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Splash Paint

von

Vorwort zu diesem Kapitel:
WUUUAAAAAAAT IS DAT?!!? Nunja... Ich werde nun folgendes tun: Es wird ja 4 Hauptcharas in dieser Story geben und was sich anfangs aus einer Obsession zu dem Lied "Summertime Sadness" began, wird sich nun zu folgendem entwickeln: Zu jeder Jahreszeit werd eich mir ein passendes Lied und einen dazu passenden (Haupt-)Charakter aussuchen und dann eine schöne Songfic draus machen...
Solltet ihr also ein schönes Liedchen kennen welches einfach zum Thema Herbst, Winter oder Frühling passt, dann könnt ihr mir auch ruhig bescheid sagen! :D
Folgendes Lied steht übrigens schon für den Winter fest: Winter In Me – Skylar Grey
Woah, ja, da wird irgendwer seinen inneren Emo rauslassen xD

Ich hab den Refrain des Liedes übrigens nur einmal benutzt... hatte keine Lust die selbe Stelle tausend Mal in das Kapi zu quetschen ^^ Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
STAR WARS ZITATE!!! BESOFFENE!!! EDELRESTAURANTS! FLIEGEN! !!!!!!!!!!!ADIA UND HUND!!!!!!!!!! ELVIS! ICH LIEBE ES!!!!!!
Oh, und ich bin jetzt 17 :3 (seit dem 7.10 schon! :O) Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Liebe Grüße aus Kroatien... Oh, und der Titel dieses Kapitels wurde schon wieder durch Coldmirror inspiriert! *_* Komplett anzeigen

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Prolog

Wie konnte das so weit kommen? Im Ernst, wie konnte es so weit kommen? Zwei Menschen waren tot und er wäre fast auch gestorben und das für… Geld?

„Frohen vierten Februar, Audrey.“, sagte sie sich selbst. Die Tränen flossen ihr schon wieder über die Wangen und brannten ihr in den Augen. Audrey wischte sich über das Gesicht, wobei sie jedoch die Narbe auf ihrem Kiefer streifte. Dieses Ding würde sie für den Rest ihres Lebens begleiten und sie auf ewig daran erinnern wie das schlimmste Halbjahr ihres Lebens begonnen hatte.

Audrey starrte weiterhin zu Boden, auf die beiden Kreuze die am Straßenrand in die Erde geschlagen waren. Auf dem einen sah man das Gesicht eines Mädchens, kaum älter als sie, das andere zeigte einen Jungen. Audrey sah ihn jedoch gar nicht an, sie ertrug das nicht. Sie wollte ihn nicht mehr sehen. Manchmal fragte sie sich warum sie ihm nachweinte, er war doch immerhin Schuld an all dem, er hatte sie Monatelang verarscht und schließlich in Gefahr gebracht und er war irgendwie Schuld an dem Tod von… ‚ihr‘. Irgendwie eben.

Audrey holte tief Luft und griff in die Satteltasche neben ihr.

Ein Strauß Rosen. Aus irgendwelchen Gewächshäusern, von wo auch sonst, es war Februar und es lag Schnee.

„Tut mir Leid, ich wollt dich da echt nicht mitreinziehen. Wer hätte gedacht dass wir hier gleich Versicherungsbetrug und Tierquälerei und so einen verdammten Scheißdreck aufdecken? Ich meine… Ich wollte doch nur gucken wie mein Pferd ist… Ob’s ihm gut geht. Du bist freiwillig mitgekommen, ich mein… Ach Scheiße“ Audrey schluchzte auf „Woher hätten wir das wissen sollen?“

Audrey legte unter Tränen den Strauß Rosen an das erste Kreuz, mit dem Mädchen. Sie ließ ihren Blick noch einen Augenblick auf dem Bild ihrer Freundin weilen, dann tastete sie vorsichtig nach den Zügeln, die von Splashs Hals hingen.

Der Wallach schnaubte und schüttelte den Kopf, als ihm sein Schopf in die Augen fiel. Sein Atem hinterließ kleine Dampfwölkchen in der Luft.

„Na komm, gehen wir nach Hause.“ Audrey stellte sich etwas zittrig neben ihn, obwohl sie gar nicht fror. Aber irgendwie zitterten ihr die Knie so sehr dass sie sich erst beim dritten Versuch in den Sattel schwingen konnte.

Als sie schließlich auf Splashs Rücken saß musste sie sich erst mal über das Gesicht streichen, aus Angst dass die Tränen wieder nachliefen und das Make-up wegwaschen könnten. Und dann würde man diese hässliche Narbe sehen und genau das wollte sie doch verhindern.

„Na komm Süßer, ab nach Hause.“, murmelte sie und drückte ihm die Fersen leicht in die Seiten. Er war recht sensibel was das anging und die kleinste Hilfe brachte ihn in Bewegung.

Splash trabte gemächlich los und wirbelte bei jedem Schritt etwas Schnee auf.

Schnee… Vor ein paar Wochen war der an der Stelle Blut geflossen. Viel zu viel Blut.
 

„Audrey, Schätzchen, bist du wieder da? Ich hab dir Frühstück gemacht, du warst ja heute morgen so früh weg.“ Ihre Mutter stand im Morgenmantel auf der Veranda und ihr schien ein Stein vom Herzen zu fallen als sie ihre Tochter in der Dämmerung erkannte.

„Ach, ich hab schon, ich kümmer‘ mich jetzt lieber um die Pferde.“

„Äh, ja… Ich… äh… Nichts.“

„Ich weiß Mum“, murmelte Audrey und stieg ab „Na Splash? Komm Junge, du bist ganz verschneit, hm?“

Sie klopfte ihm kurz den Hals und musste kichern als er den Kopf schüttelte, weil ihm einige Schneeflocken in die Augen schneiten.

„Ja mein Süßer, ich mach ja schon.“, versprach sie ihm und führte ihn in die Scheune.

Als ihr jedoch auch einige Schneeflocken ins Gesicht flogen und sie wieder ihre Narbe spürte, als sie sich über die Wange fuhr, schluckte sie schwer.

Es hatte doch alles so öde angefangen. Noch vor einem halben Jahr hatte sie gefleht dass endlich mal was Interessantes in diesem Kuhkaff hier geschehen würde und jetzt wünschte sie sich dass all das einfach nie passiert wäre. Ihretwegen hätte es so langweilig bleiben können wie es immer war. Ja, ihretwegen hätte sie sogar vor Langeweile sterben können.

Es hatte doch so harmlos angefangen.

Alles auf Anfang

Ein neues Schuljahr – Neue Lehrer, neue Mitschüler, eine neue Schule; Sprich: Es war alles auf Anfang, auf Null.

Dennoch lag diese schreckliche Nervosität auf Audrey, die sie regelrecht auffraß. Sie war sonst eigentlich sehr entspannt und versuchte in allen Dingen immer mit einer gewissen Ruhe vorzugehen, doch das hier machte sie völlig nervös.

Aufgeregt pulte sie an ihrer Bluse herum. Okay, Bluse war gelogen, das war ein altes Hemd ihres Bruders, um dessen Taille sie einen breiten Gürtel gelegt hatte und es deshalb nun wie ein Mädchenshirt aussah.

Sie verlor sich schon wieder viel zu sehr in diesen Gedanken! Schnell besinnte sie sich wieder auf die Fahrt. Sie saß ganz vorne im Schulbus und hatte ihre Nägel zum einen in ihren Ärmel, zum Anderen in den Sitz gekrallt.

Ihr Blick war stur nach draußen gerichtet und ein leises seufzen entfuhr ihr als sie die endlosen Getreidefelder an sich vorbeirasen sah. Am Horizont erkannte sie einen dünnen grünen Streifen Wald, der sich von dort aus erstreckte.

Und danach kamen wieder Kilometerweit Kornfelder und mittendrin irgendwelche Farmen.

Und auf einer dieser kleinen Farmen, hier, inmitten Nebraska, würde Audrey jetzt mindestens für die nächsten drei Jahre leben. Dann war sie achtzehn, würde die High School beenden und dann auf die Uni in Omaha gehen. Tja und dann war’s das hoffentlich. Dieses Landleben würde ihr nämlich noch ihre gesamte Jugend versauen.

Ihr Bruder Henry hatte grade nochmal Glück gehabt, er war bereits vor einer Woche nach Omaha auf die Uni gefahren. Er wollte Wirtschaftswissenschaften studieren.

Tja, und Audrey würde eben hier versauern. Hier, in den tristen Weiten Nebraskas, wo es rein gar nichts gab was sie auch nur ansatzweise hätte interessieren können.

Nichts.

Und das nur weil ihr wundervoller Vater beruflich versetzt wurde. Was machte er eigentlich? Ach ja, genau; Flugzeugingenieur.

Und so kam es jedenfalls dass sie diesen Juli umgezogen waren und nun bei ihren Großeltern und ihrem Onkel lebte. Obwohl, ‚leben‘ konnte man das Chaos welches den letzten Monat geherrscht hatte, nicht bezeichnen. Die paar Möbel, all diese Habseligkeiten und der ganze Umzugskram der das Farmhaus besiedelte war ein einziger Albtraum gewesen, welcher sich inzwischen aber so gut wie aufgelöst hatte.

Der Bus stoppte, sie waren angekommen.

Ihre neue High School. Alle denken immer ‘ne High School sei was ganz tolles und wenn man ‘nen Cheerleader zur Freundin hat ist man schon ganz oben, aber Audrey ging das am Arsch vorbei. Was sie auch nie verstehen würde waren diese Idioten die in nebenunterrichtliche Aktivitäten mitmachten. Wer wollte denn seine Freizeit mit so einem Mist vergeuden? Als hätte sie nichts Besseres zu tun!

Die Busluken öffneten sich und der bis zu dem Zeitpunkt bis zum Bärsten gefüllte Bus leerte sich nun mit einem Mal und alle Insassen strömten heraus.

Audrey wartete.

Sie verließ den Bus als letzte, doch dabei blieb sie mit ihrem Rucksack an der Tür hängen und hätte sich beinahe ein Loch in den Stoff gerissen.

„Verdammt…“, zischte Audrey, hetzte aber schnell hinter den anderen Schülern her, die auf das Schulgebäude zuliefen. Das Gebäude schien recht alt zu sein, war aus Backsteinen erbaut und erinnerte sie ein wenig an das Weiße Haus, mit seinen meterhohen Säulen im Eingangsbereich, die das Vordach abstützten.

Es war irgendwie die Art von Schule wie man sie sich in diesen Provinzen vorstellte.

Das erste was Audrey aber in die Augen fiel war aber auch ein eingravierter Schriftzug über dem Haupteingang auf: ‚Equality Before the Law‘ – Gleichheit vor dem Gesetz; Nebraskas Staatsmotto.

Oh super, bitte alles nur keine nationalistischen Provinzeier.

Audrey verdrehte innerlich die Augen und wartete hinter einer riesigen Menschenmenge darauf dass diese endlich Platz machten. Da vorne, hinter der Glasscheibe zum Eingang, standen sie, die Klassenpläne.

Um ehrlich zu sein war Audrey wirklich neugierig, doch sie versuchte dennoch sich zu zügeln und wartete artig bis sich, nach zehn Minuten, der Trubel etwas lichtete und sie sich vorkämpfte.

Es dauerte einige Zeit bis sie ihren Namen fand, aber da war er: Audrey Howard.

Sie kam in die 9B, zusammen mit einer Horde Leuten die sie noch nie in ihrem gesamten Leben gesehen hatte.

Aber laut diesem Plan sollte sie in den ersten Stock gehen, zu Zimmer vier. Und dort hieß es dann auf irgendeinen Lehrer warten, in der Hoffnung dass schon jemand käme.

Das tat sie. Audrey stand hier.

Und sie hörte wie sie über sie sprachen.

Das Getuschel war groß, zwar nicht nur über sie, aber dennoch. Ihre Mitschüler schienen sich alle noch aus dem letzten Schuljahr zu kennen und so fiel sie, als die Neue, natürlich total auf.

Eigentlich war Audrey nicht verlegen und hatte eine recht große Klappe, aber wenn du als Neue in eine fremde Umgebung geschickt wirst bist du erst mal eingeschüchtert.

Es war alles andere als angenehm, vor allem wenn sich alle nach dir umdrehten und du das Gefühl hattest jeder würde an dir was aussetzen.

Okay, sie war nicht megaschlank, sie hatte ein paar Kilo zu viel, aber sie war doch nicht dick. Nein, sie hatte… Wie sagte ihr Bruder mal? Ah, genau – Weibliche Rundungen.

Audrey war nach diesem Kommentar knallrot angelaufen, aber irgendwie hatte ihr Bruder ja recht. Zumindest war sie nicht fett.

Dennoch, wenn man neu ist hat man das Gefühl jeder würde nur das schlechte in dir sehen und mit dem Finger auf dich zeigen.

Und so ging das nun schon Minutenlang. Sie stand vor dieser Klassentür, in einem Flur voller fremder Leute, links und rechts nur blaue Schließfächer, dann wieder eine Tür und dann wieder Schließfächer.

Und auch wenn es nur ein paar Minuten waren, so kam ihr das alles so schrecklich lang vor! Was war heute nur los mit ihr? Verdammt, sie war sonst doch viel ruhiger, egal was geschehen war!

Dieser Umzug hatte ihr einfach nicht gut getan.

Aber diese Umstellung war auch die Härte. Sie hatte ihr gesamtes Leben in Maryland verbracht und jetzt hatte man sie in die Weiten Nebraskas, auf die hundert Jahre alte Farm ihrer Großeltern verschleppt.

Audrey hatte die Beiden nur ein paar Mal im Leben gesehen, von ihrem Onkel ganz zu schweigen und es war einfach alles so… anders als sie plötzlich da waren.

Und wie herzlich sie gewesen waren. So als hätten sie Audrey schon tausend Mal gesehen. Sogar ihr Onkel, Mike, hatte seine Nichte mit einer solchen Herzlichkeit empfangen… dass es ihr irgendwie Angst machte.

Okay, ihrer Mutter schien das zu gefallen, es war immerhin ihr Bruder und ihre Eltern, aber Audrey konnte sich damit nicht anfreunden. Es war einfach seltsam zwischen all diesen fremden Leuten plötzlich eine Familie sehen zu wollen.

Natürlich waren ihre Eltern noch da, aber die schienen von ihr regelrecht zu erwarten dass sie sich hier im null Komma nichts mit jedem bestens verstehen würde, so als hätte sie ihr Leben hier verbracht.

So war es aber nicht!

Sie vermisste ihre Freundinnen, ihre Schule, einfach ihr altes Leben.

Okay, innerhalb des einen Monats in dem sie nun schon hier war, hatte sie sich schon ganz gut mit ihren Großeltern angefreundet und auch an ihrem Onkel traute sie sich langsam näher ran, aber es war immer noch irgendwie seltsam.

Hm, im Grunde hatte sie den gesamten letzten Sommer mit drei Dingen verbracht: Umziehen, Zeichnen und im Internet surfen – welches hier im übrigen schnarchlangsam war.

Doch ihre Gedanken wurden unterbrochen, da plötzlich eine Lehrerin die Gang entlanggelaufen kam und direkt auf sie zulief. Aha, das musste sie sein, ihre neue Lehrerin.

„Miss Fletcher!“, rief ein Mädchen aus dem kleinen Auflauf heraus und ein paar sahen sich begeistert an.

Okay, zumindest schien die Frau beliebt zu sein, das konnte nur Gutes heißen.

„Ja, ich“ Sie grinste schief „Aber ich muss sagen ich hätte eine schlimmere Klasse abbekommen können.“

Gelächter.

Sogar Audrey versuchte mitzulachen, doch mehr als ein kleines Schmunzeln bekam sie nicht zustande.

Miss Fletcher war Anfang dreißig, hatte blondiertes, langes Haar, braune Augen und wie’s aussah schien sie Armbänder zu lieben. Sie trug gleich mehrere übereinander.

Nachdem sich jeder irgendwo hingesetzt hatte, sprach sie weiter: „Okay, schön euch alle wiederzusehen, aber bevor das Schuljahr losgeht möchte ich noch eine Sache sagen…“ Sie drehte sich einem Jungen zu, der mit ein paar seiner Kumpels, so schien es, in einer Reihe saß und stellte sich gespielt streng vor seinen Tisch „Mister Smith, ein Wort: Korken.“

Bei diesem Wort brach die gesamte Klasse in heilloses Gelächter aus und manche legten, einem Lachanfall nah, ihre Köpfe auf den Tisch und begruben ihn unter ihren Armen.

Der Lärmpegel war mit einem Mal auf hundert gestiegen und um ehrlich zu sein brachte allein DAS Audrey zum Lachen. Sie verstand diesen Insiderwitz mit dem Korken zwar nicht, aber sie musste einfach mitlachen, eben weil es alle taten.

Miss Fletcher kicherte jedoch nur leise und stellte sich an das Pult um ihren Blick einen Moment über die tosende Menge schweifen zu lassen.

„Okay… Nun beruhigt euch mal wieder, so lustig war das auch nicht, echt nicht.“, meinte sie und wartete bis die Menge sich beruhigte.

Ja, diesen Haufen hatte sie wohl ganz berechtigt vermisst.

„Nun, wie euch vielleicht schon aufgefallen ist habt ihr dieses Jahr eine neue Mitschülerin, Audrey Howard. Aber nun möchte ich dass jeder in ein paar Sätzen etwas über sich sagt, ja? Wir fangen hier vorne an, Mary, du beginnst.“

Und so kam es dass jeder etwas über sich sagte. Audrey war eine der letzten und obwohl sie sich all diese neuen Namen und Gesichter nicht merken konnte, so brannte sich der Name ‚Henry‘ bei ihr ein, immerhin hieß ihr Bruder auch so.

Und schließlich kam sie dran.

„Ich heiße Audrey Howard und bin vor einem Monat hier her gezogen. Aufgewachsen bin ich in Maryland, aber mein Vater hat hier ein Jobangebot bekommen und deshalb leben wir jetzt auf der Farm meiner Großeltern und meines Onkels. Ich mag zeichnen und schwimmen und habe einen großen Bruder der in Omaha auf die Uni geht.“, erzählte sie und hoffte nur dass man sie nicht groß hinterfragen würde.

Den Gefallen tat man ihr anscheinend auch, denn ohne jegliche Kommentare begann der nächste Schüler neben ihr zu sprechen.
 

Und so ging das dann bis zum letzten Schüler durch. Doch im Grunde fragte Audrey sich wozu das jetzt eigentlich gut war, sie würde das alles doch sowieso schnell wieder vergessen.

Danach folgte nur noch eine Einkaufsliste, mit Dingen die sie für dieses Jahr brauchen würden, was alles auf sie zukommen würde und der Stundenplan, einige Schüler die verreist waren und Miss Fletcher erzählten noch ein paar Ereignisse aus ihrem Urlaub und das war’s auch schon.

Tja, so konnte man auch drei Schulstunden totschlagen.

Und da heute der erste Schultag war durften die Schüler nach dem Mittagessen nach Hause.

In der Cafeteria saß Audrey, zwangsweise, bei einer kleinen Gruppe, bestehend aus ein paar Mädchen aus ihrer Klasse, da kein anderer Platz mehr frei war.

Ein wenig lustlos aß sie ihren Auflauf und immer wieder schielte sie zu den Anderen herüber, da sie hätte schwören können dass die über sie redeten.

„Ahm, hey… Audrey, stimmt’s?“, sprach sie endlich eines der Mädchen an. Es war diese… ähm… Ach ja, diese Elizabeth. Hübsches Mädchen, sie hatte echt tolle Haare… So schön schwarz und lockig, Audrey würde wahrscheinlich töten für solche Haare.

„Ja?“, fragte Audrey ein wenig verschüchtert. Sie hasste es einfach allein unter Fremden zu sein.

„Du sagtest doch du lebst auf der Farm deiner Großeltern und deines Onkels und so, nicht?“

„Ähm, ja.“, bestätigte Audrey und strich sich eine Haarsträhne hinters Ohr, was nicht wirklich etwas brachte.

„Sagt mal, ist das vielleicht diese Farm von Ronald Sampson, diesem alten Mann der einmal die Woche mit seinem alten Hund und seinem noch älteren Pick-up in den Ort fährt um was zu essen zu kauen?“, fragte sie.

Audrey nickte. Sampson war der Mädchenname ihrer Mutter und der alte Hund hieß Cooper, eine schätzungsweise hundert Jahre alte Promenadenmischung, die den ganzen Tag sowieso nichts anderes tat außer schlafen, Katzen anbellen und sich kraulen lassen. Aber Fremden gegenüber war er ziemlich ungemütlich. Als Audrey die ersten Tage auf der Farm war, hatte er sie immer sehr misstrauisch beäugt.

„Haha, oh mein Gott, na dann viel Spaß!“, rief nun eine von Elisabeths Freundinnen aus und die ganze Gruppe begann wie die Gänse zu kichern.

Audrey rammte nur mit zusammengebissenen Zähnen ihre Gabel in ihren Auflauf und schlang ihn nur so schnell wie möglich herunter.

„Nicht böse gemeint, aber dein Onkel… Im ernst, wir machen schon Wetten wann der das nächste Mal in den Knast kommt.“, kicherte nun Sophie, eine von Elizabeths Freundinnen.

Audrey sah auf. Sie wusste ja dass ihr Onkel schon ein paar Mal eingesessen hatte, aber das waren Kleinigkeiten, wie Schlägereien und er war immer auf Kaution raus gekommen, aber sie hätte nicht gedacht dass er ein solches Thema hier, auf der Schule, war. Sie hätte überhaupt nicht gedacht dass irgendwer ihn hier kannte, der Mann war schließlich Mitte dreißig, welcher Schüler interessierte sich schon für ihn?

„Ach… Nich so schlimm.“, wand Audrey seufzend ab und schaufelte nur schnell noch ihren Nachtisch, Erdbeerjogurt, in sich rein.

„Hey, das war wirklich nicht böse gemeint.“, rief Elizabeth ihr hinterher, als sie sah dass Audrey das doch irgendwie an die Knochen ging und sie eilig mit ihrem Tablett von dannen ging.

Was für Tussen! Audrey hätte wirklich kotzen können, für wen hielten diese Pussys sich eigentlich?

Etwas zu energisch rammte Audrey ihr Tablett in die Ablage, jedenfalls war es so energisch dass David, einer ihrer Klassenkameraden, mit einer Mischung aus Sarkasmus und Sorge um das arme Tablett auf dem Gesicht zu ihr sah.

„Oh je, was hast das arme Tablett dir angetan?“, hakte er nach.

Audrey drehte voller Verlegenheit den Kopf von ihm ab und schluckte schwer, ehe sie erwiderte: „Äh, nein, ich war nur etwas genervt.“

„Warum? Du bist noch keine fünf Stunden hier und schon so schlimm drauf?“

„Ach, diese Elizabeth und ihre Freundinnen haben da eine fiese Bemerkung gemacht… Ich find’s einfach respektlos dafür dass wir uns kaum kennen.“

„Die? Ach die ollen Gänse… Die können ganz nett sein wenn sie wollen, du musst sie nur kennenlernen.“

„Wie, bist du mit denen befreundet?“, fragte sie neugierig.

„Ach was, aber wir sind halt Klassenkameraden, ich red halt hin und wieder mit denen.“

„Achso…“

Um ehrlich zu sein wusste Audrey nicht mehr was sie noch sagen sollte, es wäre irgendwie besser wenn sie das Gespräch jetzt beenden würde… Sonst würde dieses Schweigen peinlich werden.

„Na dann, meine Mutter holt mich wahrscheinlich gleich ab, bis morgen.“, verabschiedete David sich plötzlich, als hätte er ihre Gedanken gelesen.

„Äh, klar, bis dann.“, rief Audrey ihm hinterher.
 

Da es der erste Schultag war durften die Schüler bereits nach dem Mittagessen in der Cafeteria nach Hause gehen.

Audrey fuhr mit dem Bus, während eine Menge Schüler aber auch liefen, abgeholt wurden oder mit dem Rad fuhren, da sie in der Nähe der Schule lebten, im Gegensatz zu ihr. Die Farm ihrer Großeltern war mindestens geschätzte hundert Kilometer von der Schule entfernt und da war der Bus das einzige Mittel rechtzeitig in der Schule zu sein wenn sie nicht um sechs Uhr morgens aufstehen wollte.

Die High School lag im nächst größten Ort und Audrey lebte, zumindest laut den Papieren, eben in einem Kuhkaff, von dem die Farm auch mindestens drei Kilometer entfernt war.

Ja, es klang genauso toll wie es war: Zum Kotzen.
 

„Hey Audrey, wie war der Erste Tag?“ Ihr Onkel, der gerade eine Zylinderkopfdichtung am Traktor austauschte, begrüßte sie ohne überhaupt aufzusehen. Audrey war gerade die Auffahrt hochgelaufen.

„Ach, ganz okay… Wusstest du dass die über dich reden und Wetten abschließen wann du in den Knast kommst?“, fragte sie entrüstet.

Doch Mike lachte bei dieser Feststellung nur amüsiert auf. „Wusstest du’s nicht? Ich bin ‘ne echte kleine Berühmtheit im Ort.“

„Macht dir das nix aus?“, fragte Audrey ungläubig.

„Pf, warum sollte es? Davon wird der Motor auch nicht schneller repariert. Und wenn ich auf jeden der was gegen mich hat hören würde, wäre ich längst tot. Ach, ruf mich übrigens wenn’s Essen fertig ist.“

Audrey seufzte. „Mach ich.“

Die Eingangstür stand offen, also musste Audrey zumindest nicht klopfen.

Als sie das Haus betrat lag Cooper ausgestreckt unter dem Esstisch und jaulte leise auf als Audrey den Raum betrat. Das Esszimmer war eine Art Vorraum zur Küche.

„Hm? Cooper? Wer ist da? Sahra, bist du das? Mike?“

„Nein Grandma, ich bin‘s.“, sagte Audrey und betrat neugierig die Küche. Es roch gut, so gut dass Audrey schon wieder Hunger bekam obwohl sie eben erst was gegessen hatte.

„Ach du bist es! Sehr schön Audrey, kannst du mir beim Tischdecken helfen? Hast du schon was gegessen?“

Audrey holte gerade Telle raus dem Schrank. „Ja, hab ich.“

„Aber sicher nicht genug! Du isst mir hier schön mit, sonst fällst du mir noch vom Fleisch!“

„Aber ich hab doch schon gegessen und ich hab auch gar keinen Hunger mehr.“

„Quatsch, Essen schadet nie! Hol für dich auch einen Teller.“, meinte ihre Großmutter bestimmt.

„Aber…“

„Keine Wiedersprüche.“

„Ja Grandma.“
 

„Wir sind zurü-hück!“, rief ihre Mutter durch das Haus als sie, Audrey Vater und ihr Großvater sich durch die Tür quetschten.

„Habt ihr den Thymian mitgebracht?“, fragte ihre Großmutter aus der Küche heraus und sah besorgt auf ihren Braten.

„Ja Mum, hier.“ Audreys Mutter kramte kurz in einer ihrer Taschen herum und holte etwas heraus was wie ein Salzstreuer aussah.

„Ah, klasse, danke, jetzt ist das Mittagessen gerettet.“, stellte ihre Großmutter erleichtert fest.

„Mum… es war nur Thymian.“

„Ja, aber er rundet alles ab!“

Audrey hätte sterben können. Gespräche über Gewürze, langweiliger ging’s nicht.

„Schatz, könnte ich jetzt bitte die Taschen irgendwo abstellen, meine Arme fallen ab.“, meldete sich plötzlich ihr Vater zu Wort.

„Ach, stell sie einfach in den Flur, aber hol das Hundefutter raus, Cooper versaut uns sonst die Einkäufe“, sagte Audreys Großvater und kam in die Küche geschlichen „Na Karen, was gibt’s heute?“

„Das was es gestern nicht gab. Und jetzt wascht euch die Hände, füttert den Hund und setzt euch hin!“

Audrey, die bisher nur brav auf ihrem Platz gesessen hatte musste doch zugeben dass ihre Großmutter ein wunderbarer Oberfeldwebel gewesen wäre. Sie hatte manchmal etwas ziemlich militärisches an sich.

„Na Cooper, du süßer, oller Schnucki?“ Audrey blickte unter den Tisch, wo die brau-grau-schwarze Promenadenmischung mit den Knickohren zu ihr aufsah.

„Audrey, dieser Hund war mal voller Männlichkeit, aber seit dem du so mit ihm redest verniedlicht er sich von Tag zu Tag.“, meinte ihr Großvater und stellte eine volle Futterschale in die Küche, wofür Cooper sich sogar erhob. Eigentlich war es ein Wunder dass der Hund überhaupt noch stehen konnte.

„Hey, das stimmt nicht“, verteidigte Audrey sich „Der wird gar nicht niedlicher, nur noch grauer und älter.“

„Ruhe jetzt! Audrey, ruf mal deinen Onkel und dann erzählst du uns wie dein erster Schultag war.“, befahl ihre Großmutter und warf ihrem Mann einen vernichtenden Blick zu.

Ja, sie war die unbestrittene Herrscherin über das Haus.

Von Langeweile, potenziellen Tanten und großen Brüdern

„Es wird sich schon einrenken, die gewöhnen sich an dich!“, äffte Audrey ihre Mutter nach. Sie ging jetzt schon seit einer geschlagenen Woche auf diese Schule und nichts hatte sich geändert. Keiner von denen gab sich auch nur ansatzweise Mühe zu ihr Kontakt zu suchen und anders herum. Aber heute war es wieder besonders beschissen gewesen: Als sie vom Klo gekommen war hatte jemand mit Edding „Fettes Schwein“ über den Spiegel geschmiert… So als ob derjenige genau gewusst hätte dass gerade sie nun jeden Moment vom Klo kommen würden. Es war ja nicht so dass nicht dauern jemand irgendwas auf’s Klo schmierte, aber das heute musste schon ein extrem großer Zufall sein.

Nun ja… Zumindest hatte sie eine Familie die sie nicht nach ihrem BMI-Wert beurteilen würde.
 

„Audrey, iss doch mal was.“ Ihre Großmutter hielt ihr bettelnd einen Suppenteller unter die Nase.

„Aber Granny, ich hab wirklich schon gegessen, ich bin satt!“, flehte Audrey und sah sich hilfesuchend nach ihrem Großvater um, der sich aber nur teilnahmslos hinter seiner Zeitung verkroch.

„Aber du musst doch was essen!“, widersprach ihre Großmutter entschieden.

„Nein, bitte, ich kann nicht mehr, ich völlig voll! Und ich muss jetzt wirklich Hausaufgaben machen, tut mir leid!“

Fast schon fluchtartig verließ Audrey die Küche, wobei sie fast über Cooper gestolpert wäre.

„Oh, tut mir leid Junge.“, meinte sie halbherzig, tätschelte flüchtig seinen Kopf und rannte die Treppen hoch.

Sie schmiss ihren Rucksack lieblos auf ihr Bett und ließ sich seufzend in ihren Schreibtischstuhl fallen. Sie hatte um ehrlich zu sein nicht mal mehr Lust Hausaufgaben zu machen. Egal.

Sie schaltete ihren Computer ein und holte anschließend ihr Mathebuch aus dem Rucksack, meldete sich dann auf Youtube an und ließ einfach irgendwelche Lieder, die sie in einer Playlist gespeichert hatte, ablaufen.

Musik war eine wundervolle Möglichkeit abzuschalten und einfach mal die Welt zu vergessen… Zumindest kurzfristig.

Denn das Mathebuch löste sich leider nicht von allein.
 

Fertig.

Nach einer halben Stunde Qualen und zehn verschiedenen Liedern war sie hiermit durch.

Doch als sie gerade dabei war alles zusammenzupacken kratze es an ihrer Tür und zu ihrer Überraschung war es Cooper der in ihr Zimmer kam.

„Hey, mein Süßer, was machst du denn hier?“ Es war untypisch für diesen alten Hund dass er in den ersten Stock lief, er hatte es nicht mehr so mit Treppen.

Cooper beachtete sie nicht groß und legte sich auf ihre Füße, unter den Schreibtisch. Na ganz toll, aber egal… Audrey hatte sowieso nicht vor aufzustehen, fürs Abendessen war es zu früh, also blieb ihr nichts anderes übrig als weiter ihre Musik zu hören und leer aus dem Fenster zu starren.

Es regnete schon den ganzen Nachmittag und so kam es dass es dunkler war als es eigentlich sollte.

Es gab einfach nichts mit dem sie sich hätte beschäftigen können. Außer Cooper, der zu alt für alles war und drei Katzen, von denen zwei halbwild waren, gab es auf dieser Farm keine Tiere mit denen Audrey sich hätte beschäftigen können.

Und auch generell gab es nichts was sie tun könnte. Ihre Mutter hatte ihr in den Sommerferien, als sie frisch hier hergezogen waren und sie gelangweilt auf dem Hof herumgelungert hatte, geraten doch vielleicht einen Verein oder etwas derartiges zu besuchen.

Aber was sollte Audrey denn machen? Sport? Auf keinen Fall. Sie schämte sich für ihren Körper. Sie war ja nicht richtig dick, aber sie gefiel sich nicht.

Und ansonsten? Um ehrlich zu sein hatte Audrey auch keine Lust auf irgendwelche Vereine. Die Schule ‚forderte‘ sie genug.

Es war einfach nur diese Langweile, die so unerträglich war. Es gab hier nichts für sie zu machen, gar nichts.

Freundinnen hatte sie keine, ihre Eltern waren entweder neue Möbel für’s Wohnzimmer kaufen, oder Arbeiten oder wie die Hölle was. Und ihre Großeltern… Nun ja, das war so: Ihre Großmutter traf sich, wenn sie nicht gerade irgendwas kochte, zwei Mal die Woche mit ihren Freundinnen und unterhielt sich über alles mögliche. So kam es jedenfalls dass alle drei Wochen sechs alte, redefreudige Damen zu Besuch kamen und Audrey mit Kuchen vollstopften, wenn sie auch nur in der Nähe des Wohnzimmers war.

Und ihr Großvater fuhr fast jeden Tag mit Cooper in den Ort, kaufte ein was eben gebraucht war, kam wieder nach Hause, kümmerte sich um die Farm und traf sich abends mit seinem Kumpels in der nächsten Kneipe. Das fiel momentan aber aus, da die Felder geerntet werden mussten.

Und ihr Onkel… hm… Da wusste Audrey auch nicht wirklich weiter. Er half momentan zwar auch bei der Ernte, aber sonst war er meistens nicht zu Hause. So viel sie wusste arbeitete er Nachmittags als Automechaniker, musste sich aber hauptsächlich um Erntemaschinen und Traktoren. Audrey glaubte zudem dass er eine Freundin hatte, aber so wirklich wusste das auch niemand, er war nicht sehr redselig was das anging.

Aber zurück zum wesentlichen: Sie langweilte sich.

Natürlich gab es da noch die wundervolle Alternative Internet, aber wirklich Lust darauf hatte sie auch keine.

Jaaaaa, es war offiziell, sie starb hier oben und niemand schien es zu bemerken.

Doch Cooper stand plötzlich auf, wedelte aufgeregt mit dem Schwanz und jaulte mitleidig.

„Hey, was ist denn mein Süßer? Musst du mal raus? Hmmmm, musst du“, fragte Audrey ihn und sprang so schnell aus ihrem Schreibtischstuhl auf, dass sie beinahe hingefallen wäre „Na komm mein Süßer, vielleicht kannst du mir etwas Abwechslung geben.“

Sie riss die Tür auf und Cooper folgte ihr die Treppen herunter, doch sie schaffte es mal wieder nicht das Haus zu verlassen, ohne von ihrer Großmutter bemerkt zu werden.

„Audrey, wo willst du denn hin?“, fragte sie mit einer Schüssel in der Hand, in der sie unablässig herumrührte. Aha, sie kochte… schon wieder.

„Ich geh mit Cooper Gassi.“

„Ach so, ja, klar, gerne. Aber nimm dein Handy mit!“

„Mach ich!“ Nur noch ein paar Meter bis zur Tür, dann war zumindest dieser Nachmittag gerettet. Doch ihre Großmutter war noch nicht fertig.

„Und wenn er auf das Grundstück der Harrisons läuft, ruf ihn sofort zurück! Diese Leute sind widerlich, halt dich bloß von ihnen fern.“

„Mach ich!“, antwortete Audrey nun merklich genervter als zu Anfang.

„Diese Menschen mögen keine Menschen, keine Tiere, wundert mich dass die ihr Getreide nicht anschreien. Und die legen Giftköder aus, anscheinend für die Füchse, aber Cooper hätte so was fast einmal gefressen und er war sicher nicht der erste.“

„Ist gut Granny! Ich geh doch nur einmal in den Ort und wieder zurück, ich werd schon keine fremden Farmen untersuchen! Kann ich jetzt BITTE gehen?“, bettelte Audrey. Sogar Cooper schien ihrer Meinung zu sein, denn er scharrte mit der Pfote an der Tür.

„Meinetwegen, dann geht eben. Aber vergesst den Regenschirm nicht.“

„Ja, Granny.“
 

„Cooper, komm her, was hast du denn da schon wieder gefangen“ Cooper kam hechelnd durch den Regen angetrabt und eine tote Maus hing ihm aus dem Mundwinkel „Pfui, gib das her.“ Audrey ging in die Knie und griff ihm ins Maul, woraufhin Cooper zu würgen begann und die Maus herausfiel.

„Du Trottel, du sollst nicht ständig Tiere zum Spaß töten.“, schimpfte Audrey, richtete sich wieder auf und klopfte Cooper am Rücken. Kurz darauf hüpfte er wieder auf dem abgeernteten Feld neben ihr durch die Gegend.

Es war schon seltsam. Zum Einem war Cooper geschätzte hundert Jahre alt und hatte beim Treppensteigen Probleme, zum Anderen sprang er hier neben ihr wie ein junger Welpe durch den Schlamm und erbeutete Mäuse.

Doch sie würden bald die Ortseinfahrt erreichen und Audrey hatte ihn da lieber bei sich. Er hatte zwar keine Leine, aber ein Halsband, welches genau in der richtigen Höhe zum Greifen war, wenn sie den Arm hängen ließ.

„Cooper, komm!“, rief sie und der schwarze Rüde kam hechelnd angelaufen. Eines musste Audrey ihrem Großvater dann doch lassen, nämlich dass er diesem Hund eine erstklassige Erziehung gegeben hatte. Er gehorchte wirklich aufs Wort.

„Brav und jetzt bei Fuß.“, befahl sie, griff aber dennoch sicherheitshalber nach seinem Halsband.

McNeil war kein wirklich großer Ort, im Gegenteil, es war ein Provinzstädtchen in dem nichts los war.

Aber was Audrey hieran durchaus gefiel war, dass jeder jeden kannte. Sie wusste nicht warum, aber es gefiel ihr einfach.

Jedoch hörte sie plötzlich eine vertraute Stimme die nach ihr rief und auch Cooper stellte wachsam die Ohren auf.

„Audrey, hier hinten.“ Sie sah sich etwas verwirrt um, doch da erblickte sie ihren Onkel auf der überdachten Terrasse eines, bessergesagt des einzigen, Restaurants Schrägstrich Imbisses sitzen. Und er war nicht allein, bei ihm saß eine junge Frau, vielleicht Ende zwanzig, mit langem, schwarzem Haar.

„Mike? Was machst du denn hier?“, fragte sie überrascht als sie mit Cooper den Tisch erreichte an dem ihr Onkel saß.

„Ach, nich‘ so wichtig. Aber was machst du hier? Und warum hast du Cooper dabei, mein Vater lässt den doch nie aus den Augen.“

„Ach, dann ist das also der Cooper von dem du immer redest und das ist deine Nichte, hm? Aber Cooper ist ja süß“ Die Begleitung ihres Onkels sagte nun zum Ersten Mal auch etwas und klopfte sich dann auf die Oberschenkel „Der ist ja niedlich, komm mal her du süßes Ding, du!“

Doch Cooper reagierte gar nicht auf sie und rührte sich nicht von der Stelle.

„Ich war nur mit Cooper Gassi, aber jetzt mal ehrlich was tust du hier?“, fragte Audrey und sah verwirrt zwischen ihrem Onkel und seiner Begleitung hin und her.

„Ach Audrey, nicht so wichtig, das erklär ich dir später, aber soll ich dich gleich mit nach Hause nehmen? Wie bist du überhaupt hier hergekommen?“

„Gelaufen, den ganzen Weg. Aber jetzt sag mal was du hier tust und wer die Frau ist.“

„Audrey, ich erklär dir das alles im Auto, aber wenn du schon hier bist…“ Er zeigte auf die Frau „Victoria Perry, eine Freundin. Hier sind die Schlüssel, steig‘ schon mal ins Auto.“

Okay, das ging jetzt irgendwie doch etwas plötzlich. Gerade eben hatte er sie zu sich gerufen und jetzt schien er sie nur noch abwimmeln zu wollen.

Aber wenn er es so wollte… Der würde eine verdammt gute Erklärung brauchen.
 

Jedenfalls saß sie, Cooper im Fußraum, auf dem Beifahrersitz des Pick-ups ihres Onkels und wartete seit geschlagenen zehn Minuten auf ihn.

Okay, wenn er in fünf Minuten nicht kam würde sie ihn rufen! Und wenn sie ihn vor allen Gästen lächerlich machen müsste!

Aber wenn man vom Teufel spricht, da kam er.

„Was hat da so lang gedauert? Du warst zehn Minuten lang weg und sag mir endlich wer diese Frau war und warum du so pampig wurdest.“

„Jetzt mal ruhig mit den jungen Pferden! Ich sagte bereits, ihr Name ist Victoria Perry, sie ist eine Freundin.“

„Aha, eine Freundin. Wo lernst du solche Leute kennen? Du arbeitest entweder in ‘ner Werkstadt oder machst sonst irgendwelche Dinge die nicht gerade behilflich sind um so einen heißen Feger wie die abzubekommen, ja?“

Mike sagte nichts, sondern startete einfach nur den Wagen und fuhr los.

„Hey, ich rede mit dir!“, maulte Audrey.

„Ich hab dich ja gehört! Aber gut, du musst mir aber versprechen es niemandem zu sagen, ja?“

„Okay.“

„Versprich es! Wirklich, ich mein das ernst, versprich es mir!“

„Okay! Ich, Audrey, verspreche dir dass ich, egal, was jetzt kommt, nichts darüber zu irgendwem sagen werde, außer es handelt sich um Mord.“

„Audrey… Du klingst mir nicht sehr ernst.“ Der Wind blies einen kräftigen Regenschauer auf die Frontscheibe und die Regentropfen prasselten noch lauter als zuvor dagegen.

„Bitte! Ich schwöre auf Coopers imaginäre Leine, ich verrate nichts, Geheimnisse sind bei mir sicher, glaub mir.“

Mike sah sie noch einen Moment zweifelnd an, doch dann schien sie ihn doch überzeugt zu haben. „Audrey, ich sag’s dir, aber solltest du mich verpetzen bist geliefert. Also…“ Mike machte eine theatralische Pause „Victoria ist meine Freundin, seit zwei Jahren schon.“

„AHA!“ Triumph! Oh, du süßer Sieg!

„Nun tu mal nicht so! Aber komm gar nicht erst mit deinen Anspielungen, denn die bringen mir herzlich wenig, okay?“

„Jaja, mach ich“, versprach sie und grinste noch immer in sich hinein „Aber sag mal... Wie ist die so? Und wie hast du sie kennengelernt?“

Mike seufzte nochmals. Toll, jetzt wusste sie es und jetzt würde sie auch garantiert nicht mehr locker lassen.

„Ich hab sie vor zwei Jahren in Omaha kennengelernt, beim Einkaufen.“

„Ja, toll, interessiert mich nich, wie IST sie so?“

„Sie ist süß, ein bisschen naiv, aber total weltoffen und begeisterungsfähig. Einfach nur niedlich, sie ist–“

„… ‘ne Tussi.“, beendete Audrey den Satz.

„Nein! Ach, hör doch auf, du kennst sie doch gar nicht.“

„Oh bitte! Naiv, dumm… TUSSI!“

„Audrey! Wenn sie eine wäre würde ich es keine zwei Jahre mit ihr aushalten.“

„Okay, aber wenn du das allen erzählst will ich dabei sein. Nein, noch besser, ich halte das auf Video fest!“

„Jetzt mal halblang! Hier wird nichts auf Video festgehalten.“, widersprach Mike ihr und bog nach links ab.

„Ach wie schaaaaaade…“, Audrey seufzte gespielt gequält, doch sie würde sich schon an ihr Versprechen halten. Was das anging war sie äußerst zuverlässig.
 

„Und dann hat dieser Volltrottel von Mac Leaggen doch wirklich gemeint Gary solle ihm doch ‚ein paar Kühe sponsern‘. Was für ein Trottel. Man kennt diesen Widerling seit fünf Minuten und da kommt er schon mit solchen Bitten.“

Audrey und ihre gesamte Familie saßen beim Abendessen und ihr Großvater regte sich gerade über einen Typen auf, der einen seiner Freunde, einen gewissen Gary, um ein paar Kühe für ein Rodeo gebeten hatte und Gary seit gerade mal ‚fünf Minuten‘ kannte. Okay, Audrey mischte sich bei so was ja normalerweise nicht ein, aber eine Frage hatte sie dann doch.

„Was für Rodeos?“

„Ach, die Saison geht ja eigentlich zu Ende, aber der Typ bekommt den Hals wohl nicht voll. Manchmal gibt es auch Sachpreise, wie Kühe zu gewinnen. Doch Rodeos sind eher im Westen Nebraskas populär, hier im Osten gibt’s ein paar Rennbahnen.“, erklärte ihr Großvater.

„Mum, was ist das?“ Mike zeigte, ohne auf seinen Vater groß einzugehen, auf etwas auf seinem Teller.

„Sellerie.“, bekam er zur Antwort.

„Ah, okay.“ Und schon landete der arme Sellerie am Tellerrand.

„Wisst ihr was ich heute in der Stadt gesehen habe?“, begann Audrey nun großspurig, wobei Mike fast das Herz stehen blieb.

„Was denn? Haben die etwa Toilettenpapier runtergesetzt?“, fragte ihre Mutter scherzend.

„Neiiiin… Ich hab jemanden gesehen…“

„Aha, wen?“

Spätestens jetzt hätte Mikes Blick getötet.

„Coopers Tierärztin.“, antwortete sie breit grinsend.

Mike hätte ihr jetzt wohl sehr gerne den Hals umgedreht.

„Na und?“

„Ich glaub sie hat sich die Haare gefärbt.“

„Ach, das tut sie doch ständig“, erwiderte ihr Großvater „Aber wie geht’s dir in deiner neuen Schule?“

„Gut.“ Uuuuh, sie böses Mädchen, hatte ihrem Großvater und allen Beteiligten eiskalt ins Gesicht gelogen.

„Ach, das freut mich. Übrigens hat Henry vorhin angerufen, ruf ihn doch nach dem Essen zurück.“, bat ihre Mutter sie.

„Was wollte er?“, hakte Audrey nach.

„Weiß nicht, darum sollst du ihn doch zurückrufen.“

„Okay, aber erst seh ich noch nach den Katzen.“
 

„Miez, miez, wo sind meine Kätzchen?“ Audrey schüttelte eine Katzenfuttertüte umher. Bei diesem Rascheln kamen die drei eigentlich immer angelaufen.

Das Futter für die drei stand auf einem Strohballen, aufgeteilt in drei Näpfe, die in einem gewissen ‚Sicherheitsabstand‘ zueinander aufgestellt waren.

„Babu, Mittens, Cleo, wo seid ihr denn? Miez, meiz!“, rief Audrey durch die Scheune. Sie strich sich durch das vom Regen feuchte Haar, dann raschelte sie wieder mit der Futtertüte herum.

Und tatsächlich sah sie drei Augenpaare im schwachen Licht aufleuchten.

„Ach, da seid ihr ja.“, begrüßte sie die Katzen.

Babu war ein fetter, fauler, rotgetigerter Kater und der zahmste der drei Katzen. Mittens und Cleo waren schwarz-weiß gescheckt und alle beide recht scheu. Streicheln konnte man sie wenn sie einen guten Tag hatten, aber hochnehmen ging gar nicht.

Das hatte Audrey mindestens schon einige hundert Mal in Form von Kratzern am eigenen Leibe zu spüren bekommen.
 

Nachdem sie die Katze gefüttert hatte und geduscht in ihrem Zimmer saß hatte sie das Telefon in der Hand und wählte die Nummer ihres Bruders. Er lebte im Wohnheim seiner Universität und so viel sie wusste hatten er und drei andere Typen dort ein gemeinsames Telefon. Audrey konnte nur hoffen dass das Telefon nicht gerade von einem der Typen besetzt war.

Doch bereits nach zwei Mal tuten hob jemand ab.

„Parker?“, meldete sich jemand.

„Äh, nein, ich bin Audrey, Henrys Schwester.“, stotterte sie nervös.

„Oh, Sekunde…“ Audrey hörte Geraschel an der anderen Leitung „Hey, Tudor, deine Schwester ruft an!“

Dann war es kurz ruhig, ehe Audrey wieder ein Rascheln hörte und schließlich die Stimme ihres Bruder vernahm.

„Audrey, ah, gut, du hast zurück gerufen.“, begrüßte er sie.

„Jup, hab ich. Aber sag mal, warum hat der dich Tudor genannt?“, fragte sie.

„Ach, das war Nathan, er studiert irgendwas mit Geschichte. Und ein Englischer König hieß Henry Tudor, der mit den sechs Ehefrauen, von denen zwei geköpft, zwei geschieden und eine bei der Geburt ihres Kindes gestorben ist.“

„Aha… Okay euer Majestät und was war mit der sechsten Ehefrau?“

„Oh, die hatte das Glück den guten Henry zu überleben, ist aber ironischer weise bei der Geburt ihres ersten Kindes am Kindbettfieber gestorben, genauso wie Ehefrau Nummer drei.“

„Aha… Äh… Sag mal, warum weißt du das?“

„Wenn du mit Nathan in einem Zimmer lebst kommst du da nicht drum rum.“

„Aha… Okay… Äh, sag mal, du hast vorhin aber nicht angerufen um mit mir über alte Könige zu reden, oder?“, hakte Audrey nun nach.

„Oh, genau, richtig, also, ist wirklich wichtig und ich glaub du bist meine letzte Hoffnung. Mit Mum und Dad kann ich da nicht drüber reden, die würden sofort nein sagen, aber DU, ich glaub wenn DU mit denen angelaufen kommst ist das was völlig anderes.“

Irgendwie hatte Audrey jetzt doch ein mieses Gefühl in der Magengegend.

„Äh, was redest du?“

„Also“, begann Henry „Einer meiner Zimmerkameraden hat ‘ne Schwester und diese Schwester hat Farbratten, die Junge bekommen haben. Zehn Stück. Zwei sind noch übrig und wenn die niemand innerhalb der nächsten Woche nimmt hat ihr Vater gedroht sie zu töten.“

„Was?! Ach komm, das muss ein Witz sein.“

„Glaub ich nicht, mein Kumpel hier meinte sein Vater meint das ernst.“

„Ja und was soll ich dann tun?! Soll ich etwa in der Schule rumfragen wer denn grade zwei Ratten haben will?“ In Audrey machte sich in dem Moment zwar eine Vorahnung breit, aber solange ihr Bruder die nicht bestätigen würde, wäre alles gut.

„Ne, also schau mal… Die beiden Ratten sind gerade bei uns. Wir haben sie in einer Holzkiste, aber irgendwann wird das auffallen, wir können nicht auf ewig mit Heu und was weiß ich durch das Wohnheim laufen“, erklärte Henry „Verstehst du was ich meine?“

„Äh… Soll ich euch etwa Stroh von der Farm zu euch schicken?“ Immer schön dumm stellen, vielleicht half das.

„Audrey! Komm schon! Ich wollte dich fragen ob du die Kleinen nehmen willst!“

Audrey schluckte. Jetzt wo ihr Bruder ihr ihre Vorahnung bestätigt hatte, war es doch eine ziemliche Last. Sie hatte ja nichts gegen Ratten, ach was, sie fand sie total süß, aber ihre Mutter fand Ratten ekelhaft und alle anderen aus ihrer Familie sahen in denen nur Ungeziefer. Und da sollte SIE zwei von denen einfach aufnehmen?!

„Henry, bist du meschugge?!“, rief sie fassungslos ins Telefon und starrte ungläubig auf ihre Fußnägel.

„Nein, bin ich nicht! Aber bei dir hätten sie es besser als bei uns! Komm schon, kannst du denn nicht…“

„Nein! Ich bitte dich, du kennst unsere Eltern! Da hab auch ich keine Chance, das kannst du vergessen!“, widersprach Audrey bestimmt.

Stille.

„Okay… Andere Idee, hör zu“, fuhr Henry nun fort „Ich und meine Kumpels suchen unter Hochdruck nach Abnehmern für die Kleinen und du nimmst sie nur vorrübergehen, ja?“

Stille.

„Wie lange?“, fragte Audrey schließlich zögerlich.

„Heißt das ja?!“

„Nein! Aber eine kurze Zeit lang würde ich es dann wohl doch schaffen die beiden versteckt zu halten, aber ich müsste wissen auf was für eine Zeit ich mich da einstellen müsste.“, erklärte Audrey genervt. Sie hoffte nur in ihrem Bruder keine falschen Hoffnungen geweckt zu haben.

„Weiß nicht, so ein, zwei Wochen wäre durchaus möglich. Bitte Audrey, du bist echt unsere allerletzte Hoffnung, wir haben echt schon alles versucht.“

Oh nein, jetzt kam die Mitleidstour. Auf die gab Henry sich wirklich nur hinab wenn die Lage aussichtslos erschien.

„Also gut… Wann soll ich die Ratten holen?“, fragte sie und musste sich geschlagen geben.

„Diesen Samstag, okay? Ich kann dir per Facebook die genauen Bus- und Bahnverbindungen schicken, hab schon alles ausgeplant.“

Okay, das ließ Audrey stocken. Warum hatte ihr Bruder so was vorgeplant?

„Aha… Warum hast du das schon alles geplant? Hast du etwa gedacht ich sag doch sowieso ja oder was? Ey, ich bin-“

„Ich lieb dich auch! Bis Samstag!“

Aufgelegt.

„Ja, danke.“ Audrey legte das Telefon genervt zur Seite und seufzte gequält. Oh Himmel, auf was hatte sie sich da grade nur eingelassen? Und das schlimme war… Vor ihr lagen noch vier grausame Schultage bis Samstag.

Ratten

Die Woche zog sich bis Samstag dermaßen langsam hin, dass Audrey glaubte das Wochenende würde gar nicht mehr kommen. Aber als sie an diesem Samstagmorgen die Augen aufschlug machte sich vom ersten Moment an eine solche Anspannung in ihr breit, dass sie glaubte zu platzen.

Nachdem sie sich fertig gemacht hatte, Geld und ihr Handy eingepackt hatte, wollte sie eigentlich los. Der Bus den sie erwischen musste kam in fünfzehn Minuten und wenn sie den verpassen würde, würde sie zwei Stunden auf den nächsten warten müssen.

„Bye Mum, ich geh Henry besuchen.“

Ihre Mutter, welche die Reste des Frühstücks aufräumte sah auf.

„Ach ja, richtig… Aber iss dort was, okay?“

„Mach ich.“ Audrey schnürte schnell ihre Schuhe zu und wollte nun eigentlich gehen.

„Ach, und nimm doch Cooper mit, der freut sich bestimmt deinen Bruder mal wieder zu sehen und so eine große Stadt wäre bestimmt interessant für ihn.“, rief ihr Großvater aus dem Wohnzimmer.

Okay, das war jetzt… scheiße. Cooper war überhaupt nicht eingeplant gewesen. Aber andererseits… was sollte passieren? Er war guterzogen, er machte keinen Unsinn.

„Äh, okay, wo ist er?“

„Draußen, die Leine liegt auf dem Tisch im Flur.“, antwortete ihr Großvater ihr.

„Okay, bis heute Abend dann.“, verabschiedete Audrey sich, schulterte ihre Tasche und schnappte sich die Leine.

Als sie das Haus verließ sah sie Cooper auf der Veranda dösen.

„Cooper! Komm her, wir machen einen Ausflug!“

Als sie die Leine in die Höhe hielt stellte er die Ohren auf und eilte mit wild wedelndem Schwanz auf sie zu. Hätte er doch nur gewusst was für ein Ausflug das werden würde, wäre er wohl lieber liegen geblieben.

„Ja, das freut dich, hm? Aber jetzt sei lieb und beeil dich, wir müssen den Bus bekommen.“
 

Ganz im ernst: Wenn sie nicht gerannt wäre, hätten sie den Bus verpasst. Cooper war schon ohne Leine langsam wie sonst was und mit Leine musste man ihn regelrecht hinter sich herziehen. Aber zumindest hatte sie den Bus erwischt und saß jetzt auf einem Viererplatz, Cooper hechelnd zwischen ihren Beinen. Wenn sie wirklich alle Buse so schaffen würde wie es ihr Bruder geplant hatte, dann müsste sie in einer Stunde in Omaha sein.

Natürlich.

Wenn es klappte.
 

Und zwei Stunden später war sie endlich da wo sie hinwollte: Omaha.

Warum sie so lange gebraucht hatte? Nun ja, wenn ihr blöder, dritter Bus nicht zu spät gekommen wäre, hätte sie den Bus der sie endgültig nach Omaha gebracht hätte, noch erwischt, aber natürlich konnte ihr das Schicksal diesen Gefallen NICHT tun, warum auch? War ja nur Audrey.

Aber sie hatte ihrem Bruder bereits bescheid gesagt, also war das so gut wie geklärt, in Omaha war sie ja endlich.

Das was sie als richtige Großstadt bezeichnet hätte. Sie wusste schon gar nicht mehr wann sie das letzte Mal so hohe Häuser gesehen hatte, denn in dem Ort wo sie zur Schule ging war das höchste Gebäude das Bürgerhaus.

Cooper schien das alle aber relativ egal zu sein, er war voll und ganz mit all den neuen Gerüchen beschäftigt.

Aber Audrey musste sagen, dafür er nie in einer Großstadt gewesen war, er erstaunlich ruhig und gelassen an der Leine ging, auch wenn seine Nase ununterbrochen nur Zentimeter von dem Boden entfernt war.

Aber jetzt musste Audrey erst mal die Uni finden. Ihr Bruder hatte ihr nur die Busverbindungen bis nach Omaha geschickt, zur Uni, sagte er, schaffe sie es dann allein, sie müsse nur fragen.

Also gut, gesagt getan.

„Äh, Entschuldigung“, sie lief eilig neben einem Mann her „Sir, wissen Sie wo es hier zur Uni geht?“

Der Mann neben ihr sah sie erstaunt an. „Äh, ja, aber bist du nicht noch ein wenig zu jung zum Studieren? Du hast doch bestimmt noch keinen High School Abschluss.“

„Äh, nein, ich will dort meinen Bruder besuchen, er lebt dort im Wohnheim.“

„Ach so. Also am einfachsten wäre es wenn du an der Bushaltestelle dort wartest und den nächsten Bus nimmst, der hält auch irgendwann bei der Universität, aber ich wäre vorsichtig, an den Wochenenden sind einige Studenten bereits Morgens stockbesoffen. Na ja, ich hoffe ich konnte helfen.“

Audrey sah dem Mann einen Moment merklich verwirrt entgegen, doch sie bedankte sich schnell und eilte dann zu der Bushaltestelle, die ihr gesagt wurde.

So schnell wie Cooper es eben zuließ.
 

„Äh, Entschuldigung… Entschuldigung, darf ich? Sorry, kann ich mal… danke…“ Nur mit Mühe kämpfte Audrey sich durch die Studentenmassen, von denen sicherlich einige bereits stark angetrunken waren. Das lag sicherlich an zwei Faktoren: Erstens mal war es Samstag und zweitens wurden die letzten Sommertage im September noch solange ausgekostet, bis es eben zu kalt war um in Hotpants und T-Shirt durch die Gegend zu rennen.

Eigentlich herrschte auf dem Universitätsgelände anscheinend Hundeverbot, aber bisher hatte sie niemand auf Cooper angesprochen, also hatte sie auch gar keinen Grund ihn zurückzulassen.

Na ja, hier schien sich sowieso niemand was aus Regeln zu machen. Alle waren so gut drauf, sprachen ganz eifrig darüber was sie heute Abend tun wollten und wer sich mit wem wo traf.

„Äh, sorry, weißt du wo das Wohnheim ist? Ich such meinen Bruder.“ Das Mädchen welches sie angesprochen hatte beachtete sie aber gar nicht weiter und Audrey zweifelte daran ob sie sie überhaupt bemerkt hatte.

Aber da gab es doch noch eine ganz andere Lösung, natürlich, warum war sie da nicht gleich drauf gekommen?
 

„Henry?“

„Audrey! Bist du endlich in Omaha angekommen?“, fragte ihr Bruder von der anderen Leitung.

„Ja, ich sitze auf einer Bank auf eurem Universitätsgelände. Wo ist dein bescheuertes Wohnheim? Cooper hat seit Stunden nichts getrunken, er verdurstet mir noch.“

„Ach, er ist auch da?“, hakte Henry erstaunt nach.

„Ja, hier ist zwar anscheinend Hundeverbot, aber es scheint echt niemanden zu kümmern.“

„Na ja, dann bist du wohl noch nicht auf Mister Plugg gestoßen, der Kerl ist dermaßen ätzend, der würde dich sofort vom Geländer schmeißen.“

„Klingt ja super.“ Audrey klemmte ihr Handy zwischen ihre Schulter und ihr Ohr und öffnete eine Wasserflasche, die sie kurz vor ihrem Anruf einem Studenten für drei Dollar abgekauft hatte.

„Hey, hier mein Schatz, du bist ja völlig ausgedurstet.“ Sie lies das Wasser langsam in Coopers Schnauze fließen und hielt eine Hand unter sein Kinn, damit nicht so viel davon daneben gehen würde.

„Was?“, fragte Henry verwundert.

„Nicht du Idiot! Ich meinte Cooper! Ich hab einem Typen gradeeben ‘nen halben Liter Wasser abgekauft, zum völlig überteuerten Preis von drei Dollar! Also, wo bist du verdammt? Ich will endlich die Ratten abholen, zudem hab ich Hunger und der Hund braucht auch mal was zu fressen. WO bist du?“

„Gegenfrage, wo bist du?“

„Keine Ahnung. Hinter mir ist ‘ne Wiese und vor mit ist so ‘ne Art Sitzungssaal oder Turnhalle… Ich weiß nicht, irgendein hohes Gebäude.“

„Ach so, da bist du… Weißt du was, blieb wo du bist, ich hol dich ab… Was hast du an?“

„Soll das so ein perverso-Gespräch werden?“, fragte Audrey schnippisch und musste augenblicklich grinsen.

„Sehr lustig. Also?“

„Nun ja, ich hab einen uralten, schwarz-braun-weißen, vierzig Kilo schweren Hund mit Schlappohren bei mir, müsste das nicht deutlich genug sein?“

„Okay! Bleib einfach wo du jetzt bist, ich bin gleich da.“ Mit diesen Worten legte Henry auf.

Audrey hatte keine drei Minuten auf ihren Bruder gewartet, da sah sie ihn auch schon auf sich zukommen und zu sich winken.

Henry hatte seine hellblonden Haare an den Seiten kurz geschoren und sie nur oben aufgegelt. Er trug ein blau-weiß gestreiftes T-Shirt und eine orangene Shorts an. Das war ja alles noch völlig in Ordnung wenn er nicht diese Potthässlichen Schlappen angehabt hätte.

„Na, gut hergefunden?“, begrüßte er sie.

„Willst du mich verarschen? Ich musste eine Stunde auf einen Bus warten, hab einem Typen zu einem Wucherpreis Wasser abgekauft, hab Hunger und werde heute Abend mit zwei Ratten nach Hause kommen, die auf unbestimmte Zeit versteckt werden müssen.“

„Okay, okay, tut mir leid! Aber ich spare auf ‘ne eigene Karre. Aber hör mal, ich zeig dir jetzt die Ratten, danach gehen wir was essen. Ich kenn da ein super Restaurant, ganz in der Nähe.“, schwärmte Harry und führte Audrey zu einem großen Wohnkomplex hin.

„Lass mich raten“, meinte diese unbeeindruckt „Mac Donalds?“

„Nein, besser! Burger King. Die haben besseren Kaffee und ihre Pommes sind die geilsten.“

„An dem Kaffee verbrennst du dir die Zunge! Als Dad mir dort mal einen bestellt hat und ich ihn schlucken wollte hab ich einen halben Tag meine Geschmacksknospen nicht mehr gespürt.“

„Das ist nicht mein Problem. Aber komm jetzt. Warum hast du eigentlich Cooper mitgenommen?“

„Ja wollt ich doch gar nicht, Grandpa hat das vorgeschlagen, er meinte wohl Cooper würde die Abwechslung zum ruhigen Landleben gut tun.“

„Das sehe ich.“ Oh, der Sarkasmus! Der unendlich triefende, unüberhörbare Sarkasmus in seiner Stimme!

„Na ja“, begann diese, als sie das Studentenwohnheim betrat „Wohin jetzt?“

„Gleich hier um die Ecke.“

Henry schloss ihnen die Tür zu einem Zimmer auf, welches chaotischer nicht hätte sein können.

Es gab drei Betten: Ein Stockbett und ein Einzelbett, beide waren dicht aneinandergeschoben. Dazu kam ein riesiger Schrank, der eine ganze Wand für sich beanspruchte, aber seinen Zweck anscheinend überdrüssig war, denn der gesamte Inhalt war in einer gleichmäßigen Schicht über die Betten, ein paar Stühle, einen Tisch und den Fußboden verteilt. Leere Chipstüten und andere Verpackungsreste von Junkfood lagen hier und da rum und stinkende Sportschuhe wurden auf einen Haufen in eine Ecke geschmissen. Die Betten ungemacht, auf dem Fenstersims eine leere Bierflasche, der Mülleimer quoll über. Die Wände waren mit Postern von Filmen, Bands und vorzüglich weiblichen Sängerinnen übersäht und irgendwo inmitten dieses Chaos sollten also zwei Ratten leben? Die armen Ratten.

Und dann gab es da, inmitten dieses Chaos eine wahrhafte Oase an Sauberkeit und Ordnung: Den Schreibtisch. Der Ort, wo alle drei Laptops der Zimmerbewohner, nach Größe geordnet, in einer Reihe nebeneinander standen, im Hintergrund feinsäuberlich die zusammengewickelten Ladekabel, ein Becher mit Schreibmaterial und eine Lampe.

Aber das war’s auch schon.

„Oh Gott, hier lebt ihr?“, fragte Audrey fassungslos.

„Hm… Ja, sollte mal wieder aufgeräumt werden, aber Nathan hat gestern ein paar Freunde auf’s Zimmer eingeladen und ich sag dir, mit dem Kater mit dem der heute Morgen wach geworden ist war Wahnsinn, der ist fast gestorben und da mussten ich und Billy die ganze Vorarbeit leisten.“, erzählte Henry und riss ein Fenster auf, so dass frische Luft herein kam.

„WARTE“ Audrey fuchtelte mit den Armen herum „Heißt das es sah hier NOCH schlimmer aus?!“

„Jaaaaaaaa, alsoooo... ‚Schlimm‘ ist relativ. Verhungernde Kinder in Afrika sind schlimm, für andere ist es schlimm wenn sie ihr Make-up verlieren, alles ist relativ.“, meinte Henry und öffnete eine Schranktür.

„Kann ich jetzt einfach die Ratten sehen?“, bat Audrey und suchte in den Schubladen nach irgendeinem Gefäß in das sie für Cooper Wasser schütten könnte.

„Ja, die such ich doch grade.“

„Wie meinst du das du ‚SUCHST‘ sie?!“, hakte Audrey ungläubig nach.

„Ich war gestern Nach nicht hier, ich war drüben im Partyraum, man kann sich da sozusagen Partys mieten und ich musste dann mit ‘ner Horde anderer Leute sauber machen. Ich bin erst irgendwann gegen fünf Uhr morgens nach Hause gekommen, hab geduscht, hier mit Billy Vorarbeiten geleistet und hatte dann sage und schreibe fünf Stunden Schlaf.

„Aha… Okay, wo sind deine Mitbewohner eigentlich?“

„Also Nathan schläft, siehst du das nicht?“, fragte er und deutete auf das obere Stockbett. Audrey war es gar nicht aufgefallen, aber tatsächlich nahm sie jetzt wahr dass zwischen der Bettdecke und den Klamotten jemand lag und tief und fest schlief.

„Oh… Ist mir gar nicht aufgefallen.“

„Spätestens wenn er gefurzt hätte aber schon.“

„Wow, sexy.“

„Sarkasmus?“

„Aber so was von.“

„Soll ja Menschen geben die drauf stehen.“

„Oh bitte“, flehte Audrey „Zeig mir die Ratten, geb dem Hund trinken und dann spendier‘ mir Essen.“

„Ist ja gut. Hier sind sie.“ Henry holze eine mittelgroße Holzkiste aus dem Schrank, die von oben mit einem Gitter abgesichert war, stellte sie auf den Boden, hob das Gitter an und holte die zwei wahrscheinlich süßesten, niedlichsten, knuffeligsten, anbetungswürdigsten Ratten heraus, die Audrey je gesehen hatte.

„Tada, das sind Peggy und Lucy.“, stellte ihr Bruder die Schwestern vor. Die beiden Ratten waren zwei Schwarz-weiße Farbratten mit riesigen, braunen Knopfaugen, die vor allem bei Lucy gut hervorstachen, da sie einen völlig weißen Kopf hatte und nur an ihrem Körper schwarze Flecken hatte. Peggy hingegen hatte um beiden Augen dunkle Fellpartien.

„Oh mein Gott, du sagtest sie seien süß, aber SO süß?! Kann ich mal eine auf den Arm nehmen?“, quiekte Audrey aufgedreht. Cooper hatte inzwischen auch all seine Aufmerksamkeit den Ratten gewidmet, jedoch hörte man stetig ein leises Knurren aus seiner Kehle dringen.

„Tja, ich hab also nicht gelogen. Hier, nimm Peggy, die ist die ist zutraulicher.“

Henry nahm die Ratte mit den schwarzen Augenpartien und setzte sie Audrey auf die Hand, wo sie sofort anfing die nackten Arme ihrer neuen Trägerin hochzuklettern, was Audrey ein Kichern herauslockte, da die kleinen Pfötchen von Peggy sie kitzelten. Cooper hingegen knurrte noch immer leise, er hatte wohl schon die ein oder andere schlechte Erfahrung mit Ratten gemacht.

„Ooooooh, du bist ja süüüüüß!“, schwärmte Audrey und bekam eine Gänsehaut als Peggy ihr den Nacken entlang die Haare hochkletterte.

„Na, nimmst du sie jetzt zeitweilig?“, fragte Henry hoffnungsvoll.

„Was denkst du denn? Ich hab mir was überlegt: Also, als Grandpas Farm Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts von seinen Großeltern erbaut wurde, hatten die noch Pferde. Und darum gibt es in der Scheune einen kleinen Raum in den früher die Geschirre für den Pflug gelegt wurden. Heute ist der Raum unbenutzt und ein einziger Staubfänger. Ich weiß wo der Schlüssel liegt, den behalte ich dann einfach bei mir und da drin können die dann sowieso nichts anstellen. Sie wären vor den Katzen sicher, hätten Sonnenlicht und keiner bekäme was mit!“, jubelte Audrey.

„Klasse! Okay, komm, dann setzt die Ratte wieder zurück, dann gehen wir jetzt was essen... und nimm Coopers Leine kürzer, ich glaub er mag die Ratten wirklich nicht.“

„Okay, aber du bezahlst.“, verlangte Audrey.

„Na meinetwegen… Ich, als Student, bin ja so stinkreich. Aber ich lad Billy noch ein.“, meinte Henry und verstaute die Kiste mit Peggy und Lucy zurück in den Kleiderschrank.

„Gut, ich such währenddessen eine Schale für Cooper, wo er draus trinken kann.“, sagte Audrey und durchwühlte nochmals alle Schubladen die sie finden konnte.

„Da findest du nichts. Aber irgendwo hier müsste noch eine alte Plastikschale für Pralinen rumliegen, irgendwo auf dem Müllberg, gleich neben dem Mülleimer, aus der könnte er trinken.“

„Echt jetzt“, fragte Audrey „Ich soll Cooper aus Müll trinken lassen?“

„Warum nicht? Das Wasser ist doch sauber, also los.“

„Na super… Bis ich in diesem Saustall was finde, wenn Mum das wüsste!“

„Audrey, wenn du nur ein Wort sagst ermorde ich dich mit einem Fischlieferwagen auf dem auf Italienisch ‚Fisch‘ steht.“

„Na dann viel Glück.“, meinte Audrey und kippte das restliche Wasser in ihrer Wasserflasche in die soeben gefundene, ehemalige Pralinenschachtel. Na ja, Cooper schien’s zu reichen.

Erste Eindrücke

„Und, kommt er?“ Audrey sah erwartungsvoll zu ihrem Bruder und spielte mit Coopers Leine herum, während sie an der Straße standen

„Ja, er holt uns sogar ab. Er hat aber einen Smart, ist zwar ‘nen Mädelsabschrecker, aber er bringt dich von einem Punkt zum anderen. Also müssten du und Cooper euch in den Kofferraum quetschen.“, erklärte Henry, so als ob es etwas völlig normales wäre.

„Sag mal…“ Fassungslos starrte Audrey zu ihm „Du verarschst mich doch!“

„Nö.“

„Oh Mann, du bist definitiv zu lange auf der Uni! Irgendwann fängst du noch an mich besoffen anzurufen während du halbnackt auf ‘ner Studentenparty bist.“, motzte Audrey.

„Ach komm schon, stell dich nicht so an. Burger King ist ganz in der Nähe, uns erwischt schon keiner. Zudem… Solche Partys werden erst NACH den Klausuren gefeiert. Wie kommst du eigentlich in der neuen Schule klar?“

Aha, dachte Audrey sich, Vom Thema ablenken kann er ja ganz toll.

„Na ja“, begann sie „Nicht so… Ist um ehrlich zu sein scheiße. Ich red mit den anderen kaum was, aber die reden auch nicht mit mir. Ich bin da voll die Außenseiterin. Ich hab zwar tolle Lehrer, aber die Mitschüler sind halt scheiße. Da gibt’s übrigens ‘nen Typen der heißt auch Henry, so wie du.“

„Echt? Aber ich würde sagen du müsstest vielleicht einen Außerschulischen Kurs belegen, vielleicht lernst du da noch mehr Leute kennen.“

„Bist du blöd“, widersprach Audrey „Ich opfre doch nicht mehr Freizeit als nötig für die Schule. Hast du eigentlich schon Freunde?“

„Also ich komm mit Billy und Nathan ganz gut zurecht, ja, ich würde sie als Freunde bezeichnen. Na ja, aber ich bin ja auch schon länger als nur eine Woche hier. Mit dir wird das sicher auch bald was.“

„Na wenn du meinst…“

In diesem Moment kam ein schwarzer Smart vor ihnen zu stehen und Billy sah aus der heruntergekurbelten Scheibe.

„Hey Alter, das mit deiner Schwester geht gar nicht Mann!“, war das erste was Billy sagte. Der junge Afroamerikaner hatte Dreadlocks, die ihm bis knapp über die Schulter reichten, trug ein Bob Marley T-Shirt und knielange Shorts.

Wow. Es war beeindruckend was für Leute ihr Bruder alles kannte. Ob er so auch an Drogen kommen würde?

Ach, verdammte Vorurteile! Audrey wollte sie ja aus ihrem Kopf haben, aber sie waren eben da.

„Na gut“, meinte Billy „Wenn sie sich duckt und der Hund auf ihr sitzt geht das“ Er deutete nach hinten „Aber gut, mach den Kofferraum auf, ich hab‘s geschafft die Instrumente einer halben Reggaeband in dieser Karre zu befördern, die Kleine und der Hund sind kein Problem“.

„Was für ‘ne Reggeaband?“, hakte Audrey nach, als ihr Bruder den Kofferraum öffnete und sie sich in die schmale Spalte zwischen Sitze und Heckklappe quetschte. Cooper kam nur mit Mühe in den Kofferraum.

„‘N Kumpel von mir“, erklärte Billy und Henry zog in diesem Moment den Kofferraum zu „Ich bin übrigens Bill Sawo Austin, aber alle nennen mich Billy“, stellte er sich nun Audrey vor „Meine Mutter ist ‘ne jamaikanisch stämmige Schwarze, mit Wurzeln in Kenia und mein Dad-“

„BILL! Alter, ernsthaft, laber nicht jeden mit deiner Lebensgeschichte voll! Du erzählst uns hier von Dingen die du nie miterlebt hast! Du musst nicht jedem erzählen dass deine Ur-ur-ur-ur-ur-ur-urgroßeltern eingeschiffte Sklaven waren, echt Mann! Ich erzähl auch nicht jedem dass meine Vorfahren aus Irland kamen.“, unterbrach Henry ihn genervt. Es schien wohl so als hätte es dieses Gespräch schon hundert Mal gegeben.

„Buddy, chill mal. Nicht so vor der Lady da hinten.“, meinte Billy beschwichtigend und entlockte Audrey ein Kichern.

„Ach, hör nicht auf den“, meinte sie „Ich bin Audrey.“

„Schön dich kennenzulernen. Und wer ist der Gentleman da?“, fragte Billy und fuhr los.

„Der Hund meines Grandpas, Cooper. Hat Henry dir nie von ihm erzählt?“

„Tudor? Ne, der redet nur über Mädels.“

„Ach, dann warst du das am Telefon? Du bist der der Geschichte studiert?“, hakte Audrey nach und kraulte Cooper hinter den Ohren. Es war verdammt seltsam im Kofferraum eines Smarts zu sitzen, aber nun gut.

„Ne Buddy“, wand Billy ab „Das ist Nathan. Aber wir nennen den inzwischen alle so. Ich studiere lieber was sinnvolles, mit dem ich auch Geld verdienen kann: Medizin. Aber erzähl mal von dir, du willst also in Zukunft auf die süßen Schätze meiner Schwester aufpassen?“

„Hä?“

„Na Peggy und Lucy.“

„Äh, ja, aber nur vorrübergehend“, erklärte Audrey schnell, als ihr plötzlich ein seltsamer Geruch in die Nase stieg „Was riecht hier so?“

„Graaaas.“, antwortete Billy langezogen, doch lachte sich einen Moment später am Steuer kaputt. Er hatte Audreys schockiertes Gesicht im Rückspiegel gesehen… herrlich. Sie fielen jedes Mal drauf rein. Und Billys Lachen war ansteckend, es war einfach das lustigste Lachen was Audrey je gehört hatte.

„Audrey, vergiss es, der verarscht dich nur“, versicherte Henry ihr und sah ungeduldig auf die Ampel „Das ist sein widerlicher Wunderbaum, den er schon vor Ewigkeiten hätte austauschen sollen, aber er will ihn ja behalten-“

„-Weil es ein Bob Marley Wunderbaum ist! Da, meine Schwester hat Marleys Visage drauf verewigt. Du weißt wie geil meine Schwester zeichnen kann!“, erklärte Billy und zeigte auf den Wunderbaum, der am Rückspiegel hing.

„Ja, du bist ein Bob Marley-Junkie.“, meinte Henry.

„Ja, ich hab sogar ein Original-Autogramm auf Ebay ersteigert! Oh Mann, was ich alles dafür getan hätte um den mal Live zu sehen…“

„Also ich will mal auf ein Konzert von Pink.“, meinte Audrey und kraulte Cooper hinter den Ohren, als er unruhig zu fiepen begann.

„Ja Mann, Pink ist auch gut. Wenigstens hast du guten Musikgeschmack, dein Bruder hat nämlich keinen davon abbekommen.“

„Echt nicht? Henry, hast du nicht mal Greenday gehört?“, wollte Audrey wissen.

„Ja“, meinte er genervt „Als sie noch gut waren.“

Entsetztes ächzen entwich sowohl Billy als auch Audrey.

„Die SIND gut!“, widersprach Audrey ihm gespielt schockiert.

„Ach Leute, können wir bitte wann anders über die qualitative Hochwertigkeit von Musikern reden? Ich hab Hunger!“, stöhnte Henry und schlug die Hände über den Kopf.

„Ist ja gut Buddy, wir sind da.“ Billy bog nach rechts ab und parkte seinen Smart mit einer einzigen Wendung zwischen einem Hydranten und einem Briefkasten.

„Juhu! Essen! Und ich kann meine Beine wieder durchstecken!“, jubelte Audrey, als Henry ihr den Kofferraum aufmachte und sie hinaus konnte.

„Lassen wir Cooper im Wagen?“, fragte Henry.

„Nein, lieber nicht, könnte zu heiß werden. Binden wir ihn einfach da vorne an.“, meinte Audrey und nahm seine Leine.

„Sag mal, wie alt ist Cooper eigentlich?“, fragte Billy als er sein Geld zusammenkratzte, immerhin mussten er und Henry genug zusammenhaben um für Audrey auch noch was zu kaufen.

„Hmm… Ich weiß es nicht… Also ich glaub der ist sogar ein bisschen älter als ich und ich bin fünfzehn.“, erklärte sie und band ihn unter einem Baum, an einem Geländer an, welches eigentlich dazu da war, um Hunde von dem Baum fern zu halten.

„Wow, der ist wirklich extrem alt“, meinte Billy anerkennend „Ich hatte auch mal ‘nen Hund, Zohan, ein Terriermischling. Aber den hatte ich schon vor dem Film… Also dem Film ‚Leg dich nicht mit Zohan an‘. Der ist aber nach grade mal drei Jahren an Krebs gestorben… Also Zohan… Also der Hund. Genau wie Marley.“

„Wer war Marley?“

„Bob Marley“, antwortete Henry schnell „Also Audrey, was willst du essen?“

„Chrispy Chicken, dazu mittlere Pommes und Fanta. Und vergess‘ Servietten nicht.“, antwortete sie und schlenderte zu einem leeren Tisch. Sie warf noch einen Blick auf ihr Handy. Es war jetzt zwei Uhr, das hieß dass sie seit heute Morgen um zehn Uhr auf den Beinen war. Oh je, wie sollte sie nur den Rückweg nach Hause schaffen?
 

Als sie alle drei mit ihrem, mehr oder weniger nährreichen Mittagessen fertig waren und Audrey Cooper losband, fiel ihr plötzlich etwas dramatisch-wichtiges ein.

„Äh, Henry, wo gibt’s hier ‘nen Drogeriemarkt oder so?“

„Warum fragst du?“

„Ich brauch Hundefutter, nur ‘ne ganz kleine Packung, Cooper hat seit Stunden nichts mehr gegessen.“

„Achso…“ Henry dachte einen Moment lang nach, dann schien ihm etwas einzufallen „Also ich weiß wo, da kommst du ganz leicht zur Fuß hin.“

„Ach scheiß drauf“, kam es plötzlich von Billy, der schon in Richtung Auto lief „Wir fahren.“
 

Als Audrey mit einer aufgerissenen Hundefuttertüte auf einer Bank saß, Cooper daraus fressen ließ, neben ihr Henry und Billy, musste das schon ein seltsames Bild abgegeben haben.

Aber bitte.
 

„Woah, ich bin dir soooo dankbar Billy!“ Als sie gegen drei Uhr wieder bei der Uni ankamen und zum Wohnheim liefen, damit Audrey die Ratten abholen konnte, war Audrey Billy mehr als nur dankbar! Sie hatte noch nie eine so hilfsbereite Person gesehen.

„Ach, keine Sache, Buddy. Pass einfach schön auf meine Süßen auf, denn wenn unser Betreuer merkt dass wir Ratten im Zimmer haben gibt das richtig Ärger.“

„Ja und… Oh, Audrey, ich hab ‘ne Idee: Stell du dich bitte an unser Fenster, wir geben dir den Rattenkäfig dann da durch, dann musst du damit nicht durch den Gang laufen.“, schlug Henry vor.

„Ja Mann! Das ist doch mal ‘ne gute Idee.“, bekräftigte Billy ihn.

„Klar, mach ich, welches ist euer Fenster?“

„Das vierte, da.“ Henry zeigte auf ein Fenster mit weißen Vorhängen.

„Okay, warte da einfach.“

Wie ihr gesagt wurde wartete Audrey artig an dem Fenster, bis dieses nach einigen Sekunden geöffnet wurde und Billy ihr bereits den Rattenkäfig entgegenhielt.

„Pass gut auf sie auf, ja Mann?“

„Versprochen. Ich werd alles in meiner Macht stehende tun, damit Grandpa und Dad sie nicht töten.“

Ironie oder ernst, das war grade die Frage.

„Hoffentlich! Wir melden uns sobald wir ein zu Hause für sie gefunden haben“, versicherte Henry ihr „Aber jetzt müssen wir erst mal diesen Saustall aufräumen. Keine Ahnung wo Nathan ist, aber der bekommt was zu hören.“

„Also dann, Buddy“ Billy hielt ihr die Faust hin „Brofist, war mir echt ‘ne Ehre dich kennenzulernen, komm deine Schnarchmütze von Bruder mal öfter besuchen.“

„Ach was, du bist viel cooler als alles was ich bisher sehen durfte. Das war der beste Samstag seit Wochen!“ Audrey spürte wie sie rot wurde, schlug ihre Faust jedoch gegen seine, so gut es mit der Holzkiste im Arm ging.

„Also dann Audrey, guten Heimweg, ruf mich an wenn du zu Hause bist.“, verabschiedete sich nun auch Henry und winkte ihr ein letztes Mal durch das Fenster zu.

„Bye!“
 

Es war ein seltsamer Anblick.

Audrey, mit Holzkiste auf dem Schoß, in der Ratten waren und einem alten Hund an der Leine, saß mutterseelenallein in diesem fast leeren Bus, den sie beinahe nicht mehr erwischt hätte. In Omaha hätte sie der Busfahrer fast nicht mitfahren lassen und eine alte Dame, an der sie sich vorbeigedrängt hatte, hätte, als sie bemerkte dass in dem Käfig Ratten waren, fast einen Anfall bekommen.

Zudem war Audreys letztes Geld für diese Busfahrt draufgegangen und sie musste noch dreihundert Meter zur Fuß laufen, bis sie auf der Farm war. Und DANN musste sie schnell in die Scheune, den kleine Raum aufschließen und den Schlüssel dafür mitgehen lassen…

Wenn DAS alles war.

Der Bus hielt und Audrey stieg aus.

„So Cooper“, meinte sie und zog ihre Hose hoch, wobei sie den Käfig kurz zu Boden stellte „Jetzt ab nach Hause.“

Es war inzwischen fast halb sieben. Auf einem der Felder links von ihr wurde gerade mit einem Mähdrescher das letzte Getreide der Saison geerntet, da sah Audrey ihn zum allerersten Mal.

Er stand auf einer Weide, rechts von ihr, die ihr, als sie heute Morgen hier her gelaufen war, um ehrlich zu sein gar nicht aufgefallen war. Wie auch? Wenn kein Tier auf dieser Weide stand war sie unscheinbar. Der morsche Holzzaun war auch nicht gerade vorbildlich.

Doch da stand er: Eher unscheinbar, schüchtern, stand er zwischen einer Herde Kühe, an denen er mit gesenktem Kopf und großen Schritten vorbei lief. Nicht gehetzt oder übermäßig schnell, aber er schien die Nähe der Kühe nicht zu wertschätzen.

Er war nicht das schönste Pferd was Audrey je gesehen hatte oder so, aber er war schön genug, dass sie stehen blieb und ihre Augen nicht von ihm wandte.

Er schien sie noch nicht bemerkt zu haben, denn sonst wäre er stehen geblieben und hätte sie zumindest kurz angesehen. Aber nein, er lief einfach stur weiter, die Ohren nervös in alle Richtungen drehend. Die Sonne musste ihn geblendet haben, denn er schüttelte seine lange Mähne auf und wand den Kopf wieder Richtung Boden.

Ein paar Mal schüttelte er seinen Schweif auf um ein paar umherschwirrende Fliegen zu vertreiben.

Die goldene Abendsonne ließ vor allem seine schwarzen Fellpartien in einem leichten, goldenen Ton glänzen, doch er suchte noch immer das weite vor den Kühen.

Cooper bellte auf.

Und jetzt schien er Audrey bemerkt zu haben. Er war stehen geblieben und sah in ihre Richtung, nur einen Moment, dann wand er den Blick wieder ab und wenn Audrey nicht völlig verrückt war, dann hätte sie gesagt dass das Pferd nachdachte.

Darüber ob er weitergehen oder zu ihr traben sollte.

Und er entschied sich für zweiteres.

Wann Audrey das letzte Mal ein Pferd berührt hatte, war sicher Jahre her.

Aber jetzt war sie ganz dicht davor es wieder zu tun.

Sie hatte, als sie zehn war, Reitunterricht genommen, aber ob sie davon noch irgendetwas wusste war die Frage. Sie war seit damals gar nicht mehr geritten.

„Hey mein Junge“, sprach sie ihm mit ruhiger Stimme zu und setzte den Rattenkäfig ab „Komm mal her.“

Eher zögerlich kam der Hengst näher, doch das was Audrey nun sah, ließ ihren Atem stocken – im negativen Sinne.

Seine achso ‚schöne, lange Mähne‘, wie sie gedacht hatte, war völlig verfilzt. Hier hätte auch kein kämmen mehr geholfen, die Mähne musste mit einem Scherer abgetrimmt werden.

Und sein Schweif? Nun ja, der hätte vielleicht auch mal gestutzt werden sollen, denn er schliff auf dem Boden. So sehr, dass er in Kuhscheiße schliff.

„Oh je, du armer du, was hat man denn mit dir gemacht?“, fragte sie besorgt und strich ihm vorsichtig von der Stirn, über das Auge zum Hals hinab, wobei ihre Hand nach nur ein paar Mal streicheln, einen halben Feinstaubfilter an der Backe hatte.

„Meine Fresse, was hat man mit dir gemacht? Also jetzt mal ehrlich, du siehst ja ganz schlimm aus…“, meinte sie und begann ihm, zumindest etwas, vom Dreck zu befreien, indem sie ihm den Hals klopfte. In der Abendsonne konnte man jedes einzelne Staubkorn sehen, welches aus dem Fell geklopft wurde und es schien einfach nicht aufzuhören.

Sie ließ ihren Blick weiter zu seinen Hufen wandern… Obwohl, die waren völlig in Ordnung.

Eigentlich war der Rappschecke ein hübscher Hengst, aber sein Fell war eine Katastrophe.

Aber eigentlich war der Hengst recht ruhig. Er schien Audrey Geklopfe und Gestreichle zu genießen und je länger sie es tat, umso tiefer ließ er den Hals sinken. Er war entspannt und schien wirklich froh über Audreys Putzhilfe, bis…

Cooper bellte… und fast den Rattenkäfig zerlegt hatte.

Und schneller als Audrey schauen konnte war der Schecke mit aufgestelltem Schweif in der Kuhherde verschwunden.

„Cooper! AUS!“, fuhr sie den Hund an und riss ihn am Halsband von den Ratten zurück. Denen ging es jedoch gut, der Käfig hatte standgehalten.

Aber Cooper hatte etwas ganz tolles getan: Er hatte sie wieder auf die Uhrzeit aufmerksam gemacht.
 

„Okay mein Junge, bleib. Und still!“, mahnte sie Cooper und machte ihm klar dort zu bleiben wo er war.

Wie Gollum, so blöd dieser Vergleich auch schien, schlich Audrey mit der Holzkiste unter dem Arm in die Scheune ihres Großvaters, holte den Schlüssel für den kleinen Raum, schloss ihn auf und das erste was sie dann tat war es, das Fenster zu öffnen. Sie erstickte hier drinnen.

„Okay meine Süßen“, begann sie und sah zu den Rattenschwestern, die heute schon genug durchmachen mussten „Ihr beide bekommt erst mal nur etwas Heu, was anderes kann ich hier nicht finden. Morgen bekommt ihr dann Gemüse, ja? Tut mir leid, aber was anderes kann ich euch grade nicht bieten.“, erklärte sie ihnen. Oh Gott, sie erklärte Ratten, dass… Vergiss es.

„So, das muss reichen. Ich mach hier morgen auch mal sauber, dann könnt ihr hier morgen auch mal etwas Auslauf bekommen, okay? Aber heute kann ich nicht mehr, war ein verdammt langer Tag.“

Sie redete also echt mit Ratten…

„Cooper? Warum ist denn die Scheune offen?“, drang plötzlich eine Stimme von draußen und Audrey bekam einen halben Herzinfarkt. Ihr Vater! Oh nein! Warum war der nicht arbeiten?! Ne, halt, der hatte ja um sechs Uhr Feierabend…

So schnell sie nur konnte holte sie von draußen etwas Heu, stopfte es Peggy und Lucy in den Käfig, schloss das Fenster, riss die Türe zu, verschloss sie mit zittriger Hand und steckte den Schlüssel weg – keine Sekunde zu früh.

„Audrey? Was machst du denn hier? Und wie lange bist du schon hier?“

„Aaaach“, begann sie kichernd „Grade eben erst gekommen. Ich wollt noch schnell nach den Katzen sehen.“

„Oh, nicht nötig, deine Grandma hat sie schon gefüttert. Aber komm jetzt rein, willst du uns nicht erzählen wie’s bei deinem Bruder war?“

„Ähh… Ja klar! Beim Abendessen, gute Idee! Komm, gehen wir rein.“

Oh verdammt, das war soooo knapp gewesen. SO verdammt knapp.

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„Und“ Audreys Mutter sah ihre Tochter erwartungsvoll an „Was machst du heute? Das Wetter ist wundervoll.“

Sie seufzte genervt und schlug gespielt theatralisch den Kopf auf die Tischplatte, so dass ihr Besteck klirrend aufhüpfte.

„Muuuuum, ich hasse Sport! Die Schule lastet mich genug aus!“

„Ist ja gut“ Ihre Mutter verdrehte genervt die Augen „Kein Grund so nett so sein. Aber was machst du heute? Ich wollte in den Ort gehen und erste Vorbereitungen für die Halloweenparty in der Stadthalle treffen.“

Ach ja, Audrey erinnerte sich… Ihre Mutter hatte ja schon immer so einen Sozial-fimmel gehabt, einfach bei jedem sozialen Projekt, von Tierheim bis Erneuerung des Kindergartens und es hatte hier nicht aufgehört.

„Mach das…“, murmelte Audrey und biss in ihr Brötchen.

„Grandpa wird heute mit Mike und dem Traktor und Anhänger heute übrigens die ganze Zeit zwischen Omaha und der Farm umher, sie liefern das Getreide an irgend so einen Brothersteller. Dein Vater ist auch mit, hättest du da vielleicht Lust mit mir in den Ort zu gehen? Du könntest ja Cooper mitnehmen“

„Ach nee, lass mal, ich denk mir schon was aus, ist ja Sonntag… Wo ist eigentlich Grandma?“, hakte Audrey nun nach und stopfte die letzte Toastscheibe rein.

„Bei ihren Freundinnen, du kennst sie ja.“

„Ach ja… Oh ne, die kommen nächste Woche wieder zu uns. Ich glaub ich hab am Mittwoch Nachmittag was zu tun.“

„Das überrascht mich aber“, meinte ihre Mutter sarkastisch und sammelte das übrige Geschirr ein „Also ich geh dann gleich, du bist dann ab zehn mit Cooper allein zu Hause. Versuch doch dem alten Sack ein paar Tricks beizubringen.“

Audreys Blick sagte alles.

„Okay, du hast ja recht“ Ihre Mutter verdrehte die Augen „Aber beschäftige dich doch mit ihm, er braucht in seinem Alter die Aufmerksamkeit.“

„Schon… Aber sag mal, wie alt ist der Kleine denn jetzt eigentlich? Niemand kann mir ein genaues Alter zu ihm sagen, Grandpa sagt immer nur dass Cooper älter sei als ich.“

„Ach das…“ Audrey Mutter stellte das Geschirr in die Spülmaschine „Ich weiß noch wie mein Vater eines Tages, ich war hochschwanger mit dir, mir am Telefon von Cooper erzählt hat, er hat ihn aus dem Tierheim und als ich sie kurz nach deiner Geburt besuchen kam sprang mich dieser süß, junge, quietschfidele Hund an. Er war damals vielleicht so vier Monate alt und noch völlig verzogen. Aber um es kurz zu machen: Dieser Hund ist tatsächlich ein paar Monate älter als du.“

„Wow, das… ist beunruhigend.“ Sie sah ihre Mutter geschockt an und erhob sich schließlich vom Tisch.

„Wohin gehst du?“, rief ihre Mutter ihr hinterher.

„Ich geh auf mein Zimmer, fährst du nicht auch gleich?“

„Kannst ja gar nicht warten dass ich verschwinde, was?“

„Ach Mum…“ Audreys verdrehte nochmals die Augen und verschwand die Treppe hoch, jedoch nur um oben innezuhalten und zu lauschen ob und wann ihre Mutter ging.

Es hätte nicht besser sein können: Ihre gesamte Familie ging irgendwo hin und sie konnte sich in aller Ruhe um die Ratten kümmern.

Doch jetzt musste sie sich erst mal gedulden.

Es dauerte einige Minuten, doch schließlich hörte sie wie die die Tür ins Schloss fiel und ihre Mutter ging.

„Ja! So, Rattis, ich komme.“

Sie eilte die Treppe runter, durch das Esszimmer in die Küche und machte den Kühlschrank auf. Was fraßen Ratten? Alles, oder?

Audrey packte einfach alles zusammen was sie finden konnte: Einen Apfel, ein altes Ei von vorhin, ein Brötchen und ein Stück Käse. Jede Ratte mochte doch Käse, das war das typische Klischee.

„So, müsste reichen.“, murmelte Audrey und sah sicherheitshalber nochmal aus dem Fenster. Also, das Auto war weg, das Scheunentor stand offen, das hießt dass der Traktor ebenfalls weg war, Cooper lag auf der Veranda und ihre Großmutter war wohl noch einkaufen, für das Treffen mit ihren Freundinnen.

Mit dem Ellenbogen öffnete sie die Eingangstür und eilte so schnell wie möglich zur Scheune. Jedoch wurde ihr jetzt erst klar dass sie vielleicht zuerst das Futter ablegen hätte sollen und DANN die Tür zum Nebenraum hätte aufschließen sollen.

Zu spät.

Jedenfalls schaffte sie es irgendwie die Tür zu öffnen und wäre fast erstickt.

Die Luft hier drin war furchtbar! Sie war stickig, heiß und dreckig, man sah Staub durch die Luft fliegen.

„Oh Gott, was soll der Scheiß, das ist ja nicht auszuhalten. Das tut mir so leid meine Kleinen, ich verspreche euch, ich mach ab jetzt das Fenster auf.“ Audrey legte schnell das Essen ab und schloss die Tür, denn das Risiko dass die Katzen da waren, war zu groß.

„So, dann fangen wir mal an.“

Sie öffnete den Gitterdeckel für die Ratten und sofort streckten die Rattenschwestern neugierig die Köpfe heraus.

„Hey, Mädels, lasst das, fresst erst mal was.“ Sie legte das zusammengesammelte Futter hinein und schloss den Deckel dann schnell wieder. Dieser Raum hier war schrecklich. Gestern war sie nicht mehr zum Aufräumen gekommen, aber jetzt hatte sie die nötige Zeit.

Das erste was sie tat war aber sowieso die Fenster zu öffnen, denn hier drin war die Luft schrecklich.

Als Audrey sich jedoch zwischen dem Gerümpel umsah, verlor sie jegliche Lust hierauf mit einem Mal. Der Müll, zumindest erschien er ihr als solcher, stapelte sich bis knapp unter die Decke, dabei war der Raum nicht mal besonders groß. Eigentlich stand hier folgendes rum: Ein Metallregal, in dem sich Kisten mit irgendwelchem Zeug sammelten, dann ein Tisch auf dem ein alter, halbleerer Werkzeugkasten stand, Spinnweben in den Ecken, ein dreckiger Stuhl und ein Ding was früher wohl mal ein Geschirr für Ackerpferde war.

Und in der Mitte des kleinen Raums waren eben die Ratten, die sich inzwischen genüsslich über ihr Frühstück hermachten.

Audrey hievte inzwischen jedoch den ersten Karton aus dem Regal und sah verwirrt hinein. Alles was da drin war, waren riesige Stapel von Briefen und Postkarten, die, der Staubschicht nach zu urteilen, uralt seien mussten.

Und die Neugierde siegte, einfach so.

Audrey griff hinein und zog sich einen Brief heraus, der nicht allzu lang erschien. Sie laß das Datum, der fünfzehnte August Neunzehnhundertsiebzig. Ja, klang interessant.

Und sie laß.
 

„Hallo Karen, mein Schatz!
 

Ich freue mich schon auf diese Weihnachten. Endlich wieder mit dir und meinen Eltern zusammen zu sein, das wird meine größte Freude sein, das weiß ich jetzt schon. Ich habe übrigens das Foto, was du in den letzten Brief beigelegt hast, meinen Kameraden gezeigt… Ich glaube jetzt wird das erste was ich tun muss, wenn ich wieder zu Hause bin, ist es dich von einer Horde Stalkern fernzuhalten. Sie nannten dich eine Augenweide, du bist also doch eine wahre Schönheit, sagte ich das nicht?

Hier in Vietnam läuft es momentan ganz gut würde ich sagen. Wenn wir einfach weitermachen hört es wohl irgendwann auf. Was soll’s ich werde sowieso bald zurückkommen, darüber bin ich auch nicht unglücklich, glaub mir.

Meine Eltern sollen sich übrigens nicht immer solche Sorgen machen, ich bin doch kein Anfänger.

Die Sommer hier sind übrigens die Hölle, viel zu heiß und stickig. Aber eine andere Sache: Wenn du auf diesen Brief antwortest, lege mir doch ein Bild von unserer kleinen Sahra bei. Wie groß ist sie denn inzwischen? Ich hab sie schon seit einer gefühlten Ewigkeit nicht gesehen, das ist furchtbar.

Übrigens, ich habe ja gelesen dass Cassy gestorben ist. Daran hatte ich durchaus zu schlucken, ich hatte den Hund sehr lieb. Aber ändern lässt sich das auch nicht mehr.

Aber wie wäre es wenn ich unserem kleinen Mädchen zu Weihnachten einen süßen Welpen mitbringen würde? Hier gibt es so viele herrenlose, streunende Hunde, die dauernd Junge haben, ich bin mir sehr sicher dass ich da bald was finden werde.

Ach, weißt du was? Sag einfach gar nichts, ich werde letzten Endes doch einen Hund mitnehmen, egal was du sagst.

Aber nun war’s das auch schon, ich muss wirklich schlafen. Sag allen alles Gute von mir und geb Sahra einen Kuss von mir.
 

In Liebe

Ronald“
 

Oh…

Nein, all diese Briefe würde Audrey nicht wegwerfen, sie würde sie einfach da lassen wo sie waren. Das waren also sämtliche Briefe die Audreys Großvater während seiner Vietnamzeit mit seiner Heimat geschrieben hatte. Man hatte Audrey mal erzählt dass er in Vietnam war, zwei Jahre oder so, aber sie hatte es nie gewagt ihn persönlich anzusprechen. Sie wollte ihn nicht an diese schreckliche Zeit erinnern, verständlich, nicht?

Audrey hätte zwar am liebsten nochmal ein paar Briefe gelesen, doch sie war hier um aufzuräumen, verdammt nochmal!

Sie schloss die Kiste mit den alten Erinnerungen ihres Großvaters wieder und stellte sie wieder zurück an ihren Platz, jedoch nicht ohne diesen mit einem Tuch, welches sie gefunden hatte, zu säubern. Sie wollte ja schließlich Ordnung machen.

Dann widmete sie sich die anderen sechs Kisten, von denen eine leer war, weshalb sie auf dem Müll landete, eine andere Kiste war randvoll mit Rechnungen aus den Achtzigern, in einer weiteren waren Auftragsbestätigungen aus den Neunzigern, dann fand sie noch alte Schalplatten von den Beatles und sogar Elvis, eine Kiste in der ein Schallplattenabspielgerät, oder wie die Dinger auch hießen, samt sämtlichen dazugehörigen Schnickschnack stand und in einer Kiste war sämtlicher militärischer Kram ihres Großvaters: Orden, Auszeichnungen, Gruppenfotos von ihm und seinen damaligen Kameraden und so weiter. Audrey wusste ja dass er dieses Zeug und die damit verbundene Erinnerung nicht mochte, dass hatte ihre Mutter ihr mal gesagt, aber sie hatte gedacht dass er es zumindest bei sich im Schlafzimmer verstecken würde. Stattdessen bewahrte er es hier auf, wusste er das eigentlich noch?

Aber nun ja, Audrey ließ es gut sein.

Sie hatte gerade die letzte Kiste entstaubt, den Inhalt platzsparender geordnet, das Regal entstaubt, das alte Pfluggeschirr auf den Tisch gelegt hatte und alle Kisten wieder zurückgelegt hatte, ließ ein Blick auf die Uhr sie erschaudern: Es war halb eins.

Verdammt, wie lange hatte sie an diesem Mist gesessen? Cooper brauchte Futter und wenn Audrey nicht das Haus staubsaugen würde, würde ihre Mutter sie abmurksen!

Audrey wand sich dem Rattenkäfig zu und hätte sich in den Arsch treten können, dafür dass sie das nicht tun konnte, was sie eigentlich tun wollte, nämlich den Ratten etwas Auslauf geben. Das war ja auch der Grund gewesen warum sie hier aufgeräumt hatte, um den Ratten etwas Auslauf geben zu können. Daraus wurde jetzt auch nichts mehr, denn sie hatte heute noch etwas anderes vor…

„Oh Peggy, Lucy, es tut mir leid, ich muss jetzt was machen, aber morgen verspreche ich euch, gleich nach der Schule werdet ihr raus kommen, ja?“

Audrey nahm Peggy, die die zutraulicherere der beiden Schwestern war, auf die Hand und streichelte sie mit dem Zeigefinger an der Stirn und zwischen den Ohren, woraufhin Audrey sofort einen gewissen Gegendruck auf ihren Finger verspürte. Sie schien ihre Berührung also zu wollen.

„Na, bist du nicht süß? Oh, du bist wirklich niedlich, jaaaa, das bist du!“ Sie kicherte als Peggy sich in ihrem T-Shirt verkrallte und auf ihre Schulter kletterte. Die Schnurrhaare der Ratte kitzelten Audreys Hals, doch sie ließ sie machen.

„Na, was hast du jetzt vor?“, fragte sie sie, so als ob sie eine Antwort des kleinen Wesens erwarten könnte. Denn alles was Peggy grade tat, war ihr die Haare, hoch auf den Kopf zu klettern, von wo aus sie sich kurz auf die Hinterbeine stellte, sich umsah und dann jedoch von Audrey hochgenommen wurde.

„Hey Peggy, du musst wieder in den Käfig. Ich weiß du magst es nicht…“ Sie öffnete das Gitter über der Kiste, die die Bezeichnung ‚Käfig‘ nicht mal verdient hatte und setzte Peggy zurück zu Lucy „Aber ich hab heute noch was zu tun und dazu gehört auch Cooper zu füttern, sonst werdet ihr als sein Essen enden, wollt ihr das wirklich?“

Eine Antwort konnte Audrey nicht erwarten, also erhob sie sich, verließ den Raum, schloss die Tür doppelt ab und versuchte so normal wie möglich zu tun, denn sollte sie auf irgendwen treffen und sie würde nervös sein, war sie geliefert. Sie hatte ja jetzt schon bedenken was die Ratten anging, ob sie es wirklich schaffen würde sie geheim zu halten, darum hoffte sie einfach dass ihr Bruder ganz schnell einen Platz für sie finden würde.

„Cooper“ Sie verließ die Scheune und sah sich nach Cooper um, der gerade um die Ecke lief „Komm her Süßer, es gibt Essen.“, verkündete sie und klopfte sich auf die Oberschenkel, als er nicht reagierte.

Der alte Rüde folgte ihr schließlich ins Haus, mit seinem typischen, schleifenden Gang und setzte sich erwartungsvoll vor seinen Fressnapf, als Audrey die Küche betrat.

„Hier heute gibt’s Ente, das magst du doch, nicht?“ Audrey löffelte das Futter aus der Dose und tätschelte Cooper den Kopf, als er zu fressen begann.

Sie könnte währenddessen ja das Haus staubsaugen. Ihre Mutter hatte ihr das nicht gesagt, aber wenn sie es nicht tun würde, würde ihre Mutter ihr, mal wieder, vorwerfen nichts im Haushalt zu tun.

Als Audrey den Staubsauger aus der Abstellkammer unter der Treppe herausholte, hatte sie jedoch nicht die geringste Lust darauf.

Sie hatte ja generell nie Lust auf Hausarbeit, aber heute hatte sie ganz besonders wenig Verlangen danach. Sie hatte doch bereits Pläne für heute und mit einem Mal schien der Drang, einfach nur zu gehen, noch größer zu sein als vorhin.

Und während sie staubsaugte und Cooper sein Futter in sich schlang um so schnell wie möglich das Haus verlassen zu können, verfiel Audrey in Gedanken diesem armen Schecken von gestern.

Er tat ihr einfach nur leid, allein wie er schon aussah brach ihr das Herz. Er hatte es nicht verdient so vernachlässigt zu werden, er wäre bestimmt ein wunderschönes Pferd, wenn man ihn nur mal gut durchbürstenwürde, da war sie sich sicher. Er sah ja von weitem auch gar nicht so schlecht aus, nur müsste er eben mal gründlich geputzt werden und sein Behang müsste ganz abgeschoren werden.

Audrey hatte einen Entschluss gefasst, schon vor Stunden, nämlich diesen Hengst heute wieder zu besuchen. Jedoch wollte sie es besser machen als gestern. Sie würde ohne Cooper und mit ein paar Karotten in der Tasche, zu dem Schecken gehen.

Zudem würde sie eine von den Bürsten, die ihre Großmutter immer zum Putzen von Teppichen benutzte, mitnehmen, denn wenn der Hengst immer noch so aussah wie gestern…. Na ja, irgendwer musste sich doch ihm ihn kümmern. Sie würde ihm zwar nicht die Mähne abscheren, aber zumindest das Fell könnte sie ihm ein bisschen putzen, wenn es doch sonst keiner tun würde…
 

„So Cooper, du bleibst schön hier, ja? Ich bin bald wieder zurück“ Der alte Rüde legte den Kopf verschlafen auf die Pfoten und blinzelte, als die Sonne ihn auf der Veranda blendete „Hey, hörst du mir eigentlich zu?“

Audrey wusste dass es vollkommen bescheuert war einem Hunde solche Fragen zu stellen, aber irgendwie kam das einfach so. Sie redete oft mit Tieren, wenn niemand zusah, oder sie es zumindest glaubte dass niemand sie beobachtete.

Audrey stopfte ein paar Karotten in ihre Handtasche, wo bereits die Bürste für den Hengst lag und streichelte Cooper ein letztes Mal über den Kopf, bevor sie etwas tat, was sie das letzte Mal in der fünften Klasse getan hatte: Sie setzte sich auf ein Fahrrad.

Früher war sie immer mit dem Rad zur Schule gefahren, doch irgendwann war sie auf den Bus und im Sommer auf das Laufen umgestiegen.

Doch sie hatte momentan einfach keine Lust den ganzen Weg zu der Weide des Hengstes zu laufen, da benutze sie lieber das Fahrrad ihres Onkels, welches jedoch viel zu groß für sie eingestellt war.

Sie musste ganze drei Anläufe machen um den angerosteten Sattel tiefer zu drücken und zwei weitere um sich zu setzten.

Wie hieß es doch immer so schön? Fahrradfahren verlernt man nicht. Und es stimmte, nach ein paar Metern saß sie wieder recht sicher im Sattel und fuhr die Einfahrt der Farm herunter zur Straße.

Sie würde recht schnell an der Weide ankommen, ihre einzige Sorge war jedoch Cooper, der würde aber wahrscheinlich sowieso den ganzen Tag verschlafen.
 

„Pferdchen, komm her, ich hab was für dich.“ Audrey hielt an und schob ihr Fahrrad an den Wegesrand und lehnte es gegen den Weidezaun.

Auf der Weide standen, im Gegensatz zu gestern, keine Kühe mehr, einzig und allein der Hengst stand in etwa hundert Meter Abstand am anderen Ende der Weide und graste.

„Hey, Pferdchen… Junge komm mal her“ Audrey knisterte mit der Plastiktüte herum, in der Hoffnung so die Aufmerksamkeit des Hengstes auf sich zu lenken „Hey, Großer, komm mal, ich hab Leckerchen für dich.“

Keine Reaktion.

„Heeeey, komm mal her, es gibt Futter.“ Sie holte ein paar Karotten aus der Tüte und wedelte mit ihnen in der Luft herum.

Und diesmal hob er den Kopf.

„Ja Junge, genau komm her.“, lockte sie den Hengst, als er zögernd auf sie zuschritt. Es gab eine Sache die sie an ihm wirklich nervte und das war eben dieses ständige Zögern. Er schien extrem unsicher zu sein, egal was war. Gestern hatte er sich vor den Kühen gefürchtet, dann vor Cooper erschrocken und nun traute er sich nicht mal in ihre Nähe, obwohl sie Futter für ihn hatte. Und jedes Pferd mag doch Karotten. Als Audrey früher ihre Reitstunden gehabt hatte, hatte sie kein Pferd gekannt, welches keine Karotten liebte.

Doch als der Hengst nur noch ein paar Meter von ihr entfernt war, blieb er plötzlich stehen und wand ihr den Rücken zu.

„Hey, komm her, komm schon.“ Audrey streckte den Arm so weit es nur ging über den Zaun, doch der Rappschecke beachtete sie gar nicht mehr und widmete sich wieder dem Gras auf dem er stand.

„Na toll und jetzt?“, fragte Audrey sich und blickte sich ein paar Sekunden lang unsicher um.

Okay, es war keine Sau zu sehen… Gut, wenn er nicht zu ihr kam, kam sie eben zu ihm.

Mit dem sicheren Wissen etwas Unrechtes zu tun und einem miesen Gefühl im Bauch, schwang Audrey sich unter einer Zaunlatte durch und strich sich schnell durch die Haare, als sie auf der Weide stand. Das Gras ging ihr fast bis zu den Knien und kitzelte sie an den Beinen.

„Hey, Großer, schau mal, ich hab da was.“ Mit langsamen, fließenden Bewegungen schritt sie auf den Schecken zu um ihn nicht zu erschrecken, denn um ehrlich zu sein wusste sie bei dem Kerl nicht gerade, wie schreckhaft er denn nun wirklich Menschen gegenüber war.

Er hob zwar den Kopf als Audrey nun neben ihr stand, doch ans Abhauen schien er nicht zu denken, denn er wand sich sofort wieder seinem Gras zu und ließ Audrey links liegen.

„Okay, das ist ein Erfolg… Lieber bin ich dir egal als dass du Angst vor mir hast.“, meinte Audrey und holte ein paar Karotten aus der knisternden Tüte.

Das Rascheln erweckte zwar wieder die Aufmerksamkeit des Scheckens, doch sein Gras schien ihm wichtiger als die Verführung der Karotten.

„Hey, Junge, schau doch mal hier.“ Audrey ging in die Knie und hielt ihm die Karotten genau vor die Nase. Doch er dachte gar nicht daran das Angebot anzunehmen, in seiner Wlet schien Audrey nicht mal zu existieren.

Jedoch, als Audrey neben ihn kniete, fiel ihr Blick auf etwas, was er gestern nicht getragen hatte: Ein Halfter.

Er trug ein blutrotes Halfter mit silbernen Verschlüssen und einem kleinen Metallplättchen an der linken Seite, in dem etwas stand: Splash Paint.

„Ach, das ist also dein Name? Splash Paint?“ Der Hengst hob bei dem Klang seines Namens den Kopf ein wenig, so dass er nun mit Audrey auf Augenhöhe war.

Doch als sie nichts weiter tat als ich verwirrt anzusehen, senkte der Hengst den Kopf wieder und fraß weiter.

„Aha, auf deinen Namen reagierst du also? Na das merk ich mir. Aber weißt du was? Dein Name klingt blöd. Ich nenn dich lieber Splashy… Oder Painty. Oder Splash. Aber Splashy gefällt mir mehr, ja?“

Audrey strich ihm sanft über den Hals, wobei sie jedoch einen halben Staubsaugerbeutel mitnahm.

Verdammt nochmal.

Das Pferd sah genau so scheiße aus wie gestern.

Aber irgendwie passte das nicht. Splash war ein, zumindest glaubte sie das bis jetzt am meisten, reinrassiges Paint Horse, das ein recht neues, hochwertiges Halfter trug aber keine Sau schien sich um die Körperpflege und damit verbundene Gesundheit des armen Kerls zu scheren.

„Hey Splashy, weißt du was“ sie legte sämtliche Karotten die sie dabei hatte neben ihn ins Gras und erhob sich dann wieder „Ich mach dich jetzt mal sauber. Du bist grottendreckig, mein Zimmer ist ein Palast im Vergleich zu dir und das, mein Süßer, hat was zu bedeuten. Komm, ich mach dich jetzt mal sauber.“

In dem Moment in dem Audrey jedoch die Bürste in der Hand hielt und zu putzen beginnen wollte, packte sie jedoch plötzlich eine solche Unsicherheit, dass sie einen Moment darüber nachdachte es doch seien zu lassen.

Wann hatte sie zuletzt ein Pferd geputzt? Würde sie ihm mit dieser groben Bürste nicht wehtun? Was wäre eigentlich wenn, müsste sie dann Schadensersatz oder so was zahlen? Und zudem, durfte sie das eigentlich? Was wenn Splash sich erschrecken würde?

Aber als sie den Blick ein paar Sekunden auf Splash richtete, vergaß sie ihre Zweifel und strich ihm einfach einmal über den Rücken.

Der Hengst hob zwar eilig den Kopf und wand ihr die Ohren zu, aber er scheute nicht und das war von Vorteil.

„Ja, so ist’s brav, das ist ein guter Junge… Immer schön still halten“, lobte Audrey ihn und tätschelte seinen Hals „Dauert ja nicht lange, bald bist du wieder ganz hübsch.“, versicherte sie ihm beruhigend und fuhr einfach fort.
 

Nach etwa einer Stunde, die sie nun schon in der Vormittagssonne stand, war Audrey fertig… Mit dem Nötigsten.

Das hieß dass das Pferd noch immer von Feinstaub bedeckt war, den die Bürste einfach nicht weg bekam, seine Mähen war und blieb verfilzt, dagegen konnte sie nichts tun und sein Kopf war zu empfindlich für die grobe, harte Bürste.

Aber in einer Sache war Audrey sich ganz sicher: Wenn der Hengst due Möglichkeit gehabt hätte, hätte er sich während der Behandlung in eine Hängematte gelegt, Zuckerwürfel gefressen und sich einen Drink bestellt.

Jedenfalls hatte Audrey geglaubt er würde jeden Moment zusammensacken, so nah am Einschlafen hatte er gestanden.

Und es hatte ihm gefallen, immerhin hatte er ihre Karotten weggefressen und war so entspannt gewesen, wie Audrey es noch nie bei einem Pferd gesehen hatte, seinen Kopf hatte er fast auf dem Boden abgelegt.

„Na, war das schön“, fragte Audrey und ging in die Knie, so dass sie und Splash etwa auf Augenhöhe waren „Ja, das hat dir gefallen, hm? Und jetzt siehst du auch schon viel besser aus, wusstest du dass du eine schwarzweiße Scheckung hast?“

Audrey kicherte und streichelte dem müden Hengst die Stirn entlang. Splash drückte die Nüstern gegen ihre Brust und er schien so gelöst, dass Audrey glaubte er würde jeden Moment zusammensacken und einschlafen.

Eigentlich gefiel ihr die ganze Atmosphäre so verdammt gut, dass sie am liebsten gar nicht mehr aufgestanden wäre, doch aufgrund der Tatsache dass ihre Beinnerven vom ganzen Knien langsam eingeklemmt wurden, erhob sie sich ächzend.

„Also dann, ich muss jetzt los.“, verabschiedete sie sich von ihm und strich ein letztes Mal über seinen Wiederrist, den Rücken entlang.

Als Audrey auf ihr Rad stieg wand Splash ihr zwar nochmal den Kopf zu, doch außer einem kurzen Schweifschwung, sah sie keine weitere Reaktion von ihm.

Aber warum auch? Er war glücklich, was wollte er denn mehr? Vor allem: Was wollte Audrey mehr? Ihn so entspannt zu sehen zauberte ihr ein Lächeln ins Gesicht, mehr hatte sie auch gar nicht erwartet.

Doch wie sie so von dannen fuhr, stellte sich ich die Frage, welcher Idiot sein Pferd so verkommen ließ. Es musste jemand da gewesen sein, entweder heute Morgen oder gestern Abend, denn irgendwer hatte ja die Kühe auf eine andere Weide gebracht, schien aber keine Zeit für den Hengst zu haben.

Sie würde einfach ihren Großvater heute Abend fragen, der würde schon wissen wem die Weide und somit auch Splash, gehörte.
 

„Sooo…“ Audrey saß einige Stunden später zu Hause im Wohnzimmer, vor ihrem Laptop „‘Paint Horse black‘, mal sehen was da raus kommt…“

Die Bilder die nun am Bildschirm erschienen bestätigten ihren Verdacht nur. Alle Pferde die zu sehen waren, sahen Splashy, wie sie ihn nun nannte, verdammt ähnlich, sie würde sogar sagen sie waren gleich. Natürlich, die Scheckung variierte, aber die Größe und der Körperbau stimmten etwa überein.

„Aha, glaubst du das Cooper? Da lässt jemand ein reinrassiges Paint Horse einfach so vergammeln.“

Cooper interessierte es herzlich wenig, er starrte einfach nur mit halbgeschlossenen Augen auf die Hintertür, die auf die Veranda führte.

„Na , willst du raus? Dann geh doch.“

Audrey erhob sich und schloss Cooper die Gartentüre auf, was er dankend annahm und verschwand.

Es war jetzt fünf Uhr, ihre liebe Familie sollte langsam wieder zurückkommen.

Ihr Großvater war, zusammen mit Mike und Audreys Vater, einmal da gewesen um neues Getreide aufzuladen, doch ansonsten hab es kein Lebenszeichen, bis…

„Oh, mein Handy“ Audrey kramte es schnall aus ihrer viel zu tiefen Hosentasche und nahm ab.

„Audrey, ich bin‘s“, meldete sich ihre Großmutter, im Übrigen viel zu laut.

„AU! Granny, du musst mir nicht so ins Ohr schreien, ich verstehe dich sehr gut, danke auch.“

„Tut mir leid, aber ich rufe vom Handy einer Enkelin meiner Freundin an… Warum sind diese Dinger auch so klein, wo soll man denn hier reinreden, woher soll ich wissen dass du mich auch wirklich hörst? Und warum hat das Ding keine Tasten? Ich bin noch mit Drehscheiben groß geworden“ Oh klasse, ihre Großmutter war auf hundertachtzig was ihren Hass auf die moderne Technik anging.

„Granny, jetzt beruhige dich doch! Was willst du mir denn sagen?“, lenkte Audrey schnall ab.

„Ach ja, genau! Könntest du Abendessen machen? Ich komme heute nicht mehr dazu, such dir ein Rezept aus meinem Kochbuch aus, in einer Stunde sollte das Essen fertig sein.“

„Äh…“ Audrey wollte erst protestieren, doch dann ließ sie es doch „Okay, mach ich. Bis dann.“

„Mach’s gut Kleines.“
 

„Schlagen sie drei Eier auf…“ Audrey tat wie das allmächtige Kochbuch ihr befahl und laß weiter „Benutzen sie hierbei nur das Eiweiß.“

Ach leck mich doch!

„Verdammt nochmal, welcher Idiot schriebt das auch in zwei Sätzen?! So was gehört in einen Satz, verdammt nochmal!“

Audrey war dabei zu platzen, doch sie beherrschte sich. Das Fleisch brat, wie es sollte, in der Pfanne, der Reis köchelte vor sich hin und jetzt musste sie nur noch mit dieser verdammten Soße fertig werden.

Cooper und Babu, einer der drei Katzen der Farm, saßen friedvoll zusammen. Und zusammen hieß dass Cooper auf dem Boden lag und Audrey wahrscheinlich innerlich auslachte und Babu im Spülbecken saß und Audrey aufmerksam beobachtete, immer in der Hoffnung seinen bösen Plan, welcher bestimmt existierte und nur auf seine Ausführung wartete, zu beginnen.

„Ach schau mich nicht so bekloppt an, du kannst ja nicht mal kochen.“, murrte Audrey, doch Babu begann sich teilnahmslos zu putzen.

„So, jetzt raus mit dem Eigelb…“ Vorsichtig fischte Audrey mit einem Löffel die in der Soße schwimmenden Eigelbe heraus und schmiss sie in den Müll.

„So, was steht da noch…“ Audrey las, unter ständigem Rühren der Soße, weiter „Die Eigelb schlagen sie in einer kleinen Schüssel auf und rühren es später unter.“

Tief durchatmen.

So.

„Fick dich Kochbuch. Im ernst… FICK. DICH.“

Nebensächlichkeiten

„Und, schmeckt’s euch?“, fragte Audrey, als eine Stunde später alle zum Abendessen zusammensaßen.

„Ja, das ist wirklich gut. Aber warum hast du so eine Soße ausgesucht, die ist nicht ganz einfach zu machen.“, wollte ihre Großmutter wissen.

„Ach, war ganz leicht.“, meinte Audrey, wobei sie das Eierproblem nicht erwähnte „Da fällt mir ein, Grandpa, ich wollte dich was fragen.“

„Ja?“

„Mir ist gestern so ‘ne Weide aufgefallen, auf dem Weg zur Bushaltestelle, da waren Kühe drauf und ein schwarz-weißes Paint Horse, weißt du wem die gehören?“, fragte sie.

„Äh… Das müsste der alten Misses Kensington gehören, die hat doch ein Pferd.“, antwortete ihr Großvater.

„Aber ist die nicht schon seit diesem Frühjahr im Heim? Sie hat doch Demenz oder so.“, wand Mike ein.

„Ach ja, richtig…“ Ihr Großvater fasste sich nachdenklich ans Kinn „Ich glaub ihr Sohn kümmert sich inzwischen um die Farm… Obwohl, er kümmert sich nicht darum, er hat Angestellte die das tun. Soviel ich weiß finanziert sich die Farm aus Milchwirtschaft, Getreideanbau und Rindfleisch.“

„Aha, und das Pferd?“

„Das interessiert dich wohl, was“, fragte ihre Großmutter „Bist du nicht sogar mal geritten?“

„Ja Mum, als sie zehn war.“, meinteihre Mutter ein und wand sich an Audrey „Warum, interessiert dich das Pferd denn?“

„Nun ja, er ist ziemlich runtergekommen, ganz dreckig. Er heißt übrigens Splash Paint, das stand auf seinem Halfter.“

„Ach, seit Misses Kensington nicht mehr da ist um sich halbwegs um ihn zu kümmern, vegetiert er nur noch im Stall herum. Aber ist er tatsächlich wieder auf der Weide?“

„Ja, ich hab ihn gesehen.“ Dass sie dort war behielt sie lieber für sich.

„Also ich hab ihn letzten Sommer gar nie gesehen, kann mir kaum vorstellen dass das arme Tier nur im Stall steht.“, meinte Mike jedoch.

„Vielleicht wurde er über den Sommer nach Colorado oder so gebracht, für die Rodeosaison.“, mischte sich ihr Großvater mit ein.

„Dad, glaubst du echt dass der Kensington das Potenzial von ‘nem Pferd sieht? Der Typ hat doch gar keinen Bock auf die Tiere, der macht das doch nur weil seine Mutter es so will und weil sich so Geld machen lässt.“

„Äh, äh, und wo ist diese Farm von dem? Ich meine ich bin gestern zwei Mal an der Weide vorbei gekommen, aber ich hab keine Farm gesehen.“

„Ach, die ist hinter diesem riesigen Buschwerk. Die Dings, die Weide hat an einer Seite eine riesige Hecke als Zaun, da dahinter ist die Farm.“

„Aha… Gut zu wissen.“

Ja, es war wirklich gut zu wissen wo Audrey NICHT hingehen sollte.
 

„Und, wie geht’s ihnen?“

„Ja, ganz gut. Noch hat niemand was bemerkt und ich bin die einzige die ‘nen Schlüssel zu dem Raum hat.“

„Ah cool.“ Ihr Bruder war am anderen Ende der Leitung. Audrey konnte zudem im Hintergrund irgendwelche Reaggymusik hören. Billy war wohl auch da.

„Was machst du grade?“

„Ach nichts Besonderes... Ich und Nathan hören nur mit an wie Billy seine Freundin knallt.“

Stille. Mindestens fünf Sekunden lang.

„Was?“ Wenn Henry den Gesichtsausdruck seiner Schwester gesehen hätte, wäre er vor Lachen gestorben.

„Ich glaub’s nich, du hast mir die Scheiße echt abgekauft! Dass du DARAUF reinfällst!“

Audrey seufzte als sie das unkontrollierte Lachen ihres Bruders hörte.

„Hey Billy“, rief dieser „Meine Schwester hat echt geglaubt dass wir dir und Delia beim Vögeln zuhören!“

„Wenn du das tun würdest, kastrier ich dich.“, vernahm Audrey Billys gelangweilte Stimme im Hintergrund.

„Ist ja gut! Aber freu dich, den Ratten geht’s gut.“

„Na wenigstens etwas. Sag ihr wir sind schon die ganze Zeit auf der Suche nach Abnehmern.“

Henry wand sich nun wieder Audrey zu. „Ich soll dir sagen dass -“

„Hab’s gehört.“

„Auch gut. Weißt du, momentan ist er ja sehr empfindlich, seine Angebetete, geliebte Delia hat heute einfach so mit ihm Schluss gemacht und jetzt hat er drei Wodkagläser intus und zieht sich Garnett Silk rein, auch irgendein toter Reggaemusiker. Und übrigens, kennst du irgendeine Schulschlampe, die willig ist? Billy muss dringend gefickt werden, der stirbt mir hier noch weg.“

Stille.

Dann Gelächter.

„Henry! Seine Freundin hat sich von ihm getrennt, ich wünschte ich müsste nicht lachen, aber das ist schlimm… für ihn!“, versuchte Audrey Billys Verhalten irgendwie vor ihrem Bruder zu rechtfertigen.

„Is‘ mir doch egal, der ist abnormal down. Ich meine er ist NIE traurig, aber wenn er es mal ist, dann… dann… Dann ALLES auf einmal, dann ballt sich das regelrecht, das ist abnormal!“

„Hör mal“ Audrey versuchte gespielt dumm zu klingen „Es gibt da ‘ne GANZ verrückte Story, aber auch Jungs haben Liebeskummer, höhö, witzig, was?“

„Ach, das glaubst du doch selber nicht, der is nur so mies drauf weil er ab jetzt Geld für Alk ausgeben muss, wenn er flachgelegt werden will.“

„Henry, du bist richtig scheiße.“

„Das bin ich doch immer. Aber wenn du mich entschuldigen würdest, mein bester Freund hat glaube ich demnächst vor mich mit dem Tanga seiner Ex zu strangulieren.“

„Alter! Hör auf zu Lügen, du Missgeburt!“, brüllte nun Billy im Hintergrund.

„Also dann schlaf gut, wir müssen dann auch mal. Morgen fang ich dann wirklich mit Lernen an.“ Henrys plötzliche Panik ließ Audrey vermuten dass Billy davor stand ihn zusammenzuschlagen.

„Das sagst du immer.“

„Ja, und ich hab trotzdem meinen Abschluss geschafft, also schaff ich das diesmal auch.“

Audrey seufzte. „Okay. Bis dann.“
 

Als Audrey am nächsten Tag, einem Montag, in der dritten Stunde Mathe hatte, wäre sie am liebsten ohne Umwege gestorben.

Es war schnarch langweilig, vollkommen scheiße und sie hasste Mathe sowieso. Und jetzt brauchte sie auch noch ein Geodreieck. Dabei hatte sie das gar nicht, woher sollte sie auch wissen dass sie eins brauchte.

„Hey, äh, Elizabeth“ Audrey wand sich an Elizabeth, die eine Reihe vor ihr saß „Hast du ein zweites Geodreieck?“

„Äh, ja, warte“ Die Schwarzhaarige sah kurz in ihr Mäppchen und gab es ihr dann ganz „Such dir eins raus, irgendwo da müsste noch eins sein.“

Elizabeth wand sich wieder dem Unterricht zu, wobei ihre großen Engelslocken ihr über den Rücken fielen.

Audrey liebte die Haare dieses Mädchens. Es war eine wahre Herausforderung hinter Elizabeth zu sitzen. Dieses Mädchen hatte die tollsten Haare aller Zeiten und Audrey fühlte sich, wann auch immer sie die dicken, schwarzen Locken vor sich sah, unglaublich hässlich. Sie hasste ihre eigenen Haare, wirklich. Doch, das tat sie.

Doch momentan suchte Audrey nach einem Geodreieck, wobei ihr Blick auf ein Bild in Elizabeths Mäppchen fiel.

Darauf konnte man ein kleines, altes, braungeschecktes Shetlandpony mit einer grünkarierten Pferdedecke sehen, das im Schnee stand und aus einer aufgestellten Heuraufe fraß.

Und das wirklich besondere an dem Bild war jedoch das zweite Pferd: Ein im Stockmaß, mindestens, ein Meter achtzig großes, langbeiniges, rabenschwarzes Kaltblut, mit weißen Beinen, einer breiten Blesse am Kopf und vereinzelten weißen Flecken am Bauch, stand neben diesem so mickrig wirkendem Shetlandpony.

„Hey, sind das deine?“

Elizabeth drehte sich bei der Frage um.

„Wer?“

„Die hier.“ Audrey zeigte ihr das Bild, woraufhin Elizabeth sofort zu grinsen begann.

„Ja“, antwortete sie „Das sind Napoleon und Queeny. Napoleon ist das Shetty und Queeny das Shire Horse. Du bist echt die erste die mich danach fragt.“

„Wirklich?“

„Ja… Aber ich glaub das liegt daran dass ich die zwei sowieso ständig erwähne. Ich hab sie eben lieb.“, meinte Elizabeth schmunzelnd.

„Also ich hab bisher nichts mitbekommen…“, meinte Audrey dann.

„Na ja, wir kennen uns ja auch noch nicht wirklich so gut“, sagte Elizabeth und kratzte sich kleinlaut am Kopf „Aber jetzt kennst du sie ja. Hast du eigentlich auch ein Pferd oder so?“

Audrey schüttelte den Kopf „Ach was, nein. Alles was wir auf der Farm meines Großvaters haben ist unser Hund und drei Katzen.“

„Ich hab auch noch einen Hund, Berry, einen Labrador und ‘ne kleine Schwester, aber ich weiß nicht ob das als Haustier gilt.“

„Aber eine Frage mal“, meldete Audrey sich wieder zu Wort „Sind das so richtig deine eigenen Pferde?“, fragte Audrey und musste ehrlich zugeben dass sie begeistert war.

„Ja, so richtig meine eigenen Pferde“, erklärte Elizabeth mit einem merklichen Funken Stolz in der Stimme.

„Das ist echt cool“, meinte Audrey begeistert und sah sich das Foto etwas genauer an „Und wie alt ist der Kleine? Was machst du eigentlich mit ihnen, gehst du auf irgendwelche Turniere oder so?“

„Oh, er ist jetzt einunddreißig und nein, nein“, meinte Elizabeth schnell „Ich mache… Äh… Na ja, ich bringe ihnen eher so Tricks bei… Ist etwas schwer zu erklären.“

„Wie meinst du Tricks? Steigen und so?“

„Äh… ne, eher so… Hm…“ Elizabeth kratzte sich unentschlossen am Kopf, wobei sie ihre perfekt geschminkten Augen übertrieben oft verdrehte. Wahrscheinlich irgendwo eine Angewohnheit von ihr, denn Audrey hatte das schon recht oft an ihr beobachtet.

„Klingt blöd, aber sie lernen so was wie sitz, platz… Komm her, dreh dich, roll dich, verbeug dich… Eigentlich so was wie du’s Hunden beibringst. Mein Hund kann wahrscheinlich weniger als die.“

„Ernsthaft jetzt? Ich meine wie bringst du denen das bei?“ Audrey staunte nicht schlecht als sie das hörte.

„Ach, du braucht eine Gerte, Freizeit und Leckerchen. Nach den ersten Erfolgen wirst du richtig süchtig danach denen immer mehr und mehr beinzubringen.“

„Na ja, wenn du die Zeit dazu hast, warum nicht?“, meinte Audrey und gab ihr schließlich das Mäppchen zurück.

„Audrey, Elizabeth, würdet ihr euch bitte wieder dem Unterricht zuwenden?“, unterbrach nun Mister Habor die beiden.

„Ja Sir.“, meinte Elizabeth kleinlaut und wand sich dem Lehrer zu.
 

„Und das hier“ Es war Mittagspause und Elizabeth ging grade mit Audrey einige Bilder auf ihrem Handy durch „ist von letztem Sommer, da hab ich mit dem Hund und den beiden einen Ausritt in den Wald gemacht, zum Fluss runter. Ich bin ohne Sattel geritten und Napoleon hab ich an ‘nem Strick an Queens Zaumzeug fest gemacht. Hat Spaß gemacht, auch wenn Napoleon nicht mit ins Wasser gekommen ist. Was ist eigentlich deine Lieblingsrasse?“

„Ach, ich stehe da zwischen Andalusiern und Lipizzanern. Ich mag die europäischen Rassen mehr.“

„Ah, okay… Ich muss zugeben ich bin eher der Pony- und Kaltbluttyp, ich weiß auch nicht warum, aber ich zum Beispiel mag einfach keine Vollblüter… Sie sind so nervös und überdreht. Kannst du eigentlich reiten?“

„Ich weiß es nicht.“

„Wie?“ Elizabeth steckte schnell ihr Handy weg, als sie eine Lehrerin durch die Cafeteria gehen sah.

„Ich hatte mal ein paar Reitstunden als ich zehn war, von dem her würde ich nein sagen.“

„Ah, okay“ Elizabeth lachte auf „Das musst du unbedingt nachholen, ich könnte es dir ja beibringen.“

„Oh, na ja, das jetzt weniger. Aber kann ich nochmal ein Bild von den beiden sehen, die sind echt süß.“

Doch noch bevor Elizabeth Audrey irgendwas zeigen konnte, schritt jemand an den beiden vorbei, der sofort eine gewisse Spannung in Elizabeth weckte.

„Elizabeth, push dich nicht so vor der Neuen auf.“ Katy Ferell, eine ihrer Klassenkameraden, Typ ‚Wasserstoffblond, hirnlos und ohne jegliche Achtung auf andere‘.

Audrey hatte bisher im Grunde nichts mit ihr zu tun gehabt, aber von weitem hatte sie oft gesehen wie sie mit Leuten umging die sie nicht mochte.

„Katy, halt dich da raus, du hast doch gar keine Ahnung.“, fauchte Elizabeth zurück.

„Hör mal, du bist nicht die einzige die ein Pferd hat, du musst nicht immer so damit angeben.“, konterte die Blondine genervt.

„Angeben? Katy, im ernst, wer von uns hat ein Englisches Vollblut mit sechs Namen?“

„Ich habe ja wenigstens etwas womit ich angeben kann, was hast du? Einen fetten Ackergaul und ein seniles, altes Pony auf dem du nicht mal reiten kannst? Ach jaaaa, genau das hast du ja.“

„Wenigstens liebe ich meine Kleinen und lass sie nicht jedes Jahr nach Kentucky schicken und sie dort mit zwei Jahren ihr erstes Rennen laufen.“, fauchte Elizabeth und erhob sich genervt.

„Weißt du, mein Pferd-“

„Es ist nicht mal dein Pferd, sie gehört deinem Vater und alles was du mal mit ihr gemacht hast, ist ihr vor einem Rennen den Hals geklopft zu haben und das weißt du auch“, widersprach Elizabeth ihr und zog Audrey ungewollt unsanft am Arm hoch „Komm, wir gehen.“

„Ich wollte aber noch zu Ende essen.“, widersprach Audrey kleinlaut. Doch, ja, sie wollte wirklich essen.

„Oh… Okay, ich hol dann eben schon mal mein Zeug, bin gleich wieder hier.“, meinte sie und verschwand so schnell wie möglich in der Menge.

Audrey wusste nicht wirklich was sie nun sagen sollte. Sie wollte sich hier nicht in irgendwas mitreinzeihen lassen, immerhin kannte sie diese beiden Mädchen so gut wie gar nicht.

Katy schien das jedoch gar nicht zu interessieren, sie setzte sich einfach völlig unvermittelt neben Audrey und begann zu erzählen: „Weißt du, ich will ehrlich sein, lass dich nicht mit Elizabeth ein. Sie ist völlig verrückt und auf Dauer nicht zu ertragen.“

„Sag mal, willst du mich hier irgendwie gegen sie aufhetzten oder so?“, fragte Audrey und sah sie vielsagend an.

„Nein, ich warne dich nur vor dieser angeberischen Fotze. Ich sag es dir, vor jedem muss sie sofort ganz großkotzig von ihren Krüppelpferden erzählen, dabei hat sie nicht die geringste Ahnung was wirklich gute Pferde sind. Sie hat ein altes, bissiges Pony und einen fetten Ackergaul, aber ein wirklich gutes Pferd...“ Sie tippte auf ihrem Handy herum „… ist das hier.“

Katy hielt Audrey das Bild eines, zugegebener Maßen, wunderschönen Englisches Vollbluts, welches auf einer perfekt kurzgemähten Wiese stand, welche von einem schneeweißen Zaun eingegrenzt war, unter die Nase. Vor allem das Fell der Stute war außergewöhnlich schön. Sie hatte schwarze Beine, welche an den Schenkeln und am Rücken eine fast schon graublaue Farbe annahmen. Es schein so als ob die Stute mal ein Schimmel werden würde, so als ob sie noch ausschimmelte. Wirklich, sie war einfach nur der schönste Dunkelschimmel den Audrey je gesehen hatte.

Dieser Körperbau, diese Muskeln, diese großen, braunen Augen und vor allem dieser Kopf. Ja, sie hatte einen schönen Kopf, fein, mit einem leicht eingedrückten Nasenrücken, großen Nüstern, kleine Ohren, ein richtiges Vollblut.

„Wow, nicht schlecht“, meinte Audrey „Wie heißt sie?“

„Pretty Blue Bailiou of Cheval Hills. Vielleicht kennst du sie, sie hat in den letzten Jahren ganz gut in verschiedenen Rennen in Kentucky abgeschnitten, sie kam auch mal in einem Pferderennsportmaganzin namens… äh, warte… ‚Racing Horses‘ liest du das?“

„Äh…“ Audrey kratzte sich am Kopf „Nee… Ich… äh… Ich kenn mich da nicht wirklich aus. Ich bin eher so jemand der sich mit Pferden zum Spaß beschäftigt.“

„Na ja“ Katy schien unbeeindruckt „Ich könnte dich mal mit nach Kentucky nehmen, du könntest mal ein bisschen Geld auf die Kleine setzten, sie wurde letzte Saison in fünf von acht Rennen erste.“

„Oh, äh, nein, nicht wirklich, ich wette nicht.“

„Na ja, aber ich könnte dir Blue vielleicht trotzdem mal vorstellen, sie ist den Herbst und Winter über immer bei uns.“

Langsam hatte Audrey keine Lust mehr auf das alles. Sie fühlte sich irgendwie unwohl in Katys Nähe, sie bedrängte sie, dieses Mädchen schien so großkotzig und irgendwie fragte Audrey sich grade wer hier vor wem angab.

„Hey Audrey, bist du jetzt fertig? Wir haben den Geschichtskurs zusammen.“, ertönte plötzlich eine Stimme und Elizabeth stand mit einem Stapel Büchern unterm Arm vor ihr.

„Ich komme“, meinte Audrey schnell und erhob sich mit ihrem Tablett „Also dann Katy, ich muss jetzt. War schön mit dir zu reden.“

Nicht.
 

„Und dann hat die sich einfach neben mich gesetzt und hat angefangen mich mit ihrem Rassepferdchen vollzulabern! Wie kann man so hochnäsig, so, so eingebildet und selbstverliebt sein dass man so was anfängt?! Ich meine Elizabeth war ja ganz nett, wie sie mir von ihren beiden erzählt hat, aber das was Katy da getan hat, das kann man doch nicht machen!“, beklagte Audrey sich an diesem Abend am Esstisch und warf Babu, der ihr schon die ganze Zeit um die Beine schlich, ein Stück Wurst hin.

„Findest du nicht dass du etwas zu schnell urteilst? Nur weil sie deines Wissens nach reich ist und vielleicht ein bisschen großkotzig ist, muss sie kein schlechter Mensch sein.“, meinte Audreys Mutter.

„Ach Mum, du kennst sie doch gar nicht, das Mädchen war unerträglich.“, murrte Audrey.

Für einige Sekunden war es dann still am Tisch.

Audreys Großvater aß genüsslich seinen Toast mit Schinken, ihre Großmutter nippte an ihrem Wasserglas und schluckte ihre Tabletten für ihre Gelenke, ihr Vater hob Babu, der ihm auf den Schoß gesprungen war, herunter, ihre Mutter sah mitleidig zu Cooper, der, im Gegensatz zum Kater, im Flur bleiben musste und aß ein Stück Paprika, Audrey selbst biss in ihr Käsebrötchen und ihr Onkel starrte schweigend auf die Wand ihm gegenüber.

Doch irgendwas stimmte nicht mit ihm. Den ganzen Abend schien er schon so unruhig.

Und das völlig abnormal.

„Ach übrigens…“, begann er nun endlich das auszusprechen, was ihm schon einige Zeit auf der Seele zu liegen schien, denn er schien furchtbar angespannt „Ich wollt nur kurz erwähnen dass ich in zwei Monaten heirate.“

Stille.

Solange bis Audreys Großmutter sich fast an ihren Tabletten verschluckt hätte, ihr Großvater seiner Frau auf den Rücken klopfen musste und gleichzeitig völlig entgeistert zu seinem Sohn starrte und Audreys Mutter ebenfalls mit ihrer Mutter eine Wettstreit darum machte, wer am lautesten husten konnte.

Kumpelpony

Audreys Vater schwieg und hielt sich lieber im Hintergrund, und Audrey selbst? Nun ja, der Überraschungseffekt hatte funktioniert, sie konnte nicht ganz glauben was sie da gehört hatte.

„WEN?!“ Audreys Großvater war der erste der wieder etwas sagte.

„Fragt Audrey.“, gab Mike nur keck zurück und plötzlich hafteten alle Blicke auf ihr, wodurch sie errötete.

Okay, scharf nachdenken… Hatte Mike eine Freundin?

„Ja, doch, diese eine Schnepfe aus dem Cafe! Is‘ es die, willst du echt DIE heiraten?!“, fragte sie ihren Onkel ungläubig und wackelte nervös auf ihrem Stuhl umher.

„Genau die. Aber wie ihr alle seht“ Nun war wieder alle Aufmerksamkeit auf Mike „Audrey hat sie schon kennengelernt, wenn auch eher zufällig.“

„Nun sag schon, wer ist sie und warum hast du NIE etwas gesagt?!“ Mike wurde von seiner Mutter fast schon angeschrien, aber man konnte es ihr nicht übel nehmen.

„Mum, beruhige dich! Sie heißt Victoria Perry, sie kommt aus Omaha, sie arbeitet als Produktdesignerin und-“ Doch er wurde jäh unterbrochen.

„Produktdesign? Was ist das denn?“, wollte sein Vater sofort wissen.

„Sie entwirft zum Beispiel Essensverpackungen. Aber jetzt lasst mich doch zu Ende reden, ich-“

„Nun mal halblang! Du kennst diese Frau seit vielleicht ein paar Wochen und du willst die schon heiraten?“, wand seine Mutter heftig ein.

„Mum“, kam Audreys Mutter ihrem kleinen Bruder nun zur Hilfe „Lass es ihn doch erklären.“

Dankbar sah Mike zu ihr, als seine Mutter verstummte und fuhr fort: „Ich kenne sie seit zweieinhalb Jahren und seit zwei Jahren sind wir ein Paar. Ich hab sie in Omaha kennengelernt und-“

„WARTE“ Seine Mutter sah schockiert zu ihm „Willst du mir grade klar machen, dass du es zwei ganze Jahre geschafft hast diese Beziehung vor uns, deinen eigenen Eltern geheim zu halten?!“

Als Audrey die gebrochenen Gesichter ihrer Großeltern sah, glaubte sie im schlechten Gewissen zu ertrinken. Sie wusste von dieser Victoria, aber sie hatte ihrem Onkel zuliebe nichts gesagt, obwohl sie es jederzeit hätte tun können.

„Ach, jetzt schaut nicht so! Ich habe ein Privatleben, ich bin einunddreißig, mir rennt auch die Zeit davon!“, versuchte Mike sich zu rechtfertigen.

„Und wie alt ist diese Victoria?“, fragte Audreys Großvater seinen Sohn.

„Achtundzwanzig.“

„Aha… Mike, wir sind enttäuscht von dir! Wann hattest du denn vor uns Viktoria vorzustellen, was zur Hölle ist eigentlich in dich gefahren uns nur zwei Monate vor deiner Hochzeit Bescheid zu sagen?! Versteh mich nicht falsch, ich will dass du endlich Kinder bekommst, aber das ist doch alles viel zu kurzfristig, zudem, kennst du ihre Familie überhaupt, weil-“

„Muuuuum“, unterbrach Mike seine Mutter entnervt „Ich kenn ihre Familie, ich kenn sie alle, seit Ewigkeiten schon. Und ihr dürft sie ja auch alle demnächst kennenlernen, sobald ihr wollt kann ihre ganze Familie zu uns kommen, ihr dürft sie kennenlernen, wirklich.“

Mike wollte eigentlich nicht so panisch klingen und schnell reden, doch seine Eltern hatten einfach zu viel Druck auf ihn ausgeübt.

„Ach, und darauf kommst du jetzt?!“, fuhr sein Vater ihn ungewollt heftig an.

„DAD! Jetzt mal halblang, er ist kein Kind mehr!“, verteidigte Audreys Mutter ihren Bruder.

„Sahra, ich brauch deine Hilfe echt nicht, lass mich das mal regeln.“, wand Mike ein.

„Hey, wisst ihr was, ich bin satt!“, posaunte Audrey plötzlich raus, stand eilig auf, griff nach dem Katzenfutter, nahm Babu unter den Arm und stürmte aus dem Haus.

Eigentlich ging es so schnell, dass selbst der Kater nicht wirklich verstand warum er plötzlich vom schönen Esszimmer in der Scheune gelandet war.

„Tut mir leid Junge, aber such mal deine Vollzeitschlampis, es gibt Futter.“, meinte Audrey und raschelte mit der Futtertüte, woraufhin Cleo, äußerst vorsichtig, auf sie und Babu zukam.

„Hey, Cleopatraaaaa, schau mal, Hamham, komm her…“ Audrey wusste dass, bis auf Babu, alle Katzen, sozusagen, für’n Arsch waren, doch manchmal, wenn sie gute Tage hatten, dann nahmen sie nicht mal Reißaus wenn Audrey sie streicheln wollte.

Heute schien einer dieser Tage zu sein, denn als Cleo sich neben Babu setzte, ließ sie sich über den Rücken streicheln. Sie schnurrte sogar ziemlich leise, als Audrey ihnen das Futter in die Schüsseln leerte.

Wo hingegen Mittens war, war ihr ein Rätsel, doch wirklich interessieren tat sie sich nicht dafür. Sie sah nun lieber schnell nach den Ratten erkundigen. Das Futter welches sie ihnen vorhin, nach der Schule, gegeben hatte, müsste eigentlich bis morgen halten, doch sie sah trotzdem lieber nochmal nach ihnen.

Sie kramte den Schlüssel, welchen sie gerade ständig mit sich herumtrug, aus ihrer Tasche und schloss den Raum auf. Die Ratten waren recht ruhig, kein Pieps war zu hören.

„Na ihr Süßen? Aha, das Futter hat also gereicht… Ich wollte euch jetzt mal etwas Freilauf geben, ihr müsst schließlich den ganzen Tag in dieser Kiste sitzen… Tut mir echt leid deswegen…“. Murmelte Audrey, verschloss die Tür und sah den beiden Rattenschwestern dabei zu, wie sie, mit in die Höhe gestreckten Näschen über den Holzboden tippelten.
 

Als Audrey nach einer halben Stunde wieder ins Haus gehen wollte, kam ihr Vater ihr auf der Veranda entgegen, mit Cooper an der Leine.

„Wohin geht ihr denn jetzt noch?“, wollte Audrey verblüfft wissen.

„Ich benutz Cooper als Vorwand um da raus zu kommen. Da ist das völlige Chaos los, du kannst froh sein dass du bei den Katzen warst! Hör zu Schatz, wenn du da rein gehst und deine Großmutter und Mike gleich auf dich einreden werden, dann bleib neutral und flüchte dich irgendwo hin! Die versuchen hier regelrecht dich auf ihre Seite zu ziehen, bei mir haben sie’s auch versucht.“, erklärte ihr Vater ihr aufgeregt.

„Äh… Okay Dad, ich nehm mir das zu Herzen.“, meinte Audrey schwer schluckend und sah ihm kurz nach, als er mit Cooper zur Straße rüber lief.

Und als sie die Tür öffnete, hatte sie das Gefühl eine Art dritter Weltkrieg wäre ausgebrochen. Ihre Großmutter hing am Telefon und schien sich wie verrückt mit, wahrscheinlich, Verwandten zu unterhalten. Dasselbe galt auch für Audreys Mutter, welche das andere Telefon, in der Küche für sich beanspruchte. Ihr Großvater diskutierte heftig mit Mike und wenn Audrey es richtig verstand, ging es um die Hochzeit und generell die Tatsache dass er ihnen allen zwei Jahre lang verschwiegen hatte, eine Freundin zu haben.

Und es war alles so… UNGLAUBLICH laut! Ihre Ohren platzen gleich! Der Fernseher lief, ihre Oma versuchte das Geschrei ihres Mannes und ihres Sohnes zu übertönen, damit derjenige, mit dem sie redete, sie verstand, Audreys Mutter hörte sie, obwohl diese in der Küche war, bis in den Flur und das Gestreite ihres Onkels und ihres Opas war sowieso das lauteste.

Audrey verstand kaum etwas, aber was sie verstand klang immer nach dem gleichen. Immer nur Vorwürfe.

Es gab nur noch eins was Audrey tun konnte: Auf ihren Vater hören.

Und ehe sie sich versah saß sie geduscht in ihrem Bett und rief ihren Bruder an, immer mit den Hintergrundgeräuschen von sich streitenden Menschen im Nacken.
 

Währenddessen, zur selben Zeit, drei Autostunden von der Farm entfernt, saßen Henry und Nathan zusammen auf dem Boden ihres Zimmers und verschönerten die Innenseiten ihrer Ordner mit Edding-Schwänzen.

Nein, nicht die Schwänze von Hunden.

„Meiner ist viel detaillierter“, meinte Henry „Ich glaub diesmal gewinn ich.“

Nathan sah angewidert auf das Kunstwerk seines Zimmerkameradens und verzog angewidert das Gesicht.

„Meine Fresse, Tudor, der ist Behaart, das ist alles!“

„Ach, halt doch die Schnauze“, keifte Henry zurück und nahm seinen Ordner Schützend zwischen seine Arme „Jetzt hast du es beleidigt! Entschuldige dich bei ihm.“

Nathan verfiel in dem Moment einer Lachattacke und die beiden kullerten wie kleine Babys, laut lachend, über den Boden, beziehungsweise übereinander.

„Ich liebe dich!“, brachte Henry irgendwo zwischen seinem Gelächter raus.

„Ich dich auch, Alter!“, gab Nathan zur Antwort.

In dem Moment betrat Billy leicht irritiert den Raum und sah voller Verachtung auf seine Kumpels, die inzwischen übereinander lagen, Henrys Ordner aufgeschlagen neben sich, so dass jeder sein Kunstwerk sehen konnte.

„Oh, hi Billy!“, lachte Henry ihm entgegen.

„Ihr seid Schwul.“ Mit diesen Worten und einer immer noch todernsten Miene setzte Billy sich auf sei Bett, als er dort Henrys Handy liegen sah, welches vibrierend auf seinem Kissen herumhüpfte.

„Tudor… Du hast drei verpasste Anrufe.“, meinte er und warf es Henry an den Kopf, woraufhin dieser theatralisch zusammensank und wieder zu Boden fiel.

„AH! Meine Kopfschlagader! Du Missgeburt, du studierst doch Medizin, lernst du in deinen Vorlesungen denn gar nichts?!“, heulte Henry. Nathan ertrug das alles schon längst nicht mehr und hatte sich, mit dem Gesicht ins Kissen, auf sein Bett gelegt und versuchte krampfhaft sich zu beruhigen.

„Heilige Scheiße, habt ihr’s mal?“, murrte Billy genervt und verdrehte die Augen.

„Heilige Scheiße, hast DU es mal?! Du bist zum Kotzen wenn du mies drauf bist“, keifte Henry nun merklich genervter „Hör mal, du bist neunzehn, so wie der“ Er zeigte auf Nathan „Und… FAST so wie ich! Es gibt so was, die nennen sich ‚Schlampen‘, wenn du jetzt einfach in ‘ne Bar gehst wirst du gaaaanz schnell Ersatz für Delia finden, also hör auf immer so zu tun als wäre dein Leben ab jetzt wertlos!“

„Manchmal hab ich das Gefühl du WILLST sterben.“, meinte Nathan plötzlich, als er sich von seiner Lachattacke erholte.

„Na ja, ich ruf jedenfalls meine Schwester zurück, die hat drei Mal angerufen…“

Als Henry sich halbwegs zusammengerissen hatte und Audrey abnahm, war das erste was er hörte ein genervtes Schnauben seiner Schwester.

„Hey Audrey“, begrüßte er sie ausgelassen „Was war denn?“

„Du wirst nicht glauben was hier los ist“, begann sie aufgeregt „Mike hat vor zu heiraten, in zwei Monaten schon! Und niemand wusste bis heute Abend dass er überhaupt ‘ne Freundin hat und die hat er schon seit zwei Jahren und…“

Stille.

Nathan hüpfte wie ein Idiot auf seinem Bett herum, bis der Lattenrost quietschte, während er laut stöhnte.

„Äh… Henry?“

„Ja?“

„Bitte sag mir dass es nicht das ist, wovon ich denke dass es das ist.“

„Doch…“, seufzte Henry schwerfällig „Es ist tatsächlich Nathan der auf seinem Bett herum hüpft.“

„Aha. Sag mal, du hast aber schon zugehört was ich dir grade erzählt hab, oder?“

„Jaja, wenn’s gut geht bekommen wir Cousinen die keine vollkommenen Arschgeburten sind.“, meinte Henry lässig.

„Wow, ich dachte irgendwie du würdest enthusiastischer reagieren.“

„Tut mir leid Audrey, aber erzähl. Wie haben alle reagiert, wann ist die Hochzeit überhaupt und wer ist denn jetzt die Auserwählte?“

„Also er sagte in zwei Monaten und seine Freundin hab ich schon mal flüchtig kennengelernt, sie sah ganz nett aus. Aber die Reaktionen… Ähem. Grandpa und Granny sind enttäuscht und wütend über Mike, aber ich glaub Mum ist recht glücklich. Ja, ich glaub sie freut sich wirklich für ihn und Dad… Na ja, er hält sich im Hintergrund.“

„Okay, und du?“

„Ach, ich freu mich Mikes Freundin mal kennenzulernen. Aber momentan ist alles ziemlich angespannt.“
 

Einige Minuten später war das Gespräch beendet und Audrey hatte sich in ihrem Pyjama vor ihren Computer geparkt.

Sie hörte noch immer das Gestreite von unten, doch sie war guter Dinge dass morgen alles wieder in Ordnung seien würde.
 

Nein. Nein war es nicht.

Während der nächsten Tage war Mike schon recht früh zu seiner Arbeit in der Autowerkstadt gefahren, während Audreys Großeltern noch schliefen.

Nach der Schule stieg sie mit dem Bus bereits eine Station früher aus, denn sie wollte heute unbedingt nochmal Splash Paint sehen.

Einfach nur so, um zu wissen wie’s ihm ging.

Als sie die Weide erreichte, auf der der Hengst eigentlich stehen sollte, schaute sie nicht schlecht, als sie sah, wie er und ein anderes Pferd, ein kleines, braunes Shetlandpony, neben ihm stand.

„Splashy… Süßer, wen hast du denn da angeschleppt?“, fragte Audrey begeistert und schwang sich unter dem Zaun hindurch.

„Hey, Splashy, wer ist das denn?“ Audrey strich dem Gras fressenden Hengst durch die Mähne, kam jedoch nicht weit, da diese immer noch völlig verfilzt war.

„Und du bist?“, fragte Audrey und ging in die Knie um dem Pony die Stirn zu kraulen.

Der kleine Wallach, der wohl eigentlich weiß seien musste, denn einzig und allein eine dicke Schicht angetrockneter Matsch ließ ihn braun wirken, schnaubte und stieß Audrey mit der Schnauze mit einer solchen Wucht gegen die Brust, dass sie beinahe umgefallen wäre.

„Hey! Mal halblang, was bist du denn für ein Raufbold“, tadelte Audrey das Pony mit dem knallbunten Halfter und richtete sich wieder auf „Du magst zwar knallarschniedlich sein, aber es gibt Dinge, mein Lieber, die gehen gar nicht. Was sagst du Splashy, darf dein Kumpelfreund so was?“ Audrey drehte sich nach dem Paint Horse um und öffnete ihre Schultasche, um nach irgendwas Essbarem für ihn zu suchen. Vielleicht fand sich ja was um die Aufmerksamkeit des Hengstes auf sich zu lenken, den Splashy war einfach nur… Er war… Desinteressiert. Es schien für ihn nur Futter und sonst nichts zu geben. Sie verlangte ja nicht gleich dass er ihr wie ein treudoofer Hund hinterherlief oder sie gleich absabberte, aber ein bisschen mehr Aufmerksamkeit seinerseits hätte sie sich schon von ihm gewünscht.

Doch was sie in ihrer Tasche fand, konnte das Problem vielleicht tatsächlich beheben. Eine Banane.

„Hey, Splashy, schau mal da, ich hab da was für dich, das magst du doch, oder?“

Keine Reaktion.

„Splash Paint…“

Er hob den Kopf.

„Schau mal, ich hab da was für dich… Hm?“ Sie hielt Splashy die Banane vor die Schnauze, was dieser überraschend dankend annahm und mit einem Bissen bereits die halbe Banane gefressen hatte.

„Brav, na, willst‘e noch was?“, bot Audrey ihm an, obwohl er noch immer das Maul voller Bananen hatte.

Doch daraus wurde nichts, denn das Shetlandpony stieß ihr so fest gegen die Kniekehle, dass Audrey taumelte und die Banane fallen ließ, was der Wallach eiskalt ausnutzte und den Rest einfach auffraß.

„Was bist du nur für ein Arschpony?“, fuhr Audrey den kleinen Sturkopf an.

Dieses Pony war ein Miststück. Ein absolutes Miststück.

„Jetzt hör mal zu, du Arschi… So was macht man nicht, klar? Wie heißt du überhaupt, weißt du eigentlich wer du bist?“

Sie packte das Halfter des Ponys und suchte irgendwo nach einem Namen, doch so weit kam sie diesmal nicht, da plötzlich auf der Straße neben der Weide, ein Land Rover, mit einem riesigen Heuballen auf der Ladefläche, laut quietschend anhielt. Eigentlich wusste Audrey gar nicht wie ihr geschah, doch der Mann, der hektisch aus dem Wagen stieg, sollte nichts Gutes bedeuten.

„Hey!“, fuhr ein Mitte dreißigjähriger, großgewachsener und bulliger Mann, mit dichtem, dunkelbraunem Haar, rotkarierten Hemd und zerrissener Jeans sie an und sprang hektisch aus dem Auto.

Audrey konnte nicht mal wirklich reagieren, geschweige denn sich verteidigen, als dieser, zugegebener Maßen einschüchternde, schrankbreite Mann durch den Weidezaun schlüpfte und auf sie zu stampfte.

„Weg hier, sofort! Diese Weide ist Privatbesitz und das Pferd geht dich überhaupt nichts an! Was erlaubst du dir überhaupt hier her zu kommen, wer hat dir erlaubt zu dem Pferd zu gehen, geht es dich was an?!“ Der Mann begann sich regelrecht in Rage zu reden und jetzt, wo er vor der vor der völlig bewegungslosen Audrey stand, bekam sie regelrecht Angst vor ihm. Die Hände hatte sie längst von Splashy gelassen, welcher selbst völlig verschreckt nach hinten tänzelte. Das Shetlandpony schien der Auftritt des Mannes jedoch wenig zu beeindrucken.

„Sir, ich hab nichts-“

„Na los, verschwinde“, fuhr er sie an und schubste sie zur Seite, wobei er das Shetlandpony am Halfter packte und ihr regelrecht nachwarf.

Das Pony schien von dem Gezerre jedoch gar nicht begeistert, denn es legte sofort die Ohren an und schnaubte warnend. Dieses Pony mochte vielleicht ein Arsch sein, doch wenn es den richtigen Leuten gegenüber ein Arsch war, war alles in Ordnung.

„Nehm jetzt dein Pony und wage es nie wieder auf diese Weide zu kommen! Ich könnte dich anzeigen, wegen versuchten Diebstahls! Also verschwinde!“

„Aber das ist gar nichtmein Pony, das war hier schon und ich-“

„Sei still! Nimm es und tu sonst was damit, hier gehört es jedenfalls nicht her! Und wehe ich sehe dich hier nochmal!“ Der Mann schubste sie nun regelrecht vor sich her und es ging alles so schnell, dass Audrey nicht wusste ob sie heulen oder dem Mann mal gewaltig die Meinung sagen sollte.

Sie entschied sich für zweiteres.

„Fassen sie mich nicht an“, schrie sie und machte schnell einige Schritte zur Seite „Nur damit sie das mal wissen, ich habe überhaupt nichts schlimmes mit dem Pferd getan! Im Gegenteil, ich war es die ihn sauber gemacht hat und nur zu ihrer Information, das Pony ist nicht meins und Sie sollten sich mal hören! Sie behandeln mich wie eine Schwerverbrecherin!“, keifte sie und konnte selbst nicht glauben was sie hier tat. Wie viel Mut es sie gekostet hatte das hier zu sagen, würde ihr niemand glauben.

„Kleines Mädchen, ich wäre jetzt mal ganz vorsichtig in dem was du sagst“, zischte der Mann warnend „Diese Weide ist kein Streichelzoo und wir wissen genau was wir mit unserem Pferd machen, hast du mich verstanden?“

Audrey hatte genug Mut aufgebracht für heute aufgebracht, jetzt war ihre Kehle einfach zu trocken um etwas zu sagen. Und zudem stad sie kurz davor zu heulen, denn wie dieser Mann mit ihr umging war unter aller Sau.

Doch was hatte sie noch für eine Wahl?

Sie nahm also das Pony und hetzte, mit einer unglaublichen Wut im Bau zum Weidentor, knallte dieses hinter sich zu und traute sich nicht mal mehr einen Blick zurück auf Splashy zu werfen.

Sie hätte das ja gern getan, doch der Mann machte ihr einfach zu viel Angst.

Ja, sie hatte Angst. Dieser Mann war mit ihr umgegangen wie mit einer… Wie mit jemanden der Prügel verdient hatte oder so. Es hätte sie nicht gewundert wenn dieser Mann ihr wirklich eine gescheuert hätte.

Und so lief sie nun also die Straße entlang, mit einem Shetlandpony, welches sie am Halfter hinter sich herzerren musste.

Und alles was sie sich fragte, war wem zur Hölle dieser Arsch von Pony gehörte.

Adia

Ihr Großvater staunte nicht schlecht als Audrey mit einem, über und über mit getrocknetem Matsch versehenem, Shetlandpony die Einfahrt hochlief und dieses erst mal in die Scheune sperrte, da ihr beim besten Willen nichts besseres einfiel.

„Audrey…“ Ihr Großvater starrte ungläubig auf das völlig verdreckte Tier, welches augenblicklich anfing das Heu, welches in der Scheune lagerte, anzufressen „woher du das Pony hast.“

„Ich kann das erklären!“, begann sie verzweifelt und begann ihrem Großvater alles was er wissen musste zu erklären.

Während sie so von dem Pony und vor allem von Splash Paint sprach, wechselte die Mimik ihres Großvaters immer wieder zwischen ungläubig und vorwurfsvoll.

„Audrey, wir sagten doch dass du dich von dieser Farm fern halten sollst, du hast ja selbst gesehen wie empfindlich der Besitzer reagiert.“

„Ja, aber ich hätte nicht damit gerechnet dass er so aggressiv reagieren würde… Zudem hat er mir dieses Pony aufgezwungen.“

Ihr Großvater kratzte sich hilflos am Kopf und sah nochmals auf das Shetlandpony, das sich immer noch am Heu bediente.

„Mich wundert’s ja dass der Kensington es überhaupt noch geschafft hat über den Zaun zu kommen, wie du sagtest, der Mann hat extreme Probleme mit seinem Rücken.“, meinte ihr Großvater verwundert.

„Was? Grandpa, wie alt ist dieser Kensington?“, wollte Audrey nun wissen.

„Um die fünfzig, warum?“

„Oh… Ne, der Typ der mich von der Weide verscheucht hat war nie im Leben so alt, wer also war das?“

Ihr Großvater zuckte ahnungslos die Schultern und wand sich dann dem verdreckten Pony zu.

„Er könnte ein Hilfsarbeiter gewesen sein… Aber komm mal her Audrey, kümmern wir uns lieber erst mal um den hier, wir sollten schleunigst herausfinden wem dieses Pony gehört, vielleicht vermisst es jemand schon.“
 

Zur selben Zeit, in Kentucky, striegelte eine gewisse Adia, die, genau wie Audrey, gar nicht ahnte, in was für ein Desaster sie mitgezogen werden würde, das gräuliche Fell einer Vollblutstute, welche zufrieden ihr Heu mampfte.

„Na Pretty“ Adia strich der Stute ein letztes Mal mit dem flachen Hand das Fell glatt „Du siehst toll aus… So, jetzt aber…“ Sie sah auf ihre Armbanduhr „Es ist Zeit, ich hab mir jetzt auch mal was zu Essen verdient.“

Adia verließ die Box und strich sich einige ihrer blonden Haare aus dem Gesicht. Sie sah sich im Stallgang des vornehm wirkenden Stalles jedoch erst mal nach jemandem um, der ihr noch mehr am Herzen lag als die Stute hinter ihr.

„Chiquitita?“

Das Klingeln einer Hundemarke ertönte und ein zotteliger, langbeiniger, blonder Hund, mit einem außergewöhnlich langen, rammsnasigen Gesicht und mit der Eleganz einer Schlange, im positiven Sinne, erschien auf dem Gang.

„Komm“ Adia klopfte sich auf ihre Oberschenkel und lief mit Chiquitita aus dem Stall, hinaus in die gekieste Einfahrt, während sie den Schlüssel für ihr Auto raussuchte. Wenn sie was essen wollte, musste sie erst mal in den Ort fahren, hier gab es nämlich nichts.

„Emily“ ein alter Mann kam mit seinem Gehstock auf sie zugeeilt, als sie gerade ihren Land Rover aufschließen wollte „Emily, wohin gehst du?“

Die blonde schloss ihr Auto auf und gab ihrem Hund die Anweisung schon mal hinein zu springen, ehe sie ein langes Seufzen ausstieß.

„Daddy… Ich muss was Essen, die Arbeit mit den Pferden kann ziemlich anstrengend sein, das weißt du doch.“

Der alte Mann nickte bestätigend „Ja, ja, die Pferde, die sind viel Arbeit, da hast du recht, die Pferde eben…“ Er starrte für einen Moment leer in die Luft „Aber du kommst doch heute wieder, oder?“

Hoffnungsvoll sah er ihr entgegen und Adia brach es das Herz.

„Ja, ich muss ja noch mal nach Pretty schauen… Sie hat ja nächstes Wochenende ihr nächstes Rennen, von ihrer kleinen Zerrung sollte sie sich da schon erholt haben.“, erklärte sie.

Der alte Mann schüttelte den Kopf ungläubig. „Das mir SO WAS passiert, nach gerade mal einer Woche hat sich dieses wertvolle Pferd schon eine Zerrung geholt, unglaublich ist das, unglaublich!“

„Mhm…“ Adia nickte und wollte einfach nur noch einsteigen.

„Emily“, unterbrach der alte Mann sie nochmals „Du kannst aber auch hier essen, deine Schwester kann uns was kochen, du magst doch Pilzragout so sehr.“

„Oh… oh nein, danke Daddy, aber ich muss sowieso in die Stadt… Ich kauf dir diese Bonbons, die du so gerne magst, okay?“

Der Mann nickte zufrieden und wollte gerade mit seinem Gehstock umdrehen, als er nochmals inne hielt.

Hoffnungsvoll sah Adia auf, vielleicht war das einer seiner klaren Momente?

„Emily, wenn du Doktor Adams siehst, frag ihn doch bitte wie es dem guten, alten Bruce geht, er ist nun wirklich schon sehr lange in dieser Klinik.“, bat er.

„Mach ich… Also bis später.“

Mit einem merklichen Kloß im Hals setzte Adia sich in ihr Auto und war so verdammt froh als sie endlich die Straße runter rattern konnte, Tita, wie sie ihre Afghanin gern nannte, auf dem Beifahrersitz, den Kopf aus dem Autofenster hebend.

Nur um eins klar zu stellen: Bruce als auch Doktor Adams waren schon vor Jahren verstorben. Adia hatte nur den Tierarzt damals noch kennengelernt, ehe er seinen Herzinfarkt erlitten hatte.

Bruce war jedoch schon seit mindestens zehn Jahren tot. Das schwarze Quarter Horse erlag im Alter von dreiunddreißig einer Lungenentzündung. Und Pretty war bereits zwei Jahre auf diesem Hof, nicht erst eine Woche.

Und um es noch klarer zu machen: Der alte Mann, Mister Hoffman, war nicht ihr Vater. Und sie war nicht Emily. Emily, seine jüngste Tochter, war vor zwanzig Jahren bei einem Autounfall verstorben.

Und Adia… Na ja, sie sah dieser Emily eben verdammt ähnlich.

Mister Hofmann hatte Demenz. Verdammt ausgeprägte Demenz, doch an eine ganze Menge von früher konnte er sich noch so gut erinnern.

An seine Frau zum Beispiel. Ebenfalls tot, doch das wusste er.

Ach, der Mann erzählte ihr, seit sie hier arbeitete, ständig mal Geschichten, von denen er glaubte dass sie sich an sie erinnerte…

Seine ältere Tochter, Mary, tat alles um ihn von Adia fern zu halten, denn sie wusste selbst am besten wie unangenehm es ihr war. Adia konnte damit einfach nur schlecht umgehen… und dann fühlte sie sich schlecht.

Doch im Grunde… Na ja, Adia genoss manchmal die ruhige Aura des alten Mannes regelrecht… Er hatte so was unglaublich herzliches, väterliches, warmes. Es war ihm egal wie unangenehm es Adia war und um ehrlich zu sei gewöhnte sie sich langsam daran. Sie fand Gefallen daran.

Dennoch.

Er war nicht ihr Vater. Sie war eine Angestellte. Sie wollte einfach keine Beziehung zu dem Mann aufbauen, egal wie sehr er sie auch mochte.

Sie wollte ihr Herz einfach nicht an Leute hängen, die nicht mal wussten wer sie war. Und mal ehrlich, wie viele Jahre hatte ein Achtzigjähriger schon noch?

Adia gab einen langen Seufzen von sich, ehe das Ortsschild des nächsten Kaffs vor ihr auftauchte und sie etwas vom Gas ging.

„Hey, Tita, wollen wir zu Onkel Fred?“, fragte sie, als sie von weitem das Bistro eines gewissen Freds sah, ein Kerl mit dem sie ganz gut klar kam und mit dem sie auch gerne die Abende verbrachte.

Als von dem Afghanen keine Reaktion kam, entwich ein weiteres Seufzen Adias Lippen, ehe sie auf den Parkplatz des Restaurants zusteuerte.

Als sie geparkt hatte und mit ihrem, zugegebener Maßen recht auffälligem, Hund das Bistro, Schrägstrich Kneipe, Schrägstrich Kaschemme, betrat, hafteten mal wieder alle Blicke auf ihr… woran ihr Hund natürlich immer eine gewisse Mitschuld trug.

Als sie an den Tresen trat, stand Fred wie immer dort und sah ihr schon erwartungsvoll entgegen.

„Heeeey“, begrüßte er sie überschwänglich „Wie geht’s dir?“

Adia grinste schief und fragte, während sie Titas Halsband zurechtlegte: „In welcher Hinsicht?“

„Familiär…“, meinte Fred, noch immer schief grinsend.

„Oh Gott“ Vollkommen genervt verdrehte die Blonde die Augen und ließ den Kopf theatralisch auf den Tresen fallen „Bitte hör mir damit auf. Ich meine… Ich bin zweiundzwanzig, hab ‘nen Job als Pferdetrainer UND Jockey, ich bin nicht ungewollt schwanger, bin nicht vorbestraft, hab ‘ne eigene Wohnung, hab meinen Hund aus dem Tierheim und schlage keine Tiere und Kinder… Und trotzdem bin ich Luft.“

„Heeeey, seh das nicht so“, versuchte Fred sie aufzumuntern „Du übertreibst doch nur, hm?“

Vielsagend sah Adia ihm entgegen.

„Ich hab dich gern… Aber du kennst meine Familie nicht. Ich fühl mich so viel besser seit ich weg von ihnen bin und dennoch…“ Sie seufzte schweren Herzens „Trotzdem reiß ich mir den Arsch auf, nur damit sie mich anerkennen, irgendwie…“

Fred sah sie einen Moment lang auf diese seltsame, mitleidige Art an, dann fragte er jedoch: „Das übliche?“

Adia, die plötzlich extrem niedergeschlagen wirkte, schüttelte den Kopf.

„Nein… Ich muss bis nächstes Wochenende noch einen Kilo abnehmen… Heute nur den Gemüseauflauf.“, erklärte sie.

„Ist das nich ein bisschen hart? Ich meine, du bist doch sowieso schon zu groß für einen Jocky, warum willst du das unbedingt machen?“

„Hey, ich wiege bei ein Meter siebenundsechzig momentan einundfünfzig Kilo, das geht noch!“, verteidigte Adia sich.

„Aber das ist scheiße, du hast dadurch kaum Titten.“, beklagte Fred sich, als er ihre Bestellung in die Küche weiter gab.

„Noch ein Wort und ich hetzt den Hund auf dich.“, knurrte Adia.

Fred verzog jedoch keine Miene, sondern sah nur spottend auf Tita, die sich neben den Stuhl ihres Frauchens auf den Boden gelegt hatte.

„Na ja… ganz wie du willst. Aber wenn du magersüchtig-“

„Ich bin NICHT magersüchtig“, zischte Adia ihn an „Im Gegenteil, ich hab Bulimie, nur ohne kotzen… ich nahm mal ab, dann wieder zu…“ Sie seufzte gequält „Selbst mein Hund darf mehr essen als ich.“

Fred sah besorgt auf seine Freundin herab, die den Kopf wieder auf den Tresen gelegt hatte und den Kopf umklammerte, als ob er ihr wegfallen würde.

„Meine Schwester kotzt mich auch nur noch an. Ich war letztes Wochenende zu Hause und hab zum ersten Mal nach Ewigkeiten den hässlichen Mops meiner Schwester gesehen, Humphrey, dieses missratene, gegen die Wand gelaufene Etwas. Das letzte Mal hab ich ihn als ungezogenen, ständig kläffenden Welpen gesehen… Rate was aus ihm geworden ist.“

Fred seufzte, er wusste schon was bei solchen Fragen kam. „Ein ungezogener, ständig kläffender halbrattiger Hund?“

„Korrekt! Dieses scheiß Vieh hat in mir den Dringenden Drang dagegen zu treten ausgelöst“, erklärte Adia „Ich komm nach Hause, das Mistvieh beißt Tita ins Bein, so schnell konnte ich gar nich gucken! Und sie beißt zurück, wer bekommt den Ärger? NATÜRLICH der große Hund und-“

„Hey, ich will ja nicht so sein“ Fred unterbrach sie eilig „Aber hier sitzen noch einige andere Gäste… Wäre echt süß von dir wenn du denen nicht das Gefühl geben würdest, angeschrien zu werden, ja?“

Adia verdrehte genervt die Augen und fuhr ihre Erzählung jedoch einfach fort, wenn auch leiser.
 

„Auch nicht? Kennst du zumindest jemanden, der ein Shetlandpony besitzt? Nein? Nun gut, danke Carl.“

Audreys Großvater legte nach diesem Fehlschlag wieder auf und sah aus dem Flur, durch die offene Eingangstür, hinaus zu seiner Enkelin, die das Pony inzwischen an dem Verandageländer festgebunden hatte und es mit Wasser und Bürsten sauber zu bekommen versuchte.

Und tatsächlich war der Großteil des Schmutzes schon runter, doch die Entdeckung die Audrey gemacht hatte, hatte sie wirklich überrascht: Das Pony war gar nicht, so wie sie gedacht hatte, weiß, nein, es war braunweiß gescheckt.

Dennoch, sie entdeckte nichts Hilfreiches an ihm… Keine Tätowierungen, Brandzeichen, Kaltbrände, nichts.

„Und was machen wir nun mit dem Kleinen?“, fragte Audrey verzweifelt.

Ihre Mutter und ihre Großmutter waren sich einig gewesen dass das Pony SOFORT wieder zu seinem Besitzer finden sollte, komme was wolle… Aber so schnell ging das natürlich nicht.

„Das mag dämlich klingen, aber ich ruf im Tierheim an, vielleicht hat der Besitzer dort ja auch schon angerufen.“, meinte ihr Großvater, während Audrey noch immer ächzend das Pony, ein Wallach, von dem Dreck zu befreien versuchte.

„Mach das… Ich arbeite mich hier weiter durch…“

Nach einem Anruf war jedoch auch klar, dass niemand im Tierheim wusste wem dieses Pony gehörte.

Langsam kroch Hoffnungslosigkeit in Audrey hoch, doch sie konnte nichts mehr tun. Keine Ahnung woher dieses kleine Ding dahergelaufen war. Wenn sich innerhalb des nächsten Tages jedoch niemand melden würde, würde sie eine Anzeige in der Zeitung schalten.
 

Während Audrey nun fast schon eine Stunde damit verbracht hatte dieses kleine Ding sauber zu machen, Cooper hatte den Wallach immer argwöhnisch aus den Augenwinkeln betrachtet, hatte sie festgestellt dass er zum einen unfassbar verfressen und hinterhältig war. Zudem hätte er sie einmal fast gebissen!

Jedenfalls musste man den guten Herren mit Vorsicht genießen, so süß er auch seien mochte, mit seinen kleinen Nüstern, den großen Knopfaugen, der buschigen Mähne und dem ergrauenden Fell, welches in der Sonne langsam zu trocknen begann.
 

Einige Stunden später, der Wallach war inzwischen blitzblank geputzt und von Audrey auf eine Wiese zum Grasen gebracht wurden, was recht ungemütlich war, da sie die ganze Zeit den Strick halten musste und immer ein Auge auf das, was das Pony fraß werfen musste.

Jedenfalls war sie gerade zurückgekehrt, als sie ihr Handy in der Hosentasche vibrieren spürte. Doch sie reagierte nicht sofort, da sie das Shetlandpony, was sie vorrübergehend Flauschi Macflauschflausch genannt hatte, erst in die Scheune sperren wollte. Wenn sie Glück hatten, würde er über Nacht nicht ihre Heuvorräte leeren.

Als Audrey sich völlig erschöpft im Wohnzimmer auf die alte Couch fallen ließ, erfüllte sofort der Geruch von Hühnchen ihre Nase und plötzlich bekam sie einen unbeschreiblichen Hunger.

Essen… Oh ja, bitte! Sie hatte einem verfressenen Pony den ganzen Tag dabei zusehen müssen, jetzt wollte sie auch dran kommen!

Wie spät war es eigentlich?

Audrey kramte ihr Handy aus ihrer Tasche. Aha, kurz nach acht… Hm, Fluch der Karibik kam heute im Fernsehen…

Doch da viel ihr Blick auf das Symbol in ihrer Nachrichtenleiste, das anzeigte, dass sie in der Klassengruppe, welcher sie auf Whatsapp angehörte, neue Nachrichten bekommen hatte.

Sie war jetzt schon genervt, doch ging schließlich doch drauf, einfach um zu wissen um was es denn ging.

Und was sie da laß, ließ ihr einerseits einen riesigen Stein vom Herzen fallen, andererseits wäre sie für ihre Dummheit gern gegen die nächste Wand gerannt.

[Sommerkapitel] SUMMERTIME SADNESS


 

Kiss me hard before you go
 

Summertime sadness
 

I just wanted you to know
 

That baby you're the best
 

 
 

Sie wusste auch nicht weiter.

Es war schon wieder so weit, der Sommer kam. Die Tage wurden länger und wärmer, die Arbeit wurde anstrengender, die Nächte kürzer und lauter, die Preise höher, ihre Freundinnen agiler und unternehmungslustiger, ihre Haare wurden heller, ihre Haut röter, ihr Hund wurde um sein Fell gebracht und sie sah Blue endlich wieder auf der Weide.

Und trotzdem konnte sie dieser Jahreszeit so rein gar nichts abgewinnen. Es war einfach so, dass… Was sollte das.

Adia saß zwischen Umzugskisten, die sich in ihrem kleinen Garten tummelten und starrte einfach so in die Luft. Sie starrte sich an einigen Wolken fest, die sich um diese Tageszeit endlich in den von Adia ersehnten Orangeton verfärbten und… Nichts. Sie saß da und tat nichts. Aus reiner Antriebslosigkeit und der Tatsache dass sie keine Ahnung hatte was sie tun sollte machte sie eben gar nichts.

Gar. Nichts.

Sie hatte noch so viel zu tun, ein Blick auf die Kartons verriet das.

Doch sie schaffte es nicht mal sich aufzuraffen um die Eiscreme, die bei diesen Temperaturen leicht schmolz, aus der Einkaufstüte ins Gefrierfach zu stellen.

Es kam ganz plötzlich, diese unglaublichen Attacken der Lustlosigkeit, wenn ihre Gedanken plötzlich in ihre Kindheit und alles was sie damit verband, schweiften, wenn dieser Schwall an Nostalgie sich übermannte und sich in ihr diese Leere breit machte.

Sie war kein trauriger Mensch. Nein, im Gegenteil, sie war jung und hatte ein Äußeres, für das sie viele beneideten, sie hatte eine Ausbildung angefangen, die sie wirklich wollte.

Doch sie kamen einfach. Im Sommer am meisten. Diese unglaubliche Traurigkeit die sie übermannte.

Und dann wollte sie weinen, schaffte es letzten Endes dann aber doch nie. Sie wusste nicht warum.

Klar, es gab da ein paar kleine Probleme mit ihrer Familie, natürlich, aber das war ja nichts Großes. Nichts was sie wirklich zum Heulen brachte. Es war einfach diese unfassbare Sommerdepression, welche sie seit Jahren jedes Mal erfasste und von der sie so schwer los kam.

Aus dem Grund liebte sie den Herbst so sehr, wenn der Sommer mit all seinen Nebeneffekten endlich weg war.

Dieser Scheiß kam meist immer dann wenn sie allein war, weshalb auch niemand davon wusste. Sie hatte ihre Freunde gern und verbrachte gerne viel Zeit mit ihnen, aber wenn es dann doch so weit war, war nichts mehr zu retten.

Adia wusste einfach nichts mehr mit sich anzufangen. Sie hatte den Drang zu heulen, war aber dennoch zu weit davon entfernt, wirklich den Tränen freien Lauf geben zu können.

Sie saß einfach da, starrte leer in die Wolken und bekam irgendwie nichts mehr mit.

Siemusste eine ganze Zeit dagesessen sein, denn als sie wieder ein bisschen zu sich kam, waren die Wolken plötzlich nicht mehr in der Dunkelheit des Nachthimmels zu unterscheiden.

Adia versuchte so was wie Selbstständigkeit in sich auszumachen, aber nicht mal mehr aufstehe wollte sie.

So saß sie also noch immer auf ihrem Karton, in ihrem Garten, in dieser lauen Sommernacht. Sie hörte Grillen zirpen. Sie roch Blumen. Sie schmeckte die Reste des Popcorns, welches sie heute Abend gegessen hatte und welches sich zwischen ihren Zähnen hängen geblieben war.

Doch da war noch ein anderes Geräusch, ein Klimpern oder so was.

Ihr Blick schwiff nun endlich zur Seite und sie sah Chiquitita, ihre Afghanenhündin, die sie auf diese unwiderstehliche Art aus ihren großen, braunen Augen ansah.

Und Adia war so glücklich darüber endlich aus dieser Starre gerissen worden zu sein und als sie sich endlich wieder hinstellte, wusste sie dass sie jetzt auf keinen Fall nachgeben durfte. Sie musste jetzt irgendwas tun, schnell!

Sie sah sich in ihrer kleinen Wohnung um, dann sah sie aus die Kisten im Garten, in denen die Gartenmöbel waren.

Adia machte das Außenlicht an und öffnete wahllos die erste Kiste, doch schloss sie, nach einem weiteren Anflug von Lust Starre gerissen worden zu sein und als sie sich endlich wieder hinstellte, wusste sie dass sie jetzt auf keinen Fall nachgeben durfte. Sie musste jetzt irgendwas tun, schnell!

Sie sah sich in ihrer kleinen Wohnung um, dann sah sie aus die Kisten im Garten, in denen die Gartenmöbel waren.

Adia machte das Außenlicht an und öffnete wahllos die erste Kiste, doch schloss sie, nach einem weiteren Anflug von Lustlosigkeit wieder sofort.

Ohne weitere Gedanken ging sie in den nächsten raum der ihr einfiel: Das bad.

Und da sah sie alles auf der Ablage stehen: Zwölf verschiedene Lidschatten, in gelb, grün, olivbraun, hellblau, dunkelblau, schwarz, rosa, silber, dunkelgrau, orange, hellgrün und lila. Und dann hatte sie noch ihren riesigen Vorrat an schwarzen Kayalstiften und Eyelinern. Und dann, gleich daneben, waren Lippenstifte in allen Rot- und Rosatönen aufgereiht. Dann natürlich noch Flüssigmakeup, Puder und ein Arsenal an Parfums.

Warum hatte sie so viel Zeug? Sie wollte Pferdetrainerin, vielleicht auch mal Jockey, werden, aber warum hatte sie dann so viel Makeup? Das verrückte war, dass sie das Zeug ja sogar wirklich benutzte!

Aber wenn es ihr doch half? Sie fühlte sich immer besser damit. Sie schminkte sich gerne, sie fand sich dann einfach schön und ihr Selbstbewusstsein stieg, das war wirklich so.

Vielleicht würde es ja wieder helfen.

Also gut, warum nicht.

Nachdem Adia sich mehrmals mit einem Puder jegliche Unregelmäßigkeiten ihrer Haut weggeschminkt hatte, griff sie nach dem knalligsten Rot, welches sie bei ihren Lippenstiften finden konnte, gefolgt von einem sauberen Lidstrich und einer Mischung aus gelbem und orangenen Lidschatten.

Sie sah sich mehrmals im Spiegel an, suchte nach Fehlern in ihrem Gesicht, doch nichts dergleichen. Sie hatte einfach Übung darin sich aufzumotzen.

Ihr Blick ging an ihr herab, dann wieder in den Spiegel.

Sie musste was anderes anziehen.

Sie wusste nicht wozu, sie hatte keine Pläne, sie wusste nicht für wen oder warum sie das machte, aber sie wollte auf einmal nur noch hübsch sein.

Also gut.

Sie ging in ihr halb eingerichtetes Schlafzimmer, riss einen Karton auf und sah ihr rotes Rockabilly Kleid dort legen, das hübsche mit den weißen Punkten und der Schleife um die Taille, welches sie so mochte.

Ohne lange zu überlegen zog sie sich um, ließ ihre Haare jedoch wie sie waren. Sie fielen grade so schön.

 
 

I got my red dress on tonight
 

Dancing in the dark in the pale moonlight
 

Got my hair up real big beauty queen style
 

Highheels off, I'm feeling alive
 

 

Und dann, als sie das Schlafzimmer verließ, nur um sich selbst im großen Flurspiegel sehen zu können, da fragte sie sich wieder was sie tun sollte.

Dann erblickte sie jedoch ihre Autoschlüssel auf dem Esstisch liegen und ganz plötzlich überkam es sie.

„Tita, komm, wir gehen jetzt Gassi.“, meinte Adia mit dieser gespielten Freude in der Stimme und lief fast schon Fluchtartig in ihre Wohnung, schnappte sich die Schlüssel und lief durch den Garten, ohne darüber nachzudenken die Verandatüre abzuschließen, zu ihrem Auto.

Ja, nicht mal an eine Leine für Tita hatte sie nachgedacht, dabei wusste sie genau dass sie ihre Hündin nicht ohne Leine ausführen konnte.

Doch irgendwie kümmerte es sie nicht.

„Hey Tita, komm.“

Adia hob dem Windhund die Beifahrertüre ihres Jeeps auf und sie sprang hinein. Adia fühlte einen plötzlichen Schwall an Vorfreude, auf was auch immer sie gleich tun würden, in sich aufkommen, doch als sie schließlich auf vor dem Steuer saß und den Schlüssel drehen wollte, da spürte sie, von einer Sekunde auf die andere, diese extreme Melancholie aufkommen.

Und nun saß sie wieder völlig zusammengesackt in ihrem Auto und realisierte plötzlich dass sie keine Schuhe trug.

Peinlich. Sie war hier aufgedonnert wie sonst war und trug nicht mal Schuhe.

Doch jetzt saß sie schon hier und jetzt musste sie auch irgendwas, egal was, tun.

Sie sah auf die Tankanzeige.

Einfach drauf losfahren?

Tita sah ihr erwartungsvoll entgegen, ließ den Blick immer zwischen ihr und der Außenwelt schweifen.

Ach sei’s drum.

Ohne weitere Gedanken zu verschwenden fuhr Adia los ohne wirklich auf die Geschwindigkeitsbegrenzung zu achten.

Sie fuhr einfach los, immer gerade aus. Hier in Kentucky gab es, sobald man erst mal aus dem Provinzkäffern, in solch einem lebte Adia ja auch, raus war, nichts als Landstraße. Sie pfiff in diesem Falle also auf die Geschwindigkeitsbegrenzung.

Als sie immer schneller wurde und sie, laut der Geschwindigkeitsanzeige, langsam die achtzig Meilen pro Stunde überschritt, ließ sie die Fenster runter.

Chiquitita nahm das sofort wahr und reckte den langen Hals aus dem offenen Fenster, in den nächtlichen Fahrtwind. Sie liebte es das zu machen, schon immer hatte sie das geliebt.

Adia musste lächeln. Egal was war, dieser Hund schaffte es immer sie ein bisschen von ihrer Traurigkeit abzulenken.

„Na du? Ist schön so…“ Adia gab noch mehr Gas und spürte auch wie ihr der Fahrtwind immer mehr durch die Haare blies. Ihre Frisur war zerstört, das war klar.

Schade, sie hatte ihre Haare vorhin einfach toll gefunden.

Doch was juckte es sie?

Immer schneller und schneller raste sie die Landstraße entlang, immer geradeaus, bis sie schließlich das Maximum aus ihrem Jeep raus brachte und nicht mehr schneller fahren konnte.

Tita hatte den Kopf inzwischen wieder eingezogen, selbst ihr schien der Fahrtwind inzwischen zu viel zu werden, was einiges zu bedeuten hatte.

Doch Adia kümmerte es nicht.

Es kümmerte sie nicht dass sie weit über der Geschwindigkeitsbegrenzung, barfuß, um elf Uhr abends, durch die Pampa fuhr, alles was sie verspürte war so was wie ein kleines Bisschen Freude.

Dieser Melancholie und Leere, die sich über sie gelegt hatte, schien ein kleines bisschen gemindert, Adia fühlte sich… lebendig.

Die Geschwindigkeit, das laute Rauschen des Windes, der Motor, die dunkle Landschaft die an einem vorbeiflog wie tote Blätter im Spätherbst… Das war unbeschreiblich.

Adia konnte nicht genug davon bekommen, es schien plötzlich alles so perfekt, sie fühlte sich frei, freier als sie es je gewesen war. Sie dachte vor ein Tagen, als sie bei ihren Eltern endgültig ausgezogen war, sie wisse nun wie sich Freiheit anfühlte, Unabhängigkeit, doch sie hatte sich geirrt.

Das hier war so viel schöner. Das hier war so viel besser. Das hier war so ganz anders.
 

 
 

Oh, my God, I feel it in the air
 

Telephone wires above all sizzlin' like your stare
 

Honey I'm on fire I feel it everywhere
 

Nothing scares me anymore
 

 
 

Sie hatte keine Ahnung wo sie inzwischen war, die Dunkelheit ließ keine Orientierung zu, doch als sie an einer der Wiesen vorbei kam, hinter denen ein Waldrand folgte, da überkam sie plötzlich die unglaubliche Lust durch ebendiese Wiesen und ebendiesen Wald zu laufen, einfach so.

Sie wusste nicht warum, aber plötzlich wollte sie sich nur noch bewegen. Sie war mit hundertachtzig Sachen die Landstraße entlang gerauscht und sie wollte mehr. Sie wollte rennen, jetzt.

Sie brachte den Wagen so sanft wie möglich zum Stehen, mitten auf der Straße.

Ohne Warnlicht, ohne Vorsichtsmaßnahmen, blieb sie einfach mitten auf der Spur stehen, so als würde es sie gar nicht interessieren, was sie da tat.

Sie hielt einen Atemzug lang inne, als sie einen warmen Windhauch von außerhalb spürte und plötzlich überkam sie eine Gänsehaut, von oben bis unten spürte sie wie sich ihr die Haare aufstellten und eine Welle an Euphorie durchfuhr sie.

Jetzt würde sie nichts mehr stoppen. All ihre Traurigkeit schien mit einem Mal wie weggeblasen.

Sie riss die Tür auf, Chiquitita folgte ihr durch das offene Fenster auf ihrer Seite und als Adia die riesige Wiese vor sich im fahlen Mondlicht ausmachen konnte, gefolgt vom Mondlicht, da verspürte sie, neben dieser unbegründeten Vorfreude, plötzlich noch ein anderes Gefühl: Aufregung.

Sie wusste nicht warum, aber ihre Knie wurden weich und sie hatte plötzlich das Gefühl etwas aufregendes, spannendes, verbotenes zu tun.

Als würde sie sich auf eine Reise aufmachen, auf eine Reise die sie nie geplant hatte, dabei war sie nur auf einer Wiese, nicht weit von zu Hause weg, doch ihr kam es so vor als wolle sie nie mehr nach Hause.

Doch plötzlich hatte sie den Drang einfach nur noch zu rennen, jedes Staubkorn unter den Füßen zu spüren, diese angenehme, inzwischen merklich abgekühlte Nachtluft zu schmecken, den Geruch der Blumenwiese bis aufs Äußerste auszukosten, einfach nur ihre primitivsten Verlangen nach Freiheit zu befriedigen.

 
 

I'm feelin' electric tonight
 

Cruising down the coast goin' by 99
 

Got my bad baby by my heavenly side
 

Oh if I go, I'll die happy tonight
 

 

Mit wild klopfendem Herzen stand sie, barfuß, auf der Straße, vor ihr machte sich diese riesige Wiese auf, hinter ihr stand ihr Auto, welches jederzeit geklaut werden könnte, immerhin steckte der Schlüssel noch und neben ihr stand Tita, neugierig, gar erwartungsvoll.

Adia nahm einen Tiefen Atemzug und hielt ihn einige Sekunden, ehe sie die Luft langsam wieder aus sich entweichen ließ.

Sie sah in den Himmel und konnte Telefonleitungen erkennen, das Einzige, was hier einfach nicht in die Landschaft passen wollte.

Und noch immer konnte sie die Gänsehaut auf ihren Armen spüren, konnte ihren heißen Atem spüren wie er ihr über die Lippen strömte, konnte ihren eigenen Herzschlag hören, ihren Hund der unruhig den Kopf umherwand, in der Hoffnung endlich losrennen zu können.

Und dann gab sie sich einfach ihrem innersten Verlangen hin und rannte.

Sie wusste nicht ob sie wirklich so schnell rannte wie sie dachte, aber es war schnell genug um ihr das Gefühl zu geben, dass keine Kette der Welt sie mehr festhalten konnte, dass keine Ängste sie mehr klein machen konnten!

Sie sah aus den Augenwinkeln etwas an sich vorbeirasen.

Chiquitita.

Adia konnte noch grade so ihr langes, blondes Fell sehen, ehe sie im Dunkeln der Nacht verschwand. Doch sie würde zurückkommen, das tat sie immer. Irgendwie war es Adia ja auch egal, es kümmerte sie einfach nicht. Nur sie stand jetzt im Mittelpunkt, nur einmal wollte sie sich auf sich selbst konzentrieren.

Sie wollte endlich mal wieder so was wie Leben in sich in diesem Sommer spüren, sie wollte mehr!

Sie rannte einfach immer weiter, egal wie dreckig ihre Füße seien mussten oder das Gras sie an den Beinen kitzelte. Sie genoss all das viel mehr, es war unbeschreiblich nach all den einsamen Abenden in ihrer kleinen Wohnung, in denen sie, in Traurigkeit versunken, auf ihrem Bett gesessen hatte und manchmal Stundenlang auf die Decke gestarrt hatte, in der Hoffnung endlich schlafen zu können, sich endlich wieder so fühlte, als ob ihr Leben wieder besser wurde.

Besser im Sinne von keinen Druck mehr haben.

Sie konnte nicht sagen was sie gerade so glücklich machte, immerhin rannte sie nur aufgetakelt, mitten in der Nacht, barfuß, ohne Ziel durch eine Wiese, nichts wonach sie sich je gesehnt hätte und doch schien es ihr eine unglaubliche seelische Befriedigung zu bringen.

Sie sah den Waldrand immer näher kommen, wie ein dunkler, geheimnisvoller, alles in sich verschlingender Vorhang machte er sich vor ihr auf.

Chiquitita bellte irgendwo auf, man konnte hören wo sie gerade war.

Adia rannte einfach weiter, so lange bis sie direkt an der Grenze zu dem Wald angekommen war. Sie spürte ihr Herz wild gegen ihren Brustkorb schlagen, sie musste ein paar Mal durchschnaufen.

Sie fühlte sich besser. Viel besser.

Ein paar Mal wischte Adia sich über die Stirn, dann wand sie sich dem Rückweg zu. Sie hatte mit einem Mal alle Lust an dem weiteren Weg in den Wald verloren und wenn sie ganz tief in sich rein horchte, dann konnte sie sagen dass sie glücklicher war.

Nicht glücklich, aber sie fühlte sich so viel besser als noch heute Abend.

In einer eher gemächlichen, andächtigen Geschwindigkeit durchschritt sie die Wiese, zurück zu der Straße wo ihr Auto stand.

Als sie angekommen war rief sie nach Chiquitita, drei Mal und als sie einfach nicht kommen wollte, spürte sie wieder eine Last auf ihrem Herzen wachsen.

Adia schluckte schwer, doch eigentlich hätte sie es wissen müssen. Sie kannte den Hund seit zwei Jahren, natürlich kam sie nicht einfach so zurück, wenn sie schon die Chance auf einen Alleingang hatte.

Doch dann, was relativ unerwartet kam, entschied sich die Afghanin doch noch zu kommen. Ja, sie kam, als Adia sie schon in der Dunkelheit suchen wollte, kam sie einfach so angelaufen, so als ob sie gewusst hätte dass es diese eine Mal wichtig war.

„Hey, Süße…“ Adia ging in die Knie und umarmte den zotteligen Hund innig, was diese jedoch eher in Grenzen zu Schätzen wusste „Na komm, gehen wir nach Hause.“

Und sobald Adia diese Worte ausgesprochen hatte, spürte sie wieder die gleiche Schwermut wie zuvor auf ihren Schultern.

Irgendwie drifteten ihre Gedanken kurz zu Fred, ihrem besten Freund ab. Sie wusste nicht warum, aber sie dachte oft an ihn wenn sie einsam war und wünschte sich in immer an ihrer Seite. Er wusste immer einen Ausweg, egal wie schlecht es ihr ging, er war einfach da. Er war einfach immer da gewesen und irgendwo war es da doch logisch dass er der erste war, an den sie denken musste wenn es ihr so ging wie jetzt.

Und so kam es dazu, dass sie wieder nicht wusste wohin. Dass sie wieder einfach wild aufs Gas trat und einfach irgendwo im Nirgendwo wieder anhielt, wieder ohne auf irgendwelche Vorschriften zu achten.

Und dann saß sie erst mal eine Weile wieder da, starrte leer in die Welt vor ihr. Sie war einsam, das gab es nicht zu bestreiten.

Auf der Rückfahrt herrschte wieder die Stille. Adia hatte die Fenster diesmal oben gelassen, sie wusste nicht warum.

Es war nicht mehr viel bis zu ihrem Haus, doch als sie in die Ortschaft einfuhr, hielt sie kurz an, als sie in einer ganz bestimmten Wohnung noch Licht sah.

Fred war noch wach? Ungewöhnlich für ihn, es war Donnerstag, er ging unter der Woche immer vor Mitternacht ins Bett. Es war halb zwei Uhr morgens.

Einen Moment wollte Adia einfach weiter fahren, doch dann fragte sie sich warum sie jetzt zu Hause sollte.

Um wieder bis drei Uhr morgens wach zu liegen, weil sie aufgrund dieser Sommerdepression nicht schlafen konnte? Um sich dann drei Stunden Schlaf zu erquälen und sich geschätzte drei Liter Kaffee reinzuwürgen?

Um sich morgens in der Dusche im Spiegel zu sehen und sich die Fingernägel so fest in die verhassten Hüften zu bohren, bis sie blaue Flecken davon bekam?

Um sich vor lauter unbegründeter Enttäuschung über sich selbst in die Lippe zu beißen bis diese blutete und anschwoll, damit sie größer wirkte?

Um Abends mit dem Hund raus zu gehen, ein Foto von ihr in der Abendsonne zu machen, es auf Instagram zu stellen und irgendwelche Hashtags dazuklatschen?

Um sich mit ihrer Mutter am Telefon über irgendeine Scheiße zu streiten, die sie nichts anging und ihr nur Kummer bereitete?

Um jeden Freitagabend gespielt dankend eine Einladung zum Grillen bei Freunden auszuschlagen?

Um fast jeden einzelnen, verdammten Abend, den Tränen nahe, im Wohnzimmer zu sitzen und sich einfach nur noch hassen und nicht mal wissen wofür?

Um, wann immer man sich nicht leer fühlte, daran denken zu müssen, dass es heute Abend vielleicht wieder so weit sein konnte?

Um sich vor der Einsamkeit zu fürchten?

Um auf einen frühen Herbst zu hoffen?

Um die Sommergewitter und ihre Dunkelheit in vollen Zügen zu genießen?

Da konnte sie genau so gut nach ihrem besten Freund schauen. Auch wenn es nur darum ging diese Einsamkeit von ihr zu nehmen.
 

 
 

I think I'll love you forever
 

Like the stars miss the sun in the morning skies
 

Late is better than never
 

Even if you're gone I'm gonna drive, drive
 

 

Bester Freund.

Sie log sich doch selbst an.

Er war nicht ihr bester Freund, da war doch mehr.

Und das wusste sie und er bestimmt auch irgendwo… ganz tief in sich drin. Vielleicht.

Wieder stoppte Adia den Wagen und sah, an Chiquitita vorbei, zu Freds Wohnung.

Als sie jedoch den schwarzen Ford auf dem Parkplatz vor der Bar sah, schien ihr ekleine Hoffnung, Fred hätte vielleicht Zeit für sie, wie verblasen.

Charlotte war wohl da, Freds Freundin.

Oh Gott, wie sehr Adia diese Frau doch hasste.

Hasste und beneidete.

Sie biss die Zähne zusammen als sie plötzlich diesen schrecklichen Klos in ihrer Kehle spürte und vor lauter aufsteigender Wut trat sie so heftig und plötzlich ins Gaspedal dass sowohl sie selbst als auch Tita mit voller Wucht in den Sitz gedrückt wurden.

Tita fiepte kurz auf, sammelte sich recht schnell jedoch wieder und sah wieder nach vorne.

Man sah so ihr Profil recht gut, dieses schöne Windhundprofil, mit der langen Rammsnase den hoch angesetzten Augen und dieser generell sehr hoheitlichen, edlen Haltung, die ihr etwas so unglaublich eingebildetes, hochnäsiges gab.

Doch sie hatte ein Herz aus Gold, egal was mit ihr los war. Sie war wie sie war, sie war ein Engel dem leider die Flügel fehlten.

Obwohl, leider? War wohl besser so, sonst würde diese Hund Adia nicht nur wegrennen, sondern auch noch wegfliegen!

Und plötzlich musste Adia auflachen. Sie konnte es nicht fassen dass dieser Hund sie so schnell so sehr von ihrem Momentanen Kummer ablenkte.

Aber eben nur für einen Augenblick, denn nun geschah etwas, nachdem Adia sich schon die ganze Zeit gesehnt hatte: Sie weinte.

Endlich.

Endlich konnte sie einfach losheulen.

Endlich konnte sie dieses brennende Verlangen, was irgendwie den ganzen Sommer lang in ihr begraben lag, raus lassen, denn in einem Punkt war sie Charlotte dankbar: Sie war der Anstoß, der Adia endlich dazu gebracht hatte ihrer Traurigkeit einfach freien Lauf zu lassen.

Und Adia weinte gerne, warum auch nicht? Es sah sie doch niemand, es hatte niemanden zu interessieren. Sie konnte es einfach raus lassen.

Sie sah nichts mehr als sie anhielt, sie wusste nicht genau wo sie war, aber es tat so gut endlich all diese angestaute Trauer herauszubrüllen und als sie die Türe öffnete und völlig blind aus dem Wagen stieg, fiel sie in den Straßengraben.

Egal wo sie war, sie war jedenfalls wieder auf einer Wiese oder einem Getreidefeld, oder sonst wo.

Aber wen juckte es? Sie konnte all das hier endlich in die Welt herausbrüllen, ohne dass es jemanden zu interessieren hatte, ohne dass ihr irgendwer dumme Fragen stellte.

Und sie wusste dass es irgendwann vorbei sein würde, der Sommer kam seinem Ende entgegen.

Doch im Moment, und der Moment war alles was für Adia gerade zählte, herrschte noch immer eine alles auffressende Traurigkeit in ihr, welche ihr eine unfassbare Schwermut auf die Seele legte und sie in ihre eigene, einsame Welt fallen ließ.

Etwas tun konnte sie nicht, nur warten. Der Sommer mochte sich von seiner hässlichsten Seite zeigen, er mochte sie selbst nachts nicht von der Hitze des Tages befreien, doch es würde aufhören.

Das tat es doch immer.

 
 

I've got that summertime, summertime sadness
 

S-s-summertime, summertime sadness
 

Got that summertime, summertime sadness
 

Oh, oh
 


 

Des Napoleons Leibgarde

Elizabeth saß wie auf Kohlen, als ihre Mutter sie mit dem Jeep einige Minuten später die Landstraße entlang fuhr.

„Und du bist dir sicher dass er es auch wirklich ist?“, fragte ihre Mutter sicherheitshalber.

„Ja, sie hat ein Bild geschickt, er ist es! Und kannst du jetzt bitte schneller machen?“, flehte Elizabeth und sah angestrengt nach draußen. Die Sonne ging jetzt, im Spätseptember, wenn der Sommer anfing sich langsam von der Welt zu verabschieden und er dabei in einer solchen Perfektion auf den Herbst traf, früher unter. Ja, Elizabeth gab zu dass das ihre absolute Lieblingsjahreszeit war. Jetzt, wenn Sommer und Herbst sich trafen und noch ein letztes Mal versuchten einander zu bekriegen, bis der Herbst schließlich die Oberhand gewann und mit jedem Mal, wenn die Wolken die Sonne verdeckte, zeigte wie kalt er doch war.

Das schönste waren immer die Nachmittage an ebendiesen Wochenenden, wenn Elizabeth mit ihrer Stute und ihrem Hund in aller Ruhe durch die Gegend reiten konnte. Einmal, an einem dieser Wochenenden, war sie, auf den Tag verteilt, ganze zwanzig Meilen zurückgelegt, ohne es überhaupt zu merken.

Doch die Erinnerungen an die letzten Sommer waren gerade nebensächlich.

Mit wild schlagendem Herzen stieg Elizabeth aus dem Auto, als sie die Farm von Audreys Großvater erreichten.

„Elizabeth, hier!“ Die Schwarzhaarige riss sofort den Kopf beim Klang von Audreys Stimme umher und eilte, gefolgt von ihrer Mutter, auf die Scheune zu, wo Audrey zusammen mit ihrem Großvater wartete.

„Ist er hier?“, fragte Elizabeth aufgeregt und wäre fast auf Cleos Schwanz getreten, als die schwarzweiße Katze sich spontan entschloss sich direkt vor ihre Füße zu setzten.

„Oh Cleo“ Audreys Großvater hob die Katze auf seinen Arm, was Audrey nur mit Staunen bewundern konnte. Noch nie hatte sie Cleo oder Mittens auf den Arm bekommen, so was ließ nur Babu mit sich machen.

Aber zurück zum Thema!

„Da steht er, er frisst grade Heu… Also so wie den ganzen Tag schon.“

Elizabeth rannte, mit wild wehenden Locken an Audrey vorbei und was sie da in aller Ruhe fressen sah, ließ ihr ein ganzes Gebirge vom Herzen fallen.

„Oh Audrey! DANKE! Danke, ich bin so erleichtert, ich… Verdammt, ich kann das gar nicht in Worte fassen, Audrey, ich hatte solche Angst um ihn, ich bin so froh dass du…“

Elizabeth brach im Satz an und wand sich einfach dem Pony zu und zwang seinen kleinen Kopf in eine Umarmung, was der alte Wallach mit Würde über sich ergehen ließ. Er biss nicht mal. Nichts war mehr zu sehen von dem hinterhältigen Pony von vorhin.

„Hey, das hab ich doch gern getan. Ich hätte ihn sowieso nicht einfach dort stehen lassen können, auch wenn der Kerl mir den Kleinen nicht aufgezwängt hätte.“

Audrey hatte Elizabeth die ganze Geschichte, wie sie an Napoleon gekommen war, am Handy erzählt.

„Mister Sampson“ Misses Mathew, Elizabeths Mutter, hatte sich nun an Audreys Großvater gewandt „Es tut mir wirklich unglaublich leid dass sie wegen uns so viele Umstände hatten. Ich bin ihnen und ihrer Enkelin einfach nur so unglaublich dankbar dass sie ihn gefunden, er bedeutet uns allen wirklich sehr viel und ohne sie wäre er jetzt weiß Gott wo, Sie-“ Doch sie kam nicht dazu zu Ende zu reden.

„Miss, beruhigen sie sich, es waren wirklich keine Umstände. Wir sind einfach froh dass sie den Kleinen wieder haben, wir haben uns wirklich den Kopf zerbrochen, wem er wohl gehören würde.“

Elizabeth, die inzwischen eine mitgebrachten Führstrick am Halfter Napoleons befestigte und ihn nach draußen führte, meinte nun auch an Audrey gewandt: „Ich will mir echt nicht vorstellen was gewesen wäre, wenn du nicht gewesen wärst. Ich meine, ich hab heute den ganzen Tag nach ihm gesucht, bin durch die ganze Gegend geritten, ich wäre wirklich verzweifelt gewesen wenn ich ihn nicht gefunden hätte… Ich glaub ich lass ihn nie wieder unbeaufsichtigt im Roundpen.“

Audrey schmunzelte, jedoch wandelte sich das, als sie sah dass Elizabeth das kleine, vielleicht etwas über als einen Meter große Pony, zum Jeep führte, dort ein langes Holzbrett, was wohl eine Art Rampe seien sollte, herauszog und Napoleon so auf die Ladefläche führte. Er schien das wohl schon gewohnt zu sein, denn er ließ es ohne Mucken über sich ergehen.

„Äh… Ist das nicht gefährlich?“, fragte sie vorsichtig.

Elizabeth lachte nur. „Ach was! Schau mal, allein die Brüstung vom Jeep ist fast einen Meter hoch, der fällt mir schon nicht runter.“, versicherte Elizabeth ihr und band den Schecken irgendwo auf der Ladefläche fest.

„Er ist das schon gewohnt, so bringen wir ihn schließlich zum Tierarzt… Oder früher auch zum Altersheim.“, mischte sich nun Elizabeths Mutter, welche ihre hellbraunen Haare neu ordnen musste, ein.

„Altersheim?“

„Ja“, begann Elizabeth begeistert „Weißt du, als wir ihn gekauft haben, damals vor zehn Jahren, da war er bereits ein vollausgebildetes Therapiepony, den man zum Beispiel für Altersheimbesuche benutzen konnte. Jedoch war er anscheinen schon zu alt, weshalb er damals auch so billig war. Ich bekam ihn dann Weihnachten, als ich fünf war und BUM: Mein größter Traum wurde wahr! Ich hatte ein Pony. Na ja, nachdem meine Eltern sich geschieden haben ist dann meine Mutter irgendwie drauf gekommen ihn wieder für solche Besuche zu benutzen und schon hatte er wieder seine alte Aufgabe“ Elizabeth musste lachen „Wie die Alten sich da immer gefreut haben, war voll süß! Und als er dann vorletztes Jahr wirklich zu alt für dieses ganze wöchentliche herumfahren wurde, weißt du, wir hatten nie einen Pferdeanhänger, da haben die Leute aus dem Altersheim für ihn eine richtige Abschiedsparty geschmissen, mit Leckerlies bis zum abwinken und er bekam sogar einen Partyhut und… Warte mal, ich könnte dir sogar Fotos davon zeigen.“, plapperte Elizabeth ohne Punkt oder Komma und dann noch in dieser Geschwindigkeit…

„Schatz, es ist spät, wir sollten jetzt wirklich nach Hause… Ich hab irgendwie immer ein schlechtes Gefühl wenn wir Berry und deine kleine Schwester allein zu Hause lasse.“

„Ach, es gibt doch noch Queen, die ist Verantwortungsbewusst genug.“, beschwichtigte Elizabeth ihre Mutter.

Daraufhin musste jeder, mit Ausnahme von Cleo, die noch immer in den Armen von Audreys Großvaters lag, zumindest schmunzeln.

„Elly, sie mag vielleicht einen höheren IQ als deine Schwester haben, aber das ist bei einer Zwölfjährigen auch nicht schwer. Also geh jetzt bitte ins Auto und schau nochmal nach Napoleon.“

Elizabeth seufzte und tat wie ihre Mutter ihr aufgetan hatte.

„Also wie schon gesagt, ich bin dir wirklich unglaublich dankbar Audrey.“ Elizabeths Mutter nahm Audreys Hand etwas unverhofft zwischen ihre eigenen und sah ihr voller Dankbarkeit entgegen.

„Wie gesagt, das war wirklich nichts, ich freu mich einfach dass Napoleon-“

„Nein, wirklich! Wenn wir dir irgendeinen Gefallen tun können, sag es uns.“, unterbrach sie Audrey.

Audrey kicherte verlegen und zog ihre Hand zurück.

„Ach was… Ich brauche nichts…“

„Aber wenn dir was einfällt, ich bin da, ja?“, bekräftigte Elizabeth nochmals nachdrucksvoll.

„Jaaaa, mal schauen…“, murmelte Audrey verlegen und sah zur Seite.

„Wie dem auch sei, jetzt müssen wir wirklich los, sonst passieren… schlimme Dinge bei mir… Ich ahne es!“

„Ach ja… meine Schwester… Naja, auf Wiedersehen, schönen Abend noch!“, verabschiedeten sich Elizabeth und ihre Mutter, diesmal endgültig von Audrey und ihrem Großvater.
 

„So, Ponyproblem hat sich soeben in Luft aufgelöst.“, verkündete Audrey beim Abendessen und kraulte im Vorbeigehen Cooper hinter den Ohren.

„Da bin ich wirklich erleichtert…“, meinte Audreys Mutter halblaut und schob Cooper mit dem Bein unter dem Tisch zur Seite, als er versuchte etwas zu erbetteln.

„Ja, aber mal was anderes…“ Audrey sah vielsagend zu ihrem Onkel, der bisher nur schweigend dagesessen hatte „Was ist denn nun mit deinen Hochzeitsplänen?“ Inzwischen hätte ihr Onkel und ihre Großeltern sich deswegen eigentlich beruhigt haben.

Nun meldete sich Audreys Großmutter zu Wort: „Nun ja, darüber diskutieren wir noch“ Sie klang mehr als nur genervt, was sonst nicht grad die Regel war „Aber Liebes, erzähl uns doch lieber von deinem Schultag… Also was war BEVOR du das Pony angeschleppt hast.“

Audrey musste schmunzeln und verdrehte die Augen, ehe sie von ihrem überaus unspektakulären Tag zu erzählen begann.

Und ehe sie sich versah war sie mit dem Abendessen fertig… und auf dem unmittelbaren Weg zur Scheune… Katzen füttern… und so.
 

„Hey, hallo meine Süßen!“, begrüßte Audrey die beiden Ratten und legte ihnen Futter in die Kiste. Die beiden fiepten ihr bereits entgegen und begannen, sobald sich der Kistendeckel auch nur um einen Spalt hob, auf ihren Armen zu ihr hoch zu klettern, wobei Peggy Lucy um ein Haar von Audrey heruntergeschmissen hätte.

Grade noch so hatte Audrey es geschafft die kleinere der Schwestern mit ihrer freien Hand aufzufangen.

„Na du? Ach was mach ich nur mit euch?“ Audrey setzte sich im Schneidersitz auf den Boden und kraulte Lucy, die menschenbezogenere der beiden, am Kopf, während Peggy anfing durch Audreys Haar zu krabbeln.

Wenn Audrey so darüber nachdachte, so hatte sie diese Kleinen jetzt schon seit etwa zwei Wochen hier drin versteckt und noch niemanden war es aufgefallen. Natürlich, das war gut, aber dennoch war immer die Angst in ihr, dass es eben irgendwann nicht mehr gut gehen würde. Denn mal ehrlich, wie hoch war die Wahrscheinlichkeit, dass sie die Ratten auf alle Zeiten hier verstecken konnte? Sie musste unbedingt nochmal ihren Bruder anrufen, denn so ging es nicht weiter. Sie hatte sich zwar angeboten die Kleinen aufzunehmen, doch je länger sie hier waren, umso mehr hing sie ihr Herz an sie, was bei Audrey recht schnell passierte, und umso riskanter wurde es auch sie zu behalten. Mit jedem Tag wuchs das Risiko, dass ihr Großvater oder generell irgendwer mal schnallen würde, dass der Raum hier irgendwie verschlossen war… Und wenn man den Schlüssel nicht finden würde, immerhin hatte Audrey ihn, würde man die Tür aufbrechen und der Ärger, beziehungsweise Sachschaden… Jaaaa, Audrey sah sich schon in einem tiefen Loch aus Tod und Verzweiflung.

Aber fürs Erste war es noch nicht so weit und Audrey konnte einfach den Moment genießen.

Sie spürte plötzlich einen gewissen Gegendruck auf ihrem Finger und musste sofort grinsen, als sie feststellte dass Lucy zärtlich ihren Kopf gegen ihren Finger drückte.

Audrey streichelte sie noch etwas energische rund meinte schließlich halblaut: „Hoffentlich findet mein Genie von Bruder was schönes für euch… Es wäre ‘nen echtes Problem wenn ihr auf Dauer in dieser stinkigen Kammer leben müsstet… Und für euch wäre es ja auch schlecht, nicht?“

Sie hörte Peggy kurz fiepen, was sie aus ihren Träumereien herausriss.

„Ihr tut mir schon leid, fast den ganze tag in der Kiste… Aber ich hoffe auf Henrys noch vorhandene Hirnmasse…“

Vorsichtig setzte Audrey die Schwestern zurück in ihren Käfig und legte das Futter dazu. Essensreste, doch sie erfüllten ihren Zweck.

Als sie die Scheune verließ und durch die Dunkelheit wieder zum Haus lief, kam ihr wieder in den Sinn dass Fluch der Karibik heute im Fernsehen kam und sofort hatte sie wieder einen Grund den heutigen Tag doch nicht als mittelmäßig bis schlecht abzustempeln. DANN fiel ihr jedoch ein dass es kurz nach zehn Uhr war, sie noch duschen musste, morgen Schule war und der Film soweiso so gut wie vorbei war.
 

Als Audrey bettfertig aus dem Bad kam lief sie beinahe in Mike, der über das Geländer des Flurs gelehnt nach unten, in den Eingansflur des Erdgeschosses starrte und nachdenklich an einer noch nicht angezündeten Zigarette herumfingerte.

„Du wirst doch nicht im Haus rauchen?“, meinte Audrey. Sie wusste dass, wenn er das tuen würde, seine Mutter ihn in Stücke reißen würde!

„Was? Ach was, nein, ich geh gleich in meinen Luxusknast.“ Er deutete auf die enge, knarzige Treppe die zum Dachboden hochführte.

Dort lebte er nun seit dem Zeitpunkt, an dem klar war, dass seine Schwester und ihre Familie herziehen würden… Also seit etwa drei Monaten.

Er hatte damals sein ehemaliges Zimmer, in dem jetzt Audrey wohnte, räumen müssen und eine Etage höher ziehen müssen.

Jedoch hatte er danach alle Hebel in Bewegung gesetzt um nicht wie ein Penner zu Hausen. Ja, Audrey war ein paar mal dort oben gewesen und sie musste sagen, dass er verdammt gute Arbeit geleistet hatte, was das dekorative umgestalten des Dachbodens anging!

Er hatte Tapeten an die Wände geklatscht, kurzerhand den ollen Dielenboden geschliffen, so dass die Bretter nicht mehr aussahen als hätten die Kanadier persönlich sie dazu benutzt um kleine Robbenbabys zu Tode zu prügeln.

Auch sah durch die normalen Möbel aus Mikes altem Zimmer hier oben alles viel wohnahfter aus… Nur ein Problem gab es: ALLES, wirklich jede Schachtel, die über die Jahre hier vor sich her gegammelt hatte, war von Mike in eine Ecke des Dachbodens geschoben worden, wo sie niemanden störte… Und da waren sie nun auch. Es war ein unglaublicher Kontrast erst Mikes schönes Zimmer zu sehen und dann am Ende von einem unsortierten Haufen alter Sachen erschlagen zu werden.

Und es gab, von der extremen Privatsphäre, Ruhe und Ruhe hier oben, leider noch einen Minuspunkt: Im Sommer starb man hier.

Die schwüle, stickige Hitze war einfach nicht ertragbar, es war absolut katastrophal! Man hätte eine Klimaanlage oder so gebraucht, aber ohne war es schrecklich! Selbst wenn man alle sechs Fenster aufriss, so bekam man, vor allem wenn kein Windchen wehte, hier oben im schlimmsten Fall einen Kreislaufkollaps. Verständlich dass Mike sich schon auf den Herbst freute.

„Sag mal, was anderes…“ Audrey lehnte sich zu ihm ans Geländer „Was ist jetzt eigentlich mit deiner Freundin? Ich freu mich ja dass du sie heiraten willst und ich find das Granny da echt zu nachtragend ist, aber willst du sie nicht zumindest mal vorstellen? Vielleicht wird sich ja alles auflockern, wenn Granny und Grandpa sie kennenlernen… Oder wir generell alle sie mal kennenlernen.“

Mike seufzte.

„Das war ja auch mein Plan… Aber noch nicht jetzt. Meine Eltern sollen sich erst mal beruhigen, sonst stell ich denen niemanden vor! Mnachmal glaub ich aber echt ich hab einen Fehler damit gemacht ihr den Antrag zu stellen…“

„Ach sei doch nicht so“, versuchte Audrey ihn aufzumuntern „Ich sag’s dir, sobald diese kleine Hürde überwunden ist, wird das schon! Und ich und Mum und Dad stehen doch voll und ganz auf deiner Seite und Henry auch, ich hab schleißlich mit ihm telefoniert… Und ich glaub Cooper steht dir auch bei.“

Mike lachte auf und verdrehte die Augen. Es war doch nicht möglich dass seine Nichte ihn wirklich zum Lachen gebracht hatte, doch nicht in seiner momentanen Situation!

„Na ja, wie gesagt, du bist erwachsen und niemand hat dir zu sagen wie du deine Familienplanung zu machen hast… Und jetzt geh ich ins Bett.“, verabschiedete Audrey sich und wäre, als sie in ihr Zimmer kam, fast über Cooper gestolpert, der sich auf ihrem flauschigen Teppich lang gemacht hatte.
 

Zur selben Zeit saß Katy im Schneidersitz auf ihrem Queen Size Bett und hatte einige Pferderennzeitschriften vor sich aufgeschlagen, aus denen sie bestimmte Artikel ausschnitt. Nebenbei telefonierte sie mit einer ihrer Freundinnen und hatte ihr Macbook neben sich auf ihr Kissen gelegt, ein Musikvideo am Laufen.

Auf ihrem Nachttisch stand, neben ihrer Lampe, der Wasserflasche, den Diätpillen, der Handcreme und dem Wecker, eine Schüssel mit Erdbeeren. Im Flur konnte sie ihren Hund in Richtung Treppe laufen hören, wahrscheinlich hatte er vor schlafen zu gehen, in einem der unzähligen Körbchen die im Haus verteilt lagen. Es gab eines im Wohnzimmer, in ihrem Zimmer, der Küche, dem Flur und dem Kaminzimmer.

Ja, es war ein ganz gewöhnlicher Abend bei ihr.

Katy hatte gerade den letzten Artikel mit einer unglaublichen Sorgfalt ausgeschnitten, als ihre Freundin, die gerade mit dem herziehen über eine Cousine fertig war, fragte: „Und, was machst du so?“

„Ich? Ich muss mir später noch die Gesichtsmaske runter waschen, die Judy mir empfohlen hat, aber momentan schneide ich Artikel über Blue aus.“, erzählte Katy wohlgestimmt und griff nach einem Klebstift, um die ausgeschnittenen Artikel vorsichtig in ein dickes Album einzukleben.

DIESES Album war Katy Heiligtum! ALLES zu ihrem Pferd war in diesem Album auf Papier für die Ewigkeit aufgehoben, es bedeutet ihr wirklich verdammt viel!

„Hä? Wer? Is‘ das ‘ne neue Band oder so?“

Katy verdrehte die Augen. Sie konnte mit viel vor ihren Freundinnen prahlen, aber Blue war es definitiv nicht. Niemanden schien sie zu interessieren, wenn Katy mal von ihr und einem ihrer Siege erzählte, hörte sie kurz ein anerkennendes ‚Uuuuuh!‘ und dann wurde ohne Umschweife wieder über Schuhe oder sonst was weitergeredet.

Auch wenn sie mit Blues Reinrassigkeit oder gar ihren Vorfahren anfing, so wusste sie sofort dass es niemanden interessierte.

„Ey, mein Pferd? Pretty Blue Bailiou of Cheval Hills? Macht’s klick?“

„Ach jaaa… Über die stand was in der Zeitung?“

„Nein, in Rennzeitschriften… Aber ich sag’s dir, wenn sie sich in den letzten zwei Rennen des Jahres gut schlägt… wer weiß?“ man konnte sofort eine gewisse Aufregung in Katys Stimme heraushören.

„Aha… Die sind wohl wichtig…“

„Hallo? Da disqualifizieren sich die Pferde, die nächstes Jahr bei den höheren Rennen mitmachen dürfen, das ist echt wichtig!“

„Ja, sorry, wusste ich nicht! Überhaupt, wo ist Blue eigentlich?“

„Momentan in Lexington, in dem Reitstall von dem Vater einer Freundin meiner Mutter, warum?“

Katys Freundin hatte wohl einfach nur versucht Interesse zu heucheln, denn ihre daher gemurmelte Antwort ‚Nur so‘ war nicht sehr überzeugend.

„Aber mal was anderes“ Katys Stimme überschlug sich plötzlich fast „Nächsten Samstag, also iiiiiiin…“ Katy sah auf ihren Kalender, der am anderen Ende ihres nicht grade kleinen Zimmers hing „drei Tagen, hast du Lust mit nach Lexington zu kommen? Meine Eltern würden dich natürlich umsonst mitnehmen und wir könnten nach dem Rennen shoppen gehen und-“

„Warte, Samstag? Wha, neeee, sorry Katy, aber da bin ich doch meine Cousine besuchen, meine Mutter besteht darauf.“, wand ihre Freundin schnell ab.

„Ich, doch nicht Pickel-Jolene!“, quiekte Katy angewidert ins Telefon.

„Dooooch, das is soooo ekelhaft! Ich hab voll keinen Bock, aber was sein muss, muss sein…“

Katy und ihre Freundin seufzen gleichzeitig, dann meinte Katy jedoch: „Na ja, okay… Ich frag Megan und Lisa, vielleicht kann eine von denen… Aber mach’s gut dann, ich muss dann mal weitermachen… Dinge tun.“

Ihre Freundin lachte auf und verabschiedete sich.

Nach zwei weiteren Gesprächen war jedoch auch klar dass sowohl Lisa als auch Megan Samstag was zu tun hatten.

Schade, jetzt musste sie sich jemand anderes suchen, denn allein würde sie nicht gehen!

Merklich demotiviert starrte Katy auf die Seiten des Blue-Albums, welches vor Bildern von Siegerehrungen, Blue wie sie die Ziellinie überschritt, rannte oder einfach nur dekorativ in der Gegend stand nur so überquoll. Zwischendrin sah man immer wieder Ausgeschnittene Artikel aus Pferderennsportmagazinen über Blue, Fazite von Kritikern über sie und Tierärztliche Gesundheitsbestätigungen.

Und immer mal wieder tauchten auch mal Bilder von jemandem auf, den Katy nicht grade leiden konnte.

Dieser Jemand war auf allen Bildern entweder damit beschäftigt sein Gesicht durch eine Jockeybrille zu verstecken und Blue zu reiten oder sie stand scheinbar unbeteiligt am Zaun der Rennbahn und starrte auf eine Stoppuhr.

Adia.

Ja, dieses Mädchen WOLLTE ja gar nicht aus Katys Leben verschwinden, egal wie sehr sie es sich gewünscht hätte. Kaum war sie endlich außer Haus gewesen, war sie drei Jahre später auch gleich wieder in Katys Leben gewesen… In dem Falle als Trainerin, beziehungsweise Jockey für Blue.

Ja, Adia war eine Qual. Warum sagte eigentlich jeder immer wie toll sie doch war? Hatten diese Leute eigentlich hinter ihre Fassade geschaut?

Wohl kaum.

Und dann auch noch ihr dummer Köter! Wem wollte sie mit dem Ding was beweisen? Wem auch immer sie mit dem Vieh was beweisen wollte, sie hatte es nicht geschafft. Außer der Schule und ihrer Ausbildung hatte die doch sowieso nie was geschafft!

Katy hatte sich damals mit Händen und Füßen dagegen gewehrt, als dieses Minimalindividuum nun also die Trainerin und zugleich gelegentlich der Jockey für Blue werden sollte, aber verhindern konnte sie es dann doch nicht mehr.

Katy wurde aus ihren Gedanken gerissen als ein Tapsen und das klingeln einer Hundemarke ertönte.

„Heeeeeeey, Humphreeeeey, Schätzchen, komm zu Mummy!“, quiekte Katy entzückt, als ihr Mops hechelnd zu ihrem Bett kam. Katy stand schnell auf und nahm ihn auf den Arm, setzte ihn auf ihr Bett und nahm ihn, sobald sie wieder auf ihrem Bett war, sowieso gleich wieder auf den Arm.

„Naaaaaa, hast du mich vermisst?“, flötete sie und begann ihn energisch am Hals, Bau und Kopf zu streicheln, woraufhin der kleine Rüde nur noch schwerer hechelte.

„Jaaa, das magst du, hm?“ Katy drückte den beigen Hund Liebevoll an sich und fuhr mit ihren Liebkosungen fort, ehe sie ihre Aufmerksamkeit wieder zum Teil auf ihren Laptop lenkte.

Humphrey, der in der Zwischenzeit wohl genug von den Tätscheleien seiner Besitzerin zu haben schien, befreite sich aus ihrem Griff und tapste auf das Album zu, das noch immer aufgeschlagen auf dem Bett lag und begann daran herumzuschnüffeln.

Katy bemerkte dies und entriss es ihm recht schnell.

„Nanana, DAS, mein Freund, bekommst du nicht! Ich will doch nicht das mein Humphy-dumphy es mir kaputt macht, hm?“ Sie stand auf und legte es in ihr Regal zurück.

„Zudem…“ sie strich sich eine Strähne zurück und setzte Humphrey wieder auf ihren Schoß, als sie es sich auf dem Bett gemütlich machte „Sollte ich in Zukunft nur noch Bilder in dieses Album kleben auf denen man meine hässliche Schwester nicht sieht… Adia ist nämlich ‘ne Verschwendung an Luft, hm?“ Sie nahm Humphreys faltiges Mopsgesicht zwischen die Hände und kraulte ihn zärtlich am Kinn, woraufhin er ihr mit der Zunge über die Nase fuhr und etwas von ihrer Maske in seinem Maul verschwand.

„Ih“ Sie warf schnell den Kopf zurück „Und die Maske müsste ich mir auch noch abwaschen.“ Sie musste kurz schmunzeln.

Ihre achso-tolle Schwester von Adia kannte solche Probleme natürlich nicht, denn bei so einer Visage ist nichts mehr zu retten.

Einladungen

Am nächsten Morgen in der Schule erwarteten Audrey gleich zwei unerwartete Überraschungen: Zum einen ein äußerst überraschender Überraschungstest in Mathe, welcher, wenn er ein Mensch wäre, wahrscheinlich der uneheliche Sohn von Hitler und Justin Bieber war.

Das war der Höhepunkt des Tages, zumindest glaubte Audrey das. Sie durfte sich bis zur Mittagspause nebenbei noch einige Tausend Mal anhören, wie dankbar Elizabeth ihr wegen gestern Abend war, was auf Dauer leider ziemlich nervig wurde.

„Ich hab mich gestern vor Freude echt nicht mehr zusammen bekommen“, plapperte Elizabeth, als sie zusammen in der Mittagspause ihre Spaghetti aßen „Aber komm schon, gibt es denn GAR nichts was ich für dich tun kann?“, fragte sie nochmals.

„Hey, ich hab doch schon gesgat dass ich das wirklich gern getan hab und dich so glücklich zu sehen das war mir genug Lohn. Ich brauche nichts, glaub mir doch!“ In Audreys Stimme war die Verzweiflung merkbar, doch Elizabeth schien das einfach nicht zu akzeptieren.

„Okay, okay, aber denk immer daran, wenn es mal IRGENDWAS gibt, was ich für dich tun kann, dann sag unbedingt bescheid.“

Audrey musste auflachen. „Okay, werd ich machen! Sobald ich mal wieder meine Mathehausaufgaben vergessen habe, wirst du die erste sein zu der ich renne!“

Elizabeth wollte wohl wieder was erwidern, doch plötzlich tauchten drei Gestalten vor ihnen auf.

„Hey Elly!“, begrüßte eine ihrer Freundinnen sie, gefolgt von einer weiteren Freundin und Nathan, einem Klassenkameraden.

„Leute, ihr werdet nicht glauben wer mir gestern den Arsch gerettet hat… beziehungsweise Napoleon.“, begann Elizabeth sofort zu erzählen.

„Ach ja, genau, was war denn eigentlich wegen der Sache gestern?“, fragte die erste ihrer Freundinnen, Jennifer, soweit Audrey das noch im Kopf hatte.

„Audrey“ Elizabeth deutete auf Audrey wie auf ein Ausstellungsobjekt „hat ihm das Leben gerettet!“

„Übertreib nicht!“, fuhr Audrey verschämt dazwischen.

„Doch, hat sie! Wäre sie nicht gewesen, wäre er… keine Ahnung, auch egal…“

Und dann begann Elizabeth die ganze Geschichte zu erzählen.

„Warte“, unterbrach die andere Freundin, Samantha, sie „Du? Ich hätt gar nicht gedacht dass du so was machen würdest, ich hätt dich als viel schüchterner eingeschätzt.“

„Sam“, ermahnte Elizabeth ihre Freundin „Höflichkeit ist dir aber schon bekannt, oder?“

„Ja, sorry, aber ist doch so! Und ist doch nichts schlimmes, du kamst eben einfach etwas zurückhaltend rüber in den ersten Wochen.“, gestand Samantha.

Nathan, der bisher noch nichts erwidert hatte, trug nun auch etwas zu diesem Gespräch bei: „Also eigentlich hast du auf mich auch so gewirkt, hätte dir gar nicht zugetraut dass du hier über fremde Weidezäune kletterst.“

Audrey errötete etwas bei seinem Kommentar, wobei er jedoch schnell hinzufügte: „Aber das ist ja nichts schlimmes, ist besser dass du dich um das Pferd kümmerst als dass es niemand macht und das mit Napoleon war einfach ein verdammt glücklicher Zufall.“

Audrey wusste nicht warum sie sein Kommentar trotzdem so unangenehm fand. Warum war sie so? Sie wollte endlich aufhören so schüchtern zu sein! Sie war seit fast einem Monat auf dieser Schule und immer noch war sie total zurückhaltend, verdammt, so war sie doch gar nicht! Sie hätte sich treten können dafür, doch momentan konnte sie nur hoffen dass es endlich aufhören würde.

„Na ja“, knüpfte Jennifer wieder an „Aber Napoleon geht’s wieder gut?“

Elizabeth nickte mit einem breiten Grinsen auf dem Gesicht. „Ja, ich und meine Schwester und vor allem Queeny waren so unglaublich erleichtert ihn wieder bei uns zu haben, er ist einfach nur ein Schatz!“

„Schatz? Der hat mich mal gebissen, ich bis heute Angst vor dem! Da macht mir Queeny weniger Angst und die wiegt wahrscheinlich das Achtfache!“

„Dich auch? Mich hätte es auch fast erwischt.“, meinet Audrey.

„Echt?“ Nathan drehte sich nun ihr zu.

„Ja, der Kleine hat es faustdick hinter den Ohren, dabei hatte ich ihn nur ein paar Stunden bei mir.“

„Ach seh mal, Nathan hat ein neues Mitglied für seinen Anti-Napoleon Club.“, meinte Samantha lachend.

Elizabeth verdrehte nur genervt ihre, wie jeden Tag, perfekt geschminkten Augen.

„Ihr zwei habt echt keine Ahnung was ihr verpasst. Napoleon ist ein Engelchen, ihr müsst ihn nur kennenlernen.“

„Elly…“ Nathan sah sie vielsagend an „LEIDER habe ich nicht die Zeit meine gesamte Freizeit mit diesem Teufel zu verbringen.“

„Ach duuuu…“ Elizabeth grinste ihn nur frech an, ließ es dann aber gut sein.

„Hey, habt ihr eigentlich schon von Katys neustem Erste-Welt-Oberklassen-Problem gehört?“, lenkte Jennifer das Thema nun auf etwas anderes ab.

„Was? Was hat die Schlampe diesmal für Probleme? Ist ihre hässliche Töle aus der Mode geraten?“, fragte Elizabeth abschätzig. Sie hatte Humphrey mal auf einem von Katys dauern wechselnden Profilbildern gesehen, wie sie mit ihm zusammen auf ihrem Bett saß, die arme Töle an der Brust hochhob und seinen Kopf neben ihren gedrückt hatte, und Duckface gemacht hatte.

Dieses Bild war so hässlich gewesen dass es Elizabeth fast schon wieder witzig fand.

„Ich hab gehört dass Englische Bulldoggen ja voll im Trend sind.“, meinte Jennifer abschätzig.

„Und Französische Bulldoggen.“, ergänzte Samantha.

„Und Chihuahuas.“, fügte Nathan hinzu.

„Und Cavalier King Charles Spaniel.“, meinte Audrey noch halblaut.

„Solche Rassen merkst du dir?“, fragte Samantha.

„Ja, ich muss mir doch Qualzuchten merken. Wusstest du dass über neunzig Prozent der Hunde dieser Rasse mit einem Herzfehler geboren werden und verdammt viele unter einer Kleinhirnquetschung leiden und unter Umständen deswegen Epilepsie und andere Nervenkrankheiten bekommen können?“

„Wow, so was merkst du dir?“

„Oh glaub mir… So was passiert wenn man mich mit Langeweile und einem Handy drei Stunden lang in einem Auto lässt.“, erklärte Audrey halb spaßend, halb ernst.

„Tja“ gespielt selbstgefällig grinste Elizabeth in die Runde „Ich sag’s euch ja, holt euch lieber einen Labrador, mit denen könnt ihr nichts falsch machen.“

„Und die Hüftdysplasie?“, wand Audrey ein.

„Äh… Ja, das haben viele große Hunde, oder hat dein Hund nichts?“

„Nicht das ich wüsste… Tja, er ist eben ein Mischling.“

„Tja, dann ist er ein verdammter Glückspilz“, meinte Elizabeth und schien plötzlich so was wie eine Eingebung zu haben „Was war denn jetzt eigentlich mit Katy?“

„Hä?“

„Na Jenny, du wolltest doch irgendwas über sie erzählen, bevor wir hier ein bisschen ins Thema Qualzucht bei Hunden abgedriftet sind.“

„Ach ja“ Jennifer schien sich zu erinnern, also sie… Ach du scheiße, wenn man von der Scheiße spricht, es kommt… Verhaltet euch ganz natürlich.“ Jennifer wand sich schnell ihrem Essen zu, so wie eigentlich jeder am Tisch. Irgendwie musste Audrey in diesem Moment an die Spongebobfolge denken, in der Patrick Spongebob sagte er solle sich natürlich verhalten und in der Spongebob dann anfing Gras zu fressen… Zur Hölle warum dachte sie an so einen Mist?

Zu spät, Katy kam wohl ganz zielgerichtet auf sie zu.

Und da war es leider auch schon, mit seiner weißen Röhrenjeans, den sorgfältig geflochtenen Haar und einem Oberteil, welches, unter dem dünnen Stoff, die Verzierung des BHs erahnen ließ.

„Hey, ich wollte einen von euch fragen ob ihr Lust hättet mich nächstes Wochenende nach Lexington zu begleiten, Blue hat eines der letzten Rennen für dieses Jahr und ich fände es ein bisschen einsam wenn ich dort nur mit meinen Eltern wäre. Also, wollt ihr?“

Ja, dieses Mädchen kam recht schnell zum Punkt.

„Wollen deinen Freundinnen nicht?“, fragte Elizabeth kühl und ohne sie auch nur anzusehen.

„Nein, sie haben keine Zeit.“

„Wohl eher keine Lust…“, murmelte die Schwarzhaarige leise, jedoch mit vollem Mund, so dass Katy sie nicht hören, beziehungsweise verstehen konnte.

„Was ist mit euch beiden, wollt ihr? Meine Eltern bezahlen natürlich alles.“

Jennifer und Samantha lehnten jedoch sofort ab. „Sorry, wir haben schon Pläne.“, war ihre eher dürftige Erklärung.

„Und du Nathan?“ Hoffnungsvoll sah Katy dem Jungen entgegen. Jaaaaa, natürlich Nathan. Auf ihn hatte sie wohl am meisten gehofft denn… Nun ja, schlecht sah er ja nicht gerade aus… Im Gegenteil, er wäre sogar gut genug für jemanden wie Katy, zumindest Äußerlich. Was seinen Charakter anging hatte dieses Mädchen wahrscheinlich nicht mal ihren Hund verdient.

Man sah Nathan an, dass er fieberhaft versuchte sich aus der Situation zu retten, denn er war der letzte der mit der Alten in der Kisten landen wollte, er hatte etwas ganz verrücktes, das nannte sich Selbstachtung. Gepaart mit Gefühlen und der Tatsache dass er seine Augen auf jemanden ganz anderes gerichtet hatte, war es wohl das logischste, dass er kein Interesse daran hatte auch nur eine Sekunde seines Lebens mit Katy zu verschwenden.

„Nee, lass mal… Pferde sind nicht so meins.“, war seine kurze Antwort.

„Aber du bist doch auch ständig bei Elizabeth.“, wand Katy fast schon verletzt ein. Man konnte die Verzweiflung regelrecht von ihrem Gesicht ablesen. Sie wünschte sich Nathan wahrscheinlich mehr als alles andere sonst an ihrer Seite, zumindest für das Wochenende.

„Ja, aber das hat nicht zu bedeuten dass er automatisch bei meinen Pferden rumhängt. Und überhaupt, du weißt doch genau dass ich die einzige hier bin die auch Pferde hat, warum lädst du nicht mich ein?“

Man konnte, zumindest in ihrem letzten Satz, den Sarkasmus regelrecht herausquillen hören.

„Als ob ich jemanden wie dich mit nach Lexington nehmen würde.“, zischte Katy abschätzig.

„DA hast du auch wieder recht, ich verachte sowohl Pferderennen, als auch die moderne Rennpferdezucht, zudem bin ich dieses Wochenende bei meinem Vater. Aber zu ersterem muss ich dir ja nichts erzählen, meine Pferde haben ja schließlich weder Papiere, noch wurden sie mit zwei Jahren auf Rennen geschickt, noch haben sie Herzklappenfehler.“

„Blue hat keine Herzklappenfehler, sie ist kerngesund!“, verteidigte Katy ihre Stute.

„Ja, und zwar so lange bis sie zum ersten Mal umknickt, stürzt, sich was bricht, dann ENDLICH mal genauer durgecheckt wird und plötzlich tausend verschiedene Erbkrankheiten in sich trägt. Wenn’s soweit ist und ihr sie aufgrund der Tatsache dass sie keinen Gewinn mehr abwirft eingeschläfert werden soll, tu mir den Gefallen und gib sie mir, wäre doch Schade wenn der Name Ferell von Tierschützern im Zusammenhang mit dem einschläfern von unbrauchbaren Rennpferden stünde, nicht?“

Brenn Schlampe. Brenn.

Katy hatte einen Augenblick keine Ahnung was sie sagen sollte und man konnte deutlich sehen wie rot sie plötzlich geworden war.

„Weist du, bevor mein Pferd eingeschläfert wird, muss man erst an mir vorbei und-“

„Sie ist dir doch scheißegal. Sie bringt Gewinn, sie ist ein Geschäft! Wenn sie kaputt ist dann schenkt dein Vater dir ein neues und Ende! Also tu nicht so als ob es dich wirklich kümmern würde.“

Audrey hatte grade alle Hände damit zu tun nicht zu grinsen. Sie und eigentlich jeder sonst am Tisch. Sie sah es vor allem Nathan an, der ununterbrochen Essen in seinen Mund stopfte um nicht grinsen zu müssen, Jennifer und Samantha hatten sich da besser im Griff. Es war aber auch ein netter Anblick dabei zuzusehen wie die beste Freundin jemanden den niemand wirklich leiden konnte runter machte.

„Du hast echt keine Ahnung, oder? Aber zurück zum eigentlichen Thema“ Sie wand sich wieder Nathan zu „Also, hättest du keine Zeit mitzukommen?“

„Sorry, wahrscheinlich werd ich dieses Wochenende sowieso mit meinen Brüdern nach Lincoln fahren, Anthrax hat dort ein Konzert.“

„Was?“, hakte Katy unsicher nach.

„Eine Metalband, müsste dir natürlich fremd sein.“, antwortete Elizabeth an Nathans Stelle. Sie wollte Nathan so gut es ging vor Katy bewahren, denn leider war Nathan manchmal zu nett zu dieser Schnalle.

„Oh, okay… Äh, Audrey? Was ist eigentlich mit dir? Hättest du Lust drauf?“, machte Katy nun noch einen Versuch.

Audrey hätte eigentlich gar nicht damit gerechnet gefragt zu werden. Warum auch, Katy und sie kannten einander doch kaum.

„Äh…“ Völlig ratlos sah sie zwischen Elizabeth und ihren Freunden umher, mit der Situation waren jedoch auch diese überfordert.

„Vor dem Rennen könnte ich dir einige Leute vorstellen, du könntest auch die Vorbereitungen beobachten und nach der Siegerehrung gibt’s noch immer so ein riesiges Festessen, gesponsert vom Rennbahnleiter. Dazu sind alle eingeladen, Besitzer, Trainer, Jockeys, Freunde von ebendiesen… Und wenn es dann nicht zu spät wird, könnten wir auch noch in Lexington einkaufen gehen. Also, was sagst du?“

„Äh…“ Zum einen wollte Audrey nach einer Ausrede suchen nicht mitzukommen, zum Anderen klang das alles… verdammt geil. Ja, sie gab es zu, es klang echt verführerisch und wann hatte sie schon die Chance hinter die Kulissen eines Pferderennens zu schauen? Und das Gute war, dass Katy sie, im Gegensatz zu manch anderen Leuten, nicht vollständig hasste. Es war also nicht so als ob Audrey sich absichtlich mit ihrem schlimmsten Albtraum anlegte.

„Äh… okay. Ich muss noch meine Mutter fragen, aber die wird wohl nichts dagegen haben.“, gab Audrey dann schließlich nach einigen Sekunden des angespannten Schweigens von sich, was Katy ein breites Grinsen aufs Gesicht zauberte.

„Klasse! Sag mir am besten heute noch Bescheid, mein Vater muss noch die Sitze reservieren.“, meinte Katy schließlich und machte sich dann, merklich zufrieden, zu ihren Freundinnen auf.

Als sie außer Hörweite war, drehte Elizabeth sich mit einem vielsagenden Blick Audrey zu.

„Ernsthaft? Ich würde nicht sagen dass du dumm bist, aber-“

„Bitte skalpier mich nicht“, flehte Audrey merklich beschämt „Aber… die Chance war günstig, ich wollte schon immer mal bei einem Pferderennen dabei sein, ich kann ja selbst kaum glauben dass ich das grad getan hab!“

Im Nachhinein schämte Audrey sich diesem Miststück wirklich zugesagt zu haben, sie hasste sich regelrecht dafür! Wie konnte sie? Sie war einfach nur… unfassbar dämlich.

„Na ja, ich wünsch dir jedenfalls gaaaanz viel Spaß mit Es.“ Samantha sah ihr mitleidig entgegen.

„Hey, vielleicht hast du Glück und deine Mutter wird es dir verbieten.“, versuchte Jennifer sie aufzuheitern.

„Ja… hoffentlich…“, seufzte Audrey und machte sich über den Rest ihres Mittagsessen her.
 

Als sie an diesem Nachmittag aus dem Schulbus ausstieg war das Wetter, wie auch an dem Tag zuvor, herzlichst ungemütlich und es tröpfelte etwas. Der Himmel war tiefschwarz und es würde mit Sicherheit bald regnen.

Das blöde war dass, ganz in der Nähe ihrer Haltestelle Splashies Weide war. Eigentlich hatte sie vorgehabt sich fürs Erste nicht in seiner Nähe blicken zu lassen, doch als sie in der Pause beim Essensverkauf diesen riesigen, roten Apfel gesehen hatte, konnte sie nicht widerstehen…

Der Hengst graste in einigen Metern Abstand zum Zaun, doch als er Audrey aus dem Bus steigen sah, hatte er seine Aufmerksamkeit sofort auf sie gerichtet.

„Splashie? Schau mal, ich hab da was für dich…“ Sie öffnete ihre Schultasche und holte den Apfel heraus.

Der Hengst, der heute überraschend sauber aussah, blickte auf und trabte neugierig auf Audrey zu. Er zögerte diesmal jedoch nicht so sehr wie bei ihrem ersten Treffen, das fiel Audrey gleich auf, vor allem weil er diesmal keine Sekunde gezögert hatte, als sie ihn gerufen hatte. Er war einfach zu ihr gekommen und ja, zugegebener Maßen, machte das Audrey doch ein wenig stolz.

Der Hengst ließ den Apfel mit einem Happs von ihrer Handfläche verschwinden, wobei Audrey jedoch unweigerlich grinsen musste. Seine Lippen kitzelten ihre Handfläche und als sie ihm mit der anderen Hand über die Stirn strich, spürte sie sofort einen gewissen Gegendruck, er schien sich regelrecht nach ihrer Zuneigung zu sehnen.

Splash schien im Grunde ein ziemlich anhängliches Pferd zu sein. Zumindest war er das erste welches sich, innerhalb von den paar Malen in dem sie bei ihm war, schon so sehr kraulen ließ.
 

Alle Pferde die sie davor gekannt hatte, waren nicht bei weitem so zutraulich gewesen. Bei Splashie hingegen ging es alles ganz gut.

„Hm, ob du dich wohl reiten lassen würdest?“, fragte sie den Hengst und begann ihn etwas energischer am Hals zu kraulen, als sie bemerkte dass er das merklich zu genießen schien und den Kopf senkte.

„Du bist ein Hübscher, weißt du das? Und du bist heute so sauber, hat man dich etwa geputzt? Tja, hat wohl doch was gutes dass ich bei dir ertappt wurde, vielleicht achtet man jetzt mehr auf dich, hm?“ Audrey wurde taten langsam die Arme vom ganzen streicheln weh. So kam es dass sie ihre Arme langsam zwischen den Zaunlatten hervorzog und dem Hengst nur noch mal kurz über die Stirn fuhr.

„Tut mir leid Splash Paint… Vielleicht komm ich morgen noch mal, was sagst du?“

Sie schmunzelte, als sie ihm das letzte Mal durch die Mähne wuschelte und sich nun endgültig auf den Heimweg machte. Zwar drehte sie sich noch mal nach Splash Paint um, welcher ihr einige Sekunden nachblickte, doch letzten Endes doch über die Weide davon preschte.
 

„Was? Das klingt ja toll!“ Audreys Mutter schien vor Freude zu platzen, jedenfalls sprach ihr Grinsen für sich.

„Warte, ich DARF?!“, brachte Audrey fassungslos hervor. Sie, ihre Mutter und ihre Großmutter saßen gerade im Wohnzimmer und schauten Fernsehen, als Audrey mit der Frage aufgekommen war. Babu saß die ganze Zeit auf einem Stapel Bücher im Regal und hatte aus irgendeinem Grund Audrey die ganze Zeit beobachtet.

„Ja, was soll dagegensprechen?“

„Und was wird Dad dazu sagen?“

„Audrey“ Ihre Großmutter meldete sich zu Wort „Wen interessiert das? Deine Mutter hat glaube ich genug zu sagen.“

Hm. Das stimmte. Das Wort ihrer Mutter war Gesetz, ihr Vater hatte da meist nur Chancen wenn er auf längere Zeit versuchte was dagegen zu tun.

Also darf ich?“

Babu sprang in diesem Moment auf Audreys Schoß.

„Ja natürlich! Hauptsache du bist vor Mitternacht zurück.“, meinte ihre Mutter.

Audrey seufzte innerlich, auch wenn ein Teil von ihr, tief in ihr drin, sich unglaublich auf Samstag freute.
 

„Ach ja, bevor ich vergesse das zu erwähnen, Victoria kommt uns nächsten Sonntag besuchen.“, verkündete Mike beim Abendessen.

„Ach, wir erhalten also ENDLICH die Ehre unsere zukünftige Schwiegertochter kennenzulernen?“, fragte Audreys Großmutter giftig.

Mike verdrehte genervt die Augen. Nicht die Reaktion die er erhofft hatte.

„Weißt du Mum, ich könnte auch gar nicht heiraten, wäre dir das lieber?!“, zischte er.

„Mike, du weißt genau das wir das nicht so meinen, aber wir sind noch immer sehr enttäuscht von deinem Verhalten!“

„Wisst ihr wie ihr euch benehmt? Wie kleine, unreife Kinder, die erfahren haben dass der Weihnachtsmann gar nicht existiert! Was ist los mit euch, wollt ihr mich jetzt für den Rest eures Lebens ächten? Ich hab Victoria zu uns eingeladen in der Hoffnung dass ihr euch mal beruhigend würdet, aber mit euch ist ja gar nicht zu helfen.“

Noch bevor jemand was sagen konnte, sprang Audreys Mutter ein: „Mein Gott, er hat doch recht! Ihr seid grade einfach nur unausstehlich! Ihr reißt euch jetzt gefälligst zusammen und vertragt euch!“

Audreys Mutter war eigentlich äußerst ruhig und verständlich, daher war es recht einschüchternd wenn sie mal richtig wütend wurde… So wie jetzt.

Jedenfalls war es einschüchternd genug um eine unangenehme Stille über alle Beteiligten zu legen, auch wenn Mikes Gesicht ein breites Grinsen zierte.

Er hatte seine Verbündeten, auch wenn die bisher still gewesen waren.

Freitage

Mary, die Tochter von Mister Hoffman, saß inzwischen seit drei Stunden am Steuer, was wohl auch nur durch mehrere Tassen Kaffee auszuhalten war.

„Wie spät ist es?“, fragte Adia schlaftrunken von dem Rücksitz her.

„Sieben Uhr. Die Sonne geht auf.“, war Marys kurze Antwort.

Erschöpft ließ Adia sich in den Rücksitz sinken und kuschelte sich müde an Tita, welche sich längs auf sie gelegt hatte. Sie wollte noch nicht Auto fahren, sie wollte schlafen, verdammt! Sie hatten noch über eine Stunde Fahrt vor sich und der Drang zu schlafen war… gewaltig!

Adia blinzelte müde in das fahle Sonnenlicht, welches sich langsam vom Horizont abhob und die das blonde Fell Titas in einem hübschen orange erstrahlen ließ.

„Na komm… Ich fahr jetzt, legen sie sich hin, ich muss nur noch Tita nach vorne holen.“ Schwerfällig erhob Adia sich aus ihrem Sitz und schob Chiquitita von sich.

„Ich halt dann gleich am nächsten Parkplatz an. Wir sollten sowieso mal nach Bailiou schauen.“

Adia verdrehte genervt die Augen und fuhr sich mit den Fingern ein paar Mal durch ihre verfilzten Haare.

„Warum eigentlich Bailiou? Das klingt doch scheiße, Blue oder Pretty is doch viel besser.“, meinte Adia schließlich und richtete Titas Halsband wieder richtig hin. Manchmal rutschte ziemlich viel Fell dazwischen, das sah dann immer relativ unschön aus. Ja, Adia hatte einen Fimmel für schöne Dinge. Und ihr Hund war einer davon.

Ihr Hund und sie selbst und alles was sie sonst besaß.

„Warum nicht?“

„So gewöhnt sie sich doch nie an ihren Namen. Ich finde Pretty klingt am Besten.“, meinte Adia und stöhnte innerlich auf, als Mary auf einen Parkplatz fuhr. Jetzt war sie endgültig dran mit fahren.

„So, also dann… Schauen wir kurz nach Blue, dann fahr ich... Tita.“

Adia öffnete die Tür, führte Chiquitita mit hinaus und öffnete ihr dann die Tür zum Beifahrersitz, wo der Afghane brav Platz nahm.

Als Adia und Mary schließlich die Tür zum Pferdeanhänger öffneten, war das erste was ihnen entgegen kam… das Heunetz.

„Ach Blue!“ Genervt hob Adia das heruntergerissene Heunetz auf und hing es wieder an seinen Bestimmungsort.

„Muss diese Stute eigentlich immer die Inneneinrichtung ihres Anhängers zerstören?“, fragte Mary genervt und hob den Salzklotz auf, der ebenfalls aus seiner Halterung gekracht war.

Adia richtete währenddessen Blues Decke wieder richtig hin, welche ein bisschen zu sehr nach Links verrutscht war.

„Na komm her… Was machst du da, Blue… Du hast Fünfundfünfzigmillionen Jahre Evolution und zweihundert Jahre selektive Zuchtgeschichte hinter dir, dann verhalt dich auch so“, murrte Adia und tätschelte der Stute halbherzig den Hals „Zumindest für die nächsten drei Stunden, dann sind wir wieder bei der Rennbahn und dort kommst du wieder in deine kuschelige Übergangsbox und morgen siehst du dann Katy wieder, na, klingt das nicht toll? Wenn du Glück hast wird sie dich sogar mal länger als drei Sekunden umarmen, ist doch was, hm?“

„Ach Adia, wenn ich du wäre würde ich nicht so über meine Schwester reden, sie froh dass du noch eine hast, im Gegensatz zu mir. Deiner Mutter gefällt dein Verhalten doch bestimmt auch nicht.“, meinte Mary, welche den Anhänger inzwischen verlassen hatte, von draußen.

„Oh Gott, du kennst dieses Mädchen nicht, die Kleine ist ein Miststück! Man stellt sich besser gut mit ihr und stimmt ihren strohdummen Ansichten zu, solange ist alles gut, aber wehe man legt sich mit ihr an, dann endet man so wie ich: Zweiundzwanzig, kein Freund, ein Hund mit dem ich innerhalb der letzten Jahre mehr geredet hab als mit meiner Schwester und einem Hass auf Hipster.“, erklärte Adia.

„Was zur Hölle ist ein Hipster?“

Nun ja… Mary Hoffman war, wie gesagt, Mister Hoffmans Tochter, dementsprechend alt. Im Grunde hätte sie Adias Mutter seien können, wahrscheinlich hatte sie zu ihr sogar ein besseres Verhältnis als zu ihrer richtigen Mutter.

Apropos: Adias Lästereien waren ein offenes Geheimnis. Mary und Adias Mutter waren schon seit Jahren beste Freunde, durch Mary waren die Ferells ja erst auf den Stall für Blue gekommen und Adia war so zu ihrer Ausbildung gekommen.

„Ach, ein Hipster ist ein Trendsetter. Du weißt schon, diese Idioten mit Karohemden, die bei dreißig Grad mit Schal rumlaufen, Latte saufen, so tun als ob sie Klassiker verstehen oder gar lesen könnten, mit ihren IPhones die Cafés belagern und alles was jetzt cool ist schon kannten bevor es cool war. Ihre erste Regel besteht darin dass sie nie zugeben dass sie Hipster sind.“, erklärte Adia ihr, während sie zurück ins Auto einstiegen.

„Und woher weißt du das alles?“

„Facebook und Memecenter. Mehr braucht man nicht um Idiotien zu identifizieren.“, erklärte Adia und startete den Wagen. Sie freute sich schon auf heute Abend, wenn sie in ihrem kuschligen Hotelzimmer liegen würde, und die ganze Nacht nicht schlafen könnte.

„Ach, deine Handtasche ist hier noch.“ Mary hielt ihr die schwarze Tasche entgegen, als sie bereits im Auto waren.

Adias Herz setzte kurz aus, doch sie nahm die Tasche schließlich an sich und sah möglichst unauffällig hinein.

Gut, das Antidepressivum war noch immer da wo es hingehörte.

Sie gab es nicht gern zu, überhaupt nicht gerne und glücklicherweise wusste niemand davon, doch ihre Sommerdepression war etwas was sie nur noch ankotzte. Sie hatte ihr vor zwei Jahren den Kampf angesagt, denn die Tatsache dass wegen ihrer Unachtsamkeit und Lustlosigkeit Tita fast vor ein Auto gerannt wäre, hatte in ihr damals ein Umdenken bewirkt. Und es war ja auch nur für den Sommer. Im Winter war das ganz anders, im Winter, Herbst und Frühjahr war sie ein Sonnenschein, da war sie so dämlich wie sonst auch immer.

Nur der Sommer war ihr persönlicher Erzfeind… Sehr zu Titas Leidwesen. Dieser Hund liebte es vor allem in der heißen Jahreszeit durch die Gegend zu rennen, mit kaltem Wetter konnte sie sich nicht wirklich anfreunden.

„So Mary, jetzt schlaf mal… Ich sag schon bescheid wenn wir da sind.“ Adia war gerade losgefahren und wollte ihre Handtasche schon unachtsam in den Beinbereich des Beifahrersitzes schmeißen, als plötzlich die unverkennbare Melodie des Liedes „The Bird ist he word“, gesungen von Peter Griffin, aus Family Guy, zu hören war. Lang lebe Instant Buttons.

„Welcher Arsch ruft mich jetzt an?“, zischte Aida genervt und kramte ihr Handy aus ihrer Handtasche.

„Du nimmst doch nicht etwa ab?“, fragte Mary, welche es sich grade gemütlich gemacht hatte.

„Ach, ich hab schon ganz anderes gemacht…“, murmelte Adia und musste grinsen als sie sie Freds Kontaktbild auf dem Display sah.

„Hey Freddy!“, begrüßte sie ihn, als sie abgenommen hatte, doch die Stimme am anderen Ende der Leitung war nicht die, mit der sie gerechnet hatte.

„Woah, du hässliche Fotze musst gar nicht so scheinheilig tun! Du mit deinen Siebtklässler-Tittchen und deiner gefickten Töle und deinen hässlichen Gäulen glaubst wohl du kannst dir alles erlauben, für wen hältst du dich dass du glaubst einen auf Nutte machen zu können?!?“, brüllte ihr jemand das Ohr ab.

Adia war wie erstarrt. Sie verstand nicht ganz was das sollte, geschweige denn wer sie da grade über Freds Handy beleidigte.

Dann hörte sie Geschrei im Hintergrund und eindeutig Freds Stimme, der das Wort „Missgeburt“ schrie. Okay… Das war gut, zumindest hoffte Adia das.

„Gib das her! Gib das sofort her du Nutte!“, schrie Fred und sie konnte heftiges rumpeln hören. Es klang so als ob er sich mit jemandem um sein Handy stritt.

Dann folgten eine Menge Beleidigungen, die sich Fred und die wohl weibliche Person gegenseitig an den Kopf warfen, dann wieder Gerumpel und schließlich erklang endlich Freds Stimme am Apparat.

„Adia?!“, fragte er besorgt, worauf jedoch augenblicklich ein „Fickfotze“ im Hintergrund ertönte.

„Woah, jetzt reichts, verpiss dich du behindertes Stück Scheiße und wage es nicht dich hier noch mal blicken zu lassen!“

Stille.

Ein Türenknallen.

„Adia? Hey, bist du noch dran?“

Adia, die sich mit ihrer freien Hand im Lenkrad festgekrallt hatte, schluckte schwerfällig und gab ein „Ja“ von sich.

„Ey, mir tut das sooo leid, aber Charlotte ist grad voll ausgetickt! Ich wette die hat ihre Tage, diese Missgeburt.“

In Adia machte sich plötzlich eine Hoffnung breit die sie seit drei Jahren hegte und sie konnte nicht anders, als sich wie ein Honigkuchenpferd hinter dem Steuer zu freuen.

„Habt ihr Schluss gemacht?“, fragte sie gespielt mitleidig, auch wenn der Gedanke daran sie einfach nur glücklich machte.

„Ach was, die beruhigt sich schon wieder.“

Und schon lagen alle Hoffnungen in Scherben.

Es war einige Sekunden Still, in denen Adia damit zu tun hatte zu fahren und gleichzeitig die Enttäuschung runter zu schlucken.

„U-und warum hat sie mich so beschimpft? Ich hab in meinem Leben drei Sätze mit ihr gewechselt.“

„Ach, wir haben uns darüber gestritten wer einen kleinen Einkauf macht und ich hab sie ausversehen Adia genannt und da ist sie voll ausgerastet, ich würde sie mit dir betrügen, du seist voll die Schlampe, sooooo peinlich!“

Adia schluckte und versuchte ein Lächeln in ihre Stimme zu bringen.

„Aha, ist sie das? Sie weiß schon dass du in der Bar deines Vaters arbeitest, oder?“

„Ich glaub sie weiß nicht mal dass ich bei meinem Vater wohne.“, lachte Fred.

„Was ist eigentlich mit deiner Mutter? Kommt sie nächste Woche mit dir zu Blues vorletztem Rennen? Wenn sie dort platziert wird, hat sie sich für die höheren Rennen für nächstes Jahr qualifiziert!“, erklärte Adia stolz.

„Ich weiß nicht, muss noch mit ihr telefonieren… Aber wäre toll wenn sie mal mehr Leute aus meinem Freundeskreis als nur Charlotte kennenlernt.“

„Jaja, is scheiße ein Scheidungskind zu sein… Aber was erzähl ich dir da, ich bin ja keins.“

„Ja, aber wetten du wärst gern eins geworden?“, lachte Fred.

„Weißt du, ich glaube das hätte auch nichts mehr geändert…“, seufze sie und stöhnte bei einem Blick auf das Navi auf.

„Was ist? Wer bläst dir grad einen?“, fragte Fred neckisch.

„Das Navi fickt mich seelisch… Noch immer eine Stunde Fahrt, aber DANN sind wir in Lexington!“

„Na dann… Ich will nicht weiter stören, fahr schon und mach keinen Scheiß.“

„Ich doch nicht… Einen wunderschönen Freitagmorgen übrigens!“

„Hör mir mit Freitag auf, das heißt heute Abend kommen die ganzen Wochenendsaufer… Na dann mach’s gut Adia.“
 

Zur selben Zeit saß Audrey mit dem Kopf gegen die Tischplatte am Frühstückstisch und ließ unauffällig ein Stück ihrer Wurst bei Babu verschwinden, der schnurrend zu ihren Füßen saß. Der rote Kater schien sich nicht viel daraus zu machen dass er von Cooper beobachtet wurde, der voller Neid auf seinen Erzrivalen starrte. Und, in dem Punkt war Audrey sich sicher, wäre ihr Großvater nicht anwesend gewesen, Cooper hätte alles getan um den Kater los zu werden.

„Also dann, ich bin mal wieder weg!“

Audreys Vater lenkte alle Aufmerksamkeit auf sich, als er eilig vom Tisch aufstand.

„Beruhige dich Dad, deine Flugzeugentwürfe rennen dir schon nicht weg!“, seufzte Audrey genervt und setzte sich Babu, der inzwischen nach immer mehr verlangte, auf den Schoß.

„Wenn du die Uni fertig hast, reden wir weiter, ja?“ Ihr Vater warf ihr einen vielsagenden Blick zu, strich sich durch das langsam vergrauende Haar und verließ dann das Haus, jedoch nicht ohne im Flur über ein paar herumliegende Schuhe zu stolpern.

Audreys Großmutter hatte währenddessen ein tadelndes Auge auf ihre Enkelin geworfen.

„Audrey, keine Tiere zu Tisch! Wo sind wir denn hier, setzt Babu wieder ab.“, verlangte sie.

„Ach Granny, schau doch wie lieb er ist, er will doch nur ein bisschen Wurst…“, bettelte Audrey und schmiegte ihr Gesicht an Babus Rücken.

„Audrey!“

„Jaaaaa, gleich…“, murrte sie, griff nach einer Scheibe Schinken und hielt sie Babu vor die rosa Nase.

„Das magst du, nicht? Oh jaaaaa, das tust du!“, flötete sie und setzte den Kater wieder am Boden ab, als er seine Belohnung bekommen hatte.

„Ich muss dann auch mal…
 

Als sie einige Zeit später an ihrer Bushaltestelle wartete, schwiff ihr Blick immer wieder zu Splashies Weide ab. Sie hatte den Hengst seit zwei Tagen nicht mehr gesehen. Entweder war das sehr gut, da man sich vielleicht endlich mal um ihn kümmerte und ihn nicht immer nur auf sich gestellt auf einer Weide abstellte, oder es war sehr schlecht, da er möglicherweise nun auf sich gestellt in einem Stall stand und sich zu Tode langweilte.

Doch Audrey hatte nicht viel Zeit zum Überlegen, da ihr Bus angerollt kam,

Sie setzte sich an den nächstbesten, freien Platz und kramte ihre Geschichtshausaufgaben aus ihrem Schulrucksack, welcher einst mal dunkelblau war und begann Daten zum ersten Weltkrieg auf ihrem Handy zu googeln.

So ging das dann einige Minuten, bis Katy und einige andere Schüler an einer Station einstiegen.

„Hey Audrey“ Katy setzte sich sofort neben Audrey, ohne Rücksicht auf die Tatsache, dass sie ihren Arsch zur Hälfte auf derren Rucksack gequetscht hatte „Was ist jetzt wegen morgen?“

„Hm? Oh, ach ja, meine Mutter sagte es würde gehen. Aber wie machen wir das eigentlich? Ich meine weißt du wie früh wir aufstehen müssen um pünktlich in Lexington zu sein?“

Katy, die wohl gestern erst ihren Ansatz nachgefärbt haben musste, da dieser wieder im hellsten Blond erstrahlte, sah Audrey verwirrt an.

„Hä? Das dauert doch nicht lange, das sind vielleicht tausendfünfhundert Kilometer, was ist das schon?“

„Na ja, ich brauch schon drei Stunden um nach Omaha zu fahren und das ist nicht mal im Geringsten so weit weg wie Lexington.“

„Oh bitte, wir fahren doch nicht, meinst du echt meine Eltern würden durch den halben Mittleren Westen fahren?“, meinte Katy merklich amüsiert über Audrey.

„Sondern?“

„Na wir fliegen. Der Flug geht um zehn, kommt um zwölf an, das Rennen startet um drei, das reicht doch völlig.“

„Oh… Äh, okay…“ Etwas überrumpelt starrte Audrey Katy an, fing sich jedoch schnell wieder „Und wie viel kostet das?“

„Ach vergiss es! Meine Eltern zahlen alles, der Flug ist schon gebucht, erste Klasse natürlich. Wir holen dich um halb sieben ab, dann fährt unser Chauffeur uns nach Omaha, dann fliegen wir.“

„Ihr habt einen Chauffeur?!“, hakte Audrey nach. Sie fühlte sich irgendwie verarscht, noch nie hatte sie jemanden gekannt der so viel Kohle hatte!

„Ja, netter Mann, arbeitet immer an den Wochenenden und drei Tage die Woche bei uns. Aber zurück zu dir“, wand Katy das Thema ab und musterte Audrey von oben bis unten „Was ziehst du an? Du weißt, wir sitzen in der ersten Reihe, das sind so was wie die Sitze für die Pferdebesitzer und die höhere Gesellschaft, da will man ja auch was Hübsches anziehen.“

Audrey hatte um ehrlich zu sein vor gehabt einfach nur eine Röhrenjeans und dieses eine Oberteil, welches unter der Brust einen Gummi hatte und den Stoff so schön fallen ließ anzuziehen, aber wenn Katy das jetzt so sagte fühlte Audrey sich damit wirklich schäbig.

Audreys Schweigen schien jedoch Antwort genug zu sein.

„Weißt du was, wir kaufen dir einfach vor Ort was, wird sich schon was finden. Hast du eigentlich einen Hund?“ Schon wieder waren sie bei einem anderen Thema angelangt!

„Ja, Cooper, warum?“

„Ah, gut, ich hab auch einen, Humphrey, ein Mops. Der wiegt genau fünf Kilo und hundert Gramm, ich darf ihn also als Handgepäck mitnehmen. Und deiner?“, fragte Katy weiter.

„Oh Gott, COOPER?! Der bellt wenn er nur ein Pferd sieht, die machen ihn verrückt.“

„Na und? Macht meiner doch auch.“

„Ja, aber Cooper ist ein bisschen größer, den kann ich nicht wirklich mitnehmen.“

„Was? Wie groß ist der denn bitte?“, hakte Katy nun etwas genauer nach.

„Keine Ahnung, würde sagen ein bisschen größer als ein Golden Retriver und er hat bestimmt dreißig Kilo drauf. Und der ist saualt, den schlepp ich garantiert nirgendswo mit hin.“

„Ach, wenn das so ist… Aber ansonsten klappt dann alles morgen?“

„Ja, rein theoretisch schon.“, meinte Audrey, doch als sie merkte dass der Bus wieder gehalten hatte und Nathan, bei Elizabeth eingehakt, einstieg stellte sie sich innerlich bereits vor wie Katy und Elizabeth sich gegenseitig mit Wörtern töten würden. Der Gedanke war zwar lustig, aber was sie von dem Kleikrieg halten sollte, den die beiden da machten wusste sie nicht.

„Hey Audrey, komm, wir setzen uns nach ganz hinten, Sam und Jenny steigen die nächste ein.“

„Ja, warte, ich muss noch mein Zeug hier zusammenklauben.“, meinte Audrey und war sichtlich erleichtert, als Katy sich wortlos zu ihren Freundinnen setzte.
 

„So, Seite zwanzig ist Hausaufgabe. Euch allen ein angenehmes Wochenende.“, verabschiedete ihr Mathelehrer seine Schüler für diesen Nachmittag.

„Sooo, was machen wir Genies dieses Wochenende?“, fragte Nathan und gesellte sich zu seinen drei Freundinnen. Hach, wenn man das so sagte klang es so als wäre er ein richtiger Player. War er natürlich nicht, sonst hätte Elizabeth ihn schon längst zusammengeschlagen, zumindest seelisch.

„Meinen Vater besuchen, meine Schwester dabei haben, meine Schwester dort ertragen, meinen Hund mitnehmen, meinen Hund lieb haben… ja, das war’s. Ihr?“

„Ich und Sam werden ins Kino gehen, wenn’s uns umbringt! Danach werden wir zum Walmart, einkaufen und so… Wir schauen mal.“, meinte Jennifer bestimmt.

„Walmart? Ich fühl mich zwar dort immer geistig allem und Jedem überlegen, aber das ist auch das einzige was man dort tun kann.“, erwiderte Nathan.

„Ja was machst du denn bitte, was so geistig anspruchsvoll ist?“, knurrte Sam.

„Das sagte ich doch schon, ich geh mit meinen Brüdern-“

„Jaja, auf dieses Konzert“, winkte Elizabeth ab und wand sich nun viel lieber Audrey zu „Aber erzähl mal, was ist nun aus Katy geworden?“

„Äh, nun ja…“

Und Audrey erzählte was es zu erzählen gab.

Die Reaktionen der Anderen waren eine Mischung zwischen spöttischen Lachen und Augen verdrehen.

„Ich hoffe du wirst auch ohne normale Menschen um dich herum glücklich werden… Aber mach Fotos, ich will dieses Pferd sehen, wie weit es noch gewachsen ist… Ich kenn nur Fotos von ihr als Zweijährige, bei ihren ersten Rennen, da war sie noch ein halbes Fohlen. Aber ich wünsch dir trotzdem viel Spaß.“, meinte Elizabeth.

„Tja, auf dass ich den haben werde…“
 

„Wir sind da… Oh endlich!“ Überglücklich ließ Adia sich in ihr Hotelbett fallen, gefolgt von Tita, die sich zu ihr legte.

Blue war endlich in ihrer kuscheligen Übergangbox, war bis morgen versorgt und somit war der Freitag für’s Erste gerettet.

Sie hatte gerade mal Zeit gehabt um sich zu duschen, als es auch schon an ihrer Tür klopfte.

„Mary hier!“, rief eine Stimme.

Adia schlüpfte in ihren Bademantel und öffnete die Zimmertüre, jedoch nur um Mary in einem recht schicken Abendkleid zu sehen, perfekt geschminkt, die Haare hochgesteckt.

„Hä? Was ist los?“, fragte Adia verwirrt.

Mary starrte sie an, als hätte sie eine Todsünde begangen.

„Du… Um Himmels Willen, warum bist du noch nicht fertig?!“

Adia verstand gar nichts mehr.

„Was?“

„Wir treffen uns in einer halben Stunde mit Blues Sponsoren zum Essen, in diesem Feinschmeckerlokal! Verdammt, wie konntest du so was nur vergessen?!“, fuhr Mary sie panisch an.

„Warum hast du mich nicht angeschrieben?!“, schrie Adia sie panisch an und begann sofort Unterwäsche, ein grünes Abendkleid, Strumpfhosen, High Heels und eine Silberkette aus ihrem Koffer zu reißen, der bisher noch nicht ausgeräumt worden war.

„Ich hab dir eigentlich zugetraut dass du das selbst hinbekommst!“, knurrte Mary.

„Hör zu“, begann Adia „Du wirst Tita jetzt die Zöpfe aus dem Fell flechten, ich zieh mich währenddessen um und schmink mich dann im Auto, ja?“

„Na meinetwegen, aber warum zur Hölle hast du ihr Zöpfe ins Fell geflochten?“

„Ich hab sie vor zwei Tagen gebadet, wenn das Fell nass und glatt ist flechte ich immer Zöpfe rein, dann sind sie danach immer schön wellig… Zudem macht das weniger Arbeit für mich. Die Zöpfe flechte ich ihr immer an den Ohren und dann jeweils an den Seiten einen großen, langen, der das gesamte Deckfell, was da runter hängt, beinhaltet.“, erklärte Adia und hatte bereits die Badezimmertür zu gemacht.

Man konnte hören dass sie sich mit den Strumpfhosen abmühte und nur schwer den Reisverschluss des Kleides zu bekam, doch ansonsten war sie recht schnell fertig.

Ja, ihre Haare waren noch nass, sie war ungeschminkt, doch aufgrund der Tatsache dass sie ihren halben Schminktisch in ihre Handtasche knallte, sich Chicas Leine und Halsband, das „gute“, zum Ausgehen, schnappte, war anzunehmen, dass sie losfahren konnten.
 

„So, wir sind jetzt vor dem Restaurant, hast du es bald?“, fragte Mary genervt und sah Adia dabei zu, wie sie sich das zweite Auge schminkte.

Chiquitita saß auf dem Rücksitz, das Fell fiel ihr in langen Wellen herab und durch das Halsband mit der Blumenstickung und den kleinen Glitzersteinen, sah sie natürlich so gut aus wie immer.

„Ja, gleich… Wie viel Zeit haben wir noch?“, fragte Adia, noch immer völlig auf ihr Auge konzentriert.

„Minus zwei Minuten.“, knurrte Mary warnend.

„Oh Scheiße! Schieben wir es auf den Verkehr, warte, gleich hab ich’s!“

Adia verteilte noch den letzten Rest Lidschatten auf ihrem rechten Auge, ihren Blick völlig in die Reflektion des Rückspiegels versteift.

„Minus drei Minuten!“, hetzte Mary weiter.

„JA! Verdammt, ich hab’s ja!“

Genervt zwängte Adia sich aus dem Wagen und stolperte auf den Parkplatz des Restaurants, ihre Handtasche, welche farblich keineswegs zu ihrem Kleid passte, an sich gedrückt.

Sie öffnete die Rücksitztür, woraufhin hin ihr sofort eine aufgeregte Tita an den Hals sprang, jedoch recht ruppig am Halsband gepackt wurde.

„Benimm dich, hörst du?“, warnte Adia ihren Hund, legte ihr die Leine an, strich ihr das Fell glatt und machte sicher dass es, vor allem am Kopf und den Ohren, schön fiel und machte sich dann mit großen, eiligen Schritten, auf das Restaurant zu.

Als sie das Innere betraten, kam sofort eine gewisse Ruhe über sie, was völlig an dem ruhigen, gehobenen, klassischen, Ambiente lag. Adia liebte dieses Restaurant, das beste was Lexington zu bieten hatte!

Auf einer kleinen Bühne spielte gerade eine Jazzband eine klassische Version des Liedes Beat It spielten.

Es klang absolut genial, das musste sie den Kerlen lassen! Zwar mochte sie den anderen Singer lieber, da dieser sehr gerne alte Lieder der Beatles oder Elvis coverte, aber der hier war auch nicht schlecht.

Adia sah sich, noch immer etwas außer Atem, nach Blues Sponsoren um, doch sie wurden bereits von dem Oberkellner empfangen.

„Guten Abend die Damen“, begrüßte er sie freundlich „Ein Tisch für Zwei?“

„Nein, wir suchen nach Jemandem, sie müssten eigentlich schon da sein. Mister Richard Johnson und Stanley Harrison?“, fragte Mary.

„Ach ja, ich glaube sie erwarten sie bereits...“ Der Kellner sah in den Reservierungen nach, die in einem kleinen Büchlein standen „Misses Hoffman und Miss Ferell?“

Die beiden nickten.

„Ihr Tisch ist dort hinten, gleich neben dem Aquarium.“ Der Ober deutete galant in eine Richtung. Tatsächlich saßen dort, neben einem Aquarium mit vielen, bunten Tropenfischen, zwei ältere, etwas dickere Herren, die sich wohl sehr angeregt über einen Wein unterhielten.“

Eilig liefen die beiden Frauen, mit Tita an der Leine, durch die Menge an Tischen und Stühlen, auf Blues Sponsoren zu.

„Guten Abend Mister Harrison, Mister Johnson…“ Mary und Adia setzten sich schnell, als sie den Herren die Hand gereicht hatten.

„Ach, Misses Hoffman, Miss Ferell… Wo haben sie denn ihren Mann gelassen?“, fragte Mister Harrison an Mary gewandt.

„Ach, der ist zu Hause geblieben.“, lachte Mary.

„Und sie“ Nun war die Frage an Adia gerichtet „Wo ist denn ihre Familie? Denen gehört das Pferd schließlich.“

„Ach, die schienen es nicht für nötig zu halten bei diesem Gespräch dabei zu sein.“, winkte Adia schnell ab.

„Nun ja, aber nun erzählen sie doch mal, wie macht sich die Stute so? Uns ist etwas von einer Zerrung zu Ohren gekommen…“

Adia verdrehte die Augen und winkte schnell ab. „Vergessen sie das. Das liegt fast zwei Wochen zurück, sie macht sich ganz prächtig. Ihrem Bein geht es bestens und ich muss sagen dass ihr Muskelaufbau, im Gegensatz zu Anfang der Saison, wirklich gestiegen ist. Ich garantiere ihnen, diese Stute kommt bestimmt unter die Top Fünf der Gewinner für das morgige Rennen!“, erzählte Adia stolz.

„Nur die Besten fünf?“, hakte Mister Harrison fast schon enttäuscht nach.

„Nana, das ist für ein Pferd wie sie gar nicht schlecht!“, wand Mary ein, als sie bemerkte dass Adia darauf plötzlich keine Antwort wusste. Was war denn an dem fünften Platz schlecht? Das Pferd war drei, keine sechs. Das war ihre erste richtige Saison, in der es um wichtige Rennen ging, nächstes Jahr würde sie dann richtig durchstarten.

Während Blues Sponsoren und Mary sich also anfingen über Gewinnchancen und Wahrscheinlichkeiten zu unterhalten, wurde Adia plötzlich von einem leisen Knurren aus der Konzentration gerissen.

Tita, die sich bisher eigentlich sehr ruhig, fast schon vorbildlich verhalten hatte, stand kurz davor zu platzen.

Ein Malteser, vielleicht auch ein weißer Lhasa Apso oder vielleicht auch ein Bologneser, sie wusste es nicht so genau, vom Nebentisch, der einer jungen Dame gehörte, die gerade wohl mit ihrem Zukünftigen anbändelte und die Leine des kleinen Hunds nur an das Stuhlbein gebunden hatte, sprang die ganze Zeit schon recht provokant auf Tita zu und nicht selten konnte Adia ein leises Knurren, beziehungsweise Kläffen hören.

Eigentlich war Tita nicht aggressiv, aber wenn es zwei Dinge gab, die sie hasste, dann waren es zum einen Hunde, die sehr viel kleiner waren als sie und Freche Hunde. Freche, dominante Hunde.

Tita war an sich schon kein leichter Brocken gewesen, was ihre Erziehung anging, sie war eben ein Windhund, sie wollte eben immer ganz oben stehen, aber wenn andere Hunde es wagten sie in irgendeiner Art und Weise anzugreifen... Aua.

Sie mochte andere Hunde, doch alles was ihr dumm kam, wurde eben, nach einer deutlichen Warnung, in seine Schranken gelenkt.

Und wenn Tita jetzt, in diesem Restaurant, einen kleinen, ungezogenen Kläffer töten würde, wäre das zwar ganz lustig anzusehen, aber wahrscheinlich eher negativ für Adia und irgendwie auch für Tita…

„Tita… Hey, Baby…“ Adia begann ihre Hündin in die Seite und den Hals zu pieken und sie hier und da am Rücken zu kraulen, einfach damit sie aus ihrem Starren auf den kleinen Hund rausgerissen wurde.

Es wirkte, zumindest solange, bis der Kellner kam um die Bestellungen aufzunehmen.

Adia und alle anderen am Tisch hatten bereits ein paar Gläser Wein hinter sich, was auch nur daran lag dass zwei Flaschen für vier Personen einfach zu viel waren. Der Kellner war bereits fertig mit Bestellungen aufnehmen, doch jemand anderes schien den guten Mann nicht so zu mögen.

Der kleine Kläffer vom Nachbartisch begann wie manisch den Kellner anzubellen, was ganz nebenbei die gesamte gehobene Atmosphäre von dem Restaurant nahm. Es wunderte Adia dass bisher noch niemand die Halterin wegen der Töle angesprochen hatte.

Tita schein die Schnauze langsam jedoch voll zu haben, sowohl von dem Kläffen als auch von der Respektlosigkeit dieser Töle ihr gegenüber, weshalb sie, nachdem der Kläffer sie bestimmt schon zum dritten Mal hintereinander versucht hatte anzuspringen, es sich dann aber doch nie traute, plötzlich aufsprang, auf den kleinen Hund zustürzte, ihn, verdammt laut übrigens, anknurrte und ihm scheinbar noch im selben Augenblick, irgendwo hin biss und der kleine Hund ein schrecklich lautes Fiepen von sich gab.

Das alles passierte in vielleicht einer Sekunde, dann war es auch schon wieder vorbei.

Und dann war es still.

Fast alle Gäste die um Adias Tisch herumsaßen hatten beobachtet was passiert war und im Grunde war doch jeder froh dass der kleine Käffer endlich die Schnauze hielt.

Und das tat er auch. Ja, er trollte sich richtig ängstlich unter den Tisch, als Tita den Kläffer mit immer noch hochgezogenen Lefzen und einem hörbaren Knurren anstarrte.

Im Grunde war dieses Knurren das einzige was man in dem Gastraum hörte, selbst die Jazzband hatte vor Schreck, als der Kläffer gefiept hatte, aufgehört zu spielen.

Und eigentlich hätte diese Ruhe so bleiben können. Die Band hätte wieder spielen können, die Restaurantbesucher hätten sich einfach wieder ihren Gesprächen zuwenden können, Titas Knurren klang ja auch langsam ab, sie hatte die Töle in seine Schranken gewiesen und für den Rest des Abends würde der keinen Mucks mehr machen.

Aber wie so oft, machen in solchen Momenten irgendwelche Idioten mal wieder künstliche Panik.

In diesem Fall die Besitzerin des Wischmobs.

„Was erlauben sie sich!?“, schrie sie außer sich und hätte fast ihren Stuhl umgekippt, als sie sich nach Adia umgedreht hatte. Ihren Hund hatte sie auf dem Arm.

„ICH?! Ma’am ich habe NICHTS getan, was ihr Hund soeben bekommen hat war eine Lektion in Sachen Respekt und Erziehung, was sie ja wohl völlig verschlafen haben!“ Adia versuchte ja ruhig zu bleiben, aber bei solchen Reaktionen könnte sie kotzen. Merkte die Frau denn gar nicht wie scheiße ihr Hund war?

„Ladys, nun beruhigen Sie sich doch…“, versuchte der Kellner einen kleinen Versuch, wurde jedoch völlig ignoriert.

„Wie DUMM sind Sie eigentlich?! Haben sie überhaupt eine Ahnung von Hundeerziehung?! Ich denke kaum! Ihre Töle sollte man erschießen, schauen sie was sie-“

„Was, wollen Sie mir jetzt die Schramme zeigen die mein böser Hund ihrer Ratte gegeben hat? Soll ich ihnen mal was sagen? Ich glaube sie sollten sich mal ganz schnell wieder setzten und ihre verfettete Gänsestopfleber aufessen, sonst würg ich ihnen meine Faust tiefer in den Hals als den Gänsen der Mais!“

Jetzt schien die Tussi geplättet. Sie sah sich sofort hilfesuchend nach ihrem Freund um, welcher das ganze jedoch eher amüsiert beobachtete, fuhr dann jedoch ihre Spezialwaffe aus.

„Ich verlange den Manager! Sie und die Töle sollten Hausverbot bekommen, der Hund gehört erschossen! So was ist eine Gefährdung für die Allgemeinheit!“, schrie sie so laut dass es mit Sicherheit das gesamte Restaurant hörte.

„Hören Sie Lady, entweder sie setzten sich jetzt wieder hin, achten darauf dass ihr Köter nicht mehr das gesamte Restaurant nervt ODER ich kann auch noch ganz andere Saiten aufziehen!“

„Ich könnte sie wegen Bedrohung und Sachbeschädigung anzeigen, ich schwöre es ihnen, die Tierarztrechnung bezahlen Sie!“, drohte die Dame weiter.

„Welcher Tierarzt?! Ihr Köter bekam was er vierdient hat, eine Respektschelle! Und glauben Sie mir, ich bin so kurz davor Ihnen auch gleich eine zu verpassen!“

„Adia!“, rief Mary nun aus und wollte Adia an ihrem Abendkleid wieder zurück auf den Stuhl ziehen, denn wenn Adia sich erhob, war die Situation ernst.

„Wenn sie das wagen, ich rufe meinen Anwalt und DER verklagt sie auf alles was sie haben!“

Adia lachte spöttisch auf. „Ach, das wäre? Das wertvollste was ich besitze ist mein Bett, DAS war teuer, den Rest können Sie mal!“, fauchte Adia sie an.

„Es reicht! Ich will den Manager dieses Schuppens sprechen sofort! Und wenn man Sie nicht AUGENBLICKLICH rausschmeißt, kann sich dieser Laden als auch sie auf was gefasst machen!“, drohte die Dame.

„Ach, wirklich?!“ Adia riss plötzlich ihren Stuhl umher, stellte sich mit ihren High Heels und einem vollen Weinglas oben drauf und begann durch den gesamten Gastraum zu schreien, was, wenn man angetrunken war, sehr viel leichter war als im nüchternen Zustand.

„Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich mag zwar nur eine unreife Pferdetrainerin aus Nebraska sein, aber ich möchte Ihnen eine Frage stellen!“, begann Adia und tatsächlich hatte sie die Aufmerksamkeit aller Restaurantbesucher, denn wirklich ausnahmslos jeder hatte von dem Streit der beiden Frauen mitbekommen. Sogar das Küchenpersonal und alle Kellner hielten inne, nur eine Zweiundzwanzigjährige zu sehen, die auf einem Stuhl stand.

„Ich möchte nun wissen wer von Ihnen sich von dem Gekläffe des Hundes dieser Lady hier genervt oder gar in seinem Besuch gestört gefühlt hat. Wer auch immer das wunderschöne Ambiente dieses Restaurants aufgrund des lautstarken Bellens dieses Hundes nicht genießen konnte, den bitte ich den Arm zu heben… Aber bitte“ Sie machte eine bedeutende Pause „Nicht den rechten! Das macht einen sehr schlechten Eindruck auf die dunkelhäutigen Gäste hier…“

Ein kurzes Kichern ging durch die Tischreihen, doch tatsächlich erhob eine recht große Anzahl an Gästen, vor allem die, die in der Nähe des Tisches saßen, den Arm.

Wow, Adia konnte kaum glauben zu was sie angetrunken imstande war… bisher wurde sie nicht mal ausgelacht, war nicht nackt, hatte den Ruf ihres Hundes gerettet und musste nicht kotzen… Sie war so gut!

„Gut! So, nun sagen Sie, hat irgendwer in diesem Raum, außer mir“ Sie kicherte gespielt selbstverliebt „Ahnung von Hunden und ihrem Sozialverhalten?“

Wieder hoben einige Leute den Arm, Adia schien wohl langsam aber sicher so was wie die Sympathie der der Gäste zu erhaschen.

„Aha, sehr gut… Sie da, der Kellner, könnten Sie mir, freundlicher Weise sagen was ein normaler Hund tut wenn ein anderer Hund ihn auf’s Äußerste nervt, ankläfft, reizt, aufregt und keinerlei höfliche Zurückhaltung zeigt?“

„Er macht ihm klar dass es so nicht geht, warnt ihn mit knurren vor und wenn der andere Hund dann nicht aufhört kommt es eben auch mal zu Bissen.“

„Jaaaa, genau, richtig! Wer kann mir das bestätigen? Bitte erheben die sie Hand wenn sie derselben Meinung sind!“

Wieder erhob eine gewisse Menge die Hand.

Adia grinste zufrieden, kippte die Hälfte ihres Weinglases runter und meinte dann an die freundliche Dame gewandt: „So, Sie sehen… Ihr Hund hat sich das selbst zuzuschreiben, ja, im Grunde hätte man sogar Sie rauswerfen können, wegen Lärmbelästigung, also lassen Sie mich in Ruhe und wenden Sie sich wieder Ihrem Essen zu.“

„Ich-“ Die Frau schien noch einen verschüchterten, fast schon beschämten Versuch zu machen, doch wurde sofort wieder von Adia unterbrochen.

„Und bevor ich es vergesse: Wer von Ihnen ist froh dass der Hund endlich Ruhe gibt?“

Alle Hände erhoben sich.

ALLE.

Adia meinte auch alle. Selbst die Köche erhoben den Arm, doch wahrscheinlich nur um Adia zu unterstützen, denn es war merklich dass sie eine gewisse Sympathie gewonnen hatte, sonst wäre schon längst jemand gekommen und hätte sie notfalls mit Gewalt aus dem Restaurant geworfen.

„Ha, Sie sehen… Niemand mag ihre Töle… Also dann… Ich wünsche Ihnen allen einen schönen Abend!“, trällerte Adia, schluckte den Rest ihres Weines, stieg etwas betorkelt vom Stuhl und plötzlich hörte sie Geklatsche. Sie konnte nicht mal wirklich sagen von wo es kam, doch irgendwer hatte damit angefangen und plötzlich schien jeder einzustimmen.

Sie bekam sogar einige Jubelrufe zu hören, wie ‚klasse Aktion‘ oder Ähnliches, doch die größte Hochachtung ließen ihr noch immer Blues Sponsoren entgegenkommen.

Und sie konnte gar nicht so schnell reagieren, da stand auch schon der Manager des Restaurants neben ihr und ratterte eine Lobrede herunter, wie toll sie das doch gemacht hatte, wie klasse doch ihre Aktion war, was für einen tollen Hund sie doch hatte…

Verdammt, sie fühlte sich gut.

Nie hätte Adia gedacht dass dieser Abend so eine spektakuläre Wendung nehmen würde.

Und das alles nur durch unglaubliche Genervtheit und Alkohol… Tja, bei ihr bewirkte das eben Wunder!

Und Adia fühlte sich grade einfach nur so unglaublich toll! Sie war der absolute Mittelpunt, ihre Aktion wurde irgendwie von jedem belobt und das letzte Mal dass sie so viel Lob bekam das war… Als sie den armen, besoffenen Fred nach Hause fahren musste. Er meinte sie fahre besoffen besser als er nüchtern und das… war das Beste was eine Frau hören konnte.

„Oh, wissen Sie was ich noch will“, gab Adia plötzlich von sich und grinste über das ganze Gesicht „Bis mein Essen kommt habe ich ja noch ein bisschen Zeit und meine Frage wäre ob ich… Nun ja, ihre Band, spielt die auch was von Elvis?“

Der Manager lachte begeistert auf. „Sie haben einen Musikwunsch? Aber gerne, welches Lied?“

„Tjaaa, schauen sie auf meinen Hund, was fällt ihnen da als erstes ein?“, fragte sie vielsagend.

„Hound Dog?“ Der Manager schien von Adias Musikwunsch merklich begeistert und angesichts der Tatsache dass sie den anwesenden Gästen, zumindest den meisten, den wohl unterhaltsamsten Abend seit Ewigkeiten beschert hatte, schien Anlass genug um ihr Extrawünsche zu erfüllen.

„Aber eine Bitte hab ich noch… Darf ich singen? Bitte, ich kann Singen, glauben Sie mir und wenn die Gäste gehen, kriech ich schon allein zurück zu meinem Tisch, darf ich?“, flehte Adia aufgeregt. Okay, Karaoke war auch nicht eingeplant gewesen, aber sie hatte einen Musikwunsch offen und sie hatte einen Hund der dazu passte… Mehr konnte sie nicht verlangen.

„Also gut… Aber wenn sie katastrophal sind…“

„Keine Sorge, ich merke wenn ich mich blamiere…“ Adia stand auf, nahm Tita bei der Leine und drückte Mary ihr Handy im Fotomodus in die Hand „Mach bitte Fotos und Videos, wenn ich morgen aufwache will ich zumindest sagen können dass Tita verdammt gut aussah… Also wie immer.

Ach, und ganz nebenbei… Adia klang gut. Ziemlich gut. So gut dass sie und ihr verdammt gutaussehender Hund Applaus bekamen, für ein Lied das älter war als Deine Mutterwitze.

Aber eigentlich klang sie ja immer gut, aber das Problem war, dass das nur geschah wenn sie betrunken war.

Tja, lang lebe der Alkohol und seine gesetzlosen Freunde! Denn an eines sollte Jeder denken, wenn er auf eine Besoffene Adia Ferell traf: Nirgendwo wirst du mehr Abschaum und Verkommenheit versammelt finden als hier! – Obi Wan Kenobi.

Vorbereitungen

Die Nacht konnte Audrey vor lauter Aufregung kaum schlafen. Sie war einfach viel zu nervös, vor allem weil sie zu gerne gewusst hätte, was heute auf sie zukam. Sie war noch nie bei einem Pferderennen dabei gewesen, vor allem nicht bei einem, welches in Lexington persönlich stattfand.

Aber gut, Katy würde sich schon auskennen und da Katy Audrey nicht hasste und sie einander nie was getan hatten, würde Katy ihr schon nicht den Kiefer zertrümmern.

Dennoch, als Audrey an diesem Morgen in aller Pracht am Frühstückstisch saß, wurde sie von Fragen nicht verschont.

„Also wann kommt Katy dich abholen?“, fragte ihr Vater sie.

„Ey, das sagte ich schon hundert Mal, um sieben, also in zehn Minuten… Oh Gott, Dad, mach mich nicht so nervös! Warum seid ihr eigentlich schon wach?“

„Na ja, wir wollen unsere Tochter gerne bis zur Haustür begleiten, wenn sie zum erste Mal bei so was Hoheitlichem wie einem Pferderennen in Lexington dabei ist!“, erklärte ihre Mutter ihr.

„Ach ihr...“

Audrey sah aus dem Esszimmerfenster hinaus in die Dunkelheit und konnte Coopers leises Atmen im Hintergrund hören. Er lag irgendwo im Flur, zwischen Treppe und Wohnzimmer.

Und plötzlich klingelte es.

Audrey stieß einen kleinen Freudenschrei aus und hätte fast den Stuhl, auf dem sie saß, umgekippt, als sie zur Haustür rannte.

„Wenn du so bei Mathe reagieren würdest, hätten wir weitaus weniger Probleme…“, meinte ihr Vater schwermütig und Audreys Eltern folgten ihrer Tochter eilig.

Audrey hatte die Tür bereits aufgerissen und sofort kam ihr eine Mischung aus dem Geruch von Regen, welchen es heute Nacht zu genügen gegeben hatte und eines Schwalls teuren Parfums entgegen.

Katy stand dort, neben ihr ihre Mutter und ihr Vater, an einer roten Lederleine einen kleinen, dicken Mops.

„Guten Morgen, bist du fertig?“ Katy sah ihr erwartungsvoll entgegen, schien jedoch eher mittelmäßig begeistert von Audreys Kleiderwahl. Sie trug eine JEANS! Welch Todsünde, für ein so festliches Event!

„Klar, ich hol nur noch kurz meinen Geldbeutel, dann hab ich’s!“

Audrey eilte schnell in die Küche, wo sie ihren blauen Geldbeutel hatte liegen lassen.

Cooper, welcher den kleinen Mops inzwischen bemerkt hatte, dackelte neugierig auf diesen zu, doch als der kleine Schoßhund anfing wie wild zu kläffen, nahm Katy ihn schnell auf den Arm.

„So, sie sind also Audreys Eltern?“, fragte Katys Vater schließlich. Er war ein recht stämmig gebauter Mann, Mitte vierzig, mit einer Halbglatze, welcher einen recht teuer aussehenden Anzug für den heutigen Anlass trug.

„Genau, ich bin Richard Ferell und das ist meine Frau Dolores.“

„Freut mich“ Audreys Eltern hielten den beiden die Hand hin „Wir sind Sahra und James Howard.“

Eigentlich sah Katys Vater, von der Gesichtspartie, ganz gut aus, er hatte einen eigentlich sehr sanften Blick, etwas buschige Augenbrauen und eine leichte Hakennase, doch Katys Mutter war… Anders.

Anders im Sinne von: Welche Schönheits-OP ist da zur Hölle schief gelaufen?

Ihre Lippen waren unnatürlich groß, man sah bestens dass da Botox im Spiel gewesen war, das selbe galt auch für ihre Stirn, die Wangenknochen, die Augen und wahrscheinlich auch für die Nase.

Jedenfalls wurde jetzt klar dass Katy im Gegensatz zu ihrer Mutter, selbst mit ihren zehn Kilo Schminke, noch eine absolute Naturschönheit war.

Ihre Mutter hingegen war einfach nur eine künstliche Puppe, irgendwas wo die Chirurgen Scheiße gebaut hatten.

Katys Mutter trug ein enges, weiß-rotes, knielanges Kleid und ein dazu passendes Jäckchen, welches recht eng an ihrer Oberweite anlag. Wenn man ehrlich war sah es einfach nur scheiße aus. Frauen in dem Alter, in dem sie es schon nötig haben sich das Gesicht zu versteifen, sollten so was einfach nicht tragen.

Katy hingegen sah mit ihrem cremefarbenen Cocktailkleid mit dem Blumenmuster, den weißen High Heels, der passenden Handtasche und der hübschen Flechtfrisur richtig anständig aus!

„Sagen Sie mal“, fragte Audreys Mutter „Ist es wirklich okay für Sie für all diese Kosten, die unsere Tochter verursacht aufzukommen? So ein Flug ist doch schrecklich teuer, wir würden gerne-“

„Ach was“ Katys Vater lachte belustigt auf „Wir sind nicht gerade arm müssen Sie wissen und ihre Tochter ist beim besten Willen nichts Großes.“

„Ja, ganz im Gegenteil, es freut uns sehr wenn wir den Freundinnen unserer Töchter was Gutes tun können.“, bekräftigte Misses Ferell ihren Mann.

„Ach, sie haben noch eine Tochter?“, fragte Audreys Mutter interessiert.

„Ja, aber die hat anderes zu tun“, winkte Katy schnell ab und begann ihren Hund energisch an der Seite zu kraulen „Wo bleibt eigentlich Audrey?“

„Audrey? Hast du’s bald?“, rief ihre Mutter in die Küche.

„Ja, warte! Wo ist Cooper?“

„Was ist mit ihm?“

„Ich hab meinen Geldbeuten neben den Hundefuttersack gelegt, ich glaub er hat ihn sich genommen!“, antwortete Audrey aus der Küche.

„Cooper ist hier, aber glaubst du echt dass-“ Audreys Mutter schwieg jedoch recht schnell, als sie tatsächlich etwas in seinem Maul sah, was sie eigentlich für ein Spielzeug gehalten hatte. Kaum zu glauben dass ihre Tochter tatsächlich recht gehabt hatte…

„Okay, wir haben es, kommst du nun?“, rief sie und nahm Cooper den Geldbeutel aus der Schnauze.

Kaum zu fassen auf was für Ideen Cooper doch kam… Dass er sich das in seinem Alter überhaupt noch leisten konnte…
 

„Guuuuuten Morgen Sunshine!“, quiekte Adia und tippelte begeistert auf einen Palomino zu, der in der Box neben Blue stand.

„Na, was sagst du, die zwei, Fohlen?“

Heather Riggen, Sunshines Jockey, sah nicht wirklich abgewandt zwischen den beiden Englischen Vollblütern umher.

„Lass mal, die soll erst Mal Rennen laufen, Fohlen kann die noch haben wenn ihre Beine für’n Arsch sind!“, meinte Adia und grinste dennoch über beide Ohren.

„Hey, warum freust du dich so?“, fragte Heather neugierig.

„Tjaaaa, rate mal wer heute sein dreiunddreißigstes Rennen rennt…“, fragte sie vielsagend.

„Duuuu?“

„Richtig… Nur noch siebzehn Rennen und das was hier vor dir steht darf sich ganz offiziell als Jockey bezeichnen, cool, was?“ Sie grinste noch immer wie blöd.

„Bin stolz auf dich Große, aber mich überholst du trotzdem nicht.“, meinte er leicht überheblich.

„Oh, träum weiter! Die Dame hat Muskeln aufgebaut, Sunshine kann sich schon mal seine Rente zusammenkratzen, ab heute werde ich ernsthafte Konkurrenz für ihn…“

„Du oder Blue?“, hakte er amüsiert nach.

„Noch viel schlimmer, Tita wird’s! Tita, komm!“

Die Afghanenhündin trabte leichtfüßig um die Ecke, denn der riesige Strohhaufen, der dort vor sich her gammelte schien uninteressant genug zu sein um einmal in ihrem Leben auf ihr Frauchen zu hören.

„Schau mal, sieht sie nicht toll aus? Da hast du nix mehr zu lachen, oder hast du eine zwanzig-Kilo-Katze bei dir?“

„Warum Katze? Da sieht ‘n Shiba Inu mehr nach Katze aus als deiner.“

Adia verdrehte die Augen und setzte altklug ihre übergroße Jockeybrille auf. „Ein Afghanischer Windhund ist, wie so viele Windhunde, ein sehr eigenständiger Hund, der nur schwer auf Gehorsam zu erziehen ist und, sobald er etwas zum Nachjagen gefunden hat, kaum mehr abrufbar ist. Daher…“ Sie machte eine dramatische Pause „Ist es ratsam immer ein eingezäuntes Gelände im Nirgendwo, Liebe und Vertrauen, eine Schleppleine und einen Elektroschocker beisammen zu haben… Nur zur Sicherheit.“

Sie grinste kurz, dann öffnete sie die Tür zu Blues Box und begann die Stute zu begutachten.

Gut sah Blue aus.

Die Mähne musste zwar demnächst wieder getrimmt werden und den Schweif würde man auch bald ausdünnen, doch sie war so hübsch wie immer.

Warum ihre Eltern ihrer Schwester Blue damals zum Geburtstag geschenkt hatten konnte sie ganz gut nachvollziehen.

Blue war einfach in allen äußerlichen Punkten anders als andere Rennpferde. Sie würde mal ein Schimmel werden und wie oft sah man schon Schimmel bei Pferderennen? Irgendwie waren alle Rennpferde, die wirkliche Berühmtheiten waren, entweder Braune oder Füchse. Aber nie hatte irgendwer von einer berühmten Schimmelstute gehört, die mal irgendwelche großen Erfolge zu verzeichnen hatte. Generell Stuten waren rar.

Und wer weiß… In ein paar Jahren war Blue vielleicht eine richtige Berühmtheit im Pferdesport. Ja, Adia stellte sich manchmal schon die tollsten Titelstorys vor, Pferdemagazine mit Blue auf dem Cover, wie sie voll ausgeschimmelt diesmal, durch die Ziellinie galoppierte… Ja, das wäre schon toll.

Aber fürs erste reichten diese Erfolge bei den kleineren Rennen, die richtig großen Preise kamen mit der Zeit. Wenn Blue erst mal auf den nächsten beiden Rennen platziert wurde, hatte sie die Qualifikationen für nächstes Jahr in der Tasche. Und dann, jaaa, dann würde sie richtig losstarten.

Adia hatte sich fest vorgenommen aus Blue eines der Pferde zu machen, die nicht in Vergessenheit geraten würden. Sie würde weitermachen, Blue würde gut sein und wenn sie erst mal älter war und sich so rein optisch von den anderen Vollblütern abheben würde, dann würde auch die Klatschpresse sich mit solchen Kommentaren wie „Vom hässlichen Entlein zum Schwan“ oder „Die Henne im Korb“ nicht zurückhalten können.

Und gute PR konnte Blue brauchen. Sie war eine Stute, wenn sie rossig war und bei Rennen antrat hatte sie doppelt zu rennen. Wahrscheinlich freuten sich die Besitzer der Hengste auch noch darüber dass ihre Pferde zusätzliche ‚Motivation‘ hatten.

Bisher war Adia zwar davon verschont geblieben, aber man wusste ja nie.

Momentan waren die Chancen dass Blue heute gut abschneiden würde jedoch verdammt gut! Sie war topfit, relativ ruhig, ihre Beine zuckten nicht wie wild und ansonsten sah sie recht fit für die Tageszeit aus.

Ja, Blue war Langschläfer, das war eine Tatsache! Adia dachte eigentlich generell dass Pferde wenig schlafen und auch nur selten so was wie einen Tiefschlaf hatten, aber Blue war eines der wenigen Pferde, welches sich sogar zum Schlafen hinlegte.

„Na dann passt hier ja alles… So Süße, bis dann.“ Adia verließ die Box wieder und schloss sie zweifach. Hier wusste man ja nie wer mal zuuuuufällig an den Riegel stieß. Sie und Mary hatten ganz klar ausgemacht dass Blue jetzt noch bis elf Uhr in ihrer Box bleiben würde, danach Massage, Solarium, dann gründliches putzen, satteln, auflockern… Und dann war auch schon das Rennen.

„So, was macht Sunny heute eigentlich noch?“, fragte Adia unauffällig im Vorbeigehen.

„Sorry, ich darf über so was nicht mit dem Feind reden, Anweisung vom Chef!“, lenkte Heather ab.

„Was bist denn du für ein beschissener Pfosten?“, fragte Adia gespielt geschockt.

„Ich bin ein beschissener Kollege… Wenn schon!“

„Is gut… Also bis dann…“

„Wohin gehst du?“, fragte er.

„Abnehmen. Ich hab noch das Essen von gestern im Bauch.“

„Wie viel wiegst du jetzt?“, fragte Heather verwundert.

„Fünfzig Kilo und sechshundertachtundvierzig Gramm.“, antwortete Adia.

„Was?! Das ist mehr als ich!“, erwiderte Heather geschockt. Adia war eine Frau, sie sollte es eigentlich leichter haben was ihren Körper anging.

„Pah, das könnt ich auch sagen bei einem Meter fünfzig! Also dann, man sieht sich.“, gab sie etwas trotzig zurück und verließ leicht angesäuert den Stall.

Tita folgte, wen auch nur aufgrund der Tatsache dass die Außenwelt bessere Möglichkeiten zum Davonlaufen bot.
 

„Wir sind angekommen… Audrey, aufwachen.“ Katy stupste Audrey an der Schulter an und zeigte nach Draußen als Audrey wieder halbwegs beisammen war.

„Komm, wir müssen los, der Flug ist in zwanzig Minuten.“

„Oh, ja klar, ich bin wach!“ Überrascht stellte Audrey jedoch fest dass sie die einzige war die noch im Auto saß. Katys Eltern warteten bereits draußen, zusammen mit dem Chauffeur, der einen recht großen Koffer auf Rollen neben sich herzog.

Audrey und Katy folgten schnell nach draußen, wobei Audrey sofort von Humphrey angesprungen wurde, welcher wild kläffend vor ihr herumtänzelte.

„Ach Humphy, komm her!“ Katy lupfte den kleinen Mops hoch und tätschelte beruhigend seinen Kopf.

„So meine Lieben, wir müssen dann los, kommt ihr?“ Mister Ferell und der Chauffeur liefen eilig in Richtung Terminal zwei, dort wo ihr Flug los gehen würde.

Audrey, die dem Bediensteten aus Höflichkeit eine Tasche abgenommen hatte, folgte eilig. Sie hatte nicht mal wirklich Zeit sich mit irgendwem zu unterhalten, da die Familie sowieso nur durch die Gegend hetzte und keinerlei Zeit zu haben schien für irgendeine Konversation.

Erst als sie den Koffer auf dem Gepäckband abgelegt, sich von ihrem Chauffeur verabschiedet hatten und durch die Sicherheitskontrolle waren, schien sich wieder so was wie ein Gespräch zwischen ihnen zu bilden.

„So Audrey, erzähl doch mal, du bist noch nicht lange hier, oder?“, fragte Katys Mutter sie.

„Nein, ich bin erst im Juli mit meinen Eltern hier her gezogen, zu meinen Großeltern, die haben eine Farm und da dachten meine Eltern sich wohl wenn wir uns jetzt alle zu siebt in ein Haus quetschen sparen wir miete. Mein Vater wurde beruflich versetzt, deswegen.“, erklärte Audrey in aller Ruhe.

„Ach ja? Was macht dein Vater so?“, wollte Katys Vater nun wissen.

„Flugzeugingenieur, er bildet sich immer ein bisschen was drauf ein, darum verlangt er von meinem Bruder und mir, dass mir auf jeden Fall auf die Uni gehen.“, erzählte Audrey.

„Glaub mir, tu es“, meinte Katys Mutter entschlossen „Solche Erwartungen zu haben ist durchaus gerechtfertigt von deinen Eltern. Unsere erste Tochter hat es, gegen unseren Willen, nicht getan und ich sag es dir, aus dem Mädchen kann nichts mehr werden.“

Audrey war merklich geschockt wie Katys Mutter über diese sprach und sah etwas hilflos auf den Boden, jedoch kam Katy ihr sofort zur Hilfe.

„Nicht ich, ich kann noch nicht mal studieren.“

„Oh… Sie haben noch eine Tochter?“ Überrascht sah Audrey zu Katy, welche in dem Moment jedoch nur genervt von ihrer Mutter die Augen verdrehte und Humphrey enger an sich drückte.

„Ja, ein furchtbar undankbares Mädchen! Wir hätten sie nach Harvard geschickt, aber was hat sie getan? Ist kurzerhand nach Kentucky gefahren, hat bei einer Freundin von mir die Ausbildung zur Pferdtrainerin oder wie auch immer das Fachwort heißt, gemacht, sich in einem kleinen, unwichtigen Kaff niedergelassen und sich irgendeinen völlig überzüchteten, verlausten, ungehorsamen Hund aus dem Tierheim geholt.“, erzählte Katys Mutter fast schon angewidert.

Audrey wusste jedoch nicht wirklich was sie dazu sagen sollte. Sie wusste nur dass Katys Mutter ihr zutiefst unsympathisch war und ihr Vater irgendwie wohl gar keine Meinung zu haben schien, denn er sagte kurzum gar nichts dazu, genau wie Katy.

Eines wusste Audrey jedenfalls jetzt schon: In diesem Haus hatte eindeutig Misses Ferell die Hosen an.

„Ja Mum… Dad, aber erzähl du doch mal was du machst. Das ist sicherlich spannender als über meine dumme Schwester abzulästern.“, flötete Katy übertrieben süß, was wohl ihr gewöhnlicher Ton zu sein schien, wenn sie bei ihrem Vater war.

„Mir gehört ein Anteil von BG-Industries, einer Ölfirma aus Texas. Ich bin dort Angestellter und werte Daten aus, wo es sich zu bohren lohnt und wo potentielle, neue Ölquellen liegen. Die Sache mit Katys Pferd ist eher ein kleiner Nebenverdienst, Peanuts.“, erzählte er, wurde jedoch von Katy unterbrochen.

„NOCH! Ich sag’s dir, wenn Blue erst mal nächstes Jahr richtig durchstartet, werden ihre Preisgelder in die Hunderttausend gehen!“, erklärte Katy.

„Naja, ich wäre da weniger enthusiastisch.“, meinte Katys Mutter, doch ab diesem Punkt konnten sie das Gespräch nicht fortsetzten, da sie nun das Flugzeug betraten und sich erst mal nach ihren Plätzen umsehen mussten.
 

„Uuuuuund… Perfekt! Genau so muss das aussehen!“ Hochzufrieden sah Adia auf das Werk, welches in zweieinhalbstündiger Arbeit entstanden war: Blue, bis auf die letzte Pore tiefengereinigt, mit Hufen, die aussahen als hätte man sie schwarz lackiert, einem Fell mit dem man Silber polieren könnte und einer, hoffentlich, entspannten Muskelschicht im Rücken, stand da, nur darauf wartend endlich gesattelt zu werden.

„Ich bin stolz auf euch, ihr habt das toll gemacht, vielen, viele Dank!“

Mary stand beeindruckt vor Blues Box und sah dankbar zu Adia und Phil, einem der bei der Rennbahn angestellten Stallburschen.

„Ja, sie sieht schon verdammt gut aus… Ich hab’s sogar geschafft ihre Mähne in eine perfekt gerade Linie zu trimmen, hier.“ Adia zeigte stolz auf die graue Mähne der Stute, die nun die Länge eines Streichholzes hatte.

„Gut, dann sattelt sie schon mal, je eher sie fertig ist, umso besser“, meinte Mary „Und Adia, deine Eltern kommen in einer Stunde und-“

Weiter kam Mary nicht, da ein lautes Scheppern durch den gesamten Stall tönte und wahrscheinlich jedes Pferd in diesem Augenblick seine letzten Stündlein zählte.

„WEM GEHÖRT DIESE SCHEIß TÖLE?!“

Das klang so schlecht, es hätte von einem trockenen Witz kommen können.

„Äh… Scheiße… Phil, aufsatteln, ich bin Trainer, ich sag was zu tun ist… und ich glaub mein Hund versaut mir grad den Tag.“

Adia hetzte schnell den Gang entlang, was natürlich eine Menge erboster Blicke auf sie zog. Sie wäre in diesem Augenblick am liebsten im Erdboden verschwunden, doch sie musste wissen was los war.

Chiquitita war los. Der Hund saß einfach auf einem riesigen Strohballen und sah verächtlich auf einen Stallburschen hinab, der eine Ladung umgeworfenen Pferdemist aufschaufelte und einige umgefallene Eimer aufstellte. In einer Handy hielt er übrigens Titas Halsband Nummer elf, das rosane, mit der Blumenstickerei.

„Was ist passiert?“, fragte Adia besorgt und machte Tita mit einer Handbewegung klar von dem Stroh herunter zu kommen, was diese erst nach einigen weiteren Gesten auch tatsächlich tat.

„Der Hund ist mir mit hundert Sachen direkt in die Schubkarre gerannt, alles ist auf die verdammten Eimer hier gefallen und als ich die Töle festhalten wollte, damit sie nicht noch mehr Schaden macht, hat sie sich aus dem Halsband gequetscht!“, schimpfte der Mann außer sich.

„Beruhigen sie sich, ich helfe ihnen ja schon, das war doch keine Absicht von irgendwem und es tut mir wirklich Leid dass mein Hund ihnen solche Schwierigkeiten bereitet hat.“, versuchte Adia den Kerl zu beruhigen, was jedoch nur mäßig klappte.

„Wer sind Sie überhaupt dass sie einen Hund mit in den Stall nehmen dürfen?“, fauchte der Mann weiter.

„Mein Name ist Adia Ferell und ich bin einer der Jockeys hier.“, gab diese nun ebenso patzig zurück.

„Ach, ihr glaubt doch auch ihr könnt euch alles erlauben!“, zischte der Mann weiter, drückte ihr das Halsband in die Hand und machte sich wieder an seine Arbeit.
 

„Das darfst du Leon nicht so hart nehmen, er ist ein Hitzkopf, der es hasst wenn Dinge schief laufen... Vor allem an so wichtigen Tagen.“, versuchte Phil sie zu beruhigen, als er Adia dabei zusah wie sie Blue auf dem Vorreitplatz, als einzige übrigens, warmritt.

„Ach, ich fand’s einfach nur scheiße. Ich meine da passiert das einmal, jeder hier kennt doch Tita, ich nehm sie doch immer mit.“

„Denk dran, viele Stallburschen hier sind nur Saisonarbeiter.“, versuchte Phil weiter zu beruhigen.

„Ach, scheiß drauf! Wo ist eigentlich Mary?“

„Deine Eltern begrüßen gehen oder so. Die kommen wohl in einer halben Stunde.“

„Warte ganz kurz…“ Adia kramte ihr Handy aus der Tasche ihres Jockeyoutfits und nach ein paar Klicks ertönte eine dramatische Melodie.

„Instant Bouttons?“, fragte Phil ungerührt.

„Gott segne diese App.“

„Wo ist eigentlich Tita?“

„Hab sie zu Mary gegeben, da kann sie keine Scheiße mehr für heute anstellen. Aber sag mal, wie sehen wir aus?“

Adia zeiget an sich und Blue herunter, während sie noch immer, die Beine in den viel zu hohen Steigbügeln, ihre Runden trabte.

„Farblich unpassend, aber das juckt leider niemanden.“, antwortete Phil.

Es stimmte, die Farben des Stalls, rot-orange, passten nicht wirklich zu Blues Fell, doch das war Adia völlig egal. Blue sah gut aus und mehr zählte nicht.

„Soooo… Heute startet dann Mission Impossible 007 – Wie man seinen Eltern auf einem Großereignis aus dem Weg geht.“

„Sind die eigentlich echt so schlimm?“, wollte Phil wissen.

„Mein Vater ist okay, ganz nett sogar, aber meine Schwester wird immer mehr wie meine Mutter und DIE kannst du in die Tonne treten! Die Alte hat doch ‘ne Silikonvergiftung! Und MIR immer vorwerfen dass mich mit der geringen Oberwiete nie einer haben will… Oder dass ich endlich mit dem Jockeywerden aufhören soll, mir ‘nen Kerl suchen soll und ein Kind bekommen soll, solange es noch nicht zu spät ist… HALLO? Nur weil sie mit zwanzig schwanger war! Ich meine… Ich bin zweiundzwanzig, den scheiß Ratschlag kann sie mir in zehn Jahren noch mal geben! Ich meine… Ist ja nicht so als ob ich hässlich bin oder so… Oder?“

Phil grinste über beide Ohren und setzte den schwulsten Ton auf, den er konnte.

„Ach Darling, du bist doch nicht hässlich, deine Schönheit kommt einfach von innen und verstrahlt dann einfach jeden um dich! Und wenn du deine Haare nur ein bisschen mehr zur Geltung kommen lassen würdest-“

„Okay, genug! Ich will dich ja nicht verzwangsschwulen!“, lachte Adia und verlangsamte Blue wieder etwas.

„Gut… Jetzt ist sie beriet… Wann ist das Rennen?“, fragte sie als plötzlich noch andere Jockeys auf den Platz kamen.

Phil sah auf seine Uhr.

„In fünfundzwanzig Minuten… Soll ich dir vielleicht bei was helfen?“

„Ne, lass mal. Aber du könntest Blue ein bisschen um den Reitplatz führen, pass nur auf dass sie nüchtern bleibt.“

„Wird gemacht… Und was machst du?“

Adia kicherte beschämt, nahm den Helm ab und antwortete jedoch: „Schminken. Klamotten für das Bankett vorbereiten… Mal sehen.“

„Okay… Na dann, bis dann.“ Phil half ihr kurz beim Absteigen, dann führte er Blue nach draußen und begann sie, wie befohlen, unentwegt am Zaun entlang zu führen.
 

Und als Adia in der Umkleide saß und die Tür hinter ihr ins Schloss fiel, konnte sie die Tränen einfach nicht mehr zurückhalten.

Sie konnte einfach nicht anders als auf dem Boden zusammensinken, die Hände in den Nacken legen und versuchen nicht völlig auszurasten.

Arschloch! ARSCHLOCH!

Ein zehnfaches Arschloch war er, merkte dieser Dreckssack eigentlich GAR nichts?!

Diese SMS war so unnötig gewesen. Glaubte er echt dass sie das wissen wollte?

Wütend riss sie ihr Handy aus der Tasche und begann die SMs wieder und wieder durchzulesen und mit jedem Mal wurde ihr schlechter. Ihr war richtig schlecht geworden davon. Einfach vor Wut. Weil sie wütend auf Fred war, wütend auf diese Schlampe von Charlotte und auch irgendwie auf sich selbst.

Sie waren wieder zusammen. Und als ob das nicht genug war, NEIN, sie würden diese Weihnachten zusammen in New York verbringen.

NEIN, war ja nicht so als ob die beiden nicht sowieso schon mehr Zeit als nötig miteinander verbrachten, aber URLAUBSZEIT war Adia-Zeit! Adia hatte dieses Recht länger als die Schlampe, sie und Fred waren seit vier Jahren Freunde und Charlotte kam nicht mal auf die Hälfte dieser Zeit!

Miststück.

Und am meisten hasste Adia, dass es sie so mitnahm. Sie fühlte sich so fertig, wer hätte gedacht dass sie sich mal so schlecht fühlen würde. Sie stand schnell auf und lief zu ihrem Schließfach, wo ihre Handtasche lag.

Als sie ihr Gesicht jedoch im Spiegel sah war sie merklich überrascht wie gut sie aussah. Ihr Make-up war überhaupt nicht verwischt, man sah ihr kaum an dass sie geweint hatte.

Gut so!

Sie würde sich nicht den Tag versauen lassen weil Fred die Schlampe nicht endlich abservierte, sie würde sich jetzt für das Rennen fertig machen!

Wütend riss sie ihren Spint auf, griff etwas unsicher in ihre Handtasche und nahm etwas ihres Antidepressivums. Das Zeug brachte sie schon nicht um und lieber etwas mehr als zu wenig. Sie war ja kein Medikamentenjunkie oder so und wenn sie irgendwas aufmunterte… warum es nicht benutzen? Der Sommer und die ganze Rennsaison war bald rum, sie brauchte es nicht mehr lange.

Adia kämmte sich nochmals die Haare, band sie ordentlich zusammen, setzte den Reithelm auf und lief dann wieder nach draußen.
 

„Wo warst du? Du musst noch in den Führring, bist du blöd? Misses Hoffman hat mir die Hölle deswegen heiß gemacht!“, fuhr Phil sie ungeduldig an und drückte ihr Blues Zaumzeug in die Hände.

„Oh bitte, Phil, tu nicht so als ob ich ein chaotischer Vollidiot bin! Ich hab so was wie Organisation in meinen Taten.“, verteidigte Adia sich.

„Geh endlich in den Führring!“, flehte der Stallbursche und zeigte, fast so als ob Adia es nicht wüsste, in die Richtung des Führrings, wo sich alle die versammelt hatten, die sich ihre potentiellen Geldmaschinen anschauen wollten.

Adia tat wie ihr befohlen und eilte schnell mit Blue zum Ring.

Ein Sprecher stellte die neu einlaufenden Pferde immer kurz mit ein paar Worten vor.

„Startnummer zwölf, Pretty Blue Bailiou of Cheval Hills, Englisches Vollblut, Stute, drei Jahre alt, wurde in zwanzig von zweiunddreißig Rennen platziert, gewann von diesen zwanzig neun. Züchter Robert Werling, Besitzer Richard Ferell, Reitstall Hoffman Hills, Jockey Adia Ferell, Trainer Adia Ferell.“

Die übliche Leier. Immer dasselbe wurde runtergerattert, wenn Blue nicht gerade ein Jahr alterte. Sonst veränderte sich nichts.

Es war alles so mechanisch, es war so unpersönlich. Adia verlangte ja nicht gleich die Lebensgeschichte jedes Pferdes, aber zumindest die Schwächen und Stärken der Pferde sollte man benennen, nur ganz kurz.

Adia hörte, als sie vorbei ritt, ein paar Stimmen sich zu Blue äußern, doch das meiste beinhaltete nur den Fakt dass sie eine Stute war und es sich wohl nicht lohnen würde auf sie zu setzten.

Und Leute wie diese waren Adias größte Motivation.
 

„Steig einfach auf und geh auf die Rennbahn, die Hoffman wird sonst platzen.“

Ein Blick auf die Zuschauertribünen verriet Adia jedoch dass es nicht so war. Sie hatte Blue noch ein wenig ruhen lassen und sich mit Phil unterhalten, wobei die Zeit jedoch im Flug vergangen war.

„Oh nein, die ist mit meiner dreckigen Verwandtschaft beschäftigt… Und jetzt komm her Süße…“

Adia schwang sich in die kurzen Steigbügel und ließ Blue auf die Rennbahn traben, wo sie jedoch bereits von einem der Rennbahnhelfer empfangen und in ihre Startbox geführt wurde.

Blue war all das inzwischen, auch durch das Training dass Adia mit ihr zu Hause durchgeführt hatte, soweit gewohnt dass sie nicht mehr buckelte wenn es in die beengte Box ging.

Adia rieb der Stute zärtlich den Hals, als die Boxentüre hinter ihr geschlossen wurde und das aufgeregte Wiehern der anderen Pferde ihre Ohren erreichte.

Adia setzte ihre Jockeybrille auf und ließ den Blick nochmals durch die Zuschauermengen schweifen, die sie durch die Gitterstäbe sehen konnte.

Ihre Hose zwickte sie ein bisschen, aber daran war ihr Sitz schuld. Die Steigbügel waren so kurz, damit man sich eben im Galopp so weit wie möglich darin aufstellen konnte. Im Sitzen sah das zwar echt beknackt aus, aber im Galopp war es verdammt hilfreich.

Das Rennen begann in fünf Minuten und doch war sie kein bisschen aufgeregte. Entweder schlugen ihre Medikamente nicht richtig an, oder sie wusste dass sie es sich nicht leisten konnte jetzt nervös zu sein.
 

„Da! Da, die, die grade in die Box läuft, Nummer zwölf.“ Katy zeigte aufgeregt auf Blue, die nun in ihre Startbox gebracht wurde.

„Aha… Die ist echt hübsch.“

„Schade dass du sie nicht vor dem Rennen sehen konntest, wir hätten sogar in den Stall gehen dürfen.“, meinte Katy schwermütig.

„Na ja, wir HÄTTEN sie sehen können, wenn du mich nicht dazu gezwungen hättest mir dieses Kleid zu kaufen.“, erwiderte Audrey und sah an sich runter.

Katy hatte sie in drei Läden gezerrt, von denen Audrey nie gedacht hätte, auch nur einen halben Schritt rein zu wagen.

Das Ergebnis war ein knielanges, hellblaues Cocktailkleid, mit einer weißen Schleife an der Tailie, mit dazu passenden Schuhen mit etwas Absatz und eine Kette, die schon beim hinsehen jeden Geldbeutel erzittern ließ.

Und all das für umsonst… Audrey war das so unangenehm gewesen, doch sie hatte es nicht geschafft Katy davon abzuhalten Modeberater für sie zu spielen.

Was Audrey am meisten störte war dass es Schulterfrei war, doch auch dafür hatte Katy DIE Lösung: Ein farblich passendes, kleines, Jäckchen.

Und so saß Audrey nun hier, zwischen Katy, die Humphrey auf dem Schoß hatte und einer fremden Person.

Die Reihe in der sie saßen gehörte zu einem Abschnitt der nur den Pferdebesitzern und Trainern vorbehalten war.

„Ich garantiere ihnen, Adia hat wirklich wie eine Verrückte mit Bailiou gearbeitet, sie hat große Fortschritte gemacht.“, sprach Misses Hoffman, die Reitstallbesitzerin.

Sie saß neben Katys Eltern und hatte selbst einen verdammt pompösen Afghanischen Windhund an der Leine.

Was hieß hier pompös? Katy jedenfalls konnte sich mit ihrem hässlichem Mops in die nächste Ecke verziehen, dieser Afghane war einfach ein ganz anderes Level was Schönheit bei Hunden anging.

„Das hoffe ich doch, wir investieren schließlich nicht umsonst so viel in das Pferd.“, meinte Katys Mutter und wollte den Afghanen am Kopf streicheln, doch dieser wich schnell zurück und setzte sich kurzerhand zwischen Misses Hoffman und einen leeren Platz.

Audreys Blick jedenfalls schwenkte immer zwischen dem Afghanen und Blue, die sie halbwegs in ihrer Startbox erkennen konnte.

„Oh Gott, ich bin sooo aufgeregt, das ist schließlich ihr vorletztes Rennen für das Jahr, wenn sie hier und im nächsten platziert wird, kommt sie noch richtig weit!“, schwärmte Katy zum geschätzt hundertsten Mal.

Doch in diesem Moment ertönte eine Stimme durch die Lautsprecher und begann die teilnehmenden Pferde zu verkünden.

„Oooh, gleich kommt Blue!“, quiekte Katy und rieb Humphrey aufgeregt über die Brust.

„Nummer zehn, Bright Sunshine.“, verkündete der Sprecher.

„Von dem haben wir uns übrigens überlegt sie mal decken zu lassen.“, erwähnte Katy nebenbei.

„Ihr wollt Fohlen?“

„Ja, aber erst viel später, für Stuten ist es schon schwer Job und Familie unter einen Hut zu bringen.“, lachte Katy.

„…Ankers Ahoi und die Nummer zwölf Pretty Blue Bailiou of Cheval Hills.“, verkündete der Lautsprecher.

„Ohhh mein Gott, das war sie!“, quiekte Katy und drückte Humphrey wieder an sich.

„Geht’s jetzt los?“

„Ja, Blue war die letzte… Also geht es jeden Moment los.“, erklärte Katy aufgekratzt und ließ Blue, so gut es eben ging, nicht eine Sekunde aus den Augen.
 

Noch zehn Sekunden…

„Hey Adia, wenn ich das hier gewinne, lässt du dich dann mal von mir zu ‘nem Kaffee einladen?“, fragte Heather sie, der zwei Boxen von ihr entfernt war.

„Vergiss es, ich fang nichts mit Kollegen an! Und jetzt sie still.“, zischte sie genervt und spürte doch langsam die Nervosität aufsteigen.

Blue schnaubte unruhig und versuchte einen Schritt nach hinten zu machen, stieß jedoch sofort gegen die Klappe.

Drei.

„Pssst… Ruhig Pretty…“ Adia kraulte ihr liebevoll den Hals, stellte sich jedoch schon etwas in den Steigbügeln auf.

Zwei.

Blue machte wieder einen Schritt vor.

Eins.

Ein letzter Atemzug, die letzte Möglichkeit um all diese Anspannung entweichen zu lassen.

Und Null.

Im Bruchteil eines Augenblicks wurden die Startklappen aufgerissen und ein Startknall ertönte.

Und was dann folgte war ein Schub purer Energie.

Adia konnte es ganz schwer beschreiben. Sie hatte mal versucht es einer Freundin zu erklären, dieses Gefühl, diese Welle an Glücksgefühlen die in diesem Moment über dich einbricht, aber man musste es selbst mal erlebt haben um es begreifen zu können.

Am ehesten war es mit einer Achterbahnfahrt zu vergleichen. Man glaubte jeden Moment volle Kanne gegen irgendwas zu fliegen, doch irgendwie war es dann doch nicht so. Und stattdessen stand man schon zur Hälfte auf einem Pferd und spürte diese unglaubliche Energie unter sich, die dich fast zu übermannen scheint und so plötzlich freigesetzt wird, wenn das rennen beginnt. *Ja, natürlich spürt man dass das Pferd nagespannt ist, doch wenn all das dann freigesetzt wird haut es dich fast aus dem Sattel.

Es ist ein so plötzliche Freisetzung von so viel Energie, dass es dich, zumindest bei den ersten Malen, völlig überfordert. Es ist ein Unterschied wenn dein Pferd langsam angaloppiert oder wenn es aus dem Stand von jetzt auf nachher auf sechzig Sachen beschleunigt war das was ganz anderes.

Natürlich, wer mal ein Auto so schnell beschleunigt hat, hat eine etwaige Vorstellung von dem was Adia meinte, doch ein sicheres Auto, in dem man saß und ein Pferd, auf dem man so gut wie stand, konnte man nicht vergleichen.

Adia jedenfalls spürte nichts als pures Adrenalin als die Startklappen aufgerissen wurden und sie nichts außer der freien Rennbahn vor sich sah.

Ich kam, ich sah, ich siegte… fast

Einen Atemzug nachdem die Boxentür sich geöffnet hatte, brach die Energie aus den Pferden regelrecht heraus.

In den ersten Sekunden nach dem Start entscheidet sich alles über Sieg oder Niederlage, zumindest bei Blue. Bei ihr entschied sich einfach alles, das gesamte Rennen, ganz am Anfang.

Sie war ein Feuerstarter, wie Mary es gern sagte und wenn sie auf dem ersten halben Kilometer nicht alles gab, war das Rennen verloren.

Die Rennbahn war eineinhalb Kilometer lang und bot genügend Möglichkeiten für die anderen Pferden Blue zu überholen.

Ihre Leistungen nahmen am Ende einfach extrem ab und daher war Adia wenn es auf die Ziellinie zuging ein reines Nervenbündel. Es ging teilweise um Hufesbreite, wer denn nun als erster die Ziellinie durchdrang, zumindest bei Blue.

Aber jetzt war sie erst auf Anfang.

Und sie gab alles.

Blues Galopp war nach wenigen Sprüngen so langestreckt, dass Adia schon nach wenigen Sekunden an der Spitze der Pferdegruppe stand.

Sie spürte das donnern der Pferdehufe unter und hinter ihr und stellte sich so weit wie nur möglich in ihren Steigbügeln auf, sie wollte so wenig Ballast wie nur möglich für Blue sein.

„Los, los, los!“, murmelte sie und ließ die Zügel etwas länger. Man durfte Blue anfangs zwar etwas Freiraum lassen, wenn sie jedoch zu viele Freiheiten hatte, neigte sie dazu langsamer zu werden. Etwas Druck war immer nötig um sie voranzutreiben.

Aber gut, sie lag verdammt gut in ihrem Muster! Wenn sie jetzt noch ein bisschen mehr durchschlug, würde sie die anderen Pferde sicherlich noch vor der tausend-Meter-Grenze mit zwei Pferdelängen hinter sich lassen, da war es auch kein Problem wenn sie im letzten, halben Kilometer nachgab.
 

„Schau mal, schau mal! Wie sie abgeht! Weißt du, sie ist ein Frühstarter, direkt nach dem Start ist sie auf ihrem Höhepunkt! Wenn sie sich da richtig anstrengt und sich dann ab etwa achthundert Metern auf einem konstanten Tempo hält, dann hat sie richtig gute Chancen auf die vorderen Plätze zu kommen. Schau mal, schau mal wie sie sich in die Innenbahn drängt… Na loooos! Noch mehr, noch mehr…“ Katy nahm Audrey, die das Geschehen ebenfalls aufmerksam beobachtete, gar nicht mehr wirklich war. Bei ihr drehte sich alles nur noch voll und ganz um ihre Stute.

„Komm schon, mehr, mehr, drück sie mehr nach innen…“, murmelte Katy und bückte sich näher an die Absperrung vor ihrem Sitz. Humphrey, der gerade von ihr gegen ihre Brust gedrückt wurde, bellte aufgeregt.

Katy ignorierte ihn jedoch völlig.

„Loooos! Verdammte Scheiße, zieh doch mehr rein! Du bist in ‘ner Kurve!“, rief Katy plötzlich wütend aus, als die ersten Pferde, zu denen Blue ebenfalls noch immer gehörte, in die erste Kurve der Rennbahn bogen.

Nun gab auch der Kommentator des Rennens seinen Senf dazu: „Pretty Blue Bailiou hält sich an der Spitze, während Dreamcatcher Bright Sunshine überholt! Und, uuund… Ja, und da, jetzt hat er auch Elyssis um eine halbe Pferdelänge eingeholt und wechselt auf die Innenbahn, Pretty Blue Bailiou hat jedoch noch immer gut eineinhalb Pferdelängen Vorsprung und lässt auch noch nicht nach! Ankers Ahoi wechselt währenddessen auf die Innenbahn, er überholt Blackberry und löst sich somit von seiner Position als Letzter. Das ist ein wirklich spannendes Rennen, meine Damen und Herren. Und oh, jetzt das, Dreamcatcher zieht weiter nach innen, Pretty Blue muss sich jetzt handeln, sonst wird die Frühstarterin ihre Spitzenposition für dieses Rennen verlieren.“

Audrey hatte zwar versucht den schnell aufeinanderfolgenden Kommentaren zu folgen, doch irgendwie kam sie nicht wirklich mit. Vor allen die ganzen Namen verwirrten sie, sie konnte sie den Pferden nicht zuordnen. Wer zog denn auf die Innenbahn? Da zogen eine Menge Pferde auf die Innenbahn, während sie einander überholten.

Die einzigen Pferde die aus der Masse herausstachen waren sowieso nur Bright Sunshine, ein Englischer Vollblut Hengst und eben Blue, weil sie eben bisher die erste war.

„Oh Gott, wie kann man so unfähig sein?! Verdammte scheiße, zieh rein, zieh rein!“, rief Katy genervt.

„Katy, sei still! Du blamierst uns ja völlig!“, zischte ihre Mutter sie an und zog sie an ihrem Arm zurück auf ihren Sitz.

„Mein Gott, stimmt doch! Schau sie dir doch an, sie…“

„Und da, die Spitzenreiterin Pretty Blue Bailiou zieht nach innen, Dreamcatcher holt auf, noch eine halbe Pferdlänge und er holt die Stute ein… Doch ooooh, nein, Blue, jetzt an der Innenbahn, hält ihre Position, Dreamcatcher kommt noch nicht an sie ran, er lässt nach, die Stute schöpft ihre Position an der Innenbahn vollkommen aus und legt ihre Konkurrenz nun mit gut eineinhalb Pferdelängen zurück!“

Katy ließ sich mit einer Mischung aus Verlegenheit und Erleichterung zurück in ihren Sitz sinken. Aha, Adia war also doch nicht ganz so dumm, ahnungslos und dämlich wie angenommen. Sie hatte also doch Ahnung von Blue und ihren Stärken.

Hm. Na ja, besser als nichts. Auch wenn Katy zugeben musste, dass die Tatsache dass Dreamcatcher nur noch eineinhalb Pferdelängen von Blue entfernt war, zufriedenstellend war. Wenn sie etwa das noch bis zur nächsten Kurve schaffte, dann waren ihre Chancen auf einen der ersten drei Plätze gut.

Audrey konnte Katys Anspannung und die Art wie sie mit ihrer Stute mitfieberte regelrecht spüren, wobei man dazu sagen musste, dass es um das nächste Qualifikationsrennen ging.

So ein Rennen dauerte übrigens nicht lange, nur noch ein paar Galoppsprünge und bereits die Hälfte war geschafft.

Audrey selbst war zwar auch mitgerissen von dem Rennen, jedoch war ihr Interesse daran nicht mit der Aufregung von Katy zu vergleichen. Audrey freute sich mehr darauf Blue mal persönlich kennenzulernen, ihr mal durch die Mähne zu fahren oder mit ihrem Jockey zu reden, denn sie konnte um ehrlich zu sein nicht mal wirklich erkennen ob die Stute von einem Mann oder einer Frau geritten wurde.

„Uuuund da, Kings Ridge überholt Burning Rain, er zieht an Bright Sunshine und Elyssis vorbei! Kings Ridge ist nun auf der dritten Position und hat Elyssis davon abgelöst! Ja, der Hengst zeigt wieder seine Stärke, welche bei ihm auf halber Strecke zum Vorschein kommt“, sprach der Kommentator aufgeregt „Und da, Ankers Ahoi und Blackberry sind gleich auf. Elysiss fällt währenddessen stark zurück und schafft Solitär auf den fünften Platz, während sich Raja-a-man tapfer auf der Innenbahn hält und allen Abdrängversuchen Winters Dawn entgegenhält. Das scheint sich zu einer Eigenheit des Rappens zu entwickeln.“

Audrey war es noch immer ein Rätsel wie der arme Kommentator bei all den Pferden und Namen hinterher kam. Vor allem fragte sie sich wie er denn auf jedes einzelne der Pferde achten konnte. Und vor allem achtete doch sowieso jeder nur auf das Pferd auf das er gesetzt hatte.

„Und nun wird es spannend meine Damen und Herren, die Pferde kommen der Ziellinie immer näher. Unsere Nummer zwölf, Pretty Blue, im Übrigen die einzige Stute in dem Rennen, hält sich noch immer tapfer auf dem ersten Platz, doch der Favorit dieses Rennens, Dreamcatcher, holt stetig auf... Und da, auf den letzten hundert Metern ist merklich wie Blue an Leistung verliert, Dreamcatcher und sie sind bald, nein halt, sie sind bereits gleich auf! Und das scheint sich auch nicht zu ändern… Ich glaube das wird spannend!“

Audrey glaubte dass Katy jeden Augenblick explodieren würde.

„Gottverdammte Scheiße, zieh noch mehr nach innen! Benutz deine Gerte! Wofür bezahlen wir dich?!“

Audrey mit einem Grinsen zu kämpfen, denn was Katy verlangte was dämlich. Wenn das Pferd nun mal körperlich nicht schneller konnte, dann war das eben so… Und da konnte der Jockey auch nichts tun.
 

Währenddessen brannte Adias Lunge wie Feuer. Sie und der Braune neben ihr, Dreamcatcher, waren jetzt wirklich Kopf an Kopf und bis ans Ziel waren es keine hundert Meter… Und um eines klar zu stellen: Hundert Meter sind nicht viel, wenn man ein Pferd mit sechzig Sachen ritt.

Adia sah zu Dreamcatchers Jockey, welcher ihr einige hämische Blicke zuwarf, während der Braune sie langsam, fast schon schleichend aber sicher überholte.

Adia stellte sich nochmals in den Steigbügeln so hoch sie nur konnte auf und machte Blue zusätzlich mit der Gerte Druck, doch wenn sie nicht mehr konnte, dann ging eben nichts mehr.

Adia war kein Träumer, sie war realistisch und sie wusste genau wo Blues Grenze war. Und genau jetzt ging eben nicht mehr. Blue gab noch immer ihr bestes, da musste man nur ihre Atmung hören. Ein guter Jockey weiß wo ein Pferd seine Grenzen hat und respektiert das. Es bringt nichts mit der Gerte auf sie einzudreschen, wo Schluss ist, ist eben Schluss.

Adia sah über ihre Schulter hinter sich und konnte mit Erleichterung feststellen, dass Blue und Dreamcatcher dem anderen Pferde mit etwa einer Pferdelänge hinter sich ließen.

Bis zum Ziel waren es keine zehn Galoppsprünge mehr, Adia sah sich fast schon die Ziellinie durchbrechen. Sie würde es zwar bestimmt nicht mehr auf den ersten Platz schaffen, doch von hinten würde sie auch niemand auf den dritten Platz verdrängen… Es sei denn eines der Pferde würde jetzt seine Superkräfte entfalten und zu ihr vorbrechen.

Sie sah wie Dreamcatcher sie nun endgültig zurückwarf und sein Jockey noch mal alles aus seinem Hengst rausholte. Der Braune durchbrach nun mit einer guten Pferdelänge Vorsprung die Zielgerade und ehe Adia auch nur einen weiteren Atemzug nehmen konnte, folgte Blue. Sobald die Stute das getan hatte, bremste Adia sie sofort ab, denn in der Zeit in der sie sie kannte, hatte sie eines gelernt: Lass sie nie zu viel machen.

Blue sollte immer nur genau so viel leisten wie verlangt wurde, jeder Schritt den sie auf der Rennbahn zu viel tat, war völlig unnötig.

Blue hatte sowieso schon einen stressigen Tagesablauf und da sollte sie nicht noch unnötig belastet werden.

Während Adia die Stute ein wenig ruckend und unsanft in den Trab und schließlich Schritt brachte, spürte sie die Erde hinter sich immer noch erbeben und all die zehn anderen Pferde rasten von hinten an ihr vorbei, als wären sie noch immer mitten im Rennen.

Aber gut, sollten die ihre Pferde eben länger als nötig galoppieren lassen, Adia konnte es egal sein, Blue ging es gut… Oder?

Schwer atmend schwang sie sich vom Rücken der Stute und tätschelte ihren verschwitzen Hals.

„Heeey, du bist super, das hast du ganz toll gemacht… Ich bin so stolz auf dich, hm?“ Adia lächelte und drückte ihr einen Kuss auf die Nüstern, während sie nicht damit aufhören konnte wie wild über den Hals und das Gesicht der Stute zu streichen. Ihre Scheuklappen mit Ohrenüberzug, die ihren gesamten oberen Kopf verdeckten, waren etwas verrutscht, weshalb Adia sie ihr wieder zurechtzupfte. Sie sah völlig fertig aus und irgendwie freute Adia sich schon darauf sie in ihre Box bringen zu können. Andere Jockeys klopften ihren Pferden nach den Rennen kurz über den Hals, aber Adia sah nicht ein warum sie Blue mit so wenig Zuneigung strafen sollte. Blue war ein tolles Pferd… Ein bisschen verfressen und nervös, aber sie war toll.

Doch nun musste sie erst mal von der Rennbahn, die anderen Pferde wurden auch schon runtergeführt… Oh, und sie musste zur Siegerehrung!

Wow, sie war zweite… Verdammt, das war nicht schlecht! Blue hatte in dieser Saison große Fortschritt gemacht, das war schon ihre fünfte Platzierung in Folge!

Adia nahm ihre Jockeybrille und ihren Reithelm ab und hängte beide über ihren Arm, während sie ihr langes Haar aufschüttelte. Sie würde Blue nur kurz mit ihren Handschuhen grob trocknen, dann ging es zur Siegerehrung… Und zwangsweise zu ihren Eltern. Und ihrer Schwester und ihrer dämlichen Töle.
 

„Komm, beeilt euch doch mal!“, nörgelte Katy und hob Humphrey genervt hoch, als dieser nicht mehr mitkam.

„Nun hetz nicht so, die Siegerehrung läuft uns schon nicht weg. Wie hoch ist eigentlich der Gewinn den Blue mit dem zweiten Platz macht?“

„Keine Ahnung. Is mir egal, sie ist platziert! Sie muss jetzt nur noch nächste Woche es unter die ersten drei machen und dann darf sie nächstes Jahr in die höheren Rennen, du weißt schon, da wo die Gewinne teilweise in die sechsstelligen Bereiche gehen.“, meinte Adia und stürmte an ihren Eltern, Mary und dem Afghanen vorbei zu den Treppen der Tribüne.

Man konnte ja viel über Katy sagen, aber Interesse für ihr Pferd oder zumindest das was sie tat, hatte sie ausreichend.

„Zur Siegerehrung geht’s übrigens da lang, ich begleite euch am besten. Danach muss ich aber noch zu Adia und ihr ein bisschen bei Blue helfen, wundert euch also nicht wenn ich zum Bankett etwas verspätet komme.“, meinte Miss Hofmann, die, soweit Audrey das mitbekommen hatte, Reitstallbesitzerin.

„Ach was, nein, das ist schon okay.“, gab Mister Ferell zur Antwort.

„Kommt Adia eigentlich auch?“, fragte seine Frau nun. Adia… Das musste wohl der Jockey oder so sein. Aha, das war also eine Frau. Audrey hatte vorhin gesehen wie sie ihren Reithelm abgenommen hatte, die Haarpracht deutet eindeutig auf eine Frau.

„Ganz sicher, sie hat diesmal sogar extra ein Abendkleid mitgenommen.“, antwortete Misses Hofmann.

Als die kleine Gruppe den Platz für die Siegerehrung erreichte, stand Dreamcatcher und das Pferd welches nach Blue durch die Zielgerade geschossen war, Kings Ridge, bereits an ihren Positionen. Katy, die schon vor ihren Eltern auf dem Platz angekommen war, sah sich unruhig nach ihrer Stute um.

Jedoch sah Audrey diese bereits mit ihrem Jockey aus dem Stall kommen. Man sah deutlich dass ihr mit dem Schweißmesser durch das Fell gegangen worden war, sie sah nicht mehr ganz so fertig aus.

„Äh, Entschuldigung“, erhob nun Audrey das Wort, als sie bereits die Treppen heruntergingen „Aber ich hätte mal eine Frage zu Blue…“

„Ja klar, nur zu, was willst du wissen?“, fragte Misses Hofman.

„Wie ist das jetzt eigentlich mit dieser Platzierung? Also muss sie in der gesamten Saison immer unter die ersten drei kommen um im nächsten Jahr höher aufzusteigen?“

„Hm, nicht ganz. Es gibt da so ein spezielles Auswahlverfahren, was einiges mit dem Durchschnitt der Platzierungen zu tun hat. Bailiou hat sich innerhalb dieser Saison vom sechsten auf den teilweise ersten Platz gesteigert. Wenn man all ihre Platzierungen in den Durchschnitt nimmt und diesen dann mit den anderen jungen Pferden vergleicht, die diese Saison Rennen ihrer Klasse geritten sind, wählt man die zwölf besten Pferde aus. Pro Rennen gehen ja immer zwölf Pferde an den Start. Natürlich ist es nicht so als ob es hier in Kentucky nur zwölf Pferde pro Klasse gibt, es gibt ja noch viel mehr Pferde, aber die werden in… ich sag mal ‚Gruppen‘ aufgeteilt. Jedenfalls braucht ein Pferd eine gewisse Qualifikation und Reihe an Platzierungen um aufzusteigen. Erreicht es diesen Durchschnitt, steigt es von Saison zu Saison immer mehr auf. Manche Pferde schaffen es, andere nicht. Eine Menge Pferde rennen mit zwei bereits ihre ersten Rennen, diese sind aber die ‚Unterklasse‘ der Pferderennen, nicht sehr profitbringend, aber interessant für Leute, die sich nach zukünftigen Champions umsehen. Bailiou war letztes Jahr auch noch in solchen Rennen, das was sie jetzt angeht ist das wo der Ernst des Lebens anfängt. Wenn sie so weitermacht wird sie mit sechs, sieben Jahren vielleicht sogar schon bei den ganz großen Rennen dabei sein, wer weiß…“

Audrey verstand nur Bahnhof. Da wurde es ihr schon extrem vereinfacht erklärt und doch kam sie nicht ganz mit.

„Ah, okay, danke schön.“, bedankte sie sich dennoch höflich und folgte den anderen einfach weiter zum Platz für die Siegerehrung, an der sie inzwischen angekommen waren.
 

Als die Siegerehrung vorbei war und die Pferde in den Stall geführt wurden, verzogen sich all jene Leute zum Bankett, die sich für dieses eingeschrieben hatten.

„Dad, ich zeig Audrey noch Blue, wir kommen gleich nach.“, meinte Katy nun und deutet Audrey schon an zum Stall zu gehen.

„Was? Findest du das nicht ein bisschen unhöflich?“

„Ach was, lass sie doch“, mischte sich nun Miss Hofmann ein „Blue war wirklich gut, sie soll sie ruhig für ihre Leistung loben.“
 

„So, da sind wir. Hallo Blue… Hey, das hast du super gemacht, ich bin sooo stolz auf dich!“ Mit nicht zu verleugnendem Stolz in der Stimme zeigte Katy auf die Stute, die in eine blaue Decke gehüllt in ihrer Box stand und Heu fraß.

„Hey, du Vielfraß, du hast Besuch“, meinte Katy schmunzelnd „Also: Blue, Audrey. Audrey, Blue.“

„Hey Blue… Man, ist die hübsch…“ Audrey streckte der Stute die Hand entgegen und schaffte es ihr am Hals entlang zu streicheln. Sie war noch ein wenig verschwitzt, doch ihre Atmung hatte sich wieder normalisiert.

„Und wie alt ist sie jetzt?“

„Drei, wird aber diesen November vier. Ich glaub am siebzehnten.“

„Ab Siebenundzwanzigsten! Kannst du dir nicht mal ihr Geburtsdatum merken?“, ertönte plötzlich eine genervte Stimme aus der Stallgasse.

„Oh entschuldige! Was machst du überhaupt hier?!“, fauchte Katy sofort zurück und mit einem Mal schien ihre Stimmung einen neuen Tiefpunkt erreicht zu haben.

„Falls es dir auch nur halbwegs am Arsch vorbei geht, ich ARBEITE hier!“

Audrey war verwirrt. Wer war das?

Die junge Frau, die die Stallgasse entlanggeilt kam, trug ein langes, türkisenes Abendkleid, dass an den Beinen so eng anliegend war, dass es eigentlich unmöglich sein sollte darin so schnell zu laufen.

Audrey konnte kurz ihre Füße sehen. Sie trug blaue High Heels, sicherlich gut fünfzehn Zentimeter Absatz und ihre langen, blonden Haare waren in einen eleganten, hoch anliegenden Pferdeschwanz gebunden, wobei sich ein paar Strähnen gelöst hatten. Dazu trug sie noch lange Handschuhe, die farblich zu ihrem Kleid passten.

Sogar ihr Make-Up sah hochprofessionell aus, noch nie hatte Audrey so viele Blau- und Grüntöne auf den Augenlidern einer einzelnen Person gesehen. Und die Frau vor ihr hatte recht hohe Augenlider, bei ihr sah das besonders gut aus, sie hatte einen gewissen Spielraum. Generell sah ihr Make-Up echt verdammt gut aus!

„Ach, du arbeitest?“, riss Katy Audrey aus ihren Gedanken.

„Ja, tu ich, was weißt du schon darüber?“

„Hm, hast aber eine ziemlich unpassende Garderobe an, seit wann trägt man Louis Vuitton beim Scheiße schaufeln?“

Audrey gefiel die Konversation der Beiden nicht gerade, doch sie grübelte noch immer darüber nach wer diese Frau war. Hm… wer war das? Sekunde, war das nicht der Jockey, diese Adia? Ja! Natürlich, Audrey war sich ganz sicher, das war Adia!

„Scheiße schaufeln?! Du glaubst DAS ist mein Job?! Woah, Mädchen verpiss dich mit deiner Freundin!“, fuhr Adia Katy an und zeigte zum Ausgang.

„Nö“ Katy verschränkte trotzig die Arme „Wer glaubst du dass du bist? Du arbeitest nur für mich!“

„Erstens gehört Blue dir nicht! Zweitens würde Blue ohne mich noch immer beim Händler stehen und drittens bin immer noch deine Schwester, also verpiss dich! Alle beide!“

Das war der Moment, in dem Audrey sich doch persönlich angegriffen fühlte. Doch sie war noch zu überrascht von dem Fakt, dass DAS Katys Schwester war. Sie sahen sich, außer den Haaren natürlich, gar nicht ähnlich. Katy hatte ein viel abgerundeteres Gesicht, sie hatte niedrigere Augenlider, ihre Nase war grade, ihre Lippen voller und ihre Augenbrauen lagen tiefer.

Adia hingegen hatte ein sehr weit ausstehendes Profil, eine ziemliche Stupsnase, sehr hohe Augenlider und Brauen, ihre Lippen waren schmäler und sie viel dünner als Audrey selbst oder gar Katy. Deswegen konnte man auch Adias Wangenknochen so gut sehen.

„Hey, red du mal nicht so mit meinem Besuch! Im Gegensatz zu dir hab ich wenigstens Freunde.“

„Ach, halt doch deine Schnauze Mädchen und belästige mir die Pferde nicht! Und wenn du schon mit deinen neureichen, verwöhnten Freundinnen einen Stall betreten musst, dann sei so gut und verstreu deine Blumen nicht überall.“ Sie bückte sich nach einer der Stoffblumen, die Katy aus dem Haar gefallen war und jetzt auf dem Stallboden lag.

„Und jetzt verpiss dich. Das Bankett beginnt gleich.“

Und mit diesen Worten und einer verdammt angepissten Miene lief sie aus dem Stall.

„Ignorier die einfach. Glaubt immer was ganz tolles zu sein… Ich hasse sie.“

„Aber… Das ist deine Schwester.“, wand Audrey verwirrt ein und spielte ein wenig unruhig an ihrem Haar herum.

Zum einen konnte sie nicht fassen wie sehr Katy und Adia sich zu hassen schienen und zum anderen war sie irgendwie wütend auf Adia. Die kannte sie doch gar nicht und bezeichnete sie gleich als neureiches, verzogenes Gör! Jedenfalls hatte sie sich bei Audrey nicht gerade beleibt gemacht, in den zwei Minuten in denen sie sie jetzt schon kannte.

„Na und? Ich muss sie ja nicht mögen, nur weil wir die gleichen Eltern haben. Und jetzt komm, wir gehen essen.“, lenkte Katy schnell vom Thema und zog Audrey mit sich aus dem Stall.

Spechschwärmereien

Als Audrey und Katy den großen Raum betraten in dem das Bankett stattfand, stieg der Lautpegel erst mal gehörig an.

„Also, zum Buffet geht’s da lang. Komm.“

Katy war recht bestimmt und Audrey hatte gar keine andere Wahl als hinter ihr herzu trotten.

„Also Salate sind da und… Na ja, das siehst du ja wo es was gibt.“

„Jaja, ich such mir das Zeug dann selbst aus.“, meinte Audrey und machte sich erst mal zu den Kartoffelspeisen auf. Sie LIEBTE Kartoffeln. LIEBEN.

Währenddessen saß Adia mehr oder weniger gezwungener Maßen bei ihren Eltern. Zu ihrer Linken war zum Glück noch Misses Hofmann und rechts von ihr ihr Vater, doch dass ihre Mutter ihr gegenüber saß, verschlimmerte die Situation wiederrum.

„Und, wie macht sie sich?“, fragte ihre Mutter an ihre Freundin gewandt.

„Ach, sie macht sich ganz ausgezeichnet! Ich versteh‘ deine Bedenken überhaupt nicht, Adia ist toll! Und du siehst ja wie gut sie mit Blue kann. Zudem hat sie ein Händchen für Pferde, zumindest die bei uns.“, erklärte Misses Hofmann begeistern. Sie wusste dass Adias Mutter nicht sehr begeistert von der Berufswahl ihrer älteren Tochter war und seit Adia damals mit der Ausbildung angefangen hatte, war Misses Hoffman nur dabei Adia gut dastehen zu lassen!

„Na ja, ich finde sie hat sich nicht grade für das lukrativste Geschäft entschieden.“, meinte ihre Mutter nicht grade glücklich.

„Erstens höre ich alles was du sagst, zweitens haben wir diese Diskussion schon tausend Mal geführt und drittens kann es dir doch egal sein was ich verdiene! Nur weil Dad reich ist musst du meinen nicht mit seinem Gehalt vergleichen!“

Adia achtete genau darauf zu sagen dass ihr Vater reich war, nicht ihre Eltern! Ihr Vater schaufelte das Geld, ihre Mutter war nur gut zum Geld ausgeben.

„Ich bitte dich Adia, was willst du schon großes erreichen? Bei DEM Gehalt?“, sprach ihre Mutter jedoch ungerührt weiter und aß ein Stück ihres Steaks.

„Na ja, ich kann mir eine Wohnung leisten, den Hund unterhalten und ich hab ein Auto! Und zudem vergisst du den prozentualen Gewinn, den ich von jedem Rennen bekomme! Sollte Blue also mal… Keine Ahnung, hunderttausend Dollar schaufelnd, gehört mir ein gewisses Stück davon.“

„Oh bitte, das ist ein Risiko“, meinte ihre Mutter abschätzig „So was ist doch kein regelmäßiges Einkommen. Und der Gehalt bei Mary ist auch nicht das was wir uns für dich vorgestellt haben.“

„IHR? Wohl eher DU“, zischte Adia ihre Mutter an „Dad! Sag doch auch mal was!“

„Ach Adia, du weißt dass deine Mutter recht hat.“, meinte er und aß unbeteiligt weiter.

„Mary!“, flehte Adia nun weiter.

„Dolores… Deine Tochter hat ein gutes Leben, einen Job für den sie nicht grad den Mindestlohn bekommt und sie liebt diesen Beruf, er macht sie glücklich. Was willst du denn noch?“

„Hör zu, nichts gegen deine Mädchenträume“, meinte ihre Mutter kühl an Adia gewandt „Aber von Glück kann man sich nichts kaufen. Als was willst du denn man enden? Vorstadthäuschen, ein mal im Jahr Urlaub und der ständige Geruch von Pferd um sich? Das ist nicht grade das was du haben könntest.“

„Sei bloß ruhig!“, fauchte Adia und stopfte sich ein Stück ihres Forellenfilets in den Mund um nicht gleich irgendwas Dummes zu tun.

„Und noch was, dein Hund… Ich bin immer noch nicht einverstanden mit ihm. Er ist zu unerzogen und er haart. Schau doch, überall die Haare! Wenn du schon unbedingt deinen lang erhofften Afghanen haben musst, warum scherst du ihn nicht gefälligst? Na ja, wenigstens stinkt sie nicht.“

„Du kannst aber auch nur meckern, oder? Ich ging ins Tierheim, ich hab sie auf der Internetseite gesehen und ich musste sie eben haben. Okay, es war dumm von mir, aber ich hab das Beste draus gemacht und ich würde nicht grade sagen dass ich in ihrer Erziehung versagt habe. Und nur um das mal klar zu stellen, Tita ist bei weiten in ALLEN nur erdenklichen Punkten besser als die Missgeburt die ihr meiner Schwester geschenkt habt.“

„Adia, jetzt sei lieber ganz schnell leise“, zischte ihre Mutter sie giftig an „Humphrey hat mehr Stammbaum und Klasse als deine Chiquitita je haben könnte. Zudem würde ein Wurf von ihm uns mehrere hundert Dollar einbringen, nur dafür dass er mal kurz seine Triebe raus lässt. Was kann dein Hund denn außer Hasen jagen und nett aussehen?“

„NETT aussehen? Tita hat mehr Anmut, Charakter und Intelligenz abbekommen als der Mops je haben könnte!“

„Na ja, dafür dass der Afghane auf Platz eins der dümmsten Hunderassen der Welt ist-“

„Hör mal zu, nur weil Afghanen in den Siebzigern zu einem Modehund geworden sind und jeder unfähige, ungeeignete Penner dachte einen haben zu müssen, sind sie nicht dumm! Sie sind eigensinnig und Stur, ja, sie sind stolze Egozentriker, aber das sind alle Windhunde! Das hat auch nichts mit Dummheit zu tun, sondern mit Charakter, aber was erzähl ich dir darüber, dich-“

„Jetzt beruhigt euch doch, alle beide“, begann Adias Vater „Wir sind hier um Blues Erfolg zu feiern, also tut mir den Gefallen und benehmt euch auch so. Können wir nicht über irgendwas anderes reden?“

Gott segne ihren Vater! Adia war einfach nur froh dass er zumindest versuchte das Thema auf was anderes zu lenken.

„Gute Idee! Erzähl doch von deinem Freund.“, schlug Mary vor.

„DU hast einen Freund?“, brachte ihre Mutter überrascht vor. Sie wusste dass Adia schon zwei, drei Beziehungen gehabt hatte, aber irgendwie war es immer nach spätestens einem Jahr zu Ende gegangen. Nun zu hören, dass ihre Tochter endlich mal wieder einen Freund hatte, war ihr nur Recht. Vielleicht würde sie sich dann mal auf andere Dinge konzentrieren.

„Nicht so ein Freund. Ich rede von einem guten Freund. Einem besten Freund.“, erklärte Adia schnell.

„Aha. Wie heißt er?“

„Fred.“

„Weiter?“

„Carter.“

„Und? Was macht er so?“

„Was man in einer kleinen Stadt eben so macht, Mum. Er arbeitet in der Kneipe seines Vaters. Die haben ganz guten Salat dort und das Rindfleisch ist auch ganz lecker.“ Sollte sie vielleicht erwähnen, dass Freds Familie mütterlicherseits aus Georgien kommt? Neee… Noch nicht.

„Und das war’s? Sonst macht er nichts? Seine Zukunft klingt nicht sonderlich rosig.“

„Ich sagte bereits, er übernimmt die Bar irgendwann, er hat eine Gastronomieausbildung oder wie das heißt.“, seufzte Adia genervt und stopfte sich schnell ein par Gurkenscheiben in den Mund, um sich nicht weiter vor ihrer Mutter rechtfertigen zu müssen, für etwas was sie gar nichts anging und für das Adia doch nun echt nichts konnte. Was erlaubte die sich überhaupt Freds Leben zu bewerten? Was erlaubte sie sich über Adias Freunde herzuziehen?

„Aber mehr läuft da zwischen euch nicht?“, hakte ihre Mutter sicherheitshalber noch mal nach.

„Nein.“

„Gut… Und gibt es vielleicht jemanden, der für dich als Freund infrage kommen würde? Du wirst ja auch nicht grade jünger und wenn du vor deinem dreißigsten noch ein Kind haben willst, dann solltest du dich nun wirklich beeilen.“, erzählte ihre Mutter ihr weiter.

Wie Adia es nicht mehr hören konnte! Ihrer Mutter schien es aber auch NUR darum zu gehen, dass Adia irgendwen heiraten würde, der Geld hatte und dann auch ja früh genug ein, zwei Kinder bekommen würde! Sie war zweiundzwanzig verdammt, sie fühlte sich weder bereit für eine Hochzeit, noch für ein Kind und hatte ihre Ausbildung seit grade mal einem Jahr fertig! Ihr Hund reichte ihr voll und ganz aus, der war ihr genug Kinderersatz.

„Dolores, ich glaube du treibst das grad ein bisschen zu weit. Sie hat doch noch Zeit.“, mischte sich nun endlich auch Mary ein.

Doch in dem Augenblick kamen Katy und Audrey vom Buffet, die Teller mit allem möglichen Zeugs beladen. Zumindest Audrey.

„Woah, die haben da SOLCHE Spare Ribs, ich dachte ich bin im Himmel“, schwärmte sie, setzte ihren beladenen Teller auf dem Tisch ab und wedelte mit ihren Händen in der Luft rum „Im Ernst, solche Rippchen waren was, da hängt fast noch das ganze Schwein dran. Ich schwärme ja sowieso für Speck und Spare Ribs mit einer anständigen Barbecue Soße, aber die Dinger waren eine neue Generation.“, schwärmte Audrey und setzte sich zwischen Adia und Katy.

Katys Teller sah im Gegensatz zu Audreys fast schon leer aus.

„Die haben da so weit ich weiß sogar in Speck ummanteltes Fleisch. Da sieht man das Cholesterin doch nur so tropfen.“, meinte Katy.

„Ach was, nichts gegen Speck und Rippchen. Ich bin ja eigentlich niemand der hier zum Raubtier wird, aber mit den beiden Teilen vom Schwein kann man mich echt ködern.“, erwiderte Audrey, wobei sie nicht den verwirrten Blick Adias sah.

Adia war von den Freundinnen ihrer Schwester beim Essen immer gewohnt dass sie anfingen sich über gesunde Ernährung, Fitness und so weiter zu unterhalten, eben über Zeug was ihr aus den Ohren hing. Audrey war die erste die sich positiv gegenüber Speck und Schweinefleisch insgesamt geäußert hatte und sich ebendieses auch auf den Teller gestapelt hatte. Adia sprach hier wirklich von einem STAPEL!

„Na ja, jedem das seine“, meinte Katy „ich bevorzuge ja Pute, meine Mutter und ich sind uns da relativ einig.“

Oh Gott, jetzt ging das wieder los. Genervt biss Adia in ihren Fisch. Sie bevorzugte eben Fisch, aber plärrte sie das am Tisch raus, nur weil jemand nicht ihrer Meinung war?

„Hey, na, wer bist du denn, du Schöne?“

Audrey hielt Tita, die neugierig an ihr zu schnuppern begonnen hatte, die Hand hin und begann sie hinter den Ohren zu kraulen, als sie nicht zurückwich.

Adia sah dem eher überrascht zu. Tita war eigentlich nicht so offen gegenüber Fremden, im Gegenteil, sie hielt sich immer sehr zurück und strafte dich anfangs mit sehr viel Misstrauen. Da war es eben verdammt selten dass sie sich mal streicheln ließ ohne sofort zurückzuweichen.

Und meist hatte das was Gutes zu bedeuten. Tita hatte eine gute Menschenkenntnis und wenn ihr jemand zu Anfang unsympathisch war, dann stellte sich in neunundneunzig Prozent der Fällen auch heraus, dass diese Person tatsächlich ein Arschloch war.

Zumindest war das bisher immer so gewesen.

Und wenn Tita dich vom ersten Augenblick so sehr mochte, dass sie sich streicheln ließ, dann war das eben ziemlich gut.

Adia hatte in den knapp fünf Jahren, in denen sie ihren Hund nun hatte, darauf zu achten gelernt, immer ganz genau darauf aufzupassen, wie sie sich Fremden gegenüber und diese ihr gegenüber verhielten. Das sagte beides tatsächlich recht viel über die Leute aus.

„Misses Hofmann“ Ein Mann in Anzug und Krawatte, den Adia grad zum ersten Mal sah, tippte ihrer Cheffin auf die Schulter „Dürfte ich sie kurz sprechen?“

„Selbstverständlich. Entschuldigt mich bitte kurz.“, sagte Mary in die Runde und erhob sich, dem Mann folgend.

„Sie ist sooo süß, ich glaub ich hab im Leben noch keinen so hübschen Hund gesehen, Misses Hofmann hat ein Glück.“, plapperte Audrey von Tita begeistert und fuhr ihr mit den Fingern durch das lange Fell an ihren Ohren.

„Eigentlich gehört sie mir.“, kommentierte Adia und behielt Audrey im Augenwinkel. Es war unglaublich wie Tita sich das gefallen ließ, sie war sonst immer die erste die Fremde mied.

Zum einen war das ein Zeichen dass Audrey nicht zum Kotzen war und zum anderen… wäre es ihr lieber gewesen wen Chica dem Mädchen fast die Hand abgebissen hätte. Adia WOLLTE Katys Freunde doch gar nicht leiden können!

„Wirklich? Ich hab sie vorhin bei Misses Hofmann gesehen, ich dachte nur deswegen…“

„Nein, ich kann bestätigen, dass die Gute mir gehört.“, gab Adia mit nicht zu verleugnendem Stolz in der Stimme zurück.

„Ah, okay… Wie heißt sie eigentlich? Die ist sooo hübsch…“, schwärmte Audrey und ließ nun aber von Tita ab und wandte ihre Aufmerksamkeit endlich ihren Spare Ribs zu.

„Chiquitita. Na ja, aber Tita reicht schon.“, antwortete Adia.

Irgendwie fand sie die Kleine gar nicht mal so scheiße… bis jetzt. Sie war zumindest die erste, die etwas positives zu ihrem Hund sagte und auch die erste, die von Tita nicht sofort gemieden wurde.

Humphrey, der bisher brav unter Katys Stuhl gesessen hatte, schien jedoch langweilig zu werden.

Also tat er das, was jeder übergewichtige, kleine, hässliche Mops tun würde und begann zu bellen.

„Hey Humphrey, nicht so laut!“ Katy bückte sich und setzte ihn auf ihren Schoß, woraufhin er wieder still wurde.

„Katy, keine Hunde am Tisch.“, ermahnte ihr Vater sie.

„Generell solltest du ihn nicht hochnehmen wenn er bellt. Das bestätigt ihn nur in seinem Aufmerksamkeitsdefizit, das macht es nur noch schlimmer, er lernt so, dass sein bellen richtig ist.“

„Jaaa und DU hast ja sooo viel Ahnung von Hunden. Humphrey ist kein Jahr alt, er ist eben noch klein, er braucht eben Zuwendung.“, verteidigte Katy ihren Hund.

„Hey, ich hab ein biiiiisschen länger Hunde als du.“, knurrte Adia.

„Ja, seit fünf Jahren. Wirklich erfolgreich warst du aber auch nicht. Jedenfalls hab ich deine Tita noch nie ohne Leine auf einer freien Fläche gesehen. Kann man wohl nicht in der Öffentlichkeit von der Leine lassen, nicht?“, zickte Katy weiter rum.

„Ach, sei ruhig. Mein Hund ist immer noch besser erzogen als Humphrey.“, verteidigte sie Tita vor ihrer Schwester.

„Du benutzt ihre Rasse doch nur dazu, um sagen zu können, dass man sie nie richtig erziehen kann.“, äffte Katy.

„KANN man auch nicht!“, fuhr Adia sie an und schnaubte verächtlich.

„Jetzt reicht es, beruhigt euch mal wieder“, fuhr nun endlich der Vater der Schwestern dazwischen „Audrey, erzähl du doch bitte mal was über dich, ich denke die Gespräche der jungen Damen hier entwickeln sich grad in die falsche Richtung.“

Das war wohl das was man unter Fremdschämen versteht. Obwohl Elizabeth sicherlich ihre Freude an der ganzen Szene gehabt hätte, ihr gefiel es doch immer wenn Katy auf die Palme getrieben wurde.

Aber gut, dann begann sie eben zu erzählen, was es über sie zu erzählen gab. Dass sie aus Maryland kam, welch bedeutende Berufe ihre Eltern hatten oder zumindest mal, wie im Falle ihrer Mutter, mal gehabt hatten, die höchsttragische Geschichte ihres Umzuges, von ihrer Verwandtschaft, beider sie nun lebte und in einem Nebensatz kamen sogar mal die Katzen ihrer Großeltern vor… Und Cooper, ja, Cooper wurde selbstverständlich auf mal erwähnt.

„Warte, damit ich das richtig verstanden habe“ Adia kam gerade mit ihrem dritten Nachschlag an Essen vom Buffet „Deine Eltern sind also keine dieser Neureichen, mit denen sich die Familie Ferell sonst immer umgibt?“, fragte sie nach.

„Adia!“ Ein scharfes Wort ihrer Mutter reichte und sie schwieg. Audrey hingegen nahm die Bemerkung gelassen.

„Ne, meine Eltern sind nicht reich. Das meiste überschüssige Geld was mein Vater verdient geht doch sowieso für meinen Bruder drauf, er ist grade auf der Uni.“, antwortete sie und aß schließlich an ihren Spare Ribs weiter, die inzwischen lauwarm waren.

„Na dann… Du bist die Erste Freundin meiner Schwester, die das mal von sich sagt… Katy, seit wann bist du denn so bodenständig, dich mit normalen Leuten abzugeben?“

Audrey hatte langsam das Gefühl Adia hatte richtig Spaß daran, Katy anzugreifen.

Unfassbar, dabei waren die zwei Schwester. Audrey machte sich zwar auch gern über ihren Bruder lustig, aber da war ja nur Spaß… Hier hingegen meinten die beiden das völlig ernst was sie sagten.

Aber Adia und Elizabeth wären sicherlich allerbeste Freundinnen geworden, wenn sie sich kennengelernt hätten. Ja, denn eine riesige Gemeinsamkeit hatten sie ja.

Oh ja, Audrey würde auf jeden Fall Elizabeth hiervon erzählen!

„Äh, Adia, kannst du mal kurz kommen? Ich muss kurz was mit dir besprechen.“ Misses Hofmann war wieder zum Vorschein gekommen.

„Klar…“ Sie erhob sich von ihrem Stuhl und strick sich das Kleid glatt „Tita, bleib.“
 

„Oh mein Gott! Lexington, ich glaub ich sterbe…“ Adia fächerte sich etwas Luft zu und hatte schwer damit zu kämpfen die Tränen zurückzuhalten.

„Also, was sagen Sie?“ Der Mann von vorhin, der Mary zu sich gebeten hatte, Mister Turner, sah sie erwartungsvoll an.

„Also ich würde zwar gerne, aber… Ach, ich weiß auch nicht… Mary, darf ich denn? Ich würde mich schlecht fühlen jetzt einfach bei dir ein Jahr auszusetzen. Sag doch bitte auch mal was dazu.“

„Die Entscheidung liegt bei dir“, antwortete sie „Schau mal, du wärst immer noch bei mir als „unbezahlt beurlaubt“ eingestellt. Daher müsstest du dir in dem Punkt gar keine Sorgen machen. Du könntest also ein Jahr weg sein und danach einfach bei mir weitermachen, so als wäre nie was gewesen.“

„Also? Ich erwarte eine Antwort, Miss Ferell.“, meinte Mister Turner ungeduldig, jedoch immer noch mit dem selben Drängen in der Stimme wie zu Anfang. Ihm schien das ja echt wichtig zu sein.

„Also, damit ich das mal kurz richtig verstehe: Ich dürfte ein Jahr lang für Sie arbeiten, mit ihren Vollblütern, bekäme mein Apartment bezahlt, trainiere ihre zweijährigen, lauf ein paar Rennen für ihren Stall… Und nach dem Jahr darf ich mich dann entscheiden ob ich bleibe oder gehe? Aber wo ist der Haken?“

„Es gibt keine Haken!“, versicherte ihr Mister Turner.

„Und mein Hund? Was ist mit der? Bei Misses Hofmann durfte ich sie immer mit zur Arbeit nehmen.“

„Na ja… Diesen einen Haken gäbe es vielleicht schon… Sie darf eben nicht frei zu den Pferden, was das angeht würde ich Sie durchaus darum bitten sie anzuleinen.“

„Hm… Also ich weiß nicht…“, meinte Adia unschlüssig. Dieses Angebot war ganz reizend, vor allem aufgrund der Tatsache, dass der Rennstall von Mister Turner einen ausgezeichneten Ruf hatte und dort nur hochqualifizierte Leute mit Erfahrung arbeiteten. Warum also suchte er sich ausgerechnet eine Zweiundzwanzigjährige aus, die ein paar gute Leistungen mit einer jungen Stute erbracht hatte, seit grade mal einem Jahr ihre Ausbildung zur Pferdewirtin, Fachrichtung Reiten, durch, hatte noch keine fünfzig Rennen gewonnen, um sich wirklich als Jockey bezeichnen zu dürfen und auch ansonsten gab es nichts an ihr, was in irgendwem den Drang wecken könnte, sie unbedingt bei sich eingestellt haben zu wollen.

Mister Turner schien ihre Unentschlossenheit jedoch sehr wohl zu bemerken.

„Hören Sie, Sie haben großes Potential! Wer so viel aus einer kleinen Stute rausholt, kann nicht so schlecht sein. Misses Hofmann sagte mir, fast ausschließlich Sie allein hätten sich um Pretty Blues Ausbildung gekümmert und das Ergebnis kann sich sehen lassen, vor allem dafür, dass sie eine Stute ist. Wenn sie das jetzt schon mit jedem Pferd hinbekommen, stellen Sie sich nur mal vor, wie erfolgreich Sie in ein paar Jahren, wenn Sie mehr Erfahrung haben. Ich jedenfalls denke, dass Sie sehr begabt sind.“

Adia grinste noch immer von einem Ohr zum anderen. Sie heulte fast schon, bei so vielen Komplimenten.

„Also… äh, vielen Dank, aber sehen Sie, Pretty ist so was wie… Keine Ahnung, ich will sie zu so was wie meinem Markenzeichen werden lassen, ich will dass man mich mit ihr in Verbindung bringt… Wissen Sie, die Kleine ist so was wie mein eigenes Pferd, ich betreue sie jetzt schon von Anfang an, an ihr hab ich alles in meiner Ausbildung gelernt, was man eben wissen muss und… Verstehen Sie mich nicht falsch, aber ich will mich einfach nicht so leicht von ihr trennen.“

„Hören Sie, ich verstehe das durchaus. Aber als Jockey ist es ihre Aufgabe VIELE Pferde Rennen laufen zu lassen, damit verdienen sie ja ihr Geld.“

„Also vorrangig bin ich ja Trainerin…“, verteidigte Adia sich. Bisher war sie nur ein paar kleine Rennen mit anderen Pferden als Blue gelaufen.

„Ja, aber eben auch Jockey. Wenn Ihnen so viel an der Stute liegt, können Sie sie auch später noch aufkaufen. Ich bin mir sicher, dass Ihre Eltern Ihnen, als ihre Tochter, einen guten Preis machen würden.“

Adia verdrehte innerlich die Augen und hätte über diese Bemerkung am liebsten Gelacht. Oh Gott, wenn der wüsste…

„Wissen Sie, Adia?“

Aha, er begann schon mit dem Duzen… Aber gut, Adia wollte ihn nicht hindern.

„Ja?“

„Wenn Sie hier in Lexington leben würden, wären Sie sehr viel zentraler als in dem kleinen Ort in die sie wohnen. Und ich bin mir absolut sicher, dass ich mit Ihnen eine wunderbare Mitarbeiterin hätte.“

Schwiegen.

„Ich überleg’s mir…“, gab sie schließlich zögernd zur Antwort.

„Hm… Nicht ganz das, was ich hören wollte, aber meine Karte haben Sie ja. Melden Sie sich aber bitte bis Anfang Oktober, das ist nächsten Monat. Ich wünsche Ihnen beiden noch einen schönen Tag.“

Mit einem höflichen Kopfnicken verschwand Mister Turner wieder an seinen Tisch.

„Und?“, fragte Mary, als er außer Hörweite war.

„Ich sagte doch… ich denke…“

„Adia, ich will wirklich dass du weißt, dass es für mich absolut in Ordnung wäre, wenn du es tun würdest. Er hat mich ja aus grade diesem Grund erst angesprochen. Er wollte wohl nicht, dass du mir das alles erklären müsstest, wenn du ja sagen würdest.“

„Aber Mary…“ bedrückt sah Adia zu Boden „Ich hab doch noch gar nichts gesagt. Und ich weiß auch gar nicht ob ich wirklich will… Versteh mich nicht falsch, das Angebot ist super, echt klasse, aber... Ich würde mich richtig scheiße fühlen wenn ich es annehmen würde. Ich fühl mich einfach so heimisch bei dir, bei Blue, in meinem Kaff… Was will ich denn in Lexington? Ich meine… Ja, es wäre echt toll… Ach Mary…“

„Adia, denk drüber nach. Du kannst es doch versuchen, das ist eine tolle Chance! Und wenn es dir nicht gefällt kannst du jederzeit zu uns zurück.“

Irgendwie war Mary nicht hilfreich. Zum einen hatte Adia verdammt viel Lust auf dieses kleine Abenteuer und andererseits wollte sie nicht aus ihrem gewohnten Arbeitsumfeld weg. Sie wollte sich nicht von Misses Hofmanns Hof trennen, sie war dort nun schon seit vier Jahren, es war wie ein zweites zu Hause. Sie wollte auch nicht für ein ganzes Jahr weg von Mary. Nicht mal vom alten Mister Hofmann, welcher sie ständig für seine tote Tochter hielt, wollte sie weg. Und sie wollte auch nicht weg von ihrer Pretty Blue, ihrer süßen, geliebten, tollen Pretty. Oder von Skyscraper, welcher dich immer mit dem Kopf schubste, wenn du ihm die Mähne kämst. Sie wollte nicht weg von Gigi, Jules, Waterloo, Ricky, Quadro und all den anderen Vollblütern, die sie über die Jahre liebgewonnen hatte. Und sie wollte auch nicht weg von ihrer schnuckeligen, kleinen Wohnung, von ihrem Kaff, dem mürrischen Postboten, dem sie hoffte nie über den Weg zu laufen, von Fred… Ja, Fred war ein guter Grund zu bleiben.

„Ich… ich schau mal… Komm, wir essen jetzt weiter.“

Nicht grade das was Misses Hofmann hören wollte.

Boah shit, ich hab seit zwei Jahren mein Haustier nich gefüttert!

„Schatz, sag mal was zu dem Kleid hier. Meinst du das kann ich bei deinen Eltern anziehen? Oder ist das zu dick aufgetragen?“

Nervös drehte Mikes Verlobte sich in einem knielangen Abendkleid um die eigene Achse.

Das war jetzt das vierzehnte Kleid was er sich antun musste.

VIERZEHN.

Seit fast zwei Stunden saßen sie nun in diesem Laden und das an einem Samstag! Na ja, ER saß, sie rannte wie ein nervöses Huhn durch die Gegend.

„Ach Vicky, ich bitte dich“ verzweifelt fasste Audreys Onkel sich an die Schläfen und sah auf „Meine Eltern sind weder die Präsidentenfamilie noch deine Chefs, du kannst dich auch einfach ganz normal anziehen. NIEMAND wird sich bei uns für deinen Besuch in ein Kleid zwängen.“

Empört stämmte die Schwarzhaarige die Hände in die Hüften und sah verzweifelt zu Mike herab.

„Ach komm schon! Ich hab schon mindestens sechs Kleider anprobiert und nichts hat dir gefallen! Ich will bei deinen Eltern einen guten Eindruck machen, da kann ich ja wohl mal rausputzen.“

„Ich versteh dich ja, aber als ich bei deiner Familie war musst ich mir das doch auch nicht in dem Ausmaß antun.“

Eingeschnappt setzte Viktoria sich in die Umkleidekabine und sah Mike vielsagend entgegen.

„Dann such du mir doch eins aus!“

„Schön, na bitte!“

Genervt erhob Mike sich. Er würde das jetzt ein für alle mal beenden!

Etwas unsicher durchkämmte er die Gänge, bis er endlich etwa das fand was er suchte. Ein knielanges, schwarzes Cocktailkleid. Bitte, das passte doch ganz toll!

Seine Begeisterung für das Kleid wurde jedoch nicht von Vicky geteilt.

„Ernsthaft? DAFÜR müsste ich nicht einkaufen gehen, so was Ähnliches hab ich selber zu Hause.“, beschwerte sie sich und machte sich wieder davon in die ewigen Weiten der Kleiderabteilung.
 

Währenddessen ging das Bankett für Audrey und Katys Familie langsam in Richtung Ende. Die letzten Desserts wurden von den Angestellten in die Küche gebracht und auch Audrey hatte sich über ihr letztes Stück Tiramisu hergemacht.

„Woah… was für ein Essen…“, schwärmte sie und legte ihren Teller zur Seite.

„Audrey generell war die Letze gewesen, die überhaupt noch gegessen hatte. Katy und ihre Familie so wie auch Miss Hofmann hatten sich die ganze Zeit eigentlich nur noch über Blue und Gott und die Welt unterhalten. Adia hatte hin und wieder sogar mal ein paar Dinge zu Audrey gesagt, die richtig nett waren. Aber ansonsten gab es nicht viel was Audrey mit irgendwem geredet hatte. Sie hatte sich eigentlich nur wirklich direkt mit Katy unterhalten.

„Also dann… Ich und Miss Hofmann müssen Blue in den Anhänger bringen“ Adia hielt kurz inne „Katy, willst du dich von unserer Wunderstute vielleicht noch verabschieden?“

Man konnte deutlich hören, dass Adia genau das eben nicht wollte. Warum sie es dann trotzdem gesagt hatte, war Audrey aber nicht wirklich klar.

„Nein, ich war vorhin schon bei ihr.“, antwortete Katy.

„Also ich würde gerne.“, meinte Audrey plötzlich.

„Gut, dann komm mit.“, meinte Miss Hofmann und erhob sich langsam von ihrem Stuhl.
 

„Audrey, kannst du mit kurz beim Bandagieren helfen? Da mag jemand nicht.“

Tatsächlich schien Blue keine Lust darauf zu haben, dass man ihre Beine wieder in Watte bettete. Aber ihre Beine waren eben ihr Kapital und das galt es zu schützen.

Audrey, die in ihren neuen, von Katy bezahlten High Heels sowieso kaum Halt hatte, ging nur zaghaft in die Hocke und half Adia so gut es ihre Fähigkeiten zuließen beim Bandagieren der Beine. Adia war da aber schon sehr viel geübter, sie trug immerhin ein Kleid, das ihren Beinen absolut keinen Spielraum gab. Audreys Kleid hörte wenigstens bei den Knien auf.

„Muss sie das eigentlich immer über sich ergehen lassen?“, fragte sie.

„Ja, aber nur wenn es auf Reise geht. Zu Hause badagieren wir sie eigentlich nie. Ist irgendwie unnötig. Ich meine nach dem Training kommt sie entweder in die Box oder die Weide, die Wahrscheinlichkeit dass eines von beidem mal ins Schleudern gerät und ihr die Beide aufreißen kann, ist eher gering“, antwortete Adia mit einer gewissen Gehässigkeit in der Stimme „Wobei ich jedoch sagen muss, dass ich eine Sache auf allen Ebenen nutzlos finde: Schweifschoner. Wer auch immer das erfunden hat, hat eindeutig nicht genug zu tun.“

„Adia, ich hör jedes Wort was du sagst. Und Schweifschoner sind nicht nutzlos, sie ersparen eine Menge Arbeit.“, widersprach Mary.

„Oh bitte, was würde es Pretty denn bringen? Sie hat doch vielleicht höchstens einen halben Meter Schweifhaar, das ist nutzlos.“

„Na bitte, ganz wie du meinst, ich halte an den Dingern fest!“, widersprach Mary.

Audrey schmunzelte und half schweigend beim Bandagieren.

„Hey, wo ist eigentlich meine Olle?“

„Deine Mutter sitzt noch drinnen, am Tisch.“, gab Mary zur Antwort und zeigte nach oben zu dem rennbahneigenen Restaurant. Man konnte von den Ställen aus sehr gut in den verglasten Gästesaal sehen, vor allem um diese Tageszeit, wenn es langsam dunkel wurde.

„Eigentlich meinte ich meinen Hund.“, antwortete Adia grinsend zurück.

„Oh… Ruf sie doch mal.“

„Als ob das was bringt. Aber bitte…“ Adia räusperte sich „Tita! Tiiita, Tita, komm her, bei Fuß!“

Nichts tat sich.

„Oh nicht schon wieder! Wartet kurz hier, ich find die schon wieder.“ Adia bandagierte noch schnell das letzte Bein der Stute, dann machte sie sich auf die Suche nach Tita.

„Kommt das öfters vor?“, fragte Audrey irritiert. Wenn Cooper es mal wagen würde zu verschwinden, wäre ihr Großvater krank vor Sorge!

„Ach, dauernd. Die treibt sich immer das rum wo man sie nicht sieht, meistens bleibt sie aber irgendwo in direkter Nähe, richtig weggelaufen ist sie jedenfalls noch nie. Auf Rufen reagiert sie meist auch nicht und auch ansonsten ist sie einer der Hunde, der mehr Katze als sonst was ist. Aber sie ist im Grunde ein Schatz, wenn man sie lang genug kennt.“, erklärte Mary und legte Blue für die Reise ein Halfter mit Lammfellpolsterung an.
 

Adia hatte inzwischen gefunden was sie suchte.

„Titaaaa, du Idiot, was machst du wieder?“ grinsend ging sie in die Hocke und tätschelte die Afghanin. Sie hatte soeben die Freuden und Vorteile eines Tribünensitzplatzes herausgefunden.

„Ach du, was du wieder machst. Aber jetzt komm, wir fahren wieder nach Hause. Na, du magst dreistündige Autofahren bis in die Nacht, hm?“

Ach, es gab nichts über Sarkasmus!

Als sie wieder bei Audrey und Mary aufschlug, war Blue bereits verladen.

„Na dann, ich setz unseren Superwachhund kurz hinten in den Rücksitz und dann verabschieden wir uns noch schnell von meiner bescheuerten Familie… Und meinem Vater.“

„Ja, langsam sollten wir wirklich los. Hast du eigentlich auch wirklich alles aus dem Hotel mitgenommen?“

„Ich bitte dich, die eine Reisetasche… Da fällt mir ein, dass wir noch an irgendeiner Tankstelle halt machen müssen, ich hab keine Lust in dem Aufzug Auto zu fahren.“

„Gut, können wir machen. Aber davor muss ich noch kurz mit deinen Eltern wegen dem Transport von Bailiou für dieses Jahr nach Nebraska reden. Du wirst wohl kaum den ganzen Weg fahren, nicht?“

„Vergiss es. Ich mach viel für sie, aber das tu ich nicht.“

Audrey musste kichern. Diese ‚Liebe‘, die Adia für jeden aus ihrer Familie, mit Ausnahme vielleicht ihres Vaters verspürte, war einfach zu unterhaltsam.
 

„Also dann, wir müssen dann mal. Wir haben noch einen echt langen Weg vor uns.“

„Passt auf euch auf und sagt bescheid wenn ihr gut angekommen seid.“, bat Misses Ferell ihre Freundin.

„Machen wir. Also dann, ich starte schon mal den Wagen. Man hört sich dann. Also dann, macht’s gut, tschüss Daddy“ Sie bückte sich nach ihren Vater und umarmte ihn flüchtig „Und war nett dich kennenzulernen, Audrey.“

Wow, Audrey wurde extra von Adia erwähnt! Sie konnte sich hier echt was drauf einbilden, immerhin wurde nur ihr und Adias Vater diese besondere Ehre zuteil.
 

„So, unser Flieger geht morgen um sieben…“ Katy, die gerade in ihrem Pyjama auf ihrem Bett saß und Humphrey die Krallen schnitt, fuhr ihren Laptop herunter.

„Okay, ich steh dann so gegen halb sechs auf, du?“

„Fünf… Ich muss mich noch duschen.“, meinte sie und klopfte die abgeschnittenen Krallen ihres Mops vom Bett.

Audrey, die auf ihrem Bett grade ihr Kleid zusammenlegte, bevor sie duschen gehen würde, zuckte zusammen, als Humphrey auf einmal wie wild zu kläffen begann.

„Oh Gott, was hat er jetzt schon wieder?“

„Ach, wahrscheinlich hat er Hunger. Er bekommt um die Uhrzeit immer noch von mir eine besondere Kleinigkeit.“, erklärte Katy und öffnete ihre Nachttischschublade um einen Müsliriegel hervorzuholen.

„Das gibst du ihm doch jetzt nicht wirklich?“, hakte Audrey ungläubig nach, während sie ihren Schlafanzug aus der kleinen Tasche holte, in der nun auch ihr Kleid und das neue Paar Schuhe platz fand.

„Doch, was ist dabei? Er bekommt ja nicht alles.“

Sie brach den Riegel in zwei und hielt eine Hälfte Humphrey vor die Nase, was dieser auch recht schnell zur Kenntnis nahm und verschlang.

„Aw, du bist so ein toller Hund, naaaa? Jaaaaa, du bist ganz toll!“ Sie drückte dem kleinen Hund einen Kuss auf die Stirn und setzte ihn dann auf den Boden.

„Also so nimmt er garantiert nicht ab.“

„Was habt ihr nur immer alle mit seinem Gewicht, so dick ist er doch gar nicht. Er ist eben ein Mops, das gehört so.“, verteidigte Katy ihren Hund sofort energisch.

Audrey lachte nur kurz auf. Sie hatte keine Lust auf Streit mit Katy, solange sie noch mit dieser zusammen in einem Hotelzimmer war.
 

Noch am selben Abend, gegen elf Uhr, kam Adia endlich zu Hause an. Misses Hofmann hatte sie und Tita vor ihrer Wohnung abgesetzt und war allein auf den Hof zurückgefahren. Und ganz im ernst, es war ihr scheißegal. Sie war fertig, der Tag war lang gewesen und sie wollte nur noch schlafen.

Müde schloss sie die Tür zu ihrer Wohnung auf und schmiss die Tasche aufs Bett.

Tita legte sich ohne umschweife in ihre Körbchen, welches im Wohnzimmer lag.

Irgendwie hatte Adia nicht mal mehr Lust sich umzuziehen, sie zog einfach nur ihre Klamotten aus und legte sich in Unterwäsche ins Bett.

Und plötzlich schaffte es ihr Handy sie wieder hellwach zu machen. Der edle Fred hatte ihr eine Nachricht zukommen lassen.

„Wow, er kommt JETZT auf die Idee mich zu fragen wie das Rennen verlaufen ist. Tita, ich muss ihm eins lassen, er ist so aufmerksam, nicht Tita?“

Den Hund interessierte es einen Scheiß, wie überraschend!
 

Am nächsten Morgen, als Audrey um die Mittagszeit endlich wieder zu Hause angekommen war, half ihre Mutter ihr beim Ausräumen ihrer Tasche.

„Wow, wer hat dir denn dieses Kleid geschenkt?“

„Ist cool, hm?“, fragte Audrey begeistert und zeigte ihr die passenden Schuhe dazu.

„Und wann willst du das tragen? Ich kenn dich doch, du trägst keine High Heels, ich meine ich find‘s toll dass du dir so was mal geholt hast, aber war das nötig?“, fragte ihre Mutter und packte die paar Klamotten die Audrey sonst noch dabeigehabt hatte zurück in ihren Schrank.

„Ich hatte keine Wahl, ich wurde sozusagen gezwungen, wirklich!“

Diese Diskussion hätte jetzt noch ewig so weitergehen können. Glücklicherweise klopfte ihre Oma an ihre Tür, was im Grunde unnötig war, da sie sowieso ohne weiteres herein kam.

„Audrey! Ich kam noch gar nicht dazu dich zu begrüßen, wie war das Rennen gestern?“

„Oh, ganz interessant, ich hatte meinen Spaß… Und mein Hass gegen Katy ist gefährlich geschrumpft, sie ist fast schon nett. Aber ihr Mops ist scheiße… Oh, Katys Schwester ist aber auch ganz nett und ihr Pferd ist sooo schön! Oh je, eines kann man ihr lassen, ihr Pferd ist echt hinreißend!“

„Schön dass es dir gefallen hat. Aber jetzt sei doch so lieb und helf uns ein bisschen beim Aufräumen, wir wollen bei Mikes Verlobten doch keinen schlechten Eindruck hinterlassen.“

Das hätte Audrey fast vergessen, diese Viktoria kam ja heute vorbei!

„Ach Mum, jetzt sei nicht so, Audrey hat einen anstrengenden Tag hinter sich. Audrey, räum einfach dein Zimmer auf, Mikes Freundin kommt erst um fünf. Du hast noch gut drei Stunden.“
 

Nachdem Audreys Zimmer tatsächlich wieder halbwegs annehmbar aussah, begab sie sich hinunter ins Esszimmer, wo ihr bereits der markante Geruch von Rindschmorbraten, Kartoffeln, gekochtem Gemüse, Tiramisu und Bratensoße entgegen. Die Mischung aus all diesen Gerüchen war… interessant. Und mit ‚interessant‘ meinte sie ekelhaft.

„Granny… Übertreibst du’s nicht ein bisschen was das Essen angeht?“, fragte Audrey, als sie ihre eher kleine, gekrümmt stehende Großmutter vor all den brodelnden Töpfen sah.

„Ach Audrey, ich bitte dich, ich bin noch nicht so alt und gebrechlich, dass ich nicht kochen kann. Helf mir lieber und stell das Tiramisu in den Kühlschrank.“, war die schroffe Antwort ihrer Großmutter, welche ihr sofort die Auflaufform in die Hände drückte.

Und wie Audrey das Dessert in den Kühlschrank stellte und all das Gemüse im unteren Kühlschrankfach sah, da fiel ihr plötzlich ein, dass es zwei Wesen da draußen, in den Weiten dieses Universums gab, die voll und ganz auf sie angewiesen waren.

„Äh… Ich muss kurz nach was schauen, wo ist Cooper?“, fragte Audrey etwas hektisch.

„Im Hof, warum?“

Gut, das passte doch.
 

„Heeey, Rattis, wie geht es euch? Hey, ihr Süßen, na, geht’s? Ihr glaubt gar nicht was für eine Angst ich hatte.“

Audrey goss den beiden grade frisches Wasser aus einer Plastikflasche in ihren leeren Wassernapf. Sie hatte sich am Freitagabend das letzte Mal um die zwei gekümmert und jetzt war Sonntagnachmittag. Sämtliches Futter der zweien war leergefressen worden und Audrey hatte ein richtig schlechtes Gewissen.

„So, hier… Das war alles was ich auffinden konnte, aber fürs erste reicht es euch doch, nicht?“ Das trockene Brot und die halbe Banane, die sie ihnen reingelegt hatte wurden sofort von beiden verschlungen. Eigentlich waren sie nur mit fressen beschäftigt und Audrey fühlte sich wie der schlimmste Mensch auf Erden. Sie Monster hatte zwei arme, kleine Ratten hungern lassen!

Apropos Futter: was rein kam, musste auch wieder raus.

Audrey nahm einen Handfeger und versuchte das gröbste so gut wie möglich auf die Schaufel zu bekommen. Glücklicherweise hatten die zwei sich eine Ecke als Klo ausgesucht, so dass sie nicht allzu viel zu tun hatte.

Als sie ihnen die paar Gemüsereste in den Käfig legte, stürzten sich die zwei darauf, als stünden sie kurz vorm Verhungern. Kurzum taten sie Audrey so leid, wie sie die Karottenscheiben in ihre winzigen Pfötchen nahmen und gierig daran herumknabberten. Doch sie waren so sehr damit beschäftigt zu fressen, dass Audrey ihnen zum ersten Mal, seit sie sie bei sich hatte, in aller Ruhe mit dem Finger über den Rücken streichen konnte. Sonst waren sie immer zu wuselig gewesen.

„Ich schau mal was ich euch heute Abend bringe… Also bis dann… Auf dass mein Bruder endlich mal einen Abnehmer für euch findet.“



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