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Eternal Search

Die Suche nach dem Hier
von

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Prolog

Ich… ich bin…

Nicht „hier“…
 

Das "bin" nicht ich…

Aber das "war" ich…

Das "werde" ich sein…
 

Ich bin nicht hier…

Aber ich war hier…

Ich werde hier sein…
 

Wozu…?

Warum war ich hier und werde hier sein?

Wer…?

Was hielt und wird mich hier halten?
 

Ich suchte und ich werde suchen…

Wonach…?
 

Das wusste ich nicht…

Das werde ich nicht wissen…

Aber ich weiß es…
 

Ich suchte nach dir…

Ich werde nach dir suchen…
 

Aber ich finde dich nur „hier“…

Getrennt

Wir sind Sucher.

Seit unserer „Geburt“ gibt es für uns nur einen wirklichen Antrieb und der besteht darin, zu suchen. Wir wissen nicht, nach was oder wo wir suchen müssen. Aber wir können nicht eher damit aufhören, bis wir das gefunden haben, wofür wir diese allmächtige Sehnsucht empfinden.

Als ich damals erwachte, konnte ich bereits am ganzen Körper spüren, dass ich nicht vollständig war, dass mir etwas fehlte. Etwas, was ich jedoch nie besessen hatte. Merkwürdig, oder? Du vermisst etwas so sehr, dass es dir Schmerzen bereitet und dabei hast du es noch nie zuvor gesehen, gehört, gefühlt… Du bist ihm nie begegnet. Und doch zerreißt es dich, dass es nicht bei dir ist.

Und darum begann ich mit meiner Suche, genau wie all die anderen meiner Art.
 

Ich bin mir ziemlich sicher, so einen Gegenstand noch nie gesehen zu haben und kann doch nicht aufhören, ihn in der Hand zu wiegen, daran zu riechen oder über seine glatte und doch raue Oberfläche zu streichen.

„Was bist du?“, flüstere ich fasziniert vor mich hin. Der kleine Gegenstand wird mir nicht antworten – ich bin inzwischen bei der Erkenntnis angelangt, dass er nicht lebendig ist. Aber aus unerklärlichen Gründen glaube ich auch, dass er nicht immer tot war. Wie auch immer, sprechen kann er trotzdem nicht.

„Hey.“ Die Stimme hinter mir hat nur halblaut gesprochen, aber da ich so vertieft in die Betrachtung des Gegenstandes war, habe ich ihn nicht kommen hören und stoße einen kleinen Schrei des Schreckens aus. Die Stimme lacht. Wütend drehe ich mich herum.

„Kannst du dir nicht endlich jemand anderen suchen, an den du dich ranschleichst?“, fauche ich und das nicht ohne Grund – das ist nämlich schon das fünfte Mal. Der Junge, der einige Meter von mir entfernt steht, lacht erneut und streicht sich dabei das strubbelige goldblonde Haar aus der Stirn.

„Kann ich nicht. Du bist nämlich die einzige, bei der das hin und wieder funktioniert, D!“ Ich seufze. Leider hat er Recht. Alle, die mich kennen, nennen mich Träumerin. Ich neige dazu, öfters mal den „Kopf in die Wolken zu stecken“, wie der Junge vor mir es immer ausdrückt. Ich weiß nicht, ob man das so sagen kann, denn es kommt mir nicht so vor, als ob ich träume – ich fantasiere weniger, als dass ich einfach zu viel nachdenke. Über alles. Über unsere Existenz, über die anderen, über mich… Und darüber, ob ich wohl jemals eine Antwort auf all die Fragen finden werde, die in mir herumirren.

„Trotzdem“, murmele ich leicht angesäuert, „irgendwann ist Schluss mit lustig.“ Von einer Sekunde auf die nächste wandelt sich seine Miene von dem freundlichen Lächeln zum verärgerten Schmollmund.

„Oh bitte, Madame hat jetzt also genug. Schon klar“, knurrt er und wendet sich zum Gehen. Innerlich habe ich schon dreimal aufgestöhnt.

„Warte, Way! Das war doch nicht so gemeint.“ Er bleibt stehen, dreht sich aber nicht um.

„Hast du mir was zu sagen?“ Auch das nächste Stöhnen dränge ich in mein Inneres zurück, bevor es hervorkommen und Way wirklich vertreiben kann.

„Bleib bitte“, sage ich leise und aufrichtiger, als ich gedacht hätte. Schon dreht Way sich um, den Blick bereits wieder aufgehellt. Dieser Junge hat ein Talent zur Unberechenbarkeit. Aber ich mag ihn und ich bin froh, dass er mich noch nicht abgeschrieben hat, so wie viele andere. Denn ich komme nicht wirklich gut mit anderen meiner Art aus.

„Sogar ein Bitte. Das muss heute mein Glückstag sein!“ Er tätschelt mir kurz die Schulter und lässt sich dann auf einem der großen Felsen nieder, die in dieser Welt einfach überall herumliegen. Ich zögere kurz, dann setze ich mich auf einen Stein ihm gegenüber.

„Du, Way…“, sage ich schließlich und blicke zu Boden.

„Hm?“

„Weißt du, was das ist?“ Ich öffne die Faust und halte ihm den kleinen Gegenstand hin, den ich gefunden habe. Das ist schon ein paar Tage her. Ich war wie immer auf der Suche nachdem, was mir fehlt, als ich in diese seltsame Stadt gelangte. Die Welt, in der sie sich befand, lag nahe der Grenze zum Reich der Dunkelheit, also im Zwielicht. Welten, die im Zwielicht liegen sind immer auf eine Art besonders. Diese Besonderheit ist nur selten von außen her zu erkennen… ich glaube, so etwas kann man nur fühlen.

Ihrer Lage verdankt sie jedoch den immerwährenden Dämmerzustand. Die ganze Stadt war erfüllt von orangefarbenem Licht, Schatten und Ruhe. Im Grunde ein schöner Ort…

Als ich durch ihre Straßen ging, die Menschen beobachtete und nach einem Anzeichen für meinen fehlenden Teil suchte, sah ich plötzlich dieses Mädchen. Sie war wie ein Fremdkörper in dieser Welt und schien doch genau in sie hineinzugehören. Ihre Aura flimmerte und irgendwie hatte ich das Gefühl, sie zu kennen, obwohl mir ihr Gesicht gänzlich unbekannt war.

Das kurze schwarze Haar, der zierliche Körper verborgen unter einem pechschwarzen Ledermantel und dieser Blick… diese Aufrichtigkeit, dieser Mut und… dieser Schmerz – das alles war es, was mich dazu brachte ihr zu folgen. Ich wollte sehen, wohin sie ging. Ich wollte sie nicht ansprechen, nur um dann – wie immer – vergessen zu werden. Ich wollte nur wissen, wohin sie ging.

Aber dann verschwand sie plötzlich. Ich war ihr durch die halbe Stadt gefolgt, bis in eine Hintergasse, die wohl nur selten von jemandem betreten wurde. Das Mädchen schien das zu wissen und trotzdem sah sie sich einige Male um, ehe sie die Hand hob und so etwas wie ein Portal entstehen ließ. Ein Durchgang aus Dunkelheit. Das Mädchen gehörte zur Dunkelheit. War Teil davon. Sonst hätte sie das Durchschreiten des Portals nicht überlebt.

Nachdem sie hindurchgegangen war, löste sich der Eingang wieder auf. Aber sie hatte etwas verloren. Da sie bereits verschwunden war und ich nicht wusste, wohin, nahm ich den kleinen Gegenstand an mich. Ich dachte, dass ich sie vielleicht eines Tages wieder treffen würde und dann könnte ich ihn ihr zurückgeben. Aber bis jetzt war ich nicht wieder in dieser Zwielicht-Welt. Zudem ist es fraglich, ob ich das überhaupt jemals wieder sein werde. Und außerdem… dieser Gegenstand faszinierte mich zu sehr. Ich wollte erst wissen, was er ist und woher er kommt.

All das schießt mir in den wenigen Sekunden durch den Kopf, in denen Way mir den Gegenstand aus der Hand nimmt und mit skeptischem Blick begutachtet. Seine leuchtend grünen Augen verengen sich zusehends.

„Einen Moment, gleich hab ich’s…“, meint er grüblerisch. Gespannt beuge ich mich näher zu ihm hin. Dann stößt er urplötzlich einen überraschten Laut aus, der mich so überrumpelt, dass ich zurückzucke und die Augen aufreiße. Er wirft mir einen schelmischen Seitenblick zu und ich verfluche seine sprunghafte Ader doppelt und dreifach.

„Also wenn mich nicht alles täuscht, stammt dieses Ding ursprünglich aus dem Wasser.“ Er lässt ihn in meine noch immer geöffnete Hand fallen. „Und zwar nicht aus irgendeinem kleinen Flüsschen, sondern aus dem ‚Meer’.“

„Meer…?“, wiederhole ich wie verzaubert. Dieses Wort klingt… seltsam vertraut. Und irgendwie tut es gut, es zu hören.

„Jep, Meer“, lächelt Way und breitet beide Arme aus, um es zu veranschaulichen. „Eine sehr groooße Ansammlung von salzhaltigem Wasser. Leider nicht gerade in jeder Welt zu finden. Ich hab’s bisher auch nur einmal gesehen.“ Schweigend senke ich die Augen wieder auf den Gegenstand in meiner Hand. Er ist leicht hohl und läuft zum einen Ende schmal zu, dort ist er hellrosa, aber an der breiteten Seite wird er gelb wie das Dämmerlicht in dieser Stadt im Zwielicht. Und seine Oberfläche… das ist mir ein Rätsel.

„Glaubst du, dieser Gegenstand hat mal gelebt?“, spreche ich meine Gedanken von vorhin aus. Way lacht und das irritiert mich, sodass ich den Blick hebe und ihn ansehe.

„Nein, das da hat nicht gelebt“, sagt er und deutet mit dem Finger darauf. „Aber es hat etwas Lebendes gehütet.“

„Gehütet?“ Er nickt und mit einem Mal scheint sein Lächeln sanfter.

„Genau. Was du da hast ist eine Art ‚Schale’. Und bevor sie in deine Hände fand, hat sie irgendwann einmal eine Lebensform beinhaltet. Aber nicht allein…“

„Wie meinst du das?“ Er streckt die Hand aus und dreht das kleine Ding in meiner Hand herum, sodass die leicht hohle Seite nach oben zeigt. Dann streicht er über das schmalere Ende.

„Hier war sie mit ihrem Gegenstück verbunden. Ein Teil, der genauso aussieht wie sie. Und gemeinsam haben sie den Schutzschild für das Lebewesen geschaffen.“

„Wo ist ihr Gegenstück?“, frage ich leise. Etwas in mir bedauert die kleine Schale. Es gab eine Zeit, da war sie vollständig, kannte ihren Zweck, ihre Aufgabe und nun… Way seufzt und schließt meine Finger behutsam wieder um sie.

„Irgendwo.“

Das Wesen ohne Gegenwart

Wir kommen unvollständig auf die Welt. Und das wissen wir vom ersten Moment an. Wir sind orientierungslos zu Anfang, aber nicht wie Neugeborene. Wir sehen, hören, fühlen, wir wissen und denken und verstehen. Verstehen alles und nichts. Wir kennen unseren Namen und wissen, dass auch er nicht vollständig ist. Es fehlt etwas, das wir vorher auch nicht hatten und doch fehlt es uns. Und wir suchen. Wir suchen das, was uns fehlt. Der Teil, der nie Teil von uns war und es doch ist. Sie alle denken das. Alle meiner Art. Und zu Beginn dachte auch ich so. Aber dann kam mir dieser seltsame Gedanke.

Wir alle glauben, dass das, was wir suchen ein Teil von „uns“ ist. Ein Teil der fehlt, ja, und ohne den wir nicht ganz sind, nicht komplett, ein kleiner Teil. Aber ich glaube, es ist genau andersherum. „Wir“ sind der kleine Teil und wir fehlen dem, den wir suchen.

Aber warum sucht unser eigenes Großes Ganzes dann nicht auch nach uns?
 

Die Welt, in der ich mich befinde, ist – wie soll ich sagen – grün. Aber es ist ein anderes Grün als das von Ways Augen, die eher leuchtend, beinahe schillernd, sind. Und sie hat einen interessanten Geruch, sehr intensiv. Mir liegt eine Beschreibung dafür auf der Zunge, aber ich komme nicht dazu, sie zu fassen, weil etwas im Gebüsch hinter mir raschelt.

Sofort wirbele ich herum und gehe in Angriffshaltung. Zwischen dem dichten Pflanzengestrüpp funkelt mir ein giftiggrünes Augenpaar entgegen. Fast glaube ich, Way wäre mir gefolgt, nur um mir dieses Mal wirklich den Schreck meines Lebens einzujagen, aber da springt das Etwas schon aus seiner Deckung und direkt auf mich zu. Ich kann nicht schnell genug ausweichen oder den Angriff parieren. Zwei mit Krallen bestückte Pranken treffen mich gegen die Brust, das Gewicht des Wesens wirft mich um und für ein paar Sekunden bekomme ich keine Luft.

„Runter!“, keuche ich und versuche das Biest zu packen, das wie im Wahn nach mir schnappt. Hätte ich gewusst, dass man mich derart begrüßen würde, hätte ich mich besser vorbereitet. Der widerlich heiße Atem des Ungetüms schlägt mir entgegen und ich komme einfach nicht frei. Längst haben mir seine Krallen schmerzhafte Striemen in den Brustkorb gerissen und es ist nur eine Frage der Zeit, bis ich keine Kraft mehr habe, mich gegen das Vieh zur Wehr zu setzen.

Na gut, alles oder nichts. Ich zwänge die Augen auf und bereite mich gerade darauf vor, das zu entfesseln, was ich sonst lieber hinter sieben verschlossenen Türen halte, als das Biest von irgendwas heftig am Kopf getroffen wird. Jaulend lässt es von mir ab, knurrt und faucht aufgebracht und verschwindet dann mit einem Satz im Unterholz.

Ich bin noch nicht so weit, dass ich aufstehen kann. Mein Brustkorb brennt entsetzlich und der Schock sitzt mir tief in den Gliedern. Schwer atmend presse ich eine Hand auf die blutenden Wunden und schließe die Augen. Ein merkwürdiges Grunzen genau über mir bringt mich schließlich dazu, die Lider wieder zu heben.

Ein graublaues Augenpaar sieht neugierig auf mich hinab. Das Gesicht, zu dem es gehört, ist kantig, maskulin und irgendwie… wild. Dunkelbraune, verfilzte Rastalocken säumen es und soweit wie ich erkennen kann, ist der Mann oben ohne.

„H-Hallo…?“, bringe ich halbwegs klar heraus. Der Mann legt den Kopf schräg und beäugt mich dabei nur noch aufmerksamer.

„Hal-lo“, wiederholt er und klingt seltsam gestelzt. Dann grunzt er und ich erkenne das Geräusch, das ich vorhin gehört habe. Vorsichtig stütze ich eine Hand auf dem Boden ab und drücke mich hoch. Ein leichter Schwindel nimmt mir kurz die Sicht, aber ansonsten scheint, bis auf die Wunden am Brustkorb, alles funktionstüchtig zu sein.

Der Mann hat sich inzwischen neben mir platziert und mustert mich noch immer so völlig ungeniert. Ich bin mir sicher, bisher ist mir noch niemand begegnet, der so wenig Privatsphäre besitzt. Und seine Haltung ist komisch. Er „hockt“ eher, als dass er steht, die Hände hat er auf dem Boden und als ich genauer hinsehe, fällt mir auf, dass er sich auf die Fingerknöchel stützt.

„Ähm…“

„Tarzan.“ Er grunzt wieder und legt sich beide Fäuste auf die Brust.

„Tarzan?“, echoe ich verständnislos. Ist das so eine Art Begrüßungsanrede? Oder will er mir was anderes damit sagen? Sollte ich das Wort denn kennen?

„Tarzan“, sagt er noch einmal und wieder liegen dabei seine Hände auf der Brust. Und da verstehe ich.

„Ach so! Tarzan ist dein Name!“ Von wegen Begrüßungsanrede… pfft. „Ähm, ich bin Demon.“ Er legt den Kopf schräg, scheint auf irgendwas zu warten und mir wird klar, dass er mich gar nicht verstanden hat, oder zumindest nicht alles, was ich gesagt habe.

„Ach, äh…“ Ohne weiter darüber nachzudenken lege ich mir beide Hände auf die Brust. „De-mon.“ Da erscheint ein Lächeln auf seinem Gesicht, was ihn sofort freundlicher aussehen lässt, weniger wild. Unbewusst muss ich auch lächeln. Way sagt immer, das tue ich viel zu selten. Ich frage mich, was er sagen würde, wenn er davon wüsste, dass ich einem Fremden das Lächeln zeige, das ich ihm so oft vorenthalte. Bei dem Gedanken bahnt sich ein kleines Auflachen den Weg aus meiner Kehle. Tarzan zieht verwundert die Lippen kraus.

„Verzeih“, sage ich lachend. „Ich musste nur gerade an einen Freund denken.“ Erst als ich bereits das letzte Wort ausgesprochen habe, fällt mir wieder ein, dass er nicht ganz so vertraut mit meiner Sprache ist. Gerade will ich zu einer Erklärung ansetzen, als Tarzan eine ganze Kette von verschiedenen Grunzlauten ausstößt. Mein perplexer Blick ermutigt ihn offenbar dazu, die Laute noch einmal zu wiederholen.

„Freun-de“, sagt er dann leise, „hier.“

„Hier...?“, flüstere ich, ohne die Lippen zu bewegen.

Da erklingt ein lauter, panischer Schrei in der Stille und kurz darauf kracht es heftig. Wir drehen beide den Kopf in die Richtung aus der die Geräusche gekommen sind. Es kann nicht allzu weit entfernt passiert sein, was auch immer passiert ist.

Mit einem erstaunlich gekonnten Sprung ist Tarzan auf dem nächsten Baum und klettert ebenso professionell daran hinauf, bis zur Spitze. Ich erhebe mich, wobei ich darauf achte, keine falschen Bewegungen zu machen, dann trete ich näher an den Baum heran, den er soeben erklommen hat.

Und springe erschrocken zurück, als er plötzlich wieder auf dem Boden landet. In letzter Zeit bin ich aber auch schreckhaft…

„Baum-haus“, meint Tarzan knapp und stößt ein paar fahrig klingende Grunzer aus.

„Was…?“, beginne ich verwirrt, aber schon wieder werde ich abrupt unterbrochen, als nur wenige Meter von uns entfernt etwas durchs Unterholz hetzt.

„Sabor!“, ruft Tarzan und ich erkenne das goldgelbe Fell mit den schwarzen Punkten wieder. Es ist dieses Biest, das mich vorhin angegriffen hat. Offenbar liegt das, was auch immer da hinten gerade gelandet ist, auch im Interesse des Raubtiers. Unfassbar schnell verschwindet es zwischen den Bäumen. Eins ist klar: es wird zuerst beim Baumhaus sein.

Tarzans Blick huscht zwischen mir und der Richtung, in die das Tier gelaufen ist, hin und her.

„Geh“, sage ich schließlich und schiebe ihn ein Stück vorwärts. „Ich kann gerade nicht besonders schnell laufen. Geh!“ Anscheinend versteht er mich. Sein Gesicht wird ernst, dann nickt er, wobei seine Augen genau auf meine gerichtet sind und sprintet kurz darauf fast genauso schnell wie das Raubtier durchs Geäst, bis ich ihn nicht mehr sehen kann.

Allmählich beruhigen sich die Tiere wieder, die bei dem ganzen Tohuwabohu ziemlich in Aufregung geraten sind und schließlich ist es wieder halbwegs still. Achtsam lege ich eine Hand auf den zerfetzten Stoff auf meiner Brust, genau auf mein Herz.

„Tarzan hat recht“, sage ich laut in die Stille hinein. „Freunde gibt es nur im Hier.“ Vielleicht meinte er seine Worte nicht genau so, aber das spielt keine Rolle. So wie ich es interpretiert habe, ergeben sie mehr als Sinn. Einen unschönen Sinn, aber Sinn.

Für mich und all die anderen, die genauso sind wie ich, gibt es kein „hier“. Es gibt ein „war“ und es gibt ein „wird“, aber ein „jetzt“ ist uns nicht vergönnt. Wir leben nicht in der Gegenwart. So ist das nun mal.

„Tarzan ist hier und er wird Freunde finden. Er hat eine Gegenwart… Darum beneide ich ihn.“ Das sage ich so leise vor mich hin, als ich dem Mann hinterher schaue, der mich bereits in diesem Augenblick vergessen hat.
 

„D? Hey, D! Hallooo??? Jemand zuhause? Demon!”

Erst als Way meine Schulter packt und damit einen der noch unverheilten Kratzer streift, bemerke ich, dass er mit mir spricht. Ich kann einen kleinen Schmerzenslaut nicht verhindern, aber er ist leise genug, dass Way nichts bemerkt.

„Gut zu wissen, dass du noch unter den Lebenden weilst“, brummelt er sarkastischen Tons.

„Entschuldige, was hast du gesagt?“ Ich kann nicht verhindern, dass auch mein Tonfall leicht bissige Züge annimmt. Way verdreht die Augen und fährt sich mit der Hand durchs Haar. Es ist ähnlich wie meins; mit andersfarbigen Strähnen und irgendwie matt, metallisch… Aber seine Augen sind heller und viel wärmer als meine. Ich habe nur einmal mein Spiegelbild gesehen und einmal hat auch gereicht.

„Fein, D. Dann interessiert es dich wohl nicht, dass ich herausgefunden habe, wie man die Schale nennt, die du bei dir trägst.“ Sofort werde ich hellhöriger.

„Was?“

„Ach, sieh an. Plötzlich bin ich wichtig“, sagt Way von oben herab und verschränkt die Arme vor der Brust. Anstatt mich wie sonst bei ihm zu entschuldigen, boxe ich ihm, mit einem Lächeln auf dem Gesicht, spielerisch in die Magengegend.

„Hey, mach mal halblang! Ich sag’s dir ja gleich!“ Da sieht er mein Lächeln und zaubert sein übliches Grinsen hervor. „Dir kann man einfach nicht lange böse sein.“ Er stößt die Luft aus und bringt mit der Hand noch einmal sein Haar durcheinander. „Also die Schale, die du hast, ich hab gehört, dass man sie ‚Muschel’ nennt.“

„Muschel“, flüstere ich. Der Klang des Wortes hat eine ganz ähnliche Wirkung wie der von „Meer“. Aber wie kann ich das so empfinden? Ich kannte diese Begriffe vorher nicht, noch deren Bedeutung.

„Von wem hast du das erfahren?“, frage ich, während ich die kleine – nun weiß ich es ja – Muschel aus der Tasche hole und betrachte. Way antwortet nicht. Verwundert blicke ich zu ihm auf. In seinen Augen steht etwas geschrieben, das ich von mir selbst, von uns allen, nur zu gut kenne.

„Ich kannte ihn nicht“, erwidert er schließlich. „Und, tja, er kennt mich auch nicht. Nicht mehr.“ Mit einem tiefen Seufzer sehe ich wieder auf die Muschel hinab. Sie ist klein, aber wunderschön… Es fällt mir schwer zu glauben, dass sie unvollständig ist. Das ist kein schönes Wort, darum passt es nicht zu ihr.

„Ich habe heute auch jemanden getroffen“, sage ich nach einiger Zeit des Schweigens. „Ein komischer Mann, mehr Tier als Mensch.“ Die erste Begegnung mit dem gepunkteten Raubtier lasse ich wohl lieber außen vor. Way macht sich immer zu viele Sorgen.

„Ah ja?“, fragt er und hebt den Blick von meiner Handfläche. „In was für einer Welt warst du?“ Als ich bei seiner Frage daran denke, muss ich wieder leicht lächeln, was wiederum Way zum lächeln bringt.

„In einem… Wald, glaube ich. Grün, wohin das Auge reicht. Aber die Luft war anders als in den Wäldern, in denen ich bisher war. Sie war eher…“

„Feucht?“, fällt Way mir kichernd ins Wort. Verblüfft sehe ich ihn an.

„Ja, genau nach dem Wort habe ich gesucht! Woher…?“

„Das war ein Dschungel, D. So was ganz Ähnliches hab ich heute nämlich auch gesehen.“

„Wirklich? In was für einer Welt warst du?“ Er greift in eine seiner Gürteltaschen und holt etwas daraus hervor, das er mir kurz darauf entgegenhält.

„Ich war dort, wo deine Muschel wahrscheinlich herkommt.“ Auf seiner Handfläche liegen fünf verschiedene Gegenstände. Erst bei genauerem Hinsehen wird mir klar, dass es alles Muscheln sind. Ihre Formen sind verschieden, die Farben und Größen, aber dennoch sind sie irgendwie alle gleich. Ich erkenne nur leider keine, die wie meine aussieht.

Way kratzt sich verlegen am Hinterkopf.

„Tut mir leid, ich glaube, die die du hast ist recht selten. Eine zweite davon konnte ich nicht finden.“ Langsam senke ich die Augen wieder auf die Muschel in meiner Hand.

„Dann wird sie wohl weiterhin ohne ihr Gegenstück bleiben.“
 

Der Ort, an dem wir alle leben, hat keinen Namen. Beziehungsweise hat niemand ihm einen gegeben. Wozu auch? Im Prinzip existiert er gar nicht. Diese Welt befindet sich nicht im Reich des Lichts und nicht im Reich der Dunkelheit und ist doch Teil von beidem. Vielleicht könnte man ihr den Namen „Nichts“ geben, aber auch diese Bezeichnung ist nicht wirklich korrekt.

Nein, diese Welt befindet sich nicht nur jenseits von Licht und Dunkelheit, sie befindet sich auch jenseits der Zeit. Hier vergeht keine Zeit, weil es keine Zeit gibt. Alle, die wir hier sind, wurden auch hier geboren.

Dieser Ort ist unsere „Gegenwart“.

Wir können in andere Welten reisen, wann immer wir wollen; Welten, die im Reich des Lichts liegen oder im Reich der Dunkelheit und in denen die Zeit vergeht. Aber wir können nicht bestimmen, in welche Welten wir reisen und damit ist die Wahrscheinlichkeit in ein und dieselbe Welt zweimal zu reisen verschwindend gering. Irgendwann müssen wir zurückkehren, in unsere Welt, in unseren kleinen Riss mitten in der Zeit. Tun wir das nicht, geschieht es von selbst. Wir können nicht entkommen.

Das Einzige, was wir tun können, unser einziger Sinn, ist es nach dem zu suchen, was uns fehlt… nein, dem „wir“ fehlen.

Wenn wir ihn gefunden haben, dann haben wir unser Zuhause gefunden. So jedenfalls heißt es. Und so ist es wohl auch. Ich habe niemanden, der bei seiner Suche fündig wurde, je wieder gesehen.

Aber was sind wir?

Wesen ohne Gegenwart. Egal, welche Welt wir bereisen, wir treffen niemals in der Gegenwart dort ein. Denn die Gegenwart ist der Moment, in dem wir unser Zuhause finden. Ich verstehe das alles genauso wenig wie die anderen. Ich weiß nicht, was diese Worte bedeuten sollen. Aber ich weiß, dass sie stimmen.

Wenn ich eine Welt betrete, dann entweder in ihrer Vergangenheit oder in ihrer Zukunft. Würde der seltene Fall auftreten, dass ich eine Welt ein zweites Mal betrete, dann würde ich sie zu einem anderen Zeitpunkt betreten, als beim letzten Mal. Ich bin ein Wesen der Vergangenheit und der Zukunft. Durchsichtig wie Nebel, nicht fassbar. Ich bin nicht hier.

Darum vergessen uns all jene, die wir treffen. Wir können ihnen noch so oft begegnen, sobald sie sich wieder von uns trennen, vergessen sie, uns jemals gesehen zu haben.

Das ist unser Schicksal.

Wir sind nicht hier.

Aber wir waren hier und wir werden hier sein.

Erste Begegnung

Ich beobachte sie nun schon seit einer ganzen Weile und noch immer ist sie mir ein Rätsel. Nun, wenn ich ehrlich bin, erging es mir so aber bei jedem neuen „Mitglied“ in unserer Truppe von Suchenden. Ich bin neugierig auf jeden Neuankömmling und ich weiß nicht mal genau wieso. Und dieser hat eine besonders interessante Ausstrahlung.

Sie ist gestern hier erwacht – gestern in dem Sinne, dass ich sie eben erst kennen gelernt habe. Es gibt in dieser Welt ja keine Zeit, also auch kein heute, morgen oder gestern.

Sie ist still, fast ein bisschen scheu. Und jünger als ich, eher ein Mädchen denn eine Frau.

Im Augenblick wuselt Way wie ein aufgescheuchter Hase um sie herum und redet auf sie ein. Bei unserer ersten Begegnung tat er das auch und ich weiß noch, dass ich mich tierisch darüber aufgeregt habe. Sie jedoch tut genau das Gegenteil von dem, was ich getan habe. Sie tut gar nichts.

Außer lächeln.

Ganz zart nur. Als würde ein schwacher Windzug ihre Mundwinkel berühren. Das macht sie noch schöner, als sie ohnehin schon ist. Und Way scheint das auch aufgefallen zu sein. Im blonden Haar trägt sie Blumen, das ist auch etwas, was ich bisher bei keinem gesehen habe. Aber was mich am meisten an ihr fasziniert, sind ihre Augen. Sie haben eine eigenartig vertraute Farbe… blau. Ein besonderes Blau, ein klares, weites und doch beständiges Blau. Ich brauche wieder einen Moment bis ich mich davon lösen kann.

„Okay, das war dann, glaub ich, alles!“, ruft Way mich aus meinen Gedanken und klatscht einmal fest in die Hände. „Jetzt findest du dich besser zurecht, oder?“ Das Mädchen lässt ihn zappeln, indem sie nichts sagt, sondern ihr Lächeln nur ein wenig breiter werden lässt. Ziemlich clever. Vielleicht sollte ich das auch mal ausprobieren. Way ist jedenfalls erstmal sprachlos.

„Nun, äh…“ Er wuschelt sich mehrmals durchs Haar. „Vielleicht kannst du uns jetzt ja deinen Namen verraten?“ Bei diesen Worten spitze ich die Ohren, denn das interessiert mich auch. Als wir sie vorhin hier auflasen, gab sie schon keinen Mucks von sich. Way war der Meinung, sie wäre zu verwirrt, um jetzt schon über sich selbst zu sprechen und zog darum seine Überzeugung durch, indem er ihr erst alles zeigte. Nun, nachdem er ihr sogar erzählt hat, wo er seine vielen Sammelstücke aus anderen Welten aufbewahrt, scheint er nicht länger warten zu können. Na gut, ich eigentlich auch nicht.

„Also, wie heißt du?“ Das Mädchen senkt den Blick, sodass das Blau ihrer Augen verschwindet. Gut, denn ich war gerade schon wieder dabei, mich darin zu verlieren.

„Destiny…“

„Destiny?“, wiederholen Way und ich wie aus einem Munde. Die Kleine nickt und wir werfen uns einen Blick zu, der genauso synchron abläuft wie das Wort eben.

„Das ist alles, oder?“, frage ich dann. Destiny nickt noch einmal und hebt den Blick wieder, sodass ich ihren Augen direkt begegne und mit ihnen dem Gefühl der Vertrautheit.

„Etwas fehlt, aber ich weiß nicht, was.“ Way schüttelt mehrmals klein den Kopf – er kennt dieses Gefühl, genauso wie ich und alle anderen. Wir erinnern uns an nur an den „Teil“ eines Namens. Solange wir nicht gefunden haben, wonach wir suchen, werden wir auch nicht den ganzen erfahren.

„Jep, meinen Namen kennst du ja“, sagt Way dann mit einem Lächeln, um die Situation aufzulockern. „Und die hier heißt…“

„Demon“, komme ich ihm zuvor. Ich mag es nicht, wenn jemand anderes mich vorstellt. Keine Ahnung wieso, es fühlt sich einfach nicht richtig an. Destiny sieht mich lange an, ohne zu blinzeln. Aber seltsamerweise stört mich das nicht. Im Gegenteil, ich falle erneut in den Anblick ihrer großen blauen Augen. Ich könnte diese Farbe stundenlang ansehen.

Erst als Way sich demonstrativ räuspert, fällt mir auf, dass er ja auch noch da ist.

„Wie auch immer“, grummelt er, etwas grantig, in meine Richtung, bevor er sich wieder Destiny zuwendet. „Du weißt, was du als nächstes tust?“ Sie antwortet nicht und es vergehen einige Augenblicke der Stille. Irgendwann wende ich mich an Way, um ihn zu fragen, ob wir sie nicht lieber allein lassen sollten, da flüstert sie plötzlich: „Ich… werde mich auf die Suche machen.“
 

Ich bin nicht großartig überrascht, dass die Welt, die ich betrete, mir nicht bekannt vorkommt und doch hätte ich es mir gewünscht. Allmählich sollte ich mich daran gewöhnen, keine schon mal gesehene Welt wiederzufinden, aber es fällt mir schwerer als gedacht. Vielleicht ist das so, weil dieses Gefühl von Vertrautheit mir sehr viel bedeutet… Unwillkürlich schiebe ich eine Hand in die Tasche und schließe die Finger um die Muschel. Und etwas wiederzusehen… das muss sich doch genauso anfühlen, oder?

Seufzend löse ich den Griff, schließe kurz die Augen und mache mich dann daran die Umgebung nach Hinweisen zu durchforsten. Ich bin mal wieder in einem Wald gelandet. Solche Vegetationsgründe gibt es anscheinend in vielen Welten. Das hier ist zwar kein Dschungel wie der, in dem ich letztens war, aber etwas eigen ist er dennoch. Die Bäume sehen anders aus… Die Stämme sind sehr schmal und bestehen nicht aus Holz, sondern aus… Verblüfft trete ich näher und lege den Kopf in den Nacken, um die Krone zu begutachten. Doch statt Ästen und Blattwerk ist da nur ein großer, runder, grüner Kreis.

„Was zum…?“

„Suchst du etwas?“ Ehe der Schreckensschrei aus meinem Mund schlüpfen kann, presse ich mir eine Hand darauf. In letzter Zeit legt es irgendwie jeder darauf an… Langsam drehe ich mich nach dem Sprecher der eben gesagten Worte um. Ich rechne so ziemlich mit allem; einem wild gewordenen Raubtier wie letztens, vielleicht aber auch nur einem schwarzen gelbäugigen Ungeheuer, wie sie mir schon oft begegnet sind. Obwohl ich bei letzterem nicht davon ausgehe, dass sie sprechen können… na ja, dem Raubtier traue ich es auch nicht zu.

„Vielleicht kann ich helfen? Wenn ich helfen kann.“ Verdutzt lege ich den Kopf schräg und betrachte das merkwürdige Wesen, das einige Meter vor mir auf einem Stein hockt und mich angrinst wie ein Honigkuchenpferd.

„Eine Katze?“, spreche ich meinen Gedanken laut aus.

„Eine Tiger-Katze“, berichtigt sie mich mit unveränderter Miene. Mag sein, ich sehe, dass sie Streifen hat, aber ansonsten ist ihr Fell dunkelrosa – ich wage ja zu bezweifeln, dass das für Katzen normal ist, ebenso wie das breite Grienen auf ihrem Gesicht.

„Gut, Tiger-Katze…“, beginne ich zaghaft. „Also, du sagtest, du könntest mir helfen?“

„Durchaus“, erwidert sie und ich bin unfähig zu sagen, ob sie das ernst meint. „Aber du solltest dich erst fragen, ob du überhaupt Hilfe brauchst.“

„Äh, was?“ Plötzlich verschwimmt ihre Gestalt und dann löst sie sich im wahrsten Sinne des Wortes in Luft auf. „Halt, warte!“ Sie erscheint nicht wieder, aber ich vernehme ihre Stimme von irgendwo über mir.

„Wenn du glaubst, du suchst an falscher Stelle, suchst du wahrscheinlich an genau der richtigen Stelle.“ Ihre Worte verwirren mich nur noch mehr.

„Tolle Hilfe…“ Buchstäblich aus dem Nichts taucht sie wieder vor mir auf.

„Wie ich bereits erwähnte: Vielleicht kann ich dir helfen. Wenn ich helfen kann.“

„Ja“, erwidere ich seufzend, „aber ich soll mich erst fragen, ob ich überhaupt Hilfe brauche.“ Das Grinsen der Katze wird noch breiter – wenn das denn möglich ist.

„Ist dir überlassen.“ Und sie vergeht erneut in Luft, nur diesmal habe ich das Gefühl, dass sie nicht wiederkommen wird. Aber selbst wenn doch, frühestens jetzt vergisst sie mich gerade.

Ratlos schaue ich zu den merkwürdigen Bäumen auf und frage mich, wie viel von dem, was sie sagte, irgendeinen Sinn ergibt. Das Tier mag verrückt erschienen sein, aber ich kann mich nicht dagegen wehren, zu glauben, ihre Rätselsätze hätten eine Bedeutung. Eine wichtige.

Jäh wird mein Gedankengang unterbrochen, als sich ganz in der Nähe ein furchtbarer Tumult erhebt. Eine Frauenstimme beginnt abgehackte Sätze zu kreischen. Zwar verstehe ich ihre Worte nicht, aber es scheint, dass sie Befehle brüllt oder irgendwas in der Art. Nahezu zeitgleich damit wird ein – leicht unkoordiniertes – Trappeln von vielen Füßen laut.

Eigentlich kann es nicht schaden, sich das mal genauer anzusehen und… ehrlich gesagt, die komische Tiger-Katze hat mich jetzt doch ein wenig neugierig gemacht.

Der Wald endet völlig abrupt. Eben ging ich noch über dunkelbraunen Erdboden, als meine Füße plötzlich perfekt zurechtgestutzten Rasen betreten. Links und rechts von mir ragen, ebenso penibel, quadratisch geschnittene Heckenbüsche auf und nur wenige Meter entfernt breitet sich eine Art „Gericht“ auf dem Gras aus. Ich kenne diesen Begriff von einer anderen Welt, in der öfters mal solcherlei Prozesse, wie sie in diesen Räumlichkeiten stattfinden, vollzogen wurden. Und doch ist das hier ganz anders.

Hinter dem Richterpult sitzt eine rundliche Frau in einem rotschwarzen Kleid und fuchtelt völlig aufgelöst vor Zorn mit einem herzförmigen Stab herum. Sie ist es, die ich vorhin gehört habe. Und die, denen sie ihre Befehle um die Ohren wirbelt, sind Karten. Unbewusst führe ich die Hand zum Gesicht und reibe mir die Augen. Tatsächlich, Karten! Lebensgroß, mit Köpfen, Armen und Beinen. Wenn ich das Way erzähle…

„Ab mit dem Kopf!“, faucht die Frau, scheint aber nicht jemand Bestimmtes zu meinen. Schon setzt sie ihre Befehlsorgie fort. Niemand nimmt Notiz von mir. Ich glaube fast, dass ich mich mitten ins Zentrum des Aufruhrs begeben könnte und mich trotzdem keiner beachten würde. In dem Moment erkenne ich eine Bewegung aus dem Augenwinkel und etwas, das mir bekannt vorkommt. Aber gerade als ich den Blick dorthin wende, verschwinden die Gestalten hinter einer der Hecken.

„War das…?“ Ohne groß darüber nachzudenken, laufe ich los. Doch als ich die Hecke erreiche, sind sie nicht mehr dort. Links, ein paar Meter entfernt, steht eine weitere, noch größere Hecke und darin prangt ein Loch in der Form einer Tür. Das einzige Problem ist: auf der rechten Seite befindet sich eine identische Hecke mit Loch. Welchen der beiden Eingänge sie wohl genommen haben?

„Hey, du da! Wer bist du? Was machst du hier?“ Drei der Kartensoldaten kommen auf mich zugepoltert. Jetzt bleibt keine Zeit mehr zum Grübeln. So schnell es eben geht biege ich rechts ab und stürme in das türförmige Loch hinein. Ich achte nicht auf das, was ich auf der anderen Seite sehe, sondern sprinte kopflos weiter, bis ich irgendwann keine Luft mehr bekomme.

Erschöpft lehne ich mich gegen eine der Hecken, die hier gut zweimal so hoch sind wie ich, und stelle zufrieden fest, dass ich keine Verfolger mehr im Nacken habe. Das ist der Vorteil an unserem Schicksal; sobald der, der hinter mir her ist, mich nicht mehr sieht, vergisst er, dass er mich verfolgt hat.

Ich streiche mir das Haar aus der Stirn und bemerke kurz darauf mit – zugegeben – einem leichten Schreck, wo ich gelandet bin. Das Gelände ist nicht länger offen und übersichtlich. Die Heckenbüsche sind jetzt nahe beieinander, sodass sie Gassen bilden... was Sackgassen voraussetzt. Außerdem riecht es stark nach Rosen. Das kann nur ein Irrgarten sein.

„Mist“, forme ich lautlos mit den Lippen. Ich bin so mir nichts dir nichts reingeplatzt, keine Ahnung, wann und wo und ob ich überhaupt abgebogen bin. Zu allem Überfluss sieht hier wirklich alles gleich aus.

Ich erinnere mich wieder an den Grund, der mich dazu brachte, das Labyrinth zu betreten. Tja, dieses Unterfangen dürfte sich gerade erheblich erschwert haben.

Natürlich kann ich mich auch einfach hier und jetzt zurück in meine Welt begeben. Ich muss dafür nicht mal irgendein Portal öffnen, sondern mich nur darauf konzentrieren, zurückzukehren. Aber diese Gestalten… wer weiß, ob ich sie jemals wieder sehe? Kurz zögere ich noch, dann biege ich zielstrebig um die nächste Kurve… und stolpere fast über meine eigenen Füße.

„Ein verdächtiges Individuum!“, meint der Kartensoldat vor mir hart und bringt seine Lanze in Position. „Bleib, wo du bist und komm ja nicht auf den Gedanken, zu widersprechen.“ Es kommt mir so vor, als würde er einen auswendig gelernten Text runterrattern und damit liege ich womöglich gar nicht so falsch.

„Ähm, ja…“, stoße ich, möglichst neutral, hervor und nehme langsam einen Schritt zurück.

„Hey, keinen Schritt weiter!“, ruft der Soldat und stapft zielstrebig auf mich zu. Eines ist mir vorhin schon klar geworden; diese Karten sind nicht die schnellsten.

Ich schenke ihm noch ein kurzes Zwinkern, – das ist eine Premiere, ich schwöre – mache dann direkt auf dem Absatz kehrt und rausche davon. Er schreit mir irgendwas hinterher und ein paar Schritte höre ich auch, aber dann bricht beides augenblicklich ab – er hat mich vergessen. Irgendwie bedauere ich sogar das. Aber der Gedanke an mein Ziel ist jetzt stärker.

Auf ähnliche Weise irre ich weiter durch das Labyrinth, ohne zu wissen, ob ich mich dem Ausgang nähere, den Gestalten, ob ich vielleicht im Kreis laufe oder wie viel Zeit eigentlich vergeht. Aber das ist nicht schlimm. Im Gegenteil. Ich habe mich verirrt, natürlich, hoffnungslos verlaufen. Aber es fühlt sich gar nicht so an.

Komisch. Und doch… befreiend. Vielleicht ist es das, was die Tiger-Katze gemeint hat.

„Ist das möglich?“, sage ich laut, während ich mal wieder vor einem Kartensoldat davonlaufe. „Im Käfig Freiheit zu empfinden, ist das möglich?“

Mir fällt zu spät auf, dass ich eventuell geradeaus schauen sollte, wenn ich laufe, aber da stoße ich schon mit ihm zusammen, verliere das Gleichgewicht und lande unsanft auf meinen vier Buchstaben.

„Entschuldigung!“, erklingt sofort eine helle, dennoch nachdenkliche Stimme. Ein Zweite höre ich seufzen. Vor meinem Gesicht erscheint eine behandschuhte Hand, die ich unverblümt ergreife. Das irritiert mich selbst. Ich halte nicht viel von Körperkontakt, schon gar nicht von Fremden. Aber bei dem hier fühlt es sich anders an. So… vertraut? Nein... aber was dann?

„Bist du in Ordnung?“, fragt die Stimme dessen, der mir aufgeholfen hat. Als ich den Blick hebe, trifft er auf ein unfassbar blaues Augenpaar, zwischen das sich blonde Strähnen schieben. Es ist ein Junge. Jünger als ich, vom Aussehen her nur ein wenig älter als Destiny, vermute ich. Aber in seinem Blick liegt eine unnatürliche Reife. Eine große Entschlossenheit, Mut und etwas sehr Aufrichtiges. Er ist wie ein offenes Buch. Nie zuvor ist mir jemand begegnet, der so unverfälscht ist und doch blickt mich aus diesen klaren Augen auch ein Schatten an, etwas bodenlos Dunkles.

„Ja“, antworte ich, fast mechanisch. Der Junge zeigt mir die Andeutung eines Lächelns. Es sieht nicht ganz echt aus, aber ich kann nicht sagen wieso.

„Ich hätte nicht vermutet, dass hier noch was anderes rumläuft, als Karten und Herzlose.“

„Herzlose?“

„Sie sollte uns wohl zuerst darüber aufklären, für welche Mannschaft sie spielt“, mischt sich der Begleiter des Jungen plötzlich ein. Bis dahin habe ich ihm nicht mal einen Seitenblick zugeworfen. Er besitzt nicht das, was der Junge hat. Er ist beinahe unsichtbar. Aber jetzt sehe ich ihm direkt in die flachsblauen Augen und erkenne nur wenig. Ein unbeschriebenes Blatt, geht es mir durch den Kopf. Diesem Mann fehlt etwas. Etwas sehr, sehr Wichtiges. Auch wenn ich nicht weiß, was. Dem Jungen fehlt es auch, aber bei ihm ist es mir nicht sofort aufgefallen. Wieso nicht?

Ich mustere den Mann – sein kurzes wasserblondes Haar, seine aufrechte Haltung, die Karten in seiner Hand – und da sickert langsam die Erkenntnis in mein Bewusstsein. Das sind die beiden Gestalten, nach denen ich gesucht habe! Und jetzt fällt mir auch wieder ein, was an ihnen mir so bekannt vorkam. Ihre Kleidung.

„Ich spiele für keine Mannschaft“, erwidere ich dem Mann kalt. Dann wende ich mich wieder an den Jungen. „Und ich habe nicht vor, mich für eine Seite zu entscheiden. Ich will nur…“

„Was?“, fragt er freundlich. Etwas an ihm erinnert mich an Way. Ist es dieses Gefühl, ganz man selbst sein zu dürfen?

„Wer seid ihr?“, flüstere ich und muss den Drang runterschlucken, die Luft anzuhalten. Ich will es wissen, einfach so gern wissen. Einen Moment zögert der Junge. Er wirft seinem Gefährten einen Blick zu, der eindeutig dazu dient, nach „Erlaubnis“ zu fragen. Ist er ihm untergeordnet, oder so? Der wasserblonde Mann zeigt keine Emotion, nickt aber, was mich überrascht. Ich war mir sicher, er würde nein sagen. Auch der Junge nickt und wirkt zufrieden.

„Ich bin Roxas. Und das ist Luxord. Und wir sind… na ja…“

„Nicht wichtig“, fällt der Mann namens Luxord ihm ins Wort. „Mehr Karten werden wir nicht aufdecken.“ Seine Augen ruhen dabei auf mir und ich blicke entschieden direkt zurück.

„Damit kann ich leben.“ Roxas gibt so etwas wie ein verlegendes Lachen von sich.

„Und wie heißt du?“ Überrascht löse ich die Augen von Luxord.

„Äh, Demon.“ Die Reaktionen der beiden sind grundverschieden und doch zu erwarten gewesen. Luxord legt nur ganz leicht den Kopf schräg; das ist es, was sein Interesse verrät, sein Gesicht gleicht immer noch einer Maske – ein echtes Pokerface. Roxas hingegen zeigt ziemlich offensichtlich, dass ihn mein Name verwundert. Natürlich. Wie oft begegnet man schon jemandem, der Dämon heißt?

„Das Spiel wird mit jedem Zug interessanter“, murmelt Luxord, klingt aber eher desinteressiert. Hält dieser Mann sich einfach nur sehr gedeckt oder… hat er keine Gefühle?

Mitten in das kurze Schweigen hinein erklingt ein eigenartiges, schepperndes Geräusch. Ich bekomme noch so viel Zeit mich umzudrehen und ein mannsgroßes Wesen mit gierigen gelben Augen zu erblicken, als Roxas meinen Arm packt und mich aus der Schussbahn zerrt.

Zwei Karten, mit Kanten scharf wie Messern, schießen an mir vorbei und bohren sich mitten in das rotschwarze Symbol auf der Brust des Ungetüms. Und dann höre ich ein Klingen, ein reines, helles Geräusch, kraftvoll und… und…

„Ich glaube, wir haben gerade unseren Joker gefunden“, höre ich Luxord rufen. „Das ist der Letzte, Roxas. Schnapp ihn dir!“ Von meiner Position aus kann ich nicht erkennen, womit Roxas sich gegen das Wesen behauptet, aber dieses Geräusch vorhin… Urplötzlich beginnt mein Nacken zu schmerzen.

„Nein“, stammele ich hilflos und presse eine Hand auf den letzten Wirbel unterhalb meines Haaransatzes. „Nicht jetzt!“ Ein Stich – erbarmungslos, kalt und heiß zugleich – trifft mich an der Stelle, wo es immer anfängt, breitet sich aus, frisst sich durch meine Muskeln, dringt in mein Blut vor, lässt es kochen und zischen. „Nein! Geh weg! Verschwinde!“

Aber es ist längst zu spät. Ich kann es nicht mehr zurückhalten. Da sehe ich plötzlich Roxas’ Gesicht, das sich besorgt verzogen hat. Er hat das Ungetüm besiegt, er sieht mich an, ist schon drauf und dran, auf mich zuzugehen. Nein, das darf er nicht…!

„Bleib… bleib da!“, keuche ich und verkrampfe die Finger um die Blätter der Hecke hinter mir. Er bleibt nicht stehen. Er kommt näher.

Dann habe ich keine andere Wahl mehr.

Mit dem bisschen Klarheit, das ich noch aufbringen kann, lächle ich ihm zu.

„Es war schön… dich getroffen zu haben. Leb wohl.“ Die Verständnislosigkeit steht ihm ins Gesicht geschrieben. Aber das ist unwichtig. Er wird vergessen. Und auch Luxord. Für sie werde ich nie da gewesen sein.

Damit kann ich leben.

Mit dem letzten Rest meines Bewusstseins konzentriere ich mich auf das eine Wort, das mich nachhause bringt.

„Gegenwart.“

Dann wird alles schwarz.

Aus der Dunkelheit

"Hey, D. Ich vertraue dir, weißt du."
 

Als ich wieder zu mir komme, ist es vorbei. Vorbei… ja, das Wort trifft ins Schwarze.

Meine Glieder schmerzen und mein Schädel brummt wie nach einer engeren Kollisions-Bekanntschaft mit Beton, aber es ist vorbei.

Vorsichtig lasse ich die Luft entweichen und der Vorhang meiner Lider hebt sich allmählich. Der gräulich weiße Himmel meiner Gegenwartswelt begrüßt mich und an meinen Händen spüre ich den altbekannten Kiesboden. Diese Welt besteht irgendwie nur aus Steinen…

„Oh“, stöhne ich und hieve mich in eine aufrechte Position.

„Dann ist es also wahr.“ Es ist fast peinlich, aber wieder einmal entweicht mir ein Laut des Schreckens. Was ist nur los? Sonst habe ich es immer gemerkt, wenn jemand in meiner Nähe ist. Sie erwischen mich schlicht und ergreifend in den falschen Momenten.

„Destiny“, sage ich knapp zur Begrüßung. Das blonde Mädchen sitzt auf einem der Steine und sieht unbewegt in die Ferne, dennoch umspielt wieder dieses zarte Lächeln ihren Mund.

„Hast du…?“ Ich bringe es nicht fertig den Satz zu beenden, weil mir ein riesiger tiefer Kratzer in dem Stein, auf dem sie sitzt, auffällt.

„Ich habe es gesehen, ja“, erwidert sie und es klingt beinahe beiläufig. Seufzend vergrabe ich das Gesicht in den schmutzigen Händen. Jetzt ist er also gekommen. Schon so früh. Der Moment, in dem sie sich dazu entschließen wird, sich mir nie wieder zu nähern. Natürlich…

Es wundert mich, dass sie überhaupt noch da sitzt. Dass sie noch die Höflichkeit besitzt, ein paar Worte mit mir zu wechseln.

„Ich hatte davon gehört“, sagt sie schließlich leise. Ich presse das Gesicht nur enger an meine aufgeschürften Handflächen. „Die anderen haben mir davon erzählt.“ Pfft. Und ich kann mir sogar denken, wer es ihr als erstes auf die Nase gebunden hat. „Aber dann erzählte mir Way, dass du nie kämpfst…“

Ich reiße die Augen auf und erstarre, halte den Atem an und verbiete mir selbst, mich zu fragen, ob ich mich verhört habe.

„Demon, warum kämpfst du nicht?“ So eine Frage ist schrecklich. Sie hat etwas Vorwurfsvolles, etwas Kaltes. Aber so wie Destiny sie ausspricht, bringt sie mich nur dazu, das Gesicht aus den Händen zu heben und ihr in die warmen Augen zu sehen.

„Weil ich…“, formen meine Lippen, ohne Stimme. Destinys Lächeln wird zärtlicher.

„Das habe ich mir gedacht.“ Ich sehe sie an; sprachlos, unverständlich, vielleicht auch verzweifelt, aber vor allem anderen unendlich dankbar. Erst nach ein paar Sekunden kann ich den Blick wieder von ihr lösen und auf meine Hände richten, die diesen unsauberen Kratzer in den Stein geschlagen haben, auf dem Destiny sitzt. Aber sie hat ihnen verziehen. Sie hat meinen Händen verziehen.

Ich fühle mich konfus, beinahe abwesend.

Aber seit Langem gelingt es mir wieder, zu jemand anderem als Way, so was Ähnliches wie Vertrauen aufzubauen.
 

„Oh…“

Das ist das Einzige, was ich noch zwischen den Lippen hervorstoßen kann, bevor mich eine Reihe von schnell galoppierenden Pferden beinahe zu Matsch trampelt. Ich bin schon fest davon überzeugt, dass jetzt mein letztes Stündlein geschlagen hat, als sich ein Arm um meine Taille schlingt und mit einem Ruck zur Seite zieht. Und für den kurzen Augenblick streift ein intensiver Duft mein Gesicht.

Die Kraft meines Retters sorgt zwar dafür, dass ich das Gleichgewicht verliere und unsanft auf dem staubigen Boden lande, aber das ist allemal nicht so schlimm wie von geschätzten zwanzig Hufpaaren bearbeitet zu werden – so jedenfalls meine bescheidene Meinung.

Was haben die bloß? Da bemerke ich, dass es keine Wildtiere sind. Auf ihren Rücken tragen sie Reiter in schweren, blitzenden Rüstungen. Sehr viel mehr kann ich jedoch nicht ausmachen, da sie, aufgrund ihres Tempos, bereits in der Ferne verschwinden.

Ich lasse die, unbewusst, angestaute Luft entweichen und presse eine Hand auf das wild hämmernde Herz in meiner Brust. Langsam aber sicher finde ich das nicht mehr lustig. Egal, welche Welten ich neuerdings besuche, immer passiert irgendwas, das mich halb zu Tode erschreckt.

„Vielen Dank für…“, beginne ich, breche dann aber ab. Ich bin allein. Verwundert rapple ich mich auf die Füße, klopfe den Staub von der Hose und schenke jeder Himmelsrichtung einen prüfenden Blick. Niemand da. Aber wer hat mich dann weggezogen? Hm. Nun, er wird wohl seine Gründe gehabt haben, zu verschwinden. Fürs Erste sollte ich herausfinden, wo ich gelandet bin.

Mein flüchtiger Retter hat mich in eine Gasse verfrachtet, die in der einen Richtung so düster und schmutzig wird, dass ich nicht das Bedürfnis verspüre, ihr zu folgen. Die andere sieht schon freundlicher aus – wenn auch nicht viel. Eine grob gepflasterte, breite Straße erstreckt sich davor zu beiden Seiten. Die Truppe von Reitern ist gen Osten verschwunden.

Nachdem ich – hinter der Ecke hervorspähend – auch dem Westen einen sorgfältigen Blick gegönnt habe, gehe ich ein paar Schritte ins Freie. Die Häuser, die die Straße säumen, wirken baufällig, einige sind sogar schon halb verfallen und ein unangenehmes Gemisch aus Fäulnis, Exkrementen und Verbranntem hängt in der Luft. Außerdem ist es verdächtig still.

„Wo sind die Bewohner?“, frage ich mich im Flüsterton. Außer den Scharen von Ratten, die zwischen den Ruinen umherhuschen, fehlt von Leben jede Spur. Und mein Retter? Das war bestimmt keine fette Wasserratte…

Gerade als ich darüber nachdenke, eines der Häuser zu betreten – was mir zugegeben missfällt – erregt ein Schrei in nicht allzu weiter Ferne meine Aufmerksamkeit. Bis jetzt haben Schreie, die ohne Vorwarnung erklingen, mich nicht gerade in vorteilhafte Situationen gebracht, aber…

„Was soll ich sonst tun?“, sage ich resigniert und laufe los. Wenn man Hinweise sucht, sollte man sich schon dahin begeben, wo sich was tut. Hier zu bleiben hat jedenfalls nicht viel Sinn und besonders bequem ist es sowieso nicht.

Nach ein paar Sekunden werden Rufe laut, denen ich folgen kann. Andernfalls hätte ich alt ausgesehen. Die Stadt, in der ich mich befinde, kann es in Sachen Unübersichtlichkeit gut mit dem Irrgarten aufnehmen, in dem ich letztens war. Aber trotzdem läuft mir in all den verwinkelten Gassen, Straßen und Plätzen keine Menschenseele über den Weg. Der Ort ist wie ausgestorben.

Schließlich trete ich nach der kleinen Irrfahrt durch die alten Gebäude endlich in halbwegs offenes Terrain. Wildes, schlammiges Gras breitet sich unter meinen Füßen aus – scheinbar hat es hier vor nicht allzu langer Zeit geregnet. Ein Stück weiter fällt der Boden ab, bis zum Ufer eines Flusses, der sich offenbar noch weiter durch die Stadt windet.

Mehr Zeit mich umzuschauen bleibt nicht, denn ich habe es mal wieder fertig gebracht, genau ins Zentrum des Aufruhrs zu platzen.

„Ver-verschwindet…! Macht, dass ihr wegkommt!“, schreit eine junge Frau und schwingt todesmutig eine morsche Holzlatte herum. Hinter ihr haben sich zwei kleine Gestalten wimmernd zusammengekauert und vor ihr wimmelt es nur so von schwarzen gelbäugigen Geschöpfen.

„Sind das nicht…?“ Ich kenne diese sonderbaren Wesen, habe sie schon in vielen Welten gesehen. Sie mögen klein sein und die scheinbar unkontrolliert zuckenden Bewegungen ihrer Gliedmaßen erwecken den Eindruck, keine sonderlich intelligente Lebensform vor sich zu haben, aber das täuscht. Auch wenn sie tatsächlich mehr Instinkt gesteuert handeln; eine ungewisse Gefahr geht trotzdem von ihnen aus. Denn es sind Kinder der Dunkelheit. Und Dunkelheit bedeutet immer Gefahr.

Aber von all dem einmal abgesehen, habe ich persönlich noch eine ganz andere Wirkung auf diese Viecher. Leider.

Ich bin seit kaum mehr als fünf Sekunden dazu gestoßen, da werde ich schon gänzlich – und unfreiwillig – involviert. Die gelbäugigen Schattenwesen lassen von hier auf jetzt von der Frau und den Kindern ab und beginnen auf mich zuzuschleichen.

Großartig. Und jetzt? Wahrscheinlich ist weglaufen, wie immer, die beste Alternative. Das denke ich jedenfalls, als die Frau mit gezielter Geste ausholt und drei von ihnen zur Seite fegt wie lästige Fliegen. Natürlich macht ihnen das kaum etwas aus – Holz ist so gut wie wirkungslos soweit ich weiß. Was wirkungsvoll ist, weiß ich allerdings genauso wenig…

„Komm mit!“, zischt sie in meine Richtung, schnappt sich die beiden Kinder und rennt los. Mehr aus einem Impuls heraus folge ich ihr. Unsere schattenhaften Verfolger sind glücklicherweise nicht besonders flink. Ganz im Gegensatz zu denen, die eines dieser rotschwarzen Embleme auf der Brust tragen – ich weiß, wovon ich spreche.
 

Irgendwann während unserer wilden Flucht durch die Stadt, drückte mir die Frau eines der Kinder in die Arme, während sie das andere trug. Ich spürte das Schluchzen des kleinen Wesens an meinem Hals und zum ersten Mal kam mir der Gedanke, wie Furcht erregend die schwarzen Gestalten auf so unschuldige Herzen wirken müssen. In dieser Stadt spielt sich das ab, was ich schon in einige Male zuvor mit ansah; die Schatten mit den gelben Augen überrennen diese Welt, vernichten alles, was sich ihnen in den Weg stellt, löschen selbst den kleinsten Funken Licht aus und tauchen sie in vollkommene Finsternis. Damit ergeben die leergefegten Straßen einen bitteren Sinn.

Die Frau, deren Namen ich noch nicht kenne, ist zäh. Kein Wunder, dass sie sich solange gegen die Monster behaupten konnte. Aber allmählich geht ihr die Kraft aus. Dennoch scheint sie ein Ziel vor Augen zu haben. Oder rede ich mir das nur ein, weil mir inzwischen auch die Luft ausgeht?

Gerade als ich das denke, macht sie einen plötzlichen Schlenker und ich folge ihr, was uns außer Sichtweite der Gestalten bringt.

„Esmeralda?“, erklingt da eine leise und doch dringliche Stimme aus dem Schatten neben uns.

Ich zucke zusammen, aber die Frau stößt einen tiefen Seufzer der Erleichterung aus.

„Clopin! Dem Himmel sei dank.“

„Kommt hier runter! Im Hof sind sie noch nicht“, wispert der Fremde und kurz darauf kommen zwei behandschuhte Hände aus dem Boden. Ja, aus dem Boden…

Meine Gefährtin lässt das Kind, das sie getragen hat, behutsam hineingleiten, dann verschwindet es gemeinsam mit den Händen. Geistesgegenwärtig löse auch ich die zitternden Arme des Kindes in meinen Armen aus meinem Nacken und reiche es der Frau. Gerade als auch dieses im Loch verschwindet, höre ich erschreckend nahe hinter uns das zischartige Geräusch der Schattengeschöpfe.

„Das darf doch nicht wahr sein“, schimpft die Frau und ehe ich mich versehe, hat sie mein Handgelenk gepackt und mich auf das Loch zugeschoben. Ich bekomme kaum etwas von dem mit, was unmittelbar danach geschieht.

Zwei Arme schließen sich nicht unsanft, aber fest, um meine Hüften und heben mich in die Tiefen hinab. Mit einem Mal ist alles schwarz. Jemand flüstert etwas von Sie sind überall und Sicherheit. Ich spüre eine kleine bebende Hand, die sich am Zipfel meiner Hose festkrallt. Dann ertönt ein Geräusch, als würde etwas Schweres über den Boden geschleift, gefolgt von einem dumpfen Einrasten, welches den letzten Rest Helligkeit auslöscht.

Ich ziehe scharf die Luft ein und zwinge das Verlangen zurück, mir beide Hände auf die Augen zu pressen. Diese Finsternis, diese allumfassende Schwärze, pure Dunkelheit… das kommt mir bekannter vor, als mir lieb ist. Aber nein… das hier ist keine reine Dunkelheit. Wie zur Bestätigung schließen sich die winzigen Finger des Kindes enger um den Stoff meiner Kleidung. Licht…

„Wie sieht es bei der Kirche aus?“, fragt meine Begleiterin von vorhin und dann flammt der Schein einer Fackel auf. Vor mir wird das Gesicht eines Mannes sichtbar. Er hat schwarzes Haar, kleine schelmische Augen und seine Kleidung erweckt den Eindruck, er hätte eine Handvoll kunterbunten Stoffes wahllos zusammengeflickt. Ich glaube mich zu entsinnen, dass die Frau ihn Clopin genannt hat.

„Nicht anders als überall in der Stadt“, erwidert er bitter und hält die Fackel näher, um mich besser sehen zu können. „Und das ist?“

„Äh…“

„Oh, das Mädchen war in der Nähe des Seine-Ufers, als ich die beiden Kinder gefunden habe. Ich kenne ihren Namen noch nicht.“ Die Frau tritt um mich herum, sodass ihr Gesicht vom Fackelschein erleuchtet wird. Erst jetzt sehe ich sie wirklich an. Vorhin ließ sich ein näherer Blick auch denkbar schlecht bewerkstelligen.

Ihre Augen haben etwas Fliehendes, sodass ich sie nicht richtig greifen kann, aber das wilde schwarze Haar und die aufrechte, selbstsichere Haltung zeigen deutlich, wie tough sie ist.

„Ich heiße Esmeralda.“ Offenbar veranlasst sie etwas in meinem Gesicht dazu, mir die Hand auf die Schulter zu legen. „Du musst keine Angst haben, hier bist du in Sicherheit. Verrätst du uns deinen Namen?“

„Demon.“ Meine Stimme ist nicht mehr als ein raues Flüstern. Esmeralda lächelt freundlich, lässt ihre Hand von meiner Schulter zum Rücken gleiten und schiebt mich sanft ein Stückchen voran.

„Schon blöd, dass unser Kennen lernen unter derartigen Bedingungen stattfindet, aber nicht zu ändern.“ Dann wendet sie sich an die Kinder, denen sie beruhigende Worte zuflüstert, die ich jedoch nicht ganz verstehe. Clopin dreht sich herum und weist uns mit einer Handbewegung an, ihm zu folgen.

Ich konzentriere mich ausschließlich auf das Feuer, das in der Fackel bedenklich flackert und hoffe inständig, dass es nicht ausgeht, ehe wir das Ziel erreicht haben. Und auf die Hand des Kindes an meiner Hüfte. Dadurch bekomme ich nur wenig von dem Wortwechsel zwischen Esmeralda und Clopin mit. Irgendwas von einem „dreckigen Feigling“ – so drückt sie es aus – namens Frollo, der sich sofort nach dem Angriff der Biester in seinen Gemächern verbarrikadierte, ohne sich auch nur ansatzweise um das Wohl der Bewohner zu scheren. Sie fragt Clopin auch nach zwei Männern, deren Namen ich nicht verstehe, und macht einen sehr erleichterten Eindruck, als er ihr versichert, dass beide wohlauf sind.

Endlich, nach einer gefühlten Ewigkeit, erreichen wir einen schmuddeligen, tiefvioletten Vorhang, der wohl als provisorische Tür dient und kaum schiebt Clopin ihn beiseite, wird es deutlich heller. Es ist fast, als bilde der Vorhang die Grenze zwischen zwei Welten. Befanden wir uns eben noch in einem muffigen düsteren Gang voller halbverrotteter Skelette, betreten wir jetzt einen riesigen – im Vergleich – prächtig erleuchteten Komplex. Auch wenn es scheint, dass er schon bessere Tage erlebt hat. Haufenweise bunte Stoffe verkleiden die Steinwände und Böden, warm brennende Fackeln an allen Ecken sorgen für ausreichend Licht und überall kauern sich Menschenansammlungen zusammen.

„Plötzlich sind wir Zigeuner wichtig geworden…“, sagt Clopin mit einem zerknirschten Blick auf ein paar der Leute, die sich irgendwie vom Rest unterscheiden. Sie sind nicht so bunt gekleidet, eher fein und wirken auf unbestimmte Art feindselig. So als würde es ihnen sehr missfallen, unter den farbiger gekleideten Menschen zu sein, während ihnen gleichzeitig keine andere Wahl bleibt.

„Was hätten wir denn sonst mit ihnen machen sollen?“, meint daraufhin Esmeralda. „Sie an diese Monster verfüttern? Hast du nicht gesehen, was sie mit den Menschen anstellen?“

„Doch, schon“, erwidert Clopin düster, unterbricht sich dann aber mit einem Blick auf die beiden Kinder. „Ich glaube, ich bringe die beiden erstmal zu ihren Eltern. Vielleicht…“ Er schaut auf und mustert mit unentschlüsselbarer Miene mein Gesicht. „Vielleicht solltest du dem Mädchen hier was zu trinken geben. Sie sieht aus, als würde sie gleich umkippen.“

Tue ich das wirklich? Na ja, meine Knie fühlen sich tatsächlich etwas wackelig an…

„Gut“, sagt Esmeralda und geht in die Hocke, um mit den Kindern auf Augenhöhe zu sein. Sie spricht zu leise, als dass ich verstehen kann, was sie zu ihnen sagt, aber kurz darauf nicken beide. Das kleine Mädchen, das noch immer meine Hose festhält, sieht auf. In ihren tiefblauen Augen ist das Licht fast greifbar. Kinder… ja, Kinder sind so voller Licht. Ihre Herzen sehen in allem das Gute und es ist ein Wunder, wenn sich das mit dem Erwachsenalter nicht ändert. Wenn irgendwann alles verloren ist, ich glaube, dann werden es Kinder sein, die die Welt retten…

„Danke…“, haucht die Kleine, mit dem Anflug eines zaghaften Lächelns. Ich weiß nicht recht, wofür sie mir dankt, aber schon löst sie die Finger von meiner Kleidung und beeilt sich Clopin und dem anderen Kind zu folgen. Ich schaue ihr nach, bis die drei zwischen den Menschenmassen verschwunden sind.

„So“, bemerkt Esmeralda aufgeräumt. „Dann sehen wir mal, dass wir ein wenig Wasser für dich auftreiben können. Und“, fügt sie mit einem besorgten Blick auf mein Gesicht hinzu, „einen Ort, wo du dich ausruhen kannst. Hm…“ Sie überlegt, während ich mich frage, wie ich aussehe, dass alle sich so viele Sorgen machen. Esmeralda schnippt mit den Fingern, was mich ziemlich prompt wieder in die Wirklichkeit holt.

„Ich weiß genau den richtigen Ort. Folge mir.“

Sie wartet nicht auf eine Antwort und so bleibt mir nichts anderes übrig, als hinter ihr her zu laufen. Das ist bis jetzt eindeutig die längste Zeit am Stück, die ich mit einer Person verbringe, die sich früher oder später nicht mehr an mich erinnern wird. Keine Ahnung, ob mich das freuen oder deprimieren sollte.

Esmeralda bahnt sich zielstrebig ihren Weg, vorbei an traurigen, wütenden, verzweifelten und auch vollkommen starren Gesichtern. Einige grüßt sie, hin und wieder bleibt sie auch kurz stehen, um ein paar Worte zu wechseln. Schließlich kann ich meine Frage nicht mehr zurückhalten.

„Du sagtest vorhin etwas über die schwarzen Wesen, dass sie… etwas mit den Menschen machen würden. Was ist das?“ Esmeralda wirft mir einen Seitenblick zu, in dem ich mehr lesen kann, als in den Worten darauf.

„Dann hast du es also noch nicht gesehen.“ Sie seufzt. „Diese Monster sind wie aus dem Nichts erschienen. Es sah aus, als würden… die Schatten lebendig werden. Zuerst waren es nur wenig, aber dann stürzten sie sich auf einen Mann und… schlugen ihre Klauen in seine Brust, nur dass er unverletzt blieb.“ Bei den letzten Worten runzelt sie die Stirn. „Und dann verschwand er. Einfach so. Wie Nebel. Aber danach waren es mehr Monster und mit jedem, den sie fingen, stieg ihre Zahl. Weißt du…“ Sie sieht zu mir hinüber und mir scheint, dass sie fröstelt. „Alle, denen ich das erzählt habe, glauben mir nicht, aber als das Monster den ersten Mann anfiel, da… Ich weiß auch nicht, da kam es mir so vor, als hätte es etwas in der Klaue gehalten. Etwas, das es aus seiner Brust geholt hatte.“

„Du meinst, es hätte ihm etwas gestohlen?“ Esmeralda nickt.

„Das ist verrückt, nicht?“ Ein bitteres Lächeln bedeckt ihre Lippen. „Dieser Schwachkopf Frollo meinte, die Monster wären aus der Hölle aufgestiegen, um all den Gottlosen ihre gerechte Strafe zu erteilen. Aber, weißt du was? Von ihm schienen sie besonders angezogen zu sein.“

„So?“

„Ja, natürlich. Ich meine, diese Viecher sind kaltblütig, nervig und hässlich wie die Nacht. Und du weißt ja, wie man sagt: gleich und gleich gesellt sich gern.“

„Das stimmt wohl“, murmele ich, mehr für mich. Hm. Diese Monster haben den Menschen also etwas weggenommen und offenbar setzte das ihre körperliche Existenz voraus, andernfalls hätten sie sich danach ja nicht in Luft aufgelöst.

„So, da wären wir.“ Verwirrt hebe ich den Blick, aber in dem kurzen Moment, bevor meine Augen anfangen zu registrieren, was ich sehe, steigt mir ein irgendwie vertrauter Geruch in die Nase. Süß und voll, aber nicht zu schwer. Was ist das?

Da holt mein Sehsinn auf.

Wir sind vor einer breiten Nische angekommen, die mehrere, stufenartige Erhebungen an beiden Seiten aufweist. Auch hier ist alles mit bunten Stoffen ausgelegt, wobei diese hier fast ausnahmslos von Blumenmustern geschmückt werden. Ein kleines Zelt steht genau in der Ecke, davor erhebt sich ein anmutig geformter Springbrunnen und schließlich wird mir klar, woher der Duft kommt. Denn die ganze Szenerie steht voller Blumenvasen und Töpfen. Auch wenn schon ein Großteil verdorrt ist, nimmt mir der Anblick den Atem, und der Duft…

Fünf Augenpaare richten sich auf Esmeralda und mich. Kinder, die offenbar wegen dem Wasser im Brunnen hier sind – jedes hält eine Schale in den Händen.

„Hey, Ilamurá“, ruft Esmeralda dem Zelt zu. „Ich hab hier noch jemanden, der was von deinem Wunderwasser gebrauchen könnte.“ Ich achte kaum darauf. Meine Aufmerksamkeit gilt den Kindern. Etwas stimmt nicht mit ihnen. Aber was?

„Noch einer?“, erklingt plötzlich eine sanfte Männerstimme. „Langsam gehen meine Vorräte zur Neige. Aber lass sehen, was ich tun kann.“ Widerwillig hebe ich den Blick von den stillen Kindern und treffe zwei azurfarbene Augen, umrahmt von schier endlos langen Wimpern. Der Mann, der gerade aus dem Zelt trat, hat ein sehr hübsches, fast feminines Gesicht und weich geschwungene, blassrosa Haare. Auch seine Bekleidung gleicht vorrangig einem kunterbunten Flickenteppich, obwohl die Stoffe edler scheinen. Und als er neugierig näher tritt, sodass ich seinen Duft vernehmen kann, fällt der Groschen.

„Du warst das!“ Zu spät wird mir klar, dass er sich nicht daran erinnern kann, mich vor dem Tod von Huftritten, gerettet zu haben. Wider meine Erwartung breitet sich jedoch ein charmantes Lächeln auf seinem Gesicht aus.

„Ja, ich gestehe. Aber von welcher Tat sprichst du, Kind?“ Eben noch beschloss ich, den Mund zu halten, aber jetzt öffnen sich meine Lippen doch.

„Ich bin kein Kind.“ Das fasst er mit einem Nicken auf, ohne das Lächeln abzulegen und deutet dann auf einen Stuhl neben sich.

„Dem ist wohl so. Setz dich.“ Unentschlossen wende ich mich zu Esmeralda um, welche mir aufmunternd zulächelt.

„Keine Sorge, Ilamurá wirkt vielleicht etwas eitel“ – Hinter mir höre ich den Genannten schnauben – „aber er ist der beste Heiler im Hof der Wunder. Du bist hier gut aufgehoben.“ Weil ich immer noch nichts erwidere, stemmt sie die Hände in die Hüften. „Sorg’ dafür, dass sie sich ausruht, ja? Wir sehen uns dann später, Demon.“

„Ah…“, stoße ich leise hervor, weiß aber nichts, womit ich Esmeralda dazu bewegen könnte, noch ein wenig hier zu bleiben. Sie dreht sich bereits um und tritt langsam zwischen die vielen Menschen, bis ich sie nicht mehr sehen kann. Seufzend schlage ich die Augen nieder.

Letztendlich macht das keinen Unterschied. Es wäre sowieso dazu gekommen.

Und trotzdem… jetzt weiß ich, was ich bei dem Gedanken fühle, so viel Zeit mit ihr verbracht zu haben, obwohl sie mich aufs eine oder andere vergessen hätte.

Ich freue mich so sehr und es deprimiert mich zutiefst.
 

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So!

Ich glaube, dieses Kapitel erfordert jetzt doch ein paar Worte der Erklärung. Vielleicht auch nicht, aber es ist mir schier unmöglich, es unkommentiert zu lassen. ^-^

Dies ist das erste Kapitel, in dem ich gleich zwei Dinge ins Blaue hineinwerfe. Zuerst die Disney-Welt aus „Der Glöckner von Notre Dame“, die – wohlgemerkt – bisher noch nicht in Kingdom Hearts vorkam (Inwiefern sich das in Dream drop distance ändern wird, sei jetzt mal dahingestellt). Ich habe den Zeitpunkt gewählt, in dem die Herzlosen in der Welt auftauchen, auch das ist künstlerische Freiheit, denn noch ist nicht klar, ob die jemals dort eingefallen sind. Aber mir gefiel die Idee, zu zeigen, wie brutal die Übernahme der Herzlosen eigentlich ist. Oder zumindest stelle ich mir das so vor. In den Spielen wird es immer eher harmlos dargestellt, was aufgrund von Disneys Einfluss, auch nur logisch ist.

Das zweite ist der frei erfundene Charakter Ilamurá. Nach seinem Auftritt dürfte klar sein, um wen es sich dabei handelt, oder? ^-^ Es war schwierig, aus den vorhanden Buchstaben ohne das X einen halbwegs männlichen Namen zusammenzukleistern. Was haltet ihr von dem Ergebnis?

Ich wollte ihm eine französische Note geben, darum das á am Ende. Ich dachte mir zudem, dass Marluxia gut in die Rolle eines Zigeuners passen würde; mir gefällt der Kontrast, weil er im Grunde sehr fein wirkt, aber ein Leben in der Gosse führte…

Gut, vielmehr möchte ich nicht dazu sagen, ich fange jetzt schon an, abzuschweifen… ^-^’

Im nächsten Kapitel wird der Jemand von Marluxia natürlich noch genauer erläutert. Ich hoffe, ihr hattet Spaß bis hierhin!
 

Tausend Dank fürs Lesen! *Zu Füßen werf*

Feedbacks sind sehr erwünscht. ^-^
 

Rainblue

Dénouement

„Wenn du nur da stehst und geradeaus schaust, wird das heute nichts mehr mit der Therapie.“

Ein Hauch von Spott hat sich in Ilamurás Stimme geschlichen, kaum fassbar in dem samtweichen Grundton. Ich vermute, egal, was dieser Mann sagt, es würde immer charmant klingen. Langsam drehe ich herum und begegne seinem ruhigen Blick. Er deutet nach wie vor auf den Stuhl zu seiner Rechten.

Seufzend leiste ich seiner Bitte folge und lasse mich darauf fallen.

„Na also. So, jetzt atme ganz ruhig, entspann dich.“ Ich weiß nicht, was er vorhat, schiebe mein Misstrauen aber mürrisch beiseite – mir ist nicht danach, zu streiten. Im Moment will ich lieber vergessen, was eben passiert ist. Ich will mir einbilden, dass Esmeralda wiederkommt und mich erkennt, ich will…

„Au“, stoße ich ungewollt hervor.

„Entschuldige, tat das weh?“ Sofort zieht Ilamurá seine Hand zurück. Ich habe nicht groß darauf geachtet, was er tat – meinen Puls nachfühlen, glaube ich – aber eben haben seine Fingerspitzen etwas gestreift, von dem ich mir am liebsten einreden würde, ich besäße es nicht. Obwohl seine Berührungen mit größter Vorsicht vollzogen wurden, spürte ich das Stechen im ganzen Körper.

„Kaum…“, lüge ich, ohne ihn anzusehen. „Nur ein Kratzer, nicht der Rede wert.“

„So?“ Für einen Augeblick glaube ich, er würde noch einmal meinen Nacken berühren wollen, tut es aber nicht. Meine Haare bedecken ihn hoffentlich ausreichend. Ich möchte nicht versuchen müssen, ihm zu erklären, was da auf meiner Haut prangt. „Wie du meinst. Lass mich dein Gesicht sehen.“

Achtsam legt er mir die Finger unters Kinn und hebt es ein Stück an. Erst als er mit der zweiten Hand meine Haare zur Seite streicht und sein Daumen auf meiner Stirn verharrt, beginne ich zu begreifen, was ich da mit mir machen lasse. Ohne Widerspruch. Ja, ohne überhaupt den Funken von Protest.

Körperkontakt gehört nicht zu meinen Stärken; Ways gelegentliche Austritte lasse ich gerade noch so durchgehen. Und was soll das jetzt? Wo ist der Widerstand, die Abneigung dagegen, die ich sonst immer empfinde?

„Hm, das ist wahrlich… eigenartig“, holt Ilamurá mich aus den wirren Gedanken. Er mustert mich noch einmal prüfend, dann verschwindet er ohne ein weiteres Wort in das Zelt.

Mit der Stumpfheit, die mich gerade komischerweise einnebelt, fällt mein Blick auf eine Vase mit Rosen neben mir. Rote Rosen, die den Kampf gegen den Verfall noch nicht aufgegeben haben. Aber auch sie werden auf kurz oder lang welken. Kein Lebewesen kann dem Tod entgehen.

Von der Vase schweifen meine Augen weiter zu den Kindern, die noch immer um den Brunnen herumsitzen und schweigend auf die Wasserschalen in ihren Händen starren. So still… Das ist ungewöhnlich für ihr Alter. Ist es der Schock der vergangenen Stunden, der für ihre Abwesenheit sorgt? Nein… irgendwas ist hier faul.

„Übrigens, du hast mir noch gar nicht deinen Namen verraten, junges Fräulein.“

„Ein junges Fräulein bin ich auch nicht“, erwidere ich trocken und ich weiß absolut nicht, warum ich das sage.

„Sprach sie und verriet mir ihren Namen nicht“, seufzt er und streicht sich mit einer eleganten Bewegung das Haar aus der Stirn. „Wäre dir Mademoiselle genehm?“

Mademoiselle? Der Ausdruck ist mir unbekannt, aber mir gefällt sein Klang. Kurzerhand nicke ich.

„Schön. Dann sind wir jetzt beim Namen angelangt?“ Während er redet, geht er zum Brunnen hinüber und füllt die Schale auf, die er eben aus dem Zelt geholt hat.

„Demon“, flüstere ich nach kurzem Zögern. Er hält kurz inne, dann sieht er mir – für meinen Geschmack – viel zu offenkundig ins Gesicht.

„So, so.“ Die volle Wasserschale in den Händen, geht er vor meinem Stuhl wieder in die Knie. Dann holt er eine kleine Phiole aus seinem Umhang, öffnet sie und träufelt ein paar Tropfen der grünlichen Flüssigkeit in das Wasser. Sofort steigt mir der milde Duft von Kräutern in die Nase. Ilamurá reicht mir das Gemisch vorsichtig. „Trink, Mademoiselle. Danach fühlst du dich besser.“

Bevor ich die Lippen an die Ränder der Schale lege, frage ich mich noch einmal, wieso alle das Gefühl zu haben scheinen, ich bräuchte Pflege. Und da sehe ich plötzlich mein Spiegelbild in der Oberfläche des Wassers. Beinahe lasse ich die Schüssel fallen.

„Meine…“ Ich kann nicht weitersprechen, so sehr zittern mir die Lippen. Auf einmal legen sich zwei warme Hände behutsam auf meine Schultern.

„Beruhige dich.“ Beruhigen? Wie? Meine Gedanken rasen, überschlagen sich fast. Die Erinnerung an das letzte Mal, als ich mein eigenes Gesicht sah, steht mir so deutlich vor Augen wie seit langem nicht mehr. Die schmalen Züge, der kleine Mund, das matt glänzende, schwarzgraue Haar mit den schlohweißen Strähnen dazwischen und dann die Augen; groß, tiefblau- und grün, vielleicht wie Regen... giftiger Regen. Aber ganz gleich wie abstoßend ich sie finde, das letzte Mal waren sie nicht so… leer?

Einer plötzlichen Eingebung folgend, wende ich den Blick von meinem Wasserspiegel ab und sehe zu den Kindern hinüber. Und da weiß ich mit einem Mal, was so anders an ihnen ist.

Ihren Augen fehlt das Licht. Sie sind ausdruckslos, starr, nur Iris und Pupille. Kein Widerschein. Kein Leben.

„Was bedeutet das…?“, keuche ich, denn es fühlt sich an, als würden unsichtbare Fäden meine Kehle zuschnüren.

„Das wüsste ich auch gern“, sagt Ilamurá leise. Ich löse den Blick von den Kindern und sehe ihn an. Seine Miene hat sich verdunkelt. „Diese Kinder wurden von den Monstern angefallen, aber anders als die anderen, lösten sich ihre Körper danach nicht auf. Nun ja… jedenfalls nicht gleich.“

„Wie meinst du das?“ Seufzend nimmt er eine der halbverdorrten Rosen aus der Vase neben mir und betrachtet sie, ohne richtig hinzusehen.

„Bei den Erwachsenen gab es keine Ausnahme. Jeder, dem die Wesen zu nahe kamen, verging restlos. Aber viele Kinder, die es erwischt hatte, blieben körperlich anwesend, geistig jedoch…“ Sein Blick schweift kurz die Betroffenen, dann gilt wieder alle Aufmerksamkeit der Rose. „Esmeralda brachte sie hierher, aber nach einiger Zeit begannen die ersten sich ebenfalls aufzulösen. Nur diese fünf sind noch übrig. Es scheint, dass mein Trank sie wieder zu Kräften kommen lässt. Noch vor ein paar Stunden konnten sie nicht einmal aufrecht sitzen.“ Wieder seufzt er. „Ich weiß nur nicht, ob das reicht.“

„Was ist das für ein Gemisch?“, frage ich schließlich nach einem Moment des Schweigens. Ilamurá lächelt ein wenig.

„Das sind spezielle Kräuter, die ich in meinem Garten aufziehe. Inzwischen dürfte davon aber kaum noch etwas geblieben sein. Diese Bestien schienen den Pflanzen nicht sonderlich geneigt und verwüsteten ihn darum.“

„Haben sie einen Namen? Die Kräuter, meine ich.“ Langsam lässt er die Blume sinken, wobei sein Blick seltsam nachdenklich wird. So als sei ihm gerade ein Gedanke gekommen, den er bis jetzt noch nicht in Betracht gezogen hat.

„Sie heißen Herzgespann. Und du solltest jetzt auch was davon trinken, Mademoiselle. Obschon du mir sehr viel lebendiger vorkommst, als die Kinder.“

„Tja…“, murmele ich bloß. Was soll ich darauf schon erwidern? Die Sache ist schlichtweg verrückt. Meine Augen sind ebenso lichtlos wie die der Kinder, aber ich fühle mich nicht anders als sonst auch – zumindest nicht drastisch. Trotzdem, das Zeug zu trinken wird schon nicht schaden.

„Was sind das für Menschen?“, frage ich Ilamurá unvermittelt, nachdem ich alles runtergestürzt habe – schmeckt übrigens scheußlich. „Die, die nicht so bunt gekleidet sind wie der Rest.“

„Ha!“, schnaubt er verächtlich, aber mit einer Spur… Neid? „Das sind die selbst ernannten Heiligen dieser Stadt. Adlige. Für die waren wir Zigeuner nie mehr als Ratten, die in der Gosse rumlungern und ihnen bei passender Gelegenheit sofort die Kehle aufschlitzen und sie bis aufs Unterhemd ausrauben würden. Aber kaum taucht eine größere Bedrohung auf, sind wir ihre besten Freunde.“ Sanft lässt er die Rose zurück zu den anderen in die Vase gleiten. „Ein interessantes Dénouement, wenn du mich fragst.“

„Auf mich wirkt ihr nicht wie Ratten.“ Schon wieder habe ich etwas gesagt, ohne vorher darüber nachzudenken. Ich frage mich, was an diesem Menschen mich dazu bringt, so offen zu sein. Ein samtenes Lächeln umspielt seine Lippen.

„Jemand sagte mal: ‚Beurteile den Baum nicht nach seiner Rinde’. Das gleiche gilt wohl auch für dich, kleine Mademoiselle.“ Er zwinkert mir verschwörerisch zu. „Ich werde das Gefühl nicht los, dass du dich verirrt hast.“ Verwundert sehe ich ihm in die Augen, die zwar klarblau, aber vollkommen unergründlich sind.

„Nicht wörtlich gesprochen, versteht sich. Aber du bist definitiv der Gnade des Meeres ausgesetzt. Den Hafen hast du noch nicht gefunden.“ Seine Erklärungen verwirren mich nur noch mehr. „Hm, ich glaube…“ Er lässt die Hand unter den Ausschnitt seiner Kleidung gleiten und zieht sich dann eine Art Kette über den Kopf, die er mir reicht. Neugierig betrachte ich das leicht ovale Gebilde an dem Lederband. Offenbar wurde es von Hand gearbeitet, sehr aufwendig noch dazu. Ein feines Gitter bildet den Grundriss zwischen der subtilen Holzkonstruktion, in welches mit leuchtenden Farben Symbole eingewebt worden sind.

„Was ist das?“ Ilamurá deutet auf das große weiße Kreuz in der Mitte.

„Das ist Notre Dame.“ Jetzt fährt er die blaue Linie entlang. „Und das die Seine. Und hier…“ – sein Finger verharrt auf dem kleineren Kreuz, das in einem Kreis steckt – „ist der Hof der Wunder. Es gibt auch einen Reim dazu.“ Er räuspert sich einmal und beginnt dann in anmutigem Singsang zu rezitieren. " Trägst du dies gewebte Band, hältst du die Stadt in deiner Hand. Jeder Zigeuner kennt die Bedeutung dieser Worte und wird hier willkommen geheißen. Und du auch, Mademoiselle.“

Ein etwas verlegendes Lachen folgt. „Nun ja, Clopin pflegt manchmal auch zu sagen: Der Hof der Wunder, wo es ein Wunder ist, wenn du überlebst. Aber… nimm das nicht zu ernst.“

Irgendetwas in seiner Stimme bringt meine Gesichtsmuskeln dazu, ein Lächeln zu formen. Er sieht mich halb erstaunt, halb erfreut an.

„Wer hätte das gedacht? Du kannst lächeln, Mademoiselle.“

„Ist nicht unbedingt mein herausragendstes Talent, aber ja“, erwidere ich schlicht. Ich will ihm den Talisman zurückgeben, aber Ilamurá winkt ab.

„Behalt’ sie. Ich kann jederzeit eine neue flechten und davon mal abgesehen, werden in naher Zukunft wohl keine benötigt; jetzt weiß ja die halbe Stadt, wo wir sind.“ Wieder zwinkert er. „Außerdem glaube ich, dass du einen Kompass gut gebrauchen kannst – auch wenn er nur aus Bändern und Perlen besteht.“

„Danke…“, sage ich leise und bin sicher, er kann nur halb verstehen, wie dankbar ich mich wirklich fühle. So lange… jetzt bin ich schon so lange mit einem Menschen zusammen, in dessen Erinnerungen ich keinen Platz finden werde. Unter der Atmosphäre unseres Gesprächs, ist mir diese Tatsache völlig entgangen. Doch kaum denke ich daran, fängt eines der Kinder plötzlich an zu schreien.

Ilamurá ist sofort auf den Beinen und eilt auf das Mädchen zu, das mit weit aufgerissenen Augen an einen Punkt an der Decke starrt. Bevor ich ihrer Blickrichtung folge, sehe ich noch, dass die anderen vier Kinder anfangen, sich aufzulösen.

Meine Augen treffen für den Bruchteil einer Sekunde auf die leuchtend gelben des Monsters, dann springe ich reflexartig zur Seite. Hinter mir knirscht Holz – der Stuhl – und die Vase zerbricht scheppernd. Was danach geschieht, scheint sich gänzlich in Zeitlupe abzuspielen und gleichzeitig geht es zu schnell, als dass ich es hätte verhindern können.

Nur Augenblicke nach dem Eintreffen der ersten Kreatur, kommen ein dutzend weitere von der Decke gesprungen und stürzen sich voller Gier auf die umstehenden Menschen. Panische Schreie werden laut, Zelte zerfetzt, Ilamurás Blumen zertrampelt. Das Mädchen, das vorhin schrie, kann ich nicht mehr sehen. Aber ich sehe etwas anderes – so deutlich, als wäre das hier ein Albtraum. Mein Albtraum. Der mich quälen soll.

Ilamurá steht einige Meter von mir entfernt, eine Sense in der Hand und mein Bewusstsein ist so komisch verdreht, dass ich sogar noch bemerke, dass daran Schmutz und Pflanzenstückchen kleben – er muss sie bei der Gartenarbeit verwenden. Er benutzt sie, um eines der Wesen wegzuschlagen, das sich über eine junge Frau hermachen wollte und…

„Pass auf!“, schreie ich so laut wie möglich und rapple mich auf. Aber zu langsam.

Gerade als er sich umdreht, landen die Pfoten der schwarzen Bestie auf seiner Brust, reißen ihn um und noch bevor sein Körper den Boden berührt, dringt die Klaue in seinen Brustkorb ein. Ich sehe es ganz deutlich, so deutlich, dass mir schlecht wird. Ein rot glühendes, kristallenes Herz pulsiert zwischen den Krallen des Monsters. Ilamurás Körper kommt leblos auf dem Boden auf, seine Augen fallen zu und dann… verschwindet er im Nichts. Meine Hand greift ins Leere.

„Nein…!“, knurre ich zwischen zusammengebissenen Zähnen. „Gib es zurück! Gib es ihm zurück!“ Schmerz schießt mir in den Nacken, aber ich ignoriere ihn.

Ich will dieses Wesen zerstören, ich will, dass es dafür bezahlt, was es angerichtet hat, es soll in tausende Stücke zerbersten, es soll genau die gleichen Qualen empfinden, wie die, die es bestohlen hat!

Der Schmerz schwillt an. Schon spüre ich das Ziehen in meinem Rücken und an den Fingern, die sich allmählich wandeln.

Das gelbäugige Monster beobachtet mich und obwohl es keine Mimik besitzt, in der ich lesen könnte, glaube ich, so etwas wie Angst zu erkennen und… Schmerz.

„Demon. Lass es sein. Das hier ist nicht deine Aufgabe.“

Die Stimme kommt so unvermittelt, dass ich tatsächlich innehalte und für einen Moment meine gesamte Wut auf das Ungeheuer vergesse. Dann verschwimmt mein Sichtfeld. Die Energie in meinem Körper sinkt rapide und nach und nach verblassen alle Konturen, alle Geräusche, alle Gefühle. Ich kann mich nicht dagegen wehren.

Ich falle ins Nichts.
 

„Du kannst nicht vor dem fliehen, aus dem du gemacht bist. Du warst von Anfang an ein Teil der Dunkelheit, leugne es nicht. Deine Angst, deine Wut, deine Verzweiflung sind die Antriebsräder deiner Existenz. Es ist gleich, wie oft du davonläufst, du kannst ihr nicht entkommen. Du bist ihr blutiger Schatten. In dir schlummert die ganze Vielfalt ihrer Kraft.

Du kannst es nicht vergessen.

Alles Glück der Welt wird auf Trauer gebaut. Und alles Licht entspringt der Dunkelheit.“
 

Die Betäubung hält nicht lange an. Aber als allmählich wieder Gefühl in meine Glieder kommt, bin ich nicht länger im Hof der Wunder. Nicht länger in dieser Welt.

Ich liege auf der Seite, zusammengekauert wie ein Neugeborenes. Als ich die Augen aufschlage breitet sich die karge Einöde einer Welt vor mir aus, die nichts als Steine und Wolken kennt. Ich fixiere meinen Blick auf einen Kieselstein, der genau neben meiner unbewegten Hand liegt. Er ist leicht bläulich, was ihn vom staubgrauen Rest unterscheidet. Solche Unikate gibt es nur selten und meistens sind sie kleiner als ihre Geschwister, sodass man sie leicht übersehen kann. Ich weiß, dass Way diese Stücke sammelt…

Wie Regentropfen kommen in Bruchstücken die Erinnerungen an das eben Geschehene zurück und ich mein Magen krampft sich unangenehm zusammen. Ilamurá… ich kannte ihn kaum, aber das ändert nichts daran, dass er eine Bedeutung hat. Er war der erste Mensch, mit dem ich so viel Zeit verbrachte und… es wäre mir lieber gewesen, er hätte mich für immer vergessen, als das. Was ist mit ihm geschehen? Ist er tot…? Ich seufze.

Was ist überhaupt geschehen? Irgendjemand oder irgendetwas hat mich zurück in diese Welt gebracht. Da war doch eine Stimme… Ich erinnere mich nicht mehr an ihren Klang, aber an die Worte, die sie gesprochen hat. Das hier ist nicht deine Aufgabe...

Wie soll ich das verstehen? Von welcher Aufgabe ist die Rede? Ich seufze noch einmal.

„Oh. Na sieh mal einer an! Wenn das nicht unser süßes Monster ist.“ Als ich die Stimme identifiziere, zucke ich ungewollt zusammen.

Von allen Lebewesen, die ich je getroffen habe, ist er der letzte, dem ich jetzt begegnen will.

Ohne Antwort zu geben, richte ich mich auf und komme auf die Beine. Hinter mir knirschen Schritte im Kies. Sogar die haben etwas Charakteristisches, etwas, das ich immer wieder erkennen würde.

„Ah, jetzt sind wir also bei der Phase angelangt, in der du mich ignorierst“, kommt es spöttisch von hinten. „Was ist als nächstes dran? Läufst du wieder davon, wie jedes Mal?“

„Was willst du von mir, Void?“, frage ich kühl, ohne mich umzudrehen. Mit einem Lachen, das trieft vor Hohn, spaziert er an mir vorbei, nur um sich dann umzuwenden und mich mit seinen schneeblauen Augen herausfordernd anzufunkeln.

„Oh bitte! Wer bin ich denn, dass ich von dir was wollte!“, erwidert er boshaft und mustert meine – durch die Ereignisse von eben wohl eher heruntergekommene – Erscheinung abschätzig.

„Das frage ich mich schon länger…“ Als ich versuche, mich an ihm vorbeizuschieben, packt er, nicht gerade sanft, meinen Oberarm und zwingt mich, ihm wieder in die Augen zu sehen. Ich hasse Voids Augen. Sie sind wie grell funkelnde Eisdiamanten; kalt, hart und unnatürlich blass.

„So zerbrechlich, hm?“, raunt er. Sein Gesicht ist nur wenige Zentimeter von meinem entfernt und ich muss gestehen, dass es mich Überwindung kostet, ruhig zu bleiben. „Die kleine, wehrlose Demon… Tz. Wenn es etwas gibt, dass du nicht bist, dann zerbrechlich!“

Sein Haar streift meine Wange, als er sich zur Seite beugt und seine Lippen nahe meinem Ohr zum Stillstand kommen.

„Der Blonden kannst du vielleicht was vormachen, aber nicht mir. Irgendwann wird ihre Ruhe einen Riss bekommen, irgendwann wird sie dich genauso ansehen wie alle anderen. Spätestens wenn sie herausfindet, zu was du noch so fähig bist.“

Mit einem Ruck befreie ich mich aus seiner halben Umarmung. Aber dann sehe ich, wie Void sich mit schmerzverzerrter Miene die Schulter reibt. Zu viel Kraft…

Sein süffisantes Grinsen kehrt zurück – bei ihm kommt Schadenfreude lange vor Schmerzempfinden.

„Was sage ich? Hinter deinem Schleier aus Unschuld bist du letztendlich doch das, was dein Name jedem klar machen sollte. Ein Dämon.“

„Halt den Mund“, stoße ich hervor, doch es ist kaum mehr als ein Flüstern. Void hebt den Arm und renkt mit einem unschönen Knacken, das mir in den Ohren nachklingt, seine Schulter wieder ein. Dann macht er erneut einen Schritt auf mich zu – er ist noch lange nicht fertig mit seiner Schikane.

„Noch ein Wort und dein Gesicht wird um die fünfzig blauen Flecken reicher, du Maulheld!“ Verwirrt schaue ich auf und erblicke Way, der auf uns zugestapft kommt, mit der Miene, die ich gerne als das absolute Gegenstück seiner sonstigen bezeichne. Wenn er wütend ist, kann er wirklich Furcht erregend sein.

„Oh?“, erwidert Void und das Grinsen entblößt seine etwas spitzeren Eckzähne. „Spannend. Komm her und beweis’ es mir, Milchgesicht!“ Beinahe synchron nehmen beide ihre Angriffshaltung ein.

„Way!“, sage ich, gerade laut genug, dass er mich versteht. „Bitte.“

„Was?!“, schnappt er und wirft mir einen Blick zu, als hätte ich den Verstand verloren. „Der Kerl hat’s nicht anders verdient, D! Er wird nicht noch mal so mit dir umspringen!“

„Bitte“, wiederhole ich nur. Voids widerliches Gelächter hallt von den Steinen wider.

„Nein, wie süß! Das Monster zieht feige den Schwanz ein. Wer hätte gedacht, dass du dazu fähig bist, jemanden zu verschonen, Demon.“ Seine Worte gehen nicht ins Leere; ungewollt zucke ich noch einmal zusammen.

„Du elendes…!“, brüllt Way, aber bevor er sich auf Void stürzen kann, ergreife ich seinen Arm.

„Bitte.“ Diesmal flüstere ich. „Keinen Kampf mehr.“ Für einen Augenblick befürchte ich, er würde nicht auf mich hören, aber als Reaktion auf irgendwas in meinem Gesicht, löst er dann doch die angespannten Muskeln.

„Tz! So viel also zum Thema Maulheld. Wer ist das jetzt, Way? Du oder ich?“

„Du bist die Erklärung nicht wert, Void“, erwidert er, schnappt sich mein Handgelenk und zieht mich Richtung der Ruinen, wo wir uns meistens aufhalten.

„Und wieder läufst du weg, nicht wahr, Demon?“, ruft er uns nach. Way spannt die Arme an, geht aber weiter. „Entweder das oder du sorgst für ein Massaker. Was glaubst du, passt besser zu dir?“ Falls er danach noch etwas sagt, höre ich es nicht mehr, weil ein dumpfes Klingen meine Ohren betäubt.

So sehr ich Void auch verabscheue, wovon er redet, ist die Wahrheit.
 

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Geschafft! Das Kapitel war der reinste Drahtseilakt. ^-^

Am Ende ist jetzt also endlich der vierte im Bunde aufgetaucht; Void (Bedeutet im Übrigen so viel wie Leere oder Ungültigkeit – verbessert mich, falls ich mich irre). Er ist ein Fiesling, aber ich mag ihn. Fast mehr als Way. …hoffentlich hat er das nicht gehört. ^-^

Zu den leeren Augen der Kinder sollte ich vielleicht was sagen: Auch das ist meiner eigenen Fantasie entsprungen. Im ersten Teil von KH fällt Kairi in ebenso einen komatösen Zustand, weil ihr Herz – obgleich gestohlen – keinen Funken Dunkelheit besitzt. Ich dachte mir, bei Kindern (deren Herzen ja auch noch sehr rein sind) könnte etwas Ähnliches passieren. Da sie aber letztendlich nicht wie Kairi sind, lösen sie sich dann doch auf. (Wie sich das anhört…)

Halbwegs logisch? ^-^’

Herzgespann gibt es übrigens wirklich (dürfte bekannt sein, oder?). Und ja, es hilft angeblich bei Herzbeschwerden. Bezieht sich zwar eher auf das Organ „Herz“, aber mir gefiel diese Anlehnung einfach so gut, dass ich es reingenommen habe. ^-^

Zuletzt Ilamurá: Himmel, was haltet ihr davon??? O.o Ich habe versucht, ihn dem echten Marluxia möglichst gleichzusetzen, ohne ihn „böse“ zu machen. (Das hört sich auch an…)

Dieses Wort „Dénouement“ stammt übrigens aus einem Zitat von Marluxia in KH Re: CoM… Wisst ihr, welches ich meine? ^-^

Bezüglich der Sense… ich bin mir noch nicht ganz sicher, ob ich die Idee im Nachhinein genial oder lächerlich finde. Was denkt ihr?

Okay, genug gelabert. Ich hoffe, es hat euch gefallen!

Im nächsten Kapitel werde ich anfangen aufzulösen, was es mit Demons „dunklem Geheimnis“ auf sich hat. Also dann. Kommentare sind nach wie vor erwünscht. ^-^
 

Rainblue

Tristesse

„Wut ist der Schlüssel… Sie nährt den Schmerz und der Schmerz zieht die Fäden enger um deine Kehle, bis du nicht mehr atmen kannst. Dann musst du mich willkommen heißen, ob du willst oder nicht. Ein Kampf gegen mich, ist ein Kampf gegen dich. In all deinen Gefühlen lauert mein Schatten und wartet auf eine falsche Bewegung. Hass’ mich, verabscheue mich, fürchte mich… das ist die Quelle meine Macht.“
 

Die Demon, die ich heute bin, war ich keineswegs immer. In den Tagen nach meiner „Geburt“ war ich wie ein Tier. Ein wildes Tier, das man zu lange eingesperrt und provoziert hatte. Mein Zorn richtete sich gegen jeden, da ich nicht wusste, wer mich in den Käfig geworfen hatte. Jeder war mein Feind.

Und wäre da nicht dieses Bild gewesen und diese fremde wie auch vertraute Stimme, die noch vor meinem Erwachen aufgetaucht und wieder verschwunden war… hätte es diese schwache Erinnerung daran nicht gegeben, dann – und da bin ich sicher – wären viel schlimmere Dinge geschehen. Aber auch so… bin ich befleckt von zahlreichen und unverzeihlichen Sünden.
 

„Das ist einfach nicht zu fassen! Ich würde diesen Mistkerl am liebsten…! Und dann…!“

Diesem durchzensierten Schimpfrausch geht Way nun schon seit einer ganzen Weile nach, während er auf dem feinen Kies auf und ab läuft. Es wundert mich beinahe, dass noch keine Fuge auf seiner Route entstanden ist.

Ich sitze auf einer der halb zerstörten Mauern, von denen es in den Ruinen mehr als genug gibt, und starre auf meine Hände. Obwohl ich Way zuhöre, gehen die Bedeutungen seiner Sätze zum einen Ohr rein und zum andern wieder raus. Destiny hat es sich genau neben mir bequem gemacht – sie war bereits hier, als wir kamen – und mustert die goldblonde Halb-Fluch-Maschine mit einer Mischung aus Neugier und… tja, so einer Art Blick, der sagt: Ob der jemals erwachsen wird?

„Beim nächsten Mal zeige ich ihm, wo’s langgeht! Diese rothaarige Schreckschraube wird noch ihr blaues Wunder erleben.“ Anscheinend will er gleich noch einen draufsetzen, aber er überrascht mich, indem er es bleiben lässt und die gesammelte Luft nur in einem tiefen Seufzer entweicht. Vorsichtig hebe ich den Blick und sehe ihn an.

Sorge steht in den grünen Augen geschrieben, die mir inzwischen so vertraut sind wie meine eigene Stimme. Aber genau deswegen kann ich auch das sehen, was er gut versteckt hält, und das ist Ärger. Nicht nur über Void.

„D“, sagt er schlicht. Ich weiche seinem Blick aus, den Augen, in denen ich genau lesen kann, was er denkt. „Das war nicht das erste Mal, oder?“ Wenn ich ihn jetzt ansehe, verrät mich das. Denn ebenso wie ich Ways Augen kenne, kennt er meine. „Auch nicht das zweite…“ Ich muss ihn nicht sehen, um zu wissen, was in seinem Kopf vorgeht. Er fügt Bilder zusammen, Situationen, Sätze, die erst keine Bedeutung zu haben schienen, als Teile eines Puzzles jedoch…

Plötzlich überwindet er die Entfernung zwischen uns mit einem Schritt und packt mich bei den Schultern.

„Wie lange geht das schon so?“ Seine Stimme ist unerträglich eindringlich. Ich habe das Gefühl, die Luft würde sich verdünnen. „D, wie lange tut er das schon?“ Ich kann es nicht länger aushalten. Mein Magen krampft sich zusammen, als würden Glassplitter darin herumwirbeln. Unsicher lässt Way seine Hände ein Stück tiefer gleiten, aber dann überwindet er auch diese letzte Grenze und zieht mich sacht in seine Arme.

Und geht damit viel zu weit.

Ich stoße ihn so heftig von mir, dass er das Gleichgewicht verliert und mitten in einem Haufen kaputter Backsteine landet. Noch bevor er sich aufrichten kann, bin ich auf den Beinen. Ein Grollen steigt in meiner Kehle auf. Es ist das zügellose Knurren einer Bestie, die an den Ketten um ihren Hals zerrt, das Geräusch, vor dem ich selbst am meisten Furcht habe.

Erst als mich Ways Blick trifft, in dem ich Schock und einen Schmerz, der nicht körperlicher Natur ist, lesen kann, wird mir klar, was ich getan habe.

Als hätte mich jemand ins Gesicht geschlagen, taumele ich rückwärts, bis ich die Mauer an den Oberschenkeln spüre. Way richtet sich mühsam auf, verzieht vor Qual das Gesicht. An seinem Arm läuft ein rotes Rinnsal hinab, bis zur Hand. Das flüssige Leben sammelt sich an den Fingerspitzen, wird zu schwer, fällt… ein Tropfen, zwei, drei…

Einem plötzlichen Impuls folgend schnellt mein Kopf zu Destiny herum. Gerade löst sie die Augen von Way und richtet sie, und deren unergründliche Tiefen, auf mich. Voids Satz hallt in meinen Ohren wider, so laut, als stünde er neben mir und schreie ihn Wort für Wort…

Irgendwann wird ihre Ruhe einen Riss bekommen, irgendwann wird sie dich genauso ansehen wie alle anderen… Und es ist als ob etwas in mir höhnisch den Mund verzieht und lacht.

„Nein…“, formen meine Lippen lautlos. „Das bin nicht ich… das bin nicht…“

Ein Kampf gegen mich, ist ein Kampf gegen dich.

Kein weiterer Blick zu den beiden, kein weiteres Wort.

Nur umdrehen. Nur weglaufen.
 

Der Kies knirscht unter meinen Füßen. Es hört sich an, als würden Knochen zermalmt…

Mein Atem geht röchelnd, mein Gesicht brennt vor Hitze, meine Glieder werden mit jedem Schritt tauber, aber ich halte nicht an. Wenn ich stehen bleibe, bekommt er mich. Dann verschlingt er mich, stößt mich wieder ins Dunkel, in die Schatten, die an mir zerren, mich auseinander reißen…

Nein, Demon, flüstert eine schwache Stimme in meinem Hinterkopf. Da ist niemand. Niemand, der dich verfolgt. Das bist du selbst.

Ich bleibe so abrupt stehen, dass meine Knie nachgeben und ich vornüber auf die kleinen spitzen Steine falle. Der Atem kämpft sich schmerzhaft seinen Weg in meine Lunge und wieder hinaus. Eine ganze Weile kauere ich nur da, die Augen fest geschlossen, und atme.

Irgendwann hat mein Kreislauf wieder einen halbwegs gleichmäßigen Rhythmus erreicht und ich zwinge mich dazu, die Lider zu heben.

Hm, sieh an. Wie passend.

Ich bin an dem Ort gelandet, den die meisten meiner Art meiden – die Steppe. Der Grund dafür liegt auf der Hand. Außer dem Kiesboden und nahezu undurchschaubarem Nebel gibt es hier draußen nichts. Das ist Niemandsland.

Wie gesagt, passend.

Erschöpft drehe ich mich auf die Seite und will gerade aufstehen, als etwas aus meiner Hosentasche fällt und lautlos am Boden aufkommt. Ich bleibe sitzen, hebe den fragilen Talisman auf und betrachte ihn im milchigen Licht, das der Nebel verursacht.

„Trägst du dies gewebte Band, hältst du die Stadt in deiner Hand…“ Ich weiß nicht, wieso ich mich so gut an den Spruch erinnere. Wahrscheinlich weil es Ilamurá war, der ihn gesagt hat. Der Gedanke an ihn bringt mich auf einen anderen. Behutsam fahre ich mit der Fingerspitze die blaue Linie entlang, die sich um das weiße Kreuz windet.

„Ein Kompass, damit ich mich nicht verlaufe, aber…“ Kraftlos lege ich den Kopf in den Nacken. Über mir spannt sich der übliche bläulich graue Himmel. Er erweckt stets den Eindruck, es würde bald regnen. Tut es aber nie. „Wie kann ich mich verirrt haben, wenn ich doch die ganze Zeit auf der Stelle laufe…?“

Natürlich kommt keine Antwort. Wäre ja auch neu, dass der Himmel sprechen kann.

Die Sekunden vergehen. Eins, zwei… fünf… fünfzehn… Die Stille scheint meine Sinne zu betäuben. Ich muss die Sekunden zählen. Ich muss mich davon überzeugen, dass die Zeit weiterhin vergeht. Pfft. Und das obwohl ich doch genauso wie jeder andere hier weiß, dass sie das nicht tut. Darum verändert sich auch nichts. Darum wird es auch nie regnen. Der Nebel wird sich nicht auflösen, die Wolken nicht weiterziehen, niemals wird Wind aufkommen…

In dieser kleinen, steinkalten Welt im Riss der Zeit.

Nahezu impulsiv streife ich mir den Talisman über den Kopf und rappele mich auf die Beine. Ich lasse die Augenlider sinken, bis die Endlosigkeit der Steppe nicht mehr zu sehen ist, schiebe all die lärmenden Gefühle in einen weit entfernten Winkel meines Bewusstseins, bringe mein Gedankenuhrwerk zum verstummen und spüre dann allmählich wie mein Geist weicher wird.

Es kostet meine gesamte Konzentration, die „Schwebe“ herbeizuführen und meinen Körper in den Sog hineinzuheben, der mich fortnimmt. Was ich da mache ist beinahe tollkühn. Es ist nicht so einfach, unsere instabile Existenz in einer fremden Welt aufrecht zu erhalten, und ich habe heute schon mehr als genug Energie verbraucht.

Aber ich halte es hier nicht länger aus. Die Einöde dieser „Gegenwart“ erdrückt mich. Die Abwesenheit der Zeit. Die bleierne, trügerische Stille.

Ich muss weg. Weg von alledem. Das ist das einzige, was im Moment zählt.

Endlich spüre ich die erlösende Schwerelosigkeit, die jedes Mal eintritt, wenn ich in die Zwischensphäre von Zeit und Raum eintauche. Dieser Punkt hält nicht lange an. Es bleibt nur Platz für einen letzten Herzschlag, dann trifft mich die gesamte Wucht des Stroms, der mich mit sich reißt. Farben tanzen vor meinem geistigen Auge herum, Bildfetzen – Momentaufnahmen aus Erinnerungen von Herzen, die ich nicht kenne, ein paar Worte, die vom Wind des Universums zerstreut werden. Ich sehe all das nur für Bruchteile von Sekunden; so viele Eindrücke, die zu staubhaften Wirbeln werden, sich wandeln, verwischen und verschwinden.

Und dann ist es einfach vorbei. Die Klänge verstummen, die Bilder werden schwarz, die Schwerkraft erhält wieder Kontrolle über meinen Körper.

Ich lasse die Augen geschlossen und lausche. Etwas kitzelt mich an der Wange. Noch immer blind grabe ich die Fingerspitzen in das grobe Gewebe unter mir. Ist das ein Kissen? Zugebenen, nicht gerade bequem, es fühlt sich eher so an, als sei es mit Stroh gefüllt. Als ich die Lider hebe scheint mir das schummrige Licht einer Kerze entgegen, die auf einem kleinen Tischchen steht, der nicht den stabilsten Eindruck macht. Ohne mich aus meiner Bauchlage zu erheben, schweift mein Blick durch den Raum. Wohl eher eine Kammer denn ein Zimmer. Auch der Rest des wenigen Mobiliars ist bescheiden; direkt gegenüber meines Stand- beziehungsweise Liegepunkts befindet sich eine dunkelblaue Stehwand, daneben ein altes Schränkchen und noch ein Stück weiter ein klappriger Stuhl, der sich einer Art Kommode zuwendet. Wobei auch die ihre Bezeichnung nicht wirklich verdient.

Durch ein Fenster, das ich nur knapp aus dem Augenwinkel erkenne, weht kühle Nachtluft herein. Nacht? Interessant, es kommt selten vor, dass ich nachts in einer Welt eintreffe.

Das Bett unter mir quietscht leise, als ich mich aufrichte, die Beine über den Rand schwinge und auf dem Holzboden aufkomme. Offenbar bin ich im Haus von jemandem gelandet. Und wer auch immer dieses „Zimmer“ bewohnt, ist wohl gerade nicht anwesend.

Ich denke nicht wirklich darüber nach, als ich einige Schritte tue und vor der Kommode stehen bleibe. Es ist bloß ein weiterer wacklig wirkender Tisch und die Ecken des darauf stehenden Standspiegels sind abgesplittert, aber die Mitte ist, bis auf ein paar Sprünge, noch gut erhalten. Die Neugier ist zu groß, darum schaue ich nicht sofort wieder weg, als mich meine eigenen Augen treffen.

So ein hässliches Grünblau… aber zumindest kann ich in beiden den Widerschein des Kerzenlichts erkennen. Was da im Hof der Wunder los war ist offensichtlich vorbei. Die Farbe bringt mich auf noch einen Gedanken und ich weiß genau, es ist das erste Mal, dass ich das tue. Und das letzte.

Wie in Zeitlupe drehe ich dem Spiegel den Rücken zu, greife nach den Strähnen meiner dünnen Haare, lege den Nacken frei und drehe dann ebenso langsam den Kopf, um über die Schulter zu schauen.

Silbrige, ineinander verflochtene Muster schließen sich, wie Spiralen des Wahns, um das faulig grünblaue Auge mitten auf dem größten Nackenwirbel. Es ist nur ein Mal, eine Abbildung, flach auf meiner Haut eingebrannt. Aber jetzt, wo ich es ansehe, kommt es mir so vor, als würde sich das Auge leicht nach außen wölben und mich beobachten.

Schnell lasse ich das Haar wieder zurückfallen und wende zeitgleich den Blick ab. Mein Atem geht hektisch – anscheinend habe ich die Luft angehalten. Ich warte, bis er sich wieder halbwegs normalisiert hat. Ein bitteres Lachen entflieht meiner Kehle, als ich noch einen Blick in den Spiegel werfe.

„Hallo, Monster…“, flüstere ich mir selbst zu, die Stimme ein Stachel des Sarkasmus. Schwarzer Humor ist erträglich. Er tut weniger weh als Ehrlichkeit.

Unvermittelt zerreißen Stimmen die Stille. Eine Tür wird geschlossen, dann sind Schritte zu hören und die Stimmen schnattern weiter. Ja, schnattern, denn sie klingen derart affektiert und klebrig, dass mich unwillkürliche Antipathie durchfährt.

Neugierig trete ich vom Spiegel auf das offen stehende Fenster zu und bin direkt sprachlos beim Anblick der strahlend weißen Türme, die sich in der Ferne erheben. Ein Schloss, prachtvoll und schön – es gibt mir irgendwie ein unbestimmtes Gefühl von Hoffung. Als die Stimmen von zuvor in Gelächter ausbrechen – das Geräusch könnte schlecht geölten Triebwerken Konkurrenz machen – löse ich mich von der Traumfestung und blicke nach unten, leicht erstaunt wie weit oben sich das Zimmer doch befindet. Auf dem Anwesen vorm Haus steht eine... Tja, ich bin sicher, den Begriff dafür zu kennen, aber die Erinnerung bleibt aus.

Drei – offenbar weibliche – Gestalten treten gerade darauf zu und verschwinden, noch immer in viel zu hoher Tonlage gackernd, im Inneren. Kurz darauf zieht ein Mann an den Zügeln einer Reihe von Pferden, die an dem Ding angespannt sind. Auf den Ruck hin traben sie los und tauchen wenig später in den Schatten des Waldes ein, der neben dem Haus beginnt.

Ich will mich gerade dazu bewegen, ihnen zu folgen, als plötzlich etwas aus dem Boden des Anwesens schießt. Fünf kleine, dunkelblaue Geschöpfe materialisieren sich, mit merkwürdig schlitzartigen Augen, die rot glühen. Nicht gelb.

Sie scheinen agiler als die schwarzen Schattenwesen, zwar ebenso abgehackt, fast nervös, in ihren Bewegungen, aber doch geschmeidiger, elastischer. Vielleicht sind sie mit ersteren verwandt, entspringen aber definitiv nicht derselben Art. Und noch etwas unterscheidet sie von ihnen.

Sie würdigen mich keines Blickes.

Selbst wenn viele Meter zwischen uns liegen, die gelbäugigen Schatten hätten mich bemerkt und ohne Umschweife angegriffen. Diesen hier bin ich herzlich egal. Ihr Interesse gilt scheinbar dem Wald und dem Gefährt, das eben hineingerattert ist, denn schon schleichen sie in besagte Richtung davon.

Hm. Wenn sie mir nichts tun, dann sehe ich auch keinen Grund, ihnen nicht zu folgen. Irgendwie erregen sie meine Aufmerksamkeit, diese Wesen, die wie die Halbgeschwister der Schatten wirken.

Ich stütze beide Hände aufs Fensterbrett und schwinge mich darüber. Die Höhe macht mir nichts aus; unsere Art ist nicht annährend so zerbrechlich wie viele andere. Ich lande mit beiden Füßen auf der platt getrampelten Erde und hadere nicht lange, ehe ich mich den blauen Wesen an die Fersen hefte.

Nachdem ich ein Stück in den Wald vorgedrungen bin, muss ich jedoch feststellen, dass die Verfolgung sich nicht so einfach gestalten lassen wird. Es ist stockdunkel, da nur wenig Mondlicht durch das dichte Blattwerk der Bäume dringt.

Du hast es mal wieder geschafft, Demon, denke ich mit einem Seufzen. Unmöglich, jetzt noch eine Spur aufzunehmen; wie auch bei den Schattenwesen ist die Aura der Rotäugigen kaum spürbar. So als wären es keine Lebewesen, nur Reflektionen oder – und dieser Ausdruck passt wohl am besten – Schatten. Meine Gedanken drehen sich weiter um diese seltsamen Zeitgenossen, während ich ziellos zwischen Bäumen und Farnen umherwandere und dabei völlig die Zeit vergesse. Es ist eine warme, freundliche Stimme, die mich schließlich wieder in die Wirklichkeit zurückholt. Aber sie spricht nicht zu mir.

Ich stoppe meinen Lauf und hebe den Blick vom Boden. Einige Meter von mir entfernt befindet sich eine Lichtung, auf der zwei Gestalten stehen und sich unterhalten. So leise es mir möglich ist, trete ich näher heran und luge zwischen den Bäumen hervor. Unwahrscheinlich, dass sie mich hier im Schatten bemerken.

„…du tief in deinem Herzen, dass Träume wahr werden können?“, sagt die Stimme von eben gerade. Sie gehört einer etwas älteren Dame in taubenblauen Gewändern. Ihre Züge sind liebevoll, weich und gütig. Nicht der kleinste Hauch von Missgunst.

„Das tue ich“, erwidert die zweite, deutlich größere und schmalere Gestalt. „Aber ich glaube auch, dass man sich anstrengen muss, damit sie wahr werden.“ Mir entgleiten die Gesichtszüge, als ich ihn näher betrachte. Es handelt sich um einen jungen Mann. Er ist sehr muskulös und allein seine Haltung spiegelt Willensstärke wider, Mut… und ebenso Sanftmut. Das Haar ist dunkel wie die Rinde der Bäume, die Augen kann ich im schwachen Licht leider nicht ausmachen. Aber das alles ist es auch nicht, was mich so von ihm fasziniert.

„Ja, natürlich“, antwortet die ältere Frau sanft. „Aber manchmal ist an Träume zu glauben leichter gesagt als getan. Cinderella glaubt daran, dass ihre Träume wahr werden können. Ich wollte ihr zeigen, dass sie Recht hat.“ Atemlos beuge ich mich noch ein wenig vor, um ihre Worte besser zu verstehen.

„Das also hat sie erstrahlen lassen“, sagt der Mann mit einem nachdenklichen Seitenblick auf das Schloss in der Ferne. „Der Glaube in ihrem Herzen, dass alles möglich ist… Wohin ist sie gegangen?“ Als er mit den letzten Worten wieder die Frau ansieht, kann ich seine Augen endlich genauer erkennen. Tief und dunkelblau wie Kobalt. Sein Blick ist erstaunlich direkt; so als wisse er ganz genau, was er wollte… Beneidenswert.

„Zum Hofball im Palast“, gibt die Frau zur Antwort und lächelt ihm aufmunternd zu. „Geh schon. Und wenn du sie dann tanzen siehst wirst du wissen, dass sie fest glaubt. Und das wird wiederum dir helfen, auch zu glauben.“

Der junge Mann nickt, wendet sich zum Schloss um und verschwindet kurz darauf zwischen den Bäumen. Die Frau sieht ihm noch einen Augenblick nach, dann beginnt ihre Erscheinung zart zu leuchten, zu schwinden, bis sie sich vollständig aufgelöst hat. Erst da erlaube ich mir, wieder zu atmen und meine Lungen beschweren sich prompt über die rabiate Behandlung.

Aber der Mann…

Noch immer nach Luft ringend, schiebe ich mich an den Bäumen vorbei und folge ihm. Es dauert nicht lange, bis ich ihn eingeholt habe, aber anstatt weiterzugehen, als ich das braune Haar identifiziere, springe ich hinter einen Stamm und presse den Rücken an die raue Rinde. Er bemerkt mich nicht und geht weiter seines Weges. So zielstrebig, so frei von Zweifeln… Was er wohl gerade denkt? Mit einer Hand greife ich nach dem Talisman auf meiner Brust.

Vielleicht ist es ja noch nicht zu spät. Vielleicht habe ich gerade, ohne es zu wissen, die richtige Richtung gefunden…
 

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So weit, so gut.

Mensch, Demon liebt ihre drei Pünktchen am Ende wirklich abgöttisch. ^-^ Ehrlich gesagt hatte ich nicht beabsichtigt, dass die so oft auftauchen – gibt es sonst eher selten in dem, was ich schreibe. Aber zu ihr passen sie, weil sie fast immer in ihrer Gedankenwelt lebt und dabei lässt man ja öfters den Schluss eines Gedankens ausklingen, als könnte sich gleich noch was anschließen – geht jedenfalls mir so. ^-^

Hier jetzt also der erste Schlenker zu Bbs. Um wen es sich bei dem braunhaarigen Kraftpaket handelt, dürfte klar sein, nicht? ;) Ich wollte Terra unbedingt noch weit am Anfang seiner eigenen Geschichte, einführen, da wo er noch – ich sag mal – glaubt zu wissen, was er tut.

Der Grund, warum ich Demon nicht mehr in ein Gespräch mit der guten Fee verwickelt habe, ist, dass ich keinen Bock auf noch mehr von dem Belehrungsgeschwafel ihrerseits hatte… ^-^’ Ne, Unsinn. Ich wollte einfach nicht, dass jemand anderes ihr die „Richtung“ weist – die soll sie alleine finden. Mal davon abgesehen, wäre sie bei den langen Ausschweifungen der Fee wohl nicht mehr vor morgen dazu gekommen, Terra zu folgen. ^-^

Mit dem Anfang und der kurzen Spiegelbild-Szene wollte ich die ersten Fäden für eine etwas düsterere und abtrünnigere Atmosphäre einweben; bisher ist mir das hier alles viel zu harmlos…-.- Ich versuche mein Bestes, um das in naher Zukunft besser hinzubekommen.

Also dann. Ich hoffe, es hat Spaß gemacht bis hierher. ^-^
 

Ganz großes Dankeschön fürs Lesen!

Rainblue

Das Monster in mir

„Lass das bitte nicht wahr sein…“, stöhne ich auf und lasse enttäuscht die Schultern sinken. Ich habe ihn aus den Augen verloren. Nachdem ich ihm durch den ganzen Wald hinterher geschlichen bin – nicht gerade leicht, der Mann ist nämlich nicht auf den Kopf gefallen – ist mir seine Spur jetzt doch abhanden gekommen.

Missmutig sacken meine Schultern noch ein Stück tiefer und gleich im Anschluss auch der Kopf. Vor meinen Füßen liegt ein Kieselsein, kaum größer als eine Fingerkuppe. Genauso wie die in meiner Gegenwartswelt. Wütend trete ich dagegen, dass er über den asphaltierten Weg schlittert.

Vor dem Schloss befindet sich eine Stadt, die nur notdürftig von Laternen erhellt ist. Zudem herrscht, wenn auch zu später Stunde, noch reger Betrieb. Vor allem viele fein gekleidete Menschen flanieren ausgelassen durch die Straßen, unterhalten sich beschwingt miteinander und hin und wieder schnappe ich Wortfetzen wie „Prinz“, „Ball“ oder „Tanz“ auf. Kein Wunder, dass ich ihn hier verloren habe.

Komisch. Ich kannte den jungen Mann nicht. Und ich kann mir beim besten Willen nicht erklären, warum ein Fremder so eine Anziehungskraft auf mich ausübt. Wieso wollte ich ihn so dringend treffen, traute mich dann aber nicht, auf ihn zuzugehen? Sein Gesicht… nein, ich kenne sein Gesicht nicht. Ebenso wenig seine Stimme oder sonst irgendwas. Ich bin unfähig zu sagen, was es ist. Nur eines, das weiß ich zweifelsfrei; Ich möchte ihn finden.

„Zu spät, hm?“, murmele ich und gehe, ohne rechte Ahnung wohin, weiter durch die Stadt. Meine Finger fahren die Ränder des Talismans nach. Dem Anschein nach bin ich sogar für die Bedienung eines Kompasses zu dämlich. Gerade als ich mich frage, ob ich darüber lachen oder weinen sollte, biege ich um eine Kurve und bleibe wie zu Eis erstarrt stehen.

Das Schloss! Da ist es in ganzer Pracht und Größe, direkt vor meiner Nase.

„Sehr witzig“, bemerke ich trocken und verberge den Talisman wieder im Ausschnitt meiner Kleidung. Das Schloss ist noch ein Stück entfernt. Vor mir ragt ein beachtliches Tor auf, das aber glücklicherweise sperrangelweit offen steht, dahinter erstreckt sich im sanften Mondlicht ein riesiger Garten. Und vor den Treppen, die zum Eingang hinaufführen, stehen mehrere von diesen „Gefährten“, deren Bezeichnung mir entfallen ist. Mir ist immer noch nicht ganz klar, wo hier der Sinn liegt, aber das ist unwichtig.

So gern ich mir auch die magische Herrlichkeit des Gartens genauer ansehen würde, laufe ich halb hindurch auf das Schloss zu. Gleich. Nur noch ein paar schnelle Schritte. Die Feenfrau sagte doch, er würde zu dem Palast gehen. Er muss hier sein. Mein Atem beginnt flacher zu gehen. Warum bin ich so aufgeregt? Egal. Nur noch die Treppe. Nur noch…

Als wäre ich geradewegs gegen eine unsichtbare Mauer geprallt, stocken meine Beinmuskeln, wollen sich nicht mehr bewegen. Wie eine Statue stehe ich da und starre auf die perlweiße Tür am Ende der Treppe. Nichts geschieht. Es ist als ob die Zeit eingefroren wurde.
 

„Du bist dir also sicher, dass er dich treffen will? Sieh den Tatsachen ins Auge. Du bist eine Kreatur der ewigen Nacht. Ein missratenes Geschöpf im Blut seiner Taten. Glaubst du wirklich, er würde nicht erkennen, was du bist? Deine Sucht nach Licht verwirrt dir den Geist. Siehst du nicht, wie dein eigener Schatten wächst, wenn du dem Tag näher kommst? Wie er sich ausbreitet, andere bedeckt, sie in sich hineinzieht…“
 

„Halt… den Mund…“, versuche ich zu sagen, aber es kommt kein Ton hervor.
 

„Oh, Demon… wann lernst du endlich dazu? Willst du es nicht begreifen? Öffne die Augen und erkenne die Wahrheit…“
 

„Verschwinde aus meinem Kopf!“ Das schreie ich. Aber nicht nach außen. Nach innen.
 

„Aus deinem Kopf, sagst du… Wie du wünschst. Aber ich werde nie verschwinden. Ich bin seit Anbeginn hier und werde es sein, solange du lebst.

Weil ich du bin.“
 

„Nein… du bist nicht…“ Mein Körper bewegt sich losgelöst von meiner Kontrolle, während ich weiter vor mich hin flüstere. „Du bist… das Monster… du bist… du bist schuld… an allem schuld…“ Ich taumele vom Weg ab, der zum Schloss führt, und betrete den Rasen daneben. An der Mauer stehen mehrere große Hecken, die mich vor fremden Blicken abschirmen, als ich mich gegen den kalten Stein lehne und daran herunterrutsche, bis ich im Gras sitze. Wie ferngesteuert ziehe ich beide Knie an, stütze die Arme darauf und lasse das Gesicht hineinfallen.

„Du bist das Monster… du bist schuld…“ Vor meinem geistigen Auge beginnen sich Bilder zu entfalten, wie Schmetterlingsflügel, ganz langsam, Farbe für Farbe, Detail für Detail… Aber das geht nicht lange so. Die Erinnerungen schieben sich näher an mein Bewusstsein heran. Es ist längst zu spät, sie zurückzustoßen. Ich schließe die Augen.

Und der Sturm fegt los.
 

Licht. Ein See aus Licht. Auf seiner Oberfläche trieben Klänge.

Ein Lachen. Rein. Weich.

Dann eine Berührung. Geborgenheit. Die schützende Wärme einer Umarmung.

Etwas strich mir liebevoll über die geschlossenen Augen.

Ein Rauschen in der Ferne. Eine Stimme. So ruhig. So klar.

Ich wollte die Augen nicht öffnen. Ich wollte weiter in den Klängen treiben.

Aber dann tat ich es doch.

Ein Gesicht. Die braunen Augen funkelten. So schön…

Sie lachte. Sie war glücklich. So glücklich.

Ich wollte sie berühren. Ihr weiches Haar fühlen. Ihr Lächeln in mich aufnehmen.

Ich liebte sie. Obwohl ich sie zum ersten Mal sah.

Das beständige Rauschen in der Ferne.

Wärme. Liebe.

Ich war so glücklich.

Und dann…

Nichts. Schwärze. Kälte.

Ich verstand nicht. Wo war die Wärme hin? Wo war die Frau hin, die ich so liebte? Hatte sie mich verlassen? Nein… das würde sie niemals tun. Sie würde mich nicht in der Dunkelheit zurücklassen.

Aber ich war allein. Allein im Abgrund tiefster Finsternis.

Konnte nichts sehen. Nichts fühlen. Wie kam ich hier raus?

Und dann kam der Schmerz. Der glühend heiße Schnitt in meinem Nacken. Panisch presste ich die Hände darauf, zog sie aber sofort wieder zurück. Die Haut dort brannte wie Feuer. Ich wusste nicht, wohin mit dem Gefühl. Dann fand mein Körper von selbst ein Ventil und schreckliche Laute schossen aus meiner Kehle empor. Schreie. Die niemand je hörte. Nur ich selbst.

Vom Nacken breiteten sich die Flammen weiter aus, drangen in meine Muskeln vor, schienen mich von innen heraus zu zerfetzen. Ich krümmte mich zusammen, Tränen schossen mir aus den Augen und zogen ihre Spuren über mein Gesicht. Und noch immer schrie ich, so als könnten die furchtbaren Töne den Schmerz lindern. Aber natürlich konnten sie das nicht.

Ich erinnere mich nicht, wie lange ich dort in der Dunkelheit lag und mit der Veränderung meines Körpers kämpfte. Im Nachhinein glaube ich, dass es nicht mehr als ein paar Minuten gewesen sein können. Aber wenn man Höllenqualen leidet, dann ist das mit der Zeit Ansichtssache, oder?

Irgendwann war es vorbei. Schwer atmend, das Gesicht voller halb getrocknetem Salzwasser, lag ich da und lauschte auf das Pulsieren meines Herzens. Erst als der Abstand zwischen den Schlägen wieder länger geworden war, hob ich matt eine Hand und berührte mit den Fingerspitzen meinen Nacken. Die aufgesprungene Haut war noch warm. Als ich das realisierte, stieg mir auch der Geruch von verbranntem Fleisch in die Nase. Vorher war er mir wohl entgangen. Ich musste die Zeichnung nicht nachziehen, um zu wissen, wie sie aussah. Ich spürte deutlich das ganze verschlungene Geflecht des Mals. Jedes schwungvolle Ende eines Zweiges, jede spitze Biegung und vor allem den runden Fleck genau in der Mitte.

Es verging – so kam es mir vor – eine Ewigkeit, ehe ich aufstehen konnte.

Mein Körper fühlte sich fremd an. Ungelenk. Mit viel zu viel Kraft und einer Art „Impuls“, der mich dazu zwang, hochzukommen und voranzustolpern. Ich konnte diese Empfindung nicht einordnen… oder doch? Es war, als wäre ein Teil von mir abgebrochen, herausgerissen wie die Seite eines Buches. Und das Loch, das nun in mir klaffte… ich wollte es füllen. Alles andere war irrelevant. Nur diese Leere vertreiben. Zurück in das warme Licht der Erinnerung… Sehnsucht kann eine sehr intensive Folter sein.

Ich zwang ich mich also, weiterzugehen. Bald schon kam mein erstes „wirkliches“ Gefühl zu mir. Ich konnte es noch weniger als das andere definieren, da ich keine Gefühle kannte. Ich besaß nur diese Bilder von zuvor. Aber selbst die kamen mir inzwischen wie eine Illusion vor. Ein Traum. Ein schöner zwar, aber doch nur ein Traum. Was ich jetzt fühlte, glich allerdings nicht den Empfindungen meiner Erinnerung. Nicht annähernd.

Inzwischen weiß ich, was es war. Das Gefühl, das mir tobte, die Klarheit weit in den Hintergrund schob und mich in ein besessenes Tier verwandelte; Wut. Vielleicht sogar Zorn. Gepaart mit dem Gefühl von Unvollständigkeit wurde es sogar noch grässlicher.

Damals war ich nahe dran, den Verstand zu verlieren, soviel ist sicher. Warum es gerade Wut – oder gar Hass – war? Ich weiß es nicht. Vieles aus dieser Zeit kurz nach meinem Erwachen ist in den Tiefen meines Herzens versunken. Außer Reichweite. Aber ich weiß noch genau, wie es sich anfühlte, als es das erste Mal zu mir kam.

Ich irrte weiter durch die Finsternis, rannte irgendwann, während der Zorn in mir mit jedem Schritt wuchs. Die Dunkelheit blieb. Es kam mir so vor, als würde ich schon seit Stunden laufen, aber nicht von der Stelle kommen. Denn außer Schwarz war nichts um mich herum. Es gibt gute Gründe dafür, warum die meisten durchdrehen, wenn sie zu lange in der Finsternis sind. Meine Art lernt das sehr früh.

Gefangen in diesem Kokon, ohne Hoffnung, ohne Aussicht auf Rettung. Jede Richtung gleich, kein oben, noch ein unten. Kein Widerstand, nur lichtloses Nichts. Diese Zeit sollte mich noch lange in meinen Albträumen heimsuchen.

Erst als ich kurz davor stand, mir die eigenen Augen aus den Höhlen zu reißen, die diesen Ort nicht mehr ertragen konnten, sah ich ihn. Unvermittelt. Seine Gestalt war weder gekommen, noch hatte sie sich dort materialisiert. Er war einfach da. So als wäre er schon die ganze Zeit da gewesen.

„Wer bist du?!“, knurrte ich und nahm eine Kauerhaltung an, die meinem Körper so vertraut schien, als hätte er sie bereits viele Male zuvor benutzt. Die Gestalt rührte sich nicht. Gar nicht. Nicht mal ihr Gesicht bekam die Ahnung eines Ausdrucks.

„Ich bin wie du.“ Kurz hielt ich inne. Nahm aber gleich darauf wieder die Haltung an, die Abwehr und Angriff zugleich war.

„Und was willst du von mir?“ Er schüttelte den Kopf und ich glaubte, eine Art Lachen auf seinen Lippen zu erkennen.

„Dir helfen.“ Erneut stockte mir der Atem. Von einer plötzlichen Neugier befangen, legte ich den Kopf schräg und betrachtete die Person vor mir eingehend.

Es war ein Mann, hoch gewachsen und von einer nahezu felsenfesten Ruhe umgeben. Tiefgoldenes Haar, im Nacken zusammengebunden, nur ein paar Strähnen hatten sich gelöst, umspielten das ernste Gesicht und lagen vor den Augen. Die Farbe der Augen… ich konnte ihr keinen Namen geben, ich kannte schließlich keine Farben. Aber selbst jetzt, wo ich viele gesehen habe, kann ich für seine Augen keinen greifbaren Ton finden. Ich weiß nur, dass sie damals für mich die Farbe von… Hoffnung hatten.

„Wie ist dein Name?“, fragte er, nachdem wir uns eine zeitlang angeschwiegen hatten. Ich zuckte zurück, als hätte er mich angeschrieen, dabei sprach er die ganze Zeit sehr gedämpft.

„Mein… Name…?“ Mit einem Mal pulsierte die Brandnarbe in meinem Nacken wieder. Ich hatte einen Namen. Irgendwo in den nebligen Tiefen meines Seins war er verborgen, hatte bisher nur keinen Grund gehabt, aufzutauchen.

„D…“, kam es undeutlich aus meinem Mund. Es war, als würge mich etwas. „Dem…“

Sprich es aus!

Erschrocken sah ich zu dem Mann auf. Nein, er hatte nichts gesagt. Das war eine andere Stimme gewesen. Ich kam nicht umhin, dass sie mir sehr vertraut vorgekommen war. Ich wollte nicht auf sie hören, trotzdem würgte ich auch den Rest des Namens hervor.

„Demon…“ Mehr nicht? Irritiert zog ich die Luft ein. Wieso „mehr nicht“? Weil etwas fehlt, wurde mir dann klar. Aber wo war es?

„Demon“, wiederholte der Fremde vor mir leise. Es war unmöglich, seiner Miene zu entnehmen, was er dachte.

„Und dein Name ist…?“, fragte ich kurz angebunden, um die Verwirrung von eben zu zerstreuen. Diesmal war ich mir sicher, dass er lächelte.

„Earth.“

Heute frage ich mich oft, warum wir solche Namen tragen. Nur ein Wort, die direkte Bezeichnung für etwas, keine verborgene Bedeutung. Damals dachte ich, es wäre normal so.

Ich registrierte, dass er mir die Hand hinhielt und wich einen Schritt zurück.

„Ich bringe dich hier raus“, erklärte er knapp, ohne die Hand sinken zu lassen. Als ich nicht reagierte, tat er es doch. „Du kannst gern allein den Weg nach draußen suchen. Aber glaub mir, dass du dann noch eine Weile hier bleiben wirst.“

„Woher willst du das wissen?“, zischte ich. So ein Wichtigtuer. Er verzog die Lippen wieder auf diese ungenaue Art; war das ein Lächeln oder etwas anderes?

„Ich weiß es einfach. Du bist nicht die Erste, die dieser Prüfung unterzogen wird.“

„Prüfung?“ Er nickte nur ernst. Dann hob er erneut die Hand, hielt sie mir hin wie ein Versprechen. Zögerlich trat ich näher, ohne Earth aus den Augen zu lassen. Er hatte offenbar nicht vor, mir wehzutun und darum hob ich vorsichtig die Hand. Ich ließ sie unschlüssig in der Luft hängen, nur wenige Zentimeter von seiner entfernt. Doch er drängte mich nicht. Hatte nur diesen beruhigenden Zug um den Mund. Ich gab mir einen Ruck und überließ mich dem warmen Druck seiner Finger.

Er sollte für lange Zeit die einzige Person bleiben, von der ich mich berühren ließ. Und seine Hand die einzige, die ich ergriff.
 

Earth holte mich damals aus der Dunkelheit. Doch nachdem ich den ersten Schritt in meine neue Welt gesetzt hatte, verschwand er. Ohne ein Wort der Erklärung, ohne Verabschiedung. Alles, was mir blieb war die Erinnerung an die Wärme seiner Hand.

Denn seit dem Tag habe ich ihn nie wiedergesehen.

Winzige, spitze Steinchen bohrten sich in meine bloßen Füße. Das Land um mich herum schien sich in die Unendlichkeit weiterzuziehen und gleichermaßen war ich an einer Stelle eingekesselt.

„Was… ist das?“, hauchte ich, streckte misstrauisch die Hand aus und war nicht wenig überrascht, als sie hindurch glitt. Ich schloss die Finger, bekam aber nichts zu fassen. Wie hätte ich auch da schon die trügerische Bleichheit von Nebel kennen können. Unberührbar und doch undurchdringlich.

„Wo sind wir, Eae…“ Verwirrt sah ich mich um. „Earth…?“ Aber von dem Mann fehlte jede Spur. Ich war allein dort in diesem schleierhaften Gefängnis. Mal wieder. Hier war es zwar nicht dunkel, aber ebenso erdrückend, ebenso verlassen…

„Earth?“, versuchte ich es noch einmal und ignorierte die Verzweiflung, die sich dabei in meine brüchige Stimme gestohlen hatte. „Wo bist du? Earth?!“ Kalter Schweiß bedeckte meine Stirn und mein Nacken begann zu kribbeln.

Er wird nicht wiederkommen. Vor Schreck keuchte ich auf.

„W-Was willst du? Wer bist du?!“ Ich wirbelte in alle Richtungen herum, aber wo ich auch hinsah, war nur diese weiße rauchartige Masse. Alles und nichts hätte darin lauern können. Die Stimme in meinem Kopf lachte. Ein kaltes, gefährliches Lachen. Mir wurde bewusst, dass ich zitterte, obwohl es nicht halb so kühl war wie in der Dunkelheit.

Das müsstest du doch am besten wissen, Demon.

„Nein, ich kenne dich nicht…“, brachte ich mühsam hervor. Als das Gelächter wieder losging, presste ich mir beide Hände auf die Ohren, was jedoch nichts half. Es war in mir. Nur ich konnte es hören.

Ist das so? Dann sollte ich mich dir wohl vorstellen… Ich schrie auf, als ein brutaler Stich vom Nacken aus meinen Körper durchfuhr. Mir wurde schwindelig und ohne es wirklich wahrzunehmen, sank ich auf den Boden.

Als die Stimme diesmal lachte, klang es eher wie ein Knurren. Und noch dazu knapper, weniger hallend. Ich konnte mir die Veränderung nicht erklären, bis ich begriff, dass das Gelächter aus meinem eigenen Mund kam…

Und da wusste ich plötzlich auch, wieso mir die Stimme so vertraut erschien. Weil es meine eigene war.

Richtig, Demon. Weißt du jetzt, wer ich bin?

Ich nahm die Hände von den Ohren, legte sie auf den Boden, vergrub sie in den kalten Steinen, sah starr darauf hinab und kämpfte mit der Angst, die sich ihren Weg durch mich hindurch bahnte. „Du bist… ich…?“

Statt einer Antwort flackerte ein Bild vor meinem geistigen Auge auf. Nur für eine Sekunde, aber die genügte vollkommen. Vor mir stand ein großer, fahler Spiegel, mit Rändern aus verkohltem Holz, von zahlreichen Spinnweben umgeben. Drum herum war nichts, nur Dunkelheit.

Der Spiegel deiner Seele. Ich stand davor, sah hinein, aber zurück sah nicht das, was ich erwartet hatte. Kein Wesen mit heller Haut, dunklem Haar oder diesen filigranen Händen vor mir auf den Steinen. Nein…

Was mich ansah war ein Geschöpf, das nur der tiefsten Dunkelheit entsprungen sein konnte. Der Körper massig, von schmutzig schwarzem Fell bedeckt, dennoch jede Rippe und das Rückrat gut erkennbar, eine längliche Schnauze mit Fangzähnen, die nach oben und unten über das Maul hinausreichten und zwei Hörner, gebogen, die links und rechts aus dem Schädel ragten. Am Rücken trug es Flügel, die einen leichten Bogen um seinen Leib beschrieben, knöcherig, die Flughaut teilweise aufgerissen und – das vielleicht abscheulichste – es stand nicht auf vier Beinen, obwohl die Vorderläufe den Anschein erweckten, es müsste. Es hielt sich aufrecht, was es grauenhaft menschlich wirken ließ. Grünlichblaue Augen traten aus den großen Höhlen hervor, die Pupille ein senkrechter Schlitz. Und es grinste mich an mit einer scheußlichen Fratze, die ich nie mehr vergaß.

„Was…?“, stieß ich hervor.

Das, was du wirklich bist. Ich glaube, dass ich noch ein Nein hervorpresste, bevor ich wie paralysiert auf die Stelle hinab sah, wo meine Hände waren. Wo jetzt keine Hände mehr waren, sondern die sehnigen Tatzen des Monsters. Ich kreischte etwas Unverständliches und war mit einem Satz auf den Beinen. Aber meine Hände waren wieder normal. Blass, zitternd, doch wieder wie vorher.

Und trotzdem war es da, ich spürte es. Seinen heißen, modrigen Atem, die verstörende Anmut seiner Bewegungen, die Gier und das irre Glitzern in seinen Augen, die ganze Präsenz seiner Finsternis.

Ja… gib dich ihm hin. Lass dein Herz in die Schatten fallen und du wirst keinen Schmerz mehr fühlen. Umarme die Dunkelheit. Lass sie dich leiten, nimm ihre Stärke an…

Gebannt lauschte ich den hypnotisierenden Worten. Kein Schmerz mehr… all das würde ein Ende nehmen. Ich würde nicht länger umherirren.

Ich stand kurz davor, ihrem Angebot nachzugeben, mich in ihre Arme sinken zu lassen, den verheißungsvollen Rufen zu folgen und eins zu werden mit der ewigen Nacht. Dort würde ich auch nicht mehr… allein sein, oder?

Hör auf.

Wie aus einem Traum gerissen schreckte ich auf. Das eben… das war nicht die Stimme in mir gewesen, nicht die die so klang wie meine eigene, nur dunkler. Das war eine andere gewesen. Fremd… oder doch nicht? Sie war rein, voll, so ganz anders als meine.

„Wer…?“ Genau in dem Moment erkannte ich eine Silhouette, die aus den Schwaden des Nebels auf mich zukam. Halt. Nicht nur eine. Binnen kürzester Zeit hoben sich noch zwei weitere im Weiß ab. Nacheinander wurden ihre Konturen klarer, bis ich sie deutlich wahrnehmen konnte. Unruhig wich ich ein Stück zurück.

„Tatsächlich“, sagte die mittlere Gestalt, die auch die größte von ihnen war. Es handelte sich um einen wahren Hünen, mit dichtem, silbrigem Haar, das wirr über seine Schultern fiel. Die Augen im kantigen Gesicht waren schwarz und mutig. Außerdem strahlte er unbrechbaren Stolz aus.

„Ich hab’s doch gesagt!“, meinte da eine der kleineren Gestalten. Eine junge Frau mit krausem Haar, ebenfalls schwarz, aber durch einen auffälligen Goldschimmer darin, irisierend. Ihre orangefarbenen Augen huschten anklagend zum dritten im Bunde. Er schien im gleichen Alter wie die Frau zu sein, hatte jedoch glattes schwarzes Haar, das bis zu den Spitzen gleichmäßig heller wurde, um schneeweiß zu enden. Seine Augen waren tiefviolett und doch bemerkte ich fast noch im selben Augenblick, dass er exakt das gleiche Gesicht wie sie hatte. Die beiden waren Zwillinge.

„Ja, in Ordnung. Du hattest Recht“, gab er die Augen verdrehend zu. Die Frau grinste gewinnend.

„Unglaublich. Er gibt zu, dass ich Recht hatte! Dass ich das noch erleben darf…“

„Nun gut“, unterbrach der Silberhaarige sie mit seiner Stimme, in der ein Knurren mitklang. Nicht dass er sich wütend anhörte. Das Geräusch schien einfach dazuzugehören. So wie bei mir der leicht raue Unterton. „Wie heißt du?“

Ich brachte noch mehr Abstand zwischen uns, indem ich weiter zurückwich. Das war mir nicht geheuer. Wer waren die drei? Und was wollten sie von mir?

„Demon“, murmelte ich. Erstaunlich, dass sie mich verstanden.

„Gut“, meinte der Große nur. „Mein Name ist Lion. Und das sind…“

„Eclipse!“, rief die Frau aus und winkte mir albern zu.

„Lunar“, schloss sich ihr Zwilling, mit einem skeptischen Seitenblick auf seine Schwester, an.

„Und wir sind genauso wie du“, erklärte Lion ernst. Dann wies er mit einer Hand auf die Einöde, die uns umgab. „Das hier ist unsere Gegenwart. Die Welt, in die wir hineingeboren werden und die wir erst verlassen können, wenn wir unsere andere Hälfte gefunden haben.“

Ich antwortete nicht, obwohl mir tausend Fragen im Kopf aufstiegen. Wahrscheinlich, weil ich irgendwie spürte, dass er Recht hatte.

„Du musst keine Angst haben“, sagte Eclipse und lächelte freundlich. Jedenfalls ist mir heute klar, dass sie das tat. Dort im Nebel sah ich nur ihre Zähne, die aufblitzten und mich dazu brachten, noch tiefer in die Knie zu gehen. Wie ein Raubtier auf der Pirsch.

Verwirrt warfen sich die drei gegenseitig Blicke zu. Wie ich das hasste. Was dachten die über mich? Welche schneidenden Worte bildeten sich in ihren Gedanken? Warum sahen sie einander so viel sagend an? Das machte mich krank. Und rief die Wut wieder wach, die ich in der Dunkelheit verspürt hatte.

„Wir werden dir nichts tun, wir…“, setzte Lion an, aber ich zerschnitt seinen Satz mit einem Fauchen, von dem ich selbst am meisten erschreckt war, dass es aus meiner Kehle kam.

„Jetzt beruhig dich doch mal“, schnaubte Eclipse dann und wollte auf mich zugehen, aber ihr Bruder hielt sie am Arm fest.

„Nicht.“ Er musterte mich mit einem Blick, in dem ich Misstrauen las und so was wie… Abscheu? Es war Lion, der schließlich auf mich zuging und sacht aber zielstrebig die Hand ausstreckte…

„Fass mich nicht an!“, grollte ich und schlug sie so heftig weg, dass er ein paar Schritte wegtaumelte. Sofort eilten die beiden Zwillinge zu ihm. Eclipse zog scharf die Luft ein.

„Gebrochen“, murmelte Lunar fassungslos. Lion selbst biss sich auf die Unterlippe, damit sich der Schmerz nicht in seinem Gesicht zeigte. Aber darauf achtete ich kaum.

Meine Aufmerksamkeit galt seiner Hand. Und nicht nur der Hand. Drei tiefe Kratzer erstreckten sich vom Handrücken bis fast zum Ellenbogen. Keine Schürfwunden, wie meine Nägel sie eigentlich hätten verursachen müssen.

Als ich an mir hinuntersah, blitze noch einmal das Bild auf. Der Spiegel und die grässliche Kreatur, die vor ihm stand. Aber da war was falsch. Ich hatte vor dem Glas gestanden. Das, was sich dort gezeigt hatte, war meine Reflektion gewesen. Ich war das Monster.

Die Erkenntnis schlug so unbarmherzig in meinem Kopf ein, dass meine Atmung zu stottern begann. Die Augen weit aufgerissen nahm ich wahr, wie die anderen von Lions Hand aufsahen, mich mit Blicken straften, die anschuldigend, unverständlich waren… ja, aber vor allem anderen ängstlich. Sie fürchteten mich. Das war noch viel grausamer als ihr Misstrauen.

Letzteres konnte ich aushalten. Furcht nicht.

Ich trat einen halben Schritt zurück und stolperte fast, als ich mich schlagartig abwandte und davon stürmte. Wie unglaublich dumm ich doch war. Ich hatte mich geirrt. Earth hatte mich nicht aus der Dunkelheit geholt.

Ich war noch immer drin.
 

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Das wohl längste Kapitel bis jetzt und wahrscheinlich eines der schwersten.

Ich hoffe, es war nicht zu langweilig so lange ohne KH-Charaktere. ^-^’ Aber ich musste Demons Geschichte einfach sehr detailliert ausfächern, damit der Leser versteht, was da in ihr vorgeht. Um mich in passende Stimmungen zu versetzen, hab ich mir die ganze Zeit Gruselmusik reingezogen… Danach war erstmal nur rausgehen in die Sonne angesagt. ^-^

Im nächsten Kapitel wird noch der Schluss des Flashbacks geschildert, aber keine Sorge, danach werde ich die KH-Charaktere wieder in den Vordergrund stellen. ;)

Hoffentlich kam rüber, was ich mit diesem Kapitel erreichen wollte.
 

Eines noch: Falls es euch interessiert, welche beiden Lieder mich maßgeblich zu der ganzen Vergangenheitssequenz, und eigentlich auch zu Demon selbst, inspiriert haben, dann klickt auf die Links unter der Kurzbeschreibung, hinter: Inspirationssongs.

Beim Treffen mit Earth ist der zweite im Hintergrund besonders schön. (Man muss nur ein bisschen die Lautstärke aufdrehen).
 

Tausend Dank fürs Lesen! *Knuff*

Rainblue

Terra

„Wer bin ich? WER BIN ICH?!“

Ich schrie es in den Himmel hinaus, allen Steinen zu, die an mir vorbeirauschten, jeder Luftzug sollte mich hören. Aber eine Antwort wollte ich nicht.

Sie alle wussten, was ich war. Konnten es sehen.

Und ich wollte es nicht hören. Weil auch ich es wusste.

Ein Monster. Ein Dämon. Etwas, das Unheil mit sich bringt. Die Einsamkeit war mir von Anfang an vorherbestimmt gewesen. So wenig ich sie auch ertragen konnte.

Keiner erkundigt sich danach, wie es einer Bestie geht, die nur wild um sich schlägt und jeden töten würde, der ihr nahe kommt, ohne mit der Wimper zu zucken. Verständlich. Würde ich nicht auch zurücktreten?

Wer kann schon die Augen eines Monsters erkennen, wenn es sich so schnell bewegt? Wer kann dann schon die Tränen entdecken, die sich darin stauen und stauen und stauen… In jenem schmerzhaften Moment dachte ich: Nein. So nah lasse ich niemanden heran. Das kann ich nicht. Ich habe Angst. Angst, die Kontrolle zu verlieren und jemandem wehzutun. Niemand wird meine Augen je sehen. So weit lasse ich es nicht kommen. Meine Augen sind hässlich, entstellt, voller schrecklicher Gefühle, die ich nicht unterdrücken kann… Wer kann schon die Tränen sehen, wenn er bei dem Hass zurückschreckt, der ihm entgegenfunkelt?

Heute weiß ich, dass es so jemanden nicht gibt. Aber ich weiß, dass es jemanden gibt, dem es trotzdem egal ist. Der zurückschreckte, ja, aber nicht ging.

Er drehte sich um.

Und sah nicht noch mal weg.
 

Die Welt, in die man mich geworfen hatte, war wie eine Zitadelle aus Stein. Ruinen, von Städten, von denen ich bis heute nicht weiß, wer sie erbaut hat und wozu. Dann die offeneren Felder, die vielen unbewegten Gärten, die Gebirge mit Pässen, Höhlen und tiefen Klüften. Alles ist weiß, grau oder schwarz. Hier gibt es keine Farben. Kein Leben, außer uns.

Ich lief ziellos durch die verlassenen Straßen der Ruinenstädte, kämpfte um Atem und mit der Erschöpfung. Ich konnte nicht stehen bleiben. Ich durfte nicht stehen bleiben.

Dann… dann was? Was würde geschehen, wenn ich anhielt?

Ich verdrängte den Gedanken.

Insgeheim wusste ich, dass vermutlich nichts geschehen würde. Und das war der springende Punkt. Wenn sich nichts veränderte, was dann? Wohin dann? Ich wollte meinen Gedanken nicht die Möglichkeit geben, etwas anderes in Betracht zu ziehen als das Laufen. Das konnte niemandem schaden.

Wie gesagt, das dachte ich.

Und dann lief ich ihn sozusagen um.

„Hey, woah! Vorsicht!“ Ich mochte ein ziemliches Tempo draufgehabt haben, aber auch mir entging die plötzliche Kollision nicht völlig. Nur ein paar Meter entfernt vom Ort des Geschehens kam ich zum stehen und wirbelte herum.

Meine Schulter… Da spürte ich noch die Berührung. Den kurzen Stoß, als ich gegen ihn gelaufen war. Nur ein feiner Nachhall. Das und mehr nicht. Was er spürte, wollte ich mir gar nicht vorstellen… Mein Anrempeln hatte ihn glatt umgerissen.

Unsicher beobachtete ich, wie er sich langsam erhob – sollte ich weglaufen? Mich verstecken? Genug Möglichkeiten gab es hier. Lieber jetzt, bevor es zu spät war. Bevor er mir zu nahe kam… Aber ich konnte mich nicht von der Stelle rühren. Ich war wie festgewachsen, obwohl sich da nur kalter rauer Stein an meine nackten Fußballen presste.

Was ich umgerannt hatte, war ein Junge. Er war größer als ich, aber nicht viel. Das kurze goldblonde Haar, in dem schwarze Strähnen hervorblitzten, machte den Eindruck mehrere heftige Windstöße hinter sich zu haben. Als er wieder aufrecht stand, fuhr er mit der Hand hindurch, was mir den Grund für den Wirrwarr verriet. Er blickte etwas irritiert herum, bis seine grellgrünen Augen mich fanden.

Es war absurd, aber mir erschien, dass er mich allein durchs Anschauen schon berührte . Wie konnte das sein? Wie konnte jemand eine solche Fähigkeit haben? Wie schon vorhin, ging ich tiefer in die Knie, versuchte ihn mit dem Funkeln meiner Augen zu vertreiben. Aber mein Herz flatterte wie im Fieber. Ich hatte Angst. Entsetzliche Angst. Es war noch viel schlimmer als bei den dreien im Nebel.

Den Jungen schien meine angriffslustige Haltung nicht zu beeindrucken.

„Also, das ist wirklich unhöflich!“, meinte er. „Ich kenne dich gar nicht und du rennst mich gnadenlos über den Haufen!“ Wie eigenartig. Die Art wie er sprach ähnelte der von Lion, als er mir vorhin versichert hatte, sie würden mir nichts tun. War das Ärger? Aber wenn es so war, wieso lächelte der Junge vor mir dann dabei? Und wieso kam es mir weniger bedrohlich vor, dass er die Zähne zeigte, als bei Eclipse? Als ich nichts erwiderte, legte der Junge den Kopf schräg.

„Du bist neu hier, oder?“ Er versuchte gar nicht, mich zu beruhigen , so wie die drei es vorhin getan hatten, obwohl ich ihm wie ein Berserker kurz vorm Ausbruch gegenüberstand. Er musterte mich. Das machte mich wieder wütend. „Soll nicht indiskret klingen, meine Liebe, aber möchtest du dir nicht was Vernünftiges anziehen?“

„Wovon redest du da?!“, knurrte ich. Abwehrend hob er die Hände.

„Ich mein ja nur. Wenn dir der Stofffetzen gefällt, den du trägst, dann bitte, halt ich mich da raus.“ Da sah ich zum ersten Mal jenen schelmischen Blick, den ich heute so gut kenne. „Ich dachte nur, dass dir vielleicht kalt sein könnte.“

„Kalt…?“ Ich bemerkte nicht mal, dass ich den Gedanken laut aussprach.

„Äh, ja. Weißt du, in diesem Teil der Ruinen weht ein ziemlich eisiger Wind. Und du…“ Seine wundersam grünen Augen richteten sich auf meine Hände, die wie Klauen neben meinem Körper gekrümmt waren. „Du zitterst ja wie blöd!“

Zittern? Seine aufgebrachte Stimmlage veranlasste mich tatsächlich dazu, ihn kurz aus den Augen zu lassen und an mir hinabzuschauen. Meine Hände schienen ein Eigenleben zu führen, so sehr bebten sie. Ich wusste, dass es der Angst zuzuschreiben war… aber auch der Kälte. Der Junge hatte Recht. Als ich in der Dunkelheit erwacht war, hatte ich nur dieses schwarze Kleid angehabt – zerschlissen, dünn, schmutzig. Wäre ich Kleidung, hätte ich genau so ausgesehen.

Von dem Anblick meiner blassen zuckenden Hände so eingenommen, hatte ich nicht mitbekommen, dass der Junge auf mich zugetreten war. Als ich aufsah, stand er direkt vor mir. Erschrocken sprang ich zurück und spürte, dass auch mein Atem zitterte. Der Junge verdrehte die Augen.

„Mädchen, ehrlich. Ein bisschen mehr Vertrauen täte dir ganz gut.“ Ich konnte mir keinen Reim darauf machen, was er dann tat. Er griff mit beiden Händen nach dem Saum seines Kapuzenpullovers und streifte ihn sich rasch über den Kopf. Ich dachte, es war kalt. Wieso zog er sich dann aus? Unter dem Pullover trug er nichts weiter.

„Hier“, sagte er sanft und hielt mir das Stoffbündel hin.

„Was soll ich damit?“, zischte ich. Er warf den Kopf in den Nacken und rief die Antwort heraus, sodass es zwischen den Gebäuden widerhallte.

„Es anziehen!“ Schockiert von dem vielfachen Widerhall seiner Stimme zog ich den Kopf ein.

Halb lächelnd und seufzend warf er mir den Pullover vor die Füße und ich trat davon weg, als handelte es sich um eine giftige Schlange.

„Meine Güte, ich hab ja schon scheue Neulinge gesehen, aber du übertrumpfst sie mit Links.“

„Warum tust du das?“, versetzte ich unwirsch. „Was willst du?“ Seltsamerweise fing er an zu lachen.

„Ehrliche Antwort? Also, ich tue das, weil ich nicht will, dass du hier erfrierst. Und ich will von dir im Moment nur eines: deinen Namen.“

Den Namen. Das gab den Ausschlag. Ein so simples Wort sorgte dafür, dass die wackligen Türme in mir zusammenbrachen und alles ins Chaos stürzten.

„Warum?! Warum fragt ihr mich das alle? Wollt ihr es unbedingt aus meinem Mund hören?! Wollt ihr hören, was ich bin? Wollt ihr, dass ICH SELBST es zugebe?!“

Mein plötzlicher Ausbruch machte mich blind für die Reaktion des Jungen. Hätte ich vielleicht kurz inne gehalten und zu ihm geschaut, hätte ich mir nur einen einzigen Blick erlaubt, dann wären viele Dinge danach wahrscheinlich nicht geschehen…

„Ich heiße DEMON! Ja! Genau wie das Wort Dämon! Sieh mich an! Bin ich nicht genau das Monster, das mein Name andeutet?! Ist es nicht so?“ Ich warf diese Fragen nicht dem Jungen um die Ohren. Wenn ich ehrlich bin, weiß ich nicht, an wen ich sie richtete. So ist es wohl einfach, wenn man wütend ist.

Plötzlich wurden meine Worte verzerrt, undeutlich. Ich verschluckte mich, wollte weiterbrüllen, aber es war unmöglich. Etwas verstopfte mir den Hals. Ich versuchte, es auszuwürgen, aber ohne Erfolg. Was war das? Was…?

Und da geschah es zum ersten Mal.

Das Tattoo in meinem Nacken loderte auf, so als würde es erneut in meine Haut eingebrannt werden. Schreie genügten nicht, um meiner Furcht Luft zu machen, mal davon abgesehen, dass ich nicht mehr schreien konnte. Etwas zog, zerrte, riss an mir, grub sich in mein Fleisch hinein, brachte es ebenfalls dazu, in Flammen aufzugehen. Es war so heiß, dass ich glaubte, zu ersticken und gleichzeitig kristallisierten sich eiskalt zwei Stiche im Rücken heraus. Für mich schienen es Stunden zu sein, in der sich die Verwandlung vollzog, aber in Wirklichkeit dauerte es weniger als eine Minute.

Es gelang mir einen Blick auf meine Hände zu erhaschen, nur um statt zierlichen Fingergliedern schwarze Tatzen zu entdecken, die diesmal nicht nach einem Blinzeln verschwanden. Ich vernahm ein sattes Reißen, erst dann kam der Schmerz im Rücken – mir waren Flügel gewachsen. Ich konnte sehen, wie meine Nase länger wurde, deformierte, wie Fell darauf spross, wie sich meine Zähne aus dem Zahnfleisch quetschten, weil sie zu groß wurden… Ich konnte jedes noch so grauenhafte Detail fühlen und ich sah vor mir, was aus mir wurde. Ich sah den Spiegel, der in seiner Reflektion nun keine Lüge mehr kannte.

Und als ich vollständig gewandelt war, statt bloßen Füßen Krallen über den Stein kratzten, statt dünner frierender Haut verfilztes Fell im Wind bebte, gelang es mir noch einen Blick auf den Jungen zu werfen, der jetzt viel kleiner war als ich.

Ich sah mein eigenes Entsetzen, als ich das Monstrum im Spiegel gesehen hatte, in seinem Gesicht. Und darum wusste ich auch, was er dachte. Wie hatte ich mir auch nur einen Augenblick einbilden können, er wäre anders? Eine Ausnahme?

Zu mehr war ich nicht fähig, denn etwas griff ohne Probleme nach der Kontrolle über meinen Körper und Willen.

Jetzt bin ich an der Reihe, Demon…

Ich konnte nichts dagegen tun. Mit dem letzten Rest Bewusstsein spürte ich, dass sich meine Lefzen hoben und die Fratze formten; das Lächeln dieser Bestie. Dann drehte sich das Blatt ganz um und die dunkle Kopie meiner selbst übernahm alle Fäden. Machte mich zu der Kopfstimme, die nur sagen konnte: Ich bin du. Wir hatten die Rollen getauscht. Und ich konnte mich nicht wehren, nichts sehen, nichts fühlen. Ich wurde in die Dunkelheit verbannt. Ein Gefängnis in meinem Inneren. Ahnungslos, ängstlich, kauerte ich mich zusammen. Es war so dunkel… Wie lange würde sie mich hier einsperren können?

Dann hörte ich es. Sofort presste ich mir die Hände auf die Ohren, aber das hatte keinen Sinn. Nicht hier. Ich konnte nichts sehen und war gefühllos, aber hören ließ sie mich alles. Ob ich nun wollte oder nicht. Ich hörte es klar und deutlich. Viel zu deutlich.

Ich konnte jeden einzelnen Schrei hören.
 

Das reicht.

Ich reiße die Augen auf und verbanne jede weitere Erinnerung zurück in die entlegenen Winkel meines Herzens. Noch mehr kann ich im Moment nicht ertragen. Aber die Stimmen hallen in mir nach; die angstvollen Rufe, das Flehen darum, verschont zu werden…

Halb lasse die Augen wieder zufallen und fahre mit einer Hand über das Mal in meinem Nacken. Jeder von uns bekam unmittelbar nach seinem Erwachen in der Dunkelheit so etwas auf den Körper geprägt. Bei Way befindet es sich zwischen den Schulterblättern (das weiß ich, weil er es mir unbedingt zeigen musste…). Keiner weiß mit Sicherheit, wofür genau sie gut sind und warum wir sie bekommen.

Ich selbst glaube, sie sind eine Art vorläufiger Ersatz. Für das, was wir bei unserer „Geburt“ verloren. Es überdeckt die leere Stelle, darum tat seine Entstehung wohl auch so weh. Wunden zu flicken verläuft nie schmerzfrei.

Meine Gedanken reißen glatt ab, als ein Geräusch erklingt, kaum drei Schritte von mir entfernt. Ich komme auf die Beine, schleiche näher auf den Weg zu, spähe zwischen dem Geäst hindurch und erkenne ein Portal. Nicht aus Dunkelheit diesmal – aus Licht. Als ich noch etwas näher komme, tritt plötzlich jemand heraus und es schließt sich rasch hinter ihm. Ich verenge die Augen und blinzle mehrmals. Die Gestalt geht erstaunlich elegant, beinahe leichtfüßig dafür, dass sie in einer robust wirkenden, silbrigblauen Ganzkörperrüstung steckt. Ist es vielleicht eine Frau?

Mein Verdacht bestätigt sich kurz darauf, als sie eine Hand an ihren Oberarm legt und mit einem Lichtschimmer die Rüstung verschwindet. Verblüfft reibe ich mir die Augen und begutachte die übrig gebliebenen Rüstungsteile an ihren Armen. Bei allen Welten – wie hat sie das gemacht?

Ihr Blick huscht aufmerksam umher; auch sie scheint zum ersten Mal in dieser Welt zu sein. Als sie die Augen in meine Richtung lenkt, weiche ich schnell ein Stück in den Schatten zurück und zwinge mich, ruhig zu atmen. Neugierig besehe ich die Frau genauer. Etwas an… ihrer Kleidung… dieses Band, das sich vor der Brust kreuzt und das eiserne Symbol genau am Schnittpunkt… Das habe ich doch irgendwo schon mal gesehen.

Aber davon mal abgesehen, ist die Frau sehr hübsch, mit ihrem klaren zielsicheren Blick und dem seidigen Haar, das seichtblau ist, so wie ich mir vielleicht Regen vorstellen würde, wenn Geruch eine Farbe hätte. Ihre Saphiraugen ruhen noch immer auf mir und ich befürchte schon, dass sie mich entdeckt hat, aber dem ist nicht so. Sie wendet sich ab und ist mit wenigen Schritten bei der Treppe, um dann ohne großes Hin und Her ins Schloss zu marschieren.

Ich will mir gerade so was wie einen Plan zurechtlegen, als ein lautes klangvolles Läuten mich unterbricht. Es wiederholt sich in sehr knappen Zeitabständen – eine Glocke? Ich schaue zum Schloss auf, ob ich einen Glockenturm oder ähnliches entdecken kann, als eine weiß gekleidete Person an mir vorbeiraschelt. Raschelt, weil ihr Kleid aus einer Fülle von schimmernden Stofflagen besteht. Sie scheint es ziemlich eilig zu haben.

„Warten Sie, Mademoiselle, Senorita!“, ruft da jemand, der ihr offenbar hinterher jagt. Ein bohnenstangenförmiger Mann in blauer Uniform. Er tut sein Bestes, holt die junge Frau aber nicht ein, ehe sie in eines dieser „Gefährte“ springt, das augenblicklich davonsaust. Ich sehe dem glänzend weißen Ding nach und erinnere mich mit einem Mal wieder an dessen Bezeichnung.

Kutsche. Man nennt diese Gefährte Kutschen.

Unschlüssig trete ich aus meinem Heckenversteck hervor und betrachte den Eingang zum Palast, in dem eben gerade erst die Blauhaarige verschwunden ist. Und nun? Irgendwie passiert in dieser Welt in der kürzesten Zeit so viel, dass mir der Kopf schwirrt und gleichzeitig bin ich immer noch allein. Ich komme mir vor wie ein Spion. Habe ich denn schon mit irgendjemandem gesprochen? Nein. Und dabei würde ich es so gern. Mit der blauhaarigen Frau eben oder mit dieser Feenfrau oder… mit dem Mann.

Der Mann… Der…

„Das ist es!“, sage ich ungewollt laut. Schnell wirbele ich herum, ob mich auch niemand gehört hat. Zum Glück ist die Bohnenstange von Mann noch immer am Haupttor und ordnet scheinbar die Verfolgung der jungen Dame an. Meine Wangen glühen, als ich wieder zur Tür aufschaue.

Die Kleidung der blauhaarigen Frau; jetzt weiß ich, warum sie mir bekannt vorkam. Weil der Mann, den ich verfolgte, ganz ähnliche Accessoires trug: das kreuzförmige Band und dieses Symbol. Wenn die Frau in das Schloss gegangen ist, dann sucht sie vielleicht ebenfalls nach ihm. Und das wiederum könnte heißen, er ist noch da drin!

Auf einmal ist es mir vollkommen gleich, was er tut, wenn er mich sieht, wie er reagiert, was er sagt. Ich will ihn nur sehen. Es würde schon ausreichen, ihm einmal Hallo zu sagen. Ich will ihn nur treffen, ihm begegnen, auch wenn er mich danach vergisst. Mit diesen Gedanken tue ich den ersten Schritt und nehme schließlich immer zwei Stufen auf einmal, bis ich vor der filigran verzierten Tür stehe.

Ich beiße mir auf die Unterlippe und atme einige Male tief durch, damit sich mein Pulsschlag beruhigt. Die Augen geschlossen, umschließe ich mit beiden Händen den Talisman auf meiner Brust.

„Meine Richtung…“ Dann schlage ich sie wieder auf, mit ungeahnter Kraft erfüllt, und will gerade nach dem Knauf greifen, als sich die Tür unerwartet öffnet und der Mann vor mir steht.

Und schon ist alle Kraft dahin.

Ich öffne den Mund, schließe ihn wieder, nur um ihn erneut zu öffnen und kein Wort hervorzubringen. Er sieht leicht verwundert zu mir herunter. Andere Emotionen kann ich seinen Zügen nicht entnehmen; er behält sogar seine Meinung für sich. Was denkt er, wenn er mich sieht? Wie wirke ich auf ihn? Ängstlich? Scheu? Gefährlich?

Ich sehe, dass er etwas sagen möchte und hebe wie im Reflex die Hand, um ihn zu stoppen. Er hält inne und ich fange den Blick seiner dunklen Augen auf. Dunkelheit. Ich kann sie im Blau seiner Iris erahnen. Sie ist schwach, aber wenn man ihr eines nachsagen kann, dann dass sie sich schnell ausbreitet und an Stärke gewinnt. War es das, was mich so von ihm angetan hat? Nein… es war, es ist

„Wie heißt du?“ Beim Klang meiner Stimme verändert sich sein Gesicht um eine winzige Nuance, die mir nicht aufgefallen wäre, würde ich ihn nicht so unverwandt ansehen.

„Terra“, erwidert er und ich muss lächeln. Wieso? Gute Frage.

„Terra“, wiederhole ich und spüre, wie ein zarter Sog um meine Knöchel spielt. Richtig… Meine Kraftreserven sind aufgebraucht. Ich muss in meine Gegenwart zurückkehren. Aber ich bin diesem Mann, ich bin Terra, begegnet und das ist alles, was zählt.

„Und wer bist du…?“, fragt er. Seine Stimme ist gleich bleibend ruhig, aber ich höre einen leisen Unterton, der mich verwirrt. Ist das Misstrauen…? Nein, denke ich dann. Es klang eher so, als wäre er nicht sicher, ob er mich nicht kennt. Wie das? Er kann mich nicht kennen, selbst wenn ich ihm schon mal begegnet bin.

„Demon“, hauche ich hervor, weil mein Körper schon halb in der Schwebe ist.

„Was passiert mit dir?“ Er klingt besorgt. Besorgt? Habe ich mir das nicht nur eingebildet? Ich überrasche mich selbst, als ich den Kopf schüttele und dabei wieder lächle.

„Nicht wichtig… Terra, ich bin wirklich glücklich, dir begegnet zu sein. Du verstehst vielleicht nicht, wie viel es mir bedeutet. Aber trotzdem… danke.“ Er versucht nach meinem Arm zu greifen, aber seine Hand gleitet hindurch. Ich kann nicht aufhören zu lächeln. Was ist das bloß für ein komisches Gefühl?

„Ich glaube, dass wir uns eines Tages wiedersehen. Du wirst dich nicht daran erinnern können, aber ich schon…“ Sein Blick hat die maskenhafte Ernsthaftigkeit verloren, jetzt sind da nur noch Fragen, viele Fragen und… Traurigkeit? Zumindest leises Bedauern.

„Ich warte“, sagt er nur, fast als wäre es nicht sein eigenes Bewusstsein, das diese Worte hinausschickt. Mein Körper ist beinahe vollständig durchsichtig. Als sich schließlich die Schwärze vor meine Augen schiebt und Terras Gesicht verblasst, flüstere ich noch zwei Worte, die sich vervielfachen und in der Stille nachschimmern.

„Bis dann…“

Der geheime Ort

Ich stöhne auf, als ich versuche mich aufzusetzen. Unter all dem hin und her ist mir entgangen, wie sehr ich meine Kraft überstrapaziert habe. Jetzt heißt es wohl oder übel erstmal ausruhen – nichts mit neuen Welten für eine Weile.

Während ich mir die schmerzenden Muskeln und den schweren Kopf reibe, werfe ich einen Blick auf die Ruinen zu beiden Seiten. Anscheinend hat, wer auch immer entscheidet, wo ich nach der Rückreise lande, was für Ironie übrig. Ich bin genau da, wo mir damals zum ersten Mal Way begegnet ist. Seufzend komme ich auf die Füße, klopfe mir den Staub von der Kleidung und als ich aufschaue, trifft mich ein reinblaues Paar Augen.

„Destiny…“, stoße ich hervor und meine Stimme bricht dabei ziemlich unschön. Diesmal lächelt sie nicht, aber sie läuft auch nicht weg und vor allem sieht sie nicht weg. Ich weiß nicht, was ich sagen soll und scharre daher nur verlegen mit dem Fuß, als Destiny plötzlich vor mir steht, mein Handgelenk ergreift und hinter sich herzieht.

Widerstandslos laufe ich mit, verstehe aber nicht im Ansatz, was sie vorhat. Wir gehen nur ein Stück die Hauptstraße entlang, dann beordert sie mich in eine schmale Gasse, wo sie mein Handgelenk loslässt und auffordernd auf ein Loch in der Wand neben uns deutet. Verdutzt betrachte ich den Riss, der eigenartig dreieckig geformt ist und gerade groß genug, dass ein Mensch von Ways Größe hineinschlüpfen könnte. Erst als ich kurz aufschaue, erkenne ich, dass es zwei zusammengestürzte Gebäude sind, die den Eingang bilden.

Und offenbar möchte Destiny, dass ich reingehe. Weil ich noch immer zu befangen bin, um Fragen zu stellen, komme ich ihrem Fordern nach und ducke mich unter dem Stein hindurch ins Innere.

Drinnen angekommen nehme ich ein paar Schritte, halte dann aber erstaunt an und richte mich wieder auf. Die Decke des kleinen Komplexes ist zwar schief und krumm, weist aber einige feine Ritzen auf, durch die Tageslicht einströmen kann. Das wiederum sorgt dafür, dass ich all die Zeichnungen und Worte erkennen kann, die an den Wänden prangen.

Fast vergessend, wie ich überhaupt hergekommen bin, gehe ich auf eine Wand zu und berühre vorsichtig das Miniaturportrait eines Mannes in einem langen Mantel. Es ist nicht Luxord, auch nicht Roxas, aber was er trägt, scheint genau das gleiche Kleidungsstück zu sein, das auch sie anhatten.

„Ich habe diese Steine gefunden“, holt mich Destinys sanfte Stimme unvermittelt aus der Betrachtung. „Wenn man sie über die Wände schleift, hinterlassen sie Spuren.“ Sie hält eine Handvoll dunkelgrauer plattenförmiger Steine hoch und lächelt.

„Das ist wunderschön“, sage ich leise und streiche über ein weiteres Bild. Es zeigt ein eher kleines Wesen mit großen runden Ohren und einer Stupsnase. Eine Maus? Unweit davon steht eine Zeile geschrieben.

„Kannst du dir das merken?“, lese ich laut vor. Destinys glockenhelles Lachen erklingt.

„Das sind Worte, die die Personen gesagt haben, denen ich begegnet bin. Aber es sind noch nicht viele.“ Fragend blicke ich sie wieder an. „Ich möchte gern noch mehr Bilder und Sätze hier malen, aber ich bin ja noch nicht allzu lange auf der Suche.“

Nachdenklich betrachte ich erneut die Zeile.

„Wie ist das eigentlich möglich? Wo doch keine Zeit in dieser Welt existiert… Wie ist es da möglich, etwas zu verändern ?“

Leichtfüßig tritt sie neben mich und legt die Fingerspitzen auf die Zeichnung eines merkwürdigen Baumes. Sein Stamm ist ungewöhnlich schmal und statt Ästen sind da nur lange, fedrige Blattwedel. Trotzdem kommt es mir unwirklich vertraut vor.

„Diese Welt mag zeitlos sein“, flüstert sie, „aber wir alle sind berührbare Wesen, in denen Zeit und Gefühl existiert – wir sind lebendig. Und es könnte doch möglich sein, dass wir ein wenig von unserer Zeit auf diesen Ort abfärben.“ Sie lacht. „Im wahrsten Sinne des Wortes.“

Ich weiß nichts zu erwidern, aber Destiny gibt mir auch gar nicht die Gelegenheit dazu. Sie nimmt meine Hand und legt einen der Malsteine hinein.

„Gib auch du diesem Ort ein wenig von deiner Lebendigkeit, Demon.“ Damit dreht sie sich um und schlängelt sich flugs wieder zum Loch hinaus. Ich schaue ihr ungläubig nach, zucke dann aber die Schultern und suche nach einer guten Stelle. Mir ist nämlich direkt eine Idee gekommen.

An einer breiten Steinplatte, die wie ein Schild an der Wand lehnt, gehe ich in die Hocke und beginne die Zeile einzuritzen. Destiny hat Recht; dort, wo ich die scharfe Kante des Steins entlangführe, bleibt eine weiße Spur zurück. Und während ich sorgfältig Wort für Wort ziehe und nur das Schaben zu hören ist, überkommt mich eine undefinierbare Nostalgie. Die Steine, die weißen Muster darauf, ein geheimer Ort… Das… Rauschen… in der Ferne…

Kopfschüttelnd reiße ich mich aus der Trance und mustere mein Werk. Als ein zaghafter Schritt am Höhleneingang meine Aufmerksamkeit erweckt. Ich wirbele herum und versteife mich unbewusst, als ich Way erkenne.

„Destiny hat dich geschickt“, stelle ich heiser fest.

„Ich glaube, sie will, dass wir uns vertragen“, meint er schlicht und kommt auf mich zu. Ich lasse den Stein zu Boden sinken und stelle fest, dass ein schlechtes Gewissen Magenschmerzen verursachen kann. Way geht vor mir in die Hocke und sieht mich lange an, ohne dass einer von uns beiden ein Wort sagt. Schließlich bin ich diejenige, die das Schweigen bricht.

„Es tut mir Leid.“ Ich räuspere mich, aber meine Stimme klingt immer noch brüchig. „Ich war… ich hatte Angst… Ich wollte dir nicht wehtun. Bitte verzeih mir.“ Auf einmal spüre ich seine Hand auf meinem Kopf, die mir das Haar verwuschelt.

„Hör schon auf, dich zu entschuldigen, D.“ Verwundert hebe ich die Brauen.

„Bist du gar nicht sauer?“

„Doch, natürlich bin ich sauer“, erwidert er ruppig und verpasst mir einen Stups vor die Stirn. „Du hast mich genau in diesen spitzen Stein gestoßen.“ Er hält den rechten Arm hoch, der mit einem Verband umwickelt ist. Als er mich wieder ansieht, lässt er ihn jedoch schnell wieder sinken. Ich kann mir vorstellen, wie mein Gesicht aussieht, aber es zu ändern ist auch nicht machbar. Verletzt… ich habe Way verletzt.

„Es tut mir so Leid…“ Er seufzt.

„Bitte hör auf damit. Ich bin doch selbst Schuld.“ Das wundervolle schelmische Way-Grinsen breitet sich auf seinen Lippen aus. „Ich weiß doch, was du von Berührungen hältst.“

„Das ist nicht deinetwegen“, stoße ich hervor.

„Das weiß ich. Und ebenso müsstest du wissen, dass ich dir nicht böse bin. Jedenfalls nicht, wenn du mir ein Lächeln schenkst.“ Sein Tonfall ist so frech, dass ich schon lächle, bevor er überhaupt das letzte Wort aussprechen kann. „Vergeben und vergessen, D.“ Ein paar Sekunden schweigt er nachdenklich.

„Aber was das mit Void angeht…“

„Das fünfte“, unterbreche ich ihn flüsternd, weil ich befürchte meine Stimme könnte wieder splittern. „Das war das fünfte Mal, dass er mich… dass er mich provoziert hat…“ Gerade noch rechzeitig formuliere ich mich um. Wenn Way wüsste, was eigentlich zwischen Void und mir passiert ist, würde er nicht lange fackeln, loszulaufen und ihm den Kopf abzureißen.

So reicht es ihm, seine Faust auf den Boden zu schlagen.

„Warum tut er das, D? Ich meine, dieser Vollidiot war schon immer fies und streitlustig, aber bei dir… Was hat er gegen dich?“ Erschöpft lasse ich das Kinn auf die Brust fallen.

„Wenn ich das nur wüsste…“ Wieder schweigen wir eine Weile.

„Versprichst du mir etwas?“, sagt Way dann und klingt für seine Verhältnisse überaus gesetzt.

„Ja“, erwidere ich kurz angebunden. Wie könnte ich ihm auch jetzt noch irgendwas ausschlagen? Doch bei seinen nächsten Worten bereue ich meine schnelle Einwilligung schon.

„Wenn er dich das nächste Mal angreift, sag es mir.“ Statt Antwort zu geben, hebe ich den Kopf und starre auf die Worte, die ich eben noch in den Stein gekratzt habe. „D?“

„Wenn ich das tue, wirst du nur wütend.“

„Ja, natürlich!“, platzt er hervor, so laut, dass ich erschrocken den Blick auf ihn richte. „Was erwartest du denn, D?! Dass ich einfach dasitze und das sang- und klanglos an mir vorbeigehen lasse? Wir sind Freunde! Es ist mein gutes Recht, zu wissen, wenn es dir schlecht geht! Es ist mein Recht, dich zu trösten, dir zuzuhören und ebenso dich zu verteidigen. Begreif das doch endlich.“ Fahrig bringt er sein Haar in Unordnung. Dann erhellt ein halbes Grinsen sein Gesicht und er sieht mich wieder an. „Ich hab lange genug durchgehen lassen, dass du mir das wegnimmst. Aber… irgendwann ist Schluss mit lustig.“

Als er die Worte verwendet, die ich noch vor nicht allzu langer Zeit zu ihm sagte, scheint mein Herz bis zu den Füßen runterzurutschen. Aber gleichzeitig muss ich lächeln.

„Das stimmt… Also gut. Versprochen, Way.“
 

Ich träume fast nie.

Oder vielleicht tue ich es doch, kann mich anschließend aber nicht mehr daran erinnern. Wenn jedoch die Ausnahme der Regel auftritt, sind meine Träume anstrengend, beängstigend und dunkel. Ich glaube, so etwas nennt man Albtraum.

Als ich nach all den Ereignissen der vergangenen Stunden schließlich müde auf mein Lager sinke und der Schlaf mich hinabzieht, träume ich seit langem wieder. Ich hätte eigentlich ahnen können, dass meine Erinnerungen den Kampf noch nicht aufgegeben haben. Sie wollen alles, sind gnadenlos; nach ihnen muss ich jedes Detail nochmals durchleben.

Mein Bewusstsein kann sich dagegen zur Wehr setzen. Aber mein Unterbewusstsein ist ihnen schutzlos ausgeliefert. Und so kommt es wohl, dass ich einen Traum habe. Einen, der auch die letzten Seiten der Vergangenheit aufschlägt.
 

Es war Rot.

Die erste Farbe, die ich in völliger Reinheit sah. Die Augen und Haare all jener, die mir zuvor begegnet waren, waren nicht vollkommen einfarbig gewesen. Ihre Kleidung zwar schon, aber ich hatte nichts von dem, was ich gesehen hatte, vergleichen können. Und wirklich darauf geachtet hatte ich auch nicht. Aber jetzt war es unmöglich, auszuweichen.

Das Rot. So viel davon. So viel Rot…

Meine Augen waren nur halb geschlossen. Ich lag auf der Seite, Arme und Beine nahe am Körper und fühlte nur Schwere. Merkwürdig. Wenn man sich so winzig klein, so unbedeutend vorkommt und der Körper gleichzeitig so schwer ist, dass das eigene Gewicht einen zu erdrücken droht. Das ist doch widersprüchlich, nicht?

Überall Rot.

Ich konnte mir nicht erklären, woher es kam. Aber ich lag darin, wurde davon getränkt und rührte mich nicht. Leise Angst beschlich mich. Warum? Wieso fürchtete ich mich beim Anblick des Rotes? Wieso verspürte ich plötzlich den Drang, wegzulaufen, um es von meinem Körper zu spülen? Wieso war mir diese Farbe so zuwider? Ich blieb liegen, weil die Schwere stärker war. Die Frage war nur, wie lange das so bleiben würde.

Rot. Ein See aus Rot.

Sollte ich nicht wissen, was das war? Woher es kam?

Es war zu schwer, sich daran zu erinnern und ich wollte mich nicht mehr anstrengen. Ich wollte nur hier liegen bleiben und weiteratmen. Nicht denken. Nicht fühlen. Weiter in der angenehmen Leere treiben.

Rot. Wie… Blut.

Das Wort genügte. Nur der Gedanke und schon stürzten die Säulen der Erinnerung über mir zusammen. Das Monster. Das Blut. Da bestand ein Zusammenhang. Mehr als das. Ich igelte mich noch weiter ein, kniff die Augen zu, presste die Hände auf die Ohren und versuchte verzweifelt, die Stimmen fernzuhalten, die in meinem Schädel herumsprangen.

„Nein, bitte! Bitte!“

„Verschwinde, du Bestie!“

„Nein, nicht! Mach, dass du wegkommst!“

„Was habe ich getan?“, keuchte ich, riss die Augen auf und erfasste die dunkle Blutlache, nun mit einer durchaus anderen Sicht. Obwohl mein ganzer Körper heftig protestierte, rappelte ich mich auf die wackligen Knie und wich panisch zurück. Auch wenn es kaum einen Sinn hatte; das Blut war überall. Es klebte an meinen Händen, hatte mein Kleid durchnässt, hatte mir überall verkrustete Spuren aufgemalt. Und wenn ich mit der Zunge über meine Lippen gestrichen wäre, hätte ich es auch schmecken können.

Aber wessen Blut war das? Aufgrund der zahlreichen Schnitte und Quetschungen stammte ein Großteil davon mit Sicherheit von mir. Ein Großteil.

Demon…

„Nein! NEIN! Verschwinde! Lass mich in Ruhe!“ Ich wollte mich abwenden und weglaufen, weg von diesem schrecklichen Rot, weg von allem, was hier geschehen war. Aber die Wunden blieben nicht ohne Wirkung. Schon nach ein paar Metern wurde mir wieder schwindelig und ich klappte wie eine Puppe zusammen. Blieb liegen.

Warum so ängstlich? Komm, öffne dich der Finsternis. Lass sie dich umfangen und du wirst schlafen. Friedlich träumen. Übergib mir die Kontrolle und lass dich fallen…

Fallen lassen… Aufhören. Nur die Augen schließen. Das war so leicht…

„Was haben wir denn da?“, erklang wie aus dem Nichts eine gehässige Stimme in Kombination mit einigen markanten Schritten; auffallend scharf voneinander abgehoben. „Ah, ich weiß! Du bist das Monster, das hier vorhin Krieg gespielt hat, oder? Tz, hätte nicht gedacht, dass sich dahinter so ’n spindeldürres Püppchen verbirgt.“

Etwas tippte mir gegen die Schulter. Der Druck wurde stärker, bis es mich zur Seite warf, sodass ich flach auf dem Rücken lag. Es war eine Schuhspitze gewesen. Und sie gehörte zu einem Jungen, der über mir stand und grinste. Kein verspieltes lockeres Grinsen wie bei dem blonden Jungen von zuvor, sondern eine spöttische, nahezu boshafte Verzerrung davon.

Sein, mit schwarzen Strähnen versetztes, rotes Haar stand wild ab und eine stechend blaue Iris umgab die Pupillen seiner Augen. Ich fletschte die Zähne, aber das Grollen, das hinterherkam war nur ein dünnes Knurren. Ich war so schwach…

Der Junge musterte mich noch eine zeitlang, dann ging er urplötzlich in die Knie und beugte sich, einen Arm rechts einen links von mir abgestützt, über mich, sodass seine Nasenspitze fast meine berührte.

„Jetzt bist du gar nicht mehr so Furcht erregend, was?“, raunte er mir zu und fixierte mich mit seinen Augen. Die Farbe war widerwärtig und bedrückend. „Jetzt, wo du keine Krallen mehr hast oder Flügel…“ Er nahm eine Hand neben mir fort und schloss nacheinander die Finger um mein Kinn. Ich wollte mich losreißen, aber ein scheußlicher Schmerz schoss mir dabei in den Nacken, sodass ich nur zu einem fähig blieb; flach atmen.

Der Junge lächelte gewinnend.

„Lion sagte, du würdest Demon heißen… Treffend, sage ich.“

Meine Hände zuckten, aber das war alles. Ich konnte ja kaum die Augen offen halten. Dass er mir so nahe war, machte mich halb wahnsinnig. Innerlich schrie und zerrte es an mir, doch äußerlich war ich leblos wie der Stein unter uns.

„Ich bin übrigens Void.“

„Treffend“, brachte ich zerknirscht hervor und der Griff um mein Kinn wurde fester, während ihm das selbstgewisse Lächeln aus dem Gesicht fiel. Anscheinend hatte ich einen wunden Punkt gefunden. Es stand kein Spott mehr in seinen überhellen Augen geschrieben, nur noch kalte Wut.

„Ich sage dir das nur einmal, Missgeburt: Wenn du mir irgendwelche Probleme machen solltest, kann ich dir versichern, dass dein Aufenthalt hier nicht besonders angenehm wird.“

Während er das zischte, fuhr seine Hand vom Kinn zu meinem Hals hinunter und dann – als wüsste er genau um den Effekt – berührte er die Haut in meinem Nacken.

Der lodernde Schmerz kam so unerwartet, so brutal, dass ich wider meine poröse Kehle aufschrie. Undeutlich durch meine verzerrte Stimme konnte ich Voids Gelächter hören und er bohrte die Fingerspitzen noch tiefer in meine Haut.

Schließlich überwiegte die Folter alles andere und mein halbtoter Körper ging, der Verletzungen zum Trotz, auf Widerstand. Ich erinnere mich nur dunkel daran, wie ich die Augen aufschlug und Void in den Arm biss. Es war nicht mein Bewusstsein gewesen, das gehandelt hatte, sondern das zweite Ich, das Monster in meinem Inneren. Sofort schmeckte ich Blut im Mund und ließ erschrocken wieder los, obwohl die Bestie in mir danach verlangte, zu reißen…

Void gab einen grässlichen Schmerzenslaut von sich, löste die Hand in meinem Nacken und brachte eilig mehr Platz zwischen sich und mich. Seine Eisaugen waren vor Angst geweitet. Angst… Als ich den Kopf zur Seite fallen ließ und ausspuckte, um den widerlichen Geschmack des Blutes loszuwerden, war es mehr als bloße Scham, die mir die Tränen in die Augen trieb.

„Tz, glaub ja nicht, dass ich mich davon beeindrucken lasse“, schnappte er und kam auf die Beine, während er eine Hand auf die blutige Bisswunde presste. Ehe ich es richtig begriff, spürte ich einen harten Tritt an der Schläfe, der meinen Kopf auf die andere Seite beförderte und die Umgebung flimmern ließ.

„Du willst also unbedingt eine Kostprobe, was?“ Er machte sich bereit, nochmals zuzutreten und meine Muskeln versteiften sich in Erwartung von neuem Schmerz. Als ein Rufen uns beide innehalten ließ.

„Demon!“ Ich hörte meinen Namen wie durch Watte hindurch, aber ich erkannte die Stimme sofort wieder. „Demon! Wo bist du?“

„Ah, der Retter naht“, bemerkte Void zynisch und schenkte mir einen durchdringenden Blick, den ich durch den weichen Ring aus Betäubung kaum entziffern konnte. „Fürs Erste sind wir hier wohl fertig, Monster. Aber präg’ dir eins ein: Ich bin kein einfacher Gegner.“

Damit drehte er ab und verschwand im Nu zwischen den Ruinen. Ich konnte den Sinn seiner Worte nur schwer erfassen, aber etwas in mir mahnte, darüber nachzudenken. Was hatte er nur gemeint mit dem, er würde kein einfacher Gegner sein?

„Demon! Endlich, da bist du ja!“ Matt ließ ich den Kopf zur anderen Seite kullern, bis ich eine Silhouette erkannte, die auf mich zugerast kam. Verworrenes, blondes Haar kam in Sicht und diese lichten grünen Augen. Kaum hatte er mich erreicht, ließ er sich auf die Knie fallen und zerrte sich den Pullover über den Kopf. Es war der gleiche, den er mir schon vorher angeboten hatte. Er hob mich vorsichtig an, schob den warmen weichen Stoff unter mich und wickelte ihn behutsam um meine Schultern. Dadurch wurde mir erst klar, wie sehr ich fror.

„Du…“, hauchte ich nur und hoffte, dass er den Rest der Frage in meinem Gesicht lesen konnte. Er konnte es.

„Way. Mein Name ist Way.”

„Way“, wiederholte ich lautlos, während meine Lider immer schwerer wurden und jede Faser um Erholung bat. Ich wollte ihn fragen, wieso er hier war. Warum er, wie selbstverständlich, einen Arm unter meine Knie schob und einen um meine Schultern legte und mich hochhob. Aber ich brachte längst kein Wort mehr hervor. Nicht mal, dass er mich berührte, drang jetzt noch zu mir durch.

Und darum überließ ich mich seiner Führsorge, lehnte den Kopf gegen seine Brust und erlaubte meinen Augen sich zu schließen, meinen Muskeln sich zu lösen, meinem Geist zu ruhen und zu vertrauen…
 

Heute weiß ich, dass es so jemanden nicht gibt. Aber ich weiß, dass es jemanden gibt, dem es trotzdem egal ist. Der zurückschreckte, ja, aber nicht ging.

Er drehte sich um.

Und sah nicht noch mal weg.
 

__________________________________________________________________
 

Ich entwarne an dieser Stelle: Das Flashback ist hiermit offiziell abgeschlossen. Die blutigen depressiven Szenen haben fürs Erste wieder Ruhepause, also keine Sorge. ^-^’

Letzten Endes ist es mehr geworden, als ich geplant hatte. Aber ich will es auch nicht kürzen, weil jede dieser Erfahrungen wichtig für die Geschichte und Demons weitere Entwicklung ist.

Ich denke, jeder erkennt das Zitat, das Destiny da an die Wand geschrieben hat, oder? ^-^

Die Galerie wird in Zukunft noch eine sehr wichtige Rolle spielen, besonders das, was Demon dort verewigt hat – was ich noch nicht verrate. ;)

Ich hoffe, es hat euch gefallen!
 

Vielen, lieben Dank fürs Lesen!

Rainblue

Wiedersehen der etwas anderen Art

Ich habe nie gesehen, dass ein Stern wie aus heiterem Himmel aufblitzt und dann erlischt. Kurzerhand vom Firmament schwindet.

Nun, bis heute.

Ich weiß, dass jeder Stern, der über mir zu sehen ist, eine weitere Welt darstellt. Und darum wird mir klar, dass eben irgendwo in der Weite des Alls eine Welt vom Erdboden verschluckt wurde. Aber warum?

Etwas abwesend nehme ich die Augen vom Himmel und lasse sie über meine Umgebung schweifen. Die nächtliche Finsternis wird in dieser Stadt hartnäckig vom schummrigen Licht bunter Blinkschilder und Straßenlaternen erhellt und alles wirkt ein bisschen… nun ja, melancholisch? Als wäre dieser Ort eine Art Endstation. Oder bilde ich mir das nur ein?

Direkt vor mir steht klotzig und zentral ein Backsteingebäude, aber ich bin auf seiner Rückseite, wo es nicht sonderlich viel zu sehen gibt. Hinter mir erhebt sich ein beachtliches Tor, das womöglich den Durchgang zu einem anderen Stadtteil bildet und rechts, neben dem Gebäude, befindet sich ein Absatz, worunter eine düstere Gasse zu sehen ist.

Ich entscheide mich für die Treppe zu meiner Linken, die wahrscheinlich in offeneres Gelände führt. Als mich entgegenkommende Schritte stoppen lassen.

„Donald, ich wette, dass…“, beginnt eine sehr freundliche, dennoch etwas begriffsstutzige Stimme, kann aber nicht aussprechen, weil sie von einer zweiten unterbrochen wird.

„Ach, was weißt du schon, du Schlaumeier!“, quakt sie genervt. Ehrlich, quaken! Ich konnte nur mit Mühe das verstehen, was sie sagte.

„Was ich weiß?“, meint die erste Stimme ratlos. „Hmm… Komm her, Pluto.“ In dem Moment kommt eine kleine weiß gefiederte Gestalt um die Ecke gewatschelt. Mein Gehirn fasst die beiden Beobachtungen zusammen und projiziert sie auf das Wesen vor mir. In der Tat – das ist eine blau gewandete Ente. Und als reiche das noch nicht, erscheint nahe hinter ihr die zweite Gestalt; ein großer, ebenfalls komplett eingekleideter, Hund mit Schlappohren und einer so gutmütigen Ausstrahlung, dass ich kurz versucht bin, ihn anzusprechen. Doch letztere Entscheidung nimmt er mir ab.

„Guten Abend, die Dame“, grüßt er höflich und nickt mir zu. Warum tut er das? Ich bin ihm doch völlig fremd. Dennoch breitet sich bei seiner Herzlichkeit ein warmes Gefühl in meinem Magen aus.

„Guten Abend“, erwidere ich lächelnd.

„Goofy, los!“, schnattert die Ente ungeduldig dazwischen. Sie ist bereits nach hinten zu dem großen Tor gegangen und hüpft nun drängend auf und ab. Der Hund nimmt die Beine in die Hand und folgt seinem Gefährten. Ich sehe ihnen nach, bis sich das Tor wieder geschlossen hat. Was sie wohl vorhaben? Scheint ja höchste Eile zu erfordern.

Noch von der Begegnung eben erfüllt, gehe ich etwas beschwingter die Stufen neben dem Gebäude hinunter und komme, wie erwartet, ins Zentrum der Stadt. Noch mehr künstliches Licht scheint mir entgegen und auf dem Platz vor mir tummeln sich ein paar Bewohner herum. Allerdings wirken sie alle seltsam bedrückt. Ist etwas Trauriges passiert?

Nachdenklich werfe ich einen Blick auf die Frontseite des Gebäudes, die von einem auffälligen Leuchtschild mit der Aufschrift „Accessoires“ geschmückt wird. Ein Geschäft, wer hätte das gedacht? Ich überlege gerade, ob ich hineingehen soll, als Tapsschritte laut werden, irgendwas mit voller Wucht gegen meine Brust springt und mich umwirft.

„Wa-Wa… Hey!“ Ich höre ein freudiges Hecheln und dann streicht mir etwas Raues und Feuchtes einmal über die ganze Wange. „Bäh! Was machst du denn da? Ist ja gut!“ Ich bekomme die Augen auf und schaue direkt in ein schwarzes Paar Knopfaugen über mir. Im pelzigen, schlappohrigen Gesicht eines Hundes, dessen Pfoten noch immer auf meiner Brust liegen. Bevor ich irgendwas tun kann, bellt er zweimal auf, springt von mir runter und prescht davon.

„Igitt…“, murmele ich, setze mich auf und wische den Hundespeichel aus dem Gesicht. Was war nur mit dem Tier los?

„Bist du okay?“, fragt plötzlich eine Stimme vor mir. Als ich aufschaue, treffe ich die großen blauen Augen eines Jungen mit stachligem braunem Haar. Er reicht mir die Hand. Ich ergreife sie. Ohne zu zögern. Lasse mir aufhelfen. Und die Vertrautheit überflutet meine Sinne.

„Ro…“, setze ich an, zügle mich aber noch rechtzeitig, bevor der Name entfleucht.

Das ist Unsinn. Der Junge ist – kann – nicht Roxas sein. Roxas war blond und älter und besaß eine dunklere Ausstrahlung. Und dennoch… dieser Junge ist ihm so ähnlich, dass ich so etwas wie Wiedersehensfreude empfinde. Die Ähnlichkeit ist nicht äußerlich… wobei, doch, ein wenig. Denn er hat die gleichen strahlenden Augen.

„Der Hund ist weg, oder?“, fragt er und wirft einen flüchtigen Blick zu beiden Seiten. Irgendwie wirkt er dabei so verloren.

„Hast du dich verlaufen?“, frage ich automatisch. Pfft. Das aus meinem Mund…

„Nein!“, erwidert er, zu schnell, andernfalls hätte ich ihm vielleicht geglaubt. Er seufzt. „Oder doch? Ich bin mir nicht sicher… Wo sind wir hier?“

„Da fragst du die Falsche“, gebe ich verlegen zur Antwort. „Ich bin auch zum ersten Mal hier.“

„Oh.“

„Hm, aber dieses Haus ist doch sehr zentral gelegen.“ Ich deute auf den Accessoire-Laden neben uns. „Vielleicht finden wir da jemanden, der uns mehr sagen kann.“

Der Junge lächelt und ich muss direkt schlucken. Er ist so – es fällt mir wirklich schwer einen Begriff zu finden, der zutrifft – warm. Außergewöhnlich unverfälscht. Ich kann mir gut vorstellen, wie licht sein Herz ist. Und ich spüre, dass es mich auch ein wenig blendet…

Er geht auf die Tür zu, drückt einen Flügel auf und tappt bedächtig hinein. Aber als ich ihm folgen möchte, zerrt etwas an meinem Bein und hält mich zurück. Die Tür fällt langsam zu und ich kann sogar noch erkennen, wie der Junge kurz stockt, dann den Kopf schüttelt und weiter ins Innere geht.

Er hat mich vergessen.

Verärgert wirbele ich herum und ein erschrockenes Aufkeuchen schlüpft mir aus dem Mund. Zu meinen Füßen hockt eines der schwarzen Schattenmonster und stiert mich wie besessen an.

Die sind aber auch überall!

Weil ich weder den Jungen noch sonst jemanden, der eventuell in dem Laden ist, mit hineinziehen will, biege ich scharf ab und sprinte zu dem zweiten Tor, das sich weiter unten beim Platz befindet. Natürlich setzen mir die Biester sofort nach. Schnell schließe ich die Torfflügel hinter mir und lehne mich mit dem Rücken dagegen.

Der Stadtteil auf der anderen Seite ist feiner gepflastert, zudem sind die Steine eher bläulich und in der Ecke des offenen Platzes steht ein hell erleuchteter Springbrunnen. Außerdem… tollt eine ganze Parade von den Wesen mit den Emblemen darauf herum.

„Das ist ein Scherz!“, rufe ich und will wieder zurücklaufen, aber hinter mir haben sich noch mehr von den Schatten zusammengerottet, die immer näher kommen, sodass ich zwischen ihnen eingekesselt werde. Verflucht! Und jetzt?

„Die vermehren sich echt wie die Kaninchen!“ Verwirrt folge ich der Richtung, aus der die Stimme gekommen ist, aber bevor ich jemanden ausmachen kann, schießt ein scharfkantiges Geschoss an mir vorbei und schickt drei der schwarzen Bestien ins Nirvana. Aufgelöst vor Erstaunen sehe ich zu, wie das Ding wirbelnd Kehrt macht und zurückfliegt.

„Du untertreibst“, antwortet eine zweite, sehr viel tiefere Stimme. Ihr Besitzer schiebt sich blitzschnell vor mich und macht mit einem Hieb seines Schwertes auch den Emblemen den Garaus.

„Oh, Squall!“, jammert die andere Stimme. „Du musst aber auch immer ’ne Show abziehen, was?“ Von einer der Erhöhungen, die sich um den Platz herumziehen, springt ein zierliches Mädchen mit kurzen schwarzen Haaren und scheinbar wahllos zusammen gewürfelter Kleidung.

„Leon“, knurrt der Mann vor mir ihr leicht gereizt zu und dreht sich endlich um. Er wirkt unnahbar, fast etwas unterkühlt mit seinen grünen Augen, dem dunklen Haar und der schwarzen Lederjacke. Und an irgendwen erinnert er mich…

„Bist du in Ordnung?“, fragt das Mädchen, das gerade neben mir zum Stehen kommt.

„Äh, ja. Aber… wie habt ihr sie besiegt?“ Mir steht die Szene von damals deutlich vor Augen. Esmeralda, die versuchte, die Schatten mit einer Holzlatte zu erschlagen.

„Das ist ’ne Wissenschaft für sich!“, meint das Mädchen ächzend. „Unsere Waffen funktionieren ganz gut gegen die Herzlosen. Aber nicht jeder führt so was mit sich.“

„Herzlose?“, hake ich nach. Ich erinnere mich. Roxas nannte sie auch so.

„Die Schatten“, erklärt der Mann ungerührt. „Sie haben kein Herz, darum der Name.“

„Wusstest du das noch nicht?“, fragt die Schwarzhaarige verblüfft. Ich schüttele den Kopf. „Puh! Dann sollte dich mal einer warnen. Wenn du die Biester siehst, lauf, was deine Beine hergeben! Sonst stehlen sie dir das Herz.“ Offenbar veranlasst meine Miene den Mann dazu, noch etwas hinzuzufügen.

„Sie werden von der Dunkelheit in den Herzen angezogen. Das schließt niemanden aus, weil jedes Herz einen dunklen Fleck hat.“

„Wo wir schon beim Thema sind, Leon“, wirft das Mädchen ein. „Aerith meinte, sie hätte ihn gespürt. Er ist vielleicht hier in Traverse!“

„Das würde erklären, warum die Herzlosen so in Aufruhr sind. Wir sollten keine Zeit verlieren.“ Der Mann, der offensichtlich Leon heißt, schwingt sich die Waffe auf die Schulter.

„Wenn einer weiß, ob ein Fremder aufgetaucht ist, dann Cid!“, sagt die Kleine. „Lass uns erstmal da nachfragen, bevor wir unseren Helden suchen.“

Helden?

Leon nickt und schlendert dann geradewegs Richtung Tor davon. Das Mädchen klopft mir grinsend einmal auf die Schulter.

„Falls wieder Herzlose auftauchen sollten, geh ins Stadtzentrum zum Accessoire-Laden, da bist du sicher! Ansonsten halt die Ohren steif, Süße!“ Damit wendet sie sich ab und flitzt ihrem Gefährten hinterher. Ich bleibe wo ich bin und lege grüblerisch die Stirn in Falten.

Herzlose… Wesen, die kein Herz haben, aber Herzen stehlen. Wo ist da der Sinn? Was wollen diese Geschöpfe damit? Und was sind sie? Woher sind sie gekommen? Da entweicht mir ein trockenes Auflachen.

„Sie werden also von der Dunkelheit in den Herzen angezogen…?“ Muss ich dann nicht theoretisch nur eins und eins zusammenzählen, um zu wissen, warum sie mir so unerschöpflich nachstellen? „Ach…“

Ich gehe nicht zurück zum Accessoire-Laden, wie das Mädchen es mir geraten hat, sondern überquere den Platz, bis ich in einer Ecke ein weiteres Tor entdecke, das zum nächsten Stadtteil führt. Auf der anderen Seite befindet sich eine schmale Gasse, allerdings kann ich durch die hohen Gebäude drum herum nichts von der Umgebung sehen, weshalb ich diesen Abschnitt schnell hinter mir lasse.

„Oh“, stoße ich überrascht hervor, als die Gasse endet. „Das ist doch…“ Leider verschwindet er in einem Gebäude mit der Leuchtaufschrift „Hotel“, bevor ich ihn aufhalten kann. Aber ich bin mir sicher, dass es der braunhaarige Junge war – die rote Kleidung ist ein unverkennbares Merkmal. Ich nehme noch ein paar Schritte auf den weiten Platz, da quakt es aus der Ferne verdrossen.

Als ich den Kopf drehe, erkenne ich ein riesiges turmartiges Gebäude – ein Glockenturm? – am Ende der Straße und auf einem hohen Absatz daneben die zwei Gestalten, die mir vorhin schon über den Weg gelaufen sind.

Der gutmütige Hund hält eine Hand über den Augen gebogen, als hielte er Ausschau. Dabei sagt er irgendwas zu seinem Gefährten. Dieser gibt nur ein genervtes Quaken zurück und marschiert schnurstracks in die Tür neben den beiden. Der andere folgt ihm auf Schritt und Tritt. Was geht hier nur vor sich?

Nach kurzer Überlegung entschließe ich mich, die Umgebung etwas genauer unter die Lupe zu nehmen und dafür ist es wohl ratsam, einen höher gelegenen Platz aufzusuchen. Aber kaum, dass ich die Erhöhung der Passage erklommen habe, geht die Tür des Hotels auf und erschlägt mich um haaresbreite.

„Oh, Verzeihung!“, ruft der rot gekleidete Junge und rennt direkt an mir vorbei. Ich weiß nicht, was sich mein Körper davon verspricht, als er abdreht und ihm folgt.

„Äh, suchst du etwas?“, frage ich, da sein Blick in alle Richtungen rauscht, während er zielstrebig und doch unsicher das Tor zum Stadtteil anvisiert, in dem ich eben noch war. Kurz davor bleibt er stehen und sieht zu mir auf. Ich kann deutlich erkennen, dass er Angst hat, aber diese Empfindung ringt mit Wut und ergibt etwas, das ich noch nie bei jemandem gesehen habe – außer bei Roxas.

„Ich suche zwei Freunde. Wir wurden getrennt und… jetzt kann ich sie nicht mehr finden!“ Mit den letzten Worten stößt er aufgebracht das Tor auf und stapft weiter. Ich verspüre das unsinnige Bedürfnis, die Tür zu schließen und versuche dann schnell wieder mit ihm Schritt zu halten.

„Vier Augen sehen mehr als zwei. Vielleicht kann ich dir helfen.“ Im nächsten Moment hat er sich wieder rumgedreht.

„Das würdest du tun?“

„Klar“, lächele ich. Irgendwie kommt man nicht drum herum, den Jungen gern zu haben. „Sag mir einfach, wonach ich Ausschau halten muss.“ Er grübelt nicht lange, sondern streckt den Arm neben sich hoch, sodass ein guter Kopf mehr an Größe verdeutlicht wird.

„Der eine ist so groß und hat silberne Haare. Außerdem ist er wahnsinnig stark!“ Aus irgendeinem Grund muss ich bei seinem bewundernden Tonfall schmunzeln. Als würde er von einem großen Bruder sprechen. „Und die andere ist ein bisschen kleiner als ich und hat rote Haare.“ Mehr sagt er nicht dazu, aber er wird ein wenig rot und das spricht für sich.

„Die beiden stehen dir sehr nahe, hm?“ Er nickt traurig.

„Sie sind meine besten Freunde. Und ich will nicht, dass ihnen irgendwas zustößt.“

„Kann ich verstehen.“ Nachdenklich lasse ich den Blick über die Erhöhungen rund um den Platz schweifen.

„Wie heißt du eigentlich?“ Er fragt es so beiläufig, dass ich vorerst gar nicht verstehe, was er meint. Oder es mir immer noch zu befremdlich ist, dass er mich vergessen hat.

„Demon“, flüstere ich und hoffe fast, er hätte mich nicht gehört. Hat er aber und er reagiert ähnlich wie Roxas mit einem verblüfften Blick. Aber mehr nicht. Keine Spur von Misstrauen oder gar Furcht. Schon strahlt er wieder.

„Ich bin Sora! Freut mich, Demon.“

„Sora“, lasse ich meine Lippen formen, ohne dass er es hört. Dieser Name… kann das denn…?

„Oh nein!“, stößt er plötzlich hervor und reißt mich aus den Gedanken. Knapp vor dem Springbrunnen sind ein paar dieser Herzlosen mit dem Emblem erschienen. Sie hadern nicht lange und kommen auf uns zugepoltert.

„Lasst mich doch mal für zwei Sekunden in Frieden!“, wirft Sora ihnen wütend entgegen, läuft auf sie zu und dann ertönt mitten in das Klappern der Herzlosen hinein ein Geräusch, das ich schon einmal gehört zu haben glaube.

Klar, rein, mächtig…

Und wie beim ersten Mal lodert Schmerz in meinem Nacken auf. Mein Kopf wird zum Scherbenhaufen, explodiert förmlich und um Schlimmeres zu vermeiden, drehe ich mich schnellstmöglich um und stürme zurück durch das Tor. Ich bin noch geistesgegenwärtig genug, die Flügel hinter mir zu schließen, laufe dann aber direkt weiter, weil die schrecklichen Stiche weiterhin niederfahren. Erst als hinter meiner ausgestrechten Hand etwas nachgibt und ich sozusagen hindurchstolpere, verraucht der Schmerz allmählich.

„Donnerwetter!“, ruft jemand neben mir erschrocken aus, zeitgleich mit einem ebenso überrumpelten „Quak!“ Ich zwänge die Augen auf und blinzele leicht benommen auf den Hund und die Ente vom Anfang. Mir ist glatt nach einem Lächeln zumute.

„Hallo“, sage ich schlicht. Mir ist selbst klar, wie eigenartig ich ihnen gerade vorkommen muss. Der Enterich verschränkt die Arme vorm Körper und mustert mich mit gekraustem Schnabel.

„Oh, hallo!“, erwidert der Hund, im Gegensatz, sehr höflich. Ich muss mir kurz wieder in Erinnerung rufen, dass sie mich nicht erkennen.

„Wir können hier nicht noch länger rumtrödeln!“, brummelt die Ente dazwischen und watschelt an mir vorbei. Ich dachte, der Hund würde ihm folgen, aber bleibt wo er ist und bedenkt mich mit Grüblermiene.

„Kannst du uns sagen, wo wir einen Mann namens Leon finden?“

„Goofy!“ Verwirrt schaue ich vom einen zum anderen.

„Aber Donald, vielleicht kann sie uns weiterhelfen. Fragen kostet doch nichts.“

„Ich kenne tatsächlich jemanden mit Namen Leon“, beeile ich mich zu sagen. Der Enterich scheint verdattert, während sein Gefährte zufrieden lächelt.

„Leider weiß ich nicht, wo er hingegangen ist…“, gebe ich kleinlaut zu. Beide stoßen enttäuscht die Luft aus. „Aber ich erkenne ihn sicher wieder, wenn ich ihn sehe. Darf ich euch suchen helfen?“ Ich kann den skeptischen Blick des Enterichs praktisch erahnen, konzentriere mich aber auf den Hund, welcher von mir zu ihm und wieder zurück sieht.

„Warum nicht?“, sagt er freundlich. „Ich bin übrigens Goofy.“

„De…mon.“

„Donald“, schließt die Ente sich knapp an. Kein Wort, nicht mal ein Blick von beiden zu meinem Namen – erstaunlich. Mindestens Donald hätte ich es zugetraut.

„Aber jetzt lass uns nicht noch mehr Zeit verplempern!“, zischt er und zieht die Tür auf, durch die ich eben noch gefallen bin. Goofy legt mir eine Hand auf die Schulter und schiebt mich kurzerhand hinterher. Wir waren im Hotel, wie ich jetzt erkennen kann.

Während die beiden Richtung Tor – ja, genau das, wo ich schon mehrmals durchspaziert bin – gehen, sehe ich aus dem Augenwinkel etwas Rotes in einiger Entfernung. Es ist Sora, der in diesem Moment hinter einer Tür, über der „Villa mit Kniff“ steht, verschwindet. Goofy und Donald ist das entgangen, aber ihn suchen sie ja auch nicht, weshalb ich schweige und ihnen weiter folge.

Manchmal passiert es eben, dass jeder an jedem vorbeiläuft.



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Kommentare zu dieser Fanfic (13)
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Von:  Xaris
2011-09-25T00:12:05+00:00 25.09.2011 02:12
Hoi <3

Sodele, mal schauen, was in diesem Kapitel passiert. X3
Ich hab Donald auch nie verstanden! Gut, dass man im Game mitlesen konnte. xDD
Hm, erinnert mich an Traverse Town, als Donald und Goofy Sora ...äh, verpasst haben. xD
:OOO Demon! Lass dich gefälligst von Hunden abschlecken! O.O XD
Hä?! Hab ich was verpasst? p.p xD Jetzt dämmert es mir erst...o.o Du lässt Roxas und Luxord vorkommen, danach aber erst Terra? Und jetzt Sora? xD Hast du zu viel mit den Zeiten gespielt?! p.p xD Oder ist das wegen ihrer Welt? Da hast du ja i-was wegen Zeit steht still oder so erwähnt, man, warum check ich das erst jetzt. >o< Und ich steh hier verwirrt herum. xD
Das Kapitel fand ich super! <3 Was hattest du denn dagegen?! O.O Pöses Rainy! *Nuss nachwerf* <3 XD
Von:  Xaris
2011-09-25T00:00:45+00:00 25.09.2011 02:00
Wunderschöne gute Nacht, werte Dame X3 *weiterles* xD

Was will denn Destiny von ihr? O.O
Hm, wer ist denn da aufn Bild? >.> Fiiiies, will das jetzt wissen *auf Boden werf und Aua schreit* Ehem...ich warte doch lieber, vielleicht erfahre ichs ja bereits in den nächsten Sätzen. ^-^
WAS?! Sie ist Axel begengnet? Noiiiin, die Chance, dass Demon also auf ihn trifft ist dann eher gering, oder? Oder?! XD
Ich glaub, ich sitz hier gerade auf heißen Kohlen. p.q XD
Hm, was will denn nun Way? will Destiny die beiden verkuppeln? Hmmmm, ne, der Xarisverkupplungsalarm reagiert da nicht. xD
Ach ja, ich erinnere mich, die habn sich ja gezankt. xD
Die haben in deiner Story i-wie alle Strähnen. O.O XD Aber ich mag die Kombi von schwarz und rot. <3333
Oh, okey...Rückblendenzeit. XD Void isn Arsch. p.q Der nervt sie sogar in Träumen!
Mal gucken, was im nächsten Kapitel passiert! <3
Von:  Xaris
2011-09-24T23:43:34+00:00 25.09.2011 01:43
Halloooohooo <3!

*Grummel* Mag wissen, was sie ist. Q_Q
Den Jungen mag ich jetzt schon....*_* XD Erst isa nett und dann beleidigt er ihre Klamotten. <3 Ist das ein männlicher Xarisklon? *o* XD
...>.> Das wird doch nicht etwa ihre zukünftige Romanze sein? Raaaaainyyyy?! X'D Ich riech das doch! O.O xDDD
(Kam der eig schon vor? @@ Waren in den letzten Kapitel so viele neue Chars, da blick ich nicht mehr 100ig durch xD)
O.O Sie erinnert mich in ihrer Demonenform an ne behaarte Gargoyle. XD
...Hat sie etwa den Jungen undn paar weitere Leute getötet? X.x Die Dämonin ist doof. x.x
Ein Portal aus Licht? Die erblinden doch dann alle O.O xD scherz >D
Ach *klicken hört*, die ist ja noch in der Welt von Aschenputtel? Ich dachte i-wie, die sei da schon längst wieder weg...maaan, mein scheiß Gedächnis T.T XD
Was wollte sie nun von Terra? O.O Ihn angaffen? XD Hm, Xaris würde da vielleicht auch jemanden durch ne ganze Welt nachrennen...hey, keine schlecht Idee! X'D Aber nicht Xiggy, der ist zu alt. >D XD
:O Wehe, wenn nicht "bis dann"! *mit Fingern knacks und sich nebenbei zum nächsten Kapitel schleicht* xD
Von:  Xaris
2011-08-28T02:28:56+00:00 28.08.2011 04:28
:D

Ach herrje, sie tut mir richtig leid. :<
Das Terra dabei war fand ich auch toll. <3
Bin unfassbar müde und habs einfach nur gelesen, ohne nebenbei ein Review zu schreiben. >.<
Der Flashback war ganz interessant und die drei OCs von dir waren i-wie toll <3 aber dennoch mag ich Way und Void mehr, da ist mehr Action, hihi >D
Was ich mich Frage, Romantik?...Was hast du vor?! xD
Arg, will wissen wies weitergeht! *snüff* XD
Von:  Xaris
2011-08-28T02:16:38+00:00 28.08.2011 04:16
<3

OMG! Schon der Text am Anfang ist toll, mach schnell Lust auf mehr! :)
Hihi, bin schon zu müde um alles zu kapieren xDD
Way tut mir i-wie Leid q.q hoffentlich wird das wieder alles!
Hast du wie immer super hingekriegt, gibt nix zu mekern. :)
Von:  Xaris
2011-08-28T02:05:22+00:00 28.08.2011 04:05
Hallu <3

O.O Oha, so viele neue Informationen! <3
Ich mag Marluxias Jemand sehr, so könnte ich mir das Original vorgestellt haben! *_*
Das mit der Sense fand ich gut und das mit Marluxias Zitat weiß ich leider nicht mehr. xD
Das Kapitel war sehr gut, ich finde es war wesentlich spannender, wie du Gefühle beschreiben kannst und auch alles Allgemein, aber super! >o<
Von:  -Marlin-
2011-08-25T14:21:10+00:00 25.08.2011 16:21
Hihihi das ist ja ein schönes geburtstagsgeschenk gewesen^^

das kapi war echt gut und ich liebe ja terra>.< und auch wenn der auftritt nur kurz war war er aber sehr gelungen^^

ich freu mich schon auf noch mehr KH Charas ;)
Von:  -Marlin-
2011-08-19T17:55:40+00:00 19.08.2011 19:55
Hallo erstmal^^

also ich ab die story gerad gefunden und find sie total genial!
ich freu mich riesig drauf wies weiter geht und auf noch mehr KH charas :)

Lg Aveleen
Von:  Xaris
2011-08-18T01:40:30+00:00 18.08.2011 03:40
Demon ist eher Heldenhaft, mein Chara würde sich verkrümmeln, oder eher aus Neugierde einmal hingucken, hihi. XD
Hui, bringst du nun auch Welten ein, die nicht in KH vorkommen? :D Wollte diese Welt auch hernehmen, aber nja, ist nicht so mein Lieblingsdisneyfilm. XD
Das Kapitel war wirklich toll, auch dachte ich, dass es sich dabei um Marluxias Jemand handelt. Ich meine, dass es ein OC war, war klar (rosa Haare) und dann dachte ich mir, wer könnte es sein und war mir dann sicher, es zu wissen. >D
Haha, stimmt, ich habe auch keine Lust auf solche Verharmlosungen, deshalb richten die Herzlosen bei mir auch Wunden an. ><
Ich finds toll, dass du das Original nicht auseinandernimmst. :D
Deine Story war wirklich sehr gut, hat mir gefallen und ich werd auch weiterhin mitlesen. <3
Von:  Xaris
2011-08-18T00:37:53+00:00 18.08.2011 02:37
Ne Neue? Hui, man erfährt immer mehr von ihnen^^
Haha, Way ist mein Lieblingschara deiner Story, er ist so richtig aufgedreht und lustig. XD
Die Namen finde ich sher interessant, sind das vielleicht mehr als nur gewöhnliche Namen...?^^
Ich finde, du bekommst die Charakter sehr gut hin, die sind alle wie die Originale! *_* Vor allem bei der Grinsekatze hätte ich massive Schwierigkeiten gehabt, du hattest damit allerdings keine. xD
Luxord ist auch toll <3 Er ist nach Axel und Xigbar mein Lieblingschara. X3
O_O??? Was hat sie denn angestellt? xD Nja, ich finde deine Story logischer als meine, da du nicht in KH 'eindringst', sondern sie vergessen lässt. Super Idee und ich finde deine Story immer interessanter! :)


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