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Lügen strafen

von

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Asgard

Yay, ich hab jetzt noch ein paar Stellen bearbeitet und etwas hinzugefügt und bin jetzt ein ganzes Stück zufriedener mit diesem Kapitel. Jetzt ist es eine gute Basis für das nächste...Das wird demnächst also auch noch mal neu kommen^^
 


 

Problemkind.

Das Wort hatte er in Midgard aufgeschnappt, als er dieses Ding benutzte, das sie Fernseher nannten. Jetzt, da Odin auf ihn herabblickte, wusste er instinktiv, was es bedeutete.

In Midgard hatte er noch herzhaft über dieses pummelige Menschlein gelacht, das seine Eltern terrorisierte und von einer strengen Nanny in seine Schranken verwiesen wurde.
 

Nun, in Asgard war das alles nicht ganz so einfach. Langsam ließ er den Blick wandern, soweit es ihm möglich war, und stellte pikiert fest, dass die aller anderen auf ihm ruhten, während er vor seinem Zieh(!)vater kniete und Thors eiserner Griff ihn noch tiefer drückte, wogegen er sich jedoch mit aller Macht wehrte. Am Rande seines Sichtfeldes erkannte er Mjölnir in der Hand seines Bruders; ein Anblick, der ihm beinahe Kopfschmerzen bereitete.
 

„Loki.“

Ah, die Tirade begann. Er hätte gern etwas erwidert, doch sie hatten ihm den Knebel noch nicht wieder abgenommen –und er hatte den unangenehmen Verdacht, dass das auch nicht so schnell passieren würde. Sie hatten hier tatsächlich dazugelernt in letzter Zeit.

Odin sprach. Er blickte zu ihm auf und tat, als würde er zuhören; stattdessen musterte er das Gesicht des Allvaters so ausgiebig wie schon lange nicht mehr. Sein Bart war länger geworden, schien ihm, und alles in allem sah er beinahe unverschämt gut aus, wie ein Mann - ein Gott! - in seinen besten Jahren. Thor würde wohl noch eine Weile darauf warten müssen, seinen Platz einzunehmen.

Dann die goldene Augenklappe, die so alt war, wie Loki selbst… In diesem Moment hätte er alles dafür gegeben, Odin sein zweites Auge auch noch zu rauben.
 

Plötzlich verstärkte sich Thors Griff in seinem Rücken noch einmal. Er wurde auf die Füße gezogen und blickte seinen Bruder zum ersten Mal wieder direkt an: Sein draufgängerischer Bart und das lange blonde Haar, und mitten in diesem gutmütigen Gesicht die Augen, aus denen noch immer pure Fassungslosigkeit sprach. Bruder, warum hast du das nur getan?, ach ja…

Loki hob kurz eine Braue und blinzelte nicht. Sein Geschick für Verhandlungen beschränkte sich nicht nur auf die gesprochene Sprache, und Thor verstand ihn nur allzu gut. Das schien ihm jedoch nicht zu gefallen. Mjölnir zuckte kurz in seiner Hand, dann schloss sich die andere wie ein Schraubstock um seinen Nacken und dirigierte ihn vor sich her. Hintereinander gingen sie durch die Halle und die Blicke der anderen Götter folgten ihnen.
 


 

Gold.

Menschen töteten für Gold, ging ihm auf. Vielleicht hätte er es damit versuchen sollen.

In Asgard gab es Gold im Überfluss.

Thor stieß ihn in ein Verließ weit im Inneren des Berges, auf dem die Stadt errichtet worden war. Und endlich, endlich wurde er nun auch den Knebel los. Während er sich noch das Kinn rieb, entstand hinter ihm wie aus dem Nichts eine Gitterwand und schloss ihn ein.

„Man sollte dich mit Schlangengift foltern!“, sagte Thor. Für ihn unbemerkt verdrehte Loki die Augen. Je älter sie wurden, desto unappetitlicher wurden seine Drohungen. Früher hatte ihn sein Bruder lediglich kopfüber irgendwo aufgehängt, wenn er ihm einen Streich gespielt hatte.

„Hast du gar nichts mehr zu sagen, Silberzunge?“ Thor bebte vor Wut…und Enttäuschung.
 

Jäh wandte Loki sich um. Mit drei großen Schritten war er am Gitter und seinem Bruder nah. So nah. Thor fühlte sich augenblicklich noch unwohler in seiner Haut, doch er verbat sich offensichtlich, nicht zurück zu weichen. Seit wann war er denn so schreckhaft?

„Bringe die Schlangen, Bruder“, sagte Loki, „Binde mich und gieße Schlangengift über mich. Es wird nichts nützen.“
 


 

„Ich bin der Gott des Unheils.“

Die Worte prallten an der Wand ab und verloren jegliche Bedeutung. „Gott des Unheils“ war scheinbar nur eine schöne Form von „Problemkind“.

Vor einiger Zeit hatte er begonnen, wie ein Tier an dem Gitter vorbeizustreifen, hin und her und wieder zurück, solange, bis stehen wieder abwechslungsreicher schien. Das einzige Geräusch neben dem seiner Schritte war das von dünnen Rinnsalen, die an der Wand hinabtröpfelten. Hier gab es kein Licht, kein Leben, nicht einmal frische Luft.

Immerhin, ein Mensch hätte schon längst den Verstand verloren, so viel hatte er über sie gelernt. Was fand Thor nur an diesen mickrigen Fleischklumpen, die in Midgard wie Ameisen ihre Häuser in den Himmel bauten?
 

Im Grunde war Midgard Loki egal geworden. Nick Fury und seine Gruppe von mutierten Über-Wesen hatten ihm den Spaß gründlich verdorben.

Was ihm viel mehr Sorgen bereitete, war sein außerirdischer Verhandlungspartner, die Chitauri. Natürlich hatte er darauf gebaut, dass sein Plan greifen und dieses seltsame Völkchen ihn in Ruhe lassen würde, sobald es im Besitz des Tesserakts war. Nun war es wohl nur noch eine Frage der Zeit, bis die Chitauri ihre bittere Rache wahr machen würden. Und wen traf es dann? Ihn? Oder doch eher die Avengers?
 

Loki fand tatsächlich seinen Humor wieder, als er sich ausmalte, welche Probleme auf Thor und seine neuen Freunde noch zukommen könnten.
 


 

Nach drei Monaten kam das Mädchen zu ihm.

Loki hatte sich ganz in sich zurückgezogen. Zwar konnte er seine Kräfte benutzen, kam damit jedoch nicht gegen die Banne an, die ihn hier gefangen hielten. Asgards uralte Felsen waren nicht so einfach zu zerstören, wie die anderer Welten oder gar der Bifröst. Und das Gitter, das ihn hielt, war von gleicher Machart wie jenes, hinter dem der Destroyer verborgen lag.

Als er all das erkannte, suchte Loki sich einen anderen Weg. Derer gab es zur Genüge. Nicht einmal der Allvater kannte alle Geheimnisse Asgards, schon gar nicht, wenn sie etwas mit Magie zu tun hatten. Odin war ein Kämpfer. Darüber hinaus beherrschte er nur ein paar magische Grundlagen, die zwar mächtig und unnachahmlich waren, für den Kenner aber auch leicht zu verstehen. Das meiste, was darüber hinausging, hatte er in den letzten Jahrhunderten Loki überlassen. Wann immer es darum ging, mittels einiger Tricks ihre göttlichen Hintern zu retten, war er zur Stelle gewesen. Und wie oft hatte er versucht, Odin davon zu überzeugen, nicht in eine Schlacht zu ziehen, sondern stattdessen ein kleines Attentat zu verrichten! Ein winziger Streich hätte sie vor einigen Kriegen bewahrt. Aber der Allvater war stur. Die Magie war fremd für ihn, also traute er ihr nicht.

Doch so entging ihm, dass Loki Möglichkeiten kannte, aus seinem Verlies zu entfliehen, ohne sich dabei von der Stelle zu bewegen.
 

Er lag ausgestreckt auf dem Boden, die Glieder entspannt, die Augen geschlossen. Im Dunkeln war nicht einmal zu erkennen, ob er noch atmete. Doch er tat es. Sein Körper führte alle seine Aufgaben treu weiter aus, während sein Geist sich auf der Reise befand.

Schon als Kind hatte Loki viele Nächte so verbracht, anstatt zu schlafen: Körperlos hatte er Asgards verborgene Winkel erkundet, um Thor am Tage dorthin zu führen, nur, damit er dann höhnisch sein verblüfftes Gesicht betrachten konnte.

Nun war er tiefer in das Fundament der Stadt eingedrungen, als je zuvor. Es war schwierig, denn das Gestein sonderte seine eigene starke Energie ab, die ihn zurückdrängte. Doch Loki war stärker geworden und wurde es immer noch, mit jedem Tag, an dem er seine ganze Kraft darauf verwendete, die unsichtbaren Barrieren zu durchbrechen. Er fand Dinge dort, unter Asgard, von denen er bis dahin nicht einmal eine Vorstellung hatte. Grausige Dinge, vielleicht, doch Loki war schon immer eher neugierig denn ängstlich gewesen, wenn auch vorsichtig zur gleichen Zeit. Nun besah er sich das, was Asgard trug, was Asgard vielleicht auch erschaffen hatte, so genau wusste er es nicht. Diese unterirdische Welt wurde von Wesen bewohnt, dich selbst er nicht zu wecken wagte. Aber vielleicht würde es in absehbarer Zeit nötig werden, wer weiß? Das meiste Wissen sammelte Loki nur an, um im Notfall noch etwas in der Hinterhand zu haben.
 

Seine Lider zuckten, als er die Präsenz eines anderen Wesens in unmittelbarer Nähe seines Körpers bemerkte. Sogleich war der Geist verwirrt und geschwächt, musste sich zurückziehen, um nicht Schaden zu nehmen. Es war nie klug, außerhalb des eigenen Körpers zu weilen, wenn man dabei nicht voll konzentriert war.

Loki schlug die Augen auf und erfasste die Situation binnen Sekunden: Auf der anderen Seite des Gitters stand eine junge Frau und starrte ihn an; ihre Angst war weithin spürbar. Der Himmel wusste, wie sie es geschafft hatte, unbemerkt zu ihm zu kommen. Aber unter dem dicken Mantel der Furcht bemerkte er außerdem wilde Entschlossenheit und pure Verzweiflung. Wie interessant.

Er erhob sich betont würdevoll vom Boden und klopfte nachlässig den Staub von seinen Kleidern, bevor er sie überhaupt ansah. Das gab ihm genügend Zeit, damit sich seine Augen an den schwachen Schein der Fackel gewöhnen konnten, die sie mitgebracht hatte. Das Licht schmerzte mehr, als er angenommen hatte.

„Welch‘ liebreizender Besuch“, sagte er dann, „Was kann ich für dich tun, kleine Schönheit?“

Sie zwang sich sichtlich, stehenzubleiben, während er ein, zwei gemächliche Schritte auf sie zu machte. Ihr Haar war lang und blond, wie bei vielen Frauen von Asgard; zudem war sie natürlich sehr groß, jedoch etwas schlanker als gewöhnlich. Wahrscheinlich war sie jünger, als sie aussah. Nun, das sollte ihm Recht sein. Junge Mädchen waren bekanntlich dümmer, als ältere.

„Man sagt, Ihr seid ein Meister der Magie, Herr“, sagte sie, die Furcht raubte ihr fast die Stimme, „Man sagt, Ihr könnt die Leute täuschen, Ihr…“ Sie stockte und sah ihn dann nur noch starr aus weit aufgerissenen Augen an. Doch Loki verstand. Und mit einem Mal wusste er, wie er von hier aus wirken konnte, unbemerkt vom Allvater…
 

„Keine Angst, Mädchen“, sagte er und lockte sie mit seiner Silberzunge, „Vor mir brauchst du dich nicht zu fürchten. Ich helfe dir. Erzähl mir alles.“

Die Worte schienen beinahe ohne ihren Willen aus ihr herauszuquellen. Sie hatte großen Schmerz und Trauer sehr lange unterdrückt, doch das machte sie nur umso entschlossener. Ihre Geschichte war die eines misshandelten Kindes, verachtet von Vater und Geschwistern, da diese glaubten, sie sei unter widrigen Umständen gezeugt worden. So etwas gab es durchaus in Asgard, und es blieb genauso oft im Kreise der Familie, die nach außen hin ein friedliches Leben führte. Loki war nicht im Mindesten beeindruckt. Sollte das Mädchen doch ihre Familie morden, um sich endlich zu befreien. Er würde es an ihrer Stelle auch tun. Ihr dabei zu helfen war für ihn eine Kleinigkeit. Und sie wusste nicht einmal, dass der Preis, den sie ihm für seine Dienste zahlen würde, in keiner Weise angemessen war.

„Nun, ich werde dir sagen, was du tun musst“, sagte Loki schließlich, „Doch zuerst: Was bist du bereit, mir dafür zu geben?“

„Alles“, sagte das Mädchen sofort, und in ihren Augen konnte er lesen, woran sie dachte. Davor hatte sie weit mehr Angst, als vor den Morden, die ihr bevorstanden. Doch Loki lächelte nur milde, denn das, was sie fürchtete, hatte ihm noch nie im Sinn gestanden. Das war schon immer Thors Metier gewesen. „Ich bin nicht interessiert an dem, woran du gerade denkst“, sagte er, und augenblicklich errötete sie. „Aber du kannst etwas anderes für mich tun.“ Er beugte sich zu ihr herunter, um auf Augenhöhe mit ihr zu sein –er war selbst für einen Asen sehr groß; vielleicht lag das auch am Erbe der Eisriesen, wer weiß? Neben Thor fiel er dadurch trotzdem nicht auf…

„Verbreite unter den Leuten, dass Loki denen hilft, die Verzweifelt sind“, sagte er, „Wenn sie zu mir kommen, werde ich ihnen ihre Wünsche erfüllen, und seien sie noch so finster. Ich verlange nichts dafür. Sie sollen nur kommen.“
 


 

Und sie kamen.

Rasend schnell verbreitete sich in Asgard die Kunde von Loki, dem Helfer, Loki, dem Orakel, der wegen einer Schandtat unter der Stadt festgehalten wurde. Sie fürchteten ihn wie einen Drachen und kamen trotzdem alle. Die meisten Asen interessierten sich nicht für die Belange anderer Welten, daher ignorierten viele das, was er in Midgard getan hatte. Einige sympathisierten sogar mit ihm, und zumeist waren sie es, die ihm als Gegenleistung für seine Hilfe Informationen gaben.

So erfuhr er, dass der Allvater seit geraumer Zeit über eine Bestrafung für ihn nachsann. Das Verließ war scheinbar nicht genug. Thor war ihm keine große Hilfe, denn er rastete in regelmäßigen Abständen aus, hin- und hergerissen zwischen seinem frischen Hass auf Loki und der alten Bruderliebe. Und noch ein Wort fiel oft, wenn die Leute Loki berichteten, was in Odins Halle geschah, die er selbst auf seinen Geistesreisen nicht betreten konnte: Dieses Wort war Tesserakt. Der Allvater versuchte scheinbar, mittels des Tesserakts einen neuen Weg in andere Welten aufzubauen. Einen neuen Bifröst.
 

Loki hörte sich alles an und schmiedete seine Ränke. Er ließ Gerüchte streuen oder pflanzte falsche Verdächtigungen in ihre Gehirne. In kürzester Zeit entstanden unter den Leuten Streits, die sich so weit hochschaukelten, dass der Allvater sie persönlich schlichten musste und so von seinen eigentlichen Aufgaben abgelenkt wurde. So kam es, dass es höchste Zeit wurde, Loki endgültig zu verurteilen; und, dass es im gleichen Zuge niemanden in Asgard gab, der die Eigenschaften des Tesserakts besser kannte, als Loki.

Der Gott des Unheils ahnte seit geraumer Zeit, worauf alles hinauslaufen würde: Sobald Odin es einigermaßen schaffte, eine Verbindung zwischen den Welten herzustellen, würde er wie Thor verbannt werden. Doch er wusste, dass es nur einer lächerlich kleinen Anstrengung bedurfte, um dies zu vereiteln.
 


 

Odin störte seine Ruhe.

Er kündigte sich durch schwere Schritte und den Schein einer Fackel an, gegen den Loki zuerst anblinzelte, bevor er den Blick gänzlich abwenden musste und sich in die hintere Ecke seines Verlieses zurückzog.

„Was willst du?“, fragte er den Allvater.
 

„Deine Strafe“, sagte Odin, „soll nicht allein daraus bestehen, dich hier im Bauch des Berges festzuhalten. Immerhin hast du versucht, eine der neun Welten in Besitz zu nehmen! Du bist…bei all deiner Gerissenheit doch ein dummes Kind, mein Sohn. Warum hast du das nur getan?“

Loki blieb eine Antwort schuldig, doch das hatte Odin wohl so erwartet. Er gab seine Fackel an einen der Wachmänner weiter, die mit ihm gekommen waren, und trat noch einen Schritt näher an das Gitter heran. Lokis Augen gewöhnten sich an das Licht und er machte ebenfalls einige langsame Schritte auf Odin zu.

„Nun?“, fragte er und hob erwartungsvoll die Augenbrauen, „Was soll also meine Strafe sein?“
 

Der Allvater schürzte die Lippen; eine Geste, die er auch an Thor beobachtet hatte. Die beiden waren sich schrecklich ähnlich. Warum nur war ihm nicht schon viel früher aufgefallen, dass irgendetwas mit ihm nicht stimmen konnte, wo er doch als einziger aus dieser Familie stämmiger, kerngesunder Götter herausfiel? Interessant, wie gut man sich selbst etwas vormachen konnte.
 

„Ich habe beschlossen“, sagte Odin, „Dass du nach Jötunheim verbannt werden sollst. So wie ich Thor in diejenige der neun Welten verbannte, die er liebte, sollst du dort hingehen, wo du herkommst, um zur Vernunft zu kommen.“

„Jötunheim?“, wiederholte Loki und war nun doch milde erstaunt. Mit allem hätte er eher gerechnet, als mit der Welt, aus der er stammte. Wie perfide. Ob Thor seine Finger mit im Spiel hatte? „Aber“, sagte er, „Die Eisriesen werden…“

„…nicht gerade gut auf dich zu sprechen sein“, beendete Odin seinen Satz, „Immerhin hast du ihren König getötet und einen beträchtlichen Teil ihrer Heimat zerstört. Aber das wissen sie zum Glück nicht. Begeistert werden sie trotzdem nicht sein.“ Das war die Wahrheit. Wahrscheinlich würde er nicht einmal drei Herzschläge lang überleben. „Willst du mir das wirklich antun, Allvater?“
 

„Loki“, sagte Odin und imitierte seine spöttisch-erstaunte Miene auf grausame Weise, „Solltest du nervös werden?“

„Wo denkst du hin?“, entgegnete er. Odins Blick wurde wieder weich und sogar ein wenig mitleidig. „Es ist nur zu unser aller besten, mein Sohn. Ich habe Hoffnung, dass du zur Vernunft kommst. Die Eisriesen sind ohne König und somit ohne Hirn. Sie sind wie wilde Tiere. Du dürftest keine Schwierigkeiten haben, eine Weile mit ihnen auszukommen, auch in geschwächtem Zustand.“

Loki hatte sich mit verächtlich verzogenem Mund schon halb abgewandt, als ihn die letzten Worte aufhorchen ließen. „Geschwächt?“, fragte er.
 

Der Allvater blickte ihn auf einmal wieder sehr kalt und starr an. „Du erinnerst dich, wie ich Thor seinen Hammer nahm?“

„Ja…“ Zum ersten Mal seit Monaten ließ Loki sich gehen und verschränkte die Arme, seine Skepsis ehrlich zur Schau tragend.

„Nun, ich habe lange überlegen müssen: Du hast keine solche Waffe, die man dir einfach aus der Hand reißen kann, um deine Kraft zu mindern. Doch dann ist mir etwas eingefallen. Es war eigentlich ganz einfach.“

Loki reckte das Kinn. „Nun?“
 

„Deine Stimme.“

Bifröst

Auch dieses Kapitel ist nun überarbeitet und fügt sich besser in die Story ein. So langsam fuchse ich mich durch, glaube ich. Ich habe einige sehr große Veränderungen vorgenommen, von daher lohnt sich nochmaliges Lesen wahrscheinlich schon :D
 


 

...
 

„Der Allvater hat entschieden.“

Malin, das Mädchen, das als erstes zu ihm gekommen war, schlang die Finger um die Gitterstäbe und starrte ihn mit ihren runden Augen an. Sie sah gehetzt aus, seit sie ihr ganz persönliches Trauerspiel mit seiner Hilfe beendet hatte; gehetzt, aber zufrieden.

„Nun?“, fragte Loki, „Was sagt er?“

„Sie werden Euch holen, in ein oder zwei Tagen, dann sollt Ihr in die Verbannung gehen.“

„Mehr nicht?“ Sie hatte ihm nichts Neues erzählt. Was ihn interessierte, war der Tesserakt. War es Odin inzwischen gelungen, ihn vollständig unter seine Kontrolle zu bringen? Natürlich, der Tesserakt gehörte in die Waffenkammer des Allvaters –aber ihn dort liegen zu wissen und ihn benutzen waren bekanntlich zwei verschiedene Dinge.
 

Malins Finger waren um das glatte Metall geschlungen und nun kam er auf sie zu und legte seine Hand auf ihre. Er hasste solche Berührungen, aber manchmal war es eben nötig. Das Mädchen sah mit einer Mischung aus Faszination und Unterwürfigkeit zu ihm auf. Wie ein Außenstehender betrachtete er interessiert, welche Wirkung er auf Frauen haben konnte. Er konnte es nicht recht nachvollziehen, doch er wusste, dass ihm diese natürliche Anziehungskraft von Nutzen war.

„Malin, mein Kind, hör zu“, sagte er und umgarnte sie schon mit seinen Blicken und seiner Stimme. Wenn es nach Odin ging, würde dies die letzte Schandtat seiner Silberzunge werden –wenn aber alles nach Plan verlief, war er noch weit von diesem Zeitpunkt entfernt.

Binnen weniger Augenblicke hatte er sie vollkommen in seinen Bann geschlagen. Samtweich klang seine Stimme und seine Worte durchdrangen jede Zelle ihres Körpers. Sie war ganz die seine. Bereit, eine Hülle für seinen Geist zu werden. Dann musste er sie mit Bannen belegen, damit sie ihre Aufgabe ausführen konnte, ohne bemerkt zu werden. Er schuf einen regelrechten Schutzwall um ihre willenlose Gestalt, ähnlich dem, mit dem er die Eisriesen ausgestattet hatte, als diese zum ersten Mal in Asgard eingedrungen waren.
 


 

In der Nacht lag er wach und lauschte in die Felswände hinein, die ihn umgaben. War der Zauber stark genug gewesen? Hatte er auch alles bedacht?

Sein Geist hob sich aus seinem Körper und fing an zu wandern. In dieser Form waren ihm alle Sinne versagt, doch er konnte noch immer Auren spüren. Langsam tastete er sich durch Asgard und hielt vor Odins Halle inne. Die Mauern strahlten eine unruhige Kraft ab, diffuse Energien. Gezielte Schutzbanne hielten jeden unliebsamen Eindringling draußen. Doch Loki wäre nicht der Gott der Täuschungen, wenn er diesen Wall nicht umgehen konnte.
 

Malin kam. Er spürte ihre Anwesenheit und bewegte sich auf sie zu. Der Zeitpunkt war gekommen. Die Zauber, mit denen er sie in seiner Hypnose hielt, erreichten den Höhepunkt ihrer Macht, und so wurde ihr schwacher Geist gänzlich unterdrückt und der seine konnte in sie fahren. Er sank in ihren Körper und erlangte sofort alle Sinne wieder. Über Asgard wölbte sich die dunkle Kuppel des Sternenhimmels. Die Gebäude strahlten ein warmes, goldenes Licht aus, das die Nacht nicht unterdrücken konnte. Die Luft war geschwängert von Gerüchen. Loki musste kurz innehalten um all das auf sich wirken zu lassen. Zu lange war er unter der Erde gefangen gehalten worden, doch all die Farben und Düfte bestätigten ihm, dass er das Richtige tat, dass es sich gelohnt hatte, so lange zu warten.
 

Der Körper des Mädchens war natürlich schwächer, als der seine, doch das hatte er schon bedacht. Ausgestattet mit seinem Geist dürfte es nicht schwerfallen, auch in dieser Gestalt das zu bekommen, was er wollte.

Zuerst betrat er Odins Halle durch einen ihrer vielen Eingänge. Ein kleiner Trick machte ihn für die Wächter unsichtbar, sodass sie nur einen winzigen Luftzug fühlten, als er an ihnen vorbeiglitt. Das war beinahe lächerlich einfach. Unbemerkt bahnte er sich seinen Weg durch die verwinkelten Gänge, die ihm doch so vertraut waren. Er kam an den Gemächern seines Bruders vorbei und sogar an denen des Allvaters. Eine weitere Tür führte zu seinen eigenen Zimmern, doch er unterdrückte den Impuls, sie zu betreten. Es gab dort nichts, das er gebrauchen konnte. Nein, das, was er suchte, befand sich an einem ganz anderen Ort.
 

Steile Treppen führten in die tiefe, und selbst die Schritte des leichten Mädchenkörpers hallten laut von den Wänden wider. Doch Loki wusste genau, dass dort unten keine Wächter auf ihn warteten. Sie hatte er schon umgangen, und nun lag nichts zwischen ihm und seinem Ziel: Odins Waffenkammer.

Die runenverzierte Tür schwang lautlos nach innen. Es war noch alles so, wie er es kannte: der lange Gang führte bis vor die Gitter, die den Destroyer zurückhielten, und in den vielen Nischen links und rechts befanden sich die wertvollen Kleinodien, die der Allvater aus allen Welten zusammengetragen hatte. Langsam ging er an ihnen vorbei und betrachtete sie interessiert, wie schon unzählige Male zuvor. So viel geballte Macht lag in diesem Raum, dass man Ragnarök mit Sicherheit gleich ein paar Mal heraufbeschwören konnte, benutzte man diese Gegenstände richtig. Sogar der Tesserakt war hier, in einem unwürdigen Winkel. Es wäre so einfach, ihn zu nehmen, zu benutzen und Asgard ein für alle Mal hinter sich zu lassen. Doch das war zu riskant. Es würde nur seinen… Thor auf den Plan rufen. Nein, er musste im Geheimen wirken, gerade jetzt, wenn er sich von den Fesseln seiner sogenannten Familie lösen wollte.

Innerlich lachte Loki, inmitten dieser Schätze stehend: Indem Odin Ragnarök verhindern wollte, hatte er die größten Gefahren direkt ins Herz von Asgard gebracht.

Doch diese größte aller Missetaten lag nicht in seiner Macht. Also verwarf er alle Gedanken und konzentrierte sich auf das Objekt, das er brauchte: Die Schatulle des ewigen Winters. Sie krönte noch immer Odins Sammlung am Kopf der schmalen Halle.
 

Der Körper des Mädchens nahm großen Schaden, als er die Schatulle berührte. Vermutlich würde Malin sterben, sobald er sie verließ. Doch im Augenblick hielten sein Geist und die Fähigkeiten eines Eisriesen, die in ihm wohnten, sie am Leben. Die Schatulle schrumpfte auf eine handliche Größe zusammen und er schob sie ins Gewand. Je näher der magische Gegenstand dem geliehenen Körper kam, desto deutlicher spürte er, wie seine Hülle starb. Er musste sich beeilen. Als letztes schuf er eine Illusion, die Kopie der Schatulle an ihrem Platz. Mit ein wenig Glück würde es eine Weile dauern, bis jemand hinter den Betrug kam.
 

Loki kehrte in seinen Körper zurück und ließ zu, dass sich ein Lächeln in seine Wangen grub. Malin hatte ihre Aufgabe mit Bravour erfüllt. Die Schatulle des ewigen Winters war nun bei ihm.
 


 

Er wehrte sich nicht, als sie kamen und ihn aus seinem Gefängnis zerrten. Auch Thor war wieder da.

Sie wechselten einen Blick an der Grenze zum Licht, vor dem Loki die Augen zusammen kneifen musste. Dieser Blick war feindlich und brüderlich zugleich. Sein Bruder glaubte noch immer an das in ihm, was er für das Gute hielt. Dabei wusste Thor nichts von alledem, weder vom absolut Guten, noch vom absolut Bösen. Loki würde ihn wohl aller Illusionen berauben, wenn er ihm eröffnete, dass es weder das eine, noch das andere gab.

Im Grunde war alles grau.

„Ich sage dir jetzt Lebwohl“, sagte Thor. Sein Gesicht war farblos.

„Warum“, fragte Loki, „Kannst du nicht endlich damit aufhören, dich wie ein großer Bruder zu benehmen?“ Diese unterschwellige Trauer in Thors Blick reizte ihn, und er ballte kurz die Hände zu Fäusten.
 


 

Sie machten Anstalten, ihm die Augen zu verbinden, als sie die Reste des Bifrösts betraten, doch Loki lachte sie nur aus. Mit wenigen Worten schaffte er es, dass die Wachen von ihm zurückwichen, als hätte er sie gestochen: „Ihr wagt es, Hand an mich zu legen?“, fragte er, „An mich, der ich noch immer ein Kind Asgards bin? Habt ihr mich nicht herablassend genug behandelt?“ Es war so einfach, selbst Odins tapfere Recken aus der Fassung zu bringen. Es war schließlich Heimdall selbst, der ihn am Oberarm packte und ihn in einem festen Griff hielt. Es war nicht unbedingt besser, als von den Wächtern herumkommandiert zu werden, aber Heimdall war seiner schon eher würdig.

„Die Augenbinde“, sagte Heimdall zu Thor gewandt, doch wieder ließ Loki ein gut platziertes Lachen hören. „Was soll das bringen? Ich weiß genau, was ihr vorhabt. Oder habt ihr alle vergessen, wie gut ich über die Macht des Tesserakts im Bilde bin?“ Daraufhin tauschten Odin und Thor einen alarmierten Blick.

„Und was macht das schon für einen Unterschied, ob ich nun sehe, wie ihr eine neue Brücke erschafft, oder nicht?“, fuhr er fort und legte dann einen Hauch Bitterkeit in seine Stimme, „Ich werde euch so schnell keine Sorgen mehr bereiten.“
 

„Loki.“ Odins Stimme. Die Worte des Allvaters verkamen einmal mehr zu einem Rauschen, dem er nicht wirklich folgte. Er würde sowieso wieder nur dasselbe sagen: unwürdig, undankbar, hinterhältig, gerechte Strafe, Besinnung; komm wieder, wenn du dich benehmen kannst.

„Vater, warum hast du mich nie angehört?“, fragte er und Odin kam ins Stocken.

„Warum hast du nie zugelassen, dass ich etwas zu meiner Verteidigung sage? Warum hast du das Urteil gefällt, ohne meine Sicht der Dinge zu kennen?“

„Vater, du weißt, warum“, warf Thor ein, „Hör nicht auf ihn. Er lügt, sobald er den Mund öffnet.“
 

Odins Blick wanderte zwischen den beiden hin und her. Schließlich seufzte er einmal tief. „Thor hat recht, Loki“, sagte er, „Wie kann ich dir nach alledem noch vertrauen? Wir dachten, du wärst tot. Stattdessen fällst du über Midgard her. Hat es nicht gereicht, dass du versuchtest, Jötunheim zu zerstören?“

„Jötunheim wäre so oder so gefallen!“, sagte Loki, „Es war zum Tode verurteilt, seitdem du die Schatulle an dich nahmst! Ich hätte diesen Prozess nur verkürzt und somit einen weiteren unnötigen Krieg verhindert, den mein Bruder“ Er spuckte das Wort in Thors Richtung aus, „In seiner unendlichen Dummheit anzettelte!“ Er atmete einmal tief durch und beobachtete die Wirkung des Gesagten. Schmerz durchzog die Gesichter seiner Gegenüber. „Doch das ist nicht mehr wichtig“, fuhr er dann fort, „Jötunheim ist geschwächter als jemals zuvor. Es würde keinen Unterschied machen, wenn es nicht existierte. Das habt ihr letztendlich übrigens doch mir zu verdanken. Was Midgard betrifft…Nun, Thor, du weißt, dass meine Motive weder selbstsüchtig noch unbegründet waren. Ich überlasse es dir, sie dem Allvater darzulegen.“

„Schluss mit deinen Reden!“, sagte Thor laut, doch man hörte, dass er keineswegs dahinter stand.

„Dann macht dem ein Ende!“, unterbrach Loki ihn, „Na los! Warum hört ihr jedes meiner erlogenen Worte an? Warum verschließt ihr eure Ohren nicht gegen meine Stimme? Ich sage es euch: Weil ich die Wahrheit spreche!“

„Schluss!“, rief nun auch Odin. „Heimdall!“
 

Der feste Griff des Wächters löste sich und er stieß Loki kraftvoll von sich. Nun stand er allein den anderen gegenüber auf dem Bifröst. Odin beschwor den Tesserakt aus dem Nichts in seine Hände und entfaltete beinahe augenblicklich seine Macht. Licht hüllte sie ein. Loki spürte ein Ziehen am ganzen Körper, das vertraute Gefühl, das ihn befiel, wann immer er zwischen den Welten umher reiste. Er wurde von dem Portal eingesogen, und nun war der richtige Zeitpunkt gekommen. Mit einer flinken Bewegung hielt er nun seinerseits die Schatulle des ewigen Winters in den Händen und aktivierte sie. Energie traf auf Energie. Er konzentrierte sich darauf, die Macht des Tesserakts, die auf ihn einprasselte, ihn in eine bestimmte Richtung lenkte, abzuwenden. Er hatte kein festes Ziel. Jede Welt war besser, als Jötunheim. Am Rande seines Bewusstseins spürte er, wie ein ungewöhnliches Brennen sich in seinem Inneren ausbreitete, doch er verschwendete keinen seiner kostbaren Gedanken darauf. Alle seine Sinne waren auf den Kampf mit dem Tesserakt ausgerichtet.
 

Und dann ließ der Strudel der Mächte ihn frei.
 


 

Loki schlug auf dem Boden auf und fühlte augenblicklich dumpfen Schmerz. In seinem Mund war Sand, den er in einem kurzen Anfall puren Ekels ausspuckte, bevor er überhaupt den Blick hob.
 

Das hier war ganz sicher nicht Jötunheim.
 

Er hatte es geschafft. Die Macht der Schatulle hatte ihn an einen anderen Ort gebracht. Ohne Odins Wissen. Er war frei.

Jetzt saß er hier, mitten in einer staubigen Ebene, am Horizont erahnte man dunkle Baumreihen. Der Himmel war wolkenlos und blau und es war angenehm warm.

Er wollte laut auflachen, aber es ging nicht.
 

Fassungslos tastete er nach seiner Kehle, aber natürlich konnte er nicht einfach alles rückgängig machen, indem er sie massierte. Ein Teil von Odins Bannspruch musste die Barriere der Schatulle durchschlagen haben und hatte offensichtlich seine Wirkung getan.

Loki war stumm wie ein Fisch.

Midgard


 

Midgard.

Von allen Welten, in denen er hätte landen können, musste es ausgerechnet wieder Midgard sein. Er hatte dieses Reich unterbewusst schon mit dem ersten Atemzug erkannt: Es war durchtränkt von einem ganz bestimmten Geruch, ein Hauch von unnatürlichem Verfall in allen Dingen. Irgendetwas war in der Luft, das sich mit der Zeit auf seine Haut legen und das Bedürfnis erregen würde, sich alle paar Augenblicke das Gesicht zu waschen.
 

Das Glück, ansonsten sein treuer Begleiter, hatte ihn wohl einmal mehr verlassen.
 

Er stand auf und klopfte sich den Staub von dem kläglichen Rest, der von seiner Rüstung übrig geblieben war: Der schwere Ledermantel, nun abgewetzt und zerrissen, aber zumindest war seine Kleidung darunter heil geblieben. Noch einmal ließ er den Blick schweifen. Nirgends war auch nur das kleinste Anzeichen von Zivilisation zu sehen. Die Einöde, in der er gelandet war, erstreckte sich soweit das Auge reichte. Der Boden war mit trockenem Gras und kleinen, harten Büschen bedeckt. Ein scharfer, kühler Wind wehte stetig aus Norden. Und am Horizont die dunkle Linie, wo der Wald begann.
 

Die Schatulle. Sie lag einige Schritt weit von ihm entfernt, hatte sich seitlich in den Boden gegraben. Mit ein paar Handgriffen hatte Loki sie von Erde befreit und betrachtete sie nachdenklich, beobachtete ihr träges Pulsieren. Er konnte die magische Energie spüren, die von ihr ausging, aber es fiel ihm viel schwerer als sonst, sie zu greifen. Es war, als wollte er ein Stück nasse Seife festhalten.
 

Das sind die Grundprinzipien des magischen Wirkens: Erkenne die Energie, halte sie fest, forme sie nach deinem Gutdünken.

Ersteres war Lokis angeborene Fähigkeit. Er konnte sich nicht vorstellen, wie es war, die sanften Wellen und das Vibrieren der Magie in der Luft nicht zu spüren. Doch von Thor wusste er, dass er diese Sensibilität erst entwickelt hatte, als er Mjölnir erhielt.

Der folgende Schritt war Loki auch immer sehr leicht gefallen. Seine Lehrmeister hatte er regelmäßig ins Erstaunen versetzt, indem er schneller lernte, als man blinzeln konnte.
 

Aber nun schienen seine Kräfte auf eine erschreckende Art und Weise nachgelassen zu haben.
 

Er ließ sich auf den Boden zurückfallen, setzte sich im Schneidersitz hin und betrachtete die Schatulle. Es musste doch eine Möglichkeit geben, ihre Energie für ihn nutzbar zu machen und zumindest seine Stimme wiederzuerlangen, zumal er diese Energie doch gerade eben noch gebraucht hatte! Doch so oft er es auch versuchte, die Magie entglitt ihm wie ein Aal, und so gab er fürs erste auf und dachte nach.
 

Es war eine Strafe nach Odins Geschmack. Er liebte es, seinen Untertanen eine Lehre zu erteilen, anstatt ihnen wahllos Glieder vom Rumpf abzutrennen. Bei Thor war es dasselbe gewesen: Odin hatte ihn verbannt und ihm einen Teil seiner Macht genommen.

Loki wünschte sich plötzlich, der Allvater hätte ihm einen Arm abgehackt. Es wäre erträglicher als das hier. Magie um sich zu spüren und sie nicht nutzen zu können war eine bloße Qual. Natürlich wusste er, dass er die stärksten Zauber mit Hilfe seiner Stimme wirkte; es war ihm nur nie aufgefallen, wie abhängig er wirklich von ihr war. Vielleicht, wenn er einen Gegenstand fand, durch den er die Energie der Schatulle kanalisieren und somit verstärken konnte… vielleicht würde das ausreichen, um den Bann des Allvaters zu brechen, der ja auch nichts anderes war, als Magie. Schließlich hatte Loki sich schon aus einigen dieser Banne befreien können. Nur gab es in Midgard, soviel er wusste, nicht annähernd so viele magische Requisiten wie in anderen Welten. Hier lebte man von dem „Wunder der Technik“ und Menschen wie Tony Stark oder Bruce Banner erlangten einen ähnlichen Rang wie Magier. Loki war nie tief in deren Wissen eingetaucht, er hatte Selvig für sich arbeiten lassen, als Technik erforderlich war…

Selbst wenn es also möglich war, die midgardische Technik zu nutzen, um asgardische Magie wirken zu lassen, würde er ein paar Leute für seine Zwecke manipulieren müssen. Ohne die Silberzunge.
 

Loki rieb sich die Stirn. So kam er definitiv nicht weiter.
 

Nun, da er vorerst nichts tun konnte, um seinen körperlichen Zustand zu verbessern, rückte eine andere Frage in den Vordergrund: Wo genau in Midgard war er gelandet? Er erinnerte sich nicht, während seines letzten Besuches hier gewesen zu sein. Wenn er ehrlich war, so hatte er in Midgard noch nie einen Ort gesehen, der so menschenleer war. Noch einmal drehte er sich um die eigene Achse. Er musste einen Plan machen, so…ganz spontan. Thor hätte damit kein Problem gehabt. Er dachte niemals nach, bevor er mit dem Hammer irgendwo draufschlug, und Loki fragte sich schon beinahe sein ganzes Leben lang, wie er damit durchkam. Vermutlich war es der Charme.

Ein düsteres Lächeln ließ seine Mundwinkel zucken. Er war nicht Thor. Er konnte nicht einfach irgendwas machen und damit davonkommen. Schon gar nicht in Midgard. Aber wie planen, wenn er noch nicht einmal wusste, wo er war? Er seufzte ungehalten. Vermutlich musste er einfach in eine beliebige Richtung gehen. Soweit er sich erinnerte, war Midgard rund, also würde er irgendwann schon irgendwo ankommen. Das war zwar der schlechteste Plan, den er in den letzten Jahrhunderten ausgearbeitet hatte, aber besser als gar nichts.
 

Loki griff nach der Schatulle, und siehe, auf einen Gedanken hin verkleinerte sie sich erneut. Zumindest das war ihm noch möglich, aber wahrscheinlich lag das eher an seinem Jötun-Blut als an seinen Fähigkeiten als Magier.

Er setzte sich in Bewegung und merkte schon wenige Augenblicke später, dass er ebenfalls noch die Kondition eines Gottes besaß. Viel schneller, als es einem Menschen möglich wäre, durchquerte er die Ebene, und der Wald rückte stetig näher.

Dann stieß er auf eine Straße. Schlitternd kam er zum Stehen und wirbelte dabei eine kleine Staubwolke auf. Tatsächlich, eine Straße, die schnurgerade die Ebene durchschnitt. Eine Schicht Sand lag auf dem Asphalt und nichts wies darauf hin, dass in letzter Zeit irgendein Lebewesen auf diesem Weg verkehrt war.

Loki verzog den Mund und blickte unschlüssig erst nach rechts und dann nach links, als hoffte er, in der Ferne einen Wegweiser zu sehen. Es war vermutlich schon sehr lang her, dass jemand auf diesem Weg reiste. Die tiefen Löcher, durch die man Kopfsteine und bloße Erde erkennen konnte, sowie das Gras in den Rissen, sprachen für sich.
 

Doch erneut: Was blieb ihm übrig? Loki hatte seinen Weg nicht steuern wollen, es war ihm zum ersten Mal egal gewesen, wo er landete. Nur weg, weg aus Asgard, weg aus Odins Fängen. Was hatte er sich erhofft? Einen Unterschlupf zu finden, in dem er ausharren konnte, bis die Asen und die Chitauri ihn vergessen hatten? Oder gar ein kleines Reich, das er für sich erobern konnte, um seinen ewigen Drang nach Königtum zu stillen? Schließlich war er ein Gott. Durchtränkt mit dem Wissen und den Kräften Asgards. Und hatte der Allvater nicht gesagt, dass sie beide, Thor und er, Könige sein würden? Nun, Thor hatte es leicht. Aber wo war Lokis Thron? Wo gehörte er jetzt hin? Im Grunde hatte er gewusst, dass er überflüssig geworden war, sobald Odin Thor zu seinem Nachfolger erklärte. Er war zu mächtig, um lediglich ein Zierelement an der Seite seines Bruders zu sein. Doch in dem ganzen Weltengewirr war er vermutlich schwach.

Er hatte sich nie töricht genannt, doch jetzt war er kurz davor.
 

Langsam trottete er weiter, folgte der Straße. Die Einöde würde ihm noch etwas Zeit geben, um über seine nächsten Schritte nachzusinnen. Unzufrieden kniff er die Lippen zusammen und trat nach einem Kiesel, der in eine Grasnarbe kullerte. Als er danach wieder aufblickte, sah er die Staubwolke. Fahrzeuge auf der Straße. Nur zwei Minuten später drang auch das Geräusch der Motoren an seine scharfen Ohren.

Lokis Augenbrauen bewegten sich ein Stück aufeinander zu und zwischen ihnen entstand eine steile Falte. Dann blickte er, von einer plötzlichen Eingebung beseelt, noch einmal zu der Stelle zurück, wo er gelandet war. Dort zeichnete sich ein kleiner Krater vom ebenen Boden ab.

Natürlich war seine Ankunft nicht unbemerkt geblieben, schon gar nicht von denjenigen, die wussten, wonach sie suchen mussten.
 

Loki schob die Hände in die Taschen und wartete.
 

In den Minuten, die vergingen, wurde das Motorengeräusch immer lauter. Es waren alte Wagen, nicht die schicken schwarzen Jeeps, mit denen SHIELD-Agenten sonst immer unterwegs waren. Sie schlingerten und klapperten, während sie näher kamen. Skeptisch hob er eine Augenbraue: wo musste er bloß gelandet sein, wenn nicht einmal die beste Geheimorganisation dieser Welt seine Agenten an diesem Ort angemessen ausstattete?

Das erste Fahrzeug hielt vor ihm, das zweite schräg daneben. Alle Fenster waren staubverschmiert, doch hinter den Schlieren erkannte er entsetzt dreinblickende Fahrer, die die Hände wie Schraubstöcke um ihre Lenkräder schlossen. Am liebsten hätte er ihnen ein lautes „Kniet nieder!“ entgegengeschleudert, nur, um zu testen, ob das immer noch so gut funktionierte. Aber das ging natürlich nicht.

Die Beifahrertür des ersten Wagens ging auf und ein Agent trat heraus. Als Loki bei diesem Anblick die Erkenntnis traf, verdrehte er resigniert die Augen zum Himmel und stieß scharf die Luft zwischen den Zähnen aus.

Schwarzer Catsuit. Rotes Haar. Dunkle Mandelaugen.

„Na sieh mal einer an“, sagte Black Widow und hatte schon das Handy am Ohr. „Clint? Kommt her, alle. Wir haben göttlichen Besuch.“
 


 

„Warum redet er nicht?“

Hawkeye hielt eine Waffe in der Hand und war peinlich darauf bedacht, dass Loki stets in ihre Mündung sehen konnte. Seine Gereiztheit konnte man fast riechen. Er war mit einem Helikopter gekommen, in den er und die Spinne Loki mit nicht ganz so sanfter Gewalt bugsiert hatten. Nachdem sie ihn…verschnürt hatten. Wie immer setzte Loki sich nicht zur Wehr. Warum auch? SHIELD war doch ein ganz guter Ausgangspunkt für weitere Handlungen. Soweit er wusste, gab es keine Verbindung zwischen der Organisation und Asgard,schon gar nicht ohne den Tesserakt, also würde trotz allem niemand dort oben auf den Plan gerufen werden.

Und außerdem war es amüsant, zu beobachten, wie Hawkeye mit jedem Wort, das er nicht sprach, wütender wurde.
 

„Im Ernst, Tascha“, sagte er jetzt zur Spinne, „Was haben sie da oben mit seiner Silberzunge wohl gemacht, hm? Dran ist sie ja noch, nicht wahr?! Das könnte man allerdings ändern, wenn ich’s mir so recht überlege…“

Zatknis, Clint“, unterbrach Black Widow ihn, „Wir halten uns an die Vorschriften. Pass auf, Reindeer Games“, sagte sie zu Loki und tauchte dann in seinem Blickfeld auf, um sich neben Hawkeye auf die andere Seite des Laderaums zu setzen. „Versuch erst gar nicht, uns irgendwie reinzulegen. Dank Thor wissen wir so ziemlich alles über dich, und glaub mir, seit du in New York deine Pubertät ausgelebt hast, haben wir ein paar Spielzeuge entwickelt, die Typen wie dich zumindest eine Zeitlang in Schach halten.“

Loki schenkte ihr ein süffisantes Lächeln. Wenn Thor ihre einzige Quelle war, kannte sie vielleicht einen Haufen peinlicher Kindheitsgeschichten über ihn, wusste ansonsten aber nichts Wichtiges. Als Romanoff erkannte, dass er wirklich nichts sagen würde, hob sie eine Augenbraue und zog ebenfalls eine ihrer vielen Waffen.
 

Eine ganze Weile später verloren sie endlich an Höhe. Der Flug war ereignislos verlaufen; Loki hatte sich gezwungenermaßen in Schweigen geübt, währen die beiden Agenten regelmäßig versucht hatten, ihn aus der Reserve zu locken. Er musste sich erneut eingestehen, dass es durchaus unterhaltsam war, einfach nichts zu erwidern. Wobei er ihre ungeduldigen Redeflüsse selbstverständlich auch mit wenigen, spitzfindigen Worten hätte versiegen lassen, wäre es ihm möglich gewesen.
 

Als die Laderampe nach unten fuhr und Hawkeye und Black Widow ihn flankierten, damit er ja nicht auf dumme Gedanken kam, erblickte er als erstes ein weites Landefeld und ein paar kümmerliche Gebäude an dessen Rand. Rissiger Asphalt, bröckelnder Beton, grauer Putz. Wieder kein Erkennen. Er war definitiv noch nie hier gewesen.
 

„Willkommen in Kapustin Jar“, sagte die Spinne.



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Kommentare zu dieser Fanfic (5)

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Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Azuela
2012-07-28T21:39:59+00:00 28.07.2012 23:39
die fanfic ist bis jetzt wirklich super, würde mich freuen wenn du weiterschreibst =)
Von:  theBanshee
2012-07-15T20:59:57+00:00 15.07.2012 22:59
Zuerst: Ich bin Fan! Ich mag deinen Schreibstil total!
Im ersten Kapitel fand ich die Sache mit dem Schlangengift wirklich gut. Schöne Anspielung auf die Mythologie. Und der Teil mit dem Problemkind war auch klasse. Ansonsten muss ich Schmetterlingsgirl zustimmen, manche Sachen sind ein bisschen unklar, zum Beispiel, wie ist Malin zu Lokis Gefängnis gekommen? Und warum hat er seinen Knebel nicht mehr um? Finde ich aber gar nicht so schlimm. Und Lokis allgemeine Einstellung finde ich gut getroffen, er kümmert sich nicht darum, ob das Mädchen stirbt oder nicht und seine Art zu Reden, so schön hinterlistig und gewandt.
Ich werde weiter lesen :)
Von:  Schmetterlingsgirl
2012-07-06T20:18:56+00:00 06.07.2012 22:18
Zeit für ein zweites Kommi nehme ich mir auch noch.

Lokis Idee war gut ;) Da hätte man mehr Spannung reinbringen können, indem man Thors Vorliebe für... junge Mädchen ... ausspielt.
Und aus seiner Wirkung auf Frauen solltest du mehr herausholen xD (mythologisch betrachtet hatte Loki so einige Affären.. u.a. mit Skadi, wie er in der Lokasenna selbst sagt...)

Indem Odin Ragnarök verhindern wollte, hatte er die größten Gefahren direkt ins Herz von Asgard gebracht - ein verheißungsvoller Satz. Ich hoffe, davon kriegen wir noch mehr ^___^

Alles Grau klang irgendwie nach einer handfesten Depression. Armer Loki, hoffentlich gehts ihm gut... so eine Depression kann be Göttern ja heftig ausfallen xD
„Ich sage dir jetzt Lebwohl“, sagte Thor ... und dann bekam Loki Mjölnir in die Schnauze. Hab ich im ersten Moment echt gedacht und mich vor Lachen gekugelt ^____^

Gut, dass Loki seinen Stolz nicht verloren hat.

Und was ich noch toll finde:
unwürdig, undankbar, hinterhältig, gerechte Strafe, Besinnung; komm wieder, wenn du dich benehmen kannst. - am Anfang hast du mit dem Vorhergehenden eine ernste und ein wenig traurige, melancholische Stimmung heraufbeschworen, der jetzt absolute Ernüchterung folgt. Man kann in dem Moment Lokis Gleichgültigkeit gegenüber seinem Schicksal sehr gut nachvollziehen (=

Nun, Thor, du weißt, dass meine Motive weder selbstsüchtig noch unbegründet waren. Ich überlasse es dir, sie dem Allvater darzulegen - Loki at his BESt! *-*
Der Ernst in den Worten und dieses Offensichtliche und doch Ungenannte, nämlich, dass sie verletzen sollen, wird zumindest MIR sehr deutlich. Das ist so ziemlich das Anklagendste, was Loki in dem Moment zu Thor sagen kann!

Er lügt, sobald er den Mund öffnet - was ja irgendwie logisch ist. Er ist der Gott des Unheils. PS: das mit dem 'Problemkind' fand ich so lustig xDD Selbstironie, was, Loki? xDD
War aber auch naiv von Thor, zu glauben, Loki wäre tot, nachdem er gefallen ist. Der Fall war kein Beweis und vor allem ODIN sollte es besser wissen, als auf bloße Vermutungen zu vertrauen.

„Dann macht dem ein Ende!“, unterbrach Loki ihn, „Na los! Warum hört ihr jedes meiner erlogenen Worte an? Warum verschließt ihr eure Ohren nicht gegen meine Stimme? Ich sage es euch: Weil ich die Wahrheit spreche!“ - das ist echt berechtigt. Meine Güte, wie kann Odin nur so NAIV sein?! Aber es passt, zumindest zu dem Odin aus dem Marvel-Universum xD

Und das Ende: KLASSE ^___^ Jetzt hat der herzallerliebste Loki ein Problem ;)

Wie gesagt: Deine Story hat Fehlerchen. Aber die Idee gefällt mir ;) Schreib bald weiter
Von:  Schmetterlingsgirl
2012-07-06T19:58:27+00:00 06.07.2012 21:58
Zuerst einmal: WOW. Das Ende ist wirklich genial.
Es gibt zwei Dinge, die ich besonders gut gelungen finde.
Lokis Einstellung, Wissen zu sammeln um 'etwas in der Hinterhand' zu haben und Odins Entscheidung, Loki seine Stimme zu nehmen. (Aber wenn Loki die Gedankenreisen so perfekt beherrscht, wird es für ihn nicht schwer sein, in die Gedanken eines anderen Lebewesens einzudringen... hab Kap 2 noch nicht gelesen. Bin mal gespannt ^_^) Anders könnte Odin Loki auch einfach seiner Kraft berauben ... =)
Und Thor ist ein wenig OoC. Er würde öfter versuchen, Loki zu überzeugen und ihn besuchen. Und wer kam bitte auf die besch...-eidene Idee, Loki den Maulkorb abzunehmen? Kann er dann keine Palastwachen bezirzen? =D

Jedenfalls gut gelungen. Auch wenn einige Stellen etwas ausformulierter hätten sein können. Wer ist das Mädchen, in welcher Beziehung steht sie zu den Asen - und WIE kam sie in den Keller?!?!?!
Hoffe, das klärt sich noch ^__^

LG
Von:  Black_Polaris
2012-06-03T16:40:48+00:00 03.06.2012 18:40
ui, das wird jetzt spannend wa s wird als nächstes passieren?


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