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Blauer Himmel

von

Vorwort zu diesem Kapitel:
So, hier die überarbeitete und gesplittete Fassung des ersten Kapitels :)
Bei mir auf der Festplatte ist es schon seit einer ganzen Weile der Länge aller späteren Kapitel angepasst (die so 2k-4k Wörter haben) und ich fand es sinnvoll das hier zu übernehmen wenn ich eh schon über das Bearbeitungs-Quota komme nur indem ich die inhaltlich verbesserte Form einfüge :x Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Und hier ist auch schon die zweite Hälfte des ehemaligen ersten Kapitels, ebenfalls überarbeitet und mit zusätzlichen Infos geschmückt ;)
Have fun! Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Zeit für einen Szenenwechsel ;)
Wir schauen mal bei Ryo und Taro vorbei, den beiden netten Auftragsmördern von nebenan. Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Urgh...das hier ist das letzte Kapitel bevor ich endlich meine beiden main pairings zusammenführen darf und es war ein Krampf zu schreiben....ich bin immer noch unzufrieden damit, aber angesichts der Tatsache dass mir schlichtweg die Zeit fehlt es noch weiter zu überarbeiten als bisher muss es jetzt eben so gehen! ÒwÓ
Ich hoffe ihr habt trotzdem Spaß beim Lesen. Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Omg....es tut mir SO leid x.X
Die ganze Umzugssache und Uni und Co. hat sich viel länger gezogen als erwartet und ich bin kaum zum Schreiben, geschweigedenn Hochladen gekommen.
Dafür gibt es diesmal zwei Kapitel auf einmal! (auch wenn sie etwas kürzer sind als die normalen 3k-4k Wörter, aber ich wollte keine 6k am Stück on stellen xD)
Have fun! ^-^ Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Urgh...sorry ;_;
Das Kapitel hängt schon ewig auf meiner Festplatte, aber ich hatte keinen Zugriff auf meinen PC weil ich nur mit meinem Netbook verreist war und ich kann ja irgendwie schlecht Kapitel 11 und 12 hochladen (die ich dabei hatte) ohne Kapitel 10 vorher hochgeladen zu haben :x Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Hier nochmal der letzte Satz des letzten Kapitels, da ohne ihn der Kapitelanfang hier keinen Sinn macht:
Eine Mischung aus Verwirrung und Verzweiflung stieg in ihm auf. Was hieß das denn jetzt für ihn? Er war doch nicht schwul...oder? Komplett anzeigen

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Telefonterror

Akio's Fuß wippte im Takt der Musik in seinen Ohren.

Er lag auf dem Rücken und hätte den Blick wohl auf den strahlendblauen Himmel gerichtet der sich unendlich über ihm zu weiten schien, wenn ihn dann die Sonne nicht so geblendet hätte.

Der Wetterbericht hatte am Morgen etwas von 20°C berichtet, nicht dass Akio absichtlich zugehört hatte, aber ihm erschien es gerade viel heißer und seinen Unmut darüber, dass sein Ruheplatz so unangenehm heiß wurde, musste er an irgendjemandem auslassen.

Leise ächzend richtete er sich auf um der flimmernden Hitze zu entkommen.

Zuerst sah er gar nichts, das Licht blendete zu sehr.

Wie spät war es eigentlich?

Akio blinzelte durch das blendende Licht zur Uhr an seinem Handy.

12:30 Uhr.

Da war doch was..um die Zeit sollte er wohl an der Uni sein.

Leise seufzend richtete Akio sich auf.

Wenn er schon einmal dabei war seine Ruhe zu unterbrechen konnte er auch gleich dort vorbeigehen, schaden konnte es nicht.

Er nahm die Kopfhörer von den Ohren und schaute sich um.

Nichts mit endloser blauer Weite über ihm.

Wenige Meter weiter wurde das Blau bereits das erste Mal durch ein riesenhaftes Gebäude gestört, wenige Meter weiter schon wieder.

Akio seufzte. "Aah~, und ich dachte, ich hätte endlich das höchste Gebäude gefunden.“

Er ging auf den Treppenausgang des Wolkenkratzers zu, auf dessen Dach er gelegen hatte.

Mit einem kleinen Schmollmund machte er sich auf den Weg nach unten. Die 14 entgangenen Anrufe, die er beim Blick auf die Uhr eigentlich hätte sehen müssen, ignorierte er.
 

Miu setzte den Hörer wieder ab, noch bevor sie die Nummer zum 15. Mal wählte. Die Enttäuschung stand ihr deutlich ins Gesicht geschrieben.

"Dein Bruder wird sein Handy wohl ausgeschaltet haben, wenn er in der Vorlesung sitzt."

Die freundliche Stimme drang von hinten an Miu's Ohr.

Sie drehte sich halb um, so gut das im Sitzen eben möglich war.

Das Gesicht der Frau hinter ihr trug ein freundliches Lächeln.

Miu seufzte leise.

"Du hast wie immer recht, Nancy. Ich sollte ihn vermutlich überhaupt nicht so bedrängen. Aber ich freue mich nun mal so!"

Miu erhob sich und drehte sich fröhlich durch das Zimmer, sodass der weite Rock ihres Kleides um sie herumwirbelte.

Sie legte die Fingerspitzen aneinander, ein zartes kindliches Lächeln legte sich auf das engelsgleiche Gesicht.

"Er hat mir gar nichts davon gesagt, dass er nach Japan kommt! Weißt du wie lange ich ihn nicht gesehen habe?"

Nancy, Miu's Kindermädchen, überlegte wann sie das große Herrenhaus verlassen hatten, in dem die Geschwister aufgewachsen waren.

"Es müsste bald zwei Jahre her sein.."

Sie wollte Miu's Freude nicht zerstören, aber sie bezweifelte, dass der junge Master genauso empfand wie ihre kleine Lady.

Immerhin hatte er sich volle zwei Jahre nicht bei ihnen gemeldet und auch jetzt nicht erzählt, dass er gerade in der gleichen Stadt wie seine kleine Schwester war.
 

Miu kam überhaupt nicht auf so traurige Gedanken.

Seit sie von ihrem Vater erfahren hatte, dass dieser Akio nach Tokyo geschickt hatte, schwebte sie auf Wolke Sieben.

Sie strich zärtlich über die filigranen Möbel im Zimmer als könne sie nicht ruhig bleiben, ihre Finger verweilten letztendlich an der Vitrine mit dem edlen Geschirr. Gedankenverloren zupfte sie die Falten einer Puppe mit weißem Porzellangesicht zurecht, die darauf saß.

"Er wird mich doch besuchen kommen, nicht wahr? Er wird nicht zu beschäftigt sein um mich zu sehen, oder?" fragte sie leise.

Hecktisch trippelte sie zu dem altmodischen Telefon zurück.

"Ich muss Vater anrufen und ihm sagen, dass er Akio-nii-chan nicht so viel aufbürden soll!"

Nancy seufzte. Auch Miu's Vater war nicht gerade für seine Menschlichkeit und Nähe zu seiner Tochter bekannt.

Er war es schließlich gewesen, der Miu vor zwei Jahren nach Japan geschickt, sie also sozusagen abgeschoben hatte.

Trotzdem hielt sie ihre kleine Lady nicht davon ab zu tun was auch immer diese für richtig hielt.
 

"Sato-san, das hier sollten sie sich einmal ansehen.."

Ein Mann in einer gelben Dienstboten-Uniform hielt dem Mann hinter dem massiven Holztisch einen Bericht entgegen, der sicher knapp 100 Seiten stark war.

"Was ist das?" fragte Renjiro knapp, sein Blick war auf weitere Papiere gerichtet, die seinen Schreibtisch bedeckten.

Eigentlich war er gerade damit beschäftigt, die Abrechnungen seiner Geschäfte durchzugehen. Jede Bar und jeder Club hatte zwar einen eigenen Manager, aber um die Hinterziehung von Geld und sonstige Dummheiten zu vermeiden, blieb Renjiro nichts weiter übrig, als vieles selbst noch einmal durchzusehen.

Er hatte also definitiv genug zu tun.

Missmutig starrte er den Mann in der Postdienst-Uniform an.
 

"Bei Gott, woher soll ich das denn wissen? Ich bin doch nur ein armer Lieferant.." brach es plötzlich aus diesem heraus.

Dabei hielt er allerdings so intensiven Blickkontakt, dass klar war dass seine jammernde Stimme eine ganz andere Bedeutung hatte als Angst vor diesem unfreundlichen Kunden.

Renjiro zuckte nicht einmal mit der Augenbraue als er den Stapel Papiere in Empfang nahm.

In ihm aber brodelte es.

Natürlich.

Wie hatte er auch so blöd sein können?

Es gab doch nur einen, der es wagte, ihn bei seiner Arbeit zu unterbrechen.

Bei Gott - Gott - Kami.

Kaminari.

Also wieder ein Auftrag.

Kaum hatte der unauffällige Mann, der den Bericht gebracht hatte, das Büro verlassen, schob Renjiro mit einem leichten, kaum hörbaren Seufzen die Abrechnungen beiseite und vertiefte sich in den Bericht, aus dem er nun die essentiellen Informationen herauslesen sollte - natürlich stand kein Wort vom eigentlichen Auftrag unverschlüsselt da.

"Suzuki Beratung und Service K.K. - Mitarbeitergesundheit" lautete der reizvolle Titel auf dem Deckblatt.

Renjiro blätterte auf die letzte Seite um zu sehen wie viel er noch vor sich hatte.

96 Seiten.

Na wunderbar, das konnte ja noch ein langer Tag werden.
 

Akio streckte sich zufrieden.

Hach, hatte er gut geschlafen.

Hätte er den unbequemen Stühlen der Universität gar nicht zugetraut!

Die Sonne war ein deutliches Stück gewandert seit er sie das letzte Mal gesehen hatte. Wie spät war es jetzt wohl?

Wobei das eigentlich egal war, er hatte sich ja extra einen Job gesucht, der erst spätabends begann, damit er den Tag über ungestört anderen Dingen nachgehen konnte.

Heute fragte er sich allerdings ob das wirklich so eine gute Idee gewesen war. Er hatte nichts zu tun, und weil er immer erst in den frühen Morgenstunden mit seiner Schicht fertig wurde, war er den ganzen Tag über sowieso so müde, dass er nicht wirklich etwas unternehmen konnte.

Einen kurzen Moment fragte er sich wo bei ihm nur die berüchtigte japanische Disziplin geblieben war, die er doch eigentlich mit der Muttermilch hätte aufsaugen müssen und die seine Kommilitonen alle offensichtlich besaßen - und durch regelmäßige Anwesenheit und volle Konzentration tagtäglich bewiesen.

Und wäre er ein normaler Student, wäre auch Akio gezwungen die Regeln strikt einzuhalten.

Gott sei Dank war er das nicht; und er hatte absolut keine Skrupel seine etwas...spezielle Situation zu seinem Vorteil auszunutzen.
 

An der großen Freitreppe vor der Universität blieb er stehen.

Akio genoss die Sonnenstrahlen, die seine geschlossenen Augenlider streichelten und streckte sich ein weiteres Mal.

Der Schlag, der ihn plötzlich und völlig unvorbereitet in den Rücken traf, hätte ihn fast kopfüber die Stufen, vor denen er stand, hinabstürzen lassen.
 

"Oi, oi! Du solltest besser aufpassen wo du dich hinstellst!"

Hiroshi klopfte Akio kräftig auf die Schulter und haute ihn damit fast schon wieder um.

"Hiro.."

In Akio's Tonfall war irgendetwas, das Hiroshi aufblicken ließ.

"Ich habe es dir SO oft gesagt..ICH HABE DIR SO OFT GESAGT DASS DU MICH VERDAMMT NOCH MAL NICHT SO ERSCHRECKEN SOLLST!!"

Ein unschuldig-überraschter Gesichtsausdruck legte sich auf das Gesicht des scharzhaarigen jungen Mannes, der Akio um Längen überragte.

"Oh sorry, dachte du hättest mich geseh'n."

Er grinste.

"Wir seh'n uns ja dann nacher bei der Probe. Bis dann!"

Er wollte Akio erneut auf die Schulter klopfen, stoppte aber mitten in der Bewegung, als er Akio's Gesichtsausdruck sah, und beließ es bei einem Winken.
 

Akio seufzte und schüttelte den Kopf.

Hiroshi's Band "Night Love Dragon" war einer der Gründe dafür, dass Akio sich einen Job gesucht hatte, bei dem er die Nachmittage frei hatte.

Zwar konnte Akio kein einziges Instrument spielen, aber seine Stimme war, den anderen Mitgliedern der Gruppe zufolge, mehr als nur passabel, und so war er in den wenigen Wochen die er nun in Japan weilte bereits ein fester Bestandteil der Band geworden, deren Namen sich aus den unterschiedlichen Namensideen der bisherigen drei Mitglieder zusammensetzte.

Und obwohl Hiroshi ihm manchmal ziemlich auf die Nerven ging, freute sich Akio bisher jedes Mal auf die gemeinsamen Proben, wie auch jetzt wieder.

Schnell packte er seine Tasche, die er zwischen seinen Füßen abgestellt hatte und hängte sie sich über die Schulter, um dann wenige Minuten nach Hiroshi in genau dieselbe Richtung zu laufen.
 

"Du solltest jetzt deinen Mittagsschlaf halten, Miu-chan." meinte Nancy während sie ihrem Schützling über das himmlisch weiche Haar strich.

Miu zog einen kleinen Schmollmund.

"Ich bin aber gar nicht müde. Ich will auf Akio-nii-chan warten. Papa hat gesagt er redet ihm ins Gewissen dass er mich besuchen soll, also kommt Akio-nii-chan ganz bestimmt!"

Miu saß unter einem riesigen Sonnenschirm, der ihre zarte Haut vor der Sonne schützen sollte, auf der Terrasse des Hauses das gleichzeitig ihr Paradies und ihr Gefängnis war. Jeder Wunsch wurde ihr hier erfüllt, aber das Haus verlassen durfte sie nicht.

Miu's wenige Erinnerungen an 'die Welt da draußen' beschränkten sich auf den Weg vom Flughafen zu diesem Haus, als sie vor 2 Jahren in Japan angekommen war.

Nancy überlegte kurz.

"Ich mache dir einen Vorschlag: Ich reiche dir jetzt den Tee und solange darfst du noch auf den jungen Master warten. Wenn er danach noch nicht da ist, legst du dich ein wenig hin. Na, wie klingt das?"

Miu hatte noch nie viele Widerworte gegeben, so auch jetzt:

"In Ordnung, Nancy." erklärte sie.

Und wieder erhellte ein Lächeln ihr Gesicht.
 

Als Nancy sich zurückgezogen hatte um den Tee vorzubereiten, sah Miu seufzend und ein wenig sehnsüchtig zu den hohen dunkelgrünen Eibenbüschen die den großen Garten umsäumten, auf den die Terrasse hinausging.

Sie hatte Angst vor der Welt da draußen, keine Sekunde lang hatte sie je überlegt einmal davonzulaufen.

Aber gleichzeitig wünschte sie sich auch, einfach wie Nancy jederzeit das Haus verlassen zu können und zu ihrem Bruder zu laufen, der sie in seinen Armen auffangen und durch die Luft wirbeln würde.
 

Akio spielte mit dem Mikro in seiner Hand herum während er wartete, dass alles so weit aufgebaut war dass sie anfangen konnten.

Die alte verlassene Fabrikhalle, die sie als Proberaum benutzten, war ziemlich heruntergekommen; sie lag in einem Viertel in dem sich hauptsächlich Bars und Nachtclubs befanden - am hellen Mittag störte sich hier keiner am Krach, den die junge Band verursachte.

Ihre einzige Sorge bestand darin, dass eines Tages jemand auf die Idee kommen würde das Grundstück aufzukaufen, die Halle abzureißen und stattdessen irgendetwas hinzubauen, womit sich Geld verdienen ließ.

Doch wenigstens im Moment schien der Besitzer nichts dergleichen zu planen.
 

Das Mikro wurde Akio aus der Hand gezogen.

"Hör auf, du machst es noch kaputt. Mach dich lieber mal nützlich und hilf beim Aufbau!"

Hiroshi steckte sich das Mikro in die Hosentasche, legte den Arm um Akio's Schulter und dirigierte ihn zu den anderen.

Akio grummelte zwar, beschwerte sich aber nicht.

War das fair? Akio's Meinung nach sollte sich jedes Bandmitglied um die Sachen kümmern die es selbst brauchte.

Pech also, wenn man ein Schlagzeug aufzubauen hatte, Glück für den Sänger, der nur ein Mikro brauchte - also ihn!
 

Akio war froh, als die Vorbereitungen endlich abgeschlossen waren. Sein Handy zeigte ihm schon 17:05 Uhr an, blieb also nicht mehr viel Zeit bis um 20 Uhr seine Schicht anfing. Und er hatte ja eigentlich vor gehabt zwischendrin noch irgendwo Etwas zu essen; bevorzugt in dem kleinen Imbiss nahe seiner Wohnung.

"Können wir jetzt endlich anfangen? Ich muss in zwei Stunden wieder los", erklärte er den anderen.

Kenji, ihr Bassist, lachte laut auf und warf sein langes rotes Haar zurück.

"Es ist immer wieder unglaublich wie ichbezogen du bist! Aber ja, ich finde auch wir sollten endlich anfangen...!"

Er trat die Kippe aus, die er bis zu diesem Moment noch in der Hand gehalten hatte, und warf einen auffordernden Blick zu Hiro.
 

Als die ersten Akkorde von Hiroshi's Gitarre erklangen, hatte Akio plötzlich das Gefühl ein völlig anderer Mensch zu sein. Der Rhythmus packte seinen Körper, eine wilde Freude erwachte in ihm und riss ihn mit, und er versank völlig in der rockigen, rebellischen Melodie.

Dann begann er zu singen:
 

“It's a new day, but it all feels old

It's a good life, that's what I'm told

But everything, it all just feels the same
 

Go to college, a university

Get a real job, that's what they said to me

But I could never live the way they want
 

Do you really wanna be like them

Do you really wanna be another trend

Do you wanna be part of their drill

'Cause I don't ever wanna be just like you“
 

Am Ende des Lieds brauchten alle vier einen kurzen Moment um sich wieder zu beruhigen.

Der Erste der sich 'erholt' hatte war Kentaro, ihr Drummer.

Ein wenig verlegen schob er seine Brille hoch, die ihm im Eifer des Gefechts fast von der Nase gerutscht war, und erklärte:

"...und genau deshalb lohnt es sich deine egoistische Ader zu ertragen, Akio-kun!"

Akio setzte sich rittlings auf einen Verstärker und entgegnete gespielt beleidigt:

"Ich werde also nur auf meine Stimme reduziert? Ich bin auch ein Mensch mit Gefühlen und so.."

Er schniefte theatralisch und wischte sich mit der Hand, in der er nicht das Mikro hielt, über die trockenen Augen.

Hiro warf ihn lachend mit einem sanften Fußtritt vom Verstärker.

"Und das ist auch gut so! Ist nämlich echt toll wie du die Emotionen die 'n Lied ausdrücken soll halt so...ausdrücken kannst." bekam Akio ein Lob von ihm zu hören.

Die anderen beiden nickten. Ein Grinsen zierte Akio's Gesicht als er wieder aufstand.

"Weiter, bevor es peinlich wird?"
 

Sie spielten noch ein paar weitere Lieder, bei denen Akio immer mehr in seiner Rolle aufging.

Hiroshi klatschte schließlich in die Hände.

"Okay Jungs, das war's eigentlich für heut', Akio muss bald los, und ich auch. Ein letzter Song noch für heute..wie wärs mal mit 'ner Ballade? Was Einheimisches?"

Es gab keine Einwände, und während Kentaro schon begann seine Drums wieder sorgfältig in ihre Behälter zu verpacken, die sie wie die anderen Instrumente bei dem freundlichen Betreiber einer nahegelegenen Bar lagern konnten, tauschte Hiroshi seine E-Gitarre gegen eine Acoustic-Gitarre aus und schlug die ersten, sanften Töne an.

Akio's Stimme setzte kurz darauf ebenfalls ein, sie war kräftiger und rauer als man bei seinem eher schmächtigen Anblick erwarten mochte:
 

“Since when did our hands start drifting apart?

Even the words we speak are lost.

I look at your side when we walk together,

I just don't make it obvious..
 

The meaning of those tears flowing down your cheeks

- this stupid me still doesn't understand.

To your back that is walking away

I only whisper »I'm sorry«.
 

In the puzzle-like future we have assembled,

the piece we have lost, I wonder-“
 

Hiroshi unterbrach sein Gitarrenspiel an dieser Stelle.

Verwirrt blickte Akio ihn an, aus dem Moment gerissen.

"Akio..? Alles okay mit dir?" fragte Hiro ihn leicht verunsichert.

Akio runzelte die Stirn und meinte: "Klar, was soll schon sein? Warum hast du aufgehört zu spielen?"

Sein langjähriger Kindheitsfreund schüttelte leicht den Kopf.

"Dir ist klar wovon das Lied handelt?"

Akio verstand nicht worauf Hiro hinauswollte.

"Ja natürlich ist mir das klar! Herrgott, so schwer verständlich ist der Text nun auch wieder nicht..?"

Kentaro und Kenji unterbrachen ihre Aufräumtätigkeit um zuzuhören wass Hiro und Akio zu bereden hatten.

"Wenn du verstehst worum's geht ist ja alles in Ordnung. Lass es uns einfach nochmal probieren, okay?" meinte Hiro beschwichtigend.
 

Beim zweiten Versuch unterbrach er Akio noch früher.

"Also so geht das nicht...sag mal Akio, warst du schon mal so richtig verliebt?"

Akio zuckte mit den Schultern.

"Klar, ich hatte schon ein paar Freundinnen und so, das weißt du doch-"

Hiro unterbrach ihn erneut:

"Das mein' ich nicht. Ich mein' ob du schon mal so richtig verliebt warst, so, dass du die Person nie wieder hergeben wolltest. Dass du für sie alles aufgegeben hättest und das Gefühl hättest zu sterben, würd' sie dich verlassen?"

Akio wollte lachen, doch dieses Lachen erstarb ihm in der Kehle als er die ernsten Gesichter der anderen sah.

"Hey, das ist nicht euer Ernst, oder? Ihr seid nicht älter als ich..ihr wollt mir doch wohl nicht erzählen, dass ich euch schon Gedanken um sowas macht?"

Auch Hiro packte jetzt zusammen, die anderen beiden waren bereits fertig.

Während er ein Kabel aufrollte, erklärte er:

"Ich nicht, und auch Kenji nicht. Aber Kentaro schreibt die Texte in Night Love Dragon. Entweder du kannst umsetzen was er dir vorlegt oder die Leute sind enttäuscht von dir. Es liegt an dir, Akio."
 

Miu legte das Buch, in dem sie bis eben gelesen hatte, aus der Hand. Dann sagte sie plötzlich:

"Ich habe mich entschieden."

Nancy schaute von den Pflanzen am Fenster auf, die sie gerade gegossen hatte und drehte den Kopf zu Miu um.

Was hatte sich ihr Schützling denn nun schon wieder in den Kopf gesetzt?

"Ich werde Akio-nii-chan noch einmal anrufen. Ich fürchte ihn zu stören, aber ich würde ihn wirklich so gerne sehen.."

Sie erhob sich und ging auf Nancy zu.

Als sie diese erreicht hatte legte sie ihren Kopf leicht auf Nancy's Schulter und blickte an ihr vorbei zum Fenster hinaus.

"Glaubst du, es ist in Ordnung, so egoistisch zu sein?"

Nancy hob die Hand und strich äußerst sanft über das weiche helle Haar.

Egoistisch? Miu war alles andere als egoistisch; nie äußerte sie einen Wunsch von sich aus an ihren Vater, nie versuchte sie das Haus zu verlassen.

Das Einzige das sie je verlangt hatte, war dass sie ihren Bruder sehen durfte - das war nun wirklich kein zu großer Wunsch! Aber so funktionierte der hübsche Kopf ihres kleinen Schützlings nicht, also konnte sie so auch nicht antworten.

"Ich glaube der junge Master wird sich auch über diesen Anruf freuen, also ruf ihn ruhig an."

Miu's Augen leuchteten auf. Sie sagte kein weiteres Wort mehr.

Der lange Rock ihres Kleides wehte hinter ihr her, als sie geradezu aus dem Zimmer flog.

Nancy lächelte ihr hinterher. Für die kleine Lady wünschte sie sich, dass ihre Worte der Wahrheit entsprachen und Master Akio sie wirklich sehen wollte.
 

Miu hob den altmodischen Hörer von der Gabel.

Plötzlich wurde sie nervös. Das wäre der 15. Anruf an einem einzigen Tag! Sollte sie wirklich anrufen?

Würde ihr geliebter Bruder sie nicht für nervig halten?

Miu ließ den Hörer wieder ein wenig sinken.

Oder würde er sich freuen, von ihr zu hören?

Miu durchströmte ein Glücksgefühl beim Gedanken, vielleicht gleich seine Stimme zu hören.

Entschlossen wählte sie die Nummer, die Nancy vorsorglich neben dem Telefon angepinnt hatte und lauschte dann aufgeregt auf das Freizeichen.

Eigentlich war das Navi schuld

Akio war sich seiner Emotionen im Moment nicht ganz sicher.

Sie schwankten aber definitiv irgendwo zwischen Wut auf die anderen, Wut auf sich selbst, Verletztheit und irgendwo auch...Verwirrung.

Was war mit seinem Gesang denn nicht in Ordnung gewesen?

Die Enttäuschung der anderen war nach dem vorangegangenen Lob fast noch verletzender.

Außerdem war er wegen dieser blöden Ballade jetzt spät dran und musste sich beeilen um sich noch irgendwo etwas zu Essen zu besorgen, bevor er zur Arbeit musste.

In dem Moment klingelte sein Handy. Akio warf einen kurzen Blick darauf. Na toll, schon wieder dieser Verrückte, der es heute Mittag schon vierzehn Mal versucht hatte.

Akio war jetzt genau in der richtigen Stimmung diesem Stalker mal so richtig die Meinung zu sagen, aber das ging schlecht neben dem Laufen her, und um stehen zu bleiben fehlte ihm definitiv die Zeit.

Seine Wut über die nervigen Anrufe gewann jedoch die Oberhand in diesem inneren Konflikt - er blieb stehen und nahm den Anruf entgegen.
 

Als es so lange klingelte und immer noch niemand abnahm, wurde Miu wieder nervös. Doch gerade als sie den Hörer vom Ohr löste und ihn traurig wieder auf die Gabel legen wollte, hörte sie am anderen Ende ein Klicken - jemand hatte abgenommen!
 

Akio atmete tief durch. Dann legte er los:

„Okay, ich hab KEINE AHNUNG wer du bist oder was VERDAMMT NOCHMAL du von mir willst, aber mir reicht diese Scheiße jetzt!! Wenn du noch EINMAL anrufst werde ich EXTREM SAUER. Und glaub mir, das würde dir nicht gut tun..

WOHER zum Teufel hast du diese Nummer überhaupt!? Was WILLST DU DRECKSKERL eigentlich von mir?!"

Die Passanten drehten sich nach ihm um, sichtlich ungehalten über die Lautstärke und Wortwahl, mit der er in sein Handy sprach.

Akio kümmerte sich nicht darum, er hätte noch viel mehr zu sagen gehabt, wäre er nicht in diesem Moment von einer leisen, zitternden Stimme am anderen Ende unterbrochen worden.

"Aa...Akio-nii.."

Man hörte Miu's Tränen fast durch das Telefon hindurch.

Noch nie hatte jemand so mit ihr gesprochen!

Die Bedeutung vieler Worte hatte sie gar nicht verstanden, nur dass sie hart und unfreundlich ausgesprochen worden waren und sicher keine schöne Bedeutung hatten.

Akio stutzte.

Nur ein Mensch auf der ganzen Welt nannte ihn so.

Plötzlich wurde ihm alles klar. Die unbekannte Nummer, die unzähligen Anrufe, keine hinterlassenen Nachrichten.

Und natürlich das zerbrechliche Stimmchen am anderen Ende der Leitung. Das war ja SO typisch.

"Miu-chan? Bist du das?"

Miu erzitterte als sie ihren Namen hörte.

Diese Stimme kannte sie! Die freundliche, liebevolle Stimme ihres Bruders.

"Akio-nii!"

Jetzt flossen Miu erst recht die Tränen über das Gesicht, doch diesmal waren es Tränen der Freude, die sie nicht mehr zurückhalten konnte.
 

Akio seufte auf, leise genug, dass Miu es nicht hören konnte aber laut genug, dass es ihm ein erleichterndes Gefühl gab.

Er hatte noch keine 10 Sekunden mit ihr geredet und war jetzt schon genervt.

"Wie geht es dir, Schwesterchen?"

Ein glückliches Lächeln bildete sich auf dem tränennassen Gesicht.

"Gut. Sehr gut! Papa hat gesagt du bist in Tokyo!"

Akio war klar worauf Miu hinauswollte.

"Ja, da hat er recht."

Natürlich, Akio's Vater hatte ihn schließlich hierhergeschickt, also war er indirekt sogar an dieser Situation schuld. Zwar folgte Akio absolut nicht den Plänen die ihr Vater für ihn gehabt hatte, aber zumindest den Landeswechsel hatte er sich gefallen lassen.
 

Akio warf einen schnellen Blick auf die digitale Uhr am Handy. 19:13 Uhr.

Mist, es wurde echt knapp. Andererseits...wenn er es jetzt hinter sich brachte, hatte er wenigstens einen plausiblen Grund dafür, bald wieder zu gehen.

"Ich habe gerade ein wenig Zeit..soll ich dich besuchen kommen, Miu-chan?"

Miu konnte ihr Glück kaum fassen.

Ihr großer Bruder schien unbewusst sofort zu erahnen, was sie sich so innig wünschte! Das musste so etwas wie Telepathie sein! Vor Freude brachte sie zuerst keinen Ton heraus, dann war ihre Zustimmung durch ein leises "Mhm~" zu hören.

"Ich komme aber nur, wenn meine kleine Schwester mir etwas Leckeres zu essen macht," schränkte Akio sein Angebot sogleich ein.

Es blieb dabei - er musste Etwas essen bevor er zur Arbeit ging, und die Zeit reichte definitiv nicht mehr, um nach Hause zu seinem Lieblingsimbiss zu fahren. Er hoffte nur, dass Miu nicht allzuweit von dem Ort entfernt wohnte, an dem er sich gerade befand.
 

Miu sah sich hilfesuchend nach Nancy um.

Kochen? Das war ihr bisher immer verboten worden...

Aber sie wollte Akio sehen, ihn glücklich machen. Und wenn es nur mit so einer Kleinigkeit wie einer Mahlzeit war.

"Natürlich! Warte nur, ich mache bestimmt etwas ganz Leckeres!" Schon allein ihr Tonfall ließ erahnen, wie eifrig sie sich ans Werk machen würde.

Akio grinste, während Nancy die Gesichtszüge entglitten. Na also.

Seine Schwester war so leicht hinter's Licht zu führen...wobei das natürlich zu extrem ausgedrückt war. Ihr Verhalten schrie nur eben danach, wenigstens ein bisschen ausgenutzt zu werden, und im Gegensatz zu den Menschen die Miu sonst umgaben - die Dienerschaft - hatte Akio da keine größeren Skrupel. Was nicht hieß, dass er nicht fuchsteufelswild werden konnte, wenn andere dasselbe versuchten; er war schließlich trotzdem ihr großer Bruder und da gehörte es einfach dazu auf sie aufzupassen!
 

"Okay, wo muss ich hin? Nein warte, eine Wegbeschreibung wär besser, ich blick in dieser Stadt noch nicht durch. 'Ne Adresse sagt mir gar nichts." erklärte sich Akio.

Er sah sich nach Straßenschildern in seiner Nähe um.

"Hm..ich bin im Moment an der Kreuzung 91. Straße und Corridor 5."

Und wieder wanderte Miu's Blick zu Nancy.

Sie kannte sich in dieser Stadt nicht besser aus als ihr Bruder, durfte sie das Haus doch nicht verlassen! Von den Corridors hatte sie gehört, sie waren vor wenigen Jahren neu angelegte riesige Querstraßen, die sich durch ganz Tokyo zogen und zusammen mit den Highways das schnelle Vorankommen in der bis ins Unendliche gewachsenen Stadt garantieren sollten.

Ein Aufschrei war damals durch die Bevölkerung gegangen als zahlreiche geschichtsträchtige Gebäude den Corridors weichen mussten und die Kosten für dieses gewaltige Projekt bekannt wurden.

Aber wo sie lagen wusste Miu natürlich nicht.

Hilflos streckte sie Nancy den Hörer entgegen:

"Wie kommt man von der Kreuzung zwischen der 91. Straße und dem Corridor Five hierher?"
 

Akio wartete geduldig während des Schweigens seiner kleinen Schwester.

Eine leise Wut stieg in ihm auf - hielten sie Miu etwa immer noch im goldenen Käfig gefangen? Schon als er im Alter von sechs Jahren das erste Mal in das große Herrenhaus seines Vaters in Europa gekommen war, hatte die damals erst vier Jahre alte Miu keinen Kontakt zur Außenwelt gehabt, und daran hatte sich auch in den folgenden elf Jahren nichts geändert. Für ihren Vater war das Mädchen Kapital - nur unbeschadet war es viel wert.

Und auch dieses 'viel' war zweifelhaft; Akio wusste, dass Miu's Mutter keine Ehefrau gewesen war, was Miu erstens zu Akio's Halbschwester machte und zweitens die Möglichkeiten einschränkte, sie zu verheiraten - und etwas anderes hatte ihr gemeinsamer Vater definitiv nicht für Miu eingeplant, das hatte er in all den Jahren seit ihrer Geburt deutlich gezeigt.

Jegliches Interesse an Miu war spätestens in dem Moment verflogen, in dem er seinen rechtmäßigen Erben, also Akio, wieder in die Finger bekommen hatte.
 

Akio schüttelte die unangenehmen Erinnerungen ab, als er eine vertraute Stimme aus dem Handy vernahm.

"Hat dein Handy keinen Navigator installiert?"

Es war Nancy's Stimme, die sich in den vergangenen Jahren nicht verändert hatte. Nancy hatte sich fast sechs Jahre lang vergeblich daran versucht auch aus Akio einen so braven, harmlosen Menschen zu machen, wie Miu es geworden war, war dabei aber auf das Problem gestoßen es mit einem Kind zu tun zu haben, das elf Jahre lang Freiheit außerhalb des goldenen Käfigs kennen gelernt und genossen hatte, was die Bändigung durchaus nicht erleichterte.

Und es kam hinzu, dass-

Stop.

Noch mehr Erinnerungen die es beiseite zu schieben galt.
 

Navigator.

Oh.

Mist. Daran hatte er gar nicht gedacht.

"Äh..doch, klar. Sorry, hatte ich vergessen. Ich mach mich dann mal auf den Weg, bye."
 

Freudig streckte Miu Nancy die Hand entgegen um den Hörer zurückzunehmen, doch Nancy legte ihn direkt zurück auf die Gabel. "Dein Bruder hat schon aufgelegt, tut mir leid, kleine Lady."

Miu's Gesicht hatte nicht einmal die Zeit für einen Moment einen leicht traurigen Gesichtsausdruck anzunehmen, da begann sie schon wieder zu strahlen.

"Nancy, du musst mir unbedingt helfen etwas für Nii-chan zu kochen! Er hat nämlich ganz arg Hunger!", und sie lief in Richtung Küche.

Nancy schaute ihr entsetzt hinterher.

Was dachte sich der junge Master denn dabei?!

Was in aller Welt sollte passieren, wenn Miu sich beim Kochen schnitt, verbrannte oder sonst etwas passierte?!

Wie unverantwortlich konnte man eigentlich sein?

Schnell folgte sie Miu, um wenigstens das Schlimmste abzuwenden.
 

Erst nachdem er aufgelegt hatte bemerkte Akio, dass er keine Adresse hatte, die er in das Navigationsprogramm seines Handys eingeben konnte.

Bevor er noch mehr Zeit verschwendete um noch einmal zurückzurufen stellte er allerdings fest, dass Miu's Adresse vorsorglich von seinem Vater in dem kleinen Gerät eingespeichert worden war - hätte er sich ja denken können.

Der Navigator ließ eine kleine flirrende Karte in der Luft über dem Handy-Bildschirm erscheinen und eine freundliche Frauenstimme erklärte ihm, dass er eigentlich nur der 91. Straße bis zu ihrem Ende folgen müsste um dort dann nach rechts abzubiegen und bis zum Beginn der 94. Straße zu laufen. Geschätzte Zeit: 23 Minuten.

Währendessen zeigte ein leuchtender Pfeil auf der Karte ihm den Weg an.

Nun, das war zeitlich wohl gerade so noch zu schaffen.

Akio wollte den Navigator gerade aussschalten, als der Weg plötzlich rot zu leuchten begann und der Pfeil einen anderen Weg einschlug, den Corridor 5 entlang bis zum Einbiegen in die 94. Straße.

Die Frauenstimme sagte in ihrem perfekten, höflichen Ton:

"Wir raten von der genannten Route ab und empfehlen stattdessen den angezeigten Weg. Geschätzte Zeit: 47 Minuten."

Akio starrte das Handy an.

"Wieso?"

Okay, es war vielleicht dämlich mit einem Computer zu reden, aber so etwas war ihm auch noch nie passiert..

"Wir sind nicht befugt, darüber Auskunft zu geben.

Wir raten von der genannten Route ab. Bitte folgen Sie den Anweisungen."

Und wieder wurde der Weg über Corridor 5 erklärt.

Irritiert und auch leicht verärgert schaltete Akio das Navigator-Programm aus.

Wer wäre bitte so bescheuert und würde einen doppelt so langen Umweg machen, ohne einen sinnvollen Grund genannt zu bekommen?!

Akio stiefelte los, natürlich die 91. Straße entlang.
 

Schon wieder stiegen in den graublauen Augen Tränen auf.

Nancy reichte ihrem Schützling ein Taschentuch und schob sie sanft aber bestimmt beiseite. Sie hatte jetzt wirklich keine Zeit sich um das verletzte Selbstbewusstsein der kleinen Lady zu kümmern, wenn sie noch verhindern wollte, dass die Küche in Flammen aufging.

Wie konnte es jemand schaffen beim Versuch eine einfache Reispfanne zu kochen den Reis explodieren zu lassen, sodass er im ganzen Raum herumflog und nun klebrig wie er war Wände, Boden, Küchengerätschaften und sogar die Decke bedeckte? Nancy versuchte Schadensbegrenzung zu betreiben.

Miu weinte nicht, weil der heiße, umherfliegende Reis ihr Schmerzen bereitet hatte, sondern weil sie Angst hatte, dass nichts zu Essen fertig war, wenn Akio das Haus erreichte.

Ihr war klar dass sie Nancy im Weg herumging, aber sie konnte auch nicht einfach aufgeben.
 

Renjiro rieb sich die Schläfen um die leichten Kopfschmerzen zu vertreiben, die sich anzubahnen drohten.

Was genau bezweckte sein 'Arbeitgeber' mit dieser Aktion?

Renjiro war eine Persönlichkeit, auf welcher der öffentliche Fokus lag. Es war riskant ihn in illegale Aktionen zu verwickeln - für ihn UND für die Organisation!

Für schmutzige Geschäfte wie Entführungen und 'Hinrichtungen' gab es genug Mitglieder; Renjiro's Aufgaben lagen normalerweise in völlig anderen Bereichen.

Und doch - der entschlüsselte Auftrag lag vor ihm.

"Toudo University - XXXXXX Akio.

Caged Bird. ID=7035."
 

Hatte er sich geirrt?

Gab es noch einen tieferen, versteckteren Code als den, der ihm bekannt war?

Das konnte doch nicht alles sein?

Okay, ein gewisser Akio mit unbekannter Familienzugehörigkeit sollte eingefangen werden - dafür stand die Kombination der englischen Wörter.

Hinter der ID versteckte sich ein Bild des -vermutlich - jungen Mannes, das er sicher mit Hilfe seines Laptops fände, wenn er die ID an der richtigen Stelle eingeben würde.
 

Die Kopfschmerzen wurden schlimmer.

Was hatte ein solcher Auftrag bei ihm zu suchen?

Natürlich kannte er Personen, die den Jungen für ihn entführen würden, und er hatte genug Geld sich sogar die fügig zu machen, die solche Jobs eigentlich nicht annahmen.

Aber die Organisation verfügte nicht nur ebenfalls über die nötigen Beziehungen und Mittel - nein, sie hatte sogar Leute, die fest für solche Jobs angestellt waren.

Worin also lag der Sinn, einem Laien wie ihm eine solche Aufgabe anzuvertrauen?

Sollte das ein Test seiner Loyalität werden? Wollten SIE etwas Handfestes gegen ihn in der Hand haben, sollte er irgendwann Zweifel an ebendieser aufkommen lassen?
 

Renjiro prägte sich ein was auf dem Zettel stand um ihn und das ursprüngliche Dokument danach anzuzünden und die bröselige Asche in den Papierkorb fallen zu lassen. Nicht gerade die feine Art, aber effektiver als Aktenvernichter.
 

Danach erhob er sich, packte diverse kleine Nützlichkeiten in seine Aktentasche und verließ das Büro, natürlich nicht ohne vorher die Sicherheitsschlösser zu verschließen.

Eine Sekretärin gab es nicht.

Renjiro begab sich in die Tiefgarage des himmelhohen Gebäudes und suchte nach seinem Wagen, währendessen piepte er seinen Fahrer an, der sich irgendwo hier in der Nähe aufhalten musste.

Als Renjiro den schwarzen Audi A8 erreichte, stand sein Fahrer bereits neben dem Wagen bereit.

"Irgendwelche Probleme?" erkundigte Renjiro sich knapp.

"Nein, Sir. Alles wie sonst, Sir."

Er öffnete Renjiro die Tür zur Rückbank und wartete bis dieser Platz genommen hatte, bevor er die Tür schloss und sich zum Fahrersitz begab.

Renjiro lehnte sich leicht zurück.

Am besten er nahm diese problematische Aktion sofort in Angriff, je länger er es hinausschob desto mehr Gedanken würde er sich machen.
 

Akio war sich unterdessen nicht mehr ganz sicher ob es eine gute Idee gewesen war, die Anweisungen des Navigators zu ignorieren.

Die Legalität schien sich in diese Straße genauso gerne aufzuhalten wie eine Katze im Badewasser - nämlich gar nicht. Die Straße endete vor einem großen heruntergekommenen Gebäude, schmale Gassen führten zu beiden Seiten weiter. Akio blieb stehen.

Okay, noch konnte er umdrehen.

Aber wenn er nach der Zeitangabe des Navigators vorhin ging konnte er nicht mehr weit vom Ende des Viertels entfernt sein. Es wäre nur eine Zeitverschwendung zurückzugehen, eine, die er sich nicht leisten konnte.

Akio wog das Risiko sorgfältig ab, dann schritt er entschlossen in die rechte der beiden Gassen hinein.

Die Nervosität, die schleichend in ihm aufstieg, ignorierte er einfach.
 

„Ich bin fertig für heute. Fahren Sie mich nach Hause."

Renjiro genoss das sanfte Vibrieren des Wagens unter sich als dieser losfuhr. Er liebte es mit diesem Wagen auch selbst zu fahren, aber solange er einen Fahrer hatte konnte er die Zeit zum Arbeiten nutzen, das war effektiver.

Auch wenn er es manchmal bedauerte nicht selbst hinter dem Steuer zu sitzen.
 

Renjiro öffnete seine Aktentasche und holte seinen Laptop heraus. Es war ein gutes Modell - klein und praktisch passte es überall hinein, der integrierte Akku hatte eine lange Laufzeit und es fand fast überall eine Internetverbindung.

Er hatte nicht auf den Weg geachtet den sie nahmen bis ihm das Notebook fast aus der Hand rutschte als der Wagen plötzlich recht unsanft in die Kurve ging und Renjiro das Gleichgewicht verlieren ließ.

Renjiro funkelte seinen Fahrer im Rückspiegel an.

"Meinen Sie nicht auch ich sollte mir noch heute einen neuen Fahrer suchen?" fragte er provozierend.

Dieser erwiederte den Blick nicht, seine Augen waren auf die Straße gerichtet. Doch er antwortete:

"Ich habe auf diese Entscheidung keinen Einfluss, Sir. Aber bedenken Sie vorher bitte die Umstände dieser Fahrt. Wir sind im 91. Viertel."

Renjiro wandte den Kopf dem Seitenfenster zu.

Tatsächlich, diese heruntergekommene Gegend kannte er doch.

Es war das, was aus der 91. Straße geworden war, nachdem kein Ordnungshüter sich mehr hineintraute und die Anwohner begannen, den vielen freien Platz, den die Straße bedeutete, sinnvoll zu nutzen, indem er bebaut wurde.

Was übrig blieb war ein Gewirr von Gassen, das den sicheren Corridor 5 vom nobleren Viertel trennte, in dem Renjiro lebte.

"Und dürfte ich erfahren, was wir hier zu suchen haben?"

Renjiro vermied es normalerweise absichtlich, sich hier sehen zu lassen. Ein ehrbarer Geschäftsmann, der sich in einem solchen Viertel aufhielt? Gerüchte gab es schnell, und sie konnten sehr negative Folgen haben, selbst wenn seine Verbindung zur Organisation nicht aufflog.
 

Der Fahrer warf nun doch einen Blick in den Rückspiegel und fixierte Renjiro.

"Weil es die schnellste Route zu Ihrem Haus ist. Keine Sorge, ich verstehe etwas von meinem Beruf."

Renjiro brummte eine nicht verständliche Antwort, schien den Fahrer aber auch nicht abhalten zu wollen.
 

Akio war sich sicher, dass er verfolgt wurde.

Okay, vielleicht hatte er das auch selbst herausgefordert, was hatte er hier auch zu suchen? Vor ein paar Minuten hatte er das Navigator-Programm seines Handys noch einmal gestartet, in der Hoffnung, dann vielleicht besser den Weg hinaus zu finden. Die freundliche Frauenstimme von zuvor erklang sofort, noch bevor die Route berechnet worden war:

"Für das Gebiet in dem Sie sich befinden bietet unsere Gesellschaft keinen Support an. Bitte verlassen Sie das Gebiet sofort, empfiehlt die örtliche Polizei. Navigation - nicht möglich. Unsere Karten stimmen nicht mit der Bebauung überein. Für das Gebiet-"

Akio hatte das Handy zugeklappt und war einfach weitermarschiert. Na super, und wer war Schuld an der ganzen Misere? Dieses blöde Navi hatte ihn doch überhaupt erst auf die Idee gebracht, diesen Weg zu nehmen. Wenn es diesen Weg dann nicht mal anzeigen konnte, sollte es vielleicht Leute nicht so in Versuchung führen?
 

Plötzlich rammte ihn unsanft etwas von links, und Akio stieß einen kurzen erschrockenen Schrei aus. Er sah für einen Moment gar nichts mehr außer einem Busch weißer Haare direkt vor seiner Nase.

Wenige Augenblicke später machte er unsanft Begegnung mit dem Boden, und als wäre das noch nicht genug, fiel auch noch etwas Schweres auf ihn und drückte ihm die Luft aus den Lungen.

Akio keuchte vor Schmerz auf, als sich der Ellenbogen des Etwas in seinen Magen bohrte, als es versuchte aufzustehen.

Der Druck auf seinem Brustkorb verschwand, zwei Hände wurden je rechts und links neben seinem Kopf abgestützt.

Ein faszinierend blaues Augenpaar blickte zwischen schneeweißen Haarsträhnen auf ihn herunter.

Einen kurzen Moment starrten die beiden jungen Männer sich nur an, dann war plötzlich ein scharfen Pfiff von links zu hören, nicht all zu weit entfernt.

Der Mann mit den weißen Haaren sprang auf, etwas Gehetztes lag in seinen Bewegungen, und rannte Hals über Kopf davon.

Akio stützte sich auf seine Ellenbogen und richtete sich halb auf.

"Autsch..'Sorry' kann der wohl auch nicht sagen.." brummte er, während er aufstand und sich den Dreck von der Kleidung klopfte.

Na hoffentlich war er da nicht in irgendeine ganz unerfreuliche Nummer reingerutscht..

Er tastete nach seinem Geldbeutel, aber der war noch da.

Naja, sollte ihm der Kerl doch egal sein. Akio schaute sich um.

Okaaay..wo genau war er jetzt hergekommen? Und in welche Richtung ging es weiter?

Hier sah alles so gleich aus..!
 

"Es scheint wohl jemand auf Hasenjagd zu sein.." murmelte Renjiro, während er zum Seitenfenster hinausblickte.

Der Fahrer warf ihm über den Rückspiegel einen irritierten Blick zu. "Hasenjagd? Ich verstehe nicht..wir sind hier mitten in der Stadt!"

Renjiro ignorierte ihn einfach.

Er hatte davon gehört, dass jemand sehr Einflussreiches in diesem Viertel gerne Hasen jagte, bevorzugt Schneehasen. Niedliche kleine Jungen..äh Häschen durch die Gegend hetzte, nur um sie am Ende wieder einzufangen und dafür zu bestrafen, dass sie weggelaufen waren.

Renjiro konnte solcher Zeitverschwendung nichts abgewinnen. Wenn er zu viel Freizeit hatte, trank er eine Tasse Kaffee, oder schaute sich einen guten Film an.

Würde er in einer festen Beziehung leben, würde er diese Zeit vielleicht mit dieser Person verbringen.

Aber so etwas? Nie im Leben. Um Hasen musste man sich ja das ganze Jahr kümmern, nicht nur zur 'Jagdsaison' - ergo Zeit, die sich effizienter verbringen ließ.
 

Das Auto lenkte jetzt nur noch im Schrittempo durch die engen Straßen, und Renjiro hatte einen guten Ausblick auf die Szenen, die sich in den Schatten unter den weit vorragenden Hausdächern abspielten.

"Ihnen ist bewusst, dass Sie für den Schaden aufkommen, sollte diesem Wagen etwas passieren?" fragte er gefährlich freundlich seinen Fahrer.

Dieser ließ sich aber nicht aus der Ruhe bringen:

"Keiner wird es wagen uns anzurühren. Man wird Sie für irgendeinen mächtigen Yakuza-Boss halten und niemand wird sich trauen, uns anzuhalten."

Renjiro schnaubte.

Mächtig? In einem kleinen uninteressanten Viertel wie diesem mochte die Yakuza vielleicht noch einen gewissen Einfluss haben, insgesamt hatte die internationale Organisation Kaminari aber das geschafft was noch wenige Jahrzehnte zuvor niemand für möglich und nicht wenige auch nicht für wünschenswert gehalten hatten - die komplette Kontrolle über sämtliche größere kriminelle Organisationen der Welt zu übernehmen. Es gab sie alle durchaus noch, aber sie waren nichts weiter als Tanzpuppen in den Händen derer, die heutzutage die wirkliche Macht hatten.
 

Und eben jene Leute hatten ihm nun so einen unsinnigen Auftrag gegeben.

Renjiro öffnete das Notebook und schaltete es ein. Nun, es blieb ihm wohl nichts anderes übrig, als zu hoffen, dass sein Fahrer recht behielt und niemand sie behelligte. Die Zeit konnte er jedenfalls nutzen, indem er sich das Bild des zukünftigen gefangenen Vögelchens ansah.
 

Na gut, er gab es zu - er hatte sich ganz offensichtlich komplett verlaufen und irrte nun schon seit ein paar Minuten völlig ziellos in der Gegend umher. Als wenn das nicht schon Problem genug wäre, wurde auch noch das Gefühl verfolgt zu werden immer stärker.

Zwei unauffällige Männer waren ihm bisher immer wieder über den Weg gelaufen. Sie waren nicht gut genug gekleidet um nicht aus diesem Viertel zu kommen, aber auch nicht ganz so heruntergekommen, wie die Gestalten, die an Hauswände gelehnt dasaßen.

Diese beiden Männer schienen ihm nicht zufällig immer wieder über den Weg zu laufen - abgesehen davon, dass sie nicht den gleichen verirrten Ausdruck wie Akio hatten, waren ihre Blicke jedes Mal auf ihn fixiert, wenn er an ihnen vorbeikam.

Und langsam aber sicher machte ihn das doch ETWAS nervös.

Seine Schritte beschleunigten sich; die Folge war, dass die Männer ihm nun direkt folgten anstatt nur hin und wieder einmal aufzutauchen.

Sie schienen keine Schwierigkeiten damit zu haben, mit seinem Tempo mitzuhalten, ja sie holten sogar auf!

Vielleicht 80 Meter vor sich sah Akio helles Licht am Ende der Gasse, sie schien auf eine größere Straße hinauszuführen.

Erleichterung keimte in Akio auf.
 

Bevor er sie erreichte wurde er an der Schulter gepackt, herumgedreht und gegen die Wand des Gebäudes neben sich gerammt.

Ein schmerzerfülltes Keuchen entwich ihm als sein Rücken so unsanft Bekanntschaft mit der Wand machte.

"Fühlst dich wohl ziemlich sicher, kleines Häschen, was? Einfach so seelenruhig hier herumzulaufen.."

Es waren die Männer, die er zuvor bemerkt hatte.

Der Griff des Mannes an Akio's Schulter wurde fester und Akio wand sich leicht.

"Lassen Sie mich los. Ich habe keine Ahnung wovon Sie reden."

Derjenige, der ihn bis jetzt noch nicht festgehalten hatte, zog nun Handschellen aus der Tasche. Okay, das sah jetzt IRGENDWIE gar nicht gut aus..

"Ich finde es ja auch schade, dass wir uns nicht an euch vergreifen dürfen," sein Blick glitt neugierig über Akio's Körper, "aber der Boss will euch selbst bestrafen. Nur...wenn du Ärger machst, müssen wir uns nicht zurückhalten, weißt du."

Sofort hörte Akio auf zu zappeln. Sie sollten ihm das nicht als 'Ärger machen' auslegen können, denn er konnte sich vorstellen, dass diese zwei Idioten nur darauf warteten einen Grund zu finden, ihn auf irgendeine Art und Weise zu bestrafen.

"Wenn die beiden werten Herren mir vielleicht erklären könnten, was genau ihr 'Boss' für ein Problem mit mir hat..?" fragte er dann in höflichem Tonfall. Hoffentlich wurde das nicht als Ironie ausgelegt..?

Beide lachten laut, sie schienen sich keine Sorgen zu machen, dass jemand kam und sie von ihrer verbrecherischen Tätigkeit abhielt.

"Du bist ein guter Schauspieler, Kleiner! Aber jetzt ab zurück in den Käfig! Schneehasen sind schließlich etwas Besonderes, wir wollen doch nicht, dass sie ganz dreckig werden, wenn sie hier herumrennen.." erklärte der Kleinere der beiden mit einem Blick auf Akio's hellgraues Haar.

Er kam näher und wollte Akio die Handschellen anlegen.
 

Das ging definitiv zu weit.

Akio hatte wirklich keine Probleme machen wollen, aber bevor er als menschliches Versuchskaninchen bei irgendeinem verrückten Hasenliebhaber landete, legte er sich lieber mit diesen Kerlen an.

Er kratzte zusammen was in seinem Gedächtnis von den Selbstverteidigungskursen übrig geblieben war die sein Vater ihm vor ein paar Jahren angetan hatte und-

Akio's Körper wurde plötzlich ganz weich, er brach zusammen und rutschte dabei aus dem Griff des Mannes, der ihn festgehalten hatte.

Bevor Akio zu Boden fiel, spannten sich die Muskeln in seinen Beinen plötzlich wieder an und katapultierten ihn in die Höhe. Akio nutzte den Schwung, um dem Einen der Beiden den Kopf von unten gegen das Kinn zu rammen.

Er nutze den leicht schwankenden, mehr überrascht als ernsthaft verletzten Mann, um sich durch Abstützen mit der Hand auf ihm wieder selbst ins Gleichgewicht zu bringen und noch in dieser Drehung den rechten Fuß in die Luft fliegen zu lassen, wo er dann schnell unfreundliche Bekanntschaft mit dem zweiten Mann machte, der ebenfalls perplex über die augenscheinlich unerwartete Gegenwehr nicht schnell genug ausweichen konnte und mit einem schmerzerfüllten Krächzen auf die Knie fiel als Akio's Fuß seinen Hals traf.

Akio stieß sich von dem ersten Mann ab, der langsam wieder die Kontrolle über sich zurückgewann, verpasste ihm eine Tritt ins Kreuz der ihn das Gleichgewicht verlieren ließ, und wirbelte herum um sich ganz der Flucht zu widmen, schließlich wusste er nicht wie lange es dauern würde bis der andere seine Überraschung überwunden hatte.

Selbstverteidigungskurse hatten also doch ihren Wert, bemerkte er mit einem wilden Grinsen, während er auf das Licht am Ende der Gasse zustürmte.

Akio gab sich nicht der Illusion hin er hätte seine beiden Verfolger ernsthaft besiegen können, aber er hatte die Überraschung auf seiner Seite gehabt. Jetzt musste er es nur noch schaffen zu entkommen bevor sie ihm mit aller Kraft folgen konnten - dann würde er nämlich absolut keine Chance mehr haben, er war noch nie übermäßig an Sport interessiert gewesen weshalb weder seine Kondition noch seine Geschwindigkeit eine lang andauernde Flucht ermöglichen würden.

Das Licht war jedoch nicht weit entfernt, wenn er rannte konnte er es locker schaffen den Männern zu entkommen, vorausgesetzt das Licht war tatsächlich das Ende dieses schrecklichen zwielichtigen Viertels.
 

Leise summend rührte Miu in dem Topf herum.

Nancy hatte die Küche in Ordnung gebracht, ihren kleinen Schützling umgezogen und begonnen das Essen zu kochen.

Jetzt gab es für Miu nichts weiter zu tun als hin und wieder im Topf herumzurühren, sodass nichts anbrannte.

Miu's Laune war wieder auf dem Höhepunkt, die Tränen von zuvor vergessen.

Schon in wenigen Minuten würde Akio bei ihr sein!

Glückerfüllt summte sie noch etwas lauter vor sich hin.

Es kommt immer anders als man denkt

Schmerz war das Erste das er fühlte, dann begann sich eine blendend helle Welt wild um ihn herum zu drehen.

Den erneuten Schmerz, als sein Kopf auf den Boden aufschlug, spürte er schon fast nicht mehr. Vor seinen Augen wurde es dunkel. Bekam er überhaupt noch Luft? Er hatte das Gefühl, nicht mehr zu atmen. Was war das für ein Druck auf seinen Ohren? Als wäre er unter Wasser..

Stöhnend wälzte Akio sich auf den Rücken, schnappte nach Luft.

Müsste über ihm jetzt nicht der Himmel sein? Doch da war nur Schwärze.

Es war doch noch nicht Nacht gewesen, oder doch?

Immerhin, Luft strömte in seine Lungen, und Akio nahm nun auch wieder Geräusche um sich herum wahr, die durch den Nebel drangen der sich um seinen Verstand gelegt hatte.

Er hörte einen Motor laufen, ganz in der Nähe, und Schritte die sich ihm näherten.

"Scheiße! Lebt der noch?"

-"Ich weiß nicht, Sir. Doch, da! Ich glaube er hat sich gerade bewegt!"

Unnatürlich stark nahm Akio die Wärme eines Menschen wahr der sich nahe über ihn beugte, aber obwohl seine Augen weit geöffnet waren konnte er nichts erkennen als die tiefe Schwärze, die nun auch noch begann sich zu drehen. Ihm wurde schlecht.

"Das gibt eine ganz große Story wenn das herauskommt! Halten Sie das Überfahren kleiner Jungen für einen notwendigen Teil guter Fahrkünste?!" wütete die erste Stimme los.

Akio wollte protestieren: für wie alt hielten sie ihn denn?! Aber seine Lippen schienen sich zu weigern die wenigen Worte zu formen, die Akio ihnen aufzwingen wollte.

Ein leises Ächzen war alles was er herausbrachte, und mit ihm kehrte langsam das Gefühl in seine Glieder zurück die sofort Warnungen an sein geschädigtes Hirn sandten das diese nicht mehr verarbeiten konnte.
 

"Sir, ich höre Schritte aus der Gasse aus welcher der Junge gerannt kam. Sollen wir nicht lieber verschwinden?"

-"Ich hätte das große Bedürfnis Sie hierzulassen, aber dann würde vermutlich herauskommen, bei wem Sie angestellt waren! Also steigen Sie schon ein und bringen Sie uns hier heraus bevor uns noch jemand sieht - und nehmen Sie den Jungen mit!"

Die zweite Stimme war herrisch, und im Augenblick schien sie vor unterdrückter Wut fast zu zittern.

Ein stechender Schmerz drang endlich bis zu Akio's Hirn vor, als sein Körper bewegt wurde.

Er spürte, dass er unsanft auf eine weiche Unterlage geworfen wurde, dann begann die Erde zu vibrieren, was ihm noch mehr Schmerzen verursachte.

Und in diesem Moment entschied Akio sich entgültig, dass die wohltuende Dunkelheit eine wundervolle Alternative zur bösen Realität war.

Ob diese Typen ihn erwischt hatten, und was überhaupt passiert war, spielte zumindest im Moment keine Rolle mehr - Akio ließ sich fallen und versank in einer tiefen Bewusstlosigkeit.
 

Renjiro schnippte nervös ein Feuerzeug auf und zu um sich durch die Beschäftigung seiner Finger zu beruhigen, denn am liebsten würde er gerade entweder den Jungen neben sich oder seinen Fahrer erwürgen.

Er überlegte wie er den Jungen neben sich nach dem Aufwachen (falls er aufwachte) zum Schweigen über den Vorfall bewegen konnte - verschiedene Möglichkeiten wie Bestechung und Mord gingen Renjiro durch den Kopf, aber er verwarf sie alle wieder, da sie entweder das Schweigen des Jungen nicht garantierten oder die Gefahr bargen, schlimmerere Auswirkungen zu haben, falls sie an die Öffentlichkeit gelangten, als die Tatsache, dass er einen Jungen angefahren hatte, in einem Viertel, in dem er nicht sein sollte.

Die Wut auf seinen Fahrer stieg noch weiter, aber auch die auf sich selbst.

Warum hatte er überhaupt zugelassen dass sie durch dieses Viertel fuhren?!

Und vor allem - warum war er seinem ersten Impuls gefolgt und hatte den Wagen verlassen um nach dem Verletzten zu sehen?

Renjiro rieb sich gestresst über die Nasenwurzel und schloss die Augen.

Das war das eigentliche Problem.

Wäre er vernünftig im Wagen geblieben hätten sie einfach davonfahren können. Er war kein Heiliger; auch wenn er sich nie selbst die Hände schmutzig machte, war ihm durchaus bewusst dass seine "Spenden" an Kaminari nicht gerade für gute Zwecke eingesetzt wurden.

Und auch in seinem eigenen Geschäft war ihm durchaus bewusst dass er schon die eine oder andere Existenz zerstört hatte, die ihm entweder in die Quere gekommen war oder sich finanziell nicht mehr für ihn lohnte.

Gedankenverloren fuhr er mit dem Daumen der linken Hand die dünne Narbe nach die seine rechte Handfläche zierte.

Das war auch so eine Leichtsinnigkeit.

Er war nicht einmal auf die Idee gekommen dass die Gruppe Männer, die er damals gerade entlassen hatte, etwas anderes im Sinn haben könnte als ihm wütend etwas vorzujammern und später zähneknirschend zu verschwinden.

Seine Bedenkenlosigkeit hätte er um ein Haar mit durchtrennten Nerven bezahlt.

Wenn zu lange alles genau so lief wie er es wollte wurde er zu leicht nachlässig, das war Renjiro's größtes Problem.

Dann begann er gute Manieren zu zeigen, den Entlassenen die Hand zu schütteln oder einem angefahrenen Bettlerjungen zu Hilfe zu eilen.

Dass solch unüberlegte Taten meist einen ganzen Rattenschwanz an Problemen nach sich zogen war ihm durchaus bewusst, und es ärgerte ihn dass er damit die Kontrolle über die Situation in die Hände des Schicksals abgab.

Aber da es nun einmal bereits passiert war und der Junge sowohl ihn als auch seinen Fahrer angestarrt hatte blieb Renjiro nichts weiter übrig als Schadensbegrenzung zu betreiben.
 

Die Nacht brach inzwischen mit aller Gewalt herein, vor allem in den schmalen Straßen zwischen den hohen Gebäuden auf beiden Seiten wurde es fast schlagartig dunkel.

Renjiro musterte den Jungen im abnehmenden Licht, der inzwischen wieder ruhig atmete und keine Schmerzenslaute mehr von sich gab.

Er war wohl irgendwo zwischen 14 und 16 Jahre alt, so genau ließ sich das nicht sagen, vielleicht war er auch einfach nur schmächtig für sein Alter. Sein wuscheliges Haar, das ihm tief in die Stirn hing und die Augenpartie verdeckte, war hell, also war der Junge vermutlich kein Japaner.

Seine Kleidung war verschmutzt und an manchen Stellen leicht zerissen, aber das war nicht verwunderlich in dem Viertel, durch das sie gerade fuhren.

Renjiro schreckte aus seiner Betrachtung auf, als plötzlich ein leises Seufzen an sein Ohr drang und der Junge sich zu regen begann.
 

Es gibt gewisse Tage im Leben, an denen man später merkt, dass man morgens besser nicht aufgestanden wäre.

So ein Tag schien heute für Akio gekommen.

Während die Schmerzen in seinem Körper langsam zurückkehrten, kehrte auch Akio's Erinnerung an die Verfolgung und seinen Zusammenprall mit etwas sehr Hartem und Schmerzhaftem zurück.

Der Tag wäre so viel schöner gewesen, wenn er heute Mittag einfach auf diesem Dach in der Sonne liegen geblieben wäre..

Leider hatte er sich entschieden aufzustehen, und diese Situation jetzt war die Folge davon.

Nach mehreren vergeblichen Versuchen gelang Akio schließlich der Kraftakt, die Augenlider in die Höhe zu stemmen und einen Blick um sich zu werfen.

Seine Umgebung erkannte er schnell als ein fahrendes Auto, leicht zu erkennen an den Türen, Sitzen, und dem Vibrieren des Motors.

Ein Krankenwagen sah jedoch anders aus.

"Wo..bin ich?"

Akio erschrak über seine eigene Stimme, die zitterte und leise und unsicher war.
 

Renjiro überlegte fieberhaft. Es machte keinen Sinn den Jungen zu belügen, wenn er sich an alles erinnern konnte, und wie er ihn zum Schweigen bringen sollte, hatte er sich auch noch nicht überlegt. Also blieb ihm wohl nichts anderes übrig, als vorerst bei der Wahrheit zu bleiben..?

Renjiro gab sich Mühe, seine Stimme sanft und beruhigend klingen zu lassen.

"Du wurdest angefahren. Du bist aber nicht schlimm verletzt, und wir fahren dich jetzt nach Hause. Weißt du die Adresse noch?"
 

Nicht schlimm verletzt?

Akio's Körper erzählte ihm etwas anderes, und der Mann, den er aus seiner liegenden Position heraus nur anhand der Stimme als solchen erkennen konnte, klang nicht gerade medizinisch bewandert.

Naja, aber immerhin wusste er jetzt, dass er aus der Gasse heraus vermutlich direkt in ein fahrendes Auto hineingerannt war.

Autsch. kein Wunder, dass ihm alles wehtat.
 

Erst da wurde ihm bewusst dass die Stimme ihm eine Frage gestellt hatte.

Akio dachte kurz nach.

Eine ziemlich dumme Frage, wie er fand.

"Natürlich! Ich wohne in der-"

In dem Moment fiel Akio ein, dass sein Ziel nicht seine Wohnung war, sondern das Haus, in dem seine Schwester lebte.

"..zur 94. Straße Nord bitte, Block 7-3."
 

Renjiro seufzte tief.

"Du musst dir den Kopf ziemlich hart angeschlagen haben, Junge. In der 94. Straße wohnst du ganz sicher nicht. Denk nochmal nach, meintest du nicht vielleicht die 91. Straße?"

Es war kein großer Abstand zwischen den beiden Straßen, aber der Unterschied könnte nicht größer sein. Menschen wie dieser Junge lebten im Gassengewirr des 91. Viertels; Arme, Ausländer, eben dreckige Menschen mit zerissenen Klamotten wie dieser Junge hier.

Die 94. Straße dagegen war selbst für die besser verdienenden Tokyoter kaum erschwinglich.

Es hatte Jahre gedauert, und ohne seine Beziehungen zu Kaminari hätte Renjiro sich eine Wohnung an der 94. Straße auch heute noch nicht leisten können.

DIESER Junge lebte ganz sicher nicht in der 94. Straße.
 

Akio schüttelte genervt den Kopf, unterließ diese Bewegung aber schnell wieder, als er spürte welche Schmerzen sie ihm bereitete.

"Ich irre mich nicht. Wenn Ihnen der Umweg zu groß ist, würden Sie vielleicht die Freundlichkeit besitzen, mir ein Taxi zu rufen? Ich glaube nicht, dass ich im Moment in der Lage bin dorthin zu laufen.."

Es war freundlich von dem Mann dass er sich um Akio kümmerte nachdem dieser angefahren worden war, aber übermäßig hilfsbereit schien er auch wieder nicht zu sein. Trotzdem hoffte Akio dass er ihn direkt zu Miu's Haus bringen würde. Erstens war er sich nach dem Reinfall mit dem Navigator nicht sicher ob ein Taxi überhaupt freiwillig ins 91. Viertel fahren würde, und zweitens konnte er sich durchaus schöneres Vorstellen als in seinem Zustand noch einmal zusätzlich das Fahrzeug wechseln zu müssen.
 

Renjiro unterdrückte ein Seufzen und gab seinem Fahrer ein Zeichen. Wenn sie an der genannten Adresse ankamen würde der Junge schon sehen, dass er sich geirrt hatte.

Aber was für ein nerviger Zeitgenosse! Die Sicherheit der Anwohner der 94. Straße wurde großgeschrieben - eine heruntergekommene Gestalt wie diesen Jungen dort einfach so herumlaufen zu lassen würde definitiv Sicherheitskräfte anziehen wie eine Kerzenflamme die Motten.

Also würde Renjiro umsonst einen großen Umweg fahren, da er den Jungen letzendlich sowieso wieder hierher zurückbringen musste.
 

Um sich abzulenken begann er auf dem Boden des Wagens, in dem es inzwischen dank der Dämmerung draußen komplett dunkel war, nach seinem Laptop zu tasten, in der Hoffnung dass der Aufprall ihn nicht beschädigt hatte - Renjiro mochte das Gerät.
 

Akio begann währendessen sich langsam und vorsichtig zu bewegen. Es funktionierte.

Natürlich würde er morgen wohl die Meinung eines Arztes einholen müssen, aber zumindest im Moment hatte Akio das Gefühl, dass er zwar so ziemlich jeden Knochen in seinem Körper geprellt hatte, aber sich sonst keine ernsthaften Verletzungen zugezogen hatte.

Nur leicht schwindlig war ihm noch, was wohl dem harten Aufprall zuzuschreiben war.

Er setzte sich aufrecht hin und drehte den Kopf in die Richtung, aus der die Stimme gekommen war. Immerhin ansehen wollte er seinen unfreundlichen 'Retter' ja mal.
 

Was er sah traf Akio wie ein Schlag.

Nein, nicht direkt was er sah, eher seine eigenen Gedanken zu dem Mann.

Das erste, was Akio bemerkte, waren die beiden Hände, die neben dem Sitz herumtasteten. Sie waren deutlich größer als Akio's Hände, und die Finger waren lang und bewegten sich wie eigenständige Lebewesen. Nicht dass das Akio störte, nein, sein erster Gedanke ging in eine ganz andere Richtung:

"Wie es sich wohl anfühlen würde, von diesen Händen berührt zu werden?"

Akio riss seinen Blick geschockt in die Höhe um die Hände nicht mehr zu sehen. Offensichtlich war er von dem Unfall vorhin noch ein wenig verwirrt.

Im Halbdunkel fiel sein Blick auf ein männliches Gesicht, das sich ihm gerade zuwand. Die Wangenknochen waren ausgeprägt, das markante Kinn betonte die Männlichkeit. Einzelne dunkelbraune oder schwarze Haarsträhnen fielen dem Besitzer dieses Gesichts in die Stirn, aber das schien ihn nicht zu stören. Dunkle Augen - ihre Farbe konnte Akio in der Dunkelheit genauso wenig erkennen wie die genaue Haarfarbe - richteten den Blick auf ihn.

Akio drehte den Kopf schnell wieder in Richtung Fenster, woraufhin ihm natürlich prompt wieder schwindlig wurde.

Aber er war zu geschockt von seiner eigenen Reaktion. Er hatte dieses Gesicht gerade als attraktiv eingestuft!

Nicht wie jeder sich selbst hin und wieder mit anderen Männern verglich und feststellte, wer besser bei Frauen ankam, sondern in Akio's ganz eigener Kategorie von "attraktiv".

Ganz offensichtlich hatte er sich den Kopf doch schlimmer verletzt als bisher angenommen.
 

"Na, geht's dir wieder besser?"

Ein Schauder überlief Akio. Vorhin hatte er die Stimme einfach wahrgenommen, jetzt stellte er sich vor, wie die Lippen, die er eben noch gesehen hatte, diese Worte formten.

Verdammt, was war nur mit ihm los?

Da saß ein MANN neben ihm!!

Also absolut kein Grund, auf irgendeine Art und Weise auf ihn zu reagieren. Auf ihn zu reagieren? Oh Gott, was dachte er da?

Er reagierte doch nicht auf diesen Typen - sein Hirn schien nur durch den Unfall ein paar grundlegende Unterschiede zwischen männlich und weiblich vergessen zu haben!
 

"Geht es dir nicht gut? Sollen wir direkt zu einem Arzt fahren?"

Schon wieder diese Stimme! Offensichtlich verhielt Akio sich so, dass man sich Sorgen machen musste..?

Ja, natürlich tat er das! Man musste sich definitiv Sorgen machen, wenn man einen wildfremden Mann plötzlich attraktiv fand!

Trotzdem antwortete Akio:

"Nein nein..es ist schon in Ordnung. Danke dass sie mich doch noch hinfahren."

Den Kopf ließ er dabei gesenkt, er traute sich nicht, noch einmal in dieses Gesicht zu blicken.
 

Renjiro war etwas verwirrt von dem Verhalten des Jungen.

Warum schaute er ihn nicht an? Das war doch unhöflich! Nicht dass er von dem Bengel soetwas wie Höflichkeit erwartet hatte..aber bisher hatte er sich auch noch nicht so schlimm verhalten, wie Renjiro es eigentlich von ihm erwartet hätte.

Er hatte nicht nicht einmal angefangen über die Höhe des Schweigegeldes zu verhandeln - und das, obwohl sie ihr Ziel bald erreicht hatten!

Außerdem dieses fast schon schüchterne Verhalten..Renjiro verstand den Jungen nicht.

Aber wenn dieser das Gespräch nicht bald auf den Unfall brachte, würde Renjiro selbst darauf zu sprechen kommen müssen, und das passte ihm ganz und gar nicht.
 

Der Wagen wurde langsamer und rollte aus - sie standen vor einem Tor. Während sie mit laufendem Motor dort standen, gingen draußen plötzlich ein paar Lampen an und ein Mann in Uniform trat an das Fenster des Fahrers heran.

Nach einem kurzen Austausch und einem neugierigen Blick des Wachmannes auf den Jungen auf dem Rücksitz öffnete sich das Tor und sie fuhren weiter.

Ärger stieg in Renjiro auf.

"Was denkt sich dieser Typ eigentlich?! Wen ich in meinem Auto mitnehme geht ihn doch einen Dreck an, also was starrt er so!", knurrte er gereizt.

Sein Fahrer warf ihm im Rückspiegel einen beruhigenden Blick zu, und sagte:

"Es ist eben selten, dass jemand außer Ihnen in diesem Wagen sitzt. Sie trennen Beruf und Privatleben sehr stark."

Mit einem Knurren ließ Renjiro sich zurück in den Sitz fallen und warf dem Jungen einen schnellen Blick zu.

Er ärgerte sich, überhaupt etwas gesagt zu haben.
 

Akio unterdrücken ein Lächeln, dass ihm gerade unverständlicherweise in die Mundwinkel kriechen wollte.

Dieser beeindruckend wirkende Geschäftsmann, der tagsüber vermutlich immer völlig gefasst war, verhielt sich also wie ein kleines trotziges Kind, sobald er nicht mehr arbeitete?

Die Vorstellung hatte etwas Belustigendes.
 

Der Gedanke daran, was ein offenes Lachen über dieses Thema für Folgen haben konnte jedoch nicht, also hielt Akio sich zurück.
 

Akio hatte sich inzwischen beruhigt und die wirren Gedanken über diesen Mann in weite Ferne geschoben. Alles was er jetzt noch wollte, war endlich anzukommen und sich dann von Nancy und Miu versorgen zu lassen.

Verdammt...in diesem Zustand konnte er unmöglich zum Arbeiten gehen, und nach 20 Uhr war es sicher sowieso schon längst. Aber das ließ sich jetzt auch nicht mehr ändern..er durfte nur nicht vergessen, seinen Chef gleich anzurufen und zu sagen, dass er heute nicht kam.

Das war ihm allerdings eigentlich überhaupt nicht Recht.

Akio hatte den Job gerade einmal seit ein paar Wochen, jetzt gleich krank zu machen würde nicht gerade einen guten Eindruck hinterlassen, und da es hier in Japan keine bezahlten Krankentage gab würde er vermutlich gleich alle Urlaubstage für das kommende Jahr aufbrauchen.

Nicht dass die Zahl dieser nicht sowieso schon alles andere als zufriedenstellend war..

Akio war nun wirklich nicht der motivierteste Mitarbeiter den man sich wünschen konnte, aber er nahm seinen Job in dem kleinen Nachtclub relativ ernst, weil er ihm eine gewisse Unabhängigkeit von seinem Vater ermöglichte. Mit solchen Startschwierigkeiten hatte er nicht gerechnet.
 

Ein leiser erleichterter Seufzer entschlüpfte Renjiro, also der Junge endlich auf das Thema zu sprechen kam.

Verpasste Arbeit also, so so..Renjiro bezweifelte ja, dass der Junge überhaupt irgendwo angestellt war, aber darum ging es nicht.

Der Satz war ja nur eine Hinleitung zu dem Thema, wieviel Geld ihm zustand, dafür, dass er jetzt tagelang seiner vermeintlichen Arbeit nicht nachgehen konnte.

Daher fragte Renjiro in einem beiläufigen Ton:

"Wieviel hättest du denn pro Nacht verdient?"
 

Akio zuckte zusammen als er die Frage hörte.

Hatte er etwa laut gedacht? Und was ging diesen Typen eigentlich sein Gehalt an?

Aber gleich beruhigte Akio sich wieder. Warum sollte er NICHT mit dem Mann darüber reden? Es war ja nicht so als ob er sich schämen müsste. Dieser Geschäftsmann war auch vermutlich mal ein Student gewesen und hatte irgendwo gejobbt bevor er in irgendein Unternehmen eingetreten und zum gutverdienenden Anzugträger mit tollem Wagen geworden war.

Also antwortete Akio wahrheitsgemäß:

"Oh, keine Ahnung. Nicht viel vermutlich. Der Chef ist ganz nett, aber da er zu einer größeren Kette gehört, kann er nicht entscheiden, wieviel er uns zahlt. Wer mich aufregt, ist der knausrige Opa, dem die ganzen Läden gehören und der meint für's nachts Arbeiten sei es nicht angemessen ein bisschen mehr springen zu lassen als für Jobs die tagsüber zu erledigen sind. Dabei ist es ja wohl absolut nicht vergleichbar! Und ich hab gehört in großen Unternehmen bekommen die Mitarbeiter einen Zuschuss wenn sie nachts arbeiten...das wäre toll. Naja. Der Job ist auch nicht wirklich vergleichbar, geb ich schon zu...ah, ich arbeite übrigens an vier Abenden die Woche...und verdiene im Monat so um die 28.000 Yen." endete er seine Erklärung schließlich ein wenig verlegen.

Sich einem Fremden gegenüber so in Rage zu reden war...peinlich.
 

Renjiro starrte den Jungen an.

Was genau war sein Ziel? Es war absolut bescheuert, so eine geringe Summe zu nennen! 28.000 Yen waren nichts, und der Junge deutete sogar an, nur bestenfalls ein Viertel davon zu wollen, für die Woche, die er vorraussichtlich nicht arbeiten konnte. Für 7000 Yen konnte ein typischer Jugendlicher sich ja grade einmal einen schönen Abend machen!

War er ganz besonders schlau und wollte auf Umwegen zu seinem Geld kommen, oder war er tatsächlich einfach so dämlich und ehrlich und Renjiro hatte nur ein unglaubliches Glück gehabt, gerade DIESEN Jungen anzufahren?
 

Renjiro schrak auf als das Auto plötzlich anhielt.

"Wir sind an der genannten Adresse angekommen." erklärte der Fahrer.

Renjiro lehnte sich leicht nach links in Richtung des Jungen, um aus dessen Fenster sehen zu können.

Eine dunkle, meterhohe Hecke erstreckte sich weit nach links und nach rechts, direkt vor ihnen jedoch befand sich ein massives, aber schön verziertes Holztor.

Von dem Haus, dass sich irgendwo dahinter befinden musste, war nur das Dach zu sehen.

Renjiro warf dem Jungen einen Blick zu.

"Kommt dir das irgendwie bekannt vor?" fragte er spöttisch.
 

Akio stieß einen erschrockenen Laut aus, als er die Stimme des Mannes plötzlich so nahe an seinem Ohr wahrnahm.

Eine Gänsehaut legte sich über seinen Körper.

Was war nur mit ihm los?

Akio nahm sich zusammen und versuchte völlig normal zu antworten, obwohl seine Stimme leicht zitterte:

"Natürlich nicht. Also dann, vielen Dank für's Herbringen.

Einen schönen Abend wünsche ich noch."

Ohne seinen 'Retter' noch einmal anzusehen - das Risiko, damit wieder eine seltsame Reaktion hervorzurufen, war ihm zu groß - öffnete er die Tür und stieg aus.
 

Renjiro starrte ihm perplex nach.

"Natürlich nicht"? Diese Antwort hatte er ja eigentlich erwartet. Aber warum stieg der Junge dann aus? Er konnte ihn doch schlecht einfach frei hier rumlaufen lassen, wer wusste schon ob er nicht gleich ins nächstbeste Haus einbrach? Zurückfallen würde es schließlich auf ihn, Renjiro, der ihn durch die Kontrolle am Beginn der Straße gebracht hatte!

Ah, und nebenbei - was war denn jetzt überhaupt mit dem Geld?

Er musste den Jungen doch davon abhalten, irgendjemandem etwas zu erzählen!

Noch bevor Renjiro es schaffte einen sinnvollen Satz zu bilden, schloss sich die Tür wieder und er konnte nur noch durch die Scheibe beobachten, wie der Junge auf das Holztor zuging, die Türglocke betätigte, und sich das Tor vor ihm öffnete.
 

Einen Spiegel hatte er nicht, aber Akio hoffte, nicht ganz so schlimm auszusehen wie er sich fühlte, Miu würde sonst einen Schock für's Leben kriegen.

Die Kamera über dem Tor richtete sich auf sein Gesicht - offenbar war er noch nicht so entstellt dass er nicht mehr erkannt wurde, denn das Tor vor ihm öffnete sich.

Akio machte ein paar wackelige Schritte hindurch, dann wurde er fast von den Füßen gerissen, als ihm etwas in die Arme flog. Es war warm, weich und duftete nach Lavendel. Helle Haarsträhnen, erleuchtet von dem Licht über dem Tor, kitzelten ihn an der Nase.

Etwas Heißes und Feuchtes drang durch die Kleidung an seiner Schulter.

"Ja ich freue mich auch dich zu sehen, Miu." sagte er in einem beruhigenden Tonfall.

Aus dem Augenwinkel nahm er wahr, wie sich das Tor hinter ihm schloss.
 

Das Mädchen, das sich dem Jungen an den Hals warf, hatte Renjiro noch gesehen, bevor sich das Tor schloss. Hieß das der Junge lebte wirklich hier? Unmöglich..andererseits würde das erklären, warum er kein Interesse an Schweigegeld gezeigt hatte - jemand der in einem solchen Haus wohnte, konnte mit so geringen Summen nicht bestochen werden. Andererseits passte das wiederum nicht zu seiner Geschichte über seinen schlecht bezahlten Job...

Renjiro fuhr sich unruhig durch die Haare. Was sollte er jetzt nur tun?

"Bringen Sie mich nach Hause!" befahl er harsch seinem Fahrer.

Im Moment konnte er hier sowieso nichts mehr ausrichten.
 

Akio strich seiner kleinen Schwester sanft über den Kopf.

"Nun hör schon auf zu weinen.

Ist ja gut..ruhig, ruhig..wenn ich gewusst hätte,

dass du die ganze Zeit nur heulst, wäre ich nicht gekommen..

Hey, Miu..Miu, ist gut jetzt.

Es reicht.

Miu, du tust mir weh!!"

Erschrocken löste Miu sich von ihrem Bruder. Sogar die Tränen hörten auf zu fließen.

"Es tut mir leid, Akio-nii! Das wollte ich nicht!"

Akio seufzte. Das konnte ja noch heiter werden.
 

Nancy trat nun aus dem Hintergrund hervor.

"Willkommen, Master Akio. Auch ich freue mich aufrichtig, Euch zu sehen. Das Essen ist fertig, aber ich nehme an, dass Ihr zuvor noch ein Bad nehmen möchtet?"

Miu blickte ihren Bruder fragend an, dann plötzllich erschrocken. Sie schien erst jetzt zu bemerken, dass er ein wenig derangiert aussah.

Akio musste über Nancy's Begrüßung grinsen.

Das war dann wohl die höfliche Art zu sagen: Wo hast du dich denn rumgetrieben? So dreckig und zerissen kommst du mir aber nicht an den Tisch!

Also erklärte er:

"Ja, das halte ich definitiv für eine gute Idee. Der Weg hierher war..nicht so sanft. Über ein heißes Bad würde ich mich sehr freuen."

Und ein gutes Schmerzmittel, fügte er in Gedanken hinzu.
 

Renjiro hing rückwärts über die Lehne der Couch in seiner Wohnung herab und starrte in Richtung der großen Fenster. Abgesehen davon, dass es inzwischen stockfinster war und draußen sowieso nichts zu erkennen war, stand die Welt durch Renjiro's Haltung auch noch Kopf.

Die Dunkelheit und Stille im Appartment hatte eine beruhigende Wirkung auf ihn. Diese hatte er im Moment auch dringend nötig - er bebte vor Wut auf seinen Fahrer, der darauf bestanden hatte durch das 91. Viertel zu fahren, auf diesen dämlichen Jungen, der sich nicht so leicht zum Schweigen bringen ließ und vor allem auf sich selbst, dass er nicht auf eine andere Route bestanden hatte, dass er den Jungen mitgenommen hatte, und dass ihm keine wirkungsvollere Methode als Bestechung einfiel.
 

Er seufzte leise und legte den Arm über die Augen; in der Stille, die im Raum herrschte, klang dieser kleine Laut unnatürlich laut.
 

Plötzlich fuhr er wie von der Tarantel gestochen hoch.

"Oh verdammt..!" stieß er aus.

Er hatte den Auftrag völlig vergessen! Dabei gab es eigentlich nichts Wichtigeres!

Renjiro hetzte in die Gaderobe, wo er sein lädiertes Notebook abgelegt hatte, drückte den POWER-Knopf und atmete erleichtert auf, als ein kleines grünes Licht aufblinkte und ihm so zeigte, dass alles in Ordnung war.

Er trug das arme Gerät vorsichtig ins Wohnzimmer zurück und legte es auf dem Tisch ab.

Um sich zu beschäftigen bis es fertig hochgefahren war ging er in die Küche und fütterte die Kaffeemaschine mit Wasser und Kaffeebohnen.

Während es in der Maschine verheißungsvoll brodelte, kehrte Renjiro in das dunkle Wohnzimmer zurück und schaute nach dem Notebook.

Erfreut stellte er fest, dass es bereits fertig hochgefahren war und anscheinend alle Funktionen noch intakt waren, zumindest die Grundlegenden.

Er stellte eine Verbindung zum Internet her, tippte "Black Ribbon" in die Adresszeile, und wurde zu einer nett designten Seite eines Stripclubs weitergeleitet.

In der Navigationsleiste klickte er auf "Unsere Angestellten" woraufhin sich ein Pop-Up-Fenster öffnete und ihn nach einem Mitgliedspasswort fragte, um "die Privatsphäre der Angestellten zu wahren".
 

Ein schmallippiges Lächeln huschte über Renjiro's Gesicht.

Natürlich war er kein geiler alter Mann, der sich Bildchen von halbnackten Jungen und Mädchen anschaute, weil es sonst in seinem Leben nichts mehr gab.

Es war einfach eine wunderbare Möglichkeit, Bilder zu verstecken und gleichzeitig offensichtlich zu machen.

Der Stripclub "Black Ribbon" existierte nicht, an der angegebenen Adresse stand zwar ein Haus mit diesem Namen, doch es war immer geschlossen.

Die Frage nach dem Mitgliedspasswort war die Frage nach einem Passwort, das er von der Organisation erhalten hatte, und selbst wenn ein fähiger interessierter Jemand sich um dieses Passwort herummogelte, entdeckte er nichts weiter als Bilder von verschiedenen hübschen Jungen und Mädchen; den angeblichen "Angestellten" des "Black Ribbon".

Nur wenn man den Auftrag kannte, machte die kleine Bildergalerie Sinn - die Jungen und Mädchen hatte alle ein Alias, das aus zwei Buchstaben bestand. Zielperson war diejenige, deren Alias mit dem Inhalt des Auftrags übereinstimmte - C.B. stand für "Caged Bird".

Das Versteck war perfekt - selbst wenn aus irgendeinem Grund sein Notebook beschlagnahmt und durchsucht werden sollte, konnte er jederzeit behaupten, nur nach der Konkurrenz geschaut zu haben.

Aus diesem Grund war die Seite exklusiv für ihn eingerichtet worden.

Die Organisation war schließlich nicht durch Zufall so mächtig geworden, wie sie es heute war.

Während die Bilddatei geladen wurde, lehnte Renjiro sich mit einem zufriedenen Lächeln auf den Lippen zurück. Wenigstens eine Sache sollte heute genau so ablaufen, wie er es sich vorstellte.
 

Akio gab einen schnurrenden Laut von sich, streckte alle Glieder von sich und gähnte.

Wundervoll, auf so einem riesigen, weichen Bett zu liegen und einfach nichts um sich zu haben, das in irgendeiner Art und Weise störend war.

Seine Haut war noch warm vom Badewasser und die Kleidung, die Nancy ihm vorsorglich hingelegt hatte, schmiegte sich weich an ihn.

Dank Schmerzmittel und heißem Bad fühlte er sich schon viel besser als zuvor; auch das Essen mit Miu hatte seinen Teil dazu beigetragen.

Sie mochte ja mit ihrem oft übertriebenen Verhalten manchmal nervig sein, aber sie war trotzdem seine Schwester, und er war über ein Alter hinaus, in dem man jüngere Geschwister nur aus dem Grund heraus nicht mochte, dass sie eben jüngere Geschwister sind.
 

Akio versuchte sich wieder aufzurichten, er hatte sich vorgenommen die Nacht nicht hier zu verbringen sondern trotz allem nach Hause zu fahren, aber im Moment fiel ihm die Umsetzung dieser Entscheidung wirklich schwer.

Sein geschundener Körper wollte nicht so ganz einsehen, warum er aus seiner wohlverdienten Ruhe gerissen werden sollte und tatsächlich AUFSTEHEN sollte.

Akio gab nach, ließ sich wieder vollends fallen und schloss die Augen.

Nur einen Moment lang...

Sein ruhiger Atem verriet bald darauf, dass er tief und fest schlief.
 

Das zufriedene Lächeln auf Renjiro's Lippen war wie weggefegt.

Das Fleisch unter seinen Fingernägeln erschien weiß, so fest umklammerte er den Rand des gläsernen Couchtisches.

Er zitterte.

Seine Augen schienen vor Überraschung leicht aus ihren Höhlen hervorzutreten und ihr Blick war voller Ungläubigkeit und Schock auf das Bild gerichtet, das sein kleines Notebook ihm zeigte.

Er KANNTE diesen Jungen!!

Ein wenig dreckiger, ja, mit zerissener Kleidung und das Gesicht war halb von Haaren verdeckt gewesen, aber das Bild, das einen Jungen zeigte, der gelangweilt in die Kamera blickte, mit einem Vorlesungssaal im Hintergrund, zeigte definitiv die gleiche Person, die Renjiro bis vor ungefähr einer halben Stunde noch neben sich im Auto sitzen gehabt hatte!!

Was für ein kranker Wink des Schicksals war das denn bitte?!
 

Doch in dem Moment wurde Renjiro etwas klar:

Ein Vögelchen im Käfig hatte keine Möglichkeit, bei den Medien zwitschern zu gehen.

Ein gefangenes Vögelchen war ein stummes, ein gutes Vögelchen.

Und zum ersten Mal seit er am Mittag den Auftrag erhalten hatte, verschwanden Renjiro's Zweifel an der Richtigkeit dieser Aktion. Wenn der Junge Ziel des Auftrags war, hatte er gleich zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen, denn das Schweigen des Jungen war gesichert wenn er erst einmal in die Fänge der Organisation geraten war.
 

Renjiro klappte das Notebook zu, legte die Füße hoch, lockerte die Krawatte und genoss das Gefühl, langsam aber sicher wieder Herr der Situation zu sein.

Das zufriedene Grinsen von vorhin kehrte langsam zurück.

Ausflug in die Tierwelt

Sie wollte schreien,

doch nur ein klägliches Wimmern war zu hören,

ihre Kiefer waren starr vor Angst aufeinander gepresst.

ER grinste.

Kalter Schweiß bildete einen zarten Film auf ihrer Haut, während sie sich mit zitternden Händen panisch an der geblümten Tapete entlang tastete. Roch er ihre Angst?

Der Ausgang, wo war er?

SEIN Blick folgte ihr, schlitzte sie auf.

ER hatte es nicht nötig, sich ihr in den Weg zu stellen, sie aufzuhalten.

ER wusste, dass sie nicht entkommen konnte.

Sie bekam etwas zu fassen, was war es? Die Türklinke?

Nur ein Kleiderbügel.

Mit einem Schrei der Enttäuschung warf sie das Ding zu Boden und begann zu rennen. Sie rannte, rannte dorthin, wo sie die Tür vermutete.
 

Ihr Ärmel blieb an einer Kommode hängen und riss, mit einem ohrenbetäubenden Scheppern stürzten all die niedlichen Nippes-Figuren hinab, in die Tiefe, und weiße Scherben schnitten durch den zarten Stoff ihrer Strumpfhose.

Der Schmerz öffnete die Blockaden, die ihr Körper errichtet hatte, und plötzlich verschwamm alles vor ihren Augen, sie schmeckte das Salz ihrer eigenen Tränen.

Der Boden war so nah, war sie gestürzt?
 

Sie hob die Hände, wollte sich die Augen wischen, aber ihre Hände waren so voller Blut, ihrem Blut.

Sie spürte die Scherben in ihren Händen.

Ihre Ohren schmerzten von den immer und immer wiederhallenden Schreien im Raum, wer schrie denn so?

Sie kannte die Stimme, es war ihre eigene.

Sie schrie, als würde es IHN davon abhalten, näher zu kommen.

Sein Grinsen wurde breiter, er zog die Waffe.

Sie schloss die Augen, wollte es nicht sehen, IHN nicht sehen.

Vielleicht sah er sie auch nicht, wenn sie ihn nicht sah?
 

Sie schluchzte.

Ihre Beine zuckten wie die eines träumenden Hundes, wollten weglaufen, ohne sie.

Verräterische Beine.
 

ER kam näher, sie hörte die Scherben unter seinen Füßen knirschen.

Ein jämmerliches Ende.

Sie hörte, wie er die Waffe entsicherte, ein harmloses Klicken.
 

In einem letzten, trotzigen Akt des Überlebenswillens warf sie sich nach vorne, wollte ihn umwerfen, sich wehren - aber er war nicht da.

Der Boden war hart, und die Scherben bohrten sich in ihr Fleisch.

Ihr wurde schwindlig.

"Wie..wie hast du mich..gefunden..?!" keuchte sie.

ER antwortete nicht, wo war er?
 

Da legte sich eine behandschuhte Hand auf ihr Gesicht, streichelte sanft einen Schnitt auf ihrer Wange, der die weiche Haut entstellte.

Er brannte wie Feuer.

Mit der Sorgfalt einer Mutter strich ER ihr das zerzauste Haar glatt; sie spürte den kalten Stahl nicht, der ihren Kopf berührte.

Es war zu absurd.

Sie würde hier nicht sterben,

diese sanften, fürsorglichen Hände würden ihr nichts tun.
 

Irgendwo begann plötzlich ein Handy zu klingeln, entfernt und doch unnatürlich laut.

Die Melodie war fröhlich, ein Kinderlied, völlig unpassend zur Situation, aber sie hatte das Gefühl, dass es zu den warmen, freundlichen Händen passte.

Unter ihren Fingern war der Boden feucht.

Sie blickte nach unten und bemerkte die Blutlache in der sie lag, ohne es zu merken, wälzte sie sich in den Scherben.

Das kleine Mädchen, welches das Lied sang, zeigte kein Interesse an ihren Leiden.

Der samtene Handschuh berührte ihre Lippen.

Sie lachte auf, laut, ein Lachen, das schnell in panisches Kreischen überging.

Das Handy klingelte lauter.

Klick.

Der Klingelton war zu laut, als dass der gedämpfte Schuss hörbar wurde, der gefallen war.
 

"Uaah, was ist das denn für 'ne Schweinerei hier?!"

Die Tür hatte sich geöffnet, ein hoch gewachsener junger Mann mit hellem blondem Haar stand im Türrahmen.

Er stieß die Leiche der Frau mit dem Fuß an und fragte:

"Was denn, schon fertig?"

Der Junge, der mitten im Raum stand, antwortete nicht.

Er starrte den jungen Mann nur mit einem undefinierbaren Blick an, bevor er diesen einfach ignorierte und an ihm vorbei den Raum verließ.

Der Mann lief ihm nach.

"Wenn du irgendeinen Hinweis übersehen hast bring ich dich um."

Der Tonfall des jungen Mannes ließ keine Zweifel zu wie ernst es ihm damit war.

Stumm gingen die beiden die Treppe hinunter und verließen das kleine Haus, in dem sie sich befunden hatten.

Eine salzige Brise schlug ihnen draußen entgegen.

Der Junge blieb stehen und ließ den Blick schweifen.

In der Ferne zeichneten sich Lagerhäuser in der Dunkelheit ab, rechts von ihnen lag das Meer als schwach glitzernde, bedrohlich rauschende Fläche da.

Zum ersten Mal sprach nun auch der Junge, mit einer leisen, ruhigen Stimme, die dem Gesagten etwas Endgültiges verlieh:

"Wir können jedenfalls nicht die S-Bahn nehmen. Jemand könnte uns sehen."
 

Der andere nickte und begann, in die entgegengesetzte Richtung der Lagerhallen loszumarschieren.

"Komm. Wir haben noch einen ganz schönen Weg vor uns."

Der Junge folgte ihm.

In dem Moment erklang die fröhliche Melodie ein weiteres Mal.

Der Junge blieb stehen und zog ein Klapphandy aus der Tasche.

Einen Moment lang starrte er es nur an, als würde er die Melodie genießen, dann drückte er auf den grünen Hörer und hielt es sich ans Ohr.
 

"Magst du Nektar, Butterfly?", fragte eine seltsam verzerrte Stimme.

Einen winzigen Moment lang schien sich auf dem Gesicht des Jungen so etwas wie Unwillen abzuzeichnen, dann antwortete er:

"Ja, vielleicht. Hängt von der Qualität ab. Aber ich bin nicht allein. Schlangen mögen anderes Futter, wissen Sie?"

Der blondierte Mann, der bisher desinteressiert aufs Meer hinausgestarrt hatte, wandte ihm nun ruckartig den Kopf zu.
 

Die Stimme am anderen Ende der Leitung lachte leise.

"Ihr scheint ja wirklich aneinander zu hängen! Keine Sorge, mir ist bewusst, dass auch Snake belohnt werden will. Aber vergiss nicht, dass man Tiere immer gut trainieren muss: Belohnungen gibt es immer erst, nachdem ein Befehl erfolgreich ausgeführt wurde."

Der Junge schwieg, obwohl der Mann an dieser Stelle kurz wartete, um ihm die Möglichkeit zur Antwort zu lassen.

"Euch muss ich das wohl nicht extra erklären. Die Aufgabe ist diesmal ganz einfach – fangt mir einen Vogel. Heute noch.

Ihr findet ihn in der 94. Straße Nord, Block 7-3. Er hat ungewöhnlich helles Haar, dürfte euch also nicht entgehen."

Kurz darauf klappte der Junge das Handy zu und steckte es zurück in seine Hosentasche.
 

"Was war?"

Der junge Mann fragte in einem beiläufigen Tonfall, während er sich wieder in Bewegung setzte.

"Arbeit.", war die gleichgültige Antwort des zierlichen Jugendlichen.

Der blonde Mann blieb aprupt stehen.

"Wie bitte? Und du frägst nicht mal, ob ich will oder nicht?!"

Mit einem kühlen Seitenblick erklärte der Jüngere:

"Bisher hast du heute schließlich noch nichts getan. Wird Zeit, dass du auch mal arbeitest, Ryo."

Er zog die blutigen Handschuhe und das ebenfalls mit Blut ihres vorherigen Opfers beschmierte Hemd aus, das er getragen hatte, und ließ beides ins Wasser fallen.

Darunter trug er nur ein eng anliegendes, schwarzes, ärmelloses Shirt.

Der Blondhaarige stürzte auf ihn zu um ihn noch davon abzuhalten, aber es war schon zu spät.

Er riss ihn von den Beinen und die Kleidung segelte sanft hinunter in die Dunkelheit.

Geschockt starrte der blonde Mann ihnen nach.

"Fuck! Hast du 'nen Vollknall?! Die werden das Zeug finden!!", brüllte er, während er den Jungen zu Boden drückte.

Dieser funkelte seinen Unterdrücker kalt an, dann holte er blitzschnell aus und gab ihm eine Ohrfeige.

"Fass mich nicht an, du Schwein. Sollen sie das Zeug doch finden! Niemand kennt uns, wir existieren eigentlich nicht! Wen zur Hölle interessiert es, ob sie meine DNA oder sonst was haben?"

Einen Moment lang starrten sie sich einfach nur an, dann stand der Größere auf.

Er drehte dem Jungen, der langsam aufstand und sich den Dreck von der Kleidung klopfte den Rücken zu und raufte sich die Haare.

"Oh man, ich glaub's einfach nicht.."

Als er sich dem Jungen wieder zuwand, der gelangweilt den Boden anstarrte und wartete, hatte er sich wieder gefasst, seine Miene war ruhig und kühl.

"Jetzt lässt sich sowieso nichts mehr ändern, Taro. Also wohin?"

Der Junge hob den Kopf und sah ihn mit dem gleichen, kühlen Blick an, dann erklärte er es ihm.
 

Akio öffnete benommen die Augen.

Es war dunkel um ihn herum, nur unterbrochen von gelegentlich vor dem Fenster aufblitzenden Lichtern, vermutlich fuhren Autos vorbei.

Es musste mitten in der Nacht sein; Akio wusste nicht, wie lange er geschlafen hatte, doch er fühlte sich schon deutlich besser.

Eine Erinnerung aus seinem letzten Traum vor dem Aufwachen kam ihm in den Sinn:
 

Akio schlief in einem großen, weichen Bett, als jemand ihn sanft weckte. Als Akio die Augen aufschlug, beugte sich der attraktive Fremde von zuvor über ihn und rüttelte ihn sanft an der Schulter. Wie im Auto fielen ihm einzelne dunkle Strähnen ins Gesicht, und er hielt es offensichtlich nicht für nötig sie zurückzustreichen.

Sein Gesicht kam immer näher, Akio's Blick war auf die Lippen fixiert, die sich ein wenig geöffnet hatten. Der intensive Blick des Fremden ließ Akio erschaudern.

Als er nur noch wenige Zentimeter von ihm entfernt war, formten die Lippen Worte und fragten Akio: "Wo wohnst du?", und "Wie lautet deine Adresse?"

Akio überlegte, aber sein Gehirn arbeitete noch sehr langsam.

Würde er ihn etwa auch noch nach Hause fahren?

Belustigt antwortete Akio mit seiner Adresse und streckte ganz natürlich die Hand aus um sie im dunklen Haar vergraben zu können, das sich dazu geradezu anbot. Mit sanftem Druck zog er den Fremden näher an sich, die Gänsehaut ignorierend die ihn überkam als er die Wärme des anderen Körpers spürte. Wie praktisch es doch war, einen eigenen, gutaussehenden Chauffeur zu haben!
 

Akio schloss die Augen wieder und atmete tief durch.

Er konnte sich beim besten Willen nicht erinnern, wie der Traum weitergegangen war. Um ehrlich zu sein, wollte er es auch gar nicht.

Der Traum hatte schließlich von diesem seltsamen Fremden gehandelt, also konnte er gar nicht positiv sein. Und diese fast vertrauliche Geste die sein Traum-Ich da gemacht hatte...die behagte ihm am Wenigsten.

"Jetzt werd' ich schon bis in meine Träume verfolgt.." murmelte Akio verstimmt, bevor er wieder in einen sanften Schlummer hinüberglitt.
 

Miu spürte, wie ihre Fingerspitzen kalt wurden, die den kühlen Stein des Fensterbretts umklammerten.

Ihre Füße spürte sie schon nicht mehr, sie waren wohl zu Eiskristallen erstarrt.

Sie musste nicht gegen die Müdigkeit ankämpfen, viel eher war sie hellwach.

Der Garten war im Licht des Halbmonds nur schwer zu erkennen, und sie hätte die sich langsam bewegenden dunklen Schatten für Menschen halten können, die sich im Garten bewegten, wüsste sie nicht, dass eben jene Schatten nur Eibenbüsche waren, welche die hohe Mauer vor ihren Blicken versteckten, die das Anwesen umgab.

Der Mond spiegelte sich mehrfach in der Glasscheibe, und Miu strich vorsichtig mit den Fingerspitzen über die Spiegelung.

Die Scheibe war kälter als das Fensterbrett, aber Miu genoss das Gefühl in ihren Fingern.

Eine innere Wärme füllte sie, welche von dem kalten Glas nicht gelöscht werden konnte.

Akio zu sehen, mit ihm zu sprechen, war für Miu wie ein kleiner, wahr gewordener Traum.

Sie wusste nicht, wann sie ihn das nächste Mal sehen konnte, deshalb wollte sie diesen Moment für ewig festhalten.
 

Sie hob den Kopf, und ihr Blick flog über die Mauer des Anwesens hinaus, zu den hellen Lichtern, die sich bis zum Horizont erstreckten, in die Nacht über der niemals schlafenden Stadt hinaus, bis alles plötzlich vor ihren Augen verschwamm und ein sanftes Lichtermeer wurde.

Miu wischte sich über die Augen.

Nur in solchen Momenten konnte sie ehrlich zu sich selbst sein.

Ihr Schicksal bedauern, eingesperrt hinter Mauern, wohlbehütet, und doch gefangen.

Und wie sehr sie sich wünschte, in jene Welt hinausgehen zu können, wie ihr Bruder.
 

Ein fernes Grollen riss sie aus ihren Gedanken.

Ein Gewitter schien sich zu nähern.

Miu seufzte leise und wandte dem Fenster den Rücken zu.

Ihr Leben war eben wie es war, und sie hätte es weit schlimmer treffen können.

Mit von der Kälte steifen Gliedern schwankte sie zum Bett zurück und kuschelte sich unter die weiche Decke.
 

Ryo betrachtete fasziniert das Schloss und pfiff leise durch die Zähne.

"Wow, das muss ja ein sehr wertvolles Vögelchen sein, wenn es so ein teures Vorhängeschloss hat.."

Er war kein Spezialist, was Schlösser anging, aber selbst er erkannte mühelos, dass dieses Schloss wohl jemand ganz Besonderen schützen sollte.

Taro warf seinem Partner einen wütenden Blick zu, der ihm wohl bedeuten sollte, nicht zu sprechen, antwortete dann aber selbst:

"Lass das nur meine Sorge sein. Hast du die Überwachung ausgeschaltet?"

Währendessen öffnete er einen Beutel, der unter seinem Shirt an seiner Hüfte befestigt war, und zog einen verhüllten, länglichen Gegenstand heraus.
 

"Natürlich, schon bevor wir hier reinspaziert sind.

Glaubst du es macht Sinn, erst mal gut sichtbar zur Vordertür zu spazieren, und erst DANN dafür zu sorgen, dass man nicht gesehen wird..?", knurrte der junge Mann verärgert.

Er ließ den winzigen Taschencomputer, das er bis eben noch in der Hand gehabt hatte, in seiner Hosentasche verschwinden.

"Du hältst mich wohl für total unfähig..."
 

Taro warf ihm einen kurzen Blick zu der Bände sprach, dann zog er das längliche Gerät aus seiner wohlgepolsterten Hülle.

Es hatte eine schmale, drahtähnliche Spitze, die nach wenigen Zentimetern in einen festeren Griff überging, in dem sich feine Elektronik verbarg.

"Wie lange brauchst du wohl, um den Code für den elektronischen Teil des Schlosses zu knacken..?" murmelte er leise.
 

Ryo betrachtete das Schloss genauer, das in der Dunkelheit nicht gut sichtbar war.

Es bestand aus einem normalen, aber ungewöhnlich schmalen Schlüsselloch, über dem ein Tastenfeld angebracht war.

Er nahm das Tastenfeld genauer in Augenschein, dann erklärte er:

"Ein paar Minuten vielleicht. Aber ich müsste es vorher aufbrechen, sonst kann ich meinen Comp nicht anschließen."
 

Ein kaltes Lächeln umspielte Taro's Lippen.

"Ja, sowas in der Art dachte ich mir. Na dann schau mal gut zu!" meinte er.

Daraufhin zog er einen kleinen, runden Gegenstand aus dem Beutel und setzte ihn an das Tastenfeld an.

Der Gegenstand blieb kleben, als Taro die Hand wegzog.

Seelenruhig begann dieser daraufhin, die Spitze des dünnen Geräts in das Schlüsselloch einzuführen.

Ein befremdeter Blick von Ryo traf ihn.

"Hast du keine Angst einen Alarm auszulösen, wenn du versuchst das Schloss zu öffnen, ohne vorher den Code eingegeben zu haben..?" fragte dieser leicht verwirrt.
 

Der Junge bewegte das Gerät vorsichtig im Inneren des Schlosses, um es richtig zu platzieren, bevor er es schließlich einschaltete.

Die Spitze begann mit hoher Frequenz leicht zu vibrieren.

Da dadurch so gut wie kein Geräusch entstand, war Taro's Stimme gut zu hören, als er antwortete:

"Nein, wieso? Dieser Teil des Schlosses ist längst lahmgelegt."

Irritiert fuhr Ryo sich durch das helle Haar.

"Wie hast du das bitte gemacht? Mit dem schwarzen Klumpen da? Was ist das für ein High-Tech-Ding?"
 

Amüsiert erwiederte Taro:

"Ein Magnet. Ein starker Magnet. Dein ganzer elektronischer Kram gibt dabei den Geist auf. Soll ich ihn mal an deine Hosentasche halten..?"
 

Das Ende seines Arbeitsgeräts mit ansehen zu müssen blieb Ryo dann Gott sei Dank erspart, denn in diesem Moment öffnete sich die Tür mit einem leisen Klick.

Sofort war aller Spaß vergessen, beim Arbeiten waren beide bei der Sache.
 

Auch Taro packte seine Gerätschaften schnell wieder ein, nickte Ryo kurz zu und drückte dann vorsichtig die Tür auf.

Drinnen war es dunkel und still.

Taro machte zwei vorsichtige Schritte ins Haus hinein, lauschte, erst dann gab er Ryo ein Zeichen ihm zu folgen.
 

Während Taro sich im unteren Stockwerk umsah, näherte Ryo sich der Treppe.

Obwohl es dunkel war, konnte er leicht erkennen, dass der Besitzer des Hauses nicht gerade ein Bettler war. Das war zwar auch draußen - oder an der Adresse - erkennbar gewesen, aber hier drinnen zeigte sich der Reichtum des Hausbesitzers noch deutlicher.

Eine große Freitreppe führte von der Mitte des Raumes ins Obergeschoss, rechts und links von ihr führten zwei große Torbögen in zwei lange Flure, die von Türen gesäumt waren.
 

Taro zog die Waffe, bevor er einen der beiden Gänge an der Seite der Freitreppe betrat.

Bei all den Türen konnte man nie vorsichtig genug sein.

Mit der entsicherten Waffe im Anschlag erkundete er so die menschenleere Küche, das Wohnzimmer und ein Speisezimmer.

Auch auf der anderen Seite hatte er nicht mehr Glück; aber das war fast zu erwarten gewesen.

Der Junge kehrte in den Eingangsbereich zurück und sah sich nach Ryo um, entdeckte den jungen Mann aber nirgendwo.
 

Dieser war indessen ins obere Stockwerk vorgedrungen.

Es war Nacht, und die Bewohner des Hauses schienen zu schlafen.

Da die meisten Menschen, die mehr als ein Stockwerk ihr Eigen nennen konnten, ihre Schlafzimmer im Obergeschoss hatten, wollte Ryo keine Zeit damit verschwenden, sich noch länger im Untergeschoss aufzuhalten.

Er schlich sich also leise den Flur entlang, der am oberen Ende der Freitreppe begann.
 

Taro nahm an, dass Ryo vermutlich schon ins obere Stockwerk vorgegangen war. Leichte Wut stieg in ihm auf.

Abgesehen von der Gefahr, in die Ryo damit beide brachte, konnte Taro es nicht ausstehen, wenn Ryo einfach tat, was er wollte.

Eilig, aber dennoch aufmerksam, folgte er seinem Partner.
 

Ryo betrachtete fasziniert die Schilder, die an den Türen hingen.

Ein einfaches, farbloses Schild mit dem Namenszug "Nancy" prangte an der linken Tür, an der Tür gegenüber hing ein federförmiges Schild mit einem verschnörkelten Schriftzug, den Ryo mühselig im Dunkeln als "Miu" entziffern konnte.

Frauennamen also.

Ihr Ziel war männlich, also würden sie bis zum letzten Moment vermeiden, diese Räume zu betreten.

Natürlich war es möglich, dass ihre Zielperson sich auch in einem dieser Räume hier aufhielt, aber ebenso groß war auch das Risiko, dass jemand anderes sich dort aufhielt.

Ryo hatte keine Skrupel etwaige Einmischungen zu beseitigen, aber es wäre einfach eine unangenehme, in diesem Falle leicht zu vermeidende Angelegenheit.

Plötzlich hörte er das Geräusch von leisen Schritten hinter sich.

Ryo wirbelte herum, seine Rechte hatte sich schon zur Faust geballt und schoss auf die kleine, dunkle Gestalt zu, die von hinten auf ihn zugekommen war.
 

Taro wich keinen Zentimeter, als Ryo's Faust auf ihn zuraste.

Erst im letzten Moment wich er knapp aus, die Faust streifte noch seinen Oberkörper, und drückte dem jungen Mann den Lauf seiner Waffe gegen die ungeschützte Brust.

Ihre Blicke trafen sich.

Ryo starrte auf seinen deutlich kleineren Partner hinab, ein Funkeln lag in seinen Augen, das nichts Gutes versprach.

Er senkte die Hand, die sich sofort an den schmalen Hals gelegt hatte, als er die Waffe an der Brust gespürt hatte, und drehte Taro den Rücken zu.

Sie sprachen nicht miteinander.

Es war schon gegen die Regeln gewesen, bei ihrem vorherigen Auftrag zu reden.

Es war gegen die Regeln gewesen, sich dort unten vor der Tür zu unterhalten.

Und beide Male war ER es gewesen, der diese ungeschriebene Regel gebrochen hatte, diese Regel, die ihre Leben schützte.

Er wollte nicht den selben Fehler ein drittes Mal begehen.
 

Ryo ging ein paar Schritte, bis er die nächste Tür erreichte, die nicht von einem Schild geziert war.

Mit einem schnellen Schulterblick vergewisserte er sich, dass Taro ihm folgte. dann öffnete er geräuschlos die Tür.
 

Akio hörte ein leises Klicken, wie vom Öffnen einer Tür, und aus irgendeinem Grund beunruhigte ihn das so, dass er erwachte.

Nun gut, vielleicht hatte er auch einfach nicht besonders tief geschlafen.

Es war immer noch dunkel, und die weiche Unterlage kam ihm nicht mehr ganz so weich vor.

Das nächste Licht vor dem Fenster war ein Stück entfernt, und obwohl Akio sich sicher war, das Fenster geschlossen zu haben, bevor er sich auf das weiche Bett fallen gelassen hatte, wehte ihm ein leichter Luftzug entgegen.

Plötzlich zutiefst beunruhigt rappelte Akio sich auf.
 

Ryo's scharfe Augen durchdrangen die Dunkelheit und suchten das Zimmer ab.

Es schien ein Gästezimmer zu sein, mit einem Schrank, Bett und kleinem Tisch.

Doch halt, da bewegte sich etwas auf dem Bett!

Ryo wich zur Seite um Taro in den Raum zu lassen, der besser bewaffnet war.

Hatten sie ihre Zielperson so leicht gefunden?

Und dann fraß der Schmetterling die Schlange

Ein leises Fauchen kam von der Gestalt auf dem Bett und Ryo erkannte einen rundlichen Kater, der auf den Boden sprang. Ungehalten über die nächtliche Ruhestörung strich er mit erhobenem Schwanz an Taro's und Ryo's Beinen vorbei und verließ den Raum.

Das Bett war leer.
 

Ein leiser Schmerzenslaut entwich Akio, als er sich den Kopf an der niedrigen Decke stieß.

Endlich wurde er vollständig wach und erkannte wo er sich befand:

Direkt vor ihm befand sich der Fahrersitz eines Taxis.

Verwirrt schüttelte Akio den Kopf. Wie war er denn hierher gekommen?

Er drehte den Kopf zur Seite und bemerkte, dass die Tür geöffnet war und ein Mann davor stand.

"Ähm..guten Abend..? Ich muss wohl eingeschlafen sein, wo sind wir denn?" frage Akio unsicher.

Der Mann mittleren Alters verbeugte sich kurz und antwortete:

"Mir wurde gesagt dies sei Ihre Adresse, mein Herr. Die Haushälterin hat mich gerufen, da Sie anscheinend noch heute Nacht zurückkehren wollten."
 

Akio setzte die Füße vorsichtig auf den Gehweg neben dem Auto und streckte den Kopf ebenfalls heraus. Tatsächlich, vor ihm ragte das Gebäude auf, in dem sich seine Wohnung befand. Probeweise verlagerte er sein Gewicht auf die Füße, sie schienen bereit ihn zu tragen. Doch in dem Moment fiel Akio noch etwas ein.

"Sie werden mich zuerst noch bei einer Bank vorbeifahren müssen, ich habe kein Geld dabei..", versuchte er dem Taxifahrer zu erklären.

Dieser schüttelte jedoch beruhigend den Kopf.

"Keine Sorge, mein Herr. Die Fahrt ist bereits bezahlt und ich wurde mit einem großzügigen Trinkgeld darauf hingewiesen, dass es freundlich wäre, Ihnen in Ihre Wohnung zu helfen."

Akio stemmte sich endlich hoch und stand für einen Moment leicht schwankend neben dem Taxi.

"Nein danke, die paar Meter schaffe ich auch allein. Erfolgreiche Nacht wünsche ich noch, oder so."

Der Taxifahrer verbeugte sich erneut, griff sich eine Tasche aus dem Wageninneren, stellte diese neben Akio ab und berührte kurz die Kante seines Huts bevor er wieder ins Auto stieg.
 

Die Rücklichter des Taxis verschwanden langsam in der Ferne, und es wurde dunkel um Akio herum. Er hob den Kopf und erkannte eine defekte Straßenlaterne über sich. Na wunderbar. An diesem Tag ging einfach alles schief. Jetzt würde er sich den Weg in seine Wohnung wohl in erster Linie ertasten müssen...

Akio war klar, dass er sich eigentlich nicht über die Straßenlaterne aufregte, sondern darüber, dass Nancy dem Taxifahrer gesagt hatte, er solle ihm in die Wohnung helfen. Als könnte er das nicht selbst. Sie hatte ihn nicht mal geweckt, vielleicht hatte sie ihn sogar von dem armen Taxifahrer ins Auto tragen lassen.

Nancy war eine liebe Frau, aber dieser bemutternden Art konnte Akio nichts abgewinnen. Bei Miu war das anders, für Miu war Nancy fast so etwas wie ein Mutter-Ersatz.

Akio hingegen hatte nie einen Ersatz für seine Mutter gewollt, und jetzt, als so gut wie erwachsener Mann, hatte er das noch weniger nötig als je zuvor.
 

Akio kramte in seiner Tasche nach seinem Handy, warf einen Blick auf die Uhr als er es gefunden hatte – 00:39 Uhr – und stellte voller Ärger fest, dass er um diese Uhrzeit unmöglich noch anrufen konnte um Nancy die Meinung zu sagen ohne dabei Miu aufzuwecken, und das war ein Nebeneffekt den er eigentlich vermeiden wollte.

Mit einem Seufzen steckte er das Handy zurück in die Tasche, suchte erfolgreich den Schlüssel heraus und ging dann mit kleinen Schritten auf das Gebäude zu.

Für heute fehlte ihm sowieso die Energie sich aufzuregen.

Aber er nahm sich felsenfest vor, Nancy am nächsten Tag gleich morgens anzurufen und ihr die Meinung zu sagen.

Akio kämpfte sich die Treppe hinauf, stellte fest dass das Licht der nächsten funktionierenden Straßenlaterne seine Wohnungstür beschien und er somit kein Problem hatte das Schlüsselloch zu finden, und endlich, endlich war er wieder zu Hause.

Er hätte es auch keinen Moment länger ausgehalten; das starke Schmerzmittel tat zwar seine Wirkung und war vermutlich überhaupt der einzige Grund warum er sich so frei bewegen konnte, aber die starke Müdigkeit die es mit sich brachte hätte ihn, gepaart mit der Erleichterung endlich zu Hause zu sein, fast noch im Eingangsbereich umkippen lassen.

Nur mit Mühe schaffte er es gerade noch so zu seinem Bett, und mit einem zufriedenen Seufzen ließ er sich fallen, angezogen oder nicht.

Gott sei Dank war dieser grässliche Tag endlich vorbei.
 

"Wie bitte?! Ihr könnt ihn nicht finden? Seit wann seid ihr solche Versager?!"

Ryo verzog unglücklich das Gesicht. Taro hatte ihm sein geliebtes Handy in die Hand gedrückt und war unter die Dusche verschwunden; eigentlich hätte Ryo sich über einen solchen Vertrauensbeweis gefreut, wenn ihm nicht klar gewesen wäre, dass es Taro einfach nur zu unangenehm war, mit ihrem wütenden Auftraggeber zu sprechen.

Zu Recht wütend, wie Ryo fand. Was es nicht gerade einfacher machte, dem Auftraggeber zu erklären, warum dieser Auftrag nicht die erhofften Früchte getragen hatte.

"Wir haben das gesamte Haus durchsucht, den Garten, alles.

Außer zwei Frauen war kein Mensch dort, und Sie haben uns den Auftrag gegeben, einen Jungen mit hellen Haaren zu entführen." versuchte Ryo schließlich müde zu erklären.
 

Nachdem sie im Gästezimmer kein Glück gehabt hatten, hatten sie jeden einzelnen Raum durchsucht, jeden Zentimeter des Grundstücks, doch außer zwei schlafenden Frauen hatten sie niemanden entdeckt.

Irgendwann hatten sie schließlich aufgegeben und waren in ihre Unterkunft zurückgekehrt, um mit dem Auftraggeber über die weiteren Pläne zu sprechen.

Nun, vorerst schien er jedenfalls keine zu haben. Nur eine Menge Worte, die nicht gerade von Begeisterung zeugten.

"Außerdem weiß ich, dass der Junge sich dort befindet. Er wohnt dort. Und ich habe verlässliche Quellen."

Ryo unterdrückte ein Seufzen, das den Mann am anderen Ende der Leitung sicher nicht versöhnlicher gestimmt hätte.

Okay, er fühlte sich beschissen. Es war lange her, dass das Duo einen Auftrag versemmelt hatte. Aber er war gleichzeitig kurz davor den Mann darauf hinzuweisen, dass der Fehler durchaus auch bei den 'verlässlichen Quellen' liegen konnte.

Wenn der gesuchte Junge sich nie in jenem Haus aufgehalten hatte, war es logischerweise auch unmöglich ihn dort zu finden.

Doch Ryo hielt wohlweislich den Mund während er die Schimpftirade über sich ergehen ließ.
 

Renjiro warf das Telefon mit so viel Wucht gegen die Wand seines Wohnzimmers, dass es zerbrach.

Danach ließ er sich zurück auf die Couch fallen, stützte das Gesicht in die Handflächen und dachte nach.

Dieses Kind bereitete ihm nur Probleme.

Nicht genug dass es ein Risiko für seinen Ruf darstellte, es stellte ebenso ein Risiko für seine Zukunft bei Kaminari dar, solange es sich auf freiem Fuß befand.

Renjiro hatte keine Ahnung, was die Organisation mit diesem Jungen plante, wichtig war nur, dass es ihm zugefallen war, ihn einzufangen, und dass er ernste Probleme zu erwarten hatte, sollte es ihm nicht gelingen.

Renjiro hasste die Organisation, doch er vergaß nicht wie sehr sie ihm von Nutzen war.

Er hatte eine unglaubliche Karriere hinter sich, und er wusste ganz genau, dass diese unter anderem auf seiner Zusammenarbeit mit der mysteriösen Organisation beruhte, über die er selbst nach sieben Jahren noch so gut wie nichts wusste.

Er wusste, dass an der Spitze von Kaminari ein einzelner Mann stand, doch viele Instanzen trennten Renjiro von ihm. Die Instanz der Renjiro am nächsten war, war eine Art Rat, der gewisse Entscheidungen traf – unter anderem beispielsweise die Entführung des Bengels, der im Moment unauffindbar schien.

Er verstand nicht was der Rat damit bezweckte gerade ihm diesen Auftrag zu geben, aber die Konsequenzen die es für seine Geschäfte haben würde, sollte er scheitern, waren ihm durchaus bewusst.
 

Renjiro setzte sich auf.

So leicht gab er sich nicht geschlagen.

Der Junge studierte an der Toudo-Universität, das war ihm bekannt.

Früher oder später würde er dort auftauchen.

Und dann war es nur noch eine Frage der Zeit, bis er Renjiro in die Falle ging.

Renjiro schaltete den Laptop aus der immer noch Akio's Bild zeigte. Er erhob sich, brachte die leere Kaffeetasse in die Küche und ging ins Schlafzimmer.

Er hatte morgen einen anstrengenden Tag vor sich, wegen dem Auftrag war heute bereits Arbeit liegen geblieben, und falls er die Sache mit dem Jungen jetzt auch noch selbst in die Hand nehmen musste würde dadurch noch mehr Zeit verloren gehen.

Renjiro entledigte sich seines Hemds und seiner Hose und hängte sie sauber gefaltet über eine dafür vorgesehene Stange.

Die Vorstellung selbst eingreifen zu müssen behagte ihm überhaupt nicht, aber es war effizienter als seine Untergebenen oder Beauftragte nutzen zu müssen, die am Ende eh nur wieder mit leeren Händen zurückkehrten. Je weniger Menschen von dieser Sache wussten desto besser, selbst wenn der Junge ihn wiedererkannte - und wenn schon. Er würde danach von der Bildfläche verschwinden und was er wusste oder nicht würde keine Rolle mehr spielen.

Stop,

befahl er seinen Gedanken.

Mit einem kurzen Blick auf die rote Digitalanzeige des Weckers auf dem edel designten Kästchen neben seinem Bett streckte Renjiro sich auf dem weißen Laken aus.

Dreieinhalb Stunden Schlaf waren bei weitem nicht genug für das was er am nächsten Tag vorhatte, aber mehr konnte er sich nicht leisten, und er gedachte zumindest diese voll auszunutzen.

Und mit einer Selbstbeherrschung derer nur wenige Menschen fähig sind konnte er sich tatsächlich zwingen sofort einzuschlafen und das Grübeln sein zu lassen.
 

Seine Augen wanderten gierig über die bleiche, entblößte Haut.

Unmerklich näherte er sich.

"Ein schöner Rücken kann auch entzücken..." murmelte er leise.

Taro zuckte zusammen und drehte sich halb um.

"Bist du fertig mit telefonieren?" fragte er in einem desinteressierten Tonfall während er sich mit einem blauen Handtuch die Haare trockenrubbelte.

"Dann kann ich ja jetzt mein Telefon wieder zurückhaben."

Ryo antwortete nicht. Ob es Taro wohl kitzelte, wenn die Spitzen seines Haars so wie jetzt über seinen Nacken strichen? Taro's Haar war von einem tiefen Schwarz, das manchmal fast bläulich zu schimmern schien.

Und es war unglaublich weich. Ryo wusste das. Er hatte dieses Haar schon oft berührt.

Er trat einen Schritt näher und sog tief die Luft ein, meinte fast, den schwachen, frischen Duft von Taro's Shampoo wahrzunehmen.
 

Taro hatte sich inzwischen vollständig umgedreht und erwiderte Ryo's Blick voller Wut.

"Komm bloß nicht auf blöde Gedanken.." knurrte er.

Ryo's Hand schoss vor, viel zu schnell um Taro reagieren zu lassen. Sie vergriff sich fest in Taro's seidigem Haar und riss seinen Kopf nach hinten. Das Handtuch segelte davon.

Ryo war mit einem Schritt über ihm und drückte ihn in Richtung Boden.

"Deine Ignoranz ist heute mal wieder überaus reizend..." flüsterte Ryo heiser.

Stummer Hass spiegelte sich in Taro's Augen als er ausholte und einen blutigen Kratzer in Ryo's Gesicht hinterließ.

"Ich hab es dir vor ein paar Stunden schon einmal gesagt - fass mich nicht an, du Schwein." zischte er.

Ryo warf sich mit seinem vollen Gewicht auf Taro und sie gingen beide zu Boden.

Ryo hielt dessen Hände neben seinem Kopf fest, damit dieser sich nicht mehr wehren konnte, doch es war von Anfang an klar dass Taro andere Mittel und Wege hatte und sich ganz sicher nicht einfach fügte.
 

Er trat nach Ryo, verfehlte ihn, doch als Ryo nun seinen Kopf senkte um die Nase in seinen Haaren zu vergraben, schaffte Taro es, in sein Ohr zu beißen.

Er schmeckte Blut und fühlte die Genugtuung wie heißes flüssiges Glück durch seine Adern schießen als Ryo aufschrie und hochschoss.

Sie kämpften stumm, nur hin und wieder unterbrochen von einem schmerzerfüllten Keuchen oder einem leisen Aufschrei und dem dumpfen Knarren des alten Holzbodens auf dem sie sich wälzten.
 

Taro atmete schwer.

Er fühlte Ryo's Erregung hart an seinem Bein pochen.

Ihm entwich ein unterdrücktes Stöhnen als Ryo, der sich inzwischen wieder den Platz auf Taro erkämpft hatte, seine Position veränderte und dabei mit dem Knie Taro's eigene Erregung berührte.

Es war wie ein Zauber, der sich über Taro legte.
 

Auch Ryo atmete schwer, aber er hatte Taro dort wo er ihn sich gewünscht hatte - unter sich.

Er richtete sich auf, gab Taro den Freiraum aufzustehen, doch dieser versuchte gar nicht mehr zu entkommen. Mit einem undeutbaren Blick schaute er zu Ryo auf der ihn betrachtete, jedes Detail in sich aufnahm.

Taro's Haar klebte ihm an der Stirn, auf welcher der Schweiß glänzte.

Die schneeweiße Haut war überall dort gerötet, wo Ryo ihn getroffen hatte. Deutlich zeichneten sich die obersten Rippen unter der Haut ab.

Sein Mund stand leicht offen, die Unterlippe blutete, wahrscheinlich hatte er sich im Eifer des Gefechts selbst gebissen, Ryo wusste dass er Taro kein einziges Mal ins Gesicht geschlagen hatte.

Taro drückte sich gegen sein Knie und Ryo's Blick wanderte weiter nach unten; über die Rippen, zum Gürtel, der die Jeans an ihrem Platz hielt.

"Du siehst echt krank aus, du kleiner magersüchtiger Freak." murmelte Ryo.

Taro schloss die Augen und ignorierte die Aussage vollkommen.

Ryo spürte wie er sich an seinem Knie rieb.

Ein ungeduldiger Laut entwich den weichen Lippen.

Das war genug Zurückhaltung für Ryo. Mit einem leisen Knurren schob er sich direkt über Taro und begann sich ebenfalls an ihm zu reiben. Ryo war heiß, vom Kampf, von dem was sie hier taten.

Ein Schweißtropfen löste sich von seinem Haaransatz und suchte sich seinen Weg zu seiner Nasenspitze, tropfte auf den Boden.

Sie sprachen nicht, sie gaben überhaupt kein Geräusch von sich, nur ihr Atem hing schwer in der Luft.

Taro streckte die Hand aus, wie ein Stromschlag durchzuckte Ryo die Berührung als dessen Finger seine Stirn erreichten und langsam daran entlangwanderten.
 

Sie bewegten sich kaum, nur ihr leises Keuchen durchdrang die gespannte Atmosphäre.

Plötzlich zog Taro die Hand zurück, seine Fingerspitzen waren feucht von Ryo's Schweiß.

Zwischen den weichen Lippen schob sich eine spitze rosa Zunge hervor und leckte über die salzige Flüssigkeit.

Die Härchen an Ryo's Körper richteten sich bei diesem Anblick auf und fast grob packte er die Finger die von Taro's Zunge umspielt wurden und verschränkte sie neben ihren Körpern mit seinen eigenen. Taro ließ es sich gefallen, auf seine Lippen legte sich ein schwaches Grinsen.

Er öffnete den Mund um etwas zu sagen, ließ es dann aber bleiben und biss stattdessen in die Haut über Ryo's rechtem Schlüsselbein, zog daran.

Ryo stöhnte in Taro's Haar, das direkt vor seiner Nase sanft nach diesem ganz speziellen Shampoo roch, vor Schmerzen, vor Lust.

Er begann sich wieder stärker zu bewegen und Taro löste den Biss, saugte und leckte sich an seinem Hals entlang, ließ sich irgendwann zurückfallen, schweratmend.

Seine blaugrauen Augen funkelten kühl aber auffordernd zu Ryo hoch, seine rechte, freie Hand legte sich an Ryo's Oberarm.

Der Anblick war fast zu viel für Ryo; er schloss die Augen um alles genau in sich aufzunehmen, das Geräusch von Stoff auf Stoff, ihr schwerer Atem, Taro's unzufriedenes Wimmern weil die Jeans ihn zu sehr einschränkte und das Gefühl an den beiden Stellen an denen Taro's Hände ihn berührten.

Ryo drückte Taro's linke Hand die mit seinen Fingern verschränkt war fester und Taro erwiederte den Druck schwach.

Er konnte spüren, wie Taro sich unter ihm immer weiter anspannte, wie dessen Bewegungen wilder wurden, unzufrieden, zu eingeschränkt vom harten Jeansstoff.
 

Taro drückte sich plötzlich ungestüm an ihn und der starke, unerwartete Druck half auch Ryo sein Ziel zu erreichen, mit einem kehligen Stöhnen verbarg er seinen Kopf in Taro's weichem Haar und schnappte dann erst einmal nach der Luft, die er zuletzt unbewusst angehalten hatte.

Sein linker Arm zitterte als er sich weiterhin neben Taro abstützte um ihn nicht unter sich zu begraben.

In Taro's Augen lag ein müdes, zufriedenes Funkeln, als er Ryo's Blick erwiderte.
 

Ryo drehte sich, bis er neben Taro saß.

Zum ersten Mal spürte er den Schmerz in seinem Brustkorb, ein Tritt von Taro hatte ihn dort getroffen, und schon jetzt begann die Haut sich leicht lila zu verfärben.

Als er sich mit dem Arm übers Gesicht fuhr um den Schweiß wegzuwischen brannte seine Wange wie Feuer und er sah Blut an seinem Arm das von dem tiefen Kratzer stammte, den Taro ihm im Gesicht verpasst hatte. Aber er konnte nichts sagen.
 

Sie hatten es also schon wieder getan.
 

Taro löste ihre Finger - Ryo's Hand war seltsam taub und er konnte ihn nicht festhalten - drehte sich weg und stand dann mit einem leisen Ächzen auf. Die Haut an seinem Rücken brannte rot von der unsanften Begegnung mit dem alten Holzboden.

"Du bist ein Schwein." sagte er in einem sachlichen Ton.

Einen Moment später hörte Ryo das Klicken des Schlosses der Badezimmertür.

Er blieb auf dem Fußboden sitzen, wusste nicht ob er sich selbst hassen sollte dafür schon wieder die Beherrschung verloren zu haben oder sich freuen sollte über diesen seltenen Vertrauensbeweis seines jüngeren Partners. Was war das da eigentlich zwischen ihnen?
 

Die Schmerzen in seinem Brustkorb ignorierend stand auch Ryo auf und machte sich auf den Weg in sein Zimmer um sich seiner versauten Hose zu entledigen und seine Wunden zu versorgen; darauf dass das Bad frei wurde konnte er vermutlich lange warten, so wie er Taro kannte.

Wieso nur hatten sie es schon wieder getan?

Ein unruhiger Morgen

Die Zimmerdecke ließ sich in der Dunkelheit kaum erahnen.

Vögel zwitscherten vor dem Fenster, doch die Sonnenstrahlen bemühten sich vergeblich, die Fensterläden zu durchdringen.

Akio lag auf dem Rücken und wagte nicht sich zu bewegen.

Er hatte gehört, dass die Schmerzen nach einem Unfall am nächsten Morgen am Schlimmsten waren, weil in der Nacht noch so viel Adrenalin und sonstige Stoffe in seinem Körper unterwegs waren dass der Schmerz unterdrückt wurde.

Also lag er jetzt da und versuchte den Moment hinauszuzögern, in dem er sich bewegen musste und die Schmerzen wahrscheinlich durch seinen Körper schossen.

Aber eigentlich war es doch egal wann er aufstand, oder? Es würde in jedem Fall schlimm werden, also konnte er sich dieser Herausforderung auch gleich stellen.

Das Telefon nahm ihm die Entscheidung ab, es klingelte laut und vernehmlich aus dem Nebenraum.

Akio wandte den Kopf nur um wenige Zentimeter, um die Leuchtanzeige seines Weckers zu erkennen.

07:03 Uhr.

Wer auch immer gerade anrief nahm offensichtlich keine Rücksicht auf Menschen, die zu dieser Uhrzeit noch schliefen. Akio zumindest empfand es als furchtbar unhöflich, um diese Uhrzeit angerufen zu werden.

Na gut, er musste irgendwann ja sowieso aufstehen, da konnte er auch gleich ans Telefon gehen.

Sehr langsam und sehr vorsichtig schwenkte er die Beine Richtung Bettkante und setzte sich auf.

In seinem Kopf drehte sich alles und eine leichte Übelkeit stieg in ihm auf, doch ansonsten tat ihm eigentlich nichts mehr weh als am Abend zuvor.

Das Handy klingelte weiter, und Akio ärgerte sich es nicht entweder auf lautlos geschaltet, oder es zumindest in Reichweite seines Betts mitgenommen zu haben.

Was war das überhaupt für eine furchtbar penetrante Person?

Wenn nach so langem Klingeln niemand abnahm, ging man doch normalerweise davon aus, dass die Person die man erreichen wollte eben nicht erreichbar war.
 

Das Handy klingelte weiter.

Akio unterdrückte ein genervtes Seufzen, welches allerdings außer ihm sowieso niemand gehört hätte und stemmte sich hoch.

Sogleich wurde der Schwindel wieder schlimmer, allerdings stellte Akio fest dass er ansonsten anscheinend voll funktionsfähig war.

Mit langsamen Schritten, um sein Gehirn nicht zu überlasten, das gerade dabei war in Generalstreik zu treten, ging Akio in den Nebenraum hinüber.

Akio's Wohnung bestand aus zwei Räumen und einem Bad, was für einen alleine lebenden Studenten in Tokyo ein unglaublicher Luxus war.

Trotzdem war es nicht vergleichbar mit den unendlichen Zimmerfluchten, die er im Herrenhaus in Europa kennengelernt hatte, allerdings hatte er sich dort sowieso nie wirklich wohl gefühlt.

In dem größeren Raum befanden sich eine Kochnische und etwas, das einem Wohnzimmer glich. Auf dem Boden neben dem Fernseher lag die Tasche, die er gestern dabei gehabt hatte. Sie schien von den Vibrationen des Handys fast auf und ab zu hüpfen.

Akio wollte sich danach bücken, besann sich aber eines Besseren als ihm dabei sein Magen den Hinweis gab, dass er auch ohne Inhalt alles was sich darin befand auf eine schnelle Reise nach oben schicken würde, sollte Akio dieses Vorhaben tatsächlich in die Tat umsetzen wollen.

Also ließ er sich in der Hocke nieder und begann in seiner Tasche nach dem randalierenden Handy zu suchen.

Als er es endlich in der Hand hielt erkannte er die Nummer, die ihm gestern schon 14 entgangene Anrufe beschert hatte.

Diesmal entwich ihm ein Seufzen das er nicht aufhalten konnte.

Er nahm das Gespräch an: "Guten Morgen, Miu."

Ein leiser und begeisterter Aufschrei tönte ihm vom anderen Ende der Leitung entgegen.

"Akio-nii, bist du schon wach? Wie geht es dir? Ah, ich bin so froh deine Stimme zu hören! Bist du gut zuhause angekommen? Ist alles in Ordnung? Ist gestern Nacht irgendetwas Seltsames passiert? Geht es dir gut? Soll ich Nancy vorbeischicken?"

Akio ließ sie reden.

Er meinte eigentlich Miu nichts davon erzählt zu haben dass er angefahren worden war.

Woher wusste sie, dass er nicht ganz auf der Höhe war? Er hatte es ja nicht einmal Nancy erzählt, die ihm frische Kleidung besorgt und sich um seine kleineren Prellungen und Schürfwunden gekümmert hatte.

"Es ist alles okay, Miu. Mir geht es schon viel besser heute, falls du meinst dass ich gestern vielleicht ein bisschen angeschlagen ausgesehen hab." versuchte er seine kleine Schwester zu beruhigen.

Überraschenderweise schien sie davon allerdings nichts zu wissen:

"Gestern? Was war gestern? Hast du dir wehgetan? Du warst verletzt? Ich dachte nur deine Kleidung war dreckig…?"

Akio schlug sich mit der flachen Handfläche gegen die Stirn. Das hatte er sich jetzt aber selbst eingebrockt.

"Nein nein, keine Sorge, alles okay. Warum genau rufst du denn so früh an?"

Miu's Stimme klang nachdenklich als sie antwortete:

"Ich dachte, vielleicht...naja, weißt du...hier ist heute Nacht eingebrochen worden, und ich habe mir Sorgen gemacht, ob das nur zufällig unser Haus war oder ob sie hinter unserer Familie her sind. Ich habe Papa angerufen, aber er hat gesagt es geht ihm gut.

Er war sehr wütend dass so etwas passiert ist. Er hat die Security-Firma, die das Viertel bewacht zur Schnecke gemacht und so..."

Akio erschrak zutiefst.

"Ist mit dir und Nancy alles in Ordnung?!" Seine Stimme zitterte.

Ein sanftes Lachen beruhigte ihn gleich darauf.

"Es geht uns gut, Akio-nii-chan. Es ist nur seltsam..."

Miu's Stimme verlor sich. Akio stutzte. Was war seltsam?

Genau das fragte er seine kleine Schwester dann auch.

"Oh…weißt du..." begann sie die Erklärung. "Es geht uns ja gut, aber es ist seltsam...es wurde nichts gestohlen. Außer dem Schloss und der Alarmanlage ist nichts kaputt. Es ist, als hätten die Einbrecher nicht gefunden was sie gesucht haben..."

Akio erschauderte. Was hatten die Einbrecher gesucht? Was hatten sie im Haus vermutet, was in der Nacht nicht mehr dort gewesen war?

Plötzlich verstand er, warum Miu ihn so früh am Morgen voller Sorge anrief.

Beruhigend sagte er noch einmal: "Mir geht es wirklich gut, Miu, hier ist alles in Ordnung."
 

Zwar konnte Akio sich nicht vorstellen warum in aller Welt jemand hinter ihm her sein sollte, aber ihm war klar, dass Miu diese Idee natürlich sofort gekommen war.

Akio hatte einen reichen Vater, von dem man vermutlich eine lohnende Summe Lösegeld erpressen konnte. Allerdings war Miu ebenso die Tochter dieses Mannes.

Hätte jemand vorgehabt ihn zu entführen und ihn nicht gefunden, hätte er stattdessen einfach die Tochter mitnehmen und die gleiche Summe erpressen können.
 

"Papa hat entschieden dass Nancy und ich jetzt einen Bewacher bekommen sollen..."

Miu klang sehr unsicher.

"Hast du heute schon etwas vor? Ich bin ein bisschen unsicher...jemanden zu treffen der plötzlich bei uns leben soll."

Akio verstand Miu nur zu gut. Sie war keine neuen Begegnungen gewohnt, schließlich hatte ihr Vater immer sein Bestes getan um Miu von der Welt fernzuhalten.

"Möchtest du, dass ich dabei bin wenn du die Person kennenlernst?" fragte er deshalb fürsorglich.

Miu's Stimme bebte vor Freude als sie bejahte.

"Er kommt heute Nachmittag um 15 Uhr! Wenn du vielleicht ein wenig früher da sein könntest, nur für den Fall dass er überpünktlich ist..." deutete Miu an.

Akio musste lächeln.

"Keine Sorge, ich werde vor ihm da sein, Schwesterchen." beruhigte er sie.

Es war faszinierend wie verängstigt Miu reagierte weil sie eine unbekannte Person treffen sollte, während sie andererseits nicht die geringste Angst um ihre eigene Person zeigte, obwohl mitten in der Nacht düstere Gestalten in ihrem Haus herumgeschlichen waren.
 

Er verabschiedete sich und warf das Handy dann zurück in die Tasche.

Als er sich aufrichtete und im Zimmer umsah stellte er fest dass ihm immer noch leicht schwindlig war und er sich lieber noch mal hinlegen wollte, schließlich hatte er noch genug Zeit bis er bei Miu sein sollte.
 

Mit steifen Schritten kehrte er in den kleinen Raum zurück, in dem er schlief.

Es fühlte sich so gut an den Kopf auf die weichen Kissen legen zu können und sich in die Decke zu kuscheln.

Allerdings fiel ihm das Einschlafen nicht so leicht wie in der Nacht zuvor.

Ihm ging vieles durch den Kopf, in erster Linie natürlich der Einbruch bei Miu.

Er war nicht paranoid. Es gab nicht nur keinen Grund hinter ihm her zu sein, es gab auch nicht den geringsten Hinweis darauf, dass dieser Einbruch ihm gegolten hatte. Doch es gelang ihm nicht, die leise Stimme zu ignorieren, die ihm zuflüsterte, dass Miu's Gedankengang vielleicht doch nicht ganz so falsch war.

Verärgert schob Akio den Gedanken an den Einbruch weit von sich.

Er wollte sich keine müßigen Gedanken mehr über eine mögliche Gefahr machen, in welcher er vielleicht schwebte.
 

Leider war das einzige andere Thema das Akio keine Ruhe ließ seine Begegnung mit dem Mann gestern. Okay, es war ja auch eher eine ungewöhnliche Begegnung gewesen, anders konnte man es nicht ausdrücken fast überfahren zu werden.

Das war es allerdings nicht, was Akio so beschäftigte. Es waren seine eigenen Gedanken, die ihn verwirrten, die immer wieder zu dem Gesicht im Halbdunkel zurückkehrten.

Dabei gab es eine Menge Dinge die im Moment bedeutender waren.

Er hatte sogar im Taxi von dem Fremden geträumt! Er konnte sich jetzt erklären warum der Mann im Traum ihn nach seiner Adresse gefragt hatte, wahrscheinlich war das der Taxifahrer oder Nancy gewesen, die wissen wollten, wohin sie ihn bringen sollten.

Das erklärte jedoch nicht, warum Akio im Halbschlaf das Gesicht des Fremden vor sich gesehen hatte.

Ihn beschäftigte außerdem, warum er jenes Gesicht nicht nur in der ersten Verwirrung nach dem Unfall, sondern bis zu diesem Moment jetzt als attraktiv empfand.

Was war nur in ihn gefahren?

Es machte keinen Sinn.

Akio hatte sich nie genauer mit sexuellen Orientierungen auseinandergesetzt.

Männer standen eben auf Frauen und Frauen auf Männer. Nach ein paar Jahren rumprobieren heiratete man dann wohl, setzte Kinder in die Welt und wurde Vater. Akio’s „Rumprobieren“-Phase war bisher relativ kurz gekommen; im Gegensatz zu Miu war die Zeit in Europa zwar für ihn nicht von kompletter Unfreiheit geprägt gewesen, aber allzu viel Kontakt zu Gleichaltrigen hatte er nun auch wieder nicht gehabt, vermutlich weil sein Vater sich sorgte sie könnten Akio’s Charakter verderben.

Hätte Akio sich nicht zu Frauen hingezogen gefühlt hätte er vielleicht schon mal den einen oder anderen Gedanken an das Thema verschwendet, aber dem war nicht so.

Er mochte Frauen. Er mochte weiche anschmiegsame Körper. Er mochte hübsche Gesichter mit großen Augen, umrahmt von langen gepflegten Haaren.

Aber warum mochte er auch dieses markante Gesicht des Fremden?

Wütend auf sich selbst warf Akio sich auf die andere Seite und versuchte seinem schmerzenden Kopf zu befehlen an niedliche kleine Schäfchen zu denken die ihn begeistert ins Reich der Träume geleiten wollten.

Der Erfolg war mäßig, aber irgendwann glitt er tatsächlich in einen unruhigen Schlaf hinüber.
 

Nach Akio’s Gefühl war keine halbe Stunde vergangen seit er sich wieder hingelegt hatte, da klingelte das Telefon ein weiteres Mal. Als Akio sich fluchend aus dem Bett wälzte war er sich sicher, dass sich die ganze Welt gegen ihn verschworen hatte.

Eine kühle, weibliche Stimme begann zu sprechen, sobald er den Anruf entgegen genommen hatte:

"Mein Name ist Shimizu, ich bin die Sekretärin von Higuchi-san. Spreche ich mit Akio Higuchi?"

Akio erstarrte.

Wie hatte er auch annehmen können sein Vater würde ihn tatsächlich in Ruhe lassen obwohl er längere Zeit im gleichen Land verweilte wie er?

"Akio?"

Akio zuckte zusammen als er plötzlich die raue, tiefe Stimme seines Vaters statt der neutralen Telefonzentralen-Stimme der Sekretärin hörte.

Hastig antwortete er.

"Ja, Vater?"

Ungeduld schwang in der Stimme des Mannes am anderen Ende der Leitung mit.

"Ich habe gehört du bist inzwischen in Tokyo angekommen? Wie kommt es dass du seit über zwei Monaten hier bist und dich noch nicht von selbst bei mir gemeldet hast?"

Akio hörte sehr wohl die Spitze in den Worten.

"Ich war sehr beschäftigt…der Umzug, die Uni, weißt du...“ versuchte er schwach eine Ausrede.

Sein Vater ging gleich gar nicht darauf ein.

"Ich will dich morgen Abend sehen. Ich habe etwas mit dir zu besprechen, vor allem nachdem heute Nacht bei deiner Schwester eingebrochen wurde."

Der spöttische Ton in seiner Antwort überraschte Akio selbst:

"Was denn, willst du mir etwa auch einen Bodyguard aufzwängen?"

Die Stimme seines Vaters ließ allerdings keine Überraschung erkennen.

"Du bist also schon über Miu's Situation informiert. Gut. Also dann bis morgen Abend."

verabschiedete er sich kompromisslos.

Mit einem Seufzen legte Akio das Handy weg und entschied sich vorerst nicht zurück ins Bett zu gehen. Ansonsten würde ihn sowieso nur irgendjemand wieder aus dem Schlaf reißen.

Mit einem sehnsuchtsvollen letzten Blick Richtung Bett begab er sich ins Badezimmer um sich fertig zu machen.
 

Renjiro verabschiedete die beiden Herren die sich bis eben noch in seinem Büro aufgehalten hatten.

Sie wirkten unzufrieden, als hätten sie nicht erreicht weshalb sie gekommen waren.

Als er die Tür hinter ihnen geschlossen hatte gönnte er sich ein selbstzufriedenes Lächeln. Immer wieder wurde sein rascher Aufstieg angezweifelt, auf niemanden sonst hatten die Behörden so scharf ein Auge – auf seine Geschäfte, sämtliche Bewegungen auf seinen Konten und natürlich vor allem ob er irgendwelche Verbindungen zum Untergrund hatte.

Mehrmals im Jahr bekam er daher Besuch von freundlichen Herren die sich zuerst größte Mühe gaben ihm etwas anzuhängen und ihn dann, sobald sie merkten dass sie nichts gegen ihn in der Hand hatten, auf höflichste Weise zu überzeugen versuchten sie relativ grundlos zu bestechen, womit sie ihn schließlich tatsächlich in der Hand gehabt hätten.

Natürlich würde Renjiro sich hüten ihnen so in die Hände zu spielen.

Seine Geschäfte liefen gut, auch die weniger offiziellen, nicht zuletzt weil Kaminari effektiv dafür sorgte dass Informationen über Geschäfte an welchen SIE Anteil hatten niemals die Öffentlichkeit erreichten. Weil die Geschäfte seiner Konkurrenten ganz zufällig nicht ganz so gut liefen und natürlich auch weil beträchtliche Geldströme jene erreichten die an deutlich wichtigeren Positionen saßen als diese beiden unbedeutenden Beamten.

Renjiro räumte sorgfältig die Dokumente auf die er den Männern vorgelegt hatte und sein Lächeln verschwand.

Noch heute würde er sich jener riskanten Sache widmen müssen wenn er diese Geschäftsvorteile nicht missen wollte. Er ärgerte sich die Aufgabe überhaupt anderen übertragen zu haben; er war kein bisschen vorangekommen aber schon wussten zwei Menschen mehr auf dieser Welt von seinen Plänen und das war ein Risiko das Renjiro schon aus Prinzip nicht gerne einging.

Daher hatte er sich jetzt entschieden die Sache selbst in die Hand zu nehmen – das war nicht ungefährlich, schließlich konnte er erkannt werden und später würde vielleicht jemand die richtigen Schlüsse ziehen wenn der Junge plötzlich verschwand.

Aber sich ein weiteres Mal auf andere zu verlassen kam nicht in Frage.

Renjiro ließ prüfend den Blick ein letztes Mal über sein tadelloses Büro gleiten bevor er nach seiner Tasche griff und es Richtung Tiefgarage verließ.
 

Das Telefongespräch mit seinem Chef verlief nicht viel angenehmer als das mit seinem Vater, und diese Gespräche standen sowieso nicht gerade auf Akio’s Liste der Telefonate die er am liebsten führte. Sein Chef war alles andere als begeistert dass Akio in der vorherigen Nacht einfach nicht aufgetaucht war.

Nach dem Gespräch entschied Akio sich spontan doch zu einem Arzt zu gehen, eine offizielle Bescheinigung würde seinen Chef vielleicht beschwichtigen.

Da er schon mal am Telefonieren war rief er auch gleich Hiroshi an, dieser konnte ihm vielleicht helfen einen Arzt zu finden.
 

"Ach du heilige Scheiße."

"Das hast du aber schön zusammengefasst..." kommentierte Akio spöttisch.

"Glaubst du nicht der Kerl war derjenige der dich angefahren hat? Du solltest ihn verklagen! Und zu ´nem Arzt hättest du gestern schon gehen sollen!" Hiroshi gelang der Spagat gleichzeitig ungehalten und besorgt zu klingen.

"Hör auf dich wie eine Glucke aufzuführen, Hiro. Sag mir einfach wo ich einen Arzt finde der mir ´nen hübschen Zettel zum Thema Arbeitsunfähigkeit schreibt, ja?"

Hiro zögerte einen Moment lang.

"Ich werde mal bei mir zuhause nachfragen; ich kenne mich selber nicht so gut mit Ärzten aus, ich brauch normalerweise keinen." erklärte er dann.

Nach einem weiteren Schweigen in der Leitung fragte er plötzlich angespannt:

"Denkst du…glaubst du...du schaffst es zu unserem Termin am Freitag?"

Akio versuchte ihn zu beruhigen, er wusste wie wichtig dieser Tag für sie alle war.

"Mach dir keine Sorgen, klar komm ich. Eigentlich brauch ich gar keinen Arzt. Ich will nur mal nachschauen lassen, wegen der Arbeit halt. Der Rest wird schon wieder."

Hiro räusperte sich.

"Ja...also dann…ruh dich heute einfach gut aus, ja? Dann sehen wir uns in der Uni."

Am Freitag hatte Night Love Dragon ein Gespräch mit einem großen Label. Sie spielten erst wenige Wochen zusammen; nie hätten sie gedacht schon so früh die Chance auf ein Debut zu bekommen.

Akio, der wusste dass Hiro schon länger mit den anderen beiden zusammen spielte, konnte verstehen wie wichtig ihnen diese Chance war.
 

Nachdem er aufgelegt hatte warf Akio einen Blick auf die Uhr.

Zum Ausruhen blieb ihm eigentlich keine Zeit mehr wenn er es rechtzeitig zu Miu schaffen wollte.

Während er sich anzog dachte er über das stockende Gespräch eben nach.

Hiro verhielt sich ein wenig seltsam in letzter Zeit, fand Akio. Als sie die letzten Jahre nur über das Internet in Verbindung gewesen waren, während Akio in Europa gewesen war, hatte Hiroshi sich als der normale Kumpel verhalten den Akio schon seit seiner frühen Kindheit kannte.

Aber seit er vor ein paar Wochen nach Japan zurückgekehrt war, war es irgendwie...anders zwischen ihnen.

Unsicherer, irgendwie unbeholfen.

Akio schüttelte den Kopf als müsse er den Gedanken verscheuchen. Es war nur normal dass nach all den Jahren nicht die gleiche perfekte Chemie zwischen ihnen herrschte wie in ihrer Kindheit.

Absolut nichts worüber man sich den Kopf zerbrechen musste; vor allem nicht wenn schon genug verwirrende Dinge darin herumschwirrten.

Wie zum Beispiel der Frem-

Entschieden schob Akio den Gedanken beiseite.
 

"Ein paar leichte Prellungen und blaue Flecken, nichts Ernstes. Sie sind wirklich glimpflich davon gekommen – ich würde mir allerdings zur Sicherheit Ihren Kopf lieber noch genauer ansehen. Ihnen war heute Morgen also schwindlig?"

Akio nickte. Er glaubte nicht dass ihm irgendetwas fehlte, jetzt, nachdem der Arzt ihn bereits untersucht hatte. Aber wenn er diesen Zettel wollte konnte er auch nicht alles vollkommen auf die leichte Schulter nehmen.

"Ja, aber ich habe nicht gekotzt oder so. Mir ging es zwar ziemlich beschissen aber jetzt ist alles schon viel besser."

Akio konnte sehen wie es im Gesicht des Mannes arbeitete.

"Es ist eigentlich meine Pflicht als Arzt auf Nummer Sicher zu gehen…aber ich sehe schon dass ich damit nicht in Ihrem Sinne handeln würde. Warum sagen Sie mir denn nicht wenigstens was passiert ist? Dann könnte ich zumindest das Risiko besser einschätzen."

Akio’s Blick glitt forschend über das feiste Gesicht des besorgten älteren Mannes, das von einem weißen Haarkranz gesäumt war. Wenn er ihm erzählte dass er angefahren worden war würde das einen ganzen Rattenschwanz an Problemen nach sich ziehen; es war besser wenn der Arzt nichts Genaueres erfuhr. So schüttelte er nur leicht den Kopf und erhob sich dann.

Ein wenig enttäuscht stand auch der ältere Arzt auf und sie verabschiedeten sich.

Zufrieden hielt Akio trotzdem wenig später ein Attest in der Hand mit dem er sich auf den Weg zu seinem Arbeitgeber machte.
 

Ryo stand in der U-Bahn, ohne Taro.

Der kleine Freak würde sich nie bequemen vor Einbruch der Dunkelheit aufzustehen; wie immer lag er noch glücklich und entspannt in ihrer gemeinsamen Wohnung in seinem kuscheligen Bett, natürlich hinter einer verschlossenen Tür die Ryo den Zutritt in Taro’s persönliches Reich verwehrte. Auch Ryo wäre gerne seinem Beispiel gefolgt, aber ihr beider Überleben hing davon ab dass sie vernünftig für ihren Job bezahlt wurden.

Und der Auftraggeber des Mordes der gestrigen Nacht hatte klar gemacht dass er nur genau JETZT bereit war zu zahlen. In Ryo stieg Ärger auf, weniger auf ihren Auftraggeber und mehr auf Taro.

Es war Taro‘s Job gewesen; er hatte ihn – wie eigentlich immer – ohne Ryo’s Einverständnis angenommen, und während Ryo draußen vor der Tür Wache stand hatte er sich drinnen mit dieser Frau vergnügt.

Noch so etwas das Ryo an seinem Partner hasste.

Er selbst bevorzugte es Aufträge schnell und sauber über die Bühne zu bringen, doch Taro machte daraus ein gestörtes Spiel, zog die Qual seiner Opfer hinaus, erhöhte das Risiko eines Tages erwischt zu werden unnötig.

Mit einem Ruck hielt die U-Bahn an der nächsten Station und riss Ryo aus seinen Gedanken.

Ein neuer Schwall Menschen schwappte in die ohnehin volle U-Bahn und quetschte ihn gegen die Rückwand. Genervt ließ Ryo es über sich ergehen.

Was hatte er schon davon zu versuchen sich mehr Platz zu schaffen?

Wenigstens war er groß genug um über die Köpfe der Menschen hinwegblicken zu können; so blieb ihm zumindest eine letzte Illusion von Freiraum erhalten.
 

Entnervt ließ Akio sich mit der Menschenmasse treiben;

Die Hoffnung eine Haltestange zu erreichen hatte er schon aufgegeben.

Die typische morgendliche Rushhour war doch eigentlich schon längst vorbei!

Ein Blick auf seine Uhr half ihm eine logische Erklärung für das Gedränge zu finden – es war Mittagszeit; und gerade heute schienen alle braven Arbeiterbienen für diese Zeit ihren Bienenstock verlassen zu wollen. Ein besonders hektisches Exemplar im schwarzen Anzug rammte ihn von hinten und drückte ihn auf einen schlaksigen blonden Mann zu. Unsanft wurde er gegen diesen gedrängt und Akio hörte diesen leise stöhnen.

Beschämt senkte er den Kopf; er musste den Mann schon ziemlich hart erwischt haben um solch eine Reaktion auszulösen.
 

Ryo riss sich zusammen.

Was war ihm denn da gerade für ein Laut entwichen?!

Ein junger Kerl, vielleicht 16 oder 17, war gegen ihn gerempelt und hatte dabei natürlich genau die Stelle an seinem Brustkorb erwischt die Taro in der Nacht mit einem so liebevollen Tritt bedacht hatte. Gleichzeitig stieg ihm schwach der Duft von Taro’s Shampoo in die Nase. Verwirrt senkte Ryo den Blick um den Typ der ihn da angerempelt hatte genauer ins Auge zu fassen. Ein hellgrauer Haarschopf bewegte sich unter seiner Nase, Ryo drückte sich mit ziemlichem Kraftaufwand ein wenig von ihm weg um auch das Gesicht darunter in Augenschein nehmen zu können.

Ein Paar tiefdunkelgrün schimmernder Augen blickte zu ihm auf.

Ryo erschauderte.

Wow.

Er konnte auf beiden Schiffen segeln, aber außer Taro hatte ihn auf dieser Seite bisher selten jemand so richtig angesprochen. Nun, das hatte sich soeben verändert.

"Sorry", sagte der junge Mann in diesem Moment auf Englisch. Seine Stimme war angenehm und wohl schon durch den Stimmbruch.

Ryo wollte abwinken, merkte dass das in der vollen U-Bahn keine gute Idee war, und bewegte daher nur die Augen.

"Kein Problem. Und keine Sorge, ich verstehe Japanisch."

Diese Farbe faszinierte ihn. Er hatte noch nie so ein intensives Grün in den Augen eines Menschen gesehen. So klischeehaft das auch klang, sie schimmerten wie Smaragde, aber bei weitem nicht so kalt. Eher…müde?

Die Augen schlossen sich, zu Ryo’s Bedauern.
 

Akio’s Widerstand gegen die Müdigkeit war schwach, und so sehr er es auch hasste in dieser Menschenmasse eingequetscht zu sein, so war es doch gleichzeitig auch recht angenehm; die Leute standen so dicht gedrängt dass er gar nicht hätte umfallen können, selbst wenn die Beine unter ihm nachgeben würden.

Der blonde Mann der wie ein Ausländer aussah hatte auf Japanisch geantwortet. Nun, auch egal.

Bis zum Vergnügungsviertel in dem Akio’s Arbeitsplatz lag war es noch ein Stück.
 

Ryo atmete vorsichtig den schwachen Duft der Haare unter seiner Nase ein.

Er kam sich wie ein Perverser vor. War er am Ende jemand der einfach auf einen bestimmten Geruch abfuhr, und wer ihn trug spielte überhaupt keine Rolle?

Sofort verneinte er vor sich selbst. Seine Beziehung zu Taro war viel vielschichtiger, der…Sex den sie hatten – Ryo tat sich schwer mit dem Begriff, denn was sie taten, ließ Ryo grundsätzlich wenig befriedigt zurück – war nichts als ein Bonus, ein Unfall der hin und wieder passierte.

Nur was reizte ihn dann an dem jungen Mann dessen Körperwärme er durch sein Shirt hindurch fühlen konnte?

Ryo rief sich zur Ordnung. Letztendlich spielte es keine Rolle. Sexkontakte, Beziehungen, Freundschaften, all das waren Begriffe aus einer anderen Welt, nicht SEINER Welt.

Er würde sich hüten mit irgendeinem Menschen unnötig Kontakt zu haben.

Er betrachtete das friedlich dösende Gesicht unter sich.

Theoretisch könnte dieser Junge das Opfer des zweiten Auftrags der vorigen Nacht sein, der so schrecklich schief gegangen war; das geschätzte Alter passte, helles Haar hatte er auch.

Natürlich war er es nicht; ein Ziel aus der 94. Straße würde wohl kaum mit der U-Bahn fahren, es ging nur um den rein theoretischen Gedanken.

Müßige Gedanken, mal wieder.

Deshalb hasste er es untätig zu sein.

An der nächsten Haltestelle drängte er sich ins Freie.

Ryo liebte Bewegung. Zum Übergabepunkt zu joggen war sowieso viel besser als Herumstehen in einem stickigen Waggon, was ihn nur auf unsinnige Gedanken brachte.

Entführung für Anfänger

Renjiro machte sich auf den Weg in die Tiefgarage, seinen Fahrer hatte er bereits gerufen,

der Chefsekretärin Bescheid gesagt dass er vielleicht später aus der Mittagspause zurückkommen würde weil er noch etwas zu erledigen hatte.

Sein Plan stand bereits.

Er würde zur Toudo-Universität fahren und dort nach dem Jungen suchen.

Nach ruhigem Nachdenken war Renjiro klar geworden dass er eigentlich Glück gehabt hatte dass sein Fahrer den Jungen angefahren hatte – so bestand ein Grund ihn noch einmal aufzusuchen und ein Vorwand, um ihn mit ein wenig gutem Zureden in sein Auto steigen zu lassen; er hatte sogar dadurch den perfekten Grund dieses Einsteigen an einen Ort zu verlegen an dem niemand es sehen würde; als Kind einer reichen Familie würde der Junge verstehen dass Renjiro ein Ansehen zu wahren hatte.

Was danach passierte würde niemand mehr mitbekommen.
 

Hiro verabschiedete sich von dem Dozenten an den er nach der Vorlesung noch die eine oder andere Frage gehabt hatte. Es war jetzt Mittagszeit; normalerweise tauchte Akio selten vor 12 Uhr mittags in der Universität auf, aber heute machte sein Fehlen Hiro ein wenig unruhig.

Logisch, schließlich hatte er am Morgen noch mit ihm telefoniert und dieser hatte Hiro erzählt dass er am Abend zuvor angefahren worden war!

Theoretisch war es ihm egal wie Akio seine Zeit verbrachte, aber unter diesen Umständen machte er sich natürlich Sorgen, Akio war schließlich nicht einfach nur irgendein Bekannter.

Er war ein langjähriger Freund; Hiro kannte Akio seit dieser als kleiner Junge mit seiner Mutter in die Nachbarschaft von Hiro's Familie gezogen war. Kurz spielte er mit dem Gedanken ihn ein weiteres Mal anzurufen, verwarf diesen dann allerdings sogleich wieder.

Hiro wollte weder wie eine besorgte Glucke wirken noch war es eine gute Idee Akio zu stören falls dieser sich gerade zuhause ausruhte und von seinen Verletzungen erholte.

NLD hatte heute keine Probe und noch ohne rechten Plan was er eigentlich mit dem Tag anfangen wollte verließ er das Gebäude.
 

Die strahlende Mittagssonne blendete ihn als er auf den Campus hinaustrat auf dem sich viele junge Menschen tummelten. Einige nutzten den heiligen grünen Rasen vor dem Hauptgebäude für ein Nickerchen und kurzzeitig konnte Hiro in sich eine leichte Trägheit aufsteigen fühlen die wohl bei Akio sonst der Grund war warum dieser der Meinung war dass sich die Universität erst lohnte wenn die Sonne bereits wieder am Sinken war.

Natürlich gab Hiro der Müdigkeit nicht nach sondern machte sich auf den Weg zur Bibliothek um ein wenig zu lernen.

Er kam nicht besonders weit.

Ein Kommilitone, der wie er im dritten Semester war, fing ihn auf halber Strecke über das Gelände ab.

"Hey, warte mal, ähm...ich weiß deinen Namen nicht mehr..! Warte!"

Hiro wusste trotzdem dass er gemeint war, der Ausruf war deutlich in seine Richtung gegangen und in seiner Nähe stand sonst niemand.

"Kann ich dir helfen?" fragte er freundlich und blieb stehen.

Der junge Mann, der sichtlich außer Atem war, schnappte erst einmal nach Luft bevor er ohne Umschweife sagte:

"Du kennst doch Akio Higuchi, hab ich das richtig im Kopf? Weißt du wo er gerade ist?"

Einen Moment lang starrte Hiro den jungen Mann einfach nur an.

Akio, Akio.

Im Moment drehte sich eindeutig zu viel um Hiro's Freund aus Kindertagen!

"Er ist heute nicht hier." erklärte Hiro ein wenig widerwillig, ohne jedoch wirklich etwas von seinem Unmut durchscheinen zu lassen.

Sein Kommilitone stöhnte enttäuscht auf.

"Heißt das ich bin ganz umsonst vom Tor bis hierher gerannt?"

Hiro zuckte nur mit den Schultern. Was sollte er dazu auch sagen.

"Worum geht’s denn? Vielleicht kann ich ihm was ausrichten?" erklärte er sich dann bereit.

Der andere strich sich frustriert die Haare nach hinten und erklärte dann:

"Nicht so wirklich...am Eingang zum Campus steht so ein Kerl...Typ erfolgreicher Geschäftsmann würde ich mal vermuten, der sich nach Akio Higuchi erkundigt hat. Er hat nicht gesagt warum er ihn sucht, und ich hab auch nicht gefragt, geht mich ja schließlich nix an, oder? Aber wenn Akio nicht da ist - warum fehlt der eigentlich schon wieder? - kannst du ja mal hingehen und ihn fragen was er will."

Ohne auf Hiro's Antwort zu warten drehte er sich um und ging davon.
 

Leicht verärgert über den unhöflichen Abschied machte Hiro sich auf in Richtung Eingangstor.

Ein typischer Geschäftsmann? Was konnte der denn von Akio wollen?

Hiro wusste um die hohe Intelligenz seines Freundes, dem beim Lernen alles in den Schoß fiel und der mit keinem Fach Schwierigkeiten hatte – wenn er nicht gerade aus Unachtsamkeit eine Prüfung verpasste – aber es wäre ihm neu dass Akio bereits Kontakte knüpfte was spätere Berufschancen anging. Ganz abgesehen davon dass Akio sowieso nicht der Typ für einen Bürojob war.

Kurz kam ihm der erschreckende Gedanke es könnte der Produzent sein mit dem sie am Ende der Woche einen Termin mit NLD hatten...aber der kleidete sich eher leger und hatte eigentlich auch keinen Grund sich die Mühe zu machen sie persönlich an ihrem Studienort aufzusuchen.

Aber wer dann?

Ihm fiel Akio's Vater ein; die Beschreibung “erfolgreicher Geschäftsmann“ passte in dem Falle wie die Faust aufs Auge. Aber der war absolut nicht der Typ der am Tor der Universität auf seinen Sohn wartete. Hiro schob den abwegigen Gedanken beiseite.

Wenn er am Tor ankam würde er schon sehen ob er die Person kannte die nach Akio gefragt hatte.
 

Ungeduldig knöpfte Renjiro die Knöpfe an den Ärmeln seines Jacketts auf und wieder zu.

Er war hin- und hergerissen, hier am großen gusseisernen Tor zum Universitätsgelände.

Junge Leute pendelten an ihm vorbei; manche auf dem Weg zu den Cafés und kleinen Läden die das Gelände umgaben, andere kamen gerade erst an um Vorlesungen zu besuchen die vermutlich bald beginnen würden. Nicht wenige warfen ihm neugierige Blicke zu wie er da so an einem der beiden Pfeiler aus hellem Stein stand die zum Tor gehörten.

Verdammt!

Mit jeder Minute die verging sahen mehr Menschen ihn; der Kerl den er nach dem Jungen gefragt hatte wusste zudem auch noch nach wem er suchte. Wenn das Kind plötzlich verschwand würde vielleicht der eine oder andere sich an den ominösen Mann erinnern der am Tor gewartet hatte und die richtigen Schlüsse ziehen.

In Gedanken verbesserte Renjiro sich.

Das 'Kind' war anscheinend im 3. Semester an dieser Universität eingeschrieben und musste daher eigentlich schon mindestens 20 und somit volljährig sein. Das machte es zu einem „Mann“, auch wenn das jugendliche Gesicht und der lockere Kleidungsstil einen anderen Eindruck erweckten.

Renjiro spielte mit dem Gedanken einfach von hier zu verschwinden. Aber nachdem Menschen ihn bereits gesehen hatten machte das keinen Sinn mehr und er würde für das eingegangene Risiko nicht einmal etwas gewinnen wenn er ging bevor die gesuchte Person erschien.

Mühsam unterdrückte er die Wut die in ihm aufstieg wenn er daran dachte dass er dieses Risiko nie hätte eingehen müssen wenn die beiden Männer denen er den Auftrag gegeben hatte den jungen Mann zu fangen ihren Job gemacht hätten.

Fehler bei der Arbeit verzieh er nicht. Nicht bei sich selbst und daher auch nicht bei anderen.
 

Ein leises Räuspern richtete seine Aufmerksamkeit auf einen relativ großen jungen Mann mit kurzem, wild-stoppeligem Haar der neben ihm stand. Für Renjiro, der oft weit nach unten blicken musste um den meisten Japanern ins Gesicht zu blicken, war es direkt ungewohnt sich jemandem gegenüber zu sehen dem er fast auf Augenhöhe begegnen konnte.

Ein finsterer Blick traf ihn aus den schwarzbraunen Augen des jungen Mannes.

Was sollte denn dieser provozierende Blick? Renjiro, der sich seiner Wirkung auf andere durchaus bewusst war, schoss einen Blick zurück der den jungen Mann in seine Schranken verwies.
 

Dieser lächelte daraufhin ein wenig eingeschüchtert und sagte dann:

"Entschuldigung...sind Sie derjenige der nach Akio sucht?"

Renjiro musterte ihn. Ganz offensichtlich hatte dieser junge Mann keine Ähnlichkeit mit dem Jungen der gestern auf der Rückbank seines Wagens gelegen hatte. Aber der erwähnte Name 'Akio' stimmte mit seinen Daten überein. Jetzt galt es, sich auf die Schnelle eine sinnvolle Erklärung für seine Suche nach dem Jungen – Mann! - einfallen zu lassen um ja keine Zweifel an Renjiro selbst auszulösen.

Schwierig war das nicht, immerhin hatte er Zeit genug gehabt sich etwas zu überlegen, während er hier wartend am Tor gestanden hatte.

Nach einem kaum merklichen Zögern, während dem er noch ein letztes Mal das Risiko abwog, sagte er:

"Ja, ich soll Akio-kun im Namen seines Vaters abholen kommen."

Diese Ausrede war ihm in den Sinn gekommen nachdem er noch einmal alle Informationen durchgegangen war die er bisher über den Jungen hatte. Das Erste was er am Morgen gemacht hatte war in Erfahrung zu bringen wem das Haus gehörte, zu dessen Adresse er seinen kurzzeitigen 'Gast' am gestrigen Tag gefahren hatte.

Es war im Besitz eines gewissen Herrn Higuchi. Dieser hatte zwei Kinder, einen Sohn und eine Tochter; der Name des Sohns war Akio und stimmte damit absolut passend mit der spärlichen Information überein, die Renjiro von der Organisation erhalten hatte. Innerlich hatte Renjiro den Rat verflucht – wenn sie schon ein so wertvolles Vögelchen wollten sollten sie diese Aufgabe nicht einem relativen Laien in die Hand geben! Den Sohn eines bedeutenden Mannes in die Finger zu bekommen war deutlich schwieriger und vor allem riskanter als dieses Unterfangen sowieso schon war. Wie dieser überhaupt gestern auf seiner Rückbank gelandet war, war eigentlich schon ein Wunder für sich, so komplett unbewacht und hilflos.

Eine solche Chance würde kein weiteres Mal einfach vom Himmel fallen. Der junge Mann der jetzt vor ihm stand schaute ihn einen Moment lang misstrauisch an und Renjiro hoffte keine Information falsch interpretiert zu haben – von Butterfly & Snake, die er mit dem Auftrag betraut hatte den Jungen aus seinem Haus zu entführen, wusste er, dass der Vater nicht mit im Haus wohnte. Renjiro hatte daher auf ein eher fernes Verhältnis zwischen Vater und Sohn gesetzt, aber er war bereit seine Geschichte jederzeit anzupassen je nachdem wie der schlaksige Schwarzhaarige vor ihm reagieren würde.
 

"Es eilt." ergänzte er seine Aussage schließlich, um eine Reaktion zu bekommen.

"Ah! Oh. Ja, klar." reagierte der junge Mann hektisch und trat nervös von einem langen Bein aufs andere.

"Ähm...Akio ist heute nicht in der Uni gewesen. Haben Sie es schon bei ihm Zuhause versucht?" beantwortete er schließlich endlich die implizierte Frage nach dem hellhaarigen Jungen der weit und breit nicht zu sehen war.

"Ach?" Renjiro bebte innerlich vor Wut. Wo trieb dieser Kerl sich herum wenn er eigentlich Anwesenheitspflicht hatte?! Sein Gesicht blieb jedoch eine glatte, ruhige Maske.

"Er war nicht zu Hause." meinte er knapp.
 

In Hiro stieg Ärger auf, den er nur mit Mühe unterdrücken konnte. Klar, der Mann vor ihm konnte nichts für die Aufgaben die Akio's Vater ihm gab und es wäre daher alles andere als fair an diesem seinen Hass auf Akio's Vater auszulassen, aber trotz allem fielen Hiro's nächste Worte deutlich schärfer aus:

"Vielleicht sollte der liebe Herr Papa dann seinen Sohn einfach mal selbst anrufen oder so, statt ihn nur zu holen oder wieder wegzuschicken wann und wie es ihm gerade passt?!"

Hiro hatte Herrn Higuchi nur ein einziges Mal im Alter von 7 Jahren gesehen und war damals komplett ignoriert worden, er wusste aber dass es die Schuld eben jenen Mannes war, dass er Akio so viele Jahre nicht gesehen hatte, nachdem dieser Akio gegen den Willen seiner Mutter ans andere Ende der Welt, nach Europa, mitgenommen hatte.
 

Renjiro sah wie es im Gesicht des Schwarzhaarigen arbeitete.

Hatte er also doch richtig gelegen. Er hätte sonst auch dringende Arbeit des Vaters oder Ähnliches vorschieben können wenn es dem augenscheinlichen 'Freund' seiner Zielperson seltsam vorgekommen wäre dass nicht der Vater selbst auftauchte, aber offensichtlich war das nicht nötig.

Stattdessen befahl er sich ein verunsichertes Gesicht aufzusetzen und beeilte sich zu antworten:

"Es liegt nicht in meinem Ermessen darüber zu entscheiden...haben Sie denn keine Idee wo Akio-kun noch sein könnte? Ich möchte nicht meinen Job gefährden nur weil ich ihn nicht finden konnte..."

Das stimmte sogar, auch wenn die Umstände natürlich komplett andere waren als der Student vermuten würde. Seine Auftraggeber bei Kaminari würden sich schließlich auch alles andere als begeistert zeigen wenn die Zielperson ihm entkommen sollte.

Auf dem Gesicht von Renjiro's Gegenüber zeigte sich nach Renjiro's Worten so etwas wie Reue.

Verlegen kratzte der junge Mann sich am Hinterkopf und murmelte:

"Mir ist schon klar dass Sie nix 'für können..."

Nachdem Renjiro ihn eine Weile auffordernd angestarrt hatte wurde ihm wohl bewusst dass er die Frage noch nicht beantwortet hatte denn er beeilte sich plötzlich zu sagen:

"Äh...ich weiß nicht wo Akio sich tagsüber rumtreibt wenn er nicht daheim is', aber abends sollte er im XY sein. Das ist so'n kleiner Club in der Umgebung der 72. Straße."

Er schien einen Moment zu zögern, dann ergänzte er noch in einem unsicheren, fragenden Tonfall:

"Egal was er da macht, sie holen ihn da einfach nur ab, oder? Sie erzählen nicht seinem Vater was sie da sehen?"

Renjiro kam der Name des Clubs bekannt vor aber er konnte ihn im Moment nicht zuordnen.

"Meine Aufgabe besteht lediglich darin Akio-kun zu seinem Vater zu bringen." sagte er beruhigend. Er hatte einen weiteren Hinweis, jetzt wurde es Zeit möglichst schnell von hier zu verschwinden. Er verabschiedete sich, drehte sich um und wollte bereits gehen, als die Stimme des jungen Mannes ihn aufhielt.

"Sie sind 'n guter Kerl, das ist selten. Wenn Sie Akio sehen richten Sie ihm 'nen Gruß von mir aus, ja? Mein Name ist Hiroshi Sugimoto, aber meine Freunde nennen mich Hiro. Sie könn'n ruhig auch Hiro sagen. Wie heißen Sie denn eigentlich? Damit ich mir Sie merken kann falls wir uns jetzt vielleicht öfter seh'n...?"

Renjiro erstarrte mitten im Schritt, wand sich dann aber gefasst um und erwiderte in einem freundlichen Tonfall, der den Worten etwas von ihrer Schärfe nahm:

"Mein Name ist Mizutake*. Ich bezweifle allerdings dass wir uns oft über den Weg laufen werden, Sugimoto-SAN. Ich bin normalerweise überaus beschäftigt. Einen schönen Tag noch."
 

Hiro blieb etwas verwirrt zurück. Erst ein leises Kichern von zwei Mädchen die gerade vorbeiliefen erinnerte ihn daran dass er immer noch hier am Tor stand wie bestellt und nicht abgeholt, und schnell und etwas verlegen machte er sich wieder auf seinen ursprünglichen Weg Richtung Bibliothek.

Mizutake, was für ein seltener Name. Nun, ihm sollte es Recht sein dass Akio's Vater sich endlich bei Hiro's bestem Freund meldete, schließlich waren schon über zwei Monate vergangen seit er ihn nach Japan beordert hatte ohne ihm auch nur den Grund zu nennen. Das war auch der einzige Grund warum er dem...Sekretär? Fahrer?...Angestellten gegenüber Akio's Arbeitsplatz erwähnt hatte. Hiro zog sein Handy aus der Hosetasche und tippte eine kurze SMS an Akio:

'Erzähl mir morgen was dein Paps von dir wollte, ja?'

Am Eingang der Bibliothek steckte er das Gerät weg wie von dem Verbotsschild gewünscht das an der Glastür festgeklebt war. Es war Zeit sich jetzt wirklich auf's Lernen zu konzentrieren.
 

Akio schlüpfte aus der Bahn und atmete erleichtert auf. Der Schlaf der ihn überkommen hatte war rüde unterbrochen worden von all den Menschen die sich von allen Seiten gegen ihn drückten und es schafften dabei jede Prellung und jeden blauen Fleck den er hatte mindestens einmal zu erwischen.

Langsam ging er die Treppe hinauf - seine Verletzungen hingen ihm wirklich stärker nach als er selbst gedacht hatte - und spazierte dann in langsamem Tempo, um sich selbst nicht zu überfordern, durch das Vergnügungsviertel das jetzt um die Mittagszeit in eine ungewöhnliche Stille gehüllt war. Nur weit in der Ferne rauschte der Verkehr vor sich hin und vereinzelt ertönte ein leises Vogelzwitschern.

Akio wollte sich offiziell bei seinem Boss entschuldigen und ihm den Krankenschein vom Arzt zeigen in der Hoffnung diesen ein wenig milder zu stimmen, denn am Telefon hatte dieser so wütend geklungen dass man meinen konnte er würde Akio lieber heute als morgen entlassen.

Danach würde er zu Miu fahren, dort hoffentlich ein sehr spätes Frühstück bekommen und sich dann diesen neuen Bodyguard anschauen, denn ihr lieber Vater seiner kleinen Schwester auf’s Auge drücken wollte.
 

Durch die feuchtheiße Luft fühlte er sich noch schwerer und erschöpfter als sowieso schon, dabei würde die Regenzeit erst in ein paar Tagen beginnen. Akio war allerdings an die gemäßigteren Luftfeuchtigkeitswerte in Mitteleuropa gewöhnt und zwei Monate reichten einfach nicht aus um sich wieder komplett umzustellen. Hiro hatte ihn natürlich ausgelacht, als Akio schon im Mai zu jammern begann, und gemeint dass Akio wohl doch kein gebürtiger Japaner sein konnte wenn Mai und Juni ihm schon Probleme bereiteten. Über Akio's verteidigenden Einwand, Leute aus Hokkaido wären ebenfalls Japaner ohne aber deshalb beispielsweise mit den Temperaturen auf Okinawa zurechtzukommen, schnaubte Hiro nur und ignorierte ihn.

Erleichtert erkannte Akio in der Ferne das Haus in dem sich sein Arbeitsplatz befand. Jetzt musste er nur noch diese Straße hinter sich bringen, den Schein abgeben, und-

Oh verdammt!

Akio fiel siedendheiß ein dass er beim Arzt sein wahres Geburtsdatum angegeben hatte. Er blieb stehen, riss seine Tasche auf und suchte panisch den Wisch heraus, den er für seinen Arbeitgeber mitbekommen hatte. Mit einem erleichterten Aufatmen stellte er schließlich fest dass der Arzt sich damit begnügt hatte seinen Namen aufzuschreiben.
 

Akio hatte bei seiner Bewerbung sein Alter um ein Jahr „geschönt“, denn als Minderjähriger hätte er nur schwer einen Job bekommen, der Arbeitszeiten zwischen 22 und 3 Uhr vorsah, und Akio wurde erst diesen Monat 20.

Sollte das auffliegen hätte er ein größeres Problem als jetzt, letztendlich was das schließlich illegal. Andererseits sah Akio es auch einfach nicht ein, hier wieder als Teenager behandelt zu werden nachdem er in Europa fast 2 Jahre schon als Erwachsener verbracht hatte, das ließ sein Stolz nicht zu.
 

Vor einem – im Vergleich zu den umliegenden Gebäuden – niedrigen Eckhaus blieb Akio stehen.

Auf Höhe des ersten Stockwerks hingen zwei überdimensionale, im Moment dunkle, Leuchtbuchstaben an der grauen Fassade, die irgendwann vielleicht einmal weiß gewesen war. Das große X hing schräger als das Y daneben und es war unklar ob das vom Besitzer in einem Anflug von Kreativität beabsichtigt worden war oder ob einfach die Schrauben die es an der Wand hielten sich zu lockern begannen.

Im Erdgeschoss befand sich ein leeres Schaufenster, das mit Flyern diverser Etablissements aus der Nachbarschaft beklebt war. Daneben gab es einen offenen Treppenaufgang mit wackligem Geländer, der in die beiden oberen Stockwerke führte. Tagsüber sah es trostloser aus als es war, aber Akio kannte es bei Nacht, wenn die bunten Lichter der umliegenden Gebäude sich in den Scheiben brachen und das Haus zum Leuchten brachten. Er mochte das XY, die Atmosphäre bewegte sich irgendwo zwischen ausgeflippt und etwas gehoben; es war trotz des angeschlagenen Äußeren nicht so ein Saftladen wie manch andere hier in der Straße. Trotzdem war ihm bewusst dass sein Vater es nicht gerade gutheißen würde dass sein Erbe in einem Stripclub jobbte, und sei es nur um Getränke auszuschenken. Daher gab er sich bei diesem Detail aus seinem Leben tatsächlich Mühe dass sein Vater es nicht genau mitbekam. Akio war nicht so naiv zu glauben sein Vater hätte ihn die ganzen zwei Monate unüberwacht gelassen, aber er war sich sicher zumindest in diesem Zusammenhang aufgepasst zu haben.

Im zweiten und gleichzeitig bereits obersten Stockwerk hämmerte Akio gegen eine Tür, aus der laute Musik drang. Sein Chef wohnte über dem Laden und war der Einzige, der eine solche Lautstärke ertragen konnte. Erst in der kurzen Pause zwischen zwei Liedern schien das Klopfen überhaupt gehört zu werden und der Bewohner mit der Glatze und dem leichten Bauchansatz riss so plötzlich die Tür auf, dass nur Akio's schnelle Reflexe ihn davor bewahrten sie gegen den Kopf gedonnert zu bekommen. Sogleich schoss ein schmerzhaftes Ziehen durch die plötzlich belasteten Glieder und Akio verzog das Gesicht.

Der Bewohner grinste ihn an und sagte "Komm rein." bevor er sich umdrehte und in dem Dämmerlicht verschwand, das in der Wohnung herrschte.

Akio atmete innerlich auf als er seinem Chef in dessen Wohnung folgte, offensichtlich war dessen Laune seit dem Telefongespräch am Morgen deutlich gestiegen.
 

Renjiro war in sein Büro zurückgekehrt um bis zum Abend noch möglichst viel Arbeit zu erledigen. Zuerst arbeitete er auf was vom Vortag liegen geblieben war als er dem Auftrag Priorität eingeräumt hatte, dann holte er sich einen Kaffee und lehnte sich etwas zurück während er das Internet bemühte um nach dem XY zu suchen, von dem der Student ihm erzählt hatte.

Nach einem Moment Lesen entwich ihm ein Schnauben, dann sogar ein leises Lachen.

So so. Ein knausriger Opa war er also?

Renjiro erinnerte sich noch gut wie sich der Junge am Vorabend über den „knausrigen Opa“ ausgelassen hatte, der dem Manager des XY nicht erlaubte, ihm mehr Gehalt zu zahlen.

Nun, der Besitzer des XY war niemand anderes als er selbst.

Renjiro war der Name bekannt vorgekommen als er gefallen war, aber dass er diesen kleinen Stripclub irgendwann aufgekauft und seiner Kette hinzugefügt hatte war ihm entfallen. Nun, das würde die Dinge definitiv noch einfacher machen, denn indirekt war er jetzt auch noch der Arbeitgeber des Kleinen und hatte jeden Vorwand ihn zu treffen.

Zufrieden suchte er aus dem großen Aktenschrank an der Seitenwand seines Büros alle Informationen heraus, die er zum XY besaß, der Kaffee war vergessen und erkaltete unbeachtet.
 

Miu zuckte zusammen als sie Nancy langsam und beherrscht ausatmen hörte.

Die Teetasse die zu ihren Füßen lag und mit einer braunen Pfütze langsam den Saum ihres weißen Kleids durchtränkte war bereits der dritte Gegenstand, den Miu an diesem Tag zerbrochen hatte.

"Miu-chan...ich hoffe dir ist bewusst dass dein werter Vater sein Vorhaben nicht plötzlich abbrechen wird nur weil wir hier im Haus nicht mehr genug Geschirr haben um einen dritten Bewohner verköstigen zu können, ja?" fragte sie ruhig, aber bestimmt.

Miu ging nervös in die Knie um die Scherben aufzuheben aber Nancy hielt sie davon ab.

"Schon in Ordnung, ich mache das. Geh derweil auf dein Zimmer und überleg dir was du statt diesem Kleid heute Mittag tragen möchtest."

Miu verließ das Teezimmer und unterdrückte mit aller Macht die Tränen die ihr in die Augen steigen wollten während sie die große Freitreppe nach oben und ins Ankleidezimmer ging.
 

Sie war nervös.

Nun, das war nichts Schlimmes.

Es war absolut in Ordnung nervös zu sein wenn man einen neuen Mitbewohner kennen lernte!

In Gedanken berichtigte Miu sich – einen neuen Angestellten.

Nur würde dieser eben genau wie Nancy dauerhaft hier wohnen, und wenn sie auf ihn unsympathisch wirkte würde es den Frieden im Haus strapazieren. Kamen sie gar nicht zurecht, würde sie sogar ihren Vater bitten müssen ihr einen neuen Bodyguard zur Seite zu stellen, und die Angst davor war noch größer als die, mit jemandem zusammenleben zu müssen den sie nicht mochte. Schließlich musste sie dann ihren Vater um einen Gefallen bitten, und er würde diesen nicht ohne Gegenleistung erteilen. Miu hatte nicht vor gegen dessen Planung ihres Lebens zu protestieren, aber die Vorstellung, dass er dann noch zeitnäher seine Vorstellungen einklagen konnte behagte ihr nicht.

Außerdem - und das war das Hauptproblem! - würde sie all die Angst und Nervosität die sie im Moment empfand ein weiteres Mal durchleben müssen, wenn sie einen neuen Bodyguard kennen lernte. Nein! Es MUSSTE einfach funktionieren, und wenn sie unglücklich sein würde war es das kleinere Übel.

Entschieden teilten ihre Finger den weichen Stoff der verschiedenen Kleider die in ihrem begehbaren Schrank hingen und griffen sich ein zartes hellblaues ärmelloses Kleid.
 

Unruhig rutschte Akio auf seinem Platz hin und her während er darauf wartete dass sein Chef ihm wieder etwas Aufmerksamkeit schenkte.

Dieser lies sich allerdings Zeit und beschäftigte sich laut summend mit der ausladenden Pfanne auf der kleinen Kochstelle an der Wand des Raums in dessen Mitte Akio an einem niedrigen Tisch Platz genommen hatte. Akio räusperte sich vernehmlich, der beleibte Mann in der kanariengelben Schürze blieb aber auf seine Tätigkeit konzentriert.

Resignierend ließ Akio den Blick weiterschweifen.

Im Halbdunkel waren die Ecken nicht im Detail erkennbar und Akio war recht froh darum, auch so war offensichtlich dass der Bewohner des Apartements das Entfernen der Müllsäcke wohl nicht nur ein oder zweimal vergessen hatte.
 

Akio schrak aus seiner Betrachtung auf als plötzlich ein Teller vor ihm auf den Tisch geknallt wurde. Fragend schaute er zu seinem Gastgeber auf der gerade die Schürze abnahm, sie in die ungefähre Richtung der Kochnische warf und sich dann mit seinem eigenen Teller Akio gegenübersetzte.

Mit nicht ganz verhülltem Ekel starrte Akio auf das fetttriefende frittierte Fleisch vor sich. Keine Beilagen. Nicht mal Reis!

Sein Chef, der Akio's Blick zu bemerkt haben schien, gestikulierte in Richtung Teller und sagte: "Fleisch gibt Energie! Wenn du so krank warst dass du nicht zur Arbeit erscheinen konntest brauchst du einfach mehr Fleisch! Los, iss!"

Akio's Hände verkrampften sich unter dem Tisch. Unmöglich. Wenn er das auf nüchternen Magen aß würde er sich hinterher definitiv übergeben.

Sein Chef, der bereits zu essen begonnen hatte, hielt inne und warf ihm einen scharfen Blick zu. Akio erkannte die Warnung darin – er war ein umgänglicher Mann, aber er legte Wert auf gute Manieren bei seinen Angestellten. Ein Ablehnen des Essens würde er als persönliche Beleidigung auffassen; etwas das Akio vielleicht besser nicht riskieren sollte wenn er ihn eigentlich wegen der Sache gestern besänftigen wollte.

Mit einem absolut nicht enthusiastisch klingenden „Itadakimasu...“ schob er sich also halbherzig ein Stück Fleisch zwischen die Zähne, das genauso nach altem Fett schmeckte wie er erwartet hatte.

Sein Gastgeber grinste ihn väterlich an und meinte dann zwischen zwei Bissen:

"Bist schließlich unser Jüngster! Da muss man sich ja gut um dich kümmern wenn mal was ist!"

Akio zuckte zusammen und starrte stur auf sein Fleisch statt seinen Chef anzusehen.

Dieser wusste doch wohl nichts über sein wahres Alter, oder wie war diese Aussage zu interpretieren?! Um nicht antworten zu müssen schob er sich ein weiteres Stück in den Mund und würgte es hinunter um möglichst wenig schmecken zu müssen, der ölige Geschmack löste nämlich ein empörtes Grummeln seines Magens aus.
 

Sein Chef, der seine Portion bereits verputzt hatte, lugte kurz auf Akio's Teller hinüber, lehnte sich dann aber zurück und würdigte das Essen keines Blicks mehr als würde er sich selbst nicht in Versuchung führen wollen. Sein Gesichtsausdruck wurde ernster.

"Also, warum bist du hier?"

Akio legte schnell seine Stäbchen beiseite, heilfroh dass die Mahlzeit beendet war, bedankte sich für das Essen und antwortete dann leise:

"Ich wollte mich nur nochmal entschuldigen...wegen gestern Abend."

Er kramte den inzwischen etwas zerknitterten Zettel vom Arzt hervor und legte ihn auf den Tisch.

Sein Chef nahm den Papierfetzen auf und las ihn durch. Dann musterte er Akio abschätzend über den Rand des Zettels hinweg.

"Nao ist für dich eingesprungen, es gab also keine Probleme. Aber du weißt, dass er da nur einen Bruchteil von seinen nomalen Einnahmen verdient hat. Du solltest dich bei ihm revanchieren..."

Ach, wenn es damit getan war...!

Akio sah wohl zu offensichtlich erleichtert aus denn die Miene seines Chefs verfinsterte sich.

"Du übernimmst heute seine Schicht an der Bar damit er frei arbeiten kann. Oder du bist deinen Job los, ganz einfach."

Die Bescheinigung fiel zerknüllt aus seiner Hand und rollte unbeachtet über den Boden. Akio wollte protestieren, verschloss den Mund aber sofort wieder, als er den Gesichtsausdruck seines Chefs sah.

Aber das war nicht fair!

Der Unfall war nicht – oder zumindest nicht WIRKLICH – seine Schuld gewesen und außerdem war er verletzt, da tat es ihm sicher nicht gut direkt heute wieder eine Nacht durckzuarbeiten!

Nicht dass seine Arbeit übermäßige Bewegung erfordert hätte - im XY gab es verschiedene 'Positionen'; die unnahbaren Tänzer präsentierten ihre Show, reizvoll anzusehen und anheizend aber unerreichbar für die Gäste. Das erforderte eine Menge Bewegung, war aber nicht Akio's Metier.

Für das leibliche Wohl in Form von Getränken und Snacks sorgten die unscheinbaren Jungs und Mädels zu denen Akio gehörte. Sie versuchten denjenigen keine Konkurrenz zu machen die 'frei arbeiteten' – also die angeheizten Gäste zur 'Abkühlung' in das eine oder andere Hotelzimmer einluden. Natürlich nicht umsonst.

Wer frei arbeitete war laut offiziellem Plan an dem jeweiligen Abend nicht eingeteilt und verführte auf eigene Faust Gäste, schließlich hätte der Club sich sonst der Prostitution schuldig gemacht. Letztendlich wurde genau diese natürlich breitwillig unterstützt, schließlich band es Kunden an den Club, die sonst dieser Art von Bedürfnis in einem anderen Etablissement frönen würden, und die Angestellten die sich freiwillig dafür bereitstellten hatten es finanziell meist nötig und hatten hier den Vorteil sich in einer sicheren Atmosphäre zu bewegen und an anderen Tagen innerhalb des Clubs von den Besuchen ihrer Verehrer zu profitieren.

Akio verurteilte diese 'Partnerschaft' nicht, aber sich zu verkaufen würde für ihn nie in Frage gekommen, egal wie knapp bei Kasse er je sein sollte.

Allerdings fiel es ihm grundsätzlich schwer sich eine solche Situation vorzustellen; dafür müsste er schon komplett jeglichen Kontakt zu seiner Familie abbrechen, und auch wenn Akio nicht scheute hin und wieder im Kleinen gegen seinen Vater zu rebellieren, so war er nicht dumm genug sich ein privilegiertes Leben zu verbauen indem er in einem Maße über die Stränge schlug, das sein Vater nicht mehr tolerieren würde.

Traum und Wirklichkeit

"Lass uns einfach weglaufen!!" warf Hiro entschlossen ein.

Akio hob den Blick von seinem aufgeschlagenen Knie mit dem er sich beschäftigt hatte und schaute seinen einzigen Freund an.

In den Augen des zierlichen Jungen sammelten sich Tränen.

"Ich will aber...nicht weg...von Mama!" schniefte er.

Hiro starrte ihn empört an.

"Du bist so eine Heulsuse, Akio! Ich heul auch nicht und dabei ist es gar nicht mein Problem! Wir können das schon. Wir gehen wohin wo keine blöden Erwachsenen sind!"

Auffordernd streckte er Akio die Hand entgegen.

Unsicher und mehr als zögerlich ergriff Akio sie und ließ sich auf die Füße ziehen.

"Aber...Mama..." protestierte er, wurde von Hiro allerdings bereits kompromisslos mitgeschleift.

 

Ein wenig ungelenk hüpfte Akio mehr ein- als zweibeinig hinter dem größeren Jungen her. Sein Knie tat weh und Hiroshi machte viel zu große Schritte als dass Akio gut hätte mithalten können.

"Hiro-chaaan..." jammerte er weinerlich.

Grummelnd sah wohl auch Hiro ein dass er ein wenig Rücksicht nehmen musste, ließ Akio's Hand los und verringerte seine Geschwindigkeit, blieb allerdings nicht stehen.

"Wo geh‘n wir denn hin, Hiro-chan?" wollte Akio wissen.

Der manchmal etwas ruppige Nachbarsjunge, der sich Akio angenommen hatte, zuckte mit den Schultern.

"An einen geheimen Ort."

Akio's Augen leuchteten auf und der Schmerz in seinem Knie war vergessen.

"Oooh, cool!"

Er wischte sich mit dem Saum seines T-Shirts das Gesicht trocken und folgte Hiro begeistert.

 

"Haha, ich bin ein Krieger!"

Hiro schwang den Stock herum den er aufgehoben hatte und erwischte damit fast Akio am Kopf der auswich, auf seinen Hintern fiel und nach einem verdutzten Moment aussah als würde er gleich wieder zu heulen beginnen.

Schnell war Hiro bei ihm und hielt ihm den Stock hin um ihn abzulenken.

"Da, du darfst auch mal."

Unsicher nahm Akio den Stock, stand auf und schwang ihn probeweise ein wenig hin und her.

"Das ist langweilig." meinte er dann und ließ ihn fallen. Der Stock kullerte zum Rand der Brücke und fiel ins Wasser.

Hiro sprang zum Geländer und starrte in die muntere Strömung hinab die sein ‚Schwert‘ schnell davontrieb. Wütend drehte er sich zu Akio um und schrie diesen an:

"Hey du Dummkopf! Blödmann! Hol ihn wieder!"

Akio, der inzwischen auf das dicke Holzgeländer gekrabbelt war, ignorierte ihn einfach. Er hatte sich auf dem Rücken ausgestreckt und gab ein wohliges Seufzen von sich. Das Holz in seinem Rücken war glatt und warm, das Wasser plätscherte unter ihm und die Sonne strahlte mit voller Kraft. Die Zikaden waren ohrenbetäubend und weckten in Akio den Wunsch nachher eine zu fangen, wenn er die Sonne fertig genoss-

PLATSCH!

Panisch schlug Akio um sich, versuchte oben und unten zu unterscheiden, etwas zu greifen, doch da war nur Wasser um ihn herum, eiskalt und sehr sehr plötzlich. Er schnappte nach Luft, schluckte Wasser, kämpfte gegen den Hustenreiz und seine Panik wuchs.

 

Voller Genugtuung schaute Hiro dem grauen Haarschopf hinterher den er von der Brücke gestoßen hatte. Das geschah dem grade recht!

Während er auf das wirbelnde Wasser hinunterstarrte hörte er in seinem Hinterkopf allerdings die Stimme seiner Mutter:

"Kümmer' dich ein bisschen um den Jungen von Nebenan, ja, Hiroshi? Er spielt immer nur allein, hat seine Mutter mir erzählt. Das ist doch nicht gut! Du bist doch schon ein großer Junge, nicht wahr? Dann geh doch mal ein wenig auf ihn zu."

Unwillig hatte Hiro daraufhin in den nächsten Tagen das seltsame Kind aus dem Nachbarhaus mit zum Spielplatz im Viertel geschleppt wo es einfach nur wortlos am Rand des Sandkastens saß und fasziniert Sand beim Fallen zusah statt Hiro beim Bau einer vernünftigen Burg zu helfen, mit der man richtig hätte spielen können.

Es hatte eine Weile gedauert bis der Junge begann auf Hiro in irgendeiner Weise zu reagieren und sich zumindest probehalber auf dessen Ideen einzulassen. Den anderen Kindern blieb er suspekt, durch seine seltsame Art und natürlich auch sein unnatürliches graues Haar. Allerdings zeigte Akio auch selbst keinerlei Willen sich mit anderen Kindern außer Hiroshi zu beschäftigen nachdem er diesem gegenüber unglaublich anhänglich geworden war. Abweisend war noch eine freundliche Umschreibung seines Verhaltens.

Inzwischen wusste Hiro aber dass Akio vor allem eines war - interessant. Er machte alles immer ganz anders als die anderen Jungs und Hiro wurde nie langweilig wenn er mit Akio spielte. Leider war er aber auch ein totales Muttersöhnchen und heulte wegen jeder Kleinigkeit, was Hiro ziemlich auf die Nerven ging.

Schlechtes Gewissen stieg in Hiro auf, und ein anderes ungutes Gefühl.

Er mochte es nicht wenn Akio heulte. Jungs sollten nicht wegen jedem Mist heulen, klar! Aber vor allem...fühlte es sich nicht gut an wenn Akio heulte. Wie ein kleiner Stich in Hiro's Brust der sich eingrub und schmerzte und drückte.

Unsicher glitt sein Blick über die bewegte Wasseroberfläche. Er sah Akio nicht auftauchen. Warum nicht? Akio konnte doch schwimmen, oder nicht? Plötzlich sehr in Eile rannte Hiro von der Brücke und den Abhang hinab zum breiten Bach aus dem sein Anhängsel nicht mehr auftauchte.

 

"Wie weit ist es noch?" fragte Akio.

Seine Stimme war immer noch kratzig von all dem Husten nach seinem eher unfreiwilligen Bad am Nachmittag.

Aber dass Hiro's Augen verdächtig rot gewesen waren als Akio Lebenszeichen von sich gab hatte ihn darüber hinweg getröstet dass sein Hals wehtat und Hiro außerdem entschied dass sie keine Zikaden jagen würden weil sie schließlich ein Ziel hatten das es zu erreichen galt.

Inzwischen dämmerte es bereits, es musste mindestens halb zehn sein.

Akio hatte keine Ahnung wo sie waren, es waren weit und breit nur Büsche, Bäume und eben der Weg dem sie folgten zu sehen.

"Ich will heim...ich hab Hunger..." jammerte Akio, "Mama hat gesagt ich muss daheim sein wenn es dunkel wird!"

Ruckartig drehte Hiro sich zu seinem zierlichen Anhängsel um und schimpfte:

"Wir sind von daheim weggelaufen!! Wir gehen nicht heim. Nicht wenn es dunkel wird und auch nicht später! Oder willst du deine Mama und mich wirklich nie wiedersehen?!"

Stumm schüttelte Akio den Kopf und krallte sich in sein T-Shirt.

Nach einem Moment der Stille fragte er leise: "Aber wohin gehen wir dann?"

Hiro begann wieder zu laufen.

"Das wirst du dann schon sehen. Vertrau mir einfach." sagte er schlicht.

 

Müde rieb Akio sich die Augen und sah sich in der halbleeren Bahn um.

Er hatte lange nicht mehr von der Vergangenheit geträumt. Wieso gerade jetzt wusste er nicht, vielleicht weil er vorhin noch daran gedacht hatte wie lange es her war dass er hier gelebt hatte.

Nach einem kurzen Blick auf die Anzeige der Bahn schloss er die Augen wieder und lehnte sich gegen die Wand neben seinem Sitzplatz. Es war noch Zeit genug bis zu seiner Haltestelle um ein wenig weiter zu dösen.

 

Hiro spürte wie der triefnasse Körper neben ihm zusammenzuckte als der nächste Donner ohrenbetäubend die Luft zum Vibrieren brachte. Auch er selbst wäre jetzt lieber zuhause in seinen Futon gekrochen oder vielleicht auch zu seinen Eltern ins Schlafzimmer...nicht weil er Angst hatte, natürlich nicht! Einfach nur...so halt.

Aber seine Eltern waren jetzt gerade weit weit weg.

Forschend warf Hiro einen Blick zu Akio hinüber den er in der Dunkelheit nur dann erkennen konnte wenn ein Blitz den kleinen Raum in der alten Gartenhütte für einen Sekundenbruchteil in gleißendes Licht tauchte.

Akio sah verängstigt aus, und Hiro spürte dass er zitterte.

Das Sommergewitter hatte die Luft deutlich abgekühlt und dass der Regen sie bis auf die Unterhosen komplett durchnässt hatte bevor sie die Hütte von Hiro's Onkel erreicht hatten, machte es nicht gerade angenehmer.

Kurzentschlossen streckte Hiro die Arme aus und zog den Jungen näher zu sich hin.

"Es tut mir Leid...das war meine Schuld..." murmelte er leise in den seidigen, feuchten Haarschopf unter seiner Nase. Der Donner war so laut dass Akio ihn nicht verstanden haben konnte.

Laut fragte er schließlich: "Besser so?"

Ein Schniefen und Nicken antwortete ihm.

Hiro hätte es nie zugegeben, aber die Nähe beruhigte auch ihn selbst.

 

Die Zeit verging und langsam wurde das Donnern leiser und das laute Prasseln des Regens ging in ein sanftes Rauschen über. Beruhigt lockerte er seine Umarmung, als er plötzlich ein Schluchzen wahrnahm. Irritiert lauschte er, da hörte er es wieder.

Vor seinem inneren Auge tauchte das Gesicht seines Freundes auf das - wie so oft - tränennass war.

"Akio...?"

Akio schluchzte lauter und klammerte sich an Hiro.

Und plötzlich verstand dieser.

Fest umarmte er den kleineren Jungen und flüsterte:

"Ich lass dich nicht los. Die können sagen was sie wollen. Du musst nicht geh'n!"

Trotz dieser Worte fühlte er sich so…hilflos. Er konnte nichts für ihn tun, gar nichts.

Seit Akio ihm am Mittag völlig unvorbereitet erzählt hatte dass sie sich heute das letzte Mal sahen weil er schon am nächsten Tag wegfliegen würde, irgendwohin, weit weit weg, in ein Land von dem beide noch nie gehört hatten, Österreich, irgendwo am Ende der Welt.

Akio war seltsam ruhig gewesen als er erzählt hatte dass sein Vater - er hatte bisher nicht einmal gewusst dass er einen Vater HATTE - ihn zu sich holte, und dass es keine Kompromisse geben würde.

Hiro war wütend geworden, über Akio's Teilnahmslosigkeit, und hatte ihn so doll geschubst dass dieser sich das Knie aufgeschlagen hatte.

Aber natürlich war derjenige der wirklich am meisten darunter litt Akio selbst.

Heiße Tränen berührten Hiro's Haut und er spürte wie der Knoten in seinem Hals dicker wurde und seine Augen zu brennen begannen. Er würde doch jetzt nicht auch noch heulen! Er war schließlich ein Mann!

Leicht panisch überlegte er wie er Akio beruhigen konnte bevor dieser ihn auch noch ansteckte.

 

Hiro's warme Umarmung erinnerte Akio an die freundliche Wärme seiner Mutter und brach alle Dämme in ihm. Er wollte nicht zu diesem fremden Mann der sich die 6 Jahre seit seiner Geburt nicht für ihn interessiert hatte. Er wollte bei Mama bleiben. Und bei Hiro.

Allein der Gedanke an Trennung tat furchtbar weh, viel mehr als das Knie. Akio hatte beide so furchtbar lieb. Wie sollte er ohne sie leben können?!

Plötzlich spürte er etwas Warmes, Weiches über sein Gesicht streichen und Lippen legten sich auf seine.

Überrascht hielt Akio inne.

Im Dunkeln konnte er Hiro nur schemenhaft erkennen der sich vorgelehnt hatte und Akio küsste.

Nach einem Moment der sich wie eine Ewigkeit anfühlte zog dieser sich wieder zurück.

Verdutzt starrte Akio ihn an.

"Warum-" er räusperte sich als er merkte dass seine Stimme vom Weinen noch ganz brüchig war - "Warum hast du das gemacht?"

Hiro lachte leise und wuschelte durch Akio's langsam trocknendes Haar.

"Das macht man doch mit Leuten die man mag, oder nicht? Wie deine Mama zum Beispiel. Das heißt ich mag dich, Akio."

In Akio stiegen direkt wieder Tränen auf. "Hiro-chan..." schniefte er, irgendwo zwischen Trauer und Freude.

"Fang jetzt bloß nicht wieder an zu heulen!" beeilte Hiro sich zu sagen.

"Ich mein' nur...wir sind Freunde, okay? Egal wo du bist. Spätestens wenn wir groß sind treffen wir uns einfach wieder! Und so lange bleiben wir Freunde."

Fleißig nickend und mit einem bestimmten "M-hm!" stimmte Akio ihm zu.

 

Der Regen draußen wurde langsam zu einem stetigen Tröpfeln während sie in der Hütte saßen, aneinander gelehnt, und sich gegenseitig wärmten. Hiro dachte schon Akio sei an seiner Schulter eingeschlafen, als er dessen Stimme hörte:

"Ich werd' dich vermissen. Aber…ich halt das aus. Bin schließlich auch ein Junge!"

Er lachte leise. "Und vielleicht wird es ja ganz interessant. Mama hat gesagt ich hab da sogar eine kleine Schwester! Ich weiß noch so wenig..."

Hiro rutschte ein wenig hin und her um es sich bequem zu machen und antwortete dann:

 

"Nächster Halt bitte alle aussteigen, Sie haben die Endhaltestelle erreicht."

Akio schreckte hoch und sah sich desorientiert um bevor er realisierte, dass er seine Haltestelle verpasst hatte. Mit einem gemurmelten Fluch auf den Lippen stand er auf und suchte auf seinem Handy die schnellste Rückverbindung heraus.

Seine Gedanken wanderten dabei zu seinem Traum zurück.

Seltsam. War das wirklich so passiert? Bis eben hätte er nicht sagen können dass er sich so genau an jene Nacht erinnerte in der sie damals im Alter von 6 und 7 Jahren weggelaufen waren. Hiro’s Familie und Akio’s Mutter hatten die ganze Nacht wie verrückt nach ihnen gesucht, aber niemand war auf die Idee gekommen dass die beiden im weit entfernt gelegenen Gartenhaus von Hiro’s Onkel sein könnten. Die beiden Ausreißer waren allerdings am nächsten Morgen, nachdem der Regen aufgehört hatte, ganz von selbst wieder aufgetaucht. Gerade rechtzeitig um Akio’s Vater in die Arme zu laufen, der seiner Frau kaum Zeit gelassen hatte sich von ihrem gerade erst wiedergefundenen Sohn zu verabschieden.

Einzig sein neu gefundener Mut und der Wunsch seine unbekannte Halbschwester zu sehen hatten Akio damals aufrecht gehalten. Aber dass Hiro daran mit Schuld gehabt haben sollte, daran konnte Akio sich nicht erinnern.

Grübelnd verließ er die haltende Bahn, immer noch unsicher ob sein in letzter Zeit recht verwirrtes Unterbewusstsein den Kuss nur geträumt und in die Erinnerung eingewoben hatte, oder ob die Geschehnisse tatsächlich real waren. Selbst wenn es passiert war spielte es keine Rolle, dann hatte er eben als Kind einen anderen Jungen geküsst! Sie waren schließlich noch nicht in einem Alter gewesen in dem ihnen die Bedeutung bewusst hätte sein können.

Unwirsch schob Akio die Gedanken beiseite, vor allem da die Lippen eines gewissen Unbekannten in diesem Moment wieder vor seinem inneren Auge auftauchten. Wenn er sich nicht beeilte würde das ‚Zu spät zu Miu kommen‘ noch zur Gewohnheit werden.

 

 

Nancy lächelte sanft während sie Miu’s Haare kämmte, die sich verheddert hatten als Miu versucht hatte das Kleid ihrer Wahl alleine anzuziehen.

"Einfach tief durchatmen. Einen weiteren Versuch mit Beruhigungstee riskieren wir lieber nicht." erklärte sie ihrem Schützling augenzwinkernd.

Miu’s dunkelblondes Haar fiel weit gefächert in sanften Wellen über ihren Rücken. Schon als kleines Mädchen hatte sie es geliebt wenn Nancy ihr die Haare gekämmt hatte. Auch jetzt hatten die gleichmäßigen Bewegungen ihres Kindermädchens eine beruhigende Wirkung auf Miu. Hörbar stieß sie die Luft aus.

"Wenn es doch nur schon vorbei wäre…" seufzte sie leise.

Nancy fasste ihr Haar zusammen und antwortete streng aber nicht unfreundlich:

"Du bist eine Lady der Familie Higuchi, benimm dich auch wie eine."

Während sie die Haarpracht mit einer fuchsinfarbenen Schleife bändigte, sprach sie in einem sanfteren Ton weiter: "Möchtest du vielleicht ein wenig über den jungen Mann hören der in wenigen Stunden zu uns kommt? Viel weiß ich auch nicht, aber wenn es dich beruhigt kann ich gerne erzählen was ich über ihn weiß…?"

Miu nickte sachte. Nervöser als sie war konnte sie sowieso nicht mehr werden, selbst wenn Nancy ihr erzählen würde dass der Mann ein ehemaliger Verbrecher gewesen war oder Ähnliches.

"Das ist eine gute Idee. Erst vor Kurzem habe ich in einem Buch gelesen 'Man sollte seine Feinde kennen!'…oh! Aber natürlich betrachte ich ihn nicht als Feind!" verbesserte Miu sich schnell und errötete verlegen.

Nancy lachte leise, legte die Haarbürste beiseite und begann zu erzählen.

Der Name des zukünftigen Bodyguards war Chris Johnson, seine Heimat waren die USA und er war nur ein Jahr älter als Miu. Anscheinend verstand er etwas von seinem Handwerk, denn er hatte es von klein auf gelernt. Sein Vater und seine beiden großen Brüder arbeiteten alle drei ebenfalls als Bodyguards und hatten den jüngsten Sprössling der Familie gleich in die richtige Richtung gelenkt. Dass er trotz seines geringen Alters von Miu’s Vater ausgewählt worden war – der nun beileibe kein vertrauensvoller, anspruchsloser Mensch war – sprach für sich.

Miu, die während Nancy's Erzählung schon die ganze Zeit auf dem Stuhl vor dem Schminktisch auf und ab gefedert war sprang nun endgültig auf und lief zum Fenster als müsse sie sich versichern dass der Beschriebene nicht bereits im Garten stand.

"Ohje ohje! Ein Amerikaner!" stieß sie aus, "Muss ich mit ihm dann Englisch sprechen? Und sind Amerikaner nicht immer so furchtbar körperlich? Was soll ich tun wenn er mich zur Begrüßung küssen will?!"

Nancy entwischte ein entnervter Laut. Letztendlich hatte es wohl doch den gegenteiligen Effekt gehabt, ihrer kleinen Lady etwas zu erzählen. Nun konnte sie nur noch Schadensbegrenzung betreiben:

"Milady, du beherrschst die englische Sprache fehlerlos, worum sorgst du dich denn? Und er ist ein Angestellter, er wird es ganz sicher nicht wagen die Dame bei der er angestellt ist gegen ihren Willen anzurühren. Und wenn doch, dann bekommt er es mit mir zu tun!" fügte sie scherzhaft hinzu.

Ein leises Kichern belohnte Nancy's Mühe, Miu schien nicht mehr ganz so aufgelöst zu sein.

"Lass uns nach unten gehen. Dein werter Bruder wird sicher demnächst eintreffen." wechselte sie erfolgreich das Thema, bevor Miu einen Rückfall erleiden konnte.

Beim Gedanken an ihren Bruder hellte sich Miu's Gesicht sowieso wieder auf.

Laut, groß und grobschlächtig

Zufrieden stieß Akio die Luft aus, streckte die Beine aus und verschränkte die Arme hinter dem Kopf. Er wollte gerade die Augen schließen als eine sonnengelbe Serviette seine Aufmerksamkeit auf sich zog, welche Miu ihm auffordernd entgegenstreckte.

Miu's sanftes Lachen wies ihn darauf hin, dass offenbar nicht die gesamte Mahlzeit ihren Weg in seinen Magen gefunden hatte sondern auf halbem Weg zwischen Teller und Magen hartnäckig verharrt war.

Träge griff er nach der Serviette und wischte sich den Mund ab, fegte ein wenig über den Gartentisch vor sich und lies sie dann zerknüllt auf den Teller fallen den Nancy wortlos mitnahm. Sie wollte die beiden Geschwister jetzt nicht durch eine Standpauke stören, wo Akio es doch bisher so wunderbar geschafft hatte ihre kleine Lady zu unterhalten und sie damit von ihrer Panik wegen dem Bodyguard abzulenken.

Akio schloss nun doch die Augen und genoss die Ruhe die hier herrschte. Verkehrslärm, Menschen, Werbung, all die Geräusche welche ihn in dieser riesigen Stadt manchmal zu ertränken drohten, waren weit, weit weg. Die Sonne schien warm in den Garten aber unter dem großen Schirm auf der Terrasse des klimatisierten Hauses war es angenehm kühl. Er wäre vermutlich weggedöst wenn Miu nicht begonnen hätte ungeduldig an seinem Ärmel zu zupfen.

"Akio-Nii..bitte erzähl weiter, ja? Es war gerade so interessant!" versuchte sie ihn zu überreden.

Er hatte ihr beim Essen ein wenig vom Uni-Alltag und der Band erzählt, nichts Besonderes eigentlich, aber seine kleine Schwester saugte alles auf wie ein Schwamm; es war neu und unbekannt und daher faszinierend für sie was in der Welt außerhalb der Mauern ihres goldenen Käfigs geschah.

Er setzte sich ein wenig auf und beobachtete Nancy, die am Rand der Terrasse die welken Blütenblätter von einem Stauch mit großen pinken Blüten abzupfte und dabei hin und wieder einen wachsamen Blick in ihre Richtung warf. Belustigt wandte Akio sich wieder Miu zu. Er würde Nancy's 'kleiner Lady' schon nichts Besorgniserregendes erzählen.

Er setzte gerade dazu an von dem Termin am Freitag zu erzählen, als das Läuten mehrerer Glocken die Ankunft eines Gasts verkündeten.

Sofort erstarrten alle drei einen Moment in ihrem Tun, dann hastete Nancy ins Haus während Miu panisch aufsprang und begann wie verrückt neben dem Gartentisch auf und ab zu rennen als wüsste sie nicht in welche Richtung sie flüchten sollte.

Akio schnappte ihr Handgelenk und hielt sie fest. Angstgeweitet starrten ihre graublauen Augen ihn an, ihre Lippen waren leicht geöffnet als wollte sie etwas sagen aber kein Laut entwich ihr.

"Beruhig dich!" sagte er mit fester Stimme aber sie schien ihn überhaupt nicht zu hören. Von der anderen Seite des Hauses drangen gedämpft Stimmen herüber und Miu versteifte sich noch mehr, ihr Blick flog zwischen dem Haus und dem Garten hin und her als überlege sie in welche Richtung eine Flucht bessere Chancen hätte. Die beruhigenden Worte ihres Bruders kamen nicht bei ihr an.

 

Akio's Griff wurde fester bis sie vor Schmerzen leicht die Stirn runzelte und versuchte ihm ihren Arm zu entziehen.

"Du tust mir weh..!" schnappte sie, endlich wieder richtig im Diesseits angekommen.

Sofort ließ Akio sie los und bedeutete ihr sich wieder zu setzen.

"Es ist alles okay." sagte er noch einmal so beruhigend er konnte. "Du bist nicht allein hier."

In Gedanken verfluchte er seinen Vater, dessen Schuld es war, dass Miu so überdreht auf alle ungewohnten Einflüsse reagierte. Er konnte wirklich nur hoffen dass der Bodyguard kein muskelbepacktes Monstrum war, sonst würde Miu sofort wieder ausflippen.

 

 

Miu zuckte heftig zusammen als sie Schritte auf die Terrassentür zukommen hörte.

Gleich war es soweit.

Oh Gott.

Sie wollte ihn nicht sehen. Konnte er nicht einfach wieder gehen?

Wie begrüßte man noch einmal jemanden in Englisch? Sollte Sie aufstehen oder sitzen bleiben?!

Hilfesuchend wanderte ihr Blick zu ihrem großen Bruder, aber dieser schaute bereits erwartungsvoll Richtung Tür, also richtete auch sie ihren Blick wieder dorthin.

Er war Amerikaner. Vermutlich würde er laut und groß und grobschlächtig sein, sie durfte sich davon nur nicht einschüchtern lassen, schließlich hatte sie gelesen dass das bei diesem Menschenschlag ganz normal war und sich dahinter ganz verschiedene Persönlichkeiten verbargen.

Eine Bewegung an der Tür ließ Miu wie elektrisiert hochfahren, aber es war nur Nancy, welche die Tür weiter aufschob.

Akio legte beruhigend seine Hand auf ihre, die verkrampft auf dem Gartentisch lag. Ein wenig Ruhe und Wärme flossen aus der Hand zu ihr hoch und ihr Atem, der zuvor immer schneller geworden war, beruhigte sich ein wenig.

Sie war so auf ihren Bruder konzentriert dass sie den blonden Haarschopf, der durch die Terrassentür geschlüpft war, erst bemerkte als dieser bereits direkt vor ihr stand. Starr wie ein Reh im Flutlicht stand sie da und schaute zu dem jungen Mann auf, der vor ihr stand.

Dieser grinste sie ein wenig unsicher an, dann schien ihm plötzlich etwas einzufallen und er beeilte sich, sich tief vor Miu zu verbeugen. Das Gesicht zum Boden gewandt sagte er laut und fest als hätte er es eingeübt:

"Ich freue mich Sie kennen zu lernen! Mein Name ist Chris Johnson und ich bin ab heute in Ihrer Obhut!!"

Miu starrte auf seinen Hinterkopf hinunter an dem ein Wirbel das blonde Haar wild vom Kopf abstehen ließ.

Das war…unerwartet.

Er war definitiv laut, aber so groß und grobschlächtig wie sie erwartet hatte wirkte er gar nicht. Er war nicht viel größer als ihr Bruder, der nun selbst nicht gerade ein Riese war, und eher drahtig als muskelbepackt.

Trotzdem überforderte sein Verhalten sie. Was sollte sie darauf jetzt antworten?

Ein leises, amüsiertes Lachen wehte vom Tisch herüber und ließ den blonden Mann aufsehen, zog auch Miu's Blick an.

 

Akio lächelte immer noch als er schließlich berichtigte:

"Umgekehrt. Mein liebes Schwesterchen ist ab heute in deiner Obhut!"

Dann streckte er Chris breitwillig die Hand entgegen und schüttelte sie, als dieser sie ihm zögerlich reichte.

"Akio Higuchi. Sohn oder Bruder deines Arbeitgebers, je nachdem ob du als diesen meinen Vater oder meine Schwester betrachtest."

Chris taute bereits auf.

"Ich fühle mich der Person verpflichtet, die ich beschützen soll," begann er zu erklären.

Nancy, die zwischenzeitlich im Haus verschwunden war, tauchte mit einem großen Tablett mit Tee, Kaffee und allerlei Leckereien wieder auf und schob die kleine Gruppe Richtung Sitzgarnitur, wo sie den Tee servierte.

 

Kurz darauf saß Miu wieder an ihrem Platz, Akio und der blonde Mann waren bereits in ein reges Gespräch darüber verwickelt, wie dieser zu dem Job gekommen war und Nancy huschte umher und verhinderte erfolgreich dass es den jungen Leuten an irgendetwas mangelte.

Miu fühlte sich komplett überfahren, aber anscheinend war das überhaupt kein Problem.

Für einen kurzen Moment stieg fast so etwas wie Bedauern in ihr auf, dass sie nicht gezwungen gewesen war sich mit dem Fremden auseinanderzusetzen, aber sie schob den Gedanken entschieden beiseite.

Sei nicht albern, Miu, sagte sie sich selbst.

Du hättest sowieso kein Wort herausgebracht und es wäre eine schreckliche Atmosphäre geworden. Es war viel besser mit dieser lockeren Atmosphäre die Akio geschaffen hatte. Alle fühlten sich wohler!

 

Die Stimmen waren erstorben, nur einige Vögel sangen ihr Sommerlied.

Überrascht sah Miu von ihrem Rock auf, in den sie sich die letzten Minuten gekrallt hatte, und stellte erschrocken fest, dass sie mit ihrem zukünftigen Mitbewohner alleine am Tisch saß.

Ängstlich sah sie sich um.

Wo waren Akio und Nancy hin verschwunden? Keiner von beiden war zu sehen!

Der blonde junge Mann, der das schwere schwarze Jackett,  welches er bei seiner Ankunft getragen hatte, inzwischen abgelegt hatte, stand mit ruhigen Bewegungen auf und kam langsam und vorsichtig zu ihr herüber, fast als würde er sich einem wilden Kaninchen nähern das er nicht erschrecken und vertreiben wollte.

Das Sonnenlicht ließ sein weißes Hemd strahlen als er gerade so am Rande des Schattenkreises stehen blieb den der Sonnenschirm auf den Boden warf.

Hin und hergerissen zwischen Neugier was er vorhatte und Angst davor mit ihm interagieren zu müssen, blieb Miu still sitzen. In seinem Blick lag eine gewisse Nervosität die sie aus irgendeinem Grund beruhigte. Es war seltsam schön nicht die Einzige zu sein die unsicher war.

 

 

Fasziniert beobachtete Akio wie Miu nicht die Flucht ergriff obwohl der ihre fremde Mann sich ihr näherte. Akio saß in der Hocke hinter einer cremefarbenen Gardine die neben der Terrassentür hing, neben ihn gekauert saß Nancy und beide beobachteten das Geschehen auf der Terrasse mit gemischten Gefühlen, bereit jederzeit einzugreifen sollte die Situation eskalieren.

Akio stieß Nancy an und flüsterte ihr aufgeregt zu: "Er hat den Arm gehoben!", als wäre die bloße Geste unglaublich.

Tatsächlich hatte der junge Mann den Arm gerade nach vorne erhoben und die offene Handfläche Miu entgegengestreckt. Akio geriet ins Schwanken als Nancy sich vordrängte um es selbst sehen zu können; er krallte sich im Vorhang fest was dieser mit einem leisen Ratschen quittierte. Ein bitterböser Blick von Nancy traf Akio und er versuchte stumm jegliche Schuld von sich zu weisen.

 

 

Miu's Blick wurde wie magisch von der Hand angezogen die ihr entgegen gestreckt wurde. Eine offene Hand, ohne Mauern, nicht bereit zur Verteidigung, kein Geheimnis verbergend. Vertrauenserweckend. Sie spürte eine Ruhe und Sicherheit davon ausgehen die vollkommen im Gegensatz zu allem stand, was sie von dem Mann zu dem die Hand gehörte erwartet hatte.

Ohne weiter darüber nachzudenken streckte sie ihre eigene Hand aus und legte sie in Chris' Hand. Sie erwartete fast ein Kribbeln, Knistern, elektrischen Schock zu spüren, aber da war nichts, nur eine sanfte Wärme die sie umfing.

Im nächsten Moment ging ein Ruck durch ihren Körper als er sie hochzog und überrascht griff sie fester zu um das Gleichgewicht zu halten. Chris machte einen Schritt rückwärts um den Abstand zwischen ihnen zu wahren, stützte ihre stolpernden Schritte aber damit sie nicht fiel.

Dann brach er die Stille.

"Gehst du ein paar Schritte mit mir?" fragte er.

Plötzlich war die Nervosität wieder da, Miu blinzelte in die Sonne und senkte dann fast panisch den Blick hinunter auf die schmalen Riemen ihrer Sandaletten aus weichem hellbraunem Leder, folgte dem Muster mit den Augen bis sie sich ein wenig beruhigt hatte.

Sie konnte hier nicht plötzlich aufgeben!

Stumm nickte Miu, hoffte dass der seltsame Moment sich fortsetzen würde in dem sie sich so ruhig gefühlt hatte. Langsam gingen sie zum Rand der Terrasse und durch die Bewegung entspannten Miu's Muskeln sich wieder, die sich schon hatten verkrampfen wollen.

Am Rand der Terrasse angekommen machte Chris einen kleinen Sprung hinunter auf den Rasen und lachte. Miu, die durch das Band ihrer Hände immer noch mit ihm verbunden war, wurde auf die Knie gezogen.

Seine Spontanität machte sie hilflos.

Mit einem einzigen Schritt war er direkt vor ihr, stützte sich auf dem hüfthohen Terrassenrand ab und schaute zu ihr auf.

"Dein Kleid wird dreckig."

Miu zuckte zurück, blickte auf ihre Knie, wo das weiße Kleid den Boden berührte, der aber komplett sauber war und die Röte schoss ihr ins Gesicht.

"Mou..!  Das ist überhaupt nicht wahr!" schimpfte sie spontan und schlug sich direkt danach erschrocken die Hand vor den Mund.

Wie würde er reagieren? Defensiv? Würde er selbst wütend werden? Sich kalt von ihr abwenden? Zitternd wartete sie auf seine Reaktion.

Nicht erwartet hatte sie, wie seine Züge direkt aufblühten und er sie breit angrinste.

"Du hast endlich mit mir geredet!" rief er voller Freude.

Miu wandte den Blick zur Seite, antwortete aber:

"Natürlich, es wäre seltsam wenn nicht, oder?"

Chris lachte ein weiteres Mal, setzte sich auf die Kante und klopfte neben sich.

"Komm, setz dich."

Misstrauisch inspizierte Miu den Fleck auf den Chris geklopft hatte, aber er war weder schmutzig noch war das Holz rau oder beschädigt. Etwas ungelenk ließ sie sich daher neben ihm nieder.

"Ich hatte bis eben solche Angst was ich tun sollte wenn du mich weiter ignorierst…versteh mich nicht falsch, dein Bruder ist ein feiner Kerl, aber schließlich bist du diejenige die ich beschützen soll, und das klappt einfach nicht wenn du nicht mit mir redest." brach es wie ein Wasserfall aus Chris heraus.

Etwas beschämt senkte Miu den Blick auf ihre Füße, die ein wenig in der Luft schwangen.

"Tut mir leid...das wollte ich nicht." murmelte sie.

Aus irgendeinem Grund war es beruhigend zu hören dass Chris, dieser selbstsichere Mann, ebenfalls nervös gewesen war.

Einen Moment lang überlegte sie wann sie begonnen hatte ihn in Gedanken Chris zu nennen, wurde aber von der Seite her unterbrochen: "Hey, schon am Tagträumen? Freut mich ja wenn du dich bei mir so sicher fühlst, aber eigentlich war unser Gespräch noch nicht beendet...hoffe ich?"

Das Ende des Satzes kam verspätet und war ganz offensichtlich eine Korrektur seiner Ausdrucksform um zumindest ein klein wenig den Anschein von Herrin und Angestelltem zu wahren - was aber gründlich misslang, da er sowieso die ganze Zeit relativ vertraulich mit ihr sprach.

Ein Kichern stieg in Miu auf, das sich zumindest als kleines Lächeln bis auf ihre Lippen fortsetzte.

Es war seltsam, aber er hatte in wenigen Minuten das geschafft, was ausgesuchten Bekannten ihres Vaters nie gelungen war - Miu genug Vertrauen fassen zu lassen um nicht sofort den Kopf zu verlieren wenn sie mit demjenigen sprechen sollte.

"Nein, wir können uns gerne weiter unterhalten. Erzähle mir doch mehr von dir...zum Beispiel was du normalerweise so machen musst als Bodyguard."

Ihre Worte wurden begleitet von einem neugierigen Seitenblick, bevor sie diesen wieder durch den Garten schweifen ließ.

Und Chris begann zu erzählen.

 

 

Sprachlos schauten Akio und Nancy sich an.

Was in aller Welt war denn da passiert?!

Nicht dass Akio nicht erfreut gewesen wäre über die Entwicklung, schließlich hatte er die beiden hauptsächlich deshalb allein gelassen um Miu indirekt zu zwingen mit ihrem baldigen Mitbewohner zu interagieren...aber er hatte nicht erwartet dass es so schnell und so...effektiv sein würde.

Mit einem neu gewonnen Respekt beobachtete Akio den Mann am Terrassenrand. Er hatte wirklich ein unerwartetes Talent, wie es schien.

Akio fand dass sein Werk getan war und stand mit einem Ächzen aus der Hocke auf. Seine Knie protestierten ob der langen ungewohnten Position in der er sich befunden hatte aber Akio zwang sich zumindest bis zum Sofa zu gehen, wo er sich mit einem leisen Stöhnen ausstreckte. Nancy folgte ihm nach einem längeren prüfenden Blick zu den beiden jungen Menschen hinaus.

Sie schnaubte missbilligend als sie bemerkte dass er seine Schuhe noch trug, doch als sie den Mund öffnete um etwas zu sagen schwang Sorge in ihrer Stimme mit:

"Was ist gestern passiert, Master Akio? Erst kommt Ihr verletzt hier an und nun dieser Einbruch...gibt es da etwa einen Zusammenhang?"

Wir schon oft musste Akio anerkennend zugeben, dass Nancy alles andere als auf den Kopf gefallen war. Er schloss die Augen und legte den Arm quer über seine Stirn.

"Ich wünschte ich könnte sagen es gibt keinen Zusammenhang, aber ich weiß es ehrlich gesagt selbst nicht. Ich weiß nicht was gestern passiert ist, es ging alles zu schnell und ich...war auch nicht die ganze Zeit bei Bewusstsein. "

Er konnte Nancy's besorgten Blick direkt spüren und ergänzte daher noch schnell:

"Aber ich war heute schon beim Arzt und es ist alles in Ordnung, ja?"

Als es eine Weile still blieb lugte er schließlich mit einem Auge unter seinem Arm hervor. Der Blick, mit dem Nancy ihn ansah, ging ihm durch Mark und Bein. Es war der Blick einer Mutter die Angst um ihr Kind hatte, und er traf Akio tief, mehr noch als die Worte die ihr schließlich über die Lippen kamen:

"Akio...bist du...seid Ihr da in etwas verwickelt das...zu viel für Euch ist? Ihr wisst dass wir immer hinter Euch stehen, ja? Ich bin mir sicher Euer Vater könnte so manches 'Problem' lösen wenn Ihr mit ihm darüber sprechen würdet...?"

Akio setzte sich rasch auf und starrte Nancy entgeistert an.

"Nein! Warum sollte ich...ich bin nicht ganz blöd, okay?? Warum sollte ich irgendetwas tun das mich in Schwierigkeiten bringt? Du kennst mich, ich will ganz sicher keine unnötigen Komplikationen in meinem Leben!"

Seine Stimme war zum Ende hin etwas lauter geworden und Nancy legte den Finger auf die Lippen und warf einen warnenden Blick in Richtung der offenen Terrassentür. Akio verstand, auch er wollte Miu nicht alarmieren.

Leiser wiederholte er noch einmal:

"Ich mache keinen Mist der mir Probleme bereitet, wirklich. Das war einfach ein blöder Zufall, sonst nichts."

Zweifelnd schwieg Nancy ihn an, wartete auf etwas das nicht kam, bis sie schließlich tief durchatmete und nickte.

"In Ordnung. Ich hoffe das ist es wirklich."

Dann machte sie sich daran, leise, um die beiden jungen Menschen am Rand der Terrasse nicht zu stören die sich lebhaft unterhielten, das Geschirr vom Tisch zu räumen und in die Küche zu tragen.

Akio versuchte die Schmerzen zu ignorieren welche die diversen blauen Flecken und Prellungen durch seinen Körper sandten, jetzt da das Schmerzmittel langsam nachließ, und konzentrierte sich ganz auf die Geräusche um sich herum.

Leises Klappern von Geschirr und das Platschen von Spülwasser aus der Küche.

Stimmengemurmel, ein sanftes Lachen und Vogelzwitschern aus dem Garten.

Es machte ihn träge, friedlich.

Das ferne Grollen eines Gewitters, das schnell heranzog, hörte er schon nicht mehr.

Die Frage aller Fragen

Renjiro Sato war nicht gerade ein geduldiger Mann. Ihn warten zu lassen bedeutete für die meisten Menschen ihn das letzte Mal gesehen zu haben wenn sie nicht so wichtig waren dass er zähneknirschend darüber hinwegsehen musste – und Dates waren das nie gewesen.

Und nun stand er selbst vor dem Kleiderschrank und verstand zum ersten Mal im Leben das Dilemma von Frauen die ihn warten ließen und das dann damit zu entschuldigen versuchten, dass sie eine unglaublich unbedeutende Frage stundenlang nicht hatten beantworten können:

Was ziehe ich an?

Allein die Tatsache dass er sich darüber den Kopf zerbrach war bereits bedenklich, und Renjiro schrieb sich in Gedanken eine Notiz an sich selbst dass er unbedingt mehr ausgehen musste wenn er den Draht zur Szene nicht verlieren wollte. Natürlich hatte er Angestellte die darüber im Bilde waren was gerade angesagt war, aber es konnte nie schaden sich selbst hin und wieder ein Bild zu machen.

Während er unentschlossen ein Hemd aus dem Schrank nahm und es vor dem Spiegel betrachtete dachte Renjiro an seinen letzten nicht offiziellen Clubbesuch zurück – ein Besuch, der viel zu lange her war. Zumindest dafür, dass er immer noch in seinen Zwanzigern war!

Es war ein normaler Club gewesen, keiner von seinen eigenen, um nicht an die Arbeit erinnert zu werden. Er hatte ein wenig getanzt und etwas getrunken, aber die suchenden Augen waren ihm schon zu sehr zur zweiten Natur geworden. Augen, die sofort erkannten mit welcher Absicht sich ihm jemand näherte. Augen, die Probleme erahnten bevor sie sich wirklich entfalteten.

Es war schwer, einen lockeren Abend zu genießen wenn einem die künstliche Lockerheit so ins Auge sprang, weil man sie selbst vermarktete; wenn man nicht abschalten konnte weil man unbewusst nach Schwierigkeiten Ausschau hielt die es zu schlichten galt.

Renjiro schüttelte den Kopf und legte das Hemd zurück in den Schrank.
 

Das XY war ein wenig speziell, daran erinnerte er sich. Exklusiv, und mit interessanten Ideen die damals seine Neugierde geweckt hatten. Ungewöhnliche Konzepte mussten weniger die Konkurrenz fürchten, und wenn sie sich bereits am Markt etabliert hatten bestand auch kein Grund zur Sorge ob es beim Publikum ankam. Der Kauf hatte sich gelohnt, auch wenn die Einnahmen natürlich nicht vergleichbar waren mit größeren Geschäften.
 

Die Wahl fiel schließlich auf ein schlichtes weißes Hemd zu einem anthrazitfarbenen Sakko. Renjiro verstand seine eigene Kleidung als Kompliment, nie als zentralen Fokus. Noch nicht ganz zufrieden betrachtete er sich im Spiegel. Es war zu steif, zu sehr Arbeit und zu wenig künstliche Lockerheit.

Er sollte  zumindest so aussehen als sei er ein normaler Kunde – schließlich plante er eine Entführung, da würde es nur auffallen wenn jemand da gewesen war der ganz und gar nicht ins Bild passte.
 

Während er schließlich mit einem kritischen Blick Krawatte und Hose ablegte und eine künstlich verwaschene Jeans anzog, wanderten seine Gedanken zu seinem Ziel, dem seltsamen jungen Mann.

Renjiro würde sich hüten sich irgendetwas anmerken zu lassen, aber der Junge interessierte ihn.

Warum arbeitete er im XY, wenn er das Söhnchen reicher Eltern war? Renjiro hatte Herrn Higuchi nie getroffen, aber der Name war ihm geläufig.

Der Mann stand an der Spitze eines ganzen internationalen Imperiums. Durch geschicktes Handeln befand es sich noch immer großteils im Besitz der Familie, im Gegensatz zu anderen Unternehmen dieser Größe, in denen die Gründer bestenfalls noch eine Stimme im Aufsichtsrat besaßen. Für jeden jungen, aufstrebenden Unternehmer war der Name der Inbegriff dessen, was jeder zu erreichen versuchte.

Renjiro selbst hatte zwar nicht ganz die gleichen Ambitionen, konnte allerdings das Lebenswerk jenes Mannes wertschätzen da er selbst wusste wie hart der Weg ganz nach oben war.

Er schüttelte die Gedanken an die Higuchi-Familie ab. Sie hatten es jedenfalls nicht nötig, ihren einzigen Sohn in einen Club wie das XY zu schicken!

 

Renjiro verschloss den Gürtel aus festem dunklem Leder mit einer silbernen, unauffälligen Schnalle. Als seine Fingerkuppen darüber strichen erschauderte er. Er wusste wie gut diese Schnalle in der Hand lag, wie geschmeidig das Leder sein konnte…

Für einen winzigen Moment verband sich das Bild des Opfers seines Auftrags mit seinen Erinnerungen an weiches Fleisch das sich unter dunklem Leder wand, an heiseres Keuchen dem die Kraft zum Schreien fehlte und an ein heißes Glücksgefühl, das ihn durchfloss.

Kräftiger als nötig schloss Renjiro die Schranktür und verschloss darin auch alle falschen Gedanken die er in diesem Zusammenhang haben konnte. Er würde den Teufel tun und sich an einem Ziel der Organisation vergreifen! Renjiro war nicht lebensmüde, und etwas zu tun das nicht zu deren Plänen passte war nicht gerade eine Lebensversicherung.

Aber er konnte nicht leugnen dass der Junge ihm grundsätzlich zusagte. Würde er nicht ein wenig zu jung wirken. Würde Renjiro noch immer dieser Art von Vergnügen frönen. Und wäre dieser Junge nicht verdammt noch mal das Ziel seines Auftrags!

Verärgert über seine eigene mangelnde Disziplin segnete er mit einem letzten Blick sein Outfit ab und rauschte dann aus dem Schlafzimmer.

 
 

Die Musik drang bereits aus dem Boden herauf und ließ diesen schwach beben, als Akio in den kleinen Raum im 2. Stock huschte der als Umkleide und Aufbewahrungsort für die Kostüme der Tänzer des XY diente.

Mit einem Nicken begrüßte der einzige Anwesende Akio und kramte dann weiter in dem metallenen Spind vor dem er stand. Akio verstaute seine Tasche gegenüber und begann sich zu entkleiden.

Die Augen des anderen, der ihn verstohlen beobachtet hatte, wurden größer.

"Scheiße, du bist ja echt verletzt!"

Akio kippte fast um als er versuchte sich umzudrehen und gleichzeitig seine Jeans auszuziehen, konnte sich aber gerade noch rechtzeitig abfangen. Hinter ihm stand Nao und schien ein wenig verlegen.

"Sorry...ich dachte du hast dir 'n schönen Tag auf meine Kosten gemacht. Aber du siehst scheiße aus, also war es wohl die Wahrheit."

Akio zog die Augenbrauen hoch.

"Danke für das liebevolle Kompliment, ich wollte schon immer mal gesagt bekommen dass ich scheiße aussehe." entgegnete er dann allerdings mit einem Schmunzeln.

Ohne viel Aufhebens schlüpfte er in die weißen, eng anliegenden Hotpants die zu seiner Arbeitsuniform gehörten. Nao beobachtete ihn dabei zweifelnd.

"Willst du das unseren Gästen wirklich antun? So knapp wie die sind muss jeder der dich heute sieht die Schrammen und blauen Flecken sehen. Die denken noch du bist in irgendwas Illegales verwickelt..."

Kritisch betrachtete Akio seine Beine.

Sie sahen schlimmer aus als sie sich anfühlten, aber er hatte sich auch ein weiteres Schmerzmittel von Nancy geben lassen bevor er aufgebrochen war, also spielte es wohl keine Rolle wie sie sich anfühlten.

Sein linker Oberschenkel schimmerte an der Außenseite komplett lila und sein rechtes Knie war leicht angeschwollen. Hinzu kamen die vielen kleinen Kratzer und Schrammen die er sich durch den Stoff seiner Hose hindurch zugezogen hatte. Auch das kurzärmlige Hemd mit der schwarzen Weste, die ebenfalls zur Uniform der Bedienungen gehörten, würde seine zerschrammten Arme nicht ausreichend verbergen.

Nao zog ihm den Stoff aus der Hand und drückte ihm seine normalen Klamotten in die Arme, in denen Akio hergekommen war.

"Heute ist es wohl besser du trägst deine Alltagskleidung..." erklärte er, und es klang viel zu vernünftig in Akio's Ohren, der von diesem Vorschlag absolut nichts hielt:

"Nein! Wenn ich die nicht trage", er hob die Uniform ein wenig an, "dann werden die Leute denken ich würde...ich würde...mich anbieten."

Nao brach in Gelächter aus.

"Na und? So ein Sittenfall ist das nun auch wieder nicht. Sollte jemand Interesse zeigen kannst du ja nein sagen. Wir nehmen auch nicht JEDEN Kunden, die sind Absagen also gewohnt. Du wirst schon nicht dran sterben wenn man dir mal ein paar begehrliche Blicke zuwirft..."
 

Die Ursache für Akio's starken Protest lag in der Arbeitsteilung im XY.

Die Tänzer hatten natürlich ihre eigenen Kostüme, und für die Leute an Bar, Kasse und diejenigen, welche Getränke und Snacks an die Tische brachten, gab es eine verbindliche Uniform. Klar war diese auf ihre eigene Art aufreizend, aber sie war gleichzeitig ein Stopschild für die Gäste. Wer sie trug war tabu, zumindest solange er sie trug.

Aber diejenigen die frei arbeiteten kamen in ihren eigenen Klamotten, schließlich waren sie offiziell selbst Gäste. Würde Akio ohne seine Uniform da rausgehen würde er den Eindruck vermitteln nach einem Freier zu suchen, und das war ein Eindruck, den er keinesfalls vermitteln wollte!

Akio warf Nao einen düsteren Blick zu der sich köstlich zu amüsieren schien und pfefferte sowohl seine normale Kleidung als auch die Uniform in den Spind.

Nao zuckte mit den Schultern und meinte: "Klar, du kannst auch nackt gehen. Das vermittelt dann aber in vielerlei Hinsicht einen falschen Eindruck. Just sayin'."

Und er verließ den Raum.
 

Akio seufzte genervt auf und zog erst einmal sein Handy aus seiner Tasche. Nicht dass Miu ihn in der letzten halben Stunde schon wieder vermisst und angerufen hatte.

Nach ihrem unerwartet langen Gespräch mit Chris im Garten war dieser relativ bald aufgebrochen um seine Sachen zu packen da er am nächsten Morgen einziehen sollte, jetzt da klar war dass es mit den beiden voraussichtlich funktionieren würde.

Danach hatte sich Miu's Aufmerksamkeit wieder Akio zugewandt und er hatte es nur mit Nancy's Hilfe geschafft ihr überhaupt zu entkommen. Akio traute seiner Schwester durchaus zu dass sie in Sorge um ihn ihren Vater alarmierte nur weil er eine Weile nicht an sein Handy ging.

Akio hatte Miu nicht erzählt dass er in einem Gentleman's Club arbeitete, wie das XY sich offiziell nannte. Ihre Sorge würde ins Unermessliche steigen wenn sie wüsste dass er nachts noch unterwegs war…und auch noch in einem Viertel der Stadt in dem es durchaus Leute gab die vermutlich Interesse an seinem Hintern hatten. Daher war es wichtig Miu - zumindest was das anging - im Dunkeln zu lassen. Akio hatte vor, ihr eine Nachricht zu schicken dass er jetzt ins Bett ging, damit sie nicht anrufen würde.

Als er den Bildschirm aufleuchten ließ sprang ihm eine neue Nachricht von Hiro entgegen.

"Erzähl mir morgen was dein Paps von dir wollte, ja?"

Verwirrt starrte Akio auf die Nachricht.

Woher wusste Hiro denn, dass er sich morgen mit seinem Vater traf?

Akio runzelte die Stirn, dachte aber nicht weiter darüber nach sondern schrieb nur kurz Miu die geplante Nachricht und schlüpfte schließlich schweren Herzens in seine alten Klamotten bevor er Nao die Hintertreppe hinunter in den Club folgte.

 
 

Ryo ließ den dicken weißen Umschlag auf den Tisch fallen und genoss das satte Klatschen, mit dem dieser aufschlug. Taro, der bisher auf den Fernseher konzentriert war und Ryo's Rückkehr komplett ignoriert hatte, drehte den Kopf.

"Wie viel?"

Ryo zuckte mit den Schultern und zog sich das verschwitzte Shirt über den Kopf.

"Keine Ahnung, hab nicht nachgezählt."

Taro's Augen wurden zu schmalen Strichen und in einem gefährlich ruhigen Tonfall wiederholte er: "Du hast nicht nachgezählt?"

Ryu spähte zum Bad hinüber, es war offen. Oh Gott, es gab keine Worte dafür wie sehr er sich gerade nach einer Dusche sehnte! Ohne Taro's Frage zu beantworten ging er hinüber-

Zumindest hatte er das vor.

Er kam nicht weit, der schmale Körper war aus der entspannt sitzenden Haltung heraus in lediglich einem Sekundenbruchteil über die Rücklehne der alten Couch geschwungen und Ryu spürte den stechenden Blick seines Partners von einer Sekunde auf die andere aus nächster Nähe auf sich ruhen, lauernd, jederzeit bereit in einen Angriff umzuschlagen.

Ein kleiner Schub Adrenalin durchschoss Ryu und seine Muskeln spannten sich an, bereit sich zu wehren.

Die Stille war drückend, obwohl im Hintergrund leise die Stimme einer Nachrichtensprecherin plapperte: "…Einbruch wird vermutlich eine erneute Debatte zur räumlichen Nähe zu verwahrlosten Straßenzügen aufwerfen. Schon seit fünf Jahren kämpfen die Anwohner um eine Neugestaltung des angrenzenden Bereichs. Mit diesem neuen, durchschlagenden Argument könnten sie nun Erfolg haben."
 

Kühle Finger legten sich federleicht auf Ryu's verschwitzte, feuchte Haut und er zuckte zusammen.

"Warum laberst du so eine Scheiße? Natürlich hast du es gezählt." schloss Taro plötzlich und wandte sich wieder dem Fernseher zu.

Ryu grinste.

"Ich dachte sonst redest du nicht mehr mit mir…" und er schaffte es, seiner Stimme den albern-verzerrten Klang eines schmollenden Schulmädchens zu geben.

Taro's Blick ließ die Temperatur im Raum direkt um einige Grad fallen.

"Ich rede aber auch nicht mit Toten - und das hat sich schnell wenn du mir noch einmal eine solche Gelegenheit bietest."

Daraufhin ließ er sich wieder auf der Couch nieder, die selbst unter seinem Fliegengewicht ächzend einsank, und würdigte Ryu keines Blickes mehr.

"Ich hab dich auch lieb, Schatz." schnurrte Ryu und warf sein regennasses Shirt nach Taro, bevor er im Bad verschwand.

Es war tatsächlich nicht gesundheitsfördernd Taro einen Grund zu geben zu vermuten es mit jemandem zu tun zu haben, der sich nur für Ryu ausgab, aber genauso wenig hilfreich war die gereizte Spannung, die jedes Mal zwischen ihnen herrschte, wenn es mal wieder passiert war. In ihrem Job konnten sie es sich einfach nicht leisten dass private Spannungen ihr Handeln als Einheit störten.

Ryu stieg unter die Dusche und schloss genießerisch die Augen, als ihm heißes Wasser entgegenströmte.
 

Im Wasser das auf die Scheiben niederprasselte verschwammen die Farben der bunten Leuchtreklamen und seiner eigenen Scheinwerfer.

Renjiro stellte den Motor aus und saß für einen Moment in der Dunkelheit, das stetige Prasseln auf dem Dach erfüllte das Fahrzeug mit einer Atmosphäre wie die Ruhe vor dem Sturm – was in diesem Falle wörtlich zu nehmen war, denn draußen tobte ein Unwetter wie er es schon lange nicht mehr gesehen hatte, und in dem Moment in dem Renjiro ausstieg würde es wie ein wildes Biest auch über ihn herfallen, lauter und ungezähmter als das gleichmäßige Hämmern auf dem Autodach es vermuten ließ.

Nicht gerade glücklich über die Parksituation zog Renjiro die Schlüssel ab.

Er war es gewohnt in der Nähe seines Ziels parken zu können, daher war das Wetter etwas, an das er selten einen Gedanken verschwendete. Hier war er allerdings gezwungen bei der U-Bahn-Station zu parken und mehrere Minuten zu Fuß zu gehen, was bei diesem Regen und Wind hieß, dass er ganz sicher nicht trockenen Fußes dort ankommen würde.

Allerdings brachte es auch nichts sich darüber zu ärgern, und da er es vorzog sich unangenehmen Situationen so bald wie möglich zu stellen, zögerte er nicht länger die Tür zu öffnen und sich auf den alles andere als angenehmen Weg zu machen. Kaum hatte er die Tür geöffnet, drängte das Wasser in den Wagen, gepeitscht von starkem Wind der den Tropfen die Schärfe von winzigen Nadeln verlieh, die sich in seine Haut gruben.

 
 

Die Blicke.

Unzählige Blicke, Gesten, es war als würde er sie magnetisch anziehen.

Mit einem erleichterten Seufzen verzog Akio sich hinter die Bar als ein Kollege ihn heranwinkte.

"Das ist so gestört! Wie haltet ihr das denn aus? Konstant so angestarrt und angemacht zu werden, da wird man ja verrückt!" brach es aus ihm heraus.

Sein Kollege bedachte ihn mit einem mitleidigen Blick.

"Das ist auch kein Alltag. Die reagieren nur so weil es das erste Mal ist dass du so was machst. Das will sich eben keiner entgehen lassen, und deshalb wetteifern sie darum wer dich heute mitnimmt."

Akio verschlug es für einen Moment die Sprache.

Das war doch einfach unglaublich! Jetzt klang es schon so als würde er sich tatsächlich anbieten, dabei waren alle Angestellten informiert worden dass es eine rein 'kosmetische' Entscheidung gewesen war Akio in missverständlicher Kleidung herumlaufen zu lassen!
 

Grummelnd stützte Akio sich auf der Theke ab und ließ den Blick durch den weitläufigen Raum schweifen.

Das XY war um diese Zeit gut gefüllt, das Publikum ausschließlich Männer der gehobenen Klasse, die Entspannung, Reiz, und Unterhaltung nach einem anstrengenden Arbeitstag suchten.

Das bunte Licht aus den unzähligen winzigen Lämpchen an den Wänden, die in regelmäßigen Abständen in verschiedenen Farben aufleuchteten, ließ sie schemenhaft und surreal wirken.

Geübt bewegten sich junge Frauen und Männer in Uniformen durch die Menschen, brachten Snacks und Getränke an die Tische vor der großen Bühne, die sich links von Akio befand.

Die Musik war leiser als zuvor während Akio in der Umkleide war, erlaubte Gespräche welche während der Acts nicht möglich waren, doch im Moment war die Bühne leer und würde es auch noch für ein paar Minuten bleiben.
 

Jemand tippte ihm auf die Schulter und riss ihn so aus seinen Beobachtungen. Akio wandte sich zu dem Störfaktor um und erkannte darin eine weitere Kollegin, Yuko oder Yuka oder so ähnlich, Akio's Namensgedächtnis war nicht das Beste.

"Hey Tagträumer, arbeiten, nicht schlafen!" meinte sie mit einem Zwinkern.

"Ich brauche einen von euch beiden am Empfang, der andere soll hier an der Bar weitermachen, sagt der Chef. Er trifft heute anscheinend jemand Superwichtigen hier, und da soll es auf keinen Fall Stau am Eingang geben weil das einen schlechten Eindruck machen würde," teilte sie den beiden mit.

Ihr Blick wanderte an Akio einmal von oben nach unten und wieder zurück und mit einem schiefen Grinsen sagte sie:

"Wenn du so am Empfang stehst gibt es erst recht 'nen Stau. Bleib besser hier hinter der Bar, da fällst du nicht so auf. Der Hauptact kommt gleich, da wird dir hier schon keiner die Tür einrennen, die werden alle auf die Bühne fixiert sein."

Und mit ihrem Kollegen im Schlepptau zog sie von dannen.
 

Das XY bot auf relativ kleinem Raum Zerstreuung für überraschend viele verschiedene Stimmungen.

Die Tänze reichten von unmissverständlich bis künstlerisch angehaucht, und wem nicht danach war die geschmeidigen Tänzer bei ihrem Spiel zu beobachten konnte sich fernab der Hauptbühne anders beschäftigen.

Die Bar bot die Chance auf einen guten Drink, bei Bedarf auch einen guten Zuhörer in Form des Chefs, der normalerweise hier beschäftigt war; ruhige Nischen und die freie Tanzfläche boten die Möglichkeit den richtigen Begleiter für den Rest der Nacht zu finden und vorher ein wenig auszutesten und zwei große versteckte Glaszylinder, je einer an der rechten und einer an der linken Wand, boten interessante Ausblicke auf die nächsten beiden Acts, die sich dort - unerreichbar hinter hartem Glas – bereits aufreizend in Szene setzten.
 

Akio ging hinter der Theke in die Hocke und räumte ein wenig um, suchte sich die richtigen Flaschen und Zutaten zusammen und richtete sich ein.

Jeder hatte seine eigene Ordnung was die Kleinigkeiten anging, und Akio wollte bereit sein, wenn nach dem Hauptact deutlich mehr Kunden an die Bar kamen als bisher.

In diesem Moment erlosch ein guter Teil der unzähligen winzigen Lichter an den Wänden und die Scheinwerfer über der Bühne blitzen auf.

Fast alle Blicke richteten sich automatisch auf die Bühne, in deren Spiegellabyrinth jetzt ein Tänzer auftauchte.

Die Spiegel, die sich gegenseitig reflektierten, waren etwas Besonderes.

Sie vervielfältigten den Tänzer, zeigten ihn von jeder Seite, aus jedem Winkel, nichts blieb verborgen – und gleichzeitig alles, denn die Reflektionen konnten so verwirrend sein, dass der Unterschied von realer Person und Spiegelbild verschwamm.
 

Nicht zum ersten Mal dachte Akio sich, dass das XY durchaus einen Hang dazu hatte seine Besucher zu quälen. Dass diese trotzdem wiederkamen bewies eigentlich nur, dass genug Leute bereit waren bares Geld dafür zu bezahlen dass man sie hinhielt und ihnen nie gab wonach sie sich sehnten.

Akio wandte sich wieder seiner Arbeit zu, warf vorher aber noch einen kurzen Blick hinüber zu Yuka/Yuko und ihrem Anhängsel, die am Eingang fleißig damit beschäftigt waren den Besuchern kleine leuchtende Anstecker zu verpassen.

Sie ähnelten den Ansteckern, die in normalen Nachtclubs gerne von den Besuchern getragen wurden, hatten hier im XY aber gleich mehrere wichtige Aufgaben. Einerseits veränderten sie mit fortschreitender Stunde die Farbe und ließen sowohl den Kunden selbst wissen wie lange er schon hier war, als auch denjenigen an der Kasse, wie viele Acts er dem Besucher berechnen musste.

Die Berührung mit einem Chip, den jede Bedienung am Handgelenk trug, verbuchte außerdem Getränke und Snacks darauf, die am Ende an der Kasse ausgelesen wurden. So war der ganze Besuch entspannt, zahlungsfrei, und bestenfalls erfüllt von sanften Berührungen der Bedienungen die Bestellungen verbuchten.

Einmalige oder zumindest seltene Besucher fanden das System wundervoll.

Wer öfter kam empfand es mit der Zeit als Stigma, denn es trennte diejenigen die es trugen von denen, die es nicht tragen mussten
 

Denjenigen, die eine exklusive Mitgliedschaft hatten.
 

'Mitglieder' zahlten monatlich eine beachtliche Summe und konnten dafür so lange bleiben und so viel trinken und essen wie sie wollten. Das alleine hätte wohl kaum jemanden gelockt, aber die Gerüchte über die exklusiven Special Events für Mitglieder sprachen sich herum.

Akio selbst war noch nie bei einem solchen Special Event gewesen, aber er hatte von Kollegen gehört dass an diesen Abenden mit streng überprüfter Teilnahme die üblichen Grenzen verschwammen, Tänzer nicht unbedingt unerreichbar blieben, dass es allerlei verrückte Ideen, Themenparties, exotische Tänze und nicht ganz legale Challenges gab deren Belohnung Dienste waren, die eigentlich schon seit Jahren verboten waren, und das von denjenigen, die normalerweise nicht dafür zur Verfügung standen.

Auch gerade deshalb wurde die Mitgliedschaft natürlich nicht einfach an jeden Interessenten vergeben.
 

Akio's Augen folgten einem großen Mann, der nach einem kurzen Wortwechsel mit Akio's Kollegen an diesen vorbei schritt ohne sich mit Kleinigkeiten wie einem Anstecker aufzuhalten.
 

Ein Mitglied also.
 

Im nächsten Moment war Akio hinter der Theke verschwunden und erholte sich von seinem Schrecken - aufblitzendes feuriges Orange hatte den Mann für einen Moment vom schemenhaften Fremden zum wohlbekannten Gesicht gemacht.

Wobei wohlbekannt es nicht wirklich traf; Akio hatte dieses Gesicht bisher erst ein einziges Mal in der Realität gesehen. Doch in seinen Gedanken und Träumen suchte es ihn die letzten 24 Stunden regelmäßig heim - der offensichtliche Stammkunde war niemand anderes als der kühle attraktive Fremde, der sich am Vortag in Akio's verwirrtes Hirn geschlichen hatte und sich seitdem weigerte von dort zu verschwinden!

Tsunami und andere Katastrophen

Renjiro wischte sich unwirsch das feuchte Haar aus dem Gesicht und versuchte sich in der nächtlichen Glitzerwelt zurecht zu finden. Im bizarr anmutenden Halbdunkel, das mit seinen aufblitzenden Lichtern harte Schatten warf, wirkten all die Menschen, die sich darin bewegten, seltsam flach und konturlos. Die Luft war erhitzt von den vielen Menschen und Renjiro schüttelte das nasse Jackett ab, ließ den Blick dabei über die Menge schweifen. Vor der Bühne schlüpften einige Mitarbeiter durch die Lücken zwischen den Besuchern, aber es war unmöglich viel zu erkennen. Eine Mischung aus Ungeduld und Frustration stieg langsam in ihm auf.

Es würde ein Albtraum werden, hier drin nach seinem Ziel zu suchen.

Unschlüssig näherte er sich der Bühne, auf der ein junger Körper wild umherwirbelte. Ein rabenschwarzes Hemd in langen, sauber geschnittenen Fetzen war alles was den Tänzer verbarg. Intakt war der schwarze Stoff nur dort, wo er eigentlich nicht hingehörte - wie eine unheimliche Maske erstreckte der Stoff sich über das Gesicht des Mannes, ließ nur grobe Konturen erkennen. Die wirbelnden Fetzen waren immer in Bewegung, und schon nach wenigen Augenblicken wurde Renjiro klar, dass kein noch so aufmerksamer Beobachter je einen Blick auf das würde erhaschen können, was darunter lag.

Er wandte sich ab und ließ den Blick über die Zuschauer schweifen. Obwohl Renjiro das Gesicht des Tänzers nicht sehen konnte, schloss seine Körpergroße aus, dass es sich um Renjiro's Zielperson handeln konnte. Das reine Weiß der Uniformen der Angestellten zog seine Aufmerksamkeit auf sich, aber schon bald musste er enttäuscht feststellen, dass nur wenige männlich waren und keiner dieser wenigen der Gesuchte war. Plötzlich wurde er aus nächster Nähe angesprochen, neben ihm stand eine junge Frau in der Uniform der Angestellten die ihm helfen wollte einen guten Platz zu finden. Ein zynisches Grinsen ließ seine Mundwinkel zucken. Nein, einen Platz brauchte er nicht, aber sie konnte ihm durchaus helfen etwas anderes zu finden.
 

Mit einem undeutbaren Blick starrte Akio's Kollege zu ihm herunter.

"Was genau....tust du da?"

Akio, der in der Hocke saß, sich am unteren Regalbrett hinter der Theke festklammerte um nicht das Gleichgewicht zu verlieren, und dabei immer wieder vorsichtig den Kopf gerade weit genug hob, um einen schnellen Blick in den Raum zu werfen, gab durchaus ein ungewöhnliches Bild ab. Er ignorierte die Frage, aber der andere ließ nicht locker.

"Hast du was verloren? Soll ich suchen helfen?" fragte er hilfsbereit. Akio, der gerade wirklich andere Sorgen hatte, fauchte ihn unfreundlich an: "Nein man! Und jetzt halt bitte einfach mal die Klappe, das hier ist wichtig!"

Betreten und durchaus auch ein wenig beleidigt wandte Akio's Kollege sich zum Gehen.

Akio atmete tief durch. Er wusste, dass er überreagiert hatte, aber seine Nerven lagen blank. Er wollte dem Mann von gestern nicht begegnen, aber alles in ihm schrie, ihn sich genauer anzusehen, wenigstens um sich zu versichern dass er einfach nur ein Mann wie jeder andere war und ganz und gar nicht..attraktiv. Gleichzeitig war da eine unbekannte leise Stimme in seinem Kopf die nicht hier gesehen werden wollte, einfach nur, weil es einen falschen Eindruck erwecken würde. Bevor seine Gedanken zu einer bewussten Entscheidung gekommen waren, hatte er bereits seinen Kollegen am Handgelenk gepackt.

"Warte."

Der junge Kerl wandte sich um und sah mit einer Mischung aus Ärger und Sorge zu Akio hinab, dem die leichte Panik wohl ins Gesicht geschrieben stand. Akio überlegte fieberhaft.

"Nehmen wir mal an...ein Ex von mir wäre hier, dem ich auf keinen Fall begegnen will...von dem ich nicht will, dass er erfährt dass ich hier arbeite..." begann er. Die Miene seines Kollegen verzog sich zu einem Grinsen.

"Sag das doch gleich! Um wen geht's denn?" fragte er, deutlich erheitert.

Akio schalt sich für die blöde Ausrede die ihm eingefallen war, schließlich war er nicht schwul, aber es war ihm seltsam naheliegend erschienen. Er lugte über die Theke.

"Der, der sich gerade mit Emi unterhält." erklärte er, nachdem er wieder sicher auf Tauchstation gegangen war. Hoffentlich empfahl sie dem ehrenwerten Kunden nicht, es sich an der Bar bequem zu machen, schoss es Akio durch den Kopf.

"Mit Eri meinst du?" hakte der junge Mann nach, der ganz ohne Scham neugierig in die besagte Richtung starrte. Dann stieß er einen anerkennenden Pfiff aus. "Kein Wunder dass du noch nie Interesse an irgendjemandem hier gezeigt hast, wenn das dein Standard ist..."

Akio ging nicht darauf ein.

"Kannst du hier für mich übernehmen? Nur ein paar Minuten, bis er einen Platz gefunden hat und kein Risiko mehr besteht, dass er rüberschaut?" Der junge Mann hatte Akio offensichtlich bereits verziehen, denn er nickte und scheuchte Akio mit einer Handbewegung von der Bar weg. Diesem rutschte das Herz in die Hose. Es war ein ganz schön langer Weg von der Theke bis zur Tür, welche zum Mitarbeiter-Bereich führte. Am liebsten wäre er einfach hier sitzen geblieben, aber er wusste dass er hier nur im Weg war und so richtete er sich auf um vorsichtig an der Wand entlang zu verschwinden.
 

Renjiro wandte der Angestellten leicht sein Ohr zu um sie besser zu verstehen, aber die Musik war während dem Hauptact zu laut, um sich angemessen unterhalten zu können. Frustriert wandte er sich schließlich von ihr ab und ließ den Blick ein weiteres Mal über den Raum schweifen. Vielleicht war der Junge heute auch einfach nicht da. Sein eigenes Auto hatte ihn schließlich erst gestern fast überrollt, warum sollte er also heute bereits wieder hier sein? Unschlüssig wandte Renjiro sich der Bühne zu - sollte er direkt wieder gehen? Er hatte vorgehabt mit der Leitung des Clubs zu sprechen, aber das Gefühl einer weiteren Sackgasse, einer weiteren Niederlage, war gerade fast zu stark.

Auf der Bühne wirbelte der junge Mann immer wilder umher, die Masse schien regelrecht hypnotisiert von seinen Bewegungen zu sein; nach und nach lösten sich einzelne Sotfffetzen, gaben den Blick auf porzellanweiße Haut frei, und folgten einer steilen Flugbahn ins Publikum, wo sie johlend aufgefangen wurden. Renjiro's Blick fiel auf einen Fetzen der in die falsche Richtung flog, einen Spiegel traf und zu Boden fiel. Ähnlich erfolgreich zeigten sich bisher seine eigenen Bemühungen, zu dem Jungen durchzudringen!

In dem Moment fiel ihm in der spiegelnden Oberfläche ein Schopf auf, der nicht zu den vorherrschenden dunklen Haaren passte. Renjiro wirbelte herum und versuchte die Stelle wiederzufinden, an der er gerade gemeint hatte, das Ziel seiner Suche entdeckt zu haben.
 

Erleichtert erreichte Akio die versteckte Tür zur Treppe und zog an der eingelassenen Türklinke. Er war so froh um den Tänzer auf der Bühne! Erstens war es hier hinten relativ dunkel, um die Bühne stärker in den Fokus zu rücken, und zweitens hatte Akio bemerkt, dass der Mann sich interessiert der Bühne zugewandt hatte. Gerade bevor er durch die Tür in die Dunkelheit dahinter schlüpfen konnte, wurde die Tür sanft aber bestimmt geschlossen. Verwirrt warf Akio einen Blick über seine Schulter und erstarrte. Die markanten Züge waren ihm näher als je zuvor, der Mann hatte sich mit einer Hand über Akio abgestützt und mit dieser den Spalt wieder geschlossen.
 

"Man trifft sich im Leben immer zweimal."
 

Die Stimme war dunkel und rau, und trotz der lauten Musik nahm Akio jeden Laut überdeutlich wahr. Alle anderen Gedanken waren wie weggefegt, dass er diesem Mann eigentlich nicht hatte wiederbegegnen wollen um nicht noch verwirrter zu werden, dass es ein wenig peinlich war in einem Strip-Club zu jobben, dass der Mann ein Stammkunde war und daher wusste was es bedeuten musste, wenn Akio in Freizeitkleidung hier war. Aber er war nicht verwirrter, er war klarer als je zuvor! Alles in ihm sehnte sich danach, dieses Gesicht zu berühren, durch die dunklen Haare zu streichen und die Finger über den kräftigen Körper gleiten zu lassen.

Erschrocken von der Leidenschaft seinen eigenen Gedanken, brachte Akio kein Wort heraus. Es war zu nah, zu viel. Langsam sank sein Rücken gegen die Tür.
 

Renjiro atmete innerlich auf. Fast hatte er die Chance verloren, die sich so wundervoll ergeben hatte! Aber das zählte jetzt nicht mehr, der Junge war hier und konnte vorerst nicht weg. Die Frage war jetzt, wie er ihn unauffällig hier wegbrachte. Sein ursprünglicher Plan hatte vorgesehen über die Leitung des Clubs an Akio heranzukommen, sich als Chef der Kette vorzustellen, und das Gespräch dann im Privaten darauf zu lenken, dass er etwas zu dem Unfall von gestern zu besprechen hatte, das im Club nicht ging. Aber die Eile hatte ihn gezwungen sich dem jungen Mann anders zu nähern als geplant, und das machte ihn nervös. Nun ja, und die Tatsache, dass er gerade eine Entführung plante wie andere Menschen ihren Sonntagsausflug - selbst für Renjiro's klaren, berechnenden Verstand war das etwas, das ihm das Herz ein wenig in die Hose rutschen ließ.
 

Akio versuchte etwas zu sagen aber kein Laut entwich seinen Lippen. Beschämt räusperte er sich, schlug die Augen nieder und versuchte dem Sog der Schwarzen Löcher zu entgehen, die jeglichen Anstand aus ihm herauszusaugen schienen. Dafür war sein Blick jetzt auf das Hemd des Fremden gerichtet, unter dem sich ein wohltrainierter Körper abzeichnete. Akio selbst war nicht wirklich für Sport zu begeistern, er konnte zwar essen was er wollte, aber Muskeln erwuchsen daraus nicht. Er hatte Respekt vor Männern, die regelmäßig trainierten. Das eine oder andere Mal hatte er durchaus mit ein wenig Neid auf seine fitnessbegeisterten Mitschüler geschaut, aber was er im Moment empfand war kein Neid. Es war pure Bewunderung.

Äußerst verspätet riss er sich genug zusammen um eine Antwort von sich zu geben:

"Was für ein Zufall, was?" Das Lachen das darauf folgte, war nicht ganz echt.
 

Über Renjiro's Lippen huschte ein seltenes Lächeln. Es war nicht ganz fair, aber er wusste, dass er sowohl bei Frauen als auch bei einigen Männern durchaus einen starken Eindruck hinterließ. Der junge Mann vor ihm gab sich offensichtlich alle Mühe sich nichts anmerken zu lassen, aber dass Renjiro ihn nicht kalt ließ, war offensichtlich. Und auch er selbst hätte sich in einer anderen Situation und unter anderen Umständen durchaus ein wenig Spaß mit ihm vorstellen können. Aber das war in einem anderen Leben. Jetzt war ihm die zündende Idee gekommen, um das Gespräch über einen kleinen Umweg zurück zu seinem ursprünglichen Plan leiten zu können. Doch als der Erbe des Higuchi-Imperiums den Blick wieder hob, fiel Renjiro. Fiel in die Tiefen dieser Augen, welche grün schimmernd das aufblitzende Licht von der Bühne reflektierten, und Beifall brandete auf für die wilde Sehnsucht in ihnen.

Erst einige Momente später realisierte Renjiro, dass der Beifall dem Tänzer in ihrem Rücken galt. Und bevor er nachdenken konnte, waren ihm ganz andere Worte über die Lippen gekommen, als er eigentlich hatte sagen wollen:
 

"Was, wenn es kein Zufall war?"
 

Akio's Knie wurden weich. Kein Zufall? Was wollte der geheimnisvolle Fremde damit sagen? War er etwa wegen ihm hier? Akio schalt sich für den Gedanken. Das war albern, der Mann kannte ihn ja überhaupt nicht und wusste daher auch nicht, dass er hier arbeitete. Und überhaupt, was könnte er schon von Akio wollen?

Oh, natürlich wusste er, wofür einige Männer hierher kamen! Aber doch nicht...mit ihm. Die Musik war leiser, jetzt da der Hauptact vorbei war, sonst wären die Worte wohl kaum verständlich gewesen, die Akio wisperte: "Dann hatte wohl jemand unziemliches Interesse an mir..."

Entsetzt über seine eigenen Worte starrte Akio zu dem Mann hinauf. Das ging alles zu schnell, und die Nähe des attraktiven Fremden verdrehte ihm den Kopf. Kurz blitzte Sorge in ihm auf, was wohl sein Chef denken würde, wenn er hiervon erfuhr. Von Anfang an hatten alle Mitarbeiter eingetrichtert bekommen bloß keine Annahmen über die Kunden des XY zu machen. Natürlich waren einige schwul und kamen mit gewissen Absichten, aber viele kamen tatsächlich des künstlerischen Anspruchs wegen, und es wäre eine große Beleidigung ihnen unlautere Absichten zu unterstellen. Mit gemischten Gefühlen wartete Akio auf die Reaktion des offensichtlichen Stammkunden.
 

Verdutzt und belustigt starrte Renjiro auf ihn hinunter. Damit hatte er nicht gerechnet! Und er hatte den Nagel auf den Kopf getroffen, näher, als es Renjiro eigentlich recht war. Anerkennend musterte er den jungen Mann genauer. Er war deutlich kleiner als Renjiro, aber nicht kleiner als die meisten anderen Männer im Raum. Die Gesichtszüge, welche diese unglaublichen Augen umrahmten, waren fein gezeichnet und obwohl auch heute das ungewöhnlich helle Haar alles andere als gebändigt war, so verdeckte es immerhin nicht mehr den Großteil des Gesichts. Der ansehliche junge Mann trug ein einfaches T-Shirt und enge Jeans und in dem Moment durchfuhr Renjiro die Erkenntnis was das bedeutete.

Kein Wunder dass der Kleine sich nicht so leicht einschüchtern ließ, er flirtete hier sicher nicht zum ersten Mal mit jemandem; und Grund sich zu verstecken hatte er definitiv auch nicht. Unziemliches Interesse? Zuvor hatte Renjiro nur an die Entführung gedacht, doch jetzt blitzte vor seinem inneren Auge die kleine Wachfantasie auf, die sich beim Umziehen in seinen Kopf geschlichen hatte. Wenn du wüsstest, du würdest schreiend ans Ende der Welt flüchten, dachte er, und ein leises Lachen entwich ihm.
 

Akio erschauderte als er das Lachen hörte. Es war nicht unangenehm, aber es schien, als würde der Fremde über einen ganz eigenen, persönlichen Witz lachen, den Akio nicht verstand. Die Härchen in seinem Nacken stellten sich auf, aber es war eine angenehme Gänsehaut. Nach wie vor war Akio gefangen zwischen der Tür, die mit der Wand verschmolz, und dem Körper des Mannes - doch er fühlte sich nicht mehr ganz so hilflos wie zuvor. Das Spiel von Blicken und Worten begann ihm Spaß zu machen.
 

Renjiro lehnte sich ein wenig zurück und stütze sich zu beiden Seiten des jungen Mannes ab, der so perfekt in sein persönliches Beuteschema passte. Gleichzeitig schrillten alle Alarmglocken in seinem Hinterkopf. War er denn verrückt geworden?! Dieser junge Mann war ein Ziel der Organisation! Was tat er hier eigentlich, dass er so offensichtlich mit ihm flirtete? Wo würde es hinführen, wenn er das fortführte? natürlich wäre es ein Leichtes, ihn verschwinden zu lassen, wenn er ihn für eine gemeinsame Nacht mitnahm. Aber was wäre die Folge davon? Ein Arbeitgeber der ein wenig mit seinem Angestellten geplaudert hatte bevor dieser bald darauf verschwand war nicht gerade verdächtig, es war einfach ein blöder Zufall. Aber ein Geliebter? Mit sexuellen Beziehungen kamen Eifersucht, Wut und andere nutzlose Emotionen die einen zum perfekten Verdächtigen machten! Also was zur Hölle dachte er sich dabei, mit dem Jungen zu flirten?!

Mit Mühe entzog Renjiro sich dem Bann der grünen Augen, lehnte sich vor bis seine Lippen fast das Ohr des jungen Mannes berührten und flüsterte: "Tut mir leid dich enttäuschen zu müssen, aber keine unziemlichen Gedanken meinerseits. Ich bin nur der knausrige Alte der dir so wenig Gehalt zahlt." Dann lehnte er sich zurück und grinste.
 

Akio's Herz schlug als würde er einen Marathon laufen als der geheimnisvolle Fremde ihm so nahe kam und im nächsten Moment fühlte er sich, als hätte ihm jemand einen Eimer Eiswasser übergekippt.

"Wie..bitte?"

Der Mann schien sich köstlich zu amüsieren. Den Blick weiter Auf Akio's entsetztes Gesicht gerichtet, führte er weiter aus: "Es ist tatsächlich kein Zufall dass ich hier bin. Mir gehört das XY. Und nach der anschaulichen Beschwerde gestern Abend dachte ich mir, ich muss mir mal die Arbeitsbedingungen hier genauer ansehen, die angeblich ein höheres Gehalt rechtfertigen."

Er schien auf eine Reaktion zu warten, doch Akio war zu geschockt um reagieren zu können.

Oh shit.

Das durfte doch einfach nicht wahr sein!

Während Renjiro geduldig wartete, versuchte Akio sich wieder zu fangen. Sag irgendwas! motivierte er sich selbst. Es wird nur immer noch schlimmer je länger du schweigst!

Seine Stimme zitterte leicht, als er schließlich meinte: "Und, welchen Eindruch haben Sie bisher gewonnen?"
 

Renjiro vergaß seinen ursprünglichen Plan sofort wieder. Der Higuchi-Erbe war einfach zu amüsant. Und dieser trotzige Blick...mh. Renjiro liebte es andere zu dominieren, doch es bereitete ihm kein Vergnügen wenn diese sich nicht wehrten. Der Widerstand in den Augen des jungen Mannes hingegen gefiel Renjiro. Genau so musste es sein.

Akio Higuchi. Renjiro ließ sich den Namen auf der Zunge zergehen. Der Junge schien mehr Überraschungen bereitzuhalten als er erwartet hatte. Oh verdammt. Er konnte Akio jederzeit an Kaminari übergeben. Ein kleines Spiel davor, was machte das schon? Er würde einer von vielen sein, es spielte keine Rolle für seine Verbindung zu dem Jungen. Langsam näherte er sich Akio, der nun noch näher an die Wand gedrängt war, und sagte leise: "Bisher habe ich den Eindruck, ein bestimmter Mitarbeiter arbeitet nicht gerade viel..."
 

Akio stockte der Atem als der Mann ihn an die Wand drängte. Er war gefangen, ein Unterarm war über ihm an die Wand gestützt, der andere berührte Akio leicht an der Schulter und sandte Wellen durch seinen ganzen Körper. Er versuchte nach Luft zu schnappen, aber seine Lungen hörten einfach nicht auf ihn. Irgendwo schrie der letzte Rest seines Verstands: Du lässt dich gerade von einem Mann verführen! Du stehst auf Frauen! Was tust du da!, aber der Gedanke war weit weit entfernt. Jede Faser seines Seins sehnte sich nach mehr. Es musste absolut atemberaubend sein, diesen Mann zu küssen. Akio's Blick hing an den Lippen, die zu einem schwachen Lächeln verzogen waren. So nah. Zu fern. Nur mit Mühe schaffte Akio es, sich genügend zusammenzureissen, um etwas atemlos zu antworten: "Das lässt sich ändern. Kann ich Ihnen etwas anbieten...?"
 

Die Musik wurde wieder lauter, einer der Sideacts musste die Bühne wieder in Beschlag genommen haben, doch keiner von beiden hatte Augen dafür. Die wilde Gier die in Renjiro's Augen aufblitzte, als er Akio's Frage vernahm, war Antwort genug. Er wollte sich diese weichen Lippen nehmen, wollte dass die Augen sich schlossen, die ihn so bedingungslos anzogen und wollte gleichzeitig nicht, dass dieser Sog je endete.

Als er die letzten Zentimeter zwischen ihnen schloss und seine Lippen Akio's Ohr näherte, stieß dieser schwer die Luft aus, die er zuvor angehalten hatte. Doch Renjiro's Spiel war noch nicht vorbei - seine Lippen streiften die weiche Haut an Akio's Hals und Renjiro spürte die Gänsehaut unter seinen Lippen.

"Ja..." murmelte er, nur für Akio hörbar. Dieses freche Mundwerk würde ihm gehören, der schmiegsame Körper, der sich ihm mehr unbewusst als bewusst entgegendrückte. Ganz von selbst löst seine Hand sich von Akio's Schulter und wanderte tiefer, schlang sich um die Hüfte des schlanken Mannes, von dem alle Scham abfiel und der in Renjiro's Haar griff und dessen Lippen sich einladend öffneten.
 

"...dich."
 

Die Berührung kam völlig unerwartet trotz allem was zuvor passiert war und riss Akio fast von den Füßen. Die festen Lippen schmolzen ihn und setzten ihn neu zusammen, lediglich der trainierte Körper der ihn an die Wand drückte hielt ihn aufrecht, und das Bein, das sich vorwitzig zwischen seine eigenen gestohlen hatte.

Akio fehlte plötzlich die Kraft, die Augenlieder geöffnet zu halten, als würde die leichte Berührung ihrer Lippen ihm bereits alle Energie nehmen und ihn willenlos machen. Überall wo sie sich berührten kribbelte es, und eine unglaubliche Wärme stieg in Akio auf.

Es war kein zarter Kuss, nicht liebevoll und auch kein vorsichtiges Herantasten. Pure Dominanz stürmte auf Akio ein, und er wollte diesem Mann alles zu Füßen legen was dieser in Besitz nehmen wollte. Seine Hand glitt herunter, die Wange des Fremden war rau, er hatte sich wohl nicht rasiert bevor er in den Club gekommen war. Das Gefühl von Haut auf Haut war elektrisierend, aber...
 

Es war nicht genug.
 

Da war plötzlich eine Hand in Akio's Nacken die seinen Kopf nach hinten zog und der Kuss wurde tiefer; er erschrak über die Zunge die plötzlich seine eigene anstieß.

Keine Erlaubnis. Keine Bitte. Einfach da.
 

Akio hatte das Gefühl zu fallen und die Kontrolle zu verlieren, zu viel stürmte auf seine Sinne ein. Vor Schreck trafen seine Zähne auf die fremde Zunge, die sich zurückzog, begleitet von einem unwilligen Laut der Akio's Herz flattern ließ. Sofort sehnte er sich nach dem unbekannten Geschmack, dem Hauch von Minze und etwas, das er noch nie geschmeckt hatte. Ungeduldig stieß er selbst in die fremde Welt vor, doch sie blieb verschlossen. Ein frustriertes Wimmern entwich Akio. Sein Atem ging schnell, zu aufregend, zu schnell, zu atemlos war das hier.

Alles schien sich zu drehen und hinter seinen geschlossenen Lidern flackerte das Licht und die Musik schien so unendlich fern und gleichzeitig dröhnte sie um die beiden herum.

Schmerz zwang Akio zurück in die Realität, als der Fremde in seine Unterlippe biss. Akio stöhnte auf, halb Schmerz, halb Lust. Doch alles war vergessen, als die Zunge zurückkehrte und spielerisch über die wunde Stelle leckte.

Es war so unwirklich.
 

Akio öffnete die Augen und wünschte sich sogleich, es nicht getan zu haben. Die braunen Augen waren dunkel und die Gefahr in ihnen jagte Akio einen Schauer nach dem anderen über den Körper. Das war der Blick eines Raubtiers, und es hatte die Fänge bereits in seiner Beute vergraben...und diese Beute wollte zerfleischt werden!
 

Die Hand an seiner Hüfte rutschte plötzlich tiefer, griff besitzergreifend an seinen Hintern. Akio versteifte sich. Diese eine Berührung löste den Wall auf, den der Zauber errichtet hatte, den der Fremde über ihn gelegt zu haben schien. All die Ängste und Bedenken stürmten von einem Moment auf den anderen wieder auf Akio ein - zu bewusst war ihm plötzlich, wo das hier hinführen würde wenn er dem nicht bald ein Ende setzte. Hätte er mit einem Mädchen...? Vielleicht. Aber er wusste von Schilderungen aus der Umkleide des XY zu gut, was passieren würde, wenn er dieser Naturgewalt in Menschenform freie Hand ließ.
 

Der Mann schien zu merken dass Akio nicht mehr bei der Sache war, denn mit einem einzigen Ruck stieß er sich plötzlich von Akio ab, der den Halt verlor und zu Boden rutschte. Der leichte Aufprall tat nicht wirklich weh, der eisige Blick der ihn von oben herab traf aber durchaus. Ohne ein weiteres Wort drehte der Fremde sich um und verschwand. Akio blieb sprachlos und schwer atmend an die Tür gelehnt sitzen. Er hatte das Gefühl ein Tsunami wäre gerade über ihn hinweggefegt und hätte nur Ruinen zurückgelassen. So extrem das Erlebnis gerade eben auch gewesen war, so schnell war es wieder vorbei.

Als ihn plötzlich jemand von der Seite anstubste zuckte er heftig zusammen, doch es war nur eine Kollegin die Feierabend machen wollte und dafür durch die Tür musste. Ihrer Nervosität nach hatte sie wohl schon länger darauf gewartet dass die Tür wieder passierbar wurde, sich aber nicht getraut das ungleiche Paar zu stören, das den Weg blockierte. Akio nickte ihr ein wenig beschämt zu und beeilte sich, zurück zur Bar zu kommen. Seine Beine wollten ihn immer noch kaum tragen.
 

Das feixende Grinsen das ihn dort begrüßte war Akio gar nicht recht, und er schüttelte den Kopf in der Hoffnung nicht weiter ausgefragt zu werden, von dem Kollegen, der für ihn eingesprungen war. Ein Blick auf die Uhr ließ Akio an seinem Verstand zweifeln. Nur wenige Minuten waren vergangen, aber es hatte sich angefühlt wie etliche Stunden! War das alles gerade wirklich passiert? Er wusste nicht, was bedenklicher war - gerade einen Tagtraum gehabt zu haben, in dem er mit einem Wildfremden herumknutschte, oder es wirklich getan zu haben.
 

Es waren jetzt deutlich mehr Kunden an der Bar als während dem Hauptact, und Akio hatte einiges zu tun. Aber seine Gedanken waren ganz woanders - nach und nach sank das gerade Erlebte wirklich ein.

Er hatte mit einem anderen Mann herumgemacht.

Er hatte keine Ausreden, es war keine Wette gewesen, kein Alkohol. Er hatte es bei völlig klarem Verstand getan - obwohl Akio jetzt im Nachhinein durchaus den "klaren Verstand" anzweifelte - und es hatte ihm gefallen. Eine Mischung aus Verwirrung und Verzweiflung stieg in ihm auf. Was hieß das denn jetzt für ihn? Er war doch nicht schwul...oder?

Orientierungslos

"Nee, keine Sorge. Klingt für mich eher wie bi!"

Akio stieß die Luft aus, die er gespannt angehalten hatte als er auf Hiro's Antwort wartete. "Hiro! Du bist mir wirklich keine große Hilfe!" jammerte er.

Es war Donnerstag Mittag und Akio hatte sich endlich durchgerungen Hiroshi anzurufen um ihm vom vorigen Abend zu erzählen. Seit Stunden war Akio wach - hatte er überhaupt geschlafen? - und hatte sich den Kopf darüber zerbrochen was der Kuss für ihn bedeutete. Er war zu keinem Ergebnis gekommen, und schließlich hatte er sich in einem Anfall tiefer Frustration entschieden Hiro davon zu erzählen. Wenn der danach angewiedert kein Wort mehr mit ihm sprach, war die Sache ja wohl klar. Akio konnte nicht verleugnen dass er extreme Angst vor dessen Reaktion hatte, aber die Ungewissheit machte ihn verrückt.

Hiro hatte allerdings bisher keine Anstalten gemacht aufzulegen sondern schien eher an den Details interessiert. Aber natürlich merkte er auch, dass sein kleinerer Freund durchaus unter der Situation litt: "Ach Alter, mach dir nich' so 'n Kopf drum. Und wenn schon, dann hast du eben 'nen Mann geküsst! Wer hat das nicht?" In zynischem Tonfall unterbrach Akio ihn bevor er weiterreden konnte: "Die meisten Männer, möcht ich wetten." Hiro seufzte theatralisch ins Telefon. "Vielleicht weil sie nich' wissen was ihnen entgeht, wer weiß?"

Akio war nicht in der Stimmung für Hiro's Witze und ignorierte die Aussage, zumindest versuchte er es, aber Hiro legte gleich nach, die Neugier kaum unterdrückt in der Stimme: "Erzähl mal. Also was mir bisher so entgangen is'!"

Akio zuckte zusammen. Er wollte sich nicht daran erinnern; daran wie gut es sich angefühlt hatte den Fremden endlich zu berühren, wie seine Lippen noch die ganze Nacht geprickelt hatten, und wie heiß ihm jedes Mal wurde wenn er sich daran zurückerinnerte. "Ich weiß nicht mal seinen Namen..." meinte er schließlich jämmerlich. Hiro lachte, meinte dann aber ein wenig spitz: "Wenn du ja sowieso totaaal hetero bist und absolut kein Interesse an dem Typen hast, is' es doch egal wie er heißt."

Akio schwieg, er war sich inzwischen nicht mehr sicher ob es eine gute Idee gewesen war Hiroshi davon zu erzählen. All die Jahre war Hiro sein Vertrauter gewesen, hatte mit Humor und einer Leichtigkeit, die Akio selbst fehlte, all seine großen Probleme zu Kleinigkeiten gemacht. Aber die Situation war nicht mehr die Gleiche, jetzt da sie sich wieder fast täglich von Angesicht zu Angesicht sahen. Er hasste es. Er hasste es, sich unwohl zu fühlen beim Gedanken daran Hiro nach diesem Gespräch gegenüberzustehen, und er hasste die Angst die in ihm aufstieg bei der Vorstellung jemand anderes könnte von seiner Unsicherheit erfahren.

"Du wirst doch den Jungs nichts davon erzählen, oder?" fragte er leise. Akio hatte genug Vertrauen in Hiro gehabt um ihn mit seiner Angst zu konfrontieren, aber die anderen Mitglieder von Night Love Dragon kannte er im Vergleich kaum.

Zum ersten Mal seit das Gespräch begonnen hatte wurde Hiro ernst: "Akio. Du weißt doch dass du mir vertrauen kannst. Wenn du nich' weißt wo du stehst und wer es wissen soll, dann werd' ich ganz sicher nich' derjenige sein, der es rumerzählt."erklärte er entschlossen. Akio, der bisher angespannt auf und ab gegangen war, ließ sich endlich aufs Bett fallen und atmete erst mal tief durch.

Warum war alles nur so verdammt kompliziert in letzter Zeit?!

"Ich meine, es war nur ein Kuss! Und ich war auf Schmerzmitteln oder so." beruhigte er sich selbst.

"Lassen wir einfach mal außen vor was schon passiert ist. Was, wenn ich...es...wirklich wäre? Ich meine, rein hypothetisch, unabhängig von irgendetwas das gestern Nacht passiert ist. Wenn ich wirklich...schwul wäre. Oder bi, egal. Was wäre wenn...wäre das..." Die Worte wollten ihm einfach nicht über die Lippen kommen. Er fühlte sich schrecklich ausgeliefert. "Wäre das denn ein...Problem?" Am Ende war Akio ins Stammeln geraten. Der Gedanke machte ihm Angst. Es anderen zu sagen würde heißen dass diese Leute danach vielleicht dachten er hätte sie immer schon sexuell anziehend gefunden. Und das stimmte ja nicht! Mit Vorurteilen leben müssen...das klang schrecklich. Oder es für immer verstecken, sich selbst verleugnen? Sich selbst? Er wusste ja nicht einmal, ob er auf Männer stand!

Akio legte den Arm über die Augen. Sein Kopf war ein einziges Gewirr unfertiger Gedanken mit einer großen Portion Panik als Beilage.

Er wollte einfach nur...normal sein. Weil Normalsein einfach war. Akio hatte an seinem bisherigen Leben gemocht dass es relativ einfach, stressfrei und privilegiert gewesen war. Er wollte sich nicht einmal mit dem Gedanken auseinandersetzen dass etwas nicht in diese einfache, perfekte Welt passte, weil es sein ganzes Leben auf den Kopf stellen würde.

"Mir ist das egal. Ich sag' jeder soll sein Leben leben, ne? Und wenn einer mehr Spaß mit Männern hat als mit Frauen, auch gut!" beruhigte Hiro ihn.

Akio setzte sich wieder auf und schlurfte in Richtung Kochzeile. Er brauchte jetzt dringend einen Kaffee. Während er an der Packung riss, widersprach er: "Ich habe aber nicht mehr Spaß mit Männern als mit Frauen! Ich weiß ja nicht mal ob ich Spaß mit Männern habe. Es ist ja nicht so als ob ich vorher noch nie einen Mann gesehen hätte. Der Typ von gestern und vorgestern war einfach nur...anders!" rechtfertigte er sich. "Bei anderen Männern hatte ich nie so ein Bed- Oh fuck! Verdammt!!" Die Packung war gerissen und das dunkelbraune Pulver verteilte sich über die Anrichte und Akio's nackte Füße. Hiroshi's besorgte Frage abwehrend, machte Akio sich fluchend daran, das Pulver mit der Hand zusammenzukehren. Hiro's Antwort traf ihn daher völlig unvorbereitet:

"Probier's doch einfach mal aus? Ich mein', probier aus ob es dir mit 'nem anderen Mann gefällt. Wenn ja, dann hast du deine Antwort doch direkt."

Akio war einen Moment lang sprachlos. Dann grollte er: "Hirooo...spinnst du?!"

Der Angesprochene lachte. "Was denn, was denn? Sonst findest du nie die Wahrheit raus!"

Akio, der den Kaffee aufgegeben hatte und sich neben die Küchenzeile auf den Boden gesetzt hatte, seufzte. "Ich weiß nicht, ob ich die Wahrheit vertragen würde, also will ich sie lieber gar nicht wissen."

Akio konnte regelrecht hören wie sein bester Kumpel mit den Achseln zuckte. "Du siehst das alles so negativ. Denk' mal positiver - wenn du wirklich bi bist, dann hast du 'ne viel größere Auswahl als vorher!" Akio stimmte Hiro zwar nicht zu, aber die unerschütterliche Positivität seines Kindheitsfreundes half ihm mehr, als er zugeben wollte. Der nächste Satz hätte ihn dann allerdings doch von den Füßen gerissen, wäre er nicht sowieso schon gesessen: "Wenn du Angst hast es mit irgendwelchen fremden Typen zu versuchen, biet' ich mich als Versuchsobjekt an!"

Akio verschluckte sich als er um Worte rang. Einen Hustenanfall später würgte er mit Mühe hervor: "Hiro...deine Alles-Anpacken-Einstellung in allen Ehren, aber überleg in Zukunft erst Mal, bevor du solche Angebote machst!" Hiro nahm das Ganze wohl nicht ernst genug.

Mit einem Lachen verabschiedete Hiro sich: "Okay, okay. Du wirst schon 'nen passenden Kandidaten finden. Aber das Ergebnis musst du mir dann erzählen!"

Sie verabredeten noch kurz, sich vor dem Termin mit dem Produzenten am morgigen Tag früher zu treffen um auch ja nicht zu spät zu kommen - Hiro schien was das anging absolut kein Vertrauen in Akio zu haben, und er konnte es ihm ehrlich gesagt nicht verübeln - und legten dann auf. Akio kehrte den Rest der Kaffeeschlacht zusammen. Es hatte ihm gut getan mit Hiro darüber zu reden, sein Kopf war immer noch voller wirrer Gedanken, aber darüber hatte sich jetzt ein Film der Ruhe gelegt. Den konnte er auch sehr gut brauchen, stand doch heute Abend noch das Treffen mit seinem Vater an. Düster blickte Akio diesem Termin entgegen. Als hätte er nicht gerade schon Probleme genug...

 
 

Hiro hörte das vertraute Klicken in der Leitung, legte das Telefon beiseite und vergrub das Gesicht in den Händen.

Akio mochte Männer.

Oder, naja, zumindest einen bestimmten Mann. Diese Realität zu akzeptieren war schwerer, als er es hatte klingen lassen. Was heißt das für mich? schoss es Hiro durch den Kopf. Was soll ich jetzt bloß tun?

Nach ein paar Momenten des Nachdenkens stand er von der hüfthohen Mauer auf, in deren Schatten er gesessen hatte, und blickte auf das Universitätsgelände hinunter. Er konnte jetzt unmöglich in die nächste Vorlesung gehen. Nach kurzem Überlegen wählte er eine Nummer.

 
 

Renjiro betrachtete durch das doppelte Glas wie der Erdboden immer näher kam, begleitet von einem regelmäßigen sanften "Ding" mit jedem Stockwerk das der Aufzug hinabglitt. Ein düsterer Schatten lag auf Renjiro's Gesicht.

Er war von maximal etwa 150 Leuten gesehen worden. Abzüglich jener, die sich nicht dafür interessiert hatten oder es vermutlich einfach nicht gesehen hatten, blieben vielleicht..5, 6? Das waren nicht viele Menschen, aber es waren 5 oder 6 zu viel. Sollte Akio Higuchi verschwinden, würde es 5 oder 6 Aussagen geben, die ihm eine Verbindung zum Opfer nachweisen konnten.

Mit einem Stöhnen fuhr Renjiro sich durch die Haare und schloss die Augen während der Aufzug langsam abbremste. Die letzten 48 Stunden war er so absolut nicht er selbst gewesen, hatte unvorsichtig eine Spur nach der anderen gelegt die ihn mit dem Jungen verband. Ja natürlich, er war ein Laie, aber er wusste genug um sich im Klaren darüber zu sein dass es am Sichersten war jemanden verschwinden zu lassen wenn es keinerlei Bezüge zum Opfer gab. Ein Autounfall, das Schmuggeln durch eine Kontrolle, das Beauftragen von Attentätern, der Besuch des Studienortes seines Opfers, ihr Berufsverhältnis und jetzt eine scheinbare sexuelle Beziehung - das war keine Schnitzeljagd mehr für die etwaigen Ermittler, das war ein sauber ausgebauter sechsspuriger Highway der direkt zu ihm führte!

Renjiro fühlte den vertrauten kurzen Druck im Magen als der Aufzug im Erdgeschoss hielt und öffnete die Augen wieder. Nichts anmerken lassen. Als die polierten Stahltüren auseinanderglitten, erinnerte nichts mehr daran dass der energetische Mann Ende 20, der jetzt mit langen Schritten den Aufzug verließ, gerade eben noch ein Bild des Elends abgegeben hatte.

 
 

Miu zog mit so viel Kraft an der Buchseite, dass ein leises Ratschen zu hören war. Entsetzt hätte sie fast das Buch fallen gelassen, besorgt untersuchte sie sehr genau das Papier, konnte aber keinen Riss erkennen. Ein leiser Seufzer entfuhr ihr und sie schlug - diesmal bewusst sanft - das hellblau gebundene Büchlein zu, und legte es in ihren Schoß bevor sie die Hände darauf faltete.

Sie war nicht in der Stimmung zu lesen. Um genau zu sein war sie in keiner Stimmung zu gar nichts, denn noch immer tobten Wut und Verletztheit in ihr um die Vorherrschaft, und hier im Haus gab es nichts zu tun wobei diese Emotionen hilfreich gewesen wären. Was Miu zurück zur Ursache der negativen Gefühle brachte: ihr rücksichtsloser neuer Mitbewohner!

Chris Johnson war auf die Minute pünktlich erschienen, auf Miu's ausdrücklichen Wunsch hin nicht im Jackett sondern in leichter, unauffälliger Alltagskleidung. Über die Schulter hatte er eine große Sporttasche geworfen, ansonsten hatte er kein weiteres Gepäck. Er hatte freundlich und höflich gegrüßt, wenn auch nicht so überschwänglich wie am Vortag - er hatte anscheinend schnell dazugelernt - und obwohl Miu wieder um einiges unsicherer war als sie es beim Abschied am Tag zuvor gewesen war, so war der "Einzug" relativ ereignislos und unaufregend verlaufen.

Doch der trügerische Friede währte nur wenige Minuten, nämlich genau so lange, bis ihr neuer Bodyguard die Tasche in dem Zimmer abgestellt hatte in das Nancy ihn geführt hatte, und zu Miu zurückkehrte. Denn was darauf folgte, war einer der demütigensten Momenten in Miu's bisherigem Leben.

 
 

Die Gebäude aus Glas, Stahl und Beton ragten in gewaltige Höhen auf, zweifellos Statussymbole ihrer ganz eigenen Art, zwischen denen Renjiro's Weg sich schlängelte. Er ging nicht weit, es ging ihm lediglich darum sich ein wenig die Beine zu vertreten um den langen Vormittag im Sitzen auszugleichen. Was sich bald vor ihm erstreckte ging nur mit Mühe und Not als Park durch, eigentlich war es nur eine sauber getrimmte Rasenfläche mit einzelnen jungen Bäumen; ein Mann in unauffälliger grüner Uniform hob jedes Blatt auf, dass den perfekten Rasen berührte. Renjiro's Schritte blieben zielgerichtet, doch wer ihn gut kannte hätte bemerkt, dass das Tempo geringer war als zuvor - er schlenderte, auch wenn es für die wenigsten Menschen so aussah.

All die Menschen, die ihn inzwischen mit dem Ziel in Verbindung brachten, waren nicht das einzige Problem. Er hatte am Vortag ja zusätzlich fleißig seine DNA auf dem jungen Mann verteilt...die Wahrscheinlichkeit dass das irgendeine Rolle spielte war gering, aber es war nur ein weiterer Punkt auf der inzwischen unangenehm langen Liste an Fehlern, die er im Umgang mit der Zielperson bereits begangen hatte. Trotz der Frustration über die Länge dieser Liste schlich sich fast ein schwacher Zug der Erheiterung in seine Mimik.

Der Higuchi-Erbe war wie Wachs in seinen Händen gewesen...!

Renjiro blieb vor einem Getränkeautomaten stehen und ließ den Blick über die Auswahl schweifen. Er verspürte einen leichten Hunger, war aber bereits darüber informiert in Kürze zu einem geschäftlichen Essen aufbrechen zu müssen und wollte nicht riskieren sich zu übersättigen. Und beim Gedanken an die Nacht zuvor stieg sowieso Lust auf etwas ganz anderes in Renjiro auf...beispielsweise ein weniger abgekürzter Kontakt mit der leichten Süße, die sich ihm so gefügig geöffnet hatte. Oder die weichen Locken, die er selbst jetzt noch unter seinen empfindlichen Fingerspitzen zu fühlen glaubte. Und vor allem natürlich - da machte er sich nichts vor - dort weiterzumachen wo er auf Widerstand gestoßen war. Widerstand, der Renjiro aus dieser Trance gerissen hatte, in welche die Augen seines Opfers ihn versetzt hatten.

Renjiro presste die Finger auf die kühlen Tasten des Automaten und verdrängte damit effektiv die Erinnerung an die kurzen Stoppeln im Nacken des jungen Mannes die seine Finger gekitzelt hatten bevor er fester zugegriffen hatte um das Wachs zu formen, das sich ihm so breitwillig dargeboten hatte.

Es wurde dringend Zeit diese verrückten Gedanken loszuwerden!

Der Automat klapperte leise und entließ eine Dose Royal Milk Tea in die Freiheit. Ein wenig planlos nahm Renjiro die Dose in die Hand und betrachtete sie.

Er war Kaffee-Trinker durch und durch.

Mit einem entnervten Blick zum Himmel, der so viel freundlicheres Wetter zeigte als in der Nacht zuvor, machte Renjiro sich auf den Rückweg. Er kam zu dem Schluss, dass er sich einfach nur zu lange nicht mehr um seine natürlichen Bedürfnisse gekümmert hatte, das war ganz offensichtlich der einzige Grund warum so eine unbedeutende Kleinigkeit wie dieser Kuss ihn so lange beschäftigte. Vielleicht war jetzt auch einfach kein guter Zeitpunkt einem Opfer nachzujagen welches er viel lieber für sich selbst als für die Organisation erlegen wollte. Ein paar Tage mehr oder weniger würde keinen Unterschied machen - er konnte sich um sein kleines Motivationsproblem kümmern und das eine oder andere Detail an das sich die Leute jetzt vielleicht noch erinnerten, würde bis dahin im Sumpf des Vergessens versunken sein. Ja, er würde ein paar Tage warten und den Jungen dann ganz diskret verschwinden lassen.

 
 

Nancy konnte sich ein stummes Lachen nicht verkneifen als sie ihre kleine Lady auf dem Stuhl beim Fenster sitzen sah, eine tiefe Falte zwischen den Brauen.

"Du willst doch nicht dass das so bleibt, oder?" meinte sie sanft und tippte auf die Einkerbung der zarten Haut. Miu murmelte etwas Unverständliches, doch ihre Gesichtszüge entspannten sich. Das Fenster würdigte sie sehr offensichtlich keines Blickes, doch aus dem Garten war ein entferntes Rauschen und Platschen zu hören, das zum halb geöffneten Fenster hereinwehte. Nancy verbarg gekonnt, wie amüsiert sie über das Verhalten ihres Schützlings war.

"Solltest du ihm nicht langsam vergeben?" merkte Nancy vorsichtig an.

Die Falte kehrte zurück. Nancy dachte an die Geschehnisse am Morgen zurück...

 

Nancy räumte gerade das Geschirrset ab, von dem Miu gefrühstückt hatte, als Schritte sich dem Speisezimmer näherten. Es würde das letzte Mal sein, dass nur ein einzelnes Set auf dem Tisch stand, denn von nun an hatte das Haus einen weiteren Bewohner. Ein kurzer Seitenblick auf ihren Schützling beruhigte Nancy, Miu hatte sich erhoben und wirkte gefasster als bei der Ankunft des neuen Mitbewohners etwa 20 Minuten zuvor. Als der neue Bodyguard das Speisezimmer betrat, wandte Nancy sich mit dem geschirrbeladenen Tablett zur Küche, sie wollte den beiden jungen Menschen einen Moment unter sich geben, schließlich schien das schon am Vortag wunderbar funktioniert zu haben.

"Okay, bin bereit. Auf geht's zur Schule! Ich hoffe, es gibt wegen mir keine Verspätung?" meinte Chris energiegeladen.

Nancy erstarrte und wandte sich langsam um. Chris sah etwas verständnislos zwischen Miu, die stumm zu Boden starrte, und Nancy hin und her. Ohje.

"Milady geht nicht zur Schule." erklärte Nancy anstelle ihres stummen Schützlings. "Sato-sama ist besorgt um den negativen Einfluss den eine solche Einrichtung auf seine Tochter haben könnte."

"Oh." machte Chris nur und kratzte sich verlegen am Kopf. "Sorry, ich habe im Voraus kaum Unterlagen erhalten und weiß daher vieles noch nicht über den Tagesablauf der Lady." Nancy nickte ihm freundlich zu und wandte sich wieder zum Gehen. Das Thema Schule war kein Gutes, aber das konnte der junge Amerikaner nicht wissen. Miu hatte nämlich durchaus mehr als einmal den Wunsch geäußert, eine Schule zu besuchen, nur war es eben bei dem Wunsch geblieben. Chris, der dem verlegenen Schweigen offensichtlich ein Ende machen wollte, fragte Miu freundlich: "In dem Fall...wie sind deine Privatlehrer so? Macht der Unterricht Spaß? Welche Fächer magst du am liebsten?"

Miu's Hände krampften sich in ihr Kleid und auch Nancy umklammerte die Griffe des Tabletts fester. Doch diesmal kam ihre kleine Lady ihr mit der Antwort zuvor: "Ich habe keine Privatlehrer. Aber Nancy..."

Gefangen zwischen dem Wunsch der Situation zu entfliehen und dem starken Drang, ihren kleinen Schützling nicht alleine zu lassen, stand Nancy wie angewurzelt auf halbem Weg zwischen Tisch und Küchendurchgang. Sie hoffte dass der junge Amerikaner das Thema einfach fallen ließ, schließlich war offensichtlich genug, dass dieses Thema nicht für Smalltalk geeignet war. Doch im Gegensatz zur Schulbesuch-Frage was das etwas, das Chris nicht einfach hinnehmen konnte: "Wie jetzt? Ist Frau Nancy etwa eine Lehrerin?"

Miu schüttelte leicht den Kopf und Chris schien als wolle er direkt weiter fragen, also sprang Nancy selbst ein: "Ich erhalte die Materialien und Erklärungen von Experten und leite sie an Miu weiter. Milady ist eine sehr gute Schülerin, die ihre Prüfungen digital ablegt und dabei regelmäßig Bestnoten erziehlt." Sie merkte selbst, dass ihr Tonfall ein wenig spitzer klang als notwendig.

In Chris Gesicht arbeitete es. "Ähm...nicht dass ihr mich jetzt falsch versteht, aber...was macht 'Milady' denn denn dann tagsüber so, bei dem ich sie beschützen soll?"

Nancy wusste bereits bevor Miu antwortete, dass die Antwort nicht das sein würde, was Chris sich wohl vorgestellt hatte.

"Ich...lese viel." gab Miu leise von sich. "Und ich helfe Nancy im Haushalt."

Chris schien mit jedem Wort mehr in sich zusammenzusinken. Er lächelte, keine Frage, aber die Enttäuschung war ihm trotzdem deutlich anzusehen. "Ihr kommt nicht viel raus, oder?" fragte er schließlich.

Miu blieb ihm die Antwort schuldig, doch ihr Blick war Antwort genug. Chris seufzte und lehnte sich an den Tisch. Er murmelte etwas das zu leise war als dass Nancy es hätte verstehen können, doch Miu versteifte sich bei den Worten auf einen Schlag. Schon im nächsten Moment begannen ihre Augen feucht zu glitzern und Nancy ließ fast das Tablett fallen als sie sofort zu Miu eilte, doch diese war schon herumgewirbelt und rannte in den Flur hinaus.

 

"Er hat gesagt das hier sei der langweiligste Job seines Lebens!" Miu war immer noch hellauf empört. "Wie kann er so etwas sagen?" Sie begann zu zittern. "Was ist das denn für eine...Arbeitsmoral!" Alarmiert trat Nancy auf ihre kleine Lady zu, die sich sofort an Nancy's Bluse klammerte und ihr Gesicht verbarg.

"Ich wusste es..." Miu's Stimme zitterte. "Ich wusste...dass es nicht funktionieren würde!" Ein Schniefen wehte durch den sonst so friedlichen kleinen Raum. "Warum ist mein Leben nur so..langweilig..."

Nancy legte vorsichtig die Arme um das Mädchen und streichelte ihr sanft über den Kopf; durch den Stoff ihrer Bluse spürte sie die heißen Tränen.

"Ich bin so dumm. Ich war wütend weil er so anders war als gestern. Aber...das stimmt nicht." Miu's Stimme wurde leiser. "Er war gestern genauso. Nur gestern...da fand ich das...gut."

Nancy war sich nicht ganz sicher, was sie darauf antworten sollte. Sie war ja selbst aus allen Wolken gefallen wie positiv ihre kleine Lady auf den direkten, offenen Charakter des jungen Mannes reagiert hatte! Vorerst galt es, den Hausfrieden zu wahren. Immer noch sanft das helle Haar ihrer kleinen Lady streichelnd, wies sie Miu auf die Geräusche aus dem Garten hin:

"Ich habe ihm die Gartenarbeit aufgetragen, das hat ihm gar nicht gefallen. Keine Sorge, er sagt in Zukunft sicher nichts dergleichen mehr." Ein leichtes Vibrieren des zarten Körpers in ihren Armen ließ Nancy aufatmen. Miu lachte, das war gut. Ihre kleine Lady drehte schließlich den Kopf zur Seite und starrte nachdenklich eine der Wände an.

"Aber er hat Recht - hier gibt es keine verrückten oder aufregenden Dinge die für solch einen Mann sicher Alltag sind." meinte sie schließlich gedankenverloren. Nancy konnte ihr nicht widersprechen, wollte aber auch nicht, dass nutzlose Rebellionsgedanken in Miu reiften, also gab sie sich Mühe ihren Schützling abzulenken. Und schließlich ließ sich Miu sogar dazu bewegen aufzustehen und Chris vom Fenster aus ein wenig zu beobachten, der nur mit Hose und Gartenschlauch bewaffnet die Blumenbeete unter Wasser setzte während er immer wieder misstrauische Blicke in Richtung Haus warf.

"Weißt du, Milady, er ist vielleicht ein besserer Mensch als du denkst." begann sie vorsichtig. "Der Grund warum er die Gartenarbeit nicht machen wollte war, weil er weit weg von dir sein würde, nicht, weil er sich vor der Arbeit drücken wollte. Ich glaube er nimmt es durchaus ernst dich beschützen zu wollen."

Miu antwortete nicht, doch ihr Blick hinunter in den Garten wurde sanfter.

 
 

Beim Betreten des Gebäudes in dem sein Büro lag, wurde Renjiro von den beiden Empfangsdamen unauffällig herbeigewunken. Das war ungewöhnlich, denn normalerweise stellten sie Nachrichten, Besucher und Ähnliches über eine Sekretärin zu ihm durch wenn er in seinem Büro angekommen war statt ihn hier wie einen Schuljungen herbeizuwinken, der etwas ausgefressen hatte. Ein ungutes Gefühl beschlich Renjiro.

"Sato-san, sie haben zwei Besucher." klärte eine der beiden Frauen ihn auf. Renjiro nickte, wartete auf die Fortsetzung der bisher relativ nutzlosen Information. "...und sie hatten einen Durchsuchungsbeschluss." ergänzte die zweite Frau nervös.

Renjiro entglitten ein wenig die Gesichtszüge.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Verwendete Lieder:
'The Anthem' - Good Charlotte (gekürzt)
'Puzzle' - Kuwagata P. (acoustic ver., übersetzt) Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
7000 Yen entsprechen umgerechnet ca. 50 Euro, falls es jemanden interessiert :) Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Falls der Wechsel heraus aus den bekannten drei Perspektiven (Akio, Renjiro, Miu) jetzt zu verwirrend war...sorry x)
Ich hoffe es ist klar geworden hinter wem das Duo her ist; falls nicht beantworten vielleicht die nächsten beiden Kapitel etwaige Fragen. Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Phew, hab ich also alle Charaktere endlich ins Bett gebracht :D
Nicht miteinander natürlich xD

Ohje.
Letztes Mal ist es noch als non-adult durchgegangen, und obwohl ich bei der Überarbeitung se~ehr vorsichtig war bin ich jetzt wieder an dem Punkt an dem ich nur hoffen kann dass es ein weiteres Mal abgesegnet wird.. Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Das Kapitel beschäftigt sich eher mit den Beziehungen zwischen den verschiedenen Charakteren, sorry also falls es dem einen oder anderen Leser nicht genug suspense & action war :)
Kommt auch wieder. Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Da die Anzahl von Charakteren inzwischen ja doch ziemlich gewachsen ist sollte ich vielleicht erwähnen dass diejenigen, die tatsächlich wichtig sind, alle eine Charakterbeschreibung haben. Charaktere die in den Beschreibungen nicht auftauchen (wie z.B. Nao, der Chef, etc.) könnt ihr also getrost wieder vergessen..^^ Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
So, ab jetzt sollte es wieder relativ regelmäßig im zweiwöchigen Rhythmus weitergehen, immerhin bin ich ab nächster Woche mit den Prüfungen fertig und kann mich ganz dem Schreiben widmen :)
Renjiro wird schon ganz ungeduldig so lange nicht mehr aufgetaucht zu sein...

Ich würde mich übrigens wirklich über Kommentare freuen, auch wenn es nur ein kurzes "Gefällt mir :)" ist.
Oder eben auch ein "XY finde ich doof." ;)
Ich sehe eure Favos und freue mich sehr darüber, aber es wäre schade Leser zu verlieren weil bestimmte Aspekte zu viel/zu wenig Aufmerksamkeit bekommen oder Ähnliches. Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Sind die beiden sich also auch endlich wieder begegnet! Eine Begegnung, die beide wohl mit einem ziemlichen Schock zurückgelassen hat :3

Dazu warum es fast ein Jahr gedauert hat seit dem letzten Kapitel sag ich jetzt wohl besser nix, sonst würde ich wohl aus dem Erklären nicht mehr rauskommen °-°
Insofern..sorry für die frustrierend langen Wartezeiten bei mir! Ich hoffe es gibt trotzdem noch den einen oder anderen Leser der sich an einem neuen Kapitel erfreut^^°
Über Feedback freue ich mich jedenfalls immer, auch wenn es mir bescheinigt den schlechtesten Kuss in der Geschichte der Literatur geschrieben zu haben xD

Lg yuiki Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Der Kapiteltitel ist ein Wortspiel...weil Akio ja seine sexuelle Orientierung in Frage stellt...haha...oh Gott, ich will im Boden versinken ;_;

Keine Ahnung warum, aber Hitze treibt mich irgendwie immer zum Schreiben. Vermutlich weil mir die Energie fehlt mehr zu bewegen als ein paar Finger :o
Erwartet also ruhig in den nächsten Tagen noch ein weiteres Kapitel. Komplett anzeigen

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Kommentare zu dieser Fanfic (4)

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Von: AomaSade
2015-05-27T17:12:13+00:00 27.05.2015 19:12
Hallo Yuiki,

ich habe mich sehr über das neue Kapitel zu deiner Geschichte gefreut. Deine FF ist eine der wenigen, bei welcher ich auch noch nach über einem halben Jahr weiß, worum es geht und sofort wieder mitten im Geschehen bin. So eine besondere und außergewöhnliche Story hast du geschrieben. Kompliment!
Und nun stehen beide Hauptcharaktere vor einer schwierigen Entscheidung. Renjiro muss wählen zwischen Entführung und seinen eigenen Wünschen. Akio ist unsicher, ob er neben Frauen auch auf Männer steht. Wie werden sie sich entscheiden? Endet alles in einer Katastrophe oder gibt es ein Happy End? Ich bin eindeutig für ein gutes Ende und sehr gespannt auf die nächsten Kapitel. Bitte mach auf alle Fälle weiter.

Liebe Grüße
AomaSade
Antwort von:  Yuiki
03.07.2015 21:42
Vielen lieben Dank für deinen Kommentar! :)
Es freut mich total dass dir Story und Charaktere genug im Gedächtnis geblieben sind um direkt wieder ansetzen zu können! Gerade wenn man einen so langsamen Schreib-Rhythmus hat wie ich, ist die Sorge natürlich immer groß, dass der Zusammenhang beim nächsten Mal verloren geht oder die Charaktere nicht interessant genug sind um im Gedächtnis zu bleiben. Daher freut mich dein Lob ganz besonders ^-^

Ich bin gestern mal nochmal meine Notizen zur Story durchgegangen und kann so viel verraten: im Moment existieren zwei Fassungen vom Ende ;)
Beide sind aber noch ein gutes Stück entfernt und für welche ich mich letztendlich entscheide hängt von vielen Faktoren ab :)
Ich wollte dich nur wissen lassen: irgendwo da draußen existiert ein Happy End! Gib die Hoffnung nicht auf! xD

Liebe Grüße,
yuiki
Von: AomaSade
2014-09-27T23:51:13+00:00 28.09.2014 01:51
Hallo Yuiki,

kein Problem, ich beantworte dir gern deine Frage. Dazu habe ich noch einmal die ersten Kapitel deiner FF gelesen. Also als "Erstleser" kenne ich die handelnden Personen nicht und habe Schwierigkeiten mir viele und dazu noch ausländische Namen zu merken. Du führst zu Anfang mehrere Personen einzeln und sehr ausführlich ein. Eine wartet zu Hause, die andere geht ihren Geschäften nach, die nächste ist Student an der Uni usw., wobei nichts Aufregendes passiert. Mir fehlte hier der rote Faden, der alles miteinander verbindet. Ich wusste nicht, welche die Hauptperson war, wem ich folgen sollte. Es war verwirrend. Erst als Akio sich auf den Weg zu seiner Schwester macht, hat deine Geschichte angefangen, für mich interessant zu werden. Der rote Faden war da und ich musste unbedingt weiterlesen, konnte nicht mehr aufhören, so neugierig war ich auf den Fortgang der FF. Kannst du mit meiner Erklärung etwas anfangen? So habe ich es jedenfalls empfunden.
Wie schon gesagt, du hast eine spannende Story geschrieben. Hoffentlich mit Happy End. Ich freue mich schon auf das nächste Kapitel.

Liebe Grüße
AomaSade
Antwort von:  Yuiki
09.01.2015 08:12
Hallo AomaSade,
erst einmal ein großes SORRY für die superspäte Antwort x_X

Ich habe mich sehr gefreut ein so ausführliches Feedback zu erhalten! :)
Deine Erklärung war sehr anschaulich. Ich mag es meine Geschichten wie ein Netz aufzubauen; mit einzelnen Handlungssträngen die sich immer weiter verstricken. Dass die einzelnen Fäden zu Beginn aber noch ziemlich langweilig sein können hatte ich irgendwie gar nicht bedacht :x
Hier ist es nicht mehr wirklich zu ändern, aber ich behalte das auf jeden Fall im Hinterkopf für zukünftige Geschichten, vielen Dank :)

In den nächsten Tagen kommt hier auf jeden Fall ein neues Kapitel, dann ist leider nochmal Pause bis Semesterende. Ich konnte dieses Semester einfach an gar nichts arbeiten weil die Uni mich so in Beschlag genommen hat...nächstes Semester sieht das aber anders aus und es wird wieder regelmäßig neue Kapitel geben :)

Liebe Grüße in der Hoffnung dich noch nicht vergrault zu haben,
yuiki ;)
Von: AomaSade
2014-09-19T22:57:29+00:00 20.09.2014 00:57
Hallo Yuiki,

bin heute zufällig über deine FF gestolpert. Nach anfänglichen Schwierigkeiten und Stolpersteinen ist deine Story richtig in Fahrt gekommen. Ich bin begeistert. Dein Schreibstil ist toll. Nun möchte ich unbedingt wissen wie es mit Akio weitergeht. Hoffentlich passiert ihm nichts Schlimmes. Ich bin gespannt auf deine Fortsetzung.

Liebe Grüße
AomaSade

PS: Deine Geschichte verdient eindeutig mehr Kommentare, weshalb ich auch einen geschrieben habe. Lass deshalb den Kopf nicht hängen und mach bitte weiter.
Antwort von:  Yuiki
27.09.2014 17:52
Vielen lieben Dank für deinen Kommentar! :)
Es freut mich dass dir mein Stil gefällt und die Story dich gepackt hat. Akio wird sicher 'etwas' passieren, ob schlecht oder gut liegt im Auge des Betrachters ;)

Ich möchte nicht zu viel von deiner Zeit in Anspruch nehmen, aber da du schon gewisse Schwierigkeiten und Stolpersteine angesprochen hast wäre es natürlich super wenn du mir sagen könntest welche das waren; wie gesagt natürlich nur falls es nicht zu viel Aufwand ist.

Liebe Grüße
yuiki
Von:  Schlomo-chan
2010-09-15T11:44:03+00:00 15.09.2010 13:44
Noch keine Kommentare? Versteh ich gar nicht. *lach*
Es ist eine sehr schöne Geschichte und dein Schreibstil lässt sich sehr gut lesen. =)
Die Geschichte an sich ist noch ziemlich verwirrend, gerade das Auftreten der beiden Herren gegen Ende, aber ich hoffe, das wird sich noch aufklären. *_*

Ich mag Ren-kun. o.o Keine Ahnung warum, aber er ist mir symphatisch. *lach* Vielleicht weil er gradlinig denkt und nicht versucht so zu sein, wie es anderen gefallen würde.
Akio ist auch putzig. Seine gelangweilte, genervte Art bringst du sehr gut rüber. Aber ich glaube, an seiner Stelle würde ich genauso sein. Den mag man ärgern und beobachten wie er sich aufregt. *lach*

Alles in allem sehr schön bisher und ich freue mich auf die weiteren Kapitel!

liebe Grüße
Schlomo


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