Eine Hochzeit, die ist lustig - Eine Hochzeit, die ist stressig
Er gab sich alle Mühe, um sich zu beherrschen. Er versuchte es wirklich, doch das Bild, das sich ihm bot, machte es ihm wirklich schwer. Er biss sich auf die Lippe und ballte seine Hände zu Fäusten, während er die Augen schloss und langsam bis zehn zählte. Doch anstatt sich zu beruhigen, stieg diese unbändige Wut weiter in ihm auf.
Er öffnete die Augen wieder, doch das Bild war noch immer das Gleiche und diese Wut war noch immer da.
„URI.“
Ein Fauchen bekam er als Antwort, bevor ein Fellbündel blitzschnell durch die Beine huschte. Er drehte sich um und jagte der jungen Katze hinterher, die jenem Moment auf das Fensterbrett sprang und dabei zu Vase zu Boden warf. Ein letztes Fauchen warf sie ihrem Herren noch entgegen und verschwand durch das Fenster nach draußen.
Er versuchte noch nach ihr zu greifen, doch vergebens. Alles was er zu fassen bekam, war Luft, während seine Socken sich mit dem Wasser aus der Vase vollsogen.
„Du dummes Mistvieh.“
Fluchend schloss Hayato das Fenster. Sollte doch das Fellbündel zusehen, wie es wieder reinkam. Ihm war es egal, zumal er erst spät am Abend wiederkommen würde.
Weiterhin fluchend betrachtete der Silberhaarige das hinterlassene Werk von Uri. Nicht mal duschen konnte er gehen, ohne dass das kleine Biest irgendeinen Unsinn anstellte. Sein Festanzug war ruiniert. Da hatte das Fellknäul ganze Arbeit geleistet, als es seine Krallen in den Stoff vergraben hatte. Die Löcher waren nicht zu übersehen und die losen Fäden schon mal gar nicht. So konnte er definitiv nicht zur Feier gehen. Er würde sich nur blamieren und seinen Boss gleich noch dazu.
Seufzend ließ Hayato sich auf seinem Bett nieder und ging im Kopf die Möglichkeiten durch.
Es war ja nicht so, dass der Anzug sein Einziger war. Natürlich hatte der Mafioso schon noch andere, doch waren diese durch gewisse Umstände in der Reinigung gelandet. Murrend dachte er an die vergangenen Tage zurück.
Montag – es war ein regnerischer Tag gewesen, doch dies hatte so manchen PKW- und LKW-Fahrer nicht davon abgehalten langsamer oder vorsichtiger zu fahren. Als Fußgänger war man dementsprechend schlecht dran, besonders wenn man an einer schlammigen Pfütze vorbeilaufen musste. Es kam, wie es kommen musste und am Ende des Tages konnte sein Anzug es locker mit den Hemden von Lambo aufnehmen, so fleckig wie dieser war.
Dienstag – es war der Tag der Idioten gewesen. Seit ein paar Jahren war sein Boss nun schon das Familienoberhaupt, doch innerhalb der Familie hatte dies eben noch nicht jeder kapiert. Folglich hielt es keinen dieser Schwachköpfe davon ab, blöde Sprüche zu klopfen. Was folgte, war eine handfeste Prügelei, aus der Hayato als Sieger mit Nasenbluten, aufgerissenen Hosen und losen Anzugärmel hervorgegangen war.
Mittwoch – es war ein horrormäßiger Tag. Was hatte ihn nur dazu geritten mit den Frauen einkaufen zu gehen? Ach ja, es war die Bitte des Bosses gewesen, der sich nicht alleine von drei Frauen durch Geschäfte schleifen lassen wollte. Noch ehe man sich versehen konnte, waren seine Kameraden plötzlich verschwunden gewesen, so dass nur der Boss und er selbst alleine zurückgeblieben waren. Schöner Mist. So mussten sie sich fünf Stunden lang mit durch die Geschäfte schlagen und darauf warten, dass die Frauen endlich das fanden, was sie suchten. Voll beladen hatte man seinem Boss und ihm eine Pause in einem Café gewährt. Das wäre eigentlich der beste Teil an dem Tag gewesen, wenn die Kellnerin ihr Handwerk beherrschen würde und den Kaffee nicht über ihn geschüttet hätte.
Donnerstag – ein arbeitsfreier Tag. Ein Tag zum Ausschlafen eigentlich. Jedenfalls wenn man nicht früh um 6.00 Uhr aus dem Bett geklingelt wurde. Gereizt und müde schleppte der Bombenschütze sich zur Türe, wo ihn ein gehetzter Ryohei lautstark begrüßte. Der Grund seines Kommens war das Problem welches er auch hatte – der Boxer hatte keinen Anzug mehr. Sein Koffer, in denen sich alle Anzüge befanden, die Ryohei im Moment besaß, war auf dem Rückflug von Amerika verloren gegangen. Nun klapperte er alle Kameraden ab, die noch einen Anzug zum Ausleihen hatte. Doch auch dies brachte so seine Probleme mit. Takeshi war nicht da, Hibari hatte die Türe gleich wieder zu gemacht und Tsuna war einfach zu klein.
Also blieb nur noch er übrig und musste dem Mann aushelfen. Zwar war sein Anzug auch ein wenig zu klein, doch noch lange nicht so klein wie der seines Bosses. Letztendlich hieß es „besser als gar nichts“ und Ryohei war dann auch im Eiltempo wieder verschwunden. Doch an Schlaf war nicht mehr zu denken.
Freitag – es war ein nasser Tag. Er war gerade mit Lambo unterwegs gewesen, als es knallte der Teenager in einer rosaroten Wolke verschwand. Schön blöd, dass dies ausgerechnet auf einer Brücke passieren musste und der kleine Lambo auf dem Geländer der Brücke landete. Noch bevor er bei dem Jungen sein konnte, war dieser schon kopfüber in den Fluss gefallen. Wild paddelnd und panisch schreiend tauchte der kleine schwarze Schopf wieder auf. Ohne weiter nachzudenken war er ebenfalls in den Fluss gesprungen und hatte den Kleineren gerettet – doch sein Anzug war dahin.
Samstag – es war der Hochzeitstag. Die Hochzeit von Tsuna und Kyoko und er war Trauzeuge des jungen Vongola-Bosses. Doch er hatte ein Problem – seinen letzten Anzug hatte Uri gerade zerlegt. Nun hieß es handeln.
Er griff nach dem Handy auf seinem Nachttisch und wählte. Jedoch standen die Chancen ziemlich schlecht für ihn. Ryohei ging nicht dran, Hibari legte gleich wieder auf, sowohl Spanner als auch Shoichi hatten jeder wirklich nur einen Anzug und Dino war bereits unterwegs. Entnervt wählte der Silberhaarige die letzte noch bleibende Nummer der Person an, die er um Hilfe bitten würde.
Fast erleichtert atmete er auf, als am anderen Ende abgenommen wurde.
„Takeshi, ich brauche deine Hilfe.“
Ein Lachen erklang.
„Die scheinst du wirklich zu brauchen, wenn du mich schon beim Vornamen nennst, Hayato.“
Zweifelnd betrachtete sich Hayato im Spiegel und zog die Augenbrauen hoch. Dafür, dass dies eine Notlösung war, konnte man mit dem Ergebnis recht zufrieden sein. Doch er war nun mal ein Perfektionist und daran würde sich nicht mal in hundert Jahren was ändern.
„Warum zum Teufel musst du so lange Beine haben, du Baseballhirn?“
Ratlos zuckte Takeshi mit den Schultern und lächelte ihn an. Eine Tatsache die sich auch bei ihm niemals ändern würde. Wenn man es genau betrachtete, war jeder von Tsunas Wächtern der einen oder anderen Eigenart treu geblieben.
Er selbst war ein Perfektionist und an erster Stelle kam noch immer sein Boss für ihn. Takeshi lächelte immer noch dämlich durch die Gegend. Bei Ryohei endet kaum ein Satz ohne sein persönliches Lieblingswort an dessen Ende und dies auch noch immer in einer besonderen Lautstärke. Hibari vermöbelte noch immer fast alles, was ihm zu nahe kam, wobei man bemerken musste, dass er sich schon zurückhielt. Lambo war nach wie vor eine Heulboje. Und dann war da noch Mukuro, der noch immer die Mafia zerstören wollte. Jedoch hatte er damit bisher sehr wenig Erfolg gehabt. Vielleicht lag es ja daran, dass Tsuna inzwischen der Boss war, denn seine Aktion waren in den letzten Jahren weniger geworden und er ließ sich auch des Öfteren mal bei dem Braunhaarigen und den anderen Wächtern (bis auf Hibari) blicken.
Mit einem grimmigen Gesicht dachte Hayato an die letzte Begegnung vor zwei Monaten zurück. Der Typ trieb ihn irgendwann noch in den Wahnsinn. Wie hielt sein Boss das bloß aus?
Doch dies war im Moment nicht sein Hauptproblem.
Mit finsterer Miene sah der Mafioso an sich herab und strafte dann Takeshi mit einem zornigen Blick, der sich davon jedoch nicht einschüchtern ließ.
„Besser als nichts. Das wird schon gehen.“
Hayato knurrte.
„Ja bis ich auf die Fresse fliege, weil ich über die langen Hosenbeine stolpere.“
Damit hatte er nicht einmal so Unrecht. Die Hosenbeine reichten ihm weit über die Füße. Da brauchte man kein Hellseher zu sein, um den Sturz vorauszusehen.
„Dann kremple die Hosenbeine doch hoch.“
„Du Baseballhirni, wie sieht das denn aus? Hast du schon mal jemanden im Anzug mit hochgekrempelten Hosenbeinen gesehen?“
„Auch wieder wahr.“
Entnervt rieb sich Hayato über die Stirn. Es war doch ein riesengroßer Mist, der hier ablief. Wenn er Ryohei über den Weg lief, würde er den einen Kopf kürzer machen. Schließlich hatte der noch den passenden Anzug des anderen.
Auch Takeshi runzelte nachdenklich die Stirn und schien tatsächlich eine Idee zu haben. Jedenfalls machte der Baseballliebhaber ein glückliches Gesicht und verschwand aus dem Zimmer.
Verwundert sah Hayato ihm hinterher.
Ein lautes Krachen kam aus dem Zimmer nebenan und der Silberhaarige wollte gerade zu Takeshi laufen, als dieser glücklich strahlend in der Tür erschien.
„Hier ist die Lösung für alle Probleme.“
Stolz hielt er seinem Gegenüber eine kleine Schachtel hin, wofür dieser einen sehr zweifelnden Blick seitens Hayato erhielt. Tatsächlich fragte sich der Bombenschütze, was Takeshi auf den Kopf gefallen sein mag und ob es an der Zeit war sich ernsthafte Sorgen zu machen.
„Stell dich mal auf den Stuhl.“
„Äh?“
Das war alles, was er als wenig geistreiche Antwort hervorbrache, kam dann jedoch zögernd der Aufforderung nach.
Sein Blick wanderte nun wieder zu Takeshi, der nun näher zu ihm trat und die kleine Schachtel öffnete. Zum Vorschein kamen kleine Nadeln.
Hayatos Augenbrauen wanderten weiter nach oben, sofern es noch möglich war, während er sehr skeptisch das Handeln verfolgte.
Sein Gegenüber griff nach den Hosenbeinen und begann sie nach innen hochzuschlagen.
„Das müsste reichen.“
Geschickt fischte Takeshi sich eine der Nadel aus der Schachtel und begann den Stoff festzustecken.
Nun verstand auch Hayato, was der Regenwächter vorhatte und musste zugeben, dass dies nicht mal eine schlechte Idee war.
Nach ein paar Minuten war Takeshi fertig und der Silberhaarige betrachtete sich zufrieden im Spiegel. So konnte er sich auf der Hochzeit blicken lassen.
Mit einem zufriedenen Ausdruck drehte er sich zu Takeshi um.
„Danke. Dann steh ich wohl in deiner Schuld.“
Doch der lachte darüber nur und hielt ihm eine Krawatte hin.
„Die kannst du gleich wieder wettmachen.“
Wieder einmal schnellten Hayatos Augenbrauen in die Höhe und er betrachtete den Schwarzhaarigen mit einem fragenden Blick.
„Wie lange trägst du jetzt schon eine Krawatte? Müsstest du es nicht inzwischen selber können?“
„Och ich kann schon, doch ich mach es nicht gerne.“
Hayato seufzte auf und griff nach der Krawatte.
„Du änderst dich wohl nie.“
Suchend streifte der Sturmwächter durch die Menschenmenge, die sich bereits versammelt hatte und hielt nach seinem Boss Ausschau. Vereinzelt grüßte er einige Bekannte und Freunde und um gewisse Personen machte er einen gewaltigen Bogen. Vor allem den Verrückten der Varia versuchte der Mafioso zu entgehen.
Wenn Hayato und die Varia aufeinandertrafen, lief dies meist nicht gerade glimpflich ab, besonders wenn es Bel war, mit dem er aneinander geriet.
Seit dem Ringkampf bestand da eine gewisse Spannung zwischen ihnen, die jedes Mal kurz davor stand zu kippen. Sie würden niemals gut miteinander auskommen und sich eher an die Gurgel gehen.
Hayato konnte den durchgedrehten Prinzen einfach nicht leiden. Für ihn war der Blonde ein Fall für die nächste Klapse. Allein dieses komische Gekicher konnte einen wahnsinnig machen. Doch Mukuro stand dem in nichts nach.
Er schüttelte den Kopf. Alles nur Bekloppte.
Endlich hatte er Tsuna gefunden und zu seinem Glück stand neben ihm kein Geringerer als Ryohei. Der konnte jetzt was erleben. Nicht nur, dass er seinen Anzug noch hatte, wagte der Boxer es doch tatsächlich in diesem hier aufzutauchen. Das war ja wohl die Höhe.
Mit finsteren Blick schnappte sich Hayato Ryoheis Handgelenk und zerrte ihn mit sich mit.
„Mitkommen.“
Weder der Himmelswächter noch Angeknurrter wagten es ihm zu widersprechen, denn sie kannte den Sturmwächter lange genug, um zu wissen, dass mit ihm nicht gut Kirschen essen war, wenn er solch einen Ton anschlug. So blieb dem Mann nichts anders übrig als Hayato brav zu folgen, während Tsuna ihnen einen fragenden Blick hinterher warf, als sie in der Männertoilette verschwanden.
Hatte er irgendetwas verpasst?
Hayato ließ Ryoheis Handgelenk los und drehte sich zu ihm um. Sofort wich der Sonnenwächter vor dessen Blick zurück. Es war lange her, seit er den jungen Mann so wütend gesehen hatte und nur zu gut er wusste noch, wie es das letzte Mal ausgegangen war. Die Einrichtung von zwei Zimmern, vier Fenster und eine Türe hatte dran glauben müssen. Es war kein schöner Anblick gewesen.
„Was gibt es?“
Auf die Frage kniff Hayato die Lippen zusammen und seine Hände ballten sich zu Fäusten. Er stand kurz vor einer Explosion und konnte sich nur noch schwer beherrschen. Der Silberhaarige holte einige Mal tief Luft.
„Hose aus.“
„ÄH?“
Ryohei hatte mit allem gerechnet, nur nicht damit. Völlig verdattert starrte er sein Gegenüber an.
„Wie bitte?“
Eine Augenbraue zuckte gefährlich. Nicht mehr lange und er explodierte wirklich.
„Hose aus.“
Der Boxer starrte Hayato immer noch verdattert an und fragte sich, ob er denn im falschen Film sei.
In dem Moment öffnete sich eine Tür der Kabinen und ein dunkler Schopf erschien auf der Bildfläche. Ein amüsiertes Lächeln zierte das blasse Gesicht, während aus den zweifarbigen Augen der Spott sprach.
„Ich wusste gar nicht, dass ihr seit neustem so eine Beziehung führt.“
„Äh?“
Ryohei begriff gar nichts mehr und Hayato war zu Stein erstarrt. Warum zum Teufel war es immer wieder Mukuro, der in solchen Situationen erschien?
Das Lächeln der Illusionisten wurde breit, während er an den Beiden zur Türe vorbeilief.
„Lasst euch nicht weiter stören. Kufufufu~“
Zweifelnd blickte der Sonnenwächter dem Ananaskopf hinterher, bevor sein Blick wieder zu dem anderen Verbliebenen wanderte, der immer noch stock und steif dastand.
„Also nochmal. Was willst du von mir?“
In jenem Moment erholte sich Hayato wieder und er sah ihn finsterer an als zuvor. Urplötzlich hatte Ryohei das Gefühl einer gereizten Uri gegenüber zu stehen, die sich bereit zum Sprung machte. Automatisch wich er einen Schritt zurück.
„Ich sage es nur noch einmal. Zieh die Hose aus und gib sie mir wieder, Rasenkopf.“
Diesmal kam dieser sofort der Aufforderung nach, denn seine Augen wollte er doch noch behalten und Hayato machte im Moment den Eindruck, als würde er nichts lieber tun als diese auszukratzen.
Tsuna und er hatte wochenlang den Ablauf der Hochzeit geplant und waren diesen das eine ums andere Mal durch gegangen. Der Ablauf war perfekt und es wäre auch alles gut gelaufen, wenn der Mensch fehlerfrei wäre. Jedoch war er dies nicht, was mehre unter Beweis stellten.
Die Braut hatte das Lampenfieber gepackt, die Nerven seines Bosses hatte verrückt gespielt, Haru hatte sich der Länge nach in den Gang der Kirche gelegt, neben den Varia hatte niemand sitzen wollen und Tsunas Vater hatte sich in der Zeit vertan.
Doch Hayato wäre nicht die rechte Hand des Vongola-Bosses, wenn er diese kleinen Probleme nicht in den Griff bekommen hätte.
Haru hatte er vom Boden wieder aufgelesen und zu Kyoko geschickt. Immerhin waren die Beiden beste Freundinnen und die junge Frau wusste am besten, was zu tun war, um die Braut zu beruhigen.
Die Varia hatte er zwischen Ryohei und Takeshi platziert, denn die Beiden waren so ziemlich die Einzigen, die es mit denen aushalten konnten. Doch zuvor hatte er allen Anwesenden die Waffen abgenommen. Auch wenn sie sich in einer Kirche befanden, war diesen Bekloppten alles zu zutrauen.
Demnächst Besten hatte der Silberhaarige dann das Handy entrissen und Iemitsu ein Taxi geschickt, dass diesen auf den schnellsten Weg zur Kirche bringen würde und war dann zu Tsuna gelaufen. Zum Glück war Reborn schon zur Stelle gewesen, um Motivationshilfe zu leisten.
Irgendwie war diese Trauung dann doch von Statten gegangen und zumindest während der Zeremonie war es zu keinen Zwischenfällen gekommen.
Doch beim Brautstraußwerfen ging das Theater weiter, denn der Glückliche, der den Brautstrauß fing war kein geringerer als Lambo. Das dies den Mädels nicht gefiel war ja wohl klar. Doch während der junge Bovino vor einer Horde wütender Weiber floh, musste sich Hayato einem anderen Problem widmen. Irgendwann hatte sich die Bekloppten ihre Waffen wieder zurückgeholt und waren drauf und dran sich auf der Straße die Köpfe einzuschlagen. Zu seinem Entsetzen mischte auch Hibari bei der ganzen Sache mit.
Nur durch das Einschreiten Dinos, des Neunten und seiner Wenigkeit konnte das Schlimmste noch verhindert werden.
Inzwischen waren alle gesund und noch unverletzt, was an ein Wunder grenzte, im Hotel angekommen, wo die Festivitäten stattfinden sollten. Nun hieß es die Gäste geschickt an die richtigen Tische zu lotsen.
Die Varia wurden gleich an die Bar verbannt, denn außer trinken würde die heute kaum noch was zur Feier beitragen. Yamamoto, Ryohei und Hibari verbannte er in eine andere Ecke des Saals und Mukuro schickte er in die andere.
Der Rest der Gäste machte ihm weitaus weniger Probleme und dennoch dauerte es eine gute Stunde, bis alle einen Platz gefunden hatten und saßen.
Auch er konnte sich endlich mal niederlassen und sich für ein paar Minuten ausruhen. Dankend hatte der Bombenschütze das Glas Wasser entgegengenommen, welches Takeshi ihm gereicht hatte. Gerade als er sich eine kräftigen Schluck genehmigen wollte, erklang Tsunas Schrei und sofort schellte Hayatos Kopf herum.
Er konnte den entsetzten Blick des Himmelswächters sehen und sah in dieselbe Richtung. Eiskalt lief es ihm den Rücken herunter. Nahe dem Ausgang entdeckte er Hibari, der sich scheinbar gerade verdrücken wollte, und ihm gegenüber stand ausgerechnet I-Pin. Selbst aus der Entfernung konnte er die Countdown – Markierung auf ihrer Stirn erkennen.
Fluchend sprang er auf und hechtete durch die Menge.
Schnell schnappte er sich das Handgelenk der Chinesin und zerrte sie hinter sich aus dem Raum.
Eilig und auch ganz verwundert sprang das Personal zur Seite um ihm Platz zu machen. Gerade noch rechtzeitig erreichte der Mafioso die Ausgangstüre und schleudert I-Pin so gut es ging in die Luft.
Eine Explosion erschallte und erhellte den Himmel für wenige Sekunden.
Erschöpft und mit knurrenden Magen kehrte Hayato in den Saal zurück, wo er feststellte, dass inzwischen das Büfett eröffnet war. Doch war er nicht der Einzige der dies feststellte. Auch die Varia zeigten reges Interesse daran und plünderten dies gerade nach Lust und Laune. Also was übrig blieb war ein Schweinestall.
Nur mit Mühe und Not konnte der Silberhaarige sich eine Portion Pasta retten und ließ sich schnell wieder neben Takeshi nieder, der ihn angrinste. Mit einer finsteren Miene antwortete Hayato darauf, während er sich den ersten Happen seines Essens in den Mund schob.
„Jetzt mach nicht so ein Gesicht. Das ist schließlich eine Hochzeit.“
„Eher ein Treffen der Bekloppten.“
Hayatos Blick wanderte zu den Varia, die sich inzwischen an die Bar wieder zurückgezogen hatten und sich dort dem Alkohol hingaben. Solche Schnapsdrosseln.
Sein Kamerad folgte seinem Blick und erneut erklang ein Lachen im Raum.
„Lass sie doch. Anders wäre es ja nicht so lustig.“
Angesprochener murrte nur etwas und aß schweigend seine Pasta auf. Derweilen schien etwas Ruhe unter den Gästen einzuziehen. Der vorerst aufregendste Teil der Hochzeit war vorbei und es war Zeit zum Luft holen. Er sollte wahrlich diese Zeit genießen.
Nach und nach verabschiedeten sich die Gäste und allmählich leerte sich der Saal. Müde ließ Hayato seinen Blick durch den Saal wandern. Die älteren Leute hatten sich schon vor einer Ewigkeit verabschiedet und nur der sogenannte harte Kern war geblieben - mehr oder weniger.
Shoichi und Spanner wankten gerade gefährlich schwankend durch die Türe, während sie lautstark noch ein Loblied auf das Hochzeitspaar sangen.
Der Sturmwächter hätte nicht gedacht, dass der Japaner so viel Alkohol wegstecken konnte, hatte er doch eine Unmenge an Cocktail´s in sich hinein geschüttet. Das war wohl, was man ein Fass ohne Boden nannte. Auf jeden Fall waren die Beiden bester Laune, ob sie dies noch am nächsten Morgen so sein würden, war eine andere Frage.
Auch Mukuro und seine Gruppe machten sich auf den Weg. Gerade verabschiedete der Illusionist sich vom Hochzeitspaar mit einem Lächeln, ob echt oder falsch blieb mal dahin gestellt.
Doch bevor er den Saal durch die Türe verließ, blieb er nochmal stehen und lächelte Hayato an. Jedoch war es ein Lächeln, bei dem es dem Bombenschütze eiskalt den Rücken hinunterlief. Listig und spöttisch – der Kerl dachte garantiert gerade wieder an die Szene auf der Toilette. Selbst auf die Entfernung konnte er Mukuros gemeines Kichern vernehmen, der nun endgültig durch die Türe verschwand.
Schweigend sah Hayato ihm hinterher. Bei der nächstbesten Gelegenheit sollte er das mit dem männlichen Neberlwächter klären, nicht dass noch dumme Gerüchte aufkamen.
Er schüttelte den Kopf um diese unangenehmen Gedanken zu vertreiben und ließ seinen Blick weiter durch den Raum wandern.
Auch die Varia waren noch da und würden sich wohl auch nicht mehr fortbewegen. Schnarchend lag Xanxus auf dem Tresen der Bar, während die restlichen Mitglieder es sich am Fuß des Tresens gemütlich gemacht hatten und ihren Rausch ausschliefen. Sollten sie doch, er würde für die keinen Finger krumm machen. Außerdem war der Mafioso ja nicht lebensmüde. Wenn nur einer von denen aufwachte, konnte er sein Testament machen. Hayato wusste wovon er da sprach, schließlich hatte er Bel in schlaftrunkenen Zustand bereits er- und überlebt.
Sein Blick wanderte weiter. Ryohei war gerade dabei Lambo zu wecken. Der Kleine hatte sich an dem Abend auch den einen oder anderen Drink genehmigt und anschließend einen Samba-Tanz auf dem Tisch zu Besten gegeben.
Rhythmus hatte er, dass musste man schon zugeben, doch an Schamgefühl mangelte es ihm eindeutig. Der junge Bovino hatte noch einiges zu lernen.
Hayato seufzte und blickte schließlich zum letzten der noch Anwesenden – Takeshi. Dieser saß neben ihm, oder besser gesagt lag halb auf dem Tisch. Im Gegensatz zu Shoichi vertrug Takeshi so gut wie überhaupt keinen Alkohol. Schon nach zwei Gläsern war er bereits am Lallen und vor gut einer Stunde hatte er dann seinen Kopf auf den Tisch platziert und war eingeschlafen.
Da Ryohei sich um Lambo kümmerte, würde es wohl Hayato zufallen seinen Sitznachbarn nach Hause zu bringen. Allzu begeistert war er davon nicht, dafür einen Umweg einlegen zu müssen und eigentlich wollte er schnell wie möglich in sein Bett kommen.
Der Silberhaarige war völlig fertig und müde. Der Tag hatte ihn ziemlich geschlaucht.
Doch er konnte Takeshi nicht hier lassen.
Wenn die Varia am nächsten Morgen wach werden, würde der Dunkelhaarige als Hackfleisch enden. Das konnte man ihm nun wirklich nicht antun. Da würde er wohl oder übel in seinem Haus schlafen müssen.
Eine Stunde später verfluchte Hayato seine gutmütige Entscheidung. Er hätte Takeshi den Klauen der Varia am nächsten Morgen überlassen sollen. Der Tag war schon so hart genug gewesen und die Grenzen seiner Belast- und Reizbarkeit waren schon weit ausgedehnt worden, doch dies schlug nun fast den Boden aus.
Der Schwertkämpter hing wie ein schwerer Sack auf seiner Schulter und döste vor sich hin. Ein Bein vors nächste setzte er schon seit geraumer Zeit nicht mehr, sodass der Bombenschütze ihn mitschleifen musste. Dabei stieg Hayato immer wieder der leichte Geruch von Alkohol in die Nase, da der Betrunkene durch den Mund atmete.
Endlich erreicht er seine Wohnung. Vor der Türe wartete Uri und begrüßte ihn mit einem wütenden Fauchen. Ihr Herrchen funkelte sie böse an, was die Katze jedoch nicht davon abhielt weiter zu zetern.
Diesen Moment wählte Takeshi, um in die Welt der Lebenden zurückzukehren.
Ein paar Mal blinzelte er und blickte Hayato schließlich mit glasigen Augen an.
„Wasch ischt losch? Warum fauscht du schon wieder?“
Zwei Augenbrauen huschten augenblicklich in die Höhe und kurz darauf trat ein zorniger Ausdruck in sie. Wieder einmal, wie schon in den letzten Stunden zählte er bis zehn, fischte mit einiger Mühe den Haustürschlüssel hervor und schloss die Türe auf.
Etwas härter als nötig packte er Takeshi an der Hüfte und schob ihn zur Türe hinein. Jedoch hatte er nicht mit Uri gerechnet, die sich zwischen ihren Beine durchschlängen musste. Der Regenwächter kam ins Straucheln und riss seine Stütze mit einem leisen Schrei zu Boden.
Sein Rücken schmerzte, sein Kreuz schmerzte, sein Kopf schmerzte und zu allem Übel lag Takeshi auch noch mit seinem ganzen Gewicht auf ihm.
Ihre Gesichter waren nur wenige Zentimeter voneinander entfernt und Hayato blickte erschrocken in die glasigen Augen seines Gegenübers, der nicht minder erschrocken durch den Sturz wirkten.
Jedoch fand der Auslöser schnell wieder aus der Schreckensstarre zurück und lächelte den Silberhaarigen gutmütig an. Seine Hand wanderte zu Hayatos Gesicht und legte sich auf dessen Wange.
Ein kalter Schauer jagte über den Rücken des Mannes und er fühlte sich nicht in der Lage irgendetwas zu tun. Stattdessen beobachtete er stillschweigend Takeshis Verhalten, dessen Hand sanft über seine Wange strich.
„Du bist hübsch, Hayato.“
Angesprochener zog die Augenbrauen hoch, sagte jedoch nichts, da er einfach sprachlos war.
Doch auch Takeshi erachtete es wohl für unnötig, noch etwas zu sagen. Ein paar Augenblicke sah er den Silberhaarigen noch an, bevor er seinen Kopf auf dessen Brust bettete und einschlief.
Besagter war noch immer sprachlos und erst ganz allmählich löste er sich aus seiner Starre, bevor er sich mehr schlecht als recht von seinem Kameraden befreite.
Als er es schließlich geschafft hatte, hockte er sich vor Takeshi und betrachtete sein schlafendes Gesicht. Noch immer konnte der Sturmwächter das Kribbeln auf seiner Wange spüren, wo der Schlafende wenige Minuten zuvor mit der Hand darüber gestrichen hatte.
„Was sollte der Mist, du Baseballhirni?“
Wach lag Hayato im Bett und die letzten Worte Takeshis geisterten noch immer in seinem Kopf herum. Er konnte sie einfach nicht vergessen. Viel mehr verleiteten sie ihn zum Grübeln. Konnte man die Worte wirklich nur dem Alkohol zuschieben oder war da mehr? Der junge Japaner hatte Frauen schon des Öfteren mal Komplimente gemacht, wenn es um deren Aussehen ging. Es war ja auch verständlich, wenn ein Mann Frauen Komplimente machte. Doch Hayato war keine Frau und es war auch das erste Mal, dass der Schwarzhaarige ihm ein Kompliment in dieser Weise machte.
Es war ungewohnt und brachte den Sturmwächter einfach aus dem Konzept. Was sollte das?
Er warf sich auf die andere Seite und verfluchte sich selbst.
Warum machte er sich eigentlich so einen Kopf darum. Es konnte ihm doch völlig egal sein. Er musste endlich schlafen, denn in ein paar Stunden musste der Silberhaarige wieder fit sein und gemeinsam mit dem Hochzeitspaar alle Gäste verabschieden. Vor allem war dafür zu sorgen, dass die Varia ohne Komplikationen den Heimweg antraten und gerade deswegen musste der Mafioso ausgeruht sein.
Er schloss die Augen und verdrängte alle störenden Gedanken aus seinem Kopf, während er spürte wie die Anstrengungen und der Stress des Tages ihren Tribut einforderten.
Der Tag danach
Ein Nerv tötendes Geräusch weckte ihn und er streckte den Arm nach der Quelle dieses Nerv tötenden Gerätes aus. Irgendwie fiel es ihm schwer sich zu rühren, als ob ihn etwas an sein Bett fesselte. Schließlich erreichte der Verschlafene den Wecker und diese nervende Klingel verklang, während er den Wecker näher zu sich zog.
Acht Uhr zeigte das Ziffernblatt an und mit Seufzen registrierte der Silberhaarige, dass es an der Zeit war aufzustehen. Dabei hatte er überhaupt keine Lust dazu. Es war so schön kuschelig und warm im Bett. Im Vergleich zu dem, was ihm in zwei Stunden bevorstand, zog Hayato doch das Bett vor.
Jedoch wusste er, dass dies nicht ging.
Schließlich war es seine Entscheidung gewesen, die rechte Hand von Tsuna zu werden und damit hatte der Sturmwächter auch Verpflichtungen und Aufgaben, denen er nachkommen musste. Vor allem musste er bei offiziellen Anlässen an seiner Seite stehen und ihn so gut es ging unterstützen.
Mit einem Seufzen versuchte Hayato sich in die Höhe zu stemmen, merkte jedoch, dass ihm dies nicht so recht gelingen wollte. Eigentlich konnte er sich kaum bewegen.
Vorhin hatte der Mafioso das auf seine Müdigkeit geschoben, doch als er nun an sich herabblickte, bemerkte er, dass dies nicht wirklich der Grund gewesen war.
Um seine Taille waren zwei Arme geschlungen, die ihn festhielten und an einen anderen Körper drückten, von dem auch diese angenehme Wärme ausging.
Kurzzeitig entglitten Hayato sämtliche Gesichtszüge, während ihm klar wurde, wer sich da an ihn kuschelte. Wann war Takeshi zu ihm ins Bett gekommen? Er hatte ihn doch gestern noch auf die Couch bugsiert und dort mit einer Decke liegen lassen. Und warum zum Teufel hatte er davon nichts gemerkt? Sonst hatte der Bombenschütze doch auch immer einen leichten Schlaf.
Sofort versuchte er sich von den Schlafenden zu lösen, doch je mehr er sich gegen die Umarmung von Takeshi wehrte, umso mehr zog dieser Hayato zu sich heran.
Noch ein paar Minuten versuchte der Silberhaarige sich zu befreien und begann den Baseballliebhaber zu beschimpfen, doch dieser wachte weder auf noch löste er seinen Griff.
Hayato hatte keine Chance sich zu befreien und es machte nicht den Eindruck, dass Takeshi in nächster Zeit aufwachen würden. Waren dies noch immer die Nachwirkungen des Alkohols? Der vertrug ja wirklich nichts.
Mit einem ergebenen Seufzen griff er nach dem Handy, welches zum Glück neben dem Wecker und damit gerade noch in der Reichweite seiner Arme lag.
Nachdenklich runzelte er die Stirn und überlegte, wie er seinem Boss erklären sollte, dass er nicht kommen konnte. Es war ihm schon peinlich genug, dass er an sich nicht kam. Aber dem Braunhaarigen den wahren Grund für sein Nichtkommen zu schreiben, war ihm noch peinlicher.
Hayato fluchte. Was sollte er nur machen?
Er konnte Tsuna doch nicht schreiben, dass Takeshi ihn nicht mehr losließ und er deshalb nicht aus dem Bette kam. Was sollte sich denn der Vongola-Boss dabei denken?
Also blieb eine Lüge. Doch der Mafioso konnte seinen Boss nicht anlügen. Wenn es eine Person auf der Welt gab, die er noch nie belogen hatte, dann war das Tsuna und damit würde er sicherlich wegen dem Baseballhirni nicht anfangen.
Hayato steckte in einem Dilemma.
Doch das Schlimmste an diesem Dilemma war, dass er sich auch noch wohl in dieser Umarmung fühlte. Es war warm, angenehm und gab dem Silberhaarigen ein Gefühl von Geborgenheit. Wann hatte er sich das letzte Mal so geborgen gefühlt?
Es war lange her. Wann hatte ihn jemand das letzte Mal umarmt?
Er lehnte ja jeglichen Körperkontakt ab, da dies für ihn ein Zeichen tiefer Verbundenheit war. Nur mit den den wenigsten Menschen fühlte Hayato sich tief verbunden und trotz allem ließ er diese nicht zu nahe an sich heran.
Er hatte Angst davor sich öffnen und dadurch letztendlich verletzt zu werden. Gerade weil der Italiener in seiner Vergangenheit zu sehr verletzt wurde aus falscher Rücksicht.
„Aus Rücksicht“ auf seine Zukunft hatte man ihm vorenthalten, dass er ein uneheliches Kind war. „Aus Rücksicht“ hatte man geheim gehalten, dass die Frau, die er ein paar Mal im Jahr traf seine wahre Mutter war. Alles hatte man vor ihm verborgen, weil man der Meinung war, es wäre besser für den Jungen. Die Menschen, denen er damals vertraute, hatten ihn belogen und zutiefst verletzt.
Seit jener Zeit fiel es ihm schwer anderen zu vertrauen. Erst nachdem Hayato nach Japan gekommen war und Tsuna kennengelernt hatte, konnte er anderen wieder vertrauen.
Bei dem Braunhaarigen hatte er es schnell geschafft Vertrauen zu lernen. Zu den anderen hatte er es in letzten Jahren nach und nach aufgebaut.
Und dennoch war er niemanden näher gekommen, als es unbedingt nötig war.
Hayato seufzte.
Er saß in einer Zwickmühle.
Takeshi murrte und rührte sich ein wenig, bevor er blinzelnd die Augen aufschlug. Etwas kitzelte ihn an der Nase und das Erste, was der Schwarzhaarige sah waren graue, weiche Haare.
Sein Schädel brummte und nur langsam begangen seine Gedanken sich zu ordnen. Es brauchte einige Augenblicke, bis er begriff, wer da vor ihm lag.
Sofort war er hellwach und wollte aufspringen. Jedoch blieb es bei dem Versuch, da eine seines Hände unter dem Körper des anderen begraben war.
Dennoch blieb sein Erwachen und seine Bewegung nicht unbemerkt.
In den Körper vor ihm kam Bewegung und wenige Sekunden später blickte er in die wütenden Augen Hayatos.
Der Japaner wusste nicht, was er sagen sollte. Sollte er überhaupt etwas sagen? Eigentlich lächelte der Regenwächter in solchen Situationen, doch selbst dies gelang nicht einmal.
Auch der Silberhaarige sagte nichts weiter, sondern rappelte sich auf und verließ mit ein paar Schritten das Zimmer in Richtung Bad.
Takeshi sah ihm hinterher und war mit Situation völlig überfordert, zumal er sich nicht erinnern konnte, wie es überhaupt dazu gekommen war.
Heiß prasselte das Wasser an ihm herab, während seine Gedanken noch kreiselten.
Eigentlich hatte Hayato sich vorgenommen, dem anderen eine reinzuhauen, sobald dieser wach war. Doch dann hatte er es nicht gekonnt, als er das erschrockene Gesicht Takeshis gesehen hatte.
Irgendwie hatte es ihn verletzt, sein Gesicht so zu sehen. War es ihm so zuwider neben dem Mafioso aufzuwachen?
Hayato riss die Augen auf. Worüber dachte er hier eigentlich nach?
Er lehnte seinen Kopf gegen die kühlen Fliesen und schloss die Augen.
Etwas stimmte nicht mit ihm. Seit gestern war alles so komisch, oder hatte es schon vor längerer Zeit begonnen, ohne das der Silberhaarige etwas gemerkt hatte?
Was war bloß mit ihm los?
Er brauchte dringend Ablenkung. Er musste hier raus.
Langsam erhob sich Takeshi aus dem Bett und betrachtete den Raum. Dieses unwohle Gefühl verstärkte sich noch mehr, denn der Raum strahlte eine gewisse Kälte aus.
Er war nur mit dem Notwendigsten eingerichtet und nirgends konnte der Dunkelhaarige etwas Persönliches entdecken, was etwas über den Bewohner der Wohnung aussagen konnte.
Alles wirkte so neutral und überhaupt nicht wohnlich. Da war jedes Hotelzimmer gemütlicher eingerichtet.
Diese Tatsache erschreckte Takeshi. Er konnte sich nicht vorstellen hier zu leben. Wie hielt es Hayato nur aus?
„Hast du genug geguckt?“
Erschrocken fuhr Angesprochener herum. Im Türrahmen stand der Silberhaarige in nichts weiter gekleidet als ein Badetuch um die Hüfte. Ein grimmiger Ausdruck zierte sein Gesicht.
Takeshi versuchte zu lächeln.
„Nett hast du es hier.“
Hayato zog eine Augenbraue in die Höhe und sah sein Gegenüber skeptisch an, bevor er an diesem vorbeilief und seinen Schrank öffnete.
„Du warst schon immer ein schlechter Lügner.“
Darauf wusste Takeshi nichts zu sagen und sah dem anderen zu, wie dieser sich schnell frische Unterwäsche anzog und dann nach dem Anzug griff, den er bereits gestern getragen hatte. Erst dann drehte er sich wieder um und musterte den Regenwächter noch mal.
„Im Kühlschrank ist noch was zu essen, Kaffee ist im Küchenschrank. Ich muss jetzt los. Wir reden später.“
Damit verließ jener das Zimmer und wenig später konnte man das Zuschlagen der Haustüre hören. Takeshi stand noch immer an Ort und Stelle und fühlte sich wie bestellt und nicht abgeholt.
Tsuna begrüßte ihn mit einem fröhlichen und erleichterten Lächeln. Neben ihm stand Kyoko, die ihn ebenfalls lächeln begrüßte.
Zögerlich erwiderte Hayato das Lächeln, denn ihm gar nicht danach zu Mute. Doch war er im Moment lieber hier als anderswo. Es war nicht gerade die höfliche Art gewesen, wie er Takeshi in seiner Wohnung hatte stehen gelassen. Doch der Silberhaarige hatte sich in dieser Situation nicht anders zu helfen gewusst. Er war völlig überfordert gewesen mit dem Geschehen, mit Takeshi und vor allem mit sich selbst.
Die merkwürdigsten Gedanken gingen ihm wegen Takeshi durch den Kopf und er wurde sie einfach nicht mehr los.
„Ich dachte schon, dir ist was passiert.“
Hayato seufzte. Offiziell ging es ja um zehn Uhr los und es war erst dreiviertel zehn. Jedoch war es so eine Macke von ihm immer schon eine Stunde eher da. Dass der Sturmwächter diesmal eine Dreiviertelstunde zu spät kam, kam nahezu einem Wunder gleich.
„Ist irgendetwas passiert?“
Hayato sah seinen Freund an, der ihn besorgt musterte. Der Vongola-Boss kannte seine Leute gut genug, um bei solchen Auffälligkeiten aufmerksam zu werden.
Er schüttelte den Kopf.
„Nein schon gut.“
Tsuna wollte noch etwas fragen, doch klopfte es bereits an der Türe. Die ersten Gäste waren da, um sich zu verabschieden.
Mit einem ergebenen Seufzen ließ sich der frisch Verheiratete hinter seinem Schreibtisch nieder, während seine Frau neben ihm stehen blieb. Unterdessen ging Hayato zur Tür, um die Gäste nach und nach einzulassen.
Schnell tauschte er mit Tsuna noch einen letzten Blick und öffnete die Türe.
Für einen Moment überlegte der Silberhaarige die Tür gleich wieder zu zumachen, unterließ es dann doch. Immerhin hatten die Varia es ja mal geschafft, sich anständig zu benehmen und solange der Zustand anhielt, sollte man das Nutzen.
So ließ er die Varia eintreten und leitete damit die nächsten drei Stunden des langen Abschiedes ein.
Mit einem ergebenen Seufzen schloss Hayato die Türe hinter dem letzten Gast, der sich soeben von Tsuna verabschiedet hatte. Er schloss die Augen und fuhr sich mit der Hand übers Gesicht.
„Du siehst sehr müde aus.“
Erschöpft öffnete er die Augen und blickte sogleich in das Gesicht von Kyoko, die sich von hinten unbemerkt an ihn heran geschlichen hatte. Seit wann war der Mafioso nur so unaufmerksam? Erst Takeshi und jetzt Kyoko. In den letzten 24 Stunden waren ihm definitiv zu viele Leute viel zu nahe gekommen. Er hasste das.
Doch die junge Frau ließ sich nicht von seinem grimmigen Gesicht einschüchtern. In der Hinsicht war sie genauso unkaputtbar wie der Baseballidiot.
Schon wieder der – warum drehte sich alles nur noch um Takeshi?
„Ich werde uns mal einen Kaffee machen.“
Sie lächelte ihn an und verschwand durch die Türe, während er ihr schweigend hinterher sah. Seine Gefühle fuhren Achterbahn. Egal wie man es drehte und wendete, selbst als sie ihn anlächelte, hatte er Takeshis Gesicht vor sich gesehen.
Er seufzte nochmal. Das war doch nicht mehr normal.
„Hayato sagst du mir jetzt, was mit dir los ist?“
Dieser drehte sich um und betrachtete Tsuna, der ihn besorgt beobachtete. Diesmal konnte sich der Silberhaarige nicht raus reden, denn sein Freund würde diesmal nicht nachgeben.
„Du bist heute fahrig und unkonzentriert. Das passt so überhaupt nicht zu dir.“
Er hatte Recht und das wusste Hayato. Selbst mit 40°C Fieber hatte er schon besser gearbeitet als am heutigen Tag.
„Ich bin einfach durcheinander und müde.“, gab er ehrlich zu. Doch noch bevor sein Gegenüber etwas sagen konnte, klingelte das Telefon vor ihm. Mit einem entschuldigenden Blick zu seinem Gesprächspartner ging er ans Telefon.
Derweile versank Hayato in seiner eignen Gedankenwelt. Wie sollte er Tsuna erklären, was mit ihm los war, wenn er es selber nicht verstand? Er verstand sich wirklich nichts mehr und das machte ihm irgendwie Angst. Doch selbst diesen Umstand würde der Bombenschütze nicht mal vor seinem Boss zugeben.
„Hayato?“
Tsunas helle Stimme riss ihn aus seiner Gedankenwelt heraus.
„Du hast doch Takeshi nach Hause gebracht. Sein Vater sucht ihn.“
„Er hat bei mir geschlafen, da mir der Weg zu ihm gestern Nacht zu weit war.“
Erstaunt hob der Braunhaarige die Augenbraue und antwortete dem Anrufer, bevor er auflegte.
„Das war Takeshis Vater. Er hat nach ihm gesucht, da er die Nacht nicht nach Hause gekommen war.“
Hayato verzog das Gesicht.
„Als ich vorhin los bin, war er schon wach.“
Warum war er noch nicht zu Hause? Wo trieb sich der Kerl schon wieder herum?
Tsunas Gesicht wirkte besorgt.
„Dann hätte er längst zu Hause sein müssen.“
Der Silberhaarige nickte. Dieses Verhalten passte nicht zu ihrem Freund. Eigentlich sagte er seinem Vater immer, wohin er ging und wann er wieder kam.
Es war nicht so, dass er noch ein kleines Kind war, das vor seinen Eltern Rechenschaft über seine Taten und Missetaten ablegen musste. Doch hängte der Japaner sehr an seinem Vater, da er der einzige Teil seiner Familien war, der ihm geblieben war. Außerdem prägten ihn noch immer die Ereignisse von vor 12 Jahren, als sie als Teenager in die Zukunft gereist waren.
In dieser Zukunft lebte Takeshis Vater nicht mehr und für den Schwarzhaarigen war es eine schwere Zeit gewesen.
Seit jener Zeit verbrachte der Regenwächter viel Zeit mit seinem Vater, da es ihm mehr als jedem anderen bewusst war, wie schnell der Tod einen Menschen holen konnte.
Umso mehr passte deshalb dieses Verhalten nicht zu ihm.
„Ich kümmere mich darum, Zehnter.“
Mit diesen Worten drehte sich er um und wollte das Zimmer verlassen.
„Hayato, pass auf dich auf.“
Der Silberhaarige blieb nochmal stehen und drehte sich zu Tsuna um, der sich erhoben hatte. Noch immer spiegelte sich Sorge in seinem Gesicht.
„Werde ich machen.“
Die Sonne brannte unbarmherzig auf seiner Haut, während Hayato schnellen Schrittes die Straße entlang lief. Er mochte den japanischen Hochsommer nicht. Eigentlich mochte er den Sommer überhaupt nicht. Die Temperaturen waren zu hoch, die Sonne blendete dauernd und in seinen Anzügen wurde ihm andauernd so schnell warm. Doch am allerwenigsten mochte er es zu schwitzen.
Und genau diese Tatsachen trafen gerade alle aufeinander, weshalb der Italiener Takeshi verfluchte, wegen dem er gerade durch die Straße hetzte.
Doch nirgendwo gab es ein Zeichen von dem Schwarzhaarigen. Inzwischen hatte er alle ihm bekannten Orte, wo sich Takeshi gerne aufhielt abgeklappert. So langsam gingen ihm die Ideen aus. Vielleicht war er auch bei einem der anderen zu Besuch, wobei Suchender es sich nicht verstellen konnte, dass der Regenwächter dann seinen Vater nicht informieren würde.
Er fuhr sich mit der Hand durch die schweiß nassen Haare und rümpfte die Nase. Wo konnte Takeshi nur noch sein?
Genervt schloss Hayato die Augen und ließ den Morgen noch Revue passieren.
Vor seinen Augen erschien Takeshis Gesicht, das ihn erschrocken, verwirrt und zum Teil auch ängstlich angestarrt hatte.
Warum eigentlich ängstlich?
Den Gedanken schob der Silberhaarige schnell wieder beiseite und konzentrierte sich auf seine Erinnerung.
Takeshi hatte versucht ein Gespräch mit ihm aufzubauen, was jedoch ein sehr kläglicher Versuch gewesen war. Das war ihm bereits am Morgen aufgefallen und wenn der Mafioso nochmal darüber nachdachte, fand den Versuch des Dunkelhaarigen einfach nur jämmerlich. Kein Wunder, dass er ihn abgewiesen und auf später vertröstet hatte.
Hayato riss die Augen auf. Das konnte doch nicht wahr sein.
Auf dem Absatz drehte er sich um und rannte in Richtung seiner Wohnung.
Keuchend stand Hayato vor seiner Wohnungstüre und suchte hektisch in seinen Taschen nach den Schüsseln. Doch er fand ihn nicht. Noch einmal durchsuchte er seine Taschen, doch der Schlüssel blieb unauffindbar.
Kurz warf er einen Blick auf die Türe, bevor er mit einem Seufzen die Klingel seiner Wohnung betätigte. Deutlich konnte der Bombenschütze den Ton der Klingel hören, der im Inneren seiner Wohnung erklang. Doch eine Reaktion blieb aus. Weder konnte er Schritte hören, die sich der Türe näherten noch wurde eben diese geöffnet.
Nochmals fuhr sich Hayato mit der Hand durch die Haare und zog sein Handy aus der Hosentasche. Doch noch bevor er eine Nummer wählen konnte, öffnete sich die Türe einen kleinen Spalt und er blickte in die braunen Augen des Gesuchten.
Die Lippen von Takeshi waren zusammengepresst und in seinen Augen stand ein ängstlicher und verwirrter Ausdruck.
Der Wohnungseigentümer blickte zurück, während er sich mit der Hand wieder einmal durch die Haare fuhr und seine Wut im Inneren versuchte zurückdrängte. Doch diese Wut stieg in ihm hoch und steigerte sich.
Er griff nach dem Türgriff und riss die Türe regelrecht auf.
Der junge Japaner im Inneren wich zugleich mehrere Schritte zurück, während Hayato mit energischem Schritt seine Wohnung betrat und die Türe hinter ihm ins Schloss flog.
„DU BASEBALLHIRN. Warum zum Teufel bist du noch hier? Wegen dir such ich die halbe Stadt ab, weil dein Vater dich nicht erreichen kann.“
Takeshi zuckte unter der Lautstärke und dem gewaltigen Stimmenorgan zusammen und sein Gesicht nahm einen schuldbewussten Ausdruck an, als sein Gegenüber seinen Vater erwähnte.
Der Sturmwächter hielt inne.
Irgendwie verhielt sich Takeshi komisch, denn wenn er auch ihre Diskussionen meist verlor, so gab er dem Silberhaarigen doch immer kontra. Dass er sich nun so still verhielt, war komisch.
„Meld dich jetzt bei deinem Vater. Ich mach inzwischen Kaffee.“
Takeshi nickte nur und verschwand in Richtung Wohnzimmer.
Hayato sah ihm hinterher, bevor er sich wenige Sekunden später in die Küche begab.
Der frische Kaffee verströmte ein angenehmes Aroma in der kleinen Küche und mit der heißen Tasse in der Hand lehnte Hayato sich gegen die Anrichte. Er verstand den anderen im Moment nicht. Takeshi verhielt sich merkwürdig. Es war nicht nur das heutige Verhalten. Eigentlich wusste jener ganz genau, dass er keinen Alkohol vertrug und dennoch hatte er gestern getrunken. Nicht einmal zu Tsunas Junggesellenabschied hatte er etwas Alkohol konsumiert, obwohl Ryohei ihm mehrmals volle Gläser mit den unterschiedlichsten Farben unter die Nase gehalten hatte. Außerdem konnte sich der Sturmwächter nicht erinnern, dass er den anderen zu irgendeiner Zeit mal mit einem Glas Alkohol gesehen hatte.
Genau genommen war er der Meinung gewesen, dass Takeshi Alkohol sogar verabscheute.
Warum zum Teufel hatte dieser dann gerade auf der Hochzeit Alkohol getrunken?
Und dann noch dieses Verhalten vom Morgen und das im Moment.
Was war mit ihm los?
Überhaupt was trieb der Dunkelhaarige eigentlich so lange im Wohnzimmer? Telefonierte der immer noch mit seinem Vater?
Gemächlich machte sich Hayato auf den Weg ins Wohnzimmer. In beiden Händen hielt er jeweils eine Tasse Kaffee, von denen er eine Takeshi hinstellte, der tatsächlich noch telefonierte. Der nickte dem Silberhaarigen zu und konzentrierte sich dann wieder auf die Person am anderen Ende der Leitung.
Derweil ließ sich der Sturmwächter im Sessel nieder und behielt Takeshi im Auge, doch momentan fiel ihm nichts Ungewöhnliches auf. Eigentlich wirkte der Schwertmeister wie immer.
Sogar ein Lächeln umspielte wieder den Mund des Baseball-Fans und mit einem leisen „Werde ich machen.“ verabschiedete er sich von dem anderen Gesprächsteilnehmer.
„Einen schönen Gruß von Tsuna.“
Hayato nahm es mit einem Nicken zur Kenntnis.
Eine unangenehme Stille breitete sich zwischen den Beiden aus.
Der Italiener zog fragend eine Augenbraue hoch, während Takeshi den Blickkontakt mit seinem Gegenüber entschieden mied.
„So jetzt mal Klartext. Was ist los mit dir?“
Doch Angesprochener gab ihm keine Antwort und wich seinem Blick noch immer aus.
Jedoch würde Hayato bestimmt nicht nachgeben. Schließlich waren Takeshi und er Kameraden und er musste sich auf diesen verlassen können, doch in der Verfassung, in der er sich momentan befand, war dies für den Mafioso nicht möglich.
Der Silberhaarige stellte die Kaffeetasse energisch auf dem Tisch ab.
„Warum hast du gestern Alkohol getrunken, obwohl du doch derjenige bist, der sonst den weitesten Bogen darum macht? Wieso hast du deinen Vater nicht informiert wo du warst? Und warum bist gestern Nacht zu..“
An dieser Stelle stockte Hayato.
Doch Takeshi hatte ihn auch so verstanden, denn endlich drehte er den Kopf zu ihm um. Schmerz, Trauer und Verwirrung spiegelten sich in seinen Augen wieder. Eine Mischung, die der Sturmwächter schon lange nicht mehr bei dem anderen gesehen hatte. Schon seit 12 Jahren nicht mehr.
„Gestern war der Todestag meiner Mutter.“
Das hatte er nicht erwartet.
Vergangen und doch gegenwärtig
„Das tut mir leid.“
Hayato hatte Takeshi nie nach seiner Mutter gefragt. Er hatte es immer einfach hingenommen, dass der Baseball-Fan mit seinem Vater alleine lebte. Nie war es ihm in den Sinn gekommen, den anderen auf diesen Umstand anzusprechen.
„Das wusste ich nicht.“
Doch Takeshi schüttelte den Kopf leicht.
„Wie hättest du es wissen sollen. Es weiß keiner außer mir und meinen Vater.“
„Ah ja. Wie?“
Der Schwarzhaarige presste die Lippen aufeinander.
Augenblicklich hatte Hayato das Gefühl einen Schritt zu weit gegangen zu sein.
Dieses Gesicht, das sein Gegenüber zog, hatte er schon einmal gesehen. Vor langer Zeit in einer anderen Zukunft.
Er wollte schon den Mund öffnen, um sich zu entschuldigen, doch Takeshi war schneller. Scheinbar wusste er ganz genau, was ihm gerade durch den Kopf gegangen war.
„Schon gut. Vielleicht ist es ganz gut, wenn ich mal mit jemanden anderen darüber sprechen als meinem Vater.“
Kurzzeitig huschte ein kleines Lächeln über sein Gesicht, als die Gedanken des Japaners in die Vergangenheit huschten. Es wirkte geradezu liebevoll.
„Ihr Tod ist 18 Jahre her.“
Takeshi nahm einen Schluck Kaffee zu sich und wandte dann seinen Blick zum Fenster.
Hayato erwiderte nichts. Er konnte es dem anderen ansehen, dass diesem das Gespräch sehr schwer fiel. Er behielt den Regenwächter im Auge und ließ ihm die Zeit, die er brauchte.
„Mein Mutter ist ...“
Takeshi hielt inne. Seine Augen hatten einen schmerzvollen Ausdruck angenommen, während er seine Lippen aufeinander presste.
„Sie ist überfahren worden. Der Fahrer war betrunken.“
Die Stimme schwankte und wurde gegen Ende immer leiser.
Hayato hielt die Luft an.
Nun verstand er, warum der Schwarzhaarige den Alkohol mied wie die Pest.
Doch zugleich stiegen in ihm alte Erinnerungen wieder hoch. Unangenehme Erinnerungen, die er selbst verschlossen hatte.
Langsam führte der Silberhaarige die Tasse an seine Lippen und nahm einen Schluck des Kaffees. Seine Augen waren jedoch weiterhin auf Takeshi fixiert, der scheinbar nach den richtigen Worten suchte und nach dem Mut diese auszusprechen. Es fiel ihm sichtbar schwer, darüber zu sprechen.
„Sie hätte gerettet werden können, wenn sie sofort Hilfe bekommen hätte. Doch der Typ ist einfach weitergefahren und hat sie liegen gelassen.“
Hayato stockte. Das war einfach scheußlich. Wie konnte man nur so unmenschlich sein.
Takeshi fing an seine Hände zu kneten, was darauf schließen ließ, dass er innerlich vollkommen aufgewühlt war. Der Unfalltod seiner Mutter nahm ihn trotz der Jahre immer noch sehr mit.
„Als die Sanitäter dann endlich vor Ort waren, hatte meine Mutter keine Chance mehr. Sie starb noch an der Unfallstelle.“
„Das tut mir leid.“
Der andere sah ihn an und schmunzelte leicht.
„Schon gut.“
Takeshis Schmunzeln verschwand und er senkte seinen Blick wieder.
„Es hat lange gedauert, damit fertig zu werden. Es war nicht einfach für mich und für meinen Vater auch nicht. Das Schlimmste war die Verhandlung vor Gericht. Ich selber war nicht dabei, aber mein Vater.“
Der junge Japaner schwieg und knetete weiterhin seine Hände ineinander.
Hayato runzelte die Stirn. War das wirklich nur wegen der Vergangenheit, oder steckte mehr dahinter? Immerhin hatte Takeshi doch gesagt, er sei damit fertig geworden. Was wühlte diesen nur so auf?
„Man hat den Unfallfahrer geschnappt?“
Takeshi nickte. Er zögerte einen Moment, bevor wieder sprach.
„Ja. Eine Überwachungskamera von einem der umliegenden Häuser hatte den Unfall aufgenommen. Dadurch konnte man den Fahrer schnell finden. Im Laufe der Untersuchung kam heraus, dass er betrunken war.“
Die Stimme des Erzählenden schwankte wieder, doch diesmal nicht wegen der Trauer und dem Schmerz, sondern vor Wut. Der Bombenschütze zog die Augenbrauen zusammen. Es war selten, dass Takeshi seiner Wut so freien Lauf ließ. Er war eigentlich der Wächter, der seine Gefühle meist bestens unter Kontrolle hatte.
Es war egal ob er traurig, zornig, verwundert oder belustigt war, er lächelte jedes Mal. Es war eine Eigenschaft, die sein Gegenüber bereits als Jugendlicher besessen hatte und in den letzten Jahren perfektioniert hatte. Nur selten konnte man erkennen, ob er wirklich lächelte oder nur so tat. Das Lächeln war seine Maske geworden.
Doch diese fiel gerade zu Boden, was nur zu deutlich für Takeshis innere Unruhe sprach.
„Ich habe den Kerl gestern wiedergetroffen.“
Hayato stockte. Der Dunkelhaarige hatte aufgehört seine Hände zu kneten. Stattdessen verschränkte er seine Finger ineinander.
„Es tut ihm nicht leid – kein Stück. “
Takeshi sprang auf und lief unruhig durch die Wohnung. Sein Gesicht war vor Zorn und Wut verzehrt. So hatte Hayato den anderen noch nie erlebt. Noch nie hatte er seiner Wut und seinem Zorn solchen freien Lauf gelassen.
Seine Stimme wurde mit jedem Wort lauter und seine Bewegungen wirkten fahrig und hektisch.
„Er hat meine Mutter beschimpft und sie ein dummes Miststück genannt. Sie wäre schuld gewesen, dass es überhaupt zu diesem Unfall gekommen wäre. Er gab ihr die Schuld, dass er ins Gefängnis musste.“
Er ballte die Hände zu Fäusten und Hayato erkannte, dass es nicht mehr lange dauern würde, bis Takeshi vollkommen ausflippte.
Der Silberhaarige erhob sich ebenfalls und legte dem Regenwächter eine Hand auf die Schulter.
„Takeshi.“
Jener erstarrte in seiner Bewegung. Nur leicht drehte er den Kopf zu Hayato herum. Noch immer waren Zorn und Wut in seinen Augen, aber auch Trauer und ein geringer Teil Erschrecken. Erschrecken über sein momentanes Verhalten.
Hayato stand am Fenster und betrachtete den Himmel.
Irgendwie fand er einfach keine Ruhe und tigerte seit Stunde durch seine Wohnung, nachdem er Takeshi in sein Bett geschickt hatte. Noch konnte er es selber kaum glauben, dass er den Japaner überredet hatte in seiner Wohnung zu bleiben.
Doch in einem war er sich sicher: so wie der andere im Moment drauf war, konnte er ihn nicht gehen lassen. Takeshis Gemütszustand machte ihm Sorgen, da in diesem im Moment zu viele Gefühle aufeinanderprallten. Um ehrlich zu sein, machte es dem Silberhaarigen am meisten Sorgen, dass der Regenwächter in diesem Zustand noch irgendeinen Mist anstellte und hinterher bereute.
Doch über noch mehr machte er sich Gedanken. Dieser Vorfall hatte in Takeshi die Trauer um seine Mutter wieder hervorgeholt, von der er eigentlich gedacht hatte, sie hinter sich gelassen zu haben. Dieser Schmerz und die Bedrückung trübten sein Einschätzungsvermögen und seinen Verstand. Allein die Situation am Nachmittag hatte ihm mehr oder weniger gezeigt, wie es um die Beherrschung seines Kameraden stand und zwar nicht gerade zum Besten.
Er würde am nächsten Morgen nochmal mit ihm reden müssen. Denn es gab da noch einige Dinge, die dem Italiener Fragen aufgaben. Wann genau Takeshi den Typ getroffen hatte? Warum der Alkohol? Und warum war der andere zu ihm ins Bett gekommen?
Hayato seufzte und wandte sich vom Fenster ab.
Langsam bewegte er sich auf das Sofa zu und ließ sich auf dieses fallen. Uri, die bereits da drauf lag, gab ein ärgerliches Maunzen von sich, doch als Hayato ihr die Ohren kraulte, beruhigte sie sich wieder.
Eine Weile saß er da und starrte in die Dunkelheit, während er die Katze kraulte, bis sein Telefon hell vor ihm aufleuchtete. Ein kurzer Blick drauf ließ ihn erkennen, dass es Tsuna war. Verwunderung huschte über sein Gesicht. Der Silberhaarige hatte nicht erwartet, dass sein Boss um solch eine Zeit noch wach war. Immerhin war es schon nach Mitternacht.
„Ja?“
„Hayato, tut mir leid, falls ich dich geweckt habe.“
Er lächelte leicht.
„Nein ich bin noch wach. Ich konnte noch nicht schlafen.“
„Takeshi?“
„Ja.“
Hayato seufzte. Tsunas Intuition irrte sich selten und auch diesmal lag er damit vollkommen richtig. Doch es war nicht nur Takeshi, der ihn am Schlafen hinderte.
„Hat er dir gesagt, was los ist?“
Der Sturmwächter biss sich auf die Lippe. Wie viel konnte und durfte er sagen?
„Ja, hat er.“
„Verstehe.“
Hayato fühlte sich schlecht, denn eigentlich hatten weder Tsuna noch er selbst voreinander Geheimnisse. Doch dies war etwas anderes. Es war etwas Persönliches, was Takeshi dem Vongola-Boss selber erzählen sollte, wenn er sich dafür bereit fühlte.
„Ich werde mich darum kümmern, Boss.“
„Wirst du damit klarkommen, Hayato?“
Ob er damit klarkommen würde? Keine Ahnung. Denn Takeshis Geschichte hatte auch in ihm eine alte Erinnerung wachgerüttelt. Jedoch hatte es ihn noch lange nicht so heftig getroffen, wie den Regenwächter. Es gab die eine oder andere Gemeinsamkeit, weshalb er Takeshis Gefühle gut nachvollziehen konnte.
„Ja, ich komme damit klar. Keine Sorge.“
„Gut. Wenn was ist, ruf an. Okay, Hayato?“
„Ja.“
„Dann noch eine gute Nacht.“
Damit legte sein Boss auf und auch der Silberhaarige legte das Telefon beiseite.
Es war typisch Tsuna. Selbst nach Takeshis Anruf am Nachmittag machte er sich noch immer Sorgen um diesen. Scheinbar merkte der andere deutlich, dass etwas nicht in Ordnung war. Doch trotz der Sorgen, die das Familienoberhaupt zu haben schien, fragte er Hayato nicht weiter aus. Hätte es noch was zu sagen gegeben, dann hätte seine rechte Hand es nicht verschwiegen und wäre zugleich mit der ganzen Wahrheit herausgeplatzt.
Doch da Hayato schwieg, hatte Tsuna es hingenommen und erkannt, dass er im Moment nichts weiter ausrichten konnte. Er überließ es dem Silberhaarigen und vertraute darauf, dass dieser die richtigen Entscheidungen traf.
Ein Lächeln schlich sich auf dessen Gesicht.
Tsuna blieb Tsuna. Es war egal, um wen es sich handelte – das junge Familienoberhaupt kümmerte sich immer das Wohlergehen der Leute um ihn herum. Dabei war es nebensächlich ob dieser Jemand hunderte von Kilometer entfernt war oder sich in direkter Nähe zu ihm befand. Außerdem machte er da keinerlei Unterschied zwischen den Menschen. Jeder konnte zu ihm kommen und der Vongola-Boss würde immer eine helfende Hand reichen. Egal ob es einer seiner Wächter, die Varia oder seine Familie war, der kam, Tsuna war zur Stelle.
Manch einer mochte das als Schwäche ansehen, doch Hayato musste zugeben, dass der Braunhaarige in den letzten vier Jahren mit dieser Strategie gut gefahren war und dass die Zeiten wesentlich ruhiger geworden waren. Selbst zur Varia schaffte er es allmählich Kontakt aufzubauen, wobei das bei diesen Volldeppen nicht gerade einfach war.
Jeder einzelne von denen gehörte nach der Meinung des Sturmwächters in die Klapse. Doch wenn der Juudaime meinte, dass sie eine Chance verdienten, was sollte er da noch groß widersprechen? Er konnte seinem Boss einfach keinen Wunsch abschlagen.
Ein Seufzen entwich seinen Lippen, während sein Blick zu Uri wanderte. Sie schien die großzügige Krauleinheit offensichtlich zu genießen.
„Wir sollten auch endlich schlafen gehen, Uri.“
Brummelnd begrüßte Hayato Takeshi am nächsten Morgen. Er war kein Morgenmensch und brauchte seine Stunde am Morgen, um einiger Massen in die Gänge zu kommen. Doch dieser Morgen war für den Sturmwächter einfach nur grauenhaft. Er fühlte sich wie gerädert und geschlafen hatte er auch nicht wirklich. Die Couch war einfach zu unbequem, um darauf zu schlafen.
Sein Gast war allerdings auch nicht gerade in Redelaune. Seit Takeshi den Raum betreten hatte, schwieg er, wenn man mal von der knappen Begrüßung absah. Er hatte es noch nicht einmal fertig gebracht, seinem Gegenüber in die Augen zu sehen. Ein Umstand, der den Italiener tierisch sauer machte. Mit jeder Minute die verging und das Schweigen anhielt, wurde Hayato immer wütender und die Grenze, die unweigerlich zu einer Explosion führen würde, kam immer näher.
Was zum Teufel sollte dieser Affenaufstand?
„Yamamoto, hättest du die Freundlichkeit mich aufzuklären, was los ist?“
Verwundert blickte Takeshi auf und betrachtete sein Gegenüber. Ein Moment der Stille hing zwischen ihnen, bis der Regenwächter seinen Mund zu einem Lächeln verzog.
„Was soll denn sein?“
Eine Augenbraue Hayatos schellte in die Höhe.
„Yamamoto?“
„Mhm?“
Die zweite Augenbraue folgte.
„Willst du mich verarschen?“
„Nein.“
Jetzt war es aus.
Beiden war durchaus bewusst, dass das Lächeln des Regenwächters eine Lüge war genau wie seine vorgespielte Gelassenheit und Heiterkeit. Offensichtlich wollte der Dunkelhaarige nicht darüber reden, doch das würde Hayato nicht so einfach hinnehmen.
„Warum kannst du mir nicht in die Augen sehen.“
Seine Stimme klang genauso gereizt, wie er war. Seine Hände bebten und die Augen strahlten regelrechten Zorn aus.
Takeshis Augen hingegen wirkten verschlossen, als wolle er seine Gefühle und Gedanken vor der Außenwelt verschließen. Doch soweit würde der Sturmwächter es nicht kommen lassen, diesmal nicht.
Er packte seinen Kameraden über den Tisch hinweg am Kragen und zog ihn näher zu sich heran.
„Glaubst du allen Ernstes, dass ich mich einem falschen Lächeln und eine scheinheiligen Antwort zufrieden gebe, du Baseball-Hirni?“
Eine Moment sahen sie sich beide in die Auge, bevor der Bombenschütze seinen Griff lockerte.
„Und jetzt wirst du mir meine Fragen beantworten.“
Der Silberhaarige ließ von dem Japaner ab und setzte sich ganz normal wieder an den Tisch. Seine Augen fixierten jedoch weiterhin den Schwarzhaarigen.
„Also. Wann hast du den Typen getroffen?“
„Auf der Hochzeit von Tsuna und Kyoko.“
„WAS?“
Das saß.
Geschockt starrte Hayato Takeshi an und war nicht in der Lage einen vernünftigen Satz hervor zu bringen. Währenddessen biss sich der Dunkelhaarige auf die Lippe. Es fiel ihm sichtbar schwer über diese Begegnung zu reden, die ihm doch mehr zu schaffen machte, als er zugeben wollte.
„Als ich raus bin, um ein wenig frische Luft zu schnappen, stand er plötzlich vor mir. Durch Berichte und Artikel aus diversen Zeitungen hatte er mich ausfindig machen können.“
Mehr als ein Nicken war von Seiten Hayatos nicht drin.
Selbst wenn die Familie der Vongola nie in den Vordergrund trat, waren doch einige ihrer Mitglieder für unterschiedliche Tätigkeiten bekannt. Takeshi und auch Ryohei hatte sich im sportlichen Bereich einen Namen gemacht, während Spanner und Irie mehrmals in den Naturwissenschaftlichen und technischen Teil zu finden waren.
Den Baseball-Freak ausfindig zu machen, war nun wirklich nicht schwierig gewesen.
„Er hat mir alles an den Kopf geworfen, was er loswerden wollte und ist dann einfach verschwunden.“
„Und dann?“
„Ich bin wieder in den Saal. Irgendwer von den Kellnern hatte mir ein Glas Sekt in die Hand gedrückt. In diesem Moment hab ich nicht nachgedacht und das Glas einfach ausgetrunken.“
Das der Regenwächter diese Entscheidung bereute, konnte man ihm nur allzu deutlich ansehen. Die Reue stand ihm förmlich ins Gesicht geschrieben.
„Danach bin ich zurück an den Tisch gekommen. Lambo und Ryohei hatten so gute Laune, dass sie mir einfach nachgeschenkt hatten. Sie haben mir irgendwas erzählt, doch ich hab gar nicht zugehört. Nach einer Weile hörte ich Ryohei nur Prost sagen. Ich folgte einfach der Aufforderung und hab das Glas noch einmal ausgetrunken. Irgendwann muss ich dann eingeschlafen sein.“
Vorsichtig lächelte Takeshi Hayato an, der das nur mit einem Schnauben quittierte.
Jedoch hatte er so langsam eine vernünftige Erklärung für das Verhalten von seinem Kameraden und wenn er ehrlich war, konnte er es sehr gut nachvollziehen. Er wüsste nicht, wie er sich in solch einer Situation verhalten hätte.
Wahrscheinlich hätte er dem Typen eine reingehauen und ihn anschließend umgebracht, bevor er sich wohl die Kante gegeben hätte.
Demnach war es wohl ganz gut, dass der Regenwächter eindeutig ein vollkommen anderes Gemüt hatte als er. Sonst hätten sie nun ein paar Schwierigkeiten und Probleme mehr zu bewältigen.
Ein Seufzen entfloh den Lippen des Sturmwächters.
„Verstehe.“
So langsam ergaben die Teile ein Ganzes. Doch nur eine Sache passte nicht so ganz ins Bild. Jedenfalls bisher nicht.
„Warum bist du in mein Bett gekommen und hast dich an..“
Hayato stoppte. Seine Wangen glühten und irgendwie schämte er sich dafür, die letzten Worte des Satzes auszusprechen. Es war ihm schlichtweg peinlich.
Es war das erste Mal an dem Morgen, dass er den Augenkontakt zu seinem Kameraden vermied.
Diesem ging es scheinbar nicht besser, denn auch Takeshi hatte einen roten Schimmer auf den Wangen bekommen, bevor den Kopf senkte.
„Ich weiß es nicht so genau, aber...“
Er stockte wie wenige Augenblicke zuvor Hayato. Kurz konnte der Italiener das tiefe Luftholen seitens des Regenwächters vernehmen, bevor seine Stimme dann wieder den Raum erfüllte.
„In der Zeit nach dem Tod meiner Mutter hab ich mich sehr einsam gefühlt. Mein Vater versuchte für mich da zu sein, doch durch die Verhandlung und das Restaurant habe ich ihn kaum noch zu Gesicht bekommen. Ich war ziemlich auf mich allein gestellt. Auch nachdem die Verhandlung vorbei war, musste mein Vater mehr Zeit in das Restaurant investieren. Unsere gemeinsame Zeit wurde dadurch immer weniger. Ich hab es ihm nie übelgenommen. Schließlich konnte ich ihn ja verstehen. Dennoch blieb die Einsamkeit.“
Vorsichtig wagte es Hayato Takeshi einen Seitenblick zu zuwerfen. Er kannte dieses Gefühl gut genug. Nachdem er die Wahrheit über seine Mutter herausgefunden hatte, war er einfach von Zuhause abgehauen. Zu einem wollte er mit seiner Familie nichts mehr zu tun haben, doch auf der anderen Seite war er schrecklich einsam gewesen. Es hatte niemanden gegeben, dem er sich hätte anvertrauen können. Niemand, der mit ihm Freud und Leide, Glück und Trauer teilte.
Es war einsam gewesen und schrecklich kalt.
Irgendwann hatte er angefangen seine Gefühle und Gedanken zu verstecken, niemand sollte ihn sehen. Denn in der Welt, in der er gelebt hatte, waren sie ein Zeichen der Schwäche gewesen. So war zu dem geworden, den Tsuna erst später in der Mittelschule kennengelernt hatte.
Erst durch das Kennenlernen seines Boss hatte er angefangen nach und nach die Welt mit anderen Augen zu sehen und auch zu erleben. Ganz langsam hatte der Silberhaarige das Gefühl von Verständnis, Akzeptanz und Geborgenheit zurückgewonnen, was ihm sein Boss und die anderen entgegen gebracht hatten.
Er war ein Teil der Familie geworden und für jeden aus dieser Familie würde er inzwischen durchs Feuer gehen, wenn man von ganz gewissen Personen mal absah.
„Erst als ich mich mit Tsuna angefreundet hatte und auch wir beide immer mehr in Kontakt kamen, wurde es wieder besser. Plötzlich war es einfach anders. Lustiger und auch irgendwie wärmer. Da waren plötzlich Menschen, die mich mochten um meiner selbst willen und nicht wegen meines Können als Baseball-Spieler oder meines Aussehens.“
Auch dies konnte Hayato mehr als gut nachvollziehen, was ihn überraschte. Scheinbar hatte er und Takeshi mehr Gemeinsamkeiten, als er bisher angenommen hatte.
„Irgendwie wurde ich in die ganze Sache mit hineingezogen und ich hatte auch nichts dagegen. Es hat mich vielmehr gefreut, denn ich hatte das Gefühl endlich wieder ein Teil einer Gruppe zu sein, einfach dazuzugehören. Mit der Zeit wurden meine Freunde mehr und mehr meine Familie, denen ich mein Vertrauen entgegenbringen konnte. Ich konnte mir sicher sein, wenn etwas wäre, würde meine Familie da sein.“
Das stimmte. Die Vongola-Familie schützte und stützte sich gegenseitig und vor allem wurde darauf geachtet, dass keiner auf der Strecke blieb. So merkwürdig es auch klang, selbst Mukuro, Hibari und die Varia trugen ihren Teil dazu bei.
„Und dann die vorletzte Nacht war für mich … eine Achterbahnfahrt gewesen. Ich kann gar nicht beschreiben, was mir alles durch den Kopf ging und was ich fühlte. Nur in einem bin ich mir absolut sicher, dass da dieser Trauer um meine Mutter wieder da gewesen ist und auch die Erinnerung an die Einsamkeit. Ich denke, ich wollte nicht einsam und alleine sein und bin deshalb zu dir...“
An dieser Stelle unterbrach Takeshi seine Erklärung mit hochrotem Kopf.
Doch auch seinem Kameraden ging es nicht anders. Doch ein leicht wütender Blick mischte sich unter seine Verlegenheit.
„Mit anderen Worten, nur wenn du dich allein fühlst, dann steigst du zu anderen Leuten ins Bett.“
„Nein.“
Betroffenheit und etwas Verletztes schwankten in der Stimme Takeshis mit.
„Nur bei Leute, denen ich vollkommen vertraue.“
„Und woher willst du das wissen? Du kannst dich doch an die vorletzte Nacht noch nicht einmal erinnern.“
„Ich weiß es einfach.“
„Das ist keine Antwort.“
Was machte er da eigentlich? Es konnte ihm doch vollkommen egal sein, zu wem dieser Baseball-Depp ins Bett stieg. Warum zum Teufel war er dann aber so wütend? Es war doch völlig egal, doch warum tat es dann so weh und ließ diesen Zorn in ihm aufsteigen.
„Ich weiß es aber nicht besser, außer dass ich es weiß.“
„Weißt du, wie bescheuert das klingt?“
„Ist mir doch egal. Was ich mit Sicherheit weiß, ist dass ich vorher noch nie bei einem anderen im Bett aufgewacht bin.“
Stille.
Erstaunt und vollkommen überrascht blickten sich die beiden an. Keiner von ihnen wusste, was er noch sagen sollte.
Leichte Erleichterung machte sich in Hayato breit, während er sich zu gleich fragte, woher diese Erleichterung stammen mochte.
Takeshi hingegen waren seine Worte mehr als unangenehm. Er biss sich leicht auf die Lippe und wandte zum wiederholten Male den Blick von seinem Teamkameraden ab. Die Rötung seiner Wange blieb weiterhin bestehen und schien gar nicht mehr verschwinden zu wollen.
Ihr Schweigen zog sich hin und keiner traute sich den jeweiligen anderen anzusehen. Noch immer hingen Takeshis Wort in der Luft und kreisten durch ihre Gedanken.
Scham und Verwunderung mischten sich ineinander.
„Tut mir leid.“
Schwer schluckte Hayato und wagte es, einen Blick auf Takeshi zu werfen. Dieser erwiderte diesen zurückhaltend, schon fast ein wenig scheu.
Gefühlschaos schien auch ihn gefangen zu halten – Verwirrung, Verzweiflung und Angst spiegelten sich in den braunen Augen des Regenwächters. Doch warum Angst und Verzweiflung? Was fürchtete er? Woher kam diese Angst?
Ein unangenehmes Ziehen breitete sich in seiner Brust aus. Es gefiel ihm nicht, denn in einem war sich der Silberhaarige sicher - diese Angst und Verzweiflung, die galt ihm. Ihm allein.
Doch warum? Warum fürchtete der Japaner sich vor ihm und warum missfiel ihm dies so? Woher kamen dieses unangenehme Ziehen und diese Gewissensbisse?
„Was tust du?“
„Hayato?“
Doch der Sturmwächter schüttelte nur den Kopf. Er wollte Antworten und es gab nur einen, der ihm diese geben konnte.
„Was tust du mit mir?“
Ein gequältes Lächeln trat auf das Gesicht des Schwarzhaarigen.
„Die gleiche Frage, die auch ich dir stellen wollte?“
Die gleiche Frage und doch keine Antwort.
Was taten sie sich nur einander an und warum?
„Ich weiß es nicht.“
„Mhm.“
Wieder schwiegen sie und hingen ihre Gedanken nach.
Nur das Ticken der Uhr durchdrang die Stille der Küche, während sie sich einfach nur ansahen. Kein Wort verließ ihre Münder und doch konnte sie die Augen nicht abwenden. Da war etwas, zwischen ihn und doch konnten sie nicht erkennen was. Was war es?
Es war Uri, die ihr Beisammensein zerstörte. Lautstark machte sie Hayato darauf aufmerksam, dass es an der Zeit war, endlich ihre Napf und damit auch ihren Magen zu füllen. Da jedoch ihr Herrchen nicht sogleich reagierte und die Katze nicht unbedingt die Geduldigste war, blieb der Einsatz ihrer Krallen Hayato nicht erspart.
Vollkommen überrascht sprang dieser auf und warf dabei den Tisch mitsamt Inhalt um, während Takeshi gerade nur noch seine Kaffeetasse retten konnte.
„URIIII.“
Als Antwort bekam er nur ein wildes und erzürntes Fauchen. Ein helles Lachen übertönte dies jedoch.
Kurz funkelte Hayato seine Katze an, bevor er sein Blickfeld seinem Gast zuwandte. Diesmal war er sich sicher – das Lachen, das Lächeln, dieses Mal war es nicht vorgespielt. Es war echt und es tat unheimlich gut es zu hören. Irgendwie kam es ihm vor, als hätte er es viel zu lange nicht mehr gehört.
Sie sprachen nicht mehr darüber, was in der Küche geschehen war, doch vergessen hatten sie es auch nicht. Irgendetwas war da gewesen und es bestand noch immer. Irgendwie veränderte sich dadurch etwas, selbst wenn man es nicht sehen konnte.
Ein Seufzen entwich Hayatos Lippen, während er einen weiteren Zug von seiner Zigarette nahm.
„Du rauchst zu viel.“
Ein Lächeln umspielte seine Mundwinkel. Zu oft hatte man ihm das schon gesagt.
„Erzähl mir mal was Neues.“
„Du hörst doch eh nicht auf mich.“
„Das wäre dann mal was Neues.“
Ein leises Kichern ertönte, bevor die Stille wieder eintrat. Doch diesmal war es keine unangenehme Stille. Es war vielmehr ein kostbarer Augenblick, den sie beide genossen. Jeder auf seine Weise.
„Du Hayato?“
„Mhm?“
Takeshis Stimmlage war ernst. Die Leichtigkeit, die kurz zuvor noch zwischen ihnen geherrscht hatte, war mit einem Schlag verschwunden.
Etwas belastete den Regenwächter.
„Sag, wann hört es auf?“
„Was?“
„Die Trauer.“
Er nahm einen weiteren Zug seiner Zigarette und starrte vor sich hin.
Wann hörte es auf, dieses Gefühl? Diese Gedanken?
„Ich weiß es nicht.“
„Verstehe.“
Irgendwann würde es ein Ende haben, wenn er stark genug war. Wenn er entschlossen genug war, dann würde er es noch einmal schaffen, da war sich Hayato sicher.
„Takeshi.“
„Mhm.“
„Nimm dir die Zeit, die du brauchst und lebe.“
Gefühlschaos
Hayato fluchte auf und knallte die Türe hinter sich zu.
Der Italiener wusste, dass er selber gesagt hatte, dass sich dieser verflixte Baseball-Depp Zeit nehmen sollte und er war auch verflucht nochmal froh gewesen, als dieser sich diesen Rat zu Herzen genommen hatte, doch das war vor zwei verdammten Monaten gewesen. Seit zwei Monaten gondelte dieser nichtsnutzige Wächter durch die Weltgeschichte und hatte noch nicht einmal den Anstand sich zu melden.
In seiner Wut hämmerte er seine Faust auf seinen Schreibtisch.
Der Sturm war so wütend, so zornig.
Es regte ihn auf.
Tsuna trug seit zwei Wochen eine besorgte Miene, Lambo zog ein Gesicht, als wäre jemand gestorben und Ryohei hatte an seiner Tatkraft verloren. Und das alles nur, weil dieser Idiot sich wahrscheinlich irgendwo verlaufen hatte.
Hayato schnaubte und versuchte seine Gefühle zu ordnen. Er merkte, wie er keinen klaren Gedanken fassen konnte, solange in seinem Inneren so ein Chaos herrschte.
Irgendetwas musste geschehen und zwar bald, sonst ging der Italiener noch die Wände hoch. Er konnte es nicht ertragen die anderen weiterhin so durch die Gegend laufen zu sehen, als würde die Welt untergehen. Nein er würde etwas tun und was war eigentlich klar.
Hayato würde sich auf die Suche nach Takeshi machen und ihn eigenhändig umbringen, damit sich Lambos Trauermiene auch lohnte, bevor er den Baseball-Depp ins nächste Flugzeug verfrachtete und nach Japan schickte.
Und dann würde sich der Silberharrige wohlverdienten Urlaub nehmen. Den hatte er sich ja wohl verdient und Tsuna würde ihm da wohl voll und ganz zustimmen.
Er riss die Türe wieder auf und knallte sie hinter sich in Schloss. Wer noch nicht wusste, dass der Sturmwächter schlechte Laune hatte, der würde es spätestens in jenem Moment wissen.
Müde rieb sich Tsuna über den Nasenrücken und schloss die Augen. Man konnte deutlich die Erschöpfung wegen der Sorge um Takeshi ansehen.
Doch nun machte er sich scheinbar mehr Sorgen, denn ob er seinen Regenwächter nochmal lebend wiedersehen würde, war fraglich.
Er öffnete die Augen und sah zu Hayato, der ihn bisher nicht aus den Augen gelassen hatte. Es war nicht zu übersehen, wie wütend und zornig sein Gegenüber war. Die letzten Wochen hatte der Mafia-Boss bereits gemerkt wie sich in seinem Sturmwächter die Gefühle anbahnten und sammelten. Es war nur eine Frage der Zeit gewesen, bis diese überlaufen würden.
Der Zeitpunkt war nun gekommen und irgendwie konnte er Hayatos Gefühle sogar nachvollziehen.
Ein Seufzen entkam seinen Lippen.
Wenn er dem Italiener seinen Willen gab, dann würde er Yamamoto nicht lebend wiedersehen, da war er sich vollkommen sicher.
„Ich bin einverstanden.“
Ein zufriedener Ausdruck huschte über das Gesicht seiner rechten Hand.
„Ich werde mich dann auf den Weg machen, Juudaime.“
Er war schon im Gehen begriffen, als er jedoch von Tsuna zurückgehalten wurde.
„Aber ich will meinen Regenwächter lebend und in einem Stück wiederhaben. Haben wir uns verstanden, Hayato?“
Der Angesprochene hielt inne und drehte sich nochmals zu Tsuna um. Sein Gesichtsausdruck schwankte zwischen Entzücken und Enttäuschung.
Hatte es Tsuna doch geahnt. Yamamoto war ihm definitiv etwas schuldig. Schließlich hatte er gerade dessen Leben gerettet.
Der Italiener nickte nur, um zu verstehen zu geben, dass er Tsuna gehört hatte. Er akzeptierte dessen Entscheidung, auch wenn er nicht wirklich damit zufrieden war. Wenige Augenblicke später war Hayato aus dem Zimmer verschwunden und Tsuna seufzte nochmals.
Manchmal fragte er sich wirklich, worauf er sich damals eingelassen hatte. Als jedoch sich die Tür wieder öffnete und seine Frau eintrat, verdrängte er diesen Gedanken.
„Hayato hatte es gerade sehr eilig. Hast du ihm wieder Arbeit gegeben?“
Tsuna schüttelte lächelnd den Kopf.
„Als ob ich das müsste. Er sucht sich seine Arbeit meist selber aus.“
Da konnte man nicht widersprechen. Wenn Hayato eins konnte, dann war es sich Arbeit suchen, um den Vongola-Boss zu entlasten. Das war schon immer so gewesen.
„Und was hat sich diesmal für Arbeit herausgesucht?“
„Er geht Takeshi holen.“
Verwundert hob Kyoko die Augenbrauen, was Tsuna lächeln ließ.
„Ich bin auch nicht sicher, ob das gut geht.“
Einige Augenblicke war es still, doch dann schüttelte die Braunhaarige den Kopf.
„Daran habe ich eher nicht gedacht. Ich hoffe, dass sie es hoffentlich mal endlich schaffen, ehrlich zueinander zu sein.“
Mit diesen Worten verließ sie das Büro wieder und ließ einen verwirrten Tsuna zurück. Das Frauen auch immer in Rätseln sprechen mussten.
Zufrieden lehnte sich Hayato zurück und genehmigte sich einen Schluck des heißen Kaffees, der im Moment sein Hauptnahrungsmittel darstellte. Er hatte weder Mühen noch Opfer gescheut, um einen Anhaltspunkt auf Takeshis Aufenthaltsort zu bekommen.
Er war motiviert wie schon lange nicht mehr, sehr zum Leidwesen von Shoichi und Spanner, die er bis spät in die Nacht regelrecht gedrillt hatte. Der Silberhaarige hatte sie sich durch sämtliche Hotel-, Flugzeug- und Passagierlisten kämpfen lassen, in der Hoffnung dort eine Spur zu finden. Tatsächlich waren sie sogar fündig geworden. In wenigen Stunden würde er im Flugzeug Richtung Italien sitzen, denn dort war der Schwarzhaarige vor wenigen Stunden gelandet. Sogar an die Adresse des Hotels, in dem er eingecheckt hatte, waren sie rangekommen.
Mit einem grimmigen Lächeln erhob er sich und stieg über Shoichi und Spanner hinweg, die sich schlafend auf seiner Couch zusammen gekuschelt hatten.
„Weicheier.“, knurrte Hayato nur, bevor er aber doch eine Decke über ihnen ausbreitete. So unmenschlich war er dann auch nicht. Schließlich musste sie in zwei Stunden wieder auf Arbeit gehen. In seiner Großzügigkeit stellte er ihnen sogar einen Wecker, bevor er sich seine Tasche nahm und die Türe hinter sich ins Schloss fallen ließ.
Es war ungewöhnlich wieder in Italien zu sein.
Zwar war er schon öfter nach dem Aufstiegs Tsunas in Italien gewesen, doch jedes Mal fühlte es sich komisch und ungewöhnlich an. Vielleicht lag es daran, dass er sich an das Leben in Japan gewöhnt hatte. Der Braunhaarige hatte nie einen Zweifel daran gelassen, dass er später mal nach Italien ziehen wollte. Doch im Laufe der Jahre war die asiatisch Insel mehr und mehr der Standort des Hauptquatiers der Vongola geworden.
Inzwischen hatte er fast sein halbes Leben in Japan verbracht und er musste zugeben, dass dieses Land ihm irgendwie inzwischen am Herz lag. Dort lebten Menschen, die ihm wichtig war und die er schätzte.
Nichts zog ihn zurück ins Land seiner Geburt. Er hatte es hinter sich gelassen und mit ihm auch die Vergangenheit. Zumindest hatte er dies bis vor zwei Monaten geglaubt. Doch seine Erinnerungen konnte man nicht so einfach verlassen wie ein Land. Sie würden bleiben. Sie hafteten an einem, denn sie waren Teil von ihnen.
Mit einem Seufzen fuhr Hayato sich über den Nasenrücken.
Es war eindeutig zu warm, um sich Gedanken über solche komplizierten Dinge zu machen. Schließlich war nicht zum Nachdenken da, sondern um den verdammten Baseball-Deppen dorthin zu schleppen, wo er hingehörte. Nach Japan – zu seiner Familie und seinen Freunden.
Er warf einen Blick über die Straße und machte sich schließlich auf den Weg. Das Hotel würde schließlich nicht zu ihm kommen.
Da stand er nun vor der Türe und starrte sie an, während er sich die Worte zurechtlegte, die er dem Japaner entgegenschleudern wollte. Doch je länger er nachdachte, umso weniger Wut verspürte er. Es war nicht so, dass die Wut verklungen war, jedoch hatte er nicht mehr das Bedürfnis, Takeshi die Nase brechen zu wollen. Vielmehr freute er sich, den Schwarzharrigen wiederzusehen. Diese Freude konnte er nicht einordnen.
Warum zum Teufel nochmal freute er sich auf ein Wiedersehen mit dem Regenwächter? Schließlich war der doch Schuld, dass Tsuna sich Sorgen machte, Lambo mit Trauermiene herumlief, Ryohei nicht motiviert war und dass er es nicht schaffte sich zu konzentrieren.
Es war doch zum Verzweifeln. Yamamoto kreiste in seinen Gedanken und nahm da mehr Platz ein, als er sollte. Der Gedanke an den Schwarzhaarigen störte seine Konzentration mehr als irgendein anderer Mensch. Selbst Bel hatte es nicht geschafft seine Konzentration zum Bröckeln zu bringen.
Nur dieser Idiot von Takeshi war dazu in der Lage.
Doch da war sie wieder, die Wut. Die Wut auf den anderen, aber auch die Wut auf sich selber, weil er sich von diesem so aus der Fassung bringen ließ. Und da war er noch nicht einmal anwesend.
Es machte ihn wütend und sauer und ohne nocheinmal darüber nachzudenken, klopfte er an.
Leise Schritte nährten sich der Tür und wenige Sekunden später wurde sie geöffnet.
Braune Augen blickten in die grauen Augen. Diese Augen faszinierten ihn und in jenem Augenblick wurde ihm klar, dass er dieses warme Braun vermisst hatte. Für einen Moment war Hayato sprachlos. Doch war es wirklich bloß ein Moment.
Innerhalb weniger Sekunden löste sich seine Faszination in Luft auf und mach der Wut Platz, die sich in den letzten zwei Monaten angestaut hatte. Seine Gemütslage in Japan war nur ein kleiner Vorgeschmack gewesen. Doch an das was jetzt folgte kam dies nicht heran.
„DU VOLLIDOIT. WIE LANGE WILLST DU NOCH DURCH DIE WELTGESCHICHTE REISEN, BEVOR DU MAL AUF DEN GEDANKEN KOMMST, DASS ES DA MENSCHEN GIBT, DENEN DU WAS BEDEUTEST? HAST DU EINMAL AN DEINE FREUNDE ODER MICH GEDACHT? HAST DU EINMAL DRANGEDACHT, WIE ES MIR GING?“
Er schnaufte und holte tief Luft. Er hatte sich im wahrsten Sinne des Wortes die Lunge aus dem Hals geschrien. Inzwischen hatte sie eine höchst interessierte Zuhörer- und Zuschauerschaft, die sich auf dem Flur versammelt hatte. Sicherlich hatte auch die Menschen auf der Straße den Silberhaarigen schreien hören, doch dies war ihm egal.
Die Leute um ihn herum scherten ihn einen Scheißdreck. Es war egal, was sie dachten. Das einzige, was zählte, war das er diese Gefühle in seinem Inneren loswurde. Diese verwirrenden Gefühle, die ihm seit jenem Tag in seiner Küche zusetzten und seinen Zorn und seinen Wut gesteigert hatten.
Zorn darüber, dass er nicht verstand, warum er sich in der Nähe des anderen wohl fühlte. Zorn darüber, dass er nicht verstand, was da zwischen ihnen gewesen war. Und Wut darüber, dass es Takeshi es genauso ging, er jedoch nicht mit ihm darüber sprach.
Er schlug mit den Fäusten gegen die Brust das Regenwächters, doch es war nicht besonders stark. Es war schwach, denn auch Hayato fühlte sich schwach, nun da er es heraus geschrien.
Tränen liefen ihm über die Wangen. Wann hatte er angefangen zu weinen? Wann hatte es angefangen in seiner Brust zu schmerzen?
„Du verdammter Idiot. Warum hast du dich nicht gemeldet?“
„Weil ich nicht wusste, was ich dir sagen sollte.“
Still nahm Hayato die Tasse Kaffee von Takeshi entgegen, blickte jedoch nicht auf. Er hatte ihn nicht ein einziges Mal angesehen, seit der Regenwächter ihn ins Hotelzimmer gezogen und auf sein Bett platziert hatte.
Stillschweigend hatte er dort gesessen, während Takeshi einen Kaffee für sie beide besorgt hatte.
Der Italiener drehte die Tasse in seinen Händen und suchte nach Worten, die er sagen konnte. Doch letztlich hatte er doch schon alles gesagt, was er sagen wollte. Er hatte sogar vielmehr gesagt, als er eigentlich wollte. Nie hatte er jemanden einen so tiefen Einblick in seine Seele gelassen wie dem Japaner vor wenigen Minuten.
Das Bett zu seiner Seite gab nach. Der Schwarzhaarige hatte sich neben ihn gesetzt. Auch er hielt eine Tasse Kaffee in den Händen und wollte sie zu seinen Lippen führen, stoppte jedoch in der Bewegung.
„Es tut mir leid.“
Mit einem Lächeln drehte sich Takeshi zu Hayato um. Ein Lächeln, dass falsch war, denn es erreichte nicht seine Augen, die leer und ausdruckslos auf den Italiener gerichtet waren.
Hayatos Hände zitterten.
„Ist das alles, was du zu sagen hast?“
Schweigen.
Die Tasse mit Kaffee fiel klirrend zu Boden, als er mit Schwung aufstand.
Es tat so weh, so weh. Er wollte keine Entschuldigungen, sondern Erklärungen.
Warum hatte Takeshi sich nicht gemeldet? Warum nahm er nur so viel Platz in seinen Gedanken ein? Was war zwischen ihnen?
Er wollte Antworten, hier und in diesem Moment.
Die Tasse des Japaners flog im hohen Bogen durchs Zimmer.
Überrascht und verwundert blickte der Schwarzhaarige auf.
Zwei Hände legten sich auf seine Schultern und stießen ihn zurück, während sich die grauen Augen Hayatos in seine braunen Augen bohrten. Das Gesicht des Sturmwächters war seinem eigenen gefährlich nahe.
Mit einem erschrockenen Ausruf verlor der Regenwächter das Gleichgewicht und fiel mit dem Rücken aufs Bett.
Stille umfing sie, während Takeshi mit einem fassungslosen Gesicht zu Hayato aufsah, der seine Fassung und Maske hatte fallen lassen.
Verwirrung, Verzweiflung, Wut und Zorn spiegelten sich in Augen und Gesicht wieder.
Noch bevor der Japaner sich wieder aufrichten konnte, kniete der Silberhaarige über ihm. Mit seinen Händen griff er nach den Handgelenken des Größeren, um sie mit Gewalt ins Bett zu drücken.
Es gab kein Entkommen für Takeshi, der nicht im Geringsten daran dachte. Zu sehr fesselte ihn der Blick mit dem ihn Hayato bedachte.
„Warum?“
Weiße Zähne bohrten sich in die Lippen und gaben Hayatos Gesicht einen noch verzweifelteren Ausdruck.
„Warum gehst du mir nicht aus dem Kopf? Warum muss ich die ganze Zeit an dich denken?“
„Hayato..“
„Hast du eine Ahnung, wie es mir ging in den letzten zwei Monaten? Ich hab gewartet, dass du dich meldest? Ein Satz wie „Es geht mir gut.“ hätte voll und ganz gereicht.“
Hayato biss sich auf die Lippe.
Es tat einfach weh, den Schwarzhaarigen so zu sehen. Zu sehen, wie er wieder versuchte seine Gefühle zu überspielen, wie er eine Wand um sich aufbaute. Es tat weh, so zurückgewiesen zu werden.
„Sag mir verdammt nochmal die Wahrheit. Was ist zwischen uns?“
Die Fassade des Schwarzhaarigen begann zu bröckeln. Die Ausdruckslosigkeit schwand und legte seine wahren Emotionen frei. Angst und Panik blitzte in den Augen auf und ergriff langsam seine Gesichtszüge.
„Wirst du die Wahrheit vertragen können?“
Langsam löste der Sturmwächter den Griff um Takeshis Hände und zog seine langsam zurück. Noch immer spürte er dieses Gefühlschaos in sich, doch die Angst und Panik, die Takeshi ihm entgegenbrachte war ihm fremd. Noch nie zuvor hatte er diesen so erlebt.
„Wovor fürchtest du dich?“
Takeshi hob seinen Arm und legte ihn sich über die Augen. Er konnte und wollte seinen Kameraden nicht mehr sehen. Hayato sollte ihn nicht so sehen. Nicht so schwach.
„Vor deiner Reaktion.“
Es kam keine Antwort von dem Silberhaarigen. Vollkommen ruhig kniete er noch immer über Takeshi und wartete auf eine Antwort, die er so dringend suchte.
Der Regenwächter wusste, dass er nicht davon kommen würde.
Zwei Monate hatte er versucht davonzulaufen. Wollte die Gefühle verdrängen und hinter sich lassen. Wollte vergessen und leben. Er wollte die Kontrolle wiederhaben über sich und seine Gefühle. Doch er hatte sie nicht gefunden.
„Du wirst mich hassen.“
„Das werde ich mit Sicherheit, wenn du mir jetzt nicht die Wahrheit sagst.“
Ein kleines und ehrliches Lächeln huschte über das Gesicht des Japaners und er musste zugeben, dass er ein wenig neidisch auf die Offen- und Ehrlichkeit des Italieners war.
„Ich liebe dich.“