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Im kalten Licht des Mondes

von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Hoppla... Ich entschuldige mich bei allen, die diesen Text gelesen und kommentiert haben. Ich habe vergessen, dass ich auf dieser Seite zu finden bin und das alles schrecklich vernachlässigt. Großes Sorry. Komplett anzeigen

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Prolog

Der Hokage nahm einen tiefen Zug aus seiner Pfeife und sah zu, wie der Rauch aufstieg und sich verflüchtigte. Er hatte alle jungen Ninjas in sinnvolle Teams eingeteilt. Alle bis auf zwei. Und Eine von diesen Beiden war der Grund für seine Besorgnis. Evelyn lebte noch nicht lange genug in Konoha, um ihre Gesinnung zu kennen. Er konnte nicht einschätzen, wie sie war. Ihre Stärke hatte sie bereits eindrucksvoll zur Schau gestellt. Das Mädchen war den anderen Genin weit voraus, doch da sie bisher keinen offiziellen Rang hatte, teilte der Hokage sie Narutos Jahrgang zu. Sie war verschlossen, und auf Fragen antwortete sie nur sehr ausweichend. Die Hellhaarige hatte etwas Düsteres an sich, gerade so als hüte sie ein Geheimnis, das ihren Geist überschattete.

Der Hokage seufzte leise, denn er bekam kein volles Ninjateam mehr zusammen.

Es klopfte an der Tür, und Anko huschte in das Büro. Sie wirkte erschöpft, und Sarutobi fragte sich, ob er ihr zu viel zumutete.

„Ihr habt nach mir geschickt, Meister Hokage?“ Ihre Stimme klang rau.

„Ja, denn ich habe eine Bitte an dich. Wärest du bereit ein Team zu übernehmen?“

Die Dunkelhaarige machte ein Gesicht, als traue sie ihren Ohren nicht, doch dann trat wieder ihre Maske zum Vorschein.

„Um welches Team handelt es sich denn?“ Sie blieb vorsichtig. Mit einer solchen Bitte war man bisher nie auf sie zugekommen.

Der Hokage bedeutete ihr näher an den Schreibtisch zu treten und schob ihr ein geöffnetes Buch zu.

„Das Team wird nur aus drei Leuten bestehen. Neben dir wollte ich Yuna und Evelyn dafür einteilen.“

Anko legte die Stirn in Falten. Mit Yuna würde sie zurechtkommen, aber Evelyn? Sie kannte das Mädchen kaum, ebenso wenig wie alle Anderen.

„Ist es wirklich ratsam diese Beiden in ein Team zu stecken? Was ich bisher über Evelyn gehört habe, unterscheidet sich so grundlegend von Yuna, dass ich ihre Zusammenarbeit bezweifele.“

Der Hokage blies eine weitere Rauchwolke in die Luft.

„Du kennst Yuna. Sie ist sehr umgänglich und wird sich schnell an ihre Teamgefährtin gewöhnen, und was Evelyn betrifft: Sie ist Vernünftig genug, um sie zu akzeptieren. In gewisser Weise setze ich darauf, dass sich ihre Fähigkeiten ergänzen. Evelyn ist den Anderen weit voraus und birgt großes Talent. Außerdem hoffe ich, dass Yuna sie positiv beeinflussen wird, und dass ihre Art Evelyn helfen wird, sich einzuleben.“

Anko dachte eine Weile schweigend über seine Worte nach.

„Gut, ich übernehme die Beiden. Gibt es sonst noch etwas zu besprechen? Wenn nicht, würde ich mich gern zurückziehen. Meine letzte Mission hängt mir noch in den Knochen.“

Die Einteilung

Kakashi nickte Kurenai freundlich zu, die gerade einen Karton Bücher durch den Gang des Hokagenturms schleppte.

„Hast du schon gehört, dass Anko ihre ersten Schülerinnen zugewiesen bekommen hat?“, erkundigte sich die Dunkelhaarige.

„Nein, welche sind es denn?“

„Yuna und Evelyn.“

„Diese Beiden?“ Er runzelte die Stirn. „Also hat der Hokage Evelyn wirklich schon in diesen Jahrgang eingeteilt. Das kommt mir etwas verfrüht vor.“

„Mir geht es ähnlich, doch anscheinend haben Iruka und er sie für vertrauenswürdig erachtet. Ich kann nicht über Evelyn urteilen, denn ich habe sie noch nicht kennen gelernt.“

Kakashi schwieg eine Weile.

„Ich habe mir bisher nur ein flüchtiges Bild von diesem Mädchen machen können, allerdings muss ich gestehen, dass mir diese Teameinteilung unpassend vorkommt. Hoffentlich wird Anko mit den Beiden fertig. Yuna kann, nach Irukas Aussage, ein wahres Teufelchen sein und Evelyn...“

„Warten wir ab, wie sich die Dinge entwickeln.“
 

Yuna blinzelte müde und fuhr sich verschlafen durchs Haar. Sie setzte sich auf und versuchte fieberhaft sich daran zu erinnern, was sie vergessen hatte, denn ein seltsames Prickeln hatte sich in ihrer Magengegend ausgebreitet. Ein sicheres Zeichen dafür, dass tief in ihrem Gedächtnis eine Katastrophe schlummerte. Sie schaute flüchtig auf die Uhr, denn Inzwischen waren ihre Gedanken zu einer anderen Frage weitergewandert: Was hatte sie geweckt?

„Oh Verdammt!“

Das junge Mädchen explodierte nahezu aus dem Bett und rannte wie von Furien gehetzt ins Bad. Sie hatte wieder einmal verschlafen, und ausgerechnet heute wurde doch die Einteilung für die Teams bekannt gegeben!
 

Ein paar Stunden zuvor...
 

Evelyn betrachtete das zarte Licht der ersten Morgenröte und den Mond, der als schmale Sichel noch am Himmel stand. Die Fetzen eines lilablassblauen Wolkenschleiers hingen leicht am Horizont, so als könne selbst der winzigste Luftzug ihn davon reißen. Es war völlig windstill an diesem noch kühlen Morgen. Der Frühnebel waberte durch den Wald, und auf den Pflanzen sammelte sich der Tau. Langsam wie ein schläfriges Tier kroch die Sonne über die Baumwipfel und versprach einen warmen Tag. Bald würde sie die Nässe der Nacht verscheuchen.

Nachdenklich strich Evelyn über das Blatt einer Salbeipflanze aus ihrem gedeihenden Kräutergarten.

Dass sie ein Haus bewohnte, welches von einem Waldstück vom Dorf abgetrennt wurde, ließ vermuten, dass sie die Einsamkeit liebte, doch wirklich allein lebte sie nicht.

Etwas berührte leicht ihre Handfläche, und die Hellhaarige drehte sich um. Es war die kalte, feuchte Schnauze Auroras, einer Füchsin mit weißem Fell und Augen, welche die Farbe des Aquamarins innehatten. Sie hatte die Größe eines Ponys und war Evelyns vertrauter Geist.

Jede von Auroras Bewegungen wurde von dem zarten Klang silberner Glöckchen begleitet, die sie an einem weißen Seidenband um den Hals trug.

Evelyn folgte der ihr vertrauten Aufforderung und schwang sich auf den Rücken der Polarfüchsin. Diese setzte sich in Bewegung.

Das beruhigende Bewegungsmuster, das so viel weicher war als die Schritte der Pferde, erlaubte es der Hellhaarigen, ihre Gedanken schweifen zu lassen. Sie weilte mit ihrem Bewusstsein weit fort in einer anderen Zeit. Die Teameinteilung beschäftigte sie längst nicht so sehr wie die Anderen, denn sie kannte hier nur Wenige. Wem auch immer sie zugewiesen wurde, würde mehr von ihr geprägt werden als sie von ihm. Auch gab es nichts in Konoha, was sie hier halten würde, wenn sie bemerkte, dass ihr das Leben in einer Gemeinschaft nicht zusagte...
 

Evelyn war die Erste, die das Klassenzimmer betrat. Iruka schaute erstaunt von den Akten, die er gerade durchging, auf, denn er hatte nicht damit gerechnet, das schon so früh jemand hier sein würde. Er lächelte ihr zur Begrüßung kurz zu und widmete sich wieder seiner Arbeit.

Er kannte das Mädchen, denn er und der Hokage waren es gewesen, die sich nach ihrer Ankunft um sie gekümmert hatten.

Die Hellhaarige setzte sich mit einem Sprung in die Dachbalken ab, denn sie wollte mehr über die Anderen dieses Jahrgangs wissen. Sie war sehr erfahren darin, aus dem Verhalten der Menschen, deren Charaktereigenschaften zu lesen, doch dazu mussten sie sich unbefangen verhalten. Das war schwerlich möglich, wenn eine Fremde zugegen war.

Iruka musste ihre Absichten erraten haben, denn er schmunzelte nur und ließ sie in Ruhe.

Evelyn machte es sich auf ihrem Hochsitz gemütlich und beobachtete das gemächliche Eintröpfeln der andere Schüler. Diese bemerkten sie nicht.

Mit einigem Abstand war Sasuke der Erste, der eintraf, und der Stillste. Die ganze Zeit über starrte er auf die Tischplatte, als berge sie unglaubliche Geheimnisse, die nur er allein zu entschlüsseln vermochte. Er schaute auch nicht auf, als Ino und Sakura den spektakulären Auftritt ihrer Ankunft hinlegten.

Mit einiger Belustigung beobachtete Evelyn den seltsamen Kuss von Naruto und dem Uchiha und den darauf folgenden Tumult um die besten Plätze.

Bei den Mädchen scheint Sasuke ja sehr beliebt zu sein, ging es der Hellhaarigen durch den Kopf. Warum nur?

Sie entschied, dass es nun an der Zeit war, ihren hochgelegenen Posten aufzugeben, und sie glitt ohne bemerkt zu werden aus dem Gebälk. Diskret beanspruchte sie einen Platz in der letzten Reihe für sich und hoffte, nicht mit dem Uchiha in ein Team zu müssen. Er war ihr schon jetzt unsympathisch...
 

So schnell sie konnte flitzte Yuna die leeren Korridore der Akademie entlang. Sie war heute besonders spät dran und spürte den Stundengong schon nahezu im Nacken. Im Zu- Spät- Kommen war sie fast so gut wie Kakashi.

Pünktlich mit dem Klingeln schlitterte sie in das Klassenzimmer und setzte sich auf den erstbesten Platz, der frei war. Iruka runzelte zwar die Stirn über ihren Auftritt, sparte sich jedoch ein Kommentar.

Yuna schien regelrecht vor Spannung am Stuhl festzukleben. Sie wollte unbedingt wissen, wer ihr Sensei und wer ihre Teamkameraden werden würden.
 

Skepsis herrschte bei Evelyn vor, als sie das Verhalten der Anderen während der Einteilung miterlebte. Es war natürlich Naruto, der gegen seine Teamzusammenstellung mit Sasuke protestierte. Diesem konnte man seine Verachtung schon aus der Ferne anmerken. Evelyn schüttelte nur innerlich den Kopf darüber.

„Ganz einfach Naruto.“, sagte Iruka gerade. „Sasuke ist der beste Schüler und du der Schlechteste. Wir versuchen einen Ausgleich zu schaffen.“

Über diese Äußerung brach schallendes Gelächter aus, und solcherart Gemaßregelt grummelte Naruto nur noch leise etwas in sich hinein.

Nach dieser Verzögerung kam Iruka nun zu den anderen Teams, und Yuna, die direkt vor Evelyn saß, verging nahezu vor Neugier. Geduld gehörte wohl nicht zu ihren Vorzügen. Unruhig rutschte sie auf ihrem Sitz herum.

„Könntest du das lassen? Es nervt.“, herrschte sie ihr Sitznachbar Shikamaru ungnädig an.

Mit einiger Mühe bezähmte sie sich, als wäre sie kurz vor dem Platzen.

„So, und nun zu unserem letzten Team: Yuna und Evelyn unter Anko Mitarashi.“

Verwundertes Getuschel breitete sich unter den jungen Ninjas aus.

„Aber Sensei Iruka das sind ja nur drei Leute. Braucht ein Team nicht vier Personen, um vollzählig zu sein?“, schaltete sich Shikamaru ein.

„Was das betrifft, hat der Hokage eine Sonderreglung geltend gemacht.“

Damit war der Fall erledigt.
 

Yuna sah sich verwirrt um.

„Wer ist Evl... Evelyn?“ Sie hatte diesen Namen noch nie gehört und hatte ihre liebe Mühe, ihn auszusprechen. Er war zu fremdartig.

Eine Hand leicht wie ein Windhauch legte sich auf ihre Schulter. Unwillkürlich entführ ihr ein erschrockener Aufschrei und sie sprang auf. Ihr Herz raste, und alle Anwesenden drehten sich verwundert zu ihr um. Yuna räusperte sich verlegen und setzte sich wieder.

Sensei Iruka hatte gesehen, was das junge Mädchen so erschreckt hatte und erlöste sie aus dieser Peinlichkeit, indem er einfach weiter redete. Die allgemeine Aufmerksamkeit wandte sich wieder seinen Ausführungen zu. Yuna war ihm äußerst dankbar dafür.

Sie entsann sich wieder an den Grund ihres Schreis und drehte sich um. Hinter ihr saß ein Mädchen von zierlichem, kleinem Körperbau. Sie hatte feines, silberweißes Haar, welches ihr lang bis zu den Hüften reichte. Ihre Haut war ungewöhnlich hell und durchscheinend, sodass an manchen Stellen zarte Äderchen durchschimmerten. Ihre fein geschwungenen Lippen hatten einen frostig bläulichen Ton. Ihre leicht schräg stehenden, von langen Wimpern gerahmten Augen hatten die Farbe hellen Flieders. Es waren Augen einer Hyuga. Ganz in weiß gekleidet strahlte sie eine kühle, distanzierte Ruhe aus.

„Ich bin Evelyn.“, sagte sie nur und wandte sich wieder den Worten Irukas zu.

Na, das kann ja heiter werden, dachte Yuna beklommen. Ich habe sie noch nie gesehen. Ist sie neu im Dorf? Ihre Kleidung würde das nahe legen.

Sie trug einen knielangen Rock, der bis zu den Hüften geschlitzt war und eine kurze Hose darunter. Ihr Oberteil ließ die Schultern großteils frei, war weit, und die Ärmel bedeckten ihre Arme bis kurz über die Ellenbogen.
 

Sooo... Die ersten Kapitel sind etwas kurz geraten, aber das bessert sich noch^^

Ich hoffe, dieser Start findet Anklang, also Kommi nicht vergessen^^

Die Prüfung der Glöckchen

Anko erwartete ihre Schülerinnen auf dem Vorplatz der Akademie. Sie war neugierig zu erfahren, wie die Beiden so waren. Dabei fragte sie sich, wie ein so ungleiches Paar zusammenarbeiten würde. Ihre Fähigkeiten würden einander zwar gut ergänzen, doch ob sie miteinander auskommen würden, war dadurch nicht gesichert.

Als die ersten Genin das Gebäude verließen, erspähte Anko sofort Yuna. Diese ließ den Blick über den Vorplatz schweifen, und ihre Mine hellte sich auf, als sie Anko sah.

„Hallo.“, begrüßte das junge Mädchen sie unverfänglich, und die Sensei nahm sich die Zeit, ihre Schülerin in Ruhe zu mustern.

Mittelgroß, mit weichen, freundlichen Gesichtszügen und aufgeschlossenen, onyxfarbenen Augen war sie hübsch zu nennen, doch sah sie nicht spektakulär aufregend aus.

Perfekt für Spionagearbeiten, ging es Anko durch den Kopf.

Evelyn ließ noch etwas auf sich warten. Sie verließ zusammen mit Iruka die Akademie, denn sie hatte noch einen Plausch gehalten und so mehr über Yunas Fähigkeiten erfahren.

Plötzlich tauchte neben der Hellhaarigen eine große, weiße Füchsin auf. Sie war einfach erschienen, als wäre sie nur bis zu diesem Zeitpunkt unsichtbar gewesen. Begleitet von der Polarfüchsin gesellte sich Evelyn zu ihrem neuen Team.

„Guten Morgen.“ Ihre Stimme erinnerte die Sensei an von Steinen abperlendes, eiskaltes Wasser, aber dennoch fand sie diese irgendwie angenehm.

„Ich bin Aurora.“, sagte die Füchsin, und Yuna erschauderte. Sie klingt wie ein Eishauch.

Anko war bereits davon unterrichtet worden, dass Aurora Evelyn auf Schritt und Tritt folgte. Die Eine ging nicht ohne die Andere. Sie war sich sicher, dass die Anwesenheit des vertrauten Geistes keine Schwierigkeiten machen würde.

In der Praxis sind wir demnach doch zu viert, dachte Anko und musste lächeln.
 

Die Dunkelhaarige führte die beiden jungen Mädchen zu einer Lichtung in den Wäldern, die das Dorf Konohagakure umschlossen. Sie wollte ihre Schülerinnen prüfen. Gedankenverloren spielte sie mit dem silbernen Glöckchen in ihrer Tasche herum und dachte über ihre Strategie nach. Anko wollte weder den Fehler machen, Yuna und Evelyn zu unterschätzen, noch sie zu überschätzen und sie möglicherweise zu verletzen. Das Problem dabei war, dass sie die Fähigkeiten der Beiden kaum kannte.

Yuna war für präzise Genjutsus bekannt, doch von Evelyn hieß es nur, dass sie wahrscheinlich Nahkämpferin sei. Ob und welche Ninjutsus ihr zur Verfügung standen, war nicht bekannt.

Die Sensei wandte sich ihren Schützlingen zu und zog das Glöckchen hervor.

„Ich möchte heute eure Fähigkeiten testen. Ziel ist es, mir dieses Glöckchen abzunehmen.“

„Ein Glöckchen für zwei Leute?“, fragte Yuna skeptisch nach.

„Ja. Wer von euch die Geschicktere ist, werden wir dann sehen.“, sagte Anko grinsend.

Yuna sah besorgt zu Evelyn hinüber, die mit unbewegter Mine scheinbar die Umgebung absuchte. Das dunkelhaarige Mädchen schluckte.

Für Evelyn wäre es am einfachsten erst mich zu erledigen, um sich dann ungestört Anko widmen zu können... Yuna kam nicht dazu den Gedanken zu ende zu spinnen.

„Na, dann zeigt mal was ihr könnt.“, gab Anko das Startsignal.

Yuna hatte das Gefühl, als verschwimme um sie herum die Umgebung, so hastig sprintete sie in den Wald. Dort bezog sie Deckung hinter einem Busch und versuchte, die Lage zu peilen.

Am anderen Ende der Lichtung hob Evelyn einen etwa armlangen, rindenlosen Ast auf, der den ungefähren Durchmesser eines Schwertgriffs hatte. Anko stutzte.

Evelyn atmete einen weißschillernden Nebel aus, und die Luft begann zu klirren, wie unter extremer Kälte. Es hörte sich an, als schlügen hunderte Eiszapfen aneinander.

Um den Stock herum bildete sich eine wie geschliffenes Glas das Licht widerspiegelnde, gekrümmte Schwertklinge. Sie bestand aus vollkommen reinem Eis.

Sie nahm die seltsame Waffe in die linke Hand und zog mit der Rechten eine Peitsche unter ihrem Oberteil hervor.

Anko erschauderte. In der Hand eines Menschen, der gelernt hat damit zu kämpfen, ist die Peitsche eine grauenerregende Waffe, ging es der Sensei durch den Kopf. Der Umgang damit wird nur noch selten unterrichtet. Ich frage mich wirklich, wo Evelyn gelernt hat.

In einer bewussten Geste ließ sie den hellen, geflochtenen Lederriemen um ihre Füße schnalzen.

Skeptisch betrachtete Yuna das Schwert. Seine Seitenfläche wies eine Chaotische Oberfläche auf, doch wirkte die Waffe sehr zerbrechlich.

Die Hellhaarige fuhr prüfend mit dem Daumen über die Schneide. Rotes Blut, welche sofort gefror benetzte die Klinge.

Makaber, dachte Yuna.

Anko merkte auf, denn an Evelyns Hand war keine Verletzung erkennbar. Demnach ist sie eine Medic-Nin, ging es Anko durch den Kopf. Dann jedoch hatte sie keine Zeit mehr zum Grübeln, denn ihre Schülerin hob das Schwert zum Fechtergruß und läutete so den Angriff ein.
 

Anko riss einen Kunai hoch und reagierte so auf eine Finte Evelyns. Doch sie griff vorerst gar nicht mit dem Schwert an. Bis die Dunkelhaarige das begriff, war es bereits zu spät. Der Peitschenriemen wickelte sich um die Klinge, und Anko büßte ihre Waffe ein, als sie sich durch einen Sprung nach hinten vor einem Schwertstreich in Sicherheit brachte, der ihr ansonsten den Schädel gespalten hätte. Evelyn wollte nachsetzen, doch ihre Sensei warf zwei Shuriken nach ihr, um sie sich vom Leib zu halten. Das gab der Dunkelhaarigen die Zeit, um einige Fingerzeichen zu schließen. Sofort erkannte das junge Mädchen die Gefahr und wich mit mehreren eleganten Saltos in Richtung Waldrand zurück. Genau dort, wo sie eben noch gestanden hatte, bohrten sich die Fänge eines Dutzend Schlangen in den Boden. Ankos Jutsu des vertrauten Geistes.

Meine Güte ist die aber schnell, dachte Anko schweratmend, während Evelyn sich in den Wald flüchtete. Sie verschwand im dunklen Unterholz.

Yuna schluckte hart. Die Beiden kämpfen ja, als wurden sie einander wirklich verletzen wollen, dachte sie schaudernd. Vorsichtshalber zog sie sich noch etwas weiter zurück.

Ich brauche dringend eine gute Strategie.

Keuchend sah Anko sich um, doch der erwartete Angriff blieb aus. Ihre Hände zuckten unruhig. Vollkommene Stille hüllte die Lichtung ein, und sogar der Wind in den Blättern schwieg.

Yuna spannte sich. Jetzt oder nie! Gerade als sie im Begriff war ein Genjutsu zu wirken, spürte sie, wie jemand ihr von hinten einen Arm um die Schultern legte und ihr eine Hand auf den Mund presste, um so ihren Schrei zu ersticken. Nur der unerbittliche Griff des Angreifers hielt die Dunkelhaarige am Boden, sonst wäre sie laut schreiend aus ihrem Versteck gestürmt.

„Ruhig Yuna. Ich bin es.“ Das Flüstern war so leise, dass Anko es nicht wahrnehmen konnte.

Das junge Mädchen drehte den Kopf und blickte mit rasendem Herzen in Evelyns helles Augenpaar. Gelassen ließ sie ihre Teamgefährten los und deutete mit einem Nicken auf Anko.

„Gegen sie sind wir erfolgreicher, wenn wir als Team agieren. Du bist, wie ich hörte, auf Genjutsu spezialisiert?“

Yuna nickte schwach. Der Schreck saß ihr noch in den Knochen.

„Gut, dann wirst du sie ablenken.“

„Wie lange?“

„Nur ein paar Sekunden.“

Mehr sagte sie nicht, sondern stand auf und konzentrierte Chakra.

Die Dunkelhaarige zermarterte sich derweil das Hirn nach einer Möglichkeit Anko zu täuschen. Sie hatte noch nie einen Gegner wie ihre Sensei an der Nase herumführen müssen. Es musste eine Illusion sein, die sie nicht so schnell durchschauen würde, demnach musste es etwas realistisches sein.

„Bist du soweit?“, fragte Evelyn und versank anschließend buchstäblich im Erdboden, der sich verflüssigt zu haben schien. Es war kein Genjutsu, das wusste Yuna mit Sicherheit, sondern ein sehr aufwändiges Ninjutsu.

Nun konzentrierte auch sie ihr Chakra und erschuf die Sinnestäuschung eines Eissturmes.

Hoffentlich erkennt Anko das Jutsu nicht als solches. Da sie nicht genug Zeit gehabt hatte, hatte sie nur eine recht einfache Illusion erstellen können. Wenn Anko erkennt, dass es sich um ein Genjutsu handelt, gebe ich ihr einen Wimpernschlag für die Auflösung.
 

Die Temperatur auf der Lichtung sank rasch. Eiskristalle überzogen die Pflanzen, und Ankos Atem wurde als weißer Dunst in der Luft sichtbar.

Ist das wieder Evelyn? Sie wirbelte herum und sah einen wahren Blizzard auf sich zurasen.

Mit akrobatischen Sprüngen wich sie der tödlichen Wand aus Frost aus, bis sie stutzig wurde.

Der Sturm wirkte echt, doch von Evelyn hieß es, dass sie Pflanzen liebte, und das hier war die reine Zerstörungswut.

Es ist ein Genjutsu!
 

Yuna spürte, wie ihr Jutsu zerrissen wurde, und sie errichtete in einer Anwandlung von Geistesgegenwart eine weitere Illusion, die wirkte, als habe sich unter dem Genjutsu ein Ninjutsu verborgen.

Hoffentlich wirkt es, dachte die Dunkelhaarige angestrengt.

Ein dichter, schwarzer Nebel waberte über die Lichtung, und Anko musste würgen, als sie den bestialischen Gestank giftigen Bromgases wahrnahm. Aber täuschen ließ sie sich kein zweites Mal.

Doch während sie die Fingerzeichen formte, ließ sie kurz ihre Füße außer Acht. Ein törichter Fehler, wie die Dunkelhaarige sofort merkte. Zwei schlanke Hände schlossen sich um ihre Knöchel und zogen sie hinab. Der Boden wirkte, als sei er flüssig.

Das ist kein Genjutsu!, schoss es ihr durch den Kopf, und sie kämpfte plötzlich gegen ihre eigene Panik an. Dieses Jutsu war eine Art Erdversteck und typisch für ihren Ausbilder Orochimaru. Das kann nicht sein!

Als sie bis zu den Hüften im Erdreich steckte, wuchs Evelyn hinter ihr aus dem Boden und umklammerte ihre Sensei mit erstaunlicher Kraft. Sie rangen miteinander, bis ein metallisches Klingeln ertönte. Ein kaum katzengroßer Fuchs saß mit dem Glöckchen im Maul vor ihnen. Der Kampf war vorüber, und Yuna verließ lächelnd ihr Versteck. Evelyn löste ihr Jutsu und steckte die Hand nach dem Fuchs aus, doch dieser hatte Yuna erspäht und flitzte nun auf sie zu. Das Mädchen machte erschrocken einen Schritt zurück, als sie den kleinen, weißen Fellpuschel auf sich zurasen sah. Der Fuchs sprang ihr auf den Arm und legte ihr das Glöckchen in die Hand.

„So, da hast du.“, sagte er selbstzufrieden und verpuffte. Yuna sah die Beute verblüfft an. Evelyn lächelte belustigt. „Ichak scheint dich zu mögen.“

„Du hast eindeutig ein glückliches Händchen für Tiere, selbst wenn es fremde Vertraute sind.“, bemerkte ihre Sensei.

Sie mussten herzhaft lachen, nur Evelyn begnügte sich mit einem Schmunzeln.

„Ich bin Überrascht.“, gestand Anko immer noch schmunzelnd. „Ich habe nicht erwartet, dass ihr diese Prüfung so schnell für euch entscheiden könntet und so gut zusammenarbeitet. Um eure diesbezüglichen Fähigkeiten zu testen, wurde diese Aufgabe erst entwickelt. Eigentlich hatte ich erwartet, dass es jeder von euch im Alleingang versuchen würde. Nach den Berichten meiner Kollegen ist das die gewöhnliche Methode der neuen Schüler.“

„Das wäre dumm gewesen.“, wandte Evelyn ein. „Was bringt es seine Energie an einem Gegner aufzureiben, den man allein nicht bezwingen kann?“

„Pure Selbstüberschätzung.“, meinte Anko grinsend.

Yuna kicherte plötzlich, was ihr ein Stirnrunzeln von Seiten Evelyns einbrachte.

„Was ist so komisch?“

„Ich muss gerade daran denken, wie sich Narutos Team wohl schlagen wird. Er und Sasuke können einander nicht ausstehen, und Sakura rennt wahrscheinlich Sasuke hinterher wie ein treues Hündchen.“

Über diesen Worten blitzte der Schalk in Ankos Augen auf. „Was haltet ihr davon, wenn wir uns das ansehen?“ Sie war so gefangen von der Idee, dass sie sofort weiter dachte. „Man könnte sogar eine Übung daraus machen. Lasst euch nicht von Kakashi erwischen.“

Und das sollte leichter gesagt sein als getan.
 

Der Himmel leuchtete orangerot, und nur vereinzelt lagen blaugraue Wolken auf dem Abendhimmel verstreut wie kleine, dekorative Kissen. Die Schreie der Raben hallten misstönend durch die Dämmerung und deuteten deren Kampf um das beste Futter an. Anko lächelte leicht. Sie hatte sich diesen Nachmittag die Zeit genommen, um die Fertigkeiten ihrer Schützlinge kennen zu lernen und war zu der Ansicht gekommen, dass Evelyn ihre Hilfe kaum nötig haben würde. Ihr Kampfstil war sehr individuell. Bei ihr war Anko aufgefallen, das sie äußerst sparsam mit ihrem Chakra umging. Eine kluge Taktik, die es ihr ermöglichen würde, Kämpfe durch überlegene Ausdauer für sich zu entscheiden. Die Sensei fragte sich nur, wie sie zu diesem Stil gekommen war. Yuna dagegen merkte man an, dass sie sich noch nicht so ganz festgelegt hatte. Sie schwankte zwischen Defensivtaktik und zögerlichen Ausfällen. Anko vermutete, dass ihre Unsicherheit daher rührte, dass sie nicht besonders gut im Taijutsu war.

Daran müssen wir arbeiten, obwohl ich das Gefühl nicht loswerde bei diesem Pärchen fast arbeitslos zu sein, ging es ihr durch den Kopf. Anko verstand, warum man Evelyn schon jetzt zu den Genin berufen hatte. Sie war den Anderen weit voraus, obwohl sie erst ein Jahr älter war.

Im ausbalancierten Stand einer erfahrenen Schwertkämpferin beobachtete Evelyn ruhig aber aufmerksam ihre Umgebung.

Es wird schwer sein, sich an sie heranzuschleichen, dachte die Dunkelhaarige und nahm sich vor, es beizeiten auszuprobieren.

Yuna dagegen wirkte, als wäre sie abgeschweift.

„Ihr konzentriert Chakra in euren Fußsohlen und achtet darauf es kontinuierlich abzugeben, denn sonst verliert ihr den Halt und landet auf dem Hintern.“, fuhr Anko mit ihren Instruktionen fort, doch sie hegte den starken Verdacht, dass Evelyn mit dieser Technik bereits vertraut war, denn das besteigen eines Baumes nur mit Hilfe des eigenen Chakras stellte eine der Grundlektionen für einen Shinobi dar.

Die beiden Mädchen traten vor einen Baum. Evelyn machte einen trägen Schritt am Stamm hinauf, gerade so als gäbe es keine Veränderung in die Senkrechte.

Yuna dagegen hatte die Augen geschlossen, um in Ruhe Chakra zu konzentrieren, nahm nun Anlauf und schaffte ein paar Schritte am Stamm hinauf, dann jedoch wurde sie von der Mühelosigkeit ihrer Teamgefährtin abgelenkt. Prompt tat die Schwerkraft ihre Arbeit, und Yuna landete auf dem Hintern. Sie brummte einen Fluch und startete mit einem säuerlichen Gesichtsausdruck einen zweiten Versuch. Dieser gelang, doch das junge Mädchen zog es vor, sich auf den nächsten Ast zu setzen und ihren Triumph von dort aus auszukosten. Die Hellhaarige verschwand in der Baumkrone und war weder zu hören noch zu sehen.

Die beiden sind talentiert, dachte Anko zufrieden.

„Ihr könnt jetzt wieder herunterkommen!“, rief sie nach oben, und Yuna gab ihren Sitzplatz auf. Weich landete sie auf ihren Füßen. Von Evelyn dagegen fehlte jedwede Reaktion. Sie war zwischen den üppigen Blättern verschollen.

„Evelyn?“

„Schreit doch nicht so.“, wehte ihre Stimme von irgendwoher an ihre Ohren, dann trat sie aus dem Stamm des Baumes heraus, der für kurze Zeit flüssig wirkte. Anko lief ein Schauer über den Rücken.

Wieder eins von Orochimarus Jutsus, ging es ihr durch den Kopf. Wo hat sie das gelernt? Kaum hatte sie sich die Frage gestellt, schalt sie sich auch schon eine Närrin. Es war eine weit verbreitete Fertigkeit.

Evelyn musste ihr Schaudern bemerkt haben. „Ist etwas nicht in Ordnung?“, fragte sie so leise, dass Yuna es nicht hören konnte. Anko entkrampfte sich und schüttelte ihr Unbehagen ab.

„Nein. Warum fragst du?“

„Nur so.“, erwiderte ihre Schülerin hintersinnig und wandte den Blick zum inzwischen glutroten Himmel.

Ein eigenartiges Mädchen, ging es Anko durch den Kopf, während sie noch etwas irritiert das Training beendete. Yuna verabschiedete sich fröhlich, denn sie wollte schleunigst nach Hause. Ihr war eingefallen, dass sie sich noch um eine fertige Maschine Wäsche kümmern musste.

„Bis Morgen.“, sagte Evelyn, die bereits auf Auroras Rücken saß höflich. Die Füchsin war den Tag über immer in ihrer Nähe geblieben, gerade so als widerstrebe es ihr, ihre Gefährtin außer Acht zu lassen.
 

Wie gewöhnlich schmiss Yuna ihre Schuhe achtlos in Richtung Schuhregal und flitzte die Treppe des mehrgeschossigen Hauses empor, die zu ihrem Wohnbereich führte. Scheinbar ohne das vorherrschendes Chaos zu beachten stakste sie mit der Eleganz einer Bachstelze ins Bad und kümmerte sich um die Wäsche. Dann ging sie durch ihr Schlafzimmer auf den Balkon und beobachtete, wie der Tag zur Nacht wurde.
 

Leise betrat Evelyn ihr kleines Haus und zog die Stiefel aus. Ordentlich stellte sie diese neben die Tür und entzündete eine Kerze.

Evelyns Heim war genauso ungewöhnlich wie seine Bewohnerin. Es war aus Natursteinen gemauert und von innen konnte man die Konstruktion des mit Reet gedeckten Pfettendaches begutachten. Auf die waagerechten Dachbalken war auf einem kleinen Stück eine zweite Etage aus Holzdielen aufgenagelt, und das runde Fenster konnte man nur erreichen, wenn man es wagte, über die Balken zu balancieren.

Der würzige Duft von unzähligen Kräutern durchdrang die Luft, denn überall an den mit verschnörkelten Schnitzereien verzierten Balken und auf den wenigen Regalen hingen und lagen Kräuter zum Trocknen.

In diesem ersten Raum vereinigten sich Küche und Arbeitsbereich. Ein kleiner emaillierter Holzofen, Arbeitsfläche, schlichte Holzschränke und ein niedriger Tisch. Eine Tür führte in ein Bad und die Andere in einen Haushaltsraum. Die kleine Dachetage beherbergte eine Schlafstatt und einige Bücher. Im ganzen Haus herrschte penible Sauberkeit.

Evelyn konnte es nicht aushalten, wenn es um sie herum schmutzig war, was wahrscheinlich daran lag, dass sie bisher nirgendwo länger gewohnt hatte als einige Wochen. Es ist schwer in einer solch kurzen Zeit und mit einem Hausstand, der in zwei Reisetaschen passen musste, ein nachhaltiges Chaos zu verursachen.

Evelyn schlüpfte aus ihren Kleidern und ging ins Bad, während sich Aurora mit gemischten Gefühlen auf dem Boden zusammenrollte.
 

Lächelnd schlich Evelyn an der schlafenden Füchsin vorbei und löschte die Kerze. Sie kletterte die hölzerne Leiter zur zweiten Etage hinauf, ging mit leichten, sicheren Schritten über die schmalen Dachbalken zum Fenster und öffnete es. Das Licht des Vollmonds leuchtete wie flüssiges Silber auf ihrem Haarschopf, der laue Wind trug die Düfte einer Sommernacht und das Zirpen der Grillen zu ihr. In der Ferne schrie eine Eule, und kurz darauf, gerade so als wolle er ihr antworten, bellte ein Fuchs. Auroras Ohren zuckten, doch ihre Augen blieben geschlossen.

Evelyn balancierte zu ihrer Bettstatt, setzte sich mit unterschlagenen Beinen in den Stapel aus Kissen und Decken und versetzte ihren Geist in einen meditativen Ruhezustand. Ihre Gedanken verloren sich in den Tiefen ihres Selbst und in ihren vielschichtigen Erinnerungen und Erfahrungen...

Training

Keine vier Stunden später beendete Evelyn ihr Ruhen und schlüpfte in ihre Kleider. Hoch stand der Mond am Himmel, und der Schrei einer Eule durchschnitt die Stille der Nacht. Aurora hob den Kopf, als ihre Gefährtin in ihre Stiefel stieg und das Haus verließ. Ihre Ohren zuckten, doch sie folgte Evelyn nicht. Diese verschwand im Wald und hoffte, den Boten nicht zu verpassen.

Auf einer Lichtung mehrere hundert Meter von ihrem Haus entfernt setzte sie sich auf einen großen Stein, zog ihre Okarina hervor und spielte die verabredete Melodie. Bald darauf hörte sie harte Flügelschlage und ein Wanderfalke segelte auf sie zu. Die Hellhaarige zog die Stirn kraus.

„Eine unrealistische Tarnung für diese Tageszeit.“, tadelte sie, als ein Mann in dunklen Gewändern neben ihr auftauchte. Er zuckte mit den Schultern.

„Wer achtet schon auf einen Vogel?“, brummte er.

„Der Anbu-Kern.“

Seine Augen wurden weit. „Mächtige Feinde hast du.“

„Feinde? Mehr oder weniger. Jetzt gib mir die Nachricht und sieh zu, dass du verschwindest.“

Er knurrte etwas Unverständliches und reichte ihr einen versiegelten Umschlag. Sie nahm ihn entgegen und drückte ihrem Kurier ein paar Münzen in die Hand.

„Richte meinen Dank und freundliche Grüße aus.“

„Sonst noch was?“

„Guten Flug.“

Der Mann brummte nur, schloss dann ein paar Fingerzeichen und nahm nun, nach ihrem Rüffel, die Gestalt einer Eule an. Der Weg nach Kusagakure war weit...

Ungehobelter Trampel, ging es Evelyn durch den Kopf, während sie nach Hause eilte, um die Informationen zu entschlüsseln.
 

Schweißgebadet fuhr Anko aus dem Schlaf hoch und fasste sich mit klopfendem Herzen an die Kehle. Nur ein Albtraum. Sie meinte noch die schattenhaften Schlangen zu spüren, die sich um ihren Hals wanden und ihr langsam aber unerbittlich die Luft zum Atmen raubten.

Im Bad warf die Dunkelhaarige einen flüchtigen Blick in den Spiegel; es hätte sie nicht gewundert, Würgemale auf ihrer Haut zu entdecken

Wie lange es wohl dauern wird, bis ich meinen alten Lehrmeister gänzlich aus meinen Gedanken verjagen kann?, fragte sie sich und fasste sich unwillkürlich an das schwarze Mal am Ansatz ihres Halses.

Anko verscheuchte die beklemmenden Eindrücke ihres Albtraums mit einem heißen Bad und machte sich, während sie im Wasser planschte, Gedanken über das Training ihrer Schützlinge.

Ich kann nicht wie die anderen Ausbilder einen einheitlichen Trainingsplan für die Beiden erstellen. Ihre Talente und Fähigkeiten sind einfach zu verschieden. Yuna braucht dringend mehr Übung im Taijutsu, aber ich bezweifle, dass ich Evelyn in diesem Bereich noch etwas lehren kann. Ich sollte sie dazu anhalten, ihre Teamgefährtin zu unterrichten und Gai fragen, ob er noch einen Trainingspartner für sich und Lee braucht.

Trotz des heißen Wassers lief Anko ein Schauer über den Rücken, als sie daran dachte, welche Schreckensvisionen Evelyn wohl hervorrufen könnte, sobald Yuna ihr die Kunst der Genjutsus beigebracht hätte.

Die Frage ist nur, ob Evelyn Yuna als Trainingspartnerin akzeptiert. Wer weiß, wer sie vorher unterrichtet hat?
 

Yuna hielt irritiert inne, denn ein seltsames, rhythmisches Klopfen drang an ihre Ohren. Sie wusste, dass sie das Geräusch kannte, doch es war ihr zurzeit nicht möglich, es einzuordnen.

Als sie dem Ursprung der Laute sah, fiel ihr vor Überraschung die Kinnlade herunter. Vor ihrem Haus stand Evelyn und bearbeitete einen großen Stapel Brennholz mit einer Spaltaxt. Sie legte dabei eine Mühelosigkeit an den Tag, die Yuna ihr wegen ihrer zarten Gestalt gar nicht zugetraut hatte. Unter ihrer Haut zeichnete sich bei jedem Schlag die Muskulatur ab, und die Dunkelhaarige schluckte.

Mit ihr möchte ich mich nicht prügeln, ging es ihr durch den Kopf.

Evelyn hielt erst in ihrer Arbeit inne, als Yuna zwischen den letzten Bäumen hervortrat.

„Deine Schritte sind so laut, dass ich dich im Dunklen erschlagen könnte. Du atmest zu schwer. Ruhig, sonst verrätst du deine Anwesenheit, und das Überraschungsmoment ist dahin.“

Yuna schnaubte beleidigt. Sie hatte sich nicht als laut empfunden.

„Ich habe mich ja auch nicht bemüht, leise zu sein.“, konterte sie trotzig, und erntete dafür einen stechenden Blick.

„Dann fang damit an. So etwas muss einem in Fleisch und Blut übergehen. In einer

Notsituation kannst du deine Konzentration nicht dafür verschwenden. Manchmal bekommt man keine zweite Chance.“, beschied Evelyn sie und fixierte sie weiterhin, sodass Yuna bald den Blick abwenden musste.

„Wie wäre es erst einmal mit einem Guten Morgen?“, knurrte sie, denn sie wusste nicht, was sie darauf erwidern sollte.

„Guten Morgen.“, sagte ihre Teamgefährtin ruhig, und Yuna musste tief durchatmen, denn die Hellhaarige trieb sie mit ihrem Gleichmut zur Weißglut. Wie kann man nur so...

„Guten Morgen Sensei Anko.“, sagte Evelyn plötzlich und unterbrach so die Gedankengänge ihrer Teamgefährtin. Anko, die auf dem untersten Ast eines nahen Baumes saß, zuckte zusammen, hatte sie sich doch unbemerkt gewähnt. Leicht verlegen verließ sie ihren hochgelegten Posten und gesellte sich zu ihren Schülerinnen.

„Dir entgeht wohl selten etwas, wie?“, scherzte Anko und überdeckte so den Schreck, den sie ihr eingejagt hatte. Ein Genin hatte mich nicht entdecken dürfen... und dabei hat sie sich noch nicht einmal umgesehen.

Die Weißhaarige zuckte mit den Schultern.

„Man lernt, zu überleben, wenn es nötig ist. Das kommt von allein. Andere müssen es härter lernen...“, sagte sie mit einem Seitenblick auf Yuna, der diese Böses ahnen ließ.

Mist!, schoss es dem jungen Mädchen durch den Kopf.

„Ihr habt beide sehr ausgeprägte Fähigkeiten auf sehr unterschiedlichen Gebieten. Das ist meines Erachtens nach der Grund, warum der Hokage euch in ein Team gesteckt hat.“, durchbrach Anko das Schweigen, das sich nach Evelyns Worten ausgebreitet hatte. „ Daher halte ich es für ratsam, wenn ihr vom Potential des jeweils Anderen profitiert.“

„Wir sollen also voneinander lernen.“, schloss die Hellhaarige.

„Wie habt ihr euch das vorgestellt?“, erkundigte sich Yuna.

„Ich schlage vor, wir beginnen mit einem Übungskampf. Das wird helfen, die Grenzen des Anderen auszuloten, und in einem richtigen Kampf wissen wir dann, wann wir für den Anderen in die Bresche springen müssen.“, schlug Evelyn mit autoritärem Ton vor, sodass sich weder Yuna noch Anko dagegen aussprachen.

Aus ihr spricht die Erfahrung. Ich frage mich, was sie erlebt hat, dass sie immer den Ernstfall mit einberechnet, ging es der Sensei durch den Kopf.

„Gut. Aber übertreibt es nicht. Beide.“, wies sie ihre Schülerinnen mit scharfer Stimme an.

Die Hellhaarige hieb ihre Axt ins Holz und entfernte sich dann von ihrem Haus und den empfindlichen Blumenbeeten und dem Kräutergarten. Sie blieb unbewaffnet, während Yuna einen Kunai hervorzog. Das junge Mädchen starrte auf die Klinge. Sie kam ihr plötzlich lächerlich klein vor.

Um Evelyns Hände bildete sich schillernder Eisnebel, und Yuna schluckte. Wenn sie mich jetzt trifft, habe ich ein Problem mit Frostbeulen, dachte sie schaudernd, doch dann wurden all ihre Gedanken hinfort gefegt, denn ihre Teamgefährtin beanspruchte den ersten Angriff für sich. Sie ließ der Dunkelhaarigen nicht die Zeit, eine Strategie zu entwickeln. Im letzten Moment gelang es Yuna, den Oberkörper nach hinten zu beugen, und so verfehlte der Angriff sie um Haaresbreite. Sie spürte eisige Kälte über ihre Haut streichen. Doch war dieser auf die Schulter gezielte Schlag nicht mehr als ein Ablenkungsmanöver. Evelyn trat Yuna einfach die Beine unterm Körper weg, sodass sie, da sie nicht mit diesem schmutzigen Trick gerechnet hatte, ohne überhaupt zu wissen, was passiert war, auf dem Rücken im Staub lag. Der Aufprall trieb ihr die Luft aus den Lungen, und eine Weile rang sie keuchend darum, wieder atmen zu können.

Ihre Teamkameradin zog sie auf die Füße. „Geht es wieder?“

Yuna nickte noch immer etwas benommen.

„Deine Reaktion war nicht schlecht, aber du bist zu langsam. Außerdem stehst du wie festgeklebt. Bei Distanzkämpfen ist das nicht weiter schlimm, doch beim Nahkampf hast du so keine Chance. Wir müssen an deiner Beinarbeit feilen, sonst wird das nichts.“

„Du hast mich eben überrumpelt!“, verteidigte Yuna sich.

„Sicher.“, erwiderte Evelyn und lächelte hintersinnig.

Sie führten den Trainingskampf weiter, und es war die Hellhaarige, welche die Oberhand behielt, denn sie ließ ihrer Teamgefährtin keinen Atem, um ein Jutsu zu weben. Ohne Unterlass musste sich Yuna den Angriffen erwehren. Schweiß lief ihr über das Gesicht, und ihr Atem ging stoßweise, während Evelyn in einem geschmeidigen Wechsel aus Ausfällen und Rückzügen um sie herumhuschte. Ihre Bewegungen ähnelten einer Katze: sparsam, präzise und unter anderen Umständen absolut tödlich.

Aus einiger Entfernung beobachtete Anko die Szenerie mit einer Mischung aus Besorgnis und Erheiterung. Nur knapp konnte Yuna einen auf ihr Herz gezielten Stich abwehren, obwohl Evelyn ihn schon etwas Abgefangen hatte.

Ihre Strategie geht auf, dachte Anko. Anstatt zu riskieren, in einer Illusion eingefangen zu werden, treibt sie Yuna vor sich her. Wahrscheinlich könnte sie sich nicht mehr aus dem Jutsu befreien. Wie ich hörte, hat Kurenai bereits ganze Arbeit an Yunas Talent geleistet.

Die Silberhaarige trat Yuna heftig gegen das Schienbein, und diese zuckte zusammen. Sofort nutzte Evelyn die Gelegenheit für sich, griff in ihr Haar und setzte ihr den Kunai an die Kehle.

„Ich denke, das war für den Anfang genug.“, meinte die Hellhaarige, ließ wieder von ihr ab und trat einen Schritt zurück. Yuna brummte säuerlich, doch Evelyn ging nicht darauf ein.

„Deine Strategie war gut Evelyn, aber es wird nicht immer gelingen, deinen Gegner so vor dir herzutreiben.“, sagte Anko ernst.

„Ich weiß, aber für jeden Gegner gibt es eine andere Taktik. Normalerweise würde ich anders vorgehen.“

Yuna hatte sich derweil ins Gras gesetzt und rieb ihren schmerzenden Knöchel. Komisch, ich weiß gar nicht mehr, wann es mich dort erwischt hat, ging es ihr durch den Kopf.

„Habe ich dich zu sehr erwischt?“, erkundigte sich Evelyn und hockte sich neben sie.

„Keine Ahnung, wie das passiert ist. Vielleicht bin ich auch umgeknickt.“

„Lass mich mal sehen.“, bat sie mit sanfter Stimme und legte eine Hand auf das Gelenk, dann runzelte sie die Stirn. „Eine leichte Überdehnung der Bänder. Das gibt sich gleich“

Plötzlich breitete sich ein kühles Kribbeln unter Yunas Haut aus, und sie verzog erstaunt das Gesicht.

„Besser?“, fragte sie, und die Dunkelhaarige bewegte prüfend den Fuß.

„Ja, danke.“ Begeisterung leuchtete in Yunas Augen auf. „Bringst du mir bei, wie du das gemacht hast?“ Die Heilkunst hatte Yuna schon immer fasziniert, doch bisher war sie nie auf einen Heiler getroffen, der die Muße und die Zeit gehabt hätte, sie zu unterrichten.

„Wenn du das willst.“, entgegnete Evelyn. „Aber wir sollten es vertagen.“

Die Hellhaarige zog ihre Teamgefährtin auf die Beine und unterbrach Anko, die sich gerade angeschickt hatte, etwas zu sagen.

„Sensei.“, sagte sie und deutete zum Himmel, denn dort drehte eine Taube mit einem gelben Wimpel in den Krallen gurrend ihre Runden.

„Verdammt!“, fluchte Anko. „Ich muss weg. Kommt ihr auch allein klar?“

„Natürlich.“, meinte Evelyn.

„Gut, dann bis morgen.“ Mit diesen Worten verpuffte sie in einer Rauchwolke, und auf der Lichtung breitete sich für einen kurzen Moment das Schweigen aus.

„Und was machen wir jetzt?“, fragte Yuna zögerlich.

„Bevorzugst du irgendeine Waffe? Oder interessiert es dich, den Umgang mit einer zu erlernen?“

Die Stirn der Dunkelhaarigen kräuselte sich beim Überlegen. „Ich weiß nicht. Eigentlich bin ich Distanzkämpfer und setze fast nur Genjutsus ein.“

„Wir ergänzen uns gut.“, befand Evelyn. „Aber hast du Lust, etwas Neues auszuprobieren?“

„Warum nicht?“, meinte Yuna achselzuckend.

„Dann warte kurz. Ich bin gleich wieder da.“ Evelyn verschwand in ihrem Haus, und so genoss die Dunkelhaarige einen Moment der Ruhe, nur Unterbrochen von gelegentlichen Zwitschern der Vögel und dem Plätschern von Wasser.

Als die Hellhaarige zurückkam, trug sie ein Paar weißer Handschuhe, die ihr bis zu den Ellenbogen reichten und führte zwei fein gearbeitete, hölzerne Stäbe von etwa einem Fuß Länge sowie ein zweites Paar Handschuhe mit sich.

„Streck einen Arm zur Seite aus.“, forderte Evelyn sie auf, und irritiert folgte Yuna der Anweisung. Die Hellhaarige maß die Länge ihres Arms und hüllte dann einen der Holzgriffe mit ihrem Eisnebel ein. Zwei fremdartig geschwungene Klingen, die irgendwie an Sicheln erinnerten, nahmen daran Gestallt an.

„Was ist das?“

„Ein Doppelschwert, Yuna.“, erwiderte sie und warf ihrer Teamgefährtin die anderen Handschuhe zu. „Die solltest du anziehen, sonst bekommst du Schwielen und Blasen.“

Gehorsam zog die Dunkelhaarige sie an und starrte dann verwundert auf ihre Hände.

„Man spürt sie gar nicht!“

Evelyn lächelte leicht. „Es gibt einige faszinierende Materialien auf dieser Welt.“, sinnierte sie nur, dann warf sie ihr das Doppelschwert zu. Es war erstaunlich leicht für eine Waffe dieser Größe.

„Der Umgang mit dieser Waffe ist nicht leicht zu erlernen, daher weiß ich nicht, ob sie dir zusagt. Wenn man sie jedoch beherrscht, lässt sie, da sie beidhändig geführt wird, sehr schnelle Richtungsänderungen und kraftvolle Hiebe zu. Außerdem kann man sich im Falle eines Gleichgewichtsverlusts besser ausbalancieren als mit einem Schwert. Doch besteht auch die Gefahr sich mit einer Klinge selbst zu verletzen. Man benötigt also ein hohes Maß an Konzentration. Aber wir werden ja sehen, ob sie dir liegt. Greif mich an!“

Verunsichert blickte Yuna auf die Waffe in ihren Händen. „Ich soll einfach angreifen?“

„Keine Sorge, die Klingen sind nicht geschärft.“, beruhigte Evelyn sie. „Zudem werde ich mich anfangs nur verteidigen. Ich möchte sehen wie du ein Doppelschwert instinktiv handhaben würdest.“

Yuna schluckte hart und holte aus. Doch noch bevor die Klinge ihr Ziel erreichte, explodierte ein scharfer Schmerz in ihrem Knie. Sie hatte sich die andere Seite dagegen geschlagen.

„Das meinte ich.“, sagte die Hellhaarige mitfühlend. „Du musst auf beide Klingen zugleich achten, sonst schadest du dir selbst.“

Sie schuf nun auch für sich ein Doppelschwert. „Ich zeige dir jetzt ein paar Basisfiguren. Sozusagen Trockenübungen.“

Sie bezog, um genug Platz zu haben, in der Mitte der Lichtung Aufstellung und wirbelte durch eine komplexe Konstellation von Angriffsmöglichkeiten. Sie spaltete imaginären Gegnern die Schädel oder fing ebensolche Hiebe ab. Es erschien wie ein Tanz des Todes.

Nach der Übung atmete Evelyn schwer.

„Wie dir sicher aufgefallen ist, waren die meisten meiner Attacken auf Kopf und Herz gezielt. Diese Waffe hat viel Durchschlagskraft, doch ist die Handhabung sehr anstrengend. Nutze also den Schwung, um augenblicklich zu töten. Vermeide dagegen Angriffe auf den Hals, denn wenn dir das Blut in die Augen spritzt, kosten dich vielleicht die wenigen Momente der Blindheit das Leben. Wenn es nicht anders möglich ist, töte durch einen Stich in die Kehle. Ideal ist ein Stich durch den Unterkiefer ins Gehirn, doch das ist nur bei deutlich größeren Gegnern praktikabel.“, führte die Hellhaarige aus. Yuna rann bei der beiläufigen Art, wie ihre Gefährtin über die Auslöschung eines Lebens sprach, ein kalter Schauer über den Rücken.

Was hast du erwartet Yuna? Nicht jeder ist so behütet aufgewachsen wie du, schalt sie sich selbst. Doch ich möchte ihre Erfahrungen nicht teilen, wenn diese sie dazu bringen, immer erst im Kopf zu überschlagen, wie sie einen möglichen Feind vernichten kann.

„So, und jetzt versuche es noch einmal. Berücksichtige meine Worte.“ Evelyns Stimme riss die Dunkelhaarige aus ihren Grübeleien.

Yuna tat wie geheißen, und in den nächsten Stunden trieb die Hellhaarige sie unbarmherzig an. Mit zitternden Armen ließ sie ihre Klinge auf Evelyns Schulter niedersausen, doch dann löschte ein gleißender Schmerz ihre Sinne aus.
 

Evelyn legte leicht die Stirn in Falten und kniete sich neben ihre besinnungslose Trainingspartnerin. Sie hatte Yuna an der Schläfe getroffen, und nun zeugte eine unschöne Platzwunde von dem Treffer. Die Hellhaarige legte zwei Finger an die Verletzung und beobachtete, wie sie sich schloss, anschließend richtete sie die Gehirnerschütterung. Erst dann holte Evelyn sie durch einen Chakraimpuls in die Welt der Wachenden zurück.

Die Dunkelhaarige stöhnte und fasste sich an die Stirn. „Ich fühle mich, als hätte mich ein Pferd getreten.“, brummelte sie undeutlich und entlockte ihrer Teamkollegin ein schwaches Lachen.

„Das trifft es fast.“, meinte sie und zog Yuna auf die Füße. „Der Umgang mit dem Doppelschwert liegt dir nicht. Der Schwung der gekrümmten Klinge reißt dich immer nach vorn und du gerätst kurz ins Taumeln, dabei ist deine Technik an sich nicht übel, nur die Klingen sind nicht deine Welt. Ein Kampfstab oder eine Lanze wäre für deine Bewegungsabläufe besser geeignet. Vielleicht solltest du es damit mal versuchen.“

„Alles was du willst, aber vorher brauche ich etwas gegen die Kopfschmerzen. Sag, wolltest du mir den Schädel zertrümmern?!“

Evelyn schnaubte erheitert und schüttelte den Kopf. „Sicher nicht, sonst müsstest du deine Hirnmasse jetzt nämlich wirklich vom Boden aufkratzen.“

Muskelkater und Blutergüsse

Seufzend strich sich Anko eine Haarsträhne aus der Stirn und Schaute zum Himmel auf. Die Abendsonne tauchte alles in ein feuriges Orange, und die vereinzelten Wolken erstrahlten in blutigem Rot. Das leise Zirpen der Grillen wurde vom Krächzen der Raben übertönt, die einander durch die Luft jagten und sich um die besten Abfälle stritten.

Die Taube am Morgen war glücklicherweise ein Fehlalarm gewesen, doch es hatte Anko den ganzen Tag gekostet, dies heraus zu finden. Ein angedrohter Angriff durch ein anderes Dorf. Die Dunkelhaarige musste jetzt noch grinsen, als sie daran dachte, wie sie dem Lümmel, der sich diesen dummen Scherz hatte einfallen lassen, die Ohren lang gezogen hatte. Er hatte seine Lektion fürs Leben gelernt.

Anko wandte sich zum Rand des Dorfes und durchquerte den Wald, um zu sehen, ob ihre Schülerinnen noch trainierten, denn zuzutrauen war es Evelyn allemal.
 

Evelyn und Yuna saßen nebeneinander im Gras, betrachteten das Farbenspiel des Himmels und plauderten über unverfängliche Themen. Beide hielten einen Becher Tee in Händen. Wer sie so sah, konnte meinen, dass sie schon Ewigkeiten ein Team bildeten.

„Guten Abend Sensei.“, begrüßte Evelyn Anko höflich, als diese näher trat, und nun bemerkte auch Yuna, dass sie nicht mehr allein waren. Sie war bisher von Spiel der Raben in dem Lüften zu gefangen gewesen war, um ihre Umgebung wahrzunehmen. Neben dem jungen Mädchen lag ein schön gearbeiteter Kampfstab im Gras, dessen Enden mit feinen Schnitzereien verziert waren.

„Und, seid ihr mit eurem Training voran gekommen?“, erkundigte sich Anko gutgelaunt.

„Ja.“, antwortete Evelyn. „Yuna ist nicht unfähig, was den Umgang mit einem Stab angeht.“

„Ach?“, macht die Sensei. „Dann zeigt, was ihr könnt.“

Yuna verzog das Gesicht und ließ sich von Evelyn auf die Füße ziehen, die dann mit ausdrucksloser Miene ihre Waffe von Boden auflas. Die Hellhaarige überließ Yuna den ersten Angriff, den sie ohne Mühe parierte. Evelyn griff in gemäßigtem Tempo an, denn es galt die Fähigkeiten ihrer Teamgefährtin aufzuzeigen und nicht die Überlegenheit langer Trainingsjahre hervorzuspielen. Dennoch hatte Yuna ihre liebe Not mit dem Hagel, der auf sie niederging, und nach zehn Minuten schwanden ihr die Kräfte. Anko beobachtete, wie Evelyn einige unangenehme Treffer landete. Das würde einige Blutergüsse geben. Allerdings sah Anko auch, dass es ihr zwar an Kraft und Übung mangelte, doch die Technik für den ersten Tag wirklich nicht zu verachten war.

Evelyns Klinge sauste auf die Schulter des jungen Mädchens zu, und es gelang dieser gerade so eben noch den Hieb abzufangen, doch Yunas Arme erzitterten unter der Wucht. Kurz nur war sie abgelenkt, und sofort nutzte die Silberhaarige ihre Chance. Sie trat ihrer Trainingspartnerin kräftig gegen das Schienbein. Eine hinterhältige aber effektive Attacke, die ganz Evelyns Motto entsprach: Erlaubt ist alles, was funktioniert!

Yuna verzog vor Schmerz das Gesicht und sah den Fausthieb gegen ihr Kinn nicht kommen.

Das nächste, was sie wahrnahm war, dass sie am Boden lag, und Evelyn sich über sie beugte. Sie half der Dunkelhaarigen auf die Füße und wartete noch einen Moment, bis sich deren Schwindelgefühl verzogen hatte.

„Das reicht für heute!“, bestimmte die Hellhaarige, und Yuna atmete erleichtert auf, denn ihr tat alles weh; sie fühlte sich wie gerädert.

Das ist auch besser so, ging es Anko durch den Kopf. Allein dieser Tag hatte ihr gereicht, um herauszufinden, wie sehr sich das Niveau ihrer Schülerinnen unterschied. Kein Wunder, sagte sie sich, denn Evelyn war ja schon ein Jahr älter und viel weniger behütet aufgewachsen. Ein Problem war es dennoch.

Verstimmt rieb sich Yuna das gerötete Kinn. Sie hätte gerne auch weniger fest zuschlagen können. Das war schon das zweite Mal an diesem Tag! Hoffentlich werden die nächsten Übungsstunden weniger rabiat.

„Können wir uns Morgen an einem anderen Ort treffen?“, fragte Evelyn und unterbrach so die Gedanken ihrer Teamkollegin.

„Was schwebt dir denn vor?“, wollte Anko verwundert wissen.

Evelyn beschrieb ihnen ein Felsplateau, das nicht weit von Konoha entfernt lag, und die anderen Beiden wusste, von welchem sie sprach. Yuna verzog gequält das Gesicht. Es würde schon eine Tortur werden, überhaupt dort hinauf zu gelangen. Allerdings war die Dunkelhaarige sich sicher, dass Evelyn das nicht grundlos erbat, und ihr war klar, dass sie den Grund erst am nächsten Morgen erfahren würde.
 

Yuna saß auf ihrem Balkon, schaute zum Mond auf und strich dabei gedankenverloren über den Holzstab in ihrem Schoß. Evelyn hatte gemeint, sie solle ihn behalten, da er ihr weit mehr nutzen würde.

„Und immer schön üben!“, hatte ihr Anko mit einem Augenzwinkern befohlen und sich in einer Rauchwolke verflüchtigt.
 

Aurora lag zusammengerollt unter einem Baum und beobachtete Evelyn, die sich, auf einem Stein sitzend, mit routinierten Bewegungen die Hände einbandagierte. Die Ohren der Füchsin zuckten.

„Missfällt dir etwas?“, erkundigte sich die Hellhaarige. Aurora schnappte nach einem vorbei fliegenden Spatz, der sich unter lautem Protest im den Wald flüchtete.

„Spürst du nicht ihr Misstrauen und ihre Angst?“

Evelyn lächelte leicht. „Natürlich spüre ich es.“

„Und es beunruhigt dich nicht?“

„Nein. Warum auch? Bisher hat mir niemand einen Grund dafür gegeben. Sie loten wohl noch die Möglichkeiten aus, die mir zur Verfügung stehen. Außerdem ahnen sie nichts. Wie auch? Und um auf dieses andere Problem aufmerksam zu machen, verbrauche ich nicht genug Chakra. Ich habe lange mit dem Hokage gesprochen. Er scheint nichts von dem Grund zu wissen, der meine Mutter einst zur Flucht getrieben hatte. Der Anbu-Kern geht achtsam mit seinen Geheimnissen um, zumal sie ja die Opposition zum Hokage darstellen. Nein, noch haben wir keinen Grund zur Sorge.“

„Wie du meinst.“, brummte Aurora und legte den Kopf auf die Pfoten.

Evelyn verließ ihren Platz, schmiegte sich an die Flanke der Füchsin und schaute zum sternenklaren Nachthimmel auf. Die Körperwärme der Hellhaarigen beruhigte sie, und langsam schlief sie ein. So bemerkte sie nicht, wie Evelyn aufstand, um sich wieder ihrem Training zu widmen. Sie bildete eine glitzernde Eisschicht um ihre Hände und ließ an den Knöcheln tödliche Dornen aus dem Eis wachsen. Dann wand sie sich durch die Verschiedensten Figuren des Nahkampfs.
 

Gähnend strich sich Yuna am nächsten Morgen das wild in alle Richtungen abstehende Haar hinter die Ohren. Müde stand sie auf und verzog das Gesicht, denn ein stechender Schmerz machte sich in ihrem Körper bemerkbar. Arme, Beine und Rücken brannten vor Muskelkater, sie war von Blutergüssen übersät und hatte immer noch einen Krampf in den Fingern, weil sie sich so an den Stab geklammert hatte.

Auf wackeligen Beinen stakste sie durch das allgemeine Chaos zur Balkontür und stieß sie auf. Frische Morgenluft, hellrosa Sonnenschein und Vogelgezwitscher begrüßte sie, doch Yuna konnte sich nicht daran erfreuen, denn ihre Gedanken kreisten jetzt schon um die kommenden Anstrengungen, die heute garantiert nicht milder ausfallen würden als gestern. Yuna warf einen raschen Blick auf die Uhr und beschloss – in der Hoffnung sich danach besser zu fühlen – ein Bad zu nehmen.

Es half nicht. Sie fühlte sich furchtbar und ihr war schon beim Frühstück klar, dass sie heute besser im Bett bleiben sollte, doch wagte sie es nicht, einfach das Training zu schwänzen.

Hastig zog sie sich fertig an und schnappte sich den Stab, denn sie hatte wieder einmal getrödelt und war nun im Begriff zu spät zu kommen. Mit säuerlicher Miene flitzte sie durch die noch unbevölkerten Straßen Konohas, was ihr einen trägen Blick von Kakashi einbrachte, der ebenfalls mal wieder spät dran war.
 

Yuna verharrte hinter einem Stein und sah Evelyn gebannt zu, die zuerst wie versteinert dastand, ihre Kräfte konzentrierte, um dann förmlich aus ihrer Starre zu explodieren. Es erschien wie ein Tanz, doch Yuna hatte am eigenen Leib erfahren, wie nützlich diese Übungen waren. Evelyn versetzte einem imaginären Gegner einen Tritt unter das Kinn, strauchelte nicht, sondern fing den Schwung durch eine Drehung ab. Plötzlich wanden sich schwarze Schatten scheinbar aus ihren Handgelenken hervor, die sich zu Verlängerungen der Arme formten und am Ende Klauen ausbildeten. Es sah aus, als manifestiere sich die Dunkelheit selbst. Wie Seidenschleier schwebten diese Schatten durch die Luft, als besäßen sie ein Eigenleben. Wieder verharrte Evelyn, doch eine der Klauen schoss vor und streifte eine kleine Wildblume, die daraufhin augenblicklich vereiste und in tausende Teile zersplitterte. Die andere Klaue griff in einen Felsblock hinein, die Hellhaarige holte Schwung und ließ ihre Ferse mit Wucht auf den kniehohen Stein hinabkrachen. Felssplitter regneten auf den Boden.

Das schien vollkommen ohne Mühe seitens Evelyn vonstatten gegangen zu sein, doch Yuna selbst hatte es nie fertig gebracht, dieses Kunststück zu erlernen.

Evelyn machte eine ungeduldige Handbewegung, und die Klauen verschwanden. „Guten Morgen, Yuna.“, begrüßte sie ihre Teamgefährtin mit leiser Stimme. Die Dunkelhaarige kam hinter ihrem Felsen hervor und betrachtete die Gesteinstrümmer auf dem Boden.

„Was hast du da eben gemacht? Es war beeindruckend.“ Die Technik erinnerte Yuna allerdings stark an Shikamarus Spezialität den Schattenbesitz.

„Wie soll ich das erklären?“, dachte die Hellhaarige laut nach. „Es ist mit dem Jutsu des vertrauten Geistes vergleichbar. Ich beschwöre eine Art Schattengeist herauf, durch den ich dann ein anderes Jutsu fließen lasse. In diesem Fall die Vereisung von Wasser. In dem Stein eben war eine Wasserkammer enthalten. Der erhöhte Druck des Eises hat den Stein gesprengt, wodurch kleine Risse entstanden sind, die es mir ermöglicht haben mit relativ geringem Kraftaufwand, den Felsblock in Trümmer zu legen.“

Eine ungewöhnliche Idee, nur klingt sie kompliziert, ging es Yuna durch den Kopf. Aber dieses Jutsu ist perfekt für die mittlere Distanz. Es würde mir viele neue Möglichkeiten eröffnen. Und ich musste meine Gegner nicht mehr mühselig mit dem Stab verprügeln.

„Kannst du mir das beibringen?“, fragte sie voller Eifer. Evelyn schmunzelte. „Du bist ja lerneifrig.“ Yuna zuckte leicht verlegen mit den Schultern. „Ich kann dir nichts versprechen.“, schränkte die Hellhaarige ein. „Ich habe noch nie versucht mein Wissen weiterzugeben, und dieses Jutsu ist eher instinktgesteuert. Man kann diese Schattenklauen nicht direkt lenken, da sie weder aus Chakra bestehen, noch zum Körper gehören. Man braucht einfach ein Gespür dafür. Besser vermag ich es nicht auszudrücken.“

Yuna dachte eine Weile über das Gehörte nach, dann fiel ihr etwas Anderes auf.

„Wo ist eigentlich Sensei Anko?“

„Na direkt hinter dir.“; feixte Anko amüsiert, weil es ihr gelungen war, sich unbemerkt an ihre Schülerin heranzuschleichen. Auf ihre Verspätung musste sie nicht eingehen, denn ihren Schützlingen war klar, dass sie auch noch andere Verpflichtungen hatte. Sie bedachte die reichlich lädierte Yuna mit einem spöttischen Blick.

„Na Yuna, bereit für eine neue Runde Training? Du siehst ja aus, als hättest du sehr enge Bekanntschaften mit sämtlichen Treppen Konohas gemacht.“

„Nein, ich habe Erfahrungen mit Evelyns Kampfkünsten genießen dürfen.“, gab sie trocken zurück, doch eigentlich hatte sie keine Lust auf Wortgefechte.

„Wollen wir anfangen?“, unterbrach Evelyn sie mit einem leisen Vorschlag.

„Habt ihr schon etwas Spezielles ins Auge gefasst?“, erkundigte sich Anko, da sie den ersten Teil des Gesprächs verpasst hatte. Yuna klärte sie auf und bestätigte so eine Vermutung ihrer Sensei.

Die Dunkelhaarige sah lächelnd zu, wie Evelyn ihre Teamgefährtin durch einige Aufwärmübungen trieb. Evelyn wird einmal eine sehr gute Ausbilderin werden, ging es Anko durch den Kopf. Schon heute ist sie so gut, dass ich regelrecht überflüssig bin. Erst auf Missionen werden die Beiden mich brauchen, doch das war wahrscheinlich auch der Plan des Hokages. Ich soll mich ganz auf die Beobachtung Evelyns konzentrieren können.

„Sie stellt ein Risiko dar. Wir kennen ihre wahre Gesinnung nicht und wissen nicht, was sie weiß.“, hatte er gesagt.

„Ich glaube nicht, dass sie nur hier ist, um Rache zu suchen.“, hatte Anko eingewandt.

„Aber es ist eine Möglichkeit. Achte auf sie. Wir wissen nicht wie stark sie ist.“

Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste.

Ein Grund dafür, Yuna und Evelyn in ein Team zu stecken, war der freundliche Charakter der Dunkelhaarigen, der die Hoffnung nahe legte, dass ihre Teamgefährtin sich ihr öffnen würde. Yuna musste man einfach gern haben.

Besonders die beiden Ältesten hegten Misstrauen gegenüber der verlorenen Tochter des Hyuga-Clans, und der Hokage hatte dem Drängen nachgegeben und eine scharfe Überwachung angeordnet. Das sollte allerdings ein Geheimnis bleiben. Sie sollte die Chance haben sich einzuleben, gehörte sie doch so offensichtlich zu einem der bedeutendsten Clans des Dorfes. Außerdem hatte sie sich als ein erstaunlicher Quell an Wissen über andere Dörfer - deren Aufbau und Politik - erwiesen, welches sie bereitwillig preisgab, wenn man nur freundlich fragte. Niemand hatte gegen seine Entscheidung, sie diesem Jahrgang an Genin zuzuteilen, protestiert.

Jetzt blieb nur noch zu erwarten, wie sie sich entwickeln würde.
 

Evelyn und Yuna saßen einander mit unterschlagenen Beinen gegenüber, während Anko die Beiden, an einen Felsblock gelehnt, aus der Ferne beobachtete und sich so ihre Gedanken machte.

„Erst einmal müssen wir herausfinden, ob dir die Benutzung von Jutsus des Eisattributes überhaupt möglich ist.“, begann Evelyn. „Dieses Attribut ist anders aufgebaut als Andere, denn anstatt das Wasser, was ja nötig für das Eis ist, selbst zu bilden, werden die in der Luft vorhandenen Wassermoleküle eingesetzt. Diese müssen demnach erst einmal extrahiert werden.“

„Und warum schafft man das Wasser nicht? Es ist doch möglich.“, warf Yuna ein, und ihre Teamgefährtin lächelte.

„Natürlich könnte man es auch so machen, doch würde das mehr Chakra kosten. Ein Stoff oder ein Stoffgemisch wie Wasser nur aus dem eigenen Chakra zu erschaffen, ist mir zu energieaufwändig, besonders wenn größere Flächen vereist werden sollen. Was meinst du, warum man bei Windjutsus schon vorhandene Luft einsetzt? Beim Eis ist es das Gleiche, zudem kann man nicht nur Wasser einfrieren.“

„Klingt einleuchtend.“, gestand die Dunkelhaarige ein.

Evelyns Lächeln wurde breiter. „Außerdem weiß ich nicht, wie man Wasser erschafft. Eine Bildunglücke, die auf trockenem Terrain ein echtes Problem darstellt, aber ich finde bestimmt noch jemanden, der es mir zeigt.“

„Und was muss ich jetzt tun?“, wollte Yuna wissen.

„Konzentriere Chakra, und lasse es einen Ball in der Luft bilden.“

Sie tat wie geheißen und betrachtete gebannt die leuchtende Chakrakugel. Sie war groß wie eine Faust. Evelyn nickte.

„Und nun richte deine Aufmerksamkeit auf dein Chakra. Fühle es. Und fühle die Luft, die von deinem Chakra durchdrungen ist. Suche die Wassermoleküle.“

Yuna konzentrierte sich, doch es dauerte und dauerte, bis sie Erfolg hatte, denn noch nie hatte sie versucht, Chakra als weiteren Sinn zu nutzen. Es war ein seltsames Gefühl. Es war nicht wie sehen, fühlen oder riechen, sondern nur das wage Bewusstwerden dessen, womit ihr Chakra in Berührung kam.

„Wie eigenartig!“, rief die Dunkelhaarige aus. „Warum hat man uns das nicht früher beigebracht? Das ist doch eine prima Konzentrationsübung!“

Evelyn zuckte mit den Schultern. „Ich bin im Zuge meiner Ausbildung zur Medizinerin darauf gestoßen. Eher zufällig. Das gleiche Prinzip wird bei der Untersuchung einer Verletzung angewandt.“

Sie machte sich daran, Yuna die Fingerzeichen zu zeigen, die für dieses Jutsu gebraucht wurden. Die Dunkelhaarige zog die Stirn kraus.

„Sind das nicht dieselben Fingerzeichen wie für einen Feuerball?“, wollte sie irritiert wissen.

„Ja, und genau da liegt die Katz begraben. Es gibt für dieses Jutsu keine eigenen Fingerzeichen. Es ist eine Sache des Instinkts. Wenn ich eine Bezeichnung dafür finden müsste, würde ich wohl Konterjutsu benutzen, denn die Energien, die du mit den Fingerzeichen für ein Jutsu des Feuerattributes heraufbeschwörst, müssen ins Gegenteil verkehrt werden. Also statt Hitze soll Kälte entstehen. Eigentlich ist das Eiselement eine Mischung aus Wasser und Wind, aber ich habe das schon immer etwas anders gemacht.“

„Das ist umständlich.“

„Ich habe nie behauptet, es sei anders. Und noch etwas: Wenn du das eben Erklärte zuwege bringst, dann bildet sich Eisnebel. Das ist aber nicht der Sinn der Sache. Um dem Eis eine Form zu geben, musst du die Wasserteilchen auf einen Punkt konzentrieren, dann kannst du es jede beliebige Form annehmen lassen. Verstanden?“

Yuna nickte langsam. Das ist ja genauso umständlich, wie ein wirklich hochrangiges Genjutsu, ging es ihr durch den Kopf.

„Im Prinzip weiß ich, wie es geht. Muss ich irgendwelche Risiken beachten?“

„Du könntest statt Eis Feuer erschaffen, und solltest du zu viel Chakra einsetzen, hüllst du uns in ein Inferno.“ Sie sagte das ohne Regung in der Stimme und sah ihrer Teamgefährtin unverwandt in die Augen. Yuna schluckte.

„Ich werde es wohl einfach versuchen müssen?“

Evelyn sagte nichts.

Mit einem mulmigen Gefühl im Bauch formte sie in höchster Konzentration die Fingerzeichen, und wurde dabei sehr genau von ihrer Teamgefährtin beobachtet. Sie würde eingreifen, sobald es nötig wäre. Yuna ließ ihr Chakra in das Jutsu fließen und versuchte in verzweifelter Anstrengung, Kälte zu schaffen, doch wurden ihre Handflächen bald unerträglich heiß, und sie verlor die Kontrolle über die Menge an Chakra, das ihr aus dem Körper strömte.

„Evelyn...“, piepste sie ängstlich, doch es war bereits zu spät. Zwischen ihren Handflächen hatte sich eine Flammenkugel gebildet, die innerlich zu pulsieren schien und eine alles verzehrende Hitze abstrahlte, wie eine kleine Sonne. An Yunas Händen bildeten sich Brandblasen. Evelyn, die dieses Ereignis beinahe vorhergesehen hatte, handelte in Bruchteil eines Herzschlages. Sie schnellte vor, riss Yuna die Hände auseinander, stoppte so das weitere Einspeisen von Chakra und ließ so die angestaute Energie frei, die sich in horrenden Mengen angestaut hatte. Sie warf sich auf ihre Teamgefährtin und schuf einen schützenden Eispanzer um sie herum.

Anko schaffte es gerade noch, sich hinter einem Stein in Sicherheit zu bringen, bevor sich Yunas Nova entlud. Flammen umtosten unkontrolliert Felsen und Grate und hinterließen schwarze Schlieren auf dem Gestein. Das Herz schlug Anko bis zum Hals.

Schlagartig ließ Evelyn das Eis um sie herum schmelzen, um ihnen nicht die Atemluft zu rauben, sodass sie beide sofort bis auf die Knochen durchnässt waren. Yuna prustete und besah sich die von ihr angerichtete Verwüstung.

„Verzeihung.“, murmelte sie verschämt, doch Evelyn war vollkommen ruhig und entspannt.

„Yuna, dein Talent liegt eindeutig eher im Feuer, und da kann ich dir nicht helfen. Du solltest besser Anko bitten, dich darin zu unterrichten.“

Wie gut, dass wir unser Training heute hierher verlegt haben, ging es der Hellhaarigen durch den Kopf. Sonst stünde jetzt der halbe Wald in Flammen. Das nenne ich mal inneres Feuer.
 

Nach diesem hohen Chakraverbrauch war Yuna so müde, dass es keinen Sinn machte noch weiter zu trainieren, und so wies Anko ihre Schützlinge an, sich einen freien Tag zu machen.

Sofort schwang sich Evelyn mit einem zufriedenen Lächeln, nass wie sie war, auf Auroras Rücken und verschwand für einige Stunden spurlos. Anko wurde ganz flau im Magen, während sie, wie sie hoffte, einigermaßen unauffällig jeden Winkel des Dorfes absuchte. Ohne Erfolg.

Der Hokage hatte sehr deutlich gemacht, dass ihnen etwas wie die Sache mit Orochimaru keinesfalls wieder passieren durfte, nur weil sie es an Aufmerksamkeit mangeln ließen.

Yuna dagegen ging geradewegs nach Hause, wechselte die Kleider und legte sich wie eine alte Eidechse in die Sonne. Den Rest des Tages verbrachte sie damit, träge vor sich hin zu dösen.

Anko stieg die Treppe zu dem Balkon unter den steinernen Köpfen der Hokage hinauf und ließ den Blick über das friedlich im warmen Sonnenschein ruhende Konohagakure schweifen.

„Guten Tag, Anko.“, ertönte eine sanfte, freundliche Stimme hinter ihr, und sie drehte sich erstaunt um, denn sie hatte niemanden kommen hören. Der Hokage stand schräg hinter ihr und blickte ebenfalls auf das Dorf hinab.

„Meister Hokage.“, sagte sie respektvoll, und er trat neben sie.

„Wie entwickelt sich Evelyn?“

Anko kräuselte die Stirn. „Was soll ich sagen? Sie tut nichts besonders Außergewöhnliches; sie ist nur noch sehr undurchschaubar und distanziert, aber ich glaube, sie mag Yuna. Sie hat ihr Training übernommen. Ich fühle mich fast ein wenig überflüssig.“

„Nun, so war es gedacht.“ Der Hokage lachte leise. „Jeder mag Yuna. Sie ist der Typ Mensch, dem alle Herzen zufliegen.“

„Da muss ich ihnen recht geben. Früher war sie ein echter Quälgeist, besonders, wenn sie Unfug mit Naruto ausgeheckt hat, und trotzdem konnte ihr keiner böse sein. Man kann ihr noch nicht einmal ihre ständige Unpünktlichkeit übel nehmen.“

„Und was hält Yuna von Evelyn?“

„Viel. Ihr Verhältnis zueinander ist ein wenig eigenartig. Ich glaube, Evelyn ist für sie eine Art große Schwester. Yuna hängt regelrecht an ihren Lippen. Evelyn ist sehr reif für ihr Alter. Sie wird später mal eine hervorragende Ausbilderin abgeben. Sie kann gut erklären und es scheint ihr Freude zu bereiten. Sie sind ein gutes Team.“

Der Hokage lächelte zufrieden, doch dann kam ihm noch etwas Anderes in den Sinn und ein Schatten legte sich auf seine Züge.

„Hat sie etwas über ihre Vergangenheit erzählt?“

Anko seufzte. „Nein, in diesem Punkt ist sie sehr verschlossen. Sie hat wohl schon Einiges hinter sich.“

Plötzlich ertönte über ihnen ein Rascheln und ein Stein kullerte den Steilhang hinunter. Beide sahen auf. Ein kaum katzengroßer Jungfuchs stürzte dem Stein hinterher, doch bevor er auf dem Balkon aufschlagen konnte, packte ihn jemand am Nackenfell. Das bedauerliche Geschöpf fiepte und zappelte, ob der unsanften Behandlung.

Evelyn war von einer Staubwolke begleitet den Hand herabgeschlittert und hielt den jungen Fuchs nun wie ein Neugeborenes in den Armen. Ihr Haar war voller trockener Blätter, und sie machte einen staubigen Eindruck.

„Verzeiht die Störung.“; bat sie und legte sich den Fuchs wie einen lebenden Pelzkragen um den Hals. Er strampelte, und eine seiner Pfoten hinterließ eine Schmutzschliere auf ihrer Wange, was die Hellhaarige jedoch nichts auszumachen schien. Über dem Arm trug Evelyn einen Korb voller Kräuter.

Jetzt weiß ich, wo du gesteckt hast, ging es Anko durch den Kopf.
 

Ein monotones Summen riss Yuna kurz nach Sonnenaufgang aus dem Schlaf. Erst war sie verwirrt und versuchte, den nervtötenden Ton zu ignorieren, bis sie begriff, dass es ihr Wecker war, der sie störte. Sie brummte unwillig und hieb auf den Knopf des Geräts. Sie drehte sich in ihre Decken um, doch ihr wurde schnell klar, dass sie nicht mehr würde einschlafen können – was nur gut war. Gähnend richtete sie sich auf und starrte einen Moment ins Leere, währen sie sich mühte, sich an ihren Traum zu erinnern, doch sie wusste nur noch, dass er sehr lebendig gewesen war. Schließlich gab sie es auf und schlich im Schneckentempo ins Bad. Obwohl sie trödelte, hatte sie sogar noch genug Zeit, um in Ruhe zu Frühstücken – nur eines vergaß sie: sich das Haar zu bürsten. Daher sah sie aus wie ein geplatztes Sofakissen, als sie gemächlich das Haus verließ. Ihr fiel das nie auf, doch die Dorfbewohner grinsten jedes Mal nachsichtig, denn selten passierte ihr das nicht.
 

Evelyn erwartete sie schon vor ihrem Haus, doch Anko war nirgends zu sehen. Die Hellhaarige bedachte ihre Teamkollegin zwar einen skeptischen Blick zu, verlor jedoch kein Wort über das Chaos auf ihrem Kopf.

„Anko musste zu einer dringenden Aufklärungsmission und wird vermutlich einige Tage unterwegs sein. Wir sollen entweder alleine trainieren, oder uns einem anderen Team anschließen.“, sagte sie statt einer Begrüßung.

„Warum begleiten wir Anko nicht?“, wollte Yuna verdutzt wissen.

„Weil eine Gruppe beim Bespitzeln auffällt.“

„Oh... klar, hab nicht darüber nachgedacht.“, sagte die Dunkelhaarige unbekümmert. „Irgendwie ist Anko ziemlich oft weg, oder?“

Evelyn zuckte mit den Schultern. „Berufsrisiko.“, meinte sie nur und jagte Yuna durch ihre spezielle Aufwärmübung. Es ging darum, den Körper in schier unmögliche Verrenkungen zu biegen, die sich nicht eben selten als äußerst schmerzhaft entpuppten.

„Ich begreife nicht, wie du das schaffst Evelyn.“, jammerte Yuna.

„Pure Übung, deshalb machen wir das ja. So kannst du dich später besser aus dem Griff deiner Gegner winden.“

„Können wir nicht etwas Anderes machen?“

„Nun, wie wäre es mit einem Übungskampf?“

Während des Kampfes fiel Yuna auf, dass Evelyn für ihre Jutsus gar keine Fingerzeichen brauchte. Sie wunderte sich und machte sich, wenn sie gerade nicht zu sehr mit der Erwehrung ihrer mit grünlichen Flecken übersäten Haut beschäftigt war, natürlich so ihre Gedanken über die Vorteile, die man sich so erstreiten konnte, doch wollte ihr beim besten Willen nicht einfallen, wie ihre Teamgefährtin das anstellte. Sie traf gerade den Entschluss, Evelyn danach zu fragen, als die Hellhaarige den Kampf beendete.

Schweratmend lehnte sich Yuna an einen Baum – würde sie sich auf den Hintern fallen lassen, würde ihr das einen energischen Rüffel eintragen – und strich sich das Haar aus dem Gesicht.

„Du Evelyn, sag mal, habe ich es mir nur eingebildet, oder benutzt du fast nie Fingerzeichen für ein Jutsu?“

„Ah, du hast es also bemerkt.“, antwortete sie mit einem angedeuteten Lächeln. „Und du fragst dich jetzt, wie ich das anstelle?“

Yuna nickte.

„Nun, ein Jutsu besteht aus zwei Komponenten, die einander benötigen. Das sind die Energie und die Struktur. In diesem Fall ist das Chakra die Energie und die Fingerzeichen bilden die Struktur respektive die Form, wenn du so willst. Die Fingerzeichen geben dem Chakra demnach vor, was aus ihm wird. Beispielsweise, dass sich die Energie Chakra in die Energieform des Feuers umwandelt. Wenn du aus der dir eigenen Energie Materie erschaffen möchtest, ist das natürlich mit einem viel höheren Kraftaufwand verbunden.“

„Du sagtest: In diesem Fall. Gibt es denn eine Möglichkeit, andere Energien neben dem Chakra für ein Jutsu zu benutzen?“

„Ja, die gibt es schon, zumindest in der Theorie, doch dieses Thema würde uns sehr tief in die Physik führen. Wenn du magst, erkläre ich dir meine Vermutung ein anderes Mal. Es ist sehr kompliziert, aber ein ungleich faszinierendes Thema.“

„Äh... nein danke. Lass mal Evelyn.“

Die Hellhaarige zuckte mit den Schultern. „Wo bin ich stehen geblieben? Ach ja. Um deinem Chakra die Struktur eines Jutsus zu geben, brauchst du die Fingerzeichen nicht zwingend. Sie sind wenn man es genau nimmt nur eine Hilfestellung, um Fehler zu vermeiden. Jedes Jutsu hat seine ganz eigene Form, bevor das Chakra den Körper verlässt und aktiv wird. Wenn es dir gelingt dein Chakra in diese Form, Muster, Struktur, oder wie man es auch immer nennen mag, zu zwingen, dann werden Fingerzeichen überflüssig. Was zu dieser Methode allerdings gesagt werden muss ist, dass dies mit einem großen Ausmaß an strengster Konzentration einhergeht. Schweift man nur ein wenig ab, wird das Jutsu scheitern, und die Folgen davon kann noch nicht einmal ich einschätzen. Es könnte in einem Desaster enden. Um diese notwendige Konzentration zu erlernen, gibt es eine spezielle Technik. Willst du es lernen?“
 

Mit vor Erstaunen großen Augen folgte Yuna Evelyn in ein kleines Nebengebäude etwas abseits von der Heimstatt der Hellhaarigen, welches ihr offensichtlich als Werkstatt diente. An Haken an den Wänden und auf etlichen Regalen verteilt lagerten Werkzeuge, die dem Tischlerhandwerk zugehörten. Der Boden aus dicken Holzbohlen war mit kleineren Häufchen aus Holzspänen besprenkelt, und im hinteren Teil der Hütte lag feinsäuberlich Feuerholz gestapelt. Auf einer Werkbank warteten die kunstvoll verzierten Einzelteile eines Stuhls auf ihre Vollendung. Yuna sah auf und staunte nicht schlecht, denn sie hatte noch nie ein Pfettendach von innen gesehen.

Mit einer knappen Geste bedeutete Evelyn ihr, auf einem Schemel Platz zu nehmen und setzte sich selbst auf einen großen Holzklotz.

„Hier kann ich dich weiter unterrichten, ohne meine Arbeit ruhen lassen zu müssen.“, merkte das feingliedrige Mädchen an. „Schließ die Augen und versetze dich in einen Zustand vollkommener inner Ruhe. Lass alles Störende aus deiner Aufmerksamkeit verschwinden und richte deine Wahrnehmung gänzlich auf das Pulsieren des Blutes, das Rauschen des Chakras und deine freien, ungelenkten Gedanken und Erinnerungen. Gib mir bescheid, wenn du meinst, ein Stadium erreicht zu haben, da dein Körper hinter dir zurück zu bleiben scheint, dann hast du die tiefe Meditation erreicht, die für die weiteren Schritte nötig ist. Lausche deinem Unterbewusstsein! Das ist das Ziel dieser Übung. Ich werde unterdessen dieses Möbelstück fertig stellen. Lass dich nicht ablenken! In einem Kampf musst du imstande sein, diesen Zustand der Konzentration und Ruhe im Bruchteil eines Herzschlags zu erreichen.“

Yuna mühte sich redlich, ihrer Anweisung folge zu leisten, doch das war leichter gesagt als getan, denn Evelyn hobelte ungerührt an ihrer Armlehne weiter. Gerade als in der Dunkelhaarigen die Hoffnung gereift war, sie möge nun endlich fertig sein, da durchzog das nervtötende Geräusch von grobem Schleifpapier auf Holz den Raum. Yuna verzweifelte schier. Wie sollte bei diesem Lärm irgendjemand zur Ruhe finden.

Plötzlich brach Evelyn ihre Tätigkeit ab.

„Yuna, du bist zu verkrampft. Entspann dich und achte nicht auf deine Umgebung. Ignorier die Aktivität um dich herum.“

„Aber genau das kann ich nicht! Das widerspricht allem, was ich bisher gelernt habe!“

„Ich verstehe. Es ist das Umdenken, das verlassen alter Pfade. Ein Ninja, der nicht Acht gibt, lebt kurz. Das macht jedem Probleme. Warte ich helfe dir.“
 

Evelyn kam mit einer wunderschönen Okarina zurück; einem bauchigen, flötenähnlichen Instrument. Sie setzte sich wieder auf ihren Holzstapel und schlug eine schwermütige Melodie in Moll an, und yuna überließ sich dieser melancholischen Weise, die ihren Geist davontrug und sämtliche störenden Empfindungen hinfort spülte. Die Dunkelhaarige hatte plötzlich das Gefühl in einem warmen, freundlichen Nichts zu schweben. Sie lauschte auf ihren Körper, hörte dem eigenen Herzschlag mit einer Intensität, dass sie sich wunderte, warum sie nicht ständig davon abgelenkt wurde. Vor ihrem inneren Auge zogen Ereignisse aus ihrer Vergangenheit vorbei, doch sie empfand nichts dabei. Auch störte sie es nicht, wie Evelyn ihr Spiel einstellte und sich wieder ihrer lärmenden Beschäftigung zuwandte. Yuna nahm diese Dinge zwar am Rande wahr, doch sie drangen nicht bis in ihr Bewusstsein vor, sodass sie sich träumend wähnte, nur dass sie sich später an alles erinnern können sollte.
 

Evelyn musste Yuna mehrmals leicht anstoßen, bis die Dunkelhaarige in die Realität zurückgekehrt. Sie fühlte sich geistig ausgeruht, wie nach einigen Stunden Schlaf. Zufrieden streckte sie sich und sah dann irritiert zum Fenster. Tatsächlich hatte sie nämlich lediglich eine halbe Stunde geruht.

„Du hast gemerkt, dass diese Art der Meditation sehr effektiv ist.“, begann Evelyn und wurde sogleich von Yuna unterbrochen. „Es ist klasse! Warum hat man uns das nicht schon längst beigebracht? Denk nur, wie viel Zeit wir auf Missionen sparen könnten!“

Die Silberhaarige hob die Hand, um ihrem Redefluss Einhalt zu gebieten. „Dazu wollte ich gerade kommen, Yuna. Es gibt hierbei nicht nur einen Haken. Erstens ruhst du zwar deinen Geist aus, nicht aber deinen Körper, und so wird dich die Erschöpfung einholen, wenn du es am wenigsten erwartest. Außerdem besteht die Gefahr, nicht mehr aus dieser Phase der inneren Versenkung zurück zu finden. Ich habe bereits von Menschen gehört, die, ohne es zu bemerken, verdurstet sind. Manche haben sich auch selbst verloren und sind dem Wahnsinn anheim gefallen. Diese Technik wurde ursprünglich entwickelt, um sich selbst zu finden, doch nicht jeder Mensch kann ertragen, was er findet. Ich bin imstande vier bis fünf Tage den Schlaf durch ebendiese Meditation zu ersetzen, ohne größere Leistungseinbüßen hinnehmen zu müssen, doch man zahlt seinen Preis dafür. Sag, hattest du das Gefühl, diese Phase eben jederzeit beenden zu können?“

Yuna dachte lange darüber nach und musste schließlich gestehen, dass sie es nicht wusste.

„Das ist es, was ich meine.“, sagte Evelyn.

„Ich verstehe, doch inwiefern hängt diese mentale Übung mit dem Training zusammen?“

„Das werde ich dir später erklären. Nun will ich dich erst einmal lehren, wie man diesen Zustand sehr schnell und ohne die Zuhilfenahme eines Jutsus zu erreichen. Dann werde ich dir zeigen, wie man seine Gedanken darin richtig steuern kann und wie man die Meditation selbstständig beendet.“

Neue Fahigkeiten

„Nun versetze dich in den Meditationszustand, den ich dich gelehrt habe, halte jedoch die gedankliche Verbindung zu deinem Köper weiter aufrecht. Wirke dann ein einfaches Jutsu das weniger Fingerzeichen bedarf und erspüre dabei die Struktur – respektive Form –, die es innehat, bevor du es loslässt, um das Jutsu zu wirken. Präge dir diese Struktur ein, denn um in der Lage zu sein, auf Fingerzeichen zu verzichten, musst du diese Form rein willentlich erzwingen können. Das ist auch schon das ganze Geheimnis der Sache, doch solltest du dir darüber im Klaren sein, dass diese Art zu kämpfen ein hohes Maß an Übung und Konzentration erfordert, denn gehen die Jutsus fehl, können sie dir selbst schaden.“, erklärte Evelyn am nächsten Tag. Yuna hatte feststellen müssen, das es nicht leicht war die Meditation wirklich zu steuern.

„Trainiere anfangs nicht alleine, denn wenn du dich verletzt, ist es besser, wenn jemand in der Nähe ist.“, fügte die Hellhaarige noch hinzu. Yuna schluckte und folgte zögerlich ihren Anweisungen, doch gelang es ihr zunächst nicht; sie nahm zwar ihr fließendes Chakra war, nicht jedoch dessen Veränderung. Entmutigt berichtete sie Evelyn ihre Erfahrung.

„Das ist nicht ungewöhnlich, Yuna.“, beschwichtigte sie ihre Teamgefährtin. „Du musst dich erst auf dein eigenes Chakra einstellen, bevor du die benötigte Sensibilität entwickelst. Versuche es weiter.“

Sie tat es und nach mehreren Versuchen spürte sie eine Veränderung. Es war, als bewege sich ihr Chakra zuckenden Schlangen gleich durch seine Bahnen. Yuna lief ein Schauer über den Rücken und berichtete Evelyn ihre Empfindung.

„Das habe ich gemeint. Du wirst dich schon noch an dieses Gefühl gewöhnen, auch wenn es jetzt falsch und unnatürlich anmutet. Aber genug davon. Wir werden zu einem späteren Zeitpunkt weitermachen. Es gibt da nämlich etwas, das will ich von dir lernen: Genjutsu. Bisher hatte ich nicht die Zeit, mir Fähigkeiten in dieser Richtung anzueignen.“

Yuna nagte nervös an ihrer Unterlippe. Sie sollte ausgerechnet Evelyn etwas lehren? Das war doch paradox! Fieberhaft versuchte sie sich zu erinnern, wie Kurenai damals mit ihr angefangen hatte; wieso musste sie auch mit einer solchen Bitte kommen? Dass der Hokage diese Art Zusammenarbeit von Anfang an beabsichtigt hatte, konnte Yuna ja nicht wissen.

„Hm, ich glaube wir sollten mit einem einfachen Trugbild anfangen.“, sagte sie unsicher und sah Evelyn fragend an, doch in der Miene der Hellhaarigen stand weder Missbilligung noch Zustimmung zu lesen. „Oder kennst du das schon?“

„Nein, aber es geht um Lichtmanipulation, nicht?“

„Genau! Du weißt, wie man Chakra in Licht umwandelt?“

Anstatt zu antworten, ließ Evelyn ein weißes Licht in ihrer Handfläche aufflammen, und Yuna wandte hastig den Blick ab, um nicht geblendet zu werden.

„Kannst du dir vorstellen, diesem Licht eine Form zu geben – also ein Hologramm daraus zu machen?“

„Das Licht beugen?“, schlug die Hellhaarige vor.

„Das meine ich.“

Der Silberschopf zuckte mit den Schultern. „Das ist ein einfaches Ninjutsu.“

„Mir hat es geholfen.“, verteidigte Yuna sich.

Evelyn kippte kurz den Kopf zur Seite, und die Dunkelhaarige wertete das als eine Geste der Zustimmung. Gespannt wartete sie darauf, welches Bildnis ihre Teamkameradin erschaffen würde.

Um Evelyns Hand sammelten sich funkelnde Lichtpunkte, und eine Rose von vollkommener Schönheit erblühte aus dem Licht, doch war die Pflanze aus kristallklarem Eis und schien von innen heraus zu schimmern. Das Sonnenlicht brach sich in sämtlichen Farben des Regenbogens in den halb geöffneten Blütenblättern. Wie hypnotisiert streckte Yuna die Hand nach dem zerbrechlich wirkenden Stiel aus und griff ins Leere. Eine vollkommene Illusion aus gebeugtem Licht.

„Du hast das doch schon mal gemacht!“, rief Yuna aus, doch Evelyn schüttelte den Kopf.

„Nein, es hat mir gereicht, dass du es beschrieben hast.“

„Na ja, bei mir hat es nur gedauert, bis ich ein richtiges Bild zustande gebracht habe.“

„Zu diesem Zeitpunkt warst du wahrscheinlich auch noch ein ganzes Stück jünger.“

„Hm.“, machte Yuna und schob das Thema erst einmal beiseite. „Na egal. Kurenai hat es mir so erklärt, dass es mit dem Chakra beim Genjutsu so ist wie mit dem Licht. Es muss manipuliert werden, damit sich die Impulse im Körper des Angegriffenen verändern. Das beeinflusst die Stromimpulse des Nervensystems und dann nimmt das Opfer etwas anderes als die Realität wahr.“

„Mach weiter Yuna, die Wirkungstheorie ist mir bekannt.“, unterbrach die Hellhaarige sie.

„Und warum sagst du das nicht gleich?“

„Das tat ich eben.“

„Oh Gott, es ist zum verrückt werden!“

„Evelyn reicht; den Gott kannst du weglassen.“
 

Den Rest des Tages war Yuna damit beschäftigt, Evelyn die Grundlagen der Genjutsutechniken zu lehren; dabei wunderte sich die Dunkelhaarige insgeheim über die immense Lernfähigkeit ihrer Teamgefährtin. Kam ihr vielleicht irgendeine tiefere Einsicht zugute? Evelyn ihrerseits sensibilisierte Yuna für die Aktivitäten ihres Chakras, und schon am Abend war das junge Mädchen in der Lage – gewiss mit einigem Zeitaufwand – simple Doppelgänger zu erschaffen, ohne ein Fingerzeichen zu gebrauchen. Das war, wie Evelyn fand, eine sehr gute Tagesbilanz, und sie beendeten das Training für heute. Am nächsten Tag wollten sie sich allerdings anderen Teams anschließen, um ihre spezifischen Fertigkeiten weiter zu vervollkommnen.
 

Es war noch lange vor Sonnenaufgang, und dichter Nebel durchwaberte in milchigen Schaden den nächtlichen Wald, als sich Sensei Gai und Lee zum Training trafen, und heute erwartete Gai auch noch Evelyn, denn sie hatte darum gebeten, das Training begleiten zu dürfen. Sie begannen wie üblich mit ihrer Form des Krafttrainings, doch ahnte keiner der Beiden, dass sie nicht allein waren.

Sie gingen dazu über wie wild aufeinander einzudreschen, und Gai trieb seinen Schüler mit einer komplizierten Schlagabfolge zurück, bis Lee – obwohl er sich durchaus wacker verteidigte – mit dem Rücken an einen Baum stieß. Schweratmend hielten sie inne.

„Es gibt einen bestimmten Trick, um sich aus dieser Kombination zu befreien.“, ertönte plötzlich eine fast körperlose Stimme aus den Wipfeln der Bäume. Lee und Gai zuckten zusammen, und ihre Köpfe ruckten hoch, als sich Evelyn elegant von ihrem Ast schwang.

Gai war überrascht, sie schon so früh zu sehen und war natürlich sofort Feuer und Flamme für so viel Motivation.

„Du bist aber früh dran.“, sagte er anerkennend.

„Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben.“, versetzte Evelyn trocken.

Unterdessen hatte Lee in seinem Gedächtnis gekramt. „Du bist doch mit Yuna in einem Team, oder?“

„Mit Yuna und Anko, ja.“

„Anko hat eine wichtige Mission auf die die Beiden ihre Sensei nicht begleiten können, daher schließen sie sich für diese Zeit manchmal anderen Teams an.“, steuerte Gai erklärend bei.

„Wer rastet, der rostet.“, warf die Hellhaarige ein, ohne auch nur leise anzudeuten, dass sie es scherzhaft meinte. Sprichwörter sind schon etwas Feines.

„Du, sagtest, du wüsstest, wie man die Attacke von eben kontern kann?“, wechselte Lee brennend interessiert das Thema.

„Ja.“

„Na, dann führ doch mal vor, was du meinst.“, schlug Gai vor, und Evelyn bekundete durch ein leichtes Schulterzucken ihre Einwilligung.

Sie traten einander gegenüber, und Gai wiederholte seine Schlagabfolge. Nun staunte Lee nicht schlecht. Er hatte damit gerechnet, dass ihr Stil dem Nejis glich, doch weit gefehlt. Er kam ihm Vergleich geradezu ungelenk vor. Erst ließ die Silberhaarige sich ein Stück zurücktreiben, ohne auch nur einmal zur Abwehr anzusetzen; geschmeidig wie ein Weidenzweig wand sie sich unter einem Tritt weg und tat etwas, das Lee zwar durchschaute, da er daneben stand, Gai jedoch gar nicht bemerken konnte. Er merkte nur, dass sie unter seinen Armen weggetaucht war und einen Fuß zwischen die Seinen gebracht hatte. Sie täuschte einen Hieb gegen sein Kinn an, zog aber ihm stattdessen die Beine weg. Von einem Reflex geführt rollte Gai sich ab und stolperte verdattert ein paar Schritte zurück. Doch noch war die Übung nicht beendet. Sie zog sich hin, und Lee fiel auf, dass Evelyn durchaus gut war, doch immer wieder sah er sie Bewegungen andeuten, die zeigten, dass sie eine Waffe vermisste. Sie blieb auch eher in der Defensive, woraus Gai ableitete, dass sie ihre Gegner meist durch überlegene Ausdauer besiegte. Er selbst merkte, wie er langsamer wurde, doch bei dem zarten Mädchen war noch keine Spur von Erschöpfung sichtbar. Sie bot ja auch kaum Kraft auf.

Schließlich ging der Übungskampf so aus, dass Evelyn der größeren Reichweite Gais unterlag und mit auf den Rücken verdrehten Armen am Boden landete.

„Und so kann man enden.“, war alles, was sie dazu sagte.
 

Verschlafen kroch Yuna aus dem Bett und schlappte mit der Geschwindigkeit und Anmut eines Zombies ins Bad. Sie ärgerte sich über ihre eigene Lahmarschigkeit, doch da war nichts zu machen. Trotzdem stand sie pünktlich um acht am Treffpunkt und plauderte mit Kiba und Kurenai, während sie abwesend Akamaru zwischen den Ohren krauelte. Der kleine Hund wedelte glücklich mit dem Schwanz.

Kurenai hatte Yuna schon früher in der Kunst der Genjutsus unterwiesen, denn ihre Begabung war bei ihr früh zutage getreten. Heute müsste Yuna gründlich suchen, wenn sie jemand anderen finden wollte, der ihr weiterführenden Unterricht geben könnte.

Ihr Blick streifte Hinata, die mit leerer Miene einen Baum anstarrte, und Shino, der hinter seiner schwarzen Brille brütete. In ihrer Gegenwart fühlte Yuna sich immer etwas befangen, denn Shino war ihr irgendwie unheimlich und Hinata zu schüchtern. Yuna wusste nie so recht, was sie zu den Beiden sagen sollte. Umso froher war sie dann, als der Rest des Teams sich ihrem eigenen Training widmete, und sie allein mit Kurenai zurückblieb. Die Sensei schmunzelte wissend und begann ihre heutige Lektion mit Yuna.
 

Es dauerte keine zwei Stunden, dann brummte Yuna der Schädel. Schon früher war Kurenai aufgefallen, das Yuna in einer erstaunlich kurzen Zeit in der Lage war unwahrscheinlich viel Wissen aufzunehmen, doch dafür erreichte sie sehr schnell die Grenzen ihrer Konzentrationsfähigkeit. Dinge, für die sie, Kurenai, mehrere Wochen gebraucht hatte, lernte Yuna in wenigen Tagen. Die meisten Jutsus musste sie nur wenige Male sehen, um sie zu bereifen. Regelrecht unheimlich, vor allem, da das junge Mädchen ihr Talent gar nicht zu bemerken schien.

„Wir lassen es für heute gut sein.“, entschied Kurenai, und Yuna konnte kaum ausdrücken, wie dankbar sie dafür war. Sie schaffte es noch nicht einmal bis nach Hause, sondern kletterte irgendwo mitten im Wald auf einen Baum und rollte sich mehr oder minder bequem in einer Astgabel zusammen. Ihr war vor Kopfschmerz regelrecht schlecht. Ohne irgendein Zeitgefühl dümpelte sie träge dahin, bis die Laute von schnellen Schritten an ihre Ohren drangen. Verwundert richtete sie sich auf. Wer sollte sich um diese Zeit in diesem Teil des Waldes aufhalten? Sie spähte durch die Bäume und wäre vor Überraschung beinahe aus ihrer Astgabel gefallen. Sie konnte es kaum glauben: Ihre kühle, beherrschte Teamgefährtin trainierte doch tatsächlich mit Gai und Lee, den beiden größten Knalltüten des Dorfes, Langlauf. Ohne erkennbare Mühe hielt sie mit den Beiden mit und hatte sogar noch genug Luft, um ein wenig zu plaudern.

Evelyn war es, die ihre Freundin zuerst entdeckte.

„Hallo Yuna.“, grüßte sie leise und blieb unter dem Ast stehen.

„Yuna!“, polterte Lee. „Willst du nicht mit uns trainieren?“

„Äh, nein... danke Lee.“

Evelyn griff in eine ihrer schier zahllosen Innentaschen, zog einen kleinen Stoffbeutel hervor und warf ihn ihr zu.

„Hier Yuna. Gegen deine Kopfschmerzen. Lös den Inhalt in Wasser auf.“ Damit lief das kuriose Grüppchen weiter. Yuna schüttelte sprachlos den Kopf und machte sich auf den Weg nach Hause.

Woher hat sie gewusst, dass mir der Schädel brummt?

Aurora kam Yuna entgegen, die der Gruppe wie ein Schatten hinterherlief. Die Füchsin erinnerte Yuna an einen unermüdlichen Wachhund. Nicht einmal jetzt mochte sie Evelyn von der Seite weichen.
 

An diesem Abend kehrte Anko erschöpft und zerschlagen von ihrer Mission zurück. Staubig und verschwitzt schlurfte sie durch die Straßen Konohas. Ihr Weg zum Hokage führte sie an Yunas Haus vorbei, die gerade auf ihrem Balkon Wäsche aufhängte und darüber staunte, wie gut Evelyns gallebitteres Pülverchen geholfen hatte. Sie hatte für sich entschieden, dass sie nicht unbedingt wissen musste, was für diesen Geschmack verantwortlich war. Man musste sich ja nicht absichtlich den Appetit verderben.

„Guten Abend, Sensei!“, rief das Mädchen fröhlich nach unten. „Ist die Mission erfolgreich verlaufen?“

Lächelnd schaute Anko auf. „Erfolgreich und anstrengend. Vielleicht sehen wir uns heute Abend noch. Am Tor wurde ich vorgewarnt, dass der Hokage wahrscheinlich ein paar Missionen für uns hat.“

„Evelyn wird begeistert sein.“, bemerkte Yuna sarkastisch.
 

Evelyn legte seufzend den Mörser zur Seite und wischte ihre Hände an einem Küchentuch ab, als es an der Tür klopfte. Sie öffnete und zog eine Augenbraue in die Höhe. Vor ihr standen Yuna und Anko. Es musste etwas Wichtiges geben, denn für Höflichkeitsbesuche war es deutlich zu spät. Hoch stand der Mond am Himmel. Wortlos trat die Hellhaarige zur Seite und bedeutete ihnen mit einer knappen Geste einzutreten. Sie schätzte es nicht, bei ihrer Arbeit unterbrochen zu werden. Yuna und Anko schlüpften aus ihren Schuhen und sahen sich mit großen Augen um.

Die Arbeitsfläche der Küche quoll schier über von Döschen, Gläsern, Brettern, frischen und getrockneten Kräutern und Pilzen. Ein süßlich würziger Geruch hing in der Luft, etwas zu intensiv, um noch angenehm zu sein.

Evelyn bot ihren Gästen die Kissen vor ihrem Tisch an und machte sich wieder daran, ihre Mischung aus getrockneten Pilzen zu Pulver zu verarbeiten.

„Was führt euch noch so spät zu mir?“, fragte sie wie beiläufig, während sie das Pilzpulver in einen kleinen Topf gab.

„Der Hokage hat uns eine Mission zugewiesen, die gleich Morgen ansteht.“, klärte Anko sie auf.

„Worum geht es genau?“, fragte sie, nahm die Teekanne vom Herd und goss kochendes Wasser in den Topf.

„Es geht um eine Beschattung. Eine Rang C Mission.“

„Also nichts, worüber man sich sorgen müsste.“, bemerkte Evelyn und rührte mit einem Holzstäbchen in der blubberndem Mischung herum, wobei sie peinlich genau darauf achtete, dass ihr nichts davon auf die Hand spritzte. Bald entstand ein zäher, schwarzer Brei, der einen Brechreiz erregenden Verwesungsgeruch verströmte, wie ein Hauch aus einem offenen Grab.

„Evelyn, was ist das?“, rief Yuna halb fasziniert halb angewidert aus.

„Waffengift, Yuna. Eine winzige Menge auf der Haut reicht aus. Dieses Nervengift wirkt erst narkotisch und tötet dann sehr schnell.“, sagte sie und warf einen kleinen Beutel in kochendes Wasser und die Düfte von Lavendel und Orchidee vertrieben den Gestank.

„Ich hasse Gifte.“, murmelte Yuna kleinlaut. Sie schüttelte sich vor Unbehagen. Die Vorstellung, vergiftet zu werden, war für sie der absolute Horror. Evelyn zuckte mit den Schultern.

„Ich finde es nützlich.“, meinte sie und wechselte das Thema. „Gibt es sonst noch etwas über die Mission zu wissen?“

„Der Hokage vermutet in dem Mann, den wir beschatten sollen, einen Spion aus Kirigakure.“

„Aus Kirigakure? Jetzt noch?“ Die Hellhaarige wirkte gelinde erstaunt. „Wie eigenartig. Ein Spion der Untergrundorganisation oder der Regierung?“

Anko warf ihr einen verständnislosen Blick zu. „Welche Untergrundorganisation?“

Die Hellhaarige winkte ab. „Nicht wichtig. Treffen wir uns dann morgen beim Nudelsuppenrestaurant? Da fallen wir nicht auf, selbst wenn der Spion misstrauisch ist.“

Tödlicher Kuss

Die nächste Woche war ausgefüllt von mehreren niederen Missionen, und Evelyn war bald sichtlich genervt und vergrub sich hinter einer Mauer aus schweigsamer Grübelei. Der Hokage schmunzelte über Ankos Beobachtung und verschonte das Team mit weiteren Aufträgen, die das Ausführen von Hunden und das Jäten von Unkraut beinhalteten. Dafür erkundigte er sich nach den Fortschritten, die das Training der beiden Mädchen machte.

„Yuna und Evelyn trainieren jede freie Minute. Evelyns Methode schlägt an. Yuna musste nur ihre Faulheit besiegen. Sie ist inzwischen richtig gut im Taijutsu. Wenn man jedes Mal eine über den Schädel bekommt, fördert das wohl den Ehrgeiz. Nebenbei lernt Evelyn von Yuna Genjutsu.“

„Es entwickelt sich also alles wie gewünscht?“

„Mehr als das. Die zwei sind schier unzertrennlich.“

„Dann habe ich eine Mission für euch.“ Der Hokage reichte ihr eine Mappe.

„Das einzige Problem ist, dass wir nicht wissen, wie gefährlich der Mann ist.“, sagte der Hokage, während sie las. „Daher kann der Rang der Mission nicht bestimmt werden.“

„Wir übernehmen sie trotzdem.“
 

„Versuche, mich in einem Genjutsu einzufangen, Yuna. Ich will dir etwas demonstrieren.“, forderte Evelyn sie auf.

Argwöhnisch folgte sie der Aufforderung ihrer Teamgefährtin und schloss ein paar Fingerzeichen.

Evelyn schwebte in völliger Finsternis. Es war heiß, und sie hörte Flammen knistern, die kein Licht ausstrahlten. Ohne Hast legte sie die Handflächen aneinander und schloss die Augen.

Yuna keuchte überrascht. Das Jutsu zeigte keine Wirkung! Es war, als hätte Evelyn ihr Gehirn abgestellt, und ihr ganzer Chakrafluss lag lahm. Die Illusion drang nicht mehr in ihren Geist vor.

Plötzlich fühlte Yuna ein Kribbeln hinter der Stirn, dann wurde die Welt um sie herum schwarz und sie fiel in einen bodenlosen, gefräßigen Abgrund.
 

Eine kühle Hand lag auf Yunas Stirn, als sie erwachte. Unwillig blinzelte sie, um ihre Benommenheit abzuschütteln. Die Welt verschwamm vor ihren Augen. Sie wollte sich aufrichten, doch jemand hielt sie mit sanfter Gewalt zurück.

„Bleib liegen, Yuna. Die Wirkung vergeht gleich.“, ertönte Evelyns weiche Stimme neben ihr.

Langsam lichtete sich der Schleier, und Yuna realisierte, dass sie am Boden lag, und die Hellhaarige mit unterschlagenen Beinen neben ihr im Gras saß.

„Wie... was war das eben?“

„Eben Yuna?“ Evelyn klang belustigt. „Du warst über eine Stunde weggetreten.“

Yuna klappte der Mund auf. Was war das für ein Jutsu?

„Du hast mich außer Gefecht gesetzt?“ In der Stimme des Mädchens schwang ein deutlicher Vorwurf mit.

„Ja.“

„Muss das eigentlich ständig sein?“, maulte Yuna.

„Wie kann ich ahnen, dass dich jeder Stubser aus den Latschen wirft?“ Evelyns Augen blitzten.

„Stubser?!“, empörte sich die Dunkelhaarige, doch ihre Erregung verpuffte schlagartig, als Evelyn schallend zu lachen begann. Es war das erste Mal, dass Yuna ihre Teamkollegin lachen hörte.

„Was ist? Was lachst du?“

Die Hellhaarige biss sich auf die Lippen, um den Anfall zu unterdrücken. „Nichts, nichts Yuna.“, gluckste sie. Yuna schüttelte den Kopf, um ihre Befremdung abzuschütteln.

„Kannst du dir vorstellen, was ich eben gemacht habe?“ Evelyn war wieder ernst geworden.

Ihre Teamgefährtin schüttelte den Kopf.

„Dann will ich es dir erklären. Mann kann ein Genjutsu durch einen gezielten Chakrastoß beenden.“

„Das geht?“, platzte Yuna erstaunt dazwischen.

„Wie du eben bemerkt hast. In der Meditation, die ich dir gezeigt habe, hast du gelernt dein eigenes Chakra bewusst wahrzunehmen, das geht natürlich auch mit fremdem Chakra, denn dieses ist wie ein Fingerabdruck: Es gibt keine zwei, die miteinander identisch sind. Ein Genjutsu ist mit einem Relais zu vergleichen. Du manipulierst mit deinem Chakra das meine, um mich wahrnehmen zu lassen, was dir beliebt. Somit erleide ich alle Schäden durch mein eigenes Chakra. Dieses Prinzip funktioniert nicht, wenn ich kurzzeitig meinen Chakrafluss anhalte, wie vorhin getan. Du übersendest Chakra von dir zu mir, und ich verfolge diese Verbindung zurück und lasse einen Stromschlag auf deinen Körper los. Deswegen bist du in Ohnmacht gefallen.“

„Aber du sagtest doch gerade, dass du dein Chakra lahm gelegt hättest. Wie konntest du dann den Stromschlag bewirken?“

„Gut aufgepasst, Yuna.“, sagte Evelyn anerkennend. „Du wirkst dein Jutsu und löst dann die Verbindung. In der kurzen Spanne zwischen der fertig gestellten Webung der Illusion und deinem Zurückziehen besteht die Verbindung noch, ohne dass Chakra von dir zu mir fließt. Diesen Moment nutze ich.

Yuna kaute nachdenklich an ihrer Unterlippe. „Aber es gibt doch auch Genjutsus, die die ganze Zeit über gesteuert werden.“, merkte sie unsicher an. Die Hellhaarige nickte.

„Die gibt es. Zu ihnen gehören die meisten Dou-Jutsus des Uchiha-Clans. Gegen diese Techniken kann man im Normalfall nicht viel tun.“

„Im Normalfall? Willst du damit sagen, unter besonderen Voraussetzungen kann man auch diese Jutsus brechen?“

„Da bin ich mir sogar sehr sicher, doch wüsste ich nicht, wie das zu bewerkstelligen wäre. Außerdem ist dafür wahrscheinlich das Sharingan notwendig.“

Yuna nickte nachdenklich. „Eine bemerkenswerte Fähigkeit, das Sharingan, findest du nicht?“

„Allerdings. Es ist schade, dass es nur so wenige gibt, die dieses Kekkei Genkai noch weiter vererben können.“

„Nur noch Sasuke und sein Bruder.“

Evelyn schwieg, obwohl sie es besser wusste. Es gibt noch zwei weitere, Yuna, aber es ist besser für dich, wenn du das nicht weißt, ging es ihr durch den Kopf. Die Hellhaarige schlang die Arme um die Knie und lauschte dem Konzert der Grillen im Gras.

„Wir bekommen Besuch.“, sagte Evelyn plötzlich, und mit einem vernehmlichen Plopp tauchte Anko vor ihnen auf.

„Abend ihr zwei. Uns wurde soeben eine Mission zugewiesen.“

Evelyn fiel auf, wie selten sie als ganze Truppe vor dem Hokage antanzen mussten, um ihre Missionen zu erhalten.

„Worum handelt es sich?“, erkundigte sich die Hellhaarige sachlich.

„Wir sollen einen Dieb und Schmuggler unschädlich machen, dem auch einige Morde angehängt werden. Derzeit befindet er sich irgendwo im Erdreich.“, klärte Anko sie auf.

„Haben wir freie Hand?“

„Die haben wir. Es macht keinen Unterschied, ob wir ihn töten, oder er im Reich des Vogels hingerichtet wird. Das Urteil ist schon gesprochen und rechtskräftig.“

„Wohl ein ziemlich schlimmer Finger, hm?“, witzelte Yuna um ihr Unbehagen zu verscheuchen.

„Anscheinend.“, meinte Anko. „Es ist wahrscheinlich eine Rang B Mission, denn wir wissen nicht genau, über welche Fähigkeiten Assif – so heißt der Kerl – verfügt.“

Evelyn zog nachdenklich die Stirn kraus. „Assif... Der Name sagt mir was. Ach ja, natürlich, ich kenne den Mann vom Hören. Ihn zu finden... das wird schwer werden. Er flutscht den Gesetzeshütern der verschiedensten Länder schon seit Jahren durch die Finger.“

„Hört sich nicht gut an.“, meinte Yuna unglücklich. Sie reiste lieber mit leichtem Gepäck, und je länger eine Mission dauerte, desto mehr Dinge würde sie schleppen müssen.

Anko lächelte über den Einwurf. Sie sah es ähnlich wie ihre Schülerin.

„Wann brechen wir auf?“, unterbrach Evelyn ihre Grübeleien.

„Morgen früh bei Sonnenaufgang.“

Yuna stöhnte gequält.
 

Schweigend schnallte Evelyn die weiße Satteltasche auf Auroras Rücken fest und befreite den Nacken der Füchsin von einigen Kletten. Die großen, stacheligen Pflanzensamen setzten sich ständig in ihrem Fell fest. Schnaubend leckte sie sich über die Schnauze und schnappte nach einer vorbei fliegenden Libelle. Evelyn konnte sich denken, was die Füchsin bewegte, und krauelte sie hinter den Ohren.

„Mir gefällt die Sache nicht, Evelyn.“, knurrte sie. „Eine solche Mission ist die perfekte Gelegenheit, sich deiner zu entledigen.“

„Das glaube ich nicht. Das würde er nicht wagen, wenn Anko und Yuna in unmittelbarer Nähe sind. Außerdem gebe ich acht.“

„Ich kann mich einfach nicht daran gewöhnen, dass du kein wehrloser Welpe mehr bist.“

„Und dabei hast du mir doch erst die Flausen ausgetrieben.“, meinte die Hellhaarige und schwang sich auf Auroras Rücken. Die Muskeln der Füchsin spannten sich.

„Da sind sie wieder.“

„Ich habe sie bemerkt.“; sagte Evelyn ernst. „Verschwinden wir hier.“

Aurora ließ sich nicht zweimal bitten und sprintete los. Die Hellhaarige genoss das Gefühl der vertrauten Bewegungen ihrer Partnerin und machte es sich gemütlich.
 

Als Yuna das Tor erreichte, warteten Evelyn und Anko bereits auf sie. Sie seufzte, als sie an den Topf mit Salbe dachte, den die Hellhaarige ihr gegeben hatte.

„Sie wird dich vor Sonnen- und Windbrand schützen. Das Gelände, durch das wir müssen ist recht ungemütlich. Außerdem habe ich mir erlaubt, das geheime Rezept des Aburame-Clans anzuwenden. Du brauchst dir also keine Gedanken um giftige Spinnen und Skorpione zu machen. Sie werden dich nicht behelligen. Das Rezept liegt bei.“ Evelyns Worte ließen nicht gerade darauf schließen, dass diese Reise erbaulich werden würde.

„Guten Morgen.“, murmelte Yuna leise und wurde von ihren Teamgefährtinnen mit einem Nicken begrüßt. Gerade kroch die erste Röte über den Morgenhimmel.

„Können wir dann?“ Es war eine rhetorische Frage, die Anko stellte, denn Aurora war bereits zum Tor hinaus getrottet und stieß ein ungeduldig klingendes Brummen aus. Evelyn, die auf ihrem Rücken saß, drehte sich um.

„Ich glaube das ist wohl ein ja.“, raunte Anko Yuna zu.

„Wie weit ist es eigentlich?“, wollte das junge Mädchen wissen.

„In einem angemessenen Tempo werden wir etwa drei Tage brauchen.“, antwortete Evelyn.

Manchmal hasse ich es, dass sie so scharfe Ohren hat, dachte Yuna, der die Zeitangabe die Laune verdorben hatte. Drei Tage latschen. Ich kann mir angenehmere Dinge vorstellen.
 

Missmutig trat Yuna einen Stein aus ihrem Weg, während sie den rötlichen Staub zu ignorieren suchte, den Aurora aufwirbelte, und den der Wind ihr erbarmungslos ins Gesicht trieb. Das Bergland hier war ein trostloser Ort durchzogen von tiefen Schluchten, in deren Gründen manchmal schmale schnelle Bäche entlang rauschten. Ein Ort, der mit seinen Spalten, Graten und steilen Abhängen geradezu dafür gemacht schien, unvorsichtigen Reisenden sämtliche Knochen im Leib zu brechen. Gleißend hell brannte die Sonne auf sie herab, obwohl sie nicht die Kraft zu haben schien, wirklich Wärme zu spenden. Das läge an der Höhe, hatte Evelyn gemeint. Sie schien überdies die einzige zu sein, die jene ungastliche Gegend kalt ließ. Yuna war dankbar für die Salbe denn auf Ankos Gesicht machte sich bereits eine gereizte Röte bemerkbar. Das junge Mädchen hatte das Gefühl, nichts als rotbraunen Staub in der Kehle zu haben. Das schöne weiße Fell Auroras war ebenfalls voller Staub und noch nicht einmal Evelyn gelang es, sich selbst und ihre Gefährtin längerfristig vom Schmutz des schmalen Pfades zu befreien.

Plötzlich blieb Aurora stehen und Evelyn deutete einen Felsabsturz hinunter.

„Wir sind da; dort unten liegt das Dorf Takasagi. Ab jetzt sollten wir gründlich Acht geben, denn dieses Kleine Nest dort unten wird von Untergrund dieses Reiches beherrscht, was nicht die gastfreundlichsten Gesellen sind. Lasst mich verhandeln, ich kenne ein paar Leute hier, und obwohl es schon etwas her ist, sollte mein Kontakt sich noch erinnern.“ Sie lächelte schwach. „Ansonsten haben wir sehr schnell einige Mörderlein mehr am Hals.“

Yuna und Anko tauschten einen überraschten Blick. Warum hatte sie Kontakte zu Gesetzlosen? Das fragten sich beide, und Anko begann sich zu fragen, wie viele Überraschungen noch in dem hellhaarigen Paketchen steckten.

Evelyn schwang sich von Auroras Rücken und nahm ihr die Tasche ab. Sie zog einen weißen Lederriemen durch eigens dafür vorgesehene Schlaufen und hängte sich das Gepäckstück um.

„Bis später.“, murmelte die Füchsin und löste sich in einer Wolke aus Eisstaub auf.

Anko warf Evelyn einen Fragenden Blick zu.

„Mit Aurora fallen wir zu sehr auf.“, erklärte die Hellhaarige. Anko verkniff sich die Aussage, dass Evelyn auch nicht gerade als Musterbeispiel für Unauffälligkeit gewertet werden konnte. Sie stiegen die Felswand über einen schmalen Sims herunter, der sich daran hinunterschlängelte, und Yuna musste sich sehr zusammenreißen, nicht hinunterzusehen. Ein falscher Schritt und sie würden mehrere hundert Fuß in die Tiefe stürzen. Doch niemand vertrat sich, und je tiefer sie kamen, desto heißer wurde es. Anko konzentrierte sich auf das Dorf. Es bestand nur aus einer Ansammlung schäbiger, windschiefer Holzhäuser und war alles andere als beeindruckend. Nichts regte sich auf den Straßen, sogar die Hunde hatten sich in die Schatten der Gassen zurückgezogen.

Nach einer halben Ewigkeit, wie es Yuna schien, erreichten sie den Fuß der Steilwand. Unbeirrt führte Evelyn sie in den Weiler und steuerte ein Haus an, das sich in nichts von den anderen unterschied, sich jedoch als eine Art Gasthaus entpuppte. Der Mann hinter dem Tresen, der bei ihrem Eintreten noch so miesmutig dreingeschaut hatte, als wolle er sie am liebsten gleich wieder hinauswerfen, überschlug sich förmlich vor Hilfsbereitschaft, als Evelyn leise auf ihn einredete. Anko und Yuna tauschten einen verwirrten Blick, denn ihre Teamgefährtin bediente sich einer schnellen, harten Sprache, die keiner von beiden je zuvor gehört hatte. Hastig gab er ihr drei Zimmerschlüssel, und Evelyn reichte jeweils einen davon mit sichtlicher Selbstzufriedenheit an ihre Gefährtinnen weiter.

Sie stiegen eine knarrende Holztreppe hinauf in einen Flur, der von mehreren Türen gesäumt wurde.

„Was haltet ihr davon, wenn wir uns in drei Stunden im Gastraum unten treffen? Vor dem Abend werden wir ohnehin nichts erfahren.“, schlug Evelyn vor. Anko nickte, und Yuna fragte sich so langsam, wer eigentlich der Kopf des Teams war. Evelyn oder Anko?
 

Nachdenklich strich Assif mit dem Finger über den mit Sake gefüllten Tonbecher, der vor ihm stand. Er hatte sich einen Platz in einer etwas heruntergekommenen Schenke gesucht, die er mit wenigen anderen Gästen teilte. Vornehmlich Söldner und Kopfgeldjäger, wie es sie in dieser Gegend in Massen gab. Kein besonders schöner Ort, doch hervorragend, um Geschäfte zu machen.

Halbherzig ließ er seinen Blick über die staubige Straße gleiten. Bisher hatte er in dieser Ansammlung schäbiger Hütten nichts gesehen, was sein Interesse geweckt hatte, ob es sich nun um Waren oder neue Kontakte handelte, und langsam begann er sich zu fragen, ob er hier nicht seine Zeit vergeudete. Wo blieb nur dieser verdammte Hehler? Assif war es gar nicht gewohnt, dass jemand den Mut hatte, ihn warten zu lassen. In seinen Kreisen eilte ihm der Ruf voraus, dass er immer bekam, was er wollte. Ob nun freiwillig oder erzwungen interessierte ihn dabei herzlich wenig. Man mochte es ihm nicht ansehen, doch was den Schmuggel anging, war er einer der einflussreichsten Männer des Landes. Es konnte doch nicht sein, dass irgendein Wicht ihn erst herbat und dann sitzen ließ. Assif nahm sich vor, dem Mann ordentlich den Kopf zurecht zu rücken.

Plötzlich stahl sich ein Lächeln auf seine Lippen, als sein Augenmerk auf ein Pärchen fiel, das gerade eine schmale Seitengasse verließ. Zwei junge Mädchen. Die eine hatte noch etwas kindlich naive Züge und ihr schwarzes Haar schimmerte in einem düsterroten Glanz, als hätte die Abendsonne es in Flammen gesetzt; sie mochte um die Dreizehn sein. Der Gegenstand seines Interesses aber war das Mädchen neben ihr. Komplett in makellosem weiß ohne auch nur eine Spur des allgegenwärtigen Straßenstaubes sah sie aus wie ein Kieselstein unter zerstoßenen Schieferplatten. Sie behielt ihre Umgebung unauffällig im Auge, während der Blick ihrer Gefährtin an ihr zu kleben schien, als erwarte sie irgendwelche Instruktionen. Die Hellhaarige machte eine harsche Handbewegung, als gehe ihr das Mädchen auf die Nerven. Die Dunkelhaarige wirkte gekränkt, trollte sich jedoch sofort. Wie Assif erfreut beobachtete, steuerte die Hellhaarige die Schenke an und setzte sich an einen Tisch auf der anderen Seite des Raumes.
 

Evelyn hatte mit Yuna abgesprochen, was zu tun war, wenn sie auf Assif stoßen sollten, und nun hatte die Hellhaarige allen Grund, sich zu dieser Vorsichtsmaßnahme zu beglückwünschen. Auf die vereinbarte, für Uneingeweihte höchst ungnädig wirkende Geste hin verschwand Yuna wie vereinbart in einem der kleinen Hehlerläden, um von dort aus die Situation im Blick zu behalten und Evelyn, wenn es denn nötig sein sollte, beizuspringen. Verstohlen musterte Yuna Assif, während sie Interesse an den Auslagen heuchelte Interesse an den Auslagen, obwohl sie die Schmuckstücke gar nicht wirklich wahrnahm.

Assif war nicht besonders groß und eher schlank als kräftig gebaut. Er trug abgestoßene Kleider in verschiedenen Erdtönen, und ein Schlapphut über dem schulterlangen mittelblonden Haarschopf. Eingestaubt wie scheinbar alles hier war er alles andere als eine einprägsame Erscheinung. Yuna musste sich eingestehen, dass sie ihn wahrscheinlich einfach übersehen hätte.

Was wahrscheinlich auch sein Erfolgsrezept ist, ging es ihr durch den Kopf, während sie unauffällig Evelyns weiteres Vorgehen im Blick behielt.
 

Assif schmunzelte amüsiert, als die Hellhaarige sich einen Tee bringen ließ. Es fiel deutlich auf, wie wenig sie an einen Ort wie diesen passte. Sie muss eine ziemlich erfolgreiche Kopfgeldjägerin oder Leibwächterin sein, nach den Umgangsformen zu schließen, die sie an den Tag legt, ging es ihm durch den Kopf.

Aus einer Ecke des Schankraumes ertönte spöttisches Gelächter.

„Na Kleine, hast nen schwachen Magen, was?“, grölte ein hünenhafter Mann, der eindeutig schon einen zu viel im Tee hatte.

Ihre Reaktion kam so plötzlich, dass sogar Assif erschrocken zusammen zuckte. Mit einem leisen Plock schlug eine lange Nadel in die Wand ein. Der Mann presste wütend eine Hand auf die Wange, auf der nun ein blutiger Schnitt prangte. „Verfluchtes Hurenweib, ich werde dich...“ Er sprang auf. Das Mädchen taxierte ihn kalt.

„Lass es besser. Außerdem habe ich durchaus keinen schwachen Magen, aber du hast jetzt ein dringendes Problem. Ich rate dir, einen Heiler aufzusuchen, sonst tötet dich das Gift innerhalb der nächsten zwei Stunden, und es wird kein angenehmes Dahinscheiden.“ Sie erlaubte sich ein kurzes Lächeln. „Wenn du Glück hast, findet dein Helfer ein Gegengift.“ Sie nippte an ihrer Teetasse. „Sag, ist nicht ein ansehnliches Kopfgeld auf dich ausgesetzt, Takeo?“, erkundigte sie sich süßlich. Er fluchte, ergriff jedoch die Flucht, als er die begehrlichen Blicke gewahrte, die sich nun auf ihn richteten.

Assif verbarg ein Grinsen in seinem Sakebecher. Das Mädchen hat Biss. Sie gefällt mir immer besser, dachte er, unterzog sie einer weiteren eingehenden Musterung und kam zu dem Schluss, dass es sich wirklich lohnen würde, ihre Bekanntschaft zu machen. Er erhob sich lächeln und schlenderte zu ihrem Tisch herüber. Nur kurz sah sie auf, als er sich zu ihr setzte.

„Na, was verschlägt denn jemanden wie Euch in eine solche Gegend, meine Dame?“

Sie wandte sich ihm zu, legte den Ellenbogen auf den Tisch und stützte den Kopf auf die Hand.

„Meine Aufträge.“, erwiderte sie und ein feines Lächeln zupfte an ihren Lippen, während sie ihn eingehend musterte.

„Ah.“ Wie ich es mir gedacht habe: Leibwächterin auf Freigang, schoss es ihm durch den Kopf. „Dürfte ich eine Frage stellen?“

„Ihr habt bereits zwei gestellt. Ich sehe nicht, was eine Dritte schaden könnte.“

Er lächelte amüsiert. „Wie lautet Euer Name?“

„Evelyn. Und Ihr seid?“

„Ich bin Assif. Vielleicht kennt Ihr mich.“

„So, seid Ihr das?“ Ihr Lächeln verbreiterte sich und in ihrem Blick funkelte Interesse auf.

So, so, du liebst also Macht und Einfluss, wie?, sagte der Dieb wortlos zu ihr. Wie erfreulich, dass ich so viel davon habe, meine Schöne.

„Ich kenne Euch dem Namen nach, doch persönlich habe ich zum ersten Mal das Vergnügen. Wart Ihr es nicht, der die Kronjuwelen aus dem Reich des Vogels entwendet hat?“

Er grinste. „Man kann doch nicht zulassen, dass schöne Dinge einfach einstauben, oder was meint Ihr meine unerhört gut informierte Gesprächspartnerin?“

In diesem Moment brachte der Wirt ihr eine weitere Tasse Tee, und sie schob ihm eine Münze zu. Assif nutzte die Ablenkung, um näher an sie heranzurücken, sodass ihr betörender Duft nach Wasserorchidee und Kräutern in seine Nase stieg. Evelyn nippte leicht an ihrer Tasse und wandte ihm dann das Gesicht zu. Beinahe berührten sich ihre Nasenspitzen.

Assif legte ihr eine Hand auf den Oberschenkel und strich über ihre seidenweiche Haut. Sie blieb vollkommen gelassen, und der Dieb sann darüber nach, ob er sie nicht einige Monde als Leibwache einstellen sollte. Selten hatte er eine Partnerin mit so viel Selbstbewusstsein gehabt. Die meisten anderen Mädchen wären spätestens jetzt unruhig geworden.
 

Voller Unbehagen nagte Yuna an ihrer Unterlippe. Die Dinge liefen aus dem Ruder und in eine Richtung, die Evelyn auf keinen Fall beabsichtigen konnte. Wie hätten sie ahnen können, dass der Dieb ihr auf die Pelle rücken würde. Doch die Hellhaarige ließ kein Zeichen des Abscheus oder der Verunsicherung erkennen, viel mehr schien sie mit Assif zu spielen. Hatte sie vielleicht bereits einen Plan? Zuzutrauen wäre es Evelyn allemal.

Yuna trat nervös von einem Fuß auf den anderen, während sie beobachtete, wie Assif mit dem Haar ihrer Freundin zu spielen begann, und Evelyn noch immer keine abwehrende Geste zeigte. Sie sah, dass Assif ihr in unangemessener Vertrautheit ein paar Worte zumurmelte, deren Bedeutung Yuna erahnen konnte, ohne etwas verstehen zu müssen. Wie ein nervöses Tier fing die Dunkelhaarige an, in dem kleinen Raum auf und ab zu wandern, ohne jedoch die Objekte ihrer Sorge aus den Augen zu lassen. Plötzlich ertönte eine Stimme hinter ihr, die sie erschrocken herumwirbeln ließ.

„Na junge Dame, kann ich irgendwie behilflich sein?“
 

Assif meinte schon, die Süße des Triumphes auf der Zunge schmecken zu können, als er spürte, wie die Hellhaarige ihm eine Hand auf den Arm legte und diese ungeachtet der anderen Gäste, die sich nicht dafür zu interessieren schienen, langsam weiter nach oben wandern ließ. Wegen dieses Entgegenkommens entschied Assif, dass es Zeit war, einen Schritt weiter zu gehen, nahm die Hand von ihren Haarspitzen und legte sie ihr in den Nacken.

Jetzt werde ich sehen, wie ernst es ihr ist, ging es dem Dieb durch den Kopf, dann zog er sie näher zu sich heran und legte die Lippen auf die ihren. Evelyn zuckte nicht zurück, sondern erwiderte den Kuss mit offenkundiger Erfahrung – und mit Verlangen.

Eine Zeit begnügte er sich mit sanftem Knabbern, dann strich er ihr mit der Zunge über die Lippen, und auch dieser Aufforderung kam sie sofort nach. Das junge Mädchen grub nun ihrerseits die Finger in sein Haar und schien nicht gewillt, Assif wieder aus ihren Fängen zu entlassen. Sie gehörte eindeutig zu dem Typ Frau, der wusste, was er wollte – und entschlossen war, es sich zu holen.

Assif war von der Leidenschaftlichkeit angenehm überrascht. Kein lästiges Werben und endloses Schmeicheln. Und er musste noch nicht einmal Gewalt anwenden. Er gratulierte sich selbst zu der Wahl seiner Gespielin.

Dann bemerkte er plötzlich, wie sich etwas veränderte. Evelyns Griff verhärtete sich, und sie legte ihm auch noch die zweite Hand in den Nacken. Ihre Gesichtszüge gefroren, und in ihre Augen trat eine distanzierte Kälte, die selbst Assif, der schon mit so einigen zwielichtigen Gestalten in Kontakt gekommen war, einen Schauer über den Rücken jagte. Ihn packte das nackte Grauen, als er spürte, wie eisige Kälte ihm in die Kehle kroch. Panisch versuchte er sich von ihr loszureißen, doch Evelyns Griff war so unerbittlich und eisern wie ein Schraubstock.

Assif schien es, als kröche der Tod selbst ihm in den Körper, wie eine Schlange in einen Rattenbau, und er hatte das Gefühl, die Kälte fröre ihn von innen heraus ein. Inzwischen liefen ihm Tränen der Angst über die Wangen.

Welchen bösen Gott er verärgert hatte, dass er ihm den Tod in einer solchen Gestalt sandte, war das Letzte, was Assif dachte, bevor er in eine namenlose Dunkelheit hinüber glitt.
 

Sichtlich angewidert und von Ekel am ganzen Körper geschüttelt stieß Evelyn den Toten von sich, der hintenüber kippte und auf dem Boden aufschlug. Es herrschte Totenstille im Raum. Überrasch und manche sogar fassungslos starrten die anderen Gäste abwechseln sie und den Leichnam an. Mit verdrießlicher Miene stürzte Evelyn ihren Tee hinunter, als wolle sie sich einen üblen Geschmack aus dem Mund spülen.

Yuna gab es sofort auf, Interesse an den Waren zu heucheln, die der Hehler, der sie eben so furchtbar erschreckt hatte, mit salbungsvoller Stimme anpries, und ließ den Mann sofort stehen. Sie rannte zu Evelyn herüber, die missmutig in ihre leere Tasse schaute.

„Ich hasse es, auf diese Weise zu töten. Es ist ekelhaft.“

Es war nicht der Umstand, dass Assif tot vor ihren Füßen lag, der Yuna erschreckte, sondern die gleichgültige Kälte, mit der die Hellhaarige das in Worte fasste.

Evelyn schüttelte sich erneut und warf dem Wirt eine Münze zu. Für Assifs Sake und für sein Schweigen. Gierig strich der Mann das Geld ein.

„Unser Auftrag ist erledigt.“, meinte Evelyn. „Geh bitte Anko suchen. Ich möchte so schnell wie möglich von hier verschwinden. Das heißt, bevor Assifs Leute hier sind.“

„Ist er wirklich tot?“, fragte Yuna und stieß den Körper mit der Fußspitze an. „Einfach so?“

„Ja, einfach so. Und nun lauf schon.“

Yuna nickte und flitzte los. Sie war froh den Schauplatz verlassen zu können.

Berichterstattung

Zu dritt standen sie vor der Taverne, und Anko lauschte stirnrunzelnd Yunas Worten, die den Hergang der Geschehnisse zusammenfassten, doch als das Mädchen zu der Stelle kam, an der Assif tot nach hinten gekippt war, konnte sich die Sensei nicht mehr halten und begann schallend zu lachen. Yuna sah sie befremdet an.

„Ha! Da bekommt der Ausdruck zu Tode geknutscht eine ganz neue Bedeutung, was?“ Anko kicherte weiter, während Evelyn sie mit einem scharfen Blick bedachte und etwas über schwarzen Humor murmelte. Anko bemerkte es nicht, doch Yuna spürte die Laune ihrer Teamgefährtin und lenkte die Sprache hastig auf ein anderes Thema

„Wann brechen wir auf?“, wollte sie wissen.

Anko wurde schlagartig wieder ernst. „So schnell wie möglich. Wir müssen die Leiche nämlich als Beweis mitnehmen.“ Angewidert verzog sie das Gesicht.

„Wie ekelhaft!“, rief Yuna aus und schüttelte sich, denn bei dem warmen Klima im Feuerreich...

„Du sagst es.“, seufzte Anko. „Aber das war die Bedingung. Entweder wir bringen ihn lebend oder eben seine Leiche. Vielleicht wäre es einfacher gewesen, ihn lebend mitzunehmen.“

„Zu spät.“ Evelyn klang irgendwie gereizt. Yuna biss sich auf die Lippen, und auch Anko war aufmerksam genug, die Sache ruhen zu lassen.

„Ich geh uns dann ein Transportmittel besorgen.“, sagte sie bemüht unbekümmert und trollte sich. Unbehaglich trat Yuna von einem Fuß auf den anderen, als Evelyn sich neben den Toten hockte. Sie hielt eine Hand über seine Brust, ein Klirren ertönte, und plötzlich vereiste die Leiche. Wortlos erhob sich die Hellhaarige wieder. Anko, die inzwischen zurückgekehrt war, nickte ihrer Schülerin anerkennend zu. Das würde ihnen so einige Unannehmlichkeiten ersparen, wie sie zwangsläufig beim Transport von Toten auftraten.
 

Das Transportmittel entpuppte sich als ein von einem großen, braunen Esel gezogener Karren, der quälend langsam über die Straßen rumpelt und Anko und Yuna auf dem Kutschbock ordentlich durchschüttelte. Evelyn ritt auf Auroras Rücken voraus. Sie hatte sich von der Gruppe abgesondert und war noch düsterer und in sich gekehrter als sonst. Yuna und Anko waren verunsichert, wie sie mit dem plötzlichen Stimmungstief der Hellhaarigen umgehen sollten, daher ließen sie sie einfach in Ruhe.

Auch, als sie in dieser Nacht ein Lager aufschlugen, hielt Evelyn sich abseits. Yuna kümmerte sich – trotz reichlich viel Misstrauen dem Tier gegenüber – um den Esel und beschloss, dass ihr große Huftiere nicht so recht geheuer waren. Währenddessen entfachte Anko ein Feuer. Evelyn beteiligte sich nicht am Abendessen, sondern saß nur still an einen großen Stein gelehnt und sah zum Mond auf. Ihr Gesicht war aschfahl, doch das konnte auch am bleichen Mondlicht liegen, Yuna wusste es nicht.

„Evelyn?“, fragte sie vorsichtig.

„Lass mich in Ruhe, Yuna.“ Ihre Stimme klang tonlos, als strenge das Sprechen sie an.

„Aber...“

Aurora knurrte bedrohlich, und ihr Nackenfell sträubte sich. Die weißen Fänge blitzten auf, und zum ersten Mal gewahrte Yuna die unbändige Wildheit der Füchsin. Verwirrt floh das junge Mädchen zurück ans Feuer.

Anko zog nachdenklich die Stirn kraus. Würden sie sich Sorgen machen müssen?

Der Rest der Heimreise verlief in eher gedrückter Stimmung, während Evelyn immer blasser wurde und ihre Bewegungen manchmal etwas Fahriges hatten, wie Yuna mit einiger Beunruhigung feststellte.
 

Warm schien ihnen die Sonne in den Rücken, als sie wieder in Konoha einritten, und warf überlange Schatten auf die staubige Erde. Die Torwächter schauten nur kurz auf, als der wackelige Karren durch das Tor rumpelte, und Anko grüßte sie freundlich.

Die Nachricht ihrer Ankunft war ihnen anscheinend voraus geeilt, denn sie wurden von zwei Ninjas in Empfang genommen, der seiner Kleider nach zu den Sanitätern gehörte.

„Ihr wart erfolgreich, nehme ich an?“

„Waren wir.“, antwortete Anko grinsend. „Die Leiche liegt gefroren auf der Ladefläche. Wollt ihr sie uns abnehmen?“

„Gefroren?“, hakte einer von ihnen nach.

Ankos Grinsen wurde noch eine Spur breiter. „Allerdings. Evelyn hat hervorragende Arbeit geleistet. Yuna und ich waren eigentlich nur schmückendes Beiwerk.“

„Das ist eine Erleichterung.“, meinte der Mann und winkte seinem Kollegen. „Ach ja, ihr sollt euch beim Hokage melden.“

„Selbstverständlich. Mag sich dann jemand um den Esel und dieses reichlich schaukelige Gefährt kümmern?“

Ein vorbeilaufender Chunin meldete sich freiwillig und führte das störrische Tier weg, nachdem der Wagen geräumt war. Die Leiche ging in die Obhut der Sanitäter.

Evelyn atmete erleichtert, als sie endlich das Jutsu lösen konnte, das ihr seit Tagen das Chakra aus dem Körper sog. Um die Gefrierung aufrecht zu erhalten, hatte sie die ganze Zeit nicht geschlafen und die Anstrengung hatte ihr den Appetit verdorben.

Ich werde wohl mal wieder viel zu viel abgenommen haben, ging es ihr durch den Kopf. Sie wollte nur noch nach Hause.
 

Der Hokage schaute auf, als die Gruppe sein Büro betrat und lächelte leicht. Yuna war so euphorisch wie immer, wenn sie von einer erfolgreichen Mission nach Hause kam. Anko dagegen linste immer wieder zu Evelyn herüber, und das sonst so typische Grinsen fehlte in ihrem Gesicht. Die Hellhaarige wirkte angespannt und erschöpft.

„Ihr wart erfolgreich?“

„Ja, Meister Hokage.“, antwortete Anko, während sie Evelyn, vielleicht ohne es selbst zu bemerken, eine Hand auf die Schulter legte. Diese verspannte sich kaum merklich noch ein wenig weiter.

„Dann erwarte ich deinen Bericht morgen.“

„Ach, vielleicht sollte Evelyn das lieber übernehmen. Ich war in der entscheidenden Phase leider gar nicht zugegen.“

Der Hokage verkniff sich ein wissendes Lächeln. Anko war zu ungeduldig für diese Art von Arbeit.

„Würdest du das übernehmen?“, wandte Sarutobi sich an das Mädchen.

„Natürlich.“

Wieder fiel dem Hokage auf, wie erstaunlich angenehm ihre Stimme war, während sie sich eine verirrte Haarsträhne aus dem Gesicht strich.

„Habe ich dann die Erlaubnis zu gehen? Ich musste tagelang eine Leiche kühlen.“

„Du darfst gehen.“ Evelyn neigte knapp den Kopf und schlich aus dem Büro.

„Gibt es sonst noch etwas Wichtiges zu besprechen?“, schaltete sich Anko ein, bevor eine unangenehme Stille entstehen konnte.

„Ja, dich brauche ich noch einem Moment, Anko, aber du kannst auch gehen, Yuna.“

Dem Hokage war nicht entgangen, dass die Dunkelhaarige ganz unruhig geworden war, als Evelyn verschwunden war, daher ließ sich Yuna das nicht zweimal sagen und flitzte aus dem Raum.

Nachsichtig lächelnd nahm der Hokage einen Zug aus seiner Pfeife.

„Ich habe für dein Team eine Ruhephase eingeplant.“, eröffnete er Anko.

„Gut. Die kann besonders Evelyn jetzt brauchen.“

„Ja, und auch für Yuna ist es gut. Wie ich höre geht es mit ihrem Training zügig voran.“

Anko lachte meckernd. „Es bleibt ihr ja nichts anderes übrig. Evelyn nimmt sie hart ran. Die Drohung, ständig Schläge zu kassieren, sorgt dafür, dass sie ihre körperlichen Fähigkeiten immer weiter vorantreibt. Hauptsache sie treibt sich nicht zu viel mit Naruto herum. Zusammen sind die zwei nerviger als ein großer Sack Wüstenflöhe.“

Wider Willen musste der Hokage über den Vergleich schmunzeln. „Narutos Team hat auch gerade Pause.“

„Na das kann ja heiter werden.“, seufzte Anko abgrundtief und ließ den Kopf hängen. Der Hokage lachte, wurde jedoch schlagartig ernst, als er sich an das eigentliche Thema dieses Gesprächs entsann.

„Es sind Informationen über Evelyns Mutter aufgetaucht.“

Ankos Kopf ruckte hoch. „Ach?“

„Ihr Name war Ayumi Hyuga. Sie war eine Anbu und begabt wie selten jemand, doch aus Gründen, die nicht geklärt werden konnte floh sie vor etwa fünfzehn Jahren – also noch vor Evelyns Geburt - aus dem Dorf und wurde abtrünnig. Ohne mein Wissen haben die Anbu sie all die Jahre verfolgt und schließlich gestellt. Ayumi wurde getötet, und drei Monate später ist Evelyn hier aufgetaucht. Niemand kann sagen, was sie weiß, und Danzou liegt mir in den Ohren. Pass unbedingt auf sie auf.“

„Das werde ich.“, versprach Anko. „Das muss eine harte Kindheit gewesen sein. Immer auf der Flucht mit einer Horde bestens ausgebildeter Ninjas im Nacken. Ihre Mutter wird mit ihr von Ort zu Ort gezogen sein.“ Dann verdüstere sich Ankos Gesicht. „Und jetzt besteht die Gefahr, dass sie hier ist, um Rache zu üben, richtig?“

„Wir müssen diese Möglichkeit zumindest in Betracht ziehen.“

„Wir wollen sie nicht vorschnell verurteilen. Sie ist zwar manchmal etwas düster, aber sonst entwickelt sich alles viel besser, als ich gehofft habe.“, meinte die Sensei und verscheuchte die beunruhigenden Gedanken.

„Pass einfach nur auf. Auch um ihrer selbst willen.“

Damit war das Gespräch beendet.
 

Yuna flitzte au s dem Büro und sah sich auf dem Flur um. Eigentlich müsste sie Evelyn doch noch einholen können. Doch die Hellhaarige war verschwunden. Sie hastete weiter durch die Gänge, doch auch auf dem Vorplatz des Turms war keine Spur von ihrer Freundin zu sehen. Gerade so als hätte der Erdboden sie verschluckt.

Unschlüssig, wohin sie jetzt gehen sollte, ließ Yuna den Blick umherschweifen, bis ihr rumorender Magen den Ausschlag gab.

Ich glaube ich werde erst einmal Ramen essen gehen, sonst falle ich noch vom Stängel.
 

Ihr Haus begrüßte Evelyn mit dem vertrauten Duft von getrockneten Kräutern und Blüten, und sie ließ seufzend ihre Anspannung fallen. Sanft strich sie Aurora über die Flanke.

„Du bist nicht zufrieden.“, sagte die Füchsin plötzlich.

„Wie könnte ich? Ich spüre sie sogar jetzt in diesem Moment lauern.“, sagte sie leise und zog Aurora ein trockenes Blatt aus dem Pelz. „Und außerdem: Wann war ich das je?“

Die Füchsin schwieg, denn auf diese Frage gab es keine Antwort, und Evelyn stellte ihren Rucksack ab, dann ging sie ins Bad, um sich den Staub abzuwaschen. Sie strich sich das Haar aus dem Gesicht und schaute auf ihre Hände herab. Sie zitterten von der ausgestandenen Anstrengung.

Ich muss vorsichtiger mit meinem Chakra sein, ging es ihr durch den Kopf, während sie ihre Kleider ablegte und in den großen Spiegel schaute. Dunkelbau zog sich die Tätowierung eines Drachens von ihrem Schulterblatt aus über Schulter und Schlüsselbein, und der Kopf ruhte direkt über ihrem Herzen. Die großen Augen schienen sie zu verhöhnen.

Verflucht seiest du Cyaral, dachte sie und ihre Zähne trafen knirschend aufeinander. Ein unmenschliches Knurren entrang sich ihrer Kehle.
 

„Hey, Yuna hallo!“, rief Naruto lautstark über die Straße und Yuna drehte sich überrascht zu ihm um.

„Oh, hallo Naruto. Ich wusste gar nicht, dass dein Team auch im Dorf ist.“

„Wir haben Pause.“, knirschte Naruto, der seinen Tatendrang wie gewöhnlich kaum bezähmen konnte. „Und ihr? Seid ihr schon mit eurer Mission fertig? Ich meine, ihr wart ja ganz schön schnell, oder?“

„Waren wir. Evelyn hat den Typ gleich am ersten Tag unserer Ankunft in dem komischen Kaff aufgespürt und platt gemacht. Das alles ging so schnell, das Anko und ich gar nichts zu tun hatten. Es war fast schon ein bisschen unheimlich.“

„Ach was, ist sie so gut?“, fragte er erstaunt. Yuna nickte.

„Chunin-Niveau, mindestens.“

„Echt jetzt?“ Yuna nickte erneut.

„Cool... Und wo gehst du gerade hin?“

„Ich gehe eine Nudelsuppe essen. Ich verhungere gleich.“

„Das will ich auch gerade.“

Schwatzend gingen die beiden weiter. Sie redeten über Belangloses wie alte Streiche und bemerkten Iruka nicht, der sie lächelnd von einem Balkon aus beobachtete.
 

Mit wachsendem Unbehagen folgte der Hokage dem anmutigen Schwung von Evelyns Handschrift. Die Art wie sie dem Mann getötet hatte, erfüllte ihn mit Unruhe und er schaute zu dem zarten Mädchen auf, das mit unbewegter Miene vor seinem Schreibtisch stand und weiterer Befehle oder Fragen harrte. Sie konnte kaum mehr als vierzehn oder fünfzehn Winter gesehen haben. Und in diesem Alter schon so selbstverständlich seine Reize einzusetzen, um zu töten... unheimlich.

„Danke. Du kannst gehen.“

Sie verhaarte noch einen Augenblick und sah ihn mit ihren unergründlichen Augen an, als könne sie ihm direkt in die Seele blicken.

Wie viel weißt du?, fragte er sie stumm.

Sie verneigte sich knapp und verließ lautlos das Zimmer. Sie ließ eine fast greifbare Spannung zurück. Sarutobi seufzte und blies eine Rauchwolke zur Decke hoch.

Hoffentlich machen wir keinen Fehler mit ihr...
 

Heiß schien Anko die Nachmittagssonne auf den Kopf, als sie sich mit ihren Schülerinnen vor Evelyns Haus traf. Die Neuigkeit des Hokages hatte sie überrascht.

Aber wenn der Hokage glaubt, dass es klappt... Bereit sind sie auf jeden Fall.

„Bald stehen die diesjährigen Chunin-Auswahlprüfungen an, und der Hokage hat mich gefragt ob ihr bereit seid daran teilzunehmen.“, eröffnete Anko. „Ich bin mir ziemlich sicher, dass ihr es schaffen könnt, außerdem wurde uns eine Ruhephase eingerichtet, die ihr zum Trainieren nutzen könnt. Das ist vor allem deshalb wichtig, da ihr ja nur zu zweit seid.“

„Und da liegt der Hase im Pfeffer.“, merkte Evelyn an. „Es dürfen nur Dreierteams starten.“

„Stimmt, doch Regeln sind da, um gebeugt zu werden. Der Hokage will Aurora als drittes Teammitglied durchsetzen, womit das Problem erledigt wäre. Was meint ihr, soll ich euch anmelden?“

Wie Anko erwartet hatte, mussten ihre Schülerinnen nicht erst lange darüber nachdenken. Sie waren so weit und wussten das auch, so willigten sie ein.

„Aber nun zu meiner eigentlichen Sorge: Ihr seid zu zweit und ich weiß nicht, wie sehr Aurora euch unterstützen kann.“ Die Sensei klang jetzt sehr ernst. Die Ohren der Füchsin zuckten und sie hob den Kopf. Sie hatte im Schatten eines Baumes gedöst, ohne jedoch ihre Umgebung unbeachtet zu lassen.

„Du willst wissen, wie nützlich ich sein kann? Dann komm her, und ich zeige es dir.“ In Auroras Stimme lag etwas Angriffslustiges. Was auch immer sie sonst war, ihre Instinkte lauerten stetig knapp unter der Oberfläche.

Anko blinzelte irritiert. „Bitte?“

„Komm tritt gegen mich an, dann wirst du deine Frage beantworten können.“

„Ein Übungskampf? Jetzt?“

„Wenn du es so nennen willst...“ Die Füchsin streckte sich und stand von ihrem Platz auf.

Anko schmunzelte. „Na dann los. Dann können wir später auch besser Strategien entwickeln.“

Wir brauchen keine Strategien. Es gibt nur wenig, das Evelyn und ich nicht erlegen können, dachte Aurora und wollte gerade einen Satz nach vorn machen, als Evelyn ihr in den dichten Pelz griff.

„Sei vorsichtig, Aurora.“

Anko wurde ob dieser Worte sofort stutzig. Was wollte Evelyn sagen? Sollte Aurora sich vor ihr in Acht nehmen, oder sollte die Füchsin sich zurückhalten?

Die Füchsin knurrte bedrohlich, und ihr Nackenfell sträubte sich. Sie hasste es, wenn jemand ihre Instinkte zu bändigen versuchte. Evelyn wich sofort von ihr zurück.

„Hoffentlich hat Anko gut gefrühstückt.“, raunte die Hellhaarige Yuna so leise zu, dass nur sie ihre Worte hören konnte.

„Wieso?“

„Du wirst schon sehen.“

Und das sollte Yuna wirklich. Aurora entwickelte eine Wildheit, die das junge Mädchen schaudern ließ. Schnell und wendig wie wildes Wasser tänzelte die Füchsin um Anko herum, um ihre gezielten Angriffe immer genau dann zu platzieren, wenn sich ihr ein Vorteil bot. Dabei beschwor Aurora wieder und wieder den eisigen Nebel herauf, den Yuna schon von Evelyn kannte. Gefährlich wie flüssiger Stickstoff.

Das hellhaarige Mädchen beobachtete das Schauspiel mit ungerührter Miene vom Dach ihres Hauses aus, während ihrer Teamgefährtin ob der Unberechenbarkeit der Füchsin der Schnabel offen stand.

Anko perlte inzwischen der Schweiß über die Stirn und ihr Atem ging stoßweise. Allerdings Zeigte auch Aurora langsam Spuren der Erschöpfung, obwohl nur Evelyn sie gut genug kannte, um sie zu sehen. Die Hitze bekam ihr nicht gut.

„Genug!“, keuchte Anko schließlich.

Die Polarfüchsin erstarrte augenblicklich und setzte sich hechelnd auf den staubigen Boden. Die lange, bläuliche Zunge hing ihr aus dem Maul.

„Du bist ein vollwertiger Ersatz für ein drittes Teammitglied.“, befand Anko erleichtert lächelnd. „Das beruhigt mich. So, dann gehe ich euch mal anmelden.“ Mit diesen Worten verpuffte die Sensei in einer Rauchwolke.

Evelyn warf Yuna einen Blick zu.

„Dann sollten wir jetzt besser wieder trainieren, Yuna. Und ein paar Meditationsübungen machen. Ich bin gespannt, wie die Konkurrenz ist.“
 

Ein heftiger Regenguss überzog Konoha mit seinen nasskalten Händen, und Sturmböen peitschten Wäsche von den Leinen und fegten Blumentöpfe um. Yuna war mehr als nur froh, dass Evelyn den Sturm früh genug vorausgesehen hatte, dass sie sich noch rechtzeitig hatten zurückziehen können, um nun in Evelyns Küche zu sitzen und dampfende Teebecher in den Händen zu halten. Kräuterduft umschmeichelte ihre Sinne, und ein Feuer durchbrach knisternd die nur vom Prasseln des Regens gestörte Stille.

„Du, Evelyn? Kann ich dich mal was fragen?“

„Was denn?“

„Vor unserer letzten Mission hast du den Uchiha Clan erwähnt, du erinnerst dich?“ In Yunas Worten schwang ein fordernder Klang mit.

Evelyn schwieg lange und als sie antwortete war ihre Stimme gedämpft: „Und nun willst du mich fragen, was ich weiß, ist es nicht so?“

Ihre Teamgefährtin nickte leicht.

„Gut, ich sage dir, was ich denke, aber zunächst etwas zur Geschichte. Hast du schon einmal etwas über den Gründer des Uchiha Clans gehört?“

Yuna schüttelte den Kopf.

„Das wundert mich nicht.“, schnaubte die Hellhaarige. „Also, sein Name war Madara Uchiha, und man kann sagen, dass er und er erste Hokage auch für die Gründung des Dorfes verantwortlich sind. Doch Madara war ehrgeizig, und so kam es zum Streit über den Posten des Hokages, was zu dem berühmten Kampf im Tal des Endes führte. Madara unterlag und floh. Niemand weiß, was danach mit ihm geschah. Die Uchihas, ihres Oberhauptes beraubt, unterlagen dem Senju Clan, dem auch der erste Hokage angehörte, im darauf folgenden Machtkampf und ihre Macht wurde scharf beschnitten. Die Familie Senju achtete gründlich darauf, dass sie nicht wieder zu mächtig wurden, was natürlich zu ständigen Spannungen führte.“ Evelyn machte eine pause und starrte nachdenklich in ihre Tasse. „Wie es halt so ist, kochte der unterschwellige Hass über ihre Benachteiligung eines Tages hoch und es wurde ein Staatsstreich geplant. So weit ist alles recht selbstverständlich, doch dann geschah etwas Merkwürdiges: Itachi Uchiha, Sasukes Bruder, richtete das Massaker in seinem Clan an und ließ nur Sasuke am Leben. Ich finde das ist mehr als nur verdächtig, zumal Itachi zu dieser Zeit noch zu den Anbu gehörte.“

„Willst du damit etwa sagen...“ Yuna schreckte vor dem Gedanken zurück und war nicht in der Lage, den Satz zu beenden.

„Ja Yuna, ich glaube, dass Itachi auf Auftrag gehandelt hat, nicht aus freiem Willen.“

„Nein! Das kann nicht sein! So etwas würde der Hokage niemals zulassen!“

Evelyn neigte leicht den Kopf. „Du kennst den Hokage besser als ich. Ich weiß nur, was ich befohlen hätte.“

„Du... hättest einen solchen Auftrag erteilt?“

„Nur wenn es absolut unumgänglich gewesen wäre, aber ja, ich hätte es getan.“

Yuna schluckte. „Du scherzt nicht, oder?“

Evelyn schwieg und sah sie ernst an. Nein, sie scherzte nicht. Die Dunkelhaarige starrte sie entsetzt an, ohne dass Evelyn ihre Worte durch ein Lächeln milderte.

„Ich weiß nicht, was erschreckender ist: Dass Itachi einfach aus einer Laune zum Mörder geworden ist, oder wenn er einen Auftrag bekommen hat. Ich weiß nur, dass ich seinen Weg lieber nicht kreuzen möchte.“

„Und was tust du, wenn es doch passiert?“, fragte Evelyn leise. „Wenn du gegen ihn kämpfen musst? Wie verhältst du dich dann?“

Verdutzt über diese Wendung des Gesprächs zögerte Yuna, bevor sie ehrlich antwortete: „Ich weiß es nicht.“

„Dann denke darüber nach und berücksichtige folgenden Rat: Verlasse dich niemals auf die Gnade deiner Gegner.“

Evelyn schwieg eine Weile, dann fuhr sie fort. „Es gibt gewisse Mittel, um auch überlegene Gegner in die Knie zu zwingen, und eines davon ist das Gift. Das ist auch zumeist die einfachste Methode, und jene über die ich genug weiß, um dich zu unterrichten.“

Yuna erschauderte. „Ich hasse Gifte.“, murmelte sie. „Allein schon der Gedanke macht mir eine Gänsehaut.“

„Gewöhne dich an den Gedanken.“, riet Evelyn. „Dir werden in deinem Leben noch etliche überlegene Gegner über den Weg laufen.“ Sie strich sich den Ärmel nach oben und zeigte ihr eine feine, weiße Narbe am Unterarm. „Diese Verletzung hätte mich beinahe umgebracht, denn ich hatte nicht damit gerechnet, dass mein Widersacher Gift benutzen könnte, und ich habe mich zu spät darum gekümmert. Eine Woche lang lag ich salamandergrün im Gesicht am Boden, und meine Mutter kämpfte um mein Leben. Das hat mich gelehrt, mit jedweder Tücke zu rechnen. Du selbst magst ehrenvoll kämpfen, doch andere tun das nicht. Mache nicht den gleichen Fehler wie ich.“

„Wer ist dein Gegner gewesen?“

„Ich habe die Frau nicht nach ihrem Namen gefragt, bevor ich ihr das Genick gebrochen habe.“, meinte Evelyn achselzuckend. „Sie gehörte einem Stoßtrupp aus Kusagakure an, der die Grenzen des Feuerreiches überschritten hatte, falls es dich beruhigt. Noch Tee?“

Yuna nickte abwesend.
 

„Hallo, Anko.“ Sie zuckte leicht zusammen, als eine ruhige Stimme sie plötzlich aus den Gedanken riss.

„Huch, hallo Kakashi.“

Sie hatte gar nicht bemerkt, dass der andere Ninja neben sie getreten war, und jetzt ließ Anko nur ungern von ihren Grübeleien ab. Sie hatte über Evelyns Training nachgedacht.

„Ich habe mir gerade Gedanken über Sasukes Training gemacht.“, begann er. „Ich finde, der Junge sollte mal einen anderen Stil als meinen kennen lernen, sonst gewöhnt er sich zu sehr daran. Mir ist zu Ohren gekommen, dass deine Schülerin Evelyn ziemlich gut ist. Was meinst du, wäre sie vielleicht eine Gegnerin für Sasuke?“

„Du willst einen Übungskampf zwischen den Beiden organisieren?“

„Genau. Was hältst du davon?“

„Gute Frage.“, meinte Anko. „Ich glaube, sie verstehen sich nicht gut miteinander.“ Sie seufzte. „Ehrlich gesagt, kann ich Evelyn nicht besonders gut einschätzen. Zu Yuna ist sie ja manchmal schon wirklich hart, und dabei mag Evelyn sie sehr. Ich kann nicht sagen, wie weit mein Silberschopf geht.“

„Ah, deshalb bist du heute so nachdenklich.“

Anko beschränkte ihre Antwort auf ein Nicken.

„Dann sollten wir sie wirklich gegeneinander antreten lassen. Wir können ja immer noch einschreiten, wenn sie es übertreiben.“, meinte Kakashi.

„Mach mich später aber nicht für mögliche Erfrierungen verantwortlich.“

Eis und Feuer

„Es wäre für euch Beide ein gutes Training.“, beschwor Anko Evelyn, in deren Miene sich der Unwille deutlich abzeichnete. Bisher hatte sie es vorgezogen, dem Uchiha aus dem Weg zu gehen.

„Ist das wirklich notwendig?“

„Kakashi hat darum gebeten, und es wird dir sicher nicht schaden.“

„Ich mag Sasuke nicht sonderlich und möchte nicht versehentlich die Beherrschung verlieren.“

„Du Evelyn? Die Beherrschung verlieren?“ Anko lachte schallend. „Du bist einfach nur faul, Evelyn.“

„Ich fürchte, du hast mich erwischt. Es nervt mich, aber wenn du so darauf bestehst bitte. Wann und wo soll der Übungskampf stattfinden?“

„Heute Nachmittag auf dem Hochplateau, wenn Sasuke zustimmt.“

„Das wird er. Sag mir dann bescheid.“ Mit diesen Worten löste sich Evelyn in einer Wolke aus Eissplittern auf, die schmolzen, noch bevor sie den Boden berührten.

„Hoppla, was hat Evelyn denn heute für eine Laune?“

„Das ist eine verdammt gute Frage.“, antwortete Anko.
 

„Es ist nicht gut, gegen Sasuke anzutreten.“, gab Aurora zu bedenken. „Du kennst die Eigenschaften des Sharingans.“

„Das brauchst du mir nicht zu sagen. Ich werde beim Eis bleiben und die Wasser- und Windverstecke sein lassen. Er wird keines meines Jutsus kopieren können, bevor ich nicht weiß, ob er mir ein Feind werden wird.“

Die Füchsin schnaubte. „Es war von Anfang an ein Fehler, hierher zu kommen.“

Evelyn schaute versonnen zu den Wolken auf. „Vielleicht hast du recht, und es war wirklich ein Fehler, doch ich habe es getan. Jetzt lässt es sich nicht mehr ändern.“

„Hast du wenigstens erreicht, was du hier in Konoha gesucht hast? Oder geht es dir um Rache?“

„Nein, das macht meine Mutter auch nicht wieder lebendig. Ich suche den zweiten Teil meines Erbes.“

„Warum? Denkst du, er wird dir helfen?“

„Das werde ich wohl herausfinden müssen.“
 

Sasuke lehnte mit mürrisch verschränkten Armen an einem großen Felsen auf dem Hochplateau und wartete. Zum weitaus größten Teil ging ihm Kakashis Idee auf die Nerven, doch einen kleinen Teil reizte es, gegen einen Gegner solchen Rufes anzutreten. Und gerade dieser kleine Teil machte diese Herausforderung für ihn unwiderstehlich. So hatte er angenommen – was niemanden überraschte.

Ein leises Scharren ertönte, als Anko, Evelyn und die große Füchsin auf dem Plateau erschienen. Während sich die beiden Ausbilder in einen Plausch vertieften, legte Aurora sich hechelnd in den Schatten, und Sasuke und Evelyn musterten einander abschätzend. Beide erstellten im Geist eine Liste über alles, was sie bisher über den jeweils anderen gehört hatten.

Ein tiefes Knurren, das aus Auroras Kehle drang, beendete das Schwätzchen von Kakashi und Anko schlagartig. Der Füchsin bekam die Hitze nicht.

„Fangt an.“, instruierte Kakashi sie.

Sie ist eine Hyuga. Wahrscheinlich wird sie beim unbewaffneten Nahkampf bleiben, schoss es Sasuke durch den Kopf. Ich sollte sie besser auf Distanz halten.

Evelyn lächelte innerlich. Na Sasuke, um was wollen wir wetten, dass du mich gerade völlig falsch einschätzt?

Sie bezogen etwa fünf Meter von einander entfernt Stellung, und Evelyn nahm die traditionelle Kampfhaltung ihres Clans ein. In Sasukes Miene spiegelte sich Selbstzufriedenheit ob seiner augenscheinlich richtigen Einschätzung des Stils seiner Gegnerin. Als die Hellhaarige ihr Byakugan aktivierte steigert sich seine Annahme zur Gewissheit.

Anko legte überrascht die Stirn in Falten. Es war das erste Mal, dass sie Evelyn ihr Kekkei Genkai benutzen sah. Sie schafft es immer wieder, mich zu erstaunen...

Aurora brummte belustigt. Der Bluff ist perfekt, dachte sie. Der Junge hat keine Chance, wenn er ihr erst auf den Leim geht.

Weiß glomm es auf, als Evelyn ihr Chakra in den Händen konzentrierte, was Sasuke sehr wohl sehen konnte. Sie setzte zum Sprung an, doch Sasuke schloss hastig die nötigen Fingerzeichen und spuckte ihr einen Feuerball entgegen. Evelyn konterte mit einer Umwandlung, auf die Neji stolz gewesen wäre. Dennoch blieb diese Technik eine arge Chakraverschwendung.

Komm, mach ernst Evelyn, du hast jetzt genug gespielt, ging es Aurora durch den Kopf. Sie vertrat die Auffassung, dass das Byakugan allenfalls für medizinische Jutsus nutzte. Zumindest, wenn man solchen Begrenzungen unterlag wie Evelyn.

Die Hellhaarige überbrückte die Distanz zwischen ihr und Sasuke mit einem Sprung und verwickelte ihn in einen Nahkampf, in dem beide danach trachteten, die Schwäche des anderen zu finden. Ein Hickhack, das zu nichts führen würde. Das begriff auch Sasuke. Mit einigen Saltos brachte er sich außer Reichweite und formte die Fingerzeichen zu einem verwüstenden Flammeninferno. Doch Evelyn blieb nicht untätig, während sich Anko und Kakashi vorsorglich hinter einen Stein zurückzogen.

Als Sasuke verstand, dass er auf seine Gegnerin hereingefallen war, war es bereits zu spät, um das Jutsu noch abzubrechen.

Die Flammen loderten auf sie zu, und raubten dem jungen Uchiha vollkommen die Sicht. So sah er nicht, wie Evelyn Wasser über den Boden fluten ließ und sein Jutsu löschte. Das Wasser schwappte über seine Füße, aber als Sasuke das bemerkte, war es schon zu spät. Klirrend gefror der Wasserteppich und umschloss seine Füße mit eisigen Fesseln.

Kakashi schnappte erstaunt nach Luft. Hyouton, das Chakraelement des Eises war eine Mischung aus Wind und Wasser, wobei Wasser dem Feuer überlegen war. Neben Haku war Evelyn die Einzige, von der der Kopierninja wusste, dass sie dieses Element benutzte.

Sofort nutzte die Hellhaarige ihre Chance und machte einen Satz auf Sasuke zu, bevor er sich wieder befreien konnte.

„Tot.“, erklärte sie und tippte ihm gegen die Schläfe. In einer einzigen, reflexartigen Bewegung löste sie ihr Jutsu und fing den bewusstlosen Jungen auf. Der Kampf war vorbei bevor er richtig begonnen hatte.

Anko schmunzelte. „Diese Überrumpelungstaktik ist wirklich typisch für dich, Evelyn.“

„In einer langen Kraftprobe wäre ich ihm möglicherweise unterlegen gewesen.“

Anko und Kakashi tauschten einen Blick, während Aurora sich gelangweilt am Boden räkelte.

„Soll ich ihn jetzt wecken oder erst später?“, erkundigte sich die Hellhaarige immer noch mit dem besinnungslosen Sasuke im Arm.

„Jetzt.“, bat Anko.

Sie sammelte Chakra in der Hand und schlug ihm einmal kräftig auf den Rücken.

Sasuke erwachte mit einem Ruck und riss sie zu Boden. Seine Hände schlossen sich um ihre Kehle.

„Schreck lass nach.“, kommentierte Evelyn trocken, und da er auf ihrem Bauch saß, klemmte sie ihm die Füße unter das Kinn und riss ihn kraftvoll von sich weg. Er fing sich geschickt ab, und beide gingen wieder auf Abstand.

„Es reicht.“, sagte Anko scharf, denn sie ahnte, dass die Situation kurz vor der Eskalation stand. Doch Sasuke hörte nicht. Er hasste es, gegen sie zu verlieren, und seine alte Frustration kochte erneut über.

Evelyn gab Aurora ein Zeichen, und noch bevor Sasuke reagieren konnte, war die Füchsin über ihm und verbiss sich in seinem rechten Oberarm. Sie ließ erst locker, als seine Gegenwehr erstarb.

„Gut so.“, sagte die Füchsin mit blutiger Schnauze. „Tu, was sie sagt, sonst beiße ich dir den Arm ab.“ Niemand zweifelte daran, dass sie wirklich dazu in der Lage war.

Anko und Kakashi sogen scharf die Luft ein, als sie das zerfetzte Muskelgewebe sahen. Anko meinte sogar, den weißen Knochen durchschimmern zu sehen.

Sasuke knirschte vor Schmerz mit den Zähnen, obwohl er wegen seines hohen

Adrenalinpegels wohl nicht das volle Ausmaß spüren konnte.

„Lass mich sehen.“, forderte Evelyn ihn mit fachkundig ruhiger Stimme auf. Sasuke war nicht so dumm, ihre Hilfe abzulehnen, denn durch eine solche Verletzung konnte einen Ninja durchaus zum Krüppel machen, das wusste auch er. Mit zarten Fingern strich sie über die Wunde.

„Ich muss das auswaschen, bevor ich es heile.“, erklärte sie routiniert. „Sonst ziehst du dir eine Blutvergiftung zu, und wenn es dumm kommt, gehen Bakterien in die Knochen, was kaum zu kurieren ist. Entzündungen unter der Haut sind weitaus unangenehmer als jene an der Oberfläche.“ Sie zog eine kleine Phiole aus der Tasche. „Es wird weh tun.“

„Mach einfach!“, herrschte Sasuke sie an.

Sie goss den desinfizierenden Alkohol über das geschundene Fleisch und machte sich an die Heilung. Nicht einmal eine Narbe blieb zurück.

Nach der Behandlung löste Sasuke seine freie Hand, die er ungewollt ob der Schmerzen um ihr Handgelenk gekrampft hatte. Dunkle Blutergüsse blieben auf ihrer Haut zurück.

Er bat sie weder um Verzeihung, noch bedankte er sich, und während Kakashi Evelyn in ein Gespräch verwickelte, suchte er mürrisch das Weite.
 

Yuna hatte Evelyn zu dieser Auseinandersetzung nicht begleitet, denn sie mied Sasuke seit jeher und hatte am Morgen zufällig Naruto auf der Straße getroffen, sodass sie spontan einen gemeinsamen Trainingstag eingerichtet hatten.

Inzwischen war es bereits Nachmittag und jetzt saßen beide bei einer Nudelsuppe, um ihre Fähigkeit zu vervollkommnen, derartige Unmengen zu essen, dass sie Chouji Konkurrenz machten.

„Du bis ganz schön gut geworden.“, sagte Naruto zwischen zwei Bissen. Er hatte ordentlich was abbekommen.

„Evelyn hat mir das beigebracht.“ Yuna kicherte. „Ich glaube, ich treibe sie manchmal schier in den Wahnsinn.“

„Echt jetzt?“

„Ja. Anko ist die meiste Zeit ziemlich arbeitslos. Wir sind wohl recht pflegeleichte Schützlinge. Irgendwie zaubert Evelyn immer wieder neue Fähigkeiten aus dem Hut. Sie ist bei uns Genin schlecht aufgehoben. Sie ist eigentlich schon viel weiter.“

„Wie ist sie denn so?“

„Nett, wenn man erstmal mit ihr warm geworden ist, aber manchmal verdammt verschlossen. Na ja, jeder hat Dinge, über die er nicht gern spricht. Sie hat nur mehr davon.“, meinte Yuna und schob eine weitere leere Schüssel von sich. „Oh Mann, ich bin so vollgefressen. Ich glaube nicht, dass ich heute noch was Konstruktives zu Stande bringe.“

Naruto klopfte sich auf den Bauch. „Geht mir ähnlich. Hast du Lust morgen wieder mit mir zu trainieren?“

„Vielleicht am Nachmittag. Ich bekomme morgen meine erste Lektion in Sachen Heilkunde.“

„Das kann sie auch?“

„Ich sag es ja: wie aus dem Ärmel geschüttelt.“

„Ist sie irgendwo nicht gut?“

„Genjutsu. Das fangen wir erst an. Im auflösen ist sie recht gut, aber alles andere hat sie wohl bisher nie geübt.“

Yuna schaute müßig die Straße hinab. „Uärg!“, machte sie plötzlich. „Da kommt Sasuke. Ich bin dann mal weg.“
 

An diesem Abend fiel Yuna durch das Training erschöpf wie ein Stein ins Bett und erwachte auch nicht, als am nächsten Morgen der Wecker schrillte. Auch das spätere Klopfen an ihrer Haustür verschlief sie.

Plötzlich tippte ihr jemand mit dem Finger auf die Nase. Yuna schreckte hoch und versichte wie eine Eule blinzelnd etwas zu erkennen. Helles Sonnenlicht flutete das Zimmer, und jemand beugte sich über sie, daher sah sie nur den silbernen Glanz eines Haarschopfes.

„Guten Morgen, Yuna.“, sagte Evelyn und trat vorsichtig einen Schritt zurück, um Nirgendwo drauf zu treten. In stiller Kritik sah sie sich in dem Zimmer um. Es herrschte das reinste Chaos. Saubere und getragene Kleider lagen in Haufen durcheinander, gelesene Zeitschriften und Zeitungen lagen nicht selten zerrissen auf dem Boden und leere Süßigkeitenpapiere und Instand-Ramen Becher fanden auch noch ihre Plätze. Dazwischen sammelte sich der Staub zu Wollmäusen. Mit spitzen Fingern hob Evelyn eines der Schmutzgeschlänge auf.

„Gib acht Yuna, sonst entwickeln diese Dinger bald eine eigenständige Intelligenz.“

Yuna starrte sie immer noch verpennt an.

„Hä? Evelyn? Wie bist du hier herein gekommen?“

„Die Balkontür ist offen, aber wahlweise kann man auch durch das Dachfenster einsteigen, obwohl dabei die Gefahr groß ist, sich alle Knochen zu brechen. Es ist mir wirklich schleierhaft, wie ein Mensch ein solch Nachhaltiges Chaos verursachen kann.“

„Ach, das ist ganz einfach.“ Yuna gähnte.

„Anstatt dir beizubringen, wie man Verletzungen heilt, sollte ich dich vielleicht erstmal das Aufräumen lehren, damit genannte Blessuren gar nicht erst entstehen. Hier sieht es aus, als wäre eine Bombe eingeschlagen.“

Voller Unverständnis sah Yuna sich um. Was wollte Evelyn bloß von ihr? So weit sie sich erinnern konnte, hatte es bei ihr nie viel anders ausgesehen.

„Wusstest du, dass Ordnungsliebe eine Tugend ist?“

„Tugend? Igitt, Evelyn! Bleib mir so früh am Morgen weg mit Wörtern, die so gefährlich und anstrengend klingen!“

Die Hellhaarige seufzte. „So früh am Morgen, Yuna? Es ist zehn Uhr. Eigentlich waren wir schon vor zwei Stunden verabredet.“

„Ups, echt? Verzeihung.“

„Kommt vor.“, winkte Evelyn ab.

Yuna rieb sich die Augen und stand auf. Nicht eben elegant stakste sie über die wenigen begehbaren Inselchen auf den Flur, der etwas weniger unordentlich und zugemüllt war.

Evelyn warf einen vorsichtigen Blick in die Küche, die Yunas Zimmer gegenüber lag. Geschirr stapelte sich in der Spüle, und es stand eine beachtliche Menge an geschlossenen Töpfen herum. Die Hellhaarige ahnte Böses. Mit gerunzelter Stirn hob sie langsam einen der Deckel an und spähte in den Topf.

„Yuna, war das Erbsensuppe?“

„Nein, wie kommst du darauf?“

„Es ist grün. Schütte es ins Klo, sonst kommt es bald zu dir ins Bett gekrochen.“

„Oh, habe ich da etwa etwas stehen lassen?“

„Ich glaube nicht, dass dieser Grüne Blubb die einzige unangenehme Überraschung ist, die in dieser Küche auf dich lauert. Manches davon wird wohl schon Augen haben.“ Vorsichtig ließ Evelyn den Deckel wieder sinken.

Unbekümmert zuckte Yuna mit den Schultern. „Egal. Ich kümmere mich nach dem Training darum... vielleicht.“

„Das solltest du wirklich tun. Sonst muss ich eine ernste Seuchengefahr melden gehen. Es sei denn, du entwickelst gerade Biowaffen auf bakterieller Basis.“
 

„Wenn du eine Verletzung behandeln möchtest, musst du zunächst herausfinden, welcher Art die Wunde ist. Das ist eine Sache höchster Konzentration, denn da muss man sehr genau arbeiten.“, begann Evelyn. Sie saß mit Yuna im Gras vor ihrem Haus. „Dazu sendest du Chakraimpulse in den Körper des Patienten und tastest ihn so innerlich ab. Dabei ist es nötig, darauf zu achten, den anderen nicht zu schädigen.“

„Das geht?“

„Natürlich. Ein Risiko, das bei allem Jutsus besteht. Daher ist die perfekte Beherrschung des Chakras für die Heilkunst Grundvoraussetzung. Was man wissen muss ist, dass man mit medizinischen Ninjutsus keine Zellen bilden kann, zumindest weiß ich von niemandem, dem das bisher gelungen wäre. Bei einer Heilung beschleunigt man nur den natürlichen Heilungsprozess.“

„Das schränkt das Wirkungsfeld doch stark ein, oder?“, fragte Yuna nach.

„Das tut es. Außerdem kann ich dir jetzt nur die Grundlagen wie das Heilen von Fleischwunden und gebrochenen Knochen beibringen. Dinge, die vergleichsweise einfach sind, aber alles Weitere wäre einfach zu kompliziert und langwierig.“

„Mehr werde ich hoffentlich auch nie brauchen.“

„Meine Art, eine Heilung durchzuführen, ist eine andere, als jene, die andere Mediziner benutzen, was mit meinem Byakugan zusammenhängt. Gewöhnliche medizinische Jutsus sind nur für eine Aufgabe geschaffen. Ein Jutsu für ein oder zwei Arten von Wunden. Daher müssen Heiler sehr viele davon kennen. Bei meiner Methode ist es ein wenig anders. Ich leite mein Chakra in die Wunde, um es dort individuell anzupassen, deshalb brauche ich auch keine Fingerzeichen dafür.“

„Aber ist es nicht furchtbar schwer, Chakra zu lenken, das den Körper bereits verlassen hat?“

„Da hast du den Haken. Niemand hat gesagt, dass es einfach werden würde. Wenn du es allerdings beherrschst, kannst du dir durch Experimente alles Weitere selbst aneignen, um alle heilbaren Verletzungen zu kurieren.“

„Was soll ich tun?“, wollte Yuna wissen.

„Leg deine Hand auf meinen Arm und präge dir ein, was du wahrnimmst. Wenn du zunächst herausfindest wie es sein soll, wird es dir leichter fallen, die Fehler zu finden.“

Ich hätte nie gedacht, dass etwas so simpel aussehendes derart kompliziert sein könnte, ging es Yuna durch den Kopf und sie stöhnte. Dennoch hatte sie der Kitzel der Herausforderung gepackt. Unlängst war ihr Ehrgeiz erwacht, sich diese Fähigkeit noch vor der Chunin-Auswahlprüfung anzueignen.

Hoffentlich lade ich mir da nicht mehr auf den Teller, als ich essen kann, dachte sie und legte Evelyn wie geheißen die Hand auf den Arm.

„Nun sende dein Chakra aus und konzentriere dich auf die Energien, wie du es schon bei der Meditation getan hast.“

Yuna sandte Chakra aus, doch Evelyn zog sofort leicht den Arm zurück.

„Nicht so viel und kappe die geistige Verbindung nicht, wenn das Chakra deinen Körper verlässt.“

Die Dunkelhaarige versuchte es erneut und nahm plötzlich etwas sehr eigenartiges wahr: Ein langsames Pulsieren, eine seltsame Vibration und ganz unvermittelt ein heftiges Zucken. Nichts davon gehörte zu ihrem Körper. Yuna zuckte erschrocken zurück und ließ Evelyns Arm los.

„Was war das denn?!“, entfuhr es ihr.

„Das Pulsieren meines Blutes, das Vibrieren von Chakra und eine leichte Bewegung meines Muskels, wenn du das Zucken meinst.“

„Aber... es war so intensiv.“

„Heilende Sinne sind sehr sensibel. Du wirst dich schon noch daran gewöhnen. Versuche es noch mal und erschrick nicht. Ich werde meine Hand bewegen.“

Anfangs schwindelte es Yuna von den vielen gleichzeitig ablaufenden Prozessen, doch dann fand sie die Regelmäßigkeit im Zusammenspiel der diversen Muskeln und Sehnen. Sie begriff die Ordnung, und die Beobachtung wurde regelrecht beruhigend. Das Gewirr aus pulsierenden Adern war nun kein ablenkendes Chaos mehr, sondern fügte sich in seinen Aufgabenbereich ein. Sie nahm die starren Knochen wahr, die einem Baugerüst gleich dem Durcheinander seinen Halt gab.

„Weite dein Bewusstsein nun auf meine Hand aus.“

Sie tat wie geheißen und nahm sogleich einen Komplex wahr, der ihr noch verworrener erschien als der Unterarm.

„Kannst du mal nur den Daumen bewegen?“, fragte Yuna fasziniert von der feinen Motorik und den Stromstößen des peripheren Nervensystems in der Hand.

„Evelyn, kann man eigentlich einen fremden Körper steuern, wenn man die Nervenimpulse beeinflusst?“

„Natürlich, aber das bedarf einer Menge Fingerspitzengefühl.“

„Es fühlt sich bestimmt komisch an, wenn man plötzlich Dinge tut, ohne es zu wollen.“

Evelyn neigte den Kopf zur Seite. „Wenn du möchtest, demonstriere ich es dir nachher. Versuche aber nicht, es nachzumachen. Man sollte nicht mit Nerven und Innereien spielen, wenn man sich nicht auskennt.“

Yuna verdrehte die Augen. „Das ist klar.“

„Hoffentlich. Aber nun zu einer anderen Lektion.“, sagte sie und streckte den anderen Arm vor. Als sie den Ärmel zurückstrich, wurden die bläulichen, geschwollenen Flecken sichtbar, die vom gestrigen Kämpf mit Sasuke zurückgeblieben waren.

Yuna sog scharf die Luft ein. „Wie bist du denn da dran gekommen?“

„Das werde ich dir später erzahlen.“, versprach die Hellhaarige und fuhr mit dem eigentlichen Thema fort: „Ich hätte das hier zwar schon längst heilen können, aber derlei oberflächliche Wunden sind nahezu prädestiniert, um als Demonstrationsgrundlage herzuhalten. Du weißt bestimmt, was ein Bluterguss ist.“

„Sicher. Eine geplatzte Ader, deren Blut sich in das Gewebe ergießt und Druck ausübt. Daher die Schwellung und der Schmerz. Bei einer Berührung wird wegen der Flüssigkeit mehr Druck auf die Nerven ausgeübt.“

„Schön. Der Körper trägt erst die Flüssigkeit, dann die Farbstoffe ab, daher das hübsche Farbspektrum. Ich werde dir zeigen, wie man den Körper dabei unterstützt. Konzentrier dich wieder auf meinen Arm und achte darauf, was ich tue.“

In den nächsten Sekunden füllte die Wahrnehmung von Evelyns Chakra Yunas Bewusstsein zur Gänze aus. Die Flüssigkeit wurde entfernt und die Farbstoffe abgetragen.

„So, und jetzt du.“

„Ich?“, machte Yuna erschrocken und erstaunt über so viel Vertrauen seitens Evelyn.

„Natürlich. Man lernt aus praktischer Erfahrung, außerdem kann ich immer noch eingreifen, sollte etwas schief gehen.“

Die Dunkelhaarige schluckte und konzentrierte ihr Chakra. Ein Ausdruck der Verbissenheit legte sich auf ihre Züge.

Es funktionierte. Zwar war sie viel langsamer als die erfahrene Heilerin, doch die Haut nahm letztendlich wieder ihre normale Farbe an und auch die Schwellung verschwand.

„Gut Yuna, du hast es begriffen und das ungewöhnlich schnell. Wir machen Schluss für heute.“

„Was? Jetzt schon?“

Evelyn nickte. „Ja. Du weißt, wie man den Körper anderer Lebewesen untersucht. Probiere es an kleinen Säugetieren und großen Insekten aus. Es wird dich interessieren.“

Yuna schmollte gespielt. Die Mundwinkel ihrer Teamgefährtin zuckten.

„Außerdem gebe ich mein Wissen zum ersten Mal weiter. Ich muss mir über die nächsten Lektionen noch Gedanken machen.“

„Spielst du mit dem Gedanken, Ausbilderin zu werden?“, fragte Yuna neugierig.

„Ehrliche Antwort?“

Die Dunkelhaarige nickte irritiert.

„Nicht im Geringsten. Ich habe mir bisher noch kein konkretes Ziel gesucht. Ich bin jetzt erstmals sesshaft. Meine Mutter ist mit mir von Ort zu Ort gezogen als Wanderarbeiter im Tischlerhandwerk. Ich habe früh gelernt, zu arbeiten, um das nötige Geld zu verdienen. Mit fünf hatte ich das erste Mal Werkzeug in der Hand.“

„War das nicht furchtbar anstrengend?“

Evelyn zuckte mit den Schultern. „Nicht viel anstrengender als eine Ausbildung zum Ninja und die fängt ebenso früh an. Unser gesamter Besitz hat in die drei Taschen gepasst, die Aurora für uns getragen hat.“

„Aber warum? Hat euch etwas gejagt?“

„Das, Yuna, möchtest du gar nicht wissen.“

Vorbereitungen

Belustigt beobachtete Evelyn, wie sich Yunas Miene vor Konzentration verzog, als sie den Vogel untersuchte, den die Hellhaarige am Morgen gefunden hatte. Er sah aus, als wäre er im letzten Moment den gierigen Fängen einer Katze entwichen. Evelyn hatte das bedauernswerte Tier zuvor schon selbst untersucht und jene Verletzungen geheilt, die zu behandeln ihre Teamgefährtin nicht in der Lage war.

Um Yunas Hand flammte Chakra auf und floss in einem dünnen Rinnsal in den Körper der zerfledderten Amsel. Diese verhielt sich ganz still. Tiere schienen ein instinktives Verständnis dafür zu haben, wenn ihnen geholfen wurde.

Nach wenigen Augenblicken nahm Yuna die Hand weg, und sofort stieß sich der Vogel ab, um davonzuflattern. Die Dunkelhaarige strahlte.

„Gut Yuna, damit ist erwiesen, dass du die Heilung von Knochen und Haut beherrschst. Das sind zwar nur die Grundlagen, doch mehr kann ich dich nicht lehren.“

„Allein dafür habe ich eineinhalb Wochen gebraucht. Ich bin froh, es geschafft zu haben.“

„Bei der Heilkunst ist es völlig normal, dass man lange braucht. Diese Disziplin erfordert die vollendete Präzision. Mann kann es nicht nur ein bisschen können. Es ist wohl die schwerste Richtung von allen.“

Yunas Grinsen verbreiterte sich noch. Sie war durch den Erfolg hochmotiviert.

„Und was machen wir jetzt?“

„Naruto ist auf dem Weg zu dir. Wolltet ihr heute nicht zusammen trainieren?“

Yuna schlug sich an die Stirn. „Ach richtig! Aber woher weißt du, dass Naruto auf dem Weg ist?“

„Es ist meine Aufgabe, derlei zu wissen.“

Yuna verzog das Gesicht. Sie hasste diese Antworten.

„Yuna?“, schallte Narutos Ruf durch den Wald.

„Ich bin hier!“

Sie drehte sich um, um sich von Evelyn zu verabschieden, doch von ihr war nirgends eine Spur zu sehen. Yuna stöhnte auf.

„Das macht sie dauernd!“, grummelte sie verstimmt. Das hasste sie fast noch mehr als diese Antworten.
 

Amüsiert schlenderte Evelyn in den Wald hinein, denn ebenso, wie sie Narutos Ankunft bemerkt hatte, war ihr auch die Hinatas aufgefallen. Das junge Mädchen hielt sich hinter einem Baum versteckt und beobachtete verstohlen Narutos und Yunas Training, dabei zeichnete sich ein halb bewundernder, halb wehmütiger Ausdruck auf ihrem Gesicht ab. Sie tat das öfter, wie Evelyn sehr wohl aufgefallen war.

„Hallo Hinata.“, grüßte sie mit sanfter Stimme.

Erschrocken wirbelte das Mädchen herum und konnte gerade noch einen Aufschrei ersticken. Sie errötete vor Verlegenheit. In schutzsuchender Gebärde hob sie die Hände vor die Brust und drehte die Fußspitzen nach innen.

„Ähm... H-hallo.“, stieß sie schwächlich hervor und heftete den Blick auf dem Boden. Sie fühlte sich ertappt und wäre am liebsten im Boden versunken.

„Hast du nicht Lust, mit mir zu trainieren?“

Hinata riss die Augen auf. Entsetzen machte sich in ihrer Miene breit.

„W-warum... willst du...“ Ihre Stimme erstarb.

„Warum ich mit dir trainieren will? Ich will mal mit jemandem aus meinem Clan üben, und Neji mag ich nicht besonders.“, erklärte die ältere Hyuga freundlich. „Was sagst du?“

„Ich... ich weiß nicht...“, stotterte sie verunsichert. „Ich bin nicht so gut...“

Sie stupste die Fingerspitzen aneinander.

„Dann lohnt es sich doch. Das ist die Aufgabe des Trainings. Ich habe gehört, dass Narutos Fähigkeiten mal ziemlich jämmerlich gewesen sind.“ Sie nickte mit dem Kopf in Richtung des Jungen. „Du siehst ja, was aus ihm geworden ist. Reine Übungssache. Nimm dir ein Beispiel daran.“

Damit hatte sie Hinata, und das wusste Evelyn auch.

„Nun? Was sagst du?“

Hinata rang noch einen Moment mit sich selbst, dann willigte sie ein. Auf Evelyns Gesicht zeigte sich ein Hauch von Wärme.

Das ist zumindest ein Anfang, ging es dem Silberschopf durch den Kopf. Es missfiel ihr, wie Neji und ihr Vater über ihre scheue Kusine herzogen. Hinata tat ihr zwar Leid, doch Evelyn war so ehrlich, sich einzugestehen, dass sie ihr auch deshalb half, um diesen beiden eins auszuwischen.

Mal sehen, wo ihr Problem liegt...
 

Hinatas Problem war tatsächlich das Offensichtliche: ihr mangelndes Selbstvertrauen. Es blockierte sie, ihren eigenen Stil zu entwickeln. Evelyn attackierte sie mit unnachgiebiger Härte, doch blieb immer in einem Ramen, der Hinata nicht völlig überforderte. So hatte das Mädchen keine Zeit, über ihre vorgeschützte Unfähigkeit zu grübeln.

Schließlich durchbrach Evelyn ihre Verteidigung und tippte ihr leicht ans Brustbein.

„Tot.“, erklärte sie gleichmütig.

Hinata erstarrte vor Schreck.

„Das war doch gar nicht übel, Kusine. Lass dir von Neji nichts einreden. Er ist ein selbstgerechter Windbeutel.“

„Kusine?!“ Hinata verschluckte sich fast an dem Wort.

„Meine Mutter war die jüngste Schwester deines Vaters, ist aber schon in jungen Jahren den Anbu beigetreten.“

„Hinata?“ Ein lauter Ruf schallte durch den Wald.

„Ich bin hier, Kiba!“

Der Junge folgte seinem aufgeregt kläffenden Hund Akamaru auf die Lichtung und warf Evelyn einen irritierten Blick zu. Er konnte ihr Gesicht nicht einordnen. Sie nickte ihm höflich zu und wandte sich wieder zu Hinata.

„Es gibt da noch eine Sache, die meiner Aufmerksamkeit bedarf.“, sagte die Hellhaarige und hob eine Hand zu einem Fingerzeichen. Lautlos verschwand sie in einem Wirbel aus Eissplitten.

Kiba und Hinata prallten zurück, als wären sie gegen eine Mauer gelaufen.

„Das ist doch eine Jonin-Fähigkeit!“, rief der dunkelhaarige Junge aus. „Wer war das eben?“

„Evelyn. Sie ist aus Yunas Team.“

„Ach? Und was hat sie von dir gewollt?“

„Äh... wir haben trainiert. Sie ist ja aus dem gleichen Clan wie ich.“

„Da seid ihr ja endlich. Kurenai wartet.“

„Oh, hallo Shino. Wir kommen.“, sagte Kiba.
 

Aurora schnupperte und zog die Lefzen hoch. Ein Geruch durchwaberte den Wald, der ihr Übelkeit verursachte. Nach dem Schweiß gestresster Menschen, nach Blut und Metall. Eine Mischung, wie sie Eliteninjas umgab wie eine zweite Haut. Ihrer Kehle entrang sich ein Knurren.

„Ich habe sie auch bemerkt.“, flüsterte Evelyn. Sie saß mit einem Korb voller Kräuter im Schoß im Moos. Um sie herum rauschte der Wald, und die sanften Düfte vermengten sich in der Nase der Füchsin mit dem Gestank der Anbu.

„Es wird bald gefährlich.“, drängte die Füchsin. „Es war eine schlechte Idee, hierher zu kommen. Du hast dich nun offenbart. Er wird Schritte unternehmen...“

„Ich weiß. Und ich bin darauf vorbereitet.“

„Wann wirst du dem Rat deiner Mutter folgen?“

Evelyn zögerte kurz. „Bald. Wenn sich die Gelegenheit ergibt. Meine Vorbereitungen laufen.“

Sie lächelte leicht. „Außerdem habe ich gerade erfahren, dass ich Hilfe von Außen bekomme. Es wird riskant. Ich möchte weder Yuna noch Anko töten müssen.“

„Und wenn es nötig ist?“, hakte die Füchsin erbarmungslos nach.

„Es wird nicht nötig sein. Ich habe alles unter Kontrolle.“

„Pass auf, dass es dich nicht den Kopf kostet.“, warnte Aurora.

„Wir sind schon aus Schlimmerem wieder herausgekommen.“, erinnerte sie und kraulte die brummende Füchsin zwischen den Ohren. „Ich will noch ein paar Kontakte knüpfen.“

„Das macht dich dann noch interessanter.“, warf die Füchsin ein, die nun den Sinn von Evelyns Handeln begriff.

„Ist dies nicht eine Regel zur Machterlangung und Machtausübung: Mach dich unentbehrlich? Ich möchte nicht vom Regen in die Traufe fallen.“

„Du hast wirklich gründlich darüber nachgedacht.“, gestand Aurora ihr zu.

„Ich habe sogar schon jemanden im Sinn, der sich nicht sträuben wird, wenn ich die Sache richtig anpacke.“
 

Erschöpft legte Hiroshi seine Anbumaske auf der Anrichte ab und strich sich durch das zerzauste silberweiße Haar. Kurz huschte sein Blick in den Spiegel und über seine weichen Gesichtszüge. Die hohen Wangenknochen und die fein geschwungenen Lippen gaben ihm ein leicht feminines Aussehen.

Er stutzte, als es plötzlich an der Tür klopfte. Er erwartete niemanden, war er doch gerade erst von einer mehrtägigen Mission zurück.

Verdutzt sah er das junge Mädchen an, dessen heller, durchdringender Blick auf ruhte, als er die Tür öffnete. Er kannte sie nicht, doch irgendwie wirkte sie vertraut...

„Ähm...?“, machte er verwundert.

„Sie werden mich nicht kennen.“, begann sie. „Aber Sie kennen meine Mutter.“

„Deine...“

„Ayumi Hyuga.“, unterbrach sie ihn.

Hiroshi wurden die Knie weich, und er griff nach Halt suchend nach dem Regal hinter ihm. Alles Blut wich aus seinen Wangen. Wie eine eiserne Faust schlossen sich die Gefühle von Schuld und Verzweiflung um sein Herz.

„Ich bin deine Tochter.“

Er starrte sie an, unfähig zu sprechen. Er kämpfte mit dem Gefühl zu ersticken. Die Welt schien sich um ihn zu drehen, als alle Erinnerungen mit Macht zurückkehrten.

Wie ein Baum ragte er über dieses Mädchen auf, das behauptete, seine Tochter zu sein. Aber das silberweiße Haar, die hohen Wangenknochen, die fein geschwungenen Lippen... Sie war ihm so ähnlich, dass es keinen Zweifel gab. Ayumi war auch so klein gewesen.

„Wie ist dein Name?“, seine Stimme zitterte genauso sehr wie sein Körper.

„Evelyn.“

„Und warum bist du hier, Evelyn? Willst du Rache nehmen?“

„Nein. Niemand kann etwas für seine Missionen. Rache macht nichts ungeschehen.“ In ihrer Stimme schwang ein Schmerz mit, wie er ihn selbst empfand.

„Es tut mir so leid...“

Sie legte den Kopf schräg. „Du hast deine Gefährten aufgehalten, nur deshalb bin ich noch am Leben.“

„Das befreit mich nicht von meiner Schuld.“

„Vielleicht nicht, aber mir reicht es, um zu verzeihen. Du hättest zusehen können, wie man mich ebenfalls schlachtet, wie Vieh.“

Bei ihren Worten fluteten erneut alle Einzelheiten dieser grauenhaften Nacht in sein Bewusstsein zurück. Das war jetzt vier Monate her...
 

Der Sturm peitschte durch die Baumkronen, und von überallher ertönte das Krachen berstenden Holzes, wenn die Böen zu stark an den mächtigen Pflanzen rissen. Donner grollte, und Blitze zucken über den Himmel, dabei nahm einem der sintflutartige Regen einem praktisch jede Sicht.

Ayumi war die einzige, die etwas erkennen konnte, doch brachte ihr dieser Vorteil nicht viel ein, denn die Anbu wussten das und gingen dementsprechend vor. Bald würde es vorbei sein, dass wussten sie alle. Ayumis Blut mischte sich mit dem Regenwasser und färbte den Boden rot. Sie hatte kaum noch die Kraft, sich aufrecht zu halten. Die Übermacht der fünfzehn Anbu war einfach zu viel. Zwei der Angreifer lagen tot am Boden.

Tränen des Schmerzes verschleierten Ayumis Sicht, sodass sie den letzten Stoß noch nicht einmal kommen sah. Sie fühlte wie der eisige Stahl der Klinge zwischen ihre Rippen drang. Sie keuchte und kippte dann langsam nach hinten.

„Hiroshi...“ Ihre Stimme war kaum noch mehr als ein Flüstern. Sie hatte den silberhaarigen Anbu sofort erkannt, obwohl sie ihn über vierzehn Jahre nicht mehr gesehen hatte. Nur verschwommen spürte sie, wie der Schlamm in ihre Kleider drang.

Er wich vor der Sterbenden zurück, konnte den anklagenden Blick aus den vertrauten Augen nicht ertragen. Die Welt um ihn herum schien in weite ferne zu rücken, und jede Sekunde dehnte sich aus, bis sie lang war wie ein Lebensalter auf der Erde.

Erst der Fausthieb gegen die Brust brachte ihn in die Wirklichkeit zurück. Er wurde fast dreißig Fuß weit zurückgeworfen, und ein übelkeiterregendes Knirschen begleitete den Bruch zwei seiner Rippen.

Ein Mädchen mit hellem Haar wie Sternenlicht hatte sich neben Ayumi auf den Boden gekniet und hielt ihre Hand. Wie Schakale schlichen die Anbus um sie herum und hielten wieder ihre Waffen im Anschlag. Das Mädchen sah Hiroshi an. Ihr Blick schien ihn durchbohren zu wollen. Es lagen so viel Wut und Mordlust darin, dass er zurückschreckte.

„Verschwindet, oder ich breche euch jeden Knochen im Leib, bevor ich euch an euren eigenen Gedärmen aufknüpfe!“

Hiroshi glaubte es ihr. Sie hatte den Ausdruck eines Menschen, der nichts mehr zu verlieren hatte. Sie würde keine Rücksicht auf ihr eigenes Leben nehmen.

„Rückzug!“, befahl Hiroshi, als sich gerade ein Anbu auf das Mädchen stürzen wollte. „Wir haben unseren Auftrag ausgeführt! Mit dem Mädchen haben wir nichts zu schaffen!“

Sie zögerten kurz, doch waren die Anbus viel zu diszipliniert, um sich dem direkten Befehl ihres Teamleiters zu widersetzen. Wie dunkle Geister huschten sie in den Wald zurück.
 

„Und wenn das Mädchen eine Gefahr für Konoha darstellt?“, stellte Yikmo Hiroshi zur Rede.

Er war jung und hitzig, doch ein hervorragender Kämpfer. Jemanden, den man gern als Rückendeckung hinter sich wusste.

„Und wenn nicht? Sollen wir anfangen, Unschuldige zu töten?“, hielt er dagegen. Hiroshis Stimme klang rau. Er hatte keine Lust, mit dem Jüngeren zu diskutieren.

Yikmo murmelte etwas Unverständliches und wandte sich ab, doch der Hellhaarige hatte das Gefühl, dass das Thema damit nicht beendet war.
 

Evelyn kniete neben ihrer Mutter im blutgetränkten Schlamm und hielt ihre Hand. Sie spürte weder den Regen noch die Kälte. Stumme Tränen liefen ihr über die Wangen. Sie konnte nichts mehr tun.

„Evelyn...“ Ayumis Stimme klang schwach und sehr leise. Das junge Mädchen beugte sich zu ihr herab, um ihren letzten Worten zu lauschen.

„Der... weißhaarige Ninja eben...“ Ihre Mutter stockte.

„Ich habe ihn gesehen.“, bestätigte Evelyn leise.

„Er... heißt Hiroshi... Er ist... dein Vater...“ Sie stieß ein gequältes Husten aus, und hellrotes Blut rann aus ihren Mundwinkeln. Mit aller Kraft kämpfte sie, um dem Tod noch einen Augenblick abzutrotzen.

„Wir haben... darüber... gesprochen...“, hauchte Ayumi. „Du darfst nicht...“ Sie hustete wieder. „Wenn alle Stricke reißen... wende dich... Schutz der Schlange... werden dich nicht finden... Lebe wohl, meine Kleine.“

„Das werde ich, Mama.“

Ayumis Körper verkrampfte sich noch ein letztes Mal, dann brach ihr Blick, und ihre Tochter schloss ihr sanft die Lider.

Plötzlich drang ein Knacken an Evelyns Ohren, und sie erhob sich mit einer Miene tiefsten Ingrimms. Zwei Anbus traten mit blanken Schwertern aus dem Wald.

„Zwei Opfer meines Schmerzes.“, flüsterte Evelyn in den Regen.
 

In dieser Nacht entfernte sich Hiroshi von seiner Truppe und vergoss bittere Tränen um die Frau, die er wie geliebt hatte wie nie einen Menschen zuvor. Sie waren verlobt gewesen. Nun starb auch noch das letzte Bisschen Hoffnung, das er seit Ayumis Verschwinden in sich aufbewahrt hatte, wie man ein kostbares Parfüm in einer Fasche versiegelt.

So in seinem Schmerz und seiner Schuld gefangen, bemerkte er nicht, wie sich zwei Anbus ebenfalls entfernten. Auf Jagt nach einer potentiellen Gefahr.
 

Am nächsten Morgen organisierte Hiroshi reichlich verärgert über ein derart unverantwortliches Handeln eine Suchaktion für die zwei Anbus, Yikmo und Sheela, die sich unbemerkt davongemacht hatten. Dankenswerterweise war der Sturm inzwischen abgeflaut, und zartes Sonnenlicht streckte seine Fühler durch das Blätterdach des Waldes.

Ein schriller Pfiff schallte zu ihm herüber. Die Vermissten waren also gefunden worden. Seine Stimmung sank auf den Nullpunkt. Die Beiden erwartete eine saftige Standpauke zum Thema Verhalten und Gehorsam.

Hiroshi folgte dem Ruf, doch als er auf die Lichtung trat, waren all seine zurechtgelegten Worte vergessen. Entsetzt blieb er wie angewurzelt stehen und unterdrückte ein Würgen. Er war zwar als Anbu so einiges gewöhnt, aber das...

Das es Yikmo und Sheela waren, erkannte man nur noch an den Anbumasken, die blutbesudelt unter ihnen im Gras lagen. Ihre Bauchdecken waren aufgeschlitzt. Sie baumelten an ihren eigenen Eingeweiden an einem Baum. Ihre Leiber wirkten seltsam unförmig, als gäbe es in ihnen keinen heilen Knochen mehr. In ihre Schädeln steckten lange Dolche, die aussahen, als bestünden sie aus gefrorenem Blut.

Neben Hiroshi tauchten zwei andere seiner Anbus auf.

„Wer oder was kann das getan haben?“ Er hörte den unterdrückten Brechreiz in der Stimme des anderen Ninjas.

„Jemand sehr wütendes.“, gab Hiroshi mit rauer Stimme zurück. „Holt sie da runter.“
 

Hiroshi schüttelte die Erinnerungen ab, die sich ihm aufdrängten, und schaute zu seiner Tochter herüber. Er konnte nicht umhin, sie die ganze Zeit anzustarren. Ihr ging es offensichtlich nicht so. Sie hatte sich gut vorbereitet. Gemeinsam saßen sie auf dem Sofa in seinem mit Bücherregalen vollgestopften Wohnzimmer.

„Hast du die beiden Anbus getötet?“

„Ja, das war ich.“
 

Evelyn verließ ihren Vater zwei Stunden später einigermaßen zufrieden mit dem Ergebnis und kehrte nach Hause zurück. Aurora lag im Schatten des Kirschbaums und hob den Kopf, als ihre Gefährtin ankam. Sie hatten es für besser befunden, dass die Füchsin sie nicht begleitete, denn sie hatte nicht gewusst, ob sie sich hätte beherrschen können.

„Und?“, erkundigte Aurora sich.

„Er lebt noch.“, gab die Hellhaarige leise zur Antwort. Die Füchsin vermochte nicht zu sagen, was sie empfand. Es gab eine Seite an Evelyn, die auch ihr verschlossen blieb.

Sie legte den Kopf auf die Pfoten, während Evelyn im Haus verschwand, um sich einen Weidenkorb zu holen. Schweigend stieg sie auf den ausladenden Kirschbaum und pflückte die reifen Früchte von den Zweigen.

Schließlich trug sie den vollen Korb in die Küche und machte sich daran, ihren Kräutergarten von jeglichem Unkraut zu befreien. All die Zeit sagte sie kein Wort, was für Aurora ein sicherer Indikator war, dass sie zutiefst aufgewühlt war.

Sie wird sprechen, wenn sie dazu bereit ist, dachte die Füchsin und schloss die Augen.
 

Hiroshi atmete tief durch, als er die Tür hinter dem feingliedrigen Mädchen schloss. Er ahnte welches Potential in ihr steckte und war sich nicht sicher, ob man sie fürchten musste. In kalter Ruhe die Ermordung von zwei erfahrenen Anbus zu gestehen, war etwas, das auf Fähigkeiten und Selbstsicherheit hindeutete, die in diesem Alter bemerkenswert waren. Selbst wenn sie die beiden nur überrumpelt hatte.

Zu was ist sie erst in der Lage, wenn sie die Höhe ihrer Kraft erreicht hat?

Hiroshi gestand sich ein, dass sie durchaus gute Gründe hatte, um sich gegen Konoha zu wenden, doch würde sie das tun? Wäre sie dann überhaupt hierher gekommen?

Er dachte über die Bitte nach, die sie ihm unterbreitet hatte, und ein kalter Schauer lief über seinen Rücken. Ein Gang auf des Messers Schneide. Die Grenze zum Verrat war schmal. Doch wäre es ein Verrat am Dorf? Geheimnisse, die es eigentlich gar nicht geben dürfte. Es waren die Prinzipien des Anbu-Kerns, doch fühlte er sich wirklich noch an sie gebunden? Er lauschte in sich hinein und fand Angst. Die Angst, auch seine Tochter sterben zu sehen.

Ich werde mich umhören. Zumindest das bin ich ihr schuldig, dachte Hiroshi voller Unbehagen.
 

Mit jedem Tag rückten die schriftlichen Prüfungen näher, und Yuna belebte plötzlich eine alte Gewohnheit aus Kindertagen wieder: das Nägelkauen. Jedes mal, wenn sie nur an die Prüfung dachte, wurde ihr schlecht vor Aufregung. Evelyns Augen blitzten belustigt.

„Keine Sorge, Yuna. In solchen Prüfungen geht es eigentlich gar nicht um das Wissen des Prüflings, sondern um die Fähigkeit, sich Informationen zu beschaffen. Wahrscheinlich ist die Arbeit so schwer, dass man außergewöhnlich gut sein muss, um überhaupt etwas zu wissen.“

„Wie jetzt? Du meinst wir sollen abschreiben?“

„Richtig. Ich schlage vor, dass wir einen Sender benutzen, dann kann ich dich alles Nötige wissen lassen. Mir wird mein Byakugan helfen, wenn ich nicht weiter weiß.“

Evelyn zog einen Gegenstand hervor, der etwas größer war als ein Stecknadelkopf. Yuna machte große Augen, und die Hellhaarige verbiss sich ein Grinsen.

„Wo kann man so was Kleines herstellen?“

„Die Dinger sind aus Amegakure. Ich mache das nicht zum ersten Mal. Es hätte mich beinahe den Kopf gekostet, diese Technik mitgehen zu lassen.“

„Du klaust?!“ Yunas Stimme schwankte zwischen Erstaunen und Bestürzung.

Evelyn prustete ob dieser Reaktion. „Natürlich klaue ich, wenn mich die Umstände dazu zwingen. Aber genug von meinen Kleinen Lastern. Steck dir den Sender am Tag der Prüfung ins Ohr.“

„Wird man uns nicht genau auf solche Sachen kontrollieren?“

„Wie soll man nach etwas suchen, wovon man nichts weiß? Nein, ich denke, meine Methode ist narrensicher.“

„Was für ein Glück.“, meinte Yuna trocken.

Die Hellhaarige schmunzelte. „Komm lass uns einen Code entwickeln.“

„Wie? Eine Sache die mal nicht schon längst fertig und durchdacht ist?“

„Woher soll ich wissen, was du leicht behalten kannst?“

„Sag mal, musst du eigentlich immer das letzte Wort behalten?“, maulte Yuna.

„Eine meiner Untugenden. Und jetzt an die Arbeit!“
 

Yuna fiel an diesem Abend wie ein Stein ins Bett. Den ganzen Nachmittag hatte Evelyn sie Zahlencodes und andere Arten der Verschlüsselungen üben lassen, und ihr damit saftige Kopfschmerzen beschert. Auf die Frage, welchen Nutzen denn eine Verschlüsselung hätte, war Evelyns Antwort gewesen, dass es etwas Anderes sei, ob man die Lösung oder eine sinnlose Zahlenreihe vor sich hinbrummt. Außerdem wollte sie ihrem Sitznachbarn das Leben nicht erleichtern, falls er ein gutes Gehör besaß.

Nach diesem Tag, war Yuna sich sicher, dass man die Hellhaarige besser in den Geheimdienst stecken sollte, statt zuzulassen, dass sie wehrlose Genin folterte. Mit hämmerndem Schädel rollte sie sich fester in ihre Decke ein. Die Sache hatte nur ein Gutes: Ihr Bammel war weg. Sie hatte schlicht keine Zeit mehr für Prüfungsängste.

Mit dem Wissen, dass am nächsten Tag weitere Unterrichtsstunden ihrer harrten, schlief Yuna ein und träumte von Zahlenkolonnen.
 

Yuna und Evelyn saßen gemeinsam am Schreibtisch der Hellhaarigen, und diese diktierte Yuna mit leiser Stimme eine verworrene Zahlenfolge, die das junge Mädchen mit vor Konzentration gefurchter Stirn in sinnvolle Worte umzuwandeln versuchte.

Wenn du... Der Tukan fliegt durch... diesen zweigeteilten Satz... die vom Duft... richtig entschlüsselst... der Orchidee... ist diese Übung... geschwängerte Luft... beendet.

Yuna betrachtete die zwei ineinander vermischten Sätze, die ihr Pinsel fast ohne ihr zutun auf das Papier gebannt hatte, und musste lachen. Auch Evelyn war zufrieden.

„Gut Yuna, es besteht kein Zweifel mehr. Du kannst es. Wir können demnach aufhören das hier zu üben.“

Die Dunkelhaarige stieß einen erleichterten Seufzer aus, und auf Evelyns Gesicht schlich sich ein Lächeln.

„Wir haben so weit alles besprochen.“, fuhr die Hellhaarige fort. „Bist du sicher, dass du dir das alles bis morgen merken kannst?“

Yuna nickte.

„Schön, dann schlage ich ein wenig körperliche Ertüchtigung vor. Das lockert nach geistiger Anstrengung auf.“

Yuna verzog das Gesicht. „Hilfe! Ich werde heimgesucht!“

Die schriftliche Prüfung

Am Morgen war Yuna trotz aller guten Vorsätze aufgeregt. Sie hatten bei der Anmeldung erfahren, dass man für ihr Team eine Ausnahme geltend machte, in der Aurora für den zweiten Prüfungsteil offiziell als drittes Mitglied gezählt wurde, was niemanden überraschte. Bei normalen Missionen kam derlei ja auch vor, war das Argument des Hokages gewesen, und dabei blieb es.

Als eine der ersten Gruppen saßen sie in dem geräumigen Warteraum und beobachteten die tröpfelnde Ankunft der anderen Teams. Evelyn überraschte Yuna mit umfassenden Informationen zu den einzelnen Ninjadörfern, was wenig verwunderlich war, da sie die meisten von ihnen hatte besuchen können. Manche der Ninjas kannte sie beim Namen und wusste sogar ein paar Anekdoten zu ihnen.

„Sieh, das Team aus Sunagakure. Vor dem Rotschopf, Gaara, sollte man sich besser in acht nehmen. Es heißt, er sei nicht ganz richtig im Kopf und verwandle sich im Kampf in ein manisches Ungeheuer. Die Flasche auf seinem Rücken ist mit Sand gefüllt, den er für seine Angriffe verwendet. Die Blonde heißt Temari. Windattribut. Sie kämpft wie Kankuro, der in schwarz auf mittlere Distanz. Er ist Marionettenspieler. Sie werden die schriftliche Prüfung auf jeden Fall bestehen. Gehen wir ihnen aus dem Weg.“

Evelyn zog eine Augenbraue in die Höhe, als ein weiteres Team den Raum betrat.

„Otogakure! Interessant.“

„Otogakure?“, fragte Yuna verwirrt nach. Erdkunde war nicht so ihre Stärke.

„Das Dorf das versteckt im Klang liegt.“, erklärte Evelyn. „Der Eingang liegt irgendwo im Reich der Reisfelder. Man munkelt...“ Die Hellhaarige brach ab und musterte aus den Augenwinkeln den weißhaarigen Ninja, der unauffällig näher gerückt war und nun sehr interessiert wirkte. Evelyn verbarg ihre Irritation und tauschte einen Blick mit ihm, während sie in ihrem Gedächtnis nach seinem Namen kramte. Sie nickte ihm leicht zu. Kabuto, ein Heiler ungeklärter Herkunft. In Evelyn keimte ein Verdacht auf, als er sie weiter im Auge behielt. Sie wusste, dass Otogakure mindestens einen Spitzel im Dorf hatte.

Ich sollte mich später darum kümmern, ging es ihr durch den Kopf, dann wandte sie sich wieder Yuna zu, die sie erwartungsvoll ansah.

„Lassen wir die Gerüchte. Das Mädchen heißt, soweit ich weiß, Kin, und die bandagierte Gestalt neben ihr Dozu. Sie manipulieren den Körper durch Töne. Schwierig abzuwehren. Das ist ein weiteres Team, das wir meiden werden.“

„Du hast gesagt: irgendwo im Reich der Reisfelder. Was heißt das?“, hakte Yuna neugierig nach.

„Das heißt, dass ich nicht weiß, wo der Eingang liegt.“, log die Hellhaarige glatt und beobachtete aufmerksam Kabutos Reaktion, der sich für das geübte Auge sichtbar entspannte.

Na, hab ich dich, dachte Evelyn. Ihr Gesicht blieb eine Maske.

Sie plauderten weiter, bis Naruto seinen großspurigen und reichlich peinlichen Auftritt hinlegte, der ihm ohne Kabutos Eingreifen eine saftige Tracht Prügel eingetragen hätte, denn er zog den Unmut der Klangninjas auf sich. Yuna hielt sich kichernd die Hand vor den Mund, und Neji, Sasuke und Evelyn drehten entnervt die Augen gen Himmel.

Idiot, dachte die Hellhaarige bei sich. Er wird es schwer haben, wenn er einem Gegner über den Weg läuft, der nicht wartet, bis er sein Geschwafel beendet hat.

Evelyn ließ ihre Gedanken abschweifen und fixierte dabei unwillkürlich Hinata. Als diese die ihr zuteil werdende Aufmerksamkeit bemerkte, verkroch sie sich schüchtern hinter Shino.

Yuna wurde langsam ganz hibbelig, und dieser Zustand besserte sich auch nicht gerade, als der grimmig aussehende Prüfer den Wartesaal betrat. In einen langen, schwarzen Mantel gehüllt und mit den zwei entstellenden Narben im Gesicht machte er nicht gerade den Eindruck eines freundlichen Zeitgenossen. Evelyn legte ihrer Teamgefährtin eine Hand auf den Arm.

„Das ist Ibiki Morino. Er setzt für gewöhnlich menschliche Ängste für sich ein. Gesteh ihm keine Macht über dein Denken zu. Das Meiste von dem, was er sagt, ist nicht mehr als heiße Luft.“, flüsterte sie Yuna zu und lenkte diese damit von den bedrohlichen Worten des Mannes ab.
 

Um dem Betrug vorzubeugen lag an den Plätzen bereits alles für die Prüflinge bereit. An den Wänden saßen mit Klemmbrett und Stift bewaffnete Ninjas, die die Schüler mit Argusaugen beobachten würden.

Gerade erklärte Morino die verworrene Punkteregel der schriftlichen Prüfung, doch Yuna hörte nicht so recht hin. Sie lauschte Evelyns Stimme und war überrascht, wie deutlich dieser lächerlich kleine Sender ihre Worte übertrug. Das versteckte Mikrophon war so fein, dass sie alles verstand, als stünde Evelyn direkt neben ihr. Niemand sonst würde die Hellhaarige flüstern hören können.

„Die Regelung, dem Prüfling Punkte abzuziehen, wenn er beim Abschreiben erwischt wird, statt ihn durchfallen zu lassen, verrät schon, dass dieser Test nur die Fähigkeiten zur Informationsbeschaffung prüft.“, übersetzte Yuna und war froh, dass es ihr leicht fiel. „Die zehnte Aufgabe ist ein Bluff. Kümmre dich nicht darum, denn es gibt sie nicht. Ganz sicher. Ich habe meine Quellen.“ Yuna atmete erleichtert auf, ihr hallten die Worte im Gedächtnis wieder: Wenn ihr diese Aufgabe nicht lösen könnt, bleibt euch die Möglichkeit, Chunin zu werden auf immer versperrt...

Die Dunkelhaarige sah voller Mitleid zu Naruto hinüber. Er starb jetzt schon tausend Tode. Allerdings bekam auch sie einen gehörigen Schreck, als sie ihr Blatt umdrehte und sah, wie schwer die Aufgaben waren. Kurz blickte sie zu Evelyn herüber, doch ihre Miene drückte gelassene Ruhe aus. Entspannt nahm sie den Bleistift zur Hand, machte sich an die erste Aufgabe, und schon bald empfing Yuna die ersten Ergebnisse.
 

Yuna und Evelyn waren gerade fertig geworden, als Morino das Theater um die zehnte Aufgabe abzog. Es war ein Bluff, wie die Hellhaarige es vorausgesehen hatte, und beinahe hätte Yuna laut lachen müssen, als Morino das Ende der Prüfung erklärte.

Die Erleichterung legte sich wie eine Wolke über die Schüler – bis man den Einschlag mehrer Kunais hörte, und sich ein dunkles Tuch vor die vordere Wand spannte, das Morinos Rede sofort beendete. Durch das gleiche Fenster, durch das auch das Schriftband Einlass gefunden hatte, kam nun auch Anko in den Raum und baute sich vor den Prüflingen auf.

Yuna und Evelyn tauschten einen Blick.

„Mein Gott, ist das ein peinlicher Auftritt.“, ließ der Silberschopf Yuna hören. „Zum Glück weiß keiner, dass sie unsere Sensei ist.“

Anko hielt eine kurze Ansprache, und lächelte dann ihren Schützlingen zu.

„Yuna, Evelyn! Wie ist es gelaufen?“

Die Beiden sanken über ihren Tischen zusammen. Wie peinlich!

Prüfung unter Bäumen

Der Wald des Schreckens, in dem der zweite Teil der Prüfung stattfinden sollte, war ein umzäuntes Gebiet von üblem Ruf, und Yuna empfand überhaupt kein Bestreben, es näher zu erkunden. Anko schürte die Angst noch mit schauerlichen Beschreibungen, sodass in den Augen der Hasenherzen schon bald die Furcht geschrieben stand. Evelyns Augen dagegen begannen zu leuchten.

„Wer weiß, welch seltene Pflanzen man unter all dem Getier finden kann, das unsere Sensei gerade so bildgewaltig heraufbeschwört.“

Sie prustete, als sie Yunas befremdeten Gesichtsausdruck sah.

„Guck nicht so, Yuna. Es gibt wenig, das einen Stich durchs Herz überlebt. Du hast dich doch lange genug mit dem Körperbau der verschiedensten Kreaturen befasst, um es zu finden.“

Die Dunkelhaarige setzte zu einer Erwiderung an, doch Evelyn gebot ihr Schweigen, um Ankos Worten zu lauschen.

„Jede Gruppe erhält eine Schriftrolle.“, erklärte diese gerade. „Entweder eine Himmels- oder eine Erdschriftrolle. Ziel ist es, das Gegenstück zur eigenen zu erringen. Das heißt im Klartext: Die Hälfte von euch kleinen Würmern fällt eh schon mal durch. Die Schriftrollen werden verdeckt ausgeteilt, somit werdet ihr nicht wissen, welches Team die Schriftrolle hat, die ihr braucht. Diese Schriftrollen bringt ihr zum Turm im Zentrum des Waldes. Fünf Tage sind das Zeitlimit. Jede Gruppe startet von einem anderen Tor. Noch Fragen?“

Anko erntete undeutliches Gemurmel. Nur Naruto musste sich unbedingt noch einmal wichtig machen, als er, großspurig wie immer, seine eigene Furchtlosigkeit zum Besten gab. Ein dummer Fehler, wie er begreifen musste, als Anko ein Kunai in seine Richtung warf. Erschrocken stolperte er zurück. Blut perlte aus dem unschönen Schnitt auf seiner Wange. Doch Anko war noch nicht fertig mit dem Großmaul. Schneller, als er reagieren konnte, tauchte sie hinter ihm auf, legte die Hände auf seine Schultern und schleckte das Blut von seiner Haut.

Yuna erstickte ihren Lachanfall in einem Prusten, als sie Narutos Gesicht sah. Der absolute Gefrierbrand.

Evelyns Blick ruhte nicht auf der Szene, sondern behielt die Gruppe Grasninjas im Auge. Unvermittelt tauchte einer von ihnen hinter Anko auf. Seine lange Zunge schnellte vor und wickelte sich um den Kunai ihrer Sensei.

„Hier, Ihr Kunai.“

„Oh, danke!“, sagte Anko grinsend.

Evelyn trat einen Schritt zurück. Diese Geste, sie kannte sie aus unzähligen Beschreibungen. Man wurde geradezu mit der Nase auf die Wahrheit gestoßen. Doch niemand sonst nahm davon wirklich Notiz. Auch Anko nicht.

Die Teams stellten sich schließlich recht geordnet an den hölzernen Ständen an, um ihre Schriftrolle zu erhalten. Evelyns Team war dabei eines der ungewöhnlichsten, denn Aurora hielt sich dicht an ihrer Seite und sträubte jedes Mal drohend die Nackenhaare, wenn jemand ihr zu nahe kam.

Die angehenden Chunin beäugten einander misstrauisch. Jeder suchte die Fähigkeiten der anderen einzuschätzen.

Yuna war unbehaglich zumute, denn Evelyn hatte sie dazu genötigt, alle ihre Waffen mit Gift zu bestreichen.

„Denke also daran, keine Früchte mit deinem Kunai aufzuschneiden.“, hatte die Hellhaarige ihr eingeschärft.
 

Seelenruhig saß Evelyn auf dem Boden, während Yuna vor lauter Nervosität rastlos auf und ab lief. Die Zeit vor Prüfungsbeginn zog sich quälend in die Länge. Nur manchmal schaute Evelyn träge zur Uhr über dem geschlossenen Tor.

„Hör endlich auf, einen Graben zu laufen, Yuna.“, brummte sie unwillig.

„Wie kannst du nur so ruhig sein?“

„Es geht doch nur gegen andere Genin, und die wirklich gefährlichen Typen meiden wir einfach. Kein Grund zur Panik.“

Yuna spielte nervös mit ihrem Stab, stellte aber ihre Wanderschaft ein. „Für dich vielleicht nicht...“

Plötzlich stand Evelyn hinter ihr. Die Dunkelhaarige zuckte erschrocken zusammen. Wie hatte sie das gemacht? Sie legte ihr eine Hand auf die Schulter.

„Ruhig, Yuna. In der Aufregung macht man Fehler.“

Yuna schlug das Herz bis zum Hals. Warum hatte sie nicht gesehen, wie sich ihre Teamgefährtin bewegte?

Evelyn schaute ihr über die Schulter, zog ihre Hand zurück und trat vor das Tor. Die Türflügel schwangen mit einem metallischen Schaben auf. Die Hellhaarige nahm auf Auroras Rücken Platz und winkte ihrer Teamgefährtin.

„Na komm.“

Das gemächliche Schritttempo, mit dem sie in die Schatten der Baumriesen eintauchten, machte Yuna noch unruhiger.

„Sollten wir uns nicht etwas beeilen?“

„Wozu? Wir haben fünf Tage, und die Anderen werden ohnehin zu uns kommen. Wir machen beide nicht gerade einen gefährlichen Eindruck.“

Die Dunkelhaarige musste zugeben, dass das stimmte.
 

Im Schatten eines großen Baumes bedeutete Evelyn Yuna anzuhalten und prüfte die Umgebung mit ihrem Byakugan. Niemand war in ihrer unmittelbaren Nähe, obwohl sie entfernt ein starkes Chakra wahrnahm.

„Wir müssen Vorkehrungen treffen für den Fall, das jemand unsere Gestalt annimmt, um uns zu täuschen.“

„Du hast recht. Das ist ein ziemlich einfaches Jutsu. Ein Codewort?“, schlug die Dunkelhaarige vor.

„Nein, wir müssten es jedes Mal ändern, wenn wir uns damit ausgewiesen haben. Es ist zu einfach auszuspähen. Ein Zeichen wäre günstiger. Etwas das so unscheinbar und unwichtig aussieht, um es zu berücksichtigen... Halt mal still, Yuna.“ Plötzlich trat Evelyn an sie heran, strich ihr das Haar aus dem Nacken und legte ihre Lippen auf eine Stelle am Hals kurz unter ihren Ohr.

„Uääh! Evelyn! Was soll das denn?!“

Die Hellhaarige trat belustigt über diese Reaktion zurück. „Die Lösung des Problemchens.“, erklärte sie, während sich Yuna eine Hand auf den dunklen Fleck auf ihrer Haut presste. „Ich nehme an, das ist angenehmer als ein Schnitt.“

„Du hättest mich wenigstens vorwarnen können.“, grummelte die Dunkelhaarige.

„Schimpf nicht. Du bist dran.“

„Du hast Nerven!“, knurrte Yuna, tat aber wie geheißen. Es war ein eigenartiges Gefühl, Evelyn einen Kuss auf den Hals zu drücken, und sei er noch so zweckmäßig.

„Überlebensregel Nummer eins: Tu das Unerwartete.“, flötete die Hellhaarige. Yuna trat zurück, betrachtete ihr Werk und war zufrieden damit.

„So, war das jetzt so schlimm?“, neckte Evelyn.

„Manchmal bist du echt unausstehlich.“

„Ich..“ Der Silberschopf stockte mitten im Satz, schlang Yuna einen Arm um die Taille und zog sie tiefer in den Schatten zwischen den riesigen Baumwurzeln. Sie legte ihr eine Hand über den Mund, drückte sie fest an sich und wob ein Jutsu, das sie in dichtem Schatten verbarg. Aurora legte sich zu ihren Füßen flach auf den Boden. Evelyn hielt den Atem an, und Yuna konnte spüren, wie ihr Herz hämmerte. Die Hellhaarige schien wirklich Angst zu haben. Panik griff nach der Dunkelhaarigen. So hatte sie ihre Teamgefährtin noch nie erlebt.

Über ihnen stürmte ein einzelner Grasninja durch die Baumkronen, ohne sie zu bemerken. Erst nach einer ganzen Weile entspannte sich die Hellhaarige wieder und ließ ihre Teamgefährtin los.

„Evelyn?“, fragte Yuna vorsichtig.

„Das eben war Shiore. Leg dich niemals mit ihm an. Niemals. Das ist ein Feind, gegen den auch ich nicht bestehen kann.“

Die Dunkelhaarige fröstelte ob der Eindringlichkeit in Evelyns Stimme.

„Verstanden.“

„Gut, dann lass uns weitergehen. Steig hinter mir auf.“ Sie schwang sich auf Auroras Rücken und hielt Yuna die Hand hin. Diese kletterte hinter sie. Die Füchsin schien sich am zusätzlichen Gewicht nicht zu stören.

In den nächsten Stunden sollte Yuna feststellen, dass es gar nicht so einfach war, wie es aussah, sich auf Auroras Rücken zu halten. Zwar presste sie die Knie an die Flanken der Füchsin und klammerte sich an Evelyn fest, doch trotzdem fand sie nicht so recht Halt bei den geschmeidigen Bewegungen des schnellen Laufs. Bald war sie vollkommen verkrampft, während die Hellhaarige sich scheinbar mühelos Auroras Bewegungen anpasste.

Das sieht man es mal wieder, dachte Yuna. Erfahrung siegt über guten Vorsatz.
 

Verborgen hinter dichtem Gestrüpp lagen sie auf der Lauer, denn Evelyn hatte ein Team erspäht, das durch einen Kampf versprengt war. Der Ninja aus Kumogakure, den sie beobachteten, war nur von mittlerer Größe, hatte filzige, braune Haare, und schon jetzt zogen sich Narben durch sein Gesicht und über die Arme. Er trug ein breites Schwert auf dem Rücken, das mehr wie eine Keule wirkte.

Wahrscheinlich ein Typ brachialer Gewalt, dachte Yuna und warf Evelyn einen kurzen Blick zu. Ihre Teamgefährtin nickte und sprang mit gezückter Waffe aus ihrem Versteck. Ohne ein Wort der Warnung attackierte sie ihren vollkommen überraschten Gegner. Yuna hielt sich in Reserve, um eingreifen zu können, wenn es nötig war. Wild hieb er um sich, doch das brachte ihn bei Evelyns vorsichtigen Angriffen nicht weiter. Wie ein Schakal schlich sie um ihn herum und wartete geduldig auf eine Blöße seinerseits, ohne sich die Mühe zu machen, die brachialen Hiebe zu parieren. Sie wartete den richtigen Augenblick ab, dann trat sie ihm die Waffe aus der Hand. Zwanzig Meter weiter bohrte sie sich in einen Baum. Unerreichbar.

Er versuchte ihr mit bloßen Händen beizukommen, doch sie flutschte ihm wie ein Aal ständig durch die Finger und trieb ihn immer weiter zurück, bis er an einen Baum stieß. Das war Evelyns Chance, und sie vergeudete sie nicht. Ohne viel Federlesens trieb sie ihm ihr Katana durch den Oberschenkel, bis sich die Klinge in das Holz bohrte und nur noch das Heft herausschaute. Er brüllte vor Schmerz. Die Hellhaarige trat einen Schritt zurück. Er griff nach dem Schwertgriff.

„Das würde ich nicht tun. Zieh die Klinge heraus, und du verblutest schneller, als du dich entscheiden kannst, wie du mich verfluchen kannst.“, sagte sie kalt.

„Verdammte Hexe!“, zischte er, nahm aber die Hände vom Heft.

Mit einer blitzschnellen Bewegung stach sie ihm ihren Dolch in die Schulter und entlockte ihm einen erneuten Aufschrei.

„Hast du die Schriftrolle?“

Der Ninja presste die Lippen fest zusammen. Evelyn ruckte den Dolch in der Wunde umher. Blut spritzte ihr ins Gesicht, und er jaulte vor Pein.

„Nein!“

„Siehst du, es geht doch.“, sagte sie mit weicher Stimme. „Ist es eine Himmels- oder eine Erdschriftrolle?“ Als wolle sie ihren sanften Ton Lügen strafen, drehte sie die Klinge in seiner Schulter.

„Erd!“, quiekte er unwürdig schrill.

Mit dieser Antwort zufrieden zog sie den Dolch zurück, strich das Blut an seinem Hemd ab und schob sie zurück. Sie legte ihm mit seinem Gürtel, einem Stock und einem sauberen Tuch eine behelfsmäßige Aderpresse an, erst dann zog sie ihr Schwert aus seinem Bein und säuberte die Klinge. Er sank zu Boden.

Plötzlich war Aurora über ihm und drückte ihn auf die Erde. Ein Biss in den Nacken würde genügen, um seinen Kopf vom Körper zu trennen.

Yuna wurde speiübel. War das noch eine Prüfung, oder schon bitterer Ernst?

Evelyn schob das Schwert zurück und setzte sich neben Aurora auf einen Baumstumpf.

„Komm her, Yuna. Wir warten.“

Kreidebleich kam sie hinter dem Busch hervor.

„Worauf?“, fragte sie, als sie, als sie ihre Stimme wieder gefunden hatte.

„Auf sein Team. Laut genug gebrüllt hat er ja.“

Yuna schluckte ob Evelyns Kaltblütigkeit. Sie fragte sich, was ihre Teamgefährtin durchgemacht hatte, um so zu werden.

Evelyn schloss die Augen und lauschte auf die Geräusche des Waldes. Die Melodien der Natur: das Rauschen des Laubes im Wind, das Trippeln kleiner und großer Kreaturen und das Knarren der Bäume. Da – ein Misston. Sie öffnete die die Lider.

„Sie kommen.“, raunte sie Yuna zu und drückte dem Gefangenen den Dolch an die Kehle. Yuna spannte sich und nahm den Stab vom Rücken.

Plötzlich standen die beiden Ninjas da. Ein roh aussehender, junger Mann und eine Frau, deren Miene etwas zwischen Sorge und Wut ausdrückte. Gerade wollte sie zum Angriff ansetzen, als ihr Blick auf die Klinge an der Kehle ihres Teamkollegen fiel. Sie erstarrte.

„Ich mache euch ein Angebot.“, unterbreitete Evelyn. „Die Schriftrolle gegen euren Gefährten.“

„Und wenn nicht?“ Der Provokation des Shinobis zum Trotz wirkte seine Stimme eher unsicher.

„Dann töte ich ihn und habe nur noch zwei Gegner.“, erwiderte die Hellhaarige gelassen. Yuna war geschockt. Das würde sich doch nicht wirklich tun! Sie konnte hier doch nicht zur Mörderin werden! Allerdings belehrte sie die Erinnerung an Assif eines Besseren. Sie konnte durchaus, doch schien es nicht nötig zu sein. Die Frau zog mit nervös flackerndem Blick die Schriftrolle aus dem Wams.

„Yuna.“ Evelyn bedeutete ihr, die Schriftrolle zu holen.

„Nein!“, empörte sich die Frau. „Erst ihn.“

„Dieser Handel läuft nach meinen Bedingungen. Mich bedrückt sein Tod nicht sonderlich, bringt mir aber auch keinen Vorteil, und die Schriftrolle kriege ich auch so, also...“, sagte die Hellhaarige frostig und machte eine fordernde Handbewegung.

Die Kumonin biss sich auf die Lippen, nickte zögernd und übergab Yuna die Schriftrolle, die sich sofort wieder an Evelyns Seite zurückzog. Wie versprochen stand Aurora auf, die Hellhaarige packte ihn am Kragen und zog ihn auf die Beine. Sie gab dem geschwächten Ninja einen Stoß, der ihn zu seinem Team taumeln ließ.

„Lasst die Finger von der Aderpresse, sonst verreckt er innerhalb kürzester Zeit. Für ihn ist die Prüfung gelaufen.“, meinte Evelyn und erntete wütende Blicke. Die Genin sahen aus, als wollten sie sich auf sie stürzen, doch der Verwundete hielt sie zurück.

„Nein! Lasst sie! Die sind ne’ Nummer zu groß, wenn die Schwarzhaarige auch so stark ist.“

„Ist sie. Verlass dich drauf.“, sagte Evelyn kühl und legte eine Hand an den Schwertgriff.

Die Drei ergriffen die Flucht.

Evelyn seufzte zufrieden. „Sehr gut, Glück gehabt.“

„Sag mal, hättest du ihn wirklich umgebracht?“, fragte Yuna vorsichtig.

„Nein, das war ein Bluff. Ich bin froh, dass es geklappt hat. In einer Prüfung sollte man nicht so weit gehen. Ich glaube nicht, dass der Hokage angetan wäre. Komm, lass uns einen Fluss suchen. Ich will baden.“

„Verständlich.“, erwiderte Yuna. Haar und Gesicht ihrer Teamgefährtin war voller getrocknetem Blut des Bedauernswerten.

„Gehen wir dann zum Turm?“

„Ja, aber langsam und vorsichtig. Ich habe beschlossen, dass hier ein paar Leute herumhüpfen, denen ich nicht allzu gern in die Finger stolpern möchte.“

„Wie der Typ von eben? Shiore?“

„Exakt. Außerdem will ich noch ein paar Pflanzen mitnehmen.“

„Lieber Himmel, du hast Probleme!“, rief Yuna aus. Evelyn streckte schmunzelnd die Hand aus.

„Komm gib mir die Schriftrolle. Ich höre Wasser.“

Sie tat wie geheißen und reichte ihr die Beute. Die Hellhaarige ließ das Schriftstück unter ihrem Oberteil verschwinden.

„Es erstaunt mich jedes Mal wieder, wie du so viel Krempel unter deinen Pulli stopfen kannst, ohne, dass man es von außen sieht.“

„Alles eine Frage des Einstapelns.“, gab Evelyn schalkhaft zurück und ging voran, sodass Yuna nichts anderes übrig blieb, als hinter ihr herzulaufen.
 

Hinter einem dichten Gebüsch aus ineinander verwobenen Dornenranken stießen sie auf eine Stelle am Fluss, wo sich das glitzernde, klare Wasser in einer Art Steinbecken fing und so einen kleinen See bildete. Am Ufer erstreckte sich ein schmaler Grasstreifen, der von schier undurchdringlichem Unterholz gerahmt wurde. Ein perfekter Lagerplatz.

Evelyn nahm Aurora die Taschen ab und stellte sie auf den Boden.

„Etwas Besseres werden wir so schnell nicht finden.“, meinte Evelyn. Und ich will wirklich baden. Blut ist widerlich.“

Yuna nickte nur und half ihr, ein paar Fallen aufzustellen, die sie warnen würden, sollte sich jemand nähern.

„Hältst du Wache, Yuna?“

„Klar.“ Die Dunkelhaarige setzte sich auf einen Stein, während Evelyn die Kleider abstreifte und etwas aus ihrem Rucksack zog. Die Haut der Hellhaarigen war nicht eben makellos, wie Yuna bemerkte. Weiße, kaum sichtbare Striemen, längst ausgeheilte Narben legten Zeugnis ab von überstandenen Verletzungen, von denen einige ziemlich schwer gewesen sein mussten.

Schnell löste sich das geronnen Blut von ihrer Haut, doch die verklebten Haarsträhnen davon zu befreien, war schon ein umständlicheres Unterfangen. Das Flusswasser spülte die Schaumkronen davon.

Als Evelyn aus dem Wasser stieg und sich mit einer Salbe einrieb, verbreitete sich der Duft von Orchideenblüten auf der Lichtung, nur ganz schwach konnte Yuna das Aroma eines Insektenschutzmittels wahrnehmen. Shino hätte im Kampf gegen sie beide einen echten Nachteil. Yuna kannte den Geruch von der Salbe, die sie inzwischen selbst herstellte.

„Na, Yuna, worüber denkst du nach?“, fragte Evelyn unvermittelt, als die Gedanken der anderen abschweiften.

„Hast du mal darüber nachgedacht, ob du später eine Familie und Kinder haben möchtest?“

„Huch, wie kommst du denn jetzt darauf?“

„Keine Ahnung. Einfach so.“

„Ich weiß nur eines mit Bestimmtheit: Eigene Kinder werde ich keine haben.“, sagte Evelyn.

„Warum nicht?“ Yuna klang verwundert.

„Ich kann keine bekommen.“

„Wie...?“, fragten die Dunkelhaarige verwirrt nach.

„Ein Schwerthieb von einer Seite des Beckens bis zur anderen. Meine Mutter konnte nicht wieder alles so herrichten, wie es war. Ich habe nur knapp überlebt. Das war als ich acht war. Ich hatte Glück. Die meiste Zeit meiner Genesung war ich ohne Besinnung.“, meinte sie.

„Und du Yuna? Wie steht es mit dir?“, fragte Evelyn als sie sich die Kleider überstreifte.

„Ich weiß nicht. Vielleicht, wenn ich den Richtigen gefunden habe.“

„Danach suchen manche ein Leben lang.“, merkte die Hellhaarige an. „Und Manche, die den richtigen Partner finden, verlieren ihn wieder. Aber genug davon. Lass uns eine geschützte Stelle für die Nacht finden.“

Während sie gingen, pflückte Evelyn immer wieder Blätter und Blüten von ihr unbekannten Pflanzen ab und steckte sie in einen Beutel auf Auroras Rücken. So kamen sie nur langsam voran, während die Kronen der riesigen Bäume das schwächer werdende, rote Licht des Abends zu verschlingen schienen. Manchmal begegneten sie übergroßen Insekten und Kriechtieren, doch die Kreaturen flüchteten vor ihnen.

„Also ohne die Insektenschutzsalbe wäre das hier wohl echt ungemütlich.“, merkte Yuna käseweiß im Gesicht an, als eine ponygroße Spinne ihren Weg floh. Darüber mussten beide Lachen.

Verhasster Lehrmeister

Zufrieden kauend saß Anko auf dem Dach eines Kontrollpunktes an der Umzäunung des Waldes des Schreckens. Ohne hinzusehen warf sie den letzten der kleinen Spieße gegen einen nahen Baum, in dessen Rinde er zitternd stecken blieb. Nun erst betrachtete sie ihr Werk: das Zeichen Konohas.

Grinsend dachte sie an ihre zwei Schülerinnen. Wahrscheinlich, dachte sie, geht Evelyn die meiste Zeit voran, während Yuna ihr mit ängstlicher Miene hinterher tappt.

Wie eine alte Eidechse streckte sie sich genüsslich in der warmen Abendsonne, bis sie aufgeregte Rufe hörte.

„Anko!“, rief ein Ninja, in dessen Stimme sich Grauen mit Aufgebrachtheit mischte. „Kommen Sie schnell! Es ist etwas Entsetzliches geschehen!“
 

Anko knirschte mit den Zähnen. Der Ninja hatte sie zu einer statuengesäumten Gebetsstätte geführt. Mitten auf dem gepflegten Grün des Rasens lag eine Leiche. Doch das war es nicht, was Anko die Hände zu Fäusten ballen ließ, und eine unbändige Wut in ihr hochkochen ließ. Nein, Tote hatte sie genug gesehen. Es war der Umstand, dass dem Körper die Gesichtszüge fehlten. Ein verbotenes Jutsu. Eines, das sie nur zu gut kannte.

„Weiß man, wer der Tote ist?“, stieß Anko hervor.

„Ja.“ Jemand reichte ihr eine Karte. Shiore, ein Ninja aus dem Grasreich. Ihr stockte der Atem. Sie erkannte den Typ. Er war es gewesen, der ihr den Kunai gereicht hatte. Sie erinnerte sich daran, wie durchdringend Evelyn ihn angesehen hatte.

War er es schon, als er mir das Kunai gegeben hat? Weiß Evelyn etwas?

„Ich weiß, wer das gewesen ist.“, knurrte sie mühselig beherrscht. „Gebt dem Hokage bescheid!“

Was will er hier? Ohne auf die Rufe zu achten, die ihr folgten, wirbelte sie herum und jagte in großen Sätzen auf den Wald zu, unter dessen Bäumen es bereits dunkelte.

„Verdammt!“, fluchte Anko. Wie sollte sie ihn in der Dunkelheit finden?
 

Yuna und Evelyn waren bereits tief in den Wald vorgedrungen, als sich die Nacht herabsenkte. Unter den oberschenkeldicken Wurzeln einer Schmarotzerpflanze, die ihren Wirtsbaum längst erstickt hatte, hatte sich eine geschützte Höhle gebildet, und diesen Hohlraum hatte Evelyn zu ihren Lager auserkoren. Sie verzichteten auf ein Feuer, denn das Licht würde nur ungewollt Feinde anlocken.

„Ich übernehme die erste Wache.“; schlug Evelyn vor, und Yuna hatte nichts dagegen einzuwenden, denn sie war hundemüde. Daher richtete sie sich ihr Lager und rollte sich in ihre Decke. Es dauerte nur wenige Minuten, dann fiel sie in tiefen, traumlosen Schlaf. So schnell würde sie nichts mehr wecken.

Die Hellhaarige setzte sich auf den Boden, legte die Hände im Schoß zusammen und aktivierte ihr Byakugan.

„Verbrauchst du damit nicht zu viel Chakra?“, wollte Aurora wissen.

„Ich sehe mich nur kurz um, ob etwas in der Nähe ist was...“ Evelyn brach ab. Ihr Blick fokussierte einen Punkt in der Ferne. Ein vertrautes Chakra. Es verströmte Angst.

„Halt Wache Aurora.“, sagte sie knapp und stand auf. Die Füchsin stellte keine Fragen, als Evelyn in die Nacht hinauslief. In lautlosen Sätzen verschwand sie zwischen den Bäumen. Sie ließ ihr Ziel keinen Moment aus den Augen. Anko war stehen geblieben. Ihr Chakra leuchtete der Hellhaarigen regelrecht den Weg, bis ein anderes, viel Stärkeres ihre Aufmerksamkeit fesselte.

Evelyn wurde kalt. Auch dieses Chakra hatte sich schon einmal gespürt. Sie beschleunigte ihre Sprünge, um ihre Sensei zu warnen, doch als sie Anko fast erreicht hatte, löste sich hinter ihrer Sensei ein Mann aus dem Baumstamm. Wind lies die Blätter rascheln. Schnell verbarg sich Evelyn in einer Baumkrone und blickte auf die Szene herab, die sich unter ihr abspielte.

Der Mann bot einen schauerlichen Anblick. Seine Gesichtshaut schien sich abzuschälen, und ein anders Antlitz trat darunter zutage.

Die Hellhaarige konnte nicht verstehen, was gesprochen wurde, denn der Wind trug die Worte davon, doch Anko reagierte feindselig. Sie griff ihn an, als er noch halb im Baum steckte, erwischte seine Hand und bohrte einen Kunai durch ihre und seine Hand. Die Finger der Kontrahenten verbanden sich zu einem Fingerzeichen. Ein verbotenes Jutsu, das beide in den Tod reißen würde.

Entsetzen zeichnete sich auf Ankos Gesicht ab, als der Mann zu Schlamm zerfloss. Ein Doppelgänger. Sie zuckte zurück und wirbelte herum. Der Wind verebbte.

Langes schwarzes Haar rahmte sein bleiches Gesicht mit den schlangenhaften, gelben Augen. Ein süffisantes Lächeln spielte um seine Mundwinkel.

„Hast du wirklich geglaubt, du könntest mich mit einem Jutsu töten, das ich dir selbst beigebracht habe?“, spottete er. „Gerade du müsstest doch wissen, warum man es nicht anwenden sollte.“

Evelyn wusste, wer dieser Mann war. Unzähligen Beschreibungen hatte sie gelauscht, und erkannte ihn deutlich. Es war Orochimaru, auf den ihre Sensei da gestoßen war.

Anko wollte zu einem erneuten Angriff ansetzen, doch er schloss ein Fingerzeichen. Vor Schmerz wimmernd krallte sie eine Hand in ihre Schulter und brach langsam in die Knie.

„Was willst du hier?“, zischte sie ihm voller Wut zu, dann ließ eine weitere Schmerzwelle ihren Körper erbeben.

„Es ist das Mal, nicht war?“ Seine Stimme klang verhöhnend sanft, als er vor ihr in die Hocke ging. „Gerade eben habe ich einem Jungen das gleiche Geschenk gemacht. Einem Jungen, der viel talentierter ist, als du es je gewesen bist, Anko. Er wird mir das Erbe des Uchiha Clans bringen.“

„Was willst du von ihm?“, fauchte sie ihn an.

Ihre Augen weiteten sich vor Angst und Entsetzen, als Orochimaru die Hand nach ihr ausstreckte. Fast zärtlich streichelte er ihre Wange.

„Oh, eifersüchtig, ist es das?“

Ihre Miene wandelte sich zu Wut und Trotz, sodass sie wirkte, wie ein verzogenes Kind. Orochimaru schmunzelte amüsiert und stand auf. Mit nun eisigem Gesichtsausdruck schaute er auf Anko herab.

„Du wirst dafür sorgen, dass die Prüfung wie geplant weiterläuft. Wenn nicht, zerstöre ich das Dorf.“ Plötzlich zuckte sein Blick hinauf zu den Baumkronen. Seine Augen verengten sich.

Mit hämmerndem Herzen zuckte Evelyn zurück und presste den Rücken gegen den Stamm, doch sie wusste, dass es zu spät war. So gern sie Anko auch geholfen hätte, sie konnte nichts tun und floh so schnell es ihr möglich war.

Orochimaru löste sich in einem dunkelvioletten Wirbel auf. Ihm war der silberne Haarschopf nicht entgangen. Die Jagd nach dem Beobachter lockte ihn. Er hatte wahrscheinlich schon eine ganze Zeit lang zwischen den Ästen gekauert, ohne dass es ihm aufgefallen war.

Mal sehen, wer da mehr gesehen hat, als er soll, dachte er mit einem süßlichen Grinsen im Gesicht.
 

Evelyn sprintete über den Waldboden. Huschte von Schatten zu Schatten, ahnte jedoch, dass sie diesen Ninja nicht würde abschütteln können. Alles schien ruhig. Sie hielt hinter einem Baum an, spürte die Rinde im Rücken und aktivierte ihr Byakugan.

Währenddessen blickte Orochimaru belustigt auf zierliche Hyuga herab. Er musste zugeben, sie war schnell und geschickt, doch das reichte nicht. Er sah, wie sie sich verkrampfte. Sie hatte ihn also bemerkt. Ihr Byakugan verschwand und sie schaute herauf. Er stand mit verschränkten Armen an den Baum gelehnt einige Meter über ihr auf einem Ast.

Na Kleine, was machst du nun?, ging es ihm durch den Kopf. Er dachte darüber nach, sie sofort zum Schweigen zu bringen, doch dann siegte seine Neugier. Er hatte keine Informationen über sie und wollte noch ein wenig mit ihr spielen. Einige Herzschläge rührte sich keiner der Beiden, dann beobachtete Orochimaru wie die Anspannung aus ihrem Körper wich. Sie trat aus dem Schatten des Baumes heraus in das helle Licht des Mondes und sah zu ihm herauf. Ein selbstironisches Lächeln zupfte an ihren Lippen, als schelte sie sich eine Närrin.

So wie sie da stand war sie das perfekte Ziel, und das wusste sie auch. Sie bot sich ihm regelrecht auf dem Silbertablett an, und auch das war ihr klar. Leicht neigte sie den Kopf, als wolle sie sagen: Dann komm.

Orochimaru leckte sich unwillkürlich über die Lippen. Das Mädchen interessiert ihn. Er war sich fast sicher, dass sie ihn erkannt hatte. Trotzdem wagte sie es, dort zu stehen, ohne sich zu rühren.

Ziemlich mutig, dachte er. Wie willst du da wieder herauskommen? Er wusste, warum sie nicht weiter geflohen war. Sie wollte ihn nicht zu ihrem Team führen. Die Hellhaarige rührte sich nicht. Sie wartete auf seine Reaktion.

Nun gut. Für den Moment lasse ich dich gehen, aber wir sehen uns wieder, dachte Orochimaru und nahm die Arme herunter. Sie schien seinen Entschluss zu spüren und nickte ihm leicht zu. Dankbarkeit spiegelte sich in ihrem Gesicht, dann wandte sie sich um und verschwand im Unterholz.

Er machte sich nicht die Mühe, ihr zu folgen. Kabuto würde sie schon wiederfinden.
 

Am Rande ihres Bewusstseins spürte Yuna, dass etwas nicht so war, wie es sein sollte, und schreckte aus dem Schlaf hoch. Blinzelnd sah sie Aurora neben sich sitzen, doch von Evelyn fehlte jede Spur.

„Wo ist Evelyn?“, fragte sie die Füchsin.

„Hier.“, ertönte eine vertraute Stimme vom Höhleneingang.

Yuna drehte sich um und sah in das Gesicht ihrer Freundin, das vom Mondlicht beschienen wurde. Evelyn wirkte irgendwie angespannt.

„Hast du was?“, erkundigte sich die Dunkelhaarige.

„Ja. Einen Sack voll Frühstück.“ Sie hielt einen prall gefüllten Beutel hoch.

Nach ihrer Begegnung mit Orochimaru war sie noch lange im Wald umhergewandert und hatte Beeren und Samen eingesammelt, bis sie sich ganz sicher war, dass er wirklich verschwunden war. Sie war bereit, ein Risiko einzugehen, doch sie wollte Yuna nicht unnötig mit hineinziehen.

Evelyn holte einen kleinen Kessel aus Auroras Gepäck hervor.

„Es erstaunt mich jedes Mal, was du alles mitschleppst.“, wunderte sich Yuna kopfschüttelnd.

„Ich bin es gewohnt, außerdem muss ich es ja nicht selbst tragen. Es lebt sich leichter mit einem Topf. Es ist zumindest besser, als kiloweise Nahrung mit sich herumzutragen, wenn einem die Natur alles gibt, was man braucht.“

„Auch wieder wahr. Soll ich dir helfen?“

„Ja.“ Evelyn reichte ihr den Kessel. „Hol Wasser.“
 

Kabuto hatte seine Teamgefährten vorgeschickt, denn sie hatten ihre Schriftrollen bereits zusammen, somit stand es ihm frei, auf Informationssuche zu gehen.

„Na, Kabuto.“

Erschrocken zuckte der Hellhaarige zusammen und wirbelte herum. Mit verschränkten Armen lehnte Orochimaru hinter ihm an einem Baum. Ein amüsiertes Grinsen lag ihm auf den Lippen.

„Orochimaru-sama! Was...?“

Er kam nicht dazu, seine Frage zu beenden, denn der Andere wedelte die Worte mit einer ungeduldigen Handbewegung davon.

„Das weißhaarige Mädchen aus den Hyuga-Clan, wer ist sie?“

Verdutzt zog Kabuto eine Augenbraue in die Höhe. „Das kann nur Evelyn sein.“

„Was kannst du mir über sie sagen?“

„Sie ist noch nicht lange in Konoha, daher weiß ich nichts über ihre Fähigkeiten. Sie hält sich im Umgang mit anderen eher bedeckt. Allerdings weiß sie viel über andere Dörfer und deren Ninjas. Sogar über Euer Team wusste sie etwas zu sagen.“

Also ist es durchaus möglich, dass sie mich erkannt hat, ging es Orochimaru durch den Kopf. Ein interessantes Mädchen.

„Ihre Teammitglieder?“

„Yuna, ein Mädchen mit ausgeprägten Fähigkeiten im Genjutsu und ihre Sensei Anko.“

Anko hm? Das lässt die Situation von eben in neuem Licht erscheinen, dachte er.

„Finde heraus, was sie kann, und vor allem, auf welcher Seite sie steht.“

„Gibt es einen Grund, ihre Loyalität zu Konoha zu bezweifeln?“, fragte Kabuto nach.

„Den gibt es allerdings.“ In knappen Sätzen schilderte Orochimaru seinem Gehilfen die Begegnung mit Evelyn. Er konnte nahezu sehen, wie es in Kabutos Kopf arbeitete. War es möglich, sie zu einem Seitenwechsel zu bewegen? Der Heiler beschloss, sich an sie dranzuhängen.
 

Nachdem sie gegessen hatten, hatten sie den Kessel im Fluss ausgewaschen, und nun graute langsam der Morgen. Evelyn hatte sich an Auroras Flanke zum Schlafen zusammengerollt, doch es war ein unruhiger Schlaf. Sie verzog das Gesicht und ihre Hände verkrampften sich.

Yuna dachte darüber nach, dass sie ihre Freundin das erste Mal schlafend sah.

Plötzlich stieß Evelyn ein tiefes Knurren aus und setzte sich ruckartig auf.

„Evelyn, was...?“ Yuna zuckte erschrocken zurück, als sie die Wut gewahrte, die sich im Blick der Hellhaarigen spiegelte.

„Verzeihung Yuna.“ Sie strich sich über die Stirn. „Ein Traum.“

„Worum ging es denn?“, erkundigte sie sich behutsam.

„Mich haben Erinnerungen eingeholt.“, antwortete die Hellhaarige ausweichend und wandte das Gesicht ab, doch ihre Teamgefährtin sah sie weiterhin erwartungsvoll an.

„Du willst es wirklich wissen, hm?“

Yuna nickte, und Evelyn drehte seufzend den Kopf zu ihr zurück.

„Ich habe von Teilen meiner Ausbildung geträumt. Und bevor du fragst: Es war meine Mutter, die mich ausbildete.“

„Du hast mir noch nie von ihr erzählt.“, sagte Yuna. Du hast mir ohnehin wenig erzählt, ging es ihr durch den Kopf.

„Ayumi war eine sehr starke Kunoichi und Mitglied der Anbu-Einheit. Sie war eine Hyuga und beherrschte die Heilkunst, die Techniken unseres Clans und eine recht vergessene Kunst: Bannsiegel. Sie war von ausgeglichener Persönlichkeit, wie ich nie eine zweite kennen gelernt habe.“

„War? Wieso war? Wo ist deine Mutter jetzt?“

„Sie ist tot, Yuna. Niedergestreckt von unseren Verfolgern. Das ist jetzt keine fünf Monate her.“ Bei ihren letzten Worten wurde ihre Stimme schwächer, und Yuna konnte den Schmerz in ihnen hören.

„Das tut mir Leid. Meine Eltern sind auch tot. Der Neunschwänzige. Aber ich war damals noch ein Säugling und erinnere mich nicht an sie. Das ist wohl gnädiger.“

„Dein Dorf sorgt gut für seine Weisen.“

„Wir haben ja auch einen einmaligen Hokage!“

„Den habt ihr allerdings.“
 

Yuna wunderte sich, wie leicht es Evelyn fiel, sich zu orientieren, ohne dass sie die Hellhaarige je auf einen Baum hatte steigen sehen.

„Woher weißt du, wo wir hinmüssen?“, fragte Yuna schließlich nach, doch Evelyn gebot ihr mit einer Geste, zu schweigen. Sie wirkte angespannt. Das Mädchen verharrte augenblicklich und lauschte, doch sie konnte nichts Ungewöhnliches ausmachen. Evelyns Hand senkte sich auf den Schwertgriff. Wind rauschte leise in den Blättern.

Plötzlich zog die Hellhaarige blank und machte einen Satz ins Gebüsch. Ein erschrecktes Keuchen ertönte. Jemand musste sie beobachtet haben.

Tatsächlich zerrte Evelyn einen Ninja aus dem Gebüsch. Es war der weißhaarige Genin, der vor der schriftlichen Prüfung den Angriff der Ninjas aus Otogakure abbekommen hatte. Sie hielt ihm die Klinge an die Kehle.

„Ach, du.“, sagte sie. „Du bist Kabuto, richtig?“

Er nickte, und sah dabei so erstaunt aus, wie Yuna sich fühlte.

Keiner außer Aurora nahm das leichte Zittern wahr, das Evelyn befallen hatte. Niemals wurde der Silberschopf zugeben, welche Angst sie empfunden hatte, als sie in das Gebüsch gesprungen war. Sie hatte fast damit gerechnet, die Schlange aufzustören. Ganz leicht nahm sie Orochimarus Duft in der Luft wahr. Kabuto trug ihn an sich.

„Ja.“, antwortete der Heiler auf ihre Frage.

„Ich hoffe, du hast es nicht auf die Schriftrolle abgesehen?“

„Nein, ich hab meine zusammen.“

„Gut, wir auch. Wo ist dein Team?“, wollte Evelyn wissen, während sie ihr Katana zurückschob.

„Sie sind schon vorausgegangen.“

„Eine gefährliche Strategie. Wenn du zum Turm willst, dann begleite uns doch ein Stück. Das bietet uns allen mehr Sicherheit.“

Kabuto verbarg seine Zufriedenheit hinter einer Maske. Oder hatte sie ihn durchschaut? Er musterte sie genau, und auch Evelyn sah ihn durchdringend an. Ihr Blick schien zu sagen: Ich weiß, was du bist, und es ist mir recht.

Yuna fühlte sich unbehaglich. Ihr war, als finde zwischen den beiden Anderen eine Konversation statt, die sie nicht verstand. Warum vertraute Evelyn Kabuto so bereitwillig? Sie war doch sonst so misstrauisch. Sie würde diesen Typ im Auge behalten, das stand für Yuna fest. Der selbstzufriedene Ausdruck auf seinem Gesicht weckte ihren Argwohn.

Unterdessen verstrickte Evelyn Kabuto in eine Gespräch, das sich um politische Themen drehte, doch die Dunkelhaarige hatte das Gefühl, als würden die Beiden im Grunde etwas ganz Anderes sagen wollen. Es war zum Schreien, dieses eigenartige in Worten umeinander Herumschleichen wie hungrige Wölfe.

Immer wieder deutete Evelyn an, welches Wissen ihr zugänglich war. Dass dessen Inhalt den Hellhaarigen erstaunte, entging ihr nicht. Sie meinte fast, es in seinem Kopf arbeiten zu sehen, und musste sich ein Schmunzeln verkneifen.

Vorprüfungen

Kabuto spürte, wie sich Yunas misstrauische Blicke in seinen Nacken bohrten, und ärgerte sich, denn in ihren Beisein konnte er nicht offen sprechen. So blieb sein und Evelyns Gespräch ein behutsames umeinander Herumschleichen.

„Wenn man es sich mal genau betrachtet ist die geographische Lage des Feuerreiches militärisch ziemlich ungünstig.“, sagte Evelyn gerade. „Es wird von so vielen anderen Ländern umschlossen, dass es leicht wäre, uns in einen Vielfrontenkrieg zu verstricken. Es würde schon reichen, wenn sich zwei andere Reiche zusammentun. Nehmen wir beispielsweise das Windreich. Es würde schon reichen, wenn es sich mit einem so kleinen Land verbündet wie dem Reich der Reisfelder. Wir müssten unsere Streitkräfte komplett aufteilen, was die Verteidigung empfindlich schwächen würde. Dazu kommt das unübersichtliche Gelände. In den Wäldern könnte sich eine ganze Armee verbergen, ohne bemerkt zu werden.“

Kabuto erschrak. Wusste sie etwas, oder war es ein Pfeil ins Blaue? Aber wenn es ein Zufall war, wieso sollte sie dann genau diese Reiche nehmen?

„Dafür haben wir ja einen Notfallplan und gut ausgebildete Ninjas. Außerdem gibt es keine Spannungen zwischen den Dörfern, was man ja schon an der diesjährigen Nationalitätenvielfalt erkennen kann.“, erwiderte der Heiler geistesgegenwärtig.

„Wer war den im letzten Jahr nicht vertreten?“, erkundigte sich Evelyn interessiert.

„Otogakure und Kusagakure.“

„Weißt du, warum nicht?“, spann Evelyn den Faden weiter, und Yuna verdrehte die Augen. Sie fing an, sich zu langweilen. Nichts als Wirtschaft und Politik und das schon seit Stunden. Zwei Bereiche für die sie nie besonders viel Interesse aufgebracht hatte.

„Zwischen Kusa und Konoha treten öfters Spannungen auf. Das hat was mit den Truppenübungen nahe der Grenze zu tun.“

„Natürlich, ich verstehe.“, sagte Evelyn schmunzelnd. „Zwischen unangekündigter Übung und tatsächlichem Angriff besteht rein äußerlich kein Unterschied.“

„Nun, unsere Leute beziehen auch bei angekündigten Übungen Stellung.“, gab Kabuto Auskunft.

„Ist das nur eine Vorsichtsmaßnahme, oder besteht ein direkter Verdacht auf Angriffspläne?“

„Ich denke, es ist nur Vorsicht. Allerdings erschwert das gegenseitige Misstrauen die diplomatischen Beziehungen.“

„Verständlich. Und was war mit Otogakure?“

„Das weiß ich nicht.“, gestand er. „Über dieses Dorf ist fast nichts bekannt.“

„Ich habe gehört, dass Otogakure ein vergleichsweise junges Dorf ist.“

Der Hellhaarige zuckte mit den Schultern. „Dann bist du besser informiert als ich.“

Du bist ein guter Lügner, Kabuto, ging es Evelyn durch den Kopf. Fast hätte ich dir geglaubt.

Die Unterhaltung fing an ihr Spaß zu machen. Das leise Herantasten. Kabuto war ein harter Brocken. Jeder Andere hätte sich in diesem Verhör längst durch Mimik und Gestik verraten, doch er hatte sich völlig unter Kontrolle. Sie ahnte allerdings, dass der Heiler diesen Eiertanz weit weniger genoss.

„Du bist erst seit Kurzem in Konoha.“, sagte er leichthin. „Wie gefällt es dir hier?“

Sieh einer an, wir nähern uns dem Kern dieses Palavers, dachte die Hellhaarige und warf einen Seitenblick auf Yuna. Ihre Augen wirkten glasig. Sie hörte eindeutig nicht mehr zu.

„Es ist ziemlich friedlich. Auch werden hier außergewöhnlich viele talentierte Ninjas ausgebildet.“

„Wie beispielsweise Neji Hyuga.“

„Stimmt. Ich habe ihn am Rande kennen gelernt.“

„Wie hat es dein Clan aufgenommen, als du so unvermittelt hier aufgetaucht bist?“ Dies war eine Frage, die Kabuto schon lange hatte stellen wollen. Wenn sie hier Familienanschluss gefunden hatte, würde sie so leicht nichts vom Dorf abspenstig machen.

Evelyn gestattete sich ein bitteres Schmunzeln. „Diese Gesichter hättest du sehen sollen. Sie haben mich angesehen, als hätte ihnen ein Dämon in den Zeh gebissen. Hätte der Hokage mich nicht so freundlich empfangen, wäre ich wohl schneller wieder gegangen, als ein Uchiha Jutsus durchschaut. Begeisterung war das nicht gerade.“

Was soll das? Warum bringt sie die Uchihas ins Spiel?, ging es Kabuto durch den Kopf.

„Das ist wohl der berühmteste unserer Clans.“, meinte Kabuto, gespannt worauf sie hinauswollte.

„Und das vor allem wegen seinem unrühmlichen Niedergang. Sasuke tut mir leid.“

Yuna wunderte sich, dass Evelyn heute solche Unmengen redete. Sie war doch sonst so schweigsam. Ob sie diesen Kabuto vielleicht kannte? Aber woher sollte sie?

In Kabutos Kopf arbeitete es. Warum brachte sie das Gespräch auf Sasuke? Wusste sie mehr? Doch woher sollte sie von Orochimarus Plänen wissen?

Langsam wurde ihm dieses Versteckspiel wirklich zuwider. Da viel es ihm wie Schuppen von den Augen. Sie hatte Orochimarus Gespräch mit Anko belauscht. Er konnte sich also darauf verlassen, dass sie wusste, das Orochimaru Sasuke haben wollte.

„Deine Sensei ist Anko, oder?“, wechselte er das Thema. Evelyn nickte.

„Wie ist sie so?“

Yuna hatte inzwischen völlig das Interesse an dieser scheinbar so müßigen Unterhaltung verloren, und ließ sich ein paar Schritte zurückfallen, was für Kabuto das Zeichen war, dass Evelyn sie nicht eingeweiht hatte.

„Sie hat einen interessanten vertrauten Geist: eine Schlange. Ich selbst habe mich mit den Giften dieser Reptilien beschäftigt, nun eher mit den Möglichkeiten aus ihnen Heilmittel zu machen. Ich frage mich, wie sie auf dieses Tier gekommen ist...“

„Du hast eine medizinische Ausbildung?“

„Ja.“

Eine Weile fachsimpelten sie an den tieferen Weihen dieses Themas herum, und hatten beide ihre Freude daran. Fast vergaßen sie, wer der jeweils andere war. Gerade als sie bei den Behandlungsmethoden der Cholera angekommen waren, ertönte der Schrei einer Möwe.

Evelyn zog die Stirn kraus.

„Wie seltsam.“, kommentierte sie. „Das Geflügel hat sich aber mächtig verirrt.“

Kabuto lächelte. „Nein, das war jemand aus meinem Team. Ich muss weg.“

„Nun, dann viel Glück weiterhin.“

„Euch auch.“, erwiderte er und folgte dem Laut.

Sie haben Sasukes Team also endlich gefunden, ging es ihm durch den Kopf, während er sich wieder zu seinen Teamgefährten gesellte – allerdings nicht für lange.
 

„Sag mal, kennst du Kabuto irgendwoher?“, wollte Yuna einige Zeit später wissen.

„Warum?“ Evelyn wirkte gedanklich ein wenig abwesend.

„Ihr kamt mir so vertraut miteinander vor.“

„Wir sind uns vor einem halben Jahr mal über den Weg gelaufen, ja. Er war auf einer Mission. Purer Zufall.“, log die Hellhaarige glatt, und hoffte, Yuna würde es dabei bewenden lassen. Die wirklichen Hintergründe verschwieg sie ihr ebenso wie das Auftauchen Orochimarus. Je weniger sie weiß, desto sicherer ist sie, ging es Evelyn durch den Kopf.

„Sieh, Yuna, da ist der Turm, unser Ziel.“, lenkte die Hellhaarige das Thema ab und deutete zwischen den Bäumen nach vorn. „Jetzt müssen wir acht geben. Ich möchte nicht auf den letzten Metern überwältigt werden. Achte du vor allem auf mögliche Genjutsus. Ich behalte die Umgebung im Auge.“

„Geht klar!“, antwortete Yuna leichthin, ganz gemäß ihrer Frohnatur, während ihre Gefährtin den Blick durch den Wald schweifen ließ.

Eine Weile blieb alles ruhig, dann bewahrheiteten sich Evelyns Worte.

Yuna stutzte. Etwas zerrte am Rande ihrer Wahrnehmung an ihren Sinnen. Sie verdrehte die Augen.

„Was sind das denn für Stümper?!“, rief sie erbost über derartige Unfähigkeit aus. Sie wedelte das Genjutsu davon, wie sie eine lästige Fliege vertreiben würde.

Evelyn aktivierte nur gelassen ihr Byakugan und deutete auf eine Baumkrone über ihnen.

„Sie sind da drin. Willst du, oder soll ich?“

„Ich will!“, knirschte die Dunkelhaarige. „Irgendwie empfinde ich so schlechte Genjutsus als persönliche Beleidigung, und das eben war unterste Schublade.“

Damit setzte sie sich in das blättrige Geäst ab. Es dauerte nicht lange, bis Evelyn die Ninjas schreien hören konnte, und sie lächelte stumm in sich hinein. Aurora warf ihr einen Blick zu.

„Du hast ganze Arbeit an ihr geleistet.“, merkte die Füchsin an, als Yuna auch schon fröhlich grinsend aus dem Baum hüpfte. Doch sie hatte aufgepasst und warf erst einen Blick auf Evelyns Hals, auf dem noch immer der dunkle Fleck zu sehen war, bevor sie näher trat. Ihre Teamkollegin hielt es ebenso.

„Gut aufgepasst, Yuna.“, lobte die Hellhaarige, und Yunas Grinsen verbreiterte sich noch.

„Wer so oft eins auf die Nuss bekommt, macht die gleichen Fehler nicht mehrmals.“ Das war alles, was sie dazu sagte.
 

Den Rest des Weges blieben sie unbehelligt, denn erst in den letzte Tagen würden sich die Teams hier in größerer Zahl versammeln, die bisher leer ausgegangen waren, um den Nachzüglern aufzulauern.

Die Halle, die Yuna, Evelyn und die Füchsin nun betraten, war leer. Die Hellhaarige warf einen gelangweilten Blick auf das Rätsel an der Wand und verdrehte die Augen. Ziemlich einfallslos, wie sie fand. Sie zog die beiden Schriftrollen aus Auroras Satteltasche, öffnete sie und legte sie übereinander auf den Boden. Begleitet von einem leisen Plopp und einer Rauchwolke erschien Sensei Iruka vor ihnen. Er lächelte.

„Gut gemacht.“, lobte er. „Kommt, es wird noch etwas dauern, bis wir mit der Prüfung fortfahren können.“

„Bis zum Ende der Fünftagesfrist.“ Aurora war der Widerwille anzuhören. Evelyn strich ihr sacht über die Flanke.

„Wir werden ja etwas zu tun haben.“, sagte sie beschwichtigend. „Diese Kräuter wollen verarbeitet werden.“ Sie warf Yuna einen Blick zu. „Eine perfekte Gelegenheit für dich, etwas zu lernen.“

Das junge Mädchen seufzte schwer.
 

Die jungen Shinobi, die es durch den zweiten Teil der Prüfung geschafft hatten, standen nun in einer Art Arena in Reihen hintereinander und warteten mehr oder weniger geduldig auf das Kommende. Ihre Senseis trugen zumeist ein zufriedenes Lächeln zur Schau.

Evelyn sah sich unter den anderen Genin um und erblickte keine Überraschungen, denn mit diesen Teams war eigentlich zu rechnen gewesen.

Mit einiger Verspätung traf der nächste Prüfer ein. Ein mittelgroßer Mann mit braunem Haar, dessen Namen Yuna sofort wieder entfiel. Tiefe Schatten lagen unter seinen Augen, und seine Worte wurden immer wieder von einem nervtötenden Husten unterbrochen. Evelyn musterte ihn kritisch. Er war nicht krank. Sein Körper litt unter einer ständigen Überanstrengung. Die Hellhaarige schüttelte innerlich den Kopf über derartigen Leichtsinn. Wieder jemand, der nicht wusste, wo die Grenze lag. Länge würde er das nicht mehr durchhalten. Schon jetzt wäre er ein nur mäßig gefährlicher Gegner.

„Normalerweise scheiden im zweiten Teil der Prüfung viel mehr Schüler aus, daher ist es notwendig, Vorrunden abzuhalten.“, sagte er und hustete. „Diese Vorrunden werden jetzt stattfinden. Wer sich gesundheitlich nicht dazu in der Lage fühlt, soll jetzt aufgeben.“

Gesundheitlich? Na das sagt der Richtige, ging es Yuna durch den Kopf.

Kabuto meldete sich. „Ich gebe auf.“

Der Protest folgte auf dem Fuße. Von Naruto. „Du kannst doch jetzt nicht einfach aufgeben, Kabuto! Du bist doch schon so weit gekommen.“

„Ich würde jetzt keinen weiteren Kampf mehr überstehen.“, erklärte er und fühlte dabei Evelyns prüfenden Blick auf sich ruhen.

„Seit mich dieser Typ aus Otogakure angegriffen hat, höre ich auf einem Ohr nichts mehr.“ Damit wandte er sich zum Gehen. Meine Rolle in dieser Prüfung ist beendet, dachte er.
 

Einige Zeit zuvor...
 

Vor dem Turm trennte sich Kabutos Team von dem Sasukes und betrat die Halle im Inneren. Kabuto nickte Orochimaru zu, der entspannt an der Wand lehnte und war insgeheim belustigt über die Unachtsamkeit der Leute aus Konoha. Es überraschte ihn nicht, seinen Herrn hier vorzufinden. Mit einem zufriedenen Lächeln auf den blassen Lippen erkundigte er sich nach den Ergebnissen seiner Informationssuche, und Kabuto reichte ihm einige Karten, auf denen er seine Informationen aufgezeichnet hatte, was er über Sasuke und dessen Team herausgefunden hatte.

„Ich wusste doch, dass ich mich auf dich verlassen kann.“, sagte Orochimaru immer noch lächelnd. „Und was kannst du mir über die kleine Weißhaarige sagen?“

„Hm, sie weiß sehr viel über die Angelegenheiten verschiedener Dörfer. Auch einiges über Otogakure. Sie hat Andeutungen gemacht, nach denen ich nicht ausschließe, dass sie etwas über Eure Bündnispläne mit Suna weiß. Wie sie zu Konoha steht, ist schwer zu sagen. Ihre Teamkollegin Yuna hat sie allerdings in nichts eingeweiht, soweit ich es feststellen konnte.“ Kabuto schilderte kurz ihre Unterhaltung.

„Sie hat dich also an der Nase herumgeführt.“, spöttelte Orochimaru, und ein süffisantes Grinsen legte sich auf seine Züge. „Lass es gut sein. Um den Rest kümmere ich mich selbst.“ Mit diesen Worten verpuffte er in einer Rauchwolke.
 

„Die Vorrunden bestehen aus Zweikämpfen.“, erklärte der Prüfer weiter. „Die Paare werden zufällig ausgewählt.“

Evelyn und Yuna tauschten einen Blick. Wer würde ihr Gegner werden?

„Na hoffentlich erwische ich nicht dich.“, raunte die Dunkelhaarige ihrer Teamgefährtin zu. Der Anflug eines Lächelns schlich um Evelyns Mundwinkel. „Das wäre im höchsten Maße ärgerlich.“, stimmte sie ihr zu.

Wie gebannt schauten alle zu dem Bildschirm über der Skulptur der zwei sich zu einem Fingerzeichen vereinenden Hände auf, wo gerade das erste Paar erschien. Sasuke Uchiha gegen Yoroi Akodou. Die zwei Genin blieben unten in der Arena zurück, während die anderen Ninjas die Treppen zu den zwei sich gegenüberliegenden Tribünen hinaufstiegen.

„Fangt an!“

Obgleich sie beide aus Konoha stammten, entbrannte der Kampf in gnadenloser Härte. Evelyn strengte ihren Kopf an, und ihr fiel ein, dass Yoroi aus Kabutos Team war. Es war demnach nicht auszuschließen, dass auch dieser Genin in Wahrheit Orochimaru angehörte. Der Hellhaarigen fiel auf, wie geschwächt Sasuke war. Er war seinem Gegner deutlich unterlegen. Yoroi drückte ihn auf den Boden und presste ihm eine Hand auf die Stirn. Chakra floss aus dem Körper des jungen Uchihas, und seine Gegenwehr erlahmte.

Unauffällig ließ Evelyn ihren Blick über die gegenüberliegende Tribüne schweifen. An dem Sensei des Teams aus Otogakure blieb sie hängen. Völlig fasziniert starrte der schwarzhaarige Mann auf den Kampf und leckte sich – wahrscheinlich unbewusst – mit einer überlangen Zunge über die Lippen.

Die Gedanken des Silberschopfes huschten in die Vergangenheit zurück...
 

„Diese Geste ist typisch für ihn.“, erklärte ihre Mutter und ihre Stimme klang beschwörend. „So verrät er sich in jeder Gestalt.“

„Mann sollte doch meinen, dass ein Ninja mit solchen Fähigkeiten sich besser unter Kontrolle hat.“, meinte das zehnjährige Mädchen mit dem weißen Haarschopf skeptisch.

„Jeder Mensch hat so seine kleinen Eigenarten, die seine Identität sofort aufdecken, wenn man sie zu erkennen weiß.“
 

Nur kurz schaute Orochimaru hoch und fing sofort Evelyns durchdringenden Blick auf. Sie zog eine Augenbraue in die Höhe, dann huschte seltsamerweise ein eigentümliches Lächeln über ihre Züge.

Orochimaru, formte sie lautlos mit den Lippen.

Daran, dass sie ihn erkannt hatte, bestand kein Zweifel. Der Blick seiner gelben Augen bohrte sich in den ihren. Was würde sie jetzt tun? Evelyn sah zu der neben ihr stehenden Anko auf. Sie hatte den Blickwechsel nicht bemerkt. Sie konzentrierte sich zu sehr auf den Kampf.

Was sollte er tun, wenn das Mädchen jetzt die Aufmerksamkeit auf ihn lenkte?

Evelyn sah erneut zu ihm herüber, dann senkte sie den Blick wieder auf das Kampfgeschehen unter ihr, wo sich Sasuke gerade von seinem Gegner lostrat und eine von Lees Techniken anwendete. Seine Bewegungen, fand Evelyn, waren zwar noch nicht besonders ausgefeilt, doch sie erfüllten ihren Zweck. Kurz erhaschte die Hellhaarige einen Blick auf ein merkwürdiges, schwarzes Mal an Sasukes Hals, das plötzlich ausfächerte. Sie aktivierte ihr Byakugan.

Das ist ja ein Fluchsiegel, dachte sie verwundert. Sie sah wieder zu Orochimaru herüber, der äußerst selbstzufrieden wirkte.

Dein Werk also, ging es ihr durch den Kopf.
 

Sasuke gewann, was Yuna aufgrund seines miserablen Starts schon bezweifelt hatte, doch nun war er so geschwächt, dass Kakashi ihn stützen musste. Er war sogar zu müde, um zu protestieren, als sein Sensei ihn wegführte.

Auch in den nächsten Kämpfen gab es überraschende Siege. Shinos Käfer erledigten Zaku, einen Jungen aus dem Klangteam, und Shikamaru schickte Kin aus dem Rennen, wieder aus Otogakure. Yuna hätte beinahe laut gelacht, denn Kin schlug sich regelrecht selbst bewusstlos.

„Hochmut kommt vor dem Fall.“, kommentierte Evelyn die Szene, nur um anschließend scharf die Luft einzusaugen. Yunas sah sie erstaunt an.

„Was ist denn los?“

Die Hellhaarige deutete mit einem Kopfnicken auf die Anzeigetafel. Hinata Hyuga gegen Neji Hyuga.

„Oh je!“, stieß Yuna hervor, und hörte mit halbem Ohr eine Bemerkung von Naruto mit.

„Es muss hart für die Beiden sein, gegeneinander kämpfen zu müssen. Sie sind doch aus einer Familie und so...“

Zu Yunas Überraschung war es Evelyn, die das Wort ergriff.

„Sie sind Vetter und Kusine, das ist wahr, aber sie hegen weniger warme Gefühle füreinander, als du jetzt denken magst.“ Ihre Stimme klang hart.

Verwirrt sah Naruto sie an. Es war das erste Mal, dass das kühle Mädchen sich an ihn wandte.

„Äh... und warum nicht?“

„Im Hyuga-Clan gibt es zwei getrennte Familien: die Haupt- und die Nebenfamilie. Der Hauptfamilie fallen die Recht und Privilegien zu, während es die einzige Aufgabe der Nebenfamilie ist, die Mitglieder des Hauptzweiges wenn nötig mit ihrem Leben zu verteidigen. Das schürt Groll. Hinatas Vater Hiashi Hyuga ist das Clanoberhaupt, sie gehört damit zur Hauptfamilie. Nejis Vater war Hiashis jüngerer Bruder, somit Nebenzweig wie auch Neji. Sein Vater opferte sich, wegen eines Vorfalls, an dem Hinata zwar nicht schuld war, doch wegen ihr passiert ist. Neji verlor demnach wegen Hinata seinen Vater. Verstehst du nun?“

Naruto nickte bedrückt, und es dauerte eine Weile, bis er das Schweigen erneut brach.

„Und zu welcher Familie gehörst du?“, wagte er zu fragen.

„Nebenfamilie, doch für mich ist es etwas Anderes. Ich bin nicht in dieser starren Hierarchie aufgewachsen.“

Damit war die Unterhaltung beendet, denn der Kampf begann. Die beiden jungen Sprösslinge des Hyuga-Clans tauschten wuchtige Hiebe aus, und Yuna schien es, als seien sie einander ebenbürtig, doch Evelyn knirschte mit den Zähnen und schüttelte den Kopf.

„Hinata wird unterliegen.“, prophezeite die Hellhaarige.

„Woran siehst du das?“ Yunas Stimme klang verwundert.

„Sieh dir ihre Haltung an. Sie fürchtet sich vor Neji. Sie hatte den Kampf schon verloren, noch bevor er begann. Sie war viel besser, als sie mit mir geübt hat. Schau nur.“

Hinata war zu Boden gegangen, stand jedoch tapfer wieder auf und machte weiter. Nejis Zorn wuchs.

Dann traf er sie vor der Brust. Evelyn sog zischend die Luft ein, als die Wucht das Mädchen zu Boden warf. Es dauerte lange, bis sie wieder auf die Beine kam, und sie zitterte.

„Hast du immer noch nicht genug?! Gib auf!“, fuhr Neji sie an.

„Nein, ich gebe nicht auf!“

Neji stieß ein wütendes Zischen aus, und seine Absichten standen ihm ins Gesicht geschrieben.

„Neji, nicht!“, schrie Evelyn. In diesem Moment verpufften drei Shinobi, und eine löste sich in einem Wirbel aus Eisnebel auf.

Kakashi, Kurenai und Gai umklammerten den Jungen, während Evelyn Hinata auffing, als deren Beine unter ihr nachgaben. Vorsichtig ließ sie die dunkelhaarige Hyuga zu Boden sinken. Hinata verkrampfte sich. Hastig öffnete Evelyn ihre Jacke, legte eine Hand auf ihren Brustkorb und maß mit der anderen am Hals ihren Puls. Ihr Herzschlag war schwach und flatterte gefährlich. Sie bekam kaum noch Luft.

Grünes Chakra floss aus den Händen der Hellhaarigen in ihren Körper, während sie mit den Verletzungen rang.

Wie versteinert starrten Naruto und Yuna auf die Szenerie.

Die Erwachsenen hatten Neji inzwischen losgelassen und blickten nun voller Sorge auf Evelyns Mühen. Der junge Hyuga machte eine Abfällige Bemerkung, und da platzte Naruto der Kragen. Er wollte sich auf den Braunhaarigen stürzen, doch Yuna schlang ihm geistesgegenwärtig einen Arm um die Taille und hielt ihn zurück.

„Nein Naruto! Jeder Kampf hier muss ein offizieller Wettkampf sein.“

Tränen des Zorns standen dem Chaosninja in den Augen, und er ballte in hilfloser Wut die Hände zu Fäusten.

Da öffnete Hinata die Augen und schnappte röchelnd nach Luft. Sofort brachte Evelyn sie in eine sitzende Position und schlug ihr kräftig auf den Rücken. Hinata hustete Blut und eine klare Flüssigkeit.

„So ist es gut. Alles muss raus.“, sagte sie mit sanfter Stimme und strich ihrer Kusine über den Rücken.

Inzwischen waren zwei Sanitäter mit einer Trage angekommen, und die Hellhaarige half der vollkommen entkräfteten Hinata, darauf Platz zu nehmen.

„Ich konnte ihre Verletzungen heilen, aber sie wird viel Ruhe brauchen. Noch ist ihr Herz schwach.“, wandte sie sich an die Beiden, die ihr Gewerbe teilten. Die hell gewandten Shinobi verließen samt der jungen Hyuga die Arena und Evelyn erhob sich. Kalter Zorn stand in ihren blitzenden Augen zu lesen, als sie vor Neji trat. Ihre nächste Bewegung kam so schnell und unerwartet, dass sie niemand so richtig wahrnahm. Ein lautes Klatschen ertönte, und Nejis Wange färbte sich rot.

„Bist du nun zufrieden mit dir?“, fuhr sie ihn an. „Weißt du überhaupt was du beinahe getan hättest, du Tor? Wie konntest du nur auf diesen Punkt zielen? Ihr Herzmuskel war teilweise abgestorben und ein Lungenlappen eingerissen. Du wärst gerade fast zum Mörder geworden. Ich hätte mehr Verantwortungsbewusstsein von dir erwartet, Neji.“ In ihren letzten Worten klang tiefe Verachtung mit, und sie wandte sich von ihren jüngeren Cousin ab. „Einem angehenden Chunin sollte mehr Reife und weniger selbstgefälliger Egoismus zu eigen sein. Denk mal darüber nach, dass du vielleicht nicht der einzige bist, der es schwer gehabt hat.“ Damit ließ sie ihn stehen und stieg die Treppe zur Tribüne hinauf. Es war sehr still geworden.

Neuer Respekt für die Hellhaarige stand in Narutos Augen lesen, als sie sich wieder neben Yuna stellte. Evelyn würdigte Neji keines Blickes, als dieser auf der anderen Seite der Arena auf die Tribüne zurückkehrte.

Auch die Senseis räumten den Platz für den nächsten Kampf zwischen Temari und TenTen.

Evelyn achtete nicht auf den Kampf, sondern lehnte sich an die Wand und schloss einen Moment die Augen. Aurora vergrub die Nasse in ihrer Handfläche.

„Du bist erschöpft, oder?“

„Ein wenig.“, gab die Hellhaarige zu. „Die Heilung war aufwändig.“

„Du hättest ihr nicht helfen müssen.“

„Das ist wahr.“

„Überstehst du einen weiteren Kampf?“

„Wenn mein Gegner nicht Gaara ist mit Sicherheit. Du weißt, ich kenne meine Grenzen.“

„Tut es schon weh?“ Die Füchsin musterte sie durchdringend.

„Ja, wie Eis in meinen Adern, aber ich weiß es zu ignorieren. Mach dir keine Gedanken.“

„Wie du meinst.“

Der nächste Kampf endete mit Temaris Sieg. Sie hatte ihrer Gegnerin übel mitgespielt, und Yuna lehnte sich besorgt über das Geländer. Plötzlich spürte die Dunkelhaarige eine Hand auf der Schulter.

„Schau Yuna, dein Gegner wurde ausgewählt. Du bist jetzt dran.“ Anko klang belustigt. Yuna schaute auf und Begriff den Grund dafür.

„Oh, ich kämpfe gegen Ino.“ Sie gestattete sich ein leichtes Lächeln.

„Ino ist doch das blonde Mädchen da drüben, oder?“, erkundigte sich Evelyn aus dem Hintergrund.

„Ja, ich habe wirklich Schwein gehabt.“

„Dann zeig mal, was du gelernt hast.“, sagte Anko grinsend.

„Wird schon schief gehen.“, meinte das junge Mädchen und zuckte mit den Schultern.

„Die müsstest du schaffen Yuna. Wenn nicht, werden wir wohl das Training verschärfen müssen.“

Yuna wurde blass und beeilte sich, die Treppe herunterzukommen. Anko lachte über ihre Miene.

„Na das nenne ich mal Mitarbeitermotivation, Evelyn!“

„Man tut, was man kann.“
 

Yuna musterte ihre Gegnerin abschätzend, und Ino schluckte ob ihres durchdringenden Blickes.

„Fangt an!“

Das ließ Yuna sich nicht zweimal sagen. Sie machte einen Satz nach vorn und holte mit dem Stab aus. Ino griff nach einem Kunai.

Gut, noch kannst du mich also abwehren, schoss es der Dunkelhaarigen durch den Kopf.

Kreischend glitt die kleine Klinge über die Stahlstreifen, mit denen der Stab verstärkt war. Ino warf einen Kunai nach ihr, und Yuna ging mit einem Sprung zur Seite auf Abstand. Gerade, als sie das erste Fingerzeichen machen wollte, erreichte sie Evelyns Stimme.

„Yuna, bleib beim Nahkampf!“

Sie brach ab und war einen Moment verwirrt, doch dann begriff sie: Ihr nächster Gegner sah ihr zu. Sie schalt sich eine Närrin, nicht selbst daran gedacht zu haben.

Yuna schlitterte kurz über den Boden, bis sie wieder genug Halt fand, um sich abzustoßen, und verpasste Ino einen Schlag in den Rücken, der die Blonde nach vorn taumeln ließ.

Auf die Dunkelhaariger wirkten die Bewegungen ihrer Gegnerin unkontrolliert und langsam. Ein Grinsen schlich sich auf ihr Gesicht.

Ob Evelyn sich wohl ähnlich fühlt, wenn sie mich verdrischt?, fragte sie sich. Obwohl... wahrscheinlich nicht. Sie muss mich ja trainieren und will, dass ich besser werde. Sie wird eher verzweifelt sein.

Yuna attackierte Ino weiter, hieb ihr auf Arme und Beine, doch keiner ihrer Angriffe war wirklich ernst gemeint. Sie spielte mit ihrer überraschten Widersacherin.

Ein milder Ausdruck legte sich auf Evelyns Züge, während sie ihre Teamgefährtin beobachtete.

„Sie testet sich aus. Ino kann einem fast leid tun.“

„Fast? Wieso nur fast?“, griff Anko ihre Bemerkung auf.

„Nun, weil sie selber schuld ist, wenn sie ihr körperliches Training vernachlässigt.“

Ihre Sensei schmunzelte. So war Evelyn.

„Es ist wirklich erstaunlich.“, meinte Gai, der sich zu ihnen gesellt hatte. „Meinen Respekt, Anko. Yuna war früher ziemlich schlecht im Taijutsu.“

„Oh, das ist nicht mein Verdienst.“, grinste Anko. „Evelyn hat sie jeden Tag gequält, seit sie ein Team sind. Es ist schwer, nichts zu lernen, wenn jemand tagtäglich gnadenlos auf dich einprügelt. In den ersten Wochen war Yuna ein einziger wandelnder blauer Fleck. Nicht mal dein Training ist härter, Gai.“

„Ach was, echt?“, machte er verdutzt und schaute zu dem Hellhaarigen Mädchen herüber, um dessen Mundwinkel ein leises Lächeln spielte, und dadurch irgendetwas an sich hatte, das ihn an eine Porzellanpuppe erinnerte. Anko folgte seinem Blick.

„Ja-ha, man glaubt es kaum, oder?“

Yunas Grinsen wurde noch breiter. Es erstaunte sie, auf wie wenig richtige Gegenwehr sie stieß. Beinahe kam es ihr vor, als würde Ino nur herumstolpern.

Das macht ja richtig Spaß, wenn man mal nicht der ist, der leiden muss, dachte sie.

Evelyns Gesichtsausdruck wurde kritisch.

„Was ist los?“, wollte Anko wissen.

„Sie zögert es zu lange heraus. Das ist unnötig und eine Kraftverschwendung. Man weiß nie, ob nicht vielleicht noch stärkere Gegner hinterherkommen. Auch mit unterlegenen Feinden sollte man nicht spielen. Ich werde mich mal eingehen mit Yuna unterhalten müssen.“

„Das siehst du, was ich meine, Gai.“, lachte Anko. „Lass sie doch, Evelyn. Das ist das erste Mal seit was-weiß-ich wie lange, dass sie gewinnt.“

Yuna sah an der Miene des Prüfers, dass es an der Zeit war, den Kampf zu beenden. Ob ich das wohl auch so gut kann, wie Evelyn?, ging es ihr durch den Kopf.

Das junge Mädchen trat Ino kräftig gegen das Schienbein, und als diese zusammenzuckte, ließ sie ihren Stab auf ihren Kopf niedergehen. Ein dumpfes Geräusch ertönte, und ihre Gegnerin brach lautlos zusammen.

Anko musste sich sehr zurückhalten, um nicht schallend zu lachen. „Ich glaube, Yuna hat von dir abgeguckt, Evelyn.“

„So war es geplant.“, erwiderte die Hellhaarige, ohne die Miene zu verziehen.

Überschwänglich stürmte Yuna die Treppe hinauf. „Und, wie war ich?“

„Willst du eine ehrliche Einschätzung hören“, erkundigte Evelyn sich.

Die Dunkelhaarige wirkte verdattert. „Ja... wieso sollte ich nicht?“

„Du hast übertrieben und das Ganze unnötig in die Länge gezogen. Die halbe Zeit hätte auch gereicht, um einmal richtig anzugeben.“

„Ach ja?“, maulte Yuna.

„Ja. Außerdem musst du an deinem Bewegungsmuster feilen. Dazu gibst du dir bei jedem Angriff auf der rechten Seite eine Blöße. Wir müssen an deiner Verteidigung arbeiten.“

„Sonst noch was?“, knurrte Yuna.

Evelyn lachte perlend. „Ach, nun nimm das doch nicht so ernst!“ Die Hellhaarige sah zu dem Monitor auf und zog eine Augenbraue in die Höhe. „Oh, ich bin dran. Leihst du mir deinen Stab, Yuna? Ich will doch hier niemand ernsthaft verletzen.“

Nun sah auch Anko auf, und ihre Lippen kräuselten sich zu einem schiefen Lächeln. „Sakura Haruno. Du hast Glück.“

„Sie nicht.“, meinte Yuna und deutete auf das rosahaarige Mädchen. „In Sachen Chakrakontrolle ist sie ganz gut, aber nutzen wird ihr das hier nicht.“

Ohne Hast stieg Evelyn die Treppen hinunter und wog dabei prüfend den Stab in den Händen.

Die anwesenden Konohaninjas beugten sich neugierig vor, um zu sehen, wie sich der Neuzugang ihres Dorfes so schlug. Aurora rollte sich zu einem Ball zusammen und schloss die Augen.
 

„Beginnt!“

Verdutzt beobachteten die Anderen den Kampf, der wirkte wie eine Kopie des Vorangegangenen, denn Evelyn benutzte den selben Stil wie Yuna, nur verfeinert und schneller. Es war wohl auch einzig Yuna, die bemerkte, dass sie etwas weniger ausbalanciert war als sonst. Der Stab war nicht ihre gewohnte Waffe.

Es wurde ein kurzer Kampf. Evelyn trat Sakura vor das Schienbein, und als diese zusammenzuckte, hieb sie ihr auf den Hinterkopf. Schnell fing sie das besinnungslose Mädchen auf, bevor sie zu Boden fallen konnte. Damit war der Wettstreit beendet.

Siegel

Gemeinsam saßen Yuna und Evelyn im weichen Gras, während der milde Nachtwind ihnen das Haar zerzauste, und schauten zum Vollmond auf. Hohe Luftströmungen ließen dunkle Wolken über den Himmel jagen, durch die immer wieder die Sterne hindurchblitzten.

„Als ich noch ganz klein war, hat meine Mutter mir zu den Sternen eine Geschichte erzählt.“, durchbrach Evelyn plötzlich das Schweigen. Yuna sah sie mit einer Mischung aus Überraschung und Neugier an. Was kam jetzt?

„Sie sagte mir, dass der Mond ein riesiger Keks sei, der jeden Monat von den weißen Wolkenmäusen aufgeknabbert wird, um dann würden hunderte Feen Stück für Stück neuen Teig backen, damit der Mond wieder leuchten kann. Die Sterne seien die Öfen der Feen, die so hell scheinen, dass man sie bis zur Erde sehen kann. Diese Feen, sagte sie weiter, kämen manchmal zu uns herab, um Kindern ihre Wünsche zu erfüllen, und dann könnten wir sie als Sternschnuppen am Himmel sehen. Das wäre der Grund, warum man sich bei Sternschnuppen etwas wünschen kann.“

Yuna kicherte und lehnte sich im Gras zurück. „Irgendwie ein beruhigender Gedanke. Die Geschichte gefällt mir.“

„Mir auch. Sie wusste dutzende solcher Geschichten zu erzählen, immer wenn ich nach etwas gefragt habe.“

„Zum Beispiel?“

Evelyns Blich verklärte sich einen Moment, als sie in ihre Erinnerungen eintauchte. „Einmal wollte ich wissen, warum der Storch so lange Beine habe. Sie antwortete mir dies:

Früher, ganz früher, als die Frösche noch Gamaschen trugen und der Ginster bis zu Sonne wuchs, da schaute jede Nacht ein Kaninchen zum Mond auf und seufzte voller Sehnsucht. So stark war der Wunsch, zum Mond zu reisen, dass es eines Tages die stärksten Vögel um Hilfe bat. Doch der Adler war zu hochmütig und sagte, für so etwas habe er keine Zeit, und der Falke konnte so hoch nicht fliegen. Da bot der Storch seine Hilfe an. Er forderte das Kaninchen auf, sich an seinen Beinen festzuhalten. Doch es war schwer, und der Weg war so weit. Schließlich erreichten sie den Mond, aber die Beine des Storchs waren während des Fluges lang geworden, und die Pfoten des Kaninchens bluteten. Zum Dank legte es dem Storch die Pfoten auf den Schnabel, und so kam der Storch zu seinen langen Beinen und dem roten Schnabel.“

„Erzähl mir noch was!“, bat Yuna und Evelyn warf ihr einen schrägen Blick zu.

„Na gut, aber nicht alle Geschichten waren so friedlich...“

So saßen sie in dieser Nacht noch viele Stunden beisammen und erzählten einander im Licht des Vollmonds dieses und jenes aus ihrem Leben. Besonders belustigt war Evelyn über den vielen Schabernack, den Yuna und Naruto miteinander angestellt hatten.

„Da hast du dir sicher einige Rügen eingefangen, hm?“

„Na ja, eigentlich nicht. Irgendwie kann man mir wohl nicht richtig böse sein. Naruto hat meistens die volle Packung abbekommen.“

„Kann ich mir vorstellen.“

„Du, sag mal, warum bekommen wir eigentlich einen ganzen Monat Zeit bis zum letzten Teil der Prüfung?“ Yunas Gedanken hatten einen Sprung gemacht.

„Nun, wir alle haben unsere Gegner jetzt mindestens einmal kämpfen sehen. Wir sollen die Zeit nutzen, neue Techniken zu entwickeln.“

Die Dunkelhaarige schlug sich vor die Stirn. „Eigentlich klar. Ich sitze wohl heute auf meinen Gedankengängen. Dumme Frage.“

„Es gibt keine dummen Fragen, nur dumme Antworten.“, meinte Evelyn dazu.

„Deshalb wolltest du auch nicht, dass ich etwas anderes als Taijutsu einsetze, richtig?“

„Ja.“ Die Hellhaarige zupfte sich ein verirrtes Glühwürmchen aus dem Schopf und betrachtete es versonnen. „Die Kämpfe der dritten Prüfung sind der wichtigste Teil. Dort werden die eigenen Fähigkeiten präsentiert, um vielleicht von einem der anwesenden Würdenträger angeworben zu werden. Noch ein Grund, die Prüfung nicht sofort stattfinden zu lassen. Diese Herren sind nicht selten äußerst bequem und brauchen ihre Zeit, bis sie ihre Hintern irgendwo hinbewegt haben. Demnach ist es nicht unbedingt ausschlaggebend, ob man gewinnt.“

„Nicht?“, fragte Yuna erstaunt nach.

Evelyn schüttelte den Kopf. „Nein. Aber wir sollten morgen verstärkt das Training wieder aufnehmen.“

„Warum habe ich nur ein so schlechtes Gefühl dabei, wenn du das so sagst?“
 

Am nächsten Morgen trafen sich Yuna und Evelyn erneut auf der Waldlichtung, doch von Anko war keine Spur zu sehen. Yuna fand das nicht weiter verwunderlich, ihre Sensei hatte schließlich noch andere Aufgaben, doch Evelyn schien fast besorg zu sein, ohne allerdings auch nur ein Wort über das Thema fallen zu lassen. Sie begannen wie gewohnt mit körperlichen Übungen, und mit über einer halben Stunde Verspätung, was für sie mehr als untypisch war, traf Anko ein. Sie war sehr blass, wie vollkommen übernächtigt.

Kein Wunder, ging es der Hellhaarigen durch den Kopf, und sie dachte an Orochimaru.

Yuna blinzelte verdutzt auf ihre leeren Hände, als Evelyn innehielt und den Kampf damit beendete, dass sie der Dunkelhaarigen wie beiläufig den Stab aus der Hand pflückte.

„Was...?“, setzte sie an, doch Evelyn brachte sie mit einer knappen Geste zum Schweigen und deutete mit einem Kopfnicken auf ihre Sensei.

„Sie sieht erledigt aus.“, merkte Yuna so leise an, dass nur ihre Freundin sie hören konnte. Evelyn nickte abwesend. Anko hatte auch allen Grund dazu. Sie wollte nicht gerne in der Haut ihrer Sensei stecken und nahm sich vor, Anko bei Gelegenheit danach zu fragen.
 

Die Nacht senkte sich bereits herab, als Evelyn befand, mit Yunas Fortschritten zufrieden zu sein, und das Training beendete. Die Dunkelhaarige seufzte erleichtert auf. Für sie war es selten eine angenehme Erfahrung, sich ihre Fehler ausbügeln zu lassen. Fix und alle wankte sie nach Hause.

Die Hellhaarige sah ihr noch eine Weile nach, um sicher zu gehen, dass sie weg war, bevor sie sich Anko zuwandte. Ihre Sensei lehnte mit geschlossenen Augen an einem Baum. Sie wirkte erschöpft und krampfhaft, als versuche sie etwas vor ihren Schützlingen zu verbergen. Doch Evelyn ahnte, was es war.

„Sensei, irgendetwas ist mit ihnen.“, sagte sie bestimmt.

Anko zuckte zusammen und sah in das undeutbare Antlitz ihrer Schülerin.

„Nein, ich bin nur müde.“, sagte sie ausweichend und wandte den Blick ab. Sie schaffte es noch nicht einmal, sich selbst zu überzeugen.

„Das ist nicht alles.“, widersprach Evelyn und spannte leicht die Muskeln. Sie wurden beobachtet! Ein Schatten huschte durch das Unterholz. Die Hellhaarige fröstelte.

Plötzlich stieß Anko ein ersticktes Keuchen aus und krallte eine Hand in ihre Schulter. Das Juin. Sie sank durch den Schmerz ihrer Kräfte beraubt am Baum herab, und Evelyn sprang zu ihr, um sie aufzufangen. Nun wusste sie, wer sich in den Schatten der Bäume herumtrieb, und ihr Herzschlag beschleunigte sich. Dennoch war sie geistesgegenwärtig genug, um die Situation zu nutzen und Anko zu sich ins Haus zu verfrachten. Sie setzte Anko auf eines der am Boden verstreuten Kissen und kniete sich neben sie.

„Was ist mit Ihnen? Kann ich helfen? Sie wissen, ich bin Heilerin.“

Ihre Sensei knirschte mit den Zähnen, gab jedoch nach und strich sich den Mantel von der Schulter. Ein schwarzes Mal wurde sichtbar. Evelyn legte eine Kühle Hand über die Stelle und lauschte auf das Chakra des Juin.

„Ein Fluchmal.“, erklärte sie leise und strich mit sanften Fingern über die Stelle. Ankos Gesicht verhärtete sich.

„Ich kann Ihnen helfen.“, sagte Evelyn. „Und ich werde nicht fragen, woher das Mal stammt, doch wer auch immer dafür verantwortlich ist, war stark. Ich kann nur versuchen, ein zweites Siegel darum zu legen, denn wenn ich versuche das Jutsu aufzulösen, könnte sich das gesamte darin befindliche Chakra auf einen Schlag entladen, was den Tod für alle in einem weiten Radius bedeuten könnte.“

Anko standen Schweißperlen auf der Stirn, und sie hörte die Worte ihrer Schülerin kaum.

„Tu, was du kannst.“, murmelte sie heiser.

Evelyn nahm hinter ihr Platz und legte beide Hände auf das Juin. Anko spürte das Prickeln fremden Chakras und erschauderte ob der Intensität des Jutsus. Nie hätte sie für möglich gehalten, dass jemand in so jungen Jahren schon derart begabt sein konnte. Und das in einem Bereich, wo ihr noch nicht einmal der Hokage hatte helfen können. Schließlich spürte sie einen kurzen Schmerz wie hundert Nadelstiche, dann war es vorbei. Ihre Schulter kribbelte, doch das Mal spürte sie nicht mehr. Evelyn reichte ihr einen kleinen Handspiegel. Das Juin prangte nun innerhalb eines schwarzen Pentagramms.

„Das sollte alle Auswirkungen dieses Mals einschließen.“, schloss die Hellhaarige.

Prüfend musterte Anko ihre Schülerin. Es schien sie nicht überrascht zu haben, dass sie ein solches Mal am Körper trug, obwohl diese Technik doch nur einem sehr kleinen Kreis von Shinobi zur Verfügung stand. Auch das Evelyn sofort gewusst hatte, was sie tun musste. Gerade so, als hätte sie sich darauf vorbereitet...

In äußerst nachdenklicher Stimmung verließ Anko die Hellhaarige. Vor lauter Grübeln bemerkte sie weder den Schatten auf dem Baum noch wie Evelyn in den Wald schlüpfte.
 

Ein wohliger Schauer lief Evelyn über den Rücken, als ihr das heiße Wasser über die Haut lief und das Blut in den Abfluss der Dusche spülte. Nur langsam fiel die Anspannung von ihr ab, und sie zitterte immer noch. Heute wäre sie beinahe ins Messer gelaufen. Ein Anbu hatte eine der Botschaften abgefangen, die sie regelmäßig von ihren Spionen erhielt. In dieser waren umfassende Informationen über Sunas und Otos Aktivitäten zu lesen gewesen. Es hätte ausgereicht, um ihr Verrat vorzuwerfen und gerechtfertigt, sie auf der Stelle zu töten. Das Shampoo brannte in einigen Schnitten, die sie selbst kassiert hatte, als sie gegen den Anbu gekämpft hatte. Dass sie den Anbu mit so unauffällig hatte töten und beseitigen können, lag auch an der spielerischen Hilfe, die ihr zuteil geworden war. Evelyn hatte sich nicht geirrt. Es war tatsächlich Orochimaru gewesen, den sie gesehen hatte, kurz bevor sie Anko versorgte. Anscheinend gefiel dem Abtrünnigen, was er gesehen hatte. Er war dabei gewesen, als sie kämpfte. Ein Genjutsu, das den Anbu ablenkte. Seine Schlange kümmerte sich um die Leiche.

Evelyn war ehrlich genug zu sich selbst, um sich einzugestehen, dass sie Angst gehabt hatte. Sie wusste nicht, ob sie Orochimaru daran hindern könnte, wenn er beschloss, sie aus dem Weg zu räumen. Doch zweimal hatte er die Gelegenheit schon verstreichen lassen. Er war neugierig geworden. Dabei ahnte er nicht, dass ihr Spitzel ihm nahezu auf dem Schoß saß.

Alles lief nach Plan und hier in Konoha wurde es langsam eng. Einen Monat noch. Ein Monat, um Yuna zu lehren, was sie wissen musste, um zu überleben, denn auch ihre Zeit ging zur Neige. Sie wusste es nur noch nicht.
 

Yuna erstarrte wie vereist, als sie sehr früh am nächsten Tag die Lichtung erreichte, auf der Evelyns Haus stand. Der Mond warf noch seine Strahlen vom Himmel, und dichter Nebel waberte durch den Wald. Das Training der Hellhaarigen hatte ihre Sinne geschärft, so nahm sie nun viele Dinge wahr, die ihr früher verborgen geblieben wären.

Seltsamerweise war von Evelyn noch nicht zu sehen – doch da! Etwas raschelte im Unterholz. Yuna lauschte angestrengt, und der Laut wiederholte sich. Kein Zweifel, da war jemand!

Sie konzentrierte sich auf die Stelle und sah einen Dunklen Schemen, der sich zwischen den Bäumen bewegte. Ihr lief ein kalter Schauer über den Rücken, und sie versteckte sich eilig hinter einem Baum. Lautlos kletterte sie den Knorrigen Stamm herauf und blickte auf den Schatten hinab.

Yuna wurde der Mund trocken. Es war ein Anbu, der hier herumschlich, und er lag eindeutig auf der Lauer.

Was soll das?, ging es der Dunkelhaarigen durch den Kopf, dann trat plötzlich eine zweite Gestalt auf die Lichtung. Evelyn. Das fahle Mondlicht spiegelte sich kalt auf der blanken Klinge ihres Schwertes. Hastig verschwand der Anbu im Wald.

Yuna stieg den Baum hinab und bemerkte erst jetzt, dass ihre Hände zitterten. Sie verstand den Sinn dessen nicht, was sie soeben beobachtet hatte. Warum bespitzelte Anbu Evelyn? Sie gehörte doch zum Dorf! Man konnte doch nicht anfangen, den eigenen Leuten zu misstrauen! Warum ließ der Hokage so etwas zu?

Evelyn begrüßte Yuna mit gewohntem Gleichmut, doch Yuna wurde dass beklemmende Gefühl nicht los, als wäre die Hellhaarige angespannt wie nie zuvor, und das schien seinen Grund nicht nur in dem Anbu zu haben, der hier herumgeschlichen war. Warum sollte der Evelyn auch Sorgen machen?

Dennoch suchte der Silberschopf mehrfach das Unterholz mit Blicken ab, bevor sie sich wieder etwas entkrampfte. Evelyn wechselte den Trainingsplatz, und Yuna wurde mulmig. Sie rätselte daran herum, wie sie ihre Freundin darauf ansprechen könnte, ohne bescheuert zu klingen.

Ihre Sensei schien Evelyn nicht zu erwarten, und Anko ließ sich auch nicht blicken. Noch eine Sache, die Yuna stutzig machte. Gerade, als sie den Mund aufmachen wollte, begann die Hellhaarige zu sprechen.

„Dein Gegner in der Endrunde wird Naruto sein. Ihr habt viel miteinander trainiert, daher kennst du seine Techniken genauso gut wie er deine. Es ist also wichtig, dass du etwas lernst, wovon er noch nie gehört hat. Du weißt bereits, dass er mehr Chakra hat, als die meisten anderen Ninjas, dich eingeschlossen. Was dir aber mit Sicherheit noch niemand gesagt hat ist, dass auch du über unwahrscheinlich viel Chakra verfügst.“

Yuna machte große Augen. „Mehr als du?“

„Viel mehr, Yuna. Es wundert mich, dass es dir nicht aufgefallen ist. Das ist meine große Schwäche: Ich habe nur eine sehr begrenzte Menge an Chakra. Du hast, da bin ich mir ziemlich sicher, mehr Chakra als ich und Anko zusammen.“

Das verschlug Yuna erst einmal die Sprache. Ihr klappte der Schnabel auf.

„Yuna mach den Mund zu, sonst siehst du aus wie eine Schwachsinnige.“, rügte Evelyn.

Yuna schluckte hart, doch da fuhr die Hellhaarige bereits fort.

„Was du bisher von meinen Jutsus gesehen hast, waren nette Spielereien, gegen wirklich starke Gegner fast nutzlos. Ich möchte dich eine sehr unverbreitete Art von Jutsus lehren: Banne und Siegel. Meine Mutter brachte sie mir bei, und sie haben mir oft das Leben gerettet. Dieses Gebiet ist mir von allen Spielarten der Ninjakünste das Vertrauteste.“

„Banne und Siegel? Was kann man damit ausrichten?“, wollte Yuna wissen. Davon hatte sie noch nie gehört. Evelyn deutete einladend auf den weichen Grasteppich.

„Setzen wir uns, um dies zu erklären, muss ich ein wenig ausholen.“

Die Hellhaarige ließ sich mit unterschlagenen Beinen auf dem Boden nieder und drehte nachdenklich einen kleinen Zweig zwischen den Fingern.

„Erst einmal gibt es drei Kategorien zu unterscheiden: Siegel, Banne, und Bannsiegel, wobei letztere die energieaufwendigsten sind. Nun zu den Unterschieden. Danach wolltest du doch gerade fragen, oder?“

Yuna klappte den Mund wieder zu. Evelyn hatte recht. Das wäre ihre nächste Frage gewesen.

„Die Kategorien sind durchaus nicht leicht zu differenzieren.“, setze die Hellhaarige an. „Siegel werden nur auf eine Person angewendet, und meist ist der direkte Kontakt dafür notwendig. Beispielsweise ist es möglich das Chakra in einer Person zu versiegeln. Das Chakra bleibt dann so lange für die betroffene Person unnutzbar, bis jemand das Siegel löst. Oftmals zeigt sich ein Mal auf der Haut. Konntest du mir folgen?“

Yuna nickte zögerlich.

„Gut, dann zu den Bannen. Ein Bann erschafft eine Barriere, nicht mehr. Das ist wichtig. Wie diese Barriere geartet ist, hängt vom Jutsu ab. Manche sind wie eine unsichtbare Wand, andere zeigen sich als Feuersbrunst und so weiter. Sie beeinflussen demnach weder Anwender noch Angegriffenen unmittelbar.“

„Aber wozu sind Banne dann gut?“

„Das ist eine strategische Frage. Ich komme später darauf zurück. Also weiter zu den Bannsiegeln. Sie ist am Kompliziertesten, denn – wie der Name schon sagt – werden hier beide Fertigkeiten kombiniert. Ein Bann umschließt ein bestimmtes Areal, und ein Siegel wird auf alle Personen wirksam, die sich darin befinden. Dieses Siegel wird als Pentagramm auf dem Boden sichtbar. Bis jetzt alles verstanden?“

Die Dunkelhaarige nickte. Diesmal selbstsicherer.

„Dann zu den Einsatzmöglichkeiten. Wie ich bereits sagte, bezieht sich ein Siegel fast ausschließlich auf das Chakra. Du kannst das deines Gegners lahm legen, oder aber das einer anderen Person um ein Vielfaches verstärken. Das ist schwieriger, als es sich anhört. Eine eigene Unterart der Siegel sind Schutzsiegel. Sie schützen vor Fremdeinwirkungen von Chakra und anderen Energieformen. Soll heißen, sie können Genjutsus und Jutsus des Feuer- und Blitzelements blocken, sind dagegen aber bei Taijutsu sowie bei Wasser-, Wind-, Erd-, und auch dem Eiselement nutzlos, denn sie sind nicht energetischer Natur.“

Evelyn unterbrach ihre Ausführungen und förderte eine Kette zutage, an der eine handtellergroße, runde Metallscheibe hing. Sie reichte Yuna das kuriose Schmuckstück. Eingehend betrachtete diese das verschlungene Pentagramm darauf. Haarfeine Linien bildeten sich an den Sternseiten entlangziehende Schriftzeichen.

„Hier siehst du ein Schutzsiegel, das Genjutsus abfängt. Wie du dir vielleicht denken kannst, sind diese Siegel viel komplizierter als die Jutsus, mit denen angegriffen wird, denn wenn du einen Schutz konstruierst, musst du alle Möglichkeiten abdecken, sonst schlüpft dir ein feindliches Jutsu durchs Netz.“ Sie deutete auf die Schriftzeichen. „Jedes dieser Zeichen neutralisiert eine bestimmte Struktur von Chakra. Der Nachteil dieser Siegel ist der hohe Chakraaufwand. Etwas, das dich weniger stören wird als andere.“

Inzwischen hatte Yuna ihren Kopf angestrengt und war darauf gekommen, wie man Banne einsetzen konnte.

„Sind Banne dann dazu da, um zu verhindern, dass einem der Gegner davonläuft?“, äußerte sie ihre Vermutung.

„Richtig, aber nicht nur. Du kannst ihn dir damit auch vom Leib halten. Zumeist werden die Banne allerdings in Bannsiegeln eingesetzt. Letzteres kann in einem Schlag eine ganze Gruppe auslöschen. Das Siegel, also der zweite Teil des Bannsiegels, beinhaltet zumeist ein Jutsu und bezieht sich damit nicht zwingend nur auf das Chakra. Du kannst auch ein Inferno auslösen, das alle innerhalb des Banns einäschert. Außerdem ist es fast unmöglich einem Bannsiegel zu entkommen, da du zuerst die Struktur durchschauen musst. Das ist sogar für ausgebildete Uchihas eine echte Leistung.“

Evelyn zog ein paar Baumwollfäden aus der Tasche und machte einen äußerst komplexen Knoten daraus, dann gab sie ihrer Teamgefährtin die Bänder.

„So kannst du dir ein Bannsiegel vorstellen. Gib mir die Schnüre wieder, wenn du den Knoten raus hast.“

„Das Lösen dieser Jutsus scheint ja echt nur was für Meister zu sein.“, meinte Yuna mit einem unglücklichen Blick auf die Fäden.

„Das ist es auch.“

Belustigung zeichnete sich in Evelyns Gesicht ab, als der Ausdruck in der Miene ihrer Teamgefährtin fragend wurde.

„Du willst jetzt sicher wissen, warum ich dir das alles erklärt habe.“ Es war keine Frage, daher fuhr sie fort, ohne auf eine Reaktion zu warten. „Ich möchte dich einen kleinen Teil dieser Kunst lehren, damit du ihn gegen Naruto einsetzen kannst. Das wird dir einen nicht aufzuholenden Vorteil verschaffen.“

Erneut war es an Yuna, verblüfft zu sein.

„Du weißt ja, dass Narutos Spezialität die Schattendoppelgänger sind. Um mit einer solchen Übermacht fertig zu werden, ohne jeden einzelnen zu bekämpfen, werde ich dir ein Bannsiegel beibringen, dass jedwede Ninjutsustuktur auflöst. Ohne die Doppelgänger sollte es dir leicht fallen, ihn mit einem Genjutsu zu belegen.“

„Oh Evelyn, du bist einfach genial!“, rief die Dunkelhaarige überschwänglich aus.

„Danke.“
 

Innerhalb des nächsten Monats konnte Yuna ihrem Körper regelrecht bei seiner Veränderung zuschauen. Ihre Muskeln wurden härter, ihre ganze Gestalt schlanker und drahtiger. Evelyns Training war die reinste Hölle. Nicht selten wachte sie im Bett ihrer Teamgefährtin auf, weil sie vor Erschöpfung zusammengebrochen war. So auch jetzt.

Geduldig saß Evelyn an der Seite ihrer Teamgefährtin, als diese wie eine Eule blinzelnd die Augen aufschlug. Einen Moment äugte Yuna orientierungslos umher, bis sie die Hellhaarige gewahrte, die ihr einen Becher mit gallebitterem Kräutersud hinhielt.

„Trink das.“, mahnte Evelyn. Das Mädchen war noch zu durch den Wind, um sich zu weigern.

„Igitt! Evelyn, was ist das denn schon wieder?! Das ist ja noch ekelhafter als sonst!“

„Das ist das Zeug, das dafür sorgt, dass dein Körper die Beanspruchung übersteht. Ich musste stückweise die Dosis erhöhen. In Konoha lassen sie die Zügel manchmal wirklich schleifen. Trink alles aus.“

„Tyrannin.“, grummelte Yuna und zog erstaunt die Augenbrauen in die Höhe, als die Züge ihrer Teamgefährtin plötzlich weich wurden.

„Es ist eben nötig, Yuna.“

Im Stillen hatte sich Yuna die ganze Zeit gewundert, warum sie Evelyns Training so gut verkraftete. So ganz ohne Muskelkater.

Nun sah sie sich richtig um.

„Oh, habe ich dir wieder das Bett weggenommen?“ Sie kratzte sich ein wenig verlegen am Kopf. Sie hasste es, wenn ihr das passierte.

„Kein Problem.“ Die Hellhaarige stand auf und stieg mitsamt dem entleerten Becher die Leiter nach unten. Yuna wühlte sich derweil aus der Decke und stand auf. Sie hatte den bitteren Geschmack noch auf der Zunge und wollte nur noch zähneputzen.

Evelyn ließ ihr nicht viel Zeit, bis sie ihre Freundin zum allmorgendlichen Laufen aufscheuchte. Inzwischen genoss Yuna diese zwei Stunden stupider Bewegung richtig, spürte sie doch ihre immer weiter wachsende Ausdauer.

Anko sah innerhalb dieses Monats ihren Schülerinnen zwar ein paar Mal beim Training zu, doch überließ sie die beiden meistens sich selbst. Sie fühlte sich elend, wovor Evelyn sie allerdings gewarnt hatte. Siegel – besonders Fluchsiegel – waren eine hohe Belastung für den Körper. Nun saß die Sensei auf einem Stein und beobachtete Yuna und Evelyn, die gerade vom Laufen zurück waren, und sich nun durch die grotesken Verrenkungen von Evelyns Übungen wanden, als hätte jemand sie entgrätet, während sie sich durch eine Welle der Übelkeit kämpfte. Anko wunderte sich, dass Yuna es geschafft hatte, ihre Fähigkeiten in derart kurzer Zeit so stark auszubauen. Die Sensei warf einen Blick auf Evelyn. Wahrscheinlich hatte sie auf dem medizinischen Weg nachgeholfen. Was die Hellhaarige ihr wohl noch alles beigebracht hatte?

Anko wusste nicht, dass Yuna langsam aber stetig die Kunst der Siegel lernte. Evelyn hatte es für klüger befunden, ihre Sensei das nicht wissen zu lassen. Diese spürte zwar, dass ihre Schülerinnen ihr etwas verheimlichten, kam jedoch nicht dahinter, was es war.
 

Besonders am Morgen vor dem dritten Teil der Prüfung bemerkte Anko, dass nicht nur eine physische Veränderung mit Yuna vorgegangen war, denn jetzt auf dem Weg zum Stadion, strahlte das Mädchen eine selbstsichere Gelassenheit aus, die ihre Sensei früher nie bei ihr wahrgenommen hatte, und die sie Evelyn ein Stückchen ähnlicher machte. Anko war sehr stolz auf ihre beiden Schützlinge, war ihr Team doch das einzige aus Konoha, das es vollständig in die dritte Runde geschafft hatte. Nur eines trübte ihre Freude: Orochimarus Drohung.

„Sensei, geht es ihnen gut?“

Anko zuckte zusammen, als plötzlich Evelyns Stimme neben ihr ertönte. Unwillkürlich war ihre Hand zum Juin gewandert, als ihr Orochimaru in den Sinn gekommen war. Sie rang sich ein Lächeln ab.

„Alles in Ordnung.“, erwiderte sie, doch der undeutbare Blick ihrer Schülerin blieb an ihr haften, bis die Arena in Sicht kam. Auroras Ohren zuckten, als sie das Stimmengewirr wahrnahm. Evelyn gab der Füchsin ein Zeichen, woraufhin das große Tier herumfuhr und wieder zurück in Richtung Dorfrand lief. Yuna sah ihre Freundin fragend an.

„Aurora leidet unter dem Lärm.“, erklärte die Hellhaarige knapp und legte leicht die Stirn in Falten, als sie die Abteilung Anbus unter den Zuschauern ausmachte, die auf die Tribünen strömten. Auch Anko sah sie, sagte jedoch nichts.

Beide Anko und Evelyn wussten, was diese Sicherheitsvorkehrungen zu bedeuten hatten. Der Hokage rechnete mit einer Katastrophe. Die Hellhaarige sah zu Sarutobi auf, der hoch oben auf der Tribüne seinen Ehrenplatz hatte, und zum Kazekage neben ihm.

Sie sind vorbereitet, doch dass die Schlange ihnen bereits in den Bau gekrochen ist, ahnt hier niemand, ging es Evelyn durch den Kopf. Fast tat der Hokage ihr leid.

Sie und Yuna waren die ersten Prüflinge, die hier waren. Sie stellten sich in der Mitte zu Genma. Der Prüfer kaute gelangweilt auf einem Holzspieß herum.

Yuna wurde ob der vielen Zuschauer, in deren Aufmerksamkeit sie nun standen, doch etwas mulmig, und sie linste zu Evelyn herüber, die ruhig und kühl dastand wie ein Marmorstandbild. Die Dunkelhaarige lenkte sich damit ab, in den Reihen der Zuschauer nach bekannten Gesichtern zu suchen. Sie fand Anko neben Ibiki Morino und einem der Anbu. Ihre Sensei winkte ihr. Auch Sakura, Ino und Kurenai fand sie. Letztere saß wie immer neben Asuma. Nur ein Blinder konnte diese werdende Liebe übersehen. So abgelenkt bemerkte sie das eintröpfeln der anderen Jungninjas nicht, bis Evelyn sie leicht anstieß. Etwas irritiert schaute sie sich um.

„Zwei fehlen.“, machte die Dunkelhaarige erstaunt.

„Dozu und Sasuke, ja.“, stimmte Evelyn ihr zu. „Dozu ist tot. Er hat den Fehler gemacht, sich mit Gaara anzulegen, und Sasuke kommt später. So weit ich weiß ist er bei Kakashi, und der kommt ja immer zu spät.“ Der Silberschopf sprach laut genug, dass Genma ihre Worte hören konnte.

„Du bist ja gut informiert.“, kommentierte er. Ihm war die Sache mit Sasuke neu.

„Lebenswichtig für einen Ninja.“, war alles, was sie dazu bemerkte.

Da alle da waren und sie auf die beiden Fehlenden nicht zu warten brauchten, ergriff Genma das Wort.

„Der erste Kampf wird zwischen Evelyn und Neji Hyuga stattfinden. Die anderen begeben sich bitte in den Aufenthaltsraum. Die Regeln sind denkbar einfach: Es gibt keine. Dieser Kampf soll unter möglichst realitätsnahen Umständen stattfinden und endet mit der Aufgabe oder Kampfunfähigkeit einer Partei.“

Neji und Evelyn verharrten, während die Anderen träge die Arena räumten. Unverwandt musterte die Hellhaarige ihren Gegner, und Neji ahnte, dass sie ihm die Sache mit Hinata immer noch sehr übel nahm.

„Dein ist der Ärger, den du verdienst, Neji.“, sagte sie frostig. Genma zog eine Augenbraue in die Höhe.

Sie entfernten sich einige Schritte voneinander, und während Neji seine typische Kampfhaltung einnahm, zog Evelyn ein schmales Katana blank und löste die Peitsche von ihrer Schärpe.

„Fangt an!“



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Kommentare zu dieser Fanfic (10)

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Von:  fahnm
2013-07-01T22:17:45+00:00 02.07.2013 00:17
KLasse Kapi^^
Von:  fahnm
2013-06-27T20:25:30+00:00 27.06.2013 22:25
Spitzen Kapi^^
Von:  fahnm
2013-06-23T20:51:11+00:00 23.06.2013 22:51
Super Kapi^^
Von:  fahnm
2013-06-17T21:00:26+00:00 17.06.2013 23:00
Klasse Kapi^^
Antwort von:  Chibara-sama
18.06.2013 21:05
Wow, ich fühle mich geehrt, dass du nach so langer Zeit noch weiter liest. Ab jetzt kommen die neuen Kappis regelmäßiger. Versprochen^^
LG Chibara
Von:  fahnm
2012-08-03T20:52:28+00:00 03.08.2012 22:52
Super Story.^^
Von:  fahnm
2012-07-19T22:09:33+00:00 20.07.2012 00:09
Super Kapi^^
Von:  fahnm
2012-07-14T20:33:16+00:00 14.07.2012 22:33
Hammer Kapi^^
Von:  fahnm
2012-07-14T20:31:14+00:00 14.07.2012 22:31
Hammer Kapi^^
Von:  fahnm
2012-06-13T21:59:28+00:00 13.06.2012 23:59
Klasse Kapi^^
Von:  fahnm
2012-06-13T21:59:00+00:00 13.06.2012 23:59
Klasse Anfang.^^


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