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Weißdorn und Birke

von

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Kapitel 1

Luise von Laub war eine so überaus beliebte und hübsche junge Frau, dass niemand auch nur im Entferntesten daran gedacht hätte, sie stände in irgendeiner Art und Weise mit untugendhaften oder gar dunklen Mächten in Verbindung. Tatsächlich hätte jeder mit dem man gesprochen hätte mit vollster Überzeugung verneint, dass die junge Frau des Grafen von Laub den üblichen Normen der Gesellschaft abgewichen wäre. Der Zufall wollte es nun, dass gerade Luise, die in der Stadt wegen ihres sonnigen Gemüts und ihrer fröhlichen und frischen Art so geschätzt wurde, den Normen in jeder nur erdenklichen Art und Weise widersprach. Denn Luise war eine Hexe.

Zu dieser Zeit galten Hexen und Schwarzmagier als die gefährlichsten Personen, die das Land bewohnten und schon als kleines Kind bekam man erklärt, wieso diese Wesen so grauenhaft und abscheulich waren. Man sollte sie ja meiden, denn Hexen verachteten nicht nur die Regeln und Gebote der heiligen Kirche; sie sahen auch die Kurfürsten nicht als ihre Herren an und - schlimmer noch - sie betrieben ihre unheilvollen Zauber und Tränke mit dem sündenhaften Lebenssaft Blut. In wilden Orgien huldigten diese Frauen fremden Göttern; lebten allein im Wald neben Bären und Wölfen und verdienten ihren Lebensunterhalt, indem sie schwachen Herzen ihre sündenhaften Wünsche erfüllten oder Zigeuner mit neuem Diebeswerkzeug ausstatteten. Niemals sollte man als ehrenwerter Bürger auch nur in die Nähe solcher Gestalten kommen, die Stadtwache und Kirche gleichermaßen suchten und bestraften.

Fast drei Kriege hatten diese Wesen der Bevölkerung bereits beschert. Darüber hinaus hatten die Hexen natürlich überall ihre schmutzigen Finger im Spiel, liebten sie es doch anderen Menschen Kummer und Ärger zu bereiten. In der Tat war es geradezu eine Tatsache, dass hinter sämtlichen Katastrophen der Menschheit diese Sünderinnen steckten. So auch an der Mordserie, die vor Kurzem erst die Stadt in Angst und Schrecken versetzt hatte. Lediglich die heilige Kirche vermochte es noch diese Gestalten im Zaum zu halten und zu bändigen. Und natürlich wurden bereits Schritte eingeleitet, um diesen Morden ein Ende zu bereiten und das Hexenwerk dahinter zu überführen. Grauenhafte Morde waren das im Übrigen. Alle mit unglaublicher Gewalt und Brutalität ausgeführt. Gebrochene Schädel, zerstochene Körper, erwürgte Hälse. Die Leichen waren jedes Mal in einem solch grauenhaften Zustand gewesen, dass selbst die Stadtwache erst den Tatort untersuchte, als die Opfer mit Tüchern zugedeckt wurden. Erst wenige Tage vor dem Abend an dem diese Geschichte beginnt, wurde das insgesamt fünfte Opfer, die allseits bekannte Lady Ur, erwürgt in einer Seitengasse entdeckt. Ebenfalls erwähnenswert wäre vielleicht die Tatsache, dass allen Opfern ein merkwürdiges Symbol in den Bauch geritzt worden war. Kein Zweifel also, dass auch die schöne Lady zum Opfer eines teuflischen Hexenrituals geworden war.

An jenem Abend verließ Luise gerade den alljährlichen Frühlingsball der Stadt Vigor. Vigor war zwar nicht die Hauptstadt des Landes, doch dank seiner fabelhaften zentralen Lage war die Stadt schon früh zum Mekka für Geistliche, Händler, Alchimisten und allerlei Gesindel geworden. Anders als die Hauptstadt war Vigor recht schmutzig und überfüllt. Die Häuser wirkten wahllos innerhalb der Stadtmauers zerstreut. Überall ragten unpassende Gebäude aus dem Wirrwarr der Dächer hervor. Goldene Klosterkuppeln erschienen in Mitten des schmutzigen Rauchs der Gasthäuser im Provinzviertel, auf den großen Händlerplätzen standen die merkwürdigsten Skulpturen verschiedenster Persönlichkeiten und das imposante Gebäude der hiesigen Bibliothek konnte man hinter den gewaltigen Lagerhäusern des Hafenviertel kaum noch erkennen.

Gleich neben dem Hafenviertel, in dem nobleren Teil der Stadt, trat Luise gerade aus einer großen Eichentür heraus und schritt eine große, steinerne Treppe hinunter. Luise war klein und zierlich. Ihren schmalen Körper umgaben ein Kleid aus smaragdgrünem Stoff und ein schwarzer Pelzmantel mit kleinen, silbernen Knöpfen, den sie nun enger um sich schlang. Hinter ihrer blonden Lockenpracht glitzerten Perlohrringe. Luises Gesicht war schmal und von feinen Zügen. Ihre Nase war klein und spitz, die Haut ein wenig blass und über den klaren, grünen Augen lagen lange, dunkle Wimpern. Ihre Stiefel klackerten auf dem steinernen Boden, als sie rasch die Straße hinunter ging und in eine etwas engere Seitenstraße einbog. Sie hatte es eilig. Sie wollte zu Hause ankommen, ehe ihr Gatte Geert von Laub die Feier ebenfalls verließ. Die junge Frau hatte mittlerweile eine große Villa erreicht. Rasch öffnete sie das kleine Tor und schritt einen gepflasterten Weg entlang zur Haustür. Ihr wurde geöffnet; mit einem charmanten Lächeln schwärmte sie dem Butler ihres Mannes von der Feier vor, dann tippelte die die Treppe in den oberen Stock empor. Der Flur hier war mit einer blass grünen Tapete geschmückt. Luise ging zu einer Tür am Ende des Ganges, einer schweren Tür aus dunklem Holz und drückte die bronzene Klinke herunter. Dann betrat sie das Zimmer.

An dieser Stelle wäre zu erwähnen, dass Luise zu diesem Zeitpunkt noch durchaus davon ausging, dass das Zimmer, welches sie soeben betreten hatte, leer sei. Tatsächlich war dem aber nicht so. So war es weiter nicht verwunderlich, dass Luise vor Schreck ihre Tasche fallen ließ und mit erschrockenem Gesicht herum wirbelte, als sie aus der Ecke des Zimmers eine Stimme vernahm.

„Du hast aber lange gebraucht. Wie viele Gläser Sekt hast du getrunken?“

Glücklicherweise kannte Luise diese Stimme und ließ sich erleichtert auf einen großen lachsfarbenen Sessel in der Ecke plumpsen.

„Du bist es…“

Das Licht wurde angeknipst. In der hinteren Ecke des Raumes stand eine junge Frau, ein wenig älter als Luise selbst. Sie trug einen langen schwarzen Mantel aus Samt der vorne von einer silbernen Schnalle mit merkwürdigen Symbolen zusammen gehalten wurde. Hätte die Person die Kapuze aufgezogen, so wäre ihr Gesicht gänzlich im Schatten des Stoffes verschwunden. Doch das hatte sie nicht. So konnte man nun ein feines, spitzes Gesicht erkennen, dem von Luise nicht unähnlich nur deutlich blasser. Die Nase war spitz, ebenso das Kinn. Die Augen der Frau waren groß und dunkel und betrachteten die erschreckte Luise schelmisch. Ihr Haar war lang und dunkelbraun und es kräuselte sich an den Spitzen. Die Frau war äußerst hübsch, doch je länger man sie betrachtete desto mehr bekam man das Gefühl das etwas an ihr nicht stimmte. Es war als würde man ein schönes Gemälde oder eine Skulptur betrachten, bei dem man trotz aller realitätsnähe immer doch genau wusste, dass es nicht echt war. Die Frau begann erneut zu sprechen. Ihre Stimme war relativ dunkel für eine Frauenstimme und sie sprach gedehnt, ganz als ob sie die ganze Angelegenheit furchtbar nerven würde.

„Schön dass du zumindest deine eigene Schwester erkennst.“

Ohne auch nur einen Blick auf Luise zu werfen setze sie sich ihr gegenüber auf einen Stuhl.

„Also?“, fragte sie, als ob Luise genau wissen würde von was die sprach. Der Name der Frau war übrigens Maria.

„Also was?“ Langsam kehrte die Farbe in Luise Gesicht zurück. Dabei war es keineswegs das erste Mal, dass ihre Schwester einfach so in ihr Haus einbrach. Luise hatte an sich damit auch kein wirkliches Problem, doch fürchtete sie ihr Mann könnte heimkommen, noch ehe Maria verschwunden war.

„Hör zu, Geert könnte jeden Augenblick kommen und…“

„Ach Papperlapapp! Bis der hier ankommt bin ich längst weg.“

Maria schlug die Beine übereinander zu sah mit einem frechen Grinsen zu ihrer jüngeren Schwester.

„Jetzt komm schon…was hast du für mich? Was hast du erfahren?“

Luise zögerte. Dann mit einem kleinen Seufzer begann sie zu sprechen.

„Naja, zuerst war es relativ öde. Lady Azur ist mir andauernd hinterher gelaufen um mir den neusten Klatsch zu erzählen. Es dauerte etwas sie los zu werden. Richter Boretsch war ebenfalls da.“

Marias Augen, die während Luise sprach ruhig auf ihr gelegen hatten, verengten sich leicht.

„Und?“

„Das Übliche. Hat seine Verschwörungstheorien jedem kund getan, egal ob er es hören wollte oder nicht. Er war sehr aufgebracht. Der Bürgermeister muss fast ausgeflippt sein, als die Leiche von Samira Uz vorgestern gefunden wurde.“

Sie machte eine kleine Pause. Draußen hörte man eine Kutsche vorbei fahren.

„Außerdem war er wütend wegen diesem Priester den der Bürgermeister hat herkommen lassen. Meinte das wäre unnötig.“

Maria lachte auf.

„Aber natürlich! Hast du diesen Priester auch getroffen?“

Luise nickte.

„Ja habe ich. Joshua Birk. Ein süßes Kerlchen. Hatte was von einem verschreckten Reh. Und hat sich gleich mit Boretsch angelegt.“

„Wie das?“

„Naja…“ Luise machte eine Pause. Sie war an den Punkt ihrer Erzählung angelangt wegen dem sie so eilig nach Hause gekehrt war, mit dem Vorhaben ihrer Schwester direkt einen Brief zu schreiben. Was ja denn überflüssig geworden war.

„Naja, er meinte, Boretsch würde falsch liegen, wenn er als Mörder die Hexen verdächtigte.“

Maria runzelte die Stirn.

„Tatsächlich?“

„Ja! Er meinte die Symbole auf den Leichen wären keine Hexenrunen und vor allem hätten die Hexen keinerlei Motive für die Tat.“

Ein sarkastisches Lachen.

„Seit wann brauchen wir denn irgendwelche Motive für etwas? Und was hat Boretsch darauf erwidert?“

„Gar nichts. Er hat ihn nur angesehen wie eine Kakerlake und ist abgerauscht.“

Damit war ihre Erzählung vorbei. Luise saß ruhig da und betrachtete ihre Schwester. Sie wirkte nachdenklich.

„Was hast du jetzt vor?“

Maria antwortete nicht sofort.

„Ich weiß es noch nicht…allerdings würde ich mir diesen Geistlichen gerne einmal näher ansehen. Wie sah er eigentlich aus?“

Luise musste kurz überlegen.

„Rötliche Haare, junges Gesicht, braune Augen. Ein sehr nervöser junger Mann. Freundlich aber kindlich. Er wohnt in im Gasthaus zur Kornblume.“

Maria schwieg. Er blick verriet das sie mit den Gedanken weit weg war, vielleicht eine entfernte Erinnerung, vielleicht ein flüchtiger Gedanke. Dann erhob sie sich überraschend.

„Ich muss gehen. Danke für die Informationen.“

Sie Schritt zum Fenster. Luise erhob sich ebenfalls.

„Warte mal, was willst du denn jetzt…“, doch Maria unterbrach sie.

„Weiß ich noch nicht genau, aber mach dir mal keine Sorgen. Eventuell könnte dieser Kerl die Lösung unseres Problem sein.“ Sie grinste und zog sich die Kapuze auf.

Von unten hörte man eine Tür klappern. Luise drehte sich um und als sie wieder zu Fenster blickte war Maria verschwunden.

Einige Minuten später betrat ihr Mann Geert den Raum. Er gab seiner Frau einen Kuss auf die Wange und erzählte ausgiebig vom restlichen Abend. Luise lächelte ihren Mann an, hörte ihm zu, nickte an den passenden Stellen und tief ab und zu: „Nein!“ oder „Tatsächlich?“. Doch eigentlich nahm sie keines seiner Worte wirklich auf. Mit ihren Gedanken war sie weit weg, bei den Geschehnissen der letzten Tage und denen die vermutlich noch kommen würden. Und sie hatte das ungute Gefühl das ihre Schwester maßgeblich an allem beteiligt sein würde.

Wie sehr sie damit doch recht lag.

Eigentlich beginnt die Geschichte lange vor diesem Gespräch zwischen Luise und Maria. Genau genommen beginnt sie vor knapp 33 Jahren mit einer Frau namens Seiren. Seiren war nicht nur eine überdurschnittlich hübsche junge Frau (zu Beginn der relevanten Erzählungen war sie gerade 22), sie war auch noch eine überaus talentierte junge Hexe. In ihrer Sippschaft war sie bereits mit 17 Jahren überall bekannt. Seiren und ihre Schwester Thekla stammten aus einem Nebenzweig einer der großen drei Hexenfamilien. Während der Hauptzweig während des ersten Inquisitionskrieges versiegt war blühte durch Seiren das alte Blut der Hexen erneut auf. Sie war eine Elementaristin, was bedeutet, dass sie eines der Elemente beherrschte. Wie alle Hexen steckte diese alte Magie, die seit der Geburt dieser Welt existierte, in ihrem Blut und es erlaubte ihr Eis und Schnee zu erschaffen und zu kontrollieren.

Seiren war eine groß gewachsene, schlanke Person mit schulterlangem dunkelbraunem Haar. Ihr Gesicht hatte feine, spitze Züge und ihre Augen waren groß und dunkel. Hinter ihrem Haar verbargen sich stets große Ohrringe aus bunten Kristallen und Edelsteinen. Ihre Kleidung war auffallend und aus meist roten oder purpurnen Stoffen gefertigt. Überhaupt alles an Seiren, von ihrer Kleidung bis zu ihrem Charakter und ihrem Kampfstil, schien darauf ausgelegt zu sein Eindruck zu schinden. Viele Jahre später sollte ihr diese Angewohnheit zum Verhängnis werden.

Seiren hatte noch eine Schwester, zwei Jahre älter als sie mit dem Namen Thekla. Die Mutter der beiden war kurz nach der Geburt Seirens an einer Krankheit gestorben. Wer der Vater war, war wie bei Hexen so üblich, unbekannt. Thekla und Seiren ähnelten sich weder äußerlich noch charakterlich. Thekla war von außen eher unscheinbar: etwas kleiner als ihre Schwester, mit strohblonden, langen Haaren und einem freundlichen, rundem Gesicht. Ihre Augen waren ebenfalls dunkel und saßen hinter einer grünlichen Brille mit runden Gläsern. Schmuck zog sie so gut wie nie an. Thekla bevorzugte auch eher kühlere Farben als ihre Schwester und so kam es das sie neben der auffallend hübschen Schwester meist übersehen wurde. Allerdings kümmerte Thekla das wenig. Sie war eine Vodoo-Hexe und damit eine der wichtigsten Herstellerinnen magischer Hilfsmittel. Überhaupt waren die wichtigen magischen Gegenstände dieser Zeit, die die in Geschichten vorkamen und einige Menschen zu Helden machten, fast ausnahmslos von Hexen gefertigt. Zwar verfügte sie nicht über solch große magische Kräfte wie Seiren, doch war sie dafür mit einem überaus klugen Geist gesegnet worden. Allerdings blieb auch das neben den Künsten der Schwester meist eher im Schatten.

Die wichtigen Ereignisse dieser Geschichte passierten kurz nach Seirens 22sten Geburtstag. Zu dieser Zeit herrschte im Land der zweite große Inquisitionskrieg. Auf den Seiten der Menschen nannte man diesen Krieg oft einfach geistlichen Feldzug, die Hexen hingegen nannten ihn offen Krieg. Es begann stets mit der Ernennung eines neuen Bischofs in irgendeinem wichtigen Teil des Landes. Wenn dieser neue Bischof dann verkündete, er würde den Gräueltaten der Hexen endlich Einhalt gebiete, dann war meist klar, dass dies in einem Krieg enden würde. Denn leider sahen die wenigsten Hexen tatenlos dabei zu, wie unzählige Mitglieder ihrer Gemeinschaft auf Massenhinrichtungen verbrannt wurden. An dieser Stelle sollte kurz hinzugefügt werden, dass von zehn verbrannten Frauen meist nur eine davon eine Hexe war. Der Rest sei den Mathematikern überlassen. Auch das oftmals unkontrollierte abbrennen der Wälder oder die zahlreichen Kontrollen in Händlervierteln und Straßen sorgten dafür, dass die Hexen bald ebenfalls begannen zurück zu schlagen. Bereits vor 200 Jahren hatte es solch einen Krieg gegeben. Wirklich geendet hatte er damals nicht, nur waren nach 12 Jahren Krieg auf beiden Seiten nicht mehr genug kampffähige Personen anwesend, und die Kämpfe versiegten mit der Zeit. Aber vor 35 Jahren hatte es erneut ein Bischof darauf angelegt die Hexen auszurotten und sämtliche Fürstentümer waren begeistert bei der Sache gewesen. Als Seiren also 22 Jahre alt war herrschte bereits seit zwei Jahren Krieg. Natürlich durfte man sich das nicht wie herkömmliche Kriege vorstellen. Offene Schlachten, Mann gegen Frau, gab es eher selten. Viel mehr wurden auf Seiten der Kirche zahlreiche Frauen gefangengenommen, gefoltert und verbrannt, während auf Seiten der Hexen zahlreiche Persönlichkeiten vergiftet wurden, Waffenkammern zerstört und alle Arten an Naturkatastrophen auf die Menschheit gehetzt wurden. Und vor allem Seiren war an Letzterem beteiligt gewesen.

„Irgendwann bringst du dich um“

Thekla stellte einen Becher mit einer goldenen, zähen Flüssigkeit auf den Tisch. Seiren, die gelangweilt auf einem Stuhl saß und den Kopf aufgestützt hatte nahm den Becher entgegen. Sie nahm einen großen Schluck, verzog das Gesicht und sah zu ihrer Schwester.

„Jetzt mach nicht wieder so ein Drama. Ist doch alles glatt gelaufen.“

„Glatt gelaufen? Wieso hängst du eigentlich nicht gleich Plakate auf, mit einem Bild und deiner Anschrift?“

Seiren seufzte. Sie warf ihrer Schwester einen genervten Blick. Offensichtlich wurde dieses Gespräch des Öfteren geführt. Mit gedehnter Stimme meinte sie:“Du bist so langweilig, Thekla. Und vor allem paranoid. Denkst du wirklich diese Schwachköpfe aus der Kirche kriegen auch nur ansatzweise irgendetwas auf die Reihe?“ Sie lachte. Es war ein überhebliches Lachen. Thekla hatte begonnen einen Stapel dreckiges Geschirr zu spülen. Währen das Wasser in das bronzene Spülbecken lief drehte sie sich erneut um und sah ihre Schwester ernst an. Sie hasste es wenn Seiren sie so von oben herab behandelte. „Jetzt nimm das was ich sage doch zumindest mal kurz ernst! Wirklich! Dein Name ist viel zu bekannt, es sind überall Steckbriefe von dir zu finden. Irgendwann erwischt man dich bei einer deiner komischen Aktionen und…“ Doch sie wurde unterbrochen.

„Komische Aktion? Dir mag es nicht aufgefallen sein, Schätzchen, aber wir sind im Krieg. Meine Aktionen dienen dem Allgemeinwohl unserer Gemeinschaft!“

Anscheinend war Thekla da anderer Ansicht.

„Allgemeinwohl? Du bist einfach Skandalgeil, das ist alles.“

Langsam geriet das ganze aus den Fugen. Seiren hatte den Kopf erhoben und saß mit überkreuzten Beinen auf dem Stuhl. Zorn stand in ihren Augen. Die nächsten Worte zischte sie ihrer Schwester regelrecht entgegen:“Ach ja? Nun zumindest ist jede Aktion von mir mindestens dreimal so viel wert wie alles was du jemals auf die Reihe bekommen hast. Und genau aus diesem Grund werde ich auch nächstes Jahr in den Rat gewählt werden.“ Thekla wurde bleich. Sie öffnete den Mund, wollte ihre Schwester anschreien, ihrer Wut und Entrüstung freien Lauf lassen. Doch sie tat es nicht. Wie immer schloss sie den Mund, senkte den Blick. Sie schämte sich. Warum wusste sie selbst nicht, doch sie tat es. Sie war doch ihre einzige Schwester, die einzige Verwandte. Und auch wenn sie sie für Seiren nur eine Nebenrolle war, so bedeute sie ihr doch alles.

„Glaubst du? Ich weiß ja nicht…“, antwortete sie mit brüchiger Stimme und begann langsam das Geschirr zu säubern. „Samantha hat vier Töchter. Und Circes Tochter hat in ihrer Prüfung die besten Ergebnisse dieses Jahres erzielt.“ Sie schwieg. Auch Seiren erwiderte nichts, doch spielte sie nervös mit einer ihrer Haarsträhnen. Sie ahnte was nun kommen würde.

„Und beide sind begabte Hexen und um einiges älter als du…“, fuhr Thekla vorsichtig fort. „Wenn…du schwanger wärst sähen deine Chancen besser aus.“ Nun war es raus. Seiren wirkte wenig begeistert. Sie verzog das Gesicht. Kinder! Schwanger werden, Töchter bekommen…das war keine private Angelegenheit in der Gemeinschaft der Hexen, sondern eine Pflicht. Bis auf wenige Ausnahmen hatten Hexen möglichst früh, möglichst viele Töchter zu bekommen. Wie die Bezeichnung ja schon vermuten ließ waren Hexen ausnahmslos weiblich. In der Geschichte gab es bisher nur einige wenige Ausnahmen in denen Hexer zugelassen wurden. Ansonsten wurden nur Hexen akzeptiert. Das hing damit zusammen dass die magischen Kräfte im Blut der Hexen fast nur an weibliche Nachkommen vererbt wurden. Für die Sippe konnte es also auch nur weibliche Hexen geben die auch magische Kräfte besaßen. Kamen doch Söhne auf die Welt wurden sie in den meisten Fällen dem Vater überlassen oder ins Waisenhaus gegeben. Die wenigsten Hexen hatten Zeit und Lust sich um einen Sohn zu kümmern…wäre ja auch eine reine Zeitverschwendung. Immerhin war doch allgemein bekannt wie unbrauchbar und beschränkt das männliche Geschlecht doch war. Sicher gab es auch für sie Bedarf, allerdings nicht auf Dauer. Somit erklärt es sich auch von selbst dass kaum eine Hexe verheiratet war und nur wenige eine feste Beziehung hatten. Seiren jedenfalls war nun durchaus in dem Alter, in dem man erwarten durfte dass sie zumindest eine Tochter zur Welt brachte. Hexen mit Töchtern, und vor allem mit mehreren, waren in der Gemeinschaft höher angesehen. Und vor allem jetzt im Krieg, da viele Hexen getötet worden waren, war es wichtig das Neue geboren wurden, sonst lief man Gefahr auszusterben. Seiren wusste das. Und sie wusste dass ihre Chancen auf einen Platz im Rat höher stehen würden, wenn sie schwanger wäre oder gar eine Tochter bekommen wurde. Nun war es aber so dass sie Kinder nicht sonderlich mochte. Auch würde sie ein Baby bei ihrem momentanen Lebensstil nur behindern. Dabei war sie doch so viel nützlich ohne Kind! Natürlich könnte Thekla sich um das Kind kümmern, sie war schließlich eine Ausbilderin und darauf geschult junge Hexen zu behüten und auszubilden…aber nervend war die Angelegenheit dennoch. Doch würde sie wohl nicht um eine Schwangerschaft herum kommen.

Einige Wochen später traf Pep, der Sohn des hiesigen Großbauers einer kleinen Stadt in der Nähe der Wälder, auf eine unbekannte junge Frau. Pep war groß und muskelös, dunkelhaarig mit kleinen Augen, die stets etwas verdutzt drein sahen. Er war weder besonders schön, noch sonderlich hässlich. Seine Intelligenz reichte für die Arbeit auf dem Hof aus. Die Leute im Dorf mochten ihn. Die Frau lud ihn zu einem Glas Wein ein. Am nächsten Tag wachte er mit einem Kater und ohne jegliche Bekleidung im Stroh der anliegenden Scheune auf.

Neun Monate später kam Seirens erste Tochter zur Welt, Morla.

Kapitel 4

Joshua Birk war ein überaus verantwortungsbewusster, freundlicher und wohlerzogener junger Mann. Stets höflich, besonnen und mit einem offenen Lächeln begegnete er so gut wie jedermann. Kurz: er war absolut langweilig. War jemand nicht zumindest ähnlich wie er, so ergriffen sie nach höchstens einer Stunde mit ihm die Flucht, um nicht den qualvollen Tod der Langeweile zu sterben. Nie hatte der junge Mann bewusst eine Regel verletzt, vermutlich sogar noch niemals unbewusst. Seine Gesprächsthemen enthielten niemals Klatsch oder Gerüchte, niemals möglicherweise kritische Themen und selbst wenn er etwas Interessantes zu berichten hatte, so verlor er sich dermaßen in  Details und der korrekten Ausdrucksweise, dass niemand ihm länger als zehn Minuten zu hören wollte. Joshua fiel das, in seinem grenzenlosen Optimismus und seiner naiven Art die Dinge zu sehen, natürlich nicht auf. Der Grund, warum er in diese Geschichte überhaupt verwickelt war, war das er einer der wenigen Menschen des Landes waren die über wirkliche, neue medizinische Kenntnisse verfügte.
 

Joshua wuchs größtenteils in einem Kloster auf. Sein Vater war früh gestorben und seine Mutter hatte Jahrelang damit zu kämpfen gehabt, sich selbst und ihren Sohn mit dem mickrigen Gehalt einer Weberin durchzufüttern. Schließlich verließen sie ihren kleinen Heimatort und die Mutter gab ihren damals fünfjährigen Sohn in die Obhut eines Klosters, nahe der Berge. Die 50 Silberlinge die sie dafür bekam waren natürlich durchaus kein negatives Argument für diese Entscheidung gewesen, doch musste man gerechtigkeitshalber sagen, dass das Kind in dem Kloster die besten Überlebenschancen hatte. Die Mutter selbst zog einige Kilometer entfernt in einen kleinen Ort, wo sie vier Jahre später an einer Lungenkrankheit verstarb. Joshua blieb im Kloster, hatte zu Essen und zu Trinken, sowie eine kleine Schlafkoje, lernte Lesen und Schreiben und wurde streng nach den Moralvorstellungen der Kirche und der Gesellschaft erzogen. An sich hätte Joshua also heute ein Mann ganz nach den Vorstellungen der Kirche und der Gesellschaft sein müssen. Dummerweise hatte der Junge vor seinem Eintritt in das Kloster bereits Erfahrungen gemacht die ihm das Kloster nicht mehr nehmen konnte. Und diese Erfahrungen sollte er sein Leben lang  nicht mehr vergessen und prägten einen Teil seines Charakters bis heute.
 

An dieser Stelle sollten vielleicht ein paar Worte zum Thema Religion gesagt werden. Wie eigentlich überall auf der Welt war Religion ein kritisches Thema. Gerne mal wurden Gruppen, die der eigenen religiösen Meinung  nicht zustimmen, ab gemeuchelt. Auf der anderen Seite war natürlich nichts einfacher als einen Menschen auf die Palme zu bringen indem man seine Religion beleidigte.  In diesem Fall hatte die Kirche schon immer eine starke Position im Land gehabt. Die drei großen Fürsten holten sich ständig Rat beim aktuellen Bischof der hiesigen Kirche und die Menschen gingen teilweise häufiger in die Messe als auf die Toilette. Der höchste Gott war der stolze Adalmar, der Erschaffer der Welt. Ihm zur Seite standen seine Frau Berschta und ihr Sohn Ekwin. Zusammen bildeten die drei Götter die Triade, das Göttliche. Wir wollen uns nicht groß an der Religion aufhalten lassen, daher nur ein paar Worte zu den drei Göttern. Natürlich war Adalmar der höchste der Dreien, denn er war ein Mann und erschuf die Welt in der unsere Geschichte spielt. Er regierte die Anderswelt, in die die reinen Seelen nach ihrem Tod gelangten. Das Schicksal eines Menschen hing von seiner Gunst ab. Man war sich sicher, dass er seine Geschöpfe liebte (außer jenen natürlich die sich von ihm abgewandt hatten), doch war er auch streng und zielstrebig. Seine Frau Berschta war von dem Geschlecht der Geister, die die Welt bevölkerten, und eine gütige und weise Frau. Sie stand ihrem Mann zur Seite und war ihm absolut loyal und treu ergeben. Ihr Sohn war Erkwin, der Stolze. Mit der Kraft des Vaters und den magischen Kräften der Mutter gesegnet beherrschte er das Feuer und soll bis zum heutigen Tage im Kampf ungeschlagen sein. Das Symbol der Triade war ein Dreieck, mit der spitze nach unten, deren Ecken aus drei Runen bestand: den Runen für Stärke, Klugheit und Liebe.

So viel also zu den religiösen Vorstellungen.
 

An diesem Morgen stand Joshua in seiner kleinen Stube im Wirtshaus „Zur Kornblume“. Er war aufgeregt. Wie immer, seit er in diese Stadt gekommen war. Schließlich sollte er helfen, der Mordserie, die die Stadt in Angst und Schrecken versetzte, ein Ende zu bereiten. Man konnte ihn also praktisch als letzte, verzweifelte Lösung des Bürgermeisters erklären. Vor knapp einem Monat war der Erste von fünf Morden geschehen. Der Sohn eines bekannten Adligen der Stadt. Erstochen auf dem Marktplatz. Kein schönes Bild musste man sagen. In seinen Arm hatte man eine unbekannte Rune geritzt.
 

Keine zehn Tage später der zweite Mord. Die alte Lady Cope. Eine der ältesten Damen der Stadt. Erwürgt vor der eigenen Haustür, am frühen Morgen aufgefunden worden.

Dann die Nummer drei. Die wohlbehütete Tochter Josefina von Buxus war mit zertrümmertem Schädel im Rotlichtviertel aufgefunden worden.

Dann vor knapp einer Woche Lord Georg. Er wurde ebenfalls erschlagen in seinem Garten entdeckt. Das Zimmermädchen, welches ihn gefunden hatte, war bisher nicht ansprechbar gewesen.

Und schließlich der Mord an Lady Uz, vorgestern.

Alle Personen waren aus der Oberschicht, alle weitestgehend beliebt oder zumindest bekannt. Die Jüngeren waren alle ausgesprochen hübsch gewesen, gerade ins heiratsfähige Alter gekommen.

Man fand keine Spur, keine wirklich Zeugen.

Es gab schlichtweg nichts.
 

Nichts bis auf die Leichen, mit denen aber die Meisten nicht viel anfangen konnten. Alle bis auf die wenigen ausgebildeten Ärzte des Klosters Sandorra, zu denen Joshua zählte. Denn dieses Kloster hatte sich seit je her auf die Medizin und das Heilen spezialisiert. Neue Impulse in diesem Bereich kamen fast ausschließlich aus Sandorra. So auch die neuste Methode Leichen zu untersuchen, bei uns bekannt auch unter der Autopsie. Da es, wie erwähnt, keine Zeugen oder Beweise gab, außer den Toten selbst, hatte man Joshua kommen lassen. Eine mehr als wichtige Aufgabe für den jungen Mann, gerade 23 Jahre alt geworden. An diesem Morgen stand er in seinem kleinen Räumchen im Gasthaus ‚Kornblume‘. Bis auf die vorher schon vorhandene Einrichtung standen in dem Zimmer nur eine etwas ramponierte, lederne Tasche und ein kleiner Stoffsack. In der ledernen Tasche lagen eigenartige, metallene Instrumente, Flaschen mit Pulvern und Flüssigkeiten in bunten Farben, Verbände, sowie ein dickes Handbuch. Also alles was er für  seine Arbeit benötigen würde. In dem Sack lag alles andere was er benötigte. Also Kleidung und persönliche Gegenstände. Alles in allem war seine Habe recht übersichtlich. Zwei paar Hosen, beige und lang, zwei weiße Hemden, langärmlich und mit befestigten Kutten. Dazu eine kupferne Kette die das Zeichen der Triade zeigte und ein einziges Paar alter Schuhe. Drei dicke Wälzer waren in dem Sack, die mit einem ledernen Band zusammengehalten wurden. Dazu noch ein kleiner Lappen, eine Bürste und ein Stück Kernseife. Seinen Proviant hatte er auf dem Weg nach Vigor bereits verzerrt. Und das war alles was der junge Mann besaß. Nun ja, natürlich hatte er noch einen ledernen Beutel, in dem er sein Geld aufbewahrte. Und ein geblümtes Taschentuch, als Andenken an die schon lange verstorbene Mutter. Doch das war dann auch wirklich alles. Priester sollten allem Weltlichen ja eher abgeneigt bleiben.
 

Im Moment stand Joshua gerade vor einem kleinen Spiegel und versuchte mit der Hand sein rotes Haar zu bändigen. Rote Haare waren in diesem Land schon lange kein Zeichen für Hexerei mehr, ungewöhnlich blieb es trotzdem. Aus dem etwas schmutzigen Spiegeln schaute ihn ein ovales, freundliches Gesicht an, dass deutlich jünger aussah, als er eigentlich war, fast noch kindlich. Unter dem roten, weit abstehenden rostbraunen Haar sahen freundliche nussbraune Augen aus dem Spiegel heraus. Die Nase war klein und früher zierten Sommersprossen sein Gesicht. Er war blass und seine Augen sahen ein klein wenig müde aus. Der Mund war schmal, die Wangen aber rosig, die Ohren standen etwas ab. Er war mittelgroß und schlank, weit davon entfernt muskulös zu sein, aber immerhin sah er gepflegt aus, was zu dieser Zeit keine Selbstverständlichkeit war. Allerdings lächelte sein Spiegelbild nicht, so wie es das sonst immer tat, sondern wirkte besorgt. Eine neue Leiche war aufgetaucht und er musste sich diese ansehen. Keine schöne Aufgabe, noch dazu stand er unter Druck. Denn streng genommen war dies sein erster praktischer Auftrag. „Du schaffst das…ich muss einfach nur das was ich weiß anwenden und logische Schlüsse ziehen.“, beruhigte er sich selbst und atmete ein paar Mal tief ein. Die Untersuchung der ersten Leichen hatte nicht viel Erfolg gebracht. Die erste war sogar schon beigesetzt worden und die Angehörigen weigerten sich, ihn wieder ausgraben zu lassen. Der Rest war in so einem schlechten Zustand gewesen, dass er kaum etwas Brauchbares hatte heraus filtern können. Seine Hoffnung lag nun also auf der neuen Leiche. „Und dann musste ich mich auch noch mit dem Richter anlegen…“ Dabei hatte er doch nur höflich angemerkt, dass die Runen nicht hexischer Natur waren, sondern eindeutig nordische Runen waren. Solche die vor allem Menschen verwendeten. Doch irgendwie hatte das Richter Boretsch mächtig wütend gemacht.

Keine Ahnung wieso.



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Kommentare zu dieser Fanfic (1)

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Von: abgemeldet
2012-07-06T17:59:38+00:00 06.07.2012 19:59
Ach komm, ich habe ja wohl kaum dazu beigetragen.
Aber wirklich schön geworden, du weißt ja ich liebe deinen Stil.
Sind auch kaum Rechtschreibefehler drin xD
Ja Ja, Maria und Luise.
Ich finde du triffst beide wirklich gut.
Nur das Format könnte etwas übersichtlicher sein, sonst ist alles klasse!
Weiter so ;)


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