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Herztod und Zwischenfall.

Weil du mich Freiheit lehrtest
von

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Ein unverhoffter Gedanke


 

01 Kapitel: Ein unverhoffter Gedanke
 

Wenn einem Menschen etwas unfassbares passiert, etwas so unglaubliches, dass auch die beschränkteste Kapazität eines soziologisch intellektuellen Geistes den vollen Speicherplatz des menschlichen Gehirns einbeziehen musste, um diese soeben geschehene, auf den ersten Blick unglaubwürdige Situation zu fassen und mit der letzten, verbliebenen Synapse, die im Verstand noch vorhanden war, zu versuchen es zu analysieren, so fragte sich die betroffene Person binnen weniger Sekunden nach dem »Das mir?«.

Das simple »Warum?«, das mit den Lippen leise geformt, aber durch die Starre des Affekts niemals ausgesprochen wird, überlagert von einer Reihenfolge verschiedener Kettenreaktionen, die im Körper des Menschen ab liefen, wie eine Datenliste, die von einem Hochleistungscomputer systematisch abgearbeitet wurde, wird meistens noch im selben Augenblick verschluckt. Erst später wühlt der Betroffene dies hervor, wie die letzte schützende Umarmung, die ihn noch von der schieren, unendlichen Verzweiflung fern halten konnte, und fragt sich diese plagenden, endlosen Selbstschikanen. Dabei wird jegliche Schuld auf die eigenen Schultern überladen, obgleich man die Last wie ein stattlicher Maulesel noch in die weiteste Ferne tragen kann oder nicht. Der körperliche Schmerz wird wie ein falsch fahrender Zug kurz vor dem Entgleisen auf die weitaus stärkere Seele gelenkt. Sapre aude - Bediene dich deines eigenen Verstandes. Viele der tapferen Menschen, die gegen die Erinnerungen einer animalisch grausamen Situation ankämpfen, die von Zeit zu Zeit aus dem Gedächtnis hervor kriechen, wie lang vergessene Leichen, die man aus Sicherheit im eigenen Keller verscharrt hatte und nun für den finalen Racheakt zu neuem Leben erwachten, versuchten mit reiner Logik gegen das Problem des inneren Schmerzes an zukämpfen, der einen zerfraß und porös machte, wie Holzwürmer, die sich in einem modrigen und lang abgestorbenem, vor sich hin rottenden Baumstamm eingenistet hatten, so lange, bis der Wirt abdanken musste und letzten Endes gänzlich verzehrt war.

Tragik der Situation wird ein schleichender Tod für die Menschen, die ihn geistig überlebt hatten. Doch sie schaffen es nie, es gänzlich zu vergessen. Verdrängung wird eine neue Kunst für sie, wenn sie den Sprung über die Klippe schaffen und sich für den Schachzug entscheiden, dem Ganzen eine weitere Chance zu verleihen, mit dem geradeaus gerichteten Blick auf bessere Zeiten. Man verdrängt dabei jedoch nicht den Auslöser, sondern man wendet lediglich den Kopf vor dem eigenen Schmerz ab. Der Betrogene wird zum Betrüger selbst. Ein neues Lächeln, ein neuer Anzug, ein neues Auto. Reichtümer mit dem der Mensch sich frevlicherweise schmücken möchte. Federn, die vom zerfetzten Inneren ablenken sollen. Menschen leiden den selben, inneren Schmerz. Werden von der selben Pein gefoltert, die sie nach Schicksalsschlägen erleiden. Die Folgen danach fallen wie bei einer Schneiderei alle unterschiedlich aus. Für jeden ist eine andere Zukunft auf den Leib geschneidert und all jene, die sie erkennen und sich in dieser einen, letzten Lösung verlieren, werden kalt. Das Innere erfriert in dem Versuch sich endgültig vor dem Maxime des Schmerzes zu schützen, dass wie ein Feuer in der Brust lodert. Jeder Herzschlag wird wie Eisen, jeder Atemzug ein schneidendes Messer. Fahle, kantige Gesichtszüge, adlergleiche Augen. Nicht jeder, dem ein großer Intellekt zugesprochen wird, hat sich diesen für einen guten, höher gesehenen Zweck angeeignet. Manche versuchen ein vollkommen neues Sein zu erschaffen, dem sie vertrauen können. Freunde werden zu Feinden. Vertraute zu Vogelfreien.

Ruhm, Reichtum. Fälschliche Güter, die der Besitzer für ein neues Gefieder verwenden kann. Dabei merken sie jedoch nicht, dass sie bereits als gebrechliche, mausernde, einst zwitschernde Singvögel auf der Stande im Käfig ihres eigenen Schutzes sitzen und vor sich hin rotten. Der Mensch, der glücklich hätte sein können mit der Akzeptanz, beginnt sich von Innen heraus selbst zu verdauen. Ein Prozess der Zersetzung setzt ein, der in manch unverhofften Momenten gut und gerne auf das Geschehnis der Vergangenheit geschoben wird, während tief in der Brust, verschlossenen im abgestorbenem, langsam schlagenden Herzen, die Wahrheit schlummert, dass der Züchtiger, der die Seele mit einer unmenschlichen, gar astronomischen Grausamkeit kasteit, keiner weniger ist, als der eigene, lebendige Verstand.
 

"Zero-San? Zero-San!"

Die angenehm hohe und durchaus höfliche, warme Stimme seiner Sekretärin drang aus weiter Ferne an sein Ohr, wie in schriller Hilferuf, der über die brausenden Brandungen des wütenden Meeres hallte und in allmählich vergessenden Distanzen von Niemandem gehört, geschweige denn erwidert wurde. Eine der kleinen, zierlichen Hände lösten sich von dem ellenlangen Stapel mit randvoll bepackten Akten und klappte das eingerahmte Photo, welches von dem markanten gold-- und messingfarbenen, mit Schnörkeln verzierten Bilderrahmen umfasst war, um, sodass die darauf abgelichteten Personen, die eigentümlich in die Kamera grinsten und voller verblasster Lebensfreude steckten, die Gesichter auf die Platte des Tonnen schweren, wuchtigen Schreibtisches neigten. Das wallnussfarbene Augenpaar, welches diese Ablichtung mit dem leeren Ausdruck voll Einsamkeit und tiefgründiger, befriedigter Faszination betrachtet hatte, erhob sich mit einem eleganten Schlag der Augenlider, bedachte sie mit kühler Distanzierung und tonlosem Tadel. Keine Sekunde später richtete der Mann hinterm Schreibtisch sein Augenmerk auf den Papierstapel, der fein säuberlich vor ihm stand. Die in feinstem, schwarzen Leder behandschuhte Hand, mit der er den Füllfederhalter hielt, zuckte kurz, wie aus einer Trance sich lösend, und gar unbeirrt blätterte Zero-San auf die nächste Seite, die er nur mit einem flüchten Blick würdigte, eh er am unterem Rand auf die dafür eingezeichnete Linie seine Unterschrift platzierte.

Als sie ihn das erste Mal dabei beobachtete, hatte sie geglaubt, Zero-San würde bloß ein irres Gewisch seines machtvollem Kanjis auf das Reispapier kritzeln, doch schon wenig später war ihr die Eleganz und die künstlerische Art bewusst geworden, mit denen er die Strichfolge zu einem ebenmäßigem, verschlungenem Kunstwerk anordnete. Nicht ohne Grund war er zum einflussreichstem Mann Tokyos geworden - wenn man zunächst nur das offizielle Einflussgebiet betrachtete. So einflussreich, dass selbst der Kaiser seiner nicht würdig war. Dieser Mann strahlte eine bedrohliche, allesverzehrende Ruhe aus, gemischt von dem kühlen Charm zertrümmernden Zorns, den er wie einen lauen Frühlingsduft verströmte.
 

"Verzeih, ich war fern in Gedanken." Mit dunkler, seidengleicher Stimme erhob er das Wort, ohne sie dabei jedoch an zublicken und ging stumm seinen Pflichten nach.

"Ich bringe Ihnen die Akten, nach denen Sie verlangt haben", sagte sie mit ihrer freudigen Art, von der sich Zero-San leider nie anstecken ließ. Nicht einmal ihr strahlendes Lächeln färbte auf sein aristokratisch, blasses Gesicht ab, dass er weiterhin stupide auf die Unterlagen und Verträge gerichtet hielt. Seine freie Hand erhob sich und wedelte in einer unbestimmten Gestik hin und her. "Stell sie irgendwo ab."

Ohne zu Zögern kam sie seiner tonlosen Bitte nach. Auf der Suche nach einem freien Platz, wo sie den Stapel abstellen konnte, ließ sie ihren Blick durch das riesige Büro gleiten. Überall standen Aktenordner, Stapelweise lagen die Papiere auf dem Boden herum. Einzig und Allein der Schreibtisch war penibel bis ins kleinste Detail aufgeräumt. Es schien beinah so, als würde dieser Mann sein Archiv hier hin verlegen wollen, denn jede Woche verlangte er nach weiteren Akten, aber wenn man das Büro betrat wurde man keinesfalls von Unordnung empfangen. Zero-San beherrschte das logische, systematische Chaos.

"Kann ich Ihnen noch anderweitig behilflich sein, Sir?", fragte sie selbstbewusst, obgleich ihr Vater sie stets gelehrt hatte nie einen arbeitenden Mann zu stören. Doch Zero-San äußerte keine Wünsche. Tagein, Tagaus verging er im Reich des Denkens, während er arbeitete. Und er empfand es keinesfalls als Störung, dazu kannte sie ihn eben schon zu gut. Zero-San hatte ein gewisses Quäntchen Vertrauen in sie, ansonsten dürfte sie das eingerahmte Photo auf seinem Schreibtisch nicht einmal mit in schützendes Latex gehüllten Händen berühren.

Tiefgründiges Schweigen wallte ihr als Antwort entgegen. Sie nickte sich mehr oder minder selbst zu, eh sie sich mit zielstrebigen Schritten der Bürotür näherte.

"Miyako?" Wieder war es Zero-Sans Stimme die sie zum Stillstehen zwang. Langsam drehte sie sich herum, faltete sorgsam die Hände ineinander und betrachtete den Mann, der unverändert an seinem Schreibtisch saß. "Ja, Sir?"

"Leiste mir bitte Gesellschaft", sprach er dumpf und leise, mit dem Unterton eines nachdrücklichen Befehls.

"Sehr gern." Mit kleinen Schritten ging sie auf einen freien Ledersessel zu, der ungefähr zwei Meter schräg vor dem Schreibtisch stand. Sie setzte sich mit einer federleichten Bewegung, sank dabei jedoch etwas im weich gepolsterten Leder ein.

Die abgeschiedene Präsenz der Stille umgab sie wie der undurchsichtige Dunst grauen Nebels, der sich an einem wolkenlosen Morgen über die See legte, sodass die Bezeichnung eines schönen Momentes wie die Ironie selbst klang. Miyako versuchte sich daran zu erinnern, wann Zero-San sie das letzte Mal um diesen Gefallen gebeten hatte. Zero-San schätzte die Anwesenheit von Gesellschaft nicht. Zwischenmenschliche Kontakte, die nicht wegen der milliardenschweren Firma notwendig und überlebenswichtig waren, hatten keinen Platz mehr im Herzen dieses Mannes. Und auch wenn er wunderschöne, ausdrucksstarke Augen hatte, wünschte sie sich nicht, dass er seinen Blick hob und ihren nur stumm erwiedern würde. Der Ausdruck in den wallnussfarbenden Iriden und die nachtschwarzen Pupillen, die so tief und lichtlos waren wie der tiefste Punkt des Ozeans, konnten einen Menschen binnen weniger Sekunden regelrecht zerfleischen. »Der Blick des Bösen« so nannten die Leute aus den unteren, niederrangigen Abteilungen es. Gerüchte, die sich um diesen Mann spannten, gab es überall. Aber Miyako wusste, dass wenigstens dieses keinen Funken an Wahrheit besaß. Zero-San schaute nicht wie Jemand der politische Mordlust in sich trug, einzig und allein unerträglicher Schmerz zeigte sich in seinen Seelenspiegeln.
 

"Wie lange habe ich es diesmal angesehen?" Wieder durchschnitt die Stimme ihres arbeitenden Gegenübers die Stille, wie ein scharfes Messer, das ohne Widerstand durch die Haut glitt. Miyako löste ihren Blick von Zero-San und legte ihn stattdessen auf den umgeklappten Bilderrahmen, der wie eine bedrohliche Mauer zwischen ihnen lag.

"Ungefähr eine halbe Stunde", antwortete sie sorgsam, neigte sich dabei leicht nach vorne. Eine kaum bemerkbare Veränderung zeigte sich in den harten Gesichtszügen des Mannes. "Bei weitem nicht so lange, wie beim letzten Mal", versuchte sie seine kommende Aufregung zu beschwichtigen. Zero-San plagte ein Schmerz, den nicht jeder nachvollziehen konnte. Eine Pein die jeder Angestellte der oberen Etage kannte. Seine Feinde wollten ihn einst damit vernichten, jedoch hatten sie nicht damit gerechnet, dass er zu einer lebenden Eisstatue wurde.

"Starr es nicht so an, Miyako." Ruckartig wandte sie ihren Blick von dem Photo ab und schaute aus der Fensterfront, die sich zu ihrer Linken die gesamte Wand einnahm. Auch wenn sie sich im Büro frei bewegen konnte, hatte sie das Photo noch nie angesehen. Sie ahnte, was darauf abgelichtet war, aber sie wollte nicht so respektlos sein und es schamlos anschauen, in einem unverhofften Moment, in dem Zero-San nicht da war. Es würde auch ein größeres Problem darstellen in seiner Abwesenheit das Büro zu betreten. In einem Tresor bewahrte er seine wichtigsten Unterlagen auf. Niemand wusste, wo genau er diesen versteckt hielt, doch er schloss das Büro jedes Mal, wenn er ging, mit drei verschiedenen Schlüsseln ab, die er immer nah an seinem Körper trug. Und sein Leib war der Wohlbehüteste in diesem Land.

Eine Weile verstrich, in der sie sich schweigend gegenüber saßen. Gesellschaft leisten bedeutete nicht, dass der Mann in der Laune für ein wenig gut gepflegtem Small-Talk war. Zero-San versuchte lediglich die Einsamkeit zu vertreiben, die in ihm lebte wie ein Dämon. Doch Miyako wusste, dass sie ihm das Alleinsein nicht nehmen konnte. Er hatte es ihr in einer Affektsituation gestanden. Eine kostbare Information, die sie nur für sich behielt. Miyako war fasziniert von diesem Mann. Er war eine Koryphäe, ein Magnat, ein Vorbild für Alles und Jeden. Für das hielten ihn die Meisten. Jedoch war Zero-San in Wirklichkeit die bemitleidenswürdigste Person, der Miyako je begegnet war.

Als die letzte Akte zugeklappt und die letzte Unterschrift wohl überlegt positioniert wurde, legte Zero-San mit graziler Zielstrebigkeit und katzengleicher Eleganz den Füllfederhalter zurück in die vorgerichtete Messinghalterung.
 

Miyako erhob sich von ihrem Platz. "Sir? Soll ich die Akten in die PR-Abteilung bringen?", fragte sie mit selbstbewusstem Zögern. Noch immer sah der Mann sie nicht an. Doch plötzlich erhob er sich in einer so schnellen Bewegung von seinem Platz, dass Miyako regelrecht erschrak. Zero-San sah sie an.

"Nein, ich werde sie persönlich dort hinbringen."

"Verstanden."

Zero-San wollte also gehen.

"Bitte kümmere dich um die einkommenden Anrufe."

Niemand wusste, wohin er ging, wenn er das Gebäude verließ.

"Sir, soll ich die Limousine bereitstellen?"

"Nein." Ein schneidendes Wort. Miyako erschauderte innerlich. Immer wenn er das sagte, in diesem beißenden Tonfall, glaubte sie Innerlich zu zerfallen. Mit einer tiefen Verbeugung verließ Miyako das Büro, wartete jedoch Außerhalb am Ende des Ganges. Durch den Spalt, den die mit doppelten Flügeln versehende Tür bildete, beobachtete sie den Mann, wie er die Akten unter den Arm klemmte und mit langen Schritten durch die Tür ging. Erst als sie ein leises Klappern vernahm, versteifte sie sich und wandte ihren Blick ab. Ein Rasseln folgte und das Klacken von herumschlagenden, schweren Schlössern. Von moderner Technik hielt der Mann Nichts. Jeder Sicherheitschef lachte über ihn, weil er so einfältig war und sein Büro mit drei simplen Schlüssellöchern sicherte. In Wirklichkeit war es jedoch eine Vorrichtung, die Keiner knacken konnte.

Gemeinsam traten sie durch die Tür am Ende des Flures. Sie standen in einem weitläufigen Foyer, den man vom Fahrstuhl aus zu Erst betrat. Die Möbel waren in dunklem fünfziger Jahrestil gehalten, während an den Wänden und der Decke eindeutige Moderne Einzug hielt. Direkt gegenüber des Fahrstuhls stand Miyakos riesiger Eckschreibtisch, hinter dem sie wieder Position einnahm.

"Erwarte mich nicht, Miyako. Du kannst ruhig nach Hause gehen, ich werde erst später wiederkehren", sagte Zero-San, während er an ihr vorbeiging und den Fahrstuhlklingel betätigte, der seine Türen sofort öffnete.

"Ja, Sir", antwortete sie, eh die Türen wieder schlossen und der Fahrstuhl im Schacht verschwand. Sie würde nicht einfach nach Hause gehen. Dort wartete Niemand auf sie und jedes Mal hatte sie eine furchtbare Angst um diesen Mann, wenn er sich schutzlos und wie eine offene Zielscheibe durch Tokyo bewegte. Obgleich nicht einmal ein engagierter Serienkiller sich trauen würde, Tokyos Herrscher ins Visier zu nehmen.

Das Phänomen der Orientierungslosigkeit


 

02 Kapitel: Das Phänomen der Orientierungslosigkeit
 

Sein Vater hatte ihn gewarnt. Seine Mutter hatte ihn gewarnt. Sein Bruder, seine Freunde, ja sogar die Frau an der Kasse in seinem Lieblingssupermarkt, die ihm mit schaurigen Geschichten das Rauchen abgewöhnt hatte; Sie alle hatten ihn gewarnt: Eine Großstadt wäre nichts für ihn. Und als er sich auch noch den Sammelpunkt, das Zusammentreffen des kulturellen Vermögens von ganz Japan ausgesucht hatte, hielten sie ihn für verrückt. Der Einzige, der ihn nicht für verrückt gehalten hatte, war der Junge mit dem Down-Syndrom gewesen, der am Ende der Straße lebte und ständig die Blumen aus den Vorgärten riss. Höchst aufmunternd. Als Abschiedsgeschenk hatte er keine Party gekriegt, nur ein feines »Aus dir hätte etwas werden können«-Schulterklopfen seines Vaters und einen Kuchen mit der Aufschrift »Bis in zwei Wochen«, der auch nur so groß war wegen den Zuckergussbuchstaben. Es machte ihn traurig, dass ein ganzes Dorf von ihm erwartete, das der Umzug in einem Desaster enden würde und er spätestens in einigen Wochen, höchsten in zwei Monaten wieder hier auf der Matte stand. Sein Bruder hatte es schließlich auch dorthin geschafft. Und nur, weil dieser der Erstgeborene war, ein besseres Zeugnis hatte und politische Zeitungen schon in Kindesalter gelesen hatte, wollte keiner ihm zutrauen, dass er möglicherweise in diese Fußstapfen treten konnte. Auch wenn er in einem Blumenladen enden würde, das wäre ihm egal. Sogar als Gesellschafter in einem Hostel würde er sich zufrieden geben - Hauptsache er lebte in Tokyo und genoss ein Leben fernab seiner Familie und dem lästigen Dorfleben.

Ja, so patriotisch hatte er vor vier Tagen noch gedacht.

Nun hockte er auf einer der randvoll gepackten Kartons und starrte auf den chaotisch verteilten Inhalt, das er bereits aus einer der Hälfte gerissen und grob in der Wohnung verteilt hatte. Die andere Hälfte ertürmte sich neben ihm. Nur eine einzelne Topfpflanze, die er zärtlich auf »Erika« getaufte, hatte ihren angestammten Platz auf der Fensterbank gefunden. Wohl der einzige Gegenstand, der in dieser Wohnung sortiert beziehungsweise positioniert war. Der Rest seines Hab und Guts war noch verpackt oder lag kreuz-und-quer in der Wohnung herum. Eigentlich konnte er sich nicht mehr erinnern, wo genau er was hingelegt hatte. Aber das störte ihn nicht weiter, so lange er seine Zahnbürste fand und seine Unterhosen und seinen Rasierer und.. naja, wenn er ehrlich war, dann benötigte er doch alles, was nun unauffindbar war.
 

Hizumi stieß ein verzweifeltes Seufzen aus, dass aus den Tiefen seiner Lunge hervor stieg. Hilflos sank er auf seinem jämmerlichen Sitzplatz zusammen, der sich unter seinem Gewicht leicht nach unten beulte. Hizumi vergrub das Gesicht in seinen Händen und verbarg sich in der Dunkelheit. Er hatte keine Ahnung, was er machen sollte. Er kannte Niemanden in dieser Stadt, er wusste nur, das sich hier irgendwo sein Bruder aufhielt. Er kannte den Namen seines Vermieters, mehr aber auch nicht. Zwar hatte er sich die Klingelschilder durchgelesen, aber diese Namen konnte er keinen Gesichtern zuordnen. Er konnte es unmöglich leugnen, das er sich verlassen fühlte. Seit den letzten Nächten hatte er kaum ein Auge zu bekommen. Hizumi war es nicht gewöhnt allein zu sein und es machte ihm Angst, wenn nachts fremde Geräusche in seiner Wohnung zu hören waren. In der gestrigen Nacht war es sogar soweit gekommen, dass er aus dem Bett gesprungen war und jeden Raum abgesucht hatte, bis er - an Erika geklammert - auf der Couch hockte und auf den ausgeschalteten Fernseher starrte. Schwarze Augenringe brannten sich in seine Haut, die Haare standen wie ein zu oft benutzter Wischmob unkoordiniert von seinem Kopf ab und unentwegt knurrte sein Magen auf, da der Kühlschrank noch nicht angeschlossen war und wohl kaum ein Elektriker es bis zur Küche schaffen würde, bevor diese Misere in dem Raum nicht beseitigt war, weshalb er meistens zum Mittag etwas essen ging. Und da er sich in den meisten Fällen verlief musste er zunächst stundenlang die Karte studieren oder sich nach der ersehnen Mahlzeit bei den Passanten durchfragen. Die Adresse zu seinem Haus trug er immerhin nicht umsonst in seinem Portemonnaie. Ein guter Tipp seiner Mutter.

Jeder kannte seinen Orientierungssinn. Er war nicht besser als der eines labbrigen Toastbrotes, an schlechten Tagen erreichte er nicht einmal den Intelligenzquotienten einer soeben verstorbenen Kuh. Hizumi fragte sich tatsächlich, was ihn geritten hatte in diese Teufelsstadt zu ziehen. Er mochte Tokyo, aber die Fremde weckte ein beklemmendes Gefühl in seiner Brust, welches er so noch nie in seinem Leben verspürt hatte. Einen kleinen Job hatte er schon in der Tasche und bald würde er sich auf die Suche nach seinem Bruder machen. Hizumi wollte ihn wiedersehen. Als sein Bruder ihm das letzte Mal unter die Augen getreten war, hatte dieser ihn im Krankenhaus besucht, da er dort wegen einer schweren Grippe genesen hatte , die ihn monatelang ans Bett fesselte und eine lange Rehabilitierungszeit benötigte. Diese Begegnung hatte vor acht Jahren stattgefunden, danach war sein Bruder von der Arbeit regelrecht verschlungen worden.
 

Seufzend erhob er sich von seiner provisorischen Sitzgelegenheit und bahnte sich, wie ein Storch im Salat herumstelzend, einen Weg über den herumliegenden Krempel Richtung Flur. Es war ohnehin Mittagszeit. Gefrühstückt hatte er nicht und sein Magen hing irgendwo auf Glatteis, was bedeutete, dass er in weniger als zwei Stunden bewusstlos zwischen seinen Sachen lag, wenn er sich nun aufraffte und mit neu gefasstem Mut weiter sortieren und einrichten wollte. Es grauste ihn davor, wenn er seine Möbel aufstellen musste. Keiner fühlte sich dazu bereit, ihm zu helfen. Da merkte er, wie viel er seinen Freunden und seiner Familie wirklich zu bedeuten schien. Sie machten alles mögliche um ihn die Suppe zu versalzen, nur damit er wie ein räudiger Köter zurück gekrochen kam. Aber nicht mit ihm!

Herrisch zog Hizumi seine ausgefranste Strickjacke über und band sich grob sein schwarzfarbenes Halstuch um, auf dem weiße Tropfen aufgestickt waren. Er wusste, dass er für die Verhältnisse dieser Stadt ein jämmerliches Bild abgab. Doch nur, weil er nun in Tokyo wohnte, fühlte er sich nicht gezwungen, in die nächst überteuerten Läden zu rennen und sich vollkommen neu ein zu kleiden. Woher sollte er das Geld auch nehmen?

Nachdem er sich vergewissert hatte, dass er Portemonnaie, Schlüssel und Handy dabei hatte, trat er mit einem Lächeln aus der Wohnung, in der Hoffnung Jemanden im Treppenhaus freudig grüßen zu können. Aber wie immer herrschte hier gähnende Leere. Hizumi fragte sich, ob hier überhaupt irgendeiner wohnte. Wie immer ignorierte er den Fahrstuhl, der mit offenen Türen regelrecht auf ihn wartete und hüpfte die Treppen herunter. Nach dem zweiten Treppenabsatz hielt er sich im Geländer fest und trat nur noch langsam einen Fuß vor den Anderen, als sein Kreislauf sich mit viel Schwindel und Sternchen meldete. Höchste Zeit etwas zu essen! Dabei schöpfte der Schwarzhaarige nicht einmal große Hoffnung, das er mit den paar Yen in seiner Tasche irgendwo irgendetwas zu essen bekam. Doch er wollte sich auch nicht auf die Straße stellen und sich das fehlende Geld zusammen betteln. Soetwas war jämmerlich und so Jemand war er keineswegs.

Ein lauer Wind schlug ihm warm um die Nase, als er nach Draußen trat. Man merkte, dass der Frühling bald vorbei war und der Sommer mit sengender Hitze über das Land brennen würde. Er mochte den Sommer. Immer wenn es warm wurde passierte etwas Neues in seinem Leben.

Hizumi hoffte, dass es Etwas aufregendes war. Diese Passanten mit ihren stummen, angestrengten Gesichtern und der Büro-Leichenblässe, die ihm alle entgegen kamen, wie sie unentwegt in ihre Handys plärrten oder ihre Einkaufstüten modisch hin und her schwenkten, machten ihn noch ganz kirre.

Unschlüssig stand er auf dem Gehweg, ließ seinen Blick von Links nach Rechts gleiten und langsam wieder zurück. Als er gestern losgegangen war, war er rechts eingeschlagen und war nach stundenlangem Fußmarsch im Rotlichtviertel gelandet. Da erst einmal wieder herauszukommen, ohne Jemanden ansprechen und nach dem Rückweg fragen zu müssen, der einen den Weg auf der Karte erklären wollte, die er selbstverständlich im Hinterzimmer aufbewahrte, war- um es genauer zu sagen- recht schwierig gewesen. Irgendwann hatte er einfach einen Jungen angequatscht, aber auch nur, weil er noch vollständig angezogen war. Der Junge war freundlich gewesen und hatte ihm schnell erklärt wie er zurück kam. Und so nett wie er war, hatte er ihm gleich seine Telephonnummer auf die Hand geschrieben, falls er ihn noch einmal brauchte - Dass er dabei die Nummer eines Callboys auf seinem Handrücken stehen hatte, wusste Hizumi nicht-. Er war nicht naiv oder unwissend oder gutgläubig. Er hatte nur ein gesundes Vertrauen in die Menschen, gesunde Neugierde und ein immer strahlendes Lächeln auf seinen Lippen. Tokyo würde ihn nicht mürbe machen, sodass er sein Lächeln vergaß. Das konnte keiner!
 

Heute entschied er sich nach links zu gehen. Dem wachsenden Gedränge auf dem Gehweg zufolge, musste er irgendeinen Kern der Stadt erreichen, denn nach einigen hundert Metern wurde das Schieben und Drängen größer. Er passierte eine Ampel und fand sich in kleineren Gassen wieder, in denen das genaue Gegenteil herrschte: Ruhe und Ellenbogenfreiheit.

Jedoch endete diese Passage nach einigen Querstraßen und ein Geschäft in denen man zu günstigen Preisen speisen konnte war weiterhin unauffindbar. Hizumi zog eine kleine, zerfledderte Stadtkarte,ie er Gestern zufällig auf der Straße gefunden hatte aus der Jackentasche. Sein Haus hatte er mit Kugelschreiber und pinkfarbenem Marker großzügig eingekreist. Mit viel rätseln fand Hizumi den Weg den er gelaufen war.

Luftlinie zu seinem Haus: 3 Kilometer.

Fußweg: 5 Kilometer.

Hizumi schaute auf seine Armbanduhr und fluchte leise. Schon wieder war er eine Dreiviertelstunde unterwegs, ohne das er es gemerkt hatte. Zwar war er gut zu Fuß und beklagte sich nicht über einen längeren Weg, dennoch wollte er nicht schon wieder stundenlang umher irren, eh er halb verhungert an einem billigen Imbiss ankam, an dem er sich mit fettigen Nudeln vollstopfte. Leider war auf der Karte kein einziges Restaurant eingezeichnet und die Legende war vom Straßenschmutz und Abwasser unlesbar gemacht. Aber wenn er etwas weiter geradeaus ging, musste er laut dem Straßennetz auf einem Platz ankommen. Vielleicht wurde er dort fündig. Hizumi faltete die Karte wieder, die wegen den ausgeleierten Knicken beinah wie von selbst zusammen fiel, und steckte sie in die Jackentasche zurück, machte sich auf den Weg.
 

Wieder verstrichen Minuten ins Land, während die Geschäfte rings um ihn herum exklusiver, die Preise teurer wurden. Hizumi schöpfte kaum noch Hoffnung, dass er für sein bisschen Geld hier etwas bekam. Dennoch gab er nicht auf und fand letzten Endes den Platz. Eindrucksvoll ragten die Hochhäuser in den grau melierten Himmel. Seit Tagen hatte er ihn nicht mehr im strahlenden, verträumten Blau gesehen. Tauben tummelten sich zwischen den Passanten, die über die Zebrastreifen regelrecht hin und her flüchteten. Hizumi wurde unsanft aus dem Staunen gerissen, als sich ein kleiner, pummeliger Geschäftsmann an ihm vorbei drängeln wollte und dabei unsanft die Kante des schweren Aktenordners in seine Rippen rammte. Hizumi machte einen Satz zur Seite.

"Verzeihung!", brummelte der Fremde und quetschte sich vollends an ihm vorbei, eilte mit schnellen Schritten davon. Verdutzt sah Hizumi ihm hinter her, rieb sich die schmerzende Stelle. Anscheinend hatten die Menschen hier keinen Respekt vor einem orientierungslosen, jungen Mann, der sich die Stadt ansah OHNE sich dabei fortzubewegen. Aber es störte ihn nicht weiter. Wenn alle in dieser Stadt so hektisch waren, musste er sich eben etwas einfallen lassen oder aus dem Quark kommen.

Auf der anderen Straßenseite entdeckte er einen kleinen Park, zu dem er sich flüchtete. Als er die Straße überquerte scheuchte er einen Taubenschwarm auf, der sich mit lautem Zetern und Flattern über seinem Kopf hinweg erhob und ein paar Meter weiter flog. Es war der erste Fleck Grün den er in der Großstadt entdeckt hatte und wohl auch der ruhigste. Es waren kaum Menschen hier. Ein mit Kies ausgefüllter Weg erstreckte sich vor ihm. Links und Rechts standen moderne, fast futuristische Bänke, auf denen es sich ein paar Leute bequem gemacht hatten. Langsam trat er ein paar Schritte voran. Hizumi musste darauf achten, dass ihm die Kinnlade nicht herunter fiel. Es war wunderschön hier, auch wenn es nicht ganz der Natur entsprach die er vom Dorf gewöhnt war und auch die Graffitis an der kleinen Steinmauer, die die Rasenfläche vom Weg abtrennte, taten ihr übriges, um den Ort ein klein wenig verschandelt aussehen zu lassen. Aber es war für ihn ein krasses Gegenteil zu den Betonwänden und betonierten Wegen, die er seit einer halben Woche durchgehend unter die Augen bekommen hatte.

Wieder kramte er die zerfledderte Karte aus den Tiefen seiner flauschigen Jackentasche, doch der Park war nicht eingezeichnet. Erneut rollte ihm ein leiser Fluch über seine Zunge. Morgen würde er zum Bahnhof fahren und sich von der Touristeninfo eine neue Karte besorgen! Dieses Teil von Anno Tuc war ja unberechenbar!

Unsicher schaute er sich um -wo auch immer er sich gerade befand, er mochte es hier, das stand außer Frage. Aber er würde liebend gerne wissen, wie er irgendwann wieder nach Hause fand, denn wie er hier hingekommen war, daran konnte der junge Mann sich überhaupt nicht mehr erinnern. Mit sorgsamen Zögern setzte er sich langsam in Bewegung, den Blick auf die frischblühenden Kirschbäume gerichtet, die anmutig zurecht geschnitten am Wegesrand standen. Der Kies war über und über mit herabgefallenen Blüten bedeckt und ein solch intensiver, betäubender Duft lag in der Luft, dass Hizumi nur flach atmen konnte. An einer Weggabelung blieb er erneut stehen und sah sich um. Zuerst blickte er zu seiner Linken, wo ein Fahrradfahrer plötzlich auftauchte. Im letzten Moment konnte Hizumi nach hinten ausweichen, bevor seine Rippen auch noch Freundschaft mit dem Lenker hätten schließen können. Erstaunt sah er dem Fahrrad nach und sah eine einzige Parkbank dort stehen, auf der Jemand saß. Mit seinen entspannten Zügen und den geschlossenen Augen, den Kopf nachdenklich in den Nacken gelegt, sah es fast aus als würde der Fremde inmitten Tokyos, umgeben von all dem Krach, meditieren.

//Dabei sieht er nicht einmal aus wie Jemand, der das Wort »Meditieren« kennt//, dachte sich Hizumi und betrachtete den Fremden mit schief geneigtem Kopf. Lange, zu einzelnen kleinen Zöpfen geflochtene, rabenschwarze Haare; Ledermantel; elegante, scharfgeschnittene Gesichtszüge und eine blässliche Haut, die im Licht der einfallenden Sonne weiß zu schimmern schien. Hizumi schluckte kurz. Seltsame Kreaturen trieben sich hier herum, so viel hatte er in den wenigen Tagen nach seiner Ankunft bereits gelernt. Aber sein Herz schlug vor Aufregung so schnell, dass er gar nicht bemerkte, wie er sich auf die Gestalt zubewegte, noch bevor er den Gedanken des tieferen Interesses überhaupt geformt hatte.

//Naja, wenigstens sind Punks recht nette Leute.//

Und nur weil er nach dem Weg fragen wollte würde der Mann ihm sicherlich nicht den Kopf abreißen. Er hätte ja auch einen anderen Passanten fragen können, doch er spürte eine Verbundenheit, die ihn zu dem Fremden führte. Es war, als musste er mit ihm sprechen.
 

"Unnn.. 'Tschuldigung!" So schnell er konnte überwand Hizumi die letzte Distanz zwischen ihnen, doch der Fremde schien sich nicht angesprochen zu fühlen. Hizumi spürte einen Stich in seinem Herzen. "'Tschuldigung", sagte er noch einmal, diesmal zögerlich, aber etwas lauter, als er direkt vor dem schwarzbekleideten Mann stand. Aus direkter Nähe sah der Langhaarige noch faszinierender aus, als würde er von Innen heraus strahlen. Zähneknirschend verpasste er sich eine gedankliche Ohrfeige. Pfui deibel, so etwas dachte man doch nicht!

Einige Sekunden geschah Nichts. Hizumi spielte mit dem Gedanken einfach wieder zu gehen und sich Jemanden zu suchen der geistig auch anwesend war. Doch gerade als er einen Schritt nach hinten machte, öffnete der Fremde seine Augen. Hizumi erschrack, fuhr beinah voller Ehrfurcht zusammen. Diese Augen. Machtvoller, tiefgründiger hätten sie nicht sein können. Hizumi geriet ins Stottern, als er hektisch seine Karte so vor den Bauch hielt, dass der Andere draufschauen konnte.

"Kannst du.. Kannst du", wiederholte er mehrere Male hilflos. "Kannst du mir zeigen, wie .. naja.. Ich bin nicht von hier und hab ehrlich keine Ahnung, wie ich zurück komme." Unruhig trat er von einem Fuß auf den Anderen, während er stocksteif da stand und mit dem Zeigefinger auf den pinfarbenen Kreis auf seiner Karte deutete, auch wenn er meilenweit daneben zeigte. Er hatte keine Ahnung, warum er allein durch den Blick des Mannes so nervös wurde und gerade wünschte er sich eher, dass ein bodenloses Loch unter seinen Füßen aufklaffte und ihn aus dieser Peinlichkeit herausriss. Hizumi versuchte durchzuatmen. Vielleicht verstand der Kerl ihn ja nicht?
 

"Nein, eigentlich wollte ich etwas Essen und hab mich dabei verlaufen", versuchte er sich weiter zu erklären. Na toll, jetzt quasselte er auch noch. Hizumi knüllte unbemerkt seine Karte zusammen, als er merkte, wie das Blut ihm in den Kopf schoss. Unbeholfen rang er sich ein Lächeln ab. Vielleicht lag es auch nur daran, dass kein Muskel sich in dem Gesicht des Fremden zu bewegen schien. Der Langhaarige sah ihn nur an, mit diesem unheimlich durchdringenden Blick und einer unendlichen Ruhe, die er in seinem ganzen Leben noch nie gesehen oder gespürt hatte. So etwas wie Angst machte sich allmählich in ihm breit und zerquetschte seinen Brustkorb wie eine Wallnuss im Nussknacker.

"Weißt du vielleicht wo man hier günstig etwas Essen kann?" Himmel, wie dümmlich er sich vorkam. Vermutlich stank er auch noch wie der letzte Landstreicher, weil seine Dusche seit zwei Tagen streikte.

Gerade als er beschloss sich umzudrehen und wegzurennen, in der Hoffnung das Geschehene vergessen zu können, löste der Aristokrat sich aus seiner Haltung, beugte sich nach Vorne und stützte einen Unterarm auf die Knie, während er die noch freie Hand in seine Richtung streckte. Verständnislos starrte er auf die ihm entgegen gestreckte Hand. Wer zum Henker trug im Fast-Sommer noch Lederhandschuhe? Hizumi knautschte die Karte noch weiter zusammen.

"Es ist nicht weit von hier. Ich werde es Ihnen zeigen.".

Hizumi versteinerte endgültig zu einer Salzsäule. Der Befehl wegzurennen, wie ein kleines Kind, dass am alten Abwasserkanal eine Leiche gefunden hatte, blieb ihm ebenso auf halben Wege zu seinen Beinen stecken. Steif wie ein Zinnsoldat bewegte er sich auf die Bank zu, drückte dem Fremden die verbliebenen Überreste der zerknüllten Stadtkarte in die Hand. Allein schon wie der Langhaarige die Karte in die Hand nahm und es sorgsam auseinander faltete, als pelle er gerade ein rohes Ei, faszinierte Hizumi, sodass er sich beinah neben die Bank gesetzt hätte. Ohne zu Suchen, wo sie sich befanden, kreiste der Fremde mit dem Zeigefinger einen Park ein. Hizumi lächelte zerknittert. Zwei Blocks weiter war seine eigene Wohnung. Er überlegte sich ernsthaft am Bahnhof gleich auch nach einer Lesebrille Ausschau zu halten.

"Im Moment befinden Sie sich hier.", die Stimme des Fremden klang so wundervoll weich in seinen Ohren. Wie die Stimme eines Vaters, dem man stundenlang bei einer Gute-Nacht-Geschichte zuhören konnte. Aber der Mann redete mit einem Unterton, den Hizumi nicht ganz zu deuten vermochte. Er sprach warm, doch unter dem Klang seiner Stimme lag ein Zittern, ein leises Vibrieren, dass ihn irritierte. Die Erklärungen des Anderen strichen an ihm vorbei, wie ein unsichtbarer Geruch, den man in den Straßen nur unterschwellig war nahm. Er verfolgte den Finger, der über die Karte fuhr und ihm den Weg zu einem preiswerteren Viertel zeigte, aber es blieb nicht in ihm hängen. Seine Konzentration lag nicht in der Wortwahl des Anderen, sie galt nur dem Klang seiner wundervollen Stimme.
 

"... Und hier an der Ecke gibt es ein kleines Restaurant namens Maruyasu. Bestellen Sie dem Besitzer schöne Grüße von einem alten Freund." .

Hizumi erwachte mit einem Zucken aus seiner Trance. Hektisch nahm er die Karte wieder an sich, die der Fremde ordentlich zusammen gerollt hatte. Den Weg kannte er nun zwar immer noch nicht und wo das Maruyasu sein sollte, davon hatte er keine Ahnung, weil er sich schon nachdem er hektisch aufgesprungen war, nicht mehr daran erinnern konnte, wo der Langhaarige hin gezeigt hatte. Mit einer tiefen Verbeugung bedankte sich Hizumi und ging mit schnellen Schritten davon. Nach wenigen Metern blieb er wieder stehen. Verlegen lächelnd drehte er sich zu dem Fremden herum, der ihn mit aufmerksamen Blick musterte. Hizumi kratzte sich im Nacken.

"Unn.. Wo muss ich nochmal lang?"

Der Fremde senkte sein Kinn und schüttelte mit dem Kopf. Hizumi glaubte ein kleines, belustigtes Schmunzeln hinter den Zöpfen erkennen zu können. Wie eine Katze erhob sich der Langhaarige und strich mit wenigen Handgriffen den schwarzen Mantel glatt.

"Ich werde es Ihnen zeigen", sagte der Fremde und murmelte etwas unverständliches, eh sie gemeinsam los gingen.

"Was hast du gesagt?"

Der Andere lachte leise auf. "Ich sagte nur das Phänomen der Orientierungslosigkeit ...", der Rest ging unter dem Rauschen in Hizumis Gehörgängen unter. Auf einmal wusste er, was sich hinter der Stimme des Fremden verbarg.

Angst und die Sehnsucht nach einem Ende.

So sprach ein Mensch, der lebensmüde war.

Vogelfrei


 

03 Kapitel: Vogelfrei
 

Das Phänomen der Orientierungslosigkeit besagte, dass zwei sich einander fremde Menschen zu einer nicht vorhersehbaren Zeit begegnen werden. In einer unbestimmten Situation, zu einem unbekannten Grund und einer Bestimmung, die weit im Dunst der Zukunft lag. Es kostete viel Überwindung einen Passanten auf der Straße anzusprechen und sich der Schmach hinzugeben, dass der menschliche Verstand nicht mehr in der Lage war die Umgebung zu sondieren und im Kopf ein logisches Netz aus Straßen und Wegen zu erstellen, dem man bedingungslos folgen konnte. Wenn ein Mensch nicht weiter wusste, musste er sich eine Niederlage zugestehen. Und das machte Niemand gerne. Vor allem nicht, wenn derjenige sich in einer Großstadt befand. Jeder wollte besonders intelligent, besonders gebildet vor den Mitmenschen aussehen, obgleich sie keinen von ihnen kannten.

Nur wer frei von diesen Zwängen war und unbeholfen durchs Leben schritt konnte auch über seinen Schatten springen und wildfremde Leute auf der Straße ansprechen.

"Wow! Du sag mal, bist du so etwas wie ein Philosoph?" Hizumi, der schon seit seiner Kindheit einen Dreck für diese unpersönliche, hochgeschraubte, überbewertete Höflichkeit übrig hatte - was zur Folge führte, dass er seine Umwelt grundsätzlich und ausnahmslos mit »Du« anredete -, war vollkommen fasziniert von seinem Begleiter. Er hatte diese wohl sortierte und gepflegte Wortart, die er so zuvor in seinen verhältnismäßig jungen Jahren nicht gehört hatte. Hizumi hatte seinen Bruder oft mit solchen Worten reden hören, als würde er die Höflichkeit studieren wollen, aber der Fremde, der mit eleganten, weitläufigen Schritten neben ihm über den Boden zu schweben schien, verlieh diesem Ausdruck einen ganz eigentümlichen Charme. Der Fremde erinnerte ihn an einen Fels. Tiefgründig, beständig und unzerstörbar.

Wieder lächelte der Andere, doch der Ausdruck in seinem Gesicht sprach das Unwohlsein aus, was er dabei empfinden musste. Hizumi fragte sich, warum der Fremde sich damit so quälte oder ob es ihm gar nicht bewusst war?

"Nein, philosophisch bin ich nicht", antwortete sein Begleiter in knappen Worten. Sie waren jedoch machtvoll genug, dass Hizumi sich gar nicht traute eine weitere Frage zu stellen. Dennoch fühlte er sich keineswegs verletzt oder bedroht. Der Fremde strahlte eine Präsenz aus, wie er sie sonst nur ein seiner Heimat erlebt hatte. Hizumi kam sich vor, als konnte er wie ein Blinder sein ganzes Vertrauen in seinen Begleiter stecken. Er kam sich vor, als brauchte er sich den Weg den sie gemeinsam gingen nicht merken. Er blieb stehen, wann immer der Langhaarige stehen blieb und ging weiter, wenn der Größere sich wieder in Bewegung setzte. Hizumi achtete nicht auf die Ampeln oder die Passanten. Er fühlte sich geborgen in einer Sicherheit, in der er einfach die Augen hätte schließen und über einen schmalen Steg hoch oben in schwindelerregenden Höhen gehen können, so lange der Fremde sich in seiner Nähe befand.

"Da wären wir", ertönte es auf einmal neben ihm. Fragend schaute Hizumi den Fremden an, eh er begriff, dass sie bereits vor dem kleinen, unscheinbarem Gebäude des Maruyasu standen. Hizumi wagte einen kurzen, verwirrten Blick über die Schulter und sah den Weg entlang, den sie gekommen waren, dann zurück zum Maruyasu. Das Restaurant war noch ganz im altjapanischen Stil erbaut und passte mit dem geschwungenen Vordach, dem roten Sichtschutz , den halbverfallenen Blumenkübeln und den kleinen Gebetsmühlen vor dem Schaufenster so gar nicht ins Bild der neu-industriellen Großstadt namens Tokyo. Es war ein regelrechter Zeitsprung, wenn man über die Straßenseite ging und das Maruyasu betrat. Der Geruch von angebranntem Fett, frischem Fisch, Tang, Sake und dem schweren Zigarettenrauchdunst hing in der Luft. Hizumi nahm unbewusst einen tiefen Atemzug und inhalierte die Gerüche in seine Lunge. Hier war es fast wie zu Hause, auch wenn einer der Stadtbewohner seine piekfeine Nase rümpfen würde vor Ekel.

"Sind wir wirklich noch in Tokyo?", fragte Hizumi im Flüsterton, doch wieder wurde seine Frage nur mit einem weisen Lächeln beantwortet. Er kam sich nicht vor noch in der Stadt zu sein, die er Hals über Kopf vor wenigen Tagen bezogen hatte. In ihm wurde die Heimlichkeit des Dorfes geweckt, die er in den letzten Stunden so sehr vermisst hatte.

Da bis auf einen Tisch, der in der dunkelsten und hintersten Ecke von einem dunkel gekleideten Mann besetzt wurde, der sein Gesicht in einer vergilbten Tageszeitung verbarg, alles frei war, wählte der Fremde einen Platz für sie aus, der direkt am Schaufenster lag. Hizumi pellte sich aus der Jacke und stopfte das Halstuch in seinen Ärmel, eh er sich setzte und sofort die Nase in eine der beiden Speisekarten steckte. Seinen Begleiter hatte er fast gänzlich vergessen, während er die Speisen durchforstete. Aber der Langhaarige hatte Recht. Hier bekam man noch für humane Preise etwas zu Essen und falls der Laden wirklich noch vom alten Stamm sein sollte, dann waren es sogar diese unmenschlichen, riesigen Portionen, die ein Sterblicher mit einem normalen Magen alleine gar nicht herunter bekam.
 

"Hallo die Herren, was darf ich Ihnen bringen?" Eine junge, schlanke Bedienung mit kurzen Haaren, die sie mit einem blau karierten Kopftuch nach hinten gebunden hatte, war mit Schreibblock und Kugelschreiber neben ihnen aufgetaucht, begrüßte sie mit einem überaus heiteren Grinsen. Hizumi bemerkte sie dennoch nicht, auch wenn ihre unangenehm hohe Stimme durchaus nicht zu überhören war. Aber er konnte sie von der Speisekarte nicht lösen, die er wie verrückt in seinen Händen hin und her drehte und sich die Gerichte durchlas. So eine üppige Auswahl hatte er bei sich zu Hause noch nie gesehen.

"Für mich nur einen Kaffee. Schwarz.", antwortete seine Begleitung als Erster, ohne auch nur einen Blick in die Karte geworfen zu haben.

"Hai!" Schnell schrieb die Frau es auf ihren Notizzettel. "Wie immer aufs Haus! Und für Sie?"

Hizumi schreckte auf, wie Jemand der nur kurz während eines langweiligen Unterrichtes die Augen schließen wollte, aber gänzlich eingeschlafen war. Grinsend kratzte er sich am Hinterkopf und tippte mit dem Zeigefinger auf das, was er haben wollte. "Für mich zwei Nudelsuppen und das Chashudon! Vielen Dank."

Wortlos verzog die Bedienung sich wieder in die Küche. Blinzelnd sah Hizumi ihr hinter her, eh er sich langsam zu seinem Fremden umdrehte und ihn fragend ansah.

"Habe ich etwas falsch gemacht?", fragte er irritiert und entlockte dem Langhaarigen wieder ein leises Auflachen. Und wieder war es benebelt mit dem schaurigen Unterton des Zwangs und der Zurückhaltung. Der Andere hatte einen so schönen Klang in der Stimme, aber wenn er lachte, dann klang es, als würden Dämonen grollen.

"Nein, nein, durchaus nicht. Es ist nur .. ungewöhnlich, dass ein Gast vom Maruyasu so viel isst", erklärte ihm der Andere. Hizumi hob nachdenklich eine Augenbraue. War das gerade die höflich formulierte Version von »Sie sind verfressen?«. Warum war das ungewöhnlich? Nur weil die Schnösel, die hier lebten, wegen den vielen Abgasen und chemischen Unreinheiten in der Luft keinen gesunden Appetit mehr hatten, bedeutete das doch nicht, dass er wegen zwei Nudelsuppen und einer Kleinigkeit dazu einen übergroßen Magen hatte.

"Sie sagten, Sie seien Neu hier in Tokyo. Woher kommen Sie, wenn ich fragen darf?" Die Frage des Fremden rettete ihn aus seiner Verschämtheit und sein bedrückter Gesichtsausdruck wechselte wieder in das grinsende Strahlen, dass ihn immer begleitete wie sein eigener Schatten.

"Aus Osaka!"

"Oh, dann sollten Ihnen große Städte doch keineswegs fremd sein."

Mit dampfenden Schüsseln kam die Bedienung aus der Küche zurück, stellte eine elegante Tasse vor dem Fremden ab und servierte ihm die beiden Nudelsuppen und das Chashudon. Dankend nahm Hizumi beides Entgegen und griff nach den Stäbchen, die er erst ein paar Mal glückbringend zwischen den Handflächen rollte, eh er von Allem etwas probierte.

Wahre Euphorie überkam ihn. Es schmeckte tatsächlich genauso wie Daheim! Der Teufel konnte ihn dafür holen, aber er hatte dieses kleine Fleckchen Ort in Tokyo bereits lieb gewonnen und war froh darüber seinen Begleiter angesprochen zu haben.

"Es schmeckt ausgezeichnet!", rief er Richtung Küche. Aber Keiner schien sich die Mühe zu machen eine Antwort zu geben. Das war der einzige Unterschied zu seiner Heimat. Im Dorf hätten sie sich spätestens jetzt in eine schier endlose Unterhaltung verwickelt und sich angefreundet. Aber ihr in Tokyo war alles etwas stumpfer und kälter, als während die Leute ebenfalls aus diesem unpersönlichen Beton gegossen worden.

"Naja..", begann Hizumi nach einer Weile leise und ließ Löffel und Stäbchen wieder sinken, hielt den Blick in die Nudelsuppe gerichtet, als könne er darin seine Zukunft lesen. Langsam sah er zu seinem Gegenüber auf, der sich zurück gelehnt und Beine überschlagen hatte, und somit an seinem Kaffee schlürfte. Dabei sah dieser Hizumi mit sanftem Blick an. "Wenn ich ehrlich bin, dann komm ich gar nicht aus Osaka", sagte er vorsichtig lächelnd. "Ich komme aus einem kleinen Dorf, das in der Nähe liegt. Aber da gehört irgendwie alles zu Osaka und das kennen die Leute eher."

Der Fremde nickte aufmerksam. Hizumi war verwundert darüber, dass er keinen dummen Kommentar zuhören bekam. Seine ganzen Verwandten hatten ihn stets dafür ausgelacht, wenn er diese Erklärung ablieferte. Aber den Andere schien es entweder nicht zu interessieren oder es störte ihn nicht, genauso wenig wie die Tatsache, dass Hizumi ihn andauernd Du-zte.

Hizumi lächelte verlegen und aß weiter, bis er nach einigen Bissen wieder aufhörte. Während er noch herunter schluckte, wischte er seine Hand an der Hose ab und streckte sie über den Tisch. "Ich heiße übrigens Hizumi.".

Einige Sekunden verstrichen, in denen der Fremde seine Hand nur anschaute, eh er die Tasse auf den Tisch stellte und seine Hand mit einem starken, selbstsicheren Händedruck erwiderte. Hizumi glaubte damit einen Packt mit dem Teufel einzugehen, so überwältigend war diese knappe Geste. "Angenehm.", erwiderte der Andere und nahm seine Tasse wieder in die Hand.

"Also, was führt Sie nach Tokyo?"

Wieder wurde die gemütlich aufkommende Stille durch eine simple Frage durchbrochen. Hizumi schluckte die Nudeln herunter und lächelte. "Ich bin auf der Suche nach meinem Bruder! Unn, du sag mal ziehst du die Handschuhe eigentlich nie aus?", fragte der Jüngere und schob sich etwas von dem Chashudon zwischen die Kauleisten. Der Fremde betrachtete seine Hände. "Nicht, dass es mich stören würde. Aber das ist für mich eben ungewöhnlich!", hakte Hizumi schnell nach und schlürfte an der Brühe.

"Sie sind sozusagen meine zweite Haut", beantwortete der Langhaarige nach einem kurzen Schweigen schließlich seine Frage.

"Hast du dich verletzt?", kam gleich die nächste Frage von Hizumi, der sich die zweite Schüssel heran zog und zuerst die kleinen Lauchringe futterte.

"Ich möchte nun einmal meine Hände nicht schmutzig machen", sagte der Fremde in einem eisigen Tonfall, der Hizumi erschaudern ließ. Wie erstarrt schaute er den Anderen an, nahm dann vorsichtig einen weiteren Schluck von der salzigen Brühe seiner Nudelsuppe.

"Sag mal", durchbrach er zurückhaltend die Stille, als wäre es ihm verboten noch einmal das Wort zu ergreifen, "gehörst du zur Mafia oder so?"

Sein Gegenüber schmunzelte belustigt. "So könnte man es auch ausdrücken."
 

Hizumi wollte sich gerade mit den restlichen Nudeln vollstopfen, eh sie gänzlich in der salzigen Brühe aufquellen würden und einen klumpigen Kloß aus Stärke und Mehl hinterlassen würden, als sein Gegenüber mit solch einer unbemerkbaren Hektik sich plötzlich erhob, dass der junge Japaner aus Indirekt-Osaka sich an seiner überaus verboten köstlichen Nudelsuppe verschluckte. Er hustete mehrmals heftig und schlug sich mit der geballten Faust auf die Brust, sodass ihm die Tränen in die Augen stiegen. Mit wässrigen Augen sah er zu dem Fremden auf, der mehrere Geldscheine aus seinem länglichen Portemonnaie zog und sie zusammengefaltet unter seine Untertasse schob. Hizumi fiel gleich die Höhe der Summe auf und damit wollte der Andere doch nicht seinen Kaffee bezahlen, der ohnehin aufs Haus ging, so wie es im noch in Erinnerung kleben geblieben war! Das war das Geld für sein Essen!

Gerade als er protestieren wollte, war der Fremde um den Tisch herum getreten und packte ihn am Oberarm. Grob wurde Hizumi auf die Beine gezogen. Sein Herz schlug binnen weniger Sekunden schneller und das Blut rauschte ihm durch die Ohren, dass er die leisen, raunenden Worte des Anderen beinah nicht verstanden hätte: "Wir sind hier nicht länger sicher. Keine Angst, Ihnen wird Nichts passieren, dafür sorge ich."

Hizumi hatte gerade noch genügend Zeit nach seiner Jacke zu greifen, eh er mit schnellen Schritten dem Anderen folgte. Der Fremde rief noch eine Verabschiedung in die Küche, eh sie das Maruyasu unauffällig verließen. Hizumi kam sich dennoch vor die ein Flüchtling, der vor einem zivilen Offizier verfolgt wurde. Er konnte den Anschlag auf seinem Rücken vorstellen, wie sie abgeknallt wurden, wenn sie nicht aufpassten, was sie machten. Er konnte nicht einmal wirklich fassen, was gerade mit ihm geschah oder weil er vor Angst nicht davon lief. Seine Beine waren steif, wie zwei leblose Stöcke, die von unsichtbaren Mächten wie die Gliedmaßen einer Marionette bewegt wurden. Er klebte regelrecht an der Seite seiner Begegnung. Doch Hizumi fühlte in diesem Moment keine Reue. Er bereute es in der Tat nicht, so seltsam es auch klingen mochte, dass er den Fremden angesprochen hatte, dass er sich von diesem begleiten ließ, mit ihm gespeist hatte und ihn auch jetzt folgte, obgleich er nicht wusste, wer oder was sie verfolgte oder bedrohte. In der Nähe des Langhaarigen spürte er keine Gefahr. Es war wie verrückt!

Vorsichtig warf Hizumi einen Blick über die Schulter.

"Nicht umdrehen!", kam es leise von der Seite und in solch einem befehlenden Ton, dass Hizumi stur geradeaus sah und sich nicht traute einen weiteren Seitenblick zu riskieren. Er konnte nur spüren, wie ihnen etwas im Nacken saß. Das typische Gefühl, wenn man sich verfolgt fühlte brach in ihm aus, wie eine mit Toxinen gefüllte Phiole, die man gegen die Wand warf und sie zum Zerplatzen brachte, als würde man mit dem Zeigefinger vorsichtig gegen eine Seifenblase stupsen. Beklemmung schnürte seinen Oberkörper zu, während sein Herz so hart gegen seinen Rippenbogen hämmerte, dass ihm die Brust schmerzte. Angst kroch über seine Schultern hinweg, wie ein Nachtmahr. Hizumi fiel es sehr schwer dem Drang, sich umdrehen zu wollen, zu widerstehen. Ebenso wie das Verlangen nach der Hand des Fremden zu greifen, um Schutz in seiner Nähe zu wissen.

Für ein paar Meter kniff Hizumi die Augen zusammen, als sie in eine lichte Gasse traten. Farben tanzten vor seinen geschlossenen Lidern hin und her, wie Licht, dass sich in einer Ölpfütze brach.

Als er seine Augen wieder öffnete, befanden sie sich bereits am Ende der schmalen Gasse. Er hatte keine Ahnung mehr, wo er sich befand. Und um diese Straße auf seiner Karte zu suchen würde bestimmt irgendeine Aufmerksamkeit auf sie lenken. So viel hatte er aus den Filmen schon gelernt, die er früher mit Beisein der Nachtschwester im Krankenhaus immer geguckt hatte. Ja, das hier war alles nur ein böses Filmklischee und gleich würde er von einem Hochhaus fallen und beim Aufschlag in seiner unordentlichen Wohnung aufwachen und merken, dass ihm Erika aus mysteriösen Umständen schon wieder auf den Kopf gefallen war. Erneut kniff Hizumi verzweifelt seine Augen zusammen, aber als er sie öffnete und schon lachen wollte, weil das alles nur ein böser Traum gewesen war, stand er gemeinsam mit dem Fremden vor einer Fußgängerampel und wartete auf Grün.
 

"Was passiert hier?", flüsterte er. Seine Stimme bebte bereits vor Angst, die er während des Laufens nicht in seiner Kehle gespürt hatte.

"Erinnern Sie sich an den Mann, der in der Ecke saß?" Im Gegensatz zu seinem Flüsterton klang die Stimme des Fremden, der unberührt in normaler Lautstärke sprach, wie brachial Gewalt, die seine Gehörgänge sprengte.

"Mann in der Ecke?" Hizumi durchforstete sein Gedächtnis. Auch wenn es nur wenige Minuten zurücklag, konnte er sich kaum noch an jedes Detail erinnern. Sie hatten vor dem Maruyasu gestanden, hatten es betreten. Er hatte den Innenraum nur flüchtig gemustert, aber plötzlich fiel es ihm wieder ein. "Ja! Der Mann hatte die ganze Zeit zu uns herüber geschaut!"

"Das stimmt, aber er verfolgt uns nicht."

"Wie jetzt?"

Ungläubig schaute Hizumi seinen Begleiter an. Die Ampel sprang währenddessen auf Grün und Hizumi tat einen unbeholfenen Schritt nach Vorne, als auch der Fremde sich wieder in Bewegung setzte und dieses schnelle Großstadt-Tempo an den Tag legte, mit dem Jeder hier langraste. Er stolperte, als er mit der Fußspitze an der Bordsteinkante hängen blieb, aber nach wenigen Schritten hatte er sein Gleichgewicht wieder gefunden und schloss zu seinem Begleiter auf.

"Wie? Warum ist der Kerl das nicht? Hallo?! Könntest du mir das jetzt bitte endlich mal erklären?!" Hizumi, der mit der Hand nach der Schulter des Anderen gegriffen hatte und ihn somit zum Stehen zwang, spürte, wie seine Angst langsam in Wut umschlug. Es machte ihn rasend, dass er nicht wusste wo er war, was hier passierte oder wer der Kerl war, der ihn mit diesem sanften Blick tadelte. Ja, was geschah hier eigentlich? Er war nicht nach Tokyo gekommen, um Hals über Kopf in ein Abenteuer zu fallen. Er war hier um Jemanden zu suchen und wenn er ihn gefunden hatte, hier zu leben, weil er auch etwas in seinem Leben erreichen wollte. Er war hier, weil er es allen Anderen zeigen wollte, die ihn bisher nur ausgelacht hatten und nicht, um irgendeinem Terrorakt zum Opfer zu fallen.

Der kalte Ausdruck, der wie wunderschöne, aber bittere Eiskristalle, in den Augen des Größeren lag schlug um. Trauer triefte aus diesen schwarzen Tiefen, an denen Hizumi sich nicht satt sehen konnte. Augenblick ließ er den Älteren los. "Unn, tut mir leid. Ich.. Ich wollte dich nicht kränken", gab Hizumi von sich, da er auf einmal den Drang verspürte sich entschuldigen zu müssen. Aber anstatt eine Antwort oder wieder irgendeine Höflichkeitsfloskel um die Ohren geschlagen zu bekommen, packte ihn der Fremde am Arm und zog ihn weiter.

"Der Mann diente nur zur Ablenkung. Er war eine Finte, nichts weiter", erklärte der Fremde nachdem sie ein paar Straßen hinter sich gelassen hatten und Hizumi sich weiter bedingungslos mitschleifen ließ. "Schauen Sie vorsichtig hinter uns. Sehen Sie die Frau mit dem Regenschirm?"

Zögerlich sah Hizumi über die Schulter und sondierte kurz alles, was er zu sehen bekam. Ein paar Schüler, eine Frau mit Kinderwagen, viele Andere mit Aktentaschen und grauen Anzügen. Doch da erkannte er die junge Frau mit dem rotschillernden Regenschirm, die sie Mitten durch die Masse verfolgte. "Hab sie gesehen", sagte er leise und senkte seinen Blick wieder auf seine eigenen Füße. Im Unterschied zum Langhaarigen hatte er fürchterliche Angst, dass etwas geschah, wenn er laut sprach oder nicht demütig den Kopf zwischen die Schultern zog.

"Ist sie es?", fragte Hizumi, vernahm aus dem Augenwinkel jedoch das Kopfschütteln des Größeren.

"Nein, sie ist auch nur eine Finte. Sie sind wie Spielfiguren, die strategisch positioniert wurden. Hier links." Gemeinsam schlugen sie nach einer weiteren Biegung eine neue Richtung ein. Hizumi hielt nach den Straßenschildern ausschau, aber er konnte keines erkennen und ein größeres Gebäude, an dem er sich hätte orientieren können, war auch nicht in der Nähe.

"Haben Sie bemerkt, dass uns seit einiger Zeit ein Wagen verfolgt?"

Perplex schaute er den Fremden an, der noch immer seinen Arm gepackt hielt und ihn weiter drängte. Vorsichtig sah Hizumi die Straße entlang. Und tatsächlich, in unauffälliger Reichweite kroch eine kleine, schwarz lackierte Limousine hinter ihnen entlang und ließ sich von einem blassblauen, klapprigen Mitsubishi-Transporter überholen. Das hier war wirklich die Kulisse eines schlechten Hollywood-Streifens. "Die Limo?"

Der Fremde schüttelte erneut den Kopf. Hizumis Gesichtszüge zerknitterten vor Frustration, sein Begleiter deutete jedoch mit einem Nicken in Richtung des Lastwagens, der noch immer über die Straße polterte und eine dicke Abgraswolke hinter sich herzog. "Die Limousine ist eine weitere Schachfigur. Die eigentlich Agierenden sitzen immer in einem unscheinbaren Fahrzeug."
 

Hizumi blieb stehen. Blinzelte ein oder zwei Mal mit den Augen, dann verflog seine Angst wie eine zerpuffende Seifenblase und die Wut, die sich in seiner Magengrube angesammelt hatte, platzte hervor wie Galle. "Hör auf so einen Scheiß zu labern und such dir mal einen guten Psychologen!" Lauthals schrie er den Mann an, von dem er sich losgerissen und einige Schritte zurück gewichen war. Das die Passanten sich bereits zu ihm herum drehten, aber nur flüchtige und gelangweilte Blicke für sie übrig hatten, interessierte ihn nicht. Hizumi wollte sich nicht länger von diesem Mistkerl verscheißern lassen, denn irgendwann war sein Fass für bedingungsloses Vertrauen auch mal übergelaufen. Und die Schnauze hatte er ohnehin schon voll!

Doch der keimende Zorn, der in ihm aufgeschäumt war, verlor sich jäh, als der stumme Blicke unberührt auf ihm Lag. Hizumi war erschrocken von dieser Gleichgültigkeit, mit der der Andere seinen Vorwurf begegnete und ihn somit an ihm abprallen ließ. Und dann geschah etwas, mit dem der Jüngere nicht gerechnet hatte: Die Augen des Fremden, diese verträumten, wachsamen, trauernden, toten und machtvollen Augen seines Gegenübers verformten sich minimal zu zwei gefährlichen Schlitzen, die warnend auf ihn herabschauten. Der Größere streckte seine Hand aus und zog Hizumi am Rever seiner Jacke zu sich, so nah, dass sich ihre Gesichter beinah berührten. Hizumi spürte, wie die Angst in seine Glieder zurückfloss. Er hatte es tatsächlich vollbracht die Grundfeste alles ruhen Seins zu erzürnen und er spürte eine Präsenz um sich hüllen, die weitaus gefährlicher war, als das paranoide Gefühl im Nacken.

"Das ist kein Scheiß, das sind gefährliche Menschen. Auch wenn Sie mir nicht glauben wollen, Hizumi-San, aber Ihr Leben ist gerade weitaus mehr in Gefahr, als wie Sie es vielleicht vermuten wollen", zischte der Fremde mit der Stimme eines grollenden Gewitters. Die Art, wie er das Wort »Leben« aussprach klang so furchterregend, das Hizumi im Innern seines Körpers begann zu zittern. "Diese Leute sind nicht irgendwelche Statisten, wie Sie es glauben möchten. Sie sind hinter mir her, aber ich verspreche Ihnen, dass ich Sie heile nach Hause bringen werde, denn diese Leute werden Nichts tun, eh ich nicht wieder allein unterwegs bin." .

In den ersten Sekunden nachdem er diese Information erhalten hatte, konnte sein Kopf nicht fassen, was ihm gerade zu Ohren gekommen war. Alles in ihm gefror zu einer tauben Masse und jeder Schritt, den er noch bis zu Hause gehen musste, wurde schwer und bleiernd. Hizumi fühlte sich wie vor den Kopf geschlagen. Sollte das Bedeuten, dass der Fremde nicht, sondern ihre Verfolger Angehörige der Mafia waren? Dieser Gedanke waberte wie eine Dunstwolke die sich nicht auflösen wollte, durch sein Gehirn,. Er rollte die Worte tonlos über seine Zunge, aber auch dadurch wurden sie kein Stück schmackhafter. So fühlte es sich also an, wenn man in Gefahr schwebte? Hizumi war sich nicht bewusst, dass er jede Sekunde sein Leben verlieren könnte. Je länger der Weg wurde und je schneller die Minuten ins Land strichen, desto verwirrter wurde der Jüngere, während der Gedanke sich langsam lichtete und zu einem logischen Gebilde in seinem Kopf wurde.

Den ganzen restlichen Weg über schwieg Hizumi und glotzte wie ein Frosch vor sich hin, ließ sich von dem Fremden weiter durch die Gassen und Straßen führen, durch die Menschenmassen hindurch, an den Autos vorbei, bis er Wohnsiedlung wieder erkannte und er sich nach wenigen Schritten vor seinem eigenen Haus befand.
 

Erst hier regte der Junge sich wieder und der Größere ließ ihn schließlich los.

"Da wären wir, Hizumi-San. Ich werde Sie nun allein lassen.".

Stille entstand.

"Hizumi-San?" .

Hizumis Gesicht bebte regelrecht. Wenn er daran dachte diesen Mann nie wieder zu sehen wurde ihm das Herz schwer. Er konnte nicht sagen warum, doch wenn er daran dachte, dann fiel ihm nur das Gefühl des Verlustes sein. Als würde er es noch bereuen, wenn er den Fremden gehen ließ. Es war so merkwürdig, doch der zuckender Muskel, der am mittleren Punkt seines Torsos unter Fleisch, Muskeln und Knochen eingebettet lag, zerfetzte regelrecht.

"Verlass mich nicht", wisperte er leise, gefolgt von einem hauchzartem Schluchzen, dass sich den Weg aus seiner Lunge gebahnt hatte. Es war eine Bitte, die er in seinem ganzen Leben noch nie ausgesprochen hatte, weil für ihn seelischer Schmerz ein regelrechtes Fremdwort gewesen war. Aber nun kam er sich vor, als würde er davon zertrümmert werden, denn erneut lag nur der ruhige Blick des Fremden auf ihn.

"Sie wissen, dass das nicht geht. Sayonara, Hizumi-San", sagte sein Begleiter mit leisen, stimmlosen Worten, als würde auch ihm schwerfallen dies auszusprechen. Doch kurz darauf drehte er sich herum und überquerte die Straßenseite. Hizumi blickte ihm sehnsüchtig nach, eh die Gestalt des Fremden hinter einem vorbeifahrenden, klapprigen, blassblauen Mitsubishi-Transporter verschluckt wurde.

Wo die Dunkelheit die Sonne frisst


 

04 Kapitel: Wo die Dunkelheit die Sonne frisst
 

Charakter: Asato by Snyder
 

Joah ich weiß, bin ein bissl spät dran. Das Kap war seit Ende August auch schon fertig, aber iwie kam ich nie dazu ein paar Links zu klicken und es hoch zu laden.. Genauso wenig wie meine Wäsche zu waschen XD~

Bah ich bin schon ekelig!

Schule frisst momentan ein wenig sehr, daher glob ich eher net, dass ich zügig voran kommen werde.. Soo.. Random am Rande..
 

Allgemein find ich, ist es nen bissl lame geworden.. Aber nun gut ^^'
 

--
 

Es war so laut in seinem Kopf. Es dröhnte, hämmerte und überall wurde die Ruhe seiner Gedanken gestört, da er die Fressgeräusche der Einsamkeit nicht verscheuchen konnte, die ihre Fangzähne wie ein Rudel raffgieriger Bluthunde in ihn geschlagen hatten und Stück für Stück das Lebendige aus seinem Körper rissen. Das Blut in seinen Adern gefror zu einer dickflüssigen Masse, die sich langsam voran bewegte, bis sein langsam schlagendes Herz irgendwann nicht mehr in der Lage war, es durch seine porösen Adern zu transportieren. Er starb bei jedem Atemzug, den er seiner Lunge noch zumutete. Alles um ihn herum wurde schwarz. Zuerst hatte seine Umgebung an Farbe verloren, dann überlagerte ein immer kräftiger werdendes Schwarz sein Augenlicht, als würde Jemand eine Lampe herunter dimmen und ihn in dem dunklen, massivem Nichts zurücklassen, in dem er sich nun befand.

Er konnte spüren, wie seine Fingerkuppen begannen zu Kribbeln. Wie das Gefühl allmählich aus seinen kalten, steifen Gliedern wich und sich in das Zentrum allen Übels zurückzog. Und mit seinem Herzen, blieb auch alles andere um ihn herum stehen.
 

Zero hatte geglaubt mit den Jahren würde er schon irgendwie drüber hinweg kommen. Immer hatte er sich den Gedanken schmackhaft geredet, dass das so vom Schicksal beabsichtigt gewesen war. Das alles, was ihm wiederfahren war, alles was ihm angetan worden war, einen triftigen Grund und einen höheren Sinn gehabt hatte. Manchmal, in den kalten, einsamen Nächten in denen er sich wünschte mit dem Schlaf aus dem Diesseits endflüchten zu können, um sich den vielen Sorgen und Ängsten entledigen zu können, hatte er sich sogar die Finesse erlaubt, dass die Götter ihn diesen Test auferlegt hatten. Dass das Alles nur eine Prüfung seiner Selbst war. Eine Prüfung und die schlimmste Strafe zugleich.

Aber nie, nie in seinem gesamten Leben, in dem er so viel auf seinen Schultern hatte tragen müssen, hätte er sich träumen lassen, dass sein noch kommendes Dasein von einer einzigen Begegnung abhängen würde.

Wie war es möglich, dass ein Fremder diesen obskuren Schmerz in ihm aufwecken konnte, den er zum ewigen Schlaf gezwungen hatte? Wie konnte ein Abschied diese Pein auslösen, die äquivalent zu dem Martyrium war geliebte Menschen zu Grabe zu tragen?

"Er hatte rehbraune Augen gehabt.. Rehbraune Augen.. Mit Kristallen.. Kleine, schwarze Kristalle.."
 

Miyako betrachtete den Mann mit einem mitleidenden Blick. Seit Stunden wisperte er die selbe Anreihung von Wörtern. Dabei saß er regungslos da, die Hände auf den Tisch gelegt, die Handflächen ergebend nach außen gewandt. Der glase, leblose Blick. Das seichte, kaum bemerkbare vor und zurück wiegen des Oberkörpers. Miyako hatte ihren Boss nicht wiedererkennt, als dieser wie von der Tarantel gestochen durch das Foyer getreten kam und sie aus ihrem Nickerchen gerissen hatte, nachdem sie einige Stunden zuvor über ihrem Buch eingeschlafen war. Als hätte sie es geahnt, hatte sie alle ihr zugeteilten Befehle - nämlich nach Hause zu gehen - in den Wind geschlagen und ihren selbsternannten Wachposten an ihrem Schreibtisch bezogen. Sie kannte Zero-San mittlerweile gut genug, um zu wissen, dass er meistens die Nächte allein in seinem Büro verbrachten. Und sie war eine loyale Person, was bedeutete, dass wenn der Chef zugeben war, er ebenso eine Sekretärin benötigte. Ob dies nun um drei Uhr in der Früh war oder an Feiertagen. Sie hatte mittlerweile Jahre ihres Lebens diesem Mann gewidmet, der ihr allerdings in dieser Nacht so fremd gewesen war, wie Jemand, mit dem man flüchtig ein Lächeln in der U-Bahn austauschte. Er hatte am ganzen Leib gezittert vor Panik und sein starrender Blick, der rastlos hin und her huschte, hatte in einer scheinbar anderen Dimension nach Halt gesucht.

Doch erzählt hatte er nichts. Seine Lippen bewegten sich unentwegt und flüsterten immer wieder Dinge, mit denen Miyako nichts anfangen konnte. Es ging um Jemanden und eine ganz besondere Augenfarbe, die bisher nur eine Person in Zero-Sans Leben besessen hatte. Eine Augenfarbe mit untypischen Merkmalen, die es vielleicht nur ein paar Mal auf dieser Welt gab. Selbst Miyako versetzte es einen Stich ins Herz, wenn sie daran dachte, wie diese Augen ausgesehen hatten und was Zero-San nun empfinden musste. Welche Dimensionen an Schmerz gerade durch den Körper des Mannes gepumpt wurden, der im fahlen Neonlicht der Deckenbeleuchtung so gebrechlich und schwach aussah, als stünde er dem Wahnsinn nah, konnte sie sich nicht vorstellen.

Miyako trug ein kleines Silbertablett mit viktorianischen Verzierungen. Darauf transportierte sie ein Glas Wasser und eine Tablettenschachtel, die keine Aufschrift trug. Beides brachte sie in das Büro des Mannes, der noch immer keine andere Regung von sich gab und nun vollends wie versteinert in seinem großen Drehstuhl saß. Klitschnass und durchgefroren von dem Platzregen, der gegen Abend eingesetzt hatte. Anscheinend war er nicht zur Villa gegangen, sondern war die ganze Zeit frei durch Tokyo gelaufen, verfolgt von unzähligen Schergen des Untergrunds. Miyako musste schlucken um ihren vor Angst ausgetrockneten Mund etwas Feuchtigkeit zu spenden. Wie es wohl war, wenn man trügerische, unendliche Sicherheit genoss?

Wie musste es wohl sein, wenn man wie eine lebendige Zielscheibe durch eine Stadt gehen konnte, die Gewehrläufe fortwährend auf einen gerichtet, aber Niemand traute sich abzudrücken. Niemand wollte den Stolz tragen Tokyo die goldene Krone vom Kopf zu schießen.

"Hier, Sir. Nehmen Sie das, danach wird es Ihnen besser gehen", sagte sie mit warmer und herzlicher Stimme und stellte das Tablett vor dem vor Furcht erstarrten Mann ab. Immer wenn Zero-San an den Ängsten seiner Vergangenheit zermalmt wurde, kam sie sich vor wie eine liebende Mutter, die sich aufopferungsvoll um ihr Kind kümmerte.
 

Sekunden verstrichen, in denen jedoch nichts geschah. Sie konnte das Zähneknirschen des Anderen deutlich vernehmen, als dieser versuchte seine unkontrolliert klappernden Kiefer zum Stillstehen zu bringen. Miyako zog sich den Hocker heran, der sonst neben dem Ledersessel stand und für die vielen Akten und Papieren normalerweise als Ablage genutzt wurde, und setzte sich genau gegenüber des Langhaarigen, der weiterhin ins Leere starrte. Wie ein so genialer Mensch vom Schmerz aus vergangenen Tagen so gebrochen werden konnte, war ihr ein Rätsel. Und ein noch größeres Mysterium war es, wie Zero-San jeden Tag aufs Neue den Schmerz verdrängen und sich zusammen raffen konnte, um ein ganzes Imperium zu leiten.

"Zero-San, Bitte. Es hat Ihnen immer geholfen", bat Miyako noch einmal und faltete sorgsam ihre Hände auf der Tischkante.

"Darum geht es nicht, Miyako.." Das Flüstern war so leise, dass sie es beinah überhört hätte, so laut dröhnte ihr eigener Herzschlag in den Ohren. Aber der hohe, verzweifelte Unterton, der sie dabei beinah erstickte, fuhr ihr durch Mark und Bein. Sie hatte den Mann durch viele Depressionen begleitet und geholfen, ihn immer wieder an seine eigenen Prinzipien erinnert, wenn er drohte sie zu vergessen. Doch gerade glich der Zustand des gefürchteten Magnaten dem, eines geschlagenen, misshandelten Welpen, der in der hintersten, dunkelsten Ecke des Zwingers nach Schutz und Geborgenheit suchte.

"Wie meinen Sie das, Sir?", fragte Miyako mit höflicher Neugierde und beobachtete dabei, wie der Mann seine bebenden Hände nach dem Tablett ausstreckte, um es näher an sich heran zu ziehen.

"Glaubst du an Wiedergeburt, Miyako?"

Miyako blinzelte und konnte sich nur knapp eine ungenierte Gegenfrage unterdrücken, während Zero-San die Schachtel öffnete und den Tablettenfilm herauszog und sich eine der großen, ovalen Pillen auf seine Hand zu drücken. Es war starkes Psychopharmaka, dazu gedacht, diesen Mann von Paranoia und seinen Gedanken zu befreien, ihn zu beruhigen und auf ein Level hinunter zu schrauben, auf dem er vor äußeren, physischen sowie psychischen Einflüssen geschützt war. Ihn wieder zu einem klaren Verstand zu verhelfen. Und mittlerweile hatte der Mann so viele davon genommen, dass er die Pille bis weit hinten in seinen Rachen warf und sie ohne einen Schluck zu Trinken hinunter schluckte.

"Ich habe dir eine Frage gestellt, Miyako", wiederholte ihr Gegenüber ruhig, während er den Film zurück in die Schachtel steckte und alles ordentlich zurück auf das Tablett legte. Miyako fuhr sacht zusammen. Sie hatte Angst etwas Falsches zu sagen, obgleich sie wusste, dass es nur eine Frage nach ihrer Meinung gewesen war und keine Frage, mit der man Belehrung einforderte.

"Sir, ich denke durchaus, dass es möglich ist, dass eine Seele zurück auf die Welt findet, um einer unvollendeten Aufgabe nachzukommen."

"Ich habe um keine Erklärung gebeten, Miyako. Glaubst du an Wiedergeburt?"

Miyako schluckte. "Ja."

"Ich auch", sagte Zero leise und nahm einen Schluck vom Wasserglas, um sich den fahlen Geschmack der Tablette aus dem Mund zu spülen. Dann ließ er sich tief in die Lehne seines Drehstuhls sinken und überschlug die Beine. Gedankenversunken drehte er das Glas im kühlen Licht der Deckenfluter. Es dauerte nicht lange bis das Medikament begann zu wirken. Der Nebel der dunklen, gefräßigen Depressionen lichtete sich mit der Gemütlichkeit einer kleinen Raupe. Langsam, Stück für Stück kam das Licht zurück in seinen Kopf. Der leitende Faden. Der Stern, der ihn über die hohe See begleitete. Die Angst, die ihn mit ihrem stählenden Griff bis vor wenigen Augenblicken noch durchgeschüttelt hatte, verflüchtigte sich, wie eine Gewitterwolke, die sich zuvor mühevoll zu einer bedrohlichen Wolkenwut aufgetürmt hatte. Sein flatterndes Herz erstarrte wieder. Zero konnte nicht sagen, dass er den Zustand mochte, indem alles um ihn herum zu Eis gefror und er den letzten guten Gedanken in seinem Innern verzehrte, um ein kleinwenig Wärme zu verspüren. Aber es war ihm lieber so zu vergehen, als von seinen Gefühlen zerschlagen zu werden. Er hatte so sehr das Empfinden von Liebe vergessen, dass ihn die Angst darauf beinah vernichtet hätte.
 

Miyako musterte den Mann mit großen Augen. "Sir, Sie meinen doch nicht etwa, dass Sie ihr begegnet sind?" Zumindest war es die einzige logische Erklärung, die sein paradoxes, verstörtes Verhalten zu Grunde legen würde.

Zero schüttelte den Kopf. Auf seinem Gesicht perlte eine schmerzvolle Erinnerung wie ein Regentropfen herunter. "Durchaus nicht." Seine Stimme klang beinah tot. Jeder wusste, dass er sein ganzes Imperium dafür geben würde, noch einmal in ihre strahlenden Augen blicken zu dürfen. Er wäre sogar bereit sich selbst eine Kugel durch den Kopf zu jagen, nur damit dieser Wunsch in Erfüllung ging.

"Ich kann dir nur sagen, dass ich verwirrt bin."

Miyako runzelte die Stirn, eh sie zögerlich die Frage aussprach, die sie schon die ganze Zeit auf den Zähnen zu kleben hatte. "Sir, darf ich fragen, was am Nachmittag mit Ihnen geschehen ist?" Sie sprach nur leise und zögerlich, als würden ihr wegen ihrer Neugierde und der Unhöflichkeit, die sie damit an den Tag legte, Schläge drohen. Doch Zero saß weiterhin zurückgelehnt und betrachtete das Lichtspiel, dass sich im geschliffenen Kristallglas brach.

"Das ist es ja, Miyako. Nichts. Ich hatte lediglich eine sonderbare Begegnung mit einem Jungen vom Lande."

"Sir?" Sie klimperte verwirrt mit den Augen, die ihr beinah aus den Höhlen gefallen wären, als sie das sachte Lächeln sah, welches die Lippen des Mannes umspielte. In aller Ruhe stellte Zero das Glas auf das Silbertablett und faltete befriedigt die Hände auf dem Bauch. Die Tabletten wirkten unfassbar schnell. Und nach kaum fünf Minuten saß Miyako einem gepflegten, wachsamen und intelligenten Mann gegenüber. Das verhärtete Gesicht, das jegliche äußeren Einflüsse abprallen ließ, sah jedoch merkwürdig weich und entspannt aus. Als würde das Herz in seiner Brust voll Leben klopfen und nicht, weil es das musste. Sie spürte sofort die Veränderung, die von dem Mann ausging. Die würdevolle Haltung und die privilegierte Aura, die Zero ausstrahlte. Alles wirkte friedvoller, als hätte seine gequälte Seele endlich den langersuchten Frieden gefunden.

"Nun denn, ich werde mich zur Ruhe legen. Weck mich bitte, sobald Karyu eintrifft."

"Ja, Sir."

Dann erhob Zero sich aus dem schweren Lederdrehstuhl, ohne dem Rätsel eine Lösung zu geben und bat Miyako mit einer zuvorkommenden Geste zur Tür hinaus. Miyako ging mit gemischten Gefühlen. Dieses geheimnisvolle, warme und liebliche Lächeln, das Zero-San ihr zum Abschied schenkte, weckte Unbehagen in ihr. Denn dieses Lächeln hatte sie seit mehr als einem halben Jahrzehnt nicht mehr gesehen.
 

Es waren gute sieben Stunden seit Zeros Rückkehr vergangen, als seine treue Rechtehand sich dazu bequemte das Bett zu verlassen, sich in den teuren, maßgeschneiderten Anzug zu quetschen und sich auf den Weg zum Hauptgebäude der InCorp. zu machen, das mit der samtweißen Fassade wie ein Zahn aus dem tokyoter Untergrund weit in den Himmel hervorstach.

Die Sonne wanderte bereits langsam zum Zenit und tauchte die totengraue Stadt in ein orangefarbenes Licht, um dem abstoßenden Antlitz der dreckigen Großstadt einen verträumten, gewohnten Charme zu verleihen, während die auf Hochglanz polierte Limousine durch den Verkehr schnitt, wie ein Hai, der einen Fischschwarm kreuzte.

Sanft bremste der Chauffeur vor dem Gebäude und eine hochgewachsene Gestalt stieg heraus, um die gleich eine andächtige Gasse auf dem Gehweg gebildet wurde. Passanten wichen auf die Straße aus und die breitschultrigen Guards, die stets ihre Position vor dem Eingang bezogen um unerwünschte Gäste gleich auszusortieren, hechteten mit langen Schritten auf den blondhaarigen Mann zu, um den soeben geschlagenen Spalt in der Menschenmasse aufrecht zu erhalten. Doch die vorbeiströhmenden Leute störten Karyu keineswegs. Mit weitläufigen, langen Schritten ging er die wenigen Stufen hinauf und durchquerte die prunkvolle Eingangshalle. Überall wirkte es in der Firma altmodisch, aber Zero hatte es geschafft es gleichzeitig modern und einladend, wie auch höflich distanziert wirken zu lassen. Gerne machten die Kunden hier ihre Geschäfte. Sie zwangen Niemanden dazu einen Vertrag zu unterschreiben, aber das Flair, welches hier in den Hallen geschaffen wurde, brachte die Leute fast wie automatisch dazu.

Mit einem freundlichen Lächeln grüßte Karyu die Empfangsdamen, die hinter dem eindrucksvollem Rezeption sich verneigten. Zielstrebig ging er auf den gläsernen Fahrstuhl zu, der nur mit einem speziellem Schlüssel bewegt werden konnte. Hier gab es keinen Fahrstuhlbegleiter, der für einen die Knöpfe drückte oder die Kabine sicher rauf und herunter fuhr. Es gab hier nur ein Schlüsselloch, der die Ähnlichkeit mit einem Dietrich hatte, und einen rotleuhtenden Knopf. Er führte direkt zum Büro des Magnaten, der ihn sicherlich schon eifrig erwartete.
 

"Einen wunderschönen guten Morgen wünsche ich Ihnen, meine liebste Miyako." Grinsend und mit warmherzig geöffneten Armen trat er aus dem Fahrstuhl hervor. Beim Anblick der Sekretärin erschrack er jedoch. Miyako wirkte matt, ausgedörrt und vollkommen übermüdet. Sie rang sich dennoch ein Lächeln ab und legte den Roman zur Seite, der nur noch wenige Seiten bis zum Ende hatte.

"Guten Morgen, Karyu-San. Gehen Sie ruhig rein, er erwartet sie schon."

Karyu nickte, etwas stupide wirkend, aber lächelnd. Er kannte Miyako als eine gut organisierte und tüchtige Frau voller Energie. Eigentlich kannte er nur einen Moment in seinem Leben, in dem er sie ausgezehrt und mit Leichenblässe im Gesicht gesehen hatte. Aber die Erinnerung verdrängte er wieder, eh sie weiter aufkochen konnte und ging über den breiten Flur zum Büro seines Freundes und Arbeitgebers. Der rot Samtteppich dämpfte dabei seine Schritte. Vor der Eichentür, die selbst ihn weit überragte, machte er Halt. Er klopfte. Einmal, Zweimal. Dann hörte er das Knarschen von Leder auf Leder im Innern des Büros.

"Herein!", rief eine ernste, vertraute Stimme. Karyu musste Schmunzeln. Zero hatte also mal wieder in seinem Büro geschlafen, den Kopf wohlmöglich auf einem Stapel Papiere gebettet. Er konnte das Verschlafene in seiner Stimme deutlich heraus hören. Karyu drückte die Klinke herunter und öffnete schwungvoll die Tür, welche hinter ihm beinah lautstark ins Schloss fiel. In Zeros Gesicht zeigte sich keine Regung. Er stand still hinter seinem Schreibtisch und musterte ihn mit dem kühlen, herablassenden Gesichtsausdruck.

"Guten Morgen, mein Freund."

"Morgen, Karyu."

Zero setzte sich wieder und schob Karyu mehrere braune Aktenhefter zu, die mit einem roten Stempel signiert waren. Karyu hob eine Augenbraue. "Sind das nicht?"

"Die Verträge von Sony, gut erkannt."

Vorsichtig nahm Karyu die Hefter in die Hand und blätterte sie durch. Jede Seite war mit einem roten 'Ungültig'-Stempel markiert. "Aber warum hast du sie abgelehnt? Das wäre in grandioses Geschäft gewesen!"

Zero, der bereits eine neue Akte zu sich gezogen hatte und seinen schwarzen Füllfederhalter zu Hand nahm, sah auf und warf einen drohenden Blick zum Größeren, der voller Unglaube beinah die abgelehnten Papiere aus der Hand gerutscht wären. Wortlos senkte Zero seinen Blick wieder und ging seiner Arbeit nach. "Ein grandioses Geschäft wäre es gewesen, da hast du nicht ganz Unrecht, Karyu. Aber ich habe es mir anders überlegt?"

"Und wieso?" Karyu konnte den Hauch seines Zorns kaum verbergen, der sich in seine Stimme mischte. "Hast du etwa Angst du überschätzt dich und verplämperst ein paar Millionen?"

Wieder traf ihn der mordende Blick des Langhaarigen. Karyu prallte einen Schritt zurück, senkte das Kinn und schaute auf seine Füße, wie ein Junge, der vom Vater getadelt wurde. Seufzend ließ er in den Sessel fallen. "Ach verzeih mir, Zero. Ich versteh nur nicht, warum du diesen Milliarden-Auftrag durch die Lappen gehen lässt. Der Vertrag war doch so gut wie unter Dach und Fach. Ich werde nie wieder so viel Sake für Nichts und wieder Nichts trinken!"

"Der Vertrag war nicht sicher."

"Nicht sicher?!" Karyu konnte spüren, wie seine Stimme beinah schrillte. Zero schrieb unbeirrt weiter.

"Mäßige dich, Freund.", grollte es ihm entgegen. Karyu versank augenblicklich etwas mehr in dem Sessel, schlug jedoch die langen Beine elegant übereinander.

"Ich verstehe dich immer noch nicht."

"Karyu, hier geht es nicht um mein Geld oder meinen Einfluss. Hier geht es um die Sicherheit meines Lebens."

"Aber der Sicherheitschef hat die Firma gründlich gecheckt!"

"Ich habe ihn Heute Morgen entlassen.

"Du hast was?!" Entsetzt vor Unglauben war Karyu aufgesprungen und knallte die Hefter auf den Schreibtisch zurück. Dabei klirrten die Bilderrahmen leise. Zeros Hände schnellten augenblicklich vor und hielten sie behutsam fest.

"Ihn gefeuert, Freund. Ich habe Sony gründlich durchforsten lassen. Eine Vielzahl der Mitarbeiter hat bestätigt, dass Tsukasa seine Finger im Spiel hat."

Karyu schlug sich die flache Hand vor die Stirn und hielt sich am Schreibtisch fest. "Grundgütiger", fluchte er seufzend. "Du glaubst doch nicht etwa, dass dieses Yakuza-Schwein dich dort angreifen wird."

Zero zog ein leeres Blatt Papier zu sich und begann darauf zu schreiben. "Freund", er sprach das Wort so kalt und scharf aus, dass Karyu augenblicklich erstarrte. "Du weist, was er getan hat. Ich werde ihn auf keinen Fall mit offenen Armen in meinem Imperium Willkommen heißen." Stille trat zwischen ihnen ein. Karyu wagte es nicht einmal zu Atmen. "Würdest du mir einen Gefallen tun?"

Karyu schluckte den Kloß in seinem Hals herunter, nickte steif. "Selbstverständlich."

Zero reichte ihm das beschriebene Papier, auf dem in der obersten Ecke in kleinen Zeichen eine Adresse geschrieben stand. Schnell überflog Karyu, was dort stand, gefror zu einer Salzsäule.

"Ich möchte, dass du Asato gegen drei Uhr zu dieser Adresse schickst."

"Und dann?" Mühevolle presste Karyu die Worte hervor.

"Er soll Hizumi-San herholen."

"Weswegen?"

"Ich muss mich bei ihm entschuldigen."

Karyu nickte nur und verließ das Büro mit stocksteifen Schritten. Er kannte diese Adresse nicht. Aber den Namen des Wohnenden umso mehr. Schließlich würde er seinen Bruder nie vergessen.

Erregendes Moment


 

In der Tat ist das letzte Kapitel schon ein Weilchen her und wenn man mal das Datum bedenkt, habe ich bereits vor einem Jahr diese FF ins Leben gerufen. Es tut mir leid, wenn ich euch so lange habe warten lassen und ihr möglicherweise bereits das Interesse an der Geschichte verloren habt und, vor allem, wenn ich einige von euch mächtig enttäuscht habe, da dieses Kapitel ja schon seit einigen Monaten versprochen war. Aber aus persönlichen Gründen und einer schweren Zeit konnte ich mich nicht dazu überwinden, das Chapter zu vollenden, das seid Monaten bereits fertig gebetat war. Doch siehe Voilà: Kapitel 5 liegt vor euch.

Und in ( hoffentlich - Ich möchte keine großen Versprechungen mehr machen ) näherer Zeit werden sowohl Kapitel 6 als auch Kapitel 7 folgen :)

Ich hoffe, ihr verzeiht mir. Ihr seit großartig ! ♥

P.S: Wer Fehler findet, kann sie für sich behalten. Ich weiß, dass sich irgendwo Logik- und Zeitfehler eingeschlichen haben und sobald ich sie gefunden habe, wird alles wieder in ein richtiges Licht gerückt. Aber erstma viel Spaß.

Ebenso ist das Kapitel auch ein kleines Geschenk an meine Liebste Shelly =) Weil du Tsukasa so liebst und ohne dich ich nicht weiter gekommen wäre. Alles gute noch einmal nachträglich zu deinem 18ten Geburtstag. ♥

Und ein großes Danke an mein Hiroro ! Weil du meine süßen und doofen Denkfehler findest und dich immer wieder von meinen Kapiteln begeistern lässt.

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Karyu stand vor dem Büro und starrte hinab auf das Blatt Papier, dessen Kanten durch seinen verzweifelt stählernen Griff grob zerknittert wurden. Anstatt sich in Bewegung zu setzen und Asato, den Chauffeur, aufzusuchen, stand er mit verlorener Gesichtsfarbe wie angewurzelt auf dem roten Perserteppich, der ihn wie eine lang ausgerollte Zunge zum Fahrstuhl lotste. In seinem Leben konnte er nur wenige Augenblicke verweisen, wo er nicht weiter wusste. Wo die Mauern seiner Realität mit paradoxer Brachialgewalt einzustürzen drohten und er nichts ausrichten konnte, außer .. sich darauf einzulassen. Diese Momente konnte er sogar datieren, ausschweifend darüber berichten, weil sie durch die geringe Anzahl so präsent waren.
 

Und nun musste er sich zugestehen, dass dieser Augenblick dazu gehörte ..
 

Wie ein zähflüssiger Tropfen fiel dieser Moment vom Gesamtwerk seines Lebens herab und brach sich leise an der Wasseroberfläche der Gezeiten, die diesen unscheinbaren Augenblick in die schwarzen Untiefen hinab zerrte.
 

Wie viele Jahre hatte er damit verbracht zu studieren?

Gestiken und Mimiken nachzuahmen, sie für sich anzupassen und sie für jede beliebige Situation einsatzfähig zu machen, sie ebenso deuten und analysieren zu können, um für auch die unscheinbarsten Situationen gewappnet zu sein?

Es waren Jahre seines Lebens, die durch eine unwirsche Information vollkommen verblassten und entkräftet wurden. Karyu fiel es schwer die Fassung zu bewahren, die wie eine Glasscheibe zerschellte und einen kleinen, ansehnlichen Scherbenhaufen auf dem teuren Teppich bildete. Ihm schwindelte, als die vielen Fragen, die sich in ihm auftaten, während er mehrmals und mehrmals den Namen seines Bruders las. Was war, wenn es sich tatsächlich um seinen Bruder handelte ? Was war, wenn nicht? Ob er sich zu Hause melden sollte?

Nein, das konnte er unmöglich ..
 

Sein Kopf wollte all die gegebenen Informationen gleichzeitig verarbeiten. Der geplatzte Vertrag lastete dagegen wie eine mädchenhafte Ohrfeige auf seiner Wange. Aber dies. Dies war der unfaire Tiefschlag, der in einem unverhofften Moment unter die Gürtellinie ging. Karyu klammerte sich an das seidenweiche Papier. Die Adresse konnte er nur flüchtig einem Ort kurz vor der Stadtgrenze zuordnen, dort wo die Preise für die Wohnungen allmählich niedriger wurden und auch für einen kleinen, einfach verdienenden Geldbeutel erschwinglich wurden. Der Name aber. Der Name verriet so vieles. In seiner ganzen, bisherigen Laufbahn hatte er mit vielen Menschen zu tun gehabt. Inlands, sowie Auslands. Doch keiner von ihnen hatte einen solch ungewöhnlichen Namen, der eine beinah Unheilbringende Bedeutung inne hatte. Karyu war vielen Kuriositäten begegnet, aber dieser Name konnte nur die Signatur seiner Eltern sein, die dort schwarz auf weiß vor seinen Augen auf dem Blatt prangerte, ihn verhöhnend anlächelte.
 

Hizumi.
 

Schon immer hatten seine Eltern einen gesunden Drang nach Dingen, die von der Norm des Systems abwichen. Sie mochten keine Standart-Namen, nicht einmal er als Erstgeborener war einer solchen Norm unterlegen. Nachdem er diesen Wunsch verstanden hatte, war eine große Bewunderung in ihm herangewachsen. Seine Eltern verspürten den Wunsch etwas Besonderes zu sein, da sie allein durch ihre Lebenspassion – den Reisanbau – einer solchen Normalität verfallen waren und diesen hatten sie sich durch die Namen ihrer Kinder erlaubt. Und es hatte lange Zeit in Anspruch genommen diesem Kanji eine Erklärung abzuringen.
 

Entstellung.
 

Aber was war es, das seinen Bruder entstellte?

Stets hatte er sich dies gefragt. Hatte nächtelang schlaflos vorüber gebracht und nachgedacht, welche Aufgabe für seinen Bruder bestimmt war. Dieser unschuldige Junge, wie er ihn in Erinnerung hatte, der, egal in welcher Situation er auch stecken mochte, seine Lebensfreude nicht verlor. Hizumi war ein Mensch, der die Welt in ihren farbenfrohen und vor allem grauen Facetten noch nicht kennengelernt hatte – Sie einfach nicht kennenlernen durfte.

Naivität hätte sein Name besser bedeuten sollen. Doch gerade wurde Karyu bewusst, dass er die Antworten auf seine jahrelangen Fragen die ganze Zeit direkt vor Augen gehabt hatte. Es war dieses unbefleckte Lächeln auf den Lippen seines kleinen Bruders, dass die Gemüter der Anderen entstellte. Er verzerrte die Dunkelheit, die in jedem Menschen allgegenwärtig war.

Als Karyu über den Rand des Blattes auf einen unbestimmten Punkt blickte, der sich weit außerhalb dieser Dimension befand, wurde er in seiner Vermutung bestätigt, die ihn nach jahrelanger, regelrechter Knochenarbeit wie eine Nichtigkeit erschien, die so simpel war, dass sie sogar vor dicht vor der Nase schweben konnte und man erkannte sie nicht. Der Anblick des geheimnisvollen, wissenden Schmunzeln, das die Mundwinkel des Langhaarigen wie eine seichte Woge des Meeres gekräuselt hatte, war der finale Boxhieb, der ihn direkt in seine Magengrube traf. Krampfend zog sich das Organ zusammen, das noch den letzten Rest seines Frühstücks verdaute, und Karyu das Gefühl gab es lieber wieder von sich zu geben. Er wusste weder vor, noch zurück. Zum ersten Mal in seinem Leben hatte Karyu keine Ahnung, was er machen sollte. Ratlosigkeit überkam ihn, rauschte heran mit der Brachialgewalt der Panik, die sein Herz zum Rasen brachte. Mit verzweifelter Hektik versuchte der Hochgewachsene sich zur Ruhe zu bringen, versuchte sich einzureden, dass der Name nicht unbedingt bedeuten musste, dass es sich tatsächlich um seinen jüngeren Bruder handelte.

Es konnte gut ein anderer Hizumi sein, aber sein Herz antwortete mit einem wütenden Pochen.
 

Nein, das konnte es nicht.
 

Wenn dem nicht so war, dann brauchte er nicht krampfhaft versuchen, Kontrolle über das Gefühl der Angst zu bringen, das ihn davor warnen wollte, diese innere Befürchtung bloß nicht zu missachten.

Aber diese Information, die Zero ihm lieferte, weckte einen Instinkt in ihm, der sich nicht beherrschen ließ. Karyu musste zu dieser Adresse fahren, zwar wäre besagter Hizumi in spätestens einer Stunde hier, aber so lange konnte er unmöglich warten. Bis ihr 'Gast' hier einträfe, wäre er längst von seiner Nervosität zerfleischt worden, wie ein Opferlamm einem blutrünstigen, ausgehungerten Wolf zum Opfer fiele. Der dumpfe, befehlende Druck in seiner Brust zwang ihn dazu, wies ihn in diese Richtung, denn wenn er in sich hinein horchte, dann war es das einzig Richtige für ihn.

Mit einem verächtlichen Schnauben löste sich der Hellhaarige aus seiner vorangegangenen Starre und ging mit langen, dynamischen Schritten den Flur herab. Doch er steuerte nicht gleich auf den Fahrstuhl zu, um eine Etage tiefer zu fahren, damit er von seinem eigenen Büro aus Asato erreichten konnte. Karyu wandte sich an die kleinere Frau, die an ihrem Computer saß und angestrengt ein paar Befehle auf die Tastatur hämmerte. Ihr ausgezehrter Gesichtsausdruck war mittlerweile dem typischen, konzentrierten Ausdruck des Alltags gewichen, aus dem Karyu sie nun wieder heraus riss.
 

„Liebste Miyako, richten Sie Zero bitte aus, dass es etwas länger dauern kann“, gab der Hochgewachsene freundlich von sich und sah mit seinem typischen sanftmütigen Lächeln auf sie herab. Die Sekretärin, die etwas perplex drein blickend ihr Tun unterbrach und ihre Aufmerksamkeit gänzlich auf den Größeren richtete, blickte fragend zu ihm herauf.
 

„Sie gehen weg, Karyu-San?“
 

Karyu reagierte jedoch kaum auf ihre Frage, die sie mit geschäftlicher Neugierde gestellt hatte.

„So kann man es auch ausdrücken“, schmunzelte Karyu und warf seinem Gegenüber ein verschwörerisches Zwinkern zu. Miyako schien zu verstehen, dass er nicht geschäftlich sondern eher privat weg sein würde und nickte zurück. Zufrieden wandte Karyu sich ab und begab sich zu seinem eigenen Büro, von wo aus er den Chauffeur bestellte. Karyu vertraute der Sekretärin, dass diese ihn nicht verraten würde. Auch wenn Zero der bester Freund war, den er hatte, blieb er gleichzeitig auch sein Chef. Und dadurch war es auch ihm nicht erlaubt während der Arbeitszeit die Firma zu verlassen, auch wenn er tun und lassen konnte, was er wollte – er war nun einmal ehrlich und hielt sich an die Regeln. Schließlich durfte er seine Rolle als Vorbild und Repräsentant der Firma nicht außer Acht lassen. Doch Zero hatte noch genügend Arbeit auf seinem Schreibtisch, sodass dieser ihn nicht sofort vermissen würde, wenn er für fünf Minuten oder auch eher eine Stunde nicht da war. Nach einem kurzen Telefonat legte er den Hörer zurück auf das altmodisch wirkende Telephon und verließ sein Büro, das ebenso viktorianisch eingerichtet war, wie die Etage, auf der er sich befand und zu seinem eigenen, kleinen Reich gehörte. Wenn er mit Zero eines gemeinsam hatte, dann war es die Vorliebe für die vergangenen Stilepochen des Westens. Doch nun würdigte er den schönen, beinah beruhigenden Anblick nur ein paar kurze Blicke , ehe er in den Fahrstuhl stieg und das hohe Gebäude voller Enthusiasmus durch den Haupteingang verließ, wo der schwarz-glänzende Rolls-Royce auf ihn wartete.
 

„Zu dieser Adresse, Asato“, sagte Karyu fast beiläufig, als er sich mit einer fließenden Bewegung auf die Rückbank gleiten ließ und den Zettel durch das halb geöffnete Schiebefenster nach vorne reichte.
 

„Wohin soll die Reise denn gehen?“

Auf einmal ertönte eine dunkle, sonore Stimme neben ihn, die bei einer normalen, alltäglichen Begegnung gewiss angenehm und wohlig in den Ohren geklungen hätte. Ihr wohlbekannter Klang hätte jedoch auch vom Teufel persönlich stammen können. Karyu erstarrte plötzlich, verharrte in der nach vorn reichenden Haltung und verweilte einen Augenblick lang in vollkommener Regungslosigkeit. Die Stimme jagte ihm einen eiskalten Schauer über den Rücken, ein Gefühl, das er versuchte zu verbergen, indem er sich steif und unberührt in den Sitz lehnte und stumm, fast ausdruckslos den Mann betrachtete, der mit ihm auf der Rückbank saß. Aber sein Gegenüber schien seinen Schrecken, trotz seiner Bemühungen dies zu vertuschen, bemerkt zu haben, denn das zynische Grinsen zog sich voller Hohn noch weiter nach oben.

So lange Asato den Zettel studierte, auf dem die Adresse stand, schauten sie einander wortlos an. Erst als der Chauffeur losfuhr, fand Karyu seine Stimme wieder.
 

„Was willst du hier, Tsukasa?“

Karyus Stimme war rau und flach. Er musste sich zurückhalten, dass sie nicht zitterte. Sein eigenes Herz pochte so laut, dass er glaubte seine Gedanken nicht verstehen zu können, die begannen wild zu kreisen. Ausgerechnet diesem Mann musste er nun begegnen, auf dessen Anwesenheit er überhaupt nicht vorbereitet gewesen war, nicht an dem heutigen Tag. Doch dem Mann, der lässig dahin gegossen auf der Rückbank saß, die dünnen Beine kokett und elegant übereinander geschlagen, störte dies sichtlich nur wenig.

Und Karyu wusste, dass sein momentanes und offensives Unwohlsein, nur zum Amüsement des Braunhaarigen beitrug, denn die Freude leuchtete regelrecht auf den scharf geschnittenen Zügen.

Ob er wollte oder nicht, Karyu sank auf seinem Platz zusammen, als der schwarze Rolls-Royce losrollte.

„Du weißt ganz genau, was ich von dir will, Karyu“, schnarrte der Dunkelhaarige, der sich vergnügt tiefer in das weiche Leder schmiegte und es sich bequem machte, als würde er in seinem eigenen Wagen thronen. Karyu schluckte trocken, riskierte einen kurzen, prüfenden Seitenblick, wandte sich jedoch wieder ab, als er den offenen Hemdknopf bemerkte, der einen einladenden Blick auf seine tätowierte Kehle preisgab.
 

„Ich habe dir gesagte, ich gebe es dir in einer Woche“, gab Karyu kleinlaut zurück, brachte nicht mehr heraus als einen dünnen Flüsterton, der von den schnurrenden Motorengeräuschen beinah verschluckt wurde.

„Ich glaube, du hat mich nicht richtig verstanden–“

„Ich habe gesagt, ich gebe dir das Geld in der nächsten Woche!“ Sein Protest hallte laut durch das Wageninnere und mit wutentbrannten Blick starrte er seinen Nebenmann an. Karyu konnte deutlich im Gesicht des Anderen dessen Unglauben erkennen, denn wenn es etwas war, das er ungern tat, dann war es die Stimme laut und brechend zu erheben, auch wenn Tsukasa wohl weißlich zu den Menschen gehörte, die es verdienten mit zornigem Nachdruck behandelt zu werden. Doch Tsukasa gehörte nicht zu dem Teil der Menschheit, die sich gerne von Niederen anschreien ließen. Nein, die Züchtigung war eher sein Part. Der Hochgewachsene konnte binnen weniger Sekunden die Veränderung in Tsukasas Gesicht erkennen, wie sich die Züge merklich anspannten und die nussbraunen Augen sich zu schwarzen Tiefen formten. Auf einmal verlor sogar die, von Emotionalität getriebene, Atmosphäre, die das Wageninnere ausfüllte, merklich an Temperatur.

Erneut wurde Karyu durch den Anblick ins Polster zurück gedrängt. Wortlos züchtigte Tsukasa den Hochgewachsenen mit mahnenden Blicken und wies ihn mit seinem Schweigen zurecht, während das Schweigen sich wie eine fließende Masse sich zwischen ihnen ausbreitete.
 

„Tsukasa..“, nach einer Weile sprach Karyu diesen Namen beinah sanftmütig aus, um seinen stummen Flehen mehr Nachdruck zu verleihen. „Ich brauche diese eine Woche wirklich noch, dann zahle ich dir alles auf einen Schlag. Genauso wie ich es dir versprochen habe.“ Mit sprichwörtlichen Händen und Füßen versuchte sich der Hochgewachsene zu erklären, aber Tsukasa sah nicht gerade danach aus, als wolle er sich auf seine spärlichen Erklärungsversuche einlassen.

Karyu hasste es bei diesem Mann verschuldet zu sein, aber die Sony-Verträge hatten ihren Preis gehabt. Einen Preis, den er nun bereute, weil Zero das Geheimnis gelüftet hatte. Manchmal würde Karyu gerne wissen, wie Zero es immer und immer wieder herausfand. Intelligenz konnte doch unmöglich unendlich sein. Und irgendwo musste Zero seine Grenzen haben, aber keiner von ihnen hatte es bisher geschafft, diese zu finden geschweige denn zu erreichen. Karyu hatte aufgehört die Jahre zu zählen. Aber so langsam schwanden auch seine Kräfte dahin, denn alles, was er versuchte, wollte keine Früchte tragen.

Seufzend ergab er sich seinen Gedanken und schaute abschätzend zu Tsukasa herüber, welcher noch immer beharrlich schwieg. Das Funkeln hatte der Braunhaarige noch immer in den Augen, aber Tsukasa tat nichts, um ihn von seiner Ansicht der Dinge zu 'überzeugen'. Sie beide wussten wohl sehr gut, dass Tsukasa Karyu zu nichts zwingen musste. Wenn Tsukasa etwas haben wollte, dann brauchte er lediglich mit dem Finger zu schnippen.
 

„Und was ist, wenn ich mein Geld sofort wieder haben will?“, fragte Tsukasa.

So pervers wie es war, aber er brachte es tatsächlich zustande, naiv auszusehen und, während er breit grinste, unschuldig mit den langen, wohl geschwungenen Wimpern zu klimpern.

„Das geht nicht. Ich kann es noch nicht, weil mein Gehalt erst nächste Woche da ist“, resigniert faltete der Jüngere sein Hände ineinander und versuchte einen ebenso überzeugenden Blick aufzulegen. Aber auch das überzeugte seinen Nebenmann nicht.. Eher schlug das Ganze ins Gegenteil, denn Tsukasa räusperte sich warnend.

„Du bist ganz schön aufmüpfig geworden, Karyu, weißt du das?“, stellte der Kleinere fest und zog nachdenklich die Stirn kraus. Ein Anflug eines zarten Lächelns zeichnete sich auf seinen Lippen ab.

„Ich kann nun einmal nicht gut reden, wenn man mir eine Waffe unter die Nase hält“, erklärte Karyu schmunzelnd, deutete mit einem Kopfnicken auf die schwarz-glänzende 9-mm, die sein Gegenüber im Anschlag an der Hüfte hielt und deutlich auf ihn richtete.

Tsukasa lachte. „Waffe? Meine Waffe habe ich doch noch gar nicht heraus geholt..“, grinste Tsukasa und rollte mit dem Becken.
 

***
 

Als Karyu aus dem Wagen stieg, fuhr die warme morgendliche Luft durch seine braun-blond gefärbten Haare, die zerzaust und zerwühlt von seinem Kopf abstanden. Der Wind blies warm durch die Häuserschlucht, in der er sich befand, und erzeugte ein angenehm ruhiges Rauschen, welches der Hochgewachsene einen Augenblick genießend in sich aufnahm. Seufzend schob Karyu die schlanken Finger in die in Unordnung geratenen Strähnen, schloss dabei die Lider, die sich unsagbar schwer anfühlten, als habe er die gesamte Nacht nicht geschlafen. Sein ungewollter Fahrgast war zuvor an einer Ampel ausgestiegen, als diese in einem unverhofften Moment auf Rot gesprungen war und war darauf in einen schwarzen Lexus eingestiegen, der sie seit Beginn der Fahrt regelrecht eskortiert und verfolgt hatte. Karyu war froh darüber gewesen, als er diesen Wagen entdeckt hatte, denn dann war gewiss, dass ihre Unterhaltung nicht lange dauern würde. Eine einfache Unterredung, Geldeintreibung. Nichts weiter. Dennoch nervenaufreibend und zum Haare raufen.

Karyu drängte den Gedanken zurück in den Hintergrund, der sich gerade aus seiner Erinnerung hervor pellte und richtete seine dunkelbraunen Augen auf die rötliche Hauswand, die sich vor ihm in den Himmel reckte und mit den weiß gestrichenen Fensterrahmen das Aussehen eines Fuchses hatte, der hämisch auf ihn herunter grinste. Auf den ersten Blick machte das Gebäude zumindest einen ordentlichen Eindruck auf ihn. Karyu konnte sechs Etagen zählen, vermutlich gehörte auch eine Dachbodenwohnung dazu. Doch er konnte sich nicht vorstellen, dass – wegen des gesteigerten Wertes – sein Bruder ausgerechnet diese Wohnung bezogen hatte. Er fragte sich ohnehin, wer dies überhaupt finanzierte. So, wie er seinen Bruder in Erinnerung hatte, war es vollkommen unmöglich, dass dieser arbeiten konnte. Ein kleiner Hoffnungsschimmer daher, dass es sich demnach nicht um seinen kleinen Bruder handelte. Oder doch?
 

„He, Mister! Sie dürfen hier nicht parken!“

Eine raue, brummige Männerstimme durchtrennte seine Gedanken. Seelenruhig sah Karyu in die Richtung, aus der man ihn ermahnt hatte, und begann die Manschettenknöpfe seines anthrazitfarbenen Nadelstreifen-Anzuges zu zu knöpfen. Ein letztes Mal strich er sein gewelltes Haar glatt und die Maske, die er als politisch engagiertes Wesen trug, legte sich mit erhabener Höflichkeit und Distanzierung auf seine Züge, die die Wachsamkeit einer Katze annahmen.

Karyu schob den letzten Knopf durch das dazugehörige Loch und schenkte dem Mann ein eher müdes Lächeln, um diesen dann mit einem selbstsicheren „Doch das darf ich.“ zu korrigieren. Zufriedenstellend war das für den Fremden allerdings nicht, der seinen Besen zornig in seine Richtung schwang, als wolle er ihn davon abhalten sich überhaupt dem Mehrfamilienhaus zu nähern. Aber Karyu ließ sich nicht davon abhalten, sondern zupfte sein Jackett zurecht, warf dem Mann dann ein charmant souveränes Lächeln zu.
 

„Sind Sie Bewohner dieses Hauses?“, fragte er den kleinen Mann, der – wütend wie er war – bereits auf seinen kurzen Beinchen auf ihn zu gestapft kam.

„Der Hausmeister!“, protestierte der Alte, der sich vor ihm aufplusterte und mit einem abschätzenden Funkeln in den Augen zu ihm herauf sah.

„Noch besser!“, stieß der Große erfreut aus, blieb jedoch lieber auf Distanz, da weiterhin die Gefahr bestand sonst einen Besenstiel in seiner Nase vorzufinden.

„Was soll das denn nun heißen?“, hakte der Mann gleich nach, der tatkräftig die braungebrannten und ledrig wirkenden Hände gegen die Hüften stemmte; Den Besen hielt er dabei in seiner Armbeuge eingeklemmt, doch in stets greifbarer Nähe.

„Nun“, begann der Hochgewachsene und führte seine Fingerspitzen so zusammen, dass sie ein zu Boden zeigendes Dreieck bildeten. Dabei schwang sich eine penibel geformte Augenbraue nach Oben, sodass sich ein eher skeptischer, gar kritischer Ausdruck auf seine Züge legte. „Es ist so, dass mein Arbeitgeber mit einem ihrer Mieter sprechen möchte. Demnach wurde ich hier zu dieser Adresse geschickt, um denjenigen abzuholen.“, erklärte er ruhig und lächelte sein Gegenüber freundlich an.

Der alte Kauz beäugte ihn aufmerksam, klopfte dann mit dem Ende des Besenstiels gegen den Kotflügel des Rolls-Royce, vor dem sie standen. Karyu verzog bei dem dumpfen, metallischen Geräusch der leichten Schläge das Gesicht. Zero würde ihn sicherlich erwürgen, wenn er wiederkam und der geliebte Oldtimer des Magnaten Beulen besaß, die sich in aller Horrorvorstellung wohl möglich nicht mehr ausmerzen ließen.

„Sie werden 'denjenigen' bestimmt nicht finden, so lange sie im Halteverboten stehen, Mister.“

„Doch das werde ich.“, konterte der Hellhaarige wie aus der Pistole geschossen und neigte seinen Kopf dabei spielerisch auf die Seite, bekam ein stures und gar kindlich überzeugendes Funkeln in den Augen, die keinen Augenblick lang vom Gesicht des Hausmeisters wichen. Der Alte seufzte, die Hände weiterhin in die Hüften gestemmt, als wolle er sich verteidigend zwischen das Haus und Karyu stellen. Doch Karyu gab sich dieser Haltung unbeeindruckt, beobachtete den Mann wie er vor sich her druckste.
 

„Für wen arbeiten Sie, sagten Sie?“, kam nach einiger die Zeit die vorsichtige Frage, auf die Karyu innerlich bereits gewartet hatte. Solch eine Frage konnte förmlich zu einer Fahrkarte werden. Alles, was man dazu brauchte, war lediglich die richtige Antwort.

„Zero-San“, antwortete der Blonde und verschränkte selbstgefällig die Arme hinter dem Rücken, um seiner Antwort eine imposante Wirkung zu verleihen. Voller Vergnügen betrachtete der Hochgewachsene dabei das Gesicht seines Gegenübers, aus dem mit dem Mut auch die Gesichtsfarbe wich und nun von einem ebenmäßigen Weiß ersetzt wurde. Zögerlich trat der Fremde einen Schritt zurück und zog regelrecht hektisch den Besen an sich, mit dem er zuvor das teure Auto malträtiert hatte. Auf einmal wirkte der Mann vor ihm noch kleiner, als er ohnehin schon war. Nervosität glänzte in seinen Augen und die große Klappe, die er zuvor ganz weit aufgerissen hatte, mit der Absicht ihn zu verscheuchen, verstummte im selben Moment ebenso gänzlich.

Karyus triumphierendes Grinsen wuchs ein wenig, als der Mann begann sich verlegen am Hinterkopf zu kratzen.

„Verzeihen Sie meine Unhöflichkeit, Sir“, brummte sein Gegenüber in seinen Bart und wich andauernd seinem musternden Blick aus, der weiterhin mit einer Aufforderung behaftet war.

„Nicht der Rede wert“, sagte Karyu und machte eine beschwichtigend wedelnde Handbewegung in der Luft. Ihn störte es keineswegs angepöbelt zu werden. Vielmehr genoss er das Gefühl der Souveränität, das die alleinige Erwähnung von Zeros Namen ihm verlieh. Es war bewundernswert auf der einen Seite solch eine Macht auszuüben und durch den Namen bereits regelrecht gefürchtet zu sein. Auf der anderen Seite allerdings auch ein Fluch. Ein Fluch, von dem Zero bereits seit Jahren verzehrt wurde. Karyu bewunderte sehr, wie lange Zero diese Bürde bereits auf seinen Schultern trug und mit welcher Hingabe dieser sein Imperium verteidigte; koste es, was es wolle. Zero nahm keine Rücksicht darauf, ob er sich damit selbst zerstörte oder nicht, Hauptsache er blieb um jeden Preis am Leben, bis er vielleicht einen würdigen Nachfolger gefunden hatte. Aber das wussten, beziehungsweise sahen, die Menschen nicht. Für die Öffentlichkeit war Zero der König der Wirtschaftswelt und kein gebrochener Mensch, der unter heftigen Depressionen litt.
 

Karyu verwarf seine Gedanken und lächelte den Hausbesitzer freundlich an.

„Welchen meiner Mieter wünschen Sie zu sprechen, sagten Sie, Sir?“, fragte der Mann, dessen Augen nervös hin und her pendelten. „Wissen Sie, Sir, ich möchte hier keinen Ärger haben.“

Der Hochgewachsene nickte verständnisvoll. „Selbstverständlich. Seien Sie unbesorgt, ich bin nicht hier um Ärger in ihr schönes Heim zu bringen“, versicherte er ehrlich. Ärger machte eine gewisse Yakuza-Gruppe, die sie versuchten im Zaum zu halten, aber ... er doch nicht.

„Zu gütig, Sir, zu gütig. Nun gut, wie kann ich Ihnen weiterhelfen, Sir?“

„Bringen Sie mich bitte zu Hizumi-San“, sprach Karyu melodisch und trat von der Straße auf den Gehweg, den der Mann zuvor eifrig gefegt hatte.

„Hizumi-San? Oh, ein sehr aufgeweckter junger Mann. Ein wenig zu gutgläubig, meiner Meinung nach, aber dennoch-“

„Ich weiß“, unterbrach der Hochgewachsene mit schneidender Stimme, dessen Herz bei den Worten über seinen Bruder angefangen hatte fest zu klopfen.

„Wie meinen, Sir?“

„Ich meine .. Ich sagte, genauso habe ich ihn mir vorgestellt“, korrigierte sich Karyu sofort, bevor er sich gänzlich über seine Verwandtschaft verriet. Und anscheinend gab der Mann sich zufrieden damit, denn er lächelte nur höflich und bat ihn schließlich ihm zu folgen, während er dabei einen großen Schlüsselbund aus seinem Yukata zog.
 

Das Mehrfamilienhaus sah von Innen ebenso gepflegt aus wie von Außen, doch Karyu schenkte der Einrichtung nur beiläufige Aufmerksamkeit.

Helle und dunkle Farbtöne und verschiedene Hölzer wechselten sich auf dem Weg durch das Treppenhaus zu einem der obersten Stockwerke ab, aber Karyu hatte nicht das Gefühl, dass sie wild durcheinander gewürfelt waren. Es waren einfache Materialien, die nicht von hohem oder luxuriösem Wert waren, aber sie vermittelten dennoch etwas Wohnliches. Doch die Atmosphäre schenkte ihm keine innere Ruhe. Seine eigene Nervosität war im Begriff die Oberhand zu erlangen, auch wenn er sich äußerlich gelassen und souverän gab und mit langen, selbstsicheren Schritten dem Mann folgte, der ihn nun in einen Gang führte, der vom Treppenhaus abzweigte; Auf den ersten Blick konnte er drei Wohnungstüren zählen.
 

Als der Hausmeister zielstrebig einer der Türen anstrebte, erzählte dieser unentwegt von belanglosen Fakten, die ihn nicht einmal interessiert hätten, wenn er tatsächlich aufmerksam zugehört hätte. Doch aus Höflichkeit murmelte er routiniert ein paar Floskeln vor sich hin, während seine Gedanken bei seinem Bruder waren, vor dem er sich baldig zu stehen erhoffte.

Schnellst-möglich musste er sich Antworten auf die Fragen überlegen, die Hizumi ihm sicherlich stellen würde.
 

Wie mochte das wohl sein, wenn der ältere Bruder, den man sechs Jahre lang nicht gesehen, dafür aber um so mehr vermisst hatte, plötzlich vor der eigenen Tür stand, als hätte das Schicksal sie wieder zusammen geführt?
 

Vergleichbar war es wohl mit dem Gefühl, die letzten sechs Jahre gelebt zu haben, mit einer ständigen Angst um den jüngeren Bruder, den man schwer krank im Krankenhaus hatte zurücklassen müssen, ohne eine andere Wahl gehabt zu haben.
 

„So, da wären wir, Sir.“

Die schon fast unterwürfige Stimme des Hausmeisters unterbrach Karyus Gedanken, die wie düstere Sturmwolken heraufgezogen waren.

„Sehr freundlich von Ihnen“, sagte Karyu und belohnte den nervösen Mann mit einem wirklich dankbaren Lächeln. Der Hausmeister trat einige Schritte unsicher auf der Stelle herum, nicht wissend was er als nächstes tun sollte, eh er sich kurz herumdrehte und nach der Klingel haschte, die neben der Tür direkt unterhalb eines weiteren Lichtschalters angebracht war. Dabei erwischte er jedoch nur grob das Klingelschild, in dem ein Zettel mit einem flüchtig dahin gekritzelten Namen steckte, und klatschte mehrmals die Hand dagegen, bis er die Klingel endlich betätigte.
 

Doch auch nach einem zweiten Klingeln, das er ohne angestrengtes Lauschen gut hören konnte, regte sich nichts. Zumindest nichts, was darauf hin deutete, dass der Mieter zu Hause war. Aber Hizumi musste da sein, denn auf der Fußmatte standen seine Schuhe.

Für einen kurzen Augenblick musste Karyu schlucken. Er konnte die Schuhgröße auf den ersten Blick zwar nicht genau einschätzen, aber er kam nicht umhin, sich auf Grund dessen auszumalen, wie sein Bruder aussehen musste. Wie er sich wohl in den letzten sechs Jahren verändert hatte, was aus ihm geworden war und am aller wichtigsten: Ob der Jüngere inzwischen überhaupt wieder gesund war. Doch diese Horrorvorstellung konnte nicht eintreten. Schon allein aus dem simplen Grund, dass seine Eltern dies niemals zulassen würden. Ohnehin war es ihm ein Rätsel, wie Hizumi es geschafft hatte die Eltern zu überreden. Normalerweise behandelten sie ihn wie ein rohes Ei, behüteten ihn ständig und gaben auf ihn Acht. Und normalerweise gehörte er selbst auch zu dieser persönlichen Leibgarde und dies gehörte zu Hizumis wichtigsten Dingen in seinem bisherigen Leben. Karyu tat es in der Seele weh, dass er seinen Bruder so im Stich gelassen hatte, und innerlich wuchs der Wunsch, dass gleich jemand Anderes, jemand vollkommen Unbekanntes, an der Tür stehen würde.

Gleichzeitig wusste er jedoch auch, dass hinter dieser Tür nicht irgendwer wohnte. Wenn es irgendjemand war, dann schickte Zero ihn nicht los. Zero sprach nicht ohne Grund eine Entschuldigung aus, denn dieses Wort war in dem Wortschatz dieses Mannes so gut wie überhaupt nicht mehr vorhanden.
 

„Ich verstehe das nicht“, murmelte der Hausmeister.

Karyu sah auf und beobachtete ihn dabei, wie er gegen die Tür klopfte. Erst etwas zaghaft und zurückhaltend, aber dann mit heftigem Nachdruck. Stirnrunzelnd fragte er sich, warum der Mann nicht seinen Generalschlüssel benutzte, wenn er schon so dringend in die Wohnung wollte.

„Was genau meinen Sie?“, stellte Karyu die Gegenfrage und straffte seine Schultern, die durch das unaufmerksame Warten und Nachdenken eingeknickt waren.

„Hizumi-San muss zu Hause sein, da bin ich mir sicher.“

Karyu nickte zustimmend. Einen Moment später, kurz bevor der Hausmeister ein drittes Mal die Klingel betätigte, drang ein leiser Schmerzenslaut an seine Ohren, der von der nussbraun furnierten Tür gedämpft wurde, sodass Karyu im ersten Augenblick gar nicht realisierte, dass dies das erste Lebenszeichen des Bewohners der Wohnung war.

Die Stimme, die er vernahm, hätte also genauso gut aus seiner Einbildung entspringen können, weil sie zu leise gewesen war, um sie deutlich zu verstehen, aber dennoch einen vertrauten Klang besaß, der in ihm alte Erinnerungen aus frühster Zeit weckte und ihm einen kalten Schauer, der einer Armee aus kleinen, eiskalten Ameisen glich, von den Schultern ausgehend, über seinen Rücken jagte.

Der Hausmeister blendete sich sofort aus seinen Gedanken aus. Karyu starrte diesen zwar an, sah, wie er begann mit dem Fingerknöchel gegen die Tür zu klopfen, aber gleichzeitig blickte Karyu mehr durch ihn hindurch, in eine weit entfernte Dimension, in der er die drohende Erkenntnis zu finden ersuchte.

„Gedulden Sie sich, mein Bester. Wenn er nicht da ist, werde ich zu einem späteren Zeitpunkt zurückkehren“, sprach Karyu und kehrte es aus der Irrealität seiner Gedanken zurück und klopfte dem Hausmeister mit der Hand beruhigend auf die Schulter. Eigentlich sollte er auch erst in drei Stunden hier sein, doch er hatte es nicht anders ausgehalten, einfach weil sich dadurch die Gelegenheit bot, mit seinem Bruder zu sprechen, ihn zu tadeln und vielleicht wieder nach Hause schicken zu können. Tokyo war kein Ort für den Jüngeren.

Der Hausmeister schüttelte jedoch widerwillig den Kopf und beharrte auf seinem Vorhaben, den Vermieter aus den Federn zu werfen. Karyu wollte dagegen einlenken und den aufgebrachten Mann beruhigen, als eine Stimme ihn unterbrach, die von innerhalb der Wohnung kam und sie deutlich um Verzeihung bat. Beide Wartenden sahen sich einen Moment lang an und auf dem Gesicht des Mannes erschien ein glückliches Grinsen, das Karyu nicht ganz deuten, beziehungsweise einzuordnen wusste, aber es schien über die Erleichterung zu sprechen, die sein Gegenüber gerade empfand. Manchmal wünschte er sich, er wüsste wie es war, mit solch einer Berühmtheit der Industriewelt zu sprechen und diesem den Wunsch nicht erfüllen zu können. Wahrscheinlich erwartete jeder Mensch eine Art Strafe darauf. Die Reaktion der Zivilbevölkerung ließ ihn so manches Mal fühlen, als gehöre er selbst der Mafia an.

Karyu lächelte lediglich zurück.
 

Von Drinnen waren nun deutliche Schritte zu hören, die sich dumpf und klatschend anhörten, als würden nackte Füße über blankpolierten Parkettboden laufen. Vergebens versuchte der Hochgewachsene sich auf die kommende Begegnung vorzubereiten, sich in Gedanken alles zurecht zu legen, was er tun und vor allem auch sagen wollte. Aber diese Mühe besaß keinen Nutzen mehr, als die Riegel der Schlösser von Innen herum gelegt und die Tür schließlich aufgezogen wurde.

Es war wie ein Schlag ins Gesicht, der ihn nicht reagieren ließ, als er in die verschlafenen dunklen Augen blickte, die ebenso verdutzt zurück starrten.

„Hizumi-San, das ist Karyu-San“, sagte der Hausmeister und versuchte sie flüchtig einander vorzustellen. Doch keiner der Beiden schien mehr auf den Mann zu achten.

„Ich weiß..“, antwortete Hizumi nur leise, ohne auch nur ein Mal den Augenkontakt mit seinem Bruder zu unterbrechen, bevor er vortrat und diesen in seine Arme schloss.

Vom Suchen und Finden


 

Yes, I know~

Dieses Kapitel war früher versprochen ( seltsam, gerade habe ich so ein Déjà-vu !) und falls ihr noch immer fleißig am Lesen dabei seid, dann ein herzliches Danke. ♥

P.S. Dafür wurde ich auch von Nefaria unfreiwillig dazu gezwungen meine eigenen Metaphern zu analysieren. Ein Horror !

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Karyu konnte das Gefühl des Unwohlseins, das durch seine Adern kroch wie ein ungewolltes Infiltrat und seine Lungen mit einer solchen Brachialgewalt zusammenquetschte, als würde er sich in den Klauen eines monströsen, unsichtbaren Geschöpfes befinden, weder als eine Nebenwirkung der Freude deuten, noch dem negativen Einfluss einer bösartigen Vorahnung zuordnen, als er die feste und freudige Umarmung seines Bruders löste und sich zu dem Hausmeister herum drehte. Dieser kratzte sich noch immer beschämt im Nacken und machte sich langsam davon, eh sich Karyu mit in die Wohnung des Jüngeren ziehen ließ. Zunächst hielt er alles für einen schlechten Scherz, aber der Unglaube übermannte ihn schneller als die Wirkung eines hochprozentigen Alkohols, den er sich gerne in seine Kehle kippte. Natürlich freute er sich, seinen jüngeren Bruder wieder zu sehen, aber allein als er den ersten Blick in den Flur warf und einen ersten Eindruck von der Situation sammelte, dabei von einer Vielzahl an kleineren Kartons erschlagen wurde, dessen Inhalt sich bereits hier und dort verteilte und nur noch darauf wartete endlich vom Eigentümer eingeräumt zu werden, wurde Karyu bewusst, dass es nicht gut war, dass Hizumi hier war - überhaupt nicht gut. 
 

"Tut mir leid, dass ich noch im Schlafanzug bin! Kann ich dir etwas zu trinken anbieten?" Die warme Stimme des Kleineren, der ihn mit sich in die Küche zog und mit ihm gemeinsam einen kleineren Stapel einfacher Körbe überwand, welcher sich wie eine Mauer im Türrahmen gebildet hatte, riss ihn aus seinen Gedanken, die wild kreisend durch seinen Kopf waberten. Das leise "Wenn ich die Tassen finden würde", welches Hizumi leise hinzufügte und mehr zu sich selbst murmelte, ging jedoch an Karyu nicht vorbei, obgleich er das drängende Gefühl hatte, einfach neben sich zu stehen und der Logik der Welt nicht mehr mächtig zu sein. In seiner Brust ballten sich die Emotionen zusammen und er wusste nicht, wie er sie los werden sollte. Auf seiner Zunge lag der Satz "Soll ich dir beim Ausräumen behilflich sein?", doch er schluckte ihn ebenso schnell wieder herunter wie er auf gekommen war, denn das würde nur bedeuten, dass er es befürworten würde, dass Hizumi in diese Stadt und vor allem in seine Nähe gezogen war. Karyu konnte das nicht verantworten, auch wenn ihm danach war, in Tränen ausgebrochen seinen jüngeren Bruder in die Arme zu schließen und sich zu freuen, ihn gesund und wohl auf zu sehen, und nicht dem Fieberwahn unterlegen. Es gab so vieles, was er Hizumi sagen wollte, so vieles, weswegen er um Vergebung bitten wollte; aber nichts davon wollte er ansprechen, traute sich vielmehr nicht, es auszusprechen. 
 

"Nein, ist schon in Ordnung, Hizu-chan. Du brauchst dir wegen mir keine Umstände machen", sagte Karyu mit einer beschwichtigenden Handbewegung und zog den Stuhl etwas vom Küchentisch weg, der scheinbar bereits vorher hier gestanden haben musste, weil er das Möbelstück nicht kannte. Langsam setzte er sich, den Blick auf seinen Bruder gehalten, der an der Küchenzeile stand und ihm das unverkennbare, strahlende Lächeln entgegen warf, dabei ein Glitzern in den Augen, wie ein Kind an Weihnachten. Hizumi hatte hier nichts verloren! Dessen wurde sich der Hochgewachsene immer bewusster. Er wollte Hizumi in seine Arme schließen, ihn am liebsten nie wieder los lassen, aber all das würde dem Anderen nur signalisieren, dass es in Ordnung war, dass sie sich wiedergefunden hatten. Und das war es durchaus nicht - ganz und gar nicht. Eigentlich müsste Hizumi so schnell wie möglich wieder von hier weg. Aber das konnte er seinem Bruder schlecht sagen, wo sie sich gerade nach acht verfluchten Jahren wieder sahen. Karyu wurde speiübel, als er sich seufzend etwas zurücklehnte und sich zu einem Lächeln zwang, um wenigstens ein wenig seine Freude zur Kenntnis zu geben. Aber die Gedanken mordeten ihn innerlich, als er daran denken musste, wie lange er seinen Bruder hatte allein lassen müssen, wie sehr er sich gesehnt hatte, ihn endlich wieder zu sehen, und nun wünschte er sich nichts sehnlicher, als diesen wieder davon zu schicken. Sein ganzer Körper wurde zu einem Paradoxon und er hoffte, dass Hizumi einfach von alleine wieder gehen würde; zurück in die Heimat, wo er wohlbehütet war. 
 

Hizumi war so groß geworden und dennoch hatte er nichts an seiner Jugendlichkeit verloren. Karyu konnte noch immer das Kind in diesem sehen, wenn er das schiefe, kecke Grinsen betrachtete, das sich über die Wangen des Jüngeren zog. Und gleichzeitig konnte er den Anblick nicht aus seinem Gedächtnis verbannen, mit dem er Hizumi die ganze Zeit über in Erinnerung behalten hatte, ob er dies nun gewollt hatte oder nicht, aber ihm ging das Bild nicht aus dem Kopf, wie der Jüngere mit blasser, fast weißer Haut und diesem schwerkranken Ausdruck im Gesicht in dem Krankenhausbett gelegen hatte, von Hustenkrämpfen geschüttelt und von Magenkrämpfen geplagt. Anders hatte er Hizumi nicht in Erinnerung, denn so war sein Zustand all die Jahre über gewesen. Und auch wenn er sich nun dafür freute, dass es seinem Bruder besser zu gehen und dessen Immunsystem sich stabilisiert zu haben schien, schämte Karyu sich so unendlich dafür, diesen einfach allein gelassen zu haben. Ihn mehr oder minder im Stich gelassen zu haben ... Wie konnte Hizumi noch so freundlich zu ihm sein, so fröhlich sein, wo er doch sogesehen sein Gesicht verloren hatte und eigentlich nie wieder zu seiner Familie zurückkehren konnte? 

"Na, ich muss doch ein guter Gastgeber sein", wandte Hizumi ein und begann noch einmal, in den kleinen Schränken zu kramen, eh er auf einen Korb stieß, der von einem Tuch bedeckt wurde, und dort zwei Tassen hinaus zog. Wenigstens die Kaffeemaschine war bereits aufgebaut und verblüfft schaute Karyu dem Jüngeren zu, wie dieser mit wenigen, aber geschickten Handgriffen den Filter mit etwas Pulver befüllte, das Wasser hinzugoss und die Maschine schließlich anschaltete, die gleich mit einem leisen Gluckern und Knurren ihre fleißige Arbeit kundtat. Hizumi besaß so viele Sachen, mehr als er bei seinem eigenen Umzug besessen hatte. Karyu fragte sich, woher der Andere all dies hatte. So, wie er seine Eltern kannte, waren diese ebenso wenig begeistert gewesen wie er es selbst war. 
 

"Hizu-chan?" Mit leiser Stimme unterbrach Karyu das Tun seines Bruders, der sich gerade auf die Suche nach zwei Tellern gemacht hatte und wohl auch etwas Essbares suchte. Es freute ihn, den Jüngeren so aufgeweckt zu sehen, aber, er wusste nicht warum, gleichermaßen tat ihm der Anblick auch weh. 

"Ja, Ni-san?" Stutzend, aber grinsend sah Hizumi zu ihm auf, trat an den Tisch und legte die Teller auf diesen, verteilte sie auf die einzigen beiden Plätze die es gab. 
 

"Erlaube mir die Frage, kleiner Bruder. Aber... Wie lange bist du nun aus dem Krankenhaus raus? Haben die Ärzte endlich eine Heilung gefunden oder ist es von alleine weggegangen?" Karyu schämte sich dafür, dass er von dem Menschen, der ihm mehr am Herzen lag als jeder Andere auf dieser Welt, so wenig wusste, dass er dessen halbe beziehungsweise ganze Jugend nicht mitbekommen hatte. Es war eine Zeit, die nicht wieder zurückgeholt werden konnte und eine einfache Entschuldigung würde es nicht wieder gut machen, auch wenn er seine gesamte Demut darlegen würde. Karyu wusste zwar, dass Hizumi ihm verzeihen würde - aber er konnte sich nun einmal nicht selbst verzeihen. Wenn Zero und er besser aufgepasst hätten, dann wäre das alles gar nicht geschehen. Dann hätte er stets bei seinem kleinen Bruder sein können, so wie er es versprochen hatte. Er hatte versprochen, diesen niemals allein zu lassen und diesen besuchen zu kommen. Seinen kleinen Finger hatte er dafür gegeben, aber er hatte es nicht halten können. Hizumi stoppte in seiner Bewegung, wandte sich zu ihm. Karyu verbiss seine Zähne in seiner Unterlippe, als er den Ausdruck in den rehbrauenen Augen sah. Ein Ausdruck, der von einem nicht verheilten Schmerz erzählte, von Enttäuschung und Angst, und dennoch brachte Hizumi es zustande, ihm ein Lächeln entgegen zu bringen, auch wenn sein Blick sich traurig gen Boden wandte und das Zittern in dessen Stimme Karyu regelrecht durch Mark und Bein fuhr. 
 

"Seit siebeneinhalb Jahren", antwortete Hizumi leise. 
 

Ein zartes Schluchzen durchriss die Stille, die sich für wenige Augenblicke zwischen ihnen, dennoch mit ohrenbetäubender Gewalt, aufgebaut hatte. Hizumi nestelte am Saum seines Pullovers, suchte wohl nach Worten, aber es machte Karyu nicht gerade leichter, dem Drang zu widerstehen, ihn nicht sofort in die Arme zu schließen und die Tränen zu trocknen, die sonst zu kommen drohten. Doch Karyu konnte diesem Drang nicht länger standhalten, als er sah wie der Andere seine Hand hob und sich damit über das Auge wischte. Leise, beruhigende Worte perlten mit warmer Stimme, die eine verzeihende Tonlage beherbergte, von seinen Lippen, während er sich vorbeugte und seinen jüngeren Bruder zu sich zog, die Arme fest um diesen legte, eine Hand in den schwarzen Haarschopf schob und ihn dort sachte kraulte; wie er es schon so oft getan hatte, so vertraut war es nun auch. Karyu blendete seine Hintergedanken aus so gut es ging, viel zu sehr genoss er das Gefühl den Jüngeren endlich wieder in seinen Armen zu halten, ließ sich einfach für einen Moment von jenem Glück berauschen und erfüllen, während Hizumi mit zitternden Armen seinen Oberkörper umschloss und sich leise an seiner Schulter ausweinte. 

Erst, als er die kleinen Hände auf seinen Wangen spürte, wie diese zart von den Daumen gestreichelt wurden, wurde Karyu sich seiner eigenen Tränen bewusst. Emotionen, die er sich so lange verboten hatte, die er so lange herunter gespült hatte, um bloß nich in deren Genuss zu kommen, weil eine Form der Schwäche nicht zu seiner Erziehung gehört hatte. Und Schwäche war etwas, das er sich als Erstgeborener nie erlauben würde. Darum erschrak es ihn mehr als gewollt, nachdem er die Zeit vergessen und er mit einem glücklichen Gefühl im Bauch seinen Bruder an sich gehalten hatte, dass Hizumi ihn nun zu trösten versuchte. Karyu schluckte trocken. In dem Ausdruck, der sich auf Hizumis dunkle Irden gelegt hatte, lauerte der vermeindliche Vorwurf, wie eine Spinne, die in ihrem fein gesponnenem Netz darauf wartete, dass er sich darin wie ein zappelnder Schmetterling verfing und somit als eine leicht zu habende Mahlzeit dienen würde. Karyu verspürte den Drang davonzulaufen, wie einen Urinsinkt, aber dennoch konnte er sich nicht lösen; sich lösen, das wollte er auch gar nicht, nie wieder wollte er das. 

"Wieso bist du nicht mehr zu mir gekommen?", fragte Hizumi mit seiner leisen gebrochenen Stimme, die Karyu dazu verleitete, wieder beruhigend über den Rücken seines kleinen Bruders zu streichen. "Du hast es mir doch versprochen" 

"Vergib mir, kleiner Bruder. Ich-", Karyu stockte. Er konnte ihm unmöglich sagen, was geschehen war. Das waren Dinge, die in der Vergangenheit zu verschwinden und nicht in aller Munde zu liegen hatten. "Ich war verhindert", fuhr er fort, "Die Arbeit, verstehst du? Ich konnte nicht mehr weg, obwohl ich alles versucht habe. Hast du meine Briefe nicht bekommen?"
 

Er hatte gar keine geschrieben. 
 

Obwohl Hizumi ruhig zu hörte, musste er mit dem Kopf schütteln. 
 

Karyu sah ihn bekümmert an, obgleich es ein ehrliches Gefühl war und doch zum Teil einfach zu seinen Worten passen musste. "Das ist schade. Doch glaub mir, ich hab dir immer geschrieben" 
 

Hatte er nicht. 
 

"Glaub mir, ich hab so lange mit dir wieder Kontakt aufnehmen wollen, aber mir waren die Hände gebunden!" 
 

"Aber jetzt bleibst du bei mir, oder Ni-San?" Hizumis leise Frage brachte Karyu für einen Moment vollkommen aus der Fassung. Er hatte bereits nicht mehr daran geglaubt, dass der Andere dies noch einmal fragen würde, hatte diesbezüglich schon jegliche Hoffnungen fallen lassen. Ein kleines, dankbares Lächeln schlich sich deshalb auf seine Züge. Vielleicht hatte er das Vertrauten seines Bruders doch noch nicht gänzlich verloren, wie er es bereits befürchtet hatte. 

Karyu nickte. 
 

"Jetzt bleibe ich bei dir. Jetzt werde ich nie mehr gehen, hörst du? Nie mehr, das verspreche ich dir!", antwortete Karyu dennoch ehrlich und gab auch ebenso ehrlich sein Versprechen. 

Aber Hizumi sah ihn lediglich lange an, verinnerlichte die Worte seines Brurders und musterte den Hochgewachsenen, in dessen Augen das Flehen so groß war wie die Weiten des Ozeans, wo Himmel und Erde miteinander verschmolzen schienen und alles drohte wie am Rande der Gezeiten überzulaufen. Karyu tat dieser durchdringende Blick weh, fast, als würde ihm bis auf die Seele hinab geschaut werden, die so rastlos in seinem Körper schwamm, und dennoch wusste er, dass er sich diesem prüfenden Ausdruck zu unterziehen hatte. Seinem kleinen Bruder zuliebe würde er alles tun. 

Doch aus irgendeinem Grund spürte Karyu, dass sein Bruder genau wusste, dass er ihn belog. Er konnte die Klage in seinen Augen sehen, aber warum sprach Hizumi die Worte nicht aus, die sich bereits auf seiner Zunge zu formen schienen? 
 

"Wir", sprach der Hochgewachsene nach einer Weile gedehnt und langsam, als wolle er der Bedeutung der einzelnen Silben mehr Gewicht verleihen, "sollten jedoch nun aufbrechen" Karyu hörte sich sprechen, doch in Wirklichkeit fielen in seinen Gedanken ganz andere Worte, die er nicht schaffte, von sich zu geben, obwohl alles in seinem Kopf danach schrie, dass er sich erklären musste und seine Rechtfertigung auszusprechen hatte. 
 

"Wohin fahren wir denn, Ni-San?", fragte Hizumi, als habe er das vorherige Thema bereits in den Hintergrund geschoben, wenn nicht vollkommen vergessen. Karyu lächelte ihn sanft an, als er sich erhob und mit der Hand durch das Haar seines kleinen Bruders fuhr. 
 

"Eine lange Geschichte, die sich jedoch schnell erzählen lässt. Ich werde dir im Auto alles erklären", gab Karyu als Antwort und geleitete den Kleineren aus der Küche, der für einen Moment im Schlafzimmer verschwand, um sich anzuziehen und seine Haare zu durchkämmen, bevor er sich im Flur schließlich seine Jacke und den Schlüssel schnappte und sie gemeinsam die Wohnung verließen. Im Schweigen der kleinen Wohnung, in deren Luft sich die schweren, unausgesprochenen Worte verfangen hatten, blieb als einzige Antwort auf all die ungelösten Fragen lediglich das leise Gluckern der vergessenen Kaffeemaschine zurück.

Sayonara sagt man nicht


 

Grüß Gott !

Ich hoffe, dass all meine Leser gut ins Neue Jahr gekommen sind und nicht zu sehr weit gerutscht sind und, dass ihr ein frohes und besinnliches Weihnachten hattet (Ja, ich weiß, dass selbst der Januar schon bald rum ist xD ).

Momentan stecke ich im Abi-Stress und hab mir endlich mal die Zeit nehmen können, um auch dieses Kapitel aus der Versenkung hinaus zu zerren. Bis Kapitel 8 erscheint, wird es wohl noch einige Zeit dauern, da ich nur Freitags im Sowi-ZK (im Schülermunde auch gern Zwangskurs genannt, Höhö!) für einige Minuten die Zeit finde und einige Zeilen zu Papier klatsche.

Ich hoffe (mal wieder.. eigentlich.. ANDAUERND!), dass ihr mir die langen Wartezeiten verzeihen könnt. Snüff. Ich versuche mich zu beeilen!

Have fun!

P.S

Und ein spezielles Dankeschön an die liebe Nefaria, die wieder alles gebetat hat. =)

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Die Brüder hatten während der Fahrt kein Wort miteinander gesprochen. Hizumi hatte sich damit zufrieden gegeben, sich lediglich an seinen Bruder zu schmiegen und etwas von der verlorenen Nähe nachzuholen, der er so lange bedurft, die er aber nicht bekommen hatte. Als er ausstieg hatte er keinerlei Antworten auf seine Fragen erhalten und er fragte sich nur, was aus seinem Bruder geworden war; was war geschehen, dass dieser sich so verändert hatte? Aber Hizumi wusste gleichermaßen, dass er Antworten bekommen würde - früher oder später. 

Doch im Augenblick war das Gebäude viel interessanter, dass mit der weißen Färbung sich wie ein Zahn in den Himmel schraubte und zu dem riesigen Kiefer dieser tosenden Stadt gehörte. Hizumi legte den Kopf in den Nacken, aber nicht einmal so konnte er die Spitze des Wolkenkratzers sehen, lediglich die Ränder einer im Wind tanzenden Fahne konnte er von hier aus erkennen. Wie die anderen Gebäude, die von oben bis unten mit den verschiedensten Büros besetzt sein mussten und den glotzenden Ausdruck von Bienenwaben hatten, war auch dieses Gebäude von neumodischer Architektur und auch wenn in dieser Gegend ein Bürogebäude neben dem Anderen stand, hob sich dieses dennoch deutlich von allen Anderen ab, als wäre es von einer souveränen Aura umgeben, die alles andere um sie herum verschlang. Die Fenster waren groß und jeglicher schwarzer Stahl, der verbaut worden sein musste, wurde von der weißen Farbe übertüncht, die in der im Zenit stehenden Sonne fast blendend im Auge stach. Und glaubte Hizumi nicht daran, vor einem weiteren Mastbetrieb der Wirtschaft zu stehen, für ihn sah es mehr aus wie eine altertümliche, unerschütterliche Pagode, die würdevoll über alles andere hinweg blickte, die Umgebung bewachte und gleichzeitig wie ein warnendes Monument da stand, als wolle es die Dämonen des Untergrundes fernhalten. Das Gebäude barg eine deutliche Handschrift, die Hizumi dennoch nicht bemächtigt war, zu lesen. 
 

"Was machen wir hier, großer Bruder", fragte Hizumi den Hochgewachsenen, der mit einer knappen Handbewegung ihn anwies, ihm ins Innere zu folgen.

Die Limousine hatte direkt vor dem Haupteingang geparkt. Wie immer wurde von den beiden Guards für sie eine Schneise in die vorbei strömende Passantenmasse geschnitten, sodass sie ungehindert hinein gehen konnten. Ihre Schritte wurden von dem roten Teppich gedämpft, der bis zur Kante des Gehweges ausgerollt war und so wirkte, als wolle das Gebäude ihm einladend die Zunge entgegen strecken. 
 

"Ich arbeite hier", antwortete Karyu diesmal und grüßte zum zweiten Mal strahlend lächelnd die beiden Empfangsdamen, die hinter der großen, modernen Rezeption an ihren unscheinbaren Computern arbeiteten. 
 

Von Außen wirkte das Gebäude mehr wie ein zu teuer geratenes Hotel, dessen Suiten in den oberen Stockwerken nur noch von einer gehobeneren Gesellschaftsklasse bezahlt werden konnten. Und doch lag auch im Innern der Duft des stillen Kampfes zwischen Altem und Neuem in der Luft, den Hizumi neugierig und begierig in seine Nase sog. Es war ein entspannter Mischmasch aus den verschiedenen Stilen, den der junge Japaner durchaus als angenehm empfand. Liebend gern hätte er sich einfach zu einer der Sitzgruppen bewegt und sich in einen der übergroßen, weichen Sessel fallen lassen, um die Stille zu genießen, die zwischen dem angestrengten Raunen der fleißigen Arbeiter deutlich herrschte. Ihm kam diese Ruhe bekannt vor, doch er konnte nicht sagen, woher. Er fühlte sich sicher, geborgen, als könne ihm Nichts geschehen, solange er hier war. Aber das Interesse für dieses unterschwellige Gefühl verlor sich schnell, da Hizumi sich bemühen musste, mit seinem Bruder Schritt zu halten, der bereits an der Rezeption vorbei in einen unscheinbaren Gang eilte und sich seines Weges sicher war. 

Überall hasteten Leute mit Papieren in den Händen durch die verschiedene Gänge, die sie gemeinsam zunächst passierten, und aus den verschiedensten Winkeln konnte er die schrillen Laute der Telephone hören, die meist jedoch bereits nach dem ersten Schellen abgehoben wurden. 
 

"Hier unten ist alles ein wenig turbulent, sobald wie nach oben kommen wird sich das aber legen", erklärte Karyu, als sie am Ende des Ganges nach rechts abbogen und auf einen Fahrstuhl zukamen, der als einzige Kabine die Wand einnahm. 
 

"Als was genau arbeitest du denn, Nii-San?" 
 

Der Zeigefinger des Hochgewachsenen glitt suchend über die Anzeigetafel des Fahrstuhls, als hätten die Worte des Kleineren ihn durcheinander gebracht. 
 

"Das ist schwer zu erklären", sagte Karyu nachdenklich, während er den obersten Knopf der Anzeigetafel betätigte und sich die Türen des Fahrstuhls lautlos, nur von einem leisen, mechanischen Surren untermauert, schlossen. "Früher, nach dem Studium, haben wir, also mein bester Freund und ich, noch klein angefangen und uns um den Verkauf und allerhand Wirtschaftsgeschichten gekümmert", erzählte Karyu, während der gläserne Fahrstuhl nach oben glitt und ihnen hin und wieder die Möglichkeit auf einen Einblick in die Geschäftigkeit des Unternehmens gab. "Mittlerweile, wie du siehst, ist das hier lediglich nur noch eine Hauptstelle. Bisher haben wir, bis auf ein paar wenige und eher unbedeutende, alle großen Firmen dieses Landes unter Vertrag und deren Produktion übernommen. Das alles ist nicht ganz leicht zu managen, aber wie du siehst kommen wir sehr gut damit zurecht. Also kannst du sagen, dass wenn du etwas kaufst, es zu 90% von uns stammt." 
 

Karyu grinste selbstzufrieden, als Hizumi ihn mit großen, staunenden Augen ansah und lautlos mit den Lippen ebensolche Ausrufe des Erstaunens formte, eh er einen Schritt vor trat und sich wie ein Kind gegen die Glastür drängte. 
 

"Das heißt also, wenn ich mir endlich meine neue PSP leisten kann, dass ich dann praktisch bei euch einkaufe?", fragte Hizumi und wandte sich halb zu dem Hochgewachsenen, der in der Mitte der Kabine stand, als habe er einen unsichtbaren Punkt bezogen, und verschrenkte adrett die Arme hinter dem Rücken, machte dadurch einen regelrecht stolzen Eindruck. 
 

"Naja nicht ganz", antwortete Karyu und beschwichtigte die Worte seines Bruders mit einer wedelnden Handbewegung. "Bisher haben wir Sony noch nicht in unserer Firma, aber wir hoffen, dass sich das noch ändert, denn das wäre wirklich noch eine Bereicherung" 

Karyu konnte den imaginären Pfeil spüren, der sein Herz bei dem Gedanken durchstoß, dass sein Bruder es tatsächlich geschafft hatte, ausgerechnet seinen Wundenpunkt zu treffen, den Zero am Morgen noch in ihm aufgerissen hatte. Aber von hellseherischen Fähigkeiten wusste der Hochgewachsene nichts, außer Hizumi verschwieg ihm etwas, doch da dieser Fall eher abwegig war, musste er dies wohl als einen unglücklichen, wenn auch schmerzhaften Zufall verbuchen. 
 

Während der Fahrstuhlfahrt, die für Hizumi ungewöhnlich lange dauerte, konnte es der junge Japaner nicht unterlassen, jeden staunend zu beäugen, den er hinter der Glastür erkennen konnte. Er hatte schon immer gewusst, dass aus seinem großen Bruder etwas werden würde und seine Eltern ebenso. Dass jedoch aus einem Bauernsohn ein erfolgreicher Wirtschaftsmann geworden war und in einem glattgebügelten, maßgeschneidertem Anzug von seinen industriellen Erfolgen sprach, war für Hizumi ein Gedanke, der zunächst nicht in seinen Kopf gehen wollte. Früher, als Kind, hatte er sich stets versucht vorzustellen, wie es sein würde, wenn er den Fernseher anschaltete und seinen Bruder dort erblicken würde. Und nun, wo diese Vorstellung gar nicht mehr den phantastischen Klang seiner Kindheit besaß, beunruhigte es ihn auf eine gewisse Art und Weise. Zumal er noch immer nicht wusste, wohin diese Fahrt ihn bringen würde, geschweige denn was ihn überhaupt erwartete. Karyu hatte kein Wort darüber verloren, warum sie so überstürzt hatten aufbrechen müssen. 
 

Um zu der obersten Etage des Hochhauses zu gelangen, mussten sie einmal umsteigen. Als Hizumi den Fahrstuhl verließ, wurde ihm schwindlig, als er einen Blick aus der Panoramafront wandte, die sich zu ihrer Rechten befand und bis zum Ende des Ganges wie eine Galerie erstreckte. Gerne hätte er gefragt, wie viele Etagen das Gebäude tatsächlich besaß, aber er traute sich nicht. Karyu strahlte eine warnende Aura aus, die ihn zurück schrecken ließ. Der Größere machte einen ungewohnt angespannten Eindruck auf ihn, als materialisierte sich dessen Furcht vor Etwas, wie eine greifbare Hülle um diesen herum. Etwas bedrückte den Anderen, dass konnte Hizumi genau sagen, wenn er auch nicht wusste was, aber es war, als könne er das Zittern in dessen Beinen regelrecht sehen, als sie durch einen leeren Flur gingen und auf einen weiteren Fahrstuhl zukamen, der sich von hier aus direkt im Zentrum des Gebäudes befinden musste. Hizumi betrat die Kabine mit einer Mischung aus höflicher Distanzierung und kindlicher, verlangender Neugierde. Je weiter sie nach Oben kamen und sogesehen auch auf das, was das Ziel ihres Marsches darstellte, zukamen, desto ehrfürchtiger wurde er. Die Ruhe, die er bereits im Foyer der Firma wahrgenommen hatte wie der laue Duft der Blumen im Frühjahr, der ihn umgeben hatte, als er in seinen Kindertagen durch die Flora und Fauna seiner Heimat gestriffen war, erlangte eine eigenartige Intensität, die zuweilen schwer auf ihm lastete aber gleichzeitig keine Bedrohung ausstrahlte. 

Hizumi musterte die Kabine. Sie hatte ebenso wie das Flair, das in der Luft lag, ein anderes Erscheinungsbild, als würde er gleichzeitig eine andere Epoche betreten. Der Innenraum war, wie es ihm bereits im Rest des Gebäudes aufgefallen war, im strengen Stil der fünfziger Jahre gehalten. Er mochte den Stil, denn in seinen Augen war er ein angenehmer Kontrast zu der hektischen Moderne der Großstadt. Die braungemusterten Samtwände schienen die Ruhe regelrecht zu speichern, die Hizumi bereits nun schon als einen ständigen Begleiter empfand. Doch fragte er sich, woher ihm der Beigeschmack, der sich in diesem leisen Gefühl versteckte, so bekannt vorkam. Es lag ihm auf der Zunge, aber Hizumi konnte den Gedanken nicht richtig greifen. Ihn beschäftigten einige andere Fragen, die er zunächst geklärt haben wollten. Aber dafür bedurfte er die Antworten, die sein Bruder ihm seit geraumer Zeit verweigerte. 
 

Um den Fahrstuhl dieses Mal in Gang zu bekommen, bedufte Karyu sich eines kleinen, goldenen Schlüssels, den an einer langen, feinen Kette unter seinem Hemd versteckt gehalten hatte. Hizumi hob erstaunt eine Augenbraue. 
 

"Ein Schlüssel?" 
 

Karyu nickte und schob den Schlüssel gleichzeitig in das kleine Loch, das in der Messinganzeige eingelassen war und neben einer versteckten Sprechanlage, die den üblichen Sicherheitsstandart erfüllte, war dies auch die einzige Öffnung. "Diesen Fahrstuhl können nur drei Leute benutzen" 
 

"Das bedeutet?", hakte der Jüngere nach und musterte mit großen Augen abwechselnd seinen Bruder und den Schlüssel. 
 

"Wir betreten die Chefetage" Karyus Grinsen wirkte ebenso stolz wie die Art, mit der er die Worte aussprach, während er den Schlüssel herum drehte. Die Stahlseite spannten sich mit einem metallischen Klacken, eh die Kabine im Schacht nach Oben gezogen wurde. 

Auch wenn Hizumi keine Angst vor Fahrstühlen hatte oder der Höhe, in der sie sich mittlerweile befanden, umschlossen seine Hände wie von alleine die massive Halterung, er lehnte sich entkräftet gegen den Spiegel. Chefetage? Was bedeutete das alles? Hizumi verstand gar nichts mehr, aber in seinem Innern vernahm er bereits die Vorahnung auf das, was kommen würde. Karyu schenkte ihm ein zartes, aufmunterndes Lächeln, als er ein ratloses Seufzen ausstieß und die Anzeigetafel taxierte, die in kleinen roten Digitalzahlen den Countdown anzeigte bis sie die Chefetage erreichen würden. Im Gegensatz zum vorherigen Fahrstuhl, mit dem sie die meiste Höhe des Gebäudes überwunden hatten, bestand dieser aus einer geschlossenen Kabine. Hizumi atmete leise und tief, als er spürte wie sein Brustkorb sich zusammenzog und seine Schultern von den großen Händen der Klaustrophobie ergriffen wurden. Er hatte keine Angst. Dennoch pulsierte die Aufregung in seinen Adern, dass das Herz ihm aufgeregt gegen den Hals schlug. Er verspürte lediglich das Gefühl der Furcht, weil sein Bruder ihm nichts verraten wollte. Karyu beantwortete nur das, was dieser auch beantworten wollte - so machte es zumindest auf ihn den Anschein. Hizumi musterte seinen Bruder unauffällig. Früher war der Hochgewachsene wirklich anders gewesen, hatte ihm alles erklärt, was er hatte wissen wollen, aber nun pflegte er eine Art, die ihm gänzlich fremd war. Karyu hatte sich verändert auf eine Art und Weise, die ihm Angst einjagte. Es war nur ein ganz kleiner Hauch, der sich wie eine Maske auf dessen Gesicht legte; ein kleines, kaum bemerkbares Glimmen in dessen Augen, aber es war ein Ausdruck, den er nicht zu deuten vermochte. Oder wollte er es vielleicht nicht? 
 

Ein leises, melodisches Klingeln, das ihnen signalisierte, endlich die gewünschte Etage erreicht zu haben, riss ihn aus seinen Gedanken, die ihn mit festem Griff in seine Geistesabwesendheit gezogen hatten. Die Türen öffneten sich mit einem kaum hörbaren Rattern. Hizumi hob seinen Blick, schaute stumm in den weiten Raum, der auf ihn gar gewaltig wirkte. Karyu lächelte ihm aufmunternd zu, lud ihn mit einer einfachen Geste ein, aus dem Fahrstuhl zu treten und ihm gleichermaßen wieder zu folgen. Hizumi zögerte. 
 

"Was ist los, Bruderherz?" Karyus Stimme war warm und fürsorglich. Hizumi sah ihn lediglich an. 
 

"Nichts" Seine Antwort war ungewohnt kurz. Selbst Karyu stutzte kurz, nahm sie dann mit einem Nicken hin und wartete, bis sein Bruder ihm folgte. Miyako, die hinter ihrem wuchtigen Schreibtisch saß und sich nachdenklich den Bleistift in ihr Haar drehte, schreckte förmlich auf, als die Beiden sich ihr näherten. 
 

"Karyu-San?" Die junge Frau musterte sie verdutzt. "So früh habe ich Sie noch nicht erwartet." 
 

"Es ging doch schneller, als gedacht", log Karyu mit einem schiefen, charmanten Lächeln und holte Hizumi zu sich. "Hizumi, das ist Miyako. Sie ist die Chefsekretärin hier und hat so zu sagen den vollen Überblick über all die Termine und eine große Unterstützung in unserer Organisation. Miyako, das ist Hizumi. Mein... kleiner Bruder" 
 

Miyakos Augen, die von der Müdigkeit noch immer leicht verschleiert waren, weiteten sich überrascht. "Kleiner Bruder? Karyu-San, Sie haben mir gar nicht erzählt, dass Ihr Bruder in der Stadt ist. Hallo, freut mich Sie kennenzulernen" Die junge Frau erhob sich und verbeugte sich mit angemessener Tiefe. Hizumi lächelte und tat es ihr gleich. 
 

"Ebenso. Miyako ist wirklich ein schöner Name", sagte Hizumi ehrlich und musterte die Ältere. Sie wirkte verschlafen, aber dennoch war sie durch und durch freundlich, wenngleich auch in ihren Augen der kleine Kristall der Tragödie glänzte. Es irritierte ihn, dass jeder, dem er begegnete, diesen Ausdruck inne hatte. Die Sekretärin lachte ein ehrliches und herzliches Lachen. 
 

"Also wirklich! Charmant wie der große Bruder, das muss eindeutig in Ihrer Familie liegen" 

Karyu lächelte zerknittert. Ohne eine Wort zu sagen, wandte er sich von dem Schreibtisch ab und machte einen Schritt auf den Gang zu, der als Einziger Weg von dem Foyer wegführte. 
 

"Ist Zero soweit?" 
 

Miyako warf einen kurzen Blick auf den Terminkalender, der neben ihrem Monitor lag, obwohl sie die Antwort längst wusste. "Zero-San hat das Büro nicht verlassen, er wird Sie also empfangen" 
 

Karyu nickte verstehend. "Kommst du?", fragte er an Hizumi gewandt. Der Jüngere nickte, schenkte der Dame noch ein letztes Lächeln, eh er mit verhaltenen Schritten dem Hochgewachsenen folgte. 

Der Gang vor ihm wirkte wie ein Schlund. Hizumi konnte die genaue Länge nicht einschätzen, aber er erschien ihm endlos. Als würde er über die Breite des Gebäudes hinaus ragen, als hätten sie eine andere Dimension betreten, in der gleichermaßen andere Maßstäbe galten und Gesetz waren. Ihn verwirrte dies alles. Seine Beine widerstrebten ihm regelrecht, auch wenn er in seinem Körper eine Präsenz spürte, die ihn voran zog. Als würde er von etwas angezogen werden. Am Ende des Flures konnte er eine schwere Tür ausmachen, die größer wurde und wuchs, je näher er dieser kam. Sein Leib sträubte sich, dennoch folgte er Karyu mit kleinen, schnellen Schritten, als fürchtete er den Kontakt zu diesem zu verlieren. 

Ungewollt musste er sich an den Fremden erinnern, dem er am gestrigen Tag begegnet war. Etwas lag in der Luft, das ihn daran erinnerte. Doch es jagte Hizumi Angst ein, dass diese Situation der gestrigen so verdammt ähnelte. Mehr und mehr wurde ihm der Gedanke der Yakuza schmackhafter, zumindest war es die einzige logische Erklärung für alles, die ihm dazu einfiel. Aber er traute sich nicht Karyu danach zu fragen. Jedes Mal, wenn er eine Antwort von dem Hochgewachsenen erhielt, klang sie wie einstudiert: kalt, unpersönlich. Ihm war es wahrlich unangenehm, mit seinem großen Bruder zu sprechen, auch wenn ihm die Bitte - ihm alles zu erzählen, was in den vergangenen Jahren geschehen war - noch immer auf seiner Zunge lag, dass er sie förmlich auf seiner Zungenspitze balancieren konnte. Hizumi wüsste so gerne, in was für Gefilde er geraten war. Wenngleich er sich darüber freute, seinen verloren geglaubten Bruder nach nur einer handvoll Tagen wiedergefunden zu haben, widerstrebte ihm der Gedanke, dass alles nicht so ablief, wie er es sich vorgestellt hatte. Gerne wünschte er sich, wieder an der Seite des Fremden zu sein. Hizumi hatte sich so sicher gefühlt, diese Sicherheit fehlte ihm nun regelrecht - ein tiefgründiges Gefühl, das nicht einmal Karyu im Augenblick vermochte, ihm zu spenden. 
 

"Wir sind da" 
 

"Wo?" 
 

Der Hochgewachsene lächelte matt und tätschelte seinem Bruder die Schulter. 

"Du hattest wohl eine außerordentlich merkwürdige Begegnung, kleiner Bruder. Das tut mir leid" 
 

Das unsichtbare Fragezeichen, das sich neben Hizumis Kopf aufgetan hatte, den er nachdenklich und mit einer stummen Frage behaftet ein wenig zur Seite neigte, wuchs ein wenig, bis auf einmal ein nicht hörbares Klicken die Seifenblase seiner Ratlosigkeit platzen ließ. Hizumis Augen weiteten sich schlagartig, als er zu verstehen begann. 

"Du weißt davon?!", stammelte Hizumi und verlagerte sein Gewicht unruhig von einem Bein auf das Andere. "Das ist doch unmöglich, wie kannst du nur davon wissen?!" 
 

Doch sein großer Bruder lachte nur leise und ebenso geheimnisvoll, sodass Hizumi im ersten Augenblick nur verwirrt blinzelte, und hob beschwichtigend seine Schultern, eh seine linke Hand die Klinke umschloss und die Tür langsam aufschob. "Weißt du, in meiner Position ist es nicht gerade schwer, etwas heraus zu finden. Vor allem nicht, wenn man so einen Chef hat, wie ich", sagte der Hochgewachsene mit einem geschwungenen Lächeln auf seinen Lippen, als wäre er förmlich stolz über das, was er sagte, und schob seinen Begleiter zuerst in das große Büro, bevor er dieses zum zweiten Mal an diesem Tag selbst betrat und die Tür hinter sich leise wieder ins Schloss zog. 

Zerfall der Träume


 

Grüß Gott !

Für meine Verhältnisse war ich dieses Mal richtig schnell, was das Schreiben anging und ich bin sehr stolz auf mich. :3 Wie das mit Chapter 9 aussieht, kann ich noch nicht versprechen, weil das Abitur nun so richtig in die Endrunde geht und mein Gehirnschmalz sich, gelinde ausgedrückt, auf etwas anderes konzentrieren muss.

Aber, dafür, um euch zu ärgern, habe ich schon ein schönes Ende für diese Story gefunden. Muahaha~♥

Vielen dank an Nefaria! Ich finde meine Fehler haben sich schon etwas verbessert und es ist toll mit der Betaleserin in einem italienischen Eiscafé zu sitzen, bei einem richtig sonnigen und warmen Tag, und um eine Latte zu wetten, dass ich 'Telephon' mit 'F' schreibe. xD

Und dieses Mal auch ein ganz spezielles Dankeschön an die liebe abgemeldet! Meine treue und fleißige Kommentarschreiberin hier und auf Animexx. Deine Kommentare sind richtig aufbauend und ich freue mich einfach jedes Mal von dir zu lesen. Danke sehr. =3

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Das monumentale Tor des Büros, das nur wenige Schritte vor ihnen lag, sandte seinen warmen Odem der vertrauten Einladung in seine Richtung, umspielte mit zarte Fingerspitzen sein Gesicht und trug jegliche Furcht davon, die ihn im Innern dieses Gebäudes ergriff und auch in der trauten Nähe seines geliebten Bruders nicht von seiner Seite wich.

Nun war es das warme Gefühl der Vertrautheit, das sein Herz wärmte, das zittrig in seiner Brust flatterte; Hizumi fand keine Erklärung für diese Reaktion, genoss vielmehr dieses ihn ergreifende Empfinden, von dem er wusste, dass er dieses schon einmal in vollem Genuss verspürt hatte und von dem er ebenso wusste, dass es ihn beschützen würde – es schon einmal getan hatte. Ein Genuss, der sich warm auf seine zitterde Brust legte, ihn wärmte, beruhigte, in seine Adern strömte und dort ein Gefühl des Glücks und der Zuversicht verbreitete, als könne er in dessen Gegenwart blind auf einem schwebenden Balken balancieren, ohne in die drohenden Tiefen der Dunkelheit zu fallen, wo das Feuer des Unglückes brannte. Da war auf einmal etwas so wunderschönes in seinem Herzen, das Hizumi nicht loslassen wollte.

Dennoch traf der Blick seines Bruders ihn mit seinen stummen Fragen der Besorgnis, hart und und ungezügelt, als Hizumi auf das Augenmerk aufmerksam wurde, das voller Beunruhigung auf ihm lastete.
 

„Du brauchst nicht aufgeregt sein“, sprach der Hochgewachsene sanftmütig und der zuvor sorgsame Ausdruck in Karyus dunklen Augen verwandelte sich in den wohlebkannten, beruhigenden Farbton, mit dem der Ältere ihn so oft bedacht hatte.

Doch obwohl er der Selbe war, wirkte er entstellt und verzerrt, wollte nicht zu dem Eindruck passen, den Karyu in den letzten Minuten bei ihm hinterlassen hatte. Karyu war der Selbe, dennoch sonderbar anders. Oder war er selbst es?

Hizumi wusste es nicht, lächelte nur zerknittert und folgte dem Größeren in das Büro, dessen Wirt bereits auf sie wartete.
 

„Gab ich dir nicht einen genauen Zeitpunkt deiner Wiederkehr, Freund?“, sprach die klare, dunkle Stimme, die das Innere des im 50er Jahrestil eingerichteten Büro bis in die letzte Ecke machtvoll, souverän erfüllte. Das Sonnenlicht, dass durch die Fenster strömte, umschmeichelte die dunklen Mahagoni aus Wallnuss und Kirsche gefertigten Möbel, präsentierte sie in ihrer vollsten Eleganz. Sie schienen regelrecht zu leuchten, anstatt das Licht zu verschlucken. Und auch hier hatte das Holz sich mit der autoritären, souveränen Aura, die wie ein greifbarer Nebel in der Luft lag, voll gesogen.
 

„Deine Überpünktlichkeit missfällt mir ausnahmsweise bei Weitem“, fuhr die Stimme fort.
 

Karyu entschuldigte sich für sein Vergehen mit einem schweren Seufzen, das aus den Tiefen seiner Lungen an die Tagesoberfläche drang, während er sich in den Club-Sessel setzte und die lang ausgestreckten Beine am Fußknöchel locker überschlug.

Hizumi, der sich einen Moment lang von der kunstvollen Einrichtung hatte ablenken lassen, schloss den Mund, der ihm voller Erstaunen aufgeklappt war, ließ seinen Blick zu dem wuchtigen Schreibtisch gleiten, eh der Moment der Überraschung ihn mit einem harschen Zucken innerlich versteinern ließ. Der Augenblick war unwirklich, gespenstisch, wie aus einer Parallelwelt heraus gerissen und ihm vor die Nase gehalten, als der Magnat hinter seinem Schreibtisch hervorschritt, die Arme willkommenheißend ausgebreitet und mit dem selben, schmerzerfüllten, gezwungenen und doch ehrlichen Lächeln auf ihn zukam.

Der Langhaarige legte die Hände locker auf seine schmalen Schultern, anstatt sich in aller Förmlichkeit vor ihm zu verbeugen, während er selbst in den schwarzen Iriden versank, die bei ihrer ersten und, zuvor geglaubt, einzigen Begegnung noch vom Todeswunsch zerfressen waren, aber nun fremd und eigenartig freudig glänzten. Hizumi konnte sich vor Schreck gar nicht bewegen.
 

War das möglich ? - Konnte das tatsächlich sein ?
 

„Es ist schön Sie wohlauf und munter zu sehen, Hizumi-San“, sprach Zero, lächelte auf den Kleineren herab. Hizumi schob die Lippen auseinander, wollte etwas sagen, doch die Worte blieben an den mikroskopisch kleinen Widerhaken seiner Zunge kleben. Nur die Freude ihrerseits klopfte wie verrückt in seiner Brust, sodass er nur mit Mühe dem Drang widerstehen konnte, den Mann zu umarmen und sehnsüchtig an sich zu drücken.
 

„Du bist das“, hauchte der Schwazhaarige, konnte sich von dunklen Augen nicht lösen, die sanft auf seine Seele blickten und Hizumi mit vertrauter Sicherheit erfüllten. Hizumis Herz klopfte wohlig gegen seinen Rippenbogen.

Dieser Mann … Hizumi hatte geglaubt, diesen Mann nie wieder zu sehen, nachdem sie sich verabschiedet hatten. In der Nacht, bevor er vor regelrechter Erschöpfung eingeschlafen war, hatte die Sehnsucht ihn übermannt, als habe dieser Mann etwas in ihm und mit ihm davon gerissen. Und nun stand das Objekt seiner Inneren, unbewussten Begierde leibhaftig vor ihm.

Zero begegnete seinen Worten ein sanftes Lächeln, führte ihn zu dem Sessel, der gegenüber dem Schreibtisch stand und mit seinem weichen Leder einlud sich darauf niederzulassen. Den blick nicht von dem Langhaarigen weichend, setzte Hizumi sich nur langsam hin, konnte noch immer nicht seinen Augen trauen glaubte, in einem weiteren nächtlichen Traum gefangen zu sein, in dem ihm gezeigt wurde, was er sehen wollte. Doch egal, wie sehr Hizumi sich in Gedanken anstrengte, die Seifenblase seiner Traumwelt platzten zu lassen, es wollte nicht funktionieren, ließ ihn nicht los und er wachte auch nicht in der Dunkelheit seines Zimmers auf, umarmt von der Einsamkeit.

„Das ist also das Phänomen der Orientierungslosigkeit?“ Die ersten Worte, die Hizumi ausgesprochen bekam, waren nur leise gesprochen, regelrecht fiebrig und dennoch aufgeregt, sodass es ihm schwer fiel, ruhig sitzen zu bleiben.
 

„Ich hoffe, Sie verzeihen mir die gestrige Begegnung. Ich hatte keineswegs vor, Sie in Gefahr zu bringen“, sagte der Magnat, und setzte sich, ohne auf seine Worte zu reagieren, ihm gegenüber in den wuchtigen Drehstuhl. Hizumi hörte hinter seinem Rücken das verächtigte, wütende Schnauben seines Bruders, das jedoch sofort verstummte, als Zero einen tadelnden Blick an ihm vorbei warf.
 

„Durchaus“, entgegnete Hizumi hastig, nestelte nervös am Saum seiner Strickjacke herum, als ob er diese Begegnung als unangenehm empfinden würde! „Es tut mir leid, dass ich dich als einen Spinner bezeichnet habe“, murmelte Hizumi und schaute beschämt auf seine Finger.
 

„Von soweit hergeholt ist die Bezeichnung nicht“, antworte sein Gegenüber.
 

Hizumi richtete seinen Blick mit verwirrt krausgezogener Stirn auf den Älteren, wurde von dessen belustigtem Lächeln getroffen, das Hizumi zögerlich erwiderte. Er konnte den Gesichtsausdruck nicht vergessen, mit welchem er den Souverän kennengelernt hatte – durchdrungen von verschiedenen, unzähligen Emotionen, die sich alle zusammen zu einer unendlichen Leere vermischten. Ihn nun zu sehen, wie er dauerhaft dieses Lächen auf den vollen Lippen trug, dass Hizumi immer ungezwungener erschien, war ein ungewohnter Anblick, wenngleich er diesen Mann noch nicht lange kannte und er im Grunde genommen er nichts über diesen wusste und dennoch kam es ihm vor, als kenne er Zero seit einer Ewigkeit.

„N-Nein, dass … dass wollte ich wirklich nicht! Immerhin, immerhin werd ich ja nicht jeden Tag verfolgt“, wollte Hizumi sich rechtfertigen, doch Zero winkte nur ab.
 

„Ach, das macht doch nichts. Ich hoffe nur, dass Sie wenigstens beruhigt schlafen konnten“, sagte Zero und sortierte sinnloserweise die herumliegenden Blätter, die auf dem Schreibtisch ein ohnehin symmetrisches Muster ergaben. Hizumi verfolgte die behandschuhten Hände, die über die Tischplatte glitten und nach einem Ruhepunkt suchten, ihn erst fanden, als die in Leder gefassten Fingerkuppen zärtlich über den Bilderrahmen glitten.

„Ferner möchte ich mich bei Ihnen durch ein kleines Endgeld entschuldigen. Dafür, dass Sie diesem unadäquaten Stress ausgesetzt waren, und gleichermaßen bedanken, dass Sie mir Ihr Vertrauen geschenkt haben.“
 

Hizumi verstand nicht recht, wovon der Aristokrat sprach.

Bedanken? Entschuldigen? Der Magnat hatte doch bloß für seine Sicherheit gesorgt!

Hizumi wollte etwas sagen, doch wieder gehorchten ihm seine Stimmbänder nicht, als wären sie ebenfalls dem Älteren unterworfen. Er konnte nur beobachten, wie der Souverän der Stiftablage einen silbernen Füllfederhalter entnahm und gleichzeitig ein Scheckbuch aus der Schublade holte, die unter der Tischplatte angebracht war.

„Aber das brauchst du doch gar nicht!“, protestierte Hizumi und rutschte unruhig an die Kante des Sessels.
 

„Es ist mir aber ein Herzenswunsch, Hizumi-San. Mir ist ein Fehler unterlaufen, der mir nicht hätte passieren dürfen“, sagte Zero, der sich nicht abhalten ließ die Zeilen mit seiner filigranen Handschrift auszufüllen. Hizumi empfand sie als wunderschön, als er einen Blick auf das Papier warf, auch wenn er nicht sehen wollte, was der Magnat tat, und dennoch erkannte er dabei auch das Verletzbare, das in diesem Mann stecken musste, denn dieser besaß eine Linienführung, die zu zerspringen drohte, wenn er nur lange genug darauf schaute.
 

„Was denn für ein Fehler?“ Hizumi war empört, wollte am liebsten aufspringen und gehen, aber das Verlangen in der Nähe des Aristokraten zu bleiben war stärker. Doch was dachte sich dieser bloß dabei? War ihre Begegnung ein Fehler gewesen? War es ein Fehler gewesen nach dem Weg zu fragen und ihn zu begleiten? Hizumi empfand keines von diesem als einen Fehler!

Und genau diese Fragen, die ihm durch den Kopf schwirrten auf der Suche nach dem sogenannten „Fehler“, spiegelten sich angsterfüllt in seinen Augen wieder.

Als Zero aufblickte, den Füllfederhalter dabei zur Seite legend, erwiderte er seinen Blick für ein paar Herzschläge lang. Seufzend durchbrach der Magnat die Stille, die sich aufgetan hatte und mit der mächtigen Aura im Büro schweigend kämpfte.
 

„Ich hätte besser auf Sie Acht geben sollen“, sprach der Langhaarige und legte Hizumi den Scheck hin, für den der Schwarzhaarige sich dennoch nicht interessierte, nur zögerlichen seinen Blick kurz und fahrig darüber gleiten ließ.
 

„Das hast du doch“, wand Hizumi erneut ein, konnte nicht verstehen, warum Zero das sagte. „Immerhin hast du mich heile nach Hause gebracht.“
 

Zero schüttelte hauchfein sein Haupt, sodass die Spitzen seiner geflochtenen Zöpfe, wie vom Wind getragen, leicht wankten.

„Hizumi-San, bitte akzeptieren Sie diesen kleinen Obolus und ich werde dafür sorgen, dass diese Männer Sie in Ruhe lassen.“
 

Hizumi stieg ungewollt das Blut in den Kopf, als die Erklärung des Souverän ihn tief in seinem Herzen traf. Die ganze Zeit hatte er innerlich darauf gewartet, dass Zero alles zu seinem eigenen Gunsten auslegte, seinen Ruf reinwaschen und ihn darum bitten wollte, ihn zu vergessen, nie wieder an ihn zu denken oder nach ihm zu suchen. So, wie jeder normale Mensch es tun würde. Stattdessen aber sorgte Zero für seinen Schutz, auch noch jetzt, wo sie im Grunde genommen nichts mehr miteinander zu tun hatten. Abermals wollte Hizumi sich nicht von dem Aristokraten entfernen, wollte nicht die unüberwindbare Distanz zu dem Menschen, bei dem er sich geborgen fühlte.

Hizumi wusste nicht, was er tun sollte. Er wollte kein Geld, wollte nicht abgeschoben werden, doch gegen den Wunsch des Magnaten kam er gleichermaßen nicht an. Er war gefangen zwischen den Entscheidungen, die gerade in Form eines kleinem handlichen Papierchens vor ihm lagen.
 

„Sie dürfen ruhig zugreifen“, ermutigte Zero ihn mit einem flachen Lächeln, das kleine Grübchen auf die adelig weißen Wangen zog. Hizumi zögerte dennoch, konnte seinen Fingern nicht befehlen, sie auszustrecken, um den Scheck zu ergreifen weil der Befehl zwischen seinem Kopf und dem Arm irgendwo im Rücken stecken blieb.

Ein Räuspern rettete ihn aus seiner Not und Ratlosigkeit.

Auch Zero nahm sein Augenmerk von dem Beinah-Osaka-Jungen und richtete es fragend auf die dritte Person im Raume. Hizumi drehte sich seitlich auf dem Sessel, sodass er seinen Bruder anschauen konnte, der hinter ihm mit verschränkten Armen im Sessel saß und mit dunkler Aura grießgrämig das Geschehen verfolgte.
 

„Stimmt etwas nicht, Freund?“
 

Hizumi konnte dem Hochgewachsenen ansehen wie mühselig er die Worte herunterschluckte, die ihm auf der Zunge lagen und stattdessen mit ebenselbiger abwertend schnalzte. Mürrisch erhob Karyu sich, zupfte penibel sein Hemd zurecht um es von jeglichen Falten zu befreien, eh er ein paar Schritte durch den Raum trat, sich selbst zur Raison rufend.

„Ich denke, es ist besser wenn Hizumi-San nun geht“, stieß Karyu kurz und gezwungen ruhig aus. „In der Tat … Freund … das Angebot ist gütig, du kannst ihn allerdings auch nicht zwingen“, sprach der Blonde als er neben Hizumi stehen blieb und diesem beschwichtigend eine Hand auf die Schulter legte.
 

„Nein, nein! Ist schon in Ordnung, Ka-chan“, fiel Hizumi auf einmal rasch seinem Bruder ins Wort und erhob sich ebenso hastig, lächelte Karyu zerknittert an, griff nach dem Scheck, den er zuvor nicht hatte annehmen wollen, und drückte ebendiesen fest an sich, als könne ein Windhauch ihn seinen Händen entreißen.

„Ich möchte auch nicht unhöflich sein“, fuhr Hizumi gleichermaßen gehetzt fort, wandte sich wieder zu Zero, der ihn mit seinen tiefschwarzen Augen fragend musterte, doch Hizumi verspürte den Drang, fliehen zu wollen. Hinaus aus der fremden Welt, die er betreten hatte und in der er sich längst nicht mehr wohl fühlte, wenngleich er in der Nähe seines Aristokraten bleiben und dessen Schutz genießen wollte.

Karyu vermittelte ihm das Gefühl, unerwünscht zu sein und eben dieses zerrte an seinen Nerven, brach ihm förmlich das Herz.

„Das Angebot ist wirklich sehr großzügig. Ich danke dir sehr dafür, das werde ich irgendwann wieder bei dir gut machen“, sagte Hizumi, verbunden mit einer tiefen Verbeugung, die voller Dankbarkeit steckte. Doch eh er sich umdrehte und zur Bürotür ging, schenkte er Zero ein letztes, traugies Lächeln ohne ihn eines Blickes zu würdigen. Er war unerwünscht.

Ein deutlicheres Zeichen, dass seine Eltern und alle anderen Recht behielten, gab es doch nicht.

Wie blind war er eigentlich gewesen?

Warum war er so naiv gewesen und hatte geglaubt, alt genug zu sein, um auf eigenen Beinen zu stehen?

Hizumi wurde bewusst, dass er nicht die Fähigkeit besaß, sein eigenes Leben zu führen. Scheinbar war dies nicht seine Bestimmung und das musste er nun einsehen.

Mit schnell Schritten und ohne einen weiteren Blick hinter sich zu werfen, damit sich die schönen Züge des Aristokraten nicht in sein Gedächtnis brennen konnten, entfernte sich Hizumi von den Beiden. Doch der weiche, souveräne Klang dieser aristokratischen Stimme, dessen wohltuender Bariton seinen Namen mit wunderbarer Eigenart aussprach, hielt ihn zurück; hinderte ihn daran, davon zu laufen.
 

„Sie scheinen Karyu-San gut zu kennen, wenn Sie ihm einen solch vertrauten Kosenamen geben.“
 

Die Hand auf der Türklinge ruhen lassend, drehte Hizumi sich langsam zu den Anwesenden zurück, warf zunächst nur einen zögerlich prüfenden Blick über die Schulter, um sich zu vergwissern, dass er sich diese Worte nicht in einem Akt der Verzweiflung eingebildet hatte. Tatsächlich erwiderte Zero seinem Blick mit ungewohnter, menschlicher Neugierde und der Ausdruck in Karyus Gesicht war ebenso erschrocken wie verwundert wie sein eigener.

„Natürlich“, antwortete Hizumi und konnte den Protest in seiner Stimme nicht verbergen. „Er ist schließlich mein Bruder.“
 

„Ihr Bruder?“

Wieder schwang sich eine Augenbraue des Magnaten penibel nach oben. „Freund, du hast mir noch nie von deinem jüngeren Bruder erzählt“, sprach Zero, fast entzückt darüber, eine neue Information heraus gefunden zu haben.
 

„Natürlich habe ich das“, zischte der Hochgewachsene grollend, während er trotzig die Arme vor der Brust verschränkte und sich von den Anderen abwandte. Hizumi sah ihn verwirrt nach. Hatte Karyu etwa seine Existenz verschwiegen? Er wusste nicht, welchem von Beiden er Glauben schenken sollte, aber einer von ihnen musste Recht haben.
 

„Dann brauchen Sie ja von nun an nicht weitersuchen“, sagte der Langhaarige an Hizumi gewandt. Dieser nickte und lächelte, um seine Freude darüber zum Ausdruck zu bringen. „Sagen Sie, Hizumi-San -“
 

„Du brauchst mich nicht siezen. Du kannst ruhig 'Du' zu mir sagen.“
 

„Haben Sie eigentlich schon eine Arbeitsstelle?“, fragte Zero ohne sich von dem Zwischenruf des Jüngeren beirren zu lassen. Hizumi blinzelte verwirrt.
 

„Nur ein kleiner Nebenjob. A-Aber wie kommst du denn nun darauf ?“, fragte Hizumi und runzelte fragend die Stirn. Was spielte das denn nun für eine Rolle ? War es nicht nebensächlich, wo er arbeitete, wenn er eh vor hatte, wieder nach Hause zu gehen ? Dorthin, wo er sicher bei seinen Eltern war und auf deren Reisfeldern arbeiten und helfen konnte ? Vielleicht wäre es besser, wenn er einfach nach Osaka ging und sich eine sinnvolle Ausbildung suchte. Er wusste doch nun, dass Karyu am Leben war und wo dieser wohnte, was dieser machte, also hatte er seinen Wunsch bereits erfüllt.
 

„Nunja, ich habe noch eine Stelle frei“, sprach der Langhaarige.
 

„Hast du nicht“, zischte Karyu, sichtlich boshaft, der vom Fenster mit ausladenden Schritten zurück zum Schreibtisch ging und sich auf dem Platz niederließ, auf dem Hizumi zuvor gesessen hatte. Doch auch dieser Zwischenruf zog keine Aufmerksamkeit auf sich. Zero wandte nicht eimal seine Augen von Hizumi ab, sondern lächelte eher belustigt und faltete die Hände zusammen, um seinen Worten mehr Ausdruck zu verleihen.
 

„Ich könnte durchaus eine helfende Hand bei meinen Akten gebrauchen. Was halten Sie davon, Ihre momentane Stelle aufzugeben ?“
 

Hizumis Augen weiteten sich vor Erstaunen und Unglauben.

Was sollte er?

Er stutzte.

Und dennoch konnte er das sich Grinsen nicht verkneifen, das auf seine Mundwinkel trat und sein Gesicht zum Strahlen brachte. Hizumi nickte, ohne viel darüber nachzudenken oder abzuwägen, welche Folgen das für ihn haben könnte.
 

„Phantastisch!“ Zero klatschte in die Hände, um seiner Freude einen gekonnten Ausdruck zu verleihen. „Dann können Sie auch gerne hier bleiben, um sich etwas einzugewöhnen. Um eine entsprechende Kündigung werde selbstverständlich ich mich kümmern, um lästigen Papierkram zu vermeiden. Überlassen Sie sämtliche bürokratischen Angelegenheiten mir -“
 

„Hizumi, würdest du bitte draußen warten und dich so lange bei Miyako hinsetzen. Du kannst so lange einen Tee trinken.“ Mit grollender Stimme sprang Karyu, der zuvor nicht beachtet worden war, wieder von seinem Platz auf und ließ sich wegen seines herrischen Ganges nicht unterbrechen oder zurück in den Hintergrund drängen.

Hastig zog der Hochgewachsene die Bürotür auf und schob seinen kleinen Bruder aus dem Raum, gab ihm nicht die Chance zu reagieren oder zu protestieren, sondern warf die Tür laut knallend zurück in die Angeln.

Karyu wartete, bis die Schritte hinter der Tür langsam leiser wurden und sein Bruder somit außer Hörweite geriet, bevor er sich ruckartig umdrehte und Zero mit wutentbranntem Blick regelrecht zerfleischte.

„Was zum Donnerwetter fällt dir eigentlich ein?!“, rief Karyu mit lauter und vor Wut bebender Stimme und ballte seine Hände zu Fäusten. „Wie kannst du es wagen, zu behaupten, ich habe dir niemals von meinem Bruder erzählt?! Ich spiele einiges mit, aber das, mein Lieber, das geht eindeutig zu weit!“

Mit schnellen, aufgebrachten Schritten war Karyu an den Schreibtisch herangetreten, hinter dem Zero sich mit aller Seelenruhe seine Handschuhe richtete und sich mit geschmeidiger Dominanz von dem Drehstuhl als ein ehrfürchtiger Gegner erhob und mit dunklen, vor Zorn verzerrten Obsidianen den Blonden taxierte.
 

„Mäßige dich, Karyu“, befahl der Magnat ruhig, aber dennoch bestimmend. Als Karyu seinen Mund öffnete, um zu protestieren, sprühten die schwazen Irdien vor aufflackerndem Jähzorn, ob des Ungehorsams des Hochgewachsenen, sie sendeten eine unfehlbare Warnung an ihn. „Setz dich, Freund“, ordnete der Souverän an, und Karyu wagte es nicht, sich erneut zu widersetzen, dennoch schürte dies seine Wut. Ohne ein weiteres Wort ließ sich Zero wieder in seinem Drehstuhl gegenüber von dem Blonden nieder.
 

Mit ruhiger, schon sadistischer Gelassenheit lag der durchdringende, tadelnde Blick des Magnaten auf dem Hochgewachsenen, dessen Wut greifbar in der Luft lag und dennoch nicht stark genug war, um Zeros Präsenz aus dem Raum zu verdrängen, mit ihr zu konkurrieren. Zero legte seine behandschuhten Hände sachlich ineinander und musterte seinen Gegenüber mit starrter, distanzierter Mimik. Karyu, der mittlerweile wieder rastlos von dem Sessel aufgesprungen war und sichtlich mit seinen Emotionen kämpfte, strich sich die lästigen, welligen Haare nach hinten, verbarg sein Gesicht einen Moment lang in den Händen.

Zero gewährte ihm, sich zusammeln, in dem er den silbernen Füllfederhalter elegant zur Hand nahm und seinen Tätigkeiten nachging, die er für die Unterredung hatte unterbrechen müssen. Er konnte Karyus Befürchtungen und Ängste durchaus verstehen. Er selbst hatte einst vor dieser Wahl gestanden.

Verärgert nach Luft japsend löste Karyu das Gesicht aus den Händen. Zero konnte den flammenden, entsetzten Blick auf sich spüren, weswegen er abermals den Stift ruhen ließ und den Anderen regungslos ansah.
 

„Das ist also deine Entscheidung? Dein Entschluss?“, fauchte Karyu und trat an den Schreibtisch heran, ballte seine Hände zu Fäusten, doch Zero blieb unberührt. Es widerte ihn an, dass dieser Mann die Ruhe förmlich für sich pachtete. „Zero, das kannst du nicht machen! Er ist mein Bruder, meiner!“, wutentbrannt schlug der Blonde auf die Tischplatte, riss einen Papierstapel zu Boden. Er fuhr jedoch erschrocken zusammen, als der Souverän sich mit der ehrfürchtigen Gestalt eines schwarzen Schattens von seinem Drehstuhl erhob und mit einer derartig herrischen Gewalt den Füllfederhalter auf die Tischplatte warf, dass unterschiedlich große, königsblaue Tintenkleckse sich überall verteilten. Zorn, der so tiefgründig und brennend wie die Hölle selbst war, flackerte in den obsidianfarbenen Augen des Langhaarigen, die sonst völlig emotionslos waren.
 

„An welchem Ort dieser Welt hältst du deinen Bruder für am sichersten, wenn nicht in meiner Nähe ?!“ Hasserfüllt und triefend vor Zorn grollte Zero dem Anderen entgegen, der sich regelrecht vor der Urgewalt der Trauer beugen musste, obgleich sie sich ebenbürtig gegenüberstanden. „Bei mir ist Hizumi am Sichersten, glaube mir. Es ist besser so“, fügte er in einem Tonfall hinzu, der keine Widerworte zuließ. Karyu schnalzte jedoch verächtlich mit der Zunge, obwohl sie beide wussten, dass sie diese Entscheidung nicht mehr ändern konnten.

Dennoch konnte und wollte Karyu die Hoffnung nicht aufgeben, die ihm jedoch mitsamt der Sicherheit seines Bruders seinen Händen entglitt. Hizumi hatte hier nichts verloren, warum konnte Zero das nicht einsehen ? Was war an diesem simplen und äußerst plausiblen Gedanken und Wunsch nicht zu verstehen ?! Karyu kämpfte das Verlangen, sich die Haare zu raufen, nieder und packte stattdessen mit beiden Händen grob den Kragen des ledernen Mantels und zog Zero daran näher zu sich.

„Wie kannst du ein so großes Wort, so gelassen aussprechen? Reicht das Grab deiner Tochter nicht, um dir zu verdeutlichen, dass jeder Ort dieser Welt mehr Sicherheit spendet, als hier bei dir zu sein? Reicht der Tod deiner Frau nicht aus, damit du diesen Fehler nicht noch einmal begehst? Glaube mir, Zero, ich werde nicht zu lassen, dass mein auch Bruder auch durch deine Hand stirbt!“ Karyus Stimme war matt und flach, dennoch bohrend und vor allem treffend, da er in den Augen seines Freundes deutlich sehen konnte, wie in dessen Innersten ein weiterer Funke seines Daseins starb und wie ein ferner, längst vergessener Planet im Sonnensystem erlosch. Den Kragen seines Gegenübers musste Karyu unweigerlich fester packen, als der Körper des Langhaarigen spürbar ein Stück in sich zusammen sackte und unter der gewaltsamen Intensität seiner Wörter zu zerbrechen drohte. Karyu wusste, dass er zu weit gegangen war, doch was blieb ihm anderes übrig, wenn er seinen Freund aus seinen krankhaften Schuldgefühlen aufwecken musste? Er hatte längst aufgehört, den Magnaten für seine Fehlentscheidungen zu ohrfeigen, denn alle freundschaftlichen Mittel, die ihm verblieben waren, halfen längst nicht mehr. Sie hatten beide zu viel gesehen, zu viel erlebt, zu viel durchlitten, zu viel gesagt. Es war einfach zu viel. Und Karyu besaß weder die Kraft, noch den Ansporn dazu, seinem besten Freund Halt zu spenden oder aufzuhalten. Der Hochgewachsene fand es nicht fair, dass ihm diese Bürde aufgezwungen wurde, während Zero die Tabletten besaß, die ihn in eine kleine, rosafarbene Welt zurück schubsen würden. Und was war ihm geblieben? Alkohol konnte längst nichts mehr davon waschen und das einzige Laster, das ihm dazu noch geblieben war, konnte er sich nicht mehr holen, weil es ihm verwehrt wurde. Tage, Wochen, Monate. Sein ganzer Körper schrie danach und allein der Gedanke daran ließ ihn heiß und kalt erschaudern. Es war sein Fluch und gleichzeitig die größte Erlösung, die er vom Alltag haben konnte, und mit sadistischer Gleichgültigkeit verbat der Magnat es ihm; einfach so.
 

Mit schwacher, ausgezehrter Gewalt entriss der Langhaarige sich dem lockeren Griff des Anderen, den er damit gleichwohl etwas von sich stieß, sich stattdessen schwer atmend auf dem Schreibtisch abstützte, der wie eine gewaltige, unüberwindbare Mauer zwischen ihnen stand und sie davon abhielt sich mit den letzten Kräften wie Bluthunde an die Kehle zu springen.

Entschuldigend schaute Karyu den Kleineren an, als sich für einen kurzen Augenbick ihre Blicke zu einem wortlosen Gefecht trafen. Devot schaute der Hochgewachsene jedoch kurz darauf auf seine Finger, die er in seiner jeweils anderen Hand nervös knetete, als er auf diese Emotion keine Reaktion erhielt. Wohlmöglich hatte er dem Mann soeben wieder jegliches warmes Gefühl ausgetrieben, aber hatte er eine Wahl wenn es um das Wohl seines Bruders ging?
 

„Du hast Recht“, begann der Magnat mit dünner, leiser Stimme zu sprechen und biss sich einen Moment lang auf die Unterlippe, als wolle er einen Schwall der Gefühle zurück halten. „Ich will diesen Fehler nicht noch einmal begehen... Doch warum gibst du mir nicht die Chance, es noch einmal zu versuchen?“
 

„Aber doch nicht mit dem Leben meines Bruders!“, erwiederte der Hochgewachsene aufgebracht und vergrub in einer ebensolchen Geste die Hände im blonden Haar.
 

„Mit wem sonst? Ich habe niemanden mehr, Freund.“
 

„Genau das ist es ja“, fauchte Karyu, der mit einem Mall seine feindselige Ader wieder gefunden hatte und richtete den ausgetreckten Zeigefinger verachtend auf den Langhaarigen. „Im Gegensatz zu dir habe ich noch eine Familie und ich beabsichtige nicht, sie zu verlieren !“

Karyu fuhr unweigerlich zusammen, als ein höhnisches Lachen mit einem Mal aus Zero heraus platzte.
 

„Du vertraust mir also nicht, Freund?“ Zero klang verletzt, aber irgendwo musste Karyu Grenzen ziehen und er mochte es nicht, wenn diese Grenzen ungefragt überschritten wurden, obwohl er sehen konnte, wie die dunklen Augen des anderen sich mit verzweifelten Tränen füllen wollten.
 

„Nein, weil du wahnsinnig geworden bist!“, fuhr Karyu ihn laut an, konnte seine Innere Verzweiflung kaum mehr bändigen. Ein leiser Schrei rückte ihm über die Lippen, als Zero lediglich mit den Schultern zuckte.
 

„Und? Wahnsinn ist das Einzige, das einen in dieser Gesellschaft noch weiter bringt, das solltest du doch am besten wissen, Freund. Oder soll ich deinem Bruder verraten, was du mit Tsu-“
 

„Sprich es nicht aus!“, rief der Hochgewachsene mahnend und warf das Erstbeste nach dem anderen, was seine Hände auf dem Schreibtisch hatten finden können, um Zero zum Schweigen zu bringen.

Er wollte es nicht hören, er wusste was er tat!

„Zero, hör mir zu!“, grollte der Blonde, nachdem der Magnat der silbernen Stiftablage behende ausgewichen war. „Ich lasse es nicht zu, dass du dein Leben wieder ins Reine bringen willst. Meine Familie ist kein Chemiebaukasten, mit dem man nach Belieben herum experimentieren kann!“

Wieder wurde Karyu von einem desinteressierten, schmerzerfüllten Blick getroffen.
 

„Es ist immer noch seine Entscheidung, Freund“, sprach Zero, der um den Schreibtisch herum durch das Büro ging und schwungvoll eine Seite der großen Doppeltür aufzog, um das Gespräch mit einer einzigen Geste zu beenden.
 

„Das kannst du nicht machen“, zischte Karyu erneut, der wie angewurzelt da stand und sich keinen Millimeter rühren konnte. Schweigend sahen sie einander an, eh Zero mit der Hand elegant und dennoch mit einer schneidenden Drohung behaftet nach draußen wies. Karyu starrte den anderen einen langen Moment lang an, eh er einen vermeintlichen Schritt nach vorne trat, jedoch auf seinen Besten Freund zu ging und nicht auf die Tür, deren dahinter liegender Schlund ihn erwartungsvoll anglotzte.
 

„Ich schätze, du willst deinen Bruder nicht länger warten lassen?“, sagte der Langhaarige, der seine Ungeduld und seinen Zorn geschickt in der Frage verpackte, aus der Karyu den Befehl zu gehen jedoch deutlich heraushören konnte. Karyu konnte und wollte allerdings noch aufgeben. Er wollte nicht so enden wie Zero: Einsam und von Schmerz getrieben.
 

„Zero! Ich flehe dich an, komm zur Vernunft-“ Karyu versuchte erneut, durch den Wahn seines Freundes hindurch zu brechen, aber stattdessen unterbrach der Magnat ihn mit gereizter, drohender Stimme, die mit regelrechter Gewalt auf ihn herab regnete.

„Dein Bruder wartet auf dich, Karyu“, grollte der Langhaarige, entlockte dem Hochgewachsenen ein frustriertes Schnauben, ehe dieser mit langen Schritten aus dem Büro stapfte. Gegensätzlich zu seiner Wut ließ Zero die Tür leise ins Schloss schnappen. Eine kleine, angemessene Weile hatte er voller Unverständnis dem Hochgewachsenen hinterher gesehen, doch nun, da die beiden Brüder sich in sicherer Entfernug bewegten und mit Fahrstuhl wieder nach unten glitten, entwich ein gequältes, jähes Schluchzen seiner Kehle bevor er die Hände schützend vor das Gesicht schlug und wie ein Kind, verzweifelt in der Dunkelheit der eigenen Anwesenheit, nach Schutz suchte.

Erinnerungen stoben wie Staubflocken, die im Licht der Sonne leise tanzten, in seinem Kopf schwerelos umher. Längst vergangene Bilder, Geräusche und Stimmen parten sich mit dem Druck des sehnlichen Wunsches nach unendlicher Stille, wuchsen in seinem Körper zu einem monströsen Schmerz, der sein Herz fast zum Platzen brachte. In seinen Lungenflügeln sammelte sich die Luft für einen Schrei, doch eine Weile lang kämpfte Zero gegen diesen Impuls an, drückte das bleiche Gesicht fester gegen die behandschuhten Hände, inhalierte den wohlvertrauten Duft des schwarzen Leders, obgleich dieser im Stande war, seine dunklen Erinnerungen endgültig zu wecken. Es gab einen Grund warum er diese Handschuhe trug und nur Karyu wusste ihn, machte es sich immer wieder zu nutzen, diesen Grund zu nennen um ihn zu kontrollieren. Verzweifelt wälzte er sich gegen die Tür, an der er kraftlos herunter gerutscht war, in einem törichten Versuch wieder Herr über die Situation und seine Emotionen zu werden. In seinem Unverständnis entwich ihm dennoch ein leises, herzzerreißendes Wimmern. Der Magnat konnte einfach nicht verstehen, warum Karyu, warum sein bester Freund, ihn für seinen Wunsch und seine Entscheidung zu begann hassen. Lediglich ein letztes Mal in seinem Leben wollte er versuchen, eine ihm wichtige Person zu retten. Er hatte alles verloren, selbst Karyu wurde Tag um Tag zu einem Fremden. Seinen einzigen Freund erkannte er längst nicht mehr. Sie stritten nur noch, arbeiteten gegeneinander, misstrauten sich. Was war mit den Jahren nur aus ihnen geworden? Sie waren Monster, gefangen in einem menschlichen Körper, und sie alle verschlangen sich mit Haut und Haar. Gegenseitig versuchten sie, sich zu bekämpfen, als wären sie ein Parasit im Leben des anderen, obwohl sie, seit sie sich kannten doch die Hände einander entgegen reckten. Der Souverän fragte sich, warum Karyu versuchte, zu retten, was er nicht schützen konnte? Karyu wollte die Dämonen aufhalten, die er zum Leben brauchte? Der Hochgewachsene konnte sich trotz seiner Größe nicht gegen eine solche Instanz stemmen, konnte sein Leben nicht darauf verwenden, damit ein anderes weiter leben konnte. Und für ihn selbst war diese Aufgabe doch quasi maßgeschneidert! Was konnte er noch verlieren? Nichts! Er war nur einen Schritt davon entfernt, auch auf dem Papier tot zu sein, wieso sollte er die Zeit während dieses letzten Schrittes nicht ein wenig sinnvoll nutzen? Im Grunde genommen besaß er nichts mehr, was ihn hielt. Und das Furchtbare daran war, dass Karyu dieses Wissen gleichermaßen besaß. Sein Körper war längst nur noch eine dünne, gebrechliche Hülle, die wie eine Urne die Scherben seiner Seele beisammen hielt. Jeder Tag war eine Qual auf Erden, jeden Schritt den er auf ihr tat und über all den Schrott der Gesellschaft wandelte, nährte den Schmerz seines gebrochenen Herzens. Er hasste es, am Morgen aufzustehen, hasste es, dass seine Lunge ihn noch immer mit Luft versorgte oder er nicht Opfer eines schweren Unfalls wurde. Egal, wie oft er es versuchte, ihm war es nicht erlaubt, zu gehen – Noch nicht. Und die Zeit, die ihm verblieben war, wollte er nun einmal sinnvoll nutzen. Er wollte sein Gesicht nicht noch tiefer in den Staub seines Selbsts drücken und hustend, nach Luft ringend, daran zu Grunde gehen.

Und so merkwürdig es auch in seinem Kopf klang, so fürchtete er das Leben nicht mehr, wenn er in Hizumis Nähe war. Mit einem Mal schien alles wieder einen Sinn zu haben. Warum gönnte Karyu ihm diesen kurzen Lichtblick nicht?
 

Das Klingeln seines Telefones, das im Augenblick seines Läutens wie ein hohes, verzerrtes Schrillen durch seine Gehörgänge brach, zerfetzte seine Gedanken, die sich wie Schatten tiefer und tiefer in seine Seele bohrten. Grob stieß der Langhaarige gegen die Tür, gegen die er sich wie ein Kind zusammen gekauert hatte, als er sich – zusammenzuckend – aus seiner kümmerlichen Haltung befreite und zurück auf die Beine kämpfte. Sein Herz pochte ihm bis zum Hals, als er sich mit schnellen, widerstrebenden Schritten seinem verwüsteten Schreibtisch näherte und die bebende Hand nach dem Höhrer ausstreckte. Deutlich konnte er spüren, wie ihm das pulsierende Blut in seinem Blutkreislauf gefror, als er in Gedanken an die einzigen beiden Personen dachte, die die Durchwahlnummer für sein Büro kannten. Karyu war nicht zugegen, würde wohl auch in absehbarer und zukünftiger Zeit nicht diese Nummer wählen und Miyako hatte keinen Bedarf daran, ihn telefonisch zu kontaktieren, wo sie doch einige Meter von ihm entfernt hinter ihrem Schreibtisch saß und gewiss die Sprechanlage benutzen würde, wenn es ein dringendes Gespräch für ihn gab. Zero schluckte den trockenen Kloß herunter, der sich in seiner Kehle angesammelt hatte und seinen Kehlkopf regelrecht umklammert hielt, ehe er den Höhrer zu seinem Ohr führte und von einem leisen, melodischen Kichern empfangen wurde.

„Ein schönes neues Spielzeug hast du da, Freund.“
 

Zero unterdrückte den Drang, den Höhrer in vollster Panik nicht davon zu werfen, als er – niedergeschmettert von den wenigen Worten – in seinen Drehstuhl sank. „Tsukasa!“
 

„Wäre doch ein Jammer, wenn es dir von jemandem wieder weggenommen wird, nicht wahr?“ Wieder wurden die dunklen Worte von einem stimmlosen Kichern untermauert, das einen Schauer des Ekels und der Angst über seinen Rücken rieseln ließ. Kalter Schweiß trat ihm auf die Stirn, als er wieder auffsprang und seine Schritte sich rastlos seinen Weg durch das Chaos bahnte. Ein loderndes Inferno der Gefühle nahm von seinem Brustkorb Besitz, presste ihn wie eine Zwinge zusammen und raubte ihm die Luft zum Atmen. Er hätte es wissen müssen!

„Woher hast du diese Nummer?“, fauchte der Langhaarige, dessen dunkler Blick suchend durch die Ferne glitt. Einen Großteil der Umgebung konnte er von seinem Büro aus überschauen, aber in keinem der umliegenden Fenster und auf den Straßen konnte er diesen diabolischen Mann ausfindig machen, auch wenn er die Anwesenheit des anderen bei sich spüren konnte, als stünde dieser direkt neben ihm. Zähneknirschend setzte er die Suche fort. Zero wusste, dass er beobachtet wurde. Nur von wo?
 

„Hizumi ist so ein liebes Kerlchen. Er wird mir wohl großen Spaß bereiten, was meinst du, werter Freund?“

„Du wirst ihn in Ruhe lassen, hast du mich verstanden, Tsukasa!“, bellte der Magnat in den Höhrer. Seine Stimme bebte; aus Angst, vor Hass. Und das erstaunte Pfeifen am anderen Ende der Leitung, veranlasste ihn lediglich dazu, ein heftiges, verärgertes Knurren auszustoßen.

„Also habe ich recht?“, fragte die Stimme aufgeregt, wie ein Kind an Weihnachten, dass endlich ein langersehntes Geschenk auspacken durfte.

„Sag mir viel lieber, wo du bist, Freund.“ Zero spuckte das Wort vor Hass triefend in den Höhrer, während sein dunkler Blick über die Gebäude glitt. In Gedanken beschuldigte er sich dafür, dass er bereits mehr preisgegeben hatte, als ihm vielleicht lieb war.
 

„Hier drüben“, sagte die Stimme knapp, aus deren Tonlage Zero ein deutliches Grinsen heraushören konnte. Ein weiterer Schauer lief ihm bei der bildlichen Vorstellung über den Rücken, doch dieses mal nicht vor Ekel, sondern vor einer tiefgreifenden Angst, die sich auf die Wände seiner Speiseröhre bettete. Sein Blick ruckte augenblicklich in die entgegengesetzte Richtung, in der Hoffnung so der ungenauen Angabe des Anderen folgen zu können, doch ein Seufzen brachte ihm bei, dass er falsch lag.

„Das andere drüben, du Idiot.“
 

Wie ein ausgehungerter Tiger, stiff der Aristokrat an dem Panoramafenster entlang, bis er die Westseite seines Büros erreicht hatte und grob mit dem Fuß einen Aktenstapel davon schob, sich dicht gegen die Schreibe drängte und die Fenster des anderen Gebäudes genau musterte. Es dauerte nicht lange, bis er eine schlanke Gestalt ausfindig machen konnte, die ihm zum Gruße den Arm hob und mit wedelnder Hand winkte.

„Möchtest du nicht herüber kommen und ich lade dich auf einen Tee ein? Hier gibt es wahrlich vorzügliche Getränke“, sagte Tsukasa, dessen hämisches Schmunzeln Zero nun deutlich erkennen konnte. Der Langhaarige verzog sein Gesicht jedoch zu einer Grimasse, blickte wütend zu dem Mann hinüber.

„Möchtest du nicht herüber kommen, damit ich dir endlich eine Kugel durch den Kopf jagen kann?“, schnarrte Zero und ballte seine freie Hand verärgert zu einer Faust, mit der er am liebsten gegen die Scheibe geschlagen hätte, doch er wollte nicht weiter zur Belustigung dieses Teufels beitragen. Ein deutliches, enttäuschtes Seufzen am anderen Ende der Leitung teilte ihm mit, dass Tsukasa jedoch keine Begeisterung für diesen Vorschlag übrig hatte.

„Ach, mein Bester. Warum vergessen wir nicht die ollen Kamellen von damals und benehmen uns endlich wie Geschäftsleute?“
 

„Große Worte, Tsukasa. Und sie kamen ausgerechnet aus deinem Munde.“ Dieses Mal war es Zero, der ein leises Schmunzeln auf seinen Lippen trug. Dieser Mann schaffte es tatsächlich immer wieder ihn zu belustigen. Aber diese jähe Regung in seinem Gesicht verflog schnell, als er den enttäuschten Ausdruck in Tsukasas Mimik erkennen konnte und doch wusste, dass dieser nur ein fabelhafter und begnadeter Schauspieler war.

„Du lässt die Finger von ihm und von Karyu, hast du gehört?“, grollte der Souverän erneut, zerriss den anderen mit seinem dunklen Blick förmlich in der Luft.

„Was deins ist, ist auch meins. Aber was meins ist, ist noch lange nicht deins!“, säuselte der Andere mit einem Hauch eines Kicherns und dennoch schaffte er es, gelangweilt zu klingen.

„Tsukasa, ich warne dich ein letztes Mal.“
 

„Mein lieber Freund“, summte der Teufel und grinste, „Er gehört mir doch längst, vergiss das nicht.“ Souverän lächelnd beendete er das Gespräch und schob das Handy zurück in seine Jackentasche, ehe er dem tobenden Aristokraten ein letztes Mal zufrieden zuwinkte. „Genauso wie auch du mein Eigentum bist“, wisperte er leise zu sich selbst, schob die braunen Haarsträhnen zurecht und verließ das Gebäude mit schnellen, wippenden Schritten – Schließlich erwartete seine Limousine ihn bereits.



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Kommentare zu dieser Fanfic (11)
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Von:  _-Vanna-_
2012-09-18T11:57:46+00:00 18.09.2012 13:57
WOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOW!!
Hammer!
Das muss ich einfach mal sagen. Ich hab ja vieles erwartet von dir, aber das?! WOW! Was anderes fällt mir gar nicht dazu ein.

Okay am Anfang war es etwas mühselig denn langen Sätzen zu folgen, aber du hattest mich ja vorgewarnt XD. Aber im laufe der Kapitel ist es mir immer leichter gefallen sie direkt zu verstehen. Ich finde es echt klasse. Ich mag ja schlüssige, total wirre Gedankengänge, die Vermutungen auf das geben was geschehen ist.
Durch deine Wortwahl konnte man immer genau erkennen, wie der Charakter spricht oder wie seine Gefühlslage generell ist. Einfach super. Dadurch konnte ich mir das Bildlich vor stellen, was die Umschreibungen der Umgebungen natürlich auch getan haben. Man konnte sich einfach super in die Geschichte versetzen und ein Teil davon sein, der alles mitbekommt. Einfach Klasse. So was habe ich schon SEHR lange nicht mehr gelesen und ich kenne viele richtig gute FFs hier.

Also schreib ja weiter, sonst zwinge ich dich dazu, anstatt dein Pokemonspiel zu spielen XP Ich habe ja die besten Möglichkeiten dich zu zwingen XP

lg Vanna <3
Von:  Nefaria
2012-05-01T20:32:38+00:00 01.05.2012 22:32
hallo Süße :D

jaja, im Eiscafé das war schon schön.. ne warte! es wr gruselig!! ganz gruselig!!
verbessert hast du dich auf jeden fall! finde ich als deine beta zumindest :D und ich werd ja wohl recht haben ;) hab immerhin alles mit rot angemalt xD

mir gefällt dein schreibstil einfach, die ganzen metaphern, das vorausdeuten von dingen, die erst viel später geschehen, aber eigentlich schon so früh zu erkennen sind, nur so verdammt versteckt! aaah gruselig!

liebe an deine idee fürs ende und an dich, weil ich das neue ende viel lieber mag :3 du weißt ja warum ;) jaja ich weiß, ich bin schlimm :D

ich hoffe wirklich, ich habe bald wieder was zum betan, ich freue mich schon, mehr zu lesen und noch mehr gänsehaut zu bekommen wenn ich von den vieren lese ^-^

ach ja, lass tsukasa (fast) genauso, wie er jetzt ist :D ich liebe sein "das andere drüben, du idiot" :D :D :D in welchem sehr speziellen teil seines lebens er sich ein bisschen ändern soll, wissen wir beide ja :D und auch wenn das erst sehr sehr sehr spät in der geschichte passiert, freue ich mich schon am allermeisten darauf, das ende zu lesen, nachdem du es mir erzählst hast! :)
und falls irgendein anderer das hier liest: bleib dran, denn da kommt noch sooooo viel, was dich einfach aus den latschen hauen wird!!

hab dich lieb <3
Nefaria
Von: abgemeldet
2012-03-16T21:51:02+00:00 16.03.2012 22:51
Mensch mit so einem schnellen Update habe ich gar nicht gerechnet.
Umso mehr hat es mich natürlich gefreut, als ich das Kapitel endlich lesen konnte.

Wie immer war dieses Kapi sehr schön beschrieben.
Ich mag deinen Schreibstil sehr, da du die Details immer so schön beschreibst,
sodass man sich alles so gut vorstellen kann und sich fühlt, als sei man mittendrin.

Der beste Satz in diesem Kapitel war: „Das andere drüben, du Idiot.“
Ich musste lachen, als ich ihn lies und dachte mir so dabei,
´Na dann hätteste sagen sollen, welches drüben du meinst, Tsukasa`
Überhaupt, hat mir Tsukasa hier am Besten gefallen, obwohl er nur so kurz vorkam.

Karyu tat mir irgendwie leid.
Er kam mir so verzweifelt rüber, sodass man ihn am liebsten in den Arm genommen hätte.
Aber mir gefiel nicht, wie er und Zero sich gestritten hatten.
Die beiden sind ja eigentlich beste Freunde und da sollten sie sich ja nicht so ankeifen.
Verstehen konnte ich Karyu zwar schon, weil er Hizumi ja nur beschützen will,
aber trotzdem, fand ich einige Sachen, die er Zero an den Kopf klatschte, sehr fies.

Bei Zero fehlen mir irgendwie die Worte, ich weiss einfach nicht, wie ich ihn beschreiben soll.
Er hat so viele unterschiedliche Facetten, was es schwer macht, ihn einzuschätzen.
Bei ihm weiss ich einfach nie, wie ich sein Auftreten deuten soll.
Aber ich muss schon sagen, dass ich ihn am besten mag, wenn er mit Hizumi zusammen ist,
da er mit diesem zusammen immer so lebendig wirkt und nicht so verkrampft wie sonst.

Dass das Verhältnis zwischen Zero zu Karyu immer schlechter zu werden scheint,
gefällt mir gar nicht, aber wenn man bedenkt, dass Zero zu Tsukasa meinte,
dass er Karyu und Hizumi in Ruhe lassen soll, dann hoffe ich,
dass die beiden ihre derzeitigen Defizite, wieder in Ordnung bringen.

***

Also ich bin jetzt schon mal sehr gespannt, wie es weitergeht
und hoffe sehr, dass die FF noch ganz, ganz, ganz lang wird.
Ich wünsche ein schönes Wochenende.

PS:
Ich hoffe es stört dich nicht, dass ich hier die gleichen Worte geschrieben habe, wie bei FF.de

Bis zum nächsten Kapi.
Ich freue mich schon.
LG Cat
Von: abgemeldet
2012-01-23T22:17:00+00:00 23.01.2012 23:17
Irgendwie ist Karyu komisch hier.
Wieso verhällt er sich so merkwürdig Hizumi gegenüber?


Also ich muss schon sagen.
Deine Beschreibungen von den Umgebungen und so, sind wieder mal so super.
Ich kann mir immer alles richtig vorstellen.

Wieder einmal kann ich es kaum erwarten, bis es weiter geht.
Am meisten freue ich mich, auf das Treffen von Zero und Hizumi.
LG
Von:  Snyder
2012-01-22T23:47:02+00:00 23.01.2012 00:47
*hibbel* maaaahaaan jetzt kannst doch nicht einfach nen cut machen D: ich will weiter lesen!!! XD
Von: abgemeldet
2011-11-10T22:33:49+00:00 10.11.2011 23:33
Hey!

Das war wieder ein schönes Kapitel, aber sooooo traurig.
Karyu und Hizumi sind echt goldig.
Da haben sie sich seit so langer Zeit nicht mehr gesehen und nun...

Ich find Karyu ein wenig komisch.
Da meint er immer, dass er seinen Bruder nichts schlimmes will und ihn eigentlich nur Beschützen will, aber lügt ihn an?
Aber irgendwo kann ich schon verstehen, warum er so, zu seinem kleinen Bruder ist.
Wenn Hizumi wirklich früher so krank war, dann sollte er wahrscheinlich wirklich nicht alleine wohnen und schon gar nicht in Tokyo.
Hoffen wir einfach mal, dass Hizu das schlimmste, gesundheitlich, hinter sich hat und nun sein Leben auch leben kann.

Mal sehen, wie das treffen mit Hizu und Zero wird, denn Zero wollte ja mit diesem reden.
Ich freue mich auf jeden Fall schon auf das nächste Kapitel.

Schönes Wochenende wünsche ich schonmal.
LG Temari
Von: abgemeldet
2011-08-25T16:55:18+00:00 25.08.2011 18:55
Irgendwie weiss ich gar nicht, was ich als Kommentar schreiben soll, außer, dass mir deine FF gefällt und zwar wirklich sehr.
Kommi schreiben ist leider gottes, nicht so mein Fall, aber irgendwas muss ich hier schreiben, weil ich es schade fände, wenn diese FF aufhört, nur weil sie so wenige Kommis bekommt, was ich gar nicht verstehen kann, denn wie gesagt deine FF ist wirklich klasse.

Ich bin schon richtig gespannt, wie es mit Zero, Karyu und Hizumi weitergeht und vorallem was Tsukasa alles noch so anstellen wird.

Hoffentlich kommt bald ein neues Kapitel.
Denn deine FF macht richtig süchtig.
Bis zum nächsten Mal also.
LG Temari
Von:  Intetsu
2011-04-17T09:39:13+00:00 17.04.2011 11:39
Wow, ich habe fast schon aufgeben, über Animexx mal eine gute FF zu finden. Aber dann bin ich auch deine gestoßen und muss sagen, dass ich (endlich mal) positiv überrascht bin.
Ich bin ein großer Fan von deinem Schreibstil. Der Plot ist sehr interessant und spannend. Die Charaktere sind wahnsinnig gut angelegt.
Ich würde mich freuen, wenn du diese FF wieder aufnehmen würdest (unwahrscheinlich, ich weiß)
Es gibt nur eine Sache, die ich wirklich nicht verstehe: Wieso hat diese FF nur so wenige Kommentare?
Von:  -Hiro
2011-03-22T22:45:44+00:00 22.03.2011 23:45
*drop*

Hallo erstmal. XD

Ich habe deine FF gerade eben in einem Rutsch durchgelesen und fast einen Raster bekommen, im positiven Sinne.

Dein Stil ist einfach wundervoll und fesselnd und die Storyline macht mich fertig, weil sie so gut ist!

Deine Beschreibungen sind sehr anschaulich und einfach wirklich genial, ebenso wie die Charaktere.
Ich finde auch gerade diesen großen Gegensatz zwischen den Charakteren toll und auch, wie unbeholfen Hizumi beispielsweise in eine Welt stolpert, die er so eigentlich gar nicht kennen wollte (/sollte?)

Gut, gut.

Alles in Allem:
Wenn du nicht bald weiterschreibst, dann hagelt es Kopfnüsse von mir, denn ich bin wirklich sehr gespannt, wie es weitergehen wird!!
Also ran an die Tasten! :D
Von:  Nield
2011-03-14T18:44:07+00:00 14.03.2011 19:44
Wow! Die story ist unglaublich fesselnd und nebenbei einfach nur wundervoll geschrieben. Dein Stil ist der Hammer, die Verschachtelten Sätze und die alleinige wortgewalt..Ausserdem sind die Charaktere meiner Meinung nach unglaublich gut Gelungen. Gefällt mir insgesammt wirklich gut, nur schade das es so wenig Kommentare gibt. D:


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