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Draug

Die Tage nach dem Untergang
von

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0.Prolog: Erwachen

0. Kapitel: Prolog
 

Das Erste, was ich wahrnehme, ist ein leises Rauschen und Knacken. Erschöpft und zugleich ziemlich genervt öffne ich meine Augen. Ich frage mich, wie lange mein Schlaf wohl gedauert hat. Ich bin mir nicht sicher, aber da die Sonne nicht wieder aufgegangen ist, kann es nicht allzu lange gewesen sein.

Ich hasse nichts so sehr auf dieser Welt wie schlafen. Jeder Abend ist für mich eine Herausforderung, und ich bin mehr als nur froh, wenn ich ohne von meinen Ängsten gequält die Nacht durchschlafen kann. Ich werde langsam wach und stelle fest, dass mein Kommunikator sich von ganz alleine angeschaltet und mich damit geweckt hat.

Ich schalte ihn aus und stehe auf, um etwas frische Luft zu schnappen. Vor der Balkontür, die mir einen Blick auf meinen Garten präsentiert, bleibe ich stehen. Mein Garten, der mein Haus umgibt. Ich wiederhole diese beiden Worte stolz in meinen Gedanken. Für die Zeiten, die momentan herrschen, habe ich es verdammt gut. Mein Haus ist weit ab vom Schuss, mitten in der noch unberührten Natur, fern von verschmutzten, engen Großstädten und, noch viel wichtiger, unkontrolliert von unserer Regierung.

Hier draußen gibt es noch viele Tiere, die teilweise auch nachtaktiv sind und natürlich auch Geräusche machen. Irgendetwas ist diesmal jedoch anders. Ich kann zuerst nicht erklären, was ich so sonderbar finde, und gehe davon aus, dass sich meine Paranoia wieder meldet. Aber nachdem ich eine Weile angestrengt gelauscht habe und das Gefühl nicht verschwindet, wird meine Vermutung zur Gewissheit.

Mit einem kurzen Ruck öffne ich die Glastür vor mir und trete ins Freie.

Die kühle Nachtluft empfängt mich und ich kann die Geräusche des Waldes viel deutlicher hören, da sie nun nicht mehr von der Tür abgeschirmt werden. Sie wirken im ersten Moment wie eine Kakofonie auf mich, die aus den unzähligen Rufen der unterschiedlichsten Waldbewohner, dem Säuseln des Windes und Geräuschen, die ich gar nicht einordnen kann, bestehen. Und da ist dann noch dieses Knacken von Schuhen.

Es ist einfach unverkennbar! Ich wundere mich ein wenig, wie jemand das Wagnis eingehen kann, zu versuchen, bei mir einzubrechen. Entweder sind diese Personen sehr dumm oder haben keine Ahnung, wer hier lebt. Beide der Optionen werden sie jedenfalls nicht retten.

Ich bleibe ganz ruhig und konzentriere mich darauf, die Position meines Gegners ausfindig zu machen. Ein weiteres Knacken verrät mir, dass er nicht weit entfernt sein kann.

Ich gehe seelenruhig über die Veranda, tue so, als ob ich meinen ungebetenen Gast nicht gehört hätte, und ziehe dann von einer Sekunde auf die nächste meine vollautomatische Pistole, um sie ihm an die Schläfe zu halten. Mittlerweile muss ich doch genau für solche Aktionen bekannt sein. Es ist ja nicht so, dass ich es darauf anlege. Vielmehr liefert man mir immer eine Steilvorlage, bei der es schon fast meine Pflicht ist, sie anzunehmen.

»Nenne mir einen Grund, warum ich dich nicht erschießen soll.« Ich betrachte mein Opfer, das wahrscheinlich bald in den Genuss kommt, einen Kopfschuss von mir als Geschenk zu erhalten. Es ist ein junger Mann mit blonden, langen Haaren, die er zu einem Zopf zusammengebunden hat. Wahrscheinlich ist er im selben Alter wie ich, was ich allerdings nur vermuten kann, da eine Schutzmaske einen Großteil seines Gesichtes verdeckt. Er trägt Zivilkleidung und darüber etwas, das im Entferntesten an eine fast schon antike Schutzweste erinnert. In der Hand hält er ein Selbstladegewehr, das ebenfalls eher in ein Museum gehört als in die Hände eines jungen Mannes. Er wirkt stark verängstigt, rührt sich nicht und versucht eher schlecht als recht, das Zittern seines Körpers zu unterdrücken.

»Bitte ... nicht schießen. Ich will reden«, stammelt er.

Ich ziele weiterhin auf seinen Kopf und genieße meine Machtposition. »Du kannst deinen Freunden jetzt sagen, dass sie rauskommen können.«

Woher ich weiß, dass er nicht alleine ist? Nun, eigentlich weiß ich es nicht. Ich sage diesen Spruch so gut wie jedes Mal, wenn ich in die Situation komme, einen einsamen Gegner vor mir zu haben und ihn mit meiner Waffe zu bedrohen. Meistens blamiere ich mich, was natürlich völlig egal ist, da niemand überlebt, der davon erzählen könnte.

Zu meiner eigenen Überraschung kommen wirklich zwei ebenso schlecht ausgerüstete Gestalten aus dem Schatten der Pflanzen.

Ich habe schon oft Leuten in den Kopf geschossen und noch öfter bin ich überfallen worden. Dieses Mal ist es jedoch etwas anderes. Abgesehen davon, dass diese Pechvögel miserabel ausgerüstet sind, wirken sie nicht wie Soldaten. Eher wie kleine Jungen, die Krieg spielen.

Einer der beiden, ein Mann mit einem Scharfschützengewehr, richtet seine Waffe auf mich. »Lass ihn los, oder ich schieße!«

Davon lasse ich mich nicht beeindrucken. Wenn er mich hätte erschießen wollen, hätte er es doch schon längst tun können. Jetzt, da er mich warnt, scheint es so, als ob er es gar nicht will.

»Du schießt nicht, dazu ist dir das Leben deines Freundes viel zu wichtig.« Ich will ebenfalls nicht schießen, sonst hätte ich es ja schon längst getan. Irgendwie haben die Fremden meine Neugierde geweckt.

Meine entspannte und gleichzeitig entschlossene Art überzeugt die beiden schließlich. Ich habe es eben drauf.

Beide lassen ihre Waffen sinken. Ich kann Todesangst in den Augen des jungen Mannes erkennen.

»Los! Aufstehen und rein ins Haus!«, befehle ich meinen »Gästen« und lasse meine Waffe als ein Zeichen des Entgegenkommens sinken. »Denkt aber nicht, dass ihr mir in den Rücken schießen könnt. Meine Panzerung sollte mehreren Treffern standhalten. Euer Freund stirbt jedoch schon an einem.« Mein Anzug besteht aus zwei Schichten: einer dicken Panzerung, die mich um einiges breiter wirken lässt, als ich eigentlich bin, und einer weiteren, dünnen Schicht, die ich darunter trage und die direkt auf meiner Haut anliegt. Diese Schicht überzieht auch meinen Hinterkopf und schützt diesen vor leichten Projektilen. Bevor ich schlafen gegangen bin, habe ich die darüberliegende, dicke Schicht nicht zusätzlich angelegt, aber bin mir sicher, dass meine Drohung schon ausreicht, um die Männer einzuschüchtern. Dabei hätten sie mich wahrscheinlich wirklich töten können, wenn sie es darauf angelegt hätten.

Die Waffe noch immer auf seinen Kopf gerichtet, führe ich den Eindringling in mein Haus und zwinge ihn dazu, sich auf das Sofa zu setzen, auf dem ich vor ein paar Minuten noch geschlafen habe. Seine beiden Begleiter folgen ihm zögerlich.

»Setzt euch!« Ich habe sie anscheinend ziemlich eingeschüchtert, denn sie geben keine Widerworte und tun, was ich ihnen befehle. Ich schließe noch schnell die Glastür hinter ihnen und setze mich ihnen gegenüber in meinen Lesesessel.

»Also schön, ich weiß nicht, ob ihr keine Ahnung habt, wer ich bin, oder größenwahnsinnig seid, aber versuchen, mich zu überfallen, war keine gute Idee. Hört gut zu, denn ich frage nur einmal: Was wollt ihr von mir?«

Meine Pistole ist noch immer in Richtung meiner Besucher gerichtet. Notwendig ist dies wahrscheinlich nicht. So verängstigt, wie sie wirken, würden sie keinerlei Versuche unternehmen, mich anzugreifen.

Schließlich ergreift der Mann, der das Scharfschützengewehr besitzt, das Wort. Ich gehe davon aus, dass er ihr Anführer sein muss. »Wir wollten dich nicht überfallen.« Er wirkt ruhiger und selbstbewusster als sein Begleiter, der noch immer so aussieht, als ob er sich jeden Moment in die Hose machen würde. »Es klingt vielleicht etwas seltsam, aber wir sind so etwas wie Schatzsucher. Unser Geo-Device hat uns hierher geführt.«

Ich habe keine Ahnung, von was für einer seltsamen Apparatur er da spricht, bin aber noch neugieriger geworden. Zu meiner Zeit hat es diese Geräte noch nicht gegeben. Bei genauerer Überlegung weiß ich nicht einmal mehr, wie viele Jahre ich nun schon in meinem »Ruhestand« verbracht habe.

»Ich kann dir dieses Gerät gerne zeigen. Wir haben noch nicht herausgefunden, wie es genau funktioniert, aber es markiert manchmal Punkte auf einer Karte. Vielleicht verstehst du, wie es funktioniert.«

Dieses seltsame Gerät macht mich neugierig. »Ich nehme an, dass ihr mich auf diese Art gefunden habt?«, frage ich leicht amüsiert. »Und was wollt ihr nun von mir?«

Die drei werfen sich ratlose Blicke zu.

»Nun ja, das wissen wir nicht genau. Bis jetzt haben wir immer nur Ruinen gefunden oder einzelne Artefakte, nie jedoch einen Menschen, der noch am Leben ist.«

Dies verwundert mich ein wenig. Ich glaube, es wird allmählich Zeit, mir dieses Geo-Device näher anzusehen. »Nun gut. Dies ist eine etwas seltsame Geschichte, aber ich bin gewillt, sie euch abzukaufen. Kann ich davon ausgehen, dass die Regierung nicht unbedingt zu euren Freunden gehört?«

»Ich möchte dich wirklich nicht bloßstellen, da wir ja etwas von dir wollen, aber es gibt keine Regierung mehr.«

»Also haben die Rebellen gewonnen? Es tut mir leid, ich habe mich in den letzten Jahren nicht um Politik gekümmert. Ich habe hier alleine gelebt.«

Die Blicke werden nicht besser. Es ist mir ehrlich gesagt auch nicht einmal unangenehm. Seit Fimbulvetr von der Regierung zerschlagen worden ist, habe ich mich um niemanden gekümmert, und niemand sich um mich.

Der junge Mann beißt sich auf die Lippe. »Es gibt auch keine Rebellen mehr.«

Seltsam, dass sich in so kurzer Zeit so vieles ändern kann. Ich überlege gerade, wie viele Jahre es überhaupt her ist, dass ich schon hier lebe. Mir fällt es jedoch nicht ein. Ich werfe einen Blick auf die Uhr an meiner Wand, nur um festzustellen, dass diese nicht mehr funktioniert und keine Zahlen mehr anzeigt. Auch die Uhr in meiner Kontrollsteuerung an meinem Handgelenk kann nicht in Ordnung sein. Sie zeigt ein komplett obskures Datum an, das unmöglich stimmen kann.

»Welches Jahr haben wir momentan? Meine Uhren sind beide ausgefallen.«

Ohne auf eine Uhr schauen zu müssen, antwortet der Älteste der Gruppe: »Wir haben den 06.07.2213.«

Ich traue meinen Ohren nicht. Ist dies ein sehr bizarrer Traum, oder hat er sich einfach nur versprochen? »Das ist ein Scherz, richtig? Du meinst 2113.«

Er runzelt die Stirn. »Nein. Ich meine, wie gesagt, 2213.« Entweder kann er verdammt gut lügen, oder irgendetwas läuft hier gerade vollkommen schief. Ich presse meine Lippen fest aufeinander und streiche mir mit einer Hand durchs Haar. Das kann doch alles nicht wahr sein.

»Kannst du das beweisen? Mit einer Zeitung oder etwas in der Art?«

Die drei sind ratlos.

»Nun ja, wir können dir unsere Uhren zeigen«, sagt ihr Sprecher schließlich. »Zeitungen in gedruckter Form gibt es, wenn überhaupt, nur noch in den großen Städten.«

Ich lasse mir ihre Uhren zeigen, und tatsächlich, auf allen ist das Datum des 06.07.2213 zu sehen, genauso wie auf meiner eigenen Uhr.

Ich versuche, mich zu beruhigen und nichts Unüberlegtes zu tun.

»Stimmt etwas mit dem Datum nicht?«, werde ich gefragt und schüttle den Kopf.

»Wie würdest du dich fühlen, wenn du einschläfst und hundert Jahre später wieder aufwachst?«

»Das ist aber jetzt ein Scherz von dir, oder?«

Ich seufze und streiche mir erneut durchs Haar. »Sehe ich so aus, als ob ich Scherze machen würde?«

»Das kann doch nicht stimmen«, fiept der Soldat, der ganz links sitzt. Nachdem er seinen Mundschutz entfernt hat, erkenne ich, dass er eine Sie ist. Wahrscheinlich wäre es mir schon früher aufgefallen, wenn ich sie nur genauer betrachtet hätte, denn sie ist sehr schmächtig. Ich schätze sie auf ungefähr sechzehn Jahre.

»Ich kann euch genauso wenig glauben, auch wenn alle Fakten momentan für euch sprechen.« Ich starre an die Decke in der Hoffnung, dass ich bald aufwache und all dies nur ein schlechter Traum ist.

»Woran erinnerst du dich noch?«, spricht der Mann, den ich für ihren Anführer halte.

»Ich bin hier eingezogen. Dann habe ich mich hingesetzt und mich ausgeruht.«

»Und davor? Erinnerst du dich noch an dein vorheriges Leben?«, hakt er nach.

»Ich war eine der >Einherjar< genannten Kampfeinheiten bei der Organisation Fimbulvetr. Habe bis zum Schluss gekämpft. Ich kann mich noch an alles so erinnern, als ob es gestern gewesen wäre.«

Einen Moment lang herrscht Stille, bis er mir eine Frage stellt, die mich verwundert. »Kennst du jemanden, der sich Widofnir nennt, und wenn ja, was weißt du über ihn?«

Ich antworte, ohne zu zögern. »Natürlich kenne ich Widofnir. Als ich ihn das letzte Mal gesehen habe, war er ein junger Mann in meinem Alter mit goldig blonden Haaren. Er war in Mimameid stationiert, wo er auch seinen Namen bekommen hat. Ich hatte nie gemeinsame Missionen mit ihm, aber als Einherjar kannte man sich eben untereinander. Aber dies müsstest du ja selbst alles schon wissen. Wenn du ihn nicht kennen würdest, hättest du nicht nach ihm gefragt.«

Das Mädchen wendet sich an ihren Sprecher. »Gernot, das kann auch ein seltsamer Zufall sein, oder?«, fragt sie ihn, ehe er fortfährt.

»Was weißt du über seine Zeit vor Fimbulvetr, und wie ist dein Name?«

»Wir haben niemals über sein Leben vor Eintritt in die Organisation gesprochen. Ich kann also nichts über ihn sagen. Mein Name ist Draug. Es würde mir übrigens gefallen, wenn du mir sagen könntest, was diese Fragen sollen, und ihr mir vielleicht auch eure Namen nennen würdet.«

Gernot antwortet: »Meinen Namen, Gernot, wirst du ja schon mitbekommen haben. Das sind Hannah und mein Bruder Florian. Und ich glaube dir und deiner Geschichte, dass du die letzten hundert Jahre verschlafen hast. Ich habe dich gefragt, weil ich einen Beweis dafür wollte, dass du die Wahrheit sagst. Widofnir ist Hannahs Großvater. Er hat ihr viele Geschichten von damals erzählt, auch über dich. Es klingt zwar unglaublich, aber ich möchte dir glauben, denn das, was du erzählst, stimmt mit dem, was wir wissen, überein.«

Großvater? Also hat er überlebt und kann mir sicher ein paar Fragen beantworten. »Könnt ihr mich zu ihm bringen? Es gibt so viele Fragen, die ich ihm gerne stellen würde, und ich glaube, dass er sich auch freuen würde, mich zu sehen.«

»Wahrscheinlich fällt es dir genauso schwer, uns zu vertrauen, wie umgekehrt«, stellt Florian fest. »Aber ich denke, dass wir dir eine Chance geben sollten. Wir wollten eigentlich ohnehin wieder zurück nach Hause und auf den Weg dorthin noch ein oder zwei Signalpunkte überprüfen. Vielleicht kennst du dich ja mit unserem Gerät aus. Wir sind daraus noch nicht so wirklich schlau geworden.«

Ich nicke zustimmend. »Ich werde es mir ansehen. Währenddessen könnt ihr euch hier wie zuhause fühlen. Ich weiß nicht, was noch alles funktioniert, aber eigentlich ist dieses Haus so gebaut worden, dass es sich selbst reinigt und instand hält.«

Dies lassen sich die beiden Jüngeren nicht zweimal sagen und machen sich gleich daran, mein bescheidenes Eigenheim zu durchsuchen. Gernot steht auf, nimmt einen Gegenstand aus seinem Gepäck und übergibt ihn mir. »Das ist unser Geo-Device. Was hältst du davon?«

Ich betrachte den Bildschirm, an dessen Rand noch zusätzliche Drehschalter angebracht sind. Er kommt mir bekannt vor, wirkt jedoch extrem verschlissen und alt. Auf den ersten Blick wirkt diese Apparatur so, als ob sie irgendwelche Signale wie Radio- oder Funkwellen orten kann, ich bin mir jedoch nicht sicher und schließe es vorsichtshalber an meinen Anzug an. Gernot zuckt leicht zusammen, als ich vermeintlich Kabel aus meinem Handgelenk ziehe und an das Geo-Device anstecke. Es dauert nicht lange, bis beides zu surren beginnt und sich die Geräte miteinander synchronisieren.

»Weißt du, was es ist?«, fragt er ungeduldig.

Die Antwort ist nicht so spektakulär, wie er es sich vorgestellt hat. »Wie es scheint, kann dieses Gerät verschiedene Arten von elektromagnetischen Wellen empfangen und zeigt sie auf dieser Karte an. Wahrscheinlich habt ihr mich gefunden, weil mein Kommunikator im Schlafmodus ein Signal ausgesendet hat.« Ich betrachte die Karte und frage mich, was sich wohl hinter den anderen Punkten verbirgt.

»Kommt dir etwas bekannt vor?«

Ich mustere die Karte und deute auf einen Punkt, der ein stärkeres Signal auszusenden scheint. »Hier ungefähr müsste sich Irminsul befinden. Weiter im Norden war dann Mimameid. Da von der Basis jedoch kein Signal mehr ausgeht, fürchte ich fast, dass sie komplett überrannt wurde.«

Gernot ist verblüfft. »Denkst du, dass wir in einer der Basen etwas über deine Vergangenheit finden?«

Seine Frage überrascht mich. »Kommt darauf an, wie viele Personen mit Geräten dieser Art herumlaufen. Irminsul selbst war ein Verwaltungszentrum. Hier waren nie Kampfeinheiten stationiert. Die Wahrscheinlichkeit, dass sich niemand darum gekümmert hat, ist also durchaus gegeben. Ich denke aber, dass wir eher in Mimameid fündig werden. Es liegt auch nicht so weit weg wie Irminsul. Aber warum interessiert dich meine Vergangenheit?«

Er wirkt etwas nachdenklicher. »Nun ja, deine Vergangenheit ist auch unsere. Ich möchte wissen, warum sich die Welt so sehr gewandelt hat. Unser Großvater hat uns oft von damals erzählt, aber nie eine Erklärung dafür abgegeben, warum seitdem alles so anders geworden ist.«

Ich spüre, dass ich mittlerweile den ersten Schock überwunden habe, und lehne mich nach hinten, zucke aber leicht zusammen, als der Sessel ein Knarren von sich gibt. Bei so alten Möbelstücken muss man ja Angst haben, dass diese komplett zerfallen.

»Warum hast du eigentlich einen so ... maskulinen Namen? Draug hört sich ja nicht sehr weiblich an«, fragt mich Gernot und reißt mich so aus meinen Gedanken über alte Möbel und deren Zerfall.

Ich zucke mit den Schultern. »Um ehrlich zu sein, ich habe absolut keine Ahnung. Ich habe meinen Namen so akzeptiert und ihn nie hinterfragt. Ich weiß nicht, wer auf diese Idee gekommen ist, aber vieles bei Fimbulvetr ist nach der nordischen Mythologie benannt.«

Gernot nickt. »Sieht ganz so aus.«

»Was habe ich noch verpasst? Wenn es keine Regierung und keine Rebellen mehr gibt, klingt das nach einer größeren Sache«, bringe ich das Gespräch wieder auf ein ernsteres Thema.

Er überlegt kurz, bevor er antwortet. »Ich denke, dass du es nicht sehr gerne hören willst. Die Welt, wie du sie kennst, existiert nicht mehr. Wie vorhin erwähnt, hat der Kampf zwischen den Regierungen dieser Welt und den Rebellen geendet. Einen Sieger gibt es jedoch nicht. Nach dem … Vorfall hat die Regierung angefangen, Bunker zu bauen sowie sich und den >wichtigen< Teil der Bevölkerung zu evakuieren. Den Rest, oder besser gesagt, uns, hat sie zurückgelassen. Um genau zu sein, du hast den Weltuntergang verschlafen.«

Mein irritierter Blick verrät ihm, dass seine Formulierung doch nicht die Beste ist.

»Keine Sorge, es ist nicht so schlimm, wie es sich anhört! Wie du siehst, bin ich ja auch am Leben und es gibt außer uns auch noch andere Menschen, denen es ebenfalls sehr gut geht. Da dieser Vorfall so einschneidend für die Weltbevölkerung war, wird er jedoch als eine Art Untergang oder auch Neuanfang gewertet.« Er mustert mich abschätzend. »Wie fühlst du dich, jetzt, nachdem du das alles erfahren hast?«

Ich zucke mit den Schultern. Nach dem ersten Schock lässt mich die Tatsache, dass ich hundert Jahre geschlafen habe, eher kalt. Viel mehr drehen sich meine Gedanken um meine damaligen Freunde und um die Frage, ob es weitere Personen wie mich gibt. Die Tatsache, dass die Welt ohne mein Zutun untergegangen ist, trifft mich jedoch mehr, als ich es von mir selbst erwartet hätte. Ich möchte mehr über diesen »Vorfall« erfahren, frage jedoch nicht gleich nach, da ich trotz meines hundertjährigen Schlafs verdammt müde bin und mir die Augen schon fast zufallen.

»Mich würde interessieren, was ich außer dem Weltuntergang noch so verschlafen habe. Ich fühle mich wie Dornröschen, nur mit dem großen Unterschied, dass mich kein Prinz wachgeküsst hat.«

Wir müssen beide lachen.

»Vielleicht findest du deinen Prinzen ja noch. Die Welt ist groß und wartet nur darauf, von dir entdeckt zu werden.«

1.Kapitel: Die Farbe

1. Kapitel: Die Farbe
 

Ich muss sehr schnell feststellen, dass er zumindest in einem Punkt recht behalten hat: Die Welt um mich herum ist riesig und könnte mir nicht fremder sein. Einen Prinzen oder jemand anderen, den ich küssen möchte, habe ich leider noch nicht kennengelernt.

Wir sind am nächsten Tag früh aufgestanden und haben mein Heim auf noch brauchbare Lebensmittel und nützliche Gegenstände durchsucht.

Die meisten Dinge sowie die konservierten Lebensmittel sind noch in einem sehr guten Zustand, an vielem anderen hat jedoch der Zahn der Zeit genagt und es unbrauchbar gemacht. Wenigstens scheinen meine Waffen, die Munition sowie die äußere, schützende Schicht meiner Rüstung überdauert zu haben. Ohne diese Dinge hätte ich das Haus wahrscheinlich nicht freiwillig verlassen. Eine komplett neue, spannende Welt zu entdecken, ist etwas Schönes, aber nicht, wenn man dabei seiner Umwelt schutzlos ausgeliefert ist. Auch wenn Gernot und seine Freunde kein Problem damit haben, schlecht ausgerüstet durch die Welt zu laufen, habe ich so meine Bedenken, da ich noch sehr an meinem Leben hänge.

Es dauert ein wenig, bis die Platten meines Schutzpanzers wieder in die vorgesehenen Befestigungspunkte einrasten wollen, aber als sie es tun, halten sie so gut wie früher. Meine Begleiter befinden meine übervorsichtige Art für übertrieben und belächeln mich dafür. Ich stelle mich schon darauf ein, dass ich mir in Zukunft noch viele dumme Sprüche anhören kann.

Für unsere weitere Reise haben wir uns als Ziel gesetzt, erst noch einen anderen naheliegenden Signalpunkt zu überprüfen und uns anschließend auf den Weg in das kleine Dorf zu machen, aus dem meine neuen Begleiter kommen. Erst danach wollen wir nach Mimameid aufbrechen und uns dort umsehen. Ich bin mit diesem Plan einverstanden und hoffe, dass wir dort oder auf dem Weg noch jemanden finden, der so ist wie ich, vielleicht sogar jemanden, den ich noch von früher kenne. Ich kann doch unmöglich neben Widofnir die einzige Überlebende sein. Es gibt so viele stärkere und bessere Einherjar als mich. Auch wenn Hannah und die beiden Brüder sehr nett zu sein scheinen, fühle ich mich einsam und wünsche mir jemanden, der nachvollziehen kann, wie ich mich fühle, um mit ihm über meine Situation zu reden. Die drei kennen nur ihre eigene Welt, daher glaube ich nicht, dass es Sinn macht, mich mit ihnen auszutauschen. Sie würden mich nicht verstehen, da sie ja nicht miterlebt haben, was ich durchgemacht habe.

Meine trüben und sorgenvollen Gedanken verschwinden allmählich, als wir schon eine Weile unterwegs sind und die Sonne langsam aufgeht und meinen Körper wärmt. Ich habe davor nicht wirklich gefroren, ganz im Gegenteil durch die Anstrengung unserer Reise sogar geschwitzt, die Sonnenstrahlen fühlen sich jedoch angenehm warm auf meiner bleichen Haut an, tun mir richtig gut.

Im Bezug auf meine Umgebung muss ich sagen, dass es mir verdammt schwer fällt zu glauben, dass die Welt untergegangen sein soll, und ich habe Gernot mehrfach gefragt, ob er sich gestern nicht doch einen Spaß mit mir erlaubt und mir eine komplett erfundene Geschichte erzählt hat.

So eine tote, untergegangene Welt stellt man sich ja entsprechend trist und leer vor.

Um mich herum ist jedoch alles in ein sattes Grün gehüllt und weder die Pflanzen noch die wenigen Tiere, die wir sehen, scheinen krank zu sein. Ja, ich würde sogar sagen, dass sie gut genährt und kerngesund auf mich wirken. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass die Welt vor hundert Jahren so grün gewesen ist. Das muss allerdings nichts bedeuten, denn leider kann ich mich an sehr wenig von der alten Welt erinnern. Ich schiebe es auf meinen unnatürlich langen Schlaf und gehe davon aus, dass meine Erinnerungen wiederkehren werden.

Zur Zeit bewegen wir uns durch eine hügelige Landschaft, ein ständiges Auf und Ab, daher ist unsere Sicht eingeschränkt. Ich habe trotzdem das Gefühl, dass sich das Grün um uns herum endlos erstreckt.

Vielleicht trügt mich dieser Eindruck aber auch und wir befinden uns in einem besonderen Gebiet, das frei von Erregern, Zombies, fleischfressendem Obst, untoten Fröschen oder anderen Dingen ist, die nun die Welt bedrohen. Bevor ich mir noch weiter den Kopf zerbreche und mir so nur selbst Angst vor dem Unbekannten mache, frage ich lieber Gernot. Ich ziehe es vor, mit ihm zu reden, denn er ist ruhiger und akzeptiert meine Macken, ohne großartig Witze darüber zu machen. Vor Hannah und Florian habe ich noch so meine Scheu, die ich aber nicht genau begründen kann. Ich schiebe es darauf, dass beide in meinem Alter sind. Auch während Fimbulvetr war ich schon jemand, der sich lieber bei den Wissenschaftlern, die uns betreuten, aufhielt, und nicht bei den gleichaltrigen Einherjar. Arvid, der damals für mich verantwortlich war, fehlt mir besonders.

»Was ist passiert, dass die Welt untergegangen ist?«, frage ich neugierig. »Ich kann hier nichts erkennen, was darauf schließen lässt, und du hast mir auch nichts Genaueres darüber erzählt.«

Wir sind gerade dabei, einen Hügel herabzusteigen, und Gernot bleibt stehen, als er meine Frage hört. Bevor er antwortet, wischt er sich den Schweiß von der Stirn, und ich muss mir eingestehen, dass mir sein Anblick gefällt. »Das liegt daran, dass dieses Gebiet nicht von der Farbe betroffen und daher noch bewohnbar ist. Wenn wir weiter nach Westen gehen, werden wir bald betroffene Gebiete erreichen.«

Die Farbe? Erst einmal kein sehr spektakulärer Name für etwas, das die Welt in den Untergang gestürzt haben könnte. Meine Neugierde steigt weiterhin an, auch wenn mir die Vorstellung, was diese geheimnisvolle Farbe nun sein könnte, Angst einjagt.

»Die Farbe selbst ist schwer zu erklären, wenn man sie nicht mit eigenen Augen gesehen hat«, erklärt Gernot weiter. »Viele Gebiete sind davon betroffen. Besonders größere Städte und Anbaugebiete sind nach den Erzählungen unseres Großvaters davon befallen worden. Ich selbst weiß dies nicht genau, da ich mich immer von solchen Orten ferngehalten habe. Um so ein Gebiet zu erreichen, müssten wir aber noch gut ein oder zwei Stunden weiter nach Westen gehen. Du wirst auf unserem Weg nach Hause sicher noch befallenes Land sehen, auch wenn ich hoffe, dass wir es schaffen werden, dieses weiträumig zu umgehen.«

Nachdem er mir geantwortet hat, nimmt er einen Schluck aus seinem Wasserschlauch.

»Aber was macht diese Farbe genau?«, möchte ich wissen.

»Also, wissenschaftlich und bis ins Detail genau kann ich es dir nicht erklären. Die Farbe existiert schon länger, als ich auf dieser Welt bin, und weder mein Vater noch mein Großvater konnten mir sagen, wo sie ihren Ursprung hat oder wie sie genau funktioniert. Den Überlieferungen nach gab es an verschiedenen Orten der Erde Meteoritenschauer. Eigentlich nichts besonders Großes oder Bedrohliches, niemand ist verletzt worden und auch die Sachbeschädigungen waren nicht erwähnenswert. Auch heutzutage kommt es gelegentlich vor, dass Meteoriten auf diese Welt herabstürzen, und damals vor hundert Jahren war dies wahrscheinlich ebenfalls nichts Außergewöhnliches. Als die Menschen, die den Schauer bemerkten, nachsehen wollten, was herabgefallen war, fanden sie nur leere Krater. Sie wunderten sich natürlich und es gab Spekulationen über Außerirdische sowie eine Verschwörung der Regierung. Auch der Name Fimbulvetr ist damals hin und wieder gefallen, obwohl es die Organisation nicht mehr gab. Wenig später ist an diesen Orten dann die seltsame Farbe zum ersten Mal aufgetreten und hat langsam angefangen sich auszubreiten. Wie verseuchtes Land aussieht, kann ich dir nicht genau erklären, aber du wirst es erkennen, wenn du es mit deinen eigenen Augen siehst.

Leider hatte die Farbe wesentlich größere Auswirkungen, als nur verfärbte und mutierte Pflanzen und Insekten hervorzubringen. Die Menschen, die in ihrer Nähe lebten und von dem seltsam verfärbten Gemüse aßen, begannen sich langsam zu verändern. Sie nahmen ebenfalls diese seltsame Farbe an, wurden immer träger und antriebsloser und starben schließlich ein paar Wochen danach auf eine nicht sehr schöne Art.«

Auch wenn mir diese Geschichte einen gehörigen Respekt einjagt, will ich mehr darüber erfahren. Im Notfall muss ich ja wissen, wie ich mich schützen kann. »Wie sind sie gestorben? Und warum sind sie nicht einfach vor der Farbe geflohen, wenn sie in deren Nähe waren? Sie müssen doch gemerkt haben, dass sie sich verändern und dies nicht gesund ist. Gibt es ein Heilmittel? Wie schnell dehnt die Farbe sich aus?«

Gernot seufzt kurz und erzählt dann weiter. »Sie sind steif geworden, ausgetrocknet und zu Staub zerfallen. Ich kann auch nicht nachvollziehen, warum sie nicht geflohen sind. Mein Großvater hat mir erzählt, dass die Menschen fast schon unter einer Art Bann standen. Sie bekamen einfach nicht mit, was mit ihnen passierte, und sie ließen sich von nichts überzeugen. Wenn man sie mit Gewalt mitnahm, stoppte der Verwandlungsprozess nicht, und sie versuchten mit allen Mitteln, zurück an den Ort ihrer Infektion zu kommen. Ein Heilmittel gegen die Farbe ist bis jetzt noch nicht gefunden worden. Zumindest weiß ich davon nichts. Das Einzige, das hilft, ist sich von den betroffenen Gebieten fernzuhalten. Mittlerweile hat die Farbe hierzulande größtenteils aufgehört sich weiter auszudehnen und tut dies, wenn überhaupt, nur noch sehr langsam. Die Gebiete, die von ihr verseucht sind, sollte man jedoch noch immer nicht betreten.«

Seine Antworten lassen mich grübeln, aber ich glaube auch, dass ich meine Begleiter nun besser verstehen kann. Auch, wenn ich vor dieser seltsamen Farbe einen gehörigen Respekt habe, spüre ich in mir den Wunsch, sie zu sehen und ihre Ausmaße begreifen zu können.
 

Die nächsten Tage verläuft alles im weitesten Sinne nach Plan, sofern man dies überhaupt so nennen kann, denn so etwas wie ein richtiger Plan existiert in den Köpfen meiner Begleiter nicht. Wir reisen durch die Welt und steuern die Signalpunkte an, die gerade am nächsten liegen. Wir gehen, solange wir können, und bauen jeden Abend ein neues Lager an scheinbar wahllos ausgewählten Plätzen auf, die meinen Begleitern aus irgendwelchen mir unbekannten Gründen für eine Rast geeignet vorkommen. Wir ernähren uns von den Vorräten, die sie mit sich tragen, und wild wachsendem Obst, das wir finden. Die Welt um mich herum kommt mir vor wie ein blühender, friedvoller Garten.

An einem Tag treffen wir auf eine wilde Schafherde, und Florian schießt eines der Tiere. Am Abend braten wir es über unserem Lagerfeuer.

Ich mag diese Art zu leben – auch wenn sie unstrukturiert ist und ich keine wirkliche Aufgabe habe oder einen großen Sinn dahinter sehe. Ich fühle mich befreit und denke nicht mehr so oft über früher nach. Die Probleme mit meiner Angst habe ich zeitweise besser im Griff. Mittlerweile treten meine Panikattacken nur noch jeden zweiten oder dritten Tag auf und ich fühle mich ausgeschlafen.

Leider sind die Signalpunkte, die wir während unserer Reise ansteuern, nichts Besonderes. Wir finden diverse alte Fahrzeuge, einzelne Sender oder auch verendete Soldaten. Ihre Leichen sind allesamt etwas älter, aber eindeutig keine hundert Jahre alt. Dies erkenne ich daran, dass sie einfach nicht so »wie früher« aussehen. Durch die Veränderungen dieser Welt hat sich die Lebensart der Menschen an die neuen Gegebenheiten funktional und optisch angepasst. Alles wird recycelt und so lange wiederverwertet, bis es zerfällt. So sind auch die Fahrzeuge aus vielen, nicht zusammenpassenden Teilen zusammengebaut.

Ich bin immer wieder von Neuem enttäuscht, wenn wir nichts für mich Interessantes bei den Signalpunkten finden. Mit jedem Mal fühlt es sich ein bisschen so an, als ob ein Teil von mir sterben würde. Ich weiß, dass sich das megakitschig anhört, aber ich schließe so langsam mit meiner Vergangenheit ab. Ich brauche sie nicht mehr, denn ich habe ja jetzt ein neues Leben mit neuen Freunden. Ich finde mich auch allmählich damit ab, dass ich wahrscheinlich neben Widofnir die einzige Überlebende bin. Dass mir dies so einfach fallen wird, hätte ich nie gedacht, aber meine Begleiter helfen mir dabei.

Ich kenne sie immer noch nicht lange, aber ich werde immer vertrauter mit ihnen und merke, dass meine Vorurteile komplett unbegründet waren. Alle drei sind sehr nett und sorgen sich um mich, auch wenn sie sich gerne über meine übervorsichtige Art lustig machen. Vielleicht haben sie ja sogar recht und ich bin wirklich ein bisschen zu ängstlich. Ich bin mir sicher, dass ich mit der Zeit mutiger werde und mehr Vertrauen in mein Umfeld setzen kann.

Auch wenn sie aus einer komplett anderen Zeit stammen, haben sie mich freundlich in ihre Mitte gelassen, und ich bin nun ein Teil ihrer Gemeinschaft. Mittlerweile weiß ich über die einzelnen Charakterzüge meiner Gefährten gut bescheid. Florian ist unser selbsternannter Anführer. Er ist eigentlich etwas schüchtern und versucht dies immer damit zu überspielen, dass er irgendetwas Seltsames, Lustiges oder Gefährliches macht – meistens alle drei Dinge gleichzeitig. Mit ihm habe ich am wenigsten zu tun. Er treibt sich meistens bei Hannah herum. Ich glaube, dass er ein Auge auf sie geworfen hat.

Mit ihr verstehe ich mich sehr gut. Sie ist ein ganz normales Mädchen in der Pubertät mit den dazugehörigen Sorgen. Obwohl ich sie sehr gut leiden kann, finde ich es fast schon schön, von ihren kleinen Problemchen zu hören. Sie ist so schrecklich normal und lebt selbstverständlich in einer Welt, die ich so noch nie kennengelernt habe. Sie sorgt sich darum, dass sie vielleicht zugenommen hat, ob ihre Haare gut aussehen und dergleichen. Sie merkt wahrscheinlich nicht einmal, wie hübsch sie ist, egal, ob sie nun ein paar Kilo mehr hat oder ihre Haare zerzaust sind. Sie hat ein unheimlich warmes Lächeln und eine positive Ausstrahlung. Ich verbringe viel Zeit mit ihr und glaube, dass es sich so anfühlen muss, wenn man Geschwister hat.

Am liebsten habe ich jedoch Gernot. Er übernimmt die Entscheidungen, weiß es aber so zu tarnen, dass Florian denkt, er sei noch immer der Anführer. Gernot hat keine Machtansprüche und handelt auf diese Weise, um seinen jüngeren Bruder zu unterstützen. Er will ihn nicht bloßstellen. Von allen dreien ist er der reifste und auch intelligenteste. Ich liebe es, mich mit ihm über Gott und die Welt zu unterhalten.

Am schönsten an unserer Reise sind für mich die früher so verhasst gewesenen Abende. Wir sitzen zusammen an einem Feuer und Gernot erzählt oft Geschichten aus seiner Kindheit oder Dinge aus der Vorzeit, die er von seinem Großvater gehört hat. Auch ich berichte hin und wieder von meinen Erlebnissen und meinem damaligen Leben. Beim Erzählen selbst fühlen sich meine Erinnerungen unwirklich an; als ob es Geschichten wären, die ich gelesen oder selbst erzählt bekommen hätte, aber nicht so, als ob es meine wirklichen Erinnerungen wären.
 

Richtig interessant wird unsere Reise erst wieder, als wir eines Tages wieder einen besonders hohen Hügel vor uns haben, auf dessen anderer Seite wieder ein Signalpunkt liegen muss. Da wir keinen unnötigen Umweg machen wollen, entscheiden wir uns, den Hügel direkt zu überqueren. Wieder einmal meldet sich meine Neugierde, denn ich möchte wissen, was mich wohl erwartet. Vielleicht wieder ein Fahrzeug? Das Letzte ist sogar noch funktionstüchtig gewesen, hatte jedoch keinen Treibstoff mehr.

Etwas außer Atem komme ich als Erste oben an, und der Anblick, der sich mit bietet, übertrifft alles, was ich mir jemals hätte vorstellen können. Von einer Sekunde auf die andere fühle ich mich, als ob ich eine fremde, mir vollkommen unbekannte Welt betrete.

Vor uns erstreckt sich ein nicht enden wollender Landstrich am Horizont, von dem ein fluoreszierendes Leuchten ausgeht. Da die Sonne schon am Untergehen ist, kann man den ungesund wirkenden Schein sehr gut erkennen.

Ich kann erst nur Pflanzen entdecken und sehe keine Tiere, stelle jedoch auf den ersten Blick fest, dass etwas mit dieser Umgebung nicht stimmen kann. Auch wenn ich kein Experte im Bezug auf die Flora und Fauna der Erde bin, fällt mir sofort auf, dass die hier wachsenden Pflanzen allesamt zu groß geraten und ihre Proportionen seltsam verzerrt sind. Bei manchen sind etwa die Blätter oder die Fruchtkörper viel zu groß, sodass sich diese unter der Last biegen.

Am markantesten ist jedoch die Farbe, die alles zu tränken scheint. Ich kann so gut wie nicht definieren, wie ich sie einordnen würde. Kaum bin ich mir sicher, dass ich sie am ehesten mit einem bestimmten Farbton vergleichen würde, ändert sich dieser Eindruck schlagartig.

»Die Farbe ...«, flüstere ich ehrfürchtig.

»Alles in Ordnung, Draug? Du wirkst etwas blass.« Gernot erreicht ebenfalls den Grat des Hügels, und als er bei mir angekommen ist, versteht er, warum ich so eingeschüchtert war.

Nachdenklich beißt er sich auf die Lippe. »Verdammt, wir sind doch etwas weiter im Westen, als wir eigentlich geplant hatten.«

Die Reaktionen von Hannah und Florian sind ähnlich wie seine.

»Die Farbe ist gruselig, ich will hier weg«, beschwert sich Hannah, die unter einem kühlen Windstoß fröstelt und ihre Arme reibt. »Ich will nicht von ihr befallen werden. Lasst uns lieber einen anderen Weg nehmen und weit entfernt von hier ein Lager aufschlagen.«

Ich bin von dieser Idee nicht unbedingt begeistert. Gegen das Lager spricht natürlich nichts, wenn wir jetzt aber nicht weitergehen, wäre der Umweg, den wir für das Signal gemacht haben, komplett sinnlos gewesen. Und da es direkt vor uns liegt, kann es ja nicht so schlimm sein, wenn ich für ein paar Minuten das verseuchte Gebiet betrete und es dann wieder schnell verlasse.

»Was ist mit dem Signal?«, frage ich leicht trotzig.

Gernot schüttelt den Kopf. »Vergiss es besser. Es liegt direkt im verseuchten Gebiet. Dort hineinzugehen, ist zu gefährlich.«

So tödlich kann diese Farbe doch nicht sein! Immerhin sieht sie relativ harmlos aus im Vergleich zu einer Armee Zombies oder einem Sumpf voller Krokodile. Auch wenn ich wenig von ihr weiß, bin ich sicher, dass sie nicht so schnell wirken kann.

»Dann lasst mich alleine gehen und wartet hier. Ich bin nicht umsonst so weit gegangen, nur um mich von etwas Farbe abschrecken zu lassen.«

Die drei starrten mich entgeistert an. »Du riskierst dein Leben für eine Kleinigkeit. Wir haben bis jetzt mit dem Geo-Device nichts Brauchbares gefunden, warum sollte es jetzt anders sein? Wahrscheinlich ist es einfach nur jemand, der töricht war und in dem Gebiet verendet ist«, versucht Florian, mich von meinem Beschluss abzubringen.

»Es ist mein Leben. Ich kann damit tun und lassen, was ich will. Ich bin wegen des Signals hier und will dessen Ursprung finden«, antworte ich trotzig.

Mir geht es hierbei nicht einmal um das Signal, denn ich rechne selbst damit, dass wir nichts Spannendes finden werden. Viel wichtiger für mich ist, dass ich meinen Dickkopf durchsetzen muss. Ich will dorthin, also werde ich auch dorthin gehen. Und um ehrlich zu sein, fallen mir Veränderungen unglaublich schwer. Wenn ich einen ungefähren Plan im Kopf habe, dann versuche ich diesen umzusetzen. Wenn sich dann plötzlich etwas kurzfristig ändert, ist es fast schon unerträglich für mich.

»Ich bin auch gleich wieder da, wartet einfach nur auf mich«, füge ich hinzu.

Sie wissen genau, dass sie mich von meinem Vorhaben nicht mehr abbringen können.

»Also schön«, stimmt wenigstens Gernot zu. »Wir bleiben hier stehen und du beeilst dich. Die Quelle müsste direkt hinter dem nächsten Hügel liegen. Wie groß sie ist, kann ich nicht sagen, deswegen wirst du vielleicht etwas suchen müssen, falls sie sehr klein ist.«

Ich nicke und fühle mich bereit wie nie. Die Spannung auf eine neue Aufgabe weckt längst verloren geglaubte Gefühle in mir. Ja, es fühlt sich so an wie früher, als ich noch für Fimbulvetr Missionen erfüllte. Ich habe zwar keinen genauen Lageplan und niemanden, der am anderen Ende meines Kommunikators in der Zentrale sitzt und mir sagt, was ich tun soll, aber das macht nichts.

»Gibt es etwas, das ich noch beachten muss? Gefährliche Tiere? Fleischfressende Insekten? Ich will kein Risiko eingehen«, frage ich halb scherzhaft, halb ernst.

»Bleib nicht zu lange«, antwortet Gernot ernst. »Es wäre schade, wenn du hier dein Ende finden würdest.«

Es ist alles Notwendige gesagt, und ich verliere keine weitere Sekunde für unnötige Gespräche, sondern gehe meine ersten Schritte in das für mich so fremde und unheilvolle Gebiet. Ich ertappe mich bei dem Gedanken, dass ich fast schon enttäuscht bin, dass ich keine Veränderung an mir selbst oder meiner Umgebung wahrnehme. Abgesehen davon, dass alles verzerrt und seltsam gefärbt ist, gibt es hier absolut keine Unterschiede zu der »normalen« Wiese, die ich gerade verlassen haben. Es ist etwas schwerer für mich, das hüfthohe, robust gewachsene Gras zu durchqueren, als ich es mir vorgestellt habe, dies ist jedoch das einzige Problem, das ich momentan habe.

Erstaunt und auch etwas bestürzt stelle ich fest, dass es auf dieser Wiese auch Insekten gibt. Bestürzt, weil diese viel größer sind, als sie hätten sein sollen. Ich muss gestehen, dass mir Insekten einen gewissen Respekt, wenn nicht sogar Angst einflößen, und die fußballgroße Mücke, die gerade an mir vorbeifliegt, verbessert meine Einstellung nicht gerade. Da sie sich jedoch nicht für mich interessiert und auch groß genug ist, um sie zur Not zu erschießen, mache ich mir keine weiteren Gedanken um sie und ihre Artgenossen, setze meinen Marsch fort und bahne mir einen Weg durch das Tal über einen kleinen Hügel, der direkt vor mir liegt. Als ich mich kurz umdrehe, sehe ich meine Begleiter auf dem Hügel stehen, die mich beobachten. Hannah winkt mir sogar zu.

Obwohl ich schon ein paar Minuten unterwegs bin, scheint sich nichts verändert zu haben, und ich selbst bin auch noch komplett Herr meiner Sinne. Vorsichtshalber ziehe ich meine Pistole, als ich den Hügel erreiche, und krieche von hier aus, damit mich niemand sieht, wenn ich einen Grund dafür haben könnte, mich doch zu verstecken. Ich brauche auf diese Weise länger, nehme das aber in Kauf, schließlich muss ich wenigstens ein bisschen auf meine körperliche Sicherheit achten. Oben angekommen, bleibe ich kurz stehen, um zu lauschen. Außer den Geräuschen von Insekten und Vögeln, die mehr oder weniger weit entfernt von mir sein müssen, kann ich nichts hören. Ich stecke also meinen Kopf aus dem Meer aus Gras heraus und versuche zu sehen, ob sich etwas Besonderes vor mir befindet. Auf den ersten Blick kann ich nichts Auffälliges erkennen. Als ich dann genauer hinsehe, erkenne ich Teile von Metall, die von wild wuchernden Pflanzen fast komplett verdeckt sind. Nicht mehr ganz so vorsichtig laufe ich den Hügel hinunter, um mir das etwas genauer anzusehen. Natürlich handelt es sich nicht, wie von Florian prophezeit, um eine Person.

Soweit ich es beurteilen kann, ist es ein abgestürzter Satellit – oder wenigstens etwas, das so aussieht, wie ich mir einen Satelliten vorstelle. Es ist ein paar Meter breit, länglich und aus Metall. Auch wenn es schon stark überwachsen ist, kann ich die Form problemlos erkennen.

Aufgeregt beginne ich damit, die Pflanzen auszurupfen und das Gerät freizulegen, um es auf Öffnungen zu untersuchen. Ich weiß nicht, wie so ein Satellit funktioniert, aber in Videospielen habe ich gelernt, dass es wichtig ist, einen Satelliten zu durchsuchen, denn zumindest in der digitalen Welt kann man darin Geld, wichtige Gegenstände oder auch Informationen, die für Missionen bedeutend sind, finden. Vielleicht enthält dieser ebenfalls etwas Nützliches?

Ich öffne eine Klappe und enthülle das Innenleben des Geräts, das mir genauso wenig Informationen wie die Hülle liefert. Warum wissen die Hauptfiguren von Spielen immer, was zu tun ist?

Mehr als Probieren bleibt mir nicht übrig. Ich ziehe an dem Kabel an meinem linken Handgelenk, das den kleinen Steuercomputer meines Anzuges mit anderen Geräten verbinden kann, um es zu lösen und an den Satelliten anzustecken. Da er noch ein Signal aussendet, funktioniert er sicherlich noch.

Erst passiert rein gar nichts. Dann beginnt der Satellit, knackende und surrende Töne von sich zu geben, und piepst leise vor sich hin. Ich starre gebannt auf meinen Bildschirm und warte darauf, dass sich etwas tut und er vielleicht wichtige Informationen anzeigt.

Der Bildschirm bleibt jedoch leer und meine Enttäuschung ist entsprechend groß.

Frustriert und ohne etwas gespeichert zu haben, mache ich mich auf den Rückweg. Da ich das Gras schon auf dem Weg hierher beiseite gedrückt habe, bin ich nun weit schneller.

Meine Begleiter haben wie versprochen auf mich gewartet und sind froh, mich unverletzt zu sehen.

»Warum hat das so lange gedauert?«, will Florian wissen, der auf einem Felsen sitzt. Er hat wahrscheinlich wie ich einen gewissen Kontrollzwang und muss alles genau wissen, was er hinter der Ausrede versteckt, der Anführer zu sein und ein Recht darauf zu haben.

»Ich habe lange gesucht, weil es nur ein kleiner Sender war«, lüge ich, ohne rot zu werden. Auch wenn es keinen wirklichen Anlass gibt, nicht die Wahrheit zu sagen, behalte ich meine Information lieber für mich. Der Hauptgrund dafür ist, dass ich momentan keine Lust auf Florians ewige Fragerei habe. Ich will einfach nur meine Ruhe haben und diesen Rückschlag verdauen.

»Und?«, hakt Florian nach. »War es das wert, dein Leben dafür aufs Spiel zu setzen?«

Ich zucke gleichgültig mit den Schultern. In mir steigt der Wunsch auf, wieder einmal ein bisschen alleine zu sein. Nur ich und niemand sonst.

»Ich fühle mich immer noch sehr gut, danke der Nachfrage. Ich habe keine Angst vor der Farbe. Vielleicht wirkt die Farbe nur bei dummen Menschen.«

Die drei schultern wieder ihre Rucksäcke und wir  schlagen den von uns angedachten Weg ein. Wir entfernen uns von der Farbe und gehen weiterhin nach Norden. Unser Marsch dauert jedoch nicht lange, da es schon ziemlich dunkel geworden ist und wir ein Lager für die Nacht aufschlagen müssen.

Beunruhigt habe ich feststellen müssen, dass die Farbe nachts erst ihr vollständiges Leuchtpotenzial entwickelt und wir sie selbst von hier aus noch sehr gut strahlen sehen können. Ich würde sogar sagen, dass es so hell ist, dass wir das Lagerfeuer eigentlich gar nicht brauchen.
 

»Wohin gehen wir jetzt? Habt ihr euch etwas überlegt, während ich weg war?«, frage ich Hannah, als wir alle wieder beisammen an einer Feuerstelle sitzen und Reste des Schafes aufwärmen. Da sie das Geo-Device nur sehr selten aus den Augen lässt, hat Hannah sozusagen die Rolle der Navigatorin übernommen.

»Ja. Wir haben uns für einen Signalpunkt entschieden, der keinen Umweg bedeutet und auch in einem sicheren Gebiet liegt. Wenn du willst, kann ich das Geo-Device holen und dir zeigen. Ich fand dich übrigens ziemlich mutig. Ich hätte mich nie getraut, einfach so verseuchtes Gebiet zu betreten.«

Ich lehne dankend ab. »Das brauchst du nicht. Ich glaube dir auch so. Und danke. Du kannst sicherlich genauso mutig sein, wenn du mal so alt bist wie ich.«

Sie schenkt mir ein strahlendes Lächeln.

»Kannst du mir aber sagen, wie lange wir noch brauchen, um den nächsten Signalpunkt zu erreichen?«, frage ich. »Und weißt du, ob Florian etwas gegen mich hat?« Da dieser gerade das Lager verlassen hat, um seine Notdurft zu verrichten, und sich Gernot um das Essen kümmert, kann ich dies ja fragen. »Er hat vorhin gesagt, dass ihr nichts Brauchbares mit dem Geo-Device gefunden habt «

»Ich denke, dass es noch ein oder zwei Tagesreisen sein werden«, antwortet Hannah. »Momentan kommen wir ja sehr gut voran, aber ich weiß nicht genau, wie sich unsere Umgebung noch ändern wird. Ich kenne mich hier nicht so gut aus. Und wegen Florian musst du dir keine Gedanken machen. Wir haben dich nicht mit dem Geo-Device gefunden.«

Ich bin verblüfft. »Wie denn sonst?«

Sie zögert und scheint nach den richtigen Worten zu suchen. »Ähm, um dich zu finden, habe ich zum ersten Mal das Ritual angewendet. Mein Großvater hat es mich gelehrt und es ist eigentlich etwas, über das ich nicht mit jedem sprechen darf. Ich glaube aber, dass ich bei dir eine Ausnahme machen kann. Immerhin hat das Ritual ja gewollt, dass ich dich finde. Ich setzte mich dafür in einen Kreis und Großvater kochte besondere Kräuter. Ich musste mich über den Kessel beugen und den Dampf einatmen. Mir wurde schwindlig und dann sah ich dich. Oder besser gesagt, den Ort auf der Karte, von dem ich annahm, dass du dort sein würdest.«

Drogen also … So etwas in der Art erschien mir logisch, auch wenn es sehr außergewöhnlich klang.

»Glaubst du mir?« Sie schaut mich mit ihren großen, braunen Rehaugen an, die nach Bestätigung und Anerkennung zu betteln scheinen.

»Aber natürlich glaube ich dir. Immerhin hast du mich ja gefunden«, gebe ich als Antwort und bekomme ein glückliches Lächeln geschenkt. »Kannst du dieses Ritual noch einmal durchführen? Damit wir jemanden finden, der so ist wie ich?«

»Natürlich! Wenn wir wieder im Dorf sind, können wir Opa fragen. Er hat sicher nichts dagegen.« Sie steht auf und verabschiedet sich von mir. »Ich werde jetzt schlafen gehen. Aufs Abendessen verzichte ich lieber. Sonst kann ich meine Figur nie halten.«

Ich bleibe sitzen, denke über den Fortgang unserer Reise nach und betrachte dabei mein Umfeld. Noch immer ist die Landschaft noch recht hügelig und von Gras und niedrigen Büschen bewachsen. In unregelmäßigen Abständen stehen kleine Grüppchen aus Laubbäumen, und am Horizont im Osten kann ich einen Mischwald erkennen. Noch immer wirkt alles so friedlich auf mich, dass ich nicht glauben kann, was alles passiert ist. Ich fühle mich eher wie auf einem Wanderausflug und nicht wie im Krieg.

Gernot, der fertig damit ist, das Essen zuzubereiten, setzt sich zu mir.

»Wie ist die politische Situation hier eigentlich? Es wirkt also so ... freundlich auf mich«, frage ich ihn. Vielleicht hat die Erde es ja doch noch geschafft, ihren Frieden finden.

»Der Schein trügt«, antwortet er lachend und reicht mir dabei etwas zu essen. »Den Erzählungen meines Großvaters nach würde ich aber sagen, dass sich die Situation seit damals verbessert hat. Es gibt keine Superreichen mehr, die über Millionen von Menschen einfach so bestimmen können, und wahrscheinlich würde eine Situation wie Fimbulvetr erst gar nicht entstehen können.«

Ich runzle die Stirn. Wie kann er einfach so schlecht über mein Fimbulvetr reden?

»Was weißt du schon?«, frage ich unwirsch.

»Ist das nicht offensichtlich? Sie haben Kinder und Jugendliche wie dich und Hannahs Großvater dazu benutzt, für sie zu kämpfen. Sie haben euch als Versuchskaninchen missbraucht, um ihre Machtansprüche durchzusetzen. Vielleicht ist die Welt, wie sie jetzt ist, nicht ideal. So schlimm, dass so etwas noch einmal passieren könnte, kann sie jedoch nicht sein.«

Ich schweige lieber. Ich bin gerne eine von Fimbulvetrs Einherjar gewesen und wünsche mich so sehr wieder in diese Zeit zurück. Auch wenn ich mich mit meinem Leben abgefunden habe und glücklich bin, ist diese Zeit noch immer etwas Besonders für mich, und ich bin davon überzeugt, dass jetzt alles besser wäre, wenn wir damals gewonnen hätten.

»Und wer hat jetzt die Macht?«, versuche ich das Thema wieder auf meine Frage zurückzulenken.

»Viele. Unsere Dörfer und kleinen Städte organisieren sich selbst.«

Ich zweifele daran, dass dies wesentlich besser ist als der Stand, den unsere Welt hatte, bevor ich eingeschlafen bin.

»Und was ist mit den großen Städten? Gibt es noch so etwas wie Staaten?«

»Die meisten großen Städte sind Ruinen und größtenteils von der Farbe verseucht. Es gibt angeblich noch Menschen, die dort leben, aber ich habe wirklich keine Ahnung, wie sie organisiert sind. Sie haben nichts mit uns, die wir frei und im Einklang mit der Natur leben, zu tun. Ich habe auch noch nie einen Stadtmenschen getroffen. Richtige Staaten wie du sie kennst, gibt es nicht. Ich kann auch nur für unser Umfeld sprechen. Es gibt keine weltweite Vernetzung mehr. Wir sind also auf uns alleine gestellt.«

Ich bin mir nun sicher, dass diese Welt nicht besser ist als meine, und meine Zweifel, dass sie nicht das Richtige für mich ist, kommen erneut hoch. Ich bin hin- und hergerissen. Mein altes Leben bedeutet mir viel, aber auch mein jetziges, neues ist nicht schlecht.

»Du solltest schlafen gehen. Es ist schon spät«, reißt mich Gernot aus meinen Gedanken.

»Ich und Schlafen verstehen uns nicht so gut.«

Er lacht kurz, auch wenn es dafür keinen Grund gibt. Es klingt vielleicht witzig, aber es ist ernst gemeint.

»Es ist nicht ganz so unterhaltsam, wie es vielleicht klingt«, kläre ich ihn daher auf.

Ich habe versucht, meine Schlafprobleme innerhalb der letzten Wochen in den Griff zu bekommen. Hin und wieder hatte ich gute Tage, aber momentan ist es für mich nicht zu ertragen.

Er steht auf, und ich denke, dass er sich niederlegen will. »Kann ich noch etwas für dich tun?«

Ohne darüber nachzudenken, antworte ich. »Würdest du meine Hand halten?«

Er ist verdutzt und zögert kurz. An meinem angespannten Blick erkennt er jedoch, dass ich keine Scherze mache. »Wenn dir das hilft, kann ich das gerne machen.« Er setzt sich wieder neben mich und nimmt vorsichtig meine Hand. »Ist es so gut?«

Ich nicke und schließe die Augen. Es ist wirklich angenehm, auch wenn es nur eine sehr kleine und scheinbar unbedeutende Geste ist. Sie heilt mich nicht von meiner grenzenlosen Angst, aber sie macht sie ein wenig erträglicher. Ich entspanne mich und versuche, meinen Kopf freizubekommen. Ich spüre, wie der Schlaf mich übermannt und ich einschlafe, ohne mich dagegen wehren zu können.

2.Kapitel: Feuer

2. Kapitel: Feuer
 

Wenn es einen Moment gibt, den ich wirklich hasse, dann ist es der wenn ich aufwache. Auf der einen Seite bin ich verdammt froh darüber, dass ich überhaupt aufgewacht bin und noch lebe. Diese Erinnerungslücke zwischen Einschlafen und Aufwachen selbst jagt mir aber ziemliche Angst ein, und keiner meiner Träume vermag sie auszufüllen. Da ich am Abend zuvor vergessen habe, die schwere, abnehmbare Schutzhülle zu entfernen, hat sie die ganze Nacht gegen meine Haut gedrückt, und die Stellen, an denen sie anliegt, schmerzen leicht.

Meine Begleiter sind schon wach. Um genau zu sein, haben mich sogar ihre Streitereien geweckt. Dies ist ungewöhnlich, denn bis jetzt habe ich die drei noch nie streiten gesehen. Kurz zusammengefasst geht es ums Essen. Hannah quengelt herum, dass sie gerne mehr will, auch wenn nicht genug da ist. Ich merke, dass ich ebenfalls hungrig bin, sage aber nichts, da ich mich aus dem Streit heraushalten will.

Ich warte einfach noch ein paar Augenblicke, bis sie von selbst bemerken, dass ich schon wach bin.

»Oh, du bist auch schon aufgewacht.« Gernot ist der Erste, der es gemerkt hat. »Hast du gut geschlafen?«

Ich nicke, auch wenn dies eine Lüge ist. »Ja, danke! Und selbst?«

»Ich kann mich nicht beschweren. Willst du dich noch waschen, bevor wir weitergehen? Florian hat sich heute morgen umgesehen und einen kleinen Bach entdeckt. Hannah ist gerade dorthin gegangen, um sich zu waschen.«

Ich überlege kurz. Eigentlich reinigt sich mein Anzug von selbst, aber etwas frisches Wasser würde mir sicher gut tun. Außerdem habe ich keine Lust auf stundenlange Diskussionen über das Waschen, um dann vor Gernot wie eine Drecksau dazustehen. »Ja, gerne! Zeigst du mir den Weg?«

Er deutet nach links. »Hinter dem Hügel. Du kannst den Bach nicht übersehen. Ich würde dich selbst hinführen, aber ich denke, dass Hannah etwas dagegen haben wird, wenn ich so einfach vorbeikomme, während sie sich wäscht.«

Ich stehe auf, entferne nun die äußere Hülle meines Anzuges, da sie beim Waschen unnötig gestört hätte, und gehe gemächlich in die beschriebene Richtung. Dabei muss ich vor Unverständnis den Kopf schütteln. Obwohl ich selbst zur Planlosigkeit neige und auch schon genug Zeit hatte, um mich an dieses Leben zu gewöhnen, erinnere ich mich aus meiner Zeit bei Fimbulvetr an eine viel zu detaillierte Planung, bei der mir sogar eingeteilt war, wie viel Zeit ich pro Gegner hatte. Dass wir auf diesen Bach aus purem Zufall gestoßen sind, obwohl er eine so wichtige Versorgungsquelle für uns darstellt, ist mir unbegreiflich.

Wenigstens finde ich den Wasserlauf und Hannah sofort. Wie immer habe ich meine Pistole gezogen, um mich sofort verteidigen zu können, während ich mich nähere. Das Bachbett ist relativ seicht und das Wasser reicht Hannah bis zum Knie. Sie hat ihre Kleidung abgelegt und wäscht sich gerade. Eifersucht steigt in mir hoch, denn ich fühle mich so voller Makel, wenn ich sie sehe. Bis jetzt habe ich sie nie so genau betrachtet. Ihr Körper ist schlank und sportlich, die Sonne hat ihrer Haut eine gesunde Bräune verliehen und ihre langen, schwarzen Locken glänzen im Sonnenlicht. Ich dagegen bin käseweiß und habe kurze, braune Haare die schon langsam grau werden.

»Oh, hallo!«, begrüßt sie mich und empfindet gar kein Schamgefühl, obwohl ich sie vollkommen nackt sehe. »Stecke doch bitte die Waffe wieder weg. Ich fühle mich so unwohl, wenn ich geladene Pistolen sehe.«

Verlegen senke ich meinen Blick. »Guten Morgen.« Ich stelle mich mit dem Rücken zu ihr an eine seichtere Stelle und ziehe meine Handschuhe vorsichtig aus, bevor ich meine Hände ins Wasser eintauche. Es fühlt sich angenehm kühl an. Ich genieße es ein paar Momente lang und führe es dann zu meinem Gesicht. Es ist etwas unangenehm, da ich das Gefühl von Wasser in meinem Gesicht nicht besonders mag, aber ich fühle mich gleich viel munterer. Es kostet mich etwas Überwindung, meinen Kopf in das kühle Nass zu stecken. Da ich aber unbedingt meine Haare waschen muss, bleibt mir nichts anderes übrig. Kaum ist mein Kopf unter Wasser, tauche ich schon wieder auf. Ich hole tief Luft und wische mir das Wasser von meinen Lidern, um meine Augen wieder zu öffnen.

»Willst du deinen Anzug gar nicht ausziehen?«, fragt Hannah. »Ich finde, dass er nicht sehr wasserfest aussieht. Nicht, dass du noch einen Stromschlag bekommst.«

Ich lehne mich zurück und entspanne mich, während die Sonne langsam die Kälte vom Wasser aus meinem Gesicht vertreibt.

»Ich gehe lieber kein Risiko ein. Diese zweite Haut hat mich über hundert Jahre am Leben erhalten, da möchte ich jetzt nicht damit anfangen, auf sie zu verzichten. Wasserfest ist sie aber, keine Sorge.«

Ich verlasse den Bach, lege mich ins Gras am Ufer und schließe die Augen, da ich immer noch Restmüdigkeit in mir spüre. Es ist seltsam, aber unter Tags verspüre ich selten Angst, wenn ich mich hinlege und am Einschlafen bin. Ohne es zu merken, döse ich ein, und Hannah weckt mich, als sie mich anspricht. »Hey, Draug! Lass uns zurückgehen!«

Ich bin froh, dass sie wieder angezogen ist. Sie trägt ein ärmelloses graues Oberteil, eine kurze schwarze Hose und Stiefel, die zum Wandern geeignet sind. Sicherlich für den einen oder anderen Betrachter nett anzusehen, aber meiner Meinung nach nicht schützend genug, wenn man durch die Wildnis läuft.

Wir gehen zusammen zurück zum Lager, das von den beiden Männern schon abgebaut wurde. Anschließend setzen wir unsere Reise fort, sind jedoch nicht so schnell wie gestern, da unser Weg nicht mehr so steil bergab führt und die Landschaft wieder hügeliger wird. Die Hitze macht uns ebenfalls zu schaffen, da wir stark schwitzen und viel trinken müssen. Wir haben alle am Bach unseren Durst gelöscht und unsere Wasserschläuche aufgefüllt, aber wenn es so weiter geht, werden unsere Vorräte nach spätestens einem Tag wieder knapp. Von den Sonnenstrahlen will ich gar nicht erst anfangen. Wir müssen uns oft eincremen, um keinen Sonnenbrand zu bekommen. Besonders meine helle Haut ist stark strapaziert, und ich bin mir sicher, dass ich mittlerweile rot wie ein Hummer leuchte.

Wir gehen weiter, bis die Sonne ihren Zenit erreicht hat, und machen dann unter einem großen Baum Halt. Auch wenn meine botanischen Kenntnisse sehr begrenzt sind, muss ich während unserer Rast ständig überlegen, ob es sich nun um eine Buche oder eine Trauerweide handelt, denn dieser Baum wies Merkmale beider Arten auf.

Von unserem Rastplatz aus können wir eine Rauchsäule erkennen, die in Richtung unseres Ziels liegt.

»Was dort wohl sein mag?«, fragt Hannah, die auf den Baum geklettert ist, um mehr zu sehen, jedoch trotzdem nichts erkennen kann, da ein paar Hügel und Bäume die Sicht versperren. »Vielleicht ist es ein Feuer«, fügt sie überflüssigerweise hinzu.

»Wahrscheinlich liegt dort eine kleine Siedlung oder etwas in der Art«, überlege ich laut. Einen anderen Grund für eine Rauchquelle im Sommer als den Schornstein eines Fabrikgebäudes oder einer Manufaktur weiß ich nicht – zumindest, wenn es sich um ein von Menschen genutztes Feuer handelt, das nicht dazu dient, irgendetwas zu zerstören. Von Brandstiftung oder dergleichen gehe ich vorerst einmal nicht aus.

»Es wird sicher nur ein kleiner, natürlicher Brand sein«, schaltet sich Gernot in unser Gespräch ein. »Im Sommer ist die Brandgefahr größer. Wahrscheinlich haben nur ein paar trockene Nadelbäume Feuer gefangen. Da es nicht viel Rauch ist, kann es nichts ernsthaft Bedrohliches sein.«

Ich fühle mich etwas dumm und bin froh, dass ich meine Gedanken nicht laut ausgesprochen habe. Im Endeffekt habe ich doch keine Ahnung von meiner Umwelt und hatte sie wahrscheinlich auch nie wirklich.

Wir nutzen die von der Sonne verordnete Zwangspause dazu, um noch ein wenig zu dösen. Heute wollen wir länger gehen, da es in der Nacht kühler wird und es dann nicht so anstrengend ist, herumzulaufen. Mir fällt es wieder erstaunlich leicht zu schlafen, und ich bin fast schon enttäuscht, dass mich Gernot weckt und wir unseren Weg fortsetzen.

Dabei kommen wir der Rauchsäule immer näher, bis wir schließlich auf ihren Ursprung treffen, mit dem wir alle nicht gerechnet haben. Wir stehen auf einem der Hügel und blicken auf ein Fahrzeugwrack hinunter, das ungefähr dreihundert Meter von uns entfernt in einem Tal liegt und dessen Motorhaube den Rauch ausspuckt. Ich bin mir sicher, dass es sich um ein neueres Fahrzeug handeln muss, da mir manche Elemente sehr bekannt vorkommen, die meisten jedoch komplett fremd auf mich wirken. Fahren die Fahrzeuge aus meiner Zeit überhaupt noch? Ich zweifele es stark an.

Das Gefährt vor uns ist eindeutig nicht mehr verkehrstüchtig, da die Motorhaube raucht und ein Reifen zerfetzt ist. Von dem Fahrzeughalter fehlt jede Spur.

»Was sollen wir machen?«, frage ich beunruhigt. Ich kenne die genauen Gesetze dieser Welt zu schlecht, um die Lage richtig einschätzen zu können.

»Gehen wir doch einfach hin und schauen mal nach«, beschließt Florian, der gerne Entscheidungen für uns alle trifft, ohne wirklich darüber nachzudenken. »Es ist ja nur ein Auto, was soll schon großartig passieren? Außerdem ist es verlassen. Der Fahrer hat wahrscheinlich nach Hilfe gesucht und ist bereits weit weg.«

Ich ziehe wieder meine Pistole, da ich wie immer vorbereitet sein will.

»Du hast zu viele Geschichten über den Krieg gelesen«, wird meine Handlung von Florian kommentiert.

»Ich war in einer Art Krieg gegen die Regierung und habe die letzten 124 Jahre überlebt, weil ich nicht so leichtsinnig war wie du.« Dies ist natürlich stark übertrieben, da ich höchstens zwölf Jahre im Dienste von Fimbulvetr gestanden habe.

Wir erreichen das Wrack und können nichts Außergewöhnliches erkennen. Bis auf den geplatzten Reifen und ein paar Schrammen scheint das Gefährt unbeschädigt zu sein. Ich habe eigentlich keine Ahnung von Autos und deren Motorik, würde aber zu gern testen, ob es vielleicht doch noch fahrtüchtig ist. Das ständige Herumgelaufe nervt mich.

Das Geräusch von Schüssen und deren Aufprall lässt uns alle zusammenzucken. Ich suche hinter dem Auto Deckung und stelle fest, dass eine der Kugeln an meiner Schulter abgeprallt ist und eine kleine Schramme hinterlassen hat. Hannah lässt sich kreischend auf den Boden fallen und Gernot sucht neben mir Deckung. Von Florian fehlt gerade jede Spur. Wahrscheinlich ist er weiter hinten gewesen und hat hinter einem Felsen Schutz gefunden.

Ich bin die Erste, die reagiert, und schieße in die Richtung, aus der die Schüsse gekommen sein müssen. Erst jetzt erkenne ich, dass eine Gruppe von Menschen auf uns zukommt. Ich versuche sie jetzt schon zu treffen, da wir zahlenmäßig, aber auch von der Ausrüstung her unterlegen sind.

»Warum schießt du?«, jammert Gernot neben mir. »Wahrscheinlich ist das nur ein Missverständnis und sie denken, dass wir an dem Unfall schuld sind. Vielleicht können wir alles auch gewaltfrei lösen.«

Darauf will ich es ehrlich gesagt nicht ankommen lassen. »Sie haben zuerst geschossen«, antworte ich und freue mich, als ich einen der Gegner in die Brust treffe und er umfällt. Einer weniger.

»Draug, wir müssen fliehen!«

Ich höre Gernots Worte, möchte sie aber ignorieren. Ich habe endlich wieder ein spannendes, befriedigendes Erlebnis und möchte dieses auch genießen.

»Ich erledige sie schon!«, versuche ich ihn zu beschwichtigen und gebe mir noch etwas mehr Mühe beim Zielen.

Gernot bleibt hartnäckig. »Wir können hier nicht stehen bleiben und warten, bis sie tot sind! Wenn wir getroffen werden, sterben wir im Gegensatz zu dir oder sind schwer verletzt. Wir haben nicht die notwendigen medizinischen Versorgungsmittel, und bis zu unserem Dorf ist es noch ein weiter Weg.«

Ich höre ihm zu, reagiere aber erst einmal nicht auf seine Worte, sondern lade lieber Munition nach und schieße erneut. »Und was sollen wir sonst machen?«, frage ich und kann dabei nicht verstecken, dass mir sein Verhalten ordentlich auf die Nerven geht. »Wenn wir weglaufen, sind wir ebenfalls ein leichtes Ziel.«

Unsere Angreifer haben schließlich angehalten und hinter einigen Felsen Deckung gesucht. Ich kann jetzt erkennen, dass sie im Vergleich zu meinen Begleitern wirklich sehr gut ausgestattet sind. Sie tragen alle kugelsichere Westen, die normale Geschosse kaum durchdringen, Helme und feste Kleidung.

»Lenke du sie bitte ab. Wenn du die Stellung hältst, dann können wir versuchen zu fliehen. Zur Ablenkung solltest du die hier zünden.«

Ich sehe den runden Gegenstand in Gernots Hand zum ersten Mal, bin mir aber ziemlich sicher, dass es sich um eine Granate handelt. Um ehrlich zu sein, hasse ich diese Dinger, und alleine bei dem Gedanken, sie zünden zu müssen, dreht sich mir der Magen um, da ich es bei einem Training einmal geschafft habe, dass ich das Ding nicht weit genug geworfen und mich damit selbst in die Luft gesprengt habe. Ich musste eine Woche lang auf der Krankenstation liegen, und dies hat einen bleibenden Eindruck bei mir hinterlassen. Eine andere Wahl, als sie zu zünden, habe ich aber anscheinend nicht.

Ich seufze. »Also schön. Wie funktioniert der Dreck?«

Gernot lächelt und legt mir den runden Gegenstand in die Hand. »Auf den roten Knopf an der Oberseite drücken, fünf Sekunden später geht sie hoch.«

Ich betrachte nachdenklich die Granate, die nicht größer als ein Hühnerei ist, und hoffe, dass ich es diesmal schaffe, dass dieses Ding nicht direkt neben mir explodiert. Ich nehme trotz meines aufkommenden Widerstrebens all meine Willenskraft zusammen und bereite mich darauf vor, sie zu zünden.

»Ich zähle jetzt bis drei und ihr lauft, so schnell ihr könnt.«

Gernot nickt. »Rennt los, wenn ich es tue!«, ruft er nach hinten, damit Hannah und Florian ihn ebenfalls hören. Obwohl beide bewaffnet sind, trauen sie sich nicht aus ihren Verstecken, sondern verharren ängstlich.

Bevor ich angreife, überprüfe ich noch den Status meiner zusätzlichen Schutzschilder, die unter anderem meinen Kopf vor tödlichen Treffern schützen und mir so erlauben, keinen Helm tragen zu müssen. Sie laufen noch auf voller Stärke und ich denke, dass nun der richtige Augenblick für einen Angriff gekommen ist. Ich beginne langsam und gut hörbar zu zählen. »Eins ... Zwei ...«

Ich habe die Zwei gerade ausgesprochen, als Hannah schreiend aufspringt und losrennt. Anscheinend hat sie die Nerven verloren. Ich denke nicht lange nach, sondern drücke den Knopf und werfe das Ding auf die andere Seite. Genauso impulsiv springe ich auf die Motorhaube und hoffe, dass ich so als Ziel eher gewählt werde oder, besser noch, die Sicht auf Hannah versperre. Ich spüre, wie die gegnerischen Kugeln an dem künstlichen Kraftfeld und der Panzerung meines Anzuges abprallen, und werfe einen kurzen Blick hinter mich, um zu sehen, wie weit meine Begleiter schon gekommen sind. Dann sind die fünf Sekunden vorbei und ich werde von der Druckwelle zwei Meter weit nach hinten geschleudert. Ich bereue jetzt schon den Einsatz dieses verdammten Dings und nehme mir vor, nie wieder eine Granate in die Hand zu nehmen.

Schnell stehe ich auf und überprüfe, ob jemand außer mir die Explosion überlebt hat. Da das Auto umgeworfen ist und von den Felsen, die unsere Gegner als Deckung gesucht haben, nur noch wenig übrig ist, gehe ich nicht davon aus. Meine Annahme bestätigt sich, als ich die leblosen Körper unserer Kontrahenten erreiche. Auch wenn meine Begleiter noch immer laufen, nehme ich mir die Zeit, die Toten nach brauchbaren Gegenständen, Nahrung und Wasser zu durchsuchen. So gelange ich an zwei Wasserschläuche, die beide noch halb voll sind.

Ohne Hast folge ich der Richtung, in der meine Freunde verschwunden sind. Ich gehe davon aus, dass uns sonst niemand mehr verfolgt, und beeile mich nicht sehr. Mein Anzug entlastet meine Muskeln, und so kann ich länger gehen als ein normaler Mensch. Ich muss gestehen, dass es doch ganz angenehm ist, mal ein bisschen alleine durch die Gegend zu laufen, ohne auf das langsame Marschtempo von Hannah oder die nervigen und sinnlosen Befehle von Florian Rücksicht zu nehmen. Gernot fehlt mir jedoch. Ich freue mich darauf, ihn bald wiederzusehen, und hoffe, dass er mich für diese Tat loben wird. Irgendwie wird er mir immer sympathischer, je besser ich ihn kennenlerne. Ich habe das Gefühl, dass er mich auch mag.

Ich erreiche die drei gut eine Stunde später an einem kleinen Grüppchen von Bäumen, unter denen sie auf mich warten.

»Hat alles geklappt?«, will Gernot von mir wissen.

Ich nicke und grinse dabei, da ich schon auf mein Lob warte. »Ja. Alle tot, ich bin wohlauf. Wie geht es euch? Da ihr gesund seid, nehme ich nicht an, dass euch eine Kugel getroffen hat.«

Leider wirken meine Begleiter nicht so glücklich und zufrieden wie ich.

»Ist etwas?« Ich bin verwirrt.

»Du hast Menschen getötet«, antwortet Florian, der darüber bestürzt zu sein scheint.

»Ja, und? Ich habe euer Leben dadurch gerettet«, entgegne ich. »Habt ihr eine Idee, wie es überhaupt zu diesem Angriff kommen konnte?« Ich frage mich, ob diese Männer die eigentlichen Besitzer des Fahrzeuges waren, ob dies ein Hinterhalt war oder ob sie selbst gerade erst gekommen waren und uns für Plünderer hielten. Als Antwort bekomme ich nur ratlose Blicke und betretenes Schweigen.

»Wie dem auch sei ... Wir sollten weitergehen, falls uns doch noch jemand verfolgt.« Ich bleibe gut gelaunt. »Und natürlich etwas zu essen suchen, ich habe einen riesigen Hunger.«

3.Kapitel: Das Eichhörnchen

3. Kapitel: Das Eichhörnchen
 

Soweit wir sehen, werden wir weiterhin nicht verfolgt und können unseren Weg relativ entspannt fortsetzen. Um auf Nummer sicher zu gehen, marschieren wir jedoch die Nacht durch. Da wir schon zu Mittag eine Pause eingelegt haben, fällt uns dies nicht so schwer, wie ich es mir vorgestellt habe. Die Sterne leuchten hell und auch die kühle Nachtluft ist sehr angenehm. Stehen bleiben wir erst, nachdem die Sonne aufgegangen ist und es merklich heißer wird.

Den Vormittag über schlafen wir im Schatten eines großen Eichenbaumes. Zu Mittag setzen wir uns zusammen, denn wir haben noch immer ein Vorratsproblem vor uns, das gelöst werden muss.

»Wir sollten versuchen, zu jagen«, schlägt Gernot vor. »Wenn wir nicht bald etwas Essbares finden, haben wir ein Problem. Hannah, kannst du nach Wasser und genießbaren Pflanzen Ausschau halten?«

Sie nickt als Antwort und scheint mit ihrer Aufgabe ziemlich zufrieden zu sein.

»Draug, hast du schon einmal gejagt?«

Ich schüttle den Kopf und brumme: »So schwer kann das doch nicht sein, ein Tier totzuschießen.«

Florian scheint mich anscheinend nicht zu mögen, denn er antwortet gereizt: »Dann kannst du uns ja zeigen, wie einfach das ist, und vor uns mit einem erlegten Tier hier sein.«

Wir trennen uns und jeder geht seines Weges. Da nicht weit entfernt ein Waldstück liegt, beschließe ich, darin nach Beute Ausschau zu halten. Zumindest gehe ich davon aus, dass Tiere in einem Wald leben. Anscheinend ist irgendetwas in meinem Kopf während des langen Schlafes kaputtgegangen. Ich kann mich noch an vieles erinnern, aber die grundlegenden Erinnerungen daran, wie unsere Welt außerhalb von Bifröst, der Basis, auf der ich stationiert war, funktioniert, sind verschwunden.

Das dichte, grüne Blätterdach schirmt mich von den Strahlen der Sonne ab. Ich spüre einen deutlichen Temperaturunterschied und kann den Geruch von Moos, nassem Holz und Gras wahrnehmen, während eine Symphonie aus unzähligen Vogelstimmen, dem Rauschen des Windes und dem Rascheln der Blätter an mein Ohr dringt, die den Eindruck erzeugt, als ob jedes Element genau aufeinander abgestimmt wäre und einer geheimen Melodie folgt. Ich fühle mich, als hätte ich eine wundersame, fremde Welt betreten.

Ich gehe tiefer in den Wald und suche mir ein Versteck am Rande einer Lichtung. Dort lege ich mich ins Unterholz und verharre regungslos, meine Pistole im Anschlag und jederzeit bereit, unser Abendessen zu erjagen. Zu meinem Pech gehört zum Jagen mehr als nur am Boden zu liegen und zu warten, denn es kommt nichts vorbei, das irgendwie schmackhaft aussieht.

Nach einer mir unbekannten Zeitspanne stehe ich auf und gehe tiefer ins Waldesinnere. Jagen ist anscheinend doch anstrengender, als ich gedacht habe. Wahrscheinlich fehlt mir für so etwas einfach die Geduld. Ich möchte schon aufgeben und wieder zurückgehen, als ich auf eine mit Efeu bewachsene Wand stoße. Ich zweifle nicht daran, dass es sich dabei um ein altes Gebäude handeln muss.

Meine Neugierde ist geweckt. Ich gehe an der Wand entlang, bis ich auf ein Fenster stoße. Ich muss erst einmal ein bisschen Efeu ausreißen, da die Öffnung schon komplett überwuchert ist. »Loch in der Wand« erscheint mir eine wesentlich treffendere Bezeichnung für das, was hinter den Pflanzen zum Vorschein kommt, als »Fenster«. Ich klettere jedenfalls hindurch.

Da kaum Licht von außen ins Gebäude dringt, schalte ich die Taschenlampe ein, die an meiner Hör-Sprech-Garnitur befestigt ist. Ich erkenne eine ziemlich verwüstete Küche. Wahrscheinlich haben Wildtiere schon vor Jahren die letzten essbaren Reste mit purer Gewalt an sich gerissen. Da es hier nichts Spannendes zu entdecken gibt, verlasse ich den Raum und gelange in einen langen Flur. Ohne Scheu öffne ich die anderen Türen und finde dahinter Büros und Konferenzräume, die allesamt keinen guten Eindruck machen, da sie sogar noch in einem schlechteren Zustand sind als die Küche. Allem Anschein nach ist dieses Gebäude seit Jahrzehnten nicht mehr von Menschen betreten worden. Leider funktioniert die Stromversorgung nicht mehr, denn ich hätte zu gerne herausgefunden, was für Informationen auf den Computern gespeichert sind.

Ich lasse mir Zeit, um das Erdgeschoss zu durchsuchen. Bis jetzt habe ich kein Emblem oder Logo gefunden, das darauf hinweisen könnte, von wessen Firma dieses Haus früher betrieben wurde. Mein Herz schlägt stärker, als ich schließlich unser Zeichen in der Eingangshalle finde. Es ist verschmutzt und halb verblichen, aber ich erkenne es sofort. Es ist unser Symbol, das Zeichen von Fimbulvetr.

Da ich meine Begleiter und besonders Gernot nicht zu lange warten lassen möchte, verlasse ich das Gebäude durch den Haupteingang und versuche, den Weg zurück zu unserem Lagerplatz zu finden, was mir leider nicht gerade leicht fällt, da mein Orientierungssinn ziemlich bescheiden ist. Auf meinen Missionen gab es immer jemanden, der wusste, wo ich war, und mir den Weg ansagte. Wie schön wäre es, wenn mir jetzt auch jemand sagen würde, wohin ich gehen muss.

Nach ein paar Umwegen gelange ich schließlich an den Waldrand zurück und kann von hier das Lager sehen. Hannah hat unsere Wasserschläuche aufgefüllt und Äpfel mitgebracht. Sie schaut mich erwartungsvoll an.

»Und? Was hast du erjagt?«, fragt sie. »Gernot und Florian sind am Bach. Sie haben eine Hirschkuh erlegt, die sie gerade ausnehmen.«

»Ich habe ein Dach über dem Kopf für uns gefunden«, antworte ich leicht gereizt. Es ist mir unangenehm, dass ich wieder einmal nichts Großartiges beitragen konnte. Die Dinge, die ich so tue, scheinen meine Kameraden ja nie wirklich zufriedenzustellen.

»Nicht weit von hier ist ein Gebäude. Es sieht aus wie ein ehemaliger Bürokomplex und ist ziemlich heruntergekommen, aber das ist immer noch komfortabler, als hier draußen zu schlafen. Außerdem ist es ein wesentlich besseres Versteck.«

»Das ist alles? Nichts zu essen?« Gernot und Florian sind zurückgekommen, und ich hoffe, dass mich Letzterer mit seiner Aussage nur necken will. Mein Verdacht, dass er mich nicht mag, erhärtet sich, ich weiß jedoch nicht, wie ich darauf reagieren soll.

»Ich bin eben nur gut im Töten. Jagen liegt mir anscheinend nicht besonders.« Ich versuche, locker zu bleiben und mir nicht anmerken zu lassen, dass mich diese Kritik doch trifft. Bis auf Florian scheinen meine Begleiter es mir jedenfalls nicht übel zu nehmen, dass ich praktisch mit leeren Händen wiedergekommen bin.

»Wir zerlegen noch unser Abendessen. Zeigst du uns dann den Weg? Ich glaube, dass ich mir Schöneres vorstellen kann, als in der Nacht vom Regen überrascht zu werden«, bittet mich Gernot, der noch immer gut gelaunt und freundlich wirkt.

Während sich meine Begleiter an diese anspruchsvolle Arbeit machen, drehe ich mich um und schaue weg, denn ich kann bei so etwas einfach nicht hinsehen. Mir ist durchaus bewusst, dass Fleischessen so seine ekelhaften und unschönen Seiten hat, ich muss aber nicht dabei zusehen, wie einem Tier die Eingeweide entnommen werden. Das Geräusch davon ist schon abschreckend genug.

Hannah und ich räumen derweil unser Lager zusammen, damit wir gleich danach aufbrechen können. Da wir ja das Lager neu aufbauen und das Gebäude erkunden müssen, liegt noch viel Arbeit vor uns.

Die Männer arbeiten sehr routiniert, und so brauchen sie nicht allzu lange, um die Hirschkuh auszuweiden. Die Reste der Beute, die sie nicht brauchen, haben sie zu einem Haufen geschichtet, den sie einfach so hier liegen lassen. Ob man dies tun sollte oder nicht weiß ich nicht, mische mich aber lieber nicht ein, da ich einfach von vielen Dingen keine Ahnung habe.

Wir gehen gemeinsam in den Wald und ich muss mich konzentrieren, den Weg zurück zu finden. Es wäre extrem peinlich für mich, wenn ich mich dabei verlaufen würde.

Mit etwas Glück schaffe ich es, meine Begleiter zu meiner Entdeckung zu führen, ohne mich großartig zu verirren, und die drei staunen nicht schlecht, als wir das Gebäude erreichen. Ihrer Reaktion nach zu urteilen haben sie nicht mit einem so großen und gut erhaltenen Bauwerk gerechnet.

»Warst du schon drinnen?«, fragt Florian skeptisch.

»Ja. Das Erdgeschoss müsste ich fast komplett durchsucht haben, und ich habe dabei nichts Auffälliges entdeckt.«

Dies wäre der beste Zeitpunkt für Gernot, mir irgendeine haarsträubende Geschichte über Zombies, fleischfressende Affen oder andere grausig mutierte Tiere zu erzählen, die sich zufälligerweise gerne in Häusern wie diesem verstecken. Nachdem ich von der Farbe erfahren habe, würde mich so etwas auch nicht mehr schockieren.

Stattdessen nickt Gernot bloß aufgeräumt. »Gut, dann durchsuchen wir den Rest des Gebäudes, bevor wir unser neues Lager aufbauen. Nicht, dass wir in der Nacht überrascht werden.«

Gesagt, getan. Wir betreten das Gebäude und verschaffen uns erst einmal einen groben Überblick über die Räumlichkeiten. Die Entscheidung für einen der ehemaligen Büroräume fällt uns nicht schwer; wir wählen einen Raum, der sich noch im Vorbau des Gebäudes befindet und in dessen Decke und einem Teil der Außenwand ein großes Loch klafft, durch das wir das Blätterdach des Waldes sehen. So können wir ein Feuer entfachen, ohne uns dabei auszuräuchern oder zu ersticken.

Wir legen unsere Habseligkeiten im Raum ab und teilen uns in zwei Gruppen auf. Gernot und ich gehen in den Keller, während Hannah und Florian die oberen Stockwerke durchsuchen dürfen. Ich verkneife mir den Protest, da ich froh bin, endlich einmal Zeit alleine mit Gernot verbringen zu können. Für die oberen Stockwerke werde ich sicher auch noch alleine genug Zeit finden.

Ich schalte meine Taschenlampe an, und wir gehen hinunter in den feuchten, modrig riechenden Keller, der hauptsächlich mit ausgedienten Möbeln, Kisten und Kartons angefüllt ist.

Der perfekte Ort, um sich zu verstecken und uns zu überraschen, denke ich mir und habe ein ziemlich mulmiges Gefühl in der Magengegend. Da ist es selbstverständlich für mich, dass ich wieder meine Pistole ziehe.

»Hast du Angst?«, fragt Gernot amüsiert. Ich kann jedoch in seiner Stimme einen leicht besorgten Unterton hören.

»Eigentlich solltest du dich schon daran gewöhnt haben, dass ich sehr vorsichtig bin. Und ja, ich habe Angst«, antworte ich und leuchte in eine Ecke, um zu sehen, ob sich dort nicht doch ein zweiköpfiger, geflügelter, menschenfressender Affe versteckt, der an mein Gehirn will. Mehr als eine alte Kiste und eine fette Spinne, die in diese hineinklettert, als der Lichtschein sie trifft, kann ich jedoch nicht erkennen.

»Stimmt. Das sollte ich«, antwortet er und wirkt dabei nachdenklich. »Es fällt mir jedoch nicht so leicht, mich daran zu gewöhnen, wie ich es gerne hätte. Du bist so anders als die anderen Frauen, die ich bis jetzt kennengelernt habe.«

Mein Herz macht einen Sprung. Ist »anders« etwas Gutes oder Schlechtes?

»Und wahrscheinlich bin ich auch mit Abstand die Älteste«, scherze ich und versuche mir meine Unsicherheit nicht anmerken zu lassen. Mittlerweile muss ich doch zugeben, dass Gernot für mich mehr als nur ein guter Freund ist und mein Interesse geweckt hat. Nicht unbedingt so sehr, dass ich von Liebe sprechen kann, aber mein Gefühl für ihn ist stark genug, um meinen natürlichen Jagdinstinkt zu wecken. Gernot ist freundlich, intelligent und sieht noch dazu gar nicht mal so schlecht aus. Besonders gut gefällt mir sein Kinnbart. Je besser ich ihn kennenlerne, desto mehr wächst in mir der Drang, ihn zu besitzen und ihm nahe sein zu können.

Als Antwort auf meinen Scherz lacht er nur kurz. »Was hältst du davon, wenn wir zurückgehen? Bis jetzt haben wir ja nur haufenweise Kisten, Ratten und Spinnen gefunden.«

Ich sehe ihn fragend an. Seine leichtsinnige Art schockiert mich schon fast, aber daran, dass er so ist, sollte auch ich mich schon gewöhnt haben. »Wir können jetzt nicht einfach so zurückgehen. Was ist, wenn sich doch etwas hier unten versteckt und dann in der Nacht hochkommt, um uns im Schlaf zu überraschen? Die letzte Auseinandersetzung hat doch gezeigt, dass ihr euch nicht selbst verteidigen könnt und mich als Beschützer braucht.«

Er wirkt etwas eingeschnappt. »Mach dir nicht gleich ins Hemd, Draug, hier unten ist nichts. Deine Angst ist wie immer komplett unbegründet. Die Welt hat sich stark gewandelt, aber Monster oder Mutanten gibt es nicht. Auch wenn ich dir sehr dankbar für die Hilfe bin, die du uns vorhin geleistet hast, muss ich sagen, dass wir es auch ohne dich geschafft hätten. Auf eine friedliche Art.«

Er nimmt mir anscheinend immer noch übel, dass ich gleich geschossen habe. Dies ermutigt mich jedoch noch mehr, mich zu bemühen, interessant auf ihn zu wirken. Leider bildet sich in mir ein innerer Konflikt, der sich in einer Panikattacke entlädt. Auf der einen Seite möchte ich Gernot nachgeben und ihm zeigen, dass ich ihm entgegenkomme und auf seine Entscheidungen vertraue. Er soll das Gefühl bekommen, dass ich meine Ängste zumindest ansatzweise im Griff habe. Dem gegenüber steht die Furcht, die mich noch immer fest in ihrem Griff hält. Ich fürchte, dass hier unten etwas lauert, nur darauf wartet, dass die Sonne untergeht, um hervorzukommen und uns anzugreifen oder noch schlimmere Dinge mit uns anzustellen. Ich weiß, dass diese Angst ziemlich kindisch, völlig irrational und komplett unbegründet ist. Sie fühlt sich jedoch sehr real an. Fast schon so, als hätte ich die Gewissheit, dass von meiner Fantasie Erdachtes Wirklichkeit wird.

Mit großer Überwindung und einer Menge Widerwillen schlucke ich meine Ängste so gut es geht hinunter. Sie hinterlassen jedoch einen bitteren Nachgeschmack und fühlen sich wie Steine in meinem Magen an.

»Gut, dann gehen wir eben wieder zurück.« Ich seufze und hoffe, dass meine Furcht sich bald wieder in Luft auflöst.

Gemeinsam gehen wir nach oben. Meine Beine fühlen sich noch immer an, als wären sie aus Gummi, und ich halte mich lieber am Treppengelände fest, um nicht hinunterzufallen.

Florian und Hannah sind noch nicht zurück, als wir unsere Ausrüstung erreichen.

»Komm, lass uns Holz zusammensuchen. Dann können wir schon einmal ein Feuer machen, es wird sicher bald dunkel«, beschließt Gernot.

»Ja klar, warum denn nicht?« Ich hoffe, dass ich auf ihn ruhig und gelassen wirke und er nichts von meiner Angst mitbekommt, die langsam wieder verschwindet. »Muss ich irgendetwas beachten? Ich habe bis jetzt keine Erfahrung im Holzsammeln und will es nicht so wie das Jagen vergeigen.«

Er grinst und verkneift sich ein Lachen. Ich muss ebenfalls lächeln, denn ich sehe ihn gerne glücklich.

»Du stellst Fragen. Nimm einfach ein paar nicht zu große Hölzer, die möglichst trocken sind. Nasses Holz brennt schlecht.«

Klingt logisch. Und einfach.

Wir verlassen das Gebäude wieder und ich fühle mich hier draußen eindeutig besser als in dem feuchten, dunklen Keller. Die letzten Sonnenstrahlen, die mich treffen, berühren auch mein Innerstes und vertreiben alle Ängste und negativen Gedanken.

»Warum hast du eigentlich keine Freundin?«, frage ich und versuche damit, das Gespräch in eine für mich günstige Richtung zu lenken. Wer sagt denn, dass nur Männer flirten dürfen?

Gernot hebt gerade einen Ast auf und legt ihn auf die anderen, die er schon gesammelt hat. »Wann habe ich gesagt, dass ich keine habe? Vielleicht warten ja zuhause Frau und Kind auf mich.«

Ich presse die Lippen zusammen und möchte mich schon entschuldigen, als Gernot fortfährt. »Du liegst aber richtig. Ich habe die Frau fürs Leben noch nicht gefunden. Was ist mit dir? Hattest du damals den Richtigen?« Während er mir antwortet, schaut er nicht zu mir, sondern sucht den Waldboden weiter nach geeignetem Feuerholz ab.

»Man kann auch mit dem Falschen Spaß haben«, antworte ich und tue ebenfalls so, als ob ich mich für die Äste, die am Boden herumliegen, interessieren würde. »Ich hatte jemanden, den ich gut fand, aber mehr war da nicht.« Ich will ihm nicht von Arvid erzählen und verfluche mich dafür, dass ich dieses Thema angeschnitten hatte. Es war doch klar, dass sich das Gespräch in diese Richtung entwickeln und fast sogar zwangsläufig auf diese Frage hinauslaufen würde. »Aber das war einmal. Ich habe damit abgeschlossen. Er ist sicher genau wie alle anderen tot. Lass uns bitte über ein fröhlicheres Thema sprechen. Ich muss ja schon dankbar sein, dass ich überhaupt noch am Leben bin.«

Gernot nimmt dies kommentarlos hin und ich bin ihm sehr dankbar dafür. An Arvid zu denken, schmerzt noch immer, denn er fehlt mir, genauso wie so viele andere Personen aus meinem früheren Leben.

»Wie soll denn dein Prinz sein? Vielleicht musstest du ja hundert Jahre schlafen, um ihn zu treffen. Wie Dornröschen.«

Habe ich einen idealen Typ Mann? Bis jetzt habe ich ja nicht so viele Erfahrungen mit Männern gemacht. Um genau zu sein kann ich mich nicht daran erinnern, was vor Fimbulvetr war. Ich bin mir sicher, dass ich in dieser Zeit niemanden hatte. Aber davor? Es beunruhigt mich zunehmend, dass ich keine Erinnerungen daran habe. Eigentlich mag ich ja Männer, die älter sind als ich. Mit meinen hundertvierundzwanzig Jahren ist es jedoch fast schon unmöglich, so jemanden zu finden. Ich bemühe mich, eine ehrliche, aber doch diplomatische Antwort zu geben.

»Nach dem, was ich so erlebt habe, bin ich was das betrifft nicht mehr so wählerisch und anspruchsvoll. Ich möchte einfach jemanden, mit dem ich glücklich sein kann. Natürlich schadet es nicht, wenn er gut aussieht. Intelligenz ist mir jedoch sehr wichtig. Ich will mich mit ihm unterhalten können.«

Gernot lacht erneut. Insgesamt lacht er oft über die Dinge, die ich sage. Mir war bisher nie bewusst, dass ich so lustig bin.

»Also, so schwer sollte das mit deinem Körper nicht sein, jemanden zu finden, auf den diese Beschreibung zutrifft.«

Kommt es mir nur so vor oder macht er sich an mich heran? Ich bin etwas unschlüssig, ob ich weiter flirten oder warten soll, wie er reagiert. Vielleicht ist er jemand, der gerne nett zu Frauen ist, oder er denkt, dass ich wieder Scherze mache.

»Wenn es so einfach wäre. Ich habe ja bis jetzt nur dich und Florian kennengelernt. Und bei aller Freundschaft, er ist nun wirklich nicht der Typ Mann, den ich gerne an meiner Seite hätte.« Ich bücke mich gerade wieder halbherzig nach einem Ast, als ich spüre, dass Gernot an mich herankommt und nun dicht hinter mir steht.

»Und was ist mit mir? Bin ich der Typ Mann, den du gerne an deiner Seite hättest?«

Ich drehe mich zu ihm um und schaue in seine braunen Augen. Da er diesmal nicht lacht, gehe ich davon aus, dass er es ernst meint. Ich bin mir jedoch nicht sicher, ob ich wirklich die Wahrheit sagen soll. »Du bist schon nicht schlecht«, versuche ich weiterhin diplomatisch zu bleiben und etwas Abstand zwischen uns zu bringen. Er greift jedoch meine Hand und hält sie fest. Ich könnte mich natürlich losreißen, lasse mich jedoch näher an ihn heranziehen. Ohne weiter zu zögern küsst er mich leicht unbeholfen, und es fühlt sich so an, als würde ein Blitz durch meinen ganzen Körper fahren, als seine Lippen die meinigen berühren. Es ist fast schon unbeschreiblich, was in diesem Augenblick in mir vorgeht. Ich erwidere seinen Kuss vorsichtig und warte darauf, dass er nun den nächsten Schritt macht. Dieser fällt jedoch etwas anders aus als von mir erwartet.

»Du hast es aber eilig. Kannst du es kaum erwarten, bis du wieder jemanden für dein Bett hast?«, fragt er mich, nachdem er sich wieder von mir gelöst hat, in einem Ton, der eindeutig belegt, dass dies kein Scherz ist. Die Stimmung und Bereitschaft zum Küssen hat sich dadurch bei mir jedenfalls in Luft aufgelöst. Was soll diese dumme Frage? Sehe ich aus wie ein dummes Flittchen, das wieder gestopft werden möchte?

»Ich bin kein leichtes Mädchen«, antworte ich und schubse ihn von mir weg. »Ja, ich hätte gerne jemanden für mein Bett, aber so verzweifelt, dass ich mich vom Erstbesten nehmen lasse, bin ich nicht. So eine Beziehung und vor allem Liebe sind viel Arbeit. Man lernt sich kennen, verbringt Zeit miteinander, trifft sich hin und wieder und verliebt sich dann. Das kann mit etwas Pech sogar Jahre dauern!«

Er schaut mich nur verständnislos an.

»Haben wir jetzt genug Brennholz? Ich würde gerne zurückgehen«, beende ich das Gespräch genervt.

Langsam scheint auch er zu realisieren, was gerade passiert ist. »Ja, ich glaube, das müsste reichen«, antwortet er.

Wir gehen wieder hinein. Gerade in diesem Moment kommen Florian und Hannah von oben herunter. Da sie wesentlich mehr Stockwerke zu durchsuchen hatten, aber dafür nicht viel länger als wir gebraucht haben, bin ich mir sicher, dass sie ebenfalls nicht sehr gründlich gearbeitet haben. Ich versuche, die eisige Stimmung zwischen mir und Gernot mit einem mehr oder weniger gelungenen Lächeln zu verschleiern.

»Wir waren schneller fertig und haben noch Holz gesammelt«, erkläre ich unnötigerweise, da wir beide gut beladen sind.

»Dann kümmern wir Männer uns um das Feuer und das Essen«, bestimmt Florian. »Macht das, was Frauen am besten können, und kümmert euch um den Schlafplatz.« War heute der Tag der dummen Sprüche?

»Ich wollte mich eigentlich noch etwas in den oberen Stockwerken umsehen, wenn es euch recht ist«, antworte ich etwas enttäuscht. »Dieses Gebäude gehörte früher Fimbulvetr. Vielleicht kann ich etwas über die Vergangenheit der Organisation herausfinden. Immerhin stehen noch genügend Computer herum.« Dass ich im Grunde nur Gernot ausweichen will, erwähne ich nicht extra.

Meine Begleiter reagieren zu meiner Verwunderung eher genervt auf meine Frage.

»Mach dich doch bitte etwas nützlich«, fällt mir sogar Gernot in den Rücken, der mir anscheinend den Korb von eben heimzahlen will. »Ist dir eigentlich aufgefallen, dass wir die ganze Arbeit erledigen, während du nichts tust? Immer müssen wir kochen, abwaschen, das Lager ab- und aufbauen und dann noch in der Gegend herumschleppen. Du stehst nur daneben und schaust zu.«

Das betretene Schweigen der anderen beiden signalisiert mir, dass sie genauso denken wie er.

»Also gut. Wenn du jetzt keinen weiteren Stress machst, helfe ich gerne«, antworte ich widerstrebend.

Wir Mädchen breiten zuerst die Unterlagen aus und dann die Schlafsäcke, um sie darauf zu legen. Mit etwas gemischten Gefühlen betrachte ich unsere Schlafstätte. Normalerweise lege ich mich zu Hannah oder Gernot. Letzteren möchte ich momentan lieber nicht sehen, oder wenigstens zuvor in Ruhe über das Geschehene sprechen, also bleibt wohl nur noch Hannah.

»Ist etwas mit dir? Du wirkst ziemlich geistesabwesend«, stellt diese fest.

Soll ich ihr von dem Streit mit Gernot erzählen? Bis jetzt habe ich mich doch gut mit ihr verstanden, aber ich habe Angst, dass sie sich auf seine Seite schlägt und ich dann komplett zur Außenseiterin werde.

»Es ist nichts. Ich hatte nur einen anstrengenden Tag«, belüge ich sie. »Wie war dein Tag? Hattest du Spaß mit Florian? Ich glaube, er will etwas von dir. Zumindest habe ich den Eindruck bekommen, weil er dir immer Komplimente macht und deine Nähe sucht.«

Sie schüttelt ihren Schlafsack aus, ehe sie ihn ausbreitet. »Ja, das mag schon sein. Alle Männer stehen auf mich. Ich habe schöne lange Haare, ordentlich Vorbau und eine gesunde Hautfarbe. Männer haben nichts übrig für käsige Mannsweiber. Aber das stört dich ja sicherlich nicht.«

Ich verstehe nicht genau, auf was sie anspielt, fühle mich aber trotzdem ziemlich beleidigt. »Warum sollte mich das nicht stören?« Ich kann kaum glauben, dass sie mir plötzlich so in den Rücken fällt.

»Naja ... Ich dachte, du bist lesbisch.«

Ich schaue sie fassungslos an. »Wie kommst du darauf?«

Sie wirkt relativ gleichgültig und entschuldigt sich nicht einmal für ihren Irrtum. »Du siehst nicht besonders weiblich aus. Außerdem sind deine Augenbrauen ziemlich buschig. Bei den Männern hast du es wahrscheinlich nicht sehr leicht.«

Wenn sie wüsste, dass Gernot mich gerade geküsst hat ... Sie wird schon sehen, wie sehr sie sich irrt, wenn wir dieses kleine Missverständnis geklärt haben und doch noch zusammenkommen.

»Ich glaube, dass es durchaus Männer gibt, die Frauen wie mich mögen«, sage ich. »Dich wollen sie doch nur einmal fürs Bett, mich für eine Beziehung.«

Sie lacht erneut. »Du meinst Schwule?« Sie nimmt mich überhaupt nicht ernst. »Und was du da über mich sagst, ist nicht richtig, denn ich habe immerhin einen festen Freund. Ich bin mit Gernot zusammen.«

Damit schießt sie endgültig den sprichwörtlichen Vogel ab, und bevor ich ihr noch eine Kugel durch den Kopf jage, verlasse ich lieber erst einmal das Lager, um mich zu beruhigen.

»Bis später«, murmle ich den anderen zu, ehe ich mich trolle.

Auch wenn ich meine Aufgabe nicht perfekt erfüllt habe, halte ich es bei dieser dummen Göre einfach nicht mehr aus. Ich muss mich ablenken und verbinde dies gleich mit etwas Recherche. Ich gehe die Treppe hoch in die oberen Stockwerke. Auch wenn noch ein schwaches Restlicht der untergehenden Sonne durch die Fenster fällt, schalte ich zur Vorsicht meine Taschenlampe wieder ein. Auf den ersten Blick sieht hier oben alles vielversprechender aus als im Keller. Die Möbel sind nicht mehr gut in Schuss, dafür stehen hier jedoch eine Menge technischer Geräte – leider alle ohne Strom. Ich überlege, ob ich etwas mit den Geräten anfangen kann. Theoretisch sollte ich mit meinem Passwort Zugang zu allen Daten haben. Was mir fehlt, ist also der Strom. In meinem Kopf bilden sich abenteuerliche Pläne, wie ich mit meinem Anzug, Gemüse oder anderen Geräten Strom erzeugen oder umleiten könnte. Ich verwerfe diese Ideen jedoch sofort wieder, und meine kurze Euphorie wird fast schon im Keim erstickt. Selbst wenn ich es irgendwie schaffen sollte, eine dieser alten Kisten zum Laufen zu bringen, sind die wesentlichen Daten auf den Servern gespeichert. Ich verfluche mich dafür, dass ich während Fimbulvetr nichts Sinnvolles mit meiner Zeit angefangen habe. Meine Betreuer haben mich stets zu ermuntern versucht, etwas Neues zu lernen. Wann immer sie mich jedoch gefragt haben, was ich tun möchte, war meine Antwort: »Töten.« Während die anderen also Spionagetechniken oder Kampfsport gelernt haben, war ich auf dem Schießstand oder bin auf Missionen geschickt worden, um Menschen zu ermorden.

Da ich noch nicht zurückgehen möchte, entscheide ich mich dazu, mich doch noch etwas in dem Gebäude umzusehen. Obwohl die ganze Einrichtung ihre besten Jahre schon hinter sich gelassen hat, fühle ich mich hier heimisch. Ich durchsuche mehr oder weniger systematisch die Büroräume, in der Hoffnung, doch noch etwas Interessantes zu finden. Nachdem ich eine Zeit lang erfolglos umhergestreift bin, setze mich auf einen der Bürosessel, der vergleichsweise bequem aussieht, und starre an die Decke. Jetzt, da die Sonnenstrahlen völlig verschwunden sind, holt mich meine Angst wieder ein. Ich fühle mich nutzlos und unendlich einsam. Hannah hat mit dem, was sie gesagt hat, recht. Männer interessieren sich nicht für mich, und wenn überhaupt, dann nur für eine Nacht mit mir. Gernot hat es sicherlich nur bei mir versucht, weil er angenommen hat, dass er mich leicht herumkriegt, da mich ja sonst niemand möchte. Langsam beginne ich zu akzeptieren, dass ich wirklich nur dazu da bin, um zu töten, und sonst nichts wirklich gut kann. Es ist kein besonders schöner Gedanke, aber ich weiß, dass ich wenigstens zu etwas zu gebrauchen bin. Komplett nutzlos zu sein wäre wahrscheinlich noch schlimmer.

Ein Geräusch, das aus einem der Nebenräume kommen muss, reißt mich aus meinen sinisteren Gedanken und lässt mich zusammenzucken. Mein erster Gedanke ist, dass die Zombieaffen aus dem Keller doch real sind und nach meinen Begleitern nun auch mein Gehirn essen wollen; mein zweiter, dass Gernot vielleicht nach mir sehen möchte, um mit mir über unsere Auseinandersetzung zu sprechen. Auch wenn er sicher wieder Witze über mich machen wird, ziehe ich meine Waffe und mache mich auf die Suche nach dem Ursprung des Geräusches.

Ich bin mir schon einmal sicher, dass ich Schritte höre. Diese klingen jedoch komplett unbekannt. In der geräumigen Cafeteria sehe ich dann, wer sich außer mir noch in diesem Stockwerk aufhält. Es ist ein Mädchen, dessen Kleidung mir sehr bekannt vorkommt, da ich genau dieselbe trage. Es leuchtet mit seiner Taschenlampe in meine Richtung. Im Gegensatz zu mir trägt die Fremde einen leichten Helm, der ihren Kopf vor Verletzungen schützt. Darunter kommen zwei lange, schwarze Zöpfe zum Vorschein. Ich bilde mir ein, das Mädchen zu kennen, sein Name oder wo ich es zum ersten Mal gesehen habe, fällt mir jedoch nicht ein. Ich kann vor Freude kaum glauben, dass ich sie an einem Ort wie diesem und in einer Situation, die mehr als nur aussichtslos auf mich wirkt, treffe. Schlagartig verschwinden für einen Moment all meine Ängste und Sorgen, und die Hoffnung, dass meine Einsamkeit nun ein Ende hat, sie mich mitnimmt und zu weiteren Menschen wie uns bringt, entsteht in mir.

»Hallo!«, rufe ich dem Mädchen zu. »Ich bin Draug. Was führt dich hierher? Du kannst nicht glauben, wie sehr ich mich freue, dich zu sehen.«

Sie antwortet nicht, sondern mustert mich nur mit ihrem kritischen Blick. Dann wendet sie sich von mir ab. »Ich habe zu tun, Kind. Tu einfach so, als ob du mich nicht gesehen hättest, und lass mich in Ruhe.« Sie spricht die Worte ruhig aus und die Dominanz in ihrer Stimme ist nicht zu überhören. Sie duldet keine Wiederworte.

Meine Enttäuschung wird schnell durch blanken Ingrimm ersetzt. All die negativen Gefühle, die sich durch das Verhalten von Hannah und Gernot aufgestaut haben, werden nun von der abweisenden Art des Mädchens zum Überlaufen gebracht, und ich kann mich nicht mehr zurückhalten. Wie kann sie mir so etwas antun? Ich richte zitternd meine Pistole auf sie und drücke ab. Sie ist wie ich, so ein kleiner Schuss wird sie schon nicht umbringen. Da sie mit dem Rücken zu mir steht, sieht sie meine Handlung nicht, zuckt aber zusammen, als die Kugel an ihrer Panzerung abprallt. Bilde ich es mir nur ein oder hat sie versucht, in letzter Sekunde auszuweichen? Geschickt wie eine Raubkatze springt sie auf mich zu und drückt mir ihr Knie gegen die Brust. Sie ist so schnell, dass ich gar keine Chance habe, zu reagieren. Trotz der dicken Panzerung, die mich schützt, tut dieser Kniestoß verdammt weh und drückt mir die Luft aus den Lungen. Ich weiß es in dem Moment nicht besser und versuche, weiter auf sie zu schießen. Ich glaube, dass ich sie ein- oder zweimal treffe, bin mir aber nicht sicher, da mir schwarz vor Augen ist. Sie drückt meine Hand gewaltsam zur Seite und hält mir Mund und Nase zu. Verzweifelt will ich mich wehren, bin jedoch zu schwach, um gegen meine Angreiferin eine Chance zu haben. Immer mehr Panik steigt in mir hoch. Ist das jetzt das Ende? Sterbe ich aus einem Grund, der mir nicht einmal wirklich bekannt ist? Meine Lungen brennen mittlerweile wie Feuer und ich spüre, dass ich langsam das Bewusstsein verliere.

Plötzlich lässt der Druck auf meine Brust nach und ich kann wieder atmen. Ich hole tief Luft und genieße jeden Atemzug.

»Alles in Ordnung mit dir?«

Ich schaue nach links, von wo die Stimme kommt. Florian steht in der Tür und betrachtet mich skeptisch. Kein Wunder, ich liege ja auch schwer atmend und komplett verängstigt auf dem Boden und ringe weiterhin nach Luft.

»Was machst du da auf dem Boden und warum schießt du wild herum? Hast du eine Ahnung, was für einen Schreck du Hannah eingejagt hast?«

Ich sehe mich verwirrt um. Das Mädchen ist spurlos verschwunden. Allmählich zweifle ich an meinem Verstand. Vielleicht habe ich mir ja alles nur eingebildet?

»Ich ... bin erschrocken, weil mich eine Ratte überrascht hat, und dann hingefallen«, lüge ich erneut. Ich stehe auf, klopfe mir den Staub von der Kleidung und atme tief durch. Meine Lungen brennen noch immer, aber es fühlt sich einfach zu gut an, am Leben zu sein.

»Gehen wir wieder zurück«, schlage ich vor. »Das waren eindeutig genug Nachforschungen für einen Tag.«

Florian lächelt mich mitleidig an, und ich kann mir schon denken, dass er mich für total durchgeknallt hält. »Warum bist du so erpicht darauf, etwas über die Vergangenheit herauszufinden? Du musst doch mittlerweile selbst merken, dass du große Probleme hast, dich zurechtzufinden. Konzentriere dich doch erst einmal darauf, dich einzuleben. Wenn du das geschafft hast, kannst du ja noch immer nach deiner Vergangenheit suchen. Vielleicht merkst du sogar, dass du auch glücklich sein kannst, ohne über alles, was passiert ist, genau Bescheid zu wissen.«

Ich bin empört. »Misch dich bitte nicht in mein Leben ein. Ich entscheide schon selbst, was ich wann mache.« Im Grunde hat er ja nicht ganz unrecht, doch ich will es einfach nicht wahrhaben. Ich wünsche mir, dass ich aufwache und alles nur ein schlechter Traum war. Mein Umfeld fehlt mir einfach zu sehr, und hier ist niemand, dem ich wirklich vertrauen kann.

Mittlerweile sind wir schon direkt vor unserem Lager. Gernot und Hannah haben es sich in der Zwischenzeit gemütlich gemacht. Zu gemütlich für meinen Geschmack, denn sie sitzt auf seinem Schoß und schmiegt sich an ihn.

»Tut mir leid, Draug, als du unterwegs warst, haben wir beschlossen, dass wir morgen früh aufstehen und uns auf den Weg machen, damit wir es schnell nach Hause schaffen. Du kannst ja später alleine hierher zurückkommen.«

Ich nicke. »In Ordnung.« Sie können ja nicht wissen, dass mein Interesse an diesem Ort fürs Erste gesunken ist. Ich setze mich demonstrativ an den von Gernot und Hannah am weitesten entfernten Platz am Feuer und hoffe, dass man mir meine Eifersucht nicht anmerkt. Auch wenn ich hungrig bin und Teile des Fleisches schon gar sind, schmerzt mein Magen und ich will nichts essen.

»Ist etwas passiert?«, fragt Hannah, die sich gerade an den Mann schmiegt, von dem eigentlich ich etwas will.

»Es war nichts. Ich bin einfach nur erschrocken«, bleibe ich bei meiner peinlichen Lüge. Sie würden mir ohnehin nicht glauben, wenn ich das Mädchen erwähne. Florian hat es nicht gesehen, und sie würden denken, dass es nur eine Ausrede ist, um der Situation die Peinlichkeit zu nehmen.

»Unsere Draug ist eben ein kleiner Angsthase«, ärgert mich Florian und setzt sich neben mich. »Aber keine Sorge, ich habe dich ja vor den bösen Ratten und Krabbeltieren gerettet und sicher zurückgebracht.«

Ich werde rot. Viel mehr als Florians Spott regt mich jedoch auf, dass Gernot anscheinend ein falsches Spiel mit mir und Hannah treibt. Ich kann das nicht einfach ignorieren, aber ich will ihn auch nicht darauf ansprechen. Das Beste wird sein, wenn ich meine Eifersucht hinunterschlucke und mich darauf konzentriere, was ich als nächstes tun soll. Ich bin sogar erstaunt, dass ich sie in meinem jetzigen Zustand noch nicht alle erschossen habe.

»Macht euch nur lustig über mich. Mit mir kann man es ja machen«, brumme ich vor mich hin.

»Nun sei doch nicht so schnell eingeschnappt«, nuschelt Hanna. »Florian hat doch nur Spaß gemacht.«

Warum ist es spaßig, immer Scherze auf meine Kosten zu machen? »Es tut mir leid, mir ist momentan nicht nach Scherzen zumute. Ich hatte gehofft, hier mehr zu finden«, antworte ich.

»Ich kann verstehen, dass dir deine Vergangenheit wichtig ist. Du verrennst dich aber zu sehr in etwas. Du musst im Hier und Jetzt bleiben. Nutze die Zeit, die du hast, für etwas Besseres als zu leiden«, versucht es Gernot auf seine umschmeichelnde Art. Irgendwie frustrierend, wenn alle mich in eine bestimmte Richtung drängen wollen. Ich muss doch selbst am besten wissen, was gut für mich ist.

»Es ist sicher schwer für dich, aber wir wollen dir doch nur helfen. Wir sind deine Freunde«, bleibt Gernot hartnäckig. Seine Worte schmeicheln mir zwar, aber das Gefühl, dass sie meine Freunde sind, ist nicht mehr vorhanden. Sollten Freunde mich nicht lieber bei meinem Vorhaben unterstützen und mich wieder aufbauen, wenn es mir schlecht geht? Sie sollten mich jedenfalls nicht beschimpfen und betrügen.

»Danke, aber alles, was ich momentan brauche, ist etwas Ruhe und Zeit für mich.«

Ich stehe auf und gehe in den Nebenraum. Hier steht ein altes, halb durchgerostetes Sofa, das nicht sehr bequem aussieht, aber dennoch eine bessere Alternative zum Boden ist. Für mich steht fest, dass ich erst einmal alleine schlafen möchte. Die Couch quietscht, als ich mich darauf lege, und sie fühlt sich genauso unangenehm an, wie sie aussieht.

Da nun endlich Stille herrscht, kann ich über die Situation nachdenken. Es muss doch irgendetwas geben, das ich tun kann. Ich brauche erst einmal Abstand, soviel ist klar. Vielleicht sollte ich ein wenig alleine durch die Welt laufen. Dann würde auch Gernot erkennen, was er an mir hat. Ich muss mir nur noch etwas für Hannah überlegen. Ich habe ja nicht wirklich etwas gegen sie persönlich, ich denke einfach nur, dass ich viel besser für Gernot geeignet bin. Also ist die einfachste Lösung, sie zu erschießen. Ich bin ja schon vor ein paar Stunden darauf gekommen, dass Töten das Einzige ist, was ich wirklich beherrsche. Wenn ich es mir genau überlege, ist dies wirklich eine gute Idee. Menschen erschießen kann so viele Probleme lösen, und wenn Gernot nichts davon merkt, kann er auch nicht wütend auf mich sein. Ich denke, ich werde es nach einem Hinterhalt aussehen lassen. Ideen, wie ich das Ganze durchführen kann, habe ich jedenfalls schon genug. Ja, ich bin überzeugt, dass ich meinen Plan so umsetzen werde.

Zufrieden kuschle ich mich an den verstaubten Stoff des Sofas, das bei jeder Bewegung vor sich hin knarrt und sich dabei so anhört, als würde es gleich zusammenbrechen. Durch die Schmerzen, die ich noch im Brustbereich habe, werden meine Gedanken wieder auf das Mädchen gelenkt. Ich bin mir sicher, dass ich es mir nicht eingebildet und sogar schon einmal getroffen habe. Auch wenn mir sein Name nicht sofort einfällt, kommt mir sein Gesicht sehr bekannt vor.
 

In einem Traum, den ich in dieser Nacht habe, kehrt die Erinnerung an das Mädchen zurück. Ich habe es vor Jahren zum ersten Mal in Bifröst getroffen, der Basis, in der ich stationiert war. Ich unterhielt mich nur ein einziges Mal mit ihr, wenn man das wirklich so nennen kann. Damals sprach ich sie an und wurde von ihr ebenso wie heute ignoriert. Schon vor all den Jahren war ich darüber wütend, aber Arvid beruhigte mich und erklärte mir, dass ich mir nichts daraus machen sollte. Sie sei eben so und rede nicht mit jedem, da sie ja eine der besten Einherjar war, die Fimbulvetr zu bieten hatte. Arvid nannte im Traum ihren Namen, und ich kann mich auch noch nach dem Aufwachen an ihn erinnern. Sie ist Ratatösk – schnell, tödlich, und alle nennen sie nur »Das Eichhörnchen«.

4. Kapitel: Träume aus der Vergangenheit

4. Kapitel: Träume aus der Vergangenheit
 

Wirklich viel Spannendes kann ich nicht über unseren restlichen Weg in das kleine Dorf sagen, in dem Widofnir und seine Familie leben. Mir fällt auf, dass ich nicht einmal den Namen dieser Ortschaft kenne. Meine Begleiter nennen sie entweder »das Dorf« oder »Zuhause«.

Das Verhältnis zu diesen hat sich nicht mehr gebessert. Ich will ihnen aber keinen Vorwurf machen. Ich denke, sie geben ihr Bestmögliches, um mit mir klarzukommen und mich aufzumuntern. Sie verstehen mich nur einfach nicht. Das Zusammensein scheitert alleine schon daran, dass mein Hauptziel im Leben nicht darin liegt, meine Gene an die nächste Generation zu vermachen. Zu Gernot halte ich deutlich Abstand. Ich mag ihn noch immer, aber ich möchte mich nicht unnötig verletzen lassen, und es tut mir weh, wenn ich ihn zusammen mit Hannah sehe. Er versucht mich auf das Geschehene anzusprechen, wenn wir alleine sind, aber ich kann ihm nicht in die Augen sehen. Ich muss jedes Mal daran denken, dass er mich geküsst hat, aber dennoch mit Hannah zusammen ist.

Meine Angststörung selbst hat sich auf eine sehr unangenehme Weise verändert. Ich habe nun keine Panikattacken mehr unter Tags oder am Abend, aber wache jede Nacht gut eine Stunde nach dem Einschlafen vor Angst auf.

Die Landschaft um uns herum wird zusehends zerklüfteter. Der Weg wird steiler und der Wald immer lichter, bis uns nur noch vereinzelte Latschenkiefern und Sträucher umgeben. Was es nun genau für Pflanzen sind und ob sie schon vor hundert Jahren so ausgesehen haben, kann ich jedoch nicht sagen. Die Farbe bekomme ich nicht mehr zu Gesicht und auch Ratatösk taucht nicht wieder auf.
 

Nach ein paar Tagen erreichen wir am späten Abend endlich das »Dorf«. Es ist mitten in den Bergen gelegen. Da es von einer dicken Mauer aus Beton und Stein umgeben ist, kann ich erst einmal nicht mehr erkennen als Rauch, der aus dem Inneren kommt, und kleine Lichter, die von Fackeln stammen müssen.

Wir warten kurz vor einem Tor, das aus beschlagenem Holz besteht, bis wir hineingelassen werden. Die Wachen, die im Inneren auf uns warten, sind besser ausgestattet als Gernot und seine Begleiter und mustern mich misstrauisch. Sie lassen mich nur mit hinein, weil Gernot sie davon überzeugt, dass ich zu ihnen gehöre.

Die ältesten Häuser erinnern noch an die Zeit, in der ich gelebt habe. Die restlichen haben eine mir vertraute Form, sind jedoch aus wiederverwerteten Materialien zusammengebaut. Die Stallungen der Tiere kann ich nicht sehen, aber sehr wohl riechen. Irgendwie enttäuschend, dass die Zukunft so aussieht. Ich habe sie mir eigentlich bunter, strahlender, pompöser und auch größer vorgestellt.

Von den Wachen abgesehen, kann ich von den Dorfbewohnern nichts entdecken. Wahrscheinlich schlafen diese jetzt nach einem harten Arbeitstag oder sorgen dafür, dass es nach ihnen auch noch eine weitere Generation geben wird.

Wir durchqueren das Dorf und gehen direkt zum größten Gebäude. Es wirkt schon von außen so, als ob es besser gepflegt und instand gehalten wird als die übrigen Häuser, und dieser Eindruck bestätigt sich, als wir das Innere betreten.

Das Haus hat keinen Vorraum, man gelangt gleich in einen großen Raum mit offenem Kamin, in dem trotz der Sommerhitze ein kleines Feuer brennt.

Ich schaue mich interessiert um. Der Boden besteht aus unzähligen Kronkorken, die in den Beton eingebettet sind. An den Wänden hängen Geweihe und Köpfe von toten Tieren. Wenn ich es nicht besser wüsste, hätte ich dies für die Kulisse einer schlechten postapokalyptischen Fernsehserie gehalten.

Ein steinalter Mann betritt den Raum, und auch wenn seine ehemals strahlend blonden Haare jetzt dünn und weiß geworden sind und sein Gesicht von Falten zerfurcht ist, erkenne ich auf den ersten Blick, dass es sich dabei um Widofnir handelt. Ich bin froh, ihn zu sehen, aber gleichermaßen auch schockiert. Das letzte Mal, als wir uns begegnet sind, war er noch ein junger Mann in meinem Alter.

Ich bleibe stehen und halte mich im Hintergrund, während meine Begleiter Widofnir schon fast stürmisch begrüßen. Vor allem Hannah, die ja seine Enkeltochter ist, freut sich sichtlich, ihn zu sehen. Ich fühle mich bei dem ganzen Wiedersehensglück doch etwas fremd und fehl am Platz. Ich warte, bis sie mit dem Umarmen und Freudenbekundungen darüber, dass es allen gut geht, fertig sind und er Notiz von mir nimmt.

Widofnirs Blick bleibt undurchschaubar, als er mich entdeckt, und ich bin mir nicht sicher, ob er sich freut, mich zu sehen, oder doch besorgt ist. Sanft schiebt er Hannah beiseite.

»Draug?«, fragt er ungläubig und kommt auf mich zu. »Bist du es wirklich? Aber das kann doch gar nicht sein. Du siehst noch genauso aus wie vor hundert Jahren! Bist du jetzt eine Walküre und willst mich nach Walhall mitnehmen, um mich zu den anderen gefallenen Kriegern zu bringen?«

Ich muss zugeben, dass ich mich bis jetzt nur bedingt mit der nordischen Mythologie beschäftigt habe, verstehe jedoch gerade noch, was er damit sagen möchte. »Bist du senil geworden oder hast du dir den Kopf gestoßen, alter Mann? Ich bin nicht hier, um dich zu holen. Ich bin dieselbe Draug wie vor hundert Jahren. Ich habe mich nur besser gehalten als du. Ich wollte nach all der Zeit nur mal wieder vorbeischauen.«

Mit jemandem zu sprechen, den ich schon lange kenne, tut mir gut und gibt mir wieder einen Schub Selbstwertgefühl. Ich glaube, dass er darüber erleichtert ist, dass er nicht tot ist.

»Würdet ihr uns bitte entschuldigen?«, sagt Widofnir zu meinen nun ehemaligen Begleitern. »Ich bin sehr gespannt, was ihr mir zu berichten habt, aber ihr seid sicher müde von der langen Reise. Ich muss mich mit meiner alten Freundin in Ruhe unterhalten. Wir haben uns viel zu erzählen.«

Die drei verabschieden sich nur widerwillig und lassen mich mit meinem alten Kameraden alleine. Nachdem sie das Haus verlassen haben, sind wir nun die einzigen Personen im Raum. Widofnir geht zum Kamin und bietet mir an, mich auf die sperrige, mit Fellen bedeckte Bank zu setzen. Ich komme seiner Aufforderung nach und er nimmt mir gegenüber Platz.

»Reden wir nicht lange herum, sondern kommen wir gleich zur Sache. Wie hast du mich oder besser gesagt Hannah und ihre Freunde gefunden?«, beginnt Widofnir das Gespräch gleich mit dem Thema, das ihn interessiert.

»Deine Enkelin hat mich gefunden«, antworte ich. »Sie hat von einer Art Ritual gesprochen, durch das sie mich ausfindig gemacht hat. Ich war anscheinend in eine Art Ruhezustand oder Winterschlaf versetzt worden. Die drei haben mir von sich aus von dir erzählt und mir angeboten, mich hierher zu bringen.«

Er seufzt und reibt seinen Nasenrücken zwischen Daumen und Zeigefinger. »Hannah ist ein gutes Mädchen, aber viel zu vertrauensselig. Sie muss noch lernen, dass auf dieser Welt nicht jeder ihr Freund ist. Ich glaube, ich habe sie einfach zu sehr verwöhnt, und hier im Dorf ist sie auch sehr beliebt und geachtet.«

Nun sehe ich meine Chance, ein paar Fragen zu stellen. »Ich bin hier, um ein paar Antworten zu bekommen. Ich habe ja von den letzten hundert Jahren nichts mitbekommen, und da du die Zeit wesentlich besser als ich genutzt hast, kannst du mich sicherlich auf den neuesten Stand bringen. Bitte erzähl mir, was passiert ist.«

Er schweigt einen Moment lang, bevor er anfängt zu erzählen. »Dass die Regierung uns ziemlichen Stress gemacht hat, wirst du wahrscheinlich selbst noch mitbekommen haben. Was in den anderen Basen passiert ist, kann ich dir leider nicht sagen. Ich war in Mimameid stationiert und hatte alle Hände voll zu tun, es zu halten. Die Kommunikation brach relativ bald zusammen und wir waren von der Außenwelt komplett abgeschnitten. Wir warteten darauf, dass jemand uns Unterstützung schickte. Leider passierte nichts in der Art. Wir wurden monatelang belagert, konnten aber erfolgreich die Stellung halten. Ich kann mich noch daran erinnern, dass ich gerade mitten in der Schlacht war, als ein lauter Knall ertönte und ich ohnmächtig wurde. Als ich wieder aufwachte, war der Kampf verloren, die Farbe ausgebrochen und die Regierung verschwunden. Die Farbe hast du ja sicherlich schon auf deinem Weg hierher gesehen. Wie lange ich so herumlag, kann ich dir nicht sagen. Irgendwann tauchte eine Gruppe von Menschen auf, die aus der nächstgrößeren Stadt kam und ein neues Zuhause suchte. Wie du dir denken kannst, schloss ich mich ihnen an und gründete dieses Dorf hier. Wie du jetzt musste ich mich auch an die neue Welt nach Ausbruch der Farbe gewöhnen.

Genauso wie dich hat der Anzug meinen Körper weiter am Leben erhalten und mir sicherlich nicht nur gut getan. Ich habe mich lange darin sicher gefühlt und ihn meistens getragen, bis ich eine Verletzung am Bein hatte und mit Schrecken feststellen musste, dass der Anzug an dieser Stelle angefangen hatte, mit meinem Fleisch zu verwachsen.« Er zieht sein Hosenbein hoch und zeigt mir eine dicke, wulstige Narbe, die sich über seinen kompletten Oberschenkel zieht und ziemlich schmerzhaft aussieht. »Ich habe die betroffen Stellen natürlich sofort herausgeschnitten und dieses Teufelsding nie wieder angelegt, und ich würde dir raten, dass auch du dich davon trennst, wenn es noch nicht zu spät für dich ist. Du hast ihn ja über hundert Jahre ohne Unterbrechung getragen. Vielleicht ist er ja für dich schon zu einer Art zweiten Haut geworden. Auch wenn ich den Anzug danach nicht mehr getragen habe, ist der Alterungsprozess meines Körpers stark verlangsamt worden. Ich bin zwar jetzt alt, aber noch immer gesund und fit. Ich werde noch Hannahs Enkelkinder miterleben, wenn ich nicht eines unnatürlichen Todes sterbe. Dazu kommen auch noch die Visionen, die ich hin und wieder habe. Ich habe gelernt, sie zu kontrollieren, und diese Fähigkeit an Hannahs Mutter und sie weitervererbt.

Und so schließt sich der Kreis wieder zu dir.«

Seine Geschichte beeindruckt mich sehr, auch wenn die Informationen über den Anzug mir Angst einjagen. »Es ist bewundernswert, wie viel du in den letzten Jahren erlebt hast«, muss ich zugeben. »Ich verstehe nur nicht, warum du den Anzug ausgezogen hast. Er verwächst vielleicht mit uns, aber er hält uns am Leben.«

Sein Blick verdunkelt sich. »Es ist falsch, Draug. Vielleicht wäre es etwas anderes, wenn nicht Fimbulvetr dahinter stecken würde. Ich habe selbst lange gebraucht, um zu erkennen, dass wir auf der falschen Seite gekämpft haben. Die Organisation war nicht so glorreich und strahlend wie du, wie wir sie gerne gesehen hätten. Der Name war leider Programm. Wer weiß, was aus mir geworden wäre, wenn ich den Anzug nicht abgelegt hätte. Menschen sterben. Das ist nichts Schönes, aber es gehört zum Leben dazu.«

Ich fühle mich fast schon dazu genötigt, Stellung zu beziehen. »Der Name ist vielleicht etwas provokant gewählt, aber du weißt selbst, warum wir so heißen. Fimbulvetr, die erste Katastrophe des Jüngsten Gerichts, wird stets als etwas Negatives interpretiert, aber das muss es nicht sein! Der Jüngste Tag ist ein Neuanfang, auf den wir alle zusammen hinarbeiten. Etwas, das unsere Welt von allen Sünden und dem Bösen reinwaschen soll.«

Er schnaubt verächtlich. »Und was soll diese großartige Veränderung bewirken? Kinder in Soldaten zu verwandeln und in den Tod zu schicken, klingt für mich nicht nach einem Weg, die Welt zu verbessern. Wenn diese Lösung so toll sein soll, dann frage ich dich, warum sie niemand freiwillig akzeptiert hat?«

Ich gerate in Erklärungsnot. »Das weiß ich nicht ...«, stammle ich. »Ich bin nur eine einfache Einherjar, die Befehle ausführt und dem Rat vertraut, der uns anführt und die Entscheidungen trifft. Es muss diesen Plan geben. Ich bin mir da vollkommen sicher. Sonst hätten wir nicht so lange überlebt. Sonst hätte ich mich niemals Fimbulvetr angeschlossen.«

Er schüttelt den Kopf. »Armes, naives Mädchen. Ich kann nicht glauben, dass du noch immer so leichtgläubig bist. Ich habe bis jetzt nur dich getroffen. Bevor du bei meiner Tür hineinspaziert bist, war ich mir sogar sicher, dass ich der einzige Überlebende bin! Fimbulvetr hat aufgegeben und uns alle gleichzeitig deaktiviert. Dies ist für mich zumindest ein Zeichen dafür, dass sie resigniert und uns unserem Schicksal überlassen haben. Wir hatten beide einfach ziemliches Glück. Dass wir uns ihnen freiwillig angeschlossen haben, bezweifle ich. Kannst du dich überhaupt daran erinnern, was vor unserem Eintritt in die Organisation war? Ich nicht. Ich habe alle meine Erinnerungen an mein Leben davor verloren. Wahrscheinlich haben sie uns irgendwo gekauft oder geraubt. Sonst hätten sie ja nicht unsere Erinnerungen manipulieren müssen.«

Ich beiße mir auf die Unterlippe. Widofnir hat wieder komplett recht mit dem, was er sagt. Ich kann mich an nichts erinnern. Da meine Brustschmerzen sich bemerkbar machen, lehne ich mich zurück auf das weiche Fell hinter mir. »Ich habe Ratatösk getroffen. Lebendig und in einem genauso unveränderten Zustand wie ich es bin.«

Ein kurzes Schweigen folgt.

»Was hast du jetzt vor?«, fragt Widofnir schließlich. »Fimbulvetr ist mit dem Rest der alten Welt unwiederbringlich verschwunden.«

Ich bleibe zuversichtlich. »Ich habe die Vergangenheit nicht aufgegeben. Ich habe ja schließlich nichts anderes, was mir bleibt. Ich hatte eigentlich vor, nach Mimameid zu gehen und mich dort erst mal umzusehen und vielleicht doch noch ein paar Hinweise auf das Geschehene zu finden. Die Basis liegt ja nicht weit von hier entfernt.«

Da für Widofnir das Gespräch beendet ist, steht er auf. »Das kannst du gerne tun, aber es wird dich nicht glücklich machen oder dir irgendwie nutzen. Mimameid ist so gut wie dem Erdboden gleich gemacht worden. Da du noch kein Zuhause hast, steht es dir frei, noch ein paar Tage hierzubleiben. Aber bitte nicht zu lange, da ich die anderen Dorfbewohner nicht verunsichern möchte. Es ist nicht böse gemeint, aber ich fürchte, dass dein Erscheinen kein gutes Zeichen ist.«

Alter, seniler und paranoider Sack! Ich bin keine gefühlte Ewigkeit unterwegs gewesen, um dann von dir vor die Tür gesetzt zu werden, weil du nicht zu spät ins Bett kommen willst.

Ich spreche meine Gedanken nicht aus, sondern nicke bloß. »In Ordnung, dann wünsche ich dir eine gute Nacht. Sollte ich Fragen haben, werde ich dich morgen damit belästigen. Wo kann ich schlafen?« Ich hoffe, dass es nicht der Kuhstall ist.

»Du wirst bei Hannah schlafen. Ihr Haus befindet sich gleich hinter diesem Gebäude. Du kannst es nicht übersehen. Sie wird sich um dich kümmern. Sprich also mit ihr, wenn du Sorgen oder Wünsche hast.«

Wortlos öffnet Widofnir mir dir Tür. Ich verabschiede mich noch mit einem weiteren »Gute Nacht«, während er nur schweigt und wahrscheinlich froh ist, mich endlich los zu sein.

Etwas unsicher gehe ich an der Häuserwand entlang und umrunde das Gebäude. Vor mir liegt ein kleines, einstöckiges Haus, in dem Licht brennt. Da weit und breit sonst kein Gebäude steht, bin ich mir sicher, dass ich hier richtig bin. Während ich an die Tür klopfe und darauf warte, dass sich etwas im Häuserinneren regt, bin ich trotzdem etwas unruhig und erleichtert, als es tatsächlich Hannah ist, die die Tür aufmacht.

»O, ihr seid schon fertig. Ich dachte, dass ihr euch länger unterhalten wollt und die halbe Nacht dafür brauchen werdet.« Sie tritt ins Freie und schließt die Tür hinter sich zu. In ihrer Hand hält sie Kleidung und zusammengelegte Handtücher. »Ich wollte gerade ein Bad nehmen. Komm einfach mit. Ich denke, dass es dir nach der langen Reise auch gut tun wird.«

Da mich mein Anzug sauber hält, muss ich nicht unbedingt baden, aber ich brauche dringend etwas Entspannung, um mir einen neuen Plan zurechtzulegen. Da Mimameid flach fällt, muss ich mir ein anderes Ziel suchen.

Ich lasse mich von Hannah führen. Wir gehen in die Richtung des Berges, der hinter dem Dorf gelegen ist. Da es ziemlich dunkel ist und nur die Sterne und Feuerstellen des Dorfes Licht spenden, hat Hannah eine Laterne dabei.

Wir folgen dem schmalen Pfad und gelangen schließlich an eine natürlich wirkende Quelle, die von einem kleinen Wasserfall gespeist wird und in ein Steinbecken mündet. Um dieses herum sind brennende Fackeln aufgestellt, die einen romantischen Schein erzeugen.

Leider zieht sich Hannah wieder ohne Vorwarnung aus. Ich drehe mich um und entferne meine äußere Panzerung, da diese im Wasser nur stört. Da ich diese Schicht nun regelmäßig an- und ausgezogen habe, funktioniert der Schließmechanismus wieder perfekt und macht keine Probleme mehr.

»Ist irgendetwas?«, höre ich Hannah hinter mir. »Du benimmst dich wirklich wie eine Lesbe. Ich bin ja nur nackt und genauso eine Frau wie du.«

Ich setze mich zu ihr ins Wasser, das zu meiner Überraschung leicht warm ist.

»Ich hab wirklich nichts gegen dich, aber ich muss dich nicht ständig ohne Kleidung sehen. Da wäre mir ein gut aussehender Mann wesentlich lieber. Zumindest fände ich dies wesentlich erotischer.« Es fällt mir schwer, nicht meine wahren Gedanken über sie zu äußern. Ich halte sie für ein kleines Flittchen. Vor den Männern ist sie während unserer Reise auch immer halbnackt herumgelaufen.

»Da spricht ja die Richtige. Du traust dich ja nicht einmal, deinen Anzug abzulegen.« Hannah ist natürlich total eingeschnappt. Dabei wollte ich keinen Streit mit ihr.

»So ist es. Ich ziehe mich nicht aus, weil ich mich niemandem nackt zeigen möchte. Sollte mich jemand nackt sehen, dann wird dies etwas Besonderes sein.«

Ich spüre, wie Müdigkeit in mir hochsteigt. Der Tag hat mich doch mehr mitgenommen, als ich eigentlich angenommen habe. Ich sinke etwas tiefer ins Wasser und schließe die Augen.

»Reden wir am besten weiter, wenn du überhaupt einmal einen Kerl abbekommen hast, so wie ich.«

Mittlerweile tut es nicht mehr ganz so weh, wenn sie von sich und Gernot spricht.

»Wie seid ihr überhaupt zusammengekommen?«, frage ich und bin mir nicht sicher, ob ich die Antwort wirklich hören will. »Ich habe das irgendwie nicht ganz mitbekommen.«

»Nun ... Ich habe ja hier im Dorf viele Verehrer, aber Gernot fand ich schon immer ansprechend. Deswegen durfte er mich ja auch auf der Suche nach dir begleiten. Und dann, an dem Abend bevor wir dich erreicht haben, hat er mir gestanden, dass er mich nur begleitet hat, weil er auf mich aufpassen will und etwas für mich empfindet. Ich habe ihn dann natürlich zappeln lassen und erst zugesagt, als wir in dem Gebäude von Fimbulvetr übernachtet haben. Eigentlich wollte ich ihn noch länger hinhalten, aber ich habe es nicht übers Herz gebracht. Er ist ein gutaussehender junger Mann und wird sicher eines Tages unser nächster Anführer hier im Dorf.«

Ich bin mir nicht sicher, ob ich mich darüber freuen soll. Vielleicht ist Gernot ja in sie verliebt und hat in der Zeit gemerkt, wie wunderbar ich eigentlich bin, und ist jetzt nur mit ihr zusammen, um mich eifersüchtig zu machen. Oder weil er glaubt, dass ich absolut nichts von ihm will? Ich denke, dass er etwas Besseres als sie verdient hat. Mich zum Beispiel.

»Vielleicht finde ich ja auch einmal jemanden«, fantasiere ich und denke dabei an ihren Freund. »Irgendwer wird schon erkennen, was er an mir hat. Ich weiß nur noch nicht, wo ich suchen muss.« Verdammt. Wenn ich weiter so hier drin sitzen bleibe, dann schlafe ich bald ein. »Absolut keine Ahnung. Mimameid existiert nach den Worten deines Großvaters nicht mehr. Ich möchte aber nicht hierbleiben und alt werden. Nichts gegen dich oder dein Dorf, es ist wirklich wohnlich hier. Ich glaube nur einfach nicht, dass ich hier hin passe. Die weite Welt ruft mich. Vielleicht versuche ich mein Glück ja in den Städten oder mache mich auf die Suche nach anderen Gebäuden von Fimbulvetr. Ich könnte prüfen, ob die Basis, in der ich stationiert war, noch steht.«

Ich ziehe mich aus dem Wasser und die kühle Nachtluft weckt mich wieder ein wenig.

»Es tut mir leid, ich bin schon ziemlich müde«, entschuldige ich mich bei Hannah. »Können wir zurückgehen? Sonst schlafe ich hier noch ein.«

Sie wirkt etwas enttäuscht, sagt aber nichts und steigt ebenfalls aus dem Wasser, um sich abzutrocknen und frische Kleidung anzuziehen. Der Anzug trocknet von selbst, also muss ich nichts in der Art machen und nehme einfach nur die Panzerung, da ich sie nicht hierlassen will.

Der Rückweg kommt mir komischerweise kürzer vor als der Weg hin. In Hannahs Haus angekommen beäuge ich erst einmal die Einrichtung. Das Gebäude ist sehr klein, aber bunt und wirkt fast schon vollgestopft. Die untere Etage besteht auf den ersten Blick nur aus einem großen Zimmer, das Wohnzimmer und Küche in einem vereint. Eine schmale Treppe führt nach oben in den ersten Stock. Im Gegensatz zu Widofnirs Einrichtung wirkt Hannahs nicht so schwer und protzig, sondern freundlich und einladend.

»Du kannst dich oben ins Gästebett legen«, sagt Hannah. »Einfach die Tür links von der Treppe. Ich mache mir noch einen Tee.«

Ich folge ihrer Beschreibung. »Bett« kann man diese alte, mit Stroh gefüllte Matratze nicht nennen, aber es ist wesentlich besser, als wieder auf dem Boden schlafen zu müssen.

Ich lege mich auf die Matratze und schlafe sofort ein. Wenigstens bin ich sogar zu müde, um in der Nacht von Panikattacken geweckt zu werden.
 

Als ich am nächsten Morgen aufwache und auf die Holzbalken über mir starre, die das Dach halten, ist mir erst nicht klar, wo ich bin. Mir ist jedoch klar, was ich zu tun habe. Es ist fast schon wie eine Eingebung. Warum bin ich gestern nicht schon darauf gekommen? Ich lege meine Panzerung wieder an, da ich diese im Ernstfall benötigen würde, und gehe nach unten. Die Sonne scheint durch die Fenster und lässt die Einrichtung noch freundlicher wirken. Hannah trägt ein buntes Stoffkleid, sitzt an einem Tisch und trinkt Tee. Dabei liest sie ein alt wirkendes Buch.

Ich setze mich auf den Stuhl ihr gegenüber. »Funktioniert dieses Ritual eigentlich nur bei dir oder auch bei anderen Menschen?«, frage ich neugierig.

Sie schaut auf. »O, guten Morgen. Ich habe dich gar nicht bemerkt, so vertieft war ich in das Buch. Die Rituale funktionieren nur bei mir und meinem Großvater. Andere Menschen haben die Gabe der Vorhersehung nicht. Warum fragst du?«

Ich nehme mir ohne zu fragen einen Apfel aus der Obstschale, die auf dem Tisch steht. »Ich brauche dein Können. Du bist die Einzige, die mir da helfen kann. Ich habe die Hoffnung nicht aufgegeben, dass ich doch noch jemanden finde, der so ist wie ich. Oder wie Widofnir. Deine Gabe ist ein Geschenk, mit ihr kannst du mir den richtigen Weg weisen«, weihe ich sie in meinen Plan ein, bevor ich in die Frucht beiße. Sie ist unangenehm sauer und ich verziehe das Gesicht, esse aber trotzdem weiter.

Hannah seufzt und ich glaube, dass sie wirklich in Betracht zieht, mir zu helfen. »Großvater hat gesagt, dass ich vorsichtig mit den Ritualen sein soll. Ich könnte damit gefährliche Dinge finden, denen ich nicht gewachsen bin. Du solltest aber mit Gefahren kein Problem haben, und als Orakel ist es ja meine Aufgabe, den Menschen zu helfen.«

Ich bin etwas erleichtert, dass sie so leicht zu überzeugen ist. Hätte sie nicht eingewilligt, dann hätte ich meine Pistole Überzeugungsarbeit leisten lassen müssen. »Super, dann lass uns keine Zeit verlieren. Je schneller wir das erledigen, desto eher kann ich aufbrechen und bin euch keine Last mehr«, dränge ich sie. Nicht, dass sie es sich doch noch anders überlegt.

Hannah facht das kleine Feuer, das in ihrem Kamin brennt, wieder an, hängt einen kleinen, mit Wasser gefüllten Kessel darüber auf und geht dann zu einer Wand, um eine hinter Tüchern versteckte Tür zu öffnen. Sie verlässt den Raum kurz und kommt dann mit verschiedenen Kräutern und Pflanzen zurück, die teilweise getrocknet und teilweise noch frisch sind. Ich erkenne keines dieser Gewächse wieder.

Während ich Hannah dabei beobachte, wie sie die verschiedensten Zutaten vorbereitet und in den Kessel gibt, bleibe ich sitzen und esse meinen Apfel fertig. Mich wurmt es irgendwie, dass ich auf sie angewiesen bin. Sie ist meistens freundlich, zuvorkommend, hat ein schönes kleines Haus, das gut aufgeräumt ist, und auch noch ein außergewöhnliches Talent. Ich würde mich wahrscheinlich schon bei dem Versuch Tee zu kochen vergiften, weil alle Kräuter für mich gleich aussehen.

»Wie lange brauchst du noch?«, frage ich ungeduldig.

Sie rührt gerade um. »Ich hab´s gleich«, antwortet sie und nimmt den Kessel vom Feuer. Sie schöpft eine Schale von der Brühe ab und setzt sich damit wieder auf ihren alten Platz.

»Aber bist du sicher, dass wir das tun sollen? Ich meine, es gibt doch sicherlich auch andere Mittel für dich, ein Ziel zu finden. Ich will dich nicht in Gefahr bringen.«

»Warum sollen wir jetzt noch einen Rückzieher machen? Das Zeug ist ja schon so gut wie fertig. Aber wenn du es nicht machen willst, dann versuche ich es eben. Du hast ja diese Gabe von Widofnir geerbt, der ebenso wie ich ein Einherjar gewesen ist. Vielleicht gibt es da ja einen Zusammenhang.«

Ich nehme die Schale, die noch vor Hannah steht. Die Flüssigkeit dampft, sieht aber nicht zu heiß aus. Ich halte kurz meinen Finger hinein, um die Temperatur zu überprüfen, und sie scheint trinkbar zu sein. Ich setze die Schale an meine Lippen, leere sie in nur einem Zug und stelle sie wieder auf den Tisch. Ein bitterer Nachgeschmack bleibt in meinem Mund zurück und ich spüre, wie Übelkeit in mir aufsteigt. Hannah starrt mich entsetzt an.

»Das war zum Inhalieren und nicht zum Trinken!«, klärt sie mich mit sorgenvollem Blick auf.

»Oh ...« Mehr kann ich nicht sagen. »Es wird schon nicht so ... schlimm sein.«

Ich weiß nicht einmal, ob ich diesen Satz noch über die Lippen bringe oder ihn mir nur denke, denn das Gesöff beginnt sofort seine Wirkung zu entfalten. Hannah sagt etwas, da ich sehe, wie sich ihre Lippen bewegen, aber ich kann sie nicht hören, denn ihre Stimme wird vom monotonen Pfeifen unzähliger unsichtbarer Flötenspieler überdeckt. Zu den akustischen Wahrnehmungsstörungen kommen nun auch noch optische hinzu. Vor meinen Augen beginnt es zu flimmern und mir völlig neue Farben erscheinen. Alles verschwimmt zu einer einheitlichen, bunten Masse, und ich fühle mich fast schon so, als ob ich gerade unsere Dimension verlassen hätte und mich in mir komplett unbekannten Sphären befände. Die Lichter und Farben tanzen zum Takt der Flöten, die noch immer nicht verstummt sind, sondern im Gegenteil immer lauter werden, und nehmen dann langsam wieder ihre eigentlichen Formen und Gestalten an. Ich kann nun erkennen, dass Hannah vor mir steht. Sie ist bunter als sonst und wirkt seltsam glasig. Sie redet auf mich ein, aber noch immer ist sie zu leise. Ich merke plötzlich, dass ich durch sie hindurch die Wand ihres Hauses sehen kann. Genauso durchsichtig sind auch alle anderen Gegenstände für mich. Ich schaue nach oben und kann neben einem großen, schwarz strahlenden Mond den Sternenhimmel erkennen. Dabei ist doch Tag und die Sonne sollte scheinen. Panik steigt in mir hoch, denn seit ich hinaufgesehen habe, scheint die Dunkelheit aus allen Ritzen und Löchern zu kriechen und mich verschlucken zu wollen.

Verängstigt stehe ich auf und suche nach etwas, das mich vor dem drohenden Untergang retten könnte. Ein Lichtpunkt in der Ferne schenkt mir Hoffnung. Ohne weiter nachzudenken, verlasse ich das Haus und renne auf das Licht zu, denn ich sehe keine andere Möglichkeit, mein Leben zu retten. Die Dunkelheit ist auch draußen überall, jedoch erkenne ich bei genauerer Betrachtung, dass ich nicht den Mond, sondern die Sonne sehe. Bis auf die Dunkelheit und den Lichtpunkt nehme ich nicht mehr viel von meinem Umfeld wahr. Ich traue mich auch nicht mehr stehen zu bleiben, da ich fürchte, dass die Dunkelheit sich dann vollends auf mich stürzen wird. Wenn meine Füße den Boden berühren, kann ich spüren, wie sie versucht mich festzuhalten. Ich renne einfach immer weiter.

Sollte nicht irgendwann einmal eine Stadtmauer kommen? Ich habe mir doch gerade eingebildet, sie vor mir gesehen zu haben. Mein Zeitgefühl spielt verrückt, aber da ich nun schon in der freien Natur bin und keine Häuser mehr sehe, muss ich das Dorf doch schon verlassen haben.

Ich drehe mich nicht um, sondern laufe immer weiter auf mein Ziel zu.



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Von:  -BloodyCross-
2012-06-19T14:35:34+00:00 19.06.2012 16:35
Ich liebe die Geschichte =D
I-wie mag ich Draug~
Gut gemacht, Uldred =D
Ich finde alles sehr gut beschrieben & es scheint auch so als hätte alles einen Aufbau und als würdest du dich wirklich dahinter setzen =D

LG Neko-Chan ;D
Von: abgemeldet
2012-06-10T20:39:55+00:00 10.06.2012 22:39
Ich muss gestehen das ich den Prolog normalerweiße immer überspringe da es meißt viel blabla ist und ich Aktion, Spannung und Infos haben möchte ^^
Bei dir hat es mir aber sehr viel Spass gemacht ihn zu lesen und man kriegt sofort Lust auf mehr und möchte weiter lesen! (was ich jetzt leider nicht kann da ich ins Bett muss XD)
Der Haupt-chara gefällt mir schonmal sehr gut! Ich ich freu mich darauf mehr von ihr zu erfahren :D

Von:  Otteron
2012-06-10T18:57:10+00:00 10.06.2012 20:57
Das war doch mal ein Kapitel mit vielen Überraschungen.
Nicht nur das Draug's alter Kollege & Kumpel Widofnir einiges interessantes über Fimbulvetr & den Anzug zu berichten hatte.
Oder das wir mehr über die Beziehung von Hannah & Gernot erfahren.
Nein Draug tritt sogar am ende des kapitels eine neue Reise an.
Nur ist diese Reise nicht ganz so wie sie es sich hätte jemals Vorstellen können.

Muss sagen das Draug's neue "Reise" sehr gut beschrieben ist & ich sehr gespannt bin wie sie weiter geht.
Von:  CarinaCaroCreations
2012-06-04T22:30:48+00:00 05.06.2012 00:30
Nun ! Mal zu meinen Fazit!

Die Geschichte wird immer lebendiger und man hat das gefühl mittendrinne zu sein !!!
Draug ist immer noch mein Fav-Chara! Naja Bei hannah bin ich sehr enttäuscht das sie sich auf einmal von ihrer hinterfotzigen Seite zeigt! Aber evtl. hat sie ja nur ihre Tage XDD
Ich denke jeder von den 3en hat was zu verheimlichen!und ich glaub es werden noch einige überraschungen kommen!

auf jeden fall ist dieses Kapitel , sehr spannend <3
Von:  Otteron
2012-06-04T22:01:09+00:00 05.06.2012 00:01
So kommen wir mal zur beurteilung:
Ich habe noch nie 15min meines Lebens so sehr vergeudet wie gerade eben.
& alles nur weil ich erstmal die Stelle wieder suchen musste wo ich heute früh auf gehört hatte & nebenbei immer wieder gestört wurde.
Aber nach diesen 15min hatte ich dann endlich wieder 15min super geile Unterhaltung in form eines Mega Kapitels.
& zwar nicht nur in sachen Umfang.

Draug wird immer menschlicher & geküsst, Hannah immer gemeiner & verzogener, Gernot is ein Frauenheld & von Florian wissen wir immer noch nicht viel mehr.
Aber immerhin hat Draug eine alte Basis gefunden & eine alte bekannte wieder getroffen mit der es noch sehr interessant werden kann, sie wird ja 100 pro noch min. einmal auftauchen.
Insgesamt ist zwar diesmal nicht viel passiert aber wenigstens konnte man diesmal wieder ein bisschen mehr über die einzelnen charas erfahren, was ja auch mal sein muss.
Von: abgemeldet
2012-05-28T19:20:29+00:00 28.05.2012 21:20
@2TagedieWoche: Ihr Gesicht ist komplett frei also kann sie dort ebenfalls einen Sonnenbrand bekommen. Ich fand es unnötig zu erklären, dass es nur ihr Gesicht betrifft da dies ja mehr oder weniger auf der Hand liegt.

Draug hat eine Abneigung gegen Granaten (wie sie selbst erklärt). Wenn Menschen mit etwas neuen Anfangen oder wenig Erfahrung in einem Gebiet haben und dann schlechte Erfahrungen machen halten sie sich gerne davon fern. (Ein Kind hat sich mal an einen Bubble Tea verschluckt und über Monate keine Nahrung mehr gegessen weil sie Angst vor dem Schlucken hatte. Da ist es bei Draug doch verständlich, wenn sie die Dinger nicht mag da sie dank einer in der Krankenstation lag)
Von:  2TageDieWoche
2012-05-28T11:32:28+00:00 28.05.2012 13:32
Mich verwirrt der Anzug. Einerseits bedeckt er ihren ganzen Körper, aber wie kommt es, das sie einen Sonnenbrand kriegt?
Außerdem verstehe ich Draug nicht ganz. Sie ist eine Soldatin (bzw. war) Hat in einigen Schlachten gekämpft und hat Angst vor einer Handkranate? sie scheint sehr erfahren im Kampf zu sein, aber manchmal kommt sie mir wie eine Anfängerin vor.

Hannah mag ich ganz gerne, auch wenn sie gerade mitten in der Pubertät steckt, aber das macht sie so natürlich^^
Von:  mad-lycan
2012-05-25T06:55:40+00:00 25.05.2012 08:55
XDDD you killed people!!

*sigh* you weren't really listening when grandpa told you stories about me, were you.
Von:  Otteron
2012-05-25T02:02:57+00:00 25.05.2012 04:02
Also ersma Lob an mexx das sie es geschafft haben das kapitel so schnell frei zu schalten. (auch wenn sie das wahrscheinlich nicht lesen werden. aber egal.)

Das Kapitel hat mir wieder mal sehr gefallen unter anderem weil es mal ein bisschen action gab.

Endlich wissen wir auch mal das draug wegen ihrem anzug so lange überleben konnte & der anzug einiges drauf zu haben scheint.
Man merkt diesmal auch sehr das draug eigentlich eher eine knallharte einzelkämpferin ist & sich mit "otto-normal" menschen kaum aus kennt.
dennoch scheint sie aber auch eine gefühlvolle seite zu haben weil sie sich sorgen um ihr äusseres macht & sich scheinbar zu gernot hin gezogen fühlt. Ausserdem scheint sie einige ängste zu haben mit dennen sie nicht so leicht fertig wird.

Hannah scheint etwas temperament voll & eigensinnig zu sein. sie will mehr essen obwohl nix da ist & regt sich darüber auf wie ein kind dem sein eis runter gefallen ist, bekommt aber gleich panik wenn es mal ernst wird & bringt somit alle in gefahr. & ob sie draug so richtig leiden bzw. akzeptieren kann ist mir auch noch ein rätsel.

Florian kann ich bis jetzt irgendwie noch nicht so richtig leiden der hat hier mal wieder zu sehr anführer gespielt.

Gernot is für mich irgendwie noch bissl schwer einzuschätzen, manchmal ist er der große bruder & manchmal eher der strenge vater.

Aber vor allem interessiert mich was das für männer waren auf die sie getroffen sind. die waren ja scheinbar ziemlich gut ausgerüstet & hatten ein fahrzeug das bis vor kurzem funktioniert hat. Ich könnte mir ja vorstellen das sie auf der suche nach draug waren aber wer weiß lassen wir uns einfach überraschen & freuen uns aufs nächste kapitel.



Von:  CarinaCaroCreations
2012-05-19T18:04:12+00:00 19.05.2012 20:04
Ich muss dich loben!
Das Kapitel ist sehr shr geil geworden!!!! Vor allem mit ihrem Besuch in der verseuchten Region und der riesen großen Mücke XD
Am besten finde ich , was für eine strahlenkraft die seuche in der nacht hat XD (schön hell)
Die Seuche , hat anscheinend sehr großen schaden angerichtet!
Wie ich gelesen habe, gibt es einige unbefleckte orte wo sich"die farbe" nicht breitmachen konnte! Ich frage mich woran das liegen mag!
Ich bin auf jden fall sehr gespannt auf das nächste kapitel und freue mich noch viel mehr bald ein Exemplar in meinen Händen zu halten *,*

*fühl dich geknuddelt*



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