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Teuflischer Dämon mit hübschen Hörnchen sucht...

von

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Nackte Tatsachen

„Teuflischer Dämon mit hübschen Hörnchen sucht kleinen Quälgeist zum Spielen und zum Betrachten von romantischen Weltuntergängen.“
 

Ich liege mit dem Kopf auf dem Tisch und kriege mich kaum mehr ein. Der Ersteller dieses Inserates muss wirklich teuflisch sein und verfolgt sicher den Plan, die Welt zu zerstören, indem er die Leute sich totlachen lässt. Das ist echt grausam! Nur langsam beruhige ich mich wieder und schnappe etwas hektisch nach Luft. Ja, du musst atmen, du kannst das! Ich glaube an dich! feuere ich mich selbst an und bekomme fast wieder einen Anfall. Zur Ablenkung löffle ich enthusiastischer als gewöhnlich in meinen bereits matschig gewordenen Cornflakes. Ich hasse sie. Das ist so widerlich, wie diese ehemals so knusprigen Getreidedinger jetzt schlapprig wie ein leergekotzter Reiher von meinem Löffel hängen.
 

Oookay... Appetit ade. Ich stehe auf und schlurfe mit der Schüssel ins Bad, spüle den Rest meines Frühstücks in der Toilette runter. Das lockt Ratten an, glaube ich. Toll, nun sterbe ich wenigstens nicht mehr vor lachen. Gähnend gehe ich in die Küche zurück und stelle das Geschirr neben die Spüle. Der Blick auf die Uhr an der Wand lässt mich auch nicht unbedingt munterer werden. Meine Mutter hasst es, wenn ich Aufwasch stehen lassen, aber früh um vier ist meine Bereitschaft, meinen Müll wegzuräumen, noch geringer als sonst. Also lasse ich Schüssel, Löffel und das Glas, aus dem ich eben noch meinen Tomatensaft getrunken habe, ungespült stehen und trotte noch einmal ins Bad, bevor ich in meine ausgetretenen Turnschuhe schlüpfe und die Wohnung verlasse.
 

Erst im Fahrstuhl fällt mir brühwarm ein, dass ich das Wichtigste vergessen habe. Die Zeitungen. Jeden Mittwochmorgen verteile ich so ein Regionalblatt, sonst wäre ich zu der Zeit auch längst noch im wundervollen Land der Träume. Genervt warte ich also darauf, dass der alte Fahrstuhl die fünf Stockwerke des Plattenbaus, in dem ich mit meiner Mutter wohne, seit sich mein ach so toller Vater abgesetzt hat, bewältigt hat und endlich unten angekommen bin. Und dann heißt es wieder warten, bis das Teil oben ist und ich nochmal in die Wohnung huschen und die Zeitungen holen kann. Nun mache ich aber einen Bogen um das lahme Ding und nehme die Treppe, immer zwei Stufen auf einmal. Eigentlich könnte ich auch drei überspringen, aber dann würde ich die Zeitungen wohl schon hier im Treppenflur verteilen...
 

Bevor ich den Block verlasse, führt mich mein Weg noch in den Keller, um mein Fahrrad zu holen. Nachdem ich die Druckerzeugnisse auf dem Gepäckträger befestigt habe, kann ich es auch problemlos aus unsrer kleinen Kellersparte schieben und die paar Stufen zur Haustür tragen. Als ich mit dem Austragen angefangen hatte, war mir das nicht so leicht gefallen, im Gegenteil hatte ich unter der Last des Fahrrads geächzt, die durch das schwere Papier zustande gekommen war. Mittlerweile hatte ich da wohl Tragemuskeln oder dergleichen angesetzt und auch beim Verteilen der Zeitungen selbst hatte ich Skills erworben. Es war nämlich durchaus nicht so leicht, die in Briefkästen zu kriegen, die klein oder vollgestopft waren oder die Minischlitze hatten.
 

Ich muss ein wenig lächeln, als ich auf mein Fahrrad steige und losfahre. Die Sonne scheint bereits, aber es ist noch nicht so unerträglich hochsommerlich warm. Genauso mag ich das Wetter. Der Winter dagegen ist blöd, denn wenn die Straßen vereist oder voller Schnee sind, fahr ich nicht gerne mit dem Rad. Als Kind hatte ich da keine Hemmungen gehabt. Leider hatte ich da allerdings mal einen ziemlichen hohen, schneebedeckten Bordstein übersehen, als ich eine Abkürzung zu einem Freund eingeschlagen hatte, die ich vorher noch nie gefahren war. Dumme Sache, denn so wusste ich eben auch nichts von diesem verdammten Bordstein und hatte einen stuntreifen Abgang hingelegt und den weißen Schnee blutrot gefärbt.
 

Ich hatte eine Platzwunde am Kopf und eine leichte Gehirnerschütterung. Ich hab wie am Spieß geschrien, als man die Verletzung im Krankenhaus nähen musste. Es waren zwar nur drei Stiche, aber es war trotzdem die pure Hölle gewesen! Meine Mutter, die extra aus ihrem Büro gehetzt war, um mir Beistand zu leisten, war noch das Schönste an der Sache gewesen. Sie hatte meine Hand gehalten und mir ganz lieb zugeredet, das weiß ich noch ganz genau, auch wenn ich nicht mehr weiß, was sie alles gesagt hat. Jedenfalls sind zwei Dinge das Resultat dieses Unfalls, nämlich dass ich bei winterlichen Bedingungen nicht fahrradfahre und dass ich meine schulterlangen Haare über meine Stirn ins Gesicht fallen lasse, damit man die Narbe am Haaransatz nicht sieht, die ich davongetragen habe.
 

Auch jetzt verdecken mir dunkelbraune Strähnen die Sicht, die ich zur Seite zu pusten versuche, was sich bei dem Fahrtwind, der sich mir entgegenstellt, als gar nicht so einfach erweist. Trotzdem nehme ich diese ‚Behinderung‘ gerne in Kauf, damit die Narbe unentdeckt bleibt. Nicht weil ich eitel bin, nein. Aber ich will nicht, dass man dieses Zeichen meiner Dummheit sehen kann, denn ich möchte wirklich nicht als blöd gelten, auch wenn ich ‚nur‘ auf die Realschule gehe, was uns die Schüler aus dem benachbarten Gymi gern vorhalten. Diese Idioten sind auch der Grund, warum ich die Zeitungen am Ende der Stadt austrage und nicht bei uns im Viertel. Eigentlich hat die Ecke jemand anderes schon gemacht, aber mit der konnte ich zum Glück tauschen. Nun muss ich zwar ewig fahren, bis ich mit meiner Arbeit beginnen kann, aber immerhin muss ich mir keine Gedanken machen, in einen dieser unglaublich genialen Gymnasiasten zu laufen.
 

Mittlerweile ist es doch um einiges wärmer geworden und auf den Rückweg werde ich wohl leider ins Schwitzen kommen, also trete ich schneller in die Pedale und beeile mich beim Austragen umso mehr, damit ich eher als geplant zu Hause bin und vor der Schule nochmal unter die Dusche kann. Als ich schließlich einen Blick auf mein Handy werfe, entschließt sich das uralte Teil, heute nett zu mir zu sein und zeigt mir an, dass es kurz nach sechs ist. Jetzt muss ich nur noch die letzte Zeitung in das Haus am Ende der Straße schaffen und ich bin für heute fertig.
 

Obwohl das Gebäude nicht nur ‚am Ende der Straße‘ steht, sondern fast schon meilenweit weg von den anderen ist, bin ich freudig erregt. Es ist ein tolles Gefühl, wenn man seine Arbeit so gut wie geschafft hat. Meine Gedanken fahren schon wieder Karussell, das machen sie oft, sie haben eine Jahreskarte in meinem hirninternen Freizeitpark. Nach dem Duschen werde ich mir noch eine Schale Cornflakes gönnen. Mist, dass ich sie vorhin nicht aufgegessen habe, denn jetzt hab ich Hunger, egal ob matschig oder nicht. Ich wäre nun sogar gerne eine Ratte in der Kanalisation und würde den Getreide-Milch-Matsch essen. Obwohl, lieber doch nicht...
 

Mit quietschenden Reifen halte ich vor dem Gelände, an dem ich beinahe vorbeigerauscht wäre. In dem total verwucherten Gelände sieht man vom Weg aus nur das rote Ziegeldach. Die Straße hört schon ein ganzes Stück vorher auf und der restliche halbe Kilometer zu diesem Haus ist nicht mehr zementiert, sondern einfach nur ein Schotterweg. Vermutlich waren meine Gedanken darum so durcheinander gewürfelt. Ich würde sonst doch niemals denken, dass ich eine cornflakesfressende Ratte sein möchte.
 

Kichernd steige ich ab und versuche, die Zeitung einzuwerfen, aber es will mir nicht gelingen. Verwundert schaue ich mir den Kasten an. Succubus, steht da. Ist das nicht eine Band? Metal oder so? Es ist das erste Mal, dass ich mir den Briefkasten so genau ansehe, schließlich glotze ich jeden Mittwoch so viele an, dass ich es gewohnt bin, sie zu übersehen, denn irgendwann hat man von den Dingern echt genug. Neben dem seltsamen Namen entdecke ich nun auch das Problem. Der Einwurfschlitz ist zugeklebt. Na toll, denke ich wenig begeistert und stehe einen Augenblick wie eine Kuh im Gewitter vor dem Tor, an dem sich der Briefkasten befindet.
 

Was jetzt? Am liebsten würde ich einfach abhauen. Was soll’s, wenn ein Einziger diese doofe Zeitung nicht bekommt? Steht eh nix Weltbewegendes in diesem regionalen Schundblatt. Aber was, wenn hier ausgerecht so ein Terrortyp wohnt, der sich dann gleich beschwert? Ärger möchte ich mir eigentlich keinen aufhalsen... Also sollte ich doch lieber zusehen, dass ich die Zeitung ausliefern kann. Immer noch ein wenig unschlüssig stehe ich vor dem Tor und rufe dann ein zaghaftes Hallo in das Gestrüpp hinein, weil es hier dummerweise keine Klingel gibt. Ich warte und lausche. Und lausche und warte. Und warte immer noch, die Ohren gespitzt. Nichts rührt sich.
 

Gut, dann eben nicht, denke ich mir und schwinge mich auf den Sattel. Ich habe es immerhin versucht, also kann man mir nichts vorwerfen... Grade stelle ich meinen Fuß auf das Pedal und will mich mit dem anderen vom Boden abstoßen und davon radeln, als ich jemanden Halt rufen höre. Seufzend steige ich wieder von meinem Rad herunter und richte den Blick in das grüne Gewirr neben mir. Jetzt muss ich doch reden, verdammt. Ich mache das nicht gerne, erst recht nicht mit Fremden. Nicht umsonst habe ich mir diesen Job ausgesucht. Wenn ich mit Leuten reden wollen würde, würde ich mich bei irgendeinem Sandwich- oder Burger-Anbieter hinter den Tresen stellen.
 

Als ich erkenne, wer da angelaufen kommt, bereue ich es sofort, nicht einfach losgefahren zu sein und spüre, wie meine Wangen heiß werden, weil ich nun knallrot bin. Der Mann am Tor ist ein bisschen außer Puste, aber vor allem ist er nackt. Das ist nicht wirklich schlimm, denn ernsthaft, der kann es sich echt leisten, so rumzulaufen! Er hat breite Schultern, muskulöse Oberarme, ohne dass es zu viel wäre, was er an Muckis hat, ein hübsches Sixpack unter einer unbehaarten Brust, ansehnliche Beine, wobei auf den Waden einige Härchen sprießen und ja, das Teil ist auch nicht zu verachten. Jedenfalls größer als meins. Oje, Pennisneid am Morgen vertreibt Kummer und Sorgen? Bestimmt nicht... Und warum verflucht glotze ich einem Mann in den Schritt? Ich zwinge meinen Blick nach oben, schaue in sein Gesicht. Gott, auch das ist wunderschön. Die Kinnpartie ist markant, die Wangenknochen liegen hoch, die Nase ist ein wenig krumm, neigt sich nach links, aber das sieht irgendwie super bei ihm aus. Dieser Makel fällt ohnehin kaum auf, weil seine türkisfarbenen Augen so irre hell sind, dass man fast geblendet ist und außer ihnen nichts anderes mehr wahrnehmen kann.
 

„Morgen.“ begrüßt er mich freundlich lächelnd, als wäre es das Normalste auf der Welt, nackt im Garten rumzustehen... „Hallo.“ krächze ich mehr als dass ich es sage und wische mir über den Mund. Hoffentlich habe ich nicht gesabbert, aber nein, alles trocken an meiner Hand, zum Glück. „Ich war grad duschen.“ erklärt er grinsend, weil ihm wohl grade selbst klar wird, dass sein Aufzug ein wenig... ungewöhnlich ist. „Aha.“ bemerke ich schlau. Ein Wahnsinns-Kommentar! Ich bin so geil drauf heute. Naja, sprachlich nicht, aber anders durchaus schon... Dummerweise fallen mir jetzt nach seinen Dusch-Worten die Wassertropfen auf, die auf seiner sonnengebräunten Haut im Licht der Morgensonne glitzern.
 

„Und, tut sich schon was?“ will er neugierig wissen. „Hä?“ stammle ich erschrocken und luge verstohlen zwischen meine Beine. Da tut sich schon was, aber will er das wirklich wissen? „Ich meine die Anzeige, die ich schon letzte Woche geschalten habe. Hat noch keiner reagiert, also habe ich sie nochmal reinstellen lassen. Warte mal...“ quasselt er los und ich glaube, ich bin gerade zu einer überreifen Tomate mutiert. Wie konnte ich überhaupt annehmen, dass sich dieser Adonis für meine Latte interessiert? Gott, ich will jetzt eine Ratte sein und mich ganz, ganz tief in der Kanalisation verstecken.
 

Zum Glück scheint mein Gegenüber nichts von meinem Dilemma mitzubekommen, auch wenn ich schwören könnte, dass er mein wie blöde hämmerndes Herz doch hören muss, als er sich zu mir vorbeugt und mir die Zeitung, an die ich mich unbewusst geklammert habe, sanft, aber bestimmt, aus den Händen zieht, um mir sein Inserat zu zeigen. „Teuflischer Dämon mit hübschen Hörnchen sucht...“ Während ich mich noch frage, warum so ein sexy Typ überhaupt eine Anzeige schalten muss, wird mir schwarz vor Augen...

Zeit für einen Gummibärchenmord

Meine Nase kitzelt, aber ich kann gerade nicht lachen. Kurze, harte Locken streichen mir immer über die Nasenspitze, wenn ich ihnen mit ihr nahe komme – und bei Gott, ich will diesen schönen, schwarzen Haaren nahekommen! Sie riechen wundervoll. Ich kann es nicht genau beschreiben, aber der Geruch erinnert mich an süßen Fisch. Klingt zwar eklig, aber riecht herrlich, wirklich! Außerdem mag ich Fisch. Ich hab früher auch keine einzige Flipper-Folge verpasst. Natürlich weiß ich, dass ein Delfin kein Fisch ist, aber auch so ein Schwimmtier mit Flossen.
 

Wie auch immer, jetzt an Meeresbewohner zu denken ist unterirdisch – oder tiefseeisch, wenn es das gibt – schließlich bin ich gerade dabei, Mister Super-Duschbody des Jahres einen Blowjob zu verpassen. Gerade bereite ich mich darauf vor, seinen großen, harten Penis wieder so tief in meinen Mund zu nehmen, dass ich mich seinem Schamhaar nähern kann und atme vorher nochmal ein, schließe kurz die Lider und als ich die Augen öffne, sehe ich ein Paar türkisfarbene Iriden, die in meine blicken.
 

Nur langsam weiß ich wieder, wo ich bin. Ich schaue mich im Zimmer um. Okay, ich weiß doch nicht, wo ich bin, aber ich weiß, bei wem ich bin...
 

„Alles in Ordnung?“, erkundigt sich der Garten-Adonis und kurz scheint mir, als wüsste er ganz genau, was sich da eben in meinem Gehirn abgespielt hat. Dabei war das eine Sondervorstellung mit ausgewähltem Publikum. Dieser Film sollte nur von mir gesehen werden, eindeutig. Mein eigener, my-brain-only Blockbuster! Aber vielleicht habe ich mich auch getäuscht, als ich ein unverschämtes Lächeln auf seinen Lippen zu sehen glaubte…
 

„Deine Standfestigkeit lässt jedenfalls zu wünschen übrig“, meint er überzeugt und ich glotze ihn an wie ein Auto. Wie bitte kommt dieser Traummann denn darauf? „Sonst würdest du nicht einfach so einen auf Dornröschen machen“, fügt er hinzu und ich werde ein wenig rot. Klar, er bezog das auf das Umkippen…
 

„Ich hab‘ nicht auf Dornröschen gemacht, schließlich musstest du mich nicht küssen, um mich zu wecken“, kontere ich und bin mit der Antwort ganz zufrieden, bis mir bewusst wird, dass das irgendwie zweideutig aufgefasst werden könnte. Und wenn Herr ich-heiße-wie-eine-Metalband eine ähnliche Denkstörung wie ich hat, versteht er das auch eindeutig zweideutig!
 

Mir schwirrt leicht der Kopf und ich merke, dass meine Ohren glühen, weil sie auch noch rot werden. Statt Rudolph the red-nosed Reindeer mach‘ ich einen auf Nils the rot-ohrig Idiot… Oje…
 

„Ich bin ja auch kein Prinz“ raunt Mister Perfect in mein so schön gefärbtes rotes Ohr – als wäre schon Herbst, wenn eben alle Blätter gelb und alle Ohren rot werden und – Moment mal! Wann ist er mir denn eigentlich so verdammt nahe gekommen, dass er mir ins Ohr raunen kann? Ich spüre jetzt außerdem seinen Atem, warm und gleichmäßig, über meine Ohrmuschel gleiten. Ein leichtes Zittern erfasst mich.
 

„Dabei siehst du so aus…“ röchel‘ ich mit trockenem Hals und wage doch nicht zu schlucken, weil ich weiß, dass es ohnehin nichts bringen würde. Ich trau‘ mich kaum, ihn nach dieser unverblümten Anmache anzugucken, aber als ich endlich wieder den Blick hebe, schwimmen die Iriden in einem türkisfarbenen Meer.
 

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„Wie sehe ich aus?“ fragt mich meine Mutter und sieht mich erwartungsvoll an. Ich brumme etwas vor mich hin, dass man mit gutem Willen als eine Zustimmung verstehen könnte, dass sie gut aussieht. Auf etwas anderes zielt diese Frage ja auch nicht ab. Innerlich ergebe ich mich meiner temporären Verstimmung und seufze. Warum nur denken alle Mädels und alle Frauen immer, man wäre der perfekte Styling-Berater für sie, nur weil man auf Kerle steht?
 

Meine Mutter sprüht Parfum auf ihr Dekolleté – mir fällt gerade das erste Mal auf, dass sie solche Klamotten überhaupt hat, die ihre Vorzüge derart betonen; wahrscheinlich, weil sie die sonst nie trägt – und ich kräusel missbilligend die Stirn. Viel zu süß, fast penetrant. „Jetzt riechst du wie ein Gummibärchen“, komme ich nicht umhin zu sagen, obwohl ich mich eigentlich zurückhalten wollte.
 

„Gummibärchen auf Ecstasy?“ fragt sie und grinst kurz. Ich muss nun doch lachen. In Momenten wie diesen merk‘ ich wieder, wie ähnlich wir uns manchmal sind. Was den Humor angeht… und leider auch, was den Männergeschmack betrifft…
 

„Bleib gaaanz ruhig, okay? Sonst kommst du zum Entzug zur Gummibärenbande. Die geben dir dann Ersatzdrogen wie Freundschaft, Mut uuund…“, ich dehne das Und extra aus, damit sie zusammen mit mir den Satz beenden kann, „…Gummibärensaft!“ sagen wir dann zugleich und grinsen uns an.
 

Dass sie so nervös ist, kann ich sehr gut verstehen. Ich glaube, sie würde sich vor Aufregung sogar noch die Haare raufen, wenn sie damit nicht wieder ihre Frisur ruinieren würde. Und obwohl ich irgendwie sauer auf sie bin, kann ich es dann doch nicht mit ansehen, wie sie wie ein aufgeschrecktes Huhn umherrennt. Immerhin ist das ihr erstes richtiges Date seit Jahren und ich gönne es ihr auch wirklich – irgendwie zumindest…
 

Blöd nur, dass sie es mit meinem nicht-Prinzen hat.

Und irgendwie noch blöder, auf seine eigene Mutter eifersüchtig zu sein.

Am blödesten allerdings, auch noch selbst dafür verantwortlich zu sein, dass beide sich trafen.
 

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Bevor ich fragen kann, warum er auf einmal so traurig aussieht, erklingt draußen eine mir sehr bekannte Stimme. Meine Mutter! Sie steht wie ich noch vor ein paar Minuten – oder wie lange war ich weg? – vor dem verwahrlost erscheinenden Garten und ruft etwas, das ich nicht deutlich verstehen kann. Auf meinen irritierten Blick hin erklärt mir mein ‚Gastgeber‘ schnell, dass er sie angerufen habe, während ich ein Beinahe-Dornröschen mimte, doch das nimmt meinem Blick ganz sicher nicht die Verwirrung, denn jetzt frage ich mich, woher er ihre Nummer hatte. Da er sich inzwischen aber erhoben und nach draußen begeben hat, bleibt mir dieses Mysterium wohl erst einmal erhalten.
 

Ich richte mich langsam auf und die grellgrüne Couch, auf der ich eben noch lag, quietsch leicht, obwohl sie gar nicht so alt aussieht. Fehlt nur, dass auch die modern wirkende Glastür des Zimmers knarzt. Allerdings bin ich wohl nicht in einem von Tine Wittler eingerichteten Hexenhaus gelandet, denn als meine Mutter mit dem – inzwischen leider bekleideten – Hausherrn den Raum betritt, gibt sie keinen Laut von sich. Meine Mutter dagegen schon. Sie stürzt geradezu auf mich zu und drückt mich an sich, wuschelt durch meine Haare, streichelt meinen Rücken, tätschelt meine Wange. Wie sie das macht, ist mir schleierhaft. Vielleicht hat sie auf einmal fünf Arme? Was mütterliche Fürsorge so alles für Auswirkungen hat!
 

Nur ist mir das momentan ein bisschen peinlich, auch wenn ich mich sonst gerne mal so betüddeln lasse. Aber da ist meist auch kein geiler Typ in der Nähe! Ich räusper‘ mich verlegen und meine Mutter rückt ganz leicht von mir ab. „Wie geht es dir? Ist alles in Ordnung?“ erkundigt sie sich besorgt und ich nicke. „Ja, alles bestens. Muss wohl die Hitze gewesen sein…“, meine ich leise und verschweige lieber den Umstand, dass ich kaum etwas gegessen habe und mein Blut seltsamerweise von meinem Hirn wo ganz anders hin geflossen war…
 

„Vielleicht solltest du dann heute besser zu Hause bleiben und zum Arzt gehen“, schlägt sie, immer noch besorgt, vor. Ich schüttle den Kopf. „Nicht nötig. Geht mir ja schon wieder richtig gut. Das war nix weiter“, entgegne ich überzeugt und meine Mutter mustert mich mit ihrem Röntgenblick. Böse Sache! Den setzt sie auch immer ein, wenn sie glaubt, dass ich lüge. Nur dass sie es diesmal aus Besorgnis und nicht aus Skepsis macht und dass ich nicht lüge.
 

„Du willst freiwillig zur Schule gehen?“ schaltet sich unvermittelt der Garten-Adonis ein, der sich bisher zurückgehalten hatte. Er grinst, doch es sieht nicht echt aus. Seit vorhin… Verdammt, was hab‘ ich da denn so Falsches gesagt? Jedenfalls scheint er seitdem eine Art Maske zu tragen… Oder ich spinne einfach. Letzteres scheint mir extrem plausibel zu sein.
 

Auf seine Frage hin zucke ich mit den Schultern. „Ich hab‘ nix gegen die Schule“, meine ich ehrlich. Ich bin zwar Lichtjahre davon entfernt, ein Streber zu sein, aber durchquälen muss ich mich durch den Lehrstoff auf nicht. Meine Antwort scheint ihn ehrlich zu überraschen. Immerhin mal keine Maske, so er denn tatsächlich eine aufgesetzt hat.
 

„Na gut, wenn du so gerne zur Schule willst, dann hoch mit dir. Dann komm‘ ich vielleicht auch noch rechtzeitig zur Arbeit.“ Meine Mutter lächelt mich an und ich grinse zurück. Sie hält mich also für fit genug und gesteht mir zu, dass ich doch keinen Arztbesuch benötige. Gut so, ich hasse Ärzte nämlich. Ich weiß, die wollen eigentlich nur helfen, aber… nein, ich mag sie einfach nicht. Hängt vielleicht mit den Impfungen in der Kinderzeit zusammen. Da hab‘ ich meinem Arzt sogar auf den Fuß getreten, damit der mich nicht spritzt. Hat er dann aber leider doch, nach dem ersten Schock.
 

Ich stehe auf und gehe mit wackligen Knien auf den teuflischen Dämon zu, der gar keine hübschen Hörner hat. Dass meine Beine wie Götterspeise sind, liegt aber sicher nicht an dem vorherigen Schwächeanfall, sondern daran, dass ich immer panischer werde. Was soll ich gleich sagen? Schlicht und einfach nur Danke? Oder: Ich hoffe, du hast dir keinen Bruch gehoben, als du mich ins Haus getragen hast? Auf keinen Fall möchte ich ‚Tschüss‘ sagen. Wenn eine Abschiedsfloskel, dann schon ein ‚Auf Wiedersehen‘…
 

„Vielen Dank, dass Sie sich um Nils gekümmert haben. Tut mir leid, dass Sie deswegen Umstände hatten.“
 

Hmm, ja, etwas in der Richtung könnte ich durchaus sagen… Nur komisch, wenn ich von mir in der dritten Person reden würde…
 

„Darf ich Sie zum Essen einladen? Als kleine Wiedergutmachung?“
 

Huch? Nein, so mit der Tine-Wittler-Glastür ins Haus fallen würde ich dann doch nicht! Wo ich gar nicht weiß, ob mein holder Retter auf Kerle steht. Denn irgendwie klingt das schon nach ‘ner Anmache…
 

„Das ist zwar nicht nötig, aber von mir aus gerne…“, meint er.
 

„Toll!“ rufe ich, lächle strahlend – und werde von zwei Augenpaaren verwirrt und überrascht angeglotzt.
 

Was denn? Er will mit mir… Moment, das hatte ich doch nur gedacht? Zwar mit ziemlich weiblicher Stimme, aber… Ich runzle leicht die Stirn. Da drängt sich mir eine Erkenntnis auf, die mir gar nicht gefällt! Das waren nicht meine Gedanken, das waren die Worte meiner Mutter! Ich quicke leise. Nein. Nein, nein, nein! Meine Mutter hat sich eben mit meinem Mister Right verabredet?
 

„Ähm, ja… Das ist supertoll, weil… Es ist ja nur zum Dank und so…“, stammle ich hochrot und kann keinen von beiden ansehen. „Tschüss!“ krächzte ich dann und bin so schnell draußen, wie es nur geht. Vor dem Zaun fummle ich nervös an meinem Fahrrad herum und warte auf meine Mutter, während ich mir in den Hintern beiße für meine Blödheit. Nicht wirklich natürlich, so gelenkig bin ich nicht. Aber zum Kopf auf den Lenker hauen reicht’s schon noch.
 

Ich treffe die Narbe von damals. Ich war echt glücklich, als meine Mutter da war, als sie die Platzwunde genäht hatten. Jetzt bin ich nicht so froh, dass sie wieder für mich da war…
 

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Arme Fernbedienung! Ich malträtiere sie schon den ganzen Abend. Irgendwie will mich so gar nichts in der Glotze ansprechen. Seufzend schalte ich den Fernseher aus und gehe in mein Zimmer, zocke ein wenig an meinem Computer. Da muss ich wenigstens selbst was tun, doch leider hält das meine Gedanken auch nicht davon ab, Amok zu laufen. Ich muss einfach die ganze Zeit daran denken, dass meine Mutter sich jetzt mit ihm trifft…
 

Gerade als ich gefrustet aufhöre und den Rechner herunterfahre, höre ich das Schloss und bin schneller vor der Haustür als… Ach egal. Mir fällt kein Vergleich ein, ich bin zu aufgedreht.
 

Meine Mutter tritt in den Flur, schreckt kurz zusammen und schließt die Tür hinter sich. „Warum stehst du im Dunkeln rum?“ fragt sie. Upps… Für’s Lichtanmachen war eben keine Zeit! „Sorry, wollte dich nicht erschrecken. Wie war’s?“
 

Sie seufzt leise. „Da ist man kaum zur Tür rein…“, beschwert sie sich theatralisch und obwohl ich weiß, dass das Spaß ist, hab‘ ich dafür grade absolut keinen Nerv. „Sag schon!“ dränge ich also, während sie das Licht einschaltet und ihren Stiefel auszieht. „Mach schon!“ fordere ich noch nachdrücklicher, doch sie zieht nur in aller Seelenruhe den zweiten Stiefel aus. „Rede endlich, du blöde Kuh!“ schreie ich schließlich ungehalten und schon im selben Moment tut mir mein Ausbruch leid. So spreche ich sonst eigentlich nie mit ihr.
 

Sie schaut mich mit ihrem Röntgenblick an. „Willst du mir vielleicht was sagen?“ Ihre Stimme und ihre Reaktion überrumpeln mich ein wenig. Warum hab‘ ich nun nur das Gefühl, dass sie das eben mit Absicht gemacht hat? Wollte sie mich aus der Reserve locken?
 

„Nein, nichts…“, versuche ich mit Unschuldsmiene zu sagen. Stattdessen steht auf meiner Stirn bestimmt ‚Lüge!‘ geschrieben.
 

„Nils?“
 

Gott, ich mag es gar nicht, wenn sie meinen Namen auf diese vorwurfsvolle Art betont. „Ich hab‘ mich in diesen Typen verguckt!“ gebe ich also zu. Ich kann nicht anders, wenn sie so ist…
 

Sie lächelt.
 

„Du hast das schon gewusst, oder?“ frage ich, hab‘ da so eine Ahnung…
 

„Tja, von allein erzählst du mir ja nichts“, meint sie lapidar und mir fallen bald die Augen aus. „Nicht dein Ernst, oder? Du hast dich mit ihm getroffen, damit ich dir sage, dass ich ihn toll finde?“ Boah, das ist… diabolisch! Warum hat sie keine Hörner? Aber he, bei dieser dämonischen Seite von ihr hat sie sich ja vielleicht sogar gut mit ihm verstanden?
 

„Nein, ich wollte wirklich mit ihm ausgehen. Ich hatte nur so eine Vermutung, dass du ihn eventuell auch mögen könntest – ich denke da an deinen begeisterten ‚Toll‘-Ausruf“, erklärt sie und muss bei der Erinnerung daran kurz lachen. „Aber wir passen nicht zusammen“, fährt sie seufzend fort. „Kannst dich also freuen“, meint sie und zwinkert mir zu. Ich fühle mich jetzt ein bisschen schlecht – und ertappt. Aber auch erleichtert…
 

„Tut mir leid, Nils. Hättest du früher die Zähnen auseinandergekriegt, hätte ich mich nicht mit ihm getroffen.“ Autsch! Dass meine Mutter sich bei mir entschuldigt, lässt ein schlechtes Gewissen so groß wie der Jupiter in mir wachsen.
 

„Warte mal!“ ruft sie plötzlich, verschwindet erst im Bad, dann in ihrem Schlafzimmer. Sie hat noch mehr von dem süßen Parfum aufgetragen, eine Sonnenbrille aufgesetzt und eine Tüte Gummibärchen in der Hand. „Hat hier jemand ‘nen Gummibärchenkiller engagiert?“ fragt sie mit tiefer Stimme und schaut mich lässig über den Rand der schwarzen Gläser hinweg an.
 

„Was?“ Ich stehe nicht auf dem Schlauch, da liegt ein tonnenschwerer Elefant drauf!
 

Sie lacht amüsiert und öffnet die Tüte, hält sie mir hin und ich fische einen roten Bären heraus und esse ihn.
 

„Ha, du hast mich ganz schön gefressen, was?“ kichert sie und langsam löst sich der Elefant in Wohlgefallen auf. Klar, ich hab‘ sie ja vorhin wegen dem Parfum zum Gummibärchen ernannt!
 

„Deswegen will ich dich lange nicht killen!“ widerspreche ich lächelnd und sie schüttelt den Kopf. „Ja, dafür hast du ja mich, den Gummibärchenkiller! Der Rest gehört mir!“ behauptet sie lachend und nimmt sich gleich eine Handvoll der Tierchen. „Oh nein, das werde ich nicht zulassen! Ich rette deine gute Figur!“ rufe ich lachend und stürze mich heroisch auf die Tüte, dabei bin ich nur total scharf auf Gummibärchen und das weiß sie auch.
 

Schließlich sitzen wir gemeinsam auf der Couch, futtern die Gummibärchen, kichern und quatschen wie kleine Schulmädchen und sind so gut drauf wie lange nicht mehr. So gut, dass ich sie frage, warum sie der Meinung ist, dass sie nicht mit meinem Garten-Adonis zusammenpasst. Sie überlegt kurz, bevor sie zu einer Antwort ansetzt.
 

„Ich denke, von ihm war da kein Interesse an meiner Person… Zumindest kein romantisches Interesse… Und ich glaube, er war der Meinung, dass ich zu sehr von seinem Aussehen geblendet wäre. Die Leute würden immer nur denken, er sähe wie ihr Traumprinz aus. Pff! So was Blödes. Als ob tatsächlich jemand zu ihm sagen würde: Du schaust wie ein Prinz aus! … Nils? Was ist denn los? Du bist so blass? Ist dir schlecht?“
 

Oh ja, allerdings… Aber ich schüttle nur stumm den Kopf…
 


 

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Danke für eure Favos und Kommentare! <3

Call me, maybe?

„Ein echter Pirat sticht auch ins rote Meer!“, meint Karsten mit innbrünstiger Überzeugung und ich verschlucke mich beinah an dem Stück Apfel, das ich gerade kaue. Auch die Mädels, die mit uns gemeinsam vor dem Klassenzimmer stehen, scheinen von der Aussage wenig angetan zu sein und quieken angewidert. Karsten ist eigentlich kein schlechter Kerl, aber die Pubertät tut ihm nicht gut. Abgesehen von der erblühenden Akne wächst bei ihm nichts, sein Liebesleben geht ein. Kein Wunder allerdings, wenn er solche Sachen raushaut. Trotzdem ist er ein guter Kumpel und neben meiner Mutter der einzige Mensch, der weiß, dass es für mich nie das geben wird, was er sich am meisten wünscht: Sex mit einem Mädchen.
 

„Aber echt mal, ist doch so, stimmt’s Nils?“, wendet er sich Hilfe suchend an mich und ich gucke ihn nur verstört an. Telepathisch vermittle ich ihm während des Blickkontakts Folgendes: Ich habe nicht das Bedürfnis, mit Frauen zu schlafen. Auch oder gerade nicht mit Frauen, die ihre Regel haben! Laut sage ich: „Tut mir leid, ich bin kein echter Pirat. Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass mein Vater Direktor eines Flohzirkus‘ ist. Ich bin nur zur Hälfte Freibeuter, leider.“
 

Ein paar der Mädchen kichern und Karin zwinkert mir zu. Ich ignoriere das geflissentlich, schließlich will ich keine Hoffnungen wecken, die niemals erfüllt werden. Als es zum Unterricht klingelt und alle sich nach drinnen begeben haben, werde ich lockerer. Dieser Small Talk liegt mir nicht. Ich bin einfach nicht zum Redner geboren und am liebsten würde ich mich während der Pause in irgendeine dunkle Ecke verkriechen, wo man mich erst nach der nächsten Eiszeit wiederfindet oder aber wenigstens nach der Pause.
 

Das lässt Karsten jedoch nicht zu. Er sorgt eigentlich dafür, dass ich so was wie ein soziales Leben habe. Weiß nur nicht ganz, ob ich ihn dafür lieben oder hassen soll … „Manno, ich versteh’s nicht, Alter. Die Weiber fliegen auf dich, obwohl du … naja, obwohl du eben kein Pirat bist“, raunt ebenjener, als er sich neben mich setzt. Manchmal hab ich das Gefühl, es fällt ihm schwer, einfach ‚schwul‘ zu sagen. Vielleicht ist er auch nur übermäßig politisch korrekt? „Und Karin steht auf dich!“ Der Tonfall dieser Aussage lässt mich kurz zu ihm blicken. Er ist wirklich sauer auf mich. „Eh, Alter!“, meine ich grinsend und er schaut mich skeptisch an. Mit dem ganzen ‚Alter‘-Kram haben wir aus Spaß angefangen und lieben es, uns so zu unterhalten, wenn irgendwelche etepetete Leute in der Nähe sind. Mittlerweile gehört es aber auch schon fast richtig zu ‚unserer Sprache‘. Mein Gott sind wir assig! „Ich muss dir dann mal was erzählen“, flüstere ich verschwörerisch. Dann erstirbt unser Gespräch, weil Frau Seekuh – die Arme!, der Name ist tödlich – uns böse anguckt.
 

Nach dem Matheunterricht bei der Seekuh verziehe ich mich mit Karsten in eine dunkle Ecke – das ist diesmal ja okay, weil mein Sozialleben nicht darunter leidet – und erzähle ihm von meinem Garten-Adonis und besonders von dem Date, das meine Mutter mit ihm hatte. Nach dem Ende meiner Ausführungen sehe ich ihn abwartend an und hoffe, dass das, was ich ihm versuche auf meine verquere Art beizubringen, auch bei ihm angekommen ist. „Du verstehst also, dass ich eifersüchtig auf dich bin, weil du es selbst auf deine Mutter warst?“, fasst er mein Kauderwelsch zusammen und ich nicke strahlend. Karsten ist der perfekte Nils-Dolmetscher. Wäre toll, wenn ich ihn überall mit hinnehmen könnte und wenn ich mal wieder nur Unsinn brabbel, er alles übersetzen würde.
 

Er schüttelt den Kopf und schnippt mir dann mit dem Zeigefinger an die Stirn. „Aua!“, entrüste ich mich. So was ist nicht lustig. Es tut weh! „Knalltüte!“ Whoa, nun auch noch verbale Nettigkeiten? Ich verziehe missmutig den Mund. „Ich bin nicht wirklich eifersüchtig auf dich. War vorhin einfach nur bisschen angepisst“, meint er und druckst dann etwas rum. „Karin ist schon echt süß. Weißt du, dass sie manchmal im Altenheim aushilft? Ihre Großeltern sind doch so früh gestorben. Sie macht sich da heute noch nen Kopp, weil sie mit denen kaum Zeit verbracht hat. Die waren eben die ollen Familienanhängsel für sie. Und dann passierte dieser Autounfall … Jetzt geht sie eben ins Heim und spielt mit den Alten da Mensch ärgere Dich nicht und so.“
 

Erstaunt und irgendwie auch irritiert sehe ich Karsten an. Nein, so viel wusste ich gar nicht über Karin. Und ich find’s grad voll niedlich, dass Karsten das weiß und offensichtlich wirklich an ihr interessiert ist. Also mal jenseits von diesem ‚ins-rote-Meer-stechen‘-Quatsch. Außerdem wird mir noch was klar: Er macht hier eben Seelen-Striptease. A la: Du hast mir von deinem Schwarm erzählt, ich sag dir was über meinen. Nur das er seinem Schatzi bedeutend näher ist, als ich es bin! Denn mal ehrlich, ich weiß absolut gar nichts über den Garten-Adonis. Außer der einen Sache, dass er nicht auf sein Prinz-Aussehen reduziert werden möchte. Und ebendies habe ich getan. Karsten tut das bei Karin dagegen nicht.
 

Erkenntnis des Tages: Ich bin ein Idiot!
 

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Verstohlen krame ich in den Sachen meiner Mutter herum und komme mir vor wie ein Schwerverbrecher. Bin ich ja auch. Schließlich ist es nicht die feine englische Art, in anderer Leute Sachen herumzuschnüffeln, aber was Besseres fällt mir nicht ein. Ich will an ihr Handy und nachsehen, ob sie seine Telefonnummer hat. Irgendwie müssen sie sich ja verabredet haben und ich brauch die Nummer dringend, um in Kontakt mit Mister Right zu kommen. Wenn ich je ernsthaft mit diesem ‚ich-hab-tausend-Schmetterlinge-verschluckt‘-Gefühl umgehen will, muss ich mehr über ihn wissen, so wie Karsten über Karin.
 

„Was machst du da?“ Die scharfe Stimme meiner Mutter lässt mich zusammenzucken. Ertappt! „Du bist schon zurück?“ Wow, eine Gegenfrage. Wie verdammt raffiniert ist das denn? Ich bin echt ungefähr so kreativ wie ein leeres Blatt Papier … Der typische Röntgenblick lässt nicht lange auf sich warten und ich gestehe kleinlaut, dass ich ihr Handy gesucht habe. „Das hätte ich nicht machen sollen“, füge ich auch noch schuldbewusst stammelnd hinzu. Ja, ich war ein böser Junge … Der teuflische Dämon dürfte mich auch gerne bestrafen … Aber okay, das ist schon wieder Kopfkino, das gerade zu weit geht!
 

„Sorry, ich gehöre zu der Sorte Mensch, die ihr Handy tatsächlich mitnimmt, wenn sie unterwegs ist“, meint sie und kramt ihr Mobiltelefon aus ihrer Tasche. „Lass mich raten, du wolltest die Nummer unseres gut aussehenden Einsiedlers?“, kombiniert sie treffend und ich nicke. Ziemlich blöd. Ich bin offensichtlich viel zu leicht zu durchschauen. Vielleicht bin ich als kleines Kind in einen Kessel mit Zaubertrank gefallen, der mich durchsichtig macht? Durchschauen leicht gemacht!
 

Sie verlässt wortlos das Zimmer und holt einen Zettel und einen Stift, drückt auf ihrem Handy herum und schreibt dann etwas auf. „Bitte …“, sagt sie lächelnd und reicht mir den Zettel, „… aber pass auf dich auf! Sag ihm, ich weiß, wo sein Haus wohnt! Wenn er dir auch nur ein Haar krümmt, dann gnade ihm Gott und dein Friseur! Und du weißt ja: Ich will noch nicht Oma werden, wenn du verstehst, was ich meine!“
 

Ich glaube, ich werde abwechselnd rot, weiß und grün oder alles zusammen. Dann kann ich einfach bloß strahlen wie die Sommersonne. Bevor ich zu einem endlosen Wortschwall der Dankbarkeit ansetzen kann, kommt meine Mutter mir mit diabolischem Lächeln zuvor. „Für das Rumschnüffeln hier gibt es natürlich noch eine Strafe!“, setzt sie süffisant an und mir schwant Übles. „Vier Wochen Gummibärchen-Verbot!“
 

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Stöhnend wälze ich mich in meinem Bett hin und her. Ich hätte ja nichts dagegen, wenn ich hier ein heißes Laken-Gewühl mit dem Garten-Adonis veranstalten würde – obwohl, nein, lieber nicht, meine Mutter wollte ja keine Omi werden – aber ich bringe mein Bett aus Unzufriedenheit durcheinander. Mit dem Gummibären-Verbot kann ich zwar leben – grad so! – aber mit meinen kläglichen SMS-Versuchen nicht.
 

Ich möchte Mister Right eine Nachricht schreiben. Anrufen geht schließlich gar nicht. Ich glaube, selbst wenn ich keine Probleme damit hätte, sinnvolle Worte über meine Lippen kommen zu lassen, wäre ich zu aufgeregt, ihm gegenüber etwas Gescheites zu sagen … Eine SMS ist also der logische Weg, den Kontakt zu knüpfen. Blöderweise allerdings nicht der Einfachste. So viele Anläufe und bisher war alles, was ich getippt habe, Bockmist.
 

Kostproben gefällig? „Hallo. Erinnern Sie sich an mich? Ich bin in Ihrem Garten umgekippt.“, wurde zwischenzeitlich zu, „Hallo. Erinnern Sie sich an mich? Sie hatten letztes Wochenende ein Date mit meiner Mutter …“ Die Erwähnung meiner Mutter wurde aber gecancelt und überhaupt auch dieser Erinnerungs-Quatsch. Wenn er sich nicht an mich erinnert, würde er auch nichts von mir wollen, oder? „Ich freue mich auf Mittwoch. Da komme ich wieder.“, war eindeutig zweideutig zu pervers und wurde zu, „Ich freue mich auf Mittwoch. Da bring ich Ihnen wieder die Zeitung.“ Aber auch das wurde als zu dämlich empfunden und in die ewigen Jagdgründe der niemals gesendeten SMSen geschickt. Mal abgesehen davon, dass ich auch per Nachricht nicht gut mit Worten kann, weiß ich gar nicht so richtig, ob ich ihn wirklich mit ‚Sie‘ anschreiben soll? Das ist schon sehr distanziert und klingt einfach bescheuert.
 

Seufzend lasse ich den Kopf tief ins Kissen sinken und schließe die Augen. Was ich schreiben möchte, soll etwas Treffendes sein, etwas, das uns irgendwie verbindet. Vielleicht was über Dornröschen? Aber ich bin nur ein Fast-Dornröschen, ungeküsst erwacht … Plötzlich kommt mir ein anderer Gedanke und ich schnappe schnell wieder mein Handy, das ich beiseitegelegt hatte. Ich tippe die Nachricht und bevor mich erneut Zweifel überrollen können und ich alles verwerfe, drücke ich auf ‚Senden‘. Dann schalte ich das Handy mit glühendem Gesicht aus. Schrecklich, dass mir das schon so peinlich ist! Und ich weiß, würde ich das Telefon anlassen, könnte ich die Nacht nie schlafen, weil ich ständig diese Erwartung hätte … Schreibt er zurück oder nicht? Was schreibt er? Das würde mich sicher wahnsinnig machen! Noch wahnsinniger!
 

Unruhig dämmere ich schließlich in einen leichten Schlaf, aus dem mich morgens der Wecker reißt. Gnadenloses Folterinstrument! An jedem anderen Tag wäre ich verstimmter als heute. Aber Neugierde hilft beim Aufstehen! Ich schalte mein Handy an und sehe erst einmal nach, ob ich gestern ernsthaft diese SMS geschrieben und abgeschickt habe. Mein uraltes Handy verkündet: Nachricht gesendet am 13.08.2012, 23:47 Uhr. Und der Inhalt lautet:
 

„Kleiner Quälgeist geht spielen und sucht Begleitung (gerne auch ohne hübsche Hörnchen). Romantische Weltuntergänge inklusive.“

Die große Leseschwäche

Vielen Dank für die lieben Kommentare. ^^

Und, oh Wunder, es gibt schon wieder ein neues Kapitel. XD"

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Ich schaffe es einfach nicht. Es geht wirklich nicht. Die Erkenntnis dieses Tages wird sein, dass ich ein erbärmlicher Feigling bin. Wie sagt man so schön: Ich habe Angst vor meiner eigenen Courage. Ha! Leider nur halb so witzig, wie sich das in meinen Hirnwindungen noch anhört. Aber Tatsache ist, dass ich nicht dazu in der Lage bin, die Nachricht auf meinem Handy zu lesen, die ich bekommen habe.
 

„1/17“, steht auf dem Handy-Display. 16 alte Nachrichten in meinem Speicher. Ich bin sentimental. SMS, die mir besonders gefallen, lösche ich nicht aus meinem Nachrichteneingang. Als ich mit dem Zeitungaustragen angefangen habe, hatte ich mich verirrt und meiner Mutter geschrieben, dass ich nicht wüsste, wo ich gerade wäre. Ihre lapidare Antwort war: „Dann kommst du heut wohl nicht mehr nach Hause?“ Ich muss kurz grinsen. Diese und weitere Nachrichten werde ich niemals löschen. Aber momentan interessieren sie mich nicht die Bohne. Hier und jetzt ist nur diese eine neue SMS wichtig.
 

Unwirsch lege ich das Handy zur Seite. Tja, da ich zu feige bin, nachzusehen, gibt es nur eine andere Möglichkeit: Ich muss mir vorlesen lassen, was da steht. Und meine Mutter werde ich sicher nicht deswegen fragen. Schnell stehe ich auf, ziehe mich an, begebe mich ins Bad und verlasse die Wohnung ohne irgendwas zu essen. Mein Magen ist eh vor lauter Nervosität am Grummeln, da würden matschige Cornflakes auch nichts dran ändern. Außerdem gibt es momentan nur ein Ziel: ab zur Schule! Dort finde ich den einzigen Menschen auf dieser ganzen weiten Welt, der mich aus meiner selbst gewählten Misere erretten kann.
 

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Karin sieht mich mit ihren großen Rehaugen fragend an. Schon eine gefühlte Stunde lange, mindestens! Also rekapituliere ich das alles noch mal. Aber nein, was ist denn seltsam daran, eine Klassenkameradin, die man kaum kennt, vor der Schule abzufangen und ihr zu sagen, dass man im gleichen Teich fischt und dass es da so jemanden gibt und irgendwie hat dieser Typ wohl eine SMS geschrieben und ebenjene solle sie mal kurz vorlesen, weil man selbst zu unsicher ist. Hmm. Echt, das einzig Merkwürdige ist, dass ich als stolzer Beinah-Pirat gerade einen auf wimmerndes Fast-Dornröschen mache.
 

„Küssen musst du mich aber nicht!“, füge ich meinen Worten hinzu und Karin guckt nur noch entgeisterter. „Naja, wegen Dornröschen und so!“, erkläre ich schnell, bevor mir einfällt, dass sie keinen Exklusiv-Zugang zu meiner internen Festplatte – auch Gehirn genannt – hat und nicht wissen kann, was in meinem Kopf so vor sich geht.
 

„Nils, was immer du nimmst, hör auf damit“, meint sie schließlich nüchtern und nun ist es an mir, sie verwirrt anzusehen. Ein kleines Funkeln in den braunen Augen verrät sie. Ich grinse etwas unsicher, was sie mit einem breiten Lächeln quittiert, bevor sie zu kichern anfängt. Sie sieht wirklich hübsch aus, wenn sie lacht. Dann bilden sich kleine Grübchen in ihren Wangen. Ich glaube, wenn ich Karsten wäre, würde ich sie jetzt abknutschen wollen.
 

Sie räuspert sich leise. „Aber mal ernsthaft. Du stehst also auf Jungs?“, fragt sie nach. Ich kann in ihrer Frage weder Ablehnung noch Hinterhältigkeit ausmachen. So schätze ich sie auch nicht ein. Karsten mag sie, also muss sie einfach gut sein. Es ist sicher kein Fehler, es ihr zu sagen.
 

„Naja, auf Jungs eher nicht, Männer sind mir lieber“, wende ich grinsend ein und sie lächelt. Meine Antwort scheint sie richtig zu freuen. Warum auch immer.
 

„Gut zu wissen … Aber trotzdem … Warum fragst du nicht Karsten, ob er dir die SMS vorliest? Ich meine … seid ihr zusammen und du magst ihn gar nicht wirklich? Dann solltest du ihn nämlich trotzdem nicht betrügen. Das hätte er nicht verdient!“
 

Hä? Ich frage mich gerade ernsthaft, ob ich noch schlafend in meinem Bett liege. Was will mir diese Situation sagen? A) Karin steht auf Karsten, B) Karin steht auf Karsten oder C) Karin steht auf Karsten?
 

„Nein!“, antworte ich vehement. Okay, ich sollte noch präzisieren, zu was ich Nein sage … „Ich hab nix mit Karsten, aber ich hab manchmal eben das Gefühl, das er etwas Probleme damit hat, dass ich schwul bin. Darum will ich ihn lieber nicht fragen. Übrigens seid ihr beiden die Einzigen hier, die das wissen und das soll bitte auch so bleiben, ja?“
 

Karin nickt ernst und streckt mir ihre geöffnete Hand entgegen. „Dann lass mich mal sehn, ob ich deine persönliche Kuppelgöttin sein kann“, meint sie und ich atme erleichtert aus.
 

Endlich, endlich, endlich! Noch länger könnte ich auch gar nicht mehr warten. Ich würde sonst vor Neugier platzen und wer würde den Dreck dann denn wegmachen? Gerade als ich es in ihren Handteller gleiten lassen möchte, schnappt sich jemand mein Handy und ich quieke auf.
 

„Manno, immer wenn du so rumquiekst, könnte man denken, ein Schwein wird abgestochen!“, grummelt Karsten kühl und seinem finsteren Blick nach überlegt er wohl wirklich, mich abzumurksen. „Ich bin ja auch ein armes Schwein!“, meine ich und versuche, ihm mein Handy wieder zu entreißen. Aber ich schaffe es nicht. Und Karin, die nur irritiert neben uns steht, ist mir leider keine große Hilfe.
 

„Was machst du eigentlich hier, Halb-Pirat? Nummern tauschen?“, fragt Karsten und betont das ‚Halb‘ besonders. „So ein Quatsch!“, widerspreche ich. Kann doch nicht angehen, dass ich an einem Morgen zwei Eifersuchtsanfälle auslöse. Einmal von Karins und nun von Karstens Seite. Dabei will ich doch nur wissen, was in dieser verdammten SMS steht!
 

„Er ist wirklich nur ein halber Pirat!“, meldet sich Karin zu Wort und Karsten wendet zum ersten Mal seit er hier ist seine Aufmerksamkeit zu ihr. Er schaut sie an, dann mich. Und noch mal abwechselnd sie, dann mich. Er schüttelt wortlos den Kopf, drückt mir mein Telefon in die Hand und geht ohne einen Ton von sich zu geben in die Schule. Ich glotze ihm nach wie allseits bekannte Kuh im Gewitter. Wo bitte bin ich falsch ausgestiegen und was habe ich verpasst? Und auch ohne mich zu ihr umzudrehen, könnte ich wetten, dass Karin genauso gewitterkuhmäßig guckt wie ich.
 

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Die Seekuh ist schlecht drauf. Die Geometrie hasst mich mindestens genauso sehr, wie ich sie. Ich luge vorsichtig zu Karsten. Er drückt seinen Bleistift viel zu sehr auf. Ich lasse den Kopf auf die Tischplatte sinken. Aller schlechten Dinge sind drei! „Warum bist du sauer?“, wispere ich leise und Karsten schaut nicht mal von seinem Blatt auf.
 

„Bin net sauer“, kommt es grummlig zurück. „Ja klar, und ich bin Mutter Teresa!“, raune ich ärgerlich. Ich hab schließlich nichts gemacht, weswegen er so eingeschnappt sein könnte! Denk ich zumindest …
 

„Du hast es ihr gesagt!“, erwidert Karsten nach einem Moment wütend und ich versteh nicht gleich, was er meint. „Blödsinn!“, sage ich etwas zu laut und kassiere einen dieser ‚wenn-Blicke-töten-könnten-lägst-du-jetzt-schon-meilenweit-unter-der-Erde‘-Blicke von der Seekuh. „Ich hab ihr ganz sicher nicht gesagt, dass du auf sie stehst“, füge ich leise hinzu, als sich die Aufmerksamkeit unserer Mathelehrerin wieder auf etwas anderes richtet.
 

„Du dämlicher Spinner, ey! Das wäre ja auch noch schöner, wenn du ihr das erzählt hättest. Ich meine, dass du ihr gesagt hast, dass du auf Kerle stehst! Warum hast du das gemacht? Ich bin dein Freund, Alter! Sonst braucht das doch keiner zu wissen, oder? Ich dachte echt, du vertraust mir da!“, zischt Karsten mir zu und ich schüttle ungläubig den Kopf.
 

„Nur weil ich das sonst keinem gesagt hab, heißt das nicht, dass das ein Geheimnis ist! Ich kann das ja wohl erzählen, wem ich will!“, motze ich ungehalten zurück. Kann doch nicht wahr sein, dass Karsten hier aus gekränktem Stolz so ein Fass aufmacht!
 

„Ach ja? Also könnte ich jetzt auch aufstehen und allen laut sagen, dass du vom anderen Ufer bist?“, fragt Karsten ebenso garstig. Nicht lustig, aber der Gedanke, dass wir beide uns grad unsre Gollum-Seite zeigen, ist doch irgendwie witzig.
 

„Mann, nein!“, lenke ich dann doch besser ein. Es wäre ihm nämlich zuzutrauen, dass er das ernsthaft macht und auch wenn ich eigentlich wirklich kein Geheimnis um meine Homosexualität machen möchte, will ich das dann doch nicht jedem unter die Nase reiben. „Ich brauchte einfach Hilfe! Wegen ‘nem Typen. Und ich dachte, damit nerv ich dich nur. Deswegen hab ich lieber Karin gefragt. Und da musste ich ihr natürlich auch erst mal sagen, was Sache ist.“
 

Immerhin wirft Karsten mir nun einen schnellen Blick zu. „Hmm“, macht er und ich stupse ihn leicht mit meinem Ellenbogen in die Seite. Er guckt mich nochmal an. „Alles wieder klar, Alter?“, erkundige ich mich und der Hauch eines Lächelns huscht über seine Lippen. „Klaro, Alter!“, gibt er freundlicher zurück und weil er im Anschluss sein Papier weniger malträtiert, hebe ich erleichtert meinen Kopf und sehe direkt in Seekuh-Augen.
 

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Nach einem weniger amüsanten Gespräch am Ende der Stunde kann ich es kaum erwarten, zu Karsten und Karin zu gehen. Karsten und Karin? Ich kneif kurz die Augen zusammen. Nein, keine optische Täuschung. Die beiden stehen tatsächlich in trauter Eintracht da und scheinen auf mich zu warten.
 

„Und, wie war’s?“, fragt Karsten feixend und ich seufze nur tief. Das sollte Antwort genug sein. Mit der Seekuh ein Gespräch über meine mangelnde Aufmerksamkeit im Unterricht zu haben, ist in etwa so angenehm wie ein Kettensägenmassaker. Dagegen war die kleine Auseinandersetzung mit Karsten ein Zuckerschlecken.
 

„Aber nun endlich zu den wichtigen Dingen! Oder hast du die SMS mittlerweile gelesen?“, wendet sich Karin an mich und ich schüttle den Kopf. In den letzten Minuten hab ich die Nachricht nicht vergessen. Aber gelesen hab ich sie nicht.
 

Ein bisschen unschlüssig schaue ich Karin und Karsten an. „Ist es okay, Karsten, wenn du sie vorliest?“, frage ich sowohl sie als auch ihn. Schließlich hab ich Karin zuerst darum gebeten, aber da es Karsten wirklich wichtig ist, dass ich ihn als Ansprechpartner sehe …
 

„Klar!“, meinen die beiden im Chor und schauen sich gegenseitig grinsend an, weil sie sich mit dieser synchronen Antwort wohl selbst überrascht haben. Knuffig. Da kann ich auch nicht anders, als zu grinsen. Mit einer theatralischen Geste überreiche ich Karsten schließlich das Handy. Nun gilt es also. Alles oder nichts. Ex oder hopp. Sein oder Nicht-Sein!
 

Er drückt ein paar Tasten, liest die Nachricht. „Sag schon!“, maule ich ungeduldig und fang an, mit den Füßen hin und her zu wippen.
 

„Also: Er schreibt, dass er dich ja morgen sieht und du ihm dann wohl was zu sagen hättest“, fasst Karsten den Inhalt zusammen und ich sehe ihn nachdenklich an.
 

Ich hab Mister Right was zu sagen? Was denn? Irgendwie bin ich da gerade überfragt … Und dass wir uns morgen sehen, damit kann dann wohl nur gemeint sein, dass ich morgen früh beim Zeitungaustragen zu ihm kommen soll?
 

„Sonst steht da nichts da?“, frage ich etwas ernüchtert nach. Irgendwie … hätte ich mehr erwartet. Besonders wegen meiner Nachricht. Dass er gar nicht weiter darauf eingegangen ist, enttäuscht mich. Aber gut, was habe ich denn auch erwartet? Zu viel scheinbar! Außerdem ist er vielleicht sauer? Ich hab ihm Probleme mit meiner ‚ich-fall-mal-eben-in-Ohnmacht‘-Aktion bereitet und dann noch das suboptimale Date mit meiner Mutter …
 

Karsten schüttelt den Kopf und drückt noch weiter auf meinem Handy herum. „Scheiße!“, zischt er plötzlich und auf meinen fragenden Blick hin zuckt er entschuldigend mit den Schultern. „Hab sie aus Versehen gelöscht“, meint er zerknirscht.
 

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Mittwochmorgen. Ich ignoriere den Wecker und ziehe die Decke über den Kopf. Mein Schutzschild. Ich will nicht aufstehen. Aber ich weiß, dass mich auch die noch so kuschligste Decke nicht davor bewahren können wird, doch aufstehen zu müssen. Ich könnte höchstens behaupten, ich wäre krank …
 

Missmutig richte ich mich auf und stelle den Alarm aus. Ich werd nicht darum herumkommen. Schluss mit der Feigheit. Auch wenn ich immer noch keinen blassen Schimmer habe, worüber ich mit dem Garten-Adonis reden soll, werde ich mich der Situation stellen. Ganz erwachsen und vernünftig! Soweit zumindest der Plan …
 

Ich gehe in die Küche und löffle matschige Cornflakes. Ich trinke ein Glas Tomatensaft und spüle sogar das Geschirr gleich noch ab. Meine Mutter wird sich deswegen bestimmt Gedanken machen, weil ich den Abwasch sonst eigentlich immer – sehr zu ihrem Missfallen – stehen lasse. Der nächste Gang führt mich ins Bad, dann nehme ich die Zeitungen an mich und lasse mich im Schneckentempo vom Fahrstuhl nach unten bringen. Im Keller hole ich mein Fahrrad und schließlich radle ich los.
 

Mit jedem Stückchen, mit dem ich meiner Final Destination näherkomme, werde ich nervöser. Das Zittern meiner Arme sorgt dafür, dass ich nicht besonders geradlinig fahre. Trotzdem stehe ich schon kurz vor sechs vor dem verwilderten Gelände. Früher als sonst.
 

Ich lehne mein Rad an den Zaun und laufe über den Schotter zum Tor. Am Namen hat sich nichts geändert, Succubus steht auf dem kleinen Schildchen. Der Einwurfschlitz ist aber nicht mehr zugeklebt. Ich gucke mich um. Aussichtslos, bei dem Gestrüpp etwas zu sehen. Ich könnte die Zeitung einwerfen und verschwinden.
 

„He, sei keine Pussy und hau ja nicht einfach ab!“
 

Ich zucke erschrocken zusammen. Verdammt, ich weiß ja, ich hab große Chancen, Feigling of the year zu werden, aber eine Pussy bin ich deshalb doch auch nicht gleich! Knallrot betrete ich das Anwesen. Ha! So viel zur Pussy! Ich bin doch mutig!
 

Neben mir raschelt es in einer Wildrosenhecke. Ich drehe mich um und sehe in zwei leuchtend grüne Augen. Dann höre ich ein Fauchen und ein schwarzer Schatten huscht an mir vorbei Richtung Haus. Verwirrt stehe ich da. Irgendwas war hier gerade sehr seltsam. Die Preisfrage ist nur: was?
 

Eine Berührung an der Schulter lässt mich erneut zusammenzucken. Er steht vor mir. Im ersten Augenblick bringe ich kein Wort heraus. Dann sage ich: „Ich bin keine Pussy!“



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Kommentare zu dieser Fanfic (18)
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Von:  Taze92
2013-04-28T23:02:00+00:00 29.04.2013 01:02
Also nach uhm *nachschaut* geschlagenen 5 Monaten bin ich wieder hier um nach dem Rechten zu sehen, weil kein Glöckchen kam um mir zu sagen dass ein neus Kapitel fertiggebacken ist.. und jetzt muss ich wohl oder übel vor dir auf die Knie fallen und dich um ein neues Kapi anbetteln *sich in den Staub wirft* BITTE!!! T_T
will doch wissen was mit dem Traumprinz passiert *schnüff*
außerdem: werden Katrin und Karsten sich ihre Anziehung eingestehen?
Wird Nils von seinem Frühstück irgendwann schlecht?
und: Wird der Briefkasten noch jemanden verschlingen?
Diese und weitere Fragen, beschäftigen Ihre Leser (mich zumindest XP) und sie hoffen auf eine baldige Antwort!

LG, Tazi =)
Von:  _A-chan_
2013-01-05T11:19:50+00:00 05.01.2013 12:19
Woooooooooooooooooooooooooow!
voll genial geschrieben.
Ich finde den Tomatensaft auch etwas gewöhnungsbedürftig aber gummibärchen immer gerne *g*

Seine Mutter ist ja voll arg geschrieben ich mag die XD
Was ist den nun mit dem prinzen?

Von:  the-DreamChild
2012-11-25T16:50:13+00:00 25.11.2012 17:50
GEIIIIIIIIIIIIILLLLLL
Mehr fällt mir dazu nicht ein xD
Obwohl die Frühstücks-Kombo einfach geil war. xD
Und das ganze einfach soO viel Witz wieder hatte! *.*
Einfach klasse!!!
Mach ja weiter so!!!
Von:  Taze92
2012-11-25T14:32:07+00:00 25.11.2012 15:32
XDDD
OMGOMGOMGOMGOMG!
ich sollte mich wegen meiner quietschanfälle mal untersuchen lassen *räusper*
Ich finds supergenial dass du SO schnell warst mit dem neuen Kapitel =)
und es is toll , geniale Formulierungen, witzig und noch dazu spannend...
Ich frag mich warum Karsten die SMS gelöscht hat... sowas tut man nicht aus Versehen...
und ich finde die Kombination aus matschigen Cornflakes mit tomatensaft zum Frühstück doch recht .. uhm.. gewöhnungsbedurftig =D
Wie kommt man auf sowas??

Also, weiter so, ich liebe es,
LG, Taze

Von:  Taze92
2012-11-22T20:10:08+00:00 22.11.2012 21:10
JAAAAAAA...
und es ist ausgelesen ^^
hab ungefähr fünfmal auf weiter geklickt bis ich kapiert hab dass wieder vorbei ist T_T
sooo süß ^^
und so witzig XDDD
hoffe, dass du bald weiterschreibst =))))))

LG, Taze
Von:  the-DreamChild
2012-11-22T12:12:16+00:00 22.11.2012 13:12
WOAH, ENDLICH GEHT ES WEITER!!!!!!!!!
Das neue Kapitel war viiiiel zu kurz >_<
Aber es war toll, der Schreibstil gefällt mir sehr gut. Es liest sich flüssig und witzig.
Ich hoffe, dass es gaaanz schnell weiter geht. Ich will nämlich unbedingt wissen, was als Antwort auf diese Nachricht kommt. hihihi
Grüßee Dreami
Von:  Akumako-chan
2012-11-21T19:53:47+00:00 21.11.2012 20:53
Yes! Es geht weiter!!! *freuz*
Auch wenn das neue Kapitel viiiiiiel zu kurz geworden ist*schmoll*
Aber klasse ist es trotzdem, obwohl unser teuflisches Prinzlein nicht drin vor kam. Jetzt bin ich aber mächtig gespannt, wann die Antwort auf die Sms kommt und vorallen WAS unster Dämon dem Quälgeist antwortet ^^

Danke für das schöne Kapitel^^
Hoffe es geht bald weiter.

Gruß Akumako-chan

P.s. Witziger, flüssiger Schreibstil. Gefällt mir echt gut ^^
Von:  Taze92
2012-03-07T17:20:30+00:00 07.03.2012 18:20
*ROFL*
YAAAY du hast weitergeschrieben... endlich X333 ♥
mann von dir beomm ich noch Lachbauchmuskeln =D
wobei ich erst dachte WTF warum geht die mutter mit dem weg, neeeein..^^
ich finds auch gut, dass seine mutter schon bescheid weiß und ihn unterstützt und man nich den ganzen coming-out kram nochmal hat.. wie in so vielen geschichten.. wenn dann die eltern totaal geschockt sind usw.. is mal was anderes, gefällt mir =)))
*daumen hoch* und weiterschreiben =))
Von:  the-DreamChild
2011-11-08T10:27:10+00:00 08.11.2011 11:27
geil!!! echt witzig und ENNNNNDLIIIIIICH ein neues kapitel!!!! x3
schon wirklich witzig das ganze!!
du musst schnell weiter schreiben!!! uuuuunnnbediiiingt ^_^
Von:  Taze92
2011-07-13T13:39:21+00:00 13.07.2011 15:39
*fett grins*
wann schreibst du weiter???? =)


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