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Die Legende von Flora und Fauna

von

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Nichts ist, wie es scheint

Kapitel 1 – Nichts ist, wie es scheint
 

Er rannte, rannte und seine Lungen fingen schon an zu brennen. Noch war es warm genug, doch bald würden die Bäume ihr Herbstkleid bekommen und der Winter würde Einzug halten. Der große Wald durch den er lief, bestand fast nur aus Nadelbäumen, großen Kiefern und dunklen Blaufichten. Doch sein Ziel war die Lichtung genau in der Mitte. Er hoffte dort endlich in Ruhe nachdenken zu können und vor allem dem ewigen Geplärre seiner Mutter und Schwestern zu entgehen.

Das letzte Mal war er dort gewesen, als er noch klein gewesen war. Sein Vater, ein erfahrener Jäger, hatte ihn oft mit auf Streifzüge mitgenommen, damit aus dem kleinen Jungen später ein gestandener Mann wurde, der sich nicht vor seinem eigenen Schatten fürchtete. Doch sein Beruf war dem Vater zum Verhängnis geworden. Ein Bär hatte ihn regelrecht zerfetzt und noch heute dachte er mit Grausen daran, wie er seinen Vater gefunden hatte. Ein kleines Kind sollte so etwas nicht mit ansehen müssen.

Sogleich schaute er sich um, der Wald war immer noch sehr gefährlich, obwohl die Bärenpopulation in den letzten Jahren zurückgegangen war. Er war zwar durch das tägliche Holz hacken durchtrainiert, aber einem Bären wollte er trotzdem lieber nicht begegnen.

Sein Weg führte ihn immer weiter in den dichten Wald, aber die sportliche Anstrengung tat seinem Körper gut. Er wusste genau, welche Pfade er nehmen musste, obwohl er schon ewig nicht mehr auf der Lichtung gewesen war. Er war fast dort angekommen, als plötzlich etwas mit rasendem Tempo an seinem Kopf vorbei zischte. Er wich erschrocken zur Seite aus und starrte dann ungläubig auf den Pfeil, der neben ihm im Baum steckte. Geduckt schlich er in die Richtung, aus der das Geschoss gekommen sein musste und sah noch einen langen grünen Mantel, der sich rasend schnell fortbewegte.

Konnte ein normaler Mensch so schnell laufen?

Als er bei der Lichtung ankam, schaute er sich verwundert um. Seit seinem letzten Besuch hatte sich viel geändert. Die Lichtung war übersät von einem Blumenmeer und genau in der Mitte stand ein kleines Häuschen, das verdächtig an das Hexenhäuschen aus Hänsel und Gretel erinnerte. Nur, dass es nicht aus Lebkuchen, sondern dunkel gebeizten Holz bestand. Aus einem Schornstein trat Rauch aus, das Haus musste also bewohnt sein. Mit einem mulmigen Gefühl in der Magengegend machte er sich daran, den Kiessteinweg bis zur Tür zu folgen. Dabei bemerkte er natürlich nicht, dass er hoch oben in den Baumwipfeln einen stillen Beobachter hatte, der argwöhnisch jede seiner Taten verfolgte.

Das zaghafte Klopfen an der Tür blieb unbeantwortet. Ein Blick durch das Fenster brachte nur eine schlafende Katze, einen knisternden Kamin und eine ansonsten leere Wohnstube zu Tage. Vorsichtig drückte er die Türklinke hinunter und war nicht wirklich erstaunt, sie unverschlossen vorzufinden. Natürlich, außer ihm war ja auch niemand mutig genug, sich so weit in den Wald hineinzuwagen. Die Menschen in seinem Dorf erzählten sich Geschichten von Ungeheuern und bösen Geistern, die dort die Kinder in die Irre und ins Verderben führten. Glücklicherweise galt er mit seinen 17 Jahren bereits als Mann und er gab sowieso nichts auf diese Gespenstergeschichten. Die Erwachsenen hatten sich diese doch nur ausgedacht, damit die Kinder sich in dem riesigen Wald nicht verliefen und im Moor versanken.

Pfh, also ob es jemals jemand bis zum Moor geschafft hätte, außer ihm! Dazu musste man den abgelegenen Pfad kennen, der über ein paar umgestürzte Bäume und durch einen niedrigen Höhlentunnel führte. Als er circa 13 Jahre alt gewesen war, war er von zu Hause weggelaufen, weil er es nicht mehr ausgehalten hatte, ungefähr so wie heute. Dabei war er immer tiefer in den Wald vorgedrungen und irgendwann beim Moor gelandet. An seine Kindheitserinnerungen verschwendete er in diesem Moment jedoch keine großen Gedanken. Als er die Tür öffnete, streckte sich die anthrazitfarbene Katze und warf ihm einen misstrauischen Blick aus intelligenten goldgrünen Augen zu. Er hatte das Gefühl, dass diese Katze mehr wusste und verstand als ein normales Tier und nahm sich vor, ihr mit Vorsicht zu begegnen. Er blickte sich in dem kleinen Raum um, eine Tür führte wahrscheinlich zur Küche. Dann gab es noch eine Treppe, die bestimmt der Zugang zur Schlafkammer war. Im Wohnzimmer befand sich ein großer Holztisch, der für eine Person gedeckt war. Vor dem Kamin lag ein riesiger weicher Teppich, verwundert schaute er sich die Muster genauer an. So eine feine Webarbeit hatte er noch nie gesehen. Überhaupt wirkte der Raum sehr sauber und aufgeräumt. Im Kamin prasselte ein Feuer und kurzerhand setzte er sich davor. Inzwischen war die Dämmerung eingetreten und am Abend kühlte die Luft so stark ab, dass man meinen könnte, der Winter stünde kurz bevor. Doch das war in dieser Gegend normal, extreme Wetterschwankungen waren keine Seltenheit und ein klarer Himmel konnte sich in Sekundenschnelle mit Gewitterwolken zuziehen. Es war schon eigenartig, obwohl das Haus bewohnt wirkte, ließ sich niemand blicken. Vielleicht war der Bewohner auf der Jagd? Er runzelte die Stirn. Jetzt wo es dunkel wurde, müsste der Besitzer doch langsam wiederkommen. Außerdem bekam er Hunger. Da er nicht nach Hause wollte, hatte er beschlossen, die Gastfreundlichkeit des Hauseigentümers auszureizen. Wenn er die Tür offen ließ, musste er ja mit ungebetenem Besuch rechnen. Um die Katze nicht wieder aufzuwecken, schlich er auf Samtpfoten in die Küche. Dort köchelte eine Suppe vor sich hin, die phantastisch roch. Hungrig füllte er sich ein Schälchen voll, das griffbereit daneben stand und fand auch ein Stück Brot dazu. Die Suppe hatte zwar einen eigenartigen Nachgeschmack, aber darüber machte er sich keine Gedanken. Hauptsache sein Magen war gefüllt. Schläfrig streckte er sich vor dem Kamin aus und lockte die Katze zu sich, um sie zu streicheln. Doch sie ignorierte ihn und hielt weiter ihr Nickerchen auf der Fensterbank. Als er tief eingeschlafen war, fing er an zu träumen.

Im Traum kniete ein großer schlanker schwarzhaariger Mann neben ihm. Das lange Haar fiel in einem geflochtenen Zopf über die linke Schulter, als er sich über ihn beugte, um etwas zu murmeln. Ein etwas zu langer abgeschrägter Pony hing ihm in die faszinierendsten Augen, die der Schlafende je gesehen hatte. Sie waren von einem durchdringenden Blau, das in violett überging und die Außeniris war von einem so hellen Blaugrün, wie das Meer. Zumindest stellte er sich so das Meer vor, denn er war noch nie dort gewesen. Lange schwarze Wimpern ließen das Gesicht zunächst sehr weiblich erscheinen, doch der Ausdruck in den Augen war so alt und mächtig, das niemand ihn jemals mit einer Frau verwechselt hätte. Er hatte fein ausgeprägte hohe Wangenknochen und eine gerade Nase, die sein Gesicht aristokratisch, wenn nicht sogar majestätisch anmuten ließ. Darunter befanden sich volle fein geschwungene Lippen, die sich, als sie sich kurz teilten, eine Reihe weißer gerader Zähne zeigten. Er erinnerte sich daran, dass seine Mutter sich immer wieder beschwert hatte, dass die Männer heutzutage nicht mehr auf ihr Aussehen achten würden, sich gehen ließen und heruntergekommen wirkten. Dieser Mann strafte all ihre Worte Lügen. Er verstand zwar nicht, was der andere flüsterte, doch sein Schlaf wurde immer unruhiger.
 

Dass er es wagte, sein Reich zu betreten, würde er bereuen! Alle Warnungen waren von ihm ignoriert worden und nun würde er zu spüren bekommen, dass man nicht einfach das Haus eines Hexers betreten sollte, ohne die Konsequenzen fürchten zu müssen. Der Pfeil, den er auf ihn abgeschossen hatte, hatte keine Wirkung gezeigt, also musste er zu anderen Mitteln greifen. Er hatte ihn eine ganze Weile aus den Baumwipfeln beobachtet und war erstaunt und empört, dass der andere sich mit solch einer Selbstverständlichkeit sichtlich wohl in seinem Haus gefühlt hatte. Sein Pech, dass er ein gut aussehender junger Mann war und er schon seit geraumer Zeit keinen gewollten Besuch mehr gehabt hatte. Kurz bevor der junge Mann das Haus betreten hatte, war die Suppe von ihm mit einem bestimmten Kräuterzusatz verfeinert worden. Tamor, sein Kater interessierte sich anscheinend auch für seinen ungebetenen Gast. Normalerweise hätte er ihn sonst keines Blickes gewürdigt. Geduldig wartete er, bis der karamellblonde Mann endgültig in das Land der Träume abgedriftet war.

Jetzt konnte der Spaß beginnen. Er gab sich nun keine Mühe mehr leise zu sein und trat aus seinem Versteck hervor. Durch den Kräuterzusatz würde der andere tief und fest schlummern und sehr angenehme Träume haben. Er war komplett angezogen eingeschlafen und der Hexer konnte nicht anders, er musterte ihn erst einmal von Kopf bis Fuß und registrierte jedes noch so kleine Detail. Er war hoch gewachsen, was der Ältere gern mochte. Außerdem sah man auch schon durch das Hemd, dass der vor ihm Liegende schwere körperliche Arbeit gewohnt war. Die Augen waren nun leider geschlossen, aber er hatte vorhin gesehen, dass sie eine außergewöhnliche Farbe hatten. Goldgelb, wie flüssiger Honig, dazu seine hellen Haare, die ihn beinahe unwiderstehlich wirken ließen. Die Frauen mussten auf den Burschen fliegen. Bei diesem Gedanken verzog er unwillig das Gesicht. Oh nein, diese eingebildeten Schnepfen würden ihn nicht bekommen. Von nun an gehörte er ihm, ob er wollte oder nicht. Sein Atem ging noch ruhig und er war sich bewusst, dass der andere in seinen Träumen genau mitbekam, was gleich passieren würde, jedoch würde er nicht in der Lage sein, sich dagegen zu wehren und morgen würde es nur für einen sehr lebhaften Traum halten. Er murmelte einen Zauberspruch, der die Kräuter in seinem Inneren dazu bringen würden, dass er das Ganze intensiver erleben und genießen würde. Er hatte sich auf die Knie fallen lassen und verfluchte wieder einmal die unbequeme Kleidung, die er gezwungen war, in dieser Welt zu tragen. Langsam zog er die Konturen des Gesichtes vor ihm nach und konnte sich nur schwer von dem Anblick losreißen. Noch nie war er von einem menschlichen Wesen so fasziniert gewesen. Normalerweise bevorzugte er die Einsamkeit und ließ es gerade mal zu, dass Tamor in seiner Nähe blieb. Wenn er anderweitig Gesellschaft wollte, dann fand sich zwar immer ein williges Opfer, aber das war nie etwas tiefer Gehendes. Er schüttelte den Kopf, das war es auch jetzt nicht. Er war einfach nur benebelt von dem hübschen Körper vor ihm und mehr nicht. Seine Finger fuhren über das Hemd des jungen Mannes und ertasteten fein ausgeprägte Muskeln. Wie er sich schon gedacht hatte, er achtete auf sich und ließ nicht am Gängelband führen, wie die aristokratischen Muttersöhnchen, deren weiße Haut noch nie einen Hammer oder eine Axt gesehen hatte. Nicht, dass nicht der eine oder andere nützlich gewesen wäre, aber sie waren nicht in der Lage, jemanden außer sich selbst zu sehen. Mit vorsichtigen Bewegungen knöpfte er das Hemd auf, darauf bedacht, den Schlafenden nicht aufzuwecken. Das böse Erwachen würde noch früh genug kommen.

Tamor beobachtete das Ganze mit angespanntem Interesse. Sein Schwanz zuckte hin und her und er hatte das Gefühl, dass er drauf und dran war, seinen kuscheligen Platz auf der Fensterbank zu verlassen, um sich das Ganze aus der Nähe anzusehen. Der Blick, den er sich vom Hexenmeister einfing, besagte deutlich, dass er sich keine Dummheiten ausdenken sollte. Als der oberste Knopf geöffnet war, enthüllte er leicht gebräunte Haut und ein vollkommenes Schlüsselbein. Der Schwarzhaarige konnte der Versuchung, es mit den Fingerspitzen nachzuziehen, nicht widerstehen. Der geschwungenen Linie nach unten folgend, das Brustbein außer Acht lassend, berührte er nun weiche Brustwarzen, die sich verlangend aufrichteten, sobald er auch nur in ihre Nähe kam. Sanft zog er seine Finger über das sichtbare Sixpack und erfreute sich an den unkontrollierten Zuckungen der Muskeln. Als seine Hand den Hosenbund erreichte, zögerte er nicht eine Sekunde. Geschwind löste er die Knoten, die sie zusammenhielt und ließ sie darunter gleiten. Der andere schien die sanften Berührungen zu genießen, denn das was er da in der Hand hielt, ließ ihn erst einmal eine Augenbraue heben. Fest umschloss er das Glied und beobachtete die Mimik des Silberhaarigen. Dem lustvoll verzehrten Mund entschlüpften leise Seufzer, die sein eigenes Verlangen anfachten.

Zurückhaltung war noch nie seine Stärke gewesen und so zog er ihn kurzerhand komplett aus. Heiß umschlossen seine Lippen das beste Stück von seinem Gast und dieser zuckte zusammen. Durch den Kräuterzusatz war er sehr viel williger, als er es normalerweise wäre, denn dieser hatte eine aphrodisierende Wirkung. Er wollte nicht aufs Ganze gehen, das hob er sich für später auf, wenn der andere wieder wach war. Vorerst begnügte er sich damit, ihm schöne Träume zu verschaffen, die sein Innerstes schon stark genug aufwühlen würden. Er würde sich im Anschluss selbst Befriedigung verschaffen. Jetzt war der unter ihm Liegende schon kurz davor jene Klippe zu erreichen, nach der jeder Mann sich sehnte. Als er sich in seinen Mund ergoss, musste sich der Hexer wirklich stark zusammenreißen, so sehr hatte ihn das Ganze erregt.
 

Als Raphael aufwachte, schien ihm die helle Morgensonne direkt in das Gesicht. Verschlafen blinzelte er gegen die Helligkeit und versuchte sich zu orientieren. Langsam kam die Erinnerung an den gestrigen Tag und die darauffolgende Nacht zurück. Doch diese wollte er am liebsten so schnell wie möglich wieder vergessen. In seinem Traum hatte ein schwarzhaariger Mann unglaubliche Dinge mit ihm angestellt. Sonst schlief er relativ traumlos, aber dieser war derart erotisch gewesen, dass er sich vergessen hatte. Er fühlte sich so entspannt, als wäre das, was er geträumt hatte, wirklich passiert. Bloß nicht mehr daran denken, es war einfach zu peinlich.

“Guten Morgen, bist du von den Toten wieder auferstanden?”

Raphael zuckte erschrocken zusammen. Da stand er in voller Lebensgröße, die Hauptfigur seines Traumes und balancierte seelenruhig zwei Tassen und Frühstück auf einem Tablett durch das Zimmer. Schnell stand Raphael auf und blieb daraufhin wie angewurzelt stehen. Wie begrüßte man jemanden, dessen Gastfreundlichkeit man ungefragt in Anspruch genommen hatte?

“Ähm, Guten Morgen?” Mit Macht brach noch einmal der Traum über ihn ein und er lief krebsrot an. Solch eine peinliche Situation hatte er noch nie erlebt. Es war nur ein Traum, er weiß nicht, was du, was er im Traum mit dir veranstaltet hat, du Dummkopf!

“Komm, setz dich. Ich habe Kaffee gekocht und Eierkuchen gebacken. Und wenn wir gerade beim Frühstücken sind, kannst du mir vielleicht gleich mal erklären, was du in meinem Haus zu suchen hast?” Der Blick, der ihn aus diesen unglaublichen blau-violetten Augen traf, war zwar nicht unfreundlich, aber er war so fest, dass Raphael wusste, er musste darauf antworten.

Gemütlich saßen sie am Tisch und die Katze ließ sich eifrig mit Eierkuchen füttern. Doch das gierige kleine Ding aß nicht, es schlang, als ob es seit Ewigkeiten nichts mehr zu fressen bekommen hätte.

“Tamor wächst noch.”, wurde seine unausgesprochene Frage beantwortet. Ah, ein Kater und keine Katze. Er sollte noch mehr wachsen? Nun, er war ja nicht sein Herrchen.

“Wie heißt du?” Ältere Augen, als das Aussehen vermuten ließ, richteten sich auf ihn. In ihnen stand das Wissen von Generationen, aber ihr Besitzer konnte nicht älter als 25 sein. Warum hatte er das Gefühl, dass sich mehr in ihnen verbarg, als er jemals wissen wollte?

“Ich heiße Raphael und wie heißt ihr? Es tut mir Leid, dass ich einfach in ihr Haus eingedrungen bin.”

“Mein Name ist Dymar, aber wenn du willst, kannst du mich Meister nennen, denn von nun an, wirst bei mir als Hexenschüler in die Lehre gehen.”

“Als WAS? Ihr macht Witze” Ungläubig schaute Raphael den Mann namens Dymar an. Das konnte doch nicht sein Ernst sein. Das würde ja bedeuten, dass er selbst ein Hexer war. Und diesen Leuten sagte man keine guten Dinge nach.

“Nicht einmal die Hälfte davon ist wahr.”

“Könnt ihr etwa Gedanken lesen?”, fragte Raphael erschrocken.

“Das ist eines der Dinge, die nicht stimmen. Es war nur leicht zu erraten, was du denkst. Ich esse auch keine kleinen Kinder, auch wenn ich sie nicht unbedingt mag.”

“Und wie kommt ihr auf den Gedanken, ausgerechnet ich könnte z..zaubern?” Er verschluckte sich fast an dem letzten Wort.

“Ganz einfach. Tamor hätte sich sonst nicht für dich interessiert. Normalerweise empfange ich keinen Besuch, eigentlich hättest du mein Haus gar nicht sehen dürfen. Für andere Menschen ohne magische Kräfte ist dies nur eine gewöhnliche Lichtung. Aber wenn du mir nicht glaubst, dann zeige ich es dir, nur ein wahrer Zauberer ist in der Lage den richtigen Eingang zu finden.”

“Welchen Eingang?” Das hörte sich alles so unwirklich an, dass er skeptisch eine Augenbraue hob.

“Zu meinem Reich natürlich. Die Menschenwelt ist für mich nur ein Zufluchtsort, wenn ich mich mal von meinen zahlreichen Verpflichtungen losreißen möchte.” Mit einem mulmigen Gefühl folgte Raphael dem großen Mann vor ihm.

Verwünscht nochmal!

Kapitel 2 – Verwünscht noch mal!
 

Als sie am Ziel ankamen, traute er seinen Augen kaum.

“Ich war hier schon einmal. Aber damals erstreckte sich hier nur das Moor.” Ein Lächeln huschte über Dymars Gesicht, war aber sogleich wieder verschwunden.

“Kinder sehen hier nichts anderes, genau wie Erwachsene, es sei denn, sie sind Hexer. Es handelt sich hierbei um einen einfachen Verschleierungszauber. Also siehst du den Eingang?”

“Den kann man ja nicht übersehen. Und davon lassen sich die Menschen täuschen?”

Genau zwischen zwei Trauerweiden, teilten sich die Äste und ließen einen Durchgang frei. Das, was man dahinter sah, unterschied sich derart von der Welt, die er kannte, dass Raphael erst einmal der Atem stockte. Die Vegetation war fremdartig und dennoch vertraut. Er hatte ein Gefühl in sich, als wäre er zu Hause angekommen. Alles war so farbig und prachtvoll. Es gab Blumen in Farben, die er noch nie zuvor gesehen hatte. So intensiv und wunderschön, dass es fast schon in den Augen wehtat. Sie hatten ungewöhnliche Formen und er konnte sich nicht daran satt sehen. Noch nie hatte ihn die Natur derart fasziniert oder er hatte sie sonst einfach nur mit anderen Augen wahrgenommen. Die Bäume erstreckten sich weit in den Himmel und er fühlte sich an einen Urwald erinnert. Urwald? Er kannte das Wort nicht und trotzdem hatte er es gedacht und wusste auch, was er sich darunter vorstellen musste. Das Einzige, was unklar war, war woher er dieses plötzliche Wissen hatte. Die Bäume hatten die unterschiedlichsten Formen, manche wuchsen so weit hinauf, dass man die Baumspitzen nicht sehen konnte, mit weiten ausladenden Blättern. Andere wiederum waren ineinander verschnörkelt und bildeten ulkige Muster und Tunnel. Alles schien miteinander zu harmonieren und sich zu ergänzen. Die Pflanzen waren unvergleichbar mit allem, was er kannte und wenn ihn schon die Flora dermaßen beeindruckte, was erwartete ihn dann noch? Tamor hatte es sich auf Dymars Schulter bequem gemacht und blickte interessiert zwischen ihm und dem Tor hin und her. Es sah aus, als wollte er ihn auffordern, hindurchzutreten.

“Das beweist aber immer noch nicht, dass ich zaubern kann.”, sagte er trotzdem. Vor allem, weil er mit der Situation gerade ein bisschen überfordert war. Was war, wenn sie doch Recht hatten?

“Wir werden sehen.”, war die einzige Antwort, die er erhielt. Doch kaum waren sie zwischen den Bäumen durchgegangen, da merkte Raphael, wie sich etwas in ihm veränderte. Er spürte jeden noch so kleinen Lufthauch und es war, als würde der Wind ihm zuflüstern.

“Tamor hat Recht gehabt. Du bist ein Windmagier.”

“Aha.” Der Kater also...

“Tamor, ich denke, er glaubt uns immer noch nicht.”

Sie folgten einem verschlungenen Pfad und Raphael musste aufpassen, dass er nicht über herausragende Baumwurzeln stolperte. Nach einer gefühlten Ewigkeit spürte er Holzdielen unter den Füßen und war dankbar für den ebenen Untergrund. Doch die Erleichterung hielt nicht lange vor. Als er seinen Blick nach unten senkte, sah er, dass unter den Holzbrettern Wasser war. Sie liefen mitten durch einen Mangrovenwald. Das kannte er schon aus dem Moor, man musste genau aufpassen, wo man hintrat, damit man nicht versank. Neugierig blickte er sich um, der Wald schien sich bis in weite Ferne zu erstrecken. Als er kurz einen Blick nach hinten riskierte, sah er noch den dichten Dschungel, durch den sie gekommen waren. Die Farnblätter sahen so...lebendig aus...er hätte schwören können, dass sie gerade den Durchgang verschlossen und nichts und niemanden ohne Erlaubnis wieder hinaus lassen würden. In dem trüben Wasser sah er wieder Pflanzen, die so eigenartig aussahen, als seien sie von einem fremden Planeten. Naja, waren sie ja auch, zumindest sowas Ähnliches. Zwischendurch sah er kurz Lichter aufleuchten, doch im selben Moment waren sie gleich wieder verschwunden und er dachte, er würde sie sich nur einbilden. Jetzt fiel ihm auch auf, warum ihm das hier alles ein wenig unheimlich vorkam. Es gab keine Geräusche von Tieren, nur das stetige Plätschern des Wassers gegen die Bäume. Gespenstisch, als ob es in diesem Wald kein Leben gäbe. Er liebte die Geräusche der Natur, kleine Mäuse, die über den Waldboden huschten, Biber, die einen Stamm für ihren Damm zurecht knabberten, das Singen der Vögel und das Fiepen der Eichhörnchen, die wachsamen Schritte der Rehe und natürlich auch die schweren Schritte der Bären. Doch die einzigen Geräusche, die sonst noch zu hören waren, waren die klopfenden Schritte ihrer Füße auf den Holzbohlen.

Dymar lief immer noch schweigend vor ihm und Tamor hatte sich neugierig nach hinten gedreht. Fast sah es so aus, als wollte er seine Reaktionen beobachten. Plötzlich endete der Weg an einem Koloss von Baum. Was kam nun? Dymar legte seine Hände auf das Holz und ein schmaler Eingang öffnete sich. Raphael schüttelte ungläubig den Kopf. Das wurde ja immer kurioser. Im Baum befand sich eine Wendeltreppe, bei der ihm schon beim hinaufblicken schlechte wurde. Der Baum war mindestens hundert Meter hoch, wieviele Stufen mochten da auf ihn zukommen? Sie folgten der Treppe hinauf, aber anstatt bis nach oben zu gehen, öffnete sich nach etwa einem Drittel des Weges die Borke und gab eine Öffnung frei. Nur etwa eine Sekunde fragte er sich, wohin die Treppe noch führte, aber in diesem Moment war er eher froh, nicht bis ganz nach oben zu müssen. Als sie nach draußen traten, eröffnete sich ein Ausblick auf ein Gewirr aus Holzbrücken, Seilen und Lianen, die von einem Baum zum anderen führten. Noch nie in seinem ganzen Leben hatte er etwas Vergleichbares gesehen. Überall sah er etwas, das aussah, wie Häuser? Geflechte aus weichem biegsamen Ästen und Lianen, die das Ganze zusammenhielten. Jede hatte eine andere Form, manche sahen aus wie Kugeln, die nächsten waren dreieckförmig, ein paar eckige gab es auch. Am Seltsamsten waren die kegelförmigen und ovalen Häuser. Trotz der vielen Häuser war nicht eine Menschenseele zu sehen. Es wirkte wirklich wie ausgestorben. Sie liefen zu einer Baumwohnung, die hoch über den anderen lag. Dazu kletterten sie verschiedene Leitern hoch, die deutlich stabiler waren, als sie aussahen. Er hatte noch andere Gebilde entdeckt und war sich ziemlich sicher, dass es sich dabei um eine Art Schilfrohr handeln musste. Ein paar vertraute Pflanzen waren auch verbaut worden und er glaubte, dass Dymar sie aus seiner Welt als Baumaterial mitgebracht hatte. Seine Zweifel an der Stabilität der Konstruktion waren also nicht unbegründet.

Als sie das Haus betraten, war das Zimmer, dass er für die Wohnstube hielt, von tausenden kleinen Lämpchen erhellt. Er hatte gar nicht mitbekommen, dass es Nacht geworden war, aber hier schien die Zeit anders zu vergehen. Es war doch gerade erst später Nachmittag gewesen oder seine Sinne spielten ihm einen Streich. Ein Blick aus dem Fenster zeigte ihm, dass es weder Mond noch Sterne gab. Es war stockfinster. Nur diese kleinen Lichter hüpften munter hin und her. Moment, hüpften? Stirn runzelnd sah er sich eine dieser “Lampen” genauer an. Seine Augen wurden groß, als er erkannte, dass in den Lampen Glühwürmchen aufgeregt im Kreis flatterten. Sie waren zu hunderten in diesen Gläsern eingesperrt und Raphael erschien es grausam, also versuchte er eines zu öffnen.

“Das würde ich an deiner Stelle nicht tun, die Glühwürmchen werden sonst sterben und das willst du doch nicht, oder?” Streng wurde er von Dymar angesehen.

“Wieso sterben sie, wenn ich sie freilasse? So sind sie gefangen, das ist doch kein Leben.”

“Ich habe sie aus deiner Welt hierhergebracht, aber sie vertragen die Luft nicht.” Bei diesen Worten verzog sich kurz sein Mundwinkel, so als ob er auch nicht genau wüsste, woran das lag.

“Dann müssen wir sie zurückbringen.” Raphael wollte sich schon ein Glas schnappen, als ihn die folgenden Worte aufhielten.

„Ich mochte ihr Leuchten und wollte einen Teil ihrer Schönheit hier für mich haben.“ Sehnsüchtig blickte er die kleinen Tierchen an und Raphael hatte den Impuls, dass er sich wünschte auch so angesehen zu werden. Verwirrt schüttelte er den Kopf. Woher kam denn dieser abwegige Gedanke? Seit wann interessierte er sich für Männer? Und überhaupt konnte man einem Hexer nicht trauen. Statt sich mit diesem unangenehmen Thema herumzuschlagen, murmelte er sich vor sich hin.

„Aber draußen sind so viele Lichter, hast du alle diese Glühwürmchen hierhergeholt? Wer kümmert sich um sie, wenn du nicht da bist?“

„Ach, die draußen, das sind Leuchtfeen. Du solltest sie nicht ärgern. Sie können ganz schön fies werden. Ich habe nur hier drinnen Glühwürmchen und dahinten eine Leuchtfee. Sie hat mich ein bisschen zu sehr geärgert und ist zur Strafe für sieben Tage eine Lampe.“ Raphael sah sich besagte Lampe genauer an und erkannte ein zierliches Wesen, das bockig zu ihm hinaufstarrte. Der Oberkörper war mit etwas bedeckt, das ein wenig an eine Tunika erinnerte. Sie war tiefschwarz und auch die Pumphosen dazu waren sehr dunkel. Darunter schimmerte gebräunte Haut und der Blick aus den rot orangen Augen verhieß nichts Gutes.

„Hallo Kleine, geht es dir gut? Er meint es bestimmt nicht so. Zu mir war er bisher zumindest ganz nett und deshalb glaube ich, er ist gar nicht so böse, wie er tut.“

„Ach ja? Und woher nimmst du diese Gewissheit? Meinst du nicht, es ist noch ein bisschen zu früh, um so ein positives Bild von mir zu haben? Ihr Windmagier seid echt zu vertrauensselig. Nicht wahr, Tamor?“ Der Kater sah Raphael aus wissenden Augen an und wieder hatte er das Gefühl, dass er gefährlicher war, als er aussah. Die Fee in dem Glas fuchtelte nun aufgeregt mit ihren Ärmchen.

„Ich glaube, du hast ihn beleidigt, als du ihn Kleine genannt hast. Der Feenprinz wird dir das sehr lange übel nehmen. Da hast du dir ja schon was eingebrockt. Aber das müsst ihr unter euch ausmachen.“ Damit öffnete er das Glas und Raphael fragte sich, was so eine kleine Fee ihm schon Schlimmes antun könnte. Noch ein wenig orientierungslos flatterte der Feenprinz hin und her, bis ihm bewusst wurde, dass er wieder frei war. Er war nicht viel größer als Raphaels Handflächen, aber als er vor seiner Nase herumflog, überkamen ihn doch leichte Zweifel, ob es gut gewesen war, ihn zu beleidigen. Auch wenn er es nicht mit Absicht getan hatte, würde dieses Detail nicht zählen, wenn man das Funkeln in den Augen sah und mit welchem Blick er Raphael bedachte. In Windeseile war er unter sein Hemd geschlüpft und er zuckte überrascht zusammen. Dieses kleine Biest hatte sich an seiner Brustwarze festgesaugt und ließ nicht mehr los. Als er darunter griff, um ihn zu lösen, biss er ihn.

„Au! Was soll das?! Lass das!“ Für zwei Sekunden wurde seinem Wunsch nachgegeben, aber nur dafür, dass er nun die andere Seite attackierte. Das Problem dabei war, dass Raphael sehr empfindliche Haut hatte, seine Brustwarzen richteten sich steif auf und der freche Feenprinz konnte nun noch besser daran saugen.

„Mach doch was!“ flehte er Dymar an, doch dieser schaute ihn nur amüsiert an.

„Hm, ich glaube, da lag ich wohl falsch. Er scheint dich zu mögen. Jetzt hast du wirklich ein Problem.“

„Ich kann doch nicht so herumlaufen, während er an mir“, keuchte er „an mir rumsaugt. Hörst du wohl auf damit!“ wisperte er in Richtung Hemd.

„Ich denke, fürs Erste musst du wohl damit leben, Feen sind nicht für ihre Gnade bekannt.“

„Seit wann das denn? Feen sollten liebevolle verspielte Wesen sein.“ empörte sich Raphael.

„Aber das ist er doch. Er hat sich in dich verknallt und ist nun liebevoll zu dir.“ Am liebsten hätte Raphael ihm das fiese Grinsen mit der Faust weggewischt, wenn diese freche Fee nicht genau in diesem Moment wieder zugezwickt hätte.

„Verdammt! Wirst du das wohl lassen! Kann er reden?“ wechselte er abrupt das Thema.

„Eigentlich schon, aber ich denke momentan ist er dafür zu beschäftigt.“ Für dieses Augenzwinkern würde er ihn zusätzlich erwürgen, nachdem er ihn geschlagen hatte. Drohend ging er ein paar Schritte auf ihn zu, aber sogleich war es, als ob er gegen eine Wand gelaufen wäre.

„Du solltest erst einmal lernen, deine Kräfte zu kontrollieren, bevor du auf mich losgehst.“

Wütend schlug Raphael auf die unsichtbare Wand ein. Solche Tricks waren unfair.

„Ok, bring mir bei, wie du das machst.“

„Ist der Schüler endlich bereit mir zu folgen?“

„Ja, ich werde dir folgen.“ antwortete Raphael schnell.

„Wirst du alles tun, was ich sage, ohne Widerstand zu leisten?“

„Ganz bestimmt nicht!“ knirschte er zwischen den Zähnen hervor. War ja klar gewesen, dass an der Sache ein Haken war. Gereizt sah er den anderen an, der ihn nur abwartend anschaute. So ein Blick war auch entschieden unfair! Na gut, na gut, dachte er bei sich, wie schlimm konnte es schon werden?

„Also?“

„Ja! Aber...“

„Kein aber! Ja oder nein?“ Streng wurde er fixiert und ergeben senkte er den Kopf.

„Ja.“ Im Stillen fragte er sich, wozu er da eigentlich sein Einverständnis gegeben hatte, als er das Leuchten in seinen Augen sah. Tamor sah auch mehr als zufrieden aus und der freche Feenprinz schien es sich an seiner Brust gemütlich gemacht zu haben. Ihm war wirklich nicht wohl bei der Sache. Schweigend folgte Raphael dem schwarzen Zopf, der wie ein Pendel vor ihm hin und her schwenkte. Tamor hatte sich auf Dymars Schulter niedergelassen. Und sein Schwanz zuckte erregt von einer Seite zur anderen. Raphael hatte keine Vorstellung von dem, was ihn nun erwartete. Sie liefen durch ein Gewirr aus Holzbrücken und dichten Laubwänden. Am Ziel erreichten sie – wieder einmal – einen Baum mit Wendeltreppe. Raphael hoffte nur, dass es nicht wieder nach oben ging. Diesmal jedoch ging es abwärts. Immer tiefer führte er in die Dunkelheit und Raphael wurde das beklemmende Gefühl nicht los, dass sie sich unter der Erde befanden. Die Luft wurde stickiger und heißer. Dymar schien sich hingegen sehr wohl zu fühlen. Mit energiegeladenen Schritten ging er voraus. Er folgte einem Wirrwarr von Tunneln und Gängen, so dass Raphael das Gefühl hatte, sich tief in einem Labyrinth zu befinden. Endlich schienen sie ihrem Ziel näherzukommen. Raphael war froh, dass der Prinz anscheinend eingeschlafen war, da ihn schon seit einer Weile niemand mehr piesackte. Er merkte das Fliegengewicht auf seiner Schulter und sah ab und zu mal nach ihm, damit er nicht hinunterfiel. Irgendwie hatte er den Kleinen lieb gewonnen, auch wenn er nicht gut für seinen Seelenfrieden war.

„Wo sind wir hier?“

„Das gehört auch zu meinem Reich. Die Stadt in den Bäumen ebenso, aber hier fühle ich mich am wohlsten. Du bestimmt eher nicht, hm? Wind muss frei und ungebunden sein und das kann er nicht unter der Erde. Das ist der große Unterschied zwischen uns beiden. Ich bin ein Erdmagier, aber ich kann dir genug beibringen, dass du dein Element soweit beherrschst, um einigermaßen zaubern zu können.“

Skeptisch schaute er ihn an. Und der wollte sein Lehrmeister sein? Nun ja, er würde ja sehen, was da auf ihn zukam.

Immer weiter eilte Dymar voraus und Raphael hätte ihm beinahe nicht mehr folgen können.

„Wann sind wir denn endlich da? Da ist ja schon eine halbe Weltreise.“

„Hör auf zu maulen, wir sind gleich angekommen. Mal sehen, ob du dann immer noch so großspurig bist.“ Sie kamen in einen anderen Raum, der an eine Arena erinnerte.

„Hier soll ich also trainieren?“ Neugierig schaute er sich um. Der Boden bestand aus festem rot gefärbten Gestein und rundherum erhoben sich die Steine und formten einen natürlichen Kreis. Hier und da konnte er an der Decke Stalaktiten erkennen. Er fragte sich woher das Licht kam und erkannte voller Staunen, dass die Höhlendecke von allein zu leuchten schien. Die blauen Lichter waren türkis, hellblau oder hellgrün und es schien sich dabei um ein Mineral zu handeln, wenn er seinem beschränkten Wissen auf diesem Gebiet trauen konnte.

„Stell dir das mal nicht so einfach vor.“, wurden seine Gedanken unterbrochen.

„Fangen wir mit etwas Leichtem an. Erschaffe mit Hilfe deiner Konzentrationskraft einen kleinen Wirbelsturm.“

„Konzentration? Einfach dran denken? Ok, klingt einfach.“

Raphael schloss die Augen und versuchte sich zu sammeln und einen Ball aus Energie zu formen. In seinem Inneren konnte er eine Energie fühlen, die er vorher noch nie wahrgenommen hatte, aber er bekam sie nicht zu fassen.

„Geh mehr in dich hinein, nur daran denken, reicht nicht aus. Du musst die Kraft fühlen, die dein Innerstes durchfließt.“

„Das soll helfen?“ Raphael verstand nicht so genau, worauf der andere hinauswollte.

„Davon bekomme ich Kopfschmerzen.“

„Sei nicht so eine Memme, auf die Art und Weise wirst du es nie schaffen.“ Raphael spürte, dass Dymar sich ihm von hinten näherte. „Augen zu lassen und einfach locker bleiben.“ Er wartete stumm und bemühte sich, nicht zusammenzuzucken, als er eine warme Hand auf seinem Bauch spürte. Selbst durch sein Hemd konnte er die Hitze fühlen, die davon ausging und seinen Körper überzog eine leichte Gänsehaut. Raphael betete, dass Dymar diese nicht bemerkte. Stattdessen versuchte er seine Gedanken wieder auf das zu lenken, was der andere sagte.

„Spürst du es hier pulsieren? Das ist deine Energiequelle. Du musst deine ganze Kraft an diesem Punkt sammeln und dann kontrollieren. Atme gleichmäßig. Geh tief in dich hinein. Stell dir den Windhauch vor, wie er durch die Blätter der Bäume weht. Die Böe, die die Gischt des Meeres aufschäumt, die kleinen Wirbel, die den Sand der Wüste rotieren lassen.“ Raphael hatte mittlerweile am ganzen Körper Gänsehaut, aber das Zittern, das ihn durchlief war durchaus angenehm. Als er die Augen öffnete, sah er, dass sich auf seiner Handfläche ein Miniwirbelsturm befand.

„Der Wahnsinn! Das ist so ziemlich das Unbeschreiblichste, was ich je gesehen habe.“

„Und du kannst noch viel mehr.“ hauchte es in sein Ohr und Raphael zuckte erschrocken zurück. Der Miniwirbelsturm löste sich ins Nichts auf, als seine Konzentration unterbrochen wurde.

„Rück mir nicht so auf die Pelle!“

„Nun, aber das lässt sich nicht vermeiden. Wir beide müssen uns noch viel besser kennen lernen. Du musst alles lernen, was ich weiß und darüber hinaus, um in dieser Welt überleben zu können. In deiner Welt magst dich ja gut schlagen, aber hier bist du ein Nichts. Lass uns zurückgehen.“

Raphael zerbrach sich immer noch den Kopf, wie genau Dymar das gemeint hatte, dass sie sich besser kennen lernen mussten. Der Unterton hatte etwas völlig anderes ausgedrückt und ihm war nicht wohl bei dem Gedanken.

„Warum hören wir eigentlich schon auf? Ich glaube, ich habe verstanden, was ich machen muss. Sieh her.“

„Lass das. Du hast deine Kräfte noch nicht unter Kontrolle.“

„Alter Spielverderber.“ grummelte Raphael vor sich hin. Im Stillen erschuf er den ganzen Heimweg lang auf seiner Fingerspitze kleine Wirbelwinde und jonglierte sie zwischen seinen Fingern. Der Feenprinz auf seiner Schulter war auch wieder aufgewacht. Müde schaute er Raphael aus leicht verhangenen Augen an.

„Na, hast du gut geschlafen? Ich bin Raphael, wie heißt du? Hey, Dymar sagtest du nicht, Feen können sprechen?“ fragte er, als der Feenprinz ihn nur stumm ansah.

„Natürlich. Sie sind meistens nur zu schüchtern“

„Magst du mir nicht verraten, wie du heißt?“ Augen in der Farbe des Sonnenuntergangs fixierten ihn. Er überlegte anscheinend noch, ob er Raphael vertrauen konnte. Dabei hatte eher er einen Grund sich vor der Fee in Acht zu nehmen.

„Vielleicht nachher, wenn wir etwas gegessen haben. Ich glaube, er mag mich nicht.“

„Wie ich schon sagte, ich denke, das Gegenteil ist der Fall. Es ist sicher nicht schlimm, in dieser Welt den Feenprinzen zum Freund zu haben. Aber pass auf, was du sagst. Er könnte das wörtlicher nehmen, als dir lieb ist.“ Verschwörerisch zwinkerte er dem Feenprinzen zu und Raphael verstand gar nichts mehr.

Wozu soll das gut sein?

Kapitel 3 – Wozu soll das gut sein?
 

Er wurde immer besser. Den Wirbelwind beherrschte er perfekt und Dymar sagte ihm immer wieder, dass er ein Naturtalent sei. Auch wenn er ein strenger Lehrer war, so lernte Raphael doch so einiges über seine magischen Kräfte. Es machte ihm ungeheuren Spaß, die Naturgewalten heraufzubeschwören und einen Orkan zu entfachen. Einfaches Gleiten brachte er auch schon zustande, auch wenn er niemals fliegen würde können. Manchmal war er am Abend so erschöpft, dass er sich fragte, ob diese Welt ihm seine Energie entzog, aber gleichzeitig war er überglücklich. Sein Schlaf kam immer überraschend und plötzlich. Er wachte stets ausgeruht am Morgen auf, egal wie anstrengend der vorherige Tag gewesen war. Doch irgendwas fehlte ihm. Er wusste immer noch nicht, warum er eigentlich hier war. Was war Sinn und Zweck seiner Ausbildung? Immer wenn er Dymar fragte, hüllte sich dieser in Schweigen oder speiste ihn mit einem „Das wirst du noch früh genug erfahren“ ab. Es war zum Verzweifeln.

Der Feenprinz war sein ständiger Begleiter geworden, zugegeben ein schweigsamer, aber nach Dymars Vorträgen war das sehr angenehm. Jeden Abend versuchte er von Neuem, ihm seinen Namen zu entlocken, doch der Prinz blieb standhaft. Mittlerweile hatte er fast Angst zu fragen, denn jedes Mal saugte sich dieses kleine freche Biest wieder an ihm fest und war wesentlich mutiger geworden. Momentan war sein liebstes Ziel Raphaels Bauchnabel und das sorgte dafür, dass er jedes Mal Gänsehaut bekam.

„Mensch, Kleiner, lass das! Das kitzelt.“ Er wand sich, doch der schwarzhaarige Schopf unter seinem Shirt schüttelte vehement den Kopf.

Er arbeitete sich noch weiter nach unten und Raphael keuchte auf.

„Schluss jetzt! Vergiss es!“ Er rutschte auf seinem Bett hin und her und griff dann entschlossen unter sein Hemd. Daraufhin hielt er einen wütenden und zappelnden Prinzen in der Hand, der ihn mörderisch anfunkelte.

„Lass das sein, oder ich sperre dich auch in ein Glas und du verbringst den Rest deines Lebens als Lampe!“ Empörung flammte in dem schönen Gesicht auf, aber das würde Raphael nicht von seinem Entschluss abbringen. Wenn der Kleine sich nicht benehmen konnte, musste er mit den Konsequenzen leben.

„Benimmst du dich jetzt!“ Rote Augen starrten ihn an und wieder herrschte Schweigen.

„Ich meine ernst. Ich kann mich nicht konzentrieren, wenn du das machst.“

Widerwillig erntete er ein Nicken. Na endlich. Auch wenn er weiterhin aus großen Kulleraugen angesehen wurde. Der Feenprinz verzog sich schmollend auf das Ende des Kopfkissens und Raphael hatte seine Ruhe. Vorerst.
 

„Streng dich noch mehr an. Meinst du, wir machen das hier zum Spaß?“, genervt zog sich Dymar auf seinen Platz am Ende der Arena zurück.

„So wird das nie was.“

„Hör auf zu meckern! Das macht es auch nicht besser.“ Raphael mühte sich damit ab, den Sand in der Arena durch den Wind so zu manipulieren, dass er sich um seinen Körper drehte. Einen Sandsturm zu entfachen, war wirklich schwer. Er zog mit aller Kraft, aber die feinen Staubteilchen wollten ihm einfach nicht gehorchen. Anstatt sich in einer Schraube aufzuschwingen, fegte der Wind nur über den Boden und es hatte sich schon ein beachtlicher Sandhaufen gebildet. Diesen fixierte er nun wütend. Wenn es mit dem normalen Boden nicht funktionierte, musste eine andere Lösung her.

„Wir wollen noch mal wohin?“ Raphael hatte eine Idee, möglicherweise würde das ja reichen.

„In die Wüste. Aber die ist wirklich gefährlich und ich war schon lange nicht mehr dort. Wir müssen also dafür sorgen, dass du deine Kräfte so gut wie möglich beherrschst. Versteh mich nicht falsch. Du bist sehr gut. Aber der Sandsturm gehört zu den Königsdisziplinen, da er die verschiedenen Elemente vereint, auch wenn man nur eines beherrschen muss. Nur wahre Könner schaffen das und es ist für unser Ziel unerlässlich, dass du ihn nutzen kannst.“ Dymar sah ihn ernst an und warf seinen langen schwarzen Zopf elegant über die Schulter.

„Wofür? Warum ist es so wichtig, dass ich so schnell zum Meister des Windes werde? Gibt es niemand anderen? Was ist das Ziel dieser Plackerei? Ich will endlich eine Antwort, ansonsten kannst du mich vergessen. Ich habe es satt, als Spielball deiner Launen zu dienen!“ Blitzschnell war Dymar bei ihm. Die Nähe machte ihn schwindelig und sein Herz fing ungewohnt schnell an zu schlagen. Ein Arm umschlang seine Taille und ehe er es sich versah, wurde ihm ein brutaler Kuss aufgezwungen. Kein Mitleid, kein Sehnen lagen darin. Nur pure Verzweiflung. Was konnte ihn nur so aufgewühlt haben, dass er sich derart vergaß? Dymar war sonst immer Herr seiner Sinne gewesen, doch nun war es, als ob die Kraft, die in ihm tobte, die Herrschaft übernommen hatte.

„Es wird einen Krieg geben.“ Leise kamen die Worte. Der brutale Kuss hatte ein Ende gefunden und Raphael seufzte erleichtert auf. Wenn das seine Form war, Luft abzulassen, wollte er nicht wissen, wie es war Dymar wirklich wütend zu machen.

„Warum? Was hat das mit mir zu tun?“, fragend sah er in die blauvioletten Augen. Sie schimmerten und Raphael hätte sich darin verlieren können, wenn ihm eine Antwort nicht so wichtig gewesen wäre.

Dymar drückte sich an ihn. Die Stärke, die er ausstrahlte war fesselnd und er konnte kaum glauben, dass so ein Mensch, sich vor irgendetwas fürchtete. Aber genau das war es. Dymar hatte Angst vor diesem Krieg.

„Warum wird es einen Krieg geben? Wie kannst du dir da so sicher sein?“

„Weil die Herrscherin der Flora - Kammi - ein durchgeknalltes Weibsbild ist. Sie wird nichts unversucht lassen, diese Welt an sich zu reißen. Doch es stehen ihr ein paar Mauern im Weg, dafür werde ich sorgen. Sie will sich ihren Bruder Fauna unterwerfen, doch er ist untergetaucht. Niemand außer mir weiß, wo er sich aufhält und wir müssen dafür sorgen, dass seine Armee zum Angriff bereit ist. Auch ich bin in diesem Fall ein einfacher Soldat, auch wenn ich über dieses Land herrsche. Stell dir eine Welt vor, in der Flora und Fauna nicht mehr gleichberechtigt sind. Kammis oberstes Ziel ist die absolute Kontrolle. Doch allein habe ich keine Macht. Sie ist stark. Deswegen müssen wir die Elemente mobilisieren. Deshalb bist du wichtig und unersetzlich. Keiner, den ich kenne unter den Windmagier hat dieselbe Macht wie du.“ Sein Lob rührte Raphael, aber er spürte, dass noch mehr dahinter steckte.

„Aber eine einzelne Person kann doch nicht so mächtig sein.“ Dymar nickte.

„Sie hat die Jahreszeiten auf ihre Seite gezogen, sehr zu meinem Ärger. Firo, Herr des Sommers ist nicht gefährlich, aber vor Luva, dem Winterkönig sollten wir uns wirklich in Acht nehmen. Herbst oder auch Bernette und Frühling, sie heißt Tuchim, lassen sich nicht oft blicken. Aber ich habe einige gruselige Geschichte über sie gehört. Aus diesem Grund müssen wir gut vorbereitet sein. Wir können uns nicht einfach so in den Kampf stürzen. Seitdem Fauna verschwunden ist, scheint auch das Tierreich verrückt zu spielen. Es wird Zeit, dass er seinen rechtmäßigen Platz einnimmt. Als mein Nachfolger und meine rechte Hand.“ Dem Jungen schwirrte der Kopf vor so vielen neuen Namen und Erkenntnissen.

„Aber wie sollen wir gegen solch übermächtige Gegner siegen?“ Dymar grinste böse.

„Wir holen uns Verstärkung. Wenn alle vier Elemente zusammen mit Fauna kämpfen, dann sollte es ein Leichtes werden. Schließlich hat jeder seine Schwächen. Wir müssen sie nur geschickt ausnutzen. Der Feenprinz könnte uns von Nutzem sein. Vielleicht.“ Raphael nickte, bis dahin kam er mit.

„Du hast gesagt, dein Reich wäre riesig. Wie sollen wir die anderen finden?“

„Kluge Frage. Tamor wird uns den Weg weisen. Unsere erste Station ist Vikaria, die Stadt der Vikaren. In deiner Welt nennt man sie Amazonen. Rochiel ist zwar nicht meine liebste Reisebegleitung, aber wir werden miteinander auskommen.“ Seine Miene sagte etwas anderes.

„In Ordnung. Dann lass uns weitertrainieren.“ Rapahel war wieder voller Energie, das Wissen um das Ziel trieb ihn an.

„Ein Sandsturm.“ Im Stillen munterte er sich auf. Auch wenn es sicherlich niemals perfekt werden würde, er würde sich Mühe geben und Dymar unterstützen.

Er fühlte die Kraft in sich pulsieren und fixierte den Sandhaufen. Er stellte sich eine drehende Mühle vor. Die großen Mühlenflügel, die im Kreis rotierten und der Wind, der auffrischte. Eine Wüste, in der die flirrende Hitze aufstieg und dafür sorgte, dass jeder sich unwillkommen fühlte, der hier eindrang. Eine seichte Bewegung mit dem Handgelenk, mehr ein Schwung, denn eine Drehung brachte den Sand dazu, sich in kleinen Kreisen zu bewegen. In gekonnten Abständen sorgte Raphael dafür, dass er sich immer weiter aufschwang. Es war ähnlich wie der Wirbelsturm, aber ein ganz anderes Gefühl. Dies hier bedeutete Macht. Einen leblosen Gegenstand dazu zu bringen, sich zu bewegen und dabei so zu nutzen, dass er verheerende Ausmaße annehmen konnte oder als schützende Barriere diente.

Ehe er es sich versah, umtoste ihn der Sand.

„Das ist es. Ich hab doch gesagt, dass du es kannst.“ Die beiden standen sich immer noch nah gegenüber und wurden von dem Sand umhüllt.

„Perfekt. Du bist soweit, auch wenn du ein wenig geschummelt hast.“ Schuldbewusst zuckte Raphael zusammen. Der Sandhaufen hatte sich einfach angeboten, er hatte nur noch einen Schubs mit Magie gebraucht, um sich seinem Willen zu unterwerfen.

„Morgen brechen wir auf.“ Damit verließ Dymar mit Schwung die Arena und Raphael blieb verwirrt zurück. Diese Nähe zu dem Hexer bekam ihm eindeutig nicht, denn nachdem er gegangen war, verpuffte sein Sandsturm genauso plötzlich wie er gekommen war und er spürte nur noch die Erschöpfung. Der Kuss brannte auf seinen Lippen. Ob das nötig gewesen war? Den ganzen Weg über zu seinem Zimmer grübelte er darüber und das Kribbeln auf seinem Mund ließ nicht nach. Es war, als ob er das bereits kannte. Wirklich eigenartig.

Auf seinem Bett hatten es sich Tamor und der Feenprinz bequem gemacht. Friedlich kuschelte sich die Fee in Tamors Fell und Raphael hatte beinahe Mitleid, dass er das schöne Bild stören musste, aber er wollte auch in seinem Bett schlafen.

Tamor rückte nur unwillig zur Seite und kugelte sich, sobald Raphael lag, sofort an seinem Bauch zusammen. Der Feenprinz hatte einen neuen Schlafplatz gefunden und lag seicht gebettet in den braunen Haaren. Kaum berührte Raphael das Kissen, war er auch schon eingeschlafen.

Er hörte nicht, wie sich leise die Tür öffnete.

„Hier steckst du also.“ Tamor blinzelte mit wachen grünen Augen. Sein Schwanz zuckte hin und her und Dymar sah ihn drohend an.

„Er gehört mir.“ Damit verschwand er wieder.

Wasserspiele

Kapitel 4 - Wasserspiele
 

Der Morgen begann kühl und neblig. Durch das geöffnete Fenster konnte Raphael die grauweißen Schlieren sehen. Auf seinem Bauch befand sich ein schweres weiches, aber warmes Gewicht, dass er als Tamor identifizierte. Er langte in das schwarze Fell und kraulte den Kater, der das mit einem zufriedenen Schnurren quittierte. Ein Zupfen an seinen Haaren erinnerte ihn daran, dass er noch einen Bettnachbarn hatte. Verschlafen schaute ihn der Feenprinz kopfüber von der Stirn an, um kurz darauf genussvoll zu gähnen. Dabei zeigte er kleine fiese Beißerchen. Kein Wunder, dass das so wehtat.

„Guten Morgen, ihr zwei. Ich denke, wir sollten aufstehen. Sonst zieht uns Dymar noch das Fell über die Ohren.“ Er grinste die beiden vielsagend an und er hätte schwören können, dass der Kater mit den Schultern zuckte.

Schnell aß er eine von den süßen Früchten, die es hier im Übermaß zu geben schien, denn seine Vorratsschüssel füllte sich immer wieder auf unerklärliche Weise auf. Obwohl er, seitdem er hier war, keine Menschenseele außer Dymar gesehen hatte. Es war, als wäre der Wald ausgestorben, aber der Hexer hatte ja gesagt, dass die Tierwelt verrückt spielte, seitdem Fauna nicht mehr da war. Also wurde es Zeit, ihn zurückzuholen.

„Ob er wirklich weiß, wie wir ihn finden können?“, murmelte er vor sich hin, während er sich anzog. Er wollte dringend andere Sachen, denn diese hier waren von dem mehrmaligen Tragen bereits verschlissen. Er schaute sich in dem kleinen Zimmer um und entdeckte Tamor, der mit zuckendem Schwanz vor der Eingangstür saß. Auffordernd sah er ihn an.

„Ich komm ja schon. Aber es wäre wirklich schön, etwas anderes anzuziehen. Das hier hat bereits Löcher.“ Er verzog das Gesicht, aber den Kater schien das nicht zu interessieren. Stumm saß er da und er wurde das Gefühl nicht los, dass er ungeduldig war.

„Guten Morgen Raphael.“ Erschrocken drehte sich der Angesprochene zu der hoch gewachsenen Gestalt um. Er war aus dem Nichts aufgetaucht und sah blendend aus. Ihm schien das ständige Training nichts anhaben zu können. Die langen schwarzen Haare glänzten in einem geflochtenen Zopf und der Pony fiel ihm verwegen in die Stirn. Als Antwort auf Raphaels stumme Musterung zog er nur amüsiert eine Augenbraue in die Höhe.

„Gefällt dir, was du siehst?“ Empört wandte der andere Mann den Blick ab. Um keinen Preis würde er zugeben, dass er sich vorgestellt hatte, diese Haare aus ihrem festen Gefängnis zu befreien und mit der Hand hindurch zu fahren.

„Du spinnst ja. Lass uns gehen, ich vermute, wir haben nicht viel Zeit, um deine Welt zu retten?“ Dymar war mit einem Schlag ernst geworden.

„Mit jedem Tag wird Kammi mächtiger und die Chance sie zu besiegen schwindet. Denn je länger Fauna im Untergrund bleibt, desto wilder werden die Tiere und es ist nur eine Frage der Zeit, bis sie diese auch unter Kontrolle hat.“ Raphael nickte, dann sollten sie keine Zeit verlieren, wenn die Lage so ernst war. Er hob den Kater auf seinen Arm und folgte Dymar zu der Arena. Der Feenprinz hatte seinen neuen Lieblingsplatz auf seinem Kopf eingenommen. Es musste eigenartig für andere aussehen, doch Raphael genoss die Nähe.

Sie liefen bis an das andere Ende und Dymar legte seine Hand auf die Steinwand. Genau wie bei dem Baum öffnete sich eine Tür und dahinter kam ein düsterer Tunnel zum Vorschein. Warum gab es nie einen leichten Weg?

„Hey, Kleiner? Tust du mir den Gefallen und sorgst für ein bisschen Licht? Man sieht kaum die Hand vor Augen.“ Ein schwaches Leuchten ging nun von Raphaels Schopf aus, aber es reichte, um zumindest ein wenig zu erkennen.

„Bleib dicht bei mir. Der Tunnel ist schon lange nicht mehr genutzt worden und ich bin mir nicht sicher, was sich vielleicht hier zuhause fühlen könnte. Es wäre fatal, wenn wir hier einer Chimäre begegnen würden.“ Raphael rann ein Schauer über den Rücken. Das klang nicht verlockend und am liebsten wäre er sofort wieder umgekehrt. Nur die Zuversicht und die Stärke, die Dymar ausstrahlte, konnten ihn davon abhalten, auf der Stelle das Weite zu suchen.

Still schritten sie Seite an Seite voran und es verging eine lange Zeit, in der niemand ein Wort wechselte. Tamor war inzwischen auf Dymars Schulter gewechselt und Raphael hatte den Eindruck, dass der Zauberer ganz genau wusste, wo der Kater lang wollte. An nicht einer Gabelung hielten sie an, sondern gingen ohne zu zögern immer weiter.

„Wie ist es denn in Vikaria?“ Er ertrug die Stille nicht mehr. Bis auf das sanfte Leuchten, das ihren Weg begleitete, war die Umgebung auch nicht besonders abwechslungsreich, sodass Raphael sich langweilte.

„Die Vikaren sind… anders. Du wirst sie noch früh genug kennen lernen. Dir vorher etwas zu verraten, würde dich nur auf falsche Gedanken bringen.“ Damit war das Gespräch anscheinend bereits beendet und sie setzten schweigend ihren Weg fort. Je tiefer sie in die Höhle kamen, desto eigenartiger wurde es. Von der Decke hingen Stalaktiten, die jedoch gekrümmt waren, als wären sie am Anfang normal entstanden und dann hatte sich etwas verändert. Sie bildeten Spiralen und Haken. Am Boden jedoch war nicht eine einzige dieser Formationen zu entdecken. Dafür hatte der Höhlenboden eine schleimige grünliche Farbe angenommen und auch der Untergrund fühlte sich moosig an. Raphael war sich nicht sicher, was er davon halten sollte.

Rasch holte er den Feenprinzen von seinem Kopf und hielt ihn nach unten. Im Dunkeln waren die Konturen nicht zu erkennen gewesen, aber jetzt sah er ganz deutlich, dass sie in einem Meer von Pilzen standen.

„Raphael nicht!“ Doch Dymars Warnung kam zu spät. Die Pilze am Boden wanden sich und stießen einen widerlich hohen Schrei aus. Einer Hundeflöte nicht unähnlich. Raphael hielt sich die Ohren zu, das Geräusch war unerträglich.

„Schnell, Kreischfeen reagieren auf Licht, wir müssen hier weg, bevor unsere Ohren ernsthaften Schaden nehmen.“

Somit liefen sie durch hunderte der Pilze, die Hände fest auf die Ohren gepresst. Endlich erreichten sie wieder sicheres Terrain und der Schmerz in seinem Gehörgang verklang.

„Mach das nie wieder! Wir hätten taub werden können. Kreischfeen sind wirklich übel und ich wette Kammi hat sie nur erschaffen, um uns eins auszuwischen.“ Dymar war wirklich wütend und betreten kickte Raphael einen Stein durch die Gegend. Woher hatte er das wissen sollen? Er war erst seit ein paar Tagen in dieser Welt und nicht seit seinen Lebzeiten damit vertraut.

Doch er hielt den Mund. Sie gingen weiter und kamen nach einer gefühlten Ewigkeit an einen unterirdischen See.

„Wasser!“ Raphael wollte schon seine Hände in das kühle Nass tauchen, bis ihm einfiel, dass das vielleicht nicht so eine gute Idee wäre. Wer wusste, welches Ungeheuer hier hausen könnte. Fragend sah er Dymar an, doch dieser hatte bereits damit begonnen, sich zu entkleiden. Raphael starrte ihn fassungslos an. Er konnte seinen Blick kaum von der unbehaarten Brust nehmen und ließ ihn über einen flachen Bauch schweifen. Hart schluckte er. Was war nur los mit ihm? Er hatte sich doch sonst nie nach einem Mann gesehnt. Aber wenn er es genau bedachte auch nicht nach einer Frau. Irgendwie war ihm das immer egal gewesen und seine Mutter und Schwestern waren ein abschreckendes Beispiel für Frauen.

„Willst du gar nicht baden? Nutz die Chance, wer weiß, wann wir wieder eine bekommen.“ Raphael zögerte. Ein wenig genierte er sich doch, sich vor diesem im Grunde fremden Mann auszuziehen. Als Dymar die letzten Hüllen fallen ließ, wandte er schnell den Blick, aber nicht ohne noch flüchtig eine Sekunde auf seinen festen Hintern zu starren. Schnell nutzte er die Gunst der Stunde, entledigte sich seiner übel riechenden Klamotten und nahm sie in einem festen Bündel mit in das klare Wasser. Es wäre nachher zwar unangenehm die feuchten Sachen zu tragen, aber dafür waren sie wenigstens sauber.

„Hast du dich doch getraut. Dabei brauchst du dich wirklich nicht zu verstecken. Außerdem gibt es an dir nichts, was ich nicht schon gesehen hätte.“ Frech zwinkerte er Raphael zu und ließ sich tiefer in den See gleiten. Tamor beobachtete das Ganze mit Interesse vom Ufer aus. Spielerisch ließ er die Pfote nach dem Feenprinzen schnappen, der über dem Wasser schwebte und sich einen Spaß daraus machte, ihm mit seinen kleinen Füßchen Wasser in das Gesicht zu spritzen.

„Da haben zwei aber ihren Spaß.“ Er hatte sich schon wieder angeschlichen und diesmal zuckte Raphael wirklich zusammen, denn er presste sich mit seinem Oberkörper an ihn und sorgte dafür, dass er unfreiwillig eine Gänsehaut bekam.

„Was genau hast du dir vorhin vorgestellt, als du mich beobachtet hast?“ Dymar raunte verführerisch in sein Ohr und ließ seine Fingerspitzen Raphaels Oberarm entlanggleiten. Überall, wo er ihn berührte, stellten sich die winzigen Härchen auf und Raphael musste ein Zittern mit Mühe unterdrücken.

„Wehr dich nicht dagegen. Es ist das, was dein Innerstes will und du kannst das nicht vor mir verstecken.“

Raphael wand sich und er verstand nicht, warum es ihn derart erregte. Hatte Dymar ihn verhext? Seine Hand wanderte weiter, erkundete seinen Oberkörper und umkreiste die Spitzen seiner Brustwarzen, ohne sie jedoch zu berühren. Es machte ihn wahnsinnig. Die Finger glitten in der Mitte des Brustkorbs nach unten zu seinem Bauchnabel und tiefer, sodass Raphael genüsslich aufstöhnte.

„Weiter?“ Dymars Mund knabberte an sanft an seiner Halsbeuge und der junge Windmagier legte fahrig den Kopf in den Nacken. Das nahm der Schwarzhaarige als Einladung und eroberte Raphaels Mund. Er küsste ihn innig und das Spiel ihrer Lippen wurde immer fordernder. Währenddessen hatte Dymar ihn zu sich gedreht, sodass sich ihre Körpermitten nun intim berührten. Raphael zuckte kurz zurück, doch als Dymar ihn wieder verlangend küsste, hatte er schon wieder vergessen, warum er sich sträuben sollte. Er fasste in die langen schwarzen Haare und löste das Gummiband, das sie zusammenhielt. Endlich konnte er dem Wunsch nachgeben, seine Finger darin zu vergraben.

„Das gefällt dir, oder?“ Dymar schmunzelte und Raphael war es nur ein klitzekleines bisschen peinlich, dass er sich so gehen ließ. Aber dagegen tun, konnte er auch nichts. Es fühlte sich einfach zu gut an. Schließlich erschauerte er vor Ekstase und die Hand, die sich zwischen ihnen befunden hatte, nahm ihren ursprünglichen Platz auf seiner Hüfte wieder ein.

„Das können wir gern wiederholen und ausdehnen. Du musst nur ein Wort sagen. Aber es muss von dir kommen.“ Mit diesen Worten zog sich Dymar zurück und hinterließ eine Kälte, die nichts mit dem Wasser zu tun hatte.

Seltsamerweise waren der Kater und der Prinz sehr still, als er aus dem Wasser kam und seine nassen Sachen anziehen wollte.

„Warum trocknest du sie nicht? Du bist doch ein Windmagier. Und du solltest deine verführerische Kehrseite nicht so in meine Richtung halten, sonst garantiere ich für nichts.“ Raphael wurde schlagartig rot bis unter die Haarwurzeln und beeilte sich seine Sachen zu trocknen. Als die Gruppe wieder ihre ursprüngliche Formation eingenommen hatte und sich auf den weiteren Marsch vorbereitete, bewegte sich unter der Wasseroberfläche etwas. Der heimliche Beobachter machte sich auf den Weg, seinem Gebieter von seiner Entdeckung zu berichten.

Eine heiße Angelegenheit

Kapitel 5 – Eine heiße Angelegenheit
 

„Ich sehe da hinten schwach Licht. Das heißt, es kann nicht mehr allzu weit sein.“ Dymar sah, wie Raphaels Gesicht aufleuchtete.

„Ja, endlich! Raus aus dieser Dunkelheit. Frische Luft!“ Und mit diesen Worten rannte er schon los. Der Kleine würde wohl nie lernen, dass Zurückhaltung erst einmal der beste Weg in dieser Welt war. Dymar sah zu, wie er durch den Tunnel flitzte und merkte, dass Tamor ihm einen strafenden Blick zuwarf.

„Was denn?“ Er zuckte mit den Schultern. So schlimm würde es wohl nicht werden, aber das sah der Kater anscheinend anders und sprang geschmeidig hinunter und lief hinter Raphael hinterher.
 

Es war wunderschön. Den Vorhang aus dichten verdorrten Ranken schob er zur Seite, um gleich darauf zurückzuweichen. Der Canyon dahinter war bevölkert von eigenartigen Ungetümen, die ihn anfauchten und ansahen, als ob er hier der Eindringling wäre. Tamor stürmte heran und stellte sich vor das dichte Rankengewirr, aber es war bereits zu spät. Eine der Kreaturen hatte sich den Kater geschnappt und zwischen den spitzen Zähnen und geifertriefendem Maul eingeklemmt. Raphael hätte wieder schwören können, dass Tamor die Augen verdrehte. Doch er war zu schockiert und dachte nicht nach. Nochmal trat er durch die Ranken, aber die Ungeheuer interessierten sich nicht mehr für ihn. Er konnte nicht sagen, was sie waren. Sie schienen aus mehreren Tierarten zu bestehen und er war sich zumindest sicher einen Schlangenkopf erkannt zu haben. Echt eigenartig.

Sie waren anmutig. Das musste er zugeben. Wie sie gazellengleich, die Canyonwand erklommen, war eine Augenweide. Wenn er nicht Tamor dazwischen erspäht hätte.

„Tamor!“ Ein lautes furchteinflößendes Fauchen wurde ihm entgegen geschleudert, aber sein Verstand hatte ausgesetzt. Der Zorn, der ihn erfasste war übermächtig. Der Kater war sein Freund. Er hatte ihn in der kurzen Zeit lieb gewonnen und er würde nicht zulassen, dass ein Rudel Was-auch-immer, ihn entführte. Der Wind frischte auf und die Windhexen trieben durch den gewaltigen Canyon auf ihn zu. Das waren prima Geschosse, die er nun mit einer Handbewegung auf die Viecher abfeuerte, damit sie den Kater freiließen.

„Gebt ihn zurück!“, schrie er sie an und wurde immer wütender. Der Sandsturm, den Dymar ihn gelehrt hatte, wäre jetzt von Vorteil gewesen, aber er beherrschte ihn noch nicht gut genug und er wollte seinen Freund nicht verletzten. Ein verzweifelter Laut drang aus seinem Mund. Er musste doch etwas tun können! Warum konnte er nicht fliegen? Es wäre ein Leichtes gewesen, ihnen auf diese Art zu folgen, aber so hatte er kaum eine Chance. Es sei denn...

Kaum hatte er es gedacht, setzte er seinen Plan auch schon in die Tat um. Er fegte den Windstoß mit beiden Händen Richtung Boden. Der Schub sorgte dafür, dass er regelrecht auf den Felsvorsprung katapultiert wurde, aber natürlich nicht hoch genug. Er musste vorsichtig sein. Ein falscher Schritt und er würde sich alle Knochen brechen. Die Felswand erschien von hier unglaublich hoch, aber er musste Tamor retten. So hüpfte er von Wand zu Wand, klammerte sich an winzige Vorsprünge, ohne daran zu denken, dass jeder Atemzug sein letzter sein könnte.
 

Doch kurz bevor er endlich das Ziel erreicht hatte, lief ihm Geifer auf das Gesicht und er schaute in mehrfarbige Augen, die ihn misstrauisch anstarrten. Er wich zurück und hoffte, dass das Ungeheuer ihn nicht fressen würde. Aber er bekam unerwartet Hilfe von einem kleinen Prinzen, der sich beschützend davor stellte. Einen Minidegen in der Hand, der eher etwas von einem Zahnstocher hatte. Aber es schien zu wirken. Die durchsichtigen lila Flügel glühten und der Gesichtsausdruck besagte nichts Gutes für das Ungeheuer, wenn es sich weiter näherte. Anscheinend war der Prinz doch autoritärer, als er gedacht hatte. Ein hoher Pfiff erklang und das Ungetüm hob dem Geräusch die Köpfe entgegen. Das Tier drehte ab und Raphael konnte sich endlich auf die Spitze des Canyons hieven. Er war erschöpft. Magie anzuwenden, war anstrengender, als es den Anschein hatte.

„Danke für deine Hilfe Kleiner.“ Der Feenprinz schien sich darüber sehr zu freuen, denn er flog sogleich auf ihn zu und drückte ihm einen süßen Kuss auf den Mund. Es kitzelte und Raphael musste sich zusammenreißen, um nicht loszukichern. Das hätte den Kleinen sicherlich tödlich beleidigt und er wollte ihm nicht noch einmal die Gelegenheit geben, seine Brustwarzen zu malträtieren.

„He, das reicht. Genug.“ Der Feenprinz hörte gar nicht mehr auf, ihn mit winzigen Küssen zu übersähen, aber er musste dem ein Ende machen.

„Wir müssen Tamor suchen.“ Die Enttäuschung in den roten Augen war unübersehbar, aber er fügte sich.
 

Die Chimäre kreiste über einem herrschaftlichen Zelt. Das Dach war offen und diese Gelegenheit nutzte sie, um den Kater hineinfallen zu lassen. Er landete weich auf einem Berg von Kissen.

„Oh, wen haben wir denn da? Ein süßes Katerchen. Willst du mit Rochiel spielen?“ Die platinblonde hoch gewachsene Frau machte ihm Angst.

„Du armer kleiner Schatz. Hat dich die Chimäre vollgesabbert? Gut, dass ich sowieso gerade baden wollte.“ Wenn ein Kater entsetzt schauen konnte, dann tat Tamor das. Baden?!
 

„Hallo, mein Hübscher, wer bist du denn?", säuselte eine Stimme in Raphaels Ohr. Der Feenprinz auf seiner Brust hüpfte hektisch auf und ab und versuchte, die Vikare mit wütenden Gesten zu vertreiben. Keiner fasste seinen Raphael an!

Sie fasste ihn am Schopf und stopfte ihn in ihre Beuteltasche. Das Brummen in der Tasche wurde hektischer, aber er hatte keine Chance, nachdem sie den Beutel geschlossen hatte.
 

Raphael öffnete verschlafen die Augen. Warum lag er hier? War er so erschöpft von der Magieanwendung gewesen, dass er eingeschlafen war? Und vor allem, wo war er?

Es war mollig warm und dämmrig. Er war mit einem Fell bedeckt, dass bei dieser Hitze absolut nicht nötig gewesen wäre. Es war schwer in der dämmrigen Hütte oder Höhle etwas auszumachen. Die Konturen waren verschwommen und er hörte viele Stimmen, die wie ein Bienenstock summten. Er fühlte sich unglaublich entspannt. Die Anstrengungen der Trainingstage waren kaum noch zu spüren, aber das erklärte nicht, warum sich sein Kopf anfühlte, als ob er in Zuckerwatte gepackt wäre. Er richtete sich auf und stellte fest, dass er sich allein in der Behausung befand. Die Stimmen schienen von überall auf ihn einzudringen. Befand er sich irgendwo im Canyon? Vielleicht in einer Höhle, die er vorher nicht gesehen hatte, als er den Kater retten wollte? Tamor! Er musste nach ihm suchen. Wer wusste, was ihm diese Biester angetan hatten. Er biss sich schmerzhaft auf die Unterlippe. Alles nur, weil er so voreilig gewesen und vorausgelaufen war. Hastig strampelte er die Decke von sich, nur um festzustellen, dass seine Hose ordentlich gefaltet auf einer Truhe lag, zusammen mit seinem Hemd. Sie hatten ihn bis auf die Unterwäsche entkleidet. Empört zog er sich eilig an. Irgendwas war anders. Der Stoff fühlte sich weicher, nicht mehr so rau an und die Löcher schienen gestopft. Er war zwar dankbar, aber was erdreisteten sich diese Vikaren, seine Sachen anzurühren?! Es konnte nur dieser Stamm gewesen sein, denn er war sich ganz sicher, dass er sich noch in der Nähe des Canyons befand. Er hoffte nur, dass sie nicht eines dieser Ungetüme vor seiner Tür postiert hatten, um ihn zu bewachen. Er wollte weder dem Löwen-, noch dem Schlangenkopf zu nahe kommen. Er ahnte, dass das tödlich für ihn enden würde. Aber er würde Tamor aus ihren Klauen befreien. Er tapste in der Dunkelheit und suchte nach einem Ausgang. Als es endlich ein wenig heller um ihn herum wurde, stellte er fest, dass er sich in einem ausgeklügelten Höhlensystem befand, dass anscheinend mehrere Bereiche miteinander verband. Er nahm sich eine Fackel, die ihm sowohl den Weg leuchtete, als auch als Waffe dienlich wäre. Schließlich mochten die meisten Tiere Feuer nicht. Gegen die Vikaren würde es nicht viel ausrichten, aber er glaubte auch nicht, dass sie seine Feinde waren. Sonst hätten sie ihn nicht unbeaufsichtigt gelassen und seine Sachen nicht erneuert. Er hoffte nur, dass sie Tamor kein Haar gekrümmt hatten. Der Feenprinz konnte gut auf sich selbst aufpassen, aber der Kater war wehrlos.

Er kam in ein großes Zelt und versteckte sich hinter einem Vorhang. Diese Viecher lagen zu den Füßen einer wunderschönen Frau. Sie hatte langes platinblondes Haar und strahlte Kraft aus. Sie war eindeutig eine Herrscherin, also musste er die Anführerin der Vikaren vor sich haben. Auf ihrem Schoß lag Tamor und ließ sich schnurrend das weiche Fell kraulen. Raphael kam sich ein wenig dumm vor, weil er sich solche Sorgen um den Kater gemacht hatte. Da lag er seelenruhig und selbst die Ungeheuer schienen sich in ihrer Nähe wohl zu fühlen. Dumm für ihn, dass sie anscheinend auch sehr gute Nasen hatten, denn sie fingen an zu knurren, als ob sie seine Anwesenheit wittern würden.

„Oh, haben wir etwa einen Gast? Komm doch her. Die Chimären beißen nicht. Zumindest nicht, solange ich es ihnen verbiete. So Schätzchen, Ruhe. Ihr seht doch, dass ihr ihm Angst macht.“ Ihr glockenhelles Lachen klang nett und furchteinflößend zugleich. Ein kleiner Sinneswandel und die Ungeheuer würden Schaschlik aus ihm machen.

„Ich möchte nur Tamor zurückhaben. Dann verschwinde ich auch gleich wieder. Mein Begleiter müsste auch jeden Moment kommen.“ Er trat aus seinem Versteck und mutig zwei Schritte auf die Amazone zu. Tamor hatte sich gestreckt, sobald er Raphaels Stimme gehört hatte und kam geschmeidig zu ihm.

„Hi, hast du mich vermisst.“ Das zufriedene Maunzen des Katers war Antwort genug und er legte sich wie eine Stola um Raphaels Hals.

„Na, du bist aber ein Süßer. Hast du auch einen Namen? Und dein Begleiter, von dem du gesprochen hast, kenne ich ihn vielleicht? Sei doch nicht so schüchtern. Setz dich zu mir.“ Sie klopfte einladend auf die Kissen und er war sich immer noch nicht sicher, ob er ihr trauen konnte. Schließlich hatte sie den Kater entführen lassen.

„Ich heiße…“ sollte er es ihr wirklich verraten? Hatten in dieser Welt Namen Macht, so wie in seiner?

„Ja, Süßer?“ Alles, war besser als Süßer genannt zu werden.

„Nenn mich Raphael.“

„Freut mich dich kennen zu lernen. Ich bin Rochiel. Du hast sicherlich schon erraten, welchen Rang ich unter den Vikaren bekleide.“ Er nickte. Er würde ihr noch nicht verraten, dass Dymar sein Begleiter war. Er bezweifelte, dass es von Vorteil war, seine Bekanntschaft mit dem mürrischen Einsiedler bekannt zu machen.

„Ich war in Begleitung einer männlichen Fee. Wo ist er? Er ist etwas so groß.“ Er zeigte auf seine Handfläche und maß circa zehn Zentimeter ab.

„Er ist jähzornig, aber ich hänge an ihm. Also wo ist er?“ Sein drohender Unterton war angesichts seiner Unterlegenheit vielleicht unangebracht, aber er würde sich nicht von einem Haufen Frauen seinen Freund wegnehmen lassen.

„Hm, ich werde Nachforschungen anstellen. Samara, die Vikare, die dich gefunden hat, könnte wissen, wo er ist.“

„Bitte, tut das. Es wäre nicht gut, wenn ihm etwas passieren würde. Er ist mein Freund und ich hänge an meinen Freunden.“

„Sicher, Süßer.“ Er zog die Augenbrauen zusammen. Sie sollte mit diesem schrecklichen Kosenamen aufhören. Er war doch keine Süßigkeit.

„Raphael. Ganz leicht. R.A.P.H.A.E.L.“

„Nun gut, Sü…ähm…Raphael-Schätzchen.“ Er verdrehte die Augen und gab auf.

„Wie wäre es, wenn wir zur Besiegelung unserer neuen Freundschaft etwas trinken?“ Er verzog missmutig das Gesicht. Alkohol in dieser Gesellschaft zu trinken, wäre sicherlich keine gute Idee.

„Nein, danke.“

„Aber es ist wirklich sehr unhöflich, das abzulehnen. Außerdem hast du nichts zu befürchten, solange du unter meinem Schutz stehst, wird niemand es wagen, dich anzurühren.“ Sie schenkte ihm einen Becher ein und ihr Blick sagte, dass sie keine Widerworte dulden würde. Also nahm er ihn in die Hand. Der einzige Vorteil war, dass Getränk kalt war.

„Daisy. Lily. Sucht nach der Fee.“ Die Chimären erhoben sich anmutig und trotteten hinaus.

„Warum ist es hier eigentlich so heiß? Überall prasseln Feuer, obwohl wir uns bereits in der Wüste befinden.“ Rochiel lachte auf und warf das lange Haar elegant über die Schulter nach hinten, sodass sie ihren eigentümlichen Duft verteilten. Es war nicht unangenehm, aber es erinnerte ihn an Rauch und den Duft nach Bienenwachskerzen.

„Das wird ja immer besser. So wie es aussieht, hast du wirklich keine Ahnung, wo du dich befindest. Moment ich zeige es dir.“ Auf einmal wurde es noch heißer um ihn herum. Rochiels Körper strahlte sengende Hitze aus und es war, als würde die Raumtemperatur schlagartig um mehrere Grad erhöht. Ihre Konturen verschwammen wie Straßen in der sengenden Sonne, wenn sie gnadenlos den Staub zum flirren brachte.

„Ich bin eine Feuer-Magierin. Eine der besten, um genau zu sein. Selbst Vulkane erzittern vor meiner Macht.“ Raphael wurde es zu heiß, es war, als ob er sich in einer Sauna befinden würde und er konnte nicht behaupten, dass er das mochte. Er sah in der Ecke einen Fächer liegen und ließ ihn kraftvoll vor und zurück schwingen.

Unbewusst fächelte er sich Luft zu und die Temperatur nahm wieder ein normales Ausmaß an.

„Interessant, wirklich interessant. Sag, wer ist dein Lehrmeister? Denn du scheinst noch nicht alles zu beherrschen. Aber für den Anfang nicht schlecht. Nicht jeder hätte es geschafft, meine Magie mit einem Fächer zu neutralisieren. Das müssen wir feiern und dann erzählst du mir, warum du hier bist. Los, trink!“



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Kommentare zu dieser Fanfic (2)

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Von:  Ling_LingChan
2013-02-16T18:04:05+00:00 16.02.2013 19:04
Die Story gefällt mir sehr gut xD. Vor allem mag ich den Feenprinzen (keine Ahnung warum ^w^). Bin schon sehr gespannt wie es weiter geht ^^.

Lg. LingLing
Antwort von:  Papierkriegerin
17.03.2013 14:45
Warum sehe ich das erst jetzt? Ô.o danke für den lieben Kommi, der ist mir doch glatt untergegangen. Feenprinzchen ist auch mein Libeling *mit Fähnchen wedel, auf dem sein richtiger Name steht* und er wird noch eine bedeutende Rolle spielen. Ich hoffe, du nimmst es mi nicht krumm, dass ich ihn im neuen Kapitel ein wenig malträtiere ^^' LG
Von:  Salix
2013-02-05T20:57:43+00:00 05.02.2013 21:57
Ui, diese Story gefällt mir schon einmal sehr gut. Ja, ja Fantasyfan eben...
Ich bin echt gespannt, wie es mit den beiden weitergeht. Ich mag Tamor (auch noch ein Katzenfan bin)und Dymar scheint ein sehr interessanter magischer Charakter zu sein.

Ein kleiner Fehler ist mir aufgefallen. Wenn Raphael ihrzt müsste es : "Es tut mir Leid, dass ich einfach in Euer Haus eingedrungen bin." heißen. Wenn du es richtig altmodisch haben willst, sollte jedes Ihr, Euch und Eure in der wörtlichen Rede großgeschrieben werden.

LG


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