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Unverhoffte Nachbarn

Wenn Nachbarn interessant werden
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Vorab: Wenn Catherine und Sherlock anfangen zu spielen, empfehle ich diesen Link bereits offen zu haben um ihn abspielen zu können :
http://www.youtube.com/watch?v=qOMQxVtbkik

das hier ist die Version wie ich dachte, das es gespielt wird (man hört das Klavier und die Geige besser, aber das obere ist halt Originalversion und ist wegen etwas anderem passender^^)

http://www.youtube.com/watch?v=za1OSyPchbg Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Den Link bitte schon offen haben, wird später gebraucht. Bei 0:40 geht es los Link http://www.youtube.com/watch?v=vUeo_0B5V7M Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Entschuldigt dass es so lange gedauert hat :( Ich hatte echt viel um die Ohren und dann wollte das Kapitel nicht so wie ich. *seufz* und es kam am Ende auch ganz anders heraus als ich es geplant hatte. Das nächste Kapitel müsste schneller gehen, da arbeite ich bereits eifrig dann :) Zwei Wochen werd ich aber denke ich brauchen.
Und nun viel Spaß, LG Jeanne Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Vielen Dank für eure Geduld. Es hat ja doch lange gedauert^^ dafür ist aber wieder ein sehr langes geworden. :) Da ich nächste Woche Mittwoch meine letzte Prüfung des Studiums habe, werde ich erst danach anfangen an dem nächsten Kapitel zu arbeiten. Kann also ein wenig dauern ^-^ Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Wow...das Kapitel ist mein bisher Längstes. 18 Wordseiten. Aber ich wollte ungern etwas kürzen. Ich wünsche euch viel Spaß :) Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Hossa xD mein bisher längstes Kapitel :D Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Hallo meine Lieben. Endlich, nach über einem Jahr geht es weiter. Ich danke allen, die geduldig auf den Fortgang gewartet haben und entschuldige mich für die lange Wartezeit. Ich bin froh euch endlich mehr von Sherlock, John und Catherine liefern zu können.

Na ja, wie bereits angekündigt, geht es jetzt das erste Mal seit Reichenbach wieder richtig rund und das wird noch einige Kapitel andauern. Viel Spaß :)

Lg,

Subaruchan Komplett anzeigen

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Ein neues Gesicht

Prolog: Ein neues Gesicht
 

Dr. John Watson kehrte gerade mit seinem Mitbewohner, dem berühmten Sherlock Holmes, nach einer nächtlichen Verbrecherjagd in die 221b Bakerstreet zurück und wollte eigentlich nur noch schlafen, während Sherlock sichtlich zufrieden mit dem Ergebnis schien. Seine graublauen Augen funkelten aufgeregt, während er gerade die Tür zu ihrem Apartment öffnen wollte und dann inne hielt.

„Sherlock? Was ist?“, fragte John irritiert und blickte an dem gut einen halben Kopf größeren Scherlock vorbei. Ein schwarzer Kleintransporter stand vor der Tür und die Klapptüren des Kofferraumes waren weit offen.

„Ein Umzugswagen.“, murmelte der Arzt.

„Oder ein Transporter von Dieben.“, erwiderte Sherlock mit ernstem Gesicht.

„Sherlock!“, ermahnte John ihn seufzend und fuhr sich über die Augenbrauen. Nicht das wieder!

„Natürlich ist es ein Umzugswagen! Dass Sie auch immer das Offensichtliche ansprechen müssen.“, fuhr Sherlock ihn ungehalten an und schnaubte.

„Ich wusste gar nicht, dass wir einen neun Nachbarn haben.“

„Keinen Nachbarn.“, tadelte Sherlock ihn und drehte sich zu ihm um. Obwohl Sherlock nichts sagte, meine Watson ein schnippisches „Tzz…Tzz…Tzz“ zu hören, obwohl dafür der Blick aus Sherlocks ausdrucksstarken Augen reichte. „Sondern eine Nachbarin. Eine junge, würde ich meinen. Schätze Anfang zwanzig.“

John seufzte und verdrehte kurz die Augen.

„Schön…was habe ich dieses Mal übersehen?“

„Soll ich mit dem Offensichtlichsten beginnen?“

„Bitte!“, zischte er und schüttelte bloß den Kopf. Und somit begann sie wieder: Die Sherlock Holmes Show. Wie schön, dass er mittlerweile eine Dauerkarte besaß.

„Da.“, der Detektiv deutete auf eine Kiste, die ganz vorne in dem Kofferraum stand. Nachdenklich beugte sich John vor um ihn besser betrachten zu können und verdrehte dann die Augen. Auf dem schnöden, braunen Karton stand mit dicken Edding „Schuhe“ drauf.

„Ok…“, gab er zu. „Das war offensichtlich. Aber wie kommst du darauf, dass sie jung ist, Sherlock?“

„Würde eine alte Frau ihre Schuhe ganz nach vorne in den Lastwagen stellen? Da wäre Porzellan oder Schmuck wahrscheinlicher.“, erwiderte Sherlock trocken. Ein Seufzer entwich seinem Assistenten.

„Ok, gekauft. Aber das reicht als Beweis nicht. Die Anordnung könnte zufällig sein.“

„Stimmt schon.“, gab ihn Sherlock Recht und er neigte seine Kopf. Eine seiner dunkelbraunen Locken fiel ihm in das schmale, feine Gesicht mit den hohen Wangenknochen. „Aber sehen Sie den Karton dahinten?“ Wieder deutete er auf eine der Kisten. Ein Oberteil ragte aus dem Deckel hervor. Wahrscheinlich war dieser während der Fahrt verrutscht. Es war lila und glitzerte. „Eindeutig modebewusst. Inspiriert von Chanel, wenn auch kein Original, dafür ist der Stoff zu billig und die Verarbeitung. Also eine Kopie, aber keine so Schlechte, dass man es sofort sieht. Folgerung: Unsere neue Nachbarin ist modebewusst und das ist ein neueres Modell, also würde ich sie für sehr jung halten...“

„Moment…was…“, stotterte John. „Seit wann kennen Sie sich bitte mit Mode aus, Sherlock?“

„Man muss in vielen Dingen bewandert sein, mein guter John.“, antwortete Sherlock ruhig und begann um den Lastwagen herum zu gehen.

„Was um Himmelswillen tun Sie da?“, flüsterte der ehemalige Militärarzt und folgte seinem Mitbewohner um den Wagen herum.

„Was ich mich allerdings frage…“, murmelte Sherlock, als hätte er Johns Einwand nicht gehört. und begutachtete den Transporter genauer. „Wie sich eine so junge Frau eine Wohnung in dieser Gegend leisten kann.“

„Sherlock!“, zischte John und wollte versuchen seinen Mitbewohner wegzuziehen, doch dieser ließ sich nicht beirren.

„Ähm…kann ich Ihnen helfen?“, kam eine misstrauische, offensichtlich weibliche Stimme vom Laderaum des Transporters. Sofort lief John rot an und richtete sich auf, während Sherlock ungeniert den Transporter beobachtete.

„Entschuldigen Sie, werte Dame, wir wollten nicht unhöflich sein…wir…“ Was sollte er ihr überhaupt sagen?

„Gott verdammt, Sherlock, lassen Sie das!“, zischte er wütend zu seinem Freund.

„Warum sollte ich?“, erwiderte dieser unschuldig.

„John Watson mein Name und dieser…“ John überlegte kurz wie er am besten Sherlock vorstellen sollte, aber sicher würde sie es eh wissen. Sherlocks Name war mittlerweile weit bekannt. Unsicher wedelte er mit der Hand in der Luft und seufzte. „Nette Herr ist Sherlock Holmes.“ Er streckte ihr die Hand zum Gruß aus und nach einigen Momenten des Zögerns ergriff sie die Hand.

„Catherine Amell.“, stellte sie sich knapp vor, ließ dabei aber den Consulting Detective nicht aus den Augen.

John nutzte die Zeit um sich die neue Nachbarin anzusehen. Sherlock hatte recht gehabt. Sie war jung, schätzungsweise 22, und hatte langes, hellbraunes Haar, welches in den Spitzen kleine Locken bildete. Ihr Gesicht war schmal und feingeschnitten und hellblaue Augen blickten misstrauisch auf den noch immer unbeirrten Sherlock Holmes, der sich nun zu den Reifen gehockt hatte und die Erde zwischen seinen Fingern zerrieb. Watson war kurz irritiert. Wenn Sherlock sonst immer Proben, nahm, so tat er dies nie mit den Händen. Die junge Frau zog eine Augenbraue hoch und verzog ihre perlmuttfarbenen Lippen.

„Sherlock…um Himmelswillen, lassen Sie das!“, fuhr John ihn erneut an. Ihm war die Situation äußerst unangenehm, doch leider konnte sein Mitbewohner es einfach nicht lassen. Murrend ergriff er die Arme des dunkelgelockten Mannes und zog ihn von den Reifen weg.

„John…lassen Sie mich los…John!“, murrte der Größere der beiden und stellte sich schließlich hin und ließ seinen musternden Blick über die Frau schweifen. Insgeheim rollte John mit den Augen. Nicht das wieder! Als ob die ganze Situation für die neue Nachbarin nicht befremdlich genug wäre. Sichtlich unbehaglich trat sie von einem Fuß auf den anderen, hielt aber den forschenden Blick aus dem graublauen Augen stand. John nickte anerkennend. Das schafften wirklich nicht viele.

„Catherine Amell, Alter 22…“, begann Sherlock auch umgehend seine Deduktion. Catherine zog eine Augenbraue runter und beobachtete das Geschehen mit Skepsis. „Stammend aus Cardiff. Vermutlich fürs Studium hergezogen. Geschichte oder Philosophie im ersten Semester, schätze ich. Eine passionierte Reiterin und modebewusst, aber nicht so sehr, dass man sie als Modepüppchen bezeichnen würde.“ Sherlock ließ den Blick schweifen und musterte Catherine nun intensiver, trat einen Schritt an sie heran. Zu Johns Überraschung wich diese nicht zurück, sondern stellte sich sogar etwas auf die Zehenspitzen und erwiderte seinen Blick herausfordernd, reckte das Kinn vor.

Sie war gut eineinhalb Kopf kleiner als Sherlock, also ungefähr so groß wie John, und musste sich deshalb wirklich groß machen um in die stechende Augen von Sherlock sehen zu können. Hilflos blickte John zwischen den beiden hin und her.

„Beeindruckend.“, sagte sie sarkastisch.

„Aufwärmübung.“, erwiderte Sherlock seelenruhig und seine Mundwinkel zuckten. Er genoss es sichtlich, doch John sah, dass die Beeindruckung bei Catherine nicht so immense war, wie sie damals bei John selbst gewesen war.

„Was haben Sie sonst noch bemerkt? Das war doch sicherlich noch nicht alles. Das meiste ließ sich ziemlich leicht am Transporter ablesen.“, bemerkte Catherine knapp und zog nur eine Augenbraue hoch. Der berühmte Sherlock Holmes neigte seinen schmalen Kopf und schien sogar beinahe ein wenig frustriert. Bei Gott, was für ein Spiel spielten die beiden? John fuhr sich durch sein kurzes, aschblondes Haar. Typisch Sherlock. Immer musste er beeindrucken, immer suchte er Bestätigung, doch von Catherine bekam er sie das Erste Mal nicht. Noch nicht. John wusste, dass Sherlock bereits weit mehr über die junge Frau herausgefunden hatte und spätestens jetzt jedes kleinste Detail offenlegen würde, egal wie intim es war.

„Sherlock…“, versuchte er mit ruhigen Ton seinen Freund davon abzuhalten. Die tiefsten Geheimnisse von Catherine auf offener Straße ausgebreitet, könnte sie verstören. Sanft umgriff er den schweren Stoff von seinem dunklen Wollmantel und wollte ihn wegziehen, doch der so schlanke, beinah schmächtige Sherlock war ungewöhnlich stark und bewegte sich keinen Millimeter. „Kommen Sie, lassen Sie es.“ Das hätte er besser nicht tun sollen. Ein böser Blick seitens Sherlock war die Antwort, bevor er sich wieder Catherine zuwandte. Diese blickte ihn immer noch herausfordernd an, die Arme vor dem Körper verschränkt. Die graublauen Augen von Sherlock wanderten über ihre Arme und Hände und er zog sicherlich noch mehr Schlüsse. John seufzte und gab auf. Sherlock war nun nicht mehr zu stoppen, dafür kannte er seinen Mitbewohner gut genug.

„Warum denn, John? Sie ist doch offensichtlich ganz begierig darauf, dass ich ihr sage, was ich noch alles herausgefunden habe.“, erwiderte Sherlock missmutig mit seinem tiefen Bariton, der normalerweise bedeutete, dass es bald Gefahr gab. Der Blondhaarige seufzte und trat ein Schritt beiseite. Nicht gut, gar nicht gut. Sherlock wusste nie, wann Schluss war und von gesellschaftlichen Konventionen hielt er erst recht nichts. Er wurde nicht umsonst im Morddezernat von Scotland Yard als Freak oder Soziopath bezeichnet.

Catherine schnaubte nur und strich sich eine ihrer langen Haarsträhnen aus dem Gesicht, während der Arzt seufzend aufgab. Sherlock war nicht mehr zu stoppen, das wusste er.

„Ich würde lieber wissen, warum Sie um meinen Transporter herum gehen. Ist das die Art wie man in London als neuer Nachbar begrüßt wird?“, fragte sie höhnisch und schloss vorsichtshalber die Türen ihres Transporters.

„Nur, wenn man einen Soziopathen als Nachbarn hat, aber ja, bei Sherlock gehört das durchaus zum Begrüßungsritual.“, feixte John, bevor er einen undurchdringlichen Blick zugeworfen bekam.

„Also gut, Mr. Holmes...bringen wir es hinter uns, ich würde gerne weiter auspacken, bevor es anfängt zu regnen.“ Doch statt das Sherlock antwortete, zuckten seine Mundwinkel nur amüsiert. Offensichtlich schien er Gefallen an Catherine zu finden- oder anders gesagt: sie langweilte ihn nicht völlig.

Als Sherlock dann doch gerade ansetzen wollte, hob die junge Frau die Hand und ließ ihn innehalten. Irritiert sah der Schwarzhaarige sie an, doch Catherine lächelte leicht.

„Wie wäre es mit einem Deal?“

„Was für einen Deal hätten Sie mir denn anzubieten?“, fragte Sherlock abschätzig und zog eine Augenbraue hoch. Catherine ließ sich wieder auf ihre Fußsohle hinabsinken und verschränkte die Arme von der Brust.

„Wie wäre es, wenn ihr mir helft meine Kisten nach oben zu tragen und dann dürfen Sie so viel analysieren und mir an den Kopf knallen wie Sie wollen?“ Die vollen Lippen von Sherlock verzogen sich spöttisch und er zog sich seinen Schal fester um den Hals.

„Warum sollte ich das tun? Das könnte ich genauso gut hier. Ich weiß eh schon alles.“

„Schon...“, setzte Catherine an und ein kleines Grinsen zuckte um ihre Mundwinkel. „Aber meine Wohnung ist bereits komplett eingerichtet und die verrät doch noch viel mehr über mich und ich sage dann, was richtig war.“ John grinste nun ebenfalls. Jetzt hatte sie Sherlock.

„Ich habe immer Recht.“ Seine Stimme wurde eisig und er warf Catherine einen bösen Blick zu.

„Sind Sie sich da wirklich sicher?“, grinste sie böse und nickte ihm auffordernd zu. Kurz sah John ihre neue Nachbarin verdutzt an, konnte sich dann aber ein Lachen kaum verkneifen, nachdem er Sherlocks entgleistes Gesicht sah. Allein die Vorstellung, dass Sherlock sich bei seiner Deduktion geirrt haben könnte, war undenkbar für ihn. Nun hatte die Neue wirklich einen wunden Punkt getroffen und John mochte sie auf Anhieb ein Stück mehr. Allein Sherlock so zu sehen war die unangenehme Situation wert.

Sherlock schien das Angebot abzuwiegen. Nachdenklich hatte er die Hände über seinem Mund aneinander gelegt, was er immer tat, wenn er nachdachte. Seine graublauen Augen hatte er geschlossen, während ein kalter Windstoß seine dunkelbraunen Locken durchwuschelte. Nach einigen Minuten öffnete er dann schließlich die Augen.

„John, helfen Sie ihr beim Auspacken.“ Und damit verschwand Sherlock in der Tür von 221b Bakerstreet.

„Was...hey, Sherlock! Warum sollte ich...“, rief John ihn verdattert nach, doch da war sein Mitbewohner schon verschwunden. Irritiert blickte er dem Consulting Detective nach, der die grüne Tür bereits ins Schloss hatte fallen lassen. Das durfte doch nicht wahr sein! War er Sherlocks Handlanger oder was? Ein frustrierter Seufzer entwich ihm und er blickte zu Catherine, die amüsiert schmunzelte.

„Eine wirklich interessante Begrüßung. Ich glaube, dass London spannend werden könnte.“, murmelte sie leise und zupfte an ihren Klamotten. Sie erwiderte Johns Blick, während ein noch breiteres Grinsen um ihre Mundwinkel zuckte.

„Bei so einem eigenartiger Kerl.“, sagte sie dann nur schlicht und zuckte mit den Schultern.

„Das ist noch untertrieben.“, lachte John.

„Aber er scheint kein Soziopath zu sein.“, murmelte Catherine wieder, diesmal so leise, dass John es kaum verstehen konnte. Gerade als er nachfragen wollte, kam sie ihn zuvor:

„Kommen Sie, Mr. Watson. Es sind nur noch vier Kisten und diese sind leicht. Wenn Sie mir helfen, muss ich nicht ein zweites Mal laufen.“ Damit blickte sie ihn mit einem zuckersüßen Augenaufschlag an, der aber bei John nun wirklich nicht zog. Catherine bemerkte es und grinste nur.

„Der Deal galt für Sherlock, nicht für mich.“, erwiderte er frustriert und blickte zu ihrem Fenster hinauf. Mittlerweile glomm Licht in ihrer Stube und er sah Sherlocks hagere Gestalt, welche aufgebracht durchs Zimmer lief. Offensichtlich überdachte er die neue Situation.

„Sie sind aber auch neugierig, auch wenn Sie es offener zeigen als ihr Freund. Also, Mr. Watson, Seien sie ein Gentleman und helfen Sie ihrer neuen Nachbarin.“ Noch einmal sah sie ihn an und grinste noch etwas breiter. „Außerdem wollen Sie die Show sicher nicht verpassen.“ Verwirrt zog John seine Stirn in Falten und neigte seinen Kopf.

„Show?“ Catherine nickte wieder und ihr Grinsen wurde beinahe bösartig. Etwas tief in John sagte ihm, dass er unbedingt sehen wollte, was Catherine plante.

„Ich werde die Welt Ihres Freundes erschüttern. Er hat sich geirrt und das sogar in zwei Dingen.“ Ihr Grinsen wurde nun beinah strahlend und der ehemalige Militärarzt sah sie überrascht an.

„Sherlock hat sich geirrt? Im Ernst? Sherlock Holmes hat sich geirrt?“, lachte John und ging auf den Transporter zu.

„Oh ja, hat er.“

„Das muss ich wirklich sehen.“ John konnte es nun nicht mehr verleugnen: Das musste er sehen. Sherlocks Gesicht, wenn sie ich eröffnen würde, dass er sich geirrt hatte, wäre ein paar Kisten tragen wert. Oh, er begann dieses Mädchen zu mögen. Sehr zu mögen. Sie würde Sherlock ordentlich auf Trab halten und die Stirn bieten. Das würde interessant werden.

„Dann helfen Sie mir beim Auspacken, sonst platzt der Deal.“

„Ok, das ist es definitiv wert.“ Die junge Frau grinste nur und band sich die Haare zusammen.

Während Catherine die Türen ihres gemieteten Transporters öffnete und sich die vorderen zwei Kisten schnappte, holte John die restlichen heraus. Während er mit ihr zum Eingang von 220 ging, sagte er schließlich amüsiert:

„Ach und Catherine...“

„Hmmm...“ Sie drehte sich um und sah John fragend an.

„Herzlich Willkommen in der Bakerstreet.“ Sein Grinsen wurde erwidert und die junge Frau meinte nur schmunzelnd:

„Danke...ich glaube ich sollte mich vielleicht doch nach einer neuen Wohnung umsehen.“

„Wenn Sie die Ruhe lieben, sollten Sie das in Erwägung ziehen.“

„Nein...“, erwiderte Catherine nun sichtlich ernster und ruhiger. „Nicht wirklich.“
 

Sherlock kam wieder aus ihrer Wohnung. Er wartete wohl auf sie und beobachtete wie John brav die Kisten in die Wohnung trug. John grinste Sherlock an, den das irritierte und sofort versuchte er in seinem Gesicht zu lesen, doch er wandte den Kopf ab um das zu verhindern und folgte Catherine ihre Wohnung.

Catherines Wohnung lag in der anderen Haushälfte von 221b im zweiten Stock. Es war eine kleine, aber niedliche Wohnung mit vier Zimmern, wenn man Bad und Küche mit einrechnete. Der Stil ihrer Möbel war eher rustikal, passte zu dem alten Viertel, in dem sie lebte. Ein lederner Sessel stand vor einem Kamin, neben dem ein deckenhohes Bücherregal stand. Am anderen Ende des Zimmers, so den Eingang zum Schlafzimmer abgrenzend, stand ein drei Meter langer Schreibtisch. Die Küche war eher schlicht. Herd, Kühlschrank, einige Schränke und eine Spülmaschine. Die Ausstattung war ungewöhnlich für einen Studenten. Die Wohnung war eher spärlich ausgestattet, aber was an Möbeln vorhanden war, war hochwertig und teuer- zu teuer für eine Studentin. John musste Sherlock rechtgeben. Wie konnte sich eine Studentin so eine Wohnung leisten? Zumal die Wohnungen im Zentrum bevorzugt verkauft wurden. Ihre Wohnung gehörte schließlich auch Mrs. Hudson und sie waren nur Untermieter.

„Wo soll ich die Kisten hinstellen?“, frage John, als er die wohlige Wohnung betrat.

„Ach, einfach irgendwohin. Ich habe eh noch keinen Schrank für die Schuhe.“, sagte Catherine und verschwand in der Küche. Sherlock war hinter ihnen reingekommen und sein Blick wanderte bereits durch den Raum.

„Könnten Sie bitte erst die Tür schließen, Mr. Holmes, bevor Sie loslegen?“, fragte sie und spähte um die Ecke. Sherlock zögerte einige Momenten, kam dann aber der Bitte, ganz zu Johns Überraschung, nach.

„Tee?“ Ihre blauen Augen funkelten amüsiert, bevor sie anfing Wasser zu kochen.

„Kaffee wär mir lieber.“, sagte John. Es war eine lange Nacht gewesen und er wollte am Liebsten nur noch schlafen, aber so brauchte er eben Koffein u wach zu bleiben.

„Mit zwei Stücke Zucker.“, kam es von Sherlock. John warf seinem Mitbewohner einen genervten Blick zu. Höflichkeit war noch nie seine Stärke gewesen. Catherine rollte kurz mit den Augen und verschwand in der Küche, werkelte herum, fluchte, als sie die verstauten Tassen nicht fand und kam dann wieder. Sie stellte die dampfenden Tassen vor ihren Besuchern ab und setzte sich auf die Couch.

„Also, dann schießen Sie mal los. Ich bin gespannt wie viel Sie entdeckt haben.“, sagte Catherine und kreuzte ihre Beine übereinander. Vorsichtig nippte sie an ihrem Kaffee. Sherlock ließ ein letztes Mal seinen Blick über den Raum schweifen.

„Sie sind künstlerisch nicht besonders begabt, zeichnen aber dennoch gerne. Sie lieben Musik, spielen auch selber. Klavier. Ihr Geschmack bei Musikstücken selbst ist breitgefächert. Technik liegt Ihnen nicht so. Sie besitzen zwar ein Smartphone, nutzen es aber nur fürs Telefonieren oder SMS schreiben. Kochen können Sie auch nicht besonders.“ Sherlock nippte an seinem Kaffee und beobachtete die Gefühlsregungen von Catherine genau. Diese versuchte so gut wie möglich, sich nicht anmerken zu lassen, ob er richtig lag oder nicht. John war sich sicher, dass Sherlock trotzdem etwas an ihr ablesen konnte, doch er selber konnte kein einziges Mal sagen, ob Sherlocks Vermutungen stimmten.

„Weiter?“, fragte sie nur ruhig und nahm einen kräftigen Schluck. Sherlock grinste sadistisch. Bald würde er seinen größten Triumpf auspacken. John würde die junge Frau gern davor bewahren, denn er spürte, dass Sherlock etwas sehr Pikantes entdeckt hatte und das hob er sich genüsslich bis zum Schluss auf. Ein Lächeln zuckte um seine Lippen. Er wollte sie beeindrucken- mit allen Mitteln.

„Soll ich weiter mit dem Offensichtlichen fortfahren oder gleich zum Privaten übergehen?“, fragte er nur ruhig und nahm einen Schluck Kaffee. Falls es Catherine unangenehm war, so gab sie sich wirklich große Mühe es zu verbergen. Ihre hellblauen Augen blickten Sherlock ausdruckslos an und warteten ab.

„Ich würde gern alles wissen, damit ich weiß, wie viel ich habe bewahren können und wie viel Sie bereits von mir wissen. Dann weiß ich, wo ich stehe.“, erklärte sie schließlich und seufzte leise. Sie tat John leid. Catherine war noch jung, auch wenn sie sich sehr erwachsen gab und versuchte es zu verstecken, so hatte er schon längst bemerkt, dass etwas nicht stimmte.

„Eine vernünftige Entscheidung.“ Es klang beinahe wie ein Lob aus Sherlocks Mund und wieder zuckte ein kleines Lächeln um seinen Mund. Schließlich stand er auf und wanderte durch die Wohnung, betrachtete einige Einrichtungsgegenstände genauer und blätterte in einigen Büchern. Catherine warf John einen Blick zu, der fragte, ob er sich immer so benähme, doch er konnte nur mit den Achseln zucken und bedeuten, dass es leider üblich war. Sie nickte leicht und ihr Blick glitt wieder zurück zu Sherlock, der sich mittlerweile wieder zu ihr umgedreht hatte.

„Sie sind eher der schüchtere Typ, versuchen das aber nun hier zu verändern. Neue Kleidung, neuer Haarschnitt. Die Spitzen sind noch nicht rausgewachsen, also würde ich sagen, Sie waren innerhalb der letzten zwei Wochen beim Friseur. Auch Make Up tragen Sie nicht besonders häufig. Ihr Lidstrich ist verwackelt und man sieht den Rand. Außerdem bildet ihre Haut leichte Pickel, weil sie die Stoffe nicht gewohnt ist, was darauf schließen lässt, dass Sie hier einen Neustart wagen wollten. Waren Sie während der Schule unbeliebt oder wurden Sie nicht bemerkt? Hat keiner Sie angesehen, was sie nun verzweifelt versuchen zu verbergen.“ Sherlock grinste, als er bemerkte, dass er Catherine nun doch aus der Fassung gebracht hatte. Sie biss sich auf die Unterlippe und wich seinem Blick aus. Mit einem Schluck aus der Tasse versuchte sie der Situation zu entgehen. Langsam ging Sherlock auf sie zu, den suchenden Blick weiterhin auf sie geheftet. Er war sich offensichtlich sicher, dass er sie hatte und ihr Kampfgeist dahin war. John sah aber genau, dass sein Mitbewohner längst noch nicht alles offenbart hatte. Schließlich blieb er vor Catherine stehen, beugte sich so weit vor, dass ihre Gesichter nur noch Zentimeter voneinander entfernt waren. Ein böses Grinsen umspielte Sherlocks volle Lippen, bevor er nur ganz leise hauchte, sodass John es kaum verstehen konnte:

„Sie waren sogar so unscheinbar, dass Sie noch Jungfrau sind, Catherine Amell.“ Stille. Mit geweiteten Augen sah die junge Frau ihn an und er stellte sich wieder gerade hin. „Na, wie war das?“ Ein amüsiertes Lächeln lag auf seinen Lippen, während John knallrot angelaufen war. Er hatte mit vielem gerechnet, was Sherlock hätte offenbaren können, doch nicht, dass er so etwas deduzieren würde. Beinahe hätte er sich an seinem Kaffee verschluckt. Kein Wunder, dass Sherlock die ganze Zeit so amüsiert gewesen war.

„Sherlock!“, jappste er deshalb entsetzt, doch Sherlock betrachtete Catherine noch immer, welche nach einigen Augenblicken müde seufzte und aufblickte.

„Habe ich Recht, Miss Amell?“

„Spielt das eine Rolle? Selbst wenn Ihre Annahme nicht stimmen würde, und ich es Ihnen sagen würde, würden Sie mir nicht glauben. Welchen Sinn hätte das ganze also?“

„Es stimmt also.“, stellte Sherlock zufrieden fest. Die junge Frau seufzte erneut.

„Ja, es stimmt.“, sagte sie trocken- ohne dabei rot zu werden. John konnte es nicht glauben. Sie gab so etwas Intimes einfach zu? Und das ohne verlegen zu werden?

„Sie sind clever.“ Der dunkelhaarige setzte sich wieder in den Sessel. „Cleverer als die meisten anderen.“

„Ich fasse das mal als Kompliment auf.“ Catherine war sichtlich verstimmt, gab sich aber alle Mühe ruhig zu bleiben, das konnte John sehen. Ihre Nasenflügel bebten, als sie sich zwang, ruhig zu Atmen und sie schloss die Augen um sich zu beruhigen. „Dürfte ich erfahren, woher Sie das wissen?“ Langsam stand sie auf und stellte sich direkt vor Sherlock auf. „Mein Hymen haben Sie ja wohl nicht betastet. Da könnte ich nämlich auch sagen, dass es aus anderen Gründen nicht mehr intakt ist.“ John wurde nur noch verlegener und würde am liebsten aus der Wohnung fliehen. Bei Gott, was waren das für Menschen? Hatten sie überhaupt keine Pietät?

Sein Mitbewohner hingegen lachte nur und beugte sich etwa zu ihr hinab.

„Schlagfertig ist sie auch noch. Interessant. Nein, das habe ich natürlich nicht.“

„Gut, sonst würde mir das nämlich ernsthafte Sorgen machen.“, erwiderte sie trocken und strich sich eine Ponysträhne aus dem Gesicht. „Also, wie kamen Sie darauf?“

„Ich habe mehr oder weniger geraten.“

„Geraten? Sherlock, Sie raten nie ins Blaue hinein. Erst recht nicht bei so was.“, entfuhr es John. Sherlock wirbelte zu ihm herum und senkte seine Augenbrauen hinab.

„Natürlich rate ich nicht ins Blaue hinein nur um ihre Reaktion zu beobachten. Himmel Herr Gott, ich dachte Sie kennen mich besser, John. Ich hatte keinen konkreten Beweis. Wie sie sagte, das Hymen kann ich ja schlecht betasten, aber es gab mehrere Hinweise, die diesen Verdacht bestätigten.“, fuhr Sherlock ihn genervt an und schnaubte wütend.

„Und die wären?“

„Nun, wie ich bereits sagte, sind Sie eher schüchtern. Ich habe weder in ihrer Wohnung noch in den Kisten großartig Fotos mit Ihren Freundinnen gefunden, was mich schließen ließ, dass Sie nicht besonders beliebt gewesen waren. Da sie aber im Sinne der Gesellschaft nicht unattraktiv sind, muss es eher an ihrem Verhalten gelegen haben. Deshalb schloss ich auf schüchtern oder eher unauffällig. Ein weiteres Indiz war Ihre Aussage zu John, dass Sie noch keinen Schrank für die Schuhe haben. Wären Sie wirklich modebewusst, wäre er das Erste, was Sie aufbauen würden, oder Sie würden Ihren Facebook Status aktualisieren oder SMS ihrer Freundinnen checken. Vorhin haben Sie einmal kurz auf ihr Handy gesehen, bevor Sie in die Küche gegangen waren um zu sehen, wer Sie angerufen hatte. Dabei konnte ich Ihre Anruferliste sehen. Diese zeigte mir, dass Sie es nicht besonders oft benutzen. Sie reichte zwei Monate zurück und zeigte, dass eher Sie anriefen, als dass Sie angerufen wurden.“

Catherine zog eine Augenbraue hoch und wirkte nun wirklich beeindruckt. Dass ein kleiner Satz und ihr Handy so viel über ihre Persönlichkeit verraten könnte, hätte sie wohl nicht gedacht. Hatte John schließlich auch nicht, als Sherlock seine Deduktion bei ihm durchgeführt hatte. Vielleicht hatte Sherlock Recht. Er sah es, aber er bemerkte es nicht, doch seine Ausführungen machten bisher durchaus Sinn.

„Wirklich beeindruckend.“, sagte sie ehrlich anerkennend. „Aber das reicht nicht für Ihren Schluss.“

„Natürlich nicht.“, antwortete Sherlock. „Zwischen den Klamotten, die Sie achtlos aufs Bett geworfen haben, habe ich einige ausgeleierte Pullover und ausgefranste Jeans gefunden. Natürlich besitzt jede junge Frau ein paar davon für Sport oder für gemütliche Sonntage, aber bei Ihnen war das Verhältnis doch unausgewogen, was mir zeigte, dass Sie nie besonders auf Mode geachtet hatten, wie ich zunächst unten beim Transporter dachte. Außerdem zupfen Sie ständig an ihrem Rock herum oder fingern an ihren Haaren, was zeigt, dass Sie sich an beides noch nicht gewöhnt haben, weder an den Pony noch an diesen modischen Firlefanz. Also haben Sie Ihre langen Haare vermutlich meist als Zopf getragen. Zusammen mit meiner Erkenntnis bezüglich des Make ups und dass Sie, als ein junger Mann Sie mustert hatte, verlegen weggesehen haben, verstärkte meinen Verdacht.

Vermutlich haben Sie Probleme mit Menschen ihres Alters zu reden, weil Sie mit ihren Themen nichts anzufangen wissen und Ihnen auch bewusst ist, dass Ihr Sarkasmus meist nicht verstanden wird. Darum lassen Sie es meist völlig, wodurch sie sich aber unsicher fühlen. Diese Unsicherheit wird von anderen Menschen instinktiv wahrgenommen und Sie werden vermutlich oft als seltsam abgestempelt. Bei John und mir ist es etwas anderes. Wir sind zu alt und somit außer halb der...“- Er machte Anführungszeichen mit den Fingern-„Gefahrenzone“ und als Sie zeitgleich merkten, dass wir selbst des Sarkasmus mächtig sind, zeigen Sie nun Ihr wahres Ich und sind somit gleich selbstbewusster. Ein klassischer Fehler: Sie scheren sich zu sehr darum, was andere von Ihnen denken und versuchen möglichst mit allen zu Recht zu kommen- oder zumindest nicht unangenehm aufzufallen.“

„Etwas, was Ihnen wohl nie passieren würde, was, Mr. Holmes?“, erwiderte Catherine bissig und warf ihm einen abschätzenden Blick zu.

„Ganz sicher nicht.“, grinste Sherlock. „Dann wäre das Leben so langweilig.“ John seufzte und rieb sich über die Augenbrauen. Allmählich bekam er Kopfschmerzen.

„Es gab noch weitere Anhaltspunkte. Auf ihrer Anruferliste war auch kein Jungenname zu entdecken.“, fuhr der Consulting Detective ruhig fort und ließ dabei Catherine nicht aus den Augen. Diese erwiderte seinen Blick ungerührt. Ihr war wohl mittlerweile bewusst, dass sie vor seinen Augen eh nichts verbergen konnte und hatte es aufgegeben, während John sah, dass sein Freund großen Spaß an der Sache fand und zur Höchstform auflief. Er warte förmlich darauf, dass Catherine einen Einwand erhob.

„Ich hätte einfach nur schon länger keine Beziehung mehr haben können.“, und schon tat sie ihm den Gefallen.

„Natürlich, aber da ich weder ehemalige Geschenke, Erinnerungsfotos oder andere Hinweise auf eine Beziehung entdeckt hatte, und seien es nur zerrissene Fotos, zusammen mit meinen anderen Entdeckungen, war die Wahrscheinlichkeit höher, dass dem nicht so ist.“

Catherine schloss die Augen und stand auf, ging zum Fenster und starrte einige Zeit heraus, während die Sonne allmählich unterging. Zum ersten Mal seit langer Zeit wanderten Sherlocks Augen zurück zu John. Dieser verzog nur das Gesicht und schüttelte resigniert den Kopf.

‚Was?‘, fragten die graublauen Augen.

‚Taktgefühl, Sherlock‘, antworteten seine eigenen.

‚Nicht gut?‘ Ein verwirrter Ausdruck wanderte in Sherlocks Augen. John seufzte nur und rollte mit den Augen. Sherlock würde es niemals begreifen. Da konnte er genauso gut chinesisch reden. Obwohl die Wahrscheinlichkeit hoch war, dass sein Mitbewohner das eher begreifen würde.

Plötzlich durchbrach ein sarkastisches Klatschen die unangenehm aufgetretene Stille und sowohl der Consulting Detective als auch der Afghanistan Veteran drehten sich überrascht um. Catherine hatte sich mittlerweile umgedreht und warf Sherlock einen vernichtenden Blick zu.

„Hervorragend, ganz hervorragend, Mr. Holmes.“ Ihre Stimme klang angesäuert und offensichtlich fühlte sie sich in ihrer Privatsphäre verletzt.

„Ich habe nur getan, worum Sie baten.“, wand Sherlock ein, doch mit einem wütendem Blick, brachte die junge Frau ihm zum Schweigen.

„Es ist wirklich beeindruckend wie viel Privates Sie in so kurzer Zeit entdeckt haben...umso überraschender ist es, dass Sie sich in so offensichtlichen Dingen geirrt haben.“ Eine schlanke Augenbraue hob sich und sie lehnte sich gegen die Fensterbank.

„Geirrt?“, zischte Sherlock zwischen zusammengepressten Zähnen hervor. „Ich irre mich nicht.“

„Doch, das haben Sie und ich kann es sogar ziemlich einfach beweisen.“ Langsam ging sie zu einem Rucksack, der achtlos in der Ecke stand, und kramte ihre Geldbörse hervor. Neben den üblichen Ausweisen und etwas Bargeld entdeckte John auch einen Studentenausweis der University of London. Zu seiner Überraschung zog sie genau diesen hervor und überreichte ihn Sherlock. Misstrauisch beäugend nahm dieser ihn an und blickte darauf.

„Geschichte oder Philosophie? So was von daneben.“, grinste Catherine, die nun ihre Sprache wiedergefunden hatte.

„Was dann?“, fragte John nun und beugte sich in dem Sessel vor.

„Biologie...“, murmelte Sherlock mit hochgezogenen Augenbrauen. „6. Semester. Aber...die Geschichtsbücher.“ Seine Augen blickten sie entgeistert an.

„Was?“ Nun musste Catherine kichern und hielt sich ihre Hand vorm Mund. „Darf sich eine Biologiestudentin etwa nicht für Geschichte interessieren? Habe ich neben Bio in der Schule am liebsten gemacht...aber die Jobaussichten.“ Sie wedelte in der Hand. „...sind mehr als mies.“

„Aber...Biologie? Die Anfängerwissenschaft?“ Sherlock verzog angewidert das Gesicht und fuhr sich durch sein gelocktes Haar.

„Anfängerwissenschaft? Wohl kaum, mein guter Sherlock Holmes.“, erwiderte Catherine süffisant und ihre Augen begannen zu funkeln. John sah sofort, dass dieses Fach ihre Passion war und dass sie es gar nicht gut hieß, wenn Jemand etwas Schlechtes über sie sagte.

„Aber es ist keine Physik oder Chemie.“, erwiderte Sherlock.

„Die Biologie umfasst AAAAALLLEEEEEES!“ Ihre Hände machten eine allumgreifende Geste. „Chemie, Physik, Medizin, Mathematik, ohne das kann man sie nicht verstehen.“, erklärte sie mit leuchtenden Augen. „Man muss alles studieren um sie zu verstehen. Sie ist die einzig wahre Wissenschaft.“ Augenblick starrten die beiden ungleichen Kontrahenten sich in die Augen, trugen ihren Kampf über ihre Blicke aus, bis beide schließlich grinsten. John sah irritiert zwischen ihnen hin und her. Worauf hatten sie sich jetzt geeinigt? Und wo hatte ihn Sherlock mal wieder hineingezogen? Himmel, sie war doch hoffentlich keine Sherlock in jung und weiblich, oder? Das würde er nicht überleben. Aber sie schien zumindest ein wenig gesellschaftsfähig.

„Nun gut...legen wir das erst einmal beiseite. Da gibt es etwas, was mich viel mehr interessiert.“, sagte Sherlock ruhig und lehnte sich in den Sessel zurück. Catherine setzte sich ebenfalls wieder hin und sah ihn skeptisch an.

„Etwas, was Sie nicht selbst deduzieren konnten?“

„Vielleicht, aber fragen geht schneller.“

„Also schön, ich habe ja doch keine Wahl.“

„Sie lernen schnell.“

„Die Frage, Mr. Holmes.“, sagte sie nur genervt.

„Warum sind Sie so kurz vor dem Abschluss hierher gezogen? Die Universität von Cardiff hat einen guten Ruf in Naturwissenschaften, selbst in Biologie, während die von London eher auf Jura und Geisteswissenschaften spezialisiert ist.“

Plötzlich verschwand das Schmunzeln aus dem feinen Gesicht der Braunhaarigen und ein trauriger Schimmer legte sich in ihre hellblauen Augen. Natürlich bemerkte Sherlock es nicht, doch John entging es nicht. Etwas sehr traumatisches war erst vor kurzem in ihrem Leben passiert. John kannte diesen Ausdruck in den Augen nur zu gut- zu oft hatte er ihn in seinen eigenen gesehen.

„Persönliche Gründe...“, murmelte sie leise mit gesenkten Kopf. „Ich musste deswegen nach London und habe zum Glück ein Stipendium bei einem angesehen Professor für meine Bachelorarbeit bekommen.“

„Welches Teilgebiet?“

„Molekulare Genomforschung. Also quasi Genetik in Mikroorganismen.“, erklärte sie knapp.

„Zumindest keine Botanik.“, sagte Sherlock erleichtert.

„Um Gotteswillen, bloß keine Botanik...“, stöhnte Catherine.

„Was...wieso...?“, mischte sich nun John völlig verwirrt ein. Ein fataler Fehler.

„So etwas langweiliges!“, riefen sie beide zeitgleich aus und sahen ihn nur kopfschüttelnd an.

„Wer will denn schon Bäume betrachten?“, lachte Catherine, als sie sich wieder seinem Mitbewohner zugewandt hatte.

„Niemand.“, erwiderte Sherlock schmunzelnd. Sein Blick schweifte durch ihre Wohnung und blieb dann wieder bei ihr hängen. „Wie können Sie sich diese Wohnung leisten?“

„Nun meine Eltern...“

„Lüge...!“, warf Sherlock ein.

„Sherlock!“, zischte John genervt und stieß ihn in die Rippen.

„Au!“ Catherine schüttelte nur den Kopf.

„Ist schon gut...“, seufzte sie. „Meine Anruferliste richtig? Wenn meine Eltern es sponsern würden, hätte ich sie sicher in den letzten zwei Monaten angerufen oder sie mich.“

„Sie lernt wirklich schnell. Schneiden Sie sich was von ihr ab, John.“

„Besser nicht...“, murmelte dieser nur verstimmt. Sherlock und Catherine sahen sich an, grinsten aber nur. Einige Minuten blieb es still, doch dann seufzte Catherine und fuhr mit plötzlich zitternder Stimme fort:

„Es weiter zu verschweigen bringt wohl nichts...auch wenn es sehr unbehaglich ist...ich habe diese Wohnung geerbt...und nicht von meinen Eltern, das ist wahr, sondern von meinem...“

„...von Ihrem Bruder.“, beendete Sherlock ihren Satz. Irritiert sahen ihre blauen Augen ihn an.

„Ich glaube, dass Sätze beenden kann ich mir gleich abgewöhnen.“, sagte sie und ein kleines Lächeln umspielte ihre schmalen Lippen.

„Das ist noch das Harmloseste.“, warf John ein und grinste, versuchte diese seltsame Atmosphäre wieder aufzulockern.

Er fühlte sich in dieser Situation nicht wohl. Zwar war er nicht so intelligent wie Sherlock, doch er war gut darin sich in andere Menschen einzufinden. Vielleicht war es ihm deshalb möglich gewesen so lange in Sherlocks Nähe bleiben zu können, weil er sogar ihn ein wenig verstand. Mehr als jeder andere zumindest und vor allem mehr als Mycroft. Etwas lag in der Luft wie ein schweres Tuch, dass sie erstickte. Sicher, Sherlock bemerkte es nicht. Er war gut darin Emotionen anhand von Mimik und Gestik abzulesen, aber er begriff nie das Warum hinter all diesen Reaktionen. Er konnte die Körperreaktionen zu genau ablesen, verstand aber nie, was die Seele auszudrücken versuchte. Darin war John besser und er versuchte alles, damit Sherlock in seiner Unfähigkeit es nicht zu weit trieb, doch dieser war so auf Catherine und ihre Vergangenheit fixiert, gefangen in dem Sturm seiner Erkenntnisse, dass er John nicht wahrnahm- wieder einmal.

Sherlock sah irritiert zwischen seiner neuen Nachbarin und seinem Mitbewohner hin und her, als er bemerkte wie sie sich ansahen, verstand aber nicht, was diese hatten. Die Gefühlswelt der Menschen war ihm zu irrational, zu unlogisch, als dass er sie fasse könnte und vor allem: sie war nervig. Auch wenn John es immer wieder schaffte, ihn mit seinem beißenden Sarkasmus zu amüsieren und er doch manchmal so etwas wie...Sorge???...empfunden hatte, als er John in Gefahr gebracht hatte, so würde er diese Welt jenseits aller Logik niemals begreifen können.

Plötzlich jedoch veränderte sich etwas in Catherines Körpersprache. Ihre Augen blinzelten mehrmals um die Tränen zu verschleiern und ihre Hände zitterten.

„Woher wissen Sie das? Ich habe keinerlei Erinnerungsstück hier...“, setzte sie stotternd an und ihre Stimme schien kurz vorm Zerbrechen. Hilfesuchend sah sie Sherlock an, der dieses Mal seinen Drang sich zu präsentieren herunterschluckte und bloß auf eine kleine Kommode deutete. Obwohl er sonst alles tat um die Ignoranz der Menschen um sich herum hervorzuheben, tat er es diesmal zu seiner eigenen Überraschung nicht. Etwas an Catherine ließ ihn seine Überlegenheit vergessen und ihr einfach eine schlichte Antwort geben. Er sah Johns irritierten Blick, der nicht verstand, was in Sherlock gefahren war- gut, das verstand er selber nicht- und dies mit einem Schulterzucken beantwortet bekam.

Langsam stand sie auf, fuhr sich geistesabwesend durchs Haar und ging zu der Kommode. Als sie diese erreichte stockte sie und mit einem Mal wirkte sie so zerbrechlich wie eine Puppe. Ihr ganzer Körper zitterte und selbst aus der Entfernung entging es keinem der Männer, dass sie Tränen in den Augen hatte. Zögerlich streckte sie ihre Hand aus und nahm einen silbernen Bilderrahmen von der Kommode.

„Ich wusste gar nicht...“, sagte sie und schluckte schwer, weil sie einen dicken Kloß im Hals hatte und verbittert gegen die Tränen kämpfte. „...dass er dieses Foto noch hatte...oh, Jeffrey...“ Kraftlos fiel sie in den Sessel zurück und blickte auf das Bild.

John konnte von seiner Position aus zwei Menschen erkennen. Eine kleine und eine große, die sich an den Händen hielten. Schnee war auf dem Foto zusehen und die beiden Menschen waren eingepackt wie ein Michelin Männchen. Seit sie das Bild in der Hand hatte schien alle Kraft aus Catherine verschwunden zu sein. Unendliche Trauer flutete durch ihre Augen wie eine unruhige See bei Sturm und Tränen glitzerten in ihren Augen. Und da war sie. Obwohl sie innerhalb der letzten halben Stunde, trotz all der Attacken von Sherlock so tapfer widersetzt hatte, war die gespielte, selbstbewusste Erwachsene verschwunden und zurück blieb eine junge Zwanzigjährige, die mit ihrer Situation vollkommen überfordert war.

John musste sich eingestehen, dass sie sich besser geschlagen hatte, als die meisten Erwachsenen, egal wie sehr Sherlock versucht hatte sie zu provozieren, sie war stets höflich oder zumindest humoristisch geblieben, doch in diesem Moment wirkte sie...zerbrochen. Etwas war vorgefallen, was sie noch lange nicht überwunden hatte. Insgeheim hoffte John, dass Sherlock nicht wieder taktlos sein würde, doch zu seiner Erleichterung schwieg der Consulting Detective und hatte bloß seine Nachdenkpose eingenommen.

Sherlock sah die Trauer nur zu gut in ihren Augen. Während der vergangenen halben Stunde, die sie in ihrer Wohnung waren, hatte sie sich stets bemüht es ihm nicht zu leicht zu machen und hatte entweder schnell bemerkt, worauf er seine Schlüsse gestützt hatte oder ihre Gefühle besser verborgen, als so manche es taten. So gut, dass er beinahe vergaß wie jung und unerfahren sie doch war. Doch nun sah er überdeutlich, dass ihre Gefühle sie zu übermannen drohten. Verzweifelt hielt sie das Bild umklammert, als wolle sie sich an den Erinnerungen festhalten und ihr ganzer Körper bebte vor unterdrückten Schluchzern. Sie wollte weder John noch ihn mit ihrer Trauer belästigen, etwas was er schätzte und doch konnte sie es nicht. Catherine würde diesen Kampf gegen ihre Gefühle verlieren wie all die gewöhnlichen Menschen auch, aber Sherlock musste eingestehen, dass sie stark war. Stärker, als er es vermutet hätte...und dass er keine Ahnung hatte, was vorgefallen war.

„Was ist passiert?“, fragte er schließlich leise mit beinahe mitfühlendem Ton. Er konnte Gefühlsregungen gut imitieren, wenn es denn notwendig war, konnte sogar auf Kommando weinen und theatralisch schluchzen, doch dieses Mal war es echt. Blinzelnd sah sie zu ihm auf und versuchte ihre Tränen zu verstecken.

//Tapferes Mädchen//, schoss es ihm plötzlich durch dem Kopf. Denn das war sie. Sie war keine Frau, auch wenn sie es so sehr versuchte, sie war noch immer ein zerbrechliches Mädchen, was ihren Weg erst noch finden musste und dieser war ihr auf Grund einer schwere Last mit Geröll versperrt worden. Wahrscheinlich hatte diese Situation ihren Sarkasmus sogar nur noch verstärkt, sie versuchte alle von sich zu stoßen um Niemanden zu zeigen, was in ihr vorging. Das vermutete er zumindest, doch vor einem Sherlock Holmes verbarg Niemand etwas. Obwohl sie zeitgleich an der Vergangenheit reifte, zerbrach sie zeitgleich daran. Sherlock kannte dieses Gefühl der Zerrissenheit. Er hatte es bei sich in jungen Jahren mit Drogen bekämpft.

„Er...“, setzte sie stockend an und holte tief Luft. „Ist vor zwei Monaten verstorben.“ Sie sprach es zu schnell aus und verriet die emotionale Belastung, die noch immer dahinter steckte.

„Haben Sie ein Glück.“, sagte Sherlock ruhig und nahm einen Schluck Kaffee und verzog das Gesicht. Er war kalt.

„Sherlock!“, stieß John hervor und funkelte ihn böse an.

„Was? Brüder sind anstrengend und nervig.“

„Nicht jeder hat einen Mycroft Holmes als Bruder.“, erwiderte der Arzt streng und zog die Augenbrauen hinunter.

„Das wär ja noch schlimmer.“, entfuhr es dem Dunkelhaarigen. „Das wäre eine verdammt große, britische Regierung.“

„Äh...“ Catherine sah sie verwirrt an, doch die Trauer blieb und unbewusst strich sie über den Rahmen. John warf ihr nur einen Blick zu und schüttelte nur den Kopf.

„Nicht so wichtig.“, versuchte er sie zu beschwichtigen. Catherine nickte nur. Sie hatte schon gelernt bei Sherlocks ominösen Andeutungen nicht nachzufragen. Nach einigen Minuten in denen nur das Tacken der Uhr, die Stille durchbrach, flüsterte Catherine so leise, dass sie es kaum verstanden:

„Er ist das Einzige, was ich noch an Familie hatte...meine Eltern sind vor zehn Jahren gestorben...und nun...“ Sie biss sich auf die Unterlippe. „Habe ich Niemanden mehr. Deshalb kam ich her...um mehr herauszufinden.“

„Woran ist er verstorben...?“ John wollte Sherlock schon in die Rippen stoßen, als er hörte, wie er zum Sprechen ansetzte, doch dann hielt er inne. Es war keine kalte Berechnung in der Stimme, keine Neutralität, wie es sonst bei ihm zu hören war, sondern etwas...Ruhiges. Vielleicht gar etwas Beruhigendes? Zeigte Sherlock gerade wirklich so etwas wie Menschlichkeit? Wie Taktgefühl gegenüber einer jungen Frau, die ihren Bruder verloren hatte?

„Ich weiß es nicht...“, seufzte Catherine und zuckte nur mit den Achseln. „Ich bekam einem Brief vom Yard wo stand, dass er tot sei...ich durfte ihn nicht einmal sehen und ich weiß auch nicht, wo er begraben ist.“
 

~*~
 

Aye, aye aye wer hätte das Gedacht, dass ich mal eine Geschichte zu Sherlock Holmes schreibe...trotz unkreativen titels ^^' vielleicht fällt mir ja bald noch ein besserer ein.

ich habe die Bücher nie gelesen, aber diese BBC Reihe kann nur flashen. Hab glaub Staffel 1+2 schon 3 mal gesehen in den letzten 2 wochen...ich liebe sie einfach! Aber mir fehlte ein bisschen so eine Herausforderung für Sherlock. Nicht im Sinne von Moriarty oder ähnlichen, sondern einfach Jemand, der sich partout von Sherlock nicht beeindrucken lässt und ihm die Stirn bietet.

Der Prolog ist auch ziemlich lang geworden, tut mir leid ^^' und er ist noch etwas holprig. Ich muss mich noch reinfinden, in alle 3 charaktere, aber es macht unheimlichen Spaß meinen Sarkasmus auch mal ausleben zu dürfen und Catherine bot dabei eine wunderbare Möglichkeit. Nun steht also ein Fall für Sherlock an und es dürfte ziemlich schnell weitergehen.

Zwar wird es keine Romance zwischen den beiden (wenn, dann wäre Sherlock ja wohl nur mit John dazu in der Lage, aber das wird hier rein platonisch wie in der Serie bleiben, sorry xD), aber ich habe keine Ahnung wohin diese Reise führen wird. ok, die habe ich definitiv nie xD was bisher aber nie schlecht ankam.

nun gut, so viel dazu. Ich hoffe es hat euch gefallen.
 

Lg
 

Jeanne :)
 

Ps: angesetzt ist die Story irgendwo in der 2. Staffel. Wo genau weiß ich noch nicht. :)

Wenn Nachbarn zur Plage werden

1. Kapitel: Wenn Nachbarn zur Plage werde
 

Catherine Amell hatte sich viel von London erhofft, als sie vor zwei Monaten hierher gezogen war. Ein ruhiges Studium, etwas mehr Aufregung in ihrem Privatleben und etwas mehr über den mysteriösen Tod ihres Bruders Jeffrey herauszufinden. Tja, nichts von alledem war so gekommen wie sie es erwartet hatte. Wie hieß es so schön: Unverhofft kommt oft.

Dies war hier definitiv der Fall. Sie hätte in der Hauptstadt des Vereinigten Königreichs ein ruhiges, beschauliches Leben führen können, doch sie hatte ja Sherlock Holmes und Dr. John Watson treffen müssen- ihre Nachbarn. Ok, Mr. Watson war wirklich in Ordnung. Er war ein sehr harmoniebedürftiger, einfühlsamer Mann, doch Sherlock Holmes konnte eine wahre Plage sein. Was, wie John sagte, noch eine gelinde Untertreibung war. Mittlerweile begann sie auch zu begreifen warum. Er hielt sie auf Trab. Neben ihrer Arbeit an ihrer Bachelorarbeit kam sie kaum zum Lernen. Ständig rauschte Sherlock unangekündigt in ihre Wohnung um sie irrwitzige Fragen zur Biologie zu stellen.

Wie bringe ich ein Kaninchen zum Leuchten?, war dabei noch die Harmloseste. Natürlich alles rein hypothetisch, wie Sherlock ihr versicherte, doch so richtig glauben konnte sie ihm das nicht. Dafür hatte sie ihn zu gut kennen gelernt, und so absurd klingende Geschichten bei einem Kaffee von John gehört, als das sie das auch nur eine Minute glauben könnte. Es waren so absurde Geschichten, dass sie manchmal kurz davor war zu glauben, dass John sie hereinlegen wollte, doch bei Sherlock war das erschreckenderweise mehr als passend. Es wäre sogar verwunderlich, wenn sie nicht wahr wären.

Manchmal erschien es ihr, als wäre John froh, dass sie nebenan wohnte. Eine halbwegs normale Person, die Sherlock kannte und bei der er sein Leid klagen konnte. Catherine merkte jedoch, dass es John nicht so sehr störte, wie er es immer darstellte, dass er es an sich bei Sherlock genoss- mehr als er zugab.

Sie seufzte und fuhr sich mit der Hand durch ihr langes, braunes Haar, dass sie nun als geflochten, lockeren Zopf trug und versuchte sich die verschiedenen Namen der Gene zu merken, die an der Zellteilung beteiligt waren. Mit diesen Nachbarn könnte sie ein normales Privatleben eh vergessen, also brauchte sie auch ihre Rolle nicht mehr zu spielen. Deshalb trug sie ihre Haare nun wieder auf die gewohnte Weise. Ihr Blick wanderte wieder zu der Vorlesung, die auf ihrem Laptop geöffnet war, und danach zum empfohlenen Lehrbuch.

Mal3, Cdc25, dass bei s.pombe ein anderes Gen als bei s. cerevisiae war, Cdc2...wer dachte sich denn solche Namen aus? Und wie sollte sie sie behalten? Frustriert klappte sie ihr MacBook zu und legte den Kopf auf dem Schreibtisch.

Sie brauchte Schlaf. Ihre Gedanken trieben nur träge dahin. Wie schaffte Sherlock es nur drei Tage lang wach zu bleiben, wenn er an einem Fall arbeitete? Sie war schon nach einer durchgemachten Nacht völlig fertig und nicht mehr in der Lage eine klaren Gedanken zu fassen. Dabei musste sie gleich doch noch die Genomtransformation vornehmen. Das würde sie nicht überleben! Viel zu viele kleine Schritte, bei denen viel zu viel schiefgehen und die Arbeit von Stunden zunichte gemacht werden könnte, falls man nicht konzentriert war. Und bei Gott, das war sie gerade wirklich nicht.

Zwei Monate war es nun schon her, dass sie in die Bakerstreet gezogen war und Sherlock jedes kleinste Detail ihres Privatlebens mit wenigen Blicken ergründet hatte. Beängstigend, verstörend und beeindruckend zu gleich. Aber das hatte sie ihm damals nicht zeigen wollen. Diesem arrogante Mistkerl, der gemeint hatte, dass er sich alles hatte erlauben können ohne Grenzen zu achten. Nein, sie hatte ihm nicht die Genugtuung geben wollen, dass er ja so recht gehabt hatte und irgendwie hatte es sie sogar amüsiert, dass sie es zumindest etwas geschafft hatte ihm zu trotzen und aus der Fassung zu bringen.

John war während diesen Nachmittag ziemlich still gewesen, hatte zwischen Schock und Amüsement geschwankt und einfach das Schauspiel beobachtet. Catherine musste sogar zugeben, dass sie Sherlocks Humor mochte- zumindest manchmal, wenn er grad nicht der großspurige, ich-weiß-alles-von-dir Sherlock war. Schnell hatte sie gemerkt, dass sie vor dem Consulting Detective eh nichts mehr verbergen konnte und hatte so schließlich alle seine Fragen beantwortet, damit er nur endlich aus ihrer Wohnung verschwand. Er hatte nicht bemerkt, wie sehr es sie bedrängte und wie unruhig es sie gemacht hatte und sie wollte einfach nur, dass er nicht weiter in den tiefen Wunden ihres Verlustes und ihres kaputten Lebens weiterbohrte. Die Biologie war das Einzige, was noch ganz war, in das sie sich immer vergraben hatte, doch selbst sie zerbrach allmählich.

Dann plötzlich hatte sich an jenem Tag etwas geändert. Sherlock war ruhiger geworden, beinah sogar verständnisvoll, als sie angefangen hatte von ihrem Bruder zu reden. Etwas, was sie irritiert hatte, sie vorsichtig hatte werden lassen, doch sie hatte nichts Auffälliges bemerkt. Sherlock schien einfach interessiert gewesen zu sein, mehr aber auch nicht. Er hatte sie noch weiter nach Informationen gefragt, aber er war weder stichelnd, noch herablassend gewesen. Ob er ihr vielleicht sogar helfen würde? Schließlich hatte John ihr am nächsten Tag erzählt, dass Sherlock von Scotland Yard immer mal wieder zu Rate gezogen wurden, doch bisher war nichts geschehen. Aber schließlich verstand Niemand Sherlock Holmes und was gerade seine Aufmerksamkeit erregte, war genauso ein großes Geheimnis wie das Datum vom Untergang der Welt.

„Er scheint Sie zu mögen...soweit es ihm möglich ist.“, hatte John ihr vor einem Monat gesagt, als Sherlock ihm nach einem erneuten Ideenschwall in Catherines Wohnung hatte stehen lassen. Er war wieder einmal mit einem Ersatzschlüssel in ihre Wohnung gestürmt und hatte sie über einige biologische Begebenheiten ausgefragt. Wie viele Male Catherine mittlerweile das Schloss ausgewechselt hatte, wusste sie nicht mehr und mittlerweile hatte sie es aufgegeben.

Zur Not hätte er noch immer seine Dietriche, hatte Sherlock einmal gegrinst. Hilfesuchend hatte sie danach zu John geblickt, mit einem Ausdruck, der sagte: ‚Das ist nicht sein ernst, oder?‘ Doch Johns müder Blick hatte ihr nur sehr gut klar gemacht, dass es sehr wohl Sherlocks ernst war. Also hatte sie seitdem nicht mehr ihre Schlösser ausgetauscht. Allein der Gedanke sie könnte aus dem Schlaf schrecken, weil sie das Klackern der Dietriche hörte, ließ sie erschaudern.

Schnell verdrängte Catherine diese Erinnerung und so viele ähnliche, die auf sie hereinstürmten. Sherlocks unangekündigte Besuche waren mittlerweile ein fester Bestandteil ihres- dank ihm- nicht vorhandenen Alltags geworden. Auch Anrufe während der Arbeit waren keine Seltenheit mehr und bis heute wusste sie nicht, woher verdammt noch mal er ihre Nummer hatte. Aber bei Sherlock Holmes wunderte sie nichts mehr. Aber auch absolut nichts. Sie hatte ein langweiliges Leben gewollt und dafür Action bekommen. Vielleicht sollte sie mit ihren Wünschen demnächst etwas vorsichtiger sein.

Rumms! Wie auf Bestellung krachte die Tür auf und Catherine sah schon wie Sherlock Holmes in seinem dunklen Mantel in ihr Wohnzimmer stürmte. Verdammt, wieso hatte ihre Wohnung keinen Flur? Wieso standen sie immer direkt im Wohnzimmer? Sie seufzte und drehte sich auf ihren Stuhl um.

„Wie kann man DNA fälschen?“, fiel Sherlock direkt mit der Tür ins Haus und blieb mit bebenden Nasenflügeln in der freien Fläche stehen, die ihre Sitzecke bildete.

„Morgen, Sherlock.“, gähnte sie nur und fuhr sich durch ihr Haar. Irgendwann, sie wusste schon längst nicht mehr wann, waren sie zu den Vornamen übergegangen. Es war keine Absprache oder Vereinbarung gewesen, irgendwann hatten sie sich einfach beim Vornamen genannt.

John folgte seinem Mitbewohner nur wenige Augenblicke später in die Wohnung, sah sie einmal entschuldigend an und wünschte ihr einen Guten Morgen. Catherine nickte ihm zu, erwiderte den Gruß und ließ ein freundliches Lächeln sehen, doch ihre Aufmerksamkeit galt Sherlock, der sie herausfordernd ansah.

„Die DNA fälschen? Ist das Ihr Ernst?“, hakte sie schließlich nach und warf John einen hilflosen Blick zu, der sich mittlerweile auf die Couch gesetzt hatte. Das übliche Ritual, was sich mittlerweile sogar manchmal tief in der Nacht wiederholte. Nein, Sherlock kannte definitiv kein Taktgefühl und auch keine gesellschaftliche Normen. Nun gut, vermutliche kannte er sie schon, sie waren ihm nur schlicht egal.

John erwiderte ihren Blick und zuckte mit den Schultern.

„Sherlock meint den Täter in der Themsemordserie gefunden zu haben, nur leider passt die gefundene DNA in dem Blut nicht zum Täter.“, erklärte er ruhig und holte seinen Notizblock hervor auf dem er jede Bemerkung von Sherlock für seinen Blogg aufschrieb.

„Tja, Sherlock. Dann wird Ihre Vermutung wohl falsch sein.“, sagte Catherine schlicht und graublaue Augen warfen ihr einen bitterbösen Blick zu.

„Ich irre mich nie!“, wiederholte er den Satz, den er auch damals zu ihr gesagt hatte, nur diesmal noch verbissener. Catherine seufzte und ließ sich in die Lehne fallen. Sie legte die Hand an ihr Kinn und dachte nach. Sie bemerkte gar nicht Johns amüsierten Blick, ihr war nicht bewusst, dass sie sogar ein wenig Sherlocks Körpersprache annahm.

„Nun gut...also wieder rein hypothetisch gesprochen, richtig?“

„Sicher.“ Wieder seufzte sie schwer und schloss die Augen.

„Also...man bräuchte...theoretisch...die DNA desjenigen, dem man es anhängen will...und das in einer große Menge, dass es forensisch aussagekräftig wäre. Hmm...zur Vervielfältigung muss man den Ablauf in der Zelle simulieren. In vitro wird das wohl nicht funktionieren...man braucht natürliche Umgebung...also in vivo.“

„Ginge es nicht auch über die PCR?“, fragte Sherlock ungeduldig. Catherine schüttelte den Kopf.

„Nein...man vermehrt da zwar die DNA, aber man müsste per Gelelektrophorese oder Ähnlichen überprüfen, ob die Vermehrung richtig stattgefunden hat und danach ist die DNA unbrauchbar und würde niemals als natürliche durchgehen...es muss in der Zelle stattfinden. Dazu braucht man die Polymerase, Restriktionsenzyme und eine Zelle...“

„Das weiß ich alles.“, fuhr Sherlock genervt dazwischen und warf ihr einen funkelnden Blick zu. „Wenn ich das hätte wissen wollen...“

„Pab!“ Sie hob die Hand und unterbrach Sherlock. Dieser warf ihr einen irritierten Blick zu. „Sherlock! Sie haben mich gebeten etwas hypothetisch für Sie zu überlegen und da muss ich meinen Gedankenweg gehen. Ja, Sherlock, nicht jeder hat gleich einen Palast, aber ich muss die mir bekannten Tatsachen abgehen umso auf die Antwort zu kommen. Also unterbrechen Sie mich nicht!“

„Catherine...“ Er seufzte genervt. „Ich will ja nicht drängen, aber er läuft noch frei rum. Es geht um Menschenleben. Sie sind doch nicht ganz so dumm. Also strengen Sie ihr Gehirn wenigstens einmal an. Sie haben doch nicht umsonst das Begabtenstipendium. Nun beweisen Sie warum.“

„Oh ja, sehr hilfreich, Sherlock. Da bin ich doch gleich motivierter. Nur kein Druck, nur kein Stress.“ Sie gähnte wieder. John lachte, während Sherlock genervt mit dem Fuß aufstampfte. Es schien wirklich dringend zu sein und Sherlock schien auch keine Lösung zu finden, sonst wäre er ja nicht so offensichtlich ungeduldig. Ihre Gedanken glitten durch all ihr Wissen was sie über Zellteilung, Zellvermehrung und die Zelltypen hatte. Es schien wirklich wichtig zu sein, aber ihre Müdigkeit machte das Denken wirklich anstrengend. Immer wieder murmelte sie Fakten vor sich hin und diesmal schwieg Sherlock. Plötzlich reifte eine absurde Idee in ihrem Kopf. Sie war erschreckend einfach, aber theoretisch möglich.

Schnell drehte sie sich auf ihrem Stuhl herum.

„Wo ist es...? Verdammte Unordnung!“, fluchte sie und fühlte durch ihre Lehrbücher. Wo waren ihre zellmolekulare Biologie und Tierphysiologie Unterlagen? Verfluchter Umzug! Nichts war an seinem gewohnten Platz. Dann googlte sie es lieber. Blitzschnell flog sie über ihr bekannte Fachseiten und studierte Artikel. Als sie nach einigen Minuten fertig war, lachte sie nur und schüttelte fassungslos den Kopf.

„Was ist?“, fragte nun John und rutschte etwas auf der Couch vor.

„Das gibt es doch nicht...“, lachte sie noch immer fassungslos und knallte den Kopf auf dem Tisch. „Es ist ja so einfach. So verdammt einfach. Jeder Biologiestudent könnte das.“ Noch immer völlig überfordert schüttelte sie den Kopf.

„Sie haben eine Idee?“, hakte nun Sherlock nach und stellte sich neben sie, beugte sich vor um die geöffnete Seite zu betrachten.

„Sherlock...“, sagte sie atemlos und sah ihn an. „Es ist erschreckend einfach.“ Danach deutete sie auf eine Passage auf der Seite und hob sie hervor, indem sie sie mit der Maus markierte. Unbewusst legte Sherlock ihr eine Hand auf den Rücken, damit er sich besser hinabbeugen konnte.

„Ich habe keine Ahnung, ob es auch in der Praxis funktioniert. Aber theoretisch...das wirft die Gerichtsmedizin zurück.“, fuhr sie fort und nun erhob sich auch John um sich ihre Entdeckung anzusehen.

„Was haben Sie entdeckt?“, fragte die tiefe Stimme von John. Auch Sherlocks dunkler Bariton erklang, als er den Abschnitt zu Ende gelesen hatte:

„Die Leukozyten?“, zog er sein Resümee aus dem, was Catherine ihm gezeigt hatte.

„Wieso die weißen Blutkörperchen?“, wiederholte John irritiert.

„Überlegen Sie doch mal...“, sagte Catherine ungeduldig. „Leukozyten sind pluripotent. Sie teilen sich in eine Vorläuferzelle der Blutzellen und eine weitere Stammzelle. Sie sind besonders widerstandsfähig und teilen sich wegen der Pluripotenz häufiger als normale Zellen. Man braucht nur dem Opfer das Blut entnehmen und sie zu isolieren. Das geht auch in vitro...das wird ja sogar gemacht bei Stammzellspende. Dann vermehren sie sich und man vermischt sie mit Blut isolierten roten Blutkörperchen. Die Erythrozyten tragen schließlich keine DNA in sich...“

„Und vermischt man das beide, so denkt man das Blut sei von Jemand anderem. Ooooh, das ist brillant. Wirklich brillant.“ Eifrig klatschte Sherlock in die Hände.

„Catherine, können Sie das für mich in ihrem Labor ausprobieren?“, rief er noch einmal über die Schulter und stürmte aus der Wohnung.

„Was...Sherlock, ich kann nicht...“ Zurück blieben eine noch immer fassungslose Catherine und ein entsetzter John. Beide blinzelten sich an und schließlich lehnte sie sich zurück, sodass die Lehne des Stuhls sich fast komplett durchbog.

„Gott...was hab ich nur getan...? Hoffentlich macht er nichts...nichts...sherlockiges damit.“ Sie wusste es nicht besser auszudrücken. John seufzte neben ihr schwer und strich sich durch die Haare. Einige Minuten vergingen, bis Catherine sich müde und überfordert aufs Sofa fallen ließ. Hatte sie gerade das wirklich entdeckt, was zu viele Forscher übersahen? Es konnte doch nicht so einfach sein! Sie schüttelte nur den Kopf und ließ sich auf die Couch fallen. Für die Arbeit war sie eh schon viel zu spät dran und sie war völlig fertig.

„Müde?“, fragte John sie ruhig und setzte sich ihr gegenüber. Sie nickte nur und schloss die Augen.

„Ich habe die Nacht nicht geschlafen, weil ich für ein Examen lernen musste, aber mir geht so viel durch den Kopf.“, seufzte sie frustriert. „Selbst auf Bio kann ich mich nicht mehr konzentrieren.“

„Sherlock hat ein einnehmendes Wesen.“, grinste John und stand auf. „Tee?“

„Ooooh ja gerne.“, seufzte sie schon genüsslich allein bei den Gedanken. „Sie wissen ja wo alles steht. Kann ich kurz telefonieren gehen?“

„Sicher.“, lächelte der ältere Militärarzt sie an, der mittlerweile zu einem Vertrauten geworden war. Wahrscheinlich, weil sie beide unter Sherlocks Eskapaden zu kämpfen hatten und so ein gemeinsames Thema hatten. Das, und die Biologie, denn Medizin und Biologie standen sich sehr nah. Catherine stand auf und griff nach ihrem Handy. Eine SMS von Sherlock ignorierte sie bewusst und rief erst einmal auf der Arbeit an.

„Hey, Kathy...hier ist Catherine...du...ich fühl mich krank...ich glaub die Grippe. London ist ganz schön nass. Ich geh morgen zum Arzt. Könntest du die Transformation für mich durchführen von cerevisiae? Es ist alles bereits vorbereitet...du müsstest nur den H und H+ Stämme maten, die bei 27°C Schrank sind, und dann in den Inkubator bei 25 Grad geben. Dann hab ich ja eh zwei Tage Ruhe...da nächste Experiment starte ich dann später. Würdest du das für mich tun? Und die andere Probe im Inkubator kurz mit Vollmedium animpfen, bitte? Wirklich? Oh du bist ein Schatz, Kathy. Danke! Bis dann.“ Glücklich legte Catherine auf. Zumindest einen Tag Ruhe, wenn Sherlock sie ließ. Einen Tag um ihre Gedanken zu ordnen. Sie hörte das Klappern von Porzellan und sah müde von der Couch auf. Dr. Watson betrat wieder das Wohnzimmer und setzte sich ihr gegenüber, bevor er ihr die Tasse hinstellte. Der wundervolle Duft von Kamille stieg in ihre Nase und sie lächelte dankbar.

„Danke, John. Das ist ein Segen. Ich weiß nicht wie Sie diesen Dauertrab aushalten. Sherlock ist ja schlimmer als ein Sack Flöhe.“

„10 Säcke wohl eher.“, grinste er amüsiert und nahm einen Schluck. Catherine lachte und legte den Kopf in den Nacken.

„Ob es wirklich so einfach ist?“, murmelte sie schließlich nach einigen Schlucken Tee nachdenklich.

„Ich weiß es nicht. Ich bin zu lange aus dem Stoff raus, aber es klingt logisch.“

„Wenn dem so ist, dann macht es mir Angst, John. Dann wird es selbst Sherlock schwierig machen einen Fall zu lösen.“ Wieder kehrte Stille wie ein schweres Tuch über sie ein und das Tacken der Uhr war das einzige hörbare Geräusch.

„Keine Sorge...das wird schon.“, versuchte er schließlich zu beruhigen und lächelte sie aufmunternd an, doch es wirkte gekünstelt. Auch er selbst schien unruhig zu sein.

„Aber ich bin nur eine einfache Biologiestudentin...ich hab sicher irgendwas nicht bedacht. Es ist sicher gar nicht so möglich.“ Es war ein verzweifelter Versuch sich selber zu beruhigen, doch in Wirklichkeit flatterten ihre Nerven und ihr war ein wenig übel bei dem Gedanken. Was, wenn sie sich nicht irrte? Wenn es wirklich so einfach war? Nein, nein Catherine...! Nicht weiter denken. Bloß nicht weiterdenken. Es war nur eine Hypothese. Eine einfache, dumme Hypothese von einer dummen Studentin aufgestellt. Nichts weiter! Ein dummes Gedankenspiel. Nichts weiter...aber ein Gedankenspiel, was Sherlock Holmes ernst nahm. Also konnte es nicht ganz so abwegig sein...aber...ach, verdammt!

„Nicht weiter drüber nachdenken.“, durchfuhr Johns ruhige Stimme ihren Gedankengang. Irritiert sah sie zu ihm herüber, der sie nachdenklich betrachtete. John erwiderte ihren Blick nur und schüttelte dann merklich den Kopf, ließ seinen Blick schweifen und schien beschlossen zu haben, das Thema zu wechseln.

„Etwas Neues von Ihrem Bruder?“, fragte er nach einiger Zeit vorsichtig und legte seinen Kopf auf die gefalteten Hände. Catherine sah ihn mit einem traurigen Blick an und schüttelte den Kopf.

„Ich kam nicht wirklich dazu noch Nachforschungen anzustellen. Und irgendwie hatte ich gehofft, dass Sherlock mir hilft.“ Tief Luft holend, schloss sie die Augen und nahm einen kräftigen Schluck Tee um ihre aufkommende Trauer herab zu spülen. Deswegen war sie eigentlich her gekommen, hatte ihren Geburtsort Cardiff verlassen, doch die Behörden, Sherlock und Studium raubten ihr alle Zeit, sodass sie noch keinen Schritt vorangekommen war.

„Es tut mir leid, Catherine.“ Sie schüttelte nur stumm den Kopf und setzte sich auf.

„Es ist nicht Ihre schuld, John. Noch nicht einmal Sherlocks, auch wenn er mich auf Trab hält, sondern einfach schlicht meine, weil ich mein Leben nicht organisiert kriege.“

Irgendwann seufzte sie, fuhr sich mittlerweile durch ihr zerzaustes Haar und kicherte dann irre.

„Ich hätte so ein ruhiges Leben haben können...“ John lachte ebenfalls und lehnte sich zurück.

„Das kann man bei Sherlock gleich abhaken.“

„Kann der überhaupt ruhig sitzen?“

„Doch schon...für eine Sekunde.“ Catherine lachte ebenfalls und schloss dann die Augen.

„Alles ein bisschen viel, hmm?“

„Das ist noch untertrieben. Das Studium allein kostet schon all meine Kraft, dann noch Sherlocks plötzliches Auftauchen und wieder verschwinden. Ich mag ihn ja, irgendwie...aber...“ Sie wedelte hilflos mit der Luft in der Hand.

„Er hat kein Timing.“

„Gelinde ausgedrückt. Wehe man springt nicht sofort, wenn er ruft. Egal was man gerade macht. Ich kann doch nicht einfach das mal eben im Labor ausprobieren. Wie soll ich das dem Prof erklären?“

„Lassen Sie das mal einfach. Sherlock glaubt es eh nur, wenn er es selbst überprüft hat.“

„Wie halten Sie es nur mit ihm aus, John? Wirklich...seine Genialität in allen Ehren, aber...“ Sie brach ab, als sie Schritte die Treppe hinaufstürmen hörte. John warf ihr nur einen verstehenden Blick zu, wandte sich dann aber zur Tür, durch die Sherlock wieder hereingeschneit kam. Irritiert blieb er dann im Türrahmen stehen.

„Wo bleiben Sie denn, John? Wir haben zu tun.“, forderte er ungeduldig seinen Mitbewohner auf.

„Also dann...“, sagte John, während er sich erhob. „Die Action ruft.“ Er grinste Catherine an, die es erwiderte und nochmal dankbar zum Tee blickte. Dann folgte er Sherlock aus der Tür. Kurz bevor sie ihre Wohnung verließen, blieb Sherlock noch im Türrahmen stehen und blickte sich zu ihr um.

„Israel.“, sagte er nur knapp.

„Was?“ Sie blinzelte irritiert.

„Man kann gefälschtes Blut in Israel ordern.“, erwiderte der Lockenkopf knapp und verschwand. Catherine stockte der Atem und ihr Magen begann zu rebellieren. Schwindel und Übelkeit übermannten sie, als sie realisierte, was Sherlock ihr gerade offenbart hatte. Kalter Schweiß rann ihr den Rücken hinab und sie versuchte sich zu beruhigen. Es war wahr. Es war möglich. Oh Gott! Was war das für eine Welt? Ihr Körper zitterte und sie versuchte durch tiefe Atmung sich zu beruhigen, doch es gelang ihr nicht.

Ihr Blick glitt zum Tisch, wo noch immer Johns und ihre Teetasse standen. Langsam stand sie auf und plötzlich klang die Grippe nicht mehr wie eine dürftige Lüge. Ihre Glieder schmerzten und ihr Kopf war wie leergefegt. Was hatte sie da nur entdeckt? Sie hatte Angst. Wenn man selbst die DNA fälschen konnte, in was für einer Welt lebten sie dann? In einer, wo man an Justitia nicht mehr glauben konnte. Wo jeder Fall wieder neu aufgerollt werden musste, weil in jedem die DNA hätte gefälscht sein könnte. Nur die ungewohnt hohe Konzentration von Leukozyten würde noch falsches Blut von echten unterscheidbar machen. Wie leicht es wäre Jemanden ein Verbrechen anzuhängen? So einfach, dass es wie Klauen nach ihr griff. Was hatte sie nur getan? Ihre Hand zitterte, als sie die Tasse nahm und vorsichtig, sorgsam in die Küche brachte, abspülte und verstaute. Kurz überlegte sie, beschloss aber dann, das flaue Gefühl im Magen zu vertreiben, indem sie etwas aß. Ein Blick in den Kühlschrank machte diesen jedoch schnell zu Nichte. Sherlock sei Dank, hatte sie nichts mehr drin. Sie war auch nicht zum Einkaufen gekommen. Frustrierend. Sonst war Zeitmanagement doch immer ihre Stärke gewesen.

Nun gut, dann war es halt so. Catherine ging an die Garderobe und schnappte sich ihre Jacke, verließ eilig die Wohnung um mit der in drei Minuten kommenden U-Bahn in die Stadt zu fahren um ihren Kühlschrank zu füllen. Sie bemerkte nicht, dass Augen ihre Schritte verfolgten und dass ihr Leben durch Sherlock und John mehr verändert werden würde, als sie je glauben würde. Sehr viel mehr.

Ein lustiges Schauspiel

2. Kapitel: Ein lustiges Schauspiel
 

Langweilig! Sherlock stöhnte genervt auf und ließ seinen Blick durch ihre Wohnung schweifen. Seit der Mordserie vor einer Woche, die er dank Catherines Hilfe aufgeklärt hatte, war es unglaublich ruhig geworden und nun langweilte er sich zu Tode. Lestrade hatte keinen neuen Fall für ihn und er hockte nun hier rum und wusste nichts mit seiner Zeit anzufangen. Catherine hatte ihn bereits mehrmals aus der Wohnung geworfen und mehr als deutlich gemacht, dass er nicht mehr ohne einen wirklich triftigen Grund oder nach Einladung rüberkommen sollte, da ihr Studium nun sehr zeitintensiv war und sie Ablenkung nicht gebrauchen konnte. Auch John achtete peinlich genau darauf, dass er Catherine nicht mehr behelligte.

Schade irgendwie. Nicht, dass er das Mädchen mochte, aber sie hatte Potential. Das hatte sie bei seinem letzten Fall gezeigt. Zwar kam sie bei Weitem nicht an ihn heran, aber mit etwas Feinschliff könnte er ihren Verstand vielleicht etwas schärfen, aber nun durfte er noch nicht einmal rüber. Frustriert seufzte er und fuhr sich durch sein Haar. Und wieso hörte er überhaupt auf sie? Warum ließ er sich das überhaupt gefallen? Sonst ging er doch keiner Konfrontation aus dem Weg.

Nun gut, dachte er sich und durchwühlte den Stapel von Akten, Zeitungen und Ausdrucken. Wo hatte er es nur hingelegt? Frustriert schnaubte der Consulting Detective und blickte unter jeder Möglichkeit, doch er fand die Akte nicht. Na ja, er hatte sie schließlich nicht als hohe Priorität eingeordnet und irgendwo hingeworfen, dabei könnte er sich nun damit seine Zeit vertreiben. Auf die Idee die Zeit damit totzuschlagen einfach mal aufzuräumen, kam ihm nicht. War ihm nie gekommen. Ms. Hudson hatte es auch schon längst aufgegeben ihn davon zu überzeugen- ebenso wie John. Wenn es John zu viel wurde, räumte er schließlich selber auf.

Nun musste er also suchen, aber wie hieß es doch so schön: Nur ein Genie beherrscht das Chaos. Da müsste das Finden einer Akte doch für ihn ein Klacks sein, oder? Er war schließlich ein verdammtes Genie und ein funktionierender Soziopath. Also, wo hatte er diese verdammte Akte nur hingelegt? Denk nach, Sherlock, denk nach! Was dachte er denn da? Er dachte doch immer. Er konnte gar nicht anders, er brauchte es wie die Luft zu Atmen. Genervt seufzend ließ er sich dann fallen und entdeckte sie schlicht auf dem Beistelltisch. Dem Beistelltisch! Es waren eben doch manche Sachen offensichtlich. Leise atmete Sherlock aus und öffnete die Akte.

Lestrade hatte sie nur ungerne herausgerückt. Der Fall galt als abgeschlossen und es behagte dem Detective Inspektor nicht, dass Sherlock sich mit ihm befassen wollte, das hatte er in den Augen des Grauhaarigen sehen können. Eigentlich nahm Sherlock nur Fälle an, die interessant waren, dieser war schon erschreckend unspektakulär. So unspektakulär, dass es Sherlock doch nachdenklich stimmte. Es sah nach Raubmord aus, doch etwas passte nichts ins Bild. Nachdenklich blätterte er durch die Zeugenaussagen, Tatortbilder und dem Forensikbericht. Nichts schien dieser Annahme zu widersprechen. Jeffrey Amell war erschlagen worden, als er den Einbrecher überrascht hatte, so die Schlussfolgerung. Aber warum sollte Catherine ihren Bruder dann nicht sehen dürfen? Wieso sagte ihr Niemand, wo ihr Bruder begraben lag damit sie Abschied nehmen konnte? Nicht, dass es Sherlock verstand, warum Menschen dieses Bedürfnis hatten, doch er wusste wie hilfreich es oft war und er hatte gesehen wie sehr die junge Frau unter der Situation litt, wie sehr sie überfordert war.

Vielleicht hatte er es mit seinen ‚Eskapaden‘ bei ihr übertrieben, aber es war wohl seine verschrobene Art sie abzulenken. Er hatte ihr zwar nicht zugesichert sich mit dem Tod ihres Bruders zu beschäftigen und sie hatte auch nicht gefragt, aber es konnte ja nicht schaden. Es war etwas gegen seine Langeweile, es konnte also nicht ganz so verkehrt sein, oder? Für die Zeit, wo John arbeitete oder aus war und er keinen Fall hatte. Es hatte nichts mit einer zwischenmenschlichen Beziehung zu tun. Sie hatte ihm etwas gegen seine Langeweile geboten und er befasste sich nur deswegen damit. Nicht wegen ihr. Es hatte nichts mit ihr zu tun.

Nur was passte hier nichts ins Bild? Etwas stimmte ganz und gar nicht. Es war nichts gestohlen worden, was hatte der Einbruch dann für einen Sinn? Einen Mord für nichts? Der Einbrecher war wohl kaum so stümperhaft gewesen, denn der Einbruch an sich zeigte, dass er sich lange darauf vorbereitet hatte. So ein Aufwand würde Niemand betreiben, nur um dann einen Mann zu töten und ohne Beute abzuhauen. Also entweder es war geplanter Mord gewesen und der Einbruch diente als Tarnung oder es war etwas in dem Haus gewesen, von dem Niemand wusste. Etwas Wertvolles. Mycroft könnte ihm vielleicht helfen, doch Sherlock würde sich hüten seinen Bruder anzurufen. Proben vom Tatort würde er auch nicht mehr bekommen. Es hatte ihn schon alle Überzeugungskunst gekostet überhaupt die Akte zu bekommen. Das machte das alles mehr als sonderbar. Vielleicht sollte er sich doch ein wenig mehr darin einarbeiten.
 

~*~
 

Catherine seufzte und schloss die Haustür von 220 Bakerstreet. Sie fühlte sich gar nicht wohl an diesem Freitagabend, doch sie hatte keine andere Wahl. Nate, ein Kollege aus ihren Labor, hatte solange um ein Date gebettelt und war ihr wie ein treudoofer Hund hinterhergelaufen, bis sie voller Frustration zugestimmt hatte- in der Hoffnung, dass sie ihn irgendwie verklickern konnte, dass sie nichts von ihm wollte. Nicht, dass Nate unausstehlich, schmierig oder etwas dergleichen war. Er war nur einfach nicht ihr Typ und sie war momentan auch nicht interessiert an einer Beziehung. Sie bekam ihr Leben so kaum auf die Reihe und Nate war einfach ein anhänglicher Kerl sondergleichen. Dennoch hatte sie sich breitschlagen lassen und sah nun einem endlos langen Freitagabend voller geheuchelter Komplimente und sabbernden Hundeaugen entgegen. Herrlich.

Sie seufzte genervt und blickte sich nach einen Taxi um, konnte jedoch keinen Wagen entdecken. Eine steife Brise fegte über den Asphalt und ließen sie in ihrem viel zu dünnen Kleid, den Peeptoes und der Lederjacke frösteln. Sie war für den Londoner Spätherbst wirklich mehr als unpassend angezogen. Es waren ungefähr fünf Grad und eine trübe Suppe von Wolken verhing den Mond. Lieber wäre sie im Sweater, Wollmantel und Boots durch die Straßen gestapft, doch sie musste zumindest den Schein wahren und zeigen, dass sie durchaus mit ernsthaften Absichten die Einladung zum Essen angenommen hatte und nicht zeigen, dass sie das Date von Anfang platzen lassen würde. Hoffentlich.

Catherine seufzte wieder. Nate war ein Arbeitskollege, mit dem sie besonders eng zusammenarbeite. Wenn sie seine Gefühle verletzten würde, dann könnte das das Arbeitsklima schwer schädigen, dabei bemerkte sie doch sowieso schon die Blicke, die ihr einige wissenschaftliche Mitarbeiter zu warfen. Da Catherine immer eher in sich gekehrt und auf ihre Arbeit fixiert war, galt sie als arrogant und hochnäsig. Etwas, was überhaupt nicht auf sie zutraf, doch leider konnte man nicht hinter des Menschen Kopf gucken. Nun gut, Niemand außer Sherlock. Aber vielleicht war es doch ganz gut. Wäre ja auch schlimm, wenn jeder Mensch in der Lage wäre solche Deduktionen durchzuführen. Da gäbe es ja gar keine Geheimnisse mehr. Sie lächelte. Nein, es war gut, dass es nur einen verdammten Mistkerl von Sherlock auf der Welt gab, mit dem sie sich herumplagen musste. Der reichte ihr auch vollkommen.

Wieder ließ sie ihren Blick schweifen und noch immer war kein Taxi in Sicht. Verdammt, was war denn hier los? Die Bakerstreet lag im Zentrum Londons und sie konnte kein verfluchtes Taxi kriegen? Schöne Bescherung. Offensichtlich wollte das Schicksal nicht, dass sie zu ihrem Date kam.

Frustriert tippte sie mit den viel zu hohen Schuhen auf dem Asphalt und überlegte sogar kurz ob sie die U-Bahn nahm, verwarf den Gedanken schnell wieder. In den Klamotten? Sie war doch nicht völlig bescheuert. Sie waren hinderlich, unpraktisch und eventuell könnten einige der penetranten Fahrgäste es als Einladung sehen, sie als Freiwild zu betrachten. Oh nein, oh nein, U-Bahn war gestrichen. Sollte man den Kerl nicht sowieso beim Date warten lassen? Stand das nicht so in diesen Frauenzeitschriften? Sie hatte einfach keinerlei Erfahrung und hasste aufbrezeln. Normal kein guter Start für ein Date, da sie dieses aber eh nicht wirklich als solches betrachtete, sondern als Schadensbegrenzung, könnte es ihr als hilfreich erweisen. Vielleicht würde sie ja einfach mit ihrer Unwissenheit Nate verschrecken und könnte wieder arbeiten. Ja, das klang gut.

Catherine lief die Straße entlang um an der nächsten Ecke nach einem Taxi zu schauen, vergrub dabei tief die Hände in den Taschen. Wenn das so weiterging, würde es heute Nacht sicher Schneeregen geben.

Plötzlich sah sie eine Bewegung in den Augenwinkeln, als sie sich umdrehte, um zur nächsten Straßenecke zur stolpern. Ein Mann im schwarzen Wollmantel kam ihr entgegen, den Kopf gegen den eisigen Wind gesenkt, die schwarzen Locken im Wind tanzend. Als hätte er ihren Blick bemerkt, sah er auf und graublaue Augen betrachteten sie skeptisch von oben bis unten, doch dann legte sich wieder die ausdruckslose Miene auf das feine Gesicht mit den hohen Wangenknochen.

„Catherine!“, sagte Sherlock und blieb vor ihr stehen.

„Oh, hey, Sherlock.“, erwiderte sie etwas zerstreut und blinzelte ihn gegen den scharfen Wind an, der ihr die Tränen in die Augen trieb und ihr Make up bedrohte.

„Wo wollen Sie denn hin?“, fragte er und neigte seinen Kopf.

„Als ob Sie das nicht schon längst selber wissen.“, gab sie etwas bissiger zurück als beabsichtigt. Sherlock seufzte und strich sich eine seiner sonst perfekt sitzenden Locken aus dem Gesicht.

„Warum gehen Sie dann zu diesem Date, wenn Sie nicht wollen?“ Eine seiner Augenbrauen wanderte nach oben. „Mal abgesehen davon, dass Sie sich in diesen Klamotten eine Erkältung einfangen.“

„Wir wissen beide, dass die Kälte dafür nicht verantwortlich ist, Sherlock. Die überträgt keine Krankheitserreger.“ Sie fixierte ihn schnippisch und schnaufte genervt. Sie hatte keine Lust auf Small Talk auf Sherlocks Art. Sie wollte bloß diesen Abend hinter sich bringen, unter ihrer Decke verstecken und das Wochenende durchschlafen und nebenbei- wie seltsam das klang, wie sie nun ihre Prioritäten verteilte- an ihrer Bachelorarbeit schreiben.

„Aber sie schwächt das Immunsystem. Also, warum gehen Sie?“

„Schadensbegrenzung. Der Typ ist Jemand aus der Arbeit und dackelt mir schon seit ich angefangen habe hinterher. Ich will es heute fein säuberlich beenden.“

„Ziemlich gemein von Ihnen. Ihm erst in dem Outfit schöne Augen machen und ihn dann abservieren. Könnte beinahe von mir stammen.“ Er grinste leicht, erntete aber nur von Catherine einen genervten Blick.

„Ich will ihm einfach nur keine unnötigen Hoffnungen machen.“, erwiderte sie und stapfte mit dem Fuß auf.

„Und wenn schon.“ Sherlock zuckte mit den Schultern. „Für ihn wird es so sein.“ Sie schloss die Augen und lehnte sich an die Backsteinwand ihres Wohnhauses.

„Was soll ich nur tun, Sherlock?“, fragte sie mit bibbernden Zähnen und blies ihren warmen Atem gegen ihre mittlerweile tauben Hände. „Nate ist ein netter Kerl, wirklich. Nicht arrogant, nicht eingebildet, gut im Job...aber er ist aufdringlich und läuft mir hinterher wie ein Straßenhund, dem man etwas zu Essen gegeben hat. Ich will ihn doch einfach nur nicht verletzten und das gute Arbeitsklima bewahren.“ Sie war verzweifelt. Wie sollte sie nur aus dieser Misere herauskommen? Nate hatte ihr mehrmals deutlich gemacht, dass er schwer in sie verliebt war und sie wusste nicht, wie sie da heraus kommen sollte.

„Das fragen Sie ausgerechnet mich?“, lachte Sherlock nur und schüttelte den Kopf. Catherine seufzte und schloss die Augen. Nur, weil er ihre letzte Lösung war. John war aus und er hatte ihr genau dazu geraten, ebenso wie Kathy. Geh mit ihm essen und mach ihm klar, wo er steht, doch sie wollte nicht. Alles in ihr sträubte sich mit aller Kraft genau dagegen. Irgendwie hoffte sie, dass der zwischenmenschlich unfähige Sherlock eine verrückte Idee hatte, die sie übersehen hatte.

„Bitte, Sherlock. Zeigt meine Frage nicht, dass ich wahrhaft verzweifelt bin?“ Kurz hielt der Consulting Detective inne und überlegte.

„Da haben Sie nicht unrecht...hmm...“ Er wog den Kopf hin und her. Dann grinste er: „Ich habe eine Idee.“

„Irgendwie habe ich das Gefühl, dass Ihre Idee in Tränen, Verzweiflung und einem sich köstlich amüsierenden Sherlock endet.“

„Na hoffentlich.“, erwiderte er und ließ Catherine schnauben. Na herrlich. Das könnte lustig werden. Wenn Sherlock Spaß hatte, dann litten die meisten in seinem Umfeld. Nur John und manchmal sogar sie schienen diesem Fluch zu entgehen, schafften es irgendwie an seiner Seite nicht verrückt zu werden. Es war nicht immer leicht, ganz und gar nicht, aber irgendwie schafften sie es immer, weil sie sich gemeinsam über sein Verhalten lustig machten.

„Welche Idee haben Sie denn?“ Irgendwie hatte sie das Gefühl, dass sie diese Frage direkt bereuen würde.

„Wie wäre es mit einem kleinen...Schauspiel?“ Wieder zuckte ein Schmunzeln um seine vollen Lippen und Catherines Unbehagen wuchs. Was hatte dieser Kerl nur vor?

„Ein Schauspiel...welcher Art?“, fragte sie zögerlich.

„Ein amüsantes.“, antwortete er nur ominös und Catherine wusste, dass sie keine nähere Information bekommen würde.

„Ich darf also spontan mitspielen? Großartig...ich bin eine schlechte Schauspielerin.“

„Ich dafür umso besser, wenn es darauf ankommt. Menschen sind so leicht zu manipulieren.“

„Oh, Sherlock!“, rief sie aus und irgendwie war sie dennoch nicht geschockt. Noch nicht einmal überrascht. Es war immerhin Sherlock Holmes, mit dem sie hier sprach. Dieser erwiderte ihren Blick nur amüsiert und seine so ausdrucksstarken Augen strahlten. Etwas, was Catherine mehr als alles andere beunruhigt und seinem Blick ausweichen ließ.

„Fahren Sie schon einmal vor, ich komme dann nach.“

„Und nach was?“ Ihr Blick glitt zu den zwei Plastiktüten, die er in den Händen hielt. Eine Augenbraue wanderte nach oben. „Nachdem Sie Ihre Einkäufe für Ihre Experimente im Kühlschrank verstaut haben?“ Catherine wusste, dass Sherlock niemals einkaufte, also konnte es sich hierbei nur um weitere Leichenteile für seine Versuche handeln.

Wie zur Einweihung, hatte sie einst unwissend den Kühlschrank geöffnet und einen eingefallenen Schädel entdeckt. Erschrocken war sie zurückgetaumelt, gegen die Übelkeit ankämpfend. Natürlich hatte er nicht gestunken. Solange es nicht warm genug war, zersetzen Mikroorganismen das Fleisch nicht und dann stank es auch nicht, aber appetitlich war es dennoch nicht gewesen. Sherlock und John hatten in der Zwischenzeit nur gelacht, während Catherine ihnen einen bitterbösen Blick zugeworfen hatte, aber irgendwann hatte auch sie grinsen müssen und John als Strafe ein Kissen ins Gesicht geworfen, was Sherlock nur noch mehr hatte Lachen lassen.

„Wo kriegen Sie die eigentlich immer her? Gehen Sie in die Pathologie wie in einen Supermarkt und sagen: Oh, der Kopf sieht aber heute toll aus, den hätte ich gerne. Würden Sie ihn mir einpacken, bitte? Und ach ja, von dem hätte ich gern die Leber und von der Frau da drüben...ihre Finger wären wirklich zu toll.“, durchbrach sie ihre eigenen Erinnerungen mit einem sarkastischen Unterton in der Stimme, während sie Sherlock musterte. Den sonderbaren Sherlock Holmes.

„So ungefähr...“, antwortete er im nüchternen Ton, nur ein kleines Zucken in seinen Mundwinkeln verriet den Spaß, den er hatte. „Von Ihnen hätte ich übrigens gern die Leber. So schön unverbraucht. Ohne Drogen, Alkohol und Zigaretten.“

„Sherlock!“, kreischte sie auf und haute ihn auf den Arm. Der Angesprochene rieb sich bloß die Ohren und lachte leise.

Dann ließ er sie kurz stehen und ging an den Straßenrand, winkte ein Taxi heran. Die Bremsen des schwarzen Wagens quietschen, als sich Sherlock beinahe vor ihn schmiss um ihn am Weiterfahren zu hindern. Catherine verdrehte kurz die Augen und stappste ihm, noch etwas unsicher auf ihren hohen Hacken, hinterher. Ganz Gentlemanlike, öffnete er ihr die Tür und lächelte sie freundlich an, doch der Ausdruck in seinen Augen passte nicht dazu. Er ließ es gespielt, gekünstelt wirken. Es wirkte einfach nicht echt. Oder sie meinte einfach Sherlock zu gut zu kennen, als ihm diese kleine Geste abzunehmen- oder beides.

Kurz blieb sie in der Tür stehen, erwiderte den Blick, forschte in seinem Gesicht. Wieder kam eine starke Windböe auf und ließ ihr beider Haar tanzte, doch er behielt das Lächeln bei und half ihr ins Auto. Als er die Tür schloss, lehnte Catherine sich in die Lehne zurück und schloss die Augen. Das würde ja ein Spaß werden. Dieser Blick in den Augen hieß wirklich nichts Gutes. Sollte Nate ihr leidtun? Aber sie musste auch zugeben, dass sie neugierig war, was Sherlock plante. Neugieriger als sie sich insgeheim eingestehen wollte. Schnell simste sie Sherlock noch die Adresse und schloss dann die Augen, wappnete sich innerlich auf was auch immer kommen möge.
 

~*~
 

Oh dieser Nate konnte einem schon leidtun. Wirklich leidtun. Wie er da saß und Catherine offenkundig anhimmelte, war ja beinah nicht zum Aushalten. Jetzt verstand Sherlock, warum sie etwas von unglaublich aufdringlich gesagt hatte. Seine dunklen Augen funkelten, wenn sie sich auch nur bewegte und er redete in einer Tour, während er nicht einmal bemerkte wie Catherine sich die ganze Zeit hilfesuchend umsah. Dass ihr die Situation unangenehm war, sah wohl selbst ein Blinder, aber Nate war dafür vollkommen unempfänglich.

Jetzt wollte er sie sogar füttern. Sherlock schüttelte nur den Kopf. Ein Glück, dass er keine Gefühle hatte, sonst würde er sich ja vielleicht auch so dämlich verhalten. Wieso machte man sich so zum Affen? Obwohl, nein...selbst Affen waren nicht so armselig. Er kroch ja beinahe von ihr, bettelte um ihre Aufmerksamkeit und Liebe, während Catherine selbst sich mehr als unbehaglich in dieser Situation fühlte. Unruhig rutschte sie auf der Sitzbank in dem italienischen Restaurant hin und her, spielte an ihrem Armband und fuhr sich nervös durchs Haar.

Sherlock hätte auch ohne die Vorinformationen keine Minute gebraucht um die Situation einzuschätzen. Wenn Sherlock ein Herz gehabt hätte, hätte er vielleicht Mitleid mit dem armen Gockel gehabt, doch er hatte ja keines. Vielleicht hätte er es sich sonst anders überlegt und sein Spiel umstrukturiert, aber die Fantasie in seinem Kopf hatte eine viel zu verlockende Gestalt angenommen. Dieser Junge würde es sicher einen großen Schock einjagen, doch es war Sherlock egal. Sherlock wollte nur seinen Spaß haben.

Sicherlich, er hätte Catherine näher erklären können, was er vorhatte, aber es interessierte ihn zu sehr wie sie reagieren würde und ihre Reaktion wäre vermutlich für das Spiel sogar nützlich. Er sah es als ein Experiment. Ein Experiment über menschliches Verhalten und das würde er nicht abblasen, weil der Kerl so verzweifelt um Zuneigung buhlte. Seine Reaktion würde sicher Spaß machen.

Nun gut, dann mal Vorhang auf. Sherlock öffnete die Tür zum italienischen Restaurant und sofort schlug ihm lautes Geschnatter, der Geruch von Pasta und italienische Kitschmusik entgegen. Natürlich, ein erster Date Schauplatz wie im Bilderbuch. Er konnte Catherines Leid echt verstehen. Hier konnte man doch nur überleben, wenn man selber so viele rosa rote Herzchen ausstieß wie die restlichen Anwesenden. Alle andren kriegten von so viel Kitsch noch Ausschlag. Was sollten diese Gemälde an der Wand überhaupt darstellen? Venedig bei Nacht? Da war wohl nie einer auf der Rialto Brücke. Die Architektur stimmte nicht im Geringsten und immer wieder „ooooh amore mio“ zu hören drehte einen doch glatt den Magen um. Wenn Catherine doch wenigstens Angelos gewählt hätte, dann wäre die Atmosphäre nicht ganz so überladen gewesen. Aber vermutlich war es gar nicht so dumm ein Restaurant für ein unfreiwilliges Date zu wählen, was nicht in unmittelbarer Nähe der Wohnung lag. So wie Nate Catherine noch immer anschmachte, würde Sherlock es ihm durchaus zumuten, dass er ihr folgen und vielleicht gar in Romeo Manier ein Ständchen bringen würde. Oh bitte nicht, darauf konnte er wirklich verzichten.

Ein Grinsen breitete sich auf Sherlocks Gesicht aus, als er seine Körperhaltung veränderte. Er senkte die Augenbrauen, legte das Gesicht in tiefe, zornige Falten und steckte die Hände in die Taschen, während er leicht vorgebeugt durch die Kellnerschar schlängelte und direkt auf den Tisch in der hintersten Ecke des Lokals zusteuerte. Das Lokal war wirklich gut besucht, sodass es Sherlock beinah wie ein Spießroutenlauf vorkam. Er bekam was mit von Versöhnungsversuchen, frisch verliebten Pärchen und alte Ehepaare, die versuchten ihr Eheleben wiederzubeleben- die meisten von denen hatte zumindest einer eine Affäre, das konnte Sherlock selbst aus dem Augenwinkeln sehen.

Doch als er das Restaurant fast komplett durchquert hatte, verlagerte sich sein Fokus wieder und er stampfte wütend auf dem Tisch zu an dem Catherine und Nate saßen.

„Du!“, presste er zwischen den Zähnen hervor und knallte seine Faust auf den Tisch. Erschrocken sahen sowohl Nate als auch Catherine auf. Catherine rückte eine Stück von ihm zurück, drückte sich in die Ecke der Sitzbank, während Nate völlig verwirrt zwischen Sherlock und ihr hin und hersah.

„S...“ Sie brach ab, und sah mit großen Augen zu ihm hoch, während er ihren Blick grimmig erwiderte. „Sebastian! Was machst du denn hier?“ Oh, der Verstand von ihr war wirklich nicht so langsam wie von den meisten Menschen. Überraschend, dass sie trotz der überraschenden Situation daran dachte seinen Namen zu ändern. Mit diesem Schachzug, hielt sie zu einem Sherlock aus der Geschichte heraus und falls sie irgendwann diese Lüge vergaß und Sherlocks Namen in Labor fallen ließ, würde Niemand Verdacht schöpfen. Erst recht nicht der etwas blauäugige Nate. Clever, wirklich clever.

„Was ich hier mache?!“, schnaubte er und presste seine Lippen zu einem schmalen Schlitz zusammen, während seine Faust auf dem Tisch bebte. „Ich frage dich, was du hier machst, Catherine! Du hast doch gesagt du wärst mit Marianna unterwegs! Und dann erwische ich dich hier...mit diesem...diesem...Mistkerl!“ Gut, seine Stimme zitterte. Kurz hatte er überlegt, ob er den wütenden Vater oder doch den Liebhaber raushängen lassen sollte, doch er hatte sich für zweite Variante entschieden. Sicher war sicher, Vater passte zwar vom Alter her besser, nur das hätte ihm wohl von Aussehen her keiner abgekauft und er wusste auch nicht, ob Catherine erzählt hatte, dass ihre Eltern schon tot waren. Nein, Liebhaber war einfacher.

„Ca...Catherine...was ist hier los?“, fragte Nate unsicher und blickte sie an. Sofort fuhr Sherlocks Kopf zu ihm herum und seine Augen verschmälerten sich zu kleinen Schlitzen. Das war also Nate. Ungefähr 1,86, nein genau 1,86 groß, grüne Augen, braune Haare. Sein Blick glitt weiter an dem jungen Mann herab. Er war 25 Jahre alt und ein wissenschaftlicher Mitarbeiter bei Professor Niels Labor, wie er von Catherine ja bereits wusste. Seine Finger waren manikürt, also würde er eher vermuten, dass er Bioinformatiker war und nicht jemand, der häufig mit dem Chemikalien in Kontakt kam. Auch Sport schien ihm nicht zu liegen. Seine Figur war schmächtig, was er mit seiner Kleidung zu verbergen versuchte. Er trug einen blauen Anzug, der teuer Aussehen sollte, doch Sherlock sah, dass die Nähte billig waren. Sein Blick glitt noch einmal zurück zu Catherine, die lustlos in ihrer Pasta mit Trüffeln herumstocherte und dabei den Blick scheu gesenkt hatte. Zumindest hatte sie etwas Teures genommen um nutzen aus dieser Situation zu ziehen. Ja, die junge Frau war wirklich nicht dumm. Dann fixierte er jedoch Nate wieder, der verängstigt zurückwich. Oh je, auch noch ein Feigling. Großartig.

„Se...Sebastian. Es ist nicht so wie du denkst!“, stotterte Catherine überfordert und ergriff seinem Arm. Kurz zuckte er- aus Reflex- und zog den Arm weg, wobei sein Blick kalt wurde. Er mochte keine Berührungen. Sie waren ihm zu wider, doch das nutzte ihm gerade sogar noch.

„Wie ist es dann?“, flüsterte Sherlock gefährlich ruhig, seine Stimme nur ein dünnes Flackern, als stände man auf dünnem Eis.

„Er...ist nur ein Arbeitskollege.“, versuchte sie ihm zu versichern, sah ihn aus großen, blauen Augen an, doch Sherlock schnaubte nur und lehnte sich so weit vor, dass er ihren Atem auf seiner Haut spüren konnte. Er roch ein leichtes Eau de Toilette. Leicht, süßlich, beschwingt. Sie hatte sich bei ihrer Maskerade wirklich Mühe gegeben. So wie sie jetzt aussah, könnte sie den Jungen womöglich den Kopf verdrehen. Nicht, dass er sich darin auskannte oder es ihn gar interessierte.

„Ein...Arbeitskollege?“, wiederholte Sherlock ungläubig und zog eine Augenbraue hoch. Sein Gesicht war nur noch Zentimeter von dem Catherines entfernt. Für Nate sollte es aussehen, als wolle er sie mit seinen Blicken durchbohren, doch in Wirklichkeit wollte er nur sehen wie Catherine reagierte. Wie dieses nicht ganz so dumme Mädchen mit der Situation zurechtkam.

Catherine erwiderte seinen Blick und kurz flackerte Verwirrung in ihren blauen Augen auf, doch dann fand sie ihre Rolle wieder. Tief holte sie Luft, strich sich das Haar hinter die Ohren und wich seinem Blick aus, starrte ertappt zu Boden.

„E...entschuldigen Sie, Sir. Ich...ich wusste nicht...“, meldete sich nun auch Nate verunsichert zu Wort. Blitzschnell wie eine Kobra fuhr Sherlock herum und durchbohrte ihn mit einem eiskalten Blick. Sherlock hielt wirklich nicht viel von diesem Mann, der so kleinlaut, ängstlich und einfältig war. Er war so gewöhnlich. Schluckend drückte sich Nate in die Lehne und er schien beinahe Angst vor Sherlock zu haben.

„Du! Du triffst dich hier mit meiner Freundin?“, knurrte er wütend.

„I...Ihrer...Catherine, du hast nie...“, stotterte er entsetzt und ab hier begann das Spiel wirklich Spaß zu machen. Es war ja so einfach ihn aus der Fassung zu bringen. Er würde nicht kämpfen, das sah Sherlock ihm an. Er hatte noch nie gekämpft, weder als seine Eltern sich hatten scheiden lassen, seine Freundin ihn betrog und auch als er in der Schule gemobbt worden war. Es war so einfach all das gegen ihn einzusetzen um ihn die peinlichste Situation seines Lebens zu bescheren.

„Sebastian...bitte! Zwischen uns beiden war es aus! Ich...ich habe...“

„Aus? AUS!“, zischte er. „Und wieso siehst du mich dann so schuldbewusst an?“

„...ich wollte nicht...“, versuchte Nate zu erklären.

„Sei still, du Dreckssack!“, fuhr Sherlock ihn aufgebracht an und schlug mit der Faust direkt neben seinem Teller mit dem Steak. „Es sei denn, du willst ohne Schwanz diesen Raum verlassen.“
 

~*~
 

Catherine war erstaunt als sie diese Worte aus Sherlocks Mund hörte. Sie hatte Sherlock sonst immer nur genervt, ruhig oder aufgeregt gehört, aber niemals war der tiefe Bariton von Wut durchzogen gewesen. Hätte sie nicht gewusst, dass es nur ein von ihm inszeniertes Spiel war, hätte es sie wirklich erschrocken. Er hatte nicht untertrieben, Sherlock war wirklich ein guter Schauspieler. So gut, dass ihr Nate fast schon leid tat. Ihr vermeintliches Date saß wie ein Häufchen Elend in der Ecke und wollte am liebsten fliehen, doch Sherlocks eiskalter Blick hielt ihn dort gefangen.

„Sebastian...bitte...lass uns in Ruhe darüber reden...“ Es war gar nicht so einfach einen sanften Ton anzuschlagen, doch es gelang ihr einigermaßen. Was erhoffte sich Sherlock eigentlich von diesem Spiel? Es machte ihm Spaß, dass sah man, wenn man mit seiner Körpersprache ein wenig vertraut war. Aber machte der eifersüchtige Liebhaber Sinn? Würde das nicht das Geläster in dem Labor nicht sogar verschlimmern. Hatte Sherlock seinen eigenen Spaß höher gestellt als ihren Nutzen? Verwunderlich wäre es nicht.

Ihr Blick glitt zu Sherlock, suchte einen Hinweis, doch fand keinen. Ihr vermeintlicher Liebhaber holte nur bebend Luft und warf ihr einen so stechenden Blick zu, dass sie erstarrte. Wenn sie nicht wüsste, dass er hier ein Spiel spielte, würde sie Angst bekommen. Diese Augen konnten ja förmlich mit Messern werfen.

„Sebastian...Liebling...“ Oh Himmel, klang das seltsam! Das ging ihr ja kaum über die Lippen. Kurz blickte sie zu Sherlock. Dieser erwiderte ihren Blick und grinste, das konnte der arme Nate allerdings nicht sehen, da Sherlock ihm den Rücken zugewandt hatte. Gott, steh ihr bei, es fiel ihr gerade so schwer nicht zu lachen. War sie verrückt, weil ihr das gerade Spaß machte? Erst hatte sie sich unwohl gefühlt, weil sie nicht gewusst hatte was Sherlock plante und ob sie glaubwürdig spielen würde, doch er machte es ihr leicht. Er spielte geschickt mit ihren natürlichen Reaktionen, nutzte ihre Verwunderung aus und legte sie durch sein Spiel anders aus.

„Bitte, lass es mich erklären!“, bettelte sie, rang mit den Händen, während es ihr alle Kraft kostete um nich zu lachen. Aus den Augenwinkeln sah sie wie Nate versuchte sich heimlich davonzustehlen, doch mit einem unauffälligen Blick in seine Richtung machte sie Sherlock darauf aufmerksam.

Dieser nickte leicht und drehte sich wieder zu ihm um, fixierte ihn mit einem mahnenden Blick.

„Ich warne dich, Freundchen.“, sagte er mit bebender Stimme und hielt Nate seinen feingliedrigen Finger vor die Nase. „Wenn du irgendjemanden davon erzählst, dann Gnade dir Gott. Dann komme ich und mach dir die Hölle heiß.“ Nate nickte nur hastig, griff seine Jacke, knallte Geld auf den Tisch und verschwand so schnell aus dem Lokal als wäre der Teufel persönlich hinter ihm her.

Kurz guckten die beiden ihm irritiert hinterher und blickten dann sich an.

„Speedy Gonzales wäre neidisch auf ihn.“ Schließlich war Catherine es, die die Stille durchbrach.

„Wer?“, fragte Sherlock irritiert.

„Na Speedy Gonzales...die...ach, schon gut. Ich vergaß mit wem ich hier spreche. Sie wissen natürlich nicht wer Speedy Gonzales ist.“ Ruhig winkte sie ab und erwiderte dann seinen Blick. „Danke, Sherlock. Lange hätte ich es nicht mehr ausgehalten. Lassen Sie uns gehen, ja? Ich möchte nicht mehr hierbleiben.“

„Zumindest hatte er den Anstand zu bezahlen.“, stellte Sherlock fest und wieder schmunzelte er. Catherine bedeute den Kellner kurz, dass das Geld auf den Tisch lag, schnappte ihre Lederjacke und verließ zusammen mit Sherlock das Lokal.

Noch immer wehte ein steifer Wind durch die Nacht und die übliche Suppe von Wolken zog über Londoners Himmel. Catherine zog ihre Jacke an und vergrub ihre Hände in die Taschen. Sie lehnte sich gegen die Wand und blickte zum Himmel hinauf. Sherlock stand neben ihr und blickte sich nach einem Taxi um.

„Wollen wir wirklich noch was Essen gehen? Sie haben Ihre Pasta ja kaum angerührt.“, schlug er dann schließlich vor und warf ihr einen fragenden Blick zu. Catherine zog nur eine Augenbraue hoch. Lud Sherlock Holmes sie gerade etwa ein? Dieser Abend wurde echt immer verrückter.

„Nein, danke. Ich hab genug Sherlock für heute.“ Sie grinste ihn an. „Ich glaub das Bild des wütenden Liebhabers werde ich so schnell nicht wieder los.“

„Aber es hat Ihnen Spaß gemacht.“, stellte Sherlock zufrieden fest.

„Oh ja! Sehr sogar.“, kicherte sie leise und rieb sich über die Nase. „Das Gesicht von Nate, als Sie auf den Tisch gehauen haben. Göttlich. Ich schwöre, hätte ich es nicht besser gewusst, hätten Ihre Blicke mir Angst gemacht.“ Sherlock schmunzelte nur auf Grund des Kompliments und schaffte es ein Taxi heranzuwinken.

„Ich glaube kaum, dass er Sie noch einmal einladen wird.“

„Hoffentlich nicht.“, seufzte Catherine. „Das könnte wirklich unangenehm werden.“

„Sonst schlag ich halt nochmal auf.“ Vorsichtig stieg sie in den Wagen und sah zu Sherlock auf.

„Wollen Sie nicht mitfahren?“, fragte sie irritiert.

„Nein, ich ess noch etwas...und zwar nicht in so einem Kitschladen.“ Catherine schüttelte kichernd den Kopf und lächelte ihn dann an.

„In Ordnung. Dann Gute Nacht, Sherlock.“ Mit diesen Worten fuhr das schwarze Auto davon. Völlig von diesem Abend erschlagen, lehnte sich Catherine in den Sitz zurück.

//London, London. Du bist wirklich interessant geworden. Wer hätte es gedacht, dass es so amüsant sein kann mit einem funktionierenden Soziopathen Tür an Tür zu wohnen?//
 

~*~
 

So, das war mein 3. Kapitel von meiner Sherlock Holmes ff. Ich hoffe es hat euch gefallen und ihr habt Catherine noch ein wenig besser kennengelernt.

Ich muss sagen dieses Spiel hat auch mir ein heiden Spaß gemacht auch wenn Sherlocks Gedanken darzustellen echt eine Herausforderung ist. Ich hoffe ich habe ihn gut getroffen. Seine Freude, seinen Spaß, seine...Eigenart. Armer Nate, Sherlock kann wahrhaft beängstigend sein :D Wer kann einen messerscharfen Blick aus seinen Augen standhalten? Ich sicher nicht xD

Nun gut.

nächstes Kapitel kommt Ende nächster Woche, denke ich :) Da wird es um John und Catherines Beziehung gehen. Ich hoffe ihr freut euch drauf.

Jeanne :)

Eine andere Ansicht auf die Welt

3. Kapitel: Eine andere Ansicht auf die Welt
 

John war an diesem Freitagabend eher nach Hause gekommen, als er ursprünglich geplant hatte. Grund dafür war ein heftiger Streit mit seiner Freundin Jeanette gewesen. Sherlock hatte mal wieder mitten beim Kuscheln eine SMS geschrieben und er hatte den fatalen Fehler gemacht ihm zu antworten. Er hatte sich entscheiden müssen: Zoff mit Sherlock und dessen darauf folgenden SMS Terror oder eine eingeschnappte Jeanette, weil er sie mal wieder wegen Sherlock abwies.

Nach einigen Hin und Herüberlegen hatte er sich dann dafür entschieden Sherlock zu antworten. Er hatte Milch mitbringen sollen und dafür diesen Terz. Jeannette hatte es natürlich nicht gepasst und sie hatte ihm an den Kopf geworfen, dass er nur mit Sherlock eine Beziehung hätte. Witzig. Das hatte er schon ein paar Mal gehört. Auch von seinen anderen Freundinnen. Meist war das sogar der Trennungsgrund gewesen. Natürlich war das völlig absurd, aber es gab ihm allmählich doch zu denken.

John seufzte und nahm sich ein wenig Scotch aus dem Schrank, ging zurück in das Wohnzimmer. Zumindest war Sherlock nicht zu Hause, sonst hätte er jetzt wieder irgendeinen Spruch zu hören bekommen und das konnte John gerade wirklich nicht gebrauchen. Er wollte in Ruhe seine Gedanken ordnen und Sherlock war dabei alles andere als hilfreich. Überhaupt nicht hilfreich. Wieso tat er das eigentlich? Jedes Mal, wenn Sherlock rief, sprang er wie ein folgsamer Hund. Kein Wunder, dass seine Freundinnen glaubten, dass er eher eine Beziehung mit ihm hatte, aber so war das Ganze nicht. Dieses seltsame Beziehungsgeflecht war viel komplizierter, als dass John es benennen könnte. Es war losgelöst von so simplen Gefühlbezeichnungen wie Liebe, Freundschaft und Loyalität.

Sherlock brauchte ihn nicht, höchstens zum Einkaufen und Kochen, aber im Rest konnte er für ihn nur Recherchieren, Infos sammeln und Dinge für ihn überprüfen. Selbst damals bei dem dritten Spiel von Moriarty, wo John sich so sicher gewesen war eine Lösung gefunden zu haben, hatte er sich getäuscht. Noch immer begriff er nicht ganz wie Sherlock all das anstellte, doch es beeindruckte ihn. Es beeindruckte ihn mehr als alles andere.

Dennoch blieb Sherlock ein arroganter Kerl mit eindeutig zu viel Selbstbewusstsein. Eigentlich hatte John diese Art von Menschen niemals ausstehen können und doch war es so gekommen. Er wohnte hier zusammen mit einem funktionierenden Soziopathen, wie er sich selber nannte, löste mit ihm Verbrechen und seltsamerweise funktionierte es. Besser, als John es sich selber eingestand. Auch wenn es für ihn alles andere als leicht einzugestehen war, so machte ihm Sherlocks Andersartigkeit nichts aus. Sicher, oft war er irritiert, genervt oder schockiert, doch all das machte es auch irgendwie interessant. John wusste nie, was ihn als nächstes erwartete, kein Tag glich dem anderen und genau das genoss er. Es war wie im Krieg, doch hier wusste John, dass die Menschen, die sie fingen, wirklich böse waren. Im Krieg selbst hatte er sich zu oft Gedanken um die gemacht, die er getötet hatte, denen er in die Augen gesehen hatte, als sie starben. Waren sie Väter? Ehemänner? Brüder? Diese Fragen hatten ihn lange nicht losgelassen. Die Menschen auf der anderen Seite des Schlachtfeldes wollten sie alle töten und doch...konnte John nie sagen, dass sie böse waren. Schließlich...kämpften sie doch nur für ihre Heimat, genauso wie er.

John schüttelte den Kopf, stellte das Glas mit dem Scotch ab und lief unruhig durch die Wohnung. Zu viele Gedanken rannten durch seinen Kopf, ließen ihn unruhig werden. Er musste allmählich zu verstehen beginnen, was das hier genau war, er musste herausfinden, was er wollte. Was er sich von alldem erhoffte oder er würde nie sein Privatleben auf die Reihe kriegen.

Da fiel ihm etwas auf und John hielt inne. Eine Akte lag fein säuberlich auf dem Sessel, in dem Sherlock sonst immer saß. Beinahe, als hätte er sie weggelegt und wäre dann ruhig aufgestanden. Das war ungewöhnlich, besah man sich doch das Chaos, das momentan in der Wohnstube der 221b herrschte. Türme aus Akten, Notizen und Ausdrucken stapelten sich bedrohlich auf dem Schreibtisch, schwankten hin und her, als würden sie jeden Moment umfallen. Sherlock hielt nie viel von Ordnung. Er legte alles einfach hin und dann wurde er wütend, wenn er es nicht wieder fand. John seufzte. Warum sollte sich so ein brillanter Verstand auch mit Haushalt aufhalten? Das war ja so was von abwegig. Das konnte ja der Lichtleiter John Watson machen, wenn es ihn denn störte, aber wehe er verstellte etwas Wichtiges. Er tat es nur noch bei Härtefällen, wenn er nicht mehr einen Schritt in der Wohnung machen konnte, ansonsten mied er es auch nur eine Kleinigkeit woanders hinzulegen.

Deshalb irritierte es John, dass diese Akte nicht achtlos irgendwo hingepfeffert worden war, sondern aus dem Chaos herausstach. Kurz zögerte er, haderte mit seinem Drang keinen Zoff mit Sherlock zu provozieren, doch dann nahm er sie, setzte sich in den Sessel und begann zu lesen.

Es dauerte nicht allzu lange, bis er begriff, um welchen Fall es sich handelte. Es war die Akte von dem Mord an Catherines Bruder, denn der Name stand dick auf einem kleinen weißen Zettel. Wann hatte Sherlock sie sich besorgt? John runzelte seine Stirn, dachte aber nicht weiter darüber nach, sondern las sich durch die Anzahl von Berichten. Bald kam er zu demselben Schluss, den auch Sherlock vor einigen Stunden gezogen hatte. Etwas stimmte nicht. Dafür brauchte meine keine besonderen Fähigkeiten in Deduktion, keinen überragenden Intellekt. Etwas war einfach schlicht faul an dieser Sache.

Seit er mit Sherlock unterwegs war, hatte John eine Art Gespür entwickelt, wann etwas im Gange war, das größer war, als man eigentlich vermutete. Viele bezeichneten es als Paranoia, schoben es vielleicht sogar auf sein PSD, doch John begann allmählich zu verstehen, dass mehr hinter der Welt steckte, als man sah.

Plötzlich hörte er wie es klingelte und schrak aus seinen Gedanken. Irritiert runzelte er die Stirn. Es war zu lang für einen Klienten und auch zu lang für Lestrade. Mycroft hätte sich vorher per Telefon angekündigt. Langsam stand er auf, ging zur Tür und öffnete diese. Vor ihm stand Catherine im Türrahmen, ihr Haar war leicht kraus vom Nebel, der sich allmählich über London legte. Sie zitterte vor Kälte in ihrem schicken, roten Kleid. Es war ein seltsamer Anblick, kannte John sie sonst in Jeans und Shirt, doch er kam nicht ohnehin zu bemerken, dass sie hübsch war. Eine schlanke, junge Frau, mit Kurven und langen, sich in den Spitzen leicht lockenden, braunen Haar und wachen, intelligenten, meeresblauen Augen.

„Oh, Sie sind ja schon da, John.“, sagte Catherine irritiert und neigte ihren schmalen Kopf. Offensichtlich hatte sie nicht gerechnet, dass Jemand zu Hause war. „Hatten Sie Streit mit...Jeannette?“ John rollte kurz mit den Augen und seufzte.

„Kann man so sagen...Wollen Sie reinkommen?“, bot John freundlich an.

„Ich wollte eigentlich nur fragen, ob Sie Zucker dahaben. Ich hab keinen mehr und ich brauch unbedingt nen Kaffee.“

„Den brauch ich auch.“, seufzte John und ging in die Wohnung. „Wir können gerne einen zusammentrinken.“ Catherine zögerte kurz und fragte sich, ob sie wirklich noch mit John sprechen sollte, schließlich wollte sie nur schlafen, doch sie spürte, dass er nicht alleine sein wollte und deshalb wollte sie ihm den Gefallen tun. Sie nickte John kurz zu, der bereits in die Küche gegangen war und nahm im Wohnzimmer Platz.

„Meine Güte, was für eine Unordnung...“, murmelte sie als sie ihren Blick durch die Wohnung schweifen ließ. „Und ich dachte meine Bude wär unaufgeräumt.“

Catherine war schon ein- zweimal in der Wohnung von Sherlock und John gewesen und da war es genauso unaufgeräumt gewesen. Damals hatte sie gedacht, dass sie vielleicht nicht dazugekommen waren aufzuräumen, da sie wieder einen Verbrecher gejagt hatten. Nun schien ihr diese Möglichkeit aber ausgeschlossen.

„So sieht es hier immer aus.“, erklärte John, der es gehört hatte und kam mit zwei Tassen Kaffee zurück. „Sherlock hält nicht viel vom Aufräumen.“

„Wär ja auch ein Wunder, wenn...“ Catherine schüttelte nur den Kopf und sah den Arzt an.

„Wollen Sie Milch in Ihren Kaffee?“, fragte er sie, als sie das Tablett auf den Tisch stellte.

„Ja, bitte.“ John nickte und schenkte ihr erst einmal eine Tasse. Ein warmer Duft erfüllte den Raum und Catherine ließ sich genüsslich in die Kissen sinken. Sie war noch völlig durchgefroren von der eisigen Nacht, der Nebel war ihr bis in die Knochen gedrungen und das prasselnde Feuer vertrieb das klamme Gefühl aus ihrem Körper.

„Ich weiß nicht wie die meisten Frauen das aushalten. In solchen Klamotten friert man sich ja zu Tode.“, murmelte Catherine und rieb sich über die Arme.

„Tjaa...so ist das.“ John reichte ihr eine feine Keramiktasse mit Goldverzierung und der vertraute Geruch des Kaffees stieg in ihre Nase, ließ ihre Hände kribbeln.

„Danke.“

„Gern geschehen.“ Der Arzt setzte sich ihr gegenüber und die beiden tranken erst einmal einen großen Schluck. Das warme Getränk vertrieb endgültig die Kälte aus ihrem Körper und Catherine schloss die Augen. So geschah es, dass sie einfach ein paar Minuten da saßen, den Kaffee tranken und die Ruhe ohne Sherlock genossen. Dann jedoch öffnete sie ihre Augen und sah John an.

„Also...was ist passiert? Ich dachte Jeanette und Sie wollten ins Kino gehen.“ Kurz blickte Catherine auf ihre Armbanduhr und runzelte die Stirn. „Der Film sollte erst in frühestens einer Stunde aus sein.“

John seufzte, ließ sich in den Sessel zurückfallen und rieb sich die Augenbrauen. Müde blickten seine blauen Augen sie an und der Schein des Feuers, der sich auf seinem Gesicht widerspiegelte, ließen ihn alt aussehen. Oh je, wie sehr hatte Sherlock ihn denn die letzten Wochen auf Trab gehalten? Und wo nahm der Consulting Detective die Energie nur immer her?

„Sherlock ist passiert...“, erklärte er müde und strich sich durch das Haar. „Wer auch sonst?“

„SMS?“

„Ich sollte Milch holen.“ Seine Stimme war schwarzgefärbt vom Spott und er verdrehte die Augen.

„Und damit begann der Knatsch.“, seufzte Catherine und nahm noch einen Schluck. Natürlich begann er dann. Sherlock duldete keine Verzögerungen und sei es bei noch so banalen Dingen wie Milch holen. Dieses Leid hatte ihr John schon öfter geklagt.

„Jeanette fand das gar nicht lustig.“

„Verständlich...“, sagte Catherine nach einigem Abwiegen. Sie wusste nicht wie sie verhalten sollte. Sollte sie John zustimmen oder nicht? Lag ihm etwas an der Beziehung zu der Lehrerin? Sie war sich da nicht so sicher, doch vermutlich wollte John das gar nicht hören. Jeanette war die zweite Freundin, die Catherine mitbekommen hatte und bei ihrer Vorgängerin war es auf Grund einer ähnlichen Situation zu Bruch gegangen. Sherlock. Natürlich war Sherlock der Grund gewesen. Damals war John deprimiert zu ihr herüber gekommen und hatte gefrustet erzählt, dass ihm jedes Mal an den Kopf geworfen worden war, dass er mit Sherlock eine Beziehung hätte. Dabei wäre er nicht schwul.

Catherine war damals verwundert gewesen, dass er zu ihr gekommen war, doch vielleicht hatte er eine halbwegs neutrale Person zum Reden gebraucht. Sie hatte förmlich gespürt, dass er von ihr erwartet hatte, dass sie das als Dummheit abtun würde. Um aber ehrlich zu sein, sprach wirklich alles dafür, doch sie wollte Johns Gefühle nicht verletzten. Es hatte sie damals all ihre Feinfühligkeit gekostet um dieses Thema zu umgehen. Sie hatte John kaum gekannt und es war noch nicht das Verhältnis da gewesen, was ihnen erlaubte, zu scherzen.

„Und dann komm ich hierher und Sherlock ist noch nicht einmal da.“, schnaubte John frustriert und verschränkte seine Arme vor der Brust.

„Hätte mich gewundert, wenn. Sherlock ist Essen gegangen.“, erklärte Catherine mit einem Schulternzucken.

„Achso...essen...“ John nickte hastig, hielt dann aber inne und sah sie fragend an. Catherine erwiderte den Blick und neigte den Kopf, zuckte kurz mit den Schultern.

„Was? Ich habe ihn getroffen, als ich mich auf dem Weg zum Date mit Nate gemacht habe. Er kam gerade von einer seiner Shoppingtouren wieder. Wundern Sie sich also nicht, wenn Sie wieder was im Kühlschrank finden.“ John legte die Stirn in Falten und drehte sich zum Kühlschrank um, erschauderte und sagte:

„Ok, den Shepards Pie, der da drin ist, werde ich nicht mehr essen.“

„Sie wissen schon, dass die Bakterien eh nicht überwandern können. Dafür ist es dort zu kalt.“

„Schon...“, gab er zu. „Besonders appetitlich finde ich das trotzdem nicht. Medizinisches Wissen hin oder her.“ Catherine lachte und strich sich ihren Pony aus dem Gesicht.

„Verständlich, John.“, schmunzelte sie amüsiert. John erwiderte das Lächeln knapp, aber es erreichte seine Augen nicht ganz.

„Glauben Sie, dass sich das mit Jeanette wieder einrenken wird?“ John seufzte schwer und schloss die Augen.

„Nein, glaube ich ehrlich gesagt nicht. Es ist ja nicht das erste Mal, dass ich sie für Sherlock versetzt habe. Sie war wirklich ziemlich sauer.“

„Hmm...das tut mir leid, John. Wirklich.“ John Blick wurde frustriert, doch dann schüttelt er den Kopf.

„Sie haben ja Recht. Jedes Mal, wenn Sherlock ruft, dann eile ich zu ihm…mir stellt sich eigentlich nie die Frage, ob ich es tun sollte oder nicht.“ Seine Stimme wurde mit jedem Satz immer leiser.

„Sherlock lässt einem auch keine besonders große Wahl.“, gab Catherine zu bedenken. John lachte freudlos auf und stand auf. Mit hastigen Schritten ging er zu der Glasvitrine, indem sie immer ihren Alkohol aufbewahrten, und holte sich eine Flasche Brandy heraus. Sorgsam schüttelte er sich ein Glas ein und setzte sich dann wieder zu ihr.

„Und? Lief Ihr Date mit Nate wenigstens besser?“, hakte er nach einigen Minuten nach und beobachtete sie. Catherine schluckte und mied seinen Blick. Das Unbehagen in ihr wuchs. Sie wollte John nicht anlügen, denn sie vertraute ihm und schätzte ihn, doch sie wusste, dass er es niemals gutheißen würde, was sie getan hatte. John hatte höchste moralische Ansprüche und er hatte ja Recht gehabt. Nate hätte es verdient, dass sie ihm einfach klarmachte, dass eine Beziehung nicht möglich wäre, doch sie hatte lieber den Weg des Sherlocks gewählt.

„Es lief…ganz gut.“, antwortete sie zögernd und wich noch immer seinen Blick aus. Tief Luft holend schloss sie die Augen und wartete darauf, dass John etwas sagte.

„Er weiß also, wo er steht?“

„Oh ja, das auf jeden Fall.“, sagte sie hastig und nickte eifrig. Sherlock hatte seinen Standpunkt ja mehr als deutlich gemacht.

„Sie sind eine schlechte Lügnerin, ist Ihnen das bewusst?“ Johns Stimme klang vorwurfsvoll und er seufzte leise. „Sie können mich ja nicht einmal ansehen, Catherine.“ Nun seufzte auch sie und sah auf. Johns blaue Augen lagen forschend auf ihr und sie wusste, dass sie dem sensiblen Mann nichts mehr vormachen konnte. Sie hatte ihren Spaß gehabt, nun musste sie die Konsequenzen tragen.

„Was haben Sie wirklich getan, Catherine?“ John faltete seine Hände im Schoß und runzelte die Stirn. Schuldbewusst verzog Catherine den Mund und biss sich auf die Unterlippe.

„Nun…ich…also…“

„Catherine…“, mahnte John sie und rutsche in seinem Sessel etwas vor. „Sie können mir doch alles sagen.“

„Das wird Ihnen aber nicht gefallen.“, erwiderte Catherine leise und fuhr sich müde durch ihr Haar.

„Haben Sie so wenig Vertrauen zu mir?“

„Ich habe zu großes Vertrauen zu Ihnen und genau das ist das Problem. Ich möchte Sie nicht enttäuschen.“

„Catherine…“, sagte er wieder, dieses Mal aber sanfter. „Ich lebe mit Sherlock zusammen. Ich habe schon so manches Schockierendes erlebt.“

„Da…haben Sie nicht ganz unrecht…nun…Sherlock…war daran beteiligt.“ Unruhig drehte Catherine ihre Kaffeetasse in den Händen.

„Sherlock…war was?“, wiederholte John ungläubig und sie hörte wie er den Atem anhielt.

„Ich war so verzweifelt. Ich weiß es war nicht richtig, aber als ich nach einem Taxi suchte, lief er mir über den Weg. Er kam gerade aus der Pathologie und er hat natürlich direkt bemerkt, dass ich auf dem Weg zu einem Date war, aber darauf gelinde gesagt keine Lust hatte.“ Kopfschüttelnd ließ sie sich in den Sessel zurückfallen und bedeckte ihre Augen.

John beobachtete sie weiterhin, ließ sie nicht aus den Augen, doch er sagte nichts. Etwas, was das Unbehagen in ihr nur noch steigerte. John war sehr humoristisch, wusste immer einen Witz, aber dass er sie einfach nur betrachtete und kein Wort sagte, ließ ihr schwindelig werden. Was hatte sie nur angerichtet? Das Spiel mit Sherlock hatte ihr solchen Spaß gemacht und sie hatte die Folgen nicht sehen wollen. Nein, sie hatte sie bewusst ignoriert, weil das Spiel viel reizvoller gewesen war. Das war verantwortungslos gewesen und dafür musste sie nun Rechenschaft stehen. Auch wenn das bedeutete, dass John sauer auf sie werden würde.

„Er fragte mich, warum ich überhaupt ginge, wenn ich doch keinen Bock hätte. Er verstand nicht, dass ich es tat um das Arbeitsklima zu retten. Warum sollte er das auch verstehen?“ Sie schüttelte ratlos den Kopf und seufzte schwer. „Also versuchte ich es ihm zu erklären und er meinte, dass er eine Idee hätte wie ich aus dieser Situation kommen würde.“

„Sagen Sie nicht, dass Sie darauf eingegangen sind, Catherine! Sie wissen doch wie Sherlock ist. Das konnte nicht gut gehen.“, fuhr John entsetzt dazwischen. Catherine sah ihn an und lachte leise, wurde aber stets lauter, bis er sie verwirrt ansah.

„Oh, an sich lief es gut. Nate wird mich garantiert niemals mehr einladen und wir beide hatten unseren hellen Spaß.“

„Was…haben Sie getan?“

„Ein kleines Schauspiel aufgeführt.“, erwiderte Catherine schlicht und zuckte mit den Schultern.

„Von dem Nate nichts wusste.“

„Natürlich nicht. Ebenso wenig wie ich, wie ich zu meiner Verteidigung sagen muss. Sherlock hatte mir nicht gesagt, was er vorhatte. Dann platzte er plötzlich in das Gespräch, schlug mit der Faust auf den Tisch und gab den eifersüchtigen Liebhaber. Glauben Sie mir, John. Ich habe mich total erschrocken.“ Der Arzt zog eine Augenbraue hoch und er schien schwer damit kämpfen zu müssen, nicht laut los zu lachen.

„Der…eifersüchtige Liebhaber? Kann er das überhaupt?“, fragte John ungläubig. Catherine schmunzelte ein wenig und rieb sich das Kinn.

„Kann er. Er musste ja nicht Liebe zeigen, sondern Wut und Eifersucht…und das…das kann er beängstigend gut. Der arme Nate ist so schnell geflohen wie Speedy Gonzales.“

„Wirklich jetzt?“ Noch immer blinzelten seine blauen Augen sie ungläubig an. Catherine nickte zögernd und dann konnte John ein Lachen nicht mehr verkneifen. „Das hätte ich zu gerne gesehen.“

„Ich hatte zumindest einen Heidenspaß.“, erklärte Catherine kichernd und sie fühlte sich befreit. Sie hatte wirklich geglaubt, dass John mit ihr schimpfen würde, dass er ihr sagen würde, dass das nicht so geht, doch die Vorstellung, dass Sherlock einen eifersüchtigen Gockel spielte, schien das alles zu überdecken. Sie hätte es auch bereut, wenn dieser dumme Scherz- denn das war es für sie gewesen- ihre gerade aufkeimende Beziehung zu John geschädigt hätte.

„Und jetzt ist er essen gegangen?“

„Er hat das zumindest gesagt.“ Catherine wog ihren Kopf hin und her. „Aber bei Sherlock weiß man ja nie, ob er spontan eine andere Idee hat.“ John seufzte und schüttelte leicht den Kopf.

„Zumindest wollte er mich einladen. Doch um ehrlich zu sein…ich hatte genug Sherlock für einen Abend…glauben Sie mir, John. Es war so schwer nicht zu lachen. Sherlock hat so übertrieben, dass ich echt dachte, Nate würde die Finte riechen. So richtig herrlich melodramatisch, doch Sherlocks Blicke haben ihn viel zu verängstigt.“ Sie kicherte leise. „Und dann musste ich ja auch noch versuchen ihn zu beruhigen. Also schön Süßholzraspeln. Ich habe ihn ernsthaft Liebling genannt. Selten ging mir etwas so schwer über die Lippen. Es war wirklich abstrus. Sherlock…Liebling…das sind zwei Dinge, die man nicht zusammen in einem Satz verwendet.“

„…mein aufrichtiges Beileid.“

„Dankeschön.“, lachte sie und sie strich sich die Haare über die Schulter. John schüttelte nur schmunzelnd den Kopf.

„Für die Rolle hätten Sie einen Oskar bekommen sollen.“

„Das finde ich aber auch.“, stimmte sie ihm eifrig zu und faltete ihre Hände im Schoß.

„Aber um ehrlich zu sein, es war ziemlich einfach. Sherlock hat mit meiner Verwunderung gespielt und sie genutzt. Wenn er will, ist er ein verdammt guter Schauspieler und er hat es sehr genossen.“

„Dieser Kerl…“ Ein leichtes Lachen schwang in seiner Stimme mit und noch einmal schüttelte er ungläubig den Kopf. „Man weiß bei ihm nie, was als nächstes kommt.“

„Aber das schätzen wir doch an ihm.“ Catherine lächelte zaghaft, denn sie spürte, dass Johns erste Verwunderung verschwand.

„Ja, das stimmt.“, gestand John dann seufzend ein. Er nahm noch einen Schluck aus dem Glas und betrachtete sie nachdenklich. Catherine spürte, dass er nun nachdenklicher wurde. Nicht nur wegen dem, was sie getan hatte, sondern auch inwieweit Sherlock bereits sein Leben kontrollierte. Seine Augen wanderten durch den Raum, blieben an dem Schädel auf dem Kamin hängen und ein freudloses Lächeln zuckte um seine Mundwinkel.

„Auch wenn es sicher amüsant war, fair Nate gegenüber war das nicht. Hatte er diesen Schrecken verdient?“

„Nein…natürlich nicht…“, sagte sie reumütig und senkte den Blick. John schaffte es auch immer wieder ihr ein schlechtes Gewissen einzureden. Bis gerade eben hatte sie noch blendende Laune gehabt, doch nun fühlte sie sich, als hätte sie einen Verrat begangen. Ihr Magen verkrampfte sich ein wenig. Es lag zwar kein Vorwurf in Johns Blick und auch keine Ermahnung und dennoch wurde ihr ganz flau, als er sie einfach nur stumm betrachtete.

„Catherine…ich mach mir ehrlich gesagt Sorgen. Sherlock ist ein sehr einnehmender Mensch. Mein Leben kontrolliert er schon komplett und das ist in Ordnung. Aber Sie haben noch viel vor in Ihrem Leben. Lassen Sie nicht zu, dass er sich zu sehr einmischt. Ich mein das als Rat. Er wird die Grenzen nicht ziehen und Sie tanzen gefährlich nah an seiner Welt.“ Ernste, blaue Augen sahen sie an und etwas Warnendes lag in seiner tiefen Stimme. Es war Johns Ernst. Das war nicht zu übersehen. Er war um ihre Zukunft besorgt. Er kannte Sherlock besser als jeder andere und wusste, was es bedeutet, wenn man sein Leben miterlebte. Vermutlich glaubte John, dass sie selbst die Gefahren nicht abschätzen konnte. Vielleicht konnte sie das auch nicht, aber sie wollte es selbst bestimmen.

Catherine ließ sich das Gesagte durch den Kopf gehen und stand dabei langsam auf. Ein Leben mit Sherlock Holmes hieß Gefahr, das hatte sie schnell erkannt.

„Danke für den Kaffee, John. Der hat gut getan. Ich werd dann mal wieder rüber und schlafen…“ Demonstrativ streckte sie sich und gähnte herzhaft. „Ich bin hundemüde.“ Sie war schon beinahe an der Tür, als John sich ein letztes Mal an sie wandte.

„Catherine…dieser Rat war mein Ernst.“ Sie blieb kurz stehen, holte tief Luft und nickte.

„Ich weiß, John. Ich weiß…“, murmelte sie müde.

„Warum lassen wir das eigentlich zu?“, sagte John leise- mehr zu sich selbst zu Catherine, während er in das Feuer starrte.

„Weil wir in einem sherlockzentrischen Weltbild leben, John. Und ich befürchte, dass kein Kopernikus oder Galileo da sind um uns zu beweisen, dass es anders ist.“, erwiderte sie ruhig und ging zur Tür hinaus.
 

~*~

Jahuuu, schon wieder ein neues Kapitel. Es läuft wirklich gut, so schnell war ich in letzter Zeit selten :)

Hoffe es hat euch gefallen. Im nächsten Kapitel stelle ich einen neuen Fall vor. ^-^ Ich hoffe ihr freut euch drauf.

So viele Leser und keine Review sind nämlich irgendwie doch entmutigend...

Auch ein Sherlock braucht einmal Hilfe

4. Kapitel: Auch ein Sherlock braucht einmal Hilfe
 

38,3°C Fieber. Stöhnend legte Catherine das Fieberthermometer zurück auf den Nachttisch und ließ sich ins Kissen zurückfallen. Die Grippe. Großartig. Das hatte sie nun davon, dass sie in diesem Aufzug auf das Date gegangen war. Dabei hatte sie sich wohl ordentlich verkühlt. Wie hielten die ganzen Damen in London es nur aus immer in solchen Klamotten durch den Winter zu stapfen? Sie bekam ja jetzt schon die Quittung.

Catherine schloss die Augen und rollte sich nunmehr unter den drei Decken auf ihrem Bett zusammen. Nur ihr Haar ragte noch unter dem weißen Berg hervor. Jetzt könnte sie für zumindest eine Woche das Arbeiten vergessen, aber sie wollte momentan sowieso nichts anderes als schlafen. Einen klaren Gedanken konnte sie sowieso kaum fassen. Ihre Nebenhöhlen waren vollkommen dicht und ihr Hals kratzte so sehr, als wäre es mit Schmirgelpapier ausgelegt.

Seit heute Morgen fühlte sie sich schon krank und im Laufe des Tages war es immer schlimmer geworden. Dumm nur, dass sie die Ausrede mit der Grippe schon vor zwei Wochen verwendet hatte und keiner im Labor ihr glauben würde, dass sie schon wieder die Grippe hätte. Nicht in einem mikrobiologischen Institut. Zum Glück war Kathy am Telefon gewesen, die wie immer nur freundlich geantwortet und das akzeptiert hatte ohne nachzufragen, ohne sie zu verurteilen. Morgen würde sie zum Arzt gehen und sich ein Artest schreiben lassen. Die Frage war nur wie sie so krank zum Arzt kommen sollte.

Kurz überlegte Catherine, ob sie John anrufen sollte und ihm nach einen Artest zu fragen, doch dieser hatte sie nun die letzten Tage mit Schweigen gestraft, weil Sherlock und sie Witze über die Sache mit Nate gemacht hatte. Catherine konnte es ihm nicht einmal verübeln, schließlich hatte er ja recht damit, dass das nicht in Ordnung gewesen war und sie ihm sogar gesagt hatte, dass sie es bereute. Nate hingegen arbeite noch immer vorbildlich mit ihr zusammen und sprach noch mit ihr, aber es ging nie über die Arbeitsalltagkonversationen heraus. Er hatte auch den Vorfall nie mehr mit nur einem Wort erwähnt. Darüber war Catherine wirklich mehr als froh und doch behagte es ihr nicht, dass sie John nun wirklich enttäuscht hatte.

John war so etwas wie ein Vater für sie geworden und sie vertraute ihm. Catherine wusste, dass sie jederzeit zu ihm rüberkommen könnte, wenn sie ernsthafte Probleme hatte, doch sie wollte diesen Umstand nicht missbrauchen. Dabei wünschte sie sich gerade, dass irgendeiner hier wäre und sich um sie kümmerte, denn sie fühlte sich hundeelend, doch was sollte sie tun? Sie lebte jetzt alleine hier und musste auch alleine damit fertig werden, dass sie krank war.

Noch ein bisschen mehr zog sie die Decke hoch und drückte ihr Kissen zurecht, doch sie fand einfach keine Ruhe um zu schlafen, obwohl sie wusste, dass sie das am aller meisten brauchte. Immer wieder kreisten ihre Gedanken um John, Sherlock, Jeffrey und die Arbeit. Sie hatte es nicht leicht in dem Labor. Einige der Mitarbeiter verachteten sie und hatten angefangen hinter ihrem Rücken über sie zu lästern. Normalerweise hätte sie darüber gestanden, würden sich nur nicht alle von ihr abwenden und so tun, als wäre sie verpestet und sie könnten sich anstecken. Selbst ihr Professor hatte es mittlerweile mitbekommen und hatte sie zur Rede gestellt. Wenn sie nicht aufpasste, würden sie sie aus dem Labor drängen. Sie könnte sich nur mit vorbildlicher Arbeitshaltung und Wissen retten, doch nun lag sie krank im Bett und konnte somit ihren Soll nicht erfüllen.

Die gesamte Situation wurde ihr zu viel. Sie hatte das Gefühl, dass eine Decke über ihr zusammenbrach und sie begrub. Wie sollte sie an so vielen Fronten kämpfen? Sie hatte kaum noch Kraft und war auch einfach zu jung. Wie sehr sie sich jetzt nach ihrem Bruder oder Johns Beistand sehnte, doch das hatte sie sich ja gehörig selbst verbockt. Dumme Catherine! Nur weil sie einfach nicht ihren Mund hatte halten können.

Das war schon immer ihr Problem gewesen. Wenn sie einmal im Rausch war, verlor sie jegliche Kontrolle und wusste nicht mehr wo die Grenze war. Vermutlich hatte John Recht gehabt. Sie war nur einen Schritt davon entfernt sich in Sherlocks Welt zu begeben, dabei schüttelte sie selbst oft genug den Kopf über sein Verhalten. Doch war sie wirklich besser? Sie reizte, sie provozierte und testete die Grenzen aus. Der einzige Unterschied zwischen Sherlock und ihr war, dass sie die Grenzen bewusst überschritt, während Sherlock sich nicht über sie bewusst war.

Noch mehrere Stunden lag Catherine wach und überlegte wie ihr Leben weitergehen sollte, doch dann schlief sie endlich ein, als ihr Fieber etwas sank. Der Schlaf war alles andere erholsam. Wirre Bilder rannen wie eine Flut vor ihren Augen auf und ab und sie warf sich im Bett hin und her. Nach einiger Zeit, als sie in dem Zustand zwischen Wachsein und Schlaf schwebte, meinte sie Stimmen zu hören. Dumpf drangen unverständliche Worte durch den schwerfälligen Nebel ihrer Gedanken.

Genervt stöhnend öffnete sie die Augen und zog die Decke vom Kopf. Erst jetzt spürte sie wie verschwitzt sie war. Offensichtlich hatte ihr Körper sich nun nach den Schüttelfrostattacken für Hitzewallungen entschieden. Noch immer hörte sie die Stimmen, die wohl aus dem Wohnzimmer kamen. Irritiert blinzelnd richtete sich Catherine ein wenig auf und strich sich ihre verschwitzten Haare aus dem Gesicht.

„Sherlock, das können Sie nicht machen. Sie ist krank.“ Das war Johns Stimme. Irritiert legte Catherine den Kopf schief. Dann hörte sie ein Schnauben und sie sah Sherlock unruhig im Wohnzimmer auf und ablaufen.

„Ich muss sie aber fragen.“, erwiderte er genervt und blieb dann plötzlich stehen. Catherine stöhnte. Vermutlich hatte er entdeckt, dass sie mittlerweile von ihrem Streit wach war.

„Sie ist wach.“, sagte Sherlock nun an John gewandt. „Darf ich sie vielleicht jetzt fragen?“

„Sherlock, um Gottes Willen, lassen Sie sie in Ruhe.“ Johns Stimme war tief, mahnend.

„Warum frage ich eigentlich? Als ob ich Ihre Einverständniserklärung bräuchte.“

„Sherlock!“, rief John und packte ihm am Arm, zog ihn zurück, als er gerade ihr Schlafzimmer betreten wollte. „Etwas mehr Respekt.“

„Respekt, Respekt…“ Sherlock wedelte genervt mit den Armen und rannte wieder auf und ab, als er wieder losgelassen wurde. „Das hilft uns auch nicht weiter, John. Wir brauchen die Antworten schnellst möglich.“ John schnaubte und runzelte die Stirn.

„Ist schon…gut…John…“, krächzte sie und hustete. Sprechen fiel ihr schwer. Es fühlte sich an, als ob ihr Hals brannte. „Er wird eh nicht eher Ruhe geben, bis ich es zumindest…versucht…habe…“ Langsam richtete sie sich auf und tastete blind nach dem Wasserglas. Endlich bekam sie es zufassen und trank einen Schluck. Es half, aber nur kurz.

Sherlock warf John einen: ‚Sehen Sie?‘ Blick zu, schmunzelte und betrat das Schlafzimmer. Somit kannte er nun auch das letzte bisschen ihrer Privatsphäre. Zum Glück hatte sie aufgeräumt und alles Verdächtige beseitigt- oder zumindest was sie als verdächtig einstufte. Kurz ließ Sherlock seinen Blick durch den Raum schweifen, doch dann blieben seine graublauen Augen auf ihr hängen. Er betrachtete sie eingehend von oben bis unten und rümpfte dann ein wenig die Nase.

„Gute Güte, Sie sehen ja schrecklich aus.“ Wieder zuckte dieses selbstgefällige Grinsen in seinem Gesicht, das in Catherine das Bedürfnis weckte ihn anzuknurren.

„Ich bin krank.“, antwortete sie stattdessen nur und setzte sich etwa hilflos auf.

„Zweifellos.“, sagte Sherlock knapp. John trat nun ebenfalls ins Zimmer und ging um das große Bett herum.

„Sherlock! Ich sag es nicht noch einmal.“, warnte er ihn und warf ihm einen missmutigen Blick zu. Sherlock erwiderte diesen nur kurz, blickte dann aber Catherine wieder an. Diese fühlte sich sowieso schon hundeelend. Ausgelaugt, fiebrig, erschöpft. Sie konnte kaum die Augen offen halten, geschweige denn denken. In diesem Zustand würde sie Sherlock keine große Hilfe sein, aber er würde diese Ausrede niemals akzeptieren und keine Ruhe geben, bis sie ihm gab, was er brauchte.

„Machen Sie es bitte kurz…ich will schlafen.“, nuschelte sie unverständlich und sie schwankte leicht, als sie sich gegen das Bettgestell lehnte und die Augen schloss. John trat vor und drückte ihr ein Kissen in den Rücken, schwieg aber. Offensichtlich war er noch immer sauer, wegen der Sache mit Nate.

„Es geht um einen Fall.“

„Natürlich tut es das.“, erwiderte Catherine garstig. „Verschwenden Sie nicht meine Zeit, Sherlock. Sie kommen nie um einfach mal nett…hallo zu sagen.“ Sie hustete kräftig und schniefte. Mit einem leisen Stöhnen legte sie den Kopf in den Nacken. Die Welt um sie herum hatte sich zu drehen begonnen, sodass John und Sherlock nicht mehr als ein Schlier aus Farben war. Stockend holte sie Luft und versuchte durch Konzentration das Bild wieder scharfzustellen, doch ihre Augen verweigerten den Dienst. Übelkeit stieg automatisch in ihrem Magen auf und ließ sie taumeln.

„Catherine! Langsam, langsam. Überanstrengen Sie sich nicht. Sehen Sie nicht, Sherlock, dass sie kaum noch gerade sitzen kann? Wie soll Sie Ihnen dann helfen?“ John warf Sherlock einen vorwurfsvollen Blick zu. Dieser sah ihn nur kurz an, verschränkte die Hände hinterm Rücken und blinzelte einfach nur.

„Sie wird mir jetzt beweisen wie gut sie wirklich ist. Nur unter widrigen Bedingungen zeigt sich ein wahres Talent.“, murmelte Sherlock nach einigen Momenten- mehr zu sich, als zu ihnen. Catherine sah ihn an, ihre Augen waren bereits ganz trüb vom Fieber, doch sie nickte und streckte zitternd eine Hand aus. Sie war krank und doch wollte sie Sherlock beeindrucken. Leicht schüttelte sie sich, als die Decke von ihrem Oberkörper rutschte und ein kalter Durchzug ihre verschwitzte Haut streifte.

Sherlock deutete wie immer souverän ihre Körpersprache und schloss die Tür.

„Worum…geht es denn?“, flüsterte sie schwach. Ihr Körper zitterte immer stärker und sie schlang die Decke enger um ihren Körper, nur damit sich die Hitze gleich staute und ihre eine Hitzewelle einbrachte. Wieder begann sich alles zu drehen und sie hatte große Mühe sich zu konzentrieren. Sie sah, wie John Sherlock einen wütenden Blick zu warf und dann aus dem Schlafzimmer verschwand. Wohin konnte sie nicht ausmachen, denn Sherlock setzte sich auf ihr Bett und schirmte ihr Blickfeld ab. Sie konnte nur verschwommen sein Gesicht erkennen. Es war ein Schleier aus Hautfarbe, Schwarz und Blau.

„Es wurde eine Leiche gefunden. In einem heruntergekommen Lagerhaus.“, begann Sherlock zu erklären.

„Da…“, keuchte sie. „Muss mehr sein.“

„Natürlich ist da mehr. Die Beweise passen nicht zusammen.“ Seine ruhige Stimme half Catherine sich ein wenig besser konzentrieren zu können. Sie war wie ein Strohhalm, an dem die sich festhalten konnte und half somit den Schwindel des Fiebers zu ignorieren. Sie bemerkte nicht wie Sherlock sie nachdenklich betrachtete und die Stirn in Falten legte.

„In…wiefern…nicht?“ Ihre Stimme brach ab, als sie wieder stark zu husten begann.

„Ich habe Probe von dem Tatort untersucht…und ich habe etwas entdeckt, wobei ich Ihre Hilfe gebrauchen könnte.“

„Also…geht es…vermutlich um Mikroben.“, flüsterte sie und ihre Lippen zitterten. Sherlock nickte nur und zog unter seinem Umhang eine braune Mappe hervor. Mit glasigen Augen sah sie fragend darauf, doch Sherlock reichte sie ihr nur stumm. Vorsichtig nahm sie sie an und öffnete die Mappe. Blinzelnd hielt sie sich das Papier vor die Augen, versuchte angestrengt die Buchstaben auf dem Papier zu behalten, doch sie begannen einen wilden Tanz vor ihren Augen aufzuführen. Sie sah Fotos einer heruntergekommenen Lagerhalle in der ein Mann an einen Pfeiler gelegt lag. Blut quoll aus einer Wunde am Hinterkopf. Verwirrt betrachtete sie das Bild und verstand nicht, warum Sherlock sie um Hilfe bat. Es sah nach einem klassischen Gewaltverbrechen auf.

„Ich versteh nicht…“, murmelte sie leise.

„Das Foto ist unscheinbar, was mich wunderte, steht in der Auswertung der Spurensicherung.“, erklärte Sherlock schlicht. Da betrat John wieder das Zimmer, seinen Arztkoffer in der Hand und ging zu Catherine. Es dauerte einige Zeit, bis sie realisierte, dass er neben ihr stand und ihr ein Glas hinstellte.

„Nehmen Sie das, dann wird es Ihnen besser gehen.“

„Aspirin?“, fragte sie und beäugte skeptisch das sprudelnde Glas, was John auf den Nachttisch stellte. John nickte nur knapp. Catherine verzog kurz das Gesicht und schob es von sich weg. „Besser nicht.“

„Warum?“

„Weil Sie mich sonst vom Klo kratzen können. Ich vertrag die Salizylsäure nicht. Dann muss ich kotzen.“

„Das würde ich gerne vermeiden.“, sagte Sherlock und warf der Situation einen abschätzenden Blick zu. Die Antwort war ein mahnender Blick von John, der sich nun direkt neben sie setzte und ihre Stirn fühlte. Catherine erschauderte, als sie seine kalte Hand auf ihrem Kopf spürte.

„Das ist aber eine ordentliche Grippe.“, stellte er fest. „Wie lange fühlen Sie sich schon so schlecht?“

„Seit heute Morgen…denke ich…wie spät ist es?“

„3 Uhr nachts.“, antworte Sherlock mit einem Schulterzucken.

„3 Uhr…nachts…großartig.“ Sie verdrehte die Augen. „Also dann eher gestern Morgen.“

„Ich sollte Ihnen etwas zum Schlafen geben. Das ist grad das Wichtigste.“

„John, der Fall!“, mahnte Sherlock ungeduldig.

„Es geht hier nicht um Ihren Fall, Sherlock, sondern um Catherines Gesundheit.“, zischte John seinen Mitbewohner wütend an.

„Ich möchte…aber helfen…wenn ich kann.“, sagte sie und versuchte die aufgeheizten Gemüter der beiden Freunde zu beruhigen. John wandte sich zu ihr um, sah in ihre Augen. Sie blickte bittend zurück und schließlich seufzte der Arzt schwer.

„Haben Sie was anderes da?“

„Wick Daymed…im Bad“, antwortete Catherine knapp. John sah sie skeptisch an.

„Sicher? Dann können Sie nicht mehr schlafen. Da ist Koffein drin.“

„Das ist egal…“

„Ich kann das nicht gut heißen.“, erwiderte John nun doch wieder harsch und schüttelte nur stumm den Kopf.

„John…bitte!“, sagte sie nur. Dieser stöhnte genervt, rollte mit den Augen, murmelte etwas von wegen unvernünftig und stampfte aus dem Zimmer.

„Sie mussten ja auch in diesem dünnen Kleid rumlaufen. Ich sagte Ihnen doch, dass Sie sich so den Tod holen würden.“ Sherlock verschränkte die Arme vor der Brust und sah sie ernst an. Catherine antwortete nicht darauf, sondern legte die Akte neben sich und kuschelte sich wieder unter die Decke.

„Und dann musste mich Mycroft auch noch aufhalten…“ John, der gerade wieder das Schlafzimmer betrat, blieb ihm Türrahmen stehen.

„Mycroft?“, sagte er mit Sherlock gleichzeitig und sahen sie irritiert an.

„Was wollte Mycroft von Ihnen?“

„Verhör…“, nuschelte sie unter der Decke, nachdem sie die Tablette geschluckt hatte, die John ihr reichte.

Mycroft Holmes hatte sie zum ersten Mal eine Woche nach ihrem Einzug in der Bakerstreet getroffen und dieser Mann hatte eindeutig einen Machtkomplex. Erst hatte sie geglaubt, dass sie entführt werden würde, als eine schwarze Limousine ihr den ganzen Weg von der Arbeit gefolgt war. Der Mann, der ihr dann in einer dunklen Lagerhalle gegenübergetreten war…war…beängstigend gewesen. Er war zwar unglaublich ruhig gewesen, das Sinnbild der britischen Regierung, doch er hatte sie mehr beängstigt als Sherlock mit seinen verrückten Aktionen. Als sie dann noch von ihm erfahren hatte, dass es sich dabei um seinen älteren Bruder gehandelt hatte, war ihr so manches klar geworden. Soweit sie von John wusste, hatte Mycroft ihr so ziemlich dasselbe gesagt, wie ihm damals. Er hatte ihr eine Stange Geld angeboten um Sherlock auszuspionieren, was sie natürlich nicht angenommen hatte und wofür Sherlock sie gerügt hatte, und Mycroft hatte auch gesagt, dass sie sich in Gefahr begeben würde, wenn sie sich auf Sherlock einlassen würde- als ob sie das nicht selber gewusst hätte- und das übliche, großspurige Blablabla.

„Was wollte denn Mycroft genau von Ihnen?“, fragte nun John verwirrt. Catherine seufzte. Konnte man sich das nicht denken? Hilflos sah sie zu Sherlock. Sie wollte nicht so viel reden. Jedes Wort fiel ihr schwer und sie hoffte, dass er John aufklären würde.

„Ich denke mal, er hatte von unserem Schauspiel erfahren und wollte wissen, ob was Wahres dran war.“, sagte Sherlock ruhig und sah aus dem Fenster. Catherine nickte nur.

„Das schien zumindest seine Intention. Er hat mich…“ Sie hustete wieder. „…abholen lassen, nachdem ich mich von Ihnen verabschiedet habe, John…und dann stand ich…eine Stunde…in irgendeiner zugigen Lagerhalle und durfte seinem stechenden Blick standhalten.“

„Was haben Sie ihm gesagt?“ Nun wurde Sherlocks Blick doch neugierig. Blinzelnd sah er sie an und vergessen war plötzlich der Fall. Catherine ignorierte ihren hämmernden Schädel und lächelte die beiden ein wenig stolz an.

„Dass ihn das verdammt noch mal nichts anzugehen hat.“ Verdutzt sahen die beiden sie an.

„Sie…haben sich Mycroft widersetzt?“, stotterte John überrascht. Catherine blinzelte müde und zuckte mit den Schultern.

„Selbst ein Mycroft kann sich nicht alles erlauben. Er könnte ja auch einfach fragen. Leider hat er einen Machtkomplex.“ Allmählich begann das Medikament zu wirken, sodass ihr Kopf nicht mehr ganz so benebelt war.

„Sie sind mutig. Niemand widersetzt sich so einfach meinem Bruder.“

„Ich hatte ja auch eine Art Trumpf in der Hand.“

„Trumpf?“, wiederholte Sherlock nun sichtlich verwirrt. „Was für einen Trumpf denn?“

„Na, den Trumpf eben…“ Sherlock zog nur die Augenbrauen hoch und blickte sie verwirrt an. Auch John schien nicht zu wissen wovon sie sprach.

„Himmel noch eins, Sie haben echt keine Ahnung, wovon ich rede, Sherlock?“, fragte Catherine erstaunt nach. „Wirklich nicht?“ Sherlock blinzelte und zischte dann mit zusammengebissenen Zähnen:

„Nein.“

„Moment….ich muss diesen Moment kurz einfangen…“ Catherine tat so, als würde sie eine imaginäre Kamera hochhalten, ein Foto schießen und es betrachten. Sherlock knurrte nur wütend und warf ihr einen vernichtenden Blick zu, den sie gekonnt ignorierte, da sie immer noch auf das vermeintliche Display schaute. „Oh, was ein schönes Bild. Sherlock Holmes völlig ratlos.“ John lachte leise und ignorierte ebenfalls Sherlocks bösen Blick, den das ganze offensichtlich verärgerte.

„Ich fass es echt nicht, dass ich mal was entdeckt habe, was Sherlock einfach nicht sieht. Oh yeah, ahaaa, ich bin so gut.“ Sie führte einen kleinen Siegestanz mit dem Armen auf- zu mehr war sie nicht fähig.

„Catherine!“, zischte Sherlock warnend und seine Augen verschmälerten sich kleinen Schlitzen. Fehlte nur noch der Qualm, der aus seinen Ohren stieg.

„Ok, genug gequält.“, lachte sie und fuhr sich durchs Haar. „Der Trumpf ist eigentlich ganz simpel. Ich weiß nicht warum, aber jedes Mal wenn ich Ihren Bruder treffe, habe ich das Gefühl als wären in den Ecken irgendwelche Ninjas versteckt, die nur auf ein Kopfnicken ihres Herrn warten um mich zu töten.“

„Als ob Mycroft Ninjas hätte…“, fuhr Sherlock mit viel zu sanfter Stimme dazwischen. Seine graublauen Augen funkelten. „Wie dumm von Ihnen. Nein, wenn dann James Bond.“ Seine Mundwinkel zuckten und zeigten das gemeine Lächeln, das niemals seine Augen erreichte.

„Oh ja, James Bond. Gleich viel besser. Der Geheimagent der britischen Regierung, der eine ganze Ninjaarmee im Alleingang ausknockt.“, höhnte sie und verdrehte die Augen. Dank der Tablette ging es ihr zunehmend besser und als der Rotz sich aus den Getrieben ihres Gehirns löste, begann dieses auch wieder in einem einigermaßen adäquaten Tempo zu arbeiten. Als sie Sherlocks Blick sah, der er ihr als Antwort auf diesen Spruch zuwarf, schüttelte sie nur den Kopf und seufzte.

„Ok, ok, ich erklär es ja schon. Der Trumpf ist unser Schauspiel an sich.“ Als sie die irritierten Blicke von John und Sherlock sah, kicherte sie leise. „Sie checken es wirklich nicht, oder? Nun…Mycroft kann zwar nach der Sache mit Irene ziemlich sicher sein, dass das alles nur ein Spiel zwischen uns war, aber bei Ihnen weiß man ja nie.“ Ein kleines Grinsen breitete sich auf ihrem Gesicht aus. Sherlock zog nur eine Augenbraue hoch und neigte den Kopf. „Also besteht die minimale Chance, dass es doch wahr sein könnte und wenn er mir etwas tun würde, könnte das, und die Betonung liegt auf könnte, seinen kleinen Bruder ganz schön verärgern. So seltsam und hart Mycroft auch ist, auf seine verschrobene Art und Weise ist er eine Glucke, der sich nur um seinen Bruder sorgt. Er würde es also nicht riskieren und ich hatte etwas, was mich schützte und so konnte ich es mal wagen ihm die Stirn zu bieten.“

John und Sherlock sahen sie überrascht an, blickten dann sich an, bis John anfing zu lachen.

„Mycroft ist eine Glucke?“, fragte Sherlock irritiert.

„Oh ja, ist er.“, sagten John und Catherine gleichzeitig und kicherten. Sherlock sah sie nur verwirrt an, seufzte, ließ dann aber ein kleines, ehrliches Lächeln sehen.

„Das war wirklich clever von Ihnen, Catherine. Nicht jeder kann von sich behaupten meinen Bruder zu überlisten.“

„Na…so weit zu gehen zu sagen, dass ich ihn überlistet hätte, würde ich nicht.“, wiegelte sie ab, lächelte dennoch auf Grund des Lobs. „Ich wollte einfach nur einmal die Oberhand haben. Zumindest so ein bisschen.“ Sie fuhr sich durch die Haare und der Stolz, der sich durch ihrem Körper ausbreitet, verwischten die letzten Nebenwirkungen, die ihre Grippe noch hervorgerufen hatte. „Aber es hat Spaß gemacht ihm sein selbstgefälliges Lächeln aus dem Gesicht zu putzen und ich dachte auch, dass es Ihnen vielleicht später nützen könnte, also wollte ich es erst einmal nicht verneinen.“

Sherlock warf ihr kurz einen anerkennenden Blick zu und Catherine lächelte, doch dann erinnerte sie sich, warum sie eigentlich hier waren und nahm die Mappe wieder zur Hand.

Nachdenklich betrachtete sie die Mappe erneut und dieses Mal war sie auch in der Lage die Berichte zu lesen. Nachdenklich betrachtete sie alles genau, konnte jedoch nicht erkennen, was Sherlock von ihr erwartete. Der Mann war von einer Gruppe Jugendlichen gefunden worden, die diesen Ort als Mutprobe aufgesucht hatten. Getötet wurde er laut Forensik durch einen stumpfen Schlag auf dem Kopf. Dies ließ zumindest die großflächige Platzwunde an seinem Hinterkopf vermuten. Catherine zog die Augenbrauen hinab und las die Zeugenaussagen der vier Jugendlichen durch. Sie stimmten vollkommen mit einander überein.

„Und was ist daran so ungewöhnlich, Sherlock? Das Opfer könnte durch einen Vorwand dorthin gelockt worden sein und dann erschlagen werden. Wertgegenstände scheinen nicht zu fehlen…“, sagte sie nachdenklich, die Zunge zwischen die Lippen geklemmt und blätterte weiter durch die Akte. „DNA Auswertung kann man an solch einem Ort wohl komplett vergessen. Einfach viel zu viele um einen wahrlichen Rückschluss zu ziehen.“

„Wenn es wirklich so wäre, dann wäre ich nicht hier.“

„Deshalb frage ich ja, was Sie so sehr an diesen Berichten stört.“ Catherine wog den Kopf hin und her, versuchte zu verstehen, worauf Sherlock hinauswollte. „Sie sagten, es hat etwas mit Mikroben zu tun…aber davon ist hier nichts erwähnt.“

„Es steht auch nicht in der Akte.“ Sherlock blieb vor ihr stehen und betrachtete sie aus seinen graublauen Augen. Sein Blick verriet nur zu genau, dass es ein Rätsel gab, an dem er knabberte.

„Warum sollte ich sie dann lesen?“

„Damit Sie ein gesamt Bild haben. Jedes kleinste Detail könnte hilfreich sein.“, erwiderte er ruhig. Catherine nickte ein wenig. Da hatte er nicht ganz Unrecht.

„Also, was irritiert Sie so sehr?“

„Ich habe in den Proben eine Mikrobenart gefunden, die mir nicht bekannt ist.“, begann Sherlock. „Ich habe sie auf der Haut des Opfers gefunden, aber als ich sie mir genauer ansehen wollte um ihren Stoffwechsel zu bestimmen, waren sie tot.“

„Sie waren tot?“, fragte Catherine nun irritiert. Sherlock nickte nur und runzelte nachdenklich die Stirn.

„Wie lange…?“

„Ungefähr eine halbe Stunde…“, kam er ihrer Frage zuvor.

„Das war schnell.“, erwiderte Catherine verwundert. Nachdenklich blätterte sie noch einmal durch die Akte und suchte nach einem Anhaltspunkt. Dann blickte sie zu John auf. „Wie lange war er schon tot?“

„Ungefähr acht Stunden bevor er gefunden wurde.“, antwortete der Arzt sofort. „Gestorben an einem Schädel-Hirn Trauma.“ Irritiert sah Catherine ihn an und ein großes Fragezeichen begann sich in ihrem Kopf zu bilden.

„Wie aktiv waren die Mikroben als Sie sie unter dem Mikroskop gesehen haben?“

„Sie sind vor dem Licht des Mikroskops geflohen. Also negative Phototaxies. Ich würde auch sagen, dass sie schon am Sterben waren im Nachhinein. Sie bewegten sich eher träge.“, erklärte Sherlock ruhig und Catherine nickte. Sie hatte eine Vermutung, doch irgendwie passte es noch nicht.

„Sind diese Mikroben wirklich wichtig für den Fall?“, mischte sich nun John ein. „Es gibt viele Tausende von denen an solch einem Ort.“

„An sich schon…aber das ist schon seltsam. An sich spricht dieses schnelle Sterben für eine hohe Sensitivität…aber die Umgebung im Labor war nicht viel anders wie in der Lagerhalle, zumindest aus der Sicht einer Mikrobe.“, erklärte Catherine und machte eine unbestimmte Bewegung mit der Hand. „Also warum sind sie so schnell im Labor gestorben? Wären sie wirklich hochsensitiv, wären sie bereits in den acht Stunden in der Lagerhalle in die Absterbephase übergegangen.“

„Absterbephase?“, fragte Sherlock nun nach.

„Das Wachstum von Mikroben lässt sich in vier Stadien unterteilen, Sherlock.“, begann nun John zu erklären. „Die Anlaufphase, wenn sie von einem Mangelmedium auf ein Nährmedium kommen und so die Stoffwechselprozesse wieder anfangen zu laufen, dann die exponentielles oder auch logarithmisches Wachstum genannte Phase, dann die stationäre Phase, die zum Überdauern von ungünstigen Bedingungen dient. Das kann sein, weil sie zu viele geworden sind und somit die Nährstoffe limitiert sind oder weil sich die Umwelt einfach verändert hat. Dann findet kein Wachstum der Population statt und die Stoffwechselwege werden heruntergesetzt. Bei der Absterbephase kommt es zur wirklichen Abnahme der Population.“ Catherine nickte zustimmend, als John mit seiner Ausführung endete.

„Genau so ist es. Ist eine Mikrobe sensitiv, so kann die kleinste Veränderung der Umgebung zum Absterben führen. Temperatur, Druck, bestimmte Chemikalien…die Gründe können ganz verschieden sein.“, fuhr nun Catherine fort. „Dadurch, dass sie so rapide in Ihrem Labor gestorben sind, obwohl die Umgebung sich kaum verändert hat…würde für sensitiv sprechen…aber wie schafften sie es dann im Lagerhaus zu überleben? Das ergibt keinen Sinn.“ Die junge Frau schnappte sich einen Block, den sie immer in einer Schublade ihres Nachttisches aufbewahrte, hervor und schrieb all die Fakten auf, die Sherlock ihr genannt hatte.

„Welche Form hatten sie?“

„Kokken…aber Catherine, das, was Sie vorhaben, wird nicht nötig sein. Ich weiß den Namen der Art.“, unterbrach Sherlock sie und schüttelte nur den Kopf. Verwirrt sah sie ihn an und blinzelte schnell.

„Hääää? Aber Sie sagten doch, dass Sie sie nicht kennen.“

„Selbst ich kenne nicht jede Mikrobenart auswendig.“, erwiderte Sherlock selbstgefällig und schürzte die Lippen. Catherine seufzte. Das konnte ja auch Niemand. Vermutungen zu Folge, hatte die Forschung gerade mal ein Zehntel aller Mikroben entdeckt und sie kannten schon mehrere Tausend. Da konnte selbst ein Sherlock nicht alle kennen. Sogar in ihrem Labor kannten sie nur die Eigenschaften ihrer Untersuchungsobjekte wirklich gut. „Und leider spuckt das Internet keine Informationen aus. Deshalb komme ich zu Ihnen.“

Sherlock reichte ihr ein Blatt auf dem ein Name stand.

„Ich dachte, Sie könnten mir vielleicht etwas darüber sagen…“, sagte er und sah sie weiterhin mit einem undurchdringlichen Blick an. Catherine sah sich den Namen an. Nachdenklich legte sie die Stirn in Falten. Tief in ihr klingelte etwas, irgendwie kam der Name ihr vage bekannt vor. Es war nicht mehr als eine Ahnung, doch sie konnte es nicht zuordnen. Verdammt! Warum musste sie auch krank sein?

„Tut mir leid, nein…“, gab sie dann nach einigen Momenten zerknirscht zu. „Ich weiß nichts über sie.“

„Dann kam ich umsonst her?“ Sherlock klang enttäuscht, etwas was sie traf. Er hatte wirklich auf sie gebaut, darauf gehofft, dass sie ihm weiterhelfen konnte und nun musste sie ihm sagen, dass sie zu nichts nutzte. Sie konnte es in seinen Augen sehen, dass er mehr von ihr erwartet hatte. Beinah schon wütend wandte er sich von ihr ab und schnaubte frustriert. Catherine sackte etwas zusammen und senkte schuldbewusst den Blick.

„Es tut mir leid…“, flüsterte sie leise. John sah sie an und schüttelte nur den Kopf.

„Schon gut.“, erwiderte er ebenso leise in einem mitfühlenden Ton, während er aufstand um Sherlock zu folgen, der im Begriff war zu gehen. Catherine hätte es nie gedacht, doch es war, als würde ihr ein Messer ins Herz gerammt und das unbarmherzige Gefühl des Versagens machte sich in ihr breit. Sherlock jedoch ging ohne ein Wort zu sagen. Erst kurz bevor er die Tür erreichte, hob Catherine schnell den Blick.

„Sherlock! Warten Sie!“ Ihr war etwas eingefallen. Sie wusste zwar nicht, ob es etwas bringen würde, doch es war zumindest einen Versuch wird. Der Consulting Detective blieb stehen und drehte sich zu ihr um.

„Ich kann meine Zeit nicht länger verschwenden.“

„Ich kann aber dennoch helfen.“, erwiderte Catherine ernst. Sherlock blickte sie verwundert an und auch John hielt inne. „Ich kenne diese Art der Mikroben nicht, das stimmt. Aber ich habe eine Idee, wie wir etwas herausfinden.“ Langsam kam Sherlock zurück in das Schlafzimmer und sah sie fragend an. Catherine hingegen drehte sich zu John um und sah ihn bittend an.

„John, könnten Sie mir bitte meinen Laptop bringen? Er ist auf dem Schreibtisch.“

„Klar, kein Problem.“

„Ich habe doch bereits im Internet geguckt. Selbst in der internationalen Datenbank steht nichts über sie. Nur der Name.“, sagte Sherlock genervt und seine Gesichtszüge wurden hart. Er schien immer noch zu glauben, dass sie seine Zeit verschwendete. Seine graublauen Augen blickten sie skeptisch an. Was konnte den auch eine dumme Studentin sehen, was der große Sherlock Holmes übersah? Catherine ließ sich jedoch nicht beirren. Sie wollte nicht einsacken. Aus einem unerfindlichen Grund wollte sie Sherlock beeindrucken. Es ging hier lange nicht mehr nur um einen Mord, um ein Menschenleben, dass grausam genommen worden war, was noch hätte existieren dürfen, sondern hier ging es für sie darum sich zu beweisen. Sherlock ihren Wert zu beweisen.

„Dann wird sie gerade erst entdeckt worden sein.“, murmelte Catherine nachdenklich und sah schon wieder Sherlocks Hoffnung und Geduld schwinden, doch sie lächelte schwach, aber mit etwas stolz geschwellter Brust: „ Aber wir gehen ja auch nicht ins Internet, sondern ins Intranet.“

John kam zurück und ihr ihren Laptop reichte. Catherine klappte ihn auf und fuhr ihn hoch.

„Unsere Universität hat eine interne Datenbank, in der alle Untersuchungsergebnisse aller lebenden Organismen eingetragen werden. Unser Institut ist ja nicht das Einzige, was mit Mikroorganismen arbeitet. Während wir anhand von s.pombe und s.cerevisiae versuchen die genomischen und zellmolekularen Grundlagen der Zellmechanismen zu verstehen, werden andere Mikroben von den Genetikern, Tierphysiologen und teilweise sogar den Botanikern untersucht und verwendet. Wir selber benutzen die aufgetauchte Art nicht, aber ich glaube, ich erinnere mich, dass Professor Niels mal erwähnte, dass ein anderes Institut diese Art der Mikroben nutzt. Es war bei der Mittagspause und ich habe gar nicht richtig zugehört, weil ich so müde war.“ Catherine öffnete den Browser und rief die Homepage der Universität von London auf, genauer die von der Naturwissenschaftlichen Fakultät. Die Seite war schlicht aufgebaut und unscheinbar. Ein Banner der Uni füllte das obere Fünftel der Seite. Der Hauptteil waren Neuigkeiten aus den Instituten, Termine oder Ähnliches, während sich links verschiedene Untermenüs befanden. Zielstrebig klickte Catherine eines davon an und gab ein Passwort ein.

Sofort erschien eine Art Excel Tabelle auf dem Bildschirm in dem nach Klasse, Familie, Gattung und Art die verschiedensten Lebewesen aufgelistet wurden. Catherine öffnete das Suchmenü und gab den Namen ein, den Sherlock herausgefunden hatte. Sherlock setzte sich neben ihr aufs Bett, konnte jedoch nicht sehen, was sie auf dem Bildschirm tat.

John jedoch konnte sehen, dass sich eine Art Steckbrief öffnete, als sie den Namen der Mikrobenart anklickte. Ein Bild von Kokken- stäbchenförmigen Mikroben- erschien und daneben stand sämtliche Eigenschaften, die die Mitarbeiter der Universität bereits entdeckt hatten. Catherine hatte richtig vermutet, die Art, die Sherlock bei der Leiche gefunden hatte, war erst im vorherigen Jahr per Zufall entdeckt worden. John versuchte zu verstehen, was die ganzen benutzten Abkürzungen bedeuteten, doch er hatte keinerlei Ahnung. Zwar hatte John natürlich während seines Medizinstudiums auch die Biologie erlenen müssen, doch sein Studienbeginn lag schon so lange zurück, dass er längst den Anschluss verloren hatte. Er kannte noch die Grundprinzipien, aber das hier war genauso eine Geheimsprache wie die chinesischen Zeichnen, denen sie damals auf der Jagd nach dem schwarzen Lotus über dem Weg gelaufen waren.

Catherine hingegen verstand alles. Aufgeregt huschten ihre hellblauen Augen über das Display, scrollten und klickten einige Abkürzungen an, nur um dann wieder auf die Ursprungsreise zurückzukehren. Mit jeder Zeile, die sie verschlang, sah John wie eine Idee in ihrem Kopf immer mehr Gestalt annahm. Eine tiefe Falte bildete sich auf ihrer Stirn, bis sie irritiert blinzelte und ihre beiden Nachbarn ansah. Kurz schüttelte sie den Kopf, so als würde sie ihre Erklärung als absurd abstempeln.

„Was haben Sie entdeckt?“, fragte nun auch Sherlock, der ihre Regungen genau beobachtet hatte, doch statt zu antworten, griff Catherine sich erneut die Akte und blätterte beinahe wie besessen durch die Seiten. Ihre Augen rasten in den Höhlen hin und her, saugten jedes einzelne Wort auf, als suchten sie nach einer Antwort und dann breitete sich ein Grinsen auf ihren Lippen aus.

„Acht Stunden tot, sagten Sie, John, richtig?“ John blinzelte, nickte jedoch, auch wenn die Frage sie verwirrte.

„Ja genau. Die Leichenstarre hatte gerade begonnen einzusetzen.“

„Und die Leiche ist nicht bewegt worden?“ Sherlock blinzelte sie verwirrt an und neigte seinen schmalen Kopf mit den hohen Wangenknochen verwirrt.

„Nein…dafür gab es keine Anzeichen. Wieso?“ Nun waren es Sherlocks Augen, die sich schnell bewegten, seine Erinnerungen durchforstete. Er versuchte offensichtlich zu verstehen, was Catherine mit diesen Fragen bezweckte. Ein Leuchten durchzuckte ihren Blick und sie lachte leise.

„Wurde sie wohl.“

„Wie jetzt?“, fragten John und Sherlock sie irritiert und sofort war ihr die gesamte Aufmerksamkeit inne. Die Luft im Raum begann zu zittern. Elektrizität schien von Sherlock auszugehen, der sie wie gebannt anstarrte. Vermutlich versuchte er gerade in Catherines Gesicht zu lesen, doch diese verbarg ihre Erkenntnisse geschickt.

„Der Mann wurde nicht in dieser Lagerhalle getötet.“, erklärte Catherine noch einmal, dieses Mal mit Nachdruck.

„Wie kommen Sie darauf?“ Sherlock schien nicht ganz zu wissen, was er empfinden sollte. Seine Stimme schwankte zwischen…nun, vielleicht Bewunderung, weil sie etwas herausgefunden hatte, was Sherlock übersehen hatte, aber andererseits schien ihn das auch missmutig zu stimmen, vielleicht sogar zu ekeln.

„Das sagen mir die Mikroben und sie werden Ihnen ein Rätsel geben, das Sie mögen werden, Sherlock.“

„Ein Rätsel?“, fragte Sherlock verwirrt.

„Ich erklär es Ihnen. Die Mikroben, die Sie gefunden haben, Sherlock, sind wirklich hochgradig sensitiv. Sowohl Temperatur als auch Druck gegenüber, was aber am Interessantesten ist, dass sie chemoautotroph sind.“

„Chemo…autotroph?“ John runzelte verwirrt die Stirn und blickte sie aus seinen dunkelblauen Augen an.

„Chemotrophie bedeutet, dass sie Energie aus exergonen Reaktionen gewinnen, John. Es sind thermodynamisch begünstigte Reaktionen, wobei das Gleichgewicht auf Seiten der Produkte liegt. Chemoautotrophie ist eine Unterart davon. Bei dieser Art…der Lebensweise werden anorganische Substanzen umgesetzt.“, erklärte Sherlock und sein Blick wurde nun ruhiger. Es schien, als begann er allmählich zu begreifen, wohin Catherines Idee ging, doch John verschloss sie sich noch immer.

„Und?“, fragte er deshalb und blickte ratlos von einem zum anderen.

„Nun, John…“, setzte nun Catherine an und blickte ihn lächelnd an. „Das wirklich interessante daran ist, und war Sherlock offensichtlich grad zu begreifen scheint, ist, dass der Mann niemals dort getötet werden kann, denn Chemoautotrophie bedeutet, dass ihr Stoffwechsel nicht über Sauerstoff läuft, so wie bei uns. Sie reduzieren anorganische Stoffe um die so entstehende Elektronen auf das Adenintriphosphat übertragen zu können.“

„Und das bedeutet, dass sie an Orten mit Sauerstoff nicht überleben können.“, fuhr Sherlock ihre Gedanken fort. Seine Stimme wurde immer schneller, genauso wie vermutlich seine Gedanken. Aufgeregt blickte er durch ihr Schlafzimmer, seine Augen fixierten keinen Punkt. Es war wie immer, wenn in Sherlocks aktivem Gehirn sich eine Idee zu bilden begann.

„Genau. Der Kandidat erhält 100 Punkte.“ Catherine nickte wieder eifrig. „Untersuchungen des Instituts für anorganische Chemie der Universität von London haben gezeigt, dass diese Bakterien maximal fünf Stunden überleben können unter solchen Bedingungen, bis sie abzusterben beginnen.“

„Das heißt…dass er…in einem Sauerstoffleeren Raum getötet wurde?“, fragte John, als er auch er es allmählich zu realisieren begann.

„Zumindest unter extrem sauerstoffarmen Bedingungen.“ Catherine beobachtete, wie Sherlock immer aufgeregter wurde. Seine Augen leuchteten, als er intensiv nachdachte. Sie selber hatte keine Ahnung, wie all das zusammenhing oder wie das möglich war. Sie wurde auch allmählich zu müde, um darüber nachzudenken. Der Rausch der Erkenntnis ebbte ab und ebenso die Wirkung des Medikaments. „Ich weiß nicht…ob Ihnen diese Information hilft, Sherlock, aber…diese Mikroben reduzieren Schwefel und Ammoniak. Es handelt sich hier also um Destruenten, sogenannte Zersetzter.“

Sherlock hielt in seinem Gedankensturm inne und sofort blickte sie durchdringend an.

„Was haben Sie gesagt? Schwefel und Ammoniak?“

„Ja.“

„Die schwarzen Raucher.“, sagte Sherlock hastig und sprang von seiner inneren Unruhe gepackt auf. „Das ist unglaublich, das ist spektakulär…oooh, dieser Fall wird ja richtig spannend.“ Seine Stimme überschlug sich beinahe, als er auf und ab lief und seinen Gedanken nachging.

Auch Catherine bekam große Augen und ihr blieb der Atem weg.

„Aber natürlich! Die schwarzen Raucher…“

„Was ist ein schwarzer Raucher?“ Und wieder einmal kam sich John so unglaublich dumm vor, dabei war er damals doch auch gut in der Schule gewesen und hatte sogar die hohen Anforderungen des Medizinstudiums gemeistert. Dennoch blieb er wieder einmal bei diesen beiden auf der Strecke.

„Schwarze Raucher sind Hydrothermalquellen am Grund der Tiefsee.“, erklärte Catherine. „Also ungefähr 2.500 Meter Tiefe, mindestens. Sie bilden meist ein eigenes Biotop und die Arten, die sich an diesen Lebensraum angepasst haben, können nur dort überleben. Die Basis der Nahrungskette bilden dabei halt eben solche Mikroorganismen wie die, die Sherlock gefunden hat. Ein weiteres Indiz für diese Vermutung war Sherlocks Aussage, dass sie negativ auf Licht reagiert haben. In dieser Tiefe gibt es kein Licht mehr. Manche Hypothesen sagen sogar, dass das Leben in diesen schwarzen Rauchern entstand.“

„Mo…Moment! Nur damit ich das richtig verstehe. Er ist in der Tiefsee getötet worden um dann innerhalb von weniger als fünf Stunden in irgendeinem Lagerhaus von London zu landen?“, wiederholte John die von den beiden gelieferten Fakten.

„Das sagen zumindest die Fakten.“, sagte Catherine ruhig und blinzelte träge. Bleierne Müdigkeit legte sich über ihr Gemüt und nicht einmal Sherlocks Aufregung konnte sie nicht mehr vertreiben. Sie fühlte sich, als hätte sie 1000 Nächte durchgemacht. Es kostete sie plötzlich all ihre Kraft wach zu bleiben.

„Aber wie?“, fragte John.

„Nun…das ist Sherlocks Rätsel…“, flüsterte sie kraftlos, ihre Lippen mittlerweile blutleer. Sie blickte sich kurz um, doch Sherlock war bereits aus der Wohnung verschwunden. Sie lächelte leicht. Immer wieder war er so stürmisch. Hoffentlich fand er die Lösung heraus, denn sie hatte keine Ahnung und es interessierte sie doch sehr.

Müde sank sie zurück in die Kissen und schloss die Augen. Nun entfaltete ihr Fieber wieder seine zerstörerische Kraft, das Adrenalin, die Aufregung ebbte ab. Ihr Körper war ausgelaugt und brauchte dringend Schlaf.

„Ich glaub es immer noch nicht…Was ist das? Ein Houdini Trick in groß, der fehlgeschlagen ist?“, murmelte John, der noch immer neben ihrem Bett stand.

„Ach was…“, kicherte Catherine leise unter ihrer Bettdecke. „Das ist einfach nur Sherlocks Art es zu sehen. Als etwas Großes, Spektakuläres.“

„Was meinen Sie damit?“ Sie spürte beinahe wie seine Augen nachdenklich auf ihr lagen und kurz schob sie noch einmal die Decke herab und lächelte ihn an.

„Natürlich kommen sie auch in den schwarzen Rauchern vor…aber ebenso gut auch in jedem Sumpf, Moor oder auch in einem See, der schlicht umgekippt ist.“

„Umgekippt?“

„Wenn zum Beispiel die Algen Population oder ähnlichen zunimmt, dann kommt es zu einer Zunahme der Aktivität von Destruenten, weil ja mehr Pflanzenreste anfallen.“ Sie gähnte und unterdrückte ein Zittern ihres Körpers. Sie wollte nicht, dass John sah wie schlecht es ihr wieder ging. Er war noch immer sauer auf sie, das war deutlich zu spüren gewesen und sie wollte ihm nicht zur Last fallen. „Dadurch wird aber auch dem gesamten Wasser der Sauerstoff entzogen und so sinkt der Sauerstoffgehalt des Sees auf null. Natürlich kommt das selten vor, aber Düngen von Feldern in der Nähe, sogar übermäßiges Entenfüttern kann dazu führen, dass es mehr Biomasse im Wasser gibt, als der See tragen kann. Um genau zu sein kommt es zu einer Erhöhung der Phosphatkonzentration im Wasserkörper…zunächst bemerkt davon nichts, aber ist ein gewisser Punkt erst einmal überschritten, geht das ganz schnell.“

„Das heißt…der Mord fand wohl eher in einem See statt?“

„Ist zumindest wahrscheinlicher.“, nuschelte sie leise und kämpfte gegen ihre Müdigkeit.

„Aber warum haben Sie das Sherlock nicht gesagt?“ Catherine zuckte mit den Schultern und sah John mit unbewegten Augen an, doch ein kleines Lächeln legte sich um ihre perlmuttfarbenen Lippen.

„Na ja…ich bin…krank…“ Wie zur Unterstreichung musste sie heftig Husten und ließ sich mit einem Stöhnen zurück in die Kissen fallen. Spätestens jetzt hatte John bemerkt, dass er es ihr nicht so gut ging, wie sie ihm glauben machen wollte. Ihr Geist war noch willig das Schauspiel weiter zu führen, doch ihr Körper verlor die Kraft. Seine blauen Augen betrachteten sie misstrauisch, doch er sagte erst einmal nichts. Deshalb fuhr Catherine fort, so als wäre nichts gewesen: „Und…da kann man so was ja mal leicht übersehen…oder vergessen.“ Sollte Sherlock sich doch mal selbst bemühen. Selbst er konnte sich nicht alles erlauben. Catherine wusste, dass sie Sherlock nie wird ändern können, doch es waren diese kleinen Siege, diese kleinen Spiele, die ihr halfen gegen die übermächtigen Holmes zu bestehen.

John runzelte irritiert die Stirn und schien nachzudenken, dann blinzelte er und sah sie grinsend an.

„Sie wollten es ihm heimzahlen.“

„Soll er es doch ruhig selber rausfinden.“, murrte Catherine. „Sie kommen ja in Schwarzen Rauchern vor, also habe ich ihn nicht belogen…aber er soll auch nicht glauben, dass er hier reinplatzen kann, wenn ich krank bin und sich dann so zu verhalten.“ John schüttelte nur lächelnd den Kopf.

„Außerdem brauch ich diese kleine Siege…“, fuhr sie fort. Die Holmes Brüder sollten nicht meinen, dass sie mit ihr machen konnten was sie wollten. Sicher, sie hatte nicht die Macht oder den Einfluss den beiden wirklich ernsthaft etwas entgegen zu setzten, doch in ihrem Rahmen wollte sie ihn ruhig ab und zu mal einen Dämpfer verpassen. Später…vielleicht…nachdem sie geschlafen hatte. Sie fühlte sich einfach nur müde.

Gerade, als sie dabei wegzunicken, spürte sie wie die Matratze unter ihr nachgab. John zog ihr vorsichtig die Decke von der Nase und lächelte sie ein wenig keck an. Als er jedoch sah wie blass sie mittlerweile geworden war und ihre Augen ihn blind ansahen, verschwand der Ausdruck augenblicklich. Sorge glitt nun durch die dunkelblauen Augen und er beugte sich etwas weiter vor um sie genauer betrachten zu können.

Catherine hingegen rutschte unruhig weg. Sie wollte nicht, dass er bemerkte wie das Fieber wieder da war.

„Catherine…“, hörte sie ihn sanft flüstern. „Warum haben Sie mich denn nicht angerufen?“ Da war sie. Die Frage, die sie hatte vermeiden wollen. Ihr Magen verkrampfte sich. John war sauer auf sie und er sollte das jetzt nicht vergessen, nur weil sie krank war. Das war nicht gerecht. Sie verdiente seine Fürsorge nicht. Catherine neigte ihren Kopf zur Seite und wich seinem Blick scheu aus.

„…mhhhmhmmmhmmm…“, murmelte sie so leise, dass John kein Wort verstand. Irritiert runzelte er die Stirn und zog die Decke nun bis zum Schlüsselbein herab, durchdrang sie mit seinem forschenden Blick.

„Was haben Sie gesagt?“

„Sie waren…sauer auf mich.“, flüsterte Catherine zögernd, dieses Mal ein wenig lauter, während sie ihn wieder konsequent nicht ansah.

„Moment…was?“ John starrte sie verdattert an, doch er verstand schnell, was dahinter steckte und schüttelte nur lächelnd den Kopf und seufzte leise. „Catherine…Ich bin Arzt. Ich hätte die Hilfe doch nicht verweigert, nur weil Sie einen Scherz mit Sherlock zu weit getrieben haben.“ Seine blauen Augen blickten sie mitfühlend an.

„Aber…ich muss damit allein klarkommen…können nicht immer helfen.“ Sie war noch nicht einmal mehr in der Lage ganze Sätze zu beenden.

„Schon gut…“ John stand auf. „Schlafen Sie eine Runde, Catherine. Ich schau morgen früh mal nach Ihnen.“ Sanft strich er ihr einmal über die wirren Haare, die über das weiße Kissen flossen und verließ den Raum. Augenblicklich mummelte sich Catherine wieder zurück in ihre Decke und es dauerte nicht mehr lange, bis sie schließlich einschlief.
 

~*~
 

Einige Stunden später erwachte Catherine völlig gerädert aus dem Schlaf und blickte sich blind in ihrem Zimmer um. Ein leicht rosiger Schimmer, der aufgehenden Sonne, durchzog es, sodass sie nur Schemen erkennen konnte. Hustend richtete sie sich auf und fasste sich an den Hals, der trocken war. Vorsichtig tastete sie nach dem Wasserglas, doch sie stieß stattdessen nur dagegen und mit einem dumpfen Plong fiel es auf den Teppich. Verdammt! Ausgerechnet das noch. Catherine fluchte, was sie nur noch stärker husten ließ. Vorsichtig schlang sie ihre Decke über ihre Schulter und rutschte aus dem Bett. Langsam richtete sie sich auf, denn Catherine vertraute ihrem Körper nicht. Er war zittrig, schwach und sie wusste nicht, ob sie überhaupt die zehn Schritte in die Küche schaffen würde, doch sie musste es versuchen. Mit tapsigen Schritten, die Decke wie eine Schleppe hinter sich herziehend, ging sie ins Wohnzimmer, stützte sich am Türrahmen und an dem alten Kirschholzschreibtisch ihres Bruders ab, der sogar noch eine Rollade besaß um die Arbeitsfläche abzuschließen. Schwankend wie ein Betrunkener ging sie weiter. Jeder Schritt kostete sie sämtliche Konzentration und ihre Umwelt begann immer mehr vor ihren Augen zu verschwimmen.

Plötzlich wurde ihr mehr als schwindelig. Die Welt um sie herum begann sich um die eigene Achse zu drehen, immer schneller und schneller, sodass Catherine das Gefühl bekam komplett den Boden unter den Füßen zu verlieren. Keuchend holte sie Luft, stützte sich krampfhaft auf der Lehne ihres Sessels fest, als alles zu kippen drohte. Kalter Schweiß rann ihre Stirn hinab, tropfe in ihre Augen, was sie brennen ließ. Erschrocken von den einprasselnden Eindrücken schnappte sie panisch nach Luft und taumelte beinahe zurück, als ihre Lunge brannte. Rasend schnell schlug ihr Herz gegen ihre Brust, fast so als würde es zerspringen und sie spürte ihren Puls hinter ihren Stirnlappen hämmern, als würde sie einer mit dem Vorschlaghammer bearbeiten. Während das Adrenalin durch ihren Körper raste, zog es auch die sämtliche Restenergie ihres Körpers mit sich.

Alles wurde schwarz vor Catherines Augen und langsam kippte sie zur Seite. Hart schlug sie mit dem Kopf auf dem Boden auf und sie brach ohnmächtig zusammen.
 

~*~
 

John trat vorsichtig in die Wohnung von Catherine ein, eine große Schüssel balancierend. Es war bereits später Morgen und er wollte ihr eine stärkende Suppe bringen. Zwar hatte sie ihm gestern mehr als deutlich gemacht, dass sie seine Hilfe nicht wollte und er wollte ihren Wunsch nicht ignorieren wollte, so konnte er den Arzt in sich doch nicht zum Schweigen bringen. Catherine war sehr krank und es war auch irgendwie seine Art sich zu entschuldigen dafür, dass Sherlock sie so unsanft um ihre Erholung gebracht hatte.

Etwas umständlich öffnete er die Haustür und trat in die Wohnung.

„Hey, Catherine.“, sagte er laut genug, damit sie ihn hörte, falls sie wach war und er sie nicht erschreckte und leise genug, damit er sie nicht weckte. „Ich habe hier warme Hühnersuppe von Mrs. Hudson. Die wird Ihnen gut tun.“

Er ließ den Topf sinken und das Bild, das sich ihm bot, erschrak ihn bis ins Mark. Beinahe hätte er die Schüssel fallen gelassen. Inmitten der Sitzgruppe lag Catherine, ihr Körper seltsam verdreht, eine Hand neben ihrem Kopf. Die Daunendecke, in die sie sich in der Nacht noch gekuschelt hatte, lag nur über den Beinen. Was aber am erschreckendste war, war ihr Anblick selbst. Ihre Haut war aschfahl, sämtliches Blut war aus ihrem Gesicht gewichen und das Haar hing wirr in ihrem Gesicht. Und vor allem: Sie schien nicht zu atmen.

„Catherine!“, stieß er erschrocken aus, stellte die Schüssel einfach irgendwo hin und kniete sich zu ihr. Sofort ging er den Punkteplan durch, der ihm beim Medizinstudium für Notfälle immer wieder eingetrichtert worden war. Er schob den Ärmel ihres Schlafanzugoberteils nach oben, griff nach ihrem Handgelenk und suchte ihren Puls. Im ersten Moment glaubte er, dass sie keinen mehr hätte und bereitete sich schon darauf vor die Panik herab zu kämpfen, die kommen würde, doch dann spürte er einen Herzschlag. Er war schwach, unregelmäßig und fiel zu flach, während ihre Haut von Schweiß verklebt war, doch sie lebte noch. Sofort brachte er sie in eine stabile Seitenlage, damit ihr Brustkorb die Atmung nicht behinderte und er hielt seine Finger unter ihre Nase um sicher zu gehen und er spürte wirklich den leichten Hauch eines Atems. Der Puls war zwar erschreckend niedrig, das kam aber vermutlich durch das abgeflachte Adrenalin. Das war normal und momentan nicht lebensbedrohlich, dennoch war er beunruhigt.

Da John jetzt die wichtigsten erste Hilfe Maßnahmen unternommen hatte, rief er sofort im Krankenhaus an und schilderte die Situation. Wenn alles glatt ging, wäre der Krankenwagen in fünf bis zehn Minuten hier. Tief Luft holend beugte sich John vor, deckte sie zu, begann aber sie weiter zu untersuchen. Er öffnete eines ihrer Augen und leuchtete provisorisch mit seinem Handy hinein, doch die Pupille reagierte nicht, auch auf Schmerzen zeigte ihr Körper keinerlei Reaktion und auch keinerlei Reflexe.

Bebend holte John noch einmal Luft, zwang seine Panik herab und mit zitternden Händen wählte er die Nummer von Sherlock. Das Freizeichen ertönte eine gefühlte Ewigkeit und John fluchte innerlich, dass dieser Vollidiot endlich abheben sollte.

„John, was gibt es denn?“, hörte er dann die tiefe, murrende Stimme seines Mitbewohners. „Haben Sie an die Milch gedacht?“

„Vergessen Sie jetzt mal Ihre verdammte Milch!“, fuhr John ihn zornig an. Seine Sorge um Catherine kanalisierte sich nun auf Sherlock. Wie konnte er nur so ruhig sein? So…so uninteressiert? Warum scherte er sich um seine Milch? Wütende Gedanken rasten durch seinen Kopf und er musste sich beinah zwingen daran zu denken, dass Sherlock keine Ahnung hatte. „Sie müssen rüber kommen, sofort!“

„Ich habe keine Zeit.“, antwortete Sherlock nur verstimmt und ließ Johns Zorn nur noch mehr entflammen. „Ich denke gerade.“

„Das interessiert mich gerade einen feuchten Dreck!“, schrie John ihn an und umklammerte sein Handy fester. Er brauchte Sherlock, er brauchte Beistand. Eine Vermutung, was mit Catherine geschehen war, hatte sich in seinem Kopf festgesetzt und diese raubte ihn jeden klaren Gedanken.

Sherlock schien zu bemerken, dass mehr hinter der ganzen Sache steckte als John übliche Genervtheit, denn er hörte, wie sein Mitbewohner tief Luft holte und dann mit ruhiger Stimme fragte:

„Was ist passiert?“ John schloss die Augen und zwang sich mit aller Kraft dafür zu sorgen, dass seine Stimme nicht zitterte. Schuld nagte an ihm. Wäre er nur hartnäckiger gewesen!

„Catherine…sie…“ Seine Stimme versagte.

„Was ist mit ihr?“, hakte Sherlock nach und nun bekam auch seine Stimme einen besorgten Unterton. Er war kaum zu hören und doch war er da.

„Sie…ist ins Koma gefallen.“, sagte John atemlos. Tuuuuut. Augenblicklich war die Leitung tot.
 

~*~
 

Düdüdüüüm! *trommel wirbel* und hiermit beginnt mein erster Höhepunkt. Der wird auch noch mindestens 3 Kapitel gehen.  Da jetzt die einzelnen Kapitel länger werden, werde ich wohl auch mehr Zeit brauchen. Ich versuche vor Neujahr noch eines zu schreiben, da es sich aber wieder um ein Sherlock Kapitel handelt, wird es umso schwieriger. ^^ ich hoffe ihr versteht das^^
 

ich habe leider keinen Namen für eine solche Bakterienart gefunden, es gibt aber einige, nur ich woltle mir jetzt auch keinen ausdenken, deshalb immer nur: Die Mikrobenart.
 

Falls ich es vorher nicht mehr schaffe: Frohes Fest und einen guten Rutsch. Bis aufs nächste Jahr.
 

Lg, Subaruchan

Ungeduldiges Warten

5. Kapitel: Ungeduldiges Warten
 

„Sie…sie ist ins Koma gefallen.“, hörte er Johns atemlose Stimme am anderen Ende der Leitung. Sofort legte Sherlock auf, hastete zur Garderobe und zog sich seinen Mantel an. Er riss förmlich die Tür auf und stürmte die Treppen hinab. Deutlich hatte er die Sorge und die Schuldgefühle in Johns Stimme gehörte- ein schlechtes Zeichen. John war ein Soldat und blieb selbst in den ausweglosesten Situationen ruhig und beherrscht. Dass nun so offensichtlich beinah Panik in seiner Stimme mitschwang, hatte auch auf ihn Auswirkungen. Sherlock würde zwar nicht so weit gehen es Sorge zu nennen, doch zumindest war das nun eine Situation, die er nicht ignorieren konnte. Auch wenn er noch immer über der Lösung des Falles mit der Leiche in der Lagerhalle nachdachte, so hatte Johns Verhalten ihn dazu veranlasst, den Fall in der Priorität herabzusetzen.

Es ging nicht um Catherine an sich, es war die gesamte Situation, die dafür sorgte, dass er sich von ihm losreißen konnte. Etwas, was er bis vor kurzem nie gedacht hätte. Normalerweise, wenn Sherlock einen Fall hatte- besonders solch einen interessanten- war er durch nichts davon abzulenken. Er hatte noch nicht einmal mitbekommen, dass John zu Catherine herübergegangen war, aber das war nun auch egal. Etwas hatte sich in den letzten Monaten verändert. Ein Geflecht hatte sich gebildet, dass ihn daran hinderte, der gefühlslose Soziopath zu sein, der er sonst gewesen war. Sicherlich würde er wirklich nicht so weit gehen zu sagen, dass er sich wirklich um Catherine scherte- nicht so wie um John und Mrs. Hudson- doch sie war ihm zumindest nicht so egal wie die restliche graue Masse von Menschen auf diesem hoffnungslos dummen Planeten, der sich wohl offensichtlich um die Sonne drehte.

Und wem gab er die Schuld daran, dass er allmählich so eine Art Gewissen zu entwickeln begann? Natürlich, John! Wem auch sonst? Diesem so ehrvollen, moralischen Menschen, der es irgendwie schaffte sein Gewissen zu sein. Es war wie eine Krankheit und er war der Vektor, der sie übertrug. Mittlerweile hatte er Sherlock infiziert und hinderte ihn daran alles zu tun um einen Fall zu lösen, hinderte ihn daran der gewissen- und gefühlslose Soziopath zu sein, der bereit war selbst die dunkelsten Pfade Londons entlangzulaufen um das Licht zu finden. Das Licht, was sein Herz erwärmte, seinen Verstand umschmeichelte, wenn er den Täter fand. Früher war ihm stets egal gewesen in welchen Abgrund er dafür hatte springen müssen und kein Mittel war ihm zu unorthodox gewesen, aber seit John da war, war es anders. Er war wie ein Anker, der ihn festhielt, wenn er dabei die Grenzen zu überschreiten. Seine Grenzen. Die der Gesellschaft übertrat er offenkundig wohl noch oft genug.

Etwas wurmte Sherlock aber noch mehr, als diese Tatsache, nämlich, dass er sprang, wenn John rief. Sollte es nicht eigentlich anders herum sein? Sherlock schnaubte, als er die Treppen hinunterlief. Ja, es sollte so sein, doch wenn John so aufgewühlt war, dann wusste Sherlock, dass er es nicht grundlos war.

Beinahe wäre er in Mrs. Hudson hineingerannt, die gerade mit Einkaufstüten beladen in den Flur trat. Irritiert blickte sie Sherlock hinterher, der bereits durch die Tür gelaufen war.

„Sherlock! Wohin des Weges?“, rief die ältere Dame ihm hinterher. „Ich habe noch Hühnersuppe für Sie.“

„Später, Mrs. Hudson!“, rief er ihr noch über die Schulter zu und rannte dann die letzten Meter zu Catherines Wohnung hoch. Schon als er eintrat, bemerkte er, dass die Lage mehr als ernst war. John kniete neben Catherine, untersuchte sie und schien mehr als unruhig.

„Was ist passiert?“, fragte Sherlock und trat auf seinem Mitbewohner zu, kniete sich neben ihn. John warf ihm einen traurigen Blick zu und machte sich dann wieder daran ihren Puls zu überwachen.

„Ich wollte ihr Suppe bringen zur Stärkung und ihr auch ein Aufbaumittel geben. Nachdem Sie gestern verschwunden waren, ging es ihr zusehend schlechter, doch als ich in die Wohnung kam, habe ich sie so vorgefunden. Sie liegt mindestens schon fünf Stunden hier auf dem Boden. Sie reagiert weder auf Schmerz- oder andere Reize und ihr Körper ist vollkommen ausgekühlt.“, erklärte John mit monotoner Stimme, die Sherlock verriet wie sehr es in Wirklichkeit in seinem Inneren tobte.

„Das klingt aber nicht nach einer normalen Grippe.“, sagte Sherlock nachdenklich. Sein Blick glitt durch die Wohnung. In seinem Kopf breitete sich das Gefühl aus, dass hier etwas nicht stimmte.

„Nein…“, sagte John matt uns sah hektisch zur Tür. Sherlock wusste, dass er nach dem Krankenwagen Ausschau hielt. „Vermutlich eine Sekundärinfektion auf Grund des geschwächten Immunsystems. Verdammt!“ Der Arzt schlug auf den Teppich und schloss die Augen. Sherlock sah die typischen Anzeichen der Schuld in seinem Gesicht. Sein Atem ging schwer, die Augen geschlossen, Kopf gesenkt. John glaubte, dass er verantwortlich für diesen Zustand war.

„Ich hätte unnachgiebiger sein sollen, Sherlock…ich hätte…ich…verdammt!“

„John, beruhigen Sie sich.“, fuhr er kalt dazwischen. „Es ist nicht Ihre Schuld. Sie konnten nichts tun.“ Sein Mitbewohner sah ihn blinzelnd an, doch dann wurden seine Augen schmal.

„Wie kann Ihnen das so verdammt egal sein? Bedeutet Sie Ihnen nichts? Sie könnte sterben, Sherlock! Und wo bleibt dieser verdammte Krankenwagen?“ John Stimme war aufgebracht, bebte vor unterdrückten Zorn, ebenso wie seine Nasenflügel. Ein Wirbel aus Wut, Angst und Verzweiflung trafen Sherlock aus blauen Augen, doch dieser ließ davon nicht beeindrucken.

„Nein, tut sie nicht.“ Den zornigen Blick seitens Johns ignorierte er geflissentlich. „Und selbst wenn es so wäre, würde es etwas bringen, wenn ich mich aufrege?“ Er blickte ihn aus ruhigen, graublauen Augen an. Manchmal war es ein Vorteil ein gefühlsloser Mistkerl zu sein, wie ihn John sicherlich gerade innerlich verfluchte. So konnte er seinen Mitbewohner zumindest beistehen und beruhigen. Es brachte nichts sich nun den Gefühlen hinzugeben und so war zumindest einer der Anwesenden in der Lage ruhig und sachlich heran zu gehen. Menschen sahen vieles nicht, da sie auf Grund von Gefühlen nicht bereit waren zu sehen oder die Fakten auf Grund ihrer Moral oder Emotionen falsch interpretierten.

„Nein…“, knurrte der Blonde ihn an und Sherlock wusste, dass er es hasste sich eingestehen zu müssen, dass er Recht hatte. Das hatte ihm damals nach dem Tod der alten Frau in Moriartys Spiel nicht gepasst.

John sprang auf und lief unruhig hin und her. Ein natürlicher Reflex. Er versuchte dem inneren Sturm entkommen, doch Sherlock wusste, dass es aussichtslos war. Ruhig stand auch er auf, ging auf ihn zu und legte ihm eine Hand auf die Schulter.

„John…“, sagte er noch einmal, dieses Mal sanfter, und ließ ihn innehalten. „Sie haben alles getan, was Sie konnten. Catherine ist eine junge, gesunde Frau. Nun, zumindest normalerweise. Ihr Immunsystem wird das schon schaffen.“ Lange blickte John ihn an, nickte dann leicht und ließ sich kraftlos wieder zu Boden sinken. Wieder kniete sich Sherlock neben ihn und blickte Catherine an. Ihre Haut war kalkweiß, noch blasser als sie in der Nacht gewesen war. Dunkle Schatten hatten sich um ihre Augen gebildet und auch insgesamt wirkte Haut fahl. Ihre schmalen, aber schön geschwungenen Lippen, die sonst die Farbe von Perlmutt hatten, waren nun blutleer, beinahe blau. Sherlock brauchte nicht lange um zu erkennen, dass ihr Körper bereits sämtliche Kräfte aufgebracht hatte und dass sie kaum noch am Leben war. Sie war mehr eine Mumie, denn eine lebendige Frau.

Sherlock biss sich auf die Unterlippe und er fühlte wohl dasselbe wie John in dem Moment. Machtlosigkeit. Er hatte nicht ganz die Wahrheit gesagt. Natürlich ließ ihn das nicht kalt. Selbst der Tod der alten Frau damals, als sie angefangen hatte Moriarty zu beschreiben, hatte ihn getroffen, auch wenn es ihn damals mehr geärgert hatte, dass er verloren hatte, obwohl er doch eigentlich gewonnen hatte. Hier war es allerdings anders. Catherine war ihm nicht egal. Sie war zwar keine enge Vertraute, ehrlich gesagt ging sie ihm oft ziemlich auf die Nerven, doch Catherine war schlau und bot ihn öfters Parole. Sie war eine der wenigen, die wirklich Empfindungen bei ihm auslösten und auch wenn es für Sherlock schwerer einzugestehen war, als alles andere, so wusste er, dass er sie nicht mehr missen wollte. Es machte ihn Spaß sie zu ärgern, sie dazu bringen ihre Augen zu verdrehen. Sie war ein normaler Mensch, doch einer, der seiner Welt näher war als die meisten anderen. Teilweise verstand sie ihn, war ebenso frustriert von der Gesellschaft wie er, doch im Gegensatz zu ihm, wagte sie es nicht auszubrechen.

Doch Catherine war stärker, als viele vermuteten, stärker als sie selber glaubte, das konnte Sherlock ihr ansehen. Sie war eine Kämpferin, die lieber brüllend unterging, als klein bei zu geben und genau diese Erkenntnis ließ ihn so ruhig bleiben. Sie hatte noch zu viele Ziele, als das sie jetzt sterben würde. Oder redete sich Sherlock das nur ein um sein nun aufkeimendes Schuldgefühl zu unterdrücken? Auch wenn er es nicht wollte, so kam in ihm der Gedanke auf, ob er vielleicht nicht schuld war an ihrem Zustand. Ob er sie überfordert hatte in ihrem Gesundheitszustand. Natürlich hatte er gesehen wie schlecht es ihr gegangen war, doch er war zu engstirnig und egoistisch gewesen um das zu beachten. Es wunderte ihn, warum sie sich all seine Spitzen hatte über sich ergehen lassen und nicht längst wie all die anderen Menschen ihm „Verpiss Sie sich!“ entgegengeworfen hatte. Stattdessen hatte sie die Zähne zusammengebissen und ihm mehr als geholfen.

Ja, Sherlock fühlte sich wirklich machtlos. Er konnte sich sonst immer auf seinen messerscharfen Verstand verlassen, doch in diesem Moment half ihm dieser nicht im Geringsten. Er konnte nur hoffen und er hasste nichts mehr, als dieses Gefühl. Was bedeutete schon hoffen? Sobald man zu hoffen begann, gab man die Verantwortung aus der Hand. Man baute darauf, dass irgendjemand anderes schon alles für einen fügen würde. Doch wer sollte dieser jemand sein? Eine höhere Macht? Ein Gott gar vielleicht? So etwas konnten doch nur dumme Menschen tun, die nicht in der Lage waren ein Problem selbst zu lösen.

Sherlock sah zu John, der noch immer neben Catherine kniete, ihre Hand in stiller Verzweiflung hielt. Als hätte er den Blick aus den graublauen Augen gespürt, öffnete John seine wieder und sah zu ihm auf. Eindringlich erwiderte Sherlock diesen, sah Sorge und Bangen in den dunklen Augen des Blonden. Diese Gefühle schienen John aufzufressen, denn seine Augen sahen ihn voller Qual an, flehten ihn an etwas zu tun. Er ist doch der übermächtige Sherlock Holmes, dachte er sich sicher, dem muss doch irgendwas einfallen. Fakt war aber, Sherlock war genauso ratlos.

Es schien, als würden die beiden Freunde sich ewig ansehen, als endlich das Martinshorn sie aus ihrer Starre riss. Beide schauten zur Tür, wo sie den blauen Schein erblickten. Sofort sprang John auf, stürmte die Treppe hinab und führte die Sanitäter herauf. In diesem Moment war er wieder ganz der Militärarzt. Ruhig und sachlich schilderte er die Erlebnisse, wies sich als Arzt aus und führte die zwei Männer herein.

Was danach geschah, nahm Sherlock nicht mehr richtig wahr. Nur am Rande hörte er was von Adrenalin, Katheter legen und viel zu niedrigen Puls. Das Gewusel um ihn herum war nicht mehr als ein Abfolge von schnell ablaufenden Bildern, auf die er nicht achtete, die in einander verliefen. Irritiert, aber doch irgendwie wie angezogen, ging Sherlock durch die Wohnung und sah sich um. Er wusste nicht, woran er es festmachte, doch tief in seinen Gedanken bildete sich eine dunkle Ahnung, dass hinter Catherines Koma weit mehr steckte, als eine natürliche Ursache. Es mehr eine Intention und doch spürte er es eindeutig. Es war wie ein Fluss krimineller Energie, den er verspürte, der sich unaufhaltsam durch den Raum zog. Immer wieder wandte Sherlock den Kopf, versuchte den Ursprung ausfindig zu machen, doch seine Augen sahen nicht, was sein Geist wahrnahm, obwohl sie so sehr suchten. Wie Sand, der einem durch die Finger rann, entglitt ihm immer wieder die Erkenntnis. Er versuchte es zu greifen, zu verstehen, doch er konnte es nicht.

„Sherlock?“, riss ihn Johns fragende Stimme aus den Gedanken. Der Angesprochene blinzelte schnell und das vorher so klar hervorgetretene Wohnzimmer, verblasste und auch seine Wahrnehmung normalisierte sich. Kurz schnaubte Sherlock wütend. Sah er sich doch so nah an der Lösung und dann riss John ihn einfach aus seinen Gedanken. Langsam wandte er den Kopf zu dem Kleineren um und sah ihn an. John betrachtete ihn nachdenklich.

„Haben Sie etwas gesagt, John?“, hörte er sich wie automatisch fragen. Kurz seufzte John, verkniff sich aber den Kommentar, den er sonst brachte, wenn Sherlock ihn ignoriert hatte.

„Die Sanitäter bringen Catherine in St. Bart’s. Kommen Sie!“, sagte er mit monotoner Sachlichkeit, die Sherlock zeigte wie sehr er doch an dem Mädchen hing. Etwas, was Sherlock noch nicht ganz begriff, aber das war nun auch nicht von Belang. John drehte sich um, ging den Sanitätern hinterher, doch Sherlock verharrte an Ort und Stelle, versuchte wieder in diesen Zustand zu kommen, den er gerade gehabt hatte. Wieder war es Johns Stimme, die nach ihm rief, die ihn herauszerrte aus der Sichtweise, die ihn alles Unwichtige ignorieren ließ. Frustriert stöhnte Sherlock und stampfte mit dem Fuß auf. Er wirbelte herum und sah Johns irritierten Blick. Nun seufzte er selbst und rieb sich über die Augenbrauen, bevor er den Blickkontakt wieder aufnahm.

„Fahren Sie mit, John. Es kann eh immer nur einer im Krankenwagen mitfahren.“ Kurz hob John eine Augenbraue, doch Sherlock erwiderte seinen Blick nur eindringlich und nickte mit ihnen in Richtung Tür. Da schien er zu verstehen, denn sein Mund öffnete sich zu einem stummen: ‚Ah‘ und er flüsterte leise:

„Sie glauben, dass etwas hieran nicht stimmt.“ Sherlock nickte zur Antwort und ließ einen Blick noch einmal durch die Wohnung schweifen.

„Ich weiß nicht, was es ist, John, doch etwas sagt mir, dass mehr hinter der Sache steckt.“, erklärte Sherlock mit seiner nachdenklichen Stimme. John nickte nur zögerlich und verließ den Raum.

Sherlock schloss die Augen und holte tief Luft. Konzentriert wie immer schob er alle störenden Gedanken beiseite und öffnete dann wieder seine Augen. Er wollte sich noch ein wenig in der Wohnung umsehen, bevor er sich auf dem Weg zum Krankenhaus machte, denn das Gefühl, was er vor einigen Minuten gehabt hatte, kehrte wieder zurück. Nur wurde dieses Mal der Raum nicht von Farbschlieren der sich um ihn bewegenden Menschen durchzogen, sodass er in aller Ruhe alles um sich herum beobachten konnte. Noch immer gab es dieses leichte Ziehen in seinem Geist, das ihn innehalten ließ, dass Sherlock das Gefühl gab, dass er etwas übersah. Es war, als würde sein Unterbewusstsein schreien:

„Sieh doch endlich richtig hin, du Vollidiot!“, doch Sherlock sah es nicht. Verdammt! Es war zum aus der Haut fahren. Er hasste dieses Gefühl, dass er immer hatte, wenn er der Lösung so nah war, dass er sie beinahe fühlen konnte, doch der letzte Funke fehlte. Fahrig fuhr Sherlock sich durch seine dunklen Locken und ging in Catherines Schlafzimmer. Wieso sah er es denn einfach nicht? Lag es daran, dass er sich nicht richtig konzentrieren konnte? Dass es doch den Drang in ihm gab, dass er lieber ins Krankenhaus fahren wollte? Doch er konnte eh nichts tun und John war auch noch da. Er würde schon dafür sorgen, dass diese inkompetenten Ärzte keinen Mist bauten. Das redete sich Sherlock zumindest ein. Die Ärzte in St. Bart’s waren Trottel, doch John war keiner.

Sherlock blieb in dem Raum stehen und sah sich um. Direkt fiel ihm das umgefallene Glas auf und er hockte sich dahin. Vermutlich hatte Catherine es umgeworfen und war in Folge dessen aufgestanden um sich ein Neues zu holen. Der Teppich war mittlerweile trocken. Also schon länger her.

Sherlock sah die heruntergeworfenen Kissen, wo Catherine mit der Decke entlang gerutscht war. Mit kurzen Schritten folgte Sherlock ihrer Spur, doch er konnte nichts Ungewöhnliches entdecken. Catherine war ins Wohnzimmer geschwankt, wo sie jegliche Kraft verlassen hatte und war dann vor dem Wohnzimmertisch umgekippt. Alles sprach für einen üblichen Schwächeanfall, doch diese Erklärung erschien Sherlock zu einfach. Catherine war eine gesunde, fitte Frau. Die kippten wegen einer Grippe nicht einfach um.

Er sah den unordentlichen Wirrwarr aus Lehrbüchern, Notizen, Vorlesungsfolien, was darauf hindeutete, dass sie, bevor sie krank geworden war, gelernt hatte. Auch ihr Zeitplan sprang ihm ins Auge. Montag gfp Verschmelzung. So was. Sie brachte also auch Dinge mittels des fluoreszierenden Proteins zum Leuchten. Vielleicht sollte er sich das mal zeigen lassen, wie Bluebell damals zum Leuchten gebracht worden war.

Schnell schüttelte Sherlock den Kopf. Manchmal war sein rastloser Geist echt eine Plage. Zu schnell ließ er sich von neu aufkommenden Gedanken ablenken. Konzentriert ging Sherlock auch die restlichen Quadratmeter der kleinen, aber gemütlichen Wohnung ab. Zum Mittag hatte es Spaghetti gegeben, doch Catherine hatte sie verkocht, was die Reste im Mülleimer zeigten und sie hatte auch nicht abgespült. Nichts von dem, was er entdeckte befriedigte diese dumpfe Gefühl in ihm, doch Sherlock ließ es erst einmal dabei bewenden, verließ die Wohnung und fuhr mit einem Taxi zu St. Bart’s.
 

~*~
 

Sherlock entdeckte John schnell, als er eine halbe Stunde später durch die langen Gänge des St. Bart’s Hospital schritt. Er kannte dieses Krankenhaus in und auswendig, schließlich hatte er hier sein eigenes Labor in der Pathologie.

Auch John schien seine eiligen Schritte gehört zu haben, denn er blickte auf und sah in seine Richtung.

„Sherlock!“, rief er nach ihm und blinzelte einmal.

„Wie sieht es aus?“, fragte Sherlock und versuchte seine Stimme so emotionslos wie möglich klingen zu lassen. Er hatte vor John immer eisenfest behauptet keine Gefühle zu haben und er wollte sich selbst keinen Strick drehen. Er mochte das, was er bisher verkörpert hatte, zu sehr, als das er sich schon eingestehen wollte, dass er sich zu verändern begann. Dabei spürte er es schon tief in sich.

„Sie stabilisieren sie noch.“, erklärte John knapp und er fuhr sich müde durchs Haar. Erst jetzt bemerkte Sherlock wie erschöpft John aussah. Tiefe Augenringe hatten sich gebildet und seine Haut schien ein wenig fahler als sonst. Das mochte aber auch an diesem unmöglichen, kalten Neonlicht liegen. Wundern würde es Sherlock jedoch nicht. Nachdem John in der Nacht nachgekommen war, hatte Sherlock ihn mit seinen Überlegungen wachgehalten. Zu aufgeregt war er gewesen nachdem, was Catherine ihm erzählt hatte, sodass Schlafen ganz weit nach hinten in sein Bewusstsein gewandert war. John hatte gemurrt und sich irgendwann in den frühen Morgenstunden in sein Zimmer zurückgezogen. Sherlock hatte es gar nicht bemerkt. Erst als er später am Morgen in die Küche gewuselt war und etwas zu ihm gesagt, hatte Sherlock überhaupt erst realisiert, dass John weggewesen war. Vermutlich war der Arzt nun mit dem ganzen Stress einfach am Ende seiner Kräfte.

Sherlock trat noch einen Schritt näher an John, der auf eine Tür starrte.

„Wie schätzen Sie die Lage ein?“ Sein Mitbewohner blinzelte Sherlock kurz an, doch dann seufzte er und blickte zurück zur Tür.

„Sie wird durchkommen, schätze ich. Wir haben sie zum Glück früh entdeckt und so kann es schnell behandelt werden. Da wohl ihr Herz nie ganz aufgehört hat zu schlagen, wurde wohl zumindest ihr Gehirn noch mit Sauerstoff versorgt. Ich schätze keine bleibende Schäden.“, erklärte der Arzt neben ihn und Sherlock nickte. Ein wenig beruhigte es ihn schon. Wäre ja zu schade um dieses nicht ganz so einfältige Gehirn gewesen.

„Catherine wird das schon schaffen.“, setzte John noch hinzu. Der Consulting Detective wusste, dass er es nur sagte um sich selbst zu beruhigen. Sherlock sah aus den Augenwinkeln wie John ein Zittern unterdrückte und sich immer wieder dazu zwang tief Luft zu holen. Leise seufzte er und schüttelte leicht den Kopf. Er würde das nie verstehen. Dieses ganz besorgt sein und so weiter war für ihn wie ein Buch mit Sieben Siegeln und Sherlock vermutete, dass sobald es sich öffnete, seine Apokalypse bevorstand. Seine Fähigkeiten Gefühle stets ausschließen zu können hatte es ihm ermöglicht der zu sein, der er war. In Baskerville hatte er die Angst bereits kennengelernt und dieses Gefühl hatte ihn mehr beängstigt, als jede lebensgefährliche Situation, die er zuvor durchlebt hatte. Nein, den Gefühlskram überließ er lieber John.

„Haben Sie wenigstens etwas entdeckt?“ Sherlock blickte zu John hinab und sah die Hoffnung in seinen Augen blitzen. Ein leiser Seufzer entwich ihm und schüttelte den Kopf.

„Nein…nichts, was meine Ahnung bestätigt.“ Sherlock war selbst überrascht, dass er so etwas wie Niedergeschlagenheit in seiner Stimme hörte. War es, weil er einfach nicht darauf kam, was sein Unterbewusstsein mitzuteilen versuchte oder weil er nichts gefunden hatte, was ihr helfen konnte? Er hoffte doch stark, dass es ersteres war. Verdammt! Nun begann er auch zu hoffen. Verdammt, Sherlock. Hol den Knüppel raus und prügele die Gefühle wieder dorthin, wo sie all die letzten Jahre gewesen waren.

„Verstehe…“, war Johns enttäuschte Antwort. Er lehnte sich gegen das Fenster und seufzte wieder. Sherlock sagte hingegen nichts, sondern hing seinen Gedanken nach. Er dachte darüber nach wie sein Leben sich verändert hatte seit er John kannte und ob er es gutheißen konnte. Nachdenklich schürzte Sherlock die Lippen und versank in seine Welt aus Gedanken, daraus resultierenden Schlussfolgerungen und Erkenntnissen.

„Ist sie Ihnen wirklich egal?“ Johns Stimme war vorsichtig, so als fürchtete er sich vor der Antwort. Sherlock blickte ihn seitlich an und runzelte die Stirn. Dann seufzte er leise und verschränkte die Arme vor der Brust.

„Wenn dem so wäre, wäre ich dann hier, obwohl ich einen Fall habe?“, sagte er dann schließlich leise und weigerte sich John anzusehen. Es war seltsam für Sherlock, sich das einzugestehen, aber der Fall im Lagerhaus war für ihn total in Vergessenheit geraten. Es war ihm egal gewesen innerhalb der letzten zwei Stunden. Der Fall konnte warten, denn Mord verjährte nicht. Auf eine Woche kam es auch nicht mehr an. Er war zwar akkurat geplant gewesen, doch Sherlock hatte keinerlei Anzeichen für einen Serienmörder gefunden. Da kam es auf ein oder zwei Stunden nicht an. Sherlock hätte das nie für möglich gehalten, aber in diesem Moment war ihm der Fall vollkommen egal.

„Sie sind doch nur hier, weil sie Ihnen einen neuen, noch interessanteren Fall bietet.“, murrte John. Als Antwort bekam er einen wütenden Blick von Sherlock zugeworfen. Glaubte John das wirklich? Leise seufzte er und beruhigte sich. Es war nicht verwunderlich, dass John genau das von ihm glaubte, obwohl er sich gerade selbst eingestanden hatte, dass dem nicht so war.

„Dann wäre ich noch immer in ihrer Wohnung.“, antwortete er deshalb nur knapp. Seine Stimme war kälter, als Sherlock es beabsichtigt hatte, doch der Ton indem John es gesagte hatte, ließ ja vermuten, dass er ein Unmensch wäre.

„Tut mir leid…“, murmelte John, als er realisierte, was er da gesagt hatte.

„Schon in Ordnung…Sie sind angespannt.“

„Wussten Sie, dass sie uns als Notfallkontakt hat eintragen lassen?“, sagte John nach einiger Zeit leise zu ihm.

„Nein…“

„Wir hätten angerufen werden sollen, wenn ihr etwas passierte. Das hat mir die Krankenschwester vorhin gesagt.“ Johns Schultern sanken frustriert hinab und er verstaute die Hände in den Taschen. Beinahe sah es aus, als wollte er nach einem imaginären Stein treten, doch er hielt mit in der Bewegung inne. Sherlock seufzte leise und schüttelte stumm den Kopf.

„John…hören Sie auf sich für etwas Vorwürfe zu machen für dass Sie nichts können und dass Sie erst recht nicht ändern können.“, sagte Sherlock leise und achtete darauf seine Stimme so ruhig und sachlich wie möglich klingen zu lassen. Irgendwie hatte diese Tonlage eine beruhigende Wirkung auf die Menschen um ihn herum. Warum wusste er jedoch nicht. Ein aufgebrachter Blick war die Antwort darauf und Sherlock seufzte erneut und blickte John an.

„John…“, sprach er ihn noch einmal an, dieses Mal versöhnlichen Ton. „Wir können die gegebene Situation nicht ändern, selbst wenn wir es wollten. Es bringt also nichts sich Vorwürfe zu machen. Wir können uns nur mit der gegebenen Situation arrangieren und überlegen wie wir diese lösen. Eine andere Option haben wir nicht.“ Sherlock holte tief Luft und schloss die Augen. Das Menschen auch immer diese „was wäre wenn?“ Szenarien durchspielen mussten. Was, wenn ich länger bei ihr geblieben wäre? Was, wenn ich hartnäckiger geblieben wäre? Immer diese Fragen. Was brachten sie einem denn, außer dass sie einen unnötig quälten? Die Zeit ließ sich nun einmal nicht mehr zurückdrehen. Also, warum sollte man sich darum Gedanken machen? Das Einzige, was John tun konnte, war sich auf das Hier und Jetzt zu konzentrieren, vielleicht noch auf die Zukunft, doch auf die hatte er in dieser Situation einfach keinen Einfluss.

Sollte er John sagen, dass er in irgendeiner der unzähligen Dimensionen, die neben dieser existierten, er bei Catherine geblieben war? Nein, besser nicht. Schnell verwarf er diesen Gedanken. Dann müsste er ihm auch erzählen, dass in einer anderen Catherine trotz seiner Hartnäckigkeit gestorben wäre. Diese Idee war vermutlich nicht so gut.

„Wir?“, fragte sein Mitbewohner mit argwöhnischer Stimme und er sah zu Sherlock auf. Er erwiderte seinen Blick und schüttelte nur ungläubig den Kopf.

„So unglaublich Ihnen das auch erscheinen mag, John, ich bin kein Unmensch.“, gab Sherlock bissiger zurück, als er beabsichtigt hatte.

Allmählich begann die Situation anstrengend zu werden. Momentan war viel Empathie notwendig, damit dieses wacklige Gebilde nicht zerbrach, damit es nicht eskalierte, doch genau die besaß Sherlock nicht. Catherine wär momentan besser an seiner Stelle gewesen. Sie wäre so nüchtern wie Sherlock an die Sache gegangen, aber hätte gleichzeitig genug Mitgefühl für John gehabt, doch leider war sie es, die nun gefangen in ihrem eigenen Körper war.

Sherlock wusste, dass John es nicht so meinte, dass er nur fertig mit den Nerven war, dass die Schuldgefühle ihn zerfraßen, dennoch fühlte er sich ein wenig gekränkt. Er war nicht sein Bruder, er war nicht der ‚Iceman‘.

Es war wirklich gut, dass er solchen Schwachsinn wie Resignation, Sorge oder gar Reue nicht empfand. Die Situation war nicht Johns Schuld, das würde ihm jeder bestätigen, doch egal was man ihm sagen würde, er würde daran festhalten. Von solch einer Unlogik wollte Sherlock niemals betroffen sein.

Gerade als Sherlock überlegte, ob er John einfach von der Tür wegziehen sollte, die er wie hypnotisiert anstarrte, um mit ihm frühstücken zu gehen, öffnete sich diese. Eine junge Krankenschwester verließ den Raum als Erstes, dicht gefolgt von einem Arzt im weißen Kittel, den Sherlock als Dr. Peters erkannte. Ein sportlicher Mann, Anfang 50 mit beginnenden Haarausfall, kleinen, aber wachen Augen.

Er hatte eine Frau, war aber nicht verheiratet. Vermutlich lebten die beiden nicht einmal zusammen. Die Scheidung war gerade erst durch, das wusste Sherlock von Molly, die damit einmal versucht hatte einen Smalltalk zu beginnen. Etwas, was nicht wirklich ihre Stärke war.

Nein, Mr. Peters lebte lieber mit seiner Katze zusammen. Ein Perser, würde Sherlock schätzen, konnte das Haar an Dr. Peters Hosenbein aber aus der Entfernung nicht genau identifizieren.

John, neben ihm, versteifte sich und trat hastig vor. Sherlock beschloss die Situation lieber zu beobachten. John konnte besser den besorgten Nachbar geben, als er.

„Wie geht es ihr?“, fragte John auch sogleich. Dr. Peters warf kurz einen Blick auf das Krankenblatt, wobei Sherlock entdeckte, dass er erst vor kurzem im Urlaubgewesen war. Bräunungsrand um seine Rolex herum.

„Nun…wir konnten ihren Kreislauf soweit stabilisieren.“, antwortete Dr. Peters. „Wir wissen allerdings nicht inwieweit sich das Koma auf ihre noch vorhandene Grippe Infektion ausgewirkt hat. Das werden erst die Bluttests zeigen. Momentan geben wir ihr Antibiotika gegen die Influenza Viren.“ John nickte schwer und schluckte, haderte mit der Frage, die sich auch Sherlock nun stellte.

„Wird sie wieder erwachen?“ Dr. Peters warf John einen langen, unbehaglichen Blick zu. Das bedeutete nichts Gutes.

„An sich sind ihre Werte bereits stabil genug, als das sie erwachen könnte, doch wir haben es für besser gehalten sie erst einmal ins künstliche Koma zu verlegen, damit sie sich ganz von der Infektion auskurieren können.“ John biss sich auf die Lippen und warf Sherlock einen Blick zu. Was sollte er denn machen? Dr. Peters so sehr Angst machen und ihn somit zwingen Catherine aufzuwecken? Missmutig zog er eine Augenbraue hoch. Es würde sicher Spaß machen den Arzt ein wenig seine Erkenntnisse an den Kopf zu werfen und sich zu profilieren, das hatte Sherlock lange nicht mehr getan, doch er hielt sich zurück. Selbst wenn sie das künstliche Koma beendeten, hieß es noch lange nicht, dass Catherine aufwachte. Ihr Körper könnte es als Schutz noch immer aufrechterhalten.

„Können wir zu ihr?“, fragte Sherlock deshalb nur schlicht und ignorierte den überraschten Blick von seinem Mitbewohner. Offensichtlich hatte John erwartet, dass Sherlock Dr. Peters ordentlich Feuer unterm Hintern machen würde, dass sie das ohne ihre Zustimmung getan hatten. Normalerweise hatte John damit auch Recht, Sherlock wurde ungerne übergangen und Catherine hatte ihnen nun einmal die Verantwortung für solche Fälle übertragen, doch in diesem Moment sah er keinen Sinn in diesem Streit.

Dr. Peters nickte.

„Aber natürlich.“
 

~*~
 

Ok, doch ein Kapitel mehr Spannungsbogen :D aber es wäre sonst einfach zu langgeworden. Dass Sherlock auch einfach immer so viel denken muss, schlimm ist das xD der kerl denkt ja noch mehr als ich xD hahaha xD

Ich hoffe das Kapitel gefällt euch. Das nächste wird aber nun endgültig aufklären, was Sherlock so irritiert hat an der ganzen Sache xD sonst wirfts meinen ganzen ff Plan durcheinander xD

Sherlocks Sicht kann einen echt die Nerven rauben. *sigh* aber sie macht auch unglaublich spaß^^
 

Hoffe es gefällt euch und bitte fleißig Reviewn
 

Jeanne :)

Ein Anschlag

6. Kapitel: Ein Anschlag
 

Drei Tage später war Sherlock bereits früh morgens auf dem Weg zum St. Bart’s. Das ständige Vibrieren seines Handys kündigten eingehende Anrufe von Lestrade und Mycroft an, doch er ignorierte sie geflissentlich, obwohl seine Stimmung allmählich ins Genervte überging. Leider war er aber selbst schuld daran. Noch in der Nacht auf Montag hatte er völlig begeistert Lestrade angerufen und verkündet den Durchbrauch in dem Lagerhallenfall entdeckt zu haben- dass Catherine ihn eigentlich entdeckt hatte, hatte er verschwiegen. Seitdem hatte er sich jedoch bei dem DI nicht mehr gemeldet. Kein Wunder also, dass dieser keine Ruhe gab. Seine Chefs saßen ihm sicher schon in Nacken und Sherlock war Lestrade schon irgendwie dankbar, dass er ihm so freie Hand ließ, doch er verspürte nicht die Lust dem Detective Inspector zu erklären, dass es momentan etwas Wichtigeres für ihn gab, als dieser Fall. Greg würde das eh nicht verstehen. Warum sollte er es auch? Offensichtlich hatte er sich nun auch bei Mycroft beschwert, der seitdem Sherlock mit Telefonanrufen terrorisiert und das konnte sein Bruder wahrlich ausgezeichnet.

Selbst der Taxifahrer warf Sherlock mittlerweile genervte Blicke durch den Rückspiegel zu und rollte mit den Augen. War denn heutzutage denn jeder so schnell genervt? Handys klingelten doch immer und ständig. Das war ja nun wirklich nichts Außergewöhnliches. Nun gut, Sherlock war ja selber genervt, das lag aber daran, dass Mycroft ihn selbst die Nacht über nicht in Ruhe gelassen hatte. Dass Lestrade auch immer gleich zu Sherlocks Bruder rennen musste.

Missmutig schloss Sherlock die Augen und versuchte das Vibrieren zu ignorieren. Das einfachste wär es gewesen, einfach sein Handy auszuschalten, doch das konnte er aus zweierlei Gründen nicht. Einerseits konnte John ihn dann nicht erreichen, wenn irgendwas war und andererseits könnte auch Moriarty ihn jederzeit wieder anrufen. Beides durfte Sherlock nicht verpassen. Also blieb das Handy an und summte weiterhin seine stumme Melodie, doch er ignorierte es weiterhin. Sollte Lestrade seinen Kopf doch selbst einmal anstrengend. Nachdem er zu Mycroft gegangen war, würde er ihn erst Recht zappeln lassen. Geschah dem DI recht. Niemand sagte Sherlock wann er was zu tun hatte. Außerdem stand heute wirklich etwas Wichtigeres an. Der Fall konnte auch weiterhin warten. Sollten die Zwei doch denken, dass er in seinem Gedankenpalast war, dann gaben sie vielleicht endlich Ruhe.

Catherine war die letzten drei Tage immer noch nicht aufgewacht, auch wenn das künstliche Koma bereits am nächsten Tag wieder aufgehoben worden war, und heute wurden die Ergebnisse der Untersuchungen bekannt geben. Die Ärzte hatten sämtlichen Mist mit ihr durchgezogen. MRT, Kernspin, EKG, Blutwerte, Pulsmessungen und so vieles mehr, dass selbst Sherlock ganz flau wurde. Er hasste Ärzte und in dem Moment war er ein wenig froh darüber, dass Catherine im Koma lag und von alldem nichts mitbekommen hatte. Heute würden sämtliche Auswertungen vorliegen und somit würde sich heute entscheiden wie Catherines Behandlung fortgeführt werden sollte.

Sherlock seufzte leise. John hatte die erste und letzte Nacht bei ihr im Krankenzimmer verbracht. Wenn es nach dem Arzt gegangen wäre, hätte er alle drei Nächte auf diesem ungemütlichen Besucherstuhl verbracht, doch in der zweiten hatten sowohl die Krankenschwester als auch Sherlock selbst ein Machtwort gesprochen. Catherine wurde überwacht und jeder Abfall ihrer Werte würde sofort einen Alarm auslösen. Was sollte John also tun? In dem Krankenzimmer würde er nur ins Grübeln kommen und das wollte Sherlock vermeiden. Also hatte er ihn mit seiner ruppigen Art einfach nach Hause geschleift, nicht auf sein Gezeter achtend, und hatte so lange in Johns Schlafzimmer gestanden, bis dieser eine Schlaftablette genommen hatte. Er war sowieso hoffnungslos übermüdet gewesen, da konnte selbst Sherlock nicht zwei weitere Nachtwachen verantworten.

Gestern jedoch, am dritten Tag, hatte er keine Chance gehabt. Catherine hatte am späten Abend, kurz bevor sie beide hatten gehen wollen, einen Fieberschub bekommen. Bis auf 39,2°C war ihre Temperatur plötzlich hochgeschnellt und ab diesem Moment war es undenkbar gewesen John wieder mit in die Bakerstreet zu nehmen. Also hatte Sherlock schließlich nur geseufzt und ihm seinen Wunsch gelassen. Selbst ihm war nicht entgangen wie wichtig es dem Arzt war. Wenn Jemand krank war, konnte John seine Berufung einfach nicht abschalten, das wusste er. Deshalb war Sherlock gestern Abend alleine nach Hause gefahren, doch auch er hatte nur wenig Schlaf gefunden.

Das St. Bart’s kam einige Minuten später in Sicht und kurz bevor Sherlock das Krankenhaus betrat, zog er noch einmal sein Handy hervor. 35 Anrufe in Abwesenheit von Lestrade, 30 von Mycroft. 1:0 für den DI. Sherlock verdrehte kurz die Augen und schaltete dann sein Blackberry aus. Normalerweise hielt er nichts von dieser Regelung, er wusste, dass die Strahlung keinerlei Auswirkungen auf die Geräte hatte, doch nun war es ihm eine willkommene Ausrede.

Kurz ließ er seinen Blick über das große, klobige Gebäude mit der ockerfarbenen Fassade streifen, dann ging er hinein. Seine Füße liefen den Weg quasi alleine, während Sherlock sich seine Gedanken machte. Einige Momente später öffnete er die Tür und sah direkt, dass Dr. Peters bereits da war und heftig mit John am Diskutieren war. Irritiert blieb Sherlock kurz in dem Türrahmen stehen und beobachtete wie John wild gestikulierend mit dem Arzt sprach und immer wieder den Kopf schüttelte. Was ging denn hier vor? Schließlich wedelte sein Mitbewohner mit einer Hand und schickte so Dr. Peters fort. Dieser blieb kurz stehen, blinzelte, doch John hatte sich bereits abgewandt und hatte sich zu Catherine ans Bett gesetzt. Seufzend wandte Dr. Peters sich ab, warf Sherlock einen Blick zu und verließ den Raum. Die Tür fiel ins Schloss.

Sherlock blinzelte kurz und ging dann zu John, ließ sich auf den zweiten Stuhl nieder.

„Was ist passiert?“, fragte er. John seufzte und strich sich durch sein aschblondes Haar.

„Hier stimmt etwas nicht, Sherlock. Ganz und gar nicht…“

„Was hat Dr. Peters gesagt?“, hakte er nach und blickte zu Catherine. Der Herzmonitor piepte leise, monoton vor sich hin, doch sie sah nun etwas kräftiger aus, auch wenn ihr Anblick noch immer erschreckend war. Überall von ihrem Körper gingen Schläuche ab. Magensonde, einen für ihre Notdurft. Nur auf einen Beatmungsgerät hatten die Ärzte verzichtet- aber nur, weil John und er darauf bestanden hatten. Catherine atmete eigenständig und sollte das auch tun.

„Wenn man krank ist, sollte man doch eigentlich einen erhöhten Leukozyten Wert haben, richtig?“, sagte John verbissen und seufzte noch einmal. Sherlock sah ihn fragend an, nickte aber.

„Sicher…aber?“ Er warf ihm einen fragenden Blick zu und runzelte die Stirn. So wie John es formulierte, schien auch aus medizinischer Sicht etwas nicht in den Zusammenhang zu passen.

„Ein normaler Mensch hat normalerweise 4.000-10.000 Leukozyten pro Mikroliter. Je nachdem wie sehr das Immunsystem gerade beansprucht wird und wie aktiv die Zellen im Roten Rückenmark sind, die diese produzieren.“, erklärte John und faltete die Hände in seinem Schoß.

„Und bei ihr ist das nicht so?“, fragte der Dunkelhaarige. John schüttelte den Kopf und blickte zu dem Gesicht von Catherine, was als einziges unter der Decke hervorragte. Sherlock begann allmählich nachzudenken. Immer weniger passte fadenscheinig in das Bild und die Ahnung in seinem Kopf verhärtete sich.

„Catherine hat gerade einmal 1000“, antwortete der Blonde dann todernst.

„Und welche Schlüsse ziehen Sie daraus?“

„Gar keine…es passt nicht.“, knurrte der Blonde missmutig. Unruhig kaute John auf seiner Unterlippe und starrte vor sich hin.

„Worüber haben Sie dann mit Dr. Peters diskutiert?“ Sherlocks blaue Augen sahen ihn irritiert an. Offensichtlich hatte Dr. Peters sein Urteil schon gefällt, das hatte er in dessen Augen gesehen, doch John war offensichtlich anderer Ansicht.

„Über die Interpretation der Daten…“ Noch einmal schüttelte John den Kopf, als wolle er verstehen, was in dem Kopf des anderen Arztes vorging, doch sein Verstand wollte es nicht begreifen. Tief Luft holend wandte er sich an Sherlock und blickte ihn aus Augen voller Unverständnis an. „Laut Dr. Peters Diagnose ist Catherine HIV positiv.“

Sherlock machte große Augen und konnte ein hohles Lachen kaum verkneifen. Nun schüttelte auch er ungläubig den Kopf.

„Das kann nicht sein. Der HIV Virus wird nur über Sex oder direkten Blutaustausch übertragen.“, sagte Sherlock mit seinen typischen herablassenden Ton. Dieser Idiot von einem Arzt. Diese Diagnose war völlig unmöglich. Weder hatte Catherine Sex gehabt, noch hatte sie gefixt.

„Er ist der Meinung, dass sie einmal eine Blutspende bekommen hat, die verunreinigt war.“

„Das glauben Sie aber nicht.“, stellte er nüchtern fest.

„Nein, ich weiß es. Ich weiß, dass Catherine noch nie im Krankenhaus war. Sie hat es mir gesagt, als wir uns über meinen Job unterhalten haben. Die einzig anderen Möglichkeiten wären Sex oder Drogen. Geschlechtsverkehr fällt schon einmal weg, da sie ja noch Jungfrau ist. Und fixen…das kann ich mir einfach nicht vorstellen.“

„Nein…sie hat garantiert nie gefixt. Das würde ich sofort erkennen.“, sagte Sherlock überzeugt. John blinzelte ihn kurz irritiert an, doch Sherlock erwiderte nur den Blick und zuckte mit den Achseln.

„Was? Ich habe schließlich mal Drogen genommen, als ich jung war. Gucken Sie nicht so überrascht.“ Kurz schien es, als wollte John etwas erwidern, doch dann blinzelte dieser, seufzte und ließ es dabei bewenden. Es war ja nicht so, dass Sherlock stolz auf diesen Teil seiner Vergangenheit war. Im Gegenteil, doch damals hatte Sherlock in ihnen die einzige Zuflucht gesehen. Ein ständig arbeitender Verstand konnte einen wahnsinnig machen, man fand keine Ruhe, konnte kaum schlafen oder sich entspannen. Er war damals so jung gewesen und hatte das Gefühl gehabt unter dem ständigen Druck bald zu zerbrechen. Erst in den Drogen hatte er Ruhe gefunden und Erlösung. Das wäre aber auch beinahe schief gegangen und er wäre für immer im Drogensumpf abgerutscht. Na ja, Sherlock war ja schon immer leichtsinnig gewesen.

„Der HI Virus ist aber nicht gefunden worden, nehme ich an?“, fragte Sherlock dann um das Thema zu wechseln. Er wusste, dass John nicht viel von diesem Teil seiner Vergangenheit hielt. Er war ihm dann immer diesen Blick zu, der gemischt war aus Entrüstung und Enttäuschung. Dabei hatte er ihm schon tausend Mal gesagt, dass er kein Held war. Zum Teufel noch mal, eher war er geisteskrank als das, aber doch schien John so etwas in der Art in ihm zu sehen. Einen Übermenschen, etwas, was über den Dingen stand. Fakt war aber, auch Sherlock hatte einen normalen Körper, der Entzugssymptome durchlitt, Hunger und Durst hatte. Sherlock stand nicht so sehr über den Dingen, wie John vielleicht meinte, er konnte sie nur besser ignorieren um zu denken.

John schüttelte den Kopf und ergriff Catherines Hand, starrte sie an, als hoffte er, dass ein langer, bittender Blick sie aufwecken würde.

„Was schätzen Sie denn, was mit Catherine los ist?“ Er versuchte den Arzt mit Fragen abzulenken. Sherlock wusste, dass wenn er John an seinen Beruf erinnerte, die alte Professionalität zurückkehrte. In diesen Momenten vergaß er ein wenig die Vorwürfe, die er sich noch immer machte. Anders zu helfen wusste Sherlock in diesem Moment nicht.

John seufzte und fuhr sich unruhig durchs Haar, sah zu Catherine und dann zu Sherlock zurück, bevor er noch einmal resigniert seufzte.

„Ich habe keine Ahnung, Sherlock. Wirklich nicht. Es passt alles nicht zusammen.“

„Dann sollten wir die Fakten noch einmal durchgehen und sehen, dass wir einen Kontext finden.“, sagte Sherlock ernst und schlug die Beine über. John sah ihn an und nickte.

„Gut…gute Idee, vielleicht sehen Sie etwas, was ich übersehe.“

„Dann muss es schon etwas ziemlich verrücktes sein.“ Sein Mundwinkel zuckte ein wenig und auch John ließ ein kleines Lächeln sehen. Der Witz war schwach, dessen war er sich bewusst, doch ihm kam momentan kein besserer in den Sinn. Es war, als läge eine bleierne Schwere in diesem Raum, die alle Leichtigkeit erstickte und selbst Sherlock hinab zog. Als hätte jemand ein bleischweres Gewicht an seine Seele gehängt. Kurz schüttelte Sherlock den Kopf und die schwermütigen Gedanken zu vertreiben und wedelte mit der Hand kurz durch die Luft. „Dann erzählen Sie mir mal alle Fakten, die wir haben.“

„Nun…wie Sie schon wissen, hat Catherine die Grippe.“, setzte John zögernd an, griff nach der Akte am Fußende ihres Bettes und blätterte darin.

„Und die hat sie wirklich?“ Er nickte.

„Ja, der Influenza Virus ist in ihrem Blut gefunden worden. Aber der Rest ihres Blutbildes…“ Der Arzt schlug die Seite um und betrachtete die nächsten Werte. „… ist nicht besorgniserregend.“

„Nur die Leukozytenzahl ist entschieden gering.“, murmelte Sherlock und ließ realitätsverloren seinen Blick schweifen. John nickte wieder und beobachtete ihn, er spürte das, doch er begann eine Art Pinnwand in seinem Kopf aufzuziehen auf die er alles heftete, was John ihm sagte. Grippe, Viertel der üblichen Anzahl von weißen Blutkörperchen, Rest unauffällig, natürliches Koma trotz stabiler Vitalwerte- waren die ersten Posten auf dieser Wand. Nun musste er nur noch die Verbindung finden.

„Seltsam ist nur, dass sie dann Fieber bekommen hat gestern Abend.“, murmelte dann John, der nun auf einen undefinierbaren Punkt auf der Wand starrte.

„Wie meinen Sie das?“, frage Sherlock nun verwirrt und warf ihm einen fragenden Blick zu.

„Entzündungen, Rötungen, Fieber und so weiter sind Abwehrreaktionen des Körper auf Fremdkörper, aber bei einer Leukopenie, wie eine zu geringe Anzahl an Leukozyten genannt wird, treten diese nicht mehr auf, weil einfach viel zu wenige weiße Blutkörperchen vorhanden sind.“

„Was können die Gründe für Leukopenie sein?“ Nachdenklich lehnte er sich in dem Stuhl zurück und legte seine Fingerspitzen an die Lippen, während er die neue Information in sein Gedankendiagramm einordnete.

„Alles Mögliche.“ John machte eine unbestimmte Bewegung mit der Hand. „Virale Infektionen wie es bei HIV der Fall ist, allergische Reaktionen, Krebs, Autoimmunerkrankungen, wobei das Knochenmark selbst als Fremdkörper angesehen und abgebaut wird.“ Kurz zuckte er mit den Schultern. Sherlock beobachtete ihn genau und sah, dass er all diese Möglichkeiten an sich ausgeschlossen hatte. Die dunkel blauen Augen wanderten durch den Raum, während er nachdenklich an seiner Unterlippe kaute. Er wusste, dass John das immer tat, wenn ihm etwas nicht behagte oder zu denken gab.

„Aber Sie glauben, dass es keiner dieser Möglichkeiten ist.“ Entschieden schüttelte er seinen Kopf auf Sherlocks Frage hin und ein leises Fluchen entwich ihm.

„Dann wären die Blutwerte anders…irgendetwas Auffälliges, doch ich finde einfach nichts. Der Rest ist vollkommen unauffällig. Ebenso wie der Kernspin, die MRT und auch das EKG. Ihr Gehirnfluss ist normal, genauso ihr Kreislauf. Eigentlich müsste sie längst wach sein.“ Frustriert schnaubte John, fuhr sich durchs Haar und legte den Kopf auf die Matratze. Sherlock sah ihn an und fühlte sich ein wenig überfordert. Er wollte John helfen, wusste aber nicht wie. Stattdessen schloss er die Augen und begann alle Fakten noch einmal durchzugehen.

„Was ist hier nur los, Sherlock?“, murmelte John, hob den Kopf aber nicht von der Matratze. „Das ist alles einfach nicht möglich.“

„Doch ist es, John. Wir haben nur noch nicht erkannt wie es möglich ist.“, sagte Sherlock ruhig und legte ihm nach einigem Zögern eine Hand auf die Schulter. Irritiert sah John zu ihm auf. Seine blauen Augen leuchteten wehleidig, aber auch verwirrt.

„Was?“ Sherlock schüttelte kurz den Kopf und strich sich unbewusst mit einem Finger über die Lippen, als er wieder die Hand von der Schulter nahm und blickte ihn nachdenklich an.

„Das ist das Problem von euch gewöhnlichen Menschen.“, begann er zu erklären. Das Schnauben von John ignorierte Sherlock, kommentierte es sogar mit einem verschmitzten Grinsen, doch in Wirklichkeit wollte er etwas anders mit diesem Gespräch bezwecken. Eigentlich wollte er versuchen John damit aufzumuntern, doch darin schien er ziemlich unfähig zu sein.

„So meinte ich das nicht…und das wissen Sie auch.“, fuhr Sherlock ruhig fort, sogar mit einem leicht versöhnlichen Ton in der Stimme. „Die meisten nehmen die Fakten, sagen sie sind unmöglich und verwerfen sie wieder. Sie glauben eher, dass sie einen Fehler gemacht haben oder die Fakten abweichen anstatt einfach mal aus den gegebenen Gedankenmuster auszubrechen und verwegenere Wege zu gehen.“

„Und Sie tun das nicht?“, fragte John, noch mit ein wenig Vorsicht in der Stimme, aber auch mit ehrlichem Interesse.

„Nein, natürlich nicht…ich glaube eher, dass die Fakten richtig sind und mag die Lösung noch so unglaublich sein. Wenn das Unmögliche ausgeschlossen ist, ist das was übrig bleibt die Lösung, so unwahrscheinlich sie auch erscheinen mag.“ Sherlocks glitt zu John und ein leichtes, zaghaftes Lächeln legte sich auf seine Lippen. „Ich glaube Ihnen, dass die üblichen Erklärungen auf Catherines Fall nicht zutreffen. Also müssen wir nun zu unüblichen Erklärungen übergehen. Verstehen Sie?“ Lange sah John ihn an, blinzelte irritiert. War es wirklich so schwer zu verstehen? Drückte sich Sherlock so kompliziert aus? Er hatte wirklich geglaubt, dass er es nun leicht und verständlich ausgedrückt hatte. Er hätte ja auch mit Fremdwörtern um sich werfen können, aber das hätte die Situation nur noch mehr gefährlich ins Wanken gebracht, weshalb er sich entschlossen hatte sich ruhig und mitfühlend zu geben.

„Was ich meine ist…“, setzte Sherlock an und wedelte mit der Hand um seine Ausführungen zu unterstreichen. „Die meisten Menschen sagen: „Ok, das sind die Fakten, aber sie können nicht passen, also überprüfen wir sie noch einmal, solange bis sie passen. Ich hingegen vertraue auf das, was ich herausgefunden habe und sage: Gut…das sind die Fakten. Wie bringe ich sie alle in einen Zusammenhang? Verstehen Sie, John? Es sind zwei unterschiedliche Herangehensweisen an die gleichen Begebenheiten.“ Als Sherlock endete, sah er lange seinen Mitbewohner an, der über seine Worte nachdachte, sie abwog und abschätzte. Seine blauen Augen blickten nachdenklich vor sich hin, doch schließlich nickte er.

„Und Sie glauben, dass diese Denkweise die Richtige ist?“ Sherlock zuckte mit den Achseln.

„Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Wer weiß das schon? Vielleicht ist auch mal die eine richtig, mal die andere, aber da in diesem Fall die erste Variante nicht zu funktionieren scheint, sollten wir es doch zumindest mit der zweiten einmal versuchen, oder?“ Nachdenklich schürzte John die Lippen, nickte dann aber. Sherlock erwiderte es leicht und lehnte sich in seinem Stuhl zurück, faltete die Hände über seinen Lippen.

Stumm betrachtete er seine Pinnwand und begann zu überlegen.

Fakt war: Catherine hatte die Grippe und zu geringe Leukozytenzahl. Das verminderte Immunsystem konnte auch dafür verantwortlich sein, dass sie ins Koma gefallen war. Aber offensichtlich hatte noch keiner eine Lösung gefunden, was die Ursache dafür war. Die typischen Erklärungen schienen nicht…Moment!

Sherlock hielt inne und blinzelte. Typische Erklärung…vielleicht…Ein Gedanke begann in ihm Form anzunehmen. Was, wenn es hierbei es sich nicht um herkömmliche Meinungen ging? Was wenn man anders herum vorgehen musste?

„Oh…“, sagte Sherlock nur und senkte langsam die Hände herab. Er öffnete die Augen und nahm gar nicht wahr, dass John ihn noch immer durchdringend betrachtete, es wohl die ganze Zeit getan hatte, während er nachgedachte.

„Haben Sie eine Idee?“, fragte John und blickte ihn an. Sherlock stand von seiner Idee getrieben auf und lief durch den Raum, während seine Gedanken zu rasen begannen, allmählich eine Erkenntnis formten. Schließlich blieb er vor dem Fenster stehen und sah hinaus wie die ersten Blätter von dem Bäumen fielen.

„Wie lange ist die Inkubationszeit von Grippe, John?“, wollte er wissen ohne sich zu dem Arzt umzudrehen. Dieser sah ihn irritiert an, blinzelte, antwortete aber umgehend:

„Meist wenige Stunden.“

„…hmm…wann wurde sie krank? Sonntagmorgen nicht? Das heißt vermutlich hat sie sich Samstagmorgen angesteckt…Samstagmorgen…Samstagmorgen…was hat sie Samstagmorgen gemacht?“ Seine Stimme überschlug sich beinahe, als ein Sturm aus Erinnerungen ihn überflutete. Bilder prasselten auf ihn ein, buhlten um die Aufmerksamkeit seines Verstandes, doch mit einer Handbewegung ließ er sie innehalten und nur in Zeitlupe vor seinem geistigen Auge vorbeifliegen. Mit einigen Gesten stieß er manche beiseite, wenn sie unwichtig waren oder zog sie näher heran. Dann jedoch schien es, als würde ein Funke überspringen und die Lösung in ihm entfachen. Ein Ereignis, was er als unwichtig abgestuft und irgendwo hin in seinen Gedächtnispalast geworfen hatte. Oh, wie hatte er damals als unbedeutend einstufen können?

„Sherlock?“, riss ihn John aus seinen Gedanken. Kurz hatte Sherlock den Drang frustriert zu schnauben, weil John ihn schon wieder beim Überlegen unterbrach, doch der Gedanke hatte sich bereits manifestiert, sodass er ihn nicht verlor, also unterließ er es ausnahmsweise einmal. Langsam drehte er sich zu John um und sah ihn an.

„Was, wenn nicht die Grippe die Ursache für die Leukopenie ist, sondern ihre Folge?“ Seine Augen leuchteten vor Aufregung, als er John diese Frage stellte, doch dieser schien es nicht zu begreifen. Irritiert runzelte er die Stirn. Grundgütiger, wie konnte man mit solch einem einfältigen Verstand nur leben? Das musste doch schrecklich frustrierend sein. Aber vielleicht passte hier ja so gut: Was man nicht kennt, kann man nicht missen.

„Wie meinen Sie das?“, fragte nun auch John nach und bestätigte somit Sherlocks Vermutung. Ein ärgerliches Schnauben entfuhr ihm, noch bevor er es zurückhalten konnte. Konnte John nicht einmal seinen Verstand benutzen? Hatte er ihn nicht schon lange genug gelernt, dass er nicht allmählich beginnen sollte, selbstständig zu denken? Warum musste er ihm immer alles haarklein erklären. Es war wirklich frustrierend. Dabei dachte Sherlock doch immer, dass man eine gewisse Grundintelligenz besitzen musste für ein Medizinstudium.

Als er jedoch Johns Blick sah, zwang sich Sherlock zu Ruhe und atmete tief ein. John war einfach am Ende, er war verzweifelt und frustriert. Er hatte sich oft genug in den letzten drei Tagen mit noch einfältigeren Doktoren herumgestritten und für Catherines Interessen gekämpft. Wehe sie würde ihm dafür nicht dankbar sein, dann würde Sherlock ihr in den Hintern treten.

Er legte ein Lächeln auf seine Lippen und ging auf John zu. Wahrscheinlich wirkte es noch nicht einmal echt, er war darin nie besonders gut seine Augen mitlächeln zu lassen, doch er hoffte, dass John zumindest versehen würde, was er damit versuchte zu bezwecken.

„Was…wenn die Grippe nur ein zufälliges Ergebnis war und die Leukopenie das eigentliche Ziel?“ Seine nachdenkliche Stimme schwebte durch den Raum und ließ John erschaudern. Diese Frage schien ihn ihm Gedanken in Gang zu bringen. Sherlock wollte ihm helfen, damit er es selbst erkannte. Vielleicht würde ihn das ein wenig bestärken und ihn ein wenig wieder aufbauen.

„Moment…was? Wollen Sie damit sagen, dass sie zuerst eine zu geringe Anzahl von Leukozyten hatte und auf Grund dessen die Grippe sich ausgebildet hat?“ Ungläubig sah John Sherlock an und richtete sich halb in seinem Stuhl auf um zu ihm aufblicken zu können.

„Die Möglichkeit besteht zumindest.“, sagte Sherlock schlicht.

„Aber wie ist das möglich?“

„Gut.“ Er sah ihn an und lächelte. „Sie beginnen die richtigen Fragen zu stellen, John. Überlegen Sie weiter.“ Vielleicht half ihm das ja auf eine Art und Weise. Sherlock half es immer sich abzulenken, wenn er sein Gehirn benutzen konnte. Er wusste nicht, ob es auch bei John funktionieren würde, doch einen anderen Weg kannte Sherlock nicht. In so einem kleinen Moment wünschte er sich doch manchmal, dass es in ihm einen Schalter für Gefühle hätte. Wenn er sie brauchte, könnte er den Schalter umlegen und dann legte er ihn wieder um und konnte die Distanz wieder wahren.

John rang mit seinen Händen und kaute nachdenklich auf der Unterlippe. Seine blauen Augen wanderten unruhig hin und her und Sherlock fand es amüsant mal wen anderen beim Nachdenken zuzusehen.

„Also…Catherines Immunsystem wurde irgendwie geschwächt…und bekam deshalb eine Grippe…also wie wurde es geschwächt? Sie hat nie die typischen Symptome gezeigt für Leukopenie…“, sagte John nachdenklich. „Wie also…wie…wie…wie?“

„Was, wenn es beabsichtig war?“, gab Sherlock ihm einen kleinen Denkanstoß.

„Beabsichtigt…aber das ist doch unmö…“ John stockte, blinzelte und warf Sherlock einen schockierten Blick, sodass dieser sich nun sicher war, dass der Groschen gefallen war. „Moment, Sie haben gesagt, Sie hatten ein seltsames Gefühl in ihrer Wohnung?“ Wieder nickte Sherlock und sah ihn aus ernsten Augen an.

„Es war als könnte ich kriminelle Absichten spüren. Nicht, dass ich daran glauben, aber es war einfach so eine Ahnung in mir.“

„Vielleicht ein Gift.“, murmelte der Arzt. „Aber ich weiß von keinem Gift, dass die Leukozyten herabsetzt…und dann müsste der toxikologische Test doch etwas ergeben haben.“

„Was sagte Dr. Stabelton damals in Baskerville? Wenn es möglich ist, macht es irgendwer irgendwo garantiert. Nur die Ethik bestimmt die Grenzen der Wissenschaft.“, erklärte Sherlock ruhig und seine grauen Augen wanderten durch das Krankenzimmer. „Es kann irgendeine Chemikalie sein, ein modifizierter Hemmer für die Leukozyten…“

„Moment mal, jetzt ganz langsam.“ Kopf schüttelnd hob John die Hand, so als wollte er die Gedanken abhalten, die ihm gerade kamen. „Wolle Sie damit andeuten, Sherlock…dass Jemand vorsätzlich Catherine vergiftet- oder was auch immer- hat?“

„Das wäre eine logische Erklärung.“ Sherlock nickte bekräftigend. Genau das war es, was er sich all die Zeit gedacht hatte.

„Aber warum?“ John schrie beinahe entsetzt auf und sprang vom Stuhl. Ungläubig schüttelte er den Kopf, sein Gesicht kreidebleich. „Das hätte leicht ihren…Tod bedeuten…Oh Gott, Sherlock! Man wollte sie umbringen!“ Wieder nickte Sherlock nur und warf ihm einen nachdenklichen Blick zu. Er sah, dass John es nicht wahr haben wollte, dass er es nicht glauben wollte. Doch sie hatten alles Unmögliche ausgeschlossen und das Mögliche blieb. Jetzt wusste er auch, warum er diese kriminelle Energie in ihrer Wohnung gespürt hatte.

„Aber warum?“, rief John, als die Erkenntnis ihn überrollte und er fühlte sich wahrscheinlich hundeelend, überfordert von dem, was er gerade entdeckt hatte. Offenkundig hatte Sherlock sich getäuscht, er war nicht stolz darauf, dass er es herausgefunden hatte, so wie er es sonst immer gewesen war. Menschliche Gefühle waren wirklich kompliziert. Aber eigentlich hätte er es sich ja denken können. John war viel zu…Sherlock suchte nach gedanklich nach dem richtigen Wort…gebunden an die Werte der Gesellschaft. Eigentlich hätte er ahnen müssen, dass sein Mitbewohner die Tatsache eher schockierte als aufbaute, aber vielleicht war Sherlock trotzdem noch in der Lage es positiv enden zu lassen. Schließlich wussten sie nun wonach sie suchen mussten und vielleicht könnte es alles gut werden. Nicht, dass es ihn wirklich interessierte, aber wenn John deprimiert war, wurde das Zusammenleben deutlich anstrengender und für Sherlock kaum auszuhalten. Schnulzige Musik den ganzen Tag, Seifenopern und doch eine beträchtliche Menge Alkohol, gepaart mit einer Menge Selbstmitleid. Bloß nicht. Na gut…vielleicht wollte er doch ein klein wenig John helfen. Aber wirklich nur ein klein bisschen. Er hatte kein Herz, nein, Sherlock Holmes hatte kein Herz. Hoffentlich. Verdammt! Nicht schon wieder hoffen.

Hastig schüttelte Sherlock den Kopf und konzentrierte sich wieder auf die Situation.

//Sherlock, vergiss das!//, mahnte er sich im Stillen. //Das hier verspricht gerade ein äußerst interessanter Fall zu werden. Konzentrier dich darauf!//

„Wegen dem Warum habe ich schon eine Vermutung.“, gestand er schließlich ein. „Aber dafür muss ich erst etwas überprüfen…“ Kurz holte er tief Luft und seine Augen begannen wieder zu Leuchten. „Doch wenn ich richtig liege, dann verspricht das hier noch äußerst spannend zu werden.“ Aufgeregt klatschte er in die Hände und drehte sich sogar ein wenig im Kreis. Ein Biochemischer Angriff! Direkt vor seiner Nase! Oh, das klang einfach zu schön um wahr zu sein.

„Sherlock!“, zischte John aufgebracht und warf ihm einen wütenden Blick zu. Irritiert hielt er inne und sah seinen einzigen Freund an. „Können Sie nicht einmal auf das Timing achten? Catherine sollte getötet werden und sie springen hier rum wie ein Kind, dass eine Spielekonsole geschenkt bekommen hat zu Weihnachten.“ Johns Stimme bebte vor Wut und seine Augen funkelten ihn durchdringend an. Für einen kurzen Moment überrumpelte Sherlock das so sehr, dass er beinahe sich entschuldigt hätte, doch dann geschah etwas anders.

„…ni…nicht…so…laut…“, kam eine krächzende Stimme vom Bett, ließ die beiden Freunde herumfahren.

„Catherine!“, riefen sie beide gleichzeitig. Müde, trübe, hellblaue Augen sahen sie an, blinzelten irritiert.

„Sie sind wach?“ John formulierte es als Frage, doch es war eine Feststellung. Große, blaue Augen sahen auf sie hinab.

„Offen…“ Sie hustete stark und schloss kurz die Augen. „…kundig.“ Ein kleines, schwaches Lächeln legte sich auf ihre noch immer blassen Lippen. Dann glitt ihr Blick jedoch zurück zur Decke und runzelten irritiert die Stirn.

„Wo…bin ich…hier?“

„Im St. Bart’s. Sie waren drei Tage ohnmächtig.“ Noch bevor John etwas sagen konnte, hatte Sherlock ihn zur Seite geschoben und war vor sie getreten. Er glaubte, dass es besser war, dass er diese Frage beantwortete. Catherine war verwirrt und da war es besser wenn ihr jemand ruhig und sachlich erklärte, was vorgefallen war. Alles andere würde sie nur unnötig aufregen und wer weiß was auslösen. Kurz hörte er ein leises Murren in seinen Rücken, aber dann sah John wohl ein, dass es so besser war. Zumindest verließ er den Raum. Vermutlich um eine der Schwestern zu holen.

„Ohnmächtig?“, flüsterte sie schwach, doch ihre Augen weiteten sich geschockt.

„Sch…“, sagte er nur und setzte sich auf den Stuhl, auf dem gerade eben noch John gesessen hatte. „Es ist alles wieder gut.“

„Nichts ist gut…ich…lag im Koma…“ Ihr Blick glitt langsam zu Sherlock und er sah, dass sie noch immer große Schmerzen hatte. Langsam stand er auf, blickte zu ihr hinab und betrachtete sie. Catherine versuchte diesen zu erwidern, doch ihr fielen die Augen zu. Er seufzte leise.

„Machen Sie sich keine Gedanken, Catherine. Schlafen Sie eine Runde.“ Damit wandte er sich ab zum Gehen. Er wollte zurück zur Bakerstreet und seine Vermutung überprüfen, die er in Bezug der ganzen Geschehnisse hatte. Mit langen Schritten verließ er das Zimmer.

„Sher…lock…“, rief sie noch einmal mit aller Kraft und ließ ihn innehalten. Ihre Stimme war immer noch zittrig, doch sie versuchte ihn aufzuhalten. Er blieb stehen, wartete, sah sie aber nicht an. „Haben Sie…den Mörder…aus der Lagerhalle?“

Sherlock musste zugeben, dass er ein wenig überrascht von dieser Frage war. Er hatte gedacht, dass sie ihn nun anbetteln würde zu bleiben, ihm sagen würde, dass sie ja solche Schmerzen hätte, das würden gewöhnliche Menschen doch tun, oder? Doch Catherine war eben kein gewöhnlicher Mensch.

„Nein…“, sagte er ruhig und hielt seine straffe Haltung bei. Er wollte keine Emotionen zeigen. Es sollte bloß eine einfache Feststellung sein. Gerade, als er wieder gehen wollte, hörte er ihre dünne Stimme wieder.

„Das ist…meine Schuld.“, murmelte sie leise. Oh ja, es war verdammt noch mal ihre Schuld und jetzt hielt sie ihn noch immer ab seine Arbeit zu tun. „Ich bin auch echt zu nichts nütze.“ Allmählich verlor Sherlock die Geduld. Wollte sie jetzt etwa die Mitleidstour? Sollte er zu ihr gehen, ihren Kopf tätscheln und sagen: Ach was, nein. Sie können nichts dafür, dass sie ohnmächtig geworden sind. Ok, sie konnte wirklich nichts dafür, aber das musste er ihr ja nicht unter die Nase binden. Bloß nicht, das würde ja anstrengend werden. Warum mussten sich Menschen eigentlich immer im Selbstmitleid baden und darum betteln, dass sie bemitleidet werden. Da konnte Catherine aber lange warten, bis sie auch nur irgendetwas dergleichen von ihm hören würden. Das ist ja völlig widerlich. Da musste man ja aufpassen, dass man auf dem Schleim nicht ausrutschte, den man absonderte.

„Es tut mir leid, Sherlock…Ich wollte Sie nicht davon…abhalten.“ Gerade als er gehen wollte, hörte er diesen leisen Hauch. Es war der erste Satz, den sie an einen Stück herausbrachte und es ließ ihn doch innehalten. Kurz schloss er die Augen.

„Schon gut…“, sagte er nach einigem Zögern. Sie wollte kein Mitleid. Überraschend. Sie hatte sich einfach ehrlich dafür entschuldigt, dass sie ihn von der Arbeit abhielt. Kurz drehte er seinen Kopf zu ihr um.

„Ich muss nun gehen. Etwas herausfinden. John ist sicher gleich wieder hier und wird Ihr Händchen halten, was sie sich ja so sehr wünschen.“ Warum schwang bloß Verachtung in seiner Stimme mit? Catherine hatte nichts getan, wofür er sie verachten müsste. Eines war aber klar, der Treffer hatte gesessen. Ihre blauen Augen sahen ihn geschockt an, dann schloss sie die Augen und murmelte noch einmal: „Tut mir leid…“, was Sherlock kaum hören konnte, es auch gar nicht hören wollte. Manchmal verstand er sich selbst nicht. Etwas neben seiner Irritation wuchs noch etwas anderes in seinen Kopf, etwas, was ihn mit schnellen Schritten aus dem Krankenhaus trieb.

//Ich werde ihn finden, wer auch immer Ihnen das angetan hat.//, dachte Sherlock, als er ein Taxi rief.
 

~*~
 

Drei Minuten später trat John wieder ins Krankenzimmer, gefolgt von zwei jungen Schwestern, die Catherine offensichtlich untersuchen wollten, doch dieser fühlte sich unbehaglich. Sie wandte sich ab, sah John flehend an, bis dieser seufzte, nur resigniert den Kopf schüttelte und die Schwestern dann wegschickte.

„Wo ist Sherlock?“, fragte er, als die beiden Krankenschwestern das Zimmer verlassen und die Tür geschlossen hatten.

„Gegangen…“, brachte sie nur schwer hervor und blickte zu ihm.

„Typisch…“, seufzte John und ließ sich neben ihr aufs Bett fallen. Sie hasse Krankenhäuser, das hatte sie ihm gesagt. Man kam hier nur hin, wenn es einem wirklich schlecht ging, hatte sie gemeint. Deshalb hasste sie diese Orte. Hier widerfuhr einem nichts Gutes. „Wie geht es Ihnen?“

„Müde…“, nuschelte sie nur und John merkte, dass ihr das Sprechen noch immer mehr als schwer fiel. Sie wollte die Hand heben, sie ausstrecken, doch dann spürte sie ein unangenehmes Ziehen in der Hand. Hastig holte sie sie unter der weißen Decke davor und erstarrte, als sie zwei Zugänge entdeckte. Einen in ihrem Handrücken, einem in ihrer Armbeuge. Mit großen Augen sah sie nach links und sah all die Geräte an die sie angeschlossen war. Entsetzt warf sie den Kopf hin und her und sah immer mehr Maschinen.

Panik überflutete sie und flaue Übelkeit ließ ihren Magen verkrampfen. Catherine würgte, hustete und ihre Augen zitterten. Großer Gott, sie lag im Krankenhaus! Im Krankenhaus! Erst jetzt begann sie die Worte von Sherlock richtig zu begreifen. Sie hatte im Koma gelegen. Im Koma! Die Panik wurde stärker, kam über sie wie eine Welle aus Eiswasser. Sie jappste, ihre Atmung wurde kurz, während sie begann an den Zugängen zu reißen. Das alles verhieß nichts Gutes, überhaupt nichts Gutes. Sie musste hier raus! Raus, raus, raus! Raus aus diesen sterilen, weißen Wänden, die sie glauben ließen, sie wäre in der Klappsmühle.

„Catherine!“, hörte sie Johns tiefe, ruhige Stimme wie von einem weit entfernten Ort. „Beruhigen Sie sich! Es ist alles gut. Alles ist gut, hören Sie?“ Catherine schüttelte nur entgeistert den Kopf. Alles war gut? Wem wollte John denn das erzählen. Sie wollte etwas sagen, ihn anschreien, doch kein Ton verließ ihren Mund, stattdessen breitete sich ein Feuer durch ihre Kehle aus, ließ sie wimmern und in die Kissen sinken. Panisch sah Catherine zu John. Ihre Augen zitterten vor blanker Angst.

„Ganz ruhig…sch…ich bin ja bei Ihnen. Ist alles gut.“, flüsterte John sanft und ergriff ihre Hand. „Es wird nichts passieren, Catherine. Ihnen wird nichts geschehen, in Ordnung?“ Die plötzliche Wärme, die von seiner Berührung ausging, ließ sie innehalten, ihn ansehen. Mitleid, aber auch Ruhe gingen von seinen blauen Augen aus und sie holte zitternd Luft, nickte aber schließlich. Alles war gut. John war da. Er würde auf sie Acht geben. Langsam ebbte das Zittern in ihrem Körper ab und sie umklammerte seine Hand ein wenig fester.

Catherine fühlte sich wirklich schlecht. Ihr Kopf pochte unangenehm, während ihre Gedanken so träge waren wie Wackelpudding. Hinzukam die bleierne Müdigkeit, die schon das Aufhalten der Augen zu einem Staatsakt machte. Sprechen grenzte da schon fast an ein Weltwunder, zumal ihre Kehle wie ausgetrocknet war. Die Sahara war nichts dagegen. Der Rest ihres Körpers hingegen war kalt und taub, so als wäre wirklich alles eingeschlafen, nur ihre Hand war warm, weil John sie umfasste hatte.

Catherine suchte seinen Blick um etwas zu finden, worauf sie sich konzentrieren konnte. John sah sie nur ruhig an, ließ sie sich beruhigen und sprach kein Wort.

Erst jetzt sah Catherine wie müde und schlecht der Arzt aussah. Er blinzelte müde, hatte dicke Augenringe und Bartstoppeln. Generell wirkte es, als wäre er am Ende seiner Kraft, doch er hielt durch und kämpfte dagegen an. Die Kleidung hatte er sicher auch nicht gewechselt. Doch warum? Langsam begann Catherine darüber nachzudenken und entdeckte eine Decke, die über die Lehne des zweiten Stuhls gehängt worden war und da fiel es ihr wie Schuppen von den Augen. John musste bei ihr geblieben sein, während sie im Koma gelegen hatte. Vielleicht hatte er gar mit den anderen Ärzten gestritten und sich für sie eingesetzt und doch sagte er nichts, verlangte nichts.

Langsam drehte sie ihren Kopf zu ihm um und lächelte ihn an. Es kostete sie all ihre Kraft, doch sie tat es.

„Danke…John…für alles…“, flüsterte sie schwach. John erwiderte das Lächeln zaghaft und lehnte sich ein wenig weiter vor.

„Sie haben mir einen ganz schönen Schrecken eingejagt.“

„‘tschuldigung.“ Die beiden sahen sich kurz an, fingen dann aber leise an zu Lachen. Catherines Hals protestierte stark, doch es war ihr egal. Es ging gerade nicht um sie, sie wollte John etwas dafür zurückgeben, was er in den letzten drei Tagen für sie getan hatte. Zumindest für John, denn Sherlock hatte sie offensichtlich mehr als verstimmt damit. Diese Verachtung, die mit seinem bösen Kommentar mitgeschwungen war, hatte sie verletzt und schwer getroffen. Sie hatte den beiden niemals irgendwelche Umstände machen wollen und Sherlock machte sich sicher nichts aus Krankenwache. Dennoch war er da gewesen, obwohl er dem Mörder des Lagerhauses immer noch nicht gefunden hatte. Bei diesem Gedanken wurde ihr ganz flau im Magen.

Kurz drückte sie noch einmal Johns Hand, ließ sie dann aber los und sah ihn aus ernsten Augen an.

„Gehen Sie nach Hause, John. Sie brauchen dringend Schlaf.“, flüsterte sie sanft und sah ihn an. John hingegen sah sie ungläubig an, schüttelte den Kopf. „Ich werde eh nur schlafen…bin hundemüde…bitte!“ Flehend sah sie ihn an. Ihre großen Augen bettelten darum, dass er endlich Ruhe fand.

Lange erwiderte John ihren Blick, zögerte und seufzte, während er sich durchs Haar fuhr.

„Sie werden eh keinen Widerspruch akzeptieren, richtig?“ Catherine lächelte leicht amüsiert und nickte.

„Ich kann so dickköpfig sein wie Sherlock…nur bin ich charmanter.“, erwiderte sie unschuldig. Ein Lachen kam von dem Arzt, doch dann seufzte er wieder und nickte.

„In Ordnung…sonst bekomm ich den ganzen Abend diesen Dackelblick zu sehen.“

„Und einen unwiderstehlichen Augenaufschlag.“ Wieder lachten sie beide. Schließlich stand John langsam auf, verabschiedete sich und ging zur Tür.

„John…über was habt ihr gestritten, als ich aufgewacht bin?“ Kurz hielt der Arzt inne, legte seinen Kopf nachdenklich schief, doch dann drehte er sich mit einem Lächeln zu ihr um.

„Das Übliche halt. Sie wissen doch wie Sherlock ist.“ Kurz war Catherine skeptisch, doch das Lächeln überzeugte sie und sie nickte lächelnd. Dann übermannte die Müdigkeit sie und sie schloss die Augen. Dadurch sah sie nicht mehr, wie Johns Lächeln verschwand, als er durch die Tür ging und wie er sich schämte, weil er sie angelogen hatte.
 

~*~
 

Sherlock sah von mehreren Schriftstückten auf, als John die Wohnung betrat. Missmutig legte John seine Jacke weg und ging zu ihm ins Wohnzimmer.

„Oh, Sie sind noch wach?“, fragte er verwundert und zog die Augenbrauen zusammen.

„Offenkundig.“, erwiderte Sherlock genervt und wandte sich wieder den Papieren zu, sah sie sich an, sortierte sie nach einem seltsamen System und schrieb sich Sachen auf. Das verwunderte John. Sherlock schrieb nie etwas extra noch einmal heraus.

„Was tun Sie da, Sherlock?“, fragte er deshalb, als er sich einen Tee zu kochen begann. Sherlock schnaubte nur und warf ihm einen wütenden Blick zu.

„Einer Vermutung nachgehen…“, antwortete er jedoch überraschend schlicht. John bemerkte, dass er einfach nur in Ruhe arbeiten wollte, doch er konnte sich die Frage nicht verkneifen.

„Sie werden mir nicht sagen, was sie ist, richtig?“

„Nein.“ Sherlocks Stimme wurde dunkler, gefährlicher. John war nah dran, ihn wütend zu machen. Was auch immer er da tat, es musste kompliziert sein. Deshalb beschloss John sich mit den Tee zusammen in sein Zimmer zurückzuziehen, auch wenn er bezweifelte, dass er diese Nacht Schlaf finden würde. Wie sollte man auch in diesem Sturm von Erkenntnissen, die der heutige Tag gebracht hatte, auch Ruhe finden?
 

~*~
 

Der nächste Morgen hielt einen Paukenschlag für die beiden Männer bereit. Als sie im Krankenhaus angekommen waren, war Catherines Zimmer leer gewesen. John hatte sofort wütend die Schwestern aufgesucht und erfahren, dass sie bereits entlassen worden war. Diese Gleichgültigkeit in der Stimme der älteren Schwester hatte selbst Sherlock auf die Palme gebracht. Ihre Vitalwerte waren stabil gewesen und sie wäre fit genug gewesen um nach Hause zu gehen, hatte sie nur schlicht gemeint und mit den Schultern gezuckt. Waren denn alle hier inkompetent? Das Mädchen hatte drei Tage in Koma gelegen und am nächsten Tag hatten sie sie einfach gehen lassen? Und wie dumm war Catherine einfach zu gehen?

Nun saßen sie wieder im Taxi, John im gegenüber, und fuhren so schnell es ihnen möglich war zurück zur Bakerstreet.

Im Krankenhaus hatten sich die Dinge überschlagen. Während John schäumend vor Wut sofort davon gestürmt war, war Sherlock noch einige Momente stehen geblieben. Seine Gedanken hatten begonnen in seinem Kopf zu rasen. Kurz hatte er die Augen geschlossen und begonnen nachzudenken, bis ihn eine Erkenntnis härter getroffen hatte als ein Hammerschlag. Sofort war er John hinterher gerannt, hatte ihn zugerufen, dass sie sich beeilen mussten, denn wenn Sherlock sich nicht täuschte- und das tat er eigentlich nie-, dann war Catherine in großer Gefahr.

Nun fuhren sie zurück zu ihrer Wohnung, in der Hoffnung, dass sie schnell genug waren. Langsam löste sich Sherlock von den vorbeifliegenden Schlieren der Londoner Innenstadt. Er sah John an und bemerkte dessen irritierten Blick. Kein Wunder, hatte Sherlock ihm noch nicht erzählt, was er herausgefunden hatte.

„Catherines Bruder ist nicht einem einfachen Raubmord zum Opfer gefallen.“, begann Sherlock und ließ sich zurück in die Lehne sinken. John sah ihn kurz verwundert an, nickte dann aber.

„Ja, zu diesem Schluss bin ich auch gekommen, als ich mir die Akte angesehen habe. Alles war zu unauffällig.“ Sherlock nickte zustimmend und ließ kurz nachdenklich seinen Blick schweifen.

„Am Samstagmorgen hat Catherine mir etwas gebracht, was sie bei einer Aufräumaktion gefunden hatte. Es handelte sich dabei um Dokumente ihres Bruders, die sie unter einem zweiten Boden in seinem Schreibtisch gefunden hatte. Das sagt sie zumindest. Ich habe es zunächst nicht als wichtig erachtet. Sie sahen aus wie ganz gewöhnliche Dokumente…jeder Mensch hat ja manchmal seltsame Ideen. Warum sollte Jeffrey sie also nicht einfach unter einem zweiten Boden versteckt haben? Doch nach gestern…“

„Da glaubten Sie, dass diese Dokumente verantwortlich für den Anschlag waren?“, fragte John ungläubig. Sherlock nickte knapp und sah ihn direkt an.

„Es war nicht einfach, doch nach einiger Zeit habe ich herausgefunden, dass sie nur fadenscheinig unwichtig waren, aber unterm UV Licht zeigten sie ihren ganzen zerstörerischen Inhalt.“

„Die Dokumente von gestern Nacht…“, hauchte John und schüttelte in den Kopf. „Was stand drin?“

„Jeffrey war vermutlich kein einfacher leitender Angestellter einer Immobilienfirma. Die Dokumente waren Kopien von Auftragsschreiben an Serben. Drogen, Prostitution, Menschenhandel. Alles dabei.“

„Serben? Aber wie kam Jeffrey da heran?“

„Ich weiß es nicht genau.“, gestand Sherlock ein und fuhr sich nachdenklich über die Lippen. „Doch ich denke er war in Wahrheit ein Spion.“

„Ein Spion?“, wiederholte John, schüttelte kurz den Kopf. „Großer Gott…wo ist Catherine da nur hineingeraten?“

„In Mächte, die sie nicht kontrollieren kann.“, antwortete Sherlock schlicht. „Und von denen sie vermutlich nicht einmal weiß. Ich denke nicht, dass sie weiß, dass ihr Bruder ein Spion war. Ich denke, dass Jeffrey sie als Beweis verwenden wollte um die Drahtzieher anzuklagen. Er war sehr akkurat war das anging, doch anscheinend waren die Hintermänner schneller.“

„Sie haben ihn umgebracht…“ Wieder nickte Sherlock.

„Sie haben die Akte gesehen von seinem Tod. Nichts wurde gestohlen, aber alles durchsucht.“

„Sie haben die Dokumente gesucht.“ Gut, John begann zu verstehen.

„Und offensichtlich nicht gefunden.“

„Deshalb haben sie Catherine vergiftet. Sie sollte nichts finden, aber warum erst jetzt? Sie lebt schon drei Monate in der Bakerstreet.“ John blinzelte irritiert, dachte aufgeregt nach.

„Ich bin mir nicht sicher, aber ich denke, der Grund ist, weil sie sie gefunden hatte, weil sie sie mir gegeben hatte. Entweder es war ihr Bruder selbst, der den Umschlug vergiftete, damit diejenige, die sie finden werden, sie nicht zerstören können, doch ich erachte das als unwahrscheinlich. Solche Substanzen sind meist nicht besonders lange aktiv und das Risiko war einfach zu hoch. Es hätte viel zu leicht schief gehen können. Also sind die Serben wahrscheinlich. Aber warum erst jetzt, das haben Sie richtig erkannt. Wenn sie wirklich hätten verhindern wollen, dass Catherine etwas fand, dann hätten sie gleich töten sollen, erst Recht auf diese Art und Weise. Sie hatten es Jeffrey schon geschafft es wie einen einfachen Raubmord aussehen zu lassen. Warum also sollten sie einen solchen Aufwand betreiben um dessen Schwester aus dem Weg zu räumen?“

„Weil Catherine die Dokumente für sie finden sollte.“ John weitete geschockt die Augen, als er erkannte worauf sein Freund hinauswollte. „Und nun war sie nicht mehr von Nöten.“ Sherlock nickte schwer, fuhr sich über die Unterlippe und sah aus dem Fenster. Nächste rechts, gerade aus, übernächste links, Ampel, Berufsverkehr, Baustelle. Mit Glück wären sie in fünf Minuten an der Bakerstreet. Sie konnten nur hoffen, dass sie schneller als die Serben waren.

„Richtig…sie sollte dann möglichst unauffällig verschwinden, damit Niemand eine Verbindung zu ihrem Bruder ziehen würde. So würde es aussehen, als wenn sie an den Folgen irgendeiner Krankheit gestorben. In diesem Fall halt einer Grippe. Niemand würde das als verdächtig empfinden.“

„Niemand außer Ihnen…“, stellte John nachdenklich fest.

„Nun, das ist mein Job.“, sagte Sherlock ruhig. „Aber wenn ich richtig liege, bedeutet dass, das sie in Gefahr schwebt. Der Plan der Serben ist gescheitert. Catherine ist am Leben und hat die Informationen sogar an mich übergeben. So gut wie dieser Ring organisiert ist, denke ich, dass sie wissen wozu ich in der Lage bin und deshalb werden sie…“ Sherlock zögerte kurz, wedelte hilflos mit der Hand in der Luft. „…Vorkehrungen treffen. Catherine ist nun ein Risikofaktor, den sie nicht dulden werden. Allerdings werden sie es nicht riskieren es in ihrer Wohnung zu Ende zu bringen. Zu auffällig.“ Sherlock seufzte schwer und rieb sich über die Augenbrauen. Es war ein Wettlauf gegen die Zeit, doch er glaubte nicht, dass sie diesen noch gewinnen konnten. Dieser illegale Ring war zu gut organisiert, als dass sie nicht wüssten, dass Catherine auf dem Weg nach Hause war. Sie hatte einen Vorsprung von einer halben Stunde.

„Großer Gott.“, sagte John atemlos und seine Augen waren vor Schreck geweitet. „Sherlock, wir müssen etwas unternehmen!“

„Was denken Sie, tun wir gerade?“, erwiderte Sherlock ernst. „Das Taxi fährt so schnell es kann und zu Fuß sind wir auch nicht schneller. Wir haben keine andere Wahl, als auszuharren.“
 

~*~

Fünf Minuten stürmten die beiden geradezu aus dem Taxi. Sherlock hatte bereits bezahlt, kannte er den Taxipreis für die Strecke doch nur zu gut und stürmten in 220. Noch während sie die Treppe hinauf hasteten, spürte Sherlock, dass etwas nicht stimmte. Er hörte das Quietschen eines offenstehenden Fensters und sein Verstand schlussfolgerte schnell, was das bedeutete. Als John gerade an ihm vorbeihastete, packte er ihn am Arm und zog ihm hinter die Wand.

„Langsam, John.“, mahnte er ihn und hielt ihm eine Pistole hin. „Wir wissen nicht, ob die Serben in der Wohnung sind und Sie tun Catherine keinen Gefallen, wenn Sie blindlings in eine Falle tappen.“ John warf ihm einen Blick zu, biss sich auf die Lippen und nickte. Er nahm die Pistole von Sherlock und gemeinsam schlichen sie die Treppen hinauf, öffneten die angelehnte Tür. Das Knarzen schien die ganze Luft zu erfüllen und Sherlock spürte wie John eben ihm erschauerte, dann sahen sie sich an, nickten und stürmten hinein.

Sherlocks Vermutung bestätigte sich aber leider umgehend. Die Wohnung war ein reinstes Chaos. Stühle, Sessel und eine Vase waren umgeworfen worden, waren zeugen eines Kampfes. Catherine war wohl in die Wohnung getreten, wo die Serben bereits gewartet hatten und sie überwältigt hatten. Sie hatte sich gewehrt, um sich geschlagen, getreten, doch es hatte alles nichts genutzt. Sie war einfach noch zu geschwächt gewesen und Sherlock vermutete, dass mindestens drei Männer in der Wohnung gewesen waren. Nachdem sie Catherine ausgeknockt hatten, waren sie mit ihr über die Feuerleiter verschwunden, die in eine schmale Seitengasse endete und die Serben vor neugierigen Blicken abschirmten.

Sherlock holte hart Luft, schloss die Augen und presste die Lippen zusammen. Zu spät! Sie waren zu spät. Er war nicht schnell genug gewesen. Verdammt! Nun wurde das Wettrennen nur noch schneller. Entführungsopfer starben meist innerhalb der ersten 48 Stunden und die Killer wollten Catherine vermutlich sofort beseitigen, sobald sie unbeobachtet waren. Ihnen blieb nicht viel Zeit, wenn sie sie denn retten wollten. Vermutlich handelte es sich hier sogar um zwei Zellen des Rings. Wie beim schwarzen Lotus. Eine Partei war zum Schmuggeln, die andere zum Ermorden und vermutlich wusste keiner der einen wer in der anderen war. Das war wichtig, falls doch mal Jemand geschnappt wurde und Sherlock musste sich vielleicht bald entscheiden, was ihm wichtiger war. Catherine zu retten oder den Ring zu stoppen.

„Großer Gott…“, hörte er John wispern, als er neben ihn trat und sich fassungslos umsah, während er die Pistole hoffnungslos senkte. „Was ist hier passiert?“

„Ist das nicht offenkundig, John?“, antwortete Sherlock mit unheilvoller Stimme, wandte sich zu ihm an und erwiderte dessen Blick aus starren, graublauen Augen. „Catherine ist entführt worden.“
 

~*~
 

soohooo. das ging ja doch schneller als gedacht :D

*trommel wirbel*

der spannungsbogen steigt. ich hoffe ich hab die kleine Auflösung und den Übergang von vermeintlicher Krankheit zum Verbrechen logisch hinbekommen^^

Und wuhu: das erste Kapite, wo ich aus der sicht von jedem der 3 geschrieben habe^^ wie toll^^ hat spaß gemacht auhc wenn sherlock mich echt die letzten nerven gekostet hat. So viel spaß es auch macht ihn zu schreiben, so schwierig ist es auch und ich habe nie das Gefühl ihm gerecht zu werden. *kopf schüttel* nun ja^^ wie dem auch sei.

Nächstes Kapitel wird schwierig...vielleicht noch vor silvester.

Hätte auch nciht gedacht dieses vor Heiligabend fertig zu kriegen^^ seht es also als weihnachtsgeschenk von mir :)

Alles Liebe, frohes Fest und falls vorher kein Update kommt, einen guten Rutsch :)

Jeanne:)

Folter

7. Kapitel: Folter
 

Sie wusste nicht wie lange sie bereits in dieser Hölle festsaß, doch momentan wünschte sie sich nichts sehnlicher, als endlich zu sterben. Catherine hatte Angst, Todesangst und doch auch Todessehnsucht zugleich. Sie wollte einfach nur, dass dieser Alptraum endlich endete.

Seitdem sie aufgewacht war, hatte sie nichts anders mehr gesehen außer weiß gefliesten Wänden, die sie stumm ansahen. Catherine war gefangen in einer gerade mal fünf Quadratmeter großen Zelle in der sich nichts befand außer einer schäbigen Matratze und einem Eimer für ihre Notdurft. Bloß grelles, kaltes Licht von einer schlichten Neonröhre erhellte ihren Käfig und jeder ihrer Schritte wurde dabei genauestens von vier Überwachungskameras beobachtet.

Catherine wusste nicht, wie lange sie ohnmächtig gewesen war nachdem die drei maskierten Männer in ihrer Wohnung sie K.O geschlagen hatten. Die ersten Stunden- sie glaubte zumindest, dass es sich um Stunden gehandelt hatte- hatte sie in vollkommender Isolation verbracht. Kein Geräusch, kein Kontakt, keine Kommunikation nach außen. Absolut nichts. Es war, als wäre sie allein auf einem eiskalten, weißen Planeten ausgesetzt worden.

Bald hatte Catherine angefangen mit sich selbst zu reden und unruhig wie ein eingesperrtes Tier durch ihren Käfig zu laufen. Menschen waren soziale Wesen- zumindest die meisten-, doch Catherine wurde dieser Kontakt eiskalt in einer beängstigenden Situation entzogen. Es gab keinen Halt, keine Stützte für sie und so hatte sie das Gefühl gehabt ins Bodenlose zu fallen. Irgendwann hatte sie die Kamera angeschrien, sie gefragt, was sie denn von ihr wollte, doch das Glas des Objektives hatte bloß geschwiegen. So war es immer wieder gegangen. Der Kreis hatte sich ständig wiederholt. Vermutlich war das ganze über mehrere Stunden gegangen, doch ihr waren es wie Jahre vorgekommen.

Irgendwann hatte Catherine aufgegeben und war zur Matratze gekrochen. Sie war immer noch geschwächt gewesen und die ständige Stresssituation hatte an den Kräften ihres Körpers gezehrt. Stets war er angespannt gewesen, bereit den unbekannten Feind gegenüber zu treten. Flucht wurde schließlich schwierig in dieser kleinen Zelle.

Als die Erschöpfung jedoch gesiegt hatte, hatte sie sich wie ein verletztes Tier auf der Matratze zusammengerollt um etwas Schlaf zu finden. Da hatte sie sich aber ordentlich zu früh gefreut.

Gerade als sie kurz davor gewesen war endlich einzuschlafen, war das Licht in ihrer Zelle plötzlich gleißend hell geworden. Völlig erblindet war sie aufgesprungen und durch ihr Gefängnis getaumelt. Dann war noch dieses markerschütternde Tröten hinzugekommen, welches Catherine vollständig desorientiert hatte. Völlig hilflos war sie durch die Zelle gestolpert und mehr als einmal hingefallen.

Immer lauter war dieser monotone Ton durch ihr Gehör gebrandet, hatte ihr sogar physische Schmerzen beschert.

Völlig verängstigt hatte Catherine sich eine Ecke gekauert, die Hände über die Ohren gepresst, auch wenn es völlig sinnlos war, und hatte schlussendlich gegen dieses alles verschluckende Geräusch in blinder Verzweiflung angeschrien. Dann war es plötzlich verstummt und das Licht verblasste.

So ging das Spiel immer wieder. Immer, wenn Catherine kurz davor war einzuschlafen, wurde sie mit dem gleißendem Licht und dem ohrenbetäubenden Lärm gequält.

Schlafentzug, Angst und Paranoia waren die Folge. Catherine war nicht dumm, sie wusste was ihre Entführer damit bezweckten. Sie wollten ihre Psyche brechen und sie waren auch verdammt kurz davor. Nicht mehr lange und sie würde wahnsinnig werden. Ihr Körper war konsequent unter Stress und auch wenn momentan wieder Stille unheilvoll in ihrer kleinen Welt herrschte, so wusste sie nur zu gut, dass ihr Körper bald wieder schlafen wollen würde und somit unweigerlich dieses Horrorszenario wiederkehren würde. Sie wartete förmlich angespannt darauf.

Seit einigen Stunden rannte sie in ständigen Anfällen apathisch durch ihr Gefängnis, trommelte gegen die Wände, bis ihre Fingerkuppen bluteten in der Hoffnung, dass es zu irgendeiner Reaktion von außen kam, doch die kühlen Fliesen blieben stumm.

Das einzige was Catherine in dieser unerträglichen Stille blieb, war ihr Verstand und selbst den würde sie bald verlieren. Schlaf- und Nahrungsentzug führten unweigerlich zu Halluzinationen, was bedeutete, dass sie bald sich selbst auf ihren Kopf nicht mehr verlassen konnte. Aber zumindest verriet ihr dass, das sie noch nicht länger als 36 Stunden hier sein konnte, denn ab diesen Zeitraum kam es zu diesen Erscheinungen. Auch dass sie noch nicht verdurstet war, war ein Indiz, dass sie noch nicht allzu lange hier war, auch wenn sie beinahe schon glaubte, dass sie ihr gesamtes Leben hier verbracht hatte.

Catherine wusste aber auch, dass sie wenn nur noch einige Stunde hatte um sich einen Fluchtplan auszudenken, bevor ihr Verstand sie verließ. Sie wusste allerdings nicht wie. Die Fliesen in der Wand gingen nahtlos in einander über und sie konnte nirgendwo eine Tür oder dergleichen ausmachen an der sie sich postieren könnte, um eine Wache zu überraschen, die ihr Nahrung bringen würde. Denn irgendwann würde einer kommen, dessen war Catherine sich sicher. Warum auch immer sie hier war- und sie hatte wirklich keine Ahnung in was sie da geraten war-, sie sollte nicht getötet werden. Wenn dies der Fall gewesen wäre, so hätten sie das schon längst getan und müssten sich nicht erst die Mühe geben ihre Psyche zu brechen. Nein, Catherine war sich ziemlich sicher, dass sie am Leben bleiben sollte. Die Frage war warum. Sie hatte keine Ahnung warum man sie hier gefangen hielt. Schnell schob sie die Frage beiseite. Das Warum war erst einmal nicht von Belang. Wichtig war, dass sie einen Weg fand wie sie hier herauskommen könnte.

Langsam hob sie den Kopf von ihren Knien, auf dem sie ihn die letzte Zeit gebettet hatte. Schon eine ganze Weile saß sie in die hinterste Ecke gekauert da und versuchte nachzudenken. Ihre Beine waren mittlerweile von dieser Kauerstellung eingeschlafen, doch sie wagte nicht die Stellung aufzugeben. Sie wusste nicht, wann sich ihre Chance ergab. In der Zelle gab es absolut nichts, was ihr helfen könnte. Nichts, was sie zum Zuschlagen verwenden könnte, sobald irgendjemand diesen Raum betrat. Der Eimer war aus einfachem Plastik, damit könnte sie niemanden überwältigen.

Verdammt! Ihre Chancen waren wirklich denkbar schlecht. Eigentlich bestand ihre einzige Chance darin, dass sie schnell genug war um den Moment abzupassen, wenn die Tür sich öffnete, sie sich an demjenigen vorbeiquetschen konnte und fliehen könnte. Doch vermutlichen waren zu viele Wachen hier und sie hatte auch keinerlei Ahnung wie dieser Bunker aufgebaut war. Dieser Plan war also quasi zum Scheitern verdammt und was in diesem Fall mit ihr geschehen würde, malte sie sich lieber gar nicht erst aus.

Die andere Alternative war, dass sie Jemand retten kam. Doch wer sollte das sein? Die einzige Möglichkeit waren John und Sherlock und damit konnte sie wohl nicht rechnen. Sie wusste ja selber nicht warum sie verschleppt worden war, wie sollte es dann Sherlock herausfinden? Zumal er ja mehr als deutlich gemacht hatte wie sehr sie ihn angeekelt hatte.

Zitternd holte Catherine tief Luft und versuchte die Tränen zu unterdrücken, die sich unaufhaltsamen ihren Weg suchten. Es brachte jetzt nichts zu weinen. Sie musste ruhig bleiben und weiter überlegen. Niemand würde sie retten kommen. Sie hatte ja schließlich Niemanden mehr. Also musste sie sich selbst eine Lösung überlegen und für ihr Leben kämpfen. Egal wie schwierig es werden würde.
 

~*~
 

„Ich kann dir keine Informationen geben, Bruder. Tut mir leid.“, sagte Mycroft schlicht am anderen Ende der Leitung mit der typischen Kälte in seiner Stimme. Sherlock knurrte gereizt. Es war doch nicht zum Aushalten. Bereits seit einer halben Stunde telefonierte er mit seinem Bruder, versuchte an Informationen zu kommen, die ihm helfen könnten, Catherine zu finden, doch Mycroft hatte beschlossen auf stur zu schalten.

„Von wegen es tut dir leid.“, antwortet Sherlock kühl und begann genervt durch die Wohnung zu laufen, wobei er von John beobachtet wurde. Ihnen lief die Zeit davon und Mycroft hatte nichts bessere zu tun, als seine Machtkarte auszuspielen. „Mycroft, es geht hier nicht um die Lappalie. Ihr Leben steht auf dem Spiel.“

„Sie ist bereits tot, Sherlock. Ich muss dir doch wohl nicht die Regeln einer Entführung erklären, oder?“ Er konnte förmlich hören wie sein älterer Bruder eine Augenbraue hochzog und auch entging ihm der spöttische Unterton nicht.

„Nein ist sie nicht!“, erwiderte er heftig und blieb mitten im Wohnzimmer stehen. Wütend verschmälerte Sherlock seine Augen und die Hand, indem er sein Blackberry hielt, zitterte. „Hätte die Entführer sie töten wollen, hätten sie es direkt getan. In London gibt es genug Ecken, wo sie es unauffällig hätten tun können, aber Lestrade hat keine Leiche gefunden. Nirgendwo.“ Ein leiser Seufzer kam von Mycroft und er hörte, wie er eine Tonlage anschlug, die gerne benutzt wurde um einen Kind einen äußerst dummen Irrtum auszureden.

„Du sagtest doch selber, sie wissen vermutlich, wer du bist. Sie werden nicht so dumm sein sie in deinem Bereich zu töten.“

„Aber Lestrade hat auch in allen anderen Präsidien angefragt. Nichts. Sie lebt noch, Mycroft, und das bedeutet, dass die Entführer etwas von ihr wollen.“ Sherlock holte tief Luft und versuchte ruhig zu bleiben. Es brachte nichts, wenn er nun auch noch den Familienzwist miteinbrachte. Es würde Mycroft nur noch abweisender machen und so jegliche Chance verwehren. „Sie müssen sie außer Lands gebracht haben und wenn dem so ist, dann weißt du davon, Mycroft.“

„Nein, tut mir leid. Mir ist nichts bekannt.“, kam es zu schnell von seinem Bruder. Sherlock senkte die Augenbrauen und atmete bebend aus. Sein Bruder kostete ihn ja immer gerne Nerven, doch dieser Machtkampf ging wirklich so weit. Hier ging es nicht um sie beide, sondern um Catherine, deren Leben in höchster Gefahr schwebte.

„Du kannst wirklich vieles mit mir machen, aber verkauf mich nicht für blöd, das funktioniert nämlich nicht.“, zischte Sherlock und biss sich wütend auf die Unterlippe.

„Nichts läge mir ferner.“, kam es ruhig von Mycroft, doch Sherlock kannte diesen Ton nur zu gut. Er bedeutete das genaue Gegenteil.

„Ein Spion gegen einen kriminellen Ring von Serben wird direkt nebenan ermordet, seine jünger Schwester fällt einem Giftanschlag zum Opfer, überlebt diesen nur knapp und wird außer Landes gebracht um dort ermordet zu werden und du willst mir erzählen, dass du davon nichts weißt?“ Sherlocks Stimme triefte vor Wut, die Adern an seinem Hals traten hervor und er pressten wütend die Zähne zusammen. Wenn sie bald nicht etwas unternahmen, kamen sie wirklich noch zu spät. Sherlock hatte die Vermutung, dass die Entführer sich Informationen von Catherine erhofften und sie foltern würden und auch wenn Catherine geistig stark war, so würde sie den Methoden einer solchen Bande höchsten ein paar Tage standhalten. Solche Leute wussten wie sie an Informationen kamen. Catherine hatte allerdings keine, also würden sie sie ziemlich schnell als wertlos einstufen und töten.

Am liebsten würde Sherlock einfach auflegen, doch er brauchte seinen Bruder um Catherine zu finden und das wusste Mycroft nur zu genau.

Sein Atem ging immer härter und er sah auch wie John im Sessel sich anspannte und Sherlocks Reaktionen genau beobachtete um so herauszufinden, was Mycroft sagte.

Einige Zeit herrschte Schweigen am anderen Ende der Leitung. Er überlegte wohl seinen nächsten Schritt, doch die Ungeduld in Sherlock wuchs. Die Situation war angespannt und drohte leicht zu kippen.

„Sie ist doch bloß ein einfaches Mädchen. Was interessiert sie dich, Sherlock?“, sagte Mycroft dann plötzlich und etwas Lauerndes lag in seiner Stimme. Sherlock hob eine Augenbraue, warf John kurz einen Blick zu, zuckte mit dem Achseln um ihn zu signalisieren, dass er keine Ahnung hatte, was sein älterer Bruder nun vorhatte und überlegte nun genau was er sagen sollte.

Catherine hatte ihm nichts gesagt, als er sie verhört hatte. Sie hatte nichts von ihrer „Beziehung“ preisgegeben, doch Sherlock war sich sicher, dass Mycroft bereits mehr wusste. Er musste nur einschätzen wie viel, denn das war für den weiteren Verlauf dieses Gesprächs entscheidend.

„Es geht hier nicht um Catherine…sie bedeutet mir nichts“, antwortete schließlich Sherlock vorsichtig, doch mit genügend Überzeugung in der Stimme. Aus den Augenwinkeln sah er, dass John schon aufspringen und heftig etwas erwidern wollte, doch Sherlock wedelte unwirsch mit der Hand und bedeutete ihm es bleiben zu lassen. Sherlock wusste, dass er den sachlichen Weg gehen musste um Mycroft vielleicht doch zu überzeugen. Er war ja schon gefühlskalt, doch sein Bruder toppte es noch bei Weitem. Mycroft schaffte es zwar immer den Schein zu bewahren, ein Sinnbild der britischen Regierung zu sein, ruhig, gelassen und vor allem höflich, doch Sherlock wusste es besser. In Wahrheit war sein Bruder noch berechnender und manipulativer als er selbst. Er wurde nicht umsonst ‚Iceman‘ genannt, denn wo Sherlock doch manchmal Gefühle wie Freude oder auch Frustration zeigte, blieb Mycroft eiskalt. Auf die emotionale Ebene zu geben machte also in diesem Fall erst Recht keinen Sinn. „Sondern bloß darum, dass sie solch einen Angriff direkt vor meiner Nase gewagt haben und meinen damit durchzukommen.“ Mycroft zögerte, wog Sherlocks Erklärungen offensichtlich ab.

„Sherlock…diese Männer sind nicht ungefährlich.“, sagte sein älterer Bruder langsam, so als pirsche er sich vorsichtig daran heran. „Dieser Ring ist gut organisiert und zum Äußersten bereit.“

„Dann werde ich ihn halt sprengen.“ Sherlocks Stimme ließ keinen Zweifel daran, dass er das glaubte. Wenn einer das schaffte, dann er. Niemand konnte ihm das Wasser reichen.

„Das wirst selbst du nicht schaffen, werter Bruder.“ Mycrofts Stimme schwang plötzlich ins Kalte um, kalt wie Eis. Mycroft duldete keinen Widerspruch. Er wollte auf keinen Fall, dass sich Sherlock dieser Gefahr aussetzte, das war selbst Sherlock nicht entgangen und er witterte darin seine Chance.

„Mycroft, ich fliege nach Serbien. So oder so. Du hast nun die Wahl: Entweder, du gibst mir alle Informationen, die du hast, und erhöhst somit die Wahrscheinlichkeit, dass dein kleiner Bruder wohl behalten zurückkehrt oder du lässt es bleiben. Deine Entscheidung.“ Sherlock konnte förmlich Mycrofts Frustration hören. Er sah auch wie John irritiert eine Augenbraue hochzog und ihn fragend ansah. Der Dunkelhaarige zwinkerte ihm kurz zu und sein berühmtes Lächeln legte sich auf die Lippen. John und Catherine waren also der Meinung Mycroft wäre eine Glucke? Gut, dann wollte Sherlock das doch gleich mal nutzen. John blinzelte kurz, verstand dann aber und schüttelte nur leicht lächelnd den Kopf. Auch wenn die Situation beinahe unerträglich war, sie selbst an Sherlocks Nerven fraß, so konnte der Arzt sich das kleine Lächeln nicht verkneifen. Vermutlich ein verzweifelter Versuch mit den Begebenheiten zu Recht zu kommen.

Endlich vernahm Sherlock ein Seufzen am anderen Ende der Leitung. Wieder grinste er ein wenig breiter. Gewonnen! Sein Bruder seufzte immer so, wenn er nachgab.

„Du lässt dich ja eh nicht davon abhalten…“ Plötzlich klang Mycroft müde und sogar ein klein wenig besorgt, doch darum konnte Sherlock sich jetzt nicht kümmern. „Was brauchst du?“

„Informationen. So viele wie du hast und am besten noch einen Jet, aber bitte keinen der Regierung die sind so auffällig.“, sagte Sherlock nun wieder ernst. Seine Augenbrauen senkten sich. Das Machtspiel war vorbei, nun ging es um die Planung und bei diesem Gegner musste sie verdammt gut sein.
 

~*~
 

Monotonie konnte wohl nicht ewig fortbestehen, selbst wenn diese noch so grausam war. Ungefähr einen Tag später, so glaubte zumindest Catherine, veränderte sich etwas. Irgendetwas musste vorgefallen sein, denn aus der blanken, weißen Wand schälten sich plötzlich die Umrisse einer Tür und sie schwang auf, doch noch bevor sie überhaupt etwas erkennen konnte, wurde es stockdunkel in ihrem Gefängnis.

Catherine drückte sich so weit wie es ihr möglich war in die Ecke, als sie Schritte hörte. Hastig, blind vor sich hin tastend, versuchte sie ihnen zu entkommen, denn sie wollte gar nicht wissen, was nun geschah, doch die Wände warfen das Echo verzerrt wider, sodass sie nicht ausmachen konnte, woher sie kamen. Blind starrte sie, versuchte Umrisse auszumachen, doch sie war vollkommen ausgeliefert.

Plötzlich waren sie hinter ihr, das konnte sie spüren. Catherine wollte zurückweichen, doch sie wurde grob an den Haaren gepackt, ihr Kopf brutal in den Nacken gerissen. Ein Stöhnen entwich ihr, als ein Brennen durch ihre Kopfhaut zog. Etwas wurde um ihre Augen gelegt, es war weich. Vermutlich ein Handtuch, doch das nahm sie gar nicht wahr. Panik stieg in ihr auf und ihr Körper begann unweigerlich zu zittern. Was hatten sie mit ihr vor? Was würde nun geschehen? Würden sie sie töten?

Dann ging das Licht wieder an, das konnte sie schemenhaft erkennen, doch man hatte Catherine ein Tuch oder Ähnliches vor die Augen gebunden. Sie konnte nichts mehr sehen, nur noch grob hell von dunkel unterscheiden.

Hinter ihr knurrte ein Mann etwas in einer fremden Sprache und der Griff um ihre Haare wurde fester. Catherine zischte und versuchte sich dagegen zu wehren, doch er war einfach zu stark.

„Wo sind sie?“, fragte eine eisige Stimme mit einem harten Akzent sie. Catherine fuhr vor Angst zusammen und begann zu zittern. Die Stimme hatte einem gefährlichen, brutalen Unterton, sodass Catherine nicht daran zweifelte, dass eine falsche Antwort qualvolle Konsequenzen mit sich trug und vermutlich war eine falsche Antwort schnell gegeben.

„Antworte!“, brüllte die Männerstimme und plötzlich spürte Catherine einen harten Schlag an ihrer Wange. Ihr Gesichtsfeld explodierte in einem Meer aus Farben und sie schlug hart auf dem Boden auf. Wimmernd blieb sie legen, krümmte sich zusammen wie ein Embryo, rechnete sie doch mit weiteren Tritten, doch stattdessen wurde sie noch fester auf den Boden gepresst. Sie ächzte, als ein starker Druck auf ihrer Brust lastete und sie versuchte krampfhaft zu atmen. Vermutlich hatte man ihr einen Fuß auf die Brust gestellt.

„Wo sind die Drogen?“, fragte eine andere Stimme über ihr. Catherine erstarrte und hielt die Luft an. Drogen? Was für Drogen? Was ging hier nur vor?

„Was für Drogen?“, jappste sie angestrengt und bekam sofort einen Tritt in die Rippen. Catherine schrie schmerzerfüllt auf und versuchte dem Fuß zu entkommen, doch der auf ihrer Brust hielt sie fest, sodass sie auch dem nächsten nicht ausweichen konnte.

„Die Drogen, die uns dein Bruder gestohlen hat.“, flüsterte die erste Stimme gefährlich nah an ihrem Ohr. Panik überspülte Catherines Sinne. Jeffrey hatte Drogen gestohlen? Das konnte doch nicht sein. Sie mussten sich irren! Ihr Bruder würde so etwas niemals tun.

„Sie…müssen sich irren! Mein Bruder…war Makler…“ Ein heiseres Krächzen entwich ihr, als der Druck stärker wurde und sie kaum noch Luft bekam.

„Halte uns nicht für dumm, Gör. Dein Bruder hat uns den Prototyp einer neuen Droge gestohlen. WO IST ER?“ Bebend holte Catherine Luft und verlor in diesem Moment jegliche Hoffnung. Sie wusste nichts, gar nichts und das bedeutete, dass sie hier nicht mehr lebend herauskommen würde. Sie hatte keine Informationen und die Russen, Polen oder wer auch immer hatten ihr zu viele Informationen gegeben, als das sie sie am Leben lassen würden. Ihr blieb nur noch zu beten und zu hoffen, dass sie doch irgendeine Idee in dieser aussichtlosen Situation kam.

„I…ich weiß es nicht…“, flüsterte sie mit schwacher Stimme. Es war aussichtslos.

So ging es mehrere Minuten. Die Männer verprügelten sie und stellten ihr immer wieder dieselbe Frage. Mittlerweile schmerzte jeder Zentimeter ihres Körpers und er wurde immer noch fest auf den Boden gehalten, doch Catherines Antwort war jedes Mal dieselbe. Sie wusste nicht wo die Drogen waren und lügen hatte auch keinen Zweck. Es würde ihre Qualen nur noch verlängern.

Schließlich seufzte der erste Mann über ihr frustriert und bellte einen Befehl in der fremden Sprache. Sofort wurde sie wieder an ihren Haaren hochgerissen und mehr aus dem Raum geschleift, denn gezogen. Catherine versuchte aufzustehen um mitlaufen zu können und so den Schmerz zu verringern, doch sie hatte keine Chance.

Kurze Zeit später schienen sie am Ziel zu sein, denn die Schritte wurden langsamer, kamen schließlich zum Stehen. Wieder wurde ein Befehl gebellt und Catherine hochgehoben. Sie schrie, kreischte und versuchte sich den starken Händen zu entreißen. In diesem Augenblick verspürte sie nichts mehr als blanke Panik. Sie war blind und den Entführen vollkommen ausgeliefert. Ihre Gefangenschaft hatte gleichzeitig noch dafür gesorgt, dass sie kaum noch denken konnte. Kurz bevor die Männer in ihre Zelle gekommen waren, hatte Catherine bereits angefangen zu halluzinieren, nur das Adrenalin hatte verhindert, dass ihre Gedanken allzu abstrus wurden. Doch dieses Stresshormon konnte nicht ewig aufrecht gehalten werden und Catherine wusste, dass es nur noch eine Frage von Stunden war bis ihr Geist vollkommen gebrochen sein würde. Alles nur eine Frage der Zeit und ihre Entführer saßen definitiv am längeren Hebel.

„Halt still, Schlampe!“, fluchte der Mann an ihren Schultern und schlug ihr ins Gesicht. Catherine stöhnte auf und hielt dann still. Sie wollte nicht mehr. Keine Qualen, keine Schmerzen mehr. Sie hatte genug davon. Sollten sie sie doch endlich umbringen, dann hätte sie es zumindest hinter sich und wäre wieder bei Jeffrey. „Geht doch! Kluges Mädchen!“ Sherlock! Oh Gott, wie sehr sie sich wünschte es in seinem spöttischen Ton zu hören, doch sie war allein. Wie immer. John würde ihr Verschwinden zwar sicher auffallen, doch Sherlock würde ihm keine Chance lassen nach ihr zu suchen. Würde der Consulting Detective es überhaupt bemerken? Nach seinem Abgang im Krankenhaus war sie sich nicht so sicher, ob er sie überhaupt noch sehen wollte. Eine kleine Träne rollte aus ihren Augen und unter dem Handtuch hervor. Würden das ihre letzten Gedanken sein? Ihre letzten Gedanken galten diesen arroganten Soziopathen und John?

„Spannt sie an!“, kam eine Stimme aus der Ecke. Sie war noch kälter als die anderen und doch schwang ein Ton von Freude mit. Vorfreude und dies ließ Catherine erschaudern. Das hieß nichts Gutes.

Sie hörte wie Schritte näher kamen und sie fühlte einen fauligen Atem direkt neben ihrem Ohr.

„Zwei Minuten und wir haben alles von ihr, was wir brauchen.“ Catherine hörte förmlich das Grinsen und holte jappsend Luft. In diesem Moment verlor sie endgültig jegliche Stärke und ihre Angst breitete sich in ihr aus wie ein reißender, eiskalter Bach.

Ein heiseres Lachen, vorfreudiges Lachen drang an ihr Ohr. Es war ein dreckiges, furchteinflößendes Lachen. Catherine wurde nur noch höher gehoben und gedreht. Sie wand sich, versuchte irgendwie freizukommen, schrie und kämpfte verbissen, doch die psychische Folter hatte ihrem Körper sämtliche Kraft ausgesaugt, sodass ihr Versuch mehr als jämmerlich war.

Wieder lachte der Mann, der sie festhielt und es war noch eine Spur grausamer als zuvor. Diese Männer kannte keine Gnade. Mit nichts und Niemanden. Die Schritte ihres Trägers hallten unheilvoll von den Wänden wieder. Catherine kam es wie Ewigkeiten vor. Sie wusste nicht was kommen würde, doch sie wusste nur zu gut, dass es qualvoll werden würde.

Catherine wurde auf irgendetwas mit dem Kopf nach unten geschnallt. Sie vermutete ein Brett oder so etwas. Ihre Füße wurden mit dicken Lederriemen gefesselt und einer der Männer riss ihre Hände brutal auf den Rücken, verdrehte ihr Handgelenke, sodass es nur kurz davor war zu brechen und fesselte auch diese. Sie wimmerte erstickt und kämpfte mit aller Macht gegen ihre Tränen. Sie wollte den Entführern nicht noch diese letzte Genugtuung geben. Dieses letzte Stück Stolz würde sie sich bewahren und sei es bis zum letzten Atemzug.

„Alles vorbereitet?“

„Ja.“, war nur die knappe Antwort und wieder trat Jemand an sie heran. Etwas wurde um ihren Mund gebunden. Wasser floss über ihren Kopf, tropfte ihre Haare hinab. Instinktiv versuchte Catherine Luft zu schnappen und musste mit Entsetzten feststellen, dass es nicht ging. Verzweifelt versuchte sie zu atmen, doch was auch immer ihr um Mund und Nase gebunden worden war, enthielt Wasser, sodass sie nur gerade eben noch Luft bekam. Es fühlte sich an, als würde sie ertrinken. Von blanker Todesangst überrannt, atmete sie immer heftiger, immer schneller und bekam so nur noch weniger Luft. Wieder wurde ihr Wasser über den Kopf gekippt umso die Illusion zu verstärken. Catherine schrie in blanker Angst gegen das Tuch, kämpfte gegen die Fesseln, doch sie saßen zu fest und jedes Mal, wenn sie zerrte, drohten sie ihre Handgelenke zu brechen.

Nach gefühlten Stunden, dabei waren es vermutlich noch nicht einmal zwei Minuten, trat einer an sie heran und nahm ihr das Tuch von Mund. Gierig schnappte sie nach Luft, füllte ihre Lungen mit wohltuenden Sauerstoff. Catherine hechelte und versuchte die Angst zu unterdrücken, die von ihr Besitz ergriffen hatte, doch sie hatte keine Chance.

„Wo ist die Droge?“

„Ich weiß es nicht…“, antwortete sie wieder einmal mit zitternder Stimme. Sofort wurde ihr wieder ein frisch getränktes Tuch um den Mund gebunden und Catherine hatte das Gefühl, als befände sie sich gefesselt auf dem Grund des Meeres. Automatisch wurde ihre Atmung panisch und das Gefühl verstärkte sich. Catherine wusste, dass dieser Druck, dieses Gefühl dem Tod nah zu sein sie in naher Zukunft um den Verstand bringen würde und sie ihnen alles erzählen würde nur damit sie endlich aufhörten sie zu foltern.

Nach gefühlten zwei Stunden wurde ihr wieder das Tuch abgenommen und der Anführer stellte ihr dieselbe Frage, doch wieder war ihre Antwort dieselbe.

Diese Prozedur wiederholte sich fünf Mal. Immer wieder klammerte sich Catherine an den Gedanken, dass es nur eine Illusion war. Sie konnte nicht ertrinken, weil sie mit dem Kopf nach unten hing, das wusste und doch schrien sämtliche Instinkte in ihr, dass sie dabei war zu ertrinken und so sehr ihr Kopf es auch versuchte ihrem Körper klar zu machen, er hörte nicht auf sie.

Catherine war mittlerweile nur noch an Zittern, bettelte um Gnade und um den Tod, sobald ihr das Tuch abgenommen worden war. Sämtlicher geistiger Widerstand war dahin und an ihr nagte nur noch blanke Todesangst. Hätte Catherine Informationen gehabt, hätte sie ihnen diese längst gegeben. Mittlerweile konnte sie auch die Tränen nicht mehr zurückhalten. Wie ein Häufchen Elend hing sie auf diesem Gestell, schüttelte sich vor Angst. Sie war vollkommen gebrochen und wünschte sich nichts sehnlicher als einfach zu sterben und so ihren Frieden zu finden.

„Sie ist zäh…“, hörte sie ein leises Flüstern durch ihre mittlerweile kaum noch vorkommenden Gedanken. „Die meisten sind schon nach der ersten Runde gebrochen und weinen wie ein Baby.“

„Dann müssen wir den Druck erhöhen.“ Catherine weitete die Augen unter ihrer Augenbinde und bettelte, doch die Männer lachten alle und der grausame Klang kam wie Wellen von den Wänden zurück.

Sie spürte wie sich Jemand neben sie hockte und wieder spürte sie diesen fauligen Atem neben sich.

„Hat Sherlock Holmes sie? Oder doch eher John Watson? Vielleicht sollten wir ihnen mal einen Besuch abstatten.“ Schock lähmte Catherines Gedanken und beinahe wäre ihr ein erstickter Schrei entrungen, doch in letzten Moment konnte sie ihn aufhalten. Für einen kurzen Moment flammte ein letzter Rest geistiger Kraft auf. Ihr Leben war verwirkt, das wusste sie schon seit Stunden, doch sie würde nicht zulassen, dass Sherlock und vor allem John in diese Sache hineingezogen wurden. Sie würde diese zwei verteidigen und sie beschützen, denn das hier war alles ihre eigene Schuld.

„Ich…“, begann sie zu stottern. „Ich kenne keinen Sherlock Holmes…und auch keinen John…Waners…“

„Watson!“, knurrte der Mann neben ihr und schlug ihr ins Gesicht. Ihr Kopf ruckte zur Seite und sie schrie vor Schmerzen. Stoßweise atmend hob sie ihren Kopf soweit sie konnte und blickte in die Richtung, indem sie den Fragensteller vermutete. Sie hörte seinen gepressten Atem, die unterdrückte Ungeduld und Wut. Catherine wusste, dass dieses Spiel längst gefährlich war, dass sie gefährlich nah an ihrem Verderben tanzte und sie so vermutlich alles nur noch schlimmer machte, aber sie würde kämpfen. „Und lüg uns nicht an, Miststück. Wir haben gesehen wie du diesem Holmes die Unterlagen über unsere Schmuggelaktionen gebracht hast.“ Was? Catherine verstand nicht. Ihre Gedanken brauchten ewig, bis sie verstand, was das bedeutete. Die Unterlagen, die sie beim Aufräumen gefunden hatte! Um Gottes Willen, dann hatte Jeffrey wirklich etwas hiermit zu tun gehabt, er hatte deswegen sterben müssen. Ihr Mund öffnete sich vor Entsetzten, als ihr klar wurde wie alles zusammenhing.

„Also nochmal, wo sind die Drogen? Sonst werden wir zu ihnen gehen und sie gaaaaanz langsam umbringen. Wir werden mit Herrn Holmes anfangen und ihn vor den Augen von seinem Mitbewohner umbringen. Wir werden ihn aufschlitzen und dann… “

„ICH SAGTE DOCH, ICH WEIß ES NICHT!“, schrie sie in blanker Verzweiflung, Tränen aus ihren Augen rollend. Nein! Nein, nein, nein, sie durften ihnen nichts antun. Wieder band man ihr das Tuch vor dem Mund, wieder hatte Catherine das Gefühl langsam in die Tiefe des Wassers zu entgleiten, wieder wurde alles um sie herum schwarz. Die Anspannung in ihrem Körper wich und ihre Muskeln entspannten sich, warteten auf die Umarmung des Todes.

„Sie weiß wohl wirklich nichts.“, hörte sie dumpf. „Bringen wir es zu Ende.“ Catherine wurde losgeschnallt und gezwungen sich auf den Boden zu knien. Nur wenige Augenblicke später hörte sie das Entsichern einer Pistole, holte zitternd Luft, als sie das kalte Metall an ihrer Schläfe spürte, wich ihm automatisch aus, doch der Druck blieb. Es klackte, als der Mann langsam den Abzug betätigte. Catherine hielt den Atem an, wartete unweigerlich auf den Schmerz.

//Sherlock, John…es tut mir leid…bitte verzeihen Sie mir…//, dachte sie in ihren letzten Augenblicken, dann kam der ohrenbetäubende Knall der Pistole.

Kampf ums Überleben

8. Kapitel: Kampf ums Überleben
 

Zitternd wartete Catherine auf den Tod, auf ihren Tod, wartete auf seine Umarmung, wartete auf eine endlose Schwärze, vielleicht sogar auf den Anblick ihres Bruders, doch nichts geschah. Stattdessen vernahm sie ein Röcheln neben sich und der Mann sackte zur Seite. Catherine schrie, rutschte weg, doch sie wurde sofort wieder an den Haaren gepackt und ihr wurde eine Pistole an den Kopf gehalten. Ihr Körper versteifte sich und sie holte zitternd Luft. Was war hier geschehen? Blind sah sie umher, versuchte etwas zu erkennen, doch sie sah nur gleißendes Licht. Es blendete sie. Sie konnte noch nicht einmal Schemen erkennen. Irgendwer musste ihren Henker erschossen haben, denn der Knall stammte offensichtlich nicht aus dessen Pistole.

Sie hörte ein missmutiges Schnalzen von dem Teil des Raumes, wo sie die Tür vermutete und wie ein Schritt nach vorne gemacht wurde.

„Nehmen Sie ihr die Augenbinde ab! Das ist doch erniedrigend. Selbst Tiere dürfen bei ihrer Hinrichtung hinsehen.“, sagte eine tiefe Stimme gelassen. Catherines vorher rasender Atem stockte. Sherlock! Es war Sherlocks Stimme!
 

~*~
 

Es war nicht einfach gewesen das Versteck der Serben zu finden. Diese Bande wusste, was sie tat, doch mit Mycroft Informationen war es ihm schließlich gelungen. Sie hatten ihm die grobe Richtung gewiesen und er hatte den Rest aus Informationen herausgefunden.

Sherlock war sich stets bewusst gewesen, dass dieses Rennen gegen die Zeit sehr knapp bemessen war. Sie brauchten gut zweieinhalb Stunden mit dem Flugzeug nach Serbien, selbst mit einem Privatjets seines Bruders und als Sherlock mit ihm gesprochen hatte, war es bereits der späte Abend des zweiten Entführungstages gewesen. Ihm waren also nur gut 24 Stunden in Serbien geblieben um das Quartier der Serben zu finden und zu infiltrieren. Es war beinah aussichtlos gewesen. Gut, für jeden normalen Menschen wäre es aussichtslos gewesen, doch er war ja kein gewöhnlicher Mensch. Er war Sherlock Holmes und für ihn war es nur eine besondere Herausforderung gewesen. Dank Mycrofts Informationen über Wirkungsbereich, Art der Verbrechen und Ähnlichem war es Sherlock relativ schnell gelungen den Operationsbereich des Ringes auf einen kleinen Bereich einzugrenzen und in diesem gab es auch nicht viele Orte wo man einen ganzen Ring unauffällig verstecken konnte. Tatsächlich hatte sich die Sprachbarriere als die größte Herausforderung entpuppt. Auf dem öden Land von Serbien schienen überraschenderweise sehr wenige Menschen Englisch zu sprechen.

Auch das Infiltrieren an sich war eher einfacher Natur gewesen. Mit John, dem erfahrenen Soldaten, an seiner Seite hatten sie sich schnell Zugang verschafft und zwei einfältigere Wachen überrumpelt um ihre Kleidung anzuziehen. Ehrlich gesagt hätte Sherlock nicht geglaubt, dass dieser alte Trick funktionieren würde. Sie hatten nicht die Gesichtszüge und Statur von Menschen aus dem Balkan, doch es hatte für den ersten Blick stets gereicht. Offensichtlich rechnete Niemand hier damit, dass ihr Versteck gefunden werden konnte. Wie einfältig. Missmutig verzog er das Gesicht und blickte sich um.

Der Raum indem sie sich befanden war klein und komplett weiß gefliest. In der Mitte stand eine Apparatur, die wohl offensichtlich zur Folter benutzt wurde. Es waren zwei simple Metallfüße auf die eine Holzplatte mit Lederriemen befestigt worden war, wobei der vordere niedriger war. Vermutlich wurde das Opfer mit dem Kopf nach unten darauf geschnallt. Sherlock entdeckte in der hinteren Ecke einen Eimer voll Wasser und mehrere feuchte Tücher. Waterboarding! Sherlock spürte wie die Wut in ihm stieg. Er presste die Zähne angespannt aufeinander und seine Augenbrauen zogen sich zornig herab auch wenn er nicht verhindern konnte, dass er die Gerissenheit des Folterers anerkannte. Waterboarding war eine äußerst brutale, sogenannte weiße Folter. Bei ihr wurde mithilfe eines nassen Tuches, was die Atmung erschwerte, die Situation des Ertrinkens simuliert. Normalerweise brach es einen Menschen innerhalb einer Minute und er erzählte alles, was man von ihm wissen wollte. Und ihr Vorteil war: Sie hinterließ keine Spuren. Körperlich passierte dem Häftling nichts, aber die Psyche war meist danach für immer beschädigt.

Sein Blick glitt zu Catherine, die noch immer mit verbundenen Augen zitternd auf dem Boden kauerte, während einer der fünf verbleibenden Männer ihr die Pistole an die Schläfe richtete. Ihr Anblick ließ das Feuer des Zorns nur noch stärker in Sherlock brennen, doch er schob das beiseite, zwang sie sich später genauer anzusehen, denn die Situation war zu gefährlich, als das er auch nur einen Moment unachtsam sein konnte. Er konnte sie noch nicht deduzieren. Einen der Männer hatte er erschossen, wenn auch nur im letzten Augenblick. Hätten John und er auch nur eine Minute länger gebraucht, wäre Catherine tot gewesen.

Das hatte er verhindern können, dennoch war die Situation noch mehr als gefährlich. Ihm standen noch immer vier Serben gegenüber- drei von ihnen hatten die Waffen auf Sherlock gerichtet und jede Regung von ihm wurde genau beobachtet.

Gut, dass John hinter dem Türrahmen stand und auf ein verabredetes Zeichen wartete. Er sollte als Überraschung dienen, falls die Serben Sherlock zwingen würden seine Waffe wegzulegen. John hatte noch immer eine in der Hand, bereit jederzeit zu schießen, wenn Sherlock oder er meinten, dass es angemessen wäre. Außerdem trug sein Freund noch eine Ersatzwaffe für Sherlock bei sich.

Der ehemalige Soldat war mittlerweile zu allem bereit. Seine Sorge und Angespanntheit hatte sich, seit sie in Serbien waren, immer mehr in siedende Wut verwandelt. Während ihren Recherchen hatten Sherlock und er genug über diese Bande gehört, als das ihnen sich der Magen umdrehte. Die krvava mesar- die blutigen Schlächter- waren brutal, unterdrückend und wussten mehr als genau wie man mit Widersacher umzugehen hatten, das hatten ihnen die Einheimischen erzählt. Ihnen war schnell bewusst geworden, dass was auch immer sie Catherine antun würden, es Gräueltaten sein würden und selbst Sherlock hatte es ungeduldig werden lassen, als ihm bewusst geworden war, dass sie sich bereits schon drei Tage in der Gefangenschaft dieser…dieser…Mistkerle befand.

Sherlock blinzelte kurz und zwang sich wieder auf die Situation zu konzentrieren. Ein Blick und er wusste, dass die Serben seinen Mitbewohner noch nicht bemerkt hatten. Sie wogen sich in Sicherheit, war die Situation vermeintlich auf ihrer Seite und genau diese Selbstsicherheit wollte Sherlock nutzen.

„Warum sollten wir auf dich hören? Wir sind vier gegen einen.“, sagte einer der Männer in solch schrecklichen Englisch, dass Sherlock die Ohren klingelten. Er erwiderte diese Aussage mit einem bösen Lächeln und antwortete mit Belustigung in der Stimme:

„Weil ich etwas habe, das wohl Ihnen gehört.“ Sherlock griff in seine Manteltasche und zog einen Plastikbeutel gefüllt mit einem weißen Pulver. Sherlock warf ihn in die Luft und fing ihn dann gekonnt auf. Der Ausdruck in den Augen der Männer zeigte, dass sie den Prototyp ihrer Droge sofort wiedererkannten. Das Grinsen um Sherlocks Lippen wurde noch eine Spur größer.

„Wie es aussieht ist nun das Spiel auf meiner Seite.“, stellte er zufrieden fest und beobachtete die Reaktionen der Entführer genau.

Cleverness lag wohl bei den Amells in der Familie. Jeffrey hatte den Prototyp wahrlich gut versteckt. Sherlock hätte sie nie gefunden, wenn er nicht von Mycroft sein Bewegungsprofil gegeben und Sherlock intensiv danach gesucht hätte, denn er hatte sich damit einen Vorteil erhofft. Offensichtlich hatte Sherlock damit voll ins Schwarze getroffen. Kein Wunder, dieses Droge war Gold wert.

Kurz bevor sie losgeflogen waren, hatte Sherlock eine geringe Menge zu Molly ins Labor gebracht, damit dieses sie auf ihre Inhalte analysierte und ihm die Ergebnisse per SMS schickte. Die Zusammensetzung war für jeden Drogenmischer vielversprechend.

Es handelte sich um die hierbei wohl wirkungsvollste Droge seit Crystal Meth. Ihre Zusammensetzung war höchst halluzinogen und soweit es Sherlock aus der Strukturformel der Substanzen hatte ersehen können auch äußerst schnell und schwer abhängig machend. Sie war in vielerlei Hinsicht Crystal sehr ähnlich. Nur ein Kleinigkeit gekostet, nur einmal schwach gewesen und man kam von ihr nicht mehr los. Dafür sorgte ein Bestandteil des Gemisches, welches dem Serotonin, dem körpereigenen Glückshormon, sehr ähnlich war. Der Rausch kam schnell und man wurde unglaublich high, doch der Fall war ebenso tief. Man wurde extrem schnell abhängig, doch gegenüber Meth hatte diese Droge einen entscheidenden Vorteil: Es würde vermutlich, soweit Sherlock es beurteilen konnte, kaum einen körperlichen Verfall geben, sodass man die Abhängigkeit gut vor Angehörigen verheimlichen konnte und- was für die Drogendealer wohl noch wichtiger war- die Konsumenten blieben lang und treu erhalten.

Ja, er hätte früher vielleicht so eine Droge gebraucht, Zerstreuung hätte sie ihm sicher gut bescheren können, doch bei dem Maß an Abhängigkeit mochte sich Sherlock gar nicht vorstellen wie der kalte Entzug verlaufen würde.

„Und wenn schon…Wir können euch beide einfach erschießen und den Beutel an uns nehmen.“

„Das könnten Sie natürlich.“, sagte Sherlock schlicht und zuckte mit den Schultern. „Aber dann werden Sie nie erfahren wo der Rest ist.“

„Wir haben unsere Methoden.“, antwortete ein anderer Mann und deutete mit den Augen auf Catherine, die es bisher nicht gewagt hatte auch nur einen Laut von sich gegeben. Kurz glitt Sherlocks Blick zu ihr. Zumindest schien sie noch nicht vollkommen geistig gebrochen, denn sie erkannte ihn wieder. Das sah er daran, dass ihr Mund noch immer ungläubig geöffnet war. Kein Wunder, Sherlock hatte sich im Krankenhaus sehr ruppig verhalten und sie hatte wohl nicht mit ihm gerechnet.

„Zweifellos…“ Sherlock zog eine Augenbraue hoch. „Aber wissen Sie, ich kann so furchtbar ungeschickt sein.“ Sein Lächeln wurde noch böser, als er seine führende Position stärkte. Er griff in die Tasche, zog eine Zigarette und ein Feuerzeug hervor. Er tat so als wollte er sich diese anzünden, kam dabei aber mit der Flamme gefährlich nah an den Beutel mit der Droge heran. Das war die einzige Schwachstelle von ihr. Sie wurden nur über schwache Wechselwirkung wie Wasserstoffbrücken und hydrophobe Wechselwirkungen zusammengehalten. Nur ein wenig Hitze und die molekular Struktur wäre dahin und das feine Pulver würde in Flammen aufgehen.

„Uuupps…“, sagte Sherlock gespielt geschockt und warf den Männern einen grinsenden Blick zu. „Wie ungeschickt von mir. Da wäre doch glatt jahrelange Arbeit in Rauch aufgegangen. Dabei hab ich schon ausversehen das eine Kilogramm in London zerstört. Aaaah…das tut mir leid.“ Das stimmte nicht so ganz. Der Vorrat in London existierte wirklich nicht mehr, doch er hatte ihn nicht verbrannt, sondern Mycroft übergeben, damit dieser seine Vorkehrungen damit treffen konnte. Vielleicht fand er mit dieser Probe sogar die Killerzelle des Ringes. Wozu gab es schließlich den Geheimdienst?

„Der Rest ist…“

„In Rauch aufgegangen. Das hier ist der letzte, klägliche Rest.“, sagte Sherlock kühl und er gab seine Schauspielerei auf. „Nun seien Sie doch nicht so! Ich verlange ja nicht, dass Sie mir das Mädchen mit Handkuss und als Geschenk verpackt überreichen, sondern nur, dass Sie ihr diese verdammte Augenbinde abnehmen. Ich habe schließlich schon ihr liebreizendes Gesicht gesehen und lebend kommen wir hier doch sowieso nicht mehr raus.“ Der große, hässliche Kerl, der Catherine gepackt hatte, betrachtete Sherlock misstrauisch, doch dann nickte er und zog Catherine die Augenbinde ab.

Sherlock schluckte kurz. Catherines körperlichen Zustand hatte er längst erkannt, doch nun würde sich ihr geistiger Zustand klären.

Ihr Körper war ausgezehrt und leichenblass. Vermutlich hatte sie während der Gefangenschaft keinerlei Nahrung bekommen. Ihre Kleidung war zerrissen. Sherlocks Blick glitt zu den Entführern. Einer von ihnen hatte einen Stofffetzen an der Vorderseite seiner Stiefel hängen. Offensichtlich hatte er Catherine mit den Eisenstiefeln in die Rippen getreten und ihr heftig ins Gesicht geschlagen. Hämatome hatten ihre rechte Wange mittlerweile dunkellila gefärbt und diese war angeschwollen.

Ihm war auch bewusst, dass sie Catherine nicht nur dem Waterboarding ausgesetzt worden war. Drei Tage Waterboarding hielt niemand aus. Würde selbst er nicht. Da musste vorher noch andere Versuche ihr Informationen zu entlocken gegeben haben.

Sein Blick glitt kurz zu dem Eimer, während das Handtuch von Catherines Augen zu Boden fiel. Mehrere Tücher waren noch feucht, aber nicht mehr nass. Sherlock zählte fünf von ihnen. Also hatten sie Catherine mindestens fünfmal dieser Hölle ausgesetzt.

Sherlock malmte die Zähne aufeinander und unterdrückte die eiskalte Wut, die ihn überspülte. Eine Wut wie er sie damals empfunden hatte, als die Amerikaner Mrs. Hudson verprügelt hatten. Es war ein gefährliches Gefühl, aber nicht für sich, sondern für seine Gegner. Wenn Sherlock diesem kalten Meer ausgesetzt war, dann war er zu allem bereit.

Sherlock blieb angespannt, als er sich hinkniete um mit Catherine auf Augenhöhe zu sein. Dennoch hielt er die Pistole weiterhin auf die Serben gerichtet und beobachtete aus den Augenwinkeln die Entführer genau.

Langsam blinzelte Catherine, als das grelle Licht direkt in ihre Augen schien, dann hob sie den Kopf und erwiderte Sherlocks besorgten Blick direkt. Der Ausdruck in ihren Augen war das erschreckendste an ihrer gesamten Erscheinung. Die sonst so wachen, hellblauen Augen, die immer so empört oder genervt gefunkelt hatten, waren nun glanzlos und stumpf. Längst waren sie keine Augen mehr, kein Spiegel ihrer Seele, sondern stumpfes Glas- abgenutzt von den Qualen der psychischen Folter.

Als sie Sherlock nun vor sich sah, kehrte kurz ein Funken der Hoffnung wieder, doch es war nicht schwer zu sehen, dass sie kurz davor war verrückt zu werden. Nicht mehr lange und dieser interessante Geist wäre für immer verloren gewesen. Dann hätte Sherlock wirklich kein Halten mehr gekannt.

Catherine erwiderte seinen Blick mit zitternden Augen, ihre Lippen bebten, doch Sherlock musste sich eingestehen, dass sie nicht so ein jammerndes Häufchen war wie er es auf Grund der Begebenheiten vermutet hätte.

‚Sherlock…ich habe Angst.‘, formte Catherine stumm mit ihren Lippen und hoffte, dass Sherlock sie verstand. Er erwiderte ihren Blick eindringlich und ließ das kleine Lächeln sehen, was er immer hatte, wenn er sich seiner Sache sicher war. Er hoffte damit sie ein wenig zu beruhigen. Ok, soweit das möglich war mit einer Pistole an der Schläfe. Zumindest war Catherine noch klar genug um nachzudenken und zu verstehen wie heikel die Situation war. Sie wollte mit keinem Laut, mit keinem Wort das instabile Gleichgewicht gefährden oder sich in Sherlocks Plan einmischen.

Langsam richtete sich Sherlock auf und stampfte mit dem Fuß auf. Schlecht! John und er hatten Zeichen vereinbart durch die Sherlock Informationen an seinen Freund weiterleiten konnte. Mit dem Fuß auf den Boden stampfen hieß, Catherine ginge es schlecht, ein erleichtertes Seufzer es ginge ihr gut.

Sofort sah er aus den Augenwinkeln, dass John sich hinter der Tür versteifte und meinte ein kleines Knurren zu hören, doch John blieb in seinem Versteck. Gut! Sehr gut! Diese Situation war gefährlich, wackelig. Sie konnten nicht zulassen, dass Wut ihr Urteilsvermögen verschleierte. Sie mussten ruhig bleiben, die Situation genau beobachten und einschätzen. Sherlock wusste, dass er an die Situation mit der nötigen Distanz herangehen konnte, bei John war er sich da aber nicht so sicher gewesen. Seine Bindung zu Catherine war tiefer, das wusste Sherlock und er war auch emotionaler als der Detective es je gewesen ist, sodass Sherlock vermutete, dass es John sämtliche mentale Stärke kostete um in seinem Versteck auszuharren.

Sherlocks Finger spielten um den Abzug seiner Waffe und er beobachtete die Serben. Die Angespanntheit der Situation war förmlich in der Luft zu spüren, sie schien schon von ihr zu zittern und Sherlocks Gedanken rasten. Selbst mit John war ihre Position nicht die beste. Sie hatten Catherine immer noch als Geisel und Druckmittel und waren überlegen. Zwar wussten die Serben noch nicht, dass Sherlock Catherine kannte, dass sie wegen ihr da waren, denn keiner der beiden hatte ihnen einen Hinweis gegeben, aber wenn nur einer halbwegs Grips hatte, würde er diesen Schluss leicht treffen können.

Also was blieb Sherlock? Er konnte die Situation nur durch Raffinesse lösen. Ihm gefiel die Aufgabe sehr, war es doch eine Herausforderung, doch nur ein falsches Wort, eine falsche Bewegung und keiner von ihnen würde diesen Raum lebend verlassen. Nun gut, dann würde er mal zeigen, was er konnte.
 

~*~
 

Catherine war noch nie in ihrem Leben so froh gewesen Sherlock zu sehen wie in diesem Moment. Anfangs hatte sie noch geglaubt, dass ihr gequälter Verstand ihre eine Illusion bescherte. Dass es eine verzweifelte Versuch war ihr noch einen Funken Hoffnung zu bereiten, wo alles verloren schien, doch jetzt, wo sie ihn wirklich sah und die Leiche neben sich, da wusste sie, dass Sherlock wirklich hier war. Dieser Anblick ließ einen Funken der Hoffnung wieder in ihr aufflammen. Wenn er hier war, so gab es noch eine Chance, dass sie hier vielleicht lebend herauskämen.

Einen bitterbösen Scherz hatte sich ihr Verstand aber doch nicht ganz verkneifen können. Als sie endlich wieder mehr als schemenhafte Umrisse hatte erkennen können und nach Sherlock gesucht hatte, da war er in das gleißende Licht der Neonröhre gehüllt, das ihn beinahe wie ein Engel erscheinen ließ. Wie dumm! Sherlock und ein Engel. Beinahe hätte sie heiser aufgelacht, doch der kalte Lauf der Pistole an ihrem Kopf ließ ihr nur allzu bewusst werden, dass die Situation nicht zum Lachen war, dass ihr Leben noch immer nur am Zucken eines Fingers hing.

Ihr war klar, dass die Situation noch lange nicht gelöst war und dass sie vorsichtig sein musste. Ein falsches Wort von Sherlock oder ihr und sie würde mit einem Loch im Kopf enden. Dabei wollte sie nun nicht mehr sterben, nicht, wo es nun Hoffnung gab. Eigentlich hatte sie die gesamte Zeit leben wollen, dafür kämpfen wollen, doch diesen Willen hatten ihr die Serben Stück und Stück geraubt.

Obwohl nun Sherlock hier war und vermutlich auch John irgendwo hier war, so fürchtete sich Catherine noch immer. Die Situation war gefährlich angespannt und sie wusste wie gerne Sherlock angab, wie gern er spielte. Die Serben taten das hingegen nicht und wenn, dann auf eine sehr grausame Art und Weise. Catherine konnte also nur hoffen, dass Sherlock wusste was er tat, damit die Situation nicht eskalierte.

Es gab aber noch etwas anderes, was Catherine Sorgen bereitete. Nun stand nicht nur ihr Leben auf dem Spiel, sondern auch das von John und Sherlock. Sie waren in der Unterzahl und somit könnte es schnell passieren, dass sie auch den beiden etwas antaten. Sie war lang genug in ihrer Gefangenschaft gewesen um sie wissen, dass sie keine Gnade kannten, grausam waren und Catherine konnte den Gedanken nicht ertragen, dass Sherlock und John wegen ihr etwas passierte. Das alles hier war schließlich ihre Schuld. Schnell schob Catherine diese Gedanken beiseite. Sie musste ruhig bleiben. Ganz ruhig bleiben, Catherine! Sie musste sich nun konzentrieren und nachdenken.

Sie hob den Blick und suchte Sherlocks, wollte sie doch herausfinden, was er plante. Sherlock hockte gut drei Meter von ihr entfernt und doch schien es, als wäre eine große Schlucht zwischen ihnen. Zwei große Schritte und sie wäre bei ihm, wäre in Sicherheit, doch die Pistole zwang sie kniend neben dem Serben zu verharren- gelähmt und hilflos. Oh, das würde Sherlock ihr für ewig vorhalten. Doch als sie seinen Blick sah, war sie ehrlich überrascht, denn in den graublauen Augen sah sie Besorgnis. Sherlock war wirklich besorgt um sie? Ging das überhaupt? War sie nicht vielleicht doch schon tot?

Sherlock betrachtete sie und sie wusste, dass er versuchte zu deduzieren, was man ihr angetan hatte. Immer wieder glitt sein Blick zu etwas im Raum und dann wieder zu ihr zurück, sodass Catherine wusste, dass er seine Schlüsse zog.

Angst tobte in ihrem Inneren, auch wenn sie versuchte diese so gut wie möglich zu ignorieren um ja keinen Fehler zu machen. Sie versuchte verzweifelt ihren Körper unter Kontrolle zu halten, doch sie schaffte es nicht zu verhindern, dass ihre Lippen bebten und sie am ganzen Körper zitterten. Sie sah wie Sherlock leicht den Kopf neigte, ihren Blick studierte und sie formte still mit dem Lippen:

‚Sherlock, ich habe Angst. ‘

Sie hoffte inständig, dass Sherlock es ablesen konnte, dass er sie verstand. Catherine flehte, dass er das Spiel nicht unnötig in die Länge ziehen würde, denn sie war mit dem Nerven schon seit Tagen am Ende und kroch bloß noch auf dem Zahnfleisch. Sie wollte nur noch raus aus dieser Hölle und zurück in ihre warme Wohnung. Und Sherlock schien tatsächlich zu verstehen. Kurz runzelte er zwar die Stirn, doch dann ließ er dieses Zucken um seine Mundwinkeln sehen, was er immer hatte, wenn er der Lösung eines Problems auf der Spur war.

Catherine war sich bewusst, dass Sherlock und sie nun zusammenarbeiten mussten um hier herauszukommen. Sie mussten sich stumm verständigen und sich gegenseitig vertrauen, wenn sie diese Situation meistern wollten.

Sie hatte es bisher nicht gewagt Sherlock direkt anzusprechen oder generell einen Laut von sich zugeben. Catherine wusste nicht, ob Sherlock vorhatte so zu tun, als wollte er den Ring zerschlagen und hätte sie dabei zufällig gerettet oder aber ob er offenlegen wollte, dass er sie kannte. Wahrscheinlicher war ersteres, denn mit der zweiten Variante würde Sherlock ein Risiko eingehen, denn dann wüssten die Serben, dass sie Catherine gegen ihn verwenden könnten.

Allerdings war sie auch nicht so dumm zu glauben, dass die Serben dumm genug waren, den Zusammenhang nicht zu sehen, denn selbst Sherlock konnte in dieser Situation seine Gefühle nicht ganz verbergen und Catherine konnte es erst recht nicht- aber ihr Gesicht sahen sie ja auch nicht. Catherine wusste von ihrer Folter, dass zumindest derjenige mit dem fauligen Atem nicht dumm war. Sadistisch, ja, aber alles andere als dumm und er war auch derjenige, der die Situation nach Sherlocks Schuss richtig eingeschätzt und Catherine an einer Flucht gehindert hatte, bevor diese überhaupt gewusst hatte, dass eine da gewesen war.

Sherlock stand wieder auf und richtete die Waffe zielgerichtet auf denjenigen, der sie zu Boden zwang. Seine graublauen Augen lösten sich von den ihren und er untersuchte den Raum, überlegte wie sie aus dieser Situation herauskommen sollten.

Catherine wusste, dass sie keine andere Wahl hatte, als Sherlock zu vertrauen. Blind zu vertrauen. Na herrlich. Sie hatte sich noch nie darüber Gedanken gemacht, ob man Sherlock vertrauen konnte, ob sie ihm vertrauen konnte, doch nun hatte sie keine andere Wahl. Ihr Leben hing davon ab. Also alles was sie von diesem funktionierenden Soziopathen wusste über Bord schmeißen und einfach vertrauen. Wenn Sherlock schon hier war, würde er das Spiel doch sicher nicht verlieren. Oder?

Nein! Nein! Bloß nicht ins Grübeln kommen. Sie würden das hinkriegen. Also wie war ihre Situation? Sherlock und John gegenüber standen vier Serben, vermutlich bestens an Waffen ausgebildet. Einer benutzte sie als lebender Schutzschild, die anderen drei hielten Sherlock mit ihren Militärpistolen auf Abstand. John war nicht zu sehen. Wo könnte er nur sein? Moment! Ihr Blick glitt zur Tür. Hatte sie da gerade eine Bewegung gesehen?

Unauffällig machte Catherine ein Klackgeräusch um Sherlocks Aufmerksamkeit wiederzuerlangen. Sie tarnte es so, als würde einer der Anwesenden mit dem Abzug an der Waffe spielen. Hoffentlich bemerkte er, dass es von ihr ausgegangen war. Ihre Augen verharrten auf Sherlock, kurz glaubte sie sogar, dass er es nicht bemerkte hatte, doch dann huschten seine graublauen Augen nur für den Hauch eines Augenblickes zu ihr. Es wäre ihr beinahe entgangen, doch Catherine kannte Sherlock gut genug, damit sie verstand, dass er ihr mitteilen wollte, dass er sie sehr wohl wahrgenommen hatte.

Sie holte kurz, tief Luft, spürte direkt wie der Lauf ihr fester gegen die Schläfe gepresst wurde und erstarrte kurz, während ihr Körper von der Todesangst automatisch anfing zu zittern.

//Reiß dich zusammen, Catherine.//, heischte sie sich gedanklich an und zwang sich die Gefahr dieser Situation auszublenden.

Unauffällig deutete sie mit ihren Augen zur Tür. Sherlock verstand sofort und nickte leicht, löste aber seinen Blick nicht von den Entführern. Gut…also John hielt sich hinter der Tür bereit. Wie also konnten sie das hier beheben? Mehrere Szenarien spielten sich in ihrem Kopf durch. Wenn Sherlock denjenigen erschießen würde, der sie mit einer Waffe bedrohte, dann hätte sie vielleicht die Chance sich hinter der Holzplatte zu verstecken, doch er würde aus dem Kugelhagel nicht herauskommen, selbst mit Johns Hilfe nicht.

Würde Sherlock einer der drei erschießen, die ihre Pistolen auf ihn richteten, dann würde sie direkt erschossen werden. Verdammt, egal wie Catherine es drehte, es war ein Gegner zu viel. Irgendwie musste Catherine es schaffen, denjenigen, der sie gefangen hielt auszuschalten. Dann mussten Sherlock und John sich um die restlichen drei kümmern.

„Und was nun? Du bist festgenagelt. Egal was passiert, es geht höchstens einer von uns drauf.“, fragte der Mann, der ihr die Pistole fest gegen die Schläfe presste und Catherine kostete es den mickrigen Rest ihrer mentalen Stärke um nicht zurückzuzucken so sehr stank er nach verfaulten Eiern.

„Ich habe schon ausweglosere Situationen gemeistert.“, sagte Sherlock ruhig. Catherine kannte jedoch Sherlocks Körpersprache mittlerweile gut genug um zu sehen, dass er angestrengt nachtdachte. Seine Augen huschten hin und her, die Lippen waren einen Hauch gekräuselt, während er immer mal wieder schaute, ob Catherine ihm etwas mitteilen wollte und das hatte sie tatsächlich. Denn in ihrem Kopf hatte angefangen sich eine verwegene Idee zu entwickeln. Ok, verwegen war noch zu schwach, sie war schlicht verzweifelt, aber vermutlich blieb ihnen keine andere Wahl als verzweifelte Wege zu gehen.

Catherine hob den Blick und sofort hatte sie Sherlocks Aufmerksamkeit inne, auch wenn er seinen Blick nicht abwandte. Sie holte tief Luft und hoffte, dass Sherlock verstand, was sie vorhatte. Ihre Augen glitten zu dem Mann neben ihr und sie deutet mit ihrer Iris auf ihn. Offensichtlich hatte Sherlock die gleiche Idee gehabt, denn er reckte zeitgleich das Kinn ein wenig und deutete ebenfalls auf ihn. Catherine nickte knapp und begann ihre Vorbereitungen zu treffen. Sie musste nun ganz ruhig und unauffällig sein.

„Nun…eines würde ich aber vorher gerne wissen, bevor wir dieses ganze Spiel beenden.“ Sherlocks Augen wandten sich an den offensichtlich einzig intelligenten Menschen in diesem Raum.

„Und das wäre? Ich denke eine Frage können wir wohl noch beantworten.“ Ein hämisches Grinsen legte sich auf das Gesicht das Entführers so selbstsicher war er. Sherlock ging einen Schritt zur Seite, tat so als würde er sich in sein Schicksal ergeben und betrachtete nachdenklich die Apparatur, auf die Catherine bis vor wenigen Minuten gespannt gewesen war. Auch wenn es ihr vorkam, als würde diese Anspannung schon Stunden bestehen, war all das hier nur innerhalb einiger Minuten abgelaufen.

„Wie funktioniert das?“ Sherlock deutete kurz mit dem Kopf darauf und die Augen des Serben sahen ihn kurz ernsthaft irritiert an.

„Du interessierst dich für Folter?“

„Nicht ganz mein Metier. “, gab der tiefe Bariton des Consulting Detectives zu. „Ich bekomme meine Informationen lieber selbst. Unter Folter gestehen Menschen viel, nur damit sie endlich erlöst werden. Aber man muss doch mit allem bewandert sein, nicht wahr?“ Der Blick in Sherlocks Augen waren beängstigend und sein Lächeln erst recht. Es lag etwas Interessiertes darin, doch Catherine wusste, dass es ein Spiel war. Er wollte die Entführer ablenken um ihr Zeit zu schaffen, dennoch dieser leichte Glanz in der graublauen Iris machten sie ganz unruhig. Wie weit war Sherlock bereit zu gehen um zu bekommen was er wollte? Catherine hatte sich diese Frage nie gestellt, fürchtete sie sich doch vor der Antwort, aber auch jetzt schob sie sie beiseite. Erst einmal mussten sie fliehen.

„Am besten wäre es doch, wir würden die Kleine hier fragen.“ Ein dreckiger Ton durchstrich die raue, harte Stimme des Serben. Seine Stimme war ebenfalls so tief wie Sherlocks, doch nicht annähernd so wohlklingend. Während Sherlocks Stimme ruhig und samten war wie ein Bach, so war seine Stimme kratzig wie Schmirgelpapier.

Catherine hingegen erstarrte sofort in ihrer Bewegung, als wäre sie zu Eis erstarrt. Hatte er etwas bemerkt?

„Ich möchte es aber von Ihnen hören.“ Sherlocks Stimme wurde nun gefährlich tief und er zog seine Augenbrauen hinab und beobachtete den Mann genau. Er duldete keinen Widerspruch.

„Nun…“, sagte der Serbe dann mit Stolz in der Stimme. „Diese Methode nannte sich Waterboarding, dabei…“

Catherine hörte gar nicht weiter zu und Sherlock tat es auch nicht. Während der Serbe mit Ehrfurcht das Waterboarding vorstellte, verlagerte Catherine ihr Gewicht auf ihr linkes Bein und zog ganz langsam ihr rechtes zurück. Sie achtete darauf keine hastigen Bewegungen zu machen oder ihre Höhe zu ändern, denn das würde der Serbe daran bemerken, dass sich die Position seines Armes veränderte. Immer weiter zog Catherine ihr Bein zurück, bis sie es gerade ausgestreckt hatte.

„Das klingt wirklich faszinierend.“, antworte Sherlock abwesend, doch der Folterer bemerkte es noch nicht einmal. Catherine sah zu Sherlock, der sich sofort zu ihr umdrehte und nickte. Er selber klopfte zweimal mit der Hacke auf den Boden, so als dächte er nach oder würde ungeduldig und Catherine wusste, dass es das Zeichen für John war.

Catherine sammelte all ihre Kraft in ihrem Bein und fegte dann dem Serben die Füße weg. Der große Mann kam ins Wanken, stieß einen überraschten Fluch aus und fiel hart zu Boden. Catherine nutzte die Chance, robbte von ihm weg und auf die Holzplatte zu. Sie versuchte gar nicht erst aufzustehen, das würde zu lange dauern.

Zeitgleich feuerte Sherlock auf einen der drei irritierten Wachen und traf ihn mitten in die Brust. Schreiend verdrehte dieser die Augen und sackte stöhnend zu Boden. Noch bevor der zweite reagieren konnte, war John hinter dem Türrahmen hervorgesprungen und schaltete ihn aus. Auch der dritte Mann war völlig überrumpelt und bevor er überhaupt realisierte, dass ein neuer Gegner den Raum betreten hatte, hatte John ihn schon erschossen.

Catherine hatte sich in der Zwischenzeit hinter die Holzplatte geflüchtet und kauerte sich zusammen als das Donnern der Waffen von den Wänden widergeworfen wurde. Ihr gesamter Körper begann zu zittern und sie kniff die Augen zusammen. Dadurch bemerkte sie nicht, dass der erste Serbe sich langsam wieder erholte und stöhnend aufrichtete. Als er realisierte, was geschehen war, knurrte er, schnappte sich seine Waffe und zielte auf Catherine.

„Catherine!“, rief John, wirbelte herum und sprintete auf sie zu. Catherine zuckte zusammen, fuhr mit dem Kopf herum und erstarrte, als sie in den Lauf der Pistole starrte. Sherlock bemerkte ebenfalls, was geschehen war.

„Weg von ihr!“, brüllte er und sprang einen Schritt vor, schoss dem Serben die Pistole aus der Hand. John hatte inzwischen die letzten Meter über den Boden rutschend hinter sich gebracht und Catherine so aus der Schusszone geschoben. Der Serbe zischte und ein Schuss löste sich aus der Pistole, streifte das Holz der Platte und prallte ab. Catherine schrie vor Angst, doch John zog sie an sich, schirmte sie mit einem Körper ab und drückte ihren Kopf gegen seine Schulter.

„Alles ist gut, Catherine. Es ist vorbei.“, flüsterte er, während er sie an sich gedrückt hielt und die Waffe auf dem letzten verbleibenden Serben richtete.

„John…“ Ihre Stimme war heiser und von Tränen erstickt. Catherine krallte sich in seine Jacke, zitterte und presste ihren Kopf gegen seine Schulter. Plötzlich brach ihre letzte Kraft weg, nun wo sie in Sicherheit war. Es gab keinen Schutz mehr, sie musste sich nicht mehr konzentrieren und in diesem Moment hatte sie nichts mehr, was die Eindrücke der letzten Tage fern hielt. Alles prasselte in rasender Schnelle auf sie ein und überforderte sie.

Sherlock kam in der Zeit gemächlich zu ihnen herüber, seine Pistole auf den Serben gerichtet und als dieser nach seiner Pistole greifen wollte, schoss Sherlock so dicht vor seine Hand, dass dieser zurückzucken musste.

„Ich habe gesagt, weg von ihr!“, knurrte er und seine Stimme hatte etwas Gefährliches bekommen, etwas von einem Panther, der seine Beute umkreiste und überlegte wie er sie am besten zerfleischen konnte. Er stellte sich vor John und Catherine, hielt die Waffe noch immer direkt auf den Serben gerichtet.

Dieser lachte heiser auf und blickte zu Sherlock auf, der mit einem zornigen Funkeln in den Augen zurück starrte.

„Wusste ich es doch, dass du sie kennst.“

„Wie kommen Sie denn nur auf diesen dummen Gedanken?“, verhöhnte Sherlock ihn. „Ich reise gerne für einen kleinen Spaziergang aus England nach Serbien, gehe durch das Hinterland Serbiens und spaziere in einen Drogenring. Natürlich kenne ich sie!“ Er schüttelte nur den Kopf und schnaubte genervt. Langsam ging er auf den Serben zu und trat nun auf seine Brust. Der Serbe stöhnte.

„Also…“, sagte Sherlock gefährlich leise. „Was sollen wir nun mit Ihnen machen? Vielleicht sollten wir Sie auch mal dem Waterboarding aussetzen?“ John und Catherine blickten geschockt auf. So hatte Catherine Sherlock noch nie erlebt. Der Ausdruck in seinen Augen war hart und kalt.

„Sherlock!“, rief John geschockt aus.

„Was?“, erwiderte dieser kalt und blickte angewidert zu dem Serben unter seinem Fuß hinunter. „Soll er doch mal erfahren wie das ist…“

„Nicht, Sherlock…“, ertönte Catherines schwache Stimme und sie löste sich ein wenig aus Johns schützender Umarmung. So kalt, so brutal hatte sie den Consulting Detective noch nie erlebt. Er war gefährlich ruhig und dass er allein dazu bereit war, einen Menschen aus Rache zu foltern, beunruhigte Catherine. Wieder drängte sich ihr die Frage auf wie weit Sherlock bereit war zu gehen. Wie weit war Sherlock bereit ins Dunkel zu gehen? Catherine wollte das aber nicht, nicht wegen ihr. Sherlocks Welt war schon brutal und finster genug. Sie wusste nicht ob er so etwas schon jemals getan hatte, ob er jemals zur Folter gegriffen hatte, aber sie wollte nicht, dass er diesen Weg auch noch beschritt. Sie wollte nicht, dass er wegen ihr auch den letzten Rest von Moral abstreifte. „Tun Sie das nicht. Sie sind doch besser als das.“
 

~*~

Was wusste Catherine schon, was er war? Sie hatte keine Ahnung wer er war und wozu er bereit war. Momentan war er zu allem bereit. Er wollte diesen unwürdigen Käfer zu seinen Füßen büßen lassen, ihn leiden und wimmern lassen für das, was er ihr angetan hatte, doch der Ton in Johns und ihrer Stimme ließ ihn wie so oft innehalten.

So etwas geschah in letzter Zeit öfter. Wenn Sherlock aufgebracht war- aus welchem Grund auch immer-, dann war er wie weggetreten. Er dachte nicht an die Konsequenzen, dachte an nichts anderes als sein Ziel und wenn er dann die entsetzte oder genervten Stimmen von John oder Catherine hörte, war es wie ein Weckruf. Er kehrte dann wieder in die Realität zurück und begann über sein Verhalten nachzudenken, realisierte erst dann, was genau er überhaupt tat. Dies war auch jetzt der Fall. Sherlock blinzelte und ihm war, als würde er aus einem intensiven Traum aufwachen und war kurz verwirrt über die Situation, die vor ihm lag.

Nur dieses Mal wusste er genau, warum John und Catherine ihn mit diesen geweiteten Augen ansahen. Dieses Mal war ihm bewusst welche Grenze überschritten hatte und es war ihm egal gewesen. Es war ihm noch immer egal. Missmutig warf er den beiden anderen einen Blick über die Schulter zu.

„Sherlock…bitte…“, flüsterte Catherine schwach und ihre Augen blickten ihn flehend an. „Ich möchte einfach nur hier raus…ich möchte nach Hause.“ Erst jetzt realisierte er, dass es hier nicht um seinen persönlichen Rachefeldzug ging, dass es nicht darum ging, dass die Serben gewagt hatten so etwas vor seinen Augen abzuziehen, dass es generell nicht um ihn ging, sondern um Catherine und ihre Bedürfnisse. Kurz schloss er die Augen, holte tief Luft und nickte. Ihr ging es wirklich schlecht. Sie war am Ende ihrer Kräfte und er verstand, warum sie nur noch endlich entkommen wollte.

„Sie können von Glück reden, dass sie so nachsichtig ist. Ich wäre es nicht.“, sagte Sherlock kalt zu dem Serben und schlug ihn schließlich K.O.

Müde wandte er sich ab und ging zu den beiden, hockte sich zu ihr und sah Catherine an. Diese erwiderte dankbar seinen Blick und sackte ein wenig in sich zusammen, als die Anspannung wich.

„Alles in Ordnung?“, fragte Sherlock. Sie holte bebend Luft, nickte aber zu seiner Überraschung.

„Wird wieder…“, murmelte sie, doch weder John noch ihm entgingen das Zittern, was durch ihren Körper ging und dass noch immer Tränen in ihren Augen standen. Psychische Folter war eben nicht so schnell vergessen wie Catherine ihnen weismachen wollte, doch fürs erste wollten sich weder Sherlock noch John damit näher befassen.

„Wir sollten verschwinden, Sherlock.“, erinnerte auch John ihn noch einmal und Sherlock nickte. „Können Sie laufen, Catherine?“

„Wird schon gehen…“, antwortete sie und rappelte sich zitternd auf. Ihr Körper strafte sie jedoch lügen. Sofort schwankte Catherine bedrohlich und klammerte sich an John fest. Dieser seufzte leise, schüttelte den Kopf, weil sie sich so unvernünftig verhielt und ihnen die Starke vorspielte, schnappte sich ihren Arm und legte ihn um seine Schulter.

Sherlock warf dem Blutbad in dieser weißen Zelle noch einmal einen Blick zu, dann wandte er sich ab und lief zusammen mit John und Catherine aus dieser Hölle.
 

~*~
 

Catherine lief wie ein Roboter neben Sherlock und John her. Sie konnte es noch immer nicht glauben, dass es endlich vorbei war, dass sie frei war, aber selbst das nahm sie nicht einmal wahr. Sie war fertig, auch wenn sie versuchte auf John und Sherlock einen anderen Eindruck zu hinterlassen. Sie war sich sicher, dass sie diesen Alptraum so schnell nicht vergessen würde. Ihre Schritte hallten von den Fliesen wider. Catherine presste die Augen zusammen. Nicht dieses Geräusch, sie konnte es nicht mehr hören.

Sie war froh, dass John da war, dass sie ihn als Halt hatte. Ohne ihn an ihrer Seite wäre sie niemals mit der Situation zu Recht gekommen. Ohne ihn hätte sie noch nicht einmal laufen können, sie war aber zu stolz gewesen das zuzugeben, doch John hatte es direkt gesehen und ohne einen Ton zu sagen ihr geholfen. Jetzt jedoch fühlte sie sicher genug alleine zu laufen und so war es doch einfacher. Deshalb löste sie ihren Arm von seiner Schulter, ignorierte seinen Blick und rannte Sherlock hinterher, der bereits gut zwei Meter voraus war. Ihr Drang endlich zu verschwinden war groß genug um ihren längst streikenden Körper zu bändigen. Ihr eiserner Wille dieses Gebäude zu verlassen mobilisierte ihre letzten Kräfte.

Ein letzte Mal warf Catherine einen Blick zurück um sicher zu gehen, dass sie wirklich gerade aus diesem Alptraum floh, doch sie sah etwas anderes als erwartet. Der Anführer der Serben war schon wieder bei Bewusstsein und hatte nach seiner Waffe gegriffen. Mit einem hasserfüllten Blick in den Augen hob er die Pistole und zielte auf Sherlock. Sie weitete die Augen, wirbelte herum und beschleunigte ihre Schritte.

„Sherlock!“, schrie sie voller Panik. Sherlock und John wirbelten herum, doch es war bereits zu spät. Mit geschockten sah Sherlock wie bereits die Kugel auf ihn zuflog. Plötzlich lief alles wie in Zeitlupe ab. John, der die Situation realisierte und seine Waffe zog, Sherlock, der wie versteinert stehen blieb. Catherine war ihm am Nächsten und reagierte ohne Nachzudenken. Sie sprang ab, stieß Sherlock um und riss ihn zu Boden- nur eine Millisekunde bevor die Kugel ihn getroffen hätte. Die Metallkugel zischte durch die Luft und zerschnitt Catherines Haut an ihrem Oberschenkel. Ein gleißender Schmerz durchfuhr Catherine und sie schrie auf, als sie zusammen mit Sherlock zu Boden stürzte.

Wimmernd rollte sie sich zusammen und presste die Hand auf die Wunde, während ein Knall die Stille zerriss, als John endgültig dem Leben des letzten Serben ein Ende setzte.

„Catherine!“ Sherlock richtete sie sich unter ihr auf und sah sie irritiert an. Catherine hob den Blick, kralle sich in den Stoff ihrer Jeans, als eine Schmerzwelle sie überflutete. Es war nur ein Streifschuss, dennoch quoll unerlässlich Blut aus der Wunde.

„Sie…müssen…doch besser aufpassen…“, presste zwischen zusammengebissenen Augen hervor. John kniete sich- nun sichtlich blass- zu ihr, zog einen Verband hervor, den er vermutlich vorsorglich eingesteckt hatte und wickelte ihn fest um die blutende Wunde.

„Sherlock, wir müssen hier raus. Sofort!“, befahl er, als dieser sich noch immer nicht regte und Catherine anstarrte, doch dann nickte der Detective hastig und war wieder ganz der Alte.

„Wir wissen nicht wie viele Wachen noch in diesem Gebäude sind und so kann Catherine nicht mehr laufen.“

„Diesmal protestiere ich nicht.“, zischte Catherine mit schmerzerfüllter Stimme und krümmte sich noch mehr.

„Dann bleibt uns nur eine Chance. John, helfen Sie mir.“

„Schon dabei.“, sagte dieser nur ruhig. Catherine verstand jedoch nicht, was die beiden vorhatten. Erst als Sherlock sich vor sie kniete, begann sie zu realisieren. John packte sie bereits unter den Armen und hievte sie auf Sherlocks Rücken.

„Sherlock…nicht!“

„Keine Widerrede, Catherine.“, sagte Sherlock harsch.

„Aber mein Blut wird Ihren Mantel ruinieren.“ John und Sherlock sahen sie irritiert an, doch es war ihr voller Ernst. Ihre blauen Augen betrachteten sie fragend, doch die beiden Freunde sahen sich an und fingen plötzlich an zu lachen.

„Ich fass es nicht. Sie wurde gefangen gehalten, gerade angeschossen und sie sorgt sich um Ihren Mantel, Sherlock.“, kicherte John und schüttelte nur den Kopf.

„Ich habe sie gut erzogen.“, erwiderte er grinsend und es wurde noch eine Spur breiter, als er Catherines verwirrten Blick sah. Wäre auch verwunderlich, wenn sie schon wieder schlagfertig sein könnte. „Kommen Sie, Catherine. Wir bringen Sie nach Hause und…lassen Sie es nicht zur Gewohnheit werden.“

„Was…genau… Das Gefangennehmen lassen oder den Mantel ruinieren?“, flüsterte sie schwach und ein wenig kehrte der schnippische Ton in ihre Stimme zurück, während sie sich widerstandslos von John auf Sherlocks Rücken helfen ließ.

„Beides…“, ächzte dieser, als er sich aufrichtete. „Aber eigentlich meinte ich, dass ich Sie auf den Rücken trage.“

„Daran…könnte ich mich aber gewöhnen…“, murmelte sie müde und lehnte ihren Kopf gegen seine Schulterblätter. Auch wenn sie es niemals eingestehen würde, so war sie froh wieder menschliche Wärme zu spüren und so kühl sich Sherlock auch meist gab, so warm war sein Körper. In den letzten Tage hatte sie nur brutale Kälte erfahren und war froh um jedes kleines bisschen Wohlgesinnung. Sherlock rollte nur mit den Augen, ließ es aber dabei bewenden. Er nickte John zu, der sowieso schon vorlief um die Wege zu sichern, während Sherlock ihm folgte.
 

Zehn Minuten später hatten sie endlich den grauen Bunker aus Metall so weit hinter sich gelassen, dass sie sich entspannen und verharren konnten. Keuchend blieb Sherlock stehen und ließ seinen Blick schweifen. Er war erschöpft. John war der Stärkere der beiden und hätte mehr Kraft gehabt um Catherine zu tragen, doch da sie genauso groß wie er war, war es ihm nicht möglich gewesen, sodass Sherlock diese Aufgabe hatte übernehmen müssen.

Catherine löste sich von seiner Schulter an die sie sich die letzten Minuten gepresst hatte, als wieder alle Eindrücke auf sie eingeprasselt waren und ihr Körper wieder zu zittern begonnen hatte. Ihre Angst kam wie in Wellen. Immer wieder überrollte es sie, verschluckte sie wie ein Strudel aus Erinnerungen, bis Catherine etwas Neues fand, an dem sie sich festhalten konnte und die Gedanke kurz verbannte. Während der Flucht hatte die Flut geherrscht, weshalb sie sich an Sherlock geklammert hatte wie an einen Felsen.

„Lassen Sie mich runter, Sherlock.“, sagte sie matt. Catherine spürte nur zu deutlich, dass seine Arme bereits zitterten.

„Schon in Ordnung…“, protestierte er. Offensichtlich wollte sich Sherlock nicht anmerken lassen wie anstrengend es für ihn gewesen war.

„Nein…ernsthaft, Sherlock, lassen Sie mich bitte runter. Ich muss mich setzten…“ Verwirrt sah Sherlock John an, der ihm zunickte.

„Tun Sie’s einfach, Sherlock. Ich muss mir eh die Wunde mal ansehen.“ Seufzend gab er dann nach und setzte Catherine vorsichtig unter einem Baum ab. Sie zuckte zusammen, als ihr Bein belastet wurde, das noch immer tierisch schmerzte, doch sie gab sich alle Mühe das nach außen hin zu vergeben. Sie lehnte den Kopf an den rauen Stamm der Birke und atmete tief ein, zog gierig die frische Luft ein und sackte dann kraftlos zu Boden. Catherine legte ihre Handballen über die Augen und warf nun endgültig alle Stärke beiseite. Ihr Körper zitterte wie Espenlaub, während sie heftig nach Luft schnappte und Tränen ihre Augen hinabliefen. Vorbei, endlich war es vorbei. Sie war frei, diese Hölle war endlich überstanden. Tränen des Glücks, aber auch des Schockes rollten aus ihren Augen, ließen sie schluchzen. Sie kam sich in diesem Moment schwach und erbärmlich vor, doch sie konnte es nicht mehr zurückhalten. Ihr Adrenalin war längst verflogen und zurück blieb eine Leere der Angst, die sie verschluckte.

Zu ihrer Erleichterung sagten weder Sherlock noch John etwas zu ihrem emotionalen Zusammenbruch. Sie warteten einfach bis sie sich beruhigt hatte, dann ging der Arzt zu einem Geröllhaufen, verschwand dahinter und holte seinen Arztkoffer hervor.

Irritiert sahen Catherine und Sherlock zu ihm herüber und er grinste leicht.

„Was? Auch ich kann nachdenken. Man muss doch vorbereitet sein. Ich hab ihn für den Fall der Fälle hier verstaut.“

„Wann?“

„Als Sie das Gebäude umrundet haben um den ungefähren Bauplan zu ergründen.“ John kniete sich neben Catherine und reichte ihr eine Flasche Wasser. Sie betrachtete die klare Flüssigkeit skeptisch. Nie hätte Catherine gedacht, dass der Anblick von einfachem Wasser sie beunruhigen könnte, doch dem war so. John warf ihr einen kurzen Blick zu, kommentierte ihr Zögern nicht weiter, während Sherlock die weite Tundra, indem sich das Versteck befand, im Auge behielt. Ein kalter Wind fuhr über die Steppe, ließ Catherine in ihren kaputten Klamotten zittern. John bemerkte es und legte ihre seine Jacke um, während er seinen Koffer öffnete und einige Sachen raussuchte. Catherine öffnete in der Zeit die Wasserflasche und trank einige Schlucke. Sobald die wohltuende Flüssigkeit ihre ausgedörrte Kehle befeuchtete, konnte sie sich nicht mehr zurückhalten und leerte die Flasche gierig in einem Schluck.

„Langsam, sonst wird Ihnen schlecht!“, mahnte John sie und lächelte dennoch ein wenig amüsiert. „Ich muss mir die Wunde ansehen, nicht dass sie sich entzündet, ok?“, sagte er ruhig und zog ein Skalpell hervor. Als er Catherine zusammenzucken sah und ihren geschockten Augen erblickte, legte er ihr die Hand auf die Schulter und sagte:

„Kann ich?“ Sie erwiderte Johns Blicks, sah ihn lange an und nickte dann.

//Sie haben mich gerettet…ich kann ihnen vertrauen.//, dachte sie sich und schollt sich selbst als dummes, kleines Mädchen. John lächelte sie an und begann genug Stoff ihrer Hose wegzuschneiden, damit er sich Catherines Wunde ansehen konnte.

„Das wird jetzt brennen…“ Catherine nickte und krallte in stiller Erwartung ihre Hand in das Gras, als John eine Flüssigkeit in ein Tuch tropfte. Ein brennender Schmerz durchzuckte sie, als John ihre Wunde desinfizierte. Sie zischte und biss sich auf die Unterlippe, gab aber sonst keinen Mucks von sich, während der Blonde den Streifschuss verband, dann glitt ihr Blick zu Sherlock, der noch immer mit dem Rücken zu ihnen stand und das Versteck der Bande im Auge behielt. Seine dunklen Locken tanzten im Wind, während er still dastand- ganz wie eine Statue.

„Sherlock…“, sagte sie, während John den Verband um ihren Oberschenkel festzurrte und sie deshalb kurz die Augen zusammenkniff.

„Hmmm?“, antwortete der Dunkelhaarige irritiert und drehte sich zu ihnen um. Catherine sah zu ihm auf und ein leichtes, schwaches Lächeln legte sich auf ihre Lippen.

„Ich hätte nicht gedacht, dass Sie kommen.“ Kurz sah Sherlock sie verwirrt an, doch dann schien er zu verstehen, dass sie grad ziemlich schlecht versuchte die normale Situation wiederherzustellen.

„Ich auch nicht.“, antworte er deshalb mit einem Lächeln. „Aber mir war langweilig.“

„Ich dachte Sie verlassen das Haus nicht für etwas, dass unter einer Sieben ist.“, mischte sich nun auch John ein und schüttelte nur grinsend den Kopf.

„Na hören Sie mal: Gift, Entführung, Folter und ein Drogenring. Das ist doch mal eine 10.“, antwortete Sherlock fröhlich. Catherine zuckte kurz zusammen, schüttelte dann aber den Kopf und fuhr sich nur durch die Haare. Er grinste sie noch einmal ab und ging dann einige Schritte von dannen. Vielleicht um das Geschehene Revue passieren zu lassen. John blickte ihm kurz nach, schüttelte den Kopf und sah zu Catherine herunter.

„Auch wenn Sherlock es nie zugeben wird, er war besorgt.“

„Sherlock um mich besorgt?“ Catherine lachte hohl auf und schüttelte ungläubig den Kopf. „Schon gut, John, Sie müssen das nicht sagen um mich aufzumuntern oder was auch immer Sie damit bezwecken.“

„Ich meine es ernst.“ John blickte seinen besten Freund nachdenklich hinterher. „Er war es, der all das herausgefunden hat. Sherlock war unermüdlich gewesen und ich musste ihn gar nicht erst überreden Sie zu befreien. Er hat sogar Mycroft um Hilfe gebeten und was wohl am wichtigsten war: Er hat kaum gesprochen und auch nicht angegeben. Generell war er sehr gedankenversunken gewesen und Sie haben ihn doch gerade erlebt. So ist er sonst nicht. Er war wütend.“

Catherine legte ungläubig die Stirn in Falten und schüttelte wieder den Kopf. Sie konnte es nicht glauben.

„Moment…das war kein Scherz? Sherlock war um mich besorgt?“

„Ich weiß, ist kaum zu glauben.“, antworte John mit einem Lächeln auf den Lippen. „Aber, wenn ich es nicht besser wüsste, dann ja, war er. Sie sind ihm nicht egal, auch wenn er das behauptet, Catherine.“

„Dass er das kann…“, murmelte Catherine überrascht und sah ihn ebenfalls an. „Aber wenn er sogar seinen Mantel für mich ruinieren wollte…ist vielleicht was dran.“ John und sie lachten.

„Oder Sherlock wurde schlicht ausgetauscht.“

„Ist wahrscheinlicher.“, kicherte sie und sah ihn an.

„John…danke…“ Er erwiderte ihren Blick und schüttelte den Kopf.

„Ich hätte das nicht hinbekommen, so deprimierend es auch ist. Sie müssen sich bei Sherlock bedanken.“

„Als ob er das annehmen würde.“

„Sie müssen es nur als Kompliment verpacken.“

„Soweit kommt’s noch.“, schnalzte sie. „Damit sein Ego noch mehr anschwillt und er explodiert. Nie im Leben.“ John lachte und hielt ihr die Hand hin.

„Kommen Sie, Catherine. Bringen wir Sie nach Hause. Wir können nicht für immer Urlaub machen.“

Rast

9. Kapitel: Rast
 

John setzte sich aufs Bett und holte tief Luft. Die letzten Tage hatten ihn mehrfach an die Grenze seiner Belastung geführt. In so etwas konnte man ja auch wirklich nur mit Sherlock geraten, aber nun war dieser Alptraum vorbei. Catherine war in Sicherheit und er konnte endlich wieder zu Atmen kommen.

Nachdem sie endgültig das Gebiet der krvava mesar verlassen hatten, waren sie in einer kleineren Stadt im Süden des Landes untergekommen. Zunächst hatten sie Catherine erst einmal neue Klamotten besorgt, da ihre alten völlig zerrissen und dreckig waren und anschließen hatten sie sich in einer kleinen Pension eingemietet um am nächsten Tag nach Belgrad weiterzureisen. Zwar war Serbien nicht groß und sie hätten die Hauptstadt noch am heutigen Tag erreichen können, doch es war bereits später Abend und Catherine war am Ende ihrer Kräfte- egal was sie ihnen versuchte weis zu machen. Sie brauchte Ruhe und musste sich erst einmal von den ganzen Strapazen erholen. John konnte sich zu gut vorstellen wie es ihr im Moment ging. Schließlich hatte er auch ein Trauma durchlebt und wusste deshalb wie schwer gerade die ersten Stunden waren. Deshalb hatte er ihr auch angeboten, dass er erst einmal bei ihr bleiben würde, doch das hatte sie entschieden abgelehnt. Noch immer fiel es ihr schwer zu zeigen wie schlecht es ihr in Wahrheit ging. Sie wollte das Erfahrene nicht nach außentragen, denn wenn sie Jemand darauf ansprach, würde es real werden und man konnte es nicht mehr verdrängen. So war es auch John ergangen, als er aus Afghanistan zurückgekehrt war. Im Moment würde Catherine einfach alles tun um das Geschehene zu verdrängen und da wäre es vermutlich nur hinderlich, wenn Jemand die ganze Zeit bei einem war.

Auch Sherlock hatte sich in sein Zimmer zurückgezogen ohne ein weiteres Wort zu sagen. Er war generell sehr schweigsam gewesen, als sie hierher gefahren waren, während seine Augen die Umgebung beobachtet hatten. John und Catherine hatten versucht möglichst schnell wieder in ihre alltäglichen Gespräche zu führen, doch Sherlock hatte sich ungewöhnlich stark herausgehalten, während er den Jeep zu der Stadt gefahren hatte, in der sie beide am vorherigen Tag ihr Lager aufgeschlagen hatten.

John warf seine Schuhe achtlos in die Ecke und legte sich aufs Bett, verschränkte die Arme hinterm Kopf und starrte an die Decke. Das war wirklich verdammt eng gewesen. Eine Minute! Hätte Sherlock nur eine verdammte Minute länger für dieses Rätsel gebraucht, dann wäre sie tot gewesen. John hätte das nicht ertragen. Er kannte Catherine erst drei Monate, doch sie war ihm ans Herz gewachsen. Er mochte es mit ihr einen Kaffee zu trinken, Sprüche zu reißen und Sherlock auf seinen Platz zu verweisen. Ohne sie wäre ein wichtiger Teil aus der Bakerstreet verschwunden, dabei war sie noch nicht einmal lange ein Bestandteil dieser. Das zeigte es mal wieder deutlich, dass wenn es passte, man nicht lange um eine starke Bindung zueinander aufzubauen.
 

~*~
 

Catherine kam aus dem Bad und holte tief Luft. Langsam ging sie zum Bett und verkroch sich unter der Decke. Sie war schrecklich müde, doch sie wagte es nicht zu schlafen, denn sie fürchtete sich vor dem Träumen.

Als sie gerade versucht hatte sich zu duschen um den Dreck und das Blut abzuspülen, war es zur Katastrophe gekommen. Sobald das Wasser auf ihren Kopf geprasselt war, waren wie ein Strudel plötzlich alle Erinnerungen wieder da gewesen, all die Gefühle, all der Schrecken. Schreiend war sie aus der Dusche getaumelt, bis sie zu Boden gestürzt war. Es war so dumm, doch sie hatte wirklich wieder das Gefühl gehabt, als würde sie ertrinken.

Nach einigen Minuten hatte sie ihre flache Atmung und ihr rasendes Herz soweit wieder unter Kontrolle gehabt, dass sie hatte aufstehen können. Langsam war sie zum Spiegel gegangen und hatte sie betrachtet, nur um festzustellen, dass sie schrecklich aussah. Ihr Gesicht war eingefallen, die Haut fahl, die Augen stumpf. Auf ihrer Wange waren mehrere Blutergüsse und man konnte deutlich den Handabdruck erkennen. Ihr Körper war ebenfalls von blauen Flecken übersäht, das hatte John nach einem kurzen Check festgestellt, doch zum Glück war nichts verstaucht oder gar gebrochen. Die körperlichen Folgen ihrer Gefangenschaft würden sich schnell geben. Ihre Seele würde das Problem werden. Catherine machte sich nichts vor, sie würde noch lange unter diesen drei Tagen zu leiden haben und sie würde auch noch lange traumatisiert sein, doch was konnte sie an der Vergangenheit ändern? Gar nichts. Es wäre doch am besten es einfach ganz schnell in die hinterste Ecke des Bewusstseins zu verdrängen.

Also hatte sie sich ihren Pulli und die Jeans geschnappt, die John und Sherlock ihr gekauft hatten und war in das Schlafzimmer getreten. Das angemietete Zimmer war klein und nicht besonders ausgestattet, doch im Vergleich zu ihrer Zelle kam es ihr vor wie ein Luxusappartement. Mit einem richtigen Bett, Dusche und Toilette.

Catherine drehte sich im Bett auf die Seite und zog sich die Decke über den Kopf, als könnte sie sich so vor den Erinnerungen verstecken. Wenigstens hatte sie bereits etwas gegessen.

Oh, selten hatte Catherine ein Eintopf so gut geschmeckt wie dieser schlichte Bauerntopf. Er war warm und deftig gewesen, mit Kartoffeln, Hackfleisch und verschiedensten Gemüsen. Nur zu gut konnte sie sich an die amüsierten Blicke seitens der beiden Männer erinnern, doch in diesem Moment war es ihr egal gewesen. Sie hatte seit drei Tagen nichts mehr gegessen, aber für sie war es so vorgekommen, als hätte sie Wochen nichts gehabt.

Doch das half ihr jetzt auch nicht weiter. Ein voller Magen hatte nur kurzeitig all ihre Probleme verdrängt. Sie starrte an die Wand, während Tränen wieder begannen in ihren Augen zu brennen und dieses Mal konnte sie sie nicht zurückhalten.

Jeffrey war also in eine Drogengeschichte verstrickt gewesen. Deshalb hatte er sterben müssen, deshalb wäre sie beinahe gestorben. Wegen dem Ehrgefühl ihres Bruders war sie drei Tage gefoltert worden. Sie konnte all das nicht wirklich glauben. Wie war sie nur da hineingeraten? Wie war ihr Bruder nur an die Drogen gekommen? Sherlock hatte ihr diese Frage nicht beantwortet. Generell hatte er nicht mehr wirklich mit ihr gesprochen seitdem sie geflohen waren. Nur wenn es um Organisatorisches ging- wie die Herberge, dass sie Kleidung für Catherine bräuchten, ebenso wie etwas zu essen- hatte er etwas gesagt. Catherine fragte sich warum. Sie würde schon gern verstehen, warum sie all diese Qualen hatte durchmachen müssen.

Catherine wusste nicht wie lange sie weinend an die Wand gestarrt hatte und wie lange sie versuchte alles in einen Zusammenhang zu bringen, bis sie schließlich doch einschlief.

Erst war es nur eine angenehme Schwärze gewesen, doch dann waren plötzlich grausame Bilder zurückgekehrt. Sie hatte die Tage in aller Schärfe wiedererlebt. Alle Bilder waren so klar wiedergekehrt, es war als wäre sie wieder ihre Gefangene. Schreiend schreckte sie aus dem Schlaf und sah sich verängstigt um. Als sie jedoch bemerkte, dass sie nicht mehr in der weißen Zelle saß, holte sie tief Luft und versuchte sich beruhigen, doch es ging nicht. Der Schreck saß ihr noch immer in den Knochen. Sie blickte auf ihre Hände, die stark zitterten und auch bemerkte sie, dass ihr Körper in Schweiß gebadet war. Oh Gott. Würde das jetzt jede Nacht so gehen? Das würde sie nicht ertragen, dann würde sie verrückt werden.

Es quietschte, als die Tür aufging. Das Geräusch war nur leise, doch für Catherine erschien es so laut, dass sie vor Schreck zusammenfuhr.

„Alles in Ordnung?“, kam Johns besorgte Stimme von der Tür. Sie sackte zusammen, als sie ihn erkannte, und sah ihn an. Es war nicht schwer an seinem Blick zu sehen, dass sie grauenhaft aussah. Ihre Augen waren sicherlich rot unterlaufen und es liefen noch immer Tränen aus ihnen. Was für einen Sinn hatte es also es weiterhin verbergen zu wollen, wo doch ihre Körpersprache nur allzu deutlich war? Catherine schniefte und schüttelte dann den Kopf.

„Nein…nicht wirklich.“

„Alpträume?“ Sie nickte schnell und vergrub den Kopf auf den Knien.

„Es war so real…“, flüsterte sie schwach und sah dann doch wieder zu John auf. Er nickte nur und ging zu ihr, setzte sich zu ihr aufs Bett.

„Ich weiß…“, sagte er ebenfalls leise und seine blauen Augen blickten sie mitfühlend an. „Kommen Sie her.“ Überrascht sah sie ihn an und verstand nicht, doch John klopfte neben sich aufs Bett. Kurz zögerte sie, dann schlang sie die Decke um ihre Schultern und rutschte zu ihm rüber. John legte ihr sanft einen Arm um die Schulter und Catherine konnte nicht anders, als ihren Kopf gegen seine zu lehnen. Es tat ihr gut Wärme zu spüren und Johns Schulter gab ihr Halt, wo doch alles in ihr raste. Ihre Gedanken, ihr Herz und vor allem ihre Gefühle.

„Hört das jemals auf, John?“ Ihre Stimme zitterte, als sie ihm diese Frage stellte. John wusste was sie durchmachte. Er hatte dasselbe durchgemacht, auch er hatte ein Trauma erlebt und sie erhoffte sich von ihm Hilfe.

„Nicht sofort…“, sagte er vorsichtig nachdem er einige Momente geschwiegen hatte. „Aber irgendwann können Sie es verdrängen.“

„Ich hatte Angst in dieser verdammten Dusche! Einer Dusche…wie bescheuert ist das denn?“, fluchte sie verzweifelt und ihr Körper zitterte wieder. John legte seine Hand an ihren Oberarm und sie spürte wie er den Kopf schüttelte.

„Es ist nicht dumm von Ihnen, Catherine. Das was Ihnen angetan wurde war grausam. Es wäre ein Wunder, wenn es keinerlei Auswirkungen auf Sie hätte.“ Catherine holte tief Luft und nickte, versuchte noch immer nicht vollkommen den Halt zu verlieren. Dabei wussten weder John noch Sherlock alles von ihrem Martyrium. Nur von dem Waterboarding. Unbewusst drückte sie sich noch fester an John, vergrub ihr Gesicht in seine Schulter und zitterte. Er legte seinen Arm um ihre Schulter und hielt sie stumm fest.

„Catherine…ich kann Ihnen nicht sagen, dass es Sie jemals ganz loslassen wird.“, sagte er nach einer Weile. „Das wär gelogen. Es verändert einen und es wird ein Teil Ihrer Seele so schmerzhaft das auch ist. Aber wenn Sie etwas finden, was Ihnen Halt gibt, wird es Ihnen helfen darüber hinweg zu kommen. Sie werden damit leben lernen.“

„Ich habe aber Angst vor dem Leben, was folgen könnte. Was wenn ich nie mehr zurückfinde?“, flüsterte sie erstickt gegen seine Jacke.

„Das werden Sie…und falls nicht allein, gibt es Möglichkeiten wie…“

„Sagen Sie jetzt bitte nicht: Eine Therapie.“, unterbrach Catherine ihn. „Wie gut hat das bei Ihnen funktioniert? Sie brauchten erst einen Sherlock, damit Sie ihr Trauma vergaßen.“ John lächelte leicht und strich ihr kurz über die Schulter.

„Sie sind ja auch nicht ich.“, antwortete er.

„Nein, wohl wirklich nicht.“, sagte sie ernst, da ihr der Scherz entging. Sie konnte sowieso nicht wirklich denken. Noch zu deutlich hingen die Bilder wie Spukgespenster vor ihren geistigen Augen. John seufzte leise, sagte aber nichts weiter.

„Soll ich Ihnen nicht doch eine Beruhigungstablette geben? Dann schlafen Sie traumlos.“

„Nein…ich halte nicht viel davon.“, erwiderte sie geistesabwesend, als sie sich gegen eine erneute Bilderflut wappnete.

„Besondere Umstände bedürfen manchmal besonderer Maßnahmen.“

„Das ist nett gemeint von Ihnen, John, wirklich, aber nein. Ich kann nicht ständig Beruhigungstabletten nehmen, wenn die Erinnerungen wiederkommen. Dann werde ich gleich abhängig.“

„Sie sind wirklich stur.“ Catherine schwieg nur, ließ die Bemerkung unkommentiert. Diese Worte hatten auch ihre Entführer gesagt, wenn auch in einem anderen Tonfall, doch diese kleine Phrase reichte, damit alles wiederkam. Nur noch dichter drückte sie sich an John, klammerte sich an ihn, als würde sie in einem Strudel versinken, suchte verzweifelt nach menschlicher Nähe und Wohlgesinnung.

„John…ich…es…“, versuchte sie verzweifelt sich zu rechtfertigen. Sie hasse sich gerade selbst für ihre Schwäche.

„Sie müssen nicht die Starke spielen, Catherine. Sherlock ist nicht hier.“, flüsterte John ihr sanft ins Ohr. Kurz weitete sie die Augen und sah den braunen Stoff seiner Jacke. Was? Woher wusste er, dass nur? Woher wusste John, dass sie auch wegen Sherlock versucht hatte nicht das Trümmerfeld ihrer Seele zu zeigen? Sie wollte ihn nicht noch mehr damit nerven. Gott, sie war gefoltert worden und sie scherte sich darum ja nicht in Ungnade bei diesem Mistkerl zu fallen, dem sie zu allem Überfluss auch noch ihr Leben verdankte. Das würde sie sich ewig anhören dürfen.

„Wirklich nicht.“, setzte der Arzt noch einmal nach.

Catherine gab es auf und nickte, machte es sich an seiner Schulter so bequem wie möglich und ließ ihren Tränen freien Lauf. Es war befreiend, irgendwie, und doch verabscheute sie sich für das was sie tat. Aber vielleicht hatte John Recht. Vermutlich hatte sie noch nicht genug Tränen geweint und sie musste aufhören diese zu verdrängen. Irgendwann würde das Fass so oder so überlaufen. John sagte in all der Zeit kein Wort, hielt sie einfach nur fest, während sie stumm weinte. Sie schluchzte oder schniefte nicht, sondern es rollte einfach nur Tränen, als hoffte ihr Körper damit die Erinnerungen fortzuspülen.

Die Tür öffnete sich erneut und John blickte auf. Er war überrascht, als er Sherlock eintreten sah, sagte aber noch immer nichts, sondern nickte nur in Catherines Richtung, die den Detective noch nicht einmal wahrgenommen hatte. Sherlock legte die Stirn in Falten, nickte dann aber, als er Catherines Zustand erkannte und setzte sich einfach neben ihnen aufs Bett. Es war ihm anzusehen, dass er sich unwohl in der Situation fühlte, da er nicht wusste wie er sich verhalten sollte, doch zumindest ließ er nicht einen seiner üblichen Sprüche hören. Er saß einfach nur da und beobachtete wie Catherine sich an Johns Schulter ausweinte und wie dieser sich um ihn kümmerte. In solchen Momenten fragte er sich wie es wohl wäre, wenn er besser in diesem Gefühlskram wäre. Was würde er dann jetzt tun? Natürlich wusste er, was in solchen Situationen normalerweise erwartet wurde, doch er konnte sich einfach nicht dazu durchringen.

Catherine hatte wirklich nicht mitbekommen wie Sherlock reingekommen war. Zu sehr war sie gefangen in den Wirbel aus Emotionen und Erinnerungen. Erst als sie sich irgendwann bewegte, spürte sie, dass noch Jemand neben ihr saß und sah auf. Ihr begegnete ein ruhiger, nachdenklicher Blick aus graublauen Augen, während Sherlocks Gesicht keine Regung zeigte. Sein Ausdruck war das genaue Gegenteil zu ihrem Inneren. Während in ihr ein Taifun wütete, schien es in Sherlock so ruhig zu sein wie an einem See. Catherine konnte noch nicht einmal genau sagen warum, aber sie konnte sich nicht lösen, hielt sich an Sherlocks Ruhe und Johns Fürsorge fest und das half ihr nicht fortgespült zu werden.

Irgendwann, nachdem sie die ganze Zeit in Sherlocks Augen gesehen hatte, versiegten die Tränen und Catherine lehnte sich an Johns Schulter zurück, schloss die Augen und war wenige Minuten später wieder eingeschlafen. Ihre Kräfte waren schon längst aufgezehrt und das Wissen, dass ihre beiden Retter da waren und über sie wachten, ließen diesen weitaus aus ruhiger und erholsamer werden. Mit der Frage, ob sie nicht längst mehr als Nachbarn geworden waren, könnte sie sich auch noch später beschäftigen.
 

~*~
 

John lächelte erleichtert, als er bemerkte, dass Catherine nun ruhig atmete und offensichtlich schlief. Alpträume konnten zerstörerisch sein und als er sie hatte schreien hören, war ihm sofort klargeworden, was vorgefallen war. Auch wenn Catherine offensichtlich alleine mit der Situation klarkommen wollte, hatte ihm sein Gefühl gesagt, dass er sich nun über ihren Stolz hinweg setzten musste, denn sonst würde sie zerbrechen.

John bugsierte Catherine sanft in eine für ihn angenehmere Position und sah dann Sherlock an, dessen Blick noch immer auf ihnen beiden verharrte. Ja, er wirkte nach außen hin ruhig, doch John kannte ihn besser. Er spürte förmlich, dass er schon die ganze Zeit intensiv nachdachte, dass das der Grund dafür war, warum er all die Zeit schwieg. Sherlock schwieg nur, wenn in seinem Kopf die Gedanken rasten.

„Ich hätte nicht gedacht, dass Sie kommen.“, flüsterte John leise, darauf bedacht Catherine nicht zu wecken. Sherlock betrachtete ihn kurz verwirrt, seufzte dann leise.

„Ich wollte sie eigentlich etwas fragen.“, erklärte er schlicht, während seine Augen kurz durch den Raum wanderten.

„Warum haben Sie es dann nicht getan, Sherlock?“ John war irritiert. Normalerweise hielt sich Sherlock nie zurück, wenn er eine Frage hatte. Sherlock setzte immer seine Interessen durch, nahm nie auf Jemand anderen Rücksicht.

Sherlock verzog kurz missmutig das Gesicht, so als hätte er Johns Gedanken erraten und seufzte schließlich.

„Die Frage kann auch bis morgen warten.“ Sein Blick glitt zu Catherine, die noch immer friedlich in Johns Armen schlief und für einen kurzen Moment meinte John so etwas wie Sanftheit und Mitgefühl in seinen Augen zu sehen. Eine Falte bildete sich auf Johns Stirn, er blinzelte einmal irritiert, doch als er Sherlock wieder ansah, war der Ausdruck verschwunden. Er überlegte sogar kurz, ob er sich das nur eingebildet hatte.

Sherlocks Blick war in der Zwischenzeit aus dem Fenster geglitten und er hing deutlich sichtbar seinen Gedanken nach. Dann wandte er seinen Kopf wieder Catherine zu und strich ihr vorsichtig eine ihrer verschwitzten Haarsträhnen aus dem Gesicht. Nun war John vollkommen irritiert und dachte vielleicht daran, dass er selber nur träumte. Sherlock tat so etwas selten, besonders nicht mit solchem Zögern. Hatte sich etwas in ihm verändert? John wusste es nicht, aber er wusste umso mehr, dass es keinen Sinn hatte Sherlock danach zu fragen. Wahrscheinlich verstand er noch weniger was mit ihm los war.

„Wir sollten sie schlafen lassen.“, flüsterte Sherlock nach einigen Minuten des Schweigens. „Kommen Sie, John.“ Damit stand er auf und verließ wortlos das Zimmer. John sah ihm verwirrt hinterher. Er hatte keine Ahnung, was hier gerade passiert war.

Einige Momente saß er noch da ohne auch nur einen Gedanken zu haben, dann aber spürte John wie sein Arm einzuschlafen begann und er sah ein, dass Sherlock recht hatte. So sehr es ihm auch unbehaglich war Catherine alleine zu lassen, wusste er ebenso sehr, dass er nicht immer über sie wachen könnte. Vorsichtig legte er Catherine zurück in die Kissen und deckte sie zu.

„Schlafen Sie gut und traumlos, Catherine.“, flüsterte er leise, dann verließ er ihr Zimmer und machte sich auf die Suche nach Sherlock.

Er fand ihn schließlich unten vor dem Kamin mit einem Glas Scotch in der Hand. Das Szenario wirkte vertraut. Es erinnerte John sehr an Dartmoore. Wie er in dem Ohrensessel saß, während der Schein des Feuers einen seltsamen Tanz auf Sherlocks bleicher Haut aufführte.

Langsam ging er auf seinen Freund zu und setzte sich in den freien Sessel neben ihn. Sherlock schien ihn noch nicht einmal zu bemerken, sondern blickte unentwegt in das Feuer. Er hatte noch nicht einmal einen Schluck aus dem Glas genommen.

„Sherlock? Worüber denken Sie nach?“ Erst schien es, als wollte Sherlock nicht antworten und John war beinahe geneigt ihn wieder alleine zu lassen, doch dann löste der Schwarzhaarige seinen Blick vom Feuer und wandte sich über ihm zu.

„Nichts Spezielles.“

„Das stimmt nicht, Sherlock. Sie denken über Catherine und ihre Entführung nach.“, stellte John nüchtern fest. Sherlock zog eine Augenbraue hoch, sagte aber jedoch nichts. Ein eindeutiges Zeichen, dass er wirklich stark am Nachdenken war. „Haben Sie sich gesorgt?“

„Was?“, sagte Sherlock völlig verwirrt.

„Haben Sie sich um Catherine gesorgt? Er erscheint mir beinahe so.“ John sah seinen Freund ruhig an, doch dieser Blick, den Sherlock ihm zuwarf, war schon Antwort genug. Er war zu aufgebracht und böse funkelnd. Normalerweise wäre der Blick höchstens missbilligend oder empört gewesen, wahrscheinlicher amüsiert.

„So was dummes…“, schnaubte er und nahm einen Schluck aus seinem Glas. John musste leicht lächeln.

„Finde ich gar nicht.“, erwiderte er gelassen und lehnte sich weiter ihm Sessel zurück. „Sie waren die letzten drei Tage anders als sonst. Sie haben kaum geredet. Es hat Sie nicht kalt gelassen, dass Catherines Leben in Gefahr war.“ Sherlock warf ihm einen missmutigen Blick und kräuselte die Nase.

„Hat es Sie doch auch nicht.“

„Nun, im Gegensatz zu Ihnen habe ich auch ein Herz.“, grinste John ihn an, dann jedoch wurde er ernster und schüttelte den Kopf. „Warum geben Sie nicht einfach zu, dass Sie Catherine mögen?“

„Wie ich sagte, so was Dummes.“, sagte er gereizt. John seufzte und schüttelte nur den Kopf. „Viel zu irrational.“

„Sie waren bereit einen Mann zu foltern als Rache dafür was er ihr angetan hat.“

„Es ging dabei ums Prinzip, John.“, erwiderte Sherlock abweisend.

„Ach ja? Und was mit alldem davor, Sherlock und das gerade eben?“

„Ich weiß nicht wovon Sie reden, John.“ Sherlocks Augen sahen ihn nur kurz an.

„Sie wissen genau wovon ich rede. Sie waren während Ihren gesamten Nachforschungen schweigsamen, haben nicht angegeben, sondern waren voll konzentriert. Sie haben sogar Mycroft um Hilfe gebeten, nur um sie zu finden.“

„Und?“

„Und?“, wiederholte John ungläubig, als Sherlock tat, als wäre das völlig normal, obwohl sein unruhiger Blick verriet, dass ihm mehr als bewusst war, wie merkwürdig das alles wirkte. „Sie haben sogar Ihre Frage nicht gestellt, als Sie gesehen haben wie aufgelöst sie war.“

„Sie hätte sie eh nicht beantworten können in dem Zustand.“ John konnte es nicht fassen. Dieser arrogante Mistkerl war wirklich nicht zu fassen. War es ihm wichtiger den Schein zu wahren, als sich einzugestehen, dass er eben doch Gefühle hatte?

„Schön…geben Sie weiter den hochfunktionellen Soziopathen, belügen Sie sie, belügen Sie mich, das ist egal.“, fuhr John ihn nun ebenso gereizt an. „Aber hören Sie endlich auf sich selbst zu belügen.“ Damit stand er auf und ging zurück auf sein Zimmer.

Heimreise

10. Kapitel: Heimreise

„Ein Privatjet…“, sagte Catherine mit großen Augen, als sie auf dem Flughafen Belgrad standen. Im Vergleich zu Heathrow war der Flugplatz der Hauptstadt Serbiens eher beschaulich, doch auch hier rollten einige Jumbojets, Boeings und Frachtflugzuge über die Rollfelder.

Catherine wickelte sich dichter in ihre Jacke, als ein eisiger Wind über ihre Haut strich und betrachtete ihr Flugzeug überrascht.

„Manchmal hat es seine Vorteile, wenn der Bruder die britische Regierung ist.“, grinste Sherlock neben ihr und betrachtete ebenfalls den Jet. Catherine konnte nur nicken. Sie war noch immer völlig überwältigt von dem Anblick des Flugzeuges. Sie war noch nie geflogen- oder besser konnte sich nicht daran erinnern- und diese Maschine war einfach unglaublich groß.

John trat neben sie und stellte seine Reisetasche ab und sah kurz die beiden an. Seit heute Morgen war Sherlock wieder ganz der Alte. Nichts erinnerte an den schweigsamen, aufgewühlten Consulting Detective des gestrigen Abends. Für Johns Geschmack war er es schon ein wenig zu sehr, doch es schien Catherine zu beruhigen. Die junge Frau war nach dem relativ erholsamen Schlaf am heutigen Morgen sichtlich entspannt zum Frühstück gekommen und auch jetzt gab sie sich betont so, als wäre nie etwas gewesen. Nur wenn sie ab und an unruhig umher sah oder wieder der dumpfe Ausdruck in ihre Augen zurückkehrte, war zu erkennen was sie durchgemacht hatte. John wusste, dass sie sich momentan in der Phase der Verdrängung befand. Vermutlich versuchten beide auf diese Weise wieder zum Urzustand zurückzukehren, indem sie verbissen so taten, als wäre all das nie geschehen, als hätten sie sich nicht verändert. Wie dumm von ihnen beiden, aber wenn sie damit vorerst glücklich waren. John hatte keine Lust eine Diskussion mit ihnen beiden führen zu müssen. Er scheute sich zwar nie vor einem Wortgefecht, aber gegen die beiden zusammen konnte er nur auf verlorenen Posten stehen. Sie waren beide unglaublich stur.

Langsam gingen sie alle zu dem Jet und wurden bereits von einer Stewardess erwartet, die sie höflich begrüßte und ins Innere geleitete. Als sie den komfortablen Passagierbereich betraten, blieb Catherine die Spucke weg. Acht Sitzbänke befanden sich in dem Innenraum. Jede war für je zwei Personen ausgelegt und aus feinen, cremefarbenen Leder. Sie standen sich gegenüber, sodass sich jeweils zwei Leute gegenüber sitzen konnten. Der Raum war groß und sogar mit einem feinen Teppich ausgelegt und im hinteren Bereich befand sich eine Art Bar.

„Das ist ja der reine Luxus!“, rief sie aus und drehte sich einmal um die eigene Achse. Sherlock schmunzelte amüsiert und ließ sich an einem der Sitze am Fenster fallen.

John überließ Catherine den Platz am Fenster, während er sich neben sie setzte. Diese setzte sich sofort hin und blickte aus dem Fenster. Sie schien ein wenig hibbelig, beinahe aufgekratzt, sodass sich John eine Frage aufdrängt.

„Sind Sie noch nie geflogen?“ Catherine löste sich vom Fenster und drehte sich zu ihm, als er neben ihr Platz nahm. Auch Sherlock löste seine Augen vom Rollfeld und blickte seinen Freund an.

„Nein…“, sagte sie ruhig und strich sich ihre Haare aus dem Gesicht. „Zumindest nicht bewusst.“

Den Rest ließ sie unausgesprochen. John und Sherlock war klar, was sie meinte. Die Serben mussten sie per Flugzeug hierher gebracht haben. Anders wäre das zeitlich gar nicht möglich gewesen. Kurz flackerte Trauer über ihr Gesicht, doch dann schüttelte sie den Kopf und lächelte betont fröhlich.

„Ich habe England selten verlassen. Wie gesagt meine Eltern haben viel gearbeitet und mein Bruder und ich waren auf einem Internat…nur einmal sind wir in den Ferien nach Frankreich gefahren.“

„Gefahren?“ Sherlock sah sie an und zog eine Augenbraue hoch. „Durch den Eurotunnel?“

„Nein, durch die Nordsee. Wir hatten ein Amphibienfahrzeug.“, sagte Catherine trocken und rollte mit den Augen. „Natürlich durch den Eurotunnel.“

„Das meinte ich nicht und das wissen Sie auch.“, gab Sherlock zurück und lehnte sich im Sessel zurück. Seine graublauen Augen verharrten auf ihr und Catherine musste schmunzeln, ließ es aber nicht zu groß werden und zuckte nur mit den Schultern.

„Was soll ich sagen…mein Vater ist gerne autogefahren. Wir sind runter bis nach Toulouse.“

„Was? Das sind mal locker 12 Stunden.“ John drehte sich um und sah sie überrascht an.

„13. Ohne Pausen. Ich weiß…mit dem Flugzeug von Heathrow aus hätte es gerade einmal gut zwei Stunden gedauert. Ok, ich könnte sagen sieben mit Hinfahrt von Cardiff nach London und vorzeitigen da sein…“

Sherlock und John betrachteten sie, doch Catherine lächelte nur und strich mit ihren Fingern über das Glas des Fensters, als das Flugzeug nun zu seiner Startposition fuhr.

„Ich war gerade einmal sieben oder acht…da ist so ein ganzer Tag im Auto echt anstrengend...ich habe die Zeit damit totgeschlagen Hörspiele zu hören und der arme Jeffrey musste darunter leiden. Wir hatten nur einen Walkman.“ Ihr Lächeln wurde reumütig. „Doch er hat sich nicht beschwert und all die Kindergeschichten mit mir angehört.“

John und Sherlock tauschten einen Blick. Dann kramte der Arzt in einer seiner Tasche und zog eine Verpackung hervor.

„Hier!“

„Kaugummi?“, fragte sie ihn irritiert und er nickte.

„Für den Start. Sonst bekommen Sie Druck auf den Ohren.“, erklärte er und sie nahm sich gleich eines heraus, bedankte sich und begann darauf zu kauen.

„Sherlock?“ Auch dem Detective hielt er die Packung hin, doch dieser zog nur eine Augenbraue hoch und schüttelte abwehrend den Kopf.

Das Flugzeug beschleunigte gerade, raste über das Rollfeld und hob dann ab. Catherine beobachtete den Start gebannt aus ihrem Fenster und ihre Nase klebte förmlich an der Scheibe. Wieder sahen Sherlock und John sich an und beide mussten Lächeln. Es war irgendwie süß wie sie völlig fasziniert zusah wie der Jet immer mehr an Höhe gewann und Serbien immer kleiner werden ließ. In diesem Moment bemerkten sie erst wieder wie jung Catherine war, wie wenig sie erlebt hatte und wie viel ihr noch bevorstand. In diesem Moment war sie voller jugendlicher Begeisterung und Enthusiasmus.

Als sie ihre Flughöhe von gut 11.000 Metern erreicht hatten, sah Catherine noch einige Zeit staunend auf die Wolken unter ihr hinab.

Die Stewardess kam, fragte ob sie etwas zu trinken haben wollten, doch jeder der drei verneinte und Catherine löste sich somit vom Fenster. Sie zog die Beine an und legte ihren Kopf darauf.

„Sherlock?“ Der Consulting Detective blinzelte und sah sie an. „War Jeffrey wirklich ein Spion?“ Plötzlich war all die Heiterkeit verflogen und eine bleierne Anspannung hatte sich über die Kabine gelegt. Catherine blickte ihren Nachbarn nicht an, denn sie ahnte die Antwort bereits schon und eigentlich wollte sie es gar nicht hören.

Sherlock beobachtete ihre Regung genau, seufzte dann aber leise.

„Ja, war er.“, antwortete er ruhig.

„Und er hat diese…Droge gestohlen?“, stotterte sie. Wieder betrachtete er sie ruhig und nickte schlicht. Catherine holte tief Luft, fuhr sich durchs Haar, bevor sie flüsterte:

„Das hätte ich nie gedacht.“ Sie schüttelte ungläubig den Kopf und schloss die Augen. John betrachtete sie mitfühlend. Es musste schwierig für sie sein auf solche Art zu erfahren, wer ihr Bruder gewesen war.

„Ich glaube sogar, dass er für Mycroft gearbeitet hat.“

„Für Mycroft?“ Catherine war gelinde gesagt überrascht und irritiert. Ihr Bruder sollte für Mycroft gearbeitet haben? Den Mycroft? Das konnte sie sich einfach nicht vorstellen. Jeffrey war immer der liebste, fröhlichste Mensch gewesen, den sie kannte. Allein die Vorstellung, dass er Mycroft unterstanden hatte, war absurd.

„Das ist ja wohl offenkundig.“, sagte er missmutig und verzog den Mund.

„Natürlich ist offenkundig…nein, was sag ich da? Das ist es nicht. Könnten Sie bitte die Geschichte von Anfang an erzählen? Ich habe doch recht wenig mitbekommen.“, konterte sie bissig. Sherlock grinste leicht und betrachtete sie eingehend.

„Sie hatten also keinen Livestream?“, fragte er ungerührt. Catherines Augen verschmälerten sich wütend und sie wirbelte zu ihm herum.

„Nein, tut mir leid. Ich habe leider kein Popcorn bekommen und durfte zusehen wie Sie mit heller Freude einen Drogenring jagen.“, knurrte sie ungehalten und bleckte leicht die Zähne. John seufzte und rollte nur mit den Augen. Es war wirklich wieder alles so wie vorher. Sherlock trieb Catherine zur Weißglut und sie tat ihm den Gefallen auch noch sarkastisch zu reagieren, was ihn offensichtlich amüsierte.

„Schade aber auch. Da hätten Sie spannende Dinge gesehen.“ Seine blauen Augen funkelten, während Catherine verbittert schnaubte und die Arme vor der Brust verschränkte.

„Sherlock!“, mahnte nun auch John und schüttelte nur mit dem Kopf. „Das ist jetzt wohl kaum der richtige Zeitpunkt.“

„Nie ist der richtige Zeitpunkt für meinen Spaß.“, schmollte der Consulting Detective. John und Catherine warfen sich einen genervten Blick zu und seufzten zeitgleich. Catherine zwang ihre Gereiztheit mit aller Macht hinab und versuchte einen möglichst ruhigen Ton anzustimmen:

„Sherlock, ich bitte Sie. Ich möchte doch einfach nur verstehen wie ich in diese ganze Geschichte geraten bin. Bitte, zeigen Sie mir ihren überragenden Intellekt und wie Sie all das so schnell herausgefunden haben.“

Catherine hatte wirklich versucht ihre Stimme schmeichelhaft klingen zu lassen, um Sherlock bei seinem Schwachpunkt zu schnappen, doch der Spott und ihre Verärgerung waren einfach zu stark, als dass ihre Stimme ihr gehorchte. Sofort bemerkte sie, dass er ihre Absicht durchschaut hatte, denn er zog nur eine Augenbraue hoch. Seine Augen verharrten eine ganze Weile auf ihr, bevor er schließlich seufzte und begann ihr alles zu erzählen.

Mit sachlicher Stimme berichtete er von seinem Gefühl in ihrer Wohnung, den Ergebnissen der diversen Untersuchungen im Krankenhaus- Catherine wurde ganz übel bei diesen Sätzen- und wie John seine Zweifel geäußert hatte, was auch Sherlock in seiner Annahme bestätigt hatte, dass hier etwas nicht ins Bild passte. Er berichtete ihr auch, dass er damals die Vermutung gehegt hatte, dass ihre gefundenen Dokumente etwas damit zu tun hatten und dass er deswegen so ruppig zu ihr im Krankenhaus gewesen war.

An diesem Punkt der Geschichte setzte John ein und erzählte, dass er nachts Sherlock völlig vertieft über diese gebeugt gefunden hatte und dass er noch abweisender als sonst gewesen war. Schließlich fuhr der Detective fort, dass sich sein Verdacht bestätigt hatte und er es ihr hatte eigentlich hatte mitteilen wollen, doch sie hatte ja bereits das Krankenhaus verlassen- dafür erntete sie von beiden Seite böse Blicke, die sie unbehaglich in ihrem Sitz verschwinden ließen. Selbst dass er Mycroft um Hilfe gebeten hatte, ließ Sherlock nicht aus und am Ende verharrte er in seiner Nachdenkerpose.

„Aber…wie kommen Sie darauf, dass Jeffrey für Mycroft gearbeitet hat?“, fragte sie schließlich völlig überfordert. Ihre Wut war verraucht und der Verwirrung gewichen.

„Verstehen Sie noch immer nicht?“ Sherlock sah sie verstimmt an und legte seine Stirn in tiefe Falten.

„Weil Mycroft immer weiß, wer nebenan wohnt.“, war es nun John, der die Erklärung fortführte. Er wollte offensichtlich nicht, dass Sherlock ihr eine seiner typischen Antworten reindrückte und die gerade erst verschwundene Angespanntheit wieder entstehen würde. „Er wusste sicher auch, dass Jeffrey ein Spion war. Schließlich weiß er ja alles.“ John lächelte nur und zuckte mit den Schultern. „Der einzige logische Grund also, warum er Jeffrey Tür an Tür mit seinem Bruder akzeptierte, ist, dass Jeffrey für ihn arbeitete.“

Diese Antwort traf Catherine wie ein Paukenschlag. Es schien sogar für einen Moment, dass Sterne vor ihren Augen tanzten. Sie war schlicht erschlagen von Johns schlichter, aber logischer Erklärung. John hatte Recht, es gab nur zwei Erklärungen, warum Mycroft Jeffrey als Sherlocks Nachbarn akzeptierte. Die Erste war, dass er nichts von Jeffreys wahren Beruf wusste- und wie wahrscheinlich war das bitte?- oder Zweitens, dass Jeffrey für ihn gearbeitete hatte.

Auch zeitlich passte es, das wurde Catherine nun bewusst. Nach seinem Abschluss in Architektur und Wirtschaft an der Universität in Cardiff hatte Jeffrey zunächst in ihrer Heimat in einem kleinen Finanzbüro gearbeitet, damit er seiner Schwester näher sein konnte. Schließlich hatte er direkt nach dem Tod ihrer Eltern vor 10 Jahren die Vormundschaft für sie erhalten. Er war zwar erst siebzehn gewesen, aber er wäre ohnehin in zwei Monaten Achtzehn geworden und hätte somit die Vormundschaft beantragen können. In dieser kurzen Zeit hatte es sich nicht gelohnt erst das Jugendamt diese Aufgabe übernehmen zu lassen, sodass es zwar offiziell zwei Monate lang ihr Vormund gewesen war, in Wahrheit hatte aber Jeffrey direkt sie übernommen.

Als Catherine dann an die Universität ging, hatte ihr Bruder ihr eröffnet, dass er einen vielversprechenden Job in London angeboten bekommen hatte und deshalb umziehen würde. Es hatte ihre ganze Welt erschüttert, doch ihr war klar geworden, dass Jeffrey sich lang genug für sie aufgeopfert hatte und dass sie nun erwachsen werden musste. Jetzt wurde ihr auch klar, wer diesen unwiderstehlichen Job angeboten hatte. Wer konnte einem denn einen aussichtsvolleren Job anbieten, als Mycroft Holmes? Die verdammte britische Regierung. Dennoch fiel es ihr schwer all das zu glauben. Es passte einfach nicht, dass der fröhliche, höfliche Jeffrey Spionage für den eiskalten Mycroft betrieb. Jeffrey war immer grundehrlich und moralisch höchst anspruchsvoll gewesen. Allein der Gedanke, dass der ältere Bruder Sherlocks der Boss von ihrem gewesen war, ließ ihr einen kalten Schauer über den Rücken laufen. Das bedeutete ja, dass sie indirekt schon seit fünf Jahren…Catherine stockte, blinzelte und ließ sich dann in die Lehne zurückfallen. Ein heiseres Lachen drang aus ihrer Kehle, ließ John und Sherlock daran zweifeln, dass sie geistig noch ganz intakt war.

„Oh Gott…“ Sie lachte noch immer bitter und schüttelt den Kopf. „Das bedeutet ja, dass ich schon seit damals mit den Holmes Brüdern verbunden bin. Mit dem Iceman und dem Durchgeknallten.“

„Sie hätten es schlechter treffen können.“, antwortete Sherlock schlicht und ging auf ihre Spitze nicht ein.

„Das einzige was schlimmer ist, als einen Sherlock Holmes zum Nachbarn zu haben, ist ein Geisteskranker, der Nachts um drei zu „A Girl from Ipanema“ sämtliche Küchengeräte fein säuberlich nach Größe sortiert in den Innenhof wirft. Gegen diese Sorte reichen allerdings Ohrenstöpsel um sie auszublenden.“ Sie lächelte leicht. „Aber wer weiß was bei Ihrer nächsten Langweilphase noch so kommt.“ Sie zuckte ungeniert mit den Schultern und ihr Schmunzeln kehrte zurück. John neben ihr lachte leise und blickte sie anerkennend an. Sherlock zog wieder nur eine Augenbraue hoch, schien aber nicht besonders gekränkt zu sein. Im Gegenteil, auch um seine Mundwinkel zuckte es verdächtig und er ließ die Spitze im Raum stehen. Sie alle waren einfach froh, dass es wieder einigermaßen wie früher war. Dass sie miteinander wieder scherzen und lachen konnten, dass Catherine und Sherlock wieder ihre seltsamen Spiele spielten, während John zwischen einem Lachanfall und Entrüstung schwankte.

Catherine wusste nicht warum, aber irgendwie half ihr das Verstehen wieder in den Alltag zurückzufinden, sich wieder mit Sherlock zu streiten, ihn zu ärgern. Zwar würde sie niemals die Qualen vergessen können, doch sie war sich sicher, dass John und Sherlock es ihr ziemlich leicht machen würden all das zu verdrängen…oder die Erinnerungen nur noch stärker zurückholen würden.

‚Es verändert einen und es wird ein Teil Ihrer Seele so schmerzhaft das auch ist. Aber wenn Sie etwas finden, was Ihnen Halt gibt, wird es Ihnen helfen darüber hinweg zu kommen. Sie werden damit leben lernen.‘, hallten Johns Worte durch ihren Kopf und aus irgendeinem Grund wurde Catherine nun bewusst, was dieser Halt sein würde. Die beiden würden es sein. Sie würden sie ablenken und die Erinnerungen verblassen lassen, das wurde ihr nur bewusst. Auf seine Art war Sherlock verrückt und John ebenfalls- wie sonst konnte er es nur täglich mit dem Dunkelhaarigen aushalten?-, das wurde ihr gerade bei dem Gedanken, der in ihrem Kopf Gestalt annahm, nur noch mehr bewusst. Aber diese Andersartigkeit würde ihr helfen, das konnte sie spüren.

Sie hatte sich nie Normalität gewünscht, auch wenn sie sich das vor ihrem Umzug nach London eingeredet hatte. Deshalb war sie in die Naturwissenschaft gegangen, weil dort niemals Monotonie einkehrte. Doch was würde sie erwarten, wie würde die Zukunft nun aussehen? Jetzt wo sie bereit war diesen beiden so eine wichtige Rolle in ihrem Leben zu übertragen?

Sie kam zu dem Schluss, dass John und vor allem Sherlock garantiert ihr Verderben werden würden und sie war bereitwillig bereit in dieses zu laufen.

Einige Zeit blieb es still in dem Flieger. Nur das sanfte Brummen der Propeller war zu hören, während das Flugzeug ruhig durch die Wolken gleitet. Catherine betrachtete das Schauspiel aus Wasserdampf fasziniert. Nie hätte sie gedacht, dass einfach kondensierte Wassertropfen so beeindruckend sein konnten. In London ging ihr die dichte Wolkendecke einfach schlicht auf die Nerven, doch dieser Anblick war atemberaubend.

„Was haben Sie noch mit Ihnen gemacht?“ Plötzlich schwebte diese Frage durch den Raum und riss Catherine aus diesen Gedanken. Sie blinzelte irritiert und es dauerte einige Momente bis sie realisierte, dass Sherlock sie gestellt hatte. Langsam drehte sie sich wieder auf ihrem Sitz um und sah Sherlock an. Dieser betrachtete sie mit nachdenklicher Miene, doch ansonsten blieb sein Gesicht regungslos.

„Wie bitte?“, fragte sie irritiert. Sie verstand nicht was Sherlock meinte.

„Die Serben.“, erklärte Sherlock noch einmal mit Nachdruck und blickte sie ungeduldig an. Er schien schon wieder nicht zu verstehen, warum sie so lange zum Begreifen brauchte. „Was haben Sie Ihnen noch angetan?“

„Sherlock!“, sagte John geschockt und schüttelte nur fassungslos den Kopf. War das zu fassen? Es war gerade wieder einigermaßen erträglich im Flugzeug gewesen und nun ließ er die Situation wieder so angespannt werden. Mit einem Schlag lag wieder diese Zwanghaftigkeit in der Luft, ließ sie knistern.

Catherines Körperhaltung wurde abweisender. Ihre Augenbrauen senkten sich skeptisch herab, während sie die Arme vor der Brust verschränkte.

„Na, drei Tagen Waterboarden hält doch keiner aus. Dafür ist diese Methode viel zu raffiniert.“ Auch wenn sein Gesicht ausdruckslos blieb, huschte doch ein kleines Leuchten durch seine Augen, das Catherine anwiderte. Das war doch nicht zum Fassen! Dieser Kerl war nicht zum Fassen! Wollte er jetzt ernsthaft jedes kleine Detail ihres Martyriums hören und sich daran ergötzen? Es sah beinahe danach aus. Wollte er etwa von den Serben lernen? Ihr wurde ganz schlecht. Und sie hatte wirklich geglaubt, dass sie und John ihn davor bewahren könnten, den letzten Rest von Moral zu verlieren? Wie naiv. Sherlock hatte nie Moral gehabt.

Catherine hörte wie John neben ihr wütend schnaubte, doch er sagte nichts. Es hatte eh keinen Sinn, doch sie war nun auf Krawall gebürstet. Sie suchte Streit. Mittlerweile war sie in die Phase der Bewältigung eines Traumas angekommen, die Wut beinhaltete. Catherine suchte Streit und Sherlock bot ein gutes Ziel für all ihren Hass. An den Serben konnte sie ihn nicht mehr rächen, also wählte sie Sherlock als Ziel. Er schrie ja förmlich danach. Allein sein Blick, dieses Zucken um seine Mundwinkel übergoss sie mit siedender Wut.

„Das geht Sie nichts an.“, knurrte sie und blickte ihn feindselig an.

„Es interessiert mich aber.“, sagte Sherlock ungeniert und schlug die Beine übereinander. Catherine biss sich auf die Unterlippe und zwang sich krampfhaft ihm nicht an die Gurgel zu springen. Wann war das Gespräch in diese Richtung abgedriftet? Wo sie doch gerade beinahe wieder fröhlich gewesen wäre und nun machte Sherlock alles kaputt. Wann hatte er beschlossen, dass ausgerechnet jetzt der richtige Zeitpunkt war sie danach zu fragen? Vermutlich gar nicht. Er hatte wahrscheinlich einfach für sich entschieden, dass er es nun wissen zu wollen.

„Verdammt noch mal, Sherlock! Das geht Sie nichts an!“, schrie sie ihn plötzlich an, als ihre Wut überkochte. Sie sprang von ihrem Sitz auf und stürmte auf ihn zu. Nur wenige Millimeter vor ihm blieb sie zitternd stehen, während sie warnend sogar ihre Zähne bleckte. Sherlock betrachtete sie nur ungerührt und war nicht im Geringsten von ihrem Ausbruch beeindruckt, während Catherine sich selbst nicht wiedererkannte. Selbst Sherlock hatte es nie geschafft sie zur Weißglut zu treiben, sie war höchstens genervt, aber nicht so wütend. In ihren Fingern kribbelte das starke Verlangen ihn zu schlagen, doch sie kontrollierte es ihn mit aller Kraft.

„Animalische Aggression.“, stellte Sherlock nüchtern fest. „Interessant.“

„Interessant?“, blaffte sie ihn fassungslos an. „Interessant? Ich war drei Tage in einem scheiß sterilen, weißen Raum gefangen und wurde gewaterboardet. Ich habe allen Grund aggressiv zu sein!“ Catherine hielt inne, als sie Sherlock grinsen sah. Dieses dämliche, selbstgefällige Grinsen, was ihre Wut nur noch mehr hochkochen ließ. Erst jetzt wurde ihr klar, dass Sherlock sie bewusst provoziert hatte und sie ihn dadurch genau das gegeben hatte, was er wollte.

Ihre Augen schäumten vor Zorn. Sie war stinksauer. Auf sich, weil sie so dumm gewesen war, auf John, weil er nichts sagte, und vor allem auf diesen Mistkerl von Sherlock, der sich gerade selbstgefällig zurücklehnte.

„Bitte, John. Darf ich ihn umbringen?“, sagte sie gefährlich ruhig und lehnte sich zurück. Ihre hellen Augen funkelten aufgebracht, doch auf ihren schmalen Lippen zeichnete sich ein böses Lächeln. Eben jenes Lächeln, was sonst Sherlock hatte. John seufzte nur, lächelte aber- wenn auch amüsiert. Keiner, weder John noch Sherlock, glaubten, dass es ihr Ernst war- war es ja auch nicht-, aber sie wollte Sherlock einen Dämpfer verpassen, denn wütend war sie wirklich.

„Nein!“, antwortete er ruhig. „Auch wenn ich Ihr Verlangen nur zu gut verstehe, so kann ich es nicht zulassen.“

„Aaaach, bitte!“, bettelte sie und sah John an. Dieser hob hilflos die Schultern und schnalzte.

„Sorry, aber ich mag es in der Bakerstreet und ich habe keine Lust auf Mycrofts Rache.“, erklärte John mit einem Glucksen in der Stimme.

„Außerdem sind Sie mir noch was schuldig.“, antwortete Sherlock gelassen und strich durch sein Haar. Catherine knurrte und begann damit durch das Flugzeug zu laufen um ihre Spannung anders abzubauen.

„Ich habe es geahnt.“, murrte sie und warf Sherlock einen stechenden Blick zu. „Und wie lange soll ich nun mich krumm machen und dem großen Sherlock dienen?“

„Es gibt nichts Wertvolleres als das Leben.“, sagte der Consulting Detective ruhig und erwiderte ihren Blick. „Also würde ich sagen ist für immer angemessen.“

„Catherine!“, sagte John und packte sie an den Armen, bevor sie sich auf diesen Mistkerl stürzen konnte. Und ihm war sie wirklich dankbar für ihr Leben gewesen?

„Lassen Sie mich los, John!“

„Hören Sie zwei auf, das ist total kindisch.“, schimpfte der Älteste von dieser Dreierrunde und taxierte sie beide streng. „Sherlock, hören Sie auf mit Ihrem bescheuerten Spiel oder was auch immer das werden soll! Und Catherine, hören Sie auf sich provozieren zu lassen! Geben Sie ihm nicht diese Genugtuung, dass er Sie manipulieren kann.“

Catherine hielt inne und schnaubte, ließ sich dann aber wieder auf ihren Sitz zurückfallen.

„Warum sagen Sie es nicht einfach?“, fragte Sherlock ruhig und faltete seine Hände im Schoß. Tja, gute Frage. Warum eigentlich? Vielleicht, weil sich Catherine dafür eine Frage beantworten musste, die sie lange vor sich hergeschoben hatte und über die sie noch immer nicht nachdenken wollte.

„Weil ich nicht darüber reden will.“, sagte sie deshalb schlicht und sah damit das Gespräch als abgeschlossen an, doch sie hatte die Rechnung ohne Sherlocks Sturkopf gemacht.

„Es wird Ihnen helfen.“

„Himmel, Herr Gott, Sherlock, was soll das hier werden? Ein Therapiegespräch? Danke, ich verzichte.“, erklärte sie ruhig, doch Abweisung schwang in ihrer Stimme mit. Catherine zog die Beine an und legte ihren Kopf auf die Knie. Sherlock betrachtete sie nur forschend und Catherine wurde das Gefühl nicht los, dass er es noch lange nicht als abgehandelt ansah. John schien derselben Meinung zu sein, denn er seufzte, warf Sherlock einen kurzen Blick zu und wandte sich dann ihr zu:

„Bringen Sie es hinter sich, Catherine. Er wird eh vorher nicht aufhören.“ Es war deutlich zu hören, dass John keine Lust mehr auf diese Farce hatte. Catherine sah es aber nicht ein, dass man sich immer Sherlock beugen musste, wenn man seine Ruhe wollte und außerdem blieb da noch diese Frage. Schließlich sah Catherine aber ein, dass sie keine große Wahl hat. Sie brauchten noch zwei Stunden bis nach London und in einem Flugzeug gab es kein Entkommen.

„Kann ich Ihnen vertrauen, Sherlock?“, stellte sie dann schließlich die Frage, die sie so lange vermieden hatte. Unsicher knetete sie ihre Hände und mied den überraschten Blick der beiden Männer. Sicher verstanden sie ihren Gedankengang nicht.

„Wie bitte?“

Sie seufzte schwer und strich sich eine Ponysträhne aus dem Gesicht.

„Ob ich Ihnen vertrauen kann, habe ich gefragt.“

„Ist das relevant?“, hakte Sherlock nach und legte seine Stirn in Falten. Sie holte tief Luft und rieb sich über die Augenbrauen.

„Ja…“, antwortete sie schlicht. „Für mich schon.“

„Warum?“ Nun ging es los. Catherine hatte keine Ahnung wie sie das erklären sollte. Vor allem wie sie das Sherlock erklären sollte. Plötzlich fühlte sie sich müde und sie betrachtete Sherlocks verwirrten Blick aus dumpfen Augen.

„Weil mich das alles noch immer schwer belastet, mehr als ich Ihnen beiden zeige und das wissen Sie sicher auch.“ Sie zögerte. „Wenn ich Ihnen das erzähle, Sherlock, dann muss ich wissen, ob ich Ihnen vertrauen kann, weil dann sind wir keine einfachen Nachbarn mehr. Zumindest für mich, denn dafür ist es zu privat. Es geht um hier schließlich auch um meine tiefsten, teilweise animalischen Gefühle, verstehen Sie?“ Als Sherlock sie noch immer verständnislos ansah, seufzte John und kam ihm zur Hilfe:

„Was Catherine indirekt fragt, ist, ob Sie sie um des Falles Willen gerettet haben oder ob es auch um sie ging. Wenn sie das letzte Stück noch aufgibt, dann begibt sie sich vollkommen in Ihr Leben und wird in diese dunkle Welt gezogen und sie möchte wissen, ob sie sich in die Gefahr begeben kann in dem Wissen, dass Sie sie nicht fallen lassen.“ Catherine nickte und sah Sherlock an.

„Es geht dann nicht mehr darum, dass ich eine Nachbarin bin, die Sie ab und an nach biologischen Begebenheiten fragen. Dann bin ich nicht mehr die Nachbarin von nebenan, sondern Catherine. Ich kann mich dann nicht mehr zurückziehen und ich möchte wissen, ob Sie für so eine Verbindung bereit sind, Sherlock. Ansonsten würde ich lieber die Distanz wahren.“, erklärte sie und wedelte müde mit der Hand. „Ich bin keine Kämpferin und auch nicht übermäßig schlau. In Ihrer Welt kann ich mich alleine nicht behaupten, nicht so wie John. Also sichere ich mich lieber vorher ab. Deshalb bitte ich Sie jetzt um eine ehrliche Antwort.“

Sherlock blickte sie lange an und dachte über das Gesagte nach. Catherine war auf seine Antwort gespannt, würde sie doch großen Einfluss auf ihr Leben haben. Sie würde entscheiden, ob ihr Leben weiter geht bis her: gelegentliche Besuche, Ausfragen und Streitereien oder ob Sherlock entschied, dass er in ihr mehr sah, als ein biologisches Lexikon und Diskussionspartnerin. Ob er sie als Mensch haben wollte. Wie seltsam kitschig das klang in ihren Gedanken. Fast als würde sich nun entscheiden, ob Sherlock und sie Freunde werden würden. Wie absurd.

Catherine schüttelte gedanklich den Kopf. Gegen diesen Gedanken sträubte sie sich mehr als alles andere. Sherlock hatte keine Freunde, höchstens Menschen, die ihn nicht völlig zuwider waren, und doch wusste sie tief in sich, dass sie die Zeit mit den beiden genoss.

„Erzählen Sie es mir.“, war Sherlocks unverfängliche Antwort, doch Catherine wusste, was er damit meinte. Sie nickte knapp und ging kurz zur Stewardess, die sie kurz auf Grund des Streits beunruhigt ansah, um sich etwas zu trinken zu holen, dann kehrte sie zurück und setzte sich wieder.

Sherlock und John sahen sie nur an, warteten auf sie. Sie sollte in ihrem Tempo erzählen, auch wenn Catherine Sherlock ansah, dass sie ihn besser nicht langweilen sollte, sonst würde er tiefer bohren und Dinge fragen, die sie gar nicht beantworten wollte. Doch Sherlock hatte ihr etwas unausgesprochen zugesichert und nun muss sie ihren Soll erfüllen. Sie würde also auf seine Fragen antworten. Dazu zwang sie ihr Ehrgefühl.

„Wie viel wissen Sie schon?“, begann sie schließlich zögernd.

„Sie sind geschlagen worden…und getreten.“, setzte Sherlock an. „Nach ihrem Appetite zu urteilen, haben Sie auch keine Nahrung bekommen.“ Sie nickte knapp und legte ihren Kopf auf die Knie, dann erzählte sie mit zitternder Stimme von ihrer Gefangenschaft in dieser weißgefliesten Zelle. Über die eiskalte Isolation, den Nahrungs- und Schlafentzug. Auch ihre Gefühle beschrieb sie dabei, die innere Unruhe, die die Isolation verursacht hatte, ihre Verzweiflung, die sie sogar beinahe dazu getrieben hatte sich selbst zu verletzen nur um überhaupt einen Reiz wahrzunehmen. Selbst von der Drohung der Serben, dass sie die beiden töten würden berichtete sie nach einigem Zögern. Warum sie es tat, wusste sie selber nicht. Das würde doch Sherlocks Ego nur noch mehr aufblasen.

Während der ganzen Zeit blieben Sherlock und John jedoch stumm, lauschten ihrer Ausführung und in Johns blauen Augen glänzte Mitgefühl. Sherlock hingegen betrachtete sie nur ruhig, während er den Kopf in seine gefalteten Hände gelegt hatte.

„Tja…und den Rest haben Sie ja gesehen…“, endete sie schließlich und biss sich auf die Lippe.

„Catherine…das…“, flüsterte John und legte ihr eine Hand auf die Schulter. Sie schüttelte nur stumm den Kopf und ließ ein gekünsteltes Lächeln sehen.

„Darf ich Sie noch etwas fragen?“

„Sie fragen, ob Sie etwas fragen dürfen?“, spottete Catherine kurz, nickte dann aber einfach nur.

„Warum haben Sie mich aus der Schussbahn gestoßen? Die Kugel hätte Sie leicht tödlich treffen können.“ Bumm! Wie sollte sie denn diese Frage beantworten? Was erwartete Sherlock von ihr zu hören? Sie versuchte es in seinem Gesicht zu entdecken, doch seine Miene war das reinste Pokerface. Selbst bei genausten Hinsehen konnte sie Sherlocks Absicht nicht entdecken. Vielleicht war er schlicht neugierig? Vielleicht.

„Das sollten Sie besser John fragen, warum er es immer macht.“, sagte sie schulterzuckend.

„Bei John habe ich bereits eine Theorie.“

„Ach, wirklich?“, sagte John und warf Sherlock einen skeptischen Blick zu, welcher mit einem Schmunzeln erwidert wurde.

„Aber bei Ihnen passt es nicht ins Bild, Catherine.“, fuhr Sherlock ungerührt fort. „Wie Sie richtig sagten sind wir nur Nachbarn und ich habe Ihnen zugegeben das Leben nicht leicht gemacht und dennoch haben Sie mich beschützt. Ich frage Sie also noch einmal: Warum?“ Catherine zögerte. War das vielleicht die Frage, die Sherlock sich so seltsam hatte verhalten lassen seitdem sie aus dem Bunker entkommen waren? War er deshalb so schweigsam gewesen, weil er versucht hatte für sich selbst eine Antwort auf diese Frage zu finden, doch daran gescheitert war? Mit einem Mal erschien es ihr gar nicht so abwegig, obwohl sie immer von Sherlock geglaubt hatte, dass er niemals hinterfragte warum überhaupt Jemand irgendetwas für ihn tat, sondern es als selbstverständlich ansah. Aber vielleicht hatte sie sich getäuscht und ganz vielleicht war ihm diese Frage wichtig. Mit dieser Überlegung im Hinterkopf wählte sie ihre Worte mit Bedacht.

„Muss denn alles einen Grund haben?“

„Kein Mensch tut etwas ohne einen Grund.“, erwiderte er etwas härter und seine graublauen Augen durchdrangen sie. Catherine zuckte kurz unter diesem stechenden Blick zusammen, seufzte dann aber. Unbewusst strich Catherine sich über die Stelle, wo sie den Verband noch immer durch den Stoff ihrer Jeans spüren konnte.

„Auch Tiere retten manchmal andere Gruppenmitglieder unter Einsatz ihres Lebens, wenn dadurch ihre eigene oder die Gruppenüberlebenschance steigt.“, antwortete sie schulterzuckend und versuchte halbherzig Sherlock mit diesen vermeintlich naturwissenschaftlichen Beweis abzuspeisen. „Ich wusste, dass ich ohne Sie eh nicht lebend aus dieser Hölle herauskommen würde, deshalb habe ich es getan.“

„Wenn ich eines nicht leiden kann, dann ist es, wenn man mich für dumm verkaufen will.“ Catherine seufzte und blickte Sherlock ruhig an.

„Soll ich ehrlich sein, Sherlock? Ich habe keine Ahnung.“ Sie zuckte mit den Schultern. „Ich habe es einfach getan.“ Weil sie ihn mochte und nicht wollte, dass er starb, wär die ehrlichere Antwort gewesen, doch sie war nicht bereit ihm diese zu geben. Sie war noch nicht bereit Sherlock so viel Vertrauen zuzugestehen oder eher: Sie wollte es sich selbst nicht eingestehen, denn sie wusste längst, dass John und er in ihrem Leben einen wichtigen Teil eingenommen hatten und dass sie in Sherlocks nur eine Randerscheinung war. Nein, so viel Würde sie sich noch bewahren und diese Antwort für immer für sich behalten.

„Oder vielleicht…“, sagte Catherine, als ihr eine andere Antwort in den Sinn kam. „Wollte ich einfach, dass wir quitt sind. Immerhin haben Sie auch mein Leben gerettet und ich möchte nicht in ihrer Schuld stehen.“

Sherlock schien nicht überzeugt, denn er betrachtete sie skeptisch, doch bevor er noch etwas fragen konnte, meldete sich der Pilot, dass sie nun bald England erreichen und bald zum Landeanflug ansetzen würden. Catherine war froh über diesen Wende und starrte betont aus dem Fenster.

Die Wolkendecke hatte sich mittlerweile etwas gelichtet und sie konnte das tiefblau/grüne Wasser der Nordsee unter ihnen sehen. Der Anblick der, für sie momentan, unendlich erscheinende Weite beruhigte sie und wieder legte sich ein kleines Lächeln um ihre Lippen. Sie war wieder frei und sie würde alles tun um diesen Zustand zu bewahren.

„Sherlock…“, sagte sie dann doch nach einiger Zeit, als sie sich wieder vom Meer löste und sich eine Frage penetrant vor ihre Augen brannte. Sherlock hob den Blick und sah sie nachdenklich an. „Heißt das eigentlich, es ist vorbei? Ich kann den Mord an meinen Bruder abhaken?“ Hoffnung schwang in ihrer Stimme mit und sie sah Sherlock beinahe bittend an.

Lange Zeit sahen die graublauen Augen sie nachdenklich an und Sherlock zögerte wirklich. Kurz warf er sogar John einen fragenden Blick zu, doch da dieser ihm nicht helfen konnte, blickte er zu Catherine zurück.

„Nein, ich befürchte nicht. Ich halte es für ziemlich unwahrscheinlich, dass diese fünf Ihren Bruder auch nur einmal gesehen haben.“, erklärte er schließlich.

„Was…aber…“

„Solche Organisationen haben meist mehrere Zellen.“, unterbrach er sie und er blickte sie eindringlich an. Catherine schluckte. „Das dient dazu, dass die Mitglieder einer Zelle nicht wissen, wer in der anderen ist. Sollte die Polizei also mal jemanden hochnehmen, kann er nicht allzu großen Schaden anrichten. Ich glaube auch nicht, dass diese Männer diejenigen waren, die sie in London entführt haben. Meist gibt es drei Zellen.“ Sherlock hob seine Hand und hielt drei seiner feingliedrigen Finger in die Luft.

„Erstens die Schmugglerzelle.“ Er krümmte den Zeigefinger. „Was deren Aufgabe ist, ist wohl offenkundig. Zweitens die Spionage oder auch Attentatszelle. Das sind wohl diejenigen, die Ihren Bruder getötet und Sie vergiftet haben und dann die Verhörzelle, denen Sie in den letzten drei Tagen ausgeliefert waren. Jede dieser Zellen agieren meist unabhängig von den anderen und kommuniziert oder Aufträge werden meist nur elektronisch ausgetauscht.“

„Das heißt es ist noch nicht vorbei?“, fragte Catherine atemlos und rieb sich mit den Handballen über die Augen.

„Ich fürchte nein…“

„Oh Gott…“, flüsterte sie leise und legte den Kopf in den Nacken. „Ich hatte es so sehr gehofft.“ Immer wieder schüttelte sie den Kopf. Es war noch nicht vorbei. Es war noch nicht ausgestanden. Wie ein Paukenschlag traf sie Sherlocks Worte. Die Mörder ihres geliebten Bruders liefen noch irgendwo in England herum und Catherine wusste auch, dass sie mit ihrer Tortur nicht abschließen konnte, solange sie noch als Phantom am Rand ihres Bewusstseins existierten.

„Catherine…“, durchdrang Johns Stimme ihre sich schnelldrehenden Gedanken und er nahm sanft die Hände von ihren Augen. Sie sah ihn beinahe entgeistert an und sie sah das wehleidige Lächeln auf seinen Lippen.

„Ich hatte so gehofft, dass dieser Alptraum vorbei ist.“, sagt sie mit hohler Stimme und sie legte wieder den Kopf auf die Knie.

„Meine lieben Gäste, bitte stellen Sie Ihre Sitze wieder in eine aufrechte Position und schnallen Sie sich an. Wir beginnen nun mit dem Landeanflug auf Heathrow.“, ertönte knarzend die reife Stimme des Pilot. Catherine sah kurz zu dem Lautsprecher auf, gehorchte dann aber, auch wenn das hieß, dass sie ihre eigene, schützende Umarmung aufgeben musste. Auch John und Sherlock kamen der Aufforderung nach, ließen dabei Catherine nicht aus den Augen. Diese klammerte sich ein wenig in die Armlehne und zwang sich immer wieder ruhig zu atmen. Die letzten Tage waren einfach zu viel und sie wusste nicht wie viel ihre Psyche noch ertragen könnte, bevor sie zerbrach. Dass die Mörder ihres Bruders nun tot in Serbien lagen, hatte sie ein wenig beruhigt seitdem sie das Gebiet der Drogenbande verlassen hatten, doch Sherlock hatte Recht. Es war unwahrscheinlich, dass einer von ihnen Jeffrey ermordet hatte. Keiner von ihnen war schlau genug dafür gewesen. Verdammt! Wieso musste Sherlock immer Recht haben? Sie verfluchte ihn innerlich dafür.

„Keine Sorge.“, sagte Sherlocks ruhiger Bariton plötzlich. „Der Fall ist spannend genug. Ich werde mich darum kümmern.“

Catherine weitete die Augen und sah ihn an. Seine blauen blieben ruhig wie ein See, doch der Hauch eines Lächelns lag um seine Lippen.

„Wie?“, presst sie irritiert durch ihre rasenden Gedanken hindurch.

„Es wird wohl einige Zeit dauern…“, murmelte Sherlock mehr zu sich, als zu ihr. „Lestrade wird jetzt sicher in nächster Zeit keine Ruhe geben…dass die Polizei auch immer so unfähig sein muss.“ Beinahe klang er frustriert, doch dann blickte der Dunkelhaarige wieder auf und sah Catherine an. Ein Blick so stechend, dass sie sich in die Lehne presste.

„Sherlock…“, seufzte John und warf ihm einen tadelnden Blick zu. „Nicht schon wieder dieser Blick.“

„Welcher Blick?“ Sherlock blinzelte und wandte sich ihm zu.

„Nur weil Sie genervt sind, müssen Sie einen ja nicht gleich erdolchen mit Ihren missmutigen Blicken.“ Er schnaubte, schloss dann aber die Augen und nickte leicht. Als er sich wieder zu Catherine umdrehte war er wieder so ruhig wie er all die Zeit gewesen war.

Das Flugzeug neigte sich und glitt langsam hinab. Catherine schluckte und begann automatisch auf ihrem mittlerweile faden Kaugummi zu kauen, doch ihre Gedanken blieben bei Sherlock.

„Sie müssen wohl etwas auf Ihre Rache warten.“, sagte er dann unvermittelt und Catherine blinzelte kurz, brauchte einige Momente bis sie verstand, doch dann nickte sie leicht und lächelte zurück.

„Das kann warten.“, besiegelte sie das Abkommen. „Ich habe noch genug Zeit.“ Mit diesen Worten setzte das Flugzeug auf der Landebahn auf und es zischte, als die Luftschleusen die Türen des Jets freigaben. Direkt stand Sherlock auf, zog sich seinen Mantel an, richtete den Kragen auf- Catherine und John warfen sich einen amüsierten Blick zu- und verließ umgehend die Kabine. Auch die anderen beiden standen auf. Während der Arzt die Reisetasche aus der Gepäckvorrichtung holte, blickte Catherine sich noch einmal an, dann spürte sie einen sanften Druck von Johns Hand an ihrer Schulter, der sie in Richtung Ausgang dirigierte. Sie folgte der Aufforderung willig, verschloss ihre Jacke und betrat die kalte Luft Londons.

Wie zu erwarten war das Empfangskomitee bereits eingetroffen. Vor einer schwarzen Limousine stand Mycroft Holmes im teuren Dreiteiler, sich lässig auf einen Regenschirm abstützend und blickte die Ankömmlinge mit seiner reservierten Miene an.
 

~*~

Sohoo, das war Kapitel 10 :) Ich hoffe es hat euch gefallen.

Ich habe sowohl Sherlocks als auch Catherines Ausführung über das Geschehene knapp gehalten, da ihr es ja alles gelesen habt und eine Rekapitulation vielleicht gelangweilt hätte, oder? Hätte sie das oder hättet ihr es lieber gehabt, wenn sowohl Catherine als auch Sherlock es noch einmal alles erzählten? Würde mich mal interessieren :)

Das Kapitel ging mal wieder schneller als gedacht, mal gucken wann das nächste kommt ^-^
 

Anmerkung: Wer die Anspielung auf Barlow/Gronkh entdeckt hat, Glückwunsch ;) Obwohl es eher Barlow war. Für alle anderen: "A Girl from Ipanema" ist ein Song der 1960'er Jahren, der den damals bekanntesten Strand Braziliens besang (ursprünglich auf portugiesisch) und später wurde es ins Englische übersetzt.

hier ist ein Link, wenn es jemand mal hören möchte (Version von Frank Sinatra, es gibt viele): http://www.youtube.com/watch?v=7y5TuWlvNkI

Mycroft Holmes

11. Kapitel: Mycroft Holmes
 

Über London hing die übliche graue Suppe aus Wolken und diesigen Nebel, der vermutlich von der Nordsee oder der Themse herzog. Die Luft war von einer schweren Feuchtigkeit durchzogen, die Catherine frösteln ließ, doch das war nichts gegen das Unbehagen, was Mycrofts Blick ihr bereitete. Sie war Mycroft  Holmes war erst zweimal begegnet und doch war es eben jener Ausdruck, mit dem er sie die meiste Zeit betrachtet hatte. Es war diese Mischung aus Berechnung und einem kalten Lächeln, das Catherine eine Gänsehaut bescherte.

„Willkommen zurück in Großbritannien, Miss Amell.“, begrüßte Sherlocks älterer Bruder sie und kam gelassen auf sie zu. Catherine verharrte an der obersten Stufe und wusste nicht, was sie davon halten sollte. Catherine wusste generell nicht, was sie von Mycroft Holmes halten sollte. Es war nicht so, dass sie ihn missachtete, sie misstraute ihm einfach prinzipiell und das lag daran, dass sie ihn nicht durchschauen konnte.

Wo Sherlock offen seine Verachtung und Missmut zeigte, da blieb Mycroft kalt und berechnend und somit wusste sie nie was sich hinter seinen Äußerungen verbarg und woran man bei ihm war. Catherine war nie schlecht darin gewesen andere Menschen zu durchschauen und glaubte, dass sie es selbst bei Sherlock in einem geringen Grad schaffte, doch bei Mycroft konnte sie es nicht. Catherine wusste, dass sie bei Sherlocks Bruder mit Äußerungen sehr vorsichtig sein musste und doch war das die größte Schwierigkeit, da sie nie wusste worauf er, hinter seiner kühlen Fassade, abzielte.

Sie vermutete instinktiv hinter jeder seiner Äußerungen einen Hinterhalt und diese Aura der Macht, die ihn wie ein sich aufbauschender Umhang umgab, machte es nicht zwingend leichter. „Ich hoffe Ihnen hat der Kurzurlaub gut getan.“, fuhr Mycroft schließlich fort, als sich keiner der drei Passagiere rührte und schwenkte ein wenig seinen Regenschirm durch die Luft.

Catherine weitete ungläubig die Augen und wusste nicht, was sie mehr traf: Das, was er gesagt hatte oder dass sie Feindseligkeit versteckt in seiner Stimme hörte. Aber warum sollte Mycroft ihr gegenüber feindlich gesinnt sein? Er blieb doch immer höflich und wurde nur feindselig, wenn der Angesprochene seinen Bruder bedrohte, dessen war sich Catherine als einziges sicher. Doch warum sollte sie für Sherlock eine Bedrohung sein? Sie wär niemals dazu in der Lage ihn zu schaden und würde es auch nicht zulassen, dass es soweit kommen würde. Warum also blickte Mycroft sie mit diesem seltsamen Ausdruck in seinen stechenden Augen an, den sie nicht zuordnen konnte? Was beabsichtigte er mit diesem Sarkasmus?

Natürlich wusste Mycroft, was wirklich in Serbien vorgefallen war und genau dieses undurchschaubare Verhalten war es, dass dafür sorgte, dass Catherine ihm mehr als allen anderen Menschen misstraute.

„Bestens.“, erwiderte sie mit nur einer leichten Bissigkeit im Unterton und streckte ihre Arme, so als würde sie verspannte Muskeln nach einem langen Flug lockern. „Es geht doch nichts über eine ordentliche Streckbank um die verspannten Muskeln zu lockern.“ Da sie die Situation nicht einzuschätzen wusste, griff sie zu dem einzelnen Mittel, dass ihr vertraut war: Ihrem Humor.

Kurz schien Mycroft aus der Fassung gebracht, doch augenblicklich fand er seine Contenance wieder und war das Sinnbild eines britischen Adligen. Nur seine kalten Augen taxierten Catherine mit leicht gehobenen Augenbrauen. Sherlock, hinter ihr, lachte und warf seinem Bruder einen ‚Gar nicht so übel, was?‘ Blick zu.

Catherine erwiderte Mycrofts Blick ebenfalls und versuchte sich möglichst unbeeindruckt zu zeigen. Sie wollte Mycroft nicht verraten wie es wirklich in ihr aussah.

Catherine fühlte sich in seiner Nähe unwohl, denn um Mycroft herum schien die Luft zu gefrieren und jegliches Glücksgefühl floh vor ihm. Zurück blieb Unbehagen und der animalische Instinkt zu fliehen. Catherine wusste, dass Mycroft noch besser im Beobachten war als sein Bruder und dass er quasi sämtliche Fäden Großbritanniens in den Händen hielt. Auch wenn er harmlos aussah, so war sie nicht so dumm ihn zu unterschätzen. Irgendwie erinnerte sie Mycroft an die Dementoren aus den Harry Potter Büchern, doch gekleidet in das Kostüm eines netten, höfliche Onkels, den man höchstens an Weihnachten sah. Er konnte freundlich sein, doch man musste sich stets im Klaren sein, dass immer eine Manipulation dahinter stehen könnte.

„Mycroft, lass das!“, sagte Sherlock neben ihr genervt und trat eine Stufe herunter, als er bemerkte wie sein Bruder Catherine ansah. Augenblicklich lösten sich die blauen Augen von Catherine und glitten zu seinem Bruder. Mycroft war der Einzige, von dem Catherine wusste, der von Sherlock geduzt wurde und sie fragte sich, ob das eine tiefere Bedeutung hatte. Von allen Menschen stand John Sherlock wohl am Nahsten und selbst ihn Siezte er geflissentlich. Nur Mycroft wurde geduzt. An sich war das ja nichts Ungewöhnliches bei Brüdern, doch wann war bei den Holmes jemals etwas normal? Warum also tat Sherlock das? Entweder, weil die Fehde oberflächlicher war, als die beiden zugaben und sie sich somit auch näher standen oder aber, was sie zumindest im Moment für wahrscheinlicher erachtete, Mycroft verdiente aus Sherlocks Sicht keinen Respekt.

„Auch dich heiße natürlich willkommen, werter Bruder.“ Wieder erschien dieses seltsame Lächeln auf den schmalen Lippen. Während man bei Sherlocks Lächeln immer genau sah, was dahinter stand, konnte man Mycrofts keine Gefühle zuordnen und in diesen Momenten empfand Catherine es so, als wäre er aus Eis.

Die beiden ungleichen Brüder starrten sich an, gefangen in einem stillen Machtkampf. In diesem Moment, wo sie die beiden zum ersten Mal real miteinander interagieren sah und es sich nicht mehr aus Johns Geschichten vorstellen musste, hatte sie das Gefühl, dass Geschwisterrivalität wirklich gut passte.

Sherlock erschien ihr wie ein Teenager, der gegen seinen älteren Bruder rebellierte, während Mycroft versuchte ruhig und gelassen zu bleiben, damit es nicht in einer Prügelei endete- oder bei Mycroft wohl eher in einem Angriff von James Bond. Bei dem Gedanken musste sie leise kichern, doch nur John bemerkte es. Er warf ihr einen fragenden Blick zu, doch sie schüttelte nur den Kopf und deutete stumm auf die beiden. Er verstand und nickte. So waren sie also immer.

Was hatte John ihr einmal in seinem Ärger über Sherlock gesagt? Dass der Detective Pirat hatte werden wollen? Catherine wusste nicht, warum ihr das plötzlich wieder einfiel, doch auf einmal hatte sie eine Vermutung, weshalb Sherlock diesen Berufswunsch gehabt hatte.

Ein Pirat lebte ohne Moral, ohne Grenzen und tat nur das, was er wollte. War es nicht vielleicht genau das, was Sherlock wollte? Mycroft war der Ältere, das Vorbild an dem er sich immer messen musste und dieses war geprägt von Disziplin und Beherrschung. So wie Mycroft war, konnte Catherine sich gut vorstellen, dass das Elternhaus ebenfalls streng gewesen war und das Sherlock alles tat um gegen diese festen Grenzen zu rebellieren, die vielleicht sogar seinen Geist eingeengt hatten.

Sherlock war schließlich der Erste, der sich aus diesem stummen Machtkampf löste und die restlichen Stufen herunter ging. John und Catherine zögerten einige Momente, doch dann folgten sie ihm.

„Was machst du hier, Mycroft?“ Sherlocks Augen betrachteten seinen älteren Bruder misstrauisch.

„Na was denkst du denn?“, erwiderte Mycroft kühl und er stützte sich wieder auf seinen Regenschirm. „Ich komme um euch abzuholen.“

„Als ob…“, erwiderte Sherlock schnippisch. „Du würdest dich nicht deswegen herbemühen. Muss ich wieder bei irgendetwas streng vertraulichen helfen? Sind wieder pikante Fotos aufgetaucht?“ Es war deutlich zu spüren, dass Sherlock keine Lust auf ein Gespräch hatte. Seine Stimme triefte vor Spott und er rollte mit den Augen. Mycroft seufzte und versperrte seinem Bruder dem Weg, als er sich an ihm vorbeischlängeln wollte.

„Sherlock…“ Er seufzte erneut und betrachtete ihn mit einem müden Blick. „Ist es so abwegig, dass ich besorgt war und sichergehen wollte, dass du wohlbehalten zurückgekehrt bist?“

„Dafür hättest du dich nicht her bequemen müssen.“, schnaubte der Angesprochene umgehend und steckte die Hände in die Taschen seines Mantels. Catherine beobachtete dieses Schauspiel mit zusammengezogenen Augenbrauen und stellte fest, dass Sherlock abweisend reagierte, egal was von Mycroft ankam. Als ob er hinter jedem Wort seines Bruders eine Manipulation vermutete. Catherine hingegen war sich da jetzt nicht mehr so sicher. Etwas hatte sich für den Hauch eines Moments in Mycrofts sonst maskenhaften Gesicht verändert, was sie glauben ließ, dass er wirklich nur hatte wissen wollen, dass es Sherlock gut ging.

Plötzlich erschien es ihr, als wäre Sherlock der Nachtragende der beiden und Mycroft war wirklich bemüht es wieder aus der Welt zur  räumen. Es war, als hätte der Ältere etwas getan, was Sherlocks Vertrauen zerstört hatte und nun versuchte er alles diesen Fehler wieder gutzumachen, doch Sherlock war zu nachtragend um es zu akzeptieren und sah es als Bevormundung. Sie war sich nun sicher, dass hinter alldem mehr steckte, als dass Mycroft irgendwann Sherlocks Chemiebaukasten kaputt gemacht hatte.

„Dir scheint es also gelungen zu sein, den Drogenring aufzuspüren.“, sagte Mycroft ruhig und betrachtete seinen Bruder von oben bis unten.

„Sieht danach aus.“, erwiderte Sherlock nur knapp und seine Augen betrachteten ihn abweisend. Es fühlte sich an, als wäre die Luft zwischen den beiden elektrisch aufgeladen und Catherine hielt diese Anspannung beinahe nicht mehr aus. Sie hasste es, wenn Menschen stritten und Familie war doch das Wichtigste was man hatte.

„Nun…ich wollte…“

„Du hast schon wieder zugenommen.“, fiel ihm Sherlocks ins Wort und musterte Mycroft. Catherine konnte den Drang sich die Hand vorm Kopf zu schlagen nicht mehr unterdrücken. Großartig, Sherlock. Reiz Mycroft bis aufs Blut. Musste das wirklich sein?

„Sherlock…“, seufzte Catherine und rollte mit den Augen.

„Es ist die Wahrheit…“ Mycrofts Augenbrauen senkten sich herab und sein Mund verschmälerte sich um einen Hauch, doch ansonsten überging er diese Attacke.

„Können Sie das nicht bitte einfach sein lassen?“, ging nun auch John dazwischen und schulterte seine Reisetasche. Sherlock warf ihm einen kurzen Blick zu und schnaufte.

„Du könntest ruhig ein wenig dankbarer sein, Sherlock.“, sagte Mycroft kalt und drehte sich dann um. „Schließlich habe ich dir diesen kleinen Abenteuerurlaub ermöglicht.“

„Schön…jetzt ist meine Gefangenschaft ein Abenteuerurlaub.“, schnaubte Catherine plötzlich. Sie hielt es einfach nicht mehr aus. „Hätte ich das mal eher gewusst, dann hätte ich die Luxusvariante gebucht. Dann hätte ich eine Toilette statt eines Eimers gehabt.“ Plötzlich war es still. Drei Paar blaue Augen lagen nun erstaunt auf ihr. Sie betrachtete sie nur ungerührt, dann plötzlich fingen Sherlock und John an zu lachen.

„Und gepolsterte Fesseln.“, kicherte der Arzt.

„Oh ja…welch eine Wohltat das gewesen wäre.“, erwiderte sie trocken und schnalzte leicht, während sie sich unbewusst über die Handgelenke rieb, die sie mehr als einmal beinahe gebrochen hätte. Sofort spürte sie Mycrofts prüfenden Blick und sie wusste, dass er herausfinden wollte, was passiert war. Catherine sah kurz zu Sherlock hinüber- auch um Mycrofts Blick zu entgehen- und sah, dass er amüsiert war. Seine Mundwinkel waren zu einem ehrlichen Lächeln nach oben gezogen und seine Augen funkelten. Mit ihrem Trotz gegenüber Mycroft hatte sie wohl bei ihm ordentliche Pluspunkte gesammelt hatte.

Der Himmel zog sich weiter zu und die dunklen Wolken, die vom Süden heraufzogen verhießen Regen und die Luft kühlte fühlbar ab. Catherine schloss ihren Anorak.

„Schön, nachdem wir nun geklärt haben wie eine Luxus Entführung durch Serben aussieht, können wir bitte zurückfahren?“ Mycroft nickte bedächtig und gab dann den Weg zum Wagen frei. Catherine ging an den Dreien vorbei.
 

~*~
 

Die dunkle Limousine glitt wie ein Schatten durch die Straßen Londons. Mittlerweile war es dämmrig geworden und die Straßenlaternen gingen an, erhellten die Gassen in ihrem Licht. Catherine starrte aus dem Fenster um der gedrückten, angespannten Stimmung in dem Auto zu entgehen. Sherlock und Mycroft saßen sich gegenüber und starrten sich noch immer abschätzend an.

Bei dem Berufsverkehr, der momentan zäh durch die Innenstadt und über die Autobahn floss, könnte die Fahrt schätzungsweise eine Stunde dauern. Catherine rollte mit den Augen und seufzte leise. Das versprach wirklich eine lange Fahrt zu werden.

„Was ist aus dem Prototyp geworden?“, unterbrach Sherlock, nach zehn Minuten des stummen Machtkampfs, die Stille.

„Sei versichert, dass ich mich darum gekümmert habe, Sherlock.“, antwortete Mycroft lächelnd und lehnte sich ein wenig zurück. Lässig schlug er die Beine übereinander. „Eine wirklich schreckliche Droge. Ich kann nicht zulassen, dass so etwas durch die Londoner Unterwelt kursiert.“

„Wie ambitioniert, Mycroft.“, sagte sein jüngerer Bruder kalt und zog seine Augenbrauen hinab und plötzlich war es wieder still in dem Auto. Catherine beobachtete die beiden Brüder und sie war froh, dass sie so ein inniges Verhältnis zu ihrem Bruder gehabt hatte. Obwohl, jetzt wo sie all das über ihren Bruder erfahren hatte, fragte sie sich, ob sie Jeffrey überhaupt wirklich gekannt hatte. Vielleicht hatte sie sich den liebevollen Bruder nur eingebildet und er war in Wahrheit genauso manipulativ gewesen wie die beiden Holmes, wenn er fünf Jahre für den Schlimmsten von ihnen beiden hatte arbeiten können. Jeffrey war klug gewesen, beinahe so klug wie die beiden und vielleicht brachte diese Besonderheit auch die Manipulation mit sich. Konnte es also sein, dass er in all der Zeit nur gespielt hatte? Dass sie in Wahrheit eine Last für ihren älteren Bruder gewesen war? Waren sie in Wahrheit doch nicht so verschieden gewesen? War es in Wahrheit bei ihnen genauso gewesen wie bei Mycroft und Sherlock?

Der Gedanke beängstigte sie und sie biss sich auf die Unterlippe. Was war in dieser Welt bloß echt und was war Schein? Menschen, denen sie vertraut hatte, waren nicht mehr die, die sie kannte und Menschen, den sie nie zu kennen gemeint hatte, hatten sich als vertrauenswürdig bewiesen. Was war also Schein, was also war Illusion?

„Ebenso wie Jeffrey.“, durchbrach plötzlich Mycroft die Stille und betrachtete Catherine mit nachdenklichen Blick. Sie zuckte zusammen und sah die britische Regierung in Person an.

Auch Sherlock sah sie wissendem an. Hatten die beiden etwa bemerkt, woran sie gedacht hatte? Verwundern würde sie das nicht.

„Wie meinen Sie das?“, fragte sie atemlos.

„Ihr Bruder hat alles getan, damit diese Droge niemals produziert werden konnte. Er war genauso engagiert wie Sherlock, wenn er einen Fall hat. Doch seine Motivation war eine gänzlich andere.“, erklärte Mycroft ruhig und warf einen Blick auf seine Taschenuhr, als müsste er bald zu einem dringenden Termin.

„Und die wäre?“

„Jeffrey war der beste Spion, den ich je hatte…“, setzte Mycroft an.

„Ich weiß bereits, dass er einer Ihrer Spione war. Sherlock hat es mir gesagt. Könnten Sie das also bitte überspringen?“ Catherine hatte keine Lust auf Mycrofts ausschweifenden philosophischen Gedanken voller hochtragender Metaphern. Sie wollte doch einfach nur wissen, wer ihr Bruder wirklich gewesen war.

Mycroft drehte sich währenddessen zu seinem Bruder um, zog eine Augenbraue hoch.

„Das hast du also bemerkt.“, stellte er nüchtern fest. Sherlock tat es ihm gleich und ein spöttisches Lächeln zuckte um seine Mundwinkeln.

„Glaubst du wirklich, mir wäre das nicht entgangen? Also bitte, das war leicht.“

„Bei dem Coventry Dilemma hast du auch den Zusammenhang nicht gesehen.“ Mycroft sah seinen kleinen Bruder beinahe mitleidig an, doch ein kleiner Funke von Selbstgefälligkeit blitzen in seinen Augen auf.

„Das war nur, weil…“

„Können wir bitte beim ursprünglichen Thema bleiben?“, fuhr Catherine barsch dazwischen, als die beiden wieder kurz davor waren in einen Streit zu verfallen. „Ich würde doch gerne erfahren, was mit meinem Bruder war, bevor Sie beide anfangen zu streiten und das vermutlich in der Vernichtung der Menschheit endet.“

Mycroft sah sie verwundert an, doch dann wandte er sich wieder in seinen Bruder.

„Ich sehe schon, warum du mit ihr zurechtkommst, Bruder.“

„Es können ja nicht alle so langweilig reserviert wie du sein.“, erwiderte Sherlock schnippisch.

„Mr. Holmes! Sherlock!“, knurrte sie nun und warf ihnen wütende Blicke zu. Mussten die beiden ausgerechnet jetzt abschweifen? „Bitte!“

„Also schön…“ Mycroft seufzte. „Ihr Bruder hat versucht England zu einem besseren Ort zu machen.“

„Wie patriotisch…“ Sherlock verzog verächtlich den Mund.

„Wohl kaum, Sherlock. Er tat es aus Geschwisterliebe. Er tat es für Sie, Catherine. Er wollte England sicherer für Sie machen. Wie rührend.“ Nun klang auch in Mycrofts Stimme Spott mit, doch Catherine nahm es gar nicht wirklich wahr. Viel zu geschockt war sie von dem, was der ältere Holmes ihr eröffnet hatte. Jeffrey hatte es für sie getan? Weil er England für sie sicherer machen wollte? Sie konnte es nicht glauben. Sicher war ihr bewusst, dass es wieder ein Trick von Mycroft sein könnte, aber sie wusste keinen Grund, warum er hier lügen sollte.

„Irgendetwas über die Killerzelle?“, fragte Sherlock nach einer Weile und wechselte das Thema. Die Abweisung war aus Sherlocks Stimme verschwunden und hatte einem neutralen Klang Platz gemacht.

„Bisher nicht.“ Mycrofts Stimme war kühl und seine Augen verschmälerten sich ein wenig.

„Dann solltest du vielleicht mehr suchen und weniger Kuchen essen.“ Die graublauen Augen des Detective funkelten in einem unheilvollen Amüsement. Sein Bruder wandte seinen Kopf zu ihm um und kurz schien er brüskiert und als wollte er eine Erwiderung ansetzen, doch dann beherrschte er sich. Er wollte seinem jüngeren Bruder wohl nicht den Gefallen tun.

„Ach, warum denn nicht? Beides lässt sich doch wunderbar kombinieren. Es gibt doch nichts besseres, als eine Käsesahnetorte zu essen, während man Attentäter jagt.“, sagte Catherine auf einmal vollkommen ernst, aber ein kleines Grinsen konnte sie sich doch nicht verkneifen. Wieder überraschte Stille. Hörte sie gerade etwa Heuschrecken zirpen? Als ob es so überraschend wäre, dass Catherine mal einen Spruch riss. John und Sherlock müssten es eigentlich mittlerweile besser wissen. Mycroft warf ihr einen verbitterten Blick zu und kräuselte leicht die Nase, während sein Bruder schmunzelte und John sie kurz überrascht ansah, dann aber ein Lachen nicht mehr unterdrücken konnte.

„Käsesahne…nein…nein. Mycroft passt sich bei seinem Gebäck immer dem entsprechenden Land an. Ich würde eher Doboš torta sagen.“

„Ach ja richtig, die Doboš torta war wirklich sagenhaft.“ Catherine ließ sich in die Lehne zurückfallen. „Serben sind ja nicht für viel bekannt ihr Kuchenbuffet war aber wirklich sagenhaft gut…“ Sie leckte sich genüsslich über die Lippen, rollte aber die Augen.

„Wenn Sie schon kein Popcorn bekommen haben, dann haben Sie sich ja wohl zumindest Kuchen verdient. Was wären das dann sonst für Gastgeber?“, erwiderte Sherlock schlicht und nun waren es John und Catherine, die zu lachen anfingen. Mycroft sah sichtlich irritiert zwischen den beiden hin und her, kannte er noch nicht die Spiele, die Catherine und Sherlock so gerne spielten. Seine Stirn legte sich in Falten, während er beobachtete, wie der Arzt und die Studentin lachten und Sherlock zufrieden die Hände kreuzte.

„Bitte?“ Mycroft blinzelte kurz irritiert, bevor er wieder sein perfektes Pokerface aufsetzte.

„Ich hätte wirklich das Upgrade buchen sollen. Dann hätte ich vielleicht beides bekommen.“, sagte Catherine ungerührt mit einem Schulternzucken, als hätte sie Mycrofts Einwand nicht gehört. Es war kein Überspielen, was ihre beiden Nachbarn vielleicht vermuten könnten und deshalb so munter mitspielten. Catherine glaubte eher, dass es für sie eine Art Bewältigungstherapie war. Ihr Humor war das Einzige, was sie beherrschte und es half ihr das Geschehene nicht mit ganz so großem Schrecken betrachten zu müssen.

John warf ihr kurz einen besorgten Blick zu, doch er schien zu bemerken, dass sie nicht verdrängte, sondern zu verarbeiten begann.

Sherlock kümmerte sich wie immer nicht darum, ihm bereitete es viel mehr Freude seinen Bruder damit aufzuziehen.
 

~*~
 

Die ganze Fahrt über verlief es ähnlich. Es schien beinah, als hätten sich Sherlock und Catherine gegen Mycroft verbündet und konterten jeden seiner Sätze mit bissigen Sarkasmus, während John sich entweder einmischte, die Augen rollte oder einfach nur entsetzt war, aber es machte die eine Stunde, die sonst in angespannter Stille in dieser Limousine verbracht hätten, erträglicher. Am Ende hatte er sich stur abgedreht um aus dem Fenster zu sehen und somit sein unterdrücktes Lachen zu verstecken.

Dieses Zittern lag immer in dieser Luft, wenn die beiden Brüder aufeinander trafen. Es war, als würden zwei elektrische Felder aufeinander treffen und sich dann entladen. Funken schienen zwischen den beiden zu sprühen, wenn sie ihre Kämpfe austrugen und Catherine wurde davon innerlich unruhig, als hätte sie zu viel Spannung in ihrem inneren und so hatte sie versucht diese mithilfe des Sarkasmus zu lösen.

Schließlich erreichten sie die Bakerstreet und ein glückliches Lächeln legte sich auf Catherines Gesicht, als sie die vertrauten, alten Gebäude sah. Endlich war sie wieder zu Hause. Nun könnte sie in ihren Alltag zurückkehren und alles, was geschehen war, hinter sich lassen. Sherlock würde den Tod ihres Bruders irgendwann rächen und es gab somit nichts mehr, was sie fesselte. Nichts, außer ihre Nachbarn.

Langsam stiegen sie aus der Limousine aus und Catherine atmete zufrieden die Luft ihrer neuen Heimat ein.

Sie sich schnellstmöglich verabschieden und nach Hause gehen- denn sie hatte vorerst genug von Sherlock und John. Sie wünschte sich nichts sehnlicher, als einfach zurückzukehren und nicht mehr daran denken zu müssen, doch John stellte sich ihr in den Weg und schüttelte den Kopf.

„Sie kommen erst einmal mit uns, Catherine. Ich muss mir Ihre Wunde noch einmal ansehen, dass sie sich nicht entzündet.“, sagte er streng und duldete keinen Widerstand. Catherine sah ihn einige Zeit an, doch dann seufzte sie und nickte.

„Einen Moment noch.“, wandte Mycroft ein und stützte sich auf seinen Regenschirm. „Zunächst würde ich gerne noch mit ihr sprechen…Allein!“

In diesem Moment war Mycrofts Stimme so kalt wie noch nie und ein unheilvoller Schauer lief Catherines Rücken hinab.

„Darum ging es dir also die ganze Zeit.“ Sherlocks Gesicht verfinsterte sich.

„Wie du richtig sagtest, ich fahr nicht ohne Grund raus.“

„Was bezweckst du damit, Mycroft?“ Der Dunkelhaarige spie den Namen seines Bruders förmlich aus. „Du weißt doch genau, was passiert ist. Lass ihr Zeit zum Ruhen.“

Seit wann hätte sich Sherlock denn um so etwas gekümmert? Hatte er im Flugzeug schließlich auch nicht. Catherine sah ihn nachdenklich an und Sherlock erwiderte kurz einen Blick. Nein, es ging hier nicht um ihre Psyche, sondern es richtete sich allein gegen Mycroft.

„Ich bedaure, aber das kann nicht warten.“

„Mycroft…!“

„Ist schon gut, John.“, unterbrach Catherine ihn müde, als auch der Arzt ansetzte Mycroft zu widersprechen. Es würde ja sowieso nichts bringen. Mycroft würde nicht locker lassen, das wusste sie.

„Sicher, Catherine?“, fragte er und musterte sie besorgt. Sie nickte ihm zu und deutete dann mit dem Kopf zur Tür. „Ich komme nach.“

Sherlock und John zögerten, doch dann nickten sie und der Arzt sagte:

„Wenn Sie in 10 Minuten nicht zurück ist, Mycroft, kommen wir sie holen.“

„Als ob Sie mir drohen könnten, John.“, erwiderte er amüsiert und fing sich einen bösen Blick ein.

„Dann tu ich es eben, Bruder.“, sagte Sherlock ruhig, dann wandte er sich um und ging in die Wohnung.

Catherine seufzte. Wär ja schon beinahe lieb, wenn Sherlock das wegen ihr gesagt hätte, doch sie war nicht so dumm das zu glauben. Es ging hier einzig und allein um den Streit mit Mycroft. Aber gut, so hatte sie eine Absicherung, sollte Mycroft was planen. Sie glaubte es zwar nicht, aber wie gesagt, sie misstraute Mycroft.

„Also, was wollen Sie von mir, Mr. Holmes?“ Catherine nannte Mycroft nie bei seinem Vornamen. Sie wollte den Bruder Sherlocks möglichst weit auf Abstand halten auch wenn sie sich bewusst war, dass Mycroft bereits genauso viel über sie wusste wie Sherlock. Wenn nicht sogar mehr.

„Wollen wir nicht lieber ein Stück gehen?“, fragte Mycroft mit seinem charmantesten Eislächeln.

„Nein, danke. Ich würde gern möglichst schnell zurück in meine Wohnung, also bitte entschuldigen Sie, wenn ich keine Lust auf einen Spaziergang verspüre. Selbst Sie müssten das doch eigentlich verstehen, bei dem was ich durchgemacht habe.“ Ihre Stimme wurde abweisend und sie betrachtete Mycroft abschätzend. Es konnte hierbei nur um Sherlock gehen und sie verspürte nicht die große Lust mit seinem Bruder darüber zu reden. Nicht nachdem sich Sherlock sich zeitweise so seltsam verhalten und Catherine verwirrt hatte. Sie hätte nie gedacht, dass Sherlock ihr zusichern würde, dass sie ihm vertrauen konnte, doch er hatte es getan. Vielleicht hatte John zu Anfang wirklich Recht gehabt und er mochte sie irgendwie. Sie lachte gedanklich. Was für ein dummer Gedanke. Sherlock mochte Niemanden außer John und Mrs. Hudson, die sie bis heute noch nicht kennengelernt hatte. Dass er sie einfach manipuliert hatte, um seine Antworten zu bekommen, erschien ihr als wesentlich wahrscheinlicher bei diesem hochfunktionellen Soziopathen.

„Also gut…“, seufzte Mycroft schwer und stützte sich wieder auf seinen Regenschirm. „Sie misstrauen mir offensichtlich.“

„Ist das verwunderlich?“, erwiderte Catherine nachdenklich, während sie sich gegen die Wand des Wohnhauses lehnte. „Ich denke bei dem Mann, der quasi die komplette Britische Regierung ist- wie Sherlock so gerne betont-, ist Vorsicht, wie ich es nennen würde, durchaus angebracht.“ Mycroft neigte kurz seinen Kopf und betrachtete sie aus tiefen, blauen Augen, der sie innerlich unruhig stimmte. Es war als würden sie alles aus ihrer Seele hervorzerren, was sie verstecken wollte und sie hatte keine Ahnung, was er mit diesem Wissen anstellen würde.

„Durchaus…“ Und wieder lächelte er so seltsam. Als hätte Catherine keine Ahnung davon, zu was er wirklich im Stande wäre und das glaubte sie ihm sogar.

„Und Sie misstrauen mir doch ebenfalls.“, stellte Catherine schlicht fest, als sie an Mycrofts Ton am Flughafen zurückdachte.

„Wie kommen Sie denn darauf?“, sagte Mycroft spöttisch und seine Mundwinkel zogen sich hinab. Seine Stimme war wie ein bedrohlicher Hauch, ein Finger des Unheils, der über ihre Haut strich und ließ Catherine frösteln. Es schien als wollte er sie mit seiner Aura beängstigen und gleichzeitig mit seinen Augen festnageln. Ihr Pulsschlag erhöhte sich und ihr Herz schien in ihrem Hals zu schlagen, doch zumindest äußerlich bewahrte sie den ruhigen Schein. Diese Genugtuung zu zeigen wie sehr er sie beunruhigte, würde sie ihm nicht geben. Würde sie keinem der beiden Holmes jemals geben.

„Sie halten mich vielleicht für dumm, Mr. Holmes- sehr wahrscheinlich sogar-, aber mir ist Ihr feindseliger Ton bei Ihrer Begrüßung nicht entgangen.“

„Beeindruckend.“

„Und ich erkenne auch Sarkasmus und sei er noch so versteckt.“ Catherine zog ihre Augenbrauen hinab und betrachtete Mycroft verärgert. „Bei unseren bisherigen zwei Treffen waren Sie zwar reserviert, aber niemals offen feindselig. So wie ich Sie bisher einschätze, verlieren Sie eigentlich nie diese kühle Maske des Politikers, außer wenn es um Sherlock geht. Also haben Sie in mir nie eine Bedrohung für Ihren Bruder gesehen. Bis jetzt.“

„Sie sind wirklich nicht ganz so dumm.“, stellte Mycroft fest und wog kurz seinen Kopf hin und her.

„Das hör ich in letzter Zeit irgendwie öfter.“ Missmutig legte Catherine ihre Stirn in Falten und tippte mit dem Fuß auf den Boden. War das ein Kompliment auf Holmes Art? „Also, was hat sich verändert, sodass Sie nun meinen Ihre Macht- und somit Bedrohungskarte ausspielen zu müssen?“

„Meine Machtkarte?“

„Die Stimme wird eisig, die Aura der Macht bauscht sich um Sie herum auf wie der Umhang des Sensenmanns. Sie wollen mich einschüchtern, ob unbewusst oder bewusst und bei Ihnen, Mr. Holmes, würde ich auf bewusst tippen.“, sagte sie kühl. Sie sah Sherlocks Bruder an und seufzte.

„Miss Amell. Ich glaube Sie ahnen nicht auf welch dünnen Eis Sie sich gerade begeben.“ Ein Hauch von Ungeduld schwang in Mycrofts dunkler Stimme mit.

„Soll mir das jetzt Angst machen?“ Das tat es zumindest. Mycroft war mächtig und er konnte ihr locker etwas antun, würde es vermutlich auch, wenn nicht diese Unbekannte Namens Sherlock im Raum stände. Aus irgendeinem Grund schien der Ältere nicht zu wissen, wo er sie in dem seltsamen Geflecht der Bakerstreet platzieren sollte und bevor er sich auf etwas Ungewisses einließ, wollte er sie wohl eher vertreiben.  

„Das hängt ganz von Ihnen ab, Miss Amell und von Ihrem Verhalten.“

„Was für ein Verhalten wünschen Sie sich denn?“, fragte sie nach und hob eine Augenbraue hoch. Gespannt wartete Sie ab, doch Mycroft schwieg sie an und betrachtete sie mit stechendem Blick.

Catherine stöhnte genervt und strich sich ihren Pony aus dem Gesicht.

„Gut, Warnung angekommen. Wenn jetzt weiter nichts ist, würde ich gerne wieder ins Warme gehen.“ Ihr verletztes Bein hatte angefangen zu schmerzen und zu zittern, während sich ein unangenehmes Pochen von ihrem Oberschenkel ausbreitete. Sie wollte nur noch rein, es sich vorm Karmin gemütlich machen und ausruhen. Also nahm sie all ihren Mut zusammen um Mycroft zu trotzen, straffte ihre Haltung und wollte an ihm vorbeigehen, doch er hob seinen Regenschirm wie eine Schranke.

„Wir sind noch nicht fertig, Miss Amell.“, sagte er eiskalt und ließ Catherine einen Schauer über den Rücken laufen. Wie angewurzelt blieb sie augenblicklich stehen.

Wieder eine Warnung. Sie sollte sich ihm nicht widersetzen, sonst würde er andere Seiten aufziehen, und dieses Mal zweifelte sie daran nicht.

Sie seufzte und ließ die Schultern hängen, drehte sich dann wieder zu Mycroft um und sah ihn an. Dieses Mal hatte sie keinen Trumpf gegen ihn in der Hand und so musste sie wohl so lange ausharren, bis er sie gehen ließ. Geld regierte die Welt? Von wegen, das waren eindeutig die Holmes Brüder. Verdammtes holmeszentrisches Weltbild. Musste schön sein, wenn man die Sonne war und sich alles um einen selbst drehte.

„In welcher Beziehung stehen Sie zu meinem Bruder?“ Eine unverfängliche Frage, doch Catherine wusste, dass sie gefährlich war. Äußerst gefährlich, dennoch konnte sie sich ein hohles Lachen nicht verkneifen.

„Beziehung? Beziehung?“, wiederholte sie und kicherte fast hysterisch. Das durfte doch nicht wahr sein. „Sie sind lustig, Mr. Holmes. Wir haben keinerlei Beziehung. Weiß Sherlock überhaupt wie das geht? Ich bin seine Nachbarin, mehr auch nicht.“

„Und das soll ich Ihnen glauben? Niemand reist nach Serbien um seine Nachbarin zu retten und erst recht nicht Sherlock.“ Mycroft blickte sie hart an und senkte langsam wieder seinen Regenschirm. Sein Blick glitt zielgerichtet zu der Wunde, die die Kugel hinterlassen hatte. „Und eine einfache Nachbarin würde sich für ihn auch keinen Streifschuss einfangen. Mal ehrlich, für keinen normalen Nachbarn und erst recht nicht für Sherlock.“

„Woher wissen Sie…“, Catherine brach ab und hob abwehrend die Hände. „Ach, egal! Ich will es gar nicht wissen. Der Fall war halt interessant für ihn, sagte er.“ Sie zuckte mit den Schultern.

„Bitte!“ Mycroft lächelte kalt und schien amüsiert über ihren Versuch sich zu verteidigen. „Dann hätte er Lestrade oder sonst wen geschickt. Er wäre nie selbst hingereist.“

„Was weiß denn ich, was in Sherlocks ständig laufendem Gehirn vorgeht? Wenn Sie wirklich wissen wollen, warum er das getan hat, dann fragen Sie ihn und halten mich hier nicht fest.“

„Als ob ich eine Antwort bekäme. Besonders eine ehrliche.“, sagte Mycroft und klang mit einem Mal resigniert. Da hatte er gar nicht mal Unrecht. Sherlock würde wahrscheinlich, nur um Mycrofts eins reinzudrücken, eine abstruse Geschichte erfinden oder ähnliches. Er würde seinem Bruder wohl kaum die Wahrheit sagen.

Catherine seufzte resigniert und sah sich gerade auf einmal auf verlorenem Posten. Mycroft schien sich in irgendetwas verrannt zu haben und sie wusste nicht wie sie dort wieder herauskommen sollte.

„Hören Sie, Mr. Holmes…“, setzte schließlich zu einem letzten Versuch an. „Ich weiß ehrlich nicht, was das hier werden soll, aber lassen Sie mich bitte eines klarstellen: Ich bin nicht Ihr Feind oder was auch immer Sie in mir sehen.“ Leicht schüttelte sie den Kopf und sah ihn dann mit einem kämpferischen Ausdruck in den Augen an.

Mycroft hingegen lachte nur leise und sah sie herablassend an.

„Feind? Wie niedlich.“ Catherine rollte mit den Augen und seufzte noch einmal schwer.

„Sehen Sie…ich habe keine Ahnung, was Sie von mir erwarten, aber ich werde Sherlock nicht schaden, selbst wenn ich die Möglichkeit dafür hätte. Und mal ehrlich, die habe ich nicht einmal im Ansatz. Ich bin nur eine kleine, dumme Studentin.“

„Wenn dem so wäre, dann würde sich Sherlock nicht um Sie scheren.“

„Aaaargh!“, entfuhr es Catherine und sie fuhr sich durch die Haare, während die ungeduldig mit dem Fuß aufstampfte. „Sie wollen es nicht begreifen, oder? Sie sind ein verdammter, sturer Idiot! Liegt das bei den Holmes in der Familie?“

Sie erstarrte, als sie realisierte, was sie Mycroft da an den Kopf geworfen hatte. Mist, sie und ihre große Klappe. Mal wieder schneller gesprochen als gedacht. Typisch für sie. Er sah sie skeptisch an und trat einen Schritt auf sie zu. Langsam beugte Mycroft sich zu Catherine herab und sie schluckte leicht, legte ihren Kopf in den Nacken um ihn ansehen zu können.

„Was haben Sie da gesagt?“ Wieder schluckte sie und wünschte sich, dass sie einen Zeitumkehrer hätte, wenn sie hier schon einem Dementor gegenüberstand- oder vielleicht doch Serverus Snape?

„Ich glaube, Sie haben mich schon verstanden!“, entgegnete sie bissig.

//Verdammt, Catherine, hör auf!//, fuhr sie sich gedanklich an. Sie ritt sich so doch nur noch mehr in ihr Verderben hinein, das konnte sie in Mycrofts Blick nur zu gut erkennen. Wie er sie beäugte, als wollte er sie hypnotisieren. Ob er bei Kaa aus dem Dschungelbuch in Lehre gewesen war? Und wieso um Gottes Willen stellte sie gerade so dämliche Vergleiche an? Wollte sie so versuchen den Schrecken, der den mächtigen Politiker umgab, zu schmälern? Sollte er so nicht mehr ganz so erschreckend wirken? Sie wusste es nicht.

„Miss Amell…“, setzte er mit drohendem Unterton an.

„Mr. Holmes, bei allem Respekt…“, unterbrach sie ihm. Gut, sie hatte den Angriff gewählt, wenn auch unbewusst, nun musste sie ihn auch durchziehen. „Aber Sie haben sich da in etwas verrannt. Ich werde nicht Sherlocks Untergang sein. Das wird er schon ganz alleine sein.“ Sie warf kurz einen Blick zum Wohnzimmerfenster von 221b hoch und meinte kurz Schatten zu sehen. Irritiert runzelte sie die Stirn, doch als sie wieder hinsah, waren sie verschwunden. Vielleicht doch nur Einbildung. „Ich habe keine Ahnung, warum er mich gerettet hat. Um ehrlich zu sein, ich war die Letzte, die geglaubt hatte, dass er kommt. Ich war der festen Überzeugung, dass ich da unten sterben würde.“

Sie hatte nicht vorgehabt dies Mycroft zu gestehen- sie hatte es ja selbst John und Sherlock nur indirekt gesagt-, doch es war einfach aus ihr herausgerutscht. Mycroft sah sie kurz einen Moment überrascht an, doch dann kehrte wieder die Maske zurück.

„Ich bin nicht mein Bruder. Ich bin keine Spionin. Alles was ich hier tue, ist ehrlich. Ich werde und ich will ihm nicht schaden und John auch nicht.“, erklärte sie nach einigen Momenten des Schweigens und mit diesen Worten verschwand die Anspannung aus der Stimme. Catherine war ruhig geworden und sprach eine Erkenntnis aus, die sie erst während ihrer Gefangenschaft gewonnen hatte. Auch Mycrofts harte Miene wurde weicher und er betrachtete sie nur noch nachdenklich. In diesem Moment überwog wieder Catherines erwachsenes Verhalten mit dem sie oft überraschte. Niemand traute ihr ein solches Verständnis der Erwachsenenwelt zu- Mycroft wohl besonders nicht-, aber sie verstand das Gefüge des sozialen Lebens schon ziemlich gut. Auch wenn sie es öfters bewusst nicht beachtete.

„Ich verstehe Ihre Sorge um Ihren Bruder…“, fuhr Catherine nach einigem Zögern fort und blickte noch einmal hoch zum Fenster. „Sherlock ist ein…nun, ich weiß noch nicht einmal wie es nennen soll…“

„Ein Arschloch?“, schlug Mycroft vor und für den Hauch eines Moments zuckten auch seine Mundwinkel. Genauso wie bei Sherlock. Catherine stieß ein amüsiertes Schnauben hören.

„Das sehen glaub ich nur viele gern in ihm. Das wäre aber zu einfach. Arroganter Mistkerl würde ich unterschreiben.“ Sie schmunzelte. „Aber dennoch…irgendwie macht es mir immer nur kurzzeitig was aus. Den Rest der Zeit, den ich nicht mit Schnauben, einem Facepalm oder Augenverdrehen verbringe, ist es durchaus amüsant mit Ihrem kleinen Bruder. Was ich aber eigentlich sagen wollte, ist, dass ich verstehe, dass Sie große Vorsicht walten lassen. Seine Art ist nicht einfach und wird ihm sicher mehr als einen Feind bescheren und er selber wird es nie bemerken, in welcher Gefahr er sich damit begibt. Als hätte er Scheuklappen auf und würde einfach stur geradeaus laufen. Es ist gut, dass er mittlerweile John hat, der aufpasst, dass er die Grenzen nicht zu sehr überschreitet. Sherlock braucht in dieser Welt nichts mehr als einen Anker.“
 

~*~
 

Jahuu :) das ging ja doch recht flott, auch wenn mich bisher kein Chap solche Nerven gekostet hatte. Mit Mycroft kann man nicht so spielen wie mit Sherlock oder John. Er ist ebenso tief wie die beiden nur zeigt er es nicht und ihn dann aus der Sicht eines anderen zu schreiben, bringt er ein geringes Repertoir. Einerseits ist er kalt und ungerührt, nur bei Sherlock wird er zur glucke...

Und Sherlock und Mycroft zusammen ist noch schlimmer. Ich mein, eigentlich weist Sherli alles ab, was Mycroft sagt, aber dann kommen wieder so sachen wie beim "Großen Spiel", wo Mycroft Sherlock korrigiert, ist ihm das wiederum völlig egal und er zupft gelangweilt auf der geige rum? bitte???Sherli was denn jetzt? y.y das hat mich fast wahnsinnig gemacht. xD aber es machte auch spaß.

Hoffe ich hab den Iceman gut getroffen und ich krieg nicht zu sehr auf den Deckel.

Und ach ja: Sorry wegen den Harry potter anspielungen xD ich konnte es mir einfach nicht verkneifen :D Mal ehrlich, wenn ich ihn sehe, wenn er seine Machtkarte ausspielt, dann muss ich immer an die Dementoren denken, die alles glück aufsaugen. Ok, mycroft sieht doch wesentlich besser aus *LOL*

Ok, John ist etwas passiv. ich muss echt lernen mehrere charaktere zu handlen in einem raum :) aber vielleicht hielt er sich nur zurück, weil cath udn Sherli schon so in hochform waren und er keinen krieg provozieren wollte :D
 

Ich hoffe nächstes We das nächste hochalden zu können.

Lg,

Jeanne :)

Die Geister der Bakerstreet

12. Kapitel: Die Geister der Bakerstreet
 

John ließ wieder die Gardine zurückgleiten und löste sich von dem Fenster aus dem er das Gespräch zwischen Mycroft und Catherine beobachtet hatte. Feuer prasselte bereits fröhlich im Karmin und in der Wohnstube seiner Wohnung herrschte mittlerweile eine wohlige Wärme.

John wandte sich Sherlock zu, der, wie so oft, auf dem Sofa unter dem Smiley lag und nachdenklich an die Decke starrte.

„Catherine kommt gleich hoch.“, teilte er kurz dem Detective mit, der das mit einem kurzen Grunzen quittierte. John legte nachdenklich die Stirn in Falten, als er sich in einen der Sessel setzte. „Haben Sie eine Ahnung, worum es dabei ging?“

„Nein, keine.“, antworte Sherlock etwas zu schnell und verriet damit, dass er doch zumindest etwas ahnte, aber er würde es John nicht sagen, das wusste er nur zu gut. Er seufzte leise. Sie hatten das Gespräch die ganze Zeit vom Fenster aus beobachtet. Sicher war sicher. Es hatte wohl ihnen beiden nicht behagt sie mit Mycroft allein zu lassen. Catherine hatte schreckliches durchgemacht und Mycroft war zu berechnend und Politiker durch und durch, als dass er sich darum scheren würde. Was auch immer er wollte, er würde versuchen es sich zu holen. John hatte lieber dabei bleiben wollen um auf sie aufzupassen und Notfalls Mycroft Einhalt zu gebieten, doch sie hatte es abgewehrt und sie war nun einmal schon erwachsen, wenn auch noch nicht besonders lange.

„Das glaube ich Ihnen nicht, Sherlock, aber das läuft aufs dasselbe hinaus, richtig? Sie werden mir nicht sagen, was Sie vermuten.“

„Wie ich sehe, beginnen Sie zu lernen, John. Gut.“ Sherlock drehte kurz dem Kopf zu ihm und wie gewohnt zuckten seine Mundwinkel. John erwiderte es, seufzte aber zeitgleich.

„Soll ich Tee kochen?“, wechselte er nun bewusst zu einem unverfänglicheren Thema. Catherine war noch immer ein heikles Thema für Sherlock, ein Thema, was ihn irritierte und über das er erst einmal seine Gedanken ordnen mussten. „Sie haben während unserer Reise viel zu wenig getrunken.“

„Mir geht es gut.“, murrte Sherlock und wandte ihm den Rücken zu wie ein schmollendes Kind. Als könnte John dann nicht mehr mit ihm reden. Er schmunzelte. So intelligent und zeitgleich manchmal noch so kindisch.

„Ja, ja, Ihr ‚Geht mir gut‘ kenn ich. Das letzte Mal, als Sie das gesagt haben, standen Sie unter Drogen und sind aus dem Bett gefallen.“ John wedelte mit der Hand, schüttelte den Kopf und grinste dann breit.

„Sie bemuttern echt alles und jeden, oder John?“, hörte er die ruhige Stimme des Detectives in seinem Rücken, während er die Küche betrat.

„Nun, ich habe nun einmal ein sanftes Naturell.“, erwiderte er grinsend und begann damit den Tee zu kochen. Er hörte bereits die Schritte von Catherine auf der Treppe. Sherlock hatte sich inzwischen wieder aus seiner Embryohaltung gelöst und sah ihn Richtung Tür. John drehte sich ebenfalls zu ihr um und sie schien ein wenig irritiert zu sein. Ihr Blick glitt durch die Wohnung ohne etwas wirklich zu fokussieren und sie blinzelte häufig.

„Alles in Ordnung?“ Seine Stirn war in besorgte Falten gelegt, als er ins Wohnzimmer zurückkehrte. Catherine blieb kurz orientierungslos in dem Chaos stehen, was wie immer hier herrschte, blinzelte und nickte dann.

„Das Gespräch…war überraschend.“, sagte sich mit weit entfernter Stimme und zog die Stirn ebenfalls kraus.

„Sie scheinen verwirrt zu sein.“, stellte Sherlock fest und setzte sich wieder auf. Seine graublauen Augen betrachteten sie nachdenklich und John war sich sicher, dass er versuchte an ihr abzulesen, was Mycroft ihr gesagt hatte. Er hatte schließlich auch das Gespräch zwischen den beiden ungleichen Menschen gebannt verfolgt bis zu dem Zeitpunkt, wo Catherine das erste Mal hochgesehen hatte. Nachdem sie beide sich kurz versteckt hatten, war Sherlock zurück ins Wohnzimmer gegangen, so als hätte er genug gesehen um sich seine Meinung über die Situation zu bilden.

„Verwirrt ist noch gelinde ausgedrückt, Sherlock.“, seufzte die junge Frau und ließ sich in den Sessel fallen.

„Was hat Mycroft gesagt?“ John stellte eine dampfende Teetasse neben ihr auf den kleinen Kirschholztisch ab. Dankbar griff sie nach der Tasse und trank vorsichtig einen Schluck. Wenn Catherine müde oder ausgelaugt von den Strapazen der letzten Tage war, dann verbarg sie es gekonnt. Wüsste John nicht, was vorgefallen wäre, so hätte er das für einen gewöhnlichen Abend gehalten.

Aber sie musste doch psychisch völlig fertig sein. Als sie im Flugzeug erzählt hatte, was man ihr angetan hatte, hatte sie so zerbrechlich gewirkt, so als würde die kleinste Attacke ihre Seele zersplittern lassen. Wie ein Stein, der einen Spiegel zerstörte. Was ihn nicht sonderlich verwunderte, bedachte man, was sie durchleiden hatte müssen. John war ganz flau im Magen geworden, als er ihrem trockenen Bericht gelauscht hatte. Er hatte traumatisches und verstörendes in Afghanistan erlebt, war dafür ausgebildet worden mit solchen Situationen umzugehen, doch er hatte lange- und einen Sherlock- dafür gebraucht, um es zu überwinden. Catherine schien aber schon erstaunlich gut damit umzugehen- oder sie verdrängte es einfach.

„Um ehrlich zu sein…so genau weiß ich das gar nicht.“, beantworte sie nach einigen Momenten des Überlegens.

„Sie wissen es nicht?“ Sherlock sah sie irritiert an und zog eine Augenbraue hoch.

„Also, ich hab schon verstanden, was er gesagt hat.“, gab sie bitter zurück und warf Sherlock einen verstimmten Blick zu. „Ich habe nur den Zweck nicht so ganz verstanden oder eher…wenn es der ist, den ich vermute, dann weiß ich nicht, was ich davon halten soll.“ Als sie Sherlocks Blick sah, schüttelte sie den Kopf.

„Ich glaube auch nicht, dass das wirklich relevant ist.“

„Bei Mycroft ist alles relevant.“, sagte nun auch John. Er würde zwar Mycroft an sich nicht als gefährlich bezeichnen, aber er war dazu in der Lage jede kleinste Information in eine Gefahr zu verwandeln und seine Kontakte machten ihn zu einem beachtenswerten Puppenspieler, den man niemals unterschätzen sollte. Catherine war aber sicher schlau genug um diesen Fehler nicht zu begehen. Sie hatte ein gutes Gespür für Menschen und wie man mit ihnen umzugehen hatte.

Kurz schien sie über seine Worte nachzudenken, dann zuckte sie mit den Schultern.

„Das soll heute nun wirklich nicht mehr mein Problem sein. Nach den letzten Tage sehe ich das Gespräch mit Mycroft als kleines Problem an.“ Ihre Stimme war müde und sie rieb sich mit den Handballen über die Augen. John nickte verstehend und Sherlock war bereits hinter der Titelseite der Guardian verschwunden. John war sich nicht sicher, ob er wirklich uninteressiert an diesem Gespräch war oder nur so tat.

John seufzte und sah ein, dass das Gespräch hier keinen Sinn mehr machte. Keiner der Beiden schien darüber sprechen zu wollen. Auch wenn er sich darüber noch Gedanken machte, sah er ein, dass es zumindest für heute ruhen konnte. Er spürte, dass Catherine nichts lieber wollte, als schnellstmöglich in ihre Wohnung zu gehen, doch er konnte sie nicht gehen lassen, bevor er sich ihre Wunden noch einmal genauer angesehen hatte.

Er griff nach seiner Arzttasche und zog sie zu sich heran.

„Ziehen Sie bitte die Hosen runter, Catherine.“, sagte er unbekümmert und bekam von ihr einen skeptischen Blick zugeworfen.

„Ich steh normalerweise erst noch auf ein Vorspiel.“, sagte sie trocken und unterdrückte ein Zucken ihrer Mundwinkel. John wurde beinahe rot, rollte dann aber die Augen.

„Und ich verbitte mir so etwas in meinem Wohnzimmer.“, ertönte Sherlocks Einwand von hinter der Titelseite, die irgendetwas von einem Skandal im House of Lords berichtete, noch bevor er etwas hätte erwidern können. John seufzte und sagte mit vollkommen ruhiger Stimme:

„Erstens ist es immer noch unser Wohnzimmer, Sherlock, und zweitens wissen Sie doch gar nicht, ob ich das nicht vielleicht doch schon mal hier gemacht habe. Sie sind öfters über Nacht weg.“ John schmunzelte.

„Was Sie hier mit Ihren Freundinnen versuchen, während ich weg bin, ist mir gelinde gesagt egal. Ich verspüre nur nicht den Drang mir das Elend ansehen zu müssen.“, antwortete Sherlock schlicht und schlug die Nächste Seite auf. John seufzte erneut und schüttelte leicht den Kopf. Er war mittlerweile abgehärtet genug um von diesem Spruch nicht verletzt oder brüskiert zu sein. Er glaubte sogar, dass der Detective es gar nicht mal so meinte, doch sein sonstiges Verhalten machte es nicht leicht einzuschätzen, wann der ernste Tonfall den Sarkasmus tarnte oder aber er es ehrlich meinte. Jedenfalls ging John nicht auf die Spitze ein und zog Desinfektionsmittel, eine antiseptische Salbe und Mulden hervor.

„Immerhin habe ich Erfolg.“, kommentierte er dann doch trocken.

„Schön, Sie haben Erfolg bei der Befriedigung eines animalischen Urinstinktes. Gratuliere, John.“ Müde rieb sich John über die Augenbrauen und warf Sherlock einen genervten Blick zu. Er verkniff sich einen Konter. Sherlock würde eh wieder irgendetwas Neues finden und er sah stattdessen Catherine an. Diese war inzwischen aufgestanden und hatte ihre Hose bis zu den Kniekehlen hinunter gezogen.

„Dann gewinnt John aber evolutionär gesehen, Sherlock, während Ihre hervorragende Gene verloren gehen.“, kam ihm unerwartet Catherine zur Hilfe.

„Er benutzt doch ein Kondom.“ Catherine schlug sich vors Gesicht, während John immer wieder mit seinem Kopf gegen seine, auf die Lehne abgelegten, Arme donnerte. Das durfte doch nicht wahr sein! Woher wusste dieser Mistkerl das denn schon wieder? Er hatte den Beischlaf mit seinen Freundinnen doch noch nie hier vollzogen. Allein Gedanke erschien ihm unmöglich. Was wenn Sherlock mittedrin vor ihnen stand und sie mit seinem typischen missmutigen Blick ansah. John bekam allein bei dem Gedanken eine Gänsehaut.

„Bei dieser Sachlichkeit macht das gar keinen Spaß.“, murmelte Catherine leise, sodass Sherlock sie nicht hören konnte.

„Wir sollten aufgeben, Catherine. Es hat keinen Sinn.“

„Sieht danach aus…“, murrte sie. Sie pattete John einmal kurz, während sie ihn mitleidig lächelte. Dann war endlich diese für ihn äußerst peinliche Situation vorbei und er konnte sich dem eigentlichen Sinn hinter seinem leichtsinnigen Satz widmen. Er hätte es besser wissen müssen. Bei diesen beiden musste man wirklich bei jeden Satz vorsichtig sein und John glaubte allmählich, dass er es sich schon einmal auf dem verlorenen Posten gemütlich machen konnte. Nicht, dass er nicht kontern konnte, aber beide sprachen Dinge an, über die er normalerweise nicht gerne sprach.

Die medizinische Versorgung war relativ schnell abgeschlossen. Die Hämatome und Schwellungen an Gesicht und Hüfte waren bereits stark zurückgegangen und nur noch zu erahnen. Auch die Wunde am rechten Oberschenkel verheilte gut. Es hatte sich bereits die erste Kruste gebildet und John konnte keine Anzeichen einer Entzündung entdecken. Soweit er es zum jetzigen Zeitpunkt sagen konnte, würde noch nicht einmal eine Narbe zurückbleiben.

Als er sie erneut gereinigt und die Naht kontrolliert hatte, verband er sie wieder vorsichtig und schließlich konnte sich Catherine ihre Hose wieder anziehen.

„Huuhuuu!“ Keinen Moment zu früh. Kaum hatte Catherine den Knopf ihrer Hose geschlossen und sich wieder gesetzt, schneite Mrs. Hudson wie immer gewohnt fröhlich herein. „Ich wollt doch meinen, dass ich gehört habe, dass meine Jungs wieder da sind.“ Sofort klarte die Stimmung in der Wohnung auf. Ihre Vermieterin war die gute Seele der Bakerstreet und John konnte noch immer nicht ganz glauben, dass Sherlock ihr dabei geholfen hatte ihren Mann zum Tode zu verurteilen. Er hatte sie nie danach gefragt, aber vielleicht war es auch nur einer von Sherlocks Scherzen gewesen. Obwohl, warum hätte er lügen sollen? Er hatte erst später damit angefangen Witze zu reißen. Schlussendlich war es aber auch egal.

„Sie waren aber lange weg diesmal, meine Lieben. Und noch immer diese Unordnung.“, stellte die ältere, aber noch so fesch gebliebene, Dame fest, als sie sich einmal um ihre Achse drehe.

„Mrs. Hudson.“, begrüßte Sherlock sie freundlich- die Zeitung hatte er wohl schon weggelegt, als er ihre Schritte gehört hatte-, stand auf und gab ihr einen kurzen Kuss auf die Wange. Mrs. Hudson war die Einzige, bei der Sherlock so etwas wie menschliche Nähe zuließ. John konnte das verstehen. In der Zeit, in der nun schon hier in der Bakerstreet lebte, hatte Mrs. Hudson eine mütterliche Rolle eingenommen und sie kannte Sherlock noch länger. Sie war auch die Einzige, die Sherlock tadeln durfte, ohne dass er einen bissigen Kommentar abgab.

Nun stand auch John auf und begrüßte Mrs. Hudson herzlich, bot ihr eine Tasse Tee an, die sie dankbar annahm. Für einen kurzen Moment war Catherine vergessen und sie schien das zu spüren, denn sie sagte kein Wort. Als John wieder einfiel, dass sie ja noch da war, blickte er sie kurz an und etwas Seltsames lag in ihrem Blick, während sie die liebevolle Begrüßung beobachtete.
 

~*~
 

Das war also Mrs. Hudson. Catherine hatte die Vermieterin von Sherlock und John bisher noch nie angetroffen. John hatte ihr zwar schon einiges von ihr erzählt, sodass sie sich schon ein grobes Bild von ihr hatte machen können und sie entsprach diesem auch genau, aber sie hatte sie noch nie getroffen. Ihre Haare waren in einem schönen, natürlichen braun gefärbt und zu seinem modischen Kurzhaarschnitt frisiert. Ihre ganze Ausstrahlung war die reinste Warmherzigkeit und Catherine sah nur zu gut wie sehr sie ihre Jungs liebte.

Als Catherine beobachtete, wie Sherlock sie so warm begrüßte, ihr sogar körperliche Zuneigung zugestand, bekam diese freundliche Situation etwas Surreales für sie. Sie hätte nie gedacht, dass Sherlock dazu überhaupt in der Lage war und doch kam es bei in diesem Moment so natürlich rüber, dass Catherine unweigerlich an Familie denken musste. Sie waren eine kleine, aber liebevolle Familie.

Der Anblick war so vertraut, so voller Liebe zueinander, dass es ihr so vorkam, als gehöre sie nicht mehr dazu. Sie hatte hier keinen Platz. Wie denn auch? Und doch schmerzte es ihr, das sehen zu müssen.

Sie hatte ihre Familie kaum kennen gelernt und eine solche Art der Begrüßung war ihr völlig fremd. Es war als würde sie draußen im kalten Schnee stehen und durch ein Fester zusehen wie in einer warmen Stube gespeist wurde. Die Zuneigung war direkt vor ihrer Nase, sie konnte sie nur nie selbst empfinden, denn ihre Familie gab es nicht mehr.

Ab dem Moment, indem Mrs. Hudson die Wohnung betreten hatte, war sie vergessen worden. Sie war nur noch ein Schatten. Für John und Sherlock gab es nur noch Mrs. Hudson und Catherine spielte mit dem Gedanken zu gehen. Dieses Bild des Glückes konnte sie nicht ertragen, zeigte es doch nur zu gut wie einsam sie doch war. Wie sie Mycroft gesagt hatte, sie hatte keine Beziehung zu Sherlock und ihre zu John war auch etwas anderes. Sie passte hier gerade nicht her.

Fast so, als hätte er ihre Gedanken gehört, drehte sich John zu ihr um, während Mrs. Hudson noch eifrig auf Sherlock einredete und dieser es mit einem geduldigen Lächeln ertrug.

Catherine erwiderte Johns Blick und versuchte zu Lächeln, doch ihr war klar, dass es mehr als künstlich wirkte. Der Arzt legte die Stirn in Falten und neigte den Kopf, um sie eingehender mustern zu können. Sie schüttelte kurz den Kopf um seine Fragen zu zerstreuen und versuchte noch einmal zu lächeln, doch sie konnte ihre Wehmut wohl nicht verbergen, denn John zog nur ungläubig die Augenbrauen hoch.

Plötzlich fasste Mrs. Hudson Sherlock bei den Ärmeln und schob ihn sanft, aber bestimmt zur Seite.

„Und wer ist diese hübsche, junge Dame?“, fragte sie neugierig und trat einen Schritt auf Catherine zu. „John, haben Sie etwa…“

„Aber nein, Mrs. Hudson.“, unterbrach John sie lachend, bevor sie ihren Gedanken zu Ende spann. Sherlock schmunzelte ebenfalls, als die Vermieterin in dieselbe Richtung dachte, in die sie vorhin ihr Spiel mit John getrieben hatten.

„Mein Name ist Catherine Amell, Mrs. Hudson.“, erklärte Catherine freundlich, ging auf sie zu und reichte ihr die Hand. Jetzt war der Moment ihre durchaus gute Kinderstube zu zeigen und einen netten, höflichen Eindruck bei der Dame zu hinterlassen. Ihr war stets eingeprägt worden respektvoll mit älteren Mitmenschen umzugehen. „Ich bin die neue Nachbarin aus 220. Sehr erfreut Sie endlich kennen zu lernen.“

„Oh, was für eine höfliche, junge Frau.“, sagte Mrs. Hudson begeistert und umfasste Catherines Hand mit den ihren. Ihre feinen, warmen Hände waren angenehm und zärtlich.

„Kenn Sie sie schon länger, Sherlock?“, fragte sie nach dem Offensichtlichen. Vermutlich wusste sie es schon selbst, schließlich würde Catherine andernfalls nicht teetrinkend in der Wohnung der beiden sitzen. Sherlock sah Catherine kurz amüsiert an, sie wusste aber nicht wieso.

„Eine Weile…“, erklärte er ruhig und schmunzelte noch immer. Keine Spitze? Obwohl Mrs. Hudson aus Sherlocks Sicht eigentlich etwas Dummes gefragt hatte? Catherine war überrascht. Er musste sie wirklich sehr mögen.

„Etwas über drei Monate.“, präzisierte John und ließ sich in den Sessel nieder.

„Und warum haben Sie mir sie dann nicht schon eher vorgestellt?“, fragte sie ein wenig empört.

„Ich bin heute erst das dritte Mal in dieser Wohnung, Mrs. Hudson.“, erklärte Catherine sanft und legte ihre Hand über die ihre. „Vermutlich waren Sie während der ersten beiden Male nicht zugegen.“

„Erst waren Sie bei Ihrer Schwester und dann haben Sie wieder einmal viel zu viel Geld für neue Klamotten ausgegeben.“ Sherlock grinste und ging zurück ins Wohnzimmer, setzte sich auf die Couch und streckte die Beine aus.

„Oh, Sherlock.“, schimpfte Mrs. Hudson halbherzig, lächelte aber. Dann wandte sie sich wieder Catherine zu und ihre Augen bekamen einen besorgten Ausdruck.

„Liebes, geht es Ihnen nicht gut? Sie sind so blass.“ Ihre Finger umfassten Catherines Wangen und strichen über ihre helle, aber makellose Haut. Catherine hingegen sah Mrs. Hudson überrascht an. Sicherlich wusste sie, was Sherlock tat, doch wie viel wusste sie genau? Sie verspürte nicht die Lust der Dame zu erklären, was genau in den letzten vier Tagen passiert ist. Sie sah kurz John an, der zustimmend nickte, dann wandte sie sich wieder an die freundliche Vermieterin und antwortete:

„Nein, alles in Ordnung.“, erklärte sie in einem freundlichen Ton. „Ich habe in letzter nur ein bisschen viel gearbeitet. Das ist alles.“ Catherine wusste nicht, ob Mrs. Hudson ihr das glaubte, doch sie ging zumindest nicht näher darauf ein.

„Wo arbeiten Sie denn?“

„Ich bin momentan Bachelorandin an der Naturwissenschaftlichen Fakultät der University of London. Genaugenommen in der Mikrobiologischen Abteilung.“

„Wenn Catherine nicht aufpasst, haben wir bald eine mutierte Superhefe.“ Sie holte bebend Luft und warf Sherlock einen bösen Blick zu.

„Ja, und die kommt dann zufällig in IHREN Kuchen, Sherlock, und dann haben Sie ganz furchtbare Blähungen oder der wird Teig so stark aufgehen, dass er in Ihrem Gesicht explodiert.“

„Ich esse keinen Kuchen und backe erst recht nicht.“, erwiderte er gelassen und lächelte sie herablassend an. John zog eine Augenbraue hoch und Catherine sah es. Offensichtlich aß er doch zumindest ab und zu Kuchen.

„Bitte, Sie zwei, hören Sie auf zu streiten.“

„Sie streiten nicht, Mrs. Hudson.“, sagte John beschwichtigend und trank ruhig einen Schluck Tee. „Das ist nur eines ihrer seltsamen Spiele.“

„Das ist kein Spiel!“, riefen Sherlock und Catherine gleichzeitig aus und sahen sich überrascht an. John kicherte nur leise.

„Natürlich nicht.“ Exakt zeitgleich zogen die beiden eine beleidigte Schnute, was John nur losprusten ließ. Mrs. Hudson sah kurz zwischen allen beteiligten hin und her, lächelte dann sanft und ging in die Küche.

„Ich hab noch etwas von dem Auflauf übrig, den ich gekocht habe. Er müsste noch für uns alle reichen.“, sagte sie fröhlich. „Und dann müssen Sie mir alles von sich erzählen, Miss Amell.“ Damit verschwand sie aus der Wohnung und lief die Treppe hinunter. Catherine blinzelte irritiert, von der Situation ein wenig überfordert.

„Ähm…“, stotterte sie. „Ich glaube das Rübergehen kann ich nun vergessen…“ Sie blinzelte noch einmal irritiert. Noch völlig überrumpelt von Mrs. Hudson mütterlicher Bestimmtheit.

„Nur, wenn Sie auf Höflichkeit bedacht sind und bei Ihrem bisherigen Verhalten geh ich davon aus.“ Sherlock ließ sich auf die Couch nieder und sah sie schadenfroh an.

„Ich bin immer höflich…nur ein gewisser Sherlock Holmes macht es mir immer schier unmöglich höflich zu bleiben.“, zischte sie zwischen zusammengepressten Zähnen vor. Kam es ihr nur so vor oder war Sherlock nun noch herablassender zu ihr als sonst? Dabei hatte sie fast gedacht, dass sich nach der Serben Sache etwas zwischen ihnen geändert hatte, aber es schien beinahe das Gegenteil zu sein. Ob sie ihn genervt hatte? Jedenfalls schien er sie nun eine Stufe herabgestuft zu haben, denn er kam ihr nun wieder kalt und abweisend vor. Sogar noch mehr als damals, wo sie sich kennengelernt hatten, beinahe so kalt wie Mycroft, nur mit unverhohlener Missachtung.

„Machen Sie sich schon einmal auf einen langen Abend gefasst, Catherine. Wenn Mrs. Hudson sagt, sie will alles wissen, dann will sie wirklich alles wissen.“, schmunzelte John und versuchte Sherlocks seltsames Verhalten zu überspielen.

„Wie?“

„Sie mussten ihr ja sagen, dass Sie zu viel gearbeitet haben. Nun wird sie Sie hochpäppeln wollen.“, sagte Sherlock gelassen und begann wieder die Zeitung zu lesen. Catherine seufzte resigniert.

„Das heißt, dass ich wirklich vorerst nicht rüber in meine Wohnung komme, richtig?“

„Sie können froh sein, wenn Sie es vor Mitternacht schaffen.“ Catherine seufzte und ließ sich zurück in den Sessel fallen.

„Großartig…ist denn einfach eine Runde schlafen zu wollen zu viel verlangt?“

„Bei so etwas langweiligen, oh ja.“

„Das reicht. In Ihren nächsten Kuchen packe ich gfp verschmolzene Hefe. Dann haben Sie einen fluoreszierenden, leuchtenden Kuchen.“, antwortete Catherine verstimmt.

„Ich bevorzuge ein leuchtendes Kaninchen.“ Sherlock blickte ungerührt von seiner Titelseite auf.

„Ok, das merk ich mir für Heiligabend.“, sagte sie trocken. Verstand denn keiner, dass sie einfach ihre Ruhe haben wollte, damit sie all das verarbeiten konnte? Nun blickte sie einem Abend voller bohrender Fragen, Sherlocks Sprüchen und Johns Amüsement entgegen, wobei sie noch ganz nebenbei das Gespräch mit Mycroft beurteilen musste und welche Konsequenzen es eventuell mit sich zog. Das versprach doch ein reizender Abend zu werden.
 

~*~

Es wurde tatsächlich ein reizender Abend. Der Auflauf von Mrs. Hudson war wahrlich fantastisch. Selten hatte Catherine etwas so gutes gegessen und nun fragte sie sich wie es gewesen wäre, wenn sie ihre Großmutter kennengelernt hätte. Ob sie dann häufiger so gute Hausmannskost bekommen hätte?

Die Stimmung war sichtlich gelöst. Sie alle aßen gut, wobei Mrs. Hudson mehrmals ungefragt Sherlocks Teller auffüllte, was er mit einem missmutigen Blick quittierte, aber nichts weiter dazu sagte und brav aß. John amüsierte sich zusammen mit Catherine darüber köstlich, während Mrs. Hudson ihn beinahe stolz ansah, als er murrend nun schon die dritte Portion verspeiste.

Johns Prophezeiung war ebenfalls eingetreten. Mrs. Hudson wollte wirklich alles von Catherine wissen. Wie alt sie war, woher sie kam- an dieser Stelle erzählte Mrs. Hudson lang von einem Urlaub, den sie in jungen Jahren in Cardiff verbracht hatte-, was genau sie in ihrem Labor machte- Sherlock machte keinen Hehl daraus, dass er die Biologie noch immer als minderwertig ansah-, wie sie die beiden kennengelernt hatte und so vieles mehr. Catherine antwortete geduldig und mit einem freundlichen Lächeln. Dieses seltsame, brustzuschnürende Gefühl der Wehmut hatte sich etwas gelöst und sie genoss diesen entspannten Abend. Sherlocks typische Sprüche nahm sie gelassener auf als sonst und sprach mit John über Gott und die Welt. Seltsamerweise, trotz allem was sie erlebt hatte, war das der erste Moment indem sie sich in London angekommen fühlte.
 

~*~

Ja, das war seine Mrs. Hudson. Sherlock musste lächeln. Die Sanftheit in Person und doch so clever, wenn es darauf ankam. Ihm war bewusst, dass ihr Verhältnis einem normal menschlichen wohl am Ähnlichsten war. Er wusste auch wie seltsam es für Außenstehende wirken müsste, wenn sie ihn vermeintlich kannten. Als den hartherzigen, alles abweisenden Soziopathen, nur um dann zu erleben, wie er bei Mrs. Hudson so etwas wie Wärme zuließ. Das musste verwirrend sein, aber ihm war das nur recht. Ließ ihn auch weiterhin uneinschätzbar erscheinen. Warum also nicht?

Wenn Sherlock ihr Verhältnis hätte benennen müssen, würde er sagen, dass sie eine Art Mutter für ihn war. Auf jeden Fall mehr als seine biologische Mutter. Sein Elternhaus war stets streng und bedacht darauf gewesen diesen lächerlichen Schein der wundervollen Familie zu wahren, dass es ihn mehr als einmal beinahe verrückt gemacht hatte. Oft genug hatten sie versucht ihn zu verändern, zu etwas zu machen, was er nun einmal nicht war und auch niemals sein wollte. Aber das hatten sie schlicht nie akzeptiert.

‚Warum kannst du nicht so sein wie Mycroft?‘ Hatten sie ihn oft gefragt. Oh, wenn sie nur gewusst hätten, wie ihr wundervoller, älterer Sohn wirklich war, dass er weit schlimmer war als er, was hätten sie dann gesagt?

Bei Mrs. Hudson war es anders. Seit Sherlock sie kannte, hatte sie seine Maroden und seine Eigenarten akzeptiert. So wie wohl allgemeine menschliche Vorstellungen von einer Mutter waren. Sherlock war von ihr nie dazu angehalten worden sich zu verändern. Sicher, Mrs. Hudson war manchmal brüskiert über sein Verhalten- und mal ehrlich, wer war das nicht?-, aber sie hatte es jedes Mal akzeptiert. Sie war die Erste gewesen und das war für ihn so merkwürdig gewesen, dass er vermutlich unterbewusst eine enge Verbindung zu ihr aufgebaut hatte. Außerdem ließ sich Sherlock durchaus gerne bemuttern.

Es hatte ihn amüsiert mit anzusehen wie Mrs. Hudson es schaffte Catherine völlig aus dem Konzept zu bringen. Immer und immer wieder. Sie wusste nicht wie sie mit der offenen Freundlichkeit der älteren Dame umgehen sollte.

Bei der Begrüßung war ihm natürlich aufgefallen, dass sie sich ausgeschlossen gefühlt hatte. Er bekam schließlich alles mit. Deshalb hatte er bewusst die Begrüßung freundlicher ausfallen lassen. Zugegeben, er freute sich wirklich Mrs. Hudson zu sehen, doch auf ein gemütliches Abendessen hätte er verzichten können, doch ihm war nicht entgangen, dass Catherine angefangen hatte ihn zu analysieren und er wollte alles tun um sämtliche Erkenntnisse zu zerstreuen.

Niemand kannte ihn, Catherine schon einmal gar nicht und sie sollte sich bloß nicht etwas anderes einbilden. Da kam ihm seine etwas außergewöhnliche Beziehung zu Mrs. Hudson mehr als recht.
 

~*~

John genoss den Abend ebenso sehr wie die restlichen Anwesenden. Es tat gut nach den letzten Tagen voller Horrorvorstellungen einfach nett beisammen zu sitzen und sich zu unterhalten. Die Atmosphäre war locker wie selten und er wusste, dass das an Mrs. Hudson lag. In ihrer Nähe hielten sich sowohl Sherlock als auch Catherine mit ihren Sprüchen zurück. Zum Glück hatte Sherlock so eine gute Bindung zu der Frau und bei Catherine war es die erlernte Höflichkeit, die sie umsichtiger als sonst werden ließ.

Es war eine amüsante Runde voller Geschichten der ständig redenden Mrs. Hudson, einer davon ein wenig überforderten Catherine, eines ebenfalls leicht genervten, aber sich über ihre Unsicherheit amüsierenden Sherlock und John, der das Ganze einfach beobachtete und sich das gute Essen schmecken ließ. Es war nicht schwer zu erkennen, dass Catherine eine solche Situation nicht kannte und nicht genau wusste wie sie damit umgehen sollte, doch Mrs. Hudson liebevoll, neugierige Art ließ die junge Frau schnell lockerer werden und sie begann mehr von sich aus zu erzählen.

Sherlock schien darüber beinahe zufrieden zu sein, was John ehrlich gesagt verwunderte und er beobachtete seinen besten Freund. Irgendetwas war seltsam an ihn- ok, seltsamer als sonst- und er verstand es nicht genau, aber im Moment sollte es ihm egal sein. Er genoss einfach mal einen normalen Abend, wo kein Verbrechen sie störten. Tja, John. Zu früh gefreut.
 

~*~
 

Gerade als Catherine über die Anfänge ihrer Studienzeit berichtete, hörte sie hastige Schritte, die die Treppe hinaufkamen. Irritiert drehte sie sich zur Tür um und sah einen Mann mittleren Alters und grauen Haaren hineinstürmen.

„Sherlock!“, rief er aus und blieb schwer atmend im Türrahmen stehen. Wohl eher aus Wut, denn aus körperlicher Anstrengung, denn er schien gut trainiert zu sein.

„Lestrade.“, grüßte Sherlock unbeeindruckt und schob sich eine Portion Auflauf demonstrativ in den Mund. Catherine hingegen runzelte irritiert die Stirn. Das war also Detective Inspector Lestrade. Somit kannte sie also alle seltsamen Geister, die es mit Sherlock Holmes aushielten. Der Inspector schien wegen irgendetwas sehr aufgebracht zu sein. Er schnaufte, seine Augenbrauen waren verärgert gesenkt und seine Augen funkelten zornig.

„Hey, Greg.“ John hob die Hand und auch Mrs. Hudson grüßte den Inspector freundlich.

„Guten Abend.“, sagte auch Catherine, doch wieder wurde sie ignoriert. Lestrade hatte nur Augen für Sherlock, durchbohrte ihn förmlich mit seinem Blick, doch dieser blieb völlig unbeeindruckt, blickte den DI sogar teilweise unschuldig an.

„Wo zum Teufel sind Sie gewesen? Ich warte seit einer Woche auf Ihren ach so brillanten Einfall in Sachen Lagerhaus Mord.“, schnaubte er und verschränkte die Arme vor der Brust.

„Ich war anderweitig beschäftigt.“

„Anderweitig?“, wiederholte er ungläubig und sein Blick wurde noch ein wenig finsterer. „Verdammt, Sherlock! Meine Vorgesetzten sitzen mir schon im Nacken! Sie wollen Resultate sehen.“

„Ist das mein Problem?“, fragte Sherlock und blinzelte Lestrade ungerührt an.

„Greg…es ist so…“, setzte John an um den DI zu beruhigen, doch dieser hob die Hand und ließ ihn verstummen. Der Arzt runzelte die Stirn.

„Nein, John. Ich möchte keine Rechtfertigung von Ihnen hören.“ Mrs. Hudson schien zu spüren, dass das Gespräch in eine unangenehme Richtung ging, denn sie warf Sherlock einen mahnenden Blick zu, räumte ab und verschwand in ihre Wohnung.

„Dann sollten Sie Ihnen Resultate liefern.“ Sherlock legte seinen Kopf auf seine verschränkten Hände. „Ich sagte es Ihnen schon einmal, Lestrade, ich bin nicht ihr Spürhund.“

„Ich wünschte es wäre so.“, gab Lestrade garstig zurück. „Dann könnte ich Sie in einen Käfig sperren und rausholen, wenn ich Sie bräuchte.“

„Sie brauchen mich immer.“

„Sherlock!“, zischte John und warf ihm einen aufgebrachten Blick zu. „Hören Sie auf!“ Sherlock ignorierte ihn jedoch und blickte nur mit seinem seltsam ruhigen Blick Lestrade an, der ihn ebenfalls aufgebracht ansah.

Catherine hingegen rückte unruhig auf ihren Stuhl hin und her und spürte Gewissensbisse. Das war ihre Schuld. Sherlock wurde wegen ihr so angefahren. Sicher, das machte ihm nichts aus, dennoch fühlte sie sich schlecht deswegen. Wie Sherlock bei ihrem ersten Treffen richtig gesagt hatte, sie wollte möglichst wenige Umstände bereiten. Erst recht nachdem, was die beiden für sie getan hatten. Obwohl sie über Sherlocks Motivation lieber nicht nachdachte, das würde alles wieder kaputt machen.

„Wie Sie sicher mittlerweile von Mycroft wissen, war ich im Ausland. Ich mag es nicht, wenn Sie meinen Bruder anrufen, nur weil ich mal nicht springe, wenn Sie Hopp sagen.“ Sherlocks Gesicht verfinsterte sich und seine Stirn legte sich in Falten. Lestrade starrte aufgebracht zurück. John seufzte und schüttelte nur den Kopf, schwieg aber. Ein Eingreifen hätte hier keinen Sinn, das merkte selbst Catherine. Sie wusste von dem Arzt, dass sich Sherlock und Lestrade am längsten von allen hier kannten und sicher wussten die beide ihren Tanz alleine aufzuführen. Andere Tänzer würden nur den Rhythmus durcheinander bringen.

„Manchmal könnte ich Sie wirklich…“, setzte der Inspector wütend an.

„Inspector Lestrade…“, unterbrach Catherine Lestrade dann doch nach einigen Momenten des Zögerns. „Das war mein Verschulden. Ich habe Sherlock davon abgehalten.“

Die Männer sahen sie überrascht an- allesamt- und sie fühlte sich gleich noch unbehaglicher unter diesen durchdringenden Augen. Aber es war nun einmal ihre Schuld gewesen und nicht Sherlocks. Auch wenn er, seit sie in die Bakerstreet gegangen waren, eklig ihr gegenüber verhalten hatte, so war sie doch nicht gewillt, dass er die Schuld für etwas bekam, wofür er im Prinzip nichts konnte.

Deshalb straffte sie ihre Haltung und sah Lestrade an. Dieser blickte sie an, als hätte er eben erst realisiert, dass sie überhaupt da wäre.
 

~*~
 

Sherlock war überrascht, dass sie sich für ihn einsetzte und ihn verteidigte. Normalerweise waren Menschen doch froh, wenn sie keine Schuld aufgeladen bekamen und jemand anders als Sündenbock herhalten musste, so hatte er es zumindest im Laufe der Jahre erfahren, doch Catherine war bereit ihre Schuld zu tragen und wollte offensichtlich nicht, dass Sherlock wegen ihr Ärger bekam. Was ihn aber noch mehr überraschte, war, dass sie es tat, obwohl er die letzten Stunden bewusst eklig zu ihr gewesen war.

Sherlock hatte gespürt, dass sich in Serbien etwas zwischen ihnen verändert hatte, doch er wollte das nicht akzeptieren und deshalb versuchte er sie mit allen Mitteln von sich zu stoßen. Dennoch schaffte Catherine es immer wieder ihn zu überraschen. Alle Konventionen, die er über menschliches Verhalten bisher erlernt hatte, schienen bei ihr nicht zu passen. Immer wenn er meinte, er könnte die junge Studentin einordnen, entzog sie sich seinem Cluster.

Die Anwesenheit von Lestrade machte seine Laune nicht zwingend besser. Im Gegenteil. Sie war schlagartig gesunken, als er den DI hatte eintreten sehen, auch wenn er natürlich damit gerechnet hatte. Lestrade war eine Art Wachhund Mycrofts, der aufpassen sollte, dass Sherlock nichts Dummes anstellte- dumm aus Mycrofts Sicht. Er selber empfand es selber niemals als dumm. Er tat Dinge immer nur um etwas zu bezwecken, sämtliches Handeln hatte einen Grund!

Lestrade hatte Sherlock vor fünf Jahren aus dem Drogensumpf geholt. Sherlock vermutete noch immer Mycroft den Puppenspieler dahinter. Normalerweise hätte er das niemals zugelassen, doch Lestrade hatte ihm eine Aufgabe geben. Er ließ Sherlock arbeiten, sein Gehirn benutzten und er vertraute ihm, dass wusste Sherlock. An sich hatte er nichts gegen den DI, er war nicht ganz so einfältig wie der Rest bei Scotland Yard und vor allem stellte er Sherlock niemals in Frage. Wenn Sherlock bei Ermittlungen sagte: Tun Sie dies, überprüfen Sie das! Schicken Sie mir diese Proben in mein Labor!, dann tat er das ohne Murren und achtete dabei auch nicht auf die Verwirrung seines Dezernats. Er ließ Sherlock die Sache herangehen wie er es für richtig hielt und das hatte Sherlock die nötigen Anreize gegeben um von den Drogen loszukommen.

Dennoch kam er nicht drum herum festzustellen wie furchtbar langsam alle um ihn herum waren. Wie konnte man das nur aushalten solange zu brauchen bis man begriff- oder eben auch nicht?

Dass der DI nun hierherkam und ihn noch so wütend anfuhr, ließ Sherlock sämtliche Abwehrmechanismen hochfahren. Er lässt sich von Niemanden irgendetwas sagen und deshalb bremste er Lestrade aus und warf ihm Sprüche an den Kopf, obwohl er längst Ergebnisse für ihn hätte. Er hatte ihm den Telefonterror noch nicht verziehen und nun hatte er noch die Dreistigkeit hier aufzutauchen, wo sie gerade erst gelandet waren. Sicherlich hatte Mycroft es ihm gesagt, ansonsten könnte Lestrade es nicht wissen. Verfluchter Mycroft! Das würde er ihm büßen.

Sherlock presste die Lippen zusammen und betrachtete den vor Wut bebenden DI. Er hatte mindestens die letzte Woche kaum geschlafen und offensichtlich machten seine Vorgesetzten ordentlich Druck, aber Lestrade kam wohl nicht weiter mit dem Fall. Das ist ja auch nicht verwunderlich. Schließlich hatte er ja die entscheidende Verbindung nicht, die Catherine ihm gegeben hatte. Aber das würde Sherlock noch schön genießen. Wenn Lestrade meinte ihn behelligen und anfahren zu müssen, dann müsste er halt noch ein wenig länger warten.

„Und wer zum Henker ist das?“, hörte er den DI fragen, als er endlich auch Catherine entdeckte und Sherlock rollte mit den Augen. Das hatte er ja wahrhaft schnell bemerkt, dass sie hier nicht alleine saßen. Er hatte ja noch nicht einmal ihre Begrüßung wahrgenommen. Etwas, was Catherine gewurmt hatte und das wiederum hatte Sherlock gefallen.
 

~*~

John seufzte schwer und rollte mit den Augen. Lestrade und Sherlock. Die beiden verband wirklich eine Hassliebe. Sie beiden brauchten einander, aber wehe sie mussten zu lange an einem Ort gemeinsam verbringen, dann waren Reibereien vorprogrammiert. John glaubte, dass Sherlock sich fragte wie Jemand mit so geringen Ermittler Qualitäten so einen hohen Posten in Scotland Yard bekommen konnte, obwohl Sherlock irgendwann mal etwas von ‚Nicht ganz so hoffnungslos.‘, gemurmelt hatte, als Lestrade einen Tatort verlassen hatte um Sherlocks Anweisungen umzusetzen.

An sich hatte Lestrade auch etwas von einem Wächter. Er passte auf, dass Sherlocks manchmal seltsamen Ermittlungsmethoden gedeckt waren und wenn John einmal nicht helfen konnte, dann war es Lestrade, an den Sherlock sich wandte.

Wenn sie zusammen an einem Fall arbeiteten, dann waren sie das perfekte Team. Lestrade wusste meist im Voraus, was Sherlock brauchte und hatte die nötigen Informationen besorgt oder aber tat es spätestens dann, wenn Sherlock nach ihnen verlangte.

Auch wenn Lestrade zu Beginn von Johns Freundschaft mit Sherlock behauptet hatte, ihn trotz fünf Jahren nicht wirklich kannte, so sah John das anders. Lestrade kannte Sherlocks Eigenart besser als jeder andere und normalerweise wusste er auch, wann man sich am besten fügte. Sie kannten einander in- und auswendig und Lestrade wusste auch so manches Mittelchen um Sherlock unter Druck zu setzen. John grinste, als er an die vorgeschobene Drogenrazzia dachte und wie Greg sich gefreut hatte, als er endlich mal am längeren Hebel gesessen hatte.

John hingegen mochte den DI. Er war ein ruhiger, gesetzter Mann, der für seinen Beruf lebte und mit dem man sich gut unterhalten konnte. Nur leider kamen sie viel zu selten dazu, denn sobald Lestrade auch nur in ihre Nähe kam, wurde er direkt von Sherlock in Beschlag genommen.

„Und wer zum Henker ist das?“, sagte der DI und deutete auf Catherine. Schon schien sich ihre Entschlossenheit Sherlock zu verteidigen in Genervtheit zu verwandeln.

„Wenn das so weiter geht, dann bind ich mir ein Schild mit: „Bin die neue Nachbarin“ um, damit ich nicht immer die gleiche Frage beantworten muss.“, schnaubte sie und verschränkte die Arme vor der Brust. John seufzte erneut und konnte bei ihrem frustrieten Blick dann ein Lachen doch nicht verkneifen. Gab es eigentlich Momente, wo sie keine sarkastische Bemerkung abließ? Nicht, dass das John sonderlich störte, schließlich machte er es auch liebend gerne, aber so manches Mal wünschte er sich, dass sie nicht den Zunder, den Sherlock gelegt hatte, anzuzünden würde. Eigentlich war Catherine ein liebes Mädchen, die sich sehr um ihre Mitmenschen sorgte, doch ihr hatte die Orientierung in der Jugendphase gefehlt in Bezug auf Konventionen und John wurde das Gefühl nicht los, dass sie sich nun ausgerechnet an Sherlock zu orientieren begann.

Der Inspector warf ihr einen überraschten Blick zu und ließ ihn zu John wandern. Dieser grinste nur vor sich hin und sah sich dann in der Pflicht Lestrade diesen seltsamen Anblick zu erklären.

„So ist Sie immer, Greg.“, erklärte er. „Sie wohnt im Haus nebenan. Ihr Name ist Catherine Amell.“

„Aber was macht sie hier?“

„Abendessen. Sieht man ja wohl.“, kam Sherlock John zuvor und blickte Lestrade genervt an. John warf ihm einen mahnenden Blick zu. Seit sie in die Bakerstreet gekommen waren, war er wirklich unausstehlich.

„Gut…“, seufzte Lestrade und rieb sich die Augen. „Warum ist Sie hier?“

„Wie ich sagte…“

„Gott, verdammt, Sherlock!“, fuhr er ihn an und seine Augen verschmälerten sich. „Sie wissen genau was ich meine. Sie laden niemals Nachbarn zum Abendessen ein. Sie kennen Ihre Nachbarn noch nicht einmal.“

„Hören Sie, Greg. Es alles ein wenig komplizierter, als es momentan erscheint.“, versuchte John zu vermitteln und blickte den Inspector an. „Sherlock hat das nicht mutwillig getan, aber wir hatten keine andere Wahl, als sofort aufzubrechen.“

Lestrade seufzte, rieb sich die Augen und ließ sich auf den Stuhl fallen.

„Entschuldigen Sie mein unangebrachtes Verhalten vorhin, Inspector Lestrade.“, sagte Catherien plötzlich kleinlaut. John blickte sie überrascht an. Sie wirkte nachdenklich und in sich gesunken. Ihre blauen Augen blickten Greg an und sie lächelte ein wenig verlegen. Der Inspector wandte sich ihr zu und sah sie fragend an. „Ich bin einfach nur ein wenig angespannt, deshalb habe ich mich ruppig verhalten.“

John lächelte. Eigentlich wusste sie ganz genau was sich gehörte und eigentlich war sie ziemlich schüchtern, was sie mit Sarkasmus zu überbrücken versuchte. Er glaubte auch, dass es ihr danach oft Leid tat. Sie musste einfach noch lernen, sich nicht immer den Moment hinzugeben.

Plötzlich seufzte auch Sherlock und er strich sich eine Locke aus dem Gesicht. Der harte Ausdruck in seinem schmalen Gesicht mit den hohen Wangenknochen verschwand und bekam etwas Resigniertes.

„Hören Sie, Lestrade…“, fuhr er nun ebenfalls versöhnlicher fort, was sämtliche Anwesenden im Raum verwirrte. „Ich bin nicht untätig gewesen die letzten Tage. Ich wollte nur zwei Sachen überprüfen, bevor ich Ihnen die endgültigen Ergebnisse mitteile. Aber wenn es so eilig ist, kann ich das auch jetzt tun.“

„Sie haben daran gearbeitet?“, fragte John nun erstaunt. Wann? Doch noch bevor er über die Frage nachzudenken begann, seufzte er. Es hatte keinen Sinn.

„Natürlich. Wir sind zweieinhalb Stunden nach Serbien…“

„Moment. Serbien? Wieso Serbien?“, warf Lestrade ein, doch Sherlock überging es und fuhr ungerührt fort:

„…geflogen. Ich hatte das Ziel bereits soweit eingekreist wie es mir von London aus möglich war. Näher ging es nur mit weiteren Informationen vor Ort. Was glauben Sie also, was ich die Flugzeit über getrieben habe, wo ich doch ach so still gewesen bin, John?“ Seine Stimme war einen Hauch eisiger geworden und während Lestrade über die Andeutung verwirrt zu sein schien, wusste John nur zu gut, worauf er abzielte. Auf ihr Gespräch in der kleinen Pension. John war sich zwar noch immer sicher, dass Sherlock sich um Catherine gesorgt hatte, doch das erklärte wirklich seine Ruhe im Flugzeug. Auch wenn er meist laut redete, wenn er dachte, so konnte er das durchaus auch im Stillen. Er tat es nur einfach seltener.

Dennoch war er sich sicher, dass das nur eine allzu gern genutzte Ausrede von Sherlock war. Die Erklärung war zu einfach und Catherines Fall war alles andere als das. Es erklärte vielleicht eine Momentaufnahme der Situation, aber nicht das gesamte Bild.

Sherlock warf John einen Blick zu und er erwiderte ihn, machte dem Detective klar, dass er ihm das nicht abnahm, was diesen leise Schnaufen ließ. Sie würden später noch darüber sprechen, das nahm John sich fest vor.

„Wie sicher sind Sie sich?“, fragte Lestrade schließlich und verschränkte die Arme vor der Brust. Sherlock überlegte kurz.

„Zu fünfundneunzig Prozent.“

„Und diese zwei Dinge, könnten sie dafür sorgen, dass Jemand anderes der Täter war?“, hakte Lestrade nach.

„Eher unwahrscheinlich. Sie würden nur das letzte Puzzleteil ergeben.“, erklärte Sherlock ruhig.

„Also schön…“, seufzte der Inspector nach kurzer Bedenkzeit. „Kommen Sie mit ins Büro?“

„Ich komme nach…“, widersprach er direkt und ein kleines Lächeln zeigte sich. „Ich fahre nicht mit einem Streifenwagen, dass müssen Sie doch mittlerweile wissen, Lestrade.“ Der DI betrachtete Sherlock einige Momente, dann nickte er und verschwand.

„Immer wieder das Gleiche mit ihm.“, murrte Sherlock, nahm sich noch etwas zu trinken aus dem Kühlschrank und ging dann zur Garderobe.

„Sherlock…“, meldete sich Catherine zu Wort, als dieser gerade dabei war seinen Mantel anzuziehen. John warf ihr einen Blick zu und betrachtete sie nachdenklich. Sie war die letzten Minuten ungewöhnlich still gewesen. „Ich wäre Ihnen sehr verbunden, wenn Sie Lestrade nicht erzählen, was wirklich passiert ist.“

„Keine Sorge.“, sagte Sherlock. „Das hatte ich eh nicht vor. Nur bei Mycroft wär ich mir da nicht so sicher.“ Dann band er sich seinen Schal um und verließ die Bakerstreet.
 

~*~
 

Catherine ließ sich in den Stuhl zurückfallen und holte tief Luft. So entspannt der Abend auch gewesen war, er hatte sie doch ihre letzten Kräfte gekostet. Sie fühlte sich hundemüde und wollte nur noch schlafen. Sich gegen Sherlock zu behaupten, war anstrengend gewesen und als er gegangen war, schwand ihre Anspannung.

„Ich sollte dann jetzt auch gehen…“, murmelte sie müde, als sie aufstand. John blickte zu ihr auf und sein Blick war verständnisvoll.

„Sie wollen einfach nur ins Bett…“, sagte er sanft und stand ebenfalls auf. „Sie sollten Morgen noch nicht zu Arbeit gehen, Catherine. Meist beginnt die richtige Bewältigung erst einige Tage später und Sie wären dann nicht dazu in der Lage.“

„Aber, John…“, setzte sie an, doch er schüttelte vehement den Kopf.

„Kein Aber. Seien Sie vernünftig!“ Seine Stirn legte sich in Falten und er sah sie streng an. Catherine seufzte und zog sich ihre Jacke an. Sie würde wirklich nichts lieber tun, als sich die nächsten Tage unter der Decke zu verstecken, doch leider musste sie auch die Konsequenzen bedenken.

„So einfach ist das nicht…“, erklärte sie. „Ich hab dem Professor doch gar nicht Bescheid sagen können. Der wird mich raus…“

„Wird er nicht.“, unterbrach John sie lächelnd. Catherine hielt beim Reinschlüpfen in den zweiten Ärmel inne und blinzelte ihn fragend an.

„Wie?“

„Wozu haben Sie denn Sherlock und mich?“, grinste John und ging einen Schritt auf sie zu. „Sherlock hat innerhalb von einer Minute die Nummer von Ihrem Professor herausgefunden und ich habe dann angerufen und ihm gesagt, dass ich Ihr Arzt bin und dass Sie im Krankenhaus liegen. Anschließend habe ich ein Artest gefaxt. Gestern Abend habe ich dann noch einmal angerufen und ihm gesagt, dass Sie noch einmal für eine Woche krankgeschrieben sind.“

Mit großen Augen sah sie John an, dann konnte sie ein Lächeln nicht mehr verbergen und sie tat etwas, was sie bisher noch nie getan hatte. Sie umarmte John fast schon überschwänglich, so erleichtert war sie, dass das geklärt worden war, und flüsterte:

„Danke, John. Ich habe keine Ahnung wie ich das Alles ohne Sie schaffen würde.“ John lächelte und klopfte ihr kurz auf die Schulter, bevor er sich löste. Als Catherine ihn kurz fragend ansah, zwinkerte er ihr verschmitzt zu:

„Wir wollen doch nicht, dass Mrs. Hudson auf seltsame Ideen kommt. Die kommt gerne hier mal unangekündigt reingeschneit.“ Catherine musste ehrlich lachen und nickte.

„Das ist wohl wahr. Also dann, Gute Nacht, John.“

Wenn die Musik über einen wacht

Sooo dieses mal kommt mein Text vor dem Kapitel :)
 

Zunächst einmal als Tipp, damit es besser wirkt, empfehle ich euch eines (oder alle :P) der Lieder beim Lesen zu hören:
 

1. http://www.youtube.com/watch?v=nG6GNWhhm1I&list=PLdhgm3sxMd-CJHkZRRjnwMb3XsM0e0Fhr&index=14
 

2. http://www.youtube.com/watch?v=lrF814OnFQ4
 

3. http://www.youtube.com/watch?v=totERfiKZmI
 

So, genug vorgequasselt^^ ich wünsche euch viel Spaß beim lesen ^-^ Wie immer war es eine Herausforderung, dieses Mal wegen ganz anderen Aspekten ^-^

Nächstes Kapitel kommt am Sonntag ^-^
 

~*~
 

13. Kapitel: Wenn die Musik über einen wacht
 

Bedächtig ließ Sherlock den Bogen über die Saiten gleiten und lauschte dem sanften Klang, den sein geliebtes Instrument vollführte. Seine grauen Augen blickten aus dem Fester, wo sie eine verhangene, regnerische Nacht erblickten. Wieder setzte Sherlock den Bogen an und produzierte dieses Mal einen höheren Ton.

Kurz setzte er die Geige ab und sah sie an. Die Geige war sein größter Schatz und wichtigster Besitz. Wenn er spielte, konnte Sherlock sich besser konzentrieren und nachdenken. Was kein Wunder war. Im Gehirn gab es schließlich keinen speziellen Bereich, der für die Musik zuständig war. Stattdessen wurden beim Musizieren beide Gehirnhälften und alle Areale aktiviert, was eine erhöhte Leistungsbereitschaft zur Folge hatte.  Die Musik stimulierte das Gehirn und beflügelte somit Sherlocks Gedanken, während man beim Geigenspiel noch besondere Feinmotorische Filigranität beweisen musste. Es verband einfach alles, was Sherlock schätzte: Eleganz, hohe Denkleistung und Konzentration, während sein Unterbewusstsein ihn sogar manchmal durch die Musik, die er spielte, etwas mittteilte, was er übersehen hatte.

Sherlock setzte die Geige an, schloss die Augen und ließ den Bogen über die Saiten gleiten wie es ihm gerade in dem Sinn kam. In diesem Moment dachte er nicht nach, sondern ließ sich leiten von ihrem Klang und der Situation. Die ersten, tiefen, langen Töne erklangen von seiner Geige, erfüllten den Raum und verwoben sich zu seinem Teppich des Klanges, malten langsam das Bild, was er sah, wenn er aus dem Fenster blickte.

Sherlock hatte sich bewusst dazu entschlossen nicht zu komponieren, nicht nach der idealen Tonfolge zu suchen, sondern einfach ohne Nachzudenken zu spielen. Etwas, was ihm schwer fiel, doch er erhoffte sich davon Klarheit, denn zugegebenermaßen, er war er verwirrt von sich selbst und er erhoffte sich, dass die Musik ihm sagte, was mit ihm los war.

Die Worte, die ihm John in der kleinen Stadt in Serbien gesagt hatte, hatten Sherlock nachdenklich gestimmt und er musste zugeben, dass er zumindest im gewissen Rahmen Recht gehabt hatte.

Er war zwar nicht besorgt gewesen- dieses Wort passte einfach nicht, er hatte wirklich nur den Fall gesehen- doch selbst für seine Verhältnisse hatte er sich wirklich seltsam Verhalten.

Der Bogen glitt nun forscher und schneller über die Saiten der Geige, während seine Gedanken zu arbeiten begannen, sich schneller und schneller drehten und einen düsteren Werdegang annahmen.

Während ihrer Reise nach Serbien und in den Tagen davor hatte er nichts empfunden. Er war ruhig und nachdenklich gewesen um schnellst möglich ans Ziel zu kommen, doch das wäre bei jeder anderen Person ebenso gewesen. Das hatte nichts mit Catherine zu tun gehabt. Eine Entführung war nun einmal ein Rennen gegen die Zeit und das hatte Sherlock gewusst, weshalb der die meiste Zeit nachgedacht hatte. Etwas, was John wohl als Sorge interpretiert hatte.

Als sie im Koma gelegen hatte, da hatte er vielleicht etwas wie Sorge empfunden, zumindest hatte er nicht gewollt, dass es mit Catherine so zu Ende ging, wo doch durchaus noch Potential in ihr steckte, welches er noch wecken wollte.

Sherlock schloss die Augen, als er in die Ruhe seiner Gedanken zurückkehrte und die ganze Situation erneut durchging. Die Melodie wurde nun langsamer, während die tiefen dunklen Töne eine nachdenkliche Stimmung erzeugten.

Aber etwas anderes hatte John nur allzu richtig erkannt, dass musste Sherlock sich eingestehen. Er war wütend gewesen. Verdammt wütend. Als er gesehen hatte, was diese Mistkerl Catherine angetan hatten, war es vorbei mit der Ruhe gewesen.

Die Musik wurde schroffer und härter, der Bogen glitt mit festen Druck über die Saiten, sodass die Töne lauter und forscher wurden. Die Melodie wurde schneller, beinhaltete nun Achtel und Sechzehntel Triolen, gepaart mit vielen Punktierungen. Die Wut sprach förmlich aus jeder Note und Sherlock biss sich leicht auf die Unterlippen, starrte in das trübe Nass Londons.

Als er gesehen hatte, dass ihr Geist beinahe gebrochen worden war, wie nah sie dem Abgrund der Verrückt gewesen waren, da hatte ihn eine Woge eiskalter Wut überflutet, die er bisher nur bei dem Überfall der Amerikaner auf Mrs. Hudson verspürt hatte und genau das irritierte ihn nun im Nachhinein.

Der Bogen rutschte von der Saite ab, als die Bilder wieder vor seinen Augen abliefen, die er in dem Versteck gesehen hatte, und seine Geige schrie empört wegen dieser unpfleglichen Behandlung auf. Sherlock fluchte und setzte kurz ab, holte tief Luft und begann erneut zu Spielen. Dieses Mal ruhiger und mit kleinen, hohen Tönen, die eher nun an ein Kinderlied erinnerten.

Er hatte sich nie für Mädchen interessiert. Wie das klang. Er runzelte die Stirn, als er diesen seltsamen Ausdruck wählte. Als wäre er ein pubertierender Junge, der eben Mädchen noch nicht anziehend empfand, aber das meinte er damit nicht- obwohl es ja in der erwachsenen Form noch immer zutraf.

Was er eigentlich gemeint hatte, war, dass er es ohnehin schon kaum mit Menschen aushielt, doch junge Vertreter von ihnen gingen ihm besonders auf die Nerven. Sie ließen ihr Gehirn verkommen, beschädigten es gar mit Alkohol und stopften es mit solchen Unsinn voll wie Schauspieler, Mode, Klatsch und Tratsch. Kaum etwas hasste Sherlock mehr. Es waren solch unsinnige Themen und er verstand nicht wie man seine ganze Zeit damit verplempern konnte.

‚Oh, David hat mich eingeladen. Ob er mich wohl mag?‘ Nein, wie kamen Mädchen nur auf solch abwegige Gedanken? Warum sollte er sie auch sonst einladen? Man gab sich doch gerne mit Menschen ab, die man nicht ausstehen konnte. Er musste das schließlich ja auch immer.

‚Hast du das Spiel gegen Manchester gesehen? Rooneys Kopfballtor war wirklich Weltklasse!‘ Was für Belang hatte denn so ein bescheuertes Fußballspiel?

Sherlock hatte diese Art der Freizeitgestaltung damals schon nicht verstanden und tat es heute noch weniger. Das Gehirn wurde nur mit solch unwichtigen Dingen beschäftigt, das war einfach nicht zum Anhören. Da konnte man doch nicht ordentlich denken. Kein Wunder, dass die meisten Menschen nicht in der Lage waren ordentlich zu denken.

Doch Catherine war in diesen Dingen anders. Auch sie interessierte diese Dinge nicht. Sie waren ihr schlicht egal und das machte sie zur ersten Vertreterin dieser seltsamen Gattung Namens ‚Teenager‘, den er als einigermaßen akzeptable einstufte.

Schön…geben Sie weiter den hochfunktionellen Soziopathen, belügen Sie sie, belügen Sie mich, das ist egal. Aber hören Sie endlich auf sich selbst zu belügen.‘, hatte John ihm an den Kopf geworfen und war dann wütend in seinem Zimmer verschwunden.

Nun stellte sich Sherlock die Frage, die John bereits für sich beantwortet hatte. Mochte er Catherine?

Wieder ließ er ruhigere Themen von seiner Geige erklingen, während er begann durch die Wohnung zu laufen und sie beinahe liebevoll hin und her wog. Zusammen ergaben sie einen sanften Klang. Ihn überraschte ein wenig das Bild, was die Geige ihm zeigte und er begann nachzudenken.

Bis vor kurzem hätte er die Frage glasklar verneint, doch nun? Sherlock machte kurz eine Pause und blickte aus dem Fenster. Fakt war, er war wütend gewesen, als er gesehen hatte, was sie ihr angetan hatten, hatte die Serben dafür quälen wollen. War es das, was Zuneigung ausmachte? Sherlock wusste es nicht. Aber der Gedanke, dass sie psychische Schäden davon tragen könnte, hatte ihn rasend gemacht. Ihre Art war durchaus annehmbar und es wäre doch schade um diesen manchmal zynischen Geist gewesen.

Sherlock blieb vor dem Kamin stehen, in dem noch immer leise ein kleines Feuer prasselte. Wenn es doch nur dieses eine Verhalten gewesen wäre, dafür hätte er noch eine Rechtfertigung gefunden, aber das Puzzle bestand leider aus mehreren Teilen, die nicht ineinander zu passen schienen.

Catherine hatte ihn beschützt. Das war die größte Ungereimtheit in diesem Rätsel, was irgendwie aus seinen Gefühlen hervorkam. Gefühle! Pah! Sherlock schnaubte. So was hatte er doch nicht.

Aber warum hatte sie es getan? Das hatte er sie schon an dem Abend in dem Gasthaus fragen wollen, doch als er gesehen hatte wie aufgelöst sie gewesen war, wie haltsuchend sie sich an John geklammert hatte, da hatte er es nicht gekonnt. Aber warum nicht?

‚Mitgefühl ist eine Schwäche, Sherlock.‘, hörte er Mycrofts Worte wie eine indirekte Antwort in seinem Kopf. Er hatte ja Recht. Mitgefühl brachte Niemanden weiter, doch eben jenes würde jeder Mensch in seinem Verhalten in Catherines Zimmer sehen, doch Sherlock sträubte sich mit aller Kraft dagegen, machte es ihn doch menschlicher, als er sich sah, als er je hatte sein wollen. Aber warum verdammt noch mal, hatte er ihr die Haare aus dem Gesicht gestrichen, als sie geschlafen hatte? Weil sie hilflos und vollkommen fertig ausgesehen hatte? Das war doch absurd!

Sherlock spielte die nächste Note mit einer scharfen Betonung, als ihm dieser Gedanken gekommen war und die Geige ließ einen rauen Ton erklingen, doch dann schloss Sherlock die Augen und begann wieder ruhiger zu spielen, damit er auch ebenso an seine Gedanken herangehen konnte.

Was ihn eigentlich an diesen Gedanken so störte, das wurde ihm nun bewusst, war, dass er gar nicht abwegig war. Hatte er vielleicht doch Mitgefühl mit Catherine gehabt? Sie hatte sich an ihm festgehalten, als sie geweint hatte- oder besser an seinen Augen-, das wusste er und da hatte er seine Frage nicht stellen können. Es war einer der wenigen Momente in seinem Leben gewesen, wo Sherlock nicht egoistisch gewesen war. Im Gegenteil, eine Sanftheit hatte ihn erfasst, sodass er sich diesen natürlichen Instinkt ihr durch die Haare zu streichen nicht hatte entziehen können. Es war eine Sanftheit gewesen, die er sonst höchstens bei Mrs. Hudson verspürte, doch Catherine war nicht Mrs. Hudson. Ganz und gar nicht.

Was war das also hier bloß für ein Fall? Einen, den er nicht kannte und das verwirrte ihn. Da er aber nichts mehr hasste, als dieses Gefühl, war daraus, wie ein Baum, Wut gewachsen. Dieses Mal hatte sie sich allerdings gegen Catherine selbst gerichtet und nicht gegen ihre Entführer. Normalerweise kannte Sherlock sich, wusste immer wie er in welcher Situation reagieren würde, doch bei Catherine erwischte er sich immer wieder dabei, dass er Dinge tat, die er selbst nicht verstand.

Das war auch der Grund, warum er so-John würde es wohl gemein nennen- verhalten hatte. Er hatte sie abblocken wollen, sie vertreiben wollen, weil er nicht wusste, wo er sie hinstecken sollte. In Gedanken verglich er Catherine mit John und Mrs. Hudson, doch sie passte weder zu dem einen, noch zu der anderen. Sie bildete einen Fall, zudem er noch keine Lösung gefunden hatte. Sie war keine Freundin, keine Vertraute, aber eben das war es doch, was er ihr im Flugzeug zugestanden hatte. Dass sie ihm vertrauen konnte, dass sie eben nicht nur ein flüchtiger Schatten seines Lebens war. Eine lästige Begebenheit. Er hatte ihr versprochen, dass er sie vor seiner Welt beschützten würde und seltsamerweise hatte er eben jenes Gefühl auch in sich. Es war wie ein unbewusster Drang. Er wollte sie beschützen, das hatte er deutlich gespürt, als er sie mit Mycroft allein gelassen hatte indem er die größte Gefahr Britanniens sah- neben Moriarty.

Glücklicherweise hatte er es so tarnen können, dass es aussah, als hätte er seinem Bruder boykottieren wollen, aber er wusste es besser und es schien auch John nicht zu entgehen.

Sherlock seufzte und ließ die Melodie schneller spielen. Catherine…ein seltsames Mädchen und seiner selbst ähnlicher, als die meisten.

„Wer sind Sie nur?“, flüsterte Sherlock, als er kurz im Spiel innehielt und dem Regen beim Fallen zusah.  Er trat ans Fenster und ließ sich die klare Luft um die Nase wehen, holte tief Luft. Es war keine Freundschaft und erst recht nichts etwas so Einfältiges wie Liebe, aber was gab es denn dann noch?

‚Warum geben Sie nicht endlich zu, dass Sie sie mögen?‘, hallte Johns vorwurfsvolle Frage durch seinen Kopf. Sherlock schloss die Augen und legte die Hände auf den Fenstersims, während er kurz der Musik der Natur lauschte. Im ruhigen Rhythmus, wie der menschliche Herzschlag, prasselten die Regentropfen auf das Vordach und Sherlock blickte in die Richtung in der Catherines Wohnung lag.

„Mag ich Sie, Sie nicht ganz so dumme Biologiestudentin?“
 

~*~
 

Catherine saß auf ihrem Bett und blickte dem Regen beim Fallen zu. Sie konnte nicht schlafen und wollte es auch nicht. Zwar fühlte sie sich ausgelaugt und kraftlos, doch sie hatte Angst vor den Bildern. Immer noch und dieses Mal war kein John da, der sie trösten würde, wenn sie aus einem Alptraum erwachte. Seitdem sie gerettet worden war, war sie nun das erste Mal auf sich alleine gestellt.

Nun saß sie also hier mit geöffnetem Fenster auf dem Bett, in ihre Decke gehüllt und lauschte dem leisen Tropfen des Regens, der London wie in ein Vorhang hüllte. Wie lange sie hier schon saß, wusste sie nicht. Während sie dem Regen zugehört hatte, hatte sie sämtliches Zeitgefühl verloren. Nur ihr mittlerweile leicht zitternder Körper und leicht kribbelnde Nase, ließen vermuten, dass sie schon einige Zeit hier saß. Allerdings versuchte Catherine zu vermeiden irgendetwas zu denken. Sie befürchte, sollte ihr Gehirn wirklich anfangen zu denken, so würde es anfangen alles Erlebte zu verarbeiten und davor graute es ihr. Deshalb kam ihr das Frösteln gerade Recht, denn es lähmte ihre Gedanken, auch wenn es das Müdigkeitsgefühl ein wenig verstärkte.

Plötzlich hörte sie einen Klang und schreckte ein wenig aus ihrer Gedankenstarre. Sie blinzelte kurz irritiert und spitzte dann die Ohren, da sie nicht genau hatte ausmachen können, was das für ein Ton gewesen war. Wieder erklang er, dieses Mal eine Spur höher und da wusste sie es.

Ein kleines Lächeln schlich sich auf ihre Lippen. Sherlock spielte auf seiner Geige. Catherine hatte ihn noch nie Geigenspielen hören. Zwar wusste sie natürlich, dass er gerne spielte, wenn er nachdachte, aber er hatte es noch nie in ihrer Anwesenheit getan und die Häuser der Bakerstreet waren gut genug isoliert, sodass sie die nächtlichen Konzerte nie vernommen hatte.

Sherlock spielte unglaublich schön, sie kam nicht drum herum das festzustellen. Sie selber spielte seit zwölf Jahren Klavier und hatte ein wenig Übung und Wissen darin, doch an ihn kam sie nicht mal im Traum heran. Die Melodie tanzte mit solcher Leichtigkeit durch ihr Gehör, dass sie unweigerlich zu Träumen begann. Es war eine ruhige, etwas melancholische Melodie, bestehend aus tiefen, aufeinander aufgebauten Harmonien, die sich dann in einer höheren Tonlage wiederholten. Sherlock schaffte es sogar, dass sie nachdenklich klang, dabei hatte Catherine noch nie gehört, dass eine Melodie nachdenklich klang. Dabei handelte es sich eher um einen Zustand, eine Stimmung, doch Musik transportierte stets die tiefsten Gefühle.

Noch immer lächelnd schloss sie die Augen und genoss Sherlocks Spiel, gab sich seiner Melodie hin und unweigerlich begannen ihre Gedanken ruhig zu wandern.

Was war Sherlock eigentlich für sie? Diese Frage schien unterbewusst mit dieser Melodie mitzuschwingen, denn sie stellte sich ihr unmittelbar und völlig unbeabsichtigt, während sie seinem Spiel lauschte. Vielleicht, weil auch Sherlock sich zu fragen begann, was das zwischen ihnen war?

Sie lauschte in sich hinein, ließ sich von ihren Gedanken und der Musik leiten. Catherine wusste schon lange, dass solch lockere Bezeichnungen wie Nachbarn nicht mehr reichte, um aus ihrer Sicht zu erklären, was das zwischen ihnen war. Nachbarn grüßten sich höflich und aus Nachbarschaft konnte auch Freundschaft erwachsen, doch für sich alleine war sie nur ein ganz oberflächliches Verhältnis. Nach Serbien passte aber keine Oberflächlichkeit mehr, zumindest nicht für Catherine, denn durch ihre Gefangenschaft hatte sie unfreiwillig Sherlock und John tiefste Einblicke in ihre Gefühle und ihre Seele gewährt.

Bei John wusste sie, dass das kein Problem war. Sie hatte ihm sehr schnell vertraut und auch wenn die meisten gemeinsamen Situationen von Sherlock dominierten wurden- entweder durch seine Anwesenheit oder durch ihn als Gesprächsthema-, fühlte sie sich doch sehr mit dem Arzt verbunden und sie hoffe, dass es ihm genauso ging. In Johns Fall wusste sie längst schon, dass sie in ihm so etwas wie einen Vaterersatz sah, denn er gab ihr genau das, was sie sich immer von ihrem gewünscht hatte. Fürsorge, Zuwendung und ab und zu auch Strenge. Sie vertraute John mehr als jedem anderen Menschen. Sie wusste, er war für sie da, würde ihr immer zuhören und mit Rat- oder einem Witz, je nach Situation- zur Seite stehen. Er wusste einfach immer, was gerade in ihr vorging, las in ihr wie in einem offenen Buch und beschützte sie vor Sherlock. Entweder dadurch, dass er den Detective zurückhielt, wenn Catherine ihn gerade nicht gebrauchen konnte, oder aber, wenn sie sich wieder zu sehr auf den Dunkelhaarigen einließ.

Es war, als würde John sie leiten und zurückführen, wenn sie vom Pfad abkam und sie war ihm mehr als dankbar für alles, was er für sie tat. Sie schätzte sich glücklich ihn zu haben, wirklich glücklich, denn er nahm ihr das Gefühl der Einsamkeit, was sie allzu lange verspürt hatte.

Seit sie auf dieser Erde wandelte, war sie stets anders gewesen und ausgestoßen worden. Außer bei ihrem Bruder hatte sie sich nur Häme und Abweisung gegenüber gesehen. Man hatte sie ausgelacht, beschimpft und fortgestoßen. Catherine hatte zwar immer getan, als würde ihr das nie etwas ausmachen, war mit erhobenen Haupt durch die Zeit gegangen, aber ihn Wahrheit hatte sie jeder Angriff verletzt. Warum wurde sie als anders beschimpft?, hatte sie sich oft gefragt, wo sie doch einfach so war wie sie war. War es denn so schlimm, dass sie eben nicht genau der Norm entsprach? War sie deswegen nicht liebenswert? All diese Fragen hatten sie lange gequält, an ihr zweifeln lassen, sodass sie die Mauer immer höher gezogen hatte und ihr schon immer ausgeprägter Sarkasmus nur noch schwärzer geworden war. Es war stets ihr Schutz gewesen, damit Niemand sah, dass sie eigentlich litt und dann nur noch fester zutrat.

John hatte es aber schnell geschafft, dass sich Catherine geöffnet hatte und sie hatte es noch nicht einmal bemerkt. Klammheimlich hatte er erst ein Fenster und dann eine Tür in ihre Wand eingebaut und schließlich hatte sie ihm genug vertraut, dass sie bei ihm sie selbst war. Erst hatte sie sich gefürchtet, doch er war immer so nett und freundlich zu ihr gewesen, dass sie es am Ende ganz unbewusst getan hatte und was war geschehen? John war der Erste, der sie akzeptierte, nein, sogar schätzte, für das, was sie war. Er mochte sie und nicht das Ich, was sie lange vorgegeben hatte zu sein, das hoffte sie zumindest. Zwar tadelte er sie öfter mal, wenn sie sich nicht angemessen verhielt, aber er hatte nie ernsthaft versucht sie zu verändern oder hatte sie gar abgelehnt.

Diese überraschende Erfahrung hatte John zu einem sehr wichtigen Menschen in ihrem Leben gemacht, vielleicht sogar zu dem wichtigsten nach ihrem Bruder. Catherine wollte nichts weniger, als ihn zu enttäuschen. Er war ihre feste Bezugsperson geworden und ihn zu verlieren hätte Catherine ihn in ein großes Loch gestürzt.

Das Thema der Melodie veränderte sich und somit glitten ihre Gedanken weiter.

Aber wie sah es bei Sherlock aus? Was war er? Dieser Fall war nicht so einfach zu ergründen.

Die Musik wurde stürmischer, es folgte einige Triolen, sodass sie nun wie ein schnellfließender Fluss klang, wenn nicht die teilweise starke Akzentuierung auf besonders tiefen Töne wäre, was ihr einen eher wütenden, aufbauschenden Charakter gab. Catherine öffnete die Augen. War Sherlock wütend? Vielleicht.

Er hatte sich sehr schroff verhalten, nachdem sie mit Mycroft gesprochen und die Wohnung betreten hatte. Er war kälter und herablassender als sonst gewesen und wenn Catherine ehrlich war, dann hatte sie das verletzt. Seitdem sie von den beiden gerettet worden waren, hatte sie gedacht, dass Sherlock sie ein wenig mehr akzeptierte. Ihr eine etwas größere Rolle zuerkannte. Schließlich hatte er sich für seine Verhältnisse sehr verständnisvoll verhalten und er hatte ihr mit kleinen Gesten mehr Kraft gegeben, als er vielleicht selber ahnte.

Es hatte ihr gut getan einfach in seine Augen zu sehen, als sie geweint hatte. Seine Körperwärme, als er sie getragen hatte, dass er ihr Versprochen hatte, dass er den Mörder ihres Bruders finden würde. All das hatte ihr viel bedeutetet. Wäre sein plötzlicher Stimmungswandel nicht gewesen, hätte Catherine wirklich angefangen zu glauben, dass sie sich ein wenig näher gekommen waren, doch nun? Sherlock war nicht mit normalen Maßstäben messbar. Vielleicht war all das in Serbien nur eine Show gewesen und in Wahrheit war sie ihm in ihrer Schwäche zuwider gewesen. Auch wenn diese Erkenntnis sie traf, sie schlucken ließ, war sie nicht völlig von der Hand zu weisen. Sherlock betonte immer wieder wie irrational Gefühle für ihn waren und dass er sie als Schwäche sah. In seinen Augen musste Catherine sich erbärmlich aufgeführt haben. Vielleicht also hatte sie das bisschen, was sie verbunden hatte, selbst zerstört. Aber konnte nicht selbst ein Sherlock verstehen, dass man nach drei Tagen psychischer Folter weinte?

Schnell vertrieb Catherine diesen Gedanken, bevor die Bilder wieder kamen und so ignorierte sie auch unbewusst den wichtigen Faktor, dass Sherlock wahrhaft wütend geworden war, als er in ihre dumpfen Augen gesehen hatte.

Dann war da noch, dass sie ihn gerettet hatte. Als sie gesehen hatte wie der Serbe seine Pistole auf ihn gerichtet hatte, da hatte sie nicht nachgedacht. Sie hatte ihn einfach retten wollen. Mit aller Macht.

Nein, all das passte nicht auf ein nachbarschaftliches Verhältnis. Aber was blieb dann? Als erstes kam ihr Freundschaft in den Sinn. Statt wie sonst diesen Gedanken lachend zu verdrängen, hielt sie ihn dieses Mal fest und bedachte ihn.

Catherine fing nun an zu glauben, dass sie diesen Gedanken nicht nur wegen Absurdität verworfen hatte, sondern auch, weil sie sich vor ihm gefürchtet hatte. Fakt war, sie vertraute Sherlock. Schon damals, als sie aus dem Koma erwacht war, bei ihrer Flucht, bei ihrer Panikattacke in der Pension, hatte sie ihm vertraut, doch sie hatte diesen Gedanken nie zugelassen. Hätte sie erkannt, dass sie ihm vertraute, hätte sie sich auch unweigerlich fragen müssen, was Sherlock damit anstellen würde. Würde er es missbrauchen, wenn es ihm gerade nicht passte? Aber Sherlock hatte ihr doch zugesichert, dass sie sich auf ihn verlassen konnte. Dennoch war sie sich nicht sicher, ob sie das als Zugeständnis auffassen konnte. Bei Sherlock wusste man einfach nicht, ob er einen nicht doch manipuliert hatte. War es vielleicht nicht doch ein Mittel zum Zweck gewesen?

Wegen dieser Frage fürchtete sich Catherine so sehr vor dieser Erkenntnis. Denn wenn sie sich eingestand, dass sie Sherlock vertraute, dann musste sie sich unweigerlich fragen, ob er es auch tat, ob sie ihm genauso wichtig war, wie er es mittlerweile für sie geworden war. Warum hatte sie sich auch ausgerechnet auf Sherlock Holmes einlassen können? Catherine schüttelte nur den Kopf. Freundschaft und Vertrauen waren schon an sich eine komplizierte Sache, aber in Zusammenhang mit dem Detective wurde es zu einem ständigen Sturm aus Fragen. Man wusste halt eben nie genau, was in Sherlock vorging. Sie wusste ja auch jetzt nicht, warum er plötzlich spielte, worüber er nachdachte, während er seiner Geige diese wundervollen Töne entlockte.

Die Geige quietschte plötzlich empört, zerschnitt die Melodie wie einen Faden und sie hörte ganz leise ein Fluchen. Catherine lachte. Da war wohl Jemand aus der Konzentration geraten. Selbst ein Sherlock war nicht perfekt.

Und da fiel ihr plötzlich ein neuer Aspekt ein, den sie noch gar nicht bedacht hatte. All die Zeit war sie stets von ihrem Umfeld genervt gewesen und hatte sich immer lieber ausgekoppelt als sich mit den schwachsinnigen Problemen von Gleichaltrigen abzugeben. Viele würden wohl sagen, dass sie ein mürrisches Kind gewesen wäre und ausgerechnet jetzt fing Sherlock an eine Melodie zu spielen, die stark an ein Kinderlied erinnerte. Catherine lachte wieder. Da zeigte er sich wieder, ihr unbedachter Aspekt.

Sherlock und John brachten sie zum Lachen und das nicht zu knapp. Seit sie die beiden kannte, hatte es für sie nicht nur Genervtheit und Missachtung gegeben, sondern sie hatte eine viel größere Bandbreite der Emotionen erlebt. Genervtheit nahm zwar noch immer den größten Platz ein- mal ehrlich, das war bei Sherlock auch kein Wunder-, dicht gefolgt von Fassungslosigkeit- ebenfalls nicht überraschend-, Empörung- wer hätte das gedacht?-, aber auch Amüsement, Frust und Sprachlosigkeit.

Wie sie es Mycroft an diesen Nachmittag gesagt hatte, eigentlich hatte sie prinzipiell immer das Bedürfnis mit den Augen zu rollen, den Kopf irgendwo gegenzuschlagen oder ein‚ ‚das ist doch nicht wahr‘ abzulassen, doch irgendwie machte es ihr verdammten Spaß mit den beiden Zeit zu verbringen. Die Entrüstung blieb nie lange und sie hatte gedanklich so oft lachend den Kopf geschüttelt, während sie äußerlich sich noch immer brüskiert gegeben hatte, wenn Sherlock mal wieder etwas Unmögliches angestellt hatte. Sherlock setzte sich über gesellschaftliche Normen hinweg, missachtete sie, trat sie mit Füßen und tat dabei Dinge, die Catherine sich niemals wagen würde, aber eigentlich immer schon mal hatte machen wollen.

Was aber am schwersten wog, war, dass sie die Diskussionen und Duelle mit ihm liebte. Oh ja, die liebte sie wirklich. Sie liebte es sich mit Sherlock anzulegen, ihm die Stirn zu bieten, John dazu zu bringen mit den Augen zu rollen, während er heimlich grinste.

Sherlock Holmes war verdammt nochmal das beste Trainingslager für jeden Sarkasten dieser Welt und bot Catherine eine wahrhafte Herausforderungen. Die wenigen Individuen- abgesehen von ihrem Bruder-, mit denen sie in Cardiff gesprochen hatte, waren allesamt zu dumm gewesen um ihren Sarkasmus zu verstehen. Sherlock war manchmal sogar fast schon zu schlau für ihn, weil er nicht bemerkte, dass es ein gesellschaftlich schwieriges Thema war. Manchmal stand er doch wirklich auf den Schlauch.

Catherine lächelte wieder und sah aus dem Fenster und hörte weiterhin der wunderschönen Melodie zu. Eigentlich, das wurde ihr nun klar, als sie dem sanften Streichen zuhörte, war eines trotz all der Widrigkeiten stets gleich geblieben. Sie war glücklich und sie fühlte sich angenommen. Auch wenn es nur Kleinigkeiten waren, wie biologische Fragen, so hatte Sherlock ihre doch eine Aufgabe gegeben, eine Bedeutung, und das tat ihr gut. Wenn sie ehrlich war, hatte sie nie ein normales Leben gewollt, das war ihr zu stumpfsinnig und Sherlock sorgte ja nun wirklich dafür, dass jeder Tag anders war als der Vorherige.

Zwar war es für sie noch immer schwer zu glauben, doch sie wollte nützlich sein, sie wollte von Sherlock akzeptiert werden. Sie wollte ihm ihren Wert beweisen, ihm nicht ganz zu wider sein und ihm zeigen, dass sie nicht wie die gewöhnlichen Menschen war. Denn von ihm erhoffte sie sich eben diese Bestätigung, denn nichts wollte sie weniger sein, als einer dieser gewöhnliche Menschen, die sich um Belanglosigkeiten scherten.

Zu lange war sie in einem endlosen Wettrennen einem Ideal hinterher gelaufen, was sie niemals erreichen könnte und das hatte sie innerlich zerrissen. Das, was sie war und das, was die Gesellschaft von ihr erwartete zu sein, war grundverschieden. Lange Zeit hatte es für Catherine sich angefühlt, als würde sie einem Bild hinterherlaufen, die Hand danach ausstrecken, versuchen es zu fangen, doch es entfernte sich immer mehr von ihr. Je älter sie wurde, desto stärker wurde ihr bewusst, dass die Moral und die Normen der Gesellschaft sie fesseln und unterjochen würden. Sie war nicht das, was man von einer zweiundzwanzigjährigen Frau erwartete und es war auch das Letzte, was sie sein wollte. Es hatte viele schmerzliche Erfahrungen gedauert, bis Catherine es sich endlich eingestanden hatte, dass sie nicht ins Raster passte und auch niemals passen würde, doch als sie hierher gezogen war, hatte sich das verändert. Hier hatte sie zwei Menschen gefunden, die sie akzeptierten wie sie waren.

Leise stand sie auf, ging zum Fenster, blickte in die Richtung, in der 221b lag und flüsterte leise:

„Oh man…wann haben Sie es geschafft, sich so in mein Leben einzumischen, Sie funktioneller Soziopath? Wann ist Ihre Meinung über mich für mich so wichtig geworden? Und warum verdammt nochmal stört mich das nicht?“ Noch immer lächelte sie sanft, ging zurück ins Bett und kuschelte sich unter ihre Decke, das Fenster ließ sie jedoch geöffnet. Es war das erste Mal, dass sie sich diese Frage beantworte, die Antwort zuließ. Noch einmal blickte sie in die verregnete Nacht und gestand sich ein:

//Weil ich ihn mag, den einzigen Consulting Detective der Welt.//

Das Geigenspiel verstummte für einen Moment, setzte dann aber wieder ein, wurde nun noch langsamer, ruhiger und Catherine fühlte sich entspannt. Ob Sherlock vielleicht nun auch die Erkenntnis gefunden hatte, nach der er gesucht hatte? Was auch immer diese gewesen sein mochte, denn sie glaubte nicht, dass er an dasselbe gedacht hatte wie sie, aber das war ihr nun auch egal. Sie war nun mit sich im Reinen, sie wusste, wo sie die beiden hinstecken konnte und das gab ihr innerliche Ruhe. Zwar waren Sherlock und sie keine Freunde, würden es auch nie sein, schließlich könnte sie nie mit ihm über ihre Problem sprechen,- aber dafür hatte sie ja John-, doch nach beinah drei Monaten der Bekanntschaft gestand sie sich endlich ein, dass sie Sherlock Holmes mochte.

Zufrieden schloss sie die Augen und hörte einfach nur Sherlocks sanfter Musik zu, während sie versuchte einzuschlafen.

Es war, als würde die Melodie all die grausamen Bilder wegtragen oder mit ihren bezaubernden Klang überdecken. Jedenfalls dachte Catherine keinen Moment an das, was ihr angetan wurde.

„Danke, Sherlock.“, flüsterte sie noch in ihr Kissen, denn er hatte ihr wieder einmal unbewusst geholfen, dann schlief sie glücklich ein und wachte auch nicht mehr bis zum späten Nachmittag mehr auf.
 

~*~
 

John blickte von seinem Buch auf, als er hörte wie Sherlock zu spielen anfing und musste lächeln. Dieser sture Idiot. Er hätte ja einfach mit ihm darüber reden können, dann hätte er Sherlock dabei geholfen diese für ihn ach so seltsamen Gefühle zu verstehen, aber dafür war Sherlock noch nicht bereit. Er klammerte sich noch viel zu sehr an das, was er all die Jahre gewesen war, was er eigentlich noch immer schätzte, als das er akzeptieren könnte, dass er nicht mehr die Gefühle so sehr ausschließen konnte wie er es denn gern hätte. Denn darin machte John keiner so schnell etwas vor. Er wusste, dass er sehr emphatisch war und dass er Sherlock dabei helfen könnte, doch Sherlock wollte seine Hilfe nicht.

Also musste er sich nun selber mit dem für ihn verwirrende Verhalten auseinandersetzen, was er immer häufiger an den Tag legte. Nicht nur bei dem Fall mit Catherine, auch allgemein, aber bei ihr war es besonders deutlich sichtbar gewesen, eben weil die Situation heikel gewesen war.

John wusste schon längst, dass er die Studentin mochte, eben weil sie ihm oft doch ähnlich war, und Catherine mochte ihn auch, doch beide beängstigte dieser Gedanke zu sehr, als das sie einen Schritt aufeinander zugehen könnten. Stattdessen wurden sie abweisender zueinander, verletzten und verwirrten sich damit nur noch mehr, aber sich einzumischen hatte keinen Zweck. Sie würden ihm nicht glauben, ihn wahrscheinlich auslachen. Manchmal war es wirklich ein Fluch, der neutrale Beobachter zu sein, aber es war doch eigentlich offensichtlich.

Sherlock scherte sich um Catherine, das bemerkten selbst Ausstehende, die sie zum ersten Mal miteinander interagieren sahen, doch diese beiden Sturköpfe sahen den Wald vor lauter Bäumen nicht. Mycroft, Mrs. Hudson und Lestrade, ihnen allen war aufgefallen, dass Sherlock sich ihr gegenüber anders verhielt, als zum Beispiel bei Donovan. Mycroft gegenüber hatte er sogar eine beschützende Haltung angenommen. Er wusste wie unsensibel und kalt sein älterer Bruder sein konnte und Sherlock hatte nicht gewollt, dass Catherines Seele unter den bohrenden Fragen noch mehr litt. Er hatte es zwar wie einen Protest gegenüber Mycroft aussehen lassen, doch John war nicht so blind, wie Sherlock manchmal meinte. Er kannte ihn zu gut. Hinter alldem steckte mehr, viel mehr.

Auch sein ruppiges Verhalten während des Abends, war nur ein Schutzmechanismus gewesen, ein Beweis für ihn, dass er noch immer so wie früher war, doch er war schon zu herablassend und kratzbürstig gewesen, als dass John es ihm abgenommen hätte. So hart und abwertend war er selbst zu Anfang nicht zu Catherine gewesen. Wieso gab er nicht einfach zu, dass er Freude an ihren Streitigkeiten hatte? Weil er zu stolz war.

John schüttelte nur den Kopf. Nun lief Sherlock unten durch die Wohnung, völlig überfordert von sich selbst und versuchte durch das Geigenspiel herauszufinden was los war. Vielleicht suchte er sogar eine Rechtfertigung für sein Verhalten, eine rationale Erklärung, doch die würde er nicht finden. Die einzige logische Erklärung war die Besorgnis, aber das würde Sherlock sich niemals eingestehen.

Diese beiden machten sich das Leben manchmal wirklich unnötig schwer. John seufzte lächelnd, lag das Buch beiseite und legte sich schlafen, während Sherlocks Lied über Catherine und seine Träume wachte.

Seltsamer Rat

Eine Woche später stand Catherine Amell vor der Tür von 221b und zögerte. Sollte sie es wirklich tun? Andererseits war es ihre einzige Chance, dass sie vielleicht wieder in die Normalität zurückfand. Und was musste sie dafür tun? Genau, ausgerecht ihn fragen. Das war wirklich paradox, doch Catherine wusste sich mittlerweile nicht mehr anders zu helfen. Also holte sie noch einmal tief Luft und trat ein.

Eine außergewöhnliche Stille herrschte im Hausflur und langsam ging Catherine die Stufen hoch. Irgendwie hatte sie jedes Mal, das Gefühl, dass sie die Höhle des Löwen betrat wenn sie diese Treppen hochging. Man hatte einfach nie eine Ahnung, was einen erwartete, außer dass es in fünfundneunzig Prozent der Fälle völlig abgedreht war. Alles andere wäre bei der Wohnung von Sherlock Holmes ja auch langweilig gewesen. Was würde wohl dieses Mal passieren? Sie rechnete ja fast damit, dass etwas explodieren würde. Damit würde sie garantiert nicht so verkehrt liegen. Das war nämlich häufiger der Fall. Das hörte sie selbst nebenan.

Vorsichtig, als würde sie damit rechnen angegriffen zu werden, öffnete sie die Tür zum Wohnzimmer und spähte hinein. Noch immer blieb es ruhig und friedlich in der Bakerstreet.

„Hallo?“, fragte sie und trat nun vollkommen ein. Catherine blickte sich um und entdeckte Sherlock über sein Mikroskop gebeugt am Küchentisch. Kurz blinzelte sie, trat dann aber an ihn heran. Er spielte gerade an den Feintrieben des Lichtmikroskops um das Bild schärfer zu stellen und war wie immer hochkonzentriert. Catherine wusste nicht, ob er sie bemerkt hatte, doch er beantwortete die Frage schneller, als sie sie sich hätte stellen können.

„John ist nicht da.“, erklärte er kurz angebunden ohne vom Mikroskop aufzublicken. Catherine seufzte. Offensichtlich störte sie, doch sie konnte nicht mehr so weitermachen. Sie litt noch immer unter den Nachfolgen ihrer Entführung und sie hatte das Gefühl es würde sogar noch schlimmer als besser. Wie aus heiterem Himmel kehrten die Erinnerungen immer wieder zurück und überspülten sie, rissen die Ruhe fort, die sie sonst so mühsam aufrechterhielt. John hatte Recht gehabt. Ein Alltag oder gar Arbeiten war unter diesen Umständen nicht möglich und sie begann zu glauben, dass sie alleine diese Situation niemals meistern würde. Zwar kam John immer rüber, wenn es ihm möglich war, sprach mit ihr und lenkte sie ab, doch es half ihr nicht. Er musste schließlich wieder arbeiten und konnte deshalb nur selten für sie da sein, weshalb sie sich meist allein mit ihren Ängsten konfrontiert sah.

Sherlock seufzte und riss sie dadurch aus ihren Gedanken.

„Was wollen Sie? Ich versuche zu arbeiten.“ Er klang genervt und sah sie noch nicht einmal an. Catherine schluckte und wurde unsicher. Vielleicht sollte sie doch einfach gehen, aber es war ihre letzte Chance. Sie musste es wagen, auch wenn Sherlock kalt zu ihr war.

„Was untersuchen Sie da?“, stellte sie eine Gegenfrage. Catherine hoffte, dass sie durch das Nachfragen über seine Arbeit es schaffte ihn ein wenig wohlgesinnter zustimmen. Der Trick war wahrscheinlich aber wohl zu simpel für Sherlock.

„Proben untersuchen, sehen Sie doch.“, sagte Sherlock etwas ungehalten. „Und ich wäre Ihnen sehr verbunden, wenn Sie mich dafür in Ruhe lassen könnten.“

Kurz zögerte sie, doch dann nahm sie ihren Mut zusammen und trat näher heran. Auf dem Küchentisch verstreut lagen verschiedenste Rotkappengefäße, die mit unterschiedlichen Chemikalien und Nährlösungen versetzt waren. Ein Haufen fein säuberlich gestapelter, leerer Petrischalen stand daneben. Catherine kannte diese Objekte nur zu gut.

„Sie untersuchen Bakterien auf Selektivböden.“, stellte sie fest und betrachtete sich eine mittlerweile bewachsene Platte. Fein säuberlich war der Boden eingeteilt und auf jedem Feld stand etwas: 22°C; 25°C und 33°C und dahinter jeweils eine Zahl. Entweder 159, 222 oder 505. Es handelt sich hierbei um Ausplattierungen von Mikroben auf ein Selektivmedium, welche vorher bei bestimmten Temperaturen inkubiert worden waren. Die Zahlen standen für bestimmte Stämme einer Art, meist Mutanten. Catherine zog die Augenbrauen zusammen und betrachtete die Felder.

„Nein, s.pombe. Keine Bakterien.“, stellte sie fest. „Eine Komplementation, würde ich meinen.“

„Wie kommen Sie darauf?“, fragte Sherlock ohne aufzusehen, aber er klang nun ein weniger neugieriger.

„Durch die Platten.“, erklärte sie und lächelte leicht. „Anhand des von Ihnen angesetzten Nährmediums konnte ich sehen, dass Sie die Spalthefe untersuchen. Für e. coli, s. cerevisiae oder gar Bakterien hätten Sie für das ideale Wachstum eine andere Aminosäuren Zusammensetzung nehmen müssen. Außerdem kenne ich die Nummern, ich habe diesen Versuch ebenfalls schon einmal durchgeführt. Sie beschreiben katalogisierte Plasmide.“

Plasmide waren ringförmige DNA Fragmente, die sich außerhalb des bakteriellen Zellkerns befinden. Ähnlich den Mitochondrien, ein Organell der höheren Zellen, welches für die Zellatmung verantwortlich war, vermehren Plasmide sich autosomal, das bedeutete, dass sie nicht zeitgleich mit der DNA im Kern replizierte.

Plasmide trugen meist genetische Informationen für Resistenzen gegen Antibiotika, Toxine oder auch andere vorteilverschaffende Informationen. Sie verbesserten die Überlebenschancen.

„Dass Sie die Proben bei verschiedenen Temperaturen inkubiert haben, sagt mir, dass die Mutation temperatursensitiv ist. Also vermutlich ein Protein. Schließlich arbeiten Proteine nur in einem geringen Temperaturspektrum wirklich effektiv. Ich denke mal die Letalität, also das Absterben der Zelle, tritt ab 31°C ein, so wie Sie die Temperaturintervalle gewählt haben.

Auf die Komplementation kam ich wegen der drei Nummern. Das ist typisch bei diesem Verfahren. Ein Stamm von s.pombe ist wildtypisch, einer ist die Mutante mit einem Plasmid, welches keine nützliche Information enthält und der Dritte enthält einen vermeintlichen Interaktionspartner für das durch Mutation nicht mehr funktionsfähige Protein. Diese Suppressor können die Mutation bei ihren optimalen Bedingungen kompensieren, aber bei höheren nicht mehr. Meist handelt sind es dabei um sogenannte Chaperone, die dafür sorgen, dass sich die Proteine richtig falten oder aber das Suppressor Protein dient als Bindungsstelle des Mutierten. Bei Ihrem Experiment ist 159 der Wildtyp. Das erkennt man schön daran, dass bei allen drei Temperaturen die Kolonien gewachsen sind. Bei 505 ist das auch noch der Fall, allerdings ist bei 33° und 36° schon deutlich weniger Wachstum zu erkennen, als bei 159. Das zeigt, dass die Mutation in s.pombe noch kompensiert werden konnte, aber eben nicht so effektiv arbeiten kann wie beim Wildtyp. 222 ist das, in Anführungszeichen, leere Plasmid, denn der hat keine Möglichkeit die Mutation zu kompensieren.“

„Eine Deduktion anhand vom Wachstum auf einem Nährboden. Beeindruckend.“, sagte Sherlock ruhig und sie konnte sehen wie er leicht lächelte. Das erleichterte Catherine ein wenig.

„Aber das untersuchen Sie gerade nicht. Für diese Auswertung braucht man kein Mikroskop. Es reicht, wenn man sich die Platten mit bloßem Auge ansieht.“ Catherine legte die Stirn nachdenklich in Falten.

„Da haben Sie Recht.“

„Was untersuchen Sie dann?“

„Das Bewegungsmuster unserer Mikroben aus dem Lagerhaus bei verschiedenen Temperaturen.“ Sherlock Stimme war abweisend, wies auf eine automatisierte Antwort hin. Er war gedanklich nicht bei Catherine, weshalb sie schwieg. Sie ertrug es beinahe nicht, wie abweisend er zu ihr war und sie glaubte nicht, dass es nur daran lag, dass er arbeitete.

„Aber genug vom Thema abgelenkt.“, sagte er schließlich. „Sie haben meine Frage nicht beantwortet. Was wollen Sie hier?“

„Was soll ich schon wo…“

„Sie sind nicht ohne Grund rübergekommen.“, unterbrach Sherlock sie, während er das Objektiv wechselte und somit eine stärkere Vergrößerung wählte. „Sie kommen nie ohne Grund herüber, Catherine. Sie haben uns regelrecht gemieden innerhalb der letzten Woche. Also, warum kommen Sie nun herüber? Garantiert nicht für Smalltalk.“ Catherine blieb einen Moment unschlüssig stehen, dann seufzte sie.

„Sie haben Recht wie immer. Ich komme nicht ohne Grund rüber.“ Nun löste Sherlock sich endlich von diesem verdammten Mikroskop und drehte sich zu ihr um. Seine grauen Augen glitten einmal an ihr hinab, dann zog er eine Augenbraue hoch, schnaubte und drehte sich wieder ab.

„Ich habe doch gesagt, dass John nicht da ist.“

„Bitte?“, fragte Catherine verwirrt.

„Sie wollen offensichtlich über die Geschehnisse in Serbien reden. Tun Sie das mit John, der hat doch schließlich auch ein Trauma erlebt, und behelligen Sie mich nicht damit.“

„…“ Catherine zögerte. Sie wollte das bisschen, was es noch zwischen ihnen gab, nicht riskieren, aber sie lief Gefahr Sherlock zu Tode zu nerven, das spürte sie. Unruhig biss sie sich auf die Lippen und sie blickte zum Boden. Seit sie zurückgekehrt waren, wusste sie nicht mehr, woran sie bei Sherlock war, wusste aber nur zu genau, dass sie ihn nicht verlieren wollte. Von daher war ihr lockerer, selbstbewusster Umgang mit ihm dahin und sie wusste nicht, wie sie sich verhalten sollte.

Es war wie ein Zwiespalt, seit sie Sherlock hatte spielen hören. Einerseits war sie sich nun klarer denn je, was die beiden für sie waren, andererseits wusste sie es bei Sherlock nun umso weniger und sie hatte Angst, das zu verlieren, was noch blieb.

„Catherine?“, fragte Sherlock nun doch irritiert und betrachtete sie mit hochgezogener Augenbraue. Es verwirrte ihn, dass sie ihm keinen Konter entgegen warf, weshalb er ein wenig nachdenklicher wurde. Lieber würde sie das auch tun, würde es vielleicht die Situation auflockern, doch sie konnte es nicht. Sie hatte nicht mehr die Kraft sich gegen seine Spitzen zu wehren, sie zu kontern, sie hatte generell kaum noch Kraft. Es kostete sie schon den kläglichen Rest um ruhig zu bleiben und nicht in Verzweiflungstränen auszubrechen.

„Ich weiß, dass John nicht da ist.“, setzte sie schließlich an. „Ich habe gesehen wie er gegangen ist. Ich wollte mit Ihnen reden, Sherlock.“

„Mit mir?“, wiederholte er verwirrt und blinzelte sie an. Catherine nickte. „Wieso denn mit mir? Ich bin ja wohl kaum für Psychogespräche geeignet.“ Er sah sie skeptisch an und lehnte sich in abweisender Haltung im Stuhl zurück.

„Bitte, Sherlock.“, sagte sie flehend. „Es ist mir sehr ernst.“

Um genauer zu sein, sie war verzweifelt. Wahrhaft verzweifelt. Innerhalb der einen Woche hatte sich nichts verändert. Sie litt noch immer unter den ständigen Panikattacken. Heute Morgen erst hatte sie zum zehnten Mal versucht zu duschen und es war ausgegangen wie jedes Mal. Sobald Wasser auch nur für den Hauch einer Sekunde ihr Gesicht berührte, kehrten all die Erinnerungen grausam zurück und sie schrie panisch auf, taumelte zurück und kauerte meist Ewigkeiten auf den Boden. John hatte sie einmal so vorgefunden, nachdem sie drei Stunden zitternd vor ihrer Badewanne gehockt und stumm geweint hatte. Sie konnte das nicht mehr, sie schaffte das nicht mehr. Irgendetwas musste nun getan werden, sonst würde sie noch nachhaltig verrückt werden.

Sherlock betrachtete sie eingehend, wanderte mit seinen Augen an ihr auf und ab.

„Also gut…“, seufzte er schließlich und schaltete das Licht am Mikroskop aus. „Aber erwarten Sie nicht, dass ich Tee koche.“

„Ich möchte auch gar keinen…“
 

~*~
 

Spätestens jetzt wusste Sherlock, dass etwas nicht in Ordnung war. Catherine war zu ruhig, zu passiv. Er hatte ihr schon bewusst mehrere Vorlagen geliefert, doch sie hatte auf keine reagiert. Sie war beinahe schon nervtötend unterwürfig. Das war nicht die Catherine, die er kannte und die er ein wenig schätzen gelernt hatte.

Einzige mögliche Schlussfolgerung war, dass sie mit ihren Nerven völlig am Ende war und mit der Belastung ihrer Entführung nicht zurechtkam. Doch warum kam sie damit zu ihm? John wäre da der bessere Ansprechpartner. Er hatte wirklich keine Ahnung wie er Catherine damit helfen sollte. Eigentlich wollte er ihr noch nicht einmal helfen sondern weiterarbeiten, aber er konnte leicht an ihren Augen sehen, wie verzweifelt sie war und dass er- warum auch immer- ihre letzte Hoffnung war und das wollte er ihr dann doch nicht verwehren.

Sherlock bedeutete Catherine sich in den Sessel neben dem Kamin zu setzen und verstaute die Petrieschalen im Kühlschrank. Zeitgleich nahm er eine Flasche Saft heraus, goss ihn in zwei Gläser und ging ins Wohnzimmer.

Catherine sah mit trübem Blick zu ihm auf, als er das Glas neben ihr abstellte und sich in den gegenüberliegenden Sessel niederließ. Seine Augen blickten sie nachdenklich an und sie erwiderte ihn, doch er konnte keine Emotionen feststellen. Catherine war schon beunruhigend ruhig. Als wäre ihre Seele verloren gegangen.

Unruhig knetete sie ihre Hände im Schoß und schien nicht recht zu wissen, wo sie anfangen sollte. Sherlock wurde inzwischen ein wenig ungeduldig und spielte mit den Fingern an der Armlehne. Er hasste es nichts zu tun. Sein Körper stand ständig unter Strom und er musste einfach irgendetwas tun, doch Catherine hinderte ihn gerade daran.

„Woher wussten Sie, dass ich über Serbien reden will?“, fragte sie schließlich und hob wieder den Blick zu ihm hoch. Sherlock schnaubte. War das ihr Ernst? Warum hielt sich mit einer solchen Belanglosigkeit auf, anstatt direkt zum Thema zu kommen? Trotzdem zwang er seine Unruhe hinab, und holte kurz tief Luft.

„Außer der Tatsache, dass das Thema nun wirklich naheliegend war?“, antwortete er im ruhigen Ton und behielt dabei Catherine genau im Auge. „Wo fange ich da am besten an? Es sind eine Menge Anzeichen. Dass Sie selbst für Ihre Verhältnisse ungewöhnlich blass sind, muss ich glaube ich nicht erwähnen, das wissen Sie schon selbst, aber ihre Haut zeigt auch erste Anzeichen von Mangelerscheinungen. Außerdem hat John öfters seinen Unmut darüber geäußert, dass Sie nichts essen, es sei denn, er zwingt Sie quasi dazu. Dann noch Ihre Haare…bei allem Respekt, die sind so was von fettig, damit könnte man ein Auto schmieren. Also haben Sie nicht mehr geduscht seit wir zurück sind. Vermutlich weil Sie jedes Mal eine Panikattacke bekommen, sobald Wasser Sie auch nur berührt. Dann noch Ihre Klamotten. Weit, schlabberig, beschützend. Sie spenden Wärme und Bequemlichkeit, etwas woran Sie sich klammern. Außerdem haben Sie einen Fleck Saft auf dem Shirt. Nach Größe und Position zu urteilen, haben Ihre Hände stark gezittert, als sie ihn getrunken haben. Offensichtlich haben Sie in dem Moment die Erinnerungen überwältigt. Das nächste Indiz wären Ihre Mundwinkel.“

„Meine Mundwinkel?“, fragte sie und doch nahm ihre Stimme noch immer keine Emotion an. Sie klang nicht verwirrt, nicht ungläubig. Ihre Stimme pendelte um den immer gleichen Ton und das beunruhigte Sherlock nun wirklich. Es zeigte nur wie gefährlich nah sie daran war doch an psychische Belastung zu zerbrechen. Dabei hatte er gedacht, dass sie stärker wäre.

„Sie sind eingerissen. Das ist häufig der Fall, wenn man sich oft übergibt. Nahrungsreste oder gar die eigene Zunge schädigen die Epithelzellen der Mundwinkel. Zumal man meist im Nachhinein noch unbewusst über die Lippen leckt. Das letzte was mir aufgefallen ist, ist Ihre Angespanntheit. Als ich Sie ignoriert habe, haben Sie die Arme ganz fest um sich geschlungen und auch, als ich Sie darauf ansprach, dass Sie darüber reden wollen. Das haben Sie immer getan, wenn es keine Ablenkung gab und Sie daran denken mussten was passiert ist. Offensichtlich denken Sie sofort daran, solange ihr Gehirn keine Stimulation hat, denn als Sie mir erklärt haben wie Sie auf die Komplementation gekommen waren, standen Sie vollkommen locker da und haben sogar leicht gelächelt. Folgerung: Sobald Sie Ruhe haben, fängt Ihr Gehirn automatisch an die Dinge zu verarbeiten und das macht Ihnen zu schaffen. Deshalb umarmen Sie sich auch selbst. Das ist ein natürlicher Instinkt um sich selbst Halt und Schutz zu geben, wenn Niemand da ist. Großes Resümee: Sie sind mit der Situation überfordert und wollen offensichtlich darüber reden, sonst wären Sie nicht rüber gekommen.“

Sherlock lehnte sich zurück und legte die Finger an die Lippen. Das war wirklich einfach zu erkennen gewesen, zumal es ohnehin auf der Hand gelegen hatte.

Er verspürte keine große Lust mit Catherine ein Psychogespräch zu führen, nun wirklich nicht, aber wenn sie schon den Mut aufbrachte ihn darum zu bitten, obwohl er sie am Tag der Rückkehr oft herablassend oder genervt behandelt hatte, wollte er ihr doch eine Chance geben. Obgleich er sich noch immer nicht sicher war, ob er sie mochte, wusste er doch, dass sie nicht zerbrechen sollte. Niemand durfte mit dieser Psyche spielen, außer ihm selbst.

Catherine seufzte und schloss die Augen.

„Sehe ich wirklich so schrecklich aus?“, war das Einzige was sie murmelte.

„Was erhoffen Sie sich von mir, Catherine? Ich bin für so ein Gespräch wohl kaum der richtige Ansprechpartner.“ Sherlock ging auf ihre Frage nicht ein, wusste sie doch die Antwort und er versuchte zeitgleich das Gespräch so ein wenig in Gang zu bringen. Noch nie hatte er Catherine so ruhig und unsicher erlebt. Aus irgendeinem Grund wusste die sonst schlagfertige Catherine nicht wie sie ihr Anliegen vortragen sollte. Hatte seine Abwehrreaktion an jenem Abend vielleicht doch eine Mauer gebaut und sie wusste nicht mehr wie man ihm die Stirn bot? Oder aber sie hatte einfach nicht mehr die Kraft dafür.

„Sie haben Recht…“, setzte sie nun langsam an und legte kurz die Stirn in Falten. „Aber mit John kann ich darüber nicht reden. Wir haben es versucht, aber er ist zu mitleidig und das hilft mir nicht weiter so sehr ich seine Bemühungen schätze. Er versucht entweder krampfhaft mich abzulenken, wobei ich dann nur noch mehr daran denke, was passiert ist oder aber er bemuttert mich, guckt mich mit diesen traurig, verständnisvollen Augen an, dass ich sofort wieder erinnert werde. Es geht nicht, Sherlock.“ Unbewusst leckte sie sich über die Lippen. „Als ich ihm sagte, dass ich keine Kraft mehr habe, wollte er, dass ich psychologische Hilfe im Anspruch nehme.“

„Und wie soll ich nun dabei helfen?“, frage Sherlock nun doch etwas verwirrt.

Catherine sah auf und blinzelte einmal kurz, dann holte sie tief Luft.

„Ich erhoffe mir von Ihnen, dass Sie mir klar machen wie schwachsinnig und irrational mein Verhalten ist.“, sagte sie ruhig.

„Wie bitte?“, fragte Sherlock verwirrt und sah sie überrascht an. Damit hatte er nun wirklich nicht gerechnet.
 

~*~
 

Catherine nahm einen Schluck Saft und betrachtete Sherlock ruhig, doch in ihrem Inneren tobte es. Alleine war sie ihrem Trauma nicht mehr gewachsen und sie brauchte Hilfe.

Sie hatte sich schon gedacht, dass ihre Aussage Sherlock irritieren würde, doch sie wusste genau, was sie damit bezweckte.

„Sherlock…ich schaffe das nicht mehr. Ich zerbreche unter dem Druck. Ich habe Panikattacken. Sobald Wasser mein Gesicht berührt schreie ich wie von Sinnen. Vorm Schlafen habe ich Angst, weil mich Alpträume verfolgen. Ich kann so nicht mehr weitermachen oder ich werde elendig daran zu Grunde gehen.“, erklärte sie und fuhr sich müde durch ihr strähniges Haar. „Ich hatte gedacht mit der Zeit würde ich es akzeptieren lernen, doch es wird immer schlimmer. Sie sind meine letzte Hoffnung.“ Catherine spürte wie sich ein Zittern ankündigte, weil sie so verzweifelt war, doch sie versuchte es zu verbergen. Sherlock war ihre letzte Rettung vor dem Psychologen. Sie wollte da nicht hin, denn dann wurde umso deutlicher wie schlimm es um sie stand.

„Ich…“ Sherlock blinzelte und schien von ihrem Wunsch verwirrt. „Ich soll was?“

„Keine Ahnung! Irgendwas. Schreien Sie mich an, lachen Sie mich aus, weil ich so dumm bin. Ich weiß es doch auch nicht.“, rief sie verzweifelt aus. Ein Schluchzer entrang ihr, noch bevor sie ihn herunter hätte schlucken können und sie vergrub den Kopf in den Händen. „Bitte, Sherlock…helfen Sie mir! Wie schaffen Sie es die Gefühle auszublenden?“
 

~*~
 

Bittend sah sie ihn an. Catherine vertraute ihm, das konnte er sehen und erhoffte sich von ihm, dass ihm irgendein Einfall hatte auf den normale Menschen nicht kamen.

Sherlock betrachtete sie lange nachdenklich. Seine graublauen Augen verharrten auf ihr, während seine Finger vorm Kinn ruhten. Unsicher blickte sie auf und begegnete seinem Blick.

„Ich versteh immer noch nicht ganz, was Sie von mir erwarten, Catherine.“, sagte Sherlock nach einigen Momenten des Schweigens. „Auch ich kann keine Wunder vollbringen.“

„Das weiß ich…“, erwiderte Catherine niedergeschlagen. „Ich weiß mir aber einfach nicht mehr anders zu helfen.“

Sherlock konnte ihre Verzweiflung sehen. Nur zu gut war das Zittern in ihren Augen zu sehen. Würde er sich nicht schnell was einfallen lassen würde, dann könnte es gut sein, dass sie anfing zu weinen. Oh, Himmel, bloß nicht.

Was erwartete sie von ihm? Sollte er mit den Fingern schnipsen und schon wäre alles wie früher? Nein, so war Catherine nicht, aber dennoch dieses stille Flehen zeigte, dass sie eben doch war wie all die anderen Menschen.

„Catherine…“, setzte er wieder an, dieses Mal noch ruhiger als zuvor und er sah, dass Catherine sich ein wenig entspannte. Nachdenklich runzelte er die Stirn. Ob seine Stimme ihr half? Es hatte auf jeden Fall den Anschein. Er hatte schon öfters gehört, dass Ruhe abfärbte. Ja, vielleicht sollte er eine Strategie ändern, wenn er ihr helfen wollte. Weg vom Sarkasmus und einfach ein ruhiges, sachliches Gespräch mit ihr führen. Aber wollte er ihr überhaupt helfen? Kurz dachte er darüber nach. Sherlock hatte keine Lust sich ausschweifenden Erläuterungen ihres Elends anhören zu müssen. Obwohl…es ging hier um Catherine. Catherine war anders als all die Menschen, die er kennengelernt hatte. Vielleicht würde sie nicht ganz so weinerlich sein. Obwohl es offensichtlich war, dass sie am Ende ihrer Kräfte war.

Und da war es wieder. Dieses seltsame Gefühl tief in seinem Magen, was er es seit Serbien öfters verspürte, wenn er sie so sah. Es war wie ein kleines Ziehen, ein Verkrampfen und in diesem Moment beschloss er, dass es Zeit wurde einen anderen Weg einzuschlagen.
 

~*~
 

Catherine entspannte sich ein wenig, als sie hörte, dass Sherlocks Stimme ruhig war. Vielleicht war es doch noch so wie vor dieser ganzen Scheißsache und sie hatte sich nur zu viele Gedanken gemacht. Generell hatte sie das Gefühl, dass sie in letzter Zeit viel zu viel dachte und interpretierte. Sie musste wieder lockerer werden, gerade bei Sherlock, doch das war das Letzte, wozu sie gerade im Stande war. Seit sie zurück war und ihr Gehirn auf grausame Art anfing all das zu verarbeiten, da war sie nicht mehr locker, sie war nicht mehr sie selbst. Catherine war in Serbien verloren gegangen und nun entschied sich, wer sie werden würde.

„Gut…“, seufzte Sherlock und legte seinen Kopf auf die gefalteten Hände. „Fangen wir am besten von vorne an, Catherine. Was genau belastet Sie?“

Seine Ruhe tat ihr wirklich gut, genauso wie sie es sich erhofft hatte. Mitleid machte es für sie nur noch schlimmer. Sie war immer eher der sachliche Typ gewesen und Sherlock schien den Draht zu ihr finden. Sicherlich, bei normalen Menschen hätte Johns Art mehr geholfen, aber Catherine war ja noch nie normal gewesen.

„Ich….habe Panikattacken. Es gibt Zeiten, da bin ich ganz ruhig und dann überrollt es mich. Ich durchlebe alles noch mal haarklein, spüre all die Schmerzen und Ängste wieder, während ich von einem Weinkrampf gepackt werde. Wie Sie richtig sagten…hab ich es auch noch nicht geschafft zu duschen. Sobald Wasser nur mein Gesicht berührt, bekomme ich absolute Panik. Egal wie oft ich mir sage wie unsinnig das ist, es hilft nicht und dann noch die Alpträume…“ Catherine schüttelte den Kopf und fuhr sich fahrig durch die Haare.

„Klingt nach klassischen Symptomen eines Traumas.“

„Ich weiß.“, gestand sie ein und blickte zu ihm auf.

„Catherine…was soll ich Ihnen sagen? Dass es keinen Sinn macht sich weiter darüber Gedanken zu machen? Das wissen Sie bereits. Es ist vorbei und Sie leben. Das sollte alles sein, was zählt.“ Normalweise hätte Sherlocks Stimme herablassend oder genervt geklungen. Normalerweise, doch dieses Mal war es eher eine Feststellung, klang sogar ein klein wenig aufmunternd. Versuchte Sherlock gerade sie aufzubauen? Catherine sah ihn an, konnte aber keine Antwort in seinem Blick finden.

„Ehrlich gesagt, ich weiß nicht, was ich mir erhofft habe, als ich hierhergekommen bin, Sherlock. Ich hatte einfach gehofft, dass Sie mir helfen können.“

„Auch ich kann keine Wunder vollbringen.“, sagte er noch einmal mit Nachdruck und wedelte kurz mit der Hand, als wollte er diesen Irrglauben wegwedeln. „Und das war Ihnen auch von Anfang an klar.“

Catherine war zu sehr mit ihrer Verzweiflung beschäftigt um zu merken, dass sie gerade ihr erstes, ernstes Gespräch führten. Eines ohne Spitzen, ohne ihre Spiele. Zum ersten Mal, seit sie sich kannten, sprachen Sherlock und Catherine ruhig und offen miteinander. Obwohl Catherine von Sherlock bei ihrem letzten Zusammentreffen abweisend behandelt worden war und sie das ziemlich verletzt hatte, war die Stimmung jetzt vertraut. Doch keiner der beiden bemerkte es, dass sich wirklich etwas zwischen ihnen verändert hatte und das war keine negative Entwicklung.

Seit Catherine bei Sherlocks Geigenspiel erkannt hatte, dass sie ihm vertraute und ihn mochte, war sie an sich ruhiger geworden, denn dadurch waren zwei große Fragen, die sie beschäftigt hatte, beantwortet worden, doch sie wusste nun wirklich nicht mehr genau wie sie mit Sherlock umgehen sollte. Dafür hatte sie ihm einen viel zu großen Schritt zuerkannt und bot ihm damit auch eine größere Angriffsfläche.

„Catherine?“, fragte Sherlock verwirrt, da sie nun eine Weile schwieg und auf den Fußboden starrte.

„Um ehrlich zu sein, nein, ich habe damit nicht gerechnet. Ich…wollte einfach nur mit Ihnen reden.“

Beinahe schon scheu blickte sie zu ihm auf und Sherlock neigte fragend seinen Blick.

„Fakt ist, ich muss es verarbeiten. Alleine schaffe ich das nicht, das zeigt die Woche mir nur allzu deutlich und normale Gespräche machen es auch nur schlimmer. Was bleibt ist der Sherlock Holmes Weg.“ Catherine sprach es aus wie eine Feststellung. Keine Spur ihres Sarkasmus. Momentan war sie nicht in der Lage den Weg des Humors zu gehen und Sherlock wusste das.

„Da ich so was komplett ignoriere, gibt es keinen Weg des Sherlocks.“, sagte er ernst und zog die Stirn in Falten.

„Aber wie?“

„Ich tu es einfach.“ Sherlock zuckte mit den Achseln.

„Was kann ich tun, Sherlock? Was nur? Ich bin so kurz davor…“- Catherine deutete die Zeitspanne mit ihren Fingern an- „…mir die Haare vor lauter Verzweiflung auszureißen. Die Ruhe…ist nur die Ruhe vor dem Sturm. Noch etwas länger und ich fange an wie eine Irre mit mir selbst zu reden, zu kichern, nur um mich dann irgendwelchen Fantasien hinzugeben, weil sie so viel besser sind als meine Erinnerungen. Ich werde verloren gehen, Sherlock. Ich werde geistig sterben. Ist Ihnen das egal? Bedeute ich Ihnen nichts?“

Ihre Stimme war erschreckend leise geworden, war am Ende nur noch ein Flüstern, während sie zitterte und Sherlock ansah. Ihr Herz hämmerte mit voller Kraft gegen ihre Brust und sie hatte gar nicht realisiert, was sie da gefragt hatte, was sie gesagt hatte. Als sie es jetzt jedoch tat, stockte ihr der Atmen und sie biss sich auf die Lippe. Verdammt! Nun hatte sie zu viel preisgegeben. Viel zu viel. Wie würde Sherlock reagieren? Seine nächste Reaktion würde ihr indirekt verraten, wo sie beim ihn stand. Oh Gott, sie hatte Angst davor. Warum hatte sie sich nur hinreißen lassen?

Sherlock sah sie lange an, lehnte sich in den Sessel zurück. Seine Augen durchdrangen sie, wollten sie verstehen, da sah sie an der in Falten gelegten Stirn. Er schien ein wenig erstaunt über ihren Ausbruch, aber nicht erbost. Zumindest sagte er nichts und sie sah auch keine Missachtung.

„Hören Sie, Catherine.“, setzte er nach einiger Zeit mit ruhiger Stimme an. Seinen Kopf hatte er inzwischen auf seine Hände gebettet. „Es gibt kein Rezept dafür wie man mit so etwas umgeht und selbst ich kann ein wenig verstehen, dass Sie verstört sind, dennoch kann ich Ihnen keinen Rat geben. Sie müssen Ihren eigenen Weg finden. Klammern Sie sich zum Beispiel daran fest, dass die Typen tot sind und Ihnen nichts mehr passieren kann.“

„Die Killerzelle gibt es doch noch. Die, die mich vergiftet haben, das haben Sie doch gesagt.“, erwiderte sie und trank noch einmal einen Schluck Saft. Sie war Sherlock dankbar, dass er zu dem vorherigen Thema nichts sagte. Sie hatte sich vor den Antworten auf ihre Fragen gefürchtet. Manchmal war Unwissenheit doch ein Segen.

„Und ich sagte Ihnen, dass ich mich darum kümmern werde.“ Als er ihren ungläubigen Blick sah, seufzte er, fuhr sich durchs Haar und beugte sich weiter vor. „Catherine, ich mag ja ein Soziopath sein, aber ich halte meine Versprechen. Meistens.“ Ein kleines Grinsen legte sich um seine Lippen.

„Sherlock…“, flüsterte sie nur und klammerte sich leicht in ihre Armlehne. Der Blick, mit der er sie ansah, beunruhigte sie und sie war sogar ein ganz klein wenig froh darüber. Endlich fühlte sie etwas anderes als blanke, erschreckende Panik oder grausame Verzweiflung. Sein Gesicht war ausdruckslos, aber seine graublauen Augen blitzten, als hätte er eine Idee.

Eine Falte zog sich zwischen ihren Augenbrauen hindurch, als sie versuchte herauszufinden, was er dachte. Kurz schien er noch zu überlegen, ob er sie wirklich durchziehen sollte, doch Catherine schien sich zu täuschen, denn statt irgendetwas zu tun, frage Sherlock sie:

„Hat John Ihnen jemals die Geschichte von Dartmoor erzählt?“

„Offenkundig nicht.“, setzte er hinzu, als er sah wie Catherine irritiert blinzelte.

„Nur die Geschichte mit Bluebell…weil ich ihn gefragt habe, warum Sie mich mitten in der Nacht anriefen und fragten wie man ein Kaninchen zum Leuchten bringt. Aber ich bezweifle, dass Sie darauf anspielen.“

„Nein…“, sagte er gedehnt und blickte kurz ins Feuer. „Das ist einer meiner unrühmlichsten und ruhmreichsten Geschichten gleichzeitig.“

„Wie?“

„Eines Tages kam ein junger Mann zu mir. Sein Name war Henry Knight und er erzählte mir, dass sein Vater zwanzig Jahre zuvor von einem Monster getötet worden sei. In einer Schlucht, die landsprachlich als Dewer‘s Hollow bezeichnet wird.“

„Die Schlucht des Teufels?“, fragte Catherine verwirrt.

„Da wissen Sie schon mehr, als ich es zu diesem Zeitpunkt tat.“ Sherlock blickte sie an und lächelte leicht. Auch wenn Catherine sich fragte, was er mit dieser Geschichte bezweckte, kam sie doch nicht drum herum festzustellen, dass seine Stimme sich gut für Erzählungen eignete, solange sie ruhig blieb. Es war eine schöne, melodische Stimme.

„Aber warum sind Sie hingegangen? Ein zwanzigjähriger Mord wird Sie wohl kaum gereizt haben.“

„Anfangs hat er das auch nicht.“, erklärte Sherlock. „Bis Henry sagte: ‚Mr. Holmes, da waren Abdrücke eines gigantischen Hounds‘.“

„Hound?“, wiederholte Catherine verwirrt und blinzelte Sherlock an. „Wer benutzt denn noch dieses alte Wort?“

„Das war die Frage, die mich reizte.“ Ein kleines Lächeln stahl sich um seine Lippen. „Und es wurde richtig spektakulär. Der Fall hätte Ihnen gefallen, Catherine. Viel biotechnologische Forschung, aber darauf will ich jetzt gar nicht hinaus.“

„Worauf dann?“ Sie verstand sowieso nicht, was Sherlock damit bezweckte, aber vielleicht wollte er sich auch nur profilieren.

„Am ersten Abend habe ich mir zusammen mit Henry Dewer’s Hollow angesehen. Wenn ein Ort sämtliche Klischees einer Horrorgeschichte erfüllte, dann dieser. Eine tiefe Schlucht mit einer Art Höhle dahinter, Nebel, der unheilvoll über den Boden waberte. Abgelegen in einem dunklen Wald.“ Seine Stimme wurde dunkler und bekam einen unheilvollen Klang. Beinahe als würde er ein wenig darin aufgehen eine Gruselgeschichte zu erzählen. Wie abwegig war das denn bitte? Doch Catherine musste zugeben, dass sie gebannt zuhörte und für den Moment war alles andere vergessen.

„Und dann?“

„Dann sah ich ihn.“, verkündete er mit unheilvoller Stimme.

„Wen?“, fragte sie gebannt.

„Einen riesigen, gigantischen Hund. Groß wie ein Pferd mit pechschwarzen Fell und rotglühenden Augen. Sein Körper war mit unzähligen Wunden und Narben überzogen.“

„Aber…das ist doch nicht möglich.“, flüsterte Catherine und beugte sich gespannt im Sessel vor.

„Natürlich nicht.“, lächelte Sherlock und strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. „Das änderte aber nichts daran, dass ich es gesehen habe und…“ Sein Gesicht verfinsterte sich. „…da geschah etwas, was ich nie für möglich gehalten hätte.“

Catherine hielt unweigerlich den Atem an und merkte gar nicht wie gefangen sie in der Geschichte war.

„Und was?“

„Ich hatte Angst.“, sagte er mit dunkler Stimme.

„Moment…Moment…“, sagte sie und wedelte abwehrend mit den Händen, während sie ihn ungläubig anblinzelte. „Sie wollen MIR sagen, dass SIE Angst hatten? Sie, Sherlock Holmes?“

„Ja, lachen Sie nur.“, grummelte er, aber seine Mundwinkel zuckten ein wenig. Er schien einen Plan zu verfolgen, doch Catherine bemerkte es noch nicht einmal. „Am Ende stellte sich heraus, dass wir unter Drogen standen, aber das ändert nichts an der Tatsache, dass das Gefühl durchaus echt war.“

„Eine Droge?“ Sherlock nickte.

„Eine Droge mit halluzinogener Wirkung und mit Stimulus arbeitend, was zu Panikzuständen führte. Sie sollte als biotechnologische Kriegswaffe eingesetzt werden.“

„Vermutlich stimuliert sie die Ausschüttung von Stresshormonen…“, murmelte Catherine und rieb sich über die Nase, als sie die Begebenheiten biologisch durchdachte. „Oder blockiert die Rezeptoren der…ich nenn es mal Glückshormone…Bei Stress werden im menschlichen Körper meist Adrenalin und Noradrenalin ausgeschüttet. Die beiden alleine würden aber nicht zu Angstzuständen führen.“

„Was ist eigentlich der Unterschied zwischen Adrenalin und Noradrenalin?“, fragte Sherlock.

„Sie wissen das nicht?“ Sie sah ihn erstaunt an.

„Ich habe mich damit nie beschäftigt.“, erwiderte er ungerührt.

„Nun…ich bin kein Neurophysiologe, aber wenn ich mich richtig an meine Vorlesung erinnere…so unterscheidet die beiden an sich nur darin, dass Noradrenalin keine Methylgruppe hat.“ Sie legte kurz die Stirn in Falten und suchte nach den Informationen, die sie vor vier Semestern gelernt hatte.

„Das kann eine Menge ausmachen.“

„Das tut es auch…Dadurch, dass dem Stickstoffatom des Noradrenalins eine Methylgruppe fehlt, und somit ein Rest, können sie nicht an die 2-beta Rezeptoren binden. Diese sind aber notwendig um Einfluss auf den Stoffwechsel zu haben. Nur die Insulinausschüttung wird gehemmt, da dies über 2-alpha Rezeptoren geschieht. Kurz gesagt, Noradrenalin hat einen größeren Einfluss auf die Muskulatur als Adrenalin. Es führt zur Vasokonstriktion, also zur Verengung, der Blutgefäße, was den Blutdruck erhöht ohne dabei jedoch eine Stoffwechselauswirkungen zu haben im Gegensatz zu Adrenalin.“

„Das bedeutet, dass die beiden unter Stress wahrscheinlich zusammenarbeiten.“, folgerte Sherlock. Catherine nickte.

„Ich glaube, dass der wirkliche Auslöser für Angst eine Mischung von Hormonen ist. Diese zu simulieren würde zu kompliziert sein. Einfacher ist wohl die Ausschüttung der Neurotransmitter zu simulieren, der im Hypophysenvorderlappen sowieso Angst auslöst. Ich weiß nicht genau, welcher das ist, aber ich meine mal gehört zu haben, dass unter Stress Corticotropin-releasing Hormone diese Vorgänge vermitteln. Aber genau weiß ich das nicht.“ Catherine hob kurz die Achseln und fuhr sich mit den Zähnen kurz über die Unterlippe.

„Aber mal zurück. Ich…versteh nicht, was Sie mir damit sagen wollten, Sherlock.“

„Wirklich nicht?“, hakte er nach und zog eine Augenbraue hoch, doch es klang nicht ungeduldig oder genervt. „Was ich Ihnen sagen will, ist: Ich verstehe, was in Ihnen vorgeht. Ich kenne das Gefühl der Machtlosigkeit. Man weiß, dass es Unsinn ist, aber egal wie oft man es sich einredet, das Gefühl bleibt bestehen.“ Sherlock betrachtete sie aus nachdenklichen Augen.

Catherine schluckte, presste ihre Hände zwischen ihre Beine und nickte.

„Ja…so ist es. Während des Waterboardings wusste ich, dass ich nicht sterben kann. Schließlich hing ich mit dem Kopf nach unten, doch egal wie oft ich es mir wie ein Mantra in meinem Kopf wiederholte, mein Körper wollte nicht hören.“ Ihre Stimme wurde rau, als die Erinnerungen zurückkehrten und sie fragte trotzdem noch, warum er ihr das sagte. Natürlich überraschte und schätzte sie das Zugeständnis, was er ihr damit gemacht hatte, dennoch verstand sie den Sinn dahinter nicht.

„Natürlich nicht. Dafür spielt die Methode zu geschickt mit den Urängsten und Instinkten.“ Sherlock blickte sie ruhig an, aber seine Mundwinkel zuckten ein wenig.

„Sherlock…“, seufzte sie müde, halbherzig und fuhr sich durch die Haare. Sie war zu entkräftet um ihn einen Konter zu geben oder um empört zu sein. Dieser bemerkte das, denn Catherine entging nicht, dass er jede ihrer Mimik genau beobachtete. Schließlich seufzte er und blickte einmal kurz genervt nach oben, aber er blieb ruhig. Sie spürte aber, dass sie ihm allmählich auf die Nerven ging. „Bei Ihnen hat es aber den Vorteil, dass es nur eine Illusion Ihres Kopfes war. Sie können es auf die Droge schieben. Mein Trauma ist nur leider allzu real.“

„Hören Sie, Catherine…“, fuhr Sherlock nun versöhnlicher fort und seine Augen bekamen nun einen weicheren Glanz. „Sie sehen nur das Negative an der Geschichte. Konzentrieren Sie sich doch auf das Positive. Das soll helfen, habe ich gehört.“

„Positiv?“, rief sie beinahe aus. „Positiv? Was war daran positiv?“ Sie merkte noch nicht einmal, dass Sherlock Schritt für Schritt seinem Ziel näher kam. Ihre Gefühle kehrten langsam, aber stetig, wieder zurück.

„Die ganze Geschichte hat eine Sache bewiesen, Catherine. Nämlich, wie stark Sie mental sind.“, erklärte er ruhig und unterstrich den Worten mit seinen Händen. Catherine blinzelte irritiert und neigte den Kopf. „Sie sind drei Tage wirklich mit allen Mitteln der Kunst psychisch gefoltert worden, doch Sie sind nicht daran zerbrochen. Ich muss zugeben, dass das beeindruckend ist. Das hätten nicht viele geschafft, also lassen Sie nicht zu, dass es Sie im Nachhinein zerstört, obwohl Sie doch eigentlich die Kraft haben das zu überwinden.“

Mit offenem Mund starrte Catherine ihn an. Was hatte er da gesagt? War das ein Lob? Von Sherlock? Träumte sie? Hatte sie Halluzinationen? Konnte sie mal Jemand bitte kneifen?

„Sie können den Mund wieder zumachen, Catherine.“, sagte er leicht amüsiert. „Mir ist schon bewusst, was ich da gesagt habe.“ Sie zog die Augenbrauen zusammen, schloss aber ihren Mund wieder.

„So habe ich das gar nicht gesehen.“, gestand sie sich schließlich ein und bedachte das, was Sherlock ihr gesagt hatte.

„Dafür bin ja ich da.“, grinste Sherlock sie an und sie lächelte leicht.

„Was würde ich nur ohne meinen arroganten Mistkerl machen?“, gab sie nun doch ein klein wenig bissig zurück und reckte herausfordernd das Kinn vor. Sherlock erwiderte es mit seinem selbstzufriedenen Lächeln. Er hatte es echt geschafft. Ihr alter Trotzwille war wieder da.

„Ich lasse mich nicht gerne reduzieren, Catherine, das wissen Sie doch.“

„Entschuldigen Sie.“ Sie schmunzelte frech. „Ich versuche es noch einmal.“

Sie räusperte sich und fing an den Fingern an abzuzählen:

„Arroganter, selbstbewusster und selbstgefälliger Mistkerl. Hochfunktioneller Soziopath, natürlich, mit leicht autistischen Anwandlungen. Klugscheißer, Nervensäge, Plagegeist, Grund für mein wahrscheinlich bald gescheitertes Studium. Gerne mal kindisch…hmmm…ach ja, natürlich Sarkast mit leichten Hang von Zynismus.“ Sie hielt kurz inne und dachte nach. „Habe ich irgendwas vergessen? Nein, nein ich glaub das war alles.“

„Was ist charmant, liebenswürdig und reizend?“ Beide sahen sich an und fingen an zu lachen. Es war wie eine Befreiung. Als hätte sich ein Knoten gelöst. Oh ja, Sherlock und all das. In seinen Träumen vielleicht.

„Oh ja, so reizend wie eine Darmspiegelung.“, erwiderte sie trocken, als sie sich ein wenig beruhigt hatte.

„Es gibt doch nichts Schöneres.“, grinste Sherlock. Catherine schüttelte nur amüsiert den Kopf und fuhr sich durchs Haar, aber schwieg.

„Schön…nachdem diese ganze Scheiße doch einen positiven Aspekt hat, danke dafür nochmal.“ Sherlock neigte in einer übertrieben höflichen Geste den Kopf. „Bezweifele ich, dass es gegen alle Symptome helfen wird, Sherlock.“

„Nein, wohl kaum.“ Er wurde schlagartig wieder ernst. „Dafür ist das ganze Problem zu unterbewusst. Das Problem mit der Dusche wird wohl damit nicht…“ Sherlock stockte, weitete kurz die Augen und legte dann die Stirn in Falten. Plötzlich stand er auf, ging an ihrem Sessel vorbei in Richtung Schlafzimmer.

„She…Sherlock?“, rief sie ihm irritiert hinterher und drehte sich im Sessel um.

„Selbst ich muss mal wohin.“, erwiderte er knapp und war schon verschwunden. Catherine sah ihm völlig irritiert nach und fragte sich, was das alles sollte. Sicher, selbst ein Sherlock musste mal ins Bad, aber dass er noch nicht einmal den Satz beendet hatte, irritierte sie dann doch. Sätze abbrechen tat er doch nur, wenn er eine Idee hatte.

Es dauerte gut zwei Minuten- sie hatte sich mittlerweile wieder richtig in den Sessel gesetzt- bis sie dumpf das Rauschen der Spülung hörte und den Wasserhahn. Sie zog die Stirn in Falten, achtete aber nicht wirklich darauf, sondern trank stattdessen einen Schluck Saft.

Kurze Zeit später hörte sie ruhige Schritte hinter ihrem Rücken und sie wusste, dass Sherlock wiederkam. Jedoch hätte sie nie im Leben damit gerechnet, was jetzt geschah.

Sie spürte wie Sherlock in ihrem Nacken stehen blieb und gerade, als sie den Kopf in den Nacken legen wollte, um ihn fragend anzusehen, spürte sie einen starken Druck am Hinterkopf.

„Sher…“, setzte sie irritiert an, doch er hatte ihren Kopf schon nach beinahe gewaltsam nach vorne gedrückt und ehe sie sich versah, presste er ihr einen nassen Waschlappen vor Mund und Nase. Catherine erstarrte, weitete vor Schock die Augen und wurde augenblicklich von Panik überrollt.

„Hmmm!“, schrie sie in das Tuch, versuchte ihn abzuschütteln, umklammerte seine Hand, doch der Griff war zu stark. Die Erinnerungen kehrten schlagartig zurück, als sie schnappartig versuchte zu Atmen. Ihre Umgebung verblasste und sie vergaß, dass sie in der Bakerstreet war. In diesem Moment war sie wieder eine Gefangene der Serben, hing kopfüber gefesselt auf diesen Gestell und kämpfte um ihr Leben. Wieder hatte sie dieses schreckliche Gefühl der Machtlosigkeit, des gefesselt auf dem Meeresboden sitzen und die animalische Angst zu ertrinken.

Die Panik schnürte ihr die Brust zu, ihre Gedanken wurden zu einer zähen Masse und sie versuchte krampfhaft Luft zubekommen, während ihre Hand sich in Sherlocks Arm krallte- obwohl sie das längst nicht mehr wusste.

„Catherine!“, hörte sie Jemanden weit entfernt ihren Namen rufen. „Catherine!“

Wieder diese ruhige Stimme. Doch wer war das? Catherine fühlte sich, als würde sie auf dem Meeresboden kauern, überall um sie herum Wasser, drohte zu ersticken und die Stimme klang so weit entfernt. Woher kannten die Serben ihren Namen? Und warum riefen sie nach ihr?

„Catherine!“, hörte sie noch einmal, dieses Mal fordernder. „Ganz ruhig! Beruhigen Sie sich! Ihnen kann nichts passieren. Sehen Sie mich an!“

Sie reagierte nicht. Catherine wollte nicht wieder in diese vernarbte, hässliche Fratze sehen, die sie in ihren Alpträumen heimsuchte. Sie wollte nicht den sadistischen Glanz in den kleinen Augen erblicken. Nein! Lieber hielt sie die Augen geschlossen.

„Catherine, sehen Sie mich an! Sie können das!“ Die Stimme ließ nicht locker. Catherine hielt kurz inne, denn etwas verwirrte sie. Seit wann klang die Stimme des Serben so sanft? Warum sollte sie ihn ansehen? Und warum versuchte er sie zu beruhigen? Nein, das war nicht der Serbe. Diese Stimme war vertraut. Nur allzu vertraut, doch woher…? Catherine sammelte all ihren Mut und öffnete die Augen. Es dauerte einige Augenblicke, bis sie wieder Umrisse erkannten.

Sherlock hockte vor ihr und betrachtete sie aus ruhigen, graublauen Augen, während er ihr noch immer einen Waschlappen vors Gesicht drückte. Sofort kehrte das Gefühl zurück, denn sie bekam immer weniger Luft. Catherine schrie erneut, zerrte an seinem Handgelenk, versuchte durch Kopfschütteln sich loszureißen, doch Sherlock gab nicht nach, betrachtete sie weiterhin mit festem, durchdringendem Blick. Das simulierte Gefühl des Ertrinkens ließ sie nichts wahrnehmen, sie sah zwar Sherlock vor sich, realisierte es aber nicht. Sie bemerkte nicht, dass er auf sie einsprach, spürte nur die Angst des Todes und sah auch nicht, dass sein Arm mittlerweile von ihrem festen Griff blutete.

„Catherine!“, sagte er noch einmal mit ruhigen, aber bestimmenden Ton. „Sehen Sie mich an! Sie werden nicht ertrinken, hören Sie? Sie sind sicher. Beruhigen Sie sich! Entspannen Sie sich! Es ist nur ein Waschlappen.“ Als Catherine nur noch heftiger zitterte und ihre Atmung immer hektischer, flacher, beinahe schon hechelnd wurde, nahm Sherlock seine Hand aus ihrem Haar und legte sie beinahe behutsam um ihr Handgelenk.

Tiefe, graublaue Augen blickten mit einem Hauch Sanftheit zu ihr hoch und nahmen wie ein Magnet ihren Blick gefangen. Seine Ruhe ließ sie innehalten, zögern.

Sherlock bemerkte, dass Catherine ihre Erinnerungen abgestreift hatte und mit der realen Angst kämpfte, nicht mehr mit dem Trauma. Sie war nicht mehr gefangen in den Erinnerungen, das sah er daran, dass sie ihm nun bewusst in die Augen blickte, ihn erkannte. Kurz strich er mit den Daumen über ihren Arm, wollte Wohlgesinnung ausdrücken.

„Vertrauen Sie mir!“, flüsterte er. Catherine blickte ihn an, nickte und sie holte unbewusst tief Luft. Dieses Mal verstärkte dieser Atemzug ihre Panik jedoch nicht, obwohl das Gefühl des Ertrinkens blieb. Sie begriff, dass es nur eine Simulation war und allmählich wurde sie ruhiger. Sie vertraute Sherlock. Die Anspannung wich ein wenig aus ihrem Körper und der Griff um Sherlocks Arm lockerte sich.

Sofort als Sherlock bemerkte, dass sie sich entspannte, nahm er den Waschlappen weg und blickte sie an. Seine graublauen Augen betrachteten sie durchdringend, beobachteten sie genau, wachten, ob die Panik zurückkehrte, doch das geschah nicht. Stattdessen schnappte Catherine gierig nach Luft, keuchte und umklammerte nun wieder die Armlehnen.

„Sind Sie völlig verrückt?“, keifte Catherine ihn aufgebracht an, als sie realisierte, was Sherlock ihr da angetan hatte. Er hatte sie gewaterboardet. Sherlock hatte sie…Catherine erschauderte und wollte noch nicht einmal denk Gedanken zu Ende bringen. „Was haben Sie sich…“

Statt zu antworten, stand Sherlock auf und trat neben sie. Ohne ein Wort zu sagen drückte er seine feingliedrigen Finger gegen ihre Stirn. Sanft, aber bestimmt, legte er ihren Kopf in den Nacken und wrang den Lappen über ihr aus. Ein kleiner Bach fiel auf Catherine hinab. Das kühle Wasser traf auf ihre Stirn, prallte ab, spritzte und floss dann über ihre Augen, ihre Nase, ihren Mund. Kurz hielt sie instinktiv die Luft an, wartete auf die Panikattacke, doch zu ihrer Überraschung blieb sie aus.

Verwirrt blickte sie zu Sherlock auf, der sie nun anlächelte und den Druck von ihrer Stirn nahm.

„Sie haben den Schrecken überwunden, Catherine.“ Sherlock trocknete ihr Gesicht mit einem zweiten Lappen ab. Sie blinzelte ihn erstaunt an. Eigentlich hatte sie ihn anbrüllen wollen, doch die Tatsache, dass sie nicht zurückgeschreckt war, dass sie keine Erinnerungen überrollt hatten, hinterließ sie sprachlos.

Noch immer überfordert ließ sich wieder normal in den Sessel sinken und strich sich ihren Pony aus dem Gesicht.

„Schocktherapie…“, murmelte sie nur, als sie endlich ihre Stimme wieder gefunden hatte. Sie klang rau und trocken, war nur ein heiseres Krächzen.

„Wenn gewöhnliche Mittel nicht greifen, muss man ungewöhnliche nehmen. Das sagten Sie doch.“, antwortete Sherlock, der ihr Glas wieder mit Saft füllte. Sie nickte und fuhr sich über die Lippen. Erst jetzt fiel ihr Blick auf seinen Arm.

„Sherlock, Sie bluten ja!“, rief sie aus. Sherlock hielt inne, runzelte die Stirn und blickte auf seinen Unterarm. Hatte er es selber nicht bemerkt? Catherine war beinah überrascht, dass aus dem Übermensch Sherlock ebenfalls rotes Blut floss. Vorsichtig trat sie an ihn heran und ergriff seinen Arm. Catherine wollte sich die Wunde ansehen.

„Sherlock, es…“ Gerade als sie sich entschuldigen wollte, entriss Sherlock ihr seinen Arm und ließ sie stehen. Verwirrt sah sie ihn an, doch Sherlock verließ das Wohnzimmer schon in Richtung Küche. Nur für einen Augenblick blieb er neben ihr stehen und blickte mit seinen ausdrucksstarken Augen zu ihr hinab.

„Sie haben einen starken Willen, Catherine. Einen der Stärksten, den ich bisher je gesehen habe. Lassen Sie nicht zu, dass dieser von einen paar dummer Serben zerstört wird. Das wäre schade.“ Catherine starrte ihn mit großen Augen an, konnte nicht begreifen, was er ihr gerade gesagt hatte. Ihre Gedanken begannen zu rasen und sie versuchte zu verstehen, was Sherlock ihr zugestanden hatte, doch es war ihr nicht möglich.

Er hingegen ließ sie stehen, legte aber im Vorbeigehen wie beiläufig eine Hand auf ihre Schulter. Sie wusste nicht, ob er es bewusst getan hatte, doch sie war gerade ohnehin mehr als überfordert. Einige Moment verharrte Catherine wie als wäre zu Eis erstarrt. Als sie ihn darauf ansprechen wollte, saß er bereits wieder über das Mikroskop gebeugt und ging seinem Experiment nach. Für Sherlock war das Thema abgeschlossen.

Verbannung

Einen Monat später war Catherines Leben fast wieder das einer normalen Bachelor Studentin. Der Frühling war über London herangebrochen und die Pflanzen standen in voller Blüte. Sie ging zur Arbeit, forschte an den Zellteilungsmechanismen von s.pombe und lernte nebenbei alles, was es zu diesem Thema gab. Sie lebte ein unbeschwertes Leben und alles könnte beinahe schon langweilig normal sein, wenn da nicht noch immer ihre Nachbarn wären.

Eigentlich hatte sich nach ihrer Entführung nicht wirklich etwas verändert. Nein, nun wirklich nicht. Noch immer war Sherlock häufig die reinste Plage, auch wenn er sie nun nicht mehr so sehr auf die Nerven ging wie zu Beginn dieser Geschichte. Nach wie vor kam er unangekündigt in ihre Wohnung, fragte sie aus, nur um dann zu verschwinden. Auch ihre Duelle hatten noch den gewohnt trockenen Humor, aber eines hatte Catherine nur zu gut gelernt: Beginne niemals mit Sherlock zu diskutieren. Da konnte man nur verlieren.

Catherine ging zwar noch immer nicht wirklich häufig herüber zur 221b- höchstens um zusammen mit Mrs. Hudson zu essen oder mit John einen Kaffee nach der Arbeit zu trinken-, aber sie hatte schon so manchen Abend damit verbracht neue wissenschaftliche Erkenntnisse zusammen mit Sherlock und John zu diskutieren. Die Debatten waren gelinde gesagt hitzig gewesen und endeten meist darin, dass Catherine entweder genervt aufgab, Sherlock sich auf seiner Couch abdrehte oder aber dass die Diskussion in eine Sarkasmusschlacht über private Dinge überging- vornehmlich wenn Catherine oder Sherlock die Argumente ausgingen.

Auch wenn auf dem ersten Blick alles wie beim Alten erschien, so hatte sich doch einiges unterbewusst verändert. Ihre Interaktion war- oberflächlich gesehen- noch genauso wie vorher, doch das stimmte nicht. Es war vertrauter. Catherine gehörte nun mittlerweile dazu und kämpfte darum ihren Platz zu behaupten. Für Sherlock war es mittlerweile normal geworden, dass es sie gab und er akzeptierte sie einigermaßen.

John war damals erstaunt gewesen, als er von der Arbeit wiedergekehrt war und Sherlock bei seinen Experimenten vorgefunden hatte, während Catherine gemütlich im Sessel saß und mit ungläubigen, aber interessierten, Blick Sherlocks Exemplar von: Ein illustrierter Band über menschliche Zersetzung gelesen hatte.

Es war das erste Mal gewesen, dass Sherlock und sie allein in der Wohnung gewesen waren. Eigentlich waren sie- außer am Abend der Rückkehr- noch nicht einmal zu dritt dort gewesen, sondern immer nur John und Catherine. Sherlock hatte es nicht gerne, wenn man in seine Privatsphäre eindrang und Catherine hatte zuvor auch nie den Drang verspürt sich dessen Wohnung anzusehen. Sie hatte keine Ahnung gehabt, was sie in der Bakerstreet 221b erwartete und hatte auch nie wirklich das Bedürfnis verspürt eben dies herauszufinden.

Umso verwirrender war es für John gewesen die beiden friedlich beieinander vorzufinden. Er hatte keine Ahnung gehabt, was Catherine dazu bewogen hatte herüber zu kommen, doch es schien Sherlock nicht zu stören. Generell war es verändert gewesen. Normalerweise wollte der Consulting Detective seine Ruhe, wenn er experimentierte, doch er hatte Catherine in seiner Nähe akzeptiert und ging seiner Untersuchung so ruhig nach, als wäre es das Normalste der Welt. John hatte damals Catherine gefragt, was sie beide denn angestellt hätten, doch diese hatte nur mit den Schultern gezuckt und schlicht geantwortet:

„Eine Unterhaltung geführt.“ John hatte ihr das natürlich nicht geglaubt, dafür war die gesamte Atmosphäre viel zu entspannt und vertraut gewesen. Vor allem nachdem wie sich Sherlock Catherine gegenüber verhalten hatte. Ob sein Geigenspiel etwas verändert hatte, hatte John zu diesem Zeitpunkt nicht sagen können, aber letzten endlich war es ihm bis heute egal.

Schließlich war es danach alles seinen gewohnten Gang gegangen, nur dass Catherines und Sherlocks Wortgefechte längst nicht mehr oberflächlicher Natur waren und dass Catherine nicht nur aus Trotz oder Genervtheit konterte. Die beiden hatten mittlerweile sichtlich Spaß daran entwickelt und manchmal ging es so schnell hin und her, dass es ihm schwindelig wurde.

Was sich noch verändert hatte, war, dass Sherlock nun öfter bei Catherine im Labor war und sich biotechnologische Verfahren zeigen ließ. Offenbar hatte sie ihn mit ihrer Erklärung über die Komplementation ein wenig beeindruckt, weshalb sie sich öfter an den Abenden der Wochenenden dort trafen und Sherlock sich wirklich Dinge von ihr erklären ließ. Das konnte sie noch immer nicht glauben, aber es war eine Wohltat für ihr Selbstbewusstsein. Auch wenn sie manchmal Sherlock einen Spruch reindrücken musste, weil seine Gedanken natürlich mal wieder dazu glitten wie man diese Methoden für ein Verbrechen verwenden könnte.

Was hatte sich also innerhalb diesen einen Monats verändert? Eigentlich nichts. Sherlock trieb Catherine und vor allem John regelmäßig in den Wahnsinn, ließ sie mit den Kopf schütteln oder hielt Lestrade auf Trab und doch war alles vertrauter. Es war wie eine scheinbar friedliche Illusion einer Idylle, doch sie waren alle glücklich damit und somit störte sich Niemanden daran, dass es kein normales Leben war.

Es war ein zerbrechliches Gebilde, gewiss. Es müsste jemand nur fest von außen mit Steinen auf ihre Welt werfen und sie würde zerbersten. Nur ein gefährlicher Fall, der in Sherlock umso stärker den Soziopathen herausholte, sie alle in Gefahr brachte und es würde auf eine harte Probe gestellt werden, doch daran mochte momentan Niemand in der Bakerstreet denken. Es war gut wie es momentan war. Nur, wie so ziemlich alles in Bezug auf Sherlock Holmes, hatte auch diese surreale Welt nicht für immer Bestand. Das ahnte nur noch Niemand.

Catherine verließ gerade die U-Bahn Station an einem milden Frühlingsabend und blieb kurz am Ende der Treppe stehen. Tief atmete sie den Duft der blühenden Bäume ein und achtete nicht darauf, dass sie einigen hektischen Londoner im Weg stand. Sie genoss die Ruhe für einen Moment, denn Ruhe gab es für sie zu Hause schon lange nicht mehr. Ruhe und Entspannung gab es für sie auf der Arbeit, die sie über alles liebte, aber nicht in der Bakerstreet.

Nach einigen Momenten des Innehaltens löste Catherine sich von dem Anblick des geschäftigen Londons, der schönen Welt. Wenn nur all die Londoner wüssten, was unter der Oberfläche ihrer schönen Welt brodelte, würden sie nicht so ruhig sein. Ein amüsiertes Lächeln spielte um ihre Lippen, als sie ihren Heimweg fortsetzte.
 

Eine halbe Stunde später trat sie durch die Tür von 221b Bakerstreet, ihre Uniklamotten hatte sie kurz in ihrer Wohnung abgeladen, und betrat die Wohnstube von diesem seltsamen Paar.

„Hallo!“, rief sie in den Raum herein.

„Hey, Catherine.“, kam es von John vom Schreibtisch aus und er lächelte sie warm an, bevor er sich wieder daran machte den neusten Fall des Sherlock Holmes in seinem Blog niederzuschreiben. Catherine wandte sich nach rechts und sah Sherlock gedankenversunken auf der Couch liegen. Seine Augen starrten ins Nichts, während es hinter seinem Kopf heftig arbeitete. Er hatte noch nicht einmal wahrgenommen, dass sie die Wohnung betreten hatte. Sie lächelte nur und wandte sich an John:

„Gedankenpalast?“ John hob die Schultern und schmunzelte:

„In letzter Zeit hat er einen Daueraufenthalt dort gebucht. Er hat schon seit zwei Tagen nichts mehr gesagt.“

„Nun, so ein Gedankenpalast ist bestimmt ziemlich gemütlich. Ich hab gehört der Blick auf verschlossene Kindheitserinnerungen soll momentan fantastisch sein.“, grinste sie ihn an und ging zu ihm. Catherine beugte sich zu ihm hinab und las das, was John bisher geschrieben hat.

„Maaaan, der Blog ist ja mittlerweile ist richtig populär geworden. 10.000 Klicks?“, stellte sie erstaunt fest.

„Seit vorgestern.“, sagte John zufrieden und postete seinen neusten Beitrag. Catherine stieß einen anerkennenden Pfiff aus.

„Nicht schlecht, nicht schlecht. Sherlock wird ja noch richtig berühmt. Selbst in meinem Labor reden sie mittlerweile über ihn.“

„Ja und das nervt ihn gewaltig.“ Er sah grinsend zu ihr auf und klappte den Laptop zu.

„Natürlich tut es das.“, kicherte Catherine und lehnte sich gegen den Schreibtisch. „Sherlock will zwar Anerkennung, aber Popularität…nee, viel zu anstrengend und hinderlich als Privatdetektiv.“

John nickte zustimmend und blickte zu ihr auf.

„Und, wie war’s auf der Arbeit?“, fragte er sie. Catherine hob die Schultern und verdrehte genervt die Augen.

„Normal. Klatsch, Tratsch, belangloses Zeug und leuchtende Hefe. Wirklich unglaublich spektakulär.“, erwiderte sie trocken. Sherlock begann plötzlich irgendetwas auf der Couch zu murmeln, nahm sie aber noch immer nicht wahr. Catherine warf ihm kurz einen Blick zu, schmunzelte und wandte sich dann wieder John zu, der aufstand und in die Küche ging. Sherlock war völlig abgedriftet. Musste ein spannender Fall sein.

Schließlich folgte Catherine John in die Küche um Sherlock nicht zu stören. Nicht, dass er sie mitbekommen würde. War er in seinem Gedankenpalast, dann nahm er überhaupt nichts wahr. Er war dann in der Welt seiner Erinnerungen.

Dieser werkelte gerade am Kühlschrank rum.

„Uuh…lecker Augen…“, murrte er und zog eine Augenbraue hoch. „Hatten wir schon lange nicht mehr. Will ich wissen, was er damit schon wieder vorhat?“

„Nein.“, grinste Catherine und lehnte sich gegen den Tisch. „Nein, ich glaube das wollen wir nicht.“

John warf ihr ein kurzes Lächeln zu, dann kramte er die Milch heraus, roch daran und verzog das Gesicht.

„Schlecht…mal wieder.“ Er seufzte und warf sie weg.

„Die wievielte diese Woche?“

„Die Fünfte.“, antwortete er und setzte sich zu Catherine an den Tisch, reichte ihr ein Glas Saft.

„Danke.“ Sie lächelte und trank einen Schluck. „Sagen Sie, John, haben Sie zufällig etwas Mehl, was Sie mir leihen können?“

„Mehl?“ Er legte die Stirn nachdenklich in Falten. „Was wollen Sie denn mit Mehl? Sherlocks Überraschungskuchen backen?“ John grinste und Catherine kicherte leise.

„Nein, nein. Das mach ich, wenn er nicht damit rechnet. Ich wollte mir Schnitzel braten und hab leider kein Mehl mehr zum Panieren.“ Fragend hob er eine Augenbraue hoch und blickte sie an.

„Ich denke Sie essen immer in der Mensa.“

„Schon…“, sagte sie ruhig. „Aber heute hatte ich Königsberger Klopse…und die waren halbroh.“ Catherine verzog angewidert das Gesicht und John schüttelte sich.

„Appetitlich…danke, nun werde ich wohl heute nichts mehr runterbekommen.“ Catherine lächelte unschuldig und pfiff leise. „Besten Dank.“

John puffte ihr spielerisch in die Rippen und Catherine lachte.

„Deshalb will ich mir ein ordentliches Schnitzel braten und Pommes mampfen.“

„Wenn Mrs. Hudson das hören würde.“, tadelte er sie und warf ihr einen amüsierten Blick. Catherine zog eine unschuldige Schnute. Mrs. Hudson lud Catherine nun öfters zum Abendessen ein, da sie ihrer Meinung viel zu ungesund aß und ganz fürchterlich blass wäre. Also hatte die gutmütige Frau es sich zur Aufgabe gemacht die arme Bachelorandin aufzupäppeln. Vor zwei Wochen hatte sie einmal Catherine nach dem Einkaufen getroffen, wie sie sich genüsslich eine Ecke Salami Pizza von einer beliebten Fast Foodkette gegessen hatte und erst mal aufgebracht gefragt wie man solchen Müll in sich hineinstopfen könnte.

„Aber ich denke wir werden noch Mehl haben…“, fuhr John dann fort und stand auf um die Schränke zu durchwühlen. „Es sei denn, Sherlock hat es mal wieder als Provisorium zum Fingerabdruck nehmen verwendet.“

„Sagen Sie, John…“, wechselte Catherine das Thema und ein amüsiertes Grinsen legte sich auf ihre Lippen. „Sind Natasha und Sie sich inzwischen näher gekommen. Sie hieß doch Natasha, oder?“

John hielt kurz inne, den Rücken zu ihr gewandt, dann rollte er mit den Augen und warf ihr einen halbherzig wütenden Blick zu. Catherine sah allerdings auch noch, dass er sogar einen Hauch rot geworden war. Volltreffer! Die Woche im Labor war langweilig gewesen und Sherlock stand für ihre Duelle momentan leider nicht zur Verfügung, also musste nun John herhalten. Sonst ginge sie ja völlig ein.

„Ich weiß nicht wovon Sie reden.“, wiegelte er halbherzig ab, aber ein kleines Lächeln spielte um seine Lippen.

„Ooooh…“, stieß sie erfreut aus und quiekte beinahe. „Da läuft etwas. Nein, wie niedlich.“

Sie freut sich wirklich. Vor zwei Tagen hatte sie die Beiden abends durch die Hammingtonstreet laufen sehen und sie haben vertraut miteinander ausgesehen, dass Catherine sich nur freuen konnte. John schien wirklich glücklich gewesen zu sein. Die Frage war nur wie lange dieser Zustand andauern würde, bis auch sie anfing sich über Sherlock zu beschweren. John warf ihr einen halbherzig genervten Blick zu, doch der Glanz in seinen Augen war weich. Klatsch und Tratsch, Gespräche über Bagatellen gehörten für sie beide mittlerweile dazu. Manchmal musste man sich mit Belanglosigkeiten beschäftigen, wenn man mit Sherlock zusammenlebte.

„OH, NATÜRLICH! EIN ELEKTROSCHOCK!“, rief Sherlock plötzlich vom Wohnzimmer aus und Catherine hörte ihn förmlich aufspringen. John und sie sahen sich an, zogen eine Augenbraue hoch und lachten.

„Natürlich…ein Elektroschock.“, sagten die beiden gleichzeitig. „Dass wir nicht darauf gekommen sind.“

„Wie können wir nur so unglaublich blind sein?“, kicherte John.

„Wie kann der große Sherlock Holmes es nur mit so einfältigen Menschen wie uns aushalten?“, sagte auch Catherine lachend, aber natürlich hörte Sherlock sie nicht.

„Um welchen Fall geht es eigentlich?“, fragte sie, als sie John ansah. „Den mit dem vermummten Henker oder den Amoklauf in Camden?“

„Ich habe keine Ahnung.“ John zuckte mit den Schultern. „Vielleicht auch die Entführung der Bankiersfrau…ich habe den Überblick verloren.“

„Wieso hat er jetzt noch mal so viele Fälle gleichzeitig?“ Sie blinzelte ihn fragend an. Normalerweise konzentrierte sich Sherlock nie auf mehrere Fälle gleichzeitig. Zu viele Ablenkungen, sagte er immer und nun hatte er so viele am Laufen, dass Catherine längst keine Ahnung mehr hatte über welchen er gerade nachdachte. Das letzte Mal, dass er sie um Rat gefragt hatte, war auch schon eine Weile her und damals hatte sie ihm nicht helfen können.

„Er meinte all diese zusammen ergeben zumindest einen halbwegs brauchbaren Fall.“ John warf kurz einen Blick in Richtung Wohnzimmer, wo Sherlock aufgebracht hin und her rannte und sich- mal wieder- Johns Laptop schnappte.

„Hey, lassen Sie meinen Laptop liegen, Sherlock!“, rief er und wusste doch genau, dass es keinen Sinn hatte.

„Aber meiner ist im Schlafzimmer.“, kam die gewohnte Antwort und schon war Sherlock mit Johns Laptop auf die Couch- und somit aus ihrem Blickwinkel- verschwunden.

„Ihm ist momentan ausgesprochen langweilig und er ist quengelig wie ein Dreijähriger.“, erklärte John, rollte mit den Augen und wandte sich wieder ihr zu. „Da bin ich doch ganz froh, dass er häufiger in seinen Gedankenpalast verschwindet.“

Catherine blickte ihn mitleidig an. Sie war ja schon immer kurz vor einem Nervenkollaps, wenn Sherlock sie aus purer Langeweile besuchte, aber ihn den ganzen Tag so zu erleben zu müssen, kam einer reinsten Folter gleich. Er war ja wirklich ein Genie sondergleichen, aber oft benahm er sich wie ein kleines Kind, dem man den Lolly geklaut hatte und jeder halbwegs geistig gesunde Mensch versuchte nur noch abzuhauen. Sie hatte großen Respekt davor, dass John das aushielt.

„Und warum spielen Sie kein Puzzle mit ihm gegen seine Langeweile?“, schlug sie halbherzig vor. Sicherlich hatte er ähnliches schon in seiner Verzweiflung versucht und es hat katastrophal geendet.

Er schnalzte und kurz war das laute, aufgeregte Tippen von Sherlock zu hören.

„Ich habe es einmal mit Cluedo versucht. Großer Fehler.“, sagte er resigniert und seufzte.

„Das war aber auch wirklich dumm von Ihnen.“ Catherine schüttelte nur den Kopf und machte ein „Tzz, Tzz, Tzz“ dabei, grinste aber, als sie einen Schluck Saft trank. „So etwas spielt man nicht mit Sherlock. Als ob er sich an die Regeln des Spiels halten würde. Dafür ist er viel zu intelligent.“

„Das habe ich auch mitbekommen. Laut Sherlock hat sich das Opfer selbstumgebracht.“ John rollte mit den Augen, warf dann aber einen amüsierten Blick in die Richtung, in der Sherlock saß. Er tat zwar gerne Mal, als wäre er über Sherlock genervt, doch in Wahrheit ging es im wohl wie Catherine: Die seltsame Art des Detectives amüsierte ihn nur zu sehr.
 

Einige Minuten später suchte John wieder nach dem Mehl, während er sich mit Catherine über alles Mögliche unterhielt.

Plötzlich stand Sherlock im Türrahmen. Seine dunklen Locken standen wirr vom Kopf ab und in seinen Augen lag wieder dieser Glanz, den er immer bekam, wenn er das Rätsel auf seltsame Art und Weise gelöst hatte.

Seine Brust hob sich schnell. Er war aufgeregt, voll mit Adrenalin und er sah ein wenig wie ein Drogensüchtiger im Rausch. Stimme ja auch irgendwie. Denken war schließlich Sherlocks Droge.

„Was macht Catherine hier?“, fragte er und zu Johns und ihrer Verwundert schwebte seine Stimme um einen unheilvollen Ton.

„Hey, Sherlock.“, grüßte sie ihm übertrieben freudig und ignorierte die Alarmglocken, die schrill in ihrem Inneren läuteten. Sie bemerkte nicht, dass etwas nicht stimmte. „Oh, tut mir leid, habe ich das Antragsformular für meinen Besuch nicht rechtzeitig eingereicht?“

‚Sei still!‘, schrie eine Stimme in ihren Hinterkopf, doch Catherine freute sich zu sehr auf eines ihrer üblichen Duelle, als das sie sah, das nichts wie sonst war. Seine Augenbrauen waren nicht skeptisch gesenkt, es war keine Nachdenkfalte zwischen ihnen. Kein fieses Grinsen zuckte um seine Lippen, das in irgendeiner Art sein Amüsement zeigte.

Nein, etwas Unheilvolles lag wie ein Knistern in der Luft und Sherlock war der Ursprung.

„Verschwinden Sie aus meiner Wohnung! Sofort!“, knurrte er zornig. Seine Augen verschmälerten sich warnend, während die Halsschlagadern hervortraten.

„Was?“ Ihre Augen weiteten sich geschockt und sie blickte Sherlock verständnislos an.

„Sherlock!“ John blickte ihn fassungslos an. Sherlock warf ihm einen mahnenden Blick zu.

„Ich will Sie hier nicht mehr sehen!“ Die Blicke des Dunkelhaarigen erdolchten sie fast. Catherine fühlte sich wie vor dem Kopf geschlagen.

„Wa…warum?“, stotterte sie nur und sie begann zu zittern. Der letzte Monat war so schön, so harmonisch gewesen, selbst mit Sherlock hatte sie sich verhältnismäßig gut verstanden.

„Sie langweilen mich.“, antworte er kalt und aus seine Augen sprach nichts als Verachtung. Catherine drückte sich in die Lehne ihres Stuhls und schluckte schwer. Es war dieser Blick, den er damals Nate im Restaurant zugeworfen hatte. Ein Blick durchtränkt von Wut und Hass. Catherine schnürte es die Luft ab. Nicht das! Das war das Letzte was sie je gewollt hatte.

„Gehen Sie, Catherine, und kommen Sie nie wieder her! Ich habe keine Verwendung mehr für Sie.“ Ungläubig, sprachlos, fassungslos sah sie ihn nur an und schüttelte den Kopf.

„Nein…“, flüsterte sie leise, kaum in der Lage zu denken. Sie war kurz davor Tränen in den Augen zu haben, kämpfte aber mit aller Kraft dagegen an. Es war als würde ihre Welt gerade zerbrechen und klirrend vor ihre Füße fallen. Sie konnte nicht glauben, was hier geschah. Es musste sich um einen schlechten Traum handeln.

„Sherlock!“, sagte John ebenfalls sichtlich geschockt und stand auf. „Was ist denn los mit Ihnen?“

„Das sagte ich doch!“, knurrte der Dunkelhaarige. „Ich will sie niemals wiedersehen.“

„Aber…“, stotterte Catherine verzweifelt, rang mit den Händen, doch die unverhohlene Wut in Sherlocks Augen lähmte sie.

„Hören Sie auf, Sherlock!“, zischte John, doch Sherlock hatte ihn schon unsanft zur Seite gestoßen. Der Arzt stieß gegen den Kühlschrank und schüttelte kurz benommen den Kopf.

„HAUEN SIE AB!“, brüllte Sherlock sie an, ignorierte Johns Einwand.

Blitzschnell stand er vor Catherine, riss sie beinahe brutal vom Stuhl hoch und zog sie in Richtung Tür. Da erwachte Catherine aus ihrer Starre und sie begann sich gegen die eisernen Griff zu wehren, der ihr beinahe die Blutzufuhr abschnürte.

„Aua! Sherlock! Sie tun mir weh!“, zischte sie und versuchte mit aller Kraft seinen Griff um ihren Unterarm zu lösen, doch Sherlock war überraschend stark. John war in der Zwischenzeit wieder auf die Beine gekommen und sprang vor.

„Lassen Sie sie los, Sherlock!“ Er umgriff Sherlocks Handgelenk und schaffte es Catherine aus dem Griff des Detectives zu befreien. Schützend stellte er sich vor sie und warf Sherlock einen verwirrten und wütenden Blick zu gleich zu.

Catherine kauerte sich ein wenig hinter ihm zusammen. Die ganze Situation überforderte sie, wusste sie doch schließlich nicht, was sie falsch gemacht hatte.

„Wa…was hab ich denn getan, Sherlock?“, fragte sie vorsichtig und blickte über Johns Schulter. Noch immer begriff sie nicht was hier geschah, es musste sich um einen schlechten Traum handeln. Sie wollte die beiden nicht verlieren. Sherlock war es, der ihr Leben zusammenhielt. Sie machte sich nichts vor. Würde Sherlock sie für immer verbannen, so würde auch ihre Beziehung zu John darunter leiden. Dafür würde der Consulting Detective schon sorgen. Wenn das hier wirklich sein Ernst war, dann würde sie alles verlieren, was ihr momentan etwas bedeutete und das würde sie nicht ertragen. Sie hatte schließlich schon einmal alles verloren, was ihre Welt gewesen war.

„Nichts, das ist es ja.“ Sherlocks Stimme wurde eisig und mit einem Mal wirkte nicht mehr nur wütend, sondern sogar bedrohlich. „Ich dachte, Sie hätten Potential, doch ich habe mich getäuscht. Sie haben meine Zeit verschwendet.“

Catherine hatte das Gefühl, dass die Welt sich um sie herum zu drehen begann und der Boden unter ihr verschwand. Ungläubig, geschockt starrte sie Sherlock an, blickte in seine angewiderten Augen.

Eine unheilvolle Aura umgab ihn wie ein Schatten, ließ die Luft vor Angst erzittern und Catherine hatte das Gefühl, dass all ihre Kraft ihr entzogen wurde. Ihre Beine begannen zu zittern und sie musste sich an dem Stuhl festklammern um nicht zu Boden zu sinken.

„Sherlock! Jetzt kriegen Sie sich mal wieder ein!“, fuhr John ihn an und legte unterstützend eine Hand auf ihren Arm. „Wenn das irgendeines Ihrer seltsamen Spiel ist, dann…“

„Es ist kein Spiel, John…“, flüsterte Catherine zu tiefst verletzt und senkte traurig den Blick. Nein, es war kein Spiel, es war kein Traum, das realisierte sie gerade. Das hier war bittere Realität. Aus irgendeinem Grund hatte sie Sherlock enttäuscht und das traf sie hart. Ihre Schultern sanken hinab und sie merkte, dass diese Erkenntnis ihr die Tränen in die Augen trieb.

„Da hat Sie ausnahmsweise mal recht.“, grinste Sherlock, doch wie so oft erreichte es seine Augen nicht. In ihnen glomm ein Feuer aus Verachtung, Wut und bitterer Enttäuschung.

„Sherlock!“, schrie John ihn an und warf ihm einen vernichtenden Blick zu.

„Es reicht!“, fuhr Catherine mit aller Kraft dazwischen. Ihre Verzweiflung verwandelte sich in Wut. Sie wollte doch nur verstehen, womit sie das verdient hatte. Bittere Tränen brannten in ihren Augen, während sie an John vorbeiging und sich vor Sherlock aufbaute. Jeder Muskel ihres Gesichts war angespannt, abgehärtet, damit ihr Herz nicht weiter verletzt wurde.

„Ich will jetzt endlich wissen, was ich getan habe!“, fuhr sie ihn verzweifelt an, während sie mit aller Macht für ihren Platz kämpfte.

„Sind Sie so dumm?“, verspottete Sherlock sie und blickte sie herablassend von oben herab an. John knurrte warnend von der Seite, seine Augen verschmälerten sich wütend. Anspannung zitterte in der Luft, denn keiner der beiden konnte sich vorstellen, warum Sherlock sich so verhielt und dieses Unverständnis ließ die Wut in ihnen kochen.

„DANN KLÄREN SIE MICH AUF!“

„Schreien Sie mich nicht an, Catherine.“, warnte Sherlock unheilvoll. „Ich kann auch anders.“

„Verdammt, Sherlock!“, schrie sie ihn dennoch an, stellte sich auf die Zehenspitzen um einigermaßen auf Augenhöhe zu sein. „Was habe ich getan? Ich bin mir keiner Schuld bewusst. Ich habe keine Ahnung, womit ich in Ungnade gefallen sein könnte. Ist es wegen dem Fall, wo ich nicht helfen konnte? Ich bin doch nicht einmal ausgelehrt. Ich sagte Ihnen doch, ich werde den Professor danach fragen, aber er ist momentan auf einem Kon…“

„Sie sind wirklich töricht.“ Sherlock schnalzte. „Als ob es so einfach wäre.“

„Aufhören! Bitte hören Sie auf!“, flehte sie, drehte sich ab und presste die Hände über die Ohren. Sie wollte es nicht mehr hören, sie konnte es nicht mehr hören. So war Sherlock nie gewesen. Selbst Anderson gegenüber war er nur genervt gewesen, aber niemals hasserfüllt. Was immer sie getan hatte, es musste schrecklicher sein als bloße Dummheit.

Catherine schluchzte, zitterte und sie spürte direkt Johns Arme um ihre Schultern.

„Sherlock! Bei Gottes Namen, hören Sie auf! Catherine hat nichts getan.“, verteidigte er sie und schirmte sie ab vor seinem besten Freund, den er selbst nicht widererkannte. Sherlocks ganzer Körper zitterte noch immer von unterdrückter Wut, die ihn zu überschäumen drohte und John fühlte in dem Moment dasselbe. Hatte er sich in Sherlock getäuscht? All die Zeit? Er hätte nie gedacht, dass so etwas passieren könnte. Dass Sherlock Catherine hassen könnte. Dafür war die vergangene Zeit zu unbeschwert gewesen und Hass zu unlogisch für Sherlock.

Sherlock betrachtete nur abschätzig, wie John sie schützend umarmte und ihm einen vernichtenden Blick zuwarf. Die Situation war angespannt, die Luft zitterte. Sie alle waren gefangen in einem Moment, der grausam war, angefüllt mit Gefühlen, die keiner von ihnen jemals hatte verspüren wollen, aber ein Entkommen gab es nicht.

„Sagen Sie es mir doch einfach, Sherlock.“, flehte Catherine wieder. Sie wollte nicht zerbrechen, sie wollte nicht vergehen. „Ich bitte Sie!“

Zitternde Augen, in denen großes Leid flackerte, sahen zu ihm auf und für einen Moment schien der Ausdruck in seinem Gesicht erschüttert, doch schneller als sie gucken konnten, war es verschwunden. Das sonst ausdruckslose, nachdenkliche Gesicht war hart wie aus Stahl. Nichts war verblieben von dem, was sonst über es tanzte, wenn er mit ihnen zusammen war. Womit hatte Catherine die Bindung gekappt?

„Wenn Sie nicht sofort verschwinden, Catherine, dann werde ich dafür sorgen und das wird unschön.“

„Aber…Sherlock…“

„Muss ich noch deutlicher werden?“, drohte Sherlock. Nun verstand selbst John nichts mehr. Das hier war nicht mehr der Detective, den er meinte zu kennen. Er hatte wirklich gemeint, dass er Sherlock kennen würde, dass sie Freunde wären, doch das hier war nicht der Mann, den er kannte. Der Mann, der er ihm ein lebenswertes Leben geschenkt hatte, der seine Heilung gewesen war.

„John…“, flüsterte Catherine am Ende ihrer Kräfte. „Lassen Sie es gut sein…es hat keinen Sinn.“

Eine einzelne Träne rollte aus ihrem Augen, weinte um das, was sie verlieren würde.

„Sherlock hat seinen Entschluss gefasst. Ich bin seiner nicht würdig und wie so oft beuge ich mich seinem überragenden Intellekt.“ Wehmut flatterte durch ihre Stimme, doch ihre Haltung wurde entschlossen. Wenn sie doch alles verlieren würde, so dann zumindest in Würde. „Wenn wir weitergehen, wird auch Ihre Freundschaft kaputt gehen. Das will ich nicht. Ich wollte mich nie dazwischen drängen, das Gleichgewicht ins Wanken bringe. Vergeben Sie mir.“

Damit verschwand sie niedergeschlagen aus der Küche, schloss die Tür hinter sich. Die Tür zur Wohnung und die Tür zu ihrem neuen Leben, was sie nun wieder verloren hatte.
 

~*~
 

„Sherlock!“, fuhr John ihn aufgebracht an, als er die Tür ins Schloss fallen hörte. Wut kochte in seinem Magen und trieb ihn die bittere Galle in dem Mund. „Was zum Henker sollte das?“

„Wonach sah es denn aus?“, sagte Sherlock nüchtern und ließ eine weitere Welle der Wut über John hinwegrollen. Er schnaufte und blickte seinen besten Freund, den er so oft nicht verstand, herausfordernd an.

„Gehen Sie ihr nach und entschuldigen Sie sich!“ John Stimme wurde bedrohlich leise, während er Sherlock mit finsterem Blick fixierte und seine Augen herausfordernd blitzten. Was dachte dieser Mistkerl sich eigentlich dabei?

„Warum sollte ich?“ Ungerührt starrten Sherlocks Augen ihn an.

„Warum? Warum? Sie fragen ernsthaft warum?“ Seine Stimme überschlug sich beinahe.

„Was hat Sie Ihnen getan?“, sagte John eisig und holte tief Luft um nicht auszurasten. „Warum verstoßen Sie sie?“

„Weil sie langweilig geworden ist.“ Sherlock zog die Augenbrauen herunter und zuckte mit den Achseln. Er verhielt sich so gelassen, selbstgefällig, dass John zu brodeln begann. Er war ja selten wirklich wütend auf ihn gewesen, aber dies war einer dieser Momente. Catherine war jung, zart und zerbrechlich und spielte doch die Starke. Sie würde es nicht ertragen, sie würde daran zerbrechen und vergehen. Wie eine Blume würde sie unter dem Hass verwelken mit dem Sherlock sie begossen hatte. Egal was sie glaubte, sein Freund war für sie wichtig geworden.

„Das kann ich nicht glauben, Sherlock. Dafür hatten Sie zu viel Spaß in all der Zeit.“, flüsterte John. Er schüttelte den Kopf. Es musste mehr dahinter stecken. Es musste einfach! Sonst könnte er Sherlock niemals in die Augen sehen.

Sherlock hingegen schwieg, sah ihn mit diesem seltsamen Blick an, den er nicht zuordnen konnte, den er nicht zuordnen wollte.

„So ist es aber. Ich habe keine Zeit mich mit einfältigen Wesen zu beschäftigen. Sie wäre mir nur ein Klotz am Bein.“

„Reden Sie nicht so über sie!“, schrie John ihn an, schüttelte nur fassungslos den Kopf. „Warum tun Sie das, Sherlock? Ich erkenne Sie nicht wieder. So sind Sie nicht.“

„Woher wollen Sie wissen wie ich bin? Ich liebe die Arbeit, die Herausforderung, nichts weiter. Alles andere zählt nicht für mich, mein guter John. Wenn dem etwas im Weg steht, dann muss es eliminiert werden.“, sagte er gelassen, als hätte er etwas Überflüssiges weggeworfen.

„SIE IST DOCH KEIN GEGENSTAND!“, brüllte er verzweifelt und gestikuliert wild mit dem Armen. „SIE IST EIN MENSCH! WIE KÖNNEN SIE IHR NUR SOWAS ANTUN, SHERLOCK?“ Sherlock antwortete ihm nicht.

Die Wut verschwand aus Johns Körper, das Adrenalin ließ nach und seine Haltung sackte zusammen. Er konnte nicht mehr.

„Warum?“, fragte er noch einmal, diesmal einen Hauch verzweifelter. Er wollte Catherine nicht missen.

„Ich habe Ihnen das Warum bereits genannt.“, erklärte Sherlock und schüttelte nur genervt den Kopf. Er wollte sich gerade umdrehen und das Thema beenden, da packte der Arzt ihn fest am Arm, wirbelte ihn herum und drückte ihn gegen die Wand.

„Sie gehen jetzt sofort zu ihr und entschuldigen sich!“, knurrte John außer sich.

„Oder was?“, fragte Sherlock ungerührt. „Wollen Sie mir drohen John?“

„Wenn es sein muss.“

„Dazu sind Sie gar nicht in der Lage.“ Sherlock lächelte ihn kalt an und John kämpfte mit aller Macht den Drang herunter ihn zu schlagen.

„Gut, dann gehe ich zu ihr!“, schnaubte er. „Wenn Sie sie verbannen wollen, Sie Mistkerl, schön, aber das gilt nicht für mich.“

Er wollte gerade in den Flur treten, da stellte sich Sherlock in den Türrahmen und drängte ihn zurück.

„Sherlock!“, rief John wütend. „Lassen Sie mich durch!“

„Sie werden das nicht tun, John.“, mahnte nun Sherlock und die Ruhe war aus seiner Stimme verschwunden. Der Ton, den seine dunkle Stimme nun annahm, war kalt und ließ keinen Widerspruch zu. Aus welchem Grund auch immer wollte er nicht, dass John Catherine hinterherging. „Sie ist nicht mehr Teils unseres Lebens.“

„Sie bestimmen nicht über mein Leben, Sherlock.“, knurrte John ihn an und sein Nacken versteifte sich. All die Wertschätzung und Achtung, die er für Sherlock empfunden hatte, hatten sich in eiskalte Wut verwandelt. Er konnte es nicht glaubten, dass Sherlock das Mädchen fortstieß, dass ihm eigentlich viel bedeutete und dazu noch entschied, dass es auch für ihn galt.

„Oh doch.“, sagte Sherlock ruhig und dieses fiese Lächeln zeigte sich wieder. „Das tue ich. Schon seit jenem Tag, an dem Sie wegen mir Ihr Trauma überwanden, gehört Ihr Leben mir, John.“

„Manchmal hasse ich Sie echt, Sherlock!“, schrie John ihn mit aller Kraft, stieß ihn beiseite und schnappte sich wütend seine Jacke. Danach stürmte er hinaus. Sherlock sah ihm nach und für einen Moment bekam sein Blick etwas Trauriges.

„Vielleicht ist das auch besser so…“

Stumme SMS

Nachrichtenverlauf mit Sherlock Holmes
 

20.05.2012
 

9:55

‚Hey, Sherlock. Wo haben Sie die Platten der gfp Verschmelzung gestern hingetan? Ich muss sie auswerten.-CA‘
 

9.56

‚Hab sie mitgenommen.-SH‘
 

10:01

‚Was? Sie können doch nicht einfach meine Proben mitnehmen.-CA‘
 

10:03

‚Sicher kann ich das. Sehen Sie doch.-SH‘
 

10:10

‚Das habe ich nicht gemeint, Sherlock. Bringen Sie sie her! Ich brauch sie.-CA‘
 

10:14

‚Bin beschäftigt.-SH‘
 

10:15

‚Das interessiert mich herzlich wenig.-CA‘

‚Außerdem so beschäftigt können Sie nicht sein, wenn Sie im Minuten Takt auf meine SMS antworten können.-CA‘
 

10:18

‚Nun ignorieren Sie mich nicht, Sie wissen, dass ich Recht habe.-CA‘
 

10:19

‚Sherlock, Sie haben eine halbe Stunde, um mir die Proben wieder zu bringen. Sie wissen ja, wo Sie mich finden.-CA‘
 

11:05

‚Sherlock, die Proben!-CA‘
 

12:00

‚Fein! Behalten Sie sie! Ich kann nicht mehr warten. Muss sie neu machen. Das gibt Rache!-CA‘
 

12:07

‚*smile*-SH‘
 

12:10

‚Ich werde Sie killen…nach dem Mittagessen.-CA‘
 

21.05.2012
 

17:33

‚Ich komme gleich vorbei. Soll ich Kaffee mitbringen von Starbucks?-CA‘
 

17:42

‚Schwarz, mit zwei Stück Zucker.-SH‘
 

17:45

‚Was wär ich für eine Nachbarin, wenn ich das nach 5 Monaten nicht wüsste?-CA‘
 

23.05.2012
 

15:46

‚Sherlock…ich habe bald ein Examen, aber versteh einen Sachverhalt nicht. Können Sie mir helfen?-CA‘
 

16:32

‚Gedankenpalast?‘
 

18:35

‚Ok, Gedankenpalast. Have fun.-CA‘
 

25.05.2012
 

19:26

‚Sherlock…was zum Henker habe ich getan?- CA‘
 

19:53

‚Sherlock! Wagen Sie es nicht mich zu ignorieren!- CA‘
 

19:58

‚Sherlock! Ich verlange eine Erklärung! Welches Kapitelverbrechen gegen die Sherlockheit habe ich begangen?-CA‘
 

20:33

‚Sie wollen das wirklich durchziehen? Nach allem was passiert ist?-CA‘
 

22:45

‚Das wird eine schlaflose Nacht. Vielen Dank dafür! –CA‘
 

27.05.2012
 

03:48

‚Na, wieder ein neues Verbrechen? Sie schienen ja ganz aufgeregt. Hab Sie bis hierher jubeln hören.-CA‘
 

20:45

‚Erklären Sie mir zumindest wie der Lagerhausmord von statten gegangen ist?-CA‘
 

23:07

‚Ach, kommen Sie schon. Das habe ich ja wohl verdient, oder? –CA‘
 

05.06.2012
 

17:28

‚Sherlock, ich habe eine neue Methode gelernt. Sie nennt sich SGA (Synthetisch letale Arrays). Dadurch lassen sich Interaktionspartner eines Proteins bestimmen. Samstag, gewohnte Zeit, wenn Sie wollen. –CA‘
 

09.06.2012
 

23:57

‚Ok….das war deutlich. Ich geh jetzt nach Hause -CA‘
 

13.06.2012
 

11:05

‚Ich hätte nie gedacht, dass ich das fragen würde, aber wollen Sie nicht mal wieder unangekündigt reinschneien?-CA‘
 

14.06.2012
 

15:08

‚Sherlock…bitte, sagen Sie mir, was ich getan habe!-CA‘
 

16:37

‚War es so schrecklich, dass ich Missachtung verdiene?-CA‘
 

20:15

‚Sherlock…ok, ich bin Ihrer nicht würdig…aber bitte, lassen Sie mir John!-CA‘
 

20:36

‚Sherlock, bitte, ich ertrage die Einsamkeit nicht mehr.-CA‘
 

______________________________________________________________________________
 

Nachrichtenverlauf mit John Watson
 

20.05.2012
 

11:35

‚John, Sherlock hat meine Proben geklaut und will sie nicht mehr rausrücken!-CA‘
 

11:45

‚Und was soll ich dagegen machen?-JW?
 

11:48

‚Sie aus ihm rauskitzeln?!-CA‘
 

11:55

‚Ich bin mir noch nicht einmal sicher, ob er kitzlig ist. Ich bezweifle es eher.-JW‘
 

12:08

‚Aus irgendeinem Grund grinst Sherlock amüsiert.-JW‘
 

12:10

‚Weil er gewonnen hat. Darf’s nochmal machen.-CA‘
 

21.05.2012
 

14:56

‚Kaffee nach der Arbeit? Sherlock treibt mich in den Wahnsinn.-JW‘
 

15:03

‚Was diesmal?-CA‘
 

15:18

‚Zu lange Geschichte. Ja oder nein? -JW‘
 

15:20

‚Gerne. Kaffee ist nie verkehrt. Starbucks?-CA‘
 

15:22

‚Ich hol Sie 17 Uhr ab.-JW‘
 

21:22

‚Während meiner Abwesenheit. Ich brauch nen Babysitter für ihn. *sigh*-JW‘

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21:35

‚o.O sieht aus als hätte Smileyboy nun auch endlich Nasenlöcher. War auch ein Unding. Wie sollte er so atmen?-CA‘

‚Das toppt ja glatt die tödlichen DVD Frisbees.-CA‘
 

21:54

‚Sprengstofftest…-JW‘
 

21:55

‚Are you kidding me?-CA‘
 

22:00

‚Ich wünschte es wäre so…-JW‘
 

22.05.2012
 

13:24

‚Joooohooooooon. :)-CA ‘
 

13:35

‚Was?-JW‘
 

13:37

‚Haben Sie heute ein Date mit Natasha?-CA‘
 

13:40

‚Woher wissen Sie von Natasha? Und überhaupt, müssen Sie nicht arbeiten?-JW‘
 

13:42

‚Ich wart grad auf eine Probe im Inkubator. Hab Sie vorgestern gesehen.-CA‘
 

13:44

‚Wieso zeigt ihr Wohnzimmerfenster nochmal auf die Bakerstreet?‘
 

13:51

‚Keine Ahnung. Fragen Sie den Architekten, der die Wohnung entworfen hat. ;) Also, haben Sie?-CA‘
 

13:53

‚Wie kommen Sie darauf?-JW‘
 

13:54

‚Also ja. Ooooooh <3-CA‘
 

13:56

‚Was ist denn jetzt schon wieder kleiner 3?-JW‘
 

13:59

‚…das ist ein Herz, John.-CA‘
 

14:02

‚Komische SMS Chiffre. Da war mir das Hang Zhou lieber.-JW‘

‚Genug abgelenkt, John.-CA‘
 

14:05

‚Verdammt, ich dachte es würde funktionieren.-JW‘
 

14:10

‚Sherlock sagte, dass Sie das gerne versuchen. No Chance.-CA‘
 

14:12

‚Mist…-JW‘
 

14:15

‚Ooooh. Probe ist fertig, muss aufhören! Komm morgen vorbei. Will alles wissen.-CA‘
 

14:45

‚Großartig…-JW‘
 

23.05.2012
 

18.40

‚Na, genießen Sie den Urlaub, solange Sherlock im Gedankenpalast ist?-CA‘
 

18.45

‚Es ist HERRLICH. Keine lauten Gedanken, keine Schüsse, keine seltsamen Experimente. Kein Gift in der Küche. So entspannend.-JW‘
 

25.05.2012
 

19:32

‚John, wieso hat Sherlock das getan?-CA‘
 

19:35

‚Keine Ahnung. Bin abgehauen. Der Kerl hat heut ne Schraube locker. Lassen Sie ihn erst mal, der kriegt sich wieder ein.-JW‘
 

19:37

‚Danke, aber das glaube ich nicht…-CA‘
 

19:38

‚Ich rede morgen nochmal mit ihm. Er muss sich erst mal beruhigen.-JW‘
 

19:40:

‚Danke, John.-CA‘
 

26.05.2012
 

22:03

‚Wie lief‘s?-CA‘
 

27.05.2012
 

19.45

‚John, er ignoriert mich komplett. Selbst auf der Straße.-CA‘
 

21:39

‚John?-CA‘
 

28.05.2012
 

15:03

‚John, alles ok bei Ihnen?-CA‘
 

21:54

‚John, bitte melden Sie sich, ich bin besorgt.-CA‘
 

02.06.2012
 

14:53

‚John! Bitte, melden Sie sich!-CA‘
 

13.06.2012
 

17:54

‚Kann nicht schreiben, Sherlock kontrolliert mein Handy. Besser wir haben erst einmal keinen Kontakt.-JW‘
 

17:55

‚Sherlock, waren Sie das? Haben Sie Johns Handy genommen? Bitte, Sherlock, reden Sie mit mir!-CA‘
 

_____________________________________________________________________
 

Nachrichten Verlauf mit Mycroft Holmes
 

28.05.2012
 

17:45

‚Haben Sie etwas damit zu tun, Mr. Holmes?-CA‘
 

18:00

‚Woher haben Sie meine Nummer, Miss Amell?-MH‘
 

18:03

‚Vorsichtshalber mal aus Johns Handy besorgt. Also, haben Sie etwas damit zu tun?-CA‘
 

18:15

‚Ich weiß nicht wovon Sie reden.-MH‘
 

18:16

‚Das können Sie mir nicht weismachen. Sie wissen, wenn einer nur in Britannien hustet.-CA‘
 

18:20

‚Selbst durchs Handy klingen Sie garstig.-MH‘
 

18:21

‚Ich bin auch nur ein klein wenig verwirrt, frustriert und vor allem pissig.-CA‘
 

18:25

‚Was ist das denn für eine Ausdrucksweise?-MH‘
 

18:26

‚Fragen Sie Ihre Bruder, der hat dafür gesorgt, dass ich dauer schlecht gelaunt bin.-CA‘
 

18:30

‚Was hat Sherlock diesmal angestellt?-MH‘
 

18:31

‚Mich aus seinem Leben verbannt.-CA‘
 

18:33

‚Ich hätte nicht gedacht, dass mein Bruder mal vernünftig ist.-MH‘
 

18:34

‚Das ist nicht lustig, Mr. Holmes.-CA‘
 

18:40

‚War ja auch nicht so gedacht.-MH‘
 

18:41

‚Sherlock verbannt mich plötzlich aus seinem Leben. Sie wünschen sich genau das. Da gibt es eine Verbindung.-CA‘
 

18:48

‚Sie sind paranoid, Miss Amell.-MH‘
 

18:49

‚Vielleicht, aber bei Ihnen steckt eher etwas dahinter.-CA‘

‚Sie wissen immer alles von ihrem Bruder. Was ist passiert?-CA‘
 

19:30

‚Dieses Gespräch müssen wir vertagen. Habe keine Zeit.-MH‘
 

19:40

‚Das ist nicht Ihr Ernst. Das Thema ist noch nicht durch!-CA‘
 

20:15

‚Mr. Holmes, bitte! Sie sind meine letzte Hoffnung.-CA‘

‚Und ja, ich bettle gerade.-CA‘
 

21:20

‚…Mycroft, bitte! Ich weiß einfach nicht mehr weiter.-CA‘

‚Was ist bloß vorgefallen? Was hat Sherlock?-CA‘
 

03.06.2012
 

10:08

‚Bitte jetzt Sie nicht auch noch.-CA‘
 

10:55

‚Auch John meldet sich nicht mehr bei mir.-CA‘
 

18:55

‚Was für ein Spiel spielen Sie?-CA‘
 

14.06.2012
 

14:33

‚Ich möchte doch einfach nur wissen, was los ist. Bitte, Mr. Holmes. Ich bin verzweifelt.-CA‘
 

16.06.2012
 

22:37

‚Es ist besser für Sie, wenn Sie Sherlock vergessen. Das ist ein gut gemeinter Rat. Mein Bruder ist gefährlich.-MH‘
 

Catherine legte ihr Handy zur Seite und schloss die Augen. Seitdem war ihr Mobiltelefon stumm geblieben. Kein einziges Mal spielte es die Melodie von „Somebody that I used to know“ mehr und nun war sie endgültig abgeschnitten.

Bevor Sherlock sie verbannt hatte, war jeden Tag Action gewesen. Keiner hatte dem anderen geglichen und das hatte ihr gefallen. Sie hasste Monotonie wie kaum etwas anderes, da ging es ihr wie Sherlock und er hatte ihr eine gute Ablenkung verschafft. Nun jedoch, saß sie einfach da. Gefangen wie in einem Käfig und das Lesen der SMS machte es ihr nicht leichter. Wie unbeschwert waren sie doch zu Anfang gewesen und nun herrschte grausame Stille. Sie hörte nichts mehr von dem Nachbarhaus. Es war, als hätte diese Welt aufgehört zu existieren. Ihr Leben war zu einem einsamen Planeten geworden, denn Sherlock hatte sie aus seiner Umlaufbahn gestoßen und somit flog sie nun orientierungslos durchs All.

Catherine schlang die Arme und ihre Beine und beobachte wie ein Gewitter draußen tobte. Bäume verbeugten sich vor dem Sturm, der die Dachziegel klappern ließ und gleißende Blitze erleuchteten ihr Wohnzimmer in ein gespenstisches Licht.

Einsamkeit war grausam. Catherine spürte bereits wie sie sie zu zerfressen begann. In ihr tobten schon nun seit fast einem Monat ein Wirbel aus Empörung, Wut und sie bemerkte, dass all die Fröhlichkeit verschwand. Selbst auf ihrer Arbeit war sie noch eisiger und sie schottete sich immer weiter ab. Wo sie früher sonst in einer Tour redete und Sprüche abließ, blieb sie nun ebenso stumm wie ihr Handy. Sie war verbittert, fühlte sich verlassen und zutiefst verletzt. Das Schlimmste aber war, dass ihre Fröhlichkeit wohl an ihren Nachbarn hing, dass sie nicht mehr so unbeschwert sein konnte ohne sie, machte sie wütend. Diese Wut ließ sie unruhig werden und somit verbrachte sie ihre Zeit damit unruhig durch die Wohnung zu laufen umso die Energie loszuwerden, die sonst in ihre Duelle mit Sherlock gesteckt hatte.

Wieder gewann die Unruhe Überhand und sprang auf, rannte durch die Wohnung wie ein eingesperrter Tiger. Immer wieder drehte sie ihre Runden im Wohnzimmer, lief den Frust und die Wut heraus, doch der Druck war zu groß. Nichts verschwand. Alles blieb. Die Wut, die Trauer, das Unverständnis. Catherine verstand nicht, was hier vorging, doch nach Mycrofts SMS war sie sich umso sicherer, dass etwas vorging. Etwas, wovon die Männer beschlossen hatten, ihr nichts zu erzählen. Das wurmte sie. Sherlock, Mycroft und sogar John hatten für sie entschieden wie und mit wem sie ihr Leben führen sollte. Sie hatten sie bevormundet und das hasste sie, das ließ den Ärger in ihr kochen.

Sie blieb vor dem Spiegel in ihrem Wohnzimmer stehen und blickte hinein. Zurück starrte eine erschöpfte, gezeichnete Frau, die allen Lebenssinn verloren hatte. War es wirklich schon so weit gekommen. War ihr einziger Lebenssinn die 221b? Wann war es soweit gekommen? Sie hatte doch nie wieder von Jemand abhängig sein wollen, doch nun war sie es denn mehr denn je, das spürte sie zu deutlich.

Eingefallene Augen, müde, erschöpft, frustriert. Harte Gesichtszüge, schirmt sich ab, hält alles auf Abstand um nicht noch mehr verletzt zu werden.

Es war wie eine Stimme im ihren Kopf. Beinahe, als würde die Stimme aus dem Spiegel kommen. Das würde Sherlock bei ihrem Anblick deduzieren und wahrscheinlich noch so vieles mehr. Ihr Gesicht verzog sich zu einer wütenden Fratze, als sie diese Worte hörte.

„Verdammtes Arschloch! Mistkerl! Arroganter Schnösel. Was bildet er sich eigentlich ein? Ich bin zu langweilig? Ein Klotz am Bein? Nach allem was passiert ist, wagt er mir so etwas ins Gesicht zu werfen. Wer hat ihm denn erklärt wie man Blut fälscht? ICH! Ohne mich hätte er es nicht rausgefunden und ich bin es nicht mehr wert in seinem Leben zu sein? Was erlaubt er sich eigentlich? Ist er Gott?“, schrie sie ihr Spiegelbild an, welches sie aber längst nicht mehr sah. Nein, statt ihrer selbst, sah sie Sherlock, Mycroft und John wie sie selbstgefällig lächelnd sie ansahen und offensichtlich mit dem Ergebnis ihres Entschlusses zufrieden waren. Catherine hingegen wurde fuchsteufelswild und ließ all ihren Frust an ihrem Spiegelbild aus. Sie konnte es niemals mehr in Sherlocks Gesicht sagen, dafür würde er sorgen, deshalb musste sie ihren Gefühlen anders Luft machen.

Als sie sich immer weiter in ihre Wut hineinsteigerte, eskalierte es beinahe. Sie griff sich den Spiegel und wollte ihn mit aller Macht auf den Boden schmettern, doch dann erkannte Catherine sich selbst wieder und bemerkte, dass sie sich damit nur selbst zerstören würde. Schließlich war es ihr Spiegelbild, nicht das der anderen und damit würde sie das letzte Stück ihrer selbst aufgeben. Sie war nie gewalttätig oder aggressiv gewesen. Noch nie in ihrem gesamten Leben, doch nun hatte die Einsamkeit sie so zerstört, dass sie sich selbst nicht mehr wiedererkannte. Aus dem Spiegel schaute sie nicht Catherine Amell an, sondern eine Fremde. Das war nicht sie selbst, das war eine Frau, die sich nicht mehr unter Kontrolle hatte, die von Einsamkeit zerbrochen war. Da musste sie nicht auch noch den Spiegel zerbrechen.

Catherine hing den Spiegel zurück und begann allmählich zu begreifen, warum es hieß, dass Menschen soziale Wesen waren. Sie war zwar früher stets allein gewesen, obwohl sie ihren Bruder gehabt hatte, doch damals hatte es einen Unterschied gegeben: Sie hatte es so gewollt und für sich entschieden. Nun aber, und das war noch frustrierender, wollte sie diesen Kontakt und dieser wurde ihr grausam entrissen. Bei John und Sherlock hatte sie sich angenommen, akzeptiert gewühlt und nun reagierte Niemand mehr auf sie.

Das erste Mal in ihrem Leben war sie Einsam, obwohl sie innerlich um Gesellschaft bettelte. Sie wollte zurück in die Wärme und Freundlichkeit. Sie wollte- mehr denn je- zurück in Sherlocks Umlaufbahn und dafür hasste sie sich am Meisten. Mehr noch als Sherlock. Eigentlich war sie nicht wirklich wütend auf ihn, sondern auf sich, dass es ihr so viel ausmachte und weil sie es sich mit dem Consulting Detective verbockt hatte.

Wenn das Spiel ernst wird

17. Kapitel: Wenn das Spiel ernst wird
 

Catherine saß am Fenster ihres Wohnzimmers, das einen Blick auf die Bakerstreet gewährte. Sie saß oft hier innerhalb der letzten zwei Wochen. Beobachtete das Leben wie es vorbeifloss, wie die Menschen ihrem Alltag nachgingen, während ihres verloren war. Sie hasste sich selber dafür, aber so war es. Ihr Leben kriegte sie schon lange nicht mehr auf die Reihe. Es war leer.

Zwei Wochen voller Einsamkeit und Isolation hatten ihr nur zu deutlich gezeigt, dass ihr eine ganze Menge fehlte, dass ihre Nachbarn ihr Leben mehr bestimmt hatten, als es ihr recht war. Ohne sie bekam sie nichts auf die Reihe. Sie arbeite, lernte, schlief, arbeitete, lernte schlief. Oh ja, wie aufregend. War es wirklich so weit gekommen, dass sie ohne John und Sherlock verkümmerte? Sah beinahe danach aus, nicht wahr?

Jetzt saß sie hier auf der Fensterbank, sah zu wie die Zwei immer wieder Verbrecherjagd aufbrachen und wünschte sich nichts mehr, als dass Sherlock wieder hereingeplatzt kam. Etwas, was sie früher verflucht hatte, war zu einer Gewohnheit geworden, die sie nun schmerzlich vermisste. Sie brauchte es, sie brauchte sie.

Anfangs war sie so wütend gewesen. Sie hatte ihn gehasst, sie hatte sich- selbst schnellvertretend für ihn- im Spiegel angeschrien, doch sie war nie wütend gewesen. Nicht wirklich. Es war nur ein oberflächlicher Ausdruck ihres Schmerzes, ihrer Verwirrung und Verletzung gewesen. Warum hatte er es getan? Sie wollte doch nichts mehr als zu verstehen und begreifen. Was hatte sie getan? Sie wollte doch nur zurück, zurück dorthin, wohin sie gehörte, das spürte sie. Catherine hatte wirklich gedacht, dass sie mittlerweile einen Platz bekommen hätte. Dieser eine Tage, wo sie mit Sherlock über ihre Ängste, über ihr Scheitern gesprochen hatte, da hatte sie gedacht…ja was eigentlich? Dass sie jetzt Freunde wären? Sie schüttelte ihren Kopf. Sie würden niemals Freunde sein. Das war dumm. Was war sie denn schon? John war sein Mitbewohner, Vertrauter, Halt, Arzt, ehemaliger Soldat, intelligent, treu und so viel mehr. Es war nicht möglich, ihn nicht zu mögen und was war sie? Sie war ein Nichts. Eine verschüchterte, junge Frau, die von der Menschheit genervt war, einigermaßen intelligent, besessen von Biologie. Aber was war sie sonst noch? Was machte sie besonders? Nichts. Nur ihr beißender Sarkasmus, den sie selbst dann einsetzte, wenn sie selbst wusste, dass es nicht angebracht war.

War sie denn nur etwas, wenn sie drüben war? Wenn sie sich mit ihnen rumärgerte? Verdammt! All das hatte sie tierisch verunsichert. Statt wütend zu sein, statt Sherlock zu hassen, hatte sie begonnen an sich zu zweifeln. Wieder einmal. Eigentlich hatte sie das erst in London hinter sich gelassen und wollte stark und selbstbewusst werden. Das konnte sie ja nun völlig knicken.

Sie haben einen starken Willen, Catherine. Einen der Stärksten, den ich bisher je gesehen habe. Lassen Sie nicht zu, dass dieser zerstört wird. Das wäre schade.

Catherine blickte wieder von ihrem Schoß auf, strich mit ihren Fingern gedankenverloren über das Glas.

Traurig starrte sie auf die Straße, als sie diesen Satz wieder hörte, der ihr so viel bedeutet hatte. Von Sherlock war das ein großer Schritt gewesen, das hatte sie zumindest geglaubt, doch vielleicht hatte sie sich das nur eingebildet. Alles, was sie geglaubt hatte zu wissen, war nun erschüttert.

Warum konnte sie sich nicht einfach abwenden und nach vorne sehen? Weil sie den Pfad verloren hatte. Sie wusste nicht wie ihr Leben weiter gehen sollte. All ihre Vorsätze für London waren eh unerreichbar, denn das was sie hier hatte werden wollen, war nur ein Versuch gewesen dazu zu gehören. Sie hatte nicht mehr einsam sein wollen und sie hätte sie sich lieber verstellt, als weiterhin allein zu sein.

Dann hatte sie die beiden getroffen, die sie gemocht hatten wie sie wirklich war, und sie hatte ihren Plan verworfen. Catherine angelte ihr Handy aus der Hosentasche und las- wie so oft- erneut durch die SMS, die sie mit John und Sherlock ausgetauscht hatte. Sie sah wieder das Glück, was sie empfunden hatte, die Freude. Sie waren eine seltsame Konstellation, doch irgendwie hatte es funktioniert. Oder hatte sie sich das all die Zeit nur eingebildet? Eigentlich passte sie überhaupt nicht ins Bild. Hatte sie nie. Sie war jung, dumm und nun wieder allein. Vielleicht sollte sie sich wieder daran gewöhnen, dass sie auf sich gestellt war und in ihr langweiliges Leben zurückkehren. Doch nachdem sie die Abenteuer kennen gelernt hatte, wollte sie das nicht mehr. Es erschien ihr mittlerweile sinnlos, grau und fad und sie begann zu verstehen, warum Sherlock es über alles verabscheute.

Plötzlich sah sie Sherlock aus der Tür stürmen, völlig aufgebracht rannte er davon, während die dunklen Locken völlig zerzaust wurden. Kurz sah Catherine ihn irritiert nach, dann wurde ihr plötzlich bewusst, dass das ihre Chance war. Es war das erste Mal, dass Sherlock alleine die Bakerstreet verließ. John folgte ihm nicht. Aber er war da, da war sie sich ziemlich sicher. Es war ihre Möglichkeit mit ihm zu reden. Ihr Herz begann zu rasen, als sie aufsprang und hinunter rannte.

Sherlock hatte sie ignoriert, immer und immer wieder. Egal ob auf der Straße oder sonst wo, er zeigte nicht die leiseste Reaktion auf ihren Ruf. Es war, als würde sie nicht existieren und seit John sich nicht mehr meldete, könnte sie das beinahe wirklich glauben. Sie glaubte aber nicht, dass John das freiwillig tat, dennoch nagten Zweifel an ihr und dann noch Mycrofts seltsame SMS von gestern.

Es ist besser für Sie, wenn Sie Sherlock vergessen. Das ist ein gut gemeinter Rat. Mein Bruder ist gefährlich.-MH

Was sollte das denn bitte schon wieder bedeuten? Erst antwortete die verdammte Britische Regierung mehrere Tage nicht und dann kam so was. Sollten sie sie doch alle für dumm halten, Catherine wusste, dass irgendetwas dahinter steckte. Selbst ein Sherlock änderte nicht so rapide seine Meinung wie er es an diesem Tag getan hatte. Hoffte sie zumindest. Wenn dahinter wenigstens ein Plan stände, wäre es leichter zu ertragen.

Ihr Herz hämmerte noch schneller, als sie vor der Tür stand. Sie holte tief Luft, zögerte und betete, dass er da war, bevor sie anklopfte.

Es dauerte einige Momente, dann vernahm sie Schritte. Erleichtert atmete sie aus, als John die Tür öffnete. Seine Augen weiteten sich, als er sie erkannte.

„Catherine!“

„John…“, flüsterte sie und ihre Stimme zitterte mehr, als sie gedacht hätte. „Kann ich bitte reinkommen?“

Zu ihrer Überraschung zögerte John keinen Moment, sondern trat sofort zur Seite. Noch einmal erleichtert Luft holend, trat sie ein und sah sich in dem üblichen Chaos wieder. Es schien sogar noch unordentlicher als sonst. John schloss die Tür hinter ihr.

„Kommt man ja kaum mehr durch…“, murmelte Catherine. Eigentlich war das gerade nicht angebracht, aber sie konnte nicht anders.

„Deshalb hab ich beschlossen aufzuräumen. Ich würde ja gerne einen Stuhl anbieten, aber…“ John wedelte durch die Luft. Überall lagen Akten, Notizen, Bücher oder andere Sachen verstreut. „Wie Sie sehen ist auf keinem mehr Platz.“

„Ich kann Ihnen helfen.“, schlug Catherine vor. Auch wenn eine bedrückende Schwere herrschte, versuchte sie sie so gewohnt wie möglich werden zu lassen, denn wenigstens für eine kurze Zeit wollte sie die Illusion genießen.

„Das wäre großartig.“, antwortete John und lächelte beinahe unsicher. „Dem Chaos wird Niemand alleine Herr. Aber seien Sie vorsichtig. Beim letzten Mal hat mich eine Spinne gebissen, die Sherlock als Lesezeichen verwendet hat. Kein Witz.“

Catherine blinzelte kurz, musste dann aber leicht lächeln, selbst wenn es ein Hauch wehleidig blieb.

„Irgendwie wundert mich das nicht.“, murmelte sie leise zu sich selbst. „Wo soll ich anfangen?“

„Könnten Sie die Bücher bitte wieder ins Regal räumen?“

„Klar.“ Catherine ging zu den fünf Stapeln an Büchern, die John bereits auf dem Boden aufgetürmt hatte. Sie hob die ersten von ihnen auf und überflog die Titel nur. Wie vergifte ich am besten meinen Nachbarn- eine theoretische Abhandlung haushaltsüblicher Chemikalien; Ein Lexikon der Mikroausdrücke- Wann lügt Ihr Gegenüber; Ein illustriert Bildband verschiedener Foltermethoden. Also echt, Sherlock. Sie schüttelte nur den Kopf, als sie die Bücher ins Regal stellte. Die restlichen Titel besah sie sich gar nicht erst. Eine unheimliche Büchersammlung, definitiv, aber zu Sherlock mehr als passend.
 

So verging einige Zeit, indem weder John noch sie sprachen. Catherine räumte die Bücher ein, während John damit beschäftigt war Wege freizulegen, die sie benutzen konnten, abzustauben und die Dinge einigermaßen zu sortieren.

„Wie geht es Ihnen?“, fragte dann John doch zögerlich nach einigen Minuten und warf ihr einen seltsamen Blick zu. Catherine hielt in der Bewegung inne das Buch Die besten Gerichte zum Vergiften wegzustellen, blinzelte und drehte sich zu John um. Seine Augen betrachteten sie beinah schon wehleidig und sie seufzte.

„Wie soll es einem schon gehen als Verstoßene?“, antwortete sie nach einigen Moment des Überlegens mit monotoner Stimme, während sie nun doch das Buch wegstellte. John warf ihr kurz einen traurigen Blick zu und stoppte. Er sah ihr Leid, obwohl sie es zu überspielen versuchte. Verdammt, manchmal war John wirklich zu empathisch. Sie wollte sich doch selbst nicht eingestehen wie sehr sie mit der ganzen Situation haderte.

„Catherine…es…“ Er zögerte und versuchte die richtigen Worte zu finden um das auszudrücken, was er fühlte. „Es tut mir leid.“

Catherine seufzte und lehnte sich gegen das Bücherregal.

„Ich weiß, John…“, sagte sie müde und schloss die Augen. „Ich weiß…“

„Ich wollte mich bei Ihnen melden…“, setzte er schnell nach, getrieben von seinen Schuldgefühlen. „Aber Sherlock…er…“

Er haderte. Wahrscheinlich wollte er nicht ausdrücken was für ein Terror die letzten zwei Wochen geherrscht hatte. Egal was der Arzt sagte, er mochte Sherlock und er wollte nichts wirklich Schlechtes über ihn sagen.

Catherine nickte nur knapp und gab ihm zu verstehen, dass sie wusste, was er meinte. Sherlock hatte dafür gesorgt, dass John sich nicht bei ihr melden konnte. Er setzte immer seinen Willen durch, egal was es kostete. Selbst wenn es auf Kosten seines einzigen, besten Freundes ging.

Ohne ein weiteres Wort zu sagen, fing sie wieder an aufzuräumen. Es half ihr sich von der seltsame Stimmung in der Bakerstreet abzulenken und von ihren sich drehenden Gedanken. Sie musste nicht denken, wenn sie Sache verstaute und sich nicht weiter Gedanken machen, was Sherlock mit dieser Aktion bezweckt hatte. Wenn er denn überhaupt etwas bezweckt hatte.

„Sherlock hat sich verändert innerhalb der letzten zwei Wochen.“, setzte John dann nach einigen Minuten an, nachdem er einige Papierstapel auf den mittlerweile aufgeräumten Schreibtisch gehievt hatte. Wieder hielt Catherine inne und sah ihn irritiert an. Er erwiderte ihren Blick nachdenklich und runzelte seine Stirn.

„Inwiefern?“

„Er wirkt…ruhelos, nervös. Er ist noch zerstreuter, in sich gekehrter und nachdenklicher als sonst. Irgendetwas braut sich zusammen, Catherine.“ Sie nickte bedächtig.

„Ja, den Eindruck hab ich auch. Besonders nach Mycrofts SMS gestern.“, murmelte Catherine nachdenklich.

„Mycrofts SMS?“

„Ich hab ihm eine SMS geschickt, nachdem Sie mich unwillentlich ignoriert haben. Er hatte immer etwas gegen mich und wollte mich loswerden, deshalb hab ich ihn gefragt, ob er etwas damit zu tun hat.“

„Hat er Ihnen darauf geantwortet?“, fragte John irritiert.

„Mycroft und eine klare Antwort? Nie im Leben. Er schien nur wirklich froh, dass Sherlock mich nun ignoriert. Dann kam einige Tage nichts mehr und dann habe ich plötzlich diese Nachricht bekommen gestern…“, erklärte sie und zog ihr Handy aus der Hosentasche, rief die SMS auf und zeigte sie John, der sie interessiert musterte.

„Es ist besser für Sie, wenn Sie Sherlock vergessen. Das ist ein gut gemeinter Rat. Mein Bruder ist gefährlich. Mycroft Holmes.“, las John leise vor und legte die Stirn in noch tiefere Falten. „Was soll das denn schon wieder bedeuten?“

„Genau das frage ich mich auch, John. Ich dachte, Sie hätten eine Ahnung, was hier vorgeht.“

„Nein…ich habe absolut keine Ahnung. Sherlock redet kaum noch, erst recht nicht mit mir und wenn, dann endet es meist im Streit.“, sagte John nüchtern und verschmälerte die Augen.

„Es tut mir leid.“, sagte Catherine ein wenig geknickt. Sie konnte sich vorstellen, was das Streitthema war. Sie. Nun gut, nicht sie an sich, sondern was Sherlock getan hatte. John würde auf diese Weise auch bei jeder oder jedem reagieren, der von Sherlock so behandelt worden wäre. „Das ist meine Schuld. Ich wollte das nie…“

„Hören Sie auf, Catherine!“, unterbrach er sie streng. „Es ist nicht Ihre Schuld.“

„Aber…“ Sie brach ab, als sie hörte wie ihre Stimme zitterte und dass ihr die Tränen kamen. John hielt damit inne Staub zu wischen, legte den Wedel weg und ging auf sie zu. Catherine hatte die Arme um sich geschlungen und es noch nicht einmal bemerkt. Ihr ganzer Körper hatte mittlerweile angefangen unkontrollierbar zu zittern. Dass sie wieder hier war, machte ihr nur allzu deutlich wie sehr sie es vermisste.

„Kommen Sie her…“, flüsterte John sanft und zog Catherine leicht an sich ran. Kurz versteifte sie sich in seinen Armen, doch dann entspannte sie sich, als sie endlich wieder körperliche Nähe spürte. Diese Wärme, die von John kam, war zu angenehm, als dass sie sich weiter verwehren könnte. Ihre Isolation war eiskalt. Seit zwei Wochen hatte sie keine Wärme, keine Wohlgesinnung mehr gespürt und eigentlich sehnte sie sich so sehr danach.

Vorsichtig lehnte sie ihren Kopf gegen Johns Schulter, der seinen Arm locker um ihre Schulter legte. Ihr Körper zitterte, doch es tat ihr gut.

„Sie trifft keine Schuld, Catherine.“, flüsterte er leise.

„Ich möchte es doch nur einfach verstehen, John.“, antwortete sie leise und vergrub ihren Kopf auf seiner Schulter. „Wissen, was los ist. Ich ertrag die Einsamkeit nicht mehr. Ich war viel zu lange alleine. Ich vermisse das alles hier. Verdammt, ich habe sogar Sherlock und Mycroft angebettelt, dass sie mir helfen. Ich habe vor den Holmes Brüdern gebettelt!“

Sie schnaubte und lachte verbittert auf.

„Da bin ich wirklich tief gesunken und ich wollte mir doch ein wenig Stolz bewahren.“ Wieder lachte sie und schniefte. John sah sie mitleidig an und hielt sie weiterhin fest.

„Das wird bei den beiden schwer. Wie Sie sagten, Catherine. Sie sorgen dafür, dass man ein Holmzentrisches Weltbild akzeptiert.“ Er lächelte schwach, doch ihnen beiden war nur zu gut bewusst wie gefangen sie in der Gravitation von Mycroft und Sherlock waren. Ihre Masse, ihre Kraft reichte nicht um auszubrechen, die Umlaufbahn zu verlassen und wieder ihr eigenes Leben zu leben. Sie vereinnahmen es komplett und dirigieren es so stark, dass man lebensunfähig wurde, sobald sie einen verließen.

Catherine nickte nur stumm und genoss für einige Momente noch Johns Nähe, bevor sie sich dann löste. Als sie seinen verwirrten Blick sah, schüttelte sie nur den Kopf. Das hier war nur eine Illusion. Auch wenn es sich anfühlte, als wäre alles wie immer, so war es das überhaupt nicht. In höchstens ein paar Stunden würde Catherine wieder allein sein und da wollte sie den Schmerz nicht noch größer machen, als er ohnehin schon war.

Ohne ein weiteres Wort zu sagen, begann sie wieder aufzuräumen, nahm sich diesmal der Fallakten von Sherlock an. Es waren dutzende. Catherine sah, dass die meisten davon aus Scotland Yard entwendet worden waren. Kein Wunder, dass Lestrade oft genervt war, aber Sherlock tat, was er wollte. Nichts anderes hatte er mit ihr auch gemacht.

Die Minuten verstrichen, in denen Sherlocks Rückkehr wie ein Schwert über ihren Kopf hing, getragen von einem seidenen Faden, der jeder Zeit zerreißen und somit die Illusion zerschneiden könnte. Catherine nahm die Fallakten, verstaute sie in einer Schublade, während John einige Klamotten einsammelte. Die Stimmung war alles andere als harmonisch. Sie war angespannt und Catherines Gedanken kreisten, doch sie blendete das aus. Es half doch eh nicht. Sie war nicht bei der Sache, denn ihr Herz schmerzte jetzt wo sie wieder hier war.

Plötzlich fiel ihr eine Akte aus der Hand. Sie segelte durch die Luft, fiel zu Boden, obwohl Catherine alles versuche sie zu greifen. Blätter ergossen sich wie ein kleiner Regen über den Boden und bedeckten den Fleck, den sie so mühsam freigeräumt hatten.

„Mist!“, fluchte sie und hockte sich wieder hin. John hatte es noch nicht einmal mitbekommen. Catherine versuchte die Papiere wieder aufzusammeln. Meine Güte. Sherlock war nicht nur bei seiner Wohnung unordentlich. Diese Wortfetzen in seinen Notizen konnte man ja kaum entziffern. Dabei hatte er doch gar nicht so eine unordentliche Handschrift, aber auf den weißen Blättern waren wirre Zeichnungen und Gedankengänge, unzählige von ihnen durchgestrichen. Wie konnte man sich denn damit zu Recht finden?

Catherine erkannte Wörter, die aus den Fällen: Eine Studie in Pink; Der blinde Banker und irgendeinen Fall, den Sherlock nur Das große Spiel genannt hatte, zu tun hatten. Catherine hielt inne und blinzelte verwirrt. Großes Spiel? Sie runzelte die Stirn und hob die Notizen dazu hoch.

Sie hatte echt gedacht, dass John ihr von allen Fällen Sherlocks erzählt hätte- oder sie hatte über sie gelesen-, doch von diesem hatte sie noch nie gehört. Das große Spiel? Spiel? Für Sherlock war doch ein Fall nie ein Spiel. Und mit wem hatte er gespielt? Aus den Notizen wurde das nicht klar. Moment!

Sie hielt inne und zog die Akten der anderen beiden Fälle hervor. Sie meinte doch, sie hätte das Wort schon einmal gelesen. Dieses Wort, was bei dem großen Spiel mehrfach unterstrichen war.

„John…?“, frage sie irritiert.

„Ja?“

„Wer oder was ist Moriarty?“ Nachdenklich sah sie von den Akten auf und blickte ihn an. Augenblick hielt er inne, schien sogar ein Husten zu unterdrücken. Jedenfalls spannte sich seine Körperhaltung deutlich an, das entging Catherine nicht. Sie blinzelte verwirrt und strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht, während Johns Augen nun einen unruhigen Ausdruck bekamen.

„Was?“

„Wer oder was ist Moriarty?“, wiederholte sie, dieses Mal nachdrücklicher. Irgendetwas Großes steckte dahinter, sonst würde er sich nicht so seltsam verhalten.

„Woher haben Sie denn das?“

„Hier…“ Sie deutete auf die Akten, stand auf und breitete sie aus dem Tisch aus. John trat an sie heran und betrachtete sie.

„Bei der Studie in Pink…da steht es noch mit Fragezeichen dahinter versehen…aber hier beim Großen Spiel…“ Sie tippte mit den Fingern auf das Wort Moriarty, das beim ersten Fall von anderen überlagert wurde, doch hier beinahe das Zentrum bildete. „Hier ist es dreifach unterstrichen. Was immer es also ist, für Sherlock war es wichtig.“

John schwieg eine Weile. Sherlock und er hatten sich darauf geeinigt, dass sie Catherine nichts von Moriarty erzählen wollten. Keiner der beiden wusste wann oder wie Sherlocks Erzfeind und gleichzeitig größter Fan zurückschlagen würde und sie wollten Catherine so wenig wie möglich in die Sache hineinziehen. Sherlock hatte ihr die Geschichte erst erzählen wollen, da es ja doch einer seiner größten Erfolge gewesen war und er sie wohl beeindrucken wollte, doch John hatte ihm klar gemacht, dass die Sache noch zu gefährlich war.

„Keine Ahnung.“, sagte er deshalb bemüht ruhig und zuckte mit den Schultern. Catherine hingegen zog nur eine Augenbraue hoch und sah ihn skeptisch an. Sie glaubte ihm kein Wort, das war nicht zu übersehen.

„Sie wissen sehr genau, was es mit Moriarty auf sich hat und nach Ihrer Reaktion würde ich vermuten, handelt sich dabei um eine Person. Also, wer ist er?“

„Sie klingen schon wie Mycroft.“

„Versuchen Sie nicht davon abzulenken, indem Sie versuche mich damit zu provozieren, John. Ich werde auf die Finte nicht eingehen.“, sagte sie verstimmt und verschränkte die Arme vor der Brust. Der Arzt runzelte die Stirn und drehte sich von ihr ab.

„John!“, rief sie und packte ihn am Arm, drehte ihn wieder zurück. „Wer ist er? Was macht ihn so gefährlich?“

„Ich habe keine Ahnung, wo Sie sich reinsteigern, Catherine.“, antworte John mit seltsam schwebender, ruhiger Stimme. Es klang beinah wie eine Computerstimme. „Keine Ahnung, warum Sherlock das aufgeschrieben hat. Als ob ich wüsste, was in seinen Kopf vorgeht.“

„Verkaufen Sie mich nicht für dumm, John. Das kann ich nicht ausstehen.“, knurrte Catherine und sah ihn aus wütenden Augen an. „Ich weiß nicht, was Sie beide vereinbart haben, aber ich lasse mir nicht gerne mein Leben bestimmen.“

John schüttelte kurz den Kopf und ging zum Sessel.

„Ich habe wirklich keine Ahnung, Catherine. Sie steigern sich da nur rein. Seit Sherlock Sie verbannt hat, sehen Sie in allem eine Verschwörung gegen sich. Das ist verständlich, aber nicht wahr.“ Seine Augen betrachteten sich nachdenklich und jetzt, wo jegliche Unruhe und Angespanntheit aus Johns Körpersprache verschwunden war, begann Catherine es auch zu glauben. Müde ließ sie sich in den zweiten Sessel fallen. Es passte nur zu gut. Sie hatte wirklich das Gefühl ein wenig paranoider seitdem geworden zu sein. Sie hatte alles in Ordnung geglaubt und dann war ihre seltsame, heile Welt zerbrochen und seitdem hatte sie begonnen sich zu fragen was Schein und was Realität war.

„Vermutlich haben Sie recht…“, gestand sie nach einigen Momenten ein und seufzte. Als sie die Augen schloss, sah sie nicht Johns wehleidigen, traurigen Blick und als sie wieder aufblickte, war er verschwunden. „Mir wird das alles einfach ein wenig zu viel.“

Sie schloss müde die Augen und vergrub eine Hand im Haar. Ihre Seele war verwundete und blutete schon einige Zeit. Es hatte sie verletzt, als sie in die kalte Isolation gestoßen worden war, wo sie doch einmal glücklich gewesen war.

Als sie wieder einmal in ihren Gedanken verschwand und sich fragte, was sie nur getan hatte, bemerkte sie nicht wie John sie traurig ansah und sein Blick einen seltsamen Ausdruck zu kam. Er haderte mit sich und dem, was er selbst beschlossen hatte. Als er jedoch sah wie erschöpft und traurig Catherine war, wie sehr sie unter der Situation litt, da überlegte er ernsthaft, ob er es ihr doch erzählen sollte.

Gerade, als John sich wirklich beschloss sie aufzuklären, sah er, dass Sherlock hinter ihnen stand und einen seltsamen Blick auf die Situation warf. Geschockt weitete John die Augen, als er seinen Freund erblickte und automatisch wirbelte Catherine im Sessel herum. Auch ihre Augen weiteten sich vor Schock. Keiner der beiden hatte bemerkt wie er zurückgekehrt war.

„Sherlock…es…“, setzte John an und versuchte einer Eskalation entgegenzuwirken. Sherlock stand noch immer schweigsam da, seine Stirn in tiefste Falten gelegt.

„Sherlock…ich…“, flüsterte Catherine nur. Sie rechnete mit allem. Mit Wut, mit Zorn, mit Hass, doch was dann kam, traf sie härter als alles andere. Sherlock sah sie nicht an, grüßte John wie gewohnt und verschwand in der Küche. In keinem Moment seit er wieder zurück war, hatte er erahnen lassen, dass Catherine da war. Er ignorierte sie vollkommen. Noch nicht mal für den Hauch eines Augenblickes hatte er sie angesehen oder Emotionen in seinen Augen gezeigt.

Catherine erstarrte in ihrem Sitz und ertrug es kaum noch. Was war hier nur los? Warum tat Sherlock ihr das an? Was hatte sie verbrochen? Ignoranz war noch schlimmer, als Verachtung, denn sie bedeutete, dass man nicht mehr existierte. Sie hatte in Sherlocks Leben keine Existenzberechtigung mehr.

„Sherlock!“, rief sie ihm noch einmal verzweifelt hinterher, doch der Detective hielt noch nicht einmal inne. Er fing sogar an seine üblichen Monologe zu halten, die gelegentliche Fragen an John beinhalteten, doch dieser war zu irritiert, als zu reagieren. Aufgeregt werkelte er durch die Küche und sprach mit sich selbst.

Catherine sah hilflos zu John. Ihre Augen brannten wieder, denn mit einer solchen Kälte hatte sie niemals gerechnet. John zuckte nur mit den Achseln und schüttelte mit dem Kopf. Er selbst wusste auch nicht, warum sein Freund sich so verhielt und war ebenso geschockt von seinem Verhalten.

„Sherlock!“, sagte sie noch einmal, diesmal flehend. „Bitte! Was ist hier los?“

Wieder nichts. Sherlock redete seelenruhig weiter, als hätte sie nichts gesagt. Er kam wieder zurück ins Wohnzimmer, lief schnurstracks an ihr vorbei, schnappte sich eines der weggeräumten Büchern und murmelte was von:

„Sie haben meine ganze Ordnung durcheinander gebracht, John.“, bevor er wieder zurück in die Küche lief. Catherine hielt es nicht mehr aus und sprang vom Sessel auf. Sie musste es wissen und was hatte sie schon zu verlieren? Sie war es nicht mal wert verachtet zu werden. Was gab es denn noch schlimmeres als ignoriert zu werden? Sie wusste nichts.

Sie rannte Sherlock hinterher, packte ihm am Ärmel seines Hemdes und hielt ihn fest.

„Sherlock! Hören Sie auf mich zu ignorieren! Was soll das alles? Erklären Sie es mir endlich!“ Sherlock hielt kurz inne, doch noch immer sah er sie nicht an, sondern schüttelte sich nur, sodass er ihren Griff loswurde, dann ging er wieder in die Küche.

„Sherlock!“, rief sie noch einmal mit aller Kraft, während er sie völlig unbeachtet im Wohnzimmer stehen ließ. John stand auf und trat an ihre Seite. Auch er erschien verwirrt von dem Verhalten seines besten Freundes.

Plötzlich wirbelte Sherlock herum, rannte mit vor Wut brennenden Augen zurück, packte Catherine und drückte sie gegen die Wand.

Sie ächzte, als ihr Kopf gegen die Wand knallte und schloss die Augen. Sherlock stand gefährlich nah vor ihr, raubte ihr jegliche Freiraum, während seine eisblauen Augen sie durchbohrten. Catherine zitterte und wich seinem Blick aus. Sie ertrug diese schrecklichen Gefühle nicht, die ihr entgegen schlugen.

„Was von ‚ich will Sie nie wieder sehen‘ verstehen Sie eigentlich nicht, Miss Amell?“, schrie er sie voller Zorn an, während seine Finger sich in ihren Arm gruben. „Was fällt Ihnen eigentlich ein, in meine Wohnung zu kommen?“

„Sherlock!“, rief John entsetzt. „Lassen Sie Catherine los!“

„Sie hat es doch gewagt hierher zu kommen, obwohl ich mich unmissverständlich ausgedrückt habe.“, knurrte Sherlock und zog seine Augenbrauen zusammen.

„A…aber!“, erwiderte sie völlig überfordert und versuchte dem stechenden Blick standzuhalten, schaffte es aber nicht.

„Ich dachte, ich hätte mich klar ausgedrückt.“ Plötzlich war Sherlocks Stimme leise, gefährlich leise.

„Sherlock, es war meine Schuld. Ich habe sie reingelassen. Ich lasse dieses Spiel nicht mehr zu.“, fuhr John dazwischen und verteidigte Catherine. Seine dunklen Augen funkelten aufgebracht, als Sherlocks Handgelenke umfasste und daran zog, doch der Detective gab nicht nach. Eisern hielt er Catherine an die Wand gedrückt, welche noch immer unter seiner überschäumenden Wut zitterte und versuchte nicht noch mehr Hass auf sich zu ziehen.

„John…“, sagte Catherine flehend und sah ihn an. Er sollte sie rausholen, sie retten. Sie hatte das Gefühl überschwemmt zu werden und unterzugehen.

„Was auch immer das hier werden soll, Sherlock, ich mach da nicht mehr mit und ich habe es Ihnen schon mal gesagt: Wenn Sie das unbedingt durchziehen müssen, dann tun Sie es, aber ICH werde es nicht tun.“ Johns Augen verschmälerten sich und er starrte seinen Freund an. Dessen Augen waren noch immer außer sich. Seine Naseflügel bebten, ebenso wie sein Körper, doch dann ließ er Catherine los und wandte sich wütend ab.

„Gehen Sie, Miss Amell! Ich sage es nur noch einmal. Wenn Sie jemals wieder in meine Wohnung kommen, dann werden Sie mein nächstes Studienobjekt und ich werde das wahr machen, was ich vor unserem Spiel mit Nate im Scherz sagte…nur DAS es dieses Mal kein Spaß sein wird.“ Seine Stimme war dunkel und bedrohlich geworden. Nur ein Hauch von Eis. Zum ersten Mal in ihrem Leben hatte sie Angst vor Sherlock. Seit den fünf Monaten, die sie nun in der Bakerstreet lebte, hatte sie ja wirklich vieles gegenüber Sherlock Holmes empfunden, doch eines noch nie: Angst. Nein, sie war zwar häufig wirklich beunruhigt von einer seiner Handlungen gewesen, doch diese hatten sich nie gegen sie gerichtet und waren auch meist nur von kurzer Dauer. Sollte dies nun ein permanenter Zustand werden?

„Was?“, frage John verwirrt nach, doch als er sah wie blass sie geworden war, wusste er, dass das eine schlimme Drohung gewesen war.

„Aber warum? Sagen Sie mir wenigstens warum!“, schrie Catherine mit aller Kraft, während ihre Verzweiflung sie überschwemmte. Sie wurde gerade aus der Umlaufbahn verstoßen und würde wie ein einsamer Planet in den ewigen Weiten verloren gehen und irgendwann von einem schwarzen Loch verschluckt werden und das Schlimmste war: So gut wie Sherlock sich mit Astronomie auskannte, war er sich dessen wohl nicht mal bewusst.

Augenblick wirbelte Sherlock auf den Absatz rum, packte Catherine am Arm, bevor überhaupt John und sie reagieren konnten. Mit einer unerwarteten Kraft zog er sie aus der Wohnung, schmiss sie aus dem Wohnzimmer und knallte die Tür zu. Für einen kurzen Moment blieb Catherine davor stehen, als es schien, als würde der Knall der Tür ihre Welt in Scherben zerbrechen lassen. Dann sah sie jedoch ein, dass es keinen Sinn mehr machte und verschwand wieder in ihre kleine, langweilige, einsame Welt zurück.
 

~*~
 

Sherlock warf die Tür hinter Catherine ins Schloss, doch dann lehnte er sich erschöpft mit dem Rücken gegen sie und schloss die Augen. Er holte tief Luft, versuchte sich zu beruhigen, doch sein schnellschlagendes Herz wollte nicht auf ihn hören. Es war richtig so, das wusste er und immer wieder sagte er sich das wie ein Mantra, doch es brachte nichts. Tief in seinem Inneren wollte er Catherine hinterherlaufen, sie zurückholen, doch dieses Gefühl war unvernünftig.

„Sherlock?“, drang Johns Stimme zu ihm durch und ließ ihn blinzeln. Sherlock hatte damit gerechnet, dass er wütend wäre, dass er ihn wieder anschreien würde, doch in seiner Stimme lag Verwunderung. Als er langsam seine Augen wieder öffnete, blickte er in fragende, dunkelblaue Augen. Noch einmal holt er tief Luft und löste sich dann von der Tür.

„Ich habe doch gesagt, ich will sie nicht mehr hier sehen.“, versuchte er das Spiel wieder zu spielen, doch seine Stimme klang zu gepresst, als das seine Wut glaubwürdig wäre. Verdammte Gefühle! Sie vermasselten ihm den einzigen rationalen Weg.

„Was ist wirklich los?“ John zog eine Augenbraue hoch und beobachtete ihn genau. Wie sehr Sherlock das hasste. Als ob John ihn verstehen könnte.

„Wie oft soll ich es noch wiederholen, bis Sie es endlich begreifen?“, schnauzte er seinen einzigen Freund an. Sie hatten diese Diskussion oft geführt, John hatte mit dem Thema niemals locker gelassen, sodass es Sherlock in Bedrängnis gebracht hatte. Sein Mitbewohner hatte gewusst, wo er hatte graben müssen um die Maskerade wackeln zu lassen und es hatte Sherlocks gesamte mentale Stärke gekostet um das Theater weiter aufzuführen, um die Wut tief aus ihm aufsteigen zu lassen.

„Sie langweilt mich und sie ist mir lästig geworden.“

„Sie lügen.“, widersprach John schlicht und blickte ihn an. „Warum tun Sie das wirklich, Sherlock? Sie haben verzweifelt, beinah traurig ausgesehen, nachdem Sie die Tür geschlossen haben.“

Sherlock erstarrte, als er diese ruhige Feststellung von John hörte und fluchte innerlich. Verdammt! Für den Hauch eines Moments hatte er sich von seinen Gefühlen hinreißen lassen und schon war seine Maskerade aufgeflogen. Genau deswegen hasste er Gefühle so sehr. Sie waren selbstzerstörerisch. Für einen Moment ihnen nachgegeben und alles Rationale war vergebens.

Ein Blick in Johns Augen bestätigte es. Sherlock sah genau, dass die Lüge keinen Sinn mehr hatte. Er würde es ihm nicht mehr abnehmen, dass er wirklich auf Catherine wütend war, dass er sie verabscheute.

Müde seufzend ließ sich der einzige Consulting Detective der Welt auf die Couch fallen und fuhr sich mit beiden Händen durch die Locken.

„Könnten Sie es verantworten, wenn ihr etwas passiert?“

„Was?“ Sherlock stöhnte, als er John verwirrt nachfragen hörte.

„Ob Sie es sich verzeihen könnten, wenn Catherine etwas passiert.“, wiederholte er, dieses Mal ruhiger und langsamer. „Ich kann es nicht.“

„Wovon reden Sie, Sherlock?“ John blinzelte ihn fragend an. Sherlock seufzte und presste die Lippen zusammen.

„Weil es beginnt…“, sagte Sherlock ominös und nahm seine übliche Nachdenkerpose ein.

„Reden Sie endlich Klartext, Sherlock!“

„In letzter Zeit Nachrichten gehört oder Zeitungen gelesen haben Sie wohl nicht, was John?“ Sein Freund blinzelte verwirrt und schüttelte den Kopf.

„Nein, nicht wirklich. Sie haben mich ja viel zu sehr beschäftigt.“

„Kommen Sie her!“, forderte Sherlock ihn auf, als er seinen Laptop hervorzog und ihn hochfuhr. Mit einem Mal klang seine Stimme matt und müde. „Ich muss Ihnen etwas zeigen.“

John zögerte kurz, ein wenig überrumpelt davon, dass Sherlock plötzlich eingesunken und erschöpft wirkte, doch dann stand er auf und ging zu ihm. Kurz sah der Dunkelhaarige zu ihm auf, dann drehte er den Laptop um und zeigte John die Startseite einer beliebigen Londoner Zeitung. Es war völlig irrelevant welche, sie sahen eh alle gleich aus.

John betrachtete die Homepage, brauchte nur die Schlagzeile zu lesen, dann taumelte er erschrocken zurück. Sherlock blickte zu ihm auf, während der Arzt blass wurde und seine Augen erschrocken geweitet waren.

„Moriarty…“, flüsterte John atemlos. „Er…ist zurück?“

Sherlock nickte knapp und schloss den Laptop wieder.

„Ich hab es vor zwei Woche gelesen, als ich etwas für den Fall des toten Wissenschaftlers im Universitätslabor recherchieren wollte.“

„Ach dieser Fall benötigte einen Elektro…“, antworte John wie automatisch, dann blinzelte er, als eine neue Erkenntnis seinen Geist erreicht und er blickte Sherlock überrascht an. „Moment! Heißt das, Sie haben Catherine wegen Moriarty aus Ihrem Leben verbannt?“

Sherlock nickte wieder. Genau so war es. Als er gesehen hatte, dass sein Erzrivale wieder da war und als er gehört hatte, dass Catherine wie selbstverständlich in seiner Küche saß und sich fröhlich mit John unterhalten hatte, hatte er einen Entschluss getroffen. Einen, der sich als schmerzhafter herausgestellt hatte, als er gedacht hätte, der aber notwendig gewesen war. Innerlich lachte Sherlock. Was würde Mycroft nur sagen, wenn er wüsste, dass ausgerechnet Catherine ihn einmal dazu veranlassen würde verantwortungsbewusst zu handeln? Wo er doch meinte, dass sie das Mädchen wäre, dass seine Maroden nur verstärken würde- dies hatte er zumindest einst in einem Nebensatz gemurmelt, als er Sherlock nach ihr gefragt hatte.

„Sie wollen sie beschützen…“, murmelte John ein wenig überfordert, als er sich in den Sessel fallen ließ und Sherlock ungläubig ansah. Himmel noch eins! War es so unvorstellbar, dass er etwas zum Wohl eines anderen tat? Wo John doch all die Zeit so stur darauf beharrte hatte, dass sie Sherlock etwas bedeutete? Und nun tat er, als hätte Sherlock etwas Unbegreifliches getan. Beinahe hätte er frustriert geschnaubt, ließ es dann aber lieber.

„Natürlich will ich das.“, sagte Sherlock dann aber doch ein wenig gereizt. „Was denkt ihr eigentlich alle von mir? Ich halte ja nicht viel von gesellschaftlichen Normen und diesen ganzen Unsinn, aber ich habe ihr ein Versprechen gegeben und das halte ich.“

John schwieg und beobachtete ihn genau. Jede Regung in seinem Gesicht und Sherlock hoffte, dass er nicht zu viel verriet. Etwas seltsames ging in ihm vor, etwas, dass ihn schon seit zwei Wochen unruhig werden ließ. War es, weil er sich auf das Bevorstehende freute, auf die Herausforderung oder war es etwas anderes?

„John, wir beide wissen, was beim letzten Mal passiert ist. Wir beide wissen, dass das Spiel in die zweite Runde geht, aber das hier wird kein Spiel mehr sein, das wird ein Krieg werden. Moriarty wird alles gegen mich nutzen um es zu beenden. Unser letztes, großes Problem.“

Sherlocks Stimme schwebte durch den Raum und John sah ihn überrascht an, als er zu begreifen begann, was hinter Sherlocks Verhalten steckte. Es war kein seltsames Spiel gewesen, sondern Sorge. Sorge um Catherine.

„Sie wollen sie aus der Schusslinie wissen.“ Wieder nickte Sherlock schlicht und er faltete seine Hände im Schoß.

„Catherine wird aus seiner Sicht das schwächste Glied sein, deshalb wird er vermutlich sie als erstes gegen mich verwenden und ich habe ihr versprochen, sie vor meiner Welt zu beschützen, falls Sie sich erinnern, John.“

„Aber…warum so? Warum erklären Sie es ihr nicht einfach?“, fragte John atemlos und er blickte Sherlock mit verwirrten Augen an. Sherlock seufzte und schloss die Augen. Wenn es denn so einfach wäre. Doch weder mit Catherine noch mit Moriarty war es so einfach. Bei beiden konnte man sich keine halben Sachen erlauben.

„Sie kennen Catherine doch, John.“, seufzte Sherlock. „Glauben Sie ernsthaft, sie hätte es akzeptiert, wenn ich ihr sagen würde, dass sie uns nicht mehr sehen kann? Gerade bei Ihnen, John? Also bitte.“ Er schnalzte abschätzend und John seufzte.

„Nein…wohl kaum.“, gestand er schließlich ein und rieb sich über den Kopf. „Aber warum so abrupt? Sie leidet darunter. Sehr sogar.“

„Weil Moriarty alles weiß, vielleicht weiß er auch schon von ihr.“, erklärte Sherlock trocken und stützte den Kopf auf seine gefalteten Hände. „Also musste ich den Bruch so klar wie möglich ziehen. Er soll nicht denken, dass sie mir etwas bedeutet. Dass sie nicht mehr für mich ist als ein gewöhnlicher Mensch.“

„Und das ist sie nicht?“ John blicke Sherlock durchdringend an. Sherlock seufzte und warf ihm einen leicht genervten Blick zu. Natürlich war sie das nicht. War das nicht offensichtlich? Was sollte er dennoch tun? Wie sehr sollte er sich noch verändern, bis John endlich aufhörte ihn damit zu nerven?

„Würde ich mir sonst solche Mühe machen?“, sagte Sherlock schlicht. Er schwieg eine Weile. Es hatte ihn auch lange gewundert, dass er sie beschützen wollte. Es lag nicht nur, weil er ihr das Versprechen gegeben hatte. Es war, weil er es wollte. Hätte er vor ein paar Monaten nicht gedacht. Aber mittlerweile hatte er eingesehen, dass es nicht mehr länger nur um ihn ging. Auch wenn er sich auf den bevorstehenden Showdown mit Moriarty freute, er war nicht mehr allein und Moriarty würde jedes Mittel recht sein würde.

Es hatte lange- und eine Gefahr gebraucht- bis Sherlock sich eingestanden hatte, dass Catherine ihm nicht egal war, dass sie mehr für ihn war, als eine Nachbarin, doch nun wollte er eben das bewahren. Mit allen Mitteln und wenn sie ihn dafür hassen musste, dann war er bereit diesen Preis zu zahlen. Es wäre ohnehin von Anfang an besser für Catherine gewesen, wenn sie sich nie auf ihn eingelassen hätte. Doch was für eine Wahl hatte er ihr schon gelassen?

„Catherine ist jung…“, begann er dann schließlich zu erklären, weil er das Gefühl hatte, dass John zwar verstand, warum er es tun musste, aber nicht seine Beweggründe. „…und unerfahren. Sie wird in diesem Kampf nicht bestehen. Sie sind Soldat, John. Sie kennen die psychischen Belastungen und wissen zeitgleich sich zu verteidigen. Catherine hingegegen nicht. Außerdem ist sie noch immer angeschlagen von dem, was in Serbien passiert ist. Egal, was sie uns glauben lassen will.“

John holte tief Luft und stieß sie aus. Er nickte leicht und Sherlock beobachtetet nun ihn. In wie weit verstand John das Problem, dem sie nun gegenüber standen?

„Wollen Sie wissen, warum Catherine an jenem Tag vor eineinhalb Monaten zu mir kam?“

„Sie sagte, Sie hätten sich nur unterhalten.“, erwiderte er und zuckte mit den Schultern.

„Und das glauben Sie ihr?“

„Nicht wirklich.“

„Und ich war schon kurz besorgt um Ihren Verstand, John.“ Er zeigte kurz sein Lächeln. In Empathie war John ihm wirklich überlegen und wenn er Catherine diese mehr als schlechte Ausrede abgekauft hätte, hätte Sherlock ihn vielleicht doch einmal untersuchen lassen. Nicht dass all der Wahnsinn von ihm Johns Urteilsvermögen verschleiert hätte.

„Was hat sie von Ihnen gewollt, Sherlock?“

„Hilfe.“, antworte schlicht und für einen kurzen Moment genoss er den leicht genervten Ausdruck in dem Gesicht seines Mitbewohners.

„Was?“ Er seufzte und rieb sich über die Augenbrauen.

„Sie wollte meiner Hilfe bei Trauma Bewältigung.“

„Von Ihnen?“ John konnte nur mit letzter Kraft ein Lachen bewältigen. „Sie war wohl wirklich verzweifelt…Moment…Was haben Sie getan, Sherlock?“

Seine eisblauen Augen betrachteten ihn ungerührt und Sherlock zuckte leicht mit den Schultern.

„Schocktherapie.“

„Das ist nicht Ihr Ernst?“, rief John entsetzt aus, während seine Augen sich vergrößerten.

„Nun…es hat doch funktioniert.“ Wo lag also das Problem? Catherine hatte doch gesagt, dass es ihr danach besser ging. Natürlich würde sie niemals ganz vergessen, aber sie konnte es mittlerweile verdrängen. Warum also regte John sich so auf?

„Ja, sicher es funktionierte…toll…und dafür setzen wir sie gleich nochmal ihrem Alptraum aus. Wundervoll.“ Er rollte mit den Augen und warf ihm einen vorwurfsvollen Blick zu. Offensichtlich beschloss er aber, das Thema erst einmal a Acta zu legen.

„Warum haben Sie es mir nicht erzählt?“

Nun zögerte er doch und verschmälerte kurz die Lippen. Das war nicht so einfach zu erklären, denn es würde eine Erkenntnis voraussetzen, die er zu gerne noch etwas länger verleugnet hätte. Aber ausweichen hatte keinen Sinn. Das wusste er nur zu genau und John kannte ihn, leider, nur allzu gut.

„Weil ich Sie da nicht mit hineinziehen wollte.“ Er versuchte seine Stimme möglichst ruhig klingen zu lassen um den Sturm zu verbergen, der all das zur Folge hatte.

„Das ist nicht wahr. Das ist Ihnen doch sonst auch immer egal.“

„Es war leichter…“, versuchte Sherlock es erneut. John lehnte sich etwas vor und zog eine Augenbraue hoch.

„Sicher doch…noch ein Versuch und Sie verraten sich endgültig. Vergessen Sie nicht, ich kenne Sie schon fast ein Jahr.“ Sherlock holte tief Luft und legte seine Finger vor sein Gesicht. Wieder holte er tief Luft und beschloss mit der Wahrheit herauszurücken.

„Wie ich sagte, ich wollte Sie nicht damit hereinziehen. Was ich Catherine antun musste, ist grausam und ich wollte Sie darin nicht involvieren. Sie mögen Catherine sehr und wenn ich Sie dazu zwingen würde Catherine anzulügen, würde das Ihnen nur Schuldgefühle bescheren. Es ist einfacher für Sie, wenn Sie mich dafür verachten… außerdem machte es das Schauspiel überzeugender.“ Mit dem Nachsatz versuchte er halbherzig den besorgten Aspekt zu überspielen. Er hatte einfach nicht gewollt, dass der hochmoralische John sich die Bürde auferlegen musste, das Mädchen anzulügen um sie beschützen, welches er so schätzen gelernt hatte. Es würde ihn für eine lange Zeit verfolgen, während Sherlock von sich selbst wusste, dass er damit umgehen konnte. Schließlich konnte er seine Gefühle verdrängen, wenn es dafür einen logischen Grund gab.

John hingegen sah ihn nur aus überraschten Augen an, dann runzelte er die Stirn.

„Moment…was? Sie haben lieber meine Verachtung auf sich gezogen, anstatt mir die Schuldgefühle auf zu bürden?“ Sherlock nickte nur schlicht. Er sah keine weitere Notwendigkeit darin es weiter auszuführen. War ja schon unangenehm genug, dass er es hatte sagen müssen, doch John hätte nicht locker gelassen.

„Wow…“, sagte John nur und sah ihn noch immer mit einem Mix aus Faszination und Überraschung an, als wäre Sherlock ein Alien, das gerade auf der Erde gelandet wäre. Er schnaubte und rollte mit den Augen. Jeder um ihn herum bestand doch darauf, dass er Gefühl zu entwickeln begann und dann waren sie doch jedes Mal darüber überrascht. Musste schon wirklich seltsam sein ein Mensch zu sein. Wenn einen jede Kleinigkeit überraschte.

„Also wie soll es nun weitergehen, John?“

„Bitte?“

„Wie soll es nun Ihrer Meinung nach weitergehen? Es liegt nun in Ihrer Hand. Ich habe Ihnen den Grund gesagt, warum ich das getan habe. Nun müssen Sie entscheiden, ob Sie ihr die Wahrheit sagen oder nicht.“

John schloss die Augen und lehnte sich in Sessel zurück. Er schwieg für eine lange Zeit während seine Augen hinter den geschlossenen Lidern rannten. Sein Atem ging schwer, während er zwischen Drang Catherine nicht zu verletzen und ihrer Sicherheit zu gewährleisten hin und her gerissen war. Er rieb sich über die Stirn und seine Augenbrauen immer und immer wieder, während sein Kopf sich schüttelte. Es war nicht schwer zu erkennen, dass John es ihr am Liebsten erzählen würde, doch Sherlocks Argumente waren zu logisch, als dass er sie einfach ignorieren konnte.

Fünf Minuten verstrichen, bis er tief ausamtete und seine Körperhaltung entspannte, aber ihn auch zeitgleich erschöpft aussehen ließ. Sherlock betrachtete ihn genau und wusste schon im Vorfeld, was er sagen würde.

„Es gibt keinen anderen Weg…“, murmelte der Arzt leise und rieb sich den Nasenrücken.

„Nein…“, antworte Sherlock bloß schlicht und ruhig. Er hatte alle Möglichkeiten schon vom Weg aus dem Wohnzimmer in die Küche durchkalkuliert. Sein Mitbewohner atmete resigniert aus.

„Dachte ich mir…“ Dann rieb er sich wieder die Augenbrauen und blickte dann zu Sherlock auf. „Dann ist es wohl am besten so, Sherlock.“

Ein unheilvolles Gespräch

Catherine stocherte unruhig in ihrem Eisbecher umher und ließ den Blick schweifen. Das pure Leben herrschte in diesem kleinen Café und viele Schüler saßen dicht beisammen, schwatzten und lachten zusammen und Niemand bemerkten die beiden Gäste, die sich abschätzend anstarrten. Fröhliche Musik drang aus kleinen Boxen über ihren Köpfen und alles war friedlich, doch Catherine nahm all das nicht wahr. Ihr Grund, warum sie hier war, war wesentlich ernster und stimmte sie unruhig. Vor ihr lag ein Gespräch, was ihr schon lange schlaflose Nächte bereitet hatte, denn sie spürte, dass ein Unheil sich zusammenbraute und bald eskalieren würde.

Sherlock saß ihr gegenüber. Seine Hände lagen auf dem Tisch neben einer Tasse Kaffee. Seine graublauen Augen betrachteten sie nachdenklich und Catherine war nicht so dumm zu glauben, dass Sherlock nicht wissen würde, dass sie ihn mit einem Hintergedanken hierher bestellt hatte. Catherine ging nicht einfach so mit Sherlock Eis essen und er wäre auch nicht einfach mitgekommen. Erst recht nicht nachdem was vorgefallen war.

Aber da war noch etwas anderes, was Sherlock beunruhigte. Etwas, was sie nicht deuten konnte, lag in seinen Augen, dass sie besorgte. Sie beobachtete diesen Ausdruck schon länger und hatte nun beschlossen ihn zur Rede zu stellen. Etwas beschäftigte den Consulting Detective mehr, als er zugab.

Catherine konnte nicht genau sagen, woher sie diese Ahnung hatte. Schließlich war es Sherlock gewesen, der sie seit fast zwei Monaten ignorierte, sie sogar wutentbrannt aus der Wohnung geschmissen hatte, ihr an den Kopf geworfen hatte, dass sie langweilig und dumm sei. Gefühlte Ewigkeiten hatte sie ihn nicht zu Gesicht bekommen und doch spürte sie, dass etwas im Gange war, das gefährlich werden könnte. Das war bei der Statistik von Sherlock auch nicht wirklich schwer.

Was sie aber umso stutziger gemacht hatte, war ein Name, den sie in der Wohnung immer wieder gesehen hatte, als sie einmal heimlich zu John rübergegangen war um über Sherlocks seltsames Verhalten zu sprechen. Während sie ihm beim Aufräumen geholfen hatte und mit John gesprochen hatte, war ihr in Sherlocks Akten dieser Name besonders ins Auge gestochen und sie wollte nun wissen, was es damit auf sich hatte.

Dieser Name hatte sie in den folgenden Nächten nicht losgelassen. Immer und immer wieder hatte sie sich unruhig im Bett gewälzt. Wenn John darauf bedacht war, ihr nichts von Moriarty zu erzählen und ihr gar weiszumachen, dass sie sich all das einbildete, dann steckte dahinter etwas Schreckliches. Hier stank etwas gewaltig zum Himmel und sie hatte sowieso schon das Gefühl, dass sich etwas zusammenbraute. Es war wir ein Sturm aus Gewitterwolken, die sich über dieser Straße zusammenzogen und ein großen Unheil ankündigten. Obwohl Catherine von allem isoliert war und selbst John sie mittlerweile abwies, spürte sie, dass etwas wie Elektrizität in der Luft knisterte.

Deshalb hatte sie Sherlock umso mehr mit Nachrichten und SMS bombardiert, hatte gekämpft und nicht locker gelassen, bis irgendwann genervt die Nachricht gekommen war, dass sie sich hier treffen sollten.

„Wer ist Moriarty, Sherlock?“, fragte sie schließlich gerade heraus und ließ den Consulting Detective nicht aus den Augen. Falls Sherlock überrascht war, so verbarg er es meisterhaft. Nur eine Augenbraue wanderte nach oben, während er Catherine beobachtete und sich leicht nach hinten fallen ließ.

„Ich weiß nicht, wovon Sie reden.“

„Verarschen Sie mich nicht!“, knurrte Catherine und warf ihm einen vernichtenden Blick zu. „Das hat John auch versucht und er hat es schon nicht hinbekommen.“

Sherlock erwiderte ihren Blick und zog seine Augenbraue weiter hoch. Catherine verzog verstimmt den Mund. Sie hasste diese Art von Blickduellen. Sherlock hielt sie für dumm und er glaubte, dass er locker gewinnen würde- leider tat er das auch meistens.

Sie wusste nicht, warum Sherlock auf einmal ihrem Drängen nachgegeben hatte und es war ihr auch egal. Mittlerweile war ihre Verzweiflung wieder in Wut umgeschlagen. Sie war sackig, dass der Kerl immer noch alles abstritt und einfach nicht die Wahrheit sagte. Als ob sie damit nicht umgehen könnte.

„Also wer ist er?“, fuhr sie mit eisiger Stimme fort, die sogar noch kälter als ihr Erdbeerbecher war. „Ist er Ihr Erzrivale, oder was?“

Sherlock betrachtete sie nur abschätzig und zog wieder eine Augenbraue hoch. Diese kühle Gelassenheit in seinem Gesicht trieb sie zur Weißglut. Was bildete sich dieser Mistkerl eigentlich ein? Dass er sie für dumm verkaufen oder sie verarschen könnte? Dass Catherine nicht mitbekommen würde, dass irgendetwas vorgeht? Oh nein, für so dumm ließ sie sich nicht verkaufen. Selbst nicht von Sherlock Holmes. Das konnte sich der Sack mal schön abschminken. Dieses Mal würde sie nicht klein bei geben.

„Das geht Sie nichts an, Catherine.“

„Doch, ich glaube schon.“ Ihre Augen verschmälerten sich zu schmalen Schlitzen. Sherlock zog nur skeptisch eine Augenbraue hoch und betrachtete sie mit Herablassung im Blick, doch dieses Mal hatte Catherine nichts zu verlieren. Sie hatte bereits alles verloren, also konnte sie auch auf Angriff spielen.

Sherlock schwieg und seine Maske war perfekt, doch irgendwie spürte sie, dass es nicht echt war. Es war nicht beschreibbar, doch irgendetwas passte in diesem Moment einfach nicht ins Bild.

„Ich glaube, es geht mich schon was an, wenn sich über der Bakerstreet ein Unheil zusammenbraut.“, fuhr sie mit düsterer Stimme fort. Sherlock schnaufte nur und seine Augen wurden schmal.

„Was für ein Unheil denn bitte?“, sagte er gelassen und trank demonstrativ einen Schluck Kaffee. Nun wurde Catherine erst recht skeptisch. Alles erschien zu inszeniert, als dass sie es in diesem Moment glauben konnte. Etwas stimmte hier nicht und vor allem stimmte etwas nicht mit Sherlock. Sherlock versuchte alles um sie zu verunsichern, doch eben das ließ sie nachdenklich werden und außerdem hatte sie sich fest vorgenommen hartnäckig zu sein. Dieses Mal würde sie sich von Sherlock nicht dominieren lassen.

„Das, was Sie so beschäftigt, dass Sie seit mehreren Wochen nicht mehr richtig schlafen, Sherlock. Was auch immer das ist.“

Nun verschwand für einen Augenblick Sherlocks neutrale Mine und er blinzelte sie kurz an, doch dann kehrte er wieder zurück in seine reservierte Haltung und lehnte sich lässig im Stuhl zurück.

„Bitte…“, meinte Catherine nur genervt und legte ihre Stirn in Falten. „Selbst ich sehe die Augenringe und Sie sind verdammt blass. Da braucht man wirklich kein Sherlock zu sein.“

Ihre Stimme war rau und abweisend, als sie das sagte. Ihre Vertrautheit existierte nicht mehr und das war Sherlocks Schuld. Er hatte den Witz aus ihren Gesprächen genommen und war sich dessen bewusst.

„War das alles?“, fragte er gelassen. Catherine schwieg nur, ihre schmalen Lippen zusammengepresst. Die blauen Augen der jungen Studentin betrachteten ihn schon beinahe verachtend. Er hob eine Augenbraue hoch, dann stellte er seine Kaffeetasse ab und erhob sich.

„Wenn jetzt nicht noch etwas bahnbrechendes Wichtiges kommt, würde ich meine Zeit gerne sinnvoll nutzen. Also dann.“ Er deutete eine Verbeugung an und unterstrich damit seinen Spott. Die Augen glommen verstimmt, dann richtete er den Kragen seines Mantels und ging davon.

„Sherlock!“, sagte Catherine laut, die mittlerweile ihre Strategie geändert hatte. Plötzlich herrschte Stille in der Eisdiele. Die Augen der anwesenden Personen hingen nun auf ihnen und augenblicklich ging das Getuschel los. Spätestens jetzt wusste jeder in der Eisdiele, wer er war und Catherine wunderte sich, dass noch keine Kameras blitzten, denn genau das hatte sie bezwecken wollen. Sherlock hasste solche Situationen und er wurde so ein wenig in die Ecke getrieben. Es gab nun nur noch zwei Ausgänge: Entweder er würde fliehen oder zum Angriff übergehen und nach Sherlocks bisherigen Verhalten würde sie eher zu Angriff hin tendieren. Na ja, mal sehen wie er auf das reagieren würde.

Er hielt nicht inne, aber seine Schritte wurden langsamer. Zumindest wollte er wohl noch mitbekommen, was sie zu sagen hatte, aber zeigen wollte er das nicht.

„Ich erwarte ja nicht wirklich viel von Ihnen, besonders nicht, dass ich Ihnen etwas bedeute, aber glauben Sie nicht, nach allem was geschehen ist, dass ich zumindest Ehrlichkeit verdient habe?“ Ihre Stimme bekam einen ehrlichen, traurigen Klang.

Das hatte wohl gesessen. Sherlock blieb kurz vor der Tür stehen und für einen Moment schien er wahrlich getroffen. Seine Körperhaltung spannte sich an und er vergrub die Hände in den Taschen. Catherine starrte ihn ungerührt an. Sie war gespannt wie er reagieren würde und ob sie ihn zumindest in diesem Moment richtig eingeschätzt hatte.

Sherlock zögerte einige Momente, dann sanken seine Schultern herab und für den Hauch eines Augenblicks warf er ihr einen wehleidigen Blick über die Schulter zu. Das irritierte Catherine, hatte sie einen solchen Ausdruck doch noch nie gesehen. Aber der Augenblick war zu schnell vorbei, als das sie es bewusst richtig realisierte.

Er seufzte leise, drehte sich wieder rum und kam zu ihr zurück. Kurz war sie verwirrt. Sie hatte sich eigentlich gedacht, dass er wütend auf sie zu stürmen würde, doch dem war nicht so. Genervt ließ er sich auf den Stuhl fallen. Seine Augen betrachteten sie ungewohnt nachdenklich.

„Sie wollen also wissen, wer Moriarty ist?“, seufzte Sherlock und strich sich eine Locke aus dem Gesicht.

„Mehr verlange ich nicht, Sherlock.“, erwiderte sie knapp. Sherlock schien kurz zu zögern, dann nickte er.

„Also gut…“ Kurz leckte er sich über die Lippen. „Sie haben schon richtig vermutet, er ist eine Art Erzrivale.“

„Uiii…ein Consulting Ganove.“, höhnte Catherine und schnalzte. Sherlock rollte mit den Augen.

„Das trifft es sogar ziemlich gut.“

„Wie bitte?“ Nun war sie doch ernsthaft verblüfft. „Das war jetzt eher…ein Witz.“

„Und es war durchaus mein Ernst.“, gab Sherlock zurück und stützte seinen Kopf auf seine gefalteten Hände. Catherine runzelte die Stirn.

„Dürfte ich fragen, woher Sie den Namen haben? Dann kann ich die Geschichte leichter erzählen.“

„Aus einer Akte. Bevor Sie mich so liebenswürdig das zweite Mal rausgeworfen haben, habe ich John beim Aufräumen geholfen und da fiel sie runter. Als ich sie aufgehoben habe, fiel mir auf, dass Sie bei einer Studie in Pink hinter dem Namen ein Fragezeichen war, aber beim Großen Spiel, wovon ich bisher noch nichts gehört habe, war es dreimal unterstrichen. Wenn Sie schon etwas dreimal unterstreichen, ist es wichtig und Johns Reaktion waren auch mehr als verdächtig. Dann hab ich ein wenig nachgedacht und kam zu dem Schluss, dass Erzrivale am Wahrscheinlichsten ist.“

Sherlock zog die Augenbraue hoch und betrachtete sie kurz mit einem seltsamen Blick, sagte aber nichts. Es dauerte einige Momente, bis er antwortete.

„Tja…Moriarty…“, sagte er ruhig und seine Augen wanderten kurz durch den Raum. Er wusste nicht genau, warum er schließlich Catherines Drängen nachgegeben hatte. Eigentlich hatte er das bis zum Ende durchalten wollen, doch sie hatte sich als verdammt stur erwiesen. Seitdem sie die Akte bei ihm in der Wohnung gefunden hatte, war ihr SMS Terror nur noch heftiger geworden. Dieses Mal hatte sie nicht nach einiger Zeit aufgegeben, wie es vorher der Fall gewesen war. Da nun Moriartys Gerichtsverhandlung übermorgen anstand, hoffte Sherlock, dass dieser Besuch vielleicht ohne Folgen bleiben würde. So bitter es ihm die Galle aufstieß, er hatte es nicht mehr ertragen sie weiter abzublocken.

„Moriarty ist wie ich…“, setzte dann Sherlock an und legte den Kopf in seine Handfläche.

„Huii…also ein arrogantes Arschloch?“, zickte Catherine ihn an. Sherlock seufzte leise und fuhr sich durchs Haar, doch er konnte sie ja beinahe verstehen.

„Bleiben Sie bei Sarkasmus. Zynismus steht Ihnen nicht. Ist zu verbittert.“

„Ich bin ja auch verbittert, Sherlock!“, knurrte Catherine wütend.

„Darf ich vielleicht weitererzählen?“

„Ja…sicher…“, sagte sie nun doch etwas zögerlicher und senkte ein wenig schuldbewusst den Blick. Sie wusste nicht mit der Situation umzugehen. Es war seltsam wieder hier mit Sherlock zu sein und doch war es nicht so wie es einst gewesen ist. Was immer auch zwischen ihnen gewesen war, war vor zwei Monaten verloren gegangen und Catherine spürte wie es sie zu verändern begann. Weil jeder ihr verschwieg, was hier vorging und über ihr Leben bestimmte- wie und mit wem sie es zu führen hatte- wurde sie immer gereizter und zynischer.

„Moriarty ist verrückt…geisteskrank…“, fuhr er also fort.

„Auch darauf wäre ich durchaus alleine gekommen.“, gab sie bissig zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. Sherlock warf ihr einen genervten Blick zu und hob die Augenbraue leicht. Catherine machte es ihm auch wirklich schwer ruhig zu bleiben. Dieses Mädchen war nicht mehr das, was er kennengelernt hatte und er fragte sich gerade, ob er das noch weiter mitmachen sollte. Sie war ein bissiges, freches Gör, dass ihm gewaltig auf die Nerven ging. Ihr Ton war nicht amüsiert wie sonst, wenn sie sich unterhielten oder gespielt genervt, sondern einfach nur kalt und herablassend. Sollte er all diese Mühen wirklich dafür auf sich nehmen?

Er runzelte die Stirn und betrachtete sie eingehend. Müde, geschafft, eingefallene Augen und ein gehetzter Blick. Pupillen erweitert, die Haut blass, der Atem ging schnell. Catherine stand unter Stress. Ihr Körper war vollgepumpt mit Adrenalin. Auch ihre Körperhaltung war unbewusst angespannt. Sie fühlte sich unsicher und versuchte das durch Angriff und Herablassung zu verschleiern.

Da war noch etwas, was sich seinem Geist eher unterbewusst erschloss. Er war sich nicht sicher, woher er diese Erkenntnis nahm, doch er glaubte, dass es auch Selbstschutz war. Vielleicht lag es an den leicht herunter gezogenen Mundwinkeln, der so deutlich defensiven Körperhaltung, aber vermutlich war das dieser unruhige Ausdruck in ihren Augen.

Isolation kann einen Menschen töten, Einsamkeit ist die schlimmste Folter, das hatte er einmal gelesen und Catherine schien ein gutes Beispiel zu sein. Ihre halbwegs annehmbaren Eigenschaften begannen zu sterben und zurück blieb die Paranoia, der Verschwörungswahn. Sie sah sich in einem Komplott verstrickt und sie hatte ja auch Recht damit. Typisch Catherine. Sie verstand Dinge oft sogar besser, als sie es glaubte und diese dreckigen Gefühle überforderten das hilflose Mädchen. An sich würde er es gern rückgängig machen, aber das Unheil kam erst noch und deshalb musste er hart bleiben. Wann hatte es bei ihm so angefangen zu bröckeln? Langsam, als er John kennengelernt hatte, als er über seine Sprüche gelacht und ihn gerettet hatte, dann ein wenig schneller, als John das erste Mal wegen ihm in Lebensgefahr gewesen war. Als er Catherine kennengelernt hatte, hatte sich das Tempo noch mal beängstigend beschleunigt und ausgerechnet jetzt tauchte Moriarty wieder auf und versprach ihm einen Krieg mit allen Mitteln.

Sherlock holte noch einmal tief Luft, unterdrückte den Drang ihr so manches für diese Schamlosigkeit an den Kopf zu werfen und erzählte weiter:

„Ungefähr vier Monate bevor Sie in die Bakerstreet gezogen sind, Catherine, kam es zu einem…“ Er druckste kurz. „…kleinen Zwischenfall.“

„Das bedeutet bei Ihnen eine mittelschwere Katastrophe.“, erwiderte sie trocken.

„Sagen wir mal…es wurde aufregend, spannend.“, sagte er bedächtig und wog leicht seinen Kopf hin und her, bevor er einen Schluck Kaffee trank. „Es war eine ziemliche Dürreperiode was die Fälle anbelangte und ich langweilte mich zu Tode.“

„Ja, ich habe von Ihrem Angriff auf Mr. Smiley gehört.“ Sie hob leicht eine Augenbraue und ahmte ihn unbewusst ein wenig nach. Versuchte sie wieder eine Verbindung herzustellen? Eine Taktik der Psychologie sagte, dass man Sympathie erwecken konnte, indem man die Körpersprache seines Gegenübers nachahmte.

„Doch dann begann das, mein, größtes Spiel mit einem Knall und das im wahrsten Sinne des Wortes.“

„Wie bitte?“ Nun runzelte sie nachdenklich die Stirn.

„Es gab eine Explosion im Haus gegenüber. Die Hälfte des ganzen Wohnhauses ist zerstört worden.“ In diesem Moment bröckelte ihre Fassade und sie sah ihn aus geweiteten Augen geschockt an, während ihr Herz automatisch schneller sprang, so als wäre es gerade eben passiert.

„Was…?“, hauchte sie fassungslos. Kurz schloss die Augen und holte tief Luft. „Ein Bombenanschlag direkt in der Bakerstreet? Vier Monate vor meinem Einzug?“

Sherlock nickte nur knapp.

„…wär ja mal wirklich freundlich gewesen, wenn mich mein Notar darauf hingewiesen hätte. ‚Ach, nur so als Info. Das Haus gegenüber ist nur gerade in die Luft geflogen, aber keine Sorge, Ihr Haus ist nur von einer leichten Rußschicht bedeckt. Gibt dem Ganzem einem rustikalen Flair.‘ Doch, das wäre durchaus fair gewesen. So was ist deutlich wertmindernd und dann hätte ich mir das mit dem Umzug vielleicht nochmal überlegt.“, murmelte sie leise zu sich. In diesem Moment konnte sie ihren Sarkasmus nicht verbergen und auch Sherlocks Mundwinkel zuckten kurz, doch er hielt es unter Kontrolle.

„Das ganze…war Moriartys Vorstellung eines Spektakels und zumindest hatte er Mycrofts und meine Aufmerksamkeit geweckt, auch wenn wir zudem Zeitpunkt noch nicht wussten, dass er es war.“

„Wo fiel sein Name bei Ihrem ersten Fall mit John?“

„Der Taxifahrer…redete die ganze Zeit von meinem…“ Sherlock verzog das Gesicht und sagte die nächsten Worte verächtlich: „…größten Fan, der sein Sponsor sei. Für jeden Mord ginge Geld an seine Kinder. Ich wollte einen Namen, doch er hatte sich geweigert. Als John auf ihn geschossen hatte, nutzte ich seine Verletzung um den Namen aus ihm herauszubekommen. Moriarty waren seine letzten Worte, bevor er starb. Ich hatte damals keine Ahnung wer oder was Moriarty sei, deshalb die Fragezeichen. Es ließ mich nicht los.“

„Weil Sie hofften, dass dieser…“ Catherine runzelte nun die Stirn, weil das Wort einfach seltsam angesichts der Situation klang. „…Fan…Ihnen etwas Größeres bieten würde, als Sie bisher gehabt hatten. Etwas Neueres, Spannenderes…“

Wieder nickte Sherlock und betrachtete sie aus ruhigen Augen.

„Genauso ist es und was Moriarty sich einfallen ließ, war wirklich spektakulär.“

„Ich beginne gerade ernsthaft zu zweifeln, ob ich das wirklich wissen will.“ Sie zog ihre Augenbrauen hinab und schürzte die Lippen.

„Und dafür haben Sie mich einen Monat zu Tode genervt, damit Sie nun kneifen?“

„Das habe ich nicht gesagt.“, murrte Catherine und strich ihren Pony aus ihren Augen. „Ich habe nur das leichte Gefühl, dass wenn schon SIE von spektakulär reden, Sherlock, dann würde jeder normale Mensch wegrennen.“

„Als ob Sie normal wären, Catherine.“

„Auch wieder wahr…“, seufzte sie resigniert. „Also, was für eine tolle Show hat Moriarty gezeigt?“

„In dem zerstörten Haus war ein feuerfester Safe mit einem böhmischen Briefumschlag für mich.“, fuhr Sherlock fort, so als hätte sie ihn nie unterbrochen.

„Und?“

„Darin befand sich ein Iphone, das genauso aussah wie das von Jennifer Wilson.“

„Das war das vierte Opfer bei der Selbstmord-Mord Serie, richtig?“

Sherlock nickte knapp, schürzte die Lippen und legte den Kopf auf seine gefalteten Hände.

„Auf dem Display war eine MMS…ein Bild von der Souterrain Wohnung in 221b und fünf Piepser. Sie kündigten fünf Rätsel an, die ich lösen sollte und für einen besonderen Anreiz war auch gesorgt.“

Catherine lehnte sich zurück und zog die Augenbrauen hoch. Ein skeptischer Glanz lag in ihren Augen, während sie Sherlock nicht aus den Augen ließ, sein Gesicht studierte. Er fragte sich, was sie zu sehen erhoffte, denn schließlich tat er doch genau das, was sie von ihm verlangte.

„Als ob Sie einen Anreiz bräuchten.“

„Er wollte es wohl schlicht spannender machen.“

„…ich mag den Kerl jetzt schon nicht.“

„Sie mögen momentan Niemanden.“

„Doch John, aber das Thema hat sich ja momentan erledigt.“ Ihre Augen funkelten Sherlock wütend an und sie knirschte mit den Zähnen. „Besten Dank auch dafür.“

„Haaaa….“ Sherlock atmete schwer aus und rieb sich über die Augenbrauen. Es raubte ihm alle mentale Stärke um ruhig zu bleiben und ihr nicht wer weiß was an den Kopf zu werfen, doch er verstand sie ja wirklich. Er hatte ihr alles geraubt und bewusst von allem isoliert, dennoch war es wirklich anstrengend. Er bekam Kopfschmerzen von ihrem Gezeter. Schließlich wollte sie doch etwas von ihm.

„Also was war der Anreiz, der selbst Sie noch stimulieren kann?“ Catherine sah ihn skeptisch an und durchbohrte ihn mit ihren hellblauen Augen.

„Moriarty gab mir für jedes Rätsel eine gewisse Zeitspanne, in der ich das Ergebnis auf meine Website posten sollte. Würde ich das nicht tun…“

„Würden sicherlich Menschen sterben. Wenn er wie Sie ist, hat er einen leichten Drang zur Melodramatik.“

Sherlock war kurz überrascht, doch dann sah er ein, dass wohl ziemlich leicht zu erschließen war.

„Ja, genauso war es.“, seufzte er und nahm den letzten Schluck aus seiner Kaffeetasse. „Moriarty ließ Menschen entführen, denen er dann Sprengstoff umband. Über einen Pager mussten sie seine Botschaften an mich vorlesen. Ein falsches Wort und ein Scharfschütze hätte sie in die Luft gejagt.“

Es klirrte, als Catherine vor Schock den Löffel fallen ließ, den sie all die Zeit gehalten hatte. Es war nicht laut, doch es schien als würde das Geräusch die angespannte Stille explodieren lassen. Ihre Augen waren vor Entsetzen aufgerissen und sie schlug sich die Hände vorm Mund.

„Oh Gott…“, hauchte sie nur und schüttelte den Kopf, bevor sie sich unbehaglich durchs Haar fuhr. Es war nicht schwer zu sehen wie nah es ihr ging, obwohl sie keinen dieser Menschen auch nur entfernt gekannt hatte. „Konnten Sie sie retten?“

Sherlock blinzelte kurz verwundert, bevor er die Stirn noch tiefer in Falten legte.

„Retten ist wohl kaum das richtige Wort…“, sagte er nach einigem Abwiegen. „Denn darum ging es mir nie, aber ich habe die Rätsel gelöst.“

„Dann haben Sie überlebt?“, fragte sie und nun war ihre Abwehr wieder für einen kurzen Moment verschwunden. Ihr Atem stockte und nun sah sie ihn doch ein wenig flehend an.

„Sagen wir…“, setzte Sherlock beinahe ein wenig zögerlich an. „Ich habe alle Rätsel innerhalb des Zeitlimits gelöst…aber eine ältere, blinde Frau begann ihn zu beschreiben und hatte ihn damit in die Schusslinie gebracht.“

„Er hat sie getötet?“, hauchte Catherine und ihre Augen weiteten sich vor Schock, als Sherlock nickte.

„Dabei hatte ich eigentlich gewonnen. Ich hatte das Rätsel gelöst.“ Frustration schwang in seiner Stimme mit und sie sah ihn fassungslos.

„Das ist jetzt nicht Ihr Ernst!“ Catherine schüttelte den Kopf und ihr Mund stand sogar vor Entsetzen leicht offen. Sherlock runzelte die Stirn und neigte den Kopf. „Das Einzige, was Sie stört ist, dass Sie eigentlich gewonnen hatten? Wirklich jetzt? Eine arme, alte Frau ist gestorben!“

Ihre Stimme überschlug sich beinahe vor Fassungslosigkeit, doch dann wurde ihr wieder bewusst mit wem sie hier sprach und ihr Gesicht wurde nur noch finsterer.

„Was würde es ändern, wenn es mich belasten würde?“, antwortete Sherlock schlicht.

„Darum geht es nicht, Sherlock!“, fuhr sie an und raufte sich die Haare. „Es geht darum, dass Sie das überhaupt nicht berührt. Es ist beängstigend wie gelassen Sie das sehen. Unschuldige Menschen sind gestorben, weil Sie mit einem Verrückten ein perverses Spiel gespielt haben. Natürlich hätte es nichts gebracht, aber es geht hier um das Prinzip. Bedeuten Ihnen Menschen gar nichts? Sind sie so widerwertig, so minderwertig, dass Sie noch nicht einmal kurz innehalten, sich fragen was schief gelaufen ist, wenn sie sterben nur damit Sie eine Herausforderung haben?“

Catherine holte tief Luft, nachdem sie ihrer Rage Ausdruck verliehen hatte und schüttelte schließlich nur leicht den Kopf. Sherlock sah sie seltsam an. Wieder lag etwas in seinem Blick, was sie nicht zu deuten wusste. Es passte zu keiner ihr bekannten Emotion, aber vermutlich steckte auch keine dahinter.

„Und wissen Sie, was ich am meisten verabscheue, Sherlock? Was mich am meisten schockiert? Dass Sie es sogar noch als gut, als richtig, empfinden. In Ihren Augen sind wir doch alle nur kleine Würme, die blind durch diese Welt kriechen und wenn einer von uns zerquetscht wird, was macht das schon? Es macht Ihnen nichts aus.“

Sherlock sah sie für einen kurzen Augenblick überrascht an und blinzelte dann verwirrt.

„Bei den meisten nicht, nein. Warum sollte es auch? Sie sind so einfältig, dass sie niemand vermissen wird. Es ist kein Verlust.“ Bei anderen wiederum war dies der Fall. Einige Menschen sollten nicht zerquetscht werden. Einer davon saß vor ihm und verabscheute ihn.

„Natürlich wird sie jemand vermissen! Jeder normale Mensch hat jemanden, dem er etwas bedeutet.“ Jeder, außer sie. Sie hatte diejenigen verloren von denen sie geglaubt hatte, dass sie ihnen wichtig sei.

Gerade als Sherlock zu einer Erwiderung ansetzen wollte, seufzte sie und schüttelte den Kopf.

„Lassen wir das. Diese Diskussion führt sowieso nirgendwo hin und ich möchte einfach nur meine Antworten. Vermerken wir in den Akten: Sherlock ist es scheiß egal und Catherine ist empört. Fall abgeschlossen. Es ist doch eh nicht von Belang. Innerhalb kurzer Zeit werden Sie wieder gehen und mich wieder in meine Isolation zurückzuschicken. Sind Sie eigentlich ein Sadist? Macht es Ihnen Spaß mir einen Brotkrumen hinzuwerfen, nur damit ich wieder Hoffnung bekomme?“

Kurz blinzelte er sie überrascht an, wusste er doch nicht wie er damit umgehen sollte. Er beschloss nichts dazu zu sagen. Die Chance, dass er es nur noch schlimmer machte, war nicht gering. Je schneller er das hinter sich brachte, desto schneller könnte er dieser seltsamen Situation entkommen. Während er hier war, trotz aller Garstigkeit von Catherine, wuchs in ihm der Wunsch, sie aufzuklären. Selbst ihm entging es nicht wie sehr sie litt.

„Die Hinweise führten mich schließlich zurück zu meinem ersten Fall.“

„Ihrem…erstem Fall?“, wiederholte Catherine nun überrascht und blickte ihn fragend an. Sherlock nickte und erzählte ihr von Karl Powers, wie er selbst skeptisch geworden war, weil die Schuhe fehlten und dass er nun Jahre später Botulinumtoxin an den in der Wohnung platzierten Schuhen gefunden hatte.

„Moment…“, unterbrach sie ihn atemlos und blickte ihn an. „Heißt das, dass Moriarty Karl umgebracht hat?“ Ein leichtes Lächeln stahl sich um seine Lippen.

„Sie sind schnell. Ja, genau das bedeutet es.“

„Was für ein Zufall. Ihr erster Fall war wohl auch sein erster Mord.“

„Das war kein Zufall.“, sagte Sherlock nun doch ein wenig verächtlich und runzelte die Stirn. „Die gibt es nicht.“

„Wie Sie meinen.“, seufzte Catherine nur. Sie verspürte nicht den Drang ausgerechnet über dieses Thema eine Diskussion zu beginnen. Sie wusste nur zu gut, wohin das zwangsläufig führen würde und darauf hatte sie schlicht keine Lust. „Also, das war Rätsel Nummer eins. Was waren die restlichen vier?“

Damit erzählte Sherlock ihr von den Rätseln, die Moriarty ihm gegeben hatte. In sachlichen Ton erzählte er von Ian Monkfords Umzug nach Kolumbien, dem Mord an Conny Prince und dem Nachtwächter und dem gefälschten Gemälde. Auch Mycrofts Auftrag, die gestohlenen Raketenabwehrpläne zu finden, wurde dabei erwähnt. Catherine lauschte ihm gespannt, doch bei jeder Geschichte lief ihr ein Schauer über dem Rücken. Es war nicht schwer zu erkennen, dass Moriarty völlig verrückt war. Vermutlich hatte Sherlock wirklich Recht. Sie beide waren sich ähnlich und suchten nichts sehnlicher als Zerstreuung und hatten sie in dem jeweils anderen gefunden. Dass sie dabei ihre Umwelt zum Erbeben brachten, wenn ihre Intellekte aufeinander prallten, interessierte sie dabei nicht.

„Was geschah dann?“, fragte sie. Sie ging gar nicht mehr darauf ein, dass beinah ein kleiner Junge das Opfer dieses irrwitzigen Wettbewerbs zweier Superhirne geworden wäre. Es würde diese sowieso schon angespannte, unangenehme Situation in die Länge ziehen. Catherine wollte zwar unbedingt ihre Antworten, doch mit jedem Augenblick, den sie hier verbrachte, schmerzte es umso mehr. All die Leichtigkeit, all das Spiel war verschwunden. Die einstige Unbeschwertheit, die trotz aller Widrigkeiten zwischen ihnen geherrscht hatte, war einer eisigen Angespanntheit gewichen. Beide verbargen ihre wahre Gefühle und Ambitionen und dadurch tanzten sie bloß umeinander herum.

Sherlock holte tief Luft und rieb sich über die Augenbrauen.

„Ich hatte John zwar gesagt, dass ich die Pläne Mycroft wiedergegeben hätte, doch das habe ich nicht. Ich wollte sie nutzen um Moriarty endlich herauszulocken, da es ihm all die Zeit darum ging.“

Catherine runzelte die Stirn.

„Nein, ihm ging es nicht darum.“, sagte sie schlicht und steckte sich eine Erdbeere in den Mund.

„Wie kommen Sie darauf?“ Sherlock verschmälerte kurz seine Augen und stützte seinen Kopf auf die Hände.

„Ganz einfach…wenn er dreißig Millionen einsetzt für ein gefälschtes Gemälde, nur um Sie tanzen zu sehen…mit all seinen kriminellen Fäden…wär es für ihn ein leichtes an die Pläne zu kommen, wenn er denn gewollt hätte. Warum sollten Sie ihm die also besorgen? Nein, viel zu umständlich. Es ging nur darum zu testen wie gut Sie sind.“, erklärte Catherine schlicht.

Nun war Sherlock wirklich erstaunt. Wie so häufig überraschte diese junge Frau ihn. Sie verstand alles verdammt schnell und war in der Lage Menschen einzuschätzen. Selbst diese verrückten Individuen wie ihn und Moriarty. Catherine war schon etwas Erstaunliches und deshalb musste er sie vor sich selber schützen. Dennoch konnte Sherlock in diesem Moment einen anerkennenden Gesichtsausdruck nicht unterdrücken. Schließlich seufzte er und aß den kleinen Keks, der seinem Kaffee beigelegt war.

„Für unseren Showdown hatte ich das Schwimmbad gewählt in dem Karl Powers gestorben war. Ich empfand es als…angemessen.“ Er blinzelte kurz und sein Blick wurde seltsam leer. Ein Ausdruck, der das Unbehagen in Catherine wachsen ließ. Es bedeutete nichts Gutes. Eigentlich lag ihr eine bissige Erwiderung auf der Zunge, die Sherlock weiterhin auf Abstand halten sollte, doch dieser Blick ließ sie innehalten.

„Und was geschah dann?“

„…“ Sherlock holte tief Luft. „Moriarty hatte John als Geisel genommen.“

Catherine verschluckte sich beinahe an der Erdbeere, die sie gerade gegessen hatte und hustete heftig. Einige ihrer Tischnachbarn drehten sich zu ihr um, als sie beinahe erstickte.

„Was?“, hustete sie, als sie dank Peristaltik die Frucht endlich heruntergeschluckt hatte. Mittlerweile war sie kreidebleich geworden. „Er hat…John Sprengstoff…“

Sie blickte Sherlock fassungslos an und schüttelte nur immer wieder den Kopf. Ihr Herz und Blut rasten, sie war voller Adrenalin, obwohl sie selbst nicht in Gefahr war. Blanker Horror ergriff sie. Doch warum war sie so überrascht? Sie hatte doch gerade gehört wozu Moriarty in der Lage war, was er bereit war zu tun und sie glaubte ihn ganz gut einschätzen zu können und deshalb war dies doch ein unweigerlicher Schritt gewesen. Außerdem hatte sie doch schon längst erkannt wie gefährlich das Leben an der Seite von Sherlock Holmes war.

Da fiel ihr dann auch noch ein wie die Studie in Pink und der blinde Banker endeten und sie seufzte.

„Er hat irgendwie ein Talent dafür.“, stellte sie resigniert fest. „Muss wohl der Preis für Sherlock Holmes Achtung sein…die Gefahr…Na ja, zumindest ist er Soldat, dann weiß er damit umzugehen.“

In diesem Moment zog Catherine nicht die Verbindung. Sie verstand nicht, was dahinter steckte, obwohl sie es indirekt gesagt hatte. Sie sah nicht, dass es genauso auf ihren Fall zutraf, da sie nicht bedachte, dass auch sie mittlerweile einen wichtigen Teil in Sherlocks Leben eingenommen hatte. Auch der Consulting Detective wollte es sich nicht eingestehen und so saßen die beiden voreinander und doch meilenweit voneinander entfernt.

Sherlock betrachtete sie wie sie auf ihren Eisbecher starrte, der mittlerweile komplett geschmolzen war und lustlos in der Suppe rührte. Dass ihr Leben sie nicht mehr ausfüllte, entging ihm nicht, doch er konnte momentan nichts daran ändern.

Das Einzige, was er tun konnte, war ihr die alte Geschichte zu erzählen und das tat er auch. Er berichtete von allem, was im Schwimmbad passiert war. Sherlock ließ nichts aus, denn es beruhigte ein wenig dieses mulmige in seinem Magen, was John als Gewissen bezeichnete.

„Was für ein geisteskranker Mistkerl…“, murmelte Catherine nur, während sie sich mit beiden Händen einmal übers Gesicht fuhr. Mehr konnte sie dazu nicht sagen. Einfach nur ein abartiger, kranker Mensch. Gegen ihn war Sherlock wirklich handzahm und knuddelig. Seit sie Sherlock kannte, war ihr ja einiges begegnet, aber das war wirklich der Gipfel.

„Da waren Sie noch ziemlich nett.“ Damit zog Sherlock seinen Mantel an und band sich den Schal um. Er wollte hier weg, denn mit jedem Augenblick wurde es schwerer, sie zurückzulassen. Er spürte immer wieder wie intelligent sie eigentlich war, wie gut sie Dinge verstand und wie sehr er sich wünschte, dass die Situation wie damals wäre.

„Sie können dieses Spiel nicht gewinnen.“, sagte Catherine plötzlich, als er gerade dabei war aufzustehen. Irritiert blinzelte Sherlock sie an, doch sie hatte die Augen mittlerweile geschlossen.

„Wie bitte?“

„Wenn Moriarty wiederkommt, dann wird es kein großes Spiel mehr sein, sondern Krieg und den werden Sie unweigerlich verlieren, Sherlock.“ In diesem Moment öffnete sie wieder ihre Augen und hellblaue Pupillen durchbohrten ihn. Die Worte trafen den einzigen Consulting Detective hart, sodass er nicht anders konnte, als zu lachen- sie auszulachen. Catherine hingegen blieb unbeeindruckt. Ihre hellblauen Augen betrachteten ihn nur voller Ernst und kurz glaubte Sherlock, dass er Sorge sah, doch sie hatte ihm zu sehr an seiner Ehre getroffen, als dass er sich damit befasste.

„Ich? Verlieren?“ Er lachte wieder auf und sah sie nur mitleidig an. „Oh, Catherine. Wie dumm sind Sie eigentlich?“

Es war so abwegig für Sherlock, dass er noch nicht einmal wütend wurde. Es amüsierte ihn nur einfach. Er sollte einen Intelligenzkampf verlieren?

Er beugte sich hinab und stützte seine Hände auf dem Tisch. Sein Kopf war direkt vor Catherine, die zu ihm aufblickte und keine Mine verzog.

„Sie werden verlieren, Sherlock, und ich kann Ihnen auch genau sagen warum.“, sagte sie nur ungerührt, während sie Sherlocks nun stechenden Blick beinahe mühelos standhielt.

Sie war auch ruhig innerlich. Für sie gab es schließlich keinen Platz mehr in seinem Leben und dennoch, Sherlock war ihr nicht egal und sie wollte ihn warnen, denn eines war ihr während seiner Ausführungen klar geworden. Er schwebte in großer Gefahr. Moriarty würde ihn quälen und zerfleischen, denn er war ein Sadist sondergleichen und Sherlock war sein Lieblingsopfer.

„Da bin ich jetzt aber mal gespannt.“ Sherlock blickte sie von oben herab an und seine Stimme hatte den üblich spöttischen Ton.

„Zu Beginn der Geschichte sagten Sie, dass Moriarty so sei wie Sie.“, begann Catherine ruhig, während sie Sherlock weiterhin in die Augen sah. „Aber dem ist nicht so. Sie sind nicht wie er. Sie wünschen sich das nur.“

Sherlock hob eine Augenbraue hoch und betrachtete sie mit abschätzendem Blick.

„Was wissen Sie schon über mich, Catherine?“ Seine Stimme wurde eisig und Catherine konnte seinen Atem auf ihrem Gesicht spüren. Unheilvoll blickten seine Augen sie an und verrieten, dass sie jetzt besser nicht weiter sprechen wollte, doch ihr Wille war stärker.

„Mehr, als Ihnen lieb ist, Sherlock.“, sagte sie gelassen und nahm einem Strohhalm um ihre Eissuppe zu schlürfen. Sherlock schnaubte.

„Bitte…als ob…“

„In den fünf Monaten, die ich Sie nun erleben durfte, Sherlock, ist mir eines umso bewusster geworden. Sie sind nicht so soziopathisch wie Sie es gerne hätten. Sie sind sogar näher am Menschen, als Sie glauben und genau das wird dafür sorgen, dass Sie verlieren werden.“

„Warum sagen Sie mir das?“

„Weil ich nichts mehr zu verlieren habe. Etwas Schlimmeres als Ignoranz kann es nicht geben, Sherlock. Also kann ich Sie auch mit dem konfrontieren, wovor Sie sich fürchten.“

„Ich fürchte mich vor nichts.“, zischte er boshaft und sein ganzes Gesicht war voller ehrlichem, wahrem Zorn.

„Reden Sie sich das ruhig weiter ein, Sherlock.“ Sie blinzelte ihn ungerührt an und ihre Stimme war voller Reife. „Vielleicht ist Angst auch das falsche Wort, aber es beunruhigt Sie.“

Er musste ehrlich zugeben, dass sie ihn überraschte. Catherine schaffte es wirklich ihn zu überraschen. Ausgerechnet ihn. Denn sie hatte Recht. Sie hatte verdammt nochmal Recht, aber genau das ließ ihn wütend werden.

„Wie können Sie es nur wagen…“

„Warum vertrauen Ihnen die Menschen eigentlich?“

„Was?“ Sherlock blinzelte irritiert und nun wich seine Wut der Verwirrung. Catherines Schachzug war aufgegangen.

„Sie scheren sich nie um Ihre Mitmenschen- außer vielleicht mal um John und Mrs. Hudson, wenn es nicht zu große Umstände macht-, dennoch vertrauen Ihnen die Menschen, denen Sie erlauben etwas näher zu kommen. Warum?“

„Sie vertrauen mir nicht, obwohl ich Ihr Leben selbst jetzt noch kontrolliere.“, sagte er nun nüchtern und er zog die Augenbrauen hinab.

„Doch, ich vertraue Ihnen.“ Ausdrucksstarke, hellblaue Augen sahen ihn an, während sie die Tatsache aussprach, die so lange ignoriert hatte. „Trotz allem, was Sie mir mit dieser Sache angetan haben, sind Sie mir nicht egal. Um ehrlich zu sein, jetzt, wo ich die Geschichte kenne, bin ich besorgt um Sie.“

„Besorgt?“, wiederholte Sherlock halb verwirrt, halb spöttisch, während er eine Augenbraue hochzog. „So etwas irrationales.“

„Mag sein, vielleicht auch nicht.“ Catherine zuckte mit den Schultern. „Aber ich sehe, dass es Ihnen nicht gut geht, Sherlock. Vermutlich haben auch Sie längst bemerkt, worauf all das hinauslaufen wird, wenn Moriarty zurückkehren wird. Er hat es Ihnen ja gesagt. Er wird Sie verbrennen, alles zerstören, was Sie sind. Ihren Ruf, Ihren Job und am Ende wird er Sie umbringen, nachdem er mit Ihnen gespielt hat. Genau das ist es auch, was Sie besorgt. Sie wissen genauso gut wie ich, dass es längst nicht mehr nur um Sie geht. In diesem Kampf werden unweigerlich auch andere Menschen involviert werden und das stimmt Sie unruhig. Sie wissen nicht, ob Sie in der Lage sind, sie zu beschützen. Sie haben Angst davor, was Moriarty sich einfallen lassen könnte um die einzigen Menschen, die Ihnen wichtig sind, gegen Sie zu verwenden und genau das wird Ihr Untergang sein, Sherlock.“

Mit jedem Wort, das sie sprach, überraschte Catherine immer mehr. Nie hätte er ihr solche analytischen Fähigkeiten zuerkannt.

„Sie werden den Kampf verlieren, weil Moriarty etwas hat, was Sie nicht haben.“

„Und was soll das sein?“

„Im Gegensatz zu Ihnen, hat Moriarty kein Gewissen. Er ist bereit alles zu tun, alles zu geben, nur um Sie zu zerstören. Er wird kein Limit kennen.“, antwortete sie und betrachtete Sherlock ungerührt.

„Das bin ich auch.“, erwiderte Sherlock heftig und haute auf dem Tisch. Das Geschirr klirrte unter der Erschütterung.

„Nein, sind Sie nicht. Bevor Sie John getroffen haben, wären Sie es sicher gewesen, aber nun haben Sie Grenzen, Sherlock. Sie würden nichts tun, was John oder Mrs. Hudson in Gefahr bringt.“ Und wieder begriff Catherine nicht, was hinter alldem zu Grunde lag. Sie durchblickte nicht, dass Sherlock genau das gerade mit ihr tat.

„Ich bin nicht mehr von Bedeutung für Sie, Sherlock, deshalb kann ich es wagen, Ihnen das zu sagen. Ich möchte einfach nur, dass Sie sich dieser Sache bewusst sind und eventuell Vorkehrungen treffen.“ Mit diesen Worten stand Catherine auf und zog sich ihre Jacke an.

„Und nun entschuldigen Sie mich, ich muss zur Arbeit.“ Nachdem sie das Geld für ihren Eisbecher auf den Tisch gelegt hatte, ging sie davon. Sie spürte die Blicke einiger neugieriger Gäste auf sich, doch es interessierte sie nicht. Sie hatte ihr Anliegen erfüllt und wollte nun selbst den Schlussstrich ziehen, bevor Sherlock sie wieder verstieß. Dieses Mal wollte sie selbst das Ende bestimmen.

„Catherine…“ Dieses Mal war es Sherlock, der ihr einen Strich durch die Rechnung machte. Es lag ein seltsamer Ton in seiner Stimme, sodass sie schon nach wenigen Schritten innehielt. Sie drehte ihren Kopf zu ihm um und der Anblick überraschte sie. Sherlock wirkte plötzlich müde, geschafft, sogar irgendwie überfordert. Er sah sie nicht direkt an, sondern hatte den Blick mit einem beinah schon traurigen Ausdruck gesenkt und starrte auf dem Boden. Er wirkte zerbrechlich, besorgt und in diesem Moment wurde Catherine bewusst, dass das große Unheil bereits anstand. Ein Schauer lief ihr den Rücken hinab, als sie Sherlock so ansah. Sie hatte ihn noch nie so gesehen und es beängstigte sie. Wenn selbst er verängstigt war, hieß es, dass die Apokalypse bevorstand.

„Ja…?“

„Kann ich Sie um einen Gefallen bitten?“ Diese Frage warf sie total aus der Bahn und sie verlor ihre Maskerade.

„Was?“ Sherlock blickte wieder auf und der nachdenkliche, beinah gebrochene Blick ließ ihren Atem stocken.

„Falls mir etwas zustoßen sollte, würden Sie sich dann bitte um John und Mrs. Hudson kümmern? Aus einem unerfindlichen Grund könnten Sie um meiner Willen besorgt sein und werden jemanden brauchen, der sachlich an die Sache heran geht. Sie sind die Einzige, der ich das zutraue. Schließlich werden Sie mich ja nicht vermissen.“

Geschockt sah Catherine ihn an.

„Aber…“

„Bitte!“ Sie weitete die Augen noch mehr, als sie Sherlock zum ersten Mal ernsthaft bitte sagen hörte. Ihr Herz raste, doch als seine blauen Augen sie beinahe flehend ansahen, nickte sie.

„Versprochen, Sherlock. Ich werde mich um sie kümmern.“, versprach sie ihm und er nickte, atmete kurz erleichtert aus. Dann stand er auf.

//Wie kommen Sie nur auf die Idee, dass ich nicht um Sie trauern würde, Sherlock?//, dachte sie nur, während Sherlock die Eisdiele verließ. Auch wenn er es nicht gesagt hatte, war ihr klar, dass er das gemeint hatte.
 

Sherlock verließ nachdenklich die Eisdiele. Vielleicht hatte sie Recht und er musste allmählich mit einkalkulieren, dass Moriarty wollte, dass er Selbstmord beging. Es war eine Variabel, die er bisher nicht eingeplant hatte. Innerlich wurmte es ihn, dass ihn erst Catherine darauf hinweisen musste, doch sie hatte einen gutes Argument angebracht, über das er nun erst mal weiter nachdenken musste.

Er steckte die Hände in die Taschen und lief über den lebhaften Marktplatz im Zentrum Londons. Bald würde der Krieg beginnen und zum ersten Mal in seinem Leben war Sherlock sich nicht sicher, ob er dafür gewappnet war.

Loyalität

Zwei Monate später war Catherine auf dem Heimweg von einem anstrengenden Tag in ihrem Labor. Ihre Bachelorarbeit war mittlerweile in den letzten Zügen. Nachdem sie ihr achtwöchiges Projektpraktikum unter Professor Niels Leitung absolviert hatte, hatte sie direkt mit ihrer Arbeit beginnen dürfen und nächsten Monat lief ihre Abgabefrist ab.

Da Sherlock und John sie auch noch weiterhin komplett ignorierten, egal wo sie sich zufällig über den Weg liefen, verbrachte sie quasi ihre gesamte Zeit im Labor um zu Schreiben oder Daten auszuwerten. Sie wusste ohnehin nichts anderes mehr mit ihrer Zeit anzufangen und ging nur nach Hause um zu Duschen und sich etwas anderes anzuziehen.

Natürlich wusste sie mittlerweile, dass Moriarty wieder da war. Sie war nicht blind. An dem Tag, an dem sie Sherlock im Eiscafé getroffen hatte, war auf wundersame Art und Weise ihr Wlan wieder verfügbar gewesen und auch ihr Satellitenempfang. Mochte Sherlock doch denken von ihr, was er wollte, Catherine war nicht so dumm, als dass ihr entging, dass er dahinter gesteckt hatte. Clever von ihm. Sie las keine Zeitung und da sie auch nie mit ihren Mitarbeitern sprach, hatte er sie so von sämtlichen medialen Informationsquellen abgeschnitten. Bis zu jenem Tag hatte sie wirklich nichts von Moriartys Einbrüchen in den Tower, Pentonville Gefängnis oder der Bank of London mitbekommen. Ahnungslos und taub war sie durch London gestreift und hatte nichts von dem riesen Wirbel mitbekommen, der geherrscht hatte.

Allmählich begann sie auch begreifen, warum Sherlock sie verstoßen hatte. Sie war ihm nur ein Klotz am Bein, eine Last, eine Bürde, die er zuvor noch hatte ertragen können, doch nun würde sie ihn behindern und deshalb hatte er sie verstoßen. Im Kampf gegen Moriartys war sie zu nichts nütze. Sherlock hatte sie aus dem Grund verstoßen, den er ihr damals genannt hatte, er brauchte sie nicht mehr, sie war lästig. Sie war schlicht und ergreifend ein Störfaktor.

Ein Ruck ging durch den Wagon, als die U-Bahn an der Haltestelle Bakerstreet stehen blieb und einige der Reisenden stiegen aus. Auch Catherine war von ihnen und sie ging die Treppe hinauf. Ihre Umhängetasche schlug immer wieder unangenehm gegen ihren Oberschenkel. Eine kleine, feine Narbe zog sich dort über die Haut, wo sie einst die Kugel abgefangen hatte, doch diese würde verblassen nach einiger Zeit.

Es war bereits dämmrig geworden und Catherines Magen knurrte, doch ihr war momentan nicht nach Essen zumute. Generell verspürte sie in letzter Zeit für gar nichts so richtig Motivation. Alles erschien ihr fad, langweilig, unnütz.

Sie ging die Straße entlang an diesem späten Abend. Die Sonne war bereits untergegangen und die Bakerstreet lag im schwummrigen der Straßenlaternen vor. Einige Menschen liefen in ihre Mäntel gehüllt durch die Straße, doch an sich war es ruhig. Catherine zog ihren Kragen hoch und schlang die Jacke enger um sich. Obwohl es mittlerweile Mitte Juni war, waren die Abende ungewöhnlich mild und frisch.

Nur noch wenige Schritte trennten sie von ihrer Wohnung, als sie plötzlich ein seltsames Geräusch hörte. Catherine hielt inne, als sie dumpfes Flüstern und ein Klackern hörte. Irritiert runzelte sie die Stirn und überquerte kurz die Straße. Es kam von der Seitengasse neben 221b, wo die Mülltonnen standen. Catherine hatte ein seltsames Gefühl dabei und wollte mal nachsehen. Je näher sie kamen, desto besser vernahm sie jugendliche Stimmen, die gedämpft mit einander flüsterten. Auch konnte sie im Schatten drei Gestalten ausmachen, die sich ihre Kapuzen tief ins Gesicht gezogen hatten.

„Hey…was macht ihr da?“, rief sie ihnen zu und lief auf die Jungen zu. Sie drehten sich um. Drei waren es an der Zahl und offensichtlich Teenager, um die 15, die einen auf dicke Hose machen wollten.

Die Gruppe drehte sich überrascht zu ihr um. Sie hatten wohl nicht damit gerechnet, dass Jemand sich um sie scheren würde. London war ja bekannt dafür, sich nur für seine eigenen Belange interessieren- obwohl das wohl für so ziemlich jede Großstadt zutraf. Man kannte sich nicht mehr und man scherte sich auch nicht mehr um das, was um einen rum geschah oder einen nicht direkt betraf.

„Verdammt, wir sind aufgeflogen!“, fluchte wohl der Größte von ihnen- Catherine konnte es nicht so genau sagen. „Rückzug, Leute!“

Die Gruppe wirbelte herum und wollte in die andere Richtung fliehen. Catherine rollte mit den Augen. Dummköpfe. Das war schließlich eine Sackgasse. Sie seufzte und trat in die Seitengasse um sich diesen dämlichen Jungenstreich anzusehen, den die Jungs an der Hauswand von 221b vollführen wollten. Hätte sie zu diesem Zeitpunkt geahnt, was passieren würde, hätte sie es sich vielleicht anders überlegt. Obwohl, nein. Selbst dann hätte sie sich eingemischt, denn was die Jungen versucht hatten, war wirklich an Feigheit und Dummheit nicht zu überbieten.
 

~*~
 

Eine halbe Stunde später trat John mit geschocktem Gesichtsausdruck in die Küche seiner Wohnung und stellte die Einkaufstaschen etwas ruppig ab. Sherlock lag in seiner üblichen Haltung auf der Couch und hatte die Augen geschlossen. Vermutlich überlegte er, was Moriarty planen könnte, schließlich hatte sich dieser seit zwei Monaten nicht mehr gerührt. Vielleicht versuchte er sie ja in Sicherheit zu wiegen? John schüttelte kurz den Kopf und verstaute lieblos die verderblichen Nahrungsmittel im Kühlschrank, denn seine Gedanken kreisten um etwas, was er soeben auf der Straße beobachtet hatte und er wollte darüber sprechen.

Er ging ins Wohnzimmer zu seinem besten Freund und ließ sich in einen der Sessel fallen, legte eine Ausgabe der Sun neben sich auf den Tisch und räusperte sich laut, doch Sherlock nahm keine Notiz von ihm.

„Wie lange soll dieser Wahnsinn eigentlich noch weitergehen?“, fragte er schließlich in die Stille hinein. Sherlock blinzelte und sah ihn aus weit entfernten Augen an.

„Was?“

„Wie lange soll dieses dämliche Spiel weitergehen? Wie lange müssen wir diese Spannung noch aushalten, Sherlock?“

„Keine Ahnung…“, erwiderte Sherlock schlicht und war dabei sich umzudrehen, als er innehielt. Er drehte sich wieder zu John zurück und setzte sich diesmal aufrecht hin. Seine Augen betrachteten ihn kurz nachdenklich, dann runzelte er die Stirn.

„Was ist auf der Straße vorgefallen?“ Wieder kam dieser suchende Blick und er neigte den Kopf. „Sie haben doch nicht mit Catherine gesprochen, oder? Wir waren uns doch schließlich einig, dass…“

„Nein, habe ich nicht.“, fuhr John augenrollend dazwischen, als Sherlock wieder anfangen wollte sämtliche Argumente aufzuzählen. Sherlock runzelte seine Stirn noch mehr und blickte John fragend an.

„Was ist dann passiert?“, fragte Sherlock. John zögerte kurz, bis sich auf die Lippen und schloss die Augen.

„Catherine ist verprügelt worden.“, flüsterte er leise. Er hatte da gestanden und gesehen wie sie dafür verprügelt worden war, weil sie selbst jetzt noch an Sherlock glaubte und für ihn einstand. Er hatte gewusst, dass er sich nicht einmischen könnte, denn sonst würde er sie in Moriartys Schusslinie bringen, aber es war so schwer gewesen mit anzusehen wie die Jungen auf sie eingetreten hatten und sie sich noch nicht einmal gewährt hatten.

Überraschenderweise weitete selbst Sherlock für einen kurzen Augenblick seine Augen, doch es verschwand schnell und er tat bewusst desinteressiert.

„Und warum sollte mich das dann interessieren?“

„Sie wissen ja das Beste noch gar nicht.“, erwiderte John in etwas grimmigen Ton und imitierte dabei den Taxifahrer. Sherlock zog beide Augenbrauen hoch und sah ihn fragend an. Ihm war natürlich entgangen worauf er sich mit diesem Satz bezogen hatte.

„Catherine ist wegen Ihnen verprügelt worden.“, sagte er nüchtern und seine Miene zeigte Besorgnis und Missmut zu gleich. Der ganze Krieg, die Ungewissheit und das Warten zerrten an Johns Nerven und er hatte das Gefühl kurz vor einem Zusammenbruch zu stehen. Er wusste wozu Moriarty fähig war, schließlich hatte er es selbst miterlebt, am eigenen Leib erfahren, und wenn Moriarty sich Zeit ließ, dann stand etwas Schreckliches an und die ersten Auswirkungen mochten sie vielleicht schon erreicht haben.

Sherlock sah ihn nun ernsthaft überrascht und verwirrt an. Eine Augenbraue war hochgehoben und er hatte diesen typischen: ‚Und?‘ Blick. Er zuckte sogar leicht mit den Achseln.

„Warum sollte sie wegen mir verprügelt worden sein?“ John seufzte und rieb sich über die Augenbrauen.

„Ja, warum wohl…ich frage mich wirklich warum? Sie haben es also noch nicht mitbekommen?“

„Was habe ich nicht mitbekommen?“ Sherlock sah ihn genervt an. Er mochte es nicht, wenn man nicht mit der Sprache rausrückte. John rollte kurz mit den Augen, griff nach der Sun Ausgabe und rollte sie ein wenig, sodass er in der Lage war sie zu werfen. Sherlock fing sie auf und entrollte sie mit gerunzelter Stirn.

„Großer Exklusivbericht: Die Wahrheit über Sherlock Holmes…der von ihn bezahlte Schauspieler Richard Brooke packt aus.“, zitierte John die Schlagzeile und warf ihm einem seltsamen Blick zu.

„Wie war der Name?“, fragte Sherlock, der plötzlich selbst einen seltsamen Blick bekam.

„Richard Brooke.“, wiederholte er und sah Sherlock fragend an. Dieser Ausdruck in den graublauen sagte deutlich, dass Sherlock etwas entdeckt hatte, etwas wichtiges, doch wie so oft hatte er keine Ahnung, warum der Name wichtig war.

„Sagt der Name Ihnen etwas?“

„Nein…“, flüsterte er leise und schloss die Augen. „Nein, nicht wirklich.“

„Aha…“, sagte John nur leise, der wusste, dass er keine Antwort erhalten würde, selbst wenn er fragte. Dann öffnete Sherlock doch die Augen und begann kurz den Bericht zu lesen, der über ihn bald veröffentlich werden sollte. Natürlich entging das seinem überlegenen Verstand nicht, was John eigentlich damit hatte sagen wollen.

„Und was soll das mit Catherine zu tun haben?“

„Sie verstehen es nicht? Wirklich nicht? Der großartige Sherlock Holmes sieht die Verbindung nicht.“, sagte John spöttisch und erntete ein frustriertes Schnauben.

„John! Reizen Sie mich nicht. Nicht heute.“ Er seufzte.

„Sie kennen Catherine.“

„Ein bisschen.“, erwiderte Sherlock in seinem typischen Ton und wog den Kopf hin und her.

„Ist sie der Typ, der sich prügelt oder der verprügelt wird?“, sagte John ruhig und sah Sherlock an. Etwas lag in seinem Blick, dass Sherlock nicht beurteilen konnte. Etwas wütendes, brüskiertes, doch seine Stimme war vollkommen ruhig geblieben. Dieser zögerte kurz, dachte darüber nach, dann schüttelte er den Kopf.

„Wohl kaum…und? Worauf wollen Sie hinaus? Was soll das mit mir zu tun haben?“ Er verstand es wirklich nicht. Sherlock Holmes verstand wirklich nicht, wie all das zusammenhing.

„Sie haben den Artikel gelesen.“

„Ja, hab ich. Unwichtig.“

„Nicht unwichtig.“, fuhr John genervt dazwischen. „Alles hängt zusammen.“

„Sie genießen das.“, sagte Sherlock gereizt.

„Ein bisschen.“

„Worauf wollen Sie hinaus, John? Wie hängen die Tatsache, dass Catherine verprügelt wurde und der Zeitungsartikel zusammen?“, fragte der Dunkelhaarige und sah seinen Mitbewohner nachdenklich an.

„Als ich vom Einkaufen zurückkam, hörte ich ein aufgebrachtes Gespräch von der Seitenstraße.“, begann John ruhig und er beobachtete Sherlock genau. Er war angespannt. Seine Hände waren stark verschränkt und seine Lippen zusammengepresst. Ihm war es nicht egal, es hatte ihn getroffen. Das war nicht zu übersehen. Vermutlich hatte er längst selbst erkannt, was der Zusammenhang war, doch er versuchte durch Desinteresse die Sorge zu überspielen.

„Und? Kommen Sie endlich zur Sache.“

„Ich wollte nachsehen, ob alles in Ordnung war und ich sah wie Catherine von drei Teenagern bedrängt wurde. Sie hatten sie gegen die Wand gedrückt. Ich änderte meine Position um einen besseren Überblick zu bekommen, weil natürlich ich mich nicht einmischen konnte. Sonst würd ich ja wieder eine Verbindung zwischen uns ziehen. Ich hörte wie die Jungen sie anschrien, beschimpften und provozierten, doch sie blieb zu ruhig, was die Wut steigerte. Sie wollten Sherlock Holmes ist ein Lügner auf unsere Häuserwand sprühen und Catherine hat sie aufgehalten und Sie verteidigt, Sherlock.“

Sherlock sah ihn überrascht, aus großen Augen an. Damit hatte er nicht gerechnet, noch nicht einmal im Entferntesten. Sogar sein Mund stand leicht offen. Ungläubig sah er John an, der seinen Blick ernst erwiderte.

„Was hat sie?“

„Sie verteidigt. Die Jungs haben den Schwachsinn geglaubt, der in der Zeitung stand.“ John schüttelte den Kopf. „Und Catherine hatte alles versucht um Sie zu verteidigen. Egal was ihr entgegengeworfen wurde, egal wie sehr sie beleidigten, Catherine hielt zu Ihnen und argumentierte sachlich…ok, manchmal mit ihrem typisch sarkastischen Unterton. Als dann der Anführer meinte, dass Niemand zu Ihren Deduktionen in der Lage wäre, meinte sie nur schlicht: Sherlock kann. Erst da verstanden sie, dass Catherine uns kennt und warfen ihr vor, mit einem Lügner unter einer Decke zu stecken, doch sie ließ sich nicht abbringen und sie deduzierte die Jungen um zu zeigen, dass es möglich ist. Natürlich nicht so gut wie Sie, eher Kleinigkeiten, aber es reichte wohl, denn statt ein weiteres Argument anzubringen, wurde der Anführer wütend und schlug sie so fest ins Gesicht, dass sie Blut spuckte. Nachdem Catherine dann noch immer nicht bereit alles zurückzunehmen und Sie weiterhin verteidigte, wissen Sie, was dann geschah? Sie haben sie zu Boden gestoßen, auf sie eingetreten und sie bespuckt. Bespuckt, Sherlock!“

Johns Tonfall war fassungslos und er schüttelte erneut den Kopf. Es war ihm anzusehen wie gerne er Catherine zu Hilfe geeilt wäre, doch er hatte es nicht gekonnt. Hätte er gezeigt, dass Catherine doch noch eine Rolle in ihrem Leben spielte, hätte er Moriartys Aufmerksamkeit wecken können und das war das Letzte, was die junge Frau gebrauchen konnte. Das Einzige, was er hatte tun können, war das Geschehen zu beobachten und, wenn nötig, einen Krankenwagen anonym zu rufen. Zum Glück hatte sich Catherine zwei Minuten nachdem die Jungen verschwunden waren, wieder aufgerappelt und war stöhnend in ihrer Wohnung verschwunden. Allzu schlimm hatte sie also nicht verletzt sein können. Dennoch hatte es vollkommen seinem hippokratischen Eid und dem Arzt in sich widersprochen sie liegen zu lassen, aber er hätte es nur noch schlimmer gemacht, wenn er ihm nachgegeben hätte.

„Ich…“ Sherlock wusste nicht was er sagen sollte. Er hätte nie gedacht, dass Catherine so etwas für ihn tun würde, vor allem nicht nachdem was er ihr angetan hatte. Er sah hilflos zu John, der ihn nur mit steinerner Miene beobachtete.

„Ich frage also nochmal, Sherlock. Wie lange soll das noch weiter gehen? Wie lange müssen selbst die darunter leiden, die Sie eigentlich verbannt haben? Selbst jetzt muss sie noch leiden.“, sagte John ruhig nach einigen Minuten, wo nur Stille wie eine Decke über dem Wohnzimmer geherrscht hatte. Sherlock blieb verwirrt und die Gedanken rasten durch seinen Kopf und er versuchte all das, was er erkannt hatte zu verarbeiten, als er bemerkte wie John in die Küche gehen wollte.

„John…“, rief er ihn leise zurück und überlegte kurz, ob er die Frage wirklich stellen sollte, auf die er einfach keine Antwort fand. „Warum tut sie das?“

Sein Freund blieb stehen und sah ihn an.

„Warum tut sie das, obwohl ich ihr allen Grund geliefert habe, um mich zu hassen? Warum verteidigt sie mich trotz allem?“ Hilflos blickte er zu ihm auf und seine Augen funkelten kurz verzweifelt. Genau das hatte er gewollt. Catherine sollte ihn hassen, für immer vergessen, denn so würde sie nicht mehr leiden.

John seufzte und kam zurück, ließ sich in den Sessel fallen. Ruhig, schon fast mitfühlend, sah er den überforderten Consulting Detective an.

„Weil das ist nicht so einfach ist…Hass und Liebe…sind die stärksten Emotionen, die ein Mensch empfinden kann. Diese kann man nicht einfach hervorrufen oder durch Manipulation erreichen, Sherlock. Menschen benutzten das Wort Hass sehr schnell, viel zu schnell. Hass empfindet man erst, wenn man jeglicher Menschlichkeit, Würde oder Ähnlichem beraubt wird. Erst dann, empfindet man vielleicht dieses Gefühl. Da der Mensch aber eigentlich sozial veranlagt ist und der Hass sehr destruktiv ist, ist er eher kontraproduktiv und wird meist gemieden.“

„Aber…“ Sherlock blinzelte und seufzte leise. „Genau das hab ich doch getan. Ich habe ihr alles unterstellt, was für mich schrecklich ist. Dass sie unwürdig ist, dass sie dumm, nervig und langweilig sei. Ich habe sie bedroht, verstoßen und angegriffen und dennoch…“

Er brach ab. Und dennoch kämpfte sie für ihn. So etwas hatte Sherlock noch nie erlebt. Niemals war er in solch einer Situation gewesen und erst recht nicht, hatte Jemand trotz all seiner bewussten Abweisung darüber hinweg gesehen. Niemand war jemals bereit gewesen für ihn zu kämpfen, niemand hätte sich früher darum geschert, was andere von ihm dachten. Schließlich hatte er es selbst auch nie. Warum also tat es ausgerechnet Catherine es? Nachdem er sie so sehr verletzt hatte?

Sherlock hatte John nichts von seinem Gespräch mit Catherine erzählt, dass sie vor zwei Monaten geführt hatten. Einerseits, weil er ihm nicht hatte eingestehen wollen, dass er sein eigene Logik nicht hatte durchziehen können, andererseits, weil er ihn nicht weiter beunruhigen wollte. Ja, er war ein Risiko damit eingegangen, dessen war er sich bewusst gewesen. Wieder einmal hatten in Bezug auf Catherine seine Gefühle über die Rationalität gesiegt und das machte ihn nervös, unruhig und auch im gewissen Maß wütend. Andererseits gingen ihm ihre Worte im Eiscafé nicht aus dem Kopf. Er hatte sie wirklich um ein Versprechen gebeten…er hatte noch nie jemanden ein Versprechen abgenommen. Was ging hier nur vor?

„Catherine ist ein sehr loyaler Mensch…“, erklärte John ruhig um Sherlock Verwirrung zu zerstreuen und machte dabei eine unbestimmte Bewegung mit der Hand. „…und egal was sie sagt, sie mag Sie, Sherlock.“

Der Dunkelhaarige sah ihn aus weit aufgerissenen Augen an, versuchte sich zu kontrollieren und die ruhige Maske wieder aufzusetzen, doch Johns Statement schien so lächerlich, absurd, ungläubig, dass er gar nicht wusste wie er reagieren sollte. Er fühlte sich wie vor dem Kopf geschlagen.

„Unsinn…“, sagte er schließlich, als er seine Stimme wieder gefunden hatte. „Catherine mag mich nicht…“

„Doch, tut sie.“, unterbrach sein Mitbewohner ihn und seufzte. „Und Sie mögen sie auch, sonst würden Sie nicht all das hier auf sich nehmen, aber Sie beide sind zu stur um das einzugestehen. Ich beobachte das schon eine ganze Weile.“

Sherlock sah ihn nur sprachlos an.

„Das erklärt aber noch nicht…“

„Doch, tut es. Wenn man Jemanden mag, dann verteidigt man diesen gegenüber übler Nachrede, besonders, wenn diese falsch ist. Man steht für seine Freunde ein und kämpft für sie. Als Catherine hierher herüber kam um mich zu fragen, warum Sie sie verbannt haben, da sagte sie mir wie sehr sie alles vermisst. Wie sehr sie uns vermisst, Sherlock. Sie ist völlig fertig und wenn ich nicht wüsste, dass Sie einen verdammt guten Grund dafür haben, würde ich wütend sein.“

John stand auf und sagte, während er nun wirklich in die Küche ging:

„Deshalb betone ich noch einmal, bitte überlegen Sie sich genau wie weit Sie dieses Spiel spielen wollen, Sherlock. Es hängt längst nicht mehr nur Ihr Glück davon ab. Einige Menschen leiden bereits jetzt schon darunter, obwohl es noch nicht einmal angefangen hat. Ist das die Zerstreuung wert?“
 

~*~
 

Catherine ließ sich stöhnend und ächzend aufs Bett fallen.

„So ein verdammter Mist!“, fluchte sie, als ein gleißender Schmerz ihre Seite durchfuhr. Sie krümmte sich und rollte sich in Embryohaltung zusammen. Ihre gesamte Seite brannte von den Tritten, die ihr die Jungs zugefügt hatten, doch es war nichts gebrochen oder geprellt, höchstens verstaucht. Andernfalls wär sie nicht in der Lage gewesen, sich zurück in ihre Wohnung zu schleppen. Direkt hatte sie sich einen Kühlakku aus dem Gefrierfach geholt, in ein Handtuch gewickelt und gegen ihre am stärksten pochenden Rippen gepresst und schloss nun die Augen.

So etwas Dummes war ihr nun wirklich noch nie unter die Augen gekommen. Argumentieren hatten die Jugendlichen wirklich noch nie gelernt. Sie zischte, als sie sich kurz leicht bewegte, um ihr Kopf auf das Kissen zu legen. Auch ihre Wange pochte immer noch schmerzhaft und eine Spur von Blut war mittlerweile dort getrocknet. Vermutlich hatte sie auch ein blaues Auge, so genau konnte sie das vor lauter Schmerzen nicht mehr ausmachen.

„Verdammtes, dummes Pack.“, fluchte sie erneut. Was hatten die denn gedacht? Dass sie mit Prügel eine Meinungsverschiedenheit lösen könnten? Es zeigte doch nur wie armselig sie waren. Es war so leicht gewesen zu erkennen, dass der Anführer von ihnen nie Zuwendung und Aufmerksamkeit in der Kindheit erfahren hatten, dass er mit sämtlichen Problemen allein gelassen worden war und vermutlich früher gehänselt worden war. Weshalb sonst sollte er so krampfhaft nach Aufmerksamkeit suchen und sich wichtigmachen? Auch seine Wortwahl, Artikulation hatte deutlich gezeigt aus welch schwierigen Verhältnissen er gekommen war. Dafür brauchte man wirklich nicht Sherlock sein, doch offensichtlich hatte sie einen wunden Punkt getroffen und hatte nun dafür die Quittung bekommen.

Warum hatte sie sich überhaupt eingemischt? Warum hatte sie wie ein Löwe Sherlock verteidigt? Sie hätte einfach weitergehen können. Zunächst hatte sie sich ja nur gewundert, was das für ein seltsames Geräusch gewesen war, als sie es dann erkannt hatte, hätte sie einfach unverrichteter Dinge in ihre Wohnung gehen können. War ja schließlich längst nicht mehr ihre Angelegenheit. Allerdings war das in diesem Moment keine Option für sie gewesen. Das hatte noch nicht einmal zur Debatte gestanden. Als sie im Dämmerlicht erkannt hatte, was die Jungen an die Häuserwand hatte schreiben wollen, da hatte sie sofort rot gesehen und sie war ohne weiter darüber nachzudenken dazwischen gegangen.

Selbst als sie sie bedroht hatten, hatte sie keinen Moment gezögert und war nicht von ihrer Meinung abgewichen. Teils aus reiner Bockigkeit, andererseits aus ehrlicher Missachtung gegenüber diesen dummen Lügen. Da lasen sie so etwas in der Sun und glaubten es ohne es auch nur im Ansatz zu hinterfragen. Grad die Sun! Catherine schnaubte. Ungebildeter Haufen. Mit dem größten Klatschblatt in England brachte eine reißerische Story, das musste einfach wahr sein. Nein, sie denken natürlich nicht an ihre Zahlen, nein, sie betrieben ehrlich Journalismus, der sich nur auf Fakten berief. Wie dumm konnte man eigentlich sein? Warum checkte denn keiner, dass die ganze Alles nur erfunden Argumentation total unschlüssig war. Wenn Sherlock wirklich all das vorgetäuscht hätte, wirklich nur hätte, und dann noch Beweise bewusst so auslegt hätte, dass seine Schlussfolgerungen schlüssig schienen, dann musste er doch intelligent sein und genug Wissen haben. Warum sollte er dann also nicht in der Lage sein, sie einfach schlicht zu lösen? Das war doch haarsträubend.

Catherine schüttelte den Kopf bei diesem Gedanken. Natürlich war es bequemer zu glauben, dass Sherlock ein Lügner war. Man fühlte sich nicht unzulänglich und genau deshalb würden so viele die Pille schlucken, gerade die Öffentlichkeit, die Sherlock nicht kannte. Genau deshalb brauchte er nun Menschen, die umso stärker, lauter für ihn kämpften und trotz allem, hatte Catherine, ohne darüber nachzudenken, beschlossen einer dieser Wächter zu sein.

Wann war es nur soweit gekommen? Wann hatte sie beschlossen ihm gegenüber loyal zu sein, egal was da kommen möge? Catherine wusste es nicht. Sherlock hatte sie verstoßen, sie verletzt und behandelt wie ein wertloser Haufen Dreck und nun verbannt, weil sie bloß ein Klotz am Bein war. Als sie das während der letzten zwei Monate erkannt hatte, war sie umso verletzter gewesen. Das war das Letzte was sie jemals hatte sein wollen. Catherine hatte niemals jemanden Umstände machen wollen und doch hatte sie es trotz aller Bemühungen nicht verhindern können. Verdammt!

Sie schloss die Augen und dachte an das Geigenspiel zurück, das sie vor fast genau drei Monaten gehört hatte. Das hätte sie besser nicht tun sollen. Die Wunden ihrer Seele begannen nun stärker zu schmerzen, als jede körperliche. Sie war schon lange verletzt, verwundet, länger, als sie es selbst hatte wahrhaben wollen und vor allem war sie es stärker, als gedacht. Bei den Erinnerungen an diese tröstliche Melodie, kamen auch all die glücklichen Erinnerungen zurück. Die Gespräche mit John bei einem Kaffee, das Herumstreiten mit Sherlock, die Diskussionen mit den beiden, die Zeit im Labor. Sie war glücklich gewesen. Obwohl gar nichts in ihrem Leben der Norm entsprochen hatte und wohl keiner verstanden hätte, warum, so war sie es gewesen.

Nun aber stand eine Bedrohung bevor, eine, die ihr gesamtes, geschätztes Leben zu zerstören schien und sie durfte noch nicht einmal dafür kämpfen. Sie musste tatenlos zusehen und hoffen, dass Sherlock gewann, doch er selbst schien sich nicht sicher zu sein. Moriarty war wirklich ein harter Gegner, ein sehr manipulativer und er wusste genau wie man am besten spiele. Catherine hatte bemerkt, dass Sherlock mit allem mittlerweile rechnete, dass seine Vorfreude und zeitgleich seine Sorge ihn zerrissen. Noch nie hatte sie ihn so gesehen wie in dem Eiscafé und dass er ihr dieses Versprechen abgerungen hatte, zeigte doch nur zu deutlich wie verzweifelt er war. Er hatte sie schließlich verbannt und doch wieder an sich gebunden, falls er diese Welt verließ. Womit er wohl stark rechnete, denn sonst hätte er nicht gefragt und auch Catherine hatte diese beschissene Ahnung bekommen, während er ihr von ihm erzählt hatte. Hoffentlich täuschte sie sich!

Catherine drehte sich auf den Rücken und starrte an die Decke. Hoffentlich würde Sherlock am Ende dieses Krieges über sie lachen und ihr sagen wie dumm sie denn gewesen wäre zu glauben, dass er solch einen Wettstreit verlieren könnte. Sie betete dafür, dass dem so sein würde.

Sie schloss die Augen und schlummerte ein. Dass das Gewitter, was sie seit Monaten spürte, sich in den nächsten zwei Tagen entladen und in einem gewaltigen Paukenschlag enden würde, ahnte zu diesem Zeitpunkt noch Niemand in der Bakerstreet. Zwei Tage würden ihnen noch im Sonnenschein bleiben, bevor schwarze Wolken ihre Welt verhängen würden.

Der Vorhang fällt

20. Kapitel: Der Vorhang fällt
 

Es dämmerte bereits. Die Sonne ging auf. Orangefarbenes Licht erhellte die Bakerstreet. An sich ein friedlicher, normaler Anblick, doch der Schein trog. Catherine saß schon seit vielen Stunden unbewegt auf der Fensterbank und beobachtete die Bakerstreet. Selbst Blinzeln tat sie nur, wenn es unbedingt notwendig war. Kaum ein Mensch passierte ihre Überwachungsbereich. Eigentlich nichts ungewöhnliches, doch Catherine spürte, dass das nur die Ruhe vor dem Sturm war.

Vergangene Nacht- so gegen Mitternacht- war sie aus dem Schlaf geschreckt. Schüsse waren gefallen und sie hatte lautes Geschrei gehört. Als sie aus dem Bett gesprungen und zum Fenster gelaufen waren, hatte sie nur noch gesehen wie Sherlock zusammen mit John weggerannt war- aneinander gefesselt mit Handschellen-, während Lestrade ihnen beinah verzweifelt hinterher gesehen hatte.

In diesem Moment wusste Catherine, dass es begonnen hatte. Hastig war sie hinabgerannt um den DI zu fragen, was denn vorgefallen wäre, warum er die beiden hatte verhaften müssen, doch er hatte sich nur kurz zu ihr umgedreht mit einem resignierten Blick angesehen. Er hatte Sherlock helfen wollen, das hatte sie gesehen, doch er war mittlerweile an seine Grenzen gekommen. Er hatte nichts mehr tun können.

Deshalb saß Catherine nun hier und wartete ab, dass etwas geschah. Irgendetwas würde geschehen, der große Knall würde kommen. Sie hatte mitbekommen, dass Sherlock gestern die entführten Kinder des Diplomaten wiedergefunden hatte und er hatte nur einen Schuhabdruck gebraucht. Kein Wunder, dass da die Leute Zweifel bekamen. Es war ja auch wirklich fantastisch, unglaublich, wenn man das von ihm hörte. Nein, es war nun wirklich kein Wunder, dass vor allem die Öffentlichkeit der Geschichte, dass Moriartys Einbrüche und dieses Verbrechen nur inszeniert waren, damit er Aufmerksamkeit bekam, Glauben schenkten. Diese Riley hatte es wirklich hinbekommen, die Geschichte mit dem angebliche Richard Brooke gut zu verpacken. Das Internet und die TV-Shows waren voll mit wildesten Spekulationen. Catherine konnte es ihnen nicht einmal vorwerfen, obwohl sie es echt gerne gewollt hätte. Sie hätte es ja selbst nicht geglaubt, hätte sie nicht seine Bekanntschaft gemacht. Wie sollte das schließlich gehen? Das würde sich doch jeder normale Mensch fragen.

Wirklich clever von Moriarty. Catherine schnaubte. Wirklich, wirklich clever die Medien zu nutzen. Sherlock unterschätzte ihre Macht und Manipulationsfähigkeit. Er konnte sich nicht vorstellen, warum sie sich jemals gegen ihn wenden sollten. Schließlich war er doch der große Sherlock Holmes. Tzz, ja klar. Selbst er war nicht von übler Nachrede befreit, gerade er nicht, besonders wenn sie so geschickt provoziert wurde wie Moriarty es tat. Würde Catherine nicht Sherlock vertrauen, dann wäre sie auch hin und her gerissen. Sie wusste, dass der Consulting Detective stets unterschätzte wie gerne die Leute tratschten und er bot so herrlich viel Angriffsfläche mit seiner Exzentrik. Aber Catherine wusste, wozu Sherlock in der Lage war und deshalb schaffte Moriarty es nicht in ihr Zweifel zu streuen. In allen anderen, sicher.

Catherine vermutete auch, dass Lestrade mittlerweile immer mehr die Hände gebunden wurden um Sherlock den Rücken freizuhalten. Diese Geschichten waren das gefundene Fressen für Donovan und Anderson. Vermutlich würden sie nun lauter denn je ihre Zweifel äußern, vielleicht sogar bis zu ihrem Boss gehen und Lestrade anschwärzen, ihn unter Druck setzen. Schließlich war es eigentlich streng verboten Außenstehende in Kriminaluntersuchungen einzuweihen. War ja auch logisch und Lestrade hatte damit einiges riskiert. Dass seine Vorgesetzte es nicht gerne sahen, dass ein vermeintlicher Verbrecher quasi für sie gearbeitet hatte, Proben hatte nehmen können und untersuchen durfte, dadurch die Möglichkeit erhalten hatte Beweise zu manipulieren, war natürlich erschreckend und äußerst Ruf schädigend für das sonst so vorbildliche Scotland Yard.

Oh ja, Moriarty war wirklich gewieft und wusste genau Sherlocks Überheblichkeit gegen ihn zu verwenden. Natürlich waren das alles nur Vermutungen von ihr, doch das Bild begann sich wie ein Puzzle zusammenzusetzen. Sie war eine Außenstehende, die begann die Zusammenhänge zu sehen und doch war sie zum Zusehen verdammt. Was konnte sie denn auch andres tun? Sie hatte keine Ahnung wohin die beiden geflüchtet waren, noch was genau vorging. Wie sollte sie also helfen? Und selbst wenn sie es wüsste, wenn sie es verstünde, was hätte sie schon tun können?

Sherlock hatte Recht gehabt mit seiner Einschätzung. Sie war ein Klotz am Bein und völlig unnütz. Das stimmte sie traurig. Sie wollte wirklich nur helfen, doch ihr waren mehr als allen anderen die Hände gebunden.

Ihre Beine waren mittlerweile eingeschlafen, doch sie wagte es einfach nicht sich zu rühren. Jeder Moment der Unachtsamkeit könnte sie den Entscheidenden verpassen lassen. Die Sonne ging immer weiter auf, während Catherine versuchte die Situation zu verstehen und einzuschätzen um vielleicht doch eine Möglichkeit zu finden wie sie kämpfen könnte, doch alles blieb stumm und aussichtlos. Obwohl die Sonne friedlich schien, tobte im Wahrheit ein Sturm da draußen und so oder so, der große Donner würde kommen. Es würde heute Nacht enden, egal wie. Ihr finales Problem würde bald gelöst werden.

Ihr Magen knurrte laut und riss somit aus den Gedanken. Verdammt, sie war unkonzentriert geworden! Hatte sie etwas verpasst? Hastig blickte sie aus dem Fenster und schüttelte leicht den Kopf. Nein! Alles war noch immer ruhig. Dem Sonnenstand nach zu urteilen war es bereits später Vormittag. Gott! Sie war ja lange weggetreten gewesen, versunken in ihrer Gedankenwelt. Mittlerweile verstand sie was Sherlock meinte mit Ruhe im Gedankenpalast. Sie driftete immer häufiger ab in letzter Zeit und das auch manchmal für mehrere Stunden. Es war aber auch momentan viel was sie durchdenken musste. Die ganze Situation war kompliziert, sodass sie einen Sachverhalt häufig mehrfach betrachtete.

Wie krank konnte ein Mensch eigentlich sein? Catherine empfand nichts als Abscheu gegenüber Moriarty. Als sie sein Gesicht gesehen hatte, in der Sun, war ihr schlecht geworden. Dieses selbstgefällige Grinsen, wie er da gesessen hatte mit der Krone auf seinem Kopf im Tower, da hatte sich ihr der Magen umgedreht. Mir gehört die Welt, hatte sein Blick gesagt und er war auch fest davon überzeugt. Mehr denn je war Catherine in diesem Augenblick klargeworden, dass er verrückt war, aber genial zu gleich. Eine gefährliche Mischung, besonders mit seinen kriminellen Verbindungen. Er war wie ein Phantom, so hatte Sherlock ihn beschrieben. Er begab sich niemals ins Schussfeld, niemals direkt in die Linie. Er ließ andere die Arbeit machen. Nun war er jedoch direkt ins Rampenlicht getreten, hatte bewiesen wozu er in der Lage war, denn dieses Spiel mit dem Consulting Detective wollte er selbst spielen.

Sherlock freute sich vermutlich auf die geistige Herausforderung, doch Catherine wurde angesichts der Situation flau. Wie könnte er alleine gegen die quasi gesamte kriminelle Energie der Welt bestehen? Nicht, dass sie an Sherlocks Verstand je gezweifelt hätte, aber wie sie ihm damals gesagt hatte, Moriarty hatte keine Grenzen und Catherine verspürte nun große Angst.

Ihr Körper zitterte, obwohl sie nicht in Gefahr schwebte und Adrenalin ließen all ihre Sinne auch Hochtouren arbeiten. Alles schien intensiver, ihre Gedanken rasten umso schneller und sie war bereit zur Flucht, obwohl sie noch nicht einmal wusste wovor sie fliehen müsste. Vermutlich kam es von der Anspannung, die vermeintlich in der Luft lag und ihr das Gefühl eines Kloßes im Hals gab. Sie schluckte und verlagerte ihr Gewicht ein wenig, damit ihr Bein endlich wieder aufwachte und starrte weiterhin auf die Straße.

Einige, weitere Stunden vergingen, in denen nichts passierte. Catherine hielt ihre körperliche und geistige Anspannung beinahe nicht mehr aus, fühlte sich erschöpft und ausgelaugt, doch ihr Willen war eisern.

Plötzlich kam Bewegung in die Sache und um ein Haar hätte sie den Augenblick verpasst. Es musste mittlerweile kurz vor Mittag sein, als sie sah, wie ein Taxi am Bordstein anhielt und John völlig abgehetzt- und ohne Sherlock- heraus sprang. Gerade wollte sie aufspringen und herunterlaufen, doch für einen Moment, aus einem unerfindlichen Grund, zögerte sie. Gut, dass sie es getan hatte, denn so sah sie noch wie John im Türrahmen abrupt stehen blieb und nur wenige Augenblicke zurück rannte, einen Mann beinahe vom Taxi fortstieß und davon fuhr.

Nun war es amtlich, dass ihre Vermutungen wahr waren. Kurz hatte sie, trotz der Entfernung, einen Blick auf Johns Gesicht erhaschen können und es war voller Sorge und Panik. Er musste etwas erkannt haben, etwas musste vorgefallen sein und dem Ausdruck zu Folge war es etwas Schreckliches.

Es vergingen weitere zwei Stunden bis er zurückkehrte- auch dieses Mal ohne Sherlock. Nun sprang sie sofort auf, denn die Unruhe und Sorge, die in ihrem Inneren getobt hatten, hatten sie beinahe verrückt gemacht. Jetzt wo sie vermutete endlich Antworten zu finden, hielt sie nichts mehr auf ihren Beobachtungspunkt.

So schnell sie konnte, sprang sie beinahe schon die Treppen hinab und rannte auf die Straße.

„JOHN!“, rief sie, als ihr eine warme Briese entgegen schlug, doch für Catherine fühlte sie sich wie Spott an, denn dies war sicherlich kein schöner Frühsommertag. Menschen auf der Straße drehten sich überrascht zu ihr um, doch Catherine sah nur zu ihrem Nachbarn, der kurz vor der Tür stehen blieb, sich aber nicht zu ihr umdrehte.

„Was ist passiert? Wo ist Sherlock?“, fragte sie, während sie die letzten Schritte zwischen ihnen überwand. Johns Schultern senkten sich und er drehte sich langsam zu ihr herum. Der Blick, der in seinen blauen Augen lag, erschreckte Catherine bis ins Mark. Er war so voller Trauer, Unglauben und tiefster Verletzung, dass es schien als wäre seine Welt zerbrochen. Ihr Atem stockte, als sie dieses unendliche Leid in Johns Blick sah und sie presste ihre Hand instinktiv vor dem Mund um nicht zu keuchen. Wenn selbst er so schaute, musste das schrecklichste Grauen sich ereignet haben. John blieb immer ruhig, er war Schrecken gewöhnt durch seine Zeit als Soldat, doch in diesem Moment war er zerbrochen, seine Seele wirkte in ihren Grundfesten erschüttert.

Langsam senkte er den Blick ohne auch nur ein Wort gesagt zu haben, drehte sich um und verschwand in der Wohnung. Mit einem leisen Geräusch fiel die Tür ins Schloss und Catherine stand regungslos auf der Straße.

Für einige Momente dachte sie nichts, war noch immer völlig erstarrt von Johns Trauer und Verzweiflung und hörte auch nicht wie manche Leute sich, hinter vorgehaltener Hand, tuschelnd über Sherlock den Mund zu zerreißen begannen. Dann plötzlich, fing Catherines Geist an zu rasen und sie realisierte erst jetzt, was dieser Blick wirklich bedeute. Der Showdown war vorüber, der Krieg beendet und es schien nicht gut ausgegangen zu sein. Und wenn dem so war und Sherlock war nicht bei ihm, wenn John kein Wort zu ihr sagte und dann noch dieser Blick, dann…

Catherine erstarrte, als ihr Gehirn eine Erklärung aus diesen Begebenheiten zog und blankes Grauen ergriff sie. Hastig wirbelte sie auf dem Absatz herum und stürzte zurück in ihre Wohnung, riss die Tür auf, krallte sich ihre Fernbedienung und schaltete den Fernseher an.

Bereits der erste Kanal offenbarte, dass ihre schlimmste Vermutung richtig war.

Eine Frau mittleren Alters im Nadelstreifenanzug verkündete gerade die Breaking News. Catherine achtete gar nicht darauf, denn er Anblick der Schlagzeile traf sie wie ein Hammerschlag und ließ sie rücklings auf ihre Couch stolpern.

Kommen wir nun zu einer Sondermeldung. Uns erreichte so eben die Nachricht, dass der durch das Internet bekannt gewordene Privatdetektive Sherlock Holmes vermutlich Selbstmord begangen hat. Heute Nachmittag gegen 13:24 fanden Passanten die Leiche vor dem St. Bartholomew’s Krankenhaus. Sherlock Holmes war in Verruf geraten, weil ihm vorgeworfen wurde den Schauspieler Richard Brooke dafür bezahlt zu haben als Jim Moriarty drei Einbrüche in die sichersten Einrichtungen Londons begangen zu haben…

Catherine hörte der Frau überhaupt nicht zu, bemerkte gar nicht wie sie sprach. Mit weit aufgerissenen Augen starrte sie auf den TV Bildschirm und die gezeigten Bildern. Nein, nein, das konnte nicht sein! Das war einfach unmöglich. Blankes Entsetzen ergriff sie und sie schüttelte fassungslos den Kopf. Mit weit aufgerissenen Augen starrte sie auf Bilder der Überwachungskamera des St. Bart’s. Es musste ein Irrtum sein. Das was Catherine sah konnte einfach nicht der Wahrheit entsprechen. Auf dem Bildschirm war deutlich zu sehen wie der Leichnam von Sherlock blutend auf dem Asphalt lag, umringt von einer entsetzen Menschenmenge. Das war eindeutig Sherlock. Es war sein markantes Gesicht mit den intensiv blauen Augen, die nun ins Leere starrten, seine hohen Wangenknochen, die breiten, vollen Lippen und die dunklen Locken. Sein marineblauer Schal war von Blut durchtränkt und auch sein Wollmantel schmiegte sich um den Körper.

Die Kamera veränderte ihren Winkel und plötzlich war es, als würde Sherlock sie direkt anstarren. Mit weit aufgerissenen, leeren Augen schien er Catherine zu durchdringen und da war alles Verleugnen vergebens. Großer Gott, nein! Das durfte nicht wahr sein! Sherlock war…er war…tot. Sie konnte das nicht glauben, sie wollten das nicht glauben. Doch, diese Augen waren eindeutig Sherlocks.

Ihr Körper begann unkontrolliert zu zittern, während sie realisieren begann, was die Bilder ihr da zeigten.

Catherine hatte das Gefühl, dass sich ihre Welt plötzlich auf den Kopf stellte. Sie fiel zu Boden, kauerte sich auf alle Viere, während sie sich auf dem Teppich erbrach. Zitternd verkrampfte sich ihr Körper und mit grausamer Gewalt presste ihr Magen den letzten Rest heraus. Catherine würgte, als sie den ekligen Geschmack von süß und sauer schmeckte, Speichel lief aus ihrem Mund und sie musste husten.

Der Krieg war vorbei, der Wettstreit zwischen Moriarty und ihm war entschieden und Sherlock hatte ihn mit seinem Leben bezahlt. Er war fort. Weg, für immer. Sie würde sich nie mehr mit ihm…

Catherine schüttelte schnell den Kopf und versuchte diesen Gedanken nicht zu Ende zu denken. Sie wollte es nicht wahrhaben, weil es einfach nicht so sein konnte.

Verzweiflung, Schmerz und Trauer übermannten sie, als das Begreifen nicht mehr aufzuhalten war. Sie schloss die Augen und schrie, versuchte so die Flut an den Emotionen irgendwie entweichen zu lassen, aber es funktionierte nicht. Stattdessen entwich ihr noch mehr Kraft und sie kauerte sich zusammen. Ihr Atem kam nur noch stoßweise, angestrengt, als wäre sie gerade eben einem Raubtier entkommen oder einen Marathon gelaufen. Wieder musste sie würgen, doch dieses Mal kamen nur Galle und Blut aus ihrem Magen, die ihren Mund zu vergiften schienen, während Speichel an ihrem Kinn hinablief.

Catherine nahm den süßlichen Geruch nicht wahr, realisierte noch nicht einmal, dass ihr Körper mit sämtlichen Abwehrmechanismen reagierte, die es gab.

Catherine zwang sich tief Luft zu holen um vielleicht doch noch etwas Ruhe zu gewinnen, doch der Sturm, der Schmerz des Verlustes, waren stark in ihr, tobten wie ein Monster und rissen alles ein, was sie mühsam gerade wieder aufgebaut hatte.

Sie hatte so viel Verlust erlebt, gerade von Menschen, die ihr viel wichtiger gewesen waren, doch aus irgendeinem Grund war es, als würde die Nachricht von seinem Tod ihre Welt zerstören.

In ihr war es einfach leer. Für einen kurzen Moment des Schockes existierte Catherine nicht mehr. Es war nur noch eine leere Hülle, die gegen die kalte Flut der Realität kämpfte.

Zitternd, all ihre Kraft zusammen nehmend, setzte Catherine sich auf und lehnte sich an die Couch. Noch immer berichtete die Reporterin über dem Selbstmord des Mannes, der ihr Leben gegen ihren Willen kontrolliert hatte seit sie hier nach London gezogen war. Catherine zitterte und schaltete den Fernseher aus. Sie konnte die Worte, die Bilder nicht ertragen. Jede einzelne Häme, die sich gegen Sherlock richtete, war wie ein Stich im Herz.

Verdammt! Sherlock war doch mehr als grausam zu ihr gewesen, hatte sie verstoßen und gedemütigt. Nur Schmerzen hatte sie erlitten seit sie ihn kannte und dennoch war es, als würde ihre Welt gerade zerbrechen. Sie würde alles verlieren, was mittlerweile ihr Leben geworden war. Seit dem Treffen im Eiscafé hatte sie ja noch gedacht, dass es wieder normal werden könnte, dass irgendwann ihre Verbannung wieder aufgehoben werden würde, doch das war nun endgültig vereitelt. Ihr Leben was sie sich hier aufgebaut hatte, war zerstört und das hatte auch noch ein Menschenleben gefordert. Ausgerechnet Sherlocks Leben.

Wieder schüttelte sie den Kopf. Warum machte es ihr so viel aus?

Eigentlich müsste sie es sie kalt lassen, sie müsse schnauben, weil sie nichts mehr mit ihm verband. Er hatte sie aus ihrem Leben gestrichen und sie mehr als einmal verletzt…sie müsste ihn so sehr gehasst haben, dass es ihr egal sein müsste. Doch Sherlock war ihr nie egal gewesen. Trotz allem vertraute und schätzte sie ihn noch, denn sie verdankte ihm ihr Leben. Ihm und John. Sogar aus zweierlei Sicht. Ohne Sherlock wäre sie in Serbien gestorben und wäre auch geistig vor die Hunde gegangen.

Noch immer versiegten Tränen nicht. Unaufhaltsam, als könnten sie den Schmerz ihrer Seele fortspülen, suchten sie sich ihren Weg und Catherine presste ihre Hände auf die Augen.

Es fühlte sich nun an, als wäre ihre Welt aus den Fugen geraten. Sie wusste nicht wie es nun weiter gehen würde, doch das spürte Catherine nur unterbewusst. Bewusst dachte, sah, sie nichts, für einen Moment des Schockes war sie nur noch eine leere Hülle.

Er war tot. Dieser Worte schienen wie in ihre Innenlider gebrannt und diese Erkenntnis durchdrang ihre Gedanken immer stärker, wurden immer mehr von einer Ahnung zur grausamen Gewissheit. Niemals wieder würde sie mit ihm reden, sich mit ihm herumstreiten, von ihm genervt sein und…

Wieder schaffte Catherine es nicht diesen Gedanken zu Ende zu bringen. Es ging einfach nicht. Trotz allem was geschehen war, Sherlock war ihr wichtig geworden und sie hatte niemals gewollt, dass ihm etwas zustieß.

Sie haben es mir versprochen, Catherine. Sie haben mir versprochen, dass Sie sich um John und Mrs. Hudson kümmern.

Catherine hob ruckartig den Kopf von den Beinen und blickte sich hektisch um, blinzelte dabei die Tränen aus den Augen. Hatte sie gerade seine Stimme gehört? Aber das konnte doch nicht sein! Unruhig wanderten ihre hellen Augen durch den Raum, doch nichts war verändert. Ihre Wohnung war ebenso still, verlassen und einsam wie zuvor. Es musste eine Illusion, ein kurzer Irrglaube ihrer Wünsche gewesen sein.

Catherine sackte wieder zusammen und schloss die Augen. Nur eine Fata Morgana, herbeigesehnt durch ihre Verzweiflung. Nichts weiter. Absolut nichts weiter…

Dennoch ließen die Worte nicht los, umklammerten ihr Herz mit grausamen Griff und ihr war klar, dass es nun an der Zeit war ihr Verspechen zu halten, doch sie hatte Angst. Furchtbare Angst davor hinüber zu gehen, auch wenn sie wusste, dass John sie nun brauchte. Sie wollte nicht zu ihm, die Wahrheit über Sherlocks Tod in seinen Augen sehen. Es sollte keine schmerzhafte Gewissheit werden, keine Realität, kein Schmerz der Seele.

Bitte, Catherine!

Die Stimme ihrer Einbildung, das Wehklagen ihrer zerbrechenden Welt klang so flehend, herzzerreißend, dass Catherine wieder die Tränen kamen. Sie presste wieder ihre Handballen gegen ihre Augen und ein Schluchzer entrann ihrer Kehle.

„Sagen Sie mir wie, Sherlock…“, flüsterte sie leise in die Stille hinein, denn sie wusste, dass Niemand antworten würde. „Sag mir wie ich das auch noch ertragen soll!“

Stille war die Antwort auf ihre in alles zerstörender Trauer gestellte Frage. Natürlich wusste sie, dass es nun an der Zeit war ihr Versprechen einzuhalten, was sie Sherlock im Affekt gegeben hatte. Einmal hatte er sie um etwas gebeten, ihr vertraut und ihr diese wichtige Aufgabe zugetraut und sie wusste was für ein großer Schritt das von ihm gewesen war.

Ihr war auch bewusst, dass John sie nun brauchte, dass er Beistand in diesem Schrecken benötigte. Doch sie war zu feige und sie hasste sich in diesem Moment dafür.

Plötzlich rieselte eine weitere Erkenntnis in ihren Geist wie Sandkörner in den unteren Teil einer Sanduhr. Großer Gott! Wann war Sherlocks Leichnam gefunden? Gegen halb Zwei und…Oh nein! Als John das zweite Mal die Bakerstreet verlassen hatte, war es gegen Mittag gewesen und er war Richtung Bart’s gefahren! Nein!

Wieder wurde ihr schlecht. Oh Gott, nein! Das bedeutete ja, dass er wahrscheinlich mit angesehen hatte wie Sherlock gesprungen war oder zumindest seine Leiche gesehen haben musste. Catherine erzitterte und schlug die Hände vor dem Mund, als ihr ein Keuchen entrang.

Sie musste zu John, jetzt sofort! Dieser Gedanke gab Catherine den benötigten Antrieb um sich aus ihrer Lähmung und Lethargie zu reißen. Mit aller Kraft drückte sie sich an ihrer Couch hoch und versuchte wieder auf die Beine zu kommen. Sie schwankte bedrohlich, als sie endlich wieder stand. Ihr Körper protestierte, wollte wieder zusammenbrechen, doch Catherine krallte sich an die Armlehne und holte mehrmals tief Luft. Innerlich peitschte sie ihren Körper an, dass er gefälligst sich nicht anstellen und ihr endlich wieder gehorchen sollte.

Noch einmal holte Catherine tief Luft, war in Gedanken schon längst bei John und sammelte ihre Kräfte. Schnell wusch sie sich in ihren Mund um die letzten Spuren ihres Schockes zu beseitigen, dann stürmte sie aus ihrer Wohnung. Sie sprang beinahe die letzten Treppenstufen herab, riss ihre Wohnungstür auf und rannte herüber.

Die Haustür von 221b war offen, nur ins Schloss gelehnt und Catherine öffnete sie. Als sie in den so wohl bekannten Hausflur trat, war es als würde das Leid der ganzen Welt- ihrer Welt- ihr entgegenschlagen. Auch wenn dem sicherlich nicht so war, für Catherine war es so, als würde die Luft bleiern schwer sein und zäh wie Gummi. Sie versuchte hineinzugehen, doch sie kam nicht gegen die geballte Atmosphäre, die im Erdgeschoss waberte, an. Immer wieder hielt sie in der Bewegung inne.

Es war totenstill. Plötzlich glich das der 221 wie einem Grab. Wieder begann Catherine zu zittern und am liebsten würde sie vor der Wahrheit fliehen, zurückrennen in ihre Wohnung, sich unter der Decke verstecken und alles verleugnen. Aber sie konnte nicht, sie durfte nicht. Sie hatte ein Versprechen gegeben und ihre Loyalität war stärker.

Sie nahm all ihre Willenskraft zusammen und trat in die Halle, ging langsam die Treppe hoch- jede Stufe kam einem inneren Kampf gleich.

Die Tür knarrte unheilvoll, als sie in das Wohnzimmer trat und es schien die Stille zu zerreißen. Sie zuckte selbst unter diesem Geräusch zusammen. Ihr Blick glitt nach rechts, wo sie ein leises Wehklagen vernahm. John sah auf, als er sie eintreten hörte und warf ihr einen todtraurigen Blick zu. Er war so voller Leid, dass es Catherine die Brust zuschnürte. Sie senkte leicht den Blick und John schien zu verstehen, dass sie es wusste. Als Catherine wieder aufblickte, drehte er den Kopf weg und blickte zu Mrs. Hudson, die schniefend mit einem zerknüllten Taschentuch ihre Tränen abputzte. John hatte seinen linken Arm um ihre Schulter gelegt, während ihr Kopf auf seiner Schulter ruhte. Mrs. Hudson schluchzte bitterlich und es schien beinah zu viel für die alte Dame, dass einer ihrer Jungs nun tot war.

Als Catherine das Leid ihrer Ersatzfamilie sah, überschwemmte sie all ihr eigener Kummer, aber auch der Drang ihnen beizustehen. Sie eilte zum Sofa und kniete sich zu ihren Füßen, lehnte ihren Kopf gegen Johns Arm und ergriff Mrs. Hudsons Hand, die immer nur wieder mit erstickter Stimme „Liebes…Liebes…er ist…“, flüsterte.

Catherine nickte nur und gab zu verstehen, dass sie es wusste. Sie wollte es nicht hören, es durfte nicht ausgesprochen werden. Es war ein stummes Verbot, dass sie über den Raum senkte, denn keiner wollte die bittere Wahrheit hören, ihren giftiger Geschmack auf der Zunge schmecken.

Catherine wusste noch immer nicht, warum sie so unglaublich erschüttert war, warum das kalte Grauen wie ein Wolf ihre Seele jagte und sie sich vor der Erkenntnis auf der Flucht befand. Aber darüber dachte sie in diesem Moment auch nicht nach.

John legte seine Hand in ihr Haar, sprach aber ebenfalls kein Wort, während Mrs. Hudson wieder zu schluchzen begann. Wie sollten sie das auch verkraften? Catherine schloss die Augen und schwieg.

Totenstille senkte sich wieder über den Raum. Normalerweise genoss sie Ruhe, doch nun fühlte sie sich schmerzhaft an, als würde sie Catherine langsam, aber stetig erdrücken und ihr jeglichen Atem rauben. Ihre Welt lag in Scherben, war zerbrochen wie ein Spiegel, dessen Anblick man nicht länger ertragen konnte. Catherine hatte gemeint, dass sie ihr Leben nicht mehr ertragen könnte- so viele Male-, doch dass hier war schmerzhafter als alles, was sie sich vorstellen konnte. Mit anzusehen wie der Schmerz alles überschwemmte; die Menschen, die ihr nach vielen Jahren der Einsamkeit nun etwas bedeuteten, zu beobachteten wie sie litten, beinahe zerbrachen vor Kummer, raubte ihr die letzte Kraft.

Die Zeit verging quälend langsam, es war als wäre das Szenario eingefroren und Catherine begann sich die lächerliche Frage zu stellen, ob die Welt außerhalb dieses Hauses langsam unterging, ob nur hier noch die Welt existierte und Catherine, John und Mrs. Hudson in ihrer Grausamkeit gefangen hielt.

Catherine hatte immer noch die Augen geschlossen und versuchte krampfhaft an nichts zu denken. Sie konzentrierte sich auf ihre Atmung, auf Johns Hand in ihrem feinen Haar, auf all die Kleinigkeiten, die vielleicht die Wahrheit fernhielten.

Einige Zeit später stießen noch Lestrade, Molly und sogar Mycroft zu ihnen, doch noch immer wurde kein einziges Wort gesprochen. Schweigen hatte sich über die Wohnung gesenkt und sämtliche Kommunikation getötet.

Catherine hatte sich nicht mehr bewegt, seitdem sie sich zu Johns Füßen gekniet hatte. Ihr fehlte die Kraft dafür. Selbst beim Tod ihrer Eltern oder ihres Bruders hatte sie sich nicht so gelähmt gefühlt. Damals hatte sie eher Wut, Verleugnung und Verzweiflung regiert. Catherine hatte sich gefühlt, als hätte sie zu viel Energie, als müsste sie sich ständig bewegen, etwas tun um ihrer Einsamkeit zu entfliehen, doch nun war sie längst fortgerissen. Sie war fortgespült und verloren, sie war längst in der eiskalten Welle ertrunken.

Jeder der Anwesenden zeigte eine Facette der Trauer. Mrs. Hudson zeigte die Verzweiflung. Ihre unbändigen Schluchzer und ihr Wehklagen waren das Einzige, was die schmerzhafte Stille zerriss. Die Augen der älteren Dame waren mittlerweile rot verquollen und ihr ganzer Körper zitterte von der Gewalt des Verlustes.

Molly hingegen zeigte das den Drang es nicht wahrhaben zu wollen. Sie saß neben dem Sofa, die Beine beschützend an den Körper gezogen, den Kopf darauf gebettet und ihre Augen waren längst abgedriftet.

Mycroft hingen symbolisierte die Ruhe vor dem Sturm. Er stand vor dem Kamin, die Hände auf dem kalten Stein abgestützt und er starrte ins Nichts und dennoch spürte man wie sehr es in ihm tobte. In ihm kämpfte das antrainierte Verhalten des Politikers, die Ruhe und Contenance zu bewahren, egal was passierte und die Trauer, dass sein kleiner Bruder tot war.

Lestrade hingegen zeigte die Ruhelosigkeit und Wut, die mit Trauer einhergehen konnte. Er rannte durch die Wohnung, fuhr sich durch die Haare und fluchte. Zum Schluss schlug er mit aller Kraft gegen die Wand und legte seinen Kopf auf den Arm.

Die verheerendste Auswirkung zeigten jedoch die beiden Menschen, die am meisten von Sherlock Holmes beeinflusst worden waren. John und Catherine zeigten die Leere, die die Trauer zurückließ. Keiner der beiden rührte sich auch nur ein einziges Mal. Sie sagten nichts, weinten oder schluchzten nicht. Sie saßen einfach da. John starrte auf den Fußboden, als wolle er ihn durchlöchern und Catherine wagte es nicht ihre Augen zu öffnen. In diesem Moment waren beide nur noch eine leere Hülle.

Sollte es auf ewig still werden in der 221b Bakerstreet? War Sherlock Holmes das Einzige gewesen, was dieses Haus mit Leben erfüllt hatte?

Noch immer war kein Wort gesprochen worden, keiner von ihnen wagte es die Stille zu durchbrechen. Keiner konnte es genau erklären, doch es war, als wäre Sherlocks Geist noch hier und Niemand wollte die Illusion zerstören. Obwohl Trauer das Wohnzimmer bedeckte, war es als wäre seine Essenz noch vorhanden. Catherine sah vor ihrem inneren Auge wie er durch diese Räume gespukt war, sich auf dem Sofa eingerollt hatte, wenn er ihrer Diskussionen überdrüssig gewesen war. Sie sah wieder das Leuchten in seinen Augen, wenn er auf der Jagd war, hörten seine frustrierten Ausrufe und die Schüsse auf Mr. Smileyboy, aber das schmerzhafte war, dass sie ihr Lachen hören konnte. Sie spürte noch überdeutlich die Freude, das Vergnügen und es zerriss ihr das Herz. Catherine hatte geglaubt, dass Einsamkeit und Isolation das Grausamte an der Menschheit waren. Zu sehen wie es sein könnte und es doch nie zu erfahren, doch sie hatte sich getäuscht. Das Schmerzhafteste war, es erfahren zu haben und es dann mit Gewalt für immer zu verlieren.

Ihre Welt war somit wieder zerstört worden, das wusste sie. Catherine wusste tief in sich nur zu genau, dass sie alle auseinander brechen würden. Sherlock war das einzige gewesen, was sie alle zusammengehalten hat. Einige Zeit würde die Trauer sie noch verbinden, doch dann würden sie alle ihren eigenen Weg gehen.

Das Stück des Meisterdetektives Sherlock Holmes war zu Ende, der Vorhang schloss sich, die Musik verstummte und das Licht ging aus, doch keiner applaudierte.
 

~*~

Was heut das Auge sieht

ist morgen schon

Vergangenheit-

Wohin dein Blick

auch flieht

auf meiner Seite

ist die Zeit-
 

Songtext aus Elisabeth- das Musical

Gesungen vom Tod im Lied "Ich will dir nur sagen"

Wiederauferstehung

21.Kapitel: Wiederauferstehung
 

Catherine stand über eine Petrischale gebeugt und betrachtete das Resultat einer Untersuchung zur Funktion des mal6 Gens, welches dafür sorgte, dass die Zelle wusste, wo ihre Enden waren und wo sie wachsen sollte. Unzählige Kolonien waren auf dem Selektivmedium gewachsen und nun würde das Mikroskop zeigen, ob die herbeigeführten Mutanten wirklich Einfluss auf die Wachstumszonen der Zelle hatten. Würde sie das bei s. cerevisiae beweisen, wären sie einen guten Schritt weiter, den Mechanismus auch bei Menschen zu verstehen, denn im Prinzip war es bei allen Eukaryonten gleich.

Sie seufzte und setzte sich auf einen der Hocker in dem Labor und köhlerte das Mikroskop aus, damit auch wirklich jede Ebene gleich ausgeleuchtet war. Danach stellte Catherine die Petrischale unter das Objektiv und vergrößerte soweit, bis sie die Zellen entdeckte. Ihre Form war wirklich verändert. Einige waren halbmondförmig, einige waren wildtypische Stäbchen und wiederum andere waren in T-Form gewachsen. Alles hatte geklappt wie sie es erwartet und sie begann die Kolonien auszuzählen, notierte ihre Ergebnisse auf einem Block um sie später auf eine Excel Datei in ihrem Computer zu übertragen.

Es war bereits das dritte Mal, dass sie diesen Versuch durchgeführt hatte, unter verschiedenen Bedingungen um Fehlerquellen auszuschließen und jeder hatte zum gleichen Ergebnis geführt. Sie schien der Lösung des Mechanismus um ein Puzzleteil näher gekommen zu sein. Etwas, was sie mit Glück erfüllen sollte, mit Euphorie, doch ihr Inneres blieb leer.

Seit einem Monat war Catherine mittlerweile Doktorandin. Sie hatte sich nach Sherlocks Tod vor drei Jahren in die Arbeit gestürzt und ihren Bachelor und Master in kürzester Zeit abgeschlossen. Etwas, was ihr bei ihrem Professor Respekt eingebracht hatte und auch bei ihren Kollegen war sie für ihren wachen Verstand und ihren Ehrgeiz geschätzt. Etwas, was sie von Sherlock gelernt hatte. Von ihm hatte sie gelernt Dinge zu sehen, die andere nicht sahen, Dinge mit einzurechnen, die willkürlich oder irrelevant erschienen. Das hatte sie in ihrem Berufsleben weit gebracht, doch seitdem lag ihr Privatleben brach.

Nach seinem Selbstmord hatte sich alles verändert. Seit der Trauerfeier hatte John sich immer weiter zurückgezogen, ließ Niemanden mehr an sich heran und sie hatten auch kaum mehr miteinander gesprochen. Der merkwürdige Consulting Detective war meist ihr einziges Thema gewesen und nachdem er von ihnen gegangen war, konnten sie sich nicht mehr ansehen ohne an ihren Schmerz erinnert zu werden.

Oft hatte Catherine in der vergangen Zeit über alles nachgedacht, was sie mit ihren Nachbarn erlebt und durchlitten hatte. Es waren nicht immer schöne Tage gewesen, sie hatte auch Schmerzen für die beiden ertragen, doch sie hatte sich nie beschwert, denn es war ihr egal gewesen. John und Sherlock hatten ihr graues Leben bereichert. Nach Jeffreys Tod hatte sie sich allein und verlassen gefühlt, hatte nur noch funktioniert, doch ihre Nachbarn hatten dafür gesorgt, dass sie wieder Spaß hatte, dass sie wieder mehr im Leben sah als ihre verbissenen Ziele. Nicht, dass Sherlock ihr groß eine Wahl gelassen hatte, doch sie war ihm dankbar dafür.

Catherine seufzte, als sie die Petrischalen einfror um sie eventuell später wieder überprüfen zu können. Seit seinem Tod arbeitete sie nur noch. Alle Aufregung war aus ihrem Leben verschwunden. Erst hätte sie es nie gedacht, doch sie hatte die ersten Wochen wirklich darauf gewartet, dass Sherlock wieder in ihre Wohnung stürmte und sie irgendetwas fragte, dass sie sich wieder mit ihm streiten konnte, doch ihre Wohnung blieb leer. Alles war verblasst wie ein grauer Nebel und das einzige was blieb war ihre Arbeit, die ihr noch Halt gab, deshalb war sie so lange es ihr möglich war in diesem Labor.

Auch wenn selbst dieser Ort schmerzte, sie noch manchmal sah, wie sie Sherlock am Wochenende mit ihr hierhergekommen war und sich einige Sachen hatte zeigen lassen oder wie er in seinem eigenen in St. Barts gesessen hatte. Er fehlte ihr, mehr als sie sich je hätte eingestehen wollen und auch John fehlte ihr. Ihre Nachbarn waren zu einer Ersatzfamilie geworden, hatten sie aus der Einsamkeit befreit und nun war all das weggebrochen.

Falls mir etwas zustoßen sollte, würden Sie sich dann bitte um John und Mrs. Hudson kümmern? Aus einem unerfindlichen Grund könnten Sie um meiner Willen besorgt sein und werden jemanden brauchen, der sachlich an die Sache heran geht. Sie sind die Einzige, der ich das zutraue. Schließlich werden Sie mich ja nicht vermissen.“

Sie schloss die Augen, als sie Sherlocks traurige Stimme wieder in ihrem Ohr hörte. In diesem Moment im Eiscafé, kurz bevor diese ganze Scheiße mit Moriarty den Höhepunkt erreicht hatte, hatte Sherlock so verletzt und besorgt gewirkt. Seine eiskalte Maske war verschwunden und er hatte zerbrochen gewirkt. All das hatte ihn schwer belastet und Catherine hatte nicht anders gekonnt, als ihm diese Bitte zu gewähren.

//Als ob ich nicht um Sie trauern würde, Sherlock.//, wiederholte sie diesen Gedanken, den sie auch gehabt hatte, als Sherlock das Café verlassen hatte. Wenn sie ganz ehrlich war, trauerte sie noch immer, denn sie hatte nie die Chance gehabt das zu verarbeiten. Wie er es sich gewünscht hatte, hatte sie sich um John und Miss Hudson gekümmert, war für sie stark geblieben und hatte ihre eigene Trauer verschlossen um sie nicht noch mehr zu belasten.

Insgeheim weigerte sie sich zu glauben, dass Sherlock tot war. Sie konnte es einfach nicht. Das wäre doch viel zu langweilig für ihn. Er würde sich doch niemals Moriarty geschlagen geben, oder? Er hätte das vorhergesehen und einen Ausweg geplant, oder? Aber warum war Sherlock dann gesprungen? Selbstmord passte einfach nicht zu ihm, nicht auf Grund dessen, dass die Zeitungen ihn als Lügner beschimpften. Niemand, der meinte Sherlock wenigstens ein bisschen zu kennen, hatte je daran gezweifelt, dass alles wahr war. Sherlock würde sich das niemals ausdenken und inszenieren nur um Aufmerksamkeit zu bekommen. Nein, so war er nicht. Niemals. Er hatte doch nie Aufmerksamkeit gewollt und nie darum geschert, was andere von ihm dachten.

Catherine schüttelte den Kopf und unterdrückte einen Schluchzer. Drei Jahre und keinerlei Spuren. Selbst Mycroft wusste angeblich nichts. Die mächtige britische Regierung schien zumindest zu glauben, dass er tot war. Ob Mycroft das wirklich tat, bezweifelte sie, aber was sollte sie machen? Auf seine seltsame Art und Weise war Mycroft eine Glucke, dem nichts über seinen jüngeren Bruder ging. Er würde es ihnen nicht sagen, selbst wenn er mehr wüsste. Also hatte Catherine keine andere Wahl gehabt als wieder zurück an die Arbeit zu gehen und versuchen ihren Alltag zu leben, doch all das gelang ihr nicht. Mit dem Wegbrechen von Sherlock und John war alles verloren gegangen. Nie war eine Beziehung im Labor über ein wohlgesinntes Arbeitsverhältnis hinausgegangen. Wie hätte sie auch Freunde zu sich nach Hause bringen sollen, wenn Sherlock jederzeit einfach in ihre Wohnung kam? Sie schüttelte den Kopf. Das war nicht möglich und so war sie wieder vollkommen alleine. Nur sie und ihre Forschung.

Zwar lief sie John oft über den Weg, schließlich wohnten sie noch immer Tür an Tür, doch über ein kurzes Grüßen ging es nicht mehr hinaus. Sie vermisste die vertrauten Gespräche mit ihm, die Freundlichkeit des Arztes. Er war mehr als jeder andere eine Art Vater für sie geworden, den sie geschätzt hatte, doch nun mieden sie sich konsequent und eine Distanz hatte sich wie eine unüberwindbare Mauer zwischen ihnen aufgebaut. Am liebsten würde sie ihn anschreien, gegen die Mauer hauen und sie einreißen, doch sie konnte es nicht. In den dunkelblauen Augen sah sie jedes Mal, dass John noch gefangen war und beinahe unter dem Verlust zerbrach. Jedes Mal, wenn er sie ansah, keimte der Schmerz wieder auf. Wie konnte sie da so egoistisch sein und seine Nähe suchen, wenn er doch viel mehr unter alledem litt, als sie selbst?

„Catherine? Alles in Ordnung?“, fragte Kathy vorsichtig und unterbrach so ihre Gedanken. „Die Inkubation der gfp Verschmelzung ist schon seit zehn Minuten vorbei. Normalerweise stehst du doch schon fünf Minuten vorher da und zählst die Sekunden herab. Fühlst du dich nicht gut?“

„Oh, Kathy...“, flüsterte sie und blickte zu der Blonden mit dem frechen Kurzhaarschnitt und den treuen, hellgrünen Augen. „Entschuldige...ich komme sofort.“

Hatte sie wirklich so lange einfach bewegungslos auf dem Stuhl gesessen? Nur vor sich hingestarrt? Na ja, schließlich war es heute genau drei Jahre her. Kein Wunder also, dass sie wieder in ihren Gedanken versank. Sherlock hätte sie dafür getadelt. Immer konzentriert bleiben, hatte er gesagt, doch das war leichter gesagt als getan.

Kathy warf ihr noch einmal einen forschenden Blick zu, nickte dann aber und ging wieder an ihre Arbeit. Catherine verscheuchte ihre Gedanken schnell und ging noch einmal ihren Tagesplan durch. Sie lag trotz allem gut in der Zeit. Dennoch war es ihr unangenehm, dass Kathy auch noch ihre Versuche im Blick hatte, dabei war Catherine doch mittlerweile Doktorandin und sie „nur“ eine wissenschaftliche Mitarbeiterin des Labors.

Verdammt, was war los mit ihr? Sonst hatte die Arbeit es immer geschafft sie abzulenken und irgendwie weiterzuleben. Irgendwie. Da war die Antwort schon. Es war lange nicht mehr etwas, was sie als Leben bezeichnete. Aufstehen, arbeiten, Vorbereitungen für die Seminare treffen, schlafen um dann wieder aufzustehen. Catherine ging nicht aus, hatte keine Freizeitaktivitäten, sie war gefangen in stumpfsinniger Monotonie und selbst die füllte es nicht mehr aus.

Langsam ging sie zum Inkubator und holte die sorgfältig beschrifteten Reagenzröhrchen heraus. Wenn alles geklappt hatte, so war das gfp Protein nun an das mal6 Protein gekoppelt und sie würde sehen können, wo es sich befand während eines bestimmten Zellstadiums. Gfp war ein fluoreszierendes Protein aus einer Tiefseequalle und konnte leicht an andere Proteine angeheftet werden und war unter einem speziellen Mikroskop sichtbar.

Wie bringt man ein Kaninchen zum Leuchten?“ Catherine biss sich auf die Unterlippe, als sie die Frage von Sherlock wieder knarzend durch die Leitung des Telefons hörte. Eben genauso. Deshalb hatte das Kaninchen in Baskerville damals geleuchtet, weil man hinter das Gen für die Epidermiszellen das Gen für das gfp eingefügt hatte. Dieses wurde dann ganz normal zusammen mit den Gen der Hautzellen transkribiert und so die beiden Proteine fusioniert, sodass es im Licht einer bestimmten Wellenlänge leuchtete.

„Kathy...“, rief Catherine und sofort kam die Blondhaarige zurück. Kathy war 28, also zwei Jahre älter als Catherine und dementsprechend länger bei Professor Niels angestellt. „Hast du heute Abend etwas vor? Ich würde gern weggehen.“

Irgendwie musste sie sich ablenken und wenn der Alkohol das Einzige war, was helfen würde, dann würde sie das tun und danach...Sie zuckte innerlich mit den Schultern, wer weiß. Vielleicht würde sie zum Grab gehen. Nachts war John sicherlich nicht mehr dort.

„Du willst weggehen?“ Irritiert sah Kathy sie an und strich sich eine Ponysträhne aus dem Gesicht, ließ sich neben ihr auf einen der Laborstühle fallen. Catherine nickte nur schlicht.

„Du wolltest doch sonst nie weggehen. Allein wie oft wir dich eingeladen haben...“

„Heute sind besondere Umstände...“, murmelte sie schlicht und fuhr sich durch ihre feinen, braunen Haare.

„Ach ja...es ist genau drei Jahre her, seitdem du dich so verändert hast. Ist an jenem Tag etwas passiert?“, hakte sie nach. Überrascht blinzelte Catherine ihre Arbeitskollegin an. Das wusste sie? Kathy war zwar immer diejenige gewesen, mit der sie sich noch am besten verstanden hatte und sie unterstützte in der chaotischen Zeit, doch als Freundin hätte Catherine sie niemals bezeichnet. Vielleicht war sie einfach zu ignorant gewesen um zu sehen, dass Kathy einfach immer da gewesen war. Dass sie sich immer hatte auf sie verlassen können.

Als Catherine weiterhin teilnahmslos auf ihre Pinnwand starrte, seufzte Kathy und legte ihr eine Hand auf die Schulter.

„Catherine, du kannst mit mir reden.“

„Ich weiß...“, murmelte sie nur abwesend und seufzend vergrub sie den Kopf in den Händen.

„Was ist damals passiert?“ Catherine zögerte. Was sollte sie ihr denn sagen? ‚Erinnerst du dich an den Skandal des größten Lügenbaron der Geschichte, der Selbstmord beging? Er war Teil meiner Ersatzfamilie und ich vermisse die Abenteuer, die wir zusammen erlebt haben, so sehr, dass es mich zerfrisst? Als er gesprungen ist, habe ich alles verloren, was ich hatte? Mal wieder. Der Mensch, der für mich wie ein Vater war, kann mir seitdem nicht mehr in die Augen sehen, weil ich ihn an seinen besten Freund erinnere?‘ Ja, vielleicht hätte sie genau das sagen sollen, jemand einfach alles anvertrauen, doch sie konnte es nicht. Sie würde es nicht verstehen. Kathy kannte Sherlock nicht, kannte nur die Lügengeschichten der Zeitungen und würde ihn auch so sehen. Nein, es war nicht möglich mit ihr darüber zu sprechen.

Nach einigen Minuten schüttelte deshalb Catherine nur den Kopf und bedankte sich bei ihr für ihre Fürsorge, doch sie könnte nicht darüber sprechen. Kathy war sensibel genug um nicht weiter nachzuhaken.

„Also, hast du heute Abend Zeit?“

„Leider nein.“ Kathy verzog entschuldigend das Gesicht und schnalzte. „Ich geh mit meinem Verlobten essen. Wir haben 5 Jähriges.“ Ach ja! Wie hatte Catherine das nur vergessen können? Kathy war seit einem Jahr verlobt und schon mit ihrem Freund zusammen gewesen, bevor sie hier angefangen hatte. Und sie, sie war noch immer eine Jungfer.

„Entschuldige, Kathy. Das habe ich ganz vergessen.“

„Schon in Ordnung“, lächelte sie und klopfte ihr auf die Schulter. „Geh doch einfach Tanzen, wenn dir nach Ablenkung ist.“

Catherine schnalzte nur und wollte gerade erklären, warum die Idee hirnrissig war, als plötzlich ihr Timer piepte. Verdammt! Die Proben! Schnell entschuldigte sie sich bei Kathy und eilte dann zu der großen Zentrifuge, wo ihre gfp Proben bereits seit einer halben Stunde liefen. Nun müsste sie nur noch die DNA lösen und mittels Agarose Gel prüfen, ob die Fusion richtig funktioniert hatte.

„Felix!“, rief sie und ein junger Mann mit braunen Haaren und blonden Strähnen blickte sie an. „Ist das 1% Agarose Gel bereits fertig?“

„Ja!“, antwortete er. „Das hab ich gestern gegossen.“

„Danke!“ Vorsichtig holte sie die Röhrchen aus der Zentrifuge und ging an ihren Platz zurück. Sorgsam nahm sie eine der Mikropipetten herab und entnahm zwei Mikroliter aus der Probe und füllte sie in eine bereits vorgefertigte Mischung für die Elektrophorese. In diesem Moment war sie so hoch konzentriert, dass sie gar nicht die plötzliche Irritation in dem Labor bemerkte.

„Catherine, Sie müssen etwas für mich überprüfen!“

„Sherlock, ich sagte Ihnen doch bereits mehrfach, dass ich nicht...“, antworte sie zunächst aus reinem Reflex- kannte sie diese Situation nur zu gut-, doch dann stockte sie irritiert, blinzelte als sie realisierte, dass sie diese vertraute, tiefe Stimme nicht in Gedanken, sondern wirklich gehört hatte.

Blitzschnell drehte sie sich auf ihren Platz um und starrte zu dem Gang, der in den Eingang des Genlabors führte.

„Sir, Sie können hier nicht so einfach reingehen ohne...“

„Schon gut, Amy.“, fuhr Catherine dazwischen und unterbrach so die Sekretärin des Professors, doch würdigte sie keines Blickes. „Er gehört zu mir.“

Amy war kurz irritiert, doch dann nickte sie und verschwand aus dem Labor.

Catherine bemerkte es noch nicht einmal, sondern starrte nur mit großen Augen auf den Mann, der neben ihren Arbeitsplatz stand und sie anschmunzelte.

„Sherlock...“, hauchte sie nur erstaunt und rieb sich schnell die Augen um sicher zu gehen, dass sie es sich nicht einbildete, doch das Bild blieb. Vor ihr stand der hochgewachsene Mann mit den unglaublich dunklen Locken und diesen ausdruckstarken, eisblauen Augen, der ihr Leben ein halbes Jahr auf Trab gehalten hatte.

„Sie sind langsam geworden, Catherine.“, sagte er nur ruhig. Fassungslos schüttelte sie den Kopf und hätte ein Reagenzglas fallen gelassen, hätte sie noch eines in der Hand gehabt. Er stand wirklich wieder vor ihr! Nach drei Jahren! Eine gefühlte Ewigkeit starrten sie sich nur in die Augen, bis Catherine aufstand.

„Felix. Bitte lass diese Proben auf dem Aggarosegel laufen und stell den Terminplan für das Praktikum für die Bachelor Studenten zusammen. Das Praktikum von V410 fängt nächste Woche an. Sie haben momentan Vorlesung und wir müssen mit Professor Niels noch abstimmen, welche Versuche vorgenommen werden sollen. Ich bin mal kurz in der Pause. Ich hatte noch kein Mittagessen.“

„Verstanden.“, antwortete der Junge sofort auch wenn seine Augen irritiert waren- wie alle in dem Labor. Catherine nickte nur, drehte sich um, hing den Kittel an den Haken im Labor und verließ es. Sherlock folgte ihr direkt und hatte schnell wieder zu ihr aufgeholt.

Catherine unterdrückte ihre Emotionen erst einmal, die sie zu überrollen drohten. Nicht auf dem Flur. Ruhig bleiben, Catherine! Später. Zum Glück gab es einen Raum, den die Laborbesatzung als Küche benutzte. Da es bereits kurz vor Feierabend war, würde dieser Raum verwaist sein. Hier könnte sie in Ruhe mit ihm reden. Mit hastigen Schritten ging sie um die Ecke, öffnete mit einer speziellen Chipkarte die Tür und betrat einen ehemaligen Lagerraum, der nun eine Küchenzeile und einen kleinen Tisch mit drei Stühlen beinhaltete.

Sherlock trat ein und sah sich kurz um, schloss dann aber die Tür.

„Sherlock...“, flüsterte Catherine nochmals ungläubig und blinzelte, um die Tränen aus ihren Augen zu vertreiben.

„Catherine...ich...“, doch Catherine hatte Sherlock bereits umarmt. Es war ihr egal, dass er nie etwas dafür übrig gehabt hatte, dass er Berührungen gar verabscheute, doch sie konnte es nicht mehr zurückhalten.

Zu ihrer Verwunderung stieß Sherlock sie nicht von sich, sondern zog sie dichter an sich heran.

„Sie verdammter Idiot!“, schluchzte sie und schlug gegen seine Schulter.

„Ich weiß...es tut mir leid.“, flüsterte er sanft und hielt sie an sich gedrückt.

„Wa...warum haben Sie...ich...ach, verdammt!“ Catherine wusste nicht was sie sagen sollte, plötzlich waren alle Worte wie weggeweht. Sie hatte sich schon oft ausgemalt, was sie Sherlock an den Kopf werfen würde, falls sie sich einmal wieder sehen würde. Wörtlich hatte sie sich ihre Predigt zurechtgelegt, doch jetzt, jetzt versagte ihr die Stimme und sie war einfach nur froh, dass er wieder da war, dass sie recht gehabt hatte, dass er nicht tot war. Eine Flut aus Emotionen spülte über sie hinweg. All die Trauer und Verzweiflung, die sie so lange verschlossen hatte, prasselten wie schwere Regentropfen auf sie ein. Es kostete sie alle Kraft um nicht zu schluchzen, sie wusste, dass Sherlock das nicht leiden konnte, doch es war als wäre ein zentnerschwerer Stein von ihren Schultern gegen ihren Damm, der ihre Gefühle zurückhielt, geknallt und hätte ihn eingerissen.

So viel drang auf sie ein. Am liebsten würde sie ihn schlagen, weinen, sich an ihn schmiegen und etliche Sachen an den Kopf werfen, doch sie tat nichts von alledem. Stattdessen drückte sie sich nur an ihn und versuchte mit aller Kraft sich nicht allzu lächerlich zu machen. Wie erbärmlich musste sie Sherlock gerade vorkommen? Aber sie hatte ihn einfach so vermisst.

„Sherlock...“ Mehr kam einfach nicht über ihre Lippen und sie drückte ihren Kopf gegen seine Schulter, während ihr zierlicher Körper zitterte. Nun würde alles wieder gut werden. Sherlock zögerte, schien noch ein wenig überfordert mit ihrer überschwänglichen Freude, doch dann griff er in ihr Haar und hielt sie einfach fest.

„Schon gut...es ist vorbei.“ Sherlocks Stimme war ganz sanft. Beruhigend wie ein kleiner Fluss umfloss sie Catherine und half ihr ein wenig gegen die Flut ihrer Emotionen.

Es dauerte einige Minuten bis Catherine sich wieder halbwegs unter Kontrolle hatte und sich so weit beruhigt hatte, dass ein normales Gespräch zwischen ihnen beiden möglich war. Vorsichtig löste sie sich aus der warmen Umarmung, trat zurück und wischte sich die Tränen aus den Augen.

„Geht es wieder?“, fragte Sherlock besorgt und betrachtete nachdenklich ihr Gesicht. Catherine nickte hastig und wandte sich ab um für sie beide einen Tee kochen. Als das Wasser langsam zu kochen begann, setzte sie sich an den Tisch und fuhr sich durch das Haar.

„Weiß John es schon?“, stellte sie endlich die Frage, die ihr, nachdem der erste Sturm des Chaos sich gelegt hatte, auf der Seele brannte. Der Ausdruck des Schmerzes in Sherlocks unglaublich blauen Augen wurde nur noch größer und er schüttelte nur den Kopf.

„Nein...“ Nun klang auch seine Stimme erstickt. Da saß wieder der zerbrechliche, von seinen eigenen Gefühlen wohl überforderte, Sherlock, den sie in der Eisdiele gesehen hatte.

„Warum nicht?“ Catherines Stimme war ruhig, eher emotionslos. Am liebsten würde sie ihn anschreien. Sie konnte es nicht glauben. Was verschwendete Sherlock seine Zeit dann hier, wo John an dem Verlust seines besten Freundes nach und nach zerbrach? Nun begann die Wut in ihr zu brodeln. Nachdem Sherlocks vermeintlicher Betrug aufgedeckt worden war, hatte auch John einiges an Spott und Häme ertragen müssen. Entweder war er als blinder Idiot oder als Mitverschwörer bezeichnet worden, da er über Sherlocks Fälle berichtet hatte.

Niemand hatte ihm die Zeit gelassen Luft zu holen, doch John war stark geblieben und hatte nie eine Sekunde an Sherlock gezweifelt, obwohl er nicht alleine gegen ganz England kämpfen konnte, so hatte er es doch versucht. Ähnlich Don Quichotte, der gegen die übermächtigen Windmühlen gekämpft hatte.

„John ist nur noch ein Schatten seiner selbst. Er ist an der ganzen Sache zerbrochen, er erträgt es nicht, dass alle so schlecht über Sie geredet haben und würde am liebsten die ganze Welt anschreien, dass sie es lassen sollten. Er hat an Ihrem Grab geweint, Sie angefleht wiederzukommen und doch lassen Sie ihn drei Jahre leiden?“

„Ich weiß...ich...war dort...ich habe es gesehen.“

„Was?“, entfuhr es Catherine. Sie zog tief Luft ein und zwang sich ruhig zu bleiben. „Warum haben Sie dann nicht...“

„Danke...“, unterbrach Sherlock sie plötzlich und hob seinen Blick. Catherine blinzelte verwirrt.

„Wofür?“

„Dafür, dass Sie Ihr Versprechen gehalten haben. Ich habe gesehen wie Sie sich um John und Mrs. Hudson an meinem Grab gekümmert haben. Ich weiß, dass das nicht einfach gewesen sein muss, wo Sie doch all die Zeit unter mir gelitten haben und nun endlich Ruhe hätten, um Ihr...“ Klatsch! Sherlock taumelte zurück, als Catherine ihn mit aller Wucht eine Ohrfeige gegeben hatte. Keuchend blieb er an die Wand gelehnt stehen, hielt sich seine nun rot werdende Wange und sah sie irritiert an.

„Sie Idiot! Mistkerl! Vollidiot! Blödmann!“, fluchte Catherine wütend, während ihre Faust noch immer zitternd erhoben war und ihr Atem stoßweise ging. Es wäre noch viele weitere Schimpfworte gefolgt, hätte sie nicht Sherlocks völlig irritierten Blick gesehen. Vermutlich hatte er wirklich keine Ahnung wie er sie mit dieser unbedachten Aussage verletzt hatte. Ja, sie hatte sich oft beschwert, wie anstrengend das Leben mit Sherlock Holmes war, aber es war nie ihr Ernst gewesen. Sie hatte dieses Leben geliebt, sie hatte die Streitereien mit Sherlock geliebt und auch all diese gemütlichen Gesprächsrunden mit John.

„Sie kapieren echt gar nichts, Sherlock. Sie haben nichts verstanden.“ Catherines Kraft schwand so schnell wie die Wut, die mit ihr einhergegangen war, aufgebraust war. Sie sackte auf den Stuhl und vermutlich sah man ihr nun an wie kräftezehrend die letzten Jahre gewesen haben.

„Das haben Sie damals schon nicht. Wie kamen Sie nur auf diese absurde Idee, dass ich nicht um Sie trauern würde? Das hat mich damals im Eiscafé schon verletzt. Wir haben so viel zusammen durchgestanden. Ich bin durch die Hölle bei den Serben für Sie gegangen und doch glauben Sie noch immer, dass Sie mir egal sind? Hätte ich mich dann schluchzend in Ihre Arme geschmissen, als ich realisierte dass Sie leben- nicht, dass ich daran je gezweifelt habe- obwohl ich weiß, dass Sherlock Holmes nichts mehr hasst als Körperkontakt?“, sagte sie mit zitternder Stimme, während sie fassungslos den Kopf schüttelte. Das konnte doch nicht Sherlocks Ernst sein. Bedeutete sie ihm nach allem so wenig? Sicher, sie hatte sich nie auf eine Stufe mit Mrs. Hudson, Lestrade oder gar John gestellt, doch sie hatte insgeheim immer gedacht, dass sie mehr gewesen war, als eine dumme Biologie Studentin, die er hatte ausfragen können. Vielleicht hatte er sie damals im Flugzeug doch nur manipuliert um seine Neugierde zu befriedigen. Schließlich hatte er sie gut einen Monat später aus seinem Leben verbannt.

Sherlock sah sie überrascht an und zum ersten Mal erlebte sie ihn sprachlos.

„Aber Sie haben doch immer...“

„Ja, ich habe mich beschwert. Natürlich habe ich mich beschwert. Ich meine, Sie sind ständig in meine Wohnung mit einem erschlichenen Ersatzschüssel geschneit, haben mich die abstrusesten Dinge gefragt, auf der Arbeit ständig angerufen, haben mich vom Lernen abgehalten und meines ruhigen Lebens beraubt und so vieles mehr...aber...Sie haben mir etwas wertvolleres gegeben. John und Sie. Nachdem Sie vermeintlich gestorben waren, brach auch meine Bindung zu John und ich verlor alles. Mir blieb nur noch meine Arbeit und in die verrannte ich mich total, doch alles andere bröckelte. Ich verlor komplett den Halt.“ Catherine schloss die Augen, holte tief Luft, sammelte sich und trank einen Schluck Tee.

Sherlock sah sich kurz in dem kleinen Raum mit der schummrigen Beleuchtung um, konzentrierte sich dann aber schnell wieder auf Catherine.

„John und Sie reden nicht mehr miteinander?“

„Ist die Frage wirklich ernst...“, Catherine brach ab. „Natürlich, wie dumm von mir. Ich vergaß. Ihnen muss man ja die meisten emotionalen Regungen erklären. Nun...ich würde wirklich gerne noch mit ihm sprechen. Grad in der Zeit hätte ich John gebraucht. Es war wirklich nicht leicht, aber...dann wäre ich mehr als egoistisch gewesen. Unser einziges Thema waren die Eskapaden des Sherlock Holmes.“ Sherlock zog eine Augenbraue hoch, setzte schon zu einer Erwiderung an, schwieg dann aber. Das verwirrte Catherine. Normalerweise wäre jetzt irgendeine Spitze gekommen, doch Sherlock schwieg. Etwas schien sich in dem Consulting Detective in der Zeit verändert zu haben. Er war nicht mehr so egozentrisch, ließ Emotionen zu- schien diese sogar teilweise zu verstehen. Es war seltsam, er wirkte beinahe menschlich. Was war in den drei Jahren geschehen?

„Aber...warum...?“

„John kann mir nicht mehr in die Augen sehen...immer wenn er mich sieht, wird er erinnert. An unsere gemeinsame Zeit, an all die Abenteuer. Wenn ich ihn zufällig auf der Straße treffe, dann grüßt er zwar freundlich, aber sein Blick sieht aus, als würde er innerlich Stück um Stück zerbrechen. Wie kann ich dann meinen Wunsch mit ihm zu reden durchsetzen, wenn er darunter so leidet?“ Müde schüttelte Catherine den Kopf. „Nein, das kann ich nicht.“

Sherlock seufzte schwer und strich sich eine Locke aus dem Gesicht.

„Was habe ich nur angerichtet? Ich wollte doch nur...“ Sherlock brach wieder einmal ab, biss sich auf die Lippen.

„Ja, was wollten Sie, Sherlock? Warum haben Sie das getan?“, fragte sie verzweifelt und wieder kämpfte sie mit den Tränen. „Warum haben Sie sich von uns abgewandt?“

„Um euch zu beschützen.“, sagte Sherlock schlicht, doch die Worte trafen Catherine wie ein Hammerschlag. Überrascht atmete sie tief ein und sah ihn bloß aus großen Augen an. Sherlock begegnete ihrem Blick. Keine Regung war in seinen besonderen Augen zu sehen, doch sie wusste, dass er genau auf ihre Reaktionen achtete, dass er versuchte zu verstehen, was in ihr vorging.

„Um uns...“ Sie schluckte. „...zu beschützen?“

Sherlock seufzte schwer und nickte. Plötzlich wirkte er müde und geschafft. Erst jetzt wurde Catherine klar, dass die Zeit für ihn sicher auch nicht leicht gewesen war. Er hatte sich verstecken müssen, war all die Zeit allein gewesen. Normalerweise hätte sie gedacht, dass es Sherlock nichts ausmachte, doch so wie er sich verhielt, seit sie in der Küche saßen, war sie sich da nicht mehr sicher. Sherlock hatte immer gesagt, er hätte keine Gefühle, doch er hatte viel öfters welche gezeigt, als er vermutlich selbst dachte und wahrscheinlich hatten die Schuldgefühle in den letzten drei Jahren ihn zerrissen. Es musste hart gewesen sein seinem besten Freund in die Augen zu sehen und zu wissen, dass man seinen Tod vorspielen würde, während er nach einem rief, einen anflehte nicht zu springen.

„Moriarty...er...“ Stockend holte er tief Luft und schien seine Kraft zu sammeln. Wenn es hier nicht Sherlock wäre, hätte Catherine zur Unterstützung seine Hand genommen, doch so sah sie ihn nur an und wartete. „...er hatte Scharfschützen beauftragt...John, Misses Hudson und Lestrade zu töten...falls ich nicht springe.“

Traurige Augen trafen Catherine, welche geschockt zurücktaumelte, über das Stuhlbein stolperte und zu Boden fiel.

„Catherine! Alles in Ordnung?“ Sofort stand Sherlock auf und half ihr auf.

„Ja...ja...“, erwiderte sie nur schnell. „Nichts passiert.“

Sie wusste noch nicht einmal, was sie so aus der Bahn geworfen hatte. War es, dass Sherlock wirklich bereit gewesen war alles zu opfern um seine Freunde zu beschützen oder war es der Paukenschlag, dass sie nicht dazugehörte? Nicht, dass sie scharf darauf war, dass ihr Leben von einem Scharfschützen bedroht wurde, das Waterboarding durch die Serben hatte ihr wirklich gereicht, aber es traf sie schon, dass sie kein wichtiger Teil in seinem Leben war. Sherlock hatte ihr Leben zerrissen, es vollkommen auf den Kopf gestellt und sie mehr als einmal in Lebensgefahr gebracht, aber die Beiden hatte sie jedes Mal gerettet und sie liebte sie dennoch über alles, waren sie doch alles was sie hatte.

Traurig schloss Catherine die Augen und ballte die Hand zur Faust. Mit einem Kopfschütteln versuchte sie die Trauer zu vertreiben, als könnte sie die lästigen Gedanken abschütteln, doch es gelang ihr nicht. Die Zweifel setzten sich in ihrer Seele fest, nagten an ihr. Schließlich verstand Niemand, was in Sherlock vorging.

„Ich hatte das Spiel verloren...ich ahnte schon nach unserem Gespräch, nach Johns Warnungen, dass ich nicht gewinnen kann, denn du hattest recht, Catherine. Moriarty hatte den Vorteil, dass er Niemanden hatte, der ihm etwas bedeute. Mir war klar, dass es höchst wahrscheinlich dazu führte, dass ich sterben musste, deshalb habe ich mit Hilfe von Molly Vorbereitungen getroffen. Ich hoffte zwar noch ohne diese Notlösung herauszukommen, doch als er sich umbrachte, hatte ich keine Chance mehr. Entweder ich sprang und starb in Schmach...oder er würde alles auslöschen, was mir wichtig war und das konnte ich nicht. Sie hatten genug wegen mir gelitten, sie waren nur wegen mir in diese Situation geraten...und ich wollte nicht mehr egoistisch sein. Ich hätte so nicht mehr leben können. Ohne die Menschen, die Farbe in mein Leben gebracht hatten, die mich ertrugen und mir trotz aller Widrigkeiten beistanden.“

„Sherlock...“, hauchte sie überrascht und sah zu ihm herüber. Ja, er war wirklich müde, erschöpft und ruhelos von all der Hetze, die er die letzten Jahre erduldet hatte. Sherlock kam wohl sogar noch weniger zum Essen als sonst. Aber da war noch etwas an ihm, was sich verändert hatte. In seinen Augen waren Schuldgefühle zu erkennen und Schmerz darüber, was er ihnen angetan hatte. Erst dann jedoch realisierte sie etwas. „Moment...du?“

Sherlock lachte leise und strich sich durch das Haar.

„Du bist wirklich langsam geworden.“ Er lächelte sie warm an und nahm einen Schluck aus seiner Teetasse. „Sieh als Wiederausgleich dafür, dass du keinen roten Laserpunkt zwischen den Augen hattest.“ Und da war es wieder. Dieses Grinsen. Catherine spürte das vertraute Gefühlsgemisch aus gespielter Beleidigung, Amüsement und dem Bedürfnis ihm ein Kissen ins Gesicht zu werfen, was sie früher immer gehabt hatte, wenn Sherlock wieder einer seiner typischen Sprüche gebracht hatte.

„Dabei würde mir ein Bindi sicher stehen. Obwohl, dann würde ich ja für immer Jungfrau bleiben, so oder so. Neee, besser doch nicht“, lachte Catherine. Für einige Augenblicke war Sherlock sichtlich verwirrt, doch dann stimmte er in das Lachen mit ein und es tat Catherine gut, diesen warmen Bariton wieder zu hören. Als das Lachen verklang, fiel ihr plötzlich ein, dass sie ja noch auf der Arbeit war und sah hastig auf die Uhr. Sie war beinahe schon eine dreiviertel Stunde in der schummrigen Küche, wo die Luft zu stehen schien.

„Was? Schon so spät?? Warten Sie hier, Sher... was?“ Sherlock hatte eine Augenbraue hochgezogen und sah sie wieder mit diesem Blick an, den er immer hatte, wenn man etwas übersehen hatte.

„...du bist eindeutig aus der Übung.“

„Was denn diesmal? Könnten Sie mich teil...“ Wieder sah er sie ungläubig an und schüttelte seufzend den Kopf. Dann plötzlich fiel ihr etwas ein, was Sherlock meinen könnte.

„Soll das heißen...ich soll auch ‚du‘ sagen?“

„Sonst hätte das ganze ja wohl wenig Sinn, oder?“, erwiderte Sherlock ruhig, seine Mundwinkel zuckten aber wieder verräterisch. Catherine saß völlig überfordert auf dem Stuhl und sah ihn mit großen Augen an. Ein halbes Jahr lang hatten sie alles zusammenerlebt, hatten gekämpft, sich geärgert und sie hatte sich ihm sogar anvertraut, auch wenn Sherlocks Ratschläge meist seltsam waren und doch hatten sie sich immer untereinander Gesiezt. Catherine hatte immer gedacht, wenn selbst John Sherlock noch siezte, so hatte sie nicht das Recht es anders zu tun und das obwohl die beide so was wie Väter für sie geworden waren. Es war seltsam gewesen, doch sie hatte sich nach einiger Zeit daran gewöhnt.

Umso mehr überwältigte es sie, dass Sherlock damit von alleine kam, es sogar in ein Spiel eingeflochten hatte. Nie hätte sie das geglaubt, aber diese kleine Geste seinerseits machte sie wirklich glücklich. Ein sanftes Lächeln legte sich auf ihr Gesicht und sie stand dann auf.

„Wohin gehst du?“

„Warte bitte hier. Ich geh mir Urlaub nehmen.“

„Kannst du das denn so einfach?“, fragte Sherlock irritiert. „Es klang so, als wäre euer Zeitplan ziemlich eng gestrickt.“

Ihr Grinsen wurde noch ein wenig breiter.

„Dem ist auch so, aber ich sag es mal so: es interessiert mich nicht. Ich habe mir drei Jahre hier den Buckel krummgearbeitet, keinen Urlaub genommen und immer Schichten der Arbeitskollegen übernommen. Na gut, ich hab es so gewollt. Nach Hause wollte ich nicht, aber dennoch. Ich glaube ich hab mir etwas Urlaub verdient.“

Sherlock lachte und stand auf, zog sich einen Mantel wieder an und sah zu ihr hinab.

„Du bist also mittlerweile der Boss hier?“

„Die Biologie war das Einzige, was sich nicht verändert hatte. Also klammerte ich mich daran fest. Rein karrieretechnisch war es das Beste, was mir hätte passieren können. Ich bin seit einem Monat Doktorandin.“ Catherine zuckte mit den Schultern und räumte das Geschirr ab. Obwohl sie wirklich jung für eine Doktorandin war, erfüllte diese Aussage sie nicht mit Stolz. Es zeigte nur immer mehr, wie kaputt ihr Leben in dieser Zeit gewesen war, wie verzweifelt und allein sie gewesen war, dass sie sich zu den Mikroorganismen geflüchtet hatte.

Catherine sah zu Sherlock auf, der ihren Blick noch immer erwiderte. Seine graublauen Augen betrachten sie nachdenklich, schienen sie zu durchdringen und Catherine wusste, dass, was immer er suchte, auch finden würde. Was er dann allerdings sagte, warf sie komplett aus der Bahn.

„Herzlichen Glückwunsch. Ich wusste, dass du es weit bringst, Catherine.“ Anerkennend klopfte er ihr auf die Schulter. Etwas schien sich zwischen ihnen verändert zu haben. Sherlock war nicht mehr der Mann, auf den sie so oft geflucht oder über dessen Geschichten sie nur ungläubig den Kopf geschüttelte hatte, sondern er wurde offener, ehrlicher was seine Gedanken anging und sie spürte, dass es sie ein wenig überforderte. Mit dem alten Sherlock wusste sie umzugehen, wusste ihm zu trotzen, doch wie sollte sie mit einem warmherzigen umgehen? Mit einem, der nicht mehr auf seine verschrobene Art zeigte, dass er helfen wollte?

Kurz, einem plötzlichen Impuls folgend, legte sie ihren Kopf gegen seine Schulter, schloss die Augen zog den seltsamen, einzigartigen Geruch ein, den sie so lange nicht vernommen hatte. Sie spürte den ruhigen, gleichmäßigen Atem Sherlocks unter sich, fühlte wie er sich nicht versteifte, sondern sie gewähren ließ, es vielleicht sogar ein klein wenig genoss.

„Ich komme gleich wieder...“, sagte sie leise, als sie sich löste und zur Tür ging. Gerade, als sie die schlecht beleuchtete Küche verlassen wollte, blieb sie im Türrahmen stehen, drehte ihren Kopf zu ihm zurück und sah ihn lange an. „Bitte, Sherlock. Sei noch da, wenn ich wiederkomme.“

Sherlock nickte nur, ein trauriges Lächeln auf den Lippen.

„Versprochen.“ Es war kein Wunder, dass sie glaubte, er könnte sie verlassen. Sherlock war immer dorthin gegangen, wohin er wollte und hatte sich nie darum geschert, ob die anderen sich sorgten. Es wäre also nicht verwunderlich, wenn er in der Zeit einfach verschwinden würde. Verschwinden wie ein Schatten, der er in den letzten drei Jahren gewesen war.

„Cath...“, hielt er sie auf, als sie wieder zurück zum Labor gehen wollte. Catherine blieb irritiert blinzelnd stehen und sah ihn noch einmal an. „Ich bin froh, dass Moriarty dich damals nicht im Visier hatte. Wenn er noch nicht von dir wusste, von unserer Bindung, dann weiß es auch kein anderer. In dem Moment dachte ich, dass ich froh bin, dass du in Sicherheit bist. Denk nicht, dass dein Tod mich kalt gelassen hätte.“

Sherlock hob seinen Blick und starrte sie direkt an- mit nichts als der Wahrheit in seinem Blick. Es war keine seiner üblichen Manipulationen um die Menschen fühlen zu lassen, was er wollte, es war kein Spiel, es war die Wahrheit. Er war wirklich froh gewesen, dass Catherine während diesem gefährlichen Spiel niemals in Gefahr gewesen war, dass, egal wie es ausgegangen wäre, zumindest eine Person nicht durch ihren Glauben an ihn zerstört worden wäre.

Catherine war damals so jung gewesen, das wurde ihm erst jetzt bewusst. So unglaublich jung, doch sie hatte sich oft erwachsener verhalten als er und gezeigt, was für einen wachen, aufmerksamen Verstand sie besaß. Im Nachhinein musste Sherlock einsehen, dass sie einen guten, analytischen Verstand besaß, der selbst ihn zum Teil durchschaute. Erst in den letzten Jahren, als er die Zeit mit John, Lestrade, Mrs. Hudson, Catherine und Mycroft überdacht hatte, hatte er viele Erkenntnisse gewonnen und festgestellt wie oft Sherlock vergessen hatte, dass sie damals erst 22 Jahre alt gewesen war. Er hatte eine junge Frau in eine Welt gezogen, die so dunkel war, dass sie Gefahr lief niemals wieder herauszufinden. Doch sie hatte es geschafft, sie hatte die Dunkelheit besiegt, war fast beinah die Alte geblieben, obwohl er ihr so viel zugemutet hatte.

Als er sie so ansah, sah er ein irritiertes, aber sanftes Lächeln auf ihren Lippen, während ihr Verstand zu verarbeiten begann, was er erfahren hatte. Sie nickte nur knapp, verließ die Küche und verschwand im Labor. Er hörte wie sie umsichtig und doch bestimmt die Aufgaben verteilte und ihr Labor führte. In diesem Moment konnte Sherlock sich ein Lächeln nicht verkneifen und stellte mit ein wenig Stolz fest wie erwachsen seine kleine, widerspenstige Studentin doch geworden war.

Plan schmieden

Das kleine Café war an diesem späten Frühlingstag gut besucht. Pärchen, Freunde und Familie drängten sich an die engen, runden Tische, tranken Kaffee und schwatzten über ihren Tag. Sherlock ließ seinen Blick über die belebte, bunte Masse treiben. Es war lange her, dass er sich offen an solchen Plätze aufgehalten hatte, dass er wie ein Schatten in dem Farbenspiel gesessen hatte und seine Beobachtungen durchführen konnte. Er löste seinen Blick von einer rundlicheren Frau aus Iowa, die hier auf Geschäftsreise war für eine Versicherung und lasziv mit dem Kellner flirte, der das freundlich erwiderte, aber in Wirklichkeit mehr als offenkundig schwul war.

Catherine saß vor ihm und nippte an einer warmen Tasse Kaffee, während auf ihrem Teller ein Käseschinkensandwich lag und darauf wartete verzehrt zu werden, doch sie machte keinerlei Anstalten es zu essen. Erst jetzt, wo sie das tiefliegende Labor von Catherines Arbeitsgruppe verlassen hatten, hatte Sherlock die Zeit sie in Ruhe zu betrachten.

Als er neben ihr im Labor gestanden hatte, hatte selbst den sonst bewusst distanzierten Sherlock eine Flut an Emotionen überrollt, dass er nicht in der Lage gewesen war klar zu sehen. Angst, Trauer Hilflosigkeit, Freude und Hoffnung, so nannte man wohl einige von ihnen. Es war seltsam gewesen wieder neben ihr zu stehen, wie er es oft am Wochenende getan hatte, wenn die Räume verwaist waren und sie ihm neue, biotechnologische Methoden gezeigt hatte. Erst hatte er nicht gewusst wie er sie hatte ansprechen sollen. Sie war so ruhig, so aufgehend in ihrer Arbeit gewesen, dass ihm erst dort bewusst geworden war wie sehr sie diese Arbeit liebte und wie sehr er sie oft davon abgehalten hatte, wie sehr er ihr Leben nach seinem Wunsch manipuliert hatte ohne Rücksicht auf sie zu nehmen.

In diesem Moment hatte er gezögert und sich gefragt, ob es richtig wäre, wieder in ihr Leben zu treten. Dann jedoch, hatte sich etwas verändert. Als Catherine mit der Mikropipette etwas aus dem Reagenzgefäß nahm und es in ein Eppendorfgefäß überführte, durchdrang ein trauriger Blick ihre klaren Augen und zeigten Sherlock, dass sie nicht so glücklich war, wie er zunächst vermutet hatte. In diesem Moment hatte der egoistische Drang in ihm sein Leben wiederzubekommen, was er vorher geführt hatte, was er für all die Menschen um sich herum aufgegeben hatte, überhandgenommen und Sherlock hatte sich ihm nicht länger verweigern können.

Catherine hatte auf seine Rückkehr emotionaler...glücklicher...reagiert als er es je erwartet hätte. Er hatte wirklich gedacht, dass ihr das Leben mit ihm als Nachbar eine Last gewesen wäre. Er hatte mit einer Ohrfeige, Rausschmiss oder anderem gerechnet, als er den Unglauben und Schock in ihren Augen gesehen hatte, doch das letzte was er erwartet hatte, waren eine Umarmung und ihre unterdrückten Schluchzer gewesen. Erst dort hatte er sich wieder daran erinnert, dass sie eine junge Frau war, die schon so viel Verlust hatte erleiden müssen und dennoch sogar noch daran gedacht hatte, dass er eigentlich Umarmungen nicht ausstehen konnte. Nach alledem, was Sherlock John, ihr und den anderen angetan hatte, dachte sie dennoch noch an ihn. All diese Eindrücke und Verwirrungen hatten es ihm unmöglich gemacht, den nötigen Abstand zu gewinnen um zu sehen wie es ihr ging. Um seine Deduktionen durchzuführen. Eigentlich hatte er sich zwar vorgenommen bei den wichtigen Menschen zurückzunehmen, doch als er sie ansah wie sie ihr heißes Getränk trank, konnte er sich nicht zurückhalten, denn erst jetzt bemerkte er wie schlecht Catherine aussah.

Sie war dürr geworden in den drei Jahren. Catherine war immer schlank gewesen, doch sie hatte sicherlich noch einmal fünf Kilo verloren, seitdem er die Bakerstreet verlassen hatte. Ihre klaren, intelligent dreinsehenden Augen, lagen in dunklen Höhlen und sie war bleich wie der Schnee, der sich erst vor kurzem aus London verzogen hatte. Auch ihr sonst glänzendes Haar hing nun fettig und ungekämmt in einem schlichten Zopf, während sie nur einen Sweater und schlichte Jeans trug. Catherine war zwar nicht so dumm wirklich schlecht auszusehen, da es ihren Beruf geschadet hätte, doch es war offensichtlich, dass ihr in all der Zeit alles in den Sinn gekommen war, außer auf sich selbst zu achten.

Sherlock entdeckte einen kleinen Senffleck auf der weißen Schrift auf dem Pullover, die das Wort College bildete, das zeigte, dass sie ihre Kleidung häufiger trug, sie eventuell sogar gar nicht wechselte. Nach alledem, was er im Labor gesehen und von ihr gehört hatte, war der Schluss leicht, dass sie sich wirklich in ihre Arbeit vergraben hatte und dabei alles andere um sich herum vergessen hatte. Als um sie herum alles zerbrach, hatte sie sich in die einzige Welt zurückgezogen, die noch heil zu bleiben schien und hatte sich an sie geklammert, wie ein Ertrinkender an einen Strohhalm. Alles andere um sie herum hatte wohl aufgehört zu existieren.

Sherlock unterbrach seine Deduktion und schloss die Augen. Er wollte nicht noch mehr Schlussfolgerungen ziehen. Er hatte viele Menschen damit verletzt und hatte mit ihnen diese ganze Misere überhaupt erst angezettelt, den Fehler wollte er nicht noch einmal machen. Zwar würde er sie niemals komplett abstellen können, wollte es auch gar nicht, doch er wollte versuchen nicht mehr die Gefühle der Menschen zu verletzten, die ihm nahe standen. Er wollte John zwar noch immer mit ihnen beeindrucken, aber ihn nicht mehr damit nerven.

Als er die Augen wieder öffnete, sah er, dass Catherine ihn über den Rand ihrer Tasse beobachtete, aber schwieg. Mittlerweile hatte sie aufgegeben Sherlock zu überzeugen, seine Zeit nicht mehr mit ihr zu verschwenden, sondern stattdessen zu John zu gehen um seinen einzigen Freund endlich zu erlösen. Doch Sherlock wollte es nicht, noch nicht. Ihm war nun klar, dass er John schlimmer verletzt hatte, als alle anderen, dass er ihn noch mehr verletzten würde, wenn dieser erfuhr, dass ein bester Freund die ganze Zeit am Leben gewesen war und Sherlock wusste auch, dass eine einfache Entschuldigung nicht im geringsten reichen würde um das wiedergutzumachen- falls das überhaupt möglich war. Deshalb hatte er auch Catherine als erstes aufgesucht, nachdem er sich hatte sicher sein können, dass es gefahrlos möglich war.

Drei Jahre hatte es ihn gekostet, die Scharfschützen und Hintermänner von Moriarty zu finden. Es waren drei Jahre voller Wechsel vom Gejagten, zum Jäger und wieder zurück gewesen. Sherlock war durch die ganze Welt gereist hatte sie gesucht, gefunden und eliminiert. Erst jetzt merkte er wie lange drei Jahre waren und wie sie reichten, damit alles fremd wurde. Das, was einst vertraut gewesen war, stand nun hinter einer Schlucht, die zu überqueren beinah unmöglich schien. Obwohl anscheinend sowohl John als auch Catherine oft an ihn gedacht hatten, waren ihre Leben weitergegangen, hatten einen Weg ohne Sherlock gefunden und er wusste nicht mehr wie er wieder dahin hinein kommen sollte.

Nur eines hatte sich in all der Zeit nicht verändert: Sherlock hatte nur einen Freund. Einen einzigen. Seinen gutherzigen, loyalen John. Aus dem was Catherine ihm gesagt hatte, hatte er gelesen, dass John niemals in den Alltag zurückgefunden hatte und das war vielleicht das Problem. John hatte keine Ablenkung, keinen Alltag gefunden, hatte jeden Tag mit dem Schmerz gelebt. Das machte eine Rückkehr vermutlich schwerer, denn es zeigte wie wichtig Sherlock seinem Freund war ohne dass Sherlock es selbst je gemerkt hatte. Auch wenn er sich viel mit diesem Thema während seines vermeintlichen Todes beschäftigt hatte, verstand er noch immer viel zu wenig davon um wirklich Freundschaft zu begreifen.

Das seltsame daran war, dass Sherlock in Catherine keine Freundin sah. Sie war eine Vertraute, ohne Zweifel, doch sie war nicht John. Manchmal hatte Sherlock sich gedacht, dass sie eine Art Bindeglied zwischen dem emotionalen John und ihm war. Catherine besaß einen nicht allzu langsamen Verstand und war dennoch in der Lage Emotionen zu verstehen und zu analysieren. Auch war sie es oft, die noch Spaß an seinen Spielen hatte, während John ihn schon längst getadelt hatte. Sie verstand die emotionale Welt, die John so sehr schätzte, doch sie spielte ebenso gerne damit, solange es nicht zu weit ging. Ein kleines Schmunzeln glitt über sein Gesicht, als er daran dachte wie sie den armen Nate einen peinlichen Abend beschert hatten. John hatte sie zwei Tage mit Schweigen gestraft und ihnen genervte Blicke zugeworfen, wenn sie darüber gesprochen und gelacht hatten.

Catherine war wie eine Vermittlerinnen zwischen den beiden Freunden. Jemand, der John unterstützte, wenn Sherlock mal wieder zu weit gegangen war, ihm einen Spruch reindrückte oder mit Sherlock die Späße weitertrieb, während John sie schon längst genervt abgewandt hatte. Sie verstand beide Seiten. Catherine war eine Mischung aus ihnen beiden. Sie hatte es immer geschafft, ganz gleich in welcher Situation sowohl John als auch Sherlocks Sicht zu verstehen und das hoffte er auch dieses mal. Sie sollte Sherlock dabei helfen einen passenden Weg zu finden, wie er John zurückgewinnen konnte. Sie sollte Aspekte mit bedenken, die Sherlocks Verstand nicht begriff. Auch wenn er sich viel mit Gefühlen und Freundschaft beschäftigt hatte und versuchte es besser zu verstehen, gab es vieles was er nicht begriff und eines ganz besonders und er hoffte, dass Catherine es mit ihrem Mittelweg schaffen würde es ihm zu erklären.

„Catherine...kann ich dich etwas fragen?“

„Hmmm?“ Sie neigte ihren schmalen Kopf und stellte leise die Tasse ab. „Sicher, Sherlock. Man kann immer fragen, die Frage ist, ob man eine Antwort bekommt.“

Sherlock sah sie an und nickte, überlegte wie er die Frage stellen könnte, beschloss dann aber sie gerade herauszustellen.

„Warum vertraut ihr mir?“ Catherine blinzelte irritiert. Sie war verwirrt auf Grund der Frage und schien einige Zeit zu überlegen wie die Frage gemeint sein könnte. „Ich meine...alle Welt hat immer und immer wieder behauptet, dass ich lüge, doch ihr habt dagegen gekämpft, habt euch beschimpfen und demütigen lassen, anstatt einfach die bequeme Lüge zu akzeptieren, die ich sogar selbst noch bestätigt habe. Ich würde gerne verstehen, warum. John hatte mir ein paar Tage bevor das alles passierte, sogar erzählt, dass du verprügelt worden bist, weil du mich verteidigt hast.“

„Tja, gute Frage, was?“, begann sie nach einiger Zeit des Bedenkens und schmunzelte. „Du erinnerst dich sicher noch, dass ich dir genau diese Frage schon einmal gestellt habe. Ich habe danach oft darüber nachgedacht, warum es wohl so sein könnte. Ich meine, du hast dich niemals darum geschert was andere von dir dachten und auch nie irgendeinen Grund gegeben, dir zu vertrauen. Aber vielleicht ist genau das der Grund.“

Diese Erklärung verwirrte Sherlock. Sie hatte Recht, er hatte sich nie darum geschert, was andere von ihm dachten. Sie waren ihm alle zu langweilig gewesen, als dass es ihn interessiert hätte. Aber warum sollte genau das der Grund gewesen sein, warum man ihm vertraute? Wie immer waren Gefühle viel zu irrational, als dass er sie fassen konnte. Dabei waren es hier doch auch nur chemische Reaktionen. Ein Mix aus Hormonen, die eine Stimmung auslösten, doch er begriff sie nicht.

„Das verstehst du nicht, richtig?“, hakte Catherine mit einem Schmunzeln nach und legte ihren Kopf auf die Hände. Sherlock sah sie an und nickte. „Ist auch gar nicht so einfach zu erklären, wenn man Jemanden wie dich vor einem sitzen hat. Nun, ich versuch einmal das Unmögliche.“

Sie lachte leise und biss, zur Sherlocks Erleichterung, in das Sandwich, kaute genüsslich darauf und schluckte dann den Bissen herunter.

„Wie gesagt, du hast dich nicht drum geschert wie du dich verhältst. Hast dich nie um Grenzen und Moral gekümmert, solange du an dein Ziel kamst. Normalerweise vermittelt solches vor den Kopf stoßen kein Vertrauen, aber ich denke, dass es bei dir anders war. Dadurch hast du dich nie verstellt, Sherlock. Du hast nicht, wie die anderen Menschen, darauf geachtet wie du nach außen hin wirkst. Du bist oft angestoßen, aber auf Grund dieser Ehrlichkeit, wusste man auch immer, woran man bei dir war.“

„Das...verstehe ich nicht...“, antworte Sherlock und sah sie mit großen, hilflosen Augen an. Gott, dieser Blick war total amüsant und beinahe schon niedlich. Sie schüttelte bloß den Kopf. „Donovan und Anderson hatten das auch und sie haben es nur zu gerne geglaubt.“

„Das ist ja auch was andres.“, seufzte Catherine und strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. „Diese beide kannten dich nicht...ok, niemand tut das. Ich sage besser: Die beiden wollten dich nicht kennenlernen. Dich sehen wie du warst, wie wir dich gesehen haben. Donovan ist halt...nun ja Donovan. Sie hatte Angst vor dir, glaubte immer, dass du irgendwann die Seiten wechseln würdest, weil sie dich nicht verstand, dich nicht begreifen konnte und Anderson...ist einfach...“

„...ein Idiot.“, sagten sie beide zeitgleich und lachten.

„Das natürlich vorrangig.“, fuhr Catherine glucksend fort und nahm einen Schluck Kaffee. „Aber, was ich glaube, was noch mitschlug, war wie du ihn behandelt hast. Es gibt ein Sprichwort: ‚So wie du in den Wald rufst, so schallt es zurück‘ Du hast ihn immer niedergemacht und da hat er natürlich gerne geglaubt, dass all das gelogen war. So hatte er noch einen weiteren Grund dich zu hassen. Das ist ja an sich auch nicht von Belang, denn um die geht es ja nicht.“ Sie holte tief Luft und beorderte sich eine Cola. Sie genoss es, sich wieder mit ihm zu unterhalten, seine Stimme zu hören und es erfüllte sie schon ein wenig mit Stolz, dass sie ihm etwas erklären sollte und er ihr auch noch bereitwillig zuhörte.

„Hoffentlich nicht.“, schmunzelte Sherlock. „Fünf Vertraute sind schon anstrengend genug.“ Catherine lachte leise.

„Und viele sehen das als viel zu wenig.“

„Ihr Menschen seid verrückt.“, erwiderte Sherlock.

„Das sagt ausgerechnet einer der Holmes Brüder.“, grinste sie ihn frech an und hob eine Augenbraue.

„Nun gut...was ich eigentlich versuche zu sagen ist...uff...wie mach ich das einem Sherlock verständlich?“

„Jetzt tu nicht so, als wär ich geistig zurückgeblieben.“, murrte er verstimmt und seine Augen funkelten Catherine an. Diese kicherte wieder und sie aß scheinheilig die Hälfte ihres Sandwiches.

„In der Beziehung bist du aber wirklich geistig zurückgeblieben, Sherlock.“ Sherlock seufzte, lächelte dann aber. Auch er hatte es vermisst. Catherine hatte sich nie von ihnen beindrucken lassen. Wo John sonst immer beeindruckt war, hatte Catherine meist nur gelangweilt dreingesehen und etwas wie „war das alles?“ gesagt. Bei ihrer ersten Begegnung hatte Sherlock nichts mehr gewollt, als sie zu Boden zu zwingen bis sie wimmerte. Er hatte wirklich alles aufgedeckt, wollte sie demütigen, bis sie seinen überragenden Intellekt anerkannte, doch es dauerte nicht allzu lange, bis er erkannte, dass Catherine ihn mehr bot als ein kurzzeitiges Opfer. Sie liebte es, sich mit ihm anzulegen und auch er hatte in Laufe der Zeit Spaß an ihren Spielen gefunden.

„Dann lass mich mal teilhaben.“

„Ooooh...“, sagte sie, als hätte sie etwas ganz niedliches gesehen. Irritiert schüttelte Sherlock den Kopf und sah sie fragend an. „Dass ich das jemals von Sherlock Holmes hören würde...das muss ich gleich in meinen Kalender eintragen.“

„...Catherine Amell, treib es nicht zu weit.“

„Aber das macht Spaß.“

„Cath...!“, warnte er sie. Hmm? War das jetzt ein Spitzname für sie, wenn sie zu weit ging? Aber im Labor hatte er sie auch Cath genannt, als er ihr gesagt hatte, dass sie ihm wichtig war. Was bedeutete dieses Kürzel dann? Er hatte es völlig unbewusst genutzt. Nur beim ersten Mal hatte er es bewusst gewählt, um sie innehalten zu lassen.

„Bitte, Sherlock. Du hattest ein halbes Jahr lang dieses Vergnügen, lass es mich wenigstens ein paar Minuten genießen.“ Große, blaue Augen sahen ihn bittend an und ein seltsames Gefühl breitete sich in Sherlocks Magen aus, dass er nicht kannte.

„Du siehst gerade verdächtig wie diese Grinsenkatzen im Chinamarkt aus.“, seufzte er.

„Ok, ok.“ Sie hob abwehrend die Hände und rollte mit den Augen. „Ich fahr ja schon fort. Also was ich meinte ist, dass John, Miss Hudson, Lestrade und ich einfach keinen Grund hatten daran zu zweifeln. Es gab zu viele Dinge, die du einfach nicht hättest selbst inszenieren können...auch wussten wir, dass du dir nie etwas aus Ruhm gemacht hast. Klar, du hast es genossen deine Deduktionen durchzuführen, den Menschen klar zu machen, dass sie dir unterlegen sind, sie vorzuführen und zu zeigen, was du alles über sie herausfinden kannst. Wie dumm wir sind, dass wir es nicht selbst bemerkten, aber du wolltest nie Ruhm. John war es doch erst, der dich berühmt gemacht hatte mit seinem Blog. In Wahrheit hat es dich doch nur genervt, besonders als die Sache mit dem Hut kam, oder lieg ich da falsch, Sherlock?“

Sherlock lehnte sich zurück, nahm seine Nachdenkpose ein und ließ sich das gesagte durch den Kopf gehen. Natürlich hatte sie Recht. Ruhm war ihm zu wider gewesen. Er erschwerte nur seine Arbeit. Er brauchte die Tarnung als Detektiv. Catherine schien ihn wirklich zumindest ein bisschen verstehen, dennoch begriff er nicht alles von dem, was sie ihm versuchte zu erklären.

„Aber...warum habt ihr mich nicht einfach verstoßen, warum habt ihr für mich gekämpft, selbst als ich tot war? Warum habt ihr die Häme und Spott ertragen? Es wäre doch so viel leichter gewesen, wenn ihr einfach gegen mich gehetzt hättet.“

„Warum John und ich das taten?“, wiederholte sie und plötzlich war aller Spaß aus ihrem Gesicht verschwunden. Ihre blauen Augen wurden zu einem tiefen See in dem er unmöglich ablesen konnte, warum sie das machten. Nachdenklich holte sie ihren Zopf hervor und fuhr sich fahrig durch die Haare, schien mit sich zu hadern.

„Catherine?“, fragte er sie irritiert und beugte sich etwas vor. Sie hob den Blick und sah ihm direkt an, doch er fühlte beinahe schon die Unsicherheit, die sie plagte. Sherlock verstand jedoch nicht wieso. „Alles in Ordnung?“

„Ich...nun...ja...also...“ Sie holte tief Luft und knetete unsicher in ihren Händen. „Also...warum John und ich das machen ist...weil du uns...gerettet hast.“

„Gerettet? Ich hab euch doch immer nur in Gefahr gebracht.“ Catherine sah ihn aus unergründlichen Augen an und trank aus ihrer Cola. Als sie das Glas absetzte, strich sie sich den Pony aus dem Gesicht.

„Stimmt...du bist nicht wirklich ein Engel, Sherlock, und das würdest du wohl auch nie behaupten, aber dennoch bringst du Licht in die Dunkelheit.“, erklärte sie mit dunkler Stimme. „Sicherlich hast du manchmal Dinge gemacht, die uns verletzt haben, die uns vor den Kopf gestoßen haben, das in Baskerville mit John zum Beispiel.“

„Das war ein Experiment.“, verteidigte Sherlock sich.

„Ich weiß, dennoch hatte er Todesangst.“, sagte sie streng und zog ihre Augenbrauen hinab. „Sherlock, eine Frage interessiert mich schon länger. Damals, als die Serben mich entführt hatten wegen der Sache mit meinem Bruder...hättest du mich auch gerettet, wenn die Täter dir dadurch entwischt wären? Aus damaliger Sicht. Jetzt bin ich mir fast sicher, dass du es tun würdest, aber hättest du es auch vor drei Jahren?“ Ihre Stimme war todernst und ihre Augen sahen ihn hilfesuchend an, warteten auf eine Antwort. Sherlock betrachtete sie nachdenklich, wog die Begebenheiten ab.

Die Situation war damals prekär gewesen. Catherine war von einem Tag auf den anderen ins Koma gefallen und es wurde festgestellt, dass sie vergiftet worden war. Es hatte so aussehen sollen, als ob sie einer Krankheit erlegen wäre. Ohne John oder ihn wäre es niemanden aufgefallen, dass nicht alle Fakten ins Bild passten. Nachdem Sherlock also seinem Bauchgefühl nachgegangen war, hatte er herausgefunden, dass Jeffrey ein Spion gewesen war.

Ihr Bruder hatte Dokumente kopiert, die zeigten, dass seine Firma illegal Drogenhandel mit einem riesigen Serbenring betrieben hatte. Catherine hatte sie zufällig bei einer Aufräumarbeit entdeckt, sie aber nicht verstanden und Sherlock gegeben. Danach war es passiert. Catherine hatte diese Dokumente für sie finden sollen, doch als sie diese an Sherlock weitergegeben hatte, hatte die Bande sie als unnütz eingestuft hatte. Sie hatten sie nur nach Serbien verschleppt und nicht direkt getötet, weil sie noch gehofft hatten, dass sie weitere Informationen besaß.

Über Sherlock, ihren Bruder, was sie generell über den Prototyp einer neuen Droge wusste. Sie hatten sie verprügelt, mit simuliertem Ertrinken gefoltert und doch hatte Catherine zu John und ihm gehalten, hatte versucht sie mit all ihren zur Verfügung stehenden Mitteln zu beschützen. Würde eine solche Situation noch einmal auftreten, würde Sherlock sie auf jeden Fall retten, das wusste er, aber hätte er es damals getan? Wenn er zwischen der Killer- und der unbedeutenderen Verhörzelle hätte wählen müssen?

Normalerweise ging ihm nichts darüber den Fall zu lösen, den Täter zu fangen. Hätte er also Catherine sterben lassen, wenn er dafür die Übeltäter hätte stellen können? Er wusste es nicht. Nichts erregte ihn mehr, als endlich einen Fall abzuschließen, aber Catherine war...ja, was war Catherine für ihn? Er konnte die Frage nicht beantworten, aber er versuchte sich zurückzuerinnern, was er damals für sie gefühlt hatte. War sie ich wichtig genug gewesen, dass er das riskiert hätte? Wäre es ein ihm unbekannter Mensch gewesen, hätte er ihn ohne schlechtes Gewissen geopfert, aber bei Catherine, er wusste es nicht. Da war alles komplizierter.

„Würde dich jetzt wieder Jemand entführen, Catherine, würde ich alles tun um dich zu finden und zu retten.“, begann er langsam seine Antwort zu formulieren. Noch während er sprach, überlegte er noch immer, doch in diesem Moment konnte er sich auf seinen Verstand nicht verlassen. Er musste wohl...seinem Gefühl vertrauen, denn nach alldem, was passiert war, verdiente Catherine zumindest eine ehrliche Antwort. „Damals...ich weiß es nicht...wirklich nicht. Ich denke aber schon...doch...“ Als er es aussprach fühlte es sich immer richtiger an. „Ich hätte es getan. Dann hätte ich die Täter später gefangen.“

„Siehst du?“, lächelte sie ihn freundlich an. „Auch wenn du uns oft in Gefahr bringst, so können John und ich uns auch darauf verlassen, dass du uns wieder raus boxt. Manchmal zwar auf ziemlich seltsame Art und Weise, aber wir können dir dabei vertrauen. Auch wenn es dir sicher schwer fällt, das einzugestehen, Sherlock. Du bist unser Freund und zur Freundschaft gehört Vertrauen. Ich meinte aber nicht nur das mit retten, Sherlock. Was ich jetzt sage...fällt mir nicht leicht, weil ich Angst habe, du könntest vor aufgeblasenen Ego und Lob platzen.“ Sie grinste schief, doch selbst Sherlock nahm es ihr nicht ab, denn ihr Blick verriet, dass all das viel tiefer ging. Dass sie sich darauf vorbereitet, ihm ein großes Geständnis abzulegen.

„Sherlock...ich...“ Sie fuhr mit den Zähnen über ihre Lippen und zögerte. Catherine holte tief Luft und sammelte sich. „Ich habe meine Eltern nie wirklich kennengelernt. Mein Vater war kaum zu Hause und Mutter ist nur ein Schatten aus der frühen Kindheit...zur Schule ging ich in ein Internat zusammen mit meinem Bruder...sodass er mein einziger Kontakt war zu meiner Familie war...wie du richtig feststelltest...war ich sehr schüchtern, sehr zurückgezogen, sodass ich keine wirklichen Freunde hatte. Jeffrey war der einzige mit dem ich reden konnte. Doch er war fünf Jahre älter und eigentlich in einem anderen Trakt untergebracht, sodass ich immer fürs Lernen lebte um meine Eltern so zumindest stolz zu machen. Als sie starben...ich weiß auch nicht...es war seltsam. Ich hatte kaum Erinnerungen an sie und dennoch riss es ein tiefes Loch in mein Herz. Es waren immerhin meine Eltern, dank ihnen lebe ich...und obwohl ich kaum etwas von ihnen wusste, habe ich sie geliebt. Das klingt sicher seltsam für dich, oder?“

Sie lächelte müde und fuhr sich durch ihr Haar, legte ihren Kopf in die Armbeuge, als sie sich zu erinnern begann.

„Als dann noch Jeffrey ermordet wurde, verlor ich komplett den Boden unter den Füßen. Er war mein einziger Vertrauter, meine einzige Bezugsperson. Nach dem Umzug hierher fühlte ich mich einfach alleine. Ich war nie in London gewesen, kannte Niemanden und mir war klar, dass ich auch nicht wirklich Freunde finden würde, weil ich halt so anders bin...und dann habe ich euch kennengelernt. Auch wenn du mir ziemlich oft tierisch auf den Geist gingst und ich wie John so schön sagte: „die Hälfte der Zeit daran dachte, dir ins Gesicht zu schlagen“, so hatte ich wieder Spaß, lachte. Dank dir wurde es nicht langweilig, ich hatte wieder eine Aufgabe und in John fand ich Jemanden, mit dem ich reden konnte. Ihr habt meinen Käfig der Einsamkeit geöffnet.“ Catherine hob den Kopf und sah ihn tief in die Augen. „Ihr seid meine Ersatzfamilie geworden und ich hätte alles für euch getan.“

Sie holte tief, zitternd Luft und in diesem Moment wirkte sie zerbrechlich wie eine Puppe, wie damals, als sie sich Sherlock anvertraut hatte.

„Catherine...ich...“, doch Sherlock brach ab. Er wusste nicht was er sagen sollte. In all der Zeit, seit er lebte, hatte er Menschen vertrieben, hatte sie verletzt und gedemütigt, doch fünf Menschen schafften es in seiner Nähe nicht verrückt zu werden, fünf Menschen, die an ihn glaubten, selbst als er selbst gesagt hatte, dass er ein Betrüger wäre.

„Verstehst du nun, Sherlock?“, sprach sie mit zitternder Stimme. „Warum ich all das auf mich genommen habe? Warum es mir egal war? Mir ist es egal, was Menschen von mir denken...aber mir ist es nicht egal, was sie von meiner Familie denken...deshalb...habe ich all meine Kraft zusammengenommen, damit ich deinen Wunsch erfüllen konnte...damit...damit...ach, verdammt!“ Catherine packte eine Serviette, zerknüllte sie und warf sie auf den Teller. „Bitte, Sherlock. Rede endlich mit John...lass es wieder so wie früher werden...bitte...ich bitte dich, Sherlock.“

Ihre Stimme versagte. Sherlock konnte nur hilflos zusehen wie seine Ziehtochter- jetzt konnte er endlich benennen, was es all die Zeit gewesen war - unter der Last, die er ihr aufgebürdet hatte, zerbrach. Er hatte damals bei seiner Bitte wirklich als unsensibler Eisklotz erwiesen, doch das wurde ihm erst jetzt bewusst, nachdem sie sich ihn offenbart hatte. Er hatte zu einer 22 Jährigen, die ihre gesamte geliebte Familie grausam verloren hatte und die in ihn einen Ersatz dafür gefunden hatte, gesagt, dass sie doch bitte auf ihren Ersatzvater achten sollte, wenn dieser um ihn trauerte. Sie würde es ja schließlich nicht tun.

//Großartig deduziert, Sherlock.//, schollt er sich selbst gedanklich. //Manchmal bist du wirklich ein blinder Idiot.//

Sie holte tief Luft, wischte sich die Tränen aus den Augen und lächelte leicht. Wie im Labor. Sie wollte sich vor Sherlock nicht die Blöße geben, hatte er doch oft genug betont wie jämmerlich er das empfand. In dem Moment war sie ein kleines Kind, was die Tränen unterdrückte, damit sein Vater es als tapfer ansah. Sherlock wusste mit all dieser Zuneigung nicht umzugehen. Er hatte nie etwas getan um sich ihre Hingabe zu verdienen, genauso wenig wie Johns, und nun saß sie hier und flehte ihn an, dass er bitte ihre Welt retten sollte.

„Deshalb bin ich erst zu dir gekommen.“ Sherlock wusste nicht wie er sie trösten sollte. Er hätte ihre Hand nehmen sollen, er wusste das, doch er konnte es nicht, weshalb er versuchte seine Stimme so ruhig klingen zu lassen wie es ihm möglich war. Sherlock wusste noch genau, dass es Catherine immer geholfen hatte, wenn sie aufgewühlt gewesen war. Etwas, was er vorher nur am Rand wahrgenommen hatte, erwies sich nun als nützlich. „Ich brauche deine Hilfe, Catherine.“

„Meine...Hilfe...“, schluchzte sie und zog dabei unbewusst die Nase hoch. Schnell fasste Sherlock in seine Manteltasche und reichte ihr ein Taschentuch.

„Danke...“, schniefte Catherine und putzte sich die Nase. Sherlock bemerkte wie die anderen Gäste, denen die aufgelöste Catherine nicht entgangen war, ihm misstrauische Blicke zuwarfen, doch es war ihm egal. Es ging ihm nur noch darum, seine dummen Fehler wieder geradezubiegen. Wenn die sonst sich immer so kalt gebende Catherine, unter seinem Tod gelitten hatte, obwohl sie selbst sagte, dass sie nie daran geglaubt hatte...wie sollte es dann John gehen? Wie hatte Sherlock nur so lange die Wahrheit übersehen können?

„Ich weiß...ehrlich gesagt nicht wie ich es John sagen soll. Eine SMS wie sonst...oder einfach in der Bakerstreet auftauchen...kann ich wohl schlecht.“

„Nein...wohl nicht.“, sagte sie nachdenklich und rieb sich die leicht geröteten Augen. Da war wieder das, was er an Catherine so sehr schätzte. Sie schaffte es ihre Gefühle zu kontrollieren. Er spürte förmlich, dass noch immer ein Sturm in ihr brodelte, doch sie konnte das ausblenden und sich aufs Denken konzentrieren und sachlich analysieren.

„John...“ Sie schüttelte nur den Kopf. „John ist einfach nur noch ein Geist...es ist, als hättest du seine Seele mitgenommen, Sherlock.“

„Und ihr meine...“, antwortete er traurig und eine kleine Träne brannte in seinem Auge. Er begann zu begreifen, was Verlust bewirken konnte, wie sehr er schmerzte. Er hatte seine Freunde schmerzlich auf der Flucht vermisst, hatte immer noch gehofft Johns schnelle Schritte hinter sich zu hören oder Catherine, die plötzlich neben ihm stand und ihm einen sarkastischen Spruch an den Kopf warf. Die Ungewissheit, das Kontaktverbot hatten ihn fast zerrissen.

„Ich bitte dich, Catherine. Ich will John nicht noch mehr verletzten mit meiner Rückkehr. Was kann ich tun?“

„Na...eine Ohrfeige oder einen Schlag wirst du sicher kriegen, Sherlock, und ehrlich, das verdienst du auch. Du weißt wie emotional John ist und du hast ihm alles bedeutet. Er wird sich im ersten Moment verraten fühlen, wenn du wieder vor ihm stehst. Aber glaub mir, das wird nicht lange währen. Er wird verwirrt sein, unruhig, wahrscheinlich auf und abrennen, aber er wird überglücklich sein, Sherlock. Ganz bestimmt.“

„Ich...möchte einfach etwas Besondres machen.“, erklärte Sherlock unruhig.

„Ach, die große Show also.“ Sie blinzelte ihn an und er nickte. „Der große Auftritt für den gottgleichen Sherlock?“ Ihre Stimme nahm wieder den vertrauten, spöttischen Ton an.

„Gottgleich?“

„Ach komm schon. Ist das nicht beabsichtigt? Du liebst es dich darzustellen, Menschen zu deduzieren bis sie entweder vor Schock erstarren oder sich vor dir in den Staub werfen und sagen: Oh, großer Sherlock, wir sind deiner nicht würdig. Erleuchte uns mit deiner Genialität. Und dann willst du mir sagen, dass du dir nicht den dritten Jahrestag ausgesucht hast, weil 3 einfach so symbolisch ist im Christentum? Drei Tage bis zur Widerauferstehung, Dreifaltigkeit? Das war alles nicht beabsichtigt?“ Sherlock blinzelte ernsthaft irritiert.

„Bewusst ausgesucht hab ich mir nur den Todestag. Es hat einfach so lange gedauert alle Beteiligten seitens Moriarty zu finden.“, sagte er kalt.

„Wirklich jetzt?“

„Wenn ich gekonnt hätte, dann wär ich letztes Jahr schon wiedergekommen, wenn es euch nicht in Gefahr gebracht hätte.“

„Sherlock...es...tut mir leid.“

„Schon gut...“, seufzte er. „Es wäre bei meinem Verhalten ja durchaus denkbar gewesen. Also hilfst du mir?“

Sie nickte schnell.

„Ich hab schon eine Idee. Lass uns gehen.“ Hastig stand sie auf und verstaute einige ihrer Sachen in der Tasche. Sherlock legte in der Zeit das Geld auf den Tisch und folgte ihr dann.
 

Die beiden liefen durch einen Park. Die Blätter raschelten leise im Wind, die Vögel sangen ihren frisch geschlüpften Jungen ein Lied und Jogger liefen an ihnen vorbei. Normalerweise hätte Sherlock direkt ein Taxi gerufen, doch Catherine schien der Sinn nach Bewegung zu stehen und er würde ihr das nicht verwehren.

„Und welche Idee hast du?“, fragte er dann schließlich und er konnte seine Neugierde nicht verbergen.

„John hat mir einmal erzählt, dass es eine Sache gibt, die er an dir mehr schätzt als alles andere...wobei er alle Sorgen vergisst und einfach nur entspannt ist.“

„Die Violine...“, erkannte Sherlock und ließ ein kleines Aaah hören. Catherine nickte.

„Er liebt es, wenn du spielst, deshalb hab ich eine Idee. Ich werde versuchen ihn anlässlich der drei Jahre aus der Wohnung zu holen, damit wir zusammen was trinken.“, erklärte sie, während sie ihr Handy aus der Tasche holte und begann eine SMS zu schreiben.

„Und dann soll ich anfangen zu spielen? Wie soll ich an meine Violine kommen?“

„So ähnlich...“, lächelte sie, während sie weiterhin umständlich versuchte zu tippen, sodass Sherlock es fast nicht mit ansehen konnte, obwohl es ihn auch ein klein wenig amüsierte. „Weißt du noch, was du als erstes festgestellt hattest, was ich tue, nachdem du in meine Wohnung gekommen warst?“

„Dass du Klavier spielst. Die Notenhefte waren ziemlich eindeutig.“

„Mittlerweile habe ich sogar ein Klavier.“, lachte sie. „Und nicht nur die Noten...“

„Ich glaube, ich ahne in welche Richtung es geht.“

„Es ist nicht ganz uneigennützig, gebe ich zu.“, lächelte sie verlegen. „Ich wollte schon immer einmal mit dir spielen. Wenn du spielst...ist es, als wenn die Zeit stehen bleibt. Ich...ich hab zwar lange nicht mehr gespielt...und werde es vermutlich nur versauen...a...aber...dennoch...nun was ich mir dachte ist, ich hol ihn rüber. In der Zeit holst du deine Violine. Das Klavier steht so, dass du dich gut im Schatten verstecken kannst, ohne gesehen zu werden. Es gibt ein Lied...was ich als passend empfinde und es ist auch für Klavier und Violine ausgelegt und dann...könnte ich es doch anfangen zu spielen und...du stimmst ein. John wird glauben, dass es ein Playback war, er kennt sich mit Musik ja nicht aus und dann...kommst du aus den Schatten...wä...wär das nicht was?“ Ihre Wangen wurden rot, als sie ihren Vorschlag ausgesprochen hatte. Schüchtern hatte sie den Blick abgewandt und schützend die Schultern hochgezogen.

Sherlock sah sie lächelnd an und wuschelte ihr- zu seiner eigener Überraschung- kurz über den Kopf.

„Das klingt nach einer guten Idee, Catherine. Ich spiele gerne mit dir.“ Catherine sah zu ihm auf und blinzelte überrascht.

„Wirklich?“

„Ja, wirklich.“, erwiderte er sanft. Sie strahlte ihn an, nickte eifrig, blickte dann aber wieder auf ihr Smartphone.

„Ok, warte kurz...“
 

Hey, John. Haben Sie heute Abend Zeit? Will nicht alleine sein.- CA
 

Sie überprüfte kurz noch einmal die SMS und schickte sie dann ab.

„Jetzt heißt es abwarten, ob er antwortet.“, sagte Catherine. „Aber allzu große Hoffnung mache ich mir ehrlich gesagt nicht.“ Langsam ließ sie ihr Handy wieder in die Jackentasche gleiten und schlurfte durch den mittlerweile dunkel werdenden Park. Sherlock lief neben hier, zog tief den Duft von London ein, den er so lange nicht mehr gerochen hatte.

„Danke, Catherine, du bist mir eine große Hilfe.“

„Schon gut...“, erklärte sie ruhig und strich ihr Haar aus dem Gesicht, was ihr der Wind vor die Augen blies. „Ich wünsche mir seit drei Jahren an Heiligabend, dass es rückgängig wird, dass ich meine Familie wiederhabe. Dass ich euch wieder habe.“ Er nickte und lief mit ihr weiter über den Schotterweg in Richtung der Bakerstreet.

Einige Minuten liefen sie still nebeneinander, sprachen kein Wort miteinander und warteten auf eine Antwort von John. Auch wenn sie beide sich anschwiegen, so war da ein starkes Gefühl der Vertrautheit. Allerdings wurde der Drang in Sherlock nach Hause zurückzukehren, zurück in seine Wohnung immer stärker, wodurch er seine Schritte beschleunigte und Catherine hinter sich ließ.

So dauerte es einige Momente, bis Sherlock bemerkte, dass Catherine nicht mehr hinter ihm herlief.

Irritiert blieb er stehen und drehte sich zu ihr um, wollte sie anhalten schneller zu gehen, doch als er sie sah, drang kein Wort über seine Lippen.

Catherine war zu Boden gesackt, kauerte auf dem Schotter, während ihr ganzer Körper zitterte. Ihre Haut war nun fahl, bleich wie ein Laken, als würde sie sich jeden Moment übergeben und unaufhaltsam rannen Tränen aus ihren Augen, ließen ihren Körper bei dem Weinkrampf gnadenlos zittern.

„Catherine! Hey, Catherine!“, rief Sherlock und rannte zu ihr. Hastig kniete er sich neben sie und legte ihr eine Hand auf die Schulter. „Alles in Ordnung?“

Er ohrfeigte sich innerlich für diese dumme Frage, doch er wusste sich nicht anders zu helfen. Es schien, als würde sie unter körperlichen Schmerzen leiden.

„Cath! Sieh mich an! Sieh mich an!“ Sherlock legte seine Hände an ihr Gesicht und zwang sie aufzusehen. Sie schluchzte heftig, schüttelte sich immer weiter. Ihre Augen waren stark gerötet, während die Tränen erbarmungslos aus ihren Augen liefen. Er verstand nicht, was plötzlich passiert war, doch er spürte, dass Catherine ihre Gefühle nicht mehr im Zaum halten konnte. Hilflos krallte sie sich an ihn, verkrampfte ihre zarten Hände in dem groben Stoff seiner Jacke. Es schien als wollte sie ihren Kopf ablegen, am liebsten umkippen, doch sie kämpfte dagegen an und blickte ihm in die Augen, hielt sich an ihnen fest.

„H...heißt das...eigentlich es ist vorbei? Nach drei Jahren ist es endlich vorbei? Du...gehst nicht mehr weg?“ Ihre Stimme war nicht mehr als ein ersticktes Flüstern, kaum zu verstehen, doch die Worte durchdrangen selbst Sherlocks sonst so hartes Herz. Sie waren wie ein leises Flehen, eine stille Angst, dass er sie wieder verließ. Traurig blickte er sie an, schüttelte den Kopf und zog sie in seine Arme.

Zitternd drückte Catherine ihren Kopf auf seine Schulter, hielt sich an ihm fest.

„Ich lasse euch nicht mehr alleine, versprochen, Catherine. Es ist vorbei.“, flüsterte er leise und strich ihr nach einigen Momenten des Zögerns über ihren Rücken. Die irritierten Blicken der Passanten, die ihnen zugeworfen hatten, erwiderte er mit einem kalten Blick, während er sich um Catherine kümmerte, leise auf sie einsprach.

„E...entschuldige...“, lachte sie leise zwischen ihren Weinkrämpfen mit einer Stimme, die zeigte, dass sie von sich selbst angewidert war. Hatte Sherlock sie wirklich schon so verdorben? Hatte seine Kälte schon so auf sie abgefärbt, dass sie sich ihrer Gefühle schämte, wo er doch nun beginnen wollte von John und ihr zu lernen? Es war doch normal, menschlich, dass man weinte, wenn ein totgeglaubter Mensch wiederkehrte, dass man Angst hatte, ihn wieder zu verlieren, doch sie schämte sich dafür, dass sie das vor Sherlock zeigte, dass sie ihm zeigte, wie wichtig er ihr war, wie er jetzt erst verstand.

„Das alles ist unglaublich du...“, setzte sie an, versuchte die Tränen mit ihren Handballen zu stoppen.

„Sag jetzt nicht dumm...“, unterbrach er sie sanft und strich kurz über ihren Kopf. Irritiert sah sie zu Sherlock auf. „Du bist nicht dumm, Cath. Alles andere als das.“

„A...aber es...es nervte dich immer...und ich...“

„Ich war derjenige, der dumm war.“, erklärte Sherlock nüchtern und strich ihr sanft die Tränen aus den Augen. „Ich habe mich immer über die lustig gemacht, die emotional waren. Ich habe das nie verstanden wie man so etwas Unlogisches tun konnte, doch ich habe vieles gelernt in den drei Jahren. Ich habe gelernt zu vermissen, zu trauern, zu verzweifeln und mittlerweile beginne ich zu verstehen. Ich bin derjenige gewesen, der anders war, der unlogisch war. Es ist gar nicht so unlogisch erleichtert, traurig und wütend zu sein, wenn man Jemanden wiedersieht, der einen viel bedeutet, das habe ich nun begonnen zu begreifen.

Es hat mich damals genervt, doch das hätte nicht sein dürfen. Erst jetzt, wo ich diese Gefühle erfahren habe, die Sorge, den Verlust, merke ich wie unsensibel ich oft war. Ich hätte damals nicht zu dir sagen sollen, wie brillant Waterboarden doch sei. Ich entschuldige mich für all die Male wo es mich irritiert, verärgert oder ich über dich gelacht habe.“ Seine Stimme war ruhig und sanft, während er ihr unnachgiebig in die Augen sah.

„Ich werde nie all das wirklich verstehen und es wohl immer ein wenig als störend betrachten, Catherine, aber das ist nicht normal. Verstehst du?“ Eindringlich sah er sie an, hielt sie bestimmt fest, während er versuchte, sie zu beruhigen. Auf seine seltsame Sherlock Art, doch er wusste es nicht besser.

Catherine erwiderte seinen Blick, ihre Augen noch immer in Tränen schwimmend, doch sie nickte langsam, reagierte wieder auf ihn. Er musste das jetzt klarstellen, das spürte Sherlock instinktiv, sonst würde er Catherine nur noch mehr verderben. Vielleicht wäre es wirklich besser gewesen, wenn er nie in ihr Leben getreten wäre, doch Sherlock würde sie nicht mehr hergeben. Nicht seine kleine, nicht ganz so dumme Biologiestudentin, die ihn immer wieder die Stirn bot. Also musste er Schadensbegrenzung betreiben.

„Ich beginne erst langsam zu akzeptieren, dass ich ein Herz habe, aber werde es nie völlig begreifen, verstehen oder akzeptieren können, dann wär ich nicht mehr ich. Aber eines weiß ich: es ist völlig normal, dass du nun weinst, dass du verzweifelt bist. Nur ich bin es, der das nicht begreifen kann. Ich bin es, der nicht normal ist, ok? Nicht du. Es gibt nichts, dessen du dich schämen musst.“

„Wow...so viel Selbstkritik von Sherlock Holmes...ich beginne allmählich echt zu glauben, dass ich träume und einfach nur mal wieder im Labor eingeschlafen bin.“, lachte sie leise und wischte sich wieder die Tränen aus den Augen. Sherlock strich ihr mit seinen feingliedrigen Fingern die Haare aus dem Gesicht.

„Ich bin wirklich wieder da, Catherine Amell.“, hauchte er und zog sie wieder an sich, versuchte ihr Wärme, Halt und Trost zu schenken. Er verstand sich selber kaum, doch es fiel ihm überraschend leicht offensichtlich richtig zu reagieren, wenn er seinen Verstand abschaltete. Das war zwar nicht so einfach, doch wenn er damit den Menschen, die ihm nah standen, helfen konnte.

„Sherlock...“, sagte sie nach einigen Minuten, als das Zittern allmählich nachließ und sie immer wieder tief Luft holte um sich zu beruhigen. Sherlocks Bein war mittlerweile eingeschlafen und pochte unangenehm, doch es interessierte es nicht, er ignorierte es einfach.

„Ja?“

„Das Leben war verdammt langweilig ohne dich.“ Plötzlich sahen sich die beiden an und fingen an zu lachen.

„Keine Verfolgungsjagden? Keine Todesspiele? Keine verrückten Attentäter als Nachbarn? Keine Entführungen?“

„Nein. Das schlimmste was ich hatte war, dass ich von einem Taxi fast umgefahren worden wäre auf dem Weg zur Arbeit. Schon erschreckend langweilig.“

„Wirklich nicht sehr spannend.“ Sherlock schnalzte mit der Zunge. „Zeit das zu ändern.“

„Jahuuu!“, jubelte sie sarkastisch. „Ich freu mich schon, wenn der nächste Geheimdienst auf der Matte steht und dich mal wieder im Laken abholt.“

Wieder lachten sie beide.

„Du willst doch nur einen Blick erhaschen.“

„Ich hoffe es ist gemütlich in deinem Traumschloss, Sherlock, und das es noch lange Bestand hat.“, grinste sie und versuchte langsam aufzustehen. Sherlock ging mit hoch, stützte sie, als sie begann zu schwanken.

„Vorsichtig...“ Er packte ihren Arm vorsichtig und hielt sie fest.

„Nur einen Moment...“, flüsterte sie, als sie ihren Kopf noch einmal gegen seine Schulter legte. Sherlock griff nach ihrem Arm, schob den Sweater hoch und fühlte ihren Puls. Er raste vor lauter Gefühlschaos.

„Du bist völlig durch den Wind, Catherine. Hast du in letzter Zeit genug geschlafen und gegessen?“, fragte er besorgt.

„Das sagst ausgerechnet du, Sherlock.“, lachte sie leise und rieb sich über die Augenbrauen. „Ich hatte viel Arbeit, aber ich habe darauf geachtet.“

„Du musst mich doch nicht in allem nachmachen.“, schmunzelte er und tippte ihr gegen die Stirn.

„Als ob ich Sherlock sein wollte. Dieses rastlose Gehirn muss echt anstrengend sein. Ständig den Drang zu haben, jeden zu beeindrucken, dem man über dem Weg läuft, damit sie mein Genie erkennen. Nee...“ Sie winkte hastig ab.

„Nur dich konnte ich damals nicht beeindrucken.“, erwiderte Sherlock.

„Oh, ich war damals mehr als beeindruckt. Nur wollte ich es diesem arroganten Mistkerl, der meine Sachen durchwühlte und mein Privatleben auf öffentlicher Straße ausbreitete, nicht zeigen.“ Überrascht sah Sherlock sie an und fing laut an zu lachen.

„Oh, du hast mich ausgetrickst. Ich habe echt gedacht, dass es dich gelangweilt hätte und wollte dich dafür büßen lassen.“

„Das hast du ja wohl auch getan.“, lächelte sie und unbewusst schmiegte sie den Kopf an seine Schulter. „Ich hab mich ein wenig...vergewaltigt gefühlt, als du wirklich ALLES ausgepackt hattest, selbst mein nicht vorhandenes Sexualleben.“

„Soll ich mich entschuldigen?“, fragte Sherlock.

„Würdest du das denn?“ Catherine blickte zu ihm auf und ihre Augen funkelten herausfordernd. Ein freches Grinsen zuckte um ihre schmalen, aber schön geschwungenen Lippen.

„Nein, denn ohne meine Deduktionen hätte ich dich niemals wahrgenommen.“

„Richtig.“, lächelte sie und sah mit einem wohlgesonnen Blick zu ihm auf. Sherlock wusste noch immer nicht, womit er so etwas verdiente, aber offensichtlich war Loyalität nicht rational erklärbar, deshalb akzeptierte er sie einfach. Egal was passieren würde, Catherine würde zu ihm halten, das wusste er nun sicher. Molly und sie würden zu ihm stehen und da sollte noch einer sagen, Frauen seien sprunghaft. Hoffentlich könnte er John auch heute Abend in diese Liste aufnehmen, er flehte, dass er ihm vergeben würde.

Vorsichtig lehnte er sich vor und hauchte ihr einen kurzen Kuss auf die Stirn.

„Danke, Cath. Für dein Vertrauen. Ich weiß jetzt wie viel ich von dir verlangt habe in all der Zeit und wie stark du hast sein müssen.“ Überrascht sah sie Sherlock an, doch dieser ließ sie stehen und setzte seinen Weg fort. Er brauchte endlich Gewissheit wegen John. Die Unsicherheit brachte ihn fast um, zerriss ihn innerlich. Auch wenn es ihn erleichterte, dass die Sache mit Catherine geklärt wär.

„Sherlock...eine Sache noch.“, hielt sie ihn auf und er drehte sich frustriert schnaubend um, warf ihr kurz einen wütenden Blick zu. Kurz schien Catherine erschrocken zu sein, doch dann seufzte sie. „Ich wollte mich nur bedanken. Deine Informationen haben dazu geführt, dass Lestrade den Mörder fassen konnte.“

Trauer und Erleichterung flammten durch ihre Augen, als sie daran zurückdachte. Sherlock stockte, sah sie überrascht an.

„Der Mörder von deinem Bruder ist gefasst?“ Catherine nickte schnell und wischte sich wieder die Tränen aus dem Gesicht. Tränen des Glücks, vermutete Sherlock.

„Danke, Sherlock. Du hast mehr bewirkt, als ich vor dem Umzug je erwartet hätte.“

Bling! Sie blinzelte schnell und holte ihr Handy aus der Tasche und starrte aufs Display.

„Von John.“, erklärte sie schnell und öffnete die SMS.
 

Lieber nicht. Möchte Niemanden sehen. Sorry.- JW
 

Sherlock schloss die Augen, als sie die Nachricht vorlas. Er konnte den Schmerz hören, den John erlitt. „Nun...“, murmelte Catherine wieder, als sie das Handy in die Tasche steckte und weiterlief. „Dann muss ich wohl härtere Geschützte auffahren um ihn aus der Wohnung zu bekommen.“

„Meinst du, du schaffst das?“ Catherine lachte und drehte sich beim Laufen zu ihm um.

„Bitte, Sherlock. Du weißt doch, mit wem du hier redest.“

Rückkehr des besten Freundes

23. Kapitel: Rückkehr des besten Freundes
 


 

„John...machen Sie die Tür auf...bitte, John!“, flehte Catherine, als sie gegen die Tür von 221b klopfte. Bereits seit zehn Minuten stand sie vor der Tür und bettelte um Einlass, doch keinerlei Reaktion war zu vernehmen. Hoffentlich hatte John sich nichts getan. Nicht jetzt, wo Sherlock wieder da war. Mit aller Kraft klopfte sie erneut gegen die Tür, hämmerte beinahe auf sie ein, sodass ihre Hand bereits schmerzhaft pochte. Nach einigen weiteren Versuchen hielt sie inne, umklammerte ihre schmerzende Hand und setzte sich auf die Stufen. Was konnte sie tun? Wie würde sie John erreichen? Es war alles so kurz davor wieder gut zu werden, so kurz davor, dass sie ihr altes Leben wiederbekäme, dass ihre beiden engsten Vertrauten sich wiederfanden und dann sollte es daran scheitern, dass John sich in seiner Welt verkroch? Innerlich flehte sie, dass sie ihn erweichen konnte, dass er bitte endlich aufhörte in Selbstmitleid zu baden.

Müde fuhr sie sich durch das Haar und schloss die Augen. Sie musste noch warten. Vielleicht stand John gerade unter der Dusche und hörte sie einfach nicht. Hoffentlich ertrank er nicht in seinem Selbstmitleid. Leise seufzte sie und begann sich zu überlegen, wie sie vorgehen sollte. Sherlock musste so lange im Hinterhof stehen, dem Regen trotzen, der mittlerweile eingesetzt hatte, und frieren, bis sie es geschafft hatte John aus der Wohnung zu locken, damit er seine Geige holen konnte. Alles hing von ihr ab und dass sie es schaffte zu dem Arzt durchzudringen. Das Glück ihrer Familie lag auf ihren Schultern. Theoretisch klang der Plan gut, aber es erwies sich doch als schwieriger ihn umzusetzen, als sie gedacht hätte.

Nach fünf weiteren Minuten stand sie auf und klopfte erneut gegen die Tür. Dieses Mal vernahm sie das Geräusch einer Bewegung, einen Sessel vermutete sie. John war also da. Sie holte tief Luft und klopfte dieses Mal sachter.

„John...ich weiß, es ist schwer. Aber bitte, lassen Sie uns das gemeinsam durchstehen.“, flüsterte sie leise gegen die Tür, hoffte, dass er es hörte. Die Gefühle übermannten sie, sie fühlte nur zu stark die Distanz, die zwischen ihnen herrschte. Als Sherlock noch ihr Leben aufgewühlt hatte, war die Tür immer offen gewesen, sie hatte hier die Wohnung betreten können, John um Rat fragen können, doch nun blieb ihr das verwehrt. John hatte sie ausgeschlossen aus dem kläglichen Rest, den er ein Leben nannte und ließ sie nicht mehr an sich heran.

Die Situation erinnerte sie zu sehr an die vergangenen Jahre. Sie hatte jeden Jahrestag hier gestanden, hatte verzweifelt versucht zu John durchzudringen, doch es war jedes Mal gleich geendet. Er hatte sich nicht gerührt, keine Reaktion gezeigt und so blieb die Bakerstreet verstummt.

„John...“, flüsterte sie wieder und legte ihren Kopf gegen die Tür. Wieder kam die Verzweiflung, die Trauer zurück. Er hatte sie alleine gelassen. Nicht, dass sie es John vorwerfen könnte, doch dass er sich so verkroch, zerbrach ihr fast das Herz. „Bitte, machen Sie mir auf! Sie müssen doch nicht alleine sein. Lassen Sie mich rein...“

Wieder hörte sie ein Geräusch aus der Wohnung und sie gab die Hoffnung nicht ganz auf, dass sie vielleicht doch zu ihm durchdrang.

„Bitte...ich schaff es nicht mehr, es alleine zu ertragen...ich brauche dich, John. Bitte, lass mich nicht allein.“ Ein Schluchzer entwich ihrer Kehle. Für einen Moment war vergessen, dass Sherlock wieder da war, denn die alte, vertraute Einsamkeit überspülte sie. Sie bemerkte erst auch gar nicht, dass sie ihn geduzt hatte, sie hatte es instinktiv getan. Hoffte sie doch so, dass sie zu ihm durchdrang, die Vertrautheit wiederherstellte. Langsam schloss sie die Augen. Sherlock war doch wieder da...alles würde wieder gut werden, wenn John doch nur die Tür öffnen würde.

Es dauerte einige Augenblicke, bis Catherine bemerkte, wie Schritte sich hinter der Tür bewegten. Sie vernahm ein leises Seufzen und ein Zögern, doch dann öffnete sich die Tür. Vor ihr stand ein gebrochener John Watson. Das aschblonde Haar war fahl, aber ordentlich geschnitten. Die dunklen Augen blickten sie stumpf an, sämtliches Leben war aus ihnen verschwunden. Catherine bemerkte auch, dass er wieder leicht schief stand, offensichtlich war sein Humpeln wieder stärker geworden. Ein deutliches Indiz, das zeigte, dass es ihm schlecht ging. Auch die dunklen Bartstoppeln und der leichte Geruch von Alkohol zeigten, dass John allen Lebenssinn verloren hatte.

Der Anblick ihres gebrochenen Freundes, schnürte ihr Herz zu und sie schloss die Augen.

„Catherine...“, flüsterte er leise und sah sie aus traurigen Augen an.

„John...“ Sie trat auf ihn zu, gab ihrem Drang nach und umarmte ihn. Sie wusste nicht, ob es John half oder ihn mehr verletzte, aber sie wollte für ihn da sein, ihn retten. Solange hatte sie sich ihm entzogen- um ihn zu schützen wie sie sich einredete-, doch vielleicht hätte sie hartnäckiger sein sollen, einfach an seine Seite sein sollen, aber John war erwachsen. Er wusste doch am besten wie er mit dem Verlust umgehen sollte, oder? Nein, offensichtlich wusste er es nicht.

Zu ihrer Überraschung fiel plötzlich Johns starke Maskerade und er erwiderte ihre Umarmung. Fester, als sie gedacht hätte, doch es erleichterte sie.

„Ich möchte für dich da sein...“, flüsterte sie leise, als er seinen Kopf an ihrer Schulter vergrub. „Es bringt nichts, wenn du dich hier einschließt.“

„Du hast Recht...“, erwiderte er leise, so leise, dass sie es fast nicht hörte. „Ich hätte eher kommen sollen. Nun ist es zu spät, Catherine.“

„Nein...“ Sie schüttelte den Kopf und warf einen Blick in die Wohnung. In 221b hatte immer ein unglaubliches Chaos geherrscht, doch nun zeigte sie, dass John sämtlichen Antrieb verloren hatte überhaupt etwas aus seinen Leben zu machen. „Noch gebe ich nicht auf, John. Zusammen schaffen wir das. Ich lasse dich nicht mehr allein. Ich möchte etwas gegen diesen Blick tun, den du immer in deinen Augen hast, wenn du mich ansiehst. Ich möchte nicht mehr dein Schrecken sein.“

John trat überrascht einen Schritt zurück, sah sie aus diesen leidenden Augen an und senkte beschämt den Blick.

„Ich wollte das nicht...es hatte nichts mit dir...“

„Doch, hatte es.“, unterbrach sie ihn. „Aber das ist in Ordnung, ich verstehe es, John. Ich verstehe nur zu gut. Wir sind beide geflohen vor dem was passiert ist. Du in die Erinnerungen, ich in die Arbeit und jedes Mal, wenn wir uns sahen, wurde uns bewusst, dass es eine Illusion war, nie die Wahrheit seien würde, aber das muss nun aufhören, wir können nicht mehr weglaufen. Bitte, John...ich kann nicht mehr allein sein. Ich will es nicht mehr sein, nie mehr. Ich weiß, dass ich viel von dir verlange, aber ich erwarte auch nur, dass du es versuchst.“

Langsam trat sie einen Schritt zurück, ging über die Türschwelle der Wohnung zurück in den Flur und streckte ihm die Hand entgegen.

„Versuch es! Geh deinen ersten Schritt mit mir.“ Aufmunternd lächelte sie ihn an und wartete darauf wie er reagierte. Lange starrte John auf ihre Hand, sah zurück in die Wohnung.

„An diesem Tag, solltest du nicht allein sein. Das hätte er nicht gewollt.“, flüsterte sie. Kurz zuckte Johns Gesicht und Schmerz durchzog es, doch er nickte, ergriff ihre Hand. Sanft umschloss sie seine Hand, als er auf sie zuging. Erleichterung durchflutete sie, als sie es geschaffte hatte zu ihm durchzudringen. Lange hatte sie sich überlegt, was sie sagen sollte, war sich unsicher wie ihre Worte auf John auswirken würden, doch dann war es plötzlich einfach gewesen.

„Catherine...“

„Ja?“, fragte sie und drehte sich zu ihm um. Ihre blauen Augen sahen ihn verwirrt an und blinzelten.

„Aber bitte keine alten Geschichten...“ Sie sah ihn lange an und lächelte ihn dann warm an.

„Komm einfach mit.“ Langsam schloss sie die grüne Tür der Bakerstreet und strich kurz darüber. Nicht mehr lange und es war hoffentlich so wie immer. Leise klopfte sie dreimal gegen die Tür, das vereinbarte Zeichen, dass John aus der Wohnung war und das Sherlock sie betreten konnte. Danach blickte sie noch einmal lächelnd zurück, lief dann aber schnell die Treppe hinab, an deren Fuß John bereits auf sie wartete.
 

~*~
 

Keiner der beiden hatte bemerkt, dass Sherlock bereits längst in der Wohnung war. Er hatte vom Hof aus gehört wie John nach einigen Minuten dem Drängen von Catherine genervt nachgegeben hatte und zur Tür gegangen war. Da hatte er einfach nicht mehr ausgehalten. Er hatte ihn sehen müssen und er wusste, dass John ihn von seiner Position aus nicht sehen konnte. Als er in das Wohnzimmer kletterte, bemerkte er, dass sich wirklich nichts verändert hatte. John hatte alles so belassen wie es am Tag seines Todes gewesen war. Leise lehnte er sich gegen die Wand und hörte dem Gespräch der beiden zu.

Sherlock musste zugeben, dass er von Catherine überrascht war. Ihre Stimme war sanft und weich, während sie mit John sprach. Sie besaß eine Fähigkeit der Einfühlsamkeit, die Sherlock niemals begreifen würde. Wie sehr sie reifer geworden war in er Zeit, die er fort gewesen. Catherine wusste nun mit Worten umzugehen, Menschen damit zu erreichen. Es sprach viel Wahres aus ihrer Wortwahl und er spürte wie sie sogar sein Herz erwärmten, wie sich ein kleines Lächeln auf seine Lippen legte, während sie so verständnisvoll mit seinem besten Freund sprach, wie er es niemals könnte. Nun spürte er erst wie tief die Bindung zwischen John und Catherine eigentlich gewesen war, denn die Worte kamen so leicht von ihr, schafften es die Trauer von John zu überwinden. Mit ihrer Hilfe könnte er vielleicht das Chaos retten, was er angerichtet hatte. Langsam strich er über das abgenutzte, so vertraute Leder der Couch und spürte wie sehr er es vermisst hatte. Nichts sehnlicher wünschte er es sich als hierher zurückzukehren, doch nach Catherines Worten war es sich sicher, dass er es mit ihrer Hilfe schaffen könnte.

Sherlock nahm seine Violine und streichelte sie beinahe zärtlich, holte sie hervor und begann sie zu stimmen, bevor er sich wieder in den Hinterhof begab und durch das Fenster kletterte, was Catherine für ihn öffnen würde.
 

~*~
 

Catherine setzte sich einige Minuten später in den Sessel, der John gegenüber stand, und reichte ihm ein Glas von Scotch. John sah sich um, ließ seinen Blick streifen und schien zu bemerken, dass sich auch hier nichts verändert hatte. Es herrschte immer noch das geordnete Chaos, das Bücherregal quoll über, auf dem Schreibtisch lag ein Skizzenblock und Stifte verstreut. Eine typische Wohnung eines jungen Menschen, doch sie war immer sauber und gepflegt.

„Danke.“, murmelte er und trank einen kräftigen Schluck.

„Kein Problem.“, erwiderte sie und plötzlich legte sich eine merkwürdige Stille über sie. Normalerweise wäre dies der Moment gewesen, wo John oder sie irgendeine Geschichte über Sherlock auspackten, darüber lästerten und lachten doch John hatte es schon gesagt, keine alten Geschichten mehr. Sie mussten neue Themen finden, sie mussten sich auf einer anderen Ebene annähern. So saßen sie also einige Zeit einfach da, lauschten dem knisternden Feuer im Kamin, während sie dem Regen zusahen, der gegen Catherines Fenster prasselte.

„Wie läuft es auf der Arbeit?“, fragte John um die unangenehme Stille zu durchbrechen. Catherine hob den Blick von ihrem Glas uns sah John direkt in die Augen.

„Ganz gut.“, antwortete sie schlicht und drehte das feingeschliffene Glas in ihrer Hand und blickte in die braune Flüssigkeit. „Ich leite mittlerweile ein kleines Forschungsteam von zwei Leuten und bin für die Ausbildung der Bachelorstudenten in Bereich Mikrobiologie zuständig. Ich organisiere die Praktika, wähle die Versuche aus und halte Seminare.“

„Gut...gut...das klingt...gut...“, erwiderte John hastig. Nach drei Jahren der Entfremdung war es schwer sich einander wieder anzunähern. Dann hielt er inne, blinzelte mehrere Male verwirrt, neigte seinen Kopf.

„Moment...du leitest die Ausbildung? Das tun doch sonst nur...“

„Doktoranden, ich weiß. Ich hatte vor einem Monat meine Promotion.“, erklärte sie schief lächelnd.

„Du hast...wow...Glückwunsch. Das ist...beindruckend.“, stotterte John überrascht. Er hatte das nicht gewusst. Catherine hatte nie die Chance gehabt, ihm zu erzählen, dass sie mittlerweile durchaus bekannt in der Welt der Biologie war. Er wusste auch nicht, dass mittlerweile der Mord an ihrem Bruder aufgeklärt worden war. Sie hatte oft versucht, das Gespräch zu suchen, ihm zu sagen, was sich alles in ihrem Leben verändert hatte. Er schien auch deswegen verletzt zu sein, dass sie ihm nichts erzählt hatte, denn er blickte stur in sein Glas.

„John...ich habe wirklich versucht es dir zu sagen, aber du hast jede SMS von mir gelöscht...und wohl auch keinen Brief aufgemacht...was schade ist...ich hatte dich eigentlich zur Promotionsfeier eingeladen. Ich war die einzige in der gesamten Fakultät...bei der keiner gekommen war. Dabei hätte ich dich wirklich gerne dabei gehabt.“, flüsterte sie traurig, stand auf und zog eine Schublade auf. Eine weiße Karte aus Büttenpapier lag sorgfältig oben auf all ihren Dokumenten. Vorsichtig nahm sie diese hervor und reichte sie John. Dieser nahm sie, öffnete die Karte und sah, dass es seine Einladung zur Feier war. Er erkannte den Briefumschlag und das Papier. Er hatte damals Catherines Handschrift erkannt und die Trauer hatte ihn so sehr übermannt, dass er sie weggeworfen hatte. Schuldbewusst sah er weg und seine Hände zitterten.

„Es tut mir leid, Catherine...“ Erst jetzt bemerkte er, wie sehr er sie ausgeschlossen und wie alleine er sie gelassen hatte. Wie fremd sie sich geworden waren. Früher hatte er die Gespräche mit Catherine genossen. Ihr Verhältnis war locker und vertraut gewesen, doch nun saßen sie hier wie bei einem Blind Date, wo man den Partner nicht leiden konnte und versucht höflich zu bleiben.

Catherine schüttelte nur den Kopf und lächelte ihn an.

„Kein Problem. Es war eine Scheißzeit. Vielleicht hätte ich forscher sein müssen...aber ich habe die Blicke nicht ertragen, die du mir immer zugeworfen hast. Wie ein leidender Hund und ich habe es nicht mit meinem Gewissen vereinbaren können, dass du leidest.“

„Aber du hättest mich gebraucht, während ich in Selbstmitleid gebadet habe.“, sagte John ernst und zog seine Stirn in Falten. Catherine zögerte. Es war wahr, was er sagte. Sie war mehr als einmal kurz vorm Verzweifeln gewesen, hätte wirklich einen Rat gebraucht, aber sie wollte es ihm nicht so vor dem Kopf werfen. Es war sowieso seltsam. Sie musste nun so tun, als wäre Sherlock noch tot, wo sie doch am liebsten an Johns Seite auf und abspringen wollte und kreischen: Sherlock ist da! Sherlock ist wieder da! Doch sie hatte es Sherlock versprochen und sie würde ihn nicht enttäuschen. Niemals mehr und auch John nicht. Also stark bleiben und weiter schauspielern.

„Du kannst es mir ruhig sagen.“

„Natürlich hätte ich dich gebraucht...ich war komplett alleine, aber du hättest mich auch gebraucht, doch ich habe mich nicht getraut, weil ich Angst vor deinen Reaktionen hatte. Also sind wir quitt.“, erklärte sie schlicht und zuckte mit den Schultern.

„Ich werde mir jetzt mehr Mühe geben, versprochen, Catherine. Ich schließe dich nicht mehr aus.“ Sie lächelte ihn dankbar an und setzte sich wieder in den Sessel. In den Augenwinkeln bemerkte sie eine Gestalt, die durch das Fenster ihres Schlafzimmers kletterte und sie konnte ein kleines Lächeln nicht verkneifen.

„Weißt du...dich hätte ich wirklich gern dabei gehabt, John, aber ich bin froh, dass Sherlock nicht dabei war.“ Sie würde sich diese Situation nicht entgehen lassen. Sollte ihr Plan funktionieren, dürfte Sherlock keinen Mucks von sich geben, was ihm sicher schwer fallen würde. Catherine konnte einfach nicht anders, sie musste das ausnutzen und sie würde Spaß dabei haben.

„Wie meinen?“, fragte John irritiert und nahm eine Handvoll Chips, die sie vor einiger Zeit auf den Tisch gestellt.

„Glaubst du wirklich, ich hätte auf meiner Promotionsfeier haben wollen, dass Sherlock dort rumrennt? Wie er meinem Professor deduziert oder den Dekan...den Direktor der Uni vielleicht sogar? Wie er herumläuft und sagt was für Idioten doch alle wären.“ Sie lachte leise. „Ich wär dann sicher zu zwanzig Jahren Reagenzglasspülen verurteilt worden und er hätte das auch noch lustig gefunden.“

John konnte nicht anders, er musste kichern auch wenn es einige Momente dauerte, bis er es zuließ. Der Klang seines Lachens erleichterte Catherine ungemein und sie hatte auch das Gefühl, dass die schattenhafte Gestalt, die vor John durch ein Bücherregal verborgen war, erleichtert ausatmete.

„Du hättest deinen Doktortitel gleich wieder abgeben können.“

„Definitiv. Wahrscheinlich hätte er mich sogar noch vor versammelter Mannschaft auf Fehler hingewiesen, die ich gemacht hätte oder festgestellt, dass Professor Rose und Mannegan eine Affäre haben. Das wär unangenehm geworden.“ Die beiden ungewöhnlichen Freunde sahen sich an und prusteten los. Erst verhalten, doch dann immer lauter und kräftiger. Es war, als hätte Sherlock mal wieder den Knoten gelöst, der die Kommunikation der beiden blockiert hatte.

„Oder...AU!“ Etwas hatte sie am Hinterkopf getroffen. Irritiert fasste sie nach hinten und zog eine Erdnuss aus ihrem Haar, betrachtete sie und zog eine Augenbraue hoch. Wo zum Geier hatte Sherlock in ihrem Schlafzimmer eine Erdnuss gefunden?

„Catherine?“, fragte John irritiert und sah sie fragend an.

„Nichts, nichts. Da hing wohl nur eine Erdnuss in der Lehne und ich habe mich dagegen gelehnt.“, erklärte sie und konnte sich ein Grinsen kaum verkneifen. Natürlich hatte Sherlock das nicht lustig gefunden, aber er hatte keine Möglichkeit etwas zu erwidern, weshalb er sie wohl aus purer Verzweiflung beworfen hatte. Dieses Mal hatte sie das Spiel gewonnen. Die nächsten würden sicherlich nicht so ausgehen. Da hatte sie es doch nutzen müssen und einen ihrer Späße durchziehen, wenn Sherlock doch einmal die Hände gebunden waren.

John sah sie dankbar lächelnd an und stand auf. Da fiel ihm etwas auf und er verharrte ihm Wohnzimmer, ging langsam darauf zu. Neben einem Bücherregal, das eine Art Trennwand zur Tür des Schlafzimmers bildete und indem sich auch die Stereoanlage befand, stand ein kleines Klavier aus polierten Eichenholz. John ging auf es zu und ließ nachdenklich seine Finger darüber streichen.

„Du spielst wieder, Catherine?“, fragte er und drehte sich zu ihm um.

„Nun, sagen wir, ich versuche es. Ich bin ziemlich beschäftigt und vollkommen aus der Übung, aber irgendwie hatte ich vor einiger Zeit das Bedürfnis danach wieder eines zu besitzen.“, erklärte sie. Die Wahrheit war: Sie hatte sich das Klavier gekauft um sich Sherlock wieder nah zu fühlen. Immer wenn sie gespielt hatte, hatte sie daran gedacht wie Sherlock es geliebt hatte Violine zu spielen und sie hatte so das Gefühl, dass er neben ihr stand und spielte. Er hatte die Musik geliebt, war in ihr aufgegangen und sie wollte dieses Gefühl bewahren.

Kurz ließ sie ihren Blick ins Schlafzimmer gleiten und sah graublaue Augen funkeln, die sie ansahen und nachdenklich verschmälerten. Ob er wohl wusste, was wie wirklich mit dem Klavier bezweckt hatte? Wahrscheinlich. Nachdem sie den Master geschaffte hatte, war es nicht direkt sicher gewesen, dass sie eine Doktorstelle in dem Institut bekommen würde und deshalb hatte es zwei Monate gegeben, in denen sie nichts zu tun gehabt hatte. Zu dem Zeitpunkt hatte sie die Einsamkeit übermannt und sie hatte ein Klavier gekauft. Sie hatte keinerlei Erinnerungsstücke an Sherlock und so war das das einzige, was er Verbindung zwischen ihnen geblieben war.

„Würdest du...etwas spielen?“, fragte John vorsichtig und sah sich das Klavier wieder an.

„Wirklich?“ Überrascht sah Catherine ihn an. Zwar gehörte das zu ihrem Plan und sie hätte in ein paar Minuten sowieso angefangen zu spielen, doch dass John von sich aus fragte, hätte sie nicht gedacht.

John zögerte kurz und nickte dann.

„Ich versteh nicht wirklich viel davon. Ich kann ehrlich gesagt nur sagen, ob mir ein Lied gefällt oder nicht...“, fing er nachdenklich an und betrachtete das Klavier, blätterte in den Notenheften und sah sie dann an. „Was hier drin steht, ist für mich wie eine Geheimsprache. Ich habe keine Ahnung von Harmonien, Takt oder Tonarten...aber wenn Sherlock spielte...da wusste selbst ich, dass es Musik der höchsten Stufe war...es war...als...“

John haderte, verzog den Mund und suchte nach dem passenden Wort.

„Als erwache sie zum Leben.“, vollendete sie seinen Satz und setzte sich auf die Klavierbank. Der Arzt nickte.

„Man vergaß einfach alles um sich herum und war wie in einer anderen Welt. Nun ja...ich weiß auch nicht. Ich dachte, es würde einfach passen.“ Catherine sah zu ihm auf und beobachtete ihn einige Zeit. Sie seufzte leise und strich sich ihren Pony aus dem Gesicht.

„Dir ist schon bewusst, dass ich nicht Sherlock bin. Ich verstehe die Musik nicht so wie er es tut. Ich kann nur spielen, was andere mir vorgeben, ich kann ihr keine Seele einhauchen so wie er es tat. Ich habe nur gelernt sie zu lesen, aber ich verstehe sie auch nicht vollkommen. Nicht so wie er.“

„Da ich sie aber noch weniger verstehe, wird mir das wohl nicht auffallen.“, sagte John und lächelte sie an. Etwas Bittendes lag in seinen dunkelblauen Augen. Er wünschte es sich wirklich und schließlich willigte Catherine ein, auch wenn sie nun nervös wurde. Als sie John über Sherlocks Spiel hatte sprechen hören, war sie unruhig geworden. Sie würde niemals an ihn heran kommen. Er war brillant was die Musik anging. Es war, als wäre er die Musik, als lebte sie in ihm.

„Ich bereite alles vor.“, sagte sie dann, als sie sich etwas gesammelt und tief Luft geholt hatte. „Hol du dir doch in der Zeit einen Tee. Es gibt eh ein Lied, das ich dir immer einmal zeigen wollte, weil es passt. Ich such die Noten raus. Dann spiel ich dir etwas vor, John.“

Dankbar sah John sie an und ging in die Küche, wandte ihr den Rücken zu. Catherine trat etwas zur Seite und gab Sherlock einen Wink, dass er sich in den Schatten des Bücherregals stellen konnte. Da es quer stand, verbarg es Sherlocks Gestalt vom Blickwinkel der Sessel aus. Schnell schlich sich der einzige Consulting Detective aus dem Schlafzimmer in den Schatten, blieb aber kurz neben ihr stehen.

„Kann er mich wirklich nicht sehen?“, flüsterte er leise in ihr Ohr. Catherine schüttelte den Kopf.

„Keine Sorge...ich habe es gerade noch einmal überprüft.“

„Was für ein Lied ist es?“

„Eine ruhige Ballade...3 Themen ungefähr. Das Klavier spielt die die ersten neun Takte alleine.“, erklärte sie rasch und leise, während sie John beobachtete, der Tee kochte. Sherlock nickte und sah sie durchdringend aus seinen graublauen Augen an.

„Das mit der Feier zahl ich dir zurück.“, flüsterte er noch und zog sich dann in den Schatten zurück, als John in die Wohnstube zurückkehrte. Catherine stand mittlerweile wieder vor dem Klavier und zog ein Notenheft aus dem Regal, unterdrückte mit aller Kraft ein Grinsen. John setzte sich in der Zeit in den Sessel und sah sie an.

„Ich wird noch eine Instrumentalspur einspielen.“, erklärte sie, als sie so tat, als würde sie die Stereoanlage anschalten. „Es klingt mit einer Violine einfach besser und so wird der Geist vielleicht noch sichtbarer.“

John rutschte kurz unruhig in seinem Sessel hin und her, nickte dann aber und nahm einen Schluck. Catherine setzte sich hin und sah wie Sherlock die Geige anlegte, ihren Blick erwiderte und leicht nickte.

Tief holte sie Luft und begann die ersten, ruhigen Takte zu spielen. Es war ein sanfter Einstieg mit aufeinander aufbauenden Akkorden, doch dann wurde sie langsamer und sie bemerkte, dass Sherlock instinktiv wusste, wann er einsetzten sollte. Sanft ließ er den Klang der Geige erklingen, ließ die langgezogenen Noten durch den Raum tanzen, während sie immer schneller wurde bis er anfing sich ihrem Rhythmus anzupassen und Catherine spielte immer wieder den gleichen Ton und er verharrte, sah sie an, wusste, dass etwas kommen würde.

Da schloss Catherine die Augen und begann mit ruhiger Stimme zu singen:
 

Fear not this night

You will not go astray

Though shadows fall

Still the stars find their way[/center}

Die erste Strophe spielte Catherine alleine, konzentrierte sich ganz auf den Gesang, während ihre Hände wie von selbst über die Tastatur glitten. Sie sah nicht Sherlocks überraschten, dann aber sanft werden Blick und sie sah auch nicht, wie John genüsslich die Augen schloss, dem entstehenden Bild des Liedes lauschte.

Awaken from a quiet sleep

Hear the whispering of the wind

Awaken as the silence grows

In the solitude of the night

Darkness spreads through all the land

And your weary eyes open silently

Sunsets have forsaken all

The most far off horizons


 

Catherine wurde schneller, blickte auf die Noten und sah dann zu Sherlock hoch, doch dieser hatte bereits bemerkt, dass ein Motivwechsel bevorstand und dass nun ein schnellerer Teil folgte. Elegant ließ es den Bogen über die Seiten wandern, die Augen geschlossen, während er sich der Musik hingab.
 

Nightmares come when shadows grow

Eyes closed and heartbeats slow

Fear not this night

You will not go astray

Though shadows fall

Still the stars find their way

And you can always be strong

Lift your voice with the first light of dawn

Dawn's just a heartbeat away

Hope's just a sunrise away


 

Was hatte sie sich überhaupt Sorgen gemacht? Warum war sie nervös gewesen? Sherlock führte die Geige so wunderbar, so instinktiv, dass es leicht war mit ihm zusammen zu spielen. Nach kurzer Zeit entspannte sich Catherine sichtlich, konzentrierte sich auf die Musik, auf ihr Bild und ließ sich beim Spiel von Sherlock führen. Er verstand die Musik, hatte die Struktur des Liedes bereits durchschaut und wusste, welches Motiv als nächstes kam. Falls er unsicher war- wenn er es überhaupt war- so ließ er einfach lange Töne fließen, hörte sich Catherines Klavierspiel an und zog dann seine Schlüsse daraus.
 

Distant sounds of melodies

Darting through the night to your heart

Auroras, mists, and echoes dance

In the solitude of our life

Pleading, sighing arias

Gently grieving in captive misery

Darkness sings a forlorn song

Yet our hope can still rise up

Nightmares come when shadows roam

Lift your voice, lift your hope

Fear not this night

You will not go astray

Though shadows fall

Still the stars find their way

And though the night sky's filled with blackness

Fear not, rise up, call out and take my hand

Fear not this night

You will not go astray

Though shadows fall

(Still the stars find their way)

Fear not this night

You will not go astray

Though shadows fall

(Still the stars find their way)

And you can always be strong

Lift your voice with the first light of dawn

Dawn's just a heartbeat away

Hope's just a sunrise away


 

Catherine ließ das Klavierspiel ausklingen, überließ am Ende der Geige die Führung und unterstützte sie nur mit ihrem Klavier. Sie beobachte Sherlock, wie er sich im Rhythmus wog, den Bogen zärtlich über die Saiten streichen ließ. Seine Augen waren entspannt geschlossen, ein leichtes Lächeln auf den Lippen. Als sich das Lied jedoch dem Ende neigte, öffnete er seine Augen wieder und nahmen ihren Blick gefangen. Ein verträumter, beinah ekstatischer Ausdruck zog sich durch diese wunderbaren Augen. In diesem Moment waren sie verbunden, im Einklang, sprachen dieselben Worte, dieselbe Sprache.

Die letzten Akkorde verklangen und Catherine hob die Hände von der Tastatur, drehte sich wieder zu John um, der nun auch seine Augen öffnete und ein verträumtes Lächeln auf den Lippen hatte.

„Das war...wunderschön, Catherine.“, flüsterte er leise, durchbrach die beinah zauberhafte Stimmung. Catherine spürte wie Sherlock in ihrem Rücken den Hals seiner Geige fester umfasste, überlegte nun aus den Schatten zu treten, doch sie hob unbedeutend die Hand, schloss als Tarnung den Deckel, doch Sherlock verstand.

„Ich empfand den Text als sehr passend. Ein kleiner Hoffnungsschimmer. Momentan ist finstere Nacht, aber der Sonnenaufgang wird kommen. Vielleicht auch sehr bald.“ Sie lächelte sanft und stand auf.

„Die Violine klang schön...fast als hätte er sie gespielt... Hast du sie aufgenommen, Catherine?“ Ein klein wenig Wehmut spiegelte sich in seinem Gesicht wieder. Das Grinsen von Catherine wurde ein bisschen breiter und sie schüttelte den Kopf.

„Ich beherrsche nur das Klavier einigermaßen, aber du hast Recht, die Violine wurde live gespielt.“

„Wie?“ John blinzelte irritiert und neigte seinen Kopf.

„Das war keine Aufnahme.“ Johns Augen wurden groß, sahen sie an und er setzte sich automatisch gerader hin.

„Aber wie?“

„Wie immer sehen Sie, mein lieber John, aber Sie bemerken es nicht.“, sagte Sherlocks tiefer Bariton in ihrem Nacken, sodass sich ihre Nackenhaare wohlig aufstellten. „Wie sollte es sich denn hierbei um eine Aufnahme handeln, wo Catherines Stereoanlage doch ausgeschaltet ist? Genauso wie ihr Laptop.“

John erstarrte zu Eis, als er Sherlock erkannte. Kerzengerade saß er in Sessel, seine Augen wackelten und ungläubig schüttelte er immer wieder den Kopf.

„Sherlock...“, flüsterte er nach einer Minute, als er endlich seine Stimme wiedergefunden hatte. Langsam, zitternd stand er auf und ging auf Sherlock zu. Sherlock ging währenddessen an Catherine vorbei. Sie warf ihm noch kurz einen aufmunternden Blick zu, doch Sherlocks Augen waren nur auf seinen besten Freund gerichtet. In diesem Moment sah er sich seinen treusten Gefährten, besten Freund und persönlichen Blogger genauer an. Sein Haar war dünner geworden, die Haut war fahl. John hatte ebenfalls erschreckend abgenommen. Mindestens vier Kilos. Die Augen waren dunkel, beinahe leer, versteckt in tiefen Höhlen. Auch die Falten ins Johns Gesicht waren nun ausgeprägter und seine Mundwinkel schienen schon seit Ewigkeiten herabgezogen zu sein. Trauer, Schmerz und Verzweiflung hatten sich über die drei Jahre durch die tiefblauen Augen gezogen und er schien einfach nicht zu verschwinden. Es war erschreckend zu sehen wie sehr der lebensfrohe, gefahrliebende John gestorben zu sein schien. Es war so erschreckend, dass Sherlock nicht wusste wie er reagieren sollte. Er war wie gelähmt. Sherlock wusste nicht weiter und war überfordert. Sein Herz schlug bis zum Hals und Adrenalin raste durch ihren Körper.

„John...“, sagte er auch, genauso leise, seine Stimme genauso zitternd. Seine graublauen Augen blickten auf ihn hinab, doch dann wandte er schuldbewusst den Blick ab. Er wartete auf eine Reaktion, doch John schüttelte nur wieder den Kopf, während seine Brust sich heftig hob und senkte.

„Du...lebst?“, fragte John ungläubig.

„Offenkundig...“, gab Sherlock seine typische Antwort und Catherine sah, wie John die Hand zur Faust ballte und dann ging plötzlich alles ganz schnell. John holte aus und schlug Sherlock mit aller Kraft ins Gesicht. Taumelnd fiel Sherlock zu Boden, riss dabei Catherines halbleeres Scotch Glas mit sich. Es schepperte, als es zerbrach und Sherlock schwer atmend zu ihm hochsah. John stand zitternd über ihn, die Hand noch immer zur Faust geballt. Sowohl die Wange des Consulting Detectives als auch die Faust des Arztes blutete, doch darauf achtete keiner der beiden. Tränen liefen aus Johns Augen, während sein Körper zitterte und er schwer atmete.

„Autsch...“, durchbrach dann Sherlock die angespannte Stille und rieb sich die Wange, richtete sich stöhnend wieder auf. Catherine mischte sich bewusst nicht ein. Schmunzelte nur ein wenig. Sie hatte es richtig vorhergesagt. „Das war schon das zweite Mal heute.“

„Ich sagte doch, dass du es verdienst, Sherlock.“, grinste Catherine und ging in die Küche um den beiden einen Tee zu kochen.

„Aber wie...“ John konnte es immer noch nicht realisieren. „Ich mein die Leiche...das Blut...du bist gesprungen.“ Fahrig fuhr er sich durch das aschblonde Haar und schüttelte den Kopf.

„Es war inszeniert.“

„Inszeniert?“, wiederholte John ungläubig und wütend zu gleich. „Inszeniert?“

Seine Stimme überschlug sich beinahe. Sherlock schloss die Augen, haderte mit den Worten. Schuldgefühle überschwemmten ihn offensichtlich, doch er versuchte ruhig zu bleiben, es sich nicht anmerken lassen. Sie wusste es besser. Zu bemerken, was für ein Chaos momentan in Sherlock herrschte, war nun wirklich keine Kunst.

„John...ich...“ Catherine beobachtete das Treiben von der Küche aus und sie sah noch immer wie die Gefühle in ihm tobten. Die Hand von John zitterte noch immer stark und er konnte seinem Freund nicht ansehen.

„Das heißt du warst die ganze Zeit am Leben? Du hast mich die ganze Zeit belogen? Du hast mich drei Jahre durch die Hölle gehen lassen? In dem Glauben, dass ich meinen besten Freund habe sterben sehen? DU VERDAMMTER MISTKERL!“ Johns Stimme war von Unglauben in Wut umgeschlagen. Sofort packte er Sherlock am Kragen, zog ihn heran und wollte ihm noch eine verpassen. Mit aller Kraft holte er aus. Sherlock schloss die Augen, wartete auf den brennenden Schmerz, doch es kam keiner.

„John! Es ist genug jetzt!“, hörte er wie Catherines Stimme, eine Nuance kälter als sonst, dazwischen fuhr. Er öffnete seine Augen, blinzelte und sah, dass sie Johns Handgelenk fest umschlossen hielt und ihn somit daran hinderte Sherlock noch einmal zu schlagen.

„Lass mich los, Catherine!“ John wehrte sich gegen ihren Griff, doch Catherine verdrehte schnell seinen Arm und hielt ihn hintern Rücken. Irritiert sahen sowohl Sherlock als auch John sie an, als sie ihn außer Gefecht gesetzt hatte. Die junge Frau sah die Blicke und zuckte sie mit den Achseln.

„Was? Denkt ihr nach der Serbensache war ich untätig? Ich habe einige Selbstverteidigungskurse besucht und mach nun Kickboxen als Hobby ab und an. Man kann selbst einen ehemaligen Soldaten überraschen, wenn er einen Gegner unterschätzt.“ Catherine seufzte und rollte kurz mit den Augen, ließ John dann los und stellte sich zwischen die beiden.

„John...ich versteh ja, dass du aufgewühlt bist, aber ihn zu schlagen bringt jetzt nichts. Setz dich hin, hör dir an, was er zu sagen hat und dann kannst du ihn schlagen, wenn du es als gerechtfertigt ansiehst.“

„Ich empfinde zweimal an einem Tag als ausreichend.“

„Das liegt wohl nicht in deinem Ermessen, Sherlock.“, sagte sie und warf ihm einen mahnenden Blick. Sherlock zögerte, nickte dann aber.

„Du wusstest also, dass er lebt?“, richtete sich nun Johns Enttäuschung gegen sie. Ihr Magen verkrampfte sich, sie schürzte die Lippen und nickte.

„Ja.“

„Seit wann?“

„Seit heute Nachmittag. Sherlock stand plötzlich in meinem Labor.“

„Das heißt du hast gerade die ganze Zeit so getan, als wäre er noch tot, obwohl du wusstest, dass er lebt?“ Catherine zuckte bei den Worten zusammen, schloss die Augen, aber nickte.

„Ja.“, antwortete sie zerknirscht. Die Enttäuschung in Johns Augen, der offensichtliche Verrat, den er empfand, traf sie hart, obwohl sie damit gerechnet hatte.

John lachte trocken auf, es klang sogar leicht verrückt, schüttelte nur den Kopf und begann auf und ab zulaufen.

„Das heißt, du hast mich belogen. Wieso belügen mich alle? Warum wissen alle Bescheid, während ich dumm in der Wohnung sitze?“ Seine Stimme überschlug sich vor Wut.

„John, es ist meine Schuld, nicht ihre.“, fuhr Sherlock sanft dazwischen, schob Catherine beiseite und trat vor seinen Freund. „Ich habe sie gebeten dir nichts zu erzählen. Catherine hat mich den ganzen Tag versucht zu überreden, dass ich direkt zu dir gehen sollte, doch ich empfand es als falsch...einfach so aufzutauchen...deshalb bin auch zuerst zu ihr gegangen. Ich brauchte ihre Hilfe.“

John holte tief Luft und schien sich allmählich zu beruhigen. Die Wut verrauchte und Trauer übermannte ihn. Nun reagierte er genauso, wie Catherine es getan hatte. Schluchzend umarmte er den Consulting Detective und drückte seinen Kopf an ihn. Sherlock sah hilflos zu John und dann zu Catherine. Diese nickte ihm nur kurz aufmunternd zu und Sherlock verstand. Vorsichtig umarmte er seinen besten Freund und Catherine sah, dass auch in seinen Augen Tränen brannten. Sherlock war sichtlich überfordert mit der Situation, doch Catherine konnte ihm nicht helfen. Er musste sich mit John zusammensetzen und in Ruhe alles bereden. Sie war sich sicher, dass John es verstehen würde, wenn Sherlock ihm den Grund erzählen würde.

„Setzt euch erst einmal.“, schlug sie versöhnlich vor um Sherlock ein wenig zur Hilfe zu kommen. „Ich habe euch einen Tee gekocht. Beredet alles in Ruhe und dann entscheidet wie es weitergeht.“ Mit diesen Worten nahm Catherine ihren Mantel vom Haken und schlüpfte in ihre Boots. Sie bemerkte Sherlocks irritierten Blick, doch ignorierte ihn und band sich den Schal um.

„Catherine...wo gehst du hin?“ Nun bemerkte auch John, dass sie im Begriff war zu gehen.

„Ins Labor.“, antwortete sie knapp.

„Aber du hast doch Urlaub, oder nicht?“, hakte Sherlock irritiert nach und zog die Augenbrauen hoch.

„Sicher. Für die nächsten zwei Wochen. Heißt ich muss mich nicht um die Bachelorstudenten kümmern.“ Sie grinste, doch dann wurde ihr Blick wieder ernst. „Ihr beide braucht Zeit und Ruhe um all das zu klären. Deshalb geh ich erst mal ins Labor. Hab eh noch ein paar Versuche am Laufen. Sherlock, du hast doch sicher noch meinen Schlüssel von der Wohnung. Wenn ihr also rübergeht, dann schließ bitte ab, ja? Ich bin morgen zum Frühstück wieder da.“

Sie ging zur Tür, blieb kurz stehen und sah zu John zurück:

„John, ich an deiner Stelle würde mir seine Gründe anhören. Es sind gute Gründe. Nicht sherlockische gute Gründe, sondern wirklich gute Gründe. Auch für normale Menschen.“ Damit verschwand Catherine aus der Wohnung und ließ die beiden ehemals besten Freunde allein zurück. Leise fiel die Tür ins Schloss und die beiden sahen ihr irritiert nach. Doch dann räusperte sich John, rutschte etwas im Sessel hin und her und zog so Sherlocks Aufmerksamkeit auf sich.

„Könntest du...mir jetzt mal erklären, was genau geschehen ist, Sherlock? Drei Jahre lang habe ich gedacht du wärst tot, hatte Alpträume und habe mich abgekapselt und nun stehst du plötzlich hier mitten in der Wohnung?“ Johns Stimme zitterte voller Wut, doch er schloss die Augen und kontrollierte es. Er zwang all seine Gefühle hinab, all seine Enttäuschung, den Verrat und die widersprüchlichen Gedanken. Catherine hatte Recht. Sie mussten ruhig mit einander sprechen. Er musste sich alles erst einmal anhören und dann entscheiden.

Sherlock blickte schuldbewusst zu Boden und zögerte, sah dann aber zu John auf und flüsterte leise:

„Das ist nicht so einfach zu erklären...und ich würde dir gerne vorher eine Frage stellen.“

„...“ John lehnte sich im Sessel zurück und verschränkte die Arme vor der Brust.

„Glaubst du immer noch an mich? Daran, dass ich kein Betrüger bin?“ Diese Frage belastete Sherlock sehr. Er hatte John damals gesagt, dass Moriartys Lügen wahr seien, damit dieser ihn hassen konnte, damit John frei war und ein neues Leben beginnen konnte, doch an seinem Grab hatte er dann beobachtet, dass John immer noch an ihn glaubte. Mit einer solchen Loyalität hätte Sherlock nie gerechnet und er wollte wissen, ob er sich dieser noch sicher sein konnte, auch wenn er John so verraten hatte.

John zögerte einige Momente, blickte ihm mit seinem typischen nachdenklichen Blick an, seufzte dann aber.

„Ich habe nie daran gezweifelt, Sherlock.“, antwortete er schließlich nach einigen Bedenken. Seine Stimme war zwar kalt und abweisend, doch aus ihr sprach die Wahrheit. Sherlock nickte nur und wählte nun seine nächsten Worte mit Bedacht.

„Ich war dumm, John...“

„Schön, dass du es auch endlich einsiehst...aber warum genau?“, erwiderte John garstig, konnte sich aber ein wenig das Grinsen nicht verkneifen. Etwas, was die Hoffnung in Sherlock wieder keimen ließ. Wieder überlegte er wie er das ganze am besten erklären sollte, dann seufzte er.

„Wie du sicher schon weißt, war der Anruf wegen Mrs. Hudson eine Täuschung. Ich musste dich...“ Sherlock hielt inne, suchte hilflos nach einem Wort, was nicht ganz so verletzend war, doch resigniert stellte er fest, dass es keines gab. „...aus dem Weg haben. Ich dachte, ich hätte einen Trumpf gegenüber Moriarty, das ich einen Weg gefunden hätte das Spiel zu gewinnen, doch das war ein Irrtum. Ich hatte so vieles bedacht und eingeplant und doch wendete sich auf dem Dach alles dahin, dass ich nur verlieren konnte. Dass Moriarty mich besiegt hatte.“

„Was willst du mir damit sagen?“, fragte John nach und nun wich die Vorsicht in seiner Stimme doch ein wenig der Neugierde. Sherlock hingegen viel es schwer einzugestehen, dass er sich schlicht verkalkuliert hatte.

„Dass manchmal der offensichtlichste Fall die Lösung ist.“ Er holte tief Luft und schloss die Augen. „Der Computercode...der angeblich sämtliche Türen öffnete...hat nie existiert.“

John riss die Augen auf und sah ihn geschockt an.

„Aber wie hat er dann...?“

„Komplizen. Es war alles inszeniert...Mycroft und ich waren wirklich dumm in diesem Moment. Wir haben so sehr geglaubt, dass er dazu in der Lage wäre, dass er das böseste Genie aller Zeiten wäre...und haben es nie auch nur einmal hinterfragt, dass er diesen Code hat. Ich habe sogar geglaubt, die Sequenz entschlüsselt zu haben...aber in Wahrheit waren die Klopfzeichen nur die erste Sonate von Johann Sebastian Bach. Ich habe mich in den drei Jahren gefragt, ob ich es einfach glauben wollte, dass Moriarty so gut ist, weil ich die Herausforderung einfach gewiss haben wollte und somit die Möglichkeit bewusst ignoriert habe oder einfach zu dumm war, sie zu bemerken.“ Sherlock faltete die Hände in seinem Schoß und blickte aus dem Fenster, während John einen Schluck Tee nahm.

„Aber was ist passiert? Wieso lebst du? Warum bist du gesprungen? Ich verstehe nicht...“ John war noch immer verwirrt und versuchte das zu begreifen, versuchte Sherlocks Gedankengang zu folgen, doch die Gefühle schwirrten durch sein Körper und erschwerten das Denken.

„Um das zu beschützen, was mir wichtig ist. Um euch zu beschützen.“, sagte Sherlock ruhig, wagte es aber nicht seinen Freund anzusehen. Er sah nicht den verwirrten Blick, wie er entsetzt nach Luft schnappte und den Kopf ungläubig schüttelte.

„Uns zu beschützen? Wie meinst du das, Sherlock?“

„Um das zu erklären würde ich gerne etwas weiter ausholen. Es gibt eine Sache, die ich dir nicht erzählt habe. Zwei Monate, bevor all das passierte, bat Catherine mich um ein Gespräch. Zunächst lehnte ich ab, doch sie ließ sich nicht beirren und war beinah so stur wie Mycroft, also willigte ich dann doch ein. Sag, John, hast du ihr damals von Moriarty erzählt?“ John blinzelte ihn verwirrt an und schüttelte den Kopf.

„Nein, habe ich nicht.“

„Dann ist sie aufmerksamer, als ich gedacht hatte.“, sagte Sherlock abwesend und rieb sich das Kinn.

„Moment! Sie wusste wer Moriarty war? Ich hab sie doch extra abgewimmelt.“

„Nicht direkt…nein…“, murmelte Sherlock nachdenklich und ließ seinen Blick durch den Raum schweifen. „Sie kannte nur den Namen und wollte von mir wissen, wer er sei. Aber sie hatte schon richtig vermutet…dass er eine Art Gegenspieler für mich war.“

Sein Blick glitt zurück zu John, der ihn irritiert ansah.

„Sie fragte mich, wer er sei… was ich mit diesem Moriarty zu tun hatte…“

„Und du hast es ihr erzählt?“ John stützte seinen Kopf auf die Hände und sah ihn an. Sherlock nickte.

„Ja, aber erst nachdem sie mir an den Kopf geworfen hatte, dass sie nach der Sache mit den Serben doch zumindest Ehrlichkeit verdiene. Sie würde nicht viel von mir erwarten, hatte sie gesagt, erst recht nicht, dass sie mir wichtig sei…aber sie wollte zumindest gewarnt werden, wenn da ein Schwert über der Bakerstreet hängt. Zunächst habe ich alles versucht um sie zu verunsichern, doch Catherine kann verdammt stur sein. Also erklärte ich ihr, was damals im Schwimmbad passiert ist. Ich war damals so dumm und habe nicht gemerkt wie wichtig wir ihr waren und wie sehr sie unter der Situation litt.“

„Darin warst du niemals besonders gut.“ John hatte vermutlich bissig klingen wollen, doch es klang eher wie eine Feststellung. Sherlock seufzte und strich sich durch sein dunkles Haar.

„Als ich ihr alles erzählt hatte…sagte sie etwas, was mich…was eigentlich? Ich würde sagen überrascht. Ich weiß noch genau wie sie die Augen öffnete, mich ansah und sagte: ‚Wenn Moriarty wiederkommt, dann wird es kein großes Spiel mehr sein, sondern Krieg‘ Ich war wirklich verwirrt, als sie mir das sagte. Wie sie es so schnell begriffen hatte. Aber das klein wenig Ehrfurcht, was ich empfunden hatte, als ich bemerkte wie schnell sie sich das alles mit ein paar Worten zusammengereimt hatte, verschwand mit ihrem nächsten Satz. Mit toternsten Augen sah sie mich an und flüsterte mir mit unheilvoller Stimme zu: ‚Und den werden Sie unweigerlich verlieren, Sherlock.‘“

„Oh ha…das hat sie wirklich gewagt zu sagen? Dem großen Sherlock Holmes zu sagen, dass er nicht gewinnen kann?“ Johns Stimme war spöttisch, doch Sherlock nickte nur und John schien zu spüren, dass er mit Spott nicht weiterkam, dass es ihm schwer fiel, denn er ließ sich seufzend in den Sessel fallen.

„Ich war wirklich wütend auf sie. So etwas sagte mir Niemand ins Gesicht. Ich habe sie ausgelacht, als unwissendes, kleines Nichts beschimpft, doch sie sah mich weiterhin ruhig an und sagte: ‚Sie sind nicht so soziopathisch wie Sie es gerne hätten. Sie sind sogar näher am Menschen, als Sie glauben und genau das wird dafür sorgen, dass Sie verlieren werden. Im Gegensatz zu Ihnen, hat Moriarty kein Gewissen. Er ist bereit alles zu tun, alles zu geben, nur um Sie zu zerstören. Er wird kein Limit kennen.

Ich warf ihr entgegen, dass ich genauso wäre, dass ich bereit bin alles zu tun um den Sieg davonzutragen und schlug mit aller Wucht auf den Tisch. Sie sah mich nur ruhig an und erwiderte ‚ Nein, sind Sie nicht. Bevor Sie John getroffen haben, wären Sie es sicher gewesen, aber nun haben Sie Grenzen, Sherlock. Sie würden nichts tun, was John oder Mrs. Hudson in Gefahr bringt.‘ Sie wollte mich nur warnen, doch in diesem Moment wollte ich es nicht hören. Zu gekränkt war mein Stolz, doch ihre Worte verunsicherten. Ich begann darüber nachzudenken, was Moriarty mit all dem bezweckte und ich musste einsehen, dass sie Recht hatte- die ganze Zeit- und ich beschloss Vorkehrungen zu treffen. Ich ging zu Molly, als sich alles zuzuspitzen begann, damit ich meinen Tod vortäuschen konnte, sollte es darauf hinauslaufen. Hätte ich nur früher auf euch gehört…auf dich und Catherine…wäre wohl all das nicht passiert.“

Trauer durchzog Sherlocks Blick und er schüttelte den Kopf. Reue war ihm so lange fremd gewesen, doch er hatte so oft seine Situation überdacht und war zu dem Schluss gekommen, dass die Situation hätte gelöst werden können, wäre er nicht so starrsinnig gewesen alles alleine machen zu wollen.

„Das hast du getan, als du meintest, du müsstest etwas allein erledigen.“, ging dem Arzt ein Licht auf. Sherlock nickte resigniert.

„Aber wie hast du das alles inszeniert? Und wovor hast du uns damit beschützt?“ Der Consulting Detective seufzte schwer und blickte auf die gefalteten Hände in seinem Schoß.

„Nachdem ich dich zu Mrs. Hudson geschickt hatte und somit vermeintlich außerhalb der Gefahrenzone, schrieb ich Moriarty eine SMS. Ich wusste genau, dass das Finale seines Spiels an stand und sich entscheiden würde wie mein Leben weitergehen würde. Entweder ich würde gewinnen und alles würde so weitergehen wie ich es schätzte oder ich würde alles verlieren, denn Moriarty wollte es mit meinem Selbstmord enden lassen. Das hatte er mir gesagt.“

Fahrig fuhr er sich über die Lippen und blickte John aus traurigen Augen an. Sein Freund erwiderte diesen Blick, doch mittlerweile war alle Wut aus seinen Augen verschwunden und er schaute ihn einfach nur an.

„Als ich auf ihn traf…“, fuhr Sherlock nach einigen Momenten fort. „…stellte sich heraus, dass alles noch viel komplizierter war, als ich es angenommen hatte und dass Catherine recht gehabt hatte. Moriarty kannte keine Grenzen in seinem Spiel und meine waren doch zu klar definiert.“

Fast musste er schon bei Johns irritiertem Blick lachen, doch die Geschichte war viel zu ernst dafür.

„Wie meinst du das, Sherlock?“

„Das Spiel hatte nur zwei mögliche Ausgänge. Entweder ich sprang oder aber…Mrs. Hudson…Lestrade und du, John…ihr würdet sterben.“

„Wir? Was?“ John sah ihn aus großen Augen an. Sherlock seufzte schwer und er wirkte plötzlich müde.

„Moriarty hatte Scharfschützen engagiert, die euch töten sollten, wenn ich nicht sprang. Nur mein Selbstmord konnte sie zurückrufen.“

„Mo…Moment! Was?“, stotterte sein Freund verunsichert und lehnte sich vor. „Soll das heißen…du bist gesprungen um unser Leben zu retten?“

Sherlock nickte nur und faltete die Hände.

„Weißt du noch…was du mir gesagt hast, als du das Labor verlassen hast?“

„Dass Freunde einen beschützen.“, wiederholte John die Worte von damals. Jedes Detail dieses furchtbaren Tages waren noch genau in seinem Gedächtnis.

Sherlock nickte und stand langsam auf, ging zu John und kniete sich vor ihn, sodass sie auf Augenhöhe waren.

„John…ich…“ Sherlock zögerte und suchte nach den richtigen Worten. Er holte tief Luft und ordnete seine Gedanken noch einmal neu. „Deshalb habe ich es getan. Ihr seid meine Freunde und ich wollte euch beschützen. Ich habe euch immer nur in Gefahr gebracht, aber dieses Mal wollte ich euch beschützen. Das Spiel ging nur Moriarty und mich etwas an und ich wollte nicht, dass ihr für meine Torheit bezahlen musstet.“

Noch einmal holte Sherlock tief Luft und sah seinem Freund tief in die Augen. Leid, Trauer und Schmerz durchzogen die hellblauen Augen des Dunkelhaarigen.

„John…es tut mir leid, dass ich so lange fort war, aber es tut mir nicht leid, dass ich das getan habe, denn es war die einzige Möglichkeit gewesen um euch zu retten…vor mir zu retten.“

„Du verstehst nicht, Sherlock…alles war plötzlich kaputt.“

„Doch, ich glaube ich verstehe schon, zumindest ein bisschen. Die drei Jahre waren nicht einfach für mich.“

„Sherlock…“, flüsterte er leise und sah zu ihm hinab. Der Detective hob den Kopf und blickte in die ruhigen, aber erleichterten Augen von John. Es war wirklich nicht leicht gewesen. Das erste Mal in seinem Leben hatte ihn die Einsamkeit geschmerzt, die er sonst geschätzt hatte.

„Heißt das, dass du mir vergibst?“, fragte er vorsichtig und hielt den Atem an. John betrachtete ihn einige Zeit nachdenklich.

„Nein…“, antwortete er ruhig. Sherlock riss die Augen auf und seine Pupillen zitterten. Plötzlich zog sein Herz zusammen. Er hatte es doch sehr gehofft, gebeten, gefleht, doch nun diese simple Antwort zu hören war zerstörender, als er je gedacht hätte.

„Was?“ Mehr konnte Sherlock nicht hervorbringen, seine Kehle war wie zugeschnürt. Er schluckte heftig und versuchte seine Fassung wieder zu erlangen.

„Ich verzeihe dir nicht, Sherlock.“, sagte John und sah ihn aus ruhigen Augen an. In diesen Moment schien es, als würde seine Welt zersplittern. Nach Johns Reaktion hatte er geglaubt…

„Ich kann dir nicht verzeihen, weil es nichts gibt, wofür du dich entschuldigen musst.“, fuhr John fort. Sherlock sah überrascht auf und blickte in ein leichtes, schwaches, aber doch vorhandene Lächeln auf Johns Gesicht.

„John…“, flüsterte Sherlock überrascht und Johns Grinsen wurde breiter.

„Endlich, habe es geschafft dich sprachlos zu machen. Das muss ich mir in den Kalender eintragen.“ Sherlock schüttelte fassungslos den Kopf, verstand nicht was hier los war, doch dann fing John leise an zu lachen. Es war ein ruhiger Klang, dass es Sherlock ungemein erleichterte und er miteinstimmte.

„Lass es nicht zu Gewohnheit werden.“, erwiderte er schmunzelnd. „Das würde ich nicht mögen.“

„Natürlich nicht, darum geht es ja.“, antworte John und grinste noch mehr. Sherlock rollte mit den Augen und schnaubte, doch das ehrliche Lachen verschwand nicht von seinem Gesicht.

„Na gut, heute soll es mal erlaubt sein.“

Einige Zeit sahen sich die beiden Freunde an und es herrschte wieder Stille, doch diesmal war es keine unangenehme, sondern eine gelöste. Mittlerweile konnte selbst Sherlock sehen, dass John sichtlich erleichtert und froh war, dass er zurückgekehrt war und das stimmte ihn erleichtert. Der Alptraum war vorbei. Endlich war er vorbei.


 

Ein neues Zeitalter

Catherine kehrte am frühen Morgen in die Bakerstreet zurück. Ihr Rücken schmerzte ein wenig von der unbequemen Nacht auf dem Laborstuhl, doch das kannte sie von den drei Jahren zu genüge. Die Experimente an sich waren aber gut gelaufen und obwohl sie die ganze Nacht auf gewesen war, fühlte sie sich nicht müde. Schlafen hätte sie nach diesem ereignisreichen Tag sowieso nicht gekonnt.

Sie machte sich nichts vor. Natürlich würde es noch lange Zeit dauern, bis alles wieder normal wäre, wahrscheinlich würde es sogar nie mehr wie früher werden, doch es war ihr egal. Sherlock war wieder da und somit würde John auch wieder glücklich werden. Allein das reichte schon, dass sie sich wieder froh war. Die bleierne Schwere der Lethargie hatte ihr Herz endlich freigegeben und sie fühlte sich schon beinahe euphorisch.

Sie öffnete die Tür zu ihrer Wohnung und hörte leise Stimmen aus dem Wohnzimmer, die sich ruhig unterhielten. Waren sie immer noch in ihrer Wohnung? Als sie eintrat, fand sie Sherlock und John genauso vor wie sie sie verlassen hatte. Beide saßen sich gegenüber und unterhielten sich. Offensichtlich hatte John sich mittlerweile beruhigt. Zwar herrscht noch immer eine seltsame Atmosphäre in ihrem kleinen Wohnzimmer, aber es war deutlich entspannter.
 

Beide blickten auf, als sie Catherine eintreten sahen. Sie lächelte ihre Nachbarn an und hob drei warme Papiertüten hoch, die herrlich dufteten.

„Frühstück?“, fragte sie und ging in die Küche, wo sie anfing Tee und Kaffee kochen. John und Sherlock sahen sich an, blinzelten, doch dann plötzlich knurrte sowohl von Sherlock als auch von John der Magen. Catherine drehte sich zu ihnen um und zog eine Augenbraue hoch.

„Ich hoffe doch sehr, dass du kein neues Haustier hast, Sherlock, und hier rennt ein Bär durch meine Wohnung.“

Sherlock sah sie an und zog eine Augenbraue hoch, doch Catherine fing bloß an zu grinsen, während sie sich wieder umdrehte und Frühstück zu bereitete. John lachte leise und blickte sich um.

„Also ich kann beim besten Willen nichts entdecken. Höchstens einen Bärenhunger.“

„Ich habe keinen Hunger!“, protestierte Sherlock, schnaubte und warf sich in die Rücklehne.

„Nein, das war alles nur eine Illusion. Warum sollte Sherlock Holmes auch Hunger haben?“, grinste John ihn an und stand auf um Catherine zu helfen.
 

Einige Zeit später saßen sie alle zusammen bei Tisch und unterhielten sich. Während John und Catherine sich munter ihre Brötchen beschmierten, beharrter Sherlock noch stur darauf, dass er keinen Hunger hätte. Man hörte zwar noch immer seinen Magen grummeln, sodass es John und Catherine natürlich nicht entging, doch sie sagten nichts dazu und er trank bewusst ignorierend eine Tasse Kaffee.

Es dauerte überraschend kurz, bis alles wieder so zu werden schien wie es einst gewesen war. Mit jeder Minute die verstrich, wurde die Gespräche und Witze ausgelassener, die Stimmung immer heiterer, während Brötchen um Brötchen; Teilchen um Teilchen und Tasse um Tasse geleert wurde. Mit jedem Augenblick, der diese Welt passierte, wurden Catherine und John immer fröhlicher, während Sherlocks Herz leichter wurde.
 

Später verabschiedeten sich John und Sherlock von ihr. Schließlich müsste er nun auch den anderen sagen, dass er lebte. Als Sherlock das gesagt hatte, hatte er mit den Augen gerollt. Catherine hatte gesehen, dass er darüber nicht erfreut war, doch sie vermutete dahinter einen anderen Grund, als dass er auf die Wiedersehensfreunde keinen Bock hatte. Sie vermutete eher, dass er damit nicht umzugehen wusste und deshalb am liebsten all das Sherlock-ist-zurück Gehibbel überspringen würde und zur Normalität zurückkehren wollte. In diesem Moment war es Catherine aber egal. Sie hatte etwas anderes zu tun, etwas, was sie schon viel zu lange vor sich hergeschoben hatte.
 

~*~

Das eiserne Tor quietsche, als Catherine es am nächsten Abend öffnete und den Kiesweg betrat. Eine unheilvolle Stille lag über den einsamen Platz weit außerhalb von London. Buchen, Zedern und Tannen säumten die Wege, die sich in unzähligen Wiesen verliefen. Etwas unsicher blickte sie sich um und holte tief Luft. Die Sonne ging allmählich unter und tauchte den Waldfriedhof in ein weiches, sanftes Licht, sodass es beinahe wie eines dieser melancholischen Gemälde aussah.

Auf der rechten Hand, gen Westen geneigt, stand eine im Gotik Stil errichtete, kleine Kapelle in denen die Trauerfeiern stattfanden und die zu jeder Tages-und Nachtzeit für die Hinterbliebenen geöffnet waren. Ihr Bruder lag hier begraben, doch dies wusste Catherine erst seit zwei Jahren.
 

~*~
 

Ungefähr ein dreiviertel Jahr nachdem Sherlock seinen Tod vorgetäuscht hatte, stand plötzlich- der Winter hatte so langsam dem Frühling Platz gemacht- Lestrade vor ihrer Tür und hatte um Einlass gebeten. Der Blick in seinen Augen hatte Catherines Überraschung schnell zerstreut und sie hatte ihn hereingebeten. Der Blick in den braunen Augen hatte zu deutlich gezeigt, dass es etwas Wichtiges vorlag.

Lestrade war relativ schnell zur Sache gekommen. Drei Tage zuvor war im Dezernat ein Brief von Sherlock angekommen- adressiert an Lestrade. Zunächst hätte er gemeint, dass er nicht richtig im Kopf wäre, schließlich wäre Sherlock tot gewesen, doch der Poststempel hatte gezeigt, dass der Brief zwei Tage vor seinem Selbstmord abgegeben worden war, allerdings mit dem Auftrag ihn erst zu einem bestimmten Datum zuzustellen. Dieses Datum war genau Jeffreys Todestag gewesen und der Brief beinhaltete detaillierte Berichte und Untersuchungen, Beweise und Nachforschungen rund um den Mord an ihrem Bruder. Sherlock hatte wirklich ganze Arbeit geleistet und jenen Abend bis ins kleinste Detail rekonstruiert, sodass Lestrade in der Lage gewesen war, sogar zu sagen welcher der drei Einbrecher derjenige gewesen war, der Jeffrey erschlagen hatte. Alle waren zu diesem Zeitpunkt bereits verhaftet worden und warteten nur noch auf ihr Gerichtsurteil.

Kurz Zeit später, genaugenommen zwei Tage später, hatte sie plötzlich einen weißen, dickeren Umschlag im Briefkasten gehabt, der mit einem Siegel der Royalen Familie/Britischen Regierung versehen worden war. Damit war natürlich sofort klar gewesen von wem denn dieser Brief stammte, doch Catherine hatte sich gefragt was Mycroft denn von ihr wollte. Schließlich hatten sie keinerlei Kontakt zueinander. Warum auch? Sie verband nichts mehr und Mycroft hatte wirklich besseres zu tun, als sich mit einem kleinen, unbedeutenden Mädchen herumzuschlagen. Sie war schließlich völlig unwichtig geworden.

Nur zweimal hatte sie die Britische Regierung gesehen, nachdem sie alle sich in der Bakerstreet zusammengefunden hatten um Sherlocks Tod zu betrauern. Das erste Mal war während der Beerdigung gewesen, wobei sie kein einziges Wort mit einander gewechselt hatten. Während Catherine bei John und Mrs. Hudson gesessen hatte in der kleinen Kirche, hatte Mycroft in der Ecke gestanden und mit seinem typischen neutralen Blick und in stiller Abwesenheit das ganze beobachtet.

Das zweite Mal war gut zwei Wochen später gewesen, nachdem Catherine begonnen hatte die gesamten Begebenheiten zu durchdenken und einfach immer wieder auf den Entschluss stieß, dass ein Selbstmord einfach nicht ins Bild passte. Es musste mehr dahinter stecken und diese plötzliche Erkenntnis hatte ihr genug Mut gegeben, sich gegen Mycrofts Macht und Autorität zu stellen. Sie hatte es gewagt zum Diogenes Club zu fahren um die Britische Regierung zur Rede zu stellen.

Zu sagen, dass Mycroft erstaunt über ihr Erscheinen gewesen war, wäre noch merklich untertrieben. In diesem Moment hatte selbst er nicht seine Maske wahren können und Catherine hatte ihn auch zugleich mit ihrer Vermutung konfrontiert. Allerdings waren ihre Bemühungen auf fruchtlosen Boden gestoßen. Mycroft hatte stets versichert, dass es keinerlei Hinweise gäbe, nach denen Sherlock am Leben wäre und egal wie oft Catherine ihre Theorie erörtert hatte, er blieb dabei. Am Ende war sein Lächeln beinah schon resigniert geworden und er hatte gesagt, dass er ihren Wunsch, dass er lebte verstehe, aber man müsste leider die Begebenheiten akzeptieren.

Diese kleine Geste hatte dann Catherine dazu bewogen ihr Unterfangen abzubrechen und diesen noblen Club zu verlassen. Beinah hätte sie Mycroft es geglaubt, aber eben nur beinahe, doch sie würde niemals den Fehler machen ihn zu unterschätzen.

Danach war der Kontakt komplett abgebrochen. Catherine schrieb keine SMS und hätte sowieso garantiert keine Antwort von Mycroft erhalten.

Umso überraschter war sie also gewesen, als sie den Brief von ihm erhalten hatte. Sie hatte nur ihren Schlüssel weggeworfen, auf den Sessel fallen lassen und hatte den Brief geöffnet. Heraus fiel ein schöner Bogen Briefpapier und eine Karte von London auf dem ein Ort rot eingekreist worden war. Zunächst hatte Catherine den Brief genommen, in dem gestanden hatte:
 

Miss Amell,
 

Ich entschuldige mich, dass ich Ihnen diese Information nicht schon eher gegeben habe, aber auf Grund verschiedenster Sicherheitsvorkehrungen war dies leider nicht möglich. Nun erreichte mich aber die Nachricht, dass Lestrade die Killerzelle des Serbien Ringes verhaften konnte und von daher, denke ich, ist es nun an der Zeit Ihnen mittzuteilen, wo ihr Bruder begraben liegt damit Sie endlich Abschied von dieser dunklen Welt nehmen können, in die mein Bruder und ich Sie gezogen haben.
 

Leben Sie wohl, Miss Amell
 

Mycroft Holmes.“
 

Catherine hatte die Augen geschlossen. Eine Verabschiedung, ein letztes Geschenk, danach würde endgültig die Welt aufhören zu existieren, die ihr so schnell so wichtig geworden war. Kurz hatte sie mit den Tränen gerungen, bevor sie sich die Karte ansah.

Sofort danach war Catherine zu dem Grab aufgebrochen und hatte sich zu dem Grab ihres Bruders begeben. Die aufgewühlte Erde und ein paar geknickte Wildblumen auf dem Nachbargrab, das mittlerweile brachlag, zeigten, dass vor kurzem hier noch kein Grabstein gestanden hatte. Vermutlich hatte es sich hierbei um ein gänzlich anonymes Grab gehandelt und nur Mycroft hatte gewusst, dass dort all die Zeit ihr Bruder geruht hatte. Sie hatte innerlich geflucht. Verdammte Britische Regierung! Hatte er doch die ganze Zeit gewusst, wo Jeffrey sich befunden hatte und hatte doch kein Wort gesagt. Aber Mycroft hatte sicher seine Gründe gehabt. Mycroft Holmes hatte immer seine Gründe.
 

~*~
 

Als Catherine mit den Gedanken in die Wirklichkeit zurückkehrte, stand sie bereits vor dem mittlerweile liebevoll gepflegten Grab ihres Bruders. Blumen und eine kleine Buchsbaumhecke zierten es nun und wehten im Wind.

Sie setzte sich vor die kleine Mauer, die die Ruhestätte vom Gehweg abgrenzte, zog die Beine an und starrte auf die blank polierte Marmorplatte, die sein Grabstein darstellte. Das tat sie immer, wenn sie hierherkam.

Zu Beginn, nachdem sie endlich wusste wo ihr Bruder ruhte, war sie täglich hergekommen. Eines war ihr während dem einem Jahr der Isolation, welches sie bis zu jenem Zeitpunkt erlebt hatte, klargeworden: Die Einsamkeit machte sie krank. Als alles, was ihr einst endlich wieder Halt gegeben hatte, weggebrochen war, da war sie depressiv geworden. Schwer depressiv und sie würde lügen, wenn sie sagen würde, dass sie nicht ebenfalls mit dem Gedanken an einen Selbstmord gespielt hatte. Einmal hatte sie es sogar versucht- eine tiefe Narbe an ihrem rechten Handgelenk, die sie seitdem stets mit einem Armband oder langen Ärmeln bedeckte, war ein stummer Zeuge-, doch der Gedanke an John hatte sie den Versuch abbrechen lassen. Falls er sich irgendwann entschließen sollte doch reden zu wollen, hatte sie da sein müssen. Dies hatte sie versprochen. Deshalb, und wirklich nur deshalb, hatte sie es nicht getan.

Seitdem sie allerdings wusste, wo Jeffrey lag, war es ein wenig besser geworden. Sie hatte gewusst, dass es dumm war, doch sie hatte ihrem Bruder einfach alles erzählt, was sich seit seinem Tod ereignet hatte- im kleinsten Detail. Still, gefangen in einem impertinenten Wunsch, hoffte sie auf eine Antwort, einen brüderlichen Rat, doch natürlich kam nichts von ihm. Dennoch hatten diese Besuche etwas Beruhigendes, denn obwohl sie nie eine Antwort erhielt, fühlte sie sich nicht mehr ganz so einsam wie es sonst der Fall war.

Später, im Verlauf der letzten zwei Jahre, war sie immer seltener hergekommen, denn anstatt der sonst wohligen Ablenkung, wurde ihr nun Mal um Mal klarer wie allein sie doch war. Der Tod sollte sie nicht fesseln, sondern nur ein Bestandteil ihres Lebens sein, der still im Hintergrund bleiben. Doch eben genau das war passiert. Obwohl Sherlock ständig Tod in ihr Leben gebracht hatte, war er nie der Hauptbestandteil gewesen, doch nun war sie nur noch davon umgeben. Egal was sie tat, er saß ihr wie ein Raubtier im Nacken und deshalb war Jeffreys Grab immer häufiger verwaist geblieben. Nicht, weil sie ihn nicht liebte- sie kümmerte sich noch immer gut um die Ruhestätte-, sondern weil die folgenden Gedanken nicht mehr ertrug.
 

„Hey, Jeff…Brüderchen…“, setzte sie nach einigen Minuten an, in denen sie nur den glatten Stein angesehen hatte und grinste merkwürdig. Ihr Bruder hatte beide Bezeichnungen gehasst und sie hatte ihn zu gerne damit aufgezogen. Plötzlich wurde ihr Herz schwer und ein Mix aus Gefühlen übertölpelte sie, die sie nicht zuordnen konnte. Sie wusste nicht was genau sie waren. Es war ein bittersüßer Mix aus Trauer, Schmerz, Euphorie und Seligkeit, der ihren Geist benebelte. Ihr Unterbewusstsein jubelte vor Glück über Sherlocks Rückkehr und somit der Rückkehr ihrer Welt, während ihr Verstand wieder Jeffrey zu vermissen begann.

„Ich bin ganz schön lange nicht mehr hier gewesen um mit dir zu sprechen. Entschuldige, aber ich war einfach viel beschäftigt. Jetzt komm mir nicht mit, dass das eine Ausrede sei. Es ist wahr.“ Sie schnaubte und ließ ein wehleidiges Lächeln sehen.

„Aber du hast Recht, Jeffrey, ich komme aus einem bestimmten Grund. Gestern ist etwas Unglaubliches passiert. Sherlock ist wieder da! Er stand gestern plötzlich in meinem Labor, als wäre nie etwas gewesen. Kannst du dir das vorstellen?“ Plötzlich musste Catherine schniefen, als ihre Gefühle sie übermannten.

„Dieser Mistkerl…endlich war alles wieder einigermaßen in Ordnung…Okay, wem mach ich hier was vor? Das war es nicht.“ Ein schiefes Lächeln legt sich auf ihre Lippen und sie schloss kurz die Augen.

„Ich bin so froh, Jeffrey, so unglaublich froh, dass er wieder da ist.“ Sie presste ihre Hände auf die Augen und ihr Lächeln wurde nun eine Mischung aus Wehmut und Freude.

„Jetzt wird hoffentlich alles wieder gut. Es wird alles wieder so wie früher, glaubst du nicht auch? Es ist vorbei. Nach drei Jahren des Leids und Einsamkeit ist es vorüber. Meine neue Familie ist wieder da und ich werde nicht mehr allein sein.“

Tränen füllten ihre Augen und sie schniefte, als eine Unmenge von Gefühlen auf sie einprasselte. Freude, Hoffnung, Trauer, Einsamkeit und so viele, die sich nicht identifizieren konnte. Sie war einfach schlicht mit der ganzen Situation überfordert, weshalb sie auch das Bedürfnis verspürt hatte, hierher zurückzukehren. Auch wenn Jeffrey tot war, so fühlte sie sich hier mit ihm verbunden und sie hoffte, dass er sie hörte. Unter Tränen erzählte sie ihrem Bruder alles, was gestern geschehen war und auch von den Hoffnungen, die sie sich auf Grund der neuen Situation machte.

Natürlich wusste sie nicht wie die Zukunft aussehen sollte. Zwar hoffte sie jetzt natürlich, dass ihre Verbannung aufgehoben war- Sherlocks Verhalten legte dies natürlich nahe- , doch genau wissen konnte sie es nicht. Auch war Catherine nicht so naiv zu glauben, dass alles wieder wie haargenau so seien würde wie es einst gewesen war. Dafür war einfach viel zu viel vorgefallen. Dennoch, in diesem Moment war sie einfach überwältigt von ihren Gefühlen und der Freude, dass ihre neue Familie wieder da war.

Gerade als sie dabei war von all der Erleichterung überwältigt zu werden und in Tränen auszubrechen, spürte sie eine Hand auf ihrer Schulter. Sie zuckte zusammen und fuhr herum, sah dann aber in Johns mitleidige Augen. Überrascht sah sie ihn an und wusste nicht wie er hierherkam, doch dann hörte sie ein Rascheln links von sich. Als sie sich umblickte, sah sie wie Sherlock sich neben sie kniete. Da war klar. Sie waren ihr einfach schlicht gefolgt. Sie seufzte leise. Typisch. Dennoch musste sie lächeln, obwohl ihr noch immer die Tränen aus den Augen liefen.

„Wie viel habt ihr mitbekommen?“, fragte sie.

„Genug.“, erklärte John ruhig und nahm nicht die Hand von ihrer Schulter.

„Ich bin also ein Mistkerl, ja?“, sagte Sherlock und zog eine Augenbraue hoch, doch er war nicht verstimmt. Im Gegenteil, seine Augen beobachteten sie ruhig.

„Das weißt du doch schon längst, Sherlock.“, sagte sie und lächelte schwach, während sie ihren Kopf auf Johns Schulter legte und die Augen schloss.

Dieser strich ihr sanft eine Haarsträhne aus dem Gesicht und lehnte seinen Kopf gegen ihren. Seine Nähe tat ihr gut und half ihr ein wenig mit dem Chaos in ihr Herr zu werden. Er brachte etwas Ruhe zurück.

Sherlock hingegen betrachtete nachdenklich den Grabstein, der aus schlichtem schwarzen Marmor bestand und bedachte die gegebene Situation. Catherine hatte die vergangen Zeit offensichtlich mehr mitgenommen, als er eingeschätzt hatte. Das war daran zu sehen wie sehr sie Johns Nähe und Wärme suchte. Wahrscheinlich war ihr noch nicht einmal bewusst wie hilflos sie gerade aussah, wie überfordert und deshalb Halt bei seinem Freund sucht.

Er konnte auch sehen wie sehr sie dagegen ankämpfte vor ihnen schwach zu erscheinen. In diesem Moment merkte er noch einmal wie viel er von Catherine verlangt hatte und auch wie sehr sie am Ende ihrer Kräfte war. Er war wohl doch egoistisch in dem Moment gewesen, als er ihr dieses immense Versprechen abgenommen hatte.

„Catherine…“, setzte er deshalb nach einigen Zögern an und legte ihr eine Hand auf die Schulter. Sie zuckte kurz zusammen und sah ihn aus überraschten Augen an. „Du musst nicht mehr stark sein. Es ist vorbei. Ich entbinde dich hiermit von deinem Versprechen.“

Ihre Augen weiteten sich vor Schock und Überraschung, doch dann begann ihre Lippen zu zittern und sie nickte. John zog sie näher an sich ran, als sich wieder Tränen in ihren Augen sammelten und sie leise zu schluchzen begann. Er hielt sie fest, während Sherlock sich wieder das Grab ansah.

Als sie sich langsam anfing zu beruhigen, sagte er nur ruhig zu ihr: „Dir ist bewusst, dass du dir für das Mistkerl einiges anhören werden musst?“

Catherine blinzelte überrascht und blickte Sherlock an, begann dann aber zu lachen, als sie sich die Tränen aus den Augen wischte.

„Das ist mir egal. Und wenn ich mir tausend Sprüche anhören muss dafür…Hauptsache ich kann es wieder.“

Vertrauen

Sherlock saß am Fenster und blickte stumm auf die unbewegte Straße unter ihm. Es war drei Uhr Morgens und die Bakerstreet war wie ausgestorben. Nachdem selbst die Sandwichbar und der Chinese geschlossen waren, verirrte sich Niemand mehr hierher und die so gewöhnlichen Bewohner der Bakerstreet lagen friedlich in ihren Betten und schliefen.

Schlafen…Sherlock verzog kurz das Gesicht. So etwas Unnötiges. Im Schlaf konnte man nicht denken, aber es gab noch etwas anderes, was ihn daran anwiderte. In Träumen wurde man mit dem konfrontiert, was man im Alltag verdrängen konnte. Wenn Sherlock schlief, war er stets mit seinen Gefühlen konfrontiert worden, dabei hatte er nur all zulange versucht das Bild aufrecht zu halten, dass er keine Gefühle hätte. Seine Träume hatten ihn nur viel zu oft das Gegenteil vor Augen geführt.

Er seufzte und fuhr sich müde durch seine dunklen Locken. Auch diese Nacht hatte er wieder geträumt. Geträumt von den schlimmsten drei Jahren seines Lebens. Schlimmer als die Jahre, die er im Drogensumpf verbracht hatte. Seine Augen schlossen sich, als all die Bilder zurückkehrten. Sherlock hatte selten Alpträume gehabt, höchstens als Kind, doch heute Nacht hatte er einen gehabt. Dabei hatte er es stets geschafft, sobald er sich seiner Fähigkeiten bewusst geworden war, alles so weit von sich zu schieben, dass sein Gehirn ihm keine Schreckensbilder zeigte. Diese Nacht jedoch war es anders gewesen. Aber warum eigentlich? Was war anders gewesen?

Ratlos strich er über das Leder der abgenutzten Couch und blickte aus dem Fenster. Sherlock wusste es wirklich nicht. Er war doch wieder zu Hause und alles war besser gelaufen, als er es sich vorgestellt hatte. Sie alle hatten ihm verziehen, sie hatten sich gefreut, dass er wieder da war, und doch ließ ihn das Grauen nicht los, was er die drei Jahre erlebt hatte. Der Schrecken des Alleinseins.

Nie hätte er gedacht, dass es ihm so viel ausmachen würde. Früher hatte er die Stille der Einsamkeit genossen, hatte sich nichts mehr gewünscht, als endlich in Ruhe gelassen zu werden, doch das reichte ihm nicht mehr.

Eigentlich hatte er in den drei Jahren alles gehabt, was er sich wünschen konnte. Ruhe, einen spannenden Fall, der all seine Fähigkeiten beanspruchte, Gefahr, den Kick besser zu sein als seine Gegner, doch die Euphorie, die er sonst empfand, war ausgeblieben. Stattdessen hatte die Situation ihn unruhig werden lassen und teilweise war der Drang nach Drogen zu greifen wieder stark in ihm erwacht. Wie paradox. Das, was er sich früher gewünscht hatte, belastete ihn so sehr, dass er wieder Drogen hatte nehmen wollen und in der Zeit, wo er etwas gehabt hatte, was er niemals hatte haben wollen, hatte er nie den Drang nach ihnen verspürt.

In all der Zeit hatte er sich nichts mehr gewünscht, als dass er schneller wäre, damit er in die Vertrautheit zurückkehren konnte.

Um dieses Ziel zu erreichen, hatte Sherlock Dinge getan, die jeder seiner Freunde verabscheuungswürdig nennen würde. Er hatte sich auch mehr als einmal in Lebensgefahr begeben, denn etwas war ihm bewusster denn je geworden: Wenn er es nicht schaffen würde sein Ziel zu erreichen, wenn er niemals in die Bakerstreet zurückkehren könnte, dann hätte sein Leben auch keinen Sinn mehr. Das Leben was er früher geliebt hatte, füllten ihn nun nicht mehr aus und lieber würde er bei dem Versuch wieder in die Bakerstreet zurückzukehren drauf gehen, als stumpfsinnig irgendwo im Ausland weiter zu leben.

Seine Gedanken, während er Moriartys Hintermänner gejagt hatte, hatten stets John, Mrs. Hudson, Lestrade und sogar Mycroft gehört, die auf ihn warteten. Dies hatte er stets im Hinterkopf gehabt. Er hatte es ja bei seiner Trauerfeier gesehen. Johns Abschied, seine Tränen hatten ihn fast zerrissen und sie hatten ihn verfolgt, waren ein Sinnbild dafür gewesen, was er alles verloren hatte. Auch deshalb hatte er in diesen drei Jahren nur dann geschlafen, wenn sein Körper bereits mit allen Stimmen danach geschrien hatte, denn im Traum hatte er seinen verzweifelten Ausdruck gesehen, seinen Schrei gehört. Es war sein Trauma und seine Motivation zu gleich gewesen.

„Sherlock?“, riss ihn eine ruhige Stimme plötzlich aus den Erinnerungen und er wirbelte herum. John stand in der Tür, gekleidet in einer Stoffjacke und seiner typischen Hemd plus unmöglichen Pulli Kombination. Er war offensichtlich weggewesen. Reif hatte sich auf seinen Schultern abgelagert und seine Wangen waren gerötet und er zitterte noch ein wenig von der Kälte. „Alles in Ordnung?“

John betrachtete ihn mit seiner ständig gerunzelten Stirn, trat ins Wohnzimmer und hing Schal und Jacke an die Garderobe.

„John…“, sagte er nur überrascht und erwiderte den durchdringenden Blick des Blonden. „Solltest du nicht im Bett liegen und schlafen?“

„Ich konnte nicht schlafen.“, erwiderte sein bester Freund mit einem Schulterzucken. „Ich war draußen spazieren um alles zu verarbeiten.“

„Verstehe…“, murmelte Sherlock und zog die Beine noch etwas mehr an. Natürlich musste John das. Drei Jahre war er der festen Überzeugung gewesen, dass er tot gewesen wäre und dann tauchte er plötzlich wieder auf und verlangte, dass alles wieder so wie früher wäre. Offensichtlich hatte er sich selbst jetzt egoistisch verhalten, wollte er doch sein altes Leben wieder und es war ihm egal gewesen, ob seine Gefährten nicht vielleicht schon ein neues begonnen hatten. Ein ruhiges, beschauliches, ohne den allesbestimmenden Sherlock Holmes.

„Hattest du einen Alptraum?“ Sherlock blickte auf und bemerkte erst jetzt, dass John direkt vor ihm stand und sein Gesicht eingehend musterte. Ihm war das unangenehm und er warf ihm seinen bösen Blick zu. Sherlock hatte sich geschworen niemals Jemanden davon zu erzählen, was er getan hatte um wieder hierher zu kommen. Wirklich niemals. Aber offensichtlich war er nicht mehr gut darin seine Maske aufzusetzen oder John kannte ihn mittlerweile zu gut. Aber konnte das sein? Schließlich konnte es Sherlock selbst nicht mehr vor sich selbst verneinen wie sehr er sich verändert hatte in diesen drei Jahren. Wie konnte John ihn dann noch kennen? Aber dieser Blick durchdrang Sherlock jedes Mal. Es war ein Blick, der zeigte, dass John sehr gut verstand was in ihm vorging. Vielleicht sogar noch besser als er selbst.

„Du wirkst ein wenig verstört.“

„So etwas Dummes.“, fuhr Sherlock ihn aus Selbstschutz an und seine Augen funkelten wütend.

„Schon gut.“, wehrte John seufzend ab und verschwand in der Küche um einen Tee zu kochen. Als er zurückkehrte, starrte Sherlock bereits wieder nachdenklich aus dem Fenster. Er wollte eigentlich nicht, dass John danach fragte, aber natürlich konnte er es ihm nicht vorwerfen.

„Hier.“, sagte er sanft, als er wieder vor ihm stand und ihm eine dampfende Tasse hinhält. „Das wird dir gut tun.“

Sherlock betrachtete die Tasse einige Momente skeptisch, denn er wusste nur zu gut, dass wenn er sie annahm, John darüber sprechen wollte. Aber diese nett gemeinte Geste abzulehnen würde ihn auch verletzten- glaubte Sherlock zumindest. Dieser Gefühlskram war wirklich nicht so leicht zu durchdenken und einzuschätzen.

„Danke…“, war das Beste und Unverfänglichste, was ihm einfiel. Er nahm die Tasse, genoss den Geruch der Kamille und nahm vorsichtig einen Schluck. John ließ sich in der Zeit in dem Sessel nieder, der Blickkontakt mit der Couch gewährte, und betrachtete Sherlock nachdenklich.

„Was ist in den drei Jahren passiert, Sherlock?“

„Ich habe doch gesagt, dass ich nicht darüber reden möchte. Reicht es nicht, dass du nun weißt, dass ich die Hintermänner gejagt habe?“, seufzte Sherlock und stützte die Arme auf seinen Schoß.

„Du vertraust mir nicht…“, stellte John traurig fest und Sherlock sah schnell auf. Dunkle, enttäuschte Augen betrachteten ihn und John seufzte schwer. Sherlock schüttelte stumm den Kopf, fassungslos von dem, was John gesagt hatte. Nein, nein, nein, nein! Arg! Hatte er es noch immer nicht verstanden?

Kurz wagte er es noch einmal aufzusehen und dieser tief traurige Anblick war noch immer da. Verdammt, nun kamen die Schuldgefühle wieder. Manchmal wünschte sich Sherlock, dass er noch immer der gefühlskalte Soziopath wäre. Dann müsste er nun nicht die Scherben seiner Dummheit zusammenkehren.

„John…wenn ich irgendjemanden je vertraut habe, dann dir.“, erklärte er nach einigen Momenten des Schweigens und wie so oft, wenn er ein Zugeständnis machte, wagte Sherlock es nicht ihn anzusehen. „Aber ich bin einfach nicht bereit darüber zu reden.“

„Dann sag mir wenigstens warum.“, bat John ihn. Sherlock seufzte noch einmal und zögerte, doch er hatte ja schließlich beschlossen, dass er seinen Mitmenschen mehr vertrauen wollte.

„Weil ich Dinge getan habe, die ihr als verabscheuungswürdig ansehen würdet. Ich habe alles getan um mein Leben wiederzubekommen. Ich habe jegliche Menschlichkeit verloren, nur um das wiederzubekommen, was mir diese erst verliehen hatte.“ Sherlock hatte wirklich schreckliche Dinge getan. Wie ein besessener hatte er die Männer gejagt, wollte sie dafür büßen lassen, dass sie die Menschen bedroht hatten, die seine Welt geworden waren. Sherlock hatte gefoltert, gequält, vergiftet, verhört, geschlagen und noch viel mehr Psychospielchen gespielt, bis seine Gegner um Gnade gewinselt hatten, doch es hatte ihm nicht gereicht.

„Du hasst dich dafür…“, stellte John überrascht fest und sah Sherlock mit großen Augen an. Dieser runzelte die Stirn und schüttelte den Kopf.

„So ein Unsinn. Als ob mich so etwas belasten würde…“

„Doch, tut es.“, sagte John ruhig und lächelte leicht. „Man sieht es dir an, Sherlock.“

Er schnaubte wütend und wollte sich abdrehen, als John ihn zurückhielt.

„Sherlock…du bist mein bester Freund. Ich habe fast ein Jahr mit dir zusammen gelebt. Es ist ok, wenn du nicht darüber reden willst, aber ich hoffe du weißt, dass du es kannst.“

„John…“ Sherlock sah ihn noch immer mit großen, überraschten Augen an. Es waren einfache, simple Worte und doch die vertrauensvollsten, die je an ihn gerichtet worden waren.

„Ich würde wirklich gern verstehen wie du all das überlebt hast, aber ich akzeptiere es, wenn du sagst, dass du darüber nicht reden willst. Ich zwinge dich nicht.“

„Als ob du das könntest.“ Sherlock konnte einfach nicht widerstehen einen kleinen Spruch zum Besten zu geben und er lächelte vorsichtig. Die Situation war seltsam, angespannt, auch wenn Sherlock wusste, dass John ihm verziehen hatte, so spürte er nur zu deutlich, dass es Zeit- und vor allem Erklärungen- bräuchte, bis es wieder so wie früher werden würden.

John lachte leise und nahm nun ebenfalls einen Schluck Tee.

„Nein, wohl kaum.“, antwortete er und lächelte Sherlock an. Einige Zeit lang schwiegen sich die beiden an und Sherlock hing seinen Gedanken nach. In diesem Moment war er froh, dass John ihn mittlerweile so gut kannte, dass er wusste wann er besser nicht nachfragte. Eigentlich hatte John Recht, wenn auch nur indirekt. Ja, Sherlock hasste sich für das, was er getan hatte, aber nicht, weil er es getan hatte. Diese Methoden waren notwendig gewesen, aber er ahnte, was es anrichten würde, wenn es je rauskommen würde. Das hatte er damals nicht bedacht, hatte die Gefährdung für sein Leben nicht erkannt und das war es, was ihn so beschäftigte.

„Hast du Drogen genommen?“, fragte John und unterbrach Sherlocks Überlegungen. Er blinzelte kurz irritiert, musste dann aber leicht lachen.

„Ich erzähle dir, dass ich verabscheuungswürdige Dinge getan habe und das Erste, woran du denkst sind Drogen?“ John lächelte ebenfalls leicht, trotz der seltsamen Stimmung zwischen ihnen, und zuckte leicht mit den Schultern.

„Ich würde nur gern wissen, ob ich mich innerhalb der nächsten Tage auf einen Amok laufenden Sherlock einrichten muss.“

Sherlock warf ihm einen skeptischen Blick zu, doch wie erwartet zu lachen, seufzte er nur und schüttelte den Kopf.

„Nein, ich habe keine Drogen genommen…der Drang war zwar oft sehr stark, aber ich habe es nicht getan, weil ich wusste, dass ihr es nicht gutheißen würdet.“

John wollte erst etwas erwidern, etwas wie und das hat dich wirklich interessiert?, doch als er Sherlocks unruhigen, beinahe schon verwirrten Blick sah, beließ er es dabei. Stattdessen seufzte er nur und atmete erleichtert aus. Er war wirklich froh, dass Sherlock es nicht getan hatte.t

„Dann bin ich froh.“, antwortete der Blondhaarige nur und lächelte Sherlock an. Dieser schien verunsichert über Johns Äußerung, denn er blickte ihn aus hochgezogenen Augenbrauen an und wusste auch nicht wie er auf diese freundliche Äußerung reagieren sollte.

„Es interessiert euch nicht?“ Um ehrlich zu sein, hatte Sherlock mit einem wahren Fragenschwall gerechnet, dass seine Freunde beinahe schon versuchen Informationen aus ihm herauszuquetschen oder ihn bombardieren würden, doch jeder hatte nach dem ersten Versuch und der ersten Verneinung aufgegeben.

So saßen sie nun hier, John und er, und wussten einige Zeit nicht worüber sie reden sollten. Sherlock wusste, dass John Erklärungen hören wollte, doch er war noch nicht bereit diese zu geben und deshalb blieben sie stumm fürs Erste.

Die Uhr an der Wand tickte, das Feuer im Kamin prasselte, doch im Gegensatz zu früher, blieb es nun still in der Bakerstreet. Keine aufgeregten, aufgebrachten Monologe, kein nächtliches Geigenkonzert. Die Nachbarn konnten friedlich schlafen ohne zu ahnen, dass ihr Alptraum der nächtlichen Ruhestörung wieder zurückgekehrt war.

„Wie wird es nun weitergehen, Sherlock?“, unterbrach John dann die Stille. Sherlock blickte auf und löste sich von den Erinnerungen, die ihn wieder einmal wie ein wiederkehrendes Mahnmal heimgesucht hatten.

„Wie meinst du das, John?“

„Was gedenkst du wie die Zukunft aussehen soll?“ Die dunkelblauen Augen betrachteten ihn eingehend, studierten sämtliche Regung in seiner Miene.

„Nun, ich war davon ausgegangen, dass alles wie immer sein wird.“, erklärte Sherlock schlicht, obwohl er wusste, dass die Frage nicht so einfach war. Er wusste wie er in diesem Moment von seinem Freund erwartete.

John seufzte leise und fuhr sich mit den Fingern über die Augenbrauen. Natürlich wollte er genau das, aber ob er dazu schon bereit war, vermochte er noch nicht zu sagen. Er wusste auch noch nicht wie er mit der Situation umzugehen. Allzu lange hatte er in dem Schmerz des Verlustes leben müssen und nur ein Schnipsen mit Sherlocks Fingern würde diese Narben nicht verschwinden lassen.

„John, darf ich dich etwas fragen?“ Sherlocks Stimme war unsicher und er blickte ihn an. John erwiderte den Blick, nickte dann aber.

„Sicher. Wenn der große Sherlock Holmes einen schon etwas fragen möchte, dann sollte man sich schließlich geehrt fühlen.“ Der Blondhaarige grinste frech, doch in seinen Augen lag der gesamte Ernst der Welt.

„Warum bist du nicht weitergezogen und mein Kapitel einfach geschlossen?“ Die Frage traf John unerwartet, wie kaltes Wasser. Was für eine Antwort sollte er auf diese Frage denn geben, wo er es doch selbst nicht wusste? Wie sollte er so eine Antwort finden, die Sherlock zufrieden stellen würde? Kurz überlegte er sogar das Thema zu wechseln, doch ein Blick in die hellblauen Augen seines Freundes zeigte ihm wie wichtig ihm doch die Frage war. So dachte der ehemalige Militärarzt einige Zeit über diese Frage nach und versuchte dieses schwierige Chaos in Worte zu fassen.

„Weil du mein bester Freund bist.“ Dies war die schlichte und doch einzige Antwort, die John in seiner Seele finden konnte. Die Narben, die Sherlocks Tod hinterlassen hatte, waren schmerzhaft, doch sie hatten ihn auch jedes Mal daran erinnert wie sehr er die Zeit genossen hatte.

Sherlock schnaufte beinahe schon frustriert. Diese Antwort konnte nicht genug sein. Nein, das konnte nicht alles sein. In seiner Laufbahn hatte er schon zu oft gesehen was vermeintlich beste Freunde taten und das aus weitaus minder schweren Gründen. Er wusste, dass er nicht zu den einfachsten Zeitgenossen gehörte und jedem in seinem Umfeld Nerven aus Drahtseilen abverlangte. Warum also hatte sich keiner von ihm abgewandt und dem wundervoll ruhigen Leben hingegeben, was doch alle so sehr schätzten?

Ratlos sah er John an, der seinen Blick nur ruhig erwiderte und Sherlock wusste, dass John ihn auch ohne Worte verstand.

„Das ist dir nicht Antwort genug, Sherlock, dessen bin ich mir bewusst, aber ich kann dir keine bessere geben.“ Sherlock nickte nur irritiert, sagte aber nichts weiter dazu sagen, denn er verstand es nicht. Zwar hatte auch er ein gewisses Maß an Treue gezeigt in den drei Jahren- Sherlock erschauderte kurz, als eine Episode von Erinnerungen ihn überspülten-, aber er hatte ja auch die Wahrheit gehabt, während seine Hinterbliebenen nur ihr Vertrauen hatten. Keiner hatte gewusst was wirklich geschehen war, hatten glauben müssen was sie gesehen hatten- nichts anderes hätte Sherlock von ihnen verlangt- und doch hatte sie gewartet. In der Hoffnung auf ein Wunder.

„Warum hast du uns eigentlich erlaubt in dein Leben zu treten, Sherlock?“ Nun war es an Sherlock über Johns Frage überrascht zu sein. Irritiert sah er ihn an, doch sein Freund blickte ihn nur stirnrunzelnd an und nahm einen Schluck Tee.

„Wie meinst du das?“

„Ich weiß nicht genau wie ich das ausdrücken soll, um ehrlich zu sein, aber erst als du mich kennenlerntest und erst recht, als du Catherine trafst, da begannt du dich zu verändern. Wieso hast du uns erlaubt dich zu verändern, wo du doch schon vorher Mrs. Hudson hattest, die dich so sehr liebt?“

„Weil ihr beide die ersten wart, die mich akzeptierten wie ich bin, aber zeitgleich auch meine Grenzen aufzeigten, denke ich.“, antwortete Sherlock nachdem er einige Zeit über diese doch schwer zu beantwortende nachgedacht hatte. Gerade ihn stellten solche Fragen vor eine Herausforderung, da er über seine Gefühlsregungen niemals nachdachte und diese als die einzig richtige in der gegebenen Situation erachtete.

John hingegen sah ihn überrascht an und schien die Antwort nicht ganz zu begreifen, deshalb seufzte Sherlock und versuchte es noch einmal genauer zu erklären:

„Weiß du, ich denke es ist deswegen, weil Mrs. Hudson mich stets akzeptierte wie ich bin und nie hinterfragte. Bei ihr konnte ich mich verhalten wie ich es immer tat. Warum sollte ich mich also verändern? Ihr beide hingegen jedoch wart die ersten, die mir wichtig genug waren, als dass ich es versuchen wollte. Ihr habt genug von mir akzeptiert um annehmbar zu sein, aber doch nicht alles und ich glaube, dass dies der Grund ist.“

„Verstehe…“

„Nein tust du nicht.“, lächelte Sherlock.

„Noch nicht richtig, nein, aber das ist bei dir ja nichts neues, Sherlock.“, erwiderte John nur gelassen.

„Scheint so zu sein, dabei verstehe ich gar nicht warum. So komplex sind meine Gedankengänge nun auch nicht.“

„Komplex genug für jeden gewöhnlichen Menschen.“ John schmunzelte ihn nur an. Sherlock seufzte und lächelte. „Außerdem bist du doch stolz drauf, dass dir meist kein Mensch folgen kann.“

„Damit hast du nicht ganz unrecht.“, entgegnete Sherlock nur und lachte leise. Sein bester Freund sah ihn nur kopfschüttelnd an.

„Hauptsache ist, dass du es tust. Zumindest so ein bisschen. Grad Catherine wird das gut tun.“ John sah kurz aus dem Fenster, betrachtete den Regen, der mittlerweile stärker geworden war. Sherlock hingegen beobachtete ihn. Seine Stirn war wieder in tiefe Falten gezogen, die Augen verschmälert, die Lippen gekräuselt. Er machte sich Vorwürfe.

„John…“, setzte Sherlock an, hielt aber inne, denn er wusste nicht, ob er es wirklich sagen sollt. Zum ersten Mal in seinem Leben fragte er sich, ob er sich das anmaßen konnte, doch er sah wie sehr John das belastete.

Dieser blinzelte kurz und lenkte dann seine Aufmerksamkeit auf ihn zurück. Reue lag in den blauen Augen, die sonst eher von Sorge durchzogen warne. Bedauern hatte John so gut wie nie in der Zeit mit Sherlock verspürt.

„Catherine hat dir doch gesagt, dass du dich dafür nicht grämen sollst. Sie versteht es doch.“ John blinzelte ihn überrascht an, doch dann sah er ihn an und seufzte.

„Ich fühle mich dennoch schlecht. In all meiner Trauer habe ich sie gänzlich vergessen, Sherlock.“

„Wenn, dann ist ja wohl meine Schuld.“, sagte Sherlock und eine Stimme bekam nun einen strengen Ton. „Also wäre es unlogisch, dass du dir dafür die Schuld gibst.“

Nun sah John ihn nur noch überraschter an. Kein Wunder, schließlich sagte Sherlock ja selten so etwas, doch er wollte versuchen zu helfen.

Einige Zeit sah sein bester Freund ihn nur nachdenklich an, schien Sherlocks Aussage zu bedenken, dann seufzte er.

„Wie kann sie nur so stark sein? Wie konnte sie in all der Zeit noch an mich denken?“

„Sie ist nicht so stark wie sie vorgibt zu sein.“, erwiderte Sherlock gelassen, doch sein Gesicht war nachdenklich verzogen. Er wusste wie es in ihrem Inneren wirklich aussah. Schließlich hatte sie es ihm gezeigt. In Wahrheit war sie genauso traurig und verletzt wie John es all die Zeit gewesen war. Und all das war seine Schuld. Nur seine ganz allein, da konnte er sich nicht rausreden.

John sah ihn lange Zeit an, dann nickte er schließlich.

„Ja, diesen Eindruck habe ich auch bekommen. Aber dann verstehe ich immer noch nicht, warum sie all das getan hat. Wir waren ja beide nicht besonders gut zu ihr.“ Seine Stimme war nachdenklich geworden und er sah Sherlock an. Dieser konnte ein Schmunzeln nicht verbergen und als er Johns verwirrtes Gesicht sah, wurde es beinahe ein Grinsen.

„Ich weiß warum.“

„Wie jetzt? Eine Gefühlsregung die ich nicht verstehe, aber der hochfunktionelle Soziopath Sherlock Holmes? Ich muss in einer Parallelwelt gelandet sein.“ Obwohl John überrascht war, konnte er seinen Sarkasmus nicht verbergen. Sherlock grinste noch ein bisschen mehr.

„Auch ich lerne dazu, mein guter John.“

„Sherlock!“, mahnte sein Freund mit einem Grinsen.

„Na schön!“, rief Sherlock aus und schnaubte. „Sie hat es mir gesagt. Zufrieden?“

„Das ist schon glaubwürdiger.“ John lachte. „Also, was ist der Grund?“

Sherlocks Mundwinkel zogen sich nach oben und er grinste diabolisch. Dieses Spaß würde er sich nicht nehmen lassen.

„Herzlichen Glückwunsch, John. Wir sind Väter geworden.“

Die Einsamkeit der Wissenschaft

26. Kapitel: Einsamkeit der Seele
 

Kaltes Neonlicht strahlte von der Decke des Labors der Arbeitsgruppe Funktionelle Genomforschung und erleuchtete den Arbeitsplatz von Catherine Amell. Es war mitten in der Nacht und sie war vollkommen allein in dem verlassenen Labor. Mit gekonnten Handgriffen war sie gerade dabei eine Verdünnungsreihe mit den Bakterien zu erstellen, die sie vorgestern Abend auf ein Nährmedium ausplattiert hatte.

Als sie diese Arbeit beendet und die Platten im Inkubator verstaut hatte, wo sie eine Stunde munter wachsen sollten, ließ sie sich seufzend auf dem Stuhl fallen und strich sich müde ihre Haare aus dem Gesicht. Einige Zeit saß sie einfach stumm da und starrte auf ihr Laborbuch, worin sie die einzelnen Schritte der Versuche niedergeschrieben hatte und auf ihr Ergebnis Heft, wo Werte, Daten und Diagramme niedergeschrieben waren. Es war eine Art Tick von ihr alles erst handschriftlich aufzuschreiben, bevor sie die Daten auf ihren Laptop übertrug.
 

Sehen Sie?! Nun ist das gfp Protein mit dem mal 6 Protein verschmolzen und Sie können es sich in der Hefe angucken.“, hörte Catherine sich selber sagen und blickte traurig nach rechts. Es war beinahe, als würde die Vergangenheit neben ihr wiederauferstehen. Catherine blinzelte kurz und die Schemen wurden immer deutlicher. Wie ein Film lief das Geschehene am Arbeitsplatz neben Catherine ab und stimmte sie melancholisch.
 

~*~
 

Seit zwei Wochen arbeitete Catherine Amell nun wieder im Labor von Professor Niels und versuchte so gut wie möglich seine Wohlgesinnung zurück zu gewinnen. Auch wenn er Johns und Sherlocks Lüge geglaubt hatte, ohne ein weiteres Mal nachzufragen, so wusste Catherine, dass er es nicht gut hieß. Sie war einen Monat ausgefallen und eine Verlängerung der Bachelorarbeit bedeutete jede Menge Bürokratie und nichts hasste er mehr.

Also versuchte Catherine sich möglichst vorbildlich zu verhalten und somit seine schwer zu erlangende Gunst zu regenerieren und dennoch, in so manchen Dingen war sie nicht ganz so vorbildlich.

Es war das zweite Mal, dass sie nachts mit Sherlock in das Labor gegangen war, das mit „Genlabor Stufe 1“ deklariert war.

Nachdem sich Catherine wieder fit genug fühlte, hatte sie ihn eingeladen sich doch einmal anzusehen wie eine solche gfp-Verschmelzung, die Bluebell einst zum Leuchten gebracht hatte, funktionierte. Zu ihrer eigenen Überraschung hatte Sherlock sofort zugestimmt und somit hatte sie auf dem Zeitplan abgesehen, wann möglichst wenig Menschen in dem Labor waren. Ihre Wahl fiel auf die Nacht des kommenden Samstags. Normale Menschen sträubten sich dagegen dann zu arbeiten.

„Sehen Sie?! Nun ist das gfp Protein mit dem mal-6 Protein verschmolzen und Sie können es sich in der Hefe angucken.“, sagte Catherine begeistert und löste sich von dem Mikroskop. Die Verschmelzungsansatz hatte sie bereits vor einer Woche zusammen mit Sherlock durchgeführt und bebrütet (und ab und zu angeimpft, allerdings ohne ihn, weil scherlock diese Arbeit zu stupide war), sodass sie sich das Ergebnis nun ansehen konnten.

Catherine war begeistert, als sie sich mit ihrem Laborstuhl zur Seite rutschte um Sherlock Platz zu machen. Es war das erste Mal, dass sie die Anleitung zu diesem Versuch gemacht hatte. Bisher hatte sie ihn drei Mal unter Aufsicht durchgeführt, doch alles hatte wunderbar geklappt. Die Polymerase-Chain-Reaction, der Verdau und Fusionierung, alles was meist nie beim ersten Mal funktionierte, hatte dieses Mal einwandfrei geklappt. Was vielleicht auch an Sherlock lag. Er war wirklich routiniert in Laborarbeit und verstand schnell, reichte ihr benötigte Chemikalien oder ging ihr generell zur Hand. Er war sehr angenehm als Laborpartner und Catherine sagte leise zu sich, dass sie während ihres Vertiefungs-Moduls ihn gern als Partner gehabt hätte und nicht diesen schusseligen Kevin, der ihr mehr als einmal beinahe die Nerven gekostet hätte. Vom sterilen Arbeiten hatte dieser auch noch nie in seinem Leben etwas gehört.

Sherlock war während der Arbeit auch nicht unausstehlich gewesen, ganz im Gegenteil, er war ruhig und konzentriert gewesen. Nur sein Wissensdurst hatte Catherine ein ums andre Mal vor eine echte Herausforderung gestellt. Auf so manchen Fragen von ihm, warum man denn diesen Schritt mache, wusste sie im ersten Moment keine Antwort. Sie hatte immer erst darüber nachdenken müssen, warum, aber diese Fragen halfen ihr auch.

Sherlock blinzelte kurz und rollte dann mit seinem Stuhl vor das Mikroskop, stellte es mit gezielten Handgriffen scharf und betrachtete unter Fluoreszenz die vorbereitete Probe. Catherine beobachtete ihn gebannt, wartete darauf wie er reagieren würde.

„Und was sehe ich da jetzt genau?“, fragte er und blickte auf. Catherine lächelte und stöpselte schnell ein Kabel ein, sodass das Bild auf dem Computerbildschirm neben ihnen erschien. Sherlock warf ihr einen genervten Blick zu und zog eine Augenbraue hoch. Es war nicht schwer zu erraten, dass er sich fragte, warum sie das nicht direkt gemacht hatte. Der Grund war einfach: Catherine guckte einfach lieber immer selbst durchs Mikroskop.

„Also…“, sagte sie und zeigte mit einem Kugelschreiber auf eine Zelle. „Das hier ist s.pombe, unser Versuchstier.“

„Das haben Sie jetzt schon ein paar Mal gesagt, Catherine.“ Sherlock rollte mit den Augen. „Das habe ich mittlerweile begriffen.“

„Fein. Also, mal-6 ist an der Zellteilung beteiligt. Genauer, es dient als Anker für die Spindelapparate, die bei der Zellteilung die replizierte DNA auseinander ziehen. Die grünen Punkte hier…“ Catherine umkreiste einen kleinen, grünen Punkt inmitten einer der Hefezelle. Ist eben jenes mal-6 Protein. Durch das hinter das Protein geknüpfte gfp-Protein fluoresziert es halt grün.“

„Und dieses Protein wird aus einer Qualle gewonnen?“

„Ursprünglich, ja. Aus der Tiefseequalle victoria aquorialis, aber mittlerweile wird es künstlich hergestellt. Für die Entdeckung dieses Verfahrens gab es auch einen Nobelpreis.“, erklärte Catherine und lächelte.

„Das kann man also mit jeder Zelle machen?“

„Theoretisch ja.“ Sie nickte knapp. „Aber bei tierischen Zellen ist es natürlich wesentlich komplizierter. Bei Einzellern kann man das Gen ja einfach durch ein Plasmid hineintransferieren, aber tierische besitzen diese Fähigkeit nicht. Man nennt die Fähigkeit zur Aufnahme von Plasmiden übrigens biologische Kompetenz. Mit Chemikalien wie Calciumchlorid kann man diese Fähigkeit noch erhöhen. Wie genau wissen wir noch nicht, aber man vermutet, dass es etwas Ähnliches wie Löcher in die Membran macht oder diese Poren vergrößert.“

„Nun gut…“ Sherlock wog den Kopf hin und her, während er die Informationen irgendwo in seinem Gedankenpalast ablegte. Catherine vermutete wohl in die Abteilung langweiliges Wissen, dass vielleicht mal wichtig sein könnte.
 

„Hier, das ist das Bakterium, das ich Ihnen zeigen wollte.“ Catherine hielt stolz eine Vollmediumplatte hoch, auf der sich einige weiße Kolonien gebildet hatten und ungefähr einen halben Zentimeter im Durchmesser maßen.

Sherlock runzelte die Stirn, nahm ihr die Platte aus der Hand und hielt sie gegen das Licht. Seine Augen verschmälerten sich nachdenklich, doch dann gab er sie zurück und sah sie nachdenklich an.

„Und? Was soll an denen so besonders sein? Es sind Bakterien, die auf einem Vollmedium gewachsen sind. Nichts Ungewöhnliches.“

„Sie kennen ja das Beste noch nicht.“, grinste Catherine und zog einen Vakuumbeutel aus der Schublade, die sich unter dem Tisch befand. Darin befand sich ein Becher Joghurt. Sherlock zog skeptisch die Augenbraue hoch und sah sie tadelnd und schmunzelnd zu gleich an. Essen und Trinken war schließlich in S1 Laboren schon verboten und das hier war ein S2 Labor, also die hier mutierten Organismen konnten durchaus eine Gefährdung ihrer Umwelt darstellen.

„Ich weiß, ich weiß.“, wehrte sie seinen Kommentar ab. „Aber das hier ist rein wissenschaftlich. Ok, und ein wenig anschaulicher und dramatischer.“

Vorsichtig nahm sie eine Scheibe heraus, verschloss den Beutel und schnitt dann den Schinken in kleine Stücke, legte sie in mehrere Platten. Eine mit E.coli als Vergleich, eine mit Bäckerhefe und eine letzte mit dem Bakterium mit dem sie gerade arbeitete.

Sherlock beobachtete sie mit einer Mischung aus Skepsis und Argwohn, doch er sagte nichts. Natürlich war er nicht beeindruckt- noch nicht. Es dauerte noch ungefähr 10 Minuten, dann wurde der Effekt deutlich sichtbar. Plötzlich war die eine Hälfte des Schinkens verschwunden und der Rand war deutlich ausgefranst.

Irritiert griff Sherlock nach der Platte und sah sie sich genauer an.

„Er ist zersetzt!“

„Jepp.“ Catherine lächelte zufrieden. „Ich habe einen Destruenten erfolgreich modifizieren können, sodass er nun alles binnen weniger Minuten abbaut.“

„Und wo gedenkst du diesen einzusetzen?“, verpasste Sherlock ihrer Euphorie einen kurzen Dämpfer. Catherine blinzelte kurz und seufzte.

„Ursprünglich hab ich nur am Stoffwechselweg des Nahrungsabbaus geforscht, beziehungsweise, besser gesagt wäre, welche Gene für was genau verantwortlich sind. Bei einer Mutation kam aber eine deutliche Effektivitätssteigerung heraus. Ich denke, wenn ich mich weiter damit beschäftige, könnte es zur einer verbesserten Kompostierung beitragen.“

„Oder aber um Leichen verschwinden zu lassen…“, murmelte Sherlock äußerst nachdenklich, während er dabei zusah wie Stück um Stück der Schinken vor seinen Augen befand.

„Also, Sherlock! Wie unanständig von Ihnen.“, tadelte sie ihn halbherzig. „Es geht hier um Kompostierung und nicht darum Leichen verschwinden zu lassen.“

„Ist doch im Prinzip das Gleiche.“, erklärte Sherlock und zuckte mit den Schultern. Catherine seufzte schwer, warf ihm einen resignierten Blick zu. Er erwiderte diesen, doch je länger sie sich in die Augen sahen, desto breiter wurde ihr Grinsen und dann fingen beide schließlich an zu lachen. Irgendwann schnappte Catherine sich einen Block, auf dem sie immer ihre Ergebnisse niederschrieb und eventuelle Fehler in der Durchführung, dann heute sie ihm diesen vor den Kopf.

Sherlock zuckte automatisch zurück, sah sie irritiert an und rieb sich die Stirn.

„Wofür war das denn?“, rief er empört aus.

„Es ist immer noch unanständig.“
 

~*~
 

Der Moment der Erinnerung verschwand so plötzlich wie er gekommen war. Er war vergangen in die Unendlichkeit. Mit leeren Augen starrte Catherine auf den Platz wo sie bis eben noch die Vergangenheit hatte beobachten können.

Tränen liefen aus ihren Augen und ihr wurde wieder einmal bewusst wie allein sie war, wie sehr Sherlock ihr Leben beeinflusst hatte. Selbst hier, im ihrem Labor, war sie nicht vor den schmerzlichen Flashbacks befreit, die sie immer wieder heimsuchten. Egal wo sie hinging, irgendetwas erinnerte sie immer an die Zeit, die sie mit ihren beiden Nachbarn verbracht hatte.

Doch nun war sie vollkommen allein und diese Erinnerungen zeigten ihr das auf grausamste Art, denn sie war glücklich gewesen zu dieser Zeit. Egal wie lange sie es versucht hatte zu verleugnen, es war wahr. Besonders diese Abende im Labor, wo er ihr erlaubte hatte Dinge zu erklären, wo sie mit ihm ihre Leidenschaft durchlebt hatte, war sie wahrlich glücklich gewesen. Doch nun? Was war geblieben? Sherlock war tot und John war in seiner Trauer verloren gegangen. Und sie? Sie blieb alleine zurück.
 

~*~

Catherine schreckte schweißgebadet aus dem Schlaf, die Augen vor Schreck weit aufgerissen. Es dauerte einige Momente bis sie realisierte, dass sie sich in ihrer Wohnung befand und dass das gerade eben nur ein Traum gewesen war. Ein grausamer Traum, doch eben nur ein Traum, der nun vorüber war.

Oder?

Oder?

Catherine blinzelte.

War es das wirklich? Konnte sie sich dessen sicher sein? Hatte sie nicht vielleicht nur Sherlocks Rückkehr geträumt und der vermeintliche Traum war die Realität?

Blitzschnell sprang sie aus ihrem Bett und zog sich nur Socken und Schuhe über. Obwohl es bereits Sommer war, schlief Catherine in T-Shirt und Jogginghose, sodass sie sich um unangebrachte Kleidung nicht scheren musste. Für diese kurze Strecke musste es reichen.

In blinder Panik, dass all das nur ein Traum gewesen war und sie in die Einsamkeit zurückkehren müsste, rannte sie herüber, wunderte sich noch einmal, dass die Haustür offenstand und rannte die Stufen hinauf.

Dieses Mal war es Catherine, die wie ein Wirbelsturm in 221b stürmte und nicht Sherlock wie einige Male in der Vergangenheit. Keuchend blieb sie im Türrahmen stehen und blickte auf.

Sherlock saß auf seinem gewohnten Platz auf der Couch, seiner Haltung nach in eine heftige Diskussion mit John vertieft, doch beide hatten innegehalten, als sie herein geplatzt war.

Sherlock blinzelte sie überrascht an, wartete wohl auf eine Erklärung, doch ihr Hals war wie zugeschnürt.

„Kann ich irgendetwas für dich tun, Catherine?“, fragte er schließlich ruhig, als Catherine ihn nur weiterhin anstarrte und den Mund immer wieder öffnete und schloss wie ein Fisch auf dem Trockenen.

„Du bist noch da…“ , stammelte sie schließlich, als sie die Bedeutung realisierte.

„Catherine?“, hörte sie John von der Küche aus, der einen Trockentuch in der Hand hielt, doch in diesem Moment ignorierte Catherine ihn. Langsam ging sie auf Sherlock zu, Tränen ihre Augen. Direkt vor Sherlock blieb sie zitternd stehen. Wie hatte sie nur so dumm sein können zu glauben, dass sie mittlerweile damit abgeschlossen hätte? Die Nachwirkungen der Vergangenheit würden noch lange Zeit nachhallen.

Sherlocks helle Augen blickten zu ihr auf und er neigte fragend den Kopf, doch statt etwas zu sagen, schluchzte sie nur und umarmte Sherlock.

„Es war kein Traum…“, flüsterte sie erstickt.
 

John beobachtete das Ganze von der Küche aus und legte den Teller beiseite, den er bis gerade eben abgetrocknet hatte. Er sah wie Catherine hereingestürmt kam, wie sie erstarrte und wie sie Sherlock in der Erleichterung umarmte, dass das hier die Wahrheit war und kein Traum. Ihr beider Alptraum war vorbei und sie konnten endlich wieder anfangen ein normales Leben an Sherlocks Seite zu führen.

Er spürte beinahe wie ihre Erleichterung den Raum durchflutete, wie der Stein der Angst sich von ihrem Herz verabschiedete. Dennoch konnte John deswegen nicht lächeln, denn er erwartete förmlich, dass Sherlock etwas tun würde, dass den Moment zerstören würde. Dass Sherlock nicht sonderlich empfindsam war, war ja schließlich altbekannt und John fürchtete, dass auf Catherine gleich eine Enttäuschung wartete. Sherlock war da ja häufig durchaus harsch und ungehalten und ihm so nah zu kommen hatte noch Niemand gewagt. Unter normalen Umständen hätte sie das vermutlich auch nicht gewagt, aber sie war grad noch zu verstört von dem Traum.

Zu Catherines Glück und Johns Überraschung trat dies nicht ein. Es war eben momentan nichts wie üblicherweise. Sherlocks zunächst verwirrter Blick wurde ruhiger, sogar ein wenig sanfter und er legte die Arme um sie.

„Natürlich war es kein Traum, Cath.“ Obwohl Sherlock leise flüsterte, konnte John es hören. Es war das erste Mal, dass er die neue Vertrautheit, das neue Level der Beziehung der beiden, miterlebte. Das höchste was gesehen hatte war der Kuss gegen Mollys Mundwinkel gewesen und dies war eine Entschuldigung gewesen. Auch den Spitznamen hatte John noch nie gehört, doch Sherlock sprach ihn ungewohnt sanft aus. Es war nicht mehr als ein Hauch gewesen. Ein Klang voller Wohlgesinnung. Vorsichtig strichen seine Finger über Catherines Schulter, auf die er seine Hand gelegt hatte und zog sie ein wenig näher an sich heran.

„Alles ist gut.“, fuhr er ruhig fort, als Catherine nicht aufhörte zu zittern und griff nach einer ihrer Hände, die sich in seinem Stoff gekrallt hatten um das Bild festzuhalten. Mit einer Zärtlichkeit und voller Bedacht, die John von seinem Freund nicht kannte, umschloss er die Finger und legte sie an seinen Hals. Catherine blickte ihn ebenso überrascht an wie John es wohl tat.

„Siehst du? Ich atme noch und das Herz schlägt.“ Nun bekam Sherlocks Stimme doch wieder den üblichen amüsiert-genervten Klang über ihren emotionalen Ausbruch, doch der ruhig Ausdruck in seinen Augen blieb.

Sie nickte und ihre Augen schlossen sich halb um die Tränen zurückzuhalten, die sich wieder vor Erleichterung in ihren Augen bildeten. Sie war unglaublich froh den gleichmäßigen Puls unter ihren Fingerspitzen und die Wärme seiner Hand um die ihre zu spüren.

Ohne weiter darüber nachzudenken, umarmte sie ihn noch einmal fest. Sherlock seufzte leise, resigniert, doch noch immer wirkte er nicht genervt. Nein, zu Johns Überraschung ließ er sogar diese Berührung klaglos zu.

„Ich habe es dir doch versprochen, Catherine, dass ich nicht mehr fortgehe.“

Catherine nickte nur gegen seiner Schulter, schniefte noch einmal und löste sich, strich sich eine Träne aus den Augen und lächelte tapfer, wenn auch noch ein wenig unsicher.

Es war wirklich nur ein Alptraum gewesen. Ein dummer, unangebrachter Streich ihres Unterbewusstseins. Erleichterung überspülte sie wie ein angenehm warmer Strom. Sherlock lebte wirklich und saß nun vor ihr, blickte sie aus ruhigen Augen an.

Dann wurde sie jedoch verlegen, als ihr bewusst wurde, was genau sie gerade getan hatte. Mit hochrotem Kopf wandte sie sich ab und verschwand schnell in der Küche. Sherlocks nachdenklichen Blick, den er ihr hinterher warf, sah sie dabei nicht mehr.

John erwartete sie bereits lächelnd, eine Tasse Tee dampfte munter vor sich hin. Catherine sah ihn dankbar an und ließ sich einfach einen Stuhl fallen.

„Hattest du einen Alptraum?“, fragte er sie in seinen üblichen, ruhigen Ton. Catherine blickte auf, die Tasse Tee bereits in den Händen und nickte.

„Ja…“

„Was für einen?“

Catherine seufzte, drehte sich kurz einmal um und blickte Sherlock an. Dieser ließ jedoch nicht erkennen, ob er hören konnte was sie sagten oder nicht. Sie seufzte leise und strich sich ihren Pony aus dem Gesicht.

„Du weißt, dass ich viel gearbeitet habe, während der Zeit um mich abzulenken?“

„Sicher.“, erwiderte John etwas zögernd und er überlegte, was sie versuchte zu sagen.

„Nun…“ Catherine zögerte ebenfalls, fuhr sich unruhig über die Lippen. „Ich…nun…die Sache war…selbst da war ich nicht von den Nachwirkungen befreit gewesen. Selbst dort hingen noch Erinnerungen. Sherlock war einige Male in meinem Labor.“

„Ich weiß davon.“, sagte John sanft. Catherine sah überrascht auf. Sie selbst hatte ihm schließlich nie davon erzählt.

„Du weißt davon?“

„Wenn Sherlock häufig Samstag Nachts nach Hause kommt, dann irgendwas von Mikroben oder genetischen Techniken murmelt oder Bücher durch die Gegend wirft auf der Suche nach irgendeinem Speziellen, liegt dieser Schluss nahe, nicht? Woher sollte er da sonst kommen?“

„Von Molly.“, antwortete Catherine.

„Möglich, aber unwahrscheinlich. Zumal ich dich ein paar Mal beobachtet habe wie du kurz vorher die Wohnung verlassen hast. Ich bin nicht blind und auch nicht dumm, wisst ihr?“ John lächelte ruhig und nahm einen Schluck Tee, während Catherine ihn geschockt ansah.

„Das hab ich doch auch nie gesagt!“, rief sie schnell aus.

„Das weiß ich doch, Catherine. Keine Sorge.“, beruhigte er sie und sah sie nur amüsiert an. Catherine seufzte und lächelte, als sie feststellte, dass es wohl doch noch einige Zeit dauern würde bis es wirklich wieder normal sein würde.

„Nun ja…die Arbeit in einem Labor ist sehr einsam, John. Besonders in der Mikrobiologie. Man trifft zwar die Kollegen auf den Flur oder im Pausenraum, doch an sich jeder arbeitet jeder selbst an seinem eigenen Projekt.“, erklärte Catherine und wedelte abwesend mit der Hand. John betrachtete sie nachdenklich, nickte und auch Sherlock hörte nun zu, tat aber noch desinteressiert.

„Und ich legte es auch nicht wirklich auf Gesellschaft an.“, fuhr sie monoton fort. „Was hätte es mir denn gebracht? Was bringen einem Gespräche voller Oberflächlichkeit und Heiterkeit, wenn man selbst das Gefühl hat, dass alles um einen herum ein Trümmerfeld ist? Es heißt zwar man arbeitet in der Wissenschaft zusammen, doch in Wahrheit ist jeder ein Konkurrent und das weiß auch jeder. Ich empfand also nicht den Drang mich mit Lügen zu beschäftigen. Aus diesem Grund habe ich meist meine Arbeiten so getimt, dass ich späten Abend oder nachts arbeitete, doch in der Dunkelheit wird die Sehnsucht klarer, John.“

„Du hast dich an die Zeit erinnert, als du noch nicht allein im Labor warst.“, sagte er bedächtig und sah sie verständnisvoll an. Catherine nickte und fuhr sich unruhig mit den Zähnen über die Unterlippe.

„Ich sah häufig Erinnerungen wie einen Film an mir vorbeilaufen. Es war…als stünden wir beide wieder neben mir und experimentierten und genau von diesen Augenblicken habe ich geträumt. Als ich dann aufwachte, war ich nicht mehr sicher ob der Traum nun Traum oder Realität gewesen war. So unlogisch und peinlich es auch ist…ich habe Panik bekommen, denn noch einmal in diese Welt zurückgestoßen zu werden, nachdem ich die Hoffnung hatte, dass es wieder normal werden würde, egal ob Traum oder nicht, das hätte ich nicht ertragen.“

John sah sie aus großen Augen, nickte aber nach einigen Momenten verstehend. Hastig trank Catherine einen Schluck Tee um dieser Situation zu entgehen, doch der Arzt schien die Situation als noch nicht abgeschlossen anzusehen, denn seine dunklen Augen hingen noch immer bedächtig auf ihr, durchdrangen sie prüfend. Ihr wurde unbehaglich unter diesem Blick. John durchschaute sie wie kein anderer. Wo Sherlock sah, was sie getan hatte, wo er deduzierte was sie niemals hatte sagen wollen, da kam John nie hin, aber er war wahrhaft beängstigend gut da drin herauszufinden wie es ihr wirklich ging, wie es hinter ihrer Maske aussah. Und ihre Maske war das Einzige gewesen auf das sich Catherine je hatte verlassen können. Beide zusammen also waren wahrhaft zerstörerisch, wenn man versuchte etwas zu verbergen, dessen war sich Catherine sich schon seit einiger Zeit bewusst.

„Es tut mir leid.“, durchbrach plötzlich ein Flüstern die Stille. Catherine und John drehten sich um. Sherlock war mittlerweile aufgestanden und unbemerkt in die Küche getreten. Auf den ersten Blick schien er ruhig zu sein, doch Catherine bemerkte ein kleines, wehleidiges Flackern in den hellen Augen. Selbst einen Sherlock schien es nicht kalt zu lassen zu hören, was er ihnen angetan hatte.

John und sie warfen sich einen kurzen Blick zu, nickten dann aber.

„Das wissen wir, Sherlock.“, sagten sie zeitgleich und lächelten, doch richtig ehrlich war es bei beiden nicht. Sicherlich, sie wussten, dass es ihm wirklich leidtat. Gerade Catherine hatte es zu spüren bekommen, doch den Schmerz dieser drei Jahre voller Einsamkeit und Trauer, würde nicht so schnell verblassen und mit einer einfachen Entschuldigung war es auch nicht getan. Das konnte einfach angesichts der Begebenheit reichen.

Sherlock hielt ihrer beider Leben in den Händen und bestimmte über sie mit jeder seiner Handlungen- ob er es nun wollte oder nicht- und er musste sich dessen bewusst werden. Dennoch, als sich der Arzt und die Doktorandin in die Augen sahen, wussten sie eines ganz sicher. Sie würden bei ihm bleiben. Komme, was da wolle.

Heile Welt

John tippte gerade den letzten Absatz eines Bloggeintrags zu Ende und schloss dann die Webseite. Natürlich hatte er nichts über Sherlocks Rückkehr in die Bakerstreet geschrieben, denn die Gefahr, dass irgendwer da draußen noch nach ihm suchte, war zu groß, doch das bloggen war zu einer Angewohnheit geworden, die er nicht mehr missen wollte.

Langsam schloss John den Laptop und lächelte. Sherlock und er lebten nun seit einer Woche wieder zusammen in der Bakerstreet. Nach drei Tagen voller Besuch, Freudentänze seitens Molly, Lestrade, Mycroft und vor allem Miss Hudson, trat nun allmählich Ruhe ein. Es war fast so, als wäre dieser ganze Alptraum mit Moriarty nie gewesen. Aber eben nur fast. Der Nachhall seiner Hölle hing immer noch über ihm, doch seltsamerweise war es ein positiver. Sherlock hatte sich in den drei Jahren verändert. Er war offener geworden und ließ Dinge zu, die John damals nie für möglich gehalten hätte. Zwar war Sherlock noch immer der arrogante Mistkerl, doch er war viel wärmer geworden und er zeigte auch immer öfter Gefühle.

Mycroft hatte Sherlock verboten so schnell wieder anzufangen Fälle zu lösen, da er erst noch überprüfen müsste, ob noch Anhänger Moriartys in London unterwegs waren. Sherlock war die Gefahr zwar gewöhnt, doch er musste es ja nicht gleich wieder herausfordern. Deshalb hatte Sherlock erst einmal Consulting Verbot. Er hatte sich mit Händen und Füßen dagegen gewehrt, sich heftig mit seinem Bruder darüber gestritten, doch nachdem sich auch John, Catherine, Lestrade und Mrs. Hudson auf die Seite des älteren Holmes geschlagen hatten, hatte Sherlock zu ihrer aller Überraschung eingesehen, dass es das einzig vernünftige war. Seitdem langweilte er sich in die Wohnung, doch er verhielt sich verhältnismäßig ruhig.

Catherine kam seitdem jeden Tag am Morgen zum Frühstück und blieb bis zum späten Abend um Sherlock wenigstens ein bisschen Zerstreuung zu bieten. Sie diskutierten die neuesten naturwissenschaftlichen Erkenntnisse, sprachen über Catherines Arbeit oder über die Musik. Natürlich füllte das Sherlock nicht aus, verhinderte aber, dass er wieder manisch wurde. Manchmal traute sie sich sogar mit ihm Cluedo zu spielen, etwas, was John ihm noch immer verweigerte. Zwar kam Sherlock immer noch auf die kuriosesten Kombinationen, doch Catherine lachte dann nur, nickte und ließ ihn gewähren, statt wie John damals mit ihm über die Regeln zu diskutieren.

John bemerkte, dass sich Sherlock und Catherine näher waren als jemals zuvor. Die beiden neckten und ärgerten sich zwar noch immer den ganzen Tag, sodass John mehr als einmal die Augen verdrehte, doch John spürte, dass die Doktorandin Sherlock sehr ans Herz gewachsen war. Catherine konnte sich nun mehr bei Sherlock erlauben, bekam dies nur mit einem schnippischen Kommentar oder einem Lachen beantwortet und er ließ sie gewähren. Er schien die Nähe der jungen Frau sogar zu genießen. Nicht so, wie er Irenes Adlers Nähe genossen hatte, sondern auf eine Art, die John nur als Vaterliebe bezeichnen konnte, so irrwitzig das auch klang.

Generell fragte der Arzt sich, was in den drei Jahren wohl passiert war, dass Sherlock sich so verändert hatte. Er war noch immer Sherlock mit seinen ganzen Eigenarten, dem schnellen Verstand und seiner Überheblichkeit, doch seinen engsten Vertrauten gegenüber war er nun wesentlich freundlicher und hielt sich auch einige Male zurück. Irgendwann in diesen drei Jahren war aus Sherlock ein fast sozialansehbarer Mann geworden. Er ließ Gefühle zu, eckte nicht bei jeder möglichen Situation an und strengte sich wirklich an, nicht allzu verletzend zu werden. Ja, Sherlock war immer noch Sherlock, aber dennoch war er nun wesentlich erträglicher. Hatte Sherlock in der Zeit etwa sein Herz entdeckt? Oder hatte er einfach aufgegeben es länger zu verstecken um den funktionalen Soziopathen zu spielen? John wusste es nicht. Nachdem Sherlock in Catherines Wohnung wieder in sein Leben getreten war, hatte er Sherlock oft nach den drei Jahren gefragt, doch er war immer ausgewichen, hatte nur gesagt, dass er die Scharfschützen und die Hintermänner gejagt hatte. Irgendwann war es wieder einmal Catherine gewesen, die sich eingemischt hatte und John geraten hatte, ihm Zeit zu geben. Für Sherlock hatte diese Zeit auch vieles abverlangt und er brauchte wohl noch Zeit um Anzukommen.

Wieder lächelte John, als er von dem Laptop aufsah. Das Bild, was sich ihm bot, wäre vor drei Jahren wirklich noch nicht denkbar gewesen. Sherlock saß auf seiner Lieblingscouch, direkt unter den Überresten des Smileys, den er einst aus Langeweile beschossen hatte, und las ein Buch. Catherine saß seitlich neben ihn, die Beine über die Lehne baumelnd und den Kopf auf Sherlocks Schulter gelegt, während sie ein anderes Buch las. Früher hätte Sherlock ihr das niemals durchgehen lassen, doch jetzt schien es ihm sogar zu gefallen. Ein kaum zu sehendes Lächeln lag auf seinen Lippen, während er die Seite umblätterte und auch Catherine war sichtlich entspannt.

Seitdem Sherlock wieder da war und sie wieder Kontakt zu ihnen beiden hatte, war die junge Frau aufgeblüht. Sie scherzte, lachte und hatte sich fest vorgenommen, wenn ihre zwei Wochen Urlaub nächste Woche vorbei waren, mehr zu unternehmen. Sie hatte wohl gespürt wie zerbrechlich eine gewohnte Ordnung war und nun hatte sie beschlossen etwas in ihren Leben zu verändern. Aber die zwei Wochen wollte sie komplett mit ihnen verbringen und John genoss es. Es war wie eine kleine, harmonische Familie, auch wenn John natürlich nicht mit Sherlock in einer Beziehung war, doch das glaubte ihm wie immer keiner und er hatte es auch längst aufgegeben sie zu überzeugen. Er war glücklich genug um die Leute reden zu lassen. Sie hatten doch eh nie anderes getan.

„Cath...“, moserte Sherlock auf einmal und rutschte auf der Couch hin und her um eine angenehmere Sitzposition zu finden. Catherine verlor dadurch seine Schulter als Halt und krachte auf das Sitzkissen des Sofas.

„Autsch! Man, Sherlock!“, murrte die junge Frau und warf einen genervten Blick zu ihm hinauf. Sherlock erwiderte den Blick unschuldig und neigte seinen Kopf. John kicherte leise bei diesem Anblick und bekam gleich den nächsten bösen Blick von Catherine zu sehen.

„Das wurde allmählich unbequem.“, erwiderte Sherlock schlicht und begann weiterzulesen. Catherine lag immer noch halb auf der Couch und warf ihm einen schmollenden Blick zu. John schüttelte nur den Kopf und ging in die Küche um das Mittagessen zu kochen. Es war doch immer wieder dasselbe mit den beiden.

Sherlock blickte wieder zu Catherine hinab, dann seufzte er und rutschte wieder näher.

„Bitte...“, sagte er ergeben und bot ihr seine Schulter wieder als Kissen an. „Der Blick ist ja nicht zum Aushalten.“

„Besten Dank.“, sagte sie charmant lächelnd und legte wieder ihren Kopf auf seine Schulter, bevor sie weiterlas. John beobachtete das Spiel schmunzelnd von der Küche aus, bevor er anfing das Gemüse für die Hackpfanne kleinzuschneiden.

„Cath...“, setzte Sherlock wieder nach einigen Minuten an. Die Angesprochene rollte kurz mit den Augen und legte das Buch auf ihren Bauch.

„Was?“

„Mir ist langweilig.“, moserte er erneut und drehte seinen Kopf zu ihr um. „Tu was dagegen.“

Ein langgezogener Seufzer entwich der jungen Frau und sie blickte flehend zu John, der nur hilflos mit den Schultern zuckte. Sherlock bei Laune zu halten war anstrengender als bei einem Dreijährigen. Sein Gehirn, sein Geist waren Herausforderungen und ständige Action gewohnt, doch nun war er zum Nichtstun verdammt.

„Sieh mal, Sherlock...Es sind nur noch ein bis zwei Wochen bis du endlich wieder auf das Schlachtfeld Londons kannst. Mycroft will doch nur auf Nummer sicher gehen und du weißt, was wir darüber denken.“, erklärte sie sanft und schlug ihre Beine über. Sie war wie eine Mutter, die mit ihrem quengelnden Kind sprach. John musste sich wirklich anstrengen um nicht bei dieser Unterhaltung zu lachen, doch er wusste, dass Catherine ihn schon wieder in den Griff kriegen würde. Sie hatte in den letzten Tagen immer wieder vermittelt und hatte einen beruhigenden Einfluss auf Sherlock. John sah zwar, dass er sich wirklich langweilte, doch Catherine schaffte es relativ gut ihn bei Laune zu halten, sodass er nur immer wieder meckerte.

„Das hilft mir nicht. Bis dahin habe ich mich zu Tode gelangweilt.“

„Tut mir ja leid, dass die Wissenschaftler nicht gut genug sind innerhalb der letzten Stunde eine bahnbrechende neue Erkenntnis zu erringen.“, erwiderte sie sarkastisch und schnalzte mit der Zunge. Gelangweilt wandte sie sich von Sherlock ab und las ihr Buch weiter. Sherlock murrte nur etwas, was John nicht verstand, doch sie lachte nur und machte es sich wieder auf seiner Schulter bequem. Noch einige Minuten herrschte Ruhe, bis John ein genervtes Stöhnen von Catherine vernahm.

„Um Himmelswillen, Sherlock. Hör auf zu hibbeln oder ich hau dir in die Rippen. Ich brauch keine Kopfmassage.“ Sherlock murrte nur und schnaubte dann. John zog eine Augenbraue hoch und drehte sich um.

„Lies einfach dein verdammtes Buch.“, fuhr Catherine ihn genervt an und puffte ihm dann wirklich in die Rippen, als er nicht stillhalten wollte. Ein Zischen entwich den Consulting Detective und er warf ihr einen wütenden Blick zu. Das war eine der Situationen die John gemeint hatte. Früher hätte Sherlock so etwas nie mit sich machen lassen, doch selbst jetzt, wo er sichtlich genervt war, bemerkte John, dass es auch noch ein wenig Spaß dabei hatte.

„Das ist aber langweilig. Ich weiß schon längst wer der Mörder ist.“

„Ich hab dir gesagt, du sollst nicht den Krimi lesen, Sherlock.“ Catherine schüttelte nur mit dem Kopf und grinste vor sich hin.

„Mycroft soll einfach schneller arbeiten.“

„Es kann halt nicht jeder so gut sein wie du, Sherlock.“ Sie lachte leise. „Er muss sich ja schließlich mit dem unfähigen Geheimdienstes herumschlagen.“

Sherlock sah sie überrascht an, dann lachte er.

„Das wird es sein.“ Sherlocks Meinung von dem Geheimdienst Englands war nicht besonders hoch, genauso wie bei seinem älteren Bruder. Die beiden Holmes verließen sich nur auf das, was sie selbst herausfanden, doch bei dieser immensen Aufgabe hatte Mycroft wohl keine andere Wahl, als ihn in Anspruch zu nehmen.

„John! Wann ist das Essen fertig?“, frage Catherine und blickte in die Küche.

„Ungefähr noch eine halbe Stunde.“, antwortete er und machte sich wieder daran das Gemüse zu zerkleinern.

„Brauchst du keine Hilfe?“

„Du bist mir die größte Hilfe indem du Sherlock bei Laune hältst. Nicht, dass er noch auf dumme Gedanken kommt.“

„Dir ist schon bewusst, dass ich dich hören kann, oder John?“

„Und was willst du dagegen tun? Mich harpunieren wie das Schwein damals? Dann bekommst du kein Mittagessen.“, grinste er Sherlock an und seine dunkelblaue Augen funkelten amüsiert.

„Wie bitte...was? Ein Schwein...harpuniert? Sherlock!“, rief Catherine überrascht aus und drehte sich zu ihm um. „Was hast du denn nun wieder angestellt?“

Sherlock sah sie scheinheilig an und antwortete:

„Gar nichts...“

„John?“

„Um einen Fall zu lösen hatte Sherlock ein Schwein harpuniert und ist blutverschmiert U-Bahn gefahren.“, antwortete John gelassen und begann das Öl in der Pfanne zu erhitzen. Jeden anderen hätte es schockiert, doch für Sherlock war es normal.

„Du hast...was?“, fragte Catherine ungläubig. Sherlock zuckte nur mit den Schultern und schnalzte.

„Jeder Taxifahrer hat sich geweigert mich mitzunehmen.“, erklärte er ruhig.

„Ich frage mich nur warum...“, murmelte Catherine sarkastisch, fing dann aber an zu lachen. „Ich meine so ein blutüberströmter Mann mit einer Harpune und irrem Blick ist doch total vertrauenserweckend. Keine Ahnung wie sie dich nicht mitnehmen konnten.“

Catherine grinste und ließ sich wieder auf Sherlocks Schulter nieder.

„Ich habe keinen irren Blick.“, murrte der Dunkelhaarige und verschränkte die Arme vor der Brust.

„Doch, hast du.“, sagten John und sie gleichzeitig und lachten.

„Immer wenn du ein Problem gelöst hast, hast du einen Blick, der jeden in die Flucht treibt.“, erklärte die Doktorandin.

„Und wieso funktioniert der bei euch nicht?“

„Damit du dich rausschleichen kannst, während wir abhauen? Kannst du knicken.“, grinste ihn Catherine amüsiert an und nahm dann betont gelassen ihren Roman wieder in die Hand. John schmunzelte nur und fuhr damit fort zu kochen, während Sherlock sichtlich gekränkt und schmollend auf dem Sofa saß. Eigentlich erwartete der Arzt, dass noch irgendetwas von ihm kommen würde, da Sherlock so etwas normalerweise überhaupt nicht leiden konnte, doch Sherlock tat nach einigen Minuten etwas, was er nie erwartet hätte.

Der Gelockte sah zu Catherine und sein Blick wurde sanft. Vorsichtig legte er sein Buch auf den Tisch, vermied möglichst große Bewegungen, damit sie es weiterhin bequem hatte und drehte sich dann leicht unter ihr. Catherine blinzelte irritiert, als sie bemerkte, wie er sich unter ihr bewegte. Sherlock schlang dann seinen rechten Arm um ihre Taille und lehnte seinen Kopf in ihr Haar. Catherine schien mindestens genauso überrascht wie John, denn sie warf ihm einen irritierten Blick zu. Dieser zuckte nur verwirrt mit den Schultern und schüttelte leicht mit dem Kopf. Sherlock hatte noch nie Körperkontakt gesucht, wenn es nicht dem Manipulieren diente. Dass er nun hier so ruhig saß und sie im Arm hielt, während er döste, war für sie beide mehr als verwirrend. Erst schien Catherine etwas erwidern zu wollen, denn sie öffnete den Mund, doch dann bemerkte sie, dass er sich entspannte und lächelte.

Erst in diesen Momenten wurde John bewusst wie sehr Sherlock auch in diesen drei Jahren gelitten hatte, wie schmerzhaft der Verlust auch für ihn gewesen war. Getrennt von den Menschen zu sein, die er schätzte und sogar in dem Gedanken, dass sie ihn hassten. Wie musste er sich in all den Jahren gefühlt haben? Erst hätte John beinahe gedacht, dass Sherlock es relativ schnell abharken und weitermachen würde, doch jetzt, wo er ihn beobachtete, stellte John fest, dass Sherlock wohl doch nicht so sehr vor den Gefühlen stand. Auch er suchte Halt, versuchte wieder anzukommen und dies tat er instinktiv, indem er Kontakt zu denen suchte, die ihm nah waren.

John schüttelte nur lächelnd den Kopf und kochte dann weiter.

„Was liest du da eigentlich, Catherine...?“, nuschelte Sherlock etwa zwanzig Minuten später und seine dunkle Stimme war von der Müdigkeit noch ganz verfärbt. Sie erschauderte, als sein Atem über ihre Kopfhaut wehte.

„Langweiliges Fantasybuch.“, antwortete sie sanft. „Kannst also weiterdösen.“ Sherlock löste seinen Kopf aus dem Haar, sodass er sie ansehen konnte. Catherine blickte auf und erwiderte seinen Blick.

„Braucht ihr nicht. Essen ist fertig.“

„Wurde auch Zeit.“

„Ich kann nun einmal nicht der Kartoffel befehlen schneller gar zu werden.“, verteidigte John sich grinsend und stellte drei Teller auf den Tisch. Catherine lachte und löste sich aus Sherlocks Klammergriff, ging zum Tisch und setzte sich.

„Aber vielleicht der Herdplatte heißer zu sein.“, erwiderte Sherlock und John warf ihm einen genervten Blick zu, schmunzelte aber. Catherine schüttelte nur ungläubig den Kopf und füllte den beiden jeweils eine Portion auf. Das versprach ja wirklich heiter zu werden.

Vertraute Nachrichten

28.Kapitel: Vertraute Nachrichten
 

„Ah, Catherine. Gut, dass du kommst. Ich brauche deine Hilfe.“, begrüßte Sherlock sie von der Couch aus, als sie beladen mit Einkaufstüten 221b betrat. John hatte sie darum gebeten einige Sache zu besorgen, da ihm ein Notfall dazwischen gekommen war- und er nicht den nächsten Notfall zu Hause haben wollte, wenn Sherlock einen leeren Kühlschrank vorfand. Also hatte Catherine, nett wie sie war, kurzerhand den Einkaufsdienst übernommen.

„Und wobei?“, fragte sie, als sie die Tüten auf den Küchentisch abstellte.

„Könntest du mir mein Handy geben?“ Sherlock blinzelte etwas träge und sah zu ihr herüber. Catherine seufzte und verschränkte die Arme vor der Brust.

„Lass mich raten! In deinem Jackett, richtig?“

„Exakt.“

„Wo auch sonst?“, stöhnte sie und ging ins Wohnzimmer. „Manchmal bist du wirklich faul, Sherlock.“

Ein leises Murren entrang ihr und sie rollte mit den Augen, lächelte aber leicht. Eine Woche war Sherlock nun wieder da und es begann allmählich wieder seinen vertrauten Gang zu gehen. John hatte seine Arbeit wieder aufgenommen, während Catherine noch eine Woche aufpassen würde, dass Sherlock sich nicht zu Tode langweilte oder ihren Urlaub mit Videospielen verbrachte.

„Ich sehe keinen Sinn darin meine Energie für solch unnützen Bewegungen zu verschwenden.“, erwiderte er gelassen und schloss die Augen. Catherine schüttelte nur den Kopf und ging zu seinem Jackett, das wie üblich über dem Fußende der Couch hing.

„Aber wir können das ruhig. Unser Gehirn arbeitet schließlich nicht.“, grummelte sie leise, warf Sherlock dann einen Blick zu, doch beide lächelten sich nur an.

Sie wollte gerade Sherlock sein Handy reichen, als sie innehielt.

„Was hast du denn vor?“

„Mycroft nerven.“, antwortete schlicht und zeigte sein typisches Lächeln. „Er soll sich gefälligst beeilen, wenn er mich schon hier festhält.“

Gerade wollte er das Handy greifen, als Catherine es zurückzog und ihn tadelnd ansah.

„Ah…aah!“, schnalzte sie und schüttelte den Kopf. „Das kann ich nicht zulassen, mein lieber Sherlock. Dann darf ICH mir nämlich von Mycroft das Gemecker anhören, dass ich dich besser unter Kontrolle halten soll. Ausgerechnet ich, kannst du dir das vorstellen.“ Sie kicherte amüsiert und ging mit dem Handy von dannen.

„Catherine, mein Handy!“

„Nur, wenn du Mycroft damit nicht nervst, sonst ist es konfisziert.“, grinste sie ihn nur an, doch dann fiel ihr plötzlich etwas auf. Sie runzelte ihre Stirn und blickte auf das Display.

„Nanu? Du hast ja meine SMS von vor einer Stunde noch nicht gelesen. Ungewöhnlich. Du liest doch sonst jede Nachricht sofort.“ Auf dem Display leuchtete eindeutig eine ungelesene Nachricht von Catherine Amell. Sie öffnete ihren Nachrichtenverlauf und erstarrte. Da…das konnte nicht sein!

„Nein…Catherine…nicht!“, sagte Sherlock noch, versuchte sie aufzuhalten, doch sie hatte es bereits entdeckt.

„She…Sherlock…da…das sind…“ Ihre Stimme brach vor Überraschung ab. Als sie ihre Nachricht als gelesen hatte markieren wollen, hatte sie ihren Chatverlauf geöffnet. Jede einzelne SMS, jeder Hilferuf, jeder Ausbruch der Wut war noch da, den sie während ihrer Isolation geschrieben hatte. Sherlock hatte keine einzige ihrer SMS gelöscht. Sie waren alle noch da und unter jeder stand eine Antwort, die er niemals gesendet hatte. Catherine weitete die Augen, als die Gefühle über sie schwappten. Was hatte das zu bedeuten? Sicher, sie wusste mittlerweile, warum Sherlock all das getan hatte, doch sie hätte nicht gedacht, dass er all die Nachrichten noch aufbewahrte. Es passte einfach nicht zu ihm. Es war nicht seine Art. Was hatte all das hier dann zu bedeuten?

Das wird eine schlaflose Nacht. Vielen Dank dafür! Catherine Amell…“, las sie eine ihrer SMS vor.

„Catherine…“, versuchte Sherlock noch mal halbherzig sie abzuhalten, doch es war bereits zu spät.

Catherine...wenn Sie wüssten, warum ich das tue, würden Sie nicht so reagieren. Leider kann ich es Ihnen nicht sagen. Sherlock Holmes…Nicht gesendet.“ Catherine lief in die Mitte des Wohnzimmers. All die Gefühle kamen zurück, ließen sie unruhig hin und her wandern, während sie immer weiter durch den Verlauf las.

Sherlock, ich habe eine neue Methode gelernt. Sie nennt sich SGA, Synthetisch letale Arrays. Dadurch lassen sich Interaktionspartner eines Proteins bestimmen. Samstag, gewohnte Zeit, wenn Sie wollen. Catherine Amell…Das klingt vielversprechend. Würde gerne kommen, aber es geht nicht. Sherlock HolmesSherlock, bitte, ich ertrage die Einsamkeit nicht mehr…Es tut mir leid. Wirklich leid. Es ist besser so. Sherlock Holmes. Sherlock? Was hat das zu bedeuten?“ Völlig überfordert blickte sie zu ihrem Nachbarn, ihren Ersatzvater, ihren Freund, der ein wenig hilflos zurück sah. Sherlock seufzte schwer und man sah, dass er diese Situation hatte vermeiden wollen. Er lehnte sich vor, knetet seine Hände, dann seufzte er wieder.

„Setz dich her!“, sagte er dann zu ihrer Überraschung und klopfte auf das Sitzpolster neben sich.

„Was, ernsthaft? Ich darf auf die heilige Couch? Da darf doch sonst Niemand drauf.“ Catherine hob eine Augenbraue und sah ihn skeptisch an.

„Tu es einfach, Catherine.“

„Na, ich weiß nicht.“

„Keine Hintergedanken, ehrlich.“, versicherte Sherlock ihr und blickte sie aus tiefen Augen an.

„Das ist bei dir schwer vorstellbar.“, gab sie trocken zurück und er seufzte wieder.

„Bitte.“, sagte er leise. „Ich möchte dir nur etwas erzählen.“

Catherine zögerte einige Momente, aber als Sherlock noch einmal mit den Augen auf die Couch deutete, überwand sie ihre Skepsis und setzte sich neben ihn. Sie hatte noch nie hier gesessen. Das hier war immer Sherlocks Platz gewesen und sie hatte ein paar Mal erlebt wie Sherlock John von ihr vertrieben hatte.

Es fühlte sich seltsam an hier so ruhig neben Sherlock zu sitzen. Es war noch immer surreal. Noch vor sieben Tag war Sherlock für sie tot gewesen und doch war nun wieder alles wie früher und irgendwie auch wieder nicht. Sherlock war viel ruhiger geworden. Wesentlich ruhiger und manchmal hatte er beinah etwas Zärtliches in ihrer Gegenwart an sich. Er war jetzt mehr ein Vater, der sie unterstützen wollte, als der schrullige Onkel, dessen Geschichten man bei Familienfesten entgehen wollte. Catherine fühlte sich in seiner Nähe wohler und eben genau das verunsicherte sie. Sherlock war unglaublich schwer zu durchschauen und sie fragte sich, was für Folgen all das haben könnte.

„Was genau verwundert dich daran, Catherine? Du weißt doch, dass ich das zu deinem Schutz getan habe.“, setzte schließlich Sherlock ruhig an und betrachtete sie nachdenklich.

„Schon…“, erwiderte sie zögerlich. „Aber es ist doch irgendwie…überraschend zu lesen, dass es dir offensichtlich etwas ausgemacht hat. Ich dachte, du würdest das locker wegstecken, weil es ja schließlich das einzig logische war…das ist alles grad ein wenig…überwältigend.“

Sherlock sah sie an und runzelte nachdenklich die Stirn. Tiefe Falten legten sich über sein Gesicht und er schien zu überlegen, was er sagen sollte.

„Ich wär ja schließlich nur ein Klotz am Bein gewesen. Ich war nicht schlau genug, nicht so stark wie John oder Ähnliches…“

„Für mich war das damals alles andere als logisch.“, erklärte Sherlock zu Catherines Überraschung und blickte sie aus ernsten Augen an. „Denn dieser Grund war mir nie in den Sinn gekommen. Ja, ich wollte dich nicht im Weg haben, Catherine, aber nicht, weil du ein Risiko oder zu schwach gewesen wärest, sondern, weil ich dich beschützen wollte. Ich wollte dich nicht in diesen Krieg hineinziehen. Du warst zu jung und noch zu geschwächt von der Sache in Serbien, als dass ich dich dieser Gefahr aussetzen wollte. Lieber solltest du mich hassen und verabscheuen, als dass ich mein Versprechen gebrochen hätte.“

Ihr blieb der Atem weg, als sie die Bedeutung der Worte begriff. Sherlock hatte sie geschätzt. Er hatte sie beschützen wollen. Nicht aus Logik, sondern aus Sympathie. Mit einem Schlag wurde ihr bewusst wie dumm sie in all der Zeit gewesen war. Nie hatte sie zu ihren Gefühlen gestanden, hatte sich geweigert sich einzugestehen, dass sie ihm vertraute. Vor allem hatte sie es ihm nie gesagt, dabei hatte er ihr zugesichert, dass sie sich auf ihn verlassen konnte und er hatte Wort gehalten. Sherlock hatte sie, das wurde ihr nun bewusst, all die Zeit beschützt. Das wusste sie zwar schon seit John ihr den wahren Grund von Sherlocks Verbannung erzählt hatte, doch nun wo sie die SMS las, wurde ihr erst bewusst, dass es auch Sherlock schwer gefallen war.

„Und ich habe wirklich geglaubt, dass du mich hasst…dass ich irgendetwas getan hätte, womit ich in Ungnade gefallen wäre.“ Sie zog die Beine an und legte ihren Kopf darauf. Tränen stiegen in ihren Augen auf, denn ihr wurde nun bewusst, dass sie Sherlock nicht vertraut hatte auch wenn sie das immer geglaubt hatte. Sie hatte gemeint Sherlock zu kennen und hatte doch sein Lügenspiel geglaubt, obwohl sie es eigentlich besser hätte wissen können. Oh, sie dummes Mädchen.

Selbstmitleid überzog sie und vor allem Kummer. Sherlock hatte vieles für sie getan, hatte über sie gewacht mit Argus Augen und so hatte sie es ihm gedankt. Indem sie es nicht einmal bemerkt hatte. Töricht.

Zu ihrer Überraschung tat Sherlock etwas, womit sie noch nie gerechnet hatte. Gerade in dem Moment, als sie in Selbstschelte versinken wollte, sprang Sherlock über seinen Schatten. Vorsichtig, zögernd, legte er einen Arm um ihre Schulter und zog sie an sich. Seine zarten Finger strichen über ihre Stirn und drückten so ihren Kopf auf seine Schulter.

„Das habe ich nie, Catherine, und du warst auch nie dumm für mich.“ Kurz glitten seine Finger wie selbstverständlich durch ihr Haar, doch das war es nicht. Alles andere als das. Es war so unnatürlich, dass sowohl seine Worte, als auch seine Gesten sie vollkommen überforderten. Mit großen, zitternden Augen sah sie zu ihm hoch.

„Sherlock…“, flüsterte sie.

„Ist das wirklich so schwer vorstellebar?“, seufzte er leise und fuhr sich durch die Locken. „John wollte mir das damals auch nicht glauben.“

„Es ist schon schwer zu begreifen. Man weiß bei dir einfach nie, was in deinem Kopf vorgeht, Sherlock.“ Catherine blickte zu ihm auf und sie sahen sich einige Zeit einfach an. Etwas lag in der Luft, etwas hatte sich verändert. Catherine konnte es nicht benennen, doch da war etwas, was von Sherlocks Blick ausging. Egal was es war, es nahm sie gefangen. Seine Blicke hatten immer was Besonderes gehabt. Seine Augen waren immer unglaublich gewesen. Diese verschiedensten Facetten an Farben und wie sie zeigten wie tief Sherlocks Seele in Wirklichkeit waren. Sie zeigten stets die Faszination, die seinen Geist ausmachte. Wenn Sherlock einen mit seinen tiefen Blick ansah, dann konnte man sich nicht lösen, man musste einfach hinsehen. Catherine wusste, dass sie nicht die Einzige war, der es so erging. Es war seltsam, doch Sherlock war wie ein Magnet. Kam man ihm nah genug, wurde man angezogen. Begann man ihn zu schätzen, war man schon verloren, doch das war einem egal. Man lebte mit Freuden für ihn.

Sherlock sah sie einfach an und doch schien so viel aus seinen Augen zu sprechen. Catherine hatte das noch nie bei Jemand anderen so intensiv erlebt wie bei ihm. Obwohl sie es sich schon wieder nicht eingestehen wollte, so waren sie sich näher seit er zurück war. Näher, als sie je gedacht hätte.

Nicht nur, dass sie sich jetzt duzten- Catherine hatte ihn zwischenzeitlich mehr als einmal aus Gewohnheit wieder gesiezt und seinen Unmut zugezogen-, es war eher etwas Generelles.

Seit sie vor Sherlock zusammengebrochen war und er sie getröstet hatte, hatte Catherine ihn noch einen Schritt mehr zuerkannt. Sonst hatte sie es immer vermieden, doch in diesen Moment hatte sie sich nicht mehr halten können. Sie wollte nicht mehr um jeden Willen, dass Sherlock sie schätze. Sie wollte, dass er ihr wahres Selbst mochte, dass er die wahre Catherine sah. Das glaubte sie zumindest.

Als Sherlock sie dann getröstet hatte, war sie ihm dankbar gewesen, doch er war schlimmer wie jede Droge. Jetzt, wo er ihr einen Schritt zu erkannt hatte, wollte sie mehr davon, wollte Dinge, die sie vorher von ihm noch nicht mal erträumt hatte. Dinge, über die sie früher gelacht hätte.

Sie wollte seine Nähe. Er war so warm. Es war keine Liebe, erst recht nichts sexuelles, auch wenn jeder Außenstehende das sofort meinen würde. Ha! Jetzt wusste sie wie es John all die Zeit ergangen war, dabei hat er noch nicht mal das zugelassen. Würde auch etwas komisch aussehen, wenn er an Sherlock geschmiegt auf der Couch sitzen würde. Sie schmunzelte kurz bei dem Gedanken. Manchmal war es vorteilhaft eine junge Frau zu sein. Da waren diese Gesten wohl selbst für Sherlock einfacher zu akzeptieren. Dabei bedeutete John ihm mehr, das wusste sie nur zu gut.

Vermutlich wusste Sherlock das noch nicht einmal, aber selbst John schaffte es nicht sie so zu beruhigen, wie wenn Sherlock einfach einen Arm um sie gelegt hatte. Catherine konnte noch nicht einmal sagen warum, aber es hatte einfach etwas unglaublich beruhigendes. Das war schon immer so gewesen. Wenn er sich dazu mal herabließ sie zu berühren, dann vergaß sie alle Ängste. Wenn Sherlock einen das schon zugestand, dann war man sicher. Davon war sie zumindest fest überzeugt.

Noch immer starrte sie in den Wirbel aus Farben in seinen Augen und sie hatte den Impuls neben ihnen herzu streicheln, doch sie beherrschte sich. Was war das hier nur? Es war keine Liebe, zumindest keine gewöhnliche, aber auch keine Freundschaft. Ihre Nachbarn waren ihre Familie geworden, das wusste sie schon lange. Sie waren alles für sie, aber dieses Bedürfnis ihn anzufassen, hatte sie erst seit sie ihn hatte umarmen dürfen. Lag es daran, dass sie sich sicher sein wollte, dass Sherlock wirklich da war? Dass es kein Hirngespinst war? Ja, das war möglich, aber zu simpel. In Sherlocks Fall war nichts simpel. Nie im Leben.

„Sherlock…?“, durchbrach sie schließlich beinah ein wenig wehleidig diese Magie. Oh Gott, gut dass er keine Gedanken lesen konnte. Was für einen Spruch hätte sie sich jetzt anhören dürfen? Sie stritten sich noch immer und duellierten sich -Catherine hätte es auch gehasst, wenn dem nicht mehr so wäre- aber das waren mittlerweile nur noch Phasen. Neben ihren üblichen Sprüchen, hatten sich ihre Gespräche weiterentwickelt. Seitdem er ihr mit ihrem Trauma geholfen und sie das erste Mal wirklich ernst mit einander gesprochen hatten, gab es auch Momente wie diesen. Hauptsächlich, wenn sie allein waren und sie sich nicht Gedanken machen mussten wie sie das vor John erklären sollten. Obwohl John wahrscheinlich sogar noch besser wusste, warum sie so waren, als Sherlock und sie selbst.

„Ja?“, sagte er nur ruhig und löste noch immer nicht seinen Blick von ihr. Catherine fühlte sich, als würde sie alles von sich offenbaren unter diesem Blick.

„Versprichst du mir noch etwas?“, fragte sie und ihr Herz begann schneller zu schlagen. Sie würde ihm ein großes Zugeständnis machen, doch sie musste ihre Skepsis endlich loswerden und Sherlock endgültig vertrauen. Sherlock hatte viel für sie getan, nun musste sie es mal einmal tun.

„Kommt drauf an, was es ist.“ Er wog den Kopf hin und her und blinzelte einmal kurz nachdenklich, dann wurde sein Blick wieder undurchdringlich.

„Tu so etwas bitte nie wieder.“, flüsterte sie und musste fast kichern, als sie Sherlocks verwirrten Blick sah. Die typischen Falten zwischen seinen Augenbrauen, die leicht gekräuselte Nase.

„Was soll ich nie wieder tun? Ich tu so viel.“ Nun musste Catherine wirklich kichern. Er hatte sich doch nicht wirklich verändert.

„Das ist wahr.“, sagte sie amüsiert, doch dann wurde sie wieder ruhiger, ernster. Das, was sie ihm sagen wollte, war ihr zu wichtig. „Was ich meine, Sherlock, ist, dass du bitte nicht noch einmal mein Leben so sehr bestimmst. Es ist mein Leben und ich möchte gern selbst entscheiden mit wem ich diesen Weg bestreiten will.“

Als er sie noch immer völlig verwirrt ansah, musste sie lächeln.

„Ist das immer noch so schwer für dein soziopathisches Gehirn?“, fragte sie sanft und stupste zwischen seine Augenbrauen. Wie automatisch runzelte Sherlock diese und sah sie verwirrt an.

„Es ist eine sehr philosophische Ausdrucksweise dafür, dass du mich bitte nie wieder verstoßen sollst. Auch wenn ich den Sinn verstehe und dir dafür sehr dankbar bin. Aber ich möchte bestimmen, ob ich den Weg mit euch weitergehe oder nicht.“ Catherine schwieg kurz und ließ die Worte kurz wirken. Noch immer verstand Sherlock nicht und sie seufzte leise.

„Als du mich verbannt hast, wollte ich dich hassen. Mehr als alles andere, denn es hätte den Schmerz erträglicher gemacht, doch ich konnte es nicht. Statt auf dich wütend zu sein, begann ich an mir zu zweifeln.“ Traurig schloss sie die Augen, als sie sich wieder an die Selbstzweifel erinnerte, die sie durchlitten hatte. Ihr Herz wurde schwer. Sie hatte Sherlock einfach nicht hassen können.

„Cath…“, flüsterte Sherlock leise und wusste nicht, was er sagen sollte.

„Ich weiß, dass deine Welt gefährlich ist.“, fuhr sie fort, als sie tief Luft geholt hatte. „Aber ich möchte meinen Weg mit euch gehen. Die drei Jahre, die du fort warst, waren schlimmer, als alles andere, was ich je erlebt habe, aber sie waren notwendig. Erst durch sie konnte ich mir eingestehen wie wichtig du mir geworden warst. Vorher konnte ich das nicht.“

„Warum nicht?“, fragte Sherlock, als sie ihren Blick traurig senkte. Seine Finger glitten an ihre Wange und hoben ihren Kopf.

„Weil ich Angst hatte…“

„Angst?“ Sie nickte nur und fuhr sich über die Lippen.

„Ich hatte Angst davor, was es bedeutete, dir das zu sagen. Du hast ein verdammt großen Einfluss auf die Menschen um dich herum, weißt du das überhaupt, Sherlock? Als du vermeintlich starbst, ist meine Welt zerbrochen und ich fühlte mich schlecht. Weil es viele Dinge gab, die ich dir nie zu sagen gewagt hatte und was ich nun bereute. Also bitte, Sherlock.“ Sie schloss die Augen und lehnte sich an seine Schulter, als die Verzweiflung sie übermannte. Ihr Körper zitterte leicht und zu ihrer Überraschung spürte sie seine Hände auf ihren Rücken.

„Bitte…verbanne mich nie wieder. Es ist mir egal, dass es gefährlich ist, denn diese Einsamkeit, die ich empfand…war schlimmer als alles andere.“

„Es ist dir egal, dass du zur Zielscheibe wirst? Dass du in der Gefahr schwebst, entführt zu werden? Bedroht zu werden?“ Sherlocks Stimme war ungläubig und Catherine spürte unter sich wie sein Körper sich ein wenig anspannte. Sie nickte.

„Es ist mir genauso egal wie John, denn ihr seid meine Familie. Ihr seid alles für mich. Ich möchte euch nie mehr missen.“, flüsterte sich leise und schmiegte sich an den Mann, der ihr Leben zerrissen und doch zum Zentrum ihrer Welt geworden war- freiwillig.

„Aber warum?“

Sie lächelte leicht und sah zu ihm auf.

„Weil es eine Sache gibt, die du bis jetzt nicht verstanden hast, Sherlock.“ Wieder runzelte er die Stirn und Catherine lächelte. „Hör mir gut zu, denn ich werde es vielleicht nicht mehr sagen. Du bist mir wichtig und wenn ein Mensch einen anderen schätzt, dann ist er bereit für diesen auch Schmerzen zu ertragen, denn man möchte ihn nicht mehr missen. Physische Wunden tun zwar weh und sind schrecklich, doch sie verheilen und die Schmerzen vergehen, irgendwann. Was viel schlimmer ist, sind die Verletzungen der Seele, denn diese heilen niemals oder wenn nur sehr schwer. Es gibt keine Salbe, keine Medizin dagegen. Wunden, die hier zugefügt werden.“

Sanft legte sie ihre Hand auf seine Brust und sah nun seinen völlig irritierten Blick, der sie schmunzeln ließ.

„Diese Wunden der Seele und des Herzens verheilen höchstens langsam mit der Zeit und sie hinterlassen grausame Narben. Ich werde vielleicht einen Streifschuss vergessen oder eine Prügel und auch ihre Schmerzen werden vergehen, aber ich habe und werde nie vergessen wie schrecklich es gewesen ist für mich von euch getrennt zu sein.“

Sherlock sah sie aus überraschten Augen an und blickte dann auf ihre Hand, die noch immer auf seiner Brust lag. Sein Blick hatte etwas Irritiertes, Verwirrtes. Er schien überfordert mit dem zu sein, was sie ihm gesagt hatte. Catherine hingegen fühlte sich nun erleichtert, wo sie das losgeworden war. Serbien war grausam gewesen und hatte sie verletzt, aber das von Sherlock und John getrennt zu sein, hatte sie mehr verletzt als alles andere.

Noch immer sah Sherlock völlig überrascht auf ihre Hand, dann veränderte sich etwas in seinem Blick. Sherlock seufzte und ein kleines Lächeln legte sich um seine Lippen, als er beinahe zaghaft die Hand hob und die ihre umschloss, sie näher an sein Herz legten und seine Finger strichen kurz über ihre Handinnenfläche. Catherine erschauderte und eine Gänsehaut bildete sich auf ihrer Kopfhaut.

„Sherlock…“, flüsterte sie überrascht, doch er sah sie nicht an.

„Es gibt vieles…was ich noch lernen muss…und ich hoffe, dass John und du es mir zeigen könnt. Ich möchte wegen meiner Unfähigkeit nicht noch einmal alles verlieren.“

Nun hob er den Blick und sah mit seinen undurchdringlichen Blick an. Catherine hielte automatisch den Atem an, denn dieser Satz überwältigte sie, doch dann lächelte sie.

„Du hast gerade erfahren, was seelischer Schmerz bedeutet. Den Schmerz, den du in diesen drei Jahren gefühlt hast, wirst du nie wieder vergessen und wenn ich dich richtig einschätze, dann hättest du mit körperlichen Schmerzen bezahlt, wenn du dafür schneller wieder hergekommen wärst, oder?“

Er blickte sie einige Momente nachdenklich an, dann nickte er.

Catherine strich sanft über seinen Handrücken, löste dann aber ihre Hand. Sie wollte es nicht übertreiben und ihn nicht überfordern.

„Herzlichen Glückwunsch, Sherlock. Du beginnst ein Mensch zu werden.“ Er sah sie an und es dauerte einige Momente, bis er eine Augenbraue hochzog und sich gegen die Armlehne fallen ließ.

„Großartig. Willkommen zu meinem Untergang.“

Catherine lachte leise, als sie ihn schmunzeln sah.

„Vielleicht bist du dann wenigstens nicht mehr ganz so häufig frustriert.“, erwiderte sie keck.

„Ich langweile mich generell in letzter Zeit ziemlich wenig.“

„Na, bei dem Fall, den du die letzten drei Jahre hattest, auch kein Wunder.“

„Das meinte ich nicht.“, sagte er schlicht und blicke sie aus ruhigen Augen dann. Catherine runzelte irritiert die Stirn.

„Was dann?“

„Dass es jetzt auch Dinge neben den Fällen gibt, die mir Spaß machen. Wie dich zu ärgern und John damit zu nerven.“

Catherine sah ihn gespielt schmollend an, lachte dann aber.

„Geht mir genauso. Auch wenn ich es anfangs nicht glauben wollte, euch kennenzulernen, war das Beste, was mir passieren konnte. Ich möchte euch nie wieder verlieren. Um keinen Preis der Welt.“

Sherlock erwiderte ihren Blick und zum ersten Mal war er von ihrem Blick gefangen. Ihre hellblauen Augen leuchteten so voller Freude, voller ehrlicher Freundschaft, dass es ihn gefangen nahm. Er verstand nicht, was er ihr geschenkt hatte, dass sie so aufrichtig, warme Gefühle für ihn empfand.

„Ich möchte dich auch nicht mehr verlieren…“, gestand er ihr dann schließlich und umarmte sie. „Niemals wieder, du nicht ganz so dumme Biologiestudentin.“

Sie beiden lachten, als sie hörten, dass ihre Stimmen kurz zitterten.

Sie mussten sich erst wieder daran gewöhnen vereint zu sein, wieder diese seltsame Art von Freunde zu sein und gleichzeitig sich weiterentwickeln, denn es waren neue Begebenheiten eingetreten. Noch waren beide verunsichert, aber sie waren sich doch sicher, dass sie gemeinsam einen neuen Weg finden würden und eines wussten beide zu genau: ohne den jeweils anderen wollten sie ihn nicht mehr gehen.

„Werde ich den Titel jemals los?“, kicherte Catherine.

„Nein.“, sagte Sherlock ruhig und beide sahen sich an, bevor sie wieder anfingen zu lachen. Es war ein ausgelassenes, fröhliches Lachen, dass die Stimmung lockerte. Es dauerte auch eine ganze Weile, bis sich beide wieder ein bekommen hatten und tief Luft holten, um die letzten Nachläufer aufzuhalten.

„Sag mal, Sherlock.“ Sie hatte sich mittlerweile wieder aufgesetzt und sie saßen nun normal auf der Couch, wenn auch näher als sonst üblich.

„Was denn noch?“ Er warf ihr einen gespielt genervten Seitenblick zu, doch Catherine ignorierte ihn geflissentlich. Ihr Blick war mittlerweile ernst geworden, denn ganz genau hatte sie sich eine Frage noch nicht beantworten können.

„Was ist das eigentlich zwischen uns? Was sind wir?“

„Das fragst du ausgerechnet mich, Catherine?“ Sherlock hob skeptisch eine Augenbraue.

„Ja, denn ich finde keine Antwort darauf.“

„Warum muss man denn immer alles benennen können?“, setzte er an und warf Catherine einen vielsagenden Blick zu. Sie drehte sich ein wenig seitlich auf der Couch um ihn besser ansehen zu können.

„Wie meinst du das, Sherlock?“

„Wieso musst du unbedingt wissen, was es ist? Es ist doch in Ordnung wie es ist. Warum akzeptierst du es nicht einfach? Ich verstehe auch bis heute nicht, warum du trotz allem was ich getan habe zu mir gehalten hast. Aber Gefühle sind nun mal nicht logisch erklärbar, also habe ich es schließlich einfach akzeptiert. Belass es doch einfach bei dem was es ist.“

Überrascht sah Catherine zu ihm auf, während Sherlock ruhig zu ihr hinab sah.

„Wow…“ Mehr konnte sie nicht sagen. „Das war für deine Verhältnisse ein unglaubliches Verständnis von Gefühlen.“ Sherlock verzog kurz den Mund, doch lächelte leicht.

„Selbst ich lerne dazu.“

„Dass das noch möglich ist.“, murmelte sie und streckte ihre Arme.

„Müde?“, fragte Sherlock und warf ihr einen Seitenblick zu.

„Ein wenig…“, antwortete sie, als sie sich tiefer in die Kissen sinken ließ und den Kopf in den Nacken legte. „Ich hab die letzten Nächte kaum geschlafen…und in den drei Jahren.“

Sie zuckte kurz wie beiläufig mit den Schultern, doch ein Blick in ihre Augen verriet wie sehr sie noch damit haderte. Sherlock holte tief Luft und stieß sie leise aus.

„Dann dös eine Runde.“

„Aber ich wollte doch kochen…“, erwiderte sie halbherzig. Die Müdigkeit verfärbte ihre Stimme bereits dunkel.

„Das kannst du auch noch später. Schlaf!“, sagte Sherlock bestimmend und strich einmal über ihr Gesicht und schloss somit ihre Augenlider.

Bleierne Müdigkeit überspülte sie, denn sie war jetzt einfach das erste Mal seit langem, dass sie sich wieder entspannen konnte. Drei Jahre der Anspannung und des Verdrängens waren innerhalb der letzten Woche von ihr abgefallen. Die ersten Tage war sie zwar noch in einem gewissen Grundlevel geblieben, da sie noch nicht richtig realisiert hatte, dass ihr totgeglaubter Freund zurückgekehrt war, doch innerhalb der letzten zehn Tage, wo allmählich der Alltag kam, spürte sie doch deutlich wie rastlos sie gewesen war.

„Schlaf, Cath…“, hörte sie noch einmal Sherlocks ruhige Stimme von weit entfernt und schließlich döste sie weg. Es war so erholsam, dass sie nicht einmal merkte wie ihr Kopf nach einiger Zeit langsam, aber stetig auf Sherlocks Schulter rutschte. Der Consulting Detective seufzte leise, als es schließlich soweit war, warf aber einen leicht sanften Blick zu und ließ sie gewähren.
 

~*~
 

Der Schotter knirschte unter Catherines Schuhen, als sie den Friedhof erneut betrat auf dem er ruhte. Ein seltsames Gefühl der Melancholie beschlich sie. Es fühlte sich unwirklich an, als wäre sie gefangen in einem Alptraum aus dem sie nicht erwachen konnte.

Eine traurige, erdrückende Stimmung schwebte über den stillen Gräbern wie der Nebel im Morgengrauen. Friedhöfe bescherten ihr immer einen Schauer, nicht, weil sie sich fürchtete, sondern weil ihr bewusst wurde wie endlich alles um sie herum war. Ihre Eltern, ihr Bruder, Sherlock, in ihrer kindlichen Naivität hatte sie geglaubt, dass es ewig so weiter gehen würde, doch die Realität war ein grausamer Lehrmeister gewesen. Sie hatte sie zurückgeholt aus ihren hoffnungsvollen Träumen und brutal auf den Boden geholt. Eiskalt hatte sie Catherine beigebracht erwachsen zu werden, denn anders hätte sie in dieser Welt nicht überlebt.

Weit am Ende des Friedhofes, überdacht von einer Blauzeder, lag der schlichte, schwarze Grabstein mit den goldenen Buchstaben. Mit jedem Schritt, den Catherine näher kam, wurde sie langsamer und zögernder, denn das klamme Gefühl in ihrem Magen wurde stärker. Sie hatte so lange versucht die Realität zu verdrängen. Sie wollte nicht wahrhaben, dass Sherlock tot war. Es ging einfach nicht in ihren Kopf. Selbstmord passte nicht zu ihm und doch lag er hier nun und seine Stimme schwieg für immer.

Catherine vermisste ihn, vermisste ihn mehr als sie sie sich je hatte eingestehen wollen. Auch wenn er sie die letzten zwei Monate vor seinem Tod komplett ignoriert hatte, so hatte sie ihn nicht verlieren wollen. Sie hatte ihn gern gehabt und ihm vertraut- auch wenn er so anders gewesen war.

Nun, wo sie sich doch den Drang in ihr nicht mehr verdrängen konnte- obwohl sie wusste, dass ihre bereits geschundene Seele die knallharte Realität kaum ertragen würde-, Sherlocks Grab zu besuchen und Abschied zu nehmen, fühlte sie sich hilflos. Sie wusste nicht wie viel Schaden dieser Besuch anrichten würde und dass es an sich sinnvoller wäre, sich weiter in die Verleugnung zu flüchten, doch ihr Unterbewusstsein wollte hierher. Ein Mensch kann nicht für immer verdrängen.

Vor der noch immer frischen Erde, die sich noch setzen musste, blieb Catherine stehen. Mittlerweile standen schon Tränen in ihren Augen und sie musste schwer schlucken. Es war das erste Mal, dass Catherine alleine auf dem Friedhof war. Die letzten beiden Male- die Beerdigung und ein Besuch zusammen mit Mrs. Hudson und John-, hatte sie die beiden gestützt und aufgebaut um Sherlocks letzten Wunsch an sie zu erfüllen. Nun würde sie das nicht mehr als Schutz verwenden können, nun würde sie sich ihrer Trauer stellen müssen.

Sie schluckte erneut schwer, schritt vor ohne auf seine Ruhestätte zu treten und strich über seinen Grabstein.

„Hey, Sherlock…“, flüsterte sie leise und mit erstickter Stimme. Ein großer Kloß hatte sich in ihrem Hals gebildet. Das alles war einfach viel zu unwirklich und frisch, als dass sie damit schon umgehen konnte. „Tut mir leid, dass ich nicht eher gekommen bin. Aber, ich konnte es einfach nicht.“

Mit bebenden Lippen starrte sie auf die Goldbuchstaben auf dem glatten Marmor. Beinah zärtlich strich sie über den kalten Stein und schluckte noch einmal. Ihre Stimme brach beinahe, als die Trauer und Endgültigkeit sie übermannte.

Tief Luft holend, schloss sie die Augen und sie kniete sich neben den Stein, legte eine Blume nieder und lehnte kurz den Kopf gegen den Stein.

„John hat mir mittlerweile erklärt, warum Sie mich verbannt haben. Dass Sie das taten, um mich zu beschützen. Dass Sie bereit waren, meinen Hass zu provozieren, nur damit Moriarty mir nichts antun würde.“ Ein Schluchzer entkam ihr. „Und ich habe noch nicht einmal die Möglichkeit bekommen mich zu bedanken. Wie egoistisch wieder mal von Ihnen. Nun muss ich mit dieser Schuld weiterleben.“

Wieder bebten ihre Lippen, als sie gegen ihre Tränen kämpfte. Sie wollte nicht weinen. Sherlock hatte das immer verabscheut und deshalb wollte sie an seinem Grab keine Träne vergießen. Mit aller Kraft, wollte sie- falls Sherlock denn von oben auf sie herab sah und sich nicht gerade mit Jesus, Buddha, Aristoteles, Konfuzius oder sonst wen rumstritt-, seine Wohlgesinnung ein wenig zurückzuerlangen.

„Wissen Sie, Sherlock. Sie sind wirklich ein seltsamer Zeitgenosse gewesen. Obwohl Sie mir wirklich unheimlich auf die Nerven gegangen sind und ich Sie mehr als einmal gern zum Teufel gejagt hätte…hoffentlich ärgern Sie ihn nicht zu sehr…“ Sie lachte leise, aber hohl. „…nein, Spaß beiseite. Was ich meine, ist, dass Sie eigentlich ein wirklich guter Mensch waren. Wahrscheinlich wollen Sie das gar nicht hören, aber Sie waren es. Auf Ihre seltsame, verquere Art und Weise, waren Sie wirklich lieb, wenn man denn Ihre Sprüche ignorierte. Wenn ich so zurückblicke, so konnte ich mich immer auf Sie verlassen. Sie haben mich beschützt, Sie haben mir geholfen und haben mir beigestanden. Ich war nur immer zu dumm, es zu bemerken. Es tut mir leid.“

Ihre Schultern sanken leicht hinab, während sie sich die Tränen aus den Augen wischte.

„Sie sind doch nicht tot, oder Sherlock? Das ist alles nur wieder Ihre komische Art uns zu beschützen, richtig? Ist doch so, oder?“ Sie holte tief Luft und schoss die Augen. Eine Taube stob neben ihr aus der Tanne und flog in Richtung Sonne, in Richtung Freiheit. Waren vielleicht auch Sie ein Ballast geworden und Sherlock hatte Sie loswerden wollen? Hatte auch er in Richtung Freiheit fliegen wollen und sie hier zurückgelassen, weil er ihrer überdrüssig geworden war? Hatte er sie abstreifen wollen?

„Ein Selbstmord passt einfach nicht zu Ihnen, Sherlock. Da muss doch etwas dahinter stecken. Sie würden doch niemals, niemals, zulassen, dass Moriarty gewinnt. Sie würden nicht verlieren.“

Catherine wusste nicht, woher sie das Bedürfnis hatte, sich an den Grabstein zu lehnen. Sie hatte nie das Bedürfnis gehabt, dass Sherlock sie berührte, doch in diesem Moment tat sie es als Kompensation für eben jene Nähe. Sie wollte seine Finger wieder spüren, die so lang und sanft waren, die Wärme seines Körpers fühlen, doch der Stein blieb kalt und Catherine wusste, dass nichts außer ihrer bald verblassenden Erinnerungen von ihm bleiben würde. Seine Blicke gab es nicht mehr, seine Stimme war verstummt, das Erstaunen, was er einst hervorgerufen hatte, war in Hass umgeschlagen worden. Nie mehr würde sie sich über ihn wundern, die Augen rollen oder sich mit ihm herumstreiten.

Sie fühlte sich schrecklich allein und die Einsamkeit hielt sie im eisernen Griff gefangen. Ihr Herz fühlte sich schwer an.

„Bitte, Sherlock…Seien Sie nicht tot…ich…ertrag diesen Gedanken nicht. Ich hätte das nie gedacht, aber Sie fehlen mir…“ Ihre Stimme brach und nur ein erstickter Schluchzer entkam ihr. „So sehr…“

„Sie dürfen auch alles machen. Hören Sie? Sie dürfen mich weiter nerven, terrorisieren…alles…was Sie wollen….nur bitte…“ Die Trauer übermannte sie und ihre Stimme zerbrach, als all der Schmerz über sie hinwegspülte. „Seien Sie nicht tot…“

Langsam stand sie auf, nachdem sie die Blumen noch einmal ordentlich hingelegt hatte, und ging zum Wasserhahn um die Kübel zu gießen. Weiterhin liefen Tränen aus ihren Augen, tropften auf die Graberde, während die die Blumen wässerte. Das Grab war eher schlicht gehalten und nur zwei Blumentöpfe waren auf ihm. Schließlich hätte Sherlock dieses irrationalen Firlefanz nie gewollt, aber so ganz nackt hatte keiner von ihnen das Grab lassen können. Es fühlte sich sonst lieblos und ignoriert an. Als hätte er ihnen nichts bedeutet und diesen Gedanken konnten sie nicht ertragen.

Catherine schluckte und schloss die Augen. Sie sprach ein kleines Gebet für Sherlock- auch wenn er nie eines hätte haben wollen. Das müsste er ihr mal gewähren, nach allem, was er ihr aufgebürdet hatte.

Plötzlich fuhr ein Wind durch die Bäume, ließ die Blätter rauschen und Catherine fuhr herum. Es fühlte sich an, als wäre Sherlock ihr nah. Etwas lag in der Luft, diese spezielle Atmosphäre, die immer den Raum erfüllte, wenn Sherlock da war. Es war wie ein mysteriöser Hauch, der durch die Luft ging, etwas Geheimnisvolles und eben genau das spürte sie wieder. Es war eher eine Ahnung, als Wissen, doch dieser Gedanke, dass er hier war, schlich sich unaufhaltsam in ihrem Kopf.

„Sherlock?“, rief sie eher halbherzig, glaubte eh nicht auf eine Antwort, doch dieses Gefühl wurde immer stärker in ihr. Wieder ging ein Windhauch durch die Bäume.

„Catherine…“, hörte sie es hinter sich und sie wirbelte herum, doch Niemand stand hinter ihr. Traurig senkte sie den Blick, krallte sich in ihre Strickjacke.

„Catherine!“ Wieder seine Stimme, doch dieses Mal klang sie so weit entfernt. Plötzlich spürte sie eine Hand auf ihrer Schulter und fuhr zusammen.
 

~*~
 

Catherine schrak aus dem Schlaf und hielt unbewusst den Atem an. Sie spürte wie Tränen auf ihrer Wange getrocknet waren und kleine Salzspuren hinterlassen hatte. Überrascht strich sie darüber und hielt inne.

„Catherine…“, hörte sie wieder Sherlocks Stimme und sie fühlte sich irgendwie ertappt. Oh Gott, sie hatte im Schlaf gesprochen und sicherlich auch geweint. Wie peinlich gegenüber Sherlock! Hastig stand sie auf.

„I…ich geh dann mal kochen. Du hast sicher Hun…“ Gerade als sie in die Küche gehen wollte, spürte sie Sherlocks feine Hand um ihr Handgelenk, der sie zurückhielt. Sie drehte sich um und sah in Sherlocks nachdenkliche Augen. Beschämt schlug sie die Augen nieder und biss sich auf die Lippen. Ihr Herz raste noch immer auf Grund des lebhaften Traumes und auch die Trauer hing noch nach.

Sherlock stand auf und trat auf sie zu. Er legte seine Hand an ihre Wange und strich die Salzspuren weg. Catherine senkte den Blick und fühlte sich beschämt. Sie hatte vor ihm nie Schwäche zeigen wollen, sie hatte doch stark sein wollen und nun hatte sie versagt. Sie wollte doch Sherlock helfen in sein Leben zurückzufinden.

„Du musst etwas sehr aufwühlendes geträumt haben, wenn du schon weinst. Auch deine Stimme klang sehr wehklagend.“, stellte Sherlock ruhig fest, ignorierte ihre seltsame Reaktionen. Seine blauen Augen sahen sie forschend an, doch Catherine stellte überrascht fest, dass auch ein Hauch Sorge in ihnen glitzerte.

„Na ja…ich wein in letzter Zeit ziemlich häufig.“, sagte sie verlegen und versuchte ihm auszuweichen, doch wie immer nahem seine Augen sie gefangen. Auch seine Hand hielt noch immer ihren Kopf angehoben. Er schüttelte nur kurz den Kopf.

„Es ist ja auch noch eine seltsame Zeit, Catherine…muss ziemlich aufwühlend sein, schätze ich.“

Sie nickte knapp, lächelte leicht.

„Ich habe von dem Tag geträumt, an dem ich das erste Mal alleine an deinem Grab war…“, murmelte sie leise. Es weiter zu verschleiern hätte keinen Sinn gemacht. Sherlock würde es wissen wollen. Er wollte lernen und das tat er nur indem er fragte. So avancierte er unwillentlich zu einer Art Therapeuten.

Sherlock sah sie kurz überrascht an, dann seufzte er und strich noch einmal sanft die letzte Träne aus ihren Augen.

„Ich meinte doch, dass ich ein paar der Worte schon einmal gehört hätte.“, sagte er leise. Catherine wollte gerade nicken, als sie innehielt und ihn verwundert ansah.

„Moment…du…kanntest...Ooooh…du warst da…“ Sie seufzte, als sie begriff, was hinter der Aussage steckte. Sherlock zuckte leicht mit den Schultern.

„Ich wollte sehen, ob es euch gut geht.“

„Als ob es einen gut geht, wenn gerade ein wichtiger Mensch vermeintlich Selbstmord begangen hat.“, antwortete sie trocken.

„Du weißt, was ich meine, Catherine.“

„Natürlich weiß ich, was du meinst. Die Wortwahl war nur nicht glücklich.“ Sie fuhr sich durch die Haare. Plötzlich wurde ihr noch etwas bewusst, als ihr klar wurde, dass Sherlock sie am Grab beobachtet hatte. Sie hatte an seinem Grab gesungen und zwar ein Lied, das alle ihre Gefühle gezeigt hatte. Verdammt! Mega Peinlich. Oh Gott, was würde er ihr jetzt dazu sagen? Würde er etwas dazu sagen? Ihr Herz begann zu rasen und sie schluckte heftig. Schnell wollte sie sich aus seinem Griff lösen, doch Sherlock hielt weiterhin ihr Handgelenk sanft, aber bestimmt, fest.

„Sherlock…lass mich bitte los.“

„Du sagtest, dass es Dinge gibt, die du mir nie hattest sagen können, weil du Angst hattest. Sag sie mir jetzt!“

„Das hättest du wohl gerne!“, erwiderte sie heftig und sah dann Sherlocks überraschten Blick. Verdammt! Das war zu hart gewesen. Sie konnte ja verstehen, dass er es wissen wollte, doch sie fürchtete sich davor. Er müsste es doch wissen. Musste sie es wirklich nochmal sagen? Musste sie sich vor Sherlock noch einmal so demütigen lassen?

„Außerdem müsstest du es doch wissen, wenn du dagewesen bist…“, flüsterte sie nach einigen Momenten des Zögerns. Sherlock sah sie irritiert an und runzelte seine Stirn.

„Woher sollte ich das wissen?“, fragte er nachdenklich. Nun war es Catherine, die verwirrt war.

„Ich hab doch…ich mein…das Lied…“, stotterte sie.

„Welches Lied?“

„Äääh?“, stieß sie überrascht hervor. „Du hast es nicht gehört?“

„Wovon redest du bitte? Ich bin gegangen nachdem du mich gebeten hast nicht tot zu sein.“ Nach ihrer Bitte war er zwar kurz näher herangegangen, hatte sich aus seinem Versteck gelöst, doch als es schien, als hätte sie ihn bemerkt, hatte er sich abgedreht und war schnell gegangen. Nach John hatte auch sie so aufrichtig um ihn gewehklagt, dass er am liebsten sofort zu ihnen gegangen wäre, doch er hatte es nicht gekonnt. Dann wäre alles umsonst gewesen.

„Du hast echt nicht…“ Sie lachte heiser und löste sich. „Oh Gott und ich mach mir solch einen Kopf. Das wär ja total peinlich gewesen.“

„Welches Lied?“, fragte Sherlock nochmal mit Nachdruck. Seine Augen verschmälerten sich ein wenig und durchdrangen sie, doch Catherine hatte sich bereits abgewandt.

„Nicht so wichtig.“, wehrte sie ab. „Nicht so wichtig.“

„Ich würd es gern hören.“, sagte er plötzlich und mit Ruhe in seiner Stimme. Catherine erstarrte in ihrer Bewegung, den Rücken ihm noch immer zugewandt.

„Du willst…“, sagte sie leise und Sherlock nickte nur. Auch wenn sie es nicht sah, spürte sie seine Antwort.

„Nein, das kann ich nicht. Das ist viel zu peinlich.“

„Warum?“

„Weil du mich auslachen wirst.“ Noch immer konnte sie ihn nicht ansehen. Dieses Lied beinhaltete so viel Zuneigung, ehrliche Trauer und ihr Herz und genau deshalb wagte sie es nicht, es ihm zu offenbaren. Sie hatte es damals auch nur gesungen, weil sie es irgendwie ausdrücken musste, weil ihre Seele sonst übergelaufen wäre und sie gemeint hatte, dass er es ja niemals mehr erfahren würde. Sie hatte gedacht, er würde diese Worte niemals hören und das hatte sie bereut. Denn selbst in diesem Moment hätte sie es nie gewagt es ihm ins Gesicht zu sagen, denn sie selbst fürchtete sich davor wie viel Sherlock ihr bedeutete.

„Und wenn ich das nicht tue?“, sagte Sherlock ruhig und Catherine drehte ihren Kopf zu ihm um. Mittlerweile saß er wieder auf der Couch, die Arme auf die Knie gestützt und sah sie einfach nur an.

„Doch wirst du…“, erwiderte sie leise und ließ die Schultern hängen. „Es ist wirklich miserabel…und das hohe, zweifachgestrichene F treffe ich nie…das willst du nicht hören, glaub es mir.“

Sie wandte den Blick ab und begann unruhig durch das Zimmer zu laufen. Sie wollte ihm seine Bitte nicht verwehren, doch ihre Angst vor der Offenbarung war einfach zu groß. Der innere Kampf ließ sie unruhig werden und wie um zu fliehen, lief sie auf und ab.

„Cath…bitte…“

„Oh, bitte kein Cath…“, stöhnte sie und legte den Kopf in den Nacken. Wenn er sie so nannte, mit seiner ruhigen, melodischen Stimme, dann wusste sie wie wichtig es ihm war. Er benutzte den Spitznamen nur, wenn er etwas wollte oder er ihr etwas Wichtiges sagen würde. Es klang immer so sanft, so liebevoll, wenn er sie Cath nannte, dass sie ihm nicht widerstehen konnte und das wurmte sie. Seit sie sich näher denn je waren, wusste Sherlock umso besser wie er sie manipulieren konnte. Sie sah ihn an und bemerkte wie gern er es wissen würde. Seine Augen sahen sie bittend an und der sonst so ruhige Gesichtsausdruck war verschwunden. Es lag beinahe ein leises Flehen ihn ihnen.

„Warum ist es dir so wichtig?“

„Weil ich vorhin gelogen habe.“, antwortete er zu ihrer Überraschung und sie sah ihn fassungslos an.

„Wie meinst du das?“

„Ich würde auch gern wissen, was das zwischen uns ist.“ Sherlock blickte sie aus seinen tiefen Augen an. „Und ich würde gern verstehen, warum du all das für mich getan hast. Wir beide wissen, dass Musik etwas transportiert, was man nicht bedenkt.“

Sein Geständnis traf sie hart und ihr blieb die Luft weg. Sherlock war es wirklich ernst und dass er so darauf pochte, zeigte das nur umso deutlicher. Dennoch…Catherine wandte den Kopf ab und biss sich auf die Lippen…sie konnte es nicht. So gut sie sich mittlerweile mit Sherlock verstand, sie traute sich nicht. Es war immerhin Sherlock mit dem sie ihr sprach. Auch wenn er sich verändert hatte, er war noch immer Sherlock.

„Tut mir leid, Sherlock…“, flüsterte sie leise. „…aber ich kann nicht. Ich kann einfach nicht…“

„Catherine…bitte…ich möchte es einfach nur verstehen…“ Seine Stimme klang nun wirklich bittend.

„Sherlock…“

„Catherine…“, versuchte er es noch einmal. „Bitte!“

Catherine blieb auf dem Fleck stehen, auf dem sie bis gerade gestanden hatte, schwieg einige Zeit. In ihr kämpften zwei Dränge und sie wusste einfach nicht, was sie tun sollte.

„Cath…“

Sie holte tief Luft, schlang die Arme um sich aber schwieg. Gerade, als Sherlock aufgeben und ihren Wunsch akzeptieren wollten, sanken ihre Schultern herab. Leise begann sie zu singen:
 

Du allein warst mein Beschützer

Inhalt meines Lebens.

Du warst mir ein Freund und Vater,

Jetzt ruf ich vergebens.

Könntest du doch wieder, bei mir sein

Seit du fort bist leb ich kaum.

Oft schien es mir, ich wär bei dir

Doch es war nur ein Traum.

Deine Stimme Klang fehlt mir so sehr,

Früher warst du doch so nah.

Träumen allein hilft mir nicht zu sein,

Wie mich dein Ehrgeiz sah.

Kreuze, Moos und Friedhofsengel,

Steinern, stumm und schmerzlich.

Wie bist du hierher geraten?

Du warst weich und herzlich

Wie lang muss ich weinen um dich?

Kann ich mich nie befrein?

Könntest du doch wieder bei mir sein

Mich verstehn und mich befrein ...

Nimm was zerrann und gib mir dann

Kraft um allein zu sein.

Keine Tränen mehr, keine Bitterkeit,

Keine Trauer um längst verlor`ne Zeit.

Hilf mir stark zu sein!

Hilf mir stark zu sein!


 

Ihre Stimme war zu nächst leise, vorsichtig. Sie sah auch Sherlock dabei kein einziges Mal an, doch während sie sang, wurde ihre Stimme immer kräftiger, denn die Worte mussten einfach heraus. Es sprudelte quasi aus ihr heraus. Dennoch kam ihre Stimme nie über ein kleines Flüstern heraus, war ein leises Flehen, spiegelte all den Schmerz wieder, den sie empfunden hatte. Es war der Ruf ihres Herzens.

Sie atmete tief aus und drehte sich ein wenig zitternd um. Ihr Herz raste, als sie langsam den Kopf hob um Sherlock anzusehen. Der Blick, der ihr entgegen kam, raubte ihr den Atem. Seine Augen waren weit aufgerissen, Fassungslosigkeit, Überraschung sprudelten ihr entgegen und da hielt es Catherine nicht mehr aus. Sie schnappte sich ihre Jacke, ihre Tasche und lief davon. Es war zu viel, einfach zu viel. Sie war schlicht überfordert.

„Catherine!“, rief Sherlock ihr noch hinter her, doch sie rannte bereits die Treppe runter. Sie fürchtete sich vor seiner Reaktion, war überfordert von dem, was sie ihm offenbart hatte. Sherlock bedeutete ihr viel, sehr viel, doch sie hatte Angst. Ihr Herz raste, als sie durch die Eingangstür rannte und in ihrer Wohnung verschwand.

Verdammt! Diese Worte waren doch nie für seine Ohren bestimmt gewesen, doch sie hatte sich ihm nicht mehr verweigern können. Ihr Leben gehörte John und Sherlock und sie würde alles tun, worum sie sie baten, das war ihr nun klar geworden. Aber sie konnte ihm nicht so viel bedeuten wie er ihr, das ging einfach nicht. Schließlich war es Sherlock, der noch bis vor kurzem Gefühle verabscheut hatte und dann eröffnet sie ihm, dass sie ohne ihn nicht mehr konnte.

Catherine öffnete die Tür ihrer Wohnung und ließ sich aufs Sofa fallen, zog die Beine an und starrte an die Wand. Sie hatte nicht gewusst, was sie nach dem Lied hatte sagen sollen und diese angespannte Spannung hatte sie nicht mehr ausgehalten. Sie hatte einfach nicht hören wollen, was Sherlock dazu sagen würde. Irgendwie hatte sie sogar geglaubt, dass er Lachen würde, aber seine Überforderung, hatte sie überfordert und sie hatte Angst, dass sie mit diesem Lied alles zerstört hatte. Was, wenn das zu viel Zuneigung für Sherlock gewesen war?

Aussprache

29. Kapitel: Aussprache
 

Catherine saß auch am nächsten Tag noch auf der Couch und starrte stumm an die Wand. Ihr Herz raste zwar mittlerweile nicht mehr, doch sie wusste noch immer nicht wie sie die nun bestehende Situation bewerten sollte.

Auch wenn sie mit Sherlock über sehr ernste Themen gesprochen hatte, war es doch schön gewesen. Sie hatte es genossen mit ihm auf der Couch zu sitzen und einfach mit ihm zu reden. Sie waren so vertraut gewesen, die Stimmung harmonisch gewesen und dann war es ausgerechnet in die Richtung abgedriftet, die Catherine immer hatte vermeiden wollen. Zwar hatte sie stets bereut, dass sie Sherlock nie gesagt hatte wie sehr sie ihn schätzte, hatte sich schlecht gefühlt, weil sie ihn wohl doch nicht so sehr vertraut hatte wie sie lange gemeint hatte und doch…dieses Lied war zu intim gewesen. Auch wenn es perfekt ihre Gefühlslage wiedergespiegelt hatte, so hatte es sie verschreckt.

Verdammt! Warum hatte sie sich nur hinreißen lassen? Sie hatte sich doch wohl gefühlt, hatte es genossen und dann hatte sie sich hinreißen lassen. Dumme Catherine! Dumme, dumme Catherine. Es war Sherlock und kein normaler Mensch, der neben ihr gesessen hatte. Da hatte sie doch nicht Dinge tun können, die sie von einem normalen Menschen erwartet hatte. Natürlich hatte ihn das Lied nur verwirrt, überfordert, doch das hatte sie nicht bedacht. Tja, und was war nun die Folge? Sie hatte alles ruiniert.

Catherine seufzte und beschloss erst einmal ihre mittlerweile steifen Gliedmaßen zu strecken. Danach stand sie auf und ging in die Küche um sich einen Tee zu kochen. Man, wenn das so weiterging würde das stumm auf dem Sofa sitzen zu einem Dauerzustand werden. Schließlich hatte sie das während der drei Jahre häufig getan.

Sie gähnte, als sie vor dem dampfenden Teekessel stand und fuhr sich durch die Haare. Der Stand der Sonne verriet ihr, dass es bereits Nachmittag war. Wieder einmal hatte sie eine Nacht in ihrer Gedankenwelt verbracht ohne es richtig gemerkt zu haben.

Das helle Läuten ihrer Türklingel riss sie aus ihren Gedanken. Catherine stellte den Wasserkocher ab und ging zur Tür. Sie wusste bereits wer auf der anderen Seite stand. Sherlock, wenn er denn überhaupt noch rüber käme, würde sicher nicht klingen, also konnte es sich nur um John handeln.

Ihre Vermutung bestätigte sich, als sie die Tür öffnete.

John stand vor ihr im Türrahmen und blickte sie an. Seine Jacke war von einem nachmittäglichen Schauer, der London überzogen hatte, feucht und Matsch war an der rechten Seite seiner Cordhose zu sehen. Da war wohl ein Autofahrer gemeinerweise durch eine Pfütze gefahren.

„John.“, grüßte sie ihn betont im normal, fröhlichen Ton, doch natürlich ahnte sie bereits längst, warum er hier war. Es ging ihm sicherlich um gestern. John bemerkte viel mehr, als er oft zeigte und ein sich seltsam verhaltender Sherlock war ihm sicher nicht entgangen.

„Catherine, hallo.“ Er lächelte, doch der ernste Ausdruck in seinen Augen blieb. „Kann ich reinkommen?“

„Ja, sicher.“, sagte Catherine ruhig und trat beiseite um ihm Einlass zu gewähren. Er nickte dankbar und trat ein, während er im Vorbeigehen seine Jacke an die Garderobe hängte.

Catherine hingegen schloss die Tür und folgte ihm.

„Ich habe gerade Tee gekocht. Möchtest du auch eine Tasse? Ist ja doch ziemlich ungemütlich draußen und das Mitten im Juni.“

„Das ist London, Catherine. Schon vergessen?“ John schmunzelte und setzte sich an den Tisch. „Aber ich hätte gerne einen Tee.“

Sie nickte, streckte sich und holte zwei Tassen aus dem Küchenschrank, dann goss sie das leicht honigfarbene Gebräu ein und stellte eine vor John ab. Dieser bedankte sich höflich, rührte ein wenig gedankenverloren darin herum, doch er ließ sie kein einziges Mal wirklich aus den Augen. Catherine spürte wie sich ein Unbehagen in ihr ausbreitete und sie unruhig, unter seinem nachdenklichen Blick, auf dem Stuhl hin und her rutschen begann.

„Wie war es auf der Arbeit?“, versuchte sie mit einem möglichst unverfänglich Thema der unbehaglichen Situation zu entkommen.

„Ganz gut, aber stressig.“, antwortete John ruhig und nahm einen Schluck. Noch immer zogen sich tiefe Falten durch seine Stirn und er musterte jede Regung, jedes Zeichen ihrer Körpersprache genau. Verdammt! Er hatte wirklich zu viel von Sherlock gelernt.

„Ist es das im Arztdasein jemals nicht?“, lächelte sie und stand auf. Zu einem, damit John nicht bemerkte wie nervös sie war wegen dem Thema, was unweigerlich noch kommen würde, und zweitens, weil sie gerade den unheimlichen Drang nach Knabbereien verspürte.

Er lachte und zumindest das klang nicht gestellt.

„Es soll vorkommen, aber das ist bisher nichts weiter als eine Legende.“

Catherine lächelte und stellte eine Dose Kekse und Cupcakes vor ihnen auf den Tisch. Er blickte sie fragend an und sie schob die Dose mit einer auffordernden Bewegung auf ihn zu. Kurz sah er in die Dose, konnte dann aber dem herrlichen Duft nicht mehr widerstehen. John nahm sich einen mit Zuckerguss überzogenen Cupcake und aß ihn genüsslich. Catherine war nicht so dumm zu glauben, dass er über einem leckeren Schokotörtchen vergessen würde, weshalb er hier sei. Auch wenn es wirklich außergewöhnlich gute waren.

Unruhig nippte sie an der Tasse und warte nur noch darauf, dass John zum K.O. Stoß ansetzte und dieser ließ nicht lange auf sich warten. John wusste, dass man Catherine keine Galgenfrist geben durfte, sonst fand sie eine Möglichkeit ihr zu entschlüpfen- wie ein windiger Aal.

„Was ist gestern zwischen Sherlock und dir vorgefallen, Catherine?“, fragte John ruhig, stützte seinen Kopf auf die Hände und blinzelte sie nachdenklich an. Sie hingegen beschloss auf ahnungslos zu tun.

„Wie kommst du denn auf die Idee, dass etwas vorgefallen ist, John?“

„In Verheimlichen bist du wirklich schlecht.“ Er schmunzelte, doch noch immer blieb sein Gesicht wie gemeißelt.

„Ich verheimliche doch nichts.“, sagte sie empört und kräuselte die Nase- unbewusst so wie Sherlock es immer tat. „Wie kommst du nur auf diese absurde Idee?“

John schnaubte und zog eine Augenbraue hoch.

„Also bitte, Catherine. Wo soll ich anfangen?“ Er schnaubte noch einmal und warf ihr einem Blick zu, der diese schmerzhafte Mischung aus Missmut und Enttäuschung in sich hatte. Augenblicklich schnürte sich ihr Hals zu und es schien als würde ihr Herz kurz aufhören zu schlagen. Noch immer war sie das junge Mädchen, das sich schämte, sobald sie von ihrem Vater gerügt wurde. Catherine hasste nicht viele Dinge, doch eines davon war die Erwartungen nicht zu erfüllen oder Menschen zu enttäuschen- besonders wenn diese ihr wichtig waren.

„Damit hätten wir Hinweis Nummer eins. Du fühlst dich offensichtlich schuldig. Willst du es mir direkt sagen oder soll ich die Liste fortführen?“ Ihr Kopf ruckte nach oben und sie sah ihn überrascht an.

John hingegen hielt seelenruhig seinen Cupcake in der Hand und zupfte sich ein Stück ab, schob es sich in den Mund. Sie blinzelte und seufzte, fuhr sich wie so oft durch die Haare.

Er verstand wirklich in ihr zu lesen und Catherine wusste auch, dass er sie nicht verurteilen würde oder sie gar auslachen, aber dennoch konnte sie es ihm nicht sagen. Es war zu privat und sie schämte sich zu sehr. Wie sollte sie John nur erklären was gestern vorgefallen war? In diesem Zeitpunkt wusste sie es nicht. Unglücklicherweise, kam nun auch noch diese bohrende, gemein Frage in ihrem Kopf zurück, die sie sich in letzter Zeit öfters gestellt hatte. Wenn sie darüber nicht mit John reden konnte, vertraute sie ihm dann überhaupt? Catherine war sich dessen sicher, hatte eigentlich nie daran gezweifelt und doch begann sie nun an ihren eigenen Absichten und Gefühlen zu zweifeln. Vielleicht war sie doch nicht so loyal wie sonst immer dachte.

Sie musste John wohl verzweifelt angesehen haben, denn er seufzte leise, schloss kurz die Augen und als er sie wieder öffnete, war die Enttäuschung noch immer nicht verschwunden.

„Gut…du willst das Spiel also noch weiter spielen. Dann werde ich fortfahren…“ Er nahm noch einen Bissen und durchdrang sie mit seinem Blick. Bisher, so hatte sie zumindest das Gefühl, hatte John sie nie aus den Augen gelassen. In diesem Moment war es Catherine nicht recht, dass John Menschen so gut verstand. Er war in der Hinsicht ein Genie, in der Sherlock es nie sein würde. Die beiden ergänzten sich einfach perfekt.

Es war ja nicht so, dass sie John nicht schätzte. Dieser Eindruck wär ein gänzlich falscher. An sich könnte ihr Verhältnis nicht besser sein, auch wenn sie vielleicht wirklich eins jenseits von Sherlocks Welt entwickeln mussten. Da er aber nun einmal ein sehr einnehmendes Wesen war, war dies vielleicht auch gar nicht von Nöten.

Das einzige was gerade eine gewisse Angespanntheit mit sich brachte, war Catherine selbst und all dieses Nachdenken über die Beziehung zu Sherlock, John und auch wer sie denn wirklich war. All das verwirrte sie. Instinktiv wusste sie, dass sie wieder einmal an der Schwelle zu einer Entwicklung ihres Charakters stand. Sherlock Rückkehr bot ihr nun die Möglichkeit wieder ein neues Leben zu führen, einen neuen Weg zu wählen und sie musste entscheiden ob sie das wollte. Ihre Persönlichkeit würde sich dann noch weiter festigen.

Noch einmal blickte Catherine John an, der bisher noch immer nichts gesagt hatte. Offensichtlich wartete er auf eine Reaktion von ihr, versuchte zu ergründen, ob sie nicht doch einbrechen würde, doch sie blieb eisern.

So sehr sie John auch schätzte, sie hasste es, dass er das Bedürfnis hatte jedes emotionale Problem, was er an ihr entdeckte, direkt anzusprechen. Manchmal wünschte Catherine sich einfach, dass er es erst einmal ruhen lassen würde, doch vermutlich tat er dies nicht, weil er wusste was passieren konnte, wenn psychische Probleme brach lagen. Oder aber er glaubte, dass ihre Seele instabil auf Grund der immensen Belastung war, die sie hatte ertragen müssen. Auch wusste sie, dass John sich noch immer Vorwürfe machte, dass er in den drei Jahren nicht für sie da gewesen war. Ein ums andere Mal hatten sie darüber geredet und würden es sicher auch noch einige Male tun. John verabscheute sich mittlerweile dafür wie sehr er sich eingeigelt hatte und Catherine hatte dies bisher noch nicht zerstreuen können.

Was auch immer der Grund war, er würde nicht nachgeben- ebenso wenig wie Catherine. Was mussten sie auch beide Widder vom Sternzeichen her sein? Nicht, dass sie daran glaubten, doch es symbolisierte ihre Starrköpigkeitskämpfe sehr gut. Keiner von ihnen war bereit zu weichen und beide waren auf ihre ganz eigene Art stur.

„Also gut, dann fahre ich fort. Du hattest mir gestern versprochen einzukaufen und wolltest sogar kochen. Als ich jedoch nach Hause kam, da warst du nicht da, nichts gekocht und die Lebensmittel waren noch nicht einmal eingeräumt. Das Eis war schon längst gen Süden geflossen.“

Catherine sah ihn an und zuckte mit den Schultern, verbarg damit, dass sie die Lebensmittel völlig vergessen hatte.

„Wir hatten einer unserer üblichen Auseinandersetzungen, John. Am Ende hatte ich genug von Sherlock und bin abgehauen. Dass ich die Lebensmittel vergessen habe, tut mir wirklich leid.“ Sie setzte ihr charmantes, entschuldigendes Lächeln auf was sie hatte.

„Das würde ich sogar glatt glauben unter normalen Umständen, aber gestern lagen die nicht vor.“

Catherine blinzelte irritiert und sah ihn verwirrt an.

„Wie meinst du das, John?“

„Nehmen wir mal an es wäre einer eurer typischen Kleinkriege gewesen, dann wäre Sherlock aufgebracht durch die Wohnung gerannt oder hätte geschmollt. Keines vom beiden war der Fall gewesen.“

„Was dann?“

„Als ich nach Hause kam, da saß er auf der Couch und schaute ins Nichts. Er war nicht aufgebracht oder ähnliches…er schien….nun…“ Er wedelte kurz mit der Hand. „Ich würde sagen er war überfordert.“

Catherine verharrte auf ihren Platz, nahm sich einen Cupcake und nahm einige Bissen zu sich. Noch immer starrte John sie an, wartete. Vermutlich erwartete er, dass Catherine auf das überfordert reagieren würde, doch sie kam ihm kein Stück entgegen.

Einige Augenblicke sahen sie sich einfach an, dann seufzte John resignierend und fuhr fort:

„Es gibt eine Sache, die ich dir nie erzählt habe, Catherine, aber Sherlock fragt mich jeden Morgen wann du denn herüber kommst.“

Nun hatte er doch sein Ziel erreicht. Catherine sah John überrascht und blinzelte mehrmals irritiert, während ihr Herz sogar ein wenig schneller zu schlagen begann.

„Er tut was?“

„Jedes Mal wenn ich zur Arbeit aufbreche, fragt er mich, wann du kommst. Vermutlich, damit er weiß wie lange er sich langweilen muss. Und nun rate mal, Catherine. Ausgerechnet heute fragt er mich nicht. Er geht also davon aus, dass du heute nicht kommen wirst. Deshalb frage ich: warum tut er das?“

Abwartend blickte John sie an und nun wusste Catherine, dass sie keine Chance mehr hatte sich aus dieser Situation zu entwinden. Die begebenen Tatsachen waren zu eindeutig und John kannte sie zu gut, als dass er ihre Ausreden glauben würde.

Unruhig stand Catherine auf, denn sie wusste längst, dass sie geschlagen war, doch eigentlich wollte sie noch nicht offenbaren was passiert war. Sie wanderte im Wohnzimmer auf und ab, lief um ihren kleinen Glastisch herum, die Arme hinterm Rücken verschränkt. John beobachtet Catherine bei ihrem inneren Kampf, schwieg allerdings, da er wusste, dass er gewonnen hatte. Die junge Frau vertraute und schätzte ihn zu sehr, als dass sie es ihm nicht erzählen würde. Würde er sie jetzt allerdings darauf ansprechen, könnte er sie verschrecken und das Problem wäre noch nicht aus der Welt geschafft. Um Sherlocks und ihrer Willen musste er nun vorsichtig sein.

Nach gut zwei Minuten blieb sie schließlich stehen und kaute unbehaglich auf ihrer Unterlippe herum. Die Anspannung war deutlich an ihrer Körpersprache abzulesen.

„Catherine…“, sagte er ruhig und wohlgesonnen, stand auf und folgte ihr ins Wohnzimmer. „Sag mir doch was passiert ist.“

Noch immer zögerte sie, kaute auf ihrer Unterlippe und fuhr sich durch die Haare, bevor sie schließlich seufzte.

„Ich habe Mist gebaut, John. Einfach Mist gebaut.“, antwortete sie dann plötzlich und seufzte schwer, als sie diese Worte entließ.

„Mist gebaut?“, wiederholte er ungläubig und runzelte seine Stirn. „Das kann ich mir nicht vorstellen. Was soll das denn gewesen sein?“

„Ich habe es mir mit Sherlock verbockt.“ Catherine seufzte und ließ sich schon beinah so gekonnt theatralisch wie eben jener in die Couch fallen.

„Das glaube ich nicht.“, erwiderte John und ging in die Küche, nahm ihre Teetassen und nahm sie mit in das Wohnzimmer. Catherine lächelte schwach, als er die Tasse vor ihr abstellte und sich im Sessel ihr gegenüber niederließ.

„Doch…ich bin zu weit gegangen.“

„Und wie ich sagte, ich kann mir das nicht vorstellen.“ John blickte sie aus einem ernsten Gesichtsausdruck an. „Was hast du denn getan? Warst du wieder einmal frech? Hattet ihr eine Diskussion, die etwas ausgeartet ist?“

„Nein…“, murmelte sie und drückte ein Kissen ins Gesicht. „Ich wünschte es wäre so.“

John rollte mit den Augen. Er konnte sich wahrlich schwer vorstellen, dass Catherine etwas getan hätte, dass Sherlock derart verstimmt haben sollte wie sie es sich in düsteren Farben ausmalte. Dazu passte Sherlocks Verhalten wahrlich nicht, denn er war eher nachdenklich, abwesend gewesen und nicht abweisend oder gar empört.

„Was dann? Catherine, ich kann dir helfen.“

„Glaub ich nicht…Er will mich bestimmt nicht wieder sehen. Ich war zu emotional.“ Catherines helle, klare Stimme war kaum durch das Kissen zu verstehen. Sie wusste noch nicht einmal warum sie sich so sehr schämte, doch der Gedanke, dass sie ihr neu entstandenes Glück wieder zerstört haben könnte, belastete sie sehr. Das war auch der Grund warum sie die Nacht nicht hatte schlafen können.

„Catherine…“ John stand auf, kniete sich neben sie und strich ihr sanft durch das Haar, das unter dem Kissen hervorquoll und sich sogar teilweise auf den Boden ergoss. „Was auch immer du glaubst, er missachtet dich nicht. Sherlock mag dich zu sehr, als dass ein Fehler sich gleich in Ungnade gefallen lässt. Warum redest du nicht einfach von ihm?“

„Du hast ja keine Ahnung, John…“ Endlich nahm sie das Kissen von ihrem Gesicht und traurige, helle Augen sahen ihn an.

„Dann klär mich doch einfach mal auf und wir entwickeln zusammen eine Strategie.“

„Ich…habe gesungen.“, kam nach vielen langen Augenblicken schließlich eine schüchterne Antwort. John runzelte verwirrt die Stirn.

„Ich kann mir nun kaum vorstellen, dass du derart schlecht gesungen hast, Catherine. Du kannst doch gut singen.“

„Das ist auch eher nicht das Problem.“ Sie verzog das Gesicht und schüttelte leicht den Kopf, während sie an die Decke starrte.

„Was dann?“

„Der Text…er…ist…nun…“ Catherine zögerte erneut und wenn John nicht wüsste wie schwer alles werden konnte, wenn es um Sherlock ging- grad wenn es emotional war-, so würde er vielleicht ungeduldig werden. Doch John kannte das Problem nur zu gut, welches sich einem in dieser Situation stellte. Man dachte sehr viel, man zerdachte regelrecht die Situation bis man völlig verunsichert war und Catherine war schon immer ein Mädchen gewesen, dass jede Situation ins kleinste Detail durchdachte und analysierte. Solch eine Denkweise war aber manchmal in Bezug auf Sherlock schlichtweg fatal.

„War er sehr privat? Voller Zuneigung?“

Überrascht drehte Catherine ihren Kopf zu ihm um und blinzelte ihn an. John lächelte nur und strich ihr eine verirrte Haarsträhne aus dem Gesicht.

„Auch ich bemerke, dass du ihn magst, Catherine. Ich bin nicht blind.“ Er lächelte sie mit seinem typischen, wohlgesonnen Lächeln an. So sanft und warm, dass sie sich beinahe noch mehr schämte, dass sie es ihm einfach nicht gerade heraussagen konnte.

„Kennst du das Lied: ‚Könntest du doch wieder bei mir sein‘ aus dem Phantom der Oper?“

„Nein…“, sagte John langsam. „Aber ich ahne wohin das führt.“

Catherine stand auf und ging zu ihrem Schreibtisch, griff sich ihr Galaxy Tab Note und suchte den Songtext des Liedes für John heraus. Als sie ihn schließlich fand, reichte sie John das Pad und verkroch sich wieder auf der Couch.

Dieser nahm das weiße Gerät entgegen und las stirnrunzelnd den Text. Als er dann geendet hatte, holte er einmal tief Luft.

„Wie seid ihr denn darauf gekommen?“

„…über Umwege…“ Catherine seufzte und begann ihm die Geschichte zu erzählen. Zwar fühlte sie sich immer noch unwohl und hätte am liebsten das alles verdrängt, dennoch hatte John Recht, das musste sie leider zugeben. Sie musste das aus der Welt schaffen, damit ihr neues Leben nicht erst nach einer Woche wieder zu Bruch ging. Sie wusste nur einfach nicht wie.

„Das…nenn ich mal einen verrückten Abend.“ Er blinzelte sie an.

„Das war es wirklich.“

„Wieso passiert so etwas immer, wenn ich nicht da bin?“

„John!“, mahnte sie ihn und schnaubte.

„Du hast Recht, darum geht es jetzt nicht…“ Eine kurze Pause folgte. „Aber dennoch…das ist unfair!“

„JOHN!“ Sie lachte sogar ein wenig und warf ihm das Kissen gegen den Kopf. „Das ist nicht hilfreich. Außerdem glaubst wirklich, dass das gestern passiert wäre, wenn du da gewesen wärst?“

Sie schnaubte.

„Also bitte.“ Catherine rollte mit den Augen, doch mit diesem kleinen Spruch hatte John es tatsächlich geschafft, dass ihre Laune sich gebessert hatte. Als sie ihm in die Augen sah, bemerkte sie, dass das auch seine Intention gewesen war. Ein amüsiertes, zufriedenes Grinsen legte sich um seine Lippen.

Beide sahen sich nun an und nach einigen Augenblicken wurde die Atmosphäre ruhiger.

„Jetzt versteh ich auch warum er so abwesend war gestern. Er war von deinem Eingeständnis überfordert.“

„Das war ich auch. Ich hatte mir geschworen, dass er es niemals hört, aber wenn Sherlock schon bitte sagt…“

„Dann gehorcht man.“

„Exakt.“

„Und was gedenkst du nun zu tun?“, fragte er sie, während er aufstand und sich zu ihr auf die Couch setzte. „Willst du ihm aus dem Weg gehen? Das wird dir wohl kaum gelingen.“

„Ich weiß es doch auch nicht, John. Ich weiß es doch auch nicht.“ Ihre Stimme bekam einen verzweifelten Ton, setzte sich auf und blickte John hilflos an. Sie hatte wirklich keine Ahnung. Mit jedem normalen Menschen wäre die Situation nicht so kompliziert, doch Catherine konnte sich auch nicht ganz dem Gedanken entziehen, dass sie es vielleicht nur komplizierte indem sie einfach zu viel nachdachte. Vielleicht sollte sie sich bei Sherlock genauso angehen wie es bei normalen Menschen war. Aber Sherlock war nun mal nicht normal.

Catherine stöhnte und drückte das Kissen gegen ihre Brust. Sie war einfach ratlos und wusste nicht wie sie diese seltsame Situation angehen sollte.

„Ich glaube du machst dir zu sehr einen Kopf. Und ja, ich weiß, dass es hier um Sherlock geht…“ Kam er ihr zuvor, bevor sie noch etwas einwerfen konnte. Er seufzte leise und lächelte sie warm an. „Aber er ist auch kein Alien. Du machst dir nur einfach immer viel zu sehr einen Kopf.“

„Aber es ist Sherlock…Sherlock!“, erwiderte Catherine verzweifelte und wedelte wild mit den Händen, als wäre das die ultimative Antwort auf alles.

„Ich weiß, ich weiß. Aber mal ehrlich so kann es mit euch beiden nicht weitergehen.“, erklärte John und blickte sie nachdenklich an.

„Wie meinst du das, John?“ Catherine blinzelte und neigte den Kopf verwirrt.

„Sherlock ist dir wichtig.“, sagte John ernst und blickte sie durchbohrend an. Ihr Ausdruck wurde nun noch verwirrter. Sie verstand nicht warum John dies sagte, denn aus seinem Ton wurde klar, dass es eine Feststellung und nicht eine Frage war.

„Ja…das ist er.“, bestätigte sie dann nach einer kleinen Pause zögernd. „Aber das weißt du doch schon länger, also warum sagst du das?“

„Weil ich sicher gehen wollte, dass du dir dessen endlich bewusst bist.“ John rutschte näher an sie heran und sah ihr direkt in die Augen.

„Und warum?“

„Weißt du, es ist ziemlich anstrengend der Beobachter bei euch beiden zu sein?“ Noch immer blinzelte Catherine verwirrt und verstand nicht worauf John hinaus wollte.

„Ist das wirklich so schwer zu verstehen, Catherine?“ John seufzte und rieb sich über die Augenbrauen, doch sein verstehender Ausdruck blieb. „Was ich meine ist, dass man sieht wie ihr beide um einander herumtanzt. Ich wusste schon lange, dass ihr euch mögt, doch ihr wart beide zu stur es euch einzugestehen. Du wusstest schon seit Serbien, dass du Sherlock vertraust, dass du ihn magst und du wusstest auch, dass du ihm nicht egal bist und dennoch braucht ihr ewig, bis ihr es offen aussprecht. Ich hätte euch mehr als einmal gerne mit dem Kopf zusammengestoßen. Am Ende war ich kurz davor zu überlegen, ob ich Greg anrufe und mit ihm Wette wie lange ihr diesmal braucht.“

Er lachte leise, doch Catherine hörte, dass es durchaus nicht leicht für ihn gewesen war. Wohlgesinnung lag in seinem Blick, als er ihren Kopf anhob und doch war da etwas in seinem Lächeln, dass sie nicht vollends überzeugte. Schwermut würde sie es vielleicht nennen, doch sie war sich nicht sicher. Aber eines wurde ihr klar. Sie hätte nie vermutet wie sehr ihre eigene Unsicherheit in Bezug auf Sherlock auch John belastet hatte.

„Es tut mir leid…“, flüsterte sie leise und senkte wieder scheu den Blick.

„Schon in Ordnung. Es war nur wirklich schwer.“

„Warum hast du nie etwas gesagt?“

„Weil ihr mir doch nicht geglaubt hätte. Wie hast du denn reagiert, als ich das erste Mal gesagt habe, dass Sherlock dich mag?“, erwiderte John auf ihre Frage hin und hob eine Augenbraue.

„Ich habe gelacht.“, antwortete sie zerknirscht.

„Ich würde sagen, dass der Punkt am mich geht, oder?“

Catherine seufzte und nickte.

„Hör zu, Catherine.“, fuhr John sanft fort und nahm sie in die Arme. „Ich weiß, dass ihr beide nicht besonders gut in dieser Sache seid, aber du warst doch jetzt endlich wieder glücklich nach all der Zeit. Soll das wegen so etwas wieder kaputt gehen? Möchtest du das?“

Catherine schüttelte heftig den Kopf und versteckte ihn dann auf seiner Schulter.

„Natürlich nicht. Ihr seid alles für mich…dennoch weiß ich nicht wie ich das wieder gerade biegen soll.“, flüsterte sie leise und klammerte sich an ihn. Obwohl sie es nie zugeben würde, so war sie bei weitem nicht so selbstbewusst wie sie sich gab. In Wahrheit war sie gerade in Bezug auf Sherlock schnell verunsichert, fürchtete das Band wieder zu verlieren, was sie gerade zueinander aufbauten. Deshalb suchte sie Halt, versuchte irgendwo Sicherheit zu bekommen, doch wo in der Bakerstreet sollte man die finden? Das Leben im Kreis von 221B war von schließlich von Unstetigkeit geprägt. So etwas wie Sicherheit, Stetigkeit und Trost fand sie bloß in John, doch ihn wollte sie ihn nicht zu sehr belasten mit ihren Problemen wo er doch genug mit Sherlock zu erdulden hatte.

„Ich würde immer noch mit ihm reden. Ihr solltet euch aussprechen. Sherlock ist ebenso verunsichert wie du es bist und wenn ihr beide das nicht aus der Welt schafft, dann wird das immer zwischen euch stehen. Einerseits wirst du immer verunsichert sein, ob du ihn abgeschreckt hast und Sherlock wird nicht wissen wie er damit umgehen sollte. So etwas hat ihm schließlich noch keiner gesagt. Du darfst nicht vergessen, dass er vor uns keine Loyalität kannte.“, erklärte John ruhig und streichelte ihr sanft über den Rücken um sie zu beruhigen. Catherine schloss die Augen, ließ sich von Johns Wärme umfangen und dachte darüber einige Zeit nach.

„Du bist noch immer jung, Catherine, und auch wenn du sehr reif und weise für dein Alter bist, so merkt man doch manchmal, dass dir die Erfahrung fehlt.“ Sanft strich er durch ihr feines, weiches Haar, während er in ihr Ohr flüsterte. „Deshalb vertrau mir in der Sache.“

Catherine nickte und holte tief Luft.

„Du hast ja Recht, John. Ich sehe das ja ein, aber…“

„Du hat schlicht Angst vor seiner Reaktion.“

Catherine nickte hastig und biss sich unwohl auf die Unterlippe. John wusste, dass Sherlock ihrer beider Leben stark kontrollierte, auf den Kopf gestellt hatte und es wohl immer tun würde, weil sie beide ihn schätzten. Gerade die junge Frau würde es sicherlich ein ums andere Mal so vor eine Herausforderung stellen und sie wird überfordert sein, denn so gefestigt wie sie glaubte, war ihr Leben noch lange nicht. Gerade wo sie begann ihren Lebensstil zu ändern, könnte jede Kleinigkeit von Sherlock sie aus der Bahn werfen und John war sich bewusst, dass sie ihn dann brauchen würde.

„Das musst du nicht.“ Er löste sich sanft und lächelte freundlich. „Ich werde mitkommen uns als Moderator dabei bleiben. Und glaube mir: Alles wird gut.“

Familienleben der etwas anderen Art

Zwei Monate später war die Welt in der Bakerstreet wieder perfekt. Sherlocks Hausarrest war aufgehoben, er durfte endlich wieder Verbrecher jagen, John in lebensgefährliche Situationen bringen und Catherine ging seit einem Monat wieder zur Arbeit. Alles war so wie damals, bevor Sherlock die Bakerstreet verlassen hatte. Nur einige Kleinigkeiten erinnerten daran, dass drei Jahre lang nur Trauer geherrscht hatte.

Der Geist dieser Straße im Zentrum Londons war wieder zurückgekehrt. Sie erwachte erst wieder zum Leben, wo er nun wieder da war und alle in Atem hielt und doch war etwas wie Alltag eingekehrt. Lestrade kam regelmäßig vorbei um Sherlock Updates über die heikelsten Fälle zu geben, Mycroft nervte ihn mit Anrufen, die beiden stritten ständig, während Mrs. Hudson immer unangekündigt reinschneite.

Catherine und Sherlock hatten sich auch ausgesprochen und versöhnt. Unter Johns strenger Moderation hatte sie dem Detective erklärt, warum sich nachdem sie gesungen hatten, einfach abgehauen und ihn hatte stehen lassen. Wie sich später herausgestellt hatte, war es eben jenes Verhalten von ihr gewesen welches Sherlock den Abend so nachdenklich hatte werden lassen. Er hatte ihr erklärt, dass er mit allem möglichen Verhalten gerechnet hätte, aber nicht mit diesem und er hätte sich deshalb gefragt, ob er denn etwas falsch gemacht hätte. Catherine hatte daraufhin nur den Kopf geschüttelt, ein wenig gelacht und hatte sich dann neben ihn gesetzt um das endgültig aus der Welt zu schaffen. Beide hatten eingesehen, dass sie sich missverstanden hatten und dass von nun an so etwas direkt besprechen wollten, denn sonst würde jeder durch sein zu vieles Denken alles nur unnötig aufbauschen. Catherine hatte versprochen Sherlock nicht mehr vollkommen als gefühlskalten Psychopaten anzusehen und wollte demnächst versuchen ihm zumindest im gewissen Rahmen ihre Gefühle zu erklären und Sherlock wollte versuchen sie zu verstehen. Ob dies gelänge, würde nur die Zukunft zeigen.

Und es war gelungen. Zwar erzählte Catherine noch immer nicht alles von sich- das wär ja auch noch schöner-, doch wenn sie etwas wirklich sehr verunsicherte oder beschäftigte, dann sprach sie Sherlock darauf an und dieser versuchte dann sie zu verstehen.

Seitdem verlief das Leben miteinander sehr entspannt- na, zumindest anhand der Maßstäbe, die mit Sherlock Holmes messbar waren. Abenteuer und Alltag wechselten sich ab und jeder der beiden Genoss es in vollen Zügen.

In diesem Moment dominierte der Alltag. John surfte durch das Internet und checkte seine Mails, während Catherine wieder einmal in ihrer Lieblingsposition saß: Seitlich auf dem Sofa, den Kopf auf Sherlocks Schulter und eine Zeitschrift lesend, während Sherlock sich mit einem Buch befasste. Die beiden verbrachten die Zeit meistens so lesend, wenn John nicht da oder beschäftigt war. Immer wenn es ihnen möglich war, verbrachten alle drei Zeit zusammen. Sie waren wie eine kleine Familie. Eine seltsame Familie, aber wer wollte schon normal? Das wäre doch langweilig, wie Sherlock so schön sagte, und John gab zu, er hatte Recht. Er mochte keine Langeweile, er war das Adrenalin gewöhnt und er genoss es, wenn Sherlock und er wieder eine gefährliche Situation gemeistert hatten und sie dann mit einem Witz auflockerten.

„Was liest du denn da schon wieder, Catherine?“ Sherlock sah von seinem Buch auf und drehte seinen Kopf zu ihr um.

„Biologie Aktuell.“, antwortete sie ruhig und ließ ihre Beine baumeln. Sherlock runzelte die Stirn und sah sie an.

„Du nimmst dir auch wirklich nie frei von der Arbeit, oder?“

„Müsste dir irgendwie bekannt vorkommen, Sherlock.“, grinste sie ihn an und las weiter den Artikel über eine neue Art gefundene Bakterien, die extreme Temperaturschwankungen aushalten konnten. Sherlock lachte leise unter ihr und beobachtete sie einige Minuten. Catherine las sichtlich entspannt ihren wissenschaftlichen Artikel und ihre Augen glänzten dabei. In ihr lebte wirklich der Geist einer Wissenschaftlerin. Ihr Wissendurst war niemals gestillt und sobald es eine neue Entdeckung gab, war sie Feuer und Flamme, versuchte es zu verstehen und auch auf ihre Arbeit anzuwenden. Selbst jetzt wo sie Doktorandin war und längst nicht mehr hatte lernen müssen, hatte Sherlock sie schon öfter eingeschlafen über ihren Büchern wieder gefunden.

Kurz warf Sherlock einen Blick zur Uhr und stellte fest, dass es bereits 19 Uhr war. Der Tag war wirklich im Flug vergangen. Erst hatte er zusammen mit John einen Bankräuber überführt und danach hatten sie Catherine von der Arbeit abgeholt um mit ihr zusammen bei Angelos zu essen. So ein Tagesablauf kam bei ihnen häufiger vor als man vielleicht meinte, doch wann waren sie auch schon je normal gewesen?

Sherlock musste zugeben, dass er die junge Doktorandin mehr mochte, als er sich hatte eingestehen wollen. Er genoss ihre Streits, die Diskussion und sie zu nerven. Auch ihre Nähe und Art vermittelten ihm eine Art der Ruhe, die er sonst nur von John kannte. Dieser hatte ihm einmal gesagt, dass er sich wie ein Vater ihr gegenüber verhielt. Vermutlich hatte er es nur aus Spaß gesagt, denn dass Sherlock sich wie ein Vater verhielt war mehr als abstrus, Freundschaft überforderte ihn schon, doch ihm war mittlerweile klar, dass es sogar sein könnte. Er wollte Catherine beschützen. Nicht nur vor den Gefahren seines Berufes, sondern auch vor ihrem Umfeld. Dass sie sich nicht überarbeitete, vor falschen Männern und so weiter. In den kleinen Momenten, wo sie so wie jetzt, ihm vertraute und sich in seiner Nähe entspannten, gab ihm eine Ruhe, die er sonst nur von gelösten Fällen kannte. Er hätte nie gedacht, dass ein Mensch seine Nähe suchte ohne etwas dafür zu verlangen oder etwas damit bezweckte.

Plötzlich klingelte es und Sherlock wurde somit aus seinen Gedanken gerissen. Er blinzelte und neigte den Kopf. Länger als eine Sekunde und durchhaltend. Kein Klient. Jemand anders, doch wer? Lestrade oder Mycroft würden anrufen vorher und alle anderen waren hier.

„Oh, das müssen Kathy und Daniel sein.“, rief Catherine erfreut aus, legte die Zeitschrift auf Sherlocks Schoß, zog sich über die Armlehne und lief zur Tür. Die Absätze ihrer Stiefel klackerten auf dem Parkettboden, als sie in den Flur ging.

„Können sie kurz raufkommen? Ist ja doch ziemlich stürmisch draußen und ich muss noch mein Zeug zusammen suchen.“

„Ja, sicher. Schick sie rauf.“, antwortete John vom Schreibtisch aus und ließ den Blick schweifen. Die Wohnung sah einigermaßen aus und auch der Schädel war verschwunden, sodass die beiden nicht gleich vor Schreck fliehen würden. Sie wären nicht die ersten.

Seitdem Catherine wieder arbeitete hatte sich eine enge Freundschaft zwischen ihrer Arbeitskollegin und deren Verlobten entwickelt. Einmal die Woche trafen sich die beiden Frauen mindestens für einen Mädelsabend und heute hatte auch sich der Verlobte von Kathy angeschlossen. Sherlock wusste zwar wie Kathy aussah, schließlich war sie damals im Labor gewesen, als er wieder zurückgekehrt war, doch er hatte keine Ahnung wie sie war. Catherine hatte ihm erzählt, dass Kathy diejenige gewesen war, die sie in all der Zeit unterstützt hatte. Obwohl die beiden sich nie wirklich nahgestanden hatten, hatte Kathy doch immer ein offenes Ohr für die Probleme ihrer Arbeitskollegin gehabt und so hatte sich langsam ein Vertrauensverhältnis zwischen den beiden entwickelt. Als nun Catherine beschlossen hatte, offener zu werden und ein halbwegs normales Leben zu führen, schien es nur verständlich, dass sie zur Kathy eine Freundschaft aufgebaut hatte.

„Hey ihr Zwei! Kommt rauf!“, rief Catherine und ging dann wieder in die Wohnung zurück, klaubte sich ihren Mantel zusammen und hob ihre Mütze auf. Sherlock kam nicht drum herum zu bemerken, dass sich ihr Klamottenstil verändert hatte. Ihre Kleidung war nun figurbetonter, sie zeigte was sie hatte ohne billig dabei zu wirken. Auch fühlte sie sich in Röcken nicht mehr völlig unwohl, auch wenn sie Hosen doch stets bevorzugen würde. Insgesamt war sie selbstbewusster und fröhlicher geworden. Irgendwie schaffte sie den Spagat zwischen der normalen Welt einer 26-Jährigen und Sherlocks dunkler Untergrundwelt. Wie sie es hinbekam daran nicht zu zerbrechen, wusste Sherlock nicht, doch er war froh, dass sie es schaffte.

Es dauerte nur wenige Sekunden, da hörte Sherlock das hastige Tippeln von Pfennigabsätzen und Männerschuhe. Amüsierte Stimmen unterhielten sich im Flur und dann kamen die beiden in das Wohnzimmer. Sherlock hob den Blick und musterte sie kurz.

Kathy war eine zierliche Frau. Ihr Haar war mittlerweile feuerrot und mit einem modischen Undercut verfeinert. Große Ohrringe klapperten an ihren Ohren und sie trug trotz Londons rauen Wetters einen kurzen Rock und High Heels. Ihre grünen Augen blitzten lebensfroh und Sherlock konnte nichts anderes entdecken, was von Bedeutung wäre, oder was Catherine ihm noch nicht erzählt hatte. Sie war das Sinnbild der Lebensfreude. Sie strahlte, hielt die Hand ihres Verlobten und ging direkt zu Catherine, umarmte sie und hauchte ihr einen Kuss auf die Wange.

„Hi, Süße.“, grüßte sie ihre Arbeitskollegin mit einem fröhlich flötenden Ton und ließ sie dann los. „Können wir los? Wir sind spät dran.“

„Ja, gleich. Ich hol nur eben meine Sachen.“, antworte Catherine ebenso fröhlich und lief in die Küche. Kathy und Daniel blieben etwas unschlüssig im Zentrum stehen, ließen ihren Blick schweifen.

„Oh, hey, John.“, sagte die Rothaarige, als sie seinen Mitbewohner entdeckte und lächelte ihn freundlich an.

„Hallo, Kathy.“, erwiderte er den Gruß und lächelte ebenfalls kurz. „Wollt ihr vielleicht noch einen Kaffee?“ Kurz fragte sich Sherlock woher John Kathy kannte und warf ihm einen Blick zu. John schien es zu spüren, denn er blickte in Sherlocks Richtung. Kurz blinzelte der Arzt, deutete dann aber auf die Straße und dann zu Catherine. Es war eine ihrer Unterhaltungen über die Augen. Sie verstanden sich einfach blind. Offensichtlich hatte er Kathy mal auf der Straße gesehen, als sie mit Catherine zusammen unterwegs gewesen waren.

„Nein, danke. Wir müssen direkt los. Wir sind schon spät dran.“ Diesmal war Daniel derjenige der antwortete. Sherlock neigte den Kopf und sah den Mann an. Ein durchschnittstyp durch und durch. Kurzes, schwarzes Haar, kleine aber neugierige, braune Augen und keine dicke, aber auch keine Bodybuilderfigur. Er schien ein zuverlässiger Typ zu sein. Sherlock konnte auf die ersten Blicke keine versteckten Geheimnisse entdecken. Alles in allem waren die beiden Freunde, die Catherine vermutlich dort Halt gaben, wo John und er es nicht konnten. Sie lebten in einer normalen Welt und ein beschauliches Leben. Ihm persönlich wäre das zu langweilig und eintönig, doch die beiden schienen glücklich damit zu sein.

„In welchen Film wollt ihr denn?“, fragte John und legte seinen Kopf auf ihre gefalteten Hände.

„In Cloud Atlas.“, antworte Kathy, wieder einmal die Freundlichkeit in Person.

„Der Bruder war’s.“, sagte Sherlock ruhig von der Couch und las sein Buch weiter. Irritiert sahen Daniel und Kathy sich an. Auch John warf seinen Mitbewohner einem irritierten Blick zu. Da drang ein Lachen aus der Küche und Catherine kam mit einer Tasche bepackt zurück in das Wohnzimmer.

„Es handelt sich dabei nicht um einen Krimi, Sherlock.“, sagte sie sanft und sah ihn nur kopfschüttelnd an. Sherlock setzte sich gerade hin und zuckte mit den Schultern.

„Ein Teil schon, soweit ich es gelesen habe. Und die Wahrscheinlichkeit, dass es der Bruder war ist am höchsten. Die meisten Verbrechen sind männlich und aus dem nahen, familiären Umfeld und Geschwisterneid ist sehr verbreitet.“, erklärte er ruhig.

„Danke, damit hast du uns ein Sechstel des Films ruiniert.“, lachte sie.

„Sieh es positiv. Immerhin habt ihr noch fünf Teile, die euch überraschen können.“, erwiderte er grinsend und strich sich eine Locke aus dem Gesicht. Catherine rollte nur mit den Augen und lächelte ihn dann an. John kicherte ebenfalls, versuchte sich aber zusammenzureißen und bekam einen genervten Blick von Sherlock zugeworfen.

Catherine umarmte John und ging dann zu Sherlock, sah ihm einige Momente nur in die Augen. Dieser erwiderte ihren Blick, zog beide Augenbrauen hoch. Sie lehnte sich vor, gab ihm einen kurzen Kuss auf die Wange, was er mit einem Augenrollen kommentierte, und flüsterte:

„Lass Greg nicht zu lange schmoren und gib endlich deine Ergebnisse durch.“

„Woher weißt du, dass ich ihn schon gelöst habe?“, fragt er scheinheilig.

„Weil du hier seelenruhig der Herr der Ringe liest?“, antwortete sie grinsend.

„Touché.“, lachte Sherlock. Catherine lächelte und zog ihren Mantel an.

„Also, ich komm erst übermorgen wieder. Ich muss mal nach Jeffreys Grab sehen nach den stürmischen letzten Tagen.“, erklärte Catherine zum Abschied.

„Morgen ist sein Todestag, oder?“, fragte John vorsichtig und sah sie an. Catherine zuckte kurz zusammen, senkte ihren Kopf und nickte. Sie kämpfte gegen ihre Trauer, wollte sie doch einen schönen Abend mit ihren Freunden haben. Dann holte sie tief Luft, schüttelte kurz den Kopf um die trüben Gedanken zu verscheuchen. Sherlock hatte Jeffreys Mörder gefunden und sie hatte ihre Rache bekommen. Natürlich vermisste sie ihn schmerzlich sehr, doch es ließ sich nicht rückgängig machen und sie hatte in John und Sherlock zwei Menschen gefunden, bei denen sie sich genauso wohl fühlte.

Plötzlich spürte sie eine Hand auf ihrer Schulter und sie sah in Kathys aufmunternde, leuchtende Augen. Catherine nickte ihr kurz zu und lächelte. Auch Daniel klopfte ihr auf die Schulter.

„Also dann...macht’s gut und tut nichts, was ich nicht auch tun würde.“

„Wir sollen uns gegenseitig auf die Nerven gehen? Kein Problem, tun wir sowieso schon.“ Noch ehe Sherlock sich versah, hatte Catherine ihm ein Kissen ins Gesicht geworfen. John lachte laut, als er Sherlocks verdattertes Gesicht sah und Catherine grinste nur frech. Kathy und Daniel sahen nur irritiert hin und her.

„Das hätte ich auch mal machen sollen.“, gluckste der Arzt und Sherlock warf ihm einen beleidigten Blick zu. Sofort räusperte er sich wieder und versuchte sein Lachen zu verkneifen.

„Also, Catherine...wie konntest du nur?“

„Was? Du sagst oft genug selbst, dass du ‚Schlag mich!‘ hörst, sobald Sherlock den Mund aufmacht.“

„Schon...“, gab John zu. „Doch es gibt da ein Problem: Ich muss noch mit ihm leben.“

Sherlock schnaubte und wandte sich schmollend von den beiden ab. Catherine warf John nur einen Blick zu, der sagte: ‚Was ein Kleinkind.‘, ging dann zu ihm.

„Langweile dich nicht zu sehr, Sherlock. Ich hoffe sehr darauf, dass die Wand nicht noch mehr Löcher hat, wenn ich wieder komme.“ Sherlock seufzte, sah sie an und konnte dann ein Lachen nicht mehr verkneifen.

„Nun zieh schon ab, sonst muss ich euch noch mehr Teile verderben.“

„Bin schon weg!“, lachte Catherine und rannte zur Tür.

„Bis übermorgen.“

„Bye!“, riefen ihre beiden Väter ihr hinterher und endlich fiel die Tür ins Schloss.
 

~*~
 

Ein steifer Wind wehte in Catherines Gesicht, als sie die Tür von 221b schloss und kurz noch zum Fenster aufsah. Es war einfach ein verrückter Haufen.

„Ist das normal?“, fragte Kathy, als sie neben sie trat und sich ihre Kapuze ins Gesicht zog.

„Das war noch harmlos.“, lachte Catherine, während sie zu dritt auf dem Weg zum Kino machten. Die Straßen Londons waren wie leergefegt. Keine Gestalt lief durch den stürmischen Spätherbstabend. Die Metropole wirkte jetzt eher wie eine Geisterstad in einem alten Westernfilm.

„Sag mal, Catherine. War das wirklich er?“, fragte Daniel nach einigen Minuten, als sie die Hauptstraße erreichten.

„Was meinst du?“, fragte sie irritiert und warf Daniel einen Blick zu. Dieser zog sich seine Skimütze tiefer ins Gesicht, doch er erwiderte ihren Blick.

„War das wirklich der Sherlock Holmes?“ Catherine stockte und verengte ihre Augen zu kleinen Schlitzen, als sie gegen den scharfen Wind anlief. Ein Taxi wollten sie sich nicht nehmen. Das Kino war nur ein Kilometer von der Bakerstreet entfernt. Was sollte sie ihm nun sagen? Zwar war Sherlocks Ruf dank Mycroft wieder hergestellt, doch Catherine wusste nicht was Daniel damals vor drei Jahre mitbekommen hatte und was er von alledem gehalten hatte. Für Außenstehende hatten die Lügen von Moriarty natürlich logisch geklungen und er kannte Sherlock nicht. Wie sollte sie nun also auf diese Frage reagieren? Sie holte tief Luft und schloss die Augen. Nun musste sie entscheiden inwieweit sie Daniel vertraute.

Kathy wurde nun auch unruhig und sah zu ihrem Verlobten. Sie wusste auch nichts von der gesamten Situation. Catherine hatte zu Sherlocks Schutz nie ein Wort darüber verloren. Selbst als der Selbstmord des angeblichen Meisterdetektiv das Klatschthema Nummer eins gewesen war und ihre Arbeitskollegen sich die Mäuler zerrissen hatten, hatte sie geschwiegen, so schwer es ihr auch gefallen war. So sehr es sie auch geschmerzt hatte die ganze schmutzige Wäschen zu hören, wie sie ihn zerrissen und wie ein Monster darstellten, hatte sie nichts gesagt. Sie hatte von Anfang an gespürt, dass mehr hinter Sherlocks Tod stecke und sie wollte sein Leben schützen, indem sie nichts zum Besten gab. Wo auch immer das gerade stattfand.

Irgendwann hatte sie es dann aber nicht mehr ertragen und sie alle angeschrien. Niemand hatte eine Ahnung wovon sie sprachen, keiner von ihnen hatte Sherlock gekannt und sie konnte nicht mehr mitanhören wie sie über den Mann sprachen, den sie, trotz aller Widrigkeiten, sehr schätzen gelernt hatte. Nachdem sie Jeffrey verloren hatte, waren John und Sherlock ihr heilig geworden und sie konnte es nicht mehr ertragen wie John jeden Tag angefeindet wurde, nur weil er Sherlock als Freund gesehen hatte.

Daniel beobachtete Catherine noch immer, als sie ihn wieder ansah. Sein Blick erschien ihr nicht hinterhältig oder ähnliches, sondern er war einfach neugierig, doch sie beunruhigte die Richtung, in die sich das Gespräch entwickelte.

„Und wenn schon? Spielt das eine Rolle?“, sagte sie kalt und verschränkte unbewusst die Arme vor der Brust. Sie wollte die Situation abwehren. Endlich war alles wieder gut wie es war, doch Catherine hatte Angst etwas zu zerstören, wenn sie nun nicht bedächtig vorging.

„Ich bin nur neugierig.“, versicherte Daniel ihr schnell.

„Dan...“, fuhr Kathy sanft dazwischen und ergriff seinen Arm. „Das ist doch egal.“

Kathy schien zu spüren, dass ihrer besten Freundin das Thema nicht behagte und sie wollte sich nicht die Stimmung verhageln lassen. Natürlich erinnerte sie sich an die Szene im Labor vor etwas mehr als zwei Monaten und sie war nicht dumm. Vermutlich hatte Kathy längst eins und eins zusammengezählt und wusste, dass etwas hinter der Geschichte steckte. Schließlich hatte Kathy auch gewusst, dass es genau drei Jahre her gewesen war, seitdem sich Catherine nur noch mehr zurückgezogen hatte.

„Mich würde es aber interessieren, Kathy. Man hat so viel in den Zeitungen darüber gelesen.“, widersprach Daniel. Catherine biss ich auf die Unterlippe. Typisch Daniel. Er war so unbedarft. Zwar war er einer der freundlichsten und ruhigsten Menschen, die Catherine je kennengelernt hatte, doch er wusste nie wann man lieber nicht weiter nachfragte. Kathy versuchte dann immer ihn zu bremsen, da sie eine große Empathie besaß, doch seine Heiterkeit oder Neugierde war meist zu stark.

„Selbst wenn es so wäre, was würde das ändern?“

„Er ist es also.“, stellte Daniel fest und Catherine holte bebend Luft.

„Hör zu, Daniel. Ich mag dich, aber du mischst dich in Dinge ein, die dich nichts angehen.“ Ihre Augen sahen ihn mahnend an und Kathy seufzte.

„Ich mache mir nur Sorgen.“, verteidigte Daniel sich, blickte sie unsicher an. „Du bist meine Freundin und ich mache mir Gedanken. Schließlich ist dieser Mann ein Betrüger.“

„SHERLOCK IST KEIN BETRÜGER!“, schrie Catherine ihn an. Plötzlich drangen alle Gefühle der letzten Jahre zurück. All das Verlangen den Menschen die Wahrheit über Sherlock zu sagen, überflutete sie und kanalisierte sich gegenüber Daniel. Daniel war ihr Freund und müsste eigentlich in ihre Urteilskraft vertrauen, doch auch er beschimpfte ihn als Betrüger. Etwas, was sie nicht duldete. Ihre Augen wurden eiskalt, genauso wie das Wetter draußen.

Kathy und Daniel zuckten und wichen instinktiv vor der kalten Wut zurück, die Catherine ihnen entgegenwarf. Selbst die Luft schien sich durch ihre eisige Abscheu abzukühlen.

„A…aber, Catherine…“

„Wage es nicht auch nur ein Wort gegen ihn zu sagen, Daniel oder die Freundschaft ist hier sofort beendet.“, knurrte sie warnend und sie spürte wie sich ihre Nackenhaare aufstellten. Bei John und Sherlock verstand sie keinen Spaß. Nicht nach alldem was passiert war. Wütend stampfte sie mit ihrem Fuß auf und durchdrang Daniel mit ihrem Blick.

„Du hast ihn doch gesehen, Daniel! Sah er für dich aus wie ein verrückter Irrer auf der Suche nach Aufmerksamkeit? Der dafür einen Schauspieler engagiert um in den Tower und so einzubrechen?“, fuhr sie ihn an und deutete zurück auf die Bakerstreet. „Sherlock mag ja alles sein. Er ist manchmal ein arroganter Mistkerl, egoistisch, nervtötend und unglaublich anstrengend und vor allem ein Sarkast sondergleichen, aber er ist kein Lügner.“

Catherine holte bebend Luft, versuchte ihre vor Wut zitternde Stimme wieder zu beruhigen und vor allem versuchte sie, die Tränen zu unterdrücken.

„Das klingt nicht gerade förderlich für seinen Ruf.“

„Du kennst ihn doch überhaupt nicht.“, fuhr Kathy dazwischen, versuchte ihren Freund zurückzuhalten, doch Daniel war zu fixiert in seiner Vorstellung von Sherlock, als dass er auf sie reagieren würde.

Catherine schüttelte nur fassungslos den Kopf, ihr Mund vor stummen Entsetzten geöffnet.

„Ich dachte, du wärst mein Freund, Daniel.“

„Genau deshalb bin ich ja besorgt. Du hast schon genug durchgemacht. Ich möchte nicht, dass du noch einmal enttäuscht wirst.“ Seine braunen Augen sahen sie wirklich besorgt an, doch Catherine war zu entsetzt, dass einer ihrer engsten Freunde ihr nicht glaubte. „Niemand kann so brillant sein um nur anhand eines Schuhabdrucks herausfinden, wo die entführten Kinder waren.“

„Sherlock kann.“, sagte Catherine voller Überzeugung.

„Und was, wenn er sie vielleicht doch entführt hat? Habt ihr überhaupt mal daran gedacht?“ Daniel ging einen Schritt auf sie zu, packte ihre Arme und drückte sie fest. Catherine funkelte ihn wütend an, während ihre beste Freundin hilflos zwischen ihren Verlobten und ihr hin und hersah.

„Kathy…es tut mir leid, aber ich muss das jetzt tun.“ Catherines Stimme zitterte gefährlich, dann holte sie aus und schlug Daniel ins Gesicht. Überrascht taumelt dieser zurück und blickte sie aus großen Augen an.

„Niemand sagt so etwas über Sherlock. Niemand!“

„Du klingst als wärst du in ihn verknallt.“, sagte Daniel, als er sich wieder aufrichtete und sich die rotglühende Wange hielt.

„Oh ja, Daniel. Weil es zwischen Hass und Liebe nichts gibt, du Idiot. Das war’s, ich geh nach Hause. Schaut euch euren bescheuerten Film alleine an und komm erst zurück, wenn du wieder klar im Kopf bist.“ Damit hob sie die Hand und stapfte zurück nach Hause. Denn ihr zu Hause war mittlerweile die 221b Bakerstreet.

Deeskalation

Die Tür flog krachend auf, sodass Sherlock und John in ihren Beschäftigungen innehielten und aufsahen. Hereingestürmt kam eine vor Wut bebende Catherine Amell. Ihre blauen Augen funkelten zornig, ihre Hände waren zur Faust geballt und ihre Nasenflüge geweitet.

„Dieser dreckiger Mistkerl! Arschloch! Vollidiot! Man! Wie kann man nur so starrsinnig sein? Das gibt es doch nicht!“, fluchte sie, als sie an den völlig verwirrten Freunden vorbei marschierte und in der Küche verschwand. John warf Sherlock einen fragenden Blick zu, doch dieser hob nur die Schultern und schüttelte stumm mit dem Kopf. Keiner der beiden hatte eine Ahnung, warum Catherine so wütend war.

„Catherine…“, sprach John sie vorsichtig an und drehte sich im Sessel zu ihr um. „Was ist passiert?“

„Nichts ist passiert!“, knurrte sie, während sie durch die Küche wuselte und irgendetwas suchte.

„Das kannst du nun wirklich Niemanden weismachen.“, sagte Sherlock und rollte mit den Augen.

„Es ist aber so!“, fuhr sie an, verschmälerte die Augen und presste die Lippen zusammen. Er sah sie abschätzig an und zog eine Augenbraue hoch.

„Catherine…sag es einfach oder soll ich es herausfinden?“ Sie fuhr zu Sherlock herum und warf ihm einen eiskalten Blick zu.

„Verschon mich damit, Sherlock. Das Ganze ist sowieso deine verdammte schuld!“, schnauzte sie ihn an und schnaubte.

„Meine Schuld?“, fragte Sherlock nun wahrlich verwirrt nach.

„Ja, deine Schuld. Indirekt zumindest…ich…argh!“ Sie knallte die Kühlschranktür zu. „Das ist nicht stark genau. Ich brauch Alkohol!“

Wütend stapfte sie zurück in das Wohnzimmer und ging zielstrebig zu dem Schrank, wo er aufbewahrt wurde. Sie öffnete ihn und wollte die Scotch Flasche herauszuholen.

„Catherine!“, mahnte Sherlock und stand auf. „Stell die Flasche weg und rede endlich mit uns! Was ist passiert?“

Catherine hielt kurz inne und zögerte, schüttelte dann aber den Kopf. In ihrem Inneren fuhren die Gefühle Achterbahn. Sie wollte es nicht an Sherlock auslassen, wirklich nicht, aber sie musste es irgendwie rauslassen. Der Druck war zu groß und suchte sich irgendwo ein Ventil. Sie war nicht auf ihn wütend, es war ja auch gar nicht seine Schuld, aber an Daniel konnte sie es nicht auslassen.

„Das geht dich nichts an, Sherlock.“, sagte sie angesäuert und fischte sich dann den Scotch aus dem Glasschrank.

„Als ob mich das je interessiert hätte.“, sagte Sherlock grinsend, doch es verfehlte seine Wirkung. Catherine warf ihm einen vernichtenden Blick zu und zog ihre Stirn in tiefe Falten.

„Ich habe gerade nicht den Nerv für diese Spiele, Sherlock, also lass mich damit in Ruhe!“ Ihre Stimme zitterte vor Wut.

„Catherine, sag es doch einfach.“, versuchte John es in ruhigeren Ton und klappte seinen Laptop zu. Er betrachtete sie nachdenklich, während Catherine noch immer sichtlich vor Wut bebte.

„Erst ziehst du fröhlich pfeifend mit deinen Freunden in Richtung Kino, dann kommst du eine halbe Stunde wutentbrannt ins Wohnzimmer zurück und sagst auch noch, dass das alles meine Schuld wäre. Dann willst du auch noch Alkohol trinken, obwohl du dich diesem sonst konsequent entziehst? Da würde selbst Anderson stutzig werden.“

Sherlock kam langsam auf sie zu und betrachtete sie aus nachdenklichen Augen. Catherine spürte beinahe, dass er schon ahnte was passiert war, doch noch immer schäumte die Wut in ihr und richtete sich gegen jeden.

„Mir ist halt danach.“, keifte sie zurück und wollte sich gerade ein Glas einschütten, da packte Sherlock sie am Handgelenk.

„Sherlock!“, murrte Catherine wütend.

„Stell die Flasche weg!“, sagte Sherlock mit tiefer, grollender Stimme. „Sofort!“

„Du bist nicht mein Vater!“

„Wenn ich mich recht erinnere, sagtest du irgendwas von Ersatzvater, oder nicht? Also noch einmal: Stell die Flasche weg und sag uns, was los ist.“

Catherine knurrte ihn noch einmal an, doch Sherlock ließ nicht locker und sah sie mahnend an. Einige Augenblicke dauerte dieses Blickduell an, dann senkte sie den Blick, löste sich aus seiner Umklammerung, die er mittlerweile gelockert hatte. Sherlock löste seinen Griff und beobachtete wie die Wut augenblicklich aus ihren Köper wich und durch Verzweiflung ersetzt wurde.

„Es wird uns nie loslassen…“, murmelte sie nur, als sie erschöpft in den Sessel fallen ließ.

„Was wird uns nie loslassen?“, fragte Sherlock, nachdem er John angesehen hatte, der ebenfalls nur verständnislos dreingeblickt hatte. Der Schwarzhaarige stand auf und setzte sich in den Sessel ihr gegenüber, während John sich zu ihr umdrehte. Catherine seufzte und fuhr sich müde durch die Haare. Plötzlich wirkte sie traurig, verzweifelt und müde, als sie ihre beiden Ziehväter ansah.

„Die Nachwirkungen von Moriartys Spiel. Es wird niemals vorbei sein. Niemals…“, erklärte sie ominös und sie kaute an ihrer Unterlippe.

„Wovon redest du, Catherine?“, hakte John und blinzelte irritiert.

„Was hat Daniel gesagt?“

Sie schwieg auf Sherlocks Nachfrage hin.

„Cath, wenn du weiterhin schweigst, lässt sich das Problem nicht lösen.“, stellte Sherlock nüchtern fest und sah sie mit gerunzelter Stirn an.

„Da hat er Recht.“, pflichtete ihm nun auch John zu. Catherine seufzte und wusste, dass sie aufgeben musste. Ihr Ärger war schon längst verflogen und zurückgeblieben war die Verzweiflung.

„Sie vertrauen mir nicht. Es war zu geschickt…“, murmelte sie und begann ein wenig auf ihrer Unterlippe zu kauen.

„Um Himmels Willen, Catherine, hör auf dich so ominös auszudrücken und sag es uns endlich.“

„Daniel glaubt noch immer Moriartys Lügengeschichten.“, sagte Catherine nach einigen Momenten und sah dann Sherlock direkt an. „Er glaubt noch immer, du seist ein Betrüger.“

Sherlock blinzelte verwirrt. Er schien nicht zu verstehen, was genau denn daran bitte schön problematisch sei. Catherine seufzte schwer und begann zu berichten, was sich noch vor wenigen Stunden zugetragen hatte. Sie beschrieb das Gespräch, ihre Reaktion, den darauf folgenden Streit und die Ohrfeige.

Ihre beiden Ziehväter hörten ihr aufmerksam zu und unterbrachen sie nicht dabei, dennoch konnte sie an Sherlocks Falte zwischen den Augenbrauen erkennen, dass er noch immer nicht vollkommen verstand. John hingegen nickte verstehend, als sie geendet hatte.

„Wenn noch nicht einmal meine besten Freunde mir nglauben, wie sollen es dann der Rest der Welt? Wir werden nie mehr in Frieden leben. Auch wenn er jetzt tot ist, sein Spiel wird uns immer nachhängen.“

Gerade wollte Sherlock anmerken, ob das nicht ein wenig melodramatisch sei- und das ausgerechnet von ihm-, doch als er sie anblickte, bemerkte er ehrliche Trauer und Verzweiflung. Ihre Augen waren gesenkt und sie zog mit den Zähnen an ihrer Unterlippe. Da bemerkte Sherlock erst wie sehr es sie wirklich belastete und dass ihr vermeintlich bester Freund sie mit seinem Starrsinn verletzt hatte. Sie wirkte regelrecht zerknirscht auf Grund dessen, dass Niemand den Sherlock in ihm sah, den sie kannte- welcher auch immer das auch war. Sherlock wusste es nun wirklich nicht. Doch er wusste, dass er das so nicht stehen lassen konnte. Auch wenn es ihm egal war, was andere Menschen von ihm dachten- schließlich waren es nur gewöhnliche Menschen mit kleinen Gehirnen, nicht mehr als eine Sparleuchte-, so wollte er doch nicht, dass Catherine darunter litt. Nicht nach alldem, was sie für ihn auf sich genommen hatte. Da schuldete er es ihr doch wohl zumindest, dass er das wieder gerade bog.

Langsam stand er auf, zog sich seinen Mantel an und band sich den Schal um, dann verschwand er aus der Wohnung ohne ein weiteres Wort zu verlieren. Catherine und John blickten sich irritiert an. Keiner der beiden verstand warum er denn nun gegangen war.

„Interessiert es ihn wirklich so wenig?“, fragte Catherine traurig, als die Tür leise ins Schloss gefallen war. Beide interpretierten Sherlocks verschwinden gänzlich falsch und deuteten es als Desinteresse oder gar Genervtheit seinerseits.

John seufzte und rieb sich über die Augenbrauen.

„Das glaube ich nicht, obwohl ich das natürlich nicht genau sagen kann. Wenn es ihn wirklich nicht interessiert hätte, dann hätte er geschnauft oder sich beschwert.“

„Nicht, dass er zu Daniel geht.“, murmelte Catherine mehr im Scherz, doch plötzlich war es totenstill im Wohnzimmer und die beiden sahen sich mit einem unheilvollen Blick in den Augen an. Sie schluckten zeitgleich und plötzlich war ihnen klar, was Sherlock wirklich vorhatte.

„Oh…oh…“, sagte Catherine.

„Du glaubst also wirklich, dass er…“, fuhr John ihren Gedanken fort.

„Ja, ich glaube genau das.“, beantwortete Catherine die ungestellte Frage. Noch einmal sahen sich die beiden mittlerweile guten Freunde an, dann sprangen sie auf und rannten zur Tür hinaus.
 

~*~
 

Kathy blickte irritiert auf, als es Sturm an ihrer Tür klingelte. Sie erwartete keinen Besuch um diese Uhrzeit. Daniel blinzelte und drehte sich vom Computer ab, an dem er bis gerade gespielt hatte.

„Erwartest du Jemanden, Liebling?“, fragte er verwirrt. Kathy schüttelte den Kopf und zuckte mit den Schultern.

„Könntest du bitte aufmachen?“, fragte sie ihren Freund, als es erneut Sturm klingelte. „Ich habe mir gerade die Zehen lackiert.“

Sie wackelte demonstrativ mit den Zehen und lächelte Daniel an.

„Und ich bin gerade im Endkampf gegen den Arishok.“, moserte Daniel genervt und klemmte sich sein Headset um den Hals.

„Im Gegensatz zu mir kannst du aber Pause machen, Schatz.“

„Aber Kathy!“, bettelte er und sah sie aus großen, braunen Augen an. Die biologisch-technische Assistentin seufzte und rollte mit den Augen.

„Schon gut, schon gut, dafür darf ich aber gleich die Sims spielen.“, erwiderte sie und humpelte etwas umständlich- um ja nicht ihre sorgfältig aufgetragene Lackschicht zu gefährden- zur Tür um diese zu öffnen.

Als sie diese erreichte, hörte sie ein seltsames Klackern wie als wenn Metall gegen Metall stoßen würde. Irritiert runzelte Kathy die Stirn und lauschte noch einmal, doch das unangenehme Geräusch blieb. Unsicher öffnete die Tür und stand plötzlich Sherlock Holmes gegenüber. Verwundert ging sie ein Stück zurück und Sherlock nutzte diese „Schwäche“ um an Kathy vorbei zustürmen.

Auch ein zaghaftes „Mr. Holmes, was wollen Sie denn…“ seitens ihrer veranlasste ihn nicht seinen Angriff abzubrechen. Leicht gebeugt, so als wolle er mit dem Kopf voran etwas rammen, lief Sherlock ins Wohnzimmer- die Dietriche noch immer in der Hand- und fixierte Daniel.

„Du!“, schnaufte er erbost und seine eisblauen Augen durchdrangen ihn, ließen ihn an seinem Schreibtischstuhl einfrieren. Der Blick war voller Zorn und Verachtung, dass das Blut in den Adern zu stocken schien.

Sherlock ging auf ihn zu und baute mit seiner Körperhaltung so viel Bedrohung und Furchteinflößung wie nur möglich. Obwohl Daniel versuchen wollte ein ruhiges Bild zu wahren und sich möglichst unbeeindruckt zeigen, doch wenn Sherlocks Aura wahrlich vor Zorn waberte, dann konnte kaum Jemand die Maske behalten- Daniel jedenfalls konnte es nicht.

„Du kleiner mickriger Wurm glaubst also ich sei ein Betrüger?“, knurrte Sherlock verbissen und beugte sich über ihn. Daniel legte den Kopf in den Nacken und versuchte dem Blick standzuhalten. Sherlock hingegen verschmälerte seine Augen und blähte seine Nasenflügel.

„Ich…nun…“

„Ein Betrüger ja? Ein Schwindler? Ich?“

„Mr. Holmes…“, setzte nun Kathy an und versuchte ihn zu erreichen. Sie kannte Sherlock bereits gut genug um sich ein grobes Bild von ihm verschaffen zu können und sie war durchaus gut darin Menschen einzuschätzen.

Vor einem Monat, als sie bei Catherine übernachtet hatte und sie gerade um drei Uhr morgens endlich ins Bett gekommen waren, da war er in die Wohnung gestürmt. Natürlich hatte Kathy ihn sofort als den Mann wiedererkannt, der zwei Monate zuvor plötzlich im Labor gestanden hatte und dessen Anblick Catherine so irritiert und beinahe schon positiv verstört hatte. Kathy war gut darin. Sie war da und beobachtete, behielt Dinge um sie dann später zu benutzen.

Kathy wusste, dass Catherine und Mr. Holmes etwas verband und dieses Band war sehr stark, auch wenn beide es vielleicht noch nicht wussten oder eingestehen wollten.

An jenem Abend, als er sie weckte und sie über einige biologische Begebenheiten ausfragte, hatte auch Kathy das Fieber gepackt und sie hatte sich redlich beteiligt, hatte Theorien aufgestellt und Begebenheiten analysiert. Es hatte nicht lange gedauert, bis sie Sherlocks Intellekt erkannt hatte, aber auch seine Andersartigkeit, aber ihn umgab- nicht mehr als ein dünner, seidener Stoff- auch ein Hauch von Gefahr. Kathy scheute diese Kombination, mochte sie doch die Berechenbarkeit und zu wissen was kommen möge, wenn sie etwas tat, doch sie kannte Catherine gut genug um zu wissen, dass sie eben genau dieses hasste.

„Lassen Sie ab von Daniel. Er sorgt sich doch nur um Catherine.“, versuchte sie ihn abzubringen und ging einen Schritt auf sie zu. Sherlock drehte sich langsam zu ihr um, doch Wut glomm wie ein Feuer in seinen Augen, dann wandte er sich wieder ab und fixierte Daniel, der gleich ein wenig im Stuhl zusammensackte.

Kathy konnte es ihm nicht verübeln. In diesem Moment ging etwas sehr Bedrohliches von Mr. Holmes aus. Es war weder seine Stimme, noch seine Körperhaltung, es ging tiefer. Es war auch nicht animalisch und unglaublich schwer zu greifen, denn es sprach das Unterbewusstsein an und den Urinstinkt zu flüchten.

Langsam richtete er sich wieder auf- ruhig und fließend. Kathy wusste nicht genau woher, doch in diesem Moment kam er ihr vor wie eine Naturgewalt- unaufhaltsam und zerstörerisch.

„Mischen Sie sich nicht ein, Miss Raynolds.“ Er warf ihr nur einen kurzen Blick zu, doch er reichte um Kathy auf der Stelle gefrieren zu lassen.

„Nun zu dir.“ Der tiefe Bariton glitt ruhig vor sich hin, doch jeder wusste, dass stille Wasser tief und meist sehr trügerisch waren. Mit einem langen Schritt ging er wieder auf sein Opfer zu wie ein Panther, der wusste, dass er die Antilope in die Enge getrieben hatte. Nun hatte er genügend Zeit um sie ein wenig zappeln zu lassen und mit ihr zu spielen. Und wie Sherlock sich darauf freute mit ihm zu spielen.

„Du kleiner, unbedeutender Geist meinst also darüber urteilen zu können wessen ich im Stande bin? Du glaubst also klug genug zu sein um sicher sagen zu können, dass das nicht möglich ist?“ Sherlock legte die Stirn in tiefe Falten und durchbohrte Daniel wieder mit seinen eiskalten Augen.

„Niemand kann so etwas!“, erwiderte Daniel beharrlich und diesmal vermochte er Sherlocks stechenden Blick standzuhalten. Während Kathy hilflos zwischen ihrem Verlobten und dem Ziehvater ihrer besten Freundin hin und her sah und nach einer Lösung suchte, starrten sich die beiden Kontrahenten an. Würde Kathy es nicht besser wissen, so würde sie meinen, dass beide darum kämpften, wer zukünftig Catherine beschützen sollte. Ob Sherlock sie vor den Freunden beschützen sollte, die ihn kritisch betrachtete und somit vermeintlich falsche waren, oder aber ob Daniel derjenige sein würde, der Catherine vor Sherlock Holmes beschützen würde.

Kathy konnte die Sorge ihres Verlobten durchaus verstehen und nachvollziehen. Woher genau dieses Gefühl kam, vermochte sie nicht zu sagen- die Artikel in der Presse vor drei Jahren waren für dieses unwohle Gefühl nicht genug; und sie glaubte ihnen auch selten-, doch sie wusste, dass ein Leben an der Seite dieses berühmten Detektives gefährlich war. Vermutlich sogar lebensgefährlich und Daniel wollte sie nur bewahren. Auch wenn es vielleicht vorhin so herübergekommen war, er war wirklich nur besorgt, denn er mochte Catherine sehr.

Daniel war sehr sensible, feinfühlig und mitfühlend mit seinem gegenüber und auch er hatte drei Jahre lang beobachten müssen wie sie beinahe täglich unter ihrer Trauer zerbrach, wenn sie meinte, dass Niemand sie sehen oder wahrnehmen würde. Kathy und Daniel hatten sie aber gesehen, hatten ihre Trauer und Verzweiflung gesehen. Mehr als einmal hatten sie sie dabei beobachtet wie sie Reagenzgläser zu Boden geworfen um dann bitterlich zu weinen und am Labortisch herabzusinken. Sie beide waren es gewesen, die eben jene Spuren stets beseitigt hatten und sie gedeckt hatten ohne dass sie es je bemerkt hatte. Direkte Hilfe hätte Catherine zu jenem Zeitpunkt niemals angenommen, denn dafür war sie zu stolz. Also hatten Daniel und sie sie aus der Ferne beobachtet und im Stillen geholfen. Catherine wusste nicht wie viel sie gesehen hatten und das sollte sie auch nie.

„Niemand kann das?“, wiederholte Sherlock langsam und ruhig.

„Wirklich?“ Nun bekam seine Stimme doch etwas spöttisch und seine Mundwinkel zuckten seltsam.

„Nun gut, Daniel…“ Sherlock spuckte seinen Namen aus, als wäre er versehentlich verschluckte Säure. „Dann werde ich dir mal das Gegenteil beweisen. Nur welches Opfer könnte ich nehmen? Hmmm…Irgendwelche Freiwillige?“

Sherlock drehte sich einmal um seine eigene Achse.

„Nein? Nun gut wie wäre es dann mit dir?“ Er fixierte wieder Daniel, der kaum merklich schluckte.

„Sherlock!“, drangen zwei Stimmen aus dem Flur und es waren mehrere hastige Schritte zu hören. Kathy atmete erleichtert aus. Die angespannte, elektrisierende Stimmung würde sich nun verflüchtigen…oder gar verschlimmern.

Catherine und John kamen ins Zimmer gerannt und verharrten im Zentrum. Sherlock ignorierte sie jedoch, fraglich, ob er sie überhaupt wahrgenommen hatte. Er blieb strikt auf Daniel fixiert.

„Sherlock! Hör auf! Tu das nicht!“ Catherine lief auf ihn zu und stellte sich vor ihren Freund, schirmte ihn ab wie eine Mauer. Nun erst realisierte Sherlock, das sie soeben angekommen waren. John trat neben Kathy, frage ob alles in Ordnung sei, ließ aber seinen besten Freund nicht aus den Augen.

„Er hat es nicht anders verdient!“, erwiderte Sherlock mit gefährlich ruhiger Stimme.

„Nicht anders verdient?“, ereiferte sich nun Daniel, der sich so nicht weiter behandeln lassen wollte. „Nur weil ich Catherine beschützen will!“

„Daniel, halt dich zurück. Du weißt nicht womit du spielst!“ Catherine sah ihn kurz an und wandte sich dann Sherlock zu.

„Lass ihn doch, Cath. Du siehst doch, er will in sein Verderben laufen.“

„Das reicht, Sherlock! Du wirst das nicht tun. Er wird damit nicht umgehen können.“ Sie sah ihn hart an.

„Du weißt gar nicht womit ich umgehen kann, Catherine!“ Daniel sprang auf, drückte sie beiseite und baute sich vor Sherlock auf. Sherlock rollte nur mit den Augen. Toll, Primaten Dominanzverhalten. Er hätte gedacht, dass Catherine sich reifere Freunde suchen würde.

„Und du weißt nicht worauf du dich einlässt. Ich frage mich wie Leute wie du und Anderson…“

„Sherlock!“, warnte John ihn und blickte ihn ernst an. „Es reicht! Keine Beleidigungen des Intellekts.“

„Ach ja? Was kann ein Betrüger mir schon antun?“, schnaufte Daniel, der Johns warnenden Blick auch an ihn ignorierte.

„Was hast du gesagt?“, fuhr Sherlock ihn an und seine Augen sprühten vor Zorn. Daniel schluckte kurz, blieb aber standhaft.

„Sie haben mich schon verstanden, Mr. Holmes.“

„Sherlock! Nicht!“, sagte Catherine und drückte eine Hand gegen seine Schulter um ihn davon abzuhalten Daniel anzuspringen. So hatte sie ihn noch nie erlebt. Er war völlig aufgebracht, wütend. Normalerweise war es ihm vollkommen egal. Noch nie hatte sie erlebt, dass ihm eine solche Aussage so wütend machte. Sie wusste nicht was dahinter steckte, aber irgendetwas war dieses Mal anders.

Daniel grinste nur, beinahe so als hätte er gewonnen, doch Catherine wirbelte zu ihm herum, stemmte ihre Hände in die Hüften und fixierte ihn scharf.

„Was dich angeht, Daniel, ich versuche hier gerade deinen verdammten Arsch zu retten, okay? Also hör auf ihn noch zu provozieren! Und wie oft muss ich das noch sagen: SHERLOCK HOLMES IST KEIN BETRÜGER SONDERN DER BRILLANTESTE MANN DEN ICH KENNE!“

Catherine holte zitternd Luft und schloss die Augen. Sherlock sah sie kurz überrascht an. Schließlich hatte er noch nie in Aktion gesehen, dass sie ihn verteidigte. Seine loyale Catherine.

„Also bitte zwinge mich nicht dir noch einmal eine zu scheuern. Glaube mir, du willst nicht das Opfer seiner Deduktion sein. Das ist verstörend…und manchmal sogar erniedrigend.“

„Ich höre immer noch zu, Cath.“, rief er empört aus und seine Überraschung war verflogen.

„Sherlock!“, mahnte John noch einmal und schüttelte den Kopf. „Ich will keine Eskalation hier, verstanden?“

Sherlock grummelte nur und ließ seinen Blick von Daniel nicht abschweifen.

„Sherlock…“, sagte Catherine diesmal sanfter und schob sich in sein Blickfeld. Sanft strichen ihre Finger über seine Schulter und sie sah ihn bittend an. „Bitte! Kathy und Daniel sind meine einzigen Freunde. Die einzigen, die akzeptieren, dass ich viel Zeit mit euch verbringe und die das nicht hinterfragen. Bitte, lass ab von ihm. Er wird es nicht verkraften, auch wenn er das nicht hören will.“

„Aber wie kannst du mit jemanden befreundet sein, der glaubt, dass ich, ich, ein Betrüger sei?“ Sherlock sah sie an, doch sein zuvor verhärtetes Gesicht war etwas weicher und Catherine begann sich zu fragen, ob es hier vielleicht gar nicht um seinen Ruf ging sondern um ihren Schutz.

„Er wird es schon noch begreifen, aber nicht so.“

„Ich bin immer noch…“

„Daniel! Ich warne dich. Ein Wort und ich lasse ihn auf dich los.“

„Ich bin kein Monster! Er ist doch kein Monster!“, riefen die beiden Männer gleichzeitig.

„So manches Mal bin ich durchaus geneigt das zu glauben, Sherlock.“, sagte John grinsend. Sherlock warf ihm einen wütenden Blick zu und kräuselte seine Nase.

„Dan…“, sagte nun Kathy, die endlich wieder zu sich selbst zurückgefunden hatte. Langsam ging sie auf ihren Verlobten zu. „Ich weiß, dass du dich nur sorgst, aber Catherine muss ihre Entscheidungen selbst treffen und selbst entscheiden wem sie vertraut und wir als ihre Freunde müssen das akzeptieren.“

Daniel sah sie an und runzelte die Stirn.

„Sherlock. Bitte!“, sagte Catherine zeitgleich an ihn gewandt. Sie legte auch ihre andere Hand auf seine Schulter und ihre blauen Augen bettelten ihn an. Sherlock blickte sie an und holte tief Luft. Langsam ging John zu ihnen und legte seine Hand auf Sherlocks Schulter.

„Sherlock…lass uns nach Hause gehen.“

Die hellblauen von Sherlock wanderten zu seinem besten Freund, dann seufzte er schließlich, drehte sich abrupt ab und verließ den Raum. John und Catherine sahen sich an und atmeten erleichtert aus, bevor sie lächelt. Die Gefahr war gebannt- zumindest fürs Erste.

„Komm, Catherine. Lass uns gehen!“, er klopfte ihr kurz auf die Schulter und folgte Sherlock. Catherine schüttelte nur kurz den Kopf und lachte.

„Das ist mal wieder typisch für ihn. Hauptsache einen dramatischen Abgang. Es muss herrlich sein, wenn man ein exzentrisches Genie ist.“

„Cath…sei bloß vorsichtig. Dieser Mann ist gefährlich.“, sagte Daniel, als sie gerade dabei war zu gehen. Catherine drehte sich zu ihm um und sah ein wenig Schweiß auf seiner Stirn. Offensichtlich hatte er sich vor Sherlock gefürchtet, doch das nahm sie in diesem Moment nur unterbewusst war. Etwas anderer war viel dominanter.

„Nenn mich nicht so.“, sagte sie kühl und blickte ihn an.

„Ach, ist das sein Name? Ehrlich, Cath, du bist vollkommen in ihn verknallt.“

Catherine knurrte und bleckte sogar leicht die Zähne.

„Das ist völliger Blödsinn.“

„Wieso reagierst du dann so gereizt?“

„Daniel, es ist Schluss jetzt! Du gehst zu weit!“, fuhr Kathy dazwischen und drückte ihn zurück in den Stuhl.

„Findest du nicht auch, dass sie sich so verhält, als wäre sie in ihn verliebt?“

„Gott, er ist mein Ziehvater, ebenso wie John.“, rief Catherine. „Mir erschaudert es allein bei dem Gedanken.“

„Ach komm, du kannst mir nichts vormachen! Das ist mehr als Vaterliebe.“, stellte Daniel fest und überschlug seine Beine.

„Wann bist du nur so ein verdammtes Arschloch geworden? Früher, da warst du der liebste und verständnisvollste Mensch, den ich kannte, aber sobald ich Sherlock Namen auch nur erwähne, ist es, als wäre er ein rotes Tuch für dich.“ Catherine ging langsam auf ihn zu. „Was ist nur geschehen?“

Verzweifelt blickte sie ihren besten Freund an und bettelte um eine Antwort. Daniel erwiderte ihren Blick ruhig, aber auch traurig zur gleichen Zeit.

„Ich sorge mich nur um dich. Dieser Mann ist höchst gefährlich, egal ob Betrüger oder nicht. Er wird dir schaden, Catherine. Irgendwann wird er dich ganz furchtbar verletzen und dieses Mal würdest du daran zerbrechen. Du bist mir wichtig, Catherine. Das darf nicht geschehen.“

„Ich dachte du wärst mein bester Freund, Daniel. Solltest du dann nicht akzeptieren mit wem ich befreundet bin?“

„Das tue ich.“, sagte er ruhig und seine dunklen Augen sahen sie an. „Aber das heißt noch lange nicht, dass ich es gutheiße.“

Catherine schloss die Augen und ballte meine Faust.

„John und Sherlock sind meine Familie. Ich nicht einfach aufhören sie zu sehen, denn das ist das aller schlimmste für mich.“, erklärte sie und zitterte. Sie schlang die Arme um sich und sah bittend zu Kathy herüber, die all die Zeit still geblieben war, doch sie schüttelte nur den Kopf.

„Aber warum gerade ihn? Ich mein John kann ich ja nachvollziehen, aber warum diesen Exzentriker?“

Catherine schloss die Augen und blickte dann langsam wieder auf.

„Weil er mir mehrmals das Leben gerettet hat und alles tut um mich zu beschützen, Daniel. Vor einer Welt, die ihr noch nicht einmal kennt.“ Sie holte tief Luft und dann sagte sie die Worte, die sie schon lange wusste, aber noch nie ausgesprochen hatte. „Ohne Sherlock Holmes wäre ich bereits vor drei Jahren gestorben.“

Damit wandte sie sich ab und verließ die Wohnung. Sie würde es zu einem anderen Zeitpunkt ihren beiden Freunden erklären.
 

Draußen warteten Sherlock und John auf sie. Beide blickten ihr entgegen und blieben stehen bis sie aufgeschlossen hatte, dann drehte sich Sherlock um und verließ mit wehendem Mantel sein Schlachtfeld. John blickte Catherine kurz noch einmal fragend an, ob alles in Ordnung sei. Catherine zuckte kurz nur mit den Schultern. Ob dem so war und Daniel über das, was auch immer ihn so belastete, hinwegkam, würde erst die nähere Zukunft zeigen.

„Männer…“, sagte sie deshalb nur genervt und rollte mit den Augen. John und Sherlock blieben stehen und zogen die Augenbrauen hinauf, bevor John sich räusperte. Catherine rollte noch einmal mit den Augen und lachte. „Okay, normale Männer.“

„Besten Dank auch!“, murrte John gespielt und die beiden fingen an zu grinsen.

Sie schlossen zu Sherlock auf und machten sich auf dem Weg zur Bakerstreet.

„Wisst ihr, ich bin eigentlich froh, dass ihr hereingeplatzt seid.“, sagte Sherlock als sie um die Ecke bogen und sich auf die Suche nach einem Taxi begeben.

„Wieso?“, fragten John und Catherine gleichzeitig und blickten ihn fragend an.

Sherlock blieb stehen und richtete seinen Schal.

„Weil ich nichts gehabt hätte.“, erklärte er ruhig und ignorierte geflissentlich Johns und Catherines irritierte Blicke.

„Wie du hattest nichts? Du konntest nichts bei Daniel deduzieren?“, fragte Catherine verblüfft und blinzelte ihn an.

„Das schon, aber es war nichts so spektakuläres dabei, dass es ihn hätte überzeugen können. Ich hätte gedacht, wenn du dir schon einen Freund suchen musst, Catherine, dass er wenigstens aufregend wäre, aber der Kerl ist ja schon überdurchschnittlicher Durchschnitt!“, moserte er gelangweilt.

„Überdurchschnittlicher Durchschnitt?“, wiederholte John lachend und sah Sherlock amüsiert an. „Wie soll das denn gehen?“

„Keine Ahnung!“ Er kickte mit einem Fuß einen Stein von sich und schnaufte. „Aber der Kerl ist so unglaublich langweilig.“

John und Catherine lachten laut los und fanden schließlich ein Taxi, dass sie mitnahm. Sherlock lächelte, als John und sie schwatzend einstiegen. Dass Daniel ein Kind aus reichem Hause war, dass aber auf eine öffentliche Schule ging und auf Grund seiner Herkunft gemobbt wurde, sich deshalb einer Gang anschloss um endlich als cool zu gelten, aber rechtzeitig ausstieg bevor ein krummes Ding gedreht wurde und dass es eine Frau an der Universität gab, die ihm schöne Augen machte- vermutlich eine Südländerin der Form des verblassten Lippenabdruckes hinter seinem Ohr nach-, behielt Sherlock vorsichtshalber erst einmal für sich.

Überfall

Es war schwül an diesem Septembertag in London und es goss in Strömen. Dunkle, beinah schwarze Wolken hatten wieder einmal den Himmel der Metropole verhangen. Die Luft war schwül und feucht, machte es beinahe unmöglich zu atmen, sodass die meisten Londoner die Straßen mieden.

Donnergrollen, groß und bedrohlich, brauste über die Ziegeldächer jener großen Metropole, während Wind ärgerlich an den Dächern rüttelte.

Sherlock saß auf seiner Couch, den üblichen Standardplatz und las ein Buch über die verschiedenen Verwesungsstadien von Wasserleichen. Hübsche Zeichnungen und Illustrationen machten die Darstellungen besonders anschaulich und somit verwunderte es nicht, dass er tief in seine Lektüre versunken war. Tiefe Falten durchzogen seine Stirn gleich einer Kraterlandschaft und die Zunge war zwischen seine Lippen gepresst. Um nicht gestört zu werden, hatte er vorsichtshalber die Wohnzimmertür abgeschlossen, damit John ihn nicht mit einem seiner üblichen Kommentare bei seinen Recherchen unterbrach. Sollte er doch zusehen, wo er den Abend verbrachte, Sherlock jedenfalls wollte nicht gestört werden. Kein Wunder also, dass er nicht die schweren Regentropfen bemerkte, die gierig an sein Fenster klopften und um Einlass förmlich bettelten. Oh nein, all das verstärkte nur die Atmosphäre, die er gerade so sehr genoss. Dass John momentan jedoch auf der Arbeit war und ihn gar nicht hätte stören können, dass hatte Sherlock vollkommen vergessen.

Hoch interessiert sah er förmlich jedes Wort vor sich und seine Augen flogen rasend schnell über die Seiten. Gleich einem Tornado saugte er alles in sich auf und verschlang es wie ein hungriges Tier. Vorsichtig befeuchtete er seine Finger und blätterte um damit dieses alte Buch nicht zerstört wurde.

So verging die Zeit wo Sherlock die Ruhe genoss und nichts ihn momentan aus der Bahn werfen könnte. Er sah einem entspannten Abend entgegen. So glaubte Sherlock zumindest noch.

Plötzlich klopfte es leise an der Tür. Es war so schwach, dass Sherlock es hätte überhören können, wenn seine Ohren und Unterbewusstsein nicht darauf trainiert wären alles in seiner Umwelt wahrzunehmen- solange er es denn wollte. Wütend blinzelte er, schnaufte und ignorierte es, glaubte er doch, dass John um Einlass bat und wie bereits gesagt, er verspürte heute nicht den Drang seiner Gesellschaft zu genießen. Dass das Klopfen jedoch dafür zu leise gewesen wäre und dass John ihn direkt verdrossen durch die Tür angesprochen hätte, bemerkte Sherlock nicht. Zu versunken war er in das Buch, als dass er sich über die Begebenheiten weiter Gedanken machte.

Wieder klopfte es an der Wohnungstür und wurde dabei fast von einem Donner übertönt, doch Sherlock hörte es und rief genervt:

„Nicht jetzt!“

Ein drittes Mal klopfte es, dieses Mal fordernder und Sherlock wurde sich allmählich bewusst, dass dieses Spiel so lange weitergehen würde bis er schließlich öffnete. Wer auch immer vor der Tür stand- und nun war er sich ziemlich sicher, dass es nicht John war- würde nicht fortgehen und ihn mit seinem Buch alleine lassen.

Sichtlich verstimmt stand er also auf, richtete seinen Anzug und ging knurrend zu Tür. Wer auch immer seine abendliche Ruhe störte, sollte von ihm eine ordentliche Standpauke bekommen. Egal wer es war und sei es auch nur Mrs. Hudson.

Hastig öffnete er die Tür, verschmälerte seine Augen und blaffte den Besucher an:

„Wie können Sie es wagen, meine…“

Er brach ab, als er den Störenfried erblickte.

In dem Treppenflur stand Catherine- einem Häufchen Elend gleich. Ihr Körper zitterte und sie war vollkommen durchnässt. Als Sherlock sie geschockt betrachtete, bemerkte er, dass ihre Kleidung beinahe vollständig zerrissen war und nur noch spärlich ihren Körper bedeckte und diese waren auch noch komplett durchweicht. So sehr, dass beinah wie ein Rinnsal stets Überreste des Regens auf den abgelaufen Teppichboden tropften.

„Cath….was?“, stotterte er überfordert und sein Atem stockte. Ihr Anblick war so erschreckend, dass es ihm den Atem raubte und er nicht einmal denken konnte. Es war, als würde alles in ihm plötzlich stillstehen.

Catherine blickte auf- ihr Kopf war zuvor starr auf den Boden gerichtet- und als sie ihn erkannte, begannen ihre Lippen zu zittern.

„Sherlock!“, schniefte sie und rannte in seine Arme. Geschockt sah Sherlock zu ihr hinab, während die aufgelöste Frau ihren Kopf in ihm vergrub und zu weinen begann. Schluchzer und leises Wimmern drang gedämpft durch den Stoff seines Hemdes zu ihm hinauf. Sherlock hingegen war noch immer im Schock und wusste nicht wie er sich nun verhalten sollte.

Vorsichtig, beinahe wie automatisch, legte er eine Hand auf ihre Schulter und sprach sie vorsichtig an. Catherine jedoch antwortete nicht, sondern vergrub ihren Kopf noch stärker in seiner Brust, während immer mehr Tränen und Schluchzer hervorkamen.

Er starrte sie an und bekam einen panischen Blick. Noch nie zuvor war er in solch einer Situation gewesen und er wusste nicht wie er sich nun am besten verhalten sollte. Unruhig sah er sich um, suchte nach Hilfe.

„John! Mrs. Hudson!“, rief er, doch es kam keine Reaktion. Verdammt! Dabei wüssten diese doch viel besser was denn nun zu tun wäre. In diesem Moment fühlte sich Sherlock zum ersten Mal in seinem Leben völlig hilflos. Es war nicht schwer zu erkennen, dass Catherine ihn brauchte, doch er wusste noch nicht einmal was passiert war, geschweige denn was er tun soll.

Vorsichtig, und dennoch sanft, versuchte er ihre Finger, von seinem Hemd zu lösen.

„Catherine? Catherine, was ist passiert?“, fragte er leise, während sein Versuch sie von sich zu lösen kläglich scheiterte. Sie schien beinahe an ihn festgeklebt. Sherlock blickte zu der bitterlich zitternden Catherine hinab und legte dann mitfühlend einen Arm um ihre Schultern.

„Okay, Catherine…“, flüsterte leise und versuchte seine Stimme so ruhig und vertrauensvoll wie möglich klingen zu lassen, damit er durch ihre Schockstarre drang. „Komm, ich bring dich rein.“

Noch einmal rief er nach seiner Vermieterin und seinem besten Freund, doch der Flur blieb stumm. Sherlock seufzte verzweifelt, denn noch immer wusste er nicht wie er mit der aufgewühlten Catherine umgehen sollte. Mit sanften, bestimmten Druck führte er sie zur Couch und brachte sie dazu, trotz aller Schwierigkeiten, sich auf das Sofa zu setzen.

Catherine ließ sich auf die Couch fallen. Sie versteckte ihren Kopf in den Händen und schloss die Augen, während weitere Tränen unbarmherzig unter ihren Lidern hervordrangen. Selbst durch ihre geschlossenen Hände drangen sie hervor und tropften auf den Boden.

Sherlock betrachtete sie eingehend. Ihre Kleidung war nicht zerrissen, sondern von einem Messer zerschnitten. Wären sie zerrissen, so wären die Ränder ausgefranst, diese waren aber glatt. Er würde vermuten eine sieben Zentimeter lange Klinge, vermutlich ein Schnappmesser. Unzählige kleiner Schnitte, blaue Flecke und Schwellungen zierten ihren zitternden Körper.

Nach einer kurzen Begutachtung kam Sherlock entweder auf Verprügeln, Raubüberfall- vielleicht auch beides kombiniert-, oder- und das ließ seinen gesamten Körper verkrampfen- sie war vergewaltigt worden. Eine reine Körperverletzung schloss Sherlock aber beinahe umgehend aus, denn dann wären Knochen gebrochen und die Kleidung nicht dermaßen zerrissen, aber auch für Raub galt dies. Gegen Vergewaltigung sprach aber, dass ihre Geschlechtsmerkmale noch von den Stofffetzen bedeckt waren und er sah auch keine blauen Flecke an ihren Innenschenkeln. Was also war geschehen?

Während er darüber nachdachte, ließ Sherlock langsam und unbewusst seine Hand durch ihr Haar gleiten um ihren Kopf nach Verletzungen abzusuchen und bemerkte wie feucht ihr Haar war.

„Warte einen Moment hier, Cath, ich bin gleich zurück.“ Er stand auf und begann sich in Richtung seines Schlafzimmers zu bewegen, doch Catherine weitete geschockt ihre Augen und schnappte seine Hand bevor er sich entfernen konnte.

„Nein…bitte!“, bettelte sie und sah ihn aus verweinten Augen an. „Bitte, lass mich nicht allein. Bitte. I-Ich…kann nicht…bitte!“

Sherlock nahm ihre Hand und drückte sie fest.

„Ist gut, Catherine, alles ist gut. Ich gehe nirgendwo hin.“, versicherte er der sichtlich aufgewühlten Frau und blickte sich schnell im Zimmer um. Er erhaschte einen Blick auf eine braune, schwere Wolldecke, die über Johns Sessel hing. Ohne ihre Hand loszulassen, angelte er sie und drehte sich direkt wieder zu Catherine um.

Sie sah wirklich aus wie ein Häufchen Elend. Sie zitterte heftig, Tränen rollten aus ihren Augen und sie hatte sich bereits ihre Lippe blutig gebissen. Sherlocks Herz verkrampfte sich, als er sie so sah. Catherine war immer stark gewesen, hatte alle Rückschläge verhältnismäßig gut verkraftet, doch nun war sie hilflos und schwach vor ihm. Irgendwie hatte das, was auch immer geschehen war, sie mehr erschüttert, als alles zuvor. Sie konnte ihre Kräfte nicht mehr zusammenhalten. Vermutlich kamen hier auch noch die Überbleibsel ihrer vorherigen, noch nicht völlig verarbeiteten Traumata wieder durch.

Sherlock kniete sich vor sie und legte ihr vorsichtig die Decke um. Er war darauf bedacht ja keine hastigen Bewegungen zu machen um sie zu erschrecken. Catherine presste ihre Augen zusammen und legte ihren Kopf auf ihren verschmolzenen Händen ab. Sie versuchte alles, sie kämpfte verbissen, doch es gelang ihr einfach nicht die Tränen aufzuhalten, die wie ein Gebirgsbach ihren Weg von ihren Augen den Weg in die Tiefe suchten.

Sanft und vorsichtig rubbelte Sherlock sie mit der freien Hand durch die Decke ab. Er versuchte damit sie zu trösten und zeitgleich zu trocken. Er wusste nicht wie lange sie in diesem Zustand draußen bei diesem Gewitter herumgeirrt war und dieser September war ungewöhnlich kalt. Würde er sie nicht schnell aufwärmen und trocknen, so könnte sie sich eine Lungenentzündung holen, doch er wusste auch, dass er Catherine weder zum Duschen noch Umziehen bewegen könnte.

Sherlock lehnte seinen Kopf zu ihr hinab und flüsterte leise:

„Catherine? Kannst du mir sagen, was passiert ist?“

Sie sah auf, ihre Pupillen schwammen noch im Tränenmeer und drohten beinahe unterzugehen, doch was Sherlock viel mehr erschreckte, war der bereits etwas glasige Ausdruck in ihrer Pupillen. Sie sahen genauso aus wie damals, als der Serbe ihr die Augenbinde nach drei Tagen psychischer Folter abgenommen hatten. Er holte tief Luft und krallte sich kurz in das Handtuch, bevor er ihr wieder in die Augen sah um ihr Halt zu geben.

„I-Ich…“, begann sie stotternd. „Ich war so dumm, Sherlock…“

Ihre Stimme brach immer mehr mit jedem Wort, zitterte von den Schock der ihr offensichtlich noch in den Knochen saß. Sherlock blickte sie ruhig an und legte ihr vorsichtig seine Hand an ihre Wange. Catherine zuckte zusammen und zog instinktiv die Schultern hoch. Kurz strich er ihr beruhigend über die blasse Haut und sie ließ ihre Abwehrhaltung sinken, wirkte dafür aber abwesender. Ihr Blick glitt ins Leere, während sie mit emotionsloser Stimme flüsterte:

„I-Ich…wollte eine…Abkürzung nehmen…wegen des Regens…“ Sie holte tief, zitternd Luft und ihr Körper begann noch stärker zittern. Schnell schlang sie die Arme um ihren Körper schüttelte sich von dem Grauen.

Sherlock holte tief Luft und ließ seine Augen über ihr Gesicht wandern, suchte nach weiteren Verletzungen.

„Catherine?“

„Deshalb…bin ich durch den Park gelaufen. Ich…hatte die ganze Zeit…so…ein seltsames Gefühl.“ Sie holte noch einmal tief Luft und starrte noch immer konsequent an Sherlock vorbei, so als würden die Erinnerungen an der Wand von einem unsichtbaren Projektor an die Wand geworfen.

„Es war als würde mir ein Augenpaar folgen. Ich begann zu rennen und plötzlich…“ Sie krallte ihre Nägel in ihren Arm um sich in der Realität zu halten und nicht vollkommen unter zu gehen.

„Griff mich ein Mann und zog mich in…einen Busch…warf mich auf den Boden…und setzte sich auf mich.“ Ihr Körper zitterte noch heftiger und sie schlang die Decke enger um sich.

Sherlock hingegen weitete seine Augen, sein Puls verlangsamte sich kurzzeitig und er ließ seine Augen nochmal über ihre sich verkleinernde, sich verstecken wollende Form wandern. Ihr Haar war von Dreck durchzogen und einige Laubblätter hatten sich darin verhangen. Ihr Oberarm zierten einige blaue Flecke, aber leider keiner in Handabdruckform und einige Kratzer hatten ihre Haut rötlich gefärbt. Ihr rechtes Knie war geschwollen.

Seine Hand an ihrer Wange zitterte, egal wie sehr er es versuchte zu kontrollieren. Seine andere Hand, die die ihre noch immer hielt, drückte ihre vor Angstschweiß nasse Hand fester bis sein Knöcheln so weiß wie ihre wurden ohne ihr dabei wehzutun. Eine schlimme Vorhand durchtränkte seinen Verstand und ließ ihn erschaudern. Hoffentlich, hoffentlich, irrte er sich.

„Wu---wurdest du? Ich meine…hat er dich?“ Selten hatte Sherlock seine eigene Stimme zittern hören, aber allein die Vorstellung war ein reines Grauen für ihn.

Catherine holte noch einmal tief Luft und schüttelte ihren Kopf kurz.

„Als ich versuchte zu entkommen…da hat er…“ Catherine schluckte und sammelte all ihre Kraft, versuchte ihren Geist zusammenzuhalten. „…mich mit einem Messer bedroht…und sagte, dass er mich umbringen würde…wenn ich ihm nicht alles gebe, was ich bei mir trage.“

Catherine schloss die Augen und zögerte kurz, doch dann legte sie ihren Kopf in den Nacken und entblößte etwas, was Sherlock bisher nicht hatte sehen können. Ein langer, tiefer Schnitt entstellte die dünne Haut ihres Halses. Er zog sich einmal vom Kehlkopf bis hin zu ihrer Halsschlagader. Zumindest war er nicht lebensbedrohlich, denn das Blut war bereits getrocknet und zeichnete eine Spur ihren Hals hinab.

Vorsichtig hob Sherlock seine Hand und ließ die Fingerspitzen über die Wunde gleiten. Catherine zischte vor Schmerz und zuckte zurück, doch er hatte bereits alles gesehen. Sauberer Schnitt, in einem Durchgang mit einem scharfen Messer, ungefähr so sehr wie ein Skalpell, aber breiter. Vielleicht ein japanisches Fischmesser. Der Täter hatte ihr starke Schmerzen mit möglichst wenig verwertbaren Spuren zufügen wollen.

Sherlocks Augen weiteten sich noch mehr und er biss die Zähne fest zusammen, sein Nacken versteifte sich vor Wut.

//Jemand hat meine Catherine verletzt?//, dachte er erbost und seine Augen verschmälerten sich. Wut begann in seinem Inneren zu kochen. Welcher gottverdammte Mistkerl da draußen wagte es sein kleines Mädchen anzufassen? Er würde ihn bitterlich dafür büßen lassen. Er würde sich dieses Mistkerl krallen und dann…Sherlocks Gedanken begannen Achterbahnen zu rasen und er dachte sich jedes Detail der Rache aus. Leiden sollte er dafür. Mindestens zehnmal so viel wie Catherine nun litt. Niemand wagte es diejenigen anzufassen, die Sherlock zu beschützen versprochen hatte und bereit war alles von sich dafür zu geben.

Dann jedoch holte er tief Luft und versuchte sich zu beruhigen. Es brachte jetzt nichts, wenn er sich auch noch aufregte. Catherine brauchte nun Ruhe, damit sie es bewältigen konnte.

„Du hast ihm alles gegeben.“, sagte er ruhig. Es war keine Frage, es war eine Feststellung. Kurz blinzelte Sherlock, doch sah dann wieder in ihre abwesenden Augen. Er fürchtete sich vor der nächsten Frage.

„Und danach?“

In seinem Entsetzen war seinem sonst auffassungsreichen Geist entgangen, dass sie seine Befürchtung bereits verneint hatte. Allein der Gedanke, dass dieser Mistkerl seine Adoptivtochter vergewaltigt haben könnte, verdeckte alles andere.

„Ich versuchte wegzurennen, aber ich war nicht schnell genug. Dies…“ Ihre Finger glitten kurz über die Wunde an ihrem Hals. „War seine Warnung. Er würde mich umbringen, wenn ich nicht gehorche. Also tat ich es. Er…hat meine Kleidung zerrissen und m---mich überall angefasst um zu sehen, ob ich nicht noch etwas versteckte…aber ich hatte ihm alles gegeben! Alles! Mein Portmonee, mein Geld, mein Handy.“

Sherlock schloss seine Augen und holte zitternd Luft. Die Vorstellung wie Catherine diesem Monster hilflos ausgeliefert war, erschreckte ihn.

„Was hat er danach getan?“, fragte er, fürchtete sich aber noch immer vor der Antwort.

„We---wenn du andeuten willst, ober er mich…vergewaltigt hat…“ Ihre Stimme zitterte stark bei diesem Wort und sie schüttelte den Kopf. „Hat er nicht…Er…sagte nur…er würde es mir antun…und mich danach erstechen, wenn ich nicht gehorche. E…er hat mich geschlagen…sagte, dass Frauen nicht anders behandelt werden sollten…dass wir es nicht anders verdienen…dass wir Männern zu gehorchen haben. Oh Gott…“

All die Erinnerungen prasselten auf sie ein und sie begann wieder zu weinen, vergrub ihren Kopf in ihrer freien Hand.

„I—ich hatte solche Angst, Sherlock…Ich dachte, er würde…“ Ihre Stimme zitterte unter ihren Tränen, bröckelte und es entging selbst Sherlock nicht, dass sie kurz davor war einen Nervenzusammenbruch zu bekommen.

All das führte dazu, dass Sherlock gar nicht bemerkte wie er instinktiv richtig handelte. Obwohl er noch nie wirklich in solch einer Situation gewesen war und sich bis vor einigen Minuten sichtlich unwohl gefühlt hatte, hatte er über ihren Bericht komplett vergessen. Er dachte einfach nicht daran und sein Unterbewusstsein handelte einfach.

Er schloss die Augen und klemmte sanft ihren Kopf unter sein Kinn und zog sie dicht an sich heran.

„Du bist nun zu Hause, Cath. Du bist sicher. Ich werde nicht zulassen, dass dir etwas passiert.“, flüsterte er leise und sein Arm ruhte um ihren Schultern. Catherine hingegen zitterte noch immer.

„I…ich dachte nur…wie ironisch es doch ist…dass ich die Sache mit Serbien überlebte…nur um dann in einem Raubüberfall direkt vor der Haustür zu sterben…“ Sie holte tief Luft und zog die Decke dichter um sich herum. Sie fror erbärmlich von der Kälte und Nässe, die ihren gesamten Körper durchzog und dieser suchte instinktiv nach Wärme, weshalb sie sich unbewusst an Sherlock schmiegte. Er war so warm.

Sherlock rieb mit seiner Hand über ihren Rücken und versuchte sie so aufzuwärmen. Natürlich war es aussichtlos, da sich die Wolldecke bereits mit der Feuchtigkeit vollgesogen hatte.

„Du bist eine Kämpferin, Cath. Das warst du immer.“

Sie wollte etwas antworten, doch ihre Stimme starb in ihrem Hals und ein Schluchzer entrang ihr nur.

Sherlocks Herz zerbrach in diesem Moment. Noch nie hatte er sie so schwach und verängstigt gesehen. Selbst damals nicht.

„Sh…“, flüsterte er deshalb ruhig um ihr Sicherheit zu spenden. „Es ist in Ordnung, Cath. Es ist okay. Ich bin da. Ich pass auf dich auf.“

Sie nickte nur schwach, doch fühlte sich noch immer erbärmlich.

„I…ich dachte ich könnte solche Situationen alleine handhaben…a---aber…nun musst du mich wieder…beschützen.“, flüsterte sie ebenfalls. Sherlock schüttelte nur den Kopf und seine Finger rieben noch immer über ihren Rücken im verzweifelten Versuch ihr Wärme und Trost zu schenken. Er wusste sich nicht anders zu helfen.

„Dieses Mal habe ich dich nicht beschützt. Das warst du allein.“

Wieder schüttelte Catherine nur resigniert den Kopf und biss sich auf die Unterlippe.

„Nein…habe ich nicht. Ich war nicht in der Lage mich zu befreien. Ich konnte nur tun, was er verlangte. Und wenn er das hätte tun wollen, dann hätte ich keine Chance gehabt.“

„Du hättest gekämpft, Catherine. Du kämpfst immer.“, antwortete Sherlock in dem Versuch sowohl sie als auch sich zu beruhigen. „Du hast nichts falsch gemacht.“

Auch seine Stimme brach und instinktiv drückte sich die Hand auf ihrem Rücken fester zu. Catherine fuhr zusammen und wimmerte. Sherlock zuckte und lockerte sofort seinen Griff.

„Ich muss dich ins Krankenhaus bringen.“

Catherine zuckte erneut zusammen und weitete vor Schock in ihre Augen. Pure Panik spiegelte sich in den hellblauen Augen wieder und neue Tränen sammelten sich in ihren Augen, bis sie schließlich überliefen und ihren Weg die Wange hinab suchten und sie schüttelte heftig den Kopf.

„Ne---nein, kein Krankenhaus! Bitte! Nicht!“

„Er hat dich verletzt.“

„Bitte…bitte!“, bettelte sie ihn wieder und wieder an als wäre eine Schallplatte mit einem Sprung. Ihre Stimme war vor lauter Verzweiflung so leise, dass sie nicht mehr als ein schwaches Flüstern war. „Nicht!“

Sie krallte sich in Sherlocks Ärmel und sie blickte ihn flehend an. Sherlock zog sie wieder dichter an sich heran, dieses Mal aber ohne ihre wehzutun.

„In Ordnung.“, seufzte er leise und holte tief Luft. „Kein Krankenhaus.“

Catherine zitterte noch immer stark von dem Schock und Sherlock fluchte innerlich. Er hätte es vorhersehen müssen. Krankenhäuser waren bei ihr noch nie positiv belastet gewesen und nachdem sie dort im Koma gelegen hatte, hätte er wissen müssen, dass sie panische Angst vor ihnen hatte.

Gerade in diesem Moment hörten sie die Schlüssel im Schloss und John trat ein, beladen mit braunen Einkaufstüten und einer aus Plastik.

„Sherlock. Ich habe etwas vom Chinesen mitge…“ Er stockte als er die Situation im Wohnzimmer erblickte und schaute verwirrt drein. „Was ist passiert?“

Sherlock drehte sich, blickte ihn aus traurigen Augen an und schüttelte den Kopf. Dann wandte er sich wieder zu der zitternden Catherine in seinem Armen zu.

„Würdest du wenigstens John dich untersuchen lassen? Bitte!“

Catherine sagte nichts und starrte einfach nur vor sich hin.

„Sie untersuchen?“, wiederholte John überrascht und sah Sherlock geschockt an, der noch immer seine Aufmerksamkeit auf Catherine gerichtet hatte. „Ist sie verletzt?“

Catherine zuckte zusammen und blickte zum ersten Mal seit langer Zeit John an.

„Bin ich nicht.“ Doch die Tränen, die noch immer aus ihren Augen liefen, straften sie lügen.

Sherlock erschauderte vor Bedauern. Sie hatte es wohl gerade zu verdrängen begonnen und er riss sie wieder zurück. Er umarmte sie fester und legte wieder den Kopf auf den ihren.

John stellte in der Zwischenzeit die Tüten auf dem Boden ab und kam langsam näher um sich Catherine anzusehen.

„Was ist passiert?“, fragte er an Sherlock gewandt. Dieser sah auf und formte die Worte Überfall mit seinen Lippen, bevor er laut sagte:

„Untersuch sie bitte einfach.“

John weitete die Augen, als er Sherlocks Antwort von den Lippen las und nickte schnell.

„Natürlich. Catherine, wo bist du…“

„Ich bin nicht verletzt!“, erwiderte Catherine heftig und sprang fast auf, wäre sie nicht noch immer von Sherlock verschlossen, der sie wieder sanft, aber bestimmt ins Sofa drückte. Er war erleichtert, dass John nun da war und sie untersuchen würde. Nach ihrem Bericht war er besorgt, dass sie vielleicht eine Rippe gebrochen haben könnte oder vielleicht ein Schädeltrauma. Der Boden war hart im Park, gefroren von den kalten Nächten.

„Du kannst es nicht verdrängen, Catherine. Zeig es John, bitte.“

Catherine zuckte zusammen, schluckte und zischte als der Schnitt an ihrem Hals davon schmerzte. Sie sah Sherlock an, welcher ihr zunickte. Nach einigem Zögern gab sie dann seiner stummen Bitte nach und legte erneut ihren Kopf in den Nacken um John die Schnittwunde zu zeigen.

John keuchte erschrocken, als er sie erblickte und seine Augen weiteten sich geschockt. Er rückte näher heran und sah sich den Schnitt genau an, während seine Hand vorsichtig den Wundrand entlang fuhr. Catherine zischte erneut und biss sich auf die Unterlippe. Sherlock strich über ihren Handrücken und flüsterte leise einige beruhigende Wort. Er sah ihr an wie sehr sie unter Schock stand. Ihre physischen Wunden waren das geringere Problem.

John ließ seine Augen währenddessen über ihren Körper wandern, bemerkte all die blauen Flecke und Schnittwunden und das Veilchen, welches sich langsam an ihrem linken Auge bildete. Auch ihr Knie war angeschwollen und sie hielt ihren Fuß unbewusst in einer merkwürdigen Position. Offensichtlich beim Überfall verstaucht.

„Sherlock, könntest du meine Arzttasche von oben holen?“ Als John den Satz aussprach, klammerte Catherine sich instinktiv fester an Sherlock und vergrub ihren Kopf auf seiner Schulter. Ihre Hände zitterten noch stärker und sie schüttelte leicht den Kopf. Sherlock hingegen sah John nur aus ruhigen Augen an, schüttelte aber vehement den Kopf. Der Arzt nickte nur verstehend und holte tief Luft.

„In Ordnung, Catherine.“ Er zögerte einige Momente, runzelte seine Stirn, doch dann fragte er:

„Wo ist es passiert?“

„Park.“, antwortete Sherlock an ihrer Stelle, damit sie es nicht erneut aussprechen musste. Er hatte oft gesehen wie Zeugen daran zerbrachen, wenn sie das Geschehene erneut erzählen mussten. Er wusste zwar, dass Catherine eine wirklich starke Persönlichkeit war, doch er wollte den Druck nicht noch mehr erhöhen, als der, der ohnehin schon auf ihrer Seele lastete.

John sah sie geschockt an, aber war zeitgleich auch erleichtert.

„Gut…du warst also in der Lage alleine zurückzulaufen. Das sind gute Nachrichten.“ Er sah Sherlock und sein Mund formte die Frage: ‚Wie lange?

Sherlock blickte ihn an und antwortete in Stille: ‚Zwanzig Minuten.‘

John nickte und legte Catherine vorsichtig eine Hand auf die Schulter um sie nicht zu erschrecken.

„Catherine, ich geh nun hoch und hole meine Arzttasche. Ich bin gleich wieder da.“

Sie nickte nur knapp, löste sich aber nicht von Sherlock. John stand auf, legte seine Hand kurz auf Sherlocks Schulter, sah ihn aus halb mahnend, halb traurig Augen an. Sherlock nickte, fuhr mit den Zähnen kurz über seine Lippen, bevor sein trauriger Blick zu Catherine zurückkehrte.

Sie hatte in der Zwischenzeit ihren Kopf auf seiner Schulter versteckt und wirkte beinahe wie ein verschrecktes Kind, welches glaubte ein Monster unterm Bett gesehen zu haben und sich deshalb an seine Eltern klammerte.

Sherlock hingegen war noch immer überfordert, auch wenn er ihr das nicht zeigen wollte. Er kannte es nicht, dass Jemand sich schutzsuchend an in klammerte, dass Jemand von ihm beschützt werden wollte. Er wusste einfach nicht wie man so etwas handhaben sollte, aber er spürte genau, dass Catherine ihn nicht gehen lassen würde und wenn er sich gewaltsam lösen würde, dann würde es eine Panikattacke auslösen. Er war ihr Halt in diesem Moment ohne den sie untergehen würde.

Vorsichtig, nach einigem Zögern, strich Sherlock ihr durchs Haar und flüsterte ihr ins Ohr:

„Es ist in Ordnung, Catherine. Ich werde dich nicht allein lassen, solange du es nicht willst. Catherine nickte nur.

John kam gleichzeitig zurück, ging aber kurz in die Küche und füllte Wasser in ein Glas, dann kam er ins Wohnzimmer und stellte es auf den Kaffeetisch ab.

„Catherine, darf ich mir deine Wunden ansehen?“

Nun löste sie sich zum ersten Mal etwas von Sherlock und blickte ihm direkt in die dunkelblauen Augen, dann nickte sie schließlich.

Er bedankte sich kurz und legte dann eine Hand an seine Wange und sah sich den Schnitt an

„Gut…es ist nicht entzündet. Ein sauberer Schnitt. Konntest du das Messer sehen?“

„Nein…ich habe es nicht gewagt meinen Kopf zu drehen.“, flüsterte sie matt. Sherlock sah sie an und sie wirkte kraftlos, als wäre sie nicht mehr wirklich hier, sondern kurz davor sich in eine andere Welt zurückzuziehen. Die helllauen Augen waren glasig, starrten, wenn sie denn nicht geschlossen waren- irgendwo blind hin ohne irgendetwas bewusst zu fixieren.

John zuckte bei ihrer Antwort hingegen kurz zusammen und lächelte entschuldigend.

„Richtig…entschuldige.“ Er untersuchte den Schnitt vorsichtig und zuckte zusammen, als Catherine es vor Schmerzen tat. Er entschuldigte sich aufrichtig, doch die Wunden mussten medizinisch versorgt werden. Dies wussten die beiden Männer nur zu gut, auch wenn sie ihr das am Liebsten im Moment nicht zumuten würden.

„Du musst es desinfizieren, oder?“, fragte sie plötzlich wie aus dem Nichts.

„Ja…das wird brennen.“

„In Ordnung…“, sagte sie bedächtig, doch dieser beunruhigend entfernte Ton blieb. „Wenn es denn notwendig ist.“

John zog einige sterile Pads aus seiner Tasche und tropfte vorsichtig die stinkende Alkohollösung darauf. Vorsichtig reinigte er die Wunde, doch es konnte nicht verhindern, dass Catherine vor Schmerz zischte und die Augen zusammenkniff.

„Du kannst meine Hand drücken, Cath…“, flüsterte Sherlock und blickte sie aufmunternd an, doch diese schüttelte den Kopf. Sie wollte das alleine durchstehen. Sherlock schnaufte kurz aufgrund dessen. Stures Mädchen. Dass er dabei das beste Vorbild war, bemerkte Sherlock dabei nicht. Zumindest aber hatte der Schmerz einen Vorteil. Er brachte Catherine in die Gegenwart zurück. Ihre Pupillen wurden wieder klarer und er hinderte sie somit weiter in eine Welt des Verdrängens zu versinken.

Als John jedoch an den Bereich ihres Kehlkopfes kam, wo sich die tiefste Stelle des Schnittes befand, da wimmerte sie vor Schmerz und konnte nicht mehr verhindern, dass sie sich in seine Hand krallte. Sherlock hielt still, obwohl ihre Finger sich wie Krallen in seine Haut schlugen und ihre Knöchel bereits weiß waren. Stattdessen streichelte er vorsichtig mit seinem Daumen über ihren Handrücken.

„Es ist okay, Catherine.“, flüsterte er in ihr Haar. „Nur noch ein bisschen.“

Nach fünf Minuten war John endlich damit fertig ihre Wunden zu versorgen. Die Schnitte waren allesamt gereinigt worden und mit Verbänden oder Pflastern bedeckt.

„Ich werde Kühlakkus holen für das Auge und das Knie, in Ordnung? Und du solltest auch etwas trinken. Das könnte dir helfen.“ Mit diesen Worten verschwand John wieder in der Küche und holte die Akkus aus dem Gefrierfach.

„Hast du irgendetwas gesehen? Könntest du ihn wiedererkennen?“, fragte Sherlock vorsichtig.

„Nein.“ Sie schüttelte stumm den Kopf. „Er trug eine Ski-Maske, einen langen, dunklen Pullover und lange Hosen. Ich konnte nichts an Haut sehen. Keine Tattoos, Piercings oder Ähnliches. Auch kein Haar, Augenfarbe, Akzent oder sonst etwas. Ich war so verängstigt, dass ich die Augen geschlossen hatte.“

Ihre Stimme wurde leiser:

„Es tut mir leid.“

„Shh…“, flüsterte Sherlock in ihr Haar. „Es ist in Ordnung, Cath. Du hast das gut gemacht.“

„Aber es war nicht genug.“, antwortete sie zerknirscht.

„Shh. Du hast das gut gemacht.“, flüsterte er leise, dieses Mal strenger in ihr Ohr.

John kehrte mit drei Kühlakkus zurück und hielt auch eine zweite Decke in der anderen Hand. Er drückte Catherine sanft, aber bestimmt einen in die Hand und führte dann diese gegen ihr linkes Auge. Sie zuckte zusammen, als die Kälte ihr Auge berührte, aber mehr wegen eben dieser und nicht auf Grund des Schmerzes. Dies änderte jedoch nichts daran, dass sowohl Sherlock als auch John ebenfalls zusammenzuckten. John schluckte, legte die anderen zwei Packs auf dem Küchentisch ab und entfaltete die Decke aus seinem Zimmer.

„Ich gebe dir nun eine trockene Decke, okay?“

Als sie nickte, entfernte er die erste, nasse Decke, warf sie zu Boden und legte er ihr vorsichtig eine trockene um die Schultern, rubbelte dabei einmal kurz über ihre Arme. Danach betrachtete er ihre Beine, was Catherine stumm und kommentarlos hinnahm, ihren Kopf tief in Sherlocks Brust vergraben.

John untersuchte sie sorgfältig, nachdem er den Wohnzimmertisch nach hinten geschoben und sich darauf niedergelassen hatte. Er bewegte ihr Knie, streckte und beugte es. Zwar zuckte Catherine zusammen, aber weiter konnte er keine ernsthaften Verletzungen feststellen. Zufrieden nickte John und verdeutlichte das auch Sherlock, welcher erleichtert ausatmete.

John hingegen betrachtete sie noch einige Zeit nachdenklich, bevor er noch einmal seufzte.

„Du bist immer noch dreckig, Catherine. Glaubst du, du schaffst es eine Dusche zu nehmen?“

Catherine nickte nur.

„Ja…ich möchte nichts mehr als eine Dusche zu nehmen. Ich habe das Gefühl, dass sein Geruch mich wie eine Wolke umgibt.“

„Du riechst nicht nach ihm.“, erwiderte Sherlock.

„Ich weiß das, Sherlock, aber es fühlt sich so an.“ Sie erschauderte stark und rieb sich über die Arme, denn bloß der Gedanke ließ sie frösteln, weshalb sie die Decke enger um sich schlang. „Ich fühl mich so schmutzig…so schmutzig.“

„Brauchst du Hilfe?“

„Nein…ich bin kein Kind mehr.“

„Ich werde ein paar Sachen aus deiner Wohnung holen, Catherine. Sherlock, wo hast du den Zweitschlüssel hingetan?“

„In die Schreibtischschublade.“

„Okay…“, antworte John und ging einmal um den Wohnzimmertisch herum zu Sherlocks Schreibtisch und zog die Schublade auf. Er fand einen kleinen Schlüsselbund mit drei eisernen Schlüsseln vor und einer Karte, die verdächtig nach einer Sicherheitskarte aussah, doch dies ließ er unkommentiert- fürs Erste.

Während er die Schlüssel aus der Schublade holte, löste Catherine sich langsam von Sherlock und zog sich hoch. Vorsichtig ging sie zum Badezimmer, jeder ihrer Schritte unsicher und benommen, beinahe wie als wäre sie betrunken. John und Sherlock sahen ihr hinterher, als sie schließlich hinter der Tür verschwand.

John verharrte stattdessen in der Mitte des Wohnzimmers. Seine Haltung war angespannt wie beim Kriegseinsatzes. Jeder seiner Muskeln vibrierte, seine Nasenlöcher waren geweitet und er holte zitternd Luft. Langsam drehte sie den Kopf um und sah Sherlock an.

„Hat er sie vergewaltigt?“

Sherlock, der sein Kinn zuvor auf seine gefalteten Hände gebettet hatte, blickte zu ihm auf. Er schüttelte seinen Kopf, doch seine Augen blieben traurig, denn er war nicht sicher ob ihre Erzählungen der Wahrheit entsprachen und selbst wenn, das was passiert war, war allein schon schlimm genug.

„Nein, er…“ Sherlock zögerte kurz und sammelte seine Stimme. „Er hat sie nur damit bedroht, wenn sie ihm nicht gehorchen würde. Aber er hat sie geschlagen…“

Sherlocks tiefer Bariton rollte grollend wie eine Lawine, voller Abscheu auf das Monster, dass sein kleines Mädchen dermaßen beschmutzt hatte.

„Und er hat gesagt, dass Frauen es nicht anders verdienen.“, fuhr er fort und die Falten auf seiner Stirn vertieften sich.

„Aber…ihre Kleidung…“, stotterte John und drehte sich einmal kurz zum Bad, wo gerade die Brause lautstark aufgedreht wurde.

„Es ist nicht ungewöhnlich, dass ein Gehirn ein solches Traumata verdrängt oder durch andere Erinnerungen ersetzt. Aber sie sagte mir, dass er ihre Klamotten zerrissen und überall berührt hat, damit er sicher sein konnte, dass sie ihm all ihren Besitz gegeben hatte.“

Langsam stand Sherlock auf und ging zur Garderobe.

„Wohin gehst du, Sherlock?“, fragte John verwirrt.

„Ich werde diesen Mistkerl finden.“, erklärte Sherlock, während er sich seinen Mantel nahm und ihn anzog. „Nach der Art und Weise wie das Verbrechen begangen wurde, vermute ich, dass es sich um einen Drogenabhängigen handelte, der Geld für den nächsten Schuss benötigte. Vermutlich jemand mit einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung dem Verhalten nach, welches er gegenüber Catherine gezeigt hat. Es könnte auch ein Macho sein, aber die Worte „Frauen verdienen es nicht anders“ passen dazu nicht. Diese pochen eher auf die stereotypische Rollenverteilung. Außerdem lässt dieser Satz auch vermuten, dass er eventuell einen Mutterkomplex hat. Vermutlich nicht genug Liebe bekommen oder ähnliches. Solche Kinder entwickeln häufig einen Hass auf Frauen. Dass er seine Haut komplett bedeckt hatte, spricht zumindest für ein wenig Intelligenz und dass er nicht vollkommen im Rausch war. Er war überlegt und hatte Eventualitäten abgedeckt. Abhängige im Rausch machen alles sehr spontan.“

Die Worte schossen aus ihm heraus, während er sich den mitternachtsblauen Schal umlegte. John war während der Erklärung allerdings aufgestanden und gerade als Sherlock im Begriff war sich umzudrehen, da packte er ihn am Ärmel- wie Sherlock es einst in Dartmoor tat.

„Sherlock, du kannst jetzt nicht gehen!“, sagte John bestimmt und sah ihn aus harten Augen an. Sherlock runzelte die Stirn und erwiderte Johns mahnenden Blick.

„Warum? Du bist doch nun hier und kannst dich um sie kümmern. Darin bist du doch immerhin besser als ich und ich tue das, was ich gut kann.“, fragte er irritiert. Wieso konnte er nicht jetzt zum Tatort eilen, die Spuren sichern und den Kriminellen stellen, der ihr das angetan hatte? Warum sollte er nicht das wieder tun, was er… Sherlock stockte.

Plötzlich war da wieder dieses kalte Gefühl in seinen Eingeweiden und die kochende Wut brodelte zeitgleich in seiner Galle. Es war eben jenes unbändige Gefühl, welches er in der Dunkelheit verspürt hatte. Es war unkontrollierbar, selbst für ihn. Sherlock schüttelte seinen Kopf und versuchte es zu vertreiben. Sie war also noch immer da. Er dachte doch er hätte sie besiegt, verdrängt, doch sie war noch da.

Die Erinnerungen rollten über ihn, rissen ihn beinahe aus der Realität. Wie ein Film liefen all die Bilder vor seinen inneren Augen ab, all seine Verabscheuungswürdigkeit vermischte sich mit den fiktiven Filmen von Catherines Überfall. Die Wut in ihm wurde stärker und verbrannte das kalte Grauen, welches er stets bei den Erinnerungen verspürte. Er würde ihn brennen lassen für das, was er ihr angetan hatte.

Sherlock zuckte zusammen, als das Hassmonster in seiner Magengegend brüllte. Er hatte Angst vor sich selbst, vor seiner Unkontrollierbarkeit und diesem unbändigen Gefühl; stärker als jede Flut. So kannte er sich nicht. So war er erst in diesen drei Jahren geworden und irgendwie auch wieder nicht. Es war, als wäre in der Isolation eine weitere Persönlichkeit von ihm entstanden. Oft hatte er davon gelesen, dass Menschen in Einsamkeit und Isolation gespaltene Persönlichkeiten entwickelten. Vielleicht war das eine von ihm, die die meiste Zeit im Stillen ruhte. Es war, als hätte sie sich von ihm abgespalten. All das bisschen an Hass, Wut und Verachtung, was er je besessen hatte, schienen sich in ihr kanalisiert zu haben und war in der Dunkelheit wie ein verdorbener Keimling gewachsen und wachte nur in Stresssituationen wie bei dieser auf. Sein dunkles, verstecktes Monster, welches er niemals den anderen zeigen durfte.

Glücklicherweise begann in eben jenen Moment John zu sprechen und seine vertraute Stimme zog ihn heraus aus dieser dunklen Ecke seines Gedankenpalastes, der eigentlich versiegelt hatte sein sollen.

„Weil es so nicht funktioniert, Sherlock. Opfer von Verbrechen suchen sich häufig einen Helden, bei dem sie sich sicher und beschützt fühlen. Sie brauchen diese Person. Sie ist ihr Halt in dieser schwierigen Situation. Catherine hat nun einmal dich gewählt und wenn du verschwunden bist, sobald sie das Bad verlässt, könnte sie einen Nervenzusammenbruch oder eine Panikattacke haben.“

Sherlock blinzelte, als er aus der dunklen Tiefe auftauchte und in die Realität zurückkehrte. Kurz sah er an sich hinab und er bemerkte, dass seine Hände zitterten. Schnell versteckte er sie, damit John es nicht bemerkte und sah dann wieder auf, damit er keinen Verdacht schöpfte und seufzte auf Grund der Erschöpfung.

„Ich will doch nur, dass er dafür büßt.“, sprach er da gerade oder die Dunkelheit in ihm.

„Ich verstehe das, Sherlock.“, sagte John beruhigend. „Und er wird dafür bezahlen, aber Catherines mentale Verfassung ist nun wichtiger. Es mag ja vielleicht anstrengend für dich sein, aber sie braucht dich. Die Jagd kann bis morgen warten. Die Spuren, die der Regen bis jetzt nicht verwischt hat, werden auch noch morgen da sein. Du hast doch gesehen wie sie sich an dich geklammert hat.“

„Warum nimmt sie das so mit, John? Serbien war doch schlimmer.“

John seufzte und rieb sich über die Augenbrauen.

„Weil ihr Leben an einem Ort bedroht wurde, der ihr zu Hause ist. Das ist das Problem. Serbien war ein fremdes Land, weit entfernt, aber das…das geschah auf ihrem Heimweg, Sherlock. Hier, wo sie doch eigentlich sicher sein sollte. Es wird sie für immer verfolgen, wenn sie diesen Weg wieder geht. Dann noch alles andere, was ihr wiederfahren ist. Ist ein Fass erst einmal bis zum Rand gefüllt, läuft es über so klein der Tropfen auch sein mag. Ein solch vermeintlich harmloses Verbrechen kann für sie das Ausmaß einer Apokalypse annehmen.“ Johns Stimme war ruhig, als er es Sherlock erklärte, doch seine Augen waren vor Sorge abgedriftet. Der Detektive drehte sich noch einmal zum Badezimmer.

„Sie ist stark, Sherlock. Sie wird es überstehen. Sorge dich nicht.“

„Ich bin nicht besorgt.“, antwortete Sherlock etwas zu heftig und wirbelte zu ihm herum.

„Schön, wie auch immer. Ich bin nebenan.“ John drehte herum und verließ die Wohnung.

Sherlock kehrte zur Couch zurück und ließ sich dort nieder, durchdachte alles und lauschte dem Wasser, das aus dem Duschkopf herunterrasselte.
 

Fünfundvierzig Minuten vergingen. John war mittlerweile längst zurückgekehrt und hatte sich in seinem Sessel niedergelassen. Noch immer lief die Duschbrause.

„Sie ist bereits seit einer langen Zeit da drin.“, stellte Sherlock besorgt fest.

„Vielleicht ein psychosomatischer Anfall…“, überlegte John. „Vermutlich fühlt sie sich noch nicht sauber.“

Die beiden Männer schwiegen und warteten in stillen Einklang darauf, dass Catherine zurückkehrte und endlich war es soweit. Die Brause wurde abgeschaltet und Catherine spähte, nur mit einem Handtuch bedeckt, aus der Tür.

„Kann ich meine Kleidung haben?“

„Ja, sicher.“ John stand schnell auf und nahm ein T-Shirt und Hose, die er für schon bereit gelegt hatte um sie ihr dann zu reichen. Sofort verschwand sie wieder.

„Möchtest du etwas zu essen?“, fragte John durch die Tür.

„Nein…ich fühle mich eher, als würde ich mich gleich übergeben.“, antwortete Catherine dumpf durch die Tür.

Sherlock hingegen kniff die Augen zusammen und schnaubte, ran mit seinen Fingern durch seine Lungen in Verzweiflung und Wut. Plötzlich, in einer Art mentalen Sturm, sprang er auf und rannte zum Schlafzimmer.

„Sherlock?“

Beinahe Augenblicklich kehrte er zurück, bestückt mit seinen Werkzeugen. Er lief in die Küche, öffnete hastig einen Küchenschrank und holte einige Petrischalen heraus. Danach kam er zurück ins Wohnzimmer, platzierte sämtliches Utensil auf dem Wohnzimmertisch und ließ sich dann auf die Couch fallen. Sorgfältig öffnete er das Besteck, bereitete die Schalen vor, faltete seine Finger aneinander und wartete.

„Was tust du da, Sherlock?“

„Beweismittel sammeln.“, flüsterte Sherlock abwesend. „Tu mir einen Gefallen und stell ihre Kleidung sicher, wenn sie herauskommt. Es könnte DNA Spuren oder ähnliches vorhanden sein.“

„Du solltest sie einfach danach fragen, Sherlock. Sie würde sie dir geben.“, erwiderte John, der sich auf die Lehne des Sessels niederließ und zusammen mit Sherlock starrte er an die Tür.

„Oder aber…“, flüsterte Sherlock erneut leise. „Oder aber es lässt sie realisieren wie ernst die Situation wirklich ist. Wenn sie herauskommt, wird sie vermutlich noch vom Schock betäubt sein. Die Schutzmechanismen des Gehirns sind schon erstaunlich, findest du nicht, John?“

In diesem kurzen Moment bekam er seine übliche Tonlage wieder, doch der melancholische Ausdruck in seinen Augen blieb.

„Es wird alles versuchen um das Geschehene so weit wie möglich von sich zu schieben und deshalb ist es denke ich besser, wenn wir nicht darüber reden.“

„Aber du wirst doch auch Proben von ihr nehmen müssen.“ John sah kurz zu seinem besten Freund, der noch immer nachdenklich auf der Couch sah. „Hat sie ihn gekratzt?“

„Das weiß ich nicht. Sie sagte sie hätte sich selbst verteidigt und habe versucht zu entkommen, aber wenn sie Spuren von ihm hatte, so sind sie wohl bei ihrem Duschwahn weggewaschen worden.“

„Könntet ihr bitte aufhören darüber zu reden?“, kam eine leise, schwache Stimme von der Küche her. John und Sherlock drehte sich herum und sahen Catherine in der Küche stehend, frisch angezogen, doch ihr Anblick noch immer erschreckend. Das feuchte Haar hatte sie nur sporadisch abgetrocknet, sodass es feucht von den Schultern hing. Ihre Arme waren ebenfalls noch immer um sich geschlungen, doch sie kam von alleine langsam zurück. „Du kannst dir von mir nehmen, was du willst, Sherlock. Nur bitte…ich will nicht mehr darüber reden.“

John blickte Sherlock nur an, welcher den Kopf weggedreht hatte und auf sein Kit schaute. Catherine hingegen setzte sich hin, während Sherlock seinem Freund mit einem Blick bedeutete seiner vorherigen Bitte nachzukommen. Dieser nickte nur, nahm sich drei der bereitgelegten Beweisbeutel und verschwand klammheimlich im Bad.

Sherlock hingegen ließ sich auf den Kaffeetisch nieder und blickte sie an.

„Darf ich?“, fragte er und hielt seine Hand vor ihr ausgestreckt. Catherine schluckte und er sah das Zögern in ihren Augen, doch schließlich gab sie ihm ihre Hand, sodass er mit einer Nagelpfeile die Reste von Erde und eventuell Haut unter den Fingerspitzen entfernen konnte. Catherine zitterte noch immer leicht, doch die Intensität hatte schon deutlich nachgelassen, nachdem die Kälte verschwunden war aus ihren Knochen. John kam in der Zwischenzeit zurück, verstaute die Kleidung in den Beuteln in der Küche, bevor er sich neben sie setzte und ihr einen Arm um die Schulter legte, während Sherlock nun die zweite Hand säuberte, die Proben auf die Petrischale übertrug und diese dann versiegelte damit sie nicht kontaminiert wurden. Anschließend verließ er das Wohnzimmer um die Proben im Kühlschrank zu verstauen, kehrte dann zurück und setzte sich wieder neben sie. Sanft legte er ihr einen Arm um die Schulter und sofort entspannte Catherine sich wieder ein wenig mehr, auch wenn ihr Körper noch immer damit beschäftigt war sich selbst zu beschützen und jeden mit ihrer Körperhaltung abzuweisen.

„Ich habe mich so machtlos gefühlt.“, flüsterte sie plötzlich nach einer halben Stunde in der diese merkwürdige Stille geherrscht hatte, in der keiner der beiden Männer wusste, was er denn sagen sollte. „Kraftlos…Ich habe so viel getan für solche Momente…Selbstverteidigungskurse, Kick-Boxen…und doch...war er in der Lage…mir das anzutun.“

„Manchmal, ist alles Training nicht genug und es hängt alles schlicht vom Glück ab.“, sagte John ruhig und strich ihr durch die Haare. Er kannte das schließlich nur allzu gut.

„Aber…“, widersprach sie. „Wir haben genau solche Situationen geübt. Ich wusste was ich tun musste, aber ich konnte es nicht.“

Ihre Stimme klang verzweifelt, voller Selbstschuldzuweisung. Sherlock sah auf und blickte sie nachdenklich an.

„Das ist normal, dass du dich nun schuldig fühlst, Catherine. Opfer solcher Verbrechen fühlen sich oft schuldig, haben das Gefühl, dass sie etwas falsch gemacht haben. Aber das ist nicht wahr, Catherine, verstehst du das? Du bist das Opfer, nicht der Verbrecher. Nichts hiervon ist auch nur irgendwie ein Fehler.“

Die von ihm erhoffte Beruhigung durch seine Worte trat allerdings nicht ein, stattdessen zuckte Catherine zusammen und fing wieder an zu weinen. John warf ihm einen vorwurfsvollen Blick zu, rutschte näher an Catherine heran. Sherlock runzelte die Stirn. Offensichtlich war er wieder einmal unsensibel gewesen, doch er wusste wirklich nicht wo oder wann.

Kurze Zeit später kam Mrs. Hudson in die Küche, da sie sich gewundert hatte, warum die Dusche so lang angewesen war und sie hatte nachsehen wollen, ob ihre Jungs sie ausversehen angelassen hatte. John fing sie jedoch ab, bevor sie irgendetwas außer ihren üblichen Gruß sagen konnte. Er stand auf, ging in die Küche, legte ihr einen Hand auf den Arm und führte sie zurück.

Catherine hatte dennoch natürlich mitbekommen wie die ältere Dame die Wohnung betreten hatte. Sie seufzte leise, erschöpft von dem was passiert war und senkte wieder ihren Kopf.

Sherlock sah, dass die Trauma Bewältigung allmählich schwand. Ewig konnte ein Gehirn nicht den Schutz aufrechterhalten und sie war gerade dabei zu versinken. Hastig überlegte er, seine Augen rannen durch die Höhlen, während er nach einer Möglichkeit suchte mit dem er sie ablenken, aufbauen konnte.

Er zog sie näher an sich heran, hielt sie fest und flüsterte leise gegen ihre Schläfe:

„Ich werde ihn finden, Catherine. Das verspreche ich dir. Ich werde ihn finden.“

Kurz sah sie ihn an, bevor sie ihren Kopf wieder an ihn presste und zu weinen anfing. Sherlock holte tief Luft, versuchte den Unmut, der tief in ihm allmählich brodelte, zu unterdrücken und den Impuls ihr zu sagen, dass sie sich nicht so anstellen solle, verdrängte er.

Wenige Augenblicke später, nachdem sich Mrs. Hudson leise mit John unterhalten hatte, verschwand sie wortlos aus der Küche. John kam daraufhin in das Wohnzimmer zurück, sah wie Catherine noch immer gegen Sherlocks Brust gepresst weinte und blieb im Türrahmen stehen. Er beobachtete wie Sherlock alles versuchte um sie zu beruhigen und zu trösten, doch es gelang ihm einfach nicht. Sie weinte, wimmerte und schniefte in seinen Armen, als wäre ihre Welt zerstört worden. John seufzte. Dem war ja auch so. Er ließ die Tür für Mrs. Hudson offen und ging dann langsam zurück.
 

Catherine beruhigte sich nach einer halben Stunde so langsam wieder oder anders gesagt, es gab einfach keine Tränen mehr. Sie war wie ausgetrocknet, ihre Kehle rau und ihre Augen geschwollen und schmerzhaft gerötet. Langsam löste sie sich aus Sherlocks Armen und sah ihn entschuldigend an, bevor sie ihren Kopf abdrehte.

Es fiel selbst Sherlock nicht schwer zu erkennen, dass Catherine beschämt war. Sie glaubte noch immer, dass es ihm unangenehm war und dass sie ihm lästig gewesen war. Sie hatte damit auch gar nicht so Unrecht. Er hatte sich unwohl gefühlt und das hatte auch am Körperkontakt gelegen, aber vor allem daran, weil Catherine in ihrer Not sich auf ihn verlassen hatte, er aber nicht gewusst hatte, was er hatte tun sollen. Auch jetzt wusste er es nicht.

Da betrat Mrs. Hudson die Wohnung erneut. Sie hielt eine dampfende Schüssel Suppe in den Händen, als sie zu Catherine herantrat. Diese sah auf und wischte sich die letzten Tränen aus den Augen.

„Ich habe dir Erbsensuppe gebracht, meine Liebe. Die ist du doch so gerne, richtig?“

Catherine lächelte schwach und nahm die warme Keramikschüssel entgegen.

„Ja, stimmt. Danke, Mrs. Hudson.“

Die Vermieterin ließ sich neben ihr auf die Couch fallen, direkt neben Catherine und verdrängte Sherlock damit an den Rand der Couch. Sie legte ihr eine Hand auf dem Arm und lächelte sie an.

„John hat mir erzählt, dass du den Zug verpasst hast und den gesamten Weg durch den Regen rennen musstest. Kein Wunder, dass du halb erfroren bist.“

„Ich bin nicht taub, Mrs. Hudson und Sie nicht dumm.“, seufzte sie. „Ich konnte hören wie er Ihnen die Wahrheit gesagt hatte.“

„Oh Liebes…“, flüsterte sie und ein mitleidiger Schimmer lag in ihren braunen Augen, doch sie schwieg. Sie wusste, dass Catherine gerade nicht darüber reden würde.

„Es ist schon in Ordnung…“, sagte Catherine betont ruhig, doch ihre Stimme zitterte im Unterton. „Ich bin nur ausgeraubt worden. Nichts weiter. Als hört bitte auf mich zu bemitleiden.“

Mit diesem Schlussstrich begann Catherine die Suppe zu essen. Vorsichtig nahm sie einem Löffel, pustete und nahm einen Bissen.

Eisige, angespannte Stille herrschte für eine ganze Weile. Keiner wusste was er sagen sollte, wie Catherine geholfen werden konnte. So saßen die drei da und sahen sich hilflos an, doch Niemand wusste einen Rat.

Schließlich beendete Catherine ihre Suppe und schob die Schüssel von sich fort. Ihre Hände waren zwar nun ruhiger, zitterten aber immer noch.

„Danke, Mrs. Hudson.“, sagte sie noch einmal und sah sie an. „Es ist nun alles in Ordnung.“

„Bist du dir sicher?“

Catherine nickte.

„Ja, es ist nur…“

„Ich verstehe.“, erklärte Mrs. Hudson und nickte, lächelte dabei. „Versprich mir nur runter zukommen, wenn irgendetwas ist oder du etwas brauchst, ja?“

Catherine lächelte das erste Mal ehrlich. Es war ein dankbares Lächeln, das auch Sherlock und John erleichterte.

„Versprochen.“, flüsterte sie.

Mit diesem Versprechen stand Mrs. Hudson auf und verschwand aus der Wohnung um ihr die Ruhe zu geben, die ihr vielleicht gut tun würde.

Catherine blickte ihr kurz nach und sah dann John und Sherlock an.

„Nun, entschuldigt mich, ich möchte einfach nur schla…“ weiter kam sie nicht. Gerade als sie aufstehen wollte, packte Sherlock sie am Handgelenk und John drückte gegen ihre Schulter. Gemeinsamen drückten beziehungsweise zogen sie zurück auf die Couch. Irritiert blickte sie zu John auf, der mit ernstem Blick auf sie hinab sah.

„Was?“

„Du wirst nun nicht herüber gehen, Catherine. Das werde ich nicht erlauben.“, erklärte John streng. „Du wirst heute Nacht hier übernachten.“

„Mir geht es gut, John!“, entfuhr es Catherine harsch und ihr Kiefer versteifte sich ein wenig. Konnten sie nicht aufhören? Einfach aufhören sie immer wieder daran zu erinnern, sie immer wieder die Bilder durchleben zu lassen? Es tat so weh und sie wollte nicht länger in dieser kalten Dunkelheit der Angst sitzen. Sie wollte es vergessen und verdrängen.

„Ich brauche keinen Babysitter.“ Als die Macht ihrer Erinnerungen zurückkehrte, als sie das Geschehene erneut erlebte, schwand auch die Kraft, die sie für eine kurze Zeit gehabt hatte. Sie war wieder entwichen.

„Niemand hat etwas von Babysitten gesagt.“, sagte Sherlock ruhig und lehnte sich in der Couch zurück.

„Aber…“, setzte sie verzweifelt an.

„Kein aber!“, sagte seine dunkle Stimme erneut, dieses Mal ungleich ein wenig härter und bestimmter. Catherine kannte diesen Ton zu gut. Es war eben jener, den er anschlug, wenn er keine andere Meinung als die seine, akzeptieren würde.

„Du kannst in meinem Bett schlafen. Ich bleibe die Nacht auf der Couch.“

„Nein, sie wird in meinem Bett schlafen.“

John und Catherine sahen Sherlock überrascht an, als er dies mit ruhiger Stimme aussprach. Sie runzelten ihre Stirn und neigten synchron ihre Köpfe, wobei John noch sein typisches Kopfwackeln machte.

„Mein Bett ist direkt in Reichweite und-und sieh das bitte nicht als Beleidigung, John!-Wenn du auf der Couch schlafen würdest, hättest du mit hoher Wahrscheinlichkeit morgen einen Hexenschuss.“

John schnaubte und rollte mit den Augen.

„Sag doch ganz direkt, was du denkst, Sherlock. Ich bin alt.“ John schmunzelte leicht, obwohl die Situation noch immer merkwürdig war. Vermutlich Johns verzweifelter Versuch die Spannung zu lösen.

„Sherlock!“

„John und mir wäre es lieber, wohler dabei, wenn du heute Nacht hier bleibst. Nur für den Fall.“ Seine Stimme war ruhig wie ein Bach, der leise vor sich hinfloss. Ein Klang voller Entspannung, voller Kraft, die er ihr gab ohne es vermutlich zu wissen. Catherine zögerte trotzdem noch. Sie hatten schon genug für sie getan und sie wollte sich noch nicht weiter aufdrängen.

„Nur für den Fall, Catherine.“, wiederholte er noch einmal und sah ihr dann in die Augen. „Bitte.“

Catherine seufzte, warf ihre Hände verzweifelt nach oben, denn sie wusste, dass sie besiegt worden war.

„Aber…ich habe keine Sachen!“, war ihr letzter Versuch, doch er scheiterte kläglich. John griff neben die Couch und holte eine Tasche hervor.

„Ich habe dir Sachen mitgebracht.“

„Mir ist bei dem Gedanken nicht wohl, dass du durch meine Unterwäsche gewühlt hast.“, sagte Catherine spöttisch. John hingegen zischte nur unwohl und verzog das Gesicht.

„Mir auch nicht, aber ungewöhnliche Situation erfordern seltsame Maßnahmen, Catherine.“

„Nun gut.“, gab sie sich schließlich endgültig geschlagen. „Aber ich werde nicht dein Bett in Beschlag nehmen, Sherlock.“

„Sei nicht albern, Catherine. Ich werde nicht schlafen.“

Kurz sah Catherine ihn irritiert an, fragte sich warum, blinzelte, doch dann ging ihr ein Licht auf. Natürlich, die Proben die er genommen hatte. Die hatte sie schon verdrängt.

„Oh…ja…richtig…“, flüsterte sie und senkte den Blick.

„Nun komm…“, sagte John im ruhigen Ton und klopfte ihr auf die Schulter. „Mach dich fertig und geh ins Bett. Ich werde bei dir bleiben, bis du eingeschlafen bist.“

„Okay…“, flüsterte sie nur schwach, dann stand sie auf und ging ins Badezimmer. Als sie wieder herauskam, saß Sherlock bereits am Küchentisch mit den ausgebreiteten Petrischalen und seinem aufgebauten Mikroskop. Er hob kurz den Kopf und zeigte sein seltsames, breites Lächeln, doch der Blick in seinen Augen war weich und mitfühlend.

„Gute Nacht, Cath.“

„Ja…gute Nacht.“
 

Nach gut einer Stunde war dann Catherine Amell endlich eingeschlafen, während John nicht von ihrer Seite gewichen war. Mittlerweile jedoch war es mitten in der Nacht und er hatte sich deshalb vor ungefähr zwei Stunden zu Bett gegeben, da sie ziemlich ruhig schlief und Sherlock zu Not ja noch da war. Sherlock hatte ihm allerdings versprechen müssen, dass er ihn holen würde, sollte die Situation sich anspannen.

Bisher war dies allerdings ausgeblieben. Es war mitten in der Nacht. Vermutlich drei oder vier Uhr morgens und Sherlock saß noch immer über seinem Mikroskop, untersuchten die Proben und führten einige chemische Experimente durch. Er würde zwar vermutlich nichts finden, da er bereits wusste wo es geschehen war, doch es lenkte ihn ab, beruhigte ihn. Er konnte jetzt nicht untätig rumsitzen und die Proben ihrer Kleidung auf DNA untersuchen, konnte er hier nicht.

Seine hellen Augen starrten durch das Okular, untersuchten den Boden nach Faserresten, die eventuell dem Täter gehören könnten, doch die Suche blieb ergebnislos. Sherlock seufzte und ließ sich in den Stuhl zurückfallen. Das würde nicht einfach werden. Zeugen gäbe es sicherlich keine- schließlich hatte auch keiner die Polizei gerufen, das hatte Sherlock mit einer SMS an Lestrade schon überprüft- und selbst wenn es feige Menschen gäbe, die gesehen hätten was Catherine angetan wurde, so würde sie wohl kaum auffindbar.

Noch einmal seufzte Sherlock und fuhr mit seiner Hand durch seine dichten Locken. Das Licht schien kalt und künstliche von der Decke und er blinzelte, als seine Augen auf Grund des ungewohnten, anstrengenden Lichtverhältnis müde wurde.

Auf einmal Drang ein gequälter Laut aus seinem Schlafzimmer. Sherlock drehte sich herum, blinzelte kurz und lauschte, doch es blieb ruhig. Vielleicht hatte er es sich doch nur eingebildet. Doch er war sich sicher gewesen, dass er ein Stöhnen vernommen hatte. Er runzelte kurz die Stirn, doch dann wandte er sich wieder seiner Aufgabe zu.

Fünf Minuten später drang wieder ein Geräusch aus dem Zimmer, dieses Mal mehr ein Scharren und Rascheln. Wieder hielt Sherlock inne und stand dieses Mal direkt auf um nachzusehen. Als er den kleinen Flur, der vom Wohnzimmer zu seinem Zimmer führte, betrat, hörte er ein leises Wimmern und das Rascheln ertönte erneut. Da war ihm schlagartig klar, dass Catherine einen Alptraum haben musste.

Diese Vermutung bestätigte sich, als er sein Schlafzimmer betrat. Catherine hatte die Decke zu Boden gestrampelt, lag momentan auf dem Bauch, doch das Laken zeigte, dass sie sich stark hin und her gewälzt hatte. Schweiß schimmerte leicht auf ihrer Stirn von dem Licht aus dem Flur und sie wimmerte unentwegt.

Sherlocks Blick wurde traurig, als er sie so leiden sah.

„Bitte…bitte, lass mich gehen…bitte, nicht schlagen…“, hörte er sie leise betteln. Sein Herz verkrampfte sich bei diesem verzweifelten Apell und er setzte sich vorsichtig zu ihr aufs Bett. Diese wimmert wieder und ihre Hände krallten sich ins Laken, als sie geistig den Überfall wieder durchlebte.

Sherlock sah einige Zeit auf sie hinab wie sie mit allem kämpfte, doch dann ertrug er es nicht mehr. Vorsichtig legte er ihr eine Hand auf die Schulter und blieb einfach bei ihr. Studien sagten, dass Menschen unterbewusst Berührungen und Worte wahrnahmen.

Es dauerte eine ganze Weile, bis ihre angespannte Körperhaltung sich ein wenig entspannte und das Wimmern weniger wurde.

„Alles ist gut, Catherine.“, flüsterte er mit seiner tiefen, ruhigen Stimme. „Ich bin bei dir.“

Allmählich wurde ihr Atem ruhiger und ihre Gesichtszüge, die zuvor einer grausamen Horrormaske glichen, entspannten sich langsam. Sherlock atmete tief durch und versuchte seine Ruhe- wo er die gerade hernahm wusste er nicht- auf Catherine zu übertragen. Ruhig strichen seinen Fingerspitzen über ihren Arm, aber ansonsten tat er nichts. Er wollte sie nicht aus ihrem Schlaf wecken. Auch wenn dieser offensichtlich sehr unruhig war, so schlief sie wenigstens und das wollte er nicht dadurch beenden, dass er zu laut sprach oder hastige Bewegungen machte.

Seine tiefen Augen blickten sie dabei unentwegt an, beobachteten sie, ob ein neuer Alptraum sie angreifen würde, doch sie blieb ruhig und glitt allmählich in die traumlose Schlafphase glitt. Stets behielt er sie dabei im Blick, während eine gewisse Melancholie, die von ihm ausging, im Raum herrschte. Sherlock bemerkte noch nicht einmal, dass er die gesamte Nacht an ihrem Bett verweilte. Als er das nächste Mal von ihrem nun ruhig schlafenden Körper aufblickte, da schienen bereits die ersten Strahlen der Morgensonne durch das Fenster und tauchten Catherine in ein warmes, helles Licht. Beinahe als wäre sie eine Heilige mit dem göttlichen Schein.

Sherlock schüttelte den Kopf. Eine Heilige war sie sicher nicht, noch nicht einmal eine Selige, aber er konnte sich nicht erwehren, dass sie für ihn heilig geworden war. Niemand durfte sie beflecken, denn sie war reiner und unschuldiger, als sie selbst von sich dachte und er musste von der Dunkelheit beschützen, die ihr Weiß beinahe magnetisch anzog. Dies war seine Aufgabe und wenn er sie dabei vor sich selbst beschützen musste.
 

Man konnte wohl wirklich sagen, dass Catherine nicht gerade vom Glück gesegnet worden war und dies sollte bei Weitem nicht das Schlimmste sein, was ihr noch an der Seite von Sherlock Holmes widerfahren sollte. Doch darum soll es nicht einmal gehen. Der Sinn dieses Vorkommnis war nicht zu zeigen was geschah, wenn ein Raubüberfall passierte und auch nicht darum zu beweisen, dass Sherlock durchaus eine sanfte, behütende Seite haben konnte, wenn es um Jemanden ging der ihm wichtig war. Nein, der Grund für diese Kapitel war bei weitem düsterer, als es vielleicht auf dem ersten Blick erscheinen mochte. Vielmehr machte es Sherlock bewusst, dass eben jene dunkle, wütende Seite noch immer in ihm existierte.

Donovan hatte Recht gehabt. Irgendwann würde ihm das Lösen von Fällen nicht mehr reichen. Dafür war seine Seele bereits zu sehr kaputt. Irgendwann würde er sich auf die dunkle Seite begeben- oder vielleicht hatte er die Grenze sogar schon überschritten. So genau wusste er das in diesem Moment nicht.

Jedoch hatte sie sich im Bezug auf seine Beweggründe geirrt. Er tat es nicht aus Langeweile. Er tat es aus Wut, aus Rache für diejenigen, die noch zu sehr an die Moral der Gesellschaft gebunden waren um es selbst zu tun. Dies war der Grund und kein anderer.

Dieses Wesen, dass so tief in ihm brüllte und nach Vergeltung verlangte, schlief noch immer tief in ihm und wartete, lauerte förmlich auf eine Gelegenheit wieder loszuschlagen. Und die Chance eben jenes Wesen zu entfesseln, sollte Sherlock Holmes in vier Monaten erhalten.

Doch bis dahin würde er sich mit dem, was er so abfällig Alltag schimpfte, beschäftigen müssen und feststellen, dass auch eben jener seine Gefahren barg. Eben jener war wichtig, wenn auch nicht spannender als das, was versteckt in der Zukunft auf sie wartete. Und doch würde sie der Alltag sie noch vor Herausfoderungen stellen mit denen weder Sherlock noch John, Catherine, Mrs. Hudson, Lestrade oder gar Mycroft hätte rechnen können. Denn England hatte weit mehr an Gefahr zu bieten, als das was man auf dem ersten Blick vermutete.

Schon bald sollte Sherlock einem alten Feind gegenüber stehen, den er vermutlich nicht einmal als solch einen sah und es blieb nur zu hoffen, dass er aus der letzten Begegnung gelernt hatte.

Gegenüberstellung

Fünf Tage waren seit dem Überfall vergangen. Dunkle, schwere Wolken verhingen noch immer den Himmel über der Universität Londons und ließen die grauen Gebäude wie verschlafene Riesen wirken. Nur wenig Licht der Sonne schaffte es sich durch den starren Teppich zu kämpfen und den Hauptweg, der sich wie ein Fluss über den Campus schlängelte und zu verschiedenen U-Bahn Stationen führte, zu erhellen.

Catherine arbeitete nunmehr seit vier Tagen wieder. John hatte zwar versucht sie davon abzuhalten, doch Catherine hatte sich in ihrem Entschluss nicht beirren lassen. Sie konnte nicht den ganzen Tag in ihrer Wohnung sitzen, denn dann fing sie an nachzudenken und nichts wollte sie momentan wieder. Also hatten sich die beiden schließlich darauf geeinigt, dass sie einen Tag zu Hause bleiben würde, damit John sicherstellen konnte, dass sie von ihrem Sturz keine Gehirnerschütterung davon getragen hatte. Hätte er dies ausgeschlossen, so dürfte sie wieder arbeiten. Da sie am kommenden Tag weder Anzeichen von Übelkeit oder Schwindel gezeigt hatte, hatte John schließlich eingewilligt und ihr erlaubt am Dienstag wieder ihrer Arbeit nachzugehen.

Sherlock hingegen hatte Catherine in den vergangenen Tagen nicht wirklich zu Gesicht bekommen. Als sie Montag aufgewacht war, hatte er sein Apartment bereits verlassen und war am Abend nur zurückgekehrt um sie zu fragen, ob ihr vielleicht noch mehr Details eingefallen waren. Als sie jedoch diese Frage verneinte und erklärt hatte, dass sie ihm alles gesagt hatte, was sie wusste, war er direkt wieder gegangen. Seitdem hatte sie ihn nicht mehr gesehen.

Es war ihr schon mulmig gewesen, als sie sich am ersten Abend  auf dem Heimweg gemacht hatte, doch diese Sorge war unberechtigt gewesen. John hatte am Tor auf sie gewartet und nach Hause begleitet- wie an allen anderen Tagen danach auch. Sie hatte ihn nicht darum gebeten und er sie auch nicht gefragt. John hatte es einfach getan und dafür war sie ihm dankbar; auch wenn sie dies noch nicht so offen zeigen konnte. John erwartete dies auch nicht von ihr, sondern er hatte ihr einfach entgegen gelächelt und das Abholen mit einer Einladung zum Essen verbunden, sodass Catherine nicht das Gefühl bekam, dass es Schutz war, sondern eine Zufälligkeit.

Catherine verließ gerade eines der verwinkelten Seitengebäude in dem sich ihr Labor befand. Sie folgte einem verwinkelten Trampelpfad, der sich durch eine trockene Wiese zog und steuerte auf den Hauptweg zu. Kathy und Daniel trotten neben ihr her und plauderten über ihre Abendplanungen. Catherine wusste nicht, ob John sie angewiesen hatte, aber es war schon auffällig, dass sie stets dann Schluss machten, wenn Catherine es auch tat. Letzen endlich war es ihr sogar egal. Es gab ihr eine gewisse Art von Sicherheit.

Menschenmassen drangen aus den Gebäuden wie Ameisen aus ihrem Bau und strömten auf den Hauptweg. Catherine warf einen kurzen Blick auf die Uhr. 17 Uhr. Vorlesungsende. Die Studenten verließen die Hörsäle und machten sich schwatzend auf dem Weg zu der U-Bahn um nach Hause zu kommen. Catherine blieb kurz unter einer Birke stehen, die bereits ihre Blätter abwarf um sich für den Winter zu rüsten und wartete, bis der Strom abklang. Sie mochte keine Menschenmengen. Sie beängstigten sie. Wie generell alles was wenig Platz bedeutete oder laut war. Unterbewusst hatte Serbien noch deutlich seine Spuren in ihr hinterlassen auch wenn sie so gut wie möglich es zu verbergen.

Sie waren wirklich ein bunter Haufen. Alle Haar-; Hautfarbe und Ethik liefen bunt vermischt über den Weg und frönten ihr Leben, während Catherine sie wie ein Schatten beobachtete. Zu viel hatte sie gesehen, als dass sie daran noch teilnehmen könnten. Unbeschwertheit musste wahrhaft ein Segen sein, eine gewisse Art von Unschuld. Sie wussten nichts von der Welt, die es noch in London gab. Sie wussten nichts von dem Schrecken, der Kriminalität, der Gewalt, doch Catherine kannte sie und seitdem, konnte sie nicht mehr so tun als würde sie nicht existieren. Catherine hatte eben jene Unschuld des Nichtwissens vor langer Zeit verloren und diese freudige Erregung erschien seltsam leer und unbedeutend. Es war nicht die Realität; zumindest nicht die komplette. Es war nur ein Teil davon. Ein Bruchstück des Spiegels, der ihr Antlitz abspiegelt.

Zehn Minuten später hatte sich die Masse aufgelöst. Der graue Steinweg lag nun beinahe unheimlich still vor. Kleine Dunstschwaden schwebten durch den kalten Herbstabend. Es war beinahe, als hätte sich ein schwarzes Loch aufgetan und sie alle eingesaugt. Nun gut, in gewisser Weise war auch eines da. Es nannte sich die letzte U-Bahn für die nächste Stunde. Ab halb sechs Uhr abends wurde die Abfahrhäufigkeit drastisch heruntergefahren, da die meisten Studenten keinerlei Vorlesungen mehr hatten. Wer die U-Bahn noch erreichen wollte, der musste sich beeilen.

Catherine löst sich von unterhalb der Birke, deren Blätter bereits welk waren und trat auf dem Weg, warf kurz einen Blick umher und holte tief Luft. Kathy und Daniel folgten ihr und liefen mit ihr dem Weg hinab. Eichen, Birken und Kastanien wogen sich im eisigen Wind. Catherine fröstelte und stellte den Kragen ihres Mantels hoch. Kathy bibberte neben ihr und blies sich ihren Atem über die Hände, rieb sie aneinander. Es waren nur ungefähr fünf Grad und das in einem September.

Ihre Schuhe klackerten auf dem glatten Pflaster, als sie ebenfalls in Richtung U-Bahn Station auch wenn sie die Bahn nicht mehr erwischen würde. Das war auch gar nicht notwendig. Kathy und Daniel wohnten nicht weit von der Universität und fuhren selten mit der Bahn, während Catherine meist mit dem Taxi nach Hause fuhr. Bakerstreet war mit der Bahn eine gute dreiviertel Stunde entfernt.

Kurz bevor sie die Station erreichten, musste das Trio noch um eine Ecke biegen. Die U-Bahn fuhr die letzten drei Stationen der Strecke nämlich oberirdisch und hier war ihre Endstation. In einem halben Zirkel fuhren die U-Bahnen, wenn sie die Studenten entladen hatten, um dann am gegenüberliegenden Gleis wieder einzufahren. Rechts, hinter dem Abfahrgleis befand sich ein Weg zu den Studentenwohnwerk und links von ihnen ein weiträumiger Parkplatz.

Catherine blieb nach der Kurve stehen in der Erwartung, dass John wie die letzten Tage auf sie warten würde, doch der Arzt war nicht da. Niemand war mehr dort. Sie sah noch die Rücklichter der U-Bahn, die gerade um die Ecke bog und verschwand. Der Blick von Catherine wanderte zu der Stelle, wo John sonst immer stand. Eine Straßenlaterne rechts von ihnen, doch dort war John nicht. Jemand anderes stand dort und wartete auf sie, starrten ihr entgegen. Das künstliche, unnatürlich weiße Licht ließ seine dunklen Locken bläulich erstrahlen. Helle, blaue Augen starrten Catherine entgegen. Sherlock sah sie einfach nur an und wartete.

Wie er so dastand in seinem langen, dunklen Mantel, die Hände lässig in die Taschen gesteckt und mit diesem unheilvollen Licht erstrahlt, wirkte er beinahe wie aus einem alten Mafiafilm entsprungen. Es fehlte nur noch, dass er sich lässig eine Zigarette anstecken würde. Wie ein Bild aus Schwarz und Weiß und doch ging etwas Machtvolles von ihm aus. Etwas in Sherlock hatte sich verändert. Das konnte Catherine spüren. Seine Aura hatte sich verändert.

Auch Daniel und Kathy blieben stehen und sahen zu Sherlock herüber, doch sein Blick ruhte auf Catherine. Er bewegte sich nicht und sagte kein Wort, beinahe als wäre er  festgefroren. Er überließ ihr die Entscheidung, ob sie zu ihm ging. Zum ersten Mal wartete Sherlock auf sie.

Catherine sah kurz zu ihren Freunden, die Sherlock im Auge behielten, dann sah Kathy sie an. Catherine erwiderte ihren Blick und nickte zustimmend, deutete in Richtung ihres zu Hauses. Daniel sah sie nun auch an und verzog seine Lippen. Catherine rollte kurz mit den Augen und nickte noch einmal bestimmter in Richtung Süden, lächelte kurz und lief zu Sherlock.

Sie sah nicht, dass Sherlocks Ausdruck kurz erleichterter wurde. Als sie ihn erreichte, legte er ihr einen Arm um und drückte sie gegen seine Schulter. Catherine wusste in diesem Moment nicht, ob er es demonstrativ für Daniel tat, der verärgert sein Gesicht verzog oder für sie. Vielleicht war es sogar beides, aber das war Catherine in diesem Moment egal. Sie war einfach nur froh, dass er da war. Er war noch immer so warm.

„Alles in Ordnung?“, flüsterte Sherlocks ruhige, dunkle Stimme in ihr Haar und Catherine glaubte sogar, dass er kurz seine Lippen auf ihre Kopfhaut drückte. Sie schloss die Augen und lehnte ihren Kopf gegen ihn. Einige Zeit überlegte sie und flüsterte dann das Unverfänglichste, was ihr einfiel:

„Den Umständen entsprechend.“

Sherlock drückte sie ein wenig von sich weg, blickte in ihre Augen und nickte. Es stellte ihn einigermaßen zufrieden.

„Komm mit. Ich muss dir was zeigen.“

Catherine blickte ihn an und sah den Ernst in seinen Augen. Kurz zögerte sie, dann sah sie zu Kathy und Daniel und bedeutete ihnen, dass alles in Ordnung sei und sie mit Sherlock gehen würde. Daniel knirschte mit den Zähnen, doch Kathy verstand. Sanft legte sie eine Hand auf seinen Arm und führte ihn über die Gleise. Dieser seufzte und ergab sich in die Situation.

Sherlock sah dem- Konkurrenten? Nein, zu hoch gegriffen. Nun was auch immer Daniel war- nach und schaute dann Catherine an.

Schließlich verließen die beiden gemeinsam den Campus. An einer Straßenecke, im klaren Schein einer Straßenlaterne gehüllt, wartete bereits ein schwarzes Taxi auf sie. Anscheinend hatte Sherlock dies von Anfang an geplant und seinen rosigen Wangen nach, hatte er bereits eine ganze Weile in der Kälte auf sie gewartet. Das könnte nun wirklich eine teure Taxifahrt werden.

Kurz hielt sie dann aber doch inne, blinzelte irritiert und wandte sich dann Sherlock zu.

„Was ist mit John?“, fragte sie ihn, als Sherlock gerade sich zum Fahrerfenster des Taxis hinablehnte um dem Fahrer die Adresse zu nennen. „Nicht, dass er hier auf mich wartet. Er hat mich schließlich die letzten Tage auch abgeholt.“

Sherlock wandte sich kurz zu ihr um. Kurz bauschte eine Windböe seinen Mantel auf und für den Bruchteil einer Sekunde rieb er sich über die Arme, dann nahm er aber wieder seine gewohnte Haltung an, die nichts über ihn durchblickten ließ.

„Ich habe John bereits eine SMS geschrieben. Es schien ihm gut zu passen. Anscheinend ist heute in…wie hieß sie nochmal?“ Er runzelte die Stirn.

„Sarah.“, antwortete Catherine nur und rollte mit den Augen.

„Ah ja, richtig, Sarah. Er hat eindeutig zu viele Freundinnen.“, murmelte Sherlock mehr zu sich, dann räusperte er sich kurz und fuhr fort:

„Jedenfalls ist in der Praxis momentan wohl ziemlich viel zu tun.“ Damit war das für ihn erledigt. Er trat an die Hintertür des Wagens und bedeutete Catherine einzusteigen. Diese sah ihn kurz an und nickte. In dem Wagen herrschte ein etwas eigenartiger Geruch. Beinahe als wäre Leder zu lange nass gewesen. Catherine kräuselte kurz die Nase und ließ sich dann etwas unwillig auf den Sitz fallen. Sherlock stieg nach ihr in den Wagen, ohne dass Catherine verstanden hatte, welche Adresse er dem Fahrer genannt hatte, und schloss die Tür. Röhrend startete der Motor des Wagens und verließ schließlich den Rand des Bürgersteigs, an dem er gewartet hatte. Sie verließen den Campus und bogen an einer Ampel nach links in Richtung Zentrum ab.

Mittlerweile wurde es dunkel. Die Sonne verschwand hinter den Kronen der Bäume um sich für heute zur Ruhe zu betten. Catherine beobachtete eine ganze Weile die Umrisse der Metropole, die wie Schatten an ihrem Fenster vorbeizogen. Sie betrachtete wie Häuser zu Bäumen oder Einkaufszentrum wurden. Durch die dunkle Umgebung, waren nicht mehr als Umrisse zu erkennen und da das Taxi eine gewissen Geschwindigkeit hatte, war es beinahe als würde Form um Form ineinander fließen. Nachdenklich runzelte sie ihre Stirn als sie herauszufinden versuchte, wohin Sherlock mit ihr fuhr, doch sie kam zu keiner eindeutigen Lösung. Sie wusste nur, dass sie den Süden Londons- wo sich die Universität befand- verließen.

Das Taxi schlängelte sich durch den Verkehr; ordnete sich mal links, mal rechts ein- je nachdem wie es der Verkehr zuließ. An Ampeln wartete es geduldig nur um dann seinen Weg fortzusetzen und einige der etlichen Baustellen in London zu passieren.

Nach ungefähr zehn Minuten löste sich Catherine vom Fenster und blickte Sherlock an, der ihr gegenüber saß.

„Wohin fahren wir eigentlich, Sherlock?“, fragte sie ihn. Dieser wandte seinen Kopf zu ihm um und blickte sie ruhig an.

„Das wirst du noch schnell genug erfahren, Catherine.“ Mit diesen Worten schenke er ihr ein leichtes, gütiges Lächeln und wandte sich dann schließlich wieder ab. Irritiert über seine ominöse Aussage, runzelte Catherine die Stirn. Allerdings kannte sie ihn lang genug um zu wissen, dass sie nicht mehr von ihrem Ziehvater erfahren würde. Also musste sie abwarten und schauen wo ihre Reise enden würde.

Allzulange musste sie darauf auch nicht mehr warten. Ungefähr eine halbe Stunde nachdem sie den Campus verlassen hatten, hielt der Wagen an einer großen Hauptstraße und Sherlock stieg aus dem Taxi. Catherine allerdings war es inzwischen flau im Magen geworden. Zu ihrer Linken befand sich ein großes Gebäude mit riesigen Fensterfronten. Ein klassisches, modernes Bürogebäude und vor dem Eingang, der hell erleuchtet war, stand ein Schild, dass Scotland Yard verkündete.

Catherine schnappte kurz nach Luft und ihr wurde richtig schlecht. Nun war es nicht mehr schwer zu erahnen, weshalb Sherlock sie hierher gebracht hatte. Ob sie das allerdings wollte, wusste sie ehrlich gesagt nicht. Sie hatte das Gefühl, dass sich die Welt um sie herum sich kurz drehte und sie den Halt verlor.

Sherlock schaute wieder in den Wagen hinein.

„Catherine? Kommst du?“

Sie schüttelte nur den Kopf und blickte ihn an.

„Ich weiß nicht, ob ich das kann, Sherlock.“, flüsterte sie mit etwas brüchiger Stimme und blickte ihn ängstlich an. Sherlock kniete sich vor die Tür und sah sie nachdenklich an.

„Du wirst dich dem stellen müssen, Catherine. Sonst wird es dich irgendwann auffressen.“, sagte er ruhig und streckte ihr seine Hand entgegen.  „Außerdem glaube ich, dass der Taxifahrer etwas dagegen hat, wenn du in seinem Taxi übernachtest.“

Catherine blickte auf seine feingliedrige Hand, dann seufzte sie und rutschte über die Sitzbank nach draußen. Sherlock ergriff dabei ihre und half ihr beim Aussteigen. Als ihre Füße den Boden betraten,  schwankte sie plötzlich. Ihr war schwindelig und Angstschweiß durchnässte ihre Hände.

Sherlock sah zu ihr hinab und stützte sie wortlos. Er machte keinen großen Wirbel um ihre kleine Panikattacke. Im Gegenteil, er ließ sie vollkommen unkommentiert.

Dennoch überlegte Catherine noch immer wie sie sich dieser Situation entziehen könnte ohne Sherlock dabei zu verärgern. Sie wollte den Mann nicht sehen. Sie wollte vergessen und verdrängen und sich nicht noch einmal damit auseinander setzen.

Sherlock ging langsam einen Schritt vor in Richtung des Eingangs, da er glaubte, dass Catherine ihm folgen würde, doch das tat sie nicht. Statt der stillen Aufforderung nachzukommen, strauchelte sie rückwärts. Ihr Herz hämmerte panisch gegen ihren Brustkorb und ihr ganzer Körper zitterte.

„Catherine, jetzt stell dich nicht so an.“, sagte Sherlock ohne sich zu ihr umzudrehen.

„I---Ich kann nicht.“, stotterte sie verängstigt und schüttelte vehement den Kopf.

„Doch du kannst.“, erwiderte er entschieden. „Und du wirst.“

Er drehte sich zu ihr um und seine Augen waren durchdringend. Kein Flackern, kein Zittern, sie starrten sie fest an und duldeten keinen Widerspruch. Catherine holte scharf Luft.

„Bitte, tu mir das nicht an.“ Ihre Stimme zitterte stark, bettelte beinahe. All das wurde ihr zu viel. Das kam alles zu plötzlich. Sie war nicht darauf vorbereitet.

Da änderte sich etwas in Sherlocks Blick. Er wurde wieder weicher, verständnisvoller, wenn auch noch etwas von seinem typischen Unverständnis blieb.

„Catherine…“, flüsterte er leise. „Cath…ich bin die ganze Zeit bei dir. Dir wird nichts passieren. Wir sind doch im Scotland Yard.“

„Als ob das für Sie etwas bedeuten würde, Sherlock.“, sagte eine tiefe Stimme links von ihnen. Catherine und  Sherlock drehten sich um. Lestrade stand neben der Treppe. Seine dunkle Jacke war vom Reif überzogen  und seine Wangen von der Kälte gerötet. Die dunkelbraunen, beinahe kastanienfarbenen Augen betrachteten Catherine.

Sherlock rollte nur mit den Augen, während Lestrade an ihn vorbei ging und Catherine begrüßte. Obwohl sie noch immer überfordert fühlte, erwiderte sie seinen Gruß höflich und schaffte es sogar ein Lächeln zu zeigen.

„Ist alles vorbereitet, Lestrade?“, fragte Sherlock den Detective Inspector ohne ihm einen Guten Abend zu wünschen oder Ähnliches. Lestrade seufzte und fuhr sich mit der Hand einmal über den Kopf, nickte dann aber.

„Natürlich, Sherlock. Als ob ich es wagen würde, mal etwas nicht für Sie vorbereitet zu haben.“, erwiderte er und seufzte erneut. Catherine schmunzelte leicht, doch das flaue Gefühl in ihrem Magen blieb. Sie hatte einfach Angst. Das erste Mal würde sie einem ihrer Angreifer in die Augen sehen und davor fürchtete sie sich mehr, als alles andere.

„Gut, gut…“, murmelte Sherlock abwesend und griff ungefragt nach Catherines am. Gerade, als sie ihn abschütteln wollte, zog er sie fest und bestimmt einfach mit.

„Sherlock!“

„Ich werde dich nicht weiter wegrennen lassen.“, sagte dieser ruhig und zog sie einfach mit sich.

Lestrade sah den beiden seltsamen Gestalten, seufzte schwer und folgte ihnen schließlich.
 

Fünf Minuten später stand Catherine in einem kargen, möbellosen Raum, der nicht mehr als 5 Quadratmeter umfasste. Eine einzelne, nackte Glühbirne hing von der Decke und tauchte den Raum in ein schummriges, kaltes Licht. Die Wände waren aus simplen, dunklen Backsteinen, während die linke Wand einen Bereich hatte, wo eine glatte, beinahe schwarze Oberfläche die Wand durchzog.

Sherlock und Lestrade befanden sich mit ihr im Raum. Während Lestrade an einem Lautsprecher neben der Oberfläche, die eindeutig ein halbdurchsichtiger Spiegel war, hantierte, wippte Catherine nervös von einem Fuß auf den anderen. Natürlich wusste sie was das hier war. Man sah es schließlich in so ziemlich jeder amerikanischen Krimiserie. Hinter dem Glas befand sich entweder ein Verhörraum oder der für die Gegenüberstellung und beide Varianten stimmten Catherine unruhig. Sollte sie den Räuber identifizieren? Aber sie hatte Sherlock doch gesagt, dass sie das nicht könnte.

„Wa-was machen wir hier, Sherlock?“, fragte sie irritiert, während sie mehrfach auf Grund der seltsamen Lichtverhältnisse blinzelte. Bei einem leisen Röcheln der Heizungsrohre fuhr sie herum, doch Lestrade drehte sich nur zu ihr um und winkte beschwichtigend ab. Catherine schloss die Augen und holte tief Luft um ihr schnell schlagendes Herz wieder zu beruhigen.

Sherlock trat währenddessen an den Spiegel heran und bedeutete ihr mit einer Geste, es ebenfalls zu tun. Catherine zögerte, folgte aber dann schließlich seiner Aufforderung nach. Lestrade sah kurz zu ihnen herüber, dann schaltete er den Spiegel auf halbdurchsichtig. Plötzlich drang gelbes Licht durch den Spiegel und Catherine sah sich direkt einem Mann gegenüber, der mit gerunzelter Stirn sie beinahe anzusehen schien. Sie jappste vor Schreck und klammerte sich an ein kleines, hervorstehendes Brett um nicht nach hinten zu taumeln. Natürlich wusste sie, dass der Man sie nicht sehen konnte, doch die Augen, die eingesunken und hart den Spiegel anstarrten, schienen genau auf sie gerichtet zu sein.

Sherlock trat in der Zeit heran und stellte sich neben sie ohne sie dabei jedoch zu berühren.

„Wer ist das?“, fragte Catherine an ihn gewandt, obwohl sie natürlich bereits die Antworte kannte.

„Das ist der Mann, der dir das angetan hat.“, erklärte Sherlock an und klopfte mit seinen Fingerspitzen leicht gegen das Glas, welches kein Geräusch von sich gab. Catherine schluckte und erstarrte augenblicklich. Sie wusste nicht wie sie reagieren sollte und starrte deshalb einfach den Mann an. Er war Russe- so vermutete Catherine es zumindest. Groß, nicht übermäßig muskulös, aber doch stark genug um sie gegen ihren Willen auf den Boden gedrückt zu halten. Sein Kopf war kahlrasiert und seine grauen, harten Augen starrten sie noch immer an. Eine Narbe zog sich von seinem linken Ohr bis zum gleichseitigen Mundwinkel. Sie zerfurcht und schien den Mundwinkel zu einem permanent irren Grinsen nach oben zu ziehen. Seine Nase war vermutlich schon mehrmals gebrochen gewesen der Form nach zu urteilen. Er trug einen schwarzen Pullover und eine schwarze, zerrissene Stoffhose- ähnlich bei ihrem Überfall.

Catherine konnte es nicht glauben. Das war er also. Dies war der Mann, der sie überfallen hatte- glaubte sie zumindest. Aber wenn Sherlock sie schon hierher brachte, dann musste das doch bewiesen sein, oder? Er würde es ihr doch nicht antun einen Täter zu präsentieren, wenn sich später herausstellte, dass der wahre noch immer draußen frei herum lief, oder etwa nicht? Catherine überlegte einige Momente, schüttelte dann aber den Kopf. Nein, das würde selbst Sherlock nicht tun. Noch nicht einmal der Alte und der neue schon gar nicht und wenn es nur aus dem Grund war, weil er sich keine Blöße geben wollte.

Langsam trat sie noch näher heran.

„Das ist er?“, fragte sie mit zitternder Stimme um noch einmal Bestätigung zu erhalten. Sherlock nickte nur knapp.

„Ja.“

Catherine wusste nicht was sie sagen sollte. Plötzlich war ihr Mund trocken wie eine Wüste und ihre Lippen begannen zu zittern, als würde sie ein Erdbeben erschüttern. All die Erinnerungen stürmten wie ein Taifun auf sie ein, drehten sich von ihrem inneren Auge und verschlangen sie beinahe. Verzweifelt krallte sie sich an dem Holz fest um nicht den Halt in dem wütenden Sturm ihrer Gedanken zu verlieren.

Die Angst in ihr wuchs, obwohl sie noch immer wusste, dass es blödsinnig war. Er befand sich in einem abgeschlossenen Raum, hinter Panzerglas und konnte sie noch nicht einmal sehen. Er wusste noch nicht einmal, dass sie hinter dem Glas stand und ihn beobachtete und dennoch schien es, als würde er sie direkt anstarren und für einen kurzen Augenblick zuckten seine Mundwinkel zu seinem seltsamen Lächeln. Natürlich bildete sie sich das nur ein und außerdem könnte er ihr nichts tun, selbst wenn er wüsste, dass sie da wäre. Sie war hier im Morddezernat von Scotland Yard, umgeben von mindestens fünfzig Plolizisten. Wie sollte er sie also hier angreifen?

Doch diese Beruhigungen wurden von den Erinnerungen seiner Drohungen, dem Gefühl des Messers an ihrer Kehle und den gleißenden Schmerz des Schnittes davongespült. Unwillkürlich fasste sie an den Wundrand, der sich allmählich schloss und schluckte.

Aber was, wenn die Beweise gegen ihn nicht reichten und…so ein Unsinn. Wenn Sherlock daran gearbeitet hatte, dann würde der Russe unter den erdrückenden Beweisen zerquetscht. Außerdem kannte er noch nicht einmal ihren Namen. Also selbst wenn er rauskommen würde, wie sollte er sie dann ausfindig machen? Würde er ihr etwa wieder im Park auflauern? Wohl kaum. Sherlock würde schon dafür gesorgt haben, dass er verurteilt würde.

„Hast du genug Beweise?“, fragte sie leise und blickte zu Sherlock auf. Dieser wandte ihr seinen Blick zu und nickte. Der Ausdruck in der grau-blauen Iris mit diesen kleinen, grünen Sprenkeln, war ernst, aber versichernd. In der Tiefe lag außerdem noch etwas Beruhigendes.

„Ich bereite alles vor.“, antwortete nun Lestrade und löste sich von der Steuerkonsole. „er wird noch heute dem Haftrichter übergeben. Die Staatsanwaltschaft will auf Untersuchungshaft plädieren.

Catherine holte tief Luft und nickte. Gut, das war sehr gut. Der Mistkerl würde bekommen, was er verdiente. Sie war froh, dass ihr Peiniger für einige Zeit im Gefängnis landen würde- zumindest mit hoher Wahrscheinlichkeit. Auch wenn sie es nicht zugab, es hatte ihr schwer zu schaffen gemacht und auch noch einige Ängste aus der Zeit in Serbien wieder hervorgeholt.

Sie holte noch einmal tief Luft, nickte, trat näher an den Spiegel heran und legte ihre Hand auf das Glas. Der Russe hatte sich mittlerweile abgewandt und wieder auf dem Stuhl vor dem schlichten Holztisch Platz genommen. Sie zuckte, als sie die Kälte des Glases spürte und strich dann doch einmal herüber. Das war also der Mann, der sie für einige endlos erscheinende Minuten um ihr Leben hatte fürchten lassen.

Sherlock trat an sie heran und legte ihr eine Hand auf die Schulter.

„Bist du in Ordnung?“, flüsterte er. Catherine schüttelte nur den Kopf.

„Nein, bin ich nicht.“, sagte sie mit emotionsloser, leiser Stimme und doch war es das erste Mal, dass sie Sherlock gegenüber ehrlich war, was ihre Gefühle anging. Normalerweise hätte sie nun gelogen und bejaht, nur damit er sie als stark empfand und sie ihm nicht zur Last viel und auch wenn sie dies noch immer mal wieder tat- alte Gewohnheiten wurde man sie so schnell nicht los- so war die Zeit vorbei. Sie wollte ihm wirklich vertrauen.

„Vor mir steht der Mann, der mir all das angetan hat. Ich hatte damals Angst um mein Leben, Sherlock. Das kannst du mir glauben. Ich hatte wirklich Angst.“, flüsterte sie leise und holte tief Luft. „Und ihn jetzt zu sehen…Ich weiß auch nicht.“

Sie zuckte kurz hilflos mit den Schultern.

„Natürlich ist es gut zu wissen, dass du ihn gefasst hast und dass er ins Gefängnis wandert, aber zeitgleich bringt es all die Erinnerungen jener Nacht zurück. Auch all den Schmerz. Ich weiß nicht, was ich fühlen soll.“

Ihre Augen starrten ausdruckslos vor sich hin, doch dann spürte sie wie Sherlocks Hand fester zudrückte. Sie sah ihn an und blickte in beruhigende Augen.

„Alles ist gut, Catherine.“, flüsterte er zurück und strich ihr eine Haarsträhne über die Schulter. „Es ist vorbei.“

Wieder nickte sie nur und runzelte die Stirn.

Einige Zeit herrschte Stille in diesem kargen Raum. Weder Lestrade noch Sherlock sagten etwas und in Catherines Kopf herrschte seltsame Ruhe, als hätte sich gerade ein Sturm gelegt.

„Wer ist er?“, fragte sie dann schließlich und Lestrade verstand was sie meinte.

„Alexei Petrikov…“, sagte er und ging nun ebenfalls auf sie zu.

„Du solltest vorsichtig sein, Cath.“, sagte Sherlock. „Du scheinst beinah anziehend für den Osten zu sein.“

„Nicht lustig, Sherlock.“, erwiderte Catherine trocken und murrte. Sherlock grinste nur, während Catherine und Lestrade zeitgleich mit den Augen rollten.

„Er kam von Petersburg im Jahr 2003 nach Cardiff…“

„Cardiff…Wieso eigentlich immer Cardiff?“, murmelte der Detective und grummelte vor sich hin.

„Sag nichts über Cardiff, Sherlock. Ich komme daher.“

„Genau das mein ich ja. Scheint ja ein Sammelpunkt von Verrückten zu sein.“

„Hahaha, sehr lustig, du Idiot!“, schimpfte Catherine und boxte ihm leicht in die Seite. Sherlock schmunzelte nur zufrieden und auch Catherine lächelte leicht. Sie wusste was er getan hatte. Er hatte zwar eine seltsame Art und Weise zu versuchen jemanden aufzumuntern, doch bei ihr funktionierte diese offensichtlich immer wieder. Auch Lestrade schmunzelte, fuhr dann aber ungerührt fort:

„Und kam vor zwei Jahren nach London. Vorbestraft wegen Drogenkonsums. Hat mit Speed gedealt und war auch wegen Körperverletzung und Förderung der Prostitution angeklagt, die Anklagepunkte wurde aber fallengelassen, da die Hauptzeugin einen Rückzieher machte.“

„Das tun sie immer.“, kommentierte Sherlock nur. Catherine seufzte und fuhr durch sich durch die Haare.

„Ich hätte niemals vermutet, dass er Russe ist. Die haben meist solch einen harten Akzent, aber ich konnte keinen feststellen.“, sagte Catherine gedankenverloren. Konnte sie ihrer eigenen Wahrnehmung überhaupt noch trauen, wenn sie selbst das nicht festgestellt hatte?

„Er hat ja auch keinen.“, antwortete Lestrade. „Warum auch immer, aber er spricht perfektes Englisch, wenn man mal die wüsten Slangausdrücke und Schimpfwörter mal außer Acht lässt, die er benutzt.“

Erst jetzt bemerkte Catherine, dass noch ein Detective im Raum war. Er hatte sich all die Zeit in einer Ecke außerhalb ihres Blickwinkels aufgehalten und trat nun an den Mann heran um ihn ein Glas Wasser hinzustellen. Mit Erleichterung stellte Catherine fest, dass es nicht Donovan war. Sie kam, nun sagen wir, sie kam mit Donovan und Anderson nicht sonderlich gut zurecht. Vermutlich hatte Lestrade die beiden deshalb nicht in ihren Fall involviert.

„Ich sollte nach Hause gehen…“, flüsterte Catherine nach einigen Minuten, indem sie einfach Petrikov angestarrt hatte, während dieser offensichtlich schlecht gelaunt mit dem Kommissar sprach und ein Formular ausfüllte. „Ich bin erschöpft. Könnten Sie mir ein Taxi rufen, Lestrade?"

"Natürlich.", sagte dieser sofort und gab die Anweisung weiter.

„Soll ich dich begleiten?“, fragte Sherlock.

Catherine blinzelte kurz und schien ernsthaft darüber nachzudenken. Einerseits wollte sie ihm nicht noch mehr Umstände bereiten, andererseits gab es ihr noch mehr ein Gefühl von Sicherheit. Nachdenklich sah sie ihn an. Etwas lag in seinem Blick, was Catherine nicht zu deuten vermochte.  Tief versteckt in den Weiten des Ozeans seiner Iris, tobte ein Sturm aus Gefühlen. Sie sah auch, dass er mit ihnen kämpfte.

Nur allzu gerne würde Catherine die Hand ausstrecken und ihn unterstützen, doch sie wusste nicht wie. Schließlich kannte sie noch nicht einmal gegen was er überhaupt kämpfte. In diesem kurzen Moment lag eine intensive Spannung zwischen den beiden, dass die Luft beinah zwischen ihnen zu zittern schien und keiner von ihnen wusste wieso. Beinahe hilflos waren beide in der starken Anziehung der Augen des jeweils anderen gefangen. Sie konnten sich einfach nicht von dem Blick befreien.

Schließlich war es Lestrade, der Catherine die Antwort auf Sherlocks Frage abnahm:

„Sie können jetzt nicht gehen, Sherlock. Ich brauche Sie für den Bericht.“

„Wozu?“, grummelte dieser verstimmt. „Sie haben doch alles bekommen, was Sie brauchen.“

Er warf Lestrade einen undurchdringlichen Blick zu. Dieser wurde von einem mahnenden Blick des Detective Inspectors beantwortet. Für einige Augenblick führten die beiden ihr Blickduell fort, dann seufzte Sherlock genervt, fasste Catherine sanft am Arm und zog sie aus dem Raum.

„Hey!“, rief Lestrade ihnen hinterher.

„Ich bring sie nur eben zum Taxi und komm dann wieder.“, murrte Sherlock und verließ dann mit Catherine im Schlepptau wortlos den Verhörraum. Catherine hörte nur noch Lestrades Gestöhne, bevor die Tür hinter ihr ins Schloss fiel.
 

Das Taxi wartete bereits, als Sherlock sie zum Ausgang von Scotland Yard begleitete. Die Luft war kühl und schneidend. Sie zitterte und war froh, dass sie nicht noch warten musste.

Allerdings sah sie noch etwas, dass ihr weit weniger gefiel als die Kälte. Donovan und Anderson kamen gerade mit chinesischen Essen beladen auf sie zu. Als die beiden Mitarbeiter von Lestrade Sherlock und Catherine entdeckten, wurden ihre Gesichter mürrisch, beinahe verächtlich. Catherines Gesichtsausdruck verfinsterte sich ebenfalls.

Sherlock sah sie auch an, doch seine Mimik blieb gewohnt ausdruckslos, als er jedoch spürte wie Catherines Körper sich anspannte, da drehte er sie zu sich um und gab ihr einen Kuss auf die Stirn.

Vermutlich tat er es nur um die beiden zu verwirren, dennoch änderte es nichts an der Tatsache, dass die flüchtige Berührung seiner Lippen sie sichtlich entspannte. Und selbst wenn es nur dazu tat um Donovan und Anderson zu verunsichern, dann sollte es Catherine nur recht sein. Nichts täte sie lieber.

„Lass dich nicht ärgern.“, flüsterte er ihr sanft zu und umfasste ihre Wangen mit seinen dunklen Lederhandschuhen. „Sie sind es nicht wert, dass man sich wegen ihnen den Kopf zerbricht.“

Catherine nickte nur knapp und warf kurz einen Blick zu den beiden Scotland Yard Mitarbeitern, die nur völlig verwirrt zurück starrten. Sherlocks Aktion hatte ihre Wirkung nicht verfehlt.

„Fahr nach Hause.“, flüsterte Sherlock ihr noch einmal zu. „Geh zu John und ruh dich aus. Ich komme nach und bring Pizza mit. Was hältst du davon, Catherine?“

Irritiert blickte sie zu ihm auf und blinzelte. Sherlock lächelte väterlich zu ihr hinab und strich über ihre Wange.

„Wenn er noch nicht da ist, dann warte bei Mrs. Hudson. Es sollte nicht mehr allzu lange dauern, dann machen wir uns einen gemütlichen Abend und vergessen den ganzen Frust, den uns solch gewöhnliche Menschen bereiten.“

Catherine blickte zu ihm auf, brauchte eine ganze Weile, bis sie die Worte wirklich verstand. Dann allerdings hellte sich ihre Miene auf und sie nickte. Wieder einmal bewies Sherlock, dass er zwar selten, aber durchaus, Feingefühl besaß und genau wusste was sie brauchte.

Gespräche in der Anwesenheit von Toten

Drei Wochen waren seit Catherines Überfall vergangen. Der September ging allmählich seinem Ende zu und hatte sich selbst für Londoner Verhältnisse von seiner ungemütlichen Seite gezeigt. Grau, verhangen, regnerisch mit wenig Sonne. Die meisten Bewohner der Stadt wehklagten über dieses schreckliche Wetter und dass sie doch wenigstens etwas mehr Wärme bekommen könnten.

Catherine hingegen beklagte sich kein einziges Mal darüber. Im Gegenteil, es war ihr sogar Recht. Jedes Wetter, dass dafür sorgte, dass man so wenig Zweit wie möglich draußen verbrachte und möglichst viel in der eigenen, sicheren Wohnung. Genau das hatte sie auch in den vergangen drei Wochen getan. Sie hatte sich in ihre Wohnung zurückgezogen, DVD gesehen oder Bücher gelesen. Nach mehr hatte ihr nicht der Sinn gestanden, da sie sich noch immer wohl fühlte draußen. Zwar war Alexei Petrikov mittlerweile verurteilt worden, dennoch hatte sie immer noch das seltsame Gefühl von Augen in ihrem Nacken und ging deshalb stets direkt nach Hause.

Heute allerdings war dies nicht der Fall. Statt die U-Bahn in Richtung Bakerstreet zu nehmen, hatte es Catherine an das andere Ende von London verschlagen. Sie verließ gerade die Endstation und ging über die Straße, die zu dieser späten Abendstunde nicht mehr sonderlich befahren war.

Vor ihr befand sich ein großes, graues Blockgebäude mit acht Stöcken und zwei Flügeln. Glastüren bildeten eine durchsichtige Barriere zudem Ort, der ihr Ziel war. Noch nie war sie hier gewesen und hatte diese Blockade überwunden- zumindest nicht bei Bewusstsein und als Entscheidung. Eigentlich hatte Catherine sogar gehofft, dass sie so schnell- oder vielleicht sogar gar nicht- hierher zurückkehren würde. Allerdings hatte John sie darum gebeten, da er selber nicht mehr weiter wusste und wer wäre sie ihm eine Bitte abzuschlagen?

Noch einmal starrte sie auf das flache Dach, bevor sie tief Luft holte und durch die Glastür schritt. Sofort empfing sie der beißende und doch bekannte Geruch von Desinfektionsmittel.

~*~

Kühles, steriles Licht schien aus den Neonröhren an der Decke hinab und tauchte den weißen, gekachelten Raum in einen klaren, nicht verfälschenden Schein. Es klackerte, als die Pinzette auf den Boden der Petrischale stieß.

Sherlock saß hoch konzentriert an seinem üblichen Labortisch, die Stirn in tiefe Falten gelegt und rubbelte sich durch den lockigen Pony. Das alles ergab einfach keinen Sinn. Unwirsch schüttelte er den Kopf und schnaubte. Er saß gerade an einem sonderbaren Fall. Ein Mann war in einer abgelegenen, abgesperrten Kiesgrube gefunden worden, die seit Jahren stillstand. Es gab keinen Grund sich dort aufzuhalten und doch war er tot gefunden worden. Erschlagen mit einem stumpfen Gegenstand und gebadet in seinem eigenen Blut. Etwas passte allerdings nicht in dieses Bild und das störte Sherlock. Zwar handelte es sich hierbei genau um die geistige Herausforderung, die er schätzte, doch er beschäftigte sich schon zu lange damit und es begann ihn zu frustrieren, dass er die Lösung einfach nicht herausbekam.

Er rollte mit seinem Stuhl zur Seite um den Bericht über die Komponenten einer Bodenprobe zu lesen. Nein, es passte einfach nicht ins Bild. Verärgert kräuselten sich seine Lippen und er nahm eine Petrischale um die dort drin enthaltene Probe erneuten, chemischen Tests zu unterziehen. Dass das Kriminallabor des Yards einen Fehler gemacht hatte, war die wahrscheinlichste Erklärung und Sherlock konnte sich dies durchaus sehr gut vorstellen. Er vertraute generell Testergebnissen nur wenn entweder Molly oder er sie durchgeführt hatten.

„So…uhm…etwas Interessantes gefunden?“, fragte Molly, die an ihrem Computer saß um gerade die Ergebnisse der Autopsie an Scotland Yard zu mailen.

„Bis jetzt nicht…“, antwortete Sherlock abwesend und beugte seinem Kopf um den Farbumschlag eines Alkalitätstest genauer anzusehen. Seine andere Hand tastete währenddessen blind über den Labortisch. Als ihre Suche erfolglos blieb, blinzelte er und richtete seinen Blick direkt auf die Brünette. „Wo ist mein Kaffee?“

„Oh, ja, Kaffee.“, stammelte Molly sichtlich verlegen. Hastig sprang sie auf. „Nur…ei…eine Minute.“

Mit diesen Worten flüchtete sie beinahe aus dem Labor der Pathologie und die Tür schwang zu.

Sherlock seufzte schwerfällig. War denn hier Niemand in der Lage seine Arbeit ordentlich zu erledigen? Himmel Herr Gott, Molly kannte ihn doch mittlerweile gut genug um zu wissen was er brauchte.

Kurz schüttelte er den Kopf um seine Gedanken wieder zu strukturieren, dann träufelte er etwas Essigsäure auf die Probe um die Reaktion zu beobachten.

„Kalzium, Lehm und Zechstein?“, murmelte Sherlock und runzelte die Stirn, nachdem das Analysegerät gepiepst und die genaue chemische Zusammensetzung der Probe bekanntgegeben hatte.

„Das gibt es selten in England…“, führte er seinen geistigen Monolog fort. „Meist bei Atomkraftwerken zu finden. Hat er in einem gearbeitet?“ Er blinzelte und durchwühlte die Unterlagen auf dem Tisch. „Wo ist der Autopsiebericht, Molly?“

Er verharrte kurz, blinzelte und sah sich um. „Molly? Wo ist sie denn jetzt schon wieder hin?“

Da schwang mit einem leisen Knarren die Tür auf. Sherlock schenkte dem keinerlei Beachtung, dachte er doch, dass Molly zurückkehrte.

~*~

„So, dies ist also dein zweites zu Hause?“ Catherine stieß einen Pfiff aus, als sie das Labor betrat und sich umsah. Noch nie war sie in dem schlichten, aber modern ausgestatteten Raum gewesen, hatte noch nie das Labor gesehen, indem er arbeitete. Sie erkannte die neusten Gerätschaften und in einem Schrank ihr gegenüber standen verschiedenste, Labor übliche Chemikalien. Links von ihr, an der kurzen Wand, befanden sich mehrere Abzüge und die Klimaanlage, die den Raum mit frischer Luft versorgte, brummte leise.

Sherlock saß an einem Labortisch ihr gegenüber. Er war tief über eine Probe gebeugt und dabei hoch konzentriert. Seine Lippen kräuselten sich während er angestrengt nachdachte, die Stirn in tiefe Falten gelegt, während seine Finger in einem unbekannten Rhythmus auf dem Tisch klopften.

„Erinnert ja beinahe an ein Schurkenlabor aus einem Marvel oder DC Comic. Du planst aber nicht die Weltherrschaft an dich zu reißen, oder Sherlock?“

Noch immer reagierte der Dunkelhaarige nicht auf ihre Worte. Stattdessen grummelte er etwas vor sich hin und schien ihrem Klang zu lauschen um so der Lösung auf die Spur zu kommen.

Catherine blinzelte und trat etwas näher an ihn heran.

„Uhm…hallo? Sherlock? Jemand zu Hause?“ Kurzerhand wedelte sie mit ihrer Hand vor seiner Nase herum.

Nun blinzelte auch Sherlock, blickte aber nur kurz durch seine dichten Wimpern auf.

„Was machst du hier, Molly?“, fragte er noch immer geistig abwesend und fuhr mit seinem Experiment fort. Catherine zog eine Augenbraue hoch. Das war doch jetzt nicht sein ernst, oder? Hatte er sie gerade mit Molly verwechselt? Ach was, so ein Fehler würde ihm nicht unterlaufen. Er hatte einfach nicht richtig hingesehen, das war das Problem. Der feine Herr war sich zu schade für eine ordentliche Begrüßung. Zwar hatte sie dafür Verständnis, dass er arbeitete und deshalb hoch konzentriert war, aber ein Hallo, Catherine war ja nun wirklich nicht zu viel verlangt. Catherine rollte mit den Augen und stützte ihre Hände auf dem Tisch ihr gegenüber.

„Ähm, ich bin Catherine. Erinnerst du dich? Deine Nachbarin? Ich meine gut, Molly und ich sind beide brünett, aber ihre Haare sind dunkler und sie ist einen halben Kopf größer als ich, Sherlock. Du lässt nach. Und selbst wenn ich Molly wäre, würde ich schließlich hier arbeiten. Was für eine bescheuerte Frage ist das also?“

Sherlock sah nun auf und blickte sie verstimmt an.

„Fein. Was machst du hier, Catherine? Siehst du nicht, dass ich beschäftigt bin?“ Die Art und Weise wie er ihren Namen betonte, hätte jeden verunsichert. Etwas war versteckt in seiner Stimme gewesen, doch Catherine kannte ihn gut genug um sich von seinen Drohgebärden nicht ernst zu nehmen. Stattdessen rollte sie nur mit den Augen und blickte auf seine Arbeit.

„Ja, ja, seh schon. Mit Bodenproben.“ Mit diesen Worten ließ sie sich auf den Stuhl neben ihn fallen und kreuzte ihre Beine, die sie in eine Jeans gesteckt hatte. Vorsichtig griff sie nach einer der Proben und sah sich diese genauer an. Ihre blauen Augen betrachteten den bröseligen Haufen konzentriert, während ihr rechter Mundwinkel sich leicht nach oben zog.

Sherlock hingegen rollte mit den Augen und wiederholte:

„Also, was willst du von mir?“

„John sagte, dass du dich seit drei Tagen hier verkriechst und er war besorgt, dass du nichts essen würdest. Nachdem du ihn beim letzten Mal rausgeworden hattest, wurde mir diese Ehre zu Teil dich zu überzeugen. Da ich heute auch eher Feierabend machen konnte, als gedacht, dachte ich mir ich hole dich ab.“, erklärte sie ruhig.

„Also bist du nur hier um meinen Babysitter zu spielen?“, murrte Sherlock und schnaubte verächtlich. „Danke, aber ich verzichte. Ich muss arbeiten.“

„Oh, komm schon. Ich bin mir sicher, dass du hier nur deine Ruhe finden willst. Bestimmt hast du ihn schon gelöst.“

Sherlock ignorierte sie erst einmal und legte die Probe auf einen Objektträger, befestigte diesen in den Klemmen des Mikroskops und fokussierte die Linse.

„Ich bin fertig, wenn ich fertig bin, Catherine, also sei ruhig. Ich versuche mich zu konzentrieren.“

Catherine fuhr sich durch die Haare und legte ihren Kopf auf der weißen Labortischplatte ab. Sherlock war wirklich unausstehlich, wenn er arbeitete, da hatte John nicht übertrieben. Am liebsten würde sie einfach wieder gehen und ihn in Ruhe lassen, doch sie konnte ihm ansehen, dass er wirklich nicht gegessen hatte und das bereitete ihr Sorgen. Schließlich hatte sie Sherlock gerade erst wieder und sie sah nicht ein ihn wegen seiner Sturheit vielleicht Verhungern zu sehen.

„Sherlock…“, setzte sie somit zu einem erneuten Versuch an.

„Wer sind Sie und warum sind Sie hier?“, unterbrach sie plötzlich eine starke Frauenstimme von der Tür hinter ihr. Catherine drehte sich um und sah Molly mit zwei dampfenden Kaffeetassen in der Tür stehen.

„Oh…öhm, hallo. Ich hab dich nicht erkannt.“ Molly blinzelte und zeigte ihr bekanntes, unsicheres Lächeln. Catherine hingegen erwiderte es beschwichtigend.

„Hi, sorry. Es war nicht meine Absicht einfach so hier einzudringen. Ich versuche nur diesen Sturkopf hier dazu zu bringen, dass er etwas isst.“, erklärte Catherine und warf Sherlock einen genervten Blick zu, der sie noch immer geflissentlich ignorierte.

„Er hat nicht gegessen? Mir hat er gesagt, er hätte gegessen.“, sagte Molly verwundert.

„Habe ich auch!“, mischte Sherlock sich ein und schnaubte.

„Ja, klar, Sherlock. Verkauf uns nicht für dumm, Sherlock.“, sagte Catherine sarkastisch. „Du isst nie etwas, wenn du einen Fall bearbeitest es sei denn man ernährt dich zwangsweise.“

„Und glaubte mir…“, flüsterte sie verheißungsvoll. „Du willst nicht, dass ich dich zwangsernähre.“

„Als ob du das könntest.“ Sherlock Stimme beinahe nervtötend ruhig und unbeeindruckt.

„Soll das eine Herausforderung sein?“, entgegnet Catherine und Sherlock reckte seinen Kopf zu ihr hoch, da er saß und sie nun mittlerweile stand. Catherine grinste ihn keck an und sie beugte sich vor, bis ihre Nasen sich beinahe berührten.

„Das hängt von dir ab, Cath.“, verhieß Sherlock ihr und wandte sich dann wieder dem Mikroskop zu. Catherine seufzte und ließ sich wieder auf dem Stuhl neben ihn fallen, wandte sich aber Molly zu.

„Sorry, wenn er…“ Sie deutete mit den Augen auf Sherlock. „…noch unausstehlicher als sonst war.“

„Nein, nein. Er war…“ Molly blinzelte kurz und hielt mitten im Satz inne, ließ die letzten drei Tage Revue passieren. „Es war in Ordnung.“

Schließlich verließ sie den Türbogen- der Kaffee war vermutlich nicht mehr ganz so warm- und ging direkt auf Sherlock zu.

„Hier bitte.“, sagte sie, als sie ihm eine der Tassen hinhielt. Sherlock nahm diese an ohne auch nur einmal von seinem Mikroskop aufzusehen.

„Danke, Catherine.“, sagte er mit neutralen Ton und trank einen Schluck. Molly zuckte zusammen und Catherine schnaubte genervt.

„Das war Molly, Sherlock.“

„Richtig…“

Mollys braunen Augen verdunkelten sich durch einen traurigen Schimmer. Sie seufzte, blinzelte und drehte sich ab um nicht zu zeigen wie sehr er sie verletzt hatte. Sie kehrte zu ihrem Arbeitsplatz zurück und nahm einen Schluck aus ihrer eigenen Tasse nahm, bevor sie damit fortfuhr an ihrem Dokument zu arbeiten.

Catherine sah ihr nach und seufzte. Die Pathologin tat ihr leid. Sie tat wirklich alles für Sherlock und doch erkannte er es gar nichts davon an. Stattdessen nahm er sie mehr und mehr als selbstverständlich, dabei sah selbst ein Blinder mit einem Krückstock was sie für ihn empfand. Catherine seufzte erneut, entschloss sich aber erst einmal nichts zu Sherlocks emotionaler Inkompetenz zu sagen. Er war sowieso genervt, würde es deshalb ohnehin nicht verstehen und helfen würde es keinem von ihnen. Vermutlich würde es Molly sogar noch verlegener machen.

„Also, wie lange wirst du brauchen?“

„Solange ich eben brauche.“, war seine genervte Antwort.

„Ich warn dich, Sherlock. Ich werde nicht eher gehen, bis du gegessen hast. Ich bin genauso stur wie du.“

„Und das ist mein Problem?“

Catherine rollte nur mit den Augen.

„Du bist wirklich charmant wie eh und je.“, schnaubte sie. Sherlock hingegen blieb stumm. Seine feinen Finger schrieben etwas in ein Notizbuch neben ihm, während er noch einen weiteren Schluck seines Kaffees, bevor er ein anderes Objektiv wählte.

„Sherlock? Hörst du mir überhaupt zu?“

„Tut er nicht.“, antwortete Molly von ihrem Schreibtisch aus an seiner Stelle. Catherine wandte sich ihr zu und ihre hellen Augen blitzten in einer Mischung aus Verwirrung und Entrüstung.

„Was? Tut er nicht?“

Molly sah von ihrem Monitor auf, rollte mit ihren Stuhl etwas zur Seite, damit sie Catherine wieder im Blick hatte und schüttelte den Kopf.

„Nein, tut er nicht. Er ist…nun, ich würde nicht sagen, dass er in seinem Gedankenpalast ist, aber der Effekt ist gleich.“

Catherine blickte wieder zu Sherlock, der die beiden gekonnt ignorierte und seiner Arbeit nachging, dann wandte sie sich wieder Molly zu und flüsterte mit hervorgehaltener Hand:

„Ist er immer so, wenn er hier ist?“

Molly nickte nur als Antwort. Catherine runzelte die Stirn, sah zu Sherlock.

„Okay…“ Sie blinzelte noch einmal, als sie das verarbeitete. „Okay.“

Catherine sah wieder Molly an, lächelte und ging auf sie zu.

„Ich glaube, wir sind uns noch gar nicht richtig vorgestellt, oder?“ Mit diesen Worten blieb sie vor Mollys ordentlichen Schreibtisch stehen und hielt ihr die Hand entgegen. „Ich bin Catherine Amell, Sherlocks Nachbarin.“

Molly erwiderte Catherines offenherziges Lächeln leicht und schüttelte Catherines entgegengestreckte Hand.

„Molly Hooper, Sherlocks…nun…Organ Versorger?“ Sie machte einen schüchternen, unsicheren Laut und rann sich durch die Haare. Die Situation war ja auch irgendwie seltsam. Zwar kannten Catherine und Molly sich natürlich- schließlich hatten sie sich an jenem verhängnisvollen Abend in der Bakerstreet und auch bei der Beerdigung gesehen-, aber sie hatten noch nie wirklich miteinander gesprochen und beide wussten nicht genau wie locker sie nun miteinander umgehen konnten. Sie waren sich bekannt und zeitgleich doch so fremd.

Zum Glück besaß Catherine allerdings eine sehr offene, fröhliche Art, dass sich jeder in ihrer Nähe wohl fühlte, solange sie ihren Sarkasmus zählen konnte. Man spürte einfach, dass sie an sich ein herzensguter Mensch war und auf ganz natürliche Weise eine Situation entspannen konnte.

„So, du bist also der Grund, warum John angefangen hat sein Gemüse bei mir zu lagern?“, lachte Catherine und ihre Augen blitzen sie keck an. Bei vielen hätte dies durchaus funktioniert, doch Molly war zu unsicher um mit diesem Satz umzugehen und dachte, dass sie es ernst meinte. Deshalb zuckte sie auch zusammen und verzog beinahe beschämt ihr Gesicht.

„Tut mir leid.“

„Muss es nicht.“, wehrte Catherine lächelnd ab und ihre Augen funkelten freundlich, als sie sich einen Stuhl schnappte und sich Molly gegenübersetzte. „Alles ist in Ordnung, solange Sherlock nicht damit beginnt seine Füße in meinem Kühlschrank zu lagern.“

Molly blinzelte sie verwirrt an.

„Uhm…Die Füße waren nicht von mir.“

Catherine fuhr in ihrem Stuhl zusammen und sah Molly überrascht an.

„Wirklich?“

„Ja…“ Die beiden Frauen sich an, dann geschockt zu Sherlock, der noch immer nichts mitbekam, nur um sich dann wieder schockiert anzusehen. „Woher hat er sie dann?“

„Ich glaube, das will ich gar nicht wissen.“, sagte Molly und Catherine nickte, während sie beinahe angeekelt das Gesicht verzog. Körperteile an sich machten ihr nichts aus und sie hatte sich auch schon längst an deren Anblick im Kühlschrank gewöhnt, doch die Frage, woher Sherlock diese schon wieder hatte, hinterließen ein flaues Gefühl in ihrem Magen.

„Ich glaube, ich auch nicht.“, erklärte Catherine und die beiden sahen sich stirnrunzelnd an.

„Vielleicht wieder ein Freund…“ Catherine machte bei Freund Anführungszeichen in der Luft. „…von ihm.“, mutmaßte sie und rubbelte sich über ihren Hinterkopf. Molly hingegen sah sie verwirrt über die eigentlich an sich selbst gerichtete Vermutung an.

„Ein Freund von ihm?“, hackte sie nach- halb neugierig, halb ein wenig beunruhigt.

„Oh, du kennst also gar nicht die Geschichte über den Schädel in seiner Wohnung?“ Sie sah zu Sherlock, rollte mit den Augen und ihre Augen wanderten dann zurück zu Molly.

„Nun…Sherlock hat einen Schädel auf seinem Kamin. Sein Name ist Billy und Sherlock meinte es wäre ein Freund von ihm. Du müsstest ihn an Weihnachten gesehen ha…“, Catherine brach ab und riss die Augen auf, als sie realisierte was sie da sagte. Nun war sie es, die peinlich berührt lächelte und innerlich selber fluchte. Verdammt! Sie hatte wieder einmal geredet ohne nachzudenken, dabei wusste sie doch, was Sherlock Molly an Weihnachten angetan hatte. „Nun, als du in seiner Wohnung gewesen bist.“

Zu Catherines Glück ging Molly allerdings nicht auf ihr Fettnäpfchen ein, sondern wiederholte nur ungläubig:

„Ein Freund?“

„Ja…du weißt doch wie er ist. Na ja, wenn ich demnach gehe, dann bin ich ziemlich froh, dass ich keine Freundin von ihm bin.“ Sie lächelte. „Das könnte ziemlich unschön für mich enden.“

„Nun…“, sagte Molly ruhig und nahm einen Schluck Kaffee. „Was bist du dann?“

„Wie bitte?“ Catherine blinzelte irritierte über diese überraschende und für Molly ungewöhnlich mutige Frage. Sah sie etwa eine Konkurrentin in ihr oder war sie bloß neugierig? Vielleicht hatte ihre Unterhaltung Molly aber auch nur gelockert. Sie betrachtete sie genauer und versuchte die Antwort herauszufinden, fand aber keine. Da sie wie bereits gesagt noch nie wirklich mit Molly gesprochen hatte, konnte sie schwer ihr Verhalten lesen und verstehen. John Intention hätte sie schon längst erkannt, aber bei Molly war sich Catherine nicht sicher. Allerdings konnte sie von den Berichten über die Frau kaum vorstellen, dass irgendetwas Böswilliges dahinter steckte. Es war vermutlich einfach eine interessierte Frage über Catherines seltsame Bemerkung. Diese musste schließlich merkwürdig erscheinen, oder nicht? In Anbetracht der Tatsache wie Catherine und Sherlock miteinander umgingen.

„Wenn du sagst, du wärst nicht eine Freundin von ihm, was bist du dann?“, sagte Molly und bettete ihren Kopf auf ihre gefalteten Hände.

„Nun...ich denke du würdest mir nicht glauben, wenn ich sagen würde, dass ich bloß seine Nachbarin bin.“

Molly hob nur eine Augenbraue hoch und sah sie skeptisch an. Catherine seufzte schwer und strich sich eine Locke aus dem Gesicht.

„Das sieht nach einem Nein aus. Ehrlich, Molly, ich habe absolut keine Ahnung.“ Catherine blickte über Schulter hinweg zu Sherlock an. Das kalte Licht ließ seine schwarzen Haaren noch dunkler glänzen und wie seine feinen, schlanken Finger mit den Rädern spiele, zeigte sich wieder diese mysteriöse Aura der Intelligenz, die einem glauben ließ, dass er nicht von dieser Welt stamme. Catherine seufzte leise, doch dann lächelte sie sanft. „Seit wann ist etwas einfach, wenn es um Sherlock Holmes geht?“

Genau in diesem Moment, stand Sherlock in einer flüssigen Bewegung auf, ging an ihnen beiden vorbei, griff sich eine große, braune Glasflasche mit einer Chemikalie, die Catherine auf die Schnelle nicht identifizieren konnte, und kehrte dann mit ihr an seinen Platz zurück.

„Das nenn ich wirklich mal Tunnelblick.“, seufzte Catherine frustriert.

„Hab ich dir doch gesagt.“, sagte Molly ernst und beobachtete Sherlock wie er arbeitete.

„Ja…nun…“, murmelte Catherine abwesend.

Für einige Zeit herrschte eine seltsame Stille zwischen den beiden Frauen. Keiner von ihnen wusste, was sie sagen sollte oder über was sie sprechen sollten. Es schien, als wäre das Band zwischen ihnen sehr dünn und nur der exzentrische Sherlock war der Grund dafür, dass sie sich überhaupt kannten. Obwohl ihre Jobs sehr viel gemeinsam hatten, schienen sich nichts zu haben, worüber sie sprechen konnten.

Um genauer zu sein, wusste Molly immer noch nicht, was sie von Catherine halten sollte. Zwar machte die junge Frau auf sie einen sehr sympathischen, freundlichen Eindruck, sicherlich, doch was Molly nachdenklich stimmte war wie viel Catherine über Sherlock wusste. Definitiv zumindest mehr als sie selbst und es war auch Catherine gewesen, bei der John Halt gesucht hatte, als Sherlock vermeintlich gestorben war. Catherine hatte das geschafft, was sie sich wünschte. Sie war ein wichtiger Teil in der Bakerstreet geworden. Sie hingegen war nur ein Bauer, eine Randfigur.

Catherine hingegen fühlte sich unwohl, weil sie zu gut über Mollys Gefühle für Sherlock wusste und auch wie sie beide zusammen wirken konnten. Eben genau dies bereitete ihr Unbehagen. Es war als würde sie etwas in Anspruch nehmen, dass eigentlich Molly verdiente und auch wenn Molly es nicht offen zeigte, so konnte sich Catherine gut vorstellen, dass sie eifersüchtig war. Diese Spannung, dieses Nicht-wissen-was-zu-tun-ist lag wie eine erdrückende Spannung in der Luft und machte es Catherine schwer zu atmen. Sie wollte nicht, dass Molly so über sie dachte wie sie es vermutlich tat und doch wusste sie nicht wie sie es ändern könnte.

Nach einigen Minuten räusperte sie sich und versuchte es dennoch:

„Hör zu, Molly, ich bin definitiv nicht seine feste Freundin. Dafür ist er zu…zu…nah, zu sehr Sherlock!

Molly ließ ein gekünsteltes Lachen hören, drehte sich aber ab um weiterzuarbeiten. Ein deutliches Zeichen dafür, dass sie es ganz anders sah und bloß nicht unhöflich sein wollte.

Catherine fuhr sich mit der Zunge über die Lippen und war sichtlich nervös. Wenn sie selbst Molly, die Sherlock so sehr kannte, nicht überzeugen konnte, dass sie kein Paar waren, wie sollte sie es dann bei all den anderen?

„Wirklich, er hat mich nur angefangen Cath zu nennen, nachdem er…“ Plötzlich hielt Catherine inne. Ein Gedanke hatte sie während des Satzes erfasst und deshalb vollendete sie diesen nur langsam: „Nachdem er zurückkam.“

Augenblicklich hingen ihre Augen wieder auf Molly und beobachteten sie. Eine Mischung aus Erkenntnis, Unglauben und Entrüstung kämpften in ihren Aquamarinen um die Vorherrschaft.

„Du warst es, oder? Du warst diejenige, die…du hast es die ganze Zeit gewusst, nicht wahr?“

Molly erstarrte plötzlich, als Catherine den Zusammenhang erkannte und presste unbehaglich ihre Hände zwischen die Knie.

„Ähm…“

„Lass es, Cath!“, sagte Sherlock ruhig, während er noch immer durch sein Mikroskop schaute. Catherine blinzelte, überrumpelt von dem was sie herausgefunden hatte.

„Aber…“, setzte sie beinah schon verzweifelt an.

„Catherine!“, hob Sherlock an und seine Stimme bekam einen alles bestimmenden Unterton. Er würde keine Missachtung seiner Aufforderung dulden. Catherine seufzte, sagte aber nichts weiter.

Molly kehrte umgehend zu ihrer Papierarbeit zurück um dieser unangenehmen Situation zu entfliehen, musste aber feststellen, dass Catherine wirklich intelligent zu sein schien. Aber das musste sie ja auch sein, sonst würde Sherlock sich ja gar nicht mir ihr abgeben.

Catherine stand noch einige Zeit mitten im Raum, beinahe hilflos, dann gab sie allerdings auf und ließ sich neben Sherlock auf einen Stuhl fallen. Keiner von ihnen sprach ein Wort, die Stille nun noch angespannter als zuvor, bis Sherlock plötzlich etwas murmelte, aufstand und den Raum verließ ohne seinen Mantel mitzunehmen.

„Wohin…“

„Badezimmer.“, erklärte Molly nur schlicht.

„Oh…“, stieß Catherine aus und ließ sich gegen die Stuhllehne sinken. Nachdenklich kaute sie für einige Zeit an ihrer Unterlippen, beschloss aber dann, doch zu Molly zurückzugehen.

„Molly…“

Augenblicklich hörte die Angesprochene auf zu schreiben und sah Catherine aus traurigen Augen an.

„Du musst dich nicht entschuldigen. Du hast jedes recht zu fühlen, was auch immer du für…nun ihn…es fühlst.“

Catherine sah sie an, versuchte sogar wütend zu sein, all den Kummer und Schmerz der drei Jahre an ihr auszulassen. Verdammt, sie war doch schließlich bei der Beerdigung dabei gewesen und hatte sie alle, alle, über Sherlocks Tod angelogen. Sie war doch genauso verantwortlich für ihren Kummer gewesen wie Sherlock, oder? Oder? Catherine rang mit sich, aber sie konnte einfach nicht sauer sein. Es ging nicht. Schließlich hatte Molly dafür gesorgt, dass er überlebte und das war immerhin besser als das, was sie über drei Jahre geglaubt hatten.

„Ich bin nicht wütend auf dich…“, sagte sie schließlich zu Mollys Überraschung und starrte dabei an die Decke. „Ich bin noch nicht einmal auf ihn wütend. Um ehrlich zu sein, ich bin froh, dass du ihm geholfen hast.“

In diesem Moment lächelte sie, doch Molly war nun noch unsicherer, nickte aber nach etwas Bedenkzeit schließlich.

„Er ist dir wichtig?“, wagte sie vorsichtig einen Vorstoß. Catherine seufzte heftig und fuhr sich wie so oft durch die Haare, wenn sie nicht wusste wie sie auf eine Frage antworten sollte.

„Ich habe lange Zeit versucht das zu verleugnen…besonders mir gegenüber, aber die drei Jahre haben mir gezeigt, dass dem so ist. Wie dumm ich bin.“ Sie lachte hohl. „Das ist nun wirklich nicht eine meiner besten Ideen.“

„Ja, das verstehe ich nur zu gut.“, sagte Molly. Catherine lächelte traurig. Oh ja, Molly verstand es nur zu gut. Dann sah sie wieder zu Sherlock und ihr Lächeln wurde noch ein weniger trauriger, bevor sie seufzte und versuchte dieses unangenehme Thema zu wechseln.

„Muss ein komplizierter Fall sein, wenn Sherlock ihn nach drei Tagen nicht gelöst hatte.“, murmelte Catherine.

„An sich hat er das, er weiß nur nichts mit der Bodenprobe von seiner Schuhsohle anzufangen.“

„Ach ja!“, rief Catherine, wenn auch leise, aus. „Er hat etwas davon gemurmelt, als ich reinkam. Was war es? Ich glaub Pechstein und Atomkraftwerk. Wurde die Leiche in einem gefunden oder hat der Mann in einem gearbeitet?“

„Nein, hat er nicht…“, antwortete Molly, nachdem sie sich mit einem Blick auf den Autopsiebericht noch einmal vergewissert hatte. „Es gab keiner Tumore in seinem Körper.“

„Also war er keiner radioaktiven Strahlung ausgesetzt…“, überlegte Catherine und wog ihren Kopf hin und her. „Oder zumindest nicht so viel, dass es üblich ist.“

„Er könnte einen Schutzanzug getragen haben.“

„Ja, das stimmt. Die Sicherheitsstandard sind hoch, aber normalerweise ist der Boden doch bei Asphalt, oder nicht? Warum also Pechstein?“ Catherine runzelte die Stirn und dachte einige Zeit nach, versuchte etwas zu finden, womit sie helfen könnte, denn unterbewusst klingelte es in ihr. „Warte…ich glaube ich habe letztens etwas gehört.“

Sie räusperte sich und sagte nun lauter:

„Hey, Sherlock, ich habe vielleicht etwas…“

Sherlock hingegen reagierte nicht auf ihre Worte. Catherine seufzte und wurde noch einmal lauter.

„Sherlock! Hör mir zu!“ Als er immer noch nicht reagierte, rollte sie mit den Augen. „SHERLOCK!“

//Interessant, wenn ich etwas für einen Fall haben könnte, dann reagiert er nicht, aber er nimmt es direkt war, wenn ich beginne über seinen Tod zu sprechen beginne.//

„Wie ich sagte.“, seufzte Molly. „Er ist total fokussiert.“

„Das werden wir noch sehen.“, sagte Catherine plötzlich mit einem Grinsen, stand auf und ging auf Sherlock zu.

„Was hast du vor?“, fragte Molly sie und schaute ihr nach.

„Weckruf.“, erklärte Catherine, holte tief Luft und rief in sein Ohr: „SHERLOCK! WACH AUF! ICH KÖNNTE ETWAS FÜR DEN FALL HABEN!“

Sherlock schreckte zusammen und fiel beinahe vom Stuhl. Heftig rudernd versuchte er irgendwie noch das Gleichgewicht zu halten, während sein Stuhl verdächtig nach hinten kippte. Catherine lachte auf Grund von Sherlock nicht ganz so eleganter Bewegung. Schien, als würde der große Sherlock Holmes auch sein erhabenes Ich zu Bewegungen herablassen, die auch gewöhnliche Menschen benutzten. Bevor er jedoch fiel, drückte Catherine ihm sanft eine Hand ins Kreuz und packte mit der anderen seinen Arm sodass er sein Gleichgewicht wiederfinden konnte.

Molly lachte leise und versuchte es hinter ihrer Kaffeetasse zu verstecken, während Sherlock ihnen beiden einen vernichtenden Blick zu warf und seine Augenbrauen verstimmt nach unten zog.

„Was?“, knurrte er beinahe schon, während Catherine immer noch voller Freude lachte und sich dann schließlich neben ihm an den Labortisch lehnte. Beinahe lässig betrachtete sie ihre Nägel um Sherlock noch etwas schmoren lassen. Einmal, einmal, war sie am längeren Hebel und das wollte sie um Gottes Willen auch genießen. Der Kosmos möge ihr verzeihen!

„Ich könnte etwas für den Fall haben.“

„Warum hast du das nicht gleich gesagt?“, fuhr Sherlock sie an.

„Das habe ich doch.“

„Nein, hast du nicht.“

„Doch, hat sie.“, kam Molly ihr zur Hilfe.

„Nun bist du also auf ihrer Seite, Molly?“, schnaubte Sherlock.

„Lass sie da raus, Sherlock.“ Catherine rollte mit ihren Augen. „Zieh keine Unschuldigen in unsere Kämpfe hinein. Also, soll ich es nun erklären oder möchtest du weiter im Dunklen tappen?“

Genervt verschränkte sie ihre Arme wie Sherlock mit seinem Stolz kämpfte.

„Also gut, Große und Oh so Weise. Was hast du für mich?“, sagte er sarkastisch und schnaufte.

„Ooooh, zu viel der Ehre, obwohl ich mich dran gewöhnen könnte.“ Catherine wandte ihm ihren Kopf zu und grinste. Molly hingegen beobachtete all das interessiert. Catherine war etwas Besonderes. Niemand, selbst John nicht, war es erlaubt so mit Sherlock umzugehen, doch ihr Umgang miteinander war sehr natürlich, beinahe flüssig. Es war als würden die beiden umeinander Tanzen zu Regeln, die kein anderer kannte. Obwohl Catherine noch nicht lange seine Bekanntschaft hatte, waren beide auf ihre seltsame Art vertraut miteinander und kannten sich auswendig. Selbst jetzt, als Sherlock den Genervten mimte, sah man doch, dass dieses Gefühl nur oberflächlich war. Seiner Catherine war das erlaubt und das störte Molly.

Schließlich jedoch gab Catherine auf, nachdem seine hellen, blauen Augen sie einige Zeit mahnend angesehen hatten. Sie fragte ihn noch einmal nach den Bestandteilen und ob Sherlock- oder eher sein armer Handlager Lestrade- schon gecheckt hätten, ob ein Atomkraftwerk einen Mitarbeiter vermisste. Natürlich hatten sie dieses schon und somit schien Catherines Verdacht erhärtet. Sie fasste schließlich noch einmal die Begebenheiten zusammen: Der Mann war erschlagen in einer Kiesgrube gefunden worden, dies war wirklich nicht ungewöhnlich, aber was seltsam war, war, dass Pechstein in der Bodenprobe war. Pechstein ist ein Gestein, dass sehr selten in England vorkam- es war eher in Mitteleuropa wie Deutschland verbreitet- und wenn, dann höchstens in einer Tiefe von zweihundertfünfzig Metern. Folglich mussten entweder Bohrungen oder Grabungsarbeiten stattgefunden. Von der Grube selbst, wo er Gefunden worden waren, konnte es nicht sein, da es dort kein Pechstein und erst Recht keinen Lehm gab. Sie erklärte, dass ihre Idee wäre, dass der Mann zuvor an einem Ort war, der als potentielles Endlager dienen sollte. Sie hatte in ihrer Universität gehört, dass einige Geologen, Ökologen und Genetiker ausgesendet wurden um einen potentiellen Standort zu untersuchen und dann zusammen mit einem Komitee aus verschiedenen Wissenschaftlern, Wirtschaft Bossen und Politikern entscheiden, ob dieses genutzt werden konnten. Vielleicht hätte er etwas gefunden, was nicht an die Öffentlichkeit hatte geraten sollen, vielleicht war es auch nur Eifersucht gewesen, das wäre Sherlocks Aufgabe herauszufinden, meinte sie schließlich nach ihren Ausführungen, aber es würde zumindest die seltsame Zusammensetzung erklären und auch die Radioaktivität. Ein geringes Maß gab es überall in der Natur und endlager wurden gerne dort errichtet, wo es bereits natürliche gibt und die Natur dieses handhaben konnte.

„Siehst du?“, fragte Catherine schmunzelnd, als sie geendet hatte. „Ganz einfach.“

Triumphierend schnappte sie sich Sherlocks Tasse Kaffee und trank daraus, obwohl sie Kaffee mit zwei Stück Zucker hasste. Es war ein Zeichen ihres Sieges.

Sherlock hingegen rührte sich einige Zeit nicht und schien ins Nichts zu starren, bis er plötzlich aufsprang und davon eilte.

„Hey, du könntest wenigstens danke sagen!“, rief Catherine ihm hinterher. Sherlock blieb stehen, kam zu ihr zurück und schnappte sich seine Tasse, bevor er wieder schnellen Schrittes das Labor verließ.

Es verging einige Zeit, nachdem Catherine und Molly sich über Sherlocks unmögliches Verhalten ausgelassen hatten, schwatzen und auch schnell eine Gemeinsamkeit fanden. Als Molly studierte, war sie von Professor Niels unterrichtet worden für den nun auch Catherine arbeitete. Nachdem beide dies herausgefunden hatten, sprachen sie eine ganze Weile über ihn und über ihre Arbeit, lachten, witzelten und bauten sich so eine Beziehung neben Sherlock auf.

Eine dreiviertel Stunde später seufzte Catherine und sah auf die Uhr. Es war bereits später Abend. Molly folgte ihrem Blick und stellte fest:

„Sieht so aus als würdest du ihn heute nicht mehr dazu bekommen zu essen.“

„Wohl kaum…aber so schnell gebe ich nicht auf. Manchmal braucht der liebe Sherlock nur einen Tritt in den Hintern.“

Gerade in diesem Moment schwang die Tür wieder auf und Sherlock trat ein.

„Wer soll einen Tritt in den Hintern bekommen, Cath?“, fragte er mit seinem gewohnt gelassen, beinah schon desinteressierten Ton.

„Deiner.“, antwortete Catherine und sah ihn herausfordernd an, als er sich neben ihr hinsetzte. „Und, hatte ich recht?“

Die Art und Weise wie Sherlock schwieg und seine Mundwinkel sich kräuselten zeigten Catherine, dass sie Recht gehabt hatte und sie strahlte voller Freude.

„Jahu!“, freute sie sich. „Ich hatte Recht! Ich sollte das in meinem Kalender eintragen. Nur noch ein bisschen und ich habe zehnmal etwas herausgefunden, was der große Sherlock Holmes übersehen hatte. Was bekomme ich dann?“

„Wie wäre es mit einem Tritt in deinen Hintern?“ Sherlock blickte auf und er zeigte sein gewohntes, überzogenes Grinsen.

„Du könntest wenigstens dankbar sein.“, maulte Catherine verstimmt, deren Laune schlagartig wieder auf einen Tiefpunkt gesunken war.

„Ich kann mich nicht daran erinnern, dich um Hilfe gebeten zu haben.“

„Sherlock, sie hat dir geholfen.“, wandte Molly ein, die sich nun ebenfalls Sherlock zuwandte. „Du solltest dich wirklich bedanken.“

„Ich habe dich nicht um deine Meinung gefragt, Molly.“, fuhr Sherlock sie aufgebracht an und seine Augen funkelten wütend. Molly zuckte zusammen und wandte sich mit herabgesunkenen Schultern wieder ihrer Arbeit zu um Sherlocks Missmut zu entkommen. Doch der Schmerz war zu stark, die Wunden bluteten noch zu sehr. Nur wenige Augenblicke später stand sie abrupt auf und verließ das Labor.

Catherine warf Sherlock einen verächtlichen Blick zu, der nun mittlerweile unbeeindruckt wieder durch sein Mikroskop starrte. Dieser Anblick ließ die Wut in Catherine kochen. Molly war eine gute Frau und doch attackierte Sherlock sie immer und immer wieder. Nur weil sie sich nicht wehrte, glaubte er, er könne mit ihr umgehen wie er wollte. Aber nicht mit ihr, nicht solange sie hier war, denn Catherine sah wie einsam und verletzt die Pathologin war und sie würde nicht zulassen, dass Sherlock in seiner Ignoranz noch länger auf ihren Gefühlen herumtrampelte.

„Super, Sherlock. Bist du nun glücklich? Geh ihr nach und entschuldige dich!“

„Warum sollte ich?“, schnaubte Sherlock verstimmt.

„Neben dem Grund, dass du verdammt unhöflich, gemein und es dazu noch völlig unnötig war?“ Catherine zog die Augenbrauen zusammen und konnte es nicht glauben. Sherlocks Art war wirklich zum aus der Haut fahren. Sie packte ihn bei den Armen und drehte ihn zu ihr herum. „Vielleicht aus dem Grund, dass du ohne ihre Hilfe verdammt nochmal tot wärest? Weil du ohne sie niemals dieses verdammte, perverse Spiel mit dem geisteskranksten Verbrecher, der jemals gelebt hat, überlebt hättest? Dass du ohne sie alles verloren hättest? Und dann behandelst du sie so? Das ist unfair, Sherlock! Geh ihr nach oder ich werde dafür sorgen, dass du es tust!“

Catherines Stimme wurde hart und sie blickte ihn kalt an. Ihr Herz raste in ihrer Brust und sie spürte wie Wut in ihr kochte.

„Und wie würdest du das anstellen?“, fragte Sherlock sie gelassen und blickte sie ruhig an. Er glaubte ihr nicht, dass sie wirklich härtere Mittel ergreifen würde um dafür zu sorgen. Catherine hingegen starrte ihn nur fassungslos an. Konnte oder wollte er es nicht verstehen? Sie dachte, er hätte etwas über Gefühle gelernt, aber jetzt gerade war er genauso desinteressiert wie früher und es verletzte auch sie.

„Oh mein Gott, Sherlock.“, rief sie deshalb auch fassungslos aus. „Hörst du dir überhaupt zu, wenn du redest?“

Aufgebracht rannte sie vor ihm auf und ab, raufte sich die Haare. Es konnte doch nicht sein, dass sie ihm wirklich alles erklären musste. Hatte der Kerl eigentlich eine Ahnung wie hart und kalt er in diesen Moment rüberkam? Das war nicht der Sherlock, den sie in letzter Zeit erlebt hatte.

„Du klingst wie ein stures Kind! Siehst du nicht was du Molly angetan hast? Sie war für dich da, all die Zeit, als Niemand anderes es sein konnte und sie würde alles für dich tun und doch behandelst du sie so? Macht es dir Spaß ihr wehzutun?“

„Aber wie könnte ich…“ Nun schien Sherlock erstmals nachdenklich zu werden und er blinzelte sie fragend an.

„Indem du ein unsensibler, unhöflicher Mistkerl warst. Das ist wie.“, erklärte Catherine wütend und ihre Stimme war so aufgebracht, dass sie ihn beinah anschrie. Sherlock drehte sich hingegen langsam um und begann weiter zuarbeiten, während er Catherine ignorierte. Sie versuchte mehrmals seine Aufmerksamkeit wiederzuerlangen, wurde mit jedem Versuch immer wütender, verzweifelter, denn sie kannte diesen Sherlock nicht mehr. Er wurde immer mehr zu dem Eismann, der doch eigentlich Bruder war.

Schließlich warf sie ihre Hände in purer Verzweiflung in die Luft und wandte sich ab.

„Kein Wunder, dass du so wenig Freunde hast, wenn du die wenigen, die du hast, so behandelst und du hast definitiv nicht genug um diese auch noch zu verletzten.“ Langsam ging sie soweit wie möglich von ihm weg. Es ging hier schon längst nicht mehr nur um Molly. Es ging um Sherlocks ganze Art. Mehr und mehr schien er sich wieder in das zurück zu verwandeln, was er einst gewesen war. Als wären seine guten Vorsätze dem Alltag gewichen. Er war jetzt schließlich schon eine ganze Weile zurück.

„Wenn du so weiter machst, Sherlock, dann wirst du bald wieder allein sein.“, sagte sie nun und ihr Ärger verpufft. Plötzlich fühlte sie sich nur noch unendlich traurig darüber wie egal sie ihm wohl doch waren. Sie dachte, dass die drei Jahre ihm das Gegenteil gezeigt hätten, so wie sie es bei ihr getan hatten, doch sie hatte sich wohl geirrt.

„Alleinsein ist das was ich habe. Alleine beschützt mich.“, entgegnete Sherlock vermutlich aus einem Reflex, doch die Worte trafen Catherine wie ein Hammer. Sie versuchte zu antworten, ihm zu kontern, doch alles blieb vor Schock in ihrem Hals stecken. Zutiefst verletzt rannte sie durch das Labor, aber sie wusste einfach nicht, was sie über seine Gleichgültigkeit sagen sollte. Schließlich blieb sie stehen und seufzte. Sie war besiegt. Sie wusste nicht mehr weiter.

„Fein. Wenn du wirklich zu denkst, dann tu was du willst. Ich habe von deiner verdammten Sturheit und Stolz genug.“, fuhr sie ihn wütend an und ging zum Kleiderharken und wollte gerade ihre Jacke greifen, als Molly wieder das Labor betrat. Sie passierte Catherine mit einem Teller mit zwei Stücken Obstkuchen, setzte sich wieder an ihrem Schreibtisch und begann weiterzuarbeiten. In diesem Moment beschloss Catherine zu bleiben. Sie wollte Molly nicht mit Sherlock alleine lassen, wenn er in dieser Stimmung war. Es war vermutlich dumm, aber sie wollte sie beschützen. Deshalb gab sie Sherlock einen auffordernden Blick, den er aber noch immer ignorierte.

Sie stöhnte frustriert und ließ sich auf den Stuhl neben Sherlock fallen, stützte ihren Kopf auf eine Hand und starrte ihn weiterhin an.

~*~

Sherlock versuchte noch immer Catherines stechenden, durchdringenden Blicken zu entgehen, indem er durch sein Mikroskop starrte. Er spürte dennoch förmlich wie sie ihn weiterhin anstarrte. Irgendetwas erwartete sie von ihm, doch er wusste bei weitem nicht was und so versuchte er sich dafür zu drücken indem er beschäftigt tat.

Die Proben unter seinem Mikroskop nahm er gar nicht wirklich war, denn seine Gedanken kreisten in seinem Kopf. Es war nur eine Ausflucht von ihm um sich nicht wieder mit Catherine auseinander setzen zu können.

In Wahrheit war er genervt. Was erlaubte sie sich ihn derart anzuschreien? Er hatte nichts Unrechtes getan, sondern nur seinen Standpunkt vertreten und er konnte es nicht haben, dass sie auch noch Molly einmischte. Sie hatte schließlich nichts mit der Sache zu tun und das hatte er ihr auch gesagt. Warum also war Catherine dermaßen wütend auf ihn, dass er es förmlich in der Luft spüren konnte? Und sollte es ihn kümmern?

Innerlich seufzte Sherlock. Er hatte sie sehr verletzt, das hatte er in ihren Augen gesehen auch wenn er so getan hatte, dass er nicht hinsah. Auch ihm war nicht entgangen, dass es Catherine längst nicht mehr nur um Molly ging, doch was der wahre Grund ihrer Wut war konnte er nicht sagen und deshalb beschloss er dieses Thema erst einmal ruhen zu lasen.

Stattdessen glitten seine Gedanken zu dem was Catherine ihm gesagt hatte. Hatte er Molly mit seinen Handlungen verletzt? Dafür sprach wie sie aus dem Labor geflüchtet war. Doch womit genau? Hinter dem Linsen seines Okulars runzelte er die Stirn. Er ging noch einmal das durch, was er gesagte, aber er fand nichts. Sicherlich, er war ein wenig ruppig gewesen, doch war schließlich nichts falschen in seinen Worten gewesen.

Vielleicht darum, weil du ohne sie tot wärest! Sie war für dich, als wir alle es nicht konnte.

Catherines aufgebrachte Worte hallten durch seinen Kopf und er seufzte. Sie hatte Recht. Als er alles andere verloren hatte, da war Molly für ihn dagewesen. Ihre Unterstützung waren stets im Hintergrund gewesen, wie ein Geist oder ein Schatten, doch Molly war stets bereit gewesen alles stehen und liegen zu lassen um ihn zu helfen- nicht, dass er ihr eine Wahl gelassen. Dennoch, sie hatte sich nie beklagt.

Leise seufzte Sherlock und holte tief Luft. Vielleicht wurde es doch einmal Zeit ihr etwas dafür zurückzugeben.

„Cath, könntest du bitte rausgehen und telefonisch einen Tisch für acht Uhr in einem Restaurant deiner Wahl bestellen?“, sagte er nach einiger Zeit und versuchte möglichst ruhig zu klingen.

„Sherlock, wenn du…“, setzte Catherine noch immer genauso wütend wie zuvor an und der mahnende Unterton in ihrer Stimme schnitt ihm beinah ins Fleisch.

Langsam sah er von seinem Mikroskop auf und warf ihr einen durchdringenden Blick zu.

„Cath, bitte.“, unterbrach er mit sanfter Stimme ihre Schimpftirade.

Catherine hob ihren Kopf und erwiderte seinen Blick ebenso durchdringend, doch dann schien sie seine Intention zu verstehen, denn sie nickte langsam.

„Uhm…ja…ja, sicher. Acht Uhr, richtig?“ Sie stand auf und ging zur Tür. „Ich…bin gleich wieder zurück.“

„Danke…“, flüsterte er ihr nach, doch die Tür war bereits hinter seiner kleinen Catherine wieder zu geschwungen.

Sherlock rieb sich über die Augen und seufzte. Er fühlte sich unwohl und würde am liebsten die Situation vermeiden, doch er wüsste, dass er damit Catherines Respekt endgültig verlieren würde und Molly nur noch mehr verletzt zurückblieb, als sie ohnehin schon war. Allerdings vergaß Catherine wohl gerne, dass er nun einmal kein normaler Mensch war, sondern ein hochfunktioneller Soziopath- das glaubte er zumindest noch, ganz so sicher war er sich auch nicht mehr. Über Gefühle zu sprechen, danke zu sagen und aus seinem sherlockzentrischen Wort auszubrechen kostete ihn viel Überwindung. Nur bei Catherine und John fiel es ihm etwas leichter.

„Molly…“, sagte er leise. Er wusste, dass sie ihn hören würde.

„Ja, Sherlock?“

„Ich…“ Er holte tief Luft und räusperte sich. „Es tut mir leid. Was ich sagte war etwas…harsch.“

Überrascht blickte Molly von ihren Arbeitsunterlagen auf und sah in seine Augen. Sie stotterte, wusste nicht wie sie darauf reagieren sollte, da sie mit einer Entschuldigung nicht gerechnet hätte. Sherlock hätte am liebsten geseufzte. Sie kannte Catherine nu nun mal noch nicht richtig und wusste nicht wie überzeugend dieser verdammte Sturkopf sein konnte.

„Ich…ich denke ich habe dir nie dafür gedankt für alles was du getan hast.“

„Oooh…“, sagte Molly überfordert und errötete schlagartig. Verlegen senkte sie ihren Blick und jeder hätte gesehen wie sehr sie ihn liebte- jeder, außer Sherlock. „Da---das ist nicht nötig. Ich bin froh…dass ich…helfen konnte.“

In diesem Moment schluckte Sherlock endlich seinen Stolz herunter, stand auf und ging zu ihr hinüber. Ganz dicht stand er neben ihrem Stuhl. So nah, dass er beinahe ihren Herzschlag hören konnte, er vernahm den künstlichen Erdbeergeruch ihres Shampoos, die Röte auf ihrem Gesicht und Sherlock sah zu ihr hinab, sah ihr tief in die Augen und er sah sie. Zum ersten Mal erkannte er Molly als das, was sie war. Seine Retterin.

„Es ist notwendig, das habe ich gelernt, und es tut mir leid, dass ich deine Hilfe als selbstverständlich genommen habe. Ich denke ich war zu selbstsüchtig in diesem Moment.“

Molly sah ihn aus weitaufgerissenen Augen an, doch dann schüttelte sie den Kopf und lächelte.

„Das ist schon in Ordnung. Dafür sind Freunde da.“

„Sind sie?“, wiederholte Sherlock verwundert und sah Molly an, bevor er sich zu der Tür umdrehte, durch die Catherine gegangen war und vermutlich noch immer mit dem Restaurant telefonierte, dann flüsterte er mehr zu sich selbst:

„Ja…dafür sind sie vermutlich da.“

„Ihr seid also Freunde?“, durchbrach Molly nach einigen Momenten die Stille, die geherrscht hatte, während Sherlock über die Bedeutung dieses Wortes nachdachte. Er wusste wirklich vieles, doch erst jetzt merkte er, dass er ebenso viel noch zu lernen hatte.

„Freunde?“ Er blinzelte überrascht als Mollys Frage ihn aus den Gedanken riss und wandte sich ihr zu. „Nein…nein…Freunde ist nicht das richtige Wort. Wir sind…nun, wir sind Nachbarn.“

„Ihr seid mehr als das. Du…du erlaubst ihr mehr als jedem sonst.“

„Das stimmt so nicht.“, erwiderte Sherlock nachdenklich und blickte noch einmal zur Tür und konnte sich dann eines Lächelns nicht erwehren, als er fortfuhr: „Sie erlaubt sich einfach nur mehr.“

Molly hingegen betrachtete ihn beinah genauso stechend wie Catherine und Sherlock kam sich kurz vor, als wäre er ein Schimpanse in einem Zoo, den all diese dummen Menschen durch die Glasscheibe anglotzten, während er unbekümmert tat, was er immer tat.

„Du magst es. Du magst sie. Das ist nicht schwer zu sehen, Sherlock. Also, wer ist sie?“

Sherlock blinzelte kurz und zögerte einige Momente.

„Ich weiß nicht, wovon…“

„Ich denke, du weißt was ich meine, aber du weißt nicht wie du antworten sollst.“

„Ich…“

Molly lächelte amüsiert und sanft über Sherlocks Ratlosigkeit.

„Stimmen die Gerüchte? Geht ihr beide miteinander aus? Ein bisschen jung ist sie, denkst du nicht?“

Sherlocks Kopf zuckte zurück und er betrachtete Molly mit einem beinah abschätzigen, aber auch enttäuschten Blick.

„Du glaubt, wir gehen miteinander aus, nur weil es ein paar Gerüchte es behaupten?“, brüskierte er sich. „Oh, Molly. Und ich dachte du wärest cleverer.“

Mollys Lächeln flackerte bei diesem Worten, doch es verschwand nicht.

„Du hast dich gerade erst entschuldigt, Sherlock. Ruinier es nicht schon wieder.“ Sherlock blinzelte überrascht und dachte an die Szene mit John auf dem Friedhof in Dartmoor zurück. Er seufzte und nickte entschuldigend.

„Um es klarzustellen. Ich hätte den Gerüchten nie geglaubt bis zu dem Moment, als Catherine hier erschienen ist. Ihr zwei benehmt euch, als wäret ihr in eine Beziehung- wenn wohl vermutlich unterbewusst. Ich weiß, dass du es nie bemerken würdest, aber…“

„Wir gehen nicht miteinander aus.“

Molly lächelte nur über Sherlocks etwas zu heftigen Einwand und fuhr einfach fort:

„Was auch immer ihr zwei seid. Ich bin glücklich für dich. Sie tut dir offensichtlich gut. Ruinier das nicht.“ Mit diesem Worten beendete zum ersten Mal Molly ein Gespräch zwischen ihnen indem sie sich wieder ihrer Arbeit zuwandte und sie hinterließ einen völlig irritierten Sherlock.

Ein fataler Abend

Das Veni, Vedi, Mangi! war ein italienisches Restaurant, welches sich seiner Beliebtheit erfreute und doch noch als Geheimtipp galt. Auch an diesem Mittwochabend, der so kalt und regnerisch war, erfreute es sich reger Kundschaft. Es lag direkt im Herzen Londons nicht unweit von einer Einkaufsstraße, sodass sich gerne junge Leute hier trafen um einen Shoppingtag ausklingen zu lassen.

Catherine betrachtete den Steinbogen, der als Eingang diente, durchaus skeptisch. Das Gebäude war ein altes Backsteinwerk, doch die Besitzer hatten sich sehr viel Mühe gegeben, die Fassade wie alte römische Gebäude aussehen zu lassen. Menschen drängelten sich an ihr vorbei, verließen entweder schwatzend das Restaurant um noch etwas Trinken zu gehen, oder aber kamen gerade erst um ihre Reservierung anzunehmen.

Molly hatte ihnen dieses Restaurant empfohlen. Nachdem Catherine frustriert in das Labor zurückgekehrt war, da in keinem ihrer Stammrestaurants ein Tisch zu bekommen war- war irgendwie ein verdammter Feiertag, den sie vergessen hatte, oder warum war es so schwierig einen Tisch zu bekommen?- hatte Molly ihr die Visitenkarten eben jenes authentischen, italienischen Restaurant gegeben, welches sie schon einige Male besucht hatte und wärmst weiterempfehlen konnte. Schließlich waren Catherine und Sherlock hierher aufgebrochen um zu Abend zu essen. Für etwas anderes wie zum Beispiel einen Schnellimbiss hätte Catherine Sherlock niemals bewegen können. Darauf würden sich seine verwöhnten Geschmacksnerven niemals herablassen und zu kochen hatte Catherine nach einen viel zu langem Tag auch keine wirkliche Lust. Darum hatte sie Mollys Vorschlag gerne angenommen und hatte zum Glück auch noch einen Tisch für die gewünschte Zeit ergattern können.

Dies war es also nicht, was Catherine ein unbehagliches Gefühl im Bauch gab. Es war die Kundschaft. Diese war nicht bunt gemischt wie es bei Szene Restaurants üblich war, sondern bestand hauptsächlich aus Paaren. Sie würde sogar schätzen achtundneunzig Prozent der Besucher waren entweder Pärchen oder gar schon Ehepaare. Keine Mädels, die einen Abend mit einer leckeren Pasta oder Salat feierten, keine Jungs, die bei einem Wein oder Bier eine Saltimbocca genossen. Nein, die Klientel bestand eindeutig aus viel zu vielen, tiefe Blicke austauschenden Menschen und leisem Gekicher von jungen Frauen. Catherine holte tief Luft und sah sich um, wodurch sich ihr erster Eindruck nur bestätigte.

„Und Molly war hier alleine essen?“, murmelte sie leise zu sich und steckte die Hände in ihre Tasche.

Sherlock löste sich von der Speisekarte im Glaskasten, die er bis eben studiert hatte und zog die Visitenkarte aus der Tasche.

„Zumindest stimmt die Adresse.“ Er hielt inne, runzelte die Stirn und drehte sich fragend dreinblickend zu ihr um. „Warum sollte Molly hier nicht alleine hingehen können?“

„Weil…öhm…na ja…ach, vergiss es!“ Sie wedelte mit ihrer Hand und seufzte innerlich. Wie sollte auch ausgerechnet Sherlock sehen, was mit diesem Restaurant nicht stimmte? Könnte er nicht und somit wäre jede Erklärung überflüssig. Sherlock blickte sie nur verwundert an, zuckte dann aber schließlich mit den Schultern und wandte sich ab.

//Was kann schon passieren? Die Speisekarte klingt wirklich lecker und der Tisch ist nun einmal reserviert.//, dachte sie um sich zu beruhigen. Sie seufzte erneut und folgte dann Sherlock in das Innere des Restaurants.

Es herrschte eine schöne, ruhige Stimmung in dem Restaurant. Leise Geigen oder Harfenmusik drang aus mehreren, versteckten Boxen in den Ecken des großen Speiseraumes, welcher in drei Teile unterteilt wurde. Im Mittelgang befanden sich links und rechts sechs hintereinander aufgereihte, runde Tische. An den Seiten und vor Kopf war es jeweils immer eine Reihe.

„Kommst du, Cath, oder hast du bereits Wurzeln geschlagen? Es war schließlich deine Idee essen zu gehen.“, sagte Sherlock mit lauter Stimme und blickte zu ihr. Erst jetzt bemerkte Catherine, dass sie unter dem Steinbogen stehen geblieben war um sich das Restaurant genauer anzusehen.

Ein feiner Geruch nach Wein, Pasta und Pizza stieg Catherine in die Nase, als sie sich zu Sherlock gesellte, der bereits sich zum Oberkellner begeben hatte. Der junge Mann im Anzug sah kurz von seinem Reservierungsbuch auf, als sie ihm ihren Namen nannte, und hob beinah etwas skeptisch die Augenbraue. Catherine schluckte und fühlte sich schlagartig unwohler. Sie wusste, dass sie von Äußerem her sogar noch jünger aussah, als sie wirklich war- zu ihrem Pech. Kein Wunder also, dass der Kellner doch etwas brüskiert dreinsah. Schließlich handelte es sich hier um ein Restaurant speziell für Paare und selbst im liberalen London kann ein solcher vermeintlicher Altersunterschied für seltsam empfunden werden.

Unruhig blickte sie sich um, ob nicht vielleicht Jemand hier war, der sie kennen könnte, während der Kellner einen etwas älteren Mann heranwinkte, der Sherlock und sie zu ihrem Tisch geleiten sollte.

Der Kellner führte sie einmal durch den ganzen Raum des Restaurants. Catherine wusste nicht, ob es Paranoia war, aber sie hatte das Gefühl, dass sich einige der Gäste zu ihr umdrehten und vor allem ihr einen abschätzigen Blick zu warfen. Catherine wurde richtig flau im Magen und diese wenigen Meter zu ihrem Tisch fühlten sich wie ein Spießroutenlauf an.

Endlich, nach einer gefühlten Ewigkeit, hatten sie ihren Tisch im hinteren Teil des Saals erreicht. Es war ein schöner runder Tisch mit einer weißen Unter- und einer roten Oberdecke. Weiße Lilien standen in der Mitte des Tisches und zwei kleine Kerzen brannten. Links von ihrem Tisch führte eine Treppe nach oben- Catherine vermutete, dass es dort zu einem Veranstaltungsraum ging- während zur Rechten ihres Tisches eine Bambuswand sie von ihren Tischnachbarn abschirmte.

Generell war es sehr ruhig hier. Die Gespräche der Gäste drangen kaum bis zum hinteren Teil durch, wodurch sich unterhalten ruhig von statten gehen kann.

Catherine lächelte den Kellner halb unsicher, halb dankbar an, als er mit einem Ausstrecken der Hand ihnen ihren Tisch zeigte. Beide setzten sich an den Tisch- je zu einer Seite- und als der Kellner fragte, ob sie gerne eine Flasche Wasser für den Tisch hätten, nickte Catherine nur. Kurz notierte dieser es auf seinen Zettel, reichte ihnen die Menükarte und verließ dann den Tisch.

Sherlock, der seinen Mantel bereits an eine Garderobe gehängt hatte, öffnete gleich die in braunes Leder gefasste Karte, dann schaute er sich kurz im Restaurant um.

„Ein guter Platz.“, stelle er zufrieden fest und schaute wieder zurück in die Speisekarte. „Nun können wir reden, ohne dass unsere Tischnachbarn uns hören.“

„Ja, das stimmt.“, antwortete Catherine und seufzte leise. Sherlock runzelte irritiert die Stirn und sah sie fragend an.

„Was ist los? Du bist unglaublich nervös seitdem wir eingetreten sind?“

Anstelle zu antworten, zuckte Catherine kurz mit den Schultern und ließ einmal ihre Augen durch den gesamten Raum wandern, was Sherlock nur noch mehr verwirrte. Warum benahm sie sich so, als wäre sie eine Spionin im Feindesgebiet? Ihre gesamte Körperhaltung war angespannt und unbewusst huschten ihre Augen von einer Seite zur anderen, beinahe so, als erwartete sie angegriffen zu werden.

„Mi---Mir gefällt nur die Atmosphäre hier nicht.“, erklärte sie schließlich und kaute unbehaglich an ihrer Unterlippe. Sie wollte ja wirklich nicht so angespannt sein, aber für sie fühlte es sich an, als würden sie unter einem grellen Scheinwerfer sitzen und hätte die Aufmerksamkeit des Raumes inne. Nicht existierende, abwertende Blicke schienen sich förmlich in ihren Körper zu bohren und dies konnte sie natürlich nicht vor Sherlock verbergen.

Sherlock setzte sich gerader hin und sah sich für einige Zeit sehr intensiv um, analysierte und beobachtete den gesamten Raum, konnte aber nichts feststellen, was solches Unbehagen bei Catherine bewirken könnte.

„Warum? Was ist denn falsch mit ihr?“

„Ich weiß auch nicht…“, sagte Catherine schüchtern und versteckte sich beinahe hinter ihrer Speisekarte, um das rote Glühen ihrer Wangen zu verbergen. Sie wusste doch selbst, dass sie völlig überreagierte, aber dieses flaue Gefühl in ihrem Magen blieb. "Sie ist zu...zu..."

„Zu was?“, fragte Sherlock vermeintlich ungeduldig, doch Catherine konnte auch Besorgnis in seiner Stimme hören. Seine durchdringenden Augen beobachteten sie genau und versuchten so eine Antwort zu finden.

„Romantisch.“, spuckte es Catherine beinahe schon aus und holte tief Luft, als sie es ihm endlich gesagt hatte.

„Was?“, fragte Sherlock ungläubig und sah sich noch einmal. Erst jetzt bemerkte er die romantische Musik, die aus dem Lautsprecher dröhnten, die Kerzen, die sich auf jedem Tisch befanden. Er roch den leichten Geruch von Rosen in der Luft und als er sich die Gäste näher betrachtete, so entdeckte auch er endlich, dass diese fast ausschließlich aus Pärchen, Ehepaaren oder Affären bestanden.

„Oh…“, sagte er darauf, blinzelte aber dennoch und blickte fragend an. „Und?“

„Und?“ Sie beantwortete seinen mit einem ungläubigen ihrerseits. „Und?“

„Ja, und? Wo liegt dein Problem?“

„Mein Problem…“, wiederholte Catherine und holte tief Luft um ihn auf Grund seiner Insensibilität nicht an die Gurgel zu springen. „Mein Problem ist, dass ich nicht will, dass die Leute denken, dass wir hier ein Date haben.“

Sherlock wandte sich ihr zu und seine Augen funkelten amüsiert.

„Warum, Cath, warum machst du mit mir Schluss?“, fragte er mit einem theatralischen Schniefen in der Stimme, doch das Glimmen blieb in seinen Augen. „Ich kann mich doch ändern!“

Catherine weitete ihre Augen vor Schock, grummelte und bewarf ihn mit ihrer Serviette, als er leise lachte.

„Nicht lustig, Sherlock.“ Deutlich verstimmt verschränkte Catherine die Arme vor der Brust und ließ sich gegen ihre Stuhllehne fallen, während sie Sherlock missbilligend ansah. Als er bemerkte, dass sein Witz nicht den gewünschten Erfolg hatte, hörte Sherlock auf zu lachen und seufzte.

„Du kennst Niemanden hier und wirst es höchstwahrscheinlich auch niemals. Du solltest dich nicht so sehr darum kümmern, was Fremde von dir denken, Catherine.“

Sie erwiderte den durchdringenden Blick Sherlock mit einem ebenso ernsten. Sie holte tief Luft, fuhr sich durch die Haare und sprach dann leise, aber kraftvoll:

„Aber nachdem was geschehen ist, Sherlock, solltest du doch realisiert haben wir schädlich die Meinung der Öffentlichkeit sein kann.“

Verzweiflung spiegelte sich in ihren Augen, als sie ihn ansah und Sherlock meinte sogar kurz wieder Tränen in ihren hellblauen Augen zusehen. Obwohl viel Kraft in ihrer Stimme gelegen hatte, hatte er dennoch gehört wie sie leicht zitterte.

„Du bist berühmt, Sherlock.“, fuhr sie mit Nachdruck fort. „Sie werden alles hinterfragen was du tust und auch jeder um dich herum. Das beinhaltet auch mich und ich würde es wirklich gern vermeiden, dass Gerüchte über mein nicht existierendes Liebesleben die Runde machen. Danke.“

Seitdem Sherlock zurückgekehrt war, hatte er bereits einige spektakuläre Fälle gelöst und somit war die Presse erneut wieder auf ihn aufmerksam geworden. Mittlerweile wurde erneut eifrig über seine Fälle berichtet und die Presse stürzte sich auf alles um ihn herum. Catherine glaubte ja, dass es eben seine Andersartigkeit, seine Arroganz, war, die ihn so anziehend wie das Licht für Motten machte. Es gab ihm eine sehr mysteriöse Aura, die unglaublich faszinierte. Schließlich war es ihr selbst nicht anders ergangen zu Beginn ihrer Geschichte. Gierig folgten sie all seinen Schritten in der Öffentlichkeit in der Hoffnung, dass sie etwas finden, als Erste, dass ihm etwas normales gab, diesen Zauber brach.

Wieder runzelte Sherlock wieder die Stirn, lehnte sich im Stuhl zurück und trank ein Schluck Wasser.

„Warum? Wird es nicht von der Gesellschaft erwartet, dass man ein erfülltes Liebesleben oder zumindest häufig wechselnde Sexualpartner hat? Das gibt dir doch eher etwas Normales.“

Sherlock vorheriges Amüsement verschwand und er blickte sie nur noch ruhig an. Es war ihm schon öfter aufgefallen, dass das eine von Catherines Schwächen war. In ihr hauste wirklich großes Potential, doch sie kümmerte sich zu sehr um das was andere von ihr denken. Zwar versuchte sie das häufig zu verstecken, doch Sherlock hatte längst bemerkt, dass ihr Selbstvertrauen eher dem Selbstschutz diente und gar nicht echt war. Zwar entsprach dies dem Verhalten, was durchaus von erwachsenen Menschen erwartet wurde, doch Sherlock beobachtete nur zu oft wie sie sich damit Dinge verbaute.

Catherine hingegen schnaubte nur verächtlich und fixierte ihn mit einem stechenden Blick.

„Etwas Normales?“, wiederholte sie verstimmt und kräuselte ihre Nase. „Ja, klar, besonders weil eine Beziehung mit Sherlock Holmes so was von normal wäre. Es wäre alles, außer das!“

Sie schüttelte ungläubig ihren Kopf.

„Man…und du vergisst dabei auch einen ganz wichtigen Punkt, Sherlock.“

„Ach wirklich?“ Sherlock blinzelte und legte seinen Kopf schief. „Welchen denn?“

„Vielleicht die Tatsache, dass ich irgendwann gerne einen realen festen Freund hätte.“

„Warum solltest du denn das wollen?“, schnaubte Sherlock beinah schon angewidert und er verzog seine Mundwinkel, als hätte er etwas Verdorbenes gegessen. Catherine hingegen blinzelte nur einige Male. Das hatte er gerade doch nicht wirklich gefragt, oder? Oh Gott, warum las Sherlock nicht endlich das Buch, was sie ihm vor einiger Zeit geschenkt hatte? Sie konnte ihm doch nicht alles erklären.

„Was ich gerne möchte, ist glaube ich etwas, worüber ich am besten Bescheid weiß, glaubst du nicht auch?“ Sie stützte ihre Wange in ihre Hand und sah ihn sichtlich verstimmt an und ihre Stimme genervt, als sie fortfuhr: „Und Niemand will in Konkurrenz mit Sherlock Holmes stehen. Heißt, wenn die Klatschmagazine aus uns ein Pärchen nehmen, werde ich für immer Jungfrau bleiben. Oh man, ich bin so froh, dass meine beiden Freunde so halbwegs damit zurechtkommen.“

Sherlock atmete laut aus und nahm noch einen Schluck Wasser.

„Warum solltest du eine Beziehung haben wollen? Es ist so anstrengend.“

„Nun, weil ich zumindest noch ein bisschen normal bin und einfach das Bedürfnis verspüre eine zu haben.“, erklärte Catherine schlicht, zuckte mit den Schultern und trank ebenfalls einen Schluck. Ihre ganze Haltung, Körpersprache war gereizt und angespannt. Sherlock bemerkte wie die Wut in ihr wieder zu kochen begann.

„Sollen wir nicht lieber das Thema wechseln, bevor wir wieder anfangen zu streiten und sie…“ Er deutete auf die anderen Gäste. „…anfangen zu denken, dass wir wirklich ein Paar sind.

Catherine schnaubte und rieb sich genervt über die Stirn.

„Fein. Aber seit wann weißt du, wann es am besten ist einen Streit zu vermeiden?“

„Ich habe es immer gewusst.“, grinste Sherlock amüsiert und seine Augen leuchteten. „Es war nur irrelevant.“

„Achso…“, murrte Catherine. „Also hast du dich nur wie ein unsensibler Klotz aufgeführt um uns zu ärgern?“

Sie schüttelte den Kopf und es ist wohl nicht verwunderlich, dass ihre Stimme ziemlich spöttisch war. Sherlock hingen grinste noch breiter und sagte schlicht:

„Exakt.“

Catherine rollte mit den Augen und haute ihren Kopf auf den Tisch. Das Besteck klirrte von der plötzlichen Vibration und sie vergrub ihr Gesicht in ihren Armen.

„Großartig…“, grummelte sie nur. „Kein Soziopath…nur ein gespielter.“

„Mehr oder weniger.“, sagte Sherlock in seinem typisch nüchternen Ton. „Manchmal war es eine wirklich gute Ausrede.“

„Ja…das habe ich schon verstanden“, sagte Catherine gedehnt, aber nicht mehr ganz so verstimmt. Sherlock ungewöhnliche Antwort hatte ihren Ärger durch Unglauben ersetzt. Er meinte sogar, dass er vorhin ein kurzes amüsiertes Funkel gesehen zu haben, aber der jungen Frau war es immer noch zu unbehaglich in diesem Restaurant.

Zu seinem Glück jedoch gab sie ihren Konfrontationskurs auf. Sie nahm sich die Speisekarte und sah sie sich an um das Thema auf diese Art und Weise zu beenden. Dieses Vorhaben trug aber nur sehr kurz Früchte, denn ein Blick in eben jene verdarb ihr erneut mächtig die Laune. Sie seufzte schwer und stöhnte nur:

„Oooh, wie wundervoll.“

„Was? Was ist diesmal dein Problem?“, erwiderte Sherlock nun sichtlich genervt und legte die Speisekarte ab.

„Die meisten Gerichte sind Platten für zwei. Für zwei, Sherlock!“

„Und wo liegt das Problem? Sie sind gut gemischt und für jeden Geschmack etwas dabei.“

„Du verstehst es wirklich nicht, richtig?“ Sie schüttelte den Kopf und blickte ihn müde an. „ich glaube ich nehme nur einen Salat.“

Sherlock hob skeptisch eine Augenbraue und starrte sie ungläubig an.

„Nur einen Salat? Du? Du hasst Salat, wenn er nur Beilage ist und du hast gesagt, dass du heute noch nichts gegessen hast.“

Catherine zuckte mit den Schultern. „Und?“

Sherlock seufzte und in diesem Moment kam seine väterliche Art durch.

„Catherine, ehrlich, du grübelst zu viel. Niemand kann uns sehen.“, sagte er ruhig und tätschelte kurz beruhigend ihre Hand.

„ABER…“, setzte Catherine verzweifelt an und hob ihren Blick.

Plötzlich veränderte sich etwas in Sherlock. Er sackte ein wenig in sich zusammen und seine Augen bekamen einen leicht traurigen Ausdruck.

„Wäre es wirklich so schlimm mit mir einer Beziehung zu sein?“, fragte er völlig überraschend und blickte Catherine an. War er wirklich so unausstehlich, dass allein der Gedanke solch eine heftige Reaktion hervorrufen würde? Auch wenn er es nicht zugab, ihr starker Protest hatte ihn schon ein wenig verletzt. Das war etwas, dass sich in den drei Jahren verändert hatte. Früher hätte ihn das vollkommen kalt gelassen, denn da hatte er seinen Schutzpanzer noch besessen, doch nun gab es einige wenige Menschen, die ihn durchaus verletzen konnten.

Auch die Worte von Molly gingen ihm durch den Kopf und das, was Catherine ihn an den Kopf geworfen hat. War er wirklich dermaßen unsensibel? Natürlich war er sich dessen bewusst, dass er häufig aneckte und nicht immer der verständnisvollste Mensch der Welt war, aber dass Catherine wegen solch einer Bagatelle dermaßen reagierte, das stimmte ihn doch nachdenklich.

„Ja, ja, wäre es.“, antwortete Catherine nur abwesend und setzte somit nochmal nach. Traurig senkte Sherlock den Blick und konnte es nun nicht mehr verbergen. Die Selbstzweifel hatten nun ihn, ihn, gepackt. Den sonst wohl selbstbewusstesten Menschen, den es gab.

„Bin ich wirklich solch ein schlechter Mensch?“, flüsterte er leise und seine Stimme zitterte.

Catherine runzelte irritiert die Stirn, hatte sie doch bisher nicht die Veränderung in Sherlock nicht bemerkt, da sie noch immer durch die Speisekarte schaute. Als sie jedoch den traurigen Blick in seinen Augen sah, seufzte sie leise.

„Nein, kein schlechter Mensch. Du bist nur…Ich würde selbstfixiert sagen, aber nicht in diesem narzisstischen Bedeutungen wie es die meisten Menschen verstehen. Es ist nur, dass du manchmal vergisst, dass es noch andere Menschen gibt. Mit ihren eigenen Problemen, Gefühlen, Bedürfnissen, dem Wunsch nach Aufmerksamkeit, Beachtung und Anerkennung. Da du dies öfters vergisst, fühlen sich die Menschen verletzt und je näher sie dir sind, desto mehr ist dies der Fall, obwohl es logisch wäre, dass sie eigentlich wissen müssten, dass du dies eigentlich nicht willst. Es ist einfach…“ Sie zögerte kurz und überlegte. „Du verlierst dich in deinen eigenen Bedürfnissen, deiner Arbeit, deinen Gedanken. Nach einer Weile, fühlen sich die Menschen dann vernachlässigt. Niemand kann so etwas für immer ertragen, egal wie gut deine Intentionen eigentlich waren diese Beziehung einzugehen. Nun, keine normale Person zumindest.“

Sherlock holte tief Luft und stieß diese leise aus. Klang ja nicht gerade rühmlich für ihn.

„Oh…“

Sie runzelte nur noch mehr die Stirn, nun sichtlich verwirrt darüber wie traurig es ihn zu machen schien. In diesem Moment war all ihr Unbehagen und Frust verschwunden.

„Hey…“, flüsterte sie sanft. Zärtlich umfasste sie eine Hand von ihm und drückte sie. „Das macht aus dir keine schlechte Person. Sherlock, du bist ein guter Mensch, nicht nur ein großartiger. Wenn halt auch nur ein wenig schwieriger zu handhaben als ein durchschnittlicher.“ Sie lächelte ermutigend und strich kurz über seinen Handrücken. „Das was du damals getan hast für uns, was du bereit warst auf dich zu nehmen um uns zu schützen, beweist dies mehr als all die hohlen Worte, die leere Versprechungen, die die Menschen von sich geben. Du bist für die Menschen da, die dir wichtig sind, wenn auch auf eine außergewöhnliche Art und Weise. Diese zu verstehen wird für die meisten Menschen wohl immer umöglich bleiben, aber wir schätzen sie. Ich glaube einfach nur, dass diese Art in einer Beziehung zu Schwierigkeiten führen könnte, weil, wenn man einen Menschen liebt, Sherlock, dann kann die kleinste Kleinigkeit unglaublich verletzen. Das heißt aber nicht, dass du ein schlechter Mensch bist.“

„Das klingt nicht gerade überzeugend.“, sagte Sherlock leise.

„Sherlock…“, setzte Catherine noch einmal an und drückte seine Hand erneut. „Wenn du wirklich ein schlechter Mensch wärest, glaubst du ernsthaft, wir würden uns solche Mühe geben mit dir klarzukommen, dich zu mögen und dich als unseren Freund zu haben? Du bist ein guter Mensch, besser als es die meisten je sein werden, doch du zeigst es auf eine sehr außergewöhnliche Art.“

Sherlock hob den Kopf, sah ihr in die Augen, seufzte aber schließlich und nickte.

„Ich glaube dir.“, sagte er dann zu ihrer Erleichterung. Sherlocks Traurigkeit hatte sie bekümmert und Catherine war sich für einige Zeit nicht sicher gewesen, ob sie die richtigen Worte finden würde um es ihn verständlich zu machen. „Aber ist es wirklich so unangenehm für dich mit mir hier zu sein?“

Catherine lächelte und drückte seine Hand ein letztes Mal zur Beruhigung, bevor sie sie wieder freigab und sich in ihrem Stuhl zurücklehnte.

„Ja, ist es. Aber das hat nichts mit dir zu tun…nun nicht mit dir als Person. Es sind eher die Umstände. Du kannst vielleicht das mediale Interesse um deine Person ignorieren, Sherlock, aber ich kann es nicht. Mich…nun…mich macht es nervös.“

„Cath…“, sagte er sanft, als er nun endlich ein wenig zu verstehen begann, was sie so bekümmerte. „Es ist egal, was andere von dir denken und es sollte vor allem nicht dein Verhalten beeinflussen.“

„Ich weiß das, Sherlock.“, erwiderte Catherine verzweifelt und blickte heftig auf. „Glaub mir, ich weiß es. Rein logisch gesehen, macht das alles Sinn, aber ich bin dennoch besorgt. Eine falsche Bewegung, ein falsch gewähltes Wort und alles kann wieder so werden wie damals.“

Ihre Stimme wurde immer leiser und sie schluckte hart. Hilflos umklammerte sie nun ihre eigenen Hände und fuhr sich immer wieder mit ihren Schneidezähnen über ihre Unterlippe. Dies war ihre größte Angst. Dass eben jenes Horrorszenario wiederkehren könnte. Es beängstigte sie so sehr, dass es Catherine vollkommen beklemmte und unnötig unruhig stimmte.

„Wenn ich einen Fehler mache…“, fuhr sie flüsternd fort. „Könnte es nicht nur mich betreffen…es könnte auch dir schaden.“

Sherlock sah sie überrascht an und er starrte sie an. So sehr dachte sie an ihn? So sehr sorgte sie sich um ihn. Selbst Sherlock konnte in diesem Moment nicht kalt bleiben. Diese kleinen Worte rührten ihn.

„Ich schätze es, dass du dir darüber Gedanken machst, Cath, wirklich, aber…bitte denk nicht zu sehr darüber nach, ja?“ Er blickte sie bittend an. Er wollte nicht, dass Catherine ihr Verhalten um ihn herum veränderte. Er mochte den entspannten, lockeren, oft ziemlich bissigen Umgang, den die beiden miteinander pflegten und wenn dies auf Grund von der Presse verschwinden würde, wäre das sehr bedauerlich. Um ehrlich zu sein, er wusste dann nicht, ob er sich dann noch mit ihr umgeben könnte. Schließlich war es genau das, was er an ihr schätzte.

Catherine hingegen schloss nur die Augen und strich sich ihre Haare über die Schulter. „Ehrlich, Sherlock, ich bin besorgt. Wir…“

„Catherine…“, unterbrach Sherlock sie bestimmt. „Das sollte uns nicht den Abend verderben. Nun gut, es mag ja vielleicht sein, dass dies ein Restaurant ist, dass normalerweise von Paaren besucht wird. Aber seit wann interessiert es uns, was normale Menschen tun?“

Sie blickte ihn mit einem seltsam nachdenklichen Blick an und seufzte.

„Du hast ja Recht, Sherlock. Es sollte mich nicht so sehr kümmern. Ich meinte, es ist ein nettes Restaurant und wir sollten einfach den Abend genießen.“ Es klang eher als würde sie sich Mut zusprechen und Gründe suchen um hier zu bleiben. Etwas, das Sherlock bekümmerte, auch wenn er es selber gar nicht so empfand. Stattdessen zeigte er ein kleines Lächeln.

„Das klingt schon eher nach dir, Catherine.“ Damit blickte er wieder in die Speisekarte.

„Aber, Sherlock, eine Frage müssen wir noch klären.“, sagte sie geheimnisvoll und hob ihre Augen von der Speisekarte.

„Und die wäre?“

„Wer wird bezahlen?“, fragte sie amüsiert und wedelte mit einem Löffel vor der Nase herum, der zu ihrem Kaffee gehörte. Sherlock hingegen sah sie skeptisch an und zog eine Augenbraue hoch.

„Wer wird bezahlen? Das ist ja wohl deine Aufgabe, schließlich hast du mich eingeladen.“, erklärte er ruhig und trank einen Schluck Wein, den er bereits beim Kellner bestellt hatte.

„Das ist schon richtig.“, gab Catherine in ruhigen Ton zu und legte einen liebreizenden Augenaufschlag hin, obwohl dieser bei Sherlock natürlich völlig unbeachtet blieb. „Aber für solch ein Restaurant habe ich wahrlich nicht genügend Geld dabei.“

Seitdem Catherine überfallen worden war, trug diese nur noch so viel Geld wie möglich bei sich. Alles, was mehr als fünfzig Pfund kosten sollte, bestellte sie online und ließ es sich nach Hause liefern. Auch ihre Bankkarte nahm sie nur dann mit, wenn sie wusste, dass sie noch Geld abheben müsste. Glücklicherweise war Sherlock in den Stunden ihres Überfalls geistesgegenwärtig gewesen und hatte Mycroft Bescheid gegeben, dass er ihre Bankkarte sperren sollte und dass sie neue Ausweispapiere von ihm bekomme. Das hatte ihm natürlich nicht behagt, doch er wusste zu gut, was ein gewiefter Dieb- und ein verzweifelter noch dazu- mit solch einer Beute anstellen konnte.

Deshalb hatte Catherine nun Vorbereitungen getroffen, damit bei einem erneuten Angriff der Schaden nicht ganz so groß ist und sie Sherlock nicht erneut zur Last fallen würde.

„Dann haben wir ein Problem.“, erwiderte Sherlock. „Dich dachte du würdest mich einladen. Ich habe kein Geld.“

„Dir ist aber schon bewusst, dass diesen einen Denkfehler beinhaltet, Sherlock, oder? Normalerweise ist es die Aufgabe des Mannes, die Frau einzuladen.“ Catherine blickte ihn amüsiert an und wartete darauf, was er erwidern würde.

„Das stimmt, aber das würde ja voraussetzen, dass wir auf einem Date wären.“ Sherlock blieb durchweg gelassen und lehnte sich entspannt in seinem Stuhl zurück.

Catherine hingegen schnaubte, sah ihm in die Augen, konnte sich dann aber ein Lachen nicht verkneifen.

„Guter Punkt.“, gestand sie ein. „Also, was machen wir nun? Ich kann wirklich nicht bezahlen.“

„Du könntest Geschirr spülen.“, schlug er vor.

„Und meine wundervollen Hände ruinieren? Tzzz…also bitte!“, kicherte Catherine und zwinkerte ihm zu.

„Aber ich soll dies tun?“, lachte Sherlock.

„Nun, hast du Geld?“

„Was, wenn ich nein sage?“, fragte Sherlock und seine hellblauen Augen leuchteten sie neugierig und amüsiert zugleich an.

„Dann.“, sagte Catherine gedehnt, denn sie wusste, dass ihr nächster Vorschlag ihn schwer treffen würde. Sherlock hingegen beobachtete sie und zog eine Augenbraue hoch, denn er kannte den Gesichtsausdruck von ihr nur allzu gut. „Müssen wir wohl Mycroft anrufen.“

„Niemals!“, rief Sherlock ungehalten aus und haute auf den Tisch, dass die Weingläser klirrten. Und die Wasserflasche ihres Tisches Erzitterten. In ihrer unmittelbaren Umgebung wurde es unbehaglich still und einige der Gäste drehten sich zu Sherlock um, dessen Nasenlöcher bebend Luft ausstießen. Seine Brust hob und senkte sich schwer, während seine glühenden Augen Catherine beinahe durchbohrten. Diese drehte sich allerdings lachend zu den beunruhigten Gästen zu und winkte beschwichtigend ab.

„Beruhige dich, Sherlock.“, gluckste Catherine noch immer über Sherlocks wohl einziges Rotes Tuch auf das er zu stürmte wie ein blinder Stier. „Wir werden einen Weg finden.“

Sherlock holte tief Luft und nahm hastig einen Schluck Wein, bevor er ausatmete und sich somit beruhigte.

„Nun, sieht danach aus, als müsste ich mein letztes Geld opfern.“, seufzte Sherlock schwer, doch ein amüsiertes Lächeln zuckte um seine Mundwinkel.

„Oh, soll ich dich nun etwa bemitleiden.“, antwortete Catherine mit einem leicht sarkastischen Unterton und grinste.

„Das wäre durchaus angebracht.“

„Oooooh…armer Sherlock.“ Ihr Ton war übertrieben mitfühlend, dass es nur noch spöttisch klang. Sie lehnte sich vor, klopfte auf seine Schulter und lehnte sich dann zurück.

//Es ist ja nicht so, dass John die meisten alltäglichen Sachen bezahlen würde.//, dachte sie und schmunzelte innerlich.

„Das ist nicht wirklich überzeugend.“ Sherlock verzog missmutig den Mund.

„Okay, fein. Wir werfen unsere Ressourcen zusammen. Ist das für dich akzeptabel?“ Sie grinste und beendete ihren Satz in einen übelerregenden, verruchten Ton, den Marilyn Monroe beeindruckend gefunden hätte und doch gleichzeitig derbe übertrieben war. „Mr. Holmes?“

Sherlock hingegen blinzelte und sprach in einem strikten, väterlichen Ton:

„Nur, wenn du mir verspricht nie wieder in diesem Tonfall mit mir zu reden. Das ist verstörend.“

Catherine grinste glücklich. „Deal.“

Danach besprachen die beiden, was sie bestellen sollten und entschlossen sich eine Platte mit verschiedensten Pastagerichten zu teilen. Daraufhin gab Sherlock die Bestellung auf und orderte nun einen Wein, der zu ihrem gewählten Gericht passte. Diese Gelegenheit nutzte Catherine um über seine Weinkenntnisse zu witzeln und ihn damit aufzuziehen, ob sie hier nicht vielleicht doch einem Lord gegenüber saß. Natürlich hatte ihm das nicht gefallen und er hatte heftig protestiert oder spöttisch gekonnt, sodass Catherine nicht widerstehen konnte und ihn immer weiter aufzog.

Als der Wein kam, hatten beide aus ihrer Witzelei heraus begonnen über das Klassen- und Bildungssystem zu diskutieren, wo Sherlock auch weiterhin beteuerte, dass er keiner adligen Abstammung war.

„Ich will dich nur nochmal daran erinnern, dass ich dir nicht alles glaube, was du mir erzählst, Sherlock.“, erwiderte Catherine und beendete damit die Diskussion mit einem Schmunzeln. „Zum Wohl, My Lord.“

Sie hob ihr Glas und entlockte Sherlock ein genervt erklingendes Grollen, obwohl er immer noch grinste. Er genoss einfach diese Spiele mit ihr.

„Zum Wohl, meine Lady.“

Sie nippten an ihren Wein, den Sherlock als gut befanden hatte, warteten bis der Kellner gegangen war und diskutierten dann über ihre Arbeit. Obwohl das Restaurant gut besucht gewesen war, als Sherlock und Catherine eingetroffen waren, wurde ihre Mahlzeit schnellgeliefert. Auf einer schönen Kupferplatte mit drei Teelichtern wurden fünf verschiedene, fein aufgetischte Nudelvarianten hergerichtet. Es duftete herrlich nach Sahnesoße und nach fruchtigen Wein und so verwunderte es nicht, dass es ein schöner Abend wurde. Eifrig diskutierten sie über Gott und die Welt, witzelten und zogen sich gegenseitig auf, während sie Wein tranken und köstliche Pasta aßen.

Anschließend folgten noch ein ausgedehntes, süßes Dessert und mehrere Cappuccino beziehungsweise Kaffee. Aber alles Schöne musste irgendwann ein Ende haben, egal wie gelöst die beiden waren und wie köstlich sie sich auch amüsierten und somit rief Sherlock nach dem Kellern und verlangte die Rechnung. Dieser kam schnell mit Gefragten und entfernte das schmutzige Geschirr vom Tisch.

Sherlock zog seine Geldbörse aus seiner Jackettasche hervor und schüttelte den Kopf, als Catherine in ihre Handtische griff um ihre herauszuholen.

„Nicht, Catherine. Das geht auf mich.“, sagte er ruhig und begann das Geld abzuzählen. Catherine hingegen hielt inne und sah ihn verwirrt an.

„Ich dachte, du hättest kein…“

„Ich habe gelogen.“, unterbrach er sie trocken und doch lächelte er wie immer.

Catherines Mund fiel hinan und sie starrte ihn verblüfft an. „Sherlock!“

„Es bracht dich dazu dich wieder normal zu verhalten, nicht wahr?“ Er lächelte beinah väterlich und ein Ausdruck lag in seinem Blick, den Catherine bisher noch nie gesehen hatte.

Sie starrte ihn an, ihr Mund öffnete sich wie das Maul eines Fisches auf dem Trockenen, doch kein Laut entrang ihrer Kehle. Sie war einfach wortlos und sie wusste beim besten Willen nicht was sie davon halten sollte. Irritiert ließ sie sich in ihren Stuhl zurückfallen.

„Du wahrhaft ein Stück Arbeit, Sherlock.“ Sie lächelte ihn warm an. „Ich meine ein wirklich hartes Stück Arbeit.“

„Danke.“, sagte Sherlock und lächelte, als hätte sie ihm gerade einen Oskar verliehen.

Der Kellner kehrte sobald zurück, Sherlock reichte ihm dann doch seine Kreditkarte und verließ den Tisch. Alsbald kehrte er zurück und wünschte ihnen einen wunderschönen Abend und dass er hoffe, sie bald wieder begrüßen zu dürfte. Catherine hoffte dies allerdings nicht, dankte ihn aber, während Sherlock ihn ignorierte.

Sie standen beide auf und wollten sich auf den Weg zum Ausgang machen, doch dazu mussten sie das gesamte Restaurant erneut durchqueren. Während Sherlock sich nur auf den Ausgang fokussierte, bemerkte Catherine wie ihnen die anderen Gäste skeptische Blicke zuwarfen. Einige von ihnen waren gar so höflich, dass sie sich zu ihnen umdrehten und hinter hervorgehaltener Hand tuschelten. Catherine behagte dies nicht und plötzlich veränderte sich ihre Körpersprache. Sie hob ihre Schultern und senkte ihren Kopf um sich so gegen das Geflüster abzuschirmen. Sherlock allerdings war zu konzentriert um dies zu bemerken.

Ein älteres Ehepaar drehte sich nach ihr um. Der Mann, ungefähr Ende fünfzig mit schütterem Mann und Übergewicht, schnaubte und die Frau warf ihr einen brüskierten Blick zu.

„Wie obszön.“, sagte die Frau unverhohlen. „Was glaubst du, Hermann, wie viel jünger ist sie? 15 Jahre vielleicht.“

„Möglich.“, grummelte er und zog seine Augenbrauen hinab.

„So etwas sollte nicht erlaubt sein. Als ob dies wahre Liebe sein könnte. Sie will nur sein Geld“, keifte die Frau beinahe und sie schien mit jedem Wort Galle zu spucken. Der Mann nickte nur zustimmend und doch betrachteten seine Augen sie vollkommen unverhohlen mit gierigem Glanz.

Catherine hatte all dies gehört und ihre Augen bekamen einen traurigen, tief verletzten Ausdruck. Warum sagten sie es nicht direkt? Warum sprachen sie es nicht aus? Für sie war sie nichts weiter als eine Hure. Sie holte kurz zittern Luft und beschleunigte dann ihre Schritte bis sie Sherlock erreicht hatte und versuchte zu überhören, was die Gäste sagten, doch jedes Wort tat weh, als wäre es ein spitzer Dolch. Sie war schlicht zu sensible um dieses boshafte Gerüchtegeschwätz zu ignorieren.

Sherlock hingegen stand nun schon bereits an der Eingangstür und wartete auf sie.

„Cath, beeil dich. Wir sollten nicht zu spät nach Hause kommen.“ Er bezog sich hierbei natürlich darauf, dass John meinen könnte, dass passiert sein könnte, doch für die Anwesenden konnte es durchaus anders interpretiert werden, wenn sie denn gewillt waren dieses zu tun und bei Gott, das waren sie.

„Ich komme.“, antwortete sie hastig und schlurfte zu ihm, während ihr Körper noch immer in Abwehrhaltung war. Sherlock bemerkte es und platzierte eine Hand an ihren Ärmel um sie nach draußen zu führen. Er lehnte sich zu ihr hinab und flüsterte in ihr Ohr: „Bist du in Ordnung?“

Catherine holte tief Luft und versuchte nicht zu zeigen wie sehr sie verletzt war.

//Ich sollte mich auf Situationen wie diese vorbereiten. Unsere Beziehung erscheint seltsam für Außenstehende. Was denke ich denn da? Das ist es selbst für mich. Kein Wunder, dass alle denken, dass wir in einer Beziehung sind.//

Noch einmal holte sie tief Luft, bevor sie antwortete.

„Ja, alles in Ordnung, Sherlock. Ich bin nur ein bisschen träge von all dem Essen.“ Sie lächelte überzeugend. In all den Jahren hatte sie gelernt ein perfektes, falsches Lächeln zu zeigen, sodass Sherlock und John sich nicht sorgten. Es war ihre Art stark zu sein und die beiden zu unterstützen. Würde es ihnen helfen, so würde sie stets lächeln, auch wenn sie innerlich weinte.

Ihr seltsames Verhalten war Sherlock natürlich nicht entgangen. Catherine lächelte noch immer, wandte dann aber den Kopf ab. Sherlock hingegen betrachtete sie, ohne dass sie es bemerkte, da sie den Boden mit ihren Blick gerade zu aufspießte. Er seufzte leise, aber er wusste, dass er keine wahre Antwort von ihr erhalten würde, selbst wenn er sie fragen würde. Auch das war eine Form der Loyalität. Ihre Form.

Sie verließen das Restaurant und liefen durch das geschäftige Nachtleben Londons. Es war ein Freitagabend und viele Leute waren auf den Straßen. Ein Paar passierte sie und das Mädchen sah sie an, während sie ihre Nase rümpfte. London war zwar liberal, tolerant und anonym, doch Kleingeister gab es überall und jeder Mensch liebte es andere zu missachten, wenn er sich selbst dadurch besser fühlte.

Catherine bemerkte ihren seltsamen Blick und hörte wie sie leise etwas flüsterte. Diese kleinen, geflüsterten Worte waren so abgrundtief, dass sie ihr Herz hinabzogen. Catherine zuckte sich zusammen und sie schlang ihre Arme um sich. Tränen begannen ihre Augen zu füllen und sie zitterte.

Sherlock sah zu ihr hinab und beschloss, das dies genug war.

„Komm mit!“, flüsterte er bestimmend und packte sie bei ihrem Ärmel. Catherine stolperte hinter ihm her.

„Sherlock? Sherlock! Wo gehen wir hin?“, fragte sie irritiert. Er antwortete hingegen nicht, sondern ging zielstrebig zu einem Park, der sich in der Nähe befand, und führte sie zu einer Bank. Er setzte sich hin und bedeutete ihr dasselbe zu tun. Catherine sah ihn verwirrt an, gehorchte ihm aber und setzte sich.

„Was hat sie gesagt?“, fragte Sherlock eindringlich, doch Catherine verstand es nicht.

„Was?“

„Die Frau auf der Straße. Nachdem sie dir etwas zugeflüstert hatte, bist du zurückgestolpert und du hattest Tränen in den Augen. Ähnlich war es in dem Restaurant. Deine Körpersprache war so abwehrend wie nur möglich. Also, was hat sie zu dir gesagt?“ Sherlock betrachtete sie nachdenklich, während er auf ihre Antwort wartete.

Catherine hingegen starrte ihn mit geweiteten Augen an und begann erneut zu zittern, während sie sich in den Stoff ihres Mantels krallte- einen, den Sherlock ihr geschenkt hatte, als er festgestellte hatte, dass ihre Jacken wahrlich ungeeignet waren für den Winter.

„Schlampe…“, flüsterte sie leise und holte tief Luft. „Hure. Geldgierige, sich sozial nach oben schlafende Nutte.“

Sherlock runzelte die Stirn. „Und?“

Catherine blinzelte und starrte Sherlock verletzt und schockiert an. „Du hast wirklich nicht gesehen wie sie mich in dem Restaurant angestarrt haben? Ihre Augen voller Abscheu, als wäre ich das unwürdigste Stück Dreck. Eine Hure, die sich selbst verkauft nur um Geld zu erlangen. Eine Frau sagte, es sollte verboten sein.Ich sollte verboten werden…“

„Und?“

„Und?“, wiederholte Catherine ungläubig. „Sie denken, dass du mich bezahlst oder…dass ich nur dein Geld wolle.“

Sherlock sah Catherine überrascht an, als er erkannte wie sehr es sie wirklich betrübte, wie tief es sie verletzte. Er lehnte sich gegen die Bank und sah sie an. „Warum hast du nichts gesagt?“

„Und was hättest du getan, wenn ich es getan hätte? Dasselbe wie mit dem Agenten der CIA?“ Sie vergrub ihr Gesicht in den Händen und versuchte verzweifelt nicht zu weinen. Es tat weh, es tat so weh. Sie wollte doch nur ihr Leben genießen und sie hatte gedacht, dass sie es nun wieder könnte, doch nun stand sie vor einem anderen, weitaus schwieriger einzuschätzenden Problematik.

„Es wird niemals enden. Es wird uns immer beherrschen.“, flüsterte sie zu tief betrübt.

„Was?“

„Die Gerüchte…es wird uns nie in Ruhe lassen. Ich meine…erst dieses Desaster mit Daniel, der noch immer das glaubte, was Moriarty einst säte. Und nun…nun wo du wieder berühmt wirst, werden sie alles wieder genau beobachten. Es wird alles betreffen, was wir tun. Es wird nie wieder wie zu Anfang sein.“, flüsterte sie verzweifelt. Sherlock seufzte und wusste nicht was zu tun war.

„Catherine?“ Sie antworte nicht, stattdessen zitterte sie immer mehr, während sie gegen die Tränen kämpfte. Er seufzte erneut.

„Cath?“ Sie schniefte, antwortete aber immer noch nicht. Sherlock zog sanft ihre Hand weg von ihrem Gesicht und flüsterte: „Catherine, sieh mich an.“

Sanft legte er seine Finger unter ihr Kinn und hob ihren Kopf an, sodass sie ihm direkt in die Augen sah. Ihre eigenen wackelten und Tränen befeuchteten ihre Augäpfel.

„Hör mir zu. Diese Leute da draußen…“ Er gestikulierte mit seinem freien Arm und umfasste damit den Park und sinnbildlich die gesamte Welt. Danach ließ er ihn sinken und platzierte ihn unbewusst hinter und um Catherines Schulter. „Sie sind nichts. Nichts weiter als leere, unbedeutende Hüllen auf der Suche nach allem, dass die Sinnlosigkeit, die ihr Leben darstellt, etwas voller aussehen lässt. Wir sind besser als sie, begreifst du das? Wir sind intelligenter, als sie es jemals sein werden und das macht uns ihnen überlegen. Darum suchen sie nach Fehlern, damit sie sich nicht mehr so unzulänglich fühlen. Lass sie doch ihre Skandale kreieren, wir haben das nicht nötig. Ihr Opfer ist willkürlich und hat nichts mit der Person zu tun. Und soll ich dir was verraten? Im Endeffekt ist es irrelevant was sie denken. Du weißt, ich weiß und all jene, die uns nahe stehen wissen, was die Wahrheit ist. Du bist eine freundliche und anständige Person und nicht eine dumme oder langweilige. Wenn sie das nicht sehen wollen, dass soll es ihr Verlust sein.“

Catherine lächelte traurig. „Du bist nicht wirklich gut darin Freunde zu trösten, oder?“

Sherlocks Gesichtsausdruck fiel. „Oh. Nun, ich habe es versucht.“

Catherine schüttelte ihren Kopf und lächelte noch immer traurig. Gerade als Sherlock sich zurückziehen wollte, legte Catherine einen Arm um seine Schulter und umarmte ihn, während sie ihr Gesicht an seinem Hals vergrub. Catherine schloss die Augen, als Sherlock sie in die Arme nahm. Noch immer konnte sie es kaum glauben, geschweige denn verstehen, doch wenn er sie umarmte, dann hatte sie das Gefühl am sichersten Ort der Welt zu sein. Es war als könnte die Welt untergehen in diesem Moment und ihr würde nichts passieren.

„Danke.“, flüsterte sie. Sherlock hingegen gefror für einen Moment, bevor er seine Arme um sie legte und sie ebenfalls umarmte. Ihr Haar kitzelte in seiner Nase und er roch ihr Shampoo, doch vor allem spürte er ihre Wärme und ihren Herzschlag.

„Gern geschehen, Catherine.“

Sofort zog Catherine zurück um ihn nicht zu überfordern und sie lächelte. Sie fühlte sich besser, obwohl ein gewisser Grad an Sorge in ihr verblieb.

„Können wir nun nach Hause gehen?“, fragte sie und wischte sich die Träne aus ihren Augen. Sherlock lächelte.

„Sicher.“ Er stand auf, nahm ihre Hand und zog sie auf die Füße. Unbewusst legte er dabei ihre Hand in seine Ellbogenbeuge. Die zwei verließen den Park, gingen zur Straße und riefen dann ein Taxi zur Bakerstreet um anschließend in der Nacht zu verschwinden. Keiner von ihnen ahnte, dass dieser kleine Zwischenfall bereits die ersten kleinen Wellen schlug und bald einige größere folgen würden.

Der Morgen danach

36. Kapitel: Der Morgen danach
 

Es verhieß ein normaler, ruhiger Morgen zu werden. Sherlock saß auf seinem üblichen Platz und las ein Buch über moderne Verhörmethoden, während eine Tasse Kaffee auf dem Tisch stand und vor sich hin dampfte.

John hingegen war in der Küche und bereitete das Frühstück vor, während er etwas davon murmelte, dass Sherlock schon wieder ein Date von ihm vergrault hätte.

Ja, alles hätte so friedlich und ruhig seien können an diesem Septembermorgen, der London in einen dichten grauen Schleier verhüllte, der von jenseits der Themse kam, und doch, wie so vieles um Sherlock herum, trog dieser Schein.

Krachend flog die Tür auf und Catherine stürmte hinein, ignorierte Johns „Guten Morgen“ und begab sich direkt ins Wohnzimmer.

„DU!“, rief sie aus und deutete auf Sherlock, welcher aufblickte, blinzelte, aber nicht erkannte, dass sie vor Wut schäumte wie ein Pferd, das bis zur Erschöpfung getrieben wurde und sich nun aufbäumte. Stattdessen gähnte er einmal herzhaft und fuhr fort sein Buch zu lesen. Ein schwerwiegender Fehler.

„DU IDIOT!“, keifte Catherine und schlug ihn mit einer zusammengerollten Zeitung.

„Autsch! Catherine! Wofür war das denn?“, fragte Sherlock und rieb sich die getroffene Stelle.

„DU VOLLIDIOT! DU HAST MIR GESAGT, DASS ALLES IN ORDNUNG SEIN WÜRDE!“ Sie schlug ihn erneut mit der Zeitung. „WARUM WIRD ALLES, SELBST DIE SIMPELSTEN DINGE, KOMPLIZIERT, WENN DU INVOLVIERT BIST, SHERLOCK? WARUM? SAG MIR WARUM!“

John hielt irritiert in der Küche inne und wandte sich dem Geschehen im Wohnzimmer zu, während Sherlock versuchte außer Reichweite zu rutschen. „Was ist los, Catherine?“

Sie hörte ihn jedoch noch nicht einmal. Zu sehr tobten Wut und Verzweiflung in ihrem Innern und ihr Rauschen ließ sie taub werden. Immer und immer wieder schlug sie auf Sherlock ein, während sie ihn anschrie, beschimpfte und ihre Nasenflügel bebten.

Schließlich blieb Sherlock keine andere Wahl, als von der Couch zu flüchten, wobei sein wertvolles Buch zu Boden viel.

„Aua. Catherine. STOP! Wofür ist das?“, rief er und versuchte irgendwie durch ihre Raserei zu dringen, doch seine Bemühungen waren vergebens.

„DAFÜR, DU KOMPLETTER VOLLIDIOT!“, schrie sie ihn an und warf ihm die Zeitung vor die Füße, welche sich dann entrollte. Sherlock beugte sich hinab, behielt aber die vor Wut zitternde und schnaufende Catherine im Auge, hob die Zeitung auf und entfaltete sie nun komplett.

„Seite zwei.“, knurrte Catherine. Sherlock schlug eben jene Seite auf, seine Augen rannen kurz über sie, dann schnaubte er.

„Warum ist es immer das Foto mit dem Hut?“, sagte Sherlock erbost und schlug mit der Hand gegen das Papier.

„WAS?“, schrie Catherine. „WILLST DU MICH VERDAMMT NOCHMAL VERARSCHEN? IST DAS ALLES WAS DICH STÖRT?“

Sie stürmte wieder auf ihn zu, riss ihm die Zeitung aus der Hand und begann ihn wieder damit zu schlagen.

„DU VERDAMMTER BASTARD!“, fluchte sie und Sherlock zuckte zurück, als ihn das Papier gegen die Wange traf.

„Um Himmels Willen, Catherine. Würdest du dich für einen Moment beruhigen?“, sagte er und wich ihrem nächsten Schlag aus, doch Catherine steigerte sich immer mehr hinein, der Takt ihrer Schläge wurde immer schneller und schneller.

„Beruhigen? Mich beruhigen? Wie zur Hölle sollte ich mich nach dem…“ Sie deutete auf die Zeitung atmete schwer vor Wut, während die Zeitung in ihrer Hand zitterte. „Beruhigen?“

Knirschend rieb sie die Zähne übereinander. John beobachtete sie noch immer verwirrt. Er verstand nicht worauf Catherine hinauswollte und Sherlock auch nicht so richtig, auch wenn es ihm allmählich dämmerte.

„Warum wird alles nur verdammt kompliziert, wenn du darin verwickelt bist?“, fragte sie anklagend und schlug ihn immer und immer wieder, stellte diese Frage immer fordernder, lauter, bis sich ihre Stimme beinahe überschlug und Tränen der Wut sich in ihren Augen sammelten. Sie hatte Sherlocks Worten geglaubt, mehr als ihrer eigenen Ahnung, und nun war das passiert, was sie hatte verhindern wollen. Nun brauchte sie ein Ventil, einen Sündenbock und Sherlock hatte verdammt noch mal dafür zu büßen, dass er so geschickt ihre Sorgen umgangen hatte.

Sherlock hingegen versuchte sie mit seinen Händen abzufangen, um sie zu stoppen, doch stattdessen drängte sie ihn immer weiter in eine Ecke.

„Catherine!“, rief er verzweifelt um sie zu erreichen, doch sie war noch immer zu verzweifelt und so schlug sie ihn weiter.

„ICH WUSSTE ES! Ich wusste, dass dies passieren würde, aber wolltest du mir zuhören? NEIN!“ Wieder schlug sie ihn, doch diesmal machte er eine ungeschickte Bewegung, sodass ihn die Zeitung genau ins Gesicht traf. Sherlock taumelte zurück und sah nur einen Weg. Blitzartig wirbelte er auf dem Absatz herum und sprang über den Kaffeetisch in Richtung Küche, wobei Catherine ihn noch immer jagte.

„Es war nicht meine Schuld!“, rief er verzweifelt und versteckte sich hinter John. Dieser blinzelte irritiert, als sein bester Freund ihn als Schutzschild verwendete.

„Sherlock, was zum Henker…“, setzte er an, doch Catherine unterbrach John:

„ES IST DEINE SCHULD!“ Mit bebenden Nasenflügeln blieb sie vor John stehen, bewaffnet mit einem Kissen, welches sie von der Couch gegriffen hatte und versuchte ihn zu umgehen, doch Sherlock drehte den Arzt immer wieder so, dass Catherine nicht durchbrechen konnte ohne versehentlich ihren Ziehvater zu erwischen.

John hingegen versuchte loszukommen, aber Sherlock hielt ihn eisern an den Ärmeln seines schwarzen Pullovers fest, denn sein Kopf schmerzte bereits von den vielen präzisen Schlägen, die Catherine ihn zugefügt hatte. Als John bemerkte, dass er nicht entkommen konnte, hob er beschwichtigend die Hände und versuchte Catherine zu beruhigen.

„Komm schon, Catherine, ich bezweifele, dass es wahrlich so schlimm ist. Nun, warum legen wir nicht dieses Kissen beiseite und reden darüber.“, sagte er mit einem unsicheren Lächeln, da er sich fühlte, als säße er vor einem Stapel Dynamit, der hochzugehen drohte und er nur Worte hätte um die Lunte zu löschen.

„Nicht so schlimm?!“, wiederholte sie und schnaufte wütend. „Nicht so schlimm?!

Drohend hob sie ihr Kissen und zielte damit auf Sherlock. Die beiden Männer schluckten beunruhigt. John duckte sich, als Catherine es gezielt warf und es Sherlock mitten im Gesicht warf. Dieser taumelte erneut und stieß dabei gegen den Küchentisch, doch noch bevor Catherine mit dem Kissen schlagen konnte, wich er aus und rannte zurück in das Wohnzimmer, während John die Zeitung entdeckte, die Catherine vor einem der Sessel hatte fallenlassen und ging darauf zu, wobei er darauf achtete einen großen Bogen um Catherine zu schlagen, die gerade dabei war ihr Kissen erneut aufzuheben und Sherlock in das vermeintlich sichere Wohnzimmer folgte. Dieser sprang gerade erneut über den Wohnzimmertisch und versuchte mit Stühlen eine Barrikade zu bauen. Es war wirklich amüsant mit anzusehen wie die wütende Catherine ihn wahrhaft verzweifelt werden ließ. Seine üblichen Beruhigungsmethoden würden dies Mal nichts nützen, denn bevor er sie überhaupt anwenden könnte, hätte sie ihn vermutlich mindestens fünfzig Schläge mit ihrem Kissen zugefügt und sie wäre in ihrer Wut vermutlich auch viel schwieriger zu manipulieren.

John hingegen hatte die Zeitung in der Zwischenzeit erreicht und hob sie auf, ging dann in die Küche zurück, wo er sich an dem Tisch niederließ und eine Tasse Tee trank. Er strich sorgsam, beinahe behutsam das grausam zerknüllte Papier glatt. Anschließend trank er einen Schluck Tee und betrachtete die Titelseite, doch als er erkannte, was da stand, verschluckte er sich beinahe.

„Was?“, stieß er schockiert aus. Er ließ die Tasse sinken und begann den Artikel auf Seite zwei zu lesen. Über eine Doppelseite hinweg prangte ein großes Foto von Sherlock, der zusammen mit Catherine in einem Restaurant saß und ein Mahl teilte. Es war offensichtlich aus einem Fenster heraus aufgenommen worden. Leichte Reflexe machten das Bild verhältnismäßig unscharf und doch war zweifellos zu erkennen, was dort in den Weiten des Restaurants stattfand.

Noch ein weiteres Bild zierte den Artikel. Es zeigte Sherlock und Catherine auf einer Parkbank, vereint in einer sanften, innigen Umarmung und auf der rechten Seite der Doppelseite befand sich natürlich eben jenes Foto mit dem Jagdhut, was Sherlock seit jeher zur Weißglut brachte und John einst amüsiert hatte.

Catherine hatte in der Zeit Sherlock erreicht und sprang ihm hinterher, ignorierte die Stapel von Kissen, Decken und Möbel, die er aufgetürmt hatte- sonderlich weit war er noch nicht gekommen. Um einer weiteren Attacke zu entgehen, tänzelte Sherlock zur Seite und sprang zurück, warf einen zweiten Schreibtischstuhl um, aber all dies hielt Catherine nicht davon ab ihn weiter zu jagen. In ihr herrschte zu viel Wut und Frustration und vor allem Angst. Sie wusste nicht in wie weit dieser Artikel Einfluss auf ihr Leben und Arbeit haben würde. Was würden ihr Professor und ihre Arbeitskollegen sagen? Der Artikel stellte sie nicht besonders gut dar und ihr Vertrauen in die Menschheit war noch nicht weit genug wieder hergestellt, als dass sie glaubte, dass sie ihre Mitarbeiter von den Unsinn eben jener Schlagzeile überzeugen könnte.

„Bleib stehen, du Mistkerl!“, befahl sie und blieb mit bebenden Körper stehen. Ihr Blick war stechend scharf und durchdringend, sodass es Sherlock beinahe gegen den Karmin fesselte vor dem er nun stand. Ihr beider Atem ging schwer. Sie waren sichtlich außer Atem von all dem Gerenne und doch war Catherines Rachegefühl noch nicht gestillt.

„Und riskieren erneut von einem deiner Kissen getroffen zu werden? Ich bin doch nicht dumm!“, erwiderte Sherlock und er glitt vorsichtig nach rechts, doch Catherine entging diese kleine Bewegung nicht und sie folgte ihr mit ihrem Körper.

„Du verdienst es zusammengeschlagen zu werden!“, knurrte Catherine und unverhohlene Wut grollte in die Tiefe ihrer Stimme.

„Ähm…könnte mir bitte einer erklären, was dies zu bedeuten hat?“, räusperte John sich und hob die Zeitung hoch, damit beide deutlich die Fotos von ihrer Position sehen konnten.

„Frag Sherlock, verdammt noch mal. Es ist seine verdammte schuld!“, keifte Catherine und warf John nur einen kurzen Blick zu.

„IST ES NICHT!“, verteidigte Sherlock sich und zum ersten Mal an diesem Tag wurde auch seine Stimme lauter.

„ICH HABE DIR GESAGT, WIR SOLLTEN VORSICHTIG SEIN! ICH HABE DIR GESAGT, DASS DAS FALSCH INTERPRETIERT WERDEN KÖNNTE!“

„ABER DU WARST TRAURIG!“, sagte Sherlock verzweifelt und rang mit den Händen, denn in solch aufgebrachter Verfassung hatte er seine Ziehtochter nie erlebt und er wusste nicht wie er sie dann handhaben konnte.

„Ich wäre nicht traurig gewesen, hätten mich die anderen Gäste nicht eine Hure genannt!“, blaffte sie zurück und trat einen Schritt auf ihn zu.

John sah erschrocken von dem Foto auf, welches als Sherlock Holmes lehnt sich in einen Kuss mit Catherine Amell untertitelt worden war und blinzelte Catherine an.

„Du wurdest wie genannt?“

„Eine Hure.“, wiederholte Catherine kalt und ruhig, etwas, das den beiden Männern umso mehr zeigte wie aufgebracht sie doch in Wahrheit war.

„Du bist aber keine Hure.“, widersprach Sherlock ihr und versuchte so sie milde zu stimmen. Er verstand immer noch nicht wieso sie all das so aufbrachte. Es handelte schließlich um The Sun. Ein schändliches Schundblatt, das nichts als Unsinn und schlimmsten Klatschjournalismus verbreitete. Warum scherte sie sich so sehr darum? Keiner würde diese verdammte Dreistigkeit für voll nehmen und doch war diese Wut, die Catherine empfand, von Grund auf ehrlich. Er erkannte jegliche Anzeichen dafür.

Catherine lachte nur spöttisch und verzog ihr Gesicht fast genauso wie Sherlock es häufig tat. Ihre Mundwinkel zuckten in einer bizarren Art und Weise.

„Ich bin nicht eine Hure.“, sagte sie in einem sarkastischen Ton, dem sämtliche humoristische Nuance abhandengekommen war. Es war so dreckig, dunkel und rau, dass es Sherlock schauderte. „Ich werde als deine Hure angesehen. Deine Lolita. Du…dass…“ Catherine ließ das erste Mal den starren Blick von ihm ab und begann durch das Zimmer auf und ab zu laufen, während sie sich aufgebracht durch die Haare fuhr.

„Sie glauben, dass du mich für Sex bezahlst oder aber, dass ich mit dir schlafe, weil ich dein Geld will oder sozial aufsteigen, einen Titel, etwas von dem Ruhm oder…oder…was auch immer! ARGHHH!“ Catherine schüttelte den Kopf und stampfte auf, bevor sie wieder auf Sherlock zustürmte, als die Wut erneut aufloderte. Noch nie war sie so wütend gewesen und sie verstand noch nicht einmal selbst warum. Es war einfach so.

Sherlock hingegen blickte verzweifelt hin und her um einen Fluchtweg zu finden.

„Ich habe doch bloß versucht dich zu trösten.“, sagte er um Zeit zu schinden.

„Wie sollte mir das bitteschön helfen? Ich bin bloßgestellt!“, fuhr sie ihn an. Sherlock erblickte Billy und packte ihn aus purer Verzweiflung.

„Cath, ich habe nie gewollt, dass das passiert.“

„Das willst du nie!“, rief sie und rannte auf ihn zu.

„Cath, bitte!“, flehte er sie beinahe an und warf in völliger Hilflosigkeit Billy nach ihr, welcher zu seinem Glück unbeschädigt auf dem Sofa landete, als Catherine sich unter ihm hinweg duckte. Sherlock wollte zurück weichen, als sie weiter auf ihn zuging, diesmal langsamer, wenn auch bedrohlicher, und fand sich plötzlich mit dem Rücken zur Wand vor.

Schließlich war Catherine nur noch einen Atemhauch von ihr entfernt, als Sherlock plötzlich ausbrach, sie schwach zur Seite stieß und an ihr vorbei rannte. Catherine wirbelte herum und folgte ihm auf dem Fuße, Sherlock war allerdings schneller und so hatte er gut eine Körperlänge Abstand zu ihr, als er versuchte erneut über den Wohnzimmertisch zu springen, doch dieses Mal machte es ihm Catherine nicht so leicht. Sie packte ihn im Sprung und beide fielen zu Boden. Sherlock landete auf der Ecke des Tisches, Catherine mit der Hüfte auf der Kante.

„Uff…“, stieß Sherlock hervor, als die Luft aus seinen Lungen gepresst wurde, nachdem er auf dem Boden vor der Couch landete. Catherine fiel einige Augenblicke später zu Boden, genau auf ihn. Sie keuchte und richtete sich auf, sodass sie mit gespreizten Beinen auf seiner Hüfte saß- nicht, dass sie sich dessen bewusst war. Ihre Wut war wie ein Tunnelblick, der alles andere abschirmte, als sein Gesicht. Sie griff sich das zweite Kissen von dem Sofa und schlug es immer und immer wieder in sein Gesicht.

„Sie nennen uns Cathlock, Sherlock. Cath! Lock! Sie verschmelzen schon unsere verdammten Namen, du Mistkerl!“, schrie sie ihn an, während sie mit erstaunlicher Energie noch immer auf ihn einschlug ohne ihn dabei ernsthaft zu verletzen, dies verhinderte ihr Unterbewusstsein noch immer. Nichts läge ihr ferner als ihn zu verletzen, aber etwas leiden, oh ja, das sollte er.

Sherlock hingegen versuchte erfolglos sich gegen ihre steten Angriffe zu wehren. „Nun, ich habe ihnen nicht gesagt, dass sie das tun sollen.“

Catherine hielt nicht inne und schlug zu und war sich der zweideutigen Stellung ihrer Sitzposition noch immer nicht bewusst.

„Sie wissen wer ich bin, Sherlock. Sie kennen meinen Namen, du Bastard!“

„Und was hat das mit dir zu tun?“, entgegnete Sherlock, wenn ihr Kissen mal nicht sein Gesicht traf. Er versuchte ihre Handgelenke zu greifen umso ihre Angriffe zu stoppen, doch sie war zu geschickt und wich seinen langen, feinen Fingern stets aus. Er sah zu ihr auf, als ihr Rhythmus langsamer wurde und er saß, wie die Wut der Verzweiflung wich und ihr Atem immer schwerer und schwerer kam.

„Uhm…ich sollte euch alleine lassen, richtig?“, fragte John irritiert und sichtlich unwohl in der vorherrschenden Situation. Catherine hingegen reagierte nicht, sondern spießte Sherlock quasi mit ihrem aufgebrachten Blick auf.

„Ja…sollte ich besser.“, murmelte John zu sich selbst, bevor er aufstand und sich zurückzog.

„Hör zu, Cath.“, flüsterte Sherlock. „Ich wollte nicht, dass das passiert. Ich hätte nicht gedacht, dass…“

„Ja…Du erwartest nie…es kümmert dich nie.“, sagte Catherine verächtlich und rümpfte die schmale Nase.

Gerade in diesem Moment passierte das, was diese Situation nur noch verschärfen würde. Die liebenswerte Mrs. Hudson kam durch die Tür herein.

„Huhu. Sherlock, hast du diesen schrecklichen Artikel über dich und Catherine in der…“ Sie hielt inne, als sie die beiden vor dem Sofa erblickte. Kurz blinzelte die gutherzige Dame irritiert, bevor sie etwas beschämt lächelte. „Oh, das war wohl schlechtes Timing. Ich komme später wieder.“

Damit winkte sie und verschwand durch die Tür, die sie eben noch passiert hatte.

„NEIN, MRS. HUDSON!“, rief Catherine ihr verzweifelt hinterher. „ES IST NICHT WIE ES AUSSIEHT!“

Als sie bemerkte, dass es zu spät war, drückte sie verzweifelt das Kissen gegen ihr Gesicht, welches somit von einer Waffe zum Schutzschild wurde um ihre geröteten Wangen zu verbergen.

„Verdammt.“, flüsterte sie leise und plötzlich war der Ärger verschwunden und Hoffnungslosigkeit, Hilflosigkeit und Überforderung übermannten sie.

Sherlock blickte hingegen schweratmend zu ihr auf, stöhnte und rollte seine Augen. Er nutzte die vorhandene Chance, um Catherine von sich hochzudrücken. Er war dabei äußerst vorsichtig, sodass sie nicht gegen den Kaffeetisch schlug und sich verletzte. Dann stand er auf und taumelte atemlos auf die Couch zu und ließ sich fallen. Erschöpft lehnte er den Kopf nach hinten und schloss die Augen, während er versuchte wieder Luft in seine brennenden Lungen zu bekommen.

Catherine hingegen blieb sitzen, wo sie war, beinahe als wüsste sich nichts mehr mit sich anzufangen, nachdem ihre Wut verschwunden war.

„Oh Gott. Sie wird uns niemals glauben.“, stöhnte sie verzweifelt und drückte ihr Gesicht tiefer in das Kissen. Sherlock hob seinen Kopf und sah sie an. Auch er stöhnte, setzte sich aber auf und packte sanft ihren Arm. Er zog sie auf die Knie und dann auf die Couch neben sich.

„Doch, wird sie. Sie kennt uns zu gut um irgendetwas anderes zu glauben.“, sagte er und lehnte seinen Kopf wieder zurück, während er ihren Arm losließ. Auch Catherine warf sich gegen die Rückenlehne des bereits strapazierten Sofas, auch wenn es bei ihr frustrierter war. Noch immer atmete sie heftig wegen all der Kraft und Energie, die sie benötigt hatte, und drückte das Kissen an ihre Brust. Ihre Augen starrten gedankenverloren an die gegenüberliegende Wand wie sie es immer taten, wenn Catherine an etwas dachte, was sie sehr beschäftigte.

„Ich bin heute Morgen zur Bäckerei gegangen.“, sprach sie plötzlich erstaunlich ruhig, beinahe schon emotionslos und ohne ihn dabei anzusehen. Sherlock wandte sich zu ihr um und sah sie nachdenklich an. „Der Kassier hat mich so seltsam angesehen und dann wissend gegrinst. Völlig unverhohlen fragte er mich, während er mir meine Brötchen reichte, wie es denn sei mit dem berüchtigten Sherlock Holmes in einer Beziehung zu sein. Ich hatte wirklich keine Ahnung wovon er sprach, bis ich die Titelseite der Sun gesehen habe.“

Sie stöhnte und versteckte ihr Gesicht erneut in den Kissen, bevor sie mit gedämpfter Stimme weitersprach:

„Was wird passieren, wenn meine Mitarbeiter es herausfinden? Oder schlimmer, wenn mein Professor es liest? Ich könnte deswegen meinen Job verlieren!“

Sherlock blinzelte und konnte nur zu gut die Verzweiflung hören, die sie gefangen hielt, obwohl das Kissen so gut wie alles von ihrer Stimme verschluckte. Er sah auch wie ein leichtes Zittern durch ihren Körper rann und er seufzte. Er hatte das wirklich nicht beabsichtigt oder gar gewollt. Offensichtlich hatte er noch immer die Dynamik von Klatsch nicht verstanden, aber dennoch konnte er sich nicht erklären wie solch ein Schund Auswirkungen auf Catherines Leben haben sollten, aber es blieb ihm nicht verborgen wie sehr es sie beschäftigte und dadurch stieg doch so etwas wie Mitgefühl in ihm auf.

„Oh, Cath…“ Vorsichtig, bloß keine weitere Attacke provozierend, legte er ihr einen Arm um die Schulter. „Du bist keine…“

Catherine seufzte allerdings nur und er verstummte. Sie fühlte sich so macht- und kraftlos. Gegen die Presse von ganz England konnte so gut wie Niemand etwas ausrichten und sie erst recht nicht. Aber was, wenn alles ein Selbstläufer werden würde und somit jede kleinste Handlung von ihr genau beobachtet würde? Sie könnte nicht nur sich, sondern auch Sherlock, John oder ihrer Arbeitsstelle schaden. Catherine holte tief Luft und seufzte noch einmal, als schließlich sämtlicher Funke Ärger verschwand und nur noch bleierne Depression über blieb. Fast schon automatisch lehnte sie sich gegen Sherlock und erlaubte seiner Wärme sie zu trösten. Es war keine bewusste Entscheidung, eher als wäre ihr Körper von der Wärme der Nähe angezogen worden und auch ein Automatismus, der sich durch so manch ähnliche Situationen eingestellt hatte.

„Hallo, Bruder. Ich muss mit dir sprechen. Es gibt Gerü…oh!“, drang plötzlich eine ruhige, tiefe Stimme mit einem Hauch spöttischen Unterton von der Tür. Sherlock und Catherine sahen auf und stöhnten zeitgleich. Adrett wie eh und je gekleidet, stand Mycroft Holmes in der Tür und fuhr kurz mit der Zunge über seine Lippen, als er abschätzend Catherine und Sherlock betrachtete und sich auf seinen Regenschirm abstützte.

„Das darf doch nicht wahr sein! Das darf doch einfach nicht wahr sein!“, fluchte Catherine. „Kann es noch schlimmer kommen?“

„Gut gemacht, Mycroft.“, fuhr Sherlock seinen Bruder an und schnaubte verächtlich, während Catherine bemühte sich möglichst schnell aus seiner Umarmung zu lösen. „Ich habe sie gerade erst beruhigt. Kannst du nicht jemand anderen mit deiner Neugierde nerven?“

John saß noch immer in der Küche und beobachtete halb amüsiert, halb besorgt das Geschehen im Wohnzimmer. Er hatte mittlerweile seinen Kopf auf die Hände gestützt und beobachtete wie Sherlock seinen Bruder wütend anfunkelte. Nicht, dass er dafür einen Grund dafür bräuchte, aber mit steigerte sich das Maß nur noch mehr- besonders wenn Mycrofts seltsame Art sich gegen Catherine richtete und Sherlocks Beschützerdrang durchdrang. Ob Sherlock selber wusste, dass er diesen besaß, bezweifelte John. Allerdings fühlte er sich ein wenig vergessen. Nichts Neues, nicht wirklich, aber in diesem Moment war er durchaus froh, dass keiner der drei ihn wahrzunehmen schien und an die Position des unsichtbaren Beobachters hatte er sich bereits seit Serbien gewöhnt.

„Oh liebster Bruder.“, fuhr Sherlock spöttisch fort, als Mycroft nicht die Anstalten machte, etwas zu sagen und er blickte mit einem seltsamen, unruhigen Blick in seiner nun seefarben leuchtenden Iris an. Eine Mischung aus Abscheu, Wut, seinem üblichen Amüsement, was er beim ärgern seines Bruders empfand und Genervtheit. „Ich an deiner Stelle, würde nicht das aussprechen, was du denkst, ansonsten könntest du deinen geliebten, jüngeren Bruder tot auffinden. Erschlagen mit einem dumpfen Gegenstand und das wäre doch viel zu langweilig für meinen Abgang, findest du nicht auch?“

„Du? Ermordet?“, wiederholte Mycroft ungläubig und schnalzte. „Von wem denn bitte, von allen die es so gerne tun würden? Catherine? Als ob sie das könnte.“

Die blauen von dem Älteren der Geschwister wanderten zu ihr und betrachteten sie mit einem Blick, der in etwa so etwas sagte wie: Oder, Miss Amell?

Diese schluckte und duckte sich unter diesem Blick weg. Sie hatte heute keine Kraft mehr sich gegen ihn aufzulehnen.

„Ich wär mir da nicht so sicher, Mycroft. Catherine kann eine wahre Furie sein, wenn sie wütend ist. Es ist beängstigend. Sie macht aus jedem Kissen eine gefährliche Waffe.“, sagte nun John gelassen und erinnerte sich dabei daran wie Catherine auf Anderson und Donovan losgegangen war, als diese ihn so bedrängt hatten. Hatte stark etwas von einer Löwin gehabt, die ihre Jungen verteidigte. Verkehrte Welt.

Sherlock blickte John verwundert an.

„John! Seit wann bist du zurück? Ich hätte hier deine Hilfe gebrauchen können.“, brummelte er verstimmt.

„Zurück?“ John zog eine Augenbraue hoch und runzelte seine Stirn. „Ich war die ganze Zeit hier.“

„Warst du?“, wiederholte Sherlock nachdenklich.

„Ja.“, murrte John.

„Also, was hat es mit dieser Geschichte auf sich?“, fragte Mycroft unverblümt und lenkte somit die Aufmerksamkeit wieder auf sich. Catherine blickte ihn nur an und hatte wohl in ihre alte Form zurück gefunden, denn sie wedelte mit ihrer Hand und sagte sarkastisch:

„Wissen Sie es etwa noch nicht, Mr. Holmes? Ich bin nun die offizielle Lolita Ihres Bruders.“

Ihre Stimme triefte nur vor Sarkasmus und sie blickte ihn herausfordernd an. Mycroft erwiderte den Blick ebenso ausdruckslos wie man es von ihm kannte.

„Um eine Lolita zu sein, müssten Sie einen kurzen Rock tragen, Mrs. Amell.“, sagte er ruhig.

Catherine starrte ihn völlig baff an, ihr Mund weit offen vor Schock.

„Wa…wa…wa…“, stotterte sie fassungslos..

„Mycroft, lass sie in Ruhe!“, fuhr Sherlock dazwischen und funkelte seinen Bruder an, der es zwar nicht zeigte, aber sich vermutlich köstlich über Catherines Sprachlosigkeit amüsierte. Sherlock verzog nur verächtlich sein Gesicht und sein Blick bekam beinah etwas Anklagendes.

„Als ob ich mich jemals in Jemanden verlieben würde.“

Catherine zuckte bei den Worten zusammen, schnaubte und kreuzte die Arme vor der Brust. Nur John bemerkte diese kleine Geste und blickte sie verwundert an, die Stirn in tiefe Falten gelegt.

„Sehr unwahrscheinlich, das gebe ich durchaus zu.“, sagte Mycroft sichtlich unberührt von Sherlocks Angriff. „Aber es wäre ja durchaus möglich, dass du diese angeblichen Annehmlichkeiten von…“

„ICH BIN NOCH IMMER HIER, VERGESSEN?“, fuhr Catherine aufgebracht dazwischen und sprang auf. „ICH WILL NICHTS DAVON HÖREN, DASS ICH SEX MIT…MIT…MIT…IHM HABE.“

Sie deutete auf Sherlock.

„ICH KANN DAS NOCH NICHT EINMAL IN EINEM SATZ SAGEN!“

„Cath…“, sagte Sherlock beruhigend und stand auf, doch Catherine drehte sich von ihm weg.

„Nein, ich bin raus! Für immer!“, sagte sie aufgebracht. „Ich werde mich einfach für den Rest meines Lebens in meinem Apartment verkriechen und ich hoffe für dich, Sherlock, dass ich niemals einen Paparazzo dabei erwische, wie er versucht ein Foto von mir unter der Dusche zu schießen… Was mich daran erinnert…ich habe noch diese alte Eiche genau vor dem Fenster.“

Sie schüttelte sich. „Ich sollte sie fällen lassen.“ Mit diesen Worten drehten sie sich herum und wollte gehen.

„Catherine, bleib.“

„NEIN!“, rief sie nur wütend, bevor sie aus der Wohnung stapfte und dabei geräuschvoll die Tür ins Schloss knallte. Sherlock sprang auf und wollte ihr hinterher laufen. Sie war noch nie so wütend auf ihn gewesen. Er wusste nicht was er tun sollte. Normalweise diskutierten die beiden ihre Streits direkt aus.

John stand jedoch auf und drückte ihn sanft, aber bestimmt zurück.

„Lass es, Sherlock. Lass sie gehen. Das ist alles einfach zu viel für sie. Sie muss sich erst beruhigen.“, sagte sein bester Freund wohlgemeint.

„Aber…!“

„Ich bin der gleichen Meinung wie John. Es ist einfach zu viel für ein kleines Mädchen, wenn sie plötzlich die gesamte Macht der Klatschkolumnen handhaben muss.“

„Sie ist kein Kind mehr.“, fuhr Sherlock seinen Bruder an und knurrte.

„Nein…“, fuhr Mycroft gelassen fort. Er hatte längst bemerkt, dass Sherlock in Bezug auf Catherine keinen Spaß verstand. Vor allem wenn man schlecht von ihr sprach. „Aber sie ist immer noch eine junge Frau.“

„Welche gerade erst eine imaginäre Beziehung mit der wohl außergewöhnlichsten Persönlichkeit von ganz Großbritannien führt. Gib ihr Zeit, das zu verdauen.“ John blickte ihn beruhigend an und klopfte ihm kurz auf die Schulter.

„Aber…“, setzte Sherlock noch einmal an.

„Kein aber, Sherlock.“, unterbrach John ihn, diesmal bestimmter. „Lass sie jetzt einfach in Ruhe um das sacken zu lassen. Sie wird schon damit zurechtkommen.“

„Und was, wenn sie mir nie vergibt?“, flüsterte Sherlock leise- mehr zu sich selbst- als er zum Sofa zurückging. John und Mycroft warfen sich einen irritierten Blick zu, doch dann zuckte John mit den Schultern und Mycroft verließ die Wohnung.

Sherlock hingegen schaute nachdenklich aus dem Fenster und beobachtete den Tanz der Schatten auf den gegenüberliegenden Häuserwänden. Er war sich nicht so sicher, ob John Recht behalten würde und auch nicht wie er mit der Situation umgehen sollte. Das Verhalten von Menschen einzuschätzen fiel ihm noch immer schwer, gerade wenn er sie kannte. Bei Fremden sah er sie an und zog seine Schlüsse, doch bei denen, doch je näher sie ihm standen, desto facettenreicher und undurchdringlicher schien es zu werden. Grübelte er vielleicht dann nur einfach mehr? Nein, er glaubte eher, dass es daran lag, dass er versuchte bei ihnen die Ursache nachzuvollziehen.

„Wir werden sehen.“, flüsterte Sherlock nur abwesend und versank dann in seinen Gedanken.

Ein neuer Pfad

37. Kapitel: Ein neuer Pfad
 

Catherine saß in der Mensa ihrer Universität und starrte immer wieder auf ihr Smartphone, entsperrte es, zögerte, nur um dann wieder die Sicherung zu aktivieren. Der große Raum mit den vielen Tischen war rege besucht und Studenten, Professoren, Hiwis und Mitarbeiter tummelten sich laut schwatzend um sie herum, doch Catherine nahm es gar nicht wahr. Normalerweise mied sie diesen Ort, wenn die Vorlesungen gerade endeten und sämtliche Studenten hierher strömten. Meist kam sie entweder, wenn die Mensa gerade öffnete oder kurz bevor sie schloss. Zu diesem Zeitpunkt konnte man ohne große Probleme einen Tisch für sich alleine haben, doch heute hatte sie es mit ihren Experimenten nicht anders timen können und der Tag war bisher so anstrengend gewesen, dass ihr der Sinn nach etwas deftigen zu Essen gestanden hatte.

Nun stocherte sie jedoch beinahe lustlos mit ihrem Löffel in der Erbsensuppe und starrte unentwegt auf den Bildschirm ihres Handys. Das Geschnatter um sie herum nahm sie nur gedämpft war, denn in ihrem Kopf arbeitete es heftig.

Mittlerweile war es zwei Wochen her seit die Presse auf diese seltsame Beziehung zwischen Catherine und Sherlock aufmerksam geworden war und seitdem folgten ihr Fotografen auf Schritt und Tritt. Mit Sherlock hatte sie sich allerdings mittlerweile versöhnt, auch wenn seine Bemühungen ungewöhnlich gewesen waren. Diese hatten nämlich darin bestanden, dass er plötzlich am nächsten Morgen neben ihr auf der Matratze gesessen hatte, als sie aufgewacht war, und versucht hatte sie mit vollkommen versalzenem Rührei zu ködern. Und wenn sie sagte versalzen, dann war es wahrlich versalzen. Danach hatte sie erst einmal einen Liter Wasser trinken müssen um das auszugleichen und Sherlock war nicht erfreut darüber gewesen, dass sie so getan hatte, als ob es schmecken würde. Anschließend, nach ihrem üblichen Genecke, hatten sie sich aber dann doch vertragen.

Dennoch, ihre Treffen waren seitdem von der Anwesenheit der Presse überschattet und so manche Handlung war bewusst fälschlich interpretiert worden. Wie sie diese Reporter hasste. Ihre Freundschaft zu Sherlock war nicht schmutziger Natur, sondern nur auf dreckigen Ereignissen erbaut.

Catherine ließ langsam ihren Löffel sinken und seufzte. Sie entsperrte ihren Bildschirm und begann eine SMS zu schreiben.

John, wie wäre es mit nem Kaffee? Ich bin heute um 17 Uhr fertig. Hast du Zeit mich abzuholen? Ich brauche Jemanden zum Reden.

Sie seufzte erneut und zögerte einige Momente, bevor sie die Nachricht schließlich absendete und sich durch die Haare fuhr. Dann stand sie abrupt auf, steckte ihr Handy in ihre Tasche, brachte die Suppe weg und ging in ihr Labor zurück.
 

~*~
 

Das Licht war noch immer kalt und starr im Barts. John stand an der Laborbank neben Sherlock, der frustriert und ausschweifend seine Deduktion über den des linkshändigen Mechaniker und dem ermordeten Floristen zum Besten gab. John hörte ihm längst nicht mehr zu. Die Erklärungen waren zu wirr und schwindelerregend, als dass er mithalten könnte. Schließlich hatte Sherlock den Fall noch nicht gelöst und sprach sowieso eher mit sich selbst.

Sein Telefon klingelte. Seufzend zog er es aus seiner Jackentasche und dachte, dass dies besser nicht Mycroft mit einer abstrusen Bitte seien sollte. Er lächelte jedoch, als er auf dem Display sah, dass die Nachricht von Catherine stammte und öffnete diese schnell. Als er allerdings die Nachricht las, zog sich eine tiefe Falte über seine Stirn. Die Worte beunruhigten ihn und er tippte seine Antwort, während Sherlock munter weiterredete und fest der Meinung war, dass John ihm noch immer zuhören würde.

Ja, sicher, bis dahin ist Sherlock hier fertig. Sehe dich dann.

Ihre Antwort kam beinahe schon etwas zu schnell, als hätte sie auf sie gewartet.

Danke, John.

Kein Problem. Bis heute Abend.

Mit einem nachdenklichen Gesichtsausdruck ließ er sein Handy wieder in die Jackentasche gleiten und starrte an die Wand, während er abwesend immer mal wieder blind zu Sherlocks Aussagen nickte- er wusste mittlerweile, wann sein bester Freund das erwartete- oder ein ah murmelte, doch gedanklich hing er immer noch bei dieser seltsamen Nachricht und überlegte, was es damit wohl auf sich hatte. Es klang jedenfalls ernst.
 

~*~
 

Catherine steckte ihr Telefon wieder in ihre Tasche zurück und holte tief Luft. Ihr schwirrte momentan viel durch den Kopf und das hatte zur Folge, dass sie sich den ganzen Nachmittag über nicht richtig auf ihre Experimente konzentriere und dies rächte sich. Ihr unterlief ein schwerwiegender Fehler wodurch sie das gesamte Experiment erneut durchführen musste. Dies war auch der Grund warum sie am Abend zu spät ihr Labor verließ. Eilig stürmte sie den Trampelpfad entlang, während ihre Umhängetasche gegen ihren Oberschenkel trommelte. Ihr Atem flog und kondensierte in der Abendluft des äußerst alten Septembers. Keuchend erreichte sie den Bahnsteig der U-Bahn an dem sie sich immer mit John traf, wenn ihnen der Sinn nach einem Treffen stand. Etwas, was dank Sherlock durchaus häufig vorkam. Es gab ihnen eine kleine Priese Normalität in dieser chaotischen Welt, die Sherlock sein eigen nannte.

„John!“, rief sie, als sie ihn unter der üblichen Laterne erblickte und zu ihm lief. Keuchend blieb sie vor ihm stehen und fasste sich an die Knie. „Es tut mir so leid. Ich musste die PCR noch einmal machen. Ich war nicht konzentriert und habe einen großen Fehler gemacht. Hast du schon lange gewartet?“

„Nein.“, sagte John beschwichtigend und lehnte sich an den Zaun. „Ich war ebenfalls zu spät dran. Sherlock hat wieder einmal versucht die Wohnung abzubrennen. Ich bin auch erst vor ein paar Minuten angekommen. Hätte fast gedacht, dass ich dich verpasst habe.“

Catherine atmete erleichtert aus. Ironisch nicht, wahr? Die Neuigkeit über Sherlocks neustes Experiment amüsierte sie eher, als dass es sie bestürzte.

„Wirklich, schon wieder?“, fragte sie und ein kleines Glucksen schwang durch ihre Stimme. „Bomben Test oder ein fehlgeschlagenes Experiment?“

„Ich würde sagen beides. Mrs. Hudson war nicht besonders erfreut. Das wird er sehr viel kriechen müssen um das wieder gut zu machen. Ihre Zuneigung in aller Ehre, aber auch diese ist begrenzt.“

„Oh ja, das ist wirklich schlecht für sie, aber ich glaube, dass er das nicht tun muss, obwohl der Anblick sicher amüsant wäre.“, kicherte sie und zwinkerte John vergnügt zu. „Er ist ihr kleiner Junge…sie wird ihm vergeben. Sie hat einfach eine zu gute Seele.“

Catherine sah ihn an und rückte ihre Tasche zu Recht.

„Starbucks wie immer?“, fragte sie, als sich beide im stummen Einvernehmen in Bewegung setzen, die Gleise passierten und den Fußweg, der sich um die Sporthallte schlängelte, entlanggingen. John schüttelte seinen Kopf.

„Ich habe auf dem Weg hierher ein neues Café nur ein paar Straßen entfernt gesehen. Die Karte sah vielversprechen aus. Wie wäre es mit etwas Neuem?“

Catherine blinzelte ihn irritiert an, während sie nach rechts abbogen um sich in Richtung Stadtzentrum auf den Weg zu machen. Der Wind frischte auf und raschelte durch die Bäume, weshalb sie ihren Kragen aufstellte und ihre Hände in den Ärmeln versteckte.

„Du willst eine Tradition brechen? John, fühlst du dich gut?“, fragte sie neckisch und grinste, während ihr Atem zu einer weißen Nebelwolke wurde und vor Johns Nase tanzte. „Ich dachte du liebst diese kleinen Rituale, die wir in das unbeständige Leben mit Sherlock eingebaut haben.“

„Ja, alles in Ordnung.“, antwortete er mechanisch, während er stehen blieb und auf den Weg starrte. „Es ist nur…keine Ahnung. Es ist auch nicht wirklich wichtig.“ Mit diesen Worten drehte er sich auf dem Absatz um und lief in Richtung Ortsrand, wo sich ihr Standard Starbucks befand. Catherine blieb kurz verdattert stehen, während sie beobachtete wie John mit eiligen Schritten in Richtung Haltestelle ging. Catherine blinzelte, dann rannte sie ihm hinterher.

„Nein! John, warte! So habe ich das nicht gemeint.“ Sie fasste ihn an dem Ärmel seiner dicken Winterjacke und stoppte ihn. Er drehte seinen Kopf zu ihr und Catherine erwiderte seinen Blick irritiert. Irgendetwas stimmte nicht.

„Wir können gerne dahin gehen, wenn du willst. Es klingt toll.“, beeilte sie sich ihm zu versichern. „Ich habe bloß einen Scherz gemacht.“

John sah sie verwundert an, runzelte die Stirn und stöhnte, bevor er sich über die Augenbrauen rieb.

„Oh, verdammt. Catherine, es tut mir leid. Ich bin…nur ein wenig durch dem Wind heute.“, flüsterte er leise.

„Dann sind wir schon zu zweit.“, sagte Catherine seufzend und betrachtete ihn dann eingehender. Ihr Blick wanderte einmal an ihm herab und sie versuchte ihn zu deduzieren- sie hatte damit aus Spaß angefangen vor einiger Zeit. Sherlock wäre davon nicht begeistert, dass sie es als Hobby betrachtete und deshalb hatte sie ihm noch nie davon erzählt. Konnte natürlich trotzdem sein, dass er es längst bemerkt hatte. Catherine wusste, dass sie keine Ahnung hatte was er bereits alles über sie wusste oder bemerkte, was sie versuchte zu verstecken.

John hingegen fühlte sich unwohl, während sie ihren Blick über ihn wandern ließ. Er mochte diesen Blick von ihr nicht. Zwar konnte sie nicht deduzieren so wie Sherlock, doch sie konnte die Geheimnisse von Menschen durch andere Fähigkeiten ergründen. Wissentlich hatte er nichts zu verbergen, aber manchmal fand sie Dinge an die man nicht dachte. Wo Sherlock sachlich blieb und das sein Trumpf war, war ihrer Empathie.

„Alles in Ordnung?“, fragte sie besorgt, als sie wohl keinen Schluss ziehen konnte. John nickte nur rasch.

„Ja, alles gut. Lass uns was trinken gehen, okay?“

„Sicher. Gehst du voran?“

Sie liefen einige Zeit stumm nebeneinander her, während John ihr den Weg zu dem Café zeigte. Es lag nur einige Blocks weit entfernt und auf ihrem Weg dorthin passierten sie das übliche Vorstadt Panorama: Bücherläden, Boutiquen, Nachtclubs, Restaurants und einen Park. Während ihres Spazierganges vergrub Catherine ihre Hände tiefer in den Taschen und duckte den Kopf, als die nasse Kälte, die gerne in London herrschte, selbst durch ihren Wollmantel kroch und sich wie eine steife, starre Schicht über ihre Haut legte.

Zehn Minuten später erreichten sie schließlich ein kleines, im normannischen Stil- die englische Variante der Romantik- erbautes Teehaus, welches Kostproben verschiedener Teesorten und Mahlzeiten anbot. Warme Mahlzeiten. Catherines Magen grummelte freudig, da sie ihr Mittagessen nicht angerührt hatte. Sie betrachtete die Speisekarte und musste zugeben, dass es köstlich klang. Simple, warme, deftige Hausmannskost wie sie sie selten aß, da sie sie keine besonders talentierte Köchin war. Als John also fragte, ob sie hineingehen wollten, stimmte sie sofort zu.

Der Speisesaal war rustikal erbaut. Grober Backstein zierte die Wände, Holzvertäfelungen an der Decke und kleine Sitzecke, wo eine Teekanne auf die Gäste wartete. Der süße, würzige Geruch nach Teeblättern tanzte durch die Luft, lockte den Besucher herein, gerade bei solch einem ungemütlichen Wetter.

Rasch wurden die beiden zu einem Tisch am Rand geführt, wo sie in Ruhe reden konnte- Catherine hatte darum gebeten. Beide blickten in die Speisekarte und nachdem sich John für eine Kartoffel-Lauch Suppe und Catherine für einen deftigen Auflauf entschieden hatten, empfahl die Kellnerin einen dazu passenden Tee, doch sie entschieden sich für einen Kaffee- Catherine einen Cappuccino mit Vanille Geschmack und John für einen Kaffee Latte. Die Kellnerin mit dem rötlichen Haar lächelte freundlich, nickte und verschwand.

Nachdem sie endlich außer Reichweite war, sah John auf und blickte Catherine an.

„Also, Catherine, was ist los?“, fragte er ruhig und betrachtete sie.

„…“ Catherine schwieg einen Moment, dann seufzte sie schwer und biss sich auf die Unterlippe. „Du bist wirklich schnell, John. Oder bin ich schlicht so einfach zu lesen?“

„Du bist einfach zu lesen, zumindest für mich. Nebenbei hast du mir doch getextet, erinnerst du dich?“

„Ich weiß.“, antwortete sie und fuhr sich durch das Haar, wo John direkt wusste, dass etwas nicht stimmte. Sie tat das nur, wenn sie nervös, aufgebracht oder unsicher war. „Aber ich könnte ja schließlich nur das Verlangen zu haben zu reden. Wir machen das doch häufiger.“

„Du schreibt nur: „Ich brauche Jemanden zum Reden.“, wenn etwas passiert ist.“, sagte John ruhig und seine blauen Augen hingen an ihr. Die Kellnerin kehrte in dieser Zeit zurück und stellte die Kaffee ab ohne ein Wort zu sagen. Sie spürte wohl, dass das hier ein wichtiges Gespräch werden würde. Die beiden bemerkten sie noch nicht einmal. John war viel zu sehr damit beschäftigt Catherine zu ergründen und er war auch zu besorgt. Sie war ihm sehr wichtig und er fühlte sich für sie verantwortlich. Sie hingegen war zu beschäftigt damit herauszufinden wie sie es ihm sagen sollte. „Also, was ist passiert? Es kann nicht zu schlimm sein, ansonsten würdest du es totschweigen, bis Sherlock es aus dir herausgequetscht hat.“

„Ich…“ Catherine schloss ihre Augen und zögerte. Hastig, wenn auch nicht wirklich bewusst, nach ihren Cappuccino. „Ich habe Neuigkeiten.“

John runzelte die Stirn. „Was für Neuigkeiten?“

Catherine kaute auf ihrer Unterlippe und haderte mit sich. Sie würde am liebsten weglaufen und es vergessen, aber sie hatte keine Wahl.

„Ich werde England in zwei Wochen verlassen.“, sagte sie dann ganz schnell um es endlich los zu sein. Es hatte den ganzen Tag über schwer auf ihren Schultern gelastet und sie war froh sich endlich ihrem engsten Vertrauten mitteilen zu können.

John hingegen hustete und stotterte voller Überraschung. „Wa---was? Wann…wi---wie…warum?“

Catherine holte erneut tief Luft und umklammerte ihre Tasse. Dass ihre Hand fast schon glühte vor Hitze und schmerzte, bemerkte sie gar nicht. Der Gedanke an die Zukunft schmerzte noch mehr.

„Erinnerst du dich wie ich dir am Tag der offenen Tür erzählte, dass unsere Universität eine Partnerschaft mit dem College of San Diego eingegangen ist?“

Der Tag der offenen Tür…das war ein lustiger Tag gewesen. Noch vor ihrem Überfall, kurz nach Sherlocks Rückkehr, hatte ihre Universität einen Tag der offenen Tür veranstaltet um bald Studierenden einen Einblick zu gewähren und sie für sich zu gewinnen. Auch Catherines Labor hatte daran teilgenommen und allen, den es interessierte- auch Eltern und jungen Kindern- Experimente gezeigt. Anlässlich diesen Tages hatte Catherine John und Molly eingeladen sich ihr Institute anzusehen. Schließlich hatten sie das im Gegensatz zu Sherlock noch nicht gesehen und Molly hatte die Möglichkeit mit ihrem alten Professor zu sprechen.

Besonders Kinder hatten die Experimente sehr genossen. Kathy, Daniel und Catherine hatten für sie etwas ganz besonderes vorbereitet, während die Erwachsenen sich mit Vorträgen beschäftigen konnten oder aber andere Experimente ansehen. Um dies zu erreichen, hatten Catherine Bakterien mit unterschiedlichen Farbstoffen versetzt- ähnlich dem GFP und mCherry. Die Kinder durften mit einem Zahnstocher, die entsprechend versetzten Bakterien herausnehmen und auf einer Petrischale zeichnen. Die Petrischalen waren mit dem Namen der Kinder versehen worden und Kathy hatte sich die E-Mail Adressen der Eltern notiert um Fotos der entstanden Kunstwerke zu verschicken.

Molly und John hatten den Tag sichtlich genossen, Catherine weniger. Es waren für sie zu viele Menschen gewesen, die zu viel von ihr wollten und dann noch Professor Niels endlose Reden. Sie mochte ihren Professor wirklich gerne, aber er hatte die Angewohnheit ständig abzuschweifen und nie zum Punkt zu kommen. Hatte manchmal etwas wirklich Anstrengendes. Und dann das Aufräumen danach. Es schüttelte sie immer noch an die Gedanken.

Was für sie wirklich amüsant an diesem Tag gewesen war, war der Morgen gewesen. Sie hatte zum ersten Mal bei ihren Ziehvätern übernachtet, da sie am Vorabend eine lange Diskussion gegeben hatte und sie keinen Drang verspürt hatte in ihre Wohnung zu schlurfen. Folglich hatte sie an jenem Morgen bei ihnen gefrühstückt. Sherlock war mit der Zeitung durch den Raum marschiert und hatte sich über die Oberflächlichkeit und Angeberei der Gesellschaft beschwert. Wie darauf achteten sich darzustellen und durch Marken zu zeigen wer man ist.

Da hatten John und Catherine nur lachen können und als er sie mit seinem niedlichen Ich-verstehe-das-nicht Blick angesehen hatte nur umso mehr. Beide hatten ihm damit konfrontiert, dass er der Inbegriff von diesem Markenbewusstsein war. Als er protestierte, war Catherine vom Stuhl aufgestanden und hatte ihn mit all seinem teuren Schnickschnack in seiner Wohnung konfrontiert. Von seinen teuren Klamotten, die beinahe schon in Massen in seinem Schrank hingen wie in einem Ramschladen mit Sommerschlussverkauf, über das dreitausendfünfhundert Pfund teure Soundsystem, dass an dem teuren Philipps Fernseher angeschlossen war und kaum genutzt wurde. Catherine hatte daraufhin gemeint, dass sie schwer enttäuscht sei, dass es sich nicht um einen Loewe Fernseher handelte, welche als die perfekte Symbiose aus Klang und Qualität galten und äußerst exklusiv waren. Als er sie nur verständnislos, blinzelnd angesehen hatte, hatte Catherine freudig gegrinst und gemeint, dass sie sich durchaus mit Technik auskenne.

John hatte dann fortgefahren auf die vielen Unikate an Büchern in seinem Regal zu verweisen und die Möbel- wo Catherine meinte, dass die sicherlich aus dem Holmes Mansion geklaut waren-, danach kamen sie auf seinen unglaublichen Verschleiß an Laptops zu sprechen. Erst das Netbook, dann der Samsung Laptop und am Ende das Macbook- das mittlerweile dritte seit sie ihn kannte. Die Vorgänger hatte er meist in Frustration gegen die Wand geworfen. Als sie es dann auch noch gewagt hatte seine heilige Geige anzufassen, hatte sie Sherlock endgültig erwischt. Wütend hatte er sie angeknurrt, Zähne drohend gefletscht, ihr die Geige entwendet und sie beinahe zärtlich wie eine Mutter ihr Kind wieder abgelegt.

Danach hatte er geschmollt und sie ignoriert, bis John sie gefragt hatte, wann er da sein sollte. Schließlich hatte Sherlocks Neugierde gesiegt und er hatte gefragt, was er denn nun wieder verpasst hätte. Catherine hatte ihm von dem Tag der offenen Tür erzählt und er hatte noch mehr geschmollt, da sie ihn nicht eingeladen hatte. Dass Catherine angemerkt hatte, dass er ihr Labor schon gefühlte fünfzig Mal gesehen hatte und dass an diesem Tag lauter anstrengende Teenager, Erwachsene und kleine Kinder da wären, hatte für ihn dabei keine Rolle gespielt. Selbst dann hatte er darauf bestanden, dass sie ihn einlud. Als sie ihn schließlich fragte, ob er auch kommen wolle, hatte er natürlich verächtlich geschnaubt, sein typisches, spöttisches Bitte gesagt und abgelehnt. Sie war schon genervt gewesen, aber auch amüsiert und war dann schmunzelnd zur Universität aufgebrochen.

„Ja, ich erinnere mich.“, sagte John und verstand. „Du gehst also nach San Diego? Eine Art Austauschprogramm? Wie lange wirst du weg sein?“

Er stoppte, weitete etwas seine Augen und starrte sie an. „E---es…ist keine Festanstellung, oder?“

So etwas wie Panik stieg in John auf. Catherine konnte nicht für immer in die USA auswandern. Zu sehr hatte er sie schätzen gelernt und Sherlock war so viel erträglicher, wenn sie dabei war. Sie machte das ganze Chaos, das er verursachte, erträglicher. Catherine gab John die Illusion von Normalität, wo keine existierte.

Zu seiner Erleichterung schüttelte sie dann aber jedoch den Kopf.

„Nein, für drei Monate. Professorin Alison, eine der bekanntesten Mikrobiologinnen, hatte einen Austauschplatz angeboten und Professor Niels hatte mich empfohlen.“ Sie senkte den Blick. „Ich habe keine Wahl.“

Noch einmal entrang ihr ein Seufzen, ihre Mundwinkel zuckten traurig und sie nahm einen Schluck Kaffee. Sie wollte nicht gehen. Auch Catherine brauchte eine gewisse Beständigkeit und der Gedanke nun wieder in einem anderen Land, einem anderen Kontinent, neu anzufangen bereitete ihr Angst. Ihr wurde ganz flau im Magen dabei bei dem Gedanken daran. Sie mochte es in der Bakerstreet und sie wollte dort bleiben, ihr bekanntes Nest nicht verlassen.

„Und…was?“, fragte John. „Willst du nicht gehen? Zwingen sie dich? Das klingt doch nach einer guten Karrieremöglichkeit.“

„Ist es ja auch.“, gab Catherine mit schwerer Stimme zu. „Und ich bin auch nicht gänzlich uninteressiert. Es ist nur…ich reise nicht gerne. Und da sind andere Dinge, die mich besorgen und das ist auch der Grund, warum ich dich herbat.“

„Du weißt nicht wie du es Sherlock sagen sollst.“, stellte John fest und lehnte sich im Stuhl zurück, während er die Arme verschränkte. Er betrachtete Catherine, die so besorgt darum war und am liebsten niemals gehen würde nur um es ihm nicht sagen zu müssen. Doch sie musste gehen. Sie konnte nicht den gleichen Fehler machen wie er.

„Genau…“, flüsterte sie schwach. „Ich denke, er wird darüber nicht allzu glücklich sein.“

„Oh, ganz bestimmt nicht. Er wird stöhnen, jammern und sich beschweren, aber du wirst dich damit nicht beschäftigen müssen. Arme Mrs. Hudson und meine Wenigkeit. Er wird dich die ganze Zeit bedrängen, nachdem du es ihm gesagt hast, das ist dir ja wohl bewusst, nicht wahr?“

Catherine senkte beschämt den Blick und ihre Finger zuckten, spielten miteinander, während sie völlig überfordert war.

„Es tut mir so leid, John.“, flüsterte sie und ihre Stimme zitterte. „I---ich wollte dir niemals Schwierigkeiten bereiten.“

Abwehrend wedelte er mit der Hand und blickte sie an. „Sei nicht dumm, Catherine. Dafür bin ich doch da.“

Er nahm seinen Latte Macchiato und trank einen Schluck. „Aber ich muss dir leider mitteilen, dass es keinen super Geheimtipp gibt wie man Sherlock unangenehme Nachrichten überbringt. Ich habe gelernt, dass man es ihm einfach sagen muss. Er bemerkt es ja sowieso. Also bring es am besten hinter dich. Sonst wird das alles nur qualvoller für dich, wenn er versucht es aus dir herauszubekommen.“

Catherine seufzte schwer und flüsterte mit matter Stimme:

„Das habe ich befürchtet.“ Sie senkte den Blick. „Das wird die Hölle. Er liebt seine gewohnte Umgebung, auch wenn sein Leben unbeständig ist. Eigentlich hasst er Veränderungen.“

„Das ist wahr.“, gestand John ein und ließ kurz seinen Blick schweifen. Endlich kam auch die Kellnerin mit ihren Speisen und stellte diese auf den Tisch ab. Warme Dampf stieg von den Schalen auf und sie griffen zu ihrem Besteck, bis sie dann anfingen zu essen.

„Er muss damit lernen zu leben, Catherine. Du kannst dein Leben nicht um ihn kreisen lassen.“, sagte John schließlich mahnend, nachdem er die ersten Schlucke seiner Suppe genommen hatte.

„Das gleiche könnte ich auch über dich sagen.“, konterte Catherine und blickte ihn aus undurchdringlichen Augen an. John stöhnte und deutete auf sie.

„Wechsle jetzt nicht das Thema, Catherine Amell. Hier geht es um dich.“, erklärte er streng, doch dann, während er sie ansah, wurde sein Gesicht wieder weicher und sanfter. „Du bist noch so jung. Du solltest rauskommen und die Welt sehen, deinen Horizont erweitern. Wenn wir dich lassen würden, würdest du dich die ganze Zeit in deinem Labor einigeln und niemals herauskommen.“

Catherine seufzte und konnte ihn immer noch nicht in die Augen sehen. Sie hatte das nicht gewollt, sie hatte ihn nicht enttäuschen würden, doch er hatte recht. Die beiden diskutierten noch eine ganze Weile darüber, warum sie denn nicht die Welt sehen wolle. Catherine erklärte nur, dass sie bereits die dunkle Seite der Welt gesehen hatte. Sie hatte mehr gesehen als die meisten Menschen und in ihr einfach nicht das Bedürfnis verspürte ein anderes Land zu sehen. Es wäre ja doch nicht anders als England.

„Wenn du das wirklich glaubst, Catherine, dann gibt es nichts was ich sagen könnte um dich zu überzeugen und wenn du wahrhaft keine Wahl hast, gibt es auch nichts was wir tun können.“, sagte John, doch seine sonst ruhige Stimme war auf einmal hart. „Das ist etwas, was zum erwachsen sein dazu gehört.“

Unbehaglich biss Catherine sich auf die Unterlippe und mied seinen Blick. Diese Härte in seiner Stimme gab ihr das Gefühl, dass sie ihn enttäuscht hatte und das tat ihr sehr weh. Es war, als würde es ihr Herz erdrücken.

„Ich weiß, John.“, winselte sie beinahe reumütig. John hingegen stupste mit seinem sauberen Löffel gegen ihre Nase.

„Hey, Catherine. Sieh mich an!“ Wie immer bei den beiden, wenn sie wirklich immer etwas von ihr wollte, gehörte sie ihm und blickte auf.

„Es wird nicht so schlimm wie du es dir ausmalst, Catherine. Du wirst sehen.“

„Das ändert aber nichts an dem Umstand, dass ich es Sherlock noch sagen muss. Ich denke er wird mich anschreien.“

„Ja, oder gar nicht mit dir sprechen. Er hat das mit mir einige Male gemacht.“

„Ich weiß nicht, was schlimmer wäre.“, flüsterte Catherine resigniert.

„Er wird damit zurechtkommen. Das macht er immer.“, sagte er aufmunternd und nahm ihre Hände, bevor er sie drückte. „Wann wirst du genau abreisen?“

„Freitag in zwei Wochen um zehn Uhr morgens.“

„Ich wünschte, ich könnte mit dir kommen.“, seufzte er. „Den Grand Canyon sehen, Bryce Canyon, Sequoia National Park. In Amerika bin ich noch nie gewesen.“

Plötzlich tauchte etwas in ihrem Gesicht auf, das er schon eine ganze Weile nicht mehr gesehen hatte. Ihre Augen bekamen dieses freche Leuchten und ihr Mund verzog aufgeregt, bevor sie seine Hand noch fester drückte.

„Dann brenn mit mir durch.“, flüsterte sie verschmitzt und sie grinste ihn an. John sah sie erst überrascht an, blinzelte mehrmals, aber dann grinste auch er.

„Oh, Catherine!“, sagte er mit hochtrabender, vor Freude zitternder Stimmte. „Ich wei---weiß gar nicht was ich sagen soll.“ Er holte tief Luft. „Nun…eigentlich schon. Alles was ich sagen kann ist: Ja, Liebste. Lass uns durchbrennen.“

Er zwinkerte Catherine zu, welche grinste, ihre Hand unter seiner hervorzog nur um sie dann direkt wieder auf seine zu legen.

„Oh, ich bin so glücklich, John. Ich habe genug von dieser Dreiecksbeziehung mit Sherlock.“

„Ja, Liebste.“, flüsterte John und nahm ihre andere Hand. „Wir werden endlich frei sein um uns zu lieben wie es immer hatte sein sollen.“

Catherine sah ihm in die Augen und versuchte einen tiefen, liebevollen Blick zu bekommen, doch sein Blick und seine völlig hochtrabende Stimme machten dies unmöglich. Sie brach in schallendes Gelächter aus, zog ihre Hände aus den seinen und presste ihren Kopf auf die Arme.

John hingegen versuchte seinen ernsten Gesichtsausdruck beizubehalten, aber der Anblick der lachenden Catherine machte dies völlig unmöglich und ein Grinsen begann um seine Mundwinkel zu zucken, bevor er selber anfing zu lachen.

„Es tut mir leid.“, kicherte Catherine und wischte sich die Tränen aus den Augen. „Ich konnte es einfach nicht zurückhalten, John.“

Sie holte tief Luft und es dauerte eine ganze Weile, bis sie sich wieder unter Kontrolle hatte

„Gott, verdammt.“ Nun gut, zumindest so ein bisschen unter Kontrolle. „Wir sind nicht verrückt. Nein, überhaupt nicht.“

Sie lehnte sich keuchend vor lauter Lachen zurück und holte tief Luft. John sagte überhaupt nichts dazu, sondern schmunzelte vor sich hin, sichtlich erleichtert, dass er Catherine wieder zum Lachen gebracht hatte. Sie hingegen seufzte, diesmal aber wesentlich leichter als zuvor, und schüttelte ihren Kopf.

„Das war so seltsam.“ Sie lachte erneut.“ Normalerweise tue ich so etwas mit Sherlock, wenn uns neugierige Augen beobachten.“

Genau genommen war es ein Spiel zwischen den beiden geworden. Nachdem Catherine und Sherlock bemerkt hatten, dass sie tun konnten was sie wollten, die Presse interpretierte es ohnehin falsch, da hatten sie beide aufgegeben und beschlossen, wenn die Öffentlichkeit denn so scharf drauf war, ihnen auch etwas für ihr Geld zu geben. Schließlich verfolgten die Fotografen Sherlock und Catherine auf Schritt und Tritt und machten es ihnen somit unmöglich sich so zu verhalten wie sie es sonst taten, was zur Folge hatte, dass sie beide sich eine neue Art des Umganges suchen mussten. Die beiden hatten sich dann das völlige Kontrastprogramm zu dem vorherigen gewählt: Sie waren verdammt zweideutig.

„Ich weiß.“, sagte John glucksend. „Ich hab das einmal beobachtet, als ihr dachtet ich könnte euch nicht sehen. Eine ältere Dame hat sogar mal mit mir geschimpft wie ich es denn erlauben könnte, dass meine Tochter mit solch einem älteren Mann ausgeht.“

Catherine runzelte die Stirn und sah ihn verwundert an.

„Wirklich? Oh mein Gott.“, stöhnte sie, doch sie lachte noch immer leise. „Ich hab wirklich gedacht, du würdest uns nicht sehen. Aber ernsthaft…sind Sherlock und ich wirklich so zweideutig?“

John nickte nur. „Ja, ja, seid ihr. Das kann manchmal wahrlich verwirrend sein, das glaub mir mal.“

„Ach du meinte Güte.“ Kopf schüttelnd schmunzelte sie John an. Das war ihr wirklich nicht bewusst gewesen. Sie sah da drin immer eher kleinere Spiele und Necken, als derart verwirrende Taten. Aber es war ja nicht das erste Mal, dass sie in Sherlocks Gegenwart den Sinn für die Realität verlor. „Als ob ich jemals Sherlock Holmes daten würde. Ich meine, ich bin verrückt, das weiß ich nur zu gut, aber ich bin nicht so verrückt.“

„Ich wär mir da nicht so sicher.“, erwiderte John und zwinkerte ihr zu. Catherine schmunzelte und bemerkte nicht einmal wie wenig es ihr mittlerweile mehr ausmachte, was man in ihr und Sherlock sah. Sie hatte so lange dagegen gekämpft, dass es ihr nun vollkommen egal war. Es war eh sinnlos. Was die Klatschpresse glauben wollte, würde sie glauben, egal wie sehr sie es dementieren würden. Im Gegenteil, je mehr sie es täten, desto stärker würden sie es glauben.

„Soll ich dir eine Geschichte erzählen?“, fragte sie John und aß die letzten Bisse ihres leckeren Auflaufes auf.

„Eine Geschichte?“ John blickte sie verwirrt an. „Aber kein Märchen, oder?“

„Nein, nein.“ Sie wedelte ab. „Es ist eine wahre Geschichte. Sie fand an einem klaren, aber kühlen Montagmorgen statt, so um ungefähr fünf Uhr morgens. Sherlock und ich kehrten gerade von einer unserer nächtlichen Laborsessions zurück, als wir durch einen Park liefen, da kein Taxi zur Verfügung stand. Da bemerkten wir einen Mann, der auf einer Bank saß und die Sun las mit einem weiteren Schundartikel über uns. Du erinnerst dich an den, wo Fotos gedruckt wurden, wo sie dachten, dass wir rummachen würden? Gott, das war ein schrecklicher Artikel gewesen. Nun ja…“ Sie grinste diabolisch. „Du kannst dir sicherlich denken, was Sherlock und ich dann taten.“

John lachte laut auf und schüttelte sich allein bei der Vorstellung. „Oh ja, das kann ich nur zu gut.“

„Der arme Mann war total überrascht, als wir uns plötzlich neben ihm niedergelassen haben.“

„Bitte sag mir nicht, dass ihr vor seinen Augen rumgema…“ Er stockte, als Catherine skeptisch eine Augenbraue hochzog. „Natürlich nicht. Sherlock würde so etwas niemals tun. Lass mich raten. Ihr habt über eure Hochzeitspläne gesprochen und wie ihr eure Kinder erziehen werdet, richtig?“

„Was?“, entfuhr es ihr geschockt und sie starrte ihn fassungslos an. „Nein! Das ist zu viel Kitsch. Uuuurgh. Nein, nein, wir haben nur ein wenig…nun sagen wir Erwachsenengespräche geführt…geflirtet und so weiter. Er hatte seine typische tiefe, Baritonstimme, während ich nur gelächelt, über seine Wange gestreichelt habe und gegen seine Seite gekuschelt war.“

„Und wie hat der Mann reagiert?“

„Nun ja, wie wohl jeder reagieren würde, wenn die Leute, über die man gerade liest, sich neben einen setzen.“ Sie winkte ab und grinste. „Er hat nach Luft geschnappt wie ein Fisch auf dem Trockenen und ständig von seiner Zeitung zu uns und wieder zurück gesehen. Ich hab echt gedacht, er würde gleich anfangen zu hyperventilieren. Du weißt ja wie Sherlock ist. Man muss gar nicht direkt über Sex sprechen, aber das Gespräch kann trotzdem diese Komponente bekommen. Ich glaube, er weiß noch nicht mal wie sexuell angehaucht seine Körpersprache ist.“

„Oh nein, tut er nicht. Es kommt ihm noch nicht einmal in den Sinn.“, sagte John kopfschüttelnd und stützte seinen Kopf auf die Hand.

„Also, was hat er darauf hin gesagt?“

„Gar nichts. Wir haben aber auch so getan, als würden wir ihn gar nicht sehen.“

„Und für wie lange habt ihr ihn gequält?“

„Keine Ahnung.“, seufzte Catherine leise und lächelte unsicher. Sie wusste was nun kommen würde.

„Du hast dich wieder total darin verloren, hmm?“ John seufzte und schüttelte nur den Kopf. „Oh, Catherine, Catherine.“

„Was?“, verteidigte sie sich und stieß mit ihrer Gabel in die leere Auflaufform, sodass es klirrte. „Sherlock ist nicht hässlich…und…und es hat solchen Spaß gemacht. Und ganz ehrlich…Es ist Sherlock, verdammt! Wenn seine Stimme so tief wird, dunkel und rau wird….“ Sie erschauderte bei dem Gedanken und ihre Augen waren kurz weit weg. „Bekommt er etwas Hypnotisches für Frauen und ich bin noch immer eine, erinnerst du dich?“

„Ja, danke.“, sagte John genervt und schien nun doch beleidigt. „Es ist wirklich schön zu hören was für eine verführerische Art mein Mitbewohner auf das andere Geschlecht hat.“

Catherine errötete schlagartig und trat gegen sein Schienbein.

„Aua!“

„Sei vorsichtig oder der nächste wird kräftiger.“, ermahnte sie John und warf ihm einen durchdringenden Blick zu. „und als ob Sherlock jemals in der Lage wäre so etwas für eine Frau zu empfinden. Dennoch…“ Sie streckte ihm die Zunge raus. „Ich bin noch immer eine sechsundzwanzigjährige Frau und habe Bedürfnisse.“

„Catherine…bitte!“, flehte er beinahe und verzog angewidert das Gesicht. „Das ist mehr als ich hören will.“

Sie errötete nur noch mehr und trat ihn erneut, dieses Mal fester.

„Nicht so, John. Ich schwöre dir, du machst mich verrückt heute.“

„Schön zu wissen, dass ich das auch kann.“

„Hör auf damit!“, befahl sie und trat nach ihm unter dem Tisch.

„Autsch!“

„Du verdienst es!“, sagte Catherine schmollend und zog eine Schnute, während sie abwehrend ihre Arme vor der Brust verschränkte. „Eines Tages, mein Guter, muss ich mich um dich kümmern und dann werde ich mich dafür rächen.“

„Solange ich bis dahin kein Kind habe.“, erwiderte John gelassen, denn er wusste, dass Catherine das nicht ernst meinte, sondern nur mal wieder sarkastisch war.

„Haa.“, stieß sie aus und blickte ihn an. „Und wie groß ist die Chance mit Sherlock Holmes als Mitbewohner? Du hast nur eine Chance, wenn du mich ein zweites Mal in deinem Alter findest. Dann, und nur dann, könntest du Glück haben.“

Eigentlich müsste John ja nun wirklich beleidigt sein, aber sie grinste doch ein wenig und er kannte sie zu gut um zu wissen, dass er ihr genauso wichtig war wie sie ihm.

„Oh, ich weiß nicht. Es gibt viele Menschen da draußen. Vielleicht habe ich ja Glück.“

„Möglich…aber eher unwahrscheinlich, nicht? Es sieht auch nicht so aus, ehrlich gesagt, als ob du dir wirklich Mühe gibst sie zu halten und es dich wirklich kümmert. Hast du schon längst resigniert?“ Catherine sah ihn traurig, aber auch nachdenklich an. Sie beobachtete John bereits eine ganze Weile und hatte mehr als einmal das Gefühl gehabt, dass er liebend gerne seine Freundinnen laufen ließ, dass sie ihm nach einiger Zeit sogar zu anstrengend wurden. Er wollte keine Konflikte und wenn sie wegen Sherlock eingeschnappt waren, dann kämpfte er nicht für sie. Er würde immer Sherlock wählen, wenn er es denn müsste. Catherine seufzte leise. So würde sie auch.

John hingegen blinzelte verwirrt und schien nicht zu verstehen. Catherine stöhnte nur und rollte mit den Augen.

„Spiel nicht den Dummen. Ich habe das Drama um Samantha letzte Woche mitbekommen. Sherlock kam hereingeschneit, ließ sich neben mir auf die Couch fallen und überschüttete mich mit einer wahren Beschwerdeflut. Irgendwas über ihre Dummheit und dass du ihm verboten hättest sie zu deduzieren. Ich hab nicht wirklich zugehört, weil ich gerade dabei die Bachelorarbeiten zu korrigieren. Natürlich hat er dann Antworten und Zustimmung von mir erwartet und mit Konzentration war es dann auch vorbei.“

„Ja…keine kann es mit ihm aushalten.“, seufzte John und ließ gedankenverloren seinen Blick schweifen. „Manchmal glaube ich wirklich, dass ich ausziehen sollte. Ich verdien mittlerweile genug für meine eigene Wohnung.“

Catherine sah ihn überrascht an und konnte sich nicht mehr bewegen. Sie wollte nicht, dass er auszog. Sie brauchte John an ihrer Seite um den täglichen Wahnsinn zu überstehen. Er war ihr Halt, an dem sie sich festklammern konnte und der Gedanke, dass er nicht mehr nur eine Tür weiter wohnen könnte, versetzte sie in Panik. Allerdings wusste sie auch, dass sie kein Recht hatte, John daran zu hindern, wenn er es denn wirklich wollte.

„Wenn du denkst, dass das das Beste für dich ist.“, sagte sie zerknirscht und fuhr sich über die Lippen.

„Ich weiß es nicht um ehrlich zu sein.“, erwiderte John gedankenverloren und blinzelte. „Aber ich sitze eindeutig fest.“ Er schüttelte den Kopf. „Was mache ich hier eigentlich? Ich sollte dir doch helfen.“

Catherine sah ihn traurig an. Sie wusste wie John sich fühlte. Zu lange sah sie es schließlich schon. Langsam stand sie auf und setzte sich neben ihn. „Um ebenfalls ehrlich zu sein…ich will nicht, dass du ausziehst. Ich würde dich vermissen, auch wenn du hoffentlich in London bleiben würdest.“

Sie blickte ihn mitfühlend aus ihren großen, blauen Augen an, sodass John nur leicht, wenn auch traurig, lächeln konnte. Sie sorgte sich wirklich immer mit ihm und versuchte ihm so wenig wie möglich Umstände zu bereiten. Er legte die Hand auf ihre und tätschelte diese zärtlich.

„Ich könnte niemals London verlassen. Überall anders wäre es zu langweilig.“ Er blickte sie an. „Vielleicht sollte ich einfach bei dir einziehen.“

Catherine runzelte die Stirn und zog eine Augenbraue hoch.

„Als ob das deine Probleme lösen würde.“ John lachte.

„Nun, du bist jung genug um als meine Tochter durchzugehen.“

„Ja, klar.“, erwiderte sie sarkastisch, da ihr der Gedanke gar nicht gefiel. Sie sah zwar in ihm eine Art Ersatzvater, aber sie wusste nicht, ob er das auch in ihr sah. Außerdem hatte er Recht. Er könnte noch immer Kinder haben und sie somit ersetzt werden, während sein Platz für immer frei war und somit vermutlich auch für immer besetzt. Sie wollte ihn nicht verlieren. „Wir sehen uns ja auch so ähnlich.“

„Ja, ich weiß.“, gestand John schließlich seufzend ein und er blickte Catherine hilflos an. „Was sollen wir nur machen, Catherine? Nachdem du zurückgekommen bist, meine ich.“

„Keine Ahnung.“ Sie fuhr sich durch die Haare und blickte ihn ratlos an. „Ehrlich nicht. Ich habe versucht ihn zurückzuhalten, aber er denkt in diesen Momenten nicht daran. Später weiß er meist, was er falsch gemacht hat und fühlt sich schuldig, aber daraus lernen tut er nie.“

„Ich weiß. Glaub mir, ich weiß. Er ist wie der schlimmste, kleine Bruder auf der gesamten Welt.“ John seufzte und tätschelte noch einmal ihre Hand. „Aber man kann ja nie wissen. Vielleicht gibt es für uns ja noch Hoffnung. Aber nun iss auf, oder das Essen wird kalt.“

Catherine lächelte schwach. „Ich habe bereits aufgegessen. Du wirst langsam, Dad.“

John blinzelte sie überrascht an und auch Catherine hielt inne. Als ihr bewusst wurde, was sie da gerade gesagt hatte, errötete sie schlagartig und senkte unsicher den Blick. Sie hatte ihn noch nie so genannt. Zwar wussten sie beide für sich selbst, was sie in den anderen sahen und doch hatten sie es nie ausgesprochen. Es war Catherine auch jetzt nur herausgerutscht.

„Hast du mich gerade so genannt wie ich es denke?“, fragte John vorsichtshalber, nicht sicher ob er sich nicht vielleicht nur verhört hatte. Catherine lächelte hingegen nur schüchtern, das beste Zeichen dafür, dass es ehrlich war. Sie wurde immer schüchtern und unsicher, wenn man genau ins Schwarze getroffen hatte oder beißend sarkastisch, wenn es etwas war was sie angriff und sie sich verteidigen wollte.

„Vielleicht…“, murmelte sie deshalb leise und versuchte so nichtssagend wie möglich zu bleiben.

„Also habe ich nun eine Tochter?“ John lächelte, doch Catherine sah das nicht. Ihr Herz raste und sie hatte Angst vor seiner Reaktion. Sie hatte noch immer nicht ihre Angst vor den Bindungsschritten abgelegt, da sie fürchtete stets doch einen zu weit zu gehen.

„Sieht danach aus…Aber ich weiß nicht, ob ich eine gute bin. Eine auf die du stolz sein kann.“, flüsterte sie unsicher und wollte schon von ihm wegrutschen um das Lokal zu verlassen, als John ihr einen Arm um die Schulter legte und sie gegen seine Schulter drückte. Sanft, väterlich sah er zu ihr hinab und strich durch ihre Haare.

„Catherine.“, flüsterte er liebevoll. „Du bist mutig, intelligent, freundlich, anständig und verrückt, aber im besten Sinne. Keiner könnte stolzer auf seine Tochter sein, als ich es auf dich bin.“

Catherine errötete nur noch mehr und doch waren diese Worte Balsam für ihre Seele und sie war unglaublich erleichtert, als sie das von ihm hörte. Sie lehnte sich mehr an ihn, suchte seine Nähe und Wohlgesinnung. „John…“

„Sh…Alles ist gut.“, flüsterte John und strich weiterhin durch ihr Haar. Catherine nickte nur und erlaubte sich noch ein wenig länger diese Wärme zu genießen. Generell genoss sie jegliche körperliche Nähe, die sie kriegen konnte, denn für so lange Zeit hatte sie gar keine gespürt, doch dann zog sie sich schließlich zurück und seufzte.

„Wir sollten gehen, wenn ich es Sherlock heute Abend noch sagen will.“

„Ja, das ist wohl richtig.“, sagte John und blickte dabei in seine Suppe, die noch halbvoll war und seufzte. „Ich komme wieder und habe eine andere eines Tages.“

Kurz blickte er sich um und winkte dann die Kellnerin herbei um zu bezahlen. Catherine versuchte zu protestieren, doch er hatte bereits bezahlt und winkte gelassen ab, dann nahm er seine Jacke um zu gehen.

„Tut mir leid, dass du den Rest nicht essen konntest.“, flüsterte sie reumütig und küsste ihm auf die Wange. „Danke für alles, John. Ich bin wirklich froh, dich an meiner Seite zu haben egal was passiert.“

„Immer, Catherine.“, versicherte er ihr. „Immer.“

Catherine blickte dankbar zu ihm auf, dann strich er ihr eine Haarsträhne hinter das Ohr.

„Lass uns gehen.“ Sie nickte nur und holte tief Luft.

„I---ich habe Angst, John.“

„Ich weiß.“, flüsterte er sanft. „Aber es wird gut gehen. Ich bin ja dabei.“

Catherine nickte nur und verließ den Teeshop. Mit jedem Schritt, der sie sich der Bakerstreet näherten, wurde Catherine flauer im Magen und die Angst stieg. Sie wusste nicht was sie tun sollte und wie Sherlock reagieren würde. Unbewusst ging sie näher an Johns Seite und nahm seine Hand. Sanft und aufmunternd drückte er zurück und schließlich erreichten sie die Wohnung. Plötzlich blieb Catherine stehen und sah mit flackerndem Blick hoch, während John sogar ein leichtes Zittern ihrer Hand spürte. Noch einmal drückte er ihre Hand und schließlich gingen sie in die Wohnung.

~*~

Es war dunkel und ein wenig stickig in der Wohnung von Sherlock und John. Nur schwach drang das Licht durch die herabgelassenen Jalousien und ließ die Staubwolken, die von Sherlocks wertvollen Büchern kamen, in seinem Schein tanzen.

Der wohl brillanteste Detektiv der Welt hingegen war tief über sein Mikroskop gebeugt, sodass nur sein rabenschwarzes Haar hervorlugte. Chemikalien, Utensilien, sogar Mörtel, lagen wahllos über den Tisch verstreut und doch griff er sicher danach und benutzte es ohne den Blick von dem Objektträger zu wenden. Als er hörte wie die beiden hineinkamen, hob er noch nicht einmal den Kopf, sondern veränderte bloß den Fokus der Blende um eine andere Ebene des Objektes durchleuchten zu können.

„John?“, fragte seine dunkle Stimme ruhig in den Raum, der sonst wie magisch still schien. Beinahe, als würde alles in dieser Wohnung andächtig lauschen wie er seine Arbeit verrichtete oder es nicht wagte ihn abzulenken.

„Ja.“, antwortete John nur, denn er hatte etwas in Sherlocks Unterton wahrgenommen, dass ihm sagte, dass er noch etwas von ihm wolle.

„Reich mir mein Telefon! Ich muss Lestrade die Ergebnisse mitteilen.“

„Ich mach das. Jackett?“, kam Catherine ihm zuvor und drehte sich herum. Es war ein verzweifelter Versuch Sherlock milde zu stimmen, bevor sie mit der Sprache herausrücken musste. Sie hoffte, dass seine Reaktion nicht ganz so heftig wie erwartet ausfallen würde. Ein Irrglaube, für wahr, und doch versuchte sie alles um noch ein wenig seine Gunst zu erlangen.

„Catherine?“, fragte Sherlock verwundert und runzelte hinter den Linsen die Stirn, sah aber noch immer nicht auf. Er war so in sein Experiment vertieft gewesen, sodass er nicht auf die Schritte geachtet hatte.

„Ja. Ich habe mich mit John getroffen und entschieden mit ihm herzukommen. Natürlich nur, wenn das für dich in Ordnung ist, ansonsten kann ich auch wieder gehen.“ Normalerweise wäre in ihrer Stimme ein witzelnder Unterton gewesen, doch dieses Mal war es ihr ernst. Sie wollte es sich nicht mit ihm verscherzen. Nicht jetzt.

„Mein Telefon!“, forderte Sherlock noch einmal mit Nachdruck auf und streckte erwartungsvoll die Hand aus.

„Du hast mir meine Frage immer noch nicht beantwortet.“, gab Catherine doch etwas ärgerlicher zurück. „Jackett?“

„Wo sonst?“, erwiderte er und drehte an dem Feintrieb des Mikroskops. Seine feinen, langen Finger umfassten beinah zärtlich das Rad und drehten es bestimmt, als wüsste er genau um wie viel Grad er es drehen müsste. Catherine seufzte nur, schüttelte den Kopf und ging zur Garderobe. Schließlich kam sie zurück und reichte ihm das Telefon, welches er sofort näher zu sich zog, geschickt in seiner Hand herumdrehte und blind die SMS an Lestrade tippte.

„Uhm…“, setzte Catherine zögerlich an und rieb sich unsicher über einen Arm. Ihr Blick glitt zu John, der ihr ermutigend zunickte. „Sherlock, könntest du bitte von deinem Mikroskop aufsehen? Ich muss mit dir reden.“

Zaghaftigkeit lag in ihrer Stimme. Sie, die sonst immer einen Konter auf Sherlocks Verhalten wusste und sich nichts von ihm gefallen ließ, war auf einmal ganz verschüchtert. So wie sie es immer war, wenn es um etwas wahrhaft Wichtiges und persönliches ging.

„Was?“, fuhr er sie ungehalten an. „Ich bin beschäftigt.“

„Sherlock, bitte.“, flehte Catherine beinahe. „Es ist wichtig.“

„NICHT JETZT!“

„Gott, verdammt, Sherlock! Bitte!“

„SHUT UP!“, schrie er sie an. Catherine erstarrte und ihre Augen weiteten sich. So hatte er sie noch nie angeschrien. Unweigerlich kamen die Erinnerungen an ihre Verbannung wieder auf, legten sich qualvoll vor ihre Augen und nahmen ihr den Atem. Die Angst, dass genau das wieder passieren würde, wenn sie nun weitersprechen würde, lähmte sie. Aber genauso geschockt war sie, dass er ihr einfach nicht zuhören wollte, auch wenn sie ihm mehrfach darum bat, beinah schon bettelte und auch noch betonte wie wichtig es sei. Vielleicht war sie ja doch nicht wichtig. Eigentlich hatte sie eh nie glauben können, dass sie es je gewesen war.

„Sherlock…Ich verlasse London in zwei Wochen.“, flüsterte sie leise, ängstlich und wartete doch verzweifelt auf irgendeine emotionale Reaktion. Ein Heben des Kopfes würde ihr schon reichen. So bangte sie, presste ihre Hände gegen ihr Herz, das wie wild hämmerte, und wartete auf Sherlocks unterbewusste Antwort auf all ihre Zweifel. Irgendetwas, das ihr zeigen würde, dass es ihm nicht egal war, doch all ihr Hoffen, ihr Flehen, war vergebens. Der Mann, den sie neben John als ihren Ziehvater ansah, blieb stumm und kalt. Seine Arbeit, sein Experiment, war ihm wichtiger als die Nachricht, dass er sie eventuell niemals wiedersehen würde. Ihr Herz zerbrach an seiner Kälte, die Welt begann sich rasend zu drehen und Tränen stiegen in ihre Augen.

„Sherlock…hast du mich gehört?“, fragte sie und hoffte doch, dass er ihre geflüsterten Worte schlicht nicht gehört hätte.

„Ja, ja…“, sagte Sherlock genervt und wedelte ab. „Und?“

„Und…?“, wiederholte sie fassungslos und starrte ihn an. „UND? INTERESSIERT ES DICH ÜBERHAUPT?“

Geschockt starrte sie den Mann an vor dem sie den größten Respekt hatte, den sie neben John mehr schätzte als irgendjemanden sonst, dem sie ihr Leben verdankte und der ihr so viel bedeutete und wie dieser ihre kindliche, reine Zuneigung mit grauenhaften Desinteresse strafte. Sherlocks Verhalten verletzte sie zu tiefst. So oft hatte sie für ihn gekämpft, hatte hart für ihn eingesteckt und stets Haltung bewahrt um ihn zu schützen. Jeder verdammte sie für ihre Treue, selbst ihre besten Freunde, und sie musste sich gegen die Britische Regierung in Person behaupten, sich seinen Machtspielen und ihrer Angst vor ihm stellen und sie tat all dies nur um in seiner Gunst zu stehen. Aber all das schien noch immer nicht genug zu sein. Wie viel hatte sie für ihn getan? Wie viel hatte sie ertragen? Und doch verlangte er mehr! Fassungslos schüttelte sie den Kopf, als ihr abgrundtiefer Schmerz, den glühenden Kern der Wut ihres Bewusstseins erreichte. Die Lava begann glühend heiß zu brodeln und an die Oberfläche zu treten.

„Warum sollte es?“, fragte Sherlock gelassen und fachte damit ihren Zorn nur noch weiter an. Geschockt, hart getroffen, taumelte sie zurück bis sie in die Couch fiel. Sie wollte es einfach nicht glauben. Sie konnte es nicht glauben. „Bin ich wirklich so unwichtig für dich? Dass es dich noch nicht einmal schert, wenn ich gehen werde?“

„Warum sollte es mich kümmern?“

Catherine starrte ihn noch immer an und in ihren Augen lag unendliches Leid. Vor nichts hatte sie sich mehr gefürchtet als erneut verstoßen zu werden und dieses kalte Desinteresse war noch schlimmer als der damalige eiskalte Hass. Denn Hass war immerhin noch eine Emotion, doch Desinteresse war schrecklich leer.

„Also war es alles nur eine leere Lüge?“, flüsterte sie mit Tränen in der Stimme. „Alles was du mir gesagt hast, nachdem du zurückgekehrt bist? War es nur um mich zu manipulieren?“

War all das nur Versprechungen gewesen? Plötzlich tauchten die Erinnerungen von damals auf, als sie die Nachrichten entdeckt hatte. Dieser Moment auf der Couch, seine sanfte Berührung, hatten ihr so unglaublich viel bedeutet. Es hatte sie glücklich gemacht nach einer immerwährenden Odyssee des Leids und dann war all dies womöglich nur ein Trick gewesen?

„Als ob es bei dir nötig wäre, Catherine.“, sagte Sherlock ruhig, während er noch immer in sein verdammtes Mikroskop sah. „Du folgst mir doch sowieso.“

Das gab es doch nicht! Sie konnte es nicht fassen! War sich Sherlock ihrer Gefolgschaft so sicher? Sah er in ihr nichts weiter als ein streunender Hund, der immer bei seinem Herrchen blieb, egal wie oft dieses ihn schlug?

„VERDAMMT, SHERLOCK!“ Sie sprang auf und zerrte an seinem Arm. Irgendwie musste sie doch Emotionen aus ihm herausbekommen. Sie war so verzweifelt. „HÖR AUF IN DEIN SCHEIß MIKROSKOP ZU GUCKEN UND REDE ENDLICH MIT MIR!

„Warum? SAG MIR WARUM!“, schrie Sherlock endlich. Er stand auf und stellte sich mit all seiner Größe vor ihr, nahm ihr sämtlichen Privatraum und starrte ihr hart in die Augen. „Es scheint doch, als wäre alles bereits entschieden.“

„Ich wurde doch auch nicht gefragt.“, schluchzte Catherine verzweifelt und ihre Tränen brannten mittlerweile in ihrem Unterlid. „Ich kann nichts tun.“

Sie flehte innerlich, dass er ihr glauben würde. Er durfte nicht glauben, dass sie ihn verließ. Sie würde das niemals tun.

„Du kannst ablehnen.“, sagte er kühl.

„Ablehnen?“, wiederholte sie ungläubig. „Und all die Bemühungen missbrauchen, die mein Professor an den Tag gelegt hatte? Ihn enttäuschen?“

„Und? Wo liegt das Problem?“

„Es muss wirklich ein Segen sein, wenn man Sherlock Holmes ist und sich um niemanden schert.“, murmelte sie spöttisch, denn sie konnte nicht glauben, dass er das wirklich verlangte. Wollte er sie zwingen? Sie anketten? Gefangen halten, damit seine Welt ja beständig blieb. Zwar zeigte er so, dass sie nicht gehen sollte, aber es war nicht die Art, die sie erwartet hatte. Es ging hier nicht um sie als Person, sondern ums Prinzip.

„Du scherst dich auch um Niemanden.“

„Oh doch, das tue ich!“, wandte sie entschieden ein. „Die Anzahl ist klein, aber das tue ich. Allerdings scheint ist, dass diese einen scheiß Dreck auf mich geben!“

„Würde es etwas ändern, wenn ich weinen würde? Wenn ich rastlos durch die Straßen wandern würde und die schändliche Wendung des Schicksals betrauern? Soll ich die Götter verfluchen an die sowieso Niemand von uns glaubt?“ Er sah sie spöttisch an. „Oder willst du, dass ich mit dem metaphorischen weißen Hengst angaloppiert komme um dich vor den schemenhaften Dämonen zu retten? Würde irgendetwas von dem wirklich vom Nutzen sein? Du hast bereits gesagt, dass die Entscheidung für dich getroffen wurde. Du sagtest, du hattest keine Wahl, was impliziert, dass du die Position nicht ablehnen kannst. Möglicherweise, weil Niemand anders dich ersetzen könnte, sicherlich keiner von deinem Kaliber. Du bist die Beste und Intelligenteste in deinem Institut; es ist nur logisch, dass du irgendwann zu einer internationalen Karriere berufen werden würdest. Und dass sie international ist, ist klar, weil du sonst nicht so einen Aufstand machen würdest, wenn du in England bleiben würdest. Sag mir also, Catherine, was würde es bringen dagegen zu protestieren? Es würde doch ohnehin effektlos bleiben.“

Catherine schnaubte, auch wenn er es ganz ruhig gesagt hatte und in seinem sachlichen Ton sie sogar gelobt hatte. Trotz allem konnte sie ihm nur einen wütenden Blick zuwerfen.

„Mistkerl!“ Damit drehte sie sich um und ging zur Tür, doch Sherlock packte sie am Arm und wirbelte sie herum.

„WAS HAST DU GESAGT?“ Nun schäumte er wieder vor Wut, doch Catherine griff nach seinen Fingern und schaffte es sogar sich von seinem starken Griff zu befreien, allerdings verlor sie dabei das Gleichgewicht, stolperte zurück und schluck mit ihrem Hinterkopf gegen die Tischkante. Augenblicklich explodierte ihr Sichtfeld und alles wurde schwarz.

„Shit!“, fluchte John, der sich bisher im Hintergrund gehalten hatte, da er wusste, dass die beiden dass unter sich ausmachen mussten. Nun eilte er jedoch zu Catherine und stützte sie vorsichtig ab. „Lass mich sehen!“

Er betastete vorsichtig die Wunde aus der ein wenig Blut floss und zu Boden tropfte, bevor er kurz aufsah und Sherlock einen aufgebrachten Blick zuwarf. „Sherlock! Was zum Henker hast du dir dabei gedacht?“

„E---es…ist schon okay…“, stotterte Catherine, die allmählich wieder klar im Kopf wurde. „Es tut nur verdammt weh.“

„Keine Gehirnerschütterung.“, stellte John erleichtert fest. „Nur eine Wunde.“

Sie nickte und zischte, als kurz ein pochender Schmerz durchihren Kopf ging. Dann sah sie jedoch zu Sherlock auf und sah ihn mit enttäuschten, verletzten Augen an. Unsicher trat dieser einen Schritt zurück, selbst geschockt davon wie sehr die Situation eskaliert war.

„I---ich…ich hab…“

„War das wirklich nötig?“, fragte John noch einmal streng und seufzte. „Warum könnt ihr nicht einmal normal miteinander reden?“

„Wir wären nicht wir, wenn wir es täten.“, sagte Sherlock ruhig und ging zu Catherine bis er über ihr stand. Auffordernd hielt er ihr die Hand hin. Dies war seine Art der Entschuldigung, doch sie starrte sie nur eine ganze Weile an, senkte dann traurig den Blick und stand ohne seine Hilfe auf. Etwas unbeholfen ging sie ins Wohnzimmer und setzte sich auf die Couch.

Sherlock blinzelte, nun ebenfalls verletzt, dass sie seine ehrlich gemeinte Entschuldigung abgelehnt hatte und seufzte. Er blickte zu ihr und erkannte wie sehr er sie verletzt haben musste. Langsam folgte er ihr ins Wohnzimmer und setzte sich verkehrtherum auf einen Schreibtischstuhl um sie zu betrachten.

„Also…wann wirst du gehen?“, wagte er einen Neuanfang und versuchte seine Stimme möglichst ruhig klingen zu lassen.

John hingegen rollte nur seine Augen und dachte sich wie kindisch sich beide doch so oft verhielten. Offensichtlich wurden sie wohl wahrlich niemals erwachsen.

Catherine hingegen leckte sich unruhig über die Lippen und zögerte, dann legte sie ihren Kopf auf ihre gefalteten Hände.

„Freitag in zwei Wochen.“

„Und wie lange weißt du es?“

„Seit gestern ging das Gerücht, seit heute Morgen endgültig.“

„Für wie lange wirst du genau weg sein?“

„Drei Monate.“ Sie fuhr sich durch die Haare. „Nach San Diego.“

„Also wirst du Weihnachten wieder zurück sein.“, stellte Sherlock fest.

„So ist es zumindest geplant.“, sagte Catherine. „Aber seit wann ist dir das wichtig? Es ist bloß das stumpfsinnige Weihnachten mit all seinem emotionalen Unsinn.“

Zum ersten Mal sah Sherlock sie direkt und tief an, als er leise antwortete:

„Ich vergewissere mich nur, dass du zurückkommst.“

Sie sah ihn überrascht an und ihr Herz hörte einen kurzen Moment aus zu schlagen. Mit großen Augen starrte sie ihn an, doch sie konnte hören, dass er ehrlich war.

„Ach, nun sieh mich nicht so an, Catherine.“, sagt Sherlock dann plötzlich in seiner üblichen Genervtheit. „Es steht dir nicht.“

„Ich sehe dich oft überrascht an, Sherlock. Ich weiß nicht warum. Mittlerweile sollte ich mit deinem Charakter vertraut sein. Du warst ja auch noch so nett mich noch einmal an diesen zu erinnern.“, knurrte sie leise und verschränkte nun ihre Arme vor der Brust.

„Also gut, ihr Zwei, das ist genug.“, ging John dazwischen.

„John…“ Sie sah ihn an.

„Ihr zwei müsst das nun aus der Welt schaffen oder es wird zwischen euch stehen.“ Damit wandte er sich seinem besten Freund zu. „Sherlock, du bist verletzt, weil sie es dir nicht schon erzählt hat und Catherine, weil du uninteressiert schienst. Diskutiert, jetzt!“

Sherlock seufzte laut. Er verspürte nun wirklich nicht die Lust danach und John gefiel seine Rolle als „Therapeut“ oder Moderator zu sehr, das konnte er daran erkennen wie er sich im Stuhl zurücklehnte, doch in den dunklen Augen sah er Sorge- vor allem um Catherine. Also gab Sherlock schließlich nach und sah sie an.

„So?“ Sie erwiderte seinen Blick, doch ihrer war durchzogen von Trauer, Schmerz und Enttäuschung.

„So? Was? Du hast zu mir gesagt: ‚Ich möchte dich auch nicht mehr verlieren, meine nicht ganz so dumme Biologiestudentin.‘ und als ich begann wirklich zu glauben, dass dies die Wahrheit sei, kam ich her um dir dies zu erzählen. Ich war so besorgt, habe mir den Kopf darüber zerbrochen wie du reagieren würdest und dann sahst du es noch nicht einmal für nötig an von deinem Mikroskop aufzusehen. Kannst du nicht verstehen, dass ich mir dann unwichtig vorkomme?“ Sie blickte ihn verzweifelt an.

„Du weißt wie ich bin, wenn ich am Arbeiten bin- was ich gerade bin-also warum solltest du etwas anderes erwarten? Du solltest meine Konzentration in meine Arbeit nicht mit fehlendem Interesse verwechseln.“, erklärte Sherlock ruhig.

„Du warst bereits fertig und ich habe nur um fünf Minuten deiner ach-so-wertvollen Zeit gebeten. Ich sagte, dass es wichtig wäre.“, entgegnete Catherine heftig, doch Sherlock rollte nur seine Augen und seufzte.

„Was willst du also, dass ich sage? Ernsthaft, was? Dass ich nicht will, dass du gehst? Nun, das will ich nicht, aber das wird nichts ändern, richtig? Du wirst dennoch gehen, du wirst es immer noch hassen, aber dann wirst du wiederkommen und alles wird so sein wie es gewesen ist. Ende der Diskussion“. Sherlock war schon bereits dabei aufzustehen, als Catherine nur den Kopf schüttelte.

„Manchmal…bist du wirklich ein Idiot.“, sagte sie enttäuscht. Auch John seufzte und wandte sich noch einmal Sherlock zu.

„Sherlock, Catherine mag das vielleicht wissen, dass du nicht willst, dass sie geht, aber sie wollte dennoch eine emotionale Reaktion sehen. Wie du reagierst hast war nicht nett um ehrlich zu sein. Es erschien wirklich, als wäre es dir egal. Ich kann sie hierbei verstehen.“, versuchte er Sherlock sanft zu erklären, warum Catherine so aufgebracht. Sherlock rollte erneut mit den Augen.

„Schön…“, sagte er etwas schnippisch. Er lehnte sich vor und nahm Catherines Hand in seine. „Catherine, meine Kleine, ich möchte nicht, dass du gehst. Ich hasse den Gedanken, dass du gehst. Das Leben wird unglaublich öde sein, wenn du nicht da bist. Nun glücklich?“

„Das war zu viel.“, antwortete sie enttäuscht. Offensichtlich war sie wirklich nicht wichtig. „Und macht es dadurch unglaubwürdig.“

Sie seufzte schwer.

„Ich sollte es dabei belassen.“ Damit stand sie auf. Ihre Schultern hingen wehmütig herab, ihr Blick war zu Boden gerichtet, während sie zu Tür ging.

„Sherlock!“, mahnte John ihn nun streng. Er wusste, dass es beide nur verletzten würde, wenn sie nun ging und ohne ein Wort nach Amerika aufbrechen würde.

„Was?“, rief dieser nur genervt aus, da er nicht verstand, was denn nun wieder verkehrt gewesen war. „Ich war doch ehrlich!“

Catherine hingegen konnte das nicht glauben. Zu tief saß noch das Desinteresse was er ihr gezeigt hatte und dadurch zog sie eine Augenbraue hoch.

„Hör einfach auf…“, sagte sie ruhig und doch enttäuscht. „Ich habe genug. Was habe ich mir eigentlich erhofft? Ich würde doch eh nicht das bekommen, was angemessen wäre. Warum müssen wir uns eigentlich immer deinem Verhalten anpassen, Sherlock?“

„Catherine…“, flüsterte John und versuchte sie zu beruhigen auch wenn er sie verstand.

„Nein, sag nichts. I---ich gehe nach Hause.“ Sie sah noch einmal ihre beiden Nachbarn tief verletzt und traurig an, bevor sie die Wohnung verließ und langsam die Stufen hinab ging. Sie hatte nun endgültig resigniert.

John wirbelte zu Sherlock herum.

„Bist du nun zufrieden?“ Er sah sich Sherlock genauer an, der wie versteinert noch immer auf derselben Stelle stand und blind auf den Punkt starrte, wo Catherine bis eben noch gesessen hatte und seine Finger unruhig herumzappelten. Ärgerlich seufzte er. „Sherlock? SHERLOCK?! Hört du mir…“

Doch in diesem Moment sprang er auf und rannte durch die Tür.

„…überhaupt zu?“ Kurz sah er ihm noch nach, seufzte und ließ sich erschöpft auf die Couch fallen. „Warum sollte mir überhaupt einer zuhören? Ich sollte mit Selbstgesprächen beginnen.“

~*~

Sherlock raste die Treppen hinab und erwischte Catherine gerade noch, als sie auf dem halben Weg zur Eingangstür war. Hastig schnappte er sie wieder am Arm, drehte sie herum und zog sie in eine Umarmung. Sanft legte er seinen Kopf in ihr Haar und flüsterte:

„Ich will nicht, dass du gehst.“

Catherine seufzte nur müde.

„Nicht jetzt, Sherlock. Ich geh nur nach Hause.“

„Nein, ich meinte, dass ich nicht will, dass du gehst.“, flüsterte Sherlock erneut, diesmal bestimmter und zog sie fester an sich ran. Sie hingegen seufzte erneut, da sie es ihm einfach nicht glauben konnte.

„Du musst das nicht tun. Wirklich, Sherlock. Ich erwarte nichts mehr.“, sagte sie leise und wollte sich lösen, doch er hielt sie weiterhin fest, den Kopf in ihr Haar vergraben, die Augen geschlossen.

„Es tut mir leid. Ich bin…nicht gut in so etwas.“

„Glaub es oder nicht, ich weiß das.“, gab Catherine zurück.

„Aber du bist noch immer wütend.“, flüsterte Sherlock leise, beinahe ein wenig verwirrt. Er wollte nicht, dass seine Cath wütend auf ihn war und das war sie. Das spürte er daran, dass sie nicht wie sonst den Kopf gegen ihn lehnte, sondern wie ein steifes Brett in seinen Armen stand.

„Ich würde sagen, dass bessere Wort wäre verletzt…enttäuscht.“, flüsterte sie zurück.

„Was willst du denn was ich tue?“, fragte er verzweifelt.

„Es gibt nichts, was du tun kannst. Was gesagt ist, ist gesagt. Es kann nicht zurückgenommen werden.“

„Ich wollte dich nicht verletzen.“ Er drückte kurz seine Nase in ihr Haar. Er suchte beinahe nach der Wärme, die er sonst immer spürte, wenn er sie in seinen Armen hielt, doch diesmal war sie kalt und taub. Plötzlich wurde er ganz kleinlaut und schämte sich, denn er bemerkte dadurch erst wie sehr er sie verletzt haben musste, wenn sie dermaßen steif blieb.

„Ich weiß.“, gestand sie ein und seufzte leise. „Aber manchmal tun Wörter und Verhalten das, auch wenn es nicht beabsichtigt war.“

„Wie mache ich es wieder gut?“ Zu einer Enttäuschung spürte er aber direkt wie sie den Kopf schüttelte.

„Ich weiß es nicht.“, flüsterte sie leise. „Es kann nicht ungeschehen gemacht werden.“

„E---es tut mir leid.“ Plötzlich wackelte seine Stimme und die Verzweiflung kam durch. Er hatte das Gefühl, dass er sie nun endgültig verlieren könnte. Obwohl er ihr so viel angetan hatte, hatte sie in keinem Moment Anzeichen gezeigt, dass sie ihn je verlassen würde, doch nun fühlte es sich so an, als würde sie ihm entgleiten und das machte ihn beinahe panisch.

„Es ist okay.“, seufzte sie. „Ich weiß nicht, was ich erwartet habe.“

Sie löste sich von ihm und sah ihn mit seltsam ruhigen, leeren Blick an, der nur vermuten ließ wie tief er sie wirklich verletzt hatte. So sehr, dass sie alle Gefühle momentan abgetötet hatte um nicht endgültig zu vergehen. „Entschuldigung angenommen.“

Langsam drehte sie sich um.

„Ich geh rüber…ich muss viel organisieren. Ich brauche eine Wohnung…ein Visum.“

„Cath?“

Zum Glück drehte sie sich noch einmal zu ihm um, doch ihre Hand lag noch immer auf dem Türknopf. Sie war bereit jederzeit zu gehen, wenn das was er sagte ihr nicht gefiel. Sherlock starrte sie traurig an und hatte das Gefühl, wenn sie nur durch diese Tür ging, dann für immer. War sein Verhalten vielleicht so verletzend gewesen, dass sie womöglich für immer in Amerika bleiben würde, wenn es ihr dort gefiel? Nein, nein, sie würde niemals Jeffreys Wohnung verkaufen, dennoch wurde ihm bei diesem Anblick ganz klamm.

„E---es tut mir leid. Wirklich. Ich wollte dich verletzten.“, startete er einen letzten Versuch.

„Ja, ich weiß. Das willst du nie.“, sagte sie leise, dann öffnete sie die Tür und ging.

Sherlock stand noch eine ganze Weile in der Eingangshalle und starrte vollkommen taub auf die geschlossene Tür. Auf einmal fühlte sich Catherine so weit entfernt an, ferner als jemals zuvor, mehr sogar als in den drei Jahren, und das obwohl sie nur eine Tür weit entfernt war. Somit war alles in seinem Kopf wie leergefegt. Kein Gedanke passierte sein sonst so brillantes Hirn, sondern er starrte einfach auf die Tür, völlig überfordert. Er fuhr sich mit seiner Hand über das Gesicht und seufzte. Langsam drehte er sich um und ging die Treppe hoch.

Nun, Sherlock, das war wohl eine ungewohnte Situation für dich, nicht wahr? Zum ersten Mal musstest du für etwas kämpfen. Dieses Mal lag es nur an dir.

Sheet Skyping

Es war noch früh am Morgen, als Catherine an ihrem Schreibtisch saß und gelangweilt und zeitgleich gedankenverloren durch ihr E-Mail Fach klickte. Jegliche Nachricht war ohnehin ein Spam. ‚Helfen Sie einem nubischen Prinzen mit Erektionsstörungen um den Erhalt des Scheichtums zu sichern‘ war nur eine dieser unzähligen Nachriten. Catherine rollte mit den Augen und stöhnte, bevor sie sie löschte. Wieder keine Nachricht. Sie schaute auf und blickte aus dem Fenster ihrer kleinen zwei Zimmerwohnung. Die Sonne ging langsam über Point Loma auf und obwohl es fünf Uhr morgens war, herrschten in dem beschaulichen Vorort San Diegos bereits zwanzig Grad. Selbst Ende Oktober war Kalifornien beinahe unverschämt heiß und Catherine dankte für die Klimaanlage, die ruhig über ihrer Tür brummte.

Seit mittlerweile einem Monat befand sie sich nun im Land der unbegrenzten Möglichkeiten und fühlte sich einsamer denn je. Wie befürchtet kam sie mit dem oberflächlichen, aufgesetzten Verhalten der Amerikaner nicht zu Recht und passte sich nur schwer an. Catherine seufzte schwer und starrte auf ihren virtuellen Freunde und Bekannte Ordner, doch noch immer erschien keine Nachricht. Seit zwei Wochen war dies der Fall, doch sie erwischte sich immer wieder dabei wie sie sehnsüchtig die Seite aktualisierte und auf eine Eins neben dem Ordner ´hoffte, doch nichts geschah- schon seit zwei Wochen nicht mehr.

Catherine atmete schwer aus und nahm die Tasse mit dampfenden Kaffee, der neben ihrem Laptop stand und trank vorsichtig einen Schluck. Sie hatte die ganze Nacht wachgelegen. Sie kam hier einfach nicht zur Ruhe und fühlte sich fehl am Platz. Amerika hatte zwar einst zu einem Teil dem Vereinigten Königreich gehört, doch das war lange her und die ehemalige Kolonie war so viel anders als ihr geliebtes England.

Um genau zu sein war sie nicht nur einsam. Der Tick ständig ihre E-Mails zu checken machte nur noch deutlicher, dass sie starkes Heimweh hatte. Sie vermisste es ihren Sarkasmus benutzen zu können, sich mit Sherlock herumzuärgern, mit John zu lachen oder ähnliche Dinge zu tun. Hier waren zwar alle freundlich, doch Catherine wusste wie oberflächlich diese ganz eigene Welt war. Alles drehte sich um Schein und Sein, alles andere zählte nicht. Auf welches College man gegangen war, welchen Job man hatte, welches Auto man fuhr und welche Klamotten man trug. Für wahr, dies war auch in den meisten anderen westlichen Ländern so, doch Catherine hatte sich noch nie so deplatziert gefühlt wie auf diesem fremden Kontinent.

Natürlich hatte sie Sherlocks unmögliches Verhalten zutiefst verletzt, doch sie hatte nicht mit bösem Blut und diesen Vorkommnissen als letzte Erinnerung London verlassen. Außerdem hatte er sich für seine Verhältnisse wirklich äußerst bemüht seine Verfehlungen wieder gutzumachen. Als sie am nächsten Tag von der Arbeit gekommen war, hatte auf ihrem Wohnzimmertisch eine Tafel Schokolade gelegen und ein Buch, was sie den Rest des Nachmittags äußerst interessiert gelesen hatte. Ehrlich gesagt war sie völlig verwundert gewesen, dass Sherlocks Entschuldigung so normal ausgefallen war. Sie hatte mit einer Leber zum Sezieren oder Ähnlichem gerechnet. Am Abend hatte sich das jedoch aufgeklärt, als Molly sie völlig irritiert angerufen und gefragt hatte, was denn passiert sei. Sherlock hätte sie am Vormittag um Rat gefragt was man machen sollte um sich bei einer Frau zu entschuldigen. Erst hätte Molly erschrocken gedacht, dass er vielleicht doch eine Art Freundin hätte, doch als sie gehört hatte, dass es um Catherine ging, hatte sie bereitwillig geholfen. Catherine war froh, dass sie sich mittlerweile mit der Pathologin gut verstand und diese unangenehme Spannung verschwunden war und auch Mollys Skepsis. Er hätte zunächst an Blumen gedacht, so hatte sie berichtet, weil er das im Internet gelesen hätte, doch Catherine dankte Molly und allen Göttern für ihre Geistesgegenwart, dass sie ihn davon abgehalten hatte. Ein Bild in der Zeitung wie Sherlock für sie Rosen kaufte, hätte ihr gerade noch gefehlt.

Am nächsten Tag hatte ein Brief auf dem Tisch gelegen indem er sich noch einmal dafür entschuldigte und es versuchte zu erklären. Am liebsten hätte er mit ihr darüber reden wollen, hatte er geschrieben, doch da sie sich bedrängt fühlen könnte, wollte er diesen Schritt ihr überlassen. Sie solle seine Abwesenheit deshalb bitte nicht als Desinteresse werten. Wenn sie wollte, so hatte er fortgefahren, könnte er ihr bei der Organisation helfen. Er hätte Freunde im Außenministerium und könnte die Beantragung des Visums für sie übernehmen.

Catherine hatte diese kleine Nachricht so niedlich gefunden, dass sie ihm einfach einen Brief als Antwort geschrieben hatte und noch einmal genau ihre Gefühle von jenem Abend erklärte- wirklich erklärte, nicht nur niederschrieb. Sie hatte es mehr für sich getan, auch um ein wenig Klarheit zu bekommen und ihn einfach auf den Tisch gelegt. Sie hätte nicht damit gerechnet, dass er ihn lesen würde.

Am nächsten Tag hatte dann wieder ein Brief auf dem Tisch gelegen. Sie hatte dann nur gelächelt und so war es immer weiter gegangen. Für die letzten zwei Wochen in England waren Sherlock und Catherine quasi zu Briefreunden geworden. Jeden Morgen, wenn Catherine das Haus verlassen hatte, hatte ein Brief von ihr auf dem Wohnzimmertisch gelegen und wenn sie wieder zurückgekommen war, hatte eine Antwort von ihm auf sie gewartet.

Jeden einzelnen von diesen Briefen hatte Catherine mit in die Staaten mitgenommen und sorgfältig in ihrer Wohnung verwahrt. Immer, wenn sie sich einsam fühlte, holte sie sie hervor und las darin. Zwar wurde das Heimweh dadurch verstärkt, aber dennoch fühlte sie sich ihnen dann so nah wie es auf diese Distanz möglich war. Sie seufzte etwas traurig.

Am Tag ihrer Abreise hatte er sie jedoch nicht zum Flughafen begleitet. Als Grund hatte er genannt, dass er wüsste, dass Kathy und Daniel kommen würden und dies nur für eine angespannte Stimmung sorgen würde und das wäre ihm viel zu nervig gewesen. Catherine glaubte ihm das auch, denn sie wusste wie Kathy und Daniel waren, wenn er dabei war und eine solche Stimmung hatte sie bei ihrem Abschied wirklich nicht gerne haben wollen. Was Catherine allerdings nicht wusste, war, dass dies nur ein vorgeschobener Grund war.

In Wahrheit hatte Sherlock sie nicht zum Flughafen begleitet, weil er noch immer nicht gewollt hatte, dass sie ging und er hätte sie wahrscheinlich durch seinen Egoismus nicht gehen lassen, wenn er die vermeintlich letzte Chance gehabt hätte. Stattdessen hatte Sherlock sie am Abend vor ihrer Abreise besucht und sie hatten sehr lange sich einfach unterhalten um für eine gewisse Zeit so zu tun, als würde der morgige Tag nicht existieren. Irgendwann war Catherine auf der Couch eingeschlafen und Sherlock hatte sie wohl in ihr Schlafzimmer getragen. Zumindest war sie am Tag der Abreise unsanft von ihrem Wecker in ihrem Schlafzimmer geweckt worden.

John hingegen war das komplette Gegenteil gewesen. Er hatte so viel Zeit wie möglich mit Catherine verbracht wie es ihr möglich war, hatte zusammen mit ihr sämtliche Sachen, die sie benötigen würde, besorgt; mit ihr im Café sitzend, hatten sie sich Wohnungen angesehen und er war auch dabei gewesen, als sie die Vermieter angerufen hatte. Bei all den Schritten hatte er sie begleitet- wenn auch mit gemischten Gefühlen.

Catherine seufzte und wischte diese Gedanken schnell beiseite, da sie sie wehmütig stimmten und sie drückte erneut auf aktualisieren.

Wieder ein neuer Spam, dieses Mal wurde ihr mittgeteilt, dass sie in einer Lotterie gewonnen hätte. Als ob! Sie schnaubte missbilligend.

„Brauche ich nicht. Oh nein, eine Baby Robbe ist gestrandet…ist ja nicht so, dass sie zu Beginn am Land leben. Und nun eine persische Prinzessin in Schwierigkeiten. Wer fällt den auf diesen Scheiß rein?“, murmelte sie und rieb sich müde die Augen. Nachdem sie die ersten drei Stunden vergeblich versucht hatte einzuschlafen, hatte sie sich die Nacht Youtube Videos von Haustieren angesehen um sich ein wenig aufzumuntern und abzulenken, doch der Versuch war misslungen. Nun wusste sie wahrlich nicht mehr was sie tun sollte, denn am Ende waren alle tanzenden Tierchen, Laserpunkt jagende Kätzchen und Head-bangende Kakadus doch gleich.

Wie seltsam leer, trist und kalt ihr Leben doch war, wenn sie von den beide getrennt. Beinahe konnte man es schon erbärmlich nennen. War sie irgendwann eine Symbiose mit ihnen eigegangen von der sie nichts wusste und vegetierte nun, von ihrem Überlebenspartner getrennt, vor sich hin? Amerika war die Chance gewesen sich zu beweisen, dass sie nicht auf John und Sherlock angewiesen war, doch die Realität war verheerend. Dieses Scheinbild konnte sie nun wirklich nicht mehr aufrechterhalten.

Frustriert legte sie ihren Kopf auf die kühle Arbeitsplatte und schloss die Augen. Warum meldeten sie sich nicht? War sie ihnen egal? Vermissten sie sie nicht? Hatten sie vielleicht gar einen Ersatz gefunden? Drei Mal hatte sie bisher mit den beiden geskypt, nachdem sie hierher geflogen war. Zunächst waren beide noch interessiert gewesen- nun, Sherlock einigermaßen zumindest-, doch beim letzten Mal vor zwei Wochen hatte er sie noch nicht einmal wahrgenommen. Trotzdem, sie vermisste die beiden schrecklich und würde am liebsten zurückfliegen, doch sie konnte nicht.

Plötzlich ertönte der Signalton von Skype aus den Lautsprechern ihres Laptops und Catherines Kopf ruckte hoch. Ein dunkelblaues Banner schob sich von rechts über ihren Bildschirm und verkündete, dass SH online sei. Sie blinzelte überrascht und rieb sich die Augen. Sherlock war niemals bei Skype online, da er dort ständig behelligt wurde von Kontaktanfragen und Nachrichten. Er tat es nur, wenn er John wieder irgendwo für eine Sechs hingeschickt hatte und selbst dann war er unsichtbar, doch nun stand es klipp und klar auf dem Bildschirm: Sherlock Holmes war online.

Unschlüssig biss sie sich auf die Lippen und zögerte. Sollte sie es tun? Noch einen Augenblick zauderte sie, dann drückte sie schnell auf den Videochatknopf. Zappelig wartete sie auf eine Antwort und spürte wie ihr Herz schneller schlug. Tief Luft holend versuchte sie allerdings äußerlich ruhig zu bleiben, da sie Sherlock nicht zeigen wollte wie sehr sie ihn vermisste, dennoch krallten sich ihre Hände unter dem Schreibtisch in ihre dunkle Jeans. Noch einmal holte sie tief Luft und starrte den Bildschirm an, während Skype noch immer auf eine Antwort von seitens Sherlocks wartete. Innerlich betete sie, dass er nicht direkt wieder offline gehen würde.

Ihr Herz machte einen Sprung, als ihr Bildschirm plötzlich schwarz wurde und dann, nur einen Bruchteil später, den oberen Teil eines zerzausten Kopfes zeigte. Wilde, widerspenstige Locken sprangen in alle Richtung und füllten ihren gesamten Bildschirm aus, doch Catherine lächelte einfach nur, als sie Sherlocks leicht rauschende Stimme aus den Lautsprechern hörte.

„Hallo, Cath. Was hast du dieses Mal angestellt?“, fragte er ruhig, beinahe schon gelangweilt, während er sich einmal durch seine Locken fuhr. Catherine räusperte sich um ihre Aufgeregtheit zu verbergen und lächelte ihn an.

„Sherlock! Was für eine Überraschung, dass du online bist. Musste John wieder zu einem Tatort fahren?“

„John ist auf einen Date.“, antwortete Sherlock mürrisch. „Wie du nur zu gut weißt. Ich habe es dir gestern erzählt.“

Catherine blinzelte kurz irritiert und runzelte die Stirn.

„Aber…du hast gestern nicht mit mir gesprochen. Wir haben seit zwei Wochen nicht mehr geskypt.“

Nun hielt Sherlock kurz inne und sie sah wie er leicht den Kopf neigte, obwohl das Bild noch immer nur alles oberhalb seiner Augenbrauen zeigte.

„Mit wem habe ich dann gesprochen? Agh! Ist ja auch nicht wichtig.“, stieß er genervt aus, doch dann wurde seine Stimme sanfter. „Wie geht es dir?“

„Mir geht’s gut.“ Sie lächelte tapfer, da sie ihm keinerlei Sorgen bereiten wollte- auch wenn sie sich nicht so sicher war, ob er sich überhaupt Gedanken machte. Ehrlich gesagt schien er noch immer reichlich desinteressiert. „Ähm…könntest du bitte den Laptop etwas klappen, sodass ich mit dir und nicht deinem Haar sprechen kann?“

„Hast du ein Problem damit?“

„Oh ich mag dein Haar, Sherlock.“, sagte Catherine sarkastisch. Obwohl… so ganz gelogen war das nicht. Er hatte schon tolles Haar. „Aber wenn dann schon bitte ordentlich gebürstet. Es ist ein Uhr Nachmittag in England.“, entgegnete Catherine skeptisch und zog eine Augenbraue hoch.

„Ich weiß das.“, entgegnete Sherlock genervt. „Danke.“

„Du willst mir also ernsthaft weismachen, dass gerade du den ganzen Tag mit verwuscheltem Haar herumgelaufen bist?“ Sie blickte ihn ungläubig an. Sherlock hingegen seufzte.

„Fein.“ Er stand auf und verließ die Sichtweite der Webcam in seinem Macbook. Nun blinzelte Catherine doch sichtlich verwirrt und rief ihm hinterher, doch er schien bereits den Raum verlassen zu haben. Schließlich kam er nach einem kurzen Augenblick zurück. Es raschelte, als er sich wieder hinsetzte und die Kamera erneut ausrichtete. Endlich konnte sie sein gesamtes Gesicht sehen und seine hellblauen Augen blickten sie müde, beinahe schon träge an.

„Besser?“, frage er genervt.

„Viel besser.“, antwortete sie und lächelte. Nun wo sie wieder mit Sherlock sprach, fühlte sie sich wie befreit. Es gab ihr ein Stück ihres gewohnten Umfeldes zurück und sie fühlte sich wieder sichtlich wohler. Dennoch zögerte sie einige Weile, während die beiden sich in die Augen sahen, obwohl sie über 10.000 Kilometer voneinander getrennt waren. Das, was sie so oft gefühlt hatte, als sie in ihrer Wohnung gewesen war- Sherlock nah und doch so fern zu sein, als ob eine Schlucht zwischen ihnen klaffen würde- war nun Realität geworden. Es war merkwürdig und erschwerte ihre Kommunikation. Obwohl Catherine sich wahnsinnig freute wieder mit ihm zu sprechen, wurde sie doch unsicher, da sie seine Körpersprache nicht komplett sehen konnte. Schließlich seufzte sie und versuchte die unverfänglichste Tour. „Wie geht es dir?“

„Gelangweilt!“, rief Sherlock beinahe wie ein trotziges Kind aus, warf sich in die Rückenlehne seines Schreibtischstuhles und seine Arme dabei in die Luft. Catherine rollte bei dem Anblick nur die Augen.

„Was für eine Überraschung. Also kein neuer Fall?“

„Wäre ich sonst gelangweilt?“

„Hängt vom Fall ab.“, lächelte sie und kicherte dann kindisch. „Es könnte auch nur eine fünf sein.“

„Ich würde mich noch nicht einmal mit einer fünf befassen. Das hätte keinen Sinn.“ Er gähnte herzhaft. „Was machst du so früh online? Hat dich dein Mitbewohner wieder geweckt?“

Catherine wurde nun etwas unruhiger und fuhr sich über die Lippen.

„Uhm…“, sagte sie etwas zögerlich. „Nein, dieses Mal nicht.“

Da sie auf die Schnelle keine leere Wohnung gefunden hatte, war ihr keine andere Möglichkeit geblieben, als Untermieterin in einem kleinen Apartment mit einem Mitbewohner zu werden. Eine Situation, die ihr bereits beim Abflug nicht behagt und bei Ankunft nur noch verschlimmert hatte. Dies lag vor allem an dem Mitbewohner und nicht nur daran, dass Catherine generell eher eine Einzelgängerin war.

„Hat er also endlich gelernt sich zu benehmen? Ich habe kurz darüber nachgedacht ihm eine Warnung zukommen zu lassen.“

Catherine holte tief Luft und blickte kurz zur Seite. Sie fühlte sich sichtlich unwohl bei diesem Gesprächsthema, doch wechseln konnte sie es auch nicht, denn es war ein sehr normales Thema und ein Wechsel wäre zu verdächtig. Der Grund für ihre Nervosität lag aber nicht an ihrem Mitbewohner selbst, sondern an etwas anderem.

„Nein, hat er nicht. Er hat mich noch immer belästigt.“, sagte sie schnell. Es war zu mehr als einem solchen Vorfall gekommen. Entweder in der viel zu engen Küche oder dem Bad. Es war eindeutig, dass ihr Mitbewohner Interesse an ihr hatte, immerhin war Catherine eine attraktive Frau, aber er hatte nicht akzeptiert, dass eben jenes Interesse nicht beidseitig war. Egal wie oft Catherine ihn abgewiesen hatte, er hatte noch immer Vorwände gefunden um sie unsittlich berühren zu können. Er war der typische Macho, Proleten Typ gewesen, der glaubte, dass keine Frau seinem derben Charme widerstehen konnte. Catherine hingegen hatte Sherlock und John gleich ihr Leid geklagt nach dem ersten Vorfall, da sie sich nun nur noch unwohler in der Wohnung fühlte und Zuspruch gebraucht hatte.

„Ich buche einen Flug. Ich bin morgen früh da.“, erklärte Sherlock mit einem beunruhigenden Unterton und er stand sofort auf.

„Nein! Nein! Sherlock!“, rief Catherine schnell um Sherlock von seinem geistigen Plan abzubringen. „Es ist okay. Ich bin umgezogen und…“

Sie hielt inne, als sie etwas sah, als Sherlock aufstand. Ein weißer Blitz von Stoff schwang kurz durch den Bildschirm und um seinen Körper. Catherine blinzelte irritiert.

„Was trägst du?“, fragte sie.

„Was meinst du…“ Doch Catherine lehnte sich vor und betrachtete ihn genauer- nun wo sie nicht nur sein Gesicht sehen konnte.

„Oh nein! Nicht das Laken! Nicht schon wieder das Laken!“, rief sie aus und schlug die Hände überm Kopf zusammen. Sherlock hielt in seiner Bewegung inne und blickte an sich hinab, dann zu Catherine auf dem Computerbildschirm.

„Was ist falsch daran?“

„Du beantwortest Videoanrufe und bist nur mit einem Bettlaken bekleidet, Sherlock?“, fragte Catherine fassungslos. Ehrlich gesagt, hatte sie Johns Geschichte von dem großen Nachtgespenst und seinem kleinem Freund im Buckingham Palace nicht geglaubt.

„Ich habe gerade keinen Fall, Catherine, und es ist mitten in der Nacht. Es gibt keinen Grund angezogen zu sein.“ Er starrte sie durch die Kamera hinweg mit einem durchdringenden Blick an. „Also, erkläre dich nun, junge Dame. Was meinst du damit, dass du umzogen bist?“

Seine Stimme klang verstimmt und Catherine hatte gehofft, dass er wegen ihrem entsetzten Ausruf über das Laken diese Begebenheit vergessen hätte, da sie es ihm nicht erzählt hatte, doch wann entging Sherlock Holmes je etwas?

„Warte, warte, warte!“, sagte sie entschieden und hob eine Hand. „Mitten in der Nacht? Von wegen. Es ist Nachmittag in London, Sherlock, und das weißt du auch. Bist du ernsthaft den ganzen Tag nur im Laken rumgelaufen? Was, wenn der Geheimdienst wieder einmal eindringt? Oder schlimmer: Mycroft kommt zu Besuch…oder John mit einem Date.“

„Und?“

„Uhm…es könnte die arme Frau verschrecken und du könntest eine Anzeige entweder wegen sexueller Belästigung oder Erregungen öffentlichen Ärgernisses am Hals haben? Soll sich der Buckingham Palace Vorfall wirklich wiederholen, Sherlock?“ Sie grinste ihn keck an.

„Wie ich bereits schon damals sagte, als du das sagtest…“, entgegnete Sherlock ruhig und doch zuckten seine Mundwinkel. „Du willst doch bloß einen Blick erhaschen.“

„Selbstbewusst wie immer, mein Lieber, aber NEIN, definitiv nicht.“

„Oh, natürlich nicht, Cath.“ Er grinste sie amüsiert an und seine Augen funkelten.

„Träum weiter, Sherly, träum weiter.“, erwiderte sie und wedelte ab.

„Ich weiß, dass du versuchst das Thema zu vermeiden, Catherine. Antworte mir! Warum bist du umgezogen und hast uns im Vorfeld nichts davon erzählt?“ Schlagartig war Sherlock wieder ernst geworden und starrte sie verärgert, aber auch enttäuscht an. Catherine erwiderte diesen machtvollen Blick, wenn auch nur für wenige Sekunden. Sie seufzte und biss sich auf die Unterlippe.

„Ich habe es dir erzählt, als wir das letzte Mal miteinander geskypt haben. John weiß davon, aber du hast mir nicht zugehört. Du hast noch nicht einmal wahrgenommen, dass du neben John saßt, der gerade mit mir redete.“, flüsterte sie traurig und starrte auf die Tastatur ihres Laptops. Sie war noch immer verletzt und fühlte sich erneut unwichtig. Mehr als einmal hatte sie sich an jenem Abend gefragt, ob er sie überhaupt vermisste und die Funkstille während der zwei Wochen hatte diese Befürchtung nur noch verstärkt.

„Ich habe an einem dreifachen Mord gearbeitet, Cath. Also erzähl mir nun warum ich nicht genau jetzt herfliegen sollte um deinen ehemaligen Mitbewohner eine Lektion zu erteilen?“ Sherlocks Stimme war ganz ruhig, aber Catherine kannte diesen Ton zu gut um zu wissen, dass die gewalttätigere Seite in Sherlock gerade stark am Arbeiten war und er sich bereits überlegte was er dem Mistkerl antun würde, der seine kleine Cath unangemessen berührt hatte.

„Es ist es nicht wert.“, entgegnete Catherine schlicht, die mit diesem Thema mittlerweile abgeschlossen hatte. Sie war nun in ihrer eigenen Wohnung, die zwar eine horrende Miete kostete, aber immerhin ihr Eigentum für die restlichen zwei Monate war.

„Warum nicht?“ Sherlock sah sie mit undurchdringlichen Augen an und stützte sein Kinn auf die gefalteten Hände. „Sag nur ein Wort, Catherine, und ich werde es tun.“

Beinahe hätte sie über diese Worte gelächelt, auch wenn etwas Gefährliches in diesen Worten lag. Catherine wusste zu was Sherlock fähig sein konnte, dennoch machten sie sie eher glücklich, da sie zeigten, dass sie ihm wichtig war. Trotzdem musste sie ihn noch immer beruhigen, bevor er etwas Unüberlegtes tat.

„Weil alles in Ordnung ist. Ich bin umgezogen und habe nun mein eigenes Apartment. Es kostet zwar eine Menge, aber es ist okay. Es besteht kein Grund, dass du herkommst. Es ist deiner Zeit nicht wert.“

Sherlock atmete hörbar ein und dachte einige Zeit nach.

„Also gut. Ich vertraue deinem Urteil, Catherine.“ Er atmete tief ein. „Also…wie ist das Seminar?“

„Ähm…ganz gut.“ Catherine kratzte sich unsicher am Kopf. Sherlock sah sie an und zog eine Augenbraue hoch, bevor er schnalzte.

„Du versuchst noch immer mich anzulügen? Ich dachte, du wüsstest es mittlerweile besser.“ Sie seufzte laut und fuhr sich durch die Haare, als sie sich geschlagen gab.

„Das Projekt an sich ist interessant, wirklich, es ist nur…ich komme mit den Amerikanern nicht zurecht.“

„Nun, sie sind Amerikaner, Catherine. Die sind von Natur aus grob.“, sagte Sherlock abwertend und schnaubte, während er mit den Augen rollte. Alles an seiner Körpersprache sagte wie wenig er von Amerikanern hielt. Der Übergriff der CIA vor fast vier Jahren hatte da sicherlich zu keiner Besserung beigetragen.

„Es ist noch nicht einmal das.“, erklärte sie und seufzte schwer. Die Sonne ging langsam über dem westlichen Bundesstaat auf, begann ihr Zimmer zu erhellen und gewehrte den Blick auf ein karges, spärlich eingerichtetes Zimmer. Da sie sich hier nicht heimisch fühlte, hatte sie auch keinen Bedarf darin gesehen sich dementsprechend einzurichten. „Damit kann ich durchaus umgehen. Es ist ihre Oberflächlichkeit. Küsschen hier, Umarmungen dort.“

Sie schnaubte missbilligend, bevor sie mit übertrieben flötender Stimme fortfuhr:

„Oh Liebes, du siehst heute aber wundervoll aus. Ist sie nicht unglaublich.“ Catherine rollte mit den Augen und verzog verächtlich ihren Mund. „Und so weiter, nur um dann, sobald man ihnen den Rücken zudreht, zu tratschen und sich den Mund zu zerreißen. Ich bekomm davon Ausschlag.“

Sherlock seufzte und nickte zustimmend. Natürlich kam sie mit dieser Art nicht zurecht. Catherine war ein von Grund auf ehrlicher Mensch, der zu dem stand, was sie für andere empfand. Sie war nicht so scheinheilig und verlogen wie viele Amerikaner es waren, doch sie müsste eben das sein und jenes Spiel mitspielen wollen, wenn sie denn dazugehören möchte. Dies waren die Regeln, die in dem großen Land galten und sie war nicht bereit diese zu akzeptieren und zu den ihren zu machen.

„Ja, ich werde diese Amerikaner nie verstehen. Solch oberflächliche Kreaturen. Sie haben einfach keine Tiefe.“ Er griff nach einer Tasse neben seinem Laptop und trank einen tiefen Schluck. „Wann kommst du nach Hause?“

„In zwei Monaten.“, antwortete sie knapp. Kurz starrte sie auf den Schreibtisch und dann auf ihre Hand, die auf der Tastatur zitterte. Sherlock hingegen lehnte sich vor um sie auf dem Bildschirm besser beobachten zu können, da er etwas in ihrer Körpersprache gesehen hatte, was ihn merkwürdig vorkam. Womit er richtig lag, denn Catherine hütete wieder ein Geheimnis, dass sie schwer bekümmerte. Professor Alison war so angetan von ihrem Intellekt, dass sie sie am Liebsten für immer hier behalten würde. Mehr Gehalt, bessere Ausrüstung und interessantere hatte sie ihr angeboten. Für ihre Karriere war es das Beste was ihr passieren konnte, doch sie fühlte sich zerrissen. Sie liebte ihren Beruf und es reizte sie diese Forschungsprojekte durchzuführen, doch genauso sehr liebte sie London.

Dies war auch ein Grund warum sie einerseits froh war, dass sie endlich nun mit Sherlock reden konnte und doch hätte sie es am Liebsten vermieden, da es ihr umso bewusster machte was sie aufgeben müsste, wenn sie hierbleiben würde- in einem Land, indem sie sich eigentlich gar nicht wohl fühlte. Irgendwie hatte sie das Gefühl, dass dieser Videochat entscheiden würde, ob sie zusagen würde oder nicht. Woher genau dies kam, wusste sie nicht. Zu gerne würde sie es ihm sagen, des ihm erklären, doch der Schmerz über seine letzte Reaktion saß noch zu tief, als dass sie sich traute.

Noch einmal holte sie tief Luft und sah dann wieder Sherlock an. Selbst er konnte nicht verpassen wie viel Trauer in ihren Augen lag und wie unglücklich sie jenseits des Atlantiks war. Er betrachtete sie genau und blickte sie beinahe schon mitfühlend an für seine Maßstäbe.

„Du kannst nicht eher nach Hause kommen?“, fragte er trocken, doch Catherine glaubte kurz etwas wie einen Hoffnungsschimmer zu hören.

„Nein.“, antwortete sie zerknirscht und hoffnungslos. Das Gewicht der bevorstehenden Entscheidung erdrückte sie beinahe. „Nicht, wenn ich meinen Job behalten will. Warum?“

„Nun, du bist dort offensichtlich nicht glücklich. Das einzig logische wäre also nach Hause zu kommen.“ Ein kleines Lächeln zuckte um ihre Mundwinkel, als sie ihm dies sagen hörte. Er hatte wirklich nach Hause gesagt. Sie sollte zu ihnen- zu ihrem zu Hause- zurückkommen. Sie gehörte für ihn dazu auch wenn eine gewisse Unsicherheit noch immer blieb. Dies war aber nicht der einzige Grund, warum sie lächelte.

„Du klingst wie Spock.“ Sherlock blinzelte schnell einige Male, dann runzelte er die Stirn.

„Wer?“ Schnell schüttelte sie den Kopf und winkte ab.

„Nicht so wichtig.“

„Du kannst also nicht nach Hause kommen.“

„Ich habe doch schon nein gesagt. Warum? Vermisst du mich?“ Sherlock schnaubte und verletzte sie damit nur wieder.

„Sei nicht albern, Catherine. Ich habe es einfach nur satt mich mit all den Idioten um mich herum zu befassen.“

„Wovon redest du?“, fragte sie irritiert.

„Oh, Anderson, Donovan, Lestrade, Molly, ja sogar John zeigen beunruhigende Anzeichen von einem sich verringernden IQ. Ich schwöre dir, es ist als würde sich seine Intelligenz mit jeder Freundin verringern.“, murrte er. „Und ihr alle wundert euch, warum ich Dummheit verabscheue.“

Catherine lächelte wehleidig und fühlte plötzlich den Drang den Bildschirm zu berühren in dem törichten Glauben etwas von seiner Wärme zu spüren, wo sich Amerika so kalt anfühlte.

„Es tut mir leid, Sherlock.“

„Ich habe gesagt du sollest nicht gehen.“, schmollte er und verzog den Mund wie ein Kind, dass keine Süßigkeiten bekam. „Was war der Vorteil von diesem Austausch?“

Sie blickte ihn traurig an und schloss dann die Augen.

„Es ging nicht darum, ob ich gehen wollte. Mein Professor hat sich so sehr für mich eingesetzt, dass ich nicht einfach ablehnen konnte und Professor Alison ist nun einmal führend auf meinem Forschungsgebiet. Es war also keine Frage, ob ich wollte oder nicht.“

„Ich schätze, du musstest wohl wirklich gehen.“, seufzte Sherlock. „Bleib nur nicht zu lange. Nachher kommst du zurück und bist genauso grob und langweilig wie die Amerikaner über die du dich so sehr beschwerst.“

„Aber natürlich, Sherlock.“, kicherte sie leise und schüttelte nur den Kopf. Sherlock lächelte zufrieden.

„Also, was für eine Art Arbeit machst du gerade?“

„Bloß Vorbereitungen. Zellkulturen anlegen, sie entsprechend mutieren, wachsen lassen, die verschiedenen Nährböden gießen und so weiter, also bisher noch nichts sonderlich Interessantes in Moment und ich arbeite noch viel allein- zu meinem Glück.“

„Soziale Kontakte schließen ist nicht so dein Ding,.“

„Bitte, Sherlock.“, lachte sie laut und zog eine Augenbraue hoch. „Du kennst mich.“

„Ja, das tu ich, aber John besteht darauf, dass du mehr soziale Kontakte haben solltest. Keine Ahnung warum. Fehlende Kontakte haben mir nie geschadet.“

„Du bist ja auch immerhin Sherlock Holmes.“ Sie rollte mit den Augen. „Das ist definitiv etwas anderes.“

Catherine seufzte kurz und schloss die Augen, bevor sie leise flüsterte:

„Ich bin hier um zu arbeiten, Sherlock, und nicht um Freunde zu gewinnen. Besonders nicht mit Amerikanern.“

„Sei vorsichtig, Catherine. Deine Vorurteile zeigen sich wieder.“, erwiderte Sherlock mit einem amüsierten Unterton und zwinkerte ihr zu. Plötzlich wirkte er sichtlich erheitert und fröhlich. Catherine fragte sich woher dieses kam und versuchte es zu ergründen, aber per Videochat erwies es sich als schwierig. Irgendwann gab sie schließlich auf und zuckte mit den Schultern. Sie war einfach zu müde dafür und gähnte erst einmal herzhaft. Sherlock blinzelte einmal kurz, betrachtete sie und ließ sich dann nachdenklich in den Stuhl zurückfallen.

„Warum bist du wach, Catherine? Bei euch ist es früher Morgen. Solltest du nicht besser schlafen?“

„Sollte ich, ja.“, gestand sie ein und fuhr sich durch die Haare. „Aber ich konnte nicht schlafen. Zunächst war hier ein Gewitter und dann…keine Ahnung. Ich habe einfach keine Ruhe gefunden und deshalb beschlossen Zeit totzuschlagen, indem ich durchs Internet surfe und meine E-Mails checke.“

„Lass mich raten! Äthiopische Prinzessinnen müssen wieder einmal gerettet werden, richtig?“, sagte Sherlock schmunzelnd.

„Nigerianischer Prinz.“, korrigierte sie und rollte genervt mit den Augen. „Offensichtlich einer mit Erektionsstörungen.“

„Natürlich…“, lachte er leise, doch dann betrachtete er sie ruhiger und nachdenklich zugleich.

„Du solltest schlafen gehen, Cath.“, sagte er schließlich in einem unnachgiebigen Ton. „Es wäre schließlich unverantwortlich, wenn du auf Grund vom Schlafmangel einen tödlichen, resistenten Virus kreierst, nicht?“

Auch wenn Sherlocks Ton durchaus eher wie eine Feststellung klang, zuckten wie üblich seine Mundwinkel und sie wusste, dass er sie nur aufzog. Catherine lächelte schwach, aber lag etwas Wehleidiges darin.

„Aber ich will nicht schlafen, Sherlock.“, flüsterte sie leise und Traurigkeit klang unterbewusst mit. Sie vermisste ihn und John so sehr und dieses Skypegespräch führte ihr das nur noch mehr vor Augen.

„Du klingst wie ein Kind, das wegen seiner Schlafenszeit quengelt.“, stellte Sherlock fest. Im Hintergrund erklang das Geräusch einer Tür, die sich öffnete, doch er ignorierte es.

„Das ist wirklich lustig, dass das ausgerechnet von dir kommt, Mr. „Ich-verlasse-die-Wohnung-für-nichts-unter-einer-Sieben.“, moserte Catherine und schnaubte genervt. Sherlock hingegen zog nur eine Augenbraue hoch.

„Ich bin zumindest erwachsen.“

„Das bin ich auch, schon vergessen?“ Erneut rollte sie mit den Augen. Das durfte doch nicht wahr sein. Immer wieder behandelten die beiden sie, als wäre sie sechzehn, dabei war sie mittlerweile sechsundzwanzig.

Nun hörte Catherine eine zweite Tür ins Schloss fallen und eine Stimme erklang leise im Hintergrund:

„Oh nein, Sherlock. Es ist in Ordnung. Ich kann all die Einkaufstüten alleine tragen. Mach ruhig weiter, was auch immer du gerade tust.“

Sherlock drehte nur leicht den Kopf zu seinem besten Freund um, während dieser kurz das Blickfeld der Webcam passierte.

„In Ordnung, das werde ich.“, sagte er trocken und drehte sich wieder Catherine zu. „Du bist erst sechsundzwanzig und somit noch immer ein Kind.“

Sie hingegen ging auf diese vermutlich unterbewusste, geringfügige Provokation nicht ein, sondern blinzelte und folgte mit den Augen der Gestalt, die sie auf Grund der Bildqualität kaum erkennen konnte.

„War das John?“, fragte sie und lehnte sich weiter vor. John hingegen legte die Einkaufstüten geräuschvoll auf einen freien Platz auf dem Tisch und grummelte missmutig vor sich hin.

„Mit wem redest du, Sherlock? Ein neuer Klient?“, fragte er eher nebenbei, während er schnell die verderblichen Lebensmittel irgendwo im Kühlschrank verstaute. In diesem Moment erkannte Catherine ihn eindeutig an der Stimme und rief:

„John! Rette mich! Sherlock skypt mit mir und weigert sich, sich ein paar Hosen anzuziehen.“

Mitten im Beiseiteschieben eines Präparates um endlich die Milch verstauen zu können, hielt John inne, blinzelte und drehte sich um.

„Catherine?“ Schnell kam er aus der Küche geeilt und beugte sich sichtlich zum Laptop. „Catherine! Oh mein Gott, wie geht es dir? Wie ist die neue Wohnung?“

„Mir geht es gut und die neue Wohnung ist nett. Sie kostet mich zwar ein Vermögen, aber sie ist in Ordnung.“ Ihre Augen wanderten zu John und sie bekamen einen bittenden Ausdruck. „Könntest du bitte Sherlock sagen, dass er ein paar Klamotten anziehen soll?“

Erst in diesem Moment sah sich John seinen besten Freund und Mitbewohner in einer Person genauer an und bemerkte, was er trug. Sherlocks Exzentrik war mittlerweile zu solch einer verdrehten Normalität geworden, dass er es gar nicht mehr wahrnahm oder beachtete. Er sah noch einmal an seinem Freund hinab, blinzelte um sicher zu gehen, dass er sich nicht täuschte, dann grunzte er. Geschickt schnappte er sich-wohlgemerkt seinen- Laptop und trug ihn von Sherlock fort. Genüsslich ließ John sich in seinen Armsessel fallen und platzierte den Laptop auf seinen Beinen. Sherlock entgegen machte einen Laut des Protestes, der John genervt aufblicken lies.

„Zieh dich an, du Quälgeist!“, sagte er in einem strengen Ton und blickte Sherlock mahnend an. „Du kannst erst wieder mit Catherine sprechen, wenn du entsprechend bekleidet bist.“

Sherlock murmelte etwas, schlang sein Laken in missmutiger Eleganz enger um seinen Körper und stolzierte in sein Schlafzimmer. Catherine blickte ihm nach und schmunzelte amüsiert, als der leichte, weiße Stoff hinter der Tür verschwand.

John seufzte, rieb sich kurz über die Augenbrauen und wandte sich dann wieder seiner kleinen Tochter zu.

„Nun erzähl erst einmal: Wie ist die neue Wohnung?“

„Willst du sie sehen?“, lächelte sie. „Sie ist in einem kleinen Vorort von San Diego mit einem Stadtpark und auch nicht allzu weit entfernt vom Strand.“

Sie holte tief Luft und das Strahlen kehrte in ihre Augen zurück. Sie war einfach so froh, dass sie wieder mit John reden konnte, dass sie eine vertraute Situation erlebte.

„Klar, gerne.“, antwortete John.

„Einen Moment…ich muss nur eben das Ladekabel abmachen.“ Kurz lehnte sie sich aus dem Bildschirm und fummelte am Rand herum. Schließlich hörte John ein leises Ploppen und ihr Gesicht erschien wieder vor der Webcam. „So, das hätten wir.“

Vorsichtig, den Laptop in ihren Händen balancierend, stand sie auf und blickte in die Kamera.

„Aber wir werden nicht im Schlafzimmer beginnen, sorry, John.“ Frech grinste sie ihn an und erreichte schließlich das Wohnzimmer. Sie schaltete das Licht an, welches einen kleineren Raum als ihr heimisches Wohnzimmer erhellte und auch nicht so komfortabel eingerichtet war. In ihm befanden sich eine große, wenn auch etwas abgenutzte Couch, ein Glastisch, ein Bücherregal und an der Wand hing ein dreißig Zoll breiter Plasmafernseher. Des Weiteren befand sich am Kopf des Zimmers eine Glasschiebetür, die zu einem Balkon führte. Catherine lächelte und führte John einmal durch den kleinen Raum, zeigte ihm ihre Möbel und drehte sich dann, sodass er die große Küche mit der Inseltheke und dem Induktionsherd sehen konnte.

„Und hier ist die offene Küche. Kannst du sie erkennen?“, fragte sie und drehte den Bildschirm in einige unterschiedliche Winkel.

„Meine Güte…“, stieß John hervor. „Die ist ja größer als unsere!“

„Ja, ich weiß.“ Catherine schüttelte den Kopf und rollte mit den Augen. „Alle hier haben diese tollen, beeindruckenden Küchen, aber kochen nie.“

John lachte leise.

„Das ist wahr.“ Seine blauen Augen begannen verschmitzt zu funkeln. „Also, Catherine, für wen kochst du dann? Oder willst du mir erzählen, dass du angefangen hast dich an den amerikanischen Lebensstil anzupassen und hast die Küche noch nicht angerührt?“

Catherine lachte nur und schüttelte den Kopf.

„Sherlock sagte, dass du das tun würdest.“ Verwirrt runzelte er seine Stirn und starrte sie an.

„Ich würde was tun, Catherine?“

„Versuchen mir ein Sozialleben zu verschaffen. Alles ist bestens.“, versicherte sie ihm, doch John blickte sie nur ungläubig an und zog eine Augenbraue hoch.

„Du solltest dich mehr sozialisieren, Catherine. Es ist nicht richtig für eine junge Frau sich ständig in ihrem Labor zu verkriechen und Hefe Gehorsam einzuprügeln. Du wirst wie Sherlock enden, wenn du so weitermachst.“

„Bitte!“, schnaubte Catherine und sah ihn beinah schon mitleidig an. Nur ein Funkeln in ihren Augen verriet ihr Spiel. „Ich werde nicht wie Sherlock enden. Ich wäre besser. Und nur so nebenbei, er hat auch erwähnt, dass du eigentlich auf einem Date seien solltest. Warum kommst du dann mit Einkäufen nach Hause?“

„Tiefschlag, Catherine.“, seufzte John müde. „Sie hat mich sitzen lassen. Sie hat mir nur eine SMS geschickt in der stand, dass sie es leid wäre mit Sherlock Holmes in Konkurrenz zu stehen. Gott! Warum wollen mir die Menschen nicht glauben, dass wir kein Paar sind?“

„Oh John…“, flüsterte Catherine leise und sah ihn mitleidig an. „Es tut mir leid. Ich hätte damit nicht anfangen sollen.“

Zu ihrer Erleichterung schüttelte John nur den Kopf und ihre Schuldgefühle schwanden ein wenig.

„Ist schon in Ordnung. Na ja, wie auch immer, ich habe dann einfach beschlossen mir etwas Leckeres als Entschädigung zu kochen und mir einen gemütlichen Nachmittag zu machen. Also war ich einkaufen auf dem Heimweg, da Sherlock mal wieder die Milch für irgendein Experiment verbraucht hat. Keine Ahnung für was genau und ich will es auch gar nicht wissen.“ Er seufzte erneut. „Ich brauche dringend ein Leben.“

Catherine lächelte beschwichtigend und aufmunternd zu gleich.

„Du wirst wieder eines haben, sobald ich zurück bin. Ich vermisse bereits unsere Starbucks Klatschdates.“ Sie lachte und hoffte so ihren Ziehvater aufzumuntern. „Ich komme einfach mit diesen Amerikanern nicht zurecht. Sie sind schrecklich.“

Somit war das Thema für Catherine beendet. So sehr sie ihn auch schätzte, sie ließ sich von Niemand vorschreiben wie sie ihr Leben zu führen hatte. Dies hatten die beiden schon oft genug getan und sie war es leid. Es gefiel ihr wie es war und auch wenn sie der Meinung ihrer beiden Ziehväter sehr ernst nahm, so war es doch ihr Leben. Sie seufzte und holte tief Luft. Mit einem Lächeln führte sie John zu ihrem Balkon um ihm die Aussicht auf dem Park zu zeigen auf den sie sichtlich stolz war und anschließend erzählte sie ihm auch von der Klippe, die sich nicht unweit von ihrer Haustür empfand und zu der sie gerne ging um auszuspannen. Catherine hatte es schon als kleines Kind geliebt auf Felsen, Bäume oder anderweitiges zu klettern.

Allerdings verstand John sie nicht richtig und glaubte, dass sie gesagt hätte, dass der Klippenstrand mit darunterliegendem Sandstrand zur Wohnung gehörte, woraufhin sie nur lachte und erklärte, dass einfach nur wenige dahin gingen, weil man dort so schwer hingelangte.

„Das klingt perfekt.“, sagte er höchst erfreut und lächelte.

„Oh, das ist es!“, stimmte Catherine eifrig nickend zu.

„Was ist perfekt?“, fragte Sherlock, der gerade aus dem Schlafzimmer wiederkehrte. Er trug nun ein weißes Hemd, dessen Ärmel hochgekrempelt waren, eine seiner üblichen schwarzen Anzughosen, aber mehr auch nicht. Noch immer barfuß und ohne Jacke ging er auf die beiden zurück.

„Ihr Strand.“, antwortete John nur knapp, blickte kurz auf, an ihm herab und wandte sich dann kopfschüttelnd wieder ab. Zumindest ein bisschen musste Sherlock seinen Willen doch durchsetzen.

„Catherine hat einen Strand?“ Verwunderte blickte Sherlock in die Kamera. „Seit wann?“

„Seit sie umgezogen ist.“, erklärte sein Freund genervt und warf ihm einen tadelnden Blick zu. „Hast du überhaupt damals zugehört, als sie uns angerufen hat?“

„Wir hatten an einem dreifach Mord gearbeitet!“, protestierte Sherlock heftig und kniete sich neben seinen Freund, weil diese gebeugte Haltung nach einiger Zeit anstrengend wurde.

„Wie auch immer.“, seufzte John und wandte sich wieder Catherine zu, die das Treiben der beiden bisher stumm beobachtet hatte. „Also, Catherine, warum bist du so früh auf? Frühschicht?“

Sherlock rollte sich in der Zwischenzeit den Schreibtischstuhl heran, ließ sich darauf fallen und tippte seine Fingerspitzen vor seinem Kinn zusammen.

„Sie konnte nicht schlafen.“

„Würde es dir etwas ausmachen…“

„Nein, er hat recht, John.“, unterbrach Catherines Stimme ihn, obwohl der Ton dem Bild etwas hinterher hinkte.

„Und fang jetzt bitte auch nicht an…“, kam sie John zuvor, bevor er überhaupt seinem Mund öffnen konnte. „Sherlock hat mit bereits die Predigt gehalten.“

„Wirklich?“ Er runzelte die Stirn und blickte den Dunkelhaarigen an, dann wieder zu Catherine.

„Wirklich?“, wiederholte er ungläubig und sah Sherlock verwundert an. „Geht es dir gut, Sherlock?“

Catherine lachte im Hintergrund, während Sherlock ihm einen leicht eingeschnappten Blick zuvor.

„Bestens.“, gab er knapp zurück und verzog schnippisch den Mund.

„Wir hatten schon so eine Art Gespräch bevor du gekommen bist, John.“, erklärte Catherine schließlich, als sie sich von ihrem kleinen Lachanfall erholt hatte. „Er hat mir wirklich eine Predigt gehalten. Irgendwas von einem Supervirus kreieren…glaube ich. Ich habe nicht wirklich zugehört.“

Ihre Augen wanderten u Sherlock, als sie herausfordernd und frech grinste. Sherlock zog nur eine Augenbraue hoch, denn er kannte diesen Gesichtsausdruck ihrerseits nur allzu gut.

„Warum hast du eigentlich so lange gebraucht, Sherlock? Hast du dich immer und immer wieder umgezogen um den perfekten Kampfanzug zu finden?“

„Offensichtlich, meine liebe Cath.“, erwiderte Sherlock trocken.

„Ooooh…“, sagte sie und klimperte herzallerliebst mit ihren langen Wimpern. „Wie lieb von dir. Ich bin beeindruckt. Ich glaube ich sollte dir meinen besser erst zeigen, wenn wir wieder allein sind, glaubst du nicht auch?“

Verschmitzt zwinkerte sie Sherlock zu, der nur mit den Augen rollte, während John beinahe zu Grunzen schien.

„Könntet ihr beide bitte damit aufhören? Das ist verstörend!“

„Du kannst jederzeit gerne gehen, John.“, erklärte Sherlock und schlug die Beine übereinander.

„Ich bin mir nicht so sicher ob ich das sollte.“, erwiderte der Angesprochene nachdenklich. „Wer beschützt dann Catherine vor dir?“

Während Sherlock erbost über diese Äußerung seitens seines besten Freundes schnaubte und die Nase kräuselte, brach Catherine jenseits des Atlantiks in schallendes Gelächter aus.

„Oh, hör auf, John. Du weißt, dass wir nur spielen.“

„Ich dachte zumindest, dass ich das wüsste.“ Sherlock seufzte nur schwer und rollte mit den Augen, während Catherine noch immer leise lachte. Gott, wie sehr sie solche Momente vermisste. Langsam ließ sie sich auf ihre gemütliche, abgewetzte Couch fallen und bettete ihren Laptop in ihren Schoß. Sherlock zog eine Augenbraue hoch und betrachtete sie skeptisch.

„Glaubst du, dass dies der geeignete Platz für uns ist? In deinem Schoß?“

„Ach, halt die Klappe, Sherlock.“, sagte sie mit einem Augenrollen und gerade als er etwas erwidern wollte, fuhr John dazwischen:

„Hör auf, Sherlock! Ich will das nicht hören!“

John holte tief Luft und als er wieder aufblickte, sah sich Catherine plötzlich einem beinahe schon anklagenden Blick seinerseits gegenüber.

„Warum hast du uns bis jetzt noch nicht geschrieben?“, fragte er mit schwerer Stimme. Catherine zögerte und senkte den Blick. Für einen Moment herrschte eine drückende Stille in beiden Räumen. In der Bakerstreet waberte Johns Vorwurf, dass sie sie vermeintlich vergessen hatte, und in Catherines gab es nur Trauer und Schuldgefühle.

„Weil ihr es auch nicht getan habt.“, flüsterte sie so leise, dass die beiden Männer es kaum hören konnten und doch traf dieses leise Flüstern sie härter als alles andere. Große Traurigkeit zeigte sich in ihrem Gesicht, als sie wie gebannt auf die weiße Tastatur ihres Laptops starrte.

„Was? Ich habe dir viele Nachrichten geschickt.“, sagte John erstaunt. „Hast du sie bekommen?“

„Offensichtlich ni…“, setzte Sherlock an, doch sein Freund warf ihm einen mahnenden Blick zu.

„Lass das!“ Grummelnd ließ sich der Detektiv tiefer in seinen Stuhl fallen und verschränkte die Arme vor der Brust.

„Nein.“, antwortete Catherine leise. „Ich habe keine Nachrichten bekommen.“

„Oh, Catherine. Das tut mir leid.“

„Ist schon in Ordnung.“ Sie lächelte ihren Ziehvater tapfer an, doch ihre Mundwinkel flatterten. „Es ist nur…na ja…“

Auch ihre Stimme zitterte heftig und Catherine schaute schnell zur Seite um die wenigen, hervorquellenden Tränen zu verbergen. Trotzdem entging Sherlock nicht, dass sich etwas an ihr veränderte, obwohl das deduzieren durch eine Webcam natürlich weitaus schwieriger war. Er beugte den Kopf um sie genauer betrachten zu können.

„Du hast Heimweh.“, stellte er dann schließlich fest. Catherine schluckte schwer und fühlte sich plötzlich sichtlich ertappt.

„Catherine…“, sagte John sanft und blickte sie an. „Warum hast du uns nicht eher angerufen? Sollen wir vorbeikommen? Wir könnten, weißt du? Es gab nichts Interessantes in letzter Zeit. Zumindest nichts, womit das Yard nicht zurechtkommen würde.“

Sherlock schnaubte nur verächtlich, doch blieb stumm, als sein Freund ihm einen mahnenden Blick zuwarf. Als beide sich wieder dem Bildschirm zuwandten, schüttelte Catherine nur schwach den Kopf.

„Es sind nur zwei Monate und ich dachte…nun ja, ich könnte…“ Sie hasste sich gerade selbst dafür wie armselig sie sich aufführte. Eigentlich hatte sie sich fest vorgenommen stark zu sein um den Beiden nicht zur Last zu fallen- und auch um etwas von ihrer Selbstwürde zu bewahren- und nun versagte sie kläglich. Außerdem wollte sie das hier einfach alleine durchstehen, schließlich war sie erwachsen.

„Du störst doch nicht, Catherine. Hör auf so etwas zu glauben.“, flüsterte John und schüttelte leicht den Kopf. Sie würde sich nie ändern. Sie blickte ihn traurig an und spürte, dass ihr Herz schneller schlug. John sah sie mitfühlend an, während Sherlock desinteressiert dreinschaute. Als sie die beiden so für einige Sekunden auf dem virtuellen Bild anschaute, übermannte sie immer stärker die Einsamkeit. Gott, wie sehr sie ihr fehlten. Sie gehörte einfach nicht hierher, sondern zurück nach London. Langsam lehnte sie sich vor, beinah so als könnte sie ihren Kopf gegen sie lehnen.

„Ich vermisse euch…“, flüsterte sie aus ihrer Emotion heraus und blickte sie dann traurig an. John lächelte.

„Ich vermisse dich auch. Und…“ Seine Stimme wurde lauter. „Ich bin mir sicher, dass es Sherlock auch so geht.“

Dieser stöhnte nur und ließ sich theatralisch, bäuchlings auf seine Couch fallen, was John dazu veranlasste zu lachen.

„Und wenn das keine Erklärung ewigwährender Liebe und Zuneigung ist, dann weiß ich auch nicht weiter.“ Catherine lachte und schüttelte nur den Kopf. Er schaffte es wirklich immer wieder sie aufzuheitern egal wie traurig sie war und dafür schätzte sie John sehr.

Anschließend unterhielten sie sich noch über ihre Tagesplanung, das Wetter und San Diego im Allgemeinen. Catherine berichtete von einigen Abenden, die sie im Gaslampenviertel verbracht hatte und die umliegende Natur. Um San Diego herum gab es nicht nur Strand, sondern auch noch den See Loma mit seinem Leuchtturm und viele Ausflugziele, die sie alle gerne besuchen würde, doch leider, so beklagte sie sich, hätte sie kaum Zeit diese Sehenswürdigkeiten zu besichtigen und dabei liebte sie die Natur. Schließlich war sie meist von acht Uhr morgens bis siebzehn, achtzehn Uhr jeden Tag im Labor und danach musste sie noch eine halbe Stunde mit der U-Bahn fahren.

„Also nicht viel anders in London.“, stellte John schließlich fest und lachte, obwohl er innerlich seufzte. Eigentlich hatte er sich erhofft, dass es in Amerika anders für Catherine seien würde, dass sie dort mehr am Leben teilnehmen würde, doch letzten endlich verkroch sie sich dort genauso im Labor wie sie es zu Hause auch tat. Er hatte sich für sie gewünscht, dass dieser Austausch eine Bereicherung für sie wäre und dass sie mal über den allzu begrenzten Raum ihres Labors hinaussah. Vielleicht hatte sie aber auch Recht gehabt. Vermutlich hatte sie- zumindest ihrer Meinung nach- genug Schlechtes in der Welt gesehen, als dass sie sich noch sonderlich für sie interessierte. Eigentlich konnte er sie dabei sogar verstehen. Seit John mit Sherlock durch die Welt ging und die tiefe, dreckige Schicht entdeckt hatte, die unter der glanzvollen, meist heilen verborgen war, die er zuvor gekannt hatte und nur eine Illusion gewesen war. Eigentlich war die Welt mittlerweile hoffnungslos verloren und verdorben und Catherine- in ihren jungen Jahren- hatte schon zu viel davon gesehen. Dass sie nach allem noch immer so fröhlich war- wirklich ehrlich fröhlich -, war für John noch immer überraschend. Er selbst hatte nach seinem Alptraum unter Depressionen gelitten und obwohl das, was Catherine erlebt hatte, sicherlich ebenso schlimm war, schaffte sie es damit umzugehen auch wenn sie innerlich oft wohl noch weinte oder unsicher war. Trotz allem ging sie besser mit ihrer persönlichen Belastung um, als er es je getan hatte und dabei wusste John zu diesem Zeitpunkt noch lange nicht alles von ihrem Martyrium.

Auch Catherine lachte über Johns Bemerkung.

„Nein, nicht wirklich, aber die U-Bahnen sind hier leerer. Die meisten Amerikaner nutzen nicht die öffentlichen Verkehrsmittel. Glück für mich.“ Sie grinste.

„Sei nur vorsichtig, okay, Catherine? Du bist doch vorsichtig, oder?“, mahnte er sie mit Besorgnis in der Stimme. Catherine lächelte beruhigend.

„Natürlich bin ich das. Wenn Sherlock mich eines gelehrt hat, dann ist es, dass das Böse überall lauert- vor allem da, wo man es nicht erwartet.“ Ihr Blick wanderte zu Sherlock um ihn anzulächeln, doch dieser spielte nur mit seinem Handy herum. Offensichtlich hatte er sich längst aus der Konversation ausgeklinkt. Augenblicklich wurde Catherines Blick trauriger und sie seufzte. Als sie sich wieder John zuwandte, lächelte sie wieder tapfer für ihn. Er sollte nicht darunter leiden wie Sherlock sie behandelte. „Ich habe manchmal schon das Gefühl, dass ich paranoid bin. Ich bin ja schon immer skeptisch gewesen, aber nun würde ich sagen, dass ich wahrlich paranoid bind.“

Sie kicherte leise, doch es war aufgesetzt. Innerlich stellte sie traurig fest, dass Sherlock vollkommen desinteressiert war und somit fragte sie sich, ob sie im wohl zu langweilig wäre. Vielleicht sollte sie ja doch das Angebot ihrer Professorin annehmen. John würde sie besuchen kommen und mit ihr skypen. Der Einzige, der sie- neben Jeffreys Wohnung- an London band, war Sherlock, doch dieser schien sie nicht sonderlich zu vermissen. Sie schloss die Augen, beschloss aber ihre missliche Lage später mit John noch einmal unter vier- virtuellen- Augen zu besprechen.

„Es besteht ein Unterschied zwischen Paranoia und Alarmbereitschaft, Cath.“, sagte Sherlock ruhig ohne von seinem Display aufzusehen und trotzdem hatte er wieder diesen Ton in der Stimme, der seine Aussage als hundertprozentig wahr erscheinen ließ.

„Oh, du hörst also doch zu?“, fragte John verwundert und wandte sich zu ihm um.

„Natürlich tue ich das.“, erwiderte Sherlock etwas empört und funkelte ihn an. „Ich kann mehrere Dinge zeitgleich tun.“

„Dann bist du eine Frau.“, sagte Catherine nüchtern. „Weil nur Frauen haben die Fähigkeit zum Multitasking.“

„Moment…Was?“ Sherlock blinzelte sie verwirrt an, während John in schallendes Gelächter ausbrach.

„Du hast mich gehört, Sherlock, und du hast mich schon verstanden. Ich werde es nicht wiederholen.“

//Weil, wenn ich es tun würde, müsste ich Angst haben, dass er her kommt und ich sein nächster Fall werden würde.//, dachte sie unbehaglich, behielt aber nach außen ihre selbstbewusste Fassade. Sherlock runzelte nur über die äußerst freche Antwort die Stirn, stand auf und stahl den Laptop von Johns Schoß. Seine Augen funkelten durch die Kamera und selbst auf dem Computerbildschirm konnte sie seine Entrüstung erkennen.

„Du hast großes Glück, dass du in Amerika bist, Catherine.“, sagte er mit bedrohlich tiefer Stimme, doch sie ließ sich nicht beirren und grinste weiter.

„Ich weiß. Deshalb habe ich es auch gewagt.“

„Sherlock! Gib mir den Computer zurück! Es ist meiner, verdammt nochmal!“ Johns Appell blieb jedoch unerhört. Stattdessen starrte Sherlock in die Kamera und schien die unschuldig dreinsehende Catherine mit seinem Blicken durchbohren zu wollen.

„Catherine, wenn du nach Hause kommst, wirst du nach Hause laufen von Heathrow aus. Ich werde dich nicht abholen.“

„Was?“, fragte sie schockiert und sah ihn aus großen Augen an. „Das wirst du mir doch nicht wirklich antun, oder? Du kannst es doch nicht mehr erwarten, bis ich wieder da bin.“

Sie schniefte gespielt und ihre blauen Augen begannen zu wackeln. Sherlock und John nannten dies nur genervt die Welpenaugen, da dieser Blick stark an die unschuldigen Augen von jungen Hunden erinnerte. Catherine benutzte ihn eher unterbewusst, wenn sie die beiden zu gerne überzeugen wollte etwas zu tun und meist konnten sie diesem Blick nicht widerstehen- selbst Sherlock nicht. Vor allem nicht je länger sie ihn benutzte.

„Da liegst falsch.“, gab Sherlock bissig zurück. „Meiner Meinung nach, kannst du auch länger dort bleiben.“

In diesem Moment verschwand das Necken aus der Situation. Catherine erstarrte nur vor dem Bildschirm, ihr Herz setzte für einen Moment aus und sie weitete ihre Augen. Sherlocks Antwort hatte sie wie einen Hammerschlag getroffen. Wünschte sie sich doch nichts sehnlicher als nach London zurückzukehren, doch offensichtlich war sie dort nicht von Nöten. In diesem Moment überlegte sie erneut, ob sie nicht das lukrativere Jobangebot annehmen sollte. Dass Sherlock dies wohl einfach nur gesagt hatte, weil sie ihn verstimmt hatte, kam ihr nicht in den Sinn. Sie kannte es bisher nur, dass eines für Sherlock Holmes galt: Was er sagte, das meinte er auch so.

„Cath, ich warne dich.“ Ohne, dass Catherine selbst es merkte wurde ihr Blick noch trauriger, verletzter und sie senkte den Blick. Sherlock stöhnte, doch John bemerkte, dass er nicht mehr ganz so standhaft war wie zuvor. Sie schniefte erneut und blinzelte eine Träne aus den Augen. Sherlock glaubte noch immer, dass dies nur war um ihn weichzuklopfen und bemerkte nicht, dass er sie wirklich verletzt hatte. Noch einige Sekunde starrte er sie an, dann seufzte er.

„Fein! Ich hol dich ab! Zufrieden?“ Sie atmete erleichtert aus und wischte sich die Träne von der Wange. Sie hatte in diesen Augenblicken wirklich Angst gehabt, dass er sie gar nicht mehr haben wollte, dass er sie nicht mehr brauchte. Wieder einmal begann sie sich zu fragen inwieweit Sherlock ihr Leben kontrollierte und ob es ihr nicht allmählich Sorgen bereiten sollte.

John bemerkte ihre Erleichterung und wusste somit, dass das eben kein Spiel war.

„Alles in Ordnung, Catherine?“, fragte er besorgt, während er aufstand, da er sie von der Couch aus schlecht betrachten konnte.

„Ja…alles gut.“, murmelte sie abwesend, während sie in ihrem Browser ein Tab öffnete um zu schauen wie viel ein Rückflugticket nach London kosten würde.

„Cath, was versucht du vor uns zu verbergen?“, bohrte nun auch Sherlock nach, der, durch Johns Anstoß, ebenfalls ihr schlecht geschauspielertes Verhalten bemerkt hatte. Catherine hingegen lächelte nur, während ihre Augen zum ersten Mal nicht direkt in die Kamera schauten, während sie sprach.

„Du siehst Gespenster, Sherlock. Nicht jeder versucht etwas vor dir zu verbergen. Glaubst du ernsthaft, dass ich so blöd bin und noch immer glaube, ich könnte es?“ Sie schüttelte den Kopf. „Diesen Irrglauben habe ich schon längst verloren.“

„Normalerweise nicht.“, sagte Sherlock und wog den Kopf hin und her. „Aber du bist auch normalerweise hier.“

Catherine blinzelte verwirrt.

„…und dadurch habe ich die Möglichkeit deine Körpersprache zu lesen.“, fuhr er etwas genervt fort, als er ihren Blick sah. „Diese Form von Kommunikation ist…nun…nicht ideal.“

Sie seufzte und rieb sich über die Augenbrauen.

„Ich verheimliche nichts vor dir, Sherlock.“, erklärte sie erneut mit Nachdruck um ihn endlich zu überzeugen. „Wie ich bereits sagte, ich weiß, dass ich es nicht kann.“

„Ich wollte nur sichergehen, dass du dich noch daran erinnerst, Catherine. Du bist schon so lange fort, dass du es vergessen haben könntest.“, neckte er sie und lächelte wieder. Diese kleine Geste erhellte Catherines Stimmung augenblicklich und auch sie lächelte wieder. Es war selbst sie für sie erschreckend wie sehr er Einfluss auf ihre Stimmung hatte und wie leicht er sie dadurch manipulieren könnte. Es war nicht das erste Mal, dass sie sich fragte, ob das noch gesund war oder ob sie sich sorgen sollte.

Sie selber bemerkte gar nicht, dass das Lächeln trotzdem nicht wirklich überzeugend war und als sie beinahe melancholisch „Es ist wirklich schon eine lange Zeit.“ flüsterte, wussten beide wie es wirklich in ihr aussah. Sherlock ging langsam mit dem Laptop zurück, setzte sich wieder auf die Couch und lehnte sich zurück.

„Du bist bald wieder zurück, Catherine.“, sagte er in seinem nüchternen Ton aus dem Catherine oft sehr viel Trost zog. „Denk einfach nur daran was du alles dort lernst. Du solltest die Möglichkeit zur Erwerbung von Wissen nicht versäumen, weil du das Scheitern fürchtest.“

„Ich fürchte nicht das Scheitern. Ich fürchte mich davor aus der Übung zu sein, wenn ich nach Hause komme. Nachher gewinnst du noch eine Diskussion. Das kann ich nicht zulassen.“

„Es ist unausweichlich, Catherine. Du solltest es einfach akzeptieren und dir die Schmach ersparen.“

Catherine schüttelte lächelnd den Kopf und wollte gerade etwas erwidern, als ihr Blick auf die Uhr fiel und sie vor Schreck beinahe aufsprang. Sie hatte über den Chat vollkommen die Zeit vergessen und war nun spät dran. Hastig stellte sie den Laptop auf den Tisch und rief, während sie ins Schlafzimmer eilte um sich umzuziehen, dass sie nun gehen müsste.

Sherlock hingegen saß noch immer da und starrte weiterhin auf eine schwarze Couch, während seine Finger auf dem Laptop trommelten.

„Um, Cath? Cath?“

„Was?“, rief sie aus dem Schlafzimmer, während sie sich ein T-Shirt überstreifte.

„Hast du nicht etwas vergessen?“

„Was?“, fragte sie irritiert und blinzelte. Es war seltsam für sie Sherlocks Stimme zu hören ohne dass er in ihrer Wohnung war. „Oh, tschuldigung.“

Sie rannte zum Laptop, winkte einmal kurz und verabschiedete sich, bevor sie ihren Laptop zuklappte und somit nur ein schwarzer Bildschirm auf Johns blieb.

John saß noch einen Moment auf der Couch, bevor er seufzte und seinem Freund zuwandte.

„Sie ist wirklich unglücklich.“

Sherlock schloss währenddessen den Laptop und sah auf die Wand.

„Ja, das ist sie.“, flüsterte er leise. Er holte tief Luft, legte den Laptop zurück auf den Kaffeetisch, stand auf und begann unruhig durch das Wohnzimmer zu laufen. „Was tun? Was tun?“

„Sherlock? Sherlock?!“, fragte John irritiert, doch er erhielt keine Antwort. Er stöhnte und stemmte sich aus der Couch und ging in die Küche um sich einen Kaffee zu machen, während er vor sich hin murmelte. Sherlock hingegen zog noch weiterhin seine Bahnen um den Kaffeetisch herum und dachte nach.

„Sherlock, wir können nichts tun!“, versuchte er es erneut, als er merkte, dass sein Freund ernsthaft darüber nachdachte wie er Catherine helfen konnte. „Sie will damit alleine fertig werden und wir sollten das akzeptieren.“

„Warum?“, fragte Sherlock in seiner üblichen emotionalen Naivität.

„Weil sie erwachsen ist.“, stöhnte John. „Es ist ihr Leben.“

Der zerzauste Lockenkopf von Sherlock lugte nun aus der Schlafzimmertür hervor, das er nur kurz zuvor betreten hatte und er hielt sein Handy in der Hand.

„Das bedeutet nicht, dass sie keine Rettung benötigt. Also, pack deine Tasche und lass uns gehen!“

„Nein! Nein! Nein!“, rief John beinahe verzweifelt aus und schüttelte fassungslos den Kopf. „Sherlock, du übertreibst! Sie würde es dir niemals verzeihen, wenn du jetzt rüber fliegen würdest. Es würde für sie bedeuten, dass du ihr nicht vertraust und nicht auf ihre Wünsche achtest. Meine Güte! Wir haben es ihr angeboten- ob direkt oder indirekt- und sie hat mehrfach abgelehnt.“

„Was sollen wir also tun, John? Sag es mir! Was soll ich tun?“, fragte Sherlock mit tiefer Stimme.

„Gar nichts!“, antwortete er heftig. „Du kannst dich nicht einmischen! Es ist ihr Leben, sie muss es leben, ihre eigenen Fehler machen und daraus lernen. Sie will nicht, dass du auf deinem weißen Hengst heran galoppierst kommst und alles in Ordnung bringst. Sie will nur, dass du ihr zuhörst und Trost spendest. Allerdings…warum sie denkt, dass du dazu in der Lage bist, ist mir immer noch schleierhaft.“

Tief atmete Sherlock aus und schloss seine Augen.

„Ich kann nicht auf einem Pferd kommen. Wie sollte ich es überhaupt ins Flugzeug kriegen?“

„Ja, genau, weil das auch mein Punkt war.“, stöhnte er und drehte sich um. Er rollte genervt mit seinen Augen. „Lass sie einfach ihre eigene Erfahrungen machen. Du bist nicht ihr Vater!“

Sherlock blinzelte, sagte aber nichts. Langsam ging er zum Fenster, griff nach seiner Geige und begann gedankenverloren eine finstere Nocturne zu spielen, die ihm Catherine einst auf dem Klavier vorgespielt hatte.

Entscheidungen

39. Kapitel: Entscheidungen
 

Der November zog durch das Land und hinterließ ein Gefühl von Orientierungslosigkeit und Sehnsucht und auch von Angst. Er markierte einen Scheideweg, eine Gabelung an der sich das Leben entweder in die eine oder die andere Richtung wandte, eine Entscheidung, die aufzeigen würde was mehr Priorität im Leben hatte. Es war furchteinflößend, wenn das Leben zuvor relativ genau bestimmt worden war; wenn man das erste Mal wirklich frei war, konnte dies einen mehr beängstigen als die grausamste Gefangenschaft.

Catherine lag auf ihrem Bett, einen Arm unter ihrem Kopf verschränkt, und sie starrte auf das fahle Licht, dass ihr Handy Display von oben herab in ihr Gesicht warf. Der Daumen ihrer rechten Hand wischte immer wieder über das kalte Glas, wechselte durch die verschiedenen Seiten des Menüs und verharrte länger auf dem SMS Button oder dem Symbol der Skype App als irgendwo sonst. Sie wollte Kontakt nach London aufnehmen, doch sie zögerte noch immer, obwohl dieser Wunsch seit einem Monat nur immer stärker geworden war. Sie fühlte sich überfordert mit der Entscheidung, die sie zu treffen hatte, fühlte sich allein und hilflos, als würde sie in einem kalten Meer treiben und sie müsste entscheiden wohin sie schwimmen sollte ohne zu wissen, wo das Ufer auf sie wartete.

Leise klopften die Regentropfen gegen das Fenster. Auch in San Diego war es über den ersten Wintermonat kühler geworden, obwohl Engländer es noch immer als sommerlich bezeichnen würden. Catherine schaute kurz aus dem Fenster und dann auf ihren Wecker. Es war fünf Uhr morgens. In zwei Stunden musste sie zur Arbeit und ein weiterer Tag der Frist würde verstreichen. Die Weggabelung kam immer näher, bald müsste sie sich entscheiden, doch schob sie es immer weiter hinaus. Sie wollte nicht daran denken, denn ihr Magen verkrampfte sich jedes Mal, wenn sie anfing darüber nachzudenken. Was ihr Herz wollte, stand eigentlich außer Frage, doch ihr Verstand hatte noch immer Einwände. Unbehaglich fuhr sie mit den Schneidezähnen über ihre Unterlippe und begann schließlich eine SMS an John zu schreiben. Alleine, das hatte sie über den Monat hinweg erkennen müssen, würde sie niemals eine Entscheidung treffen. Beinah flehend wartete sie noch immer auf irgendetwas- ein Zeichen, eine Person, völlig egal was-, dass ihr die Entscheidung abnehmen würde, doch die Zeit wurde langsam knapp.

„John, könntest du heute Nacht um 2 online sein?“, schrieb sie zögerlich. „Ich weiß es ist spät, aber ich komme dann erst von der Arbeit zurück und ich muss mit dir reden…alleine. Es ist wichtig.“

Noch einmal zögerte sie, schloss ihre Augen. Sie hatte doch alleine klarkommen wollen, doch wieder einmal kroch sie hilfe- und schutzsuchend zu ihrem Ziehvater. Er würde wissen, was zu tun war. Ganz bestimmt. Trotzdem schloss sie die Augen und fluchte innerlich. Verdammt, wieso war sie nur so unselbständig? Sie war doch eigentlich eine verantwortungsbewusste, vernünftige Frau, doch hier verhielt sie sich wie ein kleines Kind. Dabei war die Entscheidung eigentlich schon längst klar, denn ihr Herz schrie förmlich danach, doch gerade ihre Vernunft war es, die sie daran hinderte, diese Wahl zu akzeptieren. Es nützte alles nichts, sie brauchte eine zweite Meinung, weshalb sie schließlich die Nachricht abschickte.
 

~*~
 

John kam aus dem Bad und rubbelte sich gedankenverloren mit einem Handtuch durch die kurzen Haare. Der vorherige Tag war lang und die Nacht noch länger gewesen und nun fühlte er sich erschöpft. Obwohl es bereits ein Uhr mittags war, war er soeben erst aufgestanden, weshalb er herzhaft gähnte und seine etwas steifen Glieder streckte. Er wurde wohl doch allmählich alt. Langsam ging er zu seinem Laptop, den er mittlerweile mit in sein Schlafzimmer nahm um ihn vor Sherlocks Zugriffen zumindest ein wenig zu schützen. Sein bester Freund war wohl noch immer im Barts, wo John ihn letzte Nacht zurückgelassen hatte oder eher, Sherlock hatte ihn- genervt von seinem ständigen Gähnen- nach Hause geschickt um in Ruhe weiter zu experimentieren.

Der Fall, an dem sie gearbeitet hatten und der abscheuliche Fälle von Tierquälerei enthielt und der Täter sich als eine Art junger Dexter entpuppte- mit dem Sherlock sich blendend verstand und einige Stunden im Verhörraum diskutierte-, war aufgeklärt und John wollte seinen freien Tag dafür nutzen um ihn niederzuschreiben. Zunächst jedoch checkte er seine E-Mails um festzustellen, ob er nicht eine Nachricht von Catherine erhalten hatte. Sie schrieben zwar regelmäßig, aber knapp und in größeren Abständen. Offensichtlich hatte sie viel in Amerika zu tun. John ahnte nicht, dass Catherine absichtlich den Kontakt mied um nicht noch emotionaler zu werden, was die Entscheidung anging und eigentlich nur deshalb schrieb und Fotos schickte, damit beiden kein Verdacht kam.

Als John jedoch gerade dabei war einen Schluck seines bereits gekochten Kaffee zu trinken, bemerkte er, dass sein Handy leuchtete. Sherlock hatte es murrend auf seine Bitte hin so eingestellt, dass das Display so lange blinken würde, bis er wirklich die Nachricht gelesen hatte. John selbst kannte sich noch immer nicht sonderlich gut mit den modernen Handys aus, obwohl auch Catherine schon einige Stunden damit verbracht hatte ihm die Grundzüge zu erklären.

Er nahm sein Handy und sah, dass er eine SMS von Catherine bekommen hatte. Tiefe Sorgenfalten legten sich über seine Stirn, als er die Nachricht las und er tippte hastig seine Antwort.

„Ja, sicher. Bist du in Ordnung? Ist etwas passiert? Ich werde warten.“

Ein flaues Gefühl breitete sich in seinem Magen aus, als John sich in seinem Stuhl zurücklehnte. Nicht erst seit dem letzten Mal, wo sie ihm solch eine Nachricht geschickt hatte, wusste John, dass solch eine direkte Bitte von ihr besorgniserregend war. Normalerweise versuchte Catherine alles alleine zu regeln und ihren Mitmenschen möglichst wenige Umstände zu machen- in der Angst sie sonst zu verlieren. Erst, wenn alles verloren schien, bittet sie direkt um Hilfe.

Nachdenklich kaute er an seiner Unterlippe und fragte sich was wohl geschehen sein konnte, stand jedoch nach einer Weile auf und verließ den Raum um sich umzuziehen, da ihm kalt wurde.
 

~*~
 

Es war sechs Uhr abends als Catherine außer Atem und völlig durchnässt in ihr Apartment zurückkehrte. Achtlos warf sie ihre Tasche auf den Boden, sodass ihr Notizbuch herausrutsche, doch sie kümmerte sich nicht darum, sondern hing ihre Jacke auf und streifte ihre schlammigen Turnschuhe ab. Hastig eilte sie zu ihrem Laptop und ließ sich auf ihren Stuhl fallen. Die Gedanken rasten ebenso schnell durch ihren Kopf wie sie gerannt war. Professor Alison hatte ihr Angebot noch einmal wiederholt und erwartete eine baldige Antwort. Catherine schloss die Augen und fuhr ihren Laptop hoch, während sie innerlich betete, dass John ihre Nachricht erhalten hatte und online war. Sie startete Skype und ihr Blick wanderte nach rechts um zu sehen wer online war.
 

~*~

John saß in seinem Schlafzimmer und hatte seinen kleinen Nachttisch etwas vorgezogen um seinen Laptop darauf platzieren zu können. Das ungute Gefühl in seinem Bauch war noch immer geblieben. Den ganzen Tag über hatte es ihn wie ein Schatten verfolgt und war stets, irgendwo tief in ihm, präsent gewesen. Er saß schon seit gut einer Stunde in diesem Raum, hatte sich mit Schreiben oder Lesen beschäftigt, doch nichts hatte wirklich abgelenkt. Nun war es soweit und er loggte sich ein, wartete darauf, dass Catherine online kam und als ihr Symbol erschien, startete er umgehend den Videochat. Catherine akzeptierte den Anruf mindestens genauso schnell und nach einem kurzen, schwarzen Bildschirm, erschien ihr Bild vor ihm. Ihre Wangen waren gerötet von der Kälte, ihr Atem ging schwer und nasse Haare hingen über ihren Augen, die sie hastig wegstrich.

„John! Hi!“, keuchte sie und lächelte ein wenig verlegen. „Danke fürs warten.“

„Natürlich, Catherine.“, versicherte er ihr, während er sie betrachtete. „Du hast in deiner Nachricht besorgt geklungen. Stimmt etwas nicht?“

Sie zögerte kurz und seufzte, bevor sie ihren Kopf in der Hand stützte.

„So würde ich das nicht nennen…“, begann sie langsam. „Aber…nun…ich muss eine Entscheidung treffen und ehrlich gesagt, weiß ich nicht was ich tun soll. Ich würde dich gern um einen Rat bitten, John.“

„Eine Entscheidung…das klingt schleierhaft.“, wiederholte er und rieb sich nachdenklich das Kinn, bevor er eine Pause einlegte und Catherine beinah geschockt ansah. „Bist du schwanger?“

„John! Nicht nach zwei Monaten in Amerika. Was denkst du von mir?“ Sie schüttelte fassungslos den Kopf, doch als sie ihn wieder ansah, verfinsterte sich ihr Gesicht. „Nein…es ist eine Entscheidung über meine Zukunft. Ist Sherlock wirklich weg? Ich möchte nicht, dass er es hört. Ich habe Angst vor seiner Reaktion.“

„Nun, was sollte ich denn sonst denken?“, sagte John nun ruhig und atmete erleichtert aus. „Und ja, Sherlock ist nicht hier. Er ist…um ehrlich zu sein, ich habe keine Ahnung wo er ist. Wie auch immer, ich bin in meinem Schlafzimmer und habe die Tür abgeschlossen. Er wird nicht reinkommen können. Also, was ist los? Wenn du dich um Sherlocks Reaktion fürchtest, muss es etwas ernstes sein.“

Er runzelte nachdenklich die Stirn, als Catherine sichtlich mit den Worten haderte, sogar schnell nickte und erneut seufzte.

„Wo beginn ich am besten?“, fragte sie leise sich selbst und ran sich durch die Haare. Johns vertraute Stimme ließ die Sehnsucht in Catherine wieder neu aufflammen und ihr Herz schrie immer stärker danach, dass sie einfach wieder zurück zu ihrer Familie wollte. „Das alles ist nicht so einfach. Ähm…also, Professor Alison ist sehr beeindruckt von meiner Motivation und meinen Fähigkeiten.“

„Das ist doch gut, oder nicht?“ Verwirrt blinzelte er sie an.

„Das ist so gut…“ Sie hielt inne und holte tief Luft. „…dass sie mich länger hier behalten will.“

„Was bedeutet länger? Einen Monat? Ein paar Monate?“ Sie schüttelte nur den Kopf und biss sich auf die Unterlippe. „Ein Jahr? Mehrere? Permanent?“

„Ein Jahr auf Probe und wenn alles glatt läuft eine Festanstellung.“

„Oh…“, stieß John zwischen zusammengepressten Zähnen hervor. „Nun weiß ich, warum du es Sherlock nicht erzählen willst.“

Er selbst konnte es noch nicht einmal glauben. Selbst der Gedanke daran, dass Catherine für immer in den USA bleiben könnte, behagte ihm nicht. Es missfiel ihm seine kleine Tochter in diesem fernen, fremden Land zu wissen. Außerdem vermisste er sie genauso sehr, wie sie ihn.

„Ich hätte Aussicht auf eine Stelle als Assistenzprofessorin, John. Es ist solch eine große Chance für mich, besonders weil sie so angesehen ist, aber…“ Als sie ihm direkt in die Augen sah, da war es nicht mehr zu übersehen wie unglücklich sie war. Ihre Augen waren halb geschlossen vor Traurigkeit, ihre Mundwinkel heruntergezogen und eine kleine Falte hatte sich zwischen ihren Augenbrauen gebildet. „Ich mag Amerika nicht.“

„Könntest du einen ähnlichen Job nicht hier annehmen?“, fragte er nachdenklich. Er wollte sachlich an die Thematik herangehen, obwohl er ihr am liebsten sagen, dass sie schnellstmöglich nach Hause kommen sollte. Nicht nur, weil Sherlock noch unausstehlicher war seit ihrem letzten Skypegespräch, sondern auch, weil er sie gerne wieder um sich wüsste. Catherine gab auch ihm ein Gefühl von Sicherheit und Normalität. Er mochte es einfach zu ihr herüberzugehen, einen Tee zu trinken und sich über Sherlock zu beschweren.

„Nein…“, erklärte Catherine mit schwerer, beinahe schon belegter Stimme. „Ich habe in England keine gleichwertige Stelle in Aussicht. Ich könnte natürlich in meinen alten Job zurück, was die Alternative ist, aber in Professor Niels gibt es zwei ältere Doktoranden, die bei einer freien Assistenzprofessor Stelle als erstes in Betracht kämen. Für meine Karriere wäre ein Akzeptieren der angeboten Stelle wirklich die beste Wahl, aber…“

Sie holte tief Luft und als sie weitersprach, zitterten ihre Stimme und Tränen in ihren Augen.

„…aber ich will London nicht verlassen.“, flüsterte sie leise und schluckte schwer. Verzweifelt vergrub sie ihren Kopf in ihren Händen und schluchzte leise. „Ich weiß nicht was ich tun soll.“

Johns Herz zerbrach, als er seine kleine Tochter bitterlich weinen sah und nichts tun konnte, weshalb ihm selbst beinahe die Tränen in die Augen stiegen. Er konnte sie nicht in den Arm nehmen und ihr die Körperwärme geben, die sie sonst immer so beruhigte. Das Einzige, was er hatte, war seine Stimme, also versuchte er all seine Wohlgesinnung und sein Mitgefühl in diese zu legen.

„Es tut mir so leid, Catherine. Ich wünschte, ich hätte eine Antwort für dich, aber ich kann dir nicht sagen, was du tun sollst. Du weißt genau, welche Vorzüge es für deine Karriere hätte, aber du haderst jetzt schon mit Amerika und bist gerade einmal seit zwei Monaten fort. Vielleicht wirst du in der Lage sein dir dort ein Leben aufzubauen, aber wenn du jetzt dort unglücklich bist, dann wirst du es vermutlich auch in der Zukunft sein. Egal wie gut du bist, Catherine, es wird sich negativ auf deine Arbeit auswirken.“ John seufzte schwer und sah sie mitfühlend an. „Es gibt hier keine einfache, richtige Antwort, Catherine. Ich wünsche mir vom ganzen Herzen, dass dem so wäre. Du musst für dich herausfinden, was dich glücklich machen wird. Gut, dann bekommst du vielleicht für einige Jahre keine Assistenzstelle, dafür könnte es dir Probleme bereiten ein permanentes Leben in San Diego aufzubauen. Beides hat seine Nachteile.“

„Ich weiß…“, flüsterte sie, als ihre Tränen langsam versiegten und sie sich aus den Augen wischte. Johns Stimme hatte wirklich etwas Beruhigendes, doch sie würde noch lieber sich von ihm umarmen lassen. Würde sie allerdings wirklich Professor Alisons Angebot annehmen, so würde sie sich nur schwer so von ihm trösten lassen können, dabei schenkte ihr das so viel Ruhe und Kraft. „Deshalb wollte ich deine Meinung hören. Aber, wenn ich Professor Alisons Angebot ablehne, könnte sie mir das übel nehmen und das könnte sich negativ auf meine Karriere ausüben, aber du hast Recht, ich will euch nicht verlassen.“

„Was würde sie denn sagen, wenn du bleiben würdest und dann später deine Meinung änderst? Oder du einen mentalen Zusammenbruch hast, weil du es vor Heimweh nicht mehr aushälst oder die Entscheidung bereust? Und nur damit du es weißt, wenn Sherlock das erfährt, werde ich ihn nicht davon abhalten können herzufliegen und dir eine Standpauke zu halten. Ich würde noch nicht einmal versuchen ihn aufzuhalten.“ John blickte sie an und bemerkte, dass sie noch immer den Tränen nahe war. Am liebsten würde er den Arm um sie legen und ein wenig hin und her wiegen.

„Das ist es was mich noch mehr beunruhigt. Ich habe das Angebot an dem Tag bekommen, bevor wir geskypt haben. Erst war ich so erleichtert, als Sherlock online kam, aber irgendwie wurde auch mein Herz schwer. Ich hatte das Gefühl, dass dieses Gespräch entscheiden sollte, ob ich bleiben sollte oder nicht.“

„Aber das hat es nicht, richtig?“, stellte er fest. „Es hat alles nur noch schwieriger gemacht.“

Catherine nickte nur und schloss ihre Augen.

„Ich wollte wissen, ob Sherlock mich vermisst. Ich schätzte, dass du es würdest, aber bei ihm…es war so unterschiedlich während dem Skypen. Manchmal, da hatte ich das Gefühl, dass er es tat und dann plötzlich…als würde ich ihn nerven.“ Traurig senkte Catherine den Blick. Noch immer schmerzte es ihr bei den Gedanken an jenem Tag. Es war ein ständiges Auf und Ab gewesen. Für einen Moment, da war sie glücklich gewesen und voller Hoffnung, dass sie Sherlock etwas bedeutete, und in nächstem Moment hatte er alles wieder zerstört. Selten hatte sie etwas derart verunsichert.

John seufzte schwer und unterbrach so ihre Gedanken. Sie blickte auf und sah, dass er sie eingehend betrachtete.

„Catherine…“, sagte er sanft. „Weißt du, was er getan hat, nachdem du aufgelegt hattest? Er rannte in sein Schlafzimmer, packte eine Tasche und hat versucht Mycroft zu überreden ihm den Privatjet zu überlassen, aber erst nachdem er ein dramatisches, deprimierendes Lied auf der Geige gespielt hatte. Es hat mich den ganzen Nachmittag gekostet ihn zu überzeugen, dass er nicht zu dir fliegt und mit nach Hause nimmt und anschließend musste ich ihn noch eine Woche beobachten. Einmal habe ich ihn erst kurz vorm Terminal erwischt.“

John blickte sie eindringlich an.

„Er vermisst dich, mehr als du denkst.“ Er runzelte die Stirn. „Da ist nichts zwischen euch, worüber ich Bescheid wissen sollte, oder? Nein, antworte nicht.“

Er hob die abwehrend die Hände.

„Ich weiß da ist nichts. Nur…“ Er lächelte aufmunternd und sprach ebenso sanft weiter wie er es all die Zeit gemacht hatte. „Mach dir keine Sorgen darum wie Sherlock sich benimmt. Du weißt doch wie er ist. Er mag zwar uninteressiert tun, aber in der Sekunde in dem du den Raum verlässt, springt er auf und wirft Erkenntnisse in den Raum und benimmt sich dann wie ein Kind.“

Catherine konnte nicht anders, sie musste lächeln.

„Du glaubst also er wäre froh, wenn ich zurück bin?“, fragte sie hoffnungsvoll.

„Ich denke er wird sich beschweren, jammern und sich wie ein kleines Kind benehmen. Also ja, ich denke das er es sein wird.“ John sah sie einige Momente an und runzelte die Stirn. „Aber das klingt so, als hättest du eine Entscheidung getroffen.“

Catherine lachte leise und schüttelte mit einem wehleidigen Lächeln den Kopf.

„Das klingt wirklich nach ihm…“ Johns letzte Bemerkung hatte sie durch die schlechte Internetverbindung gar nicht vernommen. Sie seufzte schwer und rubbelte sich durch ihre noch immer leicht feuchten Haare.

„Ich meine ein Vorteil hätte es, wenn ich hier bleibe.“, flüsterte sie nach einigen Augenblicken nachdenklich. „Mein Leben wäre wesentlich einfacher.“

„Das Leben ist nicht einfach. Leider.“, seufzte er als Antwort und klang wie einer dieser grauen, alten Männer, die über das Leben lamentieren.

„Ich meinte, dass ich nicht jeden Tag mit einem verrückten, hochfunktionellen Soziopaten in Amerika zu tun hätte.“, erklärte sie und trank einen großen Schluck Wasser aus einer Flasche, die immer auf ihrem Schreibtisch stand.

„Vielleicht würdest du keine tägliche Dosis des normalen Wahnsinns haben, den wir momentan unser Leben nennen, aber glaubst du wirklich, dass Sherlock dich einfach so gehen lassen würde?“ Er zog eine Augenbraue hoch und lehnte sich ein wenig mehr zurück. Das Vorlehnen begann seinen Nacken steif werden zu lassen, weshalb er kurz unauffällig mit den Schultern rollte. Generell hatte er in letzter Zeit vermehrt Rückenschmerzen, doch er wollte es Catherine nicht zeigen um sie nicht noch mehr zu sorgen. Das waren seine Probleme und sie hatte genug eigene.

Catherine seufzte schwer und schüttelte den Kopf.

„Nein…Sherlock ist die starrköpfigste Person, die ich je kennengelernt habe, und ich habe gedacht, ich wäre stur.“

„Gott möge uns beistehen, wenn ihr beide euch jemals dazu entschließt euch zusammenzutun.“ Catherine lachte leise aufgrund von Johns Kommentar. Damit hatte er wirklich nicht so ganz Unrecht.

„Okay…“, sagte sie nach einiger Zeit und holte tief Luft. Stoßweise blies sie ihren Atem durch die Nase und blickte zu Uhr. Es war bereits halb Vier nachts in London. „Ich denke, du solltest so langsam ins Bett gehen.“

Catherine blickte auf und sah ihn mit einem tiefen Ausdruck in den Augen an.

„Danke, John.“, sagte sie ehrlich und lächelte leicht. Sie war so froh, dass John sich die Zeit für sie genommen und ihr beigestanden hatte, auch wenn er ihr leider keine Lösung hatte anbieten können. Er hingegen zögerte etwas und blickte sie beinahe unruhig an.

„Hast du dich schon entschieden?“, fragte er zögerlich.

„Nein…nein, habe ich nicht. Die Deadline ist in drei Tagen. Ich werde mich bei dir melden, wenn ich meine Entscheidung offiziell gemacht habe.“ John nickte bedächtig.

„Okay. Aber Catherine…“, sprach er sie an. Catherine sah auf und blickte ihn fragend an.

„Ja?“

„Wenn vorher irgendetwas ist…wenn du nicht weiter weißt, einen Rat brauchst oder sonst irgendetwas ist, dann ruf mich an, ja?“

Catherine sah ihn dankbar an und ein kleines Lächeln legte sich auf ihre Lippen. Sie war wirklich glücklich solch einen guten Menschen getroffen zu haben, der ihr stets zur Seite stand egal wie brisant die Situation war. John würde sie immer verteidigen und unterstützen, wenn sie ihn brauchte. Es war das erste Mal seit Jeffreys Tod, dass sie so etwas hatte und selbst ihr Bruder hatte sich mehr abgeschottet seitdem er für Mycroft gearbeitet hatte.

„Das werde ich.“, sagte sie leise und lächelte noch immer. „Gute Nacht, John, und danke.“

„Jederzeit. Gute Nacht, Catherine.“ Beide beendet zeitgleich das Gespräch und während Catherine noch einige Arbeiten zu erledigen hatte, schloss John sein Laptop und legte sich aufs Bett. Während er an die Decke starrte, stellte er fest, dass an Schlaf nicht zu denken war, da zu viele Gedanken durch seinen Kopf rasten. Was, wenn Catherine wirklich annehmen würde? Was würde dann mit dem Frieden in der Bakerstreet geschehen?
 

~*~
 

Die drei alles entscheidenden Tagen vergingen vergleichsweise schnell. John kam kaum zum Atmen während dieser Zeit. Entweder hielt ihn Sherlock auf Trab oder aber er hatte viel im Barts zu tun. Im November, oder im Winter allgemein, waren die Menschen gerne krank. Besonders Atemwegerkrankungen begegneten ihm wohin er auch ging. Um ehrlich zu sein, war John aber auch ganz froh darum. Er war froh über jedem Moment indem er nicht still stand und Nachdenken konnte. Mit jeder Stunde in der Catherines Antwort näher rückte wurde ihm unbehaglicher und flauer im Magen. Er hatte sich wirklich sehr an sie gewöhnt und sie zu verlieren würde ihn schwer treffen.

An jenem schicksalhaften Tag war das Wetter in London und San Diego gleich bedrückend. Etwas Schweres, Unheilvolles lag in der Luft. Es war als wäre die Luft elektrisch aufgeladen und unglaublich erdrückend. Catherine kehrte gerade von der Arbeit wieder. Sie öffnete die weiß gestrichene Wohnungstür, stellte ihre Tasche ab und ging umgehend zu ihrem Computer. Als sie Skype öffnete, sah sie, dass John bereits online war. Sie holte tief Luft und rief ihn an.

„Catherine, hallo!“, rief John noch bevor sich das Bild überhaupt aufgebaut hatte.

„John.“, antwortete sie ebenso heftig. „Hast du den ganzen Tag auf mich gewartet?“

„Ja, in der Tat. Ich wollte wissen was ich Sherlock erzählen muss. Er hätte es einmal fast an mir deduziert.“

„Oh…“, stieß sie traurig hervor. „Es tut mir so leid, John. Ich hätte nicht von dir verlangen dürfen, es zu verheimlichen.“

„Ist schon in Ordnung. Ich bin über die Zeit gut darin geworden Dinge vor ihm zu verheimlichen oder ihn abzulenken.“ Er holte tief Luft und sah sie an. Sein Herz schlug schneller und er hielt den Atem an. „Also, wie hast du dich entschieden?“

Catherine sah ihn einige Zeit an, dann lächelte sie und holte ein Flugticket hervor, das sie soeben abgeholt hatte.

„Ich werde am zwölften Dezember um achtzehn Uhr in Heathrow landen.“, erklärte sie mit einem Strahlen im Gesicht. John lachte leise vor Erleichterung, als er das Ticket sah.

„Das ist gut zu hören, Catherine, wirklich.“, sagte er lächelnd. „Wirklich gut zu hören.“

Sie erwiderte es und nickte.

„Ich konnte es nicht mit meinem Gewissen vereinbaren dich mit Sherlock alleine zu lassen.“ John lachte erneut. Gott, es war verdammt lange her, dass er das letzte Mal so erleichtert gewesen war.

„Ich bin einfach nur froh, dass du nach Hause kommst, Catherine. Ich wollte nicht, dass du gehst.“ Sie sah ihn an. Ein trauriges, glückliches Lächeln legte sich auf ihr Gesicht und sie strich sich ihren Pony aus den Augen.

„Ich wollte auch nicht gehen. Ich will euch nicht verlassen. In den vergangen zwei Monaten habe ich euch so sehr vermisst und ich glaube nicht, dass sich das je geändert hätte. Ich gehöre hier nicht her. Ihr seid meine Familie.“

„Und du bist unsere.“, sagte John. „Und das wärest du auch immer geblieben, Catherine, egal für was du dich entschieden hättest.“

„Ich bin wirklich froh das zu hören, John.“ Catherine blickte ihn einige Momente stumm in das virtuelle Abbild von Johns dunkel, blauen Augen. In ihren eigenen lag weit versteckt der Ausdruck von der Einsamkeit, der sie so lange ausgesetzt gewesen war. Viele Jahre lang hatte sie nicht gewusst wohin sie gehörte, schließlich hatte sie sämtliche Angehörige verloren. Es hatte sich lange so angefühlt, als wäre sie in einem großen, leeren Raum eingeschlossen, der durch einen halbdurchsichtigen Spiegel von der menschlichen Welt getrennt war. Hin und wieder hatte sie Menschen als Schemen vor ihrer Wand gesehen, die lachten, sich unterhielten und sich allgemein vergnügten, während sie Catherine nicht sehen konnten, Catherine sie aber sehr wohl. Catherine hatte sich viel zu lange ausgeschlossen gefühlt, als könnte sie nichts menschlichen in dieser Welt interagieren, als würde sie für sie nicht existieren. Es war als wäre sie nur ein Geist gewesen und es hatte unglaublich geschmerzt zu wissen, dass wenn ihr etwas geschehen würde, es Niemand bemerken würde.

„Auch wenn ich mich häufig über das Leben in der Bakerstreet beschwert habe…“, fuhr sie fort nachdem sie sich aus ihren trübsinnigen Gedanken zurückgekehrt war. „Nachdem ich dieses Leben kennengelernt habe, würde mir ein anderes nur leer und langweilig erscheinen. Ich brauche diese Unbeständigkeit, deshalb habe ich so entschieden. Es wäre nicht dasselbe, wenn ich nur mit euch skypen würde oder wir uns ein-zweimal im Jahr sehen.“

„Nein, das wäre es nicht.“, stimmte er ihr zu. „Wie hat Professor Alison es aufgefasst?“

„Sie war wirklich enttäuscht.“ Sie seufzte schwer und fuhr sich durch die Haare. Gott, wie sehr sie es hasste Menschen zu enttäuschen, die ihr Gutes getan hatten. „Allerdings ist sie auch schwer einzuschätzen. Wie dem auch sei, es macht sowieso keinerlei Unterschied. Mir genügt mein alter Job und Professor Niels hat so viel in meine Ausbildung gesteckt. Ich würde ihn verletzen, wenn ich sein Labor verlassen würde.“

„Ja, ich denke er ist sehr stolz auf dich. Zumindest erschien es mir so am Tag der offenen Tür.“ Sie nickte nur zustimmend und blickte kurz an John vorbei. Ihre Augen verloren sich kurz an der untergehenden Sonne, die den Himmel in ein zartes Rosa tauchte. Erst jetzt wurde ihr bewusst, dass sie nicht nur Sherlock und John zurückgelassen hätte.

„Ich hätte auch Kathy und Daniel verlassen müssen.“, flüsterte sie.

„Und es war schwierig genug für dich Freunde zu finden.“, sagte John, doch dann bemerkte er was in ihr vorging und das dies gerade nicht die Zeit für Witzeleien war. „Du musst deine Entscheidung nicht rechtfertigen. Vor Sherlock, vielleicht, aber nicht vor mir. Ich bin nicht der Richter deiner Taten. Es ist dein Leben und solange du glücklich bist, bin ich es auch, egal wie du dich entscheidest.“

„Danke…“, sagte Catherine leise und wandte sich wieder zu ihm um. „Um ehrlich zu sein, John…Ich möchte es Sherlock nicht erzählen. Wäre es zu viel von dir verlangt, wenn ich dich darum bitten würde dieses Geheimnis noch ein wenig länger zu bewahren?“

„Sicher, wenn es das ist, was du willst, aber bist du dir wirklich sicher, ob das klug ist? Du weißt, dass er unerträglich sein wird, wenn du nach Hause kommst und er herausfindet, dass du ihm nichts erzählt hast.“

„Ich weiß, ich weiß.“, wehrte sie seufzend an und bettete ihren Kopf in ihre Handfläche. „Aber ich hoffe noch immer, dass er es nicht herausfindet.“

John sah sie an und zog eine Augenbraue hoch.

„Ja, ich weiß.“, entgegnete Catherine, bevor er etwas sagen konnte. „Vielleicht werde ich es ihm später erzählen, wenn ich zurück bin. Nun gut, John, ich werde nun auflegen. Ich muss noch immer mein Labor Report schreiben und die Primärdaten übertragen und für dich ist es bereits spät in der Nacht.“

John nickte nur und lächelte ihr zu.

„Ja, ich verstehe. Schick mir eine Nachricht, ob dein Flugzeug Verspätung hat, kurz bevor du einsteigst, okay?“

„Was? Oh nein, du brauchst mich nicht abzuholen, John. Ich kann auch den Zug nehmen.“

„Sei nicht albern, Catherine. Wir…“ Er hielt kurz inne und blinzelte. „Oder zumindest ich werde auf dich warten. Ich werde nicht zulassen, dass du alleine nach Hause kommen musst, wenn du drei Monate in Übersee warst. Was für eine Art von Familie wäre ich sonst?“

Mit gerunzelten Augenbrauen sah Catherine auf und wollte protestieren, doch dann seufzte sie und ein kleines Lächeln legte sich um ihre Lippen.

„Also gut…mit dir darüber zu streiten macht eh keinen Sinn.“ Außerdem war sie insgeheim auch erleichtert, dass Jemand da sein würde, wenn sie nach Hause kommen würde.

„Richtig. Es ist nicht nur Sherlock, der das kann, weißt du?“ Er schmunzelte, als Catherine lachte.

„Fein. Grüß ihn, in Ordnung? Ich sehe dich spätestens in drei Wochen, John. Mach’s gut.“ Ihre Augen leuchteten nach langer Zeit endlich wieder, als sie in die Kamera winkte.

„Bye!“ Er winkte ebenfalls, bevor der Monitor schwarz wurde. „Ja, alles wird wieder gut.“

Lächelnd nickte er und schloss seinen Laptop, bevor er aufstand um sich eine Tasse Tee zu machen.
 

~*~
 

Drei Wochen später blickte Catherine bereits aus dem Fenster ihres Flugzeuges, welches sich langsam herabneigte und zum Landeanflug ansetzte. Sie lächelte, als sie das typische Grau ihrer Heimatstadt aus dem Fenster erblickte. Gott, wie sehr hatte sie es vermisst: den Nebel, den Regen, das Grau, die Kälte, einfach Alles. Ihr Herz machte einen Sprung, als sie ihre Stadt erblickte und sie lehnte sich lächelnd gegen die Wand, während ihre Hand auf dem Fenster ruhte. Nicht mehr allzu lange und sie würde wieder in das Leben zurückkehren, welches sie so unglaublich vermisste, aber während dieser Zeit erst zu schätzen gelernt hatte. Nie mehr würde sie sich darüber beklagen, wenn Sherlock wutentbrannt in ihre Wohnung stürmte, sich auf ihre Couch fallen ließ und sich über irgendetwas völlig normales beschwerte. Niemals wieder würde sie sich darüber beschweren, wenn er sie mitten in der Nacht weckte um eine Theorie zu diskutieren oder sie beinahe noch im Pyjama in ihr Labor zerrte. Nie würde sie über seine Sprüche die Augen rollen oder über Johns Frauengeschichten seufzen. Nein, wahrlich niemals wieder. Catherine war sich sicher, dass sie innerlich immer nur lächeln und strahlen würde, denn sie wusste nun, dass sie genau dort hingehörte. London, um genau zu sein die Bakerstreet, war einfach der Ort, der zu ihr gehörte. Er war ihr zu Hause. Für nichts auf der Welt würde sie diesen ganz eigenen Kosmos wieder verlassen.
 

~*~

Nach ungefähr einer weiteren Stunde verließ Catherine schließlich endlich den Zoll und trat in die volle Eingangshalle. Augenblicklich brandete die Geräuschflut über sie hinweg, die so typisch für einen Flughafen war. Ein wenig unsicher, beinahe als wäre sie geblendet- dabei schien in London keine Sonne- sah sie sich um und hielt Ausschau nach irgendeiner vertrauten Gestalt. Dies entpuppte sich in diesem Getümmel als alles andere als einfach. Überall rannten Menschen wie wild durcheinander, sodass ihre Kleidung und sämtlichen weiteren äußerlichen Merkmale in ein Meer aus verschwommenen Farben verschwamm.

Catherine ging noch einige Schritte bis sie schließlich das Terminal vollkommen verlassen hatte, stellte ihren blauen Koffer ab und blickte sich um. Ihr Herz sank ein wenig, als sie Niemanden erblickte. Ungeduldig sah sie auf die Uhr. Ihr Flieger hatte bereits zwei Stunden Verspätung und sie wollte nur noch nach Hause und sich aufs Ohr hauen. Sie war um zwei Uhr nachts in Los Angelos losgeflogen und somit mehr als vierundzwanzig Stunden auf den Beinen. Sie blinzelte kurz und ließ ihren Blick weiter schweifen.

„Entschuldigen Sie bitte, darf ich mal durch?“, sagte eine Stimme auf der anderen Seite der Ankunftshalle, die Catherine nicht hören könnte. Eine kleine Gestalt schob freundlich, aber bestimmt einige Menschen beiseite, blickte sich um und rief: „Catherine!“

Die junge Frau blinzelte, meinte sie doch gehört zu haben wie eine Stimme ihren Namen rief. Sie drehte sich in die entgegengesetzte Richtung als die, in die sie zuvor geblickt hatte. Eine Person stand auf der anderen Seite und winkte mit beiden Armen. Catherine quiekte beinahe vor Freude, als sie sie erkannte.

„John!“, rief sie. Sofort griff sie sich ihren Koffer und rannte auf ihn sie zu. Als sie ihn erreichte, ließ sie ihr Gepäck achtlos los. Erneut rief sie seinen Namen voller Glück aus und beide lachten, als sie ihn beinahe vor lauter Überschwang umwarf. Catherine schmiegte ihre Wange an seine, strahlte und doch konnte sie sich der Tränen nicht erwehren, die vor lauter Glück ihre Wangen hinabliefen. Sie war einfach froh, als John sie umarmte. Dass sie sich freuen würde nach Hause zurückzukehren, das hatte sie sich gedacht, doch wie sehr hatte sie wirklich nicht erahnt. Ihr Herz schlug schneller und sie war einfach glücklich wieder da zu sein und in diesem Moment waren wirklich die letzten Zweifel, die geblieben waren, wie weggeblasen. Wie hatte sie nur je auch nur einen Moment überlegen können, ob sie das Angebot annahm?

Ihr Wiedersehen war so rührend und herzerwärmend, dass selbst umherstehende Liebespaare, die sich einige Zeit nicht gesehen hatten, neidisch herüberblickten. Die Ersten begannen auch bereits zu flüstern, ob dies nicht die junge Frau war, der vor einigen Monaten eine Affäre mit Sherlock Holmes nachgesagt worden war, doch weder John noch Catherine bemerkten es. In diesem Moment hatte die Welt kurzzeitig um sie herum aufgehört zu existieren.

„Willkommen zu Hause, Catherine Amell.“, flüsterte John und drückte sie näher an sich.

„Ich bin so froh wieder da zu sein.“, flüsterte sie zurück und presste ihre Nase gegen die Wange ihres Ziehvaters. So glücklich wie in diesem Augenblick, so warm und geborgen, hatte sie sich nur dann gefühlt, als Sherlock zurückgekehrt war. Nach einigen weiteren Augenblicken, während sie einfach nur verharrten und sich festhielten, ließ er sie schließlich dann los und trat einen Schritt zurück.

„Wie war der Flug?“

„Lang.“ Nun konnte sie ein Gähnen nicht mehr unterdrücken.

„Aber alles in allem war er in Ordnung, auch wenn ich nicht in der Lage war zu schlafen. Der Mann neben mir hat geschnarcht…und du musst wirklich nicht mein Gepäck nehmen, John! Ich kann das alleine.“, rief sie aus, als John sich während ihrer Antwort zu ihrem Koffer und dem großen Rucksack bewegte. Er ignorierte sie jedoch und nahm ihr Gepäck, drehte sich um und ging in Richtung Ausgang während sie die Empfangshalle immer weiter füllte. Es dauerte einige Momente bis er bemerkte, dass Catherine ihm nicht folgte. John drehte sich um und sah sie an.

„Nun, kommst du? Du bist nun fast zu Hause. Willst du wirklich jetzt stoppen, wo du doch bereits schon den Flughafen erreicht hast?“ Seine Augen leuchteten, als er sie aufzog.

„Nein…das nicht, aber…“ Sie seufzte und lief ihm dann hinterher. John lächelte.

„Mach dir keine Sorgen, Catherine. In Nullkommanichts werden wir zu Hause sein.“ Sie nickte nur und lächelte, während sie neben ihm her zum Taxistand lief.

„Wie waren die letzten drei Wochen? Es tut mir leid, dass ich dich nicht benachrichtigen konnte. Ich war so beschäftigt mit der Arbeit und den Vorbereitungen. Ich wollte alles regeln, damit ich auch wirklich heute zurückkehren konnte.“

„Das ist schon okay. Ich habe heute Morgen die Ankunftszeiten nachgesehen und wusste somit über die Verspätung bescheid. Die Wochen hingegen waren anstrengend. Sherlock hat sich von Fall zu Fall gestürzt. Wir konnten kaum noch atmen. Es hat erst vor einigen Tagen nachgelassen.“

„Hmmmhmmm…“, murmelte Catherine. „Es war Herbst bis vor einiger Zeit…und nun der Winter. Wie nannte Sherlock es? Der Höhepunkt des Verbrechens. Diese Jahreszeit deprimiert die Leute.“

„Irgendetwas in der Art.“ Er führte Catherine aus der Tür heraus zum Taxistand. „Leider war nichts, was ihn wirklich längere Zeit beschäftigte.“

„Armer, Sherlock. Er muss eine schreckliche Laune gehabt haben.“ John stöhnte nur.

„Oh ja, die hatte er. Dass du nicht da warst, hat es nur noch schlimmer gemacht.“ Die gelbe Schlange aus Autos am Straßenrand bewegte sich weiter, doch noch waren sie nicht an der Reihe. Zunächst musste eine ältere Dame all ihre kleinen Köfferchen in einen viel zu kleinen Mercedes zu verstauen. Das konnte noch dauern. „Wie war es, als du gegangen bist?“

„Was meinst du genau, John? Das Wetter, das Experiment, Sherlocks Laune, San Diego, der Flughafen? Es gibt viel zu viele Möglichkeiten und ich bin zu müde um zu denken.“ Catherine blinzelte müde und stützte sich auf den Handgriff ihres Koffers ab.

//Und Sherlock hatte mich versprochen mich abzuholen. Sieht so aus, als hätte er sein Versprechen gebrochen.// Ihre Augen wurden traurig, als sie das realisierte, doch sie schüttelte den Kopf. Es würde sicher einen Grund geben. Dies hoffte sie zumindest.

„Die Leute dort.“, lachte John auf Grund ihrer Antwort. „Haben sie eine riesen Abschiedsfeier geschmissen?“

Endlich erreichten sie die Spitze der Warteschlange und John half dem Fahrer Catherines Gepäck in die Mercedes C-Klasse zu verstauen. „War deine Professorin noch immer traurig, dass du gegangen bist? Hast du bereits mit Professor Niels gesprochen?“

„Vielleicht haben sie eine Party geschmissen.“, sagte Catherine, als sie sich auf die Rückbank fallen ließ und erschöpft die Augen schlossen. „Wenn dem so war, so war ich nicht eingeladen. Und ja, Professorin Alison war noch immer nicht besonders erfreut und hat noch einige Male entschieden nachgefragt, ob sie mich nicht doch überzeugen könnte zu bleiben. Ich habe ihr gesagt, dass das hier mein zu Hause ist, dass London der Ort ist an den ich gehöre und nirgendwo sonst. Mit Professor Niels habe ich vor zwei Tagen gesprochen. Er schien froh zu sein, dass ich zurückkehre.“

„Wann musst du wieder arbeiten?“ Schließlich ließ sich John neben ihr auf die Rückbank fallen. Sie schnallten sich an und John nannte dem Fahrer die Adresse. 221C Bakerstreet. Catherine lächelte glücklich bei dem Klang dieser Worte und schloss die Augen.

„Am ersten Montag des neuen Jahres. Professor Niels hatte einer Bachelorandin einen befristeten Arbeitsvertrag angeboten, während ich weg war, damit sie Referenzen für ihren Lebenslauf sammeln konnte. Wir beide waren sehr angetan von ihr, aber leider ist unser Labor nicht groß genug um ihr einen dauerhaften Platz zu gewährleisten. Ihre Stelle geht noch bis Ende Dezember und von daher habe ich diesen Monat frei. In der Zeit kann ich meinen Schlafrhythmus wieder anpassen.“ John blickte zu ihr herüber, als sie wieder anfing zu gähnen, während das Taxi auf den Highway auffuhr und beschleunigte.

„Du siehst aus, als würdest du gleich einschlafen, Catherine.“ Träge nickte die junge Frau neben ihn und ließ sich tiefer in den Rücksitz sinken.

„Ja, das bin ich. Ich versuche gerade verzweifelt wach zu bleiben.“ John lachte leise und strich ihr über den Kopf.

„Mach jetzt ein Nickerchen. Es wird gut eine Stunde dauern, bis wir zu Hause sind. Du kannst es gebrauchen.“, sagte er sanft und streichelte ihre Wange.

//Du wirst keine Gelegenheit dazu haben, wenn du nach Hause kommst.//, dachte er nur, während Catherine erneut schläfrig nickte.

„Hmm…okay…“, flüsterte sie nur schlaftrunken. Ihr Kopf fiel gegen die Stütze und kaum einen Augenblick später war sie bereits eingenickt. John lächelte nur sanft und zog sein Handy aus der Jackentasche.

„Sind auf dem Weg. In einer Stunde zu Hause.“, schrieb er als Textnachricht und sendete sie direkt ab, während der Taxifahrer die Spur wechselte. Sein Handy biepte fast augenblicklich. Kurzerhand las John die Nachricht und lächelte, bevor er anfing irgendein Spiel zu spielen, dass ihm einer seiner jungen Patienten vor einiger Zeit heruntergeladen hatte.

Es dauerte wahrhaftig eine Stunde in diesem trägen, zähen Abendverkehr um von Heathrow bis ins Zentrum von London vorzudringen. Gemächlich und müde bewegten sich die Autos beinahe im Schneckentempo Meter für Meter vorwärts. John war dies nur recht, denn so hätte Catherine noch etwas mehr Zeit um sich von den Strapazen zu erholen. Er musste nicht Sherlock Holmes sein um zu erkennen wie ausgelaugt sie von den vergangen Monaten war. Dunkle Schatten lagen unter ihren Augen, das Gesicht war fahler, wenn auch von der Sonne San Diegos gebräunt, und sie war noch dünner geworden. Alles sprach dafür, dass sie all ihre Kraft verbraucht hatte um wirklich nach den drei Monaten nach Hause kommen zu können. Sanft lächelnd blickte er zu seiner kleinen Ziehtochter, deren Kopf mittlerweile gegen die Fensterscheibe gesunken war und leise schnarchte. Ein amüsiertes Lächeln legte sich auf seine Lippen. Sich selbst beschweren darüber, dass ihr Sitznachbar während des Fluges geschnarcht hatte, aber selbst es ebenso tun.

Schließlich wandte er sich wieder ab und starrte in die vernebelte, kahle, dunkle Nacht, lauschte den stetigen Atemgeräuschen seiner kleinen Tochter über deren Rückkehr er glücklicher war, als er je gedacht hätte. Es waren lange drei Monate ohne sie gewesen. Drei lange Monate, wo er nicht seinen Frust mit ihr diskutieren konnte, drei Monate in denen er ihr nicht väterlich beistehen konnte, obwohl sie ihn so sehr gebraucht hatte. Das Bild von ihr weinend vor der Webcam hatte ihm lange Zeit keine Ruhe gelassen. Immer und immer wieder hatte er darüber nachgedacht Sherlock einzuweihen, sich ihn zu schnappen und nach Amerika zu fliegen um sie aus ihrem Unglück zu befreien, doch sie hatte sich entschieden diesen Weg zu gehen und er respektierte sie zu sehr, als dass er sein gegebenes Versprechen hätte brechen wollen. Auch dann nicht, wenn sie unglücklich war. Sie hatte ihn gebeten Sherlock nichts zu erzählen und daran hatte er sich auch halten wollen.

Er holte tief Luft und lächelte. Ihm war es wirklich flau geworden, als sie ihm von dem Angebot der Professorin erzählt hatte. Eigentlich hätte John gedacht, dass sie es gar nicht erst in Betracht ziehen würde. Er hatte geglaubt, dass ihre Bindung zu ihnen so stark war, dass sie nicht eine Minute darüber nachgedacht hätte. An sich war es aber auch ein gutes Zeichen. Es zeigte, dass sie noch nicht so abhängig war, dass sie sämtliche Chancen ihres Lebens ausschlagen würde. Wenn sich die Möglichkeit zum weiterziehen bieten würde, so würde sie sie zumindest bedenken.

Schließlich bog das Taxi in die Bakerstreet ein und hielt auf der linken Straßenseite vor den grünen Haustüren. John lächelte und lehnte sich zu Catherine herüber. Sanft schüttelte an ihrem Arm.

„Hey, Catherine, wach auf! Wir sind da.“

„Hmmm?“, grummelte sie verschlafen und gähnte. Träge blinzelte sie und öffnete schließlich ihre Augen. Es dauerte einen Moment bis sich ihre Augen an das dunkle Grau gewöhnt hatten, doch dann erblickte sie ihre gewohnte Heimat und ein Lächeln legte sich auf ihre Lippen.

„Endlich zu Hause.“, flüsterte sie erfreut und John nickte. Beide stiegen aus und Catherine holte tief Luft. Der vertraute Geruch von London stieg ihr in die Nase. Der leicht Küstengeruch, der durch die Themse kam, den Rauch von feuernden Kaminen und etwas, dass typisch London war, sie aber nicht wirklich benennen konnte. Außerdem legte sich die Feuchte des Nebelns in ihr Haar. Ja, das war London wie sie es kannte und liebte.

John lud die Koffer aus, während Catherine ihren Blick über die Bakerstreet wandern ließ und lächelte. Langsam gesellte er sich neben sie, während sie auf ihre und seine Haustür starrte, die sich so harmonisch nebeneinanderbefanden, und legte ihr eine Hand auf die Schulter.

„Willkommen zurück, meine Kleine.“, flüsterte er mit einem leicht neckenden Unterton in der Stimme. Catherine lachte nur leise und sah ihn aus rundum glücklichen Augen an.

„Danke, Dad.“, flüsterte sie ebenfalls, bevor sie ihn umarmte, unendlich froh darüber, es endlich wieder zu können.

Die Wärme des vertrauten Heims

40. Kapitel
 

Sanfte, lange Geigentöne wogen durch den Flur, als Catherine die Tür zu ihrer Wohnung öffnete. Gleich einem Bach flossen sie die Treppen hinab und füllten den kleinen Raum oder wie eine Sommerbrise, die in den Blättern einer majestätischen Eiche spielten und durch die Lüfte tanzte. Es waren ruhige Klänge durchzogen mit vollem Wohlklang und sie entwickelten ein Farbenspiel an Bandbreite, welches nur begabte Violinisten hervorrufen konnten: feingliedrig und doch klar wie von Tau durchnässte Spinnennetze. Es war ein ganz verzückendes Stück, welches die Atmosphäre des Flures in einen märchenhaften Zauberwald verwandelte- auch wenn das vermutlich nicht des Komponisten Intention war.

Catherine trat ein und schloss für einen Moment die Augen, ließ sich von den Noten umgarnen, die sich um sie herumwirbelten, als würden sie Walzer tanzen. Zwar war das Lied wahrlich schön, doch es erfüllte sie nicht mit diesem sanften, wiegenden Gefühl, was Sherlocks Stücke sonst in hier hinterließen. Statt dem Gefühl der Normalität und Geborgenheit erfüllte sie diesmal nur Enttäuschung und Traurigkeit. Er hatte ihr versprochen sie vom Flughafen abzuholen und als sie ihn dort nicht gesehen hatte, hatte sie gehofft, dass er durch einen Fall verhindert wäre, doch er war da. Auch wenn er sie offensichtlich Willkommen heißen wollte, linderte dies nicht den leichten Schmerz, den sie tief in sich empfand.

John ging an ihr vorbei und trug die Koffer die Treppen hinauf ohne sie in ihrem Lauschen zu stören. Er kannte dieses merkwürdige Gefühl der Fremde und doch Vertrautheit, wenn man nach langer Zeit wieder zurückkehrte nur zu gut.

Schließlich war er oben auf dem Treppenabsatz vor ihrer Wohnungstür angekommen und lächelte zu ihr hinab, während sie noch immer da stand: Die Augen geschlossen und der Kopf leicht gesenkt. John verstand ihre Enttäuschung, doch er wusste, dass diese so schnell verflogen sein würde wie sie aufgekommen war. Er kannte seine kleine Tochter gut genug.

„Catherine, kommst du?“, flüsterte er leise und doch riss es sie aus ihren Gedanken. Sie blinzelte und bemerkte, dass noch immer die Melodie durch den Raum waberte.

„Ich bin wahrlich zu Hause.“, erwiderte sie scheinbar zusammenhanglos, als sie wieder erwachte und die Realität wahrnahm.

„So ist es.“, erwiderte John grinsend. „Herzlich willkommen in der täglichen Portion Wahnsinn.“

Er öffnete die Tür, als Catherine zu ihm hinauf gegangen war und Catherine trat ein. Alles lag genauso vor wie Catherine es verlassen hatte, als sie sich in die Ferne begeben hatte. Sie blinzelte, legte ihren Mantel und Schal gedankenverloren ab und trat in das Wohnzimmer.

Sherlock stand mit dem Rücken zu ihr vor dem Fenster und spielte dieses wunderschöne Lied. Seine Haare glänzten von dem Schein einer Straßenlaterne, welches ihm eine mystische Aura gab. Ganz so, als wäre er gerade ein Abbild eben solcher Ereignisse in der Bakerstreet. Die Haltung, der Ausdruck, die Gestik war genau die gleiche und doch konnte Catherine in seinem Spiegelbild ein kleines Lächeln sehen, welches seine Mundwinkel berührte.“

„Es wurde Zeit, dass du endlich nach Hause kommst, Catherine. Das Abendessen wird kalt.“, sagte Sherlock ruhig mit dieser melodischen Stimme, die Catherine so lange nicht vernommen hatte und ohne dabei sein Spiel zu unterbrechen.

„Sherlock?“, flüsterte Catherine und trat näher an ihn heran. Auch wenn sie die Situation bildlich vor sich sah, so war irgendetwas hieran surreal, obwohl sie noch nicht einmal benennen konnte, was es denn war. Es erschien alles mehr wie die Zartheit eines Traumes, als die Härte der Wirklichkeit.

Sherlock hörte auf zu spielen und drehte sich in einer grazilen Bewegung um, wobei er den Bogen und die Gitarre senkte.

„Hallo, Cath.“, sagte er noch immer so ruhig und melodisch wie das Lied was er bis eben noch gespielt hatte. Seine Augen hatten einen Glanz, als er sie betrachtete wie sie irritiert im Türrahmen stand, den Catherine bisher noch nicht bei ihm gesehen hatte: Eine Mischung aus Amüsement, Sanftheit und auch ein kleiner Funken Freude. „Willkommen zu Hause.“

Noch immer völlig überfordert mit dieser sanften Atmosphäre blinzelte Catherine mehrere Male, versuchte zu realisieren was hier gerade vorging. Eigentlich war dies genau das, was man von einer Rückkehr in die Bakerstreet erwartete und doch konnte sie es nicht glauben.

„Überraschung!“, kam eine fröhliche Stimme aus der Küche und ehe sich Catherine versah, hatte sie die gute Mrs. Hudson sie in eine Umarmung gezogen. „Wir dachten, dass wir eine kleine Feier veranstalten, wenn du zurück bist.“

Die ältere Dame zog die noch immer völlig überraschte Catherine näher an sich heran.

„Willkommen zurück, meine Liebe.“, flüsterte sie. Catherine sah sie völlig überwältigt aus großen Augen, doch dann lächelte sie glücklich und umarmte sie ebenfalls.

„Vielen Dank, Mrs. Hudson.“, erwiderte sie freundlich und schloss für einen Moment die Augen. Mit solch einer Wärme hatte Catherine wahrlich nicht gerechnet, doch wie es aussah, war sie wahrlich vermisst worden. Sie hatte tatsächlich den Platz gefunden an den sie gehörte. Dieses Mal war sie nicht die Ausgeschlossene vor dem warmen Fenster, die um Zuneigung und Freundlichkeit bettelnd hineinsah. Nein, dieses Mal war sie diejenige, die am Kopf der Tafel saß und um die sich alle scharten.

Schließlich ließ Mrs. Hudson sie los und Catherine ging langsam zu Sherlock, der inzwischen vorsichtig seine Geige wieder in dem Koffer gelegt hatte und sie nur ruhig ansah. Wie damals unter der Straßenlaterne wartete er auf ihre Reaktion. Bis er den ersten Schritt tun würde, würde es vermutlich noch Jahre dauern.

Sie blieb vor ihm stehen und legte ihren Kopf leicht in den Nacken um ihm in die Augen sehen zu können. Ihr Herz pochte laut, denn sie wusste nicht, was nun geschehen würde.

„Bitte, tu das nie wieder.“, sagte Sherlock leise. „Es war sterbenslangweilig ohne dich.“

Catherine lächelte, da sie die wahre Bedeutung dieser Worte verstand. Sie überwand auch den letzten Schritt, der sie beide trennte, und umarmte ihn.

„Ich habe dich auch vermisst.“, flüsterte sie. Sherlock versteifte sich augenblicklich in ihren Armen und starrte für einige Augenblicke geschockt auf den immer gleichen Punkt. Schließlich bewegte er sich langsam und umarmte sie zurück, während er ihr etwas umständlich auf den Rücken klopfte. Es war ersichtlich wie unbehaglich sich der sonst so selbstbewusste Detektiv fühlte. Vermutlich war es ihm noch immer nicht wirklich geheuer, vielleicht sogar zuwider, doch für Catherine ertrug er es.

John blickte zu Mrs. Hudson hinüber, die sichtlich gerührt war, und rollte mit den Augen, während er doch grinste. Es war das erste Mal, dass Sherlock sie- oder generell jemanden- umarmte, wenn andere in der Nähe waren. Er lächelte noch immer. Sonst tat er es immer nur, wenn er glaubt, dass ihn Niemand sehen konnte. Generell waren beide wesentlich entspannter im Umgang miteinander, wenn sie sich unbeobachtet fühlten. Glaubten sie dies erst einmal, dann schien es als würde sie sich in eine andere Dimension begeben und alles andere gar nicht mehr wahrnehmen. Oft hatten sie schließlich nicht bemerkt wie John sie dabei beobachtet hatte.

Catherine lehnte sich leicht gegen Sherlock und schloss die Augen. Sie atmete diesen einzigartigen Geruch seinerseits ein und war einfach froh ihn wieder wahrzunehmen.

Sherlock schloss ebenfalls leicht die Augen und lehnte seinen Kopf leicht zu ihr herab. Er wusste nicht, warum er das tat oder warum er sich gar freute, dass sie wieder da war. Eigentlich hatte er gar nicht hier sein wollen, da er nicht verstand, warum John und Mrs. Hudson solch einen Aufheben um ihre Rückkehr machten, doch John hatte nicht locker gelassen bis er schließlich nachgegeben hatte. Wieso wurde eigentlich immer nur ihm vorgeworfen, dass er stur wäre?

Aber jetzt, jetzt war er irgendwie froh darüber, dass er sich hatte breitschlagen lassen. Zu sehen wie sich die Enttäuschung in ihren blauen Augen in freudige Überraschung verwandelte, war durchaus erhellend gewesen. Außerdem war da jetzt noch etwas anderes. Etwas, was er bisher noch nie wahrgenommen hatte. Nun, wo sie ihn umarmte, spürte er…nun, normale Menschen würden es vermutlich Erleichterung nennen, schätzte er. Sherlock selbst hingegen konnte es nicht wirklich benennen. Er wusste nur, dass es sich warm anfühlte.

„Es war zu lang.“, flüsterte er zu ihr hinab, als er sich ein wenig an diese ungewöhnliche Situation gewöhnt hatte. Catherine nickte.

„Ich weiß. Es tut mir leid. Es war wirklich viel zu lang.“

Für einige Augenblicke herrschte Stille in dem wohlig warmen Wohnzimmer, doch dann räusperte sich Mrs. Hudson und zog die Aufmerksamkeit von Sherlock und Catherine wieder auf sich. Beide schienen sichtlich verlegen, dass sie sich so verloren hatten.

„Nun, komm. Wie Sherlock bereits sagte, das Essen wird kalt.“

„Was gibt es denn?“, frage Catherine neugierig, während sie zu den beiden ging.

„Dein Lieblingsessen.“, schmunzelte die gutherzige Dame und Catherine strahlte. Gott, wie sehr hatte sie Mrs. Hudsons Aufläufe vermisst. Sie hatte das ein oder andere Mal versucht es nach zu kochen, doch kein einziges Mal war es ihr in Amerika gelungen. Es hatte einfach immer dieser typische Mrs. Hudson Geschmack gefehlt.

„Oh, wie ich mich freue.“

„Jungs, seid so gut und macht euch nützlich.“ Sherlock runzelte die Stirn und sah Mrs. Hudson irritiert an. Diese rollte mit den Augen und deutete auf die Koffer, die noch immer in der Diele standen. „Bringt doch Catherines Gepäck in ihr Zimmer. Und du, meine Liebe, setzt dich erst einmal. Du musst ja völlig erledigt sein von dem langen Flug.“

Catherine lachte leise und sah sowohl Sherlock als auch John herausfordernd an.

„Genau ihr zwei, macht euch nützlich!“, sagte sie verschmitzt und zwinkerte ihren Ziehvätern zu, bevor sie es sich in die Küche verschwand um sich schwatzend mit Mrs. Hudson niederließ. John runzelte verwundert die Stirn und Sherlock zog die Augenbrauen hoch, doch dann drehte sich Sherlock auf dem Absatz um und trug das leichtere der zwei Gepäckstücke in Catherines Schlafzimmer. John schnaubte genervt, widersetzte sich aber nicht weiter. Das Mahl von Mrs. Hudson roch einfach zu köstlich und ihm knurrte nach einem langen Arbeitstag der Magen.

Als sie zurückkehrten, waren die beiden Frauen bereits tief in ein Gespräch versunken, während sie dampfende Tassen mit Zitronentee in der Hand hielten. Catherine erzählte Mrs. Hudson mit jedem Detail wie ihre aufregende, wenn auch einsame Zeit in Amerika verlaufen war, über das Wetter, den amerikanischen Lebensstil und so vieles mehr, was sie als erwähnenswert empfand.

Geschmeidig wie eine Katze und völlig wortlos ließ sich Sherlock auf den leeren Stuhl neben Catherine fallen, während John gegenüber von ihr Platz nahm. Catherine sah kurz auf, unterbrach ihre Erzählungen und lächelte die beiden an, doch dann fuhr sie fort. Sie berichtete von ihren Abenteuern, ihrem ersten Roadtrip nach Los Angeles und San Francisco; wie sie Cable Car gefahren war, über den Walk of Fame gelaufen war, während sie sich einige Löffel von Mrs. Hudson herrlich duftendem Auflauf auf den Teller schaufelte.

„Leider befindet sich mein Laptop in einer der Taschen und ich weiß noch nicht einmal in welcher.“ Sie lachte verlegen. „Aber morgen kann ich euch ein paar Fotos zeigen.“

„Das wäre wundervoll.“ Mrs. Hudson strahlte förmlich. Catherine lächelte vergnügt und erzählte schließlich weiter, während ihre Familie schweigend zuhörte, lachte, wenn es angebracht war. Schließlich endete sie mit einem tiefen Atemzug ihre Erzählungen.

Sherlock sah sie an und fragte schließlich völlig taktlos mit vollem Mund: „Also, warum bist du nicht geblieben?“

Catherine sah geschockt auf und spürte wie ihr Herz kurz einen Satz machte.

„Bitte?“

„Es klingt, als hättest du eine wundervolle Zeit dort verbracht. Wieso bist du nicht geblieben?“, hakte Sherlock nach, nachdem er hastig das Essen heruntergeschluckt hatte. Catherine schluckte ebenfalls, allerdings, weil sich ein schwerer Kloß in ihrem Hals gebildet hatte und plötzlich war all ihre Entspanntheit und gute Stimmung verflogen. Ihr Herz wurde plötzlich schwer und sie senkte traurig den Blick.

//Vielleicht wollte er doch nicht, dass ich zurückkomme.//

John hingegen funkelte Sherlock aufgebracht an, dem er bisher nichts von seinen Gesprächen mit Catherine erzählt hatte. Wie konnte Sherlock nur so völlig taktlos sein?

„Also…Ich…nun…“, setzte sie an, doch sie fand nicht die richtigen Worte. Diese Frage war nicht leicht zu beantworten, denn Catherine musste abwiegen inwieweit sie Sherlock von ihrer Zwickmühle erzählen sollte. „Ja, sicher, es klingt alles toll, das war aber nur eine Seite. Die meiste Zeit habe ich es dort gehasst. Die Menschen waren immer so grob, rechthaberisch, aufdringlich und oberflächlich. Außerdem war es heiß, trocken…und wie sie teilweise dort mit ihren Wissenschaftlern umgehen.“

Catherine seufzte erneut, rieb sich die Augenbrauen und fuhr fort: „Ich wollte einfach nur nach Hause. Einerseits ist es großartig in den USA…andererseits habe ich mich nie deplatzierter gefühlt. Ich wollte dort nicht bleiben. Ich gehöre einfach nicht dort hin.“

Sie zitterte leicht und rieb sich über die Arme, als sie an diese schweren drei Monate zurückdachte. Mrs. Hudson sah sie an und tätschelte dann sanft ihren Arm.

„Es ist in Ordnung, Liebes. Du bist nun zu Hause.“ Catherine erwiderte den Blick und lächelte leicht, als Sherlock sich leise räusperte und sie sich wieder zu ihm umwandte.

„Ja…nun…gut. Ich versteh es so, dass du nicht vorhast vorerst dorthin zurückzukehren, richtig?“

„Nein!“

„Gut.“ Sherlock nickte erfreut und klopfte ihr auf die Schulter, bevor er sich daran machte seinen Teller aufzuessen. Catherine schüttelte nur verwundert ihren Kopf, beschloss es aber es dabei zu belassen. Sie kannte Sherlock lang genug um zu wissen, dass weiter darüber nachzudenken keinerlei Sinn machte. Er hatte halt seine ganz eigene Art und sie sollte wirklich aufhören in sein Verhalten etwas zu interpretieren. So manches Mal hatte sie sich selbst schon darüber geärgert, dass sie sich so schnell von ihm verunsichern ließ. Ihr traf John, der sie nur mit seinem „Habe-ich-es-dir-nicht-gesagt?“ Blick ansah und schmunzelte. Catherine seufzte und sie alle aßen stumm die Reste ihres Abendessens auf.

Anschließend berichtete Catherine von einer Demonstration in die sie gelaufen war, als sie sich an einem Freitagmorgen auf den Weg zur Arbeit gemacht hatte. Vertreter von christlichen Werten hatten sich vor der Universität versammelt um gegen Gentechnologie, genauer um Genmanipulation, zu protestieren. Catherine hatte einen von ihnen angesprochen und hatte versucht mit ihm zu diskutieren, jedoch mit einer Wand gesprochen hatte. Obwohl der Mann sich gewählt ausgedrückt hatte und offensichtlich eine hohe akademische Bildung genossen hatte, hatte er doch auf Argumenten verharrt wie „Die Natur ist Gottes Werk und sollte nicht durch den Menschen verändert werden“. Es war egal gewesen wie sehr Catherine ihm erklärte, dass der Mensch stets die Welt verändert hatte, dass Genmanipulation nichts weiter war als eine weitaus effektivere Form des Züchtens. Oder aber, dass selbst der Papst Johannes Paul der Zweite offiziell die Evolutionstheorie anerkannt hatte.

„Einige Leute sind einfach ignorant, Catherine, oder wollen nicht akzeptieren, was nicht ihrem Weltbild entspricht, weil sie sich zu fürchten. Da kann man einfach nichts tun.“, seufzte John und zeichnete einen Kreis mit seiner Gabel.

„Außer man entfernt sie schlicht aus dem Genpool.“, erwiderte Sherlock schlicht.

„SHERLOCK!“, riefen die anderen Anwesenden geschockt aus und starrten ihn fassungslos an.

„Was? Das ist es doch, was ihr alle denkt. Diese Leute protestieren sowohl gegen medizinischen als auch wissenschaftliche Fortschritt, die die Welt verändern könnten. Es sind die gleichen Menschen wie jene, die auch gegen die Heirat von Homosexuellen, künstliche Befruchtung, Religionsfreiheit, Rassengleicheit, Emanzipation und alles andere protestieren, dass den weißen, fünfundzwanzig bis vierzig-jährigen, männlichen Christen die Vorreiterstellung entziehen könnte. Könnt ihr ernsthaft sagen, dass eine Eliminierung solcher beschränkten Menschen nicht von Vorteil für die menschliche Spezies wäre?“, verteidigte er sich sachlich und warf ihnen einen herausfordernden Blick an. John, Catherine und Mrs. Hudson warfen sich unsichere Blicke zu. Catherine und John waren Wissenschaftler und somit daraufhin gebildet worden die Dinge sachlich und rational zu sehen. Sie wussten, dass Sherlock rein nüchtern gesehen recht hatte, doch wer sollte dann bestimmen, was vorteilhaft für die menschliche Rasse wäre und was nicht? Wo hörten Starrsinnigkeit und Ignoranz auf? Wann könnte ein solches Verfahren in ein weit gefährlicheres übergehen? Es war ein schmaler Grad zwischen Verbesserung und Wahnsinn. Wohin ein solches Bestreben nach der Verbesserung der menschlichen Rasse führte, konnte man in Deutschland in den 30’er Jahren beobachten. Auch der Schritt zu Reproduktionsregeln wie in China oder gar zu Designerbabies war da nicht mehr weit und Catherine behagte es bei diesen Gedanken nicht. Deshalb seufzte sie müde und fuhr sich durch die Haare.

„Sherlock, bitte, können wir das Thema wechseln? Ich habe einen zehn Stunden Flug hinter mir und habe Jetlag und bitte deshalb um Verzeihung, dass ich heute Abend nicht mehr in der Stimmung bin tiefe philosophische und ethische Diskussionen zu führen.“ Sherlock räusperte sich und sah beinahe beschämt aus.

„Du hast Recht. Entschuldige, Cath.“

„Ist schon in Ordnung.“, lächelte sie beschwichtigend. „Wir können das fortsetzen, wenn ich wacher bin.“

Sherlock nickte zustimmend und ließ tiefer in die Lehne von seinem Stuhl fallen.

„Wie sehr habe ich diese Diskussionen vermisst.“, murmelte Catherine leise, beinahe schon verschlafen und legte ihre Hände auf dem Bauch.

„Das wirst du in ein paar Wochen nicht mehr sagen.“, schmunzelte John.

„Natürlich werde ich das nicht.“

„Herausforderung angenommen.“, grinste Sherlock. Catherine lachte nur und schüttelte den Kopf.

„Ich freue mich schon darauf mich wieder mit dir zu messen. Wie du vermutlich weißt, lasse ich keine hitzige Diskussion aus.“ Sherlock lächelte nur auf unheimliche Art und Weise und Catherine war sich bewusst, dass er bereits anfing Pläne zu schmieden. Seltsamerweise beunruhigte sie dies kein bisschen. Obwohl die meisten Menschen sie für verrückt erklären würden, dass sie sich unter solch seltsamen Menschen wohlfühlte, so tat sie es. In Amerika hatte sie weitestgehend das Leben geführt, was als normal galt, doch sie hatte sich fremd geführt. Als hätte ihr Körper bloß gehandelt, während ihre Seele von außen zusah, doch hier in der Bakerstreet, in der Gegenwart einer der wohl seltsamsten Männer der Welt, fühlte sie sich am meisten mit ihr im Reinen.

„Es ist noch Kuchen da.“, unterbrach Mrs. Hudson die Stille. „Falls ihr noch Hunger habt.“

„Ich wundere mich, dass Mycroft nicht bei dem Klang des Wortes Kuchen durch die Tür gerauscht kam.“, grinste John, während Mrs. Hudson aufstand um den Kuchen zu holen und Sherlock und Catherine in Lachen ausgebrochen waren.

„Vielleicht ist es sich bewusst, dass er kein Stück abkriegen würde.“

Schnell kehrte Mrs. Hudson zurück und reichte Catherine das Messer.

„Mrs. Hudson, wir beide wissen, dass Sherlock manchmal ein wenig unausstehlich sein kann…“, setzte Catherine an.

„Ein wenig?“, unterbrach John sie. Sie grinste ihn an und fuhr fort:

„…aber denken Sie nicht, dass das ein wenig zu drastisch ist.“ Sherlock schnaubte genervt und rollte mit den Augen, während John amüsiert lachte.

„Mit dem Messer in der Küche? Wirklich, Cath? Ist das nicht zu….“ Sherlock wedelte hilflos mit der Hand. „Cluedohaft?“

„Willst du lieber auf dramatischere Weise umgebracht werden?“

„Ich bitte darum, Catherine.“

„Nun gut, ich denke mir etwas Besseres aus und lasse es dann vorher von dir absegnen, einverstanden?“

„Besten Dank.“

Mrs. Hudson lächelte bei diesem Anblick und drückte Catherine dann bestimmt das Messer in die Hand.

„Du hast die Ehre, meine Liebe.“

Catherine lächelte und schnitt den Kuchen in beinah perfekt gleich große Stücke und reichte jedem eines. Glänzend braun leuchtete die Schokolade im Licht der Lampe und sie leckte sich über die Lippen.

„Mrs. Hudson, dieser Kuchen sieht wahrlich fantastisch aus. Vielen Dank.“

„Gern geschehen.“

„Wir sind bloß froh, dass du wieder zu Hause bist, Catherine.“, sagte John und lächelte sie an.

„In der Tat.“, pflichtete in Sherlock bei, wenn auch in einem ruhigen Ton. Catherine starrte ihn überrascht an, doch dann lächelte sie und nickte.

„Und ich bin froh wieder hier zu sein. Das bin ich wirklich.“

Die einzige Erwachsene

 

Schnee fiel in kleinen, sanften Flocken vom grauen Himmel Londons und die ganze Stadt hielt für eine Weile inne um diesen seltenen Anblick zu bestaunen, bevor sie sich wieder ihren Einkäufen widmeten. Es war eine Woche vor Heiligabend und alle waren geschäftig damit Geschenke für ihre Liebsten zu besorgen.

Auch Catherine hielt kurz inne, als sie die Tür ihres Wohnhauses hinter ihr schloss und lächelte als die Schneeflocken auf sie niederfielen. Doch da sie fröstelte, zog sie den Reißverschluss ihres Mantels höher und vergrub die Hände in den Taschen. Seit nunmehr fünf Tagen war sie aus den Vereinigten Staaten von Amerika zurückgekehrt und hatte die letzten Tage damit verbracht sich wieder einen normalen Schlafrhythmus anzueignen, sich zu erholen und aufzuräumen. Selbst zu ihrer Ersatzfamilie war sie nicht gegangen. Sie hatte einfach Zeit für sich selbst gebraucht um über die Erfahrungen, die sie gesammelt hatte, nachzudenken, doch nun wollte sie mal wieder vorbeischauen. Schließlich hatte sich auch keiner der beiden bei ihr gemeldet, was durchaus ungewöhnlich war.

Ein paar Minuten später betrat sie schließlich die Wohnung von Sherlock und John. Wenn sie gewusst hätte, was sie da erwartete, wäre sie sicher auf dem Absatz wieder umgedreht und gegangen, doch so betrat sie schließlich das Wohnzimmer und hing ihre Jacke an den Haken. Der Anblick, der sie erwartete, überraschte sie. John saß vollkommen fertig auf der Couch und fuhr sich gerade mit den Händen durch das kurze Haar. Seine Augen lagen tief versunken in dunklen Schatten und Catherine runzelte verwirrt die Stirn.

„John, was ist los?“ Der Arzt zuckte beinahe erschrocken zusammen und drehte sich zu ihr um. Plötzlich begannen seine Augen zu strahlen und er sprang förmlich auf.

„Catherine! Gott sei Dank! Ich bin so froh, dass du da bist.“, rief er aus. Catherine blinzelte irritiert. Sie freute sich zwar auch ihn wieder zu sehen, aber mit solch einem überschwänglichen Empfang hatte sie wahrlich nicht gerechnet.

„Ähm…ich…freue mich auch dich zu sehen.“, sagte sie zögerlich, beinahe schon misstrauisch und runzelte nur noch mehr die Stirn. Langsam ging sie auf ihn zu. „Was ist passiert?“

John seufzte schwer, umarmte sie und legte seinen Kopf erschöpft gegen ihre Schulter.

„Sherlock…er…“, sagte er zögerlich und stoppte.  Catherine hielt innerlich den Atem an und fühlte wie ihr Herz schneller schlug. War etwas Schlimmes mit Sherlock passiert? War er vielleicht wieder verschwunden? Zumindest Johns Pause und der tiefen Atemzug, den er nahm, beunruhigten sie.

„Was ist mit ihm?“, fragte sie beinahe ängstlich.

„Er ist krank.“, vollendete er schließlich seinen Satz und Catherine ließ erleichtert die Luft frei, die sie bis eben in ihren Lungen gefangen gehalten hatte. Sie löste sich von ihm und haute ihm vorwurfsvoll gegen die Schulter.

„Man, John! Jag mir doch nicht solch einen Schrecken ein! Ich dachte es wäre wer weiß was passiert.“ Nun blinzelte John sie irritiert an und legte den Kopf schief.

„Wieso sollte was passiert sein?“

„Ach, keine Ahnung.“, stöhnte sie genervt. Was hatte es auch für einen Sinn, also beschloss sie, die gegebenen Informationen weiter zu ergründen. „Also Sherlock ist krank?“

„Ja.“, grummelte John. „Erkältet.“

„Er kann also wirklich krank werden?“

„Anscheinend ist selbst ein Sherlock Holmes nicht davon befreit.“, schmunzelte John ein wenig amüsiert, doch dann seufzte er wieder und rieb sich über die Augenbrauen. „Er musste ja unbedingt mitten in der Nacht in einem See tauchen gehen um Hinweise zu suchen.“

Skeptisch zog Catherine eine Augenbraue hoch und sah John eingehend an.

„Ich weiß, ich weiß. Ich habe ihn ja noch gewarnt, aber was hat er gesagt?“ Er murrte wieder und äffte Sherlocks Stimme in seinem überheblichsten Tonfall nach. „John, ich werde nicht krank.“

Er schnaubte, warf sich völlig frustriert zurück in die Couch und verschränkte die Arme. „Und nun sitze ich hier seit drei Tagen mit einem schwer erkälteten, gelangweilten und übellaunigen Sherlock Holmes fest.“

„Oh weh…“, antwortete Catherine mitleidig. Sie wollte sich gar nicht vorstellen wie Sherlock in solch einen Zustand verhielt. Männer waren sowieso Mimosen, wenn sie krank waren, doch ein hochfunktioneller Soziopath war vermutlich die reinste Hölle. „Und du hast ihm nicht…?“

„Er verweigert jegliche Medizin.“, knurrte er und schüttelte fassungslos den Kopf. „Stattdessen mosert er die ganze Zeit.“

„Natürlich tut der das.“ Catherine ließ sich neben ihm auf die Couch fallen und schloss die Augen.

„Ich bin total erledigt. Ich habe kaum geschlafen und er braucht seine verdammte Medizin, Catherine, oder er wird noch drei Wochen damit zu kämpfen haben und ich schwöre dir, ich bin kurz davor Mycro….“

„JOOOOOOHN!“, drang Sherlocks verschnupfte, genervte Stimme durch die Tür seines Schlafzimmers. John schloss nur die Augen und vergrub den Kopf in den Händen. Mitfühlend legte Catherine ihm eine Hand auf die Schulter und tätschelte diese leicht.

„Leg dich hin, John! Ich kümmere mich um ihn.“, bot sie ihm mitleidig an. Er hob den Kopf und ein kleines Funkeln rann durch seine dunklen Augen.

„Wirklich? Oh danke, Catherine, du bist meine Rettung.“

„Schon in Ordnung. Na los, ab mit dir, bevor er dich mit einem Lasso einfängt.“

„JOOOOOOOHN!“

„Das lasse ich mir nicht zweimal sagen. Viel Glück, vielleicht hört er ja auf dich“, sagte er und stand auf. Bevor er  sich zu seinem Schlafzimmer begab, drehte er sich noch einmal zu ihr um. „Ach, und Catherine.“

„Ja?“ Blinzelnd sah sie ihn an.

„Wenn es dir zu viel wird, scheu dich nicht Mycroft anzurufen.“

„Glaubst du wirklich, dass solch drastische Maßnahmen notwendig sein werden? Du weißt doch, dass Mycroft Rache dann sonst unerträglich wird.“

„Das wird es wert sein, glaube mir.“ Noch einmal lächelte er Catherine an, bevor er sich beeilte in sein Schlafzimmer zu gehen und die Tür zu verschließen. Sie seufzte und starrte ihm eine zeitlang nach. Sie konnte sich zwar wirklich vorstellen, dass Sherlock anstrengend war, wenn er krank war, aber dass gleich solch drastische Maßnahmen notwendig sein würden, konnte sie sich nicht vorstellen. Schließlich stand sie auf, klopfte den Schnee von ihren Schultern, nahm eine Kanne Tee, die John gekocht hatte, und eine Flasche Wasser, bevor sie ins Schlafzimmer ging.

„Hey, Sherlock.“, flüsterte sie leise um ihn auf sich aufmerksam. Sherlock drehte langsam den Kopf zu ihr um. Er lag in zwei Decke gewickelt in seinem Bett. Die dunklen Locken klebten verschwitzt auf seiner Stirn, seine Haut war fahl und seine Augenringe mindestens ebenso dunkel wie die von John.

„Cath?“, flüsterte er schwach und seine Stimme zitterte. Beinahe hätte Catherine mit den Augen gerollt. Seine Stimme klang so wehleidig und schwach, dass man meine könnte er läge im Sterben, doch sie ersparte es sich ihm darauf aufmerksam zu machen. Was würde es auch bringen? „Wo ist John?“

„Er hat sich hingelegt.“, erklärte sie ihm stattdessen ruhig. Sie erblickte einen Berg von Taschentüchern, die sich neben seinem Bett türmte und seine rote Nase. Sie zog kurz die Augenbraue hoch, lächelte und konnte sich das witzeln doch nicht ganz verkneifen. „Ich hab gehört du hast nach Atlantis gesucht?“

Während sie das sagte, drehte sie sich um und griff sich einen Stuhl, welchen sie neben sein Bett schob, ließ sich darauf nieder und goss ihm eine warme, dampfende Tasse Kamillentee ein.

„Es war für einen Fall, Catherine!“, murrte er schlecht gelaunt und drehte sich wieder in seinem Bett um. „Und Atlantis ist nur eine dumme Legende von idiotischen Fanatikern, die…“

„Ich weiß, Sherlock.“, lächelte Catherine und unterbrach ihn damit. „Ich wollte dich nur necken.“

Sie stand langsam auf, ging zu ihm und setzte sich auf dem Bettrand neben ihm. Erst jetzt erkannte sie den fiebrigen Glanz in seinen Augen und ernsthafte Besorgnis ersetzte ihr Amüsement. Vorsichtig hielt sie ihm die Tasse hin.

„Hier, trink das!“, forderte sie ihm sanft auf. „Das wird dir gut tun.“

„Nein!“, stieß Sherlock entschlossen aus und drückte seinen Kopf tiefer in die Kissen.

„Sherlock…“, sagte Catherine ein wenig resignierter und strich ihm kurz über den zugedeckten Arm. „Das ist nur Kamillentee.“

„Als ob.“

„Sherlock…“

„John hat da sicher Medikamente reingemischt.“

„Warum willst du denn keine Medizin nehmen? So bleibst du doch nur länger krank und John weiß was er tut…“

„Prinzip.“, nuschelte er leise, bevor ein heftiges Niesen in erzittern ließ. Er schniefte und kuschelte sich tiefer in seine Decken. Catherine schüttelte kurz den Kopf, doch sie konnte sich nicht erwehren, dass sie Mitgefühl für ihn empfand.

„Gesundheit.“ Kurz drehte sie sich um und reichte ihm ein Taschentuch, welches er blind ergriff und sich die Nase putzte. Danach ließ er sich stöhnend wieder in seinem Kissen nieder. „Aber ich betone noch einmal, dass du dann umso länger an dieses Bett gefesselt sein wirst und keine Fälle lösen kannst.“

„Mir egal.“, schnaufte er. Seine Nase war sichtlich verstopft und er konnte nur noch durch den Mund atmen. „Keine Medizin.“

Catherine seufzte und rieb sich nachdenklich über die Augenbrauen. Offensichtlich kam sie mit dieser Strategie bei Sherlock nicht weiter. Sie musste sich eine andere überlegen um ihm zu seinem Glück zu verhelfen.

„Sherlock, würdest du mir denn glauben, wenn ich dir eine neue Kanne koche, dass ich dir nichts unterjubeln werde? Du weißt, dass du viel trinken musst, da du durch das Fieber viel ausschwitzt.“ Vorsichtig streckte sie ihre Hand aus und fühlte seine Stirn. „Oh weh, du glühst ja förmlich.“

Einige Zeit schwieg Sherlock und starrte bloß auf die gegenüber liegende Wand, während Catherine ihre Hand zurückzog.

„Von mir aus.“, flüsterte er, als sie schon gar nicht mehr damit rechnete und ihr Herz machte einen Sprung. Obwohl es sich nur um eine Kleinigkeit handelte, wusste sie, was es bedeutete. Er vertraute ihr. Sie lächelte sanft und strich ihm nach einigem Zögern die verklebten Haarsträhnen aus dem Gesicht und legte ihm einen kalten Waschlappen auf die Stirn. Die Kühle musste so gut tun, dass selbst Sherlock sich einen wohligen Seufzer nicht mehr verkneifen konnte. Sie wusste, dass sie ihm eigentlich noch Wadenwickel umlegen sollte um das Fieber zu senken, doch er würde das niemals zulassen. Also stand sie stattdessen auf und ging in die Küche und kochte eine weitere Kanne Tee, während sie einen Schluck von Johns nahm. Kurz spielte sie wirklich mit dem Gedanken ihm Medizin in den Tee zu tun, doch sie entschied sich dann dagegen. Sie wusste, dass er es bemerken würde und sie wollte sein Vertrauen nicht missbrauchen. Also kehrte sie schließlich in das verdunkelte Zimmer zurück und setzte sich wieder an sein Bett.

„Woher soll ich wissen, dass dort nichts drin ist?“, fragte Sherlock missmutig und sah sie aus eindringlichen Augen an, bevor ein starker Hustanfall ihn davon abbrachte.

„Das kannst du nicht.“, sagte Catherine ruhig, während sie eine erneute Tasse einschüttete. „Du musst mir dann schon vertrauen.“

Sherlock grummelte nur und schniefte.

„Komm…trink! Nur einen Schluck, Sherlock, bitte!“ Ihre Stimme zitterte leicht, als sie ihn darum bat. Sherlock schwieg und zog die Decke höher, dennoch schielte er leicht zu ihr herüber. Er hasste es, dass sie ihm vorschrieb was gut für ihn war und was er tun sollte, doch ihre Augen funkelten so besorgt, dass er schließlich all seine Kraft zusammennahm, sich aufsetzte und einen winzigen Schluck trank.

„Bäh, was ist das?“, fragte er und streckte die Zunge heraus, während er beinahe die Tasse davon warf. Gerade noch rechtzeitig konnte Catherine ihm die Tasse entwenden und auf den Nachttisch retten.

„Kamillentee.“, antwortete sie irritiert. „Ganz normaler Kamillentee. Du schmeckst vermutlich nur wegen deiner verstopften Nasen…“

„Das ist kein Tee!“, stieß Sherlock aus und legte sich auf seinen Rücken. „Das ist Schmierwasser!“

Catherine zuckte kurz zusammen und schloss traurig die Augen. Sie wollte ihm nicht zeigen wie sehr sie diese Worte verletzt hatten. Ihr war bewusst, dass er einfach schlecht gelaunt war und es ihm herausgerutscht war. Sherlock hatte es sicherlich nicht so gemeint. Warum hatte sie auch Dankbarkeit von ihm erwartet?

„Möchtest du lieber Wasser?“, bot sie ihm stattdessen an, konnte aber wohl ihre Trauer nicht ganz in ihrer Stimme verbergen.

„…“ Sherlock zögerte, dachte kurz danach und schüttelte den Kopf. „Nein.“

„Kann ich sonst etwas für dich tun?“

„Nicht, dass ich wüsste.“, sagte er lustlos und drehte sich von ihr ab. Catherine seufzte leise und sackte ein wenig zusammen. Es war hoffnungslos. Er wollte sich einfach nicht helfen lassen und das musste sie respektieren.

„Gut, dann versuch zu schlafen.“ Sie stand auf und sah auf den weißen Haufen in Sherlocks Bett. „Sherlock, bitte, überleg es dir mit der Medizin noch einmal.“ Leise kniete sie sich neben sein Bett und strich über seinen Arm. Gerne würde sie für ihn da sein, doch er wollte es offensichtlich nicht.

„Ich nehme keine Medizin, Cath.“, grummelte Sherlock verstimmt und versteckte sich nun vollends unter den Decken.

„Also gut…“, seufzte Catherine traurig und stand auf. Sie wartete noch einige Augenblicke, ob er ihr noch antworten würde, doch er blieb stumm. Ihre Hoffnung, dass er sie zurückhalten würde, ging verloren. Also gab sie auf. „Ruh dich aus und versuch zu schlafen.“

Damit verließ sie das Zimmer und schloss die Tür leise hinter sich. Nachdenklich ließ sie sich auf eben jenen Punkt fallen auf dem John vor einer halben Stunde verzweifelt gesessen hatte. Nun verstand sie auch warum. Dieses ständige Abblocken über mehrere Tage konnte wahrlich an den Nerven zehren. Wollte sie auch so abgekämpft und erschöpft enden wie John oder war es vielleicht wirklich an der Zeit sich Hilfe zu holen? Sie kramte in ihrer Hosentasche und zog ihr Smartphone hervor. Noch immer zögerte sie, doch dann wurde ihr bewusst, dass es wohl keinen anderen Weg gab. Schließlich wählte sie die Nummer, deren Konsequenzen weit reichend seien würden, und lehnte sich zurück. Das schlechte Gewissen, das ein wenig an ihr nagte, ignorierte sie geflissentlich. Nach wenigen Augenblicken hörte sie das Knacken, welches signalisierte, dass der andere Teilnehmer abgenommen hatte und die vertraut ruhige, leicht arrogante Stimme sprach:

„Miss Amell, was verschafft mir das Vergnügen?“

„Guten Tag, Mr. Holmes.“, grüßte Catherine so höflich und unverfänglich wie möglich. „Ich hoffe doch, ich störe Sie nicht gerade bei der Weltvernichtung.“

„Sehr amüsant.“, konterte Mycroft mit der gewohnt ruhigen Stimme, die keinerlei Gefühlsregung erahnen ließ. „Aber ich muss Sie leider enttäuschen. Allerdings kann ich auch nicht sagen, dass ich nicht beschäftigt wäre. Also, wenn Sie…“

„Hinweis verstanden.“, unterbrach Catherine ihn. Sie wusste, dass ihr Anruf ungelegen kam. Wann kam er bei der Britischen Regierung in Person auch jemals gelegen? Also beschloss sie direkt zur Sache zukommen und ihr übliches Geplänkel beiseite zu schieben. „Ich bräuchte einen Rat von Ihnen, Mr. Holmes. Es geht um Sherlock.“

Sie konnte förmlich hören wie Mycroft die Stirn runzelte und sich vermutlich etwas gerader in seinem Ledersessel im Diogenes Club setzte.

„Sherlock?“, fragte er nun doch leicht irritiert und Catherine schmunzelte. Natürlich war er verwundert, denn eigentlich rief sie ihn nie an. Um genau zu sein hatte sie sich nur seine Nummer besorgt um vorgewarnt zu sein, sollte er sie mal anrufen. Sie war gern vorbereitet, wenn in der nächsten Sekunde das komplette Waffenarsenal des Vereinigten Königreichs auf sie zielen könnte und nein, sie war nicht paranoid.

„John und ich…nun…“, zögerte sie spielerisch und seufzte gespielt erschöpft. „Wir sind gerade etwas ratlos. Er ist krank.“

Einige Momente herrschte irritiertes Schweigen am anderen Ende der Leitung, doch dann zeigte ihre Taktik doch Wirkung. Leise drang ein Lachen von Mycroft an ihr Ohr und sie lächelte zufrieden. Zugegebenermaßen sie hatte einen großen Respekt vor Mycroft und wusste, dass man ihm mit Vorsicht genießen musste, doch andererseits konnte sie sich nicht dagegen wehren, dass ihr diese Spiele Spaß machen. Sie beide spielten, wenn sie miteinander sprachen. Zumindest glaubte sie dies.

„Krank…“, wiederholte Mycroft leise und noch immer war ein leises Glucksen in seiner Stimme versteckt. „Mein liebster Bruder ist krank. Ja, ich glaube, ich verstehe, warum Sie anrufen. Er weigert sich wahrscheinlich aus Prinzip seine Medizin zu nehmen und ist zeitgleich mit nichts zufrieden zu stellen, nehme ich an.“

„Ziemlich genau das.“, bestätigte sie und seufzte erneut. „Ich habe ihn mit Müh und Not dazu bewogen einen Schluck Tee zu trinken. Allerdings musste ich ihm eine neue Kanne kochen, weil er glaubte, dass John ihm Medizin untergejubelt hatte.“

„Hatte er?“, hakte Mycroft skeptisch nach.

„Keine Ahnung. Zuzutrauen wäre es ihm ja, so erschöpft wie der Arme war.“, erklärte Catherine rasch. Hoffentlich hatte sie damit Mycroft nicht Munition geliefert. „Aber trinken wollte er den Tee noch immer nicht. Er würde wie Schmierwasser schmecken, hatte er gesagt.“

„Oh, Schmierwasser? Das ist neu.“, sagte Mycroft amüsiert und er schien kurz in Erinnerungen zu hängen. „Früher war es immer Seifenlauge.“

Catherine konnte gerade noch ein Prusten abwehren und hielt sich vorsichtshalber die Hand vor dem Mund um das erstickte Geräusch zum Schweigen zu bringen.

„Ich glaube Schmierwasser ist besser als Seifenlauge. Nicht ganz so giftig.“

„Tja, das liegt wohl wahrscheinlich an der Person, die ihn gemacht hat.“, erwiderte Mycroft gelassen und ging wieder einmal überhaupt nicht auf ihren Witz ein. Wie frustrierend! Er durfte immer sarkastisch sein, aber bei ihr blieb er staubtrocken und völlig unbeeindruckt. Sie war witzig, verdammt! Catherine schüttelte den Kopf. Diese Gedanken waren in dieser Situation wohl völlig unangebracht.

„Also, Miss Amell…“, fuhr er zu ihrem Glück fort. „Sie wollen also ein paar Wie-handhabe-ich-ein-exzentrisches-gelangweiltes-Genie-wenn-es-krank-ist Ratschläge.“

„Ich wäre Ihnen sehr verbunden, wenn Sie einige Ihrer geheimen Britische-Regierung-und-großer- Bruder Tipps preisgeben könnten.“, pflichtete sie ihm bei und wartete. Einige Zeit herrschte Ruhe von Mycrofts Seite.

„Das wird Ihnen nicht gefallen.“, warnte er sie schließlich.

„Ich werde es auf einen Versuch ankommen lassen.“, erklärte sie nun doch ein wenig beunruhigt, aber sie zeigte es nicht.

„Also gut.“, seufzte Mycroft und holte tief Luft. „Sie müssen ihn verhätscheln.“

Catherine zog eine Augenbraue hoch und sie könnte schwören, dass Mycroft es irgendwie bemerken müsste, denn sie meinte ihn beinahe Lächeln zu sehen. Aber gut, sie ließ sich auf sein Spiel ein.

„Noch mehr als sonst? Ist das überhaupt möglich? Ich mein, dass er gern umsorgt wird und das sich am besten die ganze Welt um ihn drehen sollte, ist ja nicht unbedingt neu.“

„Nein, nicht so wie normal.“, widersprach Mycroft sanft, als wäre sie ein kleines Kind, das einfach nicht begreifen wollte. „Was ich meine ist, dass Sie ihm jeden Wunsch von den Augen ablesen müssen und am besten noch einen Knicks dabei machen.“

Wie bitte was? Das sollte sie tun? Catherine schnaubte genervt. Sollte sie sich vollkommen devot vor ihm geben und förmlich darum betteln und flehen, dass er ihr erlaubte, ihm zu helfen? Einen Augenblick mal, sie sprach hier von Sherlock Holmes. Natürlich sollte sie das. Frustriert rollte sie mit den Augen. Warum musste bei ihm immer alles mit Selbsterniedrigung zu tun haben?

„Soll ich mir gleich noch ein Maidkostüm anziehen?“, fragte sie sarkastisch und ihre Stimme konnte ihren Missmut nicht verbergen. Zu allem Überfluss hörte sie Mycroft erneut auf diese Art und Weise lachen, die zeigte, dass er sie keinesfalls ernst nahm. Dabei sollte Mycroft Holmes Catherine Amell sehr ernst nehmen, denn sie besaß eine ganz eigene Macht, deren sie sich selbst ebenso wenig bewusst war wie er, die er aber noch kennenlernen sollte.

„Jetzt haben Sie es erfasst.“

„Kurz gesagt…“ Und Catherine rollte erneut mit den Augen. „Ich soll mich in jeglicher Hinsicht demütigen und ihn noch mehr vergöttern als sonst?“

„Absolut richtig.“ Gott, sie verfluchte Mycroft für dieses amüsierte Grinsen, welches sie in seiner Stimme hörte. Sie wusste, dass er das Spektakel in der Bakerstreet nur zu gerne sehen würde, wenn es nicht bedeuten würde, dass er sich selbst dieser Lächerlichkeit preisgeben müsste. „Am besten sagen Sie ihm noch ein paar Mal wie genial er ist, welch Bereicherung er für die Menschheit darstellt und Sie werden sehen, er wird ganz handzahm.“

„Der wird niemals handzahm.“, erwiderte sie nüchtern, doch diesmal konnte sie ihr prusten nicht verhindern. Was war das nur? Warum fühlte sich Catherine bloß in der Welt von Sherlock Holmes richtig wohl? Warum war sie selbst im Telefongespräch mit der Britischen Regierung mehr sie selbst, als sie es je in der realen Welt war? Das hier war ein Schein. Eine dunkle Welt in die sie unter normalen Umständen niemals hätte hineingeraten sollen und doch fühlte sie sich in der Unterwelt Londons, weit jenseits des Styx, der hier die Themse war, wohler und sicherer, als in der Helligkeit des Lichtes.

„Ich denke bei Ihnen wohl eher als bei mir, Miss Amell. Sie haben da so einen Vorteil.“

„Oh ja, richtig. Mein Dackelblick, den hätte ich beinahe vergessen.“, grinste sie. Wieder lachte Mycroft, doch es war wieder dieses ein wenig überhebliche.

„Den meinte ich zwar nicht, aber von mir aus auch den.“ Catherine blinzelte und erst jetzt bemerkte Catherine, dass Mycroft bereits so etwas in der Art gesagt hatte. Sicherlich, Sherlock hielt nicht besonders viel von seinem Bruder und somit war dies keine Ungewöhnlichkeit, doch dass Mycroft es gerade jetzt sagte, und die Art wie er es sagte, stimmten sie etwas stutzig.

„Was meinten Sie dann?“, fragte sie ihn irritiert. Nun schien auch Mycroft verwundert und sich zu fragen, ob sie es wahrlich noch immer nicht bemerkt hätte, denn es blieb einige Zeit lang ruhig. Dann hörte sie wie er tief Luft holte und beinahe ehrlich sanft sprach:

„Er kann es nicht ausstehen Sie traurig zu sehen, Miss Amell. Sie sagten, Sie hätten es geschafft ihn zu einem kleinem Schluck Tee zu überreden? Das ist mehr, als die meisten je erreicht hatten und jetzt denken sie mal nach, was Sie dafür getan haben.“ Catherine spürte wie ihr Herz stockte, bevor dieses dumme Organ zu rasen begann. Doch statt wie meist sonst in Verwirrung zu versinken und sich lange den Kopf darüber zu zerbrechen, was dies bedeuten könnte, klammerte sie sich an Mycrofts Befehl. Wie er es ihr befohlen hatte, begann sie darüber nachzudenken, was sie getan hatte, was Sherlock dazu veranlasst haben könnte, den Tee zu trinken.

„Ihn bittend angesehen.“, stellte sie dann plötzlich fest.

„Das habe ich mir schon fast gedacht. Hier also mein Rat: Verhätscheln Sie ihn und wenn er sich weigert, dann seien Sie betroffener als Sie wirklich sind.“

„Ich werde es versuchen. Vielen Dank, Mr. Holmes. Gibt es noch irgendetwas…vielleicht etwas, was er in solch Situationen gerne isst? Ich würde ihn gern ernst etwas milder stimmen. Vielleicht eine Suppe oder ähnliches?“

„Nun ja, auch wenn Sherlock es vermutlich bis zu seinem Tod abstreiten würde, er mag die Lutschpastillen mit Honiggeschmack und die selbstgemachte Hühnersuppe unserer Mutter, allerdings ohne Sellerie. Ich denke eine von Mrs. Hudson dürfte aber auch ihren Zweck erfüllen.“

„Gut, ich werde sehen was sich organisieren lässt.“ Catherine lächelte. „Vielen Dank noch einmal, Mr. Holmes. Ich glaube ich sollte nun wieder nach ihm sehen. Er schläft nicht. Ich kann förmlich hören wie er denkt.“

„Selbstverständlich. Ich würde Ihnen ja sagen Sie sollen ihm gute Besserung von mir wünschen, aber dann würde er wahrscheinlich einen Tobsuchtanfall bekommen.“

„Ich glaube, dann können wir uns eine neue Einrichtung kaufen.“, seufzte sie. „Und dann kippt er wegen seinem Fieber um. Nein, das können wir nicht gebrauchen.“

Sie schnalzte und schüttelte den Kopf.

„Zum Glück wird er zu benebelt sein um zu merken, dass ich Tipps von Ihnen bekommen haben.“

„Das sollten Sie wohl hoffen.“, lachte Mycroft.

„Sonst werde ich sein nächster Studienfall.“, grinste sie.

„Das dürfte dann ziemlich nervenaufreiben für Sie werden.“

„Vermutlich.“, lächelte sie. „Auf Wiederhören, Mr. Holmes.“

„Auf Wiederhören, Miss Amell. Hoffentlich nicht so bald und über meine Belohnung sprechen wir, wenn Sie erfolgreich waren. Viel Erfolg.“ Mit diesen Worten legte sie auf und stand auf um nach Sherlock zu sehen.

~*~

In dem nicht unweit entfernten Diogenes Club legte auch die Britische Regierung ihr Handy beiseite und lehnte sich tiefer in den gemütlichen Sessel, der vor dem knisternden Kamin stand.

„Wer war das, Sir?“, fragte Anthea, die sich während des gesamten Telefonats neben ihn gestanden hatte und blickte ihn mit einem kleinen Funken Neugierde an auch wenn dieser sich in ihrem Beruf nicht geziemte.

„Nun, das ist eine gute Frage.“, antworte Mycroft ominös, während er in die Flammen starrte. Anthea blinzelte verwirrt.

„Wie meinen Sie das, Sir?“

„Ich meine damit, dass ich ihren Status noch nicht definiert habe.“, erklärte Mycroft mit einem leichten Lächeln auf seinen Lippen. Es reizte ihn, dass er Catherines Position in diesem Geflecht noch nicht einordnen konnte. Sonst war er es gewohnt alles zu wissen, doch Catherine blieb eine Unbekannte, die völlig unvorhersehbar war und eben das gefiel ihm.

„Verstehe.“, sagte Anthea nun beinahe gelangweilt und sah in ihren Terminplaner. „Wollen wir dann mit der Krim Kriese fortfahren? Die CIA will einen Informationsaustausch mit Ihnen durchführen.“

„So, so.“, sagte Mycroft. „Dann werden wir wohl eine Videokonferenz mit dem Präsidenten abhalten, nehme ich an.“

„Die Verbindung ist bereits im Konferenzraum aufgebaut.“ Sie zögerte kurz und sah Mycroft mit einem unbehaglichen Blick an. „Bereits seit einer Viertelstunde.“

Mycroft wedelte abwehrend mit seiner Hand, dann stand er auf.

„Man muss seine Prioritäten kennen.“, sagte er ruhig, lächelte Anthea mysteriös an und verschwand dann.

~*~

Catherine unterdessen trat erneut in Sherlocks Schlafzimmer ein, nachdem sie bei Mrs. Hudson eine Hühnersuppe bestellt hatte. Sie lächelte freundlich, als er ihr einen missmutigen Blick zuwarf und setzte sich an seinen Bettrand um ihn den Schweiß von der Stirn zu wischen. Zu ihrer Erleichterung ließ er sie gewähren und schloss sogar wieder die Augen, als sie mit dem kühlen Waschlappen über seine Stirn strich.

„Falls du wiedergekommen bist…“ Er musste husten und murrte. „…um mit mir über Medizin zu diskutieren, kannst du gleich wieder gehen.“

Catherines Lächeln verblasste trotz seines angreifenden Tons nicht. Stattdessen schüttelte sie nur ihren Kopf.

„Nein, bin ich nicht. Ich respektiere deine Meinung. Ich bin hier weil ich dachte, dass du vielleicht...“ Sie zögerte kurz und lächelte unsicher. „..etwas Gesellschaft gebrauchen könntest.“

Sherlock blinzelte irritiert. Er hätte damit gerechnet, dass Catherine ihn erneut dazu drängen wollte seine Medizin zu nehmen, doch sie tat es nicht.

„Das…ist nett.“ Catherine lächelte und kramte dann ihrer Tasche um ein Bonbon herauszuholen.

„Bonbon?“, fragte sie und begann leicht an dem Silberpapier zu ziehen.

„Ich mag keine…“, setzte er murrend an, doch dann hielt er inne, da er die Verpackung erkannte. Catherine schmunzelte. Zum Glück hatte sie noch eine Packung von dem empfohlen Bonbons gefunden und hatte sie eingesteckt.

„Nun gut. Bleibt mehr für mich.“, sagte sie grinsend und begann das Papier zu entpacken. Sherlock beobachtete jede Bewegung ihrer Finger, biss sich leicht auf die Unterlippe, hielt es dann aber nicht mehr aus.

„Nein!“, rief er ein wenig zu heftig aus. Catherine hielt inne und sah ihm mit einer hochgezogenen Augenbraue an. Er bemerkte ihren Blick und hustete um seinen Ausruf zu überspielen. „Ich meine, ich könnte ja mal eines probieren.“

Sie lächelte, wickelte das gelbe Bonbon endgültig aus und reichte es ihm. Vorsichtig nahm er es von ihr und steckte es sich in den Mund. Catherine lächelte als sie sah wie er genüsslich darauf rumlutschte.  Also beschloss sie diesen Moment zu nutzen, um ihn zum Trinken zu bewegen. Mit Bedacht schüttete sie ihm noch eine halbe Tasse des wohlig duftenden Tee ein.

„Hier, trink bitte noch einen Schluck!“

„Ich will nicht, Catherine.“  Sie blinzelte und sah ihn traurig an.

„Bitte, Sherlock. Du brauchst Flüssigkeit. Du bist bereits schon ein wenig dehydriert.“

Sherlock ignorierte erst ihren Blick, drehte bewusst den Kopf weg um ihn nicht sehen zu müssen. Stattdessen zog er eine Schnute und schmollte wie ein kleines Kind, dass etwas alleine erledigten wollte. „Ich möchte doch einfach nur, dass es dir besser geht.“

Traurig schlug sie die Augen nieder und flüsterte leise: „Bitte.“

Er drehte sich wieder zu ihr um und konnte sich dann nicht mehr von diesem flehenden, besorgten Blick lösen, obwohl er wusste, dass er es musste, sonst würde er nachgeben. Schließlich stieß er ein genervtes Stöhnen aus.

„Na schön!“, stieß er mit ruppiger Stimme aus, aber er beugte sich vor und nahm die Tasse. „Aber danach lässt du mich mit diesem Unsinn in Ruhe!“

Schnell leerte er die Tasse bis auf die Hälfte, hustete als er sich beinahe verschluckte und stellte die Tasse geräuschvoll auf den Nachttisch zurück. Zu seiner Überraschung begann Catherine bis über beide Mundwinkeln zu strahlen. So allmählich bekam er das Gefühl, dass sie ihn manipulierte.

„Vielen Dank, Sherlock.“

„Schon gut.“, nuschelte er. Dieses freudige Lächeln machte ihn wirklich weich. Catherine hingegen setzte sich zu ihm auf die Bettkannte und nahm einfach seine Hand, welche sie zaghaft drückte. Sherlock blinzelte verwirrt und starrte zu ihr hinauf. Er versuchte sie zu lesen, doch durch die Erkältung war sein Verstand schrecklich langsam geworden und er gab schließlich auf. Besonders als er sah wie ihr Lächeln zu flackern begann. In diesem Moment beschloss er ihre Hilfe zumindest in einem gewissen Maß zu akzeptieren. Deshalb lächelte er leicht zurück um sie zu beruhigen, schloss dann aber wieder die Augen. Verdammte Erkältung. Sie raubte ihm sämtliche Kraft. Fast so als würde Catherine es spüren, begann sie von ihrer Arbeit zu erzählen um ihn abzulenken. Sherlocks Lächeln wurde etwas größer, als er hörte mit welcher Begeisterung sie davon sprach. Ihre Stimme war eine halbe Oktave höher, sie sprach schnell, was auf Aufregung hindeutete. Es freute ihn, dass sie glücklich dabei war, auch wenn er das niemals zugeben würde. Sie erzählte von einem neuen Mikroorganismus, den sie entdeckt hatten und den sie gerade charakterisierten. Dafür hatte sie nun eine eigene Forschungsgruppe zugeteilt bekommen und Sherlock musste zugeben, dass er sich für sie freute. Sie verdiente diese Chance. Er hatte wahrlich selten eine solch fähige Wissenschaftlerin gefunden wie sie. Vor allem nicht in diesem jungen Alter. Sherlock musste sich öfters daran erinnern, dass sie erst sechsundzwanzig Jahre alt war.

„Du wirst einen tollen Job machen, Catherine.“, lächelte er und sah beinahe schon stolz zu ihr hoch. Catherine hingegen blinzelte und lehnte sich etwas vor.

„Woran hast du gerade gedacht, Sherlock?“ Dieser runzelte die Stirn und zog eine Augenbraue hoch. „Du hast so ausgesehen, als hättest du dich an etwas erinnert.“

„Nun, ich habe nur gesehen, was aus meiner nicht ganz so dummen Biologie Studentin geworden ist.“ Er lächelte zufrieden, als Catherine ein wenig errötete und scheu seinem Blick auswich.

„Kein Grund rot zu werden, Cath.“, flüsterte er sanft und hob sachte ihr Kinn an, sodass sie in seine Augen sah.

„Und was ist aus mir geworden?“

„Eine wunderschöne, liebenswerte, starke, junge Frau mit einem Verstand auf den sie sehr stolz seien kann. Eine Frau mit einem äußerst angenehmen Sarkasmus und mit einer Geduld mit der sie sogar Sherlock Holmes aushält.“ Catherine starrte ihn aus großen Augen an. Es war das erste Mal, dass Sherlock so etwas zu ihr sagte und wieder begann ihr Herz zu rasen. Er hatte sie wahrlich gelobt und er meinte es ernst, dass konnte sie in seinen Augen sehen.

„Sherlock…“, stotterte sie völlig überfordert. War es das Fieber, was da aus ihm sprach? Catherine wusste es nicht, doch sie konnte sich nicht erwehren, dass es sich gut anfühlte, dass er sie wertschätzte und offensichtlich als wertvoll erachtete.

„Es ist doch nur die Wahrheit, Cath.“, lächelte er.

„Das heißt aber nicht, dass du sie auch aussprichst. Du verteilst ja wahrlich selten Komplimente.“

„Ich gebe den Leuten immer eine Antwort auf ihre Frage, wenn sie nicht langweilig sind und sie die Antwort verdient haben. So einfach ist das.“

„Sherlock…“, flüsterte sie sanft. Sie konnte kaum glauben mit wie viel Glück sie diese Worte erfüllten. Sie fing sich allerdings schnell wieder auch wenn der glückliche Ausdruck auf ihrem Gesicht blieb. „Kann ich noch irgendetwas für dich tun?“

„Nein.“, sagte er, doch plötzlich knurrte sein Magen und strafte ihn Lügen. Catherine lachte leise und tätschelte sanft seine Hand. „Ich komme gleich wieder.“

Wenige Augenblicke später kehrte sie tatsächlich mit einer dampfenden Schale deftig duftender Hühnersuppe zurück, die Mrs. Hudson zum warmhalten in die Küche gestellt hatte. Vorsichtig stellte sie die Keramikschale ab, half Sherlock sich aufzusetzen und reichte ihm schließlich die Suppe, welche er begierig leerte. Catherine beobachtete das Schauspiel amüsiert und konnte sich nicht erwehren ihn ein wenig zu necken.

„Da war aber einer kurz vorm Verhungern. Warum hast du nicht eher etwas gesagt?“, fragte sie, während sie die Schale auf dem Nachttisch abstellte.

„Ich war nicht hungrig!“, widersprach Sherlock entschieden.

„Wem willst du das denn weismachen?“, fragte sie augenrollend. „Sherlock, ich kenne dich mittlerweile.“

Sherlock grummelte verstimmt, widersprach dieses Mal allerdings nicht, weshalb Catherine schmunzelte. Sie verschwand kurz in die Küche um die Schale abzuwaschen, kam dann aber wieder.

„Du solltest versuchen zu schlafen, Sherlock.“

„Schlafen ist langweilig.“, quengelte er.

„Krank sein auch.“ Sie zwinkerte ihm zu.

„Pff…“ Catherine holte tief Luft und versuchte ruhig zu bleiben.

„Was willst du dann tun? Aus dem Bett lasse ich dich in deinem Zustand nicht und wenn ich dich fesseln muss.“

„Als ob du das könntest, Catherine.“, schnaubte er.

„In deinem jetzigen Zustand rechne ich mir bei diesem Kampf sogar reelle Chancen aus, Sherlock. Ich würde es aber zu gerne vermeiden.“, erklärte Catherine gelassen und ließ sich neben seinem Bett nieder. Dabei ignorierte sie geflissentlich wie er mit den Augen rollte.

„Ach Sherlock…“ Sie seufzte leise und traurig. „Sag mir einfach, was ich tun kann, damit es dir besser geht. Ich tu alles, was  ich kann.“

Sherlock drehte sich wieder zu ihr herum und starrte sie einige Zeit lang. Es war für sie nicht schwer zu erkennen, dass er mit sich rang, doch sie wollte ihm wirklich helfen und wartete deshalb geduldig, bis er endlich mit ihr sprach.

„Warum tust du das, Catherine?“, fragte Sherlock schließlich und sah sie an, doch sah sich nur mit einem verwirrten Blick konfrontiert. „Ich meine, meine Launen aushalten und…“

„Immer noch nicht verstanden?“, seufzte sie und schüttelte ihren Kopf. Musste man dem brillanten Detektiv wirklich jede Kleinigkeit erklären? Zumindest in dieser Beziehung war er den Menschen um sich herum nicht im Geringsten überlegen, aber es störe ihn nicht und sie ehrlich gesagt auch nicht wirklich. Es wäre ehrlich gesagt noch frustrierender gewesen, wenn er selbst darin besser wäre.  „Ich tue es, weil ihr beide mir wichtig seid. Das Wichtigste, wenn ich ehrlich bin, und man kümmert sich um die Menschen, die einem wichtig sind, wenn sie krank sind.“

„Trotzdem…“, flüsterte er leise und sah sie beinah mit quälenden Augen an. Catherine lächelte nur sanft auf ihn herab. Er wollte so gerne verstehen, doch wie erklärte man etwas, dass so natürlich wie atmen? Wie erklärte man Gefühle und menschliche Gepflogenheiten, die man seit jüngster Kindheit eingeimpft bekommen hatte?

„War das früher bei dir nicht so, als du jung warst?“, fragte sie ruhig und sah einfach zu ihm hinab.

„Nun…Mycroft…er…“ Plötzlich verstummte er und blickte zur Seite. Catherine sah ihn einfach nur an und wartete, denn er war gerade dabei etwas preiszugeben, was er wohl noch Niemanden gesagt hatte. Nach einigen Augenblicken jedoch kam es einfach aus ihr heraus. Sie konnte nicht mehr warten, bis er sich endlich durchgerungen hatte.

„Hat er sich um dich gekümmert?“ Beinah schien es als würde die offensichtliche Antwort ihm beinahe physische Schmerzen bereitete und sich wie ein Aal wand.  „Schon gut. Du musst nicht antworten.“

Sanft tätschelte sie seine Hand und lächelte. Ihr entging nicht wie er trotz seiner Krankheit sie genau beobachtete und versuchte ihre Gefühlsregungen zu deduzieren. Mittlerweile hatte sie zumindest einigermaßen gelernt die wichtigsten von ihnen zu verstecken.

„Ja, er hat sich um mich gekümmert.“, nuschelte er dann schließlich so hastig, dass sie ihn beinah kaum verstand, aber sie tat es dennoch, weil sie ihren Ziehvater mittlerweile gut genug kannte. Sie wusste auch, dass sie besser nichts weiter dazu sagen sollte. „Sogar ziemlich gut.“

//Krankenschwester Mycroft Holmes, na das muss ich mir merken.//, dachte Catherine vergnügt. Nun hatte sie ihre Verteidigung gegen Mycrofts Rache oder Preis- was immer besser passte. Sie grinste in sich hinein und freute sich darauf sich wieder mit ihm duellieren zu können, auch wenn diese doch ziemlich unfair waren. Plötzlich hörte sie wie Sherlock leise lachte und sie blinzelte irritiert. „Was ist so lustig, Sherlock?“

„Man konnte dir ansehen, was du gedacht hast.“, grinste er.

„So?“ Sie lächelte ihn verschmitzt an. „Hat man das? Nun, ich glaube das war auch nicht sonderlich schwer zu erraten.“

Die beiden so unterschiedlichen und doch so gleichen Menschen sahen sich an und schmunzelten einfach. So fremd sie sich doch manchmal waren in den Grunddingen verstanden sie sich doch blind.

~*~

Drei Stunden später erwachte John auf seinem erholsamen, wenn auch kurzen Nickerchen. Als er schließlich erneut angekleidet und gewachsen herunterkam, fand er Catherine erledigt, aber zufrieden auf der Couch vor. Sie hörte ihn hereinkommen und drehte den Kopf zu ihm um. Ein kleines Lächeln lag auf ihren Lippen.

„Pssst! Unser kleines Sorgenkind schläft.“

„Er schläft?“, wiederholte John ungläubig und starrte sie beinahe wie einen Geist an. Catherine nickte nur, stand kurz auf und schloss leise die Tür, die zu Sherlocks Schlafzimmer führte.

„Er ist vor drei Stunden eingeschlafen.“, erklärte sie und erdreistete sich sogar in seinem Sessel Platz zu nehmen. John starrte sie mit offenem Mund an als wäre sie ein Geist oder eine heilige Erscheinung- kam auf den Blickwinkel an. Catherine kicherte amüsiert und nickte.

„Wie um Himmels Willen hast du das hinbekommen? Verrate mir dein Geheimnis!“

„Eigentlich habe ich gar kein Geheimnis.“, erklärte sie. „Wir wollten Karten spielen und ich war kurz drüben um die Karten zu holen, weil wohl Sherlock eure für irgendein Experiment gebraucht hatte. Ich habe mich nicht getraut zu fragen was für eine Art von Experiment Spielkarten benötigt.“

John runzelte irritiert die Stirn, beschloss aber nicht weiter nachzufragen. Er konnte sich ebenfalls nicht vorstellen für was für eine Art von Zaubertrick Sherlock Holmes Spielkarten benötigte und wirklich wissen wollte er es auch nicht. Wer weiß wie man diese harmlosen Gegenstände in tödliche Werkzeuge verwandeln kann.

„Das kann doch nicht alles sein.“

„Na ja, im Prinzip schon.“ Catherine zuckte mit den Schultern. „Wir haben uns unterhalten, ich habe ihm von meiner Arbeit erzählt, er hat eine Hühnersuppe gegessen und dann wollten wir halt Karten spielen. Als ich von meiner Wohnung zurückkehrte, schlief er aber bereits schon.“

„Moment, Moment, Moment!“ John hob die Hände und starrte sie an. „Er hat gegessen und sich mit dir unterhalten? Catherine Amell, wo ist Sherlock Holmes und was hast du mit ihm gemacht? Mich hat er nur angeschnauzt und vermutlich gedanklich mit mehreren Voodoo-Flüchen belegt, wenn er daran glauben würde.“

Catherine kicherte amüsiert.

„Ich hatte Hilfe.“ Sie zog ihr Handy aus der Tasche und zeigte John ihre Anruferliste.  „Bei solch prekären Angelegenheiten braucht man jegliche Informationen, die man kriegen kann.“

„Du hast tatsächlich Mycroft angerufen.“, lachte er und lehnte sich näher zu ihr heran. „Gut, erzähl es mir.“

„Neugierig?“, grinste sie.

„Und wie!“

„Nun…“, setzte sie an, zog ihre Beine an den Körper, griff anschließend nach einer Wasserflasche und trank einen tiefen Schluck. „Ich solle ein Maidkostüm anziehen.“

„Wie bitte?“

„Nur ein Scherz.“, lachte Catherine. „Das war nur ein Spruch von mir. Mycroft meinte, man müsse Sherlock noch mehr verhätscheln und vergöttern. Die Wünsche von den Augen ablesen, ihn anhimmeln und mich selber demütigen. Da meinte ich bloß, dass ich mir wohl am besten gleich ein Maidkostüm anziehe.“

„Ah ja…und wie hat er darauf reagiert?“

„Bloß gelacht.“

„Oh man, aber ich werde sicherlich keines tragen.“

„Ich auch nicht. Ist mir zu kurz.“, lachte Catherine. „Nun ja, hier ist die wahre Geheimwaffe.“

Erneut kramte sie in ihrer Hose rum, bis sie eine kleine Flippbox hervorzog und sie John zuwarf. Dieser fing sie locker auf und sah sich mit einem Stirnrunzeln das Etikett an.

„Sherlock mag Honig-Lutschpastillen?“

„Zumindest hat er es verleugnet, aber als ich es wagen wollte eines zu essen…“

„Hat er Nein geschrien?“, grinste John und seine Augen funkelten.

„Genau.“, lachte Catherine und schüttelte nur den Kopf. „Und dann ganz schnell so getan, als würde er sich erbarmen eines zu probieren. Als ob wir ihn nicht durchschauen würden.“ Sie rollte mit den Augen. „Ganz so dumm sind wir nun auch nicht.“

„Nein, aber vertraut darauf, dass wir zumindest so tun, als würden wir sein Spiel nicht erkennen.“

Entspannt lehnte sich Catherine zurück und verschränkte die Arme hinter ihrem Kopf.

„Das sollten wir auch besser.“, lachte sie und John stimmte mit ein. „Er ist in so vielen Dingen wie ein Kleinkind. Manchmal ist das schon beinahe süß.“

„Ja, er ist wie ein Schuljunge, der rebellieren will.“, grinste ihr Ziehvater und beide versuchten einfach den missmutigen, kranken Sherlock mit Humor zu ertragen. Also nicht viel anders als an normalen Tagen.

Plötzlich lief John und Catherine zeitgleich ein kalter Schauer über dem Rücken. Es war als würde die Luft stillstehen und sich kleine Eiskristalle wie Reif über die Möbel ihm Wohnzimmer ziehen. Die beiden Anwesenden erstarrten in ihren Bewegungen und John starrte auf den Türrahmen zu Sherlocks Schlafzimmer. Darunter stand der einzige Consulting Detective. Seine dunklen Locken standen wild zerzaust vom Kopf ab, sodass sie beinahe wie der Schädel Medusa wirkte um den ihre Schädel tanzten. Seine Augen unterstrichen dieses Bild, da sie seine beiden Freunde böse anfunkelten und diese versteinerte. Um seine Schultern hatte er ein weißes Bettlaken wie ein Cape geschlungen. Catherine schluckte schwer. Allein diese eisige, flackernde Aura um Sherlock zeigte, dass er sichtlich verärgert war und ein verärgerter, kranker Sherlock bedeutete die Apokalypse.

„Oh…oh…“, murmelte sie nur und beeilte sich schnellst möglich seinen Sessel zu verlassen. Sie spürte förmlich die messerscharfen Blicke von Sherlock in ihrem Rücken. Dann wanderten seine Augen weiter und der Blick purer Vernichtung traf dann John, welcher sich instinktiv zurücklehnte.

„Schuljunge, der rebellieren will und…“ Nun hing sein Blick wieder auf ihr und seine Augenbrauen verdeckten beinahe komplett seine Augen. „…Kleinkind.“

„Ähähähä…“, lachte sie verlegen und kratzte sich hinterm Kopf, bevor sie die Hand zum Gruß hob. „Hallo, Sherlock.“

„Oh ja, als ob das funktionieren würde, Catherine.“

Verdammt. Warum muss er auch immer in den unpassendsten Momenten kommen?

„Und John…“, fuhr mit gefährlich ruhiger Stimme fort und seine Augen wanderten nach rechts. „Du brauchst gar nicht versuchen dich davonzuschleichen.“

Wie ertappt verharrte John in der fließenden Bewegung.  Er schluckte und drehte sich dann unauffällig wieder in eine normale Sitzposition.

„Hatte ich auch nicht vor.“, versicherte er hastig.

„Natürlich…“ Sherlock hustete und zog dann theatralisch die Nase hoch. „…nicht.“

„Es war ehrlich nicht so gemeint.“, versuchte Catherine ihn gnädig zustimmen, doch er schnaubte nur missbilligend.

„Mhm, schon klar. Genauso wie ignorant positiv gemeint sein kann.“ Seine Augen starrten nun John an.

„Himmel Herrgott, das war vor drei Jahren, Sherlock. Hör auf darauf ständig rumzureiten!“

Catherine hingegen war in der Zwischenzeit  aufgestanden, denn sie machte sich sorgen. Sherlock war noch blasser als sie ihn verlassen hatte, seine Augen waren dumpf und er schien äußerst fiebrig zu sein.

„Warum bist du aufgestanden, Sherlock?“, fragte sie, als sie vor ihm stehen blieb. „Du hast immer noch hohes Fieber. Du könntest umkippen.“

Er seufzte leise und drehte den Kopf weg. Selbst fürs Diskutieren und Rumnörgeln war er zur schwach. Schöne Bescherung.

„Es war langweilig.“, nuschelte er erschöpft. Catherine sah ihn mitfühlend an und strich mit ihrer Hand über sein Gesicht, bis sie schließlich seine Stirn erreichte. Erschrocken zuckte sie zurück und sah ihn mit großen Augen an.

„Du glühst ja förmlich, du Vollidiot!“, stieß sie aus und unbewusst klammerten sie sich in die Ärmel seines Seidenpyjamas. „Da kannst du doch nicht einfach aufstehen!“

„Lass mich!“, zischte Sherlock und riss sich los, musste sich dann aber an der Wand abstützten, als sich die Welt zu drehen begann.

„Sherlock…“, flüsterte sie bekümmert. Ehe sie es selbst bemerkte, lehnte ihr Kopf gegen seine Brust und sie zitterte. Bewusst war ihr klar, dass sie übertrieb, doch innerlich steckte das Trauma ihrer eigenen Grippe noch in den Knochen und sie machte sich unglaubliche Sorgen um Sherlock. Sie sorgte sich, dass das Fieber ihn schwächen und er umkippen könnte.

Sherlock merkte natürlich sofort, dass sie zitterte und plötzlich war all sein Ärger über ihre Späße vergessen.

„Cath?“ Hilflos sah er zu John und stand vollkommen steif da. “John, sie zittert.”

Der Arzt hingegen seufzte nur und lächelte sanft. „Catherine, so schlimm ist es nicht. Mach dir keine Sorgen!“

Sherlock hingegen blickte verwirrt seinen besten Freund, doch die junge Frau drückte sich nur fester gegen ihn. John hingegen lächelte noch immer sanft und schüttelte den Kopf.

„Nicht bemerkt? Sie ist sehr besorgt um dich, Sherlock.“

„Oh…“, flüsterte Sherlock nur, obwohl er noch immer nicht vollkommen verstand. Er stand völlig hilflos im Raum. John puffte ihm leicht gegen den Arm. 

„Entweder du umarmst sie jetzt, Sherlock, oder gehst zurück ins Bett.  Catherine hat Angst, dass die Anstrengung und dein Fieber schlimme Konsequenzen haben könnten.“ Sherlock nickte nur abwesend.

„Cath…“, flüsterte er sanft und legte etwas ungeschickt die Arme um sie. Vorsichtig lehnte sie sich zu ihr herab und flüsterte in ihr Ohr: „Alles ist in Ordnung. Ich habe nur eine Erkältung.“

„So hat es bei mir auch angefangen.“, protestierte sie.

„Cath, das war doch etwas völlig anderes.“, entgegnete er sanft und stupste gegen ihre Stirn. Sie nickte nur geistesabwesend und löste sich von ihm.

„Entschuldige.“ Hastig wischte sie sich die Tränen aus den Augen. „Ich weiß, das ist alles dummes Geschwätz. Ich geh nach Hause, bevor ich vollkommenen Schwachsinn rede.“

Gerade als sie sich umdrehte, ergriff Sherlock ihr Handgelenk und hielt sie fest. Irritiert drehte sie sich zu ihm um und er sah ihr tief in die Augen, als wollte er in ihre Seele blicken.

„Cath, du bist doch zu Hause.“ Überrascht starrte sie ihn an. Auch John starrte ihn mit derselben Situation an.

„Sherlock?“

„Zu Hause ist doch, wo die Menschen sind, die zur Familie gehören, oder, John?“, fragte Sherlock, während er noch immer Catherine mit seinem durchdringenden Blick auf der Stelle fesselte.

„So wird es gesagt, ja.“, schmunzelte John amüsiert, als er sah wie Catherine vollkommen erstarrt da stand und Sherlock einfach ungläubig ansah. Dies war so typisch für ihn. Feingefühl kannte Sherlock Holmes nicht. Er kam mit solchen Dingen immer genau dann, wenn man am wenigsten damit rechnete.

„Dann ist doch logisch anzunehmen, dass dies hier Catherines Zuhause ist, nicht wahr?“

„Sieht wohl so aus.“, schmunzelte der Arzt und seufzte. „Aber musst du sie gleich überfordern, Sherlock?“

Der Angesprochene lächelte jedoch nur zufrieden und ließ schließlich ihre Hand aus. Catherine jedoch rührte sich noch immer nicht. Sie spürte wie ihr Herz bis in ihrem Halse schlug, doch ansonsten war ihr Gedanken wie leergefegt.

„Mei---Mein Zuhause?“, stotterte sie ihm deshalb völlig irritiert nach. „Wirklich?“

„Aber natürlich, Cath.“ Catherine starrte ihn einfach nur an. Sie konnte nicht glauben, was sie da hörte. Sherlock Holmes sah sie wirklich als Teil seiner Familie. Sie war angekommen. Sie war akzeptiert. Salzige Tränen stiegen in ihre Augen und schnell wandte sie sich ab um sie wegzuwischen. Sherlock hingegen starrte sie leicht panisch an, als er ihre Tränen sah und fühlte sich überfordert. Warum weinte sie? War es nicht das, was sie sich wünschte? Sonst hatte er keinerlei Probleme alles was in ihrem Leben vorging zu deduzieren, doch was wirklich in ihr vorging konnte er wahrlich nicht verstehen. Hilfesuchend wandte er sich an seinen besten Freund.

„Freudentränen?“ John schmunzelte nur amüsiert, nahm ein Stück Zeitung und begann zu lesen.

„Jepp.“ Erleichtert atmete Sherlock aus und wandte sich wieder Catherine zu, die ihn noch immer verdattert anstarrte.

„Sherlock…“, flüsterte sie leise mit gesenktem Blick.

„Ja?“

„Bitte, leg dich wieder hin!“ Vorsichtig legte sie eine Hand auf seine Brust und war erleichtert, als er nicht zurückzuckte. „Bitte, du musst dich ausruhen.“

Für einige Momente wollte Sherlock widersprechen. Er hasste es im Bett zu liegen und nichts tun zu können, doch als er Catherines bittende Augen sah, seufzte er und gab schließlich nach. Sofort begannen ihre Augen wieder zu strahlen und sie flüsterte nur ein erleichtertes Danke. Sherlock nickte ihr nur zu und ging dann langsam in sein Zimmer zurück. Catherine sah ihm nach und atmete erleichtert aus. John hingegen schmunzelte noch immer amüsiert hinter seiner Tageszeitung.

„Alles gut?“

„Ich bin…“ Sie stand noch eine ganze Weile da, blinzelte irritiert und seufzte. Schließlich ließ sie sich wieder in den Sessel fallen. „Nur noch ein wenig überfordert um ehrlich zu sein.“

„Du warst wirklich besorgt wegen Sherlock?“ Gelassen faltete John seine Zeitung wieder zusammen, legte sie beiseite und sah Catherine musternd an, die diesmal seinem Blick standhielt. Sie nickte und rieb sich die Hände zwischen ihren Knien.

„Ich weiß, dass es übertrieben war, aber in dem Moment hatte ich Angst ihn wieder zu verlieren und…“ Sie schloss die Augen und biss sich auf die Unterlippe. John indessen hob eine Augenbraue und betrachtete sie eingehender. Er kannte seine kleine Tochter gut genug um zu wissen, dass dies Anzeichen eines inneren Kampfes waren. „…wieder allein zu sein.“

Diese Worte trafen ihn wie ein Schlag und ihm wurde plötzlich kalt. Jetzt erst verstand er das Verhalten von ihr, was er vorhin eher mit Amüsement betrachtet hatte. Nie hätte er gedacht, dass diese Befürchtungen weit tiefer reichten, als er vermutet hatte und ihm wurde erst jetzt bewusst wie sehr sie unter dem Traumata dieser Jahre noch immer litt, obwohl schon drei Jahre vergangen waren.

„Du wirst nie wieder alleine sein, Catherine.“, flüsterte er schnell. Seine Kleine blickte schließlich auf und in ihre Augen spiegelten sich eine unendliche Traurigkeit und eine zerbrechliche Verletzlichkeit. Sein Hals schnürte sich bei diesem Anblick zu und er musste schwer schlucken. Plötzlich fühlte er sich schuldig. „Es tut mir so unendlich leid, dass ich für dich nicht da war als Sherlock…nun, tot, war, aber das wird nie wieder passieren. Du wirst nie mehr allein sein, Catherine, das verspreche ich dir.“

Für quälend lange Sekunden starrte sie ihn an. Er hoffte inständig, dass sie ihm vergeben würde. Er hatte sie damals wahrlich nicht vergessen wollen. Es war schlichtweg passiert und er schämte sich dafür. Während er sich vor Schmerz verkrochen hatte, hatte er ganz vergessen, dass auch andere unter dem Verlust von dem größten Detektiv der Welt litten.

„John…“ Leise stand sie auf, ging zu ihm und umarmte ihn. „Ich habe doch gesagt, du sollst dich deswegen nicht grämen. Wir haben es beide nicht gekonnt. Er hat uns zu sehr beeinflusst.“

Diese sanft geflüsterten Worte überraschten John und berührten sein Herz, dennoch nagte die Schuldgefühle an ihm. Er hätte für sie da sein sollen und nun hatte sie ihm sogar verziehen. Manchmal war Vergebung schwerer zu verkraften als Wut.

„Das ist trotzdem keine Entschuldigung.“ Er sah sie aus seinen dunklen Augen an, doch die Trauer war aus Catherines Augen verschwunden. Stattdessen blickte er in den heiligen Glanz von Güte, die ein Mädchen in diesem Alter noch nicht besitzen sollte.

„Ich könnte dir genau dasselbe vorwerfen.“, flüsterte sie leise, während sie ihren Kopf auf seiner Schulter bettete. „Ich war auch nicht für dich da.“

„Catherine…“

„Damals…“, fuhr sie ungerührt fort. „…wollte ich am liebsten wegrennen. Ich wollte die Wahrheit nicht hören. Ich hatte solche Angst, dabei hätte ich für dich da sein müssen.“

„Catherine, es war schon in Ordnung.“

„Siehst du?“ Catherine hob ihren Kopf und sah ihn ernst an. „Das, was ich getan habe, war in Ordnung, aber nicht was du getan hast? Obwohl es genau das Gleiche war?“

„Nein, war es nicht.“, widersprach er ihr. „Ich hatte meinen Glauben an unsere Freundschaft. Aber was war mit dir Catherine? Er hatte dich zu deinem Schutz verstoßen und du warst völlig auf dich alleine gestellt.“

„Ich weiß, aber das hatte nichts mit dir zu tun und es war notwendig.“ Was keiner von den beiden ahnte war, dass Sherlock die Tür zu seinem Zimmer nur angelehnt hatte und jedes einzelne Wort mit anhören konnte. Erschrocken von diesen Worten drehte er sich um, zog sich die Decke über seinen Kopf und starrte an die Wand.

„Natürlich…“, sagte unterdessen John. „…aber ich hätte gerade deshalb für dich da sein müssen. Ich habe gewusst, weshalb er dich verlassen hatte, aber du nicht. Ich mag mir gar nicht vorstellen wie es für dich gewesen sein muss.“

„Du hast es mir doch erzählt, John.“, beschwichtigte sie ihn sanft und umarmte ihn fester. Sie wollte wirklich nicht, dass John sich wegen ihr grämte. Ihn traf keinerlei Schuld an dem, was passiert war. Sie liebte ihren Ziehvater viel zu sehr dafür. „…und ich habe immer geahnt, dass etwas hinter diesem Verhalten steckte. Dafür wart ihr alle zu merkwürdig. Ganz so dumm bin ich nicht, John.“

John seufzte nur und lächelte sie sanft an.

„Nein, das bist du wahrlich nicht.“ Catherine erwiderte sein Lächeln und gab ihm einen Kuss auf die Wange.

„Danke, John. Für alles.“

„Jederzeit.“

„Ich geh wieder nach dem Patienten sehen. Du kannst dich noch etwas von deiner  drei Tage Schicht erholen.“ Vergnügt lächelte sie ihn an und stand auf um ihre Arme zu strecken.

„Und lustiger Weise würde ich wieder freiwillig drei Tage übernehmen, wenn du nicht wärest. Du scheinst ihn ja eh besser im Griff zu haben.“ Amüsiert lächelnd stützte er die Hände auf seinen gefalteten Händen ab.

„Tja, kannst du mal sehen.“ Sie schnalzte und drehte sich um.

„Ach, Catherine?“

„Ja?“

„Herzlich willkommen in der Familie.“, grinste er sie an und sie rollte nur mit den Augen als Antwort, lachte dann aber.

„Ich weiß nicht, ob ich mich auf die Familienfeste freuen soll.“

„Warte bloß das Weihnachtsessen ab.“ Vergnügt zwinkerte John ihr zu und Catherine kicherte.

„Ja, ich habe die Geschichten vom letzten gehört.“ Noch einmal lächelte sie John aufmunternd zu, doch dann ging sie schließlich in das Schlafzimmer von Sherlock. Es war erst das zweite Mal, dass sie in seinem Zimmer war und da er sie nun nicht gerufen hatte, nahm sie sich kurz die Zeit im Türrahmen stehen zu bleiben und das Zimmer eingehend zu betrachten.

Die Abendsonne drang durch das Fenster, welches in den Innenhof schaute und bloß den Blick auf Stille preisgab. Ein Baum wog sich in der scharfen Brise eines winterlichen Sturms. Catherine kam nicht umher zu bemerken, dass der Raum sehr praktisch und für Sherlocks Verhältnisse aufgeräumt war. Es enthielt einen Schrank, einen Sessel, ein Bücherregal, welches von alten Büchern nur so überquoll. Sie lächelte. Sie liebte solche alten Bücher und vor allem deren Geruch. Generell hatte dieser Raum etwas Uriges und Altes. Die Möbel, der Teppich, der Geruch und die Atmosphäre als herrschte hier eine andere Zeit, eine andere Epoche. Sein gerahmtes Exemplar des Periodensystems war das einzige Kunstwerk in diesem Raum. Sie blickte nach links zu dem großen Bett in dem sich Sherlock unter seinem weißen Laken verkrochen hatte. Über dem Kopfende hing sein Diplom für einen asiatischen Kampfkurs. Catherine war nicht hundertprozentig sicher, ob die Schrift chinesisch oder koreanisch war und sie konnte somit nicht sagen, ob es sich um Taekwondo, Judo oder Karate handelte. Seine Urkunde über seinen Uniabschluss war vermutlich irgendwo zwischen den Seiten dieser Bücher und vergraben unter den unzähligen Dokumentenstapeln. Catherine vermutete, dass Sherlock sich nicht viel aus diesem Abschluss machte, da dieser nur mittel zum Zweck war um seiner wahren Berufung nachzugehen. Sie lächelte leicht. Ja, dieses Zimmer passte wahrlich zu Sherlock.

Leise ging sie zu seinem Bett und kniete sich davor nieder. Sie schloss die Augen und lauschte auf seine Atmung um herauszufinden, ob er schlief. Stattdessen schlug er seine Augen auf, doch er sah sie noch immer nicht an.

„Oh, du bist wach.“, flüsterte sie und legte eine Hand auf das Laken hinter seinen Rücken. Langsam drehte er sich um und starrte ihr tief in die Augen. Seine grau-blauen Augen hingen auf ihr und es lag einen Schimmer in ihnen, die sie bisher selten zuvor gesehen hatte. Er irritierte sie, da sie nicht genau wusste, was er bedeutete.

„Ist etwas?“, fragte sie deshalb leise und irritiert. Sherlock hingegen schloss wieder die Augen und flüsterte mit schwacher Stimme:

„Was habe ich euch nur angetan?“ Catherine sah ihn überrascht an. Solch einen Tonfall hatte sie noch nie gehört. Seine sonst so gefasste, ruhige Stimme, die sie immer beruhigte, sobald er mit ihr sprach, klang so weit entfernt und beschämt. Sie blinzelte und starrte weiterhin in seine Augen. Sie wusste, dass Sherlock es nicht gefallen hatte, was er hatte tun müssen, doch sie hatte stets gedacht, dass er rational damit umging. Es war notwendig gewesen und somit richtig. Dass er darunter litt, hätte sie nie gedacht. Vielleicht lag es aber auch nur an seiner Krankheit. Männer wurden da ja bekanntlich gerne wehleidig. Schließlich seufzte sie dennoch leise, als er ihrem Blick auswich. Sie lehnte sich mit den Rücken gegen sein Bett und rann sich durch die Haare.

„Das ist jetzt doof.“, stieß sie aus. Sherlock lachte nur bitter und ließ sich schnaufend auf seinen Rücken nieder.

„Untertreibung des Jahrhunderts.“

„Sherlock, du hast es getan um uns zu beschützen.“ Musste sie heute wirklich alle beruhigen und beschwichtigen? Manchmal kam es Catherine so vor, als wäre sie die einzige Erwachsene in dieser verdammten Straße. „Ohne dich wären wir tot.“

„Alles nur wegen mir. Ich habe euch noch in diese Welt gebracht.“

„Nein, Sherlock.“, widersprach sie ihm streng. „Ich wäre auch tot, selbst wenn ich dich niemals kennengelernt hätte.“

Sherlock erstarrte vor Schock und auch Catherine hielt inne. Sie hatte nie darüber nachgedacht, auch jetzt nicht, doch jetzt bemerkte sie wohl, dass ihr das unterbewusst längst klar gewesen war. War sie vielleicht deshalb nur so loyal? Schnell schüttelte sie ihren Kopf. Darüber wollte sie jetzt nicht nachdenken. Verdammt, diese seltsame Stimmung in dieser Wohnung machten sie krank. Wann würde dieser grausame Schatten sie jemals allein lassen? Die Antwort lag in der Frage. Es war ein Schatten und diese verschwanden nie. Diese unbeschwerte Fröhlichkeit war für immer verschwunden.

„Es ist doch so…“, fuhr sie den Gedankengang fort. „Selbst wenn ich dich nie kennengelernt hätte...Irgendwann hätte ich die Dokumente von Jeffrey gefunden und dann wäre ich für die Serben nicht mehr von Nutzen gewesen und hätte mich der Bioangriff nicht umgebracht, so hätten sie mich während der Entführung getötet.“

Sherlock schwieg weiterhin. Er wusste nicht was er sagen sollte. Ehrlich gesagt hatte er das nie bedacht und das wurmte ihn.  Catherine drehte sich um und lächelte ihn leicht an. Somit verdankte sie Sherlock gleich mehrfach ihr Leben.

„Trotzdem…“ Sie seufzte und schüttelte ihren Kopf. Immer dieses Selbstmitleid.

„Du hättest einfach gehen können. Er hätte dich nicht gehindert. Du hättest einfach vom Dach gehen können und sie wären alle gestorben. Nicht hätte dich daran gehindert außer die Bindung, die ihr zueinander hatte. Welcher Soziopath hätte das getan, Sherlock?“

„Schon, aber…“ Nun drehte sich Catherine endgültig um und legte den Kopf auf das Laken, wo sich sein Profil abzeichnete. Sie schloss die Augen, doch Sherlock rührte sie nicht. Schließlich zog sie sich zurück und gab auf. Offensichtlich wollte er keine Vergebung, ebenso wenig wie John, obwohl dieser es besser versuchte zu verbergen. Als ob Catherine sie zwingen könnte und wollte. Sie hatte keine Vergebung zu verschenken und wer sie nicht wollte, sollte sie auch nicht bekommen.

„Ich könnte dich eh nicht überzeugen, egal was ich sagen würde.“

„Nein, wahrscheinlich nicht.“, antwortete Sherlock langsam. Zumindest war er ehrlich.

„Ich kann dir nur sagen, dass ich dir dankbar dafür bin. Im Nachhinein zumindest. Danke, dass du mein Leben gerettet hast, Sherlock. Zwei Mal…“ Sherlock nickte nur, sprach aber ansonsten nicht. Sie stand auf und ignorierte den leichten Schmerz, der ihre Eingeweide verkrampfen ließ. Sie wollte nicht wieder grübeln. „Ich lasse dich dann in Ruhe.“

„Bis nachher, Cath.“, flüsterte er nur, als Catherine ging und das Licht in seinem Zimmer löschte. Auch dieses Mal fühlte es sich für Sherlock an, als würde sie sich mit diesem Schritt aus seinem Zimmer weiter von ihm distanzierte. Generell erschien es ihm so, als hätte sie sich seitdem sie von ihrem Auslandsaufenthalt erfahren hatte, immer weiter von ihm distanziert. Hatte sie vielleicht doch das normale Leben schätzen gelernt und wollte von seinem gefährlichen nichts mehr wissen? Er schloss die Augen und drückte seinen Kopf tiefer in das Kissen. Er musste sich etwas einfallen lassen.

Achterbahnfahrt in die Erkenntnis

„Muss das wirklich sein?“, murrte Sherlock genervt von der Couch und warf einen missmutigen Blick durch das Wohnzimmer der Bakerstreet. Catherine hielt damit inne ihre Sachen zu packen und warf Sherlock einen leicht traurigen Blick zu.

„Du hat es mir versprochen, Sherlock…“, sagte sie mit einem wehleidigen Unterton. „Und ich hatte mich so darauf gefreut.“ John saß währenddessen im Sessel und trank genüsslich den morgendlichen Kaffee. Er sah nur zu genau, dass der Blick längst gezogen hatte und Sherlock mitgehen würde, auch wenn er keine Lust dafür verspürte.

Weihnachten war relativ ereignislos vorbeigezogen. Sie hatten zusammen in der Bakerstreet gesessen, Wein getrunken, viel zu viel gegessen und sich gegenseitig beschenkt. Sogar Sherlock hatte sich die Mühe gemacht Geschenke für sie alle zu besorgen und sie waren überraschenderweise sogar recht passend für seine Verhältnisse gewesen. Was keiner von ihnen ahnte war, dass er genau deswegen Mycroft aufgesucht hatte- und zwar noch im kranken Zustand. Schließlich war sein Bruder weit bewanderter in diesem gesellschaftlichen Firlefanz war als er.

Catherine hatte er zu Weihnachten einen Gutschein für einen Tag geschenkt, an dem sie alles bestimmen durfte. Einem Tag an dem Sherlock quasi ihr gehörte und sie mit ihm unternehmen durfte, was sie wollte. Ein Tag einfach für sie beide alleine.

John wusste, dass Catherine das schätzte. Sie genoss es Zeit mit dem Detective alleine zu verbringen, doch diese Momente waren rar gesät. Entweder er arbeitete an einem Fall oder aber sie verbrachten Zeit zu dritt. John empfand es an der Zeit, dass Catherine mal einen Tag mit ihm bekam, nach alldem, was sie für Sherlock getan hatte. Außerdem bedeutete es für ihn einen Tag Ruhe.

Als Catherine damals das Geschenk geöffnet hatte, war sie total überrascht gewesen, während sich Sherlock etwas zu betont desinteressiert abgedreht hatte. Total irritiert hatte sie Sherlock angesehen, doch er hatte sie nur gefragt, was sie denn machen wolle und voller Strahlen hatte sie verkündet, dass sie in einen Freizeitpark wolle. Sie wäre noch nie in einem gewesen. Zunächst hatte Sherlock etwas erwidern wollen, doch als er gesehen hatte wie sehr sie sich freute, da hatte er seinen Kommentar geschluckt und sich geschlagen geben. Auch aus seiner Sicht verdiente Catherine etwas Freude.

Auch war John natürlich nicht Mycrofts amüsiertes Lächeln entgangen, als Catherine voller Erstaunen verkündet hatte, was Sherlock ihr denn geschenkt hatte. Sollten die Holmes doch meinen, was sie wollten, John entging vieles nicht, er sprach es nur einfach nicht aus. Er wusste, dass Sherlock seinen großen Bruder konsultiert hatte. Außerdem hatte es ihn schon gewundert, dass Mycroft überhaupt angewesen war.

John blinzelte kurz, kehrte mit seinen Gedanken in die Gegenwart zurück und sah wie Sherlock leise seufzte und sich dann- wie erwartet- geschlagen gab.

„Ist ja gut…“, murrte er. „Aber dann beeil dich!“

Catherine drehte sich strahlend zu ihm um. Ihr ganzes Gesicht war ein reines Leuchten der Vorfreude und es zeigte ihre ehrlichen Gefühle. Sie freute sich darauf einen ganzen Tag mit Sherlock verbringen zu dürfe. John lächelte sanft. Catherine brachte viel Lebensfreude in ihre Welt. Mehr, als sie selbst vermutete. Sherlock und er, sie sahen meist nur das Schlachtfeld und versuchten die Dunkelheit mit Späßen zu vertreiben, sie damit abzuschütteln, indem sie das Überstandene herabspielten, doch wenn Catherine bei ihnen war, war es anders. Wenn sie da war, dann strahlte der Raum, war erfüllt von ihrer Wärme und Freude. Sie schenkte ihnen Normalität und vertrieb für einige Stunden die Dunkelheit. Sie leuchtete voller jugendlicher Euphorie, die Sherlock und er selbst längst verloren hatten, die sie aber noch immer berührte.

„Ich bin schon längst fertig.“, rief Catherine nur freudig und schloss vergnügt die Augen. Wieder konnte John nur schmunzeln, als Sherlock sichtlich überfordert war von ihrer offensichtlichen Heiterkeit. Er kannte es einfach noch nicht, dass Jemand sich darauf freute einen ganzen Tag mit ihm zu verbringen.

„Ich wünsche euch viel Spaß.“, sagte John nur gelassen und freute sich auf einen Tag Freizeit.

„Du hast heute ein Date, oder?“ Catherine sah ihn blinzelnd an und schmunzelte. Er nickte nur.

„Das wird mal ein richtig schön entspannter Tag. So ganz ohne Sherlock.“ Als Antwort bekam er einen vernichtenden Blick von Sherlock zugeworfen. Er wollte seinen Tag offensichtlich anders verbringen, doch für Catherine war er bereit diesem Grauen namens Freizeitpark ins Auge zu blicken.

„Bitte bringt aber nicht so einen Riesenteddy mit! Die setzten so schnell Staub an und davon gibt es hier ja wahrlich genug.“

„Aber genauso einen soll Sherlock doch für mich gewinnen.“, erwiderte Catherine mit trauriger Stimme, doch ihre Mundwinkel zuckten amüsiert und auch ihre Augen funkelten. John schmunzelte. Sherlock hingegen zog eine Augenbraue hoch.

„Ich soll was?“ Seine Stimme war halb entsetzt, halb genervt.

„Das ist so, wenn man zusammen in einen Freizeitpark fährt.“, erklärte Catherine und zuckte mit den Schultern, während ihre Augen nur noch amüsierter funkelten. Sherlock schien nun zu begreifen, was wirklich auf ihn zukam. Frustriert seufzend ließ er sich in die Couch zurückfallen und fuhr sich durch die Haare.

„Ist das so?“, frage er skeptisch, als er wieder aufblickte. Catherine nickte nur eifrig, noch immer strahlend. „Seit wann hängst du so sehr an Klischees?“

„Seit du mir jegliche Normalität in meinem Leben geraubt hast.“, erwiderte sie schlicht und zuckte mit den Schultern. „Da ist es doch mal ganz schön, diese zurückzugewinnen.“

„Du hast es dir doch so ausgesucht, Catherine.“, grummelte Sherlock verstimmt. Catherine hingegen lachte nur und schüttelte den Kopf.

„Nun komm! Das Mietauto wartet. Mach es gut, John.“

„Hab Spaß, Catherine und Sherlock, sei nicht so murrig.“

„Ich bin nicht murrig.“, knurrte er als er aufstand und sich seinen Mantel samt Schal griff.

„Natürlich nicht.“, erwiderte John amüsiert und nahm sich dann ein Buch, was auf dem Beistelltisch lag um darin zu lesen. Catherine hingegen wartete bereits an der Tür auf ihn. Sherlock murrte noch einmal und versprach sich gedanklich, dass er Mycroft für diese Schnapsidee umbringen würde, doch nun steckte er nun einmal in dieser Misere und Catherine wieder einmal enttäuschen wollte er nicht. Dies war seine Chance sich ihr wieder anzunähern, wo er doch glaubte, dass sie sich immer wieder von ihm entfernte. Soweit war es mit ihm schon gekommen. Früher ein hochfunktioneller Soziopath, dem alle Menschen zu langweilig waren und nun kamen immer mehr, die er nicht mehr missen wollte. Sherlock schüttelte gedanklich den Kopf über sich selbst, ging dann aber schließlich zu Catherine und brach mit ihr gemeinsam auf.

~*~

Knapp eineinhalb Stunden später erreichten Catherine und Sherlock den Thorpe Park in Chertsey. Der Kies des Parkplatzes knirschte unter Sherlocks feinen Lederschuhen als er ausstieg. Er stützte sich auf dem Dach des Mietwagens ab und starrte auf das blinkende, farbenfrohe Begrüßungsschild, welches über den Kissen prangte. Allein bei diesem Anblick drehte sich ihm der Magen um und was noch viel schlimmer war, dass ausgerechnet heute sein Geburtstag war. Nicht, dass er sonderlich um solch Banalitäten wie ein Jahr älter werden störte oder es ihn sonderlich interessierte, dass alle um ihn rumsprangen, als hätten sie zu viel getrunken- gut, viele seiner Verwandten waren auch betrunken gewesen. Es war ihm auch zuwider von Aufmerksamkeit überschüttet zu werden und deshalb wusste auch keiner- außer Mycroft, der sich eine SMS nicht hatte verkneifen können- nicht, wann er Geburtstag hatte. Also musste er wohl nun einmal durch dieses Elend durch. Einen Freizeitpark. Sherlock schüttelte sich allein schon bei dem Klang dieses Wortes in seinem Kopf. Er hatte sie schon immer gehasst. Diese heuchlerischen Parks zu denen sich Menschen begaben um das Adrenalin zu spüren, die Endorphine zu spüren, wenn man sich einer gefährlichen Situation gestellt hatte, obwohl man zeitgleich kaum sicherer sein konnte. Er hasste diese Scheinheiligkeit. Wenn sie Adrenalin wollten, dann sollten sie sich wahrlich in Gefahr begeben, das sehen, was er so oft gesehen hatte. So häufig, dass er das Endorphin schon fast gar nicht spürte- zumindest nicht, wenn er sich der Situation allein gestellt hatte. Meist, dies war ihm erst in den drei Jahren aufgefallen, war ihm erst durch John oder Catherine aufgegangen wie gefährlich die Situation überhaupt gewesen war.

Sein Blick glitt nach unten und er sah bereits eine lange Schlange geduldig watender Lämmer, die gerne ihre Scheinlebensgefahr erfahren wollten. Genervt stöhnte er und wollte am liebsten sofort umdrehen und verschwinden. Früher hätte er das wohl auch getan. Wehe einer von denen würde ihn nach einem Autogramm oder dergleichen fragen, dann würde er ausrasten, das war ja wohl klar.

„Sherlock, kommst du?“, fragte der Grund, warum er all das, was er so gerne tun würde, nicht tat. Catherine stand bereits in der Schlange und winkte ihm aufgeregt zu. Um Gottes Willen, hatte sie heute Morgen drei Liter Kaffee getrunken? Sie war ja vollkommen überdreht. Sie würde doch nicht etwa…guter Gott, sie sprang nun ernsthaft auf und ab. Dieser Tag würde die Hölle werden, er konnte es spüren, aber dieses Funkeln in ihren Augen, da konnte selbst der Soziopath in ihm nicht mehr widerstehen. Trotz all der Trauer, dem Leid und Schmerz, den diese hellblauen Augen gesehen hatten, waren sie nie stumpf geworden, sondern hatten ihn stets angestrahlt, obwohl er wusste- oder eher darauf aufmerksam gemacht wurde-, dass in den Tiefen dieses ruhigen Sees großer Kummer verborgen lag.

„Muss das wirklich sein?“, murrte Sherlock, als er schließlich neben ihr stand. „Diese Schlange ist viel zu lang.“

„Lang? Das ist doch noch harmlos.“, gluckste Catherine.

„Wenn das normal ist wie sieht dann eine lange aus?“

„Dreimal um den Block?“

„Ich denke du warst noch nie in einem Freizeitpark.“, stellte Sherlock fest und sah zu ihr hinab, während er zu ihr hinab sah.

„War ich auch nicht.“, antwortete sie gelassen.

„Woher willst du dann wissen, dass dies eine kurze Schlange ist?“

„Weil zwölf Leute an zwei Kassen nun wirklich nicht viel ist.“, lachte sie und schüttelte den Kopf.

„Ach, komm schon, Sherlock!“, sagte sie in einem bittenden Ton und harkte sich bei ihn unter. „Versuch es doch wenigstens. Es wird schon nicht so schlimm werden.“

Wenn sie nur wüsste. Sherlock stöhnte innerlich, doch schließlich gab er sich geschlagen. Mit größter Mühe rang er sich zu einem Lächeln durch, was vermutlich äußerst fragwürdig aussah.

„Also gut.“, sagte er dann ergeben und drückte der Afroamerikanerin, die vor kurzem eine Fehlgeburt erlitten hatte, eine fünfzig Pfundnote in die Hand. „Aber nur, weil du es bist.“

Und da war es wieder: Dieses freudige Lächeln wie an dem Weihnachtsabend. Beinahe so, als hätte er ihr das größte Geschenk auf Erden bereitet. Schon erstaunlich mit wie wenig sich manche Menschen schon zufrieden gaben.

Hinter dem goldenen Tor eröffnete sich ein von Eichen flankierter, asphaltierter Weg, der in die vier unterschiedlichen Themenwelten führte. Themenwelten, auch das noch. Wilder-Westen, Tiefseeabenteuer, Zukunft und African Jungle. Hier war wirklich alles womit man ihn quälen konnte. Dies war wahrlich sein kunterbunter, wunder-trubel Alptraum. Oh ja, er würde Mycroft für diesen Ratschlag umbringen. Nichts würde er lieber tun. Was fanden gewöhnliche Menschen eigentlich an diesen Scheinwelten? Sie würden nie Cowboys sein oder dieser Spock- wer auch immer das war, von dem John und Catherine immer sprachen- oder Tarzan oder…Blackbeard. Sherlock schüttelte den Kopf und sah sich nach Catherine um. Schließlich entdeckte er sie vor einem Lageplan des Parks, den sie interessiert studierte. Was sie sich wohl als erstes aussuchte?

Langsam schlenderte Sherlock den breiten Weg entlang um zu Catherine aufzuschließen, als plötzlich einige Maskottchen um die Ecke bogen, die ihm freudig zuwinkten.

„Hmpf…“, grummelte Sherlock missmutig und vergrub die Hände in den Taschen, als er schließlich hinter Catherine trat. „Catherine, das ist doch jetzt nicht deren Ernst. Ein sprechender Labrador und ein Pinguin? Das ist ja mal sowas von lächerlich.“

Sherlock blinzelte einige Male, als sie nicht reagierte.

„Catherine? Cath?“ Die Angesprochene blinzelte schließlich und sah ihn aus ein wenig verwirrten Augen an.

„Was ist, Sherlock?“ Er betrachtete sie einige Augenblicke und zog eine Augenbraue hoch.

„Catherine, sag mir jetzt bitte nicht, dass du diese glänzenden Augen wegen…“

„Oooh, guck mal, ein Riesenrad!“, rief sie freudig aus und rannte schon los. Ihr braunes Haar tanzte unter der Baskenmütze, die sie trug und Sherlock starrte ihr baff hinterher.

„So fühlt es sich also an, wenn einem keiner zuhört.“, stellte Sherlock fest und vermerkte, dass es kein besonders schönes Gefühl war. Nein. Sherlock schüttelte den Kopf. Definitiv kein schönes Gefühl. Seine Gedanken waren brillant, verdammt, und seine Kommentare Gold wert. Ma sollte äußerst genau zuhören und…

„Wo bleibst du denn?“, unterbrach Catherines Stimme seine Gedanken. Irritiert blinzelte er und blickte weiter den Hauptweg hinauf. Sie stand vor einer Weggablung, den Rücken dem Riesenrad zugewandt und starrte ihn fragend an.

„Mir gefällt das nicht.“, murmelte Sherlock noch einmal seinen Missmut heraus. Zu seiner Überraschung hatte Catherine ihn jedoch gehört und ihr Blick wurde traurig.

„Aber du hast mir doch…“

„Das meinte ich doch gar nicht.“, stöhnte er, obwohl das sogar auch zutraf. Betont lässig und ruhig ging er auf sie zu, um sie zu beschwichtigen. „Also, zu welcher unnützen und langweiligen Tradition willst du als erstes…“

„Du hast wirklich keine Lust auf diesen Tag, oder?“, unterbrach Catherine erneut geknickt. Ihre Schultern senkten sich herab und ihr Blick glitt zu Boden. In diesem Moment war sie der Inbegriff der Geknicktheit. „Wir…können auch gehen, wenn es so schrecklich für dich ist. Es soll keine Qual für dich sein.“

„Nein, Catherine.“, entgegnete er hastig. „Es ist dein Tag und somit deine Regeln.“

„Aber…das klingt als wäre es ein Zwang und ich möchte einfach nicht, dass du gar keinen Spaß hast. Wir können auch etwas anderes machen.“

Beinahe geschockt sah Sherlock sie an. Natürlich, er konnte sich durchaus besseres für einen Tag vorstellen und ein Freizeitpark war ihm wahrlich zuwider, aber er hätte auch nicht gedacht, dass es Catherine zu betrübt stimmen würde. Noch vor wenigen Augenblicken war sie so vergnügt und entspannt wie lange nicht mehr gewesen. Sollte sie das wegen ihm wieder opfern? Er dachte lange ernsthaft darüber nach. All seine merkwürdigen Gehirnwindungen arbeiteten auf Hochtouren. Nichts wollte er lieber als sie zu packen und zu irgendeinem Tatort zu schleifen, doch er tat es nicht. Sie hatte sich immer nach ihm gerichtet. Sollte er es dann nicht einmal tun um sie glücklich zu sehen? Das war schließlich der Inhalt seines- gut Mycrofts- Geschenk gewesen.

„Nein, Catherine.“, seufzte er schließlich und holte tief Luft. „Ich habe dir zu Weihnachten einen Tag geschenkt, der dir gehört.“ Gott, musste er das hier wirklich tun? Er würde Mycroft für seine Qualen büßen lassen. „Und den bekommst du auch.“

Noch einmal holte er tief Luft um sich zu überwinden. Warum war es so schwierig ein…nun, was auch immer er war…zu sein.

„Ich entschuldige mich dafür, dass ich so mürrisch gewesen bin.“

„Sherlock…“ Catherine starrte ihn überrascht an.

„Vielleicht wird es auch gar nicht so schrecklich wie ich es mir vorstelle.“ Er lächelte leicht, ehe er fortfuhr. „Solange du dich nicht von diesen überdimensionalen Plüschtieren knuddeln lässt…oder gar ich es muss.“

Irritiert sah sie ihn an, blinzelte mehrere Male und blickte sich dann um. Erst jetzt entdeckte sie ein Maskottchen, das verdächtig wie Pluto aussah und sie fing augenblicklich an zu lachen.

„Keine Sorge, ich verspüre nicht das Bedürfnis von einem überdimensionalen Tier geknuddelt zu werden.“, erklärte sie und auch Sherlock lachte.

„Etwas anderes hätte ich auch nicht von dir erwartet, Catherine und jetzt sag endlich wohin du als erstes willst.“

„Hmm…“ Nachdenklich schaute Catherine durch den Park, beobachtete die Massen an Besucher die hineinströmten und sah sie doch nicht. Stattdessen überlege ihr Gehirn fieberhaft was sie als erstes von allem ausprobieren wollte. Wollte sie in die Geisterbahn, die sich nicht unweit von hier befand? Oder eine Wildwasserbahn, wo sich doch mal das Wetter Englands von seiner sonnigen Seite zeigte und das im Winter? Sollte sie es wagen, obwohl es eisig kalt war? Die Wahl war wirklich schwierig, also beschloss Catherine den Katalog zu studieren und rauszufinden, was überhaupt alles im Angebot war. Somit ließ sie sich also auf eine Bank nieder, kramte das schon leicht zerfledderte Heftchen- eingeklemmt zwischen Wasserflaschen, einem Buch, geschmierten Broten hatte es arg lädiert- und studierte es. Sherlock hingegen stellte sich neben sie und vertrieb sich ein wenig die Zeit mit seinen Deduktionen.

„Wie wäre es, wenn wir erst einmal die Thunderstorm und gehen dann über zu der Wild Amazonas.“, schlug sie dann schließlich vor und schloss die Broschüre.

„Und nachher übergibst du dich…“, murmelte Sherlock und vergrub die Hände in den Taschen.

„Ach was!“, protestierte sie. Sherlock blickte zu ihr hinab und zog eine Augenbraue hoch.

„Dir ist auch während der Fahrt schlecht geworden.“

„Weil du die komplette Fahrt über nicht einmal geschaltet hattest.“ Ja, Sherlock Holmes hatte es sich wahrlich nicht nehmen lassen selbst her zu fahren. Dabei wäre ihnen jedoch beinahe der Motor abgeraucht, weil Sherlock selbst auf der Autobahn im ersten Gang gefahren war. Catherine hatte schon den Motor brennen sehen und sie beide hilflos am Straßenrand auf einen Pannendienst warten, doch irgendwie hatte das gute Stück deutscher Wertarbeit es doch bisher geschafft und Catherine hatte John nur eine Nachricht hinterlassen, dass sie Sherlock niemals wieder fahren lassen sollten. Bisher hatte sie keine Antwort erhalten, aber irgendwie hatte Catherine das Gefühl, dass er darüber gelacht hatte. Es war irgendwie so eine Art Ahnung in ihr.

„Natürlich, Catherine, schieb mir ruhig die Schuld zu, bettle mich aber dann nicht an deine Haare aus dem Gesicht zu halten, wenn du dich in die Büsche verdrücken musstest.“

„Wir werden sehen.“, grinste Catherine, streckte ihm die Zunge raus, packte seinen Ärmel und zog ihn hinter ihr her in Richtung der wilden Achterbahn. Sherlock schüttelte nur den Kopf, rollte mit den Augen und fühlte sich schlagartig von ihrer überschäumenden Freude genervt.

„Ich kann auch alleine gehen, Cath.“

„Da bin ich mir heute nicht so sicher, Sherlock, du bist ziemlich gehfaul heute. Und nun komm!“ Vor lauter Vorfreude lief sie sogar einige Schritte vor, drehte sich zu ihm um und strahlte ihn an. Ihre Augen blitzten wie Saphire in dem Licht der Vormittagssonne. Sherlock sah sie einige Augenblicke lang an und versuchte zu widerstehen, aber Mycroft hatte zu seinen Missgunst recht gehabt. Irgendwie hatte sie einen Drücker bei ihr. Er konnte ihr bei solch einer jugendlichen, unbekümmerten Freude nichts abschlagen, auch wenn es ihn selbst in die Hölle beförderte. Er hasste es, schließlich gab es ihm menschliche Züge und nichts verabscheute er mehr, andererseits konnte er ihr nicht dafür böse sein. Schließlich zwang sie ihn nicht dazu etwas zu fühlen und es war wahrlich nicht ihre Schuld. Trotz allem fühlte er sich jedoch aus dem Gleichgewicht, wenn er mit ihr zusammen war. Er tat Dinge, die er nie für möglich gehalten hatte und das hasste er und irgendwie mochte er es. Vielleicht war er doch von seiner verrückten Monotonie gelangweilt gewesen. Warum hätte er sonst John und vor allem Catherine in sein Leben gelassen?

„Ich renne regelmäßig Verbrechern hinterher…“, murrte er, während Catherine ihn wieder hinterher zog. Ihre Schritte wurden langsamer* „Ach, vergiss es.“

Er holte tief Luft, verfluchte Mycroft mindestens zum dritten Mal, doch er lächelte, als er sie glücklich sah. Manchmal, war das eigene Leid doch etwas wert.

„Also, wohin verschleppst du mich?“

„Zur Thunderstorm, immer noch.“, erklärte sie ungeduldig. „Heute bist du ja wahrlich begriffsstutzig.“

„Du willst gleich eine Achterbahn mit einem Looping und einer Schraube unsicher machen?“ Catherine nickte eifrig. „Du bist verrückt.“

„Danke, Sherlock, das weiß ich schon lange. Schließlich gebe ich mich freiwillig mit dir ab.“ Sie zwinkerte ihm verschmitzt zu. „Also sag mir was Neues!“

Sherlock lächelte nur und rollte zeitgleich mit den Augen. Das war es was er an ihr schätzte.

„Sag nicht, ich hätte dich nicht gewarnt.“

„Als würde ich je einen Rat von dir ignorieren.“

„Tust du ständig.“, wandte er ein, während sie sich mittlerweile endlich in die Schlange der Achterbahn einreihten. Die Thunderstorm war eine Achterbahn, die sich über gelbe Schienen durch ein inszeniertes Gewitter schlängelte. Sie war bekannt für ihre harten Kurven, die einem das Gefühl vermittelten mitten in einem Sturm zu fliegen. Es hatte sich mittlerweile eine lange Schlange gebildet, doch das trübte Catherines Stimmung nicht im Geringsten, aber Sherlocks, wenn Catherine nicht amüsiert fortgefahren hätte.

„Okay, einen wichtigen Rat.“

„Tust du ebenfalls ständig.“ Damit schwieg Catherine und wippte auf ihren Füßen auf und ab. Sie war wirklich die Ungeduld in Person.

Zehn Minuten später hielt es Sherlock nicht mehr aus. Er murrte, vergrub die Hände in den Taschen und hätte am liebsten den Mann vor ihnen mit seiner Inkompetenz beworfen oder die Frau hinter ihnen, dass ihr Chef nur mit ihr spielte um sich eine jüngere zu angeln. Woher er das wusste? Dafür musste man nun wirklich kein Genie sein. Es war bloß, dass sich hier eine demographische Bevölkerungsgruppe vorfand und dies in England zur Normalität gehörte. Denke all diese Sachen in einer großen Menschenmenge und du wirst einen Treffer landen- mindestens. Dafür musste man also wirklich nicht Sherlock Holmes sein. Allerdings möchte ich hier nicht auf all die prekären Details eingehen, die Sherlocks eisblauen Augen enthüllt hatte. Einige von ihnen kannte selbst die entsprechende Person nicht und ich würde hier gern etwas die Privatsphäre wahren.

„Gott, wie lange dauert das denn noch?“, grummelte Sherlock schließlich nach fünfzehn Minuten. „Es ist mathematisch unmöglich so langsam zu sein.“

Catherine lachte nur schallend.

„Man kann nicht alles im Leben mit Mathematik erklären, Sherlock. Wir sprechen hier von Menschen, die sind nicht logisch.“

„Wie haltet ihr das nur aus.“, grummelte Sherlock und rollte mit den Augen, als eine Frau es sich plötzlich anders überlegte und aus dem Wagen aussteigen wollte. Catherine hingegen blieb weiterhin unbekümmert und beobachtete lieber die armen Opfer der Fahrt, die über ihre Köpfe hinweg sausten. Sherlock seufzte innerlich, doch dieses Mal trug er es nicht nach außen.

Schließlich waren sie endlich an der Reihe. Der gelbe, Stromlinien-förmige Wagen wartete bereits auf sie und gedämpft war das Kreischen der anderen Wagen zu hören. Zu Sherlocks Missgunst wurde ihm ein wenig flau im Magen.

„Bist du schon einmal Achterbahn gefahren?“, fragte Catherine ihn, als sie in die hinterste Reihe einstieg und den Bügel anlegte.

„Möglich…“, antwortete er möglichst unverfänglich und setzte sich neben sie. „Ich denke schon, aber ich habe es wohl gelöscht.“

„Ja, das würde passen.“, kicherte Catherine und ihre Finger spielten auf dem Leder herum, das den Bauch- und Schultergurt polsterte. Es ruckte, als sich der Wagen in Bewegung setzte. Das Grollen eines Donners drang aus den Boxen, welche hinter Wolken verborgen waren. Das Licht erlosch und die Flügeltüren öffneten sich. Sanft glitt der Wagen über seine Schienen und brach in die Helligkeit. Sherlock blinzelte und erblickte den gut fünfzehn Meter hohen Berg erblickte, den der Zug dank eines Kettenliftes erklomm. Sherlock schluckte leicht.

„Wir müssen wirklich da rauf?“ Catherine blinzelte überrascht und starrte ihn an.

„Sicher. Sonst haben wir nicht genug Geschwindigkeit um den Looping zu schaffen, aber die physikalischen Begebenheiten brauch ich dir ja nicht zu erklären.“

„Nein, natürlich musst du das nicht.“, schnauzte er etwas zu heftig und Catherine zog die Stirn kraus. Dieser Ton verriet ihr, dass er etwas verbarg, also betrachtete sie ihn genauer, während die Ketten unter ihnen ratterten. War er blass geworden? Seine Augen starrten fix auf einen Punkt und seine Hände verkrampften sich in dem Leder. Oh mein Gott! Catherine weitete die Augen. Hatte Sherlock wirklich Angst vor Achterbahnen? Sherlock Holmes, der sich liebend gerne von einer lebensgefährliche Situation in die nächste stürzte. Der Sherlock Holmes, der einem Adrenalinkick ebenso hinterher jagte wie einst dem Rausch? Sie konnte es wahrlich nicht glauben, doch alles an ihm sprach dafür. Oh wie verlockend war der Gedanke ihn damit aufzuziehen und zumindest eine kleine Rache für all die Male zu bekommen für all die Male, wo er es bei ihr getan hatte. Dann jedoch kam ihr in den Sinn, dass solch eine Situation vollkommen unbekannt für Sherlock war. Vielleicht hatte er auch deswegen die Erinnerungen an Achterbahn fahren verdrängt, weil er eben Angst hatte und das wollte sie nun wahrlich nicht ausnutzen. Das würde ja bedeuten, dass er ihr gegenüber nicht offen sein konnte und das sollte er.

Also wurde ihr Blick stattdessen sanft und sie nahm seine Hand. Überrascht sah Sherlock zu ihr herüber, doch sie lächelte ihn einfach nur an und drückte leicht zu. Er blinzelte sie an, doch dann entspannten sich seine Gesichtszüge etwas und er drückte leicht zurück, während er stumm das Wort danke formte.

Ganz so falsch lag Catherine mit ihren Vermutungen nicht. Sherlock hasste dieses beengende Gefühl. Er hatte wahrlich nichts dagegen sich in Lebensgefahr zu bringen, aber dann hatte er stets alles unter Kontrolle, doch nun war er an diesen unbequemen Sitz gefesselt und er hatte musste sich ausliefern. Er hasste es. Er hasste es wirklich und er spürte auch wie sie ihn beobachtete. Catherine war nicht dumm, sie würde bemerken wie unwohl er sich fühlte und ihm eine reindrücken. Er konnte es förmlich spüren, doch zu seiner Überraschung sagte sie nichts, sondern Griff stattdessen nach seiner Hand um sie zu drücken. Sherlock hatte wahrlich viel erwartet, aber dies nicht, doch in ihren Augen erkannte er ihre Absicht. Also formte er stumm das Wort danke, dann sauste auch schon ihr Wagen den Hang hinab, schraubte sich in die Luft, nur um einen Wimpernschlag später in die Tiefe zu stürzen.

Drei Minuten später kamen ein etwas bleicher Sherlock und eine völlig aufgedrehte Catherine aus dem Fahrgeschäft. Sie spürte noch immer wie das Adrenalin und die darauffolgenden Endorphine durch ihre Blutbahnen strömten und sie vollkommen euphorisch stimmten.

„Oh man, das war vielleicht ein Adrenalinrausch.“, stieß heraus und drehte sich einmal um ihre eigene Achse.

„Ja…Adrenalin…“, presste Sherlock hervor und er schwor sich nie wieder Achterbahn zu fahren. Ja, es hatte wahrlich einen Grund gehabt, warum er es nach dem letzten Mal gelöscht hatte. Catherine hingegen drehte sich zu ihm und strahlte ihn an.

„Dank, Sherlock.“

„Gern geschehen, Cath.“, sagte er etwas überfordert. Es hätte nicht viel gefehlt und Sherlock Holmes hätte gestottert. Sie lächelte ihn vergnügt an und streckte sich.

„Also schön, dafür, dass Achterbahn anscheinend nicht so dein Ding war, darfst du die nächste Attraktion aussuchen.“

„Das wollte ich schon immer mal…“, sagte Sherlock mit falscher Freude und rollte mit den Augen. „Genauso sehr wie ein Ritterschlag oder…“

„Sherlock!“, schnitt sie ihm barsch das Wort ab. „Mein Tag, meine Regeln.“

„Na schön!“, grummelte er. „Gib mir mal den Plan!“

Nicht, dass er gewartet hätte, bis sie ihm wirklich den Plan gereicht hatte. Stattdessen zupfte Sherlock ihn ihr ungeduldig aus den Händen.

„Hast du ihn etwa nicht in deinem Gedankenpalast abgespeichert?“

„Warum sollte ich? Er ist doch vollkommen trivial.“, erwiderte Sherlock gleichgültig mit einem Schulterzucken den Plan zu studieren. „Also schön, wohin gehen wir? Suche ich mir etwas aus, dass wenigstens halbwegs Spaß macht oder soll ich mich rächen?

„Oh, hat dir der Adrenalinschub etwa nicht gefallen?“, spitzelte sie und puffte in seine Seite.

„Catherine…“, mahnte er gespielt und zog ihren Namen künstlich in die Länge, doch sie lachte nur.

„Also gut. Wir gehen dorthin.“ Er tippte auf einen Punkt auf dem Lageplan nicht unweit von ihrer Position. Catherine spähte über seinen Arm und schluckte.

„Dein Ernst?“

„Warum nicht?“

„DU willst in eine Geisterbahn?“, fragte sie ihn ungläubig und zog eine Augenbraue hoch. „Das Langweiligste und Irrationalste, was es in einem Vergnügungspark gibt? Neben einer Zaubershow?

„[si]House of the dead. Das klingt doch vielversprechend.“, grinste er und seine Augen funkelten vergnügt. In diesem Moment verstand Catherine, was er damit bezweckte. Er wollte sich wirklich für die Achterbahn rächen. Sie schluckte. Catherine hatte Geisterbahnen je gehasst. Generell hasste sie alles, was mit Geistern zu tun hatte. Es erinnerte sie an den Tod, dem sie schon viel zu oft in die Augen gesehen hatte. Sie seufzte, ließ die Schultern hängen, gab aber schließlich nach. Sie hatte Sherlock gequält, nun musste sie leiden. Das war nur fair. Nur ein Argument fiel ihr noch ein, dass das Unvermeidbare vielleicht noch verhinderte.

„Übersieht du nicht etwas bei deinem Racheplan, Sherlock?“

„Was?“

„Ich werde mir vor Angst in die Hosen machen. Ich werde kreischen, im Sitz aufspringen, Zittern, mich an dich klammern und…“ Sherlock schwieg, doch sie konnte sehen wie es in seinem Gehirn zu arbeiten begann und sie hoffte dadurch nun einen Knackpunkt gefunden zu haben. „Ist es das wirklich wert?“

Sie schluckte, als langsam dieses breite Lächeln seine Mundwinkel hoch kroch. „Auf jeden Fall.“

Die Sonne stand mittlerweile fast im Zenit und dennoch wirkten ihre Strahlen seltsam kühl und unecht. Als kämen sie aus einer Leuchtröhre. Winter hatten oft ein seltsames Licht. Es hatte etwas Künstliches und gab diesem Ort etwas Surreales. Es war nicht mehr als eine Scheinwelt, eine Flucht vor der Realität und doch sollte sich gerade hier etwas verändern. Obwohl alles in diesem Ort Ablenkung war, sollte doch hier die Wahrheit enthüllt werden- oder zumindest ein Teil davon. Doch keiner der beiden ahnte es, denn etwas völlig anderes sollte ihre Aufmerksamkeit erlangen und dafür sorgen, dass sie an diesem Tag nicht in der Geisterbahn fahren würden. Auch hatte keiner von ihnen so wirklich realisiert hatte, war, dass sie mittlerweile schon in Richtung Geisterbahn liefen.

„Du…du…machst mir Angst, Sherlock.“

„Ich mache dir Angst?“, wiederholte er ungläubig. „Ich mache dir Angst, wenn wir durch eine Menschenmenge in einem Freizeitpark laufen um zu einer Geisterbahn zu gelangen, aber nicht wenn ich aufgeregt über einen Mord bin und durch die Wohnung hüpfe? Oder mit einem Schädel rede? Oder beinahe die Wohnung in die Luft jage?“

Seine Stimme klang amüsiert und er frohlockte beinahe. Er schien dieses Spiel zu lieben und Catherine schüttelte nur den Kopf, während sie ihm hinterhertrotte.

„Nein, weil das für meinen lieben, verrückten Dad ja nur allzu normal ist.“, schmunzelte sie, während sie gar nicht realisierte, was sie gerade gesagt hatte. Sherlock hatte es natürlich sofort bemerkt. Er war stehen geblieben und drehte sich langsam zu ihr um. Seine Augen waren vor Überraschung weit aufgerissen und sogar sein Mund stand ein wenig offen. Sie erstarrte, als sie realisierte, was sie gerade gesagt hatte. Es war ihr selbst noch nicht einmal bewusst gewesen, dass sie mittlerweile auch Sherlock als solchen sah. Sie hatte es nie gewagt es bewusst zu denken, doch nun hatte ihr Unterbewusstsein es einfach ausgespuckt. Am liebsten wäre sie auf der Stelle im Erdboden versunken oder umgedreht und weggerannt. Ihr Herz hämmerte vor Angst. Sie hatte keine Ahnung wie Sherlock auf dieses unerwartete Geständnis reagieren würde. Zwar war er durch sein Verhalten zu dem geworden, doch sie glaubte, dass er vermutlich lachen würde. Dass er sie auslachen würde. Verschämt sah sie zu Boden. Gleich würde es losgehen. Gleich, da würde er lachen. Innerlich spannte sich alles in ihr an, bereit wegzurennen um dieser Peinlichkeit zu entgehen.

Doch es blieb still. Stattdessen starrten sich beide an, gefangen in dem Blick des anderen. Gerade in diesem Moment, wo beide glaubten, dass es für sie nicht unangenehmer werden könnte, kam ein fahrender Süßigkeitenhändler heran, stoppte seinen Wagen neben ihnen und fragte:

„Sir, wollen Sie ein paar Süßigkeiten kaufen?“

„Nein!“, antworte Sherlock harsch und doch abwesend zu gleich. Seine überraschten, irritierten Augen verharrten noch immer auf Catherine, die selbst nicht glauben konnte, was sie da gerade gesagt hatte.

„Dann vielleicht für ihre reizende Tochter.“, versuchte der Händler es erneut. In diesem Augenblick reagierte aber keiner von beiden. Zu gefangen waren sie in diesem Augenblick und Catherines unbedachter Äußerung.

Irritiert dreinblickende Besucher passierten sie, runzelten ihre Stirn warum die zwei denn mitten auf dem Gehweg stehen blieben und sich mit offenem Mund anstarrten. Jedoch realisierte es keiner von beiden. Die Luft schien zwischen ihnen zu zittern und war spannungsgeladen. Irgendeiner der beiden musste die Situation lösen oder aber es könnte alles zerstören.

Der Verkäufer hingegen wurde jedoch ungeduldig und vermochte nicht diese Angespanntheit zu erklären.

„Sir?“

„Geben Sie mir eine Portion gebrannte Mandeln. Groß.“, sagte Sherlock schließlich nach einer Weile und händigte ihm eine Zwanzig Pfund Note aus. „Von mir aus behalten Sie den Rest.“

„Aber Sir…“

„Machen Sie schon!“, fuhr Sherlock den armen, verwirrten Mann so harsch an, dass dieser erschrak und hastig gehorchte. Mit zitternden Händen füllte er eine Tüte voll Mandeln und händigte diese dann Sherlock aus.

„Noch einen schönen Tag.“, wünschte der Verkäufer und schob seinen Laden auf zwei Rädern wieder weiter.

„Hier.“, sagte er und hielt ihr auffordernd die durchsichtige Tüte hin.

„Sherlock…“, flüsterte Catherine nur irritiert.

„Die magst du doch.“ Noch immer hielt er ihr die gebrannten Mandeln hin. Catherine nickte und nahm sie schließlich an.

„Ich…“, setzte sie zögerlich an. „…bin überrascht, dass du das weißt. Ich dachte, es wäre zu irrelevant für dich.“

„Nichts ist irrelevant, wenn es um dich geht.“, antwortete er flüsternd und lächelte beinahe schon unsicher. Ihre Augen wurden noch größer und sie hielt die Luft an. In diesem Moment schien der Freizeitpark zu verschwimmen und sich aufzulösen. Er hörte einfach auf zu existieren. Zaghaft drückte sie die Mandeln an ihr Herz, doch sie starrte noch immer verschüchtert Sherlock an, da er ihr noch immer keine Reaktion auf ihre Aussage gegeben hatte.

„Sherlock…ich…“ Sie versuchte verzweifelt einen Anfang zu finden. Sie mussten darüber sprechen. Es ignorieren würde nur eine seltsame Atmosphäre zwischen ihnen schaffen. Aber es war so verdammt schwer.

„Ja?“, fragte er und lächelte noch immer, doch es wurde allmählich zu einem ermutigenden.

„Ich…also…der Verkäufer meinte…du…“, stotterte sie völlig überfordert. Sherlock bemerkte es und lächelte sie warm an.

„Überfordert?“ Sie nickte heftig, ihre Finger klammerten sich in den Saum ihrer Jacke und sie starrte noch immer auf dem Boden. Schließlich trat Sherlock auf sie zu, umfasste sanft ihr Gesicht, hob es an und schaute ihr tief in die Augen. Es war jener machtvolle Blick, der einem beinahe zwangsweise zur Wahrheit führte. Catherine spürte wie ihr Herz noch immer gegen ihren Brustkorb hämmerte.

„Bereust du es, es gesagt zu haben?“, flüsterte er so leise, dass der Schall beinahe von dem Lärm der Umgebung verschlungen wurde und etwas undurchdringliches verschleierte seinen Blick. Es war schwer zu erkennen, was er gerade dachte oder fühlte. Vielleicht war er einfach nur leer und fühlte im Moment auch nichts. Catherine wusste es nicht und sie wusste auch nicht wie sie auf diese Frage antworten sollte. Sie stand am Scheideweg ihrer Beziehung- wie auch immer diese aussah. Ihre Antwort würde entscheiden wie es weitergehen würde und sie fürchtete sich. Sie konnte es sich einfach nicht vorstellen ihn zu verlieren und sie glaubte, dass die ehrliche Antwort dies als Konsequenz hatte. Sollte sie also lügen? In ihrem Kopf überschlugen sich die Gedanken und ihr wurde schwindelig.

„Catherine“, sagte er mit Nachdruck, denn er spürte, dass ihr Mund vermutlich eine Wüste war und sie ihm am liebsten keine Antwort geben würde und stattdessen wegrennen wollte, aber er musste es wissen. „Ja oder Nein?“

Sie holte tief Luft und schüttelte dann tief Luft.

„Nein, ich bereue es nicht, denn das ist es was du für mich bist…was ihr für mich seid.“ Zu ihrer eigenen Überraschung lächelte Sherlock zaghaft, aber glücklich. Es war ein ehrliches Lächeln.

„Catherine…ich habe den Verkäufer nicht korrigiert, weil…“

„Weil…weil du…auch so fühlst?“, fragte sie.

„Ja…“ Wie gut diese Worte taten. Sie konnte gar nicht glauben wie gut sie taten. Sie bedeutete Sherlock etwas. Ein Strahlen trat auf ihr Gesicht und sie umarmte ihn.

„Cath…“, flüsterte er mit brüchiger Stimme, doch er drückte sie näher an sich und hielt sie fest. Es war überraschend, doch er war wirklich glücklich darüber, dass es ihr herausgerutscht war und es fühlte sich auch mittlerweile nicht mehr seltsam an sie im Arm zu halten. Es fühlte sich beinahe schon natürlich an. Er lächelte, als sie ihren Kopf leicht gegen ihn drückte. Die Welt um sie herum hatte wahrlich aufgehört zu existieren und ihnen waren die überraschten Blicke, die ihnen zugeworfen wurden.

„Danke, Sherlock. Danke, dass du mir erlaubt hast in dein Leben zu treten. Danke, dass ihr mich befreit habt. Ich habe schon lange gedacht, dass meine Flügel längst gestutzt worden sind. Es fühlte sich an, als würde das, was von mir erwartet wurde, mich auf ewig fesseln.“

„Ich…“ Sherlock schluckte. „Cath, du musst dich nicht bedanken, sondern ich.“

Er holte einmal tief Luft, da dies zu sagen ihm schwer fiel und doch der Wahrheit entsprach. „Du bist mir so wichtig.“

Catherines Herz machte einen ungewollten Satz, als sie diese Worte. Diese Gewissheit war wie Balsam für ihre Seele. Es tat so gut sie zu hören, dass sie sich beinahe wie ein samtener Hauch anfühlten. Sie war ihm wichtig. Sehr wichtig.

„Ich verstehe nur nicht…“, flüsterte sie dann doch gegen seine Brust, als ihr etwas anderes einfiel. „Ich mein, ich habe dein Leben nicht bereichert. Ich bin nicht John.“

Das wurde ihr mit einem Mal klar. Sie war nicht sein bester Freund. Was hatte sie Sherlock Holmes zu bieten, dass sie wichtigmachte? Wie konnte Sherlock etwas in ihr sehen, wo normale Menschen versagten? Oder war gerade das der Grund? Verdammt, gerade hatte sie sich so wundervoll gefühlt und nun kam wieder diese verfluchte Unsicherheit, die sie abgrundtief hasste.

„Nicht bereichert, Cath?“, stieß Sherlock beinahe schockiert aus. „Du bist mit das Beste was mir in meinem Leben je passiert ist.“

„Wa…was?“ Sie sah ihn überrascht an. „A…aber ich bin doch nichts Besonderes. Ich bin weder besonders schlau, noch stark oder sonst irgendetwas. Ich bin einfach nur sarkastisch und verletzte Menschen damit. „

„Catherine…“, sagte er sanft. „Du bist etwas Besonderes. Du bist stark und klug. Mehr als du glaubst. Du hast so viele Rückschläge erlitten und dennoch hast du nie aufgehört zu kämpfen. Das kann kaum einer von sich behaupten.“

Er lächelte sie sanft an und streichelte über ihren Wangenknochen.

„Und was deinem Sarkasmus anbelangt: er ist mit das Beste an dir. Schließlich wäre ich ohne ihn nie auf dich aufmerksam geworden.“ Catherine errötete schlagartig. Sie hatte ihren Humor stets für ihre größte Schwäche gehalten und Sherlock machte es mal eben zu ihrer größten Stärke.

„Was ich allerdings nicht begreife ist, warum du es mit mir aushältst. Leicht habe ich es dir wahrlich nicht gemacht.“

„Sherlock, es gibt da etwas, was ich dir sagen möchte. Können wir irgendwo hingehen, wo es ruhiger ist, bitte?“ Flehend sah sie ihn an, doch erzog nur eine Augenbraue hoch.

„Das klingt beinahe so, als wolltest du mir eine Liebeserklärung machen.“, grinste er und versuchte diese seltsame, neue Situation etwas aufzulockern. Catherine lächelte nur und klatschte ihn sanft mit der Hand gegen seine Wange.

„Dummkopf! So was doch nicht!“ Sie seufzte leise, während Sherlock lachte.

„Gut, das beruhigt mich dann doch.“ Sie reagierte jedoch nicht wie er es von ihr erwartet hatte. Stattdessen seufzte sie resigniert.

„Sherlock, es ist mir ernst.“

„Also gut…“, gab er schließlich nach, obwohl ihr plötzlicher Ernst ihn verunsicherte. „Da hinten ist ein etwas abgelegenes Café. Wir könnten eine Pause machen. Es ist beinahe schon Mittag. Hast du Hunger?“

„Das ist eine gute Idee, Sherlock.“, pflichtete sie ihm bei, obwohl ihr eher flau im Magen war. Sherlock nickte, drückte leicht gegen ihr Kreuz und bugsierte sie durch die Massen von Menschen, weg von der Geisterbahn und all dem anderen Trubel. An der Grenze des Geländes, umgeben von Büschen und einem See, auf dem man Tretboot fahren konnte, befand sich ein kleiner Pavillon bei dem man Snacks bestellen konnte. Es roch nach Frittieröl und die Möbel waren ein wenig abgenutzt, aber sauber. Kaum ein Mensch lief hier vorbei und außer ihnen befanden sich nur zwei älteren Damen am anderen Ende der Terrasse und schauten wohl ihren Enkeln beim Spielen zu. Beide bestellten sich schließlich etwas zu Essen und zu trinken. Dann holte Catherine tief Luft und begann etwas preiszugeben, was sie noch nie erzählt hatte, obwohl sie sich sicher war, dass Sherlock es bereits wusste. Doch sie wollte es ihm offen ins Gesicht sagen.

„Weißt du, Sherlock, ich war schon sehr früh sarkastisch veranlagt. Das hat mir jedoch oft nichts weiter als Schwierigkeiten eingebracht. Keiner verstand, dass ich Niemanden verletzen wollte, dass ich scherzte. Sie sahen mich alle als arrogant und herablassend an. Sie verstießen mich, wiesen mich ab.“ Sie schluckte schwer und biss sich auf die Lippen. Die Kellnerin kam und brachte das Wasser und die Cola, die sie bestellt hatten. Beide nickten nur, sahen sich jedoch an. Instinktiv umklammerte sie das Glas mit ihrer Cola fester, welches zitterte. „Während all der Zeit tat ich so, als wäre es mir egal, doch in Wahrheit verletzte mich jeder Angriff, weshalb ich die Mauer höher zog um meine Seele zu schützen. Dadurch wurde mein Sarkasmus jedoch noch ausgeprägter, ich wurde noch stärker abgewiesen und ich zog die Mauer noch höher. Ein verdammter Teufelskreis. Am Ende war sie so hoch, dass sie einen Käfig bildete. Ein Käfig, den ich selbst verschlossen hatte, um mich zu schützen. Niemand sollte herein kommen, Niemand sollte mich mehr verletzen. Ich dachte, dass ich niemals mehr aus dieser Gefangenschaft entkommen würde. Aus dieser Dunkelheit. In dieser Welt schien es einfach keinen Platz für mich zu geben. Sie nannten mich Freak, Außerirdische oder arrogante Schnepfe.“

Sie lachte leicht auf, doch es klang hohl und verzerrt, als wäre es ein Zwang.

„Hätten sie dich damals gekannt, hätten sie diese Worte wohl nicht gewählt.“ Sie verzog das Gesicht. Man konnte gut erkennen wie sehr sie das alles noch belastete. Trotz all der Zeit, die bereits verstrichen war. Diese Unsicherheit, die ihr zugefügt wurde, musste eine wahre Folter sein. Sherlock konnte den Schmerz in ihren Augen brennen sehen. Wie schrecklich musste es sein, wenn man nur geliebt werden wollte um seiner selbst willen und jedes Mal, wenn man zeigte wer man war, dann wurde man verletzt? Immer und immer wieder. Selbst er konnte sich das Ausmaß nicht vorstellen. „In all der Zeit zweifelte ich an mir selbst. Warum bin ich wie ich bin? Warum mag man mich nicht für das was ich bin? Bin ich so schrecklich, dass es rechtfertigt mich zu mobben? War das eine Rechtfertigung dafür, dass ich ungeliebt bin, dass mich keiner gern hat? Ich dachte, ich würde für immer in diesen Schutzkäfig bleiben, als ich nach London zog. Wie du richtig erkanntest, ich wollte mich verändern, als ich hierherkam. Ich wollte zudem werden, was die Gesellschaft von mir erwartete zu sein, weil ich die Einsamkeit nicht mehr ertrug. Lieber würde ich langsam darunter zerbrechen, dass ich vorgeben musste jemand zu sein, der ich nicht war, als weiterhin mich den Anfeindungen und dem Hass zu stellen. Dafür war ich nicht mehr stark genug.“

Während sie gesprochen hatte, hatten sich ihre Augen mit Tränen gefüllt. Sie glitzerten im Licht der Sonne und Sherlock schluckte. Er hasste es wahrlich sie weinen zu sehen. Als er sprach, war seine Stimme brüchig und zitterte und er wusste noch nicht einmal was er sagen sollte um ihren Schmerz zu lindern.

„Cath…ich…“ Doch sie schüttelte nur den Kopf und senkte den Blick.

„Deshalb fällt es mir so schwer zu glauben, dass du mich magst, Sherlock. Gerade du für den doch jeder Mensch so gewöhnlich ist. Außer meinem Bruder haben die Menschen mich vertrieben, mich isoliert und ausgerechnet du sollst etwas in mir sehen, was andere nicht sehen konnten?“ Sie schloss die Augen und die Tränen quollen unter ihren Wimpern hervor. „Das hat mir Angst gemacht. Ihr habt den Käfig geöffnet, habt mich rausgeholt aus der Dunkelheit, aus der ich glaubte niemals entkommen zu können und ich war euch unglaublich dankbar dafür. Andererseits hatte ich Angst davor dir zu viel zu zugestehen, denn was würde geschehen, wenn ich es tat? Ich hatte Angst davor, dass ich dir irgendwann zu viel werde, dass ich lästig werden würde und du mich zurück in den Käfig stößt. Ich wusste, dass ich das niemals ertragen würde.“

Ihre Stimme zitterte mit jedem Wort mehr und sie holte tief Luft um sich zu beruhigen. Sherlock starrte sie weiterhin an. Er konnte nicht glauben, was da gerade geschah, was sie gerade gesagt hatte.

„Du musst das hier nicht tun, Cath.“, flüsterte sie. „Wenn es dir zu sehr schmerzt…“

„Nein, Sherlock, es ist okay. Ich möchte, dass du es endlich weißt, dass du weißt was du für mich bist. Ich habe es allzu lange vor mir selbst verleugnet. Ich möchte dass du verstehst, was es bedeutet. Ich vertraue dir, ich vertraue euch und ich bitte dich es nicht zu missbrauchen.“

„Catherine…ich…ich will dich nicht enttäuschen.“

„Wie meinst du das?“, fragte sie verwirrt.

„Ich hab…“ Er räusperte sich.

„Ich meine, wenn du…“ Er fuhr sich durch die Haare und blickte sie an. Sie sah den unbekannten Ausdruck von Panik in seinen Augen. „Ich habe Angst, wenn du dich mir öffnest und mir alles offenbarst was du bis jetzt für dich behalten hast, dass ich dich in meiner emotionalen Dummheit verletzen könnte. Ich könnte dich enttäuschen. Cath…“ Sanft umfasste er ihre zitternden Hände. „ Du bist mir wirklich wichtig, das verspreche ich dir.“

Sie riss die Augen auf. Sie konnte es nicht wirklich begreifen, was Sherlock gerade da gesagt hatte, doch dann schlick sich ein Lächeln auf ihre Lippen.

„Manchmal bist du wirklich ein Idiot, Sherlock.“, sagte sie sanft und umfasste seine Wange mit einer Hand. Ruhig glitten ihre Fingerspitzen über die weiche, marmorne Haut ihres Ziehvaters, während sie weitersprach. „Solange du nicht wieder so einen Mist wie damals abziehst, kannst du das nicht. Ich tue zwar oft genervt, aber es ist nur Schein. In Wahrheit bin ich jedem Augenblick glücklich.“

Sie schloss die Augen und ließ sich den kühlen Wind um die Nase wehen. Es fühlte sich seltsam an all das Sherlock zu erzählen. Noch vor einiger Zeit hätte sie sich davor gefürchtet, doch nun sprudelte es förmlich aus ihr heraus, obwohl ihr das Herz schwer wurde. All die Erinnerungen waren noch immer nicht verarbeitet, sondern einfach nur in eine hintere, dunkle Ecke ihrer Seele verbannt worden und jedes Mal, wenn sie zurückkehrten, fühlten sie sich wie frisch an.

„Weißt du…“, flüsterte sie schließlich und wandte ihren Blick vom Himmel ab. „Als ich dich kennen lernte, wollte ich dir erst nur trotzen. Ich wollte dir zeigen, dass du das nicht mit mir machen kannst, aber je länger ich dich kannte, desto mehr veränderte sich mein Denken. Ich wollte stattdessen meine Aufmerksamkeit, deine Anerkennung. Ich wollte nie ein gewöhnlicher Mensch sein. Ich wollte mich nie mit Trivialitäten beschäftigen und deshalb wollte ich, dass du das bestätigst. Während ich also alles versuchte um diese Bestätigung zu erlangen, verwandelte sich diese Verlangen immer mehr dahingehend, dass ich einfach mit euch Zusammensein wollte. Es tut mir gut bei euch zu sein. Ich hätte das nie gedacht, dass mich je jemand für das mögen könnte, was ich bin.“

Sherlock starrte sie einfach nur an. Seine stahlgrauen Augen hingen auf ihr, doch er rührte sich erst einmal nicht. Catherine spürte wie ihr Herz schneller zu schlagen begann und sie rutschte unruhig auf ihren Stuhl hin und her. War sie vielleicht doch zu weit gegangen.

„Ich hätte auch nie gedacht, dass es außer Mycroft Menschen geben würde, die mich akzeptieren, geschweige denn mögen könnten für das, was ich bin, für das, was ich tue und dann kamen John und du.“

„Wir zwei müssen schon ziemlich verrückt sein, dass wir es mit dir aushalten könnten.“, sagte Catherine amüsiert und versuchte somit diese bedrückte Stimmung zu lockern, die sich wie schwere Säcke auf ihren Schultern anfühlten. „Und du wurdest immer menschlicher. Wusstest du, dass ich mir erst nach Serbien eingestehen konnte, dass ich dich mag? Allerdings glaubte ich damals, dass wir niemals Freunde sein könnten, dass es dich niemals interessieren würde, was ich fühle. Ich habe nicht geglaubt, dass ich je mit dir über meine Gedanken, Sorgen und Probleme sprechen könnte so wie ich es mit John kann, aber im Nachhinein merkte ich, dass du eigentlich immer für mich da warst. Zwar auf deine seltsame Sherlock Art, aber die half mir oft mich wachzurütteln. Als ich das erkannte, wurde mir aber etwas bewusst, was mich selbst erschreckte. Weißt du damals, als ich meine SMS auf deinem Handy entdeckte und du mich an dich ran gezogen hast, war ich gerade dabei in Selbstzweifel zu versinken, denn mir war bewusst geworden, dass ich stets gemeint hätte dir zu vertrauen, doch in Wahrheit war das seine Illusion gewesen. Ich hatte dir nie wirklich vertraut.“

„Ich habe dir auch nie wirklich einen Grund gegeben mir zu vertrauen, Cath.“, flüsterte er nüchtern, doch als er fortfuhr, da begann sie zu schwanken und wurde merklich leiser: „Ich weiß noch nicht einmal, ich das überhaupt gewollt habe.“

Catherine hob den Blick und sah ihn durch ihre dichten, schwarzen Wimpern an.

„Du hattest es mir doch auf dem Rückflug zugesichert oder war dies nur eine Manipulation gewesen, damit ich dir erzählte, was du hören wolltest?“ Hilflos zuckte Sherlock mit den Schultern.

„Ich weiß es nicht, Cath. Ich hatte nie die Absicht, dieses Versprechen zu brechen. Nein, im Gegenteil. Ich habe alles getan um es zu halten.“ Sein Herz wurde schwer, als er daran zurückdachte wie ihre Augen ihn flehend angesehen hatten, als er sie verbannt hatte. Egal wie oft er sich eingeredet hatte wie logisch und notwendig es war, er hatte sich damals nicht erwehren können, dass sein Herz rebellierte. Er holte tief Luft und zog seine Gedanken in die Realität zurück. Catherine brauchte ihn jetzt und er schuldete ihr Antworten. Langsam hob er den Blick und schaute ihr tief in die Augen um all seine Gewissheit in ihren Ausdruck zu legen. „Ich würde heute alles tun um dir zu beweisen, dass du mir vertrauen kannst. Aber früher…Ich war damals jemand anderes.“

Catherine schwieg eine ganze Weile und starrte ihn einfach an. Weder sprach sie ein Wort, noch konnte er die Gefühlsregung in ihrem Gesicht erkennen. Schließlich nahm sie einen Schluck von ihrer Cola und trank. Als sie das Glas wieder absetzte, sah sie ihn vollkommen ruhig an. Mit einem Mal wirkte sie um einige Jahre reifer und erwachsener.

„Weißt du Sherlock.“, setzte sie ruhig an. „Auch wenn ich meinte dich zu kennen, glaubte ich deine Illusion der Verbannung nur zu gerne. Auf Grund meiner Erfahrung schien es nur allzu passend, dass ich dir irgendwann überdrüssig oder gar langweilig werden würde. Ich habe nicht darauf vertraut, dass etwas dahintersteckte. Ich bin, selbst als ich wusste, dass Moriarty zurück war, nie auf die Idee gekommen, dass du mich beschützen würdest, obwohl du es mir versprochen hattest.“

Sie biss sich unruhig auf die Unterlippe und da war wieder die Catherine, die Sherlock in all den Jahren kennengelernt hatte und wenn er ehrlich war, so fühlte er sich nun wohler.

„Deshalb war ich damals, nachdem ich das Lied gesungen hatte, was ich auch an deinem Grab gesungen hatte, abgehauen. Ich hatte Angst vor deiner Reaktion, dass irgendwann meine Zuneigung zu viel für dich werden würde. Ich hatte fast sogar damit gerechnet, dass du anfängst zu lachen und mir sagst wie dumm ich bin.“

Zu ihrer Verwunderung starrte Sherlock sie mit geweiteten Pupillen an und beinah Reflexartig griff er nach ihrer Wange und strich mit seinem Daumen zärtlich unter ihrem Auge entlang.

„Catherine…“, flüsterte er leise und flehend. „Versprich mir, dass du nie, wirklich nie wieder wegen mir an dir zweifelst. Ich war derjenige, der nicht in der Lage gewesen war Zuneigung zu verstehen und richtig zu deuten. Ich tue es noch immer nicht.“

Sherlock leckte sich unruhig über die Lippe und er zögerte.

„Du…hätte ich…“, er stockte und rann sich mit seinen Fingern durch die Haare. „Das was du für mich gesungen hast, war das Schönste, was ich jemals von Jemand gehört habe, was an mich gerichtet war. Hätte ich nur gewusst wie sehr du an dir gezweifelt hast, dann hätte ich…“

Ja, was hätte er dann getan? Hätte er überhaupt anders reagiert? Sherlock musste gestehen, dass er keine Antwort auf diese neuen Fragen fand. Er war damals wirklich ein Anderer gewesen. Hätte er Catherine weiterhin verletzt, wenn er geahnt hätte, welchen Schaden er damit anrichtete? Wenn er ihre Vergangenheit gekannt hätte? Was hätte er dann gemacht?

„Du hättest mich dennoch verstoßen.“, stellte Catherine nüchtern fest, aber sie lächelte, als sie seinen schockierten Blick sah und Sherlock fragte sich, ob Vater-Tochter wirklich ihre Beziehung definierte. Bei Niemand sonst war er so offen und menschlich wie bei ihr. „Du wärst dennoch diesen Weg gegangen. So bist du nun einmal, Sherlock. Du bist nicht wie die anderen und das schätzen John und ich an dir.“

„Aber das ist nicht richtig!“, stieß er beinahe verzweifelt aus. „Wie könnt ihr Jemanden wie mich schätzen? Warum ist John nicht schon längst geflüchtet und warum freust du dich mit mir einen ganzen Tag verbringen zu können?“

Mit einem Mal fühlte er sich verunsichert und er senkte seinen Blick. Beinah schien es, als wolle er ein Loch in den Tisch bohren und sich darin zu verstecken.

„Wie überlebt ihr meine Launen? Wie ertragt ihr mich?“, flüsterte er betrübt. „Was seht ihr in mir und weshalb habt ihr drei Jahre lang auf mich gewartet.“

Catherine war überrascht über diese Worte. Eigentlich hätte sie gedacht, dass er das von ihnen erwartet hätte. Sie lächelte. So verletzlich und unsicher hatte sie Sherlock nun wahrlich noch nie erlebt. Es war schon wirklich erstaunlich, was sich aus diesem vermeintlich harmlosen Tag entwickelt hatte. Nun saßen sie hier bei Sandwiches und Softdrinks und sprachen zum ersten Mal wirklich offen miteinander. Vielleicht war es genau das, was sie beide brauchten. Ein klärendes Gespräch. Sich einfach zu sagen, was man dachte ohne die Befürchtung zu haben wie es bei dem jeweils anderen ankommen könnte. Denn wenn sie ehrlich waren, waren sie bisher noch nie offen zueinander gewesen. So paradox es nach allem, was sie erlebt hatten, klingen mag, sie hatten sich zu gern gehabt um wahrlich ehrlich miteinander zu sein. Sets war es bloß ein Abwägen gewesen und dennoch hatte sich solch ein tiefes Band zwischen ihnen geknüpft. Obwohl sie stets Illusionen erschaffen hatten, hatte doch die Wahrheit gesiegt. Vielleicht sollte es einfach so sein, doch sie würden es nie herausfinden, wenn sie nicht endlich einen neuen Weg einschlagen würden.

„Warum warst du bereit dein Leben für drei Jahre wegzuwerfen damit wir überleben?“, entgegnete Catherine und zuckte leicht mit den Schultern. „Weil wir Freunde sind und so vieles mehr. Das ist der Grund. Sherlock, du bist wirklich wie ein Vater für mich. Zwar ein seltsamer, aber du bist es für mich. Bei dir weiß man einfach nie, was einen erwartet. Jeder Tag ist ein Abenteuer mit dir. Bevor ich euch traf, habe ich lange nicht mehr gelacht. Ich habe zwar oft gelächelt, einfach weil ich Niemanden Umstände bereiten wollte und das Spiel deshalb lieber mitspielte, aber ihr wart die Ersten bei denen ich wieder ehrlich konnte. Bei denen selbst Kleinigkeiten zu etwas spektakulären werden. Du bist schlimmer wie jede Droge, Sherlock. Du bist wirklich wie eine Sonne. Je näher, he mehr man mit dir in Kontakt kommt, desto weniger kommt man von dir los. Wenn man deine tiefe Seele kennenlernt, wenn du so etwas wie Sympathie deinem Gegenüber zulässt, will man immer mehr. So ist es bei mir zumindest. Früher hatte ich nie das Bedürfnis, dass du mich berührst, doch jetzt machen mich die kleinen Gesten einfach glücklich. Dinge wie wenn du mir die Tränen aus den Augen streichelst, mich umarmst…dies sind die Momente in denen ich weiß, dass ich sicher bin, weil ich weiß, dass Sherlock Holmes für mich da ist.“

Zu ihrer Überraschung ergriff Sherlock ihre Hand und drückte sanft zu.

„Du bist meine Tochter und ich werde immer alles dafür tun, dass du glücklich bist.“, sagte er sanft. „Niemand außer euch versteht wie wichtig mir all die Fälle sind.“

„Vergisst du dabei nicht Lestrade und Mrs. Hudson? Sie verstehen es sehr wohl. Lestrade ist nur frustriert, weil du oft allein Gänge machst und vielleicht auch, weil er sich dann wie ein Idiot vorkommt. Nun gut, so fühlt sich jeder in deiner Nähe.“ Sie lachte und Sherlock stimmte nach kurzer Zeit mit ein.

„Danke für die Blumen.“ Er deutete eine leichte Verbeugung an. „Aber Lestrade ist auch der einzige brauchbare Polizist im Scotland Yard.“

„Du meinst der einzige, der es mit dir aushält.“

„Es läuft aufs selbe hinaus.“ Überraschenderweise seufzte Sherlock und blickte nachdenklich in den Himmel hinauf, doch sein inneres Auge sah etwas anderes. Vieles der damaligen Zeit war verschwommen und er konnte sich nicht erinnern, was er damals getan hatte. Es war ihm kaum möglich zu sagen was von den Erinnerungen Fiktion und Wirklichkeit war, doch woran er sich erinnern konnte war die dunkle Unterwelt von London. Gassen, die nach Urin stanken und von Dreck überzogen waren, wie die Straßen es sonst nur von Schnee waren. Er erinnerte sich wie er wie ein Geist durch die Gassen gewandert war, während in seinem Körper der rasende Drang nach dem nächsten Schuss gewütet hatte. Im Nachhinein musste Sherlock sich eingestehen, dass es erbärmlich gewesen war. Er war hilflos gewesen, hatte Tag und Nacht verstreichen lassen ohne so Recht zu wissen, ob es Winter oder Frühling war. Jahre seines Lebens hatte er in dem Rauschen des Flusses aus Farben, der von den Drogen erzeugt wurde, verbracht. Geändert hatte sich alles unter einer Brücke, an der Böschung, wo er sich den Wind durch die Haare hatte wehen lassen und ein junger Polizist ihn aufgescheucht hatte, da er die Spritzen neben seinem Arm entdeckt hatte. Danach hatte sich sein Leben verändert.

„Ohne Lestrade wäre ich wahrscheinlich immer noch ein Junkie, Cath.“, fuhr er mit schwerer Stimme fort. „Er hat mir damals eine Chance und eine Aufgabe gegeben. Ich habe mich verloren gefühlt, Catherine, als hätte ich keinen Platz auf dieser Welt. Damals war ich noch so naiv, dass es mir nicht gleichgültig war und von meinem tollen Bruder konnte ich mir auch keine Hilfe erwarten.“

Irritiert blinzelte Catherine ihn an, sagte dazu aber erst einmal nichts. Sie konnte ihm nicht sagen, dass sie sich dieser Tatsache nicht so sicher war. Sie glaubte schon, dass Mr. Britische Regierung schon seine Finger im Spiel gehabt hatte. Aber was würde es bringen, diese Zweifel auszusprechen? Sherlock würde ihr doch ohnehin nicht glauben, denn er war Sherlock Holmes. Er wusste alles und er sah alles. Stattdessen nickte sie also nur.

„Ich verstehe das. Ich glaube ich verstehe wie du dich damals gefühlt hast und warum du zu diesem Mittel gegriffen hast. Aber ich bin froh, dass Lestrade dich gefunden hat. Damit hat er gleich mehrere Menschen gerettet und es wäre wirklich eine Schande, wenn dein Intellekt der Menschheit verloren gegangen wäre.“ Sherlock schnaubte auf Grund dieses Komplimentes.

„Das klingt ja beinahe so, als würde ich ihm was schulden.“

„Das klingt nicht nur so, dem ist auch so. Schließlich lässt er dich arbeiten, riskiert dabei regelmäßig seinen Job.“

„Ich erledige seinen Job!“, protestierte Sherlock lautstark.

„Ach, und dass er dich unerlaubterweise an Tatorte lässt oder Beweisstücke zukommen lässt, ist dabei vollkommen irrelevant, was?“

„Ich erledige seinen Job!“ Catherine schüttelte nur den Kopf und rollte mit den Augen, lächelte aber.

Einige Zeit saßen die beiden stumm da und verspeisten ihr spätes Frühstück oder frühes Mittagessen- je nachdem wie man es sehen sollte. Keiner der beiden sprach ein Wort, doch die Stille war nicht unangenehm. Schließlich hatten sie in der letzten Stunde mehr miteinander geredet als jemals zuvor und Catherine fühlte sich beinahe erschöpft. Sie war es nicht gewohnt so viel von sich preiszugeben.

Doch schließlich beschloss Catherine noch ein weiteres Thema anzusprechen, welches ihr schon seit einiger Zeit zu schaffen machte.

„Sherlock…ich…ich möchte mich entschuldigen.“

„Wofür?“, fragte Sherlock irritiert und sah von seinem Sandwich auf.

„Dafür, dass ich damals im Eiscafé ruppig zu dir war. Ich wollte es nicht.“ Sherlock schloss die Augen und schüttelte den Kopf. Zärtlich legte er seine Hand an ihre Wange und strich mit seinem Daumen über ihre kühle Haut.

„Es gibt nichts, wofür du dich entschuldigen musst. Ich habe es ja darauf angelegt.“

„Nein! Es ist nicht in Ordnung, Sherlock.“, protestierte Catherine vehement. Als sie seinen überraschten Blick sah, seufzte sie und nahm sanft seine Hand von ihrer Wange. „Es tut mir leid. Ich wollte nicht…Als wir uns getroffen haben, hatte ich mir fest vorgenommen dich auf Abstand zu halten. Wenn ich eines während er zwei Monate erkannt hatte, dann dass ich alleine nicht mehr lebensfähig war. Ohne euch habe ich nichts mehr auf die reihe bekommen und das machte mich wütend. Noch wütender hat mich gemacht, dass ich aufgeregt, hoffnungsvoll gewesen war, als du mir die SMS geschickt hattest. Ich hatte die Hoffnung, dass es wieder so wie früher werden würde, doch als du mich so abweisend ansahst, beschloss ich sämtliche Schutzmechanismen hochzufahren, damit ich nicht noch weiter verletzt werde. Ich wollte nicht dermaßen abweisend sein. Wirklich nicht, aber ich war schon dermaßen verletzt und fühlte mich einsam. Mehr hätte ich einfach nicht mehr ertragen. Ich wollte dir zeigen, dass es mir nichts ausmacht, dass es mir egal war, dass du mich verbannt hattest. Ich wollte wütend sein, ich wollte dich hassen, doch ich konnte es nicht.“

„Nein, Cath.“, sagte Sherlock sanft und nahm ihre Hand. Wieder einmal umgarnte sie seine ruhige, tiefe Stimme. Catherine wusste nie was sie von dieser Tonlage halten sollte. Einerseits hatte sie den Vorteil, dass er sie beruhigte, egal wie aufgewühlt sie war, andererseits führte er auch dazu, dass sie ihm alles verzieh. „Dir muss gar nichts leidtun. Du bist der Grund, warum ich noch lebe…“

„Ich wünschte, ich hätte mich geirrt. Ich habe mir sosehr gewünscht, dass du am Ende dieser Geschichte mich auslachen und sagen könntest: ‚Was habe ich gesagt?‘ Aber ich bemerkte schnell, was für eine Art Mensch Moriarty war, als du mir von ihm erzähltest. In diesem Moment wurde mir klar, dass du in großer Gefahr warst. Es war wie eine endgültige Ahnung in mir. Es war mir einfach klar. Ich wusste worauf es hinauslaufen würde und ich wusste auch, dass du es nicht sehen wolltest. Ich war besorgt und ich wollte dich beschützen. Ich wusste allerdings keinen anderen Weg, als es dir an den Kopf zu knallen. Weißt du noch wie du mich gefragt hast, warum ich dich in Serbien gerettet habe? Ich sagte, ich weiß es nicht. Das war gelogen. Ich hatte mir damals geschworen dir niemals die ehrliche Antwort zu geben, weil ich dieses letzte Stück Stolz und Distanz wahren wollte. Doch, wenn ich nun ehrlich bin, der Grund war, weil ich dich mochte und ich wollte nicht, dass du stirbst. Damals schon nicht.“

Unsicher biss sich Catherine auf die Lippen und spürte wie ihr Herz hämmerte. Auch Sherlocks Mund stand offen und er sah sie mit einem ungläubigen Blick an. Er holte tief Luft und strich erneut über ihre Wange.

„Cath, danke.“, flüsterte er und strich erneut über ihre Wange. Er sah sie danach einfach nur an, doch der Schein in seinen Augen sprach mehr als jedes Wort. Schließlich legte Catherine auch ihre Hand über die seine und schloss die Augen. „Ich bin froh, dass wir dieses Gespräch geführt haben.“

Sie schwiegen. Mehr gab es in diesem Moment einfach nicht zu sagen. Schließlich öffneten sie beide zeitgleich die Augen und Sherlock sagte vergnügt: „Also, wollen wir dann jetzt zur Geisterbahn?“

~*~

Die beiden verbrachten noch einen herrlichen Tag in dem Freizeitpark und selbst Sherlock musste sich eingestehen, dass er beinahe Spaß dabei hatte. Sie fuhren durch die Geisterbahn und wie versprochen kreischte Catherine bei jeder Gelegenheit und klammerte sich in seinen Ärmel. Sie fuhren Wildwasserbahn, bei der Sherlock prahlte, dass er ausrechnen könnte auf welchem Platz er trocken bleiben würde. Natürlich endete es damit- Ironie des Schicksals-, dass er klitschnass wurde und seine Haare sich nach dem anschließenden Turbotrocknen für 50 Cent noch mehr lockten, als er es normalerweise der Fall war. Sie fuhren noch einige weitere Achterbahnen, aßen Corndogs und sahen sich sogar eine Varietéshow an. Catherine genoss jeden Augenblick dieses Tages. Nie hatte sie so viel Spaß an einem Tag mit Sherlock gehabt wie an diesem. Sie lachten, scherzten und ärgerten sich. Sie waren in einer anderen Welt. Frei von den Beobachtungen der Presse und verächtlichen Meinungen von Öffentlichkeit. Alles war so natürlich und harmonisch, dass man wahrlich meinen könnte, dass sie Vater und Tochter wären- abgesehen von den äußerlichen Unterschieden, natürlich.

Ebenfalls gingen sie in einen Teil des Parks bei dem es klassische Kirmesspiele gab. Rosenschießen, Hau-den-Lukas und Dosenwerfen. Catherine verbrachte eine geraume Zeit dort. Sie warf mit dem mit Sand gefüllten Lederball auf die Konservendosen und schoss mit einem Luftdruckgewehr auf Herzen- und traf. In diesem Moment beschloss Sherlock, dass er Johns Waffe möglicherweise besser verstecken sollte.

Das Highlight war jedoch die Fahrt mit dem Riesenrad nach Einbruch der Dunkelheit. Während sich das Rad langsam in der klaren Nacht drehte, klebte Catherine förmlich an der Scheibe und strahlte bis über beide Backen. Sherlock verstand diese kindliche Freude nicht, die Catherine die gesamte Zeit versprühte, aber es wärmte sein Herz sie so zu sehen.

Schließlich musste sie dann doch diese Scheinwelt verlassen, als deren Tore schlossen. Der Kies knirschte erneut, als sie zu ihrem Auto liefen. Es war mucksmäuschenstill. Die meisten Menschen hatten den Park bereits verlassen. Mitten auf den Platz blieb Catherine stehen und zog an seiner Hand. Sherlock blieb ebenfalls stehen und drehte sich zu ihr um. Da umarmte sie ihn und drückte ihren Kopf auf seiner Schulter.

„Danke, Sherlock. Ich weiß, dass dieser Tag ein Graus für dich gewesen sein muss, aber ich habe ihn sehr genossen.“

Sherlock lächelte sanft und legte seine Hand in ihr Haar. Er würde ihr nicht verraten, dass er ebenfalls diesen Tag genossen hatte. Stattdessen lächelte er einfach vor sich hin und flüsterte:

„Gern geschehen, meine Kleine.“

43. Kapitel: Mord im Labor

43. Kapitel: Unheil

 

Es war ein kalter, grauer Morgen an diesem zwölften Januar. Reif hatte bis vor wenigen Minuten noch die Dächer der Stadt mit einer knisternden Schicht aus gefrorenem Wasser bedeckt. Es war gar so kalt gewesen, dass Dampf aus der Themse aufgestiegen und der Nebel, wie ein langsames Monster, durch die Straßen kroch.

Etwas Unheilvolles lag in der Luft. Sherlock Holmes konnte es förmlich riechen. Adrenalin floss durch seine Adern und ließ eine Gedanken schneller rasen als jedes Karussell. Er wusste noch nicht einmal, woher genau diese unheilvolle, dunkle Vorahnung in seinem Magen kam, doch etwas sagte ihm, dass Gefahr vor ihm lag. Einst hatte ihn dieser Geruch nach Abenteuer gereizt. Er hatte ihm förmlich hinterhergejagt, doch jetzt verhielt es sich anders. Er hatte gesehen, was geschah, wenn er ein zu großes Risiko einging und dadurch jagte er dem Kick nicht mehr hinterher wie der Junkie seinem nächsten Schuss. Natürlich lechzte er noch immer nach dem Adrenalin und wollte der Langweile des Alltages entfliehen, doch diesmal war es anders und er konnte einfach nicht greifen weshalb.

„Und nun sag mir nochmal,“ gähnte John und blinzelte ihn verschlafen an. „Warum um Himmelswillen du mich um 5 Uhr morgen wächst? Nach dazu an meinem ersten freien Tag nach 2 Wochen.“ Sherlock Holmes löste quälend langsam seinen Blick von dem dunklen Nichts, dass London zu verschlingen schien. Als er in die Augen seines besten Freundes blickte, hing ein undurchdringlicher Schleier über seinen graublauen Augen.

„Lestrade rief mich an,“ erklärte Sherlock mit ungewohnt weit entfernter Stimme. John spürte, dass sein Freund gedanklich bereits bei dem Fall war. „und sagte, dass es einen Mord gegeben habe.“

„Eine 8 mindestens nehme ich an, ansonsten würdest du nicht so früh aufstehen.“ John gähnte erneut und betrachtete seinen Freund träge.  Sherlock hingegen wandte sich wieder von seinem Freund ab und biss sich unbewusst in seine Unterlippe.

„Das weiß ich nicht,“ gab er zurück und nun blinzelte John verblüfft.

„Nicht? Warum dann die Eile? Wo fahren wir überhaupt hin?“ Die ungewohnte Wortkargheit, die Sherlock zeigte, stimmte John unruhig. Klammheimlich beschlichen nun auch ihn die Gefühle, die Sherlock bereits seit einiger Zeit verspürte und er begann unruhig auf den Sitz hin und her zu rutschen.

„Zur Universität.“ Die Worte von Sherlock trafen John wie ein Hammerschlag. Er schluckte schwer und spürte wie sein Herzschlag sich für einige Augenblicke verlangsamte. Nun verstand er wahrlich die Stille seitens Sherlock und er wusste auch wo seine Gedanken hingen. Allein der Gedanken, dass es Catherine getroffen haben könnte, ließ ihm ganz flau werden. Aber wie wahrscheinlich war das?

„Hör mal, Sherlock, Catherine geht es gut. Sie hat heute keine Frühschicht, “ sagte John hastig, vermutlich mehr um seine aufkommende Unruhe zu verdrängen, als die Sherlocks.

„Da irrst du dich, John.“ Wieder diese ruhige Stimme. John schluckte schwer. „Catherine hat heute um fünf Uhr früh das Haus verlassen. Ich habe sie gesehen.“

Unglücklich rieb Sherlock sich über die Augenbrauen und starrte dann wieder beharrlich raus. Seit dem Moment an dem ihn Lestrade angerufen hatte, tobte ein Sturm in seinem Inneren. Aus irgendeinem Grund hatte er ihm nicht mitteilen wollen, wer das Opfer war und warum sonst hätte er es Sherlock nicht sagen sollen, wenn nicht Catherine irgendwie involviert war. Diese Vermutung war nur noch mehr bestätigt worden durch den vorsichtigen, zögerlichen Tonfall, den Lestrade Sherlock gegenüber angestimmt hatte.

Er blinzelte als Johns leicht zittrige, aber kontrollierte Stimme ihn aus den Gedanken riss. Manchmal verfluchte sich Sherlock um seine Gabe des Gedankenpalastes, denn sein Geist fing an unerlässlich mögliche Szenarien zu entwerfen und jedes davon hielt ein grausiges Ende für seine Ziehtochter bereit. Die Flut der Bilder war derart erdrückend, dass selbst er nicht mehr in der Lage war sie wie sonst beiseite zu schieben. Generell war er dazu nicht mehr in der Lage seitdem er Catherine näher gekommen war. Er hasste es, denn es machte ihn nervös. Wohin sollte es führen, wohin würde es führen, wenn er diese Fähigkeit verlor? Er musste in der Lage zu sein es auszublenden, den Abstand zu wahren um seiner Arbeit nachzugehen. Er war stets der Soziopat gewesen, doch zu was wurde er nun? Wurde er gar zu einem Menschen? Vermutlich zu einem äußerst schlechten und er wäre dazu verdammt in dieser Zwischenwelt zu wandeln. Weder das eine noch das andere zu sein. Er mochte es ein Sozipath zu sein, er hatte es stets genossen sich niemals regeln beugen zu müssen, selbst zu bestimmen was für ihn die Grenze war, doch seit einiger Zeit erschien das beinahe nicht mehr genug und es jagte ihm beinahe Angst ein.

„Sherlock!“, sagte John noch einmal, dieses Mal lauter. Sherlock fuhr beinahe zusammen und wischte mit seiner Hand  über das Glas in einer symbolischen Geste um auch seine Gedanken zunächst fortzuwischen. Er musste neutral an die Sache herangehen. Unvoreingenommen, sonst könnten ihm Fehler unterlaufen. „Nur weil Catherine heute an der Universität ist, heißt es noch lange nicht, dass ihr etwas zugestoßen ist.“

Sherlock seufzte innerlich. Manchmal konnte John wahrlich töricht sein. Natürlich wusste er genau, dass Catherine nicht unweigerlich etwas passiert sein müsste. Dies allein reichte für diese Annahme nicht aus. Rund 22.000 Menschen lehrten, studierten oder arbeiteten in dieser Universität. Da war ohne weitere Anhaltspunkte die Wahrscheinlichkeit zu gering. Einfache  Mathematik, doch was, wenn man der eine von den 22.000 war? Schnell schloss er die Augen und holte tief Luft.

„Nein, das alleine nicht, John, das ist wohl wahr.“ Sherlock kramte in seiner Tasche und zeigte sein Mobiltelefon vor. John nahm es vorsichtig entgegen und sah sich den Verlauf zwischen Catherine und Sherlock an: Fünf SMS und er hatte sogar drei Mal versucht sie anzurufen. Das Display seines Smartphones zeigte jedoch, dass es keinerlei Reaktion ihrerseits gegeben hatte. „Du weißt wie Catherine ist, wenn sie Frühschicht hat: gelangweilt und beinah anstrengend  kommunikativ. Ausgerechnet heute ist sie nicht zu erreichen und Lestrade wollte auch nicht richtig mit der Sprache herausrücken, worum es in dem Fall ging.“

John schluckte und holte tief Luft. Er war sichtlich blasser geworden. Selbst Sherlock empfand es nicht als verwunderlich. Diese beiden verband eine solch enge Verbundenheit wie Sherlock es noch nie erlebt hatte.

„Wir sollten ruhig bleiben, John, und sehen was uns erwartet. Nichts ist schlimmer, als Annahmen und Mutmaßungen ohne jegliche Grundlage zu treffen. Wir wissen nichts von dem was vorgefallen ist, also sollten wir auch keine Gedanken an mögliche Szenarien verschwenden.“

„Du hast ja Recht, Sherlock, aber…“

„Ich weiß, John.“, seufzte Sherlock schwer und sah wieder in die Nacht hinaus, die langsam zum Morgen wurde, bevor er flüsterte: „Ich weiß.“

Die Universität fühlte sich an wie eine Geisterstadt, als John und Sherlock das Taxi verließen und den vertrauten Weg entlangschritten. Der Regen hatte zwar mittlerweile aufgehört, dafür hing nun feuchter Nebel über dem Pflaster, der bis in ihre Knochen kroch und sie frösteln ließ. Sherlock steckte seine behandschuhten Hände tiefer in die Taschen und schlug den Kragen hoch um sich gegen die Nässe zu rüsten.

John stapfte neben ihn durch die Pfützen und ging dabei ein wenig schief. Offensichtlich mochte seine verwundete Schulter die Nässe nicht. Sherlock hingegen fragte sich, ob ihm ein Weg jemals so lang vorgekommen war. Fühlte sich so ein Schuldiger, der zu seinem Henker ging? Zumindest wollte auch Sherlock nun endlich Gewissheit, also beschleunigte er seine Schritte und steuerte zielstrebig den Seitenweg hinauf. Er achtete weder um den Weg, noch dass es selbst für diese Stunde erschreckend ruhig war. Innerlich peitschte ihn seine Sorge bloß immer weiter an.

Schließlich bog er- etliche Schritte vor John- um die Ecke und blieb stehen. Er stand auf einer  Weggabelung. Vor ihm befand sich das schlichte Gebäude mit der schwarzen Schmuckfassade, indem sich das Institut für mikrobielle Genomik befand. Er schluckte, als er Polizeibeamten vom Scotland Yard sahen, welche Gruppen von zwei bis drei Personen befragten. Einige von ihnen kannte er. Es waren Kollegen von Catherine. Sein Herz begann zu rasen und er wirbelte herum in der Suche nach Lestrade. Es dauerte einige Momente, bis er ihn unter einer Straßenlaterne ausfindig machte. Das gelbe Licht erstrahlte die Luft und der Nebel ließ sie flackern, sodass es einige Momente dauerte, bis er die Szenario genau erkannt, doch dann atmete er erleichtert auf. Neben Lestrade, der eifrig etwas auf einen Notizblock schrieb, stand Catherine. Ihre Arme waren um ihren Körper geschlungen und sie biss sich auf ihrer Unterlippe, doch sie schien wohlauf zu sein.

In diesem Moment kam auch John neben ihm zu stehen. Sherlock hörte wie er erst den Atem anhielt, doch dann erleichtert ausstieß als er Catherine erkannte. Zu diesem Zeitpunkt war Sherlock jedoch bereits auf den Weg zu ihnen. Beim Erklingen des Klapperns auf dem Pflaster drehten sich sowohl Lestrade, als auch Catherine um.

„Sherlock…“, flüsterte Catherine leise mit erleichterter und zeitgleich matter Stimme, als Sherlock vor ihnen stoppte. Er umarmte sie kurz, bevor er ihr Gesicht in die Hände nahm und sie genauer ansah. Was er sah, ließ schlimmes vermuten. In den Weiten ihrer Pupillen fand er die Leere des Schockes. Sein Blick glitt nach unten und er erkannte, dass sie fahl geworden war. Beinah schien es, als wäre sämtliches Blut aus ihrem Körper gewichen. Kein Wunder, dass sie fröstelte. Ohne zu zögern, und zur Verwunderung aller Anwesenden, zog er in einer geschmeidigen Bewegung seinen Mantel aus und legte ihn ihr um. Catherine registrierte das angebotene Geschenk von Wärme, behielt den Kopf aber weiterhin gesenkt, als sie den schweren Stoff enger um sich zog und die Knöpfe schloss. Der Mantel war ihr bei weitem zu lang und fiel auf dem Boden, doch es kümmerte Sherlock nicht.

Nun erreichte auch John den Inspektor und die Biologin und umarmte diese.

„Catherine! Gott sei Dank ist dir nichts passiert! Was ist pa…“

„Du hast die Leiche gefunden, nicht wahr?“, unterbrach Sherlock seinen besten Freund zuvor. Als Catherine erschauderte, den Kopf wegdrehte und nickte, konnte Sherlock förmlich spüren wie John ein kalter Schauer über den Rücken jagte. Der Doktor wurde schlagartig bleich. Kein Wunder. Schließlich wusste er als ehemaliger Soldat wie es war, wenn man zum ersten Mal einen toten Menschen erblickte und er war sensibler als es ihm oft gut tat. Catherine war von diesem Schrecken bisher jedoch gänzlich unberührt geblieben- zu ihrem Glück. Zwar hatte sie gesehen wie Sherlock die Serben damals getötet hatte, doch das waren ihre Feinde und Folterer gewesen, wodurch ihr Dahinscheiden für sie eine Erleichterung dargestellt hatte. Jetzt jedoch war davon auszugehen, dass Catherine das Opfer gut kannte, vielleicht sogar schätzte und diese Erfahrung würde sie für immer prägen. So jedenfalls würde John es sehen. Sherlock verstand noch immer nicht, warum Menschen solch starke Gefühle entwickelten, wenn sie den kalten- oder manchmal noch warmen- Körper erblickten, dessen Geist und Gedanken erloschen waren. Es war doch schließlich nichts weiter dabei. Sterben musste jeder Mensch und irgendwann würde jeder auf die eine oder andere Weise umkommen. Was daran jetzt erschreckend war, erschloss sich ihm wahrlich nicht, aber er hatte mittlerweile akzeptiert, dass dies wohl wieder eine seiner Anomalitäten war und durchaus nicht im Normbereich lag. Also ging er nun davon aus, dass es Catherine bis in die Tiefen ihrer Seele erschüttert hatte, was ihr Anblick durchausbestätigte. Selbst als Biologin war sie bisher mit solchen Dingen nicht konfrontiert worden. Nun gut, er sah mittlerweile auch ein, dass er wohl einer der wenigen Erlesenen war, die die Schönheit eines meisterhaft begangenen Verbrechens darstellte, erkannte. Kaum einer war in der Lage zu verstehen wie schön der Anblick eines neuen Rätsels ist, welches es zu lösen galt. Für ihn gehörte es zur Absurdität wie man beim Anblick nicht eines wohlausgeführten Mordes nicht völlig aus dem Häuschen sein konnte, aber er hatte mittlerweile gelernt, dass dies für die normalen, bemitleidenswerten Menschen an Verrücktheit grenzte.

„Catherine,“ sagte Sherlock mit dieser ruhigen Tonlage von der er wusste, dass es sie beruhigte und half den Horror zu verarbeiten. Er umfasste ihre Wange erneut, damit sie ihm direkt in die Augen sah. „Erzähl mir, was passiert ist!“

Catherine zögerte und senkte erneut ihren Blick. Dieses Mal ließ er sie gewähren, da er wusste, dass sie ihm antworten würde. Die Worte mussten nur noch ihren Weg aus der Starre zu ihrem Mund finden.

„Nate ist tot,“ flüsterte sie schließlich. Nur im letzten Moment schaffte Sherlock ein ‚Wer?‘ zu unterdrücken. Irgendwie hatte er das Gefühl, dass ihm dieser Name etwas sagen sollte. Aber bei aller Überlegung, er hatte keine Ahnung.

„Dein Arbeitskollege, der dich ständig nach einem Date gefragt hatte?“, fragte John überrascht. „Er war das Opfer?

„Ach der!“ Nun machte es Klick in Sherlocks Kopf und die Bilder von jenem Abend, der schon dreieinhalb Jahre zurücklag, spielten sich wie ein Kinofilm vor seinen Augen ab. Er musste grinsen. Es war ein heidenspaß gewesen diesen Nichtsnutz zu erschrecken. Diesen Abend hätte er wahrlich niemals gelöscht. Sherlock hatte es bloß nicht als nötig erachtet diesen Namen zu bewahren. Für Sherlock war er ohnehin nichts weiter, als eine bedauernswerte, gesichtslose Gestalt, die den Speicherplatz auf der Festplatte, die sich sein Gehirn nannte, nicht wert gewesen wäre, wäre eben nicht jener Abend mit Catherine vorgefallen. An jenem Abend hatte Sherlock beschlossen, dass sie wahrlich brauchbar war und nun, tja, wohin hatte dieser Entschluss bloß geführt. Ironischerweise dazu, dass gerade er eine Ziehtochter hatte, aber er sorgte sich nun einmal wirklich um ihr Wohlergehen. Auch wenn das die meisten Menschen nicht erkennen konnten und ihn als ungehobelt betrachtete. Zu seinem Glück- oder Unglück?- jedoch verstand Catherine seine bemühten, manchmal unbeholfenen Gesten.

„Sherlock, John, wenn es Ihnen nicht ausmacht…“, setzte Lestrade an und machte eine unbeholfene Geste mit der Hand. In diesem Moment riss sich Sherlock aus seinen Gedanken und drehte sich zu Catherine um. Er sah ihre Angst, er konnte sie beinahe tief in sich selbst spüren, so tief war mittlerweile was sie beide verband. Langsam ging er auf sie zu und legte seine Hand in einer beruhigenden Geste auf die Schulter.

„Mach dir keine Sorgen, Cath, ich werde schon herausfinden was vorgefallen ist. Du wirst wieder sicher sein.“ Sie nickte nur als Antwort, wich aber seinem Blick aus und drückte sich wieder in John, der sie sicher hielt. Sherlock nutzte diese Chance um Lestrade außer Hörweite zu ziehen.

„Was ist passiert?“, fragte er ernst. Dies war nicht einer seiner üblichen Rätsel, dies ahnte er bereits. Der Detective hingegen seufzte erneut und rieb sich über die Nasenflügel.

„Es gab einen Notruf um sechs Uhr morgens, dass in dem Biochemischen Labor der Universität eine Leiche gefunden wurde- in einem Hochsicherheitslabor um genau zu sein.“

„Todesursache?“

„Keine bekannt bisher. Möglicherweise ein biologischer Kampfmittelangriff.“ Lestrade zögerte und biss sich auf die Lippen. „Catherine hatte die Leiche gefunden.“

„Das weiß ich bereits.“

„Ich war gerade dabei das Verhör zu beginnen.“

„Verhör?“, fragte Sherlock todernst und starrte Lestrade vernichtend und ungläubig an. Eine Befragung, das hätte er noch verstanden, aber ein Verhör? Catherine würde niemals auch nur einer Fliege ein Haar krümmen. Sie schätzte das Leben aller- selbst seines, welches so viel unrecht über sie gebracht hatte.

„Ja, Sherlock, ein Verhör.“, wiederholte Lestrade, als wäre er schwer von Begriff. Sherlock schnaubte erbost.

„Nicht ohne meine und John Anwesenheit.“

„Sherlock, werden Sie uns Schwierigkeiten bereiten?“, fragte der Detective.

„Nicht mehr als sonst.“, erwiderte er mit seinem breitesten Grinsen. Lestrade seufzte müde und fuhr sich durch die Haare. Irgendwie hatte er das Gefühl, dass das nicht der Wahrheit entsprach.

„Also gut, wollen wir dann?“ Noch ehe Lestrade den Satz beendet hatte, war Sherlock bereits umgekehrt und eilte mit schnellen Schritten auf Catherine zu. Diese blickte nur kurz zu ihm auf, senkte dann jedoch den Blick. Sherlock wusste, dass er diesen Fall schnell und dennoch gründlich behandeln musste. Nach Catherines Vorgeschichte könnte die Situation ihrer Psyche weiteren Schaden anrichten und er wusste wahrlich nicht wie viel diese noch ertragen konnte.

„Cath, wir müssen dir einige Fragen stellen.“ Er sah aus den Augenwinkeln, wie Lestrade eine Augenbraue hochzog auf Grund von Sherlocks sanfter Tonlage.

„Ich weiß,“ flüsterte Catherine und nickte nur schlapp.

„Komm, wir setzen uns erst einmal.“ John legte ihr sacht einen Arm um die Schulter und führte sie zu einer nahegelegenen Bank. „Du hattest immerhin einen massiven Schock und du zitterst. Habt ihr keine Decke?“

Dunkle Augen blickten Lestrade an, doch dieser zuckte nur mit den Schultern. John seufzte, sagte aber nichts weiter dazu und sah nur wie Catherine den Mantel enger um sich zog, als sie sich setzte.

„Ist sie überhaupt in der Verfassung für eine Befragung, John?“ Sherlock blickte seinen besten Freund an, der den Kopf kurz hin und her wog, dann jedoch nickte.  Sherlock nickte ebenfalls und ließ sich dann neben Catherine nieder.

„Okay, Catherine. Erzähl mir was passiert ist.“ Seine Ziehtochter holte zitternd Luft, biss sich kurz auf die Lippe und krallte ihre Hände in die feste Baumwolle von dem geliehen Mantel.

„Ich hatte Frühschicht, also bin ich um vier aufgebrochen um die Bakterien auf frische Nährböden zu impfen und noch weiteren Kleinkram. Kathy sollte später vorbei kommen und mir mit der Probenanalyse helfen. Als ich das Büro betrat, wunderte ich mich, warum das Licht noch immer brannte. Die Universität hat uns angewiesen möglichst Geld zu sparen und soweit ich wusste, musste auch Niemand sonst über Nacht arbeiten. Es war also verwunderlich, ich dachte mir aber nichts weiter dabei und wollte es ausschalten. Dann entdeckte ich Nate mit dem Kopf auf dem Labortisch. Ich dachte, er wäre vielleicht eingeschlafen.“

„Sie dachten?“, frage Lestrade verwundert und sie zuckte hilflos mit den Schultern.

„Nate ist in einer anderen Arbeitsgruppe als Kathy, Daniel und ich. Ich kenne nur grob sein Projekt mehr aber auch nicht.“

„Warum war er dann in Ihrem Labor?“

„Die Labore sind nicht gleich ausgestattet. Somit ist es nicht unüblich, dass wir in anderen Laboren arbeiten.“

Lestrade runzelte die Stirn, während er Notizen auf einen Block schrieb.

„Und wie ist er in Ihr Labor gelangt?“

„Unser Labor ist abgeriegelt, aber die ID-Karten gewähren Zutritt zu allen Laboren. Bloß das Labor in dem ich arbeite nicht. Da es sich bloß um ein S1 Labor handelt, ist dieses nicht Zugangsbeschränkt. Wir arbeiten lediglich mit E. coli und Hefe. Diese stellen keine Umweltgefahr da.“

„Verstehe.“

„Was ist dann passiert, Catherine?“

„Ich bin zu ihm gegangen und habe sanft an ihm geruckelt um ihn aufzuwecken.“ Sie brach mitten in der Schilderung ab und ein eiskalter Schauer lief ihr den Rücken hinab. Schon war John zur Stelle, der ihr beruhigend eine Hand auf die Schultern legte. Sherlock hingegen sah das Grauen, welche die Erinnerungen in ihr hervorriefen. „Dann habe ich ihn geschüttelt, aber er rührte sich nicht, also habe ich nach seinem Puls gefühlt und erschrak als ich keinen fand. Nachdem ich sofort per Nottelefon den Krankenwagen verständigte, versuchte ich noch ihn wiederzubeleben, jedoch ohne Erfolg. Wenige Minuten später- ich habe bei Gott keine Ahnung wie viele es gewesen sind- kam Kathy hinzu und half mir bei meinen Reanimationsversuchen.“

Traurig senkte Catherine ihren Blick und kämpfte mit den Tränen, während sich ihre Hände verzweifelt in den Mantel krallten. Sie kämpfte gegen eine Übelkeit, die seit dem Fund in ihrem Magen wütete, und versuchte alles so sachlich wie möglich zu sehen. Sie war der momentan wichtigste Anhaltspunkt von Scotland Yard und sie musste sich verdammt noch mal erinnern. Jedes Detail konnte wichtig sein- das hatte Sherlock schließlich oft genug bewiesen. Doch ihre Gedanken waren wie erstarrt. Das Bild von Nates erstarrtem Körper ließ ihr das Blut in den Adern gefrieren und sie versuchte es zu verscheuchen, doch es schien, als hinge es dort fest. Als wäre Gehirn gleich einer Festplatte genau an diesem Punkt hängen geblieben. Es wollte einfach nicht vergehen und ihr Körper begann unwirklich zu zittern. Sie hasste sich dafür in diesem Moment so nutzlos gewesen zu sein und auch nun war sie keine besondere Hilfe.

John schien zu spüren, was in ihren Gedanken vorging, denn er lehnte sich vor und flüsterte:

„Du hast alles richtig gemacht, Catherine.“

„Dennoch konnte ich ihm nicht helfen.“, erwiderte sie geknickt.

„Sein Tod ist dennoch nicht deine Schuld.“ Das wusste sie ja. Wahrlich, das tat sie, aber dennoch wurde sie dieses Gefühl nicht los, welches sich wie ein Schraubstock um ihr Herz legte.

„Und woher kennen Sie das Opfer?“, fragte Lestrade plötzlich zu ihrer aller Überraschung. Sherlock blinzelte überrascht, als der DI sich zu ihm wandte und blinzelte.

„Ich? Das sollten Sie besser Catherine fragen.“

„Beantworten Sie einfach die verdammte Frage.“, knurrte Lestrade sichtlich genervt.

„Nun ja, es gab da mal einen Vorfall.“, erklärte Sherlock gelassen mit einem Schulterzucken.

„Vorfall ist wohl ein wenig untertrieben, Sherlock.“, brummelte John. Der Inspektor zog nur eine Augenbraue hoch.

„Ich glaube, ich will es gar nicht wissen, aber ich muss es dennoch fragen. Was ist vorgefallen?“ Seine dunklen Augen wandten sich an Catherine, welche unruhig an einem Knopf seines Mantels fummelte und noch immer beschämt zu Boden blickte. Sherlock schüttelte darüber nur den Kopf. Sie hatten nun wahrlich nichts Unrechtes getan. Sie hatten schlicht einem nervigen, beschränkten Kleingeist gezeigt, wo sein Platz war. Nichts weiter. Wieso schämte sich Catherine nun deswegen? Damals hatte sie doch wahrlich Spaß an diesem Spiel gefunden.

„Unwichtige Geschichte, Lestrade.“, wiegelte Sherlock ab. Für normale Menschen mochte es hart klingen, aber es war wahrlich kein Verlust für die Menschheit, dass dieser Blödmann dahingeschieden ist.

„Gar nichts ist hier unwichtig, Sherlock.“, entgegnete Lestrade entschieden und in einem betont professionellen Ton. „Warum ging es dabei?“

Sherlock warf ihm einen vernichtenden Blick und knirschte leicht mit den Zähnen. Von wegen professionell, Lestrade war schlicht neugierig, dennoch beschloss zu antworten. Je mehr er kooperierte, desto eher konnte Catherine gehen und sie musste dringend hier weg. Vermutlich dachte sie gerade etwas Dummes wie sich die Schuld geben. Dieses aufopfernde Mädchen. Als ob sie einen Toten wiederbeleben könnte. Also seufzte Sherlock und gab schließlich nach.

„Ich habe ihn getroffen, als er mit Catherine ausging, und ich- ich- den eifersüchtigen Liebhaber spielen musste, damit sie…wie war sein Name noch gleich?...endlich los wurde.“

„Was?“, entfuhr es Lestrade geschockt und John seufzte nur tief.

„Lüg nicht, Sherlock.“, sagte Catherine mit leblosen Ausdruck in den Augen, doch etwas von ihrem alten Witz und Scharfzüngigkeit war doch zurückgekehrt. „Den Geliebten zu geben war schließlich deine Idee gewesen und du hast es genossen.“

„Ich hätte das überhaupt nicht tun müssen.“, brummelte Sherlock verstimmt und verzog angewidert das Gesicht. Dass er seine Zeit überhaupt mit solch einem Nichtsnutz von Mensch hatte verschwenden müssen, waren nun wirklich eine Unverfrorenheit und ein Frevel gegen die Natur. „Warum du dem Date überhaupt zugestimmt hast, werde ich nie verstehen.“

Catherine hingegen zuckte nur mit den Schultern und verfiel beinahe wieder in ihr übliches Gehabe, was sie hatte, wenn sie mit Sherlock diskutierte.

„Ich dachte, er würde bemerken wie schrecklich meine Gegenwart ist und dann von mir ablassen. Ich war verzweifelt, Sherlock.“, entfuhr es ihr und warf die Hände in die Luft. „Du hast keine Ahnung wie sexistisch die Naturwissenschaften noch immer sein können. Ich wollte einfach nur, dass er aufhörte mich ständig zu fragen und mir Avancen zu machen und da keine Art von Ablehnung Wirkung zeigte, war ich gezwungen etwas anderes zu tun.“

Sie seufzte erneut tief. „Denn nichts anderes hat geholfen und glaube mir, ich hasse mich dafür.“

„Sie wollten also, dass er endlich aufhörte? Dass er endlich verschwand?“, fragte Lestrade nun hellhörig.

In diesem Moment schrillten auch in Sherlocks Kopf sämtliche Alarmglocken und sein Kopf ruckte hoch. Er sah Lestrade mit einem verblüfften Blick an.

„Sie hat ihn nicht getötet.“, erwiderte er entschieden. Wie konnte Lestrade so etwas überhaupt glauben? Catherine war viel zu herzensgut um irgendjemand überhaupt etwas zu Leide zu tun. Lieber hätte sie ihren Job aufgegeben und sich langwierig eine andere Stelle gesucht, als Jemand anderem sein Leben zu ruinieren. Zu einem Toten gehörten schließlich immer auch Angehörige, die, so sagte man zumindest, um ihn trauern würden und Niemand konnte dies besser verstehen als Catherine. Nein, sie hätte noch nicht einmal Beschwerde gegen Nate eingereicht. Sie wäre geflohen, ausgewichen. Die einzige Überlebensstrategie, die sie bisher in ihrem Leben kennengelernt hatte. Sherlock versuchte zwar mittlerweile ihr beizubringen, dass es auch andere Mittel und Wege gab, doch in manchen Dingen konnte sie wirklich eine langsame Schülerin sein. Es dauerte immer so ermüdend lange Moralvorstellungen zu überwinden. Einer der Gründe, warum Sherlock Holmes keine besaß. Was getan werden musste, musste eben getan werden. Manchmal konnte man sich das Leben wahrlich verkomplizieren.

Auch Catherines Kopf fuhr hoch.

„Was?“ Sie sah Lestrade geschockt mit weit geöffnetem Mund an und schüttelte nur langsam den Kopf. „Greg, ich habe das nicht getan.“

„Ich habe das auch nicht behauptet, aber es hat sich ja zu Ihren Gunsten entschieden, Catherine.“

„Ebenso wie für jede andere Frau, die er belästigt hat. Warum verdächtigen Sie sie nicht?

„Geben Sie mir die Namen und ich fang sofort damit an.“

„Ich habe keine!“, schrie Catherine beinahe verzweifelt und sie hörte ihr Herz in ihren Ohren hämmern. Greg konnte das doch nun wirklich nicht glauben oder annehmen, oder? Traute er ihr wirklich einen Mord zu? „Aber er hat mich nicht mehr nach Sherlocks Auftrifft belästigt. Er hat sich sogar in eine andere Arbeitsgruppe versetzen lassen, während ich in den USA war.“

„Sie haben also in all der Zeit nicht mehr mit ihm gesprochen?“ Catherine schüttelte entschieden den Kopf.

„Ich habe Ihnen doch gerade gesagt, ich wollte, dass er aufhörte. Warum sollte ich dann mit ihm reden, als ich endlich einen verdammten Ozean zwischen uns hatte? Ich habe mit Niemand Kontakt gehabt, außer mit Kathy, Daniel, John und Sherlock.“

„Sie hat es nicht getan, Greg. Catherine wäre nie dazu in der Lage gewesen.“, mischte sich nun John ein, als er das nachdenkliche Stirnrunzeln auf Lestrades Gesicht sah. Es schien, als würde sich diese Idee immer fester in dem Kopf des Detectives verankern. Genau in diesem Moment kam Donovan zu ihnen hinüber, reichte Lestrade einige Berichte und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Dieser nickte und las die Informationen, während Donovan Catherine und Sherlock einen verärgerten Blick zuwarf, bevor sie sich umdrehte und verschwand.

„Und wie ist es dann zu erklären, dass Ihr Mitarbeiterausweich um Mitternacht aktiviert und um zwei Uhr sieben wieder deaktiviert wurde, bevor Sie angeblich erst um vier Uhr wieder zurückgekehrt sind. Außerdem ist es schon ein bemerkenswerter Zufall, dass Nates Karte um 12:15 eingelesen worden ist.“

„Was?“ Catherine blinzelte irritiert, als sie verstand, was diese Information bedeutete. „Ich habe zu diesem Zeitpunkt geschlafen! Ich bin erst um halb 3 aufgestanden.“

„Haben Sie jemanden, der das bezeugen kann?“

„Natürlich nicht!“

„Ich kann das bezeugen.“, sagte Sherlock ruhig und plötzlich verharrten alle Augen auf ihr. Er hingegen zuckte nur mit den Schultern. „Ich habe gesehen wie sie um drei Uhr fünfundvierzig ihre Wohnung verlassen hat.“

„Hast du?“, fragten John und Catherine gleichzeitig. Sherlock sah sie verständnislos an. Was war daran so überraschend?

„ja, habe ich.“, antwortete er deshalb etwas verstimmt. Lestrade seufzte und starrte zu ihm herüber.

„Gibt es jemand anderen, der das bestätigen kann? John?“ Ein Kopfschütteln schüttelte den Kopf.

„Nein. Im Gegensatz zu allen anderen, habe ich noch einen normalen Schlafrhythmus.“

Catherine hingegen begann allmählich zu verzweifeln. Wie konnte das nur möglich sein? War sie nun wirklich eine Verdächtige? Wie konnten sie nur glauben, dass sie jemand umbringen könnte? Was aber viel schwerer wog und sie förmlich erdrückte, war: Wie konnte sie ihre Unschuld beweisen? Was, wenn selbst Sherlock nichts finden würde? Nein! Catherine zwang sich genau an dieser Stelle aufzuhören zu denken. Sie durfte sich nicht verrückt machen. Sherlock würde den wahren Mörder schnell finden- wenn es denn überhaupt Mord war.

„Da muss ein Fehler vorliegen. Ich wäre nie im Leben so dumm meine eigene Karte zu verwenden, wenn ich denn vorgehabt hätte- *hätte*- einen Mord zu begehen.“

„Hat irgendjemand sonst Zugriff auf Ihre Karte?“

„Nun ja, Sherlock, John, Kathy, Daniel und…“ Sie zögerte und rutschte unruhig auf der Bank hin und her. Sherlock runzelte verwundert die Stirn. Warum zögerte sie? Beinah schien es, als wolle sie den Namen nicht nennen, aber aus welchen Grund? Er betrachtete sie näher. Es war ihr offensichtlich unangenehm. Es schien, als wollte die Identität des anderen noch geheim. Aber wer könnte denn noch Zugriff auf ihre Karte gehabt haben? Sherlocks Wissenstands nach, hatte sie bereits jeden benannt. Die Falten auf seiner Stirn wurden tiefer. Oder hatte es Catherine wirklich geschafft eine weitere Bekanntschaft vor ihm geheim zu halten? Ihm, Sherlock Holmes? In letzter Zeit hatte sich an ihr doch nichts verändert. Ihm war absolut nichts aufgefallen. Ließ er etwa nach? Obwohl, er hatte sich ja fest vorgenommen, seine Freunde nicht mehr bis ins kleinste Detail zu deduzieren, da es ihnen wohl unangenehm war. Dadurch war ihm vielleicht ein Detail entgangen. Sherlock schloss kurz die Augen und dachte zurück, doch Lestrade unterbrach zugleich seine Wanderung durch seinen Gedankenpalast.

„Ja?“ Catherine schluckte und biss sich dann die Unterlippe. Nun war es eindeutig, sie fühlte sich unwohl und wollte eigentlich den Namen nicht preisgeben. Sie wusste aber auch, dass sie es tun musste.

Sherlock hatte ja keine Ahnung wie unangenehm es ihr war. Sie wollte eigentlich nicht, dass ihre Ziehväter es auf diese Art und Weise erfuhren, aber anscheinend hatte sie zu lange auf den richtigen Moment gewartet und das hatte sie nun davon.

„Sean Michaelis. Er…“ Noch einmal holte sie tief Luft. „Er ist mein fester Freund.“

Nein, das war nun wirklich nicht wie sie sich vorgestellt hatte, dass John und Sherlock von ihrem festen Freund erfuhren. Ehrlich gesagt hatten sie noch gar nicht davon erfahren sollen und deren Reaktion gab ihr Recht. Die Köpfe beider Männer ruckten abrupt nach oben und starrten sie völlig überrascht an.

„Was?“, entkam es ihrer beiden Münder gleichzeitig. Catherine zuckte schlagartig zusammen und presste ihre Hände zwischen die Knie. Sie war der Inbegriff der Demut und Unsicherheit in diesem Moment. Schließlich geriet ihr Leben wieder einmal aus den Fugen. Sie hatte das Gefühl, dass sich erneut alles veränderte und nie wieder zum Alten zusammenfügen würde. Vermutlich hatte sie damit sogar Recht und sie glaubte, dass das neue Geflecht schlechter sein würde, als das Alte.

„Warum weiß ich nichts von diesem…“ Sherlock verzog angewidert das Gesicht und stieß das Wort hervor, als wäre etwas ätzendes, dass es nicht wert war auch nur einem Moment im Mund oder gar in den Gedanken aufbewahrt zu werden. „Individuum?“

Catherine blinzelte und sah dann zu ihm hoch. Sherlock war wahrlich brüskiert davon, dass sie ihm nichts erzählt hatte. Fassungslos schüttelte sie den Kopf. Das war doch wohl nicht sein ernst, oder?

„Soll das ein Scherz sein? So wie du mit all den Freundinnen von John umgegangen bist, wenn du sie getroffen hattest, ist es ja wohl kein Wunder, dass ich ihn noch nicht vorgestellt habe?“ Zumindest sorgte es dafür, dass Catherine etwas von ihrem Trotz wiederfand.  Sie reckte ihr Kinn leicht vor, obwohl sie noch immer ihre Hände zwischen ihre Oberschenkel geklemmt hatte.

John nickte nur zustimmend und verschränkte die Arme vor der Brust, während er sich gegen die Lehne zurücklehnte.

„Guter Punkt. Schlauer Zug, Catherine.“

„Nein, kein guter Zug.“, erwiderte Sherlock wütend und funkelte seinen besten Freund an. „Es könnte hunderte von Dingen geben, die er verbirgt. Die Verderben bringen könnten.“

„Die ich selbst herausfinden werde und nicht du, Sherlock, denn ich werde ihn euch auch noch nicht vorstellen. Ich möchte noch länger etwas von ihm haben.“

„Und wie lange kennst du diesen Sean schon?“ Sherlock starrte zu ihr hinab und erwiderte das entschlossene Funkeln in ihren Augen. In diesem Moment war der Mord und alles um sie herum wieder einmal vergessen.

„Seit…seitdem ich in Amerika war.“

„Wirklich?“, fragte John erstaunt.

„Nun ja, um genau zu sein, habe ich ihn schon vorher getroffen. Wobei, das ist zu viel gesagt. Ich habe ihn einige Male in der Mensa gesehen, aber ich kannte weder seinen Namen noch sonst etwas. Er ist ein Doktorand der organischen Chemie an der Universität und ist ebenfalls als Austausch Doktorand in die USA geschickt worden. Richtig ins Gespräch gekommen sind wir dann auf einer Willkommensparty, als wir beide etwas abseits standen. Wir haben uns beide nicht sonderlich wohl gefühlt. Danach haben wir uns ab und an unterhalten. Als wir dann wiedergekehrt  sind, hatten wir ein paar Dates und nun ja, nun sind wir seit zwei Wochen zusammen.“

„Oh, nur zwei Wochen. Also ist er noch nicht dein fester Freund.“, stieß Sherlock erleichtert aus. Fassungslos darüber wie sehr er ihre Beziehung herabstufte auf Grund ihrer Dauer. Die Dauer sagte doch nichts über die Qualität aus und über diesen Ärger vergaß sie sogar die Verwunderung über seine offenkundige Erleichterung. Stattdessen intensivierte sich das wütende Funkeln in ihren blauen Augen nur.

„Sherlock, wir hatten dieses Gespräch schon, also doch, ist er.“

„Aber…“, setzte Sherlock an, doch er wurde von Lestrade unterbrochen, dem das allmählich wahrlich zu bunt wurde. Nun fuhr Sherlock zu ihm herum und starrte ihn an.

„Was?“

„Sherlock, wenn Sie nicht bei der Sache bleiben, muss ich dafür sorgen, dass Sie von Donovan fortgeschickt werden.“

„Ooooh…“, sagte Sherlock in seinem gewohnt arroganten Ton und seine Mundwinkel zuckten nach oben. „Den Versuch würde ich gerne sehen.“

„Sherlock…“, versuchte Lestrade es in einem versehentlicheren Ton, doch das änderte nichts an Sherlocks verhalten.

„War irgendjemand von diesen Personen gestern bei Ihnen?“, fuhr der Detective ungerührt mit seiner Befragung fort. Catherine schüttelte nur den Kopf.

„Nein, nicht während der Nacht und auch nicht in meiner Wohnung.  Ich habe gestern Abend zusammen mit John zu Abend gegessen, nachdem ich das Büro so gegen sechs Uhr verlassen hatte. Nachdem dem Abendessen bin ich dann gegen neun wieder in meine Wohnung gegangen, um noch etwas Schlaf zu bekommen.“

„Sie haben weder diesen Sean, John, Sherlock oder irgendjemand sonst kontaktiert? Keine Anrufe oder Textnachrichten?“

„Nein. Ich habe gestern ausversehen mein Handy in meinem Schließfach vergessen. Also habe ich nur schnell geduscht und bin dann ins Bett gekrochen.“

Lestrade brummte nur und schrieb sich seine Notizen auf dem Block nieder. Sherlock hingegen runzelte die Stirn auf Grund des Tons, den die Fragen mittlerweile angenommen hatten. Er warf John einen besorgten Blick zu, der ebenfalls Lestrade verwundert anstarrte. Nur Catherine schien die leichte Veränderung in Lestrades Unterton zu entgehen.

„Wissen Sie überhaupt…was ihn getötet hat?“

„Noch nicht, leider.“

Sherlock hingegen starrte Lestrade nur weiterhin unverwandt an, während er einen Arm um Catherine legte und sie beschützend an seine Seite zog.

„Haben Sie Catherine als Zeugin oder als Verdächtige befragt, Lestrade?“ Er verschmälerte die Augen und beobachtete den Detective ganz genau um auch jede Regung mitzubekommen.

„Als Zeugin…vorerst.“

Catherine zuckte zusammen und erbleichte vor Schock. Ihre Finger zitterten, ebenso wie ihre Schultern. In diesem Moment meldete sich ihr Fluchtinstinkt wieder.

„Ka…kann ich nun gehen?“

„Ja, ja.“, seufzte Lestrade ermüdet und wedelte unbestimmt mit der Hand. „Aber verweilen Sie in London für weitere Befragungen.

Catherine nickte nur. Sie würde beinah alles sagen, nur damit sie endlich von diesem Ort gehen durfte.

„John…“, setzte Sherlock an und drückte ihre Schulter ein wenig fester. „Bring sie nach Hause und bleibe bei ihr, während ich mich umsehe.“

„Ich kann Ihnen das nicht erlauben.“, erklärte Lestrade streng.

„Warum nicht verdammt?“

„Sie haben Beziehungen zu unserer Kronzeugin. Ich kann es Ihnen nicht erlauben.“, erwiderte Lestrade ernst.

„Das hat Sie zuvor auch nie davon abgehalten.“, sagte Sherlock ruhig- gefährlich ruhig.“

„Nicht dieses Mal, Sherlock. Nicht dieses Mal. Wir müssen hier streng nach Regeln vorgehen. Dieses Mal werde ich sie nicht ermitteln lassen.“

Sherlock knurrte wütend und schüttelte seinen Kopf.

„Und wenn Sie mit mir kommen? Wäre es dann möglich?“ In diesem Moment kam Donovan zurück und funkelte Sherlock an.

„Nein.“ Sie wandte sich Lestrade zu. „Greg, ich habe die Befragung von Katherine beendet und lasse sie nun nach Hause gehen.“

„Haben Sie die Universität benachrichtigst?“

„Ja. Der Dekan und die Professoren wissen nun Bescheid, dass dies offiziell ein Tatort ist. Sie werden die Studenten benachrichtigen und dieses Gebäude sperren.“

„Ich bin erstaunt, dass Sie das Gebäude noch nicht evakuiert haben. Es handelt sich hierbei um ein biologisches Forschungsinstitut.“, sagte Sherlock verbittert. Lestrade starrte nur wütend zurück. Sherlock schüttelte nur missbilligend den Kopf und wandte sich dann John zu.

„Du bringst sie besser nach Hause. Ich werde wohl eine Weile hier sein.“

„Einverstanden.“ Er nickte nur und zog Catherine sanft aus Sherlocks Armen. „Komm, Catherine. Du bleibst bei uns bis das alles vorbei ist.“

„Aber…“

„Nein, jetzt, Catherine.“ Mit diesen Worten zog er sie auf die Beine und führte sie zur Straße. Catherine war noch ziemlich wackelig auf den Beinen und klammerte sich mehr schlecht als recht an John. Sherlock starrte ihnen nur nach und wartete bis sie außer Hörweite waren, bevor er Lestrade anpflaumte:

„Wenn Sie mich nicht den Tatort untersuchen lassen, warum zum Teufel haben Sie mich dann gerufen?“

„Weil diese Frau Ihre Freundin ist- wie auch immer das möglich ist- und sie brauchte jemanden, der sie abholte und für sie da ist.“, gab Donovan barsch zurück und strich sich eine Locke aus dem Gesicht. In diesem Moment wirbelte Sherlock zu der Frau herum und starrte sie mit einen vernichtenden Blick an. Beinahe so als würde seinen eisblauen Augen wahrlich Eis kommen.

„Mit Ihnen habe ich nicht geredet.“, erwiderte nur kalt und drehte sich wieder zu Lestrade um. „Lestrade, ich muss mir das ansehen.“

„Warum? Damit Sie Beweise manipulieren könnten, die möglicherweise zu ihr führen könnten?“

„Haben Sie nicht jemand anderen, den Sie belästigen können, Sally? Die Erwachsenen wollen sich unterhalten.“

„Nein. Das hier macht viel zu viel Spaß.“ Nun sprühten Funken aus Sherlocks Augen. Die Frau begann allmählich ihm noch mehr auf die Nerven zu gehen als sonst. Er wollte doch nur seiner Tochter helfen und sie kam ihr immer wieder dazwischen. Bei Lestrade wusste er, dass er zumindest logischen Argumenten zugetan war, wusste er, dass Donovan es nicht war. Sie wollte einfach nur Sherlock einen reindrücken und Catherine sollte dafür leiden.

„Okay, okay, genug ihr zwei.“, seufzte Lestrade und rieb sich die Schläfen. Wieso hatte er nur so eine Ahnung, dass dieser Kopf ihm weit mehr als nur Kopfschmerzen bereiten würde? „Sherlock, Donovan hat Recht. Sie haben eine Verbindung zu der Zeugin. Sie können dort nicht rein.“

„Sie brauchen mich hierbei, Lestrade.“ Sherlock unterdrückte ein Knurren. Lestrade zu verstimmen würde die Dinge nur verkomplizieren. Er musste nun ruhig bleiben und ihn schlicht überzeugen. Also trat er etwas näher an ihn heran und legte eine Hand auf seinen Arm. „Niemand in Ihrem Team hat die Erfahrung mit biologischen Waffen wie ich sie habe. Beobachten Sie mich, weisen Sie mich an, wenn es das ist was Donovan und Sie wollen, zeichnen Sie alles auf. Verdammt, lassen Sie Molly mir assistieren? Tun Sie alles was nötig ist, aber lassen Sie mich den Tatort sehen.“

„Ich kann nicht.“, zischte Lestrade. Sherlock malmte mit den Zähnen und wechselte seine Strategie.

„Lestrade, wir können es auf die einfache oder harte Tour machen. Welche bevorzugen Sie? Ich werde mir den Tatort ansehen und Sie können mich nicht davon abhalten.“, flüsterte er mit einer bedrohlichen, dunklen Stimme und es entsprach vollkommen der Wahrheit. Diese Idioten würden Fehler machen, die zu einer Katastrophe führen könnten und er würde das nicht zulassen.

Lestrade hingegen seufzte und ließ sich schließlich darauf ein. Er wusste, dass Sherlock es ernst meinte. Keiner von ihnen ahnte, was ihnen noch bevorstand.

 


Nachwort zu diesem Kapitel:
Sooo :) dann geb ich mal meinen Autoren Nachwort. Dieses Kapitel bestand eigentlich nur aus SMS, da dies aber auf Animexx als Chatlog gilt und nicht erlaubt ist, habe ich am Ende noch einen Text geschrieben, damit es den Normen entspricht und ich es hochladen kann. :) Er war nicht geplant und ist eher etwas improvisiert, weil ich nicht wusste, was ich schreiben sollte. Also, bitte, wertet eigentlich nur die Nachrichten :)

Nächstes Kapitel am Freitag, denke ich ;) Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Düümdüüümdüüüüüm. :) Damit wäre auch dieser Twist aufgeklärt ;) Selbst ein Sherlock ändert nicht so schnell seine Meinung. Da konnte nur Moriarty dahinter stecken. ;) Und somit dürfte klar sein, wohin die Geschichte nun geht. Wir nähern uns mit riesen Schritten Reichenbach. Wird ja auch Zeit bei 17 Kapiteln xD Und ja, ich weiß, dass John die SMS liest, dass Moriarty zurück ist und Sherlock es nicht so erfährt, aber hey, künstlerische Freiheit. So hat es einfach schlicht besser gepasst ;)
Vorraussichtlich mit Kapitel 20 wird der erste Teil von Unverhoffte Nachbarn zu ende sein. Nur der erste Teil. Keine Sorge, danach geht es erst richtig los ;)

Dieses Kapitel hab ich heute schon hochgeladen, weil ich morgen nicht dazu kommen werde und es liegt schon einige Zeit fertig in meinem Ordner, deshalb gibt es das schon heute :) Ich versuch bis nächste Woche Freitag das nächste Kapitel fertig zu haben, da mich das aber unerwarteter Weise vor einige Probleme stellt, weiß ich nicht, ob ich es schaffe. Zumindest hab ich da dann keine Klausuren mehr, die mich vom Schreiben abhalten 8D

Lg,
Jeanne Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Sooo, das war es nun mit Pre-Reichenbach. Dieses Kapitel hat mir während des Schreibens doch so manche Tränen in die Augen getrieben. *sniff* Gatiss, Moffat, ich möchte Staffel 3, jetzt. Filmt schneller! ;)
Ok, genug des Spaßes. Post Reichenbach wird aber weiterhin hier hochgeladen.
Das erste Post-Reichenbach kommt wie gewohnt nächsten Freitag. Hoffe es wird euch gefallen.
Und nun entschuldigt mich, ich muss meine Taschentücher rauskramen. Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Ab hier wird es ja wirklich nur noch Interpretation meinerseits, da ich ja (noch) nichts habe, woran ich mich orientieren kann. Ich hoffe also euch gefällt, meine Catherine, mein Sherlock und mein John und wie ich die Rückkehr gestalten werde :) Vielleicht schreib ich irgendwann eine Alternativversion mit Cath, wenn die 3. Staffel raus ist, mal sehen^^ Auf jedenfall ist bis Kapitel 30 schon alles geplant :)

Ich werde wohl erstmal Sherlock nicht erzählen lassen wie er es geschafft hat, weil ich absolut keinen Plan habe :D erst wenn es ein paar hinweise gibt oder ich es in der Serie gesehen habe, werde ich es vielleicht einbauen^^ Auch über die drei Jahre erzählt er erstmal nichts, weil das für später noch guten Stoff meiner Geschichte bildet^^ Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
So, das 2. Post Reichenbach :) ich hoffe es hat euch gefallen. Das nächste wird dann endlich das Wiedersehen von John und Sherlock. Wird ja auch mal Zeit ;)
Hoffe ich bin nicht OoC geraten, aber 3 Jahre ohne irgendeine Entwicklung fände ich seltsam um ehrlich zu sein. Ich persönlich mag die Richtung, in die es geht. Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Hallo ihr Lieben =)
Diesmal ein recht kurzes Kapitel, aber dafür ist es endlich wieder etwas fröhicher :) Hoffe es gefällt euch.^-^ Mir zumindest schon. Scheint ja endlich wieder ein wenig normal zu werden in der Bakerstreet...Nun...bis zum nächsten Kapitel ;) Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Halloooooohoooo x3

Hier mal wieder mit einem neuen Kapitel und auch nach dem unbeschwerten letzten Kapitel, wird es nun ein wenig emotionaler und auch wieder ernster. Die Auswirkungen des Traumas sind halt noch nicht überwunden. Aber um ehrlich gesagt, ich mag dieses Kapitel sehr und finde auch das Lied unglaublich passend, was Catherines Gefühle angeht.

Ich hoffe euch hat es genauso gefallen wie mir und ich würde mich mit Feedback freuen.
Das nächste Kapitel hab ich leider noch nicht vollkommen fertig, arbeite aber eifrig daran, komm aber nächste Woche vielleicht nicht so häufig dazu. Ich geb aber mein Bestes.

Lg,
Jeanne-Kamikaze- Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Endlich mal wieder ein wenig Cath/John Time :) Wie habe ich das Ruhige vermisst. Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Tut mir leid, aber ich konnte mir den Gag mit dem Herr der Ringe konnte ich mir nicht verkneifen :D Ich freu mich wie Bolle Benedict und Martin zusammen in Desolation zu sehen, auch wenn wir deutschen wohl nicht viel von Benedict als
Smaug haben werden. :( Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Das hier ist nur ein kleiner Höhepunkt. Auf den nächsten müsst ihr noch ein wenig warten, da erst noch einige Alltagherausforderungen warten und all das vorbereiten müssen ^-^- Aber ich verspreche euch, der wird alles was ich bisher geschrieben habe in den Schatten stellen und die Bakerstreet noch einmal ordentlich erschüttern und auch noch sehr lange Nachhallen. Dauert aber noch ungefähr 10 Kapitel ~.~ dabei hab ich schon drastisch gekürzt :D aber die andren werden wesentlich später wichtig und müssen deshalb drin bleiben, tut mir leid ;) Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Das nächste Kapitel wird hier gleich nahtlos anknüpfen^^ Arme Catherine, armer Sherlock, sie haben noch keine Ahnung was ihnen blüht. Nun gut, Sherlock ist es egal, aber die arme Cath :D

Ach ja, der Schädel heißt wirklich Billy. Das steht im Casebook. Quasi Johns Notizbuch mit Sherlocks anmerkungen (oder von anderen) das man kaufen kann Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
So, damit endet dieses kleine Desaster :) Noch eine Zwischen Arch und eine Überleitung, dann geht es wieder richtig los mit Drama und Action xD Iwie freu ich mich drauf und iwie auch wieder nicht :D

Auf diese Zwischenarch freu ich mich aber, weil da mal Catherine und John komplett im Fokus stehen. Zwar taucht Sherlock natürlich auf und wird häufig erwähnt, aber in dieser wird John der "Held" sein. :) Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Noch 1-2 Kapitel, dann ist diese Zwischenarch vorbei und dann noch einmal 3-4 bis der erste große Höhepunkt endlich kommt :) Ich muss sagen, ich bin freu mich drauf ihn zu schreiben. Das ist rigendwie morbide :D Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Sooo endlich ein neues Kapitel. Eigentlich wollte ich es schon am 2. Weihnachtstag vor hochzuladen, aber dann kamen Uni- und Familienprobleme und es hat sich verzögert. Eigentlich sollte noch etwas hinzu kommen, das wird aber nun ein Mini Chap. =) ich denke, das ist besser, weil dieses Kapitel John gehören soll.

Noch eine Anmerkung: Ich glaube, ich stell nochmal eine Sache klar. Ich bin zwar nicht drauf angesprochen worden, aber jetzt, da Season 3 rausgekommen ist, denke ist es Zeit es noch einmal zu wiederholen, was ich im ersten Post-Reichenbach schrieb. Das hier wird alles meine Idee/Interpretation sein. ich werde nicht mehr versuchen diese Geschichte mit Season 3 in Einklang zu bringen. Sicherlich habe ich vor einige Sachen einzubauen, aber vieles wird auch nicht mehr damit vereinbar sein. Ich wollte das einfach noch mal klarstellen =)

Ich hoffe das nächste Chap noch diesen Monat zu schaffen.
Danke für eure Geduld.

Jeanne Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Entschuldigt bitte, dass es so lange gedauert hat, aber ich hatte mit Umzug und dem Schreiben meiner Bachelorarbeit hat so viel Zeit gekostet, dass ich gar nicht mehr kreativ sein konnte. Ich hoffe das Kapitel gefällt euch trotzdem. Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Puuuh, entschuldigt die lange Pause. Ich muss in drei Wochen meine Abschlussarbeit abgeben und muss dann umziehen. @.@

Dies ist mein bisher längstes Kapitel. Als kleine Info auch noch: es kommt noch ein Kapitel, dann kommt endlich mal wieder wirklich Fall mit Höhepunkt, Nachbeben und allem Klimmbimm. Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Soo, entschuldigt, dass es doch wieder einmal so lange dauerte. Neuer Job und Umzug haben viel Zeit und Kreativität gekostet. Doch hiermit ist die Zwischenarch beendet und es beginnt die erste, richtige Post Reichenbach Arch. Ooooh, macht euch auf Drama gefasst. Ich liebe Drama. :)

Subaruchan Komplett anzeigen

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Kommentare zu dieser Fanfic (37)
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Von:  mindpalace
2013-11-20T22:56:35+00:00 20.11.2013 23:56
Wow, Cath ist wirklich unglücklich. Ihr fehlen immerhin die zwei wichtigesten Personen in ihrem Leben... Ich hoffe diese zwei Monate gehen für sie schnell vorüber.
Ich musste lächeln als ich davon gelesen habe wie Cath und Sherlock Brieffreunde geworden sind. Sie haben so viele andere Möglichkeiten miteinander zu kommunizieren, aber er hat sich trotzdem dafür entschieden ihr einen Brief zu schreiben. Ich fand auch die Vorstellung von Sherlock als ihren Retter auf dem weißen Hengst irgendwie... putzig xD Ich hätte das nur zu gern in echt gesehen.

Ich finds toll wie sehr John sie versteht und ihre Entscheidungen berücksichtigt.

Sie hat sehr gute Freunde in London gefunden und ich hoffe sie hat bald die Chance zu ihnen zurückzukehren.
Von:  mindpalace
2013-10-20T10:16:26+00:00 20.10.2013 12:16
Ha! Ich bin durch^^
Auch wenn es dein längstes Kapitel bis jetzt ist, kam es mir gar nicht so lang vor. Es ist ja auch einiges passiert. Dass Catherine nach Amerika geht ist ein kleiner Schock. o.o Und Sherlock hat total Sherlockmäßig reagiert: nämlich total unpasssend^^ John ist definitiv der Held in diesem Kapitel. All die Empathie, die Sherlock nicht besitzt, hat John dafür umso mehr :D
Ich bin schon gespannt wie es weiter geht und inwieweit Caths kurzfristiger Umzug nach Amerika das Leben der Drei beeinflusst.
Ich hab schon fast ein schlechtes Gewissen nur so einen kurzen Kommentar zu schreiben, während du dir die Mühe gegeben hast mehr als 10000 Wörter zu schreiben o.o
Antwort von:  Jeanne-Kamikaze-
20.10.2013 12:24
john wird generell in dieser zwischen arch der held sein^^ deshalb wollte ich die auch unbedingt einbauen, obwohl die an sich nicht so wichtig ist. aber er brauchte einfach mal etwas was sich auf ihn konzentriert.^^
Von:  mindpalace
2013-10-20T09:05:46+00:00 20.10.2013 11:05
Woah. Catherine war echt wütend o.o Aber ich kann das nachvollziehen. Welche Auswirkungen die Presse haben kann, kennen wir seit dem "Reichenbachfall"... Und ich habe gerade über die Veränderungen von Sherlocks und Caths Beziehung nachgedacht. Von dem Moment seit dem ersten Treffen beim Umzugswagen bis jetzt. Ich finde es gut, wie du sie langsam aufgebaut hast und wo sie jetzt stehen. Dabei sind auch die Charaktere gewachsen. Sherlock hat zwar noch seine Probleme mit dem Zwischenmenschlichen, aber im Vergleich zu früher macht er sich gut.

Zu dem Kapitel: Es ist das Selbe wie bei den Kapiteln davor. Das, was ich sehr an deinem Schreibstil schätze ist, dass ich richtig in die Geschichte eintauchen kann. Ich sehe alles immer vor mir und manchmal bin ich selbst erstaunt wie detailliert ich deine Geschichte im Kopf sehe.

Ich freue mich schon dein nächstes Kapitel zu lesen.^^
Von:  mindpalace
2013-09-24T19:04:04+00:00 24.09.2013 21:04
Und yaaay wieder ein neues Kapitel^^ Hab mich echt gefreut. Super zum Abklingen eines langweiligen Schultags :D Ich liebe diese Up und Downs. Innerhalb von einem Kapitel muss man mehrere Male schmunzeln, um dann plötzlich den Schmerz von Cath mitzufühlen oder verärgert die Stirn zu runzeln. Verärgert ist ein gutes Stichwort. Diese Leute regen mich so dermaßen auf. Ich konnte total mit ihr mitfühlen. Die Leute werten ohne zu wissen, urteilen ohne die ganze Wahrheit zu kennen. Es scheint manchmal echt so, als hätten sie nichts besseres zu tun. So sind natürlich nicht alle Leute, aber ich kenn genug, um zu wissen, dass es sie gibt. Ich fand das sehr gut rüber gebracht im Kapitel.
Allgemein war alles wieder toll geschrieben. Wirklich! Ich hab mich sofort in das italienische Restaurant versetzt gefühlt! Hatte alles im Kopf. In meiner Vorstellung war alles in einem warmen Licht getaucht, das mit den warmen farben der einrichtung harmonierte. Sanfte, nicht aufdringliche Musik, das leise Reden der Paare, vereinzeltes Lachen. Als die Stimmung kippte, schwang auch die Atmosphäre um. Die Leute drehen sich zu Cath und Sherlock um, entrüstete Blicke, teils spöttisch, teils entsetzt. Tuscheln, tratschen...
Wirklich toll geschrieben. Ich war sofort am Schauplatz.
Von:  mindpalace
2013-09-11T19:21:05+00:00 11.09.2013 21:21
Oh mein Gott... Ich hab grade 18 Word-Seiten gelesen und nicht mal gemerkt wie lang das ist o.o Das war das längste Kapitel? Ich hab das nicht mal gemerkt xD
Im Laufe des Kapitels hat sich Sherlock's ständiges schlechtes Benehmen gegenüber Molly bei mir irgendwie aufgebaut. Als die Wut bei Catherine ausgebrochen ist, konnte ich das total mitempfinden. Du hast das Kapitel echt gut aufgebaut. War genau richtig. Nicht zäh und nicht hastig, sondern in genau dem Tempo das nötig war. Und es war iwie interessant Catherine durch Mollys Augen zu sehen. Die BEIDEN durch ihre Augen zu sehen.
Mir hat das Kapitel sehr gefallen. Ich bin da durch ohne richtig zu merken wie sehr das Licht von meinem Laptop allmählich in meinen müden Augen zu brennen anfing. Und das ist eine Leistung^^
Ich fand es irgendwie schade, dass ich plötzlich beim Ende angelangt bin, obwohl es 18 Seiten waren :D


Antwort von:  Jeanne-Kamikaze-
11.09.2013 21:23
keine sorge :) das nächste kapitel wird noch an jenem abend spielen^^ allerdings nicht mehr in der pathologie. und das danach am nächsten tag. schließlich muss Sherlock ja noch seinen "alten Feind" wiedertreffen...wobei der diesmal mehr Catherine erwischt
Von:  mindpalace
2013-09-11T17:00:41+00:00 11.09.2013 19:00
Ich habe ja schon länger nichts mehr von Unverhoffte Nachbarn gelesen-bin etwas spät dran xD-aber dafür habe ich dieses Kapitel nur umso mehr genossen :D
Wie immer wirklich schön geschrieben und war sehr gut zu lesen. Es sind so kleine Dinge, die trotzdem bei mir hängen geblieben sind, weil sie mir so gefallen haben. Zum Beispiel die Verrückten aus Cardiff oder die Stelle wo sie Sherlock erblickt, der lässig mit seinen Händen in den Taschen da steht und wie einem schwarz-weiß-film entsprungen schien. Ich konnte mir das sehr gut vorstellen. :D
Von:  mindpalace
2013-08-04T11:38:17+00:00 04.08.2013 13:38
Oke, erst einmal: WOOOOW *-*

Schon als Catherine vollkommmen aufgelöst und zerschunden vor seiner Tür auftauchte und sie das Geschehene wiedergab... Das kam total überraschend o.o Ich habe mich ein bisschen wieder nach Serbien zurückversetzt gefühlt, auch wenn die Situation eine andere war. Die Fürsorge ihrer beider Ziehväter und die von Mrs. Hudson war wirklich toll. Und obwohl sie verletzt und am Boden zerstört war, blitze ihr starker Charakter durch. Und die Stellen, wo Sherlock mit dieser Dunkelheit in ihm kämpfte, waren sehr gut geschrieben. Ich finde in diesem Kapitel konnte man wirklich gut in Sherlock blicken. Man hatte Anteil an seinen Gedanken, an seinen Sorgen und Gefühlen. Und einen Einblick in seiner Beziehung zu seiner kleinen Cath^^ Tolles Kapitel :D

Ich wollte aber noch auf etwas hinweisen: Am Ende, als Cath einen Alptraum hatte, da hieß es, dass sie die "Treppe zu Boden gestrampelt" hat^^ Klar, was du meintest. Ich wusste nicht genau, ob du auf solche Lappalien hingewiesen werden willst. :D Und im vorletzten Absatz gab es ein doppeltes "glitt", aber das stört nur, wenn man schon sehr kleinlich ist xD Wie gesagt, wusste nicht, ob du über solche Versehen informiert werden willst.

Zu deinem Schreibstil muss ich nichts mehr sagen, oder? Du weißt ja mittlerweile, dass ich ihn echt mag^^ Und oha o.o Du hast fast 10000 Wörter geschrieben. Nur allein für dieses Kapitel :D Hat sich auf jeden Fall gelohnt^^

Aha, es wird alles bisher geschriebene in den Schatten stellen? o.o DAS klingt echt nach was Großem :O Bin schon gespannt :D
Antwort von:  Jeanne-Kamikaze-
04.08.2013 13:43
ja danke für die Hinweise :) das ist schon ganz nett^^ aber bitte lieber in eine ens :)

hihihihihi jaaahaaa. sind sogar 2 große Höhepunkte noch, die ich plange unabhängig von S3 ;) Wahrscheinlich wird S3 sowieso mittlerweile schwer kombinierbar mit der Geschichte^^ schon zu viel zeit nach reichenbach vergangen^^

Beide sind wirklich ziemlich dramatisch, wobei ich versuche (und denke) dass der 2. noch mal eine Schüppe draufsetzt.

Das Kapitel an sich ist nur aus dem Bild in meinem Kopf entstanden, wie Catherine so vor Sherlock steht und sich in seine Arme schmeißt und weint. Einfach um zu zeigen wie wichtig er mittlerweile geworden ist.
Von:  mindpalace
2013-07-15T19:26:10+00:00 15.07.2013 21:26
Gerade das "Gespräch" am Ende zwischen Dan und Cath fand ich toll und dass sie ihre Familie verteidigt hat. :) natürlich tut sie das. War nicht das erste Mal :D und sie halten zusammen, immer. Tolles Kapitel und du weißt, dass ich es kaum abwarten kann die zukünftigen Kapitel zu lesen^^
Von:  mindpalace
2013-06-22T19:02:11+00:00 22.06.2013 21:02
Ahhhh danke für das Kapitel :D du hast mir meinen Tag gerettet^^
Gibt es die Zeitschrift "Biologie Aktuell" wirklich? :o
Ich kann verstehen, dass Catherine die Sicherungen durchgebrannt sind... Dieser Daniel oder all die anderen Leute reden, aber wissen nicht -.- Ich kann mir kaum vorstellen wie schlimm es für sie war, ständig mit anzuhören wie sie ihren Vaterersatz runtermachen.
Danke für das Kapitel :D
Antwort von:  Jeanne-Kamikaze-
23.06.2013 08:24
ach ja daniel xD klar, den hassen momentan alle. Eigentlich ist der Kerl aber echt ein netter. Nur Sherlock wird lange Zeit nicht viel von ihm halten, das kannst du mir mal glauben. *lach*

ja, die Zeitschrift gibt es wirklich. Die kommt alle zwei Monate raus :)
Von:  mindpalace
2013-06-16T20:25:55+00:00 16.06.2013 22:25
Hahaha das Nachwort xD
Der besonnene John :) Solche Kapitel sind wirklich ruhiger xD
Aber ich bin trotzdem schon gespannt auf ihr nächstes Zusammentreffen, Sherlock und Catherines. :D



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