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Der scharlachrote Engel

von

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Der namenlose Engel

Am Anfang schuf Gott die Welt. Es war kein Gott wie ihn sich die Welt vorstellt. Kein allgegenwärtiger Allmächtiger, kein alter Mann mit weißem Bart, kein helles Licht, nur eine Existenz, die über der Welt schwebte und augenlos auf diese herunter blickte. Und doch war es diese Existenz aus der die Wurzeln wuchsen, Wurzeln die zu Bäumen wurden, die sich verflüssigten und Flüsse und Meere wurden und schließlich zu Wesen, einfach und doch unendlich komplex.
 

Unter ihnen erblickte Gott ein Wesen das er Mensch nannte. Er schien nicht besonders, er war nicht sonderlich stark, nur unwesentlich intelligenter als viele andere Wesen, nicht sonderlich auffällig, wie er inmitten der Wälder und Felder vor sich hin lebte. Aber etwas in diesem Wesen sprach Gott an und er entschied sich diesem Wesen eine Besonderheit zu geben. Er hab ihm den freien Willen.
 

Doch dieses Geschenk erweckte Chaos in der Welt. Der Mensch hatte plötzlich etwas, was das Gleichgewicht in seine Richtung stürzte. Und aus dem Chaos warden Wesen, die nach dem Willen des Menschen trachteten. Sie folgen ihm in die Welt und versuchten seinen freien Willen zu korrumpieren. Deshalb schuf Gott die Engel. Es waren Geschöpfe die dem Menschen ähnlich sahen um ihn nicht zu erschrecken. Sie waren für seine Augen unsichtbar, aber er konnte tief in sich manchmal ihre Anwesenheit erfüllen. Sie beobachteten die Menschen, nahmen an ihrer Freude teil und an ihrem Leid und schützten sie vor dem Einfluss des Chaos. An ihrer Spitze standen die 5 Erzengel: Michael, Rafael, Gabriel, Uriel...und ein weiterer Engel ohne Namen.
 

Weder Gott noch das Chaos konnten sich in der Welt zeigen, denn die definitive Präsenz eines solchen Wesen hätte die Grundprinzipien des freien Willens vollkommen zerstört. In einer Welt der Entwicklung und des Glaubens hatten Definitive keinen Platz. Und so wuchs die Welt der Menschen wild und bunt, voller Massen und doch aus Individuen und Ideen bestehend. So vergingen Äonen. Die Engel, an der Seite der Menschen liebten diese. Es war eine reine, unvergleichliche Liebe – doch stand sie der ebenso unvergleichlichen Gier des Chaos gegenüber und diese beiden Gefühle begannen sich in den Herzen der Menschen zu spiegeln. Neid, Hass, Verachtung, Lügen, Krieg...etwas in der Welt änderte sich. Sie wurde grauer, grausamer, trauriger.
 

Leid breitete sich unter der jungen Rasse aus und es zu sehen brach das Herz der Engel. Aber sie durften nicht eingreifen und so litten sie an der Seite ihrer Schützlinge. Aber der fünfte Erzengel, der Namenlose konnte dies nicht hinnehmen. Erfüllt vom Grauen und der Verzweiflung die er sah, wandte er sich an Gott. Er bat die Existenz etwas zu tun, flehte die Pein der Menschen die er so sehr liebte zu beenden, flehte das Chaos, das in ihren Herzen wuchs zu zerstören. Doch die Existenz glaubte an den freien Willen der Menschen und weigerte sich, ihn zu opfern, denn sie fürchtete den Menschen damit auch jede positive Emotion zu nehmen und sie damit zu einer farblosen, gesichtslosen Welt zu verdammen. Der Engel argumentierte, dass es ohne ihr Eingreifen auch ohnehin so werden würde. Beide stritten sich für viele Jahrzehnte und schließlich forderte der Engel, am Ende seiner Kräfte, die Existenz heraus:
 

Eine Wette sollte das Schicksal der Welt entscheiden. Unter der Welt, in den tiefsten Kreisen der „Hölle“, der Welt des Chaos, ward ein Meer, ausgetrocknet und aus verbranntem Staub. Dieses Meer, das „Meer der Seelen“ sollte der Trichter sein für die verdorbensten, verlorensten aller menschlichen Herzen. Alle, die dem Chaos verfallen waren, sollten nach ihrem Tod gerichtet werden und ein Tropfen in dem Meer werden. Inmitten des Meeres erhebt sich ein Leuchtturm, an dessen Spitze eine einfache Schwertklinge, das Schwert eines Erzengels steckt. In sie eingraviert sind zwei Worte: „Neuerschaffer Weltenende“. An dem Tag, an dem die verdorbenen Wellen des Meeres die Klinge umschließen, darf der namenlose Engel sie herausziehen und damit die Welt beenden, sie neu erschaffen ohne Leid, ohne Hass und Chaos, aber auch ohne den freien Willen der Menschen. Bis dahin soll er über das Meer wachen, seine Flügel gebrochen, sein Gewandt befleckt von den korrupten Herzen der von ihm gerichteten Menschen. Blutrot soll er existieren als der Richter über die Welt – Dante, der scharlachrote Engel.

Fragmentum Unum - Ruina

Seine Hände zitterten, sein Blick huschte nervös zwischen dem rauchenden Lauf und der zusammengebrochenen Gestalt. Zierlich und hilflos, im Sterben sah ihr Körper noch verletzlicher aus als zuvor. Er seufzte. Keine Reue, nein, es hatte sein müssen, er hatte sie retten müssen bevor es sie verdirbt. Bevor sie sie verderben konnten mit ihren falschen Versprechen von Liebe und Zuneigung, nein sie war ein Lamm, das er vor den Wölfen gerettet hatte, erlöst von der Enttäuschung und Sehnsucht die sie am Ende erwartet hätte. Ihr blondes Haar wehte leicht im Durchzug. Die Kugel hatte wohl ein Fenster getroffen und die Scherben glitzerten nun im Licht der Straßenlaternen wie tausende Sterne. Sie begrüßen sie, dachte er bei sich und lächelte, die Engel empfangen heute eine der ihren.
 

Er richtete sich auf und humpelte zu ihr rüber. Sie hatte sich gewehrt, geschrien und ihn weggestoßen, ihm gesagt er solle aufhören. Er seufzte. Hätte sie doch bloß begriffen, dass er ihre Rettung war, dass der Schmerz nur kurz war. Ihre Hände waren nun über ihrer Brust gefaltet, friedlich auf dem blauen Kleid. Als schliefe sie nach ihre Gebet, seine Lippen zitterten, die Farbe der Unschuld, wie passend für die heimkehrende Jungfrau.
 

Sein billiger, grauer Anzug färbte sich rot an der Stelle, die er aufgerissen hatte, als er ihr die Treppen nachgestürzt war, fix trat er beiseite, geschockt von der Vorstellung er könne sie beschmutzen. Er legte die schere Pistole auf den Küchentresen, der sich neben ihm erhob und stützte sich schwer daneben. Sein Blick verschwamm, sein Körper gepeinigt von der Hetzjagd und dem Adrenalin, sein Kopf gefangen zwischen Trauer und Euphorie. Die Scherben blitzten nun in einem regelmäßigen blau, in den pfeifenden Wind mischten sich Schreie...und dann Schritte. Seine Häscher waren gekommen. Sie würden es nicht verstehen, würden das Licht nicht sehen können, nicht das friedliche Bild, nur die Verzweiflung. Er ging vor ihr auf die Knie.
 

Vergib mir Vater, denn ich habe gesündigt. Die Schritte beschleunigten. Ich habe gegen deine Gebote verstoßen, gegen das wichtigste vielleicht. Eine Frauenstimme redete aufgeregt auf jemanden ein. Die Antwort nur ein kurzer Bariton, eine knappe Anweisung. Aber ich tat es für sie, nur für sie. Ihr Licht darf nicht anfallen den wilden Wölfen, die nach ihrem Fleisch gieren. Die Tür im Flur wurde aufgestoßen, die Lichtkegel zweier Taschenlampen brachen durch das Halbdunkel und suchten, suchten nach ihm. Für sie werde ich mich in deine Gnade begeben, denn ob ich schon wandert im finsteren Tal, fürchte ich nicht. Seine Hand fand die Pistole. Mit schwankenden Schritten näherte er sich den Lichtern, die Waffe zum Schuss erhoben. Das Licht soll mich führen auf deine ewigen Weiden und an ihrer Seite werde ich über sie wachen. Amen. Der zweite Schuss in dieser Nacht peitschte, zerriss den weinenden Wind.
 

Er hatte wohl für einen Moment das Bewusstsein verloren. Er kniete, doch konnte er sich nicht erinnern niedergekniet zu haben. Das vertraute Gewicht der Waffe war nur noch ein nachhallendes Phantom auf seiner leeren Hand. Er blinzelte. Die Gestalt vor ihm hatte sich immer noch nicht geregt. Wer? Er stutzte und sah zu dem großen Schatten auf, den er bis eben nicht bemerkt hatte, obgleich er ihre Präsenz nun, wo er ihrer gewahr wurde, geradezu schmerzhaft spürte. Er wollte seine Stimme erheben, doch kein Laut kam hervor. Rauschen. Wind? Nein. Zu gleich, zu monoton und leise. Es klang wie…nein, das war unmöglich. Er sah sich um. Dunkelheit. Hier und da glänzten Scherben - also bin ich noch da, schoss es ihm durch den Kopf. Die Gestalt schüttelte den Kopf. Nein? Aber wo bin ich- Wie? Die Gestalt hatte ihm geantwortet. Aber er hatte...doch gar nichts gesagt?
 

Langsam gewöhnten sich seine Augen an das spärliche Licht und die Schatten wurden klarer. Er erstarrte. Flügel, die Gestalt vor ihm hatte Flügel! Der Allvater hatte ihm vergeben! So musste es sein! Er hatte ihn geführt durch das Dunkel um ihn und das Lamm an seiner Seite zu empfangen! Die Gestalt trat einen Schritt vor uns das Blut wich aus dem Gesicht des Mannes. Ketten. Mächtige, schwere, zerrende Ketten, die die sanften Federn der Schwingen durchdrangen und furchtbare Wunden rissen. Das Gefieder war prächtig und schlug ihm mit einer Würde entgegen, wie es nur das tragende Kleid dieser Wesen konnte, doch vielerorts waren die Flügel kahl und leer und diese vereinsamten Flecke rissen allein durch ihren Anblick schmerzende Trauer im Innern des Mannes, als würde er spüren, was dort verloren war, was für ein furchtbarer Preis diese Federn sein mussten. Der Engel war scharlachrot. Erst dachte er, dass dies von den Wunden an den Flügeln kommen musste, doch dann erkannte er, dass diese nicht zu bluten schienen, im Gegenteil, das Federkleid schien noch mit das hellste am Körper dieses verzerrten Engels zu sein. Seine Kleidung war röter als die letzten Sekunden der Sonne am Horizont, ein weiter Mantel, wohl einst reich verziert und leuchtend hell, war befleckt von Blut. Die Kapuze des Mantels hatte der Engel tief ins Gesicht gezogen und nur ein sanftes Glühen deutete dessen Gesichtszüge darunter an.
 

Warum?

Die Frage brannte. Alles um ihn brannte. Tränen liefen seine Wangen entlang, er wollte auf die Kreatur vor ihm zustürmen, ihn umarmen, die Verderbnis von ihm wischen. Er war wie er, ein Gefallener, beschmutzt durch die Welt dort draußen, durch die Schatten und gespaltenen Zungen. Der Engel machte noch einen Schritt auf ihn zu. Klirren erfüllte die Luft, ein Zittern wie von tausenden kleinen Glocken, die wie wild im Sturm zurrten. Und dann zerbrach die Dunkelheit. Es war nicht nur ein Wort, nein, wörtlich brachen große und kleine Scherben von…etwas…ab und wurden von einem nicht spürbaren Wind davongetragen. Der „Himmel“ regnete scheinbar auf ihn herab und für einen Moment war die Luft voll von den Scherben und von dem sengenden Klang der Glocken. Dann war es wieder Still. Rauschen. Ja, es war eindeutig Meeresrauschen, er konnte es diesmal nicht verleugnen. Langsam öffnete er die Augen, den Kopf im Nacken, und seine Sinne tasteten nach einer Erklärung. Wolken. Tiefe, weiße Wolken, aber sie sahen nicht friedlich aus, nicht wie der Himmel den er kannte. Sie schienen statisch zu sein, falsch, wie Nebel der so tat als wäre er mehr als das. Und hinter ihnen…hilf mir o Herr….hinter ihnen sah man die messerscharfen Kanten mächtiger Felsen. Der steinerne Himmel schien zu glühen und die….Höhle?...jaja, die Höhle in Licht zu tauchen. Sein Blick wanderte runter. Er und der Engel standen auf einem gigantischen Meer. Wieder stutzte er, während die Bedeutung dieser Worte langsam in seinen Verstand sank. Sie standen der spiegelnden Wasseroberfläche eines in jede Richtung unendlich weiten Gewässers. Er spürte etwas hinter sich. Etwas Lauerndes. Etwas Wartendes. Etwas, was ihn beobachtete, ihn und den Engel. Dann hob der Engel die Hand und streckte sie ihm entgegen.
 

Der Mann lächelte. Er war so dumm. Für einen Moment war er sich wirklich sicher gewesen, all das sei sein Weg ins Jenseits, auf die andere Seite, auf die ewige Weite der Weisheit seines Schöpfers. Der Engel war geradezu einladend, seine Hand freundlich entgegengestreckt über dem knienden, Busse tuenden Sünder. Ein Bild wie es in der Bibel hätte sein können, nur ein Schritt durch das Fegefeuer, durch das Tor vorbei an der bindenden Masse des Steins und der Engel würde ihn führen wie Virgil einst Dante geführt hatte ins Paradies. War es nicht bezeichnend, so eine Reise am Meer zu beginnen, am größten aller Taufbecken des Herren? Der Blick des Engels war nicht tadelnd. Es war kein Vorwurf in den Augen. Kein Hass. Keine Furcht. Vielleicht…Mitleid? Es war dieser entsetzlich traurige Blick, die Endgültigkeit in dem roten und dem blauen Auge seines Gegenübers, das dem Man bestätigte, was ein Teil von ihm wohl schon gewusst hatte. Die Hand des Engels war keine Einladung. Dieses war nicht das Paradies und auch nicht das Fegefeuer. Und der Engel war nicht gekommen um ihn zu erlösen.
 

Die Glocken ertönten wieder, diesmal wilder und herrschender. Jetzt erkannte er, dass es wohl etwas hinter ihm sein musste, was das Geräusch verursachte. Jenes hinter ihm. Die Fluten unter ihm begannen ein pulsierendes, scharlachrotes Leuchten abzugeben. Wasser floss, formte Zeichen und Narben auf seiner Haut, bedeckte ihn nach und nach…und er sank. Nur ein wenig. Langsam. Als wäre die Zeit selbst stehen geblieben. Aber es ist unausweichlich, nicht wahr?

Angst befiel ihn, er hörte Geflüster. Sie warteten auf ihn, er war ein Fremder, doch zugleich war hier sein Platz. Dies war vorherbestimmt. Dies war entschieden worden, bevor er das Licht der Welt erblickt hatte. Oder hatte er es entschieden? War es seine Entscheidung, die ihn hierher geführt hat. Der Blick des Engels schien für einen Augenblick die Fassung zu verlieren. Beides.

Die Stimmen wurden lauter, es waren erst hunderte, dann tausende und schließlich Millionen. Wie kleine, nasse Hände, griffen die Flüsterer nach ihm, nach seinem Verstand, nach seinem Selbst. Er war einer von ihnen, und schon bald würde er nicht mehr er sein sondern sie. Mein Name ist Legion, denn unser sind viele. Sein letzter Gedanke, ehe er sich selbst verlor. Der Sünder hatte seine Bestimmung erfüllt. Das Wasser war wieder ruhig, das Pulsieren verschwunden und die Glocken verstummt. Übrig blieb der Engel, der traurig auf die Stelle blickte, an der der Mann verschwunden war. Nur ein Tropfen. Ein einzelner Tropfen in einem scheinbar unendlichen Meer. Und doch war es ein Tropfen, der die Welt näher an ihr Ende führte. Dante zog die Kapuze tiefer ins Gesicht. War dieser Mann wirklich ein Monster gewesen? Er hatte fürchterliches getan, die unaussprechbare Sünde, das Vergehen gegen Ihr Wort. Aber war es einst nicht sie selbst, die diese Sünde geschaffen hatte? Waren es nicht Ihre Worte, die den Sünder hierher geführt hatten?

 
 


 

Der Wind weinte durch die finstere, Lichtlose Nacht. Der Polizist atmete leise auf und fluchte sogleich. Seine Hände zitterten, sein Blick huschte nervös zwischen dem rauchenden Lauf und der zusammengebrochenen Gestalt. Er seufzte. Keine Reue, nein, es hatte sein müssen. Die Leiche des Mannes, den er gerade erschossen hatte ruhte leblos auf dem Küchenflur. Hinter ihm war die tote Gestalt eines jungen Mädchens zu sehen, das er wohl getötet hatte. Sie waren zu spät. Dennoch, es war, als könne er auf den Lippen des jungen Opfers ein sanftes Lächeln erhaschen. Ihre Pein war geendet. Für einen Moment war er sich sicher, sie würde nun an einem besseren Ort sein. Zwischen den funkelnden Sternen am Himmel, heraufgeleitet von einem Engel.



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Kommentare zu dieser Fanfic (1)

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Von:  Chaostori
2011-05-26T17:11:45+00:00 26.05.2011 19:11
Als du mir die Geschichte zeigtest weiß ich noch was ich damals gedacht habe. Die armen Engel...
Wir heben eine ähnliche Ansicht und du schreibst tiefwinnig wie ich es mag.
Die Geschichte gefällt mir sehr. Ich mag sowas. Vorallem die Engel in dieser Story tuen mir leid....


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