgendjemand unterhielt sich mit einem anderen, eine Tür wurde geschlossen, Geschrei ertönte. Alles in bester Ordnung. Dann konnte ich ja beruhigt ins Bad gehen.
 

Nur wenige Minuten später betrat ich die Küche, in der mich ein strahlender Kai mit Frühstück empfing. »Morgen, gut geschlafen? Heute ist dein erster Tag, oder?«

Ich nickte nur, lächelte und ließ mich auf einen Stuhl fallen. Mir gegenüber grinste Uruha über den Tisch. Ein Uruha in grauem T-Shirt, alter Jeans und mit herabhängenden Haaren. Ein ganz normaler Mann. Sogar die Fingernägel waren heute farblos. Verdammt, den Traum würde ich so schnell nicht wieder vergessen können. Erst die zweite Nacht und schon hatte ich Albträume von meinen Mitbewohnern. War das eine Warnung meines Unterbewusstseins? Und wenn ja, wieso meldete es sich erst jetzt und nicht schon, als das erste Mal die Tür vor mir aufgerissen wurde?

Ich schreckte zusammen, als plötzlich eine Tasse mit der Aufschrift ›Adonis‹ neben mir auf den Tisch knallte und Reita sich grummelnd setzte.

»Morgen, Reita. Hast du gut geschlafen?« Kai ließ sich nun ebenfalls am Tisch nieder, überhörte das grimmige Knurren und strahlte einfach weiter, sogar dann noch, als der Blonde angeekelt das von ihm gekochte Frühstück betrachtete, welches ich mir schmecken ließ.

Plötzlich starrte der Honigblonde entsetzt seine Nägel an und kramte eine Feile hervor. Niemand würde mir glauben, dass der Kerl Bauarbeiter war, bis er es selbst gesehen hätte. Nun ja, vermutlich stand mein Mitbewohner sowieso den ganzen Tag daneben und feilte sich die Nägel. Ich konnte mir eine Frage nicht verkneifen: »Machst du eigentlich noch etwas anderes im Laufe des Tages, Ruha?«

Kai prustete los, während Uruha überrascht den Kopf hob. »Was meinst du?«

»Na ja, die ganze Zeit feilst du nur deine Nägel und regst dich darüber auf«, versuchte ich mich zu erklären.

»Ach so, das. Ich kann auch anders.« Schon griff der Honigblonde hinter sich, öffnete den Kühlschrank und zog eine Bierflasche hervor, öffnete sie mit den Zähnen und ließ rülpsend seine Füße auf die Tischplatte donnern.

Kai riss die Augen auf. »Takashima! Nimm sofort deine Füße vom Tisch!«

Murrend verlagerte Angesprochener die dekorativ-löchrig besockten Körperteile auf den Stuhl neben sich.

»Du wunderst dich, warum er so ist, wie er ist? So übertrieben?«, fragte Reita lauernd und grinste fies. »Der Sack übt für seine große Karriere, er will Schauspieler werden. Das ist zumindest seine Ausrede. Wenn du mich fragst, ist es was Genetisches.«

Gerade wollte ›der Sack‹ sich verbal wehren, da schlich Ruki völlig verstrubbelt in die Küche, schob sich auf den Stuhl auf meiner anderen Seite und rückte so nah, dass er fast unter meiner Achsel klemmte. »Morgen, Aoi-chan und Kai-chan«, flüsterte er und musterte mit zusammengekniffenen Augen den Tisch.

»Morgen, Ruki-chan«, lächelte ich und konnte es mir nicht verkneifen, ihm durch die Haare zu streichen. So verschlafen sah er unglaublich niedlich aus.

Die restlichen drei sogen scharf die Luft ein, starrten mich geschockt an. Fragend sah ich zurück, stockte in meiner Bewegung.

»Du … Du kannst doch nicht … einfach so …«, keuchte Kai, während Uruha vor Schreck seine Schüssel fallen ließ.

»Du hast ihn angefasst.« Die Stimme Reitas klang entgeistert. Verwirrt schaute ich sie weiter an, bis mir auffiel, was sie meinten. Ich hatte den Kleinen angefasst. Und laut Kai war das mein Todesurteil. Es war so, als hätte ich einfach Rukis Zimmer betreten, welches noch nie jemand von innen gesehen hatte. Als hätte ich Uruha die Feile geklaut. Als hätte ich Reita seinen Tanga aus dem Gesicht gezogen. Ich hätte den Kaiser umbringen können und das wahrscheinlich eher überlebt! Oh Gott.

Schluckend wollte ich meine Hand zurückziehen, doch im selben Moment spürte ich, wie Ruki sich meiner Hand entgegendrückte und schnurrte. »Aoi-chan darf das.« Dann griff der Kleine nach seinen Stäbchen und begann zu essen. Einfach so. Die fassungslosen Blicke wanderten nun zu mir. Dann knickte einer der Blicke ab, fiel auf den Tisch.

»Du frisst verdammt viel«, hörte ich die erstaunte Stimme des Blonden.

Ich wurde knallrot. Tatsächlich hatte ich schon meine zweite Schüssel geleert, während die anderen gerade mal die Hälfte der ersten geschafft hatten.

»Meine Güte, lass ihn doch. Wenn er nun mal Hunger hat, soll er auch essen«, seufzte Kai.

»Du musst mehr Haushaltsgeld zahlen, du isst mehr als wir!«

»Wenn das so ist, musst du mehr Miete bezahlen.«

»Wieso das denn?«

»Du besetzt als Einziger jeden Abend das Wohnzimmer. Du hast also mehr Räume als wir.«

»Und deine Küche?«

»Die Wohnung gehörte ursprünglich mal mir.« Der Brünette grinste den Blonden überlegen an, welcher empört nach Luft schnappte.

»Welcher Tag ist heute?«, wisperte es neben mir, doch bevor irgendeiner eine Chance hatte, ergriff der Blonde das Wort und ließ seiner schlechten Laune freien Lauf.

»Kannst du den Kalender nicht lesen, Giftzwerg?«

»Er hängt zu hoch, du blöder Penner!«

»So ist das eben, wenn man so winzig ist wie du.«

»Mein Kopf war nur nicht so leer und leicht, dass ich so in die Höhe schießen konnte wie du!«

»Das ist fies!«

»Heul doch!«

»Mach ich auch!«

»Dann geh endlich!«

»Geh du doch!«

»Das ist Kai-chans Küche!«

»Na also!«

Ruki verließ wütend nach Reitas letzten Worten die Küche. Irritiert blickte ich ihm nach, bis er zurückkam. »Moment mal …«

»Ihr müsst los!«, unterbrach Kai den Streit und zeigte auf die Uhr. Kurz vor sieben. Ich musste wirklich langsam los, um die Bahn noch zu kriegen. Schnell trank ich meinen Kaffee aus.

»Los, Uruha!«, wurde der Honigblonde gerade angetrieben, als ich die Küche verließ und mein Zimmer ansteuerte. Ich griff nach meiner Tasche, suchte meine Schuhe und ging Richtung Wohnungstür, als Kai noch einmal zu mir kam. »Hier, der Tag ist lang.« Er drückte mir ein Bento in die Hand. »Viel Glück heute!«

Dankbar strahlte ich ihn an, drückte ihn kurz und öffnete die Tür, als Ruki neben mir auftauchte. »Ich muss mit Koron-chan raus. Er muss mal, hat er gesagt.« Er zeigte auf die Leine, die hinter ihm über den Boden schleifte. Na, an mir sollte es nicht liegen.

»Reita! Was ist mit dir?«, hörte ich den Brünetten aus der Küche.

»Ich fahr später mit dem Auto.«

»Und du, Uruha? Wartest du auf deinen persönlichen Helikopter? In welcher Dimension steckst du schon wieder fest?! Komm endlich in die Gänge und beweg dich!«

Schnell zog ich die Tür zu.
 


 


 

Gemütlich und in aller Ruhe, da wir noch genug Zeit hatten, schlenderten Ruki und ich Richtung Bahnhof. Pardon, natürlich Ruki, Koron-chan und ich. Mehrmals hatten wir schon angehalten und gewartet, dass der unsichtbare Hund sein Geschäft verrichtete. Musste man wenigstens die Häufchen nicht aufsammeln. Ich wagte jedoch nicht, irgendwas zu sagen. War ja irgendwie ganz putzig, wie der Kleine auf seinen nicht vorhandenen Hund aufpasste.

»Was ist das eigentlich für eine Rasse?«, fragte ich neugierig, als wir an einer Ampel standen.

»Sieht man das nicht?« Traurig blinzelte Ruki mich an.

»Ich … äh … kenne mich nicht so gut damit aus.«

»Ein Chihuahua.«

Waren das nicht diese winzigen Hunde, die regelmäßig plattgetreten und weggeatmet wurden, sobald sie die Handtaschen verließen? Vielleicht sah ich ihn deswegen nicht, weil er einfach zu klein war.

»Er ist noch nicht sehr alt. Früher hatte ich einen Kontinentalen Zwergspaniel, er hieß Sabu-chan. Aber er war zu alt.«

»Sind das nicht die mit den lustigen Ohren?«

»Mhm. Es gibt Schmetterlings- und Nachtfalterhunde, Papillon und Phalène. Man unterscheidet sie an den Ohren.«

»Und was war Sabu-chan?«

»Ich weiß nicht genau.« Nun ja, er war ja auch unsichtbar, vermutete ich einfach mal. »Aber wenigstens lachst du mich nicht aus. Die anderen lachen immer, wenn ich Koron-chan erwähne.«

»Die sind bestimmt nur neidisch.«

Wir überquerten die Kreuzung, bogen nach links ab.

»Warum bist du hierher gezogen?« Der Kleine sah mich an.

Diese Frage war wie ein Messerstich. Ich wollte nicht darüber reden. Die Erinnerung an den Morgen und die Stunden, bevor ich in den Zug gestiegen bin, kam wieder hoch. »Ich … wollte schon immer mal nach Tokyo. So eine große Stadt …«, wich ich aus und sah zur Seite, beobachtete einen Verkäufer, der seine Ware im Schaufenster arrangierte.

»Das ist nicht die ganze Wahrheit«, stellte Ruki leise fest. »Es tut dir weh, oder?«

Ich atmete tief durch, nickte nur kurz. Eine Hand griff nach meiner und hielt sie fest. Die Berührung tat gut.
 


 


 

Aufatmend erreichte ich um kurz vor acht den Kindergarten. Ruki war am Bahnhof wieder umgedreht, die stickige Fahrt hatte meinen Kopf abgelenkt, die Gedanken auf meinen heutigen Tag gerichtet. Schluckend stand ich nun hier, malte mir die schlimmsten Szenarien aus, die heute geschehen könnten. Je schlechter man von etwas ausging, desto besser konnte es doch nur werden, oder? Wenn ich also davon ausging, dass die Kinder mich hassen und erwürgen würden, dann wäre ein kleiner Unfall oder ein vollgekotztes T-Shirt doch viel besser. Oh Gott. Hatte ich ein frisches T-Shirt dabei? An so etwas hatte ich gar nicht gedacht heute Morgen. Nicht, dass ich nachher einen neongelben Overall oder gar ein Kleid tragen müsste von einer der Erzieherinnen. Vollgekotzt konnte ich ja schlecht bleiben. Verdammt. Im Kleid mit kurzem Rock durch die Stadt rennen und mit der Straßenbahn fahren?! Vielleicht wäre Mord doch die angenehmere Variante. Und was wäre, wenn mich die Kleinen wirklich hassen? Ein Kindergärtner, der gehasst wird. Das geht doch nicht. Was sollte ich nur tun? Mich einschleimen? Ich hatte nicht mal ein Begrüßungsgeschenk oder so. Machte man das überhaupt? Verflucht, warum hatte mich die Direktorin so gar nicht darauf vorbereitet? Sie würde mich ebenfalls hassen. Alle würden mich hassen! Und dann stünde in der Zeitung, ich würde Kinder misshandeln, weil alle heulen und schreien. Meinen Traum als Musiker konnte ich in den Wind schießen. Wer würde einen Gitarristen nehmen, der Kinder vergewaltigte?!

Stopp! Jetzt reichte es aber. Ich war nur Aushilfe und sollte einen Erzieher unterstützen. Mehr nicht. Ein bisschen die Kinder beschäftigen und mit ihnen spielen. Verdammt, sogar das hörte sich nach meinen vorigen Gedanken schon pädophil an! Wovor hatte ich eigentlich Angst? Sie würden mich hassen und umbringen. Mehr konnte nicht passieren. Kein Grund, jetzt hier so durchzudrehen. Das waren nur Kinder. Kleine, süße, unschuldige …

»Aoiii!« Irgendwas warf sich gegen mein Bein. Erschrocken zuckte ich zusammen, starrte nach unten und begegnete leuchtenden Kulleraugen. Nanami.

»Hallo«, begrüßte ich das Mädchen und entdeckte nun auch die Mutter, die mich anlächelte.

»Sei schön brav, Nanami. Ich gehe dann jetzt.« Die Frau verabschiedete sich von der Kleinen, winkte und verschwand. Nun standen wir zwei hier vor der Tür, sahen uns an.

»Kommst du heute mit in den Kindergarten?«, fragte sie mich neugierig.

»Ja, ist mein erster Tag.«

»In welcher Gruppe bist denn du?«

»Märchen… zwerge oder so.«

Sie lachte und schüttelte den Kopf. »Märchenwald! Du bist aber doof. Das ist meine Gruppe!« Sie fasste nach meiner Hand, zog an ihr. Doch ich zögerte leicht, versuchte meine Befürchtungen zu verdrängen. Dabei konnte mit Nanami doch eigentlich nichts mehr schiefgehen.

»Hast du Angst?« Ertappt wurde ich rot und sah zu Boden. »Ich bin bei dir!«

Und so betraten wir zusammen den Kindergarten, steuerten auf eine bunte Tür mit Pappbäumen und bunten Pilzen zu und öffneten sie. Dann erstarrte ich, als mir eine bekannte Stimme entgegenschlug.

»Verdammte Hacke, was hast du jetzt schon wieder angestellt?«



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Kommentare zu dieser Fanfic (18)
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Von:  Youna
2014-08-03T21:52:08+00:00 03.08.2014 23:52
Uhhh... es ist eine ganz doofe Idee, FFs anzufangen, die dann kein Ende mehr haben Q____Q;;
Dabei macht es so Spaß, sich das ganze bildlich vorzustellen! Ich mag Ruki so sehr Q ^ Q Auch, wenn das mit dem Kaktus echt sehr schräg war...
Und Aoi tut mir in dem ganzen Chaos ziemlich Leid hihi xD Ach er ist mein Liebling ever, er darf leiden *lach*

Ist es noch möglich, die anderen 20 Kapitel zu lesen? Ich würd mich echt freuen!
Liebe Grüße,
Youna ♥
Von:  John-Watson
2014-06-06T09:28:34+00:00 06.06.2014 11:28
Q.Q Wieso hast du sie gelöscht also so viele Kapitel? Ich lese sie immer wieder gern und ja habe mich deswegen stark gewundert. Ich möchte es nur verstehen, also sei Bitte nicht verärgert. :3
lg
Franzi
Von: abgemeldet
2014-04-21T17:48:16+00:00 21.04.2014 19:48
Herzlichen dank der Satz »Und du bist so männlich, wenn du Blähungen hast, röhrt der Rhythmusteil von ›Highway to hell‹ aus dem Bad!« hat für solch einen Lachflash gesorgt das man Bauchschmerzen bekommt. Ich liebe diese FF aber
Von: abgemeldet
2014-04-20T20:43:08+00:00 20.04.2014 22:43
Hilfe ich lache mich bereits weg...diese bezeichnungen
Von:  Chizuno
2014-03-07T01:14:04+00:00 07.03.2014 02:14
Ich schäme mich gerade dezent dafür diese FF erst jetzt entdeckt zu haben aber ach du heilige das ist wahrscheinlich die beste FF die ich bis jetzt gelesen habe *^*
Es ist gerade 2 Uhr nachts und ich muss mich verdammt zusammen reißen nicht laut loszulachen xDD Du hast wirklich Talent x3
In so einer WG würde ich auch gerne wohnen ;DD
Wirklich klasse Humor, vor allem frage ich mich wirklich wie man auf sowas kommt xDD
Ganz großes Like ^----^
Antwort von: abgemeldet
08.03.2014 07:22
Ich hätte nicht gedacht, dass das noch jemand liest °.°
Danke für den Kommi *^*
Inzwischen fehlen da leider die restlichen 25 Kapitel ^^“
Antwort von:  Chizuno
09.03.2014 05:01
Ich bin so eine reitaxaoi pairing bekloppte und bin leider erst jetzt darauf gestoßen >.<
gerngeschehen ^-^ muss man ja wirklich loben
ach gott und ich hab mich schon gewundert, dass es so abrupt geendet hat oO
ja das ist wirklich sehr schade :-:
Von:  Lasagne
2013-10-08T23:13:55+00:00 09.10.2013 01:13
Also ich hab die FF jetzt an einem Stück gelesen und muss sagen, dass es eine der besten und auch ungewöhnlichsten Geschichten ist, die ich bisher gelesen habe. Ich glaub zwar, dass ich das eine oder andere Kapi zweimal gelesen hab, aber ich glaub bei nem Blick auf die Uhr, ist das schon okay. Ich mag Ruki übrigens total gerne, aber die Sache mit seinem Job war für mich eigentlich schon klar, als beschrieben wurde, wie säuberlich er sein Essen zerschneidet, das macht meine Schwester nämlich auch XD
die Humor ist übrigens klasse, hab schon lange nicht mehr so blöde vor mich hin gegiggelt beim lesen von ner FF. ^^

Morgen setz ich mich dann an die anderen beiden Teile

Liebe Grüße
Lasa
Antwort von:  Lasagne
09.10.2013 01:14
In der Wanne hab ich übrigens auch schon mal geschlafen, weil mein Bett belegt war. Gott sei Dank bin ich nich so groß XD
Von:  Akikou_Tsukishima
2013-05-09T09:40:09+00:00 09.05.2013 11:40
Der Aushang is ja schon mal zum lachen^^
Von:  YuiMadao
2013-03-03T14:45:38+00:00 03.03.2013 15:45
uiiiii, das ging aber mal hitzig zu...und doch war da ein gewisser Witz bei, allein die Tatsache, dass die zwei festkleben, zeugt von Unglauben. Was haben die da abgespritzt um fest aneinander zu kleben^^ Wahnsinn ^^
Ich freue mich schon auf das Gespräch mit Uruha, das wird der börner, wenn nicht gar verstörend. Irgendwas sagt mir, dass es plastisch zugehen wird.^^


Von:  YuiMadao
2013-02-27T11:55:01+00:00 27.02.2013 12:55
Mt. Fuji? Leidet Aoi an Größenwahn ? ;) einfach nur geil die letzten Kapitel
Von:  Ashanti
2013-02-16T09:32:50+00:00 16.02.2013 10:32
Ich liebe diese FF! Du hast so einen herrlichen Humor! ♥


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