Zum Inhalt der Seite

Engelstanz der Dunkelheit

"If people had wings...they'd be monsters"
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Prolog


 

Engelstanz der Dunkelheit

_________________________

P r o l o g .
 


 

Sieh dich vor, schau dich um,

dein Handeln wird die Welt ins [Chaos] stürzten…

Wenn sich die [Welt] am Tage verdunkelt,

werden sie kommen,

die Zeichen des [Nachthimmels].
 

Die [Gewässer] werden zu reinem Blut,

[Feuer] wird das Land niederstrecken,

Die [Luft] wird zu Asche.

Und du atmest ihn ein - den unsichtbaren [Fluss].

In deine Lungen strömt der [Tod].
 

„Ich danke dir Gott, der du mich hast leiden lassen“
 

Die selige [Himmelsschar] wird sich dir entgegenstellen,

ihre Flügel ward aus dem reinsten [Licht] gesponnen

und doch wirst du kämpfen~

Solange bis die [Sonne] erlischt.
 

Du weißt, weder der [Himmel] noch die [Hölle] versprechen Erlösung.

Deine [Seele] hast du dem Teufel verschrieben,

halb der Sünde - Halb der Reue.

Du liebst das Grauen, berauscht dich in ihrem Sumpf,

es ist zu spät für dich umzukehren.
 

Du bist der [Spiegel], darin sein Bild,

ein [Zwillingspaar], das ewig in Streit und Groll verharrt.

Der Vorhang fällt: Die Prophezeiung aus [alten] Tagen wird sich erfüllen.

Ein infernalisches [Schreckensbild] - grausam, vielschichtig und tödlich -

wird [deine] Zukunft beschreiben.

Zwölf Nächte


 

Engelstanz der Dunkelheit

_________________________

Z w ö l f . N ä c h t e
 


 

Er trat unruhig auf der Stelle, sein flacher Atem bildete wabbrigen Nebel, der sich genauso schnell im Nichts auflöste, wie er entstanden war. Die Luft war eisig, schien seine Haut mit jeder Bewegung, die er voran tat, zu zerschneiden. Ein unsichtbares Messer, geführt von einer eiskalten Hand, die sich mit der Kraft des Windes vereinte, ja eine neue Energie bildete und nun mit einer Gewalt auf ihn einwirkte, die ihm einen Schauer über den Rücken jagen ließ. Aber er rührte sich nicht. Sein Blick war gen Himmel gerichtet, seine Augen hielt er geschlossen – Er hatte Verspätung! Wenn er eines hasste, dann waren es Menschen, die kein Zeitgefühl besaßen.

„Er wird dich nicht etwa vergessen haben?!“, keckerte eine Stimme hinter ihm vergnügt, „Wäre schließlich nicht das erste Mal.“

„Hat die Klappe, Mochi!“, fauchte der Junge bösartig, er öffnete seine Augen schlagartig und fixierte den Kürbisgeist, der vor ihm auf und ab tänzelte. Dann sauste der Kürbis um seinen Meister herum und schwebte eine handbreit vor dessen Gesicht vorbei, die Mundwinkel zu einem breiten Grinsen verzogen.

„Chef, deine Augen glühen schon wieder rot, bist du sauer?!“, fragte er süßlich. Er liebte es seinen Meister in Rage zu versetzen. Doch als der angesprochene Junge nicht antwortete, einfach an ihm vorbei lief, ohne ihn auch nur eines Blickes zu würdigen und mit seinem Fuß gegen einen alten, verwitterten Grabstein trat, als ob er seine Frage nicht einmal gehört hatte, wurde der Kürbis von einer Wut gepackt, die ihn aufschäumen ließ. Er hasste es ignoriert zu werden!

Die Augenhöhlen leuchten scharlachrot auf, seine Gesichtszüge hatten sich zu einer Angst einflößenden Fratze verzehrt, sein gesamter Körper war in ein loderndes Meer aus Flammen gehüllt, er leuchtete in die Nacht hinein – Ein Farbenspiel aus Rot und Gold erstreckte sich über dem Friedhof.

„Mochi, lass den Scheiß, möchtest du uns verraten?!“, zischte der rothaarige Junge gereizt, „Wenn Ren nicht langsam auftaucht, haben wir ein Problem. Der Totenrichter hat mit Sicherheit längst seine Lakaien losgeschickt, um nach uns zu suchen.“

„Aber Cay...“, murmelte der Kürbis leise, er wusste, dass er seinen Herren verärgert hatte. Denn sollte jemand auf sie aufmerksam werden, schlug nicht nur ihre Mission fehl, nein, dieses waghalsige Unterfangen konnte sie womöglich einen weitaus teureren Tribut kosten, der nicht nur sein Leben, sondern, das der gesamten Gruppe forderte.

»Wie kurz das Leben, wie schnell kommt der Tod«, er las die Inschrift, die mit feiner Hand auf einen Grabstein gemeißelt war – Wie wahr!

Alles Leben war unweigerlich dem Tod unterlegen, er bildete die Endstation jeder menschlichen Existenz, gleichsam, wie sehr der Verstand sich gegen das unabwendbare zu wehren versuchte, der Körper starb und mit ihm seine Seele. Die kostbare Seele. Er leckte sich über die trockenen Lippen.

Er zog die kalte Nachtluft tief in seine Lunge, sie stank nach Tod und Verwesung. Doch er hatte sich längst an diesen Geruch gewöhnt, er gehörte zu seinem Leben, seit er sich in jener Nacht im sogenannten dritten Himmel wiedergefunden hatte – Die Heimat aller Seelen, die ihrer Identität beraubt worden waren.

Eine Bewegung erregte seine Aufmerksamkeit und ließ ihn schlagartig herumwirbeln, er zog aus der Gürtelschnalle einen Dolch – Die Klinge blitzte rot und dämonisch in der Dunkelheit auf.

„Mach dich bereit, Mochi“, raunte Cay leise und deutete in die Schwärze der Nacht, „Sie kommen!“

Irgendwo, ein gutes Stück weit entfernt, aber näher kommend, war ein schleifendes Geräusch zu hören. Es arbeitete sich durch das Dickicht und erzeugte durch die Intervalle seines Atems einen grauenvollen Rhythmus, der ihm eine Gänsehaut über den Rücken jagen ließ. Dann eine Pause. Nichts rührte sich, er war bis zum Zerreißen gespannt, jede Faser in seinem Körper hatte sich auf einen bevorstehenden Kampf vorbereitet. Es gab eine Ruhe vor dem Sturm, begriff Cay, zwar konnte er dessen Ausmaß nicht einschätzen, aber dennoch kam es mit tödlicher Gewissheit.

Er konzentrierte sich einen Moment lang auf die Dunkelheit, eine schwarze Materie, die ihn kaum einen halben Meter weit sehen ließ. Sein Blick glitt über den Friedhof, vorbei an den Gedenksteinen, an den Trauerweiden, deren Äste wie Tentakeln über sie hinweg ragten - Mit dem Wind vor und zurück gewiegt wurden – Klauen des Bösen. Dann blieben seinen Augen für einen Sekundenbruchteil auf die Büste eines Engels haften, der erhaben und würdevoll den Frieden auf dem Kirchhof bewachte. Wenn Engel eines nicht waren, dann würdevoll!

Ein ohrenbetäubendes Jaulen ließ ihn zusammenfahren, sie entkam einer Kehle einer monströsen Kreatur, die irgendwo da draußen auf sie lauerte.

„Cay, lauf!“, donnerte eine Stimme aus der Dunkelheit hervor, die er sofort als die seines Partners, Ren erkannte, „Lauf! Sie haben uns entdeckt!“

Schlagartig stürmte er los, wartete nicht darauf, dass sein Partner in Sichtweite kam, denn jede Sekunde, die er unüberlegt vergeudete, konnte ihn einen Augenblick näher an seinen bevorstehenden Tod bringen. Nein, Engel waren weiß Gott nicht gnädig. Diese Erfahrung hatte er schon früh machen müssen.

Dann, für eine endlos, schreckliche Sekunde stand die Zeit still. Das Monstrum, das sich im Schutze der Dunkelheit verborgen hatte, war aus seinem Versteck gesprungen, es hatte die Jagt eröffnet und wollte seinen Blutdurst an ihnen stillen. Ein klaffender Schlund, mit rasiermesserscharfen Zähnen, spitz und tödlich wie viele kleine gelbe Dolche, die schief und krumm aus seinem Kiefer ragten. Ein gigantischer Wolfshund, riesig, schwarz und breitschulterig mit grauenerregenden Krallen, die sich gierig nach ihnen ausstreckten - sein gesamter Körper war eine todbringende Waffe, geschult und eingesetzt von dem Totenrichter und seinen Schergen. Er spuckte auf den Boden.

Die Kreatur wollte nichts mehr, als sie packen, ihre zerbrechlichen Körper in Stücke zu zerreißen und die Zähne in ihre Kehlen zu rammen, in dessen Venen das köstlich, warme Blut pulsierte. Das Tier stellte sich auf seine Hinterläufe, wuchs auf das doppelte seiner Größe an und sprang auf Cay zu, der Geifer lief an seinen Lefzen herunter.

Hastig hechtete er zur Seite, konnte den Pranken der Kreatur nur haarscharf entkommen und erkannte dabei aus den Augenwinkeln ein Licht, das auf sie zuströmte. Es vermischte sich mit dem feinen Nebel, quoll über jeden Winkel des Friedhofs und erhellte ihn mit einem künstlichen-sterilen Licht.

„Ren, du wirst doch nicht etwa?!“, hauchte Cay leise und richtete sich langsam aus der Hocke auf.

Ein morbid-schöner Anblick voller Ästhetik bot sich ihm: Bewegung und Licht verschwammen, wurden zu einem neuen Dasein und verströmten eine explodierende Gefahr, die ihren Tribut fordern würde.

Erst als das Licht auch auf seinen Körper einwirkte, unter seine Haut zu kriechen versuchte, wusste er, dass er in lebensbedrohlicher Gefahr war.

„Mochi, zurück! Wir überlassen Ren das Feld!“, zischte Cay und winkte seinen Diener zu sich herbei.

„Aber Chef, willst du ihm wirklich den ganzen Spaß alleine gönnen?!“, fragte der Kürbis fast schon beleidigt, „Ich hätte nichts gegen ein bisschen Action einzuwenden!“

„Wo denkst du hin?“, lachte Cay vergnügt auf und leckte sich mit der Zunge über die Lippen und beobachtete Ren, der nun ebenfalls ins Licht getreten war.

Seine roten Augen funkelten unheilvoll, sein gesamtes Gesicht lag verborgen unter einer roten Kapuze, die in eine lange Robe mündete. Lediglich seine schwarzen, klauen-ähnlichen Hände, ragten unter dem Gewand hervor. Mit ihnen lenkte er das Licht auf die Kreatur zu, es fraß sich asymmetrisch durch die Kulisse, sammelte sich zu einem mächtigen Strom und fesselte das Wesen. Es rührte sich nicht mehr, stieß aber einen letzten erstickten Schrei aus, ehe es völlig von dem Lichtkegel verschluckt wurde.

Gleichsam was die Kreatur nun tat, sie hatte bereits ab dem Zeitpunkt verloren, als Ren den Bannkreis aus Licht gezogen hatte. Denn alles, was sich nun ihrer Mitte befand, würde hoffnungslos mit jenem Licht untergehen, das ihnen einst immer eine verlockende Zuflucht versprochen hatte und sie in eine völlig neue Dimension schleudern.

Die Lichtsplitter bohrten sich wie feine Nadeln unter die Haut des Tieres, lähmten seine Gedanken völlig und ließen etwas Neues in ihnen einstehen. Es war als ob das Licht ein klaffendes Loch in die Wirklichkeit gerissen und nun die Denkweise der Kreatur verzehrt hätte, ja sich zu etwas Bösem und Unheilvollem wandelten.

„Was geschieht mit ihm?!“, fragte Mochi leise und beobachtete die Veränderungen, die das Tier zeigte – Die Pupillen der Wolfsbestie hatten sich gewandelt, schimmerten nun grell-rot.

„Er ist besessen“, entgegnete Cay, „Besessen von den bösen Gedanken, die Ren ihm einflüstert. Jetzt kann er mit ihm alles machen, was er will – Und ich auch!“

Cay fixierte die Kreatur, seine Augen hatten sich ebenfalls verändert, leuchteten nun dämonisch rot auf, spiegelten die Hölle wieder, die er erlebt hatte – ein Orkan aus Hass, Gewalt und Bosheit.

Dann ertönte ein Schrei, ein scheußlicher an der Hörgrenze vibrierender Laut, der sein Trommelfell zu zersprengen drohte. Das Tier taumelte einige Meter voran, blieb dann abrupt stehen und sackte in sich zusammen. Cays Hände waren mit Blut getränkt, die Klinge seines Messers, das er mit derselben Präzision und Routine eines Chirurgen führte, blitze rot. Das Blut tropfte von der Klinge auf den Untergrund, färbte ihn in ein dreckiges Kaminrot, eine ekelhafte Lache aus waberndem Blut, in dessen Mitte ein regungsloser Körper lag – Die Wolfsbestie war tot.

„Meister, du warst einfach fantastisch. Ich hatte aber auch nichts anderes von einem Dämon, wir dir, erwartet“, kam es strahlend von Mochi, flog dabei auf den rothaarigen Jungen zu, tänzelte vergnügt vor sich hin und ergänzte dann, „Aber du warst auch nicht schlecht, Ren!“

Ren verzog abfällig die Lippen: „Vielen Dank, Mochi!“

Er lief langsam, sich mühselig auf den Beinen haltend, auf die Gruppe zu. Wie es schien, hatten der Kampf und die vorherige Flucht stark an seinen Kräften gezehrt.

„Du erinnerst dich vielleicht noch daran was Myras gesagt hat“, sagte Ren schließlich, musste sich jedoch setzten, bevor er seinen Satz beenden konnte, „Sollten sich Menschen auf einem Kirchhof verirren, der von Friedhofsgeistern bewacht wird, ist seine Seele des Todes. Du hast sicherlich schon von den Hantu-Gespenstern gehört?!“

Dann zog sich der junge Mann die Kapuze herunter, das weiß-silberne Haar fiel ihm ins Gesicht, doch anders, als man hätte zuerst vermuten können, fehlte es seinen Zügen an der gewissen Härte, die nötig gewesen wäre, um einen Gegner einzuschüchtern. Denn obwohl sein Gesicht regungslos blieb, keine Emotion darin zu lesen war, wirkte es unvollkommen, vielleicht sogar kindlich – Cay konnte es nicht mit Bestimmtheit sagen.

„Was für eine dumme Frage!“, erwidertet Cay gelangweilt, „Jedes Kind, das im dritten Himmel aufgewachsen ist, kennt diese Spukgestalten. Ich frage mich, warum du mich mit solch unnötigen Fragen langweilst?!“

Er fuhr herum. Für einen kurzen Augenblick schien seine Maske aus Selbstsicherheit, hinter der sich nur all zu gerne versteckte, zu bröckeln, doch dann fügte er mit monotoner Stimme hinzu: „Ich frage mich, wo sie heute sind.“

„Du willst doch nicht etwa?!“, entkam es Ren, seine Pupillen weiteten sich schlagartig.

„Warst nicht du es, der uns auf diesen verfluchten Friedhof bestellt hat und uns dort über eine Stunde warten ließ“, Cay trat mit so einer heftigen Bewegung auf die Anderen zu, dass er beinahe bedrohlich wirkte, „Was wäre passiert, wenn uns die Friedhofsgeister erwischt hätten, noch bevor du uns hättest warnen können?! Denkst du eigentlich über die Konsequenzen deines Handelns nach, Ren?!“

„Wie schon gesagt – Jedes Kind kennt diese Kreaturen – Das hast du selbst gesagt“, unterbrach ihn Ren und lachte ihn bösartig an, „Und seit wann hat ein Dämon Angst vor ein paar Geistern, die jaulen und toben?!“

„Wer hat gesagt, dass ich Angst habe – Ich hasse es zu warten, das ist alles“, antwortete Cay ausweichend und ging voraus.

„Das klang aber gerade noch ganz anders“, murmelte Mochi leise und schwebte hinter seinem Meister hinterher.

Je weiter sie sich dem Zentrum des Friedhofs näherten, umso mehr schien sich der Nebel zu verdichten. Sie konnten kaum noch eine handbreit weit sehen und doch schien Cay nicht im Traum daran zu denken umzukehren. Wie ferngesteuert lief er auf einen Punkt zu, der sich irgendwo im Nebel verbarg.

„Weißt du überhaupt, wo wir sind?!“, fragte Mochi und drängte sich nah an den rothaarigen Dämon, um nicht Gefahr laufen zu müssen, von der Gruppe getrennt zu werden, „Können wir nicht umkehren – Bitte Chef.“

Ein Paar stechend gelbe Augen blitzten in der Dunkelheit auf, ließen ihn für einen kurzen Moment zusammenschrecken, doch als er blinzelte, waren sie erloschen. Und Cay begriff, dass diese satanischen Augen lediglich in seiner Phantasie existierten und nichts mit der Wirklichkeit gemein hatten. Jedenfalls wollte er dies glauben.

„Chef, Chef, Chef, lass uns zurückgehen“, wimmerte Mochi plötzlich und presste sich mit seinem gesamten Gewicht gegen den Rücken Cays.

„Mochi, bleib ruhig, wir sind gleich da. Was soll der Aufstand?!“, er hatte diese Frage gestellt, obwohl er die Antwort bereits kannte. Mochi empfand jenes Unbehagen, das sich auch durch seinen Verstand zu fressen drohte. Ob es Angst war, konnte er nicht sagen – Er wollte sich auch nicht länger als nötig mit so etwas Belanglosem wie menschlichen Emotionen beschäftigen. Er war ein Dämon und verneinte somit jede Ähnlichkeit zu den schwachen und jämmerlichen Kreaturen, die sich Menschen nannten und sich von ihren Empfindungen knechten ließen.

Sie waren nichts weiter als Abhängige! Sie gaben sich ihren Gefühlen hin, verliebten sich, nur um schlussendlich begreifen zu müssen, dass jede Liebe nach der anfänglichen Manie starb, zum gewöhnlichen Alltag wurde und unweigerlich Schmerz und Leid zur Konsequenz hatte.

Warum verliebten sich also die Menschen?! Wurden sie so sehr von ihrem masochistischen Denken manipuliert und dem Bestreben nach Liebe und Anerkennung gelenkt, dass sie blind für die Wahrheit waren?!

Plötzlich schien das Rauschen des Windes anzuschwellen, wurde zu einem Orkan, eine unsichtbare Gewalt, die über ihre Glieder fuhr und sie beinahe in die Knie zwang. Sein Herz schlug hart gegen seine Brust – Er wusste, dass sie ihrem Ziel unbegreiflich nah sein mussten. Zwar bereitete es den Hantus Freude verwirrte Seelen zu quälen, die sich versehentlich auf ihrem Kirchhof verlaufen hatten, dennoch griffen sie niemals ohne Grund an. Sie mussten sich allein durch ihre Präsenz bedroht fühlen.

Eine körperlose Stimme, vermischte sich mit dem Strom des Windes, säuselte süßlich, verlockende Worte, die fast vollkommen von dem tosenden Geräusch der Luftmassen verschluckt wurden.

„Die Friedhofsgeister scheinen verärgert zu sein!“, sagte Ren, „Denkst du wirklich, dass das eine kluge Idee ist, Cay?!“

Doch statt auf die warnenden Worte seines Partners zu hören, die ihn von seinem törichten Weg abzubringen versuchten, ging der Dämon ungerührt weiter. Für einen kurzen Augenblick, der nicht länger andauerte als ein Lichtblitz, stand Cay still und lauschte dem Flüstern des Windes – und er bemerkte, dass die Worte an Deutlichkeit gewonnen hatten, ja beinahe verständlich wurden.

Das bösartige Raunen und Zischeln wandelte sich zu todbringenden Warnungen, die mit Fingern aus purem Eis in seinen Verstand fuhren und sich dort festkrallten – Ja, sich an seiner Angst labten, die er zeigen würde, wenn sie es nur geschickt genug anstellten.

Bis jetzt war noch keine Seele ihren Fängen entkommen, der Wahnsinn war in ihren Verstand gesickert, war zu einer dickflüssigen Essenz des Grauens geworden und kroch durch die Venen des Opfers, bis es schlussendlich das pulsierende Herz erreichte, um dort im Einklang mit seiner Manie schlagen zu können. Das vergiftete Herz kannte von nun an nur noch eine Motivation: Es wollte jagen, zerfetzen, töten, und den bittersüßen Geschmack kosten, wenn die letzte Hoffnung in den angsterfüllten Augen seines Opfers starb – Zu einer grässlichen Gewissheit wurde, dass nur noch der Tod Erlösung versprach. Ja, sie sollten so sterben, wie seine Seele einst gestorben war.

„Das ist unser Kirchhof, Unwissender!“, murmelte die körperlose Stimme süßlich, „Es war ein großer Fehler unsere Warnungen zu ignorieren – Ein verdammt großer.“

Sobald die Stimme ihren Satz beendet hatte, wandelte sich der Friedhof. Der tosende Wind wich der Stille, die Dunkelheit wurde weniger dicht und der Nebel türmte sich auf und bildete eine schmale Straße – Ein Leitfaden in die Hölle.

„Bewaffnet euch, aber greift nicht eher an, ehe ich es euch erlaube“, zischte Cay mit ruhiger Stimme und schritt voran.

„Wenn wir hier lebend herauskommen, bring ich dich um!“, sagte Mochi gereizt, „Und ich werde Myras um meine Versetzung bitten. Der gefährdet nicht nur meine Ausbildung, sondern auch noch mein Leben!“

„Und am Ende bleibst du doch, genau wie jedes Mal“, lachte Ren leise auf und warf einen Seitenblick auf den Kürbisgeist.

„Pah“, entkam es Mochi protestierend, dann plusterte er sich auf die doppelte Größe auf und flog hinter seinem Meister her. Er würde seine Worte wahr machen, sie würden es schon sehen.

Sobald sie der Nebelstraße folgten, spürten sie, dass sie den ebenen Untergrund unter ihren Füßen verloren und auf eine Wölbung traten, die sie ins Schwanken geraten ließ. Fast schon springend mussten sie sich von Kuppel zu Kuppel vorarbeiten – Zuerst hatte er gedachte, dass er auf Steine trat, doch als das Gewölbe mit einem berstenden Geräusch in sich zusammenbrach, wusste er, dass er sich geirrt hatte.

„Was zum Henker ist das?!“, keifte Cay und versuchte dabei seinen Fuß aus dem Loch zu ziehen.

„Die Schädeldecken der sterblichen Überreste, die auf diesem Friedhof vergraben wurden. Es sieht so aus, als ob die Hantu-Geister die Totenruhe gestört und die Leichen aus ihren Gräbern befohlen hätten, nur um uns zu quälen oder aber zum Rückzug zu zwingen“, sagte Ren scharf, „Symbolisch gesehen bilden sie unsere Straße in den Tod.“

„Als ob ich dich gefragt hätte, Besserwisser! Und wie immer neigst du zu maßlosen Übertreibungen.“

„Und wie immer unterschätzt du die Lage“, entgegnete Ren wütend, kletterte an Cay vorbei und stieg über die Totenschädel empor – höher und höher.

Der Rothaarige fixierte Ren, jeden Schritt, den er machte, er sah jede kleine Winzigkeit, die er tat, die unruhigen und nervösen Bewegungen seiner Beine auf der rutschigen Oberfläche und dann das Rucken, das seinen Körper abrupt nach vorne kippen ließ. Wie eine Marionette dessen Spielmeister die Fäden seiner Puppe losgelassen hatte, stand der junge Mann regungslos da, sein Kopf war nach vorne geneigt, seine Arme hingen schlaff zu beiden Seiten herunter – Die Waffe war ihm aus den kraftlosen Fingern geglitten und fiel klirrend zu Boden.

Wie in den Bann geschlagen, hypnotisiert von unsichtbaren Augen, die er zwar nicht sehen, aber sehr wohl spüren konnte, starrte Cay die Nebelwand an. Der Nebel wog stärker, bildete bizarre Formen, Grimassen, vielfingerige Hände und Klauen, die aus der Wand hervorzutreten und nach ihm zu greifen schienen.

Dann – nach ein paar Sekunden, Stunden oder Tagen, es blieb gleich, die Zeit hatte ihre Bedeutung verloren – waren sie erloschen und die Geisterhand, die ihn gepackt hatte, war verschwunden.

Ein tonloses Lachen erschwoll über dem Kirchhof, wand sich von den Dämonen ab und trieb davon.

Auch Ren war aus seiner Starre erwacht, richtete sich langsam wieder auf, schien aber nicht recht zu realisieren, was gerade geschehen war.

Nur Mochi stand das Grauen ins Gesicht geschrieben, er schrie grellend auf und flog über die Leichenteile davon.

„Verflucht, Mochi!“, schrie Cay und hastete dem Geisterwesen hinterher, doch als er den Kürbis endlich eingeholt und dieser zum Stehen gekommen war, fanden sie sich am Wegesrand wieder.

Am Ende des Pfades stand ein bizarr in die Länge wie auch in die Breite verzehrter Tisch, auf dem ein blutrotes, von Motten zerfressenes Tuch lag. Leere Schüsseln, Tassen und Tellern beluden die Tischplatte, eine Kerze war entzündet worden und flackerte in die Nacht hinein. Zwölf Holzstühle standen um den Tisch herum, waren an ihre Plätze gezogen worden und erweckten den Eindruck, dass jemand auf ihnen sitzen würde. Cay starrte einige Sekunden lang auf den gedeckten Tisch, ließ dann seinen Blick über die leeren Stühle schweifen und verzog sein Gesicht zu einer gehässigen Grimasse.

„Nun kommt endlich raus!“, rief Cay in die Dunkelheit hinein und lief um den Tisch herum, „Ich weiß, dass ihr hier seid, ihr braucht euch nicht länger zu verstecken!“

Und dann waren sie plötzlich da. Mochis Augen hatten sich vor Schrecken geweitet, er fuhr zusammen, konnte aber seinen Blick nicht abwenden – Wie in Trance stierte er die Geistergestalten an, die auf den Stühlen platz genommen hatten. Zwölf an der Zahl.

Rauchige Gestalten, die kaum einen Meter groß waren, mit gelb schimmernden Schlitzen statt Augen, tasteten mit ihren durchsichtigen Hände nach den Teetassen, hoben sie an, ließen aber die Gruppe dabei keine Sekunde aus den Augen.

„Wollt ihr nicht zum Tee bleiben“, fragte einer der Friedhofsgeister träumerisch.

„Liebend gern“, mehr antwortete Cay nicht.

Wie von Geisterhand beschworen, erschienen drei Stühle aus dem Nichts und bewegten sich von selbst an den Tisch. Teller und Tassen flogen durch die Luft, wurden durch die Nacht getrieben, taumelten für einen Augenblick auf der Stelle und vielen dann klirrend auf die Tischplatte.

„Nehmt doch Platz, eure Henkersmahlzeit wartet auf euch“, zischelte der Hantu, der Cay am Nächsten saß – Etwas Hungriges lag in seinen Augen, er versuchte nicht einmal seine Gier zu unterdrücken. Er schien bereits die Kontrolle über sich verloren zu haben, „Ihr hattet euer Todesurteil bereits ab dem Zeitpunkt unterschrieben, als ihr einwilligtet unserer Runde Gesellschaft zu leisten.“

Dann lachte der Hantu bösartig auf.

„CAAAAAAY!“ schrie Ren erstickt auf, sein Atem stockte, sein Mund fühlte sich so unbeschreiblich trocken an, dass ihm die Stimme versagte.

„Zwölf Tage und zwölf Nächte sollen euch bleiben, genug Zeit um euch mit euren Angehörigen auszusöhnen und Frieden zu finden. In der zwölften Nacht werdet ihr sterben!“

Finstere Zuflucht


 

Engelstanz der Dunkelheit

____________________________

F i n s t e r e . Z u f l u c h t
 


 

„Verbringt ihr immer noch eure Zeit damit Menschen zu erschrecken?!“, raunte Cay angriffslustig, doch er blieb dabei die Ruhe selbst und verschränkte lediglich die Arme vor der Brust, „Werden euch diese Spiele nach über hundert, trostlosen Jahren nicht langsam langweilig?! Ihr spukt Nacht für Nacht. Ihr seid echt zu bemitleiden! Und meine Seele werdet ihr nicht bekommen, erinnert euch an Cay, den Erzdämon des Zorns, der euch heute Nacht demütigte, in dem er euch und eurem Seelendurst entkam. Aus mir macht ihr keinen Hantu!“

„Sei nicht närrisch. Du wärst nicht der Erste, der sich mit dieser Selbstsicherheit im Tode wiedergefunden hätte. Was unterscheidet dich deiner Meinung nach von deinen Vorgängern. Schau dir deine Freunde an, sie wissen, dass sie sterben werden – Und sie geben dir die Schuld, ist dir das bewusst?!“, als der Friedhofsgeist seinen Satz beendet hatte, blickte Cay zu Ren und

Mochi – seine Aufmerksamkeit galt einzig und allein ihnen.

Irgendwas war falsch. Er spürte es. Seine Hände begannen leicht zu zittern.

Es war absurd, aber für einen Moment hatte er das Gefühl, dass sich seine Freunde wirklich ihrem Schicksal ergaben, den Ammenmärchen der Geister glauben schenkten und auf ihren Tod warteten. Ihre Augen wirkten starr, leblos und ausdruckslos – Er wusste nicht einmal, ob seine Worte sie erreichen würden.

Ohne, dass es ihm selbst bewusst war, ja, fast gegen seinen Willen, fesselten ihn die Augen Rens, er musste sich regelrecht von ihnen losreißen, um einen klaren Gedanken fassen zu können.

»Unsinn.«, dachte er, »Dämonen ließen sich nicht von schwachen Geistern einschüchtern. War es nicht immer Ren gewesen, der die Stärke der Dämonen anpries?! Warum sollte er jetzt aufgeben und das vor allem kampflos?!«

Das war es!

„Ihr könnt uns nicht töten, selbst wenn ihr es wolltet – Zwölf Tage und Nächte werden vergehen und wir werden uns am dreizehnten Tag wiedersehen. Lebend!“, zischte Cay bösartig, er sprang beinahe von seinem Stuhl auf und beugte sich über den Tisch, ehe er ergänzte, „Was ihr in eurem Rausch wohl übersehen habt... ist...dass wir Erzdämonen aus dem dritten Himmel sind – und mit euren grässlichen Klauen könnt ihr vielleicht das Herz eines Menschen herausreißen, aber niemals das eines Dämons. Und dieser Fehler wird euch heute teuer zu stehen kommen.“

Er griff nach der schwarzen Kerze, die auf dem Tisch loderte und blies die bläuliche Flamme aus.

„Die nehme ich!“, säuselte er vergnügt, „Ich denke, dass wir die besser gebrauchen können, als ihr – Denn euer Schicksal ist es für alle Zeit auf diesem Friedhof zu verweilen und so soll es auch sein!“

„Und -“, fügte Ren, der neben den Rothaarigen getreten war, hinzu, „Heißt es nicht, dass die erste Seele, die sich am Anfang des Jahres auf diesen Kirchhof verirrt, zu einem Hantu wird?!“

Er verzog das Gesicht, senkte den Blick und zählte mit seinen Fingern etwas ab.

„Ich sehe hier zwölf Hantu-Geister, aber dies werden mit den Friedhofgeistern, die uns angegriffen und hierher gelockt haben, mehr als zwanzig, wenn nicht sogar dreißig Gespenster sein – Und das bedeutet, dass ihr gegen die Regeln verstoßen habt!“

„Ren entgeht halt nichts. Deswegen ist er auch der Kopf unseres Teams“, keckerte Mochi zufrieden, verzog dabei das Gesicht und grinste Cay hinterlistig an. Der Kürbisgeist hatte das unüberlegte Handeln seines Meisters nicht vergessen und dies war seine Rache – Vielleicht auch erst der Anfang davon – Er wog seine Chancen und Möglichkeiten ab unbeschadet aus seinem Streich herauszukommen, denn es würde nicht lange dauern, bis dem Dämon endgültig der Geduldsfaden gerissen war.

„MOCHI!“, keifte Cay, der von einer überschäumenden Wut gepackt wurde, doch bevor er noch etwas sagen oder tun konnte, wurde er von Ren daran gehindert, der sich nicht unterbrechen lassen wollte. Nicht jetzt!

„Also weiter im Text“, murmelte er wütend, „Meinen Unterlagen zur Folge sollten diesen Friedhof neunzehn Hantus bewachen – Neunzehn Geister seit dessen Entstehung und was das bedeutet, wissen wir alle. Ihr jagt Seelen zum Spaß, stehlt sie dem Totenrichter und hindert sie darin ihren Frieden zu finden, schlimmer noch – Ihr verdammt sie dazu auf ewig zu Angst und Schrecken zu verbreiten. Und damit habt ihr euch einen ganz unangenehmen Feind gemacht. Nämlich UNS!“

Ren gab ihnen nicht die Spur einer Chance.

„Ihr habt den Vertrag, den ihr mit Myras geschlossen habt, gebrochen und damit ist unser Packt, der es euch erlaubte eine Seele pro Jahr zu beanspruchen, aufgehoben. Denn dieses Gebiet steht unter Myras Regentschaft und alle Seelen, die gesammelt werden, gehören uns – den Erzdämonen des dritten Himmels!“

Dann – ohne noch einmal zurückzuschauen, lief er an den Hantu-Geistern vorbei, wies aber Cay und Mochi an, ihm zu folgen.

Nicht er würde heute Nacht über das Werden oder den möglichen Untergang der Friedhofsgeister entscheiden, nein, diese Aufgabe oblag einzig und allein Myras und diesen Spaß würde er ihm auch nicht rauben.

„Du hast das von Anfang an geplant, oder?!“, fragte Ren schließlich an Cay gewandt und musterte die schwarze Kerze in dessen rechter Hand.

„Natürlich!“, säuselte Cay vergnügt und steckte sie sich in die Jackeninnentasche, „Es gibt kein besseres Mittel, um schnell von einem Ort verduften zu können. Das wisst ihr doch!“

„Verstehe“, antwortete Ren knapp.

„Und was ist mit dir?“, raunte Cay, „Diese Farce eben... Ich hätte dir fast abgenommen, dass du mit deinem Leben abgeschlossen hättest... Aber nur für einen Augenblick... Was wolltest du damit bezwecken?!“

„Hm, ich bin halt so etwas wie ein Künstler, kann man sagen“, murmelte Ren verlegen und kratze sich am Hinterkopf, „Ich versuche halt aus jeder Situation das Beste herauszuholen – und wenn ich dabei ein wenig mit deinen Gedanken spielen kann, ist es doch gleich umso schöner!“
 

Cays Hochstimmung, die nach der Erlangung der Kerze von ihm Besitz ergriffen hatte, wurde von einer unerklärlichen Unruhe vertrieben, die schlagartig mehr und mehr die Überhand gewann.

Sie hatten den Friedhof hinter sich gelassen, liefen auf einen nahegelegenen Wald zu, der ihren einzigen Weg nach hause bildete. Aber er hatte sich spürbar verändert.

Der Wald schien näher gekommen zu sein, lag wie eine Mauer aus Schwärze auf der anderen Seite des Weges und sollten sie ihn betreten, so würden sie sich mit ihm vereinigen und auf das Ding treffen, das nun in ihm hauste.

Ob näher gekommen oder nicht – und er hasste sich in diesem Augenblick für diesen Gedanken – denn helfen tat es ihm nichts, sie mussten in ihn eindringen.

Er erschauderte.

Er hatte nicht damit gerechnet, dass sich die Stämme der Bäume zu einer undurchlässigen Wand verdichtet hätten und es ihnen unmöglich war, diesen Wald überhaupt zu betreten – Aber er hatte sich geirrt. Sie konnten problemlos passieren, folgten dem verschlungenen Pfad, schlüpften zwischen den Bäumen hindurch und traten immer weiter in das Herz des Waldes hinein.

„Spürt ihr das auch?!“, fragte Mochi leise, „Irgendetwas stimmt hier nicht!“

Die Dunkelheit war angeschwollen und lag nun wie ein schwarzer Schleier über dem Waldstück und verschluckte jeden Lichtstrahl, der durch die Wipfel der Bäume zu dringen versuchte. Der Mond hatte seine Kraft eingebüßt, verlor den Kampf gegen die fast schon zäh gewordene Tiefe der Nacht – Ja, das diabolische Werk, dass das Ding geschaffen hatte, schien seinen Zweck zu erfüllen. Dieser Wald war zu einem Gefängnis geworden, die Stämme bildeten die Gitterstäbe, durch die sie zwar schlüpfen konnten, sich jedoch, je weiter sie gingen, zuziehen würde. Es gab kein Entkommen mehr.

Sie durchschnitten die Finsternis, Schritt für Schritt. Eine Art Lichtkegel umhüllte sie, zerriss die Schwärze für einen Sekundenbruchteil, nur um anschließend erneut und doppelt so tief entstehen zu können.

„Sparr' deine Kräfte, Ren“, sagte Cay, „Wenn wir aus diesem Wald herauskommen wollen, werden wir sie später mit Sicherheit noch brauchen!“

„Denkst du, dass dies das Werk der Hantus ist?!“, mit einem Mal war das schwache Licht erlöschen, die Lichtspitter strömten in alle Himmelsrichtungen davon, verloren sich aber schon ein, zwei Sekunden später in der Finsternis. Es war dunkel. Ein schwarzer Strich, mehr nicht.

Die Schwärze wich vor und zurück, in der gleichen Geschwindigkeit, in der sie in den Wald eindrangen und er hätte sich nicht umdrehen müssen, er wusste, dass sie sich im gleichen Augenblick wieder schloss, sobald sie durchschnitten wurde. Ihre Anwesenheit bildete einen Tunnel durch die Dunkelheit.

Und für einen Moment bezweifelte Cay, dass er freiwillig hier war. Er hatte immer geglaubt, dass er die Wahl hatte, aber stimmte dies wirklich?! Er begann zu frösteln.

Ihre Schritte waren lautlos gewesen, obwohl der Waldboden mit Laub, Tannennadeln und trockenen Ästen übersät war. Es war, als ob alle Geräusche, alles Leben, jede Existenz von einem Störfilter ausgeschaltet worden war. Die Zeit stand still. Denn Geräusche brauchten, um entstehen und verklingen zu können, Zeit und eben jene existierte in diesem verwunschenen Wald nicht mehr. Sie war von einer unsichtbaren Kraft angehalten worden, die jetzt und nur jetzt in diesem Wald hausen würde.

Dieses Wissen war plötzlich in seinem Verstand.

Irgendetwas rührte sich, die festen Zweige der Weiden taten eine wogende, unbegreifliche Bewegung, schlugen nach ihnen aus und hätte Cay nur eine Sekunde länger gezögert, wäre er mit der Wucht des Tentakelhiebs vermutlich erschlagen worden.

„VERFLUCHT! DER WALD LEBT UND ALLES, WAS IN IHM IST“, schrie Cay, wirbelte sofort herum und bemerkte, dass auch Ren und Mochi mit den pflanzlichen Feinden zu kämpfen hatten.

Mochi plusterte sich auf, entflammte sich einen Lichtblitz später und ließ die sengende Hitze auf die dünnfingerigen Äste los, die Ren umklammert hielten und in die Höhe rissen.

Und Cay bemerkte, dass der Störsender, den das Ding über den Wald gelegt hatte, nun ausgeschaltet war. Es wollte, dass sie das Leid, dass sie nun erfahren würden, in ihrem vollen Ausmaß erlebten. Ungefiltert, böse und tödlich.

Die knorrigen Äste schlugen abermals zu, kratzten mit ihren bleichen Knochenfinger über den Waldboden und verursachten einen ohrenbetäubenden Lärm. Er hastete davon, wich den Ästen und Zweigen aus, die nach ihm schlugen und wollte aus dem Wald fliehen, doch Bäume hatten sich zu beiden Seiten verdichtet, wirkten glatt, undurchlässig und fest – Wie eine Mauer aus schwarzem Chrom.

Er schloss die Augen, stürmte weiter. Rannte mit einer wahnwitzigen Geschwindigkeit auf die schwarze Wand zu, streckte die Arme nach vorne aus und achtete lediglich auf die Geräusche, die die dunklen, tentakelartigen Klauen um ihn herum taten. Er war sich sicher, dass es einen Weg aus dieser Hölle geben musste, die sich eben um sie geschlossen hatte – Es musste, es musste, es musste.

Doch bevor sie die andere Seite erreichen konnte, wurde er von einer langfingerigen Hand aus Holz gepackt, gut einen Meter über den Boden geschliffen, ehe er brutal in die Höhe gerissen wurde. Er schrie auf.

„CAAAY!“, brüllte Mochi panisch, konnte seinem Meister aber nicht zur Hilfe eilen, da er ebenfalls von den Gegnern in Schach gehalten wurde, „VERDAMMT CAY, BENUTZ DIE KERZE!“

Sofort glitten seine Finger in seine Jackentasche, doch die Kerze war verschwunden. Sie musste ihm während des Angriffs des Waldriesens herausgefallen sein.

„ICH HABE SIE NICHT“, schrie Cay und versuchte sich verzweifelt aus dem festen Griff der Bestie zu befreien, doch es gelang ihm nicht. Er zappelte wie eine Fliege im Netz der Spinne, die nun langsam auf ihn zu kroch und ihn, die Beute, mit Haut und Haar vertilgen wollte.

Plötzlich – und mit einer unbeschreiblichen Wucht – wurde er wieder zu Boden geschleudert, er krümmte sich vor Schmerzen, musste sich jedoch im gleichen Moment wieder hoch kämpfen. Seine Beine zitterten stark, drohten unter seinem Gewicht einzuknicken, doch er achtete nicht auf das ohnmächtige Gefühl, hastete einfach davon, entwich den Ästen nur um eine Haaresbreite.

Fast schon panisch huschten seine roten Augen über den moosbedeckten Waldboden - Die Kerze musste hier irgendwo liegen. Irgendwo zwischen den maroden Ästen, dem heruntergefallenen Blattwerk oder aber versteckt zwischen Stein und Geröll. Sein Atem ging schnell, er zog die kalte Nachtluft gierig in seine Lungen, versuchte mit den schnellen Atemzügen sein protestierendes Herz zu beruhigen, das nun hart gegen seinen Brustkorb schlug.

Und wieder schlugen die Pranken zu, erwischten den Dämon diesmal an der Seite, schleuderten ihn wie eine leblose Spielfigur über den Boden, bis er schlussendlich gegen etwas Scharfkantiges prallte. Er war mit dem Hinterkopf gegen einen gewaltigen Stein geknallt, der weit aus dem Boden hervorragte, dann schmeckte er Blut, den widerlich eisernen Geschmack seines eigenen Blutes. Die Übelkeit packte ihn.

Sehr lange blieb er regungslos im Geäst liegen und atmete den Duft des Waldes ein, mühselig öffnete er seine Augen, schluckte aber den Schmerzenslaut herunter, der auf seiner Kehle brannte.

„Cay, bist du in Ordnung!?“, fragte Ren, der es endlich geschafft hatte sich aus dem Griff der Tentakeln zu befreien. Er war auf seinen Partner zu gehastet, riss den Rothaarigen regelrecht zu sich hoch und schüttelte diesen grob.

„Komm zu dir! Verflucht, du sollst zu dir kommen! Verstehst du nicht?!“, keifte Ren wütend, „Dieser Wald wird uns verschlingen... Siehst du es nicht?!“

Ren tat eine ausfallende Handbewegung, deutete auf die schwarze Wand, die näher und näher kroch. Sie war aus dem Nichts erschienen – Ein dunkler Schatten, der steil aus dem Boden gewachsen war und sie nun für immer in diesem Wald einsperren wollte.

„Ich hab sie!“, keckerte Mochi plötzlich, „Ich habe die Kerze gefunden!“

Der Kürbisgeist hatte eilig nach der Kerze gegriffen und flog nun auf seinen Meister zu und warf sie neben den Dämon ins Gras.

„Wir sollten schleunigst von hier verschwinden“, zischte Ren leise, packte Cay am Arm und wies auch Mochi an sich an ihm festzuhalten, „Denk an den Ort, an den du jetzt am Liebsten zurückkehren möchtest.“

„Da hätte ich schon einen“, murmelte Mochi freudig.

„Ich meine unser Versteck, du Vollpfosten! Nur ein Fehler und unsere Seelen werden in tausend Stücke zerrissen“, keifte Ren und entflammte die schwarze Kerze mit einem knisternden Geräusch. Das Licht fraß sich schlagartig durch die Dunkelheit, erstickte die Finsternis mit der Wucht einer Atombombe und dann war es vorbei. Der Wald, in dem das Ding hauste, war nicht mehr.
 

Mit einem Fingerschnipp, so schien es, hatten sie den Wald mit seinen schrecklichen Alptraumgestalten hinter sich gelassen und Cay bemerkte die Veränderung mit einer Deutlichkeit, die ihm ein breites, dämonisches Grinsen auf seine Gesichtszüge schleichen ließ.

„Wir sind Zuhause“, murmelte der Rothaarige benommen, löste sich schlagartig aus der Umarmung Rens und stand langsam, aber dennoch fest entschlossen die wenigen Meter ohne fremde Hilfe schaffen zu wollen, auf.

„Wurde aber auch Zeit“, grinste Ren und blies die blaue Flamme der Kerze aus und steckte sich den verbliebenen, aus Wachs geformten, Stummel in die Hosentasche. Die Kerze war fast zur Unkenntlichkeit verbrannt, lediglich der weiße Docht erinnerte noch an die ursprüngliche Form, die sie einst gehabt hatte.

„Viel ist von unserer Kerze ja nicht übrig geblieben“, sagte Mochi leise, „Kann es sein, dass du was falsch gemacht hast?!“

„Unsinn!“, raunte Ren, „Das liegt an dem Fluch, der über diesen Wald gezogen wurde – Allein diesen Bann zu durchbrechen, hat eine Menge Energie gekostet, ganz zu schweigen von der Reise an sich. Wir können eher von Glück reden, dass der schwarze Zauber der Kerze stark genug war, um es mit den dämonischen Kräften dieses Dings aufzunehmen.“

„Woher willst du wissen, dass es sich um einen Dämon handelt, der uns angegriffen hat“, fragte Mochi, doch statt Ren antwortete ihm Cay.

„Das liegt doch klar auf der Hand“, zischte er wütend, „Die Hantus verführen die Seelen der Menschen, wohl war – Aber ihnen ist es nicht erlaubt sich von ihrem Friedhof zu entfernen und die Kraft, die uns angriff, wirkte über das gesamte Waldgebiet. Ihr wisst selbst, wie weit dieser allein von dem Kirchhof entfernt lag und doch konnte das Ding, das den Wald kontrollierte, problemlos über uns herfallen. Daher ist es offensichtlich, dass der Angreifer ein Dämon ist…“

Für ein, zwei unendliche Sekunden schwieg Cay, dann sprach er das aus, was sie ohnehin alle dachten: „…Oder aber ein himmlischer Gesandter gewesen sein muss.“

„Wir sollten Myras von den Vorkommnissen berichten“, meinte Ren und lief über die lange steinerne Brücke, die das Niemandsland des schwarzen Waldes mit ihrer Heimat verband. „Du bist so ein verdammter Streber“, brüllte Cay und folgte seinem Partner.

Ihre Schritte hallten laut in die Nacht hinein, wurden lediglich von dem tosenden Lärm des Regens unterbrochen, der mit feinen Fingern auf den Asphalt trommelte.

Ein asymmetrisches Viereck, das sich über fünf Etagen erstreckte, ragte aus der Finsternis, die jenseits der Brücke lag. Ein schaurig schöner Anblick, der nicht nur Cay zu faszinieren schien, nein, auch Ren und Mochi verharrten einen Moment regungslos im strömenden Regen und ließen den Augenblick auf sich wirken.

Aus weiter Ferne wirkte das Gebäude schräg und windschief, die tragenden Elemente drohten bei dem nächsten Windstoß in sich zusammenzubrechen – Wie ein instabiles Kartenhaus. Aber Cay wusste, dass dies lediglich eine optische Täuschung war, dieses Haus war für die Ewigkeit gebaut worden. Dann lösten sie ihren Blick von dem Gebäude.

Fast schon rennend, überwanden sie die letzten Meter, hasteten über den Hof und schlugen das Tor mit einem ohrenbetäubenden Knall hart gegen die Wand.

„Sei doch leise, verdammt!“, murmelte Ren gepresst, „Du weckst die anderen mit deinem Höllenspektakel!“

„Und wenn schon“, mit diesen Worten verabschiedete sich Cay und lief die steile Treppe hinauf, die im hinteren Teil des Foyers lag. Anders als die meisten Dämonen, die das von Gott erschaffene Licht verneinten und lieber im Schutz der Nacht wandelten, begehrte Cay die Sonnenstrahlen, die ihn am Morgen weckten und bewohnte ein Zimmer direkt unter dem Dach des Anwesens. Das einzige Einzelzimmer. Denn bislang war jeder Versuch jemanden für das Zimmer begeistern zu können, fehlgeschlagen und so blieb Cay allein. Ein Umstand, den ihn nicht sonderlich störte, da er es von klein auf gewöhnt war, allein zu sein. Es ließ sich also durchaus ertragen.

Mit einem tiefen, erleichterten Seufzen ließ er sich in die weichen Kissen fallen, sein Körper fühlte sich unbeschreiblich schwer und bleiern an. Die Strapazen der letzten Nacht lagen wie zentnerschwere Lasten auf seinen Gliedmaßen, sein Kopf schmerze höllisch und doch schlief er sofort ein.

Die trüben, aber dennoch grellen Sonnenstrahlen krochen mühselig durch seinen Vorhang, erhellten das Zimmer mit einem matten Licht und er wusste, dass er aufstehen musste – Aber er wollte nicht. Er konnte sich einfach nicht dazu durchringen die müden Beine aus dem Bett zu schwingen und den neuen Tag beginnen zu lassen. Denn er wusste genau, was ihn heute erwarten würde. Er bekam einen innerlichen Wutanfall, krallte seine Hände fest in das Lacken und saß einen Lichtblitz später kerzengerade in seinem Bett. Der Morgen hatte also schon gut begonnen und er würde mit Sicherheit noch besser werden – das wusste er genau.

Gewiss hatte Ren Myras schon jede Einzelheit über den Vorfall geschildert und dabei nicht ausgespart, welch klägliche Figur er im Wald abgegeben hatte. Es würde Ren ähnlich sehen, ja verdammt ähnlich sehen.

Seine Selbstsicherheit, die er sonst bei jeder Mission zeigte, wurde von dem ohnmächtigen Gefühl der Angst verdrängt, sie schleuderte ihn zurück, verscheuchte dabei seinen Mut, sein klares Urteilsvermögen und die Stärke und Präzision, mit der er die Zwillingsdolche führte. Zurück blieb ein feiges Häufchen Elend, das sich hilfesuchend hinter seinen Kollegen verkrochen hatte.

»Verdammt!«, er fuhr herum, sprang beinahe aus seinem Bett, zog sich eilig an und rannte die steinernen Stufen hinunter. Schneller und schneller. Er musste Myras rechtzeitig erreichen.

„So früh hätten wir nicht mit dir gerechnet“, erklang plötzlich eine gehässige Stimme aus dem Foyer, „Normalerweise verbringst du deine Zeit nach einer Mission doch immer Bett und kommst nicht vor Mittag aus deinem Zimmer. Was verschafft uns also die Ehre, Cay?!“

„Halts Maul, Toxica!“, fauchte Cay, nahm den letzten Treppenabsatz Anlauf nehmend und sprang ihn herunter.

„Soso“, entgegnete Toxica amüsiert, fuhr sich mit seiner Hand durch das lila Haar, zerzauste es leicht und musterte dabei den rothaarigen Dämon argwöhnisch. Er ließ ihn keine Sekunde aus den Augen, „Was hast du diesmal angestellt?! Wodurch hast du deine Mission scheitern lassen?! Hast du dein Ziel verfehlt, deine Waffe wieder irgendwo im Wald verloren oder – und das halte ich für am Wahrscheinlichsten – hast du dich wieder mit dem Totenrichter angelegt?“

„Tut mir ja schrecklich leid, aber bei unserer Mission ist rein gar nichts schief gelaufen“, log Cay, fuhr herum und wollte gerade die Treppe zum Kellergeschoss nehmen, als er bösartig ergänzte, „Denn ich heiße ja nicht Toxy, stelle gefährliche Gifte her und schlucke ab und an selbst welche, bis sich meine eigene Vergangenheit vergesse!“

»Was für ein Depp«

Doch er war schon immer so gewesen, ein oberflächlicher, selbstverliebter Bastard, der sich gerne in den Mittelpunkt spielte und sich über die Schwächen seiner Kollegen lustig machte, aber war er immer nur eins geblieben: Ein unlösbares Rätsel!

Er verstand nicht, warum die anderen sich überhaupt mit ihm abgaben, seine Meinung bei Missionsfragen so sehr schätzten und ihn regelrecht drängten mit ihnen ein Team zu bilden. Und doch lag die Antwort klar auf der Hand – Sie waren nichts weiter als Heuchler, Falschspieler, die Toxica nicht um seiner selbst willen schätzten, nein, sie waren lediglich auf ihren eigenen Vorteil aus, wollten an der Spitze stehen und somit die besten Aufträge einsacken.

Jede Faser seines Körpers verabscheute Toxica, jedoch musste er sich eingestehen, dass wenn er ihn nicht so sehr hassen würde, dass er fast schon ein wenig Mitleid mit diesem arroganten Arschloch hätte.

Obwohl er es nicht wollte, sich regelrecht dagegen zu wehren versuchte, kehrten die Erinnerungen an jenen verregneten Tag in sein Gedächtnis zurück. Der Tag, an dem er Toxica zum ersten Mal begegnet war.

Sie standen sich bewaffnet gegenüber, der Regen prasselte ungehindert auf sie nieder, hatte ihre Klamotten fast vollständig durchweicht und doch würden sie kämpfen – Sich einen Kampf auf Leben und Tod liefern. Die Regeln standen fest. Es würde nur keinen Gewinner geben, lediglich einen Überlebenden!

„Ich werde dich für alles leiden lassen, was du mir angetan hast und dir das nehmen, was du liebst – und wenn es nur dein armseliges Leben ist -,Cay!“, diese Worte hatten sich unauslöschlich in sein Gedächtnis gebrannt, wurden zu einem Teil seines Lebens und er wusste, dass Toxica sein Versprechen wahr machen würde. Die Zeit hatte keinerlei Bedeutung für ihn. Er konnte warten – Tage, Wochen, Jahre – Und dann würde er zuschlagen, den Kampf endlich zu Ende bringen und versuchen ihn mit allen Mitteln zu töten.

Er hing seinen Gedanken nach, hörte nicht einmal, wie Ren neben ihn trat und ihn ansprach. Erst als der Weißhaarige mit seiner Hand vor seinem Gesicht herumfuchtelte, wurde er zurück in die Realität geschleudert.

„Myras sucht dich, er scheint ziemlich sauer zu sein!“, murmelte Ren gepresst, „Du solltest dich besser beeilen!“

„Was denkst du denn, wohin ich gerade wollte, Schlaumeier“, zischte Cay und funkelte Ren finster an, „Und wo kommst du überhaupt her?!“

„Ich habe das Studierzimmer vorbereitet. Heute Nachmittag werden doch die Prüfungen abgehalten, sag mir bitte nicht, dass du das vergessen hast?!“, Ren schüttelte den Kopf, faste sich an die Stirn und schloss die Augen.

„Wo denkst du hin – Ich habe mich auf diesen Tag vorbereitet, wie auf keinen Zweiten!“, antwortete Cay langsam, verabschiedete sich von dem Weißhaarigen mit einer wegwerfenden Handbewegung und schloss sich dem Strom an.

Die Gänge waren brechend voll, die Massen drängten und schoben und jeder schien in eine andere Richtung zu wollen. Nach endlosen Minuten, so kam es ihm vor, erreichte er endlich das Büro Myras. Kurz lauschte er an der Tür, konnte aber kein Wort von dem verstehen, was im Inneren gesprochen wurde – dann klopfte er an. Ein Mal, zwei Mal, nichts geschah. Er wurde langsam ungeduldig, trat unruhig auf der Stelle, entschloss sich aber dann die Türklinke langsam herunterzudrücken und sich der Situation zu stellen.

Er räusperte sich.

„Sie haben nach mir gesucht?!“, fragte er langsam, schritt selbstsicher in den großen, runden Raum hinein und musterte Myras, der an seinem Schreibtisch saß und ein Dokument zu bearbeiten schien.

Die schwarzen Augen Myras' blickten zu ihm auf, trafen ihn mit einer Härte, mit der er nicht gerechnet hatte, ja sie schienen sich förmlich in seinen Geist zu graben und die fehlenden Antworten zu lesen, die er noch benötigte.

Die schwarzen, zerzausten Haare lagen weit in seinem Gesicht, verdeckten die lange Narbe, die unter seinem Auge geschlagen worden war, fast vollkommen und doch erkannte er sie. Das Zeichen aus längst vergangenen Tagen, als der dritte Himmel noch zur himmlischen Sonnenscheibe gehörte und es für Gott weder gut, noch böse gab.

„Ren und Mochi haben berichtet, was während des Auftrags passiert ist“, begann Myras, stand von seinem Platz auf und ging auf Cay zu, „Ich habe dir die Leitung der Mission übertragen, weil ich glaubte, dass du dieser Herausforderung gewachsen seist. Aber ich habe mich geirrt.“

„Lassen Sie mich das erklären“, flehte Cay fast schon.

„Eure Mission war klar formuliert!“, raunte Myras, „Ihr solltet lediglich die Seelen abfangen, die vom Totenrichter in die Hölle herunter geschickt wurden – Mehr nicht! Und welche Anweisungen hast du gegeben, als Ren scheiterte?!“

„Ich … Ich...“, stotterte Cay benommen.

„Ich helfe deinem lückenhaften Gedächtnis gerne auf die Sprünge“, er griff nach einer schwarzen Mappe, blätterte diese auf, las einen Vermerk und fuhr dann fort, „Statt den sofortigen Rückzug zu befehligen, bist du auf Gespensterjagt gegangen, hast dabei die Aufmerksamkeit unserer Feinde auf deine Gruppe gelenkt und beinahe wäre es ihnen auch gelungen, euch zu töten. Die Missachtung meiner Anweisungen hat deinen sofortigen Rücktritt als Anführer zur Konsequenz!“

„ABER DAS KÖNNEN SIE NICHT MACHEN, HEUTE IST DIE PRÜFUNG!“, schrie Cay.

„Du sieht – Ich kann – und ich werde!“, sagte Myras, fuhr dann aber weiter, „Mochi soll heute seine Prüfung unter deiner Leitung abschließen. Ist das Abschlussexamen jedoch beendet, wird das Kommando an Toxica übergehen!“

„N...ein...Nein... Alles nur nicht Toxica“, jammerte Cay hilflos.
 

Und er verstand plötzlich, dass es so etwas Banales wie Gerechtigkeit im dritten Himmel nicht gab.

Doppelte Dunkelheit


 

Engelstanz der Dunkelheit

_________________________

D o p p e l t e . D u n k e l h e i t
 

Es war kurz vor drei, als er am vereinbarten Punkt eintraf. Die Sonne stand wie eine kleine, runde Münze aus halb geschmolzenem Metall am Himmel und wirkte durch das Zusammenspiel von Hitze und der seltsamen Kornsentenz der Luft fast schon flüssig.

Cay verengte die Augen zu schmalen Schlitzen, hielt die Hand über die Augen und legte seinen Kopf in den Nacken. Es war weder heiß, noch schwül – sondern einfach nur seltsam.

Er ging langsam auf den Innenhof, näherte sich widerwillig einer Handvoll Dämonen, die in einer Traube zusammenstanden und hitzig über die Aufgaben diskutierten, die in der Prüfung von ihnen abverlangt werden konnten.

„Ich habe noch Probleme mit den unterschiedlichen Beschwörungsformeln“, klagte ein Mädchen, „Es gibt mehr als hundert verschiedene... Wer soll die sich alle merken?!“

„Hm, wer weiß, aber ich habe gehört, dass es nur einen Dämon gibt, der sie alle beherrschen soll“, entgegnete ein Junge leise murmelnd, „Und es soll niemand anderes als Myras sein! Kein Wunder also, dass er das dämonische Heer anführt!“

„Wie recht du hast!“

»Myras, Myras, Myras!«, wie sehr er diesen Namen gerade verabscheute. Ja, er war der Herrscher der Unterwelt, führte das dämonische Heer an und hatte selbst im heiligen Krieg mitgekämpft. Na und? Was bedeutete das schon?!

Cay blickte fast im Minutentakt auf die Uhr, heftete seinen Blick auf das große Tor auf der anderen Seite des Hofes und wurde langsam nervös, wenn nicht sogar angespannt. Mochi ließ sich Zeit.

Wie die meisten impulsiven Menschen war er bis zur Krankhaftigkeit ungeduldig und das ohnmächtige Gefühl, das sich langsam in seiner Brust ausbreitete, verschlimmerte die Lage nur noch und machte ihn beinahe rasend.

„Meister, Meister!“, trällerte Mochi fröhlich, sauste über den Platz, schnellte kurz in die Höhe und stoppte haarscharf vor Cay, „Die Prüfung geht los!“

„Was du nicht sagst“, zischte Cay aggressiv.

„Was ist los, Chef?!“, wollte Mochi wissen, dem die schlechte Laune seines Meisters nicht entgangen war.

Cay zuckte mit den Schultern.

„Ich bin nicht länger dein Meister“, antwortete Cay schließlich, „Myras hält mich für inkompetent und hat Toxica die Leitung übertragen.“

„Dieses widerliche, eingebildete Arschloch“, ereiferte sich Mochi, „Der ist doch noch schlimmer als Ren!“

„Du kannst also von Glück reden, dass ich die Prüfung heute mit dir machen kann. Diese Großzügigkeit hast du allein Myras zu verdanken, vergiss nicht, dich anschließend bei unserem Big Boss zu bedanken. Er hatte heute einen echt guten Tag“, er trat fest ins Kiesbett, schleuderte eine Handvoll Steine in die Luft, die anschließend rasselnd niederfielen.

„Pass auf wo du hintrittst“, keifte ein Mädchen sauer, das von den kleinen, scharfkantigen Steinen getroffen worden war und sich nun den Staub von den Anziehsachen klopfte.

Er wollte gerade etwas erwidern, wollte seine angestaute Wut an dem Mädchen auslassen, als er plötzlich aus dem Augenwinkel eine Bewegung wahrzunehmen glaubte. Ein schattenhaftes Wischen, ein grauer Fleck, irgendwo rechts von ihm, mehr war nicht es nicht und doch wirbelte er instinktiv herum.

„Was, zum Teufel...“, fluchte Cay, sprach aber nicht weiter, als er erkannte, wer diese Störung bewirkt hatte.

Neben ihm war eine Frau mit lange, schwarzen Haaren erschienen – sie musste Mitte, wenn nicht sogar Ende dreißig sein, so vermutete Cay.

Die Frau musterte ihn mit einer Mischung aus Tadel und Vorwurf – dann lächelte sie.

„Ich hätte mir ja schon denken können, wer für diese Unruhe hier verantwortlich ist“, sagte sie und lief auf die Gruppe zu.

„Ich habe ja nicht gewusst...“, versuchte er sich zu entschuldigen, brach aber dann seinen Satz ab.

Die Frau lächelte breiter.

Cay war sich sicher, dass dieses Lächeln beruhigend wirken sollte, doch in diesem Augenblick kam es ihm sehr viel mehr wie eine böse Grimasse vor, ein höhnisches Grinsen, das ihn belustigt anstierte, fast so, als wisse sie, was gerade in seinem Kopf vorginge.

»Verdammt«, dachte er, »Wo zur Hölle, war sie plötzlich hergekommen«

„Wenn ich mich kurz vorstellen dürfte“, begann sie ruhig, jedoch sehr langsam, als ob sie sich vorher gut überlegte, was sie sagte, „Für alle, die mich noch nicht kennen, ich heiße Felia Snow und werde heute die Prüfung abhalten. Wenn Sie mir bitte folgen würden.“

Cay nickte instinktiv und folgte, genau wie die Übrigen auch, Snow über den Innenhof. Er kam sich jedoch zunehmend hilfloser vor, das Gefühl der Machtlosigkeit schnürte ihm den Brustkorb zu, verwandelte seine Gedanken zur Panik hin.

»Ob man dies wohl Prüfungsangst nennt?!«, fragte er sich. Ihm war es schon immer schwergefallen seine Empfindungen klar zu benennen und seine Innenwelt für andere verständlich zu beschreiben. Ein Grund, weshalb er bei anderen stark aneckte.

Dann liefen sie zum Anwesen zurück, drangen durch die schwarzen Tore und erklommen die Treppe zum dritten Stock. Sie wandelten durch die langen, düsteren Korridore, keiner sagte ein Wort, die Anspannung war unerträglich, wurde beinahe greifbar wie ein undurchdringbares, dennoch unsichtbares Tuch, das sie im Inneren einschloss.

Es erstickte jede Zuversicht, löschte den Glauben an die eigene Stärke aus und ließ das beklemmende Gefühl der Resignation zurück.

Snow stoppte.

„Ich werde Sie entsprechend Ihres Rangs aufrufen. Sie treten einzeln ein. Sollten Sie jedoch betrügen, oder auch nur den Versuch dorthin zeigen, werden Sie sofort von der Prüfung ausgeschlossen und fallen automatisch durch. Noch Fragen?!“, fragte Snow und schloss die Tür auf, über der die Lettern »Praktische Abschlussprüfung« angebracht worden waren.

Die Zeit kroch. Eine Ewigkeit, so schien es, waren die Teilnehmer im Prüfungsraum – Er versuchte an der Tür zu lauschen, etwas aufzuschnappen, dass ihm vielleicht bei seiner Vorbereitung behilflich sein könnte, wurde jedoch von zwei Dämonen zurückgehalten.

„Bitte zurücktreten, bis Sie aufgerufen werden!“

„Schon gut, schon gut“, murmelte Cay und beobachtete Mochi aus dem Augenwinkel. Der Kürbisgeist schwebte einige Zentimeter über dem Boden, taumelte langsam an die gegenüberliegende Wand und sackte in sich zusammen.

„Du brauchst keine Angst zu haben“, kam es plötzlich von Cay. Er ging auf Mochi zu, ging in die Hocke und setzte sich neben den Kürbis, „Wir werden es allen zeigen und die Prüfung mit Bravour bestehen! Ich bin nicht umsonst, Cay, der Erzdämon des Zorns. Mit mir an deiner Seite kann dir nichts passieren!“

„Und was ist, wenn wir doch durchfallen“, jammerte Mochi, „Ich will nicht mit Toxica im nächsten Jahr antreten.... Ich will nicht... Ich will es einfach nicht...“

Erst jetzt begriff Cay wie sehr ihn seine Versetzung zu schaffen machte.

„Aber...“

„NEIN... ES GIBT KEIN ABER...“, Mochi schrie beinahe, als er diese Worte sprach, versuchte aber angestrengt seine Lautstärke zu kontrollieren. Es gelang ihm nicht, „ICH WERDE NICHT MIT TOXICA ZUSAMMENARBEITEN... Ich werde es nicht... Wenn du nicht mehr mein Meister bist, will ich lieber gar keinen mehr haben...“

Eine Pause trat ein – Cay wusste nicht, was er sagen sollte, doch dann ergänzte Mochi leise wimmernd.

„Es tut mir leid, was ich auf dem Friedhof gesagt habe... Du bist der beste Meister, den ich je hatte“, die Tränen hatten ihn übermannt, er hatte sich nicht dagegen wehren können.

„Nicht weinen, nicht weinen“, flüsterte Cay und klopfte mit der Hand auf den Rücken des Kürbisses, „Wenn du weinst, dann muss ich gleich auch noch weinen!“

„Du lügst!“, lachte Mochi leise.

„Ich weiß – Aber das tun Dämonen halt manchmal. Das weißt du doch“, säuselte Cay und streichelte zaghaft über den Kopf des Kürbisgeistes, „Und jetzt hoch mit dir, wir sind mit Sicherheit gleich dran und dann will ich keine Tränen mehr sehen.“

„Jawohl, Chef!“, keckerte Mochi, schwirrte schlagartig in die Luft und wirbelte herum. Auch wenn Cay heute sein Amt verlieren würde und er unter der Anweisung von Toxica arbeiten musste – So würde Cay auf ewig sein Freund bleiben, das wusste er.

„Cay, Erzdämonen des Zorns und der Niedertracht! Bitte treten Sie in den Prüfungsraum“, fast schon mechanisch erklang die Stimme Snows. Sie hatte ihren Kopf durch den schmalen Türspalt geschoben und winkte ihn und Mochi herbei, „Trödeln Sie nicht, wir haben keine Zeit zu verlieren.“

Cay nickte Mochi zu: „Dann wollen wir mal!“

Sie betraten den riesigen Raum.

Das Haus war alt, vielleicht sogar uralt, er schätzte es auf gut zwei oder dreihundert Jahre, aber das genaue Alter ließ sich heute natürlich nicht mehr feststellen. Der Zahn der Zeit hatte unerbittlich an dem Gebäude genagt und auch diesen Raum nicht verschont. Der Putz war an manchen Stellen gerissen, oder ganz von der Wand gefallen, sodass große, klaffende Löcher entstanden waren, unter denen die schwarzen Steine der Grundmauer sichtbar wurden. Der Boden knarrte protestierend, als sie über die Türschwelle traten und Schritt für Schritt auf Snow zuliefen, die mitten im Raum stand und auf sie wartete.

Die einzige Lichtquelle bildete ein alter, vergoldeter Kronleuchter, der das Zimmer spärlich erhellte.

„Sind Sie bereit?“, fragte Snow, grinste breit und überreichte Cay einen Bogen, „Bereit oder nicht, die Prüfung beginnt.“

Der erste Enttäuschung, über seine Aberkennung zum Gruppenleiter, war – zumindest bei ihm – einem trotzigen, aber enthusiastischen Jetzt-erst-Recht Gefühl gewichen.

„Ich erkläre Ihnen kurz die Aufgabenstellung. Sollten Sie Fragen zum Verständnis haben, können Sie natürlich alles noch einmal nachlesen. Dafür ist der Prüfungsbogen ja da“, erklärte Snow, dann wandte sie ihr Wort an den rothaarigen Dämon, „Cay, Sie werden Mochi bei der Aufgabe lediglich Hilfestellung leisten, die Beschwörung an sich ist von ihrem Partner zu leisten.“

„Verstanden!“, kam es Cay und Mochi wie aus einem Munde.

„Der Geist eines Verstorbenen soll aus der vierten Sphäre in die Dritte beschworen werden. Die Kontrolle des Totengeistes ist vollkommen zu übernehmen, der freie Wille wird für die Dauer der Beschwörung komplett ausgeschaltet und geht auf den Dämon über. Eine Kontroll-Probe ist abzulegen!“, sagte Snow und blickte dann abwechselnd von Cay zu Mochi, „Ich denke es sollte sich von selbst erklären, welche Art von Geisterbeschwörung gemeint ist!“

„Selbstverständlich!“, antwortete Cay sofort, „Es heißt, dass jede Seele nach dem Tod in die vierte Sphäre steigt, sich aber auf dem Weg dorthin zahlreichen Hindernissen stellen muss, ehe sie Ruhe finden kann. Scheitert eine Seele an diesen Aufgaben, treibt sie ruhelos umher und muss in einer Art Zwischenwelt verweilen. Es wird überliefert, dass der Totenrichter einen Raben losschickt, der diese herumirrenden Seelen packt und mit Gewalt ins Totenreich mitnimmt.

Die Seelenwaage entscheidet dann über das Schicksal des Toten. Hat sich der Verstorbene zu Lebzeiten mit dem unerschütterlichen Glauben an Gott für das Paradies qualifiziert, steigt seine Seele in die sogenannte fünfte Sphäre – Das Paradies.

Alle anderen Seelen bleiben in der Totenhalle und warten darauf eines Tages wiedergeboren zu werden. Da wir, Dämonen, uns Gott widersetzen, landen unsere Seelen nach dem Tod natürlich sofort in der Totenhalle und solch eine Seele gilt es zu beschwören - Richtig so?!“

Snow konnte sich ein Lachen nicht verkneifen, nickte zustimmend und fügte anschließend hinzu, „Dann zeigen Sie mal was Sie während des Trainings gelernt haben!“

Cay murmelte leise, aber unverständlich eine Beschwörungsformel und ließ aus dem Nichts heraus ein dickes, in Leder gebundenes Buch erscheinen, das langsam in seine Hände hinab glitt.

Er legte seine Handinnenfläche auf den alten Einband des Buches und ließ einen Bannkreis entstehen, der sich durch den gesamten Raum erstreckte. Die Wände schoben sich tosend zurück, verdoppelten die Fläche der Prüfungshalle – Dann zog sich eine Mauer aus gleißendem, aber dämonisch, rotem Licht hoch, fuhr mit geraden Linien über den hölzernen Boden und bildete die Form eines Pentagramms.

Der Lichtstrom fraß sich spürbar durch den Raum, quoll an, wurde fast überdimensional und schien seine gebündelte Kraft explosionsartig entladen zu wollen.

»Wie immer muss er übertreiben«, dachte Snow, versuchte aber eine bissige Bemerkung herunterzuschlucken.

„Mochi, jetzt bist du dran. Das ist dein Auftritt!“, säuselte Cay vergnügt, trat einige Schritte zurück, blieb aber dennoch im Bannkreis stehen und fixierte den Kürbisgeist, der unsicher in die Mitte schwebte.

„Denk daran, was ich dir auf dem Flur gesagt habe – Dämonen zeigen keine Schwäche!“, raunte Cay.

„Ja... JAWOHL!“, ereiferte sich Mochi. Seine Stimme hatte plötzlich an Kraft gewonnen, wurde selbstbewusster und energischer. Er war mit seinem ganzen Herzen bei der Sache – Das Leuchten seiner Augen verriet die Veränderung.

„So gefällst du mir gleich schon besser“, er nickte Mochi zu.
 

»Aus den durstigen Träumen entstiegen,

schwindelnd sich die Seele im Nichts verirrt.

Folgt der roten Sonne, die sich verliert in der Nebelnacht

und mit zitternder Hand malt das verzehrte Seelenbild.
 

Die tiefste Bitternis die Seele aus dem Schlafe weckt,

sie an die Erinnerungen knebelt - sie flattern schreckhaft auf.

Sie regt die gespenstigen Glieder, fährt auf und erwacht.

Der schwarze Kokon liegt da – vermodert, leichenhaft.«
 

Die Worte waren fast schon wie von selbst aus Mochi gesprudelt, zeigten einen Lichtblitz später seine unheimliche Wirkung und beschworen eine geisterhafte Gestalt aus der tiefsten Grube der Hölle hervor. Der Boden tat sich auf, schlug ein gähnendes Loch in die Finsternis, zwei Arme ragten nach oben, packten nach der Kante, krallten sich fest und zogen sich langsam empor. Ein düsterer Rhythmus entstand, wurde zum Herzschlag des Wesens, das aus seinem Totenschlaf erwacht war und nun das pulsierende Blut durch seine müden Gliedmaßen rauschen spürte.

„Du hast es geschafft, Mochi!“, die Augen Cays hatten sich vor Aufregung geweitet, er grinste über das ganze Gesicht. Nicht einmal, wenn er sich zu beherrschen versucht hätte, wäre es ihm gelungen, das morbid, bizarre Gefühl von absurder Schönheit zu verbergen, dass er gerade empfand.

Sein Blick war starr auf die leblosen Hände gerichtet, die sich in düsteren Intervallen vor und zurück bewegten, sich aber dann mit einer Gewalt hochstemmten, die ihn kurz erschaudern ließ.

Das Haupt der Totengestalt wurde erkennbar, lange, blonde Haare fielen über die blasse Haut des Geistes und Cay erkannte, dass es ein Mädchen war, das aus dem Totenreich in die dritte Sphäre beschworen worden war.

Sie hob ihren Kopf, blaue Augen – tief wie der Ozean und gleichsam so stürmisch und todbringend – blickten auf Cay und Mochi empor. Dann – eine schreckliche Sekunde später, bäumte sie sich auf, kletterte aus dem Loch und stand ihnen in ihrer vollen Größe gegenüber.

Cays Augen huschten über die langen, golden Haare, fuhren über das weiße Kleid, das sie trug, und hefteten sich anschließend an die gleißend, hellen Flügel, die mit schwarzem, klebrigen Blut besudelt waren.

Moment mal... Flügel?! Er erschrak!

„D...D...Das kann doch nicht...“, stotterte er, wich einige Schritte zurück, fixierte dabei aber die engelsgleiche Gestalt, die regungslos im Zentrum des Bannkreises stand und auf seine Befehle wartete.

„ABBRECHEN! SOFORT ABBRECHEN!“, schrie Snow panisch und versuchte die magische Mauer zu durchbrechen – Vergebens!

Sein Körper war wie gelähmt, seine Beine versagten, hörten nicht mehr auf seine Befehle, gleichsam welche Anstrengungen sein Geist zu bewirken versuchte die Konfusion zu brechen – Er versagte.

„CAY, LÖS SOFORT DEN BANNKREIS AUF! BEI DER BESCHWÖRUNG IST ETWAS SCHIEF GELAUFEN!“, brüllte Snow, als der Angesprochene sich immer noch nicht rühren wollte.

„Ich... Ich...“, schnappte Cay ohnmächtig.

Der Engel hatte seine Kontrolle längst gebrochen, sie hatte den Augenblick seiner Verwirrtheit ausgenutzt, war seiner Gewalt entkommen und lief jetzt taumelnd auf ihn zu. In ihren Augen las er einen Durst, einen uralten, ungestillten Durst, der ihre Seele am Leben erhalten hatte – Über viele Jahre hinweg.

Cay lächelte mit einer Überlegenheit, die er nicht einmal im Ansatz fühle, ging auf den Engel zu, zog seine Zwillingsdolche hervor und streckte die Klinge – auf das blonde Mädchen gerichtet – aus.

„Ich wusste nicht, dass Engel in der Totenhalle verweilen“, sagte Cay in einem finsteren Ton, „Doch wirst du keine Zeit haben, mir dies genauer zu erklären, denn vorher schicke ich dich in dein modriges Höllenloch zurück, aus dem du gekrochen bist. Aber du wirst als einziger Engel sagen können, wie es sich anfühlt, gleich zwei Mal gestorben zu sein!“

Nichts.

Nichts als eine mörderische Stille.

Es verging eine Weile, ehe er bemerkte, dass die Stille gewichen war und etwas vollkommen anderes seinen Platz eingenommen hatte.

Sie hatte den Mund geöffnet, versuchte zu sprechen, aber es kamen keine Worte heraus, sondern ließ lediglich ein entsetzliches, gurgelndes Geräusch hören – Ein Blubbern, ein Würgen, ein feuchter, schauriger Ton als ersticke sie an ihrem eigenen Blut, das sich in ihrer Kehle bewegte. Plötzlich schrie sie. Es war ein langer, schriller Laut, ein fast schon schmerzhaftes Kreischen – Laute einer fremden Sprache, gemischt mit dem rhythmischen Gurgeln in ihrem Hals.

Zweierlei geschah, dass ihn mit einer Brutalität aus der Fassung brachte, sodass er beinahe rücklings über seine eigenen Füße gestolpert und zu Boden gestürzt wäre.

Mochi hatte mit einem Mal den Bannkreis aufgehoben, die rote Mauer brach in sich zusammen, stürzte tosend in die Tiefe und verschwand im Boden. Der Engel war frei. Vollkommen frei und er würde sich auch nicht wieder einsperren lassen.

„Was hast du getan?!“, kreischte Cay aufgebracht, „Du hast einen unverzeihlichen Fehler begangen, der uns alle in Gefahr bringen könnte.“

Er leckte sich über die Lippen, „Man soll Gefieder solange in einem Hühnerstall einpferchen, bis es geschlachtet wird!“

„Und du denkst wirklich, dass du der Situation allein gewachsen bist?!“, ertönte plötzlich die durchdringende Stimme Toxicas aus dem Hintergrund.

»Warum ausgerechnet er...«, er verfluchte sich innerlich. Weshalb musste gerade er jedes Mal mit Toxica bestraft werden und überhaupt – Wer hatte diesen Bastard eigentlich informiert?!

Er verzog seine Mundwinkel zu einer gehässigen Fratze: „Natürlich werde ich es alleine schaffen – Ich kann auf einen Taugenichts, wie dich, verzichten, der mir nur dumm im Weg rumsteht und das auch noch Hilfe nennt.“

Toxica grinste.

Es dauerte nicht lange, bis sich der Rhythmus im Inneren des Raumes änderte, die schweren, schlurfenden Geräusche hatten ihre Richtung gewechselt, steuerten nun auf Mochi zu, der angsterfüllt zurückwich.

„Ich bin dein Gegner!“, fauchte Cay, eilte mit schnellen, hastigen Bewegungen auf das Mädchen zu, das einen Sekundenbruchteil später eine lodernde Flamme in ihrer Hand beschworen hatte und nun diese Gewalt auf ihn schleuderte. Er wich aus.

Er hatte es gewusst, ja er hatte es von dem Zeitpunkt an gewusst, als das Mädchen diesen grässlichen, abscheulichen, tief aus der Kehle stammenden Laut von sich gegeben hatte – Diese Erkenntnis sickerte langsam in seinen Verstand und ließ keinen Zweifel mehr zu. Sein Zorn erlosch mit einem Mal. Dann rannte er so schnell ihn seine Beine trugen, stürmte mit großen Schritten auf Mochi zu, warf sich auf den Kürbisgeist und schleuderte diesen brutal zu Boden.

„Du darfst nicht angreifen!“, japste er ohnmächtig, „Dieses Mädchen...“

Doch es war zu spät! Schwarze Fäden surrten schlagartig durch den Raum, zogen sich um den schmalen Körper des Engels und ketteten diesen zur vollkommen Bewegungsunfähigkeit fest.

Toxica hatte sich nicht gerührt, er stand immer noch am anderen Ende der Halle, führte jedoch das dunkle, feste Band, das sich zwischen ihnen spannte – Schwarze, zuckende Nervenstränge. Das Mädchen wollte aufschreien, stieß aber lediglich ein letztes, tonloses Seufzen hervor, ehe sie in sich zusammensackte.

„Toxica, du Idiot! Ich hab doch gesagt, dass ich das allein regeln kann. Halt dich aus meinen Angelegenheiten raus!“, keifte Cay, richtete sich langsam wieder auf und zog Mochi hoch, der wie benommen unter ihm gelegen hatte.

„Wenn ich geglaubt hätte, dass du dazu in der Lage wärst, hätte ich mit Sicherheit auch nicht eingegriffen, oder?!“, kam es hämisch grinsend von Toxica, „Aber ich kann dein sinnloses Herumgehoppel nicht lange ertragen – Mir wird davon schlecht, du Trottel!“

„DUUU!“, raunte Cay wütend.

„Wenn du wirklich vorgehabt hättest sie zu erledigen, dann hättest du es bereits getan, als sich dir die Möglichkeit zum ersten Mal bot – Aber wie immer bist du zu weich!“, fuhr Toxica ungerührt fort und taxierte den Jungen mit einem abfälligen Blick, „Es ist eine Schande, dass du dich überhaupt »Erzdämon des dritten Himmels« nennen darfst. Versager, wie du, sollten für immer verbannt werden!“

„Ja, wenn du hier das Sagen hättest, würde der dritte Himmel nur aus gefühlskalten Zombies bestehen, die ohne Sinn und Verstand Seelen sammeln würden und am Ende nicht mal wüssten wofür eigentlich. Denn um ein Ziel haben zu können, muss man mit Leib und Seele dabei sein und hinter seiner Sache stehen, du Marionette!“, brüllte Cay, schüttelte knapp den Kopf und lief auf den Engel zu, der mit geschlossen Augen, erschöpft auf dem Boden saß.

Die schwarzen Ketten fraßen die Energie des Mädchens, sie strömte auf Toxica ein, machte ihn stärker und stärker und für einen kurzen Moment glaubte er, sogar ein gieriges Schmatzen hören zu können.

„Hör auf, du Scheusal!“, keuchte Cay atemlos, durchtrennte – ohne das er recht wusste, was seine Hände taten – die Verbindung. Sein Verstand hatte sich ausgeschaltet, er gehorchte nur noch seinem Herzen und den emotional gesteuerten Handlungen, die es nun anstrebte. Das Seil löste sich sofort auf, zersplitterte in tausend winzige Einzelteile und wurde wieder zu einer unsichtbaren Lebenskraft, die sich mit dem Luftstrom mischte.

Auch Mochi flog herbei und musterte Cay, der sich langsam zu dem Mädchen herunter beugte und ihr zuflüsterte: „Kannst du dich bewegen?!“

Langsam – unbeschreiblich langsam, fast schon penibel überlegend, was sie tun sollte – öffnet sie die Augen und blickte in seine Rot-glühenden.

„Du musst mir helfen! Ich stehe auf deiner Seite“, sagte das Mädchen mühsam. Es fiel ihr schwer zu sprechen und doch hatte sie diese Worte hervorgebracht. Sie versuchte sich trotzig ihrem kraftlosen Körper zu widersetzen, diese kindliche Auflehnung gegen das Unausweichliche bildete ihren letzten Halt und wurde zu einer fast übernatürlichen, wenn nicht sogar überlebenswichtigen Kraft. Wichtiger als alles andere.

Mit einer heftigen Bewegung trat Toxica an ihm vorbei, dicht gefolgt von Snow – Beide rissen den Engel grob hoch und führten ihn ab.

Obwohl er sich zu beherrschen versuchte, waren seine Gedanken in seinem Gesicht lesbar gewesen, denn er konnte an der Art wie Mochi ihn anschaute, erkennen, dass er sich sorgte und er wünschte sich in diesem Augenblick nichts mehr, als dass er seine Befürchtungen aussprach.

„Die Prüfung ist für heute beendet! Macht das ihr hier weg kommt!“, brüllte Snow und versuchte die aufgebrachte Masse, die sich in die Prüfungshalle zu drängen versuchte, zurückzutreiben. Die Nachricht, dass ein Himmelsbote Gottes aus dem Totenreich heraufbeschworen worden war, hatte schnell die Runde gemacht. Die Schaulustigen strömten herbei, wurden wie eine Mottenschar, die magisch von dem verheißungsvollen, aber tödlichen Licht der Straßenlaterne angezogen wurden, angelockt und klebten nun mit einer Sturheit an der schweren Tür, die es Snow fast unmöglich machte, sich unbeschadet durch die Traube aus Schülern zu kämpfen.

„Wir sind durchgefallen, oder?!“, murmelte Mochi verwirrt und blickte dem Mädchen nach, das sich aus dem festen Griff Toxicas zu winden probierte, jedoch bei jedem Versuch kläglich scheiterte. Der Dämon hatte sie fast vollständig ihrer ursprünglichen Kraft beraubt. „Sieht so aus...“, mehr brachte Cay nicht hervor.

Wie in Trance ging er immer wieder die Handlungsabläufe durch, spielte in Gedanken jede Einzelheit der Beschwörung durch, murmelte leise die Formel vor sich hin und verzog dann das Gesicht.

„Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, was falsch gelaufen sein soll!“, sagte er schließlich und setze sich neben Mochi auf den kalten Holzboden, „Es war doch alles perfekt... Verflucht!“

„Nicht verzagen, Chef! Noch wissen wir ja gar nicht, ob wir wirklich durchgefallen sind“, versuchte Mochi seinen Meister zu beruhigen, erzielte aber mit seinen Worten nicht die gewünschte Wirkung, denn statt dass Cay sich beruhigte, wurde er von einer fast schon krankhaften, überschäumenden Wut gepackt.

„ICH HATTE NICHT VORGEHABT NOCH EIN JAHR HIER UNTEN ZU VERSAUERN!“, fauchte Cay benommen, sprang auf und lief unruhig auf und ab, „NICHT NOCH EIN JAHR... nicht noch ein verlorenes Jahr...“

Seine Worte wurden immer leiser und leiser, bis seine Stimme endgültig versagte und in einem erstickten Schluchzen endete.

„Das ist ungerecht... Das ist so verdammt ungerecht!“, er schlug mit den Fäusten auf den Boden.

Noch nie hatte Mochi seinen Meister so gesehen. Vielleicht – und das hielt es für sehr wahrscheinlich – hatte er Cay einfach nie als empfindsames Wesen gesehen, das durchaus fähig war, Gefühle zu erleben und diese auch zu äußern.

Möglicherweise lag es einfach an seiner taffen Art, mit der er stets selbstsicher, wenn nicht sogar fast schon aggressiv auftrat. Wenn man eines schnell im dritten Himmel lernte, dann war es jene bittere Wahrheit, dass die Träume eines Menschen schnell ihren unschuldigen Zauber verloren und je verzweifelter man sich an seine Sehnsüchte zu klammern versuchte, umso gnadenloser wurden sie einem entrissen.

„Träume nicht, wenn du dich mitten im Inferno befindest – Es könnte dich eines Tages deinen Kopf kosten!“, diese Worte hatte ihm Myras nach einem verlorenen Kampf gnadenlos entgegen geschleudert – Und er hatte Recht behalten. Wie er mit allem Recht behalten hatte, was die Unterwelt betraf.

Und dann – so plötzlich, wie es gekommen war – war es vorbei, langsam richtete er sich wieder auf, mied jedoch den Blickkontakt zu Mochi und ging an diesem tonlos vorbei. Für den Bruchteil einer Sekunde hatte er das Gefühl durch eine riesige, unsichtbare Glasscheibe zu stürzen...

Er hatte verloren. Er hatte sich unbewusst der Konfrontation gestellt, war seinen Ängsten mutig gegenübergetreten und er hatte verloren, auf eine schmerzhafte, leidvolle Art hatte er versagt.

„Cay! Mochi!“, ertönte plötzlich die Stimme Rens hinter ihnen, er hastete atemlos in die Prüfungshalle hinein und hielt ihnen das alte, in Leder gebundene Buch unter die Nase, das sie bei der Beschwörung verwendet hatten, „War euch eigentlich bewusst, unter welchem Einfluss euer Bannkreis stand?!“

Für einen kurzen Augenblick starrte Cay den weißhaarigen Dämon einfach nur durchdringend an, sagte aber kein Wort. Auch Mochi schwieg.

„Verdammt Cay, wenn Myras das erfährt, wird er dich verdammen!“, fauchte Ren und presste seinem Partner das Buch gegen die Brust, „Versteck das Buch! Ich habe es ausgetauscht. Die Fälschung liegt jetzt in Myras Büro!“

„Warum tust du das?!“, hauchte Cay leise und steckte das Buch in seine Tasche.

„Das nennt man Freundschaft, du Idiot!“, grinste Ren verlegen.

„Dann hast du jetzt was gut bei mir“, entgegnete Cay mühsam, „Soll ja niemand behaupten, dass ein Erzdämon, der bis jetzt noch jeden seiner Feinde in die Flucht geschlagen hat, in der Schuld seines Partners steht!“

„Ich glaube er hat das Prinzip von einer normalen Freundschaft immer noch nicht verstanden“, sagte Mochi stirnrunzelnd und verdrehte provokant die Augen, „Aber manche brauchen halt länger, kann man nichts machen!“

Die Maske des Zorns


 

Engelstanz der Dunkelheit

_________________________

D i e . M a s k e . d e s . Z o r n s
 

Warum kam das Böse immer in der Nacht? In allen Geschichten, Filmen oder Büchern war das unbeschreiblich Böse immer nach Einbruch der Dunkelheit über seine Opfer hergefallen und eigentlich hatte er nie einen Gedanken daran verschwendet – Warum sollte er auch? – Aber seit er im dritten Himmel lebte, hatte sich seine Sichtweise verändert.

Das musste er sich zugestehen. Er verbrachte die Nächte oft damit über die trivialen Fragen des Lebens nachzudenken, nahm sie regelrecht auseinander, nur um die diffusen Puzzlestücke unsortiert vor sich liegen zu sehen. Die Puzzelteile seines Lebens!

Es war ihm nie gelungen sie in eine übersichtliche und verständliche Ordnung zu bringen – Er verstand sich selbst zu wenig, als dass es eine logische Anordnung für ihn gegeben hätte.

Er war nie auf die Idee gekommen, dass etwas in sein geregeltes und behütetes Leben einbrechen könnte, dieser Gedanke schien einfach absurd zu sein. Die Schauergeschichten waren immer anderen passiert, Leuten, die er nicht kannte, Menschen, mit denen ihn nichts verband, die einfach nicht sein Schicksal teilten und nun hatte er die Seite gewechselt, betrachtete das Leben aus einem anderen, viel schmerzhafteren, qualvolleren Blickwinkel.

Ja, die Faszination solcher Gruselgeschichten war, dass man sich ängstigen, den Schreck seines Lebens erleiden konnte, aber anschließend einfach den Fernseher ausschaltete und unbeschadet nach hause ging. Nicht hier. Er war mitten in der Horrorgeschichte und konnte aus ihr nicht mehr ausbrechen, er war längst zu einem Teil von ihr geworden.
 

Cay fand keinen Schlaf. Er lag lang unruhig in seinem Bett, wälzte sich von einer Seite auf die andere, blickte immer wieder frustriert auf die Uhr, nur um genervt feststellen zu müssen, dass die Sonne in gut einer Stunde aufgehen würde.

Ein paar Mal war er kurz eingeschlafen, doch der trommelnde Regen, der schwer auf sein Dachfenster schlug, hatte ihn bereits nach wenigen Minuten schweißgebadet aufschrecken lassen. Er hatte geträumt. Zwar nur kurz, aber dafür mit einer unbarmherzigen Intensität. Sein Herz hämmerte hart gegen seine Brust, die dumpfe Erinnerung an den Alptraum flackerte vor seinem geistigen Augen auf, dann spürte er den widerlichen Geschmack von Erbrochenem und Blut in seinem Mund. Es war schlimmer als er zuzugeben bereit war.

Es blickte auf die Uhr. Es war bereits kurz nach vier – Aber er wollte sich nicht wieder hinlegen, die müden Augen schließen und erneut in einen Nachtmahr versinken, der ihn mit offenen Armen einlud.

Widerwillig setzte er sich auf, schwang die Beine aus dem Bett, lief zum Fenster und öffnete es mit einem Schwung. Die kalte Nachtluft strömte ungehindert in den Raum, durchflutete ihn mit frischer Luft, die er mit tiefen Atemzügen in seine Lungen sog.

Irgendwo auf der anderen Seite des Waldes schlug ein Blitz ein, durchtrennte die tiefe Dunkelheit der Nacht für einen Sekundenbruchteil und fuhr dann mit donnernder Hand über ihn hinweg. Früher hatte er Angst vor der Unberechenbarkeit des Gewitters gehabt, war hilfesuchend in das Bett seiner Eltern gekrochen und hatte abgewartet bis sich das Unwetter verzogen hatte. Damals war er noch ein Kind gewesen – Er erinnerte sich noch deutlich an seine eigene Machtlosigkeit.

Ja, eben jener Machtlosigkeit war es auch zu verdanken, dass sein Leben diesen abstrusen und leidvollen Weg eingeschlagen hatte – Wäre er damals doch nur stärker gewesen und hätte die verborgenen Kräfte in sich mobilisiert, die in jedem Lebewesen schlummerten, wenn es nur an die Grenze seiner eigenen Existenz getrieben wurde.

Pazifismus, Ethik und Moral hin oder her – wahrscheinlich musste man in jedem Menschen nur tief genug graben, um das Tier in ihm zu finden, die Bestie, die über zehntausend Jahre der Zivilisation überlebt hatte und erbarmungslos zu kämpfen bereit war.

Vielleicht wäre dann alles anders gekommen... Vielleicht hätte er ihn retten können – Ja, vielleicht...

Diese Erkenntnis kam im Nachhinein und mit jahrelanger Verspätung, aber dafür mit einer plötzlichen und unzweifelhaften Sicherheit.

Er biss sich schmerzhaft auf die Unterlippe, spürte, wie das Blut in einem feinen Rinnsal aus der Wunde hervorquoll, dann schmeckte er sein Blut, fuhr gedankenverloren mit der Zunge über die offene Stelle seiner Haut und leckte die rote Flüssigkeit herunter.
 

Er erinnerte sich noch genau, wie alles begonnen hatte, erdachte sich in die Wohnstube seines Elternhauses zurück und fand sich in Gedanken vor seiner Mutter stehend wieder, die ihn freundlich, aber auch besorgt anlächelte.

„Warum bin ich anders?!“, hatte er sie trotzig gefragt, die Arme vor der Brust verschränkt und stur zur Seite geblickt, als wolle er die unübersehbare Wahrheit nicht verstehen, sie leugnen und sich so lange wie eben möglich gegen sie währen.

„Du bist nicht anders, Cay“, log seine Mutter verzweifelt und versuchte die Wange ihres Sohnes zu tätscheln, doch er hatte ihre Hand weggeschlagen und war zur Tür gehastet. Er blieb in ihrem Umriss stehen, schüttelte den Kopf und dann lachte er schrill, fast schon geisteskrank auf.

„Ich bin ein Monstrum, ein krankes Monstrum!“, brüllte er und schlug mit der Hand gegen den Türrahmen, „WARUM SAGST DU MIR NICHT DIE WAHRHEIT? SAG MIR GEFÄLLIGST, WAS MIT MIR NICHT STIMMT – WARUM MICH DIE ANDEREN SO ANSEHEN... oder... kannst du es selbst nicht ertragen?!“

„Nein... Cay!“, seine Mutter war ihm nachgelaufen, umklammerte die Hand des Jungen fest und zog ihn zu sich herum.

Er konnte in ihre wunderschönen, braunen Augen blicken, die sich so sehr von den Seinigen unterschieden.

„Ich sehe euch nicht einmal ähnlich – Papa und dir“, protestierend versuchte er sich aus dem Griff seiner Mutter zu winden, gab seinen Widerstand jedoch im nächsten Augenblick wieder auf, als sie das Wort erhob.

„Cay, du bist mein Sohn! Dein Vater und ich lieben dich wirklich sehr, bitte sage nie wieder, dass etwas mit dir nicht stimmen würde... Es macht mich traurig so etwas aus deinem Munde zu hören!“

„Aber... Mutter...“, wieder schlug sein Einwand fehl, wurde mit einem sachten, aber bestimmenden Kopfschütteln seiner Mutter entkräftet und dann war es vorbei. Jede Aussicht auf eine Erklärung war vertan. Seine Mutter hatte den Raum verlassen, war in die Küche gegangen – so wie sie es bislang jedes Mal getan hatte, wenn das Thema aufgekommen war – und begann damit das Frühstück vorzubereiten.

»Sie hat es wieder getan«, er verfluchte sich innerlich, stampfte wütend die Treppe zu seinem Zimmer empor und schloss die Tür hinter sich ab.

Er hatte genug gehört, wollte allein sein und endlich seine Ruhe haben und hoffte inständig etwas herunterzukommen. Cay hatte die Anlage bis zu der Schmerzgrenze seines Trommelfels aufgedreht, die Musik schlug über den leeren Korridor des Wohnhauses und breitete sich auf die umliegenden Etagen aus. Aber das war ihm egal.

Er betrachte sein Gesicht in einem großen, ovalen Spiegel, der neben seinem Kleiderschrank angebracht worden war, und schnitt sich selbst eine hämische Grimasse.

Seine Augen waren dunkel vor Zorn, blitzen purpur-rot auf und für die unerträgliche Dauer von ein, zwei Sekunden, schienen sie förmlich zu brennen. In Flammen zu stehen – lichterloh und gleißend zu flackern. Dann – als er blinzelte, war der Zauber verflogen. Seine Augen hatten wieder ihre normale Farbe angenommen, strahlten nichts mehr Bedrohliches, wenn nicht sogar etwas unsagbar Böses und Zerstörerisches aus.

Er schluckte hart.

Er hatte es sein ganzes Leben gewusst, die abwertenden Blicke der anderen gespürt, die ihm klar zu verstehen gaben, dass er anders war, nicht dazugehörte – Ja, ein Außenseiter war, eine unerwünschte Lebensform, die gemieden und ausgeschlossen werden musste.

Es war längst zu einer Art Ritus geworden.

Seine Mitschüler provozierten ihn, wollten ihn in Rage versetzen, erleben, wenn er die Kontrolle über sich und seine Handlungen verlor und zu einer aggressiven, offensiv reagierenden Bestie wurde, die alles zu vernichten bereit war. Es bereitete ihnen sadistische Freude sich an seinem Leid, seinem Schmerz und der Grausamkeit an sich zu laben – Sie genossen es ihren Mitschüler zu quälen.

„Hast du seine Augen gesehen?! Er ist ein Monster!“, seine Augen hatten geflackert, waren in das Rot der untergehenden Sonne getaucht – Diese Veränderung hatten sie jedes Mal dann gezeigt, wenn er in die Enge getrieben und von einer übermenschlichen Wut gepackt wurde, die nur noch ein Ziel kannte. Er wollte sie packen, in eine Art Blutrausch verfallen, sich der Brutalität seines Herzens hingeben und sie für all das bestrafen, was sie ihm angetan hatten.

Er schlug erbarmungslos zu, konnte seine Grenzen nicht mehr einschätzen und ließ erst dann von seinem Opfer ab, wenn es keuchend am Boden lag und sich nicht mehr rührte.

Oft hatte er nach der Schule im Direktorat auf seine Mutter warten müssen, die von der Schulleitung angerufen und darüber in Kenntnis gesetzt worden war, dass ihr Sohn wieder gegen die Schulordnung verstoßen und seine Mitschüler zusammengeschlagen hatte. Und wieder hatte er versprechen müssen sich zu ändern, über sein Fehlverhalten nachzudenken und Besserung zu geloben. Er hatte seinen Einwand still runtergeschluckt, genickt und heuchlerisch seine Einsicht beteuert – genau das wollten sie doch alle hören. Es war erschreckend einfach.

Jeder Versuch sich zu zügeln, die Sprüche der anderen zu ignorieren, ihnen einfach aus dem Weg zu gehen und die Demütigungen herunterzuschlucken, waren immer im Desaster geendet. Je mehr er sein hitziges Temperament zu unterdrücken, ja dem innerlichen, frevelhaften Mordrang zu widerstehen versuchte, umso schlimmer schien das Verlangen zu werden, wuchs auf eine Unerträglichkeit heran, wurde zu einer krankhaften Manie und überschwemmte seine klaren Gedanken. Sie lag wie ein massives Eisengitter auf seiner Seele und trennte die Verbindung zwischen seinem Verstand und seinen Trieben.
 

Und dann war er ihm begegnet. Er hatte seine Gedanken durcheinandergebracht, war jäh und unerwartet in sein Leben getreten und hatte seine Prinzipien ein Stück weit ins Wanken gebracht, auch wenn er sich anfangs noch dagegen zu wehren versucht hatte.

„Cay, du musst zur Schule!“, sein Vater hatte gegen die verschlossene Zimmertür getrommelt, schrie beinahe, als er seinen Sohn ansprach, „Und mach den Scheiß leiser, ich will nicht wieder eine Beschwerde wegen Lärmbelästigung im Briefkasten haben!“

„Jaja!“, murmelte Cay widerwillig, stellte die Anlage aus und nahm seine Schultasche. Er lief an seiner Mutter vorbei, würdigte sie aber keines Blickes. Das Gespräch lag ihm noch schwer im Magen. An der Art wie seine Mutter nachts, wenn er schlief, mit seinem Vater sprach – so vertraut, so innig, ohne die Spur von unliebsamen Geheimnissen – wusste er, dass er ihr eine Farce vorsetze, ein ausgiebig einstudiertes und mit aus Heimlichkeiten und Täuschungen gewobenes Lügenkonstrukt.

„Bis heute Abend!“, sagte er monoton, hastete aus der Haustür und trat in die grelle Morgensonne, sie war ein orangenfarbener Strich am Himmel – mehr nicht.

Er lief die lange Straße hinab, rannte beinahe, denn er hatte getrödelt, war seinen sinnlosen Gedanken nachgehangen und nun lief er Gefahr den Bus zu verpassen, wenn er sich nicht beeilte.

»Verdammt«, dachte er wütend, sprintete die letzten Meter und bemerkte eine schnelle Bewegung aus dem Augenwinkel. Der Bus war an ihm vorbei gefahren, hielt einige Meter vor ihm an der Haltestelle und öffnete beide Flügeltüren. Eilig strömten die Schüler in den, ohne hin schon überfüllten, Bus und drängte sich zu einer Traube zusammen, die es ihnen beinahe unmöglich machte, sich irgendwo festzuhalten.

„Hey Cay, ich bin hier drüben!“, sofort hob er seinen Kopf und spähte in die Richtung, aus der die vertraute Stimme drang.

Ein Junge mit blonden Haaren winkte ihm aus dem hinteren Teil des Busses zu, seine Augen hatten ihn magisch in den Bann geschlagen.

Nur wenige Menschen – so wusste Cay – besaßen zwei unterschiedliche Augenfarben, es war eine Störung der Pigmentierung der Regenbogenhäute des Auges, und obwohl er wusste, dass es eine Krankheit war, erinnerte ihn der Junge an eine Katze. Das linke Auge besaß ein tiefes Blau und das Rechte ein feuriges Braun.

Seit er diese außergewöhnliche Farbgebung das erste Mal bemerkt hatte, war er wie besessen von dem absurden Gedanken, ebenfalls eine Farbe besitzen zu wollen. Nero schien geradezu zu leuchten, ein Farbenspiel aus den Tönen Gold und Rot umgaben ihn – Es war unsichtbar, nicht mit dem bloßen Auge erkennbar und doch konnte er es spüren, jede winzige Nuance der Farbveränderung wahrnehmen.

Er konnte sich noch gut daran erinnern, dass er früher oft versucht hatte, sich in seiner Nähe aufzuhalten, in der verzweifelten Hoffnung, dass etwas von dem Glanz ebenfalls auf ihn übergehen möge. Was eine kindische und naive Vorstellung – er musste über sich selbst lachen.

Der Bus hielt mit einem helftigen Ruck, schleuderte ihn abrupt aus seinen Gedanken, er verlor den Halt und segelte schmerzhaft auf den Kunststoffboden des Fahrzeugs.

Die Blicke der anderen Schüler waren auf ihn geheftet, starrten zu ihm herab und dann brach ein ohrenbetäubendes Gelächter los.

„Schau dir den Loser an!“, lachte ein Junge, schloss seine Freundin in seine Arme und verließ den Bus.

Er sprang mit einem Satz auf, eilte dem Jungen hinterher – Aus der Anspannung wurde Aggression, dann explodierende Gewalt.

„Lass den Unsinn!“, brüllte Nero. Er war Cay sofort hinterher gerannt, packte den Rothaarigen am Oberarm und zog ihn mit aller Gewalt von dem Jungen weg.

Er presste Cay gegen den grobmaschigen Drahtzaun, der die Schule einzäunte, drückte sich gegen ihn und zischte ihm zu, „Bist du verrückt?! Die schmeißen dich, wenn du so weitermachst, von der Schule!“

Die plötzliche, unerwartete Wucht, mit der er gegen den Zaun gedrückt wurde, trieb ihm die Luft aus den Lungen, er japste erstickt auf.

„Geh von mir runter, verflucht!“, er stieß den blondhaarigen Jungen mit grober Gewalt von sich weg, „Die gesamte Schule kann sich zum Teufel scheren – Und wenn die mich morgen rausschmeißen, dann soll es mir recht sein!“

„So denkst du also?!“, sagte Nero schroff, trat einige Schritte zurück und drehte sich von Cay weg.

Wieder hatte Nero ihn total miss verstanden, er seufzte genervt auf, versuchte aber nicht seine Worte zu erklären, sie in ein rechtes Licht zu rücken und so womöglich die Situation zu retten. Er verstand sich selbst nicht.

„Kein Widerspruch?! Nichts?!“, fragte Nero bockig.

Cay zuckte mit den Schultern, als ginge ihm das ganze Gespräch auf die Nerven. Oder hatte er einfach Angst, dass es zu intensiv wurde?

„Es ist nicht so, wie du denkst!“, erwiderte er endlich, berührte Nero am Kinn und drehte das Gesicht des Jungen zu sich. Sie blickten einander tief in die Augen.

„Du weißt, was ich für dich empfinde. Warum muss ich das jedes Mal erklären?!“ flüstert er Nero zu und für einen kurzen - für einen unsagbar kurzen - Augenblick schien es, als ob sich ihre Lippen gleich berühren würden.

Die Zeit blieb stehen. Es war kein subjektives Gefühl, das ihm sein Verstand vorgaukelte. Das Universum hatte die Zahnräder angehalten, brachte die gewaltige Maschine im Inneren zum Stehen, sie stockte für einen zeitlosen Augenblick, er konnte die Änderung auf sich überfließen spüren – Dann lief sie weiter. Der Motor war wieder in Bewegung.

Nero presste sich zitternd an Cay, er umklammerte den Rothaarigen fest, sein wirres, blondes Haar fiel ihm ins Gesicht – Die Atmosphäre hatte sich verändert, schwoll zu einem Windsturm an und fegte mit gespenstischer Hand über die Straßen hinweg.

„Lass uns besser rein gehen!“, sagte Cay, ergriff die Hand Neros und fuhr herum, „Der Unterricht beginnt gleich, außerdem sieht es so aus, als ob ein Unwetter aufziehen würde.“

Er verstummte. Seine Augen wurden groß, als er die Gestalt neben Nero erblickte. Sie war aus dem Nichts erschienen, groß gewachsen und bewaffnet. Der Mann hielt eine goldene Schnur in seinen Händen, an dessen Ende eine lange, dolchförmige Spitze blitzte.

Die Panik wurde fast übermenschlich, er wollte um Hilfe schreien, jemanden auf sich aufmerksam machen, doch als er sich umschaute, bemerkte er, dass die Zeit wirklich eingefroren war. Es war keine Einbildung gewesen.

Die Menschen waren in ihrer Bewegung erstarrt, Autos standen mitten auf der befahrenen Hauptstraße Straße still, nicht einmal die Alltagsgeräusche besaßen die Macht die entstandene Bewegungslosigkeit zu durchdringen. Sie waren durch eine dunkle Drehtür gefallen, befanden sich nun in einer völlig neuen, unheimlichen Welt, die nur den Anschein machte, die Ihrige zu sein.

Dafür reagierte er jetzt umso schneller: Er schlug blitzschnell zu, drehte sich herum, packte die Hand des Mannes mit einer hastigen Bewegung und drehte sie brutal nach hinten.

Die Waffe fiel aus seiner schlaffen Hand, schepperte auf den Asphalt, schlitterte noch einige Meter weiter und blieb dann regungslos am Straßenrand liegen.

Mit einer Bewegung, die er nicht für möglich gehalten hatte, ging der Mann nach unten, wand sich aus seinem Griff, trat fest gegen sein Bein und brachte ihn damit aus dem Gleichgewicht. Er fiel zu Boden.

Der Mann war sofort über ihn gebeugt und presste ihn gewaltsam auf den Boden. Jede Faser seines Körpers war bis zum Zerreißen gespannt, das abrupte Abbremsen seiner Muskeln forderte höchste Anstrengung von ihm ab – aber er würde seinen Griff nicht lockern, soviel wusste Cay.

„Was wollen Sie von mir?!“, japste Cay erstickt, zappelte dabei wie ein Käfer, der auf dem Rücken lag, und verzweifelt probierte, wieder auf die Beine zu kommen.

Er versuchte sich instinktiv zu wehren, doch seine Bewegungen waren zu schwach, nicht zielgerecht genug und der Mann hatte sein Gewicht auf seine Beine verlagert, kniete nun fast mit einem Bein auf seinem Rücken. Er hatte keine Chance.

„Hören Sie auf!“, schrie er, „Was um alles in der Welt wollen Sie von mir?!“

„Ich werde es dir erklären, wenn du versprichst, ruhig zu bleiben!“, entgegnete der Mann und wartete Cays Antwort geduldig ab.

Er antwortete nicht gleich. Für zwei, drei Sekunden, verharrte er regungslos auf dem Boden. Seine Augen loderten vor Zorn. Dann nickte er. Es war eine abgehackte, kaum sichtbare Bewegung, die aber seine gesamte Kraft in Anspruch nahm.

„Ist gut!“, sagte der Mann, „Ich hoffe für uns beide, dass ich diese Entscheidung nicht bereuen werde!“

Der Mann lockerte seinen Griff, richtete sich auf, blieb aber bereit jeden Augenblick erneut anzugreifen und Cay zu packen, sollte er eine falsche Bewegung machen.

„Was sollte das?!“, fragte Cay wütend und beobachtete den Mann, der nun zwischen ihm und Nero stand – ihn sichtbar von dem Blondhaarigen abschirmte und Cay begriff sofort, dass es etwas mit seinem Freund zu tun hatte, „Wer sind Sie?!“

„Mein Name ist Raziel und ich wurde ausgesandt, um nach dir zu suchen!“, begann der Mann langsam, wohl überlegend, was er antworten sollte, damit er nicht Gefahr lief zu viel zu verraten.

„Wieso nach mir?!“, er trat automatisch einige Schritte zurück, er fühlte sich einen Moment entsetzlich hilflos, beschloss dann aber die Fassung zu bewahren, die in den hinteren Teil seines Bewusstseins gekrochen war und durch die Angst ersetzt wurde, die stärker und stärker wurde.

„Du bist ein Sünder, ein Flüchtling deines eigenen Schicksals und als solch einer bist du auch zu bestrafen!“, begann der Mann, hob seine Waffe auf und schritt auf Cay zu.

Sein Verstand protestierte, er konnte den Worten des Fremden nicht länger folgen, sie nicht verstehen – Es ging zu schnell – unbegreiflich schnell.

„Du bist in die Menschenwelt geflohen, hast dich als einer von ihnen getarnt, der Bann, den deine Eltern über dich legten, hat dich lange versteckt gehalten, kleiner Dämon!“, sagte Raziel scharf, ließ die Waffe durch seine Hand wirbeln und richtete die Dolchspitze auf Cay, „Aber jetzt ist das Versteckspiel vorbei!“

Es ging zu schnell, als dass Cay wirklich begriff, was er sah, geschweige denn, dass er es glaubte.

Der Mann hatte eine unglaubliche Bewegung getan, streckte seine Hände zu beiden Seiten seines Körpers aus, dann umhüllte ihn ein gleißend, helles Licht, das brennend in seinen Augen stach und erlosch schlagartig wieder. Weiße, aus reinem Licht gesponnene Flügel waren aus seinen Schulterblättern gewachsen und ragten nun über seinen gesamten Rücken.

„Gestehst du dir ein, dass du dich unerlaubterweise in der Menschenwelt aufhältst?“, fragte Raziel, „Wenn du dich geständig zeigst, wird das jüngste Gericht vielleicht Gnade zeigen und deine Seele vor dem Untergang im ewigen Fegefeuer verschonen und sie lediglich dem Totenrichter vorwerfen. Er hatte schon immer Spaß daran, die Seelen von kleinen Gaunern, wie dir, zu quälen.“

„Sehr witzig!“, raunte Cay, „Ich weiß nicht einmal, wovon Sie da überhaupt sprechen, wie soll ich mich dann geständig zeigen?!“

„Du hast der zweiten Hierarchie der Engel sehr viel Arbeit bereitet, weißt du das?! Ich bin ein Erzengel Gottes, führe die himmlischen Mächte an und im Namen Gottes werde ich dich zurück in die Unterwelt schicken“, sagte Raziel süßlich.

Er ging auf Cay zu, die Waffe im Anschlag, dann fügte er leise säuselnd hinzu, „Aber ich werde dir gerne dabei helfen, dich zu erinnern!“

Mit zwei schnellen Bewegungen war er bei Cay – ohne dass der Rothaarige ihn überhaupt kommen gesehen hatte – dann schlug er ihn mit der rohen Faust zu und drückte ihn neben Nero gegen den Drahtzaun.

Cay schrie auf.

„NEIN! NICHT!“, kreischte Nero fast ohnmächtig vor Angst, versuchte den Mann von Cay abzubringen, aber es gelang ihm nicht, er war einfach zu schwach.

„Es ist an der Zeit dein wahres Ich auferstehen zu lassen und das Siegel endgültig zu brechen!“, sagte der Engel, fuhr mit der Hand über den Rücken des Jungen und beschwor eine entsetzliche Macht hervor, die unter seine Haut kroch, sich mit seinen Knochen, seinem Geweben und jeder Zelle seines Körpers verschmolz und dann explodierte.

„Und jetzt schrei!“

Gegen seinen Willen gehorchte er, ein langer markerschütternder Schrei entkam seiner Kehle – Das Grauen hatte viele Facetten, verstand er, setze seinen Terror geschickt ein und malträtierte dabei mit Vorliebe seinen Verstand.

Schwarze Schwingen brachen mit einem knochenzerberstenden Geräusch aus seinem Rücken hervor, seine Augen veränderten sich, konnten die Glut des Zornes nicht länger in sich verschließen und flammten schlagartig rot auf.

Seine Zähne wandelten sich, verloren ihre ursprüngliche Form und wurden zu spitzen, scharfkantigen Reißzähnen – Zu einem Mordinstrument einer furchterregenden Bestie der Unterwelt. Sein Gesicht hatte sich nicht groß verändert, aber vielleicht war sein Anblick der Schlimmste.

Viele Märchenbücher erzählten von solch abscheulichen Schreckgestalten, die vor Gott geflüchtet waren und sich tief in der Hölle verstecken mussten – Nur um eines Tages jäh und unerwartet angreifen zu können und das Land wie eine Plage zu befallen. Diese Kreaturen waren die Versinnbildlichung des Bösen und er war einer von ihnen geworden.

„Cay, Erzdämon des Zornes und der Niedertracht“, begann Raziel erneut, als er der Junge seine Erscheinung vollkommen verändert hatte und sich nun hilfesuchend nach Nero umschaute, der starr vor Schreck in sich zusammengesunken war und schluchzend die Hände vor sein Gesicht hielt, „Nachdem du deine eigentliche Gestalt wiedererlangt hast, werde ich nun mit der Vollstreckung beginnen – Es wird mir eine Freude sein... Eine wahre Freude.“

Der Mann spannte das goldene Band zwischen seinen Händen, visierte Cay an, richtete die Waffe aber weder auf sein Herz, noch auf seinen Kopf. Er wollte ihn nicht töten, oder schwer verletzten, sondern ihm nur ein möglichst großes Maß an Schmerz zufügen. Einen Lichtblitz später war er bei ihm.

„Denken Sie wirklich, dass ich es Ihnen so einfach machen werde?!“, fauchte Cay, wich zur Seite und entkam der Klinge des Engels mit einer drehenden Bewegung, „Ich werde kämpfen... Und die wenigen Menschen schützen, die ich liebe... Oder hat Gott die unerschütterliche Liebe, die es einem möglich macht selbst Berge zu versetzen, nicht gelehrt?! Denn es braucht den Glauben an die Liebe um den Alltag zu ertragen und kämpfen zu können. Es braucht eine Motivation, eine Hoffnung, wenn Sie so wollen und Hass kann nie die Liebe besiegen! Deswegen werden Sie auch heute verlieren!“

Raziel war sein Seitenblick zu Nero nicht entgangen. Ein böses, heimtückisches Grinsen schlich sich auf sein Gesicht.

„Du hängst an diesem Jungen, Dämon?!“, fragte Raziel, „Dann werde ich dir den Glauben an die Liebe und an die Herzensgüte auch noch nehmen. Ich werde dich zu einem wahren Dämon machen, dessen Herz für immer erkalten wird und sich dem Rachedurst seiner zerrissenen Seele hingeben wird! Du wirst nicht mehr anders können, als dich deinen Trieben hinzugeben... Nie wieder wird es anders sein. Ich werde dein Schöpfer sein.“

Raziel hatte seine Aufmerksamkeit auf Nero verlagert, riss den Jungen brutal zu sich hoch, doch statt ihn anzugreifen, wie Cay es eigentlich erwartet hätte, ließ der Engel seine Waffe mit einer präzisen Bewegung an die Kehle des Blondhaarigen fahren und zwang ihn gegen seinen Willen auf Cay zuzugehen.

„Willst du ihm nicht die Wahrheit sagen, bevor du stirbst?!“, raunte der Mann gierig.

Cay taxierte seinen Gegner, suchte nach der schwächsten Stelle, die er bei seinem nächsten Angriff für sich nutzen konnte, doch solange er Nero als Schild benutze, war es ihm unmöglich den Mann zu attackieren. Die Waffe vor seiner Brust flößte ihm durchaus Respekt ein. Sie vermochte ihn vielleicht nicht sofort zu töten, aber dennoch schwer zu verletzen und Raziel war sich dieser Tatsache durchaus bewusst.

Immer weiter drang er Nero in seine Richtung, presste die Klinge gewaltsam gegen seinen Hals, die Spitze grub sich in seine weiße Haut – rotes, fast tief-schwarzes Blut trat aus der Wunde hervor und besudelte seine Jacke.

„AUFHÖREN! SIE SOLLEN AUFHÖREN!“, flehte Cay. Er drängte seinen Zorn mit aller Gewalt zurück.

„Nero, wenn du zu feige bist, um zu deinen eigenen, abscheulichen Taten zu stehen, so bin ich gewillt dir diese schwere Last abzunehmen und deinem Freund alles zu beichten!“, ein vergnügtes, aber zugleich unsagbar böses und sadistisches Lachen hallte durch die entstandene Stille. Schwoll an, fraß sich schmerzhaft in seine Gehörgänge und verhalte anschließend wieder.

„Die Auflehnung gegen Gott wird mit dem Höllensturz bestraft!“, begann Raziel süßlich und fixierte Cay bei jedem Wort, das er sagte, genau, „Und dein kleiner Freund hier – Er hat sich der abscheulichsten aller Sünden hingegeben!“

Eine unerträgliche Pause trat ein. Für einen kurzen, in der Wirklichkeit nicht begreiflichen Augenblick, wollte er auf Raziel zu stürmen und ihn zum Schweigen bringen – Er wollte nicht hören, was er zu sagen hatte, denn sollte Nero ihm etwas verheimlicht haben, dann wollte er die Wahrheit lediglich von seinem Freund erfahren und von niemand anderem sonst.

„Halt dein Maul!“, brüllte Cay bösartig. Doch Raziel überhörte ihn gekonnt und fuhr unbarmherzig fort.

„Einst sandte Gott die Grigoris aus und befahl ihnen den Erzengeln bei der Erschaffung des Garten Edens zu helfen. Die Grigori stiegen auf die Erde hinab, taten ihre Pflicht, doch gaben sie sich dabei der fleischlichen Sünde hin. Sie verliebten sich in die Menschentöchter, verrieten himmlische Geheimnisse und gründeten sogar heimlich Familien. Und so entstanden die Nephilim. Gott war erzürnt und verstieß die Grigoris, er nahm ihnen die Unsterblichkeit und stürzte sie in die Hölle.“

Von einer Sekunde auf die andere hatte sich die Kulisse verändert, die Erde – mit allem, was sich auf ihr befand – hatte sich aufgetan, war ins Nichts gestürzt, befand sich plötzlich inmitten eines Infernos, das die Welt mit jedem gespenstischen Atemzug, die der Planet tat, zu versengen drohte.

Fast hätte er geschrien, als er die Veränderung bemerkt hatte: Unsichtbare Flammenfinger hatten den Himmel blutig-rot angezündet, stiegen wie flackernde Feuersäulen empor und dann zersprang das Firmament. Sterne fielen aus dem brennenden Himmel, wurden zu einem Meteoritenschauer und verloschen irgendwo über ihnen. Er zuckte zusammen.

Lovelocks Gaia-Hypothese schien plötzlich einen Sinn zu ergeben, die wirren Puzzlestücke fügten sich zusammen, ergaben plötzlich ein völlig neues, aber verständliches Bild.

Wenn der Planet selbst ein einzig großer Organismus war und sich seinen Lebensraum selbst schaffte, indem er sich dem Zusammenspiel der Sphären und den Grundelementen bediente, dann musste der Planet jetzt Höllenqualen erleiden. Der Engel hatte ihn bei seinem Angriff schwer verwundet, hatte die Barriere zwischen den Welten durchschlagen und war gewaltsam über ihn hergefallen. Und dies war sein stummer Schmerzensschrei, die gewaltige Kreatur protestierte, wand sich vor Schmerzen und versuchte die unbekannte Gewalt zu vertreiben, die ihn angegriffen hatte.

Cay hatte eine wichtige Lektion gelernt. Engel waren weder barmherzig, noch gnädig oder aber gutherzig – Sie waren die scheußlichsten von Gottes Händen erschaffenen Kreaturen. Sie waren krank von Eigenliebe und der falschen Selbstgerechtigkeit, mit der sie es sich erlaubten über die widersinnigen Sünden der Menschheit zu richten und das selbsternannte Urteil zu vollstrecken.

„Mich interessieren Ihre Märchen nicht!“, brüllte Cay atemlos, seine Worte hatten spürbar an Härte verloren und doch sprach er weiter, „Ihre Heiligengeschichten können Sie mit Ihren Freunden im Himmel bequatschen, aber verschonen Sie mich mit dem Scheiß!“

Raziel schüttelte belustigt den Kopf und sagte anschließend, fast schon an seinen gesunden Menschenverstand appellierend: „Wenn es doch nur Märchen wären, lieber Junge! Denkst du dann würde ich jetzt vor dir stehen?!“

„Wenn Sie wirklich ein Engel sind, dann stellen Sie sich mir – In Ihren Augen bin ich doch nur ein kleiner, unbedeutender Dämon – Welche Gefahr sollte ich für Sie schon darstellen, dass Sie sich hinter meinem Freund verstecken müssen!?“, dies war seine einzige Chance Raziel von Nero abzubringen.

Er musste den Kampf entscheiden. Jetzt.

Das Uhrwerk hinter Raziels Stirn schien zu arbeiten, rotierte, lief auf Hochtouren und ließ in Cay einen jähen Hoffnungsschimmer aufkeimen, dass der Engel einen Fehler machen und seine Defensive aufgeben würde. Er betete innerlich. Es war so absurd.

„Du bettelst ja förmlich darum in die Hölle geworfen zu werden – Eine wirklich nette Abwechslung, muss ich zugeben!“, zischelte Raziel süßlich, „Deine Vorgänger haben sich widerspenstiger und uneinsichtiger gezeigt!“

Ein Lächeln folgte, dann eine Reihe spitzer Zähne.

„Es bleibt mir unbegreiflich, was dich an einem Jungen festhalten lässt, der dich die ganze Zeit über belogen hat!“, begann der Engel erneut, gewillt ihm den letzten, verlieben Rest seines Kampfwillens endgültig zu rauben, „Nero liebt dich nicht. Er ist ein Nephilim, der Sohn eines Engels und einer Menschenfrau – Ihn sollte es eigentlich gar nicht geben, verstehst du?! Seine Augen, seine widerwärtigen Augen können sein Geheimnis nicht verbergen. Sieh sie dir an?!“

Er packte Nero brutal am Kinn, hebelte seinen Kopf zur Seite und zwang ihn dazu Cay anzublicken.

„Du hast ihm in die Augen geblickt und hast ihm alles abgenommen, ist es nicht so?!“, fauchte Raziel, „Du hast dich in seinen Augen verloren, hast sie als Zeichen der Verbundenheit verstanden, das euch zum Außenseiter machte, und hast dich in ihn verliebt. Du Narr! Du törichter Narr! Du hast noch nicht einmal gemerkt, dass er dich belog und in die Fänge der himmlischen Armee trieb – Er hat dich ohne mit der Wimper zu zucken verraten. Nennst du das Liebe?!“

„Cay, das stimmt nicht!“, wimmerte Nero, versuchte abermals dem Engel zu entkommen, doch der Mann hatte seinen Griff verhärtet, einen unsichtbaren Bann auf seinen Körper gelegt, der über seine Gliedmaßen fuhr, sie versteinerte und bewegungsunfähig machte.

„War der Verlust deiner Flügel noch nicht schmerzhaft genug, soll ich dir auch noch die Zunge herausschneiden?!“, kreischte Raziel. Die Gesichtszüge des Engels hatten ihre Form verloren, die Haut wurde schlaff und für einen schrecklichen Augenblick glaubte er fingerdicke Würmer unter seiner Haut zu sehen – Sie bewegten sich die Wangenknochen hinauf, zuckten unter seinem Augenlid und dann waren sie verschwunden. Sie hatten sich hinter die Augenhöhlen des Mannes gegraben, fraßen sich in sein Gehirn und verletzten den Teil seines Nervenzentrums, der für die Vernunft verantwortlich war. Jedenfalls schien es so.

Mit einer rabiaten Handbewegung schleuderte er Nero über den Asphalt, verdrehte seinen Kopf absurd zur Seite, verharrte für einen Sekundenbruchteil in dieser paradoxen Haltung und dann lief er, mehr taumelnd als gehend, auf Cay zu. In seinen Augen zuckte der Wahnsinn. Ein abscheulicher, gedankenzerfressender Wahnsinn.

„Endlich – Du stellst dich mir, du feige Ratte!“, brüllte Cay und stürmte auf Raziel zu. Er war bewaffnet – hatte eine Axt aus dem Nichts beschworen, seine Gedanken hatten sich materialisiert und ein Kampfwerkzeug heraufbeschworen.

„Es war ein Fehler meine dämonischen Kräfte zu erwecken!“, schrie er, der Zorn explodierte, „Ich werde dir deine Flügel abhacken, sie in tausend Teile brechen und dir jede Feder einzeln ausreißen!“

Genau in diesem Augenblick geschah es. Ein grauer Schatten huschte an ihm vorbei, breitete sich über der Straße aus, lenkte ihn nur kurz ab, stahl seine Aufmerksamkeit – Er hatte die Deckung verloren und sie gegen seine Neugierde eingebüßt.

Mit der Wucht eines Hammerschlages schlug der Engel zu, donnerte den Stiel seiner Waffe auf den Schädel des Dämons und brachte ihn zum Taumeln, er schrie ohnmächtig auf – Seine Qualen erreichten den Höhepunkt.

Der Schmerz explodierte hinter seiner Stirn, zuckte mit der Intensität einer Atombombe vor seinem geistigen Auge und dann wurde alles schwarz.

Plötzlich spürte er den freien Fall, danach den Aufprall. Er war mit dem Hinterkopf auf dem Asphalt aufgeschlagen.

Er hatte das Bewusstsein verloren – Nicht vollkommen, aber so gut wie.

Sehr lange – in der Wirklichkeit vielleicht nur einige Minuten – irrte er körperlos durch die Dunkelheit, erlebte das volle Ausmaß an Qual und Pein, das in dieser neuen Dimension herrschte. Er war nicht mehr ganz wach, aber auch nicht bewusstlos, er befand sich in einer Zwischenwelt, in der sich der menschliche Teil seines Geistes aufzulösen drohte. Aber vielleicht war es auch das Beste? Warum sollte er sich nicht einfach fallen lassen, durch die Drehtür stürzen und sich im Tode wiederfinden?! Dieser Weg schien doch um ein so vieles verlockender sein, als es die Wirklichkeit war.

Aber das Schicksal hatte anderes mit ihm vor – er sollte sterben, ja – aber nicht heute, nicht unter diesen Umständen.

Aus weiter Ferne konnte er einen grässlichen Schrei hören, der scharfe Gestank von Blut drang in seine Nase, er spürte, wie die Übelkeit ihn lähmte.

„Den Tod, wie ihn die naiven Menschen kennen, gibt es nicht!“, sagte die Stimme eines Mannes bedrohlich, die weder die des Engels, noch die von Nero war.

Wenn es einen leibhaftigen Teufel gab und er seine Stimme erheben würde, dann musste er sich so anhören, dessen war sich Cay sicher. Er bekam eine Gänsehaut.
 

Cay öffnete die Augen und blickte zu Mochi rüber, der in sein Zimmer geflogen war und nun neben ihm stand und ebenfalls aus dem Fenster blickte. Wie lange sein Diener schon in seinem Zimmer war, konnte er nicht sagen, er hatte seine Anwesenheit nicht gespürt – aber dies spielte im Grunde auch keine große Rolle.

„Du hast das alles geplant, oder?!“, fragte der Kürbisgeist neugierig, „Du hast geglaubt, wenn du denn Bannkreis unter der heiligen Schrift Gottes schließen würdest, dass du ihn vielleicht aus der Totenhalle retten könntest.“

„Wie immer hast du mich durchschaut!“, antwortete Cay belustigt und wand seinen Blick von der kargen Landschaft ab, „Aber wie es aussieht habe ich lediglich einen gefallenen Engel aus der Hölle gezogen – Welch Ironie, findest du nicht?!“

„Wer sagte dir überhaupt, dass Nero in der Totenhalle war?! Er könnte genauso gut überall sein!“

„Das weiß ich jetzt auch“, zischte Cay finster, „Wenn ich eines aber nun mit absoluter Sicherheit sagen kann, dann, dass Neros Seele nicht in die Hölle gestürzt wurde!“

Die Geburt des Giftes


 

Engelstanz der Dunkelheit

_________________________

Die Geburt des Giftes
 

Es war ein windiger Morgen, als Cay im Studierzimmer saß und dem theoretischen Unterricht in mechanische Künste zu folgen versuchte. Anders als bei seinen Mitschülern, herrschte auf seinem Tisch ein ansehnliches Chaos, das sich bereits auf den leeren Platz neben ihm erstreckte – Ren schien heute zu fehlen.

Jedes Mal, wenn er aus einem der riesigen Fenster blickte, bereute er tausend Mal mehr, dass er bei der Prüfung betrogen und nur seinen Vorteil gesehen hatte. Das hatte er nun davon.

Der Sturm fuhr mit festem Griff über die dünnfingrigen Äste der Moor-Birke, wog sie vor und zurück und ließ sie in rhythmischen Abständen gegen die Fensterscheibe schlagen – Wie gerne wäre er jetzt dort draußen. Er würde mit seinem Partner durch die kalte Morgenluft ziehen, sich an einen Ort, der tief in der Unterwelt lag, vorkämpfen und die Seelen der Verstorbenen jagen. Sowie es eigentlich auch seine Aufgabe war… Und was tat er?! Er schlug sich mit unsinnigen Formeln und Aufrufsbeschwörungen herum, deren Bedeutung er eigentlich schon im Sommer gelernt hatte.

Er verdrehte kurz die Augen, dann seufzte er.

Er fuhr gedankenverloren, fast schon liebevoll, über den alten Einband seines Beschwörungsbuches, »Eine Formel, mit der man in einer Schlacht zehntausend Feinde töten kann, wenn es das Medium wünscht…«

„Cay, würden Sie bitte aufpassen!“, fauchte der Dozent, „Wenn sie die Inhalte meines Unterrichts nicht mehr zu lernen bräuchten, wären Sie mit Sicherheit nicht durch die Prüfung gefallen und würden nun hier sitzen.“

Ein gehässiges Gelächter erscholl hinter ihm.

Wie von einer bitteren Vorahnung gesteuert, hörte er plötzlich ein wirres Murmeln hinter sich und unter all den Stimmen, die durcheinander sprachen, konnte er deutlich die Seinige wahrnehmen – Die seines ewigen Widersachers: Toxica, Dämon des Hasses und der Missgunst.

»Was macht denn dieser Bastard hier?!«, er ballte seine Hände, zitterte förmlich vor Anspannung, sein Herz drohte innerlich vor Zorn zu zerspringen.

„Entschuldigen Sie die Störung, Professor“, sagte Toxica ruhig, durchquerte den schmalen Gang zwischen den Tischreihen und lief zielstrebig auf Cay zu, „Aber ich wurde von Myras auf eine Mission geschickt und dieser Trottel hier ist mein Partner!“

Widerstrebend nickte der Professor.

„Wie hast du mich genannt?!“, kreischte Cay und knallte seine Hände mit voller Wucht auf die Tischplatte.

„Schön, du hörst ja sogar schon drauf!“, lachte Toxica und machte eine wegwerfende Handbewegung, die dem Rothaarigen zu verstehen geben sollte, dass das Gespräch nun zwar beendet war, er ihm aber trotzdem folgen sollte, „Wenn du unter meiner Führung arbeiten willst, solltest du dein Temperament im Zaum halten – Sonst zerquetsche ich dich wie eine widerliche Kakerlake!“

Er folgte Toxica durch die Korridore. Plötzlich erschien ihm der Architektur des Gebäudes – obwohl sie nicht schwierig gewesen war – wie ein Labyrinth zu sein. Sie kamen an eine Kreuzung von vier Fluren, dann blieb Toxica abrupt stehen und fuhr zu Cay herum.

„Weißt du, wo sie den Engel unterbracht haben?!“, fragte er langsam, sein Gesicht zeigte jedoch keine erkennbare Regung, als er sprach.

„Wenn ich mich recht erinnere, hat Ren mal erwähnt, dass Snow sie zu Myras ins Kellergewölbe gebracht hat... Ich denke, dass sie noch irgendwo dort unten ist, wenn Myras sie nicht schon längst umgebracht hat!“, antwortete Cay, „Warum willst du das wissen?!“

„Das wirst du gleich sehen, folge mir!“, raunte Toxica und eilte die steile Treppe am Ende des Flurs hinunter. Er riss eine Tür auf, die nicht weit von Myras Büro lag, sie erwies sich jedoch als Sackgasse. Dann hastete er weiter, versicherte sich, ob das Mädchen in einem der anderen Räume war und kehrte genervt um.

„Hier ist sie nicht, das war eine Finte!“, sagte er schließlich.

„Und was ist mit dem Büro?!“, flüsterte Cay aus der Angst, dass sie womöglich jemand gehört oder aber ihr irrsinniges Unterfangen beobachtet haben könnte.

Toxica änderte seinen Plan. Er trat langsam an Myras Büro, ging in die Hocke und lauschte für einen schrecklichen, zeitlosen Augenblick an seiner Tür – Nichts. Im Inneren herrschte absolute Stille, nichts rührte sich.

Seltsame Gedanken rasten durch Cays Kopf, wurden zu einer Art unheimlichem Videofilm, der im Schnellvorlauf gespielt wurde, dutzend Gedanken innerhalb von Sekunden, alle ungewollt und manche überraschten ihn. Er dachte an sein Leben im dritten Himmel, an die vielen Situationen, in denen er um sein Überleben gekämpft hatte und daran, dass er nicht sterben wollte – das verwunderte ihn nicht. Natürlich war es seiner Verbissenheit im Anbetracht seelischer Verzweiflung zuzurechnen, dass er sich bis jetzt aus jeder misslichen Lage hatte retten können, aber machte dies seinen Überlebenswunsch aus?! Welche Gründe hatte er zum Weiterleben eigentlich?!

Obwohl er ziemlich lange überlegte, fielen ihm nur drei Gründe ein: wirklich gutes Essen, die Zusammenarbeit mit Mochi und die Angst vor dem Sterben.

Ein Klicken, dann war die Tür offen.

Das Mädchen war an einen riesigen Apparat angeschlossen, dessen Bildschirm grünlich aufflackerte – Worte, Zahlen, Diagramme kamen und gingen mit solch einer Geschwindigkeit, dass es ihm unmöglich war, eine Bedeutung dahinter zu sehen.

„Sie scannen die Daten des Engels!“, sagte Toxica scharf und lief auf das schlafende Mädchen zu, das von einem guten dutzend unterschiedlichster Kabel und Verstrebungen gefesselt worden war.

Ein endloser Datenstrom floss über den Bildschirm. Das Licht und die ständig wechselnden Daten tanzten über die Wände und jagten unnachgiebig Schattengestalten durch das Zimmer.

Nach endlosen Minuten des Schweigens sagte Toxica schließlich: „Wir müssen sie hier wegbringen. Myras wird sicher nicht lange fort sein.“

„Aber... Du kannst doch nicht!“, japste Cay atemlos.

„Wer hat denn davon gelabert, dass man ein Ziel haben soll, damit das Leben einen Sinn macht – Und warum kann es nicht mein Ziel sein, diesen Engel zu retten?!“, antwortete Toxica und grinste fies. Jedes seiner Worte war erlogen und Cay begriff diesen Umstand sofort – Es bedurfte keine weiteren überflüssigen Fragen, die ihnen lediglich die Zeit rauben würde.

„Dann wollen wir mal“, murmelte er und trat neben seinen Partner, „Toxica, der Engelretter, das wird in die Geschichte eingehen!“

Das Mädchen sah so schwach und verletzlich aus, das er für einen kurzen Augenblick glaubte, würden sie die Verbindung der Kabel nun brechen, so käme dies einem Mord gleich.

Sie konnte selbstverständlich getötet werden, aber die Wahrscheinlichkeit, dass sie nach Beendigung der Analyse durch Myars' Hand sterben würde, lag um einiges höher. Er zog seine Dolche hervor.

„Wir haben keine Zeit zu verlieren, geh zur Seite!“, mit einer hastigen Bewegung hatte Toxica eine Ampulle, die mit einer grünlich schimmernden Flüssigkeit gefüllt war, von seinem Gürtel gelöst und träufelte nun dessen Inhalt sorgfältig bedacht auf die dünnen Leitungen, die sich einen Lichtblitz später mit einem gurgelnden Geräusch auflösten.

Der Engel öffnet seine Augen, er war zum Leben erweckt worden, hatte die Fesseln mit einer präzisen, endgültigen Bewegung gesprengt und stand nun langsam auf. In ihren Augen las er keine Dankbarkeit, keine Gefühlsregung, die auch nur im Ansatz positiv war – Das Mädchen strömte eine grauenerregende Boshaftigkeit aus, die mit jedem Schritt, den sie voran tat, noch anzuschwellen schien. Der Schrecken wurde übermenschlich. Die Wirklichkeit war eingerissen und durch diesen Riss drang eine Alptraumwelt von unendlicher Abscheulichkeit, die nun in ihre Welt gerückt war – und die Cay – plötzlich liebte.

Sie wollte sie töten. Ihr Gewebe begann zu pulsieren, sie veränderte ihre Form, verlor ihre Flügel, weiße Federn trieben durch die Luft und lösten sich schlagartig auf.

„Wir haben dich befreit! Ist das deine Art dich erkenntlich zu zeigen?!“, keifte Toxica und zog eine zweite Ampulle hervor, „Aber ich kann dich auch direkt in die Hölle schicken – Das entscheidest du!“

»Verschwinde.«

Eine Stimme sprach in ihm und riet ihm zu fliehen, es war seine eigene Stimme, wenn auch nicht die des erwachsenen Cays. Es war die des Kindes, das er einst gewesen war und in das ihn die Angst verwandelte. Ja, extremes Entsetzen war eine weitaus effektivere Zeitmaschine, als Nostalgie – verstand er und wirbelte plötzlich herum.

»Verschwinde, lauf weg, lauf weg, verschwinde«

Cay trotzte dem Drang zu fliehen.

„Sie ist blind vor Zorn!“, brüllte Cay, „Ihre Gedanken sind von dem Ding benebelt, weiß Gott, was Myras mit ihr gemacht hat!“

Er zögerte. Immerhin war sie ein Mensch – Wenigstens bis zu einem gewissen Grad. Wer konnte sagen, was sie in ihrem Inneren fühlte?! Wer konnte sagen, ob sie sich nicht im Grunde fürchtete und nur aus Angst und Verunsicherung so reagierte?! Er suchte verzweifelt nach Antworten.

Ein schriller Schrei drang aus ihrer Kehle, eben jener Schmerzenslaut, den er in der Prüfungshalle vernommen hatte – dann erstarrte sie. Ihr Gesicht wirkte im Schein des Monitors golden. Konnte es möglich sein, dass die Wirkung der Narkose nachließ und sie langsam wieder zur Besinnung kam?!

Wie um diese Vermutung zu bestätigen, tat das Mädchen eine letzte, verzweifelte Handbewegung, mobilisierte ihre verliebende Kraft und entlud sie einen Sekundenbruchteil später auf den Computer.

Der Bildschirm des Rechners wölbte sich nach außen, wurde zu einer geleeartigen Maße, die allmählich ihre Form verlor – Dann passierte es: Das Glas zersprang berstend, brach klirrend auf dem Boden nieder und entlud seine unheimliche Macht. Sie war gefangen gewesen, irgendwo in der Maschine.

„B...Bist du okay?!“, fragte Cay unsicher, sein Körper war bis zum Zerreißen angespannt, er war hin und hergerissen, ob sie wirklich bei klarem Verstand war und er nun seine Deckung sinken lassen, oder sich auf einen möglichen Angriff vorbereiten sollte.

Sie sah ihn direkt an, als sie sprach: „Es tut mir leid... Ich wusste nicht, was ich tat... Verzeiht mir...“

Sie hielt sich den Kopf, schwankte einige Schritte zur Seite und beinahe wäre sie auch gestürzt, hätte Cay nicht schnell genug reagiert und ihren Aufprall abgefangen.

„Wir müssen von hier verschwinden. Sofort“, kam es von Toxica, der die Tür vorsichtig öffnete und argwöhnisch zu beiden Seiten des Korridors hinaus spähte. Der Flur war verlassen – Kein gutes Zeichen.

Cay lief zur Wand, riss den Stecker aus der Buchse und ließ ihn auf den Boden fallen. Sollten die Maschinen ihr infames Werk vollenden wollen, so hatte er ihnen nun die letzte Möglichkeit dazu geraubt. So war jedenfalls sein Plan.

Ein schrecklicher, mechanischer Schmerzensschrei ertönte aus dem Inneren der Maschine, sie versuchte den Absturz zu verhindern, ein Notfallprogramm zu starten, das den Computer zum Reset zwang, aber es war zu spät. Cay hatte eine Axt heraufbeschworen, war auf die Höllenmaschine zu gesprintet und hatte auf den Computer eingeschlagen – erst einmal, zweimal, doch als der Rechner sich noch immer zu wehren versuchte – mit einer unnachgiebigen Härte, bis der Monitor schwarz wurde und kein Signal mehr zeigte.

Er hörte ein surrendes Geräusch, als würden sich winzige Fräsen in einer Geschwindigkeit von tausend Umdrehungen pro Minuten drehen – Dann war es vorbei. Die Maschine hatte den Kampf verloren.

„Schnell, schnell“, zischte Toxica gepresst und winkte Cay und das Mädchen zu sich herbei, „Macht, dass ihr aus dem Büro verschwindet. Lauft zum Haupttor, ich habe noch etwas zu erledigen – Wir treffen uns draußen!“

Stumm nickte Cay, er wusste nicht was Toxica zu diesem plötzlichen Sinneswandel getrieben hatte, aber ihm blieb auch nicht die Zeit um sein Verhalten zu hinterfragen.

Als er den halben Weg auf den Korridoren zurückgelegt hatte, in der rechten Hand seine Waffe, in der linken die Hand des Mädchens, hörte er von draußen eine Sirene, das Geräusch kam näher und näher. Sie waren nicht in Lebensgefahr, jedenfalls nicht unmittelbar, aber sie hatten keine Zeit zu verlieren. Die Dämonen des dritten Himmels waren in Aufruhr. Mryas musste die Flucht des Engels bemerkt und die gesamte Unterwelt alarmiert haben – Die Hetzjagd hatte begonnen!

„Hier entlang!“, keuchte Cay, schlug eine Tür am anderen Ende des Flurs auf und hastete die Treppe empor, „Wir müssen Mochi holen! Er ist mein Diener. Bleib einfach hinter mir, dann kann dir nichts passieren, ich bin ein mächtiger Erzdämon!“

Er verstand sich selbst nicht, konnte nicht erklären, warum er diese Worte gesagt hatte, sie waren einfach aus ihm herausgeplatzt, ohne das er seine Gedanken hätte steuern können.

Als er den Treppenabsatz erklommen und seine Zimmertür aufgesperrt hatte, bemerkte er einen unheimlichen Schatten direkt neben sich. Er fuhr herum – spürte etwas Spitzes an seiner Kehle, das sich schmerzhaft unter seine Haut grub. Er konnte sich nicht rühren, zwang sich aber dazu seinem Angreifer direkt in die Augen blicken zu können. Er erschrak.

Das Mädchen hielt eine Waffe auf ihn, ihr Blick hatte sich verfinstert, ihre Augen funkelten schwarz vor Zorn, dann einen schrecklichen, endlosen Augenblick später, ließ sie von ihm ab.

„Immer mit der Ruhe, Engel!“, kam es atemlos von Cay, „Lass den Scheiß, ja?!“

„Tu nicht so, als ob ich ein hilfloses Mädchen wäre, das auf die Hilfe eines ach so großen und mächtigen Dämons angewiesen sei!“, fauchte sie und ließ die Armbrust sinken, „Ich heiße Dafne und nenne mich nie wieder »Engel«!“

Er verdrehte die Augen, sagte aber nichts.

Ein hohles, irgendwie pochendes Geräusch umgab sie und zuerst hatte Cay geglaubt, dass es der Schmerz hinter seiner Stirn war, der gegen seine Schläfen klopfte, doch dann wurde ihm klar, dass der Lärm von draußen kam. Sie mussten ihre Suche bereits auf die oberen Etagen ausgeweitet haben – Sie hatten vielleicht noch fünf Minuten, wenn überhaupt.

„Mochi, wo bist du?!“, er lief durch sein Zimmer, sein Herz schlug hart gegen seine Brust, seine Augen waren vor Panik geweitet, „Verdammt Mochi, das ist kein Spiel mehr, komm raus!“

„Dein Diener gehorcht dir wohl nicht?!“, sagte Dafne amüsiert, „Was für ein toller Erzdämon du doch bist!“

„Halt deine Klappe!“, zischte Cay bösartig.

Er sprang zur Seite, verschaffte sich so genügend Platz, um einen Bannkreis ziehen zu können, murmelte eine grässliche Formel und ließ einen tiefblauen Ring aus dem Boden hochschnellen, in dessen Mitte Mochi schwebte.

Der Kürbis taumelte schwankend vor und zurück und Cay begriff sofort, dass er unter der Magie der Beschwörungsformel stand und keine Möglichkeit hatte diesen Fluch zu brechen. Sein freier Wille war ausgeschaltet.

„Ist diese Art von Zauber nicht verboten – Jedenfalls bei Freunden?!“, sie verzog angewidert das Gesicht und trat neben Cay, „Du kennst echt keine Skrupel. Aber dafür machst du es mir verdammt leicht euch Dämonen zu hassen. Du bist abscheulich!“

„Danke für das Kompliment!“, er grinste, es war ein breites, ehrliches Lächeln.

„Du freust dich auch noch über deine widerlichen Taten!“, sie schien kurz davor zu stehen zu explodieren – Er konnte es förmlich in ihrem wutverzehrten Gesicht lesen.

Wumm-Bumm-Wumm-Bumm.

Die Schritte kamen näher.

Cay stand noch für eine Weile ungerührt an derselben Stelle und wartete ab, ob die Schritte die Richtung wechseln, oder aber ein weiteres Stockwerk erklimmen würden, dann hastete er schlagartig auf Mochi zu, löste den Bannkreis und gab seinen Diener frei.

„Mochi, kannst du uns hier herausbringen?!“, fragte Cay und öffnete das Fenster mit einer schwungvollen Bewegung.

„Sicher doch!“, keckerte Mochi, flog aus der Öffnung und plusterte sich auf. Er schwoll in einer wahnwitzigen Geschwindigkeit an, wuchs auf das vier- bis fünffache seiner eigentlichen Größe und ließ sich vor die Fensterbank sinken, „Einmal bitte aufsteigen!“

Es hätte ihn nicht überrascht, wenn jemand versucht hätte, sich gewaltsam Zutritt zu verschaffen, aber der Korridor vor seiner Tür blieb still, vielleicht war es auch nur ein Zufall gewesen, der sie in seine Richtung getrieben hatte. Sie hatten nicht speziell nach ihm gesucht, sondern nach dem Engel.

Langsam kletterte er auf den Fenstersims, schwang sich mit einer zügigen Bewegung auf den Kürbisgeist und reichte Dafne die Hand.

„Ich brauche keine Hilfe von einem Dämon!“, sagte sie schroff und kletterte ebenfalls aus dem Fenster.

„Widersprichst du nicht dir selbst, wenn du dir bei deiner Flucht von Dämonen helfen lässt! Denn ohne Mochi würdest du immer noch in meinem Zimmer festsitzen!“

„Engel haben Flügel, hast du das vergessen?!“, fauchte sie.

„Und du wärst mit Sicherheit abgestürzt“, lachte Cay böse, „Dann hättest du nur noch für eine schäbige Suppe getaugt, du Suppenhuhn!“

Kalter Regen schlug in sein Gesicht, er senkte seinen Kopf, beugte seinen Oberkörper nach vorne und versuchte Mochi Anweisungen zu geben, in welche Richtung er fliegen sollte.

„Wir müssen zum Hauttor, Toxica wartet dort auf uns!“, sagte er schließlich und deutete auf das schwarze Tor am Ende des Hofes. Sie flogen steil in die Luft, sausten über die Giebel des Daches hinweg und preschten dann schlagartig in die Tiefe.

„Mochi, spinnst du! Wir werden ungebremst auf dem Boden aufschlagen“, kreischte Cay, er schlug mit seiner flachen Hand auf den Rücken des Kürbisses, aber dieser reagierte nicht mehr.

Dann geschah es. Der Boden hatte sich aufgetan, die Schule, wie er sie kannte, stürzte mit einem ohrenbetäubenden Geräusch in die Tiefe, dann öffnete sich ihr höllischer Schlund und gab das Grauen frei, das viele Jahre in der finstersten Dunkelheit geduldig gewartet hatte. Ein finsteres, wabbelndes Ding, wie ein riesiger, schwarzer Klumpen aus menschlichen Leichenteilen, stieg zuckend aus der Kluft und wuchs auf eine übermächtige Größe heran – Größer als die Schule, größer als ein Wolkenkratzer – Es nahm infernalische Maße an. Zuerst hatte er geglaubt, dass dies kein Lebewesen, sondern ein Meer aus Kadavern sei, dann verstand er die grauenhafte Wahrheit: diese abscheulich, zitternde Masse verfügte über einen todbringenden Geist, war eine eigenständige Lebensform, die aus ihrem Grab empor gestiegen und dazu bereit war jeden zu töten, der sich ihr in den Weg stellen sollte.

Sie war gierig.

Lauernd.

Und mit einem jahrhundertealten, ungestillten Blutdurst.

Die Dunkelheit breitete sich aus, wolkig und schnell, als ob jemand ein Tintenfass über den dritten Himmel ausgekippt hätte.

„MOCHI, MOCHI, MOCHI! KOMM ZUR BESINNUNG!“, kreischte Cay, dann nahm er aus den Augenwinkeln eine schwarze, pulsierende Bewegung wahr, die auf den Kürbisgeist zu schnellte, ihn fesselte und seine Flugbahn abänderte.

Für einen Sekundenbruchteil keimte ein unheimliches Gefühl in seiner Brust auf, er klammerte sich an die verzweifelte Hoffnung, dass Toxica mit der Absicht eingegriffen hatte, um ihr Leben zu retten, doch als der Dämon das Band mit einer gewaltigen, ruckhaften Bewegung erneut spannte und gen Boden donnerte, realisierte er, dass sein Partner die Seite gewechselt hatte – Oder aber nie auf der gleichen, wie er, gestanden hatte.

„Toxica....!“, japste Cay – seine Gedanken waren betäubt, fühlten sich wie die eines Fremden an. Wie hatte er den Worten des Dämons nur glauben und sich so von ihnen beeinflussen lassen können – Es war alles eine Farce gewesen, penibel inszeniert und bis in jede Kleinigkeit einstudiert. Toxica hatte ihn in eine Falle gelockt.

„DER VERRÄTER, DER DAS ENGELMÄDCHEN FREIGELASSEN HAT, IST HIER – ICH HABE IHN ERWISCHT, ALS ER FLÜCHTEN WOLLTE“, kreischte Toxica, “ICH BRAUCHE VERSTÄRKUNG!“

Das Ritual war noch nicht vorbei, er konnte es in den glühenden Augen der Bestie lesen, die ihre Klauen gierig über den Boden kratzen ließ, sie jedoch verfehlte – Ihr Meister hatte noch keinen Befehl zum Angriff gegeben. Sie hörte nur auf seine Worte.

„Was soll der Scheiß! Willst du uns alle umbringen!?“, brüllte Cay, er war in den Himmel gestürzt, hatte seine Gestalt verändert, schwarze Schwingen ragten über seinen Rücken und in seinem Arm lag der fast besinnungslose Kürbisgeist Mochi.

„ICH HATTE VORAUSGESEHEN, DASS DU DUMM GENUG SEIN WÜRDEST, UM DEINEN FEHLER ZU WIEDERHOLEN“, schrie Toxica, „ABER ICH HÄTTE NICHT DAMIT GERECHNET, DASS DU SO EINFÄLTIG WÄRST, UND ES MIR SO LEICHT MACHEN WÜRDEST! ICH HABE DICH ÜBERSCHÄTZT!“

Toxica war ein Meister der Folter, aber kein Schlächter – So konnte er wenigstens etwas an Zeit gewinnen.

„Was willst du damit sagen?!“, fragte Cay und gab Dafne mit einem leichten, kaum zu erkennendem Nicken zu verstehen, dass sie sich verstecken und für einen bevorstehenden Kampf rüsten sollte.

„DU SOLLST ES WISSEN!“, antwortete Toxica, „DU SOLLST ALLES WISSEN. BALD. ICH WERDE DICH TÖTEN, ABER VORHER SOLLST DU ALLES ERFAHREN. UND JETZT BÜSSE FÜR DEINE VERGEHEN!“

Sofort zog Cay seine Dolche, wirbelte herum und erkannte, dass das Ding, das unter Toxicas Kontrolle stand, sich für einen Angriff bereit machte. Seine verstümmelten Hände hoben sich, schlugen mit einer Kraft zu, die den Boden mit einem Faustschlag zerspringen ließ – dann torkelte es ein, zwei Schritte voran und schrie. Es war ein unerträglicher, leidvoller Laut, der die Kulisse für einen Moment erschütterte und die Wirklichkeit einriss, dann griff es erneut an.

Alles passierte in einer absurden Geschwindigkeit.

Das Ding ließ seine Klauen durch die Luft jagen und erwischte Cay mit voller Wucht frontal. Er verlor die Kontrolle, fiel nieder und schlug ungebremst auf den steinernen Ruinen seiner Schule auf.

Der Schmerz war entsetzlich, explodierte in seinem Körper und zerriss jede, sich nach Erlösung sehnende, Faser seines Körpers.

„HAST DU WIRKLICH NICHT MEHR ZU BIETEN?! ICH HABE MICH SEIT UNSEREM ERSTEN AUFEINANDERTREFFEN AUF DIESEN KRAMPF GEFREUT... UND JETZT WILLST DU SO EINFACH STERBEN?!“, kreischte Toxica geisteskrank, „DANN STIRB – JA, STIRB UND FINDE DICH IM TOD WIEDER UND GRÜSS DORT DEINEN ENGEL VON MIR, WENN DU IHN IN DER HÖLLE TRIFFST!“

„Woher...“, sagte Cay mit zitternder Stimme, sein Arm fühlte sich taub an, wahrscheinlich war er bei dem Aufprall gebrochen worden und doch zwang er sich dazu erneut aufzustehen.

Die Kreatur tat eine plötzliche, unerwartete Bewegung, taumelte auf den Dämon zu, doch statt ihn anzugreifen, fiel es auf die Knie, hielt sich den Kopf und dann platzte sein Schädel auseinander.

Toxica hatte seinen Plan geändert – Er wollte, dass sie das volle Ausmaß menschenmöglicher Qualen erlebten.

Etwas Finsterstes, Feuchtes quoll aus dem Maul der Bestie, sickerte allmählich auch aus seinen Augenhöhlen und bewegte sich auf den rothaarigen Dämon zu. Kleine, schwarze Kugeln – Wie käferartige Körper ohne Beine, die zu einer wogenden Gewalt wurden, über den Boden robbten und sich langsam, aber zielstrebig an seinem Bein hinauf schlängelten.

Das Grauen hatte ihn gefesselt, hatte ihn in den Bann geschlagen und seine Gedanken völlig durcheinandergebracht – Zu spät begriff er, dass er in Lebensgefahr war. Die schwarzen Murmeln fraßen sich unter seine Haut, wabbelten unter seinem Gewebe auf und ab, durchbohrten schließlich seine Knochen und ließen ihn einen Lichtblitz später schmerzerfüllt aufschreien.

Grell leuchtende Sperrspitzen fielen aus dem Niemandsland hinter der Wolkendecke, stürzten auf Toxica und die leblose Maße nieder, die er zum Kampf heraufbeschworen hatte und durchschlugen den festen, schwarzen Schleier, der ihrem Feind lediglich als Versteck gedient hatte.

Die Illusion brach wie ein Kartenhaus in sich zusammen, die Kulisse wandelte sich und gab einen Blick auf die Wirklichkeit frei – Eine zweite Realität, die nichts mit der Ersten gemein hatte, aber um ein Vielfaches schlimmer war.

Er sah nach oben – Jedenfalls glaubt er dies zu tun. Der Himmel war verschwunden, Blitze zuckten auf und gaben kurz den Blick auf die undurchdringbare Masse aus schwarzen Gewitterwolken frei, dann grollte der Donner über den Erdboden. Himmel und Erde hatten ihre Plätze getauscht – Sie befanden sich im Auge des Sturms, waren zu einem Teil des Unwetters geworden und konnten von der Wolkendecke aus auf die Schule hinunterblicken. Sie war unbeschadet.

Aus dem Augenwinkel konnte er Ren erkennen, er hatte den Bannkreis Toxicas durchbrochen und hastete nun auf Cay zu.

„Wie konntest du nur so töricht sein und auf Toxica hereinfallen, ich hätte dich eigentlich nicht für so naiv gehalten!“, sagte Ren, seine Stimme klang müde und doch konnte er den Vorwurf und den Tadel klar aus ihr heraushören – Aber da war noch etwas anderes. Etwas, das er schwer einordnen konnte. Hatte sich Ren womöglich um ihn gesorgt?! Auch wenn Cay seine eigenen Entscheidungen traf und sich von niemandem von seinem Vorhaben abbringen ließ, so waren sie immer noch Freunde, jedenfalls hatte Ren das immer behauptet.

„Jeder macht mal Fehler!“, zischte Cay und zuckte mit den Schultern, „Kannst du mir aufhelfen, diese schwarzen Viecher haben mir ziemlich zu schaffen gemacht! Ich glaub mein rechtes Bein ist vollkommen im Arsch!“

Ren verdrehte die Augen, stöhnte genervt auf und hievte aber – mehr gegen seinen eigenen Willen – Cay in die Höhe. Er konnte sich nur schwer auf den Beinen halten, stütze sich auf seinen Partner und fixierte Toxica, der aus dem Schatten getreten war und breit grinste.

„Worüber freust du dich so, du Bastard!“, keifte Cay.

„Wenn du die jämmerliche Figur sehen könntest, die du gerade abgibst, würdest du auch lachen!“, sagte Toxica und lachte dann schrill auf.

Der Regen hatte zwar aufgehört, aber die Luft war feucht und in dieser feuchten Atmosphäre erklang ein jäher, unirdischer Schrei – Er schwoll an, wurde wieder leiser und schwoll dann wieder an. Er wurde durch die Wolken getragen, hatte zwar keine Chance die Welt darunter zu erreichen, dennoch war der Laut klar – Er klang wie ein höllisches Trompetenspiel, das irgendwo weit in der Ferne gespielt wurde.

„DAFNE!“, schrie Cay plötzlich, als er begriff, dass der Schrei von dem Mädchen stammen musste.

Dann schritt Toxica langsam durch die dicke Wolkendecke, ließ Cay dabei keinen Moment aus den Augen und machte sich zum Kampf bereit. Es würde nur Sekunden dauern, dann wäre er bei ihm.

„Du hast es also endlich begriffen! Mein Versprechen – Es wird sich bald erfüllen. DU WIRST STERBEN!“, fauchte Toxica, öffnete drei Ampullen mit verschiedenfarbigen Flüssigkeiten und kippte sie über dem Himmel aus. Das Firmament entflammte, veränderte sich zum zweiten Mal, zog sich zusammen und bildete eine undurchlässige Mauer – Dann war es vorbei.

Toxica hatte ein schwarzes Schwert heraufbeschworen, schwang es in die Lüfte und stemmte es mit einer präzisen, kräftigen Handbewegung auf seine rechte Schulter, dann stürmte er los – Rannte durch das Wolkenmeer, holte aus – und verfehlte Cay knapp. Der Dämon war sofort in die Höhe geprescht, flog empor und sauste in die Dunkelheit. Seine Augen huschten hektisch über das Wolkenfeld, sie ließ ihn jedoch kaum einen halben Meter weiter blicken.

»Dafne... Wo bist du... Verdammt«

Schnelle Wolkenstreifen huschten über die Sonne, es wurde düster, heller, wieder düster und wieder heller. Es war ein unregelmäßiger Rhythmus, der durch den zunehmend dichter werdenden Nebel pulsierte und Phantomgestalten entstehen ließ, die durch die Lüfte tanzten.

Plötzlich wurde er niedergerissen. Er stürzte durch den Himmel, fiel einige Meter tief und er blieb regungslos liegen, der Schmerz blieb jedoch aus. Dann spürte er eine Last über sich und zwei Hände, die über sein Gesicht fuhren und ihm gewaltsam den Mund zuhielten.

„Es verstößt zwar gegen meine eigenen Grundsätze einem schäbigen Dämon, wie dir, zu helfen, aber ich glaube diesmal haben wir keine andere Wahl als zusammenzuarbeiten!“, wisperte das Mädchen und presste Cay ihre Hand fester vor seinen Mund, „Ich heile deine Wunden, aber nur dieses eine Mal!“

Sie ließ ihn abrupt los, fuhr mit ihren Händen über sein zertrümmertes Bein und ließ eine Magie wirken, die seine Qualen zuerst zu verschlimmern schienen, dann jedoch, je länger sich der Lichtkegel über seine Gliedmaßen bewegte, das Fleisch und die Knochen zusammenwachsen ließ. Er stöhnte erleichtert auf.

„Danke...“, murmelte Cay endlich, „Mach dich bereit jederzeit angreifen zu können. Unser Feind agiert hinterrücks, mach dich also auf einen unfairen Kampf gefasst – Er wird keine Möglichkeit unversucht lassen, uns zu töten. Er meint es ernst. Für diesen Tag hat er gelebt!“

Wahllos traten sie voran, wanderten einige Meter lang nach rechts und verirrten sich weiter in dem dichten Nebel. Beinahe schien es so, als ob sich auf ewig in der Wolkendecke verlaufen hätte – doch dann wuchs plötzlich etwas Riesiges, Verzerrtes aus dem Boden unter ihnen, riss Cay herum und schleuderte ihn brutal in die Dunkelheit. Er war aus dem Nichts erschienen und stand genau vor ihnen – ohne dass sie seine Präsenz bemerkt hatten.

„Toxica!“, kreischte Cay, fing seinen Aufprall ab und flog auf seinen Rivalen zu. Er griff frontal an, schlug die Klinge seines Dolches in den Arm seines Gegners und ließ eine klaffende Wunde zurück. Toxica schrie auf und für einen Sekundenbruchteil glaubte er, dass er gewonnen hatte, dass sich sein Gegner nun zurückziehen würde, doch er irrte sich.

„Ich werde dir alles nehmen, was dir lieb ist!“, seine Pupillen hatten sich schlagartig geweitet, in seinen Augen blitzte der Wahnsinn, dann stürzte er in die Finsternis.

Hinter ihm erklang ein greller Schrei, gefolgt von einem splitternden Geräusch, das ihn zusammenzucken ließ, dann war es still. Vollkommen still.

„Er hat Ren! Wir müssen eingreifen!“, zischte Cay, wartete die Reaktion Dafnes ab, doch diese antwortete nicht mehr.

Dann fiel ein Schuss. Ein Zweiter und Dritter folgten – Sie durchschlugen die Kulisse, rissen die Dunkelheit ein und tauchten den Himmel in das rauchige, schmutzige Orange des Mündungsfeuers. Sie zuckten wie Blitze auf, verloren sich aber schon wenige Augenblicke später im Nebelschleier, nur um gleich wiedergeboren zu werden.

Er wusste nicht, was er in dem Aufblitzen zu erkennen glaubte, aber es musste eine Art Vision sein, die aus seiner Angst und Hysterie geboren worden war – Ein böser Alptraum, der für einen höllischen Augenblick Gestalt angenommen hatte.

Er sauste auf Ren zu, erkannte aus dem Augenwinkel Dafne, die eine Waffe in den Händen hielt und einen Punkt weiter unterhalb des Wolkenmeers anvisierte.

Sowohl Toxica, als auch Ren lagen am Boden und rührten sich nicht mehr, aber die Gestalt seines Rivalen schien auf eine absurde Art verzerrt zu sein, seine Gliedmaßen waren verdreht, als ob nicht der Kugelhagel ihn niedergestreckt, sondern etwas weitaus Entsetzlicheres sich in den Kampf eingemischt und ihn mit bloßer, körperlicher Gewalt verstümmelt hätte. Seine Augen spielten ihm einen Streich, sein Herz schlug schmerzhaft gegen seine Brust, es begann zu rasen, zu protestieren – Aber auch als er die Augen schloss, sich ins Gedächtnis zu rufen versuchte, dass dieses groteske Bild lediglich irgendwo in seiner Phantasie existiert haben musste, war es da, als er die Augen wieder öffnete.

Toxica schien unvollständig zu sein, als ob ihm mehrere Gliedmaßen abhandengekommen wären – Sie waren brutal herausgerissen, fehlten von der Armbeuge an – Aber die Überreste konnte er nirgends sehen, nur die Lache aus waberndem, klebrigen Blut, in dem der bewusstlose Körper lag.

Der Bannkreis erlosch schlagartig, schwarze Splitter toben durch die Luft, dann krachten sie aus dem Himmelsgewölbe und drohten auf dem Erdboden zu zerschellen. Er ruderte hilflos mit den Händen, konzentrierte die letzte verbliebene Kraft, die ihm geblieben war und ließ seine Flügel zum letzten Mal erscheinen. Zu spät. Toxica und Ren waren bereits zu tief gefallen, ihre leblosen Körper nahmen durch den freien Fall eher noch an Geschwindigkeit zu. Er schrie auf.

„Kein Grund gleich herumzukreischen!“, keckerte Mochi vergnügt und sauste schlagartig in die Tiefe, „Ich mach das schon, Chef!“

Er stürzte auf Ren zu, flog eine Handbreit unter ihn und fing seinen regungslosen Körper auf, dann schnellte er auf Toxica zu – Zwar nicht mit der gleichen Intension, aber er konnte sich dennoch dazu ereifern ihren Widersacher vor dem Tode zu bewahren – Eine Handlung, die Cay nicht begriff. Dann schwebte er langsam zu Boden, setzte die Dämonen ab und flog auf seinen Meister zu.

„Das wäre erledigt!“, trällerte Mochi zufrieden, „Wie sehen deine Pläne aus, Boss?!

Cay ging auf Ren und Toxica zu – konnte seinen Blick aber nicht von seinem Rivalen abwenden.

„Was auch immer ihn angegriffen hat, es war keiner von uns!“, sagte der Dämon kalt, „Es muss etwas weitaus Gefährlicheres gewesen sein, etwas, das mit einer tödlichen Präzision angreift – Aus dem Hinterhalt kam und dann genauso schnell verschwinden konnte, wie es aufgetaucht war.“

Mochi erschauderte: „Aber was kann das gewesen sein?!“

„Eine Kreatur der Unterwelt – Fang am Besten an in den eigenen Reihen zu suchen!“, sagte Dafne bissig und funkelte den rothaarigen Dämon an.

„Du bist so ein schlaues Mädchen!“, entgegnete Cay und lachte dann bösartig auf.

Er hielt inne und horchte in sich hinein. Es war nicht nur die Reaktion des Mädchens, die ihn schockierte, sondern auch die Seinige. Er hatte nicht die Spur einer Angst. Vielleicht tief in sich, irgendwo in seinem Unterbewusstsein vergraben, eingeschlossen in einer anderen Ebene, die er nicht erreichen konnte – Jedenfalls nicht für den Augenblick. Es erwachte nicht. Die Bedrohung, die dort draußen lauerte, war real, sie war greifbar und doch verspürte er keine Furcht – Der Anblick Toxicas hatte keine Gefühlsregung in ihm ausgelöst, obwohl er eigentlich vor Angst hätte erschauern müssen. So wie es Mochi tat.

Je mehr Mochi in Panik geriet, umso ruhiger schien er zu werden. Die Gefahr dort draußen interessierte ihn nicht. Nicht wirklich.

„Sie sind noch da draußen und suchen uns“, flüsterte Dafne und spannte ihre Waffe erneut, „Ich kann sie genau spüren, die schwarze Materie, die von ihnen ausgeht – Sie schwappt auf uns zu... Und es sind viele!“

Ob Toxica sie verraten, oder sie lediglich durch die Spieglung ihrer Heimat in eine Falle gelockt und Myras selbst das Verschwinden des Engels bemerkt hatte, spielte nun keine Rolle mehr. Myras würde sie für den Verrat an dem dritten Himmel hinrichten, sie waren zu Geächteten geworden, Abtrünnige, die ihre Heimat auf ewig verloren und hier nicht länger geduldet waren.

Dann spürte er sie auch – die Präsenz der Höllenschar, die auf sie zustürzte. Sie waren erzürnt, böse und bereit dazu sie für ihre Vergehen und die Auflehnung gegen ihren Meister zu bestrafen. Aber da war noch mehr, etwas, dass er zunächst nicht richtig einordnen konnte, doch dann war es plötzlich da, mit einer unerschütterlichen Gewissheit, die er nicht leugnen konnte – Sie würden sie nicht nur jagen – Sie würden sie quälen, sich aus reinem Vergnügen die Hände an ihnen schmutzig machen. Es war abscheulich.

Bonus: Das Kennenlernen


 

Engelstanz der Dunkelheit

____________________________

D a s . K e n n e n l e r n e n
 


 

„Erzählst du mir etwas über die Menschenwelt?“, hatte Mochi am Morgen gefragt und war aufgeregt in Cays Zimmer gesaust. Benommen – und gegen seinen Willen – öffnete der Junge die Augen, rieb sich den Schlaf heraus und blickte verwirrt zu dem Kürbisgeist hinab, der auf ihn zuflog.

Es war bereits nach zehn Uhr gewesen, doch Cay hatte kaum bemerkt, wie der Morgen durch sein Fenster gedrungen war und den Raum in ein mattes orangefarbenes Licht tauchte. Immer wieder waren ihm die müden Lider zugefallen, er hatte es aber auch nicht für nötig gehalten sich aufzuraffen, gegen diesen innerlichen Impuls anzukämpfen und schlussendlich aufzustehen – Nein! – Sein Bett, mit den vielen verschiedenfarbigen, weichen Kissen schien um einiges verlockender zu sein, als der graue Alltag, der ihn mit großen, unausweichlichen Schritten einholte.

Mit einer zu schnellen, seine Kraft unterschätzenden Bewegung, war Mochi in sein Bett gesprungen, verfehlte aber die Matratze, auf die er zu landen versucht hatte, stieß mit dem Kopf gegen den Ellenbogen seines Partner und taumelte eine handbreit zurück. Er wand und krümmte sich vor Schmerzen und fluchte leise auf.

Es war noch keine Woche vergangen, seit Cay gegen seinen eigenen Willen in die Dämonenwelt gebracht und seinem Diener Mochi vorgestellt worden war. Der Kürbisgeist sollte ihm eine Stütze sein – so hatte Myras es jedenfalls vorgesehen. Er sollte ihm die Regeln begreiflich machen, die er zum Überleben im dritten Himmel brauchte und ihn sicher durch diese noch unbekannte Welt geleiten. Aber es kam genau andersherum. Zwar zeigte Mochi sich hartnäckig, er versuchte selbst im Anbetracht größter Panik die Fassung zu bewahren und dem Grauen mutig in die Augen zu blicken, verlor aber schon nach kurzer Zeit die Kontrolle über sich und seine Gedanken. Die Angst kroch in wahnwitziger Geschwindigkeit in seine Gliedmaßen, sie lähmte seinen Verstand und somit das zentrale Nervensystem, das für die Bewegungsabläufe zuständig war, noch ehe er sich bewusst für den Kampf oder die Flucht entscheiden konnte. Manchmal glaubte Cay, dass er Mochis heiles, wenn nicht sogar leicht naives Weltbild zerschlagen würde, sobald er sich anders verhielt, als der Kürbis es von ihm erwartete. Wie würde er wohl reagieren, wenn er ihm von seinen zwiegespaltenen – oft bösen – Gedanken erzählte, die ihn nachts wach hielten?! Wahrscheinlich würde Mochi besser damit zurechtkommen, als er es sich selbst einredete. Vielleicht war er nicht so schwach, wie er es glaubte – Aber er wollte es auch nicht darauf ankommen lassen und sein Glück auf eine Karte setzen und dabei womöglich alles verlieren. Dafür kannte er seinen Partner schlicht und ergreifend noch zu wenig. Er war Mochi immer eine große Stütze gewesen – die starke Schulter, die er brauchte, wenn er sich einsam fühlte oder einfach jemanden zum Reden brauchte. Es war nicht unbedingt ihrer Zusammenarbeit im Kampf zuzuschreiben, dass sie einander verstanden und zu vertrauen begannen – nein, weiß Gott nicht – Aber ihr Band schien durch eine magische Art zu wachsen, die Cay unmöglich mit Worten zu beschreiben fähig gewesen wäre. Sie entglitten ihm, noch ehe er einen klaren Gedanken fassen konnte.

„Die Menschenwelt…“, begann Cay gedankenverloren und legte seinen Kopf in den Nacken, „So sehr unterscheidet sie sich gar nicht von dieser Welt, Mochi.“

„Das glaube ich nicht“, protestierte der Kürbisgeist, „Du bist ganz anders, als die Dämonen hier unten.“

„Das liegt aber nicht daran, dass ich in der Menschenwelt aufgewachsen bin, glaub mir. Dort geht es genauso herzlos zu, wie überall auf der Welt“, sagte er und schaute Mochi in die runden Augen, die ihn voller Faszination anblickten, „Aber wenn dir wirklich soviel daran liegt... Dann will ich dir was zeigen.“

Fast schon hastig sprang er aus seinem Bett, zog sich an und wirbelte wieder zu Mochi herum, „Bist du bereit?!“

„Du willst doch nicht etwa...“, stotterte Mochi leise, beendete aber seinen Satz nicht.

„Worauf du einen lassen kannst“, antwortete Cay und verzog sein Gesicht.

Seine Hand begann zu zittern, eine schwarze, unheimliche Kraft strömte über seinen Unterarm, drang bis in seine Fingerspitzen und dann – endlos langsam – begann er diese düstere Energie zu lenken, er führte sie durch den Raum, begann sie auf einen Punkt zu konzentrieren, ließ sie aber mit einem Schlag los. Er verlor die Gewalt über seine Kräfte, auch wenn er es nicht gewollte hatte, war ihm die Kontrolle entglitten, er brach seine Beschwörung unter einem lauten, aufgebrachten Fluchen ab und ließ die gebündelte Kraft in seiner Hand wieder erlischen. Die schwarzen und weißen Lichtsplitter trieben haltlos auseinander und verloren sich im Lichtspiel der Morgensonne – Es war vorbei, noch ehe es richtig begonnen hatte.

„Verdammt“, fauchte Cay wütend und strich sich mit der linken Hand über seinen schmerzenden Unterarm.

„Meister... Du hast noch zu wenig praktische Erfahrung, um ein Tor zwischen den Welten entstehen zu lassen“, sagte Mochi und sauste schlagartig zu Cay herum, „Lass mich das machen!“

Cay hatte das einzig Vernünftige getan, was er in dieser Situation hätte tun können: Er gestand sich seine Niederlage ein, mehr noch – denn auch wenn er sich stets dagegen geweigert hatte Hilfe von anderen anzunehmen – trat er jetzt einige Schritte zurück und überließ Mochi die Arbeit.

Sein Herz machte einen erschrockenen Sprung, als sich die Wirklichkeit nur einen Sekundenbruchteil später auftat und einen klaffenden, breiten Riss zwischen die Welten schlug. Mochi beherrschte die dunkle Materie, die in ihm hauste, besser, als er es sich vorgestellt hatte.

„Dann wollen wir mal“, sagte Cay aufgeregt, legte seinen Arm um seinen Partner und schob ihn auf das schwarze Loch in seinem Zimmer zu, „Ich bin schon gespannt, was du sagen wirst, wenn ich dir meinen Lieblingsort zeige. Meine Eltern haben sich jedenfalls immer beschwert, dass ich dort mehr Zeit verbringen würde, als in der Schule – Aber das halte ich für ein dummes Gerücht.“

Schon nach einigen Schritten, die er in die Dunkelheit hinein getan hatte, fühlte er das harte, ebene Bordsteinpflaster unter seinen Füßen. Er wand sich nach links und nach rechts und erkannte dann aus den Augenwinkeln wie die schemenhaften Umrisse um ihn herum langsam Struktur annahmen und sich die Kulisse, unter ächzenden, krachenden und brechenden Geräuschen, neu zu formen begann – Riesige Gebäude schossen wie weiße Säulen aus dem Erdboden, sie waren in Rekordgeschwindigkeit in Höhe gewachsen und ließen einen gewaltigen Schatten entstehen, der sich über das Viertel legte.

Dort wo noch eben sein Bett gestanden hatte, tat sich der Boden auf, veränderte sich schlagartig und ließ eine enge, kaum zu passierende Seitenstraße entstehen, die sich durch die Häuserschlucht schlängelte. Zu Beiden Seiten standen Fahrzeuge – die Reifen halb auf der Straße, halb auf dem Gehweg – und doch schien diese Gegend wie ausgestorben zu sein.

„Versteck dich besser in meinem Rucksack“, sagte Cay und hievte seine Tasche von seiner Schulter und öffnete den Reißverschluss.

„Aber Cay…“, empörte sich Mochi, „Ich will da nicht rein. Ich will nicht, ich will nicht.“

„Keine Widerrede!“, sagte Cay bestimmend und drückte die Seitenwände seiner Tasche auseinander, sodass der Kürbisgeist problemlos einsteigen konnte.

Lustlos, fast schon widerstrebend, kletterte Mochi in das Tascheninnere, er ließ ein genervtes Stöhnen hören, kauerte sich aber anschließend, leise murrend, zusammen.

„Mach jetzt keinen Staatsakt daraus. Du kannst doch wohl ein paar Minuten dort drin aushalten, ohne gleich auszuflippen, oder?!“, wisperte Cay gepresst. Nicht nur die Angst womöglich gehört und als Vollidiot abgestempelt zu werden, der am helllichten Tag – allein und mit der Nase in seinem Rucksack steckend – mit sich selbst sprach, ließ ihn abrupt leiser werden, nein, es war auch jenem beklemmenden Gefühl in seiner Brust zu verdanken, das schmerzhaft sein Herz in die Höhe schnellen ließ, dabei unwillkürlich in seinen Verstand griff und ihn fast wahnsinnig machte. Was war, wenn ihnen jemand gefolgt war?!

Nach einer gefühlten Endlosigkeit betrat er einen Imbiss, durchquerte diesen mit zügigen, aber zielgerichteten Schritten und ließ sich auf einen der harten, roten Plastikstühle in einer abgelegenen Ecke sinken. Er atmete den kalten Metall-Glas-Kunststoff-Geruch des Ambientes ein, schloss kurz die Augen und seufzte. Auch wenn es nicht lange her gewesen war, seit er das Restaurant das letzte Mal besucht hatte, so hatte er diesen Ort vermisst, vielleicht sogar mehr als er es sich einzugestehen bereit war.

Mit einer knappen, unsicheren Handbewegung öffnete er seinen Rucksack und blickte zu Mochi herab. Der Kürbisgeist kämpfte sich mühsam an die Oberfläche, stieß um sich, strampelte und zappelte – dann nach endlosen, zerrenden Minuten, sauste er endlich in die Freiheit.

„Sie können dich nicht sehen, richtig?!“, murmelte Cay verlegen und winkte seinen Partner zu sich herbei.

„Nein, für die Menschen bin ich unsichtbar – Was glaubst du was das für einen Tumult geben würde, wenn sie plötzlich Kreaturen aus der Hölle sehen könnten?!“, keckerte Mochi ungehalten und schnellte durch das Restaurant.

„Ich bin mir sicher, dass die Weiber schreiend vor dir wegrennen würden“, seine Stimme klang scharf, herausfordernd. Er blätterte durch die Speisekarte, tat so, als würde er sich etwas aussuchen und winkte die Kellnerin zu sich herbei – Er wusste genau, was er wollte.

Eine junge Frau, vielleicht Anfang zwanzig mit hellbraunem, lockigen Haar, näherte sich seinem Platz, sie stellte ihr Tablett ab und lächelte ihn an.

„Das ist dein persönlicher Rekord, Cay“, strahlte sie, „Du warst fast eine Woche nicht mehr hier – Wie hast du es nur ohne Fast Food ausgehalten?! Möchtest du das Übliche, oder hat sich dein Geschmack innerhalb der letzten Woche verändert?“, höhnte sie und fingerte einen kleinen Notizblock und einen Kugelschreiber aus ihrer Schürze hervor, blickte dann zu Cay hinab und wartete auf seine Bestellung.

„Sei froh, dass ihr Stammkunden wie mich habt“, entgegnete Cay, „Ich nehme das Übliche, aber spart bloß nicht wieder am Fleisch – Ich habe Hunger!“

Die Frau drehte sich auf ihrem Absatz um, aber nicht, ohne gekünstelt ihre Augen zu verdrehen und sich mit einer wegwerfenden Handbewegung zu verabschieden, dann verschwand sie in der Küche.

„Was hast du denn bestellt?“, wollte Mochi wissen, doch Cay schüttelte nur den Kopf.

„Das wirst du gleich sehen, gedulde dich noch ein wenig – Aber es wird das Beste sein, was du je essen wirst, das verspreche ich dir.“

Die Kellnerin kam und brachte seine Bestellung. Der Größe seiner Portion nach zu schließen, musste er wirklich einen ausgehungerten Eindruck auf sie gemacht haben.

Ihm lief das Wasser im Munde zusammen, als er auf seinen Teller hinabblickte und die zwei riesigen Hamburger und die Schachtel Pommes sah.

„Verhalte dich unauffällig, Mochi“, ermahnte ihn Cay, „Denn ich glaube es macht einen komischen Eindruck, wenn die Hälfte meiner Portion plötzlich durch den Laden fliegt und von einem unsichtbaren Geist verschlungen wird.“

Mochi nickte zustimmend, konnte seinen Hunger aber nicht länger zurückdrängen und ließ die Hälfte seines Burgers unauffällig neben sich auf den Platz gleiten und verschlang seine Portion in wahnwitziger Geschwindigkeit.

Cay vertilgte seinen Hamburger, las die letzten Krümel mit der Fingerspitze auf, leerte seine Cola, war aber keineswegs gesättigt.

„Das war wirklich das Beste, was ich je gesessen habe, Cay!“, stimmte ihm Mochi zu, vereinzelte Brösel flogen aus seinem Mund, als er sprach.

„Sag ich doch“, lachte Cay zufrieden, er wollte aufstehen und bezahlen, als er eine kräftige Hand auf seiner Schulter spürte.

„Was ist denn nun schon wieder?!“, zischte er, wurde aber schon im selben Augenblick herumgerissen und blickte einem dunkelhaarigen, groß gewachsenem Mann an, der sich über ihn gebeugt hatte und seinen Griff festigte, in die stechend roten Augen.

Heißes Blut pulsierte in seinen Adern, er konnte die Panik förmlich durch seinen Körper rauschen spüren - Jemand musste sie beobachtet und ihren Abstecher in die Menschenwelt gemeldet haben, es gab keine andere Erklärung.

„Noch einmal entkommst du uns nicht“, raunte der Mann düster und hebelte Cays rechten Arm brutal auf den Rücken.

„Wer hat denn gesagt, dass ich abhauen wollte?!“, fauchte Cay aufgebracht, er bäumte sich ruckartig auf, wand sich verzweifelt nach links und nach rechts, spürte, wie der Schmerz in seiner Schulter zu explodieren begann, gab den Widerstand einen Lichtblitz später auf und erschlaffte aus seiner angespannten Haltung.

„Myras behauptet das!“, sagte der Mann monoton und riss Cay in die Höhe, „Aber glaub mir, dein Verstoß gegen die Vorschriften wird weitaus schlimmere Konsequenzen für dich haben, als du es dir bis jetzt ausmalen kannst.“

„Welcher Verstoß denn bitte?!“, schrie Cay, er trat um sich und erwischte seinen Kontrahenten am Schienbein, schaffte es den Moment der Verwirrung für sich zu nutzen, riss sich aus der Umklammerung des Mannes los und wirbelte schlagartig herum, „Ich wollte einen Hamburger essen gehen, mehr nicht.“

„Erklär das Myras“, brummte der Mann, schüttelte schnell den Kopf und führte den Dämon ab.
 

Aber Myras hatte ihm nicht zugehört, er wollte seine Ausreden nicht hören – die Version seiner Geschichte – die er für eine Lüge hielt. Mit einem besonderen Maß an Gleichgültigkeit hatte er über diesen Fall entschieden und eine Bestrafung gewählt, aus der nicht nur er einen Nutzen ziehen konnte, sondern alle seine Untergebenen.

„Eigentlich sollte ich für dein törichtes Verhalten foltern, du Verräter“, fauchte er, „Aber da du noch neu bist, werde ich Gnade vor Recht walten lassen…“, er flocht seine Finger ineinander, stützte seine Arme auf seinem Schreibtisch ab und fügte schließlich monoton hinzu, „Du wirst das ganze Jahr über in der Küche arbeiten, dort kannst du über deine Taten nachdenken – Aber du liebst ja gutes Essen, wie du mal selbst von dir behauptetest und so wirst du diese Form der Bestrafung willkommen heißen.“

Der Pakt mit dem Teufel


 

Engelstanz der Dunkelheit

____________________________

D e r . P a k t . m i t . d e m . T e u f e l
 


 

Die Nacht war schwarz wie ein Grab und selbst wenige Zentimeter weiter blickend, konnte er nur schemenhafte Eindrücke wahrnehmen.

Von diesem Schrecken und der Hässlichkeit umgeben, konnte er nicht glauben, dass er so närrisch gewesen war, Jahre seines kostbaren Lebens in dieser Düsternis zu verbringen, ohne die Schönheit der Welt zu sehen.

„Warum mussten wir ihn auch mitnehmen! Er behindert uns nur und wegen ihm werden wir nur unnötig eine Menge Zeit verlieren“, fauchte Dafne und machte eine ausfallende Handbewegung, „Aber macht doch, was ihr wollt – Die Denkweise von Dämonen will ich gar nicht verstehen. Ihr seid mir zuwider!“

Sie verschränkte störrisch die Arme vor der Brust, drehte sich von Cay weg und versuchte ihn zu ignorieren – Wie sie alles was er tat oder sagte zu ignorieren versuchte. Es gelang ihr nicht.

„Du tust ja so, als ob das alles meine Idee gewesen wäre!“, zischte Cay, ließ ein Bündel aus Ästen und morschen Hölzern auf den vorbereiteten Erdboden fallen und beobachtete Mochi, wie er das trockene Geäst entflammte. Rot-goldene Flammen stoben in den Himmel, breiteten sich im Handumdrehen aus und flackerten unruhig im Wind. Das Feuer droht durch die wogende Bewegung, die der Wind tat, zu erlischen, doch Cay hatte sofort eine Art unsichtbares Kraftfeld erzeugt und es um das Lagerfeuer gelegt.

„Du hast zugestimmt – Schlimm genug!“, sagte sie bissig und setzte sich vor das Feuer, streckte ihre Hände nach den wärmenden Flammen aus und seufzte leise auf.

„Nicht alle Dämonen sind herzlos, ihr Engel habt ein total falsches Bild von uns!“, antwortete Cay genervt und ließ sich neben das Mädchen sinken, „Warum hasst du die Dämonenwelt eigentlich? Das muss doch einen Grund haben?!“

„Ob das einen Grund hat?!“, sie lachte schrill auf, in ihren Augen blitze ein uralter, entsetzlicher Zorn, eine Wut, die ihr Innerstes zerfraß und für einen Sekundenbruchteil – vielleicht hatte es diesen Moment auch nie gegeben – glaubte er noch etwas Anderes in ihnen lesen zu können. Etwas, dass ihn auf die gleiche Weise erschrak, wie es ihn anzog. Es war die Faszination des Grauens, die er in ihren Augen las, ein grässlicher Hass auf alle glücklichen Menschen, die unbeschwert ihren Alltag erlebten, weder Kummer noch Leid verstanden und am Ende eines jeden Tages zufrieden ins Bett fallen konnten, ohne Angst vor dem Erwachen haben zu müssen.

„Was ist passiert?!“, die Worte waren aus ihm herausgeplatzt, er hatte keinen Gedanken daran verschwendet, ob seine Frage vielleicht anmaßend klang, oder aber Erinnerungen in dem Mädchen weckte, die sie vor langer Zeit tief in ihrem Herzen verschlossen hatte.

„Du bist schon dreist, Dämon!“, sie blickte zu ihm auf, „Aber jetzt spielt es auch keine Rolle mehr, ob du es weißt oder nicht.“

Sie blickte in seine Augen, sah sein Gesicht, die strubbeligen roten Haare und dann sagte sie mehr zu sich, als an ihn gewandt: „Es begann vor zwei Jahren, ich war noch ein Kind – Ein hilfloses Kind und konnte nichts machen“, Die Tränen hatten sie übermannt und doch zwang sie sich dazu weiterzusprechen – Ihre Stimme durfte nicht brechen, „Ich hatte Glück, ich lebte mit meinen Eltern auf der Sonnenscheibe, mein Vater gehörte zu den heiligen neun Chören, er war ein Cherubin und arbeitete direkt mit Gott zusammen. Doch dann wurde er in die Menschenwelt ausgesandt, er sollte einen gefallenen Engel stellen, der sich gegen Gott verschworen und sich der verbotenen, höllischen Macht des Teufels bedient hatte – Der Sünder zeigte sich nicht geständig, bereute seine Taten nicht und schwor Rache am Himmel, an Gott selbst und seiner Armee zu nehmen. Später stellte sich heraus, dass dieser Engel ein Dämonenheer anführte, ein kleiner Rebellentrupp, der aus der Hölle verband worden war und nun nach einem neuen Anführer suchte. Sie griffen die Sonnenscheibe an, sie entzündeten den Himmel und vernichteten jeden, der sich ihnen in den Weg stellte – Sie ließen blinden Zerstörungswahn walten, sie töteten Hunderte, darunter auch meine Eltern.“

Sie starrte ihn für einen kurzen Moment an, versuchte seinen Blick zu deuten und schüttelte dann den Kopf: „Kannst du jetzt verstehen, warum ich euch Dämonen hasse und warum ich euch lieber tot als lebend sehen möchte?! Ihr habt mich gelehrt euch als Feinde zu sehen und diese Erkenntnis werde ich mit ins Grab nehmen.“

„Ich kann deine Sichtweise verstehen“, entgegnete Cay. Er lächelte, aber in seinen Augen war etwas, dass das Gegenteil behauptete. Ein kaltes, hartes Glitzern, das Dafne frösteln ließ, „Erzähl mir wie sich deine Seele in die Totenhalle verirren konnte, du bist doch ein Engel!“

Zuerst zögerte sie, der plötzliche Wandel in seiner Stimme war ihr nicht entgangen, er sprach in einem deutlich schärferen Tonfall, als noch zu Beginn des Gesprächs, aber sie versuchte es zu ignorieren und seine Frage, so gut es ging, zu beantworten.

„Du hast recht, die Seele eines Engels landet für gewöhnlich auch nicht in der Totenhalle“, antwortete sie ruhig, aber bestimmend, „Außer er hat sich nachweislich einer Sünde hingegeben, die mit dem sofortigen Tode bestraft wird.“

„Gott tötet?!“, unterbrach sie Cay, seine Augen hatten sich vor Schreck geweitet, waren nicht nur sprichwörtlich, sondern spürbar aus den Höhlen gequollen, „Ich habe zwar gehört, dass ein Sünder mit dem Höllensturz bestraft wird, aber nicht, dass der leibhaftige Schöpfer sich die Hände an seinen eigenen Leuten schmutzig macht!“

„Tut er auch nicht, dafür hat er seine Untergebenen, die sich klar an die heilige Schrift halten“, ihre Blicke trafen sich und diesmal hielt sie dem stummen Duell stand, „Es steht geschrieben, dass es die freie Entscheidung jedes Lebewesens, so auch natürlich auch die der Engel selbst sei, auf die verführerische, widergöttliche Stimme zu hören, die uns aus Neid in den Tod fallen lässt. Gott verschont niemanden, der sich seinen Lehren entzog und gegen sein himmlisches Reich stellte. Er wirft den Sünder, gefesselt durch die eisernen Ketten der Finsternis, in die Hölle und stellt ihn vor Gericht.“

„Das ist doch Schwachsinn“, unterbrach Cay sie erneut, „Die Freveltat, wie du sie beschreibst, gibt es im Grunde nicht. Es ist nichts weiter als Ermessenssache! Wer entscheidet schon darüber was gut und was böse ist – Jede Tat kann aus guten Motiven geschehen, aber böse Ausmaße nehmen, schon einmal daran gedacht?!“

„Öfters, als du denkst!“, sagte Dafne, sie blickte den Dämon noch eine geraume Weile an, ehe sie sich mit einem spürbaren Ruck von ihm losriss und weiter das lodernde Lagerfeuer anstarrte.

„Und – welchen Fehltritt hast du dir erlaubt?!“, seine Frage klang beiläufig, aber sie spürte sofort, dass seine Worte penibel genau gewählt worden waren und ihr jede Möglichkeit auf eine Flucht raubten – Er wollte eine Antwort. Jetzt.

„Ich habe Dämonen gejagt!“, schnappte sie, „Ich habe sie gejagt und mich an ihnen gerächt... Für das, was sie meiner Familie antaten... Was sie meinen Freunden antaten... Irgendwann wurde mein Hass übermenschlich, er nahm mich gefangen und ließ mich die Augen vor dem Wesentlichen verschließen... Ich dachte, dass ich im Recht sei, dass ich im Namen Gottes handeln würde... Aber ich irrte mich und musste für diesen Fehler bezahlen.“

Obwohl er sich zu beherrschen versucht hatte, reagierte sein Körper auf die Worte des Mädchens instinktiv, sein Puls raste, seine Augen huschten schlagartig an ihrem schmalen Körper entlang und dann sprang er mit einem Satz auf und trat einige Schritte zurück. Er brodelte innerlich vor Zorn – Drohte jeden Augenblick durch die Drehtür der Vernunft zu fallen und sich auf der anderen Seite der Wirklichkeit wiederzufinden, er war nur einen Atemzug davon entfernt.

Doch dann sagte sie etwas, dass seine Verwirrung komplett machte: „Aber so einen komischen und undämonischen Dämon, wie dich habe ich echt noch nie getroffen!“, sie lachte.

Cay wollte ihr eine bissige Antwort entgegen schleudern, unterdrückte diesen Impuls im letzten Moment, gerade noch rechtzeitig um zu bemerken, dass sein Partner Ren erwacht war.

Benommen öffnete er die Augen, richtete sich mühselig auf und rieb sich den Kopf – Er schmerzte höllisch.

„Wo bin ich...“, murmelte er schlaftrunken.

„Wir befinden uns im »Wirbel des Chaos«“, entgegnete Cay, „Es ist eine Art Zwischenebene innerhalb der Welten. Eine Art Versteck für Dämonen, die sich gegen Myras gestellt oder aber von ihm verbannt worden sind.“

„Ich will gar nicht wissen was hier für Kreaturen lauern!“, wisperte Mochi ängstlich, tänzelte um Cay herum und blieb hinter seinem Rücken versteckt.

„Man vermutet, dass dieser Ort durch die Materialisierung böser Gedanken besessener Seelen entstand, die ihre Heimat im heiligen Krieg verloren und die Unterwelt daraufhin hintergingen und Rache schworen“, säuselte Ren und richtete sich mühselig auf, „Es war keine sonderlich kluge Idee in dieses Reich zu fliehen – Ich weiß nicht, welche Bedrohung eine größere Gefahr darstellt: Myras und seine Streitmacht, oder das unbekannte Grauen in den tiefen des Chaoswirbels!“

„Wie immer bist du ein Klugscheißer!“, zischte Cay, „Aber wenn du eine bessere Idee hast, dann lass sie hören, Schlaumeier!“

Eine tiefe, schwere Stimme erhob das Wort – Er erkannte sie sofort.

„Alles, was uns hier unten passieren kann, ist harmlos im Vergleich zu dem, was uns blühen wird, wenn wir erneut auf Myas treffen sollten – Cay hat diesmal richtig gehandelt“, keuchte Toxica, es fiel ihm schwer zu sprechen. Immer wieder brach er seinen Satz ab, musste nach Luft ringen und schaffte es nur unter größter Kraftanstrengung seinen Einwand zu formulieren. Noch nie hatte er seinen Rivalen so gesehen – Er wurde von einer unsichtbaren Angst getrieben, sie wurde zu seinem Denken und steuerte seine Handlungen.

Das Gefühl einer drohenden Gefahr explodierte. Die Nacht wäre kaum weniger dicht, als er sie mit geschlossenen Augen erlebt hätte und doch schien die Düsternis seine Sinne geschärft zu haben. Er roch es. Das frische, pulsierende, warme Blut – Es klebte überall, es war in einem bestialischen Rausch vergossen worden, bildete einen Akt purer, rasender Gewalt und sie befanden sich mitten im Zentrum des Massakers. Der Alptraum nahm langsam Struktur an – Noch nicht mit dem bloßen Auge erkennbar, nein, aber bereits mächtig genug um seine schonungslosen und bestialischen Regeln festzulegen – Das Grauen brauchte keine Zeit, um erlebt zu werden, es benötigte einen Wirt. Der muffige Gestank hing in der Luft, drang mit jedem Atemzug in seine Kehle und für einen Augenblick, der Ewigkeit gleichkam, glaubte er einen Teil dieser Umgebung in sich aufzunehmen: Die Zerstörung und die Feindseligkeit, die hier wüteten, krochen jetzt auch durch seine Gedärme, durchbohrten sie und nisteten sich in seinem Herzen ein, um erwachen zu können. Nicht jetzt. Aber bald.

Dann riss er sich von seinen unsinnigen Gedanken los, er trat auf Toxica zu und beobachtete den kraftlosen Körper seines Widersachers. Er sah es in dem Moment, als er sich zu ihm herumdrehte. Seine klaffenden Wunden waren verschwunden, die gähnenden Löcher an seinem Unterarm hatten sich geschlossen, hatten sich mit den fehlenden Gliedmaßen verbunden und hatten seinen Körper vervollständigt.

„Du... Du... bist ein Monster!“, diese Worte waren förmlich aus ihm herausgeplatzt, ohne das er sein Handeln hätte steuern können. Es gab eine Ebene, so verstand Cay plötzlich, auf der sich die menschlichen Moralgesetze verabschiedeten und etwas Anderes, viel Stärkeres die Oberhand gewann.

„Und du bist ein Trottel. Musst du das immer wieder beweisen und deine Dummheit zur Schau stellen?!“, fauchte Toxica und erhob sich mit einer jähen, ruckhaften Bewegung.

„HA! Du gibst also zu ein Monster zu sein!“, sagte Cay vergnügt und fuhr herum. Sein Gegner war zwar unbewaffnet und seiner gesamten Kraft beraubt worden und doch war er immer noch ihr Feind – Ein gefährlicherer Widersacher, der versucht hatte sie mit jedem erdenklichen Mittel zu töten.

„Du begreifst gar nichts!“, murmelte Toxica. Obwohl er leise gesprochen hatte, reagierte Cay sofort. Er sah auf – Ihre Blicke trafen sich und für eine halbe Sekunde starrten sie einander an, ehe sein Rivale ergänzte, „Ich hätte damals meine Mission erfüllen und dich sterben lassen sollen. Es wäre besser für uns beide gewesen!“

„Was willst du damit sagen?!“, fragte Cay direkt und auch Ren und Mochi hatten sich vom Feuer abgewandt und spähten zu Toxica rüber. Das Gespräch hatte ihre Aufmerksamkeit erregt – Lediglich Dafne schien die Einzige zu sein, die es nicht sonderlich interessierte, was zwischen den Kontrahenten geschehen war.

Die Überfallstrategie erwies sich als erfolgreich. Toxica gab seinen Protest auf, ging widerstrebend auf Cay zu und setzte sich neben den rothaarigen Dämon.

„Du sollst es wissen, bevor du auf Myras triffst“, antwortete Toxica langsam, sein Blick war starr auf das prasselnde Feuer gerichtet, seine Stimme klang wehmütig, fast schon melancholisch, als bereue er nicht nur die Tat an sich, sondern auch die Entscheidung, die Cay zwar das Leben schenkte, seines jedoch mit einem Hammerschlag der Ungerechtigkeit zerstörte.

„Sicherlich erinnerst du dich noch an den Tag, als du in den dritten Himmel gebracht wurdest – Du hattest die Besinnung verloren und hast die ersten Stunden schlafend in deinem Zimmer verbracht. Als du erwachtest, bist du durchgedreht – Damals habe ich es schon bereut“, begann Toxica und reichte Cay einen braunen, kleinen Beutel.

„Was ist da drin?!“, fragte der Dämon, nahm das Bündel an sich und schwenkte es hin und her.

„Substanzen, die ich kreiert habe. Sie haben die unterschiedlichsten Wirkweisen, verhalten sich ähnlich wie Gifte, sind aber nicht tödlich – Jedenfalls nicht alle“, sagte Toxica scharf, „Die roten Kugeln verdoppeln deine Stärke, treiben dich an deine körperliche Grenze, fordern aber dementsprechend auch ihren Tribut. Sobald die Wirkung nachlässt, erleidet dein Körper Höllenqualen, deren Ausmaß nicht in Worte zu fassen ist...“

„Und was machen die Schwarzen?!“, unterbrach ihn Cay, er ließ eine schwarze Murmel durch die Finger gleiten und betrachtete sein verzehrtes Spiegelbild in der matten Oberfläche der Materie.

„Auf die wollte ich gerade zu sprechen kommen“, meinte Toxica genervt und riss Cay den Beutel wieder aus den Händen. Die schwarze Kugel ließ er aber bei ihm, „Es ist eine verbotene, dämonische Magie, die in dieser Substanz gespeichert ist. Wenn wir beide jeweils eine dieser Kugeln schlucken, geht der positive Pol, der meine Erinnerung beinhaltet auf dich, dem negativ Pol, über – Ich diene bei diesem Experiment sozusagen als eine Art Medium.“

Er wusste sofort, dass die Substanz, die Toxica benutze, selbst im dritten Himmel unzulässig war, es war ein selbstgemixter Cocktail aus verschiedenen Nervengiften, die ihn wahrscheinlich sofort paralysieren würden, sobald er es über sich gebracht hatte, die Materie herunterzuwürgen.

„Und wer sagt mir, dass das kein erneuter Versuch ist, mich zu töten?!“, keifte Cay und blickte von der Materie in seiner Hand zu Toxica auf.

„Ich werde sie zuerst schlucken, du kannst ihre Wirkung auf mich beobachten und dann entscheiden, ob du wie ein Angsthase davonlaufen willst, oder dich endlich deiner Vergangenheit stellen willst“, zischte Toxica wütend, er verlor zusehends die Geduld.

„Ich laufe nicht davon!“, fauchte Cay und diesmal reagierte er als Erster. Er sprang auf, die Substanz hielt er fest in seiner Faust umschlossen, „Ich bin ein Erzdämon und ich bin noch nie vor einer Herausforderung davongelaufen – und vor dir erst recht nicht! Dich erledige ich mit einem Fingerschnipp.“

Toxica verdrehte die Augen, sagte diesmal aber nichts. Das machte Cay zwar im ersten Augenblick noch wütender, verhinderte aber auch, dass er etwas Unüberlegtes tat. Die Strapazen der vergangenen Tage hatten stark an seinen Nerven gezehrt, sodass er fast nicht mehr anders konnte, als extrem zu reagieren.

„Meister, bist du dir sicher, dass du das wirklich tun willst?!“, er konnte die Besorgnis in Mochis Stimme klar heraushören. Er nickte als Antwort.

Er fixierte Toxica, wartete darauf, dass er die Substanz schlucken würde, und ignorierte das hämmernde Gefühl in seiner Brust. Er zwang sich ruhig zu atmen, versuchte dabei sein Herz zu beruhigen und sich einzig und allein auf die Bewegungen Toxicas zu konzentrieren.

Ironisch neigte Toxica den Kopf: „Bist du dir sicher, dass du das tun willst?! Du bist ja total verkrampft, kleiner Erzangsthase! Noch kannst du weglaufen.“

Mit einem Mal schluckte sein Rivale die Materie, ging einige Schritte weit auf Cay zu und umklammerte schlagartig seine Hände. Er konnte seinen Herzschlag auf sich überfließen spüren – Die regelmäßigen Schläge seines Herzens vermischten sich mit den Seinigen und bildeten einen neuen Strom. Er fuhr erschrocken zusammen, blickte in die purpurfarbenen, aber regungslosen Augen Toxicas, die ihn mit einem argwöhnischen Ausdruck anstarrten.

„Entscheide dich endlich, die Wirkung hält auch nicht ewig an!“, zischte Toxica.

Er nickte langsam, öffnete seine rechte Hand und führte die schwarze Kugel zögernd zum Mund. Es kostete ihn alle Überwindung. Sein Körper versuchte gegen sein Vorhaben Einspruch zu erheben, sich zu widersetzen und seine Furcht sprechen zu lassen, die ihn von dem törichten, selbstmörderischen Weg abzubringen versuchte. Die Stimme in seinem Kopf scheiterte. Er schluckte die Materie mit einem Satz.

Etwas veränderte sich. Cay spürte es fast eine Sekunde, ehe es wirklich geschah – dann wandelte sich die Umgebung. Er irrte wie in Trance durch einen Schwall aus reinem Licht, wand sich nach links und nach rechts, konnte aber weder Toxica erspähen, noch einen Weg finden, der ihn weiterführen sollte. Das grelle Licht schmerzte höllisch in seinen Augen, er verengte sie zu schmalen Schlitzen, versuchte etwas zu erkennen, und dann kippte er plötzlich nach vorne, verlor den festen Boden unter den Füßen und wirbelte für einen unendlichen Augenblick durch das entstandene Nichts, ehe er hart auf einem steinernen Untergrund aufschlug.

Es war laut. Jemand schrie, ein Stimmenwirrwarr schwoll hinter ihm an, sie sprachen hitzig durcheinander und obwohl er sich bemühte den Worten zu folgen, ergaben sie keinen zusammenhängenden Sinn für ihn. Es war der reinste Irrsinn – Soviel stand fest.

Langsam, sehr langsam, öffnet er die Augen, er schlug sie auf und blickte sich um. Die Kulisse hatte sich ein zweites Mal gewandelt.

Er spürte, wie sich sein Magen schlagartig zusammenzog. Die Magie der schwarzen Substanz hatte ihre Wirkung gezeigt, ein klaffendes Loch zwischen die Welten gerissen und eine Art gespenstisches Portal entstehen lassen, das ihn in seine Heimat zurückgeschleudert hatte. Er befand sich mitten in Myras Büro, umzingelt von einer handvoll Dämonen, die zu beiden Seiten des Schreibtisches standen und sich angeregt unterhielten. Etwas schien ihre volle Aufmerksamkeit zu fordern.

Instinktiv machte er einen Satz zurück, zog seine Waffe aus dem Halter und richtete sie auf Myras. Sollte es zu einem Kampf kommen, so würde er ihn töten müssen, er machte sich auf das Schlimmste gefasst. Doch die Reaktion Myras' blieb aus, er sah weder zu ihm auf, noch machte er irgendeine Anstalt, dass er überhaupt eine Notiz von ihm nahm, es schien eher so, als ob er durch ihn hindurch blicken und einen Punkt an der anderen Seite der Wand fixieren würde. Er flocht seine Finger ineinander, stützte seine Ellenbogen auf den Schreibtisch und verschränkte die Hände vor seinem Gesicht – Eine typische Pose, die er immer dann einnahm, wenn er nachdachte. Dann klopfte es an der Tür – Ein hohler, fester Laut, der Cay in Sekundenschnelle herumwirbeln ließ. Ein blasser Junge mit lila, zerzausten Haaren trat herein, unverkennbar Toxicas jüngeres Ich.

Sofort blickte Myras auf, schloss eine Kartei und widmete sich dem Dämon – Er schien auf ihn gewartet zu haben.

„Diese Mission hat absolute Priorität und das Gelingen ist von größter Wichtigkeit. Eine Zuwiderhandlung, die zum Scheitern des Auftrags führen könnte, wird nicht geduldet und bestraft. Ich habe dir aufgrund deiner überragenden Fähigkeiten und deiner Kampferfahrung die Leitung übertragen“, erklärte Myras und donnerte anschließend seine Hände auf den Schreibtisch. Er hatte augenscheinlich die Fassung verloren, „Findet den Jungen, bevor es die himmlische Armee tut! Findet ihn und tötet ihn. Er darf nicht überleben!“

„Ich habe verstanden, Sir!“, antwortete Toxica monoton und wand sich mit einer schnellen Bewegung von dem Mann ab und lief zur Bürotür, „Komm Baku, wir haben eine Mission zu erfüllen.“

Ein breites, bösartiges Grinsen verunstaltete seine Gesichtszüge, dann winkte er seinen Diener zu sich herbei, der draußen auf den Fluren auf ihn gewartet hatte. Der kleine, schwarz-weiße Drachengeist, öffnete seine trägen Augen und lief auf seinen Meister zu.

„Wir wollen ihn ja schließlich nicht warten lassen!“, ergänzte Toxica erheitert und checkte sein Arsenal an Giften und anderen Substanzen, die er mitführen würde. Alles musste perfekt sein. Er durfte sich keinen Fehltritt erlauben. Nicht heute.

„Jaaa!“, zischte Baku angriffslustig und eilte seinem Herrn hinterher, „Dann wollen wir uns mal in die Menschenwelt begeben und dem Störenfried eine Lektion erteilen.“

Cay blickte zu Myras zurück, versuchte einen Blick auf seine Unterlagen zu werfen, die er auf seinem Schreibtisch ausgebreitet hatte, doch genau in dem Moment, als sich ihm die Gelegenheit bot, spürte er, wie er zurückgerissen wurde. Ein unsichtbares Band hatte sich zwischen ihm und Toxica gespannt, es zog unnachgiebig an ihm, der Griff wurde fester, dann löste er – mehr gegen seinen Willen – seine Starre und eilte Toxica hinterher. Seine Erinnerungen reichten nicht soweit, als dass er sich frei bewegen konnte, begriff Cay. Er konnte nur das sehen, was sein Rivale einst erlebt hatte.

Mit schnellen Schritten folgte er Toxica durch die langen Gänge, dann quer über den Innenhof bis Toxica abrupt stoppte und fast wäre er gegen ihn geknallt, spürte aber keinen Widerstand, er lief lediglich durch ihn hindurch. Er war nichts weiter als ein Schatten, ein Gebilde aus der Zukunft, das es hier eigentlich gar nicht geben sollte. Für die Augen der anderen war er vollkommen unsichtbar.

Mit langen Fingern langte Toxica nach seinen Giften, ließ seinen Blick über die vielen verschiedenen Phiolen huschen und öffnete ein grünes Fläschchen, das mit einer unleserlichen, fast verblichenen Handschrift gekennzeichnet war. Der Dämon murmelte eine Formel, kippte die schimmernde Flüssigkeit aus, das Toxin breitete sich wolkig aus, strömte empor und zerriss einen Sekundenbruchteil später ein schwarzes, tiefes Loch in den blauen Himmel.

„Ist dies das Tor zur Menschenwelt“, fragte der kleine Drache, seine scharfen Zähne blitzten im Schein der aufgehenden Sonne. Er war aufgeregt.

„Ja“, antwortete Toxica knapp und ging auf die schwarze Wand zu, „Wir dürfen keine Zeit verlieren, also trödele nicht Baku.“

Die Gestalten tauchten in den dichten, schwarzen Tunnel und verschwanden einen Lichtblitz später – Cay tat es ihnen gleich, er stürmte auf die Dunkelheit zu, sprang regelrecht in das Nichts, das seine Arme einladend vor ihm ausgebreitete, wirbelte umher, schloss seine Augen und verlor den festen Boden unter den Füßen. Die Veränderung hatte nicht länger als eine Sekunde gebraucht, die Verwandlung war vollkommen gewesen, als er die Augen zum zweiten Mal öffnete. Er befand sich in einer komplett neuen Welt. Eine Welt, die seine Vergangenheit gewesen war.

Die hohen, knorrigen Umrisse der Bäume am Straßenrand nahmen langsam Gestalt an, verbargen die Silhouette eines langen, rechteckigen Gebäudes im Hintergrund, das er sofort als seine ehemalige Schule erkannte.

Dann hörte er ein Geräusch: einen Schrei, ein entsetzliches Kreischen, das sich tief in seinen Verstand bohrte und eine alte, nicht verheilte Narbe aufschlug. Es war eben jener Laut, den er am Morgen ihres Abschieds vernommen hatte.

Er schrie ebenfalls, aber seine Stimme ging ungehört unter, wurde zum Bestandteil des Szenarios und steigerte die Grausamkeit, die jäh und unerwartet über ihn hereingebrochen war.

Die Alptraumgestalten seiner Vergangenheit waren wieder zum Leben erweckt worden, waren aus der tiefsten Grube seines Nachtmahrs emporgestiegen und waren bereit dazu seinen Verstand zu malträtieren.

Langsam, wimmernd, brach er in die Knie.

Sein eigener Schrei echte zwischen den Bäumen, wurde lauter, grässlicher und konzentrierte sich auf das Geschehen, das sich genau vor seiner Nase abspielte, ihm aber jede Möglichkeit raubte, einzugreifen – Heute hätte er es ihm nicht so leicht gemacht, er hätte ihn ohne Gnade zur Strecke gebracht und hingerichtet. Er hatte im dritten Himmel einiges dazugelernt.

»Warum hast du mich hierher geführt?! Warum tust du mir das an?!«, dachte er ohnmächtig, brach seinen Gedanken aber ab, als er eine Hand auf seiner Schulter spürte, die ihn brutal hochriss. Es war Toxica.

„Komm wieder zur Besinnung!“, fauchte der Dämon wütend und schüttelte Cay grob, „Das ist nicht die Wirklichkeit, hast du vergessen?! Es ist deine... unsere Vergangenheit.“

Von einer Sekunde auf die andere sammelte sich Cay, blickte zu Toxica auf und ließ seine zitternden Finger zu seiner Waffe gleiten. Ob Erinnerung, oder Realität – Es spielte keine Rolle, er wollte Vergeltung.

Er hastete auf Raziel zu, wollte sich auf den Engel werfen und ihn von Nero wegschleudern, doch anstatt seinen Widersacher zu erwischen, schlug er durch ihn hindurch und prallte auf den harten Betonboden auf. Sofort sprang er wieder hoch, setze erneut an, versuchte ihm seine rasiermesserscharfe Klinge in den Arm zu rammen und verfehlte den Mann abermals, obwohl er genau vor ihm gestanden hatte. Es war eine Farce.

„Hast du es immer noch nicht begriffen?! Du kannst die Vergangenheit nicht verändern, sie ist bereits geschrieben, du Idiot!“, keifte Toxica und riss Cay zurück.

„Aber...“

„Sieh zu und lerne!“, raunte Toxica und deutete auf sein jüngeres Ich, das bewusstlos am Boden lag, „Hast du dich nicht immer gefragt, wie du in den dritten Himmel kommen konntest, wenn die Armee Gottes dich doch in die Hölle werfen wollte?!“

Toxica verzog das Gesicht, sein Blick wirkte fast gequält.

Der schleichende Terror, Cays Gedanken noch vor ein paar Sekunden gelähmt hatte, war erloschen, aber das absurde Gefühl von Einsamkeit und Machtlosigkeit waren geblieben. Obwohl er nicht allein war – und dies auch wusste – fühlte er sich in diesem Augenblick wie der einzige, lebende Mensch auf diesem Planeten, er war seinen Freunden nur aus dem Grund begegnet, damit er den Wahnsinn deutlicher spüren sollte.

Dann erhob sich ein schwarzer, zuckender Schatten, er war hinter Raziel in die Höhe gewachsen und hatte ihn mit einer unbeschreiblichen Rohheit von Cay abgebracht. Der Mann hatte Raziel mit nur einer Handbewegung den Arm gebrochen und schlug ihn erbarmungslos nieder. Er war eine Marionette seines Hasses, er führte ihn an unsichtbaren Fäden und zwang in an den Rand seiner eigenen Existenz. Wenn der Engel heute in den Himmel einkehren würde, dann als Toter – Gott sollte sich um seine sterblichen Überreste kümmern. Heute würde er ein Exempel an ihm und der gesamten himmlischen Schar statuieren.

„Den Tod, wie ihn die naiven Menschen kennen, gibt es nicht!“, säuselte die bösartige Stimme und plötzlich begriff Cay, dass es nicht Myras' Stimme gewesen war, die er einst zu hören geglaubt hatte, sondern die seines Rivalen und Erzfeinds Toxica.

Ein gellendes Kreischen, bei dem er Zahnschmerzen bekam, gefolgt von einem hilflosen Schrei, der weder von einem Menschen, noch von einer Kreatur der Unterwelt stammte, sondern irgendwo dazwischen lag, hallte in seinem Schädel wieder. Eine halbmonströse Stimme, die von Angst entstellt und vor Verzweiflung verzerrt wurde.

Dann wurde es still. Gift tropfte auf den Untergrund, sickerte als Rinnsal über den Boden und vermischte sich mit dem Blut des Engels.

Cay wartete. Er lauschte angestrengt nach einem unheimlichen Zeichen, dass der Mann noch am Leben war und eine Bewegung zeigen würde – Doch nichts geschah. Der Engel war tot.

Raziel lag flach auf dem Rücken, das rechte Bein ausgestreckt, das linke angewinkelt, seine Arme waren seitlich abgeknickt – Sein Körper und sein Gesicht waren in dieser absurden Haltung eingefroren. Dann erkannte Cay, dass Toxica sein Schwert heraufbeschworen hatte, an seiner Klinge tropfte eine grünliche, pulsierende Flüssigkeit, die – obwohl Cay ihren Ursprung nicht ausfindig machen konnte – nicht versiegte. Eine einzige Berührung würde genügen, um ihn zu töten, soviel stand fest. Die Haut des Engels war vollkommen deformiert, das Gift hatte Teile seines Gesichts weggeätzt, sich tief durch sein Gewebe gefressen und ihn bis auf die Knochen entstellt. Seine menschlichen Züge waren zur Unkenntlichkeit verbrannt, wenn überhaupt gehörten sie nun einer schrecklichen Missgeburt, etwas, das vielleicht in einem alten Horror-Film hauste, aber keinem Menschen und schon gar nicht einem Erzengel gehörte.

Weil seine Faszination seinen Ekel und seine Angst überwand, trat Toxica näher an den blutigen Leichnam und kauerte sich neben den Kadaver nieder. Schweißnass, blass und mit seltsam gequälten Augen wanderte sein Blick über den Toten, blieben für ein, zwei Sekunden auf seinem blutüberströmten Körper ruhen, dann wand er sich schlagartig ab und fixierte den bewusstlosen Cay.

„Wir sollten es zu Ende bringen“, säuselte Toxica mehr zu sich, als an seinen Partner Baku gewandt und erhob sich aus der Hocke.

Er hatte den Mord mit einer Kaltblütigkeit eines Computers geplant und mit maschinenhafter Effizienz ausgeführt. Er empfand nichts. Keine Emotionen hatten sein Handeln beeinträchtigt. Um die Wahrheit zu sagen, er hatte ein wenig Angst gehabt, er war aufgeregt gewesen, vielleicht sogar enthusiastisch, aber diese Empfindungen hatten ihn nicht ablenkt, ganz im Gegenteil.

Dann schritt er fast mechanisch auf Cay zu, sein Körper bewegte sich wie von selbst, er kannte sein Ziel und er würde ihn ohne Erbarmen töten, um seine Mission zu erfüllen. Das Gift sickerte in denselben wogenden Bewegungen, die Toxica auf den Jungen zu tat, von seiner Klinge und fraß sich in einer unfassbaren Geschwindigkeit in den Untergrund. Er schwang das Schwert über den Kopf und stieß mit aller Kraft zu, traf aber lediglich den Bordstein.

„MEISTER, NICHT!“, kreischte Baku, er hatte unerlaubt eingegriffen und einen Schutzwall um sich und den Jungen errichtet. Auch Nero war auf Cay zu gehastet, er wollte seinen Freund in Sicherheit bringen, er warf sich sofort herum, wusste aber, dass sein Gegner zweifellos schneller sein würde als er. Er konnte spüren, wie Toxica seine Aufmerksamkeit auf ihn verlagerte und ihn verfolgte – Nicht weit, nur einige Schritte lang, dann hielt er abrupt an.

Nero blinzelte überrascht.

„Es hat einen Grund, warum Myras einen Mord in den eigenen Reihen veranlasst...“, murmelte Baku plötzlich, „Ich habe es an dem Abend zufällig gehört, als die Details für die Mission besprochen wurden... Es war ein internes Gespräch, keiner von uns sollte davon wissen...“

„Was willst du damit sagen?!“, fragte er verwirrt.

„Er soll der Sohn des Dämonenkönigs sein“, antwortete Baku nach einer kurzen Pause, „Verstehst du, was das bedeutet?! Er kann uns dabei behilflich sein an die Spitze der Dämonenwelt zu gelangen, er ist unsere Freikarte in eine bessere Welt.“

Toxica sah Baku einen Moment in die Augen und runzelte die Stirn. Die Augen seines Dieners waren von einer bösartigen Gier zerfressen, sie dürsteten, lechzten und forderten einen uralten Tribut ein, auf den er seit Jahren sehnsüchtig gewartet hatte. All seine Mühen würden sich nun endlich auszahlen, all die Jahre, die er im Dienst seines Meisters gestanden und an seiner Seite gekämpft hatte, waren nicht vergebens gewesen. Jetzt würde sich das Blatt wenden – Es musste!

Baku öffnete seine schuppige Dämonenhand und zerbrach das Kraftfeld mit einem Mal.

Jetzt trennte Toxica nichts mehr von dem Jungen. Das Ungeheuer in seinem Inneren war erwacht, seine rot-glühenden, hungrigen Augen spähten kurz auf Cay hinab, dann keuchte er, gab ein eigentümliches Geräusch von sich, gegen das er sich zwar zu wehren versuchte, den Kampf aber heillos verlor – Auch wenn er es gewollt hätte, er konnte die Gier nicht länger unterdrückten, die seine Gedankengänge verpestete.

„Wir waren wohl nicht die Einzigen, die den Befehl erhielten den Jungen zu töten“, raunte Baku und warf einen verächtlichen Seitenblick auf den toten Engel, „Selbst Gott hat seine Engelsschar ausgesandt, um nach dem Dämon zu suchen, der sich unerlaubt in der Menschenwelt versteckt hielt – Und dieser Junge dort hat seine wahre Natur erweckt und die schwarze, dämonische Materie in ihm zum Vorschein gebracht, die die Verwandlung erst ermöglichte.“

Baku nickte zu Nero, wirbelte automatisch herum und zischte Toxica zu: „Es ist an der Zeit ihm zu danken, findest du nicht?!“

Das Wort »Verwandlung« beunruhigte Toxica zunehmend, ebenso wie der geheimnisvolle Zusammenhang, indem der rothaarige Dämon, den er hinrichten sollte, zu stehen schien und doch konnte er sein Verlangen nicht unterdrücken – Er musste handeln. Jetzt.

Der Wahnsinn zerrte unnachgiebig an seinen Nerven, berauschte seinen Verstand und für einen kurzen, aber fordernden Augenblick drohte er sich zu verlieren und durch die unsichtbare Drehtür seiner Vernunft zu stürzen. Alles, was jenseits dieser Grenze lag, schien, um so vieles verlockender und verführerischer zu sein, als es die nüchterne, berechenbare Wirklichkeit war.

„Ich werde aus dir einen erstklassigen Dämon machen“, säuselte Toxica benommen, „Wenn ich erst mit dir fertig bin, wirst du nicht anders können, als dich dem Hass zu verschreiben und dann wird sich deine wahre Macht entfalten... Du wirst eine bessere Welt erschaffen und zum Herrscher der Unterwelt aufsteigen. UND JETZT LEIDE! LEIDE UM DEIN LAND MIT GRAUSAMER HAND REGIEREN ZU KÖNNEN!“

Toxica zog Cay an den Haaren zu sich hoch, riss seinen Kopf herum und träufelte ihm eine goldene Flüssigkeit in den Mund, dann schleuderte er ihn über den Boden und wandte sich Nero zu.

„Und jetzt zu dir. Dein Freund wird gleich erwachen und ich denke du willst dich von ihm verabschieden, bevor du gehst!“, in seinen Augen flackerte der Wahnsinn, er schäumte über.

Ein tonloser Ruf hämmerte in Neros Schädel, er schien über Schallwellen transportiert zu werden und war nicht für das menschliche Ohr zu hören – Er jedoch, vernahm das fordernde Geräusch, es trieb seinen Herzschlag an, synchronisierte sich mit ihm und dann geschah es. Nero blieb mit einem Schlag stehen. Blut sickerte aus seinen Augen, es tropfte ungehindert auf die Straße.

„Ich hasse dich, Cay!“, seine Stimme war kalt und hart wie Eis, von Wut und Manie gezeichnet, sie war eindeutig nicht mehr die Seinige, „Dass Raziel wegen dir sterben musste, werde ich dir nicht verzeihen! Ich habe dich schon immer verabscheut, doch seit heute hasse ich dich!“

Cay hatte die Augen aufgeschlagen – genauso wie Toxica es vorausgesagt hatte – zuerst war sein Sehvermögen eingeschränkt gewesen, doch als er blinzelte, klärte sich seine Sicht allmählich. Er richtete sich roboterartig auf und fixierte Neros blasses Gesicht, die stechenden, verschiedenfarbigen Augen, aus denen der feine Rinnsal aus Blut quoll und in der dunklen Jacke sah er aus wie der leibhaftige Tod.

Wäre dies der Tod gewesen, wäre Cay möglicherweise auf ihn zugegangen und hätte ihn einfach umarmt. Aber stattdessen sagte er: „Was hast du mit Nero gemacht?!“

Nero schwankte vor und zurück, zuckte und wimmerte vor Schmerz, dann ließ er sich auf die Knie fallen, kippte zur Seite und rollte sich heftig zitternd und weinend über den Bürgersteig und wisperte: „Nein, nein, nein, nein.“

Seine Existenz war unerträglich, grau und tot...tot...tot...tot. Dann schrie er plötzlich, seine Pupillen taten eine unheimliche Drehung und verschwanden irgendwo in seinem Schädel und ließen ein leeres, mattes Weiß zurück, anschließend zogen sich seine Lider eng zusammen und taxierten Cay mit einem angsteinflößenden, grauenvollen Blick. Er war vollkommen in seiner Haltung erstarrt, lag immer noch auf den Pflastersteinen, seinen Kopf hatte er jedoch grotesk zur Seite gekippt. Er wollte ihn sehen, den Jungen, der die gesamte Schuld an seinem Leid trug.

„Du machst mich krank, Cay“, japste Nero leise, er richtete sich auf und schwankte mit langsamen, taumelnden Schritten auf den Dämon zu. Cay konnte förmlich beobachten, wie er die Beherrschung verlor. Nicht mehr lange, dann würde ihn der Wahnsinn vollständig verschlungen haben, „Du bist ein Monstrum, ein krankes, widerwärtiges Monstrum, dem es schon immer Freude bereitete andere leiden zu sehen! Wie fühlt es sich an...? Wie fühlt es sich an, den Menschen zugrunde gehen zu sehen, von dem du behauptet hast, dass du ihn liebst...? Ist es Vergnügen, Glück oder ergötzt du dich einfach an meinen Qualen?“

Immer weiter wankte er mit zitternden Knien auf Cay zu.

„Es ist deine Schuld, nur deine!“, seine Worte wurden durchdringender, fordernder, böser, „Du tötest mich. Ist dir das bewusst?!“

„Nein... Hör auf...“, sagte Cay mit bebender Stimme, er wich einige Schritte zurück, Neros Zustand machte ihm mehr zu schaffen gemacht, als er sich einzugestehen bereit war.

„Aber du kannst mich retten...“, Nero blieb abrupt stehen, blickte zu Cay auf und verzog sein Gesicht zu einer Grimasse. Er hatte zu lächeln versucht – jedenfalls glaubte Cay, dass es ein müdes, gezwungenes Lächeln darstellen sollte – doch je länger er den Blondhaarigen beobachtete, umso absurder schien diese Vorstellung zu sein. Der makabere, fast verrückte Ausdruck seiner Augen, strafte sein Grinsen lüge, sein Gesicht war bizarr verzerrt, jeder Teil schien seine Zugehörigkeit verloren und ein krankes Eigenleben entwickelt zu haben.

Schief.

Abnorm.

Und unterproportional.

Dann schüttelte Nero seinen Kopf: „Und wieder sagst du nichts“, er lachte schrill auf, „Du willst noch nicht einmal wissen, wie du mich retten könntest... Ich hätte es mir ja denken können.“

„Nero... Das stimmt nicht... Komm wieder zur Vernunft “, flehte Cay.

„Ist das deine Art Reue zu zeigen?!“, er machte eine unerwartete Bewegung, haste mit einer enormen, unvorhergesehen Geschwindigkeit auf Cay zu, die ihn nicht überraschte, nein, er hatte es schlichtweg nicht für möglich gehalten, dass er noch solche Kraftressourcen mobilisieren würde. Sie standen sich genau gegenüber, wenige Zentimeter trennten beide voneinander. Cay hatte noch nie so gefühlt, aber gerade hoffte er inständig, dass sich eine tiefe, schwarze Kluft zwischen beide auftun und sie entzwei reißen würde. Er ertrug seine Nähe nicht.

„Du kannst mich im Eintausch für dein erbärmliches Leben retten“, säuselte Nero verführerisch, aber zugleich widerlich süßlich. Jedes einzelne Nackenhaar stellte sich Cay auf, „Engel und Dämonen können nicht gemeinsam existieren, weißt du... Und du hast mein Leben verpestet... Mit jeder Berührung, mit jedem Kuss... Du bist meine Sünde... Ich kann erst dann wieder in den Himmel einkehren, wenn ich mich von meinen alten Sünden befreie und Buße geleistet habe.“

Cay öffnete seinen Mund, er wollte etwas erwidern – nur ein Wort des Protestes – aber seine Stimmbänder versagten ihm den Dienst, er brachte keinen Ton hervor, stieß lediglich ein eigentümliches, wimmerndes Geräusch aus. Uh-uh-uh-uh.

Dieser Laut schien seine volle Konzentration zu beanspruchen, er verzog angestrengt das Gesicht, und dann tat der Kosmos eine ruckartige, gespenstische Regung, für einen Lichtblitz – so glaubte er – fuhr eine schaurige Gestalt hinter ihn, wickelte ihn in ein unsichtbares Spinnennetz und fraß seine gesamte Kraft. Sie weidete ihn aus, mit jedem schmerzhaften Biss. Er schüttelte hilflos den Kopf.

Es war vorbei, ehe es richtig begonnen hatte, Cay begriff es in zweisekündiger Verspätung.

Nero sprach so schnell, dass er fast atemlos war. Seine Worte hingen an manchen Stellen zusammen, seine Stimme überschlug sich und doch zeigte er einen außergewöhnlichen Mangel an Emotionen, als er sprach: „Du hast dich entschieden, du hast dich wirklich entschieden, nun gut, das macht nichts... rein gar nichts, es ist gut. Ich habe mich darauf vorbereitet, auf die Enttäuschung, weißt du?! Sie war da, sie hat mich immer begleitet, aber es ist schon in Ordnung, es spielt alles keine Rolle mehr, das zwischen uns, es ist vorbei und ich bin glücklich... Ich bin glücklich dich zu hassen. Ich hasse Dämonen und ich hasse dich!“

Cays Herz schlug so schnell, dass seine Brust mit jedem Schlag wehtat.

Etwas war falsch. Nero bäumte sich vor und schwang im gleichen Rhythmus zurück, er japste ohnmächtig auf, seine Muskeln streckten und spannten sich, streckten und spannten sich. Er lief mehr taumelnd als gehend auf Cay zu. In seinen Augen brannte ein unbeschreibliches Verlangen.

„Ich will... Ich will... Ich will dich zerfetzen“, zischte Nero und fixierte Cay, „Zerfetzen, zerfetzen... zerfetzen!“

Er verbrannte innerlich, kippte Halt suchend zur Seite, seine Finger flochten sich in die groben Maschen des Zaunes, dann geschah es. Für einen Sekundenbruchteil – vielleicht sogar kürzer – schien er gegen das Monstrum anzukämpfen, zu dem er geworden war, er versuchte sich sein ursprüngliches Ich ins Gedächtnis zu rufen, den Mann, der er zuvor gewesen war und er spürte den Sog in Richtung des Normalen, die Stimmen hinter seiner Stirn verstummten, jedoch nicht lange genug. Er glitt zurück, wurde wie von einer zurückweichenden Flut davon getrieben und entfernte sich immer weiter vom rettenden Ufer, fort von der Normalität. Er saß fest, eingesperrt in seinem eigenen abscheulichen Körper. Er war zum Gefängnis geworden, sein pulsierendes Gewebe, seine Knochen, all das diente als Gitterstäbe und hielten seinen Geist gefangen. Obwohl er laufen konnte, wusste er, dass es kein Entkommen mehr gab. Er trug sein Gefängnis bei sich. Die Panik wuchs auf überdimensionale Größe an. Schließlich schrie er, er hatte alle Willensstärke aufgebracht, um gegen diesen Impuls anzukämpfen – denn es kam genauso, wie er befürchtet hatte – einmal angefangen, konnte er nicht mehr aufhören.

Mit zitternden, fast schon nervösen Bewegungen, griff er mit langen Fingern nach Cay, zerrte an ihm und entriss ihm seine Waffe, die er im Kampf mit Raziel heraufbeschworen hatte, dann hieb er brutal zu. Zwar hatte er den Dämon getroffen, aber nicht die gewünschte Wirkung erzielt. Er lebte noch.

Der Schmerz explodierte hinter Cays Stirn, eine klaffende Wunde, nicht tödlich, aber dennoch tief, verunstaltete sein Gesicht.

Ohne zu merken was er tat, hielt er plötzlich eine Waffe in den Händen, sie war aus dem Nichts erschienen, er hob sie an und hielt sie aus einer Entfernung von circa fünfzig Zentimetern auf Neros Gesicht gerichtet. Er stellte mit einem stechenden Gefühl in der Brust fest, dass sich seine Finger um den Abzug gelegt hatten.

Nero wich weder zurück, noch machte er die Anstalt fliehen zu wollen, er stand einfach nur wie eine leblose Marionette vor ihm und stierte ihn mit einer Mischung aus geisteskrankem Verlangen und Tadel an. Ja, er war nicht mehr der Mensch, den er geliebt hatte, wahrscheinlich würde er dies auch nie wieder werden. Neros Ich war vom Wahnsinn gezeichnet, verschroben, anders, böse.

Cay betätigte den Abzug mit einem Erschauern des Abscheus.

Neros Gesicht verzerrte sich plötzlich. Er sagte zwischen zusammengepressten Zähnen: „Gott.“ Es war kein Ausruf, vielmehr ein Flehen oder aber eine unzureichende Beschreibung von etwas, das er gerade gesehen hatte.

Nero schrie auf, nicht ohrenbetäubend, aber nervenzerfetzender als tausend Fingernägel, die gleichzeitig über eine Tafel kratzten, dann kippte er zur Seite, verlor den festen Halt unter den Füßen und brach in sich zusammen. Er war tot – Cay wusste es sofort.

Immer noch floss Blut aus seiner Verletzung an der Stirn, es tropfte gemächlich auf den Boden, Cay spürte, dass etwas in sein linkes Auge geriet. Es brannte. Er wischte das Auge mit dem Ärmel ab und versuchte, so gut er konnte, die Tränen fortzublinzeln.
 

Dann wandelte sich die Kulisse erneut. Cay hatte versucht auf sein jüngeres Ich zuzuhasten, doch ehe er ihn erreichen konnte, geriet er aus seinem Blickfeld, die Umgebung verschwamm mit einem splitternden Geräusch, löste sich auf und ließ eine Neue entstehen.

Wieder befand er sich in Myras Büro, sein Herz schlug ihm bis zum Hals, und obwohl er wusste, dass er in Sicherheit war, zerrten die Erinnerungen, die er gerade gesehen hatte, stark an seinen Nerven. Aber Toxica ließ ihm keine Zeit zum Verschnaufen, er sollte sich seiner Vergangenheit stellen, den Memoiren, die er selbst kreiert hatte, er sollte alles sehen. Die ekelhafte Geschichte seines Lebens.

„Deine Zuwiderhandlung wird Konsequenzen haben“, säuselte Myras ruhig, und obwohl er sauer war, verlor er nicht die Beherrschung. Aber da war noch etwas anderes, etwas, dass seine Gedanken verzerrte – Cay konnte es sofort in seinen Augen lesen. Er unterdrückte seine schleichende Wut, sie zog unnachgiebig an seinen Nerven, wurde fast übermenschlich, aber er musste sich gedulden, nur noch ein klein wenig. Dieses Wissen war plötzlich in seinem Verstand, er wusste, wie er reagieren würde, sie waren sich gar nicht so unähnlich.

„Es tut mir leid, Sir... aber...“, murmelte Toxica, er wollte Myras widersprechen, schluckte seinen Einwand aber gerade noch im rechten Augenblick herunter – Er hätte seine Lage nur noch verschlimmert.

„Der Junge hätte sterben sollen, das war der Befehl“, zischte Myras, seine Worte wurden härter, durchdringender, schärfer. Er war dabei die Kontrolle zu verlieren und für einen Sekundenbruchteil – länger dauerte dieser Moment nicht an – konnte Cay eine dicke Ader an seiner Schläfe pulsieren sehen, „Ich möchte nicht wissen, was dich zu diesem eigenmächtigen Handeln veranlasst hat, es sind die Resultate, die am Ende einer Mission zählen und keine emotional gesteuerten, unprofessionellen Handlungen! Daher kann ich deine Auflehnung gegen meine Befehle nicht ungestraft hinnehmen, das sollte dir von Anfang an klar gewesen sein.“

Beide schwiegen für einige, zeitlose Minuten, dann sagte Myras – deutlich erzürnt: „Jemand, der sich meinen Befehlen widersetzt, schlägt sich auch automatisch gegen den dritten Himmel. Ich werde dich nicht verbannen, aber ich werde dir schmerzhaft einbrennen, welche Aufgaben du unter meiner Leitung zu erfüllen hast, damit du sie nie wieder vergisst!“

Ein grünliches Licht schoss auf Toxica zu, es umgab seinen Körper, hüllte ihn nicht nur ein, sondern drohte ihn förmlich zu verschlingen. Der Dämon schrie gepeinigt auf, seine Augen quollen unheimlich hervor und dann – mit einem Schlag – verschwanden die Lichtsplitter wieder, sie toben auseinander und verloren sich im Tageslicht.

Japsend taumelte Toxica einige Schritte zurück und krächzte: „Was zur Hölle war das?!“

„Ein Pakt – der dich daran erinnern soll, wohin du gehörst – Du sollst dich beim Sammeln der Seelen daran entsinnen. Denn von nun an wirst du die Höllenqualen der Verstorbenen am eigenen Leib erfahren, dein Körper wird vor Schmerz zerspringen und glaub mir, selbst der Tod würde mehr Erlösung versprechen, als dein neues Leben – Wenn er dir doch nur vergönnt wäre.“

Myras lachte schrill und bösartig auf, jeder Muskel seines Gesichtes spannte sich an und verzog sich zu einem furchterregenden, grotesken Grinsen.

„Und noch etwas“, begann Myras erneut, seine Augen strahlten etwas unsagbar Böses aus, „Solltest du den Jungen angreifen, den du vor dem sicheren Tod gerettet hast, werden alle Verletzungen, die du ihm zufügst, auf dich übergehen – Du wirst ihn dein Leben lang beschützen, das ist dein Schicksal.“

Toxica hatte einen Pakt mit dem leibhaftigen Teufel geschlossen, der nicht einmal seine Zustimmung erforderte – Cay erschauderte.

Alles ergab plötzlich einen Sinn, der Schleier seiner Vergangenheit hatte sich gelüftet und selbst Toxicas idiotischen, fast schon bebenden Hass konnte er auf eine gewisse Weise verstehen. Aber wenn er Toxica wirklich mit einem Fluch belegt hatte, warum hatte er davon nie etwas bemerkt?! Plötzlich griff die Schwärze nach ihm, sie verschlang zuerst Toxica, dann Myras, dann löste sich alles um ihn herum auf.
 

„Ich werde Nero nie wiedersehen... Raziel hat ihn nicht in die Hölle geworfen... Ich habe ihn getötet... Er ist durch mich gestorben... Wieso habe ich das vergessen... WIESO?!...“, schluchzte Cay benommen, der Zauber Toxicas hatte seine Wirkung verloren, er saß wieder am Lagerfeuer, mitten im Wirbel des Chaos.

Der Zusammensturz der Unterwelt

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

Bonus: Mit anderen Augen


 

Engelstanz der Dunkelheit

____________________________

M i t . a n d e r e n . A u g e n
 


 

In der Dämonenwelt / Zwei Jahre zuvor
 

Er streckte seine müden Glieder, legte sich seufzend in das satte Grün der Wiese und atmete den frischen Duft der Blumen und Gräser ein. Der Wind wehte, er ließ die Blätter der Kirschblütenbäume tanzen und blies sie wie den Schnee des Frühlings umher.

»Schüre deinen Hass, du musst die angestaute Wut in dir zum Vorschein bringen, ohne sie kannst du nie ein richtiger Dämon werden – Du bist zu sanftmütig«

Diese Worte hatten seine gesamte Aufmerksamkeit in Anspruch genommen. Myras, auch wenn er ihn noch nie wirklich hatte ausstehen können, kannte diese – ihm noch unendlich fremde und ferne Welt – besser als er es selbst tat, es gab keinen Grund an seinen Worten zu zweifeln. Er musste sich endlich beherrschen lernen, und zwar schnell.

„Meister, Meister“, keckerte Mochi fröhlich, „Sag mal, was liest du denn da?!“

Im ersten Augenblick war er irritiert gewesen, wusste nicht, was sein Partner meinte, doch als Mochi auf die Zeitung in seinem Schoss deutete, nickte er und reichte ihm das Magazin.

„So etwas wirst du in der Dämonenwelt nicht finden, Mochi“, flüsterte Cay vergnügt, „Mach also keine Knicke oder Falten hinein“, dann fügte er mit einer unerwarteten Ernsthaftigkeit hinzu: „Ich erschlage dich nämlich sonst.“

„Kein Grund gleich auszuflippen, ich will doch nur mal schauen“, der Kürbisgeist ließ das Magazin schweben, blätterte Seite um Seite durch und sagte schließlich leise murmelnd, „Die Menschenwelt ist komisch... Ich habe nicht gewusst, dass du auf so was stehst...“

„Hey!“, raunte Cay, „Darauf steht jeder Mann! - Aber du kannst das natürlich nicht verstehen.“

Er riss Mochi die Zeitschrift aus der Hand, rollte sie zusammen und steckte sie in seine Seitentasche, die er neben sich ins Gras geworfen hatte. Fast schon beleidigt schmollend verschränkte er die Arme vor der Brust und wand sich von Mochi ab.

Nach einer gefühlten Endlosigkeit, die sie damit verbrachten sich gegenseitig anzuschweigen, erklang hinter ihm eine laute, aber vertraute Stimme.

„Cay, warum sitzt du da eigentlich noch dumm herum?!“, fragte Ren und winkte dem Rothaarigen mit einer kurzen, abgehackten Handbewegung zu, „Komm ins Wasser!“

„Ich will nicht“, hatte er trotzig geantwortet und zeigte anschließend ein unmissverständliches, genervtes Augenrollen.

„Hab dich nicht so, sei kein Spielverderber“, entgegnete Ren vorwurfsvoll, „Dir entgeht was – Wir werden wegen der Missionen sicher bald keine Zeit mehr für so etwas haben.“

„Ach lass den Feigling doch“, knurrte Toxica mit zusammengebissenen Zähnen. Er hatte sich eine Zigarette angezündet und überquerte die Wiese, die zum See hinabführte, mit schnellen, fast schon hastigen Schritten. Das Rauchen war nur eines seiner vielen Laster, die er sich im Laufe der Jahre angewöhnt hatte und selbst wenn er die Selbstbeherrschung aufbringen und sich das Rauchen abgewöhnen wollte, wusste er, dass ihm seine Einstellung einen sicheren Strich durch die Rechnung machen würde.

Unachtsam schnippte er die halb verrauchte Zigarette neben sich ins Gras, trat sie aus und musterte Cay mit einer hochgezogenen Augenbraue.

„Du kannst nicht schwimmen, oder?!“, seine Worte waren hart wie Eis gewesen und ebenso treffend, denn Cay reagiert sofort, er wirbelte herum und tat einige Schritte auf den Mann vor sich zu.

„Spinnst du, natürlich kann ich schwimmen!“, keifte er und machte im gleichen Augenblick eine ausfallende Handbewegung in Toxicas Richtung.

„Dann komm mit ins Wasser – Du hast doch nichts zu befürchten“, Toxica hatte ihn zu provozieren versucht, doch zu seiner Enttäuschung ging Cay nicht darauf ein und schüttelte nur den Kopf.

„Ich will schlicht und ergreifend nicht... Und dir muss ich noch lange nichts beweisen, du Bastard“, sagte Cay – konnte jedoch den bissigen Unterton in seiner Stimme nicht unterdrücken.

„Es war nichts anderes von dir zu erwarten, als dass du feige kneifen würdest“, spottete er und fügte dann bösartig hinzu, „Oder liegt es an deiner unansehnlichen Hühnerbrust?!“

„Halt dein Maul, Toxica – Wer hat hier bitte eine Hühnerbrust, he~he~?!“, er stieß mit dem Zeige- und Mittelfinger immer wieder gegen die Schulter seines Rivalen und drängte ihn so einige Schritte zurück, spürte jedoch schon nach wenigen Sekunden, wie sich eine kalte, feste Hand um seinen Arm schlang.

„Lass das, oder ich tue dir was an“, zischte Toxica finster und drückte Cay grob von sich weg.

Ihre Blicke trafen sich – Toxicas Augen hatten eine außergewöhnliche Form, wirkten, ohne dass er seine Züge groß zu verändern brauchte, bedrohlich, wenn nicht sogar unheimlich. Sie waren von einer undefinierbaren Farbe gezeichnet, schimmerten zwar dämonisch rot, aber er erkannte auch schwarze Partikel, die sich aus dem tiefen, bernsteinfarbenen Meer abhoben – Wie viele kleine, verschiedenfarbige Sterne.

Obwohl er es nicht wollte, sich regelrecht in Gedanken ermahnte es nicht zu tun, huschten seine Augen weiter, sie wanderten über seinen Körper und blieben dann – für einen endlosen, peinlichen Augenblick auf der Brust Toxicas kleben.

Der Dämon hatte nur eine Schwimmhose getragen und sein Körper war ebenso perfekt geformt, wie es sein makelloses Gesicht gewesen war – Cay schluckte.

Es war mehr als die Summe einzelner Eindrücke, die er wahrnahm: Alle seine Sinne schienen für einen Moment so sehr überreizt zu sein, wie die Optik einer billigen Pocketkamera. Diesmal bedurfte es keines Monsters aus der Schattenwelt und keiner Explosion des Grauens – Die Welt schien sich auch so schneller drehen zu können und die normalen Reize auf ein hundertfaches zu verstärken, bemerkte Cay plötzlich.

„Was ist denn nun?!“, fragte Toxica gereizt. Der Klang seiner Stimme brach den Bann.

Cay war dem Griff seines Rivalen entkommen, trat automatisch einige Schritte zurück und drehte sich noch im selben Augenblick herum, „Wenn du wirklich denkst, dass ich mich nicht trauen würde, dann schau zu, denn ich werde dir heute eine Lektion erteilen, die du niemals im Leben vergessen wirst.“

Er lief neben Toxica, sie überquerten gemeinsam den steil verlaufenden Hang. Vorsichtig schaute er zur Seite, versuchte seinen Widersacher dabei genauer in Augenschein zu nehmen und vielleicht diesmal sogar objektiv.

Der unheimliche Zauber des Augenblick war gebrochen, er war wie ein alter Mantel von Toxica abgefallen und er spürte, wie er sich nicht nur für seine dummen Gedanken zu schämen begann, sondern sich regelrecht über sie ärgerte.

Einige Sekunden verstrichen, in denen beide einfach nur stumm nebeneinander herliefen, nichts sagten und förmlich darauf warteten, dass der andere die Stille brechen möge – Sie warteten auf die Reaktion des anderen, ohne selbst aktiv zu werden.

Dann sagte Toxica endlich: „Wie wäre es mit einem Wettschwimmen? Nur so zum Spaß, versteht sich.“

„Wenn du eine Niederlage wie ein Mann wegstecken kannst und nicht am Ende beleidigt in der Ecke sitzt und schmollst, dann von mir aus gerne“, antwortete Cay großspurig und zog sich sein Shirt aus und warf es gut einen Meter von sich entfernt ins Gras.

„Das wird nicht passieren – Das kann ich dir versprechen, ohne dabei lügen zu müssen“, meinte Toxica gelangweilt und tat einige Schritte ins kalte Wasser hinein.

„Aha“, sagte Cay, er legte seinen Kopf schräg, „Dann auf mein Kommando.“

Er begann von zehn abwärts zu zählen, ließ sich aber deutlich Zeit für den Countdown und zögerte den Start spürbar hinaus. Bei null angekommen, hastete er entschlossen einige Schritte weit in den See hinein, streckte beide Arme nach vorne aus und sprang ab. Kaum hatte sein Körper die gekräuselte, tiefblaue Oberfläche erreicht, spürte er wie sein Körper die gewaltigen Wassermassen verdrängte, tief in den Strom eintauchte, und dabei die Kontrolle über sich und seine Gliedmaßen verlor. Er driftete ab, strudelte in die Tiefe, trat und schlug dabei in einem Anflug aus rasender Panik wild um sich und verlor zusehends den Kampf gegen die wogende, schwarze See.

Cays Gedanken rasten. Er spürte – nein – er wusste es. Wenn er überleben wollte, musste er nicht nur um sein Leben kämpfen, nein, er musste schier unmögliche Kräfte in sich mobilisieren und die tosenden Wassermassen, die wie ein ungnädiger Faustschlag der Natur über ihm zusammengebrochen waren, zurückdrängen.

Ein langer, spitzer Schrei ertönte über ihm, gefolgt von vielen unverständlichen Worten, die wild durcheinander gesprochen wurden. Nichts davon ergab einen Sinn.

„Der Junge ertrinkt – Schnell! Einer muss ihn herausziehen“, kreischte ein Mädchen hilflos.

Die Luft wich aus seinen Lungenflügeln – es war schneller gegangen, als er gehofft hatte – sie stieg als Strom aus tausend kleinen Luftblasen empor, erreichte aber die Oberfläche nicht. Plötzlich spürte er, wie sich ein starker Arm um seinen Brustkorb schlang, er wurde ruckartig in die Höhe gerissen, dann verschwamm seine Sicht.
 

„Chef, bist du okay?!“, murmelte Mochi leise, sackte neben seinem Meister zusammen und blickte dann kurz in Toxicas ausdruckslosen, starren Augen, ehe er ihn fragte „Er lebt doch noch, oder?!“

„Mach dir um den Spinner keine Sorgen“, zischte er, „Er hat nur ein bisschen Wasser geschluckt, er wird wieder.“

„Warum muss er auch immer so einen Scheiß machen“, es war keine Reaktion auf Toxicas Worte gewesen und doch antwortete ihm sein Gegenüber, ohne dass er es gewollt hatte.

„Weil dein Meister ein Idiot ist, der sich keine Niederlage eingestehen kann – Grüß ihn aber bitte von mir, wenn er die Augen aufmacht, denn bewusstlos ist er nicht“, sagte Toxica finster und wandte sich zum Gehen um.

Kurz spielte Mochi mit dem Gedanken Cay aus der Erstarrung zu rütteln, ihn anzuschreien und für sein dummes, unüberlegtes Verhalten zur Rechenschaft zu ziehen, aber entschied sich dann doch dagegen. Auch wenn er der Meinung gewesen war, dass er ihm eine Antwort schuldig sei, wollte er nicht unnötig einen sinnlosen Streit vom Zaun brechen, der ihn schlussendlich mehr verletzten würde, als seinen Partner. Cay war nicht nur unberechenbar, er konnte auch von einer Sekunde auf die Nächste in seiner Laune umschwenken und von einer Wut übermannt werden, die bis zur Krankhaftigkeit hin reichte.

Cay hatte gewartet bis Toxica außer Sichtweite gelangt war, dann öffnete er blinzelnd die Augen und richtete sich mit einer deutlich schwerfälligen Bewegung auf.

„Ist er endlich weg?!“, stieß er mit schwacher Stimme hervor und kratzte sich verlegen am Hinterkopf, „Das war ganz schön peinlich...“

„Ich habe halt einen jämmerlichen Boss, daran werde ich mich halt noch gewöhnen müssen“, Mochi grinste ihn böse an, „Ich habe bislang halt immer nur mit hochrangigen Dämonen zusammengearbeitet, die ihre Gegner allein durch ihre unheilverkündende und angsteinflößende Aura in die Flucht geschlagen haben“, ereiferte sich Mochi weiter, „Aber ich komme mit der Veränderung klar... denke ich.“

„Mochi, überspann' den Bogen nicht“, zischte Cay und bäumte sich schlagartig auf.

„Ich würde mich lieber bedeckt halten, nach deinem peinlichen Auftritt, Meister“, entgegnete Mochi siegessicher, Aber... Cay... Kann ich dich was fragen?!“

Kurz überlegte der Dämon, ob die Frage seines Partners hören wollte, er öffnete seinen Mund, wollte ihm einen unnötigen Protest entgegenschleudern, schloss ihn aber sogleich wieder, ohne etwas gesagt zu haben. Er nickte stumm, wirkte aber verwirrt.

„Die Zeitung...“ begann Mochi verlegen, „Da waren riesige Kreaturen aus glänzendem Stahl drin... Was machen die Menschen damit, wenn sie sie gefangen haben?!“

Ein lautes, aber ehrliches Lachen kam über seine Lippen, er zeigte eine Reihe spitzer Zähne und sagte dann: „Das war eine Autozeitung – Hast du denn noch nie in deinem Leben ein Auto gesehen?!“

Die Nacht des Teufels


 

Engelstanz der Dunkelheit

____________________________

Die Nacht des Teufels.
 


 

Dafne konnte den Schauder der Furcht nicht länger unterdrücken, als sie an den Rand der Brücke trat und die Tiefe blickte – auf eine seltsame Art wirkte der Abgrund aus der Nähe betrachtet viel unheimlicher und bizarrer als aus der Ferne. Wäre sie gestürzt, hätte ihr Körper an den scharfkantigen Felsen zerschellen sollen, dachte sie bestürzt, doch dort unten gähnte lediglich ein schwarzes Loch – die Schlucht konnte fünfzig oder fünfzigtausend Meter tief sein und irgendwie spürte sie, dass das noch nicht reichen würde.

„Pass auf, dass du nicht herunterfällst, denn ich springe dir nicht nach und zieh dich dort wieder heraus“, keifte Cay ausfallend, tat einen unsicheren Schritt nach vorne und winkte Dafne vom Abgrund fort. Das Mädchen reagierte nicht, sie starrte wie paralysiert in die Finsternis. Etwas, das sie nicht beschreiben konnte, hatte von ihr Besitz ergriffen. Vielleicht war es die menschliche Urangst, die sie vor der Tiefe zurückschrecken ließ, aber sie spürte, dass da noch mehr war, eine weitaus größere Macht als die Angst vor dem Sturz in den sicheren Tod. Etwas, dass sie nicht artikulieren konnte, aber was es auch immer war, es zerrte an ihr und trieb sie mit der gleichen Gewalt zum Abgrund hin, wie die Angst sie forttrieb. Dann stellte sie erschrocken fest, dass es Neugierde war. Eilig machte sie einige Schritte zurück – zog die Fühler zurück, mit denen sie ihre Gefühle zu ergründen versucht hatte, und wendete sich von der Tiefe unter ihr ab.

„Es ist beängstigend, nicht wahr?!“, sagte Ren, langte nach ihrer Hand und zog sie zu sich herum, „Wir haben das Ende der Brücke bald erreicht, halte nur noch ein wenig durch.“

„Ich brauche keinen Babysitter“, sie stieß seine Hand weg, „Engel sind Dämonen weitaus überlegen!“

„Ren wollte nur freundlich sein, du Scheusal“, zischte Cay, sein gesamter Körper bebte vor Zorn.

„Und ich habe ihn nicht darum gebeten – Ich hasse euch Dämonen, wann begreift ihr das endlich?!“, entgegnete sie kalt und machte einige, große Schritte voran, „Wenn ich nicht gezwungen wäre mich mit euch abzugeben, würde ich euch, ohne mit der Wimper zu zucken, töten.“

„Du bist eine hinterlistige und durchtriebene, falsche Schlange!“, fauchte Cay, er zog instinktiv seine Dolche aus dem Halfter und richtete sie auf das Mädchen, „Das Gott dich aus dem Himmel verbannt hat, war die einzig richtige Entscheidung, die der alte Sack fällen konnte – auch wenn wir uns jetzt mit dir rumschlagen müssen. Aber von Gottes bester Schöpfung hatte ich eigentlich immer ein anderes Bild und du hast es mir kaputtgemacht!“

„Klingt ja fast schon so, als ob du es bereuen würdest“, stichelte Ren und knuffte Cay mit dem Ellenbogen in die Seite.

„Wer weiß – Vielleicht ein bisschen“, gestand Cay und zuckte mit den Schultern.

„Du Engelfetischist“, wisperte ihm Ren ins Ohr, er konnte den heißen Atem des Dämons an seiner Wange spüren.
 

Irgendwo, nicht weit von ihnen, konnte er ein violettes, wogendes Licht erkennen, das sich über den Horizont erstreckte. Schatten folgten, dann wieder Licht – Es war ein Farbspiel aus vielen verschiedenen, aber zugleich unbeschreiblichen Tönen. Aus dem Augenwinkel konnte er einen Strom aus gleißenden Lichtern erkennen, sie hatten ihre Energie zu einem glitzernden Lebensfluss gebündelt, der mit tänzelnden, fast unheimlich rhythmischen Bewegungen durch die Lüfte sauste und dann an ihnen vorbeizog.

„Die Seelen der Verstorbenen… Sie machen sich für ihren letzten Gang bereit“, sagte Ren, legte seinen Kopf in den Nacken und blickte den Lebenslichtern nach.

„Wir müssen also nichts weiter tun, als ihnen zu folgen...“, begann Cay süßlich, „Und dann werden wir auf den Totenrichter treffen, richtig?!“

„Vom Prinzip her stimmt das“, antwortete Ren langsam, „Was hast du vor?!“

„Ihm einen kleinen Besuch abstatten, was denkst du denn?!“, antwortete Cay vergnügt, „Wenn wir schon einmal hier unten sind, sollten wir diesen Augenblick auch nutzen, findest du nicht?!“

„Tu nicht so, als ob dies dein grandioser Plan gewesen wäre“, zischte Toxica und trat einige Sekunden später neben Cay, „Der Wirbel des Chaos endet in der Totenhalle, es gibt keinen anderen Weg, der uns von hier wegbringen könnte – Wir werden unweigerlich auf den Totenrichter treffen... du Spinner.“

Toxica runzelte missbilligend die Stirn, drehte sich herum und machte eine zusätzliche, wegwerfende Handbewegung. Der Ausdruck in seinen Augen war nicht besonders stark gewesen, aber in Farben, die Cay nicht für angemessen hielt.

„Halt dein Maul, Toxica – Mit dir habe ich nicht gesprochen...“ begann Cay, brachte seinen Satz aber nicht zu Ende.

Ein graues Wischen erregte seine Aufmerksamkeit, etwas war über die Brücke gehuscht, es sprang in die Flut der Lebenslichter, tauchte in ihnen ab und entschwand für einen kurzen Augenblick aus seiner Sichtweite. Eigentlich hatte Cay dieser Unregelmäßigkeit keinerlei Beachtung geschenkt, doch als er einen Lichtblitz später realisierte, dass der Strom unvermittelt zum Stehen gekommen und die Seelen auseinander getrieben worden waren, begriff er, dass sich diese Dimension zu wandeln begonnen hatte. Etwas hatte in den Prozess der Unterwelt eingegriffen, ihn zum Erliegen gebracht, ohne aber die Seelen der Toten dabei in unmittelbare Gefahr zu bringen – Das wusste er sofort. Das Ding würde sie angreifen und nur sie.

Lange, schwarze Finger zogen sich an der linken Seite der Brücke empor, sie waren über einen halben Meter lang, von einer entsetzlichen Abscheulichkeit entstellt, rasiermesserscharf, übergroß und verkrüppelt.

Es waren die Klauen einer Höllenkreatur.

Von einem Moment auf den Nächsten hatte die Kreatur ihren wuchtigen, skelettierten Schädel mit aller Gewalt in die Höhe gerissen, es ließ seine roten, irisierenden Augen über die Brücke huschen, schaute für eine schreckliche Sekunde nach links, dann nach rechts und Cay betete inständig, dass es sie nicht finden möge. Es war auf der Jagd und hatte mit der Suche nach ihnen begonnen – Soviel wusste er bereits.

Seine Gedanken überschlugen sich, auch wenn sie in der Überzahl waren und das Monstrum aus dem Hinterhalt angreifen würden, so blieb die reelle Chance diesen Dämon mit nur einem Angriff zu überwältigen gleich null.

Cay verlagerte sein Gewicht auf das rechte Bein, ging ein Stück weit in die Knie und machte sich für den Absprung bereit. Es war der Wahnsinn, das wusste er, aber er hatte keine andere Wahl.

Dafne entkam ein langer, heiserer Schreckensschrei, sie stieß herum, hatte ihre Armbrust zwar gespannt, zitterte aber am ganzen Leib, die Waffe klapperte unruhig in ihren Händen auf und ab – Selbst wenn sie es in ihrer Verfassung geschafft hätte, ihre Angst in den hinteren Teil ihres Verstands zu drängen, hätte sie den Dämon mit größter Wahrscheinlichkeit verfehlt.

Für die Dauer eines endlosen, grauenvollen Herzschlags, verharrte das Monstrum in seiner Haltung, es starrte mit seinen grellen, vor Erregung blitzenden Augen auf Dafne herab, dann schlug es zu.

Mit einem Peitschenschlag hämmerte es gegen die Brücke, ließ Dafne erneut zusammenfahren, doch diesmal ging ihre Stimme im Zornesschrei des Unterweltlers unter und vermischte sich mit dem zerberstenden Geräusch des Gesteins. Die Brücke begann zu schwanken, Cay verlor den Halt unter den Füßen, er stürzte in die Tiefe, riss aber noch im selben Augenblick die Arme in die Höhe und hielt sie sich schützend über den Kopf, dann schlug er auf den Trümmern auf und atmete die Staubwolke ein. Er begann zu röcheln.

„Eigentlich hatte ich nicht vor hier zu krepieren“, knurrte Toxica, wirbelte herum und zog eine Handvoll, verschiedenfarbiger Gifte aus seinem Gürtel, vermischte sie miteinander und beschwor eine rauchige, nur schemenhaft zu erkennende Waffe hervor. Das Schwert hatte sein Aussehen deutlich verändert, schien keinen Griff mehr zu besitzen, sondern vom Oberarm an mit Toxica zusammengewachsen zu sein.

Viel zu schnell stürzte Toxica auf die Kreatur zu, riss seine Waffenhände in die Höhe und traf das Ding am Hals. Blut, unbeschreiblich viel Blut quoll aus der klaffenden Wunde. Das Ungeheuer bäumte sich gellend auf, war in eine wilde Raserei verfallen und sprang mit nur einer wuchtigen Bewegung mitten auf die Brücke und schirmte Toxica von den anderen ab. Eine monströse Chimäre, mit gewaltigen, blutroten, klauenartigen Flügeln und Händen war zu seiner Lebensgröße erwacht, ein klaffendes, drittes Auge war auf seiner Brust erschienen, es öffnete schlagartig sein pulsierendes Lid und zeigte viele feingliedrige Arterien, die seine Iris durchzogen. Dann griff es an.

Es ließ seine Flügel durch die Luft peitschen, die vielfingerigen Klauen erwischten Toxica an der Schulter, rissen ihn nicht nur zu Boden, sondern brachen seinen unverwandelten Arm mit einem schrecklich, berstenden Geräusch.

„TOXICA!“, kreischte Cay, er war schlagartig auf die Beine gesprungen und hastete nun auf den am Boden liegenden Dämon zu, doch noch ehe er ihn wirklich erreichen konnte, richtete sich Toxica erneut auf, streckte seinen rechten Arm mit einer gewaltigen Bewegung zur Seite aus und schüttelte den Kopf.

„Das ist mein Kampf, halt dich da heraus!“, keifte er und sprintete erneut auf das Ungeheuer zu, seine Waffe begann sich rasant zu vervielfältigen, die Klingen schnellten wellenförmig auf das Monstrum zu, gruben sich durch seine lederartige Haut und hinterließen zehntausend tiefer Schnitte auf seinem Körper. Jaulend, wild mit den Händen um sich schlagend, taumelte es auf Toxica zu, es drängte ihn immer weiter an den Abgrund.

„Pass auf, hinter dir!“, kreischte Cay, nickte Mochi und Ren im gleichen Atemzug zu und rannte blindlings auf die Bestie zu und blieb erst stehen, als er das Ungeheuer und Toxica erreicht hatte.

„Ich habe gesagt, dass du dich da heraushalten sollst, du Trottel. Ich bin nicht auf deine Hilfe angewiesen“, wieder trat Toxica einige Schritte zurück, er stand am Abgrund, die Trümmer fielen rasselnd in die Schlucht nieder, erreichten aber nie den Grund.

Ren ließ einen vereinzelten Lichtstrahl in die Dunkelheit jagen, er umklammerte die Kreatur, fesselte ihre Gliedmaßen und brachte sie kurz ins Schwanken. Das Ding schüttelte sich, warf die Ketten sofort ab und ließ ein tiefes, wütendes Fauchen hören, es warf seinen Kopf herum und langte nach Ren. Der Dämon wich den Klauen aus und ließ eine Salve aus Lichtpfeilen auf das Ungeheuer preschen.

„Du Idiot!“, schrie Dafne, packte Ren am Arm und riss ihn gewaltsam zurück, „Du bringst deine eigenen Leute um, ist dir das bewusst?!“

Ren brach seinen Angriff ab, er machte einen hektischen Satz zurück und taxierte sie mit einem finsteren Blick. Wer war sie, dass sie ihn zu belehren versuchte? Wahrscheinlich hatten sie eh nur noch ein paar Tage, Stunden oder Minuten zu leben, musste sie ihm dann auch noch seinen Kampfwillen nehmen?!

In Wahrheit hatte er eine ganze Menge mehr gesehen, als ein paar Unterweltler, die sich ihm in den Weg stellten und versuchten ihm nicht nur zu schaden, sondern mit Haut und Haar zu verschlingen. Sie war es, die fremd in der Dämonenwelt war, sie gehörte nicht hierher und sie erlag ihren Ängsten – nicht er. Ren fuhr herum, nahm aus dem Augenwinkel eine schnelle Bewegung war, die einen halben Meter entfernt an ihm vorbeihuschte – Es war sein Partner Cay. Er war, ohne ein weiteres unnötiges Wort zu verlieren, auf den übermächtigen Gegner zu gerannt, beschwor eine kleine, blaue Flamme herauf und schleuderte sie auf das platte, eingedrückte Gesicht der Bestie. Die Flamme schwoll an, schlug mit hungrigen Feuerfingern nach der umliegenden Luft, sättigte ihren Hunger und explodierte, als sie den Gegner erreichte. Ein Inferno tobte, schloss die Kreatur ein, das Ding öffnete sein riesiges, verzerrtes Maul, zeigte eine fünffach gestaffelte Reihe breiter, spitzer Zähne und jaulte – mehr vor Wut kreischend, als sich vor Schmerz krümmend – auf. Die Flammen erloschen schlagartig, sie wurden förmlich von dem braunschwarzen, verkohlten Fleisch aufgesogen, wie ein getrockneter Schwamm einen Wasserstrahl aufnahm.

Cay stöhnte vor entsetzen.

Zwar hatte Toxica die Schrecksekunde ausnutzen, um sich in sich in Sicherheit bringen können, doch wie es schien, hatte das Ungeheuer das gleiche getan. Aus dem Chaos tauchte ein zweiter, dann ein dritter Unterweltler auf – Sie hatten den Lockruf ihres Kameraden vernommen und waren aus der tiefsten Grube der Finsternis emporgestiegen.

„Oh Gott, oh Gott“, schrie Dafne panisch, sie wich im gleichen Tempo, wie die Angst von ihr Besitz zu ergreifen schien, zurück und wäre dabei beinahe über ihre eigenen Füße gestolpert, sie konnte ihren Sturz aber noch rechtzeitig abfangen und machte nur eine unbeholfene, wacklige Drehung auf ihrem Absatz, „Sie werden uns alle töten... Wir hatten nicht einmal eine Chance gegen nur einen von ihnen... Wie sollen wir es dann mit Dreien von ihrer Sorte aufnehmen?!“

„Das reicht jetzt!“, brüllte Toxica bestimmend. Seine Stimme war laut und energisch – doch anders als Dafne zuerst geglaubt hatte – galten seine Worte nicht ihr, sondern Cay, „Komm da augenblicklich weg! Wir ziehen uns zurück!“

„Was hast du vor?!“, fragte Mochi leise.

„Ich tue das, was ich schon von Anfang an hätte tun sollen – Ich jage diese verdammte Brücke in die Luft!“, antwortete Toxica grimmig, griff nach seinem Beutel und fischte drei verschiedenfarbige Substanzen heraus. Erst als Cay in Sichtweite gelangte, reagierte Toxica. Es kostete ihn sein letztes bisschen Energie seine dämonischen Kräfte zu konzentrieren – nur unter größter Kraftanstrengung und mit zusammengebissenen Zähnen – gelang es ihm den schrecklichen Schmerz in seinem linken Arm für einen Sekundenbruchteil ausschalteten und sich für den Kampf zu sammeln.

Etwas klickte, dann fuhr eine schwarze, schattenhafte Gewalt aus Toxicas Körper, sie verschmolz sich mit der Materie in seiner unverletzten Rechten und wuchs zu einer gewaltigen, kaum mit Worten zu beschreibenden, Kraft heran, die, sobald er sie auf die Brücke unter ihren Füßen werfen, explosionsartig hochgehen würde.

„Spinnst du?!“, keifte Cay, „Du wirst uns alle mit in die Luft sprengen, wenn du die Bombe auf die Brücke schmeißt.“

„Und wenn schon“, antwortete Toxica gelangweilt, „Wenn ich dich schon nicht in einem Kampf besiegen kann, ohne mich selbst dabei zu töten, dann reiße ich dich mit mir in einen unehrenhaften Tod – Diese Art zu sterben sollte dir doch eigentlich willkommen sein, oder? Du Angsthase!“

„Du hast den Verstand verloren!“, brüllte Cay aufbrausend.

„Das wäre auch nicht das erste Mal...“, knurrte Mochi angriffslustig, konnte sich aber nicht entscheiden, ob er nun seine Aufmerksamkeit auf die über zwei Meter großen Kolosse richten sollte, die mit schlurfenden, aber zügigen Schritten auf sie zu steuerten, oder aber Toxica den Vorrang geben sollte. Das Grauen nahm nicht nur eine plötzliche Wendung - Mehr noch! - es schien sein absurdes, facettenreiches Gesicht mit einer explosionsartigen Wucht zu entfalten, der Schlund des Wahnsinns hatte sich aufgetan und sie von einem Herzschlag auf den nächsten in eine völlig neue Alptraumwelt geschleudert. Diese Welt war erschaffen worden, um sie zu töten. Nicht nur die - von Abscheulichkeit zerfressenen, gigantischen - Bestien waren zu einer lebensbedrohlichen Gefahr geworden - Nein! - Jeder Partikel der Atmosphäre hatte begonnen sich unter dem tosenden Geräusch des Windes neu zu formen, zersplitterte und wurde zu einem Teil eines viel größeren Wesens - Diese Dimension war zu einer todbringenden Waffe geworden, sie war Visier und Waffenarm in einem, bereit jeden Augenblick abzudrücken und sie mit nur einem Faustschlag zu töten. Ihre Kadaver sollten in die schwarze Schlucht stürzen und dort verrotten - Ein anderes Ziel kannte das infame Grauen nicht.

Ein zweiter, dann ein dritter und ein vierter Schlag erschütterten die Brücke, sie begann zu ächzen, schwankte unruhig wie ein Schiff auf hoher See und drohte bei jedem erneuten Treffer in sich zusammenzustürzen.

„Beeilt euch, macht, dass ihr hier wegkommt!", kreischte Cay und sprintete, so schnell ihn seine müden Beine trugen, über die Brücke.

Toxicas Arm brannte höllisch. Alles, was er fühlte, war Schmerz, ein entsetzlicher, sich tief in sein Fleisch schneidender Schmerz, der im Takt mit seinem Herzen pulsierte und ihn – mit nur wenigen Schritten – die Schwelle der Vernunft überschreiten lassen würde. Er konnte kaum noch klar denken, spürte aber, wie ihm die Tränen in die Augen getrieben wurden – Er blinzelte sie fort.

Würde er heute Nacht sterben – Es machte keinen Unterschied mehr.

Plötzlich wurde die Brücke von einer erneuten Erschütterung getroffen, noch bevor er wusste, wie ihm geschah, erschlafften seine Finger, die wabernde Materie glitt über seine Handinnenfläche und flog mit einem lauten Knall auf die steinerne Brücke nieder.

Eine Nadel aus blauweißem Licht zuckte über ihren Köpfen hinweg, schlug fast in der gleichen Sekunde auf dem Boden nieder und entlud ihre gebündelte Kraft mit einem Donnerschlag.

Offensichtlich verlor das Ding die Geduld.

Die Ungeheuer begannen zu kreischen, ihre roten Augen waren erloschen, blitzten wie kleine, matte Knöpfe auf, dann erkannte Cay im grellen Schein der hochgehenden Bombe, dass etwas Zähflüssiges, Feuchtes aus ihren Mäulern quoll. Etwas hatte sie von innen zerfressen, ihre Organe aufgespießt und trieb nun das Leben unbarmherzig aus ihren entstellten Leibern.

Cay keuchte vor Aufregung. Seine Kräfte ließen nach, er spürte, wie er mit jeder Sekunde schwächer wurde.

Es war kein heldenhafter Retter gewesen, sondern ein Strahl aus blutigem Licht, der vom Himmel gestürzt war und die Kreaturen aufgespießt hatte.

Er konnte mit einer erschreckenden Deutlichkeit erkennen, wie der Strahl ihre Haut spaltete, sich durch Fleisch und Muskeln wühlte, ihre Rippen durchschlug, tiefer nach unten fuhr und dann mit einem krachenden und platzenden Geräusch aus dem Rücken austrat und die Wunde dabei noch weiter aufriss.

Der Dämon, der Cay am Nächsten stand, riss seine gewaltigen Pranken in die Luft, er schlug im Wahn um sich, stieß dabei, vom Schmerz entstellte, Laute aus, kreischte ohrenbetäubend auf, dann knickte sein rechtes Bein unter seiner Last zusammen, der Unterweltler verlor den Halt und sackte langsam in sich zusammen, ohne dabei seine – nach Blut dürstenden – Klauen in den Körper des rothaarigen Dämons rammen zu können.

Cay reagierte sofort. Er hastete nach hinten, wich den schwarzen Klauen aus und beobachtete wie der leblose, zerfetze Körper seines Gegners hart auf dem Boden aufschlug. Die Augen waren absurd verdreht, und für einen Lichtblitz starrten sie zurück, bohrten sich in seine geweiteten Pupillen, dann war die Schreckenssekunde verstrichen – Das Ding war tot.

„Du hast länger überlebt, als ich geglaubt hatte“, ein Mann trat aus dem Schatten, näherte sich ihnen und zeigte einen unheimlichen Herzschlag später sein Gesicht.

Das schwarze, wirre Haar fiel ihm ins Gesicht, er bemühte sich aber nicht die vereinzelten Haarsträhnen fortzustreichen, seine roten Augen kannten nur noch ein Ziel, er fixierte Cay ungerührt, ihn allein.

„Myras!“, kreischte Ren. Die Panik wuchs innerhalb von einer Sekunde, sie schwoll auf ein unerträgliches Maß an, schnürte ihm noch im selben Augenblick die Kehle zu und raubte ihm die Luft zum Atmen. Er taumelte einige, entsetzliche Schritte zur Seite, stieß mit dem Rücken gegen einen Widerstand und fuhr erschrocken herum.

„Pass auf, wo du hintrittst“, fauchte Toxica.

In der gleichen Sekunde begann der endgültige Angriff.

Nicht nur die Vernichtung der Unterweltler war ein Zeichnen gewesen, begriff Cay unendlich langsam, sondern auch die Tatsache an sich, dass Myras in diese Dimension vorgedrungen war, um nach ihnen zu suchen.

Eine ungeheuerliche Walze aus zehntausend Dämonen trat aus der Finsternis, ihre roten Augen glitzerten zornig, funkelten in die Halbdüsternis hinein und dann traten sie mit zielstrebigen, gleichmäßigen Schritten über die Trümmer der schwankenden Brücke. Sie waren bewaffnete und überrollten sie förmlich. Plötzlich hob Myras eine Hand, streckte sie in die Höhe, eine Waffe erschien, er richtete sie aber weder auf Cay, noch auf seine Verbündeten. Für einen Sekundenbruchteil trafen sich ihre Blicke, niemand rührte sich, die Luft war zum Zerschneiden gespannt, doch dann schwang Myras seine Waffe und ließ das Metall kreischend über den Boden jagen. In seinen Händen hielt er einen neunzackigen Speer.

„Du machst deine Aufgabe ganz hervorragend, kleine Marionette!“, säuselte Myras, er verzog seine Mundwinkel, zwang sich zu einem Lächeln, der Versuch schlug aber kläglich fehl, „Nicht mehr lange, dann wird die Welt untergehen.“

„Was willst du damit sagen?!“, schrie Dafne, nicht Cay war es, der auf die Worte Myras' reagierte, sondern das Mädchen, „Was hast du mit unserer Welt vor, du Scheusal?!“

„Schau dich um. Weißt du, wo wir uns hier befinden?!“, zischte Myras und lachte bösartig auf. Doch als Dafne nicht antwortete, fügte er hinzu, „Aber ich kann die Antwort in deinen ängstlichen Augen lesen, Engel! Du kennst diese Brücke, du weißt, wohin sie euch führen wird und doch hast du sie nicht aufgehalten. Wieso?!“

Wieder schwieg sie.

Sie realisierte kaum, wie Cay mit seiner Hand nach ihrem Arm griff und sie mit sich zog. Hinter ihrer Stirn hämmerte eine unbeschreibliche Wut, sie riss sich mit einer schnellen, wuchtigen Bewegung los, stürmte auf Myas zu, blieb aber schon nach wenigen Schritten stehen und schüttelte hoffnungslos den Kopf – Ein Strom aus Tränen rann über ihre Wangen.

„Du hast Cay gesagt, dass er euch in diese Ebene bringen soll, ist es nicht so?!“, sagte Myras genüsslich und beobachtete, wie die Farbe abrupt aus ihrem Gesicht wich, „Du bist die Tochter eines hochrangigen Erzengels, du kanntest die Geschichten über den Weltuntergang bestens, du wusstest, wie man ihn herbeiführen konnte und dann – nachdem dein armer Vater verstarb – Gott habe seine Seele gnädig“, er lachte geisteskrank, „Hast du, in deiner kranken Verzweiflung nach einem Weg gesucht alle Dämonen auszulöschen – Und da kam dir Cay genau richtig.“

„Er war es doch, der mich befreit hat – Nicht andersherum... Woher sollte ich also...“, sie konnte die Hysterie in ihre Stimme nicht unterdrücken, sie war einfach da gewesen – auf eine Art, die sie nicht einmal verwunderte.

„Es war ein Zufall, dass sich eure Wege kreuzten – jedenfalls noch zu Beginn – aber du hast deine Chance gewittert und du hast sie ausgenutzt. Das macht dich zu einem hinterlistigen und durchtriebenen Gegner. Engel sind das wahre Übel, wann wird Gott das endlich begreifen?!“, seine Stimme klang ruhig und eindringlich, und obwohl seine Augen vor Zorn flackerten, zeigte sein Körper keine erkennbare Gefühlsregung, seine Gesichtszüge waren hart, wenn nicht sogar überraschend teilnahmslos, als würde ihn ihr Verhalten nicht mehr überraschen.

„STIMMT DAS?!“, Cay schrie plötzlich, „DU HAST UNS NUR BENUTZT?! DIE GANZE ZEIT ÜBER?! STIMMT ES, WAS MYRAS SAGT?! SAG SCHON!“

Er wich erst einen Schritt zurück, dann entsetzlich viele.

Aber das Mädchen rührte sich nicht, sie starrte in das Herz des violetten Lichts. Schatten huschten in die Helligkeit hinein, unfertige Umrisse, ungeborene Dinge, die sich ihrem menschlichen Begreifen gerade weit genug entzogen, um ihr wahres Aussehen erahnen zu können.

Immer noch quollen Tränen aus ihren Augen, aber sie ließ es zu, zeigte Schwäche und dann sagte sie endlich: „Es stimmt… Der Dämon hat recht.“

„ABER WARUM?!“, wieder verzerrten sich seine Worte zur Wut hin, „WARUM DAS ALLES?! WAS SOLL DER SCHEISS?!“

Sie hob ihre Hand, ließ die Lichter um sich tanzen, griff nach ihnen und sah ihnen zu, wie sie aus ihrer Reichweite verschwanden und sich wieder dem Seelenstrom anschlossen.

„Weil es keine Dämonen geben soll…keine dreckigen Dämonen wie dich…“, sie lief auf Cay zu, „Dämonen, denen es Spaß macht anderen Leid zuzufügen…“, sie stoppte abrupt, es trennten sie nur noch wenige Zentimeter, „IHR SEID UNWERTES LEBEN! IHR SOLLT STERBEN – JEDER VON EUCH“, sie griff in die Dunkelheit und richtete ihre Armbrust einen Lichtblitz später auf den Dämon, „ICH WERDE EUCH MIT MEINEN EIGENEN HÄNDEN TÖTEN! HEUTE NACHT WIRD DIE DÄMONENWELT UNTERGEHEN!“

Cay wurde von einem übermächtigen Schauer des Entsetzens getroffen. Seine Gedanken überschlugen sich, entglitten ihm schon in der nächsten Sekunde wieder, als sie sich allmählich zu einem verständlichen Bild fügten, und hinterließen nichts weiter als das Gefühl der Konfusion.

„Wir haben das gleiche Ziel, entzückend“, kam es sarkastisch von Myras, er grinste breit, legte seinen Zeige- und Mittelfinger auf die Pfeilspitze der Armbrust und senkte die Waffe um wenige, unnötige Millimeter zum Boden hin. Würde das Mädchen jetzt abdrücken, wäre der Treffer immer noch tödlich, Myras Eingreifen war also weitestgehend überflüssig gewesen – Jedenfalls hatte Cay dies für den Augenblick geglaubt, „Nana – Wenn du jetzt schießt, machst du unseren schönen Plan noch kaputt“, er schlug brutal zu, „Und das will ich nicht riskieren!“, er riss sie zur Seite und schleuderte ihren zierlichen Körper rabiat zu Boden, „Um Ragnarök einzuleiten, bedarf es einen Erben aus der dämonischen Königsfamilie – oder aber einen rechtlichen Thronfolger, weißt du. Ihr Engel könnt den Zorn des Teufels nicht mehr aufhalten.“

Sie streckte ihre Hand abermals in den tanzenden Sternenhimmel, die Lichter flochten sich erneut um ihren Arm, sie spürte schlagartig einen heißen, pulsierenden Schmerz und riss ihre Hand erschrocken zurück. Der Schmerz war nicht das Schlimmste gewesen, er war zwar kurz gewesen, aber dafür mit einer Heftigkeit, die sie schreiend zurückprallen ließ. Sie umklammerte ihr Handgelenk, rieb über die verbrannte Haut und blickte nervös in das Firmament.

Die Farben um sie herum hatten sich von einem sanften Violett zu einem kalten, gräulich, schimmernden Blauton verändert. Das Zentrum der Helligkeit, zu dem sie bis noch eben mit Ehrfurcht emporgeblickt hatte, war in einem riesigen, klaffenden Schlund verschwunden. Licht wurde zu Schatten – aus Hoffnung Furcht.

„Ihr könnt nicht gegen Gott gewinnen, ihr folgt eurem Herrn, genauso wie es die Engel tun, aber euer Führer ist lediglich ein durch Gottes Hand erschaffenes Geschöpf, so wie wir alle. Seine Macht ist enorm, aber nicht unendlich – Das solltet ihr nicht vergessen! Er konnte den Aufbau des Reiches Gottes nicht verhindern, wie soll er dann seinen Untergang bewirken!?“

Myras lachte höhnisch auf: „Bist du fertig mit deinen Belehrungen, Weib?!“

Aus dem gewaltigen Riss quollen grauenvolle, formlose Schatten und Schemen, sie trieben durch die Lüfte, reckten ihre überdimensionalen, gespenstischen Glieder und bewegten sich auf sie zu.

„Oh Gott, er wird uns alle töten“, stieß Mochi - mit vor Schreck geweiteten Pupillen – hervor, dann sauste er schlagartig hinter Cay und boxte seinen Partner in den Rücken, „Schau doch… dort oben…“

Cay gehorchte gegen seinen Willen, er wand seinen Blick von Dafne ab und erschrak.

„Der Totenrichter…endlich“, murmelte er fasziniert, „Und er hat seine Schergen mitgebracht. Das wird ein Gemetzel der Sonderklasse.“

Er leckte sich zufrieden über die rauen Lippen.

„Kannst du mir bitte sagen, wie du es mit der Armee des Totenführers aufnehmen willst, wenn dir gleichzeitig noch Myras im Nacken sitzt?!“, keifte Ren, seine Stimme schnappte fast über, seine Worten überschlug sich, hingen an manchen Stellen zusammen, dann machte er instinktiv einen halben Schritt zurück und bewaffnete sich.

„Du hast es doch selbst gehört, Ren“, begann Cay, auch er spürte die Panik in sich aufkeimen, würgte das Gefühl aber, so gut es eben möglich war, herunter, „Myras kann mich nicht töten, wenn er seinen Plan erfüllen will – Jetzt da mein echter Vater tot ist… Auch wenn er mich töten würde, gibt es niemanden, der ihn zum Herrscher der Dämonenwelt erklären könnte. Er ist auf meine Hilfe angewiesen.“

„Ich glaube, du irrst dich, Chef“, sagte Mochi gepresst, „Erinnere dich allein an den Gestaltenwandler aus dem Wirbel des Chaos… Er wurde von Myras geschickt, um dich zu töten, richtig? Myras braucht dich nicht, er will dich aus dem Weg schaffen – das ist ein gewaltiger und entscheidender Unterschied, Boss.“

Es war ein Etwas, eine grauenhafte, blasphemische Kreatur, die aus der Dimension des Wahnsinns in ihre Welt geschleudert worden war und nun mit blitzschnellen, zittrigen Bewegungen auf sie zusteuerte. Zwei- bis Dreidutzend der schattenhaften, kreuchenden Wesen folgten dem Etwas, dann erkannte er den Totenrichter. Er schien auf einem der Kreaturen zu reiten und aus dem aufgewühlten, fast schwarzen Himmel auf sie niederzupreschen. Er konnte sofort die Waffe in seinem Händen erkennen. Sie war eine Mischung aus Flammenwerfer und Maschinengewehr gewesen – Wahrscheinlich war es aber irgendwas dazwischen.

„Wie oft soll ich euch noch sagen, dass es Dämonen streng untersagt ist, diese Brücke zu betreten?!“, er sprang die letzten Meter in die Tiefer, presste die Waffe seitlich vor seine Brust und landete gut fünf Meter von ihnen entfernt am anderen Ende der Brücke, „Aber diesmal scheint ihr es ernst zu meinen…“, er strahlte zufrieden, „Ich habe mich schon gefragt, wann ihr mit den kindischen Spielen aufhören und euch mir stellen wollt. Das ewige Seelensammeln wurde euch mit der Zeit langweilig, nicht wahr?!“

„Und dir gegenüberzustehen, ist eine nette Abwechslung, das stimmt“, Cay grinste dämonisch, „Wenn wir mit dir fertig sind, rauben wir dir alle Seelen, die du in deinen Katakomben gefangen hältst, unterm Arsch weg, dann kannst du dich nach einem neuen Job umschauen, Richter.“

„Das will ich erleben, Cay“, entgegnete sein Widersacher, seine braunen Augen blitzen bösartig auf, er warf seinen Kopf herum, innerhalb von einer Sekunde erschien ein Paar weißer Schwingen auf seinem Rücken, das Licht pulsierte glänzend auf den reinen Federn, dann erlosch es schlagartig. Zwei gleichmäßig geformte, gedrehte Hörner wuchsen zu beiden Seiten seines Schädels empor, sie ragten durch sein dunkelbraunes, dichtes Haar, wuchsen weiter und weiter, bis sie schlussendlich sein halbes Gesicht verdeckten. Er war nicht nur einen Kopf größer als Cay, sondern bewegte sich auch um ein Vielfaches schneller, als er selbst. Seine Körperkontrolle schien perfekt zu sein. Er täuschte einen Angriff mit seiner rechten Faust vor, bereitete aber schon im gleichen Augenblick seine wirkliche Attacke vor und trat unbarmherzig zu. Er traf Cay in den Magen, der Rothaarige bäumte sich vor, er riss seine Augen mit einer Mischung aus Entsetzen und Fassungslosigkeit auf, er wollte schreien, doch der Schmerzenslaut kam nicht über seine Lippen, der Totenrichter stieß fester zu und trieb ihm die Luft aus der Lunge. Taumelnd schwankte Cay zurück.

„Deine Reserven scheinen erschöpft zu sein, dann haben dir meine drei Handlanger mehr zugesetzt, als ich gedacht hätte“, sagte der Totenrichter steif, er flocht seine Finger in das rote Haar seines Widersachers und schleuderte ihn zu Boden, „– Schade.“

Er lag für einen zeitlosen Augenblick regungslos am Boden. Er spürte, wie der Boden unter seinem Körper zu beben begann, ein Getrampel von zehntausend Füßen erscholl unter ihm, brachte ihn nicht nur innerlich zum Erzittern, sondern ließ ihn in derselben Sekunde fast automatisch in die Höhe schnellen. Er war bewaffnet.

Das Heer, unter Myras Regentschaft, stürmte über die Brücke, die Waffen zum Angriff erhoben – ihre Klingen beschrieben sichelförmige Bewegungen, als sie die letzten Meter zurücklegten, dann stießen sie zu. Dies sollte der ultimative Kampf sein...
 

...Und der Totenführer war nicht die wahre Gefahr, er war ein Köder, eine strategisch eingesetzte Marionette, die sie in einen Hinterhalt gelockt – nein, gejagt – hatte und nun würde es aus diesem Alptraum kein Entkommen mehr geben, sie waren in die Falle getappt.

Bonus: Justizmord


 

Engelstanz der Dunkelheit

____________________________

J u s t i z m o r d
 


 

Er blinzelte, drehte müde den Kopf zur Seite und erhob sich widerwillig aus seinem Sessel und obwohl es bereits nachmittags war, hatte er Mühe zu erwachen. Nicht nur das dieser absurde Nachtmahr mit einer unnachgiebigen Härte gegen seine Stirn schlug, er schaffte es auch noch in die Realität überzuwechseln und sich tief in seinen Verstand zu bohren. Es kostete ihn eine erstaunliche Kraft sich endgültig von diesen widersinnigen Bildern zu lösen und das unangenehme Gefühl in seiner Brust zu verscheuchen.

Aber auf eine sonderbare Weise hatte dieser Traum keinen Schrecken in ihm ausgelöst, er war böse gewesen, ja, und er hatte sein Unterbewusstsein auf eine Ebene erreicht, die er nicht für möglich gehalten hatte, aber die Angst blieb dennoch aus. Er strich sich gedankenverloren über das Kinn, verharrte einen Sekundenbruchteil in dieser eigentümlichen Pose und löste sich dann mit einer schnellen, ruckartigen Bewegung aus seiner Starre. Für gewöhnlich neigte er nicht zu Alpträumen – Nicht einmal zu Träumen – wenn er es recht überlegte. Aber dieser Traum war anders gewesen, er besaß die Kraft ihn ein Stück weit ins Wachsein nachzuschleichen, er ließ kalte Schweißperlen auf seine Stirn treten, und obwohl er gegen das ohnmächtige Gefühl anzukämpfen versuchte, gelang es ihm nicht einmal im Ansatz die Fassung zu bewahren. Dieser Nachtmahr war auf eine erschreckende Weise real gewesen, die Bilder schlugen in sein Bewusstsein zurück, ohne, dass er sich dagegen wehren konnte – Jedes noch so winzige, entsetzliche Detail flackerte vor seinem geistigen Auge auf. Er bekam eine fürchterliche Gänsehaut, dann runzelte er genervt die Stirn.

Aber da war noch etwas anderes, er konnte das beklemmende Gefühl einen Herzschlag eher wahrnehmen, bevor es seinen Körper wirklich befiel. Als ob nicht der Traum allein schon genügt hätte, um seinen Tag zu ruinieren, meldete sich nun auch noch seine völlig grundlose Beunruhigung wieder, die ihn über die letzten Tage verfolgt hatte. Sie wuchs zu einem Meer aus zehntausend tollwütigen Armeisen heran, die erst durch seinen Verstand krabbelten, sich dann in seinem ganzen Leib ausbreiteten und es ihm unmöglich machten sich zu beruhigen oder gar einen klaren Gedanken zu fassen.

„Von nun an soll es dein Schicksal sein über die Toten zu wachen“, diese Worte hämmerten immer wieder durch seine Gedanken. War es Berufung? Fügung? Oder doch nur einer ungnädigen Laune der Natur zu verdanken, dass sein Leben diesen leidvollen, aber unabwendbaren Weg eingeschlagen ließ?! Er hatte sich längst an die ewige Dunkelheit, in der er zu leben verdammt war, gewöhnt. Es war schwer gewesenen, ja, aber nicht unmöglich – und heute, gut zehn Jahre nach dem Vorfall, war ein anderes, normales Leben für ihn undenkbar geworden. Er genoss sein Amt und die Privilegien, die sich ihm dabei boten.

Er war ein Engel gewesen, oh ja. Und doch spürte er ein abscheuliches, fast unmenschliches Verlangen in sich aufkeimen, es war über die Jahre stärker geworden, es wuchs zu einer Saat des Bösen heran und zwang ihn mit sicheren Schritten an den Abgrund seiner Existenz zu treten. Drängte ihn näher zur Sünde hin und näher zum Höllensturz selbst. Er wollte nichts mehr, als Vergeltung zu üben. Das himmlische Reich, das einst seine Heimat gewesen war, sollte in einem gewaltigen Kugelhagel untergehen, die Straßen sollten zu reißenden Bächen aus reinem Blut werden und dann wollte er über sie hinwegsteigen, über die geschundenen und entstellten Kadaver seiner ehemaligen Freunde. Wenn die Zeit gekommen war, würde er über sie alle triumphieren.

Verträumt fuhr er sich durch das braune, wirre Haare, er brachte seine Frisur durcheinander, glitt dann weiter über die geschwungenen Hörner an seinen Schläfen und ballte seine Hände instinktiv zu Fäusten. Sie waren längst zum Symbol seiner Qualen geworden, durch sie würde er sich auf ewig von den Engeln unterscheiden, auch wenn er versuchen würde seinem Schicksal zu entrinnen, wusste er, dass ihm die Möglichkeit auf eine freie Entscheidung verwehrt blieb, solange er sie als Zeichen seiner Sünde trug. Er hatte verloren. Den Streit, den er vor zehn Jahren aus einer Nichtigkeit heraus geführt hatte und nun musste er mit der Schande leben – Gott hatte sein Urteil gefällt.

Er begann innerlich zu zittern, er spürte die Wut durch jede Faser seines Körpers rauschen, aber sie schaffte es nicht ihn zu betören – Nicht dieses Mal.

Als ob er Angst vor dem Licht hätte, verharrte er einen halben Schritt, bevor er die Helligkeit erreichen konnte, im schützenden Schatten, seine Augen huschten angestrengt über die zahllosen Monitore, mit denen er die einzelnen Sektoren der Totenhalle überwachte, dann schürzte er abfällig die Lippen.

„Wenn du so viel Verstand wie Mut besitzen würdest, könnte ich dich sogar als Gegner ernst nehmen“, zischte er haltlos und machte einen wütenden Schritt voran, beugte sich über die Tastatur seiner Schaltfläche und zoomte in das Gebiet hinein, in das sich sein ungebetener Gast verirrt hatte.

Als ob er die Anwesenheit des Totenrichters spüren konnte, drehte sich der Dämon schlagartig herum und stierte für die Dauer von zwei, drei Atemzügen in die Kamera. Aber irgendetwas war falsch. Alles an ihm wirkte verzerrt, auf kaum in Worte zu fassende Weise anders, nicht nur dämonisch, sondern lag auf einer Schwelle, die weit an die Grässlichkeit heranreichte. In seinen Augen glaubte er keine Drohung zu lesen, sondern etwas, das weit jenseits davon lag – Es war ein düsteres Versprechen.

Dann hörte er Schritte, gefolgt von einem hohlen, tiefen Geräusch. Jemand klopfte an der Tür, doch statt auf ein Wort von ihm zu warten, war die Person einfach eingetreten, - Nein! - Sie war förmlich in den kreisrunden Raum hereingeplatzt.

„Sir, die Dämonen aus dem dritten Himmel sind bereits in Sektor fünf eingedrungen. Sie sind im Begriff die Seelen zu rauben“, die Hektik, die der Mondengel verbreitete, schwang nicht auf ihn über. Sie schien an ihm abzuprallen, schaffte es nicht einmal an der Oberfläche seiner Vernunft zu kratzten, mehr noch – je mehr sein Gegenüber in Rage geriet, umso ruhiger schien er im Anbetracht der wachsenden Gefahr zu werden.

Für einen zeitlosen Augenblick stand er einfach nur ungerührt da, fixierte mit einer perfiden Art der Faszination den flackernden Monitor und sagte dann mit einem bissigen Unterton: „Als ob ich das nicht selbst wüsste, für wen hältst du mich eigentlich?!“

Sein Gesicht schimmerte im Schein des Bildschirms grünlich auf, das kalte Licht ließ seine Mimik für einen unendlich, gruseligen Moment tanzen – und als ob jemand flüssiges Plastik in eine Form gegossen hätte, wurden seine Gesichtszüge nicht nur unwirklich, vielmehr verzogen sie sich zu einer angstauslösenden Maske des Bösen. Seine eigenen Gedanken hatten ihn in den Bann geschlagen, sie begannen sich von dem Augenblick an zu materialisieren, als er ihn auf dem Kirchhof erblickt hatte – Widerstrebend löste er sich von dem Bild und tat eine übertriebene Bewegung auf seinen Untergebenen zu.

Schlagartig, und ohne Vorwarnung stoppte er nur eine Handbreit vor dem Mann.

Sein Gesicht war verschroben.

Böse.

Und hart.

„Das reicht!“, fauchte er und entsicherte seinen Flammenwerfer, „Wenn du wirklich glaubst, dass ich dich damit durchkommen lassen werde, dann hast du dich geschnitten! Ich werde deinen schmächtigen Körper mit einer Salve aus meinem Gewehr für immer in Stücke reißen! FÜR IMMER – VERSTEHST DU?!“

Er spürte sofort, dass er dabei war, die Kontrolle über sich zu verlieren, aber diesmal würde er dem innerlichen, frevelhaften Trieb nicht die Oberhand gewinnen lassen, nicht jetzt. Wo sein Feind irgendwo dort draußen war.

Zwar war es nicht das erste Mal gewesen, dass das Dämonenherr unter Myras Führung versuchte in die Totenwelt einzudringen, aber noch nie hatten sie es gewagt am helligten Tag sein Reich zu überfallen und sich an den verstorbenen Seelen zu vergehen. Er verzog angewidert das Gesicht.

„Noch wissen wir nicht, wie viele von ihnen dort draußen sind, lasst die Tore niemals unbewacht – Denn genau darauf wird unser Feind es abgesehen haben. Sie wollen in die Totenhalle eindringen und das müssen wir um jeden Preis verhindern“, zischte er, seine Worte waren hart wie Eis und ebenso schneidend.

Er beobachtete, wie der Mann mit einem sachten Nicken antwortete, dann fügte er in einem herausfordernden Ton hinzu, „Ihr müsst sie töten, bevor sie die Totenhalle erreichen können, nehmt keine Rücksicht – Sonst werden sie euch töten! Dämonen kennen keine Skrupel und noch weniger kennen sie so etwas wie Gnade oder Ehrgefühl. Sie sind Monster... kranke Monster! Das Töten liegt in ihrer Natur.“

Ein weiterer Gedanke kam ihm, und es war vielleicht der Unheimlichste von allen: Möglicherweise – und er traute sich nicht den Gedanken zu Ende zu bringen – unterschieden sich die Engel in Wirklichkeit gar nicht so stark von der grässlichen Dämonenbrut. Aber dieser Gedanke, so unvermittelt, wie er auch gekommen war, schien mehr als nur absurd zu sein. Er schüttelte heftig den Kopf, als wolle er diese Erkenntnis einfach abschütteln – Es gelang ihm nicht.
 

Der Himmel hatte sich zugezogen, auch wenn seine Sinne geschärft waren, blieb die Dunkelheit absolut. Es war nicht nur überraschend schnell dunkel geworden, stellte der Totenrichter mit einem heftigen Gefühl der Verärgerung fest, vielmehr schien es so, als ob der Tag von einer unheimlichen Macht vollkommen verschluckt worden wäre und ein schwarzes, festes Leichentuch über den Horizont gespannt hätte. Sein subjektives Zeitgefühl blieb aus. Es konnten Minuten, Stunden oder Tage vergangen sein, seit er die Totenhalle verlassen und auf den Kirchhof gelangt war, aber er spürte, dass nichts davon stimmte. Ein Zufall?! Nein! Er glaubte nicht daran!

„Wir teilen uns auf!“, sagte der Totenrichter knapp und winkte mit dem Lauf seiner Waffe erst nach rechts, dann nach links, „Wenn wir sie erst umzingelt haben, gibt es kein zurück mehr. Wir werden sie wie Kakerlaken in die Enge treiben und töten.“

Die Wolkendecke über ihnen war komplett geschlossen, es roch nach Regen, der spätestens in fünf Minuten losbrechen würde.

Auf der anderen Seite des Gebietes konnte er ein Streulicht erkennen, es durchschlug nicht nur die Finsternis, sondern sorgte im gleichen Atemzug dafür, dass die Dunkelheit noch totaler und zusehends fest wie Stein wurde. Ihr Feind musste ganz in der Nähe sein. Er leckte sich amüsiert über die Lippen. Die Jagd hatte nicht begonnen, wie es schien, war sie bereits beendet gewesen, als er den Friedhof betreten hatte. Es gab kein Entkommen mehr.

Trotz des bleichen Mondlichtes, das mit feinen, kaum zu erkennenden Streifen durch das Wolkenmeer schlug und die Welt, die darunter lag, in eine böse, unheilverkündende Aura hüllte, blieb die Dunkelheit absolut – Aber etwas hatte sich verändert. Als ob seine Umgebung elektrische Signale auf einer unhörbaren, tiefen Frequenz ausstrahlte, konnte er die Bäume und Sträucher vor sich spüren. Auch die Bereiche dazwischen waren nicht leer. Er konnte das Gras spüren, das feuchte Laub, das der letzte Regen von den Ästen gespült hatte, dann die Sinfonie des Lebens, das sich hier überall tummelte. Mäuse, Armeisen, Käfer und auch ihn – Seine Beute.
 

„Cay, denkst du wirklich, dass das eine schlaue Idee war, ohne Ren auf Seelenjagd zu gehen?!“, das ungute Gefühl, das Mochi in den letzten Minuten beschlichen hatte, wurde zu einer Bestätigung.

„Mach dir mal nicht ins Hemd, der Richter wird nicht einmal wissen, dass wir hier waren und ein paar Seelen mitgenommen haben“, spottete Cay, „Am Tag pennt der, das weißt du doch.“

„Das ist doch nur ein dummes Gerücht“, murmelte Mochi, seine Nervosität wurde zu einer schleichenden Angst, dann zu einem rasenden Orkan der Panik „Du hast den Ammenmärchen doch nicht etwa wirklich glauben geschenkt, oder?!“

Mochis Augen weiteten sich, die schwarzen Höhlen flackerten blutrot auf, dann trieben lodernde Flammenfinger aus den riesigen Löchern und breiteten sich schließlich um seinen gesamten Körper aus.

Fast wie um seine Befürchtung zu bestätigen, zuckte Cay mit den Achseln, „Ich habe mir ehrlich gesagt keine Gedanken darüber gemacht.“

„Ist das dein Ernst, Boss?!“, er spürte, wie er von einem Schauer der Fassungslosigkeit ergriffen wurde, „Lieber Gott, warum werde ich mit so einem dummen Meister bestraft...“

„Liegt wahrscheinlich daran, weil wir alle Dämonen sind“, entgegnete Cay, „Du musst also mit mir leben, ob du es nun willst oder nicht – Gott denkt nicht einmal im Traum daran dich von mir zu erlösen.“

Dann geschah es. Der Friedhof begann sich zu verändern. Noch ehe er sein Ziel wirklich erreichen könnte, erlosch die schmale Mondsichel am Himmel. Cays Herz schlug hart gegen seine Brust, es wurde von einer Beunruhigung erfüllt, die an Panik grenzte, dann stürzte er los. Alle Farben, die sich im Kegel des Mondlichts befanden, versiegten mit einem Schlag, sie bewegten sich stromartig auf das Zentrum des Kirchhofs zu, als würden sie von einer unheimlichen Macht aufgesaugt. Dann erkannte er es. Der Atem stockte in seiner Kehle.

Die Bäume waren noch Bäume, aber da war noch … etwas anderes. Das Gras unter seinen Füßen verhärtete sich, die Halme wuchsen zu einer Milliarde feiner, spitzer Nadel heran, durchbohrten erst seine Schuhsohle, dann seine Füße selbst. Er schrie gepeinigt auf, trat instinktiv zurück und stieß erneut in das Meer aus Messern. Er konnte fühlen, wie das warme, feuchte Blut seine Schuhe durchtränkte. Die Pflanzen und Blumen hatten Farben, die zwar von der Nacht gedämpft wurden, aber trotz allem völlig fremd und beißend glühten, ja, selbst die Umrisse der Grabsteine waren falsch und endlos verdreht.

Eine Flut aus nebulösen, grotesk verzerrten Schatten brach über sie hinein, sie hüpften mit leichten, schwerelosen Bewegungen durch die Lüfte, tanzten an ihnen vorbei und streiften sie mit zufälligen, aber schnellen Hieben, die ihre Haut mit jeder Berührung verätzte. Ihre Pranken blitzten in der Dunkelheit auf, an ihren Krallen klebte eine rote, säurehaltige Substanz. Sowohl Mochi, als auch Cay schrien schmerzerfüllt auf.

„Mochi...“, japste Cay, „Wir müssen von hier verschwinden... Der Totenrichter weiß, dass wir hier sind...“

„Was du nicht sagst, Chef!“, sagte Mochi wütend und verdrehte provokant die Augen.

Bevor Cay jedoch seine schwarzen Schwingen heraufbeschwören konnte, wurde er von einer erneuten Welle erwischt, sie brachte ihn nicht nur zum Taumeln, als ob man ihn geschlagen hätte, sondern trieb ihm im gleichen Herzschlag die Tränen in die Augen. Trotzdem zwang er sich dem Ansturm standzuhalten, er ließ eine schwere Axt aus dem Nichts erscheinen, umklammerte den Griff mit beiden Händen und hielt sie schützend über sich gestreckt.

„Nana, wer wird denn gleich weinen!“, eine kalte Stimme drang in sein Ohr, doch genau in dem Moment, als es ihm möglich war, den Standort seines Gegners zu lokalisieren, verschwand sie wieder aus seiner Hörweite und schwoll erneut an – Doch diesmal schien sie aus einer völlig anderen Richtung zu stammen, „Cay, Dämon des Zorns!“, säuselte die Stimme erneut, sie schien direkt hinter seinem Ohr – Nein! In seinem Kopf – zu sein, „Ich habe den gesamten Sektor nach euch Dämonengesindel abgesucht, aber ich habe niemanden gefunden – Niemanden, außer dir! Ich hoffe nicht, dass das wirklich dein ernst ist und du völlig allein hier aufgekreuzt bist – Denn dann bist du noch dümmer, als ich dich eingeschätzt hätte.“

Ein krankes, schrilles Lachen entkam seiner Kehle, dann wurde plötzlich die Silhouette eines großgewachsenen Mannes sichtbar, der mit langsamen, genüsslichen Schritten aus dem Niemandsland der Finsternis trat, seine Waffe hob und mit einem rasselnden Geräusch den Lauf entsicherte.

„Richter, du hier?!“, fauchte Cay aufgebracht, seine Muskeln waren bis zum Zerreißen gespannt, seine Augen huschten durch die Dunkelheit und fixierten angestrengt die Gestalt, die sich auf ihn zu bewegte.

Von einer Sekunde auf die andere stand er einer Kreatur gegenüber, die weder aus dem Himmel, noch aus der Hölle zu stammen schien – Er war ein Wechselbalg ohne jede Zugehörigkeit. Und doch – würde er sich ein Wesen aus dem Garten Eden vorstellen, dann musste es genau so aussehen. Die weißen Federn schimmerten seiden in der Halbdüsternis, die filigrane Form seiner Schwingen wirkte dünn und zerbrechlich, es war ein Bild, das nichts glich, was er je gesehen hatte.

„Mein Name lautet Haru, merk ihn dir endlich!“, zischte der Totenführer bösartig und richtete sein Gewehr mit einer wuchtigen Bewegung auf den Dämon und drückt ab. Aus dem rauchigen Mündungsfeuer trat eine Salve aus tausend Schüssen, sie schlugen wie ein Donnerhagel auf seinen Widersacher nieder und verfehlten ihn nur um eine Haaresbreite.

Eine Welle lähmenden Entsetzens machte sich in Cay breit, sein Körper hatte reagiert, noch ehe sein Verstand ihn von dem törichten Vorhaben abbringen konnte. Er stieß sich ab, hastete zur Seite weg und sprang mit einem verheerenden, langen Satz in die gräsernen Messer unter ihm. Eine eiserne Hand legte sich nur einen Lichtblitz später um seine Kehle und drückte fest zu, sodass er nicht einmal einen Schreckensschrei ausstoßen konnte. Seine Augen weiteten sich panisch, dann drehte er seinen Kopf mit einem zornigen Ruck zur Seite, und stieß mit einem abscheulichen, markerschütternden Keuchen hervor, „Geh-von-mir-runter-Verdammt!“

Ihre Blicke trafen sich, doch diesmal schaffte Haru es nicht dem stummen Duell standzuhalten, das lodernde Rot bezwang das stürmische Braun und entschied den Kampf für sich. Mit einer fast schon übertrieben wirkenden Kopfbewegung wich er den stechenden Augen seines Gegners aus und starrte für einen endlosen Augenblick einen Punkt irgendwo in der Dunkelheit an, den nur er selbst sehen konnte.

Haru begann zu halluzinieren. Er war sich nicht sicher gewesen, was er erlebte, aber es war mehr als eine Illusion gewesen, eine ganz persönliche, nur für ihn inszenierte Peep-Show, ein Videoclip in 3D und Dolby-Stereo, bei dem seine eigene, höllische Fantasie Regie führte.

Er berührte den Körper unter ihm voller Verlangen, er zog den Jungen in eine vollkommene Umarmung, dann glitten seine Hände über seine weiche, beinahe samtene Haut und ließen eine prickelnde Gänsehaut zurück. Der Junge erschauderte sichtbar, aber er wusste, dass ihm seine Berührungen nicht unangenehm waren, denn die Art, wie er sich an ihn schmiegte und ihn küsste, gab ihm zu verstehen, dass auch er sich nach mehr sehnte.

Er wollte ihn, er begehrte ihn schon seit so vielen, endlosen Jahren mit einer bedingungslosen Leidenschaft und nun war er bei ihm, seine Blicke galten nur ihm, ihm allein. Mit einem atemlosen Seufzen schlossen sich seine Lippen erneut um die des rothaarigen Dämons – Es war mehr als nur ein Spiel mit dem Feuer gewesen – und Himmel – es war ein gefährliches Spiel, aber er musste es versuchen, auch wenn es den sofortigen Sündenfall ihrer beiden Seelen bedeutete, sollte ihr Band je öffentlich werden.

Er war ein Engel und sein Liebster eine Ausgeburt der Hölle.

Die Bilder seines Traums, die er mit aller Macht zu verdrängen versucht hatte, waren mit einer Brutalität in seinen Verstand zurückgekrochen, die ihm das Blut in den Adern gefrieren ließ.

Und dann geschah es. Noch bevor Cay wirklich begriff, dass es eine unheimliche Veränderung gegeben hatte, löste sein Widersacher seinen Griff und trat erst einen, dann erschreckend viele Schritte zurück – dann war es vorbei. Der Totenrichter hatte seine Bastion der Illusionen eingerissen, die Wände des Irrsinns toben mit einem ohrenbetäubenden Geräusch in die Tiefe und ließen die Wirklichkeit, die über mehrere Stunden friedlich geschlafen hatte, auferstehen. Der Friedhof war wieder ein Friedhof, alle Farben und Formen, die vom Wahnsinn verschroben und entstellt worden waren, glitten wieder durch die Drehtür in ihre Alptraumwelt zurück und verwandelten sich in ihre ursprüngliche Gestalt zurück. Der Terror war von dem Friedhof abgefallen wie ein alter, getragener Mantel.

Was auch immer geschehen war, es hatte ihm das Leben gerettet.

„War das schon alles, Richter?!“, er lächelte schräg. Es war ein gezwungenes, hysterisches Grinsen, ein letzter, verzweifelter Versuch seine Selbstsicherheit zu demonstrieren, aber er scheiterte.

„Wir spielen ein anderes Mal weiter“, sagte Haru mit bebender Stimmer, die Farbe war abrupt aus seinem Gesicht gewichen, und obwohl er kreidebleich war, glühten seine Wangen in einem satten Rotton.

Der Totenführer erhob seine Hand, die Schatten, die einst Cay angegriffen hatten, schlängelten sich nun gierig an dem Engel empor, sie hüllten ihn vollkommen ein, ohne ihm aber dabei Schaden zuzufügen und dann – genau in dem Augenblick, als der Totenrichter zu einer schwarzen, zuckenden Säule geworden war, fraß die Dunkelheit ein klaffendes, gespenstisches Loch in den Himmel. Der Totenrichter war verschwunden.

Der Kampf war vorbei und er hatte ein Ende genommen, mit dem niemand gerechnet hätte – Es war ein aussichtsloser Kampf gewesen, ja, und auch wenn er dies wusste, trieb ihn eine unheimliche, fast schon übermächtige Kraft immer wieder an diesen Ort zurück.

Benommen blickte Cay zu Mochi: „Was war denn mit dem los?! So habe ich ihn ja noch nie erlebt“, er verzog abfällig das Gesicht, „Ich frage mich echt, welche Synapse gerade in seinem Oberstübchen durchgebrannt ist... Aber ich bin mir gar nicht so sicher, ob ich das überhaupt wissen will.“

„Also ich will es auf jeden Fall nicht wissen“, keckerte Mochi vergnügt.
 

Vor mehr als zehn Jahren hatten sich reißende, mit Gift getränkte Fänge in seine Seele gegraben und seinen Verstand verpestet – hätte er damals nur gewusst, dass die Kreatur, der er blind vertraut und nachgelaufen war, nur eine materialisierte Alptraumgestalt seiner eigenen Ängste und Sehnsüchte gewesen war, hätte er ihren Lügen wahrscheinlich widerstanden und sich nicht das Leben genommen~
 

Der Selbstmord ist die abscheulichste aller Sünden.

Und Gott, der Komponist des Lebens duldet den Plan vom Tod nicht.

Der Himmel weint


 

Engelstanz der Dunkelheit

____________________________

D e r . H i m m e l . w e i n t
 


 

Sein Blick saugte sich an den Schattengestalten fest, die von der anderen Seite der Brücke auf sie zu schwappten, langsam nahmen sie eine neue, schreckliche Form an, wurden durch eine unheimliche Macht zum Leben erweckt, stöhnten zuerst klagend auf, ließen aber ihre Rufe in einem schrillen, überspitzten Dauerton enden.

Cay presste seine Hände fest gegen seine Ohrmuscheln und wartete, bis die höllische Sirene verstummte. Aber es endete nicht – vielleicht hatte es auch gerade erst richtig begonnen.

Die Konturen zuckten und wanden sich unentwegt, ihre Umrisse wurden zusehends deutlicher, Gliedmaßen wurden erkennbar, dann öffneten sich abertausende von gelben, eiterigen Augenpaaren, ihre schnappenden Mäuler zeigten eine doppelt gestaffelte Reihe spitzer, harter Zähne, dann – endlich – verlor sich die wabernde Schwärze. Die Verwandlung war nicht nur abgeschlossen, nein, das Grauen steuerte seinem Höhepunkt entgegen, nicht mehr lange, so dachte Cay, dann würde alles enden. Es musste enden. Heute. Und er konnte sich nicht dagegen wehren, er hatte es versucht – Ja! - aber er hatte verloren, kläglich verloren.

Die Schatten waren mit den schwarzen Wolkenmassen über die Brücke gespült worden, sie hatten hier unten auf sie gewartet, vielleicht Jahre, Jahrzehnte und schließlich Jahrhunderte und jetzt war der Tag gekommen, heute würden sie ihre Pflicht erfüllen und die Welt verändern. Für sie war die Ewigkeit nichts weiter als ein Lidzuck gewesen. Sie hatten geduldig gewartet und diesen Tag herbeigesehnt, nun war er gekommen, endlich gekommen.

„Das sind die unsterblichen Heilwirkenden“, stieß Mochi bibbernd hervor.

„Ich wusste nicht, dass es so viele von ihnen hier unten gibt...“, raunte Ren.

„Gibt es auch nicht, es ist nur eine Illusion, es gibt insgesamt vier Stück, für jedes Natur-Element einen“, unterbrach ihn Toxica wütend, „Feuer, Wasser, Erde und Luft – Sie werden daher auch 'Mondengel' genannt.“

„Interessant...“, sagte Cay gelangweilt, er gähnte demonstrativ, reckte und streckte seine Arme zu beiden Seiten seines Körpers weg, schloss seine Augen und schüttelte genervt den Kopf, „Es spielt keine Rolle, was sie wirklich sind...“, er fixierte die Flut aus Schatten, „Oder wie viele es sind...“, er beschwor eine gewaltige Axt herauf, „Ich werde aus ihnen allen Kleinholz machen!“

Er versuchte an dem Totenrichter vorbeizuhuschen, mit einer schnellen, drehenden Bewegung, wich er dem Kugelhagel aus, tauchte hinunter und sprintete an dem Lauf der Waffe und schlussendlich an seinem Kontrahenten vorbei, aber nicht ohne ihn zu streifen. Die Klinge seiner Axt durchschnitt sein Fleisch, ließ blutige, zerfetzte Fasern aus der Wunde platzen, dann – erlebte er eine Schreckenssekunde – das klaffende, schwarze Fleisch begann zu pulsieren, es reagierte auf etwas, dass er nicht sehen konnte. Das Blut kochte und waberte unaufhörlich, trieb eine gelbliche Flüssigkeit an die Hautoberfläche, zog und riss an dem Gewebe, bis sich die Verletzung geschlossen hatte. Das halb getrocknete Blut klebte an seinem Oberteil, die Wunde war jedoch verschwunden.

„Du entkommst mir nicht!“, fauchte der Totenrichter, er visierte Cay an, drückte noch in derselben Sekunde ab und traf den Dämon in die Schulter. Er taumelte zwei Schritte voran, er schmeckte den widerlichen, eigentümlichen Geschmack seines eigenen Blutes auf seiner Zunge. Er musste würgen.

Cay sah, wie es begann und es kam eher, als er gedacht hatte. Seit dem Aufeinandertreffen mit dem Totenrichter waren keine dreißig Minuten vergangen – wie er fälschlicherweise gedacht hatte – vielleicht, wenn es hochkam, höchstens drei Minuten. Er hatte eindeutig das Zeitgefühl verloren.

Die Legion Myras' traf auf die himmlische Schar des Totenführers - Der Kampf entbrannte. Die riesigen Schatten schnellten auf das Dämonenheer zu, sie hatten die Kluft zwischen ihnen mit nur einem Satz um die Hälfte reduziert, sie erhoben ihre gierigen Klauen, ließen sie durch die Luft tanzen, dann wuchsen sie auf das doppelte ihrer eigentlichen Größe heran und machten sich für den Angriff bereit.

Noch bevor die Schattengestalten ihnen wirklich schaden konnten, schlugen die Dämonen zurück. Sie ließen eine rasende Gewalt, die nicht nur den Erdboden erschütterte, sondern auch jeden ihrer Gegner im Handumdrehen in die Höhe riss und den festen Grund unter sich verlieren ließ, über die Brücke jagen. Es war ein 100 Punkte-Treffer gewesen, nicht tödlich, aber dennoch stark genug um sie ernsthaft zu verletzten.

Für eine endlose, halbe Minute stand Cay da und beobachtete den grotesken Tanz. Die schwarzen Kreaturen hatten sich weit nach hinten gebeugt, waren in ihrer Haltung förmlich erstarrt und das Heer der Dämonen befand sich vor ihnen, aufgerichtet, mit erhobenen Waffen und von einer übermenschlichen Wut gepackt.

„Hier spielt die Musik!“, fauchte der Totenrichter, er hatte Cay aus seinen Gedanken gerissen. Erst jetzt merkte er, dass er einen verhängnisvollen Fehler begangen hatte. Er sah einen Schatten aus den Augenwinkeln, riss schützend die Arme in die Höhe und spürte noch während der Bewegung, dass sie zu spät kam. Der Lauf der Waffe prallte mit voller Wucht gegen seinen Brustkorb und schleuderte ihn erneut zu Boden. Er kippte nach hinten, der Himmel vollführte einen blitzartigen Salto über ihm, dann lag er auf dem Rücken, er spürte noch im gleichen Herzschlag, wie die Mündung der Waffe seines Gegners fest gegen sein Kinn gepresst wurde.

„Du solltest achtsamer sein, Dämon des Zorns!“, säuselte der Totenführer zufrieden und beugte sich weit zu Cay hinunter, sodass er den heißen Atem des Jungen auf seiner Haut brennen spürte. Er zitterte.

Stöhnend wälzte sich Cay zur Seite, versuchte benommen die Augen zu öffnen und im ersten Augenblick wollte es ihm nicht gelingen – erst als er sich in Gedanken ermahnte und seinen Körper regelrecht dazu zwang gegen die Müdigkeit, vielleicht sogar gegen die bevorstehende Ohnmacht anzukämpfen, gelang es ihm die zentnerschweren Lider zu öffnen. Mit großem Erschaudern stellte er fest, dass er auf etwas Weichem, Feuchtem lag, aber was auch immer es war – Es hatte seinen Aufprall deutlich abgefangen.

Dafne schrie. In ihrem Laut war kein Schmerz, aber ein abgrundtiefes Entsetzen, das vielleicht noch schlimmer war, als es jede körperliche Qual je sein konnte, aber ihm blieb keine Zeit sich mit dem Mädchen zu beschäftigen.

Das Blut begann in seinen Adern zu gerinnen, als er aufblickte. Er schrie erstickt auf, wich kauernd zurück und prallte gegen den Totenrichter. Es war einer seiner ehemaligen Mitschüler. Sein Gesicht war fast bis zur Unkenntlichkeit entstellt, die Bestien hatte ganze Arbeit geleistet, so stellte Cay angewidert fest. Seine Augen waren von einer unendlich tiefen Überraschung aufgerissen, sein Mund war leicht geöffnet, als wollte er gerade zum Schrei ansetzen, doch bevor nur ein Laut über seine Lippen dringen konnte, war er gestorben. Der Feind hatte ihn überrumpelt und dann getötet, ohne dass er sich hatte wehren können. Die Steine unter ihm hatten sich dunkelrot gefärbt und die Lache wuchs in einem erschreckenden Tempo. Der Blutgestank machte ihn fast wahnsinnig, er spürte, wie die Ohnmacht zurückkroch und mit einladenden Händen nach ihm griff. Er zwang sich – mehr gegen seinen Willen – sein Unterbewusstsein nicht gewinnen zu lassen und richtete sich schwankend und mit zitternden Knien auf.

„Lass es uns zu Ende bringen, Richter!“, zischte er, aber schon anhand der Reaktion des Totenführers, wusste er, dass es ein lächerlicher Versuch gewesen war, seine Selbstsicherheit im Anbetracht seiner schleichenden – und allmählich zunehmenden – Schwäche zu demonstrieren.

Der braunhaarige Junge lachte schrill auf, richtete seine Waffe mit einer schnellen, drehenden Bewegung auf Cay und sagte dann, mehr zu sich, als an ihn gewandt, „Nimm deinen Mund bloß nicht zu voll!“

Sein Gesicht verzerrte sich. Das, was er in seinen Augen zu lesen glaubte, war nicht nur einfacher Ärger, es war eine mörderische, kochende Wut.

Cays Finger zuckten, er wollte nichts mehr, als auf seinen Gegner loszustürmen um erbarmungslos auf ihn einzuprügeln, bis er keine Regung mehr zeigte – Sein Zorn explodierte, aber seine Glieder rührten sich nicht. Er besaß kaum noch die Kraft um seine Waffe zielgerichtet auf seinen Gegner zu halten, wie sollte er dann einen Kampf auf Leben und Tod für sich entscheiden?! Zum ersten Mal spürte er so etwas wie die Angst vor dem Sterben in sich aufflackern, noch war seine Furcht eine schwach glimmende Glut, aber schon bald – und da war er sich sicher – , würde sie sich in ein loderndes Flammenmeer verwandelt haben.

„Halt deine Fresse! Ich werde dir zeigen, zu was ich fähig bin!“, keifte er, seine Stimme bebte vor Anstrengung, er war kalkweiß, trotzdem schimmerten Schweißperlen auf seiner Stirn.

Dann rannte er los, seine Beine trugen sein Gewicht kaum noch. Unendlich langsam und schwerfällig schlug er zu. Die Reaktion seines Gegners war nicht nur unerwartet schnell gewesen, mehr noch, er schaffte es noch in der gleichen Sekunde, in der er dem Schlag auswich, seine Waffe zu entsichern und Cay eine Feuerfaust entgegen zu schleudern.

Im letzten Augenblick hechtete der rothaarige Dämon kraftlos zur Seite, fing seinen Sturz mit einer rollenden Bewegung ab, dann riss er seine Waffe mit seiner letzten verbliebenen Kraft hoch, und hielt sie sich schützend vor den Kopf.

Mit einem Mal erkannte er den schemenhaften Umriss Toxicas. Der Dämon war blindlings über das Schlachtfeld gehastet, wich den Angriffen seiner Kontrahenten mit einer spielenden Leichtigkeit aus und besaß obendrein noch die Kraft, um zurückzuschlagen. Er tauchte in die Dunkelheit hinein, er hatte sich in ein Versteck jenseits der Wirklichkeit zurückgezogen, dann – mit einem entsetzlichen, lautlosen, aber schnellen Satz – war er aus den Schatten gesprungen. Die Ungeheuer konnten ihm nichts mehr anhaben, er hatte einen Punkt erreicht, der jenseits der Furcht lag.

„Hier, nimm das!“, brüllte Toxica, er warf ihm das braune Lederbündel zu, „Schnell, schluck' die Substanz! Sie heilt deine Wunden!“

Mit einer hektischen Bewegung langte Cay in den Beutel, tastete panisch das Innere ab, spürte, wie er von einer Welle der Angst ergriffen wurde und fingerte, mit feuchten, verschwitzten Fingern die letzte verbliebene Murmel hinaus. Sie leuchtete in einem schwachen, milchigen Weißton – Er würgte sie, ohne über die Konsequenzen nachzudenken, hinunter, ihm blieb aber keine Zeit die Wirkung abzuwarten. Der Richter hatte seine Waffe erhoben und ließ einen Lichtblitz später einen zweiten und dritten Flammenstrahl aus seinem Gewehr schießen. Ob er nun durch die Einwirkung der Materie starb, oder aber durch den Totenrichter, machte für ihn keinen sonderlich großen Unterschied mehr.

Die Hitzewelle raste an ihm vorbei, er taumelte zurück, aber etwas war anders, es hatte eine Veränderung in ihm gegeben, die er zwar nicht sofort spürte, vielleicht würde sie auch erst im Angesicht des Todes deutlich werden, aber sie war da. Diesmal fielen ihm die Bewegungen fühlbar leichter, als noch einen Herzschlag zuvor, er raste zur Seite, erhob sofort seine Waffe, der Zorn flackerte in seinen Augen und dann geschah es.

Der Totenrichter spannte die Waffe erneut, visierte ihn an und ließ eine kerzengerade Feuerspur auf ihn losjagen. Sie traf zuerst den Leichnam seines Mitschülers, ließ ihn lichterloh brennen und sauste dann weiter – immer weiter, bis sie ihn knapp verfehlte.

Wütend stöhnte sein Widersacher auf, vergeudete aber keine Zeit, schwang seinen Waffenarm herum und feuerte abermals ein Flammenmeer auf Cay nieder.

Die Hitze raubte ihm den Atem, er bekam keine Luft mehr, er japste erstickt auf – In seinen Lungen schien plötzlich nur noch flüssiges Feuer zu sein. Er nutze die letzte verbliebene Atemluft für einen kurzen, aber grellen Schrei, er wich einige Schritte zurück, riss seine Waffe in die Höhe und tat endlich das einzig Richtige. Ohne auf die widersinnige Stimme hinter seiner Stirn zu hören, wirbelte er herum und stürmte auf seinen Gegner zu. Das scharfe Metall traf berstend auf den Lauf des Flammenwerfers, ein kreischendes Geräusch schnitt sich schmerzhaft in seine Gehörgänge, aber statt seinen Griff zu lockern, verhärteten sich seine Finger um den Stiel seiner Axt, bis die Klinge endgültig seinen Halt auf der glatten Oberfläche verlor und abrutschte. Sofort holte Cay aus, hieb zu, durchschlug Fleisch und schließlich Knochen, rammte seine Waffe tiefer in den Körper, seine Klinge wühlte sich tief in die Organe des Totenrichters, Blut, Unmengen tiefrotes, fast schwarzes Blut rann aus der tödlichen Verletzung, aber noch immer schaffte er es nicht seine Hände von dem Griff zu lösen. Als ob seine Finger an dem Stiel festgewachsen wären, umklammerte er das dunkle Holz mit zitternden Händen. Seine Nägel gruben sich tief in sein eigenes Fleisch, aber würde er jetzt von seinem Gegner ablassen und ihm so die Möglichkeit geben sich durch die Mobilisierung seiner eigenen, himmlischen Kräfte zu heilen, stünde er vermutlich wieder am Anfang.

Der Totenführer lebte noch, er hatte sich zu einem tobenden, zuckenden Bündel aus Schwärze verwandelt, er stieß ein unglaublich qualvolles, kreischendes Wimmern aus, es war ein Laut, der aus der tiefsten Grube der Hölle entsprungen sein musste und der sich mit der gleichen Grausamkeit in seinen Verstand grub.

Das Ding begann sich zu verzerren, es verlor seine Form – aber Cay ließ nicht von ihm ab – es warf Blasen, schrie erzürnt auf – Cay drückte fester zu – es wand und krümmte sich unaufhörlich – Cay wuchtete seine Waffe mit aller Kraft aus dem Leib des Totenrichters und stieß abermals zu – Es war ein fataler Fehler gewesen. Der Totenrichter-Wechselbalg war ihm entkommen. Noch war genug Leben in ihm um sie alle zu töten.

Die Schatten waren nicht nur subjektiv näher gekommen – Nein! – er konnte ihre bösen, drohenden Konturen hinter sich spüren, aber würde jetzt seinen Fehler von eben wiederholen und sich erneut umdrehen, so würde er nicht nur seine Deckung einbüßen, da konnte er sich seiner sein. Der Totenrichter würde diesmal keine Gnade walten lassen und seinen Körper mit nur einem Angriff in tausend Stücke zerschmettern – Wenn sich ihm die Möglichkeit dazu böte.

Plötzlich wusste er es, sie befanden sich immer noch im Wirbel des Chaos, sie hatten ihn nie wirklich verlassen. Die Brücke endete zwar in der Totenhalle, sie bildete sozusagen die unsichtbare Grenze zwischen der Sonnenscheibe und der Mondscheibe, aber noch hatten sie die Schwelle nicht überschritten. Die Schattenwesen waren gestaltgewordener Hass, die Materialisierung ihrer Ängste und Alpträume, die keine andere Bestimmung kannten, als sie zu zerstören und zu töten. Die Mondengel hatten diesen Umstand wissentlich ausgenutzt und eine Armee des Grauens auferstehen lassen. Wieso hatte er die Augen vor diesem Gedanken nur so lange verschlossen und sich eingeredet, dass er immun gegen die Gefahr aus dem Unterbewusstem sei?! Er ärgerte sich über sich selbst.

Aus keinem anderen Grund war diese Schlacht entstanden, es war Myras ganz persönlicher Alptraum. Etwas in ihm, ein siamesischer Zwilling des Bösen hatte Besitz von ihm ergriffen, er hatte genau gewusst, zu was sich diese gottlose Welt wandeln würde, hätte er sie nur erst betreten – Aber dieser Umstand hatte ihn nicht abgeschreckt. Nicht im geringsten. Er war bereit dazu dem Terror mutig in die Augen zu blicken und die Dämonenwelt zu verändern, hatte er erst einmal die Schwelle der Furcht überschritten und war zu der Erkenntnis gekommen, dass das infame Grauen lediglich in seinem Kopf existierte. Es war die Spieglung des himmlischen Krieges von vor so vielen Jahren, doch heute würde er die Geschichte neu schreiben, einzig und allein durch die Kontrolle seiner Gedanken.

Von nun an würde sich das Blatt zu seinen Gunsten wenden, einfach weil er es wollte – Er blieb abrupt stehen und grinste.

Der Himmel senkte sich rapide ab, die Lebenslichter tanzten nervös unter dem Firmament auf und ab, vier nebulöse, von reinem Licht und Bewegung erfüllte Schemen hoben sich aus dem Meer der Dunkelheit ab und steuerten auf Myras und sein Dämonenheer zu.

Die Doppelgänger lösten sich wie schwarze Säure in der Dunkelheit auf, stießen blubbernde und würgende Geräusche aus ihren Kehlen, rissen ein Quader aus Schwärze in den Himmel, ihre Augen waren mit Furcht getränkt, ihre entsetzlichen, klaffenden Mäuler verzogen sich zu einem Schrei, dann schlug die Finsternis unnachgiebig nach ihnen und riss sie in den Tod. Zehntausend Gegner, zerschlagen innerhalb von wenigen Minuten.

„Das kann nicht sein!“, würgte der Totenrichter hervor, „Wie habt ihr...?!“

„Sagen wir es so -“, begann Myras gelangweilt, „Wenn man euren Plan einmal durchschaut hat, war es erschreckend einfach.“

„Aber noch habt ihr nicht gewonnen... und ihr werdet auch nicht gewinnen“, sagte er scharf, „Ihr werdet es nie wieder in die Oberwelt schaffen, das sind längst vergangene Tage, die ihr herbeisehnt – Gott wollte es so, sein Wille geschehe und ihr werdet bin in alle Ewigkeit in euren Löchern verrotten, ihr widerlichen Kakerlaken.“

„Hallelujah!“, kam es spottend von Myras, er faltete die Hände ineinander und richtete ein Stoßgebet an den Himmel, „Guter Gott, mach dich gefasst auf die Rebellion des Teufels, heute Nacht wird der Himmel erlischen und der neue König wird deinen Thron besteigen.“

„Mach dich nicht lächerlich, du dreckiger Dämon“, fauchte der Totenrichter, „Denkst du nicht, dass dein Plan zu offensichtlich ist, als dass es mir nicht möglich wäre, ihn zu verhindern?!“, er schnippte mit den Fingern, „Und das werde ich dir jetzt beweisen“, die vier Kolosse traten hinter den Mann, „Gott wird ohne Gnade über euch richten!“

Mit einer Macht, die Cay nicht erahnen mochte, schoss ein kaltes, steriles Licht auf die Dämonenarmee zu, sie hatten versucht dem Glanz zu widerstehen, nur einen Sekundenbruchteil, nachdem die Flut aus Licht auf sie hereingebrochen war, schlugen die Dämonen in rasender Agonie wild um sich – und verloren. Sie hatten gegen die übermächtige Gewalt, der Mondengel nicht den Hauch einer Chance gehabt, einer nach dem Anderen starb vor seinen Augen, sie wurden wie leblose Spielfiguren weggeknickt, lagen auf den Trümmern der Brücke und schrien und schrien, bis sie sich nicht mehr rührten. Ihre Rufe vermengten sich mit dem höhnischen Gelächter des Totenrichters, sie wurden zu einem irrsinnigen Geheul, einem Szenario des Todes.

Cay hatte geglaubt, dass der vermeidliche Herrscher über die Unterwelt toben würde, dass er den Tod seiner Legion nicht nur rächen, sondern von einer wilden, überschäumenden Wut in den Wahnsinn getrieben werden würde, die die ganze Menschheit zu vernichten bereit war – Aber nichts davon geschah. Myras stand teilnahmslos am Rand, beobachtete das Geschehen, rührte sich aber nicht, er starrte mit seinen ausdruckslosen, kalten Augen den Totenführer an, dann schloss er seine Augen und lachte geisteskrank. Die Laute klangen so bizarr, als ob sie nicht aus einer menschlichen Kehle stammten, sondern aus einem Ding, dass ein Stadium irgendwo zwischen Menschsein und Maschine erreicht hatte. Es erinnerte ihn an ein schrilles, fräsendes Geräusch eines Bohrers, das seine Nervenstränge mit jeder Rotation freizulegen drohte. Er bekam eine fürchterliche Gänsehaut, jedes Nackenhaar stellte sich ihm einzeln auf – dann war es vorbei, endlich verstummte das Geräusch.

Alles war genauso eingetroffen, wie Myras es sich gewünscht hatte, vielleicht sogar noch besser – Er legte seinen Kopf schief und fixierte Cay mit einem wahnsinnigen Ausdruck in den Augen.

„Komm zu mir, kleiner Bruder“, sagte er leise, „Du bist der einzige Mensch, der mir noch geblieben ist, Vater und Mutter sind tot, unsere Verbündeten sind nicht mehr und das alles ist meine Schuld...“, er schlug beide Hände vor sein Gesicht, „Ich habe sie sterben lassen...“, dann zog er die Luft scharf in seine Lungen, „Und genau das sollten sie auch – SIE SOLLTEN ALLE STERBEN!“

Der Wahn hatte ihn befallen, seine Gesichtszüge waren bizarr verzerrt, er stand da, eingehüllt in eine Säule aus pulsierender Dunkelheit, die ihn wie ein schwarz, leuchtender Nebel durchflutete und dann streckte er seine Hand gierig nach Cay aus und winkte. Er winkte ihn herbei, wie eine Marionette führte er ihn an unsichtbaren Fäden, er hatte ihn bis hierher laufen lassen und er hatte für ihn getanzt, über viele Jahre hinweg – Auch jetzt noch, er konnte sich nicht dagegen wehren – Vielleicht hatte er es auch nicht einmal richtig versucht.

Und auch jetzt tat er genau das, was Myras von ihm erwartete. Er steuerte mit langsamen Schritten auf den schwarzhaarigen Dämon zu, unterschwellig, irgendwo in einem anderen Teil seines Bewusstsein, wurde er von etwas weitaus Größeren, Verzerrendem beherrscht, es füllte die Leere in seinem Herzen und ließ etwas Neues entstehen, dass ihm die Tränen in die Augen trieb. Erst jetzt – und mit tagelanger Verspätung – kehrten seine Gefühle mit aller Wucht zurück, sie fochten den Kampf mit seiner Innenwelt aus und gewannen die Oberhand, dann überschwemmten sie seine Gedanken mit einer Heftigkeit, die ihn bis ins Mark erschauderte.

„Genauso ist es richtig“, zischte Myras benommen, „Komm zu mir~ Komm zu mir~“

Myras schien mit der Kraft seines Geistes seine Gedanken zu beherrschen, ohne dass er überhaupt mit seinem Körper verbunden war.

„Tu es nicht!“, jemand schrie.

Aber er hörte nicht.

„Verdammt! Du sollst stehen bleiben, Cay!“, es war die Stimme Rens, er zerrte an seinem Arm, aber der Rothaarige blieb weder stehen, noch schien er sich für seine Worte sensibilisieren zu können.

Er schlug den Arm seines Partners weg und brüllte: „Du hast es gewusst, nicht wahr?! – Gib es wenigstens zu, du feige Ratte!“

„Wovon sprichst du bitte?! Hast du jetzt vollkommen den Verstand verloren?!“, aber schon an der Art, wie Ren seiner Frage auswich, verriet er sich.

„Du hast gewusst, dass Myras mein Bruder ist – Ist es nicht so?! Warum hast du mir nichts gesagt, warum hast du mich belogen?!“, keifte er.

„Weil ich dich vor dir selbst beschützen wollte, du Trottel!“, gab Ren mit immer leiser werdender Stimme zurück, „Du wärst ausgetickt, wenn du es gewusst hättest...“

„Mit recht!“, unterbrach ihn Cay gereizt.

„Du nimmst dir ganz schön viel raus, du Idiot“, raunte Toxica, er war hinter Ren getreten und beinahe schien es so, als ob nicht sein Rivale derjenige war, der die Seiten gewechselt hätte, sondern er selbst. Diese Vorstellung war absurd, mehr als das.

„IHR BEGREIFT DOCH GAR NICHTS!“, schrie er in wilder Manie.

„Aber du tust es, nicht wahr?!“, Toxica blieb erschreckend ruhig, seine Augen huschten abwechselnd zwischen dem Totenrichter, Myras und den Mondengeln hin und her. Es war die Ruhe vor dem Sturm, und er – nein, sie alle – befanden sich mitten im Auge des Unwetters, das jeden Augenblick über sie hinein zu brechen bereit war.

„Und selbst, wenn du es gewusst hättest... Cay... Macht dich das zu einem anderen Menschen?! Hätte es irgendwas an deiner Situation geändert? Du hättest dich verrückt gemacht und wärst mir noch mehr auf die Nerven gegangen, als eh schon“, sagte Toxica hart, aber er wurde zusehends nervöser, „Aber du wärst mit Sicherheit glücklicher gewesen, das willst du dir doch liebend gerne einreden, ist es nicht so? – Mit einem neuen Bruder an deiner Seite, den du ums Verrecken nicht ausstehen kannst“, höhnte er und verzog gehässig das Gesicht, „Du bemitleidest dich nur selbst, aber darin warst du schon immer gut, du Spinner.“

„Ja.. aber...“

„Nein, Cay hat vollkommen recht“, zischte Myras ungehalten, seine Augen waren erfüllt von einer Selbstzufriedenheit, die ihn Toxica eine blanke, rohe Wut emporsteigen ließ, „Cay soll es wissen, bevor er stirbt“, er legte seine rechte Hand sanft auf das Kinn des Dämons, drückte seinen Kopf nach hinten und zwang ihn so ihm in die Augen blicken zu müssen, „Unsere Mutter wollte dich schützen, ausgerechnet dich“, er blickte ihm mit voller Abneigung in die roten Augen, „Sie wollte nicht, dass du in einer gottlosen Welt aufwächst, die von der himmlischen Armee unterjocht wird und was hat es ihr schlussendlich gebracht?!“, er verzog seine Mundwinkel zu einem absurden, falschen Lachen, „Du bist doch hier unten gelandet und sie konnte es nicht verhindern. Nicht im Geringsten. Und deinen Tod kann sie ebenso wenig verhindern... Es ist zu spät...“, die letzten Worte hatte er nur noch flüsternd über seine Lippen gebracht. Es lag etwas abgrundtief Böses, Hassendes, wenn nicht sogar Verachtendes in seiner Stimme.

„Schon bald wirst du Nero wiedersehen, aber vorher werde ich die schwarze Materie aus deinem Körper extrahieren. Du bist – ausgenommen mir natürlich – der letzte Nachfahre der königlichen Familie und in dir schlummert eine enorme Kraft...“, er fuhr sich gedankenverloren über die Lippen, „Mit ihr und all den Seelen, die ihr für mich gesammelt habt, werde ich Ragnarök einleiten...“

Er befand sich im Spinnennetz. Alles andere war Teil des Spiels gewesen: Die unnötigen Stunden, die er in der Schule Myras verbrachte, sie hatten nicht dazu gedient ihn zu einem richtigen Dämon zu erziehen oder aber ihn auch nur annähernd an sein Ziel zu bringen, nein, er war lediglich ein Wirt gewesen – Ein abscheulicher Wirt, dessen einzige Aufgabe darin bestand die Boshaftigkeit in seinem Herzen zu schüren und dabei ein Seelenwesen von absonderlicher Niedertracht und Infamie in sich zu erschaffen.

Es war nicht unglaublich gewesen, dass er Toxica hatte töten sollen, es gehörte mit zu Myras perfidem Plan, er sollte über sich hinauswachsen, den Hass mit jeder Faser seines Körpers aufnehmen und eine Abneigung gegen alle lebenden und empfindsamen Wesen auf diesem Planeten entwickeln. Myras hatte ihn für den Terror sensibilisiert, ihn förmlich über ihn einbrechen lassen - Und fast wäre es ihm auch geglückt, er hatte gelitten, er stand Toxica im Kampf auf Leben und Tod gegenüber, aber der Kampf war anders verlaufen, als Myras es eingeplant hatte. Cay sollte ihn töten, er sollte glauben, dass er keine andere Wahl hatte, als diesen – von ihm vorbestimmten – Weg einzuschlagen und dann wollte er ihm alles nehmen. Den Glauben an sich selbst, an die Hoffnung, nur um ihn am Ende noch härter treffen zu können.

Ren, Toxica und Mochi waren nichts weiter als Figuren gewesen, an deren Fäden Myras und Dafne zogen. Er sollte heute Nacht hier sein, er alleine und jetzt, da er hier war, schien ihr teuflischer Plan aufzugehen.

Aber etwas fehlte noch – er musste sterben, erst durch seinen Tod war es Myras möglich seine Seele zu extrahieren, sie würde sich dem Strom anschließen und zu einer Macht werden, die jenseits seiner Vorstellungskraft lag. Ob er vor zwei Jahren, oder heute Nacht sterben würde, sollte keinen großen Unterschied machen, Myras war längst zum Alleinherrscher aufgestiegen. Sein Tod war lediglich eine reine Formsache, nicht mehr und nicht weniger. Aber diesen allerletzten Triumph würde er ihm nicht gewähren. Er umklammerte den Griff seiner Waffe entschlossen und endlich schaffte er es die Hand seines Bruders wegzuschlagen. Der Bann war gebrochen.

Jemand war hinter sie getreten. Ein Mann, eingehüllt in einen Mantel aus klebrigen, geronnenem Blut erschien einen halben Meter von ihnen entfernt und hinterließ mit jedem weiteren Schritt, den er voran tat, blutrote Abdrücke auf dem Untergrund. Zwei rötliche Kugeln, doppelt so groß wie gewöhnliche Augen, füllten die grotesk, verschrobenen Augenhöhlen in einem Gesicht, das irgendwie neu geformt worden war, dann erkannte er mit Schrecken, dass das Ding der Totenrichter war.

Seine Beine, Arme, Brust, Bauch, Hals und Gesicht waren dicht von aufgequollenen Blutgefäßen durchzogen, die direkt unter seiner Haut lagen und bis zum Bersten prall gefüllt zu sein schienen. In einigen dieser Gefäße mochte tatsächlich sein eigenes, menschliches Blut pulsieren, aber der Großteil war von einer anderen, gelb- bis grünlich schimmernden Flüssigkeit verpestet. Zu was auch immer der Totenrichter mutiert war, er hatte seine menschlichen Zügen für sein neues Ich einbüßen müssen. Aus seiner Stirn klaffte eine wurmähnliche Sonde, die etwa so dick wie ein Bleistift war, sie brach aus seinem Knochen hervor, als wäre sie mit einer Pistole geschossen worden und streckte sich Cay entgegen. Sie überwand die drei Meter, die zwischen ihnen lagen binnen von Sekunden, und traf den Dämon. Die Sonde spürte Fleisch und fraß sich unter seine Haut. Er schrie gepeinigt auf, versuchte das Ding aus seinem Bauch zu reißen, aber es gelang ihm nicht – die rotierenden Fräsen hatten sich schon zu tief in seinen Leib gefressen. Die Welt begann vor seinen Augen zu verschwimmen, es wurde hell, dann wieder dunkel und wieder hell, in dem gleichen Rhythmus, wie sich seine Lider hoben und senkten. Nicht mehr lange und er würde das Bewusstsein endgültig verlieren und womöglich sogar sterben.

„MEIIIISTER!“, kreischte Mochi, er sauste auf den Totenrichter zu, er stieß mit aller Kraft zu, prallte aber noch in der gleichen Sekunde, ohne seinem Gegner wirklich schaden zu können, taumelnd und stolpernd zurück. Der Kürbisgeist stieß einen langen, erstickten Schrei aus. Es war kein körperlicher Schmerz, das wusste Cay sofort, es waren Rufe unmenschlicher, körperloser Qualen, die unermüdlich an seinem Verstand nagten und ihn fast verrückt machten.

„Ihr dürft nicht kämpfen...“, flehte der Kürbis, „Ihr seid doch alles Gottes Schöpfung, egal ob Engel, oder Dämon, warum kämpft ihr dann?! … Ihr müsst aufhören...“

Der Totenführer spürte, wie die Kralle des Hasses langsam seinen Griff zu lockern begann, sie zog ihre gierige Klauen aus seinem Verstand zurück und hinterließ ein abscheuliches Gefühl der Verwirrung, das nicht nur sein gesamtes Leben infrage stellte, sondern auch hinterfragte, was er gerade bereit war zu tun – Und zu welchem Preis. Sein Herz hämmerte schmerzhaft gegen seine entstellte Brust.

Aber die Erkenntnis, was diese Worte wirklich bedeuteten, kam zu spät. Er riss den Sondenarm zurück, schlug ein klaffendes, gut fünfzehn Zentimeter tiefes Loch in Cays Körper und ließ seine Haut regelrecht zerplatzen, als das blutverschmierte Ding aus seinen Organen austrat. Ein Gemisch aus dünnen, schwarzen Fäden und splitterndem Metall trat aus der tödlichen Wunde, Cay öffnete seinen Mund zu einem letzten stummen Schrei, seine Augen drangen sichtbar aus den Höhlen, dann kippte er nach vorne weg. Sein Körper schlug ungebremst auf der steinernen Brücke auf, er war nicht auf der Stelle tot gewesen – Vielmehr war es ein Tanz, ein makaberer Tanz in den Tod. Noch immer kämpfte er um sein Leben, weigerte sich seinen Tod als diesen zu akzeptieren und krampfte seine Gliedmaßen zusammen, er zog seine Beine schlagartig zum Körper hin, schlang seine Arme um seine Knie und streckte sie einen Herzschlag später schmerzerfüllt, so weit es ihm eben möglich war, vom Körper weg. Der Schmerz explodierte in seinem Inneren, zuckte unnachgiebig vor seinem geistigen Auge und dann wurde es endlich still. Die Rufe um ihn herum verstummten, sein Herzschlag verlangsamte sich, anschließend wurde es vollkommen schwarz.

Myras wich von dem gestürzten Leichnam zurück, der endlich aufgehört hatte zu zucken, und richtete die Waffe auf den Richter.

Die Lichter am Himmel kündigten das Chaos an. Sie flackerten unruhig auf, vermochten aber nicht die Kluft, die zwischen ihnen und dem Niemandsland, das irgendwo hinter der Brücke lag, zu überwinden – Nicht jetzt, da der Totenführer ihnen noch keinen Einlass gewährt hatte.

Unwirkliche Bilder materialisierten sich vor Myras geistigem Auge, schafften es aber nicht an sein Bewusstsein zu treten. Sie hatten ihren Grauen schon vor einer gefühlten Ewigkeit eingebüßt, der Schrecken hatte sich für immer von ihm gelöst – Der Orkan des Entsetzens war zu einer lauen Sommerbrise geworden. Nun war es an der Zeit, um endgültig zurückzuschlagen.

Fast hatte er sie vergessen – stellte Myras bestürzt fest. Er fuhr herum, dann sah er sie. Den Zug aus vier großgewachsenen, hünenhaften Gestalten, die durch die grauen Schatten warteten. Die Männer bewegten sich vollkommen lautlos, selbst als sie die Münder öffneten und sich ihre Lippen deutlich erkennbar kräuselten, drang kein Ton aus ihren Kehlen. Ohne, dass er es wollte, jagte ihm diese stille Prozession einen Schauer der Ehrfurcht über den Rücken, er schaffte es nicht die Augen von diesem Bild zu lösen, starrte wie hypnotisiert die Mondengel an und beobachtete wie sie binnen von Sekunden die Wirklichkeit überwanden, Lücken in das Universum rissen und fast spielend die Distanz zwischen ihnen zu reduzieren schienen.

„Das Ende hat also begonnen!“, säuselte Myras kalt.

Mit einem Mal wurde alles unwirklich. Ein rotes Licht schoss über sie hinweg, es riss seinen dürstenden Schlund gierig auf und bildete ein symmetrisches Muster, das die Umrisse der Brücke lodernd nachzeichnete, dann zog und zerrte es unnachgiebig an dem Seelenstrom. Es trieb die umherschwirrenden Seelen in sein Zentrum, schloss sie in seinem Kern ein und entfachte eine Gewalt, die mit jedem Aufblitzen zu explodierten drohte. Weiße und schwarze Funken lösten sich von dem wuchtigen Koloss, wurden sofort von der Dunkelheit verschluckt und hatten keine Chance zu entkommen.

„Was ist passiert?!“, hauchte Ren, er klammerte sich an Toxica, grub seine Finger durch den Stoff seiner Jacke, bis er die Haut darunter erreichte.

Toxica stöhnte, „Auf diesen Augenblick hat Myras hingearbeitet... Im Inneren dieses Feuerballs befinden sich alle Seelen, die jemals gesammelt wurden – Einschließlich die von Cay... natürlich.“

„Und wenn er diese Kraft wirklich entfesselt, zerspringt die gesamte Welt, nicht nur die der Dämonen“, murmelte Ren.

Aus dem Hintergrund wehte ein wehleidiger, tränenvoller Laut, es war die Stimme Dafnes: „Ich habe das alles nicht gewollt... Ich wollte nicht, dass er stirbt... Ich habe gedacht, dass ich es schaffen würde... dass ich nicht nur seinen Tod, sondern euer aller Tod problemlos verkraften könnte... Aber ich kann es nicht... Es soll aufhören... Bitte macht, dass es aufhört! Ich flehe euch an...“

Der Anblick der sinnlos, rasenden Gewalt, die gnadenlos über sie hinwegfegte, war mehr als sie ertragen konnte. Wahrscheinlich war es mehr, als sie alle ertragen konnten. Sie brach in sich zusammen, Tränen stiegen in ihre Augen und vermischten sich mit einem tiefen Schluchzen. Sie warf den Kopf in ihre Hände, verbarg ihr von Tränen gezeichnetes Gesicht vor den Blicken der anderen und zitterte am ganzen Leib. Je stärker sie versucht hatte sich zu beruhigen, umso schwerer war es ihr schlussendlich gefallen.

„Sie... Sie bringen sich gegenseitig um“, stammelte Mochi angsterfüllt, als er die gebündelte Energie der Mondengel auf Myras zuschnellen sah.

„Nein, uns alle“, berichtigte ihn Toxica, gerade als er seine Mundwinkel zu einer spöttischen Grimasse verziehen wollte, platze sein Schädel auseinander, seine Augäpfel wurden brutal aus den Höhlen gedrückt, baumelten lediglich an den dünnen, von pulsierenden Strängen durchzogenen Nervenenden, schwarze und rote Fasern explodierten aus seinen Eingeweiden, dann ergoss sich ein Schwall aus feuerrotem Blut auf dem Boden.

Er hatte es nicht mehr geschafft sich zu wehren. Er hatte das Böse bedingungslos in sein Leben gelassen, das Böse eigendünklerischer Verzweiflung, das mit dem flammenden Lichtkegel transportiert wurde und nicht nur sein – sondern ihrer aller Leben – mit nur einem erbarmungslosen Fingerschnippen ausradierte.

Epilog


 

Engelstanz der Dunkelheit

____________________________

E p i l o g .
 


 

Und dann wirst du deine Lider öffnen und du wirst schreien – oh ja, das wirst du. Du wirst nicht anders können, als verzweifelt um dich zu schlagen, zu treten, die Hände in wilder Agonie in die Luft zu reißen und zu schreien, zu kreischen und zu brüllen. Erst langsam – viel zu langsam – wirst du begreifen, dass die Welt sich um dich herum für immer verändert hat und der Schutzstern Gottes zerfallen ist. Der siamesische Zwilling des Bösen, der den Himmel verpestet hat, ist nicht mehr. Er hat den Kampf gegen die Dämonenwelt auf ewig verloren, ist durch eine Störung im Kosmos in eine Welt jenseits seines persönlichen Alptraums gefallen, windet und krümmt sich im prasselnden Seelenfeuer, wird zu einem verzerrten, grotesk, verstümmelten Bild, das vor deinem inneren Auge aufzuflackern beginnt und dann wirst du erneut schreien. Ein grässlicher, schriller Dauerton wird deiner Kehle entkommen, aber du wirst es nicht länger verhindern können, nicht jetzt, da du ein Grauen jenseits deiner Vorstellungskraft gesehen hast. Das zuckende, verkohlte Bündel stirbt vor deinen Augen, es wiegt sich – wie von einer ohnmächtigen Trance befallen – vor und zurück, vor und zurück, dann reißt es seinen unsichtbaren, aber vielschichtigen Schlund auf und stirbt seinen Alptraumtod.
 

Dieses Wissen wird in deinen Verstand sickern, es wird durch deine Adern rauschen, sobald du die Augen aus dem Totenschlaf erhebst, deine gespenstischen, müden Glieder mit Leben füllst und sie gierig zu recken beginnst.

Und du wirst wissen, dass nicht Myras es war, der die Welt bedrohte, sondern Gott selbst, du wirst begreifen, dass Gut und Böse nur als Worte existieren, aber keine Bedeutung mehr für dich haben. Als wäre dieser Gedanke ein Stichwort gewesen, wird sich eine neue, geläuterte Welt aus dem Ozean in den Himmel erheben und den Strom aus Totengeistern, die unnötig ihr Leben im himmlischen Krieg ließen, wiederbeleben. Zusammen werden sie die Gesamtheit des Universums wiederherstellen und das Reglement des Himmels umschreiben, dass die Sonnenscheibe von der Mondscheibe trennen ließ.
 

Ende.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu dieser Fanfic (115)
[1] [2] [3] [4] [5] [6] [7] [8] [9] [10] [11...12]
/ 12

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Farbwolke
2013-12-23T21:28:35+00:00 23.12.2013 22:28
Hallo...
Das war ein super Epilog. Von wem war wohl die Rede? Eine Wiedergeburt? Wer weiß. Also geht das Spielt mit der Sonnenscheibe und Mondscheibe wieder von vorn los? Verstehe ich das richtig? Nun ich hoffe es gibt eine Fortsetzung.

Jetzt zur Gesamt Wertung der Geschichte...:
Ich fand die Geschichte sehr gut beschrieben und ich muss sagen das sie mir auch wirklich gut gefallen hat. Besonders gut hast du die Geschichte Dargestellt. Ich musste so manchemale wirklich heftig schlucken, weil es schwer war weiter zu lesen, aber die Neugier siegt halt immer. Du hast da wirklich alles gegeben für die Geschichte. Ich hatte wirklich meine lieblings Charaktere, aber alle sind gestorben :'( Natürlich hatte ich auch meine hass Charaktere xD Trotz allem war das eine super Story die spaß gemacht hat zu lesen, weil sie ständig spannend war und man wissen wollte wie es weiter geht. Ich bin jetzt sogar etwas traurig, weil es zu Ende ist, wenn ich ehrlich sein soll. Vielleicht erbarmst du dich und es gibt eine Fortsetzung?

Grüße
Traumtaenzerin
Von:  Farbwolke
2013-12-23T21:21:41+00:00 23.12.2013 22:21
Abschnitt 5:
Der Abschnitt ist leider doch kürzer geworden, als ich erhofft habe :( Das war wirklich ekelhaft mit dem Schädel und den Augen, weißt du das? Ich meine ich bin manchmal echt hart im nehmen, aber orr das war hart! Trotzdem ist es ein wirklich tolles Ende für das Kapitel gewesen. Jetzt sind als Ren, Toxica, Myras, Dafne und der Torenrichter tod? Alle hin? Das ist irgendwie blöd.... Das darfst du nicht machen! Wieso lässt du alle sterben? Voll gemein von dir!
Von:  Farbwolke
2013-12-23T21:18:56+00:00 23.12.2013 22:18
Abschnitt 4:
Ganz schön dreist was Myras sich da erlaubt So was macht man nicht mit seinen Geschwistern! Kack Myras, wirklich jetzt.Die Beschreibung vom Totenrichter war unheimlich... Ich musste bisschen schlucken, als ich die Beschreibung gelesen habe, wenn ich ehrlich sein soll. Der Totenrichter wird immer unheimlicher. Woran liegt das? Cay ist jetzt tod? Im ernst? Das finde ich scheiße! Wieso ist Cay jetzt tot? Wieso stirbt Myras nicht einfach? Mann ehi! Dafne lebt ja auch noch *ironie* Jetzt Jammert sie rum. Kann mal jemand das gejammer ausschalten? Wäre super. Danke!

Weiter gehts!
Von:  Farbwolke
2013-12-23T21:04:43+00:00 23.12.2013 22:04
Abschnitt 3:
Myras macht sich voll über den Torenrichter lustig. Ich konnte gar nicht aufhören zu lachen, weil das so lustig war, während der Totenrichter so ernst war haha. Es hätte mich irgendwie gewundert, wenn die Mondengel nicht gewonnen hätten, wenn ich ehrlich sein soll. Also Moment... Myras und Cay sind Geschwister? Verstehe ich das jetzt richtig? Gab es dieAnzeichen dafür schon in den anderen Kapiteln, dann habe ich das wohl nicht ganz mitbekommen, obwohl ich aufmerksam lese :( Okay Frage hat sich erledigt. In den anderen Kapitel kam davon wohl nichts vor. Wie gemein das Ren davon wusste und nichts gesagt hat, so was nennt sich Freund tzzzz. Myras wird echt noch verrückt... Ich sag ja er ist ein Freak, finde ich aber gut, ehrlich :) Ich mag Freaks. Anscheinend hat Myras aber Recht. Cays Mutter konnte Cay nicht retten. Armer Cay :(

Auf in den nächsten Abschnitt...
Von:  Farbwolke
2013-12-23T20:55:22+00:00 23.12.2013 21:55
Abschnitt 2:
Ohhhhh das kam Toxica aber wirklich Rechtzeitig, als Cay die Murmel bekommen hat. Erinnert mich an DBZs Magiesche Bonen lol. Scheind wohl doch nur ein Kampf zwischen Cay und den Totenrichter zu sein, nun gut. Ich finde die Beschreibung soooo toll. Die Idee das der Totenrichter sich "regenerieren" kann, finde ich super cool, weil so wird das Kapitel richtig spannend. Sind die anderen Gestalten auch hinter Cay her? Fragen über Fragen :/ Ich werde jetzt erstmal weiter schauen :)

Bis gleich :)
Von:  Farbwolke
2013-12-23T20:32:26+00:00 23.12.2013 21:32
Hi :)
Abschnitt 1:
Was für ein Anfang für das Kapitel. Ich finde das der Anfang schon sehr sehr spannend war. Wieso hat Dafne denn nun geschrieen? Cay ist der einzige der Kämpft habe ich das Gefühl, oder täusche ich mich da? Die Idee mit den Monster ist super, wobei ich es vielleicht besser gefunden wäre, wenn es wirklich mehr als 4 gewesen wären :/ Dann hätten die anderen nämlich auch was zu tun gehabt. Ist der Totenrichter immer noch hinter Cay her? (Erinnerung aus dem Bonuskapitel, wo es um den Totenrichter ging) Cay scheint irgendwie häufig Ohnmächtig zu werden, habe ich das Gefühl. Trotzdem war der Anfang schon mal richtig gut :) Ich bin gespannt, was in den nächsten Abschnitt auf mich wartet :)
Von:  Farbwolke
2013-12-23T19:14:36+00:00 23.12.2013 20:14
Abschnitt 3:
Haru... Bedeutet Tag, wenn ich mich richtig entsinne. Der "Totenrichter" hat sich also das Leben genommen. Deswegen die Ausage das Gott Selbstmord nicht dudelt. Ich frage mich, ob Cay damit gemeint ist. Also mit der Gestalt aus den Trau? Würde zumindest plausibel klingen.

Das Kapitel war insgesamt sehr spannend und gut beschrieben. Ich hatte wirklich einige Szenen die mir gut gefallen haben. Ich fande die Idee mit dem Traum der am Ende eingebaut wurde sehr gut, wobei kann man das wirklich Traum nennen? Ich bin mir nicht sicher. Du hast das Kapitel auch gut beschrieben :)

Ich freue mich auf das nächste Kapitel :)

Grüße
Traumtaenzerin
Von:  Farbwolke
2013-12-23T19:07:09+00:00 23.12.2013 20:07
Abschnitt 2:
Und ich hatte Recht! Der gute Totenrichter ist die Hauptperson in dem Kapitel. Wie schön. Ich fand die beschreibung von den Messern die durch die Füße gehen irgendwie cool, was mich auch zeitgleich an einen Traum von mir erinnert lol. Ich finde Cay ist wirklich dämlich... Zumindest in dem Kapitel. Was ich aber schön fand, ist die Tatsache das der Totenrichter anscheinend total freaky ist lol. Die beschreibung von der Umgebung wie sie sich verändert hat mir sehr gut gefallen :) Und ich bin wirklich gespannt, was in diesen Kapitel noch so passiert. Ich finde ja Cay könnte schon etwas auf Mochi hören, aber anscheinend hat der es nicht damit xD

Insgesamt war der Abschnitt sehr schön und auch gut Beschrieben und dargestellt :)
Von:  Farbwolke
2013-12-23T18:55:55+00:00 23.12.2013 19:55
Hallu :)
Abschnitt 1:
Was für ein Abschnitt. Er hat mir sehr gut gefallen und was ich besonder gut fand, war die Darstellung für diesen Abschnitt. Ich habe eine Vermutung um wen es sich in diesen Kapitel handelt, aber ich lasse mich überraschen, ob sich meine Vermutung bestätigt. Was mir gut gefallen hat, war die Schilderung über die gesamte Situation. Du hast das alles wirklich super beschrieben, was ich besonders gern mag :)

Ich schaue jetzt mal weiter :)
Also bis gleich :D
Von:  Farbwolke
2013-12-21T13:18:41+00:00 21.12.2013 14:18
Abschnitt 4:
Wohaaa was für eine Darbietung. Was ich besonders super fand, war die Beschreibung vom Totenrichter :) Die Idee das Dafe und Myras irgendwie die selbe Idee hatten finde ich irgendwie unheimlich. Ich muss bei dem Totenrichter irgendwie an eine Figur aus Fullmoon denken lol. Was mir gut gefallen hat, war wie Cay vom Gemetzel der Sonderklasse gesprochen hat.

Insgesamt war das Kapitel sehr gut beschrieben und auch sehr detaiiert, was ich besonders bei dir mag. Manchmal gab es ein paar Stellen wo ich mich wirklich schütteln musste, weil das so unheimlich war. Ich bin gespannt, was ich im nächsten Kapitel zu lesen habe :)

Grüße
Traumtaenzerin


Zurück