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Meine Reise nach Berlin

Verlorener Romantiker vom Land trifft auf chronisch kranke Tierfreundin aus der Großstadt
von

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Prolog

Wir alle haben schon einmal jemanden über das “World Wide Web“ kennengelernt. Sei es bei einem Videospiel, in einem Forum oder in einem Chatroom. Niemand der sich mit den modernen Medien beschäftigt ist davor gefeit, Online anderen Leuten zu begegnen. Meistens bleibt es bei einem kurzen Gespräch, dass nirgendwo hinführt. Manchmal entwickelt sich jedoch eine Freundschaft und manchmal sogar mehr. Auch ich habe in meiner Zeit vor dem Computer unzählige Bekanntschaften gemacht. Viele davon waren von kurzer Dauer. Aber auch ich habe so manche Person in meiner Kontaktliste, die schon seit mehreren Jahren dabei ist. Ein spezieller Eintrag auf meiner persönlichen Freundschaftsliste ist schon seit über sieben Jahren gespeichert. Es ist ein Mädchen, dass ich während meiner Schulzeit kennengelernt habe. Damals entdeckte ich “Animexx“, eine Internetseite auf der sich Manga- und Anime-Fans austauschen können. Ich nahm an einem Online-Rollenspiel teil. Wir schlüpften in verschiedene Rollen und schrieben zusammen Geschichten. Ich spielte einen Vampir und traf auf eine Waldnymphe, die mich direkt am selben Tag persönlich anschrieb. Sie schwärmte davon, wie talentiert ich mit Worten umgehen konnte und nach einer kurzen Pause kamen wir ins Gespräch. Die Chemie stimmte und nach nur wenigen Tagen entwickelte sich eine Freundschaft. Ich lernte sie gut kennen, wir wussten schnell was der andere mochte und was nicht. Bis tief in die Nacht tauschten wir Nachrichten aus, ungeachtet der Tatsache das wir beide noch Schüler waren. Irgendwann kam dann natürlich auch mal die Frage auf, ob wir uns treffen wollen. War nicht ganz einfach, weil wir über Hundert Kilometer auseinander wohnten. Doch das hielt uns nicht auf. Mitten in den Sommerferien stieg ich in den Zug und fuhr als Jugendlicher nach Berlin. Wir trafen uns und verlebten einen wunderschönen Tag. Am nächsten morgen musste ich zwar schon wieder los, aber das war es wert. Bis auf einmal Funkstille herrschte. Ein riesiger Knick entstand, den ich mir nicht erklären konnte. Hatte ich etwas falsches gesagt oder etwas falsches getan? Die ganzen nächsten Drei Jahre hatte ich nicht viel von ihr gehört. Ab und an meldete sie sich um einen Gruß da zu lassen. Mit ihr sprechen war aber nicht drin. Meine Ausbildung verbrachte ich also in kompletter Ahnungslosigkeit. in der Zwischenzeit gab es selbstverständlich andere Mädchen, aber fern am Horizont stand die Figur, die mir noch die nächsten Jahre Rätsel aufwarf. Ich fing an zu arbeiten und höre auf einmal immer mehr von ihr. Sie lädt mich zu anderen Webseiten ein, wir spielen zusammen Online-Spiele und so langsam kommen wir wieder ins Gespräch. Ich versuche sie zu fragen was damals passiert war und sie meint, das es nicht gepasst hat. Die Entfernung wäre zu groß und sie habe auch andere Leute kennengelernt. Eigentlich war es mir nach so langer Zeit auch egal. Ich war von ihr abgekommen und allein schon froh darüber, überhaupt etwas von ihr zu hören. Ab und an herrschte immer mal wieder komplette Abwesenheit, doch merkwürdigerweise schaffte sie es jedes mal, den Kontakt wieder aufzunehmen. Es ist das Jahr 2012 und nachdem sie, laut ihrer eigenen Aussage, ihr Leben wieder im Griff hatte, kam ich erneut mit der Frage zu ihr, ob wir uns wieder treffen wollen. Sie sagt „Ja“ und lädt mich zu sich nach Berlin ein. Ich wusste, dass sie einen Freund hatte, aber das hat mich sowieso nicht interessiert. Ich wollte sie einfach nur mal treffen. Sie mal wieder live erleben. Nicht nur über Handy, Internet, Foto und Webcam-Unterhaltung.
 

Das hier ist die Geschichte, wie ich sie zum zweiten mal in meinem Leben treffe, nachdem wir so lange nur eingeschränkten Kontakt hatten.

Mittwoch, der 01.08.2012:

Also alles beginnt am Mittwoch. Schon früh morgens wird klar, dass es ein stressiger Tag wird. Ich habe viel geplant und nur wenig Zeit. Ich fahre mit dem Auto zur Arbeit und bemerke, auf dem Parkplatz, dass der hintere, linke Reifen kaum Luft hat. Gefällt mir gar nicht. Das Letzte was ich heute gebrauchen kann ist ein plattes Rad. Ich denke mir: "Fährst du in der Pause los und machst wieder Luft rauf. Unterwegs bist du ja sowieso, denn du brauchst ja noch eine Umweltplakette um überhaupt Berlin besuchen zu dürfen." Es ist Neun Uhr und ich fahre los. Erst zur Werkstatt um die Plakette zu kaufen. Fünf Euro auf den Tisch gepackt, Plakette ins Fenster geklebt und weiter zur Tankstelle. Dort wird klar, dass irgendetwas nicht mit dem Hinterrad stimmt. Ich ziehe den Luftschlauch vom Ventil und höre ein Zischen. (Das hört sich nicht gut an!) Ich untersuche das Ventil und stelle schockiert fest, dass es kaputt ist. So komme ich nicht heil nach Berlin. Schnell zurück zur Arbeit, solange wie noch etwas Luft auf dem Reifen ist. Ich bin gestresst und eile zu einen Kollegen, der mir direkt dabei hilft, das Rad zu wechseln. Das Ersatzrad wird angebaut und ich fahre mit dem kaputtem Rad im Kofferraum zur Werkstatt. Hier werde ich erneut fünf Euro los, aber dafür ist alles wieder repariert. Da bin ich für so viel Aufregung noch billig davon gekommen. Einzig mein Schichtleiter hat mich etwas mürrisch angeschaut, weil die ganze Geschichte die Pausenzeit überschritten hat. Doch wirklich wütend war er nicht, denn er wusste, was ich heute Abend vorhatte. (Einen dummen Spruch musste ich mir natürlich anhören, aber damit komme ich klar.)
 

Die Arbeit ist vorüber. Nun geht alles ganz schnell. Das reparierte Rad, mit dem neuen Ventil, wird an seinen Ursprungsplatz zurückgebracht und das Ersatzrad wird im Kofferraum verstaut. Ich Dusche, ziehe mich um und packe noch schnell meinen Rucksack mit Wechselsachen. Alles Startklar. Ab nach Berlin. Ich fahre los und rolle zielstrebig auf die Autobahn. Für mich schon lange kein Problem mehr, da ich so langsam Erfahrung mit Autobahnen habe. Es macht richtig Spaß, wenn nicht zu viele Leute unterwegs sind und man so richtig schön Gas geben darf. Eine Stunde vergeht und ich bin fast da. Jetzt muss ich mich nur noch auf die ausgedruckte Route verlassen, die ich am Abend davor herausgesucht habe. Kein Thema, bis auf einmal ein Baustellenschild vor mir auftaucht. Das war nicht geplant. Ich muss eine Umleitung nehmen und verfahre mich direkt. Anstatt pünktlich am vereinbarten Ort aufzutauchen, gurke ich quer durch die Randgebiete von Berlin. Eine weitere Stunde vollkommener Desorientierung. Mittendrin werde ich auch noch von der Polizei geblitzt, die sich in einem Zivilfahrzeug auf die Lauer gelegt hat. (Na super. Aber irgendwann musste das ja mal passieren, bei meinem Fahrstil. Mal gucken, wann der Brief zu Hause ankommt.) Die Berliner haben sich sicher gedacht, ich spinne, denn ich habe mindestens zweimal, mitten auf der Straße gewendet. Nach einer Weile war ich sogar so verzweifelt, dass ich an einer Tankstelle nach dem Weg gefragt habe und eine Einbahnstraße von der falschen Seite aufgerollt habe. Endresultat war dann die Entscheidung noch einmal einen Blick auf die Karte zu werfen. Erst danach habe ich dann den richtigen Weg gefunden und stand dann am vereinbarten Treffpunkt.
 

Warten darf ich dann trotzdem, denn die Freundin hat zusammen mit ihrer weiblichen Begleitung noch einen Abstecher in den Supermarkt in der Nähe gemacht. Zehn Minuten stehe ich auf dem Parkplatz, in neugieriger Erwartung und Vorfreude. So lange kennen wir uns und endlich ist es so weit, dass wir uns treffen. Dann kommen die zwei Mädchen endlich um die Ecke. Schon aus der Ferne winken sie mir zu und ich kann nicht anders als freudig zu lächeln. Die Begrüßung ist dann aber etwas merkwürdig, nur die Freundin, die als Begleitung mitgekommen ist, reicht mir die Hand. Ich bin etwas verwundert, grüße trotzdem ganz höflich. Wir alle steigen ins Auto ein und ich fahre mit meinen zwei neuen Passagieren ins Zentrum der Hauptstadt. Sie sollen mir den Weg zeigen, denn ohne Navigator bin ich hier aufgeschmissen. Wir fahren also entspannt durch die Straßen von Berlin. Ich habe etwas Zeit um die Situation auf mich wirken zu lassen. Rechts von mir, sitzt die Frau, mit der ich seit über sieben Jahren Kontakt über das Internet habe, auf dem Beifahrersitz. Hinter ihr, ihre Freundin, die gar nicht aufhört zu quatschen. Finde ich witzig, wie extrovertiert sie von ihrem Leben erzählt, obwohl wir uns erst seit ein paar Minuten kennen. Die macht jedenfalls einen besseren ersten Eindruck als meine direkte Beifahrerin, die die ganze Zeit an ihrem Handy rumspielt und bisher kaum etwas gesagt hat. Das macht mich etwas skeptisch, aber vielleicht ist sie einfach nur schüchtern und muss erst noch richtig auftauen. So langsam wird es dunkel und wir suchen einen Parkplatz inmitten der Stadt. Ab diesen Zeitpunkt hätte ich schon kotzen können, denn einen Parkplatz in Berlin zu finden ist der blanke Wahnsinn. Die Straßen sind total überfüllt und auf beiden Straßenseiten steht alles voll mit parkenden Autos. Hier eine Lücke zu finden, kann einen den letzten Nerv rauben.
 

Dann haben wir einen Platz gefunden um den Wagen abzustellen. Wir besuchen eine Shisha-Bar, setzen uns in ein Zimmer und bestellen was zu Trinken. Für mich ist das etwas ganz Neues. Ich rauche persönlich nicht und habe mich noch nie mit dem Thema Wasserpfeife beschäftigt. Ich habe aber nichts gegen den Passivrauch und laut Aussage der Mädchen ist der Tabak hier nicht annähernd so gefährlich. Wir reden und lachen. Die Stimmung steigt so langsam und die anfängliche Nervosität weicht. Wir tauschen Fotos auf den Handys aus und die Mädchen fangen überraschenderweise an aus dem Nähkästchen zu plaudern. Auch ohne Alkohol erzählen sie mir davon, was sie auf Discothek-Toiletten so angestellt haben. Unerwartet direkt, aber ich als junger Kerl werde mich sicher nicht beklagen. Es läuft prima, bis auf einmal die Freunde der Mädchen auftauchen. Auf einen Moment zum anderen schlägt die Aufmerksamkeit um. Ich werde zum fünften Rad am Wagen. Sie ist total abgelenkt, hat nur noch Augen für ihren Mann uns spricht bis zum Ende der Sitzung kein Wort mehr mit mir. Selbst ihr Kerl scheint mir mehr Aufmerksamkeit zu widmen als sie, denn er versucht wenigstens mich kennenzulernen. Ein komisches Gefühl, was man schwer beschreiben kann. Es ist dunkel, die Kohle auf der Wasserpfeife ist fast kalt und wir Fünf machen Schluss für heute. Wir bezahlen unsere Drinks und draußen verabschiedet sich das Paar, zu der das Mädchen gehört, was im Auto heute ununterbrochen gequasselt hatte. Zurück bleibe ich und das Liebespaar neben mir. Ein wirklich erbärmliches Bild. Ich komme mir vollkommen fehl am Platz vor. Die Zwei hätten mich direkt an der Stelle stehen lassen können und ich würde mich genauso verloren vorkommen, wie in diesem Moment. Die Freundin aus dem Internet wird plötzlich aktiv und redet mit ihrem Mann über Gott und die Welt. Ich laufe nebenher, schaue mir die Stadt an und höre gar nicht zu. Erst als wir wieder neben meinem Auto stehen, geht es wieder voran. Wir steigen ein und ich lasse mir von ihm den Weg zu ihrem Zuhause zeigen. Er meint, dass wir den Bleifuß gemein haben und lacht. Sie ist natürlich nicht begeistert, aber ich bin froh das wenigstens einer hier meine Anwesenheit begrüßt.
 

Nachdem wir bei ihnen zu Hause angekommen, geht es so gleich nach oben zur Wohnung. Kurz bevor sie die Tür aufmacht, gibt es noch die Warnung wegen den vielen Tieren. Wusste vorher schon das sie eine Menge Viehzeug beherbergt. Darunter auch zwei Rassekatzen, wofür sie sich er mehr als 600 Euro ausgegeben hat. Ich bin kein Fan von solchen Tieren, weil ich von klein an nur Mischlinge hatte und meine Nachbarn auch nur schlechte Erfahrungen damit hatten. Einer zum Beispiel hatte einen Dalmatiner, den man schon nach Sechs Jahren ein Bein abnehmen musste, bevor er dann ein halbes Jahr später doch noch am gesprengten Krebs verreckt ist. Alles so überzüchtet. Da sind Beschwerden eine Quälerei. Aber egal, es geht weiter. Tür auf. Ich mit meiner feinen Nase kriege den ersten Schock. Es stinkt nach Zoo. (Bei jeden der auf einem Bauernhof mit Pferd und Tier lebt, hätte ich das ja erwartet. Aber nicht hier in Berlin, in einer 50m² Wohnung.) Sie hatte zwei Katzen, mindestens 14 Ratten, einen Hamster und zwei kleine Krebse in einem Aquarium. Die Ratten waren dabei noch das geringste Übel. Die Katzen haben gerochen. Eine davon hat eine Immunschwäche oder so was und hat die totale Flitzekacke. Die hat, wo ich vor Ort war, so ein Ding abgelassen, das die zwei Verliebten das Tier in der Dusche abbrausen mussten, weil es sich total eingesaut hatte. (Sorry, wenn ich mich über das kranke Tier lustig mache, aber das kam mir so abschreckend und ekelhaft vor. Ich kann mit so etwas nicht umgehen. Mein Respekt an die, die alte Leute pflegen und waschen müssen.) Nachdem das mit dem schmutzigen Tier vorbei war, war für den Mann auch schon Schlafenszeit, weil der morgen früh arbeiten musste. Ich setze mich also zum Mädel auf den Balkon, weil sie dort immer raucht und wir entspannen ganz gemütlich. Sie fängt dann im Laufe der nächsten Stunde an ihr Herz auszuschütten. Quasselt darüber, wie sehr sie die Katzen und Tiere liebt, obwohl die so viele Schwierigkeiten machen. Die Ratten züchtet sie so halbwegs, verkauft ab und an mal welche. Hauptsächlich sind aber die Katzen ihr Hobby mit der meisten Aufmerksamkeit. Die behandelt die Kleinen wie Kinder. (Wahrscheinlich als Liebes-Ersatz.)
 

Danach kommt aber der Knüller. Sie erzählt mir von Beziehungsproblemen, wie sehr ihr Freund auf Sex fixiert ist und wie schade sie es findet wie unromantisch er geworden ist. Ihre Krankenakte macht sie auch auf. Sie ist chronisch an den Mandeln krank und die Nebelhöhlen sind immer dicht. Dazu kommt noch der Druck vom Mann, wodurch sie dann immer psychisch dicht macht und eine Blasenentzündung entwickelt. Ich bin dann schon mal voll fertig mit den Nerven. Sie spricht mit mir, als wenn es mit dem Mann bald aus ist. Sie hat ihn schon beim fremd chatten erwischt und er hat ihr wegen Sex-Entzug schon mit dem Aus gedroht. (Ganz ehrlich - Da habe ich mir irgendwie Hoffnungen gemacht, weil sie mir schon so oft heulend ankam und dann immer so eine Phase hatte, wo sie meinte, was ich für ein guter Fang ich bin. Steh auf eigenen Beinen, habe eine Wohnung und ein Auto. Kann mich um mein Haustier kümmern und romantisch bin ich auch. Wenn wir immer Rollenspiele machen, dann schwärmt sie immer wie gut ich das drauf habe und wie gern sie es hätte wenn ein Mann wirklich so umgarnend mit ihr umgehen würde.) Es ist zwei Uhr morgens, der Aschenbecher ist voll. Sie hat Tränen in den Augen und rechnet sich schon aus wo sie unterkommen kann, wenn wirklich Schluss ist. Die meint sogar schon, den Hausrat aufzuteilen. Die Katzen gehen natürlich zu ihr, weil der Kerl sowieso kein Gefühl für sie hat. (Also, ich würde die nicht mal geschenkt haben wollen. Der eine schnarcht mit offenen Augen, weil die Nase zu ist und der andere scheißt alles voll, bloß nicht das Katzenklo.) Es ist Schlafenszeit und wir gehen wieder nach drinnen. Die Couch wird ausgezogen und bezogen und ich mache es mir gemütlich. Sie steht im Flur und winkt, bevor sie gute Nacht sagt. Licht aus, ich lege mich hin und merke sehr schnell, das es eine unruhige Nacht wird. Der mannshohe Rattenkäfig steht nämlich keine zwei Meter von mir entfernt und sobald es dunkel wird, fangen die Tiere an aktiv zu werden. Es wuselt, raschelt, und ab und an poltert es so laut, als wenn eine Tür zugeschmissen wird. Die Ratten fallen reihenweise aus ihren kleinen Hängematten und Hochsitzen. Ich dachte schon das wären Lemminge. Nächster Morgen, ich habe vielleicht eine Stunde geschlafen, wenn überhaupt und trotzdem bin ich hellwach. (Wenn ich irgendwo zu Besuch bin, dann bin ich schon bei Sonnenaufgang wach. Weiß nicht warum.)

Donnerstag, der 02.08.2012:

An dem Tag ist so eine typische Tourrismus-Sache geplant. So viele Denkmale und Attraktionen abfahren wie möglich und Fotos machen. Das konnten wir aber erst am Nachmittag machen, weil ihre Freundin das übernehmen wollte. Die hat mehr Ahnung von so etwas und würde uns herumführen. Noch war es aber Vormittag und wir sind zu zweit in die Stadt gefahren zum Einkaufen. Ihr Mann war ja schon längst auf Arbeit. Muss ja in der Zeit geschehen sein, wo ich endlich mal zur Ruhe kam. Ich vertraue ihr meinen Wagenschlüssel an, weil sie als Berlinerin sicher besser die Stadt durchfahren konnte, als ich Landei. Sie freut sich mal endlich richtig aufs Gas treten zu können, weil sie sich selbst kein eigenes Auto leisten kann. Wir fahren zu erst zu ihrem Stamm-Tierarzt um irgendwelche Mittelchen abzuholen, die für den verstimmten Darm des Katers gedacht sind. Danach waren wir aber noch nicht fertig. Ab in den Supermarkt: Wocheneinkauf machen. Sie erzählt mir von ihrem Mini-Job bei einem Supermarkt, wo sie rausgeschmissen wurde, wegen ihrer vielen Fehltage. Ständig krank und so. Deswegen müssen wir extra einen Umweg fahren, weil der bestimmte Supermarkt seit dem Mini-Job Sperrgebiet ist. Außerdem arbeitet einer ihres Ex-Freunde dort. (Will gar nicht wissen, wie viele sie schon hatte.) Ich erzähle ihr mittendrin so, was ich für ein Suppenkasper bin. Sie amüsiert sich und vergleicht mich mit ihren jüngeren Geschwistern die zum Beispiel auch ungern Tomaten und Fisch essen, außer die sind zu Ketchup und Fischstäbchen gepresst worden. Der Wagen ist rappelvoll. Ich nehme mir noch eine Packung Milch mit auf den Parkplatz. Da war es ja das bestmögliche Wetter, was man sich vorstellen kann. Keine Wolke am Himmel, strahlender Sonnenschein und Temperaturen am Schmelzpunkt. Sie wundert sich, als ich mir die Packung Milch beinahe auf Ex hinter helfe. Trinke ja sehr gerne Milch - sie mag das überhaupt nicht. Höchstens mit viel Kakaopulver. Das Auto wird vollgeladen und wir fahren direkt zum Tiermarkt. Die Kater brauchen Futter und und Streu. Dort im Tiermarkt gab es sogar Tiere zum Verkauf. (Das kannte ich noch gar nicht.) Fische, Reptilien und pelzige kleine Wonneproppen hat man quieken gehört. Fand ich voll niedlich. Bei Meerschweinchen werde ich ja ganz kindisch. Die Geräusche sind einfach zu süß. Als wir fertig sind, war das Auto zum bersten voll bestückt und der Weg heimwärts steht an. Sie schwärmt erneut von ihren Rassekatern. Die können Pfötchen geben und sich hinlegen, wenn man ihnen Snacks anbietet. Das Auto wird geparkt und der ganze Krempel wird in die Wohnung geschleppt. (Da kam ich mir dann schon vor wie ein Packesel. Ich durfte die Taschen tragen und meinen Kofferraum vollpacken. Wäre ja kein Problem gewesen, aber bisher kam von ihr kein Funken, der das gewürdigt hätte.)
 

Es ist mittlerweile Nachmittag und sie fängt an Mittag zu kochen. Der Mann ist auch schon zu Hause und ihre Freundin, die die Rundführung anführen soll, schneit auch herein. (Ich hätte das bald schon als späte Café-Zeit beschrieben, denn bei mir ist Mittag Zwölf bis Dreizehn Uhr. Dort in Berlin laufen die Uhren wohl anders.) Wir essen alle zu viert und dann geht die Tourismus-Geschichte los. Diesmal bleibt das Auto aber stehen, denn wir fahren mit dem Bus. Wir trudeln durch die Stadt. Es steigen alle möglichen Leute ein und aus. (Hab sogar paar Jungs gesehen die American Football Ausrüstung dabei hatten. Das fand ich interessant. Bloß ganz schön selbstmörderisch bei der Hitze.) Die Freundin von ihr erzählt schon von den ersten Sehenswürdigkeiten. Natürlich nicht wie ein Profi, aber trotzdem sehr informativ. Sogar der Balkon, auf dem John F. Kennedy seine "Ich bin ein Berliner" - Rede gehalten hat, wird angesprochen und im Vorbeifahren gezeigt. Eine Viertelstunde später steigen wir aus und sehen uns im etwas protzigen Stadtviertel die Kaufhäuser an. Markennamen über all und immer mal wieder komische Leute, die aus der Masse hervorstechen. Ab diesem Moment hab ich dann auch Fotos geschossen, mit dem Handy, die ich auf “Facebook“ hochladen will. Die Sonne knallt, es ist warm wie in der Hölle und wir setzen uns an einen Brunnen. Es wird etwas rumgeblödelt, egal ob die Leute schon gucken und dann geht es zu Fuß weiter zur nächsten Station. Ein Kleiner Kiosk der "Bubble Tea" anbietet. Habe davon noch nie was gehört, aber die zwei Mädels bestellen ganz aufgeregt. Ich konnte damit nichts anfangen, allein schon wegen der englischen Speisekarte und den komischen Geschmackssorten. Und dazu kommt noch der Preis. Die wollten für einen halben Liter Eistee mit Geleekügelchen drin 6,50 Euro haben. Auf einmal wird mir ganz komisch. Nicht vom Eistee oder der Hitze. Mir grummelt der Magen und mir wird klar das irgendwas nicht stimmt. Ich verhalte mich ruhig und denke, das vergeht wieder. Aber da hatte ich mich geirrt, denn von der Sekunde an habe ich mich prinzipiell nur noch durchgequält. Von der S-Bahn an wurde es immer schlimmer. Habe kaum mehr mitgemacht. Mich nur mal über einen alten Typen gewundert der fluchend aus dem Wagon stieg und alle Leute auf dem Bahnsteig anschnauzte. Ich frage ob der vielleicht Tourrettes hat, aber die Gastgeberin meint das so etwas in Berlin normal ist.
 

Wir begeben uns Richtung "Gold-Else", der Berliner Siegessäule im Berliner Tiergarten. Vor uns liegt ein langer Fußmarsch. Die Mädels maulen und schimpfen natürlich auf ihre Füße, obwohl sie nicht mal High Heels tragen, sondern nur solche Ballerina-Stoffschuhe. Das fand ich schon ein bisschen schwach. Aber da sieht man mal, das so etwas wie Ausdauer auf der Strecke bleibt wenn man nur mit dem Bus und der Bahn unterwegs ist. Die glauben mir kaum, das ich jeden Tag mit dem Fahrrad zur Arbeit fahre. Die Wanderung hätte ich auch mit Bauchschmerzen mühelos überstanden. Wenn ich komplett fit gewesen wäre, dann hätte ich denen aber Beine gemacht. Auf dem Weg gab es dann wieder ein paar Fotos. Ich frage ob ich Bilder von den beiden machen dürfte und bekomme direkt einen Korb. Na schönen Dank auch, als wenn ich Unfug damit treiben würde. Egal, halbe Stunde später stehen wir vor der Siegessäule und ich hab direkt nur die Restaurant-Toilette im Sinn, wo ich unter meinem Druck herzlich gern einen halben Euro auf den Tisch knalle, für die Benutzung. War sauberer als erwartet. Danach gibt es dann etliche Fotos von der “Gold-Else“ und die Tour geht direkt weiter, denn wir haben gerade mal ein Drittel vom Weg geschafft. Der Tiergarten war groß und bis zum Brandenburger Tor war es noch weit. Auf dem Weg hat einer neben seiner Fahrradrikscha auf Kunden gewartet, aber wir sind weiter gegangen. Zu zweit wäre das ja schön gewesen, aber drei Leute passen da nicht rauf und es soll ja ganz schön teuer sein, so eine Tour zu mieten. Eine Hand voll Fotos später waren wir dann auch beim Tor angelangt. Der Himmel wird so langsam bewölkt und ich meine noch das es laut Wetterbericht regnen soll. Ja, die Mädchen meinen, da passiert nichts. Die waren sowieso viel mehr davon fasziniert, das mitten auf dem Platz eine Kutsche mit zwei Pferden davor steht. (Die konnte man sicher auch mieten, genauso wie die vielen Schausteller. Da gab es sogar einen Clown.) Finde ich niedlich, so typisch Mädchen. Erstmal Hotti-Hü gucken, alles andere ist uninteressant. Das Brandenburger Tor war ein richtiger Tummelplatz für Touristen. Hat man an ein Gewitter denken müssen, wegen den ganzen Blitzlichtern.
 

Auf ein echtes Gewitter musste ich aber sicher nicht mehr lange warten, denn es wird immer dunkler. Das hat man vor allem bei den Fotos bemerkt, die eine Busfahrt später beim Berliner Fernsehturm geschossen wurden. In der Nähe davon stand ein Brunnen, den ich richtig schön fand. Das Wasser kam nicht einfach nur so rausgesprudelt. Da gab es Statuen aus Stein gemeißelt. In Form von Neptun, dem Gott des Meeres, zusammen mit kleinen Kindern die dem bärtigen, alten Mann, mit Dreizack, Gesellschaft leisteten. Die saßen auf einer riesigen Muschel, die von Zentauren getragen wurden. Die waren aber bemerkenswert, weil sie keine Pferdehufe besaßen, sondern Schwimmhäute an langen Klauen. Dann gab es da noch Krokodile, Schildkröten und Robben, die Wasser gespuckt haben und am Rande vom Brunnen halbnackte Frauen die mit Krüge Wasser schöpften. Die ganzen Touries haben sich da hin gesetzt. Genauso wie wir. Ich habe mich fast weggeschmissen, als ich gemerkt habe wie abgegriffelt die Statuen waren. Ist ja normal das die irgendwann grün werden, aber komischerweise waren bei den Frauen, die Hände und Brüste glänzend sauber. Wie das wohl kommt? (Wurden ständig angegrabscht, Ha Ha!) Viel zu lachen gab es aber nicht, denn irgendwie ist die Stimmung mit den Wetter immer schlimmer geworden. Wurde langsam wirklich unangenehm. Gastgeberin hat ständig genießt und spricht mal wieder davon, wie krank sie ist und wie sehr sie sich auf zu Hause freut. Viel erwartet habe ich ab diesem Moment nicht mehr. Bis spät in die Nacht reden und Herz ausschütten war wohl erst einmal ausgeschlossen. (Obwohl gerade das mich so fasziniert hatte. Diese Zweisamkeit. Halt das Private. Kein Lover und keine Freundin die beide ablenken. Die waren nett und freundlich, keine Frage, aber ich bin extra den weiten Weg gefahren um die Frau zu treffen, mit der ich jahrelang Internet-Kontakt hatte. Da werde ich ja wohl für den Moment ein bisschen Aufmerksamkeit einfordern dürfen, oder nicht? Die anderen Leute haben sie doch für den ganzen Rest des Jahres.)
 

Die private Stimmung konnte man aber ab dem Zeitpunkt am Brunnen völlig vergessen. Sie hat sich den Kopf gehalten. War krank und hat eigentlich nur noch ihr Handy gecheckt. Habe mich dann schon richtig verloren gefühlt. Als ob ich nur noch hier bin um meine Fotos von den Monumenten zu schießen. Am Alexander Platz war der Himmel schon richtig düster und es war nur noch eine Frage der Zeit bis es anfangen würde zu regnen. (Das war so ein richtig bildhaftes Beispiel für den Verlauf der Beziehung.) Unter der Weltzeituhr hat soeben ein Straßenmusikant seine Sitzung beendet. Er bedankt sich höflich und verschwindet ganz flott mit seiner Mütze voller Münzen. Die letzten Fotos werden geschossen und wir waren uns einig nach Hause zu fahren. Ab in den Bahnhof, vor deren Türen Obdachlose versucht haben zu schlafen. Stillschweigend rein in die S-Bahn. Es wird kuschelig, denn die Wagons sind randvoll. Ich lasse die Mädels vor, damit wenigstens die noch einen Sitzplatz bekommen und hänge mich an die Deckenstange. Ein paar Stationen später müssen wir raus und erblicken den fast schwarzen Himmel. Die Warnung von zuvor erfüllt sich und mitten auf dem Bahnsteig fängt es an zu regnen. Was für ein Pech, denn die nächste Bahn fährt von einem Hof ab, den man nur über eine offene Brücke erreichen kann. Es wird langatmig diskutiert. Keiner will nass werden. Wir warten ein paar Minuten bis es etwas lichter wird. Dann geht alles ganz fix. Wir laufen los in der Hoffnung das es trocken bleibt. Falsch gedacht. Mitten auf der Brücke beginnt es zu schütten. Viel schlimmer als zu vor. Jetzt heißt es rennen. Die Freundin läuft voraus und ich will die Gastgeberin mitnehmen, die zurückfällt. Ich strecke die Hand aus um ihr zu helfen. Die Anfrage wird prompt abgeschmettert. Von wegen "Ich schaff das allein." (Na Danke!) Wir kommen vollkommen durchnässt an und werden natürlich ausgelacht. Ich finde es nicht witzig, denn ich habe mich aufgeopfert und wurde dafür auch noch bestraft. Im Alleingang wäre ich der Erste am Ziel gewesen. Hat man davon wenn man helfen will. Weiß nicht ob das einfach nur ihr Stolz ist oder was anderes.
 

Die Laune ist am Tiefpunkt. Wagon ist rappelvoll, ich bin nass und mir tut wieder der Bauch weh. Ganz zu schweigen das "sie" mich nicht anschaut und seit Minuten kein Wort mehr zu hören ist. Das Ganze geht noch ewig weiter, bis der Regen aufhört und wir aus der Bahn aussteigen. Wir landen wieder auf der Straße und gehen zum Abschluss des Tages bei einem Döner was essen. Ich muss wegen meiner Magenverstimmung aufs Klo und erhalten auf dem Topf eine Nachricht. Werte Lady schreibt, dass sie im abgetrennten Raucherzimmer sitzen. Ich komme raus, orientiere mich. Finde die zwei Mädchen an einem Tisch und darf direkt etwas bestellen. Der Döner-Mann quatscht mich voll extrovertiert an und erkennt direkt, ohne das ich was sage, warum ich in Berlin bin. So eine Menschenkenntnis hätte ich gern. Genauso wie so eine direkte Art. Der hat richtig Eindruck gemacht. Das war es dann aber auch für die nächste halbe Stunde an Aufregung, denn beim Essen gibt es nicht viel zu reden. Nur die eine, die die Tour heute angeführt hat, hat nochmal versucht, dass kein Leerlauf entsteht. Die hat so viel geredet, wie selten zuvor. Über Nichtigkeiten wie die Olympiade im Fernseher an der Wand. Ich war froh darüber, denn anders hätte ich den unwohlen Moment gar nicht überstanden. Die hat es im Prinzip rausgerissen, durch ihren Nonsens. Teller sind halbwegs leer, wir stehen auf, bezahlen und gehen raus in die Nacht. Es ist schon stockdunkel und über all liegen Wasserlachen. Vor Stunden wäre ich da noch ganz kindisch reingesprungen und hätte gelacht. Darauf konnte man jetzt aber lange warten.
 

Die Tourleiterin trennt sich von uns, an einer Straßenkreuzung. Der Vollmond leuchtet breit am Nachthimmel. Eigentlich was besonderes, was sonst angesprochen wird. Dieses mal ist aber irgendwie der Wurm drin. Ich spreche nicht vom Mond und meine: "Na ja, dass war es dann wohl für heute." Sie entschuldigt sich mit gesenktem Kopf, zieht Rotz hoch und bedauert ihre verstopfte Nase. Vor ihrer Haustür meint sie noch, dass heute nicht mehr viel passiert. Keine stundenlange Gesprächsrunde unter vier Augen. Drinnen angekommen winseln wieder die zwei Kater nach Futter. Der Mann ist nicht zu Hause. Laut ihrer Aussage wieder mit seinen Saufkumpanen unterwegs. Wir stehen in der Küche, sie bereitet das Fresschen vor. Diätfutter für die Katzen, damit sich der Darmgang beruhigt. Hühnerfleisch, Reis, Quark und das Medikament vom Tierarzt. Alles Zutaten, die wir den Tag über zusammengesucht haben. Ergebnis: Die Katzen rühren das Zeug nicht an. Die eine ignoriert es total, die andere schleckt den Quark und sucht das Fleisch raus. Die beiden scheinen wohl keinen Bock auf gesunde Kost zu haben. Dann holt sie kurz vor Mitternacht den Mixer aus dem Schrank. Ich will sie, wegen dem Lärm, davon abhalten, aber sie meint, das ihr jetzt alles scheiß egal ist. Der Liebhaber ist nicht zu Hause, sie ist krank und die Haustiere wollen nichts essen, obwohl sie das gesunde Essen brauchen um wieder fit zu werden. Ich würde gern helfen, aber kann nichts unternehmen. So eine Hilflosigkeit kotzt einen echt an. (Wenigstens hat sich mein Magen wieder beruhigt. Alles wieder in Ordnung.)

Freitag, der 03.08.2012:

Die theoretische Schlafenszeit war länger, denn kurz nach Mitternacht war schon Feierabend. Nachdem die Katzen wie Babys vom Löffel und dem Finger aus gefüttert wurden, verschwand das Mädchen mit ihren Lieblings-DVDs im Schlafzimmer und überlässt mir recht überrumpelt das Wohnzimmer. Ich hätte mir ja den Fernseher anmachen können, oder sogar die “Playstation“, aber ich hatte keine Lust mehr. Die Stimmung war gedrückt und ich dachte nur daran wie schnell ich die Nacht rumkriegen kann, in der Hoffnung das morgen früh alles besser wird. Licht aus, Decke über den Kopf und leise, knurrend mit anhören, wie sich die nervigen Ratten wieder aus den Hängematten stürzen. Irgendwann bin ich wohl eingeschlafen und irgendwas habe ich auch geträumt. Doch die Sonne geht auf, ich werde wieder von den lautstarken Nagetieren geweckt und fühle mich wie gerädert. Dazu kommt noch ein Krampf im linken Bein. Ein schlechtes Omen auf das, was noch folgen würde. Ich liege mindestens zwei Stunden wach auf der Couch, traue mich nicht, irgendeinen Mucks zu machen, denn auf der gegenüberliegenden Wand liegt das kranke Mädchen, was man ja nicht wecken will. (Der Kerl war des nachts zwar zu Hause, ist aber schon wieder auf Achse, wegen Arbeit.) Ich spiele am Handy herum, gehe nach einer Weile im Raum auf und ab, wie ein Tiger im Käfig. Die Katzen stolpern rein und fangen an, sich zu balgen. Denen geht es anscheinend besser. Ich bin jedoch noch immer angefressen. Vor allem, weil ich mir allein Frühstück machen soll. Zwei Toast mit Nutella drauf. Kein Problem, aber dafür hätte ich nicht hundert Kilometer weit wegfahren müssen. Kam ich mir wieder total fehl am Platz vor. Dann kommt das Mädchen auch endlich in die Gänge. Die Stimme gereizt, Nase noch immer verstopft. Das volle Programm halt. Und das, obwohl sie Montag wieder zur Schule gehen will. Ich wünsche ihr einen guten Morgen und Gesundheit. Sie verschwindet im Bad und duscht. Als sie wieder im Wohnzimmer auftaucht, habe ich schon die Spielkonsole gestartet und den Controller in der Hand. Wenn schon Flaute ist, dann wenigstens etwas Unterhaltung. Sie ist zwar schon angezogen, hat aber immer noch das Handtuch um den Kopf gewickelt. Die Katzen werden gefüttert. Oder zumindest dazu animiert. Die haben immer noch keine Lust auf Diät und gehen dem gemixtem Brei meilenweit aus dem Weg. Gesprächsthema ist der Mann, wo ich mittlerweile nicht weiß, was ich davon halten soll. Mal beschwert sie sich, dann fängt sie wieder an zu schwärmen. So Gefühlsschwankungen bei denen ich nur mit den Augen rollen kann.
 

Sie setzt sich zu mir auf die Couch. Ich hätte mir gewünscht das sie etwas näher ran rückt, aber sie kuschelt sich mit dem Kater in die gegenüberliegende Ecke und schlägt wortlos eine ihrer Katzen-Zeitschriften auf. Ich versuche mit ihr zu sprechen. Frage sie, ob sie mitspielen will. Ob sie mir bei dem Abschnitt helfen mag. Sie schüttelt mit dem Kopf. Stunden vergehen. Ich hab das Spiel schon ein gutes Stück durch. Habe jedenfalls mehr Kontakt zu den Charakteren im Fernseher, als zu dem niesendem Mädchen zu meiner Linken. Dann geht die Wohnungstür auf und ihr Freund taucht wieder auf. Plötzlich wird sie ganz aktiv, springt auf. Umkreist ihren Mann und ist wieder ganz gesprächig. Ich komme mir total verarscht vor und starre zu erst bockig aus dem Fenster, dann wieder zurück auf den Fernseher. Ihr Mann kommt rein, wirft sich zu mir auf die Couch und freut sich darüber, dass ich sein Lieblingsspiel in der Spielkonsole habe. Er hilft mir, gibt mir Tipps und benimmt sich überhaupt ganz unkompliziert. Wir könnten sicher Freunde werden, haben ja ähnliche Vorlieben und verstehen uns. Ob er sich verstellt um einen guten Eindruck zu machen, weiß ich nicht. Mir ist es eigentlich auch egal. Ich freue mich, dass überhaupt irgendjemand Interesse an meiner Person zeigt. Ist echt auffällig, wenn der Lover der Gastgeberin näher neben mir sitzen mag, als das Mädchen, mit dem ich seit einer Ewigkeit Kontakt habe. (Ja, man könnte es darauf schieben, dass sie krank ist und mit der mangelnden Nähe verhindern will, dass ich mich anstecke. Aber es ist trotzdem total unangenehm, so auf Abstand gehalten zu werden.)
 

Die zwei Verliebten besprechen den Tagesplan. Das Mädchen will noch Klamotten kaufen, weil nächste Woche das neue Ausbildungsjahr anfängt und sie laut eigenen Worten nicht wie ein Penner aussehen will. ich werde vor die Wahl gestellt. Mit ihrem Mann Fußball zu gucken (was mich überhaupt nicht anspricht), oder mit dem Mädel zusammen Shoppen gehen. Ich entscheide mich fürs Einkaufen, da ich immer noch noch denke, dass jede Minute mit ihr nur Vorteile bringen kann. Also ab nach draußen. Das Wetter ist herrlich. Zwar war es vormittags dunkel und regnerisch. Jetzt steht aber die Sonne knallend über der Stadt. Nicht eine einzige Wolke ist im Weg. Bestes Sommerwetter. Wir steigen in den aufgeheizten Wagen und fahren zu aller erst zur nächsten Apotheke. Sie braucht Nasenspray, weil die Nebenhöhlen immer noch dicht sind. Sie scheint sich ja ganz gut auszukennen. Ein medizinischer Fachbegriff nach dem anderen wird mir entgegen geworfen. Draußen in der Sonne wird schnell klar, es ist brütend heiß. Wir gehen zum Eiscafé auf der gegenüberliegenden Straßenseite (Zwei Fahrspuren für jede Fahrtrichtung - daran werde ich mich wohl nie gewöhnen) und bestellen uns ein Eis. Danach stehen wir wieder in der Sonne. Ich mit meinem Mittel-Klasse Eisbecher und sie mit einem Cocktail-Becher im Babyformat. Da sieht man wie ein Vielfraß dagegen aus. Egal. Ich liebe Eiscreme und sie meint sowieso, das sie Eis immer nur sehr langsam essen kann, wodurch größere Portionen auf halber Strecke wegschmelzen. Ihre Freundin, die uns gestern herum geführt hat, kreuzt unseren Weg und führt uns zur Vierten im Bunde. Eine Brillenträgerin kommt aus dem Mietblock gestolpert, schüttelt meine Hand und begrüßt mich mit rotzfrecher Berliner Schnauze. Ich bin entzückt. Die verstellt sich nicht extra. Das hat man spätestens dann gemerkt, als wie alle in ihr Auto steigen und zum Einkaufen ins Zentrum der Stadt fahren. Sie brüllt, flucht und rastet so richtig schön aus. Ein Straßenrowdy wie aus dem Bilderbuch. Habe ich ihr gar nicht zugetraut, denn seit dem Beginn der Begegnung kam sie mir recht unscheinbar vor. Hätte nur noch gefehlt, dass sie das Fenster herunter lässt und allen da draußen den Finger zeigt.
 

Es geht von der mehrspurigen Autobahn hinein ins Getümmel der Großstadt. Enge Straßen, unberechenbare Autofahrer und Stau. Ich kann mit der Fahrerin mitfühlen, die ihre Zähne am liebsten ins Lenkrad rammen würde. Niemand blinkt, keiner nimmt Rücksicht. Dazu noch die Fahrradfahrer und Fußgänger, die ohne zu gucken die Straße überqueren. Die müssen wohl alle ein wenig lebensmüde sein. Oder einfach nur total abgestumpft. Das Navi führt uns durch Straßen die einen den letzten Nerv rauben. Auf beiden Seiten parkende Autos. Die befahrbare Spur ist so schmal, dass sich nur ein einzelnes Auto durchschlängeln kann. Da muss man sich entscheiden, wenn plötzlich jemand von vorne kommt. Draufhalten oder Rückwärtsgang einlegen? Ich bin schon total fertig, obwohl ich nur Beifahrer bin. Ich lehne mich zurück und schau aus dem Fenster. Überall Schaufenster und Markennamen. Bin total überreizt, völlig in Trance durch den Funkel der Stadt. Dann plötzlich ein Laut von links. Meine Gastgeberin spricht, zur Abwechslung mal wieder, mit mir. Sie deutet nach rechts aus dem Fenster und ich glaube meinen Augen nicht. Mitten an der Straßenkreuzung ein Schuhladen der "Wittstock" heißt. Ich bin vollkommen aus dem Häuschen. Meine Heimatstadt in weißen Großbuchstaben. Ich hätte in diesem Moment nicht stolzer sein können. Am liebsten wäre ich ausgestiegen, rein in den Laden und hätte die Leute da drinnen drauf angequatscht, dass deren Name mir so bekannt vorkommt. Leider hält das Auto nicht an und ich muss dem wundervollen Schuhladen auf Wiedersehen sagen. (Hier muss ich der holden Dame ja mal großes Lob aussprechen. Die hat sich erst mal den Namen meiner Stadt gemerkt und hat dann noch den Moment genutzt um mich darauf hinzuweisen. Ich in meinem Glitzer-Reklamen-Wahn hätte das voll übersehen.)
 

Eine Irrfahrt später sind wir endlich bei dem Kaufhaus angekommen. Wir stellen den Wagen im Parkhaus ab und betreten das riesigen Klamottengeschäft. Hier geht es zu wie auf einem türkischen Basar und wenn man sich die Leute anschaut, dann ist der Vergleich nicht so weit hergeholt. So viele Ausländer auf einem Haufen habe ich als Dorfjunge noch nie gesehen. Ob es an Spottpreisen liegt will ich nicht behaupten, aber merkwürdig ist es schon, wenn man sich so im Gewusel umhört und kein Wort versteht. Russisch, Türkisch, Polnisch. Der ganze Ostblock ist vertreten. So etwas hatte ich zuletzt auf einem polnischen Markt erlebt und genauso wie dort ging es hier ab wie auf einem Schlachtfeld. Es wurde geschubst und gedrängelt. Die Klamotten wurden regelrecht von den Haken gerissen. Als wenn Krieg herrschte und man müsste noch einmal hamstern um über die Runden zu kommen. Ich habe so gut wie möglich versucht niemanden zu bedrängen. Angrabschen wollte ich ja auch niemanden. War echt schwer, denn auf dieser Etage war die Frauenquote enorm hoch. Ja klar, wir befanden uns in der Frauenabteilung, aber trotzdem kam ich mir vor wie der Hahn im Korb. Bei hunderten Weibchen habe ich vielleicht drei Männchen gesehen. Entweder hatten die übrigen Männer keine Lust ihre Freundinnen zu begleiten, oder sie ahnten schon im Vornherein, dass es stressig werden würde. Wir Vier versuchen zusammen zu bleiben und zwängen uns durch die Menschenmassen. Es ist laut, heiß und eng. Anderswo mag das zwar spaßig sein. Hier kam mir die ganze Veranstaltung aber schon nach fünf Minuten wie Folter vor. Ich folge den tratschenden Mädchen im geringen Abstand und darf mir anhören wie enttäuscht sie von der Auswahl sind. Die Qualität ist zu schäbig, die Preise sind angeblich zu hoch, obwohl hier alles schon so billig ist und nichts passt. Ich rolle mit den Augen und halte mir den Kopf. Als ob sie das nicht schon von Anfang an gewusst hätten. Am Tag zuvor hatten sie bereits darüber diskutiert, dass ein neuer Laden in Berlin aufgemacht hat, wo man billig einkaufen kann. Da gehen nun einmal mehrere Leute hin. Da braucht man sich nicht wundern, wenn das Beste schon verkauft ist und nur noch die Reste übrig bleiben. Mir egal, ich schalte auf Durchzug und sehe mich um. Ein paar hübsche Mädchen waren unterwegs. Und die hatten sich sicher nicht über die Auswahl beschwert. Die durften auch die kleineren Größen getrost anprobieren.
 

Nicht so die drei Waschweiber vor mir, die etwas mehr auf den Rippen haben. (Dagegen hab ich ja nichts. Bei Frauen darf es ruhig etwas mehr sein. Will mir ja im Schlafzimmer nicht das Becken prellen. Hauptsache man ist noch im gesunden Bereich.) In einer Tour wird gemeckert und genörgelt. Da kann ich mir gut vorstellen warum die Männer zu Hause geblieben sind um Fußball, im Fernsehen, anzuschauen. Der letzte Funken Spaß vergeht einen, als die Gastgeberin vor einem Kleiderständer fast anfängt zu heulen. Sie ist nicht traurig, sondern wütend. Schimpft auf die Bekleidungsindustrie und verzweifelt regelrecht. Der Pullover gefällt ihr so sehr und keine passende Größe ist im Angebot. Soll sie die Verkäufer doch fragen ob sie noch etwas im Lagerraum haben. Nein, stattdessen will sie auf einmal Schlemmen gehen. Aus Zorn und Enttäuschung zum nächstbesten Fastfood-Schuppen. Als ob das so eine gute Idee ist? Da denke ich an Frustfressen. Das alte Klischee, wenn genervte Mädchen den Kühlschrank plündern um die innere Leere zu füllen. Ich rede ihr gut zu, aber sie wird bockig und verschränkt die Arme. Hätte nur noch gefehlt, dass sie die Unterlippe vorschiebt und mit den Augen klimpert. Richtiger Kinderkarten hier. Die Hosen passen nicht, Die Oberteile sind schlecht geschnitten. Dazu kommt noch, das alle Umkleidekabinen besetzt sind und sich davor Meter lange Schlangen bilden. Auch die wenigen Spiegel sind heiß umkämpft. Da kommen die Drei plötzlich auf die Idee, sich mitten im Saal umzuziehen. Altes Oberteil runter, neues drüber. Mir ist das etwas peinlich, aber eine bessere Alternative ist mir in diesem Trubel auch nicht eingefallen. Zu sehen gab es ja sowieso nichts, alle hatten sie noch Hemden drunter. Die Rolle des Spiegels mussten die Freundinnen unter sich aufteilen. Die spontane Meinung hat entschieden ob Mitnehmen oder nicht. Dabei nahmen die Mädchen nicht mal viele Sache mit. Beim Einlass haben sich sie noch beklagt, das man nur eine begrenzte Anzahl Teile mitnehmen darf. Jetzt standen sie mit fast leeren Einkaufstaschen vor der Rolltreppe und sind völlig entnervt.
 

Wir wechseln die Etage und wechseln ebenfalls den Stressfaktor. Denn hier in der Männerabteilung ist alles viel entspannter. Weniger Lärm, weniger Leute und kein Gedrängel. Eine wahre Chill-Out Area im Vergleich zu dem Gladiatorenkampf unter uns. Die Gastgeberin will auch etwas für ihrem Mann einkaufen, weil der sich mit so etwas wie Mode nie beschäftigt. Also sieht sie sich auch hier reichhaltig um. Die Brillenträgerin mit dem genialen Dialekt lädt mich dazu ein, selbst nach neuen Sachen zu suchen. Etwas mehr Farbe würde sie gern sehen, weil ich eher der schlichte Typ bin, der fast nur schwarz trägt. Hier merke auch ich, dass die Auswahl nicht sehr groß ist. Zwar liegt hier und da ein toll bedrucktes Hemd. Aber bankrott würde ich in diesem Discounter sicher nicht gehen. Das Sortiment ist sogar so eingeschränkt, das auf dieser Etage immer noch Zeug für Frauen angeboten wird. Unterwäsche, Schuhe und Schlafanzüge für Frauen stehen keine fünf Meter von der Männer-Auslage entfernt. Ich riskiere natürlich einen scheuen Blick. Wenn ich schon mit drei Frauen unterwegs bin, dann darf ich ja wohl an den Sachen mit Spitze und Samt vorbeischlendern. Hier wird aber nicht lange verweilt, denn das Thema Gewicht und Kleidergröße spielt wieder eine gewaltige Rolle. Da bleiben die Mädels lieber vor den Wallekleidern stehen die kaschieren. Erneut ist die Gastgeberin ganz Feuer und Flamme für ein bestimmtes Stück. Ein Schlafanzug mit der Aufschrift "Nerd-Alert" darauf. Ich fühle mich direkt angesprochen und bleibe neben ihr stehen. (Ich gebe ja offen zu, dass ich den Anschein eines Strebers mache. Trage eine Brille. Spiele unendlich gern Videospiele und kann viel mit den neuen Medien anfangen.) Ob das eine unterschwellige Meldung ist, die mich ansprechen soll, weiß ich nicht. Wäre merkwürdig. So lange hält sie Abstand zu mir und auf einmal so ein Wink mit dem Zaunpfahl? Weiß Gott, was sie vermitteln will. Meine positive Meinung wird ignoriert, denn am Ende kauft sie das Stück doch nicht. Die passende Größe wäre zwar vorhanden. Nun scheitert es aber am Preis.
 

Beim Bummeln finde auch ich Shopping-Muffel endlich etwas zum anziehen. (In der Woche renne ich zu 90% in Arbeitsklamotten herum, da braucht sich niemand wundern, das ich selten einkaufen gehe.) Ein schwarzer Kapuzensweater mit gelben Akzenten, eine Farbkombination die ich toll finde. Ich frage die Langzeit-Freundin nach ihrer Meinung und bekomme eine plumpes "Joah, ist okay" zu hören. Mehr ist von ihr aus wohl auch nicht zu erwarten. Egal, es geht weiter, vorbei an Kleiderständern und Schuhregalen. Ich erahne ein weiteres Klischee und werde nicht enttäuscht. Die Mädchen bleiben bei den Frauenschuhen kleben, wie die Geckos an der Glasscheibe. Nur sind es nicht die typischen High Heels, sondern Turnschuhe und Ballerinas. Ich bin schon etwas enttäuscht, da Frauen auf Absätzen schon so ein kleiner Fetisch für mich sind, aber wirklich überraschend war es nicht, weil alle Drei von Anfang an immer mit solche Stoffschuhe zu sehen waren. ich kann sie ja verstehen. Ist eine schmerzhafte Angelegenheit, aber sexy sind solche Dinger nicht. Kommen gleich nach "Crocs" und "Chucks". (Wohl die hässlichsten Treter auf der Welt, Bah! Da lasse ich Frauen lieber barfuß laufen.) Die sind total verrückt nach diesen 4-5 Euro Latschen. Zufrieden sind sie letztendlich dann aber auch nicht, denn wieder einmal ist die passende Größe nicht vorhanden. Alle Schuhe sind ihnen zu klein also geht es mit gedrückter Laune weiter. Das Ende ist in Sicht. Ich kann schon die Kassen sehen. Hinten in der Ecke gibt es sogar High Heels, die ich den Frauen aber nur wie Sauer Bier anbieten kann. Die wollen solche Schuhe einfach nicht tragen, obwohl die Ausrede, dass solche Schuhe schlecht für die Füße sind, hier nicht einmal gelten. Sie alle tragen ihre Schuhe mit Einlagen und allesamt haben Wundpflaster an den Fersen zu kleben. Viel lieber probieren die Süßen Gummistiefel mit Blumenmuster und weiße Plüsch-Stiefel mit Bommeln an. Echt passend, denn auf der gegenüber liegenden Ecke sind Stände mit Kinderbekleidung.
 

Wenig später stehen wir in der Schlange zur Kasse. Wie üblich gab es auch hier Quengelware in rauen Mengen. Nur waren es keine Knabbersachen oder Schokolade, sondern Kuscheltiere und Spielzeug für Kinder. Hatte wohl mit der Kinderabteilung in der Nähe zu tun, die ich mir in der Wartezeit lang und breit ansehen durfte. Ein echtes Armutszeugnis für den neuen Laden, wenn die Abteilung für Hosenscheißer mehr zur Auswahl hat, als die für Erwachsene. Die Mädchen reden und reden, diskutieren darüber, wer am meisten in der Tasche hat. Die Gastgeberin greift in die Auslage und nimmt noch ein Kuscheltier für ihre kleine Schwester mit. Dann sind wir mit der Shopping-Tour (Äh, nein - Shopping-Tortur) endlich fertig. Die Frauen wedeln stolz mit ihren Einkaufstüten, vergleichen ihre Rechnungen und sind bereit zur Abreise. Bevor wir aber wieder ins Auto steigen, verlassen wir das Kaufhaus, begeben uns auf die Straße und machen einen kurzen Halt im einem Café. Die Brillenträgerin brauch unbedingt was Koffein-haltiges zu trinken und lässt uns für einen Moment allein. Die großen, braunen Tüten landen auf einem freien Platz und ergeben ein richtig schönes Bild. Als wären wir dem Kaufrausch verfallen. Dabei waren die Tüten so gut wie leer. Mir hätte die Kassiererin den einzelnen Sweater gar nicht erst eintüten müssen. Das ist doch totale Verschwendung. Dann kommt der Kaffee-Junkie wieder. (Die hatte schon im Kaufhaus andauernd davon gesprochen, wie nötig sie den "Kick" braucht.) Ich habe Hunger und bin zum Glück nicht allein. Die Gastgeberin ist nicht von ihrem Frust-Fressen abgekommen und geleitet uns zum Fast-Food Restaurant im Schatten des Kaufhauses, in dem wir die letzten Stunden verbracht haben. Die Brillenträgerin setzt sich hin, reserviert uns somit einen Vierer-Platz. Sie will nichts essen, ist ganz zufrieden mit ihrem Coffee-To-Go. Wir drei anderen nicht. Die Gastgeberin und ihre Freundin sind mir schon zuvor gekommen und stehen in der Schlange. Dahinter schon andere Kunden die mir den Weg versperren. Aus Höflichkeit bleibe ich natürlich stehen und reihe mich hinten ein, doch sie wird auf einmal aktiv und fordert von mir das ich mich vordrängeln soll. (Nicht das erste mal, schon in der S-Bahn passierte etwas Ähnliches.)
 

Ich sträube mich. Will ja keinen schlechten Eindruck in der fremden Stadt machen und Schüchtern bin ich ja eigentlich auch. Zur Ablenkung räume ich den vollgemüllten Tisch neben mir frei. Auf dem Weg zum Papierkorb fängt sie mich jedoch ab und schiebt mich zurück in die Schlange, direkt hinter sich. Ein richtiger Schock für mich, denn so viel Durchsetzungskraft hatte ich von ihr gar nicht mehr erwartet, nachdem sie mich die ganze Zeit auf Abstand gehalten hatte. Wir bestellen das Essen und setzen uns zurück an den Tisch. Gesprächsthema bin auf einmal ich. Was ich so mache, woher ich komme. Vorstellungsgespräch wie beim Arbeitgeber. Danach ist das Essen verzehrt und wir verlassen satt das fettige Etablissement. (Satt ist relativ, denn ich als Sieben-köpfige Raupe werde von solchem Fast Food nie richtig satt. Alles nur für den hohlen Zahn.) Eine Zigarette später stehen wir Vier im Fahrstuhl des Kaufhauses aus dem wir gekommen waren. Neben uns steht eine Familie aus Dunkelhäutigen mit niedlichen, kleinen Kindern, die amüsiert das Tastenfeld in der Kabine befingern. Nichts besonderes, bis wir wieder aussteigen und die Mädchen anfangen über deren Haare zu lästern. (Halt das krause Haar.) Ich finde das total unreif und darf ihnen erklären, dass so etwas normal ist und kein Grund sich lustig zu machen. Aber was solls, ich will nicht den Lehrer spielen und belasse es auch ganz schnell dabei. Das Gepäck wird im Kofferraum verstaut und alle steigen ein. Das Parkhaus ist schnell verlassen und die freche Brillenträgerin trennt sich von uns, genauso wie die Tourleiterin von gestern. Es wird bald dunkel und ich gehe mit meiner verschnupften Gastgeberin zu meinem Wagen, der direkt neben einem Busch geparkt ist. Ich als Beifahrer hab meine liebe Not einzusteigen, ohne Blätter mit hinein zu tragen. Das Gestrüpp und die Äste sind allerdings mein kleinstes Problem, denn meine Chauffeurin schockt mit der Offenbarung, dass sie noch nicht nach Hause fahren will. Ich habe schon damit gerechnet mich von dem stressigen Einkauf zu erholen und dann so etwas. Sie will noch einen letzten Kontrollpunkt abklappern. Ihre Freundin mit dem weißen Schäferhund, von der sie schon online berichtet hatte.
 

Als wir ankommen ist es schon längst dunkel. Ihre Freundin ist draußen auf der Wiese, direkt vor dem Mietgebäude, zusammen mit dem weißen Hund und einer älteren Frau, bei der ich mir selbst nach der Heimkehr keinen Reim darauf machen konnte, ob sie nun die Mutter / Tante / Patin oder sonst was ist. Vom Alter her hätte alles in Frage kommen können. Die junge Frisörin hat sie jedenfalls immer mit dem Vornamen angesprochen, was mich nur weiter verwirrt hat. (Ich hätte ja nachfragen können, aber so direkt mit der Tür ins Haus fallen wollte ich auch nicht.) Beide stehen im ungemähten Gras und jagen den weißen Rassehund von einer Seite zur anderen. Die Ältere scheint das Tier ganz gut im Griff zu haben. Der Hund gehorcht aufs Wort und beherrscht sogar Kommandos. Dabei waren Platz und Pfötchen geben noch das Einfachste. Ich stelle mich vor und werde direkt ins Training eingebunden. Der Schäferhund soll lernen, selbst bei vielen Menschen in der Umgebung, still liegen zu bleiben, bis das Frauchen den Befehl zum Aufstehen gibt. Der Hund macht es sich im Gras bequem, die Trainerin nimmt Abstand und wir restlichen drei Leute sollen den pelzigen Lehrling ordentlich aus der Fassung bringen. Vor ihm herumlaufen, mit den Armen wedeln, sogar herumhüpfen. Man sieht dem Racker richtig an wie aufgeregt er ist. Vielleicht zu aufgeregt, denn nach einer halben Minute springt er auf und rennt bellend zur Meisterin. Es gibt eine Ermahnung und der Test wird noch einige mal wiederholt, bis wir alle entschieden, dass es für heute reicht. Sowieso, die Mücken machen sich über uns her. Also schnell alles eingepackt und ab ins Haus, wo wir erst so richtig ins Gespräch kommen. Die Friseurin und ihre, ich sag mal “Erziehungsberechtigte“ wohnen zusammen mit dem Lebensgefährten in einer Mietwohnung, die bis in die kleinste Ecke hinein dazu ausgelegt war Tiere zu beherbergen. Überraschenderweise roch es hier nicht nach Tier, so wie in einem Zoohandel, oder wie bei der holden Gastgeberin. Hier war alles sauber und geputzt, auch wenn die Möbel schon etwas unter den Haustieren gelitten haben. Kein Problem.Damit muss man rechnen wenn man (aufgepasst!) einen weißen Schäferhund, einen kleinen, brauen Mischling, ein Kaninchen, mehrere Eidechsen und vier Katzen hat. Darunter ein schwarz, weißer Kater, der durch Aggressivität hervorstach, eine kleine, schwarze Mieze, die mir ganz besonders gefiel. Eine edel anmutende Siamkatze und eine hochschwangere Mischlingskatze, die die meiste Zeit schlief.
 

Da schaue ich natürlich nicht schlecht. So viele verschiedene Tiere auf einem Haufen. Und alle scheinen sich zu vertragen. Bis halt auf den Kater, der sogar die größeren Hunde auf Abstand hält. Ein wahres Alpha-Tier. Wir ziehen die Schuhe aus und begeben uns ins Wohnzimmer, wo es zur Begrüßung erst einmal ein Glas Cola gibt. Der Mann sitzt am Computer und spielt Automatenspiele, wie ich sie schon am Vorabend im Döner-Laden gesehen habe. Links von mir steht das Terrarium, mit den kleinen Echsen darin. Rechts in der Ecke des Zimmers der Zwinger, für das Kaninchen und uns gegenüber die Schrankwand, auf die jüngsten Katzen herumklettern. Ich fand es sofort gemütlich hier, obwohl es alles noch so fremd war. Vielleicht war es die herzliche Begrüßung, die vielen knuddeligen Haustiere oder einfach nur das Verlangen nach Akzeptanz, was mir den letzten Tagen verwehrt wurde. Wie auch immer, still blieb es nicht lange, denn die neuen Bekanntschaften erzählen sogleich von ihren letzten Abenteuern. Die ältere Frau ist professionelle Tiertrainerin, die sich auf Hunde spezialisiert hat. Der weiße Schäferhund ist ihr persönlicher Schützling, den sie am liebsten zum Polizeihund ausbilden würde. Sie erzählt wie schwer das ist, weil so ein Hund keinen Mucks machen darf, bis er die Erlaubnis dazu hat. Dazu kommt noch, das er damit fertig werden muss, den ganzen Tag im Zwinger zu sitzen, bis es zum Einsatz kommt. (Hunde beim Zoll sitzen ja auch den ganzen Tag im Transporter, bis irgendwann man mal was passiert.) Doch nicht nur zu Hause hatte die Frau reichlich Arbeit. Auch auf der Arbeit gab es so einige Hunde, die was ganz besonderes waren. Zum Beispiel ein ausgesetzter Mischling, der so zutraulich ist, dass sich die Trainer kaum von ihm trennen konnten, als er wieder vermittelt wurde und ein schwarzer Köter mit Maulkorb, der der ganze Team in Angst und Schrecken versetzt. Ein wahres Monster, wie man es aus Albträumen kennt. Schon am ersten Tag hat er einen schlechten Eindruck gemacht. Keiner wollte etwas mit ihm zu tun haben. Egal ob Hund oder Mensch. Knurren stand an der Tagesordnung und selbst die stärksten Männer hatten Arbeit damit, das zuckende Energiebündel auszuführen. Da wundere ich mich, wie gerade die Frau vor mir dazu abkommandiert wurde, sich um diese Bestie zu kümmern. Da heißt es wahrscheinlich: Je mehr Qualifikationen du hast, desto mehr darfst / musst du machen. (Lieber nichts wissen / können und dafür ein ruhiges Leben.)
 

Der Mann fängt an Zigaretten zu stopfen und die Frau erzählt wie sie mit dem schwarzen Monster Spazieren gehen sollte. Es geht einen Hügel herunter und sie kommt ins rutschen. Sie stürzt, landet auf dem Hintern und sieht dem Hund auf einmal von einem ganz anderen Blickwinkel in die böse funkelnden Augen. Jetzt bloß nicht den Anschein machen, dass man sich unterwirft. Eine gemein gefährliche Situation die hätte schlimm ausgehen können. Doch die Frau beruhigt uns alle und erzählt mit glimmender Zigarette im Mundwinkel. Der Hund ist ein ganz Lieber, hat sich ganz groß um sie gesorgt, als sie gestolpert war. Er setzte sich hin und rührte sich nicht mehr vom Fleck, bis sie wieder aufgestanden war. Erst danach zog er wieder an der Leine. Ein Zeichen dafür, dass sie der Chef ist und und bestimmt wo es lang geht. Ich bin erleichtert und lehne mich zurück. Rechts von mir sitzt meine Gastgeberin, wieder so weit wie möglich entfernt. Mir egal, kraule und streichle ich eben die Hunde, die alle überglücklich sind, dass sie mal jemand knuddelt. Die wollen mir gar nicht mehr von der Pelle rücken und müssen sogar von der Familie zurückbeordert werden. Als nächstes ist die junge Frisörin dran, die von ihrer Arbeit berichtet. Neue Auszubildende sind im Laden und machen nur Ärger. Eine versucht ihr aller Bestes und versagt andauernd. Super Tollpatschig und ein Pechvogel sonder Gleichen. Die Andere ist eine total verzogene Rotzgöre, die Widerworte gibt, dauernd zu spät kommt und ständig auf Streit aus ist. So das typische Flittchen, was sich sogar an die Kunden ran macht und mit dem Trinkgeld verschwindet, was normaler weise fair aufgeteilt wird. Da hat es schon heftig geknallt zwischen den beiden. So sehr das es vor der versammelter Mannschaft eine Standpauke gab, die zu kullernden Tränen geführt hat. Genau das richtige Verhalten, meiner Meinung nach. Solche Mistviecher haben es nicht anders verdient.
 

Ich schaue auf die Uhr und es ist schon kurz nach halb Eins. Langsam Zeit zu verschwinden. Vor allem wenn man daran denkt, dass die Freundin nur mal kurz "Hallo" sagen wollte. Wir verabschieden uns, knuddeln noch einmal Hund, Katze, Kaninchen und Bartagame und verlassen das zum Zoo umfunktionierte Wohnzimmer. Im Flur bekomme ich noch schnell eine Spezialbehandlung von der jungen Frisörin. Durch die vielen Kuscheltiere bin ich voller Haare und werde sogleich mit der Fusselrolle abgetastet. Schon bemerkenswert, wenn die Blondine mit den Piercings im Gesicht, die ich gerade erst seit ein paar Stunden kenne, mehr auf Körperkontakt aus ist als die Gastgeberin, mit der ich die letzten Tage unterwegs war. Die Familie kommt mit nach draußen. Der weiße Schäferhund soll noch einmal ausgeführt werden. Also trennen wir uns und gehen in verschiedene Richtungen. Die neuen Bekanntschaften an der, mit Mücken verseuchten, Wiese vorbei und wir Zwei zurück zum Auto. Wenig später sind wir auch wieder bei ihr zu Hause. Ich sehe ihren Mann vor der Konsole sitzen und geselle mich dazu. Wir beide sitzen auf der Couch und die Freundin kommt mit ihrer Tasche herein um die gekauften Klamotten zu präsentieren. Er schaut kaum hin, hat nur Augen für den Fernseher. Das kenne ich irgendwo her. Damit kann ich mich identifizieren. Manchmal ist man so fasziniert vom Geflimmer, dass man nichts mehr um sich herum mitkriegt. Ihr scheint es gar nicht aufzufallen, dass er gar nicht hinsieht. Wie ausgewechselt ist sie in seiner Anwesenheit. Keine Spur von Krankheit, die Stimme höher und ständig am kichern. So langsam werde ich skeptisch. War das alles bisher nur eine Fassade? Hat sie mir die ganze Zeit etwas vorgemacht um in Ruhe gelassen zu werden? Am liebsten hätte ich sie direkt darauf angesprochen, aber zum Wohle des Hausfriedens lies ich nur Gesten sprechen. Den Blick abgewandt, den Mundwinkel verzogen und die Arme verschränkt. Ich war fertig mit ihr und sagte ihr nicht einmal "Gute Nacht" als sie wieder mit ihren Lieblingsserien im Schlafzimmer verschwand um dort fern zu sehen. Zurück bleiben wir Jungs, die gebannt auf die Mattscheibe starren. Wir zocken noch eine ganze Weile, bis ich so langsam mitkriege, wie der Typ immer öfter wegnickt. Ich sehe auf die Uhr und es ist Viertel vor Drei. Zeit zum schlafen gehen. Ich schicke den Herren des Hauses ins Bett, weil er schon gar nicht mehr aus seinen zusammengekniffenen Augen gucken kann und schalte alles aus. Ich bin noch gar nicht richtig müde, mache mich aber trotzdem fertig fürs Bett. Unter der Decke realisiere ich dann, dass ich bald nach hause muss.

Samstag, der 04.08.2012:

Wieder werde ich als Erster wach. Kein Wunder bei dem Lärm, den die Ratten veranstalten. Ich stehe genervt auf, gehe zum Käfig und will den Viechern am Liebsten eine Standpauke geben. Doch bevor ich richtig loslegen kann bemerke ich das die armen Tiere kein Wasser haben. Der Tierfreund in mir wird sofort hellwach und keine Zwanzig Sekunden später haben die kleinen Racker wieder was zu trinken. So freudig wie die an der Flasche nuckeln, da kann ich gar nicht mehr wütend sein. Ich gehe in die Küche und frühstücke zum dritten mal in Folge alleine. Die Stimmung ist gedrückt. Ich frage mich warum ich hier bin. Wozu bin ich über Einhundert Kilometer mit dem Auto gefahren, wenn ich hier nur geduldet und nicht erwünscht bin? Dabei hatte ich mich so darauf gefreut. Nach so vielen Jahren, wo man sich nur geschrieben hat. Nach so vielen Jahren, in denen man sich Nächte um die Ohren gehauen hat. Endlich hat man Gelegenheit diese junge Frau kennen zu lernen, die man nur von Fotos und Webcam-Unterhaltungen her kennt und dann so etwas. Ich schüttle den Kopf und bereue die Reise jetzt schon. Viel mehr erwarte ich nicht, denn schon letzte Nacht hat sie gemeint, das sie heute Termine hat und mich direkt nach dem Aufstehen verabschieden möchte. Die Tür im Schlafzimmer geht auf, nachdem der Wecker mindestens fünfmal angegangen ist und und die Gastgeberin stolpert verschlafen heraus. Ich hebe die Hand und will grüßen, aber da ist sie auch schon im Bad verschwunden. Kein Mucks, kein "Guten Morgen". Eine halbe Stunde später ist sie wieder da. Umgezogen und zurecht gemacht. Meine Tasche ist gepackt. Der neu gekaufte Pullover ist auch verstaut und ich bin bereit zum Aufbruch. Wir verabschieden uns von ihrem Freund, der in Unterhose und Socken vor dem Computer sitzt und gehen raus. Auf dem Weg zu meinem Wagen wird nicht gesprochen. Zwei Minuten Fußmarsch, die mir vorkommen wie eine Ewigkeit. Erst am Auto wird die Stille gebrochen. Sie entschuldigt sich, dass sie mich nicht umarmen kann, weil sie noch immer verschnupft ist und reicht mir stattdessen die Hand. Das war es dann auch schon. Sie sagt "Tschüss", setzt ihre Kopfhörer auf, die sie eben noch aus der Handtasche gezogen hat und geht los, ohne sich auch noch ein einziges mal umzudrehen. Ich stehe nun da. Allein gelassen in der Hauptstadt.
 

Das Auto bleibt erst einmal stehen, denn nach dieser Abfuhr brauche ich einen Moment. So viele Gedanken schießen mir durch den Kopf. Warum war der Abschied so kühl? Warum rennt sie so schnell weg? Wie geht es jetzt weiter? Ich grüble und zerbreche mir den Kopf, doch eine Antwort bleibt aus. Ich öffne das Auto und mache Klar Schiff. Die Bezüge sind voller Haare und die Sitze sind verstellt. Dann geht es los mit der Heimfahrt. Der Motor wird gestartet, das Radio wird eingeschaltet und das Fenster herunter gekurbelt. Dazu kommt noch meine teure Sonnenbrille, die mich an diesem warmen Samstagmorgen, mit seinem strahlendem Sommerwetter, zum selbstbewussten Straßenkönig mutieren lässt. Ab auf die Stadtautobahn. Es geht hoch und runter, durch Tunnel und vorbei an Baustellen. Ich kann noch einmal einen Blick auf die Großstadt werfen. Rechts stehen Fabriken mit braunen Schornsteinen und links Hochhäuser. Hier könnte man noch viele Abenteuer erleben aber jetzt in diesem Moment will ich nur noch weg. Raus aus Berlin, Richtung Norden. Das Radio spielt auf einmal Musik die mir richtig toll gefällt und instinktiv wird die Hand zum Lautstärkeregler ausgestreckt. Mit lauter Musik und wippenden Kopf bahne ich mir meinen Weg über die A24. Die Überholspur gehört mir, bis ich auf einmal merke, dass der Tank leer wird. Da kommt mir die nahende Tankstelle ganz gelegen. Ich füttere meinen Japaner mit überraschend kostengünstigen Benzin und betrete das Geschäft. Hier gibt es alles, vom Restaurant bis zur Dusche. Im Laden vor der Kasse haben die sogar Drucker und Computer angeboten. (Rückwirkend betrachtet wurde einem das Benzin dort schon fast geschenkt. Jetzt kann man sich Autofahren ja gar nicht mehr leisten!) Nach dem Auftanken und Wasserlassen ging es wieder zurück auf die Rennstrecke. Die Musik dröhnt so laut, wie selten zuvor und animiert mich die ganze Zeit Bleifuß zu geben. Die Leute, die ich überhole, schauen schon ganz verdutzt, denn ich wackle wild mit dem Kopf und singe. Das Spektakel endet allerdings, als sich ein Stau anbahnt. Ich werde ausgebremst, schalte das Radio leiser und verliere meine Partylaune.
 

Der Verkehr steht still. Es geht nur noch im Schneckentempo voran. Meine Stimmung sinkt mit den Stundenkilometern. Zeit um sich mal umzusehen und nachzudenken. Die Landschaft repräsentiert meine Heimat ganz gut. Viel Grün, flaches Land und Windräder am Horizont. Ich hätte die Freundin gerne zu mir aufs Land eingeladen. Doch nach den vergangenen Tagen wundere ich mich über unser Verhältnis. Am ersten Abend war alles noch frisch und entspannt. Vor allem das Gespräch unter vier Augen auf dem Balkon war besonders. Sie hat sich mir offenbart. Ihre Gefühle, Wünsche und Ängste ungezwungen ausgesprochen. Danach ging es aber nur noch bergab. Sie hat sich immer mehr verschlossen. Ging immer mehr auf Abstand, bis sie zum Schluss nur noch das Nötigste mit mir zu tun haben wollte. Aber so sehr ernst habe ich im Stau noch nicht darüber nachgedacht. Noch immer schlummerte die Hoffnung, dass sie sich bald melden würde und alles aufklärt. Vielleicht lag es ja wirklich an der Krankheit. Kann ja gut möglich sein, dass sie mich nicht anstecken wollte und deshalb Sicherheitsabstand nahm. Der Stau löst sich auf und es geht weiter. Die letzte Etappe der Strecke ist schnell geschafft. Ich biege auf die Ausfahrt ein und rolle gemütlich in meine Heimatstadt hinein. Der Straßen sind viel leerer, als in der Hauptstadt, aber das stört mich nicht. Ganz im Gegenteil. Ich mag es, wenn auf den Straßen weniger los ist. Hier rennt einen, abgesehen von alten Rentnern, niemand vor die Motorhaube. (Vergesst nicht: Für Oma und Opa gibt es Fünfzig Bonuspunkte.) Zu Hause angekommen werden erst einmal die Sachen ausgepackt. Die Klamotten landen im Wäschekorb und ich lasse die vergangenen Tage, unter der Dusche, noch einmal Revue passieren.
 

Ab dem Zeitpunkt kam mir alles vor wie trautes Heim, Glück allein. Der Trubel der Großstadt war fort. Ruhe kehrte ein, sobald ich es mir, in meinem Chefsessel, vor dem Computer gemütlich machen konnte. Die Musik, die ich zuvor noch im Auto gehört hatte, landete auf meiner Festplatte und die geschossenen Fotos wurden prompt hochgeladen. Dann noch spontan die eigene Mutter besucht, die Katze gekrault und Mittag geschnorrt. Besser konnte es im Prinzip nicht laufen, bis auf einmal das Handy auf dem Schreibtisch vibrierte und sich eine Nachricht ankündigte. Es war die Freundin aus Berlin, die sich unerwartet zurückmeldete. Natürlich hatte ich mich gefreut, von ihr zu hören, nachdem der Abschied so kühl war. Doch meine Vorfreude auf einen lieb gemeinten Gruß wurde unmittelbar zerstört, denn ihre Texte waren alles andere als aufbauend. Sie fragt, was ich mir in den vergangenen Tagen erhofft habe. Was ich mir einbilde, so aufdringlich zu sein. Sie meint, dass sie extra auf Abstand gegangen ist um mir keine falschen Hoffnungen zu machen. Ihr Kerl wird erneut als Traummann umschrieben und ich bekomme zu hören, das ich nicht ihr Typ bin. Das sie mit so einem wie mir nie etwas anfangen würde und das sie mich nicht auf dem Land besuchen wird. Danach entschuldigt sie sich noch dafür, dass sie mir über das Internet die falschen Signale gesendet hat und zum Schluss schießt sie noch den Vogel ab indem sie mich als Stalker bezeichnet, der ihr schon seit langer Zeit auf die Nerven fällt. Das Treffen war nur dafür gedacht um mir zu zeigen, dass aus uns beiden nichts wird. Wir passen nicht zusammen und sie hat sowieso keine Zeit mehr um sich mit mir herum zu ärgern. Die Gefühle überschlagen sich. Ein wahrer Sturm an Emotionen keimt auf und ich weiß nicht mehr was ich dazu noch sagen soll. Das Wochenende ist gelaufen und auch noch in der darauf folgenden Woche habe ich mit der Sache zu kämpfen. Eine Freundschaft, die mehr als sieben Jahre angehalten hat. In wenigen Momenten in den Straßengraben gefahren. Wenn man darüber nachdenkt, dann kann man nur mit dem Kopf schütteln. Ich habe mir so viele Nächte um die Ohren geschlagen. Immer ein offenes Ohr für sie gehabt, wenn sie über ihre Probleme sprechen wollte. Jedes mal wenn sie von ihren unzähligen Liebschaften enttäuscht oder hintergangen wurde, war ich da um ihr eine Schulter zum ausweinen zu bieten. Und für was das alles? Für nichts und wieder nichts. (Wie ich mich jetzt fühle, kann sich jetzt sicher jeder gut vorstellen. Die Stimmung ist auf dem Tiefpunkt, was wohl niemanden wundern wird.)

Update / Samstag, der 01.09.2012:

Genau ein Monat ist vergangen, nachdem ich die junge Frau aus Berlin getroffen habe. Und wie sieht es aus? Ich habe einen Brief von der Polizei erhalten und darf 35 Euro Strafe zahlen, für mein Blitzerfoto. Ein unbedeutendes Ärgernis, was mich vollkommen kalt lässt, denn viel schlimmer ist etwas anderes. Es herrscht nämlich immer noch Funkstille. Anscheinend will die Person, der ich über so viele Jahre volle Aufmerksamkeit gegönnt hab, keinen Kontakt mehr!
 

~Bitteschön, wer nicht will der hat schon!~



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Kommentare zu dieser Fanfic (3)

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Von:  SoulMaka
2014-10-11T19:41:38+00:00 11.10.2014 21:41
Wow es ist lange her das ich so eine mitreisende Geschichte gelesen habe
sie läst sich sehr gut lesen und man hat das Gefühl mitten drinn im Geschehen zu sein.
Aber eins muss man sagen, du hast da eine echt fiese Freundin
so was macht man nicht egal wie lange man sich kennt
man behandelt sein gegenüber nicht wie Luft vor allen nicht wenn man diesen dann auch noch zu sich einläd
wirklich fiese Freundin.
Hat trotzdem spaß gemacht deine Geschichte zu lesen ^^
Von: irish_shamrock
2014-01-13T13:42:23+00:00 13.01.2014 14:42
So,

nachdem ich eben, dummerweise, auf eine seltsame Taste gekommen bin, und das gesamte Fenster verschwand, schreibe ich den Kommentar eben noch mal :).

Mir gefällt deine Art, sich auszudrücken, sehr. Sie erinnert mich an die, meines besten Freundes, der einen ganz ähnlichen Schreibstil hat, deshalb habe ich, diesbezüglich, auch nichts daran auszusetzen.

Du beschreibst die (hektische und von Pannen geprägte) Vorbereitung sehr detailliert. Es macht spaß zu verfolgen, was du alles, allein auf der Fahrt und zuvor, alles erlebst und man steckt ja gewissermaßen, aufgrund der Erzählperspektive, mittendrin im Geschehen. Die Wahl deiner Worte ist abwechslungsreich und angenehm zu lesen.

Was das Geschehen an sich betrifft, so scheint deine Internet-Bekanntschaft wahrlich recht hilflos. Hat den A**** voller Haustiere und einen Kerl an der Backe, der nur das Eine im Kopf hat. Dass du dich zeitweise wie das fünfte Rad am Wagen fühltest, kann wohl jeder nachvollziehen, der Single unter Pärchen ist. Es ist erniedrigend und ein wenig gemein. Zwar haben sowohl der Freund deiner Bekannten, als auch ihrer Freundin (die, die quasselte) versucht, sich mit dir auseinanderzusetzen und dich kennenzulernen, doch ist diejenige, wegen der du eigentlich den weiten Weg auf dich genommen hast, anfänglich eher desinteressiert, zurückhaltend und unhöflich (siehe die Sache mit dem Handy-Gedüdel). Es ist vielleicht meine persönliche Meinung, und vielleicht möchtest du sie auch gat nicht hören/lesen, aber mir platzt bei so etwas immer sehr schnell der Kragen.
Letztendlich bedauere ich dich für die wenigen Stunden Ruhe, die dir zustanden, in diesem Kleintierzoo und verbleibe, trotz allem, mit Spannung und Grüßen,

irish C:
Von: irish_shamrock
2014-01-12T17:46:29+00:00 12.01.2014 18:46
Hallo abgemeldet,

eigentlich war ich, nur aus Jux, auf der Suche nach Leuten auf Mexx, die Nahe meiner alten Heimat wohnen und bin die Profile der User durchgegangen. Da ich auch auf Deines stieß und bemerkte, dass Du auch Fanfictions schreibst, dachte ich mir, ich schnuppere mal in dein Werk hinein.

Deine Worte gefallen mir sehr und ja, auch ich bin der Meinung, dass eigentlich niemand den Weiten des Internet entkommen kann. Deine Schilderungen sind sehr anschaulich beschrieben und der Text lässt sich flüssig und fehlerfrei lesen. Für einen Prolog schon mal eine sehr gute Arbeit. Ich werde sehen, ob ich bei nächster Gelegenheit noch die anderen Kapitel durchforsten kann. Bis dahin wünsche ich Dir weiterhin viel Erfolg beim Schreiben.

Liebe Grüße,
irish C:


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