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Black Angel Aliza

von

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Prolog

„He“, rief eine Stimme und sie wandte sich um. Hinter ihr war niemand, doch sie war sich sicher, die Stimme gehört zu haben. Dennoch ging sie weiter.

„He“, rief wieder die Stimme.

„He, mich nicht an“, rief sie zurück. Doch die Stimme reagierte nicht. Sie entschied, einfach weiter zu gehen.

„Willst du nicht mit mir reden?“

Sie ging weiter, beschleunigte ihren Schritt. Dann erschien ein Licht vor ihr und plötzlich ein Mann. Er hatte himmelblaue Augen.

„Du läufst weg?“

Er war die Stimme. Sie wich zurück, ein schockierter Ausdruck entstellte ihr Gesicht. Der Mann begann zu lächeln, unzweifelbar ehrlich, doch es beruhigte sie nicht.

„Was wollen Sie von mir?“

„Weißt du, wer ich bin?“

Sie schüttelte den Kopf, dann ging sie weiter. Er ergriff ihren Arm.

„Warte bitte.“

„Warum?“

„Ich möchte mit dir reden.“

„Worüber?“

„Hast du schon einmal was von der Büchse der Pandora gehört?“

Sie dachte einen kurzen Moment nach. Sie kannte den Begriff, wusste worum es ging, schwieg aber. Er sah sie schweigend an, dann nickte er schließlich.

„Ich wusste, dass du sie kennst.“

„Kennen, ist wohl zu viel verlangt. Aber was hat das mit mir zu tun?“

„Du musst sie finden!“

Sie lachte, doch der Mann sah sie wissend an. Seine himmelblauen Augen waren fest auf ihr Gesicht gerichtet. Sie stoppte, als sie ihn sah. Sein Gesicht hatte sich nicht verändert, seit dem er ihr gesagt hatte, was ihre Aufgabe war. Er blieb vollkommen ernst und ruhig. Auch sie sah ihn nun ernst an. Er wartete auf ihre Antwort, so schien ihr.

„Warum ich?“

„Finde die Büchse der Pandora und vernichte sie.“

„Warum ich?“

„Zufall.“

Sie wollte lachen, doch als sie sein Gesicht sah, blieb ihr das Lachen im Halse stecken, denn sie wusste, dass er es ernst meinte.

„Aber… wie?“

„Wir helfen dir… nun ja… wir geben dir die Macht.“

„Macht?“

Und dann wurde sie von einem Licht erfasst.

Kapitel 1

Er hörte seinen Herzschlag laut und dennoch dumpf in seinen Ohren. Es war ein merkwürdiges Gefühl für ihn, ein solches Geräusch zu hören, doch es war das menschlichste Geräusch unter diesen Bedingungen. Er hatte Angst, panische Angst. Das Blut rauschte mit jedem weiteren Schritt immer lauter durch seine Ohren, sodass er schon nach wenigsten Metern das Geräusch seiner eigenen Schuhe auf dem Betonboden nicht mehr hören konnte. Dennoch stoppte er nicht, er wandte sich nicht um. Obwohl ihn alles in seinem Körper wegtrieb von diesem Ort, konnte er nicht anders als weiter zu gehen. Mutig war er nie gewesen, doch er wusste, dass etwas weiter im Gang etwas Merkwürdiges wartete. Eine Ratte huschte an ihm vorbei und lies ihn zusammen zucken. Selten hatte er etwas Gruseligeres als diesen Ort erlebt, doch nun war er soweit gekommen, dass es für ihn kein Zurück mehr gab. Er kehrte in sich jedes Fünkchen Mut zusammen, dass er besaß, jedes Krümelchen Tapferkeit und ging weiter. Dann konnte er es riechen, die Verwesung, das Leid, das Elend. Er wusste, dass er es bald erreicht hatte, hinter der nächsten Biegung musste es sein. Leider wusste er nicht, was ihn erwarten würde. Der Geruch wurde immer stärker, doch auch das Rauschen in seinen Ohren nahm keinen Abbruch. Dann wandte er sich um die letzte Ecke und musste Würgen. Vor ihm lag ein Leichenberg, mehrere Dutzend zerstückelter und ganzer Leichen. Und darauf stand eine junge Frau, bis zu den Knien in Blut und Gedärmen. Auch an ihren Armen klebte Blut und etwas, dass er als Hirn identifiziert hätte. Ihr Atem ging schwer und rasselnd. Sie sprach nicht, sie sah den jungen Mann nicht einmal an, hatte sie sein kommen doch noch gar nicht realisiert. Auch er atmete einmal tief ein. In diesem Moment realisierte die junge Frau, dass jemand vor ihr stand. Er erkannte ihr Gesicht nicht, lag es doch in einem merkwürdigen Halbschatten, geschaffen durch spärliches Licht, das durch einen Spalt fiel. Dafür sah er aber die Schusswaffe, die locker in ihrer Hand ruhte. Ein unruhiges Knurren ging durch den Saal. Sofort machte er kehrt, rannte durch die immer gleichen Gänge des Gewölbes. Nur ein Gedanke schoss ihm durch den Kopf:

‚Warum habe ich mir das angetan? Warum kann ich es nicht einmal sein lassen?‘

Einen Moment hatte er nicht auf den Boden geachtet, so stolperte er über einen hervorstehenden Stein, fiel bäuchlings, da er auf seinen Gummisohlen keinen Halt mehr fand, und schlug mit dem Kopf hart auf den Boden auf. Er spürte, wie das Blut von seiner Schläfe hinab lief und ihm die Sicht verschleierte. Dennoch schaffte er es, sich aufzurappeln. Durch die Gänge hinter ihm erscholl wieder das Knurren vergleichbar mit dem eines wütenden Hundes.

‚Verdammt‘, dachte er und lief weiter. Die Dunkelheit der Gänge verschluckte ihn kurz darauf vollkommen.

In diesem Moment wachte er auf. Sein Kopf dröhnte. Irgendwo aus der Ferne meinte er seinen Namen zu hören, meinte jemanden „Jin!“ rufen zu hören. Doch es gab niemanden, der nach ihm rufen würde. Jins Blick fiel aus dem Fenster. Die Sonne strahlte schon am Himmel und die Vögel zwitscherten fröhlich umeinander. Es war ein schöner Tag, doch für den jungen Mann hatte das keine Bedeutung mehr, nicht nach diesem Traum. Müde schleppte er sich ins Bad und versuchte sich zu waschen. Als er sein Gesicht im Spiegel betrachtete, sah er eine kleine Platzwunde an der Schläfe. Genau an der Stelle, mit der er im Traum auf dem Kopfsteinpflaster aufgeschlagen war.

„Nicht schon wieder“, flüsterte er seinem Spiegelbild zu. Überall am Körper hatte er schon Narben von solchen Träumen, schon zu Kinderzeiten hatte es angefangen. Seine Lehrer hatten vermutet, dass er geschlagen wurde, und daraufhin das Jugendamt alarmiert. Seine Eltern waren im Zuge dessen, und weil sie ihrem Sohn nie zugehört hatten, wenn er ihnen erklärt hatte, dass er damit nicht zu tun hatte, so erbost gewesen, dass er zur Adoption freigegeben wurde. Jin wurde schwindlig, als er sich an die Jahre im Waisenhaus und bei seinen Adoptiveltern erinnerte und er setzte sich auf den Boden, um den Kopf an die kalten Fliesen zu lehnen. Und nie hatte das mit den Träumen aufgehört, immer wieder war er mit neuen Verletzungen zur Schule gekommen. Schon damals hatte er sich gefragt, wer er sei, und niemals eine Antwort erhalten. Auch dieser Moment lies Jin wieder und wieder die Frage stellen, die Frage nach dem Wer und nach dem Wieso. Leider war er der einzige, der nach dem Wieso fragte. Seine Mitschüler hatten ihn als merkwürdig und krank abgestempelt und ausgeschlossen und er wusste, dass es mit seinen Kommilitonen nicht anders werden würde. Dennoch hatte er sich an einer Uni beworben und wurde trotz größter Zweifel über seinen psychischen Zustand angenommen. Mühsam richtete sich Jin wieder auf. Das Blut war geronnen und so verklebte er die Wunde notdürftig. Danach ging er langsam in sein Schlafzimmer zurück und zog sich an. Sein Blick fiel dabei mehrmals auf das Buch, dass auf seinem Bett lag und in dem er zuletzt gelesen hatte: „Magie und Mythologie vom Mittelalter bis heute.“

‚Ich sollte mir wirklich neue Bücher organisieren …‘, dachte er sich, doch er wusste, dass dies wieder einmal nicht in die Tat umgesetzt werden würde. Während seine Klassenkameraden sich nur für Alkohol und Sex interessiert hatten, hatte er dem nichts abgewinnen können. Es war bei weiten mich so, dass Jin nicht auf Frauen stand, er fand einfach nur nie jemanden, der sich für ihn interessiert hatte. Und so hatte er irgendwann die Gesellschaft von guten Büchern der Gesellschaft von Menschen vorgezogen. Unbewusst fuhr er sich mit dem Daumen über die Narben an seinem Unterarm.

„Jede Narbe erzählt eine Geschichte, Jin. Erzählst du mir deine?“, hörte er eine Stimme sagen, doch es war niemand da. Es konnte niemand anwesend sein, gehörte die Einzimmerwohnung doch Jin alleine. In der Küche warf er einen Blick nach draußen und sann über seinen Traum nach.

‚Wer ist dieses Mädchen? Und warum hat sie all diese Menschen getötet? Was für ein kranker Geist wohl in ihrem Körper wohnt?‘

Und wieder fuhr er sich mit dem Daumen über seine Narben.

„Wann erzählst du mir deine Geschichte, Jin?“, fragte die Stimme, doch Jin reagierte nicht, sondern starrte einfach nur weiter aus dem Fenster.

„Jin … wir warten. Deine Geschichte … wir wollen sie hören.“

‚Und ich werde sie euch niemals erzählen, denn ihr seid nur Stimmen in meinem Kopf. Ihr existiert nicht einmal.‘

Dann drehte er die Musik auf und lies die Stimmen, Stimmen sein.
 

„Eh, Jin!“, rief ihm ein Junge aus seiner Klasse zu. Auch wenn er schon seit einer Ewigkeit in dieser Klasse war, erinnerte er sich nicht an den Namen des Jungen. Langsam wandte sich Jin zu ihm um, sah ihn an, sprach aber nicht. Er brauchte nicht zu sprechen, war es ihm doch egal. Der Junge kam langsam auf ihn zu.

„Wieder schön eine runtergehauen bekommen?“

Jin schwieg wieder. Er wusste, was passiert war, würde das aber nicht sagen. Ein paar Tage noch, dann war alles vorbei. Dann würde er sich nicht mehr um sie kümmern müssen.

„Nun, eigentlich wollte ich etwas anderes von dir…“

Jin blickte ihn nur an.

„Hast du schon von den Katakomben hier unter der Schule gehört?“

Jins Blick wurde fester. Er hatte schon von den Katakomben gehört, wusste sogar, wie man hinein kam, wusste, wohin sie führten.

„Man sagt, junge Schülerinnen verschwinden in ihnen. Letzte Woche ist ein Lehrer hinein gegangen und soll nicht wieder hinaus gekommen sein. Die alte Flanigan. Nicht, dass es schade um sie wäre.“

‚Die alte Flanigan? Interessant… ich dachte immer, die alte Kuh stirbt nie…‘

„Naja, das wollte ich dir nur erzählen.“

Dann stand der Junge wieder auf und ging. Jin fuhr mit dem Daumen über die Tätowierung an seinem Innenarm. Ein kleines Relikt an einen anderen Traum in dem ein Dämon ihm Säure über den Arm geschüttet hatte, was nun schon fast ein Jahrzehnt her war. Als die Wunde abgeklungen war, war eine schwarze Linie fast wie ein Mal darüber gewachsen. Dieses trug er auch heute noch, konnte er sich doch nicht davon befreien, egal wie häufig er es versucht hatte. Doch umso mehr er nun über dieses Mal strich, umso mehr wusste er, dass er in die Katakomben musste. Er musste wissen, was geschehen war, was es mit diesem Verschwinden auf sich hatte. Schwach erinnerte er sich an die Nacht. War das Mädchen aus seinem Traum nicht auch in den Katakomben gewesen? Er schüttelte den Kopf. Das war nur ein Traum gewesen, nicht mehr, wie so häufig.

Kapitel 2

Der Tag war vorüber gegangen. Zwar nur sehr langsam, aber da er sich nicht wirklich mit seiner Außenwelt beschäftigt hatte, war es erträglich gewesen. Jins Gedanken waren immer weiter abgedriftet, hatten einen Plan entwickelt, der ihn heute Nacht sichern sollte.

Und dann war es plötzlich dunkel geworden. Er war schockiert gewesen, dass es Neumond war, war es doch noch gar nicht so weit. Dann hatte er sich auf den Weg gemacht. Der zweite Eingang in die Katakomben war nicht allzu weit von seiner Wohnung entfernt, sodass er keinen langen Weg zu bewältigen hatte. Langsam ließ er sich in den Gang hinunter gleiten und landete weich auf dem Boden. Wieder roch es leicht nach Unrat und Tod. Er wurde skeptisch, doch ließ sich davon nicht beirren. Im Gegensatz zu seinen Träumen war er diesmal nicht bloß fähig zu flüchten, sondern auch zu kämpfen. In seiner Hand befand sich eine Eisenstange, schwer und ruhig. Er fühlte sich stark. Dann begann er langsam durch die Gänge zu schleichen. Eine Ratte huschte an seinen Beinen vorbei und ließ ihn zusammen zucken. Sie quietschte und blickte ihn aus roten Augen an, huschte dann vorbei. Er schüttelte den Kopf, konnte es doch gar nicht sein, dass die Ratte rote Augen gehabt hatte. Langsam schritt er weiter. Er hörte Stöhnen und ein Klackern, wie von hochhackigen Schuhen. Dann wieder ein Stöhnen und das Geräusch von einem Schwert, das in menschliches Fleisch gebohrt wurde. Er hatte das Gefühl, sich in einem schlechten Horrorfilm zu befinden und musste unwillkürlich grinsen. Dann herrschte Schweigen. Jin atmete tief durch und sofort schlug ihm der Duft von Verwesung ins Gesicht. Er musste würgen und ging weiter. Ein schleifendes, sabberndes Geräusch war zu hören, dann wieder das Reißen von Fleisch, dann eine Kettensäge.

‚Das wird ja immer blöder hier…‘, dachte sich Jin. Der Geruch von Verwesung wurde immer schlimmer, umso näher er kam, jedoch konnte er sich so sicher sein, dass er auf dem richtigen Weg war. Plötzlich fühlte Jin sich wie in seinem Traum der Nacht zuvor. Er bog um eine Ecke und sah den Leichenberg. Diesmal stand jedoch keine Frau darauf. Er ließ seinen Blick durch den Raum streifen. Überall lagen Leichen herum, eine von ihnen erkannte er als seine Lehrerin Mrs Flanigan. Dann sah Jin die junge Frau. Sie blickte ihn an und fing an, die Zähne zu fletschen. Sie war mehr Tier als Mensch. Überall an ihrem Körper klebte Blut. Sie hatte eine schwarze Jacke an, aus der eine schwarze Sense heraus blickte, weiterhin ein weißes Kleid. Auf ihrem Bein meinte er schwarze Linien zu erkennen. Sein Blick fiel zurück auf ihr Gesicht, das zu großen Teilen im Schatten lag. Er erkannte jedoch auch, dass sie eine Maske trug, schwarz und rot. Er schluckte, als er bemerkte, dass sie ihn als Gegner ansah. Der Fluchtinstinkt wachte in Jin auf. Bevor er sich umwandte, um zu rennen, sah er ihr noch einmal ins Gesicht. Doch dieses ließ keinen Zweifel zu, sie würde ihn umbringen, wenn sie es schaffen würde. Dann rannte er, floh die ewig gleichen Gänge entlang. Plötzlich stand sie vor ihm. Er wusste nicht, wo sie herkam und er wollte es auch gar nicht wissen, sondern einfach nur weg. Aber es schien keinen Weg zu geben, keine Ausflucht, hielt sie ihn doch mit ihrem Blick gefangen.

„Wer bist du, Junge?“, fragte sie ihn. Er schluckte hart den Kloß in seinem Hals herunter.

„Ich bin niemand. Und schon gar kein Junge.“

Sie lachte als Antwort. Dann blickte sie ihn wieder an. Jin atmete tief durch. Er wusste, dass er nur die Konzentration bewahren musste, dann würde er heil aus der Sache rauskommen.

„Wir beide können eine Abmachung treffen: ich habe nicht gesehen, dass du die armen Menschen getötet hast und du lässt mich einfach gehen?!“

Wieder lachte sie. Dann hörte man wieder ein Schlurfen im Gang. Sie grinste.

„Hau ab, Junge, bevor du hier jemandem anderem als mir zum Opfer fällst.“

Dann war sie wieder weg. Jin zuckte erneut zusammen. Was um alles in der Welt war dieses Weib? Auch wenn sein Körper von diesem Ort wegstrebte, wollte er wissen, woher das schlurfende Geräusch kam und was das Mädchen mit dem anderen gemeint hatte. Langsam folgte er seinem Gehör zu dem schlurfenden Geräusch hin. Nach einigen Ecken und Wegen sah er einen Schatten an der Wand, dann einen zweiten, nahezu zierlichen. Er wandte sich um die letzte Ecke. Das Mädchen befand sich in einem Kampf mit einem gigantischen Golem. Auch wenn das Wesen mächtig wirkte, so schien sie immer noch mächtiger zu sein. Das Lächeln auf ihrem Gesicht schien wie festgefroren und Jin wusste, dass es Freude war, dass sie empfand. Sie empfand Freude gegenüber dem Töten. Dann plötzlich hielten beide in ihren Bewegungen inne. Der Golem rümpfte die Nase und zeigte auf Jin, der daraufhin zusammen zuckte. Das Mädchen seufzte, zückte ein Schwert und stieß es dem Golem tief in den Brustkorb. Noch während das Wesen zusammen klappte, kam das Mädchen mit einem leisen Klappern ihrer Schuhe auf ihn zu.

„Hau ab, bevor sie dich noch bekommen, Junge“, raunte sie ihm zu. Jins Körper reagierte vor seinem Geist. Noch bevor er sich umwenden konnte, um wegzulaufen, schlug ihm ein Schwall heißer Luft ins Gesicht. Aus ihrem kunstvoll hochgesteckten Haar löste sich eine einzelne silberne Strähne und wehte ihr ins Gesicht. Jin wurde das jedoch nur am Rande bewusst, wandte er sich doch im gleichen Moment ab und rannte los. Unterbewusst hörte er wieder ein Schlurfen und das Geräusch von Schritten in dem Gang. Auch wenn es ihn interessierte, wer diesen Kampf gewinnen würde, so wandte sich nicht um, bis er hinter sich die Tür seiner Wohnung zuschlug. Sein Atem ging schwer und rasselnd und er war müde. Ohne sich auszuziehen, fiel er auf sein Bett.
 

In seinem Traum erschien ihm ein Mann. Dieser war kleiner als Jin selbst und breiter. Ein Bart zierte sein Gesicht, doch war er aus dem falschen Jahrhundert, was den Mann wie einen Clown wirken lies. Er hatte schwarze Augen, keine Pupille, keinen Augapfel, keine Iris. Alles war einfach schwarz.

„Hallo Jin.“

„Darf ich fragen, woher Sie meinen Namen kennen?`“

„Sagen wir es so: Du bist uns bekannt.“

„Ihnen?“

Der Mann räusperte sich.

„Weißt du, wo die Büchse der Pandora ist? Es ist so, ich suche sie. Wenn du mir hilfst, sollst du reich belohnt werden.“

„Nicht, dass ich etwas gegen eine reiche Belohnung hätte, aber ich weiß leider nicht, wo sie ist. Außer vielleicht in Ihrer Fantasie.“

„Wie meinst du das, Junge?“

„Ich bitte Sie“, erklärte Jin in herablassendem Ton, „Die Büchse der Pandora gibt es nicht. Das ist einfach nur ein Ammenmärchen. Finden Sie sich damit ab. Eine Büchse, die alles Unheil der Welt enthält, dass ich nicht lache …“

Der Mann vor ihm verzog das Gesicht zu einer gemeinen Fratze.

„Es tut mir leid, aber irgendjemand musste Ihnen die Wahrheit sagen.“

„Du weißt doch, wo sie ist. Sag es mir, dann passiert dir nichts. Andernfalls werde ich dich töten.“

In diesem Moment erschien die Siluette eines riesigen sabbernden Wesens mit rotglühenden Augen hinter dem Mann. Jin zuckte in sich zusammen. Als der Mann weiter sprach, war seine Stimme noch tiefer, fast schon so tief, dass durch sie Glas gesprungen wäre.

„Wo ist die Büchse, Junge?!“

„Ich weiß es nicht.“

Plötzlich hörte Jin hinter sich ein leichtes Klappern von Stöckelschuhen und atmete tief durch. Ein Lichtstrahl kam durch die durchdringende Dunkelheit auf ihn und den Mann zu und der Fremde begann sich zu krümmen.

„Horvat … er gehört mir! Also verzieh dich.“

Jin kannte die Stimme und innerhalb weniger Minuten erkannte er auch das Mädchen, dass er in dieser Nacht im Gewölbe getroffen hatte. Der fremde Mann schnaubte.

„Warum habe ich es nur geahnt, Aliza, warum habe ich es nur geahnt?“

Sie zuckte mit den Schultern. Der Mann, der Horvat zu heißen schien, grinste.

„Leider ist heute nicht der Tag, an dem ich gegen dich verlieren werde.“

Mit diesen Worten streckte er die Hand aus. Die Siluette in Horvats Rücken bewegte sich und griff das Mädchen an. Jin erkannte, dass es sich um einen Drachen handelte. Auch das Mädchen grinste nun. In ihrer Hand erschien eine Sense.

„Zu spät, Horvat.“

Kaum hatte sie das gesagt, spaltete sie den Kopf des Drachen mit einem perfekten Schnitt von dessen Körper. Der Kopf rollte vor Jins Füße und blickte den Jungen aus leblosen Augen an. Dieser kämpfte augenblicklich mit dem Würgereiz, doch die Mörderin der Bestie wandte sich, ohne mit der Wimper zu zucken, dem Mann zu.

„Heute nicht Aliza!“, sprach dieser mit einem Lachen und löste sich auf. Im gleichen Moment verschwanden auch das Mädchen und der Kopf. Jin blieb allein zurück und dachte, er würde aufwachen, als ein gleißendes Licht den Raum erfüllte. Geblendet kniff der junge Mann die Augen zu. Für einen kurzen Moment fürchtete er, erblindet zu sein, doch nach einem kurzen Blinzeln nahm er seine Umgebung wieder bewusst war. Vor ihn befand sich ein Podest mit einem guten Dutzend Stufen. Darauf befand sich etwas, das wie ein Sarkophag aussah. Jin näherte sich dem Gegenstand vorsichtig und mit Respekt. Er wusste, dass das Ding gefährlich war, dennoch musste er es sich ansehen. Der Sarkophag entpuppte sich als große Kiste, nahezu schmucklos. Sie war schwarz und ein rot-goldenes Muster war darauf zu sehen. Jin umrundete sie einmal, zweimal, dann noch einmal. Er wusste nicht, worum es sich bei dem Gegenstand handelte, doch instinktiv spürte er eine Gefahr davon ausgehen, aber auch eine ungeheure Anziehungskraft. In seinen Händen kribbelte es bis in die Fingerspitzen. Sein ganzer Körper schien unter Strom zu stehen. Lange diskutierte Jin mit sich selbst, dann entschied er, die Kiste aufzubrechen. Gerade als er das Brecheisen ansetzte – und er schwor bei Gott, dass er keine Ahnung hatte, woher dieses kam – hatte er das Gefühl eine Stimme zu hören, dann spürte er eine Hand an seinem Körper ziehen.

„Tu es nicht, Jin. Lass sie geschlossen, sie wird die Welt vernichten.“

Ungläubig schüttelte der junge Mann den Kopf und setzte die Brechstange wieder an. Wieder zogen fremde Mächte an seinem Körper.

„Tu es nicht! Lass sie geschlossen!“

Am Rande seines Bewusstseins nahm er war, dass die Stimmen immer flehentlicher wurden, doch er ignorierte sie weiterhin. Zu häufig hatte Jin in seinem Leben schon Stimmen gehört, die ihn um etwas baten oder von etwas abhalten wollten, als dass er nun diesen Stimmen beigeben würde. Wieder setzte er die Stange an. Da plötzlich erschien ein Mann auf dem Deckel des Sarkophags, ging in die Hocke und fixierte ihn aus himmelblauen Augen mit einem unerklärlichen Ausdruck an.

„Tu es nicht, Junge! Lass die Büchse der Pandora geschlossen. Willst du wirklich in einem Traum das Schicksal der Welt besiegeln?“

Etwas in der Stimme des Fremden oder in seinen Augen lies Jin stocken. Eine Weile sah er den Fremden nur an, wie er auf dem Sarkophag hockte und ihn musterte, still, wie eine lauernde Katze.

„Die Büchse der Pandora?“, fragte der junge Mann flüsternd. Der Fremde legte den Kopf schief und hielt inne. Dann nickte er, unendlich langsam wie Jin fand.

„Die Büchse, die alle Krankheiten und alles Unheil der Welt enthält. Sollte sie geöffnet werden, wird die Welt einschließlich allem was auf ihr lebt, vernichtet werden. Willst du das denn wirklich, Junge?“

Jin schüttelte den Kopf und er fragte sich, ob er dies genauso langsam tat, wie sein gegenüber genickt hatte.

„Sehr gut. Ich vertraue dir ausnahmsweise. Lass dieses Vertrauen nicht falsch sein.“

Dann verschwand er in einem Lichtstrahl. Jin jedoch blieb mit der Büchse zurück. Immer noch strahlte der Sarkophag eine ungeheure Anziehungskraft aus, der der Junge kaum wiederstehen konnte. Vorsichtig streckte er die Hand nach der verbotenen Sache aus. Als er auf diese hinab blickte, konnte er das Zittern in seinen Fingerspitzen sehen, doch er konnte nicht innehalten, konnte nicht stoppen, sondern musste die Büchse noch einmal berühren, noch einmal ein Geheimnis der Menschheit klären. Jin wusste, dass er sich dem Ding nie wieder nähern konnte, aber auch nie wieder nähern wollte. Die Büchse war eins der größten Geheimnisse der Menschheit und er war der Meinung, dass dies auch so bleiben sollte. Nach einer gefühlten Ewigkeit wandte er sich ab und trat die Stufen des Podestes herunter. Unten angekommen, wandte er sich noch einmal um, doch die Büchse war bereits wieder in der Dunkelheit verschwunden. Wenig später wurde auch er von der Dunkelheit ergriffen.



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Kommentare zu dieser Fanfic (5)

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Von: abgemeldet
2012-06-18T16:46:17+00:00 18.06.2012 18:46
Schwere Geburt hier! :'D
Ich wollte auch nur schreiben, dass deine Schreibweise wirklich
außerordentlich flüssig ist! Finde ich jedenfalls!
Es liest sich wirklich angenehm und man hat immer wieder diesen
"Aha"-Effekt!
Und ich freue mich schon auf Kapitel 3 (:
Dunkelheit ... spannend (:

MFG Kuro~
Von:  xDahliax
2012-06-03T20:45:10+00:00 03.06.2012 22:45
Du kannst wirklich total schön schreiben. Beim Lesen kommt die Atmosphäre richtig gut rüber. Am Anfang wirkt es ziemlich unheimlich, als dann die Stelle mit dem Mädchen und den Leichenteilen kommt, hat das irgendwie einen ziemlichen Überraschungseffekt und lässt das ganze ein wenig ehm bizarre Züge annehmen. Aber das löste bei mir dann wiederum noch mehr Neugier aus, dass ich weiterlesen wollte.
Ich muss meinem Vorredner zustimmen, was das Ende betrifft. Den letzten Satz musste ich zweimal lesen, bis ich ihn verstanden habe. Ich glaube zumindest, dass ich ihn verstanden habe.
Vielleicht würde ein Punkt nach dem "nicht mehr" anstelle des Kommas die Aussage deutlicher machen.

"Eine Ratte huschte an ihm vorbei und lies ihn zusammen zucken."
- Vergangenheitsform von lassen = ließ

"Er kehrte in sich jedes Fünkchen Mut zusammen, dass er besaß, jedes Krümelchen Tapferkeit und ging weiter."
- Ich denke, hier braucht man das "das" mit einem s. Insgesamt gefällt mir die Umschreibung hier sehr gut.
Von:  xDahliax
2012-06-03T20:11:44+00:00 03.06.2012 22:11
Jetzt komme ich auch endlich mal dazu, deine Geschichte zu lesen.
Der Prolog gefällt mir zumindest schonmal sehr gut. Etwas mysteriös und irgendwie spannend. Macht auf jeden Fall neugierig, weiterzulesen.

Jetzt zur "Kritik":

"Sie wich zurück, ein schockierter Ausdruck entstellte ihr Gesicht."
Ich finde, anstatt einfach zu schreiben, dass ihr Gesichtsausdruck schockiert ist, hättest du ihn irgendwie beschreiben können.
Je nachdem, wie ein schockierter Gesichtausdruck für dich aussieht, könntest du zum Beispiel schreiben, dass ihre Augen weit aufgerissen sind oder sowas, wodurch ihr Schock eben deutlich wird, ohne direkt zu schreiben, dass sie schockiert ist.
Ich hoffe, du verstehst irgendwas von dem, was ich da sage.

Von:  Jou-Keks-chan
2012-05-22T17:19:04+00:00 22.05.2012 19:19
Klar, deine Denkweise immer :)
Aber ich kann dich beruhigen, beide fragen werden im Verlaufe noch beantwortet^^ Das war schon son gedacht^^
Von: abgemeldet
2012-05-22T16:16:14+00:00 22.05.2012 18:16
Das Ende verwirrt mich ein wenig!

"Ganz so wie in seinem Traum, aber nicht mehr so häufgi!"
Oder etwas ähnliches steht dort ...
Hast du dich verschrieben? Oder soll das so sein?
Falls ja ... verwirrend! D:
Aber der Drang weiterzulesen ist durchaus vorhanden (:

MFG Kuro~
Von: abgemeldet
2012-05-22T16:12:40+00:00 22.05.2012 18:12
Also erstmal ...
Das wirkt alles schon unheimlich spannend!
Es verrät zwar einiges von dem kommenden Plot aber eben auch nicht
zuviel! Ich würde sagen, ein gesundes Maß von Neugierde und gefährlichem
Halbwissen! ^^

Andererseits finde ich, dass das hin und wieder ein wenig ... naja ...
Zu hastig von statten geht!
Ich meine, wo ging sie lang? Und vielleicht hättest den
Jungen Mann ein wenig näher beschreiben können?

Ich finde leider nicht die richtigen Worte aber ich hoffe doch, dass
du meine "Denkweise" verstehst ^^''

MFG Kuro~


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