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Magie der Zeilen

[Rundum-Wichteln die Erste]
von

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Der Wert der Familie

Ich sah mich langsam um und musste gähnen. Mein Blick wanderte zu den zwei Zwergen neben mir und mir drängte sich unweigerlich eine Frage auf: „Warum hab ich mich dazu überreden lassen?“

Knirps Nummer eins antwortete mir schneller als erwartet: „Weil Mama und Papa dir den Urlaub ganz bezahlen!“

„Von einem Babysitterjob war da aber noch keine Rede!“, konterte ich geschickt und meine Schwester, ein sechzehnjähriges Biest mit feuerroten Haare, versuchte mich mit einem Blick zu erdolchen. Als das nicht klappte, stieg sie auf die guten alten Worte um: „Ich brauche keinen Babysitter! Ich bin alt genug um auf mich aufzupassen und zudem bin ich stärker als du!“

Meine Augenbraue schnellte in die Höhe: „Ach, das wäre mir neu.“

Knirps Nummer zwei ergriff meine Hand und schaute mich mit großen braunen Augen an. Der Hundeblick, der jeden in die Knie zwang, selbst mich.

„Dennis, ich muss aufs Klo!“, quengelte er liebenswert und blies sich eine der braunen Strähnen aus dem Gesicht. Dabei tanzte er den Klo-Tanz. Der bestand daraus unruhig von einem zum anderen Beinchen zu hüpfen.

„Und?“, fragte ich etwas verunsichert, weil mir Übles schwante.

„Ich will nicht alleine gehen“, gab er zu und ich hörte meine Schwester schnauben.

„Jetzt geh schon mit Tobi aufs Klo, er ist vier!“, drängte sie mich.

Warum sie mich drängte? Ich hatte keinen Schimmer, denn schließlich hätte ich das so oder so getan. Als großer Bruder hatte man wohl oder übel Verantwortung zu tragen, wenn sich die Eltern in den Wellnessbereich geflüchtet hatten.

Also klemmte ich mir Tobi unter den Arm und schaute Lisa ermahnend an. Um meine folgenden Worte zu unterstreichen, streckte ich den Finger aus: „Du wartest hier, dann gehen wir ins Museum!“

Hatte ich schon erwähnt, dass meine Schwester eine elende pubertäre Nervensäge war? Ich als Student stand da natürlich drüber.

Es dauerte nicht lange und wieder stand ich in der Lobby des Hotels. Meine Schwester beäugte Tobi und mich misstrauisch.

„Wie habt ihr das so schnell geschafft? Tobi braucht zum Pinkeln normalerweise Stunden“, stellte sie frech fest. Sie wartete auf eine Antwort und einer solchen Hexe, sollte man diese nicht verweigern.

„Er hätte, wenn er gekonnt hätte. Aber da er konnte, hat er nicht, also kann er nicht.“

„Äh ... Was?“, in meinem Kopf hatte das auch logischer geklungen.

Ich setzte zu einem neuen Versuch an: „Also ich meine, Tobi wollte ja, aber konnte nicht. Er mag die Klos hier nicht.“

„Schon besser.“ Als sie das sagte, sprach sie mir aus der Seele.

„Na dann auf ins Museum!“, irgendwie hatte ich das Gefühl, ich war der einzige, der sich dafür begeisterte. Lisa folgte mir mürrisch und Tobi interessierte nur, ob er auf meinen Schultern sitzen durfte oder nicht.

Wie hatte es nur so weit kommen können?

Gut, es gab tausende solcher Fragen, die ich mir stellen konnte. Zum Beispiel, warum Lisa nicht mehr die süße Göre von früher war, für die ihr großer Bruder der beste und stärkste Mann auf der Welt war. Natürlich nach Papa.

Anstatt das Museum zu genießen, saß ich am Ende in der Ägyptenaustellung auf einer Bank. Tobi schlief an mich gelehnt und Lisa schien exzessiv einen Kerl anzuflirten, der mindesten vier Jahre älter war als sie.

Mein Blick schweifte zu der Statue einer sitzenden Katze, innerlich reflektierte ich das, was ich noch wusste. Bastet, die Tochter des Sonnengottes Re, wurde oft als sitzende Katze oder Frau mit Löwen- oder Katzenkopf dargestellt. Sie war die Göttin der Liebe und Fruchtbarkeit. Weil sie als Beschützerin der Schwangeren galt, hatte sich meine Mutter bei ihrer ersten Schwangerschaft eine kleine Bastet Statue besorgt. Meine Mutter liebte Ägyptische Geschichte.

Darüber nach zu denken, reichte nicht mich weniger wütend auf meine Schwester zu machen.

Tobi bewegte sich grummelnd neben mir und schon war der Plan perfekt.

„Tobi?“

„Hmmm?“

„Weißt du noch, wie wir Lisa letztes Jahr geärgert haben?“

„Jaha“

„Wollen wir es noch einmal probieren?“

Statt zu antworten rieb sich Tobi den Schlaf aus den Augen und nickte eifrig.

Er hatte Lisa schnell lokalisiert, noch schneller war er aufgesprungen und auf sie zu gerannt.

Ein teuflisches Grinsen breitete sich auf meinem Gesicht aus.

„Mama! Ich will nach Hause!“, wie weinerlich Tobi seine Stimme klingen lassen konnte, erstaunte mich immer wieder aufs Neue. Das war wohl eine Gabe, die man mit dem Alter verlor.

Er griff, nur um den Effekt zu verstärken nach ihrer Hand.

Der Mann neben ihr stammelte etwas, schaute sich geschockt um und verschwand.

Statt Tobi anzumeckern, nahm sie ihn hoch, kam zu mir und drückte ihn mir in den Arm.

Den Erfolg konnte ich gar nicht richtig auskosten, als ich in ihre Augen schaute und sah, wie sie feucht wurden.

„Du bist echt das Letzte!“, mit diesen Worten drehte sie sich um und rannte aus der Ausstellung.

„Ich glaube, Lisa fand das nicht lustig“, klärte mich mein kleiner Bruder mit seiner piepsigen Kinderstimme in überzeugtem Tonfall.

Sein Kopf ruhte an meiner Schulter, als ich mich aufmachte um Lisa zu finden. Schlussendlich wartete sie vor dem Museum. Schweigend gingen wir zum Hotel zurück.

Es war eine bedrückende Stille zwischen uns. Aber was hätte ich sagen sollen?

Ich fuhr mit meiner Hand in die Hosentasche und war versucht mir eine Zigarette anzuzünden, aber ich hatte meinen Eltern versprochen nicht in Tobis Nähe zu rauchen.

Mein Blick wanderte zu Lisa, als würde ich mich mit einem Problem vom anderen ablenken. Ihre Augen funkelten verärgert.

Ich wäre beinahe zurück geschreckt, hätte ich sie nicht schon so lange gekannt. Es war mir selbst ein Rätsel, wie grün-braune Augen so furchteinflößend sein konnten.

Ich hatte sowieso die Vermutung, wenn Harry Potter nicht nur Fiktion wäre, Lisa wäre eine Hexe.

Das rettende Hotel kam immer näher und kaum schienen wir angekommen, suchte Lisa auch schon das Weite. Ich konnte es ihr nicht verübeln, nicht nur für sie war die Situation unangenehm. Warum fühlte ich mich immer noch bei kleinen Dingen schuldig?

Als wir klein waren, hatte ich mich mal aus Versehen auf eine Puppe von ihr gesetzt und sie war kaputt gegangen. Lisa hatte zwei Wochen nicht mit mir gesprochen, sie war damals schon sehr nachtragend.

Meine Eltern unterbrachen meine nicht so guten Kindheitserinnerungen, indem sie mir entgegen stürmten und Tobi fast von meinen Schultern rissen.

Der kleine Verräter gluckste nur glücklich, während er sich an meine Mutter schmiegte wie eine Katze.

„Und war es lustig, mein Spätzen?“ Die grünen Augen meiner Mutter schauten mich erwartungsvoll an. Erst da begriff ich, dass sie nicht mit Tobi redete.

„Natürlich“, stammelte ich verwirrt und etwas überwältigt von dem Kosenamen, den ich ihr eigentlich vor gut fünf Jahren abtrainiert hatte.

„Dann ist ja gut, wir sind auf unserem Zimmer, bis zum Abendessen“, und mit diesen Worten verschleppte meine Mutter meinen ahnungslosen Bruder und meinen schweigsamen Vater. Papas hilfesuchende Blicke ignorierte ich gekonnt. Beschäftigte sich meine Mutter mit ihm, hatte ich meine Ruhe.

Mein Weg führte mich auf die nächste Terrasse des Hotels. Ich entdeckte viele bunte und schöne Topfblumen. Irgendwo zwischen dem Grünzeug stand ein Tisch mit einem Aschenbecher.

Mein inneres Navi sprach gelassen: „Sie haben ihr Ziel erreicht.“ Und beinahe hätte ich die Frau nicht bemerkt, die die Blumen goss.

Doch ich bemerkte sie natürlich.

„Hi“, mein erster Versuch nicht unhöflich zu sein.

„Hi“, sie antwortete mit einem Lächeln. Ich zog mir einen Stuhl an den kleinen Tisch und packte mein Equipment aus. Die Schachtel Zigaretten, in der immer mein kleines blaues Feuerzeug steckte.

„Ich bin Dennis“, erwähnte ich nebenbei. Sie beachtete mich nicht weiter, sondern kümmerte sich um eine kleine Blume, die wohl keine Blüten tragen wollte.

Ich holte meine Zigarette aus der Packung und schon beim öffnen der kleinen Schachtel strömte mir der vertraute Tabakgeruch entgegen.

Aus dem Grünzeug erklang die helle Stimme, die mich eben gegrüßt hatte.

„Du kannst mich Sally nennen.“ Sie stand auf, klopfte sich etwas Erde von der Jeans und holte sich ebenfalls einen Stuhl.

„Stört's dich, wenn ich rauche?", fragte ich ruhig.

„Mich stört's nicht mal, wenn du brennst."

Ich blinzelte verwundert, dann zuckte ich mit den Schultern und steckte mir die Zigarette in meinen Mund. Mein Feuerzeug klickte, als ich die Flamme anmachte und an das andere Ende meiner Erlösung hielt. Das war das schönste Geräusch, das ich kannte. Jedes Mal erfüllte es mich mit Zufriedenheit.

Ich spürte, wie der Rauch meine Lunge schon beim ersten Zug füllte und beobachtete ihre Hand, die über das Blatt einer Pflanze strich.

Mein Blick schweifte über die anderen Pflanzen. Eine feuerrote Blüte schien aus dem Grün hervor zu stechen. So wie Lisa immer aus der Menge stach.

„Du siehst traurig aus. Willst du darüber reden?“, bot mir Sally an und es erstaunte mich. Nicht, dass eine Fremde so freundlich war, sondern weil ich dieser Fremden wirklich sagen wollte, was mir auf dem Herzen lag.

„Ich weiß nicht, warum willst du das hören?“, schließlich war es nicht meine Art den Leuten auf die Nerven zu gehen.

„Weil ich ein Mädchen bin“, war ihre trotzige Antwort.

„Ich hab im Moment Probleme mit meiner Schwester“, als ob das alles sagen würde.

„Du hast eine Schwester?“, sie schenkte mir ein kleines Lächeln.

„Ja eine kleine und einen kleinen Bruder“, ich dachte an Tobis große Augen und an das kleine Lächeln, das mir Lisa immer seltener schenkte.

Warum mussten sie groß werden?

„Wer hat das Problem verursacht?“ Sie faltete ihre Hände auf dem Tisch und wirkte plötzlich wie ein Seelenklempner. Ich musste schlucken und dachte darüber nach. Eigentlich ich oder doch sie? Es war gar nicht mal so leicht das heraus zu finden. Gut, sie würde sagen ich, weil ich Tobi auf sie gehetzt hatte, aber sie hatte nun einmal nicht mit jedem Wildfremden zu flirten. Wer wusste schon, was das für Kerle waren und zudem war Lisa noch nicht alt genug für so etwas. Auch wenn ich in ihrem Alter meine erste Freundin schon längst gehabt hatte.

„Wieso fragst du?“, antwortete ich also statt einfach die Geschichte zu erzählen.

„Na ganz einfach. Weil ich ein Mädchen bin!“

Ich rollte nur mit den Augen, was sollte man schon darauf antworten.

Dann seufzte ich ergeben.

„Ich habe angefangen. Ich muss sie doch beschützen, sie ist mein kleine Schwester!“

„Wie alt ist sie?“, nicht nur ihre Stimme, auch ihr Ton war kritisch.

„Sechzehn“, ich wusste nicht warum, aber mein Stimme war auf einmal unsicher.

„Also ist sie doch alt genug selbst zu schauen, was richtig und falsch ist. Sie müsste sich langsam selbst schützen können.“ Nun waren ihre Augen erwartungsvoll auf mich gerichtet, als warte sie, dass ich ihr zu verstehen gäbe, dass sie Recht hatte. Aber so war das nicht!

„Und woher willst du das wissen?“ Ich versuchte meinen Blick skeptisch wirken zu lassen.

„Weil ich ein Mädchen bin.“

„Wieso sagst du das andauernd?“

„Na weil's stimmt!“, ihre Stimme klang belustigt.

„Aber jetzt ernsthaft. Sie will doch nicht von ihrem großen Bruder erdrückt werden. Ich schätze mal sie würde dir gerne vertrauen, aber wenn du ihr keine Chance zu eigenen Entscheidungen lässt, wird sie das nicht können.“

Verwirrung. Das war das einzige, das in meinem Kopf herrschte. Zum einen, wie konnte sie nur so genaue Folgerungen ziehen und zum andern fragte ich mich, ob ich Lisa wirklich erdrückte.

Sie ließ mir keine Zeit eine richtige Antwort zu formulieren. Schon war sie aufgestanden und sagte noch im Gehen: „Weißt du, der Wert der Familie liegt darin, dass man sich auf den anderen verlassen kann. Er wird nicht einfach verschwinden. Du solltest ihr dieses Gefühl vermitteln und nicht das eines Käfigs.“

Meine Zigarette war längst runter gebrannt.

Vielleicht sollte ich mich bei Lisa entschuldigen.
 

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Ich danke euch für's lesen und würde mich wie immer über Kritik jeder Art freuen.

Außerdem hoffe ich, das ich die Wünsche meines Wichtelkindes wenigstens einiger Maßen erfüllt habe
 

lg

Cliona

Der Sockenheld

Seine in weiße Socken gepackten Füße rutschten mit Schwung über den Boden. Seine Arme ruderten wild in dem Versuch anzuhalten.

Scharf bog er um die Ecke des Flures und prallte gegen die Eingangstür.

Ein neuer Tag war angebrochen und begann wie fast jeder andere. Auf dem Boden hockend betrachtete er seine Socken und wusste, es war Zeit zu putzen.

Schnell schlüpfte er in seine Schuhe um noch rechtzeitig aus dem Haus zu kommen.

Sein Job als Lektor erledigte sich schließlich nicht von alleine.

George schaffte es sogar die Straßenbahn zu bekommen. Unangenehmer weise fühlte er, das seine Füße mal wieder nass geschwitzt waren.

Am liebsten hätte er seine Schuhe ausgezogen und die Socken gewechselt, doch es war noch nicht soweit mit ihm, das er in einer vollen Bahn seine Schuhe auszog.

Um sich von seinen nassen Füßen abzulenken schaute sich George um.

Gegenüber von ihm saß eine Frau. Ihre Haare hingen ihr strähnig ins Gesicht und wütend schimpfte sie ins Telefon. Bestimmte hätte er nicht die Nase gerümpft, wenn er gewusst hätte, das am Ende der Leitung der verzweifelte Ehemann erklärte das er vergessen hatte die Kinder zur Schule zu bringen, obwohl er genug Zeit hatte, weil seine Frau sie mit vielen anstrengenden Nebenjobs über Wasser hielt.

Georges Blick glitt zu dem Kerl der an der Tür lehnte. Wieder rümpfte er die Nase als er die Piercings sah und das der junge Mann nervös an einer Zigarettenschachtel herum fummelte.

Auch hier hätte er nicht so überhoben reagiert, wenn er gewusst hätte, das der Junge auf den Weg zu seiner Mutter ins Krankenhaus war, die einen Herzeinfakt erlitten hatte.

Doch George hatte sich nie viel für die Probleme andere interessiert. Alles was zählte waren seine verschwitzten Socken und wie er sie am schnellsten wechseln konnte.

Es war einfacher die Augen zu verschließen.

Seine Station war die Dritte und angewidert quetschte er sich beim aussteigen an einem Mädchen mit komplett schwarz geschminkten Augen vorbei, die laut Musik hörte.

Hätte er sie auch verurteilt, wenn er wüsste, das sie eine schwere Kindheit hatte?

Der Gedanke an neue Socken trieb ihn an schneller zu laufen.

Endlich in seinem Verlag angekommen begab er sich auf schnellsten Wege auf die Toilette. Er zog aus seiner Tasche das Paar blauer Socken und wechselte es schnell gegen die weißen.

An seinem Schreibtisch wartete schon ein großer Haufen Manuskripte, die er durcharbeiten musste.

Mit einem Seitenblick auf Miriam, die Lektorin mit der er sich ein Büro teilte, streifte er sich seine Schuhe ab und ließ seinen Socken Auslauf.

George liebte das Gefühl wenn seine Füße ohne einengende Schuhe in der Luft baumeln konnte.

Bis zu seiner Mittagspause schaffte er gerade einmal ein Manuskript und als er, wieder mit seinen Schuhen an den Füßen, den Pausenraum betrat hörte er noch wie Miriam zu einer ihrer Kolleginnen, sie hieß Lisa erinnerte sich George, sagte: „Und er zieht wirklich immer seine Schuhe aus!“ Lisa lachte herzhaft. George konnte nicht lachen, da er wusste, das er gemeint war.

„Oh hallo George, was machen deine Füße?“, wurde er schon von einer dieser Hyänen begrüßt.

Ein Grummeln war die Antwort seinerseits. Er schnappte sich einen Kaffee und verschwand wieder um in das Büro zurück zu kehren.

Kaum saß er in seinem Schreibtischstuhl, waren auch die lästigen Schuhe verschwunden.

Der Ärger wollte einfach nicht von seinen Schultern weichen. Er ließ die Zwei in Ruhe, also sollten sie ihn gefälligst auch in Ruhe lassen.

Er kniff die Augen fest zusammen und versuchte sich dann endlich auf das nächste Manuskript zu konzentrieren.

Die Tür seines Büros wurde fest zugeschlagen.

„Nimm dir Lisas Kommentar nicht so zu Herzen“, hörte er Miriam sagen.

„Wieso sollte ich?“, fragte er giftig zurück und kam sich kein Stück zickig vor.

„Sei doch nicht so George“, ihre Stimme klang tadelnd und er kam sich wieder vor wie mit zehn.
 

Er dürfte seine Mutter nicht soviel Fragen, es gehörte sich nicht, seine Nase in Dinge zu stecken die ihn nichts angingen.

„Sei doch nicht so George, hör auf da hinzusehen. Davon hört das Mädchen auch nicht auf zu weinen“, ihre Stimme war immer tadelnd gewesen.

„Aber sie friert bestimmt, können wir ihr nicht Socken geben?“, seine Stimme war das leise Hauchen eines zehnjährigen naiven Jungen gewesen.

Sie hatte ihn einfach weiter hinter sich her gezogen. Ihn gnadenlos am Arm gerissen und als sie zu Hause waren verdeutlicht, das er endlich lernen sollte wie sich ein anständiger Junge benahm.
 

Von der Erinnerung geschüttelt drehte er den Kopf weg.

„Muss auf die Toilette“, nuschelte er und schlüpfte wieder in seine Schuhe.

Mit zitternden Fingern streifte er sich in einer der Toilettenkabinen die blauen, inzwischen ebenfalls verschwitzten Socken von den Füßen und holte aus seiner Jackentasche das Ersatzpaar mit dem Karomuster hervor.

Miriam war nicht besser als alle anderen Frauen in diesem Büro. Miriam war nicht besser als jede Frau auf dieser Welt. Am sichersten war er wenn er das tat, was ihm seine Mutter beigebracht hatte. Einfach den Mund schließen, die Ohren zu halten und die Augen zusammen kneifen. Nichts war sicherer als sich von allem fern zu halten.

Miriam war in ihrer Arbeit vertieft, als er in das Büro zurückkehrte.

Er wollte sich ein neues Manuskript vom Stapel nehmen, als ihm auffiel, das er kleiner wirkte. Hatte sie etwa...? Nein bestimmt hatte sie ihm keine Arbeit abgenommen.

Denn im Leben kam man nur weiter, wenn man sich selbst am nächsten war.

„Übrigens süße Socken“, Miriam zwinkerte ihm zu. Er hatte nicht bemerkt, das sie beobachtete wie er seine Schuhe auszog.

„Lass mich“, fauchte er und versuchte sie zu ignorieren.

„Was stimmt nicht mit die George? Ich versuche freundlich zu sein und du benimmst dich wie das letzte! Ach Gott, es tut mir eindeutig nicht gut mich um andere zu sorgen“, sie rieb sich die Nasenwurzel während sie leidvoll seufzte.

„Hat dir deine Mutter etwa nicht beigebracht, das man seine Nase nicht in andere Leute Sachen steckt?“, das war sein voller Ernst.

Miriam schwieg ab dem Moment und George fand die Stille nicht einmal erdrückend. Er fand sie auch nicht unangenehm. Erstrecht ließ sie ihn sich nicht schuldig fühlen

Sein Blick streifte den immer kleiner werdenden Stapel Manuskript.

George hatte spontan entschlossen an diesem Tag früher Schluss zu machen.

Sein Blick viel auf die zwei Manuskripte die noch ungelesen waren. Das könnte er auch morgen noch lesen. Er hatte die geeigneten Manuskripte schon zur Seite gelegt, da konnte er jetzt auch gehen.

Er stand auf, schlüpfte in seine Schuhe und griff nach seiner Tasche. Tonlose ging er aus dem Raum und versuchte nicht auf den Blick zu achten, den ihm von Miriam nach geworfen wurde.

Auch das gemurmelte : „Ignorant“, versuchte er zu überhören.

Als er das Gebäude verließ spielte der Wind in dem Baum, der einsam vor dem Verlagsgebäude stand. Der fast kahle Baum wirkte fehl am Platz wie er dort an der viel befahrenen Straße stand und versuchte ein wenig grün in das grau der Stadt zu bringen. Doch selbst das wollte ihm jetzt nicht mehr gelingen, denn die paar Blätter die ihm geblieben waren, waren braun-gelb verfärbt.

George beachtete den Baum nicht, so wie er es nie getan hatte.

Seine Füße trugen ihn an der Straße entlang bis zur nächsten großen Kreuzung. Die Schienen der Straßenbahn kamen in Sicht. Sein Schritt beschleunigte sich und in dem Moment, als er die Haltestelle erreichte fuhr seine Bahn ein.

In dem Gefährt, das er tagtäglich nutzte, ließ er sich auf einen Sitz sinken und bemerkte das gegenüber von ihm zwei Mädchen saßen. Sie kicherten, ihre Lippen wahren in einem grellen Pink bemalt, ihre Augen sahen aus, als wollten sie mit den Kanarienvögeln fliegen, ihre Hände waren miteinander verschränkt und ihre Fingernägel waren in eine Neonton lackiert.

Er rümpfte, wie so häufig, die Nase.

„Boar Alter, was guckst du denn so dumm!“, die anscheinend Ältere der zwei Mädchen stierte ihn wütend an. Er antwortete nicht.

„Bist wohl Stumm du Missgeburt!“, ihre Stimme klang rau, als wäre sie ein vierzig Jahre alter Raucher, das Puder schien ihr fast schon wieder von den molligen Wangen abzufallen, so dick war es aufgetragen.

Er antwortete immer noch nicht, war solche Beleidigungen noch von früher gewohnt. Warum sollte er sich auf ein solches Niveau herunter lassen?

Ein Junger Mann mischte sich ein: „Könntest du deine verbalen Ergüsse bitte außerhalb der Öffentlichkeit auswerfen?“ Die Stimme war provokant, klang eingebildet und fast hätte George zustimmend genickt. Doch er machte nichts, denn es ging ihn nichts an.

Die metallische weibliche Stimme sagte als nächstes seine Station an und George stand auf, begab sich zu Tür und ließ wie so oft einen Konflikt unbeachtet hinter sich.

Die Novemberluft streifte kühl seine Wange und fast fühlte er sich wie dieser einsame Baum vor dem Verlag, den er eigentlich ja nie bemerkt hatte.

Seine Zehen gruben sich fester in seine weichen Socken. Es war wie ein Halt. Sie waren warm und immer sauber, dafür sorgte er.

Von der Haltestelle, die aussah, wie fast jede andere dieser Linie, war es nur ein Katzensprung bis zu seiner Wohnung.

Das nicht mehr ganz so weiße Gebäude wirkte ausladend und die Tür klemmte öfters. Mit etwas Kraft betrat er den Flur, atmete tief durch und bestieg die Treppe. In der dritten Etage war er so außer Atem das er keuchend atmete.

Er sah seine Tür. Das Tor zu seiner rettenden Insel, die Pforte zu Ruhe und Entspannung.

George benötigte drei Versuche bis sein Schlüssel sich im Schloss umdrehte und er den Flur betrat.

Seine Schuhe landeten in der Ecke. Er erinnerte sich an den Morgen und das er putzen musste, doch das Essen zu kochen ging vor.

Gerade als das Wasser für seine Nudeln kochte klopfte es an seiner Tür. Er überlegte mürrisch, ob er vielleicht doch so tun sollte als wäre er nicht da, doch das würde zu nichts führen.

George begab sich zu seiner Tür und öffnete sie.

Erstaunt schaute George in die zwei blauen Augen von Miriam, die dort vor seiner Tür stand, mit einer Tüte in der Hand und ihn anlächelte.

„Ich habe doch gesagt, ich mache mir zu oft Sorgen“, er wusste nicht ob er sich das einbildete, doch das Lächeln schien ihre Augen zum strahlen zu bringen. Wann hatte er das letzte mal ein echtes Lächeln gesehen, das sogar die Augen erreichte?

Die Antwort kam ihm schnell in die Gedanken, doch das verdrängte er.

Immer noch überwältigt von dieser Überraschung trat er zur Seite. Miriam spazierte in seine Wohnung als wäre sie hier schon tausendmal gewesen, setzte sich auf sein Sofa und wieder hörte er ihre Stimme.

„Klingt, als würde da was überkochen“, eine bloße Feststellung die George in die Realität riss.

Schnell stürmte er in seine kleine Küche, drehte die Hitze der Herdplatte herunter und schütte Nudeln ins Wasser.

Er prüfte die Zeit und ging dann zurück zu Miriam.

George ließ sich neben sie aufs Sofa fallen und schwieg. So saßen sie einige Minuten, biss er es nicht mehr aushielt.

„Bin ich wirklich so ein Egoist?“

„Nein du bist doch kein Egoist. Du kannst zwar sehr verletzend sein und Rücksichtsvoll ist nicht gerade dein Vorname, aber ehrlich, du wirkst auf mich eher hilflos als egoistisch“, ihre Stimme war sanft.

Er wusste nicht ob er sich darüber empören oder doch lieber erleichtert sein sollte. Er entschied sich für das letztere der Beiden.

Wieder trat Stille zwischen sie. Diesmal nicht unangenehm wie so oft davor. Durchbrochen wurde sie von Miriams Kichern.

„Was hat es eigentlich mit deinen Socken auf sich?“

Wieder fiel es ihm schwer einen Entschluss zu fassen. Zögernd antwortete er: „Socken sind wichtig, sie schützen unsere Füße vor Kälte und Dreck.“

„Na dann wirst du dich darüber freuen“, sie Lächelte immer noch das Augen erreichende Lächeln und drückte ihm die Tüte in die Hand.

Er holte das neue paar Socken heraus. Sah das Heldenmuster auf ihnen und seine Mundwinkel hoben sich ungewohnt.

„Warum sorgst du dich eigentlich um jeden?“, fragte er nun aus ehrlichem Interesse und hatte das Gefühl, dass er sich das erste mal seit langer Zeit wieder für Probleme und das Leben anderer Interessierte.

„Weil ich möchte, das sich die Leute auch um mich sorgen falls etwas mit mir geschieht“, die Antwort stand so schnell im Raum und die Stille die folgte ließ ihn wieder an etwas denken, dass er lange Verdrängt hatte. Nicht einmal das Geräusch von zischendem Wasser störte ihn. Er hielt das neue paar Socken in seinen Händen wie ein Rettungsanker, wie eine Leine, die ihn in der Realität hielt.
 

Ein Lächeln das braune große Augen erreichte. Ein Mädchen das ihm für die Socken dankte, die es nun hatte. Seine Mutter die ihn lange dafür bestrafte, sein Lieblingspaar Socken angeblich verloren zu haben. Der erste Schritt in ein Leben voll Ignoranz.
 

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So ich hoffe ich habe den Geschmak meines Wichtelkindes Chimi-mimi getroffen

Ich würde mich wie immer über Kritrik jeder Art freuen

und danke fürs lesen

lg

Cliona

Wintersonne

Der Waldboden unter ihren Füßen war mit gefrorenen Blättern bedeckt. Doch es störte sie nicht. Sie lief einfach weiter. Spürte den kühlen Wind in ihren Haaren und die Kälte unter ihren Füßen.

Auch wenn es dunkel war, brauchte sie keine Sonne um gut zu sehen. Sie brauchte kein Licht um sich zu orientieren.

Sie hörte einfach auf das, was ihr die Geräusche des Waldes zuflüsterten.

Dort zu ihrer Rechten war eine gefrorene Pfütze und eine große Wurzel, als wolle sie jeden Eindringling zum Stolpern bringen. Sie hielt sich links.

Beinahe entlockte es ihr ein Lächeln, wie leicht es fiel dem allem auszuweichen, wenn man zuhörte.

Doch sie wollte noch schneller sein, noch schneller im Haus am See ankommen.

Velika spürte bereits das Fell auf ihrer Haut, spürte wie sich ihre Ohren, Nase und Mund verformten. Als sie zum nächsten Sprung ansetzte, landete sie schon auf allen Vieren und lief auf ihren kleinen Pfoten weiter. Ihre Pfoten besaßen zum Schutz vor der Kälte ein warmes Fell, das sie selbst dann vor den Temperaturen schützte, wenn es sich unter ihrer Menschenhaut verbarg.
 

Die Kälte des Frostes schaffte es nicht durch ihren weißen Pelz zu dringen.

Eine Eule schrie hinter ihr, ein kleiner Fuchs, viel kleiner als sie, versteckte sich im Gebüsch zu ihrer Linken.

In der Ferne sah sie den Rauch, der von dem kleinen Haus aufstieg, zu welchem sie nun unterwegs war.

Ihr Heim, sagte die Stimme in ihr, doch sie wusste genau, sie hatte kein Recht es so zu nennen. Sie wohnte nicht einmal wirklich in diesem wundervollen Haus am See. Sie kehrte nur immer dorthin zurück, wenn es Zeit wurde, wenn die Wintersonne sie lockte.
 

Und das war gerade. Kaum begann der Winter, wollte sie zu dem See, sich im Mondlicht baden, den feuchten Nebeln genießen, und das leichte Kitzeln spüren, wenn die Wintersonne herauskam.
 

Velika hatte die Hütte und ihren Besitzer nur durch einen Zufall entdeckt, hätte niemals daran geglaubt, dass sich ein Mensch freiwillig diesen Witterungen aussetzen würde.
 

Er war Förster und Jäger in diesem Wald.
 

Durch das Gemurmel der Tiere hatte sie mitbekommen, dass sie ihn respektierten und ihn als Hüter dieses Stückes Land akzeptierten.

Ihr Atem bildete kleine Wölkchen in der Luft, doch sie hoben sich kaum vom Nebel ab.
 

Er hatte sie nie Velika genannt, sie war immer nur der Schneefuchs, der größer war als alle Exemplare, die er je gesehen hatte und der sich jeden Winter zu seiner Hütte verirrte.

Woher sollte er auch ihren Namen kennen, er hatte ja nicht einmal eine Ahnung, dass sie ein Mensch sein konnte. Zumindest wenn sie sich entschloss diese Gestalt anzunehmen.
 

Vor ihr lichtete sich der Wald ein wenig und nun sah sie das massive Holzhaus. Es war schon sehr alt, doch er hielt es gut instand.
 

Velika näherte sich, blieb stehen und machte sich daran die grüne Haustür zu öffnen, deren Farbe langsam abblätterte und deren schwarzer Griff von einer dünnen weißen Frostschicht bedeckt war.

Die Tür wurde aufgerissen und aus einem Reflex duckte sich die Schneefüchsin hinter einem Busch, sodass man sie nicht sehen konnte.
 

Seine Haare waren blond, aber ein dunkles blond mit einem leichten Rotstich. Es stand ab und ließ ihn verräterisch verschlafen aussehen. Seine braunen Augen blickten durch den Wald. Sie wusste genau, wäre sie nicht eine Wandlerin, sie hätte niemals verstanden, was er da nun sagte: „Er müsste doch längst da sein. Wo ist denn dieser untreue Fuchs?“
 

Sie wusste, dass ihre Augen schelmisch glänzten, als sie nun aus dem Wald auf ihn zu kam. Auf ihn und sein Haus am See. Die Nebelschwaden lagen auf dem Wasser wie Schwarnenfedern und in weiter Ferne schien der Himmel leicht zu erröten.

Velika gab ein quiekendes Geräusch von sich, um den Mann auf sich aufmerksam zu machen. Es klappte.
 

„Na da bist du ja, wie es scheint, kommst du pünktlich zum Sonnenaufgang“, er trat etwas zur Seite, sodass sie leichter in das Haus trotten konnte. Sie schüttelte sich um die Feuchtigkeit aus dem Pelz zu bekommen. Wirklich trocken wurde sie aber erst, als er ihr ein Handtuch auf den Rücken legte und damit durch ich Fell rubbelte.

Immer noch mit dem Handtuch auf dem Rücken ging sie zielstrebig zu dem Sofa, auf das er schon eine Decke gelegt hatte und machte es sich dort gemütlich. Wäre sie wirklich nur ein Schneefuchs, es hätte wohl gegen sämtliche Instinkte verstoßen.
 

Menschliche Instinkte waren jedoch viel komplizierter. Sie ließen sie nicht einfach gehen oder ihn angreifen. Sie wollten, dass sie hier war, wo sie sich wohl und warm fühlte.

Wie hatte Irina so schön gesagt: „Was du da hast, meine liebe Freundin, ist eine klassische Beziehung. Nur, dass er nichts davon weiß und du anscheinend nicht so viel Wert auf Paarung legst.“

Velika hasste es, wenn sie die Stimme des Schwans als ihre innere Stimme hörte, doch vermeiden ließ sich das nicht, besonders wenn man Irina seit klein auf kannte.

Ihr Blick war auf das Fenster gerichtet, man konnte den See in seiner vollen Pracht sehen.
 

Das Sofa gab neben ihr nach und sie spürte seine warmen Finger in ihrem Fell. Wie er sie kraulte, dabei war er am Anfang so scheu gewesen, hatte sich nicht getraut sie anzufassen. Die Angst hatte sie ihm zum Glück genommen, denn es fühlte sich einfach zu gut an.

Schneefüchse binden sich für ihr Leben nur an einen Partner.

Sie hätte diesem Menschen niemals begegnen sollen, dann hätte sie sich vielleicht als Partner einen vernünftigen Fuchs oder irgendeinen anderen Wandler genommen.

Aber nein, sie musste sich ja unbedingt an einen Menschen verlieren, der wohl niemals akzeptieren könnte, dass es so etwas wie sie gab. Wandler waren ein Geheimnis, ein Schatten. Bloß das Verborgene in der Geschichte der Menschheit.

Die Schwanenfedern auf dem See erhoben sich und stiegen langsam empor, während die Wintersonne durch die Wipfel der hintersten Bäume brach.
 

„Ich habe mich in den letzten Jahren über Schneefüchse ausgiebig erkundigt, musst du wissen. Wenn ich nach all diesen Büchern gehe, ist dein Verhalten recht seltsam. Du verhältst dich eher wie eine Katze als ein Fuchs.“ Warum er immer mit ihr sprach, wusste sie nicht, aber seine Worte brachten sie leise zum Knurren.

Katze, als ob...
 

Obwohl es doch viele komische Menschen gab, die mit Tieren und Pflanzen sprachen.
 

„Ich habe jetzt auch länger darüber nachgedacht und bin zu dem Schluss gekommen, dass du wohl etwas verwirrt bist...“ Welch ein Kompliment, dachte sie leise, „... und mich für deinen Partner hältst.“
 

Am liebsten wäre sie aufgesprungen und hätte geschrien, dass er voll ins Schwarze getroffen hatte, doch in ihrer jetzigen Gestalt, verstand er eh nichts von dem, was aus ihrem Mund kam.

So ließ sie seine Finger weiter in ihrem weißen Pelz gewähren und versuchte sein weiteres einseitiges Gespräch zu ignorieren.

„Jetzt wäre nur noch interessant zu wissen, ob du ein Männchen oder ein Weibchen bist.“ Wie sich eine Person nur immer weiter so in den Mist reden konnte, hatte sie bis heute nicht geahnt.

Ihr Blick war starr auf die Nebelschwaden gerichtet, die nur schwach das ohnehin schon schwache Wintersonnenlicht durchließen.
 

Es war, als würde sie die rot-rosa-orange-gelbe-Färbung des Himmels durch eine von Irinas weiße Federn betrachten.
 

„Aber das wirst du mir wohl nicht verraten. Schade, dass ich nicht mit Tieren sprechen kann. So ein wenig Magie wäre manchmal echt hilfreich. Vielleicht werde ich auch einfach nur verrückt in dieser Einöde. Den ganzen Tag nur Nebel und gestern hat es sogar geschneit! Ach und ich habe nichts Besseres zu tun, als mit einem Schneefuchs zu reden, der hier gar nicht vorkommen sollte!“ Das Beschweren war für Velika sogar noch schlimmer als das Gerede von zuvor.

Vielleicht würde er es doch verkraften, dass er seit einigen Jahren eine heißen Schnecke, wie Irina zu sagen pflegte, schmuste.
 

Sie erhob sich und verließ das Sofa. Sie wusste, dass er ihr verdattert hinterher schaute, aber er würde nicht aufstehen. Manchmal genoss er einfach zu sehr die ersten Morgenstunden, wenn alles wie in Watte gepackt wirkte durch diesen Schleier aus Nebel.
 

Er hörte bestimmt das Tapsen ihrer Pfoten auf der alten Holztreppe. Sie steuerte sein Schlafzimmer an, das im Eiche-brutal-Stil eingerichtet war. Ein klotziges großes Eichenbett, ein klotziger großer Eichenschrank, an dessen ganz linker Tür ein Spiegel befestigt war. Außer einem kleinen Eichennachttisch war auch nicht viel mehr im Raum.

Sie stand vor dem Spiegel, spürte wie ihre Glieder sich in andere Formen zogen. Es war kein wirklicher Schmerz, eher ein leichtes Jucken. Ihr Gesicht nahm wieder seine menschliche Form an. Die hellblonden Locken hingen ihr unordentlich bis auf die Schulter. Ihre matschig wirkenden blau-braunen Augen, wurden wieder vollkommen blau und ihre helle Haut zeigte keine Spur des weißen Pelzes, den sie zu tragen pflegte.
 

Sie hörte leise ihre Stimme, die noch etwas belegt war, weil sie sie länger nicht mehr benutzt hatte: „Männer machen das Leben kompliziert...“
 

Sie zog sich eins seiner Holzfällerhemden aus dem Schrank und konnte selbst von diesem Zimmer aus den See sehen. Vielleicht mochte sie ihn ja nur wegen des Hauses am See, doch sich das vorzumachen kam Velika albern vor.

Auch eine Boxershorts fand sie und als sie barfuß die Holzdielen entlang schlich, kam sie nicht darum herum zu bemerken, dass er gut heizte.
 

Als listige Füchsin war Schleichen immer eine ihrer vielen Talente gewesen, so bemerkte er sie nicht, als sie das Wohnzimmer betrat.

Er schaute verträumt nach draußen. Inzwischen hatte sich die Sonne soweit hervor gearbeitet, dass fast der ganze Himmel in einem Rosa-orange-Ton strahlte.
 

„Daven?“, sie hatte sich seinen Namen gemerkt, er hatte oft genug mit ihr geredet, sich am Anfang sogar vorgestellt.

Er schreckte auf, und ein kleiner Laut entwich ihm.
 

Ja, es war vielleicht keine gute Idee gewesen, ihn so zu überraschen, aber sie wurde noch verrückt, wenn sie ihre Beziehung nicht bald auf eine höhere Ebene hob und er nicht endlich mit diesen dummen Vermutungen aufhörte.

„Wer sind Sie?“, seine Stimme war immer noch unnatürlich hoch wegen des Schrecks und auch etwas zu laut.
 

„Nimm doch Rücksicht auf meine Ohren“, sagte sie genervt, statt ihm zu antworten, dann fügte sie hinzu: „Sie sind empfindlich, egal in welcher Gestalt ich mich befinde.“

Sie hörte praktisch das Rattern hinter seinen hübschen Augen. Dann weiteten sie sich vor Erstaunen, fast sah er aus wie ein angeschossenes Reh mit seinen riesigen braunen Augen.
 

Er musterte ausführlich ihre schlanken, langen Beine, ihre helle Haut und dann ihre Augen.

„Aber das ist unmöglich!“ Seine Stimme war immer noch schrill, bei Zeiten musste sie etwas dagegen unternehmen.
 

„Was ist unmöglich?“, fragte sie nun süffisant.
 

„Na, das alles hier. Bist du etwa ein Hexe oder was?!“ Sie wusste nicht warum, aber dieses verzweifelte Entsetzen war wirklich niedlich bei ihm.
 

„Nein, Hexen gibt es doch nicht. Du bist wirklich albern. Ich bin ganz einfach nur eine höhere Stufe der Evolution als du. Man könnte es auch mit spontaner Mutation, die dominant vererbt wird, erklären. Könnte ich vielleicht mal telefonieren?“, sie klang unbeteiligt und er hätte es ihr wahrscheinlich auch abgekauft, wäre da nicht das Fuchsgrinsen auf ihrem Gesicht gewesen.

Er ließ sich wieder aufs Sofa fallen.
 

„Natürlich“, plötzlich klang er einfach nur noch überwältigt.

Sie schnappte sich das schnurlose Telefon und wählte eine Nummer, die sie immer im Kopf hatte.

Es dauerte nicht lange und am anderen Ende der Leitung meldete sich jemand.
 

„Hallo?“
 

„Hey Irina, du hattest Recht.“ Velika setzte sich auf ihre Decke auf dem Sofa neben Daven und betrachtete die Schwanenfedern, die sich draußen langsam auflösten.
 

„Ich hab ja immer Recht, aber womit bitte jetzt wieder?“, sie klang verschlafen. Natürlich klang sie verschlafen, auch wenn zu Russland nur drei Stunden Zeitverschiebung herrschte, stand Irina erst gegen Nachmittag auf.
 

„Ich hab dem Herumstreunen ein Ende gemacht“, sagte Velika schlicht, während ihre Hand anfing Davens Kopf zu tätscheln. Langsam schien er sich endgültig zu beruhigen.
 

„Ach was. Warte! Wo bist du?!“ Irina schien plötzlich hellwach.

Sie wagte einen kurzen Seitenblick zu Daven, der sie argwöhnisch musterte, aber ihre Hand gewähren ließ.

Gut sein Körper erkannte sie, sonst dürfte sie ihn nicht anfassen.
 

„Vielleicht irgendwo in Norwegen oder Schweden.“ Sie hielt sich nicht an Landesgrenzen, das war albern.
 

„Norwegen“, ergänzte Daven hilfreich, doch Irina hörte ihn nicht, sie war ein Vogel und kein Jäger. Ihre Ohren waren nicht so ausgeprägt wie die von Velika.
 

„Oh Gott, sie ist wirklich bei ihm! Ich hab ihn gehört! In Norwegen, wie romantisch!“, kreischte eine bekannte Stimme im Hintergrund. Es ließ Velika die Augen verdrehen. Was sollte an Norwegen romantisch sein?
 

„Jelena ist bei dir?“, es war eher eine Feststellung als eine Frage. Jelena gehörte zu ihrer kleinen bunt gemischten Gruppe. Sie hatten sich angefreundet, als sie alle drei noch Jungtiere waren. Sozusagen grün hinter den Ohren.

Jelena war ein Wolf und ihr Rudel hatte viel Macht in Russland.

Es folgte Stille, dann seufzte Velika und sagte: „Ich sehe euch dann irgendwann im Frühling.“

Schon hatte sie aufgelegt.
 

„Das ist einfach zu verrückt. Genau, ich bin verrückt geworden, hier ganz allein!“, brabbelte nun Daven wieder.
 

„Na, ich würde das hier nicht als alleine bezeichnen“, korrigierte Velika ihn.
 

„Auch wenn du nur eine Halluzination bist, wie heißt du?“
 

„Velika, ach und du hattest ebenfalls Recht, hab dich leider zu meinem Partner gemacht“,

informierte sie ihn, währen ihre Hand aus seinem Haarschopf in seinen Nacken glitt.
 

„Und da habe ich kein Mitspracherecht?“, er klang beleidigt und ein wenig nervös. Es brachte sie zum Kichern.
 

„Tut mir ja Leid, aber hättest du dich nicht immer um mich gekümmert und dieses fantastische Haus, wäre ich wahrscheinlich schon längst einem anderen Mann zugelaufen.“ Immer noch kicherte sie vor sich hin.
 

„Du fühlst dich gar nicht wie eine Halluzination an.“ Seine Hände legten sich auf ihre Wangen.
 

„Wirklich“, immer noch war da diese List in ihren Augen.
 

„Ich denke, ich kann mich damit abfinden dein Partner zu sein“, seine Stimme war viel weicher als vorher, während seine Augen an ihren Lippen hingen.

„Aber nur, wenn du nicht immer einfach im Frühling verschwindest“ fügte er noch mit einem Wispern hinzu.
 

„Dann musst du wohl mit nach Moskau, wenn es Frühling wird.“ Ihre Nasenspitze berührte seine und vergessen war der Nebel, der sich schon fast aufgelöst hatte und das Blau des Himmels, das nun wieder das rot-orange Schillern verdrängte.
 

„Da wurde ich doch glatt von einem Fuchs überlistet.“ Das war wohl das schönste Klischee das ihrem Tier zugesprochen wurde, gestand sie sich noch ein und war überzeugt, es würde noch viele neblige Wintersonnenaufgänge im Haus am See geben.

In ihrem Heim
 

*************
 

Wie ich schon erwähnt hatte, war ich hier recht schnell fertig und hoffe ich habe deinen Geschmack getroffen Wintersoldier :)

Ich freue mich wie immer über Kritik jeder Art
 

lg

Cliona

Der normale Wahnsinn

Ihre Augen waren auf die Flurtür gerichtet.

Gespannt erwartet sie das, was sie schon gehört hatte.

Ihr Geruch hatte sie lange vor dem Quietschen der Gummistiefel und dem Klicken des Schlosses verraten.

Somit wurde Eleonore fröhlich von ihrer Katze begrüßt, als sie das Haus ihrer Eltern betrat.

„Schau mich bloß nicht so an, Aphrodite. Deine großen blauen Augen können mich nicht mehr einwickeln“, erklärte sie der kleinen weißen Langhaarkatze, die eine grau-schwarze Maske trug und deren Pfötchen aussahen, als würden sie in schwarzen Strümpfen stecken.

Ein Miauen war die Antwort. Leicht legte Aphrodite den Kopf schief und wartete ab. Sie wusste genau, wie sie das bekam, was sie wollte.
 

Hinter sich hörte Aphrodite das Maunzen ihrer besten Freundin, ihrer Ersatzmama.

„Nicht du auch noch! Komm schon. Was ist mit euch los? Denkt ihr ich hätte Hähnchen in der Tasche?“, nun legte auch Artemis, die größer Langhaarkatze mit ihrem schönen blau-braunen getigerten Fell den Kopf schief, während ihre grünen Augen Eleonore bittend anschauten.

Sowohl Aphrodite als auch Artemis waren klar, dass ihr Lieblingsmensch solche Delikatessen nicht bei sich trug, doch vielleicht würde sie das Huhn noch abkochen, das sie in ihrer Kühltruhe eingefroren hatte.
 

„Oh großer Gott, habt ihr nichts anderes zu tun? Helios ist der einzig Brave hier“, wie auf ein Kommando sprang der pompöse beige Kater auf den Tisch und warf ein Glas um. Helios schaute verdattert dem klirrenden Ding hinter her und konnte nicht verstehen, was es auf dem Tisch machte, denn schließlich fiel es von hier recht tief.

Es entlockte Aphrodite fast ein Lächeln wie er sie tollpatschig anzwinkerte. Sie sprang zu ihm und fuhr mit ihrer Pfote über sein Ohr. Er hatte ihr oft erzählt, wie das Leben war, bevor sie in dieses Haus gekommen war.

Ein Kommen und Gehen. Schrecklich, wenn ein geliebter Freund ging und nie wieder kam.

Hinter Eleonore trat jemand anderes in den Raum. Artemis rümpfte die Nase und trat zurück. Mit ihrem massigen Körper trottete sie hinter einen Stuhl. Ihr Fell bewegte sich sanft zu ihrer Bewegung.
 

Ellis schaute verwirrt der Langhaarkatze hinterher, dann streckte er seine Hand aus und kraulte Aphrodite am Köpfchen. Die Jüngste der Bande konnte das Schnurren nicht unterdrücken. Fast fühlte sie sich genötigt wegen ihrer unwilligen Reaktion.

Er roch zwar ein wenig wie Eleonore, doch er hatte einen zusätzlichen Geruch. Etwas Eigenes von sich. Seine rechte Pfote war an seinen Körper gebunden.

Jetzt erst bemerkte sie den grimmigen Blick in seinem Gesicht. Hatte sie etwas falsch gemacht? Sie hatte zwar schon die Versuchung verspürt ihm in seine Schuhe zu pinkeln, doch sie hatte es aus dem gleichen Grund nicht getan, aus dem sie diesen Drang hatte. Er verbrachte sehr viel Zeit mit ihrer Elly.
 

„Ich werde nie wieder zu dir ins Auto steigen“, er schaute nur Aphrodite an, die seinen Blick verwirrt erwiderte. Menschen redeten wirklich bloß Unsinn.

„ Du hast gesagt, ich soll fahren“, antwortete nun Eleonore, während sie eine Strähne hinter ihr Ohr strich.

„Ich bin ja auch davon ausgegangen, du hast wenigstens einen Führerschein!“, seine Stimme wurde unangenehm laut. Aphrodite entzog ihm ihr weiches Fell und versteckte sich hinter Helios. Der schaute nun treudoof zu Ellis empor und stieß mit seinem Kopf gegen seine linke Hand.

„Schön, aber erstens du kannst mit deinem gebrochenen Arm nicht Auto fahren, zweitens jemand musste dein Auto ja fahren und drittens, du hattest mich nicht gefragt ob ich einen besäße!“, erwiderte Elly wie immer besserwisserisch.

„Oh man Elly, wir sind fast fünfmal in den Gegenverkehr geraten und einmal hättest du mein Auto fast um einen Baum gewickelt!“

„Ist doch alles glatt gelaufen, außerdem hätte dir klar sein sollen, dass, wenn ich immer mit der U- und S-Bahn fahre, ich wohl kein Autofahren kann!“, sie schrie nicht wirklich, doch ihre etwas lautere Stimme triefte von einem bösen Unterton. Aphrodite verließ den Tisch und bemerkte, dass die Tür offen stand. Es gab nur die seltenen Sommertage, an denen Elly mit ihr in den Garten ging. Eigentlich sollte sie auch nicht alleine raus.

Ihr Blick wanderte zu Elly, sie starrte unverwandt Ellis an, welcher sich auf Helios konzentrierte. Artemis gab ihr einen leichten Stoß und zwinkerte. Ihre Ersatzmutter mochte die Welt außerhalb des Hauses nicht, doch sie wusste, wie interessant Aphrodite diese Welt fand und wie gerne sie diese erkundete.
 

Auf stillen Pfoten schlich das weiße Kätzchen zur Tür, schnupperte die frische Luft und war glücklich. Die Blüten waren erwacht und die Luft war voll von ihrem Geruch.

Sie steuerte auf die alte Magnolie zu. Ihre Blüten waren groß und rosa-weiß. In ihrem Rücken hörte sie den Streit, der nur mit Worten ausgetragen wurde.

Mit einem leichten Sprung erklomm sie den Stamm und hüpfte von Ast zu Ast, bis sie oben bei dem Vogelnest ankam, welches schon seit zwei Jahren leer stand.

Mit ihrer Pfote stieß sie gegen die ziemlich losen Stöckchen und blickte ihnen dann im Fall hinterher. Es war ziemlich hoch hier. Zu hoch. Im Haus war sie nie in solche Höhen geklettert.

Ihr entrann ein klägliches Geräusch. Ein krächzendes Miauen.
 

Zwei weiterer bedurfte es um Helios auf sie aufmerksam zu machen. Er kam schnell aus dem Haus gestürmt und schaute ihr entgegen. Seine Augen waren besorgt.Auch Elly und Ellis folgten dem kläglichen Ruf.

Artemis bevorzugte es im Türrahmen zu sitzen und dem Vorgarten entgegen zu schauen.

„Oh Gott, Aphrodite mein Schatz! Das ist alles nur deine Schuld Ellis, warum hast du die Tür nicht zu gemacht!? Hol sie da runter. Sie ist doch erst ein Jahr alt!“, ein hysterisches Kreischen war der Beigeschmack dieser Worte. Unangenehm fühlte es sich in Aphrodites Ohren an. Sie drückte ihr Gesicht auf ihre Pfoten.

Auch Ellis schien es unangenehm. Er fühlte sich wohl gedrängt und fing an den kleinen Baum zu erklimmen.
 

Als er nun auf einem Ast in ihrer Nähe saß und die Hand nach Aphrodite ausstreckte, schien er das Gleichgewicht zu verlieren und hielt sich gerade noch mit dem linken Arm an einem Ast fest. Mit einem gebrochen Arm sollte man nicht auf Bäume klettern, war die Erkenntnis des Tages.

„Scheiße! Ich wünschte deine dämlichen Katzen hätten die Kräfte der Götter, deren Namen sie tragen! Verdammt!“, fluchte der sonst so ruhige und gebildete junge Mann.

„Rede nicht so über meine Babys!“, fauchte Elly zurück. Dann ließ sie Worten Taten folgen und erklomm ebenfalls den Stamm. Sie ließ sich auf einem der dicken Äste des Baumes nieder, griff nach ihrer Katze. Aphrodite schmiegte sich sofort an. Wenn es jemanden gab, dem sie vertraute dann Elly. Denn sie war in dem jungen Leben der Katze immer da gewesen.

„Hast du eine Ahnung, wie wir hier wieder runterkommen?“, stellte Ellis die Frage der Fragen.

„So hoch ist der Baum nicht. Wir könnten springen“, antwortete Elly, was nicht sehr vertrauenerweckend klang. Sie strich Aphrodite immer wieder über den Kopf.

„Nein danke, ein gebrochener Arm reicht mir“, erwiderte er sarkastisch. Doch am Ende tat er es wirklich. Er holte tief Luft und visierte ein Gebüsch an.

Es sah schmerzhaft aus, wie sich sein Gesicht verzog und als er dann panisch aufsprang und schrie: „Da haben sich verdammte Zweige in meinen Po gepikst!“, wurde Aphrodite in ihrer Annahme bestätigt.
 

„Sei nicht so blöd und hilf mir!“, maulte Elly, die immer noch auf dem Baum saß und mit jeder Sekunde ihre Katze fester an ihren Körper drückte.

Wieder verließ Aphrodites Mund ein klägliches Krächzen.

Sie sah das Augenrollen des Partners ihres geliebten Frauchens. Ellis strich sich Blätter von seiner Kleidung, dann breitete er seine Arme aus.

„Ich fange euch auf“, seine Stimme war genervt.

Elly dachte wohl im Moment dasselbe wie Aphrodite. Ellis war nicht klein. Keine Frage, er war sogar etwas größer als der Durchschnitt. Doch sein Körperbau war schwächlich. Nicht schlaksig, aber doch auch nicht muskulös.
 

Er würde sie niemals halten können.
 

„Hol bitte einfach die Leiter!“, die Abwertung in ihrer Stimme war selbst für ihre Katze nicht zu überhören.

„Wieso denn?“, ein herausfordernder Ton lag in diesen Worten.

„Na weil der einzige Sport, den du wirklich betreibst, Bücher stemmen ist“, locker warf sie ihm das an den Kopf.

„Au, das ist gemein“, sein Kinn schob sich trotzig vor. Doch er drehte sich um und ging in Richtung des Schuppens, welcher an der Seite des Hauses war.

Aphrodite folgte ihm mit den Augen. Auch sie war für die Variante mit der Leiter.
 

Wackelig trug er die Leiter vor sich her. Die silberne Farbe blitzte im Sonnenlicht auf. Er trug sie so weit wie es ging an die Magnolie heran, dann klappte er die Leiter aus.

Das Ding klemmte und machte ein quietschendes Geräusch.

Erstaunt stellte Aphrodite fest, das Elly gar nicht skeptisch wirkte. Sie schien sich nicht zurückschrecken zu lassen und zusammen mit ihrer Katze auf dem Arm stieg sie vom Baum auf die Leiter.
 

Aphrodite wusste nicht genau wieso, doch plötzlich fing sie selber an zu zappeln.

Vielleicht ein Instinkt.

„Ruhig Baby, ruhig, ich bin bei dir“, flüsterte Elly beruhigend und zwang Aphrodite damit zur Ruhe.

Bald setzte Elly ihr geliebtes Kätzchen auf die Wiese.

„Tu mir so etwas nie wieder an!“, mahnte sie die Kleine, welche sie aus großen blauen Augen schuldbewusst ansah.

Doch schnell sah sich Aphrodite nach anderen Dingen um. Wo war Helios?

Ein fröhliches Miauen machte sie auf ihn aufmerksam. Er legte stolz einen Frosch vor ihr ab, den er im Nachbarteich geklaut hatte.

Der Frosch schaute verwirrt zwischen ihnen beiden hin und her, nur um wieder zu verschwinden.

Als Belohnung drückte sie sich an Helios und rieb ihren Kopf an seinen Nacken.
 

„Wo kommt der Frosch her?“, Elly klang eher belustigt als überrascht.

„Welcher Frosch?“ Eine Hektik ergriff Ellis, der Frösche schon immer verabscheut hatte.

„Der, der auf deiner Schulter hockt“, antwortete Elly wie selbstverständlich.

Voll Panik fing Ellis an zu schreien. Er drehte sich im Kreis, während er von zwei Katzen mit schief gelegten Köpfen beobachtet wurde.

Elly gab ihm eine nett gemeinte Backpfeife, worauf er still hielt. Sie griff sich das hilflose Geschöpf.

„Na mein Freund, wer hat dich verschleppt“, sie schaute nun auch zu ihren Katzen.

„Ich tippe auf Helios.“ Elly seufzte und ging zu dem Bambus, der sich nahe des Zaunes ihrer Nachbarn angesiedelt hatte. Den Frosch entließ sie schnell in das Dickicht, ihre Katzen kamen nicht so einfach davon.

„Ich hasse Frösche“, fluchte Ellis. während er sich aufs Gras fallen ließ und den Tränen nahe war. Elly hatte sich Aphrodite schon unter den Arm geklemmt. Genervt schaute sie zu Ellis.

„Jammer nicht herum, sondern nimm Helios und schaff ihn wieder ins Haus“, ein strenger Befehl.

Wie ein trotziges Kind verschränkte der immer noch auf dem Rasen sitzende Ellis die Hände vor der Brust und schob die Unterlippe vor.

„Das Vieh ist mindestens 8 Kilo schwer und ich soll den hochheben? Bin ich denn verrückt?!“

„Aber mich auffangen wollen!“, Elly verschwand im Haus und ließ ihn einfach dort sitzen.
 

Es dauerte ganze 10 Minuten, bis Ellis mit dem schweren Kater auf dem Arm das Haus betrat. Doch statt sich zu beschweren kuschelte sich Helios immer mehr an Ellis und trampelte tapfer mit seinen Tatzen gegen den Arm des jungen Mannes.

„Glaub mir, sobald du zu mir ziehst, werde ich diesen Wahnsinn nicht mehr dulden!“, um die Wichtigkeit dieser Worte zu unterstreichen stellte er den Kater ab.

„Glaub mir, dafür liebst du meine süßen kleinen Kätzchen schon zu sehr.“ Sie zwinkerte ihm zu, während sie Aphrodite und Artemis hinter den Ohren kraulte, welche noch nichts von den großen Umzugsplänen ahnten.
 

************
 

Ich hoffe es gefällt meinem Wichtelkind.

Ich war nicht mehr so überzeugt von der Geschichte, da ich die Idee nicht so gut umsetzen konnte, wie ich es mir vorgestellt hatte.

Ich freue mich über Kritik jeder Art
 

lg

Cliona

Schneeengel

Das erste Opfer war Kathrin Down.

Ihr geschundener Körper war in ein weißes Kleid, das nicht ihr gehört, gesteckt worden und lag im Schnee.

Die Szenerie, welche die Polizei von Destiny, Alaska, auffand, war makaber.

Detektiv Harold Goodchild berichtete es seinem Kollegen, Partner und besten Freund Detektiv Angelo Canny so: „ Du musst es dir wirklich ansehen! Angelo, er hat sie hergerichtet wie einen gottverdammten Engel. Ihre Lippen, Haare und Augenlider, alles ist mit kleinen Schneekristallen überzogen. Sie trägt keine Schuhe und er hat mit ihren Armen einen Schneeengel gemacht. Also ich meine, er hat sie da hin drapiert. Denn sie kann da, wenn man den Schneefall beachtet, nicht länger als eine Stunde liegen, doch der Körper sieht aus, als wäre sie schon mindestens fünf Stunden tot. Arme Kathrin!“
 

Angelo ging ein paar Schritte mit Herold und legte ihm dann die Hand auf die Schulter: „Du darfst das nicht so an dich ran kommen lassen Harry. Atme tief ein und aus.“

Angelo erblickte die Leiche, welche gerade abgedeckt wurde.

Sie sah wunderschön aus.

Dieser Gedanke brachte ihn selber zum Schlucken. Er musste denken wie der Mörder.

Die Leiche sollte wunderschön aussehen. Schon im Leben war Kathrin eine starke, schöne Frau gewesen. Ihre blauen Augen hatten tapfer der Welt entgegen geblickt, als wollte sie jeden herausfordern und mit ihren blonden Haaren hatte sie oft gespielt.

Ihre Haare hatten ein helles Blond und wirkten durch die Eiskristalle noch heller und beinah magisch. Ihre Lippen waren rot.

Er musste blinzeln.
 

„Unser Täter hat ihr frischen Lippenstift aufgetragen“, stellte er laut fest.

„Wer tut nur so etwas Schreckliches und dann auch noch bei uns?! Hier ist nie was los...“ Harold war kurz davor zu schluchzen.

Der einzige Arzt in der Kleinstadt gab das Zeichen die Leiche weg zu transportieren.

Ester Harsen war eine durchschnittlich große Frau mit braunen Augen, heller Haut, kleinen Sommersprossen und kinnlangen dunkelbrauner Korkenzieherlocken.

Oft hatte sich Detektive Angelo Canny gefragt, wie eine Frau, die solche Weichheit in ihren Zügen hatte, einen Job erledigen konnte, in dem sie so viel Leid sah.

„Den Rest überlasse ich euch, Jungs. Findet das Schwein“ Ihre braunen Augen funkelten wütend.

„Danke, dass du uns hilfst“ Angelo nickte Doktor Ester Harsen kurz und dankbar zu.

„Oh Mann, musst du sie jetzt aufschneiden Doc?“ Harolds Teint war sowieso schon hell, doch nun sah er ungesund blass aus.

„Ich weiß, dass du sie mochtest, Goodchild, aber es ist unumgänglich. Ihr wollt doch wissen, wie sie gestorben ist.“ Ester drehte sich um und folgte der Leiche aus dem Wald in Richtung der ersten Häuser.

„Wer hat sie denn gefunden?“, fragte Angelo und bückte sich dabei. Dort, wo die Leiche gebettet war, lag etwas.

Es war ein etwas feuchtes Stück Papier.

„Ein kleines Mädchen, das mit ihrem Pferd ausreiten wollte. Rachel Brown. Sie wohnt in einem der Häuser am Waldrand“, Harolds Stimme war sehr dünn, als er sprach.

Angelo brauchte zwei Versuche um die Zeilen auf dem Papier zu entziffern.
 

Whose woods these are I think I know.

His house is in the village though;

He will not see me stopping here

To watch his woods fill up with snow.
 

Es kam ihm bekannt vor. Nur woher kannte er diese Zeilen? Ein Gedicht. Von welchem Dichter? Aus welcher Zeit? Welche Bedeutung?

Es war eine kleine Spur.

Unauffällig ließ er das Stückchen Papier in seine Tasche gleiten.

Angelos Rücken schmerzte. Seine Schulterblätter schienen sich immer wieder zu verschieben.
 

Nicht jetzt!
 

Fast hätte er aufgeschrien. Er unterdrückte seinen Drang zu fluchen und zu schreien. Seine Selbstkontrolle überraschte ihn manchmal selber.

„Wir müssen mit ihr reden“, presste er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.

„Ja, aber sie ist erst zehn Jahre! Sie ist traumatisiert!“

„Du weißt genau so gut wie ich, dass wir da durch müssen“, war das letzte, was Angelo sagte, bevor auch er sich umdrehte und in Richtung seines Wagens ging.
 

Der Motor heulte einmal auf, dann fuhr Detectiv Angelo Canny los. Sein Haus lag auf der anderen Seite von Destiny. Es war eine alte Hütte umgeben von großen Bäumen. Die einzige Verbindung war die Straße, die in das Dorf führte und in die anderen Richtung nach Anchorage. Bloß zwei Stunden bis zu dieser Stadt und dem damit verbundenem Flughafen.

Endlich bei seinem Heim angekommen schloss er die Tür und die Vorhänge.

In seinem Wohnzimmer standen ein einsames braunes Sofa, ihm gegenüber ein Fernseher und um auch bei der eisigsten Kälte warm zu bleiben, ein Kamin.

Nur zwei Bilder hingen an den Wänden. Einmal eine Fotografie des Schnees, wie er die Bäume bedeckte, welche er von Ester zu seinem angeblich 30ten Geburtstag geschenkt bekommen hatte und eine Fotografie von einem Sonnenaufgang über dem 'Great Canyon'. Er wusste nicht einmal, woher er dieses Bild hatte, doch er hing emotional daran.

Erst da entlud sich der wütende Schrei in ihm.

Lange nachdem er aufgehört hatte zu brüllen, hallte der Laut noch im Raum wieder. Seine schwere Jacke fiel zu Boden.
 

Welches Monster hatte bloß diese Arme Frau ermordet und geschändet?!
 

Er knöpfte sein Hemd so schnell, wie er konnte, auf und kaum dass es zu Boden fiel, brach seine Haut zwischen seinen Schulterblättern auf.

Anstatt Blut kamen Federn zum Vorschein.

Angelo fiel auf seine Knie und schrie wieder. Das schmerzhafte Ausfahren seiner Flügel war bloß ein Reflex. Eine Reaktion auf starke Emotionen wie Hass, Wut, Angst und Erregung.

Er konnte es unterdrücken, doch im Moment wollte es einfach nicht klappen.

Immer mehr der Schwingen kam zum Vorschein, bis sie sich prächtig und riesig hinter ihm ausbreiteten.

Die Federn sahen weich aus, als wären sie ihm gerade erst gewachsen. Die jeweiligen Spitzen seiner Flügel berührten in ihrem ausgebreiteten Zustand die zwei gegenüberliegenden Wände.

„Oh nein“, fluchte er halblaut.
 

Er bewegte seine Flügel hin und her, dann rollte er seine Schultern. Die Schmerzen waren wieder weg, doch er wusste, das Einfahren seiner Schwingen würde noch schmerzhafter werden.

Das warme Licht seiner Lampe ließ die Federn in einem angenehmen Bronzeton schimmern. Das Rotbraun entsprach fast seiner Haarfarbe. Ein lustiger Zufall, wie ihm seine Mutter immer gesagt hatte.
 

Früher, bevor er seine Aufgabe angetreten war. Bevor er merkte wie verdorben die meisten Menschen waren.

Bevor er wusste, dass der Sinn seines Daseins schon vor seiner Geburt festgelegt war.

Bevor er erfahren hatte, dass er wohl nie älter als Mitte dreißig aussehen würde.
 

Es dauerte eine Viertelstunde, bis Detective Canny sich sicher genug fühlte um aufzustehen. Im selben Augenblick klingelte sein Handy.

„Ja?“, meldete sich Angelo.

Am anderen Ende der Leitung knackte es, dann wurde aufgelegt.

Die Rufnummer war unbekannt.

„Verdammt! Ich werde noch verrückt!“ Er schüttelte den Kopf und ging zu seinem Schlafzimmer im hinteren Teil der Hütte.

Sein Bett war groß, die schweren, blauen Vorhänge waren auch hier zugezogen. Die kleine Lampe an der Decke flackerte.

Er entledigte sich auch noch seiner Hose und versuchte, auf der Seite einzuschlafen.

Die Flügel würde er erst dann wieder einziehen, wenn er das Haus verlassen musste.

Er war müde. Die Ereignisse hatten sich einfach überschlagen.
 

Seine Lieder wurden schwerer.
 

Er hatte den Dienst früh begonnen.

Seine Mittagspause hatte er fast kaum wahrgenommen. Es gab so viele Akten zu bearbeiten, die alle nur von Kleinkram und Alkohol handelten.

Als er gerade Schluss hatte machen wollen, klingelte sein Telefon.

Eine Leiche.

Er hatte den Tatort so schnell, wie er konnte, angepeilt und schlussendlich war er auf einen zerstreuten und verstörten Harry getroffen.
 

Es dauerte nicht sehr lange, bis Angelo endlich in den Schlaf glitt.
 

Ein penetrantes Klopfen riss ihn aus seinem Schlaf.

Dann hörte er verschwommen eine Stimme.

„Angelo, mach endlich auf! Komm schon, Alter!“

Sofort war der Engel hellwach.

Er sprang aus dem Bett und schlüpfte wieder in seine Hose rein.

Es blieb wohl keine Zeit zum Duschen, so wie Harolds Stimme klang.

Kurz bevor er die Tür öffnete, entsann er sich zwei Tatsachen, die Harold bis jetzt noch nicht über ihn wusste.

Das Paar Flügel bewegte sich kurz, dann traten Angelo Schmerzenstränen in die Augen.

Die Schwingen schienen sich wieder unter seine Haut zu schieben.

Um nicht zu schreien biss er sich auf die Hand. Dass seine Flügel nun nicht mehr zu sehen waren, merkte er an den Gleichgewichtsproblemen. Er musste sein Gewicht wieder so verlagern, wie vorher, da er nun keine Last mehr am Rücken hatte, die auszugleichen war.

Detective Canny öffnete die Tür.
 

„Was hat denn so lange gedauert? Du bist ja nicht mal richtig angezogen... Hast du auf eine Zitrone gebissen? Du solltest mal dein Gesicht sehen“, Harry trat an ihm vorbei in die Hütte.

„Hab mir nur den Zeh gestoßen“, grummelte Angelo leise, während er zurück in Schlafzimmer ging, um ein frisches Hemd zu suchen.

„Du brauchst dringend ein Frau, so wie du hier lebst“ Ein kurzes Lachen ertönte von Harold.

„Und dafür sind Sie hier her gekommen, um mir das zu sagen, Detective Goodchild?“, Mit einem frischen Hemd gekleidet kam Angelo zurück ins Wohnzimmer, wo sich Harold auf das Sofa niedergelassen hatte.

„Nein, ich wollte dich abholen, weil wir ein Verhör haben, mit Rachel Brown. Ich habe es gestern noch organisiert. Wir fahren jetzt zu ihr nach Hause“, Harolds Stimme klang wieder düster. Ein Schatten des jüngsten Ereignisses.

„Dir scheint die Sache sehr ernst zu sein. Was ist los?“ Angelo hob seine Jacke vom Boden auf, dort wo er sie gestern hatte fallen lassen.

„Verdammt, ein Mensch ist tot! Eine Frau!... Verdammt, ich hatte geplant Kathrin in ein paar Tagen einen Antrag zu machen!“ Es schien, als würde Harold gleich in Tränen ausbrechen.

„Ich wusste nicht, dass ihr ein Paar wart“, antwortete Angelo wahrheitsgemäß und sehr betroffen. Es war sein Aufgabe Goodchild zu schützen und dabei auf das Dorf aufzupassen. Unter Schutz verstand Gott oder welche Höhere Macht ihm auch immer befahl bestimmt etwas anderes.

„Wir haben es nicht an die große Glocke gehangen. Aber es lief schon vier Monate und ich wusste: Sie ist die Frau meines Lebens. Ich meine, ich bin verliebt in sie seit meinem ersten Tag an der Schule.“ Nun waren da wirklich Tränen.
 

„Ich fahre, gib mir deine Autoschlüssel.“ Nachdem er das gesagt hatte, händigte Harold ihm sofort die Schlüssel aus.

Es dauerte genau zehn Sekunden, bis Angelo seinen besten Freund im Auto hatte.

Selbst als er auf die Straße bog, spürte er seinen schmerzenden Rücken.

Angelo hasste seinen Flügelreflex.

„Ich kann nicht glauben, dass sie nicht mehr da ist“, seufzte Harold.

„Und ich kann nicht glauben, dass du mir nichts von euch erzählt hattest.“ Ein grimmiges Lächeln umspielte Angelos Lippen.

Wieder herrschte Schweigen, bis er endlich zur Auffahrt des Hauses bog, welches am Nächsten am Tatort lag.

Das Haus hatte eine schöne weiße Fassade und hob sich nur unerheblich aus dem Schnee hervor.

Das Rote Dach war mit leichtem Schnee bedeckt. Es leuchtete nur leicht die Farbe der Ziegel durch die Schneeflocken.

Spuren im Schnee hinterlassend gingen die beiden Detectives zu der schwarzen Haustür.

„Sei nicht zu unsensibel. Sie ist...“, kurz stockte Harold in seinen Worten.

„Sie ist meine Cousine, Angelo“, etwas Nachdruck lag in seiner Stimme.

Detective Canny nickte bloß und klingelte dann.
 

Das Wohnzimmer war in warmen Orange- und Rottönen eingerichtet.

Die Sessel, auf denen er und Harold Platz genommen hatten, waren mit einem milden rostfarbenden Stoff überzogen.

Rachel saß auf dem Sofa, welches rot war und orangene Kissen besaß.

Die Wände waren über und über mit Kinderbildern beklebt, die auf glückliche Zeiten verwiesen.

Das kleine Mädchen ihm gegenüber wirkte noch viel zu zart für ihre zehn Jahre.

Einzelne ihrer roten Strähnen strich sie immer wieder hinter ihr kleines helles Ohr.

Ihr Gesicht hatte nur eine leichte Spur von Sommersprossen und ihre Nase wirkte auf eine Art trotzig, die Angelo unter normalen Umständen zum Lächeln gebracht hätte.

Ihre blauen Augen sahen nervös von einem zum anderen Fenster, als hätte sie Angst nicht entkommen zu können.

„Ich glaube er beobachtet mich“, ihre Stimme war nur ein leichtes Hauchen.

Es war nicht ihr Cousin der sie beruhigte, sondern Angelo: „Keine Sorge, wir werden dafür sorgen, dass dir nichts zustößt!“

Kein Unschuldiges Kind sollte wegen einer Unaufmerksamkeit leiden.

„Kannst du uns vielleicht ein paar Fragen beantworten?“

Als Antwort nickte sie.

„Weißt du vielleicht, was diese Zeilen zu bedeuten haben?“, er reichte ihr das Stückchen Papier, welches er bei der Leiche gefunden hatte.

Laut las sie die Zeilen vor.

„Ich kenne das Gedicht...“ Sie schien weiter zu überlegen.

„Das ist Robert Frost. 'Stopping by woods on a snowy evening', das Lieblingsgedicht meiner Mutter“, diese Antwort kam von unerwarteter Seite.

„Wie geht es weiter, Harold?“, seine Stimme war einfach zu ruhig für diese Situation.

„Ich weiß es nicht mehr. Es war irgendwas mit 'woods and frozen lake; The darkest evening of the year. '

„Es könnte ein Hinweis sein, aber wenn es ein Hinweis ist, dann muss die erste Strophe auch ein Hinweis sein“, Angelo redete in Gedanken weiter.

„Wir werden dir später weitere Fragen stellen, okay, Rachel?“ Das meiste hatten die anderen Polizisten schon übernommen, da war sich der Engel sicher.
 

Es dauerte nicht lange und Angelo betrat mit Harold im Schlepptau das Polizeirevier.

Sofort ging er zu seinem Computer und suchte im Internet nach diesem Gedicht.
 

My little horse must think it queer

To stop without a farmhouse near

Between the woods and frozen lake

The darkest evening of the year.
 

„Welcher Tag ist heute?“, fragte Angelo geschockt in Richtung seines besten Freundes.

Dieser ließ vor Schreck die Akte, die er sich gerade angeschaut hatte, fallen.

„Der 21. Dezember. Heute ist.“ Angelo unterbrach Harold grob: „Wintersonnenwende! Scheiße. Der dunkelste Tag im Jahr. Wieso ist mir nicht aufgefallen, wie dunkel es ist!“

„Weil du es gewohnt bist. Was ist los?“

„Er hat ein weiteres Opfer und heute ist 'The darkest evening of the year'. Er wird jemanden töten und wir werden es nicht verhindern können! Wir müssen zum See“, Detective Canny schnappte sich hektisch seine Jacke und verließ das Büro wieder, dicht gefolgt von Detective Goodchild.
 

Das zweite Opfer war Lila Carter.

Ihre Haut hatte den etwas exotischeren Farbton einer Frau, die in ihrem Stammbaum einen Inuit hatte. Ihre Haare lagen schön drapiert in schwarzen Locken um ihr Gesicht herum.

Auch sie trug frischen Lippenstift und steckte in einem ihr fremden, weißen Kleid.

Ebenfalls mit ihrem Körper hatte man einen Schneeengel gemacht.

Die einzige Spur im Schnee, abgesehen von Angelos und Harolds Schuhabdrücken, war eine Schlittenspur und zwar von einem Pferdeschlitten.

Diese Spur verschwand zwischen den Nadelbäumen, welche ganz und gar weiß waren. Kleine Schneeflocken fielen vom Himmel und ließen die Lichtung noch idyllischer erscheinen.
 

„Mich beschleicht das komische Gefühl, der Kerl hat es auf dich abgesehen“, flüsterte Angelo in die Kälte, während sein Atem in der Luft sichtbar aufstieg.

„Erst deine Freundin, nun dein beste Freundin seit Kindertagen. Zudem richtet er sich nach dem Lieblingsgedicht deiner Mutter. Wem gehört also der Wald, in dem er seine Leichen ablegt. Wem gehört das Stück Wald, welches von dem Grundstück der Familie Brown bis zu diesem See reicht?“ Eigentlich war die Antwort für Angelo klar.

„Meiner Familie“, flüsterte Harold beschämt. Er hatte Ester angerufen, damit sie sich um die Leiche kümmern konnte.

Detective Canny beugte sich über Lila, er kannte sie selber gut. Sie hatte sich nie Feinde gemacht, war immer auf eine Art ehrlich, die man ihr nicht übel nehmen konnte.

Sein Blick glitt zu ihrer Faust, die Rechte war zusammengeballt.

„Was versteckst du vor mir, Lila?“, murmelte er, während er ihre Faust öffnete und ohne viel Überraschung einen weiteren Zettel fand.
 

My little horse must think it queer

To stop without a farmhouse near

Between the woods and frozen lake

The darkest evening of the year.
 

„Es hat noch zwei weitere Strophen, das heißt zwei weitere Tote“, Angelo drückte Harold das Stück Papier in die Hand.

He gives his harness bells a shake

To ask if there is some mistake.

The only other sound's the sweep

Of easy wind and downy flake. “, Harold Stimme klang brüchig.

„Wie bitte?“

„Das ist die dritte Strophe.“

„Also ein ruhiger Ort, wie unheimlich aufschlussreich!“ Wütend stapfte Angelo davon. Wie sollte er diesen Mörder nur fassen?

Er hinterließ ja nur Spuren, die man nicht zu ihm verfolgen konnte.

Angelo lief an der Schlittenspur entlang, die auf der anderen Seite des Sees einfach endete.

Irgendwas war hier gewaltig falsch!
 

Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, bis er wieder bei Harold war.

„Wie geht die vierte Strophe?“

The woods are lovely, dark and deep.

But I have promises to keep,

And miles to go before I sleep,

And miles to go before I sleep.

„Es hört sich an, als wollte er danach weiter ziehen.“

„Oh Gott, noch eine Leiche.“ Ester war zu ihnen gestoßen.

„Hast du eigentlich schon etwas zu Kathrin heraus gefunden?“, bei seiner Frage bückte sich Ester zu der Leiche und fing an sie provisorisch zu untersuchen.

„Ja, sie wurde eindeutig vergewaltigt, während er sie erdrosselte“, eine nüchterne Antwort.

Harold würgte und übergab sich in den Schnee.

„Ich bringe ihn wohl besser zu sich nach Hause.“ Angelo packte Harold am Arm und zog ihn hinter sich her.
 

Nachdem Harold geduscht hatte und nun in seinem Schlafanzug in seinem Bett lag, seufzte Angelo schwer.

„Soll ich noch hier bleiben?“ Er positionierte ein Glas warme Milch auf dem Nachttisch.

„Vielleicht ein bisschen“, murmelte Harold müde.

„Jetzt auch noch Lila. Hältst du mich einen Augenblick?“, ein kleines Wimmern kam aus seinem Mund und im nächsten Augenblick verdrehte Angelo mitleidig die Augen.

Er legte sich zu Herold und strich diesem durch die braunen Haare.

Herolds müde blaue Augen schlossen sich langsam und einzelne Tränen verließen sie.

„Ich bin froh dich einen meiner Freunde nennen zu können“, flüsterte Harold gegen Angelos T-Shirt.

„Ich bin auch froh, dass wir Freunde sind“, doch das hörte Harold gar nicht mehr, denn er war schon eingeschlafen.
 

Erst weit nach einer Stunde später kam Angelo bei sich zu Hause an.

Er hatte es nicht verhindern können.

Es waren zwei Leute gestorben und er war hilflos gewesen.

Wieder schmerzte sein Rücken.

Er setzte sich in seinem Wohnzimmer auf dem Teppich in den Schneidersitz und konzentrierte sich.

Irgendetwas hatte er bestimmt übersehen.

Der Mörder richtete seine Opfer her.

Er wollte, dass man sie in dieser Position fand.

Er hatte Kathrin vergewaltigt und Lila bestimmt auch.

Er hinterließ kleine Spuren. Er wollte entdeckt werden oder er wollte nur, dass jemand wusste, wer er war.

Beide Opfer standen mit Harold in Verbindung.

Vielleicht sollte man Harolds Verwandten und Freundeskreis beobachten, beschützen lassen.

Doch was war ihm entfallen?

Wie sollte er herausfinden, wer das nächste Opfer war und wo es liegen sollte?

Wie Angelo sich so in seinem Geist verlor, spürte er seinen Körper gar nicht mehr.
 

Erst ein vorsichtiges Klopfen riss ihn aus seiner Trance.

Sein Rücken hatte aufgehört zu protestieren, er hatte seine Flügel unter Kontrolle.

Er musste verwirrt blinzeln, als vor der Tür Ester stand.

„Ich dachte mir schon, dass du noch wach sein würdest.“ Sie lächelte matt und drückte ihm eine Papiertüte in die Hand.

„Habe was zu essen mitgebracht, ich werde dir jetzt etwas kochen“, ihre Stimme war herrisch. Sie warf ihren Mantel und ihren Schal auf das Sofa und nahm ihm die Tüte wieder ab.

„An deiner Stelle solltest du die Tür schließen.“ Sie deutete etwas ausladend auf ihn, der immer noch erstarrt im offenen Türrahmen stand.

Er schüttelte seinen Kopf, schlug die Tür zu und rollte seine steifen Schultern.

Wie lange hatte er da gesessen?

Ein Blick auf die Uhr verriet ihm, dass es bereits nach 22 Uhr war.

„Was erlauben Sie sich eigentlich, Dr. Harsen?“, er klang weder wütend noch schnippisch. Eher neckend.

„Ich dachte mir, dass ein armer Detective wie sie selten etwas Selbstgekochtes isst und nach den letzten Tagen wollte ich sie aufmuntern, Detective Canny.“ Sie zwinkerte und verschwand in die Küche.

Schmunzelnd bemerkte Angelo, dass sie vielleicht einmal zu oft hier war.

Bevor das mit dem Mord an Kathrin begonnen hatte, waren sie Freunde geworden.

Ester war wie er nicht seit seiner Geburt in Destiny.

Sie war eine kluge und nette Ärzten, die nichts mit den Hinterwäldlern, die sie ständig anbaggerten, anfangen konnte.

Gerne nahm er sie bei solchen Dingen in Schutz.

„Angelo, wo bist du nur wieder in Gedanken? Ich sagte, das Essen ist fertig.“ Sie stupste ihn an und deutet in die Küche, wo ein kleiner Tisch stand.

„Oh, tut mir Leid“ Er folgte ihr und war wiedermal erstaunt, wie sie es schaffte, in solch einer kurzen Zeit ein so geniales Essen zu zaubern.

„Das sieht echt gut aus!“, lobte er Ester begeistert.
 

Das Erwachen war deswegen unangenehm, da der Anruf sowohl ihn als auch Ester weckte.

Doch das schlimmste sollte erst kommen.

Rachel Brown war verschwunden, sowohl sie, als auch ihr Pferd.

Zuerst war die Rede davon, dass Rachel einfach nur weggelaufen war.

Angelo wusste aber, was er anordnen sollte.

„Ihr Idioten! Durchsucht den Wald. Jeden einzelnen Fleck!“, fauchte er in das Telefon und legte dann auf.

Seine Hände legten sich über seine Augen. Erschöpft rieb er sich durch sein Gesicht.

„Ich gehe duschen, du solltest auch langsam zur Arbeit gehen. Wir werden uns heute wahrscheinlich noch sehen“, er schaute zu Ester und seine Stimme klang düster.

„Was ist passiert?“, sie klang eindringlich.

„Rachel Brown ist verschwunden. Sie wird sein nächstes Opfer sein.“

„Gibst du dir selber die Schuld daran, Angel?“ Nun war ihre Stimme tadelnd.

„Ich hatte dir schon einmal gesagt, dass du mich nicht so nennen sollst“, er musste grummeln.

„Du solltest wirklich duschen, ich bin verschwunden wenn du fertig bist“, ganz klar versuchte sie ihn mit ihren Worten nur abzulenken, doch die kleine Sorgenfalte über ihren braunen Augen ließ sich nicht einfach ausblenden.
 

Angelo hatte es geschafft, alle Anrufe von Harold fern zu halten.

Nun stand er vor der Haustür seines besten Freundes mit einem Kaffee in der Hand und wartete, dass ihm aufgemacht wurde.

Eine gefühlte Ewigkeit stand er in der Kälte, die ihm schon lange nichts mehr ausmachte.

Mit der Zeit härtete man wirklich ab, wenn man nur durch Waffengewalt sterben konnte.

„Ich glaube, ich melde mich heute krank“, murmelte Harold erschöpft, als er die Tür öffnete.

„Ist auch besser so, ich habe dir einen Kaffee mitgebracht.“ Er betrat das Haus und übergab seinem besten Freund dessen Lieblingsgetränk.

„Irgendwas Neues?“, kam auch sofort die Frage, vor der sich Angelo schon die ganze Zeit gefürchtet hatte.

„Es ist etwas passiert. Noch kein Mord, aber...“, Angelo stockte. Er war der einzige, der das Recht hatte, es Harold zu sagen.

„Rachel ist verschwunden.“

„Ein schlechter Scherz“, fast klang die Stimme des Dunkelhaarigen hoffnungsvoll.

„Bleib hier, lass niemanden rein, ich werde mich darum kümmern. Wenn ich etwas Neues weiß, rufe ich dich an.“ Damit verließ Detective Canny fluchtartig das Haus.
 

Sein Handy klingelte.

„Ja?“

„Wir haben Hufabdrücke gefunden“, die Stimme am anderen Ende der Leitung klang atemlos.

„Und worauf wartet ihr?! Folgt ihr!“ Er legte auf. Es war Frank gewesen. Sein Team suchte im nördlichen Teil des Waldes.

Angelo wusste also ungefähr, wo er hin musste.

Wieder klingelte sein Handy.

„Was ist denn noch?!“, meldete er sich unfreundlich.

Erst ein Schweigen, dann hörte er das leise Atmen einer anderen Person.

„Ihre Haut war zart. Wieder ein toter, nicht mehr so unschuldiger Engel“, die Stimme war verzerrt. Männlich, aber verzerrt.

Der Anruf wurde unterbrochen und das Tuten hallte in Angelos Ohr wieder.

„Nein! Nein! Nein!“ Er versuchte die Nummer anzurufen. Doch diese war unterdrückt.

„Verdammt!“

Er tippte schnell Franks Nummer ein.

„Sie ist tot!“

„Canny? Woher wissen sie das? Wir haben sie gerade gefunden“, die Stimme des erfahrenen Polizisten klang dünn.

„Der Mörder hat gerade bei mir angerufen“, spuckte Angelo hervor.

„Gib mir deine Koordinaten, ich bringe Dr. Harsen mit.“
 

Das dritte Opfer war Rachel Brown.

Ihre roten Haare waren im Schnee ausgebreitet und sahen aus wie Feuer.

Ihre Haut war die blasse einer Rothaarigen und auch sie steckte in einem weißen Gewand. Es war wie bei den ersten zwei Opfern ein eher schmuckloses Gewand, welches nur knapp über die Knie reichte. Es hatte einen runden hochgeschlossenen Ausschnitt und war mit winzigen silbernen Schnörkeln am Saum verziert. Die weißen Ärmel waren lang, doch der rechte war hochgerutscht und entblößte ihr blasses Handgelenk.

Alles in allem ein hübsches, schlichtes Gewand, welches der Täter wohl in vielen Größen besaß.

Wie die beiden ersten Opfern war auch sie ein Schneeengel.
 

„Sie ist viel zu jung“, hauchte Ester entsetzt, während sie den kleinen geschundenen Körper untersuchte.

Neben der Zehnjährigen an einen Baum war ihr Pferd angebunden. An seinem Hals befanden sich Glöckchen die immer wieder erklangen.

Auch hier fehlte das Stück Papier nicht.
 

He gives his harness bells a shake

To ask if there is some mistake.

The only other sound's the sweep

Of easy wind and downy flake.
 

„Ich muss Harold benachrichtigen.“

„Keiner hindert dich daran, Angel“ Ester beobachtete, wie die Leiche von den Männern wegtransportiert wurde und legte ihm kurz eine Hand auf die Schulter.

Sie war ihm zu vertraut geworden.

Eine enge Bindung war in seinem Beruf eigentlich nicht möglich oder eher nicht gerne gesehen.

Er meinte damit natürlich nicht seinen Job als Detective.

Seine Art, sie lebte viel zu lange und auf Dauer lohnte es sich nur einen anderen Engel zu suchen, der ebenfalls solange lebte.

Mit Menschen hatte man nur unnötige Trauer am Hals.

Doch leider war es selbst für einen Engel schwer einen anderen zu finden.

Sogar der Kontakt zu seiner Mutter war vollständig abgebrochen und von seinem Vater hatte er gar keine Ahnung.

„Ich sagte doch, ich will nicht so genannt werden“, diese Erwiderung klang lahm.

Er drehte sich um und wollte zu seinem Auto.

Harold hatte es nur verdient, dass er ihm gegenüberstand, wenn er ihm sagte, dass seine Cousine umgebracht worden war.
 

Harold öffnete ihm nicht die Tür.

Sein Klopfen war penetrant geworden und dazu gesellte sich seine Stimme, die immer wieder den Namen seines besten Freundes rief.

„Verdammt, Harry, mach die Tür auf“, fluchte er, noch bevor er die Türklinke herunter drückte.

Unabgeschlossen.

„Scheiße!“, Angelo sah sich panisch im Haus um.

Einige Möbel waren umgestoßen, eine Lampe kaputt.

Von Harold war nirgends eine Spur.
 

Harold sollte also das vierte und wahrscheinlich letzte Opfer sein.
 

Wo sollte er suchen? Was sollte er machen?

Er saß wieder an seinem Schreibtisch auf der Polizeiwache.

Seine Augenlider waren schwer, doch es gelang ihm einfach nicht einzuschlafen.

Sein Sichtfeld verschwamm. Sein Kopf schmerzte.

Wie aus weiter Ferne hörte er das Klingeln eines Telefons.

Er hörte verschwommen die Worte seiner Kollegen, verstand aber nicht was sie sagten.

Als sich eine warme und sehr vertraute Hand auf seine Schulter legte, wurde es schwarz um ihn herum und kurz bevor er einschlief, hörte er noch wie Esters Stimme ihm ins Ohr flüsterte: „Angel, du musst auf dein Herz hören, wenn du ihn finden willst.“
 

Angelo schreckte auf.

Das war es. Harold war der, den er beschützen musste. Als Harolds Wächter musste er sich auf ihn konzentrieren, um ihn zu finden.

Verdutzt stellte er fest, dass er diese Erkenntnis vorher noch nie gehabt hatte.

Er schaute auf die Uhr und plötzlich war ihm auch klar, warum niemand mehr im Revier war.

Mit geschlossenen Augen trat er an die frische Luft.

Er musste nach rechts, sagte ihm sein Instinkt.

Nur von seinem Gefühl geleitet lief er eine gefühlte Ewigkeit durch Destiny, Alaska und bald auch durch den Wald.
 

Nachdem er die ersten Bäume hinter sich gelassen hatte, wusste er nicht mehr, wo er war. Alles sah gleich aus. Seine Füße bewegten sich nach Osten, wie ihm die Sterne verrieten. Im ersten Augenblick wollte er es selber verhindern, dann aber wurde ihm wieder klar, dass das - was auch immer hier vorging - viel weiter ging, als das, was er kontrollieren konnte.

Er war gerade dabei zu versagen und sein Blut wollte das verhindern. Seine übernatürliche Abstammung.

Etwas in ihm wusste, dass nicht nur Harold verloren wäre, wenn er versagte.
 

Neben Angelo fiel etwas Schnee von einem Baum und ließ ihn wieder aufmerken.

Die Lichter des Dorfes waren in weite Ferne gerückt und der Schnee bedeckte jeden Pfad zurück. Auch seine Fußspuren wurden langsam von den dicken Flocken, die vom Himmel fielen, gefüllt.
 

Ruckartig blieb er stehen.
 

Er erkannte den Ort sofort wieder.

Hier hatten sie Kathrins Leiche gefunden.

Doch nun lag dort Harold. Eine dunkle Gestalt war über seinen beinahe leblosen Körper gebeugt.

„Verschwinde!“, rief Angelo der Person zu, die langsam die Hände um den Hals seines besten Freundes legte.

Das Gesicht drehte sich zu ihm und dort, wo die Augen sein sollten, glühten zwei gelbe Kohlen.

Die verzerrte Stimme, die ihm entgegen zischte, war dieselbe, die er schon am Telefon gehört hatte: „Und wieder wird ein Engel sein Leben lassen, Wächter!“

„Nein!“, schrie Angelo.

In ihm wallte Kraft auf. Das Feuer, das jeder Engel besaß. Das Licht, was erstrahlte, wenn er sich genug konzentrierte.

„Hau ab!“, seine Stimme wurde dunkel und hallte von den Bäumen wieder.

Seine Flügel fuhren aus, doch Angelo spürte dieses Mal keinen Schmerz. Er zuckte nicht einmal zusammen. Es lag wohl an der Macht, an dem Licht, das ihn einhüllte.

Der Schnee unter seinen Füßen begann zu schmelzen.

Seine Schritte waren schwer, während er dem Szenerie entgegen trat.

„Ich sagte, du sollst gehen!“, eine Macht sprach aus seiner Stimme, die ihm auf eine merkwürdige Weise bekannt vorkam. Doch er konnte sich nicht erinnern sie jemals benutzt zu haben.

In seine Flügel trat ein angenehm warmes Prickeln.

„Versuch es doch“, spuckte ihm die verzerrte Stimme entgegen.

Nur eine Sekunde später stand Angelo bei der Gestalt und riss sie mit aller Macht von Harold herunter.

Unter seinen glühenden Fingern fing der schwarze Mantel der Gestalt an zu zischen.

Ein fauliger Geruch drang in seine Nase.

„Was bist du?“

„Wenn es dich gibt, muss es auch mich geben. Denn wo Licht ist, ist auch Schatten“, nun klangen in der Stimme Schmerzen mit.

Der schwarze Stoff hatte sich in seinem Licht aufgelöst, als wäre es Säure.

Die Gestalt fiel zu Boden und schneller als er schauen konnte, kroch das Wesen mit einem Winseln in den Schutz der Bäume.

Er wollte ihm zuerst folgen, bis er wieder an Harold dachte.

Neben Harold sackte Angelo Canny auf die Knie. Er nahm kaum noch ein Lebenszeichen war.

Seine Hände legten sich wie automatisch auf Harolds Brust.

„Komm schon!“, flüsterte er beschwörerisch, während er seinem Licht dabei zuschaute, wie es auf den Körper seines besten Freundes übergriff.

Einzelne Schweißperlen rannen ihm die Stirn herunter.

Sein Atem wurde schwerer.

„Ich hätte nicht gedacht, dass es mich so viel Kraft kostet dir den Arsch zu retten“, schnaubte er erleichtert, als er merkte wie Harolds Augenlider zuckten.
 

„Angelo?“, die Stimme klang kratzig.

„Ich muss tot sein, denn du leuchtest und hast Flügel“, nun lachte er trocken auf und rieb sich über den Hals.

„Ich bin froh, dass du lebst“, etwas Wütendes lag in seiner Stimme.

„Angel, Angel, Angel“, auch Ester war anwesend und ihre Stimme klang tadelnd.

Keiner der beiden hatte sie bis jetzt bemerkt.

„Er hätte sterben können, aber das wäre nicht so schlimm gewesen wie die Enthüllung deines Wesens“, ein theatralisches Seufzen verließ ihren Mund, dann wurde ihre Miene ernst.

„Du weißt es nicht mehr, aber vor 30 Jahren befanden wir uns in einer ähnlichen Situation. Das Problem ist, dass du die Spielregeln kanntest, doch durch deine Bestrafung, weil du die Regeln brachst, hast du sie vergessen“, sie trat näher und hielt Harold etwas zu Trinken hin.

„Das wird dir jetzt gut tun.“ Sie zwinkerte ihm zu und drehte sich wieder zu Angelo.

„Wenn ein Engel einem Menschen seine wahre Gestalt zeigt, muss er vergessen. Dafür Sorgen dann ihre Begleiter. Ein Wesen, das nur dazu bestimmte ist den Engel zu überwachen und ihn vergessen zu lassen, wenn nötig.“

„Du... Du bist mein Begleiter?“, fragte er verwirrt und verunsichert.

„Angel, mein Schatz, ich war es schon immer und das letzte Mal hat es dich nicht gestört.“ Sie legte ihm die Hand auf die Wange.

„Bevor du deine Aufgabe erledigst, würdest du mir zwei Fragen beantworten?“ Er konnte seine Augen nicht abwenden.

„Frag.“ Sie tat es auch nicht.

„Warum Harold? Was war an ihm und seiner Familie so interessant?“

„Hey ich lebe noch!“, beschwerte sich Harold, der die beiden immer noch ungläubig anschaute und sich Schnee von der Hose klopfte.

„Du musst zuerst verstehen, dass Lila seine Großcousine war und Kathrin war schwanger.“ Sie machte kurz eine bedeutungsschwere Pause.

„In Harolds Familie fließt das schwach verdünnte Blut eines Engels. Harold hat noch die reinste Konzentration. Wenn man Personen mit solchem Blut quält, zeigen sich manchmal Fähigkeiten ihrer Vorfahren. Dunkle Wesen, wie der Dämon, können diese Fähigkeit aus schwachen menschlichen Körpern aussaugen. Genügt das als Erklärung?“ Nun war ihr Blick auf Harold gerichtet. Sein Gesicht war blass. Er stammelte etwas über Kathrin.

„Deine zweite Frage?“

„Warum nennst du mich immer Angel?“

„Weil du beim letzten Vergessen gesagt hast, ich soll dich immer Angel nennen, komme was wolle. Denn es wäre das einzige, dass von unserer Liebe übrig bleiben würde.“ Auch ihre zweite Hand legte sich auf sein Gesicht.

Sie drückte ihm ihre Lippen auf seine und bei der Berührung sackte er zu Boden.
 

Angelo war ohnmächtig.
 

„Ich werde dich auch weiter Angel nennen, versprochen“, hauchte sie in den Wind.

„Warum tust du ihm und dir immer wieder diese Tragödie an“, Harolds Stimme klang wieder normal.

„Weil uns nichts anderes übrig bleibt. Ich nehme dir jetzt auch die Erinnerung. Danach werden alle in Destiny, du eingeschlossen, denken ein Schneesturm hätte drei Opfer gefordert. Du wirst nichts mehr von der Schwangerschaft wissen und Angelo wird wieder seinen Platz als dein bester Freund einnehmen. Du wirst nicht einmal ahnen, dass er ein Engel ist.“ Sie ging auf ihn zu und ihre Hände legten sich auf seine Wangen.

„Ich wünschte, ich könnte all das Leid behalten, nur damit ich die Wahrheit über ihren Tod nicht vergesse.“ Er schloss die Augen und ein Ausdruck der Entschlossenheit lag in seinen Zügen.

„Und ich wünschte, ich dürfte alles vergessen und nicht länger an jemanden gebunden sein, der mich immer erst mit Misstrauen bedenkt“, auch ihre Augen schlossen sich.

Um sie herum fielen Schneeflocken zu Boden.

Angelos bronzene Federn waren mit Eiskristallen überzogen.

Am Himmel funkelten einsam die Sterne.

Nur Harold und Ester standen dort und für einen kleinen Augenblick wussten beide, wie sich der andere fühlte.

Es dauerte bloß einen kleinen Augenblick, bis Harold zu Boden sank und sich Ester erschöpft in Richtung der Kleinstadt wendete, die ihr eine kleine Heimat bot.
 

Der Mond schien auf die zwei Körper im Schnee und vertrieb die Dunkelheit um sie herum.
 

************
 

So ich hoffe mein Wichtelkind Arianrhod- hat das hier gerne gelesen ;)

Ich hatte zuerst wirklich überlegt ein Crossover von Primeval und Cold Case zu schreiben, war mir aber nicht sicher ob du Cold Case magst/kennst und deswegen bin ich bei der altbewehrten Eigenen Serie geblieben. NCIS hätte ich vielleicht auch gerne gemacht, aber ich habe so einen Respekt vor Gibbs, dass ich diesen Charakter nicht schreiben kann....

Na gut ich hoffe es hat dir zugesagt

Ich würde mich über Kritik jeder Art freuen

lg

Cliona



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Kommentare zu dieser Fanfic (8)

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Von: abgemeldet
2012-03-02T11:24:33+00:00 02.03.2012 12:24
oje, der große bruder, der nicht merkt, dass seine kleine schwester nicht mehr so klein ist.
ich finde die idee sehr schön, eben weil sie (meiner erfahrung nach) recht oft zwischen geschwistern auftritt.
auch ist der OS sehr schön geschrieben, die eindrücken und gedanken von dennis sind gut beschrieben. sehr schön (:
Von:  Wintersoldier
2011-12-09T19:57:16+00:00 09.12.2011 20:57
Ich finde es als Wichtelgeschenk auch super. :D (Macht es was, dass ich mir die beiden vorstelle, wie sie Dahlia und Liam begegnen? XD Hach, ganz viel Liebe für dieses Universum *__* Ich hab zwar keine Ahnung, ob sie da grundsätzlich reingehören, aber für mich passen sie zumindest. Und irgendwie habe ich mich dadurch noch mehr gefreut. ♥)

Aber fangen wir mal vorne an: erst einmal hab ich mich riesig gefreut, dass du für mich gewichtelt hast, weil ich mir dann immer sicher bin, dass, ganz gleich, was du geschrieben hast, ich es immer toll finde. Und bei der Geschichte war es auch wieder so. :3 Und ich kann dir gar nicht genau sagen, warum, aber irgendwie mochte ich die beiden Hauptcharaktere sofort. Und ihre Geschichte. Oder ihre Freundinnen.

Einfach awww~. Danke, wirklich. *O*

Liebe Grüße
Aya
Von:  Melina19
2011-11-23T13:19:48+00:00 23.11.2011 14:19
hey Süße,

ich finde dieses Wichtelgeschenk super, auch wenn es nicht für mich war, aber egal. Irgendwie erweckt sie Wheinachtsstimmung in mir.

Lg

Melina19
Von:  Chimi-mimi
2011-10-27T13:58:01+00:00 27.10.2011 15:58
Eine niedliche kleine Geschichte, und ich finde, dass du die Dialogfetzen schön eingebaut hast :)
Ansonsten kann ich eigentlich nichts sagen, was schon erwähnt wurde, außer: Mir gefällts echt gut. Ich musste schmunzeln und gerade den Schluss finde ich sehr gelungen.
Von:  Chimi-mimi
2011-10-26T17:16:43+00:00 26.10.2011 19:16
Hey!

Gelesen habe ich die Geschichte natürlich gleich am Wichteltag, aber zu dem Kommentar komme ich erst jetzt:
Also inhaltlich finde ich die Story einfach spitze und sie ist wirklich nach meinem Geschmack, vielen, vielen Dank. Ich mag Geschichten, die nachdenken und einen Hintergrund haben - und das hat diese hier beides. Du hast mich glücklich gemacht.
Es gibt aber noch ein kleines Aber: Ich bin erstaunt, normalerweise sind deine Geschichten grammatikalisch und rechtschreibtechnisch echt top, hier bin ich aber über einige Fehler gestolpert, die das Lesevergnügen doch minimal mindern.

Nichtsdestotrotz freue ich mich natürlich waaaaahnsinnig darüber, vor allem dass du mein Lieblingsthema "Socken" umgesetzt hast - und dann auch noch mit so einem tollen, nachdenklichen, interessanten Inhalt ♥
Von:  Melina19
2011-10-17T21:45:15+00:00 17.10.2011 23:45
Hey Sonnenschein,

ich finde den "Sockenheld" wirklich super, auch wenn ich noch immer nicht die richtigen Worte finde um zu beschreiben was ich meine. Sie gefällt mir auf jedenfall sehr gut.
Macht weiter so.

Lg
Melina19
Von:  Wintersoldier
2011-09-17T10:22:19+00:00 17.09.2011 12:22
„Mama! Ich will nach Hause!“ → Bei der Stelle musste ich so lachen, dabei wusste ich, dass er genau das sagen würde, denn es war irgendwie offensichtlich, aber dennoch... sehr, sehr niedlich.

So wie die ganz Geschichte übrigens. Ich mochte diese ganze Geschwisterinteraktion sehr gerne, der Protagonist ist sehr sympathisch, sein kleiner Bruder Tobi einfach nur zum Knuddeln. Und ich finde, man bemerkt auch die unterschiedlichen Beziehungen, die der Protagonist einmal zu seinem kleinen Bruder und einmal zu seiner kleinen Schwester hat - und er scheint ein wirklich toller großer Bruder zu sein, so einen hätte ich auch gern. :3
Wirklich eine tolle kleine Geschichte mit viel Geschwisterliebe! <3~

Liebe Grüße
Aya

P.S: War es übrigens gewollt, dass er sich bei Sally mit Tobi vorstellt, obwohl das doch der Name seines kleinen Bruders ist, oder nicht? @.@
Von: abgemeldet
2011-09-16T14:13:52+00:00 16.09.2011 16:13
Heyho~
Also ich muss sagen, ich mag deine Geschichte =D
Bin ja generell hin und weg, wenn es um Geschwister geht und besonders die Szenen mit dem Protagonisten und Tobi sind echt süß ^^
Finde es nur ein wneig schade, dass man so wenig über die Charaktere erfährt und das Gespräch zwischen Lisa und dem großen Bruder wäre sicherlich auch spannend gewesen =D
Aber so überlässt du dem Leser seiner Phantasie und das ist auch nicht schlecht ^^

Mir gefällt deine Art zu schreiben und ich bin wirklich positiv überrascht, wie du die Dialogfetzen eingesetzt hast =D
Bei manchen Fetzen hätte ich selbst nicht gewusst, wie man sie hätte verwenden können xD

Ich ärgere mich, dass ich zukünftig wenig Zeit zum Schreiben finde und ich mich deshalb auch von der Wichtelaktion abgemeldet habe und mir die Möglichkeit verwehrt bleibt, mich bei dir zu revangieren ...
Doch ich verspreche, dir, wenn ich wieder Zeit finde, eine Geschichte als Dankeschön zu schreiben =)

Liebe Grüße
und Vielen Dank für die tolle Geschichte =D
n0ah


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