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Wolfsliebe

von

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Liebe ist nicht nur ein Wort

Unlängst habe ich einmal über Wörter nachdenken müssen. Ich lief durch das Reich des Winters und, ich weiß nicht, wieso, ich musste über Worte nachdenken. Welche Bedeutung sie für uns haben, wie wichtig sie sind, und wie sehr sie uns doch im Wege stehen.

Ich habe bisher Liebe auch nur für ein Wort gehalten. Ein launisches Wort, eines, das so groß ist, dass man fast Angst davor haben muss, zugleich aber auch so oft verwendet wird, dass es jegliche Bedeutung verloren hat.

Ja, das dachte ich, bevor mein Herz begann, sich über dieses Wort Gedanken zu machen. Denn mein Herz fragte sich nicht, was dieses Wort bedeuten sollte, mein Herz wusste nur, dass dieses eine Wort verzweifelt versuchte, etwas auszudrücken, wofür es einfach kein Wort gibt.

Mein Herz wusste, wovon das Wort eigentlich sprach. Mein Herz kannte das Gefühl von Wärme und Geborgenheit. Mein Herz wusste, wie es war, sich selbst zu verzehren, weil irgendetwas fehlte, und es wusste, wie glücklich es einen machte, wenn das Fehlende wiederkehrte.

Denn mein Herz kannte Nea. Mein Herz liebte Nea. Mein Herz wollte nicht mehr ohne sie sein und mein Herz war glücklich, wenn es bei ihr war.

Man nennt es Liebe, doch es geht so viel tiefer, als es das Wort auszudrücken vermochte.

Ich habe lange gebraucht, um wirklich zu begreifen, dass genau dies es war, was ich für sie empfand. Vielleicht hatte ich auch einfach nur Todesangst davor, dass sie mich nicht verstehen, dass sie mich abweisen würde.

Liebe kann aber auch etwas anderes sein. Freundschaft ist auch eine Form von Liebe. Genauso wie das, was ich für meine Schwester empfand. Es ist alles ein und dasselbe Wort, doch es bedeutet eigentlich so unendlich viel. Es spricht von Sehnsucht, es spricht von Verlangen, es spricht von Vergessen, es spricht von Zauber.

Es hat lange gedauert, bis ich es wirklich verstanden hatte. Bis ich begriff, dass Liebe alles überwinden kann. Dass es keine Rolle spielt, wer wen liebte.

Ob es ein König war, der vor der faszinierenden Grazie einer Bauerntochter kapitulieren musste, ob es ein unschuldig Verbannter war, der dem Wesen einer mutigen Jungfrau erlag, ob es ein Vater war, der seine Liebste und seine Tochter verlor und durch die Schönheit eines jungen Mädchens, das eigentlich viel zu jung für ihn war, wieder die Lust und den Mut zum Leben verspürte.

Oder ob es ein Zauberer war, der glaubte, dass alle Welt seinen Tod wünschte und nun lernte, dass er eigentlich nur selbst es war, der sich vor sich selbst und seiner Verantwortung versteckte, nun aber durch das Lächeln einer jungen Frau verstand, dass er es nicht musste.

Liebe kann alles Glück der Welt, oder aber ein Meer aus Tränen sein. Es kann der Himmel und die Erde oder aber das Nichts sein.

Doch was es auch ist, eines steht fest.

Liebe ist kein Wort.

Liebe sind Taten!

Geheimes Treffen

Tiefe, graue Wolken verhangen den Himmel und ließen den Tag zur Nacht werden. Ein feiner Nieselregen, der schon vor dem Morgengrauen eingesetzt hatte, tat sein Übriges, um der Stadt Altena ein tristes, graues Aussehen zu verleihen. In der Ferne rollte ein Donnern über das Land.

Durch diese Welt, die nur aus blau und grau zu bestehen schien, huschte ein Schatten in einem dunklen Umhang. Er schaute sich immer wieder um, als hätte er Angst, verfolgt zu werden, doch auf den nassen Straßen war kein weiteres Lebewesen zu sehen.

Irgendwann blieb er stehen und schaute in den Schatten eines Hauses, der besonders tief und dunkel war.

»Du bist spät«, flüsterte es aus dem Dunkeln.

»Ich musste acht geben, dass mir niemand folgt«, antwortete der Schatten und hob den Kopf. Er öffnete die Hand und eine kleine Flamme erschien darauf, die sein junges Gesicht erhellte.

»Und, hast du etwas Verdächtiges bemerkt?«, fragte die körperlose Stimme.

»Nein, sonst wäre ich nicht hierher gekommen«, antwortete der Schatten. Da trat eine Gestalt aus dem Dunkeln. Es war ein Mädchen, etwa so alt, wie der Schatten. Sie trug schwarzes Haar und rote Augen.

»Sie suchen euch, aber sie suchen euch in Irian und Forea. Sie würden niemals auf die Idee kommen, dass ihr hier, direkt vor ihrer Nase seid.« Sie grinste verschlagen.

»Genau deswegen sind wir hier«, lächelte der Schatten, schüttelte dann aber den Kopf und wurde ernst. »Stimmen sie? Die Gerüchte vom Krieg?«

Auch das Mädchen wurde ernst.

»Ja. Das Zauberreich von Altena hat den südlichen Zauberreichen den Krieg erklärt. Außerdem plant er einen Angriff auf das Imperium von Lanta, sollte der junge König ihm nicht freiwillig die Macht geben, nach der es ihn dürstet. Und ich weiß von meinem Vater, dass er es nicht vorhat«, erklärte sie, während der Nieselregen ihre Kleider durchnässte.

»Kann er gegen ein ganzes Zauberreich bestehen?«, wollte der Schatten wissen.

»Nein. Er hat nur Menschen zur Verfügung, und Menschen haben gegen Magie keine Chance. Aber es sind nicht alle Zauberer auf Rex’ Seite. Er hat auch Feinde und die versammeln sich in Lanta. Außerdem haben die südlichen Zauberreiche schon verkündet, dass sie für das Menschenimperium einstehen werden«, antwortete sie nachdenklich.

»Also wird Lanta eine Weile standhalten können, das ist gut.« Der Schatten wirkte erleichtert.

»Eine Weile, solange, bis Altena zu mächtig ist. Im Zweifelsfall werden sie immer sich selbst schützen«, bemerkte das Mädchen ernst.

»Ja, das fürchte ich auch. Wir sollten uns beeilen und uns etwas einfallen lassen.« Der Schatten seufzte.

»Vater zweifelt nicht daran, dass es euch gelingen wird. Wenn es den Kindern des Winters nicht gelingt, dann können alle anderen ihre Hoffnungen gleich aufgeben«, erklärte sie.

»Er überschätzt uns. Eigentlich sind auch wir nur Menschen.« Der Schatten lächelte verlegen.

»Nicht unbedingt, aber lass uns über so etwas nicht streiten. Wirst du wieder zu deinen Freunden gehen?«

»Ja. Sie warten auf mich.«

»Gut, dann verschwinde jetzt, solange es noch ruhig ist. Ich schicke dir Hugin oder Munin, sollte ich etwas Neues erfahren.« Sie zog sich in den Schatten einer Gasse zurück.

»Ich werde nach ihnen Ausschau halten. Und danke Rena, du riskierst eine Menge für uns.« Der Schatten ließ die Flamme verlöschen und neigte dankbar den Kopf.

»Viel weniger als du, und kriege dennoch mehr Dank dafür«, antwortete die Dunkelheit leise. Doch darauf antwortete der Schatten nicht mehr. Er wirbelte herum und ging schnellen Schrittes den Weg, den er gekommen war, zurück.

Er wusste, dass er nicht einfach so durch das Tor laufen konnte, so verwandelte er sich im Laufen. Er war als Wolf unbehelligt hereingekommen, er konnte so genauso unbehelligt wieder herauskommen. Er könnte auch fliegen, aber seine Wolfsgestalt mochte er am liebsten.

So lief er mit stolz erhobenem Kopf, jedoch halb geschlossenen Augen, einfach durch das Tor. Seine Augen hätten ihn verraten, das wusste er. Doch auf die Entfernung, und halb geschlossen, hatte die Wache keine Chance ihn zu entlarven. Er lief in der Wolfsgestalt solange, bis er mitten im Wald war. Dort blieb er stehen, solange, bis seine Freunde ihn fanden.

»Und, was hat Rena gesagt?« Eine junge Frau trat hinter einem Baum hervor. Sie trug ein einfaches braunes Kleid. Ihr aschgraues Haar war zu einem Zopf geflochten.

»Es stimmt, der Krieg hat begonnen.« Der Schatten verwandelte sich in einen Menschen zurück. Er schob die Kapuze von seinem weißen Haar.

»Krieg… bisher kannte ich das Wort nicht einmal, aber es klingt nach Angst«, flüsterte die junge Frau und lehnte sich an einen Baum.

»Es ist der Inbegriff der Angst, Cinder.« Der Schatten seufzte und lehnte sich ebenfalls erschöpft an einen Baum. »Krieg ist das Grausamste, was du dir vorstellen kannst, denn hier werden Leben grundlos ausgelöscht.«

»Was wollen wir jetzt tun?« Die junge Frau, Cinder, stieß sich ab und machte ein paar Schritte in den Wald hinein. Der Schatten folgte ihr.

»Ich weiß es nicht. Wir müssen ihn aufhalten, aber eigentlich haben wir keine Chance.« Er seufzte und schüttelte gequält den Kopf.

»Wir schaffen es, Lugh Akhtar. Wir finden einen Weg«, versuchte sie ihn aufzumuntern, doch erreichte sie ihr Ziel nicht wirklich. Er seufzte noch einmal, doch sagte er nichts mehr.

Gemeinsam kehrten sie in ihr Lager zurück. Eigentlich hatte die kreisrunde Lichtung diese Bezeichnung nicht verdient, aber für den Moment spielte sich ihr Leben fast ausschließlich hier ab, und so nannten sie es Zuhause. Sie war leer. Ihre Kameraden waren alle ausgeflogen.

»Wo sind sie?«, fragte Lugh Akhtar Cinder.

»Weiß ich nicht. Ice und Sly haben vorhin wieder so sehr gestritten, dass ich gegangen bin. Ich hatte keine Lust mehr, ihnen weiter zuzuhören«, antwortete die und betrat die Lichtung nur zögernd. Vielleicht waren ihre Freunde nicht grundlos verschwunden.

»Vielleicht hat Ice Sly und Soul auch endlich davon überzeugen können, dass es wirklich nur ein paar Kratzer sind, und er definitiv nicht im Sterben liegt«, überlegte der Zauberer und schaute sich den Boden nach verdächtigen Spuren an. Er fand keine, aber das musste nichts heißen.

»Meinst du?« Cinder schaute ihn zweifelnd an, als es im Gebüsch raschelte. Sogleich fuhren sie herum, doch das fuchsrote Haar wies den Neuankömmling als Sly aus. Doch wirkte er angespannt und ein breiter Kratzer zog sich über seine Wange.

»Es sind Leute im Wald, sie scheinen etwas zu suchen«, erklärte er knapp, ohne sich mit einer Begrüßung aufzuhalten.

»Was für Leute? Und waren sie das?« Der Zauberer deutete auf den Kratzer. Unbewusst hob der Rotschopf seine Hand an die Wange.

»Nein, das war dein Schwesterherz.« Er warf Cinder einen viel sagenden Blick zu, schüttelte dann aber den Kopf. »Ich weiß es nicht. Sie scheinen keine Zauberer zu sein, aber was sie suchen ist trotzdem nicht so schwer zu erraten. Wir waren im Dorf, es wurde eine Art Kopfgeld auf uns ausgehängt.«

Lugh Akhtar überlegte einen Moment, ob er nachfragen sollte, was geschehen war, dass Cinder ihrem Liebsten die Wange zerkratzte, beschloss dann aber, dass es weder der richtige Ort, noch die richtige Zeit war. Zudem wollte er es eigentlich gar nicht wissen, das war eine Sache, die nur die beiden etwas anging. Stattdessen nickte er nachdenklich.

»Dann wird es Zeit, dass wir verschwinden. Aber wohin…?« Er starrte still vor sich hin.

»Nach Süden. Den Norden erkundet er doch schon. Im Süden dagegen wartet sein Feind.« Ein zweiter junger Mann war auf die Lichtung getreten. Er hatte blaues Haar und grüne Augen. Begleitet wurde er von einer hübschen jungen Frau mit schwarzem Haar, in dem sich weiße Strähnen befanden. Soul.

»Meinst du nicht, dass er den Weg erst recht bewachen lassen wird?« Der Zauberer schaute zweifelnd.

»Doch. Aber wer bitte hält schon nach einem Wolfsrudel Ausschau?«, fragte Ice.

»Niemand. Wenn einer der Wölfe allerdings blau ist, ist das alles andere als unauffällig«, bemerkte Lugh Akhtar. Dabei warf er Sly einen viel sagenden Blick zu. Es war seine Schuld, dass Ice unter der Last seiner auffälligen Haarfarbe zu leiden hatte, und so mächtig er auch war, nicht einmal er konnte noch etwas an dem Blau ändern.

»Und wenn wir als Vögel fliegen?«, überlegte Cinder. Ihr machte es ausgesprochen viel Spaß, in Gestalt eines Wanderfalken den Himmel zu erobern.

»Zu seltsame Zusammenstellung. Greifvögel fliegen nicht zusammen, und schon gar nicht so viele verschiedene Arten«, antwortete Sly.

»Also doch als Mensch. Es hilft ja nichts. Lasst uns am besten gleich aufbrechen.« Der junge Zauberer seufzte und schaute nachdenklich auf seine Freunde. Da fiel ihm auf, dass jemand fehlte.

»Wo ist Nea?«, fragte er angespannt.

»Ich weiß nicht. Wir haben uns getrennt, wir wollten uns hier jede Stunde treffen.« Auch Sly wirkte mit einem Mal angespannt.

»Dann suchen wir sie«, meinte Cinder gleichmütig und verwandelte sich in die aschgraue Wölfin mit dem weißen Halbmond, als die Lugh Akhtar sie kennen gelernt hatte.

Doch es war gar nicht nötig, in dem Moment betrat auch die dritte junge Frau die Lichtung. Doch wirkte sie ein wenig mitgenommen. Ihr Kleid war stellenweise zerrissen, in ihrem langen Haar hatten sich Zweige und Blätter verfangen und überall waren Kratzer.

»Nea, was ist…!«, begann er, doch sie schüttelte nur den Kopf.

»Lasst uns verschwinden«, meinte sie und deutete hinter sich.

»Was ist geschehen?«, fragte Lugh Akhtar dennoch, als er ihr folgte.

»Sie sind hier ganz in der Nähe, ich habe sie gehört. Sie suchen uns und waren uns auch schon ganz nah«, erklärte sie leise und trat so sacht auf, dass sie kaum einen Laut verursachte.

Die anderen taten es ihr unwillkürlich gleich. Auf ein stummes Kommando hin verwandelten sie sich in Wölfe und schlichen durch das Unterholz.

»Wo bist du so lange gewesen?«, fragte Sly und lief ein wenig schneller, um neben seine Schwester zu kommen.

»Ich bin durch das Unterholz gekrochen, um ein wenig etwas zu hören«, antwortete sie und wurde ihrerseits langsamer. Es behagte ihr nicht, voran zu laufen. Stattdessen übernahmen Soul und Cinder die Führung, während Ice gemeinsam mit Lugh Akhtar die Nachhut bildete.

»Irgendwelche Informationen, die uns weiter helfen?«, fragte der junge Zauberer und sog tief ihren Geruch ein.

»Sie wissen, dass wir hier irgendwo sind. Sie haben vor, den kompletten Wald nach uns abzusuchen. Und sie wissen auch, dass wir Tiergestalten annehmen, obwohl sie keine Gestaltenwandler sind. Zwei von ihnen sind Zauberer. Ich bin fast direkt in sie hineingelaufen«, berichtete sie über die Schulter und ein seltsamer trauriger Ernst schlich sich in ihre Augen.

»Dann sollten wir einen Zahn zulegen«, merkte Sly an und stupste Cinder gegen die Rute. Jetzt hatte Lugh Akhtar auch eine gewisse Ahnung, woher sein Kratzer kam, denn die aschgraue Wölfin fuhr zu Sly herum und schnappte mit zurückgezogenen Lefzen nach ihm. Dabei sträubte sich ihr Nackenfell und sie knurrte böse.

»Cinder, lass ihn in Ruhe. Wir müssen weg.« Soul grub ihre Nase in das dichte Halsfell ihrer Schwester. Nur zögernd ließ die davon ab, Sly anzufletschen, und wieder weiterzugehen. Sie warf ihm noch einen letzten vernichtenden Blick zu, bevor sie mit erhobener Rute und immer noch gesträubtem Fell weiter lief.

Der Rotschopf, der in seiner Wolfsgestalt weit mehr von einem Fuchs hatte, als von einem Wolf, wurde langsamer und tauschte wortlos seinen Platz mit Ice, der zu Nea aufschloss, bevor Lugh Akhtar es tun konnte.

»Was hast du angestellt?«, wollte der wissen. Es war nicht gerade unauffällig, dass sein bester Freund und seine Liebste Sly mieden.

»Wie kommst du darauf?«, fragte er, doch die hängenden Ohren und die hängende Rute sagten eigentlich schon alles. So warf ihm der weiße Wolf auch nur einen viel sagenden Blick zu.

»Ice ist sauer, weil ich ihn nicht mitkommen lassen wollte, und Cinder ist sauer, weil…« Der Fuchswolf hielt die Luft an, schüttelte dann den Kopf. »Na ja, sie ist eben sauer.«

»Und das Warum geht mich nichts an, schon verstanden.« Lugh Akhtar lächelte sanft. »Ich mach dir einen Vorschlag, du lässt Ice seine eigenen Entscheidungen treffen, und ich spreche dafür mit Cinder, okay?«

»Aber Ice übernimmt sich. Das hat er immer schon getan. Er versucht immer mehr zu leisten, als er eigentlich kann«, widersprach Sly.

»Ich glaube eher, dass du versuchst, auf ihn aufzupassen, obwohl es nicht nötig ist. Der typische große Bruder eben. Es waren nur ein paar Kratzer, eigentlich ist Soul viel schlechter weggekommen, als er. Immerhin hat sie den Ausbruch regelrecht im Alleingang bewältigt, sie war zu Tode erschöpft«, merkte Lugh Akhtar an.

»Ja, ich weiß. Du hast ja recht… aber mit Cinder brauchst du nicht sprechen, das mache ich, sobald sich eine Gelegenheit bietet, bei der sie mir nicht gleich an den Hals springt«, antwortete der Fuchswolf und der junge Zauberer nickte.

»Von mir aus auch so. Bis in den Süden wird es noch genug Gelegenheiten geben, denke ich«, lächelte er. Dann liefen sie schweigend weiter. Sie mussten sich ihre Kraft aufsparen, keiner wusste, was sie nun erwartete.

Abschied von Tariq

»Lanta ist viel größer, als ich es in Erinnerung hatte.« Sly schaute sich nachdenklich um.

»Es ist auch gewaltig gewachsen, in all der Zeit«, bemerkte Lugh Akhtar. »Sieben Jahre sind nicht ohne.«

»Ich weiß.« Der Rotschopf nickte und blieb stehen und schaute ihn nachdenklich an. »Kennst du dich hier aus? Ich würde mich nämlich garantiert verlaufen.«

»Du ahnst gar nicht, wie oft Nikolai mich hierher mitgenommen hat. Ich kenne mich hier fast ebenso gut aus, wie in Altena. Mit dem Unterschied, dass ich ungleich lieber hier war.« Der junge Zauberer zuckte mit den Schultern, deutete den Weg entlang. »Das hier ist der direkte Weg.«

»Es ist wirklich schön, so unerkannt durch eine Stadt zu laufen. Ohne sich zu fragen, ob der Feind an der nächsten Ecke steht.« Sly seufzte und machte zwei schnelle Schritte, um wieder an Lugh Akhtars Seite zu gelangen. »Meinst du, wir kommen einfach so ohne Weiteres ins Schloss?«

Da zögerte nun der junge Zauberer. Er schaute nachdenklich in die blauen Augen seines Freundes.

»Das könnte tatsächlich ein Problem sein. Früher bin ich hier ein- und ausgegangen, wie es mir beliebte, doch mit dem weißen Haar und diesen Augen und dann noch als Zauberer…« Lugh Akhtar hatte nicht immer seine vielfarbigen Nordlichtaugen und das weiße Haar, mit den beiden Flecken über den Ohren, besessen. Einst hatte er tiefschwarze Haare und braune Augen, wie Tariq auch, doch als er sich in einen Wolf verwandelte, da hatte er auch nach seiner Zurückverwandlung beides behalten. Er hatte niemals wirklich verstanden, woher es kam, dass man manche Dinge beibehielt, und andere wiederum nicht.

Ice’ Haarfarbe war eines dieser Dinge. Er hatte einst eine andere Haarfarbe, doch als Sly ihn in einen Wolf verwandelte, da wurde sein Fell blau. Warum es nun nicht wieder in die alte Farbe zurückversetzt werden konnte, er wusste es nicht. Ebenso wie Cinders Narbe. Es gab keinen wirklich guten Grund, warum sie das halbmondförmige Zeichen auf ihrer Stirn behalten hatte, doch war es so.

»Vielleicht sollten wir fliegen…?«, überlegte Sly und ging schnellen Schrittes zielgerichtet weiter.

»Nein. Ikaika und Nikolai werden nicht so dumm sein, das Schloss einfach ohne magischen Wall zu lassen, und da würdest du nicht durchkommen. Das Gleiche mit einer anderen Tiergestalt. Wir müssten ihnen Bescheid geben, irgendwie…«, überlegte der Zauberer und folgte schnell.

»Kommt ganz darauf an, wohin ihr möchtet«, bemerkte eine bekannte Stimme hinter ihnen. Sogleich fuhren sie herum, und tatsächlich: Tariq stand vor ihnen und schaute sie lächelnd und fragend an.

»Tariq! Was tust du hier?«, zischte Lugh Akhtar sogleich entsetzt, war mit wenigen Schritten bei seinem Freund.

»Hoffentlich unerkannt bleiben. Das wird aber nicht der Fall sein, wenn du weiter so herumschreist«, zischte der dem jungen Zauberer zu und warf ihm einen ernsten und bittenden Blick zu.

»Aber, du kannst doch nicht einfach ganz allein irgendwohin laufen! Damit präsentierst du dich Rex doch regelrecht auf dem Servierteller!«, fauchte Sly und ergriff den jungen Mann grob am Arm.

»Ich kann sehr gut auf mich selbst aufpassen«, erklärte der kühl, als er sich aus dem Griff des Rotschopfes wand.

»Hallo, mein weißer Wolf.« Unbemerkt war ein Mädchen zu ihnen getreten. Auch sie war keine Unbekannte. Sie lächelte Lugh Akhtar glücklich an. Der zögerte. Er meinte nun zu verstehen, was den jungen König, denn niemand anderes war Tariq, dazu veranlasst hatte, die Sicherheit des Schlosses zu verlassen. Allein zu verlassen.

»Ich mach dir einen Vorschlag. Wir gehen gemeinsam ins Schloss zurück, du erzählst mir, was dich dazu bewogen hat, diese himmelschreiende Dummheit zu begehen, und ich erzähle dir, warum ich hier bin«, bot der junge Zauberer an.

»Nein. Wir gehen nicht ins Schloss. Kommt mit.« der junge König lächelte geheimnisvoll, als er an dem jungen Zauberer vorbei trat und in einer Seitengasse verschwand.

Lugh Akhtar wollte einen schnellen, viel sagenden Blick mit Sly tauschen, doch der starrte in die Menge, als habe er einen Geist gesehen.

»Sly, was ist los?«, fragte er sogleich alarmiert.

»Ich… nein, ist jetzt egal«, antwortete der und deutete dem Mädchen, Maya, dass sie vorgehen sollte. Gemeinsam folgten sie Tariq, bis hin zu einem kleinen Haus. Lächelnd deutete der junge König, dass sie eintreten sollten.

»Warum hierher?«, wollte Lugh Akhtar wissen, als er sich im Eingangsbereich umschaute.

»Weil wir nicht dumm sind. Du musst nicht denken, dass du der Klügste wärst, nur, weil du mächtig bist, Lugh Akhtar«, spottete der junge König und ging zielgerichtet in das kleine Wohnzimmer. Der junge Zauberer folgte langsam und mit fragend gerunzelter Stirn.

»Es ist viel einfacher, über das Haus hier einen magischen Bann zu ziehen, als über das ganze Schloss. Und wer vermutet schon den König inmitten seiner Untertanen?«, erklärte Sly grinsend und trat an ihm vorbei, um sich ganz selbstverständlich auf einem der Sessel niederzulassen.

»Ganz genau. Ich bin hier wirklich nur Tariq, nicht Prinz… König… König Fjodor…« Er zögerte kurz und wirkte nachdenklich, als er das sagte.

»Wo sind die beiden alten Männer eigentlich? Und haben sie dir gesagt, wer…« Lugh Akhtar zögerte abermals.

»Wer meinen Vater getötet hat? Ja. Deswegen habe ich auch von vorn herein jede Kooperation mit Altena ausgeschlossen. Aber, wo sie sind, das weiß ich nicht.« Tariq winkte das Mädchen zu sich. »Der Rotschopf ist Sly, der Zauberer ist Lugh Akhtar. Sie sind Freunde von mir.«

»Hey, ich bin auch ein Zauberer!«, wandte Sly ein, doch wurde er komplett ignoriert.

»Ja, Lugh Akhtar kenne ich.« Sie lächelte mit glänzenden Augen. Dem jungen Zauberer war das unangenehm. So hatte ihn noch nie jemand angesehen und schon gar kein Mädchen. Er wusste nicht, was sie dachte und er verstand nicht, was sie fühlte.

»Maya kennt ihr ja schon. Sie lebt mit mir hier und leistet mir Gesellschaft, wenn Ikaika und Nikolai mal wieder für Tage unauffindbar sind.« Tariq wirkte nicht, als störe es ihn sonderlich. Im Gegenteil, sein Blick war liebevoll, als er auf Maya blickte.

»Und, um deine Geschichte zu wahren rennst du einfach so durch die Straßen Lantas?«, erkundigte sich Sly nachdenklich.

»Ja. Natürlich nicht alleine. Normalerweise ist Lod auch dabei, aber er hat oben geschlafen, als wir losgehen wollten.«

Lod, ja. Lugh Akhtar erinnerte sich an den weißen Wolf. Als Nea und Tariq Maya erzählt hatten, was aus ihrem alten weißen Wolf, aus ihm selbst, geworden war, da hatten sie ihr das Tier geschenkt. Seitdem war er ihr treuer Begleiter und passte gut auf sie auf. Mit Lod gemeinsam war Tariq auch ohne Ikaika oder Nikolai sicher, das wusste er. Die weißen Eiswölfe standen seit jeher unter dem Schutz des Winters.

»Und jetzt erzähl, was tust du hier? Ich dachte, ihr wolltet Rex’ Macht vor Ort untergraben?«

»Ursprünglich ja, aber sie machen jetzt auch im Gebiet um Altena herum jagt auf uns, sodass wir beschlossen haben, nach Süden zu gehen. Ich wollte mich verabschieden und dir das erzählen, bevor wir losziehen. Nicht, dass du dich sorgst und deswegen etwas Dummes tust…« Lugh Akhtar erinnerte sich noch sehr gut, dass Prinz Fjodor gerne seinem langweiligen Leben entkam und auch bereit war, Gefahren auf sich zu nehmen. Er wusste nicht, wie es mit König Fjodor stand.

»Mein Volk braucht mich, ich wäre euch nicht gefolgt. Ich bleibe hier und versuche das Beste aus der Situation zu machen.« Er blickte schnell und mit einem verhaltenen Lächeln zu Maya, bevor er fortfuhr. »Reist nur ihr beide?«

»Nein, natürlich nicht. Unsere Schwestern und Ice kommen mit«, erklärte Sly und lehnte sich zurück.

»Und wo sind sie?« Tariq setzte sich ebenfalls. Er deutete auf den Kratzer, der mittlerweile eine feine Narbe geworden war. »Und mit wem bist du da aneinander geraten?«

»Cinder. Sie ist im Moment ein wenig... mit Vorsicht zu genießen«, kam die zögerliche Antwort.

»Hast du eigentlich schon mit ihr geredet?«, erkundigte sich Lugh Akhtar.

»Ja, aber sie hat mir nur ins Ohr gebissen.« Der Rotschopf wirkte ein wenig genervt.

»Dann hör mit deinen Sprüchen auf, vielleicht ist sie dann wieder lieb«, lächelte der junge Zauberer, wandte sich wieder Tariq zu. »Sie sind irgendwo hier in der Stadt. Immerhin ist Lanta riesig, viel größer als Altena, da sollten Soul und Cinder einmal sehen, was gewöhnliche Menschen zustande bringen, wenn man ihnen nur genügend Zeit gibt. Wobei ich ja glaube, dass Ice und Soul eher irgendwo in einer dunklen Ecke sitzen und miteinander beschäftigt sind.«

»Wieso das?« Erst als er das Erstaunen in Tariqs Blick gewahr, wurde dem jungen Zauberer bewusst, dass der König ja schon zurückgekehrt war, bevor ihre kleine Pärchenbildung begonnen hatte.

»Weil sie verlobt sind. Bei der Eidsprechung auf dem Turm hat Ice Soul einen Antrag gemacht. Und Sly und Cinder sind auch ein Paar, allerdings dauert die Verlobung noch einen Augenblick, wenn er sich weiterhin so blöd anstellt.« Nur der wohlwollende Blick verhinderte, dass der Rotschopf darauf einen bissigen Kommentar abgab.

»Wirklich? Dann gratuliert ihnen ganz herzlich von mir!« Der junge Mann freute sich sichtlich. Dann jedoch blitzte es in seinen Augen, er schaute Lugh Akhtar einen Moment so an, als wollte er etwas sagen, schwieg dann aber doch.

»Ihr werdet also bald nach Süden aufbrechen. Kannst du… vielleicht ein weiteres Mal meine Post überbringen?«, bat er stattdessen zögernd. Mit einer Geste auf Maya fügte er hinzu: »Das letzte Mal hast du ja ganze Arbeit geleistet.«

»Ich habe ihr die freie Wahl gelassen. Aber natürlich überbringe ich einen weiteren Brief, wobei ich mich frage, wieso du es nicht von jemand anderen tun lässt.« Die Nordlichtaugen blickten den jungen König nachdenklich an.

»Weil ich dich kenne. Ich weiß, dass du ihn so zuverlässig abgeben wirst, wie auch Ikaika oder Nikolai, aber ich weiß auch, dass du viel überzeugender sein kannst, als sie. Gerade durch deine… gelegentliche Gleichgültigkeit«, erklärte Tariq.

»Gleichgültigkeit?«, fragte Lugh Akhtar erstaunt.

»Ja. Manchmal wirkst du so unbeteiligt, als wenn dich das alles nichts anginge…« Der junge König wirkte unsicher, als wäre er sich nicht sicher, wie sein Freund reagieren würde. Doch der wirkte einfach nur verwirrt und zuckte dann mit den Schultern.

»An wen soll dein Brief denn gehen?«, fragte er stattdessen.

»An den Meister der südlichen Zauberergilde. Er ist wichtig, er darf nicht in die Hand des Feindes geraten, denn darin stehen Dinge, die beiden Seiten von großem Schaden sein könnten.« Der junge König stand auf.

»Wäre es dann nicht viel schlauer, das ganze Lugh Akhtar zu sagen?«, warf Sly ein. »Seine Gedanken können sie nämlich nicht stehlen.«

Tariq zögerte einen Moment, doch der junge Zauberer verneinte.

»Schreib es auf. Ich will nicht wissen, was darin steht, ich habe das leise Gefühl, dass es mir nicht gefallen würde«, nahm der dem König die Entscheidung ab.

»Ja, das könnte durchaus sein…«, räumte Tariq zögernd ein und lächelte unsicher.

»Dann schreib. Wir müssen in einer Stunde am Westtor sein, da treffen wir die anderen wieder«, merkte Lugh Akhtar an und deutete auf die kleine, feine Uhr, die auf einem kleinen Schränkchen stand. Jetzt erst schien sie Sly aufzufallen, denn er stand auf und nahm sie zögernd und vorsichtig hoch. Seine Augen glänzten, als er sie betrachtete.

»Menschenhand schafft manchmal so erstaunliche Dinge…«, murmelte er und der junge Zauberer stimmte nickend zu.

Es gab auch bei den Zauberern Uhren, aber diese kleinen, filigranen Zeitanzeiger waren etwas ganz und gar Besonderes. Da sie nicht gerade weit verbreitet waren, hatte es in der Regel keinen Sinn, jemanden zu einer bestimmten Uhrzeit irgendwohin zu bitten, doch alleine sie zu besitzen, genügte vielen.

Dass sie sich zu einer bestimmten Uhrzeit verabredet hatten, lag nur daran, dass Lanta einen Uhrturm besaß, der von fast jedem Punkt der Stadt aus einsehbar war. So hatte Lugh Akhtar, der dank Tariq als Einziger in der Lage war, mit der Kombination aus Ziffern und Zeigern etwas anzufangen, ihnen erklärt, wie die Zeiger zu stehen hatten, wenn sie sich am Westtor einfinden sollten.

»Gut, ich brauche nicht lange«, nickte Tariq und verschwand mit einem sachten Lächeln in einem Nebenraum. Sly drehte noch eine Weile die Uhr in seinen Händen, während Maya sich langsam auf seinen Platz setzte.

»Ich möchte dir danken«, begann sie zögernd und setzte sich Lugh Akhtar gegenüber nieder.

»Wofür?«, fragte der erstaunt.

»Weil du mich hast entscheiden lassen. Du hast Vater davon abgehalten, mich zu zwingen, und deswegen bin ich gerne hierher gekommen. Manchmal… macht Lanta mir noch ein wenig Angst, aber es ist so schön hier! Und Fjodor ist so ein netter Mensch. Ich habe immer gedacht, dass ein König gleichgültig dem einfachen Volk gegenüber ist, aber er ist so anders, als ich es mir vorgestellt habe. Ich wäre nicht hierher gekommen, wenn es nicht du gewesen wärst, der mich darum bat. Ich… weiß nicht, wie ich es sagen soll. Deswegen danke ich dir einfach, für alles, was du für mich getan hast«, erklärte sie und wurde immer leiser und immer röter im Gesicht.

»Den Dank solltest du dir für eine andere Gelegenheit aufheben, noch bist du nicht Königin«, merkte Sly an und stellte die Uhr wieder zurück. Erstaunt schaute das Mädchen zu ihm hoch.

»Aber, ich will doch gar nicht…«, murmelte sie.

»Glaub mir, es geht schneller als du denkst, dass ihr zwei wieder getrennte Wege geht.« Der Rotschopf wirkte schlecht gelaunt und aggressiv, doch Lugh Akhtar vermutete, dass seine Frustration mit Cinder der eigentliche Grund war.

»Mach ihr keine Angst, Sly. Und schon gar nicht, wenn es unnötig ist. Das Glück geht manchmal seltsame Wege, das solltest du eigentlich genauso gut wissen, wie ich«, bemerkte er und warf seinem Freund einen warnenden Blick zu.

»Ich bin ja schon still«, seufzte der. Danach sprachen sie leise über Belanglosigkeiten, bis Tariq zurückkam.

Sie verabschiedeten sich von einander, wissend, dass sie sich für eine ganze Weile nun nicht sehen würden.

Schwarzes Papier und Albenblut

»Soul, verdammt, so geht das einfach nicht!« Frustriert stand Ice auf, warf den Stein, den er in der Hand gehalten hatte, fort und schaute sie fast schon böse an.

»Was… hab ich denn falsch gemacht?« Unsicher schaute sie zu ihm auf.

»Du bist einfach viel zu hübsch, ich kann mich gar nicht richtig konzentrieren«, seufzte der junge Mann, mit dem blauen Haar, und ließ sich aus dem Stand auf den Hosenboden plumpsen.

»Vielleicht hast du auch einfach nur zu viel Druck unten rum, da solltest du vielleicht erst einmal Abhilfe schaffen«, bemerkte Sly abwesend, während er seine Nase tief in ein Buch vergraben hatte. Deswegen sah er den giftigen Blick seines besten Freundes auch nicht.

»Auf solche Ratschläge kann ich gut verzichten… was liest du da eigentlich schon wieder?« Ice stand noch einmal auf und setzte sich zu seinem Freund.

»Ein Buch«, kam eine prompte Rückmeldung.

»Nein, wirklich, darauf wäre ich jetzt nicht gekommen«, fauchte Ice sarkastisch.

»Jungs, haltet die Schnauze!«, ging Lugh Akhtar mit einer solch scharfen Stimme dazwischen, wie sie es niemals zuvor bei ihm gehört hatten. Als sie erstaunt in seine Richtung blickten, erübrigte sich auch jede weitere Frage.

Auch Lugh Akhtar und Cinder hatten sich zum Lernen zurückgezogen, doch im Gegensatz zu Ice war er nicht so abgelenkt vom bloßen Äußeren seiner Schwester. Doch das, was sie dort trieben, erstaunten Sly und Ice dann doch. Um Cinder herum tobte ein Sturm, jedoch in so geringen Umkreis, dass es von ihnen keiner bemerkt hatte. Doch nicht nur Wind tobte um sie herum, sondern auch Wasser und Eis und in ihren Händen tobte ein Feuerball.

»Lugh, was tust du da?« Sly sprang auf und wollte zu ihnen stürzen, doch da verließ Cinder die Kraft und während sie noch stürzte, fegten die, von ihr geschaffenen, Naturgewalten davon. Lugh Akhtar fing sie mit einer Handbewegung wieder ein und ließ sie ins Nichts verpuffen.

»Hast du einen Schaden?«, fauchte der Rotschopf und war mit zwei Sätzen bei Cinder, die sich erschöpft aufsetzte. »Das ist doch viel zu schwer für sie!«

»Da unterschätzt du sie aber gewaltig«, lächelte Lugh Akhtar und hockte sich neben seine Schwester. »Geht’s?«

»Ja.« Cinder lächelte glücklich, als sie zu ihrem Bruder schaute. »Das war gut, oder?«

Er nickte und schaute zu Soul, die langsam näher kam.

»Was habt ihr getan?«, fragte sie mit großen Augen.

»Das ist eine Art Magie, die Schüler eigentlich erst gegen Ende ihrer Ausbildung lernen.« Erstaunt schaute Ice zu Cinder hinab.

»Aber, auch nur, weil es für gewöhnlich so lange dauert, bis der Schüler die nötige Technik drauf hat. Vom Können ganz zu schweigen«, lächelte Lugh Akhtar und ließ sich neben Sly und Cinder auf den Boden plumpsen.

»Es war viel zu gefährlich! Was hättest du getan, wenn es schief gegangen wäre?« Sly wirkte, als wäre er kurz davor, sich auf den jungen Zauberer zu stürzen.

»Sly, meinst du wirklich, dass ich das mit ihr versucht hätte, wenn…« Er sprach nicht aus, denn der Rotschopf hörte ihm gar nicht zu. Er flüsterte leise mit Cinder, während er sie fest im Arm hielt. Sie antwortete ebenso leise und schaute lächelnd zu ihm auf.

Ice dagegen half Lugh Akhtar wieder auf, um Sly und Cinder allein zu lassen. Etwas abseits ließen sie sich wieder zu Boden fallen. Der junge Zauberer wirkte erschöpft, aber auch ungemein zufrieden.

»Was habt ihr getan?«, wollte Soul erstaunt wissen und setzte sich neben ihn.

»Es… ist schwer zu erklären, aber mit dieser Methode kann man die Magie so sehr verstärken, dass man fast keine Grenzen mehr hat. Man teilt die verschiedenen Aufgaben auf, könnte man fast sagen. Deswegen kann man sich auf einen bestimmten Teil besser konzentrieren, entsprechend besser ist eben auch das Ergebnis.«

»Also steckt hinter Magie mehr, als man meint?« Soul wirkte nachdenklich.

»Natürlich. Die Zauberei ist eine Kunst für sich«, nickte Ice und schaute zu Sly hinüber. Dabei fiel sein Blick auf das Buch, in dem sein Freund zuvor gelesen hatte, und vor Schrecken, aber auch vor Staunen, weitete sich sein Blick. Zögernd stand er auf, ging hin und nahm es auf.

»Was ist, Ice?«, erkundigte sich Lugh Akhtar, der dieses Verhalten nicht verstand.

»Lugh…« Der junge Mann mit dem blauen Haar kam wieder zurück und setzte sich ernst. Er legte das Buch in die Mitte und schaute dann den jungen Zauberer fast schon auffordernd an. »Kennst du es?«

»Nein. Mit Büchern hatte ich nicht ganz so viel zu tun.« Er lächelte verlegen. Dann jedoch deutete er auf das Buch. »Also, klär mich auf, was ist das?«

»Wenn es wirklich das ist, wofür ich es halte, würde mich brennend interessieren, woher Sly es hat…« Ice schlug es in der Mitte auf. Die Seiten waren schwarz, mit einer roten Schrift bedeckt.

Lugh konnte die Buchstaben nicht lesen, aber das war nicht ungewöhnlich. Beinahe jedes Volk dieser Welt besaß nicht nur eine eigene Sprache, sondern auch eine eigene Schriftform. Er selbst hatte nur die beiden in Altena gebräuchlichsten Formen gelernt, soweit er sie nicht schon aus seinem Elternhaus gekannt hatte.

»Was steht dort?«, fragte Soul neugierig. Sie und Cinder lernten lesen und schreiben von Sly, doch waren die Mädchen beide nicht gerade gut darin. Soul war einfach zu energiegeladen, um allzu lange ruhig dazusitzen, und die Zeichenfolge in Worte umzuwandeln. Cinder dagegen sah darin einfach keinen Sinn und so war auch sie nicht gerade eifrig bei der Sache.

»Das ist Rune. Das ist eine ausgesprochen seltene Schrift, sie wurde vor ein paar tausend Jahren nur in den magielosen Gebieten der bekannten Welt geschrieben.« Ice strich nachdenklich über die Seiten.

»Magielose Gebieten?« Soul wirkte verwirrt.

»Ja. Wie die Mauer und das, was in ihr liegt. Dort wirkt diese Art der Magie nicht, wieso, weiß aber niemand. Ich denke, dass die gewöhnliche Magie einfach nicht zu nahe an die Magie des Winters heran möchte, aber wer weiß schon, warum der Zauberer tut, was er eben tut«, mutmaßte Lugh Akhtar.

»Das könnte sogar sein. Ich habe einmal in einem Buch gelesen, dass die Orte, an denen keine Magie existiert, die Orte sind, an denen die Mächtigen leben«, überlegte Ice.

»Ja, in einem Kinderbuch, ich hatte das gleiche«, grinste Lugh Akhtar, wurde sogleich aber wieder ernst. »Andererseits habe ich den Winter getroffen und auch die Dreizehn habe ich für eine Mär gehalten. Nun gehöre ich dazu.«

»Nicht nur du. Aber das ist jetzt egal. Interessanter ist das Buch. Es könnte eine Kopie sein, es könnte sich auch jemand einen Spaß damit erlaubt haben, aber, wenn es wirklich das ist, was ich denke, dann wurde es von den Niemands-Adepten geschrieben.« Ice blätterte vorsichtig durch die Seiten. Nun wirkte auch Lugh Akhtar verwirrt.

»Was ist den hier los?« Ganz unbemerkt war Nea in ihr Lager getreten. Sie war in einem nahen Dorf zum Einkaufen gewesen, während die anderen lernten. Nun kam sie mit zwei eingeschlagenen Bündeln wieder.

»Nea, was sind Niemands-Adepten?«, wollte Lugh sofort wissen, ohne sich mit einer Begrüßung aufzuhalten.

»Wie kommst du denn darauf?«, fragte sie erstaunt, während sie das Brot und den Käse in einer Tasche verstaute.

»Wegen dem Buch«, merkte Sly an und kam langsam und immer noch bissig und missgelaunt wirkend näher. Cinder schlief dort, wo sie nur so kurze Zeit vorher mit Lugh Akhtar gemeinsam gezaubert hatte.

»Das Nachtbuch?« Neas Augen weiteten sich ungläubig.

»Ja«, fauchte Sly und blitzte die beiden jungen Männer böse an.

»Ist es wirklich eines?« Ice starrte ihn aus großen Augen an.

»Ja.« Sly drängelte sich zwischen ihn und Lugh Akhtar, setzte sich und nahm sacht das Buch entgegen.

»Woher hast du es?«

»Eines der Nachtbücher ist schon seid Jahrhunderten in Besitz der Jarek-Familie«, antwortete Nea und setzte sich ebenfalls dazu.

»Und warum habt ihr es mitgenommen? Wer hat es euch gegeben?« Ice schaute sie angespannt, aus seinen grünen Augen, an.

»Cinder und ich haben Robin besucht, als wir in Lanta waren. Sie hatte es, aber es ist zu mächtig, wenn Rex es in die Hände bekommt, könnte er an Macht gelangen, die es uns unmöglich macht, ihn aufzuhalten. Also hat sie es mir mitgegeben, denn wenn er uns erwischt, haben sie genauso wenig eine Chance. Und ich habe es Sly gegeben, weil er der größere Bücherwurm von uns beiden ist«, antwortet Nea lächelnd.

»Was ist denn überhaupt ein Nachtbuch?«, mischte sich Lugh Akhtar ein.

»Das hier.« Sly legte es ihm mit gefletschten Zähnen in den Schoß.

»Darauf wäre ich jetzt nicht gekommen«, brummte der junge Zauberer sarkastisch, schlug es dann aber sacht auf.

»Ein Nachtbuch ist etwas ganz Besonderes. Sie sind aus schwarzem Papier, beschrieben mit dem Blut eines Alben. Sie wurden vor Jahrtausenden von den Niemands-Adepten geschrieben, die hier in einer Schrift, die nur sie lesen und schreiben konnten, ihre größten Geheimnisse und Erkenntnisse für die Ewigkeit hinterließen. Die meisten Nachtbücher wurden nach und nach zerstört, es gibt kaum noch welche und die meisten sind unvollständig. In der Bücherei von Altena gibt es ein paar Übersetzungen, aber kein Original, und die Übersetzungen haben auch einen Haken«, erklärte Sly.

»Welchen?«

»Sie geben niemals genau das wieder, was in dem Nachtbuch steht. Auf der Rune-Schrift liegt eine Art Fluch, die es unmöglich macht, es wirklich und originalgetreu zu übersetzen. Dadurch kannst du die wahre Macht der Worte gar nicht wirklich nutzen, die Übersetzungen sind somit so gut wie wertlos.« Der Rotschopf wirkte nun wieder ungemein selbstzufrieden.

»Man kann es nur in Rune lesen und sprechen, alles andere gibt die wahren Worte nicht wieder«, ergänzte Nea.

»Und wer weiß schon besser als ein Zauberer, welche Macht ein Wort haben kann, ja«, nickte Lugh Akhtar.

»Könnte mich mal jemand darüber aufklären, was die Niemands-Adepten sind? Ich verstehe rein gar nichts«, beschwerte sich Soul.

»Das ist eine Gruppe von Zauberern gewesen. Wobei… nein, Zauberer ist nicht das richtige Wort. Es waren auch gewöhnliche Menschen unter ihnen. Es waren… Auserwählte, könnte man sagen. Sie waren alle irgendwie etwas Besonderes. Nicht durch ihre Abstammung, nicht durch ihre Begabung, sondern einfach durch ihre Art, Mensch zu sein. Und sie haben in jenen Gebieten gelebt, in denen es keine Magie gibt. Außerdem kamen sie nicht nur aus einem bestimmten Gebiet, sondern aus allen Teilen der bekannten Welt. Sie haben sich zu keiner Stadt und keinem Land bekannt, sondern sich als Niemande bezeichnet. Und als Adepten, denn sie wollten lernen, was die großen Mächte ihnen beizubringen bereit waren. Und das haben sie eben mit Albenblut in schwarze Bücher geschrieben«, erklärte Sly.

»Woher weißt du so viel über sie?«

»Weil mein Meister genau wusste, dass ich niemals ein großer Zauberer werden würde. Aber ich hatte Glück, er hat stattdessen meine anderen Talente gefördert. Er hat mir Unmengen von Büchern über alles Mögliche gegeben, eben auch über die alten Völker. Die Niemands-Adepten. Und er hat mir so viele Sprachen und Schriftformen beigebracht, oder beibringen lassen, dass ich mehr Sprachen spreche, als Nikolai, der als wahres Sprachgenie gilt. Und auch mehr Sprachen lesen kann. Unter anderem Rune.«

»Geht mir ähnlich«, lächelte Nea. Sie war nicht immer so begabt wie heutzutage gewesen. Bevor sie Lugh Akhtar aus seiner Wolfsgestalt befreit hatte, hatte sie kaum mehr mit Magie anstellen können, als es Tariq zu tun vermochte. Sie hatte sich mit besseren Jahrmarkttricks über Wasser gehalten. Doch das hatte ihr auch ermöglicht, anders als es sonst üblich war, nicht nur eine herausragende Theoretikerin zu werden, sondern auch praktisch mit der Magie umzugehen, wie es sonst kaum jemand vermochte.

»Und… von welchen Geheimnissen berichtet das Buch?«, fragte Lugh Akhtar langsam.

»Oh, ich glaube, wenn ich das ausgerechnet euch Winterkindern erzähle, würde es fast schon an Blasphemie grenzen«, lächelte der Rotschopf und nahm langsam das Buch entgegen.

»Wieso? Sind die Jahreszeiten denn nicht die größte Macht?«

»Nein, das sind sie nicht. Das sind andere, aber sie mischen sich schon seid Jahren nicht mehr in unser sterbliches Schicksal ein, also lassen wir sie ruhen. Ihre Namen auszusprechen bedeutet auch, sie zu wecken, und schlafende Mächte sollten lieber von selbst erwachen.« Sly warf sich auf den felsigen Boden und schaute zum Himmel auf.

»Also lassen wir das Thema. Gut.« Lugh Akhtar stand auf, um sich praktischeren Dingen zuzuwenden. »Ich denke nicht, dass heute noch viel mit lernen ist. Wenn Cinder aufwacht, sollten wir etwas essen und dann weitergehen, unser Weg ist noch weit.«

»Eine gute Idee«, antwortete Sly und strich nachdenklich über das, in schwarzes Leder gebundene, Buch.

»Sag mal Sly, was sind eigentlich Alben?« Ice schaute seinen Freund fragend an.

»Ich glaube, du kennst sie als Nachtmahre«, überlegte der Rotschopf leise.

Da horchte Lugh Akhtar auf. Alben waren die übliche Bezeichnung für diese Schattenwesen im Zauberreich von Altena. Wenn Ice dieses Wort nicht kannte, bedeutete dies, dass er ursprünglich nicht aus Altena kam. Aber woher dann?

Doch wirkte keiner der beiden so, als wollten sie das weiter ausführen, im Gegenteil. Und Lugh Akhtar wollte nicht fragen. Er wusste nicht wieso, aber er hatte das Gefühl, dass er keine Antwort erhalten würde. Und dass es Ice nicht recht sein könnte, wenn er zu viel über ihn wusste.

Er kannte Ice’ Vergangenheit nicht, er wusste über das, was vor ihrem ersten Treffen lag, kaum mehr, als am ersten Tag. Und er wusste, dass Ice von sich aus daran auch nichts ändern würde. Der Einzige im Lager, der Ice wirklich kannte, war Sly. Nicht einmal Soul wusste so viel über ihn, dessen war sich der junge Zauberer sicher.

»Eiswolf«, flüsterte er nachdenklich und leise, schreckte dann aber auf, als er die Macht der Magie spürte, die mit diesem Namen einherging. Von den anderen schien es niemand bemerkt zu haben, obwohl das magische Vibrieren in der Luft mehr als deutlich gewesen war. Nur Ice schaute ihn an. Natürlich, er hatte es gemerkt.

Lugh Akhtar wandte sich abrupt um und ging schnellen Schrittes zu Cinder. Sein Herz schlug schnell und laut, es flatterte schon fast wie ein kleiner Vogel. Er hatte ein Gefühl, als hätte Ice seine Gedanken gelesen und zwar nicht nur jene, die so deutlich auf seinem Gesicht zu finden waren, sondern alle. Seine tiefsten Ängste, sein größtes Glück, all sein Leid, all sein Lachen. Seine geheimsten Gedanken, die nur ihm selbst gehörten und die er tief und fest in seinem Herzen verschlossen hatte. Alles.

Unbehaglich setzte er sich neben seine Schwester, die zu erschöpft war, um zu träumen. Sly setzte sich zu ihm und streichelte Cinder mit einer Hand über die Wangen, mit der anderen hielt er das Buch fest umklammert.

»Schwarzes Papier und Albenblut«, versuchte sich Lugh Akhtar auf andere Gedanken zu bringen. Er hatte davon schon einmal etwas gehört, aber wollte ihm nicht mehr einfallen, wo und bei welcher Gelegenheit.

»Das sagt man zumindest. Woraus es wirklich besteht, weiß wohl niemand so genau«, antwortete Sly und schaute, mit einem liebevollen Glitzern in den blauen Augen, auf Cinder hinab. Lugh Akhtar biss sich indes nachdenklich auf die Lippen.

»Schwarzes Papier und Albenblut…« Er kniff die Augen zusammen und dachte angestrengt nach. So bemerkte er den erstaunten Blick von Sly gar nicht. Stattdessen murmelte er immer wieder dieselben Worte vor sich hin.

»Lugh, was ist los?«, wollte der Rotschopf eindringlich wissen, doch bekam er keine Antwort, sondern wurde komplett ignoriert.

»Wahre Geheimnisse bewahrt nur, wer sie mit Albenblut auf Papier schreibt, das von all den vergessenen und aufgegebenen Träumen schwarz geworden ist«, murmelte Cinder schläfrig und schob sich näher zu Sly.

»Natürlich! Das hat Kanoa mir gesagt, als ich…« Lugh Akhtar hielt inne. Mit einem Mal erinnerte er sich wieder an etwas, das so lange in seinem Herzen verborgen gewesen war. Es schien so unwichtig, aber so viele kleine Dinge von damals waren ihm so unwichtig erschienen und hatten sich als so groß erwiesen.

»Ja?« Sly schaute ihn gespannt an und auch Cinders Müdigkeit schien wie weggewischt.

»Ich muss gehen. Ich muss etwas suchen, es könnte wichtig sein. Ich hole euch später ein, ich finde euch irgendwie, aber jetzt muss ich gehen!« Aufgeregt sprang der junge Zauberer auf und ohne ein Wort der Erklärung oder gar des Abschiedes, verwandelte er sich mitten in einem Satz in den weißen Wolf und sprang davon. Zurück blieben fünf erstaunte junge Zauberer, die nicht verstanden, wohin der Sechste ging, aber wussten, dass nachlaufen keinen Sinn hatte.

Sie machten sich keine Sorgen um Lugh Akhtar. Sie kannten ihn gut genug, um zu wissen, dass ihm nichts geschehen konnte. Sollte er wirklich in Gefahr geraten, gab es seinen Schutzgeist und sollte das nicht reichen, so würde der Winter selbst ihn vor jeglichen Schaden bewahren, das wussten sie.

So zogen sie einfach mit einem Schulterzucken weiter gen Süden.

Briefe und Erinnerungen

»Papa, was tust du da?« Ein kleiner Junge kam ungeschickt an die Holzbank gelaufen und versuchte, auf den viel zu hohen Tisch zu blicken.

»Ich schreibe einen Brief«, lächelte der Vater und hob den Jungen auf seinen Schoß.

»An wen? An die Zauberer, zu denen du immer gehst?« Fragend schauten die großen, leuchtenden, braunen Augen zu ihm auf.

»Nein. Der Empfänger dieses Briefes ist viel wichtiger, als sie es jemals sein könnten. Allerdings weiß er nicht, dass er den Brief irgendwann einmal bekommen wird.« Der Vater wirkte nachdenklich.

»Du hast aber ganz viel gekleckert, das Papier ist ganz schwarz«, bemerkte der Junge vorwurfsvoll.

»Nein, nein, das ist schon richtig so. Du musst wissen, es ist ganz besonderes Papier. Es gibt kein Papier, das ein Geheimnis so gut für sich behält, wie dieses besondere, schwarze Papier«, lächelte der Mann und schob das schwarze Blatt so nahe an den Sohn heran, dass er es greifen konnte.

»Warum?«

»Weil diesem Papier das Schlimmste gesehen hat, was man sehen kann.« Der Blick des Vaters wurde traurig.

»Hat es ein Wesen sterben sehen?« Mit Tränen, in den großen Augen, schaute der Junge abermals zu seinem Vater auf.

»Nein. Es gibt Dinge, die sind viel grausamer, als der Tod. Vergiss das niemals, Fjodor«, beschwor ihn der Vater eindringlich.

»Und… was ist es?«, fragte der kleine Junge zögernd.

»Dieses Papier war dabei, als ein junges Herz seinen sehnlichsten Traum verlor.« Ein tiefer Schmerz breitete sich, auf dem Gesicht des Vaters, aus.

»Einen Traum verlor…?« Erstaunt, fast schon ehrfürchtig, blickte der Junge auf das Papier.

»Ja. Träume sind das, was unser Leben so wunderschön macht, mein Sohn. Träume, Hoffnung, Liebe. Nichts anderes brauchst du auf der Welt um glücklich zu sein. Träume, nach denen du streben kannst, die vielleicht sogar wahr werden, Hoffnung, auf dass du niemals den Mut verlierst und deine Träume verrätst und Liebe«, lächelte der Vater.

»Dieses Papier war dabei, als jemand seine Träume verriet?« Traurig legte der Junge es wieder auf den Tisch.

»Ja. Es ist ein Friedhof für verlorene Träume. Sie werden niemals in Erfüllung gehen und sie werden niemals Mut und Freude schenken. Es ist traurig, aber wir können nur so wenig daran ändern.«

»Was kann ich denn tun?«, fragte der kleine Junge eifrig.

»Hilf den Leuten, ihre Träume wahr zu machen. Zwing sie dazu, an ihre Träume zu glauben, gib ihnen Mut, ihnen weiter zu folgen. Und mache sie letztendlich wahr. Du kannst es. Jeder kann es, aber nicht jeder traut sich. Traue dich und hilf jenen, die deiner Hilfe bedürfen«, bat der Vater.

»Ja, das werde ich tun!«, versprach der Junge, deutete dann jedoch wieder auf das Papier. »Was schreibst du denn da?«

»Ich sorge dafür, dass jemand, der nur allzu leicht den Mut verliert, ihn wieder findet und ihn auch behalten kann. Aber nur er wird es lesen können, deswegen schreibe ich es auf diesem Papier und mit Albenblut«, erklärte der Vater.

»Wieso?«

»Es gibt nichts, was ein Geheimnis besser zu hüten vermag. Wahre Geheimnisse bewahrt nur, wer sie mit Albenblut auf Papier schreibt, das von all den vergessenen und aufgegebenen Träumen schwarz geworden ist.«

»Wieso muss es Blut sein?« Wieder wirkte der kleine Junge nicht begeistert.

»Der verlorene Traum, in dem Papier, ist so enttäuscht, von der Welt, dass er nichts auf der Welt mehr sehen mag. Doch wenn du ihm das Versprechen gibst, dass du anderen wie ihm helfen wirst und das Ganze auch mit Blut besiegelst, dann bewahrt er im Gegenzug deine Geheimnisse solange, bis der Eine kommt, für den sie bestimmt sind. Aber nur, wenn er seine Träume niemals aufgegeben hat«, lächelte der Vater. »Deswegen ist es auch wichtig, dass du deine Träume nicht aufgibst.«

»Das habe ich auch nicht getan. Ich habe sie vergessen, aber ich habe sie niemals aufgegeben.« Der kleine Junge, nun ein junger Mann, stand in der staubigen Küche. Eine Hand ruhte still, traurig und nachdenklich, auf dem Holztisch, an dem der Vater vor so unendlich langer Zeit seinen Brief schrieb, sein Blick war in die Vergangenheit gerichtet.

Es war ein wahres Wunder, dass dieses Haus noch stand. Er war seit mehr als fünfzehn Jahren nicht mehr hier gewesen, obwohl es keinen Ort auf der Welt gab, an den es ihn mehr zurückgezogen hatte. Nikolai hatte ihn belogen. Das Dorf existierte noch. Ebenso das Haus. Nur was aus seinen Bewohnern wurde, das wusste wohl nur der Wind.

Lugh Akhtar seufzte. Es brachte nichts, wenn er in Erinnerungen schwelgte. Er musste bald wieder zurück, sonst würde er seine Freunde niemals einholen, so schüttelte er den Kopf und schaute sich um.

»Hilf mir, Kanoa. Wo hast du ihn versteckt? Oder war er letztlich doch nicht für mich?«, fragte er das Nichts um sich herum. Da erschien ein schwarzer Wolf mit einem weißen Halbmond an seiner Seite. Kanoa. Sein Schutzgeist. Sein Vater.

»Er ist für den, der mit den Lichtern tanzt«, erklärte der schwarze Wolf und schaute zu ihm auf.

»Lichtertänzer, mein Schülername«, nickte Lugh Akhtar.

»Er ist für den, der den verfluchten Namen trägt«, fuhr der Wolf fort. Ihm schien das Spiel Spaß zu machen und der junge Zauberer machte mit.

»Fjodor. Mein Name«, antwortete der junge Zauberer.

»Er ist für den, der als Stern bezeichnet wird.«

»Lugh Akhtar, es bedeutet Lichterstern. Mein Name.«

»Er ist für den, den sie Mythos nennen.«

»Sie nennen mich Mythos.«

»Er ist für den, der die Hoffnung fand.«

»Ich habe Hope gefunden. Und Nea, den Hoffnungsstern.«

»Er ist für einen, dessen Traum wahr wurde.«

»Nea wird an meiner Seite sein, wann immer ich sie dort brauche. Dieser Traum hat sich erfüllt.«

»Er ist für ein Winterkind.«

»Ich bin der Sohn des Winters.«

Da lächelte der schwarze Wolf.

»Er ist für den Menschen, der mir in meinem Leben am wichtigsten war.«

»Du bist hier, Kanoa Kuroi. Als mein Schutzgeist. Also bin ich dir zu Lebzeiten am wichtigsten gewesen, denn ich bin es, den du von all jenen, denen du begegnet bist, am meisten beschützen willst«, flüsterte der junge Zauberer.

»Dann bist du der, für den ich ihn schrieb«, lächelte der Wolf und wie aus dem Nichts erschien in seiner Schnauze ein schwarzer Briefumschlag, den er Lugh Akhtar gab. Dann verschwand er wieder, genauso plötzlich, wie er gekommen war.

Der junge Zauberer schaute noch einen Moment nachdenklich auf die Stelle, dann auf den schwarzen Brief. Er war dick, es mussten viele Seiten sein. Was hatte Kanoa ihm nur so viel mitteilen wollen? Und warum war es ihm so wichtig, dass nur er es las?

Gerade wollte er ihn öffnen, als er eine Bewegung hinter sich wahr nahm. Er drehte sich zögernd um und gewahr einen Mann. An seinem Äußeren war nichts besonders für diese Gegend. Er schien aus dem Dorf zu kommen, zumindest machte er einen sehr selbstbewussten und sicheren Eindruck.

»Was tust du hier?«, fragte er scharf und in dem schweren Dialekt Irians, obwohl das Dorf nicht zum Reich von Irian gehörte. Mit dieser Sprache war er groß geworden, ihr Klang war ihm so vertraut.

»Ich habe etwas gesucht. Einer der ehemaligen Bewohner, dieses Hauses, hat mir hier etwas hinterlassen«, antwortete er wahrheitsgemäß.

»Hat er? Das dort?« Der Fremde deutete auf den schwarzen Brief.

»Ja. Ich habe es gefunden, deswegen gehe ich nun wieder.« Er wollte an dem Dörfler vorbei gehen, doch der stellte sich ihm schnell in den Weg.

»Nicht so schnell. Wer bist du? Und von wem bist du hierher geschickt worden«, fauchte er. Da trafen sich die Blicke der beiden für einen Moment. Sogleich wandelte sich der Ausdruck in den Augen des anderen.

»Bist du ein Dämon…?«, fragte er leise und zögernd, mit zitternder Stimme.

»Nein. Aber ein Zauberer«, antwortete Lugh Akhtar.

»Ein… Zauberer…?«

»Ja.«

»Welcher der Bewohner dieses Hauses hatte denn jemals mit Magie zu tun…?« Da schien ihm ein Licht aufzugehen. »Bist du…? Du bist der Sohn von Tuwa, oder? Den, den der Zauberer mitgenommen hat!«

»Ja und nein…« Lugh Akhtar hatte nicht vor, dem Kerl alles zu erzählen, doch er überlegte, ob er ihn etwas fragen sollte. Er zögerte nur noch einen Moment, bevor er den Kopf langsam schüttelte und den Dorfbewohner auffordernd anschaute. »Sag, weißt du, wohin es Tuwa und seine Frau gezogen hat?«

»Irgendwohin in den Süden, aber genaueres wissen auch wir nicht. Nachdem der Zauberer dich mitgenommen hatte, war Channa nicht mehr dieselbe. Und wir wissen ja alle, dass sich Tuwa niemals so richtig wohl gefühlt hat, deswegen haben sie beschlossen, im Süden, in Tuwas Heimat noch einmal neu anzufangen«, überlegte der Fremde.

»Seine… Heimat?« Lugh Akhtar war noch viel zu klein gewesen, um zu begreifen, dass sein Ziehvater nicht aus diesem Land gestammt hatte, deswegen überraschte ihn diese Aussage.

»Ja. Weiter im Süden als das Imperium von Lanta, vielleicht sogar jenseits des Meeres. Er kann jetzt überall sein, wir wissen es nicht. Aber… du bist ein Zauberer, vielleicht kannst du ihn mit Hilfe deiner Magie finden«, überlegte der Mann.

»Nein. Es ist besser so«, fand stattdessen Lugh Akhtar und ging an dem Mann vorbei. In der Tür wandte er sich noch einmal um. »Du kannst überall nachsehen, alles ist noch so, wie es vorher war. Ich habe nur den Brief genommen, denn er ist für mich.«

»Warte, Fjodor!«, hielt der Fremde ihn noch einmal zurück und tatsächlich schaute er noch einmal über den Rücken zurück. Doch der Dörfler sagte nichts weiter, sondern verschwand schnellen Schrittes in der Wohnstube, um nur Sekunden später wieder zurück zu kehren. In seiner Hand hielt er etwas, was Lugh Akhtar erst nicht erkennen konnte.

»Ich weiß nicht, warum du wieder hier bist und was geschehen ist und… nun, was ich nicht weiß, ist eine Menge. Aber ich weiß, dass Channa damals Rotz und Wasser geheult hat, weil du sie nicht mitgenommen hast. Und dass sie es dir so gerne gegeben hätte, aber sie wusste nicht, wie sie dich erreichen sollte, nun, wo du ein Zauberer warst. Und ich weiß, dass sie sich sehnlichst gewünscht hatte, dass du sie bekommen sollst. Also nimm sie mit dir und vergiss sie nicht wieder.« Damit drückte er dem erstaunten jungen Mann etwas in die Hand. Mit seiner Hand umschloss er noch die des Zauberers, als er ihm offen in die Augen sah und lächelte.

»Auf dass das Glück mit dir sein möge, auf allen deinen Wegen. Das Dorf hatte große Hoffnungen in dich gesetzt und ich weiß nicht, was du erlebt hast und was du tun wirst, aber ich weiß, dass du uns einfache Menschen nicht vergessen wirst. Wir sind deine Vergangenheit und das werden wir immer sein«, erklärte er. Damit ging er.

Erstaunt schaute Lugh Akhtar ihm noch nach. Das ganze Dorf hatte Hoffnungen in ihn gesetzt? Natürlich. Ein Zauberer konnte die Welt verändern, also hofften sie, dass er es tun würde. Dass er sie nicht alleine ließ, wenn sie Hilfe brauchten. Denn er konnte ihnen helfen.

»Aber, ich kann nicht alles umwerfen, was schon seit Jahrhunderten währt. Ihr müsst euch schon ein Stückweit selber helfen«, flüsterte er dem Mann nach. Obwohl der ihn nicht mehr hören konnte, wusste er trotzdem, dass er sich diesbezüglich keine Sorgen zu machen brauchte.

Stattdessen blickte er auf seine Hand und öffnete sie langsam. In ihr lagen zwei kleine Wolfsfiguren aus Holz. Erstaunt schaute er sie sich genauer an. Eine war hell, die andere dunkel. Die dunkle nahm er als erstes auf und schaute sie sich von allen Seiten an.

Der schwarze Wolf hatte weiße Pfoten, die sich am hinteren Teil des Beines noch ein Stück weiter hinaufzogen. Dazu eine weiße Rutenspitze, ein Teil des Unterkiefers war weiß und er trug einen hellen Halbmond auf der Stirn. Zudem waren die Augen bunt, wie das Nordlicht. Es war eine originalgetreue Version von Kanoas Wolfsgestalt.

Immer noch staunend wandte er sich dem weißen Wolf zu und erstarrte schier. Es war ein weißer Wolf mit nachtschwarzen Ohren und bunten Augen. Seine eigene Wolfsgestalt.

Es war so sonderbar, warum hatte er als Kind Wolfsfiguren besessen, die ebenso aussahen, wie er und Kanoa später?

Es dauerte einen Moment, bis er sich wieder an den Abend erinnerte. Ja, Kanoa hatte sie geschnitzt, er hatte den ganzen Sommer dafür gebraucht, weil er sie so originalgetreu, wie möglich, machen wollte. Und an diesem Augustabend, dem Herbst schon so nah, da hatte er sie geschenkt bekommen.

»Wenn du willst, geben wir ihnen jetzt gleich Farbe«, hatte Kanoa vorgeschlagen und er hatte begeistert genickt. Er hatte sich alles aussuchen dürfen und die Wahl war ihm nicht einmal schwer gefallen.

»Wieso ist er schwarz?«

»Weil er sich vor der Welt verbergen will. Er hat einmal fast einen Traum aufgegeben und deswegen schämt er sich so sehr, dass er sich nun vor der Welt versteckt. Und weil er sich selbst fast so sehr verraten hat, ist er nun schwarz. Wie das Papier. Aber er liebt das Licht, deswegen hat er einen weißen Halbmond und so leuchtende Augen. Und das andere weiß zeigt, dass er ja doch eigentlich ein wunderbares Wesen ist, wenn er nur zulässt, dass man ihn lieb hat.«

»Und der andere? Warum soll er nur schwarze Ohren haben? Ist das nicht ein bisschen wenig?«, hatte Kanoa erstaunt weiter gefragt.

»Nein«, hatte er selbst gelacht. »Er ist ein Winterkind.«

»Stellst du dir so ein Winterkind vor?« Sein Vater hatte gelächelt.

»Ja. Wölfe sind Winterkinder. Und zwar alle Wölfe. Der Winter mag sie. Und weiße Wölfe hat er besonders gerne, deswegen beschützt er die Eiswölfe. Aber er ist nicht nur ein Winterkind, er ist auch ein Lichtertänzer, deswegen hat er so bunte Augen. Er tanzt gerne mit dem Licht. Und schwarze Ohren hat er, weil er sehr schnell den Mut verliert. Aber irgendwann findet er Freunde, die ihm immer beistehen werden«, hatte er mit glänzenden Augen erklärt.

»Gut. Dann bekommen sie beide nächstes Jahr Freunde.«

Kanoa hatte die anderen Wölfe, die er ihm versprochen hatte, niemals machen können. Aber daran dachte Lugh Akhtar im Moment nicht. Stattdessen zitterte er vor Aufregung. Er war damals so klein und unwissend gewesen und dennoch hatte er das alles gewusst. Aber woher? Und wieso?

Er fragte sich nicht zum ersten Mal, wieso er nun so aussah, wie er eben aussah. Für gewöhnlich nahm die Tiergestalt eine ähnliche Färbung an, wie man als Mensch auch hatte. Warum war es bei ihm anders? Und wieso war es auch bei Ice anders? Was unterschied sie von den anderen? Warum waren zudem auch noch seine Augen so anders?

Hatte er sich letztlich seine Tiergestalt selbst ausgesucht? Hatte er unbewusst jene Gestalt gewählt, die er einst der Wolfsfigur gab, weil er unbewusst gewusst hatte, wie ähnlich sie einander waren?

Würde er seine Fragen überhaupt jemals beantworten können? Er wusste es nicht. Er schaute auf die Wolfsfiguren, die er auf seine Handfläche gestellt hatte und wusste nur, dass sein Leben, vom ersten Moment seiner Existenz an, mehr Geheimnisse, Magie, Zauber verborgen hatte, als er es jemals für möglich gehalten hatte.

Er schloss die Hand, die Holzfiguren fest in den Händen. Dann lächelte er. Es wurde Zeit, zurück zu kehren. So verließ er das Haus und obwohl er nun nur noch mehr Fragen hatte, fühlte er sich dennoch so leicht und froh. Und glücklich.

Er schob die Figuren und den Brief in seine Tasche, dann lachte er laut auf und begann zu laufen. Über grünes Gras, das an manchen Stellen noch von weißem Schnee bedeckt war. Seinen Freunden hinterher, seiner Zukunft entgegen. Und er machte sich keine Sorgen, er freute sich nur. Er liebte das Leben, denn der weiße Wolf hatte Freunde gefunden, die zu ihm hielten.

Im Hafen

Sly saß auf dem steinernen Pier und schaute auf den fernen Horizont. Seit Stunden schon, er hatte die Zeit und wohl auch sich selbst vergessen. Er war hierher gekommen, um einfach mal wieder ein wenig allein zu sein, doch irgendwann waren seine Gedanken abgeschweift, und er war im Nichts gelandet. Und so starrte er vor sich hin, sich selbst verloren.

»Hope?« Leise trat Soul neben ihn und schaute unsicher auf ihn herab. Sie erhielt keine Antwort, wahrscheinlich hatte er nicht einmal bemerkt, dass er angesprochen wurde. Und schon gar nicht, dass sie seinen richtigen Namen verwendete, etwas, was nicht einmal Nea tat.

Doch Soul ließ sich davon nicht beirren und setzte sich an seine Seite, schaute ebenfalls mit traurigen Augen in die Ferne. Sie wusste nicht, warum sie ausgerechnet zu ihm gekommen war, statt zu Ice, Cinder oder Nea zu gehen. Irgendetwas hatte sie hierher gezogen.

»Wir müssen bald weiter. Meinst du, Lugh Akhtar schafft es noch hierher, bevor unser Schiff ablegt?«, fragte sie unbehaglich. Der Gedanke, diesen Kontinent zu verlassen, war ihr nicht ganz geheuer. Sie kannte diese Welt nicht, sie wusste nicht, was sie erwartete. Sie brauchte jemanden, der sie beruhigte, aber nicht, weil der Person etwas an ihr lag sondern einfach, weil er ganz unverblümt die Wahrheit sagte.

»Wenn er es denn will, dann schafft er es. Und ein paar Tage hat er ja auch noch«, antwortete Sly und langsam kehrte wieder Leben in seine starren Augen.

»Sag mal, Hope…« Nachdenklich schaute sie ihn an.

»Ja?« Er wandte den Blick nicht vom Horizont.

»Glaubst du an die große Liebe?«

Erstaunt schaute er sie an.

»Wenn du das auf mich und Cinder anspielst…«, begann er, doch sie schüttelte sacht den Kopf.

»Nein, sondern im Allgemeinen. Meinst du, dass jeder irgendwo ein passendes Gegenstück hat? Und dass nur diese eine Person zu ihm passt? Dass es manchmal nur eines Blickes bedarf, damit man sich liebt?« Ihre Augen sprachen von der eindringlichen Bitte, ihre Fragen zu bejahen, doch stattdessen schüttelte er sacht den Kopf und schaute zum Wasser hinab.

»Die einzige wahre Liebe gibt es nicht, das weiß ich jetzt. Man liebt, aber wenn man die Person verliert, dann geht das Leben trotzdem weiter und irgendwann ist da kein Schmerz mehr, sondern nur noch Gleichgültigkeit.«

»Ist es das, was du fühlst, wenn du an deine tote Frau denkst?« Souls Blick sprach von etwas, das an Entsetzen grenzte.

»Nein, Lioba war nicht meine Frau. Wir waren nicht verheiratet«, berichtigte Sly mit der Spur eines Lächelns auf den Lippen.

»Aber, ihr hattet doch eine Tochter.« Verdutzt schaute Soul ihn an.

»Ja, aber dazu muss man nicht verheiratet sein«, lächelte der Rotschopf.

»Wieso hast du sie denn nicht geheiratet?«

»Ich weiß nicht…« Nachdenklich beobachtete er, wie sich das Wasser an der Steinmauer brach. »Vater wollte es. Er meinte, ich wäre es ihr schuldig, aber irgendwie… wollte ich einfach nicht. Ein… Bauchgefühl könnte man sagen.«

»Ist da wirklich kein Schmerz mehr, wenn du an sie denkst?«

»Es ist… schwer zu beschreiben. Als sie starb, habe ich gedacht, dass es mich zerreißen würde. Und als Namida starb wusste ich nicht, wieso ich überhaupt noch weiter lebte. Aber, nun ist da nichts mehr von diesen Gefühlen. Es gibt da nur noch ein… dumpfes Drücken.« Sly schaute in den Himmel auf.

»Vielleicht… hast du dich ja nur an den Schmerz gewöhnt?«, überlegte sie und schaute ihn traurig an.

»Nein, gewiss nicht. Wenn Lioba noch immer mein Herz hätte, dann würde ich Cinder nicht lieben«, erklärte er und seufzte.

»Ist es dann wirklich Liebe?«

Es schien so, als wollte Sly nicht antworten. Er schaute vor sich hin und dachte über diese Frage nach. Er hatte schon einmal geglaubt, zu lieben und nun sprach er so gleichgültig über Lioba. Er dachte lange darüber nach und Soul ließ es zu, indem sie schwieg. Irgendwann dann nickte er.

»Ja. Lioba war mir wichtig und es war auch Liebe. Aber, eine andere Art. Für Lioba hätte ich vieles getan, aber nicht alles. Für Cinder würde ich sterben.« Er sprach so sachlich, dass Soul nicht eine Sekunde an seinen Worten zweifelte.

»Was ist das Besondere an ihr?«, fragte sie leise.

»Ich weiß es nicht. Sie ist hübsch, ja, und sie ist lieb, fürsorglich, besonnen, ruhig… aber, das ist es alles nicht. Es ist vielmehr das Zusammenspiel all dieser Dinge… Wie sie einfach nur still steht. Wie sie den Kopf wendet, wie sie mich ansieht. Wie sie lächelt. Sie war erst zehn Jahre alt, als ich sie das erste Mal traf! Sie war noch so klein und damals hat sie mich schon in ihren Bann gezogen. Damals habe ich sie schon geliebt. Und das ist solch ein Irrsinn, dass ist so Widersinnig. Ich kann doch als erwachsener Mann kein Kind lieben. Nicht auf diese Art und Weise! Und doch habe ich es getan…« Er schaute Soul nachdenklich an. »Was ist nur geschehen, dass sie mich bemerkt hat…?«

»Sie hat dich sofort bemerkt, aber du warst ihr so fremd«, lächelte Soul.

»Vielleicht. Aber, wenn es Liebe war, die sie an meine Seite brachte, dann ist es jetzt vorbei«, antwortete Sly bitter und hob die Hand an seine Wange. Die feine Narbe war kaum zu sehen, doch war Cinder noch immer so seltsam abweisend und ging bei jeder Kleinigkeit in die Luft.

»Was… hast du eigentlich getan, dass sie so böse auf dich war?« Auch Soul strich sacht über den feinen weißen Strich.

»Ich habe sie Lioba genannt«, antwortete Sly nachdenklich.

»Was?! Dann ist es wirklich kein Wunder, dass sie sauer ist.« Soul schaute ihn so böse an, dass er sie verdutzt anschaute.

»Ich habe noch fast geschlafen und ich habe von Lio geträumt. Für meine Träume kann ich nichts und auch nicht, wenn ich zwischen Schlaf und Wach irgendetwas sage, von dem ich hinterher nicht einmal mehr etwas weiß«, fand er schnippisch.

»Ach so. Nein, dann kannst du da wirklich nichts für… Aber, das ist mir auch aufgefallen. Sie ist anders als früher, seit einiger Zeit schon«, überlegte Soul, schüttelte dann aber sacht den Kopf. »Aber, weißt du, eigentlich wollte ich etwas komplett anderes von dir.«

»Ach ja?« Erstaunt schaute er sie an.

»Ja. Es gibt da etwas, was mir nicht aus dem Kopf geht, und da du der Einzige bist, der sein Tun vielleicht in etwa nachvollziehen kann, wollte ich eben dich fragen.« sie schaute ihn bittend an.

»Ich… ja, ja, sag ruhig. Was hast du auf dem Herzen?«, fragte er und schaute sie auffordernd an.

»Na ja… es ist so, es geht um Kanoa. Ich… ich verstehe nicht, wieso er bei Lugh Akhtar ist und nicht bei Cinder oder mir. Ich meine, er war doch viel länger bei uns, als bei ihm! Ich will jetzt nicht sagen, dass ich böse darüber bin, dass er zu Lugh gegangen ist, oder so, aber ich verstehe es nicht. Hat er… hat er uns denn gar nicht lieb gehabt?« Tränen glitzerten in ihren Augen, als sie ihn groß anschaute.

»Das ist nicht leicht zu erklären, aber ja, ich kann ihn verstehen…« Sly überlegte einen Moment, wie er es Soul am besten erklären konnte, dann nickte er langsam.

»Weißt du, es ist so. Ich habe ihn einmal kennen gelernt und damals kam er mir unglaublich traurig vor. Das war noch vor Lughs Geburt, es ist schon ewig her. Ich habe es damals nicht verstanden, warum sollte einer der größten Zauberer aller Zeiten traurig sein? Heute weiß ich, dass es gerade ihre Macht ist, die sie verzweifeln lässt, ich zumindest habe noch nie einen Mächtigen kennen gelernt, der nicht irgendwann einmal vor Selbstzweifel innerlich zerrissen war. Auch wenn es sich absurd anhört, denn Macht ist das, was jeder Zauberer anstrebt, aber… ich bin froh, dass ich niemals zu ihnen gehört habe und ich will es auch nicht. Macht bringt in erster Linie Leid mit sich.« Er seufzte und schüttelte den Kopf.

»Ich schweife ab. Nun, er war damals traurig. Und ich verstand nicht, wieso. Aber Lugh und Cinder haben mir beide von eurem Treffen mit dem Winter erzählt. Er liebt sie, über den Tod hinaus. Ich denke, dass er sie auch damals schon geliebt hat, mehr als alles auf der Welt. Aber, er war nur ein Sterblicher, er wusste nicht, wie er sie bekommen sollte. Und irgendwann geschah es dann doch. Auch sie liebte ihn und damit muss einer seiner sehnlichsten Wünsche in Erfüllung gegangen sein.« Es waren nur Mutmaßungen, doch Sly spürte, dass er der Wahrheit zumindest ausnehmend nahe kam.

»Warte, du meinst, dass Lugh Akhtars Geburt für ihn so etwas wie das größte Glück auf Erden war?«, sponn Soul seinen Gedanken weiter.

»Das zumindest war Namidas Geburt für mich, und wenn die passende Frau auch noch jemand ist, den man so sehr liebt… ja, so in etwa.« Der Rotschopf lächelte.

»Aber, Cinder und ich sind doch auch seine Kinder. Und auch unsere Mutter ist der Winter«, warf sie ein.

»Ja, schon, aber es gibt da einen sehr grundlegenden Unterschied. Bei euch hat er im Prinzip nur das erhalten, was er eh schon hatte. Das mag sich grausam anhören, aber so ist es manchmal. Ich bin auch etwas Besonderes gewesen, weil ich der erste Sohn war, meine Brüder, obwohl viel begabter als ich, haben dennoch immer in meinem Schatten gestanden. Zumindest aus der Sicht meines Vaters. Natürlich, ihr seid seine Töchter, alleine das macht euch schon zu etwas Besonderem, aber, dennoch seid ihr erst nach Lugh Akhtar gekommen. Wenn du etwas Ähnliches ein zweites mal bekommst, dann ist das immer etwas Anderes.«

»Weil die Erwartungen vom ersten Mal fehlen? Weil man weiß, was einen erwartet und immer schon wusste, dass es noch einmal kommen würde? Und beim ersten Mal noch darum bangen musste, ob es überhaupt jemals geschehen würde?«, hakte sie nach.

»Ja. Es ist vielleicht ein schlechter Vergleich, aber, als ich das aller erste Mal ein Buch bekommen habe, da habe ich mich gefreut, als ginge die Sonne nur für mich auf. Obwohl es nur ein altes Märchenbuch ist und ich nicht einmal weiß, wo es jetzt liegt, ist es dennoch für mich so viel wichtiger, als jedes andere Buch, das ich danach bekam«, bestätigte er.

»Das ist… seltsam«, fand Soul.

»Ich weiß«, lächelte Sly.

»Okay… Aber, ich verstehe es jetzt. Danke.« Sie lächelte ihn an und zum ersten Mal wurde dem Rotschopf so wirklich bewusst, wie ähnlich Soul und Cinder eigentlich waren. Und wie grundverschieden zugleich. Er stand auf und half ihr hoch.

»Wir sollten die anderen suchen, vielleicht ist dein Brüderchen ja mittlerweile aufgetaucht«, meinte er.

»Wäre möglich«, lächelte Soul. So wandten sie sich um und gingen über den Pier zurück. Sie beobachteten, wie die Menschen verschiedene Güter und Tiere auf ihre Schiffe verstauten, während sie gemeinsam langsam dahin schlenderten.

Mit einem mal hörten sie Lärm und als sie in die entsprechende Richtung blickten, sahen sie das seltsamste Pferd, das sie je gesehen hatten. Sly konnte sich nicht entscheiden, welcher Farbe er es zuordnen sollte. Für gewöhnlich hatten die Pferde im Imperium von Lanta höchstens weiße Abzeichen im Gesicht oder an den Beinen, das Pferd jedoch war dreifarbig gescheckt und gebärdete sich wie toll, als man versuchte, es in den Frachtraum zu führen.

Sly wollte eben Soul auf dieses besondere Aussehen aufmerksam machen, da sah er, wie Nea sich näherte. Nea hatte von Kindesbeinen an die Fähigkeit gehabt, mit Tieren zu sprechen. Sie verstand, was sie sagten und sie wollte ihnen immer helfen, so war sie auch Lugh Akhtar begegnet, als er auf einem Markt verkauft werden sollte.

Damals hatte der junge Mann in seiner Wolfsgestalt gesteckt und nichts von sich gewusst, außer, dass er einst ein Mensch gewesen war. Nea hatte ihn frei gekauft und ihn jenen Namen gegeben, mit dem er sich nun vorzustellen pflegte.

Nea auf jeden Fall näherte sich furchtlos dem tobenden Schecken, den drei kräftige Männer an Seilen fest zu halten versuchten. Irgendjemand rief ihr noch eine Warnung zu, doch sie lächelte nur und trat ganz nahe an das Pferd heran. Es schaute sie aus großen Augen an und sie sprach leise auf es ein, bis es sich beruhigt hatte. Die Männer standen nur daneben und starrten sie aus großen Augen an.

»Er möchte nicht wieder in diese dunklen, schwankenden Räume«, erklärte sie ihnen und streichelte die weichen Nüstern.

»Verschwinde, Hexe.« Ein weiterer Mann war dazu getreten und musterte sie geringschätzig. »Dich hat nicht zu interessieren, was mit dem Pferd geschieht.«

»Doch. Ich werde nicht zulassen, dass du ihn zu etwas zwingst, was er nicht will.« Nea warf ihm einen kalten Blick zu.

»Das wirst du müssen«, fauchte der andere und riss grob einen der Stricke an sich. Die anderen beiden löste er geschickt und wollte an Nea vorbei gehen, doch sie stellte sich ihm in den Weg.

»Nein«, sagte sie ruhig. Er antwortete darauf nicht einmal, stattdessen schlug er ihr ins Gesicht, sodass sie zu Boden stürzte.

»Hey!« Jetzt mischte sich Sly ein, denn seine Schwester zu schlagen ging eindeutig zu weit. Mit wenigen schnellen Schritten war er bei dem Fremden und riss ihn grob herum.

»Wage es nicht noch einmal, Hand an ihr zu legen!«, brüllte er.

»Und wer soll mich davon abhalten? Du?«, spottete der Kerl.

»Ja«, antwortete Sly, doch lange nicht mehr so entschlossen, wie zuvor. Nun, wo er das Gesicht des Mannes so vor Augen hatte, war da etwas, was ihn zögern ließ. Er kannte den Mann nicht, er hätte sich sonst gewiss erinnert, denn seine Züge waren nicht unauffällig. Aber, irgendetwas schien ihm dennoch so unglaublich vertraut.

»Natürlich. Jetzt hab ich Angst«, spottete der Mann, wandte sich ab und führte den Schecken zur Rampe. Der folgte nun zwar, aber nur zögerlich und mit sichtlichem Widerwillen.

»Wer ist das?« Soul half Nea auf.

»Ich weiß es nicht«, antwortete Sly.

»Er sieht irgendwem, den ich kenne, ähnlich…«, murmelte Nea.

»Ja, an irgendwen erinnert er mich auch, aber ich weiß nicht, an wen«, antwortete Sly, während er sie besorgt musterte. »Hat er dir sehr wehgetan?«

»Nein, eigentlich nicht.« Sie hob unbewusst eine Hand an die Wange und seufzte.

»Ist Lugh Akhtar eigentlich mittlerweile aufgetaucht?« Sly wandte sich in Richtung Wirtshaus.

»Nein, nicht, dass ich wüsste, aber sollte er, der Kapitän sagte, dass wir morgen früh bei Sonnenaufgang ablegen werden und ich denke nicht, dass er so weit fliegen kann.« Sie wirkte bedrückt.

»Er schafft es, glaube daran«, versuchte Sly sie aufzumuntern, während sie durch die Straßen liefen, doch in Gedanken war er bei dem Fremden. Wer war er nur…?

Auf See

»Ice?« Soul hing an der Reling und schaute müde und kränklich zu ihm

hinüber.

»Ja?«, lächelte er und lehnte sich neben ihr an das Metall.

»Wer hatte diese wirklich dumme Idee, auf einem Schiff nach Süden zu reisen?

Der gehört gelyncht«, brummte sie böse und legte ihr Gewicht auf der Reling

ab.

»Das war keine Idee, das war eine Notwendigkeit«, lächelte Ice und nahm sie

in den Arm.

»Mir ist so schlecht… Ich fühl mich, als wenn ich Aas gefressen hätte«,

würgte sie hervor und lehnte sich an ihn.

»Du bist seekrank, genauso wie Cinder. Ihr könnt das Geschaukel nicht gut

ab«, lächelte er und drückte sie fest an sich.

»Toll, auf dieses Wissen hätte ich auch gut verzichten können«, brummte Soul

und schaute ihn entnervt an. Dann grunzte sie, stieß Ice von sich und lehnte

sich weit über die Reling, damit ihr Mageninhalt höchstens die Bordwand

beschmutzte, und nicht sie.

»Na, wieder die Fische füttern?«, lächelte Nea und stellte sich auf Souls

andere Seite, als sie erschöpft auf die Planken sank.

»Ich will wieder auf feste Erde«, seufzte sie.

»Für einige Tage wirst du es noch aushalten müssen.« Nea ging ebenfalls in

die Hocke.

»Geht es Cinder wenigstens genauso schlecht?«, murrte die Dunkelhaarige. Da

zuckte es in Neas Gesicht.

»Ja, Cinder… Wisst ihr, wo Sly steckt?« Sie wirkte besorgt.

»Nein, wieso? Ist etwas mit ihr?«, erkundigte sich Ice.

»Sie hat jetzt seit fünf Tagen nichts mehr gegessen und seit gestern Morgen

nichts mehr getrunken. Sie würgt zwar nicht mehr, aber…« Sie seufzte. »Ich

hoffe, dass Sly sie davon überzeugen kann, etwas zu trinken, aber dazu müsste

ich ihn nur erst einmal finden…«

»Jetzt, wo du es sagst… nachdem sie ihn vorgestern Abend so angeschrien hat,

habe ich ihn auch nicht mehr gesehen«, überlegte Ice.

»Dann sollten wir ihn suchen. Irgendwo muss er ja sein.« Nea wirkte nicht

glücklich.

»Gut. Und du bleibst am besten einfach hier«, erklärte der Blauhaarige seiner

Verlobten.

»Nein, ich mache jetzt einen Rundgang über das Wasser«, giftete die von unten

in einem Tonfall, der vor Sarkasmus nur so troff.

»Du musst übrigens auch langsam mal wieder etwas trinken«, bemerkte Nea und

hielt Soul einen Trinkschlauch hin. Die sah so gar nicht begeistert aus, fügte

sich aber der Anweisung und leerte ihn bis zum letzten Tropfen, nur, um sich

sogleich wieder über der Reling zu erbrechen.

»In zwei Stunden gibt es Nachschub.« Die Schadenfreude war der Braunhaarigen

nur allzu deutlich anzusehen.

»Ich freu mich schon.« Die Dunkelhaarige rümpfte viel sagend die Nase, doch

da zogen Ice und Nea auch schon gemeinsam los. Dieser Anblick versetzte ihr

einen kurzen, aber durchaus heftigen, Stich, den sie nicht einmal verstand. Ice

und Nea waren Gefährten und sie waren Freunde, aber nicht mehr, das wusste sie.

Immerhin hatte Nea ja Lugh Akhtar und Ice sie, aber die beiden so

selbstverständlich weggehen zu sehen war dennoch kein schöner Anblick. Und

mitzugehen war auch keine gute Idee, im Moment wäre sie sowieso nur im Weg, das

wusste sie. Zumal sie schon wieder die viel sagenden Krämpfe spürte, auf die

etwas ganz und gar Unangenehmes folgte.

So verschwanden also nur Ice und Nea unter Deck.

»Wir sollten uns aufteilen«, überlegte Ice.

»Ja. Gehst du in die Frachträume? Ich schaue mich in den anderen Räumen um«,

fragte sie.

Wortlos wandte er sich in die entsprechende Richtung. Er betrat die Frachträume

durch eine einfache Tür und fühlte sich mit einem Mal fast erschlagen von der

Enge, die hier unten herrschte. Hier stapelten sich riesige Kisten und Säcke

mit allen möglichen Waren.

Im hinteren Teil befanden sich einige Käfige mit Vögeln und kleinen Tieren und

Verschläge für die Pferde. Von denen stach eines ganz besonders hervor, ein

dreifarbiger Schecke, der nervös umhertänzelte.

Ice hatte von der Geschichte am Hafen gehört und wusste daher, dass der

Besitzer des Pferdes kein angenehmer Mensch sein konnte, und so tat ihm das

hübsche Tier ausgesprochen leid. Im Gegensatz zu Sly war ihm diese Fellfärbung

nicht unbekannt, deswegen meinte er auch zu wissen, aus welcher Gegend der

Besitzer in etwa kommen mochte. Mit einem Seufzen trat er an das Pferd heran und

strich ihm beruhigend über seine Nüstern.

»Ganz ruhig, so lange sind wir nicht mehr unterwegs. Den größten Teil hast du

schon geschafft«, flüsterte er.

»Stimmt wohl, aber ich glaube nicht, dass er dich versteht«, bemerkte eine

Stimme aus einer leeren Nebenbox.

»Sly?«, fragte Ice verwundert.

»Ja, so nennt man mich.« Das gewohnte Gesicht, eingerahmt von rotem Haar,

blickte um die Wand herum.

»Hier steckst du also. Nea sucht dich schon, Cinder geht es nämlich nicht gut

und sie hofft, dass…«, weiter kam Ice nicht, denn Sly unterbrach ihn.

»Dann lass sie weiter suchen. Und Cinder interessiert mich auch nicht«,

knurrte er und zog sich wieder zurück. Verblüfft starrte Ice auf die Kante.

»Sly? Geht’s dir nicht gut?«, fragte er erstaunt und trat an die Box heran.

Sein Freund hatte es sich darin auch durchaus bequem eingerichtet. Alles war mit

Stroh ausgelegt und mehrere Decken verhinderten das Piken. Einige Bücher lagen

herum und eine geschlossene Lampe, mit der er lesen konnte. Auf dem Schoß des

Rotschopfes lag das Nachtbuch.

»Mir geht es blendend, immerhin hab ich jetzt drei entscheidende Dinge

gelernt«, brummte er zur Antwort und blätterte seelenruhig eine Seite um.

»Und… was?« Ice kletterte zwischen zwei Brettern hindurch und setzte sich

Sly gegenüber.

»Erstens, dass Frauen dir einen kleinen Fehler ewig vorhalten, egal wie oft du

dich auch entschuldigst und wie wenig Schuld du eigentlich daran hast«,

erklärte der und zeigte einen Finger. Er nahm den zweiten dazu. »Zweitens,

dass du Frauen niemals vertrauen darfst. Sie schwören dir, dass sie dich lieben

und hinterher wirst du bloß noch angezickt.«

»Und drittens?« Halb entsetzt, halb belustigt beobachtete Ice seinen Freund.

Er wusste nicht so recht, ob er nun lachen sollte, weil alles eigentlich

komplett lächerlich war und nur ein guter Scherz sein konnte, oder, aber, ob er

traurig sein sollte, weil sein Freund wirklich so zu denken schien.

»Drittens ist, dass du dich niemals näher mit einem Menschen einlassen

solltest. Es geht immer in die Hose. Jede Beziehung, die dem Status einer

Freundschaft auch nur nahe kommt, war letzten Endes einfach nur eine riesen

Enttäuschung. Deswegen lasse ich es jetzt auch einfach. Ich habe dich, ich habe

Nea und ich habe Lugh, mehr brauche ich nicht. Soul vielleicht noch, aber alle

anderen Menschen können mich mal, das bringt eh nur Scherereien mit sich«,

fand Sly.

»Das… ist doch ein Scherz, oder?«, wollte Ice wissen.

»Nein. Das meine ich ernst und glaub mir, ich habe selten etwas so ernst

gemeint. Ich meine, schau dir mein Leben doch einmal an! Es ist ein

Scherbenhaufen und es ist nicht einmal meine Schuld. Okay, doch, schon, aber

nur, weil ich mich trotz aller Erfahrungen immer wieder mit irgendwem

eingelassen habe, aber, das ist jetzt vorbei.« Der Rotschopf schlug das Buch zu

und legte es neben sich. »Die einzigen neuen Bekanntschaften, die ich nun zu

tun gedenke, sind jene in Büchern.«

»Sag mal… bist du betrunken?«, wollte Ice einfach so ins Blaue hinein

wissen, erkannte jedoch an einem Zucken im Gesicht seines Freundes, dass er

genau ins Schwarze getroffen hatte.

»Natürlich, wie soll man denn sonst durch dieses Leben kommen?«, erkundigte

sich Sly bissig.

»Ach, herrje, dann wundert mich jetzt gar nichts mehr. Du solltest erst einmal

wieder nüchtern werden, dann können wir uns weiter unterhalten.« Ice wollte

aufstehen, doch sein Freund hielt ihn zurück.

»Ich bin bei klarerem Verstand, als sonst«, protestierte er.

»Ja, deswegen redest du auch solch einen Schwachsinn«, erwiderte Ice

sarkastisch, blieb aber sitzen. »Dann erzähl mir mal von deinen

Erleuchtungen.«

»Das ist doch alles Cinders Schuld. Und Liobas. Wenn die beiden nicht wären,

dann wäre mein Leben so viel einfacher gewesen«, beschwerte sich Sly weiter.

»Inwiefern?«

»Naja, das hätte mir einiges an Kummer erspart. Ich hätte schön einsam,

aber glücklich vor mich hin leben können, aber nein, ich musste mich

verlieben. Pah, Liebe! Gefühle im Allgemeinen! Wozu sind sie denn gut? Sie

machen doch nur, dass man sich schlecht fühlt.« Er hickste und ließ sich an

dem Holz hinab auf die Decke rutschen.

»Irgendwie hast du recht, aber… Hope, wirklich, so kenne ich dich gar nicht.

Wieso verlierst du den Mut, nur weil Cinder ein bisschen…« Ice konnte seinen

Satz nicht beenden, denn Sly wischte seine Worte einfach beiseite.

»Sie hasst mich. Wieso sollte sie sonst so sein?«, knurrte er.

»Hope, ich weiß wirklich nicht, was geschehen ist, aber, eigentlich ist es

auch egal. Wichtig ist nur, dass es so gar nicht zu dir passt, dass du so

schnell aufgibst und dich selbst bemitleidest, also hör auf damit.« Der

Blauhaarige stand auf, verließ die Box. Sly schaute ihm böse nach und wollte

gerade wieder nach dem Buch greifen, da ergoss sich ein Schwall Wasser über

ihm.

»Verdammt, ICE!«, brüllte er und sprang auf. Seine benebelten Gedanken waren

wieder völlig klar, das lag aber nicht daran, dass er selbst nass war, sondern

daran, dass das Nachtbuch auch etwas abbekommen hatte. Voller Entsetzen

schüttelte er es, um die gröbsten Wassertropfen abzuschütteln, schmiss es

dann auf die Decke, um sinnlos darauf herum zu tupfen, um auch den Rest wieder

abzukriegen.

»Jetzt steh nicht sinnlos da herum, HILF MIR!«, fauchte Sly und zog es wieder

hervor, um es seinem Freund hinzuhalten. Der nahm es mit einem schlechten

Gewissen entgegen. Die Schrift war an manchen Stellen zerlaufen und das Papier

ein wenig aufgequollen. Er wusste, dass dieses Buch einen unschätzbaren Wert

hatte.

Sanft versuchte er, das Wasser aus den Seiten verdampfen zu lassen, ohne, dass

das Buch in Flammen aufging, aber Feuermagie war seinem natürlichen Talent so

widersprüchlich, dass er den schmalen Grad zwischen noch mehr Schaden durch

Feuer und dem aktuellen Zustand nicht richtig einschätzen konnte, sodass es

nicht nennenswert trockener wurde.

»Halt es einfach nur fest«, bat Sly, legte die Hand auf das Buch und murmelte

so seltsame Worte vor sich hin, dass Ice ziemlich sicher war, sie auch nach

vielen Versuchen nicht nachsprechen zu können. Dann zog Sly ein Messer hervor

und schnitt sich einmal über die Hand, ließ den Blutschwall, der hervorbrach,

auf das Buch laufen.

Erst tat sich nichts, dann jedoch stieß eine kleine Wolke heißen Wasserdampfes

hervor, die Ice fast verbrüht hätte, wäre er nicht geistesgegenwärtig genug

gewesen, schnell den Kopf zurück zu ziehen.

»Was hast du…?«, fragte er, doch Sly würde ihm wohl nicht antworten, denn

er keuchte schwer und sackte ohnmächtig zu Boden. Ice warf das Buch achtlos ins

Stroh und ging neben seinem Freund in die Knie.

»Was…?«, fragte er leise und verwirrt. Er wusste nicht, was er tun sollte,

er wusste auch nicht, was genau geschehen war. Was hatte Sly nur so geschwächt?

Der eher geringe Blutverlust konnte es nicht sein, der Rotschopf hatte schon

schlimmere Verletzungen gehabt.

Doch das war immerhin ein Anfang. Er riss Streifen aus einer Decke und wickelte

sie fest um die blutende Hand, damit wenigstens diese Wunde nicht mehr weiteren

Schaden verursachte. Dann jedoch rasten seine Gedanken weiter. Er konnte Sly

nicht einfach so hier liegen lassen, aber er brauchte jemanden, der zumindest

eine Ahnung dessen hatte, was geschehen war. Sollte er Nea suchen gehen? Das

Schicksal kam ihm zur Hilfe.

»Ice? Bist du noch hier unten?«, rief sie in genau jenem Moment.

»Ja, komm schnell her!« Er schaute in den Gang und sah, wie sie eilig heran

lief.

»Was ist los?«, fragte sie alarmiert, denn das Zittern seiner Stimme war ihr

keineswegs entgangen.

»Ich weiß es nicht genau. Hope war betrunken und um ihn wieder halbwegs bei

Verstand zu kriegen, habe ich ihm einen Eimer Wasser über den Kopf gekippt.

Dabei ist aber auch das Nachtbuch nass geworden und als wir es auf gewöhnliche

Methoden nicht richtig trocken bekommen haben, da hat er sich in die Hand

geschnitten und irgendetwas in einer fremden Sprache genuschelt. Danach ist er

zusammengebrochen«, fasste er kurz zusammen.

»Eine fremde Sprache?« Nea wirkte genauso verwirrt, wie er es war, doch

schüttelte sie dann den Kopf. Sie fühlte nach seinem Puls, nur um

festzustellen, dass das Herz ihres Bruders raste.

»Ich weiß nicht, was er getan hat, aber, es war nicht gut. Ich wünschte, Lugh

Akhtar wäre hier«, murmelte sie. Der junge Zauberer hatte es nicht mehr

rechtzeitig auf das Schiff geschafft, aber, sie hatten beim Wirt eine Nachricht

hinterlassen, dass sie in der Hauptstadt des südlichen Zauberreiches auf ihn

warten würden.

»Meinst du, er wüsste Rat?« Ice wirkte nicht überzeugt.

»Ich weiß es nicht, aber, vielleicht schon… vielleicht… ergibt es sich

auch von selbst wieder…«, murmelte sie. Dann stand sie auf.

»Ich muss zu Cinder, spiel du bitte hier den Krankenpfleger. Mehr können wir

im Moment nicht tun«, erklärte sie traurig.

»Ja, natürlich«, nickte Ice und setzte sich unbequem ins Stroh. Er schaute

Nea nach, wie sie wieder ging und beobachtete dann, wie Slys Atmung langsam

ruhiger wurde. Die Ohnmacht schien fließend in einen tiefen Schlaf überzugehen

und er wusste, dass das nicht einmal das Schlechteste war. Was auch immer der

Rotschopf getan hatte, es hatte ihn sehr erschöpft.

Es musste schon spät sein, denn die Pferde wurden ruhiger und er hörte kaum

noch Fußgetrappel auf dem Deck, da kam Soul zu ihm herunter. Sie wirkte immer

noch sehr krank und blass, zudem schwankte sie ein wenig, aber, immerhin hatte

sie sich waschen und umziehen können, sodass sie nun wieder ganz hübsch

anzusehen war.

»Nea hat mir erzählt, dass ihr hier unten seid«, flüsterte sie, um Sly nicht

zu wecken und kletterte zwischen den Holzbrettern hindurch.

»Geht es dir schon besser?«, fragte er leise, während sie sich zu ihm setzte

und sich an ihn lehnte.

»Es geht. Im Moment habe ich, glaube ich, einfach nichts mehr, was man

auswürgen könnte.« Sie seufzte und wirkte ausgesprochen unglücklich.

»Es sind nur noch ein paar Tage«, tröstete er sie, während er sie eng zu

sich zog und ihr einen Kuss auf das schwarze, von weißen Strähnen durchzogene

Haar gab.

»Ja… Nea hat übrigens eine Idee, was Cinder fehlen könnte.« Sie kicherte

und wirkte mit einem Mal ausgesprochen gut gelaunt.

»Ach ja? Doch nicht seekrank?« Neugier blitzte in seinen Augen, aber, er

drängelte sie nicht. Stattdessen legte er fest seine Arme um sie, damit er sie

so nahe an sich heranziehen konnte, wie es ging.

»Doch, auch. Ich meinte aber wegen ihrer schlechten Laune und, dass es ihr so

viel schlechter geht, als mir«, erklärte Soul lächelnd und schaute zu ihm

auf.

»Und? Was meint Nea zu wissen?« Ice ließ sich nach hinten fallen und zog Soul

so zu sich, dass sie eigentlich schon auf ihm drauf lag.

»Oh, etwas sehr Interessantes.« Sie lächelte und küsste ihn, während er

seine Arme um sie herum legte und sein Gesicht in ihrem Haar, an ihrem Hals,

vergrub.

»Erzähl es mir später«, flüsterte er und küsste ihren Hals.

»Gut, aber… was tust du da?«, erkundigte sie sich und schaute ihn fragend

an. Er war im ersten Moment so verdutzt über ihre Frage, dass er sie aus

großen Augen anblinzelte. Dann seufzte er und ließ die Hände an ihrer Seite

hinab auf die Decken gleiten.

»Ach, nichts«, brummte er unwillig und auch ein wenig enttäuscht.

»Okay…?« Sie fragte zwar nicht direkt, aber er hörte die Frage sehr

deutlich in ihrer Stimme und sah sie in ihren Augen, doch er antwortete nicht.

»Bleibst du die Nacht hier?«, fragte er leise.

»Ja, ich denke schon«, lächelte sie und rutschte von ihm runter, um sich an

seine Seite zu kuscheln.

»Gut. Dann erzähl mir mal, was Nea sich überlegt hat«, seufzte er.

»Also«, kicherte Soul. »Es ist so…«

Krankheit

»Wie geht es ihm?« Nea schloss leise die Tür hinter sich, nachdem sie in das Zimmer geschlüpft war.

»Nicht besser. Er hat hohes Fieber und es scheint ihm auch sonst nicht gerade gut zu gehen.« Gerötete, geschwollene Augen in einem blassen Gesicht, umrahmt von struppigem, stumpfem, aschgrauem Haar. Cinder schien es fast so schlecht zu gehen, wie Sly, der schwitzend und unruhig im Bett lag.

Nea trat zu ihnen und setzte sich auf die Bettkante. Sie schaute traurig und nachdenklich auf ihren großen Bruder hinab. Keiner von ihnen war ein Heiler und bisher hatten sie keinen auftreiben können, deswegen wussten sie nach wie vor nicht, was ihm genau fehlte.

Doch war es anfangs wohl eine Art Zauber gewesen, die ihn so sehr schwächte, dass er ohnmächtig geworden war, schien es jetzt seine Hand zu sein, die sich außergewöhnlich stark entzündet hatte. Sie war dick angeschwollen, statt zu heilen nässte sie und brach immer wieder auf, um dann heftig zu bluten. Zudem hatte Sly hohes Fieber, das ihn abwechselnd mit Schwitzattacken und Schüttelfrost malträtierte.

Wie Nea ihn da so liegen sah hatte sie kaum noch die Hoffnung, dass es ihrem Bruder jemals wieder besser gehen würde. Allerdings hatte sie nicht vor, das Cinder zu sagen. Stattdessen lächelte sie aufmunternd und strich ihr über die blassen Hände.

»Ice kümmert sich darum, dass bald jemand kommt und ihn untersucht«, lächelte sie mit möglichst zuversichtlich klingender Stimme.

»Aber wie will er das tun? Er ist hier doch genauso fremd, wie wir.« Cinder legte sich flach auf das Bett. Dabei rannen schon wieder Tränen über ihre Wangen.

»Vertrau ihm. Es wird alles wieder gut.« Nea ging um das Bett herum und nahm die andere junge Frau, die nun laut und heftig schluchzte, in den Arm.

»Wie kannst du dir da so sicher sein? Ich hätte niemals mit euch kommen sollen. Ich hätte bei River und meinem Rudel bleiben sollen«, weinte die bitterlich und drängte sich eng an die Freundin.

»Nein, sag das nicht. Denk lieber an die schöne Zeit, die noch kommt, wenn dieser Krieg erst einmal vorbei ist. Sly wird es schaffen, er hat schon Schlimmeres überlebt«, flüsterte Nea und das war nicht einmal gelogen.

Sie war damals noch nicht geboren, aber sie wusste, dass Sly, als er noch ein kleiner Junge gewesen war, einmal vom Zaubererturm in Altena gefallen war. Zwar nicht von ganz oben, aber doch so, dass er es eigentlich nicht hätte überleben dürfen. Er hätte eigentlich mit zerschmettertem Körper am Boden liegen bleiben müssen, doch war er bei Bewusstsein gewesen. Er hatte unzählige gebrochene Knochen gehabt, aber, er lebte und das war so viel mehr, als jeder erwartet hatte, dass es als besserer Kratzer gewertet wurde.

Doch Nea wusste, dass diese Geschichte Cinder wohl nicht gerade aufheitern würde. So hielt sie die junge Frau einfach nur fest im Arm und versuchte irgendwie sie zu trösten. Allerdings hatte sie nicht gerade das Gefühl, dass ihr Cinder wirklich zuhörte. Es verging eine Weile, dann klopfte es sacht an der Tür. Ohne auf ein »Herein« zu warten, schlüpfte Soul herein und setzte sich wortlos zu ihnen.

»Ist Ice wieder da?«, fragte Nea leise.

»Ja, aber er hat nichts gesagt und er wirkt auch nicht gerade zufrieden. Er starrt so seltsam vor sich hin, als wenn er angestrengt über etwas nachdenkt…« Soul wirkte deprimiert.

»Also hat er keinen Heiler auftreiben können.« Nea biss sich auf die Unterlippe.

Keiner wusste, wie lange Sly auf diese Weise noch durchhalten würde. Aber diese Stadt war einfach viel zu klein um eine wirkliche Chance auf jemanden zu haben, der etwas von seinem Handwerk verstand, das hatte Ice ihnen schon vermittelt. Und weiterreisen konnten sie auch nicht.

Es war hoffnungslos. Sie musste sich zusammenreißen, um sich nicht Cinder anzuschließen und ebenfalls zu weinen zu beginnen. Sie biss sich auf die Lippen und stand auf. Langsam verließ sie den Raum und überließ es Soul, ihre Schwester zu trösten.

Sie ging die Treppe hinab und kam in den Schankraum, der, wie eigentlich alles was zum Haus gehörte, aus Lehm bestand. In einer Ecke sah sie Ice sitzen und aus einem tönernen Becher einen schweren Wein trinken. Sie setzte sich zu ihm, nahm ihm den Becher aus der Hand, nur um den Inhalt selbst hinab zu stürzen.

»Wie geht es Sly?«, fragte Ice und schenkte ihr aus einem Tonkrug nach.

»Nicht gut, mehr weiß ich nicht. Ich kann es nicht beurteilen, ich bin keine Heilerin«, antwortete sie, während Tränen in ihren Augen schimmerten. Sie stürzte einen weiteren Becher hinunter, dann nahm ihr Ice selbigen wieder ab.

»Trink davon nicht zu viel, dir bekommt das nicht ganz so gut«, bemerkte er, nur um sich selbst ein Glas einzugießen und daran zu nippen.

»Was soll ich denn sonst tun?«, fragte sie und eine Träne lief über ihre Wange.

»Warten, etwas anderes können wir nicht tun.« Er seufzte und schwenkte nachdenklich den Becher.

»Worauf? Dass er stirbt?«

»Nein. Ich habe… einen Reiter losgeschickt, und er wird mit einem sehr guten Heiler wiederkommen. Ich weiß nur nicht, wie lange das dauern wird.« Ice wirkte – obgleich der guten Nachrichten – nicht gerade glücklich.

»Du kennst dich hier sehr gut aus, kann das sein?«, fragte sie vorsichtig an.

Ice zögerte einen Moment, dann nickte er.

»Ich bin hier geboren und aufgewachsen. Aber wirklich glücklich war ich hier nicht. Ich hatte mir einmal geschworen, erst wieder hierher zu kommen, wenn ich mein Ziel erreicht habe, doch… eigentlich bin ich von diesem damaligen Ziel weiter entfernt denn je. Es stört mich aber nicht mehr, ich habe neue Ziele und die sind ungleich wichtiger.« Er lächelte sacht.

»Und deine neuen Ziele sind welche…?«

»Freunde haben, Soul heiraten, vielleicht auch irgendwann einmal eine Familie gründen. Einfach glücklich sein. In Frieden leben«, antwortete er und starrte in den roten Rebensaft.

»Das wirst du schaffen. Das werden wir alle schaffen, wenn dieser Krieg nur vorbei ist.« Sie zog die Füße auf den Stuhl und vergrub das Gesicht im Kleid.

Darauf sagte Ice nichts mehr. Er wusste, dass sie recht hatte, also schwieg er. Stattdessen beschloss er, dass es besser war, sich nicht allzu viele Gedanken zu machen, sondern einfach alles auf sich zukommen zu lassen.

Die nächsten Tage nahmen sie alle nicht wirklich bewusst wahr. Sie merkten kaum, wie die Sonne hinter dem Horizont verschwand und auch wieder auftauchte, denn die Sorge um Sly, dessen Atem immer flacher wurde, ließ sie kaum etwas um sich herum wahrnehmen.

Sie hatten zwar verschiedene Leute in der Umgebung, die sich immerhin teilweise auf Heilung verstanden, um Hilfe gebeten, doch keiner von ihnen wusste wirklich viel mehr, als sie selbst, so war es müßig. Sie konnten nur warten.

Bis etwa eine Woche später ein Mann den Schankraum betrat.

Ice und die drei Mädchen saßen gerade beisammen um schweren Herzens darüber nachzudenken, wie es weitergehen sollte. Es kamen so oft die verschiedensten Menschen hierher, dass sie ihn erst gar nicht beachteten. Erst als er langsam und zögernd auf sie zukam, hob Soul den Kopf und schaute ihn fragend an.

Als er fast direkt neben Ice stand, fragte er etwas in einer Sprache, die die Mädchen nicht verstanden. Nea erkannte zwar einige Worte, aber er sprach zu schnell, als dass sie etwas hätte verstehen können.

Ice dagegen lauschte aufmerksam, nickte dann und stand auf. Er antwortete ebenso schnell und umständlich, deutete dabei immer wieder auf die Treppe. Der Fremde nickte aufmerksam und ging dann zögernd in die Richtung.

»Wir sprechen uns später weiter«, erklärte er knapp und ging dann mit dem Fremden hinauf.

»Wer ist das?«, fragte Soul verwirrt und wollte schon aufstehen, um ihrem Verlobten zu folgen, doch Nea hielt sie zurück.

»Ich bin mir nicht sicher, aber ich meine das Wort Heiler verstanden zu haben«, erklärte sie.

»Und Ice hat zwei oder dreimal von Sly gesprochen«, nickte auch Cinder und wirkte zum ersten Mal seit den vergangenen Monaten erleichtert.

Ja, mit einem Mal wurde ihr bewusst, dass der Krieg schon drei Monate tobte. Niemals zuvor waren ihr drei Monate so unendlich lang vorgekommen. Aber vielleicht verging die Zeit auch viel langsamer, wenn man litt. Wie auch jetzt, wo sie darauf warteten, dass Ice zurückkam.

Und er kam zurück. Es dauerte nicht einmal lange, aber die kurze Zeitspanne war den drei jungen Frauen wie eine Ewigkeit vorgekommen.

»Wer ist das, Ice?«, fragte Soul als erste.

»Ein Heiler. Sogar ein sehr guter. Ich habe ihm eine Nachricht zukommen lassen und er sagt, dass er Sly vielleicht sogar helfen kann. Aber sicher ist er sich nicht, dazu ist er schon zu geschwächt.« Der Blauhaarige wirkte, wie tief in Gedanken.

»Woher kennst du ihn? Und woher weißt du, dass er gut ist?« Cinder hatte ein Flehen in den Augen, das mehr als alles andere deutlich machte, dass sie sich eigentlich nur selbst ablenken wollte.

»Er ist der Heiler des Kaisers, da sollte er etwas von seinem Fach verstehen.« Ein müdes Lächeln schlich sich auf das Gesicht.

»Was? Und dann kommt er auf deine Bitte her?« Nea war aufgesprungen und starrte Ice an.

»Nein, er ist hier, weil ich ihm das Geschehen geschildert habe. Er ist neugierig könnte man sagen.« Die Worte des Mannes waren einleuchtend.

»Aber das ist nicht alles, oder? Er hat etwas von einem Wachssiegel gesagt…«, bemerkte Nea.

»Nein, das ist nicht alles. Aber, dass ihr alles wisst ist auch nicht nötig. Es… ist nicht wichtig«, antwortete er. Darauf flüsterte Soul leise etwas, was nur Cinder verstand. Die nickte.

»Aber alles, was in deiner Vergangenheit war, macht dein Sein aus«, wiederholte sie sinngemäß das, was Sly zu ihr gesagt hatte, als er sich noch so sehr dagegen sträubte, sie zu lieben.

»Ja. Aber es ist dennoch nicht wichtig.« Ice begegnete ihrem Blick gerade heraus und ganz ruhig, sodass keiner ihm mehr zu widersprechen wagte.

Da kam der Fremde langsam die Treppe wieder hinab. Ice stand auf und trat ihm entgegen. Sie sprachen eine Weile leise miteinander, dann nickte der Blauhaarige erleichtert. Er sagte noch etwas und deutete dabei ein paar Mal die Treppe hinauf, während sein Gegenüber mehrfach nickte und entsprechend zu antworten schien. Dann winkte er den jungen Frauen und ging die Treppe hinauf. Den Heiler ließ er einfach stehen.

»Was hat er gesagt?«, fragte Cinder mit großen Augen, in denen schon wieder die Tränen schimmerten, doch Ice antwortete nicht gleich, sondern betrat das Zimmer, in dem Sly lag.

»Er sagte, dass Sly gute Chancen hätte, wieder ganz gesund zu werden«, lächelte er, als auch die Mädchen im Raum standen. Dann setzte er sich zu Sly und nahm seine Hand, die mit einem weißen Verband dick verbunden war. Auf der Bettdecke und dem Laken dagegen war überall frisches Blut.

»Was hat er getan?«, fauchte Cinder, als sie das sah. Man meinte zu sehen, wie sich ihre Haare sträubten.

»Er hat die Wunde noch einmal geöffnet, damit sie besser heilen kann. Es… hört sich seltsam an, aber er weiß, was er tut«, antwortete Ice nachdenklich, während er das Blut betrachtete.

»Ich hoffe es. Wenn er irgendetwas gemacht hat, dass es Sly schlechter geht, dann reiß ich ihm die Kehle heraus«, knurrte sie, ging um das Bett herum, um sich auf der anderen Seite niederzusetzen.

»Das wird nicht nötig sein. Er hat mir gesagt, was er getan hat und er konnte sehr gut erklären, warum er was tut. Außerdem hat er keinen Grund, einem Fremden zu schaden«, bemerkte er.

»Mir ist egal, was er getan hat, solange Hope wieder gesund wird«, bemerkte Nea.

»Das wird er, keine Sorge. Der Heiler weiß nicht, wann er aufwacht, aber ich denke, dass es besser ist, wenn dann jemand hier ist. Cinder, magst du als Erste bei ihm bleiben?«, fragte er und sogleich nickte die junge Frau dankbar.

Den Rest komplementierte der Blauhaarige wieder nach draußen, denn sie wollten den Rotschopf nicht stören und auch die junge Frau an seiner Seite wirkte, als könnte sie etwas Ruhe gut vertragen.

Ice erklärte eben seiner Verlobten und Nea, was genau der Heiler getan hatte, da hörten sie, wie mehrere Männer den Schankraum betraten und dabei nicht gerade leise und zimperlich vorgingen.

Mit gerunzelter Stirn kamen sie die Treppe hinab, nur um zu sehen, wie der Anführer der Männer den Wirt angrunzte, der schnell und in einem unterwürfigem Ton sprach. Dabei deutete er immer wieder auf die Treppe. Das ging solange, bis auch der Heiler etwas sagte. Da schien der Hauptmann die drei zu bemerken und kam langsam auf sie zu.

»Sind sie das?«, fragte er mit stark gebrochenem Dialekt, jedoch in jener Sprache, die auf der ganzen Welt in allen Reichen gesprochen wurde.

Der Heiler nickte und fügte etwas Unverständliches hinzu.

»Gut. Dann bist du festgenommen, junger Mann«, erklärte der Hauptmann und griff nach Ice, doch der wich einige Schritte zurück.

»Was wirft man mir vor?«, wollte er wissen, stellte sich dabei unbewusst schützend vor Soul.

»Verrat am Kaiserreich von Navarre* und Mord am Prinzen von Navarre«, grunzte der Hauptmann.

»Wieso?« Ice warf einen schnellen Blick auf den Heiler und sogleich sah Nea in seinen Augen, dass er ganz genau wusste, wie der Kerl auf diese Idee kam.

»Euer Brief mit dem kaiserlichen Siegel von Navarre hat euch verraten. Der einzige Ring, der dieses Wappen auf diese Art und Weise zeigt, ist der des Prinzen. Und entweder habt ihr ihn geschenkt bekommen, gestohlen oder dafür gemordet. Aber was es auch ist, der Kaiser selbst will euch sehen«, erklärte der Heiler in der Weltssprache. Auch er sprach diese Sprache nur gebrochen, doch besser als der Hauptmann.

»Habe ich eine Wahl, ob ich euch freiwillig begleite?« Wäre diese Situation nicht so bitterernst gewesen, hätten Soul und Nea angesichts dieser Frage wohl gelacht. So jedoch schauten sie Ice nur erstaunt an.

»Nein«, grunzte der Hauptmann. »Entweder du kommst freiwillig mit, oder wir zwingen dich.«

Ice warf einen schnellen Blick über die Schulter ins obere Stockwerk und schaute dann Nea und Soul an.

»Deine Freunde nehmen wir natürlich auch mit. Ich werde mich auch darum kümmern, dass dem Rothaarigen nichts geschieht, hab keine Angst«, lächelte der Heiler beruhigend, als hätte er die Gedanken des Blauhaarigen gelesen.

»Wenn ihr meint, dass Sly so eine Reise schafft…« Ice seufzte. »Gut, gehen wir.«

Und sie gingen. Danach hatte Nea keine Gelegenheit mehr mit Ice zu reden. Obwohl ihr nun so unendlich viele Fragen auf der Zunge brannten, musste sie dennoch mit der Ungewissheit auskommen. Sie glaubte nicht, dass Ice ein Mörder war, aber das bedeutete eigentlich nur, dass er auf viel abenteuerlichere Weise an den Ring mit dem Kaiserwappen gelangt war. Nur wie? Und wieso?
 


 


 

*Navarre ist, wie auch Altena, nicht nur ein Reich aus dem Spiel »Seiken Densetsu«, sondern auch Städte (kennt man ja, viele Städte, trotzdem der gleiche Name ^^ wie bei Springfield aus den Simpsons, Städte mit dem Namen gibt es mehrere^^), in den USA und in Australien :D Sie existiert somit wirklich (wie Altena, aber Altena liegt in Deutschland^^), allerdings natürlich nicht in dieser Form ^^

Wiedersehen

Lugh Akhtar stand am Bug und blickte mit einem Lächeln auf das neue Land, das vor ihm lag. Es war das Kaiserreich Kaleda und auch das Zauberreich von Navarre. Anders als bei Altena, bildeten das Kaiserreich und das Zauberreich eine einzige Front, die von einer Familie regiert wurde. Der Kaiser des Reiches war ein Zauberer. In Altena dagegen stand es außerhalb jeder Diskussion, dass das Zauberreich von einer anderen Familie regiert wurde, als das Imperium. Dies war keine Maßnahme der Fairness, sondern lag einfach dem zu Grunde, dass die Zauberer in den meisten Fällen schlicht kein Interesse daran hatten, sich in die Geschicke der Menschen einzumischen.

In anderen Teilen der Welt war es anders. Während im Osten das System ähnlich aufgebaut war, wie das von Altena, war der Westen dadurch geprägt, dass es unzählige Kleinreiche gab, die entweder bloß der Magie zuträglich waren oder aber nur von gewöhnlichen Menschen bewohnt wurden.

Doch das alles interessierte Lugh Akhtar in diesem Moment herzlich wenig, denn dies sollte nun das erste Mal sein, dass er das Zauberreich von Altena verließ. Auch das Gebiet innerhalb der Mauer gehörte irgendwie noch dazu, doch sobald er nun den ersten Schritt vom Schiff tat, war er in Navarre. Und er freute sich darauf. Er war neugierig auf diese so andere Welt.

Für einen Moment spielte er mit dem Gedanken, einfach als Gerfalke die restliche Strecke zu fliegen, doch entschied er sich mit einem Lächeln dafür, doch lieber als Mensch von Bord zu gehen. Er würde durch die Hafenstadt schlendern und sich dann in aller Ruhe auf den Weg nach Navarre machen.

Er hatte ein viel schnelleres Schiff genommen, als seine Freunde und er wusste, dass er auch sehr viel näher an Navarre angelegt hatte, sodass er seine Freunde vielleicht nicht nur einholen konnte sondern vielleicht sogar vor ihnen in der Zaubererstadt war. Aber nur, wenn er sich beeilte, und das wollte er nicht. Stattdessen freute er sich wie ein kleines Kind.

Es war früher Nachmittag, als sie letzten Endes anlegten. Ungeduldig wie er war, war er einer der Ersten, die von Bord gingen. Er rief den Matrosen noch ein paar Abschiedsworte zu, dann tänzelte er gut gelaunt in Richtung Häuser davon. Er wusste, dass hier nicht allzu viel zu sehen sein würde, denn die Hafenstädte hatten im Allgemeinen kein großes Zentrum, aber er hoffte auf eine Art Markt zu stoßen, denn nach Wochen, in denen es nur gepökeltes oder getrocknetes Fleisch oder Fisch gegeben hatte, brauchte er nun unbedingt wieder etwas anderes.

Und er wurde schnell fündig, denn direkt am Kai entlang hatten mehrere Händler ihre Zelte aufgeschlagen. Er kaufte ein paar Datteln, die er gut gelaunt aß, während er sich die seltsame Architektur der Hafenstadt anschaute. Sie war anders als die von Altena, denn alle Häuser hier bestanden aus Lehm. Doch mit einem Mal überkam ihn ein seltsames Gefühl. Er schaute sich suchend um, doch sah er eigentlich nichts, was diese seltsame Nervosität, die sich seiner plötzlich ermächtigte, erklärt hätte.

So zog er sich langsam in eine Seitengasse zurück und beobachtete das Geschehen von außen, um nicht selbst als Zielscheibe aufzufallen. Doch alles blieb still, es schien, als hätte er es sich bloß eingebildet. Doch er wusste, dass dort irgendetwas gewesen war.

Er trat zögernd wieder aus der Gasse hinaus, schaute sich noch einmal prüfend um, dann setzte er seinen Weg fort und suchte eine Wirtschaft, in der er die Nacht verbringen konnte. Dabei achtete er genau darauf, ob er verfolgt wurde. Solange er nicht wusste, was ihn so verunsichert hatte, blieb er lieber vorsichtig.

Doch für den Rest des Tages und auch die komplette Nacht über geschah nichts weiter auffälliges, sodass er schon an sich selbst zweifelte. Am nächsten Morgen beschloss er, doch nicht länger hier zu verweilen sondern brach gleich gen Navarre auf. Er wusste, dass die Stadt nicht leicht zu erreichen war, denn sie lag inmitten einer großen Wüste, und die zu durchqueren war als Fremder nahezu unmöglich. Es war viel zu gefährlich, er konnte sich nur zu leicht verlaufen und er kannte die Gesetze der Wüste nicht. Er wusste einfach nicht, wie er sich in welcher Situation verhalten sollte.

So sprach er am nächsten Morgen lange mit dem Wirt, der ihm den Rat gab, in den Westen der Stadt zu gehen und sich dort einer Karawane anzuschließen. Allerdings müsse er gut auf sein Hab und Gut aufpassen und auch nicht mit jedem reisen, denn viele nutzten die Unwissenheit von Fremden nur zu gerne aus.

Darauf lachte Lugh Akhtar, zahlte seine Zeche und folgte dem Rat. Er fand das Karawanenlager schnell, denn jene Tiere, die dort lagerten, hatte er niemals zuvor gesehen. Erstaunt betrachtete er sie, streichelte sogar einmal kurz über das raue Fell, bevor er jemanden suchte, der als Anführer fungierte.

Er fand ihn schnell und er wusste sogleich, dass es einer jener Männer war, vor denen der Wirt ihn gewarnt hatte, das machten die kleinen, verschlagenen Augen und die geduckte Körperhaltung sehr deutlich. Doch seine war die einzige Karawane, die zurzeit im Ort rastete und niemand wusste, wann die Nächste kam.

»Dann stimmst du also zu?«, fragte der.

»Ja. Zehn jetzt, zwanzig wenn wir dort sind«, nickte Lugh Akhtar.

»Schön. Dann verrate mir doch einmal, wie du heißt. Was willst du überhaupt in Navarre?« Ganz unverhohlen horchte der Mann ihn aus. Lugh Akhtar lächelte kühl, bevor er antwortete.

»Mein Name ist Fjodor, ich bin ein Zauberer aus Altena. Ich bin im Auftrag des Königs von Lanta unterwegs, er ist ein Freund von mir«, erklärte er und beobachtete dabei zufrieden, wie es hinter der Stirn seines Gegenübers sichtbar zu rattern begann.

»Beweis mir, dass du ein Zauberer bist. Ich will keine Lügner und so etwas behaupten kann nun wirklich jeder«, erklärte er schließlich. Immer noch mit demselben kühlen Lächeln auf den Lippen ließ Lugh Akhtar eine kleine Flamme auf seiner Handfläche erscheinen. Er ließ sie zu einem Ball werden und wieder verschwinden. Er wusste, dass dieser kleine Trick, den selbst ein Lehrlingsanfänger schon konnte, als Beweis vollkommen ausreichte.

So auch dieses Mal. Der Anführer nickte unwillig und ging davon. Nur wenige Stunden später brachen sie auf. Die Reise dauerte etwa eine Woche und sie verlief so ereignislos, dass Lugh Akhtar sich schon fast langweilte. In Navarre angelangt zahlte er die restlichen Silberlinge und verließ die Gruppe, um sich durch die verwirrenden Gänge zum Palast durchzuschlängeln.

Es dauerte eine Weile, bis er den Weg gefunden hatte, denn Navarre war sogar noch ungleich größer, als es Altena oder Lanta waren, doch nach unzähligen Malen, in denen er nach dem Weg fragen musste, stand er letzten Endes vor den Wachen, die das Haupttor vor ungebetenen Besuchern bewachten.

»Guten Tag. Ich bin Lugh Akhtar aus Forea, ich habe einen Brief an den Kaiser«, erklärte er, als er sich den Wachen entgegen stellte.

»Dann gib ihn her, wir leiten ihn dann weiter«, antwortete einer der Männer schlecht gelaunt.

»Das geht nicht. Er ist von König Fjodor von Lanta und ich habe die Anweisung, ihn nur dem Kaiser selbst auszuhändigen«, erklärte Lugh Akhtar und log damit noch nicht einmal.

»Natürlich, Post vom Kinderkönig«, spottete der andere Mann. »Und das sollen wir dir glauben?«

»Kinderkönig?«, fragte der junge Zauberer stattdessen verwirrt. »Nennt ihr Fjodor so?«

»Natürlich, das ist ja immerhin. Er ist ein Kind, aber trotzdem ein König. Und wir kennen seine Boten.«

»Ich bin auch kein Bote, ich bin ein Freund von ihm. Deswegen habe ich ihm den Gefallen getan und überbringe seine Post, wenn ich sowieso schon aus… politischen Gründen hierher kommen muss«, erklärte Lugh Akhtar, schüttelte dann aber den Kopf. »Das ist jetzt aber eigentlich egal, ich muss sowieso mit dem Kaiser sprechen. Ich habe Informationen für ihn, bezüglich des Krieges, den Altena begonnen hat.«

»Sicher, und ich bin der namenlose Zauberer.« Die Ironie in der Stimme der Wache war mehr als nur überdeutlich. Nun musste Lugh Akhtar jedoch grinsen.

»Nein, das denke ich nicht, das bin nämlich ich.«

Daraufhin lachten ihn die Männer aus. Ganz unverblümt und laut lachten sie, hielten sich die Bäuche und wischten Lachtränen aus dem Augenwinkel.

»Los, mach weiter, so lustige Personen waren schon lange nicht mehr hier«, grinste einer der beiden.

»Gerne«, lächelte der junge Zauberer. »Ich bin außerdem noch der Mensch-Schüler von Nikolai. Und der Sohn des Winters.«

Abermals folgten ungeahnte Heiterkeitsausbrüche auf Lugh Akhtars wahre Worte.

»Ich glaube, er denkt, wenn er uns nur allzu lang lachen lässt, dann kann er einfach an uns vorbei«, mutmaßte einer der Männer kichernd.

»Wäre möglich«, antwortete der andere gackernd.

»Ich kann auch so an euch vorbei, ihr könntet mich nicht aufhalten, wenn ich wirklich vorbei wollte.«

»Natürlich. Aber jetzt ist langsam mal schluss, du Komiker. Verschwinde, oder wir machen dir Beine.« Mit einem Schlag war die ganze Heiterkeit vorbei.

»Die habe ich bereits.« Auch nach diesem, mehr als flachen, Witz lächelte Lugh Akhtar nach wie vor und völlig unbeirrbar weiter vor sich hin.

»Junge, es reicht. Deine dummen Sprüche kannst du sonst wem vortragen. Jetzt verschwinde oder wir sorgen dafür, dass du es tust!«

»Okay«, antwortete Lugh Akhtar und mit einem Lächeln und einer theatralischen Drehung um sich selbst verschwand er ins Nichts.

Der Blick der darauf von den Wachen folgte war so ungläubig, dass nun er es war, der laut auflachen musste. Hinter ihnen. Erstaunt schauten sie von der Stelle, von der er verschwunden war über die Schulter zu ihm hin.

»Wie…?«, begann der eine mit großen Augen.

»Du sagtest, dass ich verschwinden soll, du hast nie gesagt, wohin und für wie lange«, lächelte Lugh Akhtar und genoss das Erstaunen über diesen billigen Trick. Er hatte ihn einmal von Nea gelernt, er stammte aus ihrer Zeit, als sie noch als eine Art Gauklerin durch die Lande zog, um mit besseren Jahrmarkttricks ein wenig Geld zu verdienen. Er hatte mit Magie nicht viel zu tun, aber auch das Auge eines Zauberers ließ sich nur allzu leicht täuschen, wenn man nur wusste, wie man es anstellen musste.

»Wer bist du wirklich…?«, hauchte der andere Mann erstaunt. Offensichtlich hatte auch er nicht erkannt, dass selbst ein Anfänger diesen Trick nutzen konnte, besaß er nur genug Feingefühl. Sie schienen zu denken, dass er mächtige Magie gewirkt hatte, und das erstaunte ihn ein wenig, aber wirklich stören tat er sich nicht daran.

»Ich bin der Stadtzauberer von Forea und mein Name ist Lugh Akhtar. Und ich bin im Auftrag des jungen Königs unterwegs«, wiederholte er mit zufriedenem Lächeln.

»Dann komm mit, ich werde dich dem König anmelden«, antwortete jener Mann, der überwiegend gesprochen hatte. Fast schon ehrfürchtig schlich er an ihm vorbei und deutete, ihm zu folgen.

Gemeinsam durchquerten sie den Hof und betraten das Schloss, wo die Wache ihn an einen Mann weitergab, der eine wichtigere Position innezuhaben schien. Hier musste Lugh Akhtar noch einmal sein Verlangen vortragen, um dann angewiesen zu werden, hier zu warten. Der Kaiser befinde sich in einer wichtigen Verhörung mit jenem Mann, der seinen Sohn ermordet habe, aber er würde ihm dennoch Bescheid geben.

So schaute Lugh Akhtar dem Fremden erstaunt nach. Der Kaiser hatte einen Erben? Nikolai hatte nie von solch einem erzählt und auch sonst niemand, in keinem Buch oder Bericht wurde es erwähnt. So war er davon ausgegangen, dass das Kaiserreich noch keinen Thronfolger hatte. Dass dieser nun einem Gewaltverbrechen zum Opfer gefallen sein sollte erstaunte ihn.

Doch sein Erstaunen sollte noch viel größer werden. Er rechnete damit, dass es länger dauern würde, bis man ihn zum Kaiser vor ließ, also schaute er sich neugierig in der Eingangshalle um.

»Lugh Akhtar…?«, fragte plötzlich eine erstaunte Stimme, als er gerade damit beschäftigt war, ein paar Bilder zu betrachten.

Mit einem unbeschreiblichen Glücksgefühl im Bauch, denn er wusste, wer ihn dort ansprach, wandte er sich um. Und er hatte die Stimme recht erkannt, es war Nea, die, mit vor Staunen großen Augen in der Tür zu einem Seitengang stand, und ihn fragend anschaute.

»Nea!«, rief er und war mit wenigen schnellen Schritten bei ihr, um sie heftig an sich zu drücken. »Was tust du hier?«

»Oh, Lugh Akhtar…! Das ist eine so lange Geschichte…« Mit einem Mal wirkte sie seltsam niedergeschlagen und so gar nicht glücklich.

»Was ist passiert?«, fragte er sogleich scharf.

»Es ist alles so… nun, wir sind nach Süden gereist und dann…« Nea erzählte ihm die ganze Geschichte und ließ nichts aus. Der Mann, der ihn beim Kaiser ankündigte kam zwischendurch einmal zurück, doch sie beide ignorierten ihn völlig, Nea erzählte einfach weiter. Bis sie eben in der Gegenwart angelangt war. Danach herrschte erschrockenes Schweigen.

»Ice ist des Mordes angeklagt und Sly hat sich fast eine Blutvergiftung eingeholt?« Er seufzte. »Eigentlich hätte mir klar sein müssen, dass man die beiden nicht alleine lassen darf… Wie sie so alt werden konnten ist mir bis heute ein Rätsel…«

Da lächelte Nea ein wenig und nickte zustimmend.

»Aber Sly geht es jetzt besser?«, hakte er nach.

»Da… er und Cinder sich schon wieder anschreien wohl schon.« Sie nickte niedergeschlagen.

»Hat sie ihm etwa immer noch nicht verziehen?«

»Ich weiß es nicht. Als er so krank war, saß sie Tag und Nacht weinend an seinem Bett, aber kaum ging es ihm besser, da hat sie nur noch gewütet. Ich habe eine Vermutung, was es sein könnte, aber… na ja, ich bin mir nicht sicher.« Nea seufzte, deutete dann in den Gang zurück. »Sie werden sich bestimmt freuen, dich zu sehen. Vielleicht beruhigt sich Cinder ja dann wieder und vielleicht kannst du auch herausfinden, was Sly genau getan hat und ihm helfen. Denn gegen den Zauber, der immer noch ein wenig an ihm zu fressen scheint, kann der Heiler nichts tun.«

»Ja, lass uns zu ihnen gehen.« Lugh Akhtar wandte sich zuvor aber noch an den Fremden, der ihn beim Kaiser angekündigt hatte, und der nun schmollend in einer Ecke Staub wischte. »Was hat der Kaiser gesagt?«

»Dass ich Euch zu denen dort-«, er deutete auf Nea, »bringen soll. Ihr seid morgen zum Frühstück an der Kaisertafel eingeladen, aber heute hat er keine Zeit für euch.«

»Gut.« Er deutete Nea vorzugehen und folgte ihr. Dabei konnte er nicht aufhören zu lächeln. Er hatte kaum gemerkt, wie schmerzlich er sie vermisst hatte, erst jetzt, wo er endlich wieder bei ihr war, da merkte er es. Er folgte ihr durch die Vielzahl verschiedenster Gänge und freute sich in der ganzen Zeit einfach nur daran, mit seinen Augen ihren Bewegungen zu folgen. Deswegen merkte er auch gar nicht, wie sie ankamen und den Raum betraten.

Erst als Soul sich mit einem spitzen Schrei an seinen Hals warf und plötzlich die lauten Stimmen von Sly und Cinder verstummten, da realisierte er sie.

»Hallo Leute«, begrüßte er seine Schwestern und seinen Freund lächelnd.

»Lugh, da bist du ja wieder!«, rief Sly erfreut. Er war sehr blass und dunkle Ringe unter seinen Augen ließen erkennen, dass er eine wirklich schwere Krankheit hinter sich hatte, doch das schwache Lächeln und die Stimme ließen erkennen, dass er dennoch auf dem Weg der Besserung war.

Darauf folgte nun ein Stimmengewirr, in dem er gar nichts verstand. Er lächelte einfach nur hilflos und nickte immerzu. Irgendwann jedoch hatten sie sich wieder beruhigt und nach einer Aufforderung von Soul zog er lächelnd die Wolfsfiguren aus seiner Tasche. Jene, die die Gestalt Kanoas hatte, gab er mit einem Lächeln an Soul, die andere an Nea, die beide voller Erstaunen darauf schauten.

»Was ist das?«, fragte Cinder neugierig.

»Die hat Kanoa für mich gemacht, als ich noch klein war. Sie waren meine liebsten Spielzeuge. Und sie sind schon mehr als fünfzehn Jahre alt«, lächelte er und begann dann zu erzählen, was er erlebt hatte. Alle vier lauschten ihm aufmerksam und voller Staunen. Bis er in der Gegenwart endete.

»Was steht in dem Brief?«, fragte Soul neugierig.

»Ich weiß es nicht, ich habe ihn noch nicht geöffnet«, antwortete Lugh Akhtar und zog den schwarzen Umschlag hervor. Er schaute darauf, zog dann ein Messer hervor und schlitzte ihn oben auf. Daraus hervor zog er mehrere Seiten nachtschwarzen Papiers. Er schlug sie auseinander um dann verwundert zu stutzen. Er drehte es um, hielt es gegen das Licht, betrachtete jede Seite eingehend um dann verwundert mit den Schultern zu zucken.

»Sie sind leer«, erklärte er.

»Leer?«, fragte Soul verwundert und nahm ihm das Papier ab. Auch sie betrachtete die Seiten eingehend, aber auch sie konnte nichts darauf erkennen.

»Was bedeutet das?«, fragte Cinder unbehaglich.

»Entweder, dass wirklich nichts auf ihnen steht, oder aber, dass ihr die Falschen seid. Das dieser Brief nicht für euch ist«, antwortete Sly, der den Brief zwar in die Hand nahm, aber nur einmal einen schnellen Blick darauf warf, ihn dann an Cinder weiter gab.

»Also könnte ich es gar nicht sein? Warum… hat er ihn mir dann gegeben?«, wunderte sich Lugh Akhtar.

»Vielleicht sollst du ihn der Person bringen, für den er wirklich ist«, überlegte Sly.

»Aber… wer könnte das nur sein…?« Der junge Zauberer versuchte sich seine tiefe Enttäuschung nicht anmerken zu lassen. Er wusste noch zu genau, was Kanoa gesagt hatte. »Er ist für den Menschen, der mir im Leben am wichtigsten war.«. Also war das nicht er.

»Ich weiß es nicht. Das weiß außer Kanoa wohl niemand.« Sly schien es nicht weiter zu kümmern.

»Und der lächelte nur zufrieden«, bemerkte Soul bitter. Natürlich, ja. Sie konnte die Schutzgeister sehen. Das vergaß Lugh Akhtar immer wieder.

»Also wird der uns wohl nicht weiterhelfen«, überlegte Nea.

»Er nickt bestätigend. Also wohl nicht.« Soul seufzte.

»Egal. Dann bleibt es wohl für eine Weile ungelöst. Ist auch egal, es gibt wichtigere Dinge«, fand Lugh Akhtar und wandte sich direkt an Sly. »Du erklärst mir jetzt mal ganz genau, was du getan hast…«

Frühstück mit dem Kaiser

»Und ein Kaiser ist noch mächtiger, als ein König?«, hakte Soul noch einmal nach, während ihr Nea ihre Haare zu einem komplizierten Knoten hochsteckte.

»Ja, irgendwie. Ich weiß von Tariq, dass er dem Kaiser und seinem Sohn einmal begegnet ist. Nach diesem Treffen hat er irrsinnigen Ärger bekommen, weil er den Kaiser eben so behandelte, als wäre er ein König. Es ist… irgendwie seltsam. Im Prinzip ist es lediglich ein anderes Wort, ein Menschenkaiser hat auch nicht mehr Macht, als es der König von Lanta hat, aber dennoch ist der Kaiser höher gestellt.« Lugh Akhtar schüttelte verwirrt den Kopf, doch statt darüber weiter nachzudenken, zog er einmal hart an Cinders Haaren, denn die konnte partout nicht still sitzen und ging ihm mit dieser Unruhe gehörig auf den Keks. »Wenn du musst, dann sag es, ansonsten bleib still.«

Sie fuhr so schnell herum, dass er erschrocken zurückprallte.

»Wage es noch einmal, in so einem Ton mit mir zu sprechen, und ich beiß dir die Kehle durch«, grollte sie.

»Beruhige dich wieder, lass ihn lieber weitermachen, ansonsten kommen wir nie rechtzeitig zum Frühstück«, beschwichtigte Soul die Schwester und lächelte.

»Und wenn schon, was will er tun?«, spottete die, doch ließ sie Lugh Akhtar dennoch weiter ihre langen Haare flechten. Zumal ein Teil wieder aufgegangen war.

»So, du bist gleich fertig, Soul«, lächelte Nea und ging um die junge Frau herum. Sie kniete sich vor ihr hin, um geschickt auch die letzten widerspenstigen Haare verschwinden zu lassen. Danach ging sie zu Lugh Akhtar und flocht Cinders Haare zu Ende, um damit zwei einfache Zöpfe zu beider Seiten ihres Kopfes zu frisieren. Es sah niedlich aus, wie die beiden geflochtenen Kreise um ihre Ohren herumhingen. Es unterstrich ihre Kindlichkeit.

»Gut.« Zufrieden betrachtete sie die Schwester, nur um sich selbst dann bloß geschickt die Haare einzudrehen und den letzten Rest mit einer einfachen Haarspange an ihrem Hinterkopf zu befestigen. Ihre Frisur wirkte im Vergleich zu denen der Schwestern fast schon armselig, doch stand es ihr so ausgezeichnet, dass die Einfachheit ihr hübsches Gesicht eher noch unterstrich.

»Wenn ihr fertig seid, dann können wir gehen.« Sly war in der Tür erschienen. Er lehnte sich schwer gegen den Rahmen. Er sah noch alles andere als gesund aus, aber immerhin konnte er aus eigener Kraft stehen und laufen. Wenn man ihm genug Zeit gab, damit er ab und an ausruhen konnte, hieß das.

»Ich finde immer noch, dass du ins Bett gehörst, Hope«, bemerkte Nea und wirkte so gar nicht glücklich über sein Erscheinen. Aber sie sagte nichts mehr dazu.

»Nein. Es ist meine Schuld, dass Ice nun in Schwierigkeiten ist. Also will ich wissen, was nun mit ihm geschieht, und Gnade ihm Gott, sollte es mir nicht gefallen«, knurrte Sly böse. Damit wandte er sich ab und ging schon einmal vor. Er wusste nur zu gut, dass ihn die anderen ohne Probleme einholen würden.

»Es war aber auch Ice’ Schuld, dass es ihm so schlecht ging, also finde ich eigentlich, dass sie quitt sind«, bemerkte Soul und stand auf.

»Irgendwie schon, aber das interessiert ihn nicht«, seufzte Nea und strich noch einmal glättend über ihren Rock, bevor sie zur Tür ging.

»Besser so, als wenn ihm das Schicksal seines Freundes völlig egal wäre, oder?«, überlegte Lugh Akhtar und half Cinder beim aufstehen.

»Stimmt auch wieder«, nickte Nea und öffnete die Tür. Gemeinsam liefen sie durch die verwirrenden Gänge des Gebäudes und holten dabei Sly tatsächlich ohne Probleme ein. Gemeinsam kamen sie dann zum Speisesaal, wo Lugh Akhtar laut anklopfte, doch als keine Antwort kam, öffnete er die Tür und lugte hinein.

Der Anblick, der sich ihm bot war so absurd, dass er erst ein paar Mal blinzeln musste, bevor er seinen Augen traute. Der Kaiser und Ice saßen beide am Tisch, aber so weit von einander entfernt, wie es irgend möglich war. Dabei blitzten sie sich permanent böse an und zischten gelegentlich einander etwas in einer Sprache zu, die er nicht verstand, aber das musste er auch nicht um zu wissen, dass es keine netten Worte waren. Dazu sprach ihre Körpersprache eine viel zu deutliche Sprache.

»Ähm…«, begann er verwirrt. Sah er das wirklich, oder war es doch nur eine Einbildung? »Wir sind da, aber wenn es jetzt ungünstig ist, dann…«

»Lugh!«, rief daraufhin Ice erstaunt aus. Offensichtlich wusste er nichts von der unverhofften Ankunft des Freundes am Abend zuvor. Er stand auf und begrüßte den Freund herzlich, um sie dann alle in den Speisesaal zu komplementieren und sich selbst dazu zu setzen. Der Kaiser sagte etwas in jener fremden Sprache, woraufhin Ice ausnehmend bissig antwortete.

»Schön dich wohlbehalten wieder zu sehen«, begann er mit so völlig anderer Stimme, als nur Sekunden zuvor. »Hast du gefunden, was du gesucht hast?«

»Ich, ähm, ja, schon«, nickte Lugh Akhtar verwirrt und schaute ratlos von einem zum anderen. Die Verblüffung in den Augen seiner Freunde zeigte deutlich, dass auch sie nicht verstanden, was hier vor sich ging. Wieso um alles in der Welt saß Ice einfach so mit dem Kaiser beisammen? Und woher nahm er den Mut, so mit dem mächtigsten Mann Navarres zu sprechen?

»Das ist gut. Bei uns ist ja einiges… schief gegangen, könnte man sagen. Haben sie dir das schon erzählt?«, versuchte Ice krampfhaft den ungestellten Fragen zu entgehen.

»Ice, ich verstehe nicht…«, begann Soul, doch er schüttelte fast schon entsetzt den Kopf. Er wollte um nichts auf der Welt darüber reden, das war ihm deutlich anzusehen, doch natürlich war das Schicksal gegen ihn. Der Kaiser lachte kurz auf, sagte dann wieder etwas, woraufhin Ice nun wirklich explodierte.

»Mein Name ist Ice! ICE! Das weißt du ganz genau, also nenn mich gefälligst auch so! Wenn du noch einmal mit diesem... Namen kommst, dann…!«, drohte er ganz unverhohlen.

»Was ist dann? Verschwindest du dann wieder für ein paar Jahre?«, fragte der Kaiser, nun ganz bewusst in jener Sprache, die auch die anderen verstanden.

»Nein. Aber glaub mir, du willst es trotzdem nicht herausfinden«, antwortete Ice so kalt, dass selbst Sly ihn völlig erstaunt anschaute. Er kannte seinen Freund schon seid so langer Zeit, er wusste so viel über Ice, wie kaum jemand sonst, aber das hier erstaunte selbst ihn maßlos.

»Nun gut, Ice. Dann eben so, mir ist es recht. Es ist egal, welchen Namen ich dir geben muss. Erkläre dich lieber deinen Freunden, ich fürchte, sie verstehen kein Wort«, bemerkte der Kaiser und wirkte seltsam zufrieden.

»Sie müssten es auch nicht verstehen, wenn du nicht so ein… argh!« Wütend sprang Ice auf, sodass sein Stuhl umkippte. Er lief mit barschen Schritten auf den Kaiser zu, um ihn voller Wut anzubrüllen »Du bist so ein… Ich hasse dich! Verdammt noch mal, ich hasse dich!«

»Ice!? Was ist los?« Auch Soul war aufgesprungen, stand seltsam geduckt da. Sie schien nicht zu wissen, was genau sie tun sollte, aber dass sie etwas tun musste, war mehr als deutlich.

Der Kaiser indes lächelte zufrieden. Ihm schienen die Verwirrung der einen Seite und der pure Hass der anderen ausnehmend gut zu gefallen.

»Hasse mich ruhig. Es ändert nichts an den Tatsachen. Und daran, dass du wieder hier bist«, lächelte er zufrieden in Ice' Gesicht. Der zitterte vor Wut. Es war einzig und alleine Slys Fußtritt gegen Lugh Akhtars Schienbein zu verdanken, dass die Situation nicht völlig eskalierte.

Der Rotschopf kannte Ice zu gut, um nicht sehen zu können, was nun unweigerlich folgen musste. Aber er selbst war zu schwach, um es mit Ice aufzunehmen, deswegen trat er nach Lugh Akhtar. Und dieser Tritt machte dem jungen Zauberer deutlich, dass es spätestens jetzt so weit war, irgendetwas zu tun. So stand er auf und stürzte noch gerade rechtzeitig dazu, um Ice davon abzuhalten, sich einfach auf den Kaiser zu stürzen.

Ice war stark, er war größer und älter als Lugh Akhtar, und seine schier grenzenlose Wut gab ihm noch einmal zusätzliche Kraft, als er sich wirklich voller Hass auf den mächtigsten Mann Navarres stürzen wollte. Es war pures Glück, dass er dabei so ungünstig stand, dass Lugh Akhtar, als er sich auf ihn stürzte, ihn dabei mit zu Boden riss.

Einen Moment wälzten sich die beiden auf dem Boden herum. Ice versuchte sich vom jungen Zauberer zu befreien, um zu Ende zu führen, was er unbedingt tun wollte, und Lugh Akhtar versuchte einfach nur mit seinem ganzen Körpergewicht den Freund am Boden zu halten. Dass er dabei gebissen, gekratzt und angeschrieen wurde, nahm er nur am Rande wahr.

Irgendwann, und vermutlich ganz unbewusst, verwandelten sie sich in Wölfe. Jetzt war jedoch Lugh Akhtar der Überlegenere, denn er war wendiger und schneller als Ice, was ihm hierbei zugute kam. Sie stürzten aufeinander, verbissen sich ineinander, um sogleich wieder voneinander abzulassen.

»Lass mich ihn in Stücke zerfetzen, verdammt! Er hat es verdient!«, brüllte Ice, während Geifer und Lugh Akhtars Blut aus seiner Schnauze zu Boden tropften.

»Verschwinde und komm erst wieder, wenn du dich wieder beruhigt hast«, befahl Lugh Akhtar mit gesträubtem Fell. Er wusste nicht, was er von dieser Situation halten sollte, er wusste nur, dass das nicht der Ice war, den er kennen gelernt hatte.

Noch immer vor Wut zitternd spuckte der blaue Wolf aus und wandte sich letzten Endes wieder ab. Er ging nicht, aber er nahm wieder seine menschliche Gestalt an und setzte sich schmollend neben Soul.

»Wenn ich euch erzähle, was los ist, darf ich ihm dann die Kehle durchbeißen?«, fragte er schlecht gelaunt.

»Nein, aber erzählen darfst du trotzdem«, antwortete Sly, während auch Lugh Akhtar wieder Menschengestalt annahm und sich neben ihn setzte. Der Kaiser wollte dazu offensichtlich noch etwas sagen, doch so viel Respekt Lugh Akhtar auch vor ihm hatte, so war ihm dieser Respekt nun völlig egal, wenn es nur dazu diente, dass Ice sich wieder beruhigte.

»Schnauze«, befahl er somit kurz und knapp dem alten Mann, als der gerade den Mund öffnete. Der schaute darauf zwar verwirrt, sagte aber nichts mehr dazu.

»Gut, dann eben nicht…« Ice wirkte zwar ein wenig enttäuscht, dass sein Vorschlag keinen Anklang gefunden hatte, aber dennoch ungemein zufrieden angesichts der Verwirrung, die Lugh Akhtars barscher Verweis beim Kaiser ausgelöst hatte.

»Ich erzähle es euch trotzdem. Nicht, weil Nabao es will, und auch nicht, weil ihr fragt, sondern einfach nur, weil das dazu gehört, wenn man sich gegenseitig vertraut«, stellte Ice klar. Dann seufzte er und begann. »Nun, dieser Mann ist Kaiser Nabao von Navarre, aber das wisst ihr ja. Und ich bin… sein Sohn.«

Daraufhin wurde es so still im Saal, dass man meinen könnte, eine Feder fallen zu hören. Es schien, als hätte die Welt aufgehört zu atmen.

»Das heißt ja, dass…«, begann Sly ungläubig und starrte seinen Freund aus großen Augen erstaunt an.

»Dass ich der Prinz von Navarre bin, ja. Und nein.«

»Wie meinst du das?« Soul wirkte ängstlich und verwirrt.

»Na ja… ich war der Prinz von Navarre. Als ich noch meinen alten Namen trug. Den ihr aber nicht erfahren werdet, ich will ihn niemals wieder hören.« Ice warf dem Kaiser einen warnenden Blick zu, bevor er fortfuhr. »Aber mit diesem Leben war ich eigentlich nie so recht glücklich, was alleine die Schuld von Nabao war. Aber das ist egal. Als ich die Grenze überquerte, da beschloss ich, dass ich nun jemand anderes sein würde. Ich behielt zwar den Ring, aber alles andere was mit meinem alten Leben zu tun hatte, das legte ich ab, auch den Namen. Und eigentlich hatte ich nicht vor, es jemals wieder aufzunehmen.«

Sly nickte nachdenklich. »Aber für mich hast du es darauf angelegt. Und verloren«, flüsterte er. Ice nickte, schüttelte dann aber den Kopf.

»Früher oder später wäre es sowieso so gekommen.«

»Aber jetzt verstehe ich zumindest, wieso du einfach nur… da warst. So völlig ohne Vergangenheit«, überlegte Sly.

»Und diese Vergangenheit ist der Grund, warum du den Kaiser zerfleischen willst?«, erkundigte sich Cinder.

»Ja. Ich will darüber aber nicht reden«, brummte Ice, noch immer ausnehmend schlecht gelaunt.

»Gut. Wer du bist, wissen deine Freunde jetzt, aber wer sind sie?«, mischte sich Nabao neugierig ein. Ice schaute ihn aus seinen grünen Augen so kalt an, dass man meinte, der Kaiser müsste zu einem Eisklotz erstarren.

»Das sind Cinder, Lugh Akhtar und meine verlobte Soul«, begann Ice. Bei der Erwähnung seiner Verlobung zuckte es im Gesicht des Kaisers, ob zum Guten oder zum Schlechten, war jedoch nicht gleich erkennbar. »Und das sind Hope und Nea.«

»Und ihre Familiennamen? Oder kommen sie aus so unbedeutenden Familien, dass ihre Namen nicht von belang sind?«, wollte der Kaiser wissen.

»Jarek, Sir. Nea und ich gehören zu den Jareks«, antwortete Sly. Das Blitzen in den Augen Nabaos bewies deutlich, dass er die Familie durchaus kannte.

»Hope und Nea Jarek, ja? Die… wievielten Kinder seid ihr?«, fragte er lauernd.

»Ich bin der Achte und meine Schwester ist die zwölfte. Die Dreizehnte ist Robin«, log Sly ganz unverblümt. Er wusste, dass Nea als zwölftes Kind lange nicht so genervt würde, wie als Dreizehnte, die sie ja eigentlich war. Und er wusste nicht, ob bis hierher vorgedrungen war, dass der zweitgeborene ein Dasein als Verbannter gefristet hatte, allerdings wollte er es nicht herausfinden, also log er.

»Ach, wie schade. Ich hätte sie gerne einmal kennen gelernt.« Das Bedauern in der Stimme Nabaos war echt, das hörte man. Doch keiner dachte auch nur daran, ihm die Wahrheit zu sagen. Stattdessen wandte sich der Kaiser den anderen dreien zu. »Und ihr?«

Soul und Cinder warfen sich einen ratlosen Blick zu, doch Lugh Akhtar lächelte nur.

»Winter. Soul, Cinder und Lugh Akhtar Winter«, erklärte er. Das war zwar so nicht ganz richtig, aber es war auch nicht so dreist gelogen wie Sly. Kanoa kam aus einer eher unbekannten Zaubererfamilie, die in Irian gelebt hatte. Sie waren zwar alle ausnehmend begabt, jedoch war Kanoa der Erste gewesen, den es zum Lernen nach Altena gezogen hatte, deswegen war ihr Familienname unter den Zauberern nahezu unbekannt.

Lugh Akhtar wusste ihn zwar nicht, aber er wusste dafür etwas ganz anderes. Seine Verwandtschaft zum Winter nämlich, also nannte er den Namen der Mutter einfach als Familiennamen. Er wusste, dass es nicht auffallen würde.

»Und Soul Winter ist also deine Verlobte, ja?« Der Kaiser schaute durchaus wohlwollend auf die Schwestern, wusste er offensichtlich nicht, welche Soul war.

»Ja. Sie ist auch meine Schülerin, bei der Eidsprechung habe ich ihr das Versprechen abgenommen, dass sie binnen Jahresfrist meine Frau ist«, erklärte Ice knapp.

»Nun, dann soll sie ihr Versprechen halten«, fand der Kaiser und stand auf.

»Wie meinst du das?«, wollte Ice mit einer schlechten Vorahnung wissen.

»So, wie ich es sagte. Ich denke, eine Woche reicht für die Hochzeitsvorbereitungen. Es werden zwar nicht viele kommen können, aber eine Hochzeit im familiären Umfeld ist sowieso viel schöner«, lächelte Nabao.

»Du willst unsere Hochzeit vorbereiten?«, rief Ice entsetzt aus.

»Natürlich. Heute in einer Woche werdet ihr verheiratet sein, da bestehe ich drauf«, lächelte der Kaiser. Und Ice widersprach nicht. Es war zwar nicht sein Wunsch, hier und unter solchen Umständen getraut zu werden, aber immerhin konnte er Soul dann seine Frau nennen. So nickte er zögernd.

»Gut. Aber nur, wenn ich entscheiden darf, wer kommt«, stellte er Bedingungen.

»Unter der Voraussetzung, dass ich dazu gehöre… gerne, mein Sohn«, antwortete der Kaiser und lächelte zufrieden. Ja, eigentlich hatte sich doch alles ganz so entwickelt, wie er es gewollt hatte.

Hochzeit

Wie ein aufgescheuchtes Huhn huschte Ice völlig sinnlos hin und her. Man sah ihm nur allzu gut an, wie verzweifelt er sich wünschte, dass es noch irgendetwas für ihn zu tun gab, dieses einfach Warten machte ihn fast verrückt.

»Aufgeregt?«, erkundigte sich Sly, nachdem er seinen Freund eine Weile von der Tür aus beobachtet hatte.

»Nein, ich tu nur so«, brummte Ice sarkastisch, blieb dann stehen, schaute zur Decke auf und schloss die Augen.

»Unter anderem deswegen habe ich nie geheiratet«, bemerkte der Rotschopf und lächelte wohlwollend. Er stieß sich vom Türrahmen ab und ging mit langsamen, schweren Schritten zu den Stühlen, die um einen kleinen Tisch herum gruppiert waren. »Aber mal etwas ganz anderes: Ist es eigentlich richtig so, dass Soul weiß trägt?«

Ice wurde rot unter Slys forschendem Blick und angesichts dieser doch ausnehmend privaten Frage. Dennoch antwortete er wahrheitsgemäß.

»Ja. Es wäre mir zwar manchmal lieber gewesen, wenn dem nicht so wäre, aber… ja. Und es ist gut so, es erspart mir die Kommentare meines Vaters«, erklärte er und seufzte.

»Was hat Nabao eigentlich getan, dass du ihn so sehr hasst?«, erkundigte sich Sly beiläufig weiter.

»Das ist… schwer zu erklären. Ich glaube nicht, dass du es verstehen würdest, du kommst ja sehr gut mit deinem Vater aus«, wich Ice geschickt aus.

»Oh, der Schein trügt. Es gab Tage und Wochen, wo ich ihn auch am liebsten erschlagen hätte. Gerade damals, als ich ihm gestanden hatte, dass er doch ein bisschen früher als erwartet Großvater werden würde, da haben wir uns fast nur angeschrien. Aber er ist dennoch mein Vater, er will nur das Beste für mich. Damals war mir das nicht klar, aber jetzt schon«, erklärte Sly nachdenklich.

»Siehst du, da liegt der Unterschied. Nabao konnte ich nie etwas recht machen. Egal was ich tat, es war nicht gut genug. Und wenn ich die Zeit angehalten hätte, er wäre dennoch nicht zufrieden gewesen.« Verbittert setzte sich Ice seinem Freund gegenüber.

»Meinst du?« Sly wirkte nicht überzeugt.

»Das weiß ich. Er hat meine Kindheit zum Alptraum gemacht, denn sie war davon geprägt, großes zu leisten und sich dennoch so klein zu fühlen, weil er nicht einmal ein Lächeln für mich übrig hatte. Stattdessen hat er mich beschimpft und immer wieder aufs Neue schlecht gemacht. Und ich war noch so dumm, seinen Worten Glauben zu schenken.« Ice schnaubte abfällig.

»Er wollte, dass du zu den Größten wirst. Nea erging es ähnlich, nach allem, was sie mir erzählt hat und nach allem, was ich selber weiß. Aber sie hasst unseren Vater dennoch nicht«, bemerkte der Rotschopf.

»Ja…« Mehr sagte Ice darauf nicht mehr, aber Sly sah ihm deutlich an, dass da noch so viel mehr hinter steckte. Etwas, worüber er nicht zu sprechen bereit war. Und er bohrte nicht weiter nach, heute war kein Tag, an dem man die Vergangenheit wie einen Schatten über das Land legte. Heute war der Tag, an dem sein bester Freund heiraten würde, so lächelte er entschuldigend und stand auf.

»Ich geh und schau, wie weit die anderen sind, wenn es dir recht ist«, bot er an.

»Sag mal, ist Soul eigentlich nervös?«, wollte Ice wissen, ging somit auf das Angebot nicht ein.

»Nein. Aber ich glaube auch nicht, dass ihr wirklich bewusst ist, was sie heute tut«, mutmaßte Sly, schüttelte aber den Kopf. »Sie hat ganz ausgezeichnete Laune, im Gegensatz zu Cinder. Ich verstehe auch nicht, wieso Nea und Soul ihre Zickereien nur mit einem Lächeln entgegen nehmen… Für gewöhnlich lässt sich Nea so etwas nicht allzu lange gefallen und Soul habe ich auch immer so ganz anders eingeschätzt, aber sie scheinen sich beide sogar eher darüber zu freuen…«

Er rümpfte die Nase und wirkte verwundert und nachdenklich. Ice dagegen blinzelte ihn erstaunt an.

»Hat es dir keiner gesagt?«, fragte er verblüfft.

»Was denn gesagt?«, wollte Sly neugierig wissen.

»Es hat dir wirklich noch niemand gesagt? Komm, das meinst du jetzt nicht ernst, oder?« Ice lachte laut auf.

»Los, komm schon, dann sag du es mir!«, forderte der Rotschopf neugierig.

»Oh nein, bestimmt nicht! Oder zumindest noch nicht jetzt«, lachte Ice weiter. Er grinste von einem Ohr zum anderen, seine ganze Nervosität war wie fort geflogen.

»Dann sag mir zumindest, ob es etwas Gutes oder Schlechtes ist«, bettelte sein Freund.

»Ich fürchte, das kommt ganz auf den Blickwinkel an… Aber doch, im Grunde ist es doch sehr schön«, lachte Ice.

»Du kannst so gemein sein. Ich geh zu Nea, vielleicht sagt sie es mir«, antwortete Sly und ging. Ließ den lächelnden Ice alleine zurück. Eigentlich hatte er ihn nur ein wenig ablenken wollen, doch nun war er wirklich neugierig. Er suchte seine Schwester, doch als er sie gefunden hatte, da wollte er wirklich nicht stören, denn sie und Lugh Akhtar saßen in trauter Zweisamkeit beisammen und sprachen leise miteinander.

Mit einem Seufzen, aber einem durchaus zufriedenem Lächeln wandte er sich ab und beschloss, zu Soul zu gehen. Vielleicht verriet ja sie es ihm. Doch kaum hatte er die Tür geöffnet, da wusste er schon, dass seine Hoffnungen bitter enttäuscht würden, denn Soul sprach so schnell und so freudig auf die beiden Mädchen ein, die ihre Frisur richteten, und überhaupt dafür zuständig waren, dass die junge Frau blendend aussah, dass er die Worte kaum verstehen konnte, obwohl sie in einer Sprache redete, mit der er aufgewachsen war.

Aber er beschloss dennoch zu bleiben. Er lächelte ein wenig, als er die kindliche Begeisterung und die ehrliche Freude Souls beobachtete, wurde aber auch ein wenig traurig, denn er war sich ziemlich sicher, dass Cinder nicht solche Begeisterungsausbrüche an den Tag legen würde, sollten sie beide irgendwann einmal heiraten. Wobei er das momentan stark bezweifelte.

Für einige Sekunden spielte er mit dem Gedanken, zu Cinder zu gehen und sie direkt zu fragen, doch stattdessen betrachtete er jedes Detail dessen, was sich ihm bot. Er wusste, dass Ice vermutlich der Atem stocken würde, wenn er seine Herzdame so sah, denn Soul war immer schon eine sehr hübsche junge Frau, doch in dem weißen Kleid und so voller Lebensfreude, mit einem so glücklichen Lachen auf den Lippen, da war sie einfach nur unbeschreiblich.

»Hope!«, rief sie mit einem Mal aus. Sie schien ihn zuvor nicht bemerkt zu haben, doch jetzt sprang sie auf und lief lächelnd auf ihn zu. »Oh Hope, ich bin so glücklich! Und ich habe eine Idee! Wie wir diesen grauenhaften Krieg beenden können! Wir bitten den Frühling, den Sommer und den Herbst um Hilfe, dann können wir nur gewinnen!«

Ein kalter Schauer lief dem Rotschopf über den Rücken. Wieso nur dachte Soul am Tag ihrer Hochzeit an den Krieg? Aber doch, sie hatte durchaus recht. Er nickte langsam, denn ihre Idee war gut. Doch dann schüttelte er entschieden den Kopf.

»Nein, denke heute nicht an Krieg. Denke an Frieden, denke an Glück, denke an alles, was dich glücklich macht! Aber nicht an Krieg«, erklärte Sly lächelnd.

»Zu wissen, wie man den Krieg aufhalten kann, macht mich glücklich«, lächelte sie und tanzte einmal um ihn herum, nur um ihn dann an den Händen zu greifen und mit ihm gemeinsam durch den Raum zu tanzen. »Oh Hope! Ich liebe diese Welt, ich liebe dieses Leben!«

»Ja, lass mich los«, keuchte Sly und entwand sich ihrem Griff: Es ging ihm zwar schon viel besser, aber noch lange nicht gut genug, dass es sinnvoll war, ihn zum Opfer von Souls guter Laune zu machen. Schneller atmend ließ er sich auf dem nächst besten Stuhl fallen.

»Entschuldige Hope, ich habe vergessen, dass du noch nicht wieder ganz auf Höhe bist«, lachte sie und drehte sich einmal um sich selbst.

»Schon gut«, winkte er ab. »Ich muss mich nur einen Moment ausruhen…«

In dem Moment öffnete sich die Tür und Cinder trat ein. Bei ihrem Anblick stockte Sly für eine Sekunde der Atem, doch er sagte nichts und sie würdigte ihn keines Blickes.

»Wie weit bist du?«, fragte sie ihre Schwester.

»Ich weiß nicht…?« Fragend schaute Soul zu den Dienerinnen, die etwas in dieser unbekannten Sprache antworteten.

»Sie sagen, dass du fertig wärst«, übersetzte Sly und stand langsam auf.

»Gut. Dann sollten wir langsam anfangen. Ich sage allen bescheid«, meinte Cinder und ging wieder. Der Rotschopf schaute ihr missmutig nach, zuckte dann mit den Schultern. Er mochte sich jetzt keine Gedanken über Cinder machen, er wusste, dass es sowieso nur zu Kopfschmerzen führen würde.

Stattdessen ging er wieder zu Ice, der mittlerweile im Ballsaal, wo die Hochzeit stattfinden würde, aufgeregt auf Nea einredete. Die lächelte hilflos und verwies sogleich auf Sly, als sie ihn sah, sodass der Blauhaarige nun seine Aufmerksamkeit auf seinen besten Freund verlegte. Der lächelte mitfühlend. So aufgeregt hatte er Ice noch nie erlebt.

Die wenigen Gäste waren schon alle da, Nea setzte sich zögernd ebenfalls. Trauzeugin würde Cinder sein, das war von vorn herein klar gewesen. Trauzeuge natürlich Sly, so stellte er sich neben seinen Freund und hörte sich mit Geduld und mit einem Lächeln seine sinnlose Aneinanderreihung von Worten an.

Dann begann es. Es wurde völlig still im Raum, als Soul in der Tür erschien, an ihrer Seite Lugh Akhtar. Eigentlich war es Sitte, dass der Vater der Braut sie zum Altar führte und ihrem Ehemann übergab, doch da Kanoa dies nicht tun konnte, hatte nun eben der Bruder diese Aufgabe übernommen.

Er lächelte zufrieden, angesichts des ungläubigen Blickes des Bräutigams, denn Ice konnte kaum glauben, dass dieser wahr gewordene Engel wirklich seine Braut sein würde. Stolz führte der junge Zauberer sie heran, dachte dabei daran, dass sie vor wenigen Monaten noch kaum geradeaus laufen konnte. Nun schien sie zu schweben, bewegte sich so anmutig wie eine Gazelle.

Als Soul endlich neben Ice stand, starrte der sie mit offenem Mund an. Er hörte dem Priester gar nicht zu, der die Trauung vollzog, verpasste alle Einsätze, musste jedes Mal von Sly durch einen Knuff dazu gebracht werden, dass er überhaupt etwas anderes tat, als Soul anzugeifern.

Die hingegen hörte aufmerksam zu, freute sich angesichts des ungläubigen Staunens, das sie bei Ice auslöste, und sprach brav die paar Sätze, die das Protokoll ihr vorgab. Natürlich, es war der Prinz, der heiratete, deswegen mussten sie sich an das Protokoll halten, doch waren sich alle Gäste hinterher einig, dass das Protokoll niemals so locker und mit solcher Leichtigkeit erfüllt wurde.

Doch irgendwann war der Muss-Teil erfüllt und der Priester erkundigte sich mit einem Lächeln, ob irgendwer dazu noch etwas zu sagen hatte. Nun war eigentlich der Zeitpunkt gekommen, an dem Ice sein Eheversprechen geben sollte, doch wie auch zuvor starrte er einfach nur, sodass Sly tief seufzte.

»Gut, dann mache ich das«, merkte er an, zog den Ring hervor, wegen dem Ice nun überhaupt hier im Kaiserschloss stand und drückte ihn seinem Freund in die Hand. Dabei erklärte er ihm leise: »Wenn du mit dem einverstanden bist, dass ich Soul in deinem Namen verspreche, dann mach das am Ende einfach nur irgendwie deutlich, und sei es dadurch, dass du sie ansabberst.«

»Ich, was…?«, fragte Ice, schien jetzt aber endlich zu begreifen, dass er wieder an der Reihe war, etwas zu sagen. So lächelte er hilflos, machte einen Schritt auf Soul zu und nahm ihre Hand.

»Entschuldige, ich bin heute… ach, egal. Soul, ich… habe die letzten Tage an einer Rede geschrieben, die alles Dagewesene in den Schatten stellen sollte, und ich weiß nun nicht ein einziges Wort mehr. Lache ruhig über mich, aber denke daran, dass es alleine deine Schuld ist. Ich liebe dein Wesen, dein fröhliches Lachen, deine offene Art, deinen unerschütterlichen Gerechtigkeitssinn. Aber was mich sprachlos macht, ist deine Grazie und deine Eleganz, die jene einer wahren Königin so einfach in den Schatten stellt. Ich weiß nicht mehr, was ich dir alles sagen wollte, aber ich weiß, dass all diese Worte eigentlich völlig bedeutungslos waren, denn alleine dass ich hier bin, aus eigenem Antreiben und nicht aus Zwang, aus dem Wunsch meines Herzens geboren und von dir erfüllt, und nicht, weil es jemand anderes es will, das alleine sagt mehr als tausend Worte. Und so versichere ich dir einfach nur, dass dem wirklich so ist. Ich bin hier, weil ich es will, aus tiefstem Grunde meiner Seele. Weil ich dich liebe. Und das… ist eigentlich das Einzige, was wirklich wichtig ist, das Einzige, was wirklich zählt. Ich bin hier, weil ich dich will«, endete er und wirkte verunsichert und ein wenig verwirrt.

Soul lächelte daraufhin schüchtern und warf Sly einen schnellen Blick zu. Sie kannte die Sitten und Gebräuche dieser Welt nicht, deswegen war sie sich unsicher, ob sie nun an der Reihe war, und Cinder konnte ihr da auch nicht weiterhelfen. Eigentlich hätte sie ja fast lieber Lugh Akhtars Blick gesucht, aber der stand halb hinter ihr, und Sly genau in seinem Blickfeld, also bat sie ihn still um Hilfe. Und er nickte.

»Eigentlich… habe ich dem ja gar nicht mehr viel hinzuzufügen. Ich... bin einfach glücklich. Ich wünsche mir nur, dass wir bis ans Ende der Zeit zusammen bleiben«, lächelte sie.

»Dann übergebe ich die Braut nun in deine Hände.« Lugh Akhtar ließ beide Hände Souls in Ice’ Hände ruhen. »Behandele sie gut, denn alles Glück ihres Lebens obliegt nun alleine dir.«

Ice nickte feierlich und steckte Soul den Siegelring an.

»Ab heute nun bist du die Prinzessin von Navarre und die Thronfolgerin des Kaiserreiches«, erklärte Ice und wirkte darüber so gar nicht glücklich, doch dann lächelte er wieder. »Und du bist meine Frau. Soul von Navarre.«

Auch sie lächelte und dann küssten sie sich. Alle Gäste applaudierten und freuten sich für das schöne Paar.

Und auch Souls Geschwister, sowie Nea und Sly beglückwünschten ihre Freunde herzlich. Danach wurde gut bäuerlich gefeiert, was zwar so gar nicht ins Protokoll passte, wo Lugh Akhtar aber drauf bestanden hatte. Er kannte die langweiligen Feiern der Adligkeit, aber er kannte auch die gute Laune und das Glück der einfachen Leute, und er wollte, dass der hoffentlich schönste Tag im Leben seiner Schwester auf glücklich und mit einem Lachen enden konnte, und nicht, dass sie still an einer Festtafel sitzen musste, und nicht einmal tanzen durfte.

So feierten sie bis tief in die Nacht hinein und nicht einmal Cinder, die die letzten beiden Tage so völlig unausstehlich gewesen war, machte noch ein langes Gesicht. Stattdessen tanzte sie lachend mit Sly und es schien, als gäbe es keinen Krieg und kein Leid auf der Welt. Und für diesen einen Tag mochte auch keiner daran denken. Der Krieg konnte bis morgen warten.

Ice' Ultimative Rache

»Aber rein vom logischen her müsste es doch so sein, dass auch diesmal das Reich in einem der magielosen Gebiete ist, oder? Es macht keinen wirklichen Sinn, wenn es hier anders wäre«, fand Cinder und runzelte böse die Stirn.

»Nein, eigentlich nicht, aber genau das ist ja die Schwierigkeit in diesem Fall. Es müsste auch in der Kapelle ja irgendetwas geben, was auf den Sommer hinweist, was sein eigenes Reich irgendwie abhebt, aber es… ist eben einfach nur ein magieloses Haus, könnte man sagen«, antwortete Ice und runzelte unwillig die Stirn.

»Und wenn der Sommer dort letzten Endes in Wirklichkeit gar nicht wohnt? Wenn sie es nur als… Ablenkung nutzt, von ihrem eigenen Reich?«, überlegte Soul.

»Nein, das kann nicht sein. Beim Winter ist es so, dass dort keine gewöhnliche Magie existiert, weil sie… sich nicht in die Nähe wagt, könnte man sagen. Und wenn der Sommer nicht sehr viel schwächer ist, müsste es eigentlich ähnlich sein…«, überlegte Lugh Akhtar, schüttelte dann aber den Kopf und stand auf. Ihm war es hier viel zu warm, er wünschte sich wieder nach Forea zurück.

»Daraus resultierend sollten wir also unsere Suche bei der Kapelle beginnen.« Sly schaute Ice fragend an. »Kennst du den Weg?«

»Ja, aber es dauert viel zu lange, wenn wir laufen…«, überlegte der und streckte sich wohlig im Sand aus. Er war der Einzige, dem weder die Hitze noch die Helligkeit irgendetwas ausmachte, im Gegenteil; Er schien sich ausnehmend wohl zu fühlen.

»Also müssen wir wieder auf diesen seltsamen Wesen durch die Wüste reiten?«, fragte Lugh Akhtar fast schon hoffnungsvoll. Ice lachte.

»Das sind Kamele und ja, zum Teil schon. Aber nur, bis wir am Rand sind, ab da können wir auf Pferde umsteigen, dann geht es nämlich durch die Wälder«, erklärte er.

»Wälder? Wie kann in so einer Trockenheit ein Wald entstehen?«, erkundigte sich Soul erstaunt und deutete um sich herum. Sie saßen außerhalb von Navarre an der Stadtmauer im Schatten eines Felsens, um sie herum nur Wüste, die gelbe Mauer der Stadt und jede Menge Menschen, die sie entweder betraten oder verließen.

»Navarre ist absichtlich mitten in der Wüste errichtet worden, es erleichtert die Verteidigung im Kriegsfall ungemein«, lächelte Ice seiner jungen Frau zu, dann deutete er weiter nach Süden. »Aber Wüste gibt es nur hier und im südlichsten Zipfel. Zur Mitte hin folgen Savannen, das sind riesige Grassteppen, in denen riesige Tiere leben. Löwen und Elefanten und Giraffen, Gazellen, Gnus und so viele mehr. Und in der Mitte dann gibt es riesige immergrüne Wälder, in denen es so heiß und nass ist, dass man alleine beim Durchlaufen nasse Kleider hat! Sie sind gefährlich, es gibt kaum einen Ort auf der Welt, wo mehr giftige Wesen leben. Dort leben Gorillas und Leoparden und Schlangen, giftige Spinnen und Käfer und…«

Er machte eine ausgreifende Geste, denn ihm fehlten die Worte, um das alles zu beschreiben.

»Wieso liegt die Hauptstadt so weit nördlich, wenn im Süden so viel mehr los zu sein scheint?«, fragte Cinder bissig.

»Weil es nach Gesichtspunkten der Verteidigung erbaut wurde. Natürlich, auch inmitten der Regenwälder könnte man sich gut verteidigen, aber nur, wenn es keine Wege gäbe und dergleichen. Und wer will schon eine Kaiserstadt, die man kaum erreichen kann?«, fragte Ice, ohne wirklich eine Antwort zu erwarten.

»Das stimmt. Bei Altena und Lanta lag ebenfalls die Erreichbarkeit an erster Stelle«, nickte Lugh Akhtar.

»Okay. Aber das heißt, dass wir nun erst einmal die Wüste durchqueren und dann die Wälder. Liegt die Kapelle in den Wäldern, oder wo?«, fragte Sly.

»Ja. Wobei Kapelle nicht das richtige Wort ist. Es sind alte Stadtruinen, unter anderem ist dort auch eine Kapelle bei, deswegen nennen wir es hier so. Aber ja, sie sind in den Regenwäldern«, bestätigte Ice.

»Gut. Dann gehen wir den Sommer dort suchen.« Soul stand langsam auf und schwankte unsicher, konnte sich aber dennoch halten.

»Okay. Ich besorge uns eine Karawane und dann können wir morgen schon aufbrechen«, lächelte Ice und stand ebenfalls auf. Er schüttelte sich den Sand aus der Kleidung und nahm dann Soul bei der Hand. Auch die anderen erhoben sich und gingen gemeinsam in die Stadt zurück.

Am nächsten Morgen schon brachen sie wie geplant auf. Sie wanderten früh am Morgen und am Abend, die heißen Mittagsstunden verbrachten sie irgendwo im Schatten. Dabei lernten sie auch, dass eine Wüste nicht zwangsläufig nur aus Sand bestand, denn oft bewegten sie sich auch über felsigen Boden, doch eine Wüste war es dennoch, das bewies das Fehlen jeglichen sichtbaren Lebens.

Sie alle, auch Ice, waren froh, als sie die Wüsten letztlich hinter sich gelassen hatten, denn in ihnen fand man nur allzu schnell den Tod. Am Rande einer Steinwüste stiegen sie dann auf kleine, wendige Pferde um, was sich gerade Anfangs als komplizierter herausstellte, als gedacht.

Cinder war auch in der Wüste nur auf dem Kamelrücken geklettert, wenn sie einfach nicht mehr zu Fuß weiter konnte, hier sah sie nun so gar keinen Sinn mehr darin, zu reiten und weigerte sich standhaft. Auch Soul waren die Huftiere nicht ganz geheuer und so krallte sie sich so ängstlich in die Mähne, dass ihr Pferd permanent bockte, solange, bis sie wieder hinab geklettert war.

Und auch Nea, die nie zuvor auf einem Pferderücken gesessen hatte, stellte sich nicht gerade gut an. Einzig Ice, der auf dem Pferderücken aufgewachsen war, Sly, der auf seinen vielen Sprachreisen schon so manches Mal hatte reiten müssen, und Lugh Akhtar, der oft mit Tariq ausgeritten war, würden auf diese Weise den Weg schaffen.

Letzten Endes klappte es dennoch, sie alle auf die Tiere zu verteilen. Soul bekam einen Riemen an den Sattel gebunden, an dem sie sich festhalten konnte, die Zügel befestigte Ice an seinem Pferd. Bei Nea und Lugh Akhtar verfuhr man ebenso, und Cinder setzte Sly einfach kurzerhand vor sich in den Sattel. Dass sie dabei tobte, biss und um sich trat, ignorierte er dabei. Dass das Pferd nicht durchging, war einzig Neas beruhigenden Worten zu verdanken, solange, bis sich Cinder wieder beruhigt hatte.

Dieses Prozedere mit regelmäßigem Wechseln des Pferdes von Sly und Cinder, ließ sie zwar langsamer vorankommen als geplant war, aber sie erreichten dennoch nach erstaunlich kurzer Zeit viel fruchtbarere Gebiete, die fast schon an die Wälder im Lantaschen Imperium erinnerten.

So vergingen die Tage, die Abende saßen sie gemeinsam am Lagerfeuer und überlegten, wie es weitergehen würde, wenn sie den Sommer gefunden hatten und ob dieser ihnen wohl helfen würde. Viele Abende allerdings verbrachten sie auch in trauter Zweisamkeit, gerade Soul und Ice sonderten sich nun ausgesprochen gerne von ihren Freunden ab. Cinder und Sly dagegen stritten immer öfter und immer heftiger miteinander. Das hieß, wenn sie überhaupt noch miteinander sprachen.

Und irgendwann einmal explodierte Sly.

Sie hatten ihr Lager in einem kleinen Wäldchen aufgeschlagen, es war ein sehr warmer Abend und der Tag war heiß gewesen, denn nun war der Sommer gekommen. Sie saßen gemeinsam am Feuer und Lugh Akhtar erzählte leise eine Geschichte aus seiner Schülerzeit, während sie gemeinsam ihr Abendessen aßen.

»Und Nikolai hat dazu wirklich nichts gesagt?«, fragte Nea lachend.

»Nein, er hat Dolen einfach nur angeblinzelt und hat sich dann umgedreht und ist gegangen«, bestätigte der junge Zauberer.

»Mein Meister wäre völlig ausgerastet, wenn ich seine Bücher so misshandelt hätte«, lachte Sly.

»Ja, eigentlich ist das auch für Nikolai so völlig untypisch, ich meine, waren allesamt ruiniert«, warf Lugh Akhtar ein.

»Wie kommt man überhaupt darauf, aus jahrhunderte alten Büchern Papierschiffchen zu bauen?«, kicherte Nea.

»Frag mich mal etwas Leichteres«, grinste der junge Zauberer.

»Vielleicht wollte er ja wissen, wie gut Papier nach einem Jahrhundert noch schwimmt?«, überlegte Sly laut.

»Ich würde es nicht ausschließen, Dolen war für solche Ideen bekannt«, lachte Nea.

»Ich habe, als ich noch klein war, mal fast ein Tagebuch ruiniert«, fiel Ice dazu ein.

»Wie das?«, wollte Sly neugierig wissen.

»Ich hab beinahe Traubensaft darüber gegossen«, grinste Ice verlegen.

»Tollpatsch«, lachte der Rotschopf. In dem Moment stand Cinder auf und ging zu ihren Satteltaschen, um sich noch eine Scheibe Brot abzuschneiden.

»Bringst du mir bitte etwas mit Cinder?«, fragte Sly gut gelaunt, als er das sah.

»Bin ich deine Dienerin?«, grollte sie zurück und blitzte ihn schlecht gelaunt an. Mit einemmal war die Heiterkeit vorbei. Sly schaute sie erst verdutzt an, dann schüttelte er entschieden den Kopf und stand auf. Er war wütend, das sah man ihm an. Er machte zwei Schritte auf Cinder zu, dann schüttelte er entschieden den Kopf.

»Jetzt reicht’s mir! Schön, dass es allen anderen zu gefallen scheint, permanent von dir angezickt zu werden, aber mir geht das jetzt echt mal langsam gegen den Strich! Weißt du was? Ich dachte immer, dass du eine sehr freundliche, kluge junge Dame wärst, aber offensichtlich habe ich mich geirrt, in Wirklichkeit bist du nämlich nur eine kleine Zicke, der es ganz offensichtlich ziemlich zu Kopf gestiegen ist, dass irgendwer sie mal als hübsch bezeichnet hat«, fuhr er Cinder grob an.

»Hope, das solltest du nicht…!«, wollte Nea ihn noch zurückhalten, doch Sly wischte ihre Worte mit einer Handbewegung beiseite.

»Ich hab mir das lange genug angesehen, jetzt ist endlich mal Schluss!«, fauchte er.

»Aber du solltest wirklich nicht…«, versuchte sie es ein weiteres Mal, doch Ice schüttelte mit einem Grinsen den Kopf.

»Lass ihn doch seinen Ärger mal Luft machen«, fand er gut gelaunt. Eigentlich hätte Sly nun stutzen sollen, doch er war viel zu sehr in Rage, um darauf zu achten. Also wandte er sich wieder zu Cinder um.

»Also, wenn du dir wirklich etwas wegen deinem Aussehen einbildest, dann muss ich dich jetzt nämlich mal auf den Boden der Tatsachen zurückholen, du bist nämlich nicht hübsch. Du warst es mal, ja, aber die Speckrollen an deiner Taille und dein ewiges schlechte-Laune-Gesicht sorgen gerade ganz massiv dafür, dass du es nicht mehr bist. Ja, wirklich, langsam wirst du rund wie eine Kugel! Überhaupt, was bildest du dir eigentlich ein?«, brüllte er sie an und machte aller aufgestauten Wut gehörig Luft.

Auf solche Art und Weise fuhr er eine ganze Weile fort, während Lugh Akhtar und Soul schon einmal nach Deckung suchten, denn sie wollten nicht in Reichweite sein, wenn Cinder explodierte. Auch Nea wirkte immer unglücklicher, einzig Ice freute sich wie ein kleines Kind.

Als Sly dann Lioba erwähnte und Cinder ganz unverhohlen mit ihr verglich, da begann Cinder plötzlich zu weinen. Sie sank zu Boden, rollte sich zusammen und weinte wie ein kleines Kind, sodass Sly verdutzt innehielt. Das hatte er nun nicht erreichen wollen, aber eigentlich hätte ihm klar sein müssen, dass es nach seinen harten Worten nur zwei Optionen gab: Die, dass sie weinte, oder die, dass sie explodierte.

Doch hatte er nicht vor, sich von ihren Tränen zu falschem Mitleid verleiten zu lassen. Stattdessen holte er schon wieder tief Luft, um die nächste Salve auf sie loszulassen, als er Ice’ Hand auf seiner Schulter spürte. Erstaunt schaute er sich um und blickte in das beruhigende Lächeln seines Freundes.

»Jetzt reicht es«, erklärte der Blauhaarige sanft.

»Oh nein, ich bin noch lange nicht fertig, ich…«, wollte Sly sich schon wieder in Rage reden, doch Ice schüttelte lächelnd den Kopf.

»Hope?«, fragte er sacht.

»Ja?«, brummte dieser schlecht gelaunt.

»Sie erwartet ein Kind.«

Darauf herrschte Stille. Nur Cinders Schluchzen war zu hören. Sly schaute Ice seltsam ruhig an, blickte dann auf das weinende Häuflein Elend zu seinen Füßen und wieder zurück zu Ice.

»Sie erwartet ein Kind…?«, fragte er seltsam sachlich und distanziert.

»Ja. Und wenn mich nicht alles täuscht, dann wird es wohl deines sein«, lächelte Ice sanft. Darauf schien Sly etwas sagen zu wollen. Er öffnete den Mund, doch kam nur ein schräges Krächzen heraus. So schüttelte er heftig den Kopf, versuchte es noch einmal, mit dem gleichen Ergebnis. Da wandte er sich um und ging einfach.

»Wo willst du hin?«, rief Ice ihm noch überrascht nach.

»Den nächsten Fluss suchen und mich ertränken! Ich bin so ein Idiot!«, rief Sly über die Schulter zurück, während er davon stapfte.

»Das stimmt«, lächelte Nea schwach, während sie die weinende Cinder in den Arm nahm und sie tröstete.

»Das war sehr böse von dir, ihn erst so wütend werden zu lassen«, bemerkte Lugh Akhtar zu Ice.

»Lass es mich so ausdrücken: Er wird sich jetzt vorkommen, wie der größte Idiot auf Erden, er wird sich selbst in der Luft zerreißen, wegen seiner Ignoranz. Und das über Wochen hinweg. Das hier ist mein ganz persönlicher Rachefeldzug, für alle Schwierigkeiten, in die er mich gebracht hat und für alle Sprüche, die ich mir anhören musste«, antwortete Ice selbstzufrieden, zog Soul zu sich heran und küsste sie.

»Und ich hoffe, dass du mir Bescheid sagst, bevor ich ausraste«, fügte er ihr gegenüber hinzu.

»Vielleicht«, lächelte sie und entwand sich seinem Griff, um sich ebenfalls um ihre Schwester zu kümmern.

»Und ich sorge mal dafür, dass mein Neffe nicht schon vor seiner Geburt zum Halbweisen wird«, seufzte Lugh Akhtar.

»Neffe? Es könnte auch ein Mädchen werden«, bemerkte Nea lächelnd.

»Ich weiß«, antwortete Lugh Akhtar und lächelte so geheimnisvoll, dass Nea schon argwöhnte, er wüsste etwas. Dass er eigentlich nur genau diesen Eindruck erwecken wollte, konnte sie ja nicht wissen.

Aber dann folgte er Sly, der sich irgendwo in der Dunkelheit an irgendeinen Baum gelehnt hatte und mit einem sanften Lächeln in den Sternenhimmel blickte. Lugh Akhtar setzte sich zu ihm.

»Keinen Fluss gefunden?«, fragte er leise.

»Ihr seid allesamt richtige Mistkerle. Habt ihr das alle gewusst?«, wollte Sly lachend wissen.

»Ja. Nea als Erste. Auf dem Schiff schon, aber sie war sich nicht sicher. In Navarre dann, als es dir so schlecht ging, hat sie Cinder dazu gebracht, sich von einem Arzt untersuchen zu lassen und der hat es bestätigt«, nickte Lugh Akhtar.

»Und warum hat es mir keiner gesagt?«, fragte er mit einem glücklichen Grinsen.

»Na ja, wir haben das alle natürlich Cinder überlassen wollen, doch die hat gedacht, das wüsstest du bereits. Deswegen war sie auch so schlecht gelaunt, sie dachte, dass es dich nicht weiter interessiert und dass du sie nicht mehr liebst. Ich hatte keine Zeit mehr, sie darüber aufzuklären, dass du so gar keine Ahnung hast, wenn sie es dir noch nicht gesagt hat, aber da sind wir aufgebrochen und danach ergab sich keine Gelegenheit mehr. Und dann habe ich es schlicht vergessen.« Der junge Zauberer lächelte entschuldigend. Sly nickte nachdenklich und lächelte dabei völlig unbeirrbar vor sich hin.

»Es ist so dämlich«, bemerkte er plötzlich.

»Was?«, fragte Lugh Akhtar erstaunt.

»Ich kann nicht aufhören, zu grinsen. Ich habe eben den Menschen zum Weinen gebracht, der mir von allen am liebsten ist, aber… ich kann nicht aufhören zu grinsen. Ich bin glücklich. Und das ist eigentlich… na ja, dämlich halt«, antwortete Sly.

Darauf lächelte auch Lugh Akhtar ein wenig und stand wieder auf.

»Wenn Cinder sich beruhigt hat, dann schicke ich sie zu dir. Ich denke, es wird Zeit, dass ihr euch aussprecht. Und zwar ruhig, allein, und ohne dass irgendwer irgendeinen Schwachsinn denkt«, meinte er und ging zurück zu den anderen, wo Cinder sich wirklich wieder soweit beruhigt hatte, dass sie zu Sly gehen konnte.

Für den Rest des Abends sah und hörte man nichts mehr von den beiden und die anderen waren sich ziemlich sicher, dass auch die nächsten Tage und Nächte deutlich ruhiger werden würden. Und natürlich behielten sie recht.

In den Ruinen

»Sicher, dass du nicht doch lieber reiten willst?«

»Ja.«

»Hast du Hunger?«

»Nein.«

»Durst?«

»Nein.«

»Bist du müde, brauchst du eine Pause?«

»Nein.«

»Geht es dir gut?«

»Ja.«

»Aber du…«

»Sly?« Cinder blieb stehen und blitzte ihn mit einem sanften Lächeln an.

»Ja?«

»Mir geht es gut. Wenn etwas ist, dann sag ich das schon, keine Sorge«, erklärte sie mit einem sachten Seufzen. Für einen Moment schaute Sly sie nur an, dann lachte er und zog sie eng an sich heran. Er flüsterte ihr etwas ins Ohr, während er sie fest an sich drückte.

»Hey ihr zwei, beeilt euch!«, rief Ice mit einem Lächeln zu ihnen zurück.

»Lauf lieber weiter!«, antwortete Sly und küsste Cinders Haar.

Lugh Akhtar, der neben ihm über einen umgefallenen Baumstamm kletterte, gab einen Laut von sich, der irgendwo zwischen einem Bellen und einem Jaulen angesiedelt war. Das erschreckte das Pferd, welches kurz scheute, sich aber schnell wieder beruhigte. Der junge Zauberer, Nea und Soul hatten beschlossen, dass es einfacher war, auf vier Beinen zu laufen, statt auf zwei.

Cinder allerdings hatte Schwierigkeiten, sich zu verwandeln und eigentlich wollte es auch keiner so wirklich darauf anlegen, denn niemand wusste, was es für Auswirkungen auf ihr Ungeborenes haben würde. Deswegen hatte auch Sly beschlossen, als Mensch an ihrer Seite zu laufen.

Ice lief abwechselnd als Mensch und als Wolf mit der Gruppe mit, her nachdem, wie er gerade Lust hatte.

»Ey, du weißt genau, dass ich nicht Nea bin«, rief Sly Lugh Akhtar hinterher, doch der blieb stehen, grinste frech und schloss dann zu Ice auf.

Da brachen von der Seite her Soul und Nea aus dem Unterholz auf den schmalen Weg zurück. Sie schüttelten sich die Zweige aus dem Fell und verständigten sich dann lautstark mit Lugh Akhtar, bevor sie mit einem freudigen Schweifwedeln zu dritt davon stürzten.

»Wo wollen sie hin?«, fragte Sly verwirrt.

»Ich habe keine Ahnung. Vielleicht haben die Mädchen ja den Tempel gefunden«, überlegte Ice laut und schaute sich um. »Er müsste zumindest nicht mehr weit weg sein.«

»Dann lass uns schneller gehen«, fand der Rotschopf, stockte dann aber und schaute nachdenklich auf Cinder. Er wollte eben den Mund öffnen und etwas sagen, da schüttelte sie seufzend den Kopf.

»Zwei gesunde Beine hab ich noch, mein Bester«, lächelte sie und holte so weit aus, dass Sly Schwierigkeiten hatte, ihr zu folgen.

Doch was auch immer die drei Wölfe vorweg gelockt hatte, der Tempel war es nicht, denn als Ice, Sly und Cinder bei dem ankamen, da war von Lugh Akhtar, Soul und Nea noch nicht ein Fellbüschel zu sehen.

Sie stürzten erst einige Sekunden später hinzu und blieben wie angewurzelt stehen. Lugh Akhtar bellte irgendetwas, woraufhin sie sogleich wieder losstürzten und mit kindlicher Begeisterung die Ruinen erkundeten.

»Das sind sie also?«, fragte Cinder leise.

»Jap. Hier könnte der Sommer leben, aber… sicher bin ich mir nicht…« Ice wirkte unsicher angesichts der wahren Ruine, vor der sie nun standen.

»Wo fangen wir mit der Suche an?«, fragte Cinder und kletterte auf ein paar Felsen, die hier überall herumlagen, während Sly das Pferd anband.

»Im Innern könnten wir vielleicht fündig werden, aber es wird baufällig sein«, überlegte er, während er Ice dabei beobachtete, wie der geschickt einen Steinhaufen empor kletterte.

»Es ist definitiv baufällig, Lugh Akhtar wurde eben fast von einem Stein erschlagen, der aus der Decke gefallen ist.« Mit einem Mal stand Nea neben ihm, in ihrer Menschengestalt. Er hatte nicht einmal bemerkt, dass sie zurückgekommen war.

»Und das heißt, dass wir nicht hinein können«, nickte Ice.

»Klar können wir, und wir sollten auch«, fand Sly und kletterte zu Cinder. »Aber nicht alle. Du zum Beispiel wirst definitiv hier bleiben, mein Herz.«

»Ach, und wer will mich am Mitkommen hindern?«, spottete sie und machte einen leichtfüßigen Satz auf den Boden der anderen Seite des Schutthaufens. Sogleich brach der Boden unter ihren Füßen weg und sie stürzte mit einem spitzen Schrei in das, was darunter lag.

»Cinder!«, brüllte Sly und sprang hinterher, bevor Ice bei ihm war und ihn davon abhalten konnte. Stattdessen stürzten er und Nea zum Rand und versuchten durch die Staubwolke hindurch etwas zu sehen.

»Sly! Cinder! Geht es euch gut?«, rief Ice hinab, hoffte dabei inständig, dass der Boden auf dem er hockte, halten würde. Da stürzten auch Lugh Akhtar und Soul heran. Letztere erkannte das Loch im Boden zu spät und musste so mit einem riesigen Satz darüber hinwegsetzen, aber sie schaffte es.

»Was ist passiert, das war eben aber noch nicht da«, bemerkte Lugh Akhtar, der mittlerweile so schnell die Gestalten wechselte, wie es Ice niemals für möglich gehalten hätte. So stand der junge Zauberer nun schon wieder als Mensch hier und versuchte, den Staub mit seinem Blick zu durchdringen.

»Sly und Cinder sind da eingebrochen«, erklärte Ice bissig und schaute sich suchend um.

»Da runter?!« Lugh Akhtar wurde blass und starrte ihn an.

»Nein, sie sind durch den Spalt zwischen zwei Steinen gerutscht… natürlich da runter!«, fauchte Ice.

»Und ihr solltet auch runter kommen, wir haben etwas interessantes entdeckt!«, rief Sly zu ihnen hinauf.

»Geht es euch gut?«, wollte Ice wissen, während sich Lugh Akhtar in den Gerfalken verwandelte und hinab flatterte.

»Wie kann er sich nur so schnell verwandeln«, fluchte indes Soul von der anderen Seite des Loches her. Sie war gerade den Rest ihres Fells losgeworden, während ihr Bruder schon wieder binnen Sekunden in die nächste Gestalt gewechselt war.

»Bessere Frage: Wie kommen wir dort runter?«, wollte stattdessen Nea wissen. Sie wirkte ausgesprochen besorgt.

»Springen«, antwortete Soul lächelnd, ergriff ihre Hand und machte einfach einen Satz ins Nichts. Nea folgte gezwungenermaßen, aber mit einem lauten Schrei.

»SOUL! Verdammt!«, fluchte Ice lautstark, folgte dann aber ebenfalls mit einem Sprung ins Ungewisse.

Er fiel tiefer als er gedacht hatte und er sah noch nicht mal, wo er landen würde, denn der Staub war noch immer zu dicht. Der Aufprall kam plötzlich und schmerzhaft. Er biss die Zähne zusammen, um nicht laut aufzuschreien. Mit Tränen in den Augen stolperte er ein paar Schritte, entfloh heftig hustend dem Staub und sah nun seine Freunde wieder. Sie saßen um eine Katzenstatue herum und betrachteten sie interessiert. Nur Sly nicht, er sprach leise mit Cinder und rieb an ihrem Knöchel herum.

»Ice, was ist das?«, fragte Soul mit großen Augen.

»Das ist Bastet«, antwortete er, nach nur einem kurzen Blick.

»Und was genau ist Bastet?«, erkundigte sich Lugh Akhtar neugierig.

»Eine Göttin. Die alten Völker haben sie verehrt, aber das tut heute schon lange keiner mehr. Die Menschheit glaubt nicht mehr an Götter.« Ice zuckte gleichgültig die Schultern.

»Das ist auch gut so, denn Götter gibt es nicht«, nickte Lugh Akhtar.

»Und was ist der Winter? Und die anderen ihrer Art?«, merkte Sly an.

»Sie sind keine Götter. Sie sind auch nicht viel anders als wir. Das, was sie tun, ist in etwa das, was wir Zauberer für die normalen Menschen tun. Wir helfen ihnen zwar, aber für die meisten ist das nicht vorrangig. Sie tun einfach das, was nötig ist, um zu leben, sie tun das, was sie tun müssen, um ihre Existenz zu sichern. Und bei den Jahreszeiten ist es auch nicht viel anders. Eigentlich verrichten auch sie nur ihre Arbeit«, antwortete der junge Zauberer und schaute zu seinem Freund hinüber.

»Weise gesprochen, junger Zauberer.«

Als sie sich erschrocken umwandten, stand dort eine Wölfin mit durchdringenden gelben Augen. Sie lächelte und sie schien von innen heraus zu leuchten, und dennoch gab sie eine fast schon erbärmliche Gestalt ab.

Es schien, als hätte sie vor nicht allzu langer Zeit einen schweren Brand hinter sich gehabt. Ihr eigentlich gelblich weißes Fell war an vielen Stellen schwarz angesenkt, oft war es aber auch völlig verbrannt, sodass man die nässenden Brandwunden darunter sehen konnte.

Am schlimmsten jedoch waren ihre Pfoten, denn dort blitzte ab und an der blanke Knochen durch das rohe Fleisch. Doch sie schien keine Schmerzen zu haben, sonst hätte sie nicht gelächelt. Dennoch, Lugh Akhtar hörte deutlich, wie sich Cinder hinter ihm übergab. Für ihren Magen schien der Anblick zu viel gewesen zu sein. Auch die anderen mussten erst einmal schlucken.

»Hallo. Wer… bist du?«, fragte der junge Zauberer langsam und vorsichtig.

»Jemand, vor dem ihr keine Angst zu haben braucht«, erklärte sie mit sanfter Stimme und einem Lächeln.

»Gehörst du auch zum Winter?«, erkundigte sich Nea leise.

»Nein, im Gegenteil«, lächelte die Wölfin und wandte sich um. »Folgt mir, ich bringe euch zu dem, den ihr sucht.«

»Woher willst du wissen, wen wir suchen?«, fragte Soul misstrauisch.

»Ihr möchtet zum Sommer, warum solltet ihr sonst hierher kommen?«, lächelte die Wölfin, als sie über die Schulter zurückblickte.

»Kennst du etwa den Weg in sein Reich?« Lugh Akhtar war mit zwei schnellen Schritten bei der Wölfin.

»Natürlich. Kommt mit und ich bringe euch zu ihm.« Sie schaute ihn so seltsam aus ihren gelben Augen an, dass er für einen Moment zögerte. Er schaute Hilfe suchend zu seinen Freunden zurück, doch auch in ihren Augen sah er nur Unentschlossenheit, so nickte er schließlich.

»Wir kommen nicht mit«, mischte sich Sly ein.

»Warum?«, fragte Ice erstaunt. Er wusste, dass Sly nur allzu gerne den Winter getroffen hätte, warum er nun darauf verzichtete, den Sommer zu sehen, verstand er nicht.

»Weil Cinder sich den Knöchel verstaucht hat, bei ihrem Sturz. Ich kann sie hier aber nicht alleine lassen«, erklärte er und drückte die junge Frau eng an sich.

»Meinst du, dass ihr alleine zurechtkommt, Hope? Sonst bleib ich auch hier«, bot Nea an.

»Nein, geh nur«, antwortete er, doch die Wölfin schüttelte entschieden den Kopf.

»Ich soll euch alle zu ihm bringen, auch ihr müsst mitkommen«, erklärte sie entschieden.

»Aber Cinder kann so nicht laufen«, fauchte Sly und stand auf.

»Sie muss mit.« Die Wölfin ging mit einem Knurren weiter. Da stellte er sich schützend vor sie und blitzte die Wölfin böse an, in seiner Hand erschien eine Flamme.

»Ich weiß nicht, was dir so den Pelz versenkt hat, aber ich kann gerne weitermachen«, erklärte er, leise, aber eindeutig ernst und gefährlich.

»Willst du dich wirklich mit mir anlegen?«, fragte die Wölfin ebenso leise.

»Ich würde mich mit der ganzen Welt anlegen, wenn es sein müsste, auch wenn ich keine Chance hätte und es somit mein Tod wäre. Das Schicksal hat mich einmal schon ausgelacht, ein zweites Mal werde ich es nicht zulassen.« In Slys Augen blitzte solche Entschlossenheit, dass die Wölfin für einen Moment zögerte, dann tat sie noch einen Schritt.

Ein Fehler. Wenn Sly mit einer Art der Magie umgehen konnte, dann war es Feuermagie, und er ließ alles was er konnte auf sie einstürzen. Ein wahrer Feuersturm hüllte sie ein und wenn Lugh Akhtar und Ice nicht so gedankenschnell reagiert hätten, wären sie beide, Soul und Nea wohl binnen Sekunden zu einem Haufen Asche verbrannt.

Niemand von ihnen hätte solche Macht hinter Sly vermutet, der immer als sehr schwacher, fast schon unfähiger Zauberer galt. Doch vielleicht einfach nur deswegen, weil er niemals auf seinem Spezialgebiet wirklich agieren konnte, denn wer brauchte schon jemals einen Feuersturm? Den Schülernamen »Feuerfuchs« trug er nun wirklich nicht zu unrecht.

Wäre die Wölfin ein gewöhnliches Tier gewesen, so wäre von ihr nun nur ein verkohltes Häuflein zurückgeblieben. Allerdings war sie es nicht, denn stattdessen stand sie immer noch da und wirkte verblüfft. Nicht verwirrt, nicht verunsichert oder gar ängstlich, sondern nur verblüfft. Als könnte sie es nicht glauben, dass er sie wirklich angegriffen hatte.

»Lass Cinder in Ruhe. Ich habe noch andere Waffen, als nur meine Magie und ein Messer im Hals dürfte auch für dich ungemütlich sein. Ich weiß, dass auch die Diener der Jahreszeiten nicht unsterblich sind, und ich werde nicht zögern, dir das auch zu beweisen«, stellte er ruhig klar.

»Ich will ihr nichts tun. Vertrau mir, das könnte ich nicht. Ich will ihr helfen«, antwortete sie ebenso sachlich, aber dabei lächelte sie wieder. Sly schaute sie für eine ganze Weile einfach nur an. Lugh Akhtar verstand, dass dort ein stummes Zwiegespräch zwischen ihnen tobte, und er würde den Teufel tun, sich da einzumischen. Das musste er aber auch nicht, denn schließlich nickte Sly und trat beiseite.

»Ich habe dich genau im Blick. Ein falscher Gedanke und mein Messer steckt zwischen deinen Rippen«, erklärte er fast schon gelangweilt.

»Damit kann ich leben«, antwortete sie und trat langsam zu Cinder. Die beiden wechselten nur einen kurzen Blick, da lächelte die junge Frau auch schon und ließ es gerne zu, dass die Wölfin auf ihren Knöchel blies. Als die wieder zurücktrat, versuchte Cinder mit Slys Hilfe aufzustehen und es gelang ihr ohne Schmerzen.

»Kommt jetzt mit mir«, bat die Wölfin und lief wieder ein Stück in die Ruinen hinein. Einen Moment zögerten sie noch, dann jedoch folgten sie alle. Keiner wusste wirklich, ob die Wölfin nicht vielleicht doch böses im Schilde führte, vielleicht liefen sie alle ihrem Unglück, vielleicht sogar dem Tod entgegen. Aber etwas sagte ihnen, dass dem nicht so war.

Und war es bloß ein kleiner, kurzer Blick, der Lugh Akhtar hatte zögern lassen.

Der Sommer

Lugh Akhtar fühlte sich ein wenig als würde er noch immer durch die Wüste reiten. Er hatte entsetzlichen Durst, ihm war so heiß, dass er meinte zu verglühen und eigentlich mochte er auch keinen einzigen Schritt mehr laufen. Warum überhaupt quälte er sich noch weiter?

Er schaute nach rechts und sah Sly, der besorgt an Cinders Seite lief und leise auf sie einredete. Cinder antwortete ihm nicht, man sah ihr nur allzu deutlich an, dass es ihr nicht sonderlich gut ging und sie wollte sich ihre Kräfte für den Marsch aufheben, von dem keiner wusste, wie lange er noch gehen würde.

Dann schaute er nach rechts und sah ein ähnliches Bild. Ice war rührend um das Wohl seiner jungen Frau besorgt, auch wenn die weit weniger Schwierigkeiten hatte, als Cinder. Allerdings hatte es eine Weile gedauert, sie davon zu überzeugen, dass es Selbstmord wäre, in Wolfsgestalt durch diese Hölle aus Sand und Licht zu laufen. Wäre es anders gewesen hätte Ice sie nun vermutlich tragen müssen, denn mit dem dicken, schwarzen Pelz hätte sie vermutlich schon vor Stunden einen Hitzschlag gehabt.

Zu guter Letzt schaute er einfach nur nach vorne. Nea lief vor ihm, damit er merkte, wenn sie nicht mehr weiterkonnte, doch im Moment war es wahrscheinlicher, dass er vor ihr aufgeben musste. Ihre Bewegungen waren zwar langsamer und sparsamer geworden, aber wirkte sie weder besonders müde noch sonderlich erschöpft.

»Wie weit ist es denn noch?«, rief er zur Wölfin, die ganz vorne lief.

»Dort hinten sind Felsen, dort werden sie sein«, antwortete sie und schaute über die Schulter zurück. Da fiel dem jungen Zauberer auf, dass sich ihre Gestalt verändert hatte. So langsam und schleichend, dass er es nicht bemerkt hatte, doch nun sah er es ganz deutlich. Sie hatte nun eher die Gestalt einer Katze mit einer breiten, kurzen Schnauze. Wie jene Katze, mit der Ice seinerzeit gekämpft hatte, im Reich jenseits der Mauer.

Wie hatte Soul sie genannt? Schneeleopard. Die Wölfin wurde zur Schneeleopardin. Aber wieso?

Er nahm eine Bewegung aus dem Augenwinkel wahr. Eine Gestalt aus Sand stand dort zwischen Cinder, Sly und ihm. Sie schaute nachdenklich von einem zum anderen, bevor sie mit wenigen schnellen Sätzen bei der Schneeleopardin war.

»Das sind sie?«, fragte er und klang ganz eindeutig abfällig.

»Ja. Ist er am Felsen?«, fragte sie.

»Nein, aber du sollst sie trotzdem dorthin bringen. Er hat noch etwas zu erledigen, aber er kommt gleich.« Damit verschwand das Sandwesen, indem es einfach in sich zusammenfiel.

»Gut. Bis gleich«, flüsterte sie und schaute dann über die Schulter zurück. »Ihr müsst nur noch bis zum Felsen laufen.«

»Aber kommt er denn überhaupt jemals näher? Ich habe das Gefühl, dass er jetzt noch genauso weit entfernt ist, wie da, wo wir ihn das erste Mal sahen«, bemerkte Nea und klang dabei ziemlich mutlos.

»Ja, wir kommen näher. Langsam zwar, aber ja«, lächelte die Schneeleopardin.

»Dann sollten wir weiterlaufen«, fand Cinder und setzte sich als Erste wieder in Bewegung.

»Nein, wir sollten einen schattigen Ort suchen und eine Pause machen«, fand Ice, nachdem er seinen Blick einmal über die Gruppe hatte schweifen lassen.

»Wir können dort rasten«, meinte auch Soul, doch er schüttelte entschieden den Kopf.

»Ich bin in der Wüste aufgewachsen, ich weiß, wenn Menschen oder Zauberer am Ende ihrer Kräfte sind. Der Einzige, dem ich den restlichen Weg ohne Probleme zutrauen würde, wäre Hope. Und das auch nur, weil ich seinen Feuersturm gesehen habe«, erklärte er und deutete auf den Schatten einer Sanddüne. »Lasst uns ausruhen.«

Erst jetzt, wo Ice es angesprochen hatte, fiel Lugh Akhtar auf, dass der Rotschopf wirklich nicht im Mindesten erschöpft wirkte. Er wirkte, als hätte er soeben nur einen gemütlichen Spaziergang hinter sich, nur etwas, was kaum der Rede wert war.

Er folgte Ice in den Schatten und ließ sich schwer auf den Sand niedersinken, beobachtete dabei, wie seine Freunde es ebenso machten. Vor allem Cinder bereitete ihm ein wenig Sorgen, denn nun vom Nahen sah er deutlich, dass ihre Augen fiebrig glänzten. Sie hätte wirklich nicht mitkommen sollen.

Überhaupt wurde ihm erst jetzt bewusst, in was für Schwierigkeiten sie nun waren. Cinder konnte sie nicht mehr lange begleiten, irgendwann würde der Weg viel zu anstrengend für sie sein und auch nach der Geburt brauchte sie erst einmal Ruhe. Doch den ganzen Weg wieder zurück ins Winterreich würde sie niemals schaffen und in Lanta, so nahe am Krieg, wollte sie niemand lassen.

Er schüttelte nachdenklich den Kopf und wandte sich Nea zu.

»Wie geht es dir?«, fragte er leise.

»Deutlich besser als Cinder«, antwortete sie und beobachtete ebenso unwillig, wie die junge Frau sich in den Sand legte.

»Daran können wir im Moment aber nichts ändern. Sie ist das kalte Klima des Nordens gewöhnt, eigentlich ist es ein Wunder, dass sie und Soul nicht schon lange zusammen gebrochen sind«, meinte er nachdenklich.

»Nicht so verwunderlich, wie du meinst. Denkst du wirklich, Sommer würde es zulassen, dass seine Nichten sterben? Eigentlich würdet ihr alle hier binnen Sekunden verglühen. Hitze hält sich zurück«, bemerkte die Schneeleopardin und setzte sich zu ihnen.

»Du gehörst auch zu seinem Rudel, oder?«, fragte Lugh Akhtar neugierig.

»Ja. Ich bin der Tag«, antwortete sie und lächelte. Da zuckte irgendetwas in den Gedanken des jungen Zauberers. Er wusste, das sollte ihm etwas sagen, etwas Wichtiges, aber es fiel ihm nicht ein. Soul dagegen schon.

»Paivi?«, rief sie erstaunt aus.

»Ja«, lächelte die Schneeleopardin. Sogleich stürzte sich Soul auf sie und umarmte das arme Tier so fest, dass sie keuchte.

»Ja, ich freue mich auch, dich wieder zu sehen, meine Kleine«, würgte sie hervor.

»Wer… ist Paivi?«, fragte Ice langsam.

»Unsere Tante«, erklärte Cinder und lächelte schwach. »Sie ist Drafnars Schwester, und Drafnar ist die Nacht.«

»Eure… Tante? Aber ich dachte, die Geschwister des Winters sind Frühling, Herbst und eben der Sommer? Wie können es da noch der Tag und die Nacht sein?« Sly wirkte ebenso verwundert.

»Sie sind Duanas Geschwister, nicht die des Winters«, berichtigte Lugh Akhtar, dem jetzt auch wieder eingefallen war, was er eigentlich hätte wissen sollen.

»Also nur eure… Ziehtante könnte man sagen?«, hakte Ice noch einmal nach.

»Ja. Aber was ist mit dir geschehen?«, fragte Soul und Tränen glitzerten in ihren Augen.

»Wenn du die Verbrennungen meinst, dann kann ich dich beruhigen, sie tun nicht weh«, lächelte Paivi und entzog sie sanft Souls Umarmung.

»Wie kann so etwas denn nicht weh tun?« Sly zog viel sagend die Augenbrauen hoch und deutete auf die fleischigen Pfoten.

»Glaube mir einfach, wenn ich dir versichere, dass dem so ist«, lächelte sie und machte einige Schritte nach hinten, sodass sie nun etwas außerhalb der Gruppe stand.

»Der Tag steht über dem Schmerz«, bemerkte eine Stimme von der anderen Seite her. Als sie langsam in die entsprechende Richtung blickten, stand dort ein ockerbrauner Löwe mit üppiger, dunkelbrauner Mähne. Er war riesig und er strahlte eine solche Würde und Macht aus, dass keiner von ihnen auch nur eine Sekunde darüber nachdenken musste, wer es wohl sein könnte, der dort vor ihnen stand.

Lugh Akhtar stand auf und verneigte sich tief vor dem Löwen.

»Ich bin Lugh Akhtar, der Sohn des Winters«, stellte er sich vor.

»Ich weiß, wer ihr seid«, grollte der Löwe böse und in seinen Augen blitzte es. »Was ich aber nicht weiß ist, warum ihr hier seid.«

»Entschuldigt. Wir sind hier, um Eure Hilfe zu erbitten. Die des Sommers und seines… Rudels.« Lugh Akhtar wirkte verunsichert.

»Hilfe welcher Art?«

»Altena hat der restlichen Welt den Krieg erklärt. Der Anführer, Rex, er maßt sich an, dass er die Macht über den Tod hat, und das will er beweisen, indem er seine Experimente nun noch viel rücksichtsloser begeht. Und alles, was ihn davon abhalten will, das wird gestürzt«, erklärte Lugh Akhtar ihr Grundproblem.

»Er tötet ohne Grund und ohne Nutzen. Wir wollen ihn daran hindern, aber wir brauchen dazu Hilfe«, fügte Soul hinzu.

»Und da kommt ihr zu mir?« Der Sommer wirkte ausgesprochen mürrisch.

»Wir bitten jene um Hilfe, die die Macht dazu haben. Wir werden auch den Frühling und den Herbst bitten, wenn es so weit ist«, erklärte Cinder und trat neben Lugh Akhtar, wurde dabei von Sly gestützt.

»Ich soll euch helfen ja? Nun, das kann ich nicht alleine entscheiden. Was sagt ihr?«, fragte der Sommer und schien dabei mit sich selbst zu sprechen, doch nur für einen Moment. Paivi stellte sich an seine Seite und um ihn herum erschienen noch drei andere Raubkatzen.

»Was interessiert uns Menschenbelange?«, wollte ein Wesen wissen, das aus gleißendem Licht zu bestehen schien. Keiner von ihnen konnte die Gestalt wirklich sehen, aber die Stimme klang eindeutig weiblich.

»Sie könnten uns schaden, wenn sie in unser Reich kommen«, merkte jene Sandgestalt an, die auch vorher schon mit dem Tag gesprochen hatte. Er hatte die schlanke, langbeinige Gestalt von einem Geparden. Sie hatten auf den Weg hierher ein paar fest gekettet gesehen und Ice hatte ihnen erklärt, dass sie von den reichen Bewohnern Navarres gerne als Haustiere gehalten wurden.

»Sie würden verglühen, ich würde sie binnen Sekunden austrocknen«, fand ein Wesen, dessen Gestalt seltsam unruhig und unwirklich wirkte. Als würde man sie durch die Hitze eines Feuers hindurch betrachten.

»Vergiss nicht, sie sind Zauberer. Und du kannst nicht wissen, wer bei ihnen schon so alles mitgemischt hat, oder hättest du einen von ihnen als Kind des Winters erkannt?« Der Tag schaute fast schon abfällig auf den Hitze-Leoparden.

»Ach, denkst du wirklich, dass es noch andere gibt, wie sie?«, lachte der Kater abfällig. »Welche andere Jahreszeit als der Winter würde sich schon in einen Menschen verlieben?«

»Herbst hat auch einen Menschenkind«, wies der Sommer ihn barsch zurecht. »Und was Frühling so alles haben mag will, ich mir besser gar nicht erst vorstellen.«

»Gut, schön. Ich finde dennoch, dass Licht recht hat, was interessieren uns Menschenbelange?«

»Wenn sie in unser Reich eindringen, eine ganze Menge«, antwortete der Sand-Gepard.

»Und wie oft ist das bisher vorgekommen?«, fragte der Hitze-Leopard.

»Sei ruhig, Hitze, du weißt doch gar nicht, wovon du sprichst!«, fauchte Licht böse. »Du gehörst noch nicht lange genug zu uns, als dass deine Meinung wirklich von Belang wäre, also sei jetzt ruhig!«

»Sie hat recht, Hitze. Also, Staub, Tag, Licht, was sagt ihr?«, fragte der Sommer und schaute von einer Gestalt zur nächsten.

»Ich werde ihnen helfen. Ich weiß, dass der Herbst auf jeden Fall an ihrer Seite kämpfen wird, wenn sie ihn nur freundlich genug bitten, also stellt sich die Frage für mich nicht«, antwortete der Tag und machte einen Schritt zurück.

»Ich war von Anfang an dafür«, stimmte Staub dem zu und trat ebenfalls zurück.

»Ich bin mir… nicht sicher. Im Moment interessieren uns die Menschenbelange noch nicht, aber… wir wissen auch nicht, was weiter geschehen wird. Vielleicht interessiert er sich nicht für uns, vielleicht entdeckt er aber auch, dass er mit uns eine noch viel größere Macht erlangen kann«, erklärte Licht. Sommer nickte und wandte sich Hitze zu.

»Jetzt darfst du sprechen«, bot er an, doch der Hitze-Leopard schnaubte nur abfällig.

»Meine Meinung ist ja doch nicht mehr von Belang«, erklärte er schnippisch.

»Sie ist nicht so wichtig, wie jene von den anderen, aber das bedeutet nicht, dass sie uninteressant ist«, antwortete der Sommer, schüttelte dann aber den Kopf. »Ich sehe das Ganze wie Licht. Wir wissen nicht, was geschehen wird, vielleicht lassen sie uns in Ruhe, vielleicht fordern sie uns aber auch heraus.«

»Wollt ihr wirklich so lange warten, bis ihr es herausgefunden habt?«, fragte Sly mit hochgezogenen Augenbrauen.

»Nein. Wenn ihr kämpft, kämpfen wir mit euch. Alleine schon, weil ich meine liebste Schwester um nichts in der Welt alleine in den Tod ziehen lassen würde«, erklärte der Sommer.

»Dann danken wir euch. Wie können wir euch eine Nachricht zukommen lassen?«, erkundigte sich Lugh Akhtar mit einem erleichterten Lächeln.

»Über den Tag. Sie hat auch im Frühling und im Herbst ihre Macht, und selbst im Winter kann sie euch über ihren Bruder jede Nachricht zukommen lassen, die nötig ist. Sie und ihr Bruder werden unsere Verbindung sein.«

»Gut. Dann…« Der junge Zauberer wandte sich direkt an Paivi. »Wirst du uns wieder zurück bringen?«

»Nein, das wird sie nicht«, antwortete der Löwe, bevor die Schneeleopardin es tun konnte. »Ich selbst werde euch aus meinem Reich führen.«

Damit verschwanden die Raubkatzen, als hätte es sie niemals gegeben. Auch der Tag.

»Kommt«, gebot der Sommer mit strenger Stimme und lief voran in die Wüstensonne. Doch war es nun nicht mehr so drückend heiß, wie zuvor. Im Gegenteil, es schien, als würde eine warme Frühlingsbriese um sie herum wehen, sie wärmen, aber nicht überhitzen.

»Entschuldigt Hitze, er weiß noch nicht, wie man sich Gästen gegenüber verhält«, erklärte Sommer, während sie hinter ihm hertrotteten. Sehr viel langsamer als zuvor, denn sie alle waren noch immer müde und Cinder konnte auch nicht nennenswert schneller.

»Er scheint ein sehr… hitziges Temperament zu haben«, bemerkte Ice leise.

»Ja. Deswegen habe ich ihn ausgesucht. Unter anderem.« Der Sommer blieb stehen und wandte sich direkt an Cinder. »Steig auf. Du kannst ja kaum noch einen Schritt vor den anderen setzen, ich werde dich tragen.«

»Aber, ich kann doch nicht…!«, widersprach Cinder, doch da hob Sly sie schon an und schob sie auf den Löwenrücken.

»Hör endlich mit deinem unangebrachten Stolz auf. In manchen Situationen muss man Hilfe auch einfach mal annehmen«, tadelte er sanft und lächelte beruhigend zu ihr hoch.

»Darf ich dir eine Frage stellen?«, erkundigte sich Lugh Akhtar nachdenklich, während der Löwe noch nachdenklich auf Sly schaute.

»Natürlich«, antwortete der Sommer und ging langsam und vorsichtig weiter.

»Wieso ist dein Rudel nur so klein? Der Winter hat sechs unter sich, du nur vier. Und wieso… seid ihr… na ja… Katzen? Und was meintest du mit >liebster Schwester<?«

»Das ist aber mehr als nur eine Frage«, bemerkte der Sommer, lächelte dabei aber auch sanft. »Es ist nicht klein. Es ist nur einfach nicht nötig, dass ich mich mit mehr Wesen umgebe. Der Tag, das Licht, die Hitze und der Staub, sie sind meine Familie. Ich könnte meine Familie auch vergrößern, ich könnte mir noch mehr suchen und ihnen noch weitere Aufgaben geben, aber… wozu? Ich bin glücklich so und sie haben sich noch nie bei mir beschwert. Und Katzen sind wir alle, weil es wunderschöne Wesen sind. Sie waren immer schon in diesem Reich heimisch, sie leben gerne hier und ich mag sie. Sie sind… unabhängig, frei, aber nicht einsam. Ich… mag sie einfach. Und was meine Schwester anbelangt… ja, so verschieden wir auch sind, ist sie mir dennoch die Liebste. Ich ziehe ihre Gesellschaft jener von Herbst und Frühling vor.«

»Du sagtest, dass der Herbst ein Kind hätte… habt ihr oft Kinder mit Menschen?«, wollte Soul neugierig wissen und legte zögernd die Hand auf die mächtige Flanke.

»Nur wenn wir den Richtigen finden. Ja, der Herbst hat sich in eine Menschenfrau verliebt und sie haben ein Kind, eine Tochter glaube ich. Sie dürfte älter sein, als ihr es seid. Und der Frühling verkehrt so gerne in Menschenkreisen, wie kein anderer von uns, was mir ein wenig Kopfzerbrechen bereitet, aber nun gut. Vom Winter wusste ich bisher nur von einem Sohn, aber dass sie auch zwei Töchter hat, freut mich nicht minder.« Der Sommer schaute Soul wohlwollend an.

»Hast du eine Frau?«, fragte Lugh Akhtar leise.

»Nein. Ich habe die Richtige nicht gefunden. Aber ich habe auch noch ein paar Jahre vor mir. Vielleicht lebt sie im nächsten Jahrhundert, oder im übernächsten. Ich kann warten. Ich freue mich für meine Geschwister, aber… ich kann warten.«

»Fühlst du dich nicht einsam?«, fragte Cinder von seinem Rücken und kuschelte sich an die dichte Mähne.

»Nein. Ich habe gute Freunde. Und einen Menschen lieben heißt nicht, dass man mit ihm auch ewig leben und glücklich werden kann«, antwortete der Löwe.

»Aber es heißt, dass immer jemand für einen da ist, wenn man ihn braucht… oder?«, fragte Nea leise. Doch darauf erhielt sie keine Antwort. Weder von ihren Freunden, noch vom Sommer. Der blieb jedoch stehen und schaute mit einem Lächeln auf die kleine Gruppe hinab.

»Wir sind da, hier endet mein Reich und das der Menschen beginnt«, lächelte er.

»Der Weg war aber eindeutig kürzer«, meckerte Sly, jedoch lächelte er dabei.

»Ihr müsst nur noch ein wenig weitergehen, dann kommt ihr wieder zu den Ruinen«, erklärte der Sommer weiter, während Cinder mit Ice’ Hilfe von seinem Rücken rutschte und wandte sich dann direkt an Sly. »Und dir, Feuerzauberer… dir möchte ich anbieten, dich mir anzuschließen.«

Erstaunt blinzelte der Rotschopf und schaute fragend in die runden Augen des Löwens. Der verwandelte sich in einen Menschen. In einen Mann, dessen Alter ebenso wenig zu bestimmen war, wie das des Winters, wenn sie es nicht wollte. Er hatte grüne Augen und zottiges, dunkelbraunes Haar, der Löwenmähne nicht unähnlich. Er streckte Sly mit einem Lächeln die Hand entgegen.

»Du willst, dass ich zu deinem Rudel komme?«, fragte Sly ungläubig. »Ich? Der wohl schlechteste Zauberer, den es in Altena gibt?«

»Es kommt nicht darauf an, wie gut du bist. Du wärst dann in der Lage, meine Magie zu nutzen, die ist sowieso von ganz anderer Natur, als eure. Es ist mir wichtiger, dass du zu uns passt. Und das tust du«, fand der Sommer.

»Ich könnte dann wirklich zaubern? Wirklich gut zaubern?« Sehnsucht klang in seiner Stimme mit, während das Entsetzen auf den Gesichtern der anderen immer deutlicher wurde.

»Ja.«

»Ich wäre gerne ein wirklicher Zauberer«, lächelte Sly verträumt.

»Gut. Dann komm mit«, meinte der Sommer und lächelte zufrieden.

»Oh, nein! Das hast du falsch verstanden. Es steht außer Frage, dass ich hier bleibe. Bei meinen Freunden. Bei Cinder. So verlockend der Gedanke auch ist. Ich wäre wirklich gerne mal nicht der Trottel, der das Haus unter Wasser setzt, oder der seinen besten Freund blau färbt, weil er mit seinem Handwerk nicht umgehen kann. Ein wirklicher Zauberer eben. Aber nun gut, es würde auch heißen, alles zu verlassen was mir wichtig ist, und das werde ich nicht tun. Niemals«, antwortete der Rotschopf mit so entschlossenem Blick, dass der Sommer für einen Moment zögerte, bevor er nickte.

»Das ist schade, aber ich kann es auch verstehen«, erklärte er. Dann lächelte er zufrieden, schloss die Faust, streckte sie in Slys Richtung und öffnete sie wieder. Ein blutroter Stein lag auf seiner Handfläche. »Dann nimm das hier als Geschenk.«

»Was… ist das?«, fragte der Rotschopf und griff zögernd danach.

»Du wirst niemals ein großer Zauberer, da hast du recht. Du kannst mit der Magie nicht umgehen, deine Verwandlungen sind kümmerlich, deine Wasser- oder Windzauber lachhaft. Auch dein Feuersturm, so beeindruckend er auch war, war bloß ein Zufall. Doch wenn du jemals lernen kannst, mit etwas umzugehen, dann ist es das Feuer. Aber hiermit ist es kein Zufall mehr. Feuer ist eine mächtige Waffe und sehr gefährlich, wenn man sie nicht einzusetzen weiß. Und dieser Stein hier wird dir dabei helfen. Er kann dich nicht zu etwas machen, was du nicht bist, er kann dir nicht etwas bringen, was nicht vorher schon in dir steckte. Aber das muss er auch nicht. Wenn es dir reicht, solche Flammenmeere erschaffen zu können, wie jenes, mit dem du Tag angegriffen hast, dann kann das hier dir dabei helfen«, erklärte der Sommer. Sly zögerte, dachte darüber nach, doch dann schüttelte er den Kopf.

»Wozu brauche ich Feuerstürme? Ich will niemanden verletzen und alles, was ich im Alltag brauche, das kann ich bereits«, antwortete er, obwohl man die Sehnsucht nur zu sehr in seinen Augen lesen konnte.

»Nimm ihn, Hope«, riet ihm da Ice. Erstaunt schaute der Rotschopf auf seinen Freund.

»Wieso?«, fragte er.

»Weil ich dich kenne. Du würdest es dir niemals verzeihen, wenn du jetzt das Angebot ausschlägst und dann, irgendwann, wenn es nötig ist, genau deswegen nicht in der Lage bist, irgendwem zu helfen. Du musst es nicht ein einziges Mal einsetzen, aber wenn du es musst, dann kannst du es zumindest tun«, erklärte Ice. Sly schaute ihn noch einige Sekunden an, dann nickte er.

»Dann nehme ich dein Geschenk gerne an«, dankte er und nahm den Stein.

»Ich denke, dass er gut in dein Messer passen würde«, lächelte der Sommer. Dann wandte er sich ab und verschwand ebenso plötzlich, wie sie alle es nur zu gerne taten. Sly schaute noch einige Sekunden auf die Stelle im Sand, dann wandte er sich um und lächelte seine Freunde an.

»Wir sollten gehen.«

Lugh Akhtar nickte und gemeinsam verließen sie das Reich des Sommers. Es war seltsam, während sie eben noch in einer Wüste standen, so waren sie nun wieder mitten im Dschungel bei den Ruinen. Doch auch wenn sie den letzten Schritt zurück machten, blieben sie dennoch dort, denn ein wirkliches Zurück gab es nicht mehr.

»Wohin wollen wir als nächstes reisen?«, fragte Nea in die Runde.

»Zum Herbst. Die Nacht sagte, dass er uns wahrscheinlich helfen wird, also verschwenden wir dort weit weniger Zeit, als wenn wir zum Frühling reisen, von dem wir noch so gar nichts wissen«, fand Sly.

»Seh ich auch so«, nickte Lugh Akhtar.

»Also in den Westen.« Ice schaute in die entsprechende Richtung.

Da wurde plötzlich Sly von einem Schatten angefallen.

Kenai

Im ersten Moment reagierte keiner. Sie schauten alle nur verwundert auf das Knäuel aus Gliedmaßen, in dem Sly steckte und versuchte, das, was auch immer es war, niederzuringen. Der Rotschopf wälzte sich mit dem Schatten gemeinsam über den Waldboden, und gerade als Ice endlich als erster reagieren wollte, da kamen sie zum Stehen.

Zwischen Slys Beinen saß der Fremde und drückte seinen Kopf und sich selbst so weit zurück, wie er konnte, andernfalls lief er Gefahr, sich selbst an Slys Messer die Kehle durchzuschneiden. Und er wirkte alles andere als glücklich dabei, doch er wagte nicht mehr, sich zu wehren.

»Keine falsche Bewegung, mein Bester, sonst kannst du bald am Theater den Kopflosen Reiter spielen«, zischte der Rotschopf ihm lächelnd ins Ohr.

»Lass mich los, du Sohn einer räudigen Hündin«, knurrte der Fremde.

»Nein, ich denke nicht«, antwortete Sly und bleckte die Zähne, während die anderen langsam näher kamen.

»Wer bist du?«, fragte Ice noch beim Laufen.

»Ist das… nicht der Kerl aus dem Hafen?«, überlegte Soul laut.

»Welcher Kerl aus welchem Hafen?« Lugh Akhtar schaute sie fragend an.

»Ja Soul, du hast recht«, bestätigte Nea und ignorierte dabei den jungen Zauberer völlig. Sie ließ sich in die Hocke sinken.

»Sicher?«, fragte Sly, dabei blitzte es in seinen Augen gefährlich.

»Ja, das Gesicht war ja nicht gerade alltäglich«, antwortete seine Schwester und deutete auf die Narbe, die sich einmal quer durch das Gesicht des Fremden zog. Sie war ihr beim ersten Zusammentreffen schon aufgefallen, doch Sly konnte sie von seiner Position aus nicht sehen.

»Und wer ist das nun?«, versuchte Lugh Akhtar es noch einmal, doch wurde er wieder ignoriert. Stattdessen drückte Sly noch ein wenig mehr mit seinem Messer zu, sodass ein Blutstropfen die Kehle des Fremden hinab rann.

»Unser Freund ist also wieder da. Soll ich diesmal dir eine verpassen?«, zischte Sly.

»Er hat dir doch gar keine gegeben«, wunderte sich Soul.

»Stimmt, aber Nea.« Sly schüttelte den Kopf, zog die Beine an, und stand langsam mit dem Fremden gemeinsam auf. »Ist jetzt egal. Warum hast du mich angegriffen?«

»Lass mich los, Hexenmeister«, knurrte der Fremde.

»Ich bin kein Hexenmeister«, antwortete Sly gelassen und schubste ihn in die Mitte. Er wusste, dass der Kerl gegen sie alle gemeinsam keine Chance hatte, auch wenn es ein Zauberer war. Wobei er das schon fast ausschloss, kein Zauberer der Welt hätte sich einfach so auf sein Opfer gestürzt, nicht einmal ein so schlechter, wie er selbst es war.

»Sondern?«, fauchte der Kerl.

»Ein Zauberer. Kein guter, aber trotzdem«, lächelte Sly.

»Verrecke«, antwortete der Fremde kalt.

»Er ist ein Söldner«, bemerkte Ice und deutete auf einen Ring, den der Fremde an der linken Hand trug.

»Ein Söldner?« Lugh Akhtar trat mit zwei schnellen Schritten an ihn heran, griff grob nach der Hand und zog den Ring ab. Dabei tat sich der Fremde selbst weh, denn er versuchte sich dagegen zu wehren, doch da packte der junge Zauberer nur noch fester zu. Mit dem Ring in der Hand ging er ruhig wieder an seinen Platz im Kreis.

»Was ist ein Söldner?«, wollte Cinder wissen.

»Jemand, der für Geld tötet«, antwortete Sly kalt und eindeutig angewidert, während Lugh Akhtar und Ice gemeinsam den Ring genauer in Augenschein nahmen.

»Nicht ganz. Sie sind Krieger, die nicht für ihr Land oder ihre Familie kämpfen, sondern nur für Geld. Wer den höchsten Sold zahlt, für den zieht ein Söldner in den Krieg«, berichtigte Ice, doch auch er klang angeekelt und betrachtete den Fremden, als wäre er ein besonders ekelhafter Käfer.

»Der Ring ist eindeutig von der Söldnergilde.« Auch Lugh Akhtar schaute voller Verachtung auf den Mann.

»Dann sagt er uns bestimmt, wer ihn angeheuert hat, oder? In diesem Fall ist dein Sold immerhin sein Leben«, bemerkte Sly und spielte mit seinem Messer herum.

»Keine Ahnung, ich habe nur einen Beutel Gold bekommen und die Nachricht, dass es das doppelte gibt, sollte ich eure Köpfe bringen. Allerdings hat er mir nicht gesagt, dass ihr Zauberer seid.« Feindselig blickte der Söldner um sich.

»Alleine hättest du auch keine Chance, selbst dann nicht, wenn wir nur Menschen wären. Zumindest nicht alleine«, bemerkte Lugh Akhtar und schaute sich verstohlen um. Er nahm Wolfsgestalt an, um sich ein wenig umzublicken, ohne gleich erkannt zu werden, und legte sich auf die Pirsch.

Die anderen verstanden, was er tat und kümmerten sich nicht weiter um ihre Umgebung, sondern drangen weiter auf den Söldner ein.

»Woher hast du unsere Namen, woher weißt du, wohin wir gehen wollten, woher weißt du, dass wir die Richtigen sein?«, erkundigte sich Sly bissig.

»Ein Kerl mit blauen Haaren, eine Frau mit Halbmondnarbe und grauem Haar und ein Rotschopf sind keine allzu alltägliche Zusammenstellung, und dass ihr nach Süden wollt war ziemlich klar, denn dahin ist die Flucht mit Abstand am leichtesten«, bemerkte der Söldner abfällig.

»Er hat recht«, nickte Ice. »Wir haben wirklich ausgesprochen vorausschaubar gehandelt.«

»Ja. Und er weiß, wohin wir als nächstes wollen«, überlegte Nea.

»Was also tun wir dann jetzt mit ihm? Lassen wir ihn hier, schütten wir ihn zu, rammen wir ihm etwas Scharfes in den Hals?« Sly wirkte aggressiv, was ihm einen verwirrten Blick seiner Schwester einbrachte.

»Ach, ihr könnt mich mal«, grummelte der Söldner und pfiff laut. Nur Augenblicke später brach sein Schecke durch das Unterholz, sprang geschickt zwischen Soul und Cinder hindurch und rannte einfach weiter, wobei Ice fast unter die Hufe kam. Der Mann dagegen schien das nicht zum ersten Mal zu machen, denn obwohl das Pferd nicht einmal nennenswert langsamer wurde, schwang er sich geschickt auf den gescheckten Rücken und galoppierte einfach davon.

Im ersten Moment taten sie nichts anderes, als dem wirbelnden Staub hinterher zu schauen, doch dann, wie auf ein geheimes Kommando hin, rannten sie gemeinsam los. Soul, Ice und Nea verwandelten sich geschickt in ihre Wolfsformen, doch Sly schaffte es nicht alleine und rannte so als Mensch mit. Cinder dagegen gab nach wenigen Schritten wieder auf, sie war noch lange nicht wieder fit.

Doch so jagten sie auf diese seltsame Art und Weise durch den Urwald. Dabei hatten die schlanken Wolfskörper einen eindeutigen Vorteil und Sly auf seinen zwei Beinen einen so gravierenden Nachteil, dass er es auch bald aufgab und umkehrte.

Die drei Wölfe dagegen jagten weiter hinterher und kamen sogar immer näher, doch es war Lugh Akhtar, der den Söldner vom Pferderücken holte. Er hatte gerade auf einer Erhöhung gestanden und von dort aus gesehen was dort auf ihn zukam. Er hatte schnell begriffen, was dort vor sich ging und sprang den Reiter an, als das Pferd auf seiner Höhe war.

So stürzte der Söldner schwer und blieb benommen liegen, während sein Pferd langsamer wurde, einen Bogen schlug und zurückkam. Etwa zeitgleich kamen auch Ice, Soul und Nea an und verwandelten sich langsam zurück.

»Danke Lugh, das war knapp«, seufzte Ice und kniete sich neben den Söldner hin, während der weiße Wolf auf seinem Bauch saß und ihn böse anknurrte. Soul ging auf der anderen Seite nieder, während Nea das Pferd beruhigte.

»Noch so ein Trick und Hope darf seine neu entdeckten Aggressionen an dir auslassen«, drohte Ice und zog den Fremden grob auf die Beine, obwohl er noch nicht ganz wach wirkte.

»Was machen wir jetzt mit ihm?«, fragte Nea.

»Ich bin dafür, dass wir ihn mitnehmen«, fand Lugh Akhtar und erhielt dafür einen erstaunten Blick.

»Dann kann er uns am wenigsten schaden«, erklärte er Schulter zuckend.

»Er könnte entkommen, und je mehr er über uns weiß, desto gefährlicher kann er uns werden«, warf Ice ein, doch Lugh Akhtar lächelte nur.

»Freilassen können wir ihn nicht und die Alternative wäre sein Tod und ich bin nicht bereit, einfach so ein Leben auszulöschen, nur weil es mir quer geht. Das ist Rex’ seine Sache, nicht meine. Ansonsten: Denkst du wirklich, er könnte uns entkommen?«

»Natürlich, er hat es eben schon fast geschafft.«

»Ja.« Lugh Akhtar schaute in das ernste Gesicht des Söldners. »Das bedeutet, dass wir besser aufpassen müssen. Oder willst du ihn wirklich freilassen oder ihn gar töten?«

Ice zögerte nachdenklich, bevor er den Kopf schüttelte.

»Du hast recht, ihn freizulassen wäre fast Selbstmord und… er sieht dir ähnlich, ich glaube, ich würde mich fühlen, als wenn ich dir ein Messer ins Herz rammen würde, und einem Freund zu schaden geht eindeutig gegen meine Prinzipien.« Ice seufzte und sprach ganz unbewusst aus, was Nea schon beschäftigte, als sie den Söldner das erste Mal gesehen hatte. Ice hatte nämlich recht, der Söldner sah dem jungen Zauberer wirklich sehr ähnlich, vor allem, da Nea wusste, wie Lugh Akhtar vor seiner ersten Verwandlung ausgesehen hatte.

»Also nehmen wir ihn mit«, murmelte sie und klammerte sich an die Zügel des Pferdes.

»Ja«, nickte Ice und stieß ihn grob in die Richtung, aus der sie gekommen waren. Sie gingen gemeinsam zurück zu Sly, der schon wieder leise auf Cinder einredete. Er blickte auf, als er sie hörte und erhob sich langsam.

»Ihr habt ihn wieder gefangen? Gut.«

»Wir werden ihn mitnehmen. Als unseren Gefangenen«, klärte Ice den Rotschopf und Cinder über ihren Entschluss auf.

»Wie wollen wir ein zweites Entkommen verhindern?«, erkundigte sich Sly und zog auch Cinder hoch.

»Indem wir aufpassen wie die Füchse und ihn nicht alleine lassen. Aber jetzt sollten wir aufbrechen, wir können heute noch ein wenig des Weges schaffen.« Lugh Akhtar wandte sich an Ice. »Ich denke, du kennst den besten Weg, lauf vor.«

So pilgerten sie gen Westen los. Sie umgingen die Wüste, denn sie würde nur sinnlos Kraft rauben, die sie anderweitig bitter nötig hatten. So wurde ihr Weg zwar um einiges länger, aber weit weniger anstrengender, was vor allem Cinder zugute kam. Ihr Gefangener schwieg in der Zeit beharrlich und irgendwann hörten sie auf, ihm Fragen zu stellen. Als sie eines abends, einen Monat nachdem sie den Sommer getroffen hatten, rasteten, da setzte sich Nea zu ihm.

»Wir sind fast um die Wüste herum, bald haben wir Navarre hinter uns gelassen. Und du hast uns nicht einmal deinen Namen gesagt«, begann sie und schaute ihn fragend an, doch wie immer schwieg der Söldner.

»Ich merke schon, du möchtest nichts sagen.« Sie lächelte nachdenklich, bevor sie fortfuhr: »Ich möchte mich bei dir entschuldigen.«

»Warum?«, entfuhr es dem jungen Mann überrascht.

»Na ja, die Sache im Hafen… Es stand mir nicht zu, deine Entscheidung in Frage zu stellen, immerhin ist er dein Pferd. Und ich habe mit Sivan gesprochen, er findet, dass du ein guter Herr bist«, erklärte sie.

»Du kannst mit Tieren sprechen, nicht wahr?«, fragte er ganz unvermittelt und schaute sie scheu an.

»Ja«, bestätigte sie mit einem Lächeln. Darauf folgte Schweigen, aber nicht lange.

»Hexe«, spie der Söldner aus. Nea schaute ihn nachdenklich an, dann nickte sie und lächelte.

»Ja. Jetzt schon und das ist gut so. Für mich und auch für andere.«

Verblüfft blinzelte er sie an, sodass sie leise lachte.

»Nein, ich bin nicht verrückt, aber…« Sie schaute in den dunkler werdenden Himmel hinauf. »Ich bin das dreizehnte Kind eines dreizehnten Kindes in der dreizehnten Generation, und die Dreizehn ist die mächtigste magische Zahl, die es gibt. Das bedeutet, dass ich eigentlich von Kindesbeinen an eine der mächtigsten Zauberer der Welt hätte sein sollen, aber…«

»Du warst es nicht?«, fragte er.

»Genau.« Sie lächelte. »Ich war es nicht, im Gegenteil. Ich konnte nicht einmal aus Milch Butter machen. Deswegen ging ich auf Reisen und traf dabei Lugh Akhtar, der mir den Weg zu meiner Magie zeigte. Ohne ihn wäre ich ein Nichts.«

»Er ist dein Geliebter, nicht wahr?« Der Söldner schaute sie fragend an.

»Ja…«, antwortete sie zögernd, schüttelte aber sogleich den Kopf. »Ich weiß es nicht. Ich dachte es, aber wenn ich sehe, wie sehr sich die anderen beiden um ihre Frauen bemühen, dann… bin ich mir da nicht so sicher…«

»Ja, das ist mir auch aufgefallen. Hope und Cinder erwarten ein gemeinsames Kind, stimmt’s? Und Ice, also der mit den blauen Haaren, er ist mit Soul verheiratet, nicht wahr? Und auch bei ihnen ist bald Nachwuchs angesagt…« Der junge Mann schaute Nea fragend an, doch sie wirkte eindeutig verblüfft.

»Also… ja. Aber woher weißt du das? Ich meine, mit Ice und Soul, das… wusste nicht einmal ich…«, erklärte sie verwundert.

»Ich habe euch sehr genau beobachtet«, erklärte der Söldner und lächelte. »Und natürlich auch zugehört.«

»Hat Soul es ihm etwa gesagt?«

»Vermutlich schon, aber ich bin drauf gekommen, weil er sich jetzt anders um sie kümmert. Nicht so gluckenhaft wie Hope, aber eindeutig besorgter.«

»Du… beobachtest uns ja wirklich…«

»Ich habe ja sonst nichts zu tun. Und wenn man beobachtet, dann lernt man auch ein wenig. Ihr seid zwar alle Zauberer, aber… so anders seid ihr gar nicht…«, überlegte er.

»Wieso, was dachtest du denn, wie wir sind? Ungeheuer?«, lachte Nea.

»Ja. Ich weiß, dass meine Mutter von einem Zauberer sehr traurig gemacht wurde, er hat sie verlassen, ohne ihr auch nur einen einzigen Grund zu sagen. Einfach so, von heute auf morgen. Und die Zauberer, die bei uns leben sind auch nicht gerade welche der netten Sorte…« Der Blick des Söldners verdüsterte sich.

»Wolltest du uns deswegen ans Leder?«, fragte sie traurig.

»Nein. Ich wusste nicht, dass ihr Zauberer seid. Auch nicht, als du mir sagtest, dass Sivan nicht auf das Schiff wollte, ich dachte, du wolltest dich bloß wichtig machen.«

»Also hast du es nur des Geldes wegen tun wollen?«

»Auftrag ist Auftrag. Egal, von wem er kommt und egal, wen er betrifft.« Der junge Mann zuckte gleichgültig die Schultern.

»Und… was wäre, wenn du deine Eltern töten müsstest?« Nea schaute ihn fragend an.

»Ich kenne meinen Vater nicht, er ist noch vor meiner Geburt abgehauen. Aber nein, meine Mutter würde ich nicht töten. Es gibt auch Aufträge, die nicht einmal ein Söldner annimmt.«

»Also bist du doch nicht so kaltherzig, wie du tust… wieso bist du überhaupt Söldner? Ich habe nicht das Gefühl, dass du besonders kaltschnäuzig oder bluthungrig wärst.«

»Bin ich auch nicht, aber ich bin ein Bastard, und einen Bastard will niemand als Lehrling haben. Außer natürlich Diebe, Mörder oder eben Söldner. Kanonenfutter wird ja sowieso immer gebraucht… Ich bin zu groß für einen Dieb, habe zu viel Skrupel für einen Mörder, also blieb nur der Söldner. Ja, auch hier muss man gelegentlich morden, aber in den allermeisten Fällen hat das Opfer zumindest eine Chance, sich zu wehren.«

»Hast du… die Narbe von solch einem >Opfer<?«, fragte Nea und fuhr der feinen Linie auf dem Gesicht des Söldners nach.

»Nein. Die ist von einem Zauberer. Er fand es lustig herauszufinden, wie gut sich ein gewöhnlicher Mensch gegen seine Magie wehren kann«, antwortete der junge Mann bitter.

»Das… tut mir leid… aber gegen genau solche Zauberer gehen wir auch vor. Es kann nicht sein, dass Rex tötet, nur um vielleicht einmal bei einem Zauber Glück zu haben…«, erklärte Nea.

»Ihr glaubt wirklich, dass die Jahreszeiten wirklich leben, oder?«

»Wir glauben es nicht, wir wissen es. Soul, Cinder und Lugh Akhtar sind die Kinder des Winters und bevor du dich auf meinen Bruder gestürzt hast, standen wir noch mit dem Sommer beisammen«, lächelte Nea.

»Natürlich. Und ich bin mit dem Frühling verlobt und der Herbst persönlich ist mein Vater.« Das Hochziehen der Augenbraue des Söldners sagte deutlich genug, was er davon hielt, dazu war der eindeutig ironische Tonfall nicht einmal nötig, dass Nea lächelte nach wie vor.

»Du musst es nicht glauben, Söldner, aber es ist wahr.«

»Weißt du, Nea… auch Söldner haben Namen musst du wissen.«

»Das mag sein, aber bis eben hast du nicht einmal Husten für uns übrig gehabt, geschweige denn deinen Namen gesagt«, lächelte sie.

»Oh nein, Kleines, so nicht«, widersprach der junge Mann und zog eine Augenbraue hoch. »Ich meine, hat irgendeiner von euch nach meinem Namen gefragt?«

Nea musste ihm verblüfft zustimmen. Er hatte recht, niemand hatte jemals seinen Namen wissen wollen. Überhaupt, vielleicht hatten sie ihm einfach die falschen Fragen gestellt…

»Ihr habt über mich gesprochen, nicht mit mir«, bestätigte der Söldner ihre Idee.

»Dann… sag mir, wie ist dein Name?«, fragte sie.

»Ich heiße Kenai.«

»Kenai? Kenai. Wirst du uns irgendetwas tun? Uns verraten oder dergleichen?« Sie hielt gespannt die Luft an.

»Nein. Wieso auch? Zum ersten Mal in meinem Leben treffe ich auf Zauberer, die sich wirklich für andere interessieren. Ich… ja. Ich möchte euch kennen lernen. Und… ich muss zugeben, du hast mich neugierig gemacht. Ich möchte auch wissen, ob es den Herbst wirklich gibt. Außerdem… ich bin kein Kindermörder, deswegen müssten Soul und Cinder sowieso keine Angst vor mir haben, im Gegenteil. Cinder hat jetzt schon Probleme, mit euch mitzuhalten, lange hält sie euren Gewaltenmarsch auch auf dem Pferderücken nicht mehr aus.«

»Ja, das wissen wir, aber es gibt keinen Ort auf der Welt, zu dem wir sie bringen können, denn überall sonst wäre sie in großer Gefahr.«

»Nein, nicht unbedingt. Ich… könnte euch zu meiner Mutter bringen, sie wird die beiden Mädchen bestimmt gerne aufnehmen.« Kenai schaute ihr in die Augen und sofort musste Nea wieder an Lugh Akhtar denken. Ja, sie vertraute dem Söldner sofort. Also nickte sie.

»Gut. Ich werde es mit den anderen besprechen, aber… ich glaube dir.« Sie stand auf und schaute auf ihn hinab.

»Wirklich?«, fragte er erstaunt.

»Ja. Ich weiß zwar nicht, wieso, aber ich vertraue dir.« Und damit ging sie zu ihren Freunden zurück. In Gedanken blieb sie jedoch bei Kenai.

Trennung

»Und wieso darf ich ihn noch mal nicht knebeln?« Sly schaute feindselig zu Kenai zurück.

»Weil deine Schwester aus irgendeinem Grund einen Narren an ihm gefressen zu haben scheint… Ich würde mich jetzt ins Zeug legen, Lugh.« Ice schaute den jungen Zauberer nachdenklich an.

»Wieso? Soll sie sich ruhig mit ihm unterhalten, vielleicht findet sie ja ein wenig etwas über seinen Auftraggeber heraus. Und über die Söldnergilde im Allgemeinen.« Lugh Akhtar zuckte gleichgültig mit den Schultern.

»Wieso haben wir ihm eigentlich die Fesseln abgemacht? Ich meine, was tun wir, wenn er jetzt abhaut? Ich denke nicht, dass er noch einmal einzufangen ist«, warf Sly ein.

»Nea vertraut ihm und wir sollten ihr vertrauen«, bemerkte Cinder vom Pferderücken aus. Sly schaute besorgt zu ihr hoch. Sie war sehr blass und klang ausgesprochen matt. Sie wirkte kraftlos und müde.

»Sollen wir eine Pause machen?«, fragte der Rotschopf leise.

»Nein«, antwortete sie und legte mit einem Lächeln eine Hand auf ihren dicken Bauch. Sly wirkte nicht überzeugt, doch er sagte nichts mehr.

»Denkt ihr auch, dass Kenai ein solch guter Mensch ist, wie Nea behauptet?«, fragte Ice leise.

»Nein. Kein Söldner ist jemals irgendwann ein guter Mensch gewesen«, antwortete Sly und klopfte dem Pferd den Hals. Es war der Schecke. Nachdem Nea mit ihm gesprochen hatte, hatte sich der Hengst dazu bereit erklärt, sie gerne zu tragen. Er wusste, dass Soul und Cinder nicht das waren, was sie zu sein schienen.

»Ich finde ihn seltsam…« Lugh Akhtar warf einen kurzen Blick über die Schulter zurück. Er mochte es nicht, wie vertraut Kenai und Nea miteinander sprachen, aber er sagte nichts dazu.

»Inwiefern?«, erkundigte sich Ice.

»Ich weiß nicht… er ist… eben irgendwie anders. Ich denke, da ist noch mehr, als er uns verraten hat. Oder als er Nea verraten hat.« Der junge Zauberer wirkte unentschlossen.

»Ja, ich weiß, was du meinst. Als wenn er irgendein riesiges Geheimnis vor uns hat…« Sly wirkte nachdenklich.

»Als wenn er etwas wüsste, was niemand sonst weiß. Nur er. Und er weiß auch, dass es für uns wichtig ist, aber er möchte uns lieber zappeln sehen«, nickte Cinder. »Ja, das Gefühl habe ich auch.«

»Aber was kann das nur sein?« Der Rotschopf schaute fragend von einem zum anderen.

»Ich weiß es nicht. Vielleicht… bringt es etwas, wenn wir ihn einfach direkt fragen. Immerhin hat er uns ja auch ziemlich viel erzählt, nachdem wir irgendwann einfach ganz direkt danach gefragt haben…«, überlegte Lugh Akhtar.

»Du kannst es ja gerne versuchen«, lächelte Ice.

»Falls er dir antwortet kannst du mir die Antwort gerne mitteilen«, grinste auch Sly.

»Ja, ihr habt recht. Es gibt Dinge, die man niemandem auf der Welt anvertraut und schon gar keinem Fremden. Aber was tun wir stattdessen?« Der junge Zauberer wirkte unentschlossen und nicht gerade zufrieden.

»Abwarten und Tee trinken«, antwortete Sly mit einem Lächeln, blieb dann aber plötzlich stehen.

»Was ist?« Ice schaute seinen Freund alarmiert an.

»Habt ihr das eben auch gehört?«

»Gehört?« Lugh Akhtar schaute sich um, entdeckte aber nichts ungewöhnliches.

»Vielleicht kommt Soul zurück«, überlegte Ice.

»Nein, es… hat sich nicht gerade nach Wolfspfoten angehört…«, zögerte Sly.

»Ich geh mich umschauen«, erklärte Lugh Akhtar und war binnen Sekunden in seine Wolfsgestalt gewechselt. Er verschwand im Unterholz der westlichen Nadelwälder. Seine Freunde schauten ihm kurz nach, liefen dann langsam weiter. Nach kurzer Zeit hörten sie das Trommeln lauter Wolfspfoten, doch es war Soul, die zurückkehrte. Sie verwandelte sich geschickt wieder in einen Menschen zurück und lächelte.

»Der Westen ist wirklich toll!«, erklärte sie begeistert.

»Der Westen ist in erster Linie gefährlich«, antwortete Ice, lächelte dabei aber verträumt.

»Warum eigentlich? Bisher habe ich nichts entdeckt, was gefährlich war. Seltsam, ja, aber nicht gefährlich«, überlegte sie.

»Nicht alle Gefahren sind auf den ersten Blick gleich zu erkennen«, antwortete Sly ernst.

»Da hat er recht. Die Gefahr des Westens liegt nicht ganz so offen dar, wie es im Süden und Norden der Fall ist. Hier liegt sie in der Politik der einzelnen Kleinreiche. Es gibt Gebiete, da werden Zauberer gejagt, in anderen dagegen werden Menschen von den Zauberern nicht nennenswert besser behandelt, als Rex es tut«, erklärte Ice.

»Sagt mal…«, mischte sich mit einem Mal Cinder ein. »Woher nehmt ihr eigentlich das Recht, die anderen zu verurteilen?«

Die beiden Männer schauten verblüfft zu ihr auf.

»Wie meinst du das?«, fragte Sly.

»So, wie ich es sage. Das ist mir auch schon früher aufgefallen. Ihr verurteilt die anderen, nur weil sie anders sind. Vielleicht ist ja das, was Rex tut gut und richtig und sie sind die Bösen. Vielleicht ist diese klare Trennung von Mensch und Zauberer, die hier vorzuherrschen scheint ja auch gut und sinnig. Vielleicht sind sie ja glücklich so«, überlegte die junge Frau.

»Cinder…«, begann Sly, doch Cinder schüttelte entschieden den Kopf.

»Sie hat recht. Ihr habt eure Ideale, aber wer beweist euch, dass es so richtig ist?«, stimmte auch Soul zu.

»Weil unsere Ideale darauf aufbauen, dass niemand zu Schaden kommt«, antwortete Ice.

»Und warum ist das gut? Warum heißt das, dass alles andere automatisch schlecht ist?«

»Das bedeutet es doch gar nicht. In Altena wird auch die Politik des Südens und des Ostens geschätzt. Aber was bitte ist gut daran, wenn man ein anderes Wesen jagt, nur weil man Angst davor hat?«, hielt Sly dagegen.

Cinder antwortete darauf zwar nicht, aber sie machte nicht den Eindruck, dass es daraus resultierte, dass sie keine Erwiderung mehr parat hätte, sondern vielmehr, dass sie nicht streiten mochte. Das gleiche galt für Soul, die es ebenfalls vorzog, die ganze Sache erst einmal auf sich beruhen zu lassen. Die Schwestern kamen nun einmal aus einer so völlig anderen Welt, dass sie die Fähigkeit hatten, nicht von gesellschaftlichen Idealen geblendet zu sein. Doch im Moment sagten sie nichts.

»Wo ist eigentlich Lugh Akhtar?«, lenkte Soul das Thema in eine völlig neue Richtung.

»Sly hat vorhin ein Geräusch gehört und Lugh ist losgezogen, den Ursprung zu ergründen«, antwortete Ice sanft und liebevoll.

»Hey ihr vier, was haltet ihr von einer kleinen Mittagspause?«, rief Nea von hinten.

»Ja, eine Pause ist nötig«, stimmte Sly leise zu und schaute zu Cinder hinauf.

»Wir suchen nur noch eine geeignete Stelle«, rief Ice zu ihr zurück. Kurze Zeit später hatten sie sie gefunden und ließen sich zum essen nieder. Nur kurze Zeit später stieß auch Lugh Akhtar wieder zu ihnen.

»Und, was hast du entdeckt?«, erkundigte sich Ice.

»Nichts Besonderes. Es sind Tiere in der Nähe, die ziemlich groß und schwer zu sein scheinen, denen will ich nicht unbedingt begegnen, aber ansonsten…« Der junge Zauberer zuckte die Schultern und setzte sich dazu.

»Bärenspuren«, bemerkte Kenai.

»Was?« Irritiert schaute Sly ihn an.

»Das sind Bärenspuren. Die sind hier überall.« Der junge Söldner lächelte.

»Was sind Bären?«, fragte Nea neugierig.

»Sehr große Tiere, die ein wenig Ähnlichkeit mit Hunden haben… glaub mir, du wirst sie erkennen, wenn du sie siehst«, lächelte Kenai.

»Kenai bedeutet auch Bär, nicht wahr?« Sly schaute fragend auf den Söldner.

»Ja«, bestätigte der.

»Du bist aus dem Westen, oder? Aus welcher Region?«, wollte Ice wissen.

»Ich komme aus…« Kenai brach ab, als ein lautes Knacken durch den Wald scholl. Ohne ein Wort verwandelte sich Lugh Akhtar wieder in den Wolf und lief langsam in die entsprechende Richtung. Die anderen standen auf und beschlossen, dass es besser war, ihre Pause zu unterbrechen, sprachen dabei jedoch nicht ein Wort. Deswegen verstand Kenai es auch erst, als Nea ihn mehrfach knuffte und damit zum Aufstehen bewog.

»Wollt ihr nicht auf Lugh Akhtar warten?«, fragte er leise.

»Nein. Glaub mir, er kann auf sich selbst aufpassen«, lächelte Nea ebenso leise und drückte ihm die Zügel des Packpferdes in die Hand.

»Meinst, das war einer dieser Bären?« Soul schaute sich immer wieder neugierig um.

»Nein. Kein Tier der Welt würde so rücksichtslos durch den Wald brechen«, fand Ice.

»Dann bist du noch nie einem ausgewachsenen Grizzly begegnet, was?« Kenai lächelte nachsichtig.

»Nein, aber ich kenne genug Waldbewohner um zu wissen, dass sie nicht so laut durch den Wald stürzen«, antwortete Ice kalt.

»Ein ausgewachsener Braunbär hat es nicht nötig, sich vor irgendetwas zu verstecken, wenn er satt ist. Deswegen sind sie auch nicht leise.« Kenai band die Pferdezügel zusammen und warf sie dem Tier über den Kopf.

»Was tust du?«, wollte Sly misstrauisch wissen.

»Dem Tier eine reelle Chance für eine Flucht verschaffen. Ich habe zumindest nicht vor, es mit losen Zügeln laufen zu lassen, da verheddert es sich nur und bricht sich die Beine.« Der Söldner bleckte die Zähne.

Die Blicke der beiden Männer sprachen Bände, aber sie antworteten nicht. Stattdessen hob Sly Cinder wieder auf den Pferderücken. Keine Sekunde zu früh, denn da kam gerade Lugh Akhtar angeprescht. Im Laufen noch verwandelte er sich zurück.

»Zauberer aus Altena«, erklärte er gehetzt, als auch schon die Ersten auftauchten. Sofort rannten sie los, aber es war ziemlich schnell klar, dass sie so nicht entkommen konnten. Kenai war der erste, der darauf reagierte. Er griff sich Nea, schob sie aufs Packpferd und sprang hintendrauf. Dann gab er dem Tier die Sporen und es jagte davon in den Wald hinein.

»Verdammter Feigling!«, wetterte Sly böse.

»Aber er hat recht, wenn wir uns trennen, dann kriegen sie uns nicht so schnell«, wandte Ice ein.

»Oder wir kämpfen einfach.« Sly blieb abrupt stehen und wandte sich um. Er hatte fleißig geübt, sodass es nun ein Leichtes für ihn war, einen kleinen Feuersturm auf sie loszulassen.

»Komm mit verdammt, das hält sie nicht auf!«, brüllte Lugh Akhtar und zerrte ihn einfach mit sich, als er vorbei lief.

»Aber so entkommen wir nie!«

Doch auch das Feuer brachte ihnen nur Sekunden ein, da war es auch schon mit Wassermagie gelöscht.

»Dann lauf eben schneller!«, antwortete Ice bissig, obwohl sehr deutlich war, dass er noch lange nicht all sein läuferisches Können ausspielte.

Da verwandelte sich Lugh Akhtar wieder in den weißen Wolf und ging zum Angriff über. Er sprang einen der Zauberer an, musste sich dann jedoch der anderen erwehren. Soul tat es ihm nach und stürzte sich ebenfalls als Wölfin ins Getümmel, was einen scharfen Rückruf von Ice zur Folge hatte, jedoch ignorierte sie ihn gekonnt.

Auch Sly blieb nun abermals stehen und zückte sein Messer. Obwohl er in einem magischen Kampf eindeutig unterlegen war, konnte er nicht einfach seine Freunde kämpfen lassen und selbst verschwinden. Doch gerade als Ice sich ebenfalls fluchend ins Getümmel stürzen wollte, zerriss eine Explosion die Umgebung. Der Druck warf ihn zurück und gegen einen Baum.

Er brauchte einen Moment, um wieder klar denken zu können, doch als er wieder bei Verstand war, da bot sich ihm ein Flammenmeer. Er starrte auf den brennenden Wald und auf die schreienden schwarzen Schattengestalten, die dort zu verbrennen schienen. Seine Freunde sah er nicht und auch Soul nicht.

»Ice, was…?« Cinder rutschte umständlich vom Pferderücken und kam mit großen Augen näher.

»Lass uns von hier verschwinden.« Auf Ice stürzten so viele Gedanken und Empfindungen auf einmal ein, dass er gar nicht in der Lage war, sie alle zu verarbeiten. So drehte er sich ruhig zu Cinder um, lächelte beruhigend und führte sie zu Sivan zurück.

»Was ist mit Sly?«, fragte sie ängstlich.

»Er wird vermutlich gerade ein paar Zauberer braten.« Ice wusste nicht einmal, was er sagte, nur, dass er es tat. »Wir sollten ihn dabei nicht stören. Er wird nachkommen.«

Cinder wirkte nicht überzeugt und wollte in Richtung des Feuers laufen, doch Ice hob sie einfach hoch, setzte sie auf den Pferderücken und kletterte hinterher.

»Ice, lass mich runter, ich will zu Sly.« Er hörte die Panik in Cinders Stimme, aber er ignorierte sie. Auch, als sie zu schreien und kreischen begann und auf ihn einhiebte. Er wusste nur, dass er sie wegbringen musste. Das war sein einziger klarer Gedanke, das einzige Ziel, das er für diesen Moment kannte.

Alles andere verdrängte er, irgendetwas anderes zu tun, oder sich zu fragen, ob es wirklich so wichtig war, hätte auch bedeutet, sich mit dem gesehenen auseinanderzusetzen, was unweigerlich auf die Frage hinauslaufen würde, ob Soul, Sly und Lugh Akhtar die Explosion überlebt hatten. Und vor der Antwort hatte er eine solch große Angst, wie vor nichts anderem in seinem Leben.

Deswegen trieb er den Schecken in den Galopp und versuchte, so schnell, so weit weg wie irgend möglich zu kommen. Dabei hielt er Cinder fest in seinem Arm und versuchte, an nichts zu denken. Doch er wusste, dass er sich irgendwann stellen musste. Im Moment lief er aber lieber davon. Ohne zurückzublicken, mit einem Herzen voller Angst.

Neue Liebe?

»Lass mich los!« Nea brüllte so laut, dass es Kenai in den Ohren schmerzte, doch er dachte nicht daran.

»Wir suchen deine Freunde, wenn es sicher ist«, erklärte er ruhig und trieb den Wallach noch mehr an.

»Nein, du kehrst sofort um!«, befahl sie, während der Wind um sie herum auffrischte.

»Ich habe keine Angst vor deiner Magie«, bemerkte der Söldner darauf mit gerunzelter Stirn.

»Solltest du aber, als gewöhnlicher Mensch«, giftete sie.

»Ich weiß. Aber ich bin Söldner, ich lebe davon, mein Leben wegen Geld zu riskieren, da kann es mir egal sein, ob ich es nun riskiere, um einmal in meinem Leben so klug zu sein und abzuhauen.« Kenai wirkte ziemlich gleichgültig.

»Dann hau ab, es ist mir egal ob du fliehst, aber lass mich gehen!«, wetterte die junge Zauberin.

»Nein. Und wenn du mit mir danach niemals wieder ein Wort sprichst, trotzdem nein«, war die unerbittliche Antwort.

»Und warum nicht?«

»Weil ich nicht das erste Wesen, was eindeutig meiner Spezies angehört, mich aber nicht als Bastard bezeichnet, obwohl es um meine Herkunft weiß, in den sicheren Tod schicken werde«, erklärte er sachlich.

»Was?« Nea wirkte verblüfft.

»Ich mag dich. Du verachtest mich nicht, weder für das was ich bin, noch für das, was ich tue. Alleine deswegen mag ich dich. Und alleine deswegen werde ich nicht zulassen, dass du dein Leben wegwirfst.« Kenai ließ den Wallach langsamer werden.

»Aber was ist mit meinen Freunden?«, fragte die junge Zauberin und schaute ihn aus großen Augen an.

»Wenn sie klug sind, dann sind sie abgehauen, wenn nicht, dann sind sie jetzt sowieso nicht mehr am leben. Wir werden zurückreiten, aber erst, wenn ich es als sicher erachte, vorher lass ich dich nicht gehen.«

»Bin ich jetzt also deine Gefangene?«, wollte sie kalt wissen.

»Ja.«

»Und für wie lange?«

»Das wird die Zeit zeigen.« Kenai ließ den Wallach anhalten und lauschte durch die Stille des Waldes.

»Lass uns bitte zurück reiten.« Nea schaute bittend zu ihm auf. Kenai schaute sie an, schaute für einen Moment nur in ihre blaugrünen Augen.

»Nein…«, sagte er dann leise.

»Aber ich mache mir solche Sorgen.« Sie begann zu weinen.

»Trotzdem nicht. Wir werden hier eine Stunde warten und dann zurück reiten«, beschloss Kenai und das taten sie auch. Sie wechselten kein Wort in der Zeit, auch nicht, während sie umkehrten.

Erst, als sie die kleinen, knisternden Feuerchen sahen, die von dem Großbrand noch übrig waren, da entfuhr Nea ein kleiner Schrei. Sie rutschte vom Pferderücken und lief über das verbrannte Gras, suchte verzweifelt nach einem Beweis, dass Lugh Akhtar und ihr Bruder noch am leben waren, doch sie fand nichts.

Stattdessen fand sie die verbrannten Überreste von etwas menschlichem. Sie sackte zu Boden, das pure Entsetzen in den Augen. Da stellte sich Kenai neben sie und legte ihr die Hand auf die Schulter.

»Keine Angst, wir finden sie«, erklärte er und lächelte aufmunternd.

»Wir haben sie schon gefunden«, hauchte sie und weinte bitterlich.

»Das sind sie aber nicht. Ich habe Spuren von Sivan gefunden, und sie sind schwerer als sonst, also trug er zwei Reiter. Und ich habe Fellreste gefunden. Weißes Fell und zwar jenseits des Feuers«, erklärte Kenai und hielt ihr den Büschel hin. Nea griff danach und fühlte deutlich, dass es Wolfsfell war.

»Außerdem habe ich Wolfsspuren gefunden, zwei verschiedene«, fuhr Kenai fort und zog sie hoch.

»Also denkst du, sie könnten noch leben?« Hoffnungsvoll schaute sie ihn an.

»Wir können uns zumindest auf die Suche nach ihnen machen«, erklärte er und lächelte.

»Dann lass uns erst den Wolfsspuren folgen«, bat sie und das taten sie. Doch verloren sie die Spur, als die Tiere einen Fluss überquerten. Auch die Pferdespuren brachten sie nicht viel weiter, denn bei dem felsigen Gebiet am Ende des Waldes verloren sie auch die.

»Was sollen wir nun tun?«, fragte Nea, als sie über den felsigen Boden strich.

»Na ja, du weißt doch, wo sie hin wollten, oder?«, fragte er nachdenklich.

»Ja, aber ich kenne doch den Weg nicht.« Sie zog die Knie an und vergrub ihr Gesicht darin.

»Sag mir nur, wo es ist«, lächelte Kenai und setzte sich zu ihr.

»Ich… ich weiß es nicht. Es gibt überall auf der Welt Orte, an denen keine Magie existiert, und dort leben die Jahreszeiten. Aber ich weiß nicht, in welchem Kleinreich das der Fall ist«, weinte sie.

»Ein Ort ohne Magie, ja?« Der Söldner wirkte nachdenklich.

»Kennst du einen solchen Ort hier?«, fragte sie hoffnungsvoll.

»Ja… ja, ich denke schon. Ich bin hier im Westen geboren und aufgewachsen und meine Mutter und ich lebten in der Nähe mehrerer Schluchten… man nannte sie die Windskralle, weil sie einer Legende nach entstand, als der Wind voller Wut auf die Erde schlug. Das ist natürlich Schwachsinn, aber… es ist eine Tatsache, dass die Zauberer nur sehr ungern dorthin kommen. Irgendetwas hält sie fern…«, erzählte er nachdenklich.

»Und du denkst, dass das Fehlen der Magie könnte der Grund sein?«

»Wir können es herausfinden. Und selbst wenn dem nicht so ist, könnte meine Mutter eine Idee haben«, überlegte Kenai.

»Dann… lass uns losziehen«, bat Nea.

So zogen sie nur zu zweit weiter. Es war ein weiter Weg und sie waren lange unterwegs, doch je weiter sie kamen, desto zuversichtlicher wurde die junge Frau und freute sich, ihre Freunde bald wieder zu sehen.

»Gut, ich bin dran«, lachte Nea gut gelaunt. Es war Anfang Dezember, der Herbst war schon weit fortgeschritten und ihr Ziel war nicht mehr fern. Sie hatten Glück gehabt, es hatte sich ihnen niemand in den Weg gestellt, sie waren überall unbehelligt geblieben und Kenai war ihr ein guter Freund geworden.

»Gut, dann frag«, lachte er. Sie spielten ein Spiel, sie stellten abwechselnd Fragen und der andere musste wahrheitsgemäß antworten.

»Also… hast du Geschwister?« Sie schaute ihn auffordernd an.

»Nein. Zumindest keine von denen ich wüsste, da ich meinen Vater aber nicht kenne ist es aber nicht auszuschließen«, erklärte er.

»Weißt du… du siehst Lugh Akhtar ähnlich. Vor allem seiner Gestalt, bevor er das weiße Haar hatte…«, überlegte Nea.

»Wirklich?« Kenai zögerte kurz, dann lächelte er und forderte: »Zähl mir alle Namen deiner Geschwister auf, und zwar in der richtigen Reihenfolge.«

»Oha. Also, die erste ist Rose, danach kam Hope. Dann kam Hazel, sie ist die einzige ohne rotes Haar. Dann kamen erst einmal zwei Zwillingspaare, also Red und Deer und Ember und Ashes. Dann kam Page und das letzte Zwillingspaar, Cloud und Sky. Danach kam dann Ocean und natürlich Robin. Und ich bin die Dreizehnte«, lächelte Nea.

»Kommt mir das nur so vor, oder seid ihr deutlich mehr Frauen?«, erkundigte sich Kenai verwundert.

»Nein, da hast du recht. Von dreizehn Kindern sind es nur drei Jungen. Hope, Red und Deer. Alle anderen sind Mädchen«, lachte die junge Zauberin.

»Da haben es deine Brüder aber bestimmt nicht leicht.«

»Nein, weiß Gott nicht. Aber ich bin wieder dran. Woher hast du den Namen deines Pferdes?«

»Sivan? Das bedeutet September und ich habe ihn im September vor fünf Jahren bekommen. Er stand verletzt im Wald und ich habe ihn eingefangen und gesund gepflegt. Ich denke, dass er eigentlich ein Wildpferd ist, aber danach wollte er nicht mehr gehen. Also habe ich ihn behalten und ihn nach dem Monat benannt, in dem wir uns trafen.«

»Okay, auf die Idee wäre ich nicht gekommen. Aber ich glaube auch nicht, dass Lugh Akhtar da so bös' drum ist«, lachte sie.

»Ja… Ich bin wieder dran, und wo wir schon bei ihm sind… Liebst du ihn eigentlich noch?« Er schaute sie forschend an.

»Wen, Lugh Akhtar?«

»Ja.«

Nea zögerte und überlegte lange.

»Das ist… schwer zu beantworten. Ich weiß es nicht. Kann man denn zwei Menschen zugleich lieben?«, fragte sie und blieb nachdenklich stehen.

»Ich weiß es nicht, so etwas ist mir nie passiert«, antwortete Kenai.

»Nun… ich habe das Gefühl, dass dem so ist. Lugh Akhtar ist mir wichtig, und ich denke auch, dass ich ihn liebe, aber… er ist nicht mehr der Einzige, der in mir solche Gefühle weckt, und… ich wüsste nicht sicher, für wen ich mich entscheiden würde…« Sie schaute ihn verwirrt an.

»Denkst du, dass er dich liebt?«, erkundigte sich der Söldner weiter.

»Nein. Ich denke, wenn er mich wirklich lieben würde, hätte er mich schon längst gefunden. Ich kenne seine Fähigkeiten, es wäre ein Leichtes für ihn.« Sie lächelte traurig, doch dann schüttelte sie den Kopf.

»Ich bin dran. Hast du… eine Geliebte?« Sie warf ihm einen scheuen Blick zu.

»Nein. Aber ich glaube, ich liebe jemanden«, antwortete er leise.

»Ja…?« Sie schaute ihn fragend direkt an.

»Ja… aber ich denke nicht, dass ich Chancen bei ihr habe.« Er lächelte traurig.

»Hast du es ihr denn gesagt? Du kannst es nicht wissen, wenn du es nicht versuchst«, warf sie ein.

»Das stimmt…« Kenai seufzte, schaute denn nachdenklich in den Himmel. »Denkst du wirklich, ich sollte es ihr sagen?«

»Ja.« Nea lächelte auffordernd. »Wir können auch gerne gemeinsam zu ihr gehen, wenn es dir irgendwie hilft.«

»Aber… ich muss nirgendwo hingehen. Nea, die, die ich liebe, das…«, begann er, doch sie schüttelte ängstlich, fast panisch den Kopf.

»Sag es nicht, sprich es nicht aus!«, rief sie aus und wich vor ihm zurück.

»Aber du sagtest doch…!« Kenai kam auf sie zu und sie wich noch weiter zurück, bis er wieder stehen blieb.

»Nein Kenai! Nicht jetzt. Nicht… zu mir. Ich kann… ich kann Lugh Akhtar nicht so verraten!« Tränen traten in ihre Augen, als sie sich ruckartig umwandte.

»Aber wieso verrätst du ihn? Du sagst doch selbst, dass er dich nicht mehr liebt.«

»Das bedeutet aber nicht, dass ich mich irgendjemand anderem zuwenden kann! Ich muss es ihm doch zumindest sagen…«

»Das kannst du auch später tun, wenn du ihn wieder gefunden hast.«

»Ja, natürlich könnte ich das, aber…« Sie wirkte unentschlossen.

»Aber was?« Er schaute sie sehnsüchtig an.

»Ach verdammt, ich weiß es doch auch nicht! Ich fühle mich an ihn gebunden, aber ich weiß nicht, wieso. Er hat kein Recht auf meine Treue, denn ich bedeute ihm ja nicht mehr, als es eine Freundin tut, aber ich fühle mich dennoch, als würde ich ihn verraten, wenn ich dem folgte, was mein Herz mir sagt.« Sie schüttelte den Kopf und schaute ihn plötzlich sehnsüchtig an. »Sag mir, dass ich ihn verlassen soll und ich tue es. Sag mir, dass du mich liebst und ich glaube dir. Hilf mir, ich selbst kann es nicht…«

»Ja Nea, ich liebe dich. Verlasse ihn, denn er liebt dich nicht. Komm zu mir, ich werde dich nicht so einfach aufgeben«, erklärte Kenai eindringlich.

Da nickte sie und flüchtete sich in seine Arme. Sie wusste, dass sie damit Lugh Akhtar verriet, aber ihr Herz schrie danach endlich wirklich geliebt zu werden. Von jemandem, der es nicht nur behauptete, sondern der es auch zeigte. Und das tat Lugh Akhtar nicht. Das hatte er nie getan.

»Wir müssen aber trotzdem weiterkämpfen. Ich will, dass in Altena Frieden herrscht«, flüsterte sie.

»Natürlich. Wir reisen weiter, wir treffen deine Freunde wieder, wir tun, was auch immer zu tun ist. Und dann gehen wir gemeinsam irgendwohin, wohin uns niemand folgen wird. Irgendwo, wo wir unerkannt sind, wo sich niemand um uns schert«, antwortete er sanft und glücklich. Dann hob er ihr Kinn an und verlor sich in ihren wunderschönen Augen, bevor er sie küsste.

So reisten sie nun als Paar weiter. Es war der Abend vor der Wintersonnenwende, als sie ankamen. Sie standen an der Schlucht, da hörten sie ein Geräusch. Als sie ihm folgten, entdeckten sie Sly, der Cinder fest in seinem Arm hielt, und Ice und Soul, die einander fest umarmten. Nur Lugh Akhtar, der ein wenig abseits stand, wirkte noch bedrückt.

»Leute!«, rief Nea und stürzte hinzu.

»Nea! Geht es dir gut?«, fragte Sly, warf ihr aber nicht nennenswert mehr als einen schnellen Blick zu, denn Cinder war wichtiger, als seine Schwester. Doch mit zwei schnellen Schritten war Lugh Akhtar bei ihr.

»Nea, mein Herz, ich habe dich so vermisst!«, rief er und wollte sie umarmen, doch sie wich vor ihm zurück. Er schaute sie verwundert an, versuchte es aber nicht erneut, stattdessen warf er Kenai einen verwunderten Blick zu.

»Immer noch da?«, fragte er leise.

»Ich bin nur nach Hause gekommen«, lächelte der Söldner.

»Ist das jetzt nicht egal? Wir sind wieder alle beisammen, also hatten wir alle dieselbe Idee«, mischte sich Ice ein und drückte dabei Soul so sehr an sich, dass sie nur noch in kurzen Stößen atmen konnte, der zu erwartende Nachwuchs, den man ihr mittlerweile deutlich ansah, vermutlich schon zerquetscht war.

»Also lasst uns für heute Nacht ein Lager suchen und Morgen gleich zum Herbst gehen«, lachte Sly.

»Dann kommt mit, ich habe den perfekten Platz«, bot Kenai an und ging voran. Nea folgte ihm mit einem Lachen. Die anderen nur zögernd.

Ice' Geschichte

»Hör auf zu weinen.« Ice schaute voller Bitterkeit auf das Häuflein Elend, das einige Meter entfernt am Boden lag und so sehr weinte, wie er es noch nie erlebt hatte. Und sie ignorierte ihn, schluchzte eher noch lauter und er konnte es ihr nicht einmal verdenken. Sie wussten, dass Nea noch leben mochte, doch von den anderen hatten sie bisher nichts gehört und er zweifelte daran, dass sich daran noch etwas ändern würde. Würden sie leben, wären sie schon lange hier.

Er spürte einen dicken Tropfen auf der Haut und als er in den Himmel blickte, wurde ihm schnell klar, dass gleich ein regelrechter Wolkenbruch folgen musste. Er stand auf und ging zu Cinder hinüber.

»Komm, wir müssen irgendwohin, wo es trocken ist… und bleibt«, sprach er leise.

»Aber wozu?« Sie schaute ihn aus ihrem verquollenen, tränenverschmierten Gesicht an. Ja, warum eigentlich? Er überlegte einen Moment. Sie hatte einen Grund. Und er?

»Cinder, du musst an dein Kind denken«, meinte er schließlich.

»Wozu? Verdammt, Ice! Wozu? Wie soll es in so einer Welt leben? Wo Menschen sich gegenseitig jagen, wo man auf nichts anderes Rücksicht nimmt, als auf sich selbst?«, schrie sie.

»Du kannst zurückgehen. In das Reich des Winters. Dort könnt ihr in frieden leben«, schlug er leise vor.

»Denkst du wirklich, dass sie mich noch haben wollen? Ich habe mein Rudel im Stich gelassen, das werden sie nicht vergessen«, antwortete sie, ließ sich aber hoch helfen.

»Dann tu es für mich«, bat Ice und im selben Moment wurde ihm klar, dass es stimmte.

»Wie meinst du das?«, fragte sie misstrauisch.

»Cinder, es ist nicht nur Sly, der in dieser Feuerhölle verbrannt ist. Soul war da auch drin. Sie wird ebenso wenig eine Chance gehabt haben. Du bist vermutlich der einzige Grund, warum ich jetzt gerade nicht dort bin, ihren verkohlten Körper im Arm halte und überlege, wie ich meinem eigenen Leben am schnellsten den Gar aus machen kann. Also lass mich dir helfen. Damit ich nicht darüber nachdenken muss.« Er schrie nicht, er wurde nicht einmal laut, aber er fühlte sich so, als brüllte er seinen Schmerz hinaus in die Welt.

Er wusste, dass es stimmte, was er sagte, aber er ließ dieses Wissen nicht allzu bewusst werden. Er sprach, er handelte, aber er tat nichts davon bewusst, denn innerlich war er zerbrochen. Er fühlte sich ein wenig, als stünde er neben sich, als wäre das alles eigentlich ein Traum, und wenn er diesen grausamen Regeln nur lange genug folgte, dann würde er letztlich aufwachen.

Er hatte davon schon oft gehört. Von Soldaten, die ihre Freunde hatten sterben sehen und sich danach an die sinnlosesten Dinge geklammert hatten, damit sie nicht wahnsinnig wurden. Jetzt wusste er, wie es sich anfühlte. Aber er wusste auch, dass es nicht sinnlos war, was er hier tat.

»Ice…« Cinder schaute ihn aus ihren zweifarbigen Augen an. Sie zögerte kurz, dann nickte sie traurig und umschloss mit ihren Armen ihren Bauch.

»Denkst du, dass Sly gewollt hätte, dass ich jetzt weitermache?«, fragte sie leise.

»Natürlich. Er hat immer nur das Beste für dich gewollt. Warum sonst hat er sich dem Tag entgegen gestellt?«, versuchte er sie aufzumuntern. Und Cinder lächelte dankbar, während sie langsam losgingen.

»Weißt du, wenn es ein Mädchen wird, dann sollte sie Namida heißen. Wie seine erste Tochter«, erzählte sie.

»Wie seine erste Tochter?« Ice schaute sie verblüfft an.

»Ja. Er überspielt es zwar gut, aber es macht ihm immer noch so sehr zu schaffen, dass sie nicht mehr lebt… Also habe ich ihm diesen Vorschlag gemacht und er hat sich so sehr darüber gefreut… Deswegen wird sie nun Namida heißen.«

»Stört es dich denn nicht?«

»Ein bisschen schon, aber… Na ja, für ihn würde ich es in kauf nehmen.« Cinder lächelte schüchtern.

»Weißt du… Soul und ich, wir…« Ice lächelte sanft bei dem Gedanken daran. »Wir hätten auch ein Kind bekommen. Irgendwann im Frühjahr wäre es so weit gewesen…«

»Wirklich? Soul hat mir… davon gar nichts gesagt…« Cinder wirkte verletzt.

»Du und Soul habt euch sehr nahe gestanden, oder?« Ice schaute sie fragend an.

»Natürlich, immerhin ist sie meine Schwester. Aber auch wenn sie es nicht wäre…« Cinder schüttelte den Kopf. »Als wir klein waren haben wir uns immer so gut verstanden. Wir haben alles mögliche gemeinsam unternommen, wir waren mehr wie Freunde als wie Schwestern… Und dann sind wir erwachsen geworden.«

»War es Duanas Schuld? Das du gegangen bist?«

»Ja. Ich konnte es nicht länger mit ansehen, wie sie Soul immer so schlecht behandelt hat und mich so gut. Es war so unfair! Ich verurteile sie nicht dafür und ich liebe sie dennoch, immerhin ist sie meine Mutter… irgendwie. Aber ich wollte es einfach nicht mehr sehen. Ich bin… vor meiner Verantwortung davongelaufen.«

»Vielleicht, aber da gibt es schlimmere. Mich zum Beispiel.« Ice seufzte tief und strich dem Schecken, den er nachdenklich am Zügel führte, über die Nüstern.

»Willst… du es mir sagen? Du musst es nicht, aber du kannst es, wenn es dir dann besser geht«, bot sie an. Ice zögerte kurz, dann jedoch nickte er.

»Nicht einmal Hope weiß etwas davon. Auch Soul nicht… noch nicht. Ich wollte es ihr verraten, aber noch nicht jetzt«, begann er, während der Regen nun wirklich losbrach. Um sie herum waren nur vereinzelte Bäume in der weiten Grassteppe, einen Unterschlupf würden sie so gewiss nicht finden. Also gingen sie weiter.

»Erst, wenn du dazu bereit warst?«

»Ja… Weißt du, dass ich der Prinz von Navarre bin ist ja mittlerweile bekannt. Aber natürlich steckt da noch viel mehr hinter. Als ich klein war, da war meine Welt noch in Ordnung. Ich konnte den ganzen Tag in den Gärten von Navarre spielen und das einzige, was mich abends ins Bett trieb, war die Müdigkeit. Was ich lernen musste, das brachte meine Mutter mir bei, aber nicht eingesperrt in einem Raum, sondern dort, wo man wirklich verstehen konnte, was sie meinte. Weißt du, sie gehörte zu den Nomadenvölkern des Reiches, sie ließ sich nicht gerne einsperren und so reiste sie viel und ich ging mit ihr. So verbrachte ich fast ebenso viel Zeit in der Wüste, wie im Schloss, ganz Navarre war mein Spielplatz. Und ich lernte, dass sich nicht nur alles darum drehte, was man tun musste, damit es uns gut ging, sondern ich lernte auch, wie wichtig es war, auch den Ärmsten der Armen zu helfen. Denn obwohl ich ein Prinz war, kann ich mich noch an so viele Abende erinnern, an denen ich hungrig ins Bett musste, weil die Wüste nicht viel hergab.« Ice dachte mit einem Lächeln an diese wunderbare Zeit zurück.

»Und… was änderte sich?«, wagte Cinder nach einer Weile vorsichtig zu fragen.

»Die einfache Tatsache, dass ich älter wurde. Ich war immerhin der Sohn von Zauberern und noch dazu ein Prinz, es war schon vor meiner Geburt klar gewesen, dass ich dieses Leben, so sehr ich es auch liebte, nicht ewig führen konnte. Es begann mit einem Brief. Mein Vater hatte ihn geschrieben. Ich weiß nicht, was darin stand, aber danach sind wir ins Schloss zurückgekehrt, obwohl es noch lange nicht Zeit dazu war. Ich war damals sieben. Mein Vater hatte beschlossen, dass es nun an der Zeit war, mit meiner Ausbildung als Zauberer zu beginnen und er hatte einen guten Lehrer gefunden. Meine Eidsprechung war am Abend vor der Sommersonnenwende. Die Prinzen des Königreiches von Navarre sprechen ihren Eid immer an diesem Tag. Ich mochte meinen Meister, er ist ein guter, lieber Mann, aber mein Vater… war niemals zufrieden…«

Cinder schaute ihn fragend an. Sie wollte nichts sagen, sie wollte ihn in seinen Gedanken und Erinnerungen nicht stören. Sie mochte aber wissen, was er weiter erzählen würde. Und irgendwann dann sprach Ice auch weiter.

»Weißt du, du hast es ja erlebt. In Navarre ist immer Sommer, die Tage sind heiß, die Nächte manchmal so kalt, dass sogar Schnee fällt. Es ist ein Land der Sonne und des Feuers und alle meine Vorfahren waren hervorragende Feuermagier… aber ich nicht. Mein Meister hat es gleich gesehen, deswegen nannte er mich Eiswolf. Wir merkten schnell, dass ich mit dem Feuer nicht viel anfangen konnte, dafür mit Wasser und Wind so unheimlich begabt war… aber einmal in der Woche musste ich vor meinen Vater treten und ihm zeigen, was ich gelernt hatte. Und egal wie gut meine Wasserzauber oder meine Windmagie auch waren, er war niemals zufrieden, und das ließ er mich jedes Mal wissen. Er spottete über mich, verleugnete mich, oder beschimpfte mich. Ich war für ihn, eine Schande für die Familie. Und ich war so dumm ihm zu glauben. Ich dachte, ich wäre ein Nichtsnutz, eine Witzfigur, jemand, der eigentlich keine Berechtigung zum Leben hatte. Die Einzigen, die mich trösteten waren mein Meister und meine Mutter. Und irgendwann dann geschah es…« Ice blieb stehen, hob den Kopf und fühlte für eine Weile einfach nur, wie der Regen auf ihn niederprasselte.

Er seufzte, schüttelte voller Schmerz den Kopf und lehnte sich gegen den Schecken und Cinder beobachtete ihn dabei fragend, aber still.

»Wenn du möchtest, kannst du auch wieder reiten«, bot Ice ihr mit geschlossenen Augen an, statt weiter zu erzählen.

»Nein. Ein bisschen Bewegung tut mir ganz gut, und ein Stück des Weges schaffe ich es noch«, lächelte sie dankbar.

»Gut… na ja.« Ice stieß sich ab und sie gingen langsam weiter. »Meine Mutter starb, als ich gerade neun Jahre alt geworden war. Sie bekam ein seltenes Fieber, an der gleichen Krankheit starb auch Namidas Mutter. Es dauerte nicht lange, binnen drei Tagen hatte sie sich angesteckt und starb. Ich habe sie sehr geliebt, aber meinem Vater war sie egal. Da erst begriff ich, was für ein Mensch er eigentlich war… Er war während der Krankheit meiner Mutter nicht ein einziges Mal an ihrem Sterbebett, er war nicht auf der Beerdigung, stattdessen hatte er sich mit Freunden betrunken und über sie gelacht, weil er sie für schwach hielt. Da habe ich begonnen, ihn zu hassen. Er hat mich zwei Jahre schikaniert und er hat es gewagt, meine Mutter so zu entehren.«

Er sprach ruhig, fast sachlich, aber seine Augen wurden hart und kalt wie Eis. Seine Hände verkrampften sich um die Zügel und er biss voller Wut die Zähne zusammen. Cinder legte beruhigend eine Hand auf seinen Arm und schaute ihn ernst an. Er zitterte zwar noch immer vor Wut, aber er konnte weitersprechen.

»Ich wollte ihn dafür töten. Ich war neun Jahre alt und wollte meinen Vater töten. Aber mein Meister hatte eine bessere Idee. Er beschloss einfach so, von einem Tag zum nächsten und ohne Nabao vorher zu fragen, dass wir nach Altena gehen würden. Damit ich mal etwas Neues sehen würde. Mein Vater war alles andere als begeistert, aber nicht einmal er konnte widersprechen, denn die Ausbildung war immer noch Sache des Meisters. So zogen wir also los. Wir reisten über das Meer nach Altena. Und dort lernte ich Hope kennen.« Ice beruhigte sich wieder. Zwar nur langsam, aber deutlich.

»Er war damals zwölf, oder?«, fragte Cinder leise.

»Ja. Mein Meister war mit seinem gut befreundet, sie waren beide gemeinsam Lehrlinge bei derselben Zauberin gewesen, daher kannten sie sich. Erst mochten Hope und ich uns überhaupt nicht. Er wollte nicht mit einem >kleinen Jungen< wie mir seine Zeit verbringen und ich mochte seine Überheblichkeit nicht. Ich fand, dass er viel zu sehr versuchte, seinem Meister zu gefallen, denn ich hatte ja kurz vorher gelernt, dass das niemals gut war. Bis ich dann zufällig seine Schwester traf. Ashes, sie erzählte mir davon, dass Hope zwölf Geschwister hatte und sich trotzdem letzten Endes immer nur alles um Nea drehte. Da erst verstand ich, dass er einfach nur jemanden suchte, der mehr für ihn übrig hatte, als einen harschen Befehl. Er tat mir leid. Ich wusste nicht, wie es war, wenn sich niemand um einen kümmerte, denn ich bin ein Einzelkind und noch dazu ein Prinz. Es dauerte, bis ich lernte, ihn zu verstehen, bis ich merkte, dass er einfach nur nicht das teilen mochte, was er sich so hart selbst erarbeitet hatte. Ich lernte, dass es keine Arroganz war, sondern einfach Angst das an mich zu verlieren, was ihm so wichtig war. Und mit diesem Wissen konnte ich dem entgegenwirken, ihm zeigen, dass ich es nicht begehrte. So wurden wir Freunde…« Ice stützte Cinder. Er erkannte, dass es ihr Stolz verbot, sich auf den Pferderücken zu setzen, wenn er diesen Vorschlag machte, aber alleine konnte sie nicht mehr laufen. Also stützte er sie und wartete einfach ab.

»Ihr wart sehr gut befreundet, oder?«, fragte sie leise.

»Natürlich. Nachdem wir einander unseren wirklichen Standpunkt und unsere Absichten geklärt hatten, zeigte er mir eine Welt, die ich so nicht kannte. Er zeigte mir, wie wunderbar diese Welt aus Eis und Wind sein konnte, und er suchte sogar meinen Namen für mich aus«, lächelte er.

»Von ihm hast du den Namen?«

»Ja. Er hat mich irgendwann gefragt, wie ich heiße. Mein Lehrer nannte mich immer nur Wüstenkind, denn ich hatte ihn gebeten, meinen wirklichen Namen nicht mehr zu verwenden. Sly nannte mich anfangs immer >Junge<, >Kerl<, oder einfach >der da<. Doch nachdem wir Freunde waren fragte er nach meinem Namen und als ich ihm erklärte, dass ich ihn nicht mehr hören wollte, dass ich nichts mehr von meiner Vergangenheit wissen wollte, da gab er mit den Namen Ice. Und er gefiel mit. Seither heiße ich so.«

»Hilfst du mir bitte auf das Pferd?«, bat Cinder da. Er hatte recht, wenn er sie nur lange genug ließ, dann würde irgendwann die Vernunft siegen. So schob er sie auf den Rücken des Schecken und lief weiter.

»Ab da nahm also eure gemeinsame Geschichte ihren Lauf, aber… dein Vater kam mir gar nicht so kaltherzig vor. Und immerhin hat er für dich und Soul die Hochzeit organisiert…«, überlegte sie zögernd. Darauf lachte Ice nur bitter.

»Das hatte persönliche Gründe. Er kennt mich gut genug um zu wissen, dass ich jetzt nicht mehr nach seiner Pfeife tanzen werde. Immerhin habe ich mit dreizehn gemeinsam mit Hope meinen Tod vorgetäuscht, um ihn endgültig los zu sein.« Ice grinste zufrieden.

»Ach, deswegen dachte er, der Ring gehörte dem Mörder seines Sohnes?«

»Ja. Und weil er weiß, dass er nun keine Macht mehr über mich hat, musste er sich etwas einfallen lassen. Er weiß, dass ich Navarre nicht freiwillig regieren werde. Aber wenn ich eine Frau habe und wir ein Kind haben…«

»Du denkst, dass er euer Kind dazu benutzen will, die Thronfolge Navarres zu sichern?« Verblüfft schaute sie ihn an.

»Natürlich. Er würde alles tun, damit nicht irgendwelche einfachen Leute sein Reich zerstören. Da kam ihm meine Verlobung gerade recht. Aber das werde ich zu verhindern wissen. Wobei… das ja jetzt nicht mehr nötig ist…« Ice wirkte wieder traurig. Cinder sagte eine Weile nichts, doch dann schüttelte sie nachdenklich den Kopf.

»Ich glaube daran, dass sie noch leben. Irgendwo sind sie. Lass uns zum Herbst reisen, vielleicht haben sie dieselbe Idee und wir treffen sie dort«, überlegte sie. Ice wirkte zwar nicht überzeugt, aber er nickte.

»Wenn du die Reise schaffst… Dann lass uns weiterkämpfen. Damit sie nicht umsonst den Tod gefunden haben«, nickte er, denn er konnte nicht glauben, dass sie es überlebt haben sollten. Doch er hatte ein neues Ziel und das gab ihm den Mut wieder.

So reisten auch sie den weiten Weg zur Windskralle. Auch sie hatten Glück, man hielt sie für gewöhnliche Reisende, die ihres Kindes wegen auf dem Weg zu Verwandten oder dergleichen waren. So fanden sie oft Unterkunft und viele Leute, die ihnen nur zu bereitwillig halfen. Bis sie Ende Dezember am Abend vor der Wintersonnenwende die Schluchten erreichten.

»Das sind sie also?«, fragte Cinder erschöpft. Der Tag war lang und anstrengend gewesen.

»Ja. Der Ort ohne Magie im Westen des Reiches«, bestätigte Ice. Er trat so nahe an den Abgrund heran, wie er sich traute und wie er sich sicher war, dass der Abhang ihn auch hielt, und schaute in die bodenlose Schwärze hinab.

»Komm wieder zurück«, bat ihn Cinder, die das Pferd hielt. Ice nickte und lief langsam, in seine eigenen Spuren tretend, wieder zurück. Das ganze Gebiet wirkte nicht gerade stabil.

»Was tun wir jetzt?«

»Ich werde da alleine runterklettern, das schaffst du niemals. Zumal es nicht mehr weit hin ist«, antwortete Ice und legte viel sagend eine Hand auf ihren dicken Bauch. Er hatte recht, es konnte jeden Moment so weit sein.

»Du kletterst da nicht alleine runter, Ice. Das ist viel zu gefährlich. Und heute schon mal gleich gar nicht. Lass uns ein Lager suchen, ich habe vorhin am Horizont eine Hütte entdeckt. Vielleicht haben sie einen Platz im Stall für uns frei«, beschloss sie und wandte sich um, doch Ice hielt sie zurück und lauschte. Auch Cinder lauschte. Da war etwas, es klang, wie schwere Pfoten, die auf den Boden trommelten.

»Deine westlichen Verwandten«, bemerkte Ice und wob ein Netz aus Magie, mit dem er die Tiere leicht fangen konnte, ohne sie zu verletzen. Doch das war nicht nötig. Er wollte eben der Magie ihren freien Lauf lassen, als er das weiße Glitzern zwischen den Büschen sah.

Es gab hier im westen keine Eiswölfe und das waren die einzigen mit diesem reinweißen Fell. So hielt er für einen Moment inne, lange genug, dass das kleine Rudel aus den Büschen brechen und sich voller Freude auf sie stürzen konnte. Noch im Laufen verwandelten sie sich, sodass es nicht die schwarze Wölfin, sondern Soul war, die Ice glücklich um den Hals fiel, und es nicht der rote Fuchswolf, sondern Sly war, der Cinder fast zu Boden riss.

»Soul, was…?« Ice war über ihren so unerwarteten Anblick so verdutzt, dass er sich im ersten Moment nicht einmal freute.

»Ice, ich hab dich so sehr vermisst!«, rief sie und drückte sich immer enger an ihn.

»Ich wusste es, ich habe gewusst, dass ihr noch lebt«, lachte dagegen Cinder und umarmte voller Freude abwechselnd ihren Bruder und Sly.

»Wie habt ihr das Feuer überlebt?« Noch immer starrte der Blauschopf nur ungläubig.

»Es hat uns gar nicht richtig erwischt. Hope hat es ausgelöst und ich habe es von uns ferngehalten, allerdings hat es nicht ganz so geklappt, wie wir hofften. Wir haben alle ein bisschen was abbekommen und sind zum Fluss gelaufen, und als wir wieder dort waren, fanden wir euch nicht mehr«, erzählte Lugh Akhtar. Er stand ein wenig abseits und in seinen Augen war die Enttäuschung deutlich zu lesen.

Ice überlegte kurz, ob er dazu etwas sagen sollte, doch stattdessen drückte er nun auch Soul mit einem kleinen Aufschrei an sich. So redeten alle durcheinander, als plötzlich ein lautes »Leute!« über die Lichtung scholl. Es war Nea, doch abgesehen von Sly, der sie kurz begrüßte, und Lugh Akhtar, der mit zwei schnellen Schritten bei ihr war, nahm keiner von ihr Notiz.

Das Nächste, was Ice von ihrer Unterhaltung mit halbem Ohr mitbekam war eine Frage Lugh Akhtars.

»Immer noch da?«, fragte er kalt den Söldner.

»Ich bin nur nach Hause gekommen«, lächelte der.

»Ist das jetzt nicht egal?«, fuhr er dazwischen. Er freute sich viel zu sehr, als dass er nun einen so unsinnigen Streit ertragen mochte. »Wir sind wieder alle beisammen, also hatten wir alle dieselbe Idee.«

Er drückte Soul so fest an sich, dass er ihr vermutlich weh tat, aber sie sagte nichts, sondern drückte sich ihrerseits noch fester an ihn heran, während sie nur noch in kurzen Stößen atmen konnte.

»Also lasst uns für heute Nacht ein Lager suchen und morgen zum Herbst gehen«, lachte Sly. Auch er drückte Cinder eng an sich und freute sich sichtlich.

»Dann kommt mir, ich habe den perfekten Platz«, bot da Kenai an und ging, ohne eine Antwort abzuwarten. Nea folgte ihm mit einem Lachen auf den Lippen. Und nach einem kurzen Zögern auch die anderen.

Wiedersehen

Lugh Akhtar knurrte leise.

»Was tun wir jetzt?«, fragte Soul an seiner Seite und duckte sich noch tiefer.

»Ich weiß nicht… verdammt, warum sind sie nur so hartnäckig?«, fluchte der junge Zauberer und legte die Ohren an.

»Wir hatten sie doch schon abgehängt, wie konnten sie uns wieder einholen?« Soul schaute ihn fragend an.

»Ich weiß es nicht, aber ich glaube kaum, dass Rex ihnen verschwiegen hat, wie gerne wir Wolfsgestalt annehmen, sie werden uns also erkennen… und mein Fell stinkt immer noch verbrannt, auf einen neuen Kampf bin ich nicht besonders scharf.« Lugh Akhtar wirkte unschlüssig.

»Wollen wir doch umdrehen?« Soul schaute ihn fragend an.

»Wir müssen aber weiter hier entlang. Wenn wir den Weg verlieren finden wir ihn vielleicht nicht wieder«, überlegte der weiße Wolf.

»Aber das ist doch egal. Wir wissen, wo unser Ziel liegt, auf welchem Weg wir dorthin kommen ist doch einerlei«, fand Soul und wandte sich langsam um. Lugh Akhtar schwieg erst, nickte dann.

»Du hast recht. Wir fragen die Leute, die hier wohnen, wenn wir welche treffen«, stimmte er zu und drehte sich ebenfalls um. In diesem Moment scholl ein Ruf über die Ebene. Man hatte sie entdeckt.

Ohne eine Sekunde zu zögern, sprangen sie auf und liefen so schnell los, wie ihre Pfoten sie tragen mochten. Lugh Akhtar wurde dabei fast von Soul abgehängt, doch als sie dies merkte wurde sie langsamer. Sie hatten Glück, in dem hohen Gras verloren ihre Verfolger die Spur bald und sie konnten sich wieder unter irgendeinen Busch drücken, während die Zauberer die Gegend absuchten.

»Denkst du, die anderen sind entkommen?«, fragte Soul leise.

»Bestimmt. Wenn dieser vermaledeite Regen nicht gewesen wäre, hätten wir sie sicher schon gefunden. Nur um Hope mache ich mir ein wenig Sorgen«, antwortete Lugh Akhtar.

»Meinst du, sie suchen uns?«

»Wenn sie solche Schwierigkeiten haben wie wir, eher nicht. Wenn sie klug sind, sind sie alle schon auf dem Weg zum magielosen Ort. Dahin, wo wir uns auch hin verdrücken sollten, wenn wir die da endlich los sind.« Unruhig kratzte er über den Boden und schaute, in welche Richtung sie als nächstes flüchten konnten.

»Ich vermisse Ice«, flüsterte Soul leise. Lugh Akhtar schaute sie traurig an, dann leckte er ihr einmal über das Ohr und stupste sie tröstend an.

»Du wirst ihn wiedersehen. Er ist schlau, er wird auch dorthin ziehen«, prophezeite er leise. Mehr konnte er für den Moment nicht tun, im Gegenteil. Schon wieder sagten ihnen laute Rufe, dass man sie abermals entdeckt hatte. Durch das hohe Gras liefen sie davon, bis sie in der Ferne ein Haus entdeckten.

»Dorthin, dort finden wir vielleicht Unterschlupf!«, rief er ihr zu und gemeinsam bogen sie ab, während über ihnen der Donner rollte.

»Sie werden uns in dieser Gestalt fortjagen!«, gab Soul zu bedenken.

»Nur wenn sie uns entdecken! Dort scheint eine Art Stall zu sein, dort werden wir uns verstecken, vielleicht haben wir ja Glück!«, antwortete Lugh Akhtar.

Er war als erstes am Scheunentor, verwandelte sich binnen Sekunden zurück und stürzte hinein, Soul in ihrer Wolfsgestalt direkt auf den Fersen. Hinter sich drückte er die Tür zu und lehnte sich schwer atmend dagegen. Ein Wolf konnte weite Strecken laufen, aber nicht in dem Tempo das er eben vorgelegt hatte. Er war müde und er hoffte, dass sie beide eine Weile hier ausruhen konnten. Er lauschte gespannt, und auch Soul horchte nach draußen, doch sie hörten nichts.

»Ich glaube, wir haben sie abgehängt«, seufzte Lugh Akhtar und schaute in die Scheune hinein. Erst jetzt gewahr er die beiden erschrockenen Gestalten, die ihre Heugabeln auf ihn richteten. Soul an seiner Seite knurrte laut.

»Ruhig, das sind Menschen«, flüsterte er ihr zu und legte seine Hand auf ihren Kopf.

»Wer bist du Fremder, und vor wem läufst du davon?«, fragte die größere Gestalt scharf. Es war seltsam, seine Stimme kam dem jungen Zauberer bekannt vor.

»Bitte entschuldige dass wir einfach so hereingestürzt sind, aber… Zauberer aus Altena verfolgen uns. Wir… sind ihnen unangenehm aufgefallen, da wir nicht mit den Bestimmungen des Meisters der Zauberergilde einverstanden waren. Aber wir wollen euch keine Probleme machen, wir gehen sofort wieder«, erklärte er wahrheitsgetreu und wollte sich schon wieder umwenden, da stürzte sich die kleinere Gestalt auf ihn. Er hatte die Heugabel beiseite geworfen und drang nun mit einem Messer auf ihn ein. Es war Soul zu verdanken, dass der Schatten nicht traf, denn sie rammte ihn und brachte ihn so aus dem Tritt.

»Chess, verdammt! Lass ihn in ruhe, er wollte doch schon wieder gehen!«, brüllte die andere Gestalt und werkte so lange im dunkeln herum, bis eine Lampe das Innere erleuchtete. Lugh Akhtar indes erwehrte sich seiner Haut, indem er die kleine Gestalt am Arm packte und ihn grob auf den Rücken drehte.

»Wir ziehen friedlich, wenn du uns friedlich gehen lässt«, erklärte er leise und der Junge nickte. So ließ Lugh Akhtar ihn los, schubste ihn grob in die Richtung des anderen Mannes und wandte sich abermals um.

»Warte!«, hielt ihn der ältere Mann nun zurück.

»Was ist noch?«, fragte Lugh Akhtar sanft, schaute ihn aber nicht an.

»Das ist ein Söldnerring an deiner Hand. Wenn du zu ihnen gehörst, dann ist es das gute Recht der Soldaten dich zu verfolgen, denn im ganzen Imperium von Lanta sind Söldner Vogelfreie. Nenn mir einen guten Grund, dich nicht zu verraten und eine Belohnung einzustreichen«, erklärte er hart. Lugh Akhtar lachte darauf leise.

»Ich bin kein Söldner, den Ring habe ich solch einem abgenommen. Ich trage ihn, um ihn nicht zu verlieren, denn obwohl ich den Söldner nicht sonderlich mag, bin ich doch kein Dieb. Er wird zu gegebener Zeit sein Eigentum wieder zurückerhalten«, erklärte er lächelnd.

»Das ist aber keine sehr glaubwürdige Geschichte«, bemerkte der Junge, vermutlich der Sohn und zückte angriffslustig ein Messer. Soul knurrte laut.

»Ich weiß, aber es ist die Wahrheit. Außerdem, wenn ich wirklich ein Söldner wäre, dann wärt ihr nach dieser Drohung alleine schon tot. Und zwar beide.« Lugh Akhtar wandte sich nun doch wieder um, einen geringschätziges Lächeln in den Mundwinkeln und einen kalten Blick in den Augen.

Er betrachtete den Jungen, nicht verächtlich, aber doch nahe dran. Als er jedoch den Vater genauer anschaute, da stockte er. Ungläubig starrte er ihn an, ließ das Feuer in der Lampe höher lodern, damit er mehr Licht hatte.

»Ich kenne dich…«, flüsterte er und starrte den Mann fassungslos an.

»Mich? Gewiss nicht, Zauberer«, spuckte der verächtlich aus. Im Gegensatz zu seinem Sohn hatte er gleich erkannt, dass es nur Magie sein konnte, was die Flammen so hoch lodern ließ.

»Doch, ich kenne dich.« Ein glückliches Lächeln umspielte Lugh Akhtars Lippen. »Ich dachte, dass ich dich niemals wieder sehen würde, aber hier bist du nun… Ich kenne dich.«

Da schlich sich ein Zögern in den kalten Blick des Mannes. Er durchforstete seine Gedanken, seine Erinnerungen nach jedem Gesicht, das er kannte, auf das eines passen mochte. Dann weiteten sich auch seine Augen voller Unglauben.

»Aber… ich kenne doch nur zwei Zauberer, und der eine ist so viel älter, als du es bist… Kann es wirklich sein? Fjodor…?«, fragte er leise.

»Tuwa!« Mit einem Schrei stürzte Lugh Akhtar zu dem Mann und umarmte ihn. Und auch der vermeintlich Fremde erwiderte diese Umarmung, Tränen der Freude liefen dabei über seine Wangen.

»Fjodor, mein guter Junge, wie habe ich dich vermisst! Was tust du nur in solch einer Gegend?«, rief er. So standen die beiden für eine Weile da, bis Soul ein Geräusch von sich gab, was einem Bellen so nahe kam, wie es irgendmöglich war. Erst da löste sich Lugh Akhtar aus Tuwas Umarmung, ignorierte sie aber völlig.

»Ist meine Mutter auch hier? Ist sie im Haus?«

»Natürlich! Oh sie wird sich so sehr freuen, dich wieder zu sehen! Wie groß du geworden bist, aber… was ist mit deinen Augen geschehen? Und dein Haar? Es ist so weiß wie Schnee.«

»Oh, diese Geschichte erzähle ich euch nur zu gerne«, lachte Lugh Akhtar. Gemeinsam verließen sie die Scheune, vorne weg Tuwa und Lugh Akhtar, hinten drein der verwirrte Junge und die verblüffte Wölfin.

»Channa, du wirst niemals glauben, wer so ganz unversehens in unsere Scheune gestolpert kam!«, rief der Ziehvater durch das Haus, kaum hatte er die Tür geöffnet.

»Hoffentlich nichts, was uns Schwierigkeiten bereitet«, antwortete die, doch als sie im Flur stand und ihren Sohn erblickte, da fiel ihr der Teller aus der Hand, den sie zuvor noch getrocknet hatte. Sie erkannte ihn sofort und stürzte hinzu, um ihn fest in ihre Arme zu nehmen.

»Oh Fjodor, mein gutes Kind!«, rief sie und schluchzte. Auch Lugh Akhtar umarmte sie fest. Es war Chess, der mit einem unwilligen Räuspern versuchte, sich Aufmerksamkeit zu verschaffen. Er blickte den jungen Zauberer fast schon feindselig an, als er sprach.

»Wolltest du uns nicht eine Geschichte erzählen, Hexenmeister?« Der bissige Unterton war dabei nicht zu überhören.

»Geh erst einmal in die Küche, setz dich ans Feuer! Du hast doch bestimmt hunger, wir wollten gerade zu Abend essen«, plapperte Channa drauf los, während sie ihn in die entsprechende Richtung drückte. Lugh Akhtar ließ es gerne geschehen, er lächelte dabei sogar.

So komplimentierte ihn die gute Frau in die Küche und auf die Bank, neben ein junges Mädchen, das dort schon saß und drückte ihm eine Schale heißer Suppe in die Hand, setzte sich dann zu der Familie dazu.

»Iss und erzähl, was dir widerfahren ist«, bat sie lächelnd.

»Gerne, aber solange ich esse, beginnt doch ihr«, bat Lugh Akhtar, während er als erstes Soul aus der Schüssel fressen ließ. Das wurde zwar mit einem Stirnrunzeln aufgenommen, aber nicht kommentiert.

»Unsere Geschichte ist weder lang noch besonders spannend«, wunk seine Mutter ab. Lugh Akhtar wollte eben widersprechen, als sich der genervte Junge wieder einmischte.

»Ist es nicht egal, wer anfängt? Ich meine, wer bist du überhaupt? Kommst her und bringst hier alles durcheinander, und hast nicht einmal den Anstand, dich vorzustellen«, machte er seinem sichtlichen Unmut Luft. Tuwa wollte ihn eben scharf zurechtweisen, da hob Lugh Akhtar die Hand, gebot damit Stille und lächelte bewundernd.

»Ich weiß zwar nicht, wer du bist, aber ich kenne nicht viele, die es wagen so mit einem Zauberer zu sprechen«, erklärte er.

»Also hat Papa recht, und du bist wirklich einer von denen?«, wollte der Junge wissen.

»Ja… dein… Vater hat recht«, bestätigte der junge Zauberer und schaute dabei nachdenklich von einem zum anderen, schüttelte dann aber den Kopf.

»Es stimmt, es ist nicht recht, dass ich hierher komme und mich nicht einmal vorstelle. Ich bin der Bauernjunge Fjodor, der Zauberschüler Makani, der Prinzenfreund Tariq, der Zauberer Lugh Akhtar und der Winterssohn Lichterstern«, lächelte er und erntete darauf einen verblüfften Blick.

»Aber wie kannst du so viele Namen haben?«, wollte das Mädchen leise wissen.

»Indem ich nicht einer bin, sondern viele«, lächelte er geheimnisvoll, und deutete dann seiner Mutter, dass sie doch bitte anfangen mochte. Und Channa nickte.

»Wie gesagt, unsere Geschichte ist weder lang noch besonders spannend. Nachdem Nikolai dich mitnahm, lebten wir noch eine Weile in dem Dorf, aber der folgende Winter war kälter und härter als gewöhnlich, und als… sich dann Chess ankündigte beschlossen wir, dass wir den Hof aufgeben mochten. Wir zogen westwärts und fanden bei Tuwas Bruder Unterkunft, bis wir dieses Stück Land hier beziehen konnten. Hier kam dann noch Inaara zur Welt und… na ja, so lebten wir also.« Sie lächelte schüchtern.

Lugh Akhtar nickte. Die beiden waren also auf eine seltsame, schwer zu beschreibende Art und Weise seine Geschwister, und sie wussten es offensichtlich nicht einmal. Doch er lächelte, begann selbst zu erzählen. Dabei wandte er sich jedoch an die beiden Geschwister, nicht an ihre Eltern.

»Möchtet ihr auch meine Geschichte hören?«, fragte er sie freundlich.

»Nein. Die Geschichten eines Zauberers sind doch nur voller lug und trug«, antwortete der Junge, stand auf und verließ schlecht gelaunt den Raum, seine Schwester jedoch nickte. Man sah ihr nur allzu deutlich an, wie fasziniert sie von diesem Fremden war.

»Gut, dann erzähle ich sie dir. Es begann alles damit, dass ein einfacher Mann den Winter traf…«

Obwohl er mit jedem Wort die Wahrheit sprach, musste er selbst sich eingestehen, dass seine Geschichte, je länger er erzählte, immer seltsamer und bizarrer wurde. Doch er hörte nicht auf, er erzählte bis tief in die Nacht hinein davon, wie er als Schüler lebte, wie er Altena zerstörte, wie er zum Wolf wurde, wie Nea ihn rettete, wie er mit seinen Freunden zum Winter aufbrach, wie er Cinder und Soul kennenlernte, wie er dem Winter begegnete, wie der Krieg begann, wie sie den Sommer suchten und fanden und wie sie letzten Endes hier angelangten.

Er wurde dabei nicht ein einziges Mal unterbrochen, im Gegenteil. Er sah schon bald, wie sich Chess so neben die Tür setzte, dass er nicht ein Wort verpasste, er sah, wie Tuwa, Channa und Inaara den Atem anhielten und ihn aus großen Augen voller Sehnsucht anschauten. Er endete, als die Zauberer sie bis an die Scheunentore gejagt hatten.

»Diese Wölfin ist ein Mensch?«, wagte Inaara leise zu fragen, als sie alle eine Weile geschwiegen hatten.

»Ja, sie ist meine Schwester«, lächelte Lugh Akhtar und schaute Soul fragend an. Sie zögerte, denn sie wollte die Menschen nicht erschrecken, doch als ihr Bruder aufmunternd nickte, verwandelte sie sich langsam und auffällig umständlich zurück. Lugh Akhtar registrierte es mit einer gewissen Sorge in den Augen, aber er sagte nichts dazu.

»Ich wusste immer, dass du zu großem bestimmt bist«, lächelte Channa da und stand auf. »Ihr könnt gewiss Inaaras Bett haben um die Nacht hier zu verbringen.«

»Nur, wenn es keine Umstände macht«, antwortete Lugh Akhtar, während sich Soul zwischen ihn und Inaara setzte.

»Nein nein, ich werde einfach bei Chess schlafen«, ereiferte die sich sogleich mit leuchtenden Augen.

»Wirst du?«, fragte der mit so deutlich gespielt-überlauniger Stimme, dass ihn keiner mehr ernst nahm. Doch es machte auch keiner den Fehler, ihn deswegen anzulächeln.

»Bitte.« Seine Schwester brachte einen solchen Welpenblick, dass wohl nur ein Mensch mit einem Herz aus Stein ihr diese Bitte hätte abschlagen können. Und so seufzte ihr Bruder auch nur.

»Oh danke!«, rief sie aus und stürzte ihm um den Hals.

Danach saßen sie noch eine Weile beisammen, bis sie sich schlafen legten. Es war schon fast morgen, als Lugh Akhtar durch ein leises Poltern geweckt wurde. Er brauchte einen Moment, um zu sich zu kommen. Soul schlief noch tief und fest in seinen Armen, so löste er sich langsam von ihr und stand auf. Als er die Küche betrat, da war es Channa, die schon fleißig am Tun war.

»Oh, entschuldige, habe ich dich geweckt?«, fragte sie leise.

»Nein«, log er und setzte sich an den Tisch. »Stehst du immer so früh auf?«

»Nein, aber… ich konnte die halbe Nacht sowieso nicht schlafen«, erklärte sie mit einem entschuldigenden Lächeln. Der junge Zauberer fragte nicht weiter nach, aber plötzlich fiel ihm etwas ein, was Channa ihm vielleicht beantworten konnte.

»Mam, ich… war in unserem alten Haus und dort habe ich einen Brief bekommen… ich habe versucht, ihn zu lesen, aber ich konnte es nicht…«, erklärte er und zog den schwarzen Brief hervor.

»Natürlich nicht, mein Dummerchen«, lachte sie leise.

»Aber wieso? Schwarzes Papier und Albenblut, Kanoa sagte, es verrät seine Geheimnisse an den Richtigen, und ich… habe gedacht, dass ich es wäre…«

»Bist du auch, mein Sohn. Aber Kanoa ist nicht irgendjemand. Weißt du… sein Schülername, er war…«

»Wintermond, ich weiß«, warf Lugh Akhtar ein, und da erst fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. »Natürlich. Das Winterkind kann erst beim Wintermond die wahren Geheimnisse erfahren.«

»Genau. Aber ein solch großes Geheimnis wird es gar nicht sein«, lächelte Channa.

»Wie meinst du das?«, fragte er verblüfft. »Weißt du etwa, was darin steht?«

»Ja. Und du auch. Aber ich werde es dir nicht verraten«, lächelte sie.

»Gut… Nun, der Winter ist ja nicht mehr so fern…«, nickte er.

»Das stimmt wohl.« Channa seufzte und fuhr mit ihrer Arbeit fort. Lugh Akhtar saß eine Weile bei ihr, bis er aufstand und nach draußen ging. Er vermutete, dass die Vorbereitungen für den Winter schon in vollem Gange waren, und er hatte recht, als er um das Haus herumtrat, da wartete dort ein riesen Stoß Holz, der schon von Chess zerhackt wurde. Er beobachtete den Jungen für eine Weile.

»Guten Morgen«, sagte er irgendwann. Chess zuckte zusammen und schaute ihn ertappt an. Das entging Lugh Akhtar keineswegs, aber er sagte dazu nichts.

»Ich weiß nicht, wieso du mich nicht ausstehen kannst, aber ich möchte dir sagen, dass Soul und ich nicht mehr lange bleiben werden. Nach dem Frühstück werden wir gehen«, erklärte er und wollte wieder gehen, doch Chess hielt ihn zurück.

»Bitte entschuldige. Es war dumm von mir«, erklärte er.

»Was?«, erkundigte sich der junge Zauberer.

»Zu glauben, dass meine Eltern dich jetzt viel lieber haben würden… Immerhin bist du der heimgekehrte Sohn, ich nur ein Ersatz.« Er lächelte beschämt.

»Denkst du das wirklich?« Forschend schaute er in das beschämte Gesicht und las dort seine Antwort. »Ich denke das nicht. Du bist kein Ersatz, niemals gewesen. Man hat mich als Ersatz missbraucht. Für meinen wirklichen Vater, nicht für Tuwa. Aber trotzdem ein Ersatz… irgendwie. Und ein Ersatz wird nicht so liebevoll angesehen, wie Channa es bei dir tut.«

Er sprach kalt und abweisend, doch er sah in Chess Augen trotz allem die Dankbarkeit, als er mit einem Lächeln nickte.

»Wie gesagt, Soul und ich gehen bald. Ich weiß nicht, ob wir uns wiedersehen, denn ich weiß nicht, was uns noch erwartet…«, begann er und deutete zum Haus.

»Deine Geschichte gestern ist, wahr, oder?«, hielt ihn der Junge noch einmal auf.

»Ja. Jedes Wort«, nickte der junge Zauberer.

»Gut. Dann hoffe ich, dass du wiederkommst. Sie ist so wunderbar, dass ich… gerne mehr hören würde«, lächelte er. Und Lugh Akhtar lächelte zurück. Dann ging er wieder ins Haus. Der Abschied war kurz und schmerzlos, doch als sie weiterreisten, bemerkte Soul dennoch, dass Lugh Akhtar ausgesprochen guter Laune war. Allerdings erzählte er ihr nichts davon, egal wie sehr sie auch bat und bettelte.

So zogen sie gemeinsam weiter, bis sich eines Tages ganz selbstverständlich Sly anschloss. Er sagte weder woher er kam noch was geschehen war, er reiste einfach mit ihnen und sie fragten ihn nicht. Es gab einfach Dinge, die jemand anderen nichts anging. So wie der Ursprung von Lugh Akhtars guter Laune.

Und andere Dinge erklärten sich von selbst. So dauerte es nicht lange, bis der junge Zauberer endlich verstand, warum Soul solche Schwierigkeiten hatte, sich selbst in die Wölfin zu verwandeln. Ihr dicker Bauch verriet sie, schneller und zuverlässiger, als jedes Wort oder jedes Lächeln es hätten tun können.

Danach nahmen sie natürlich Rücksicht auf die werdende Mutter, sodass es schon Dezember war, als sie ihr Ziel erreichten. Sie waren als Wölfe gereist, denn so kamen sie schneller voran, und mit der Hilfe von Lugh Akhtar konnte sich Soul auch nach wie vor noch verwandeln. Sie hatte weit weniger Schwierigkeiten als Cinder, denn sie war stärker und zäher als ihre Schwester.

Sie standen gemeinsam am Abgrund, als sie meinten, vertraute Stimmen zu hören. Wortlos warfen sie sich einen fragenden Blick zu, bevor sie voller Freude in die entsprechende Richtung stürzten, denn sie hatten Cinder und Ice erkannt.

Sie hatten sich nicht getäuscht, als sie durch das Gestrüpp brachen, erkannten sie ihre Freunde und noch im Laufen verwandelten sie sich zurück. Wobei es eigentlich mehr Lugh Akhtar war, der sie verwandelte, doch das war in diesem Moment für sie einerlei. Soul stürzte sich in Ice’ Arme, während Sly fast Cinder zu Boden riss.

»Soul, was…?« Ice schien so verblüfft, dass er sich erst nicht einmal freute.

»Ice, ich hab dich so sehr vermisst!«, jauchzte Soul und drückte sich immer enger an ihn.

»Ich wusste es, ich habe gewusst, dass ihr noch lebt!«, freute sich dagegen Cinder nur ein paar Meter weiter und umarmte abwechselnd und stürmisch ihren Bruder und Sly.

»Wie habt ihr das Feuer überlebt?« Noch immer wirkte Ice einfach nur völlig perplex.

»Es hat uns gar nicht richtig erwischt. Hope hat es ausgelöst und ich habe es von uns ferngehalten, allerdings hat es nicht ganz so geklappt, wie wir hofften. Wir haben alle ein bisschen was abbekommen und sind zum Fluss gelaufen, und als wir wieder dort waren, fanden wir euch nicht mehr«, erzählte Lugh Akhtar kurz und knapp. Er war traurig, Nea war nicht hier. Er vermisste sie, mit jedem Tag war ihm das klarer geworden, er wusste nicht, wo sie war.

Ice schien dazu etwas sagen zu wollen, doch stattdessen drückte er Soul nur umso fester an sich. Sie redeten alle durcheinander, bis ein lauter Ruf ihre Aufmerksamkeit auf sich zog.

»Leute!« Es war Nea, die zu ihnen gelaufen kam. Sly begrüßte sie nur kurz, doch Lugh Akhtar fühlte sich, als würde endlich wieder die Sonne aufgehen, nach einer schier unendlichen Nacht.

»Nea, mein Herz, ich hab dich so vermisst!«, rief er voller Glück. Er war mit zwei Schritten bei ihr, doch sie wich vor ihm zurück. Er verstand es nicht, bis er Kenai gewahr, der mit einem selbstgefälligen Lächeln aus dem Dickicht trat, das Packpferd am Zügel.

»Immer noch da?«, fragte er leise, aber kalt.

»Ich bin nur nach Hause gekommen«, antwortete der Söldner mit einem Lächeln, das ihm der junge Zauberer nur zu gerne aus dem Gesicht gewischt hätte.

»Ist das jetzt nicht egal? Wir sind wieder alle beisammen, also hatten wir alle dieselbe Idee«, mischte sich Ice ein und drückte Soul dabei so sehr an sich, dass sie nur noch in kurzen Stößen atmen konnte, der zu erwartende Nachwuchs, den man ihr mittlerweile deutlich ansah, war vermutlich schon zerquetscht.

»Also lasst uns für heute Nacht ein Lager suchen und morgen gleich zum Herbst gehen«, stimmte Sly lachend zu und drückte Cinder noch enger an sich.

»Dann kommt mit, ich habe den perfekten Platz«, bot Kenai an und ging voran, ohne eine Antwort abzuwarten. Am liebsten hätte Lugh Akhtar etwas völlig anderes getan, doch Nea folgte ihm glücklich, und auch die anderen zögerten nur kurz. So fügte er sich mit einem kalten Blick, dem er den Söldner in den Rücken jagte und folgte als letzter.

Streit

Lugh Akhtar beobachtete Kenai kalt, wie er leise mit Nea sprach. Sie lachte und warf ihm einen so unterwürfigen Blick zu, dass er am liebsten aufgesprungen wäre und sie angeschrien hätte. Solch eine Geste war so völlig unter ihrer Würde, dass sich sein Magen zu einem harten Kloß zusammenzog, doch er blieb still sitzen.

»Ich hab dir gesagt, dass du dich ranhalten solltest.« Ice setzte sich zu ihm und schaute ebenfalls mit gemischten Gefühlen auf das neue Glück, das Nea dort so offensichtlich genoss. Er freute sich für sie, denn er hatte immer schon gefunden, dass Lugh Akhtar dieser Beziehung zu wenig Aufmerksamkeit gewidmet hatte. Andererseits verstand er auch Lugh Akhtar.

»Wie hätte ich das denn tun sollen? Deine Frau und ich wurden von Zauberern aus Altena gejagt, wir hatten genug damit zu tun, am Leben zu bleiben«, antwortete der bissig.

»Hey, mich musst du hier nicht anmachen«, bemerkte Ice einige Grade kühler. Er verstand seinen Freund wirklich, aber der Ton war dennoch überaus unangebracht.

»Entschuldige. Es ist so viel passiert… warum ist sie plötzlich so vertraut mit ihm?« Lugh Akhtar wirkte verzweifelt.

»Weil du sie nicht anders behandelt hast, als einen guten Freund?« Sly setzte sich ebenfalls zu ihnen, auf die andere Seite des jungen Zauberers.

»Schläft Cinder?«, erkundigte sich Ice und Sly nickte mit einem warmen Lächeln.

»Wie meinst du das?«, wollte dagegen Lugh Akhtar wissen.

»So, wie ich es sage. Das ist dir selbst gar nicht aufgefallen, oder?« Der Rotschopf schaute ihn mit hochgezogenen Augenbrauen an.

»Was… soll mir aufgefallen sein?«

Sly seufzte.

»Hör zu, junger Padawan«, begann er. »Du musst wissen, Nea ist ein Mädchen.«

»Nein, wirklich, darauf wäre ich nicht gekommen«, antwortete Lugh Akhtar sarkastisch und warf ihm einen viel sagenden Seitenblick zu.

»Warte, das ist noch nicht das ganze Geheimnis. Ich kenne mich nämlich mit Mädchen ziemlich gut aus«, prahlte der Rotschopf und Ice nickte bestätigend.

»Er hat recht. Er ist manchmal fast selbst wie eines, das liegt an seinen tausend Schwestern«, grinste er.

»Es sind nicht tausend, nur zehn«, widersprach Sly mit gerümpfter Nase.

»Du hast zehn Schwestern?«, entfuhr es Lugh Akhtar und er starrte seinen Freund ungläubig an.

»Ja man! Zwei Brüder und zehn Schwestern, gut jetzt? Kann ich weitermachen?«, meckerte Sly leicht angenervt.

»Ja, erzähl ruhig«, lachte Lugh Akhtar.

»Ich kann es auch lassen«, brummte der Rotschopf.

»Nein nein, beglücke uns mit deiner Weisheit.« Es blitzte belustigt in Ice’ Augen.

»Wisst ihr was, ihr könnt mich mal.« Sly schoss fast Blitze aus seinen blauen Augen.

»Nein, ich will es wirklich wissen.« Lugh Akhtar schaute ihn bittend an. Der Rotschopf warf ihm erst einen misstrauischen Blick zu, doch als er merkte, dass sein Freund es ernst meinte, nickte er.

»Hör zu… Mädchen möchten, dass man sich um sie kümmert. Und wenn sie nur seufzen, sie möchten, dass du nachfragst. Und das hast du nicht getan. Nie, nicht ein Mal.« Es war kein Vorwurf in der sanften Stimme. Er sprach nur seine Beobachtungen aus.

»Aber warum hat sie denn nichts gesagt? Warum ist sie denn gleich zu ihm gegangen?« Lugh Akhtar verstand es einfach nicht.

»Das musst du sie fragen«, antwortete Ice und stand auf. Er zögerte kurz, dann ging er zu Nea und sagte leise etwas zu ihr, woraufhin sie einen kurzen, scheuen Blick zu Lugh Akhtar und Sly warf. Sie schien kurz zu überlegen, dann nickte sie und stand ebenfalls auf. Langsam und zögernd kam sie zu dem jungen Zauberer, und sogleich erhob sich auch Sly und räumte das Feld. Das war eine Sache zwischen den beiden, da hatte er sich nicht einzumischen. Langsam setzte sich Nea neben ihn.

»Ice sagte, dass du mit mir sprechen wolltest«, sagte sie.

»Das stimmt so nicht ganz«, antwortete er kalt. Er spürte, wie die Wut wieder in ihm aufstieg, obwohl sie einfach nur zu ihm gekommen war.

»Sondern?« Sie schaute ihn scheu, aber durchaus forschend an.

»Oh glaub mir, ich habe dir nichts mehr zu sagen. Immerhin bist du diejenige, die sich abgewandt hat«, knurrte er vorwurfsvoll.

»Ich habe mich abgewandt?« Sie lachte hysterisch und sprang auf. »Ich habe mich abgewandt? Wovon denn?«

»Von mir! Von mir verdammt! Stattdessen lässt du dich mit einem Söldner ein!« Lugh Akhtar spie das Wort aus, als wäre es etwas schändliches, schmutziges, und das war es für ihn auch. Er verachtete diese Menschen, die ihre Ideale und ihre Ethik für nichts anderes als Geld über den Haufen warfen.

»Hey, ich kann dich hören.« Kenai warf ihm einen schmollenden, bösen Blick zu, doch sowohl Lugh Akhtar als auch Nea ignorierten ihn.

»Er interessiert sich zumindest für mich! Er sieht mich nicht als selbstverständlich! Er sagt mir nicht nur, dass er mich liebt, sondern er zeigt es auch! Er kümmert sich um mich, ich bin ihm wichtig! Dir nicht«, schrie sie. Darauf wusste der junge Zauberer erst nichts zu sagen.

»Natürlich interessiere ich mich für dich, aber wann bitte haben wir mal Zeit, um einfach nur beisammen zu sein? Wann soll ich dir denn zeigen, dass ich dich liebe und wie? Wie kommst du überhaupt auf die schwachsinnige Idee, dass du mir nicht wichtig wärst?«, fragte er kalt.

»Wenn ich dir etwas bedeuten würde, dann hättest du mich gesucht.« Ihre Stimme war kalt und sie blitzte ihn böse an.

»Stimmt. Weißt du was sie sich für Gedanken gemacht hat, was für Angst sie um euch hatte?«, mischte sich abermals Kenai ein.

»Halt du dich da raus«, fauchte Lugh Akhtar ihn an und wandte sich wütend wieder zu Nea um. »Ich habe nicht gerade das Gefühl, dass es dich sonderlich gestört hat. Du hast dich ja mit ihm geradezu hervorragend verstanden, auch vorher schon.«

»Was willst du damit sagen?!« Nea wurde blass vor Wut.

»Na ja, wer weiß, was da vorher schon gelaufen ist… Und wer weiß, was ihr alles so getrieben habt, zu zweit und allein in der Wildnis.« Seine Stimme zitterte vor Bitterkeit und Zorn.

»Das hast du jetzt nicht wirklich gesagt…« Fassungslos starrte sie ihn an.

»Doch und ich habe jedes Wort so gemeint«, antwortete er kalt.

Sie begann zu zittern und starrte ihn ungläubig und hasserfüllt an, bevor sie ihm eine solche Ohrfeige verpasste, dass man es wohl noch meilenweit hören konnte.

Da sprangen Ice und Sly, die das Ganze aus einer Zimmerecke besorgt verfolgt hatten, erschrocken auf und wollten dazustürzen, doch sie konnten nicht mehr verhindern, dass sich Nea kratzend und schlagend auf Lugh Akhtar stürzte. Sie beobachteten ängstlich das darauf folgende Gerangel, in dem der junge Zauberer eigentlich nur versuchte, sich irgendwie Neas Angriffen zu erwehren, bis dann das Unvermeintliche geschah.

Er wollte es nicht und es tat ihm schon den Bruchteil einer Sekunde, bevor er es überhaupt tat, leid, doch er konnte es nicht mehr verhindern, so sehr er es auch wollte. Er verpasste Nea einen solchen Hieb ins Gesicht, dass sie zu Boden stürzte und erschrocken zu ihm aufblickte.

Danach herrschte atemloses Schweigen. Sie starrte zu ihm auf, Sly und Ice begriffen gar nicht wirklich, was sie gesehen hatten, und Lugh Akhtars Gedanken rasten. Was hatte er nur getan? Wie hatte er das nur tun können?

»Nea, ich… das wollte ich nicht, das war…!«, rief er, von einem grauenhaften Entsetzen erfüllt und wollte zu ihr hin, doch Kenai stellte sich ihm in den Weg.

»Ich denke, du hast genug Schaden angerichtet«, knurrte er kalt. Für einige Sekunden starrte der junge Zauberer den Söldner nur fassungslos an, bevor er dazu etwas sagen konnte.

»Ich habe hier Schaden angerichtet?« Seine Stimme klang seltsam schrill und unwirklich.

»Natürlich du, oder wer hat sie sonst geschlagen?«

Dieser Hinweis war so ungeheuerlich, dass Lugh Akhtar unwillkürlich nach Luft schnappen musste.

»Das wäre niemals passiert, wenn du verdammter Bastard nicht aufgetaucht wärst!«, brüllte er Kenai dann an.

»Nein, es wäre nicht passiert, wenn du dich um sie gekümmert hättest«, widersprach der Söldner. Der junge Zauberer wusste, dass er recht hatte, doch das stachelte seinen Zorn nur umso mehr an.

»Das ist doch alles verdammt noch mal deine Schuld! Du hast sie mir weggenommen, du hast ihr diesen Floh ins Ohr gesetzt!«, schrie er, wobei sich sein Zorn auf seine Umgebung auswirkte. Glas zerbrach splitternd und ein Wind flaute auf, den Ice zwar verzweifelt versuchte wieder zu beruhigen, doch er hatte keine Chance. Lugh Akhtar besaß die Macht des Winters, es gab kaum ein Wesen, das es mit ihm aufnehmen konnte.

»Ich hab sie dir nicht weggenommen, du allein hast sie vergrault, Hexer! Sie hat dich geliebt und sie hat dir vertraut, doch statt sie dafür mit gleicher Münze zu belohnen, hast du sie doch bloß behandelt, wie eine räudige Hündin! Wie ein Spielzeug dem du überdrüssig geworden bist!«, warf ihm Kenai vor.

»Jungs, beruhigt euch!«, brüllte Sly mit ängstlich geweiteten Augen über das Tosen des Sturmes hinweg, doch seine Worte stießen auf taube Ohren.

»Willst du, ausgerechnet du, der davon lebt, seine eigene, am Boden liegende Würde mit Füßen zu treten, willst wirklich du mir erklären, dass ich sie behandle wie ein Stück Dreck?« Der junge Zauberer zitterte am ganzen Leib, es konnte sich nur noch um Sekunden handeln, bevor er seine Beherrschung völlig verlor. Und es war ein einziges Wort, was dazu führte.

»Ja«, antwortete Kenai. Leise und sachlich, doch das brachte das Fass endgültig zum überlaufen. Lugh Akhtar verzichtete sogar darauf, sich in seine bevorzugte Kampfgestalt, die des weißen Wolfes, zu begeben, er stürzte sich gleich so als Mensch auf ihn. Er stieß Kenai zu Boden und schlug mit der geballten Faust auf ihn ein, dabei war es ihm egal, wo er traf, Hauptsache es tat dem Söldner so richtig weh.

Doch dies war nicht die erste Prügelei des jungen Mannes und Kenai wehrte sich tapfer. Auch er schlug hart zu und bald schon hatte er die Oberhand. Hätte der junge Zauberer die Möglichkeit gehabt alle Trümpfe auszuspielen, Kenai hätte niemals eine Chance besessen, doch Lugh Akhtar bekam nicht die Chance, alle Magie die ihm zur Verfügung stand in einem finalen Schlag auf seinen Kontrahenten zu schlagen, denn vorher trennten Sly und Ice sie schon und Soul, die von dem Lärm wach geworden war, hielt den Zauber auf.

»Verdammt, lass mich los!«, brüllte er Ice an, der fast auf ihm drauf saß, um ihn am Boden zu halten.

»Nein! Hör auf, beruhige dich wieder!«, antwortete der verzweifelt.

»Ice! Ich will diesem Bastard die Kehle herausreißen, ich will morgen früh seine Innereien auf meinem Teller liegen haben, und ich will sein verdammtes Herz Nea vor die Füße schmeißen!« Voller Blutdurst und mit einem nie gekannten Hass wollte sich der Zauberer auf den Söldner schmeißen, der Sly auf ähnliche Art und Weise anschrie. Er merkte nicht einmal, dass Soul seine Magie in andere Bahnen lenkte, für ihn zählte nur noch irgendwie an Kenai heranzukommen.

»Hört auf, beide!«, brüllte mit einem mal Nea, die sich in die Mitte des Raumes gestellt hatte. Sie war mit einem schnellen Schritt bei Kenai und verpasste ihm eine schallende Ohrfeige, nur um zwei schnelle Schritte zu Lugh Akhtar zu machen, und auch seine andere Wange in Mitleidenschaft zu ziehen. Erst das brachte die beiden jungen Männer wieder halbwegs zur Ruhe.

Sie zitterten noch immer vor hass und das Adrenalin jagte nach wie zuvor durch ihre Körper, aber die junge Zauberin hatte ihre Aufmerksamkeit. Sie schaute die beiden jungen Männer kalt an, wandte sich als erstes an Kenai.

»Du benimmst dich wie ein Kind! Er ist doch keine Konkurrenz, wieso lässt du dich auf einen solch nutzlosen Streit mit ihm ein?«, fuhr sie ihn an. Der Söldner blinzelte erstaunt und wusste darauf keine Antwort. Da wandte sich Nea Lugh Akhtar zu.

»Und du, was dachtest du, tust du da gerade? Meinst du, dass sich etwas ändert, wenn du Kenai tötest?« Sie schaute ihn herausfordernd an.

»Ja!«, antwortete der junge Zauberer trotzig.

»Nein, das tut es nicht, und das weißt du«, widersprach sie kalt.

»Sie hat recht«, stimmte ihr Ice leise zu. »Es ist nicht richtig, was du gerade tun wolltest.«

»Ach, meinst du?« Lugh Akhtar machte sich mit einem Ruck los und stand auf. Er wandte sich Sly, dann Soul zu. »Siehst du das auch so? Und du?«

Beide nickten und starrten ihn erschrocken, fast ängstlich an.

»Schön. Dann weiß ich ja, wessen Freunde ihr nun seid«, fauchte er und wandte sich um.

»Wohin willst du?«, fragte Nea leise.

»Weg. Hier bin ich ja unerwünscht«, antwortete er kalt und verließ das Haus. Er wusste nicht, wohin er gehen sollte, nur, dass er weit weg von hier sein wollte.

Er marschierte mit großen, wütenden Schritten einfach drauf los. Immer weiter, bis sein Zorn verraucht war und er nicht mehr wusste wo er sich befand. Er ging immer zögernder, bis er endlich stehen blieb. Seine Wangen schmerzten heftig und er wusste, dass er überreagiert hatte, doch war er sich nicht sicher, ob er einfach so zurückgehen konnte. Würden die anderen noch wütend auf ihn sein? Würden sie überhaupt noch einmal ein Wort mit ihm wechseln?

Er wusste es nicht, und er hatte ein wenig Angst vor der Antwort. Doch gerade als er beschloss, dass er mit stillem Brüten irgendwo in der Wildnis nicht weiterkam und umkehren wollte, da hörte er ein Geräusch. Erschrocken wandte er sich um und gewahr eine Frau, die ihn neugierig und fragend anschaute.

»Hast du dich verlaufen?«, fragte sie und machte einen Schritt auf ihn zu.

»Nein«, antwortete er und wollte sich abwenden, doch irgendetwas hielt ihn zurück.

»Dann solltest du zurückgehen. Die Nächte, in denen die Jahreszeiten ihre Macht wechseln sind zwar wunderbar anzusehen, aber du möchtest sie dabei dennoch nicht stören, oder?«, lächelte sie. Erstaunt horchte Lugh Akhtar auf.

»Du weißt, dass die Jahreszeiten wirkliche Geschöpfe sind?«, fragte er erstaunt.

»Natürlich«, lächelte sie. »Immerhin kenne ich sie persönlich.«

Kinaya

»Kinaya?« Lugh Akhtar schaute sie aufmerksam an. »Das ist dein Name?«

»Ja. Wie heißt du?«, fragte die Frau und lächelte. Sie hatte ein wunderbares Lächeln, so offen und warm, dass sich der junge Zauberer gleich bei ihr wohl fühlte.

»Lugh Akhtar«, antwortete er leise.

»Ein… ungewöhnlicher Name«, bemerkte sie zögernd und schaute in seine vielfarbigen Augen.

»Eine Freundin hat ihn mir gegeben, als wir uns das erste Mal trafen. Ich mag ihn, er erzählt von Glück und gefundenen Träumen«, antwortete der lächelnd.

»Stimmt, und noch dazu von Mut und einem großen Herz. Du bist ein Zauberer, nicht wahr?«

»Ja. Ich komme aus Altena und habe bei dem Meister der Gilde gelernt«, nickte er.

»Aus Altena, ja?« Ihre Augen verdunkelten sich. »Man sagt, ein Fremder hätte Nikolai gestürzt und die Macht an sich gerissen. Es soll Krieg im ganzen Reich herrschen und sie ziehen gegen Navarre.«

»Das stimmt, aber… woher kennst du den Namen des ehemaligen Gildenmeisters?« Erstaunt blickte Lugh Akhtar sie an. Solche Dinge waren sonst nur den Zauberern vorbehalten. Doch Kinaya antwortete darauf nicht, sondern lächelte nur wissend.

»Willst du mir erzählen, was dich alleine in den Wald trieb?«, fragte sie stattdessen leise. Der junge Zauberer zögerte kurz. Er schaute sie an und dachte dabei über seine Antwort nach. Sie wirkte so vertraut auf ihn, dass er meinte, ihr alles erzählen zu können, doch war sie immer noch eine Fremde.

»Ich habe mich mit meinen Freunden gestritten«, begann er langsam.

»Wieso?«

»Weil ich… mich nicht im Griff hatte. Ich konnte mich nicht beherrschen und habe schlimme Dinge getan…« Voller Gram vergrub er sein Gesicht in seinen Armen und legte sie auf den Knien ab.

»Bereust du es?« An ihrer Stimme spürte der junge Zauberer, dass sie ihn nicht verurteilte.

»Ich habe es schon bereut, bevor ich es tat. Zumindest das eine. Ich habe jemandem weh getan, der mir sehr wichtig ist, und das werde ich mir nicht verzeihen«, kam es dumpf hervor.

»Und das andere?«

Da zögerte er. Tat es ihm wirklich leid, was er Kenai angetan hatte? Was er ihm noch antun wollte? Dass er bereit gewesen war zu töten? Worin unterschied er sich jetzt überhaupt noch von Rex? Entsetzen breitete sich in ihm aus, als ihm klar wurde, dass der Unterschied nun gar nicht mehr so groß war. Er war zu etwas geworden, was er nicht sein wollte, doch er konnte es nicht ändern und auch nicht verhindern. Er wusste ja nicht einmal, wieso er sich so verändert hatte.

»Ich weiß es nicht. Ich wollte ihn töten. Ich habe es nicht getan, aber ich wollte es. Und ich glaube, ich würde es auch jetzt noch tun, wenn ich denn die Möglichkeit hätte«, murmelte er leise.

»Warum hast du es nicht getan? Und warum wolltest du es?«

»Meine Freunde haben mich davon abgehalten. Und tun wollte ich es, weil… ich das Gefühl habe, dass er mir etwas Wichtiges weggenommen hat. Ich weiß das ist Unsinn, denn er hat sie nicht gezwungen. Das könnte er auch gar nicht. Aber so kommt es mir vor…«

»Oh ja, das Gefühl kenne ich«, lachte sie und schaute ihn warm an. »So ging es mir auch einmal, vor langer Zeit.«

»Hast du… es überwinden können? Ich mag dieses Gefühl nicht, es bereitet mir Bauchschmerzen.«

»Ja. Akzeptiere einfach, was du nicht ändern kannst. Aber ändere das, was dir möglich ist«, antwortete sie und lächelte aufmunternd.

Da atmete Lugh Akhtar tief ein. Seine Gedanken rasten. Es stimmte, was sie sagte. Es gab Dinge, die konnte er nicht ändern. Er konnte das Gefüge einer Welt nicht ändern, nur weil er es wollte. Er konnte seine Gefühle für den Moment nicht ändern. Aber er konnte es vielleicht in Zukunft tun.

Es war nicht so, dass er Kenai nicht mochte. Es war vielmehr so, dass er einen unbändigen Hass in sich spürte, aber nicht auf den Söldner als Person, sondern eigentlich eher auf die Situation als solche. Doch diese konnte er durchaus ändern. Sein Gesicht hellte sich auf, als er Kinaya anschaute.

»Hab vielen Dank«, sagte er und bemerkte im selben Moment, wie etwas in ihre Augen trat, das er erst nicht bestimmen konnte. Es wirkte, wie erkennen, wie erschrecken, wie Angst. Und trotzdem Hoffnung. Aber wieso? Er wollte sie fragen, doch kein Wort kam über seine Lippen, also schwieg er.

»Möchtest du jetzt zurück gehen?«, fragte sie ihn nach einer Weile des Schweigens, in der sie sich nur gegenseitig anschauten.

»Nein. Jetzt noch nicht. Ich weiß nicht, ich… habe Angst, nach Hause zu gehen…«, murmelte er.

»Angst?«, fragte sie erstaunt. »Wovor?«

»Ja, Angst. Ich weiß nicht… vielleicht davor, dass sie es mir übel nehmen. Davor, dass die Angst, die ich in ihren Augen gesehen habe, immer noch dort ist, wenn ich wiederkomme. Davor, dass nächstes Mal nicht wieder jemand da ist, der mich zurückhält und ich etwas tue, was ich nicht tun will, um nichts auf der Welt…« Er schaute in den Nachthimmel hinauf.

»Du weißt, dass du deiner Angst entgegentreten musst?«

»Ja. Aber noch nicht jetzt.«

Sie lächelte und nickte. Dann schaute sie ebenfalls in den Himmel hinauf und wirkte dabei seltsam bedrückt.

»Es sieht nach Schnee aus«, bemerkte Lugh Akhtar nach einer Weile.

»Das stimmt. Schnee in der Sonnenwendnacht…«, murmelte Kinaya Gedanken versunken, dann schaute sie ihn nachdenklich an. »Du kommst aus dem Norden von Altena, oder?«

»Ja, aber woher…?« Er schaute sie verblüfft an.

»Du sprichst den Dialekt von Irian. Außerdem könnten viele Zauberer kommenden Schnee nicht einmal dann erkennen, wenn man es ihnen sagt«, lächelte sie wissend.

»Dann… kommst du auch aus der Gegend? Sonst würde mir kein Grund einfallen, woher du den Dialekt kennen könntest«, erwiderte er.

»Ja, da hast du recht. Ich komme aus Forea.«

»Warum lebst du dann hier?«

»Um meinem Liebsten nahe zu sein«, lächelte sie. Ihr Tonfall sagte dem jungen Zauberer deutlich, dass sie sich nicht weiter dazu äußern würde, also fragte er nicht. Stattdessen sprach sie weiter. »Wie kommt es überhaupt, dass ein Zauberer in Irian aufgewachsen ist?«

»Ich bin nicht in Irian aufgewachsen, sondern im Niemandsland zwischen Irian und Forea«, berichtigte er. »Meine Mutter kam aus der Gegend und ich weiß, dass mein Vater aus Irian stammt. Er mochte den Norden, also sind wir dort geblieben.«

»Wie war der Name deines Vaters?« Sie schaute ihn fragend an.

»Kanoa Kuroi.«

»Kanoa?!« Sie fuhr auf und starrte ihn aus großen Augen erstaunt an.

»Ja.« Diese Reaktion kam unerwartet, er wusste nicht gleich, wie er damit umgehen sollte, also wirkte er misstrauisch und reserviert, als er weitersprach. »Kanntest du ihn etwa?«

»Ob ich ihn kenne?« Kinaya lachte glockenhell auf. »Natürlich kenne ich ihn! Aber ich wusste nicht, dass er… Dein Geburtsname ist Fjodor, oder?«

Lugh Akhtar nickte erstaunt.

»Woher weißt du das?«

Sie lachte noch einmal, schüttelte dann den Kopf.

»Ich weiß es einfach. Aber jetzt verstehe ich auch, wieso ich so an ihn denken musste, als ich dich im Schnee hab stehen sehen.« Ihr Blick wurde noch wärmer. »Wie geht es ihm denn so?«

Da zögerte Lugh Akhtar einen Moment, bevor er antwortete: »Er ist tot.«

»Er ist... tot…?« Entsetzt starrte sie ihn an.

»Ja. Schon seit einigen Jahren.« Es machte ihn traurig, sie so entsetzt zu sehen. Zu guter letzt senkte sie den Blick.

»Entschuldige, ich… hätte gerne noch einmal mit ihm gesprochen…« Sie lächelte traurig. »Es gibt noch so viel, was ich ihm sagen wollte…«

»Sag es mir«, bot er an, doch Kinaya verneinte.

»Nein. Es ist vorbei, es ist zu spät. Aber ich bin froh, dass er einen so wundervollen Sohn hat.«

»Er hat auch noch zwei wunderbare Töchter. Cinder und Soul«, antwortete der junge Zauberer und lächelte bei dem Gedanken an seine Schwestern. Doch auch jetzt starrte Kinaya ihn mit großen Augen erstaunt an.

»Cinder und Soul?«, hakte sie noch einmal nach.

»Ja«, bestätigte Lugh Akhtar verunsichert. Warum erstaunte sie das so sehr?

»Cinder und Soul… oh Kanoa.« Sie lächelte glücklich, schüttelte dann aber sacht den Kopf. »Ich weiß, wieso deine Schwestern und du so heißt, wie ihr eben heißt. Selbst nach seinem Tod beweist er noch, wie wunderbar er war…«

Der junge Zauberer überlegte kurz, ob er diesmal nachfragen sollte, doch entschied er sich dagegen. Stattdessen gewahr er ein leichtes Glitzern am Himmel, das binnen weniger Augenblicke zum Nordlicht wuchs.

»Was meintest du eigentlich damit, als du sagtest, dass du die Jahreszeiten kennst…?«, fragte er verträumt.

»Ich beobachte sie jedes Jahr, wenn der Herbst seine Macht an den Winter übergibt. Es wirkt immer ein wenig, wie ein Tanz«, lächelte sie.

»Sie tanzen…?«

»Ja!« Kinaya sprang auf und zog ihn mit sich hoch. »Sie tanzen, sie lachen, sie freuen sich, über ein Wiedersehen! Die Jahreszeiten können sich immer nur dann sehen, wenn sie ihre Macht übergeben, also nur vier Mal im Jahr. Dabei sind sie Geschwister und sie lieben einander so sehr!«

»Sie treffen sich? Jedes Mal, wenn ein anderer die Macht übernimmt? Aber wo?«

»Da, wo es ihnen gerade gefällt«, lachte Kinaya und tanzte über die Lichtung. »Willst du, dass ich dich dorthin bringe?«

»Ja!«, rief er begeistert aus. Er hatte die Chance, alle vier Jahreszeiten auf einmal zu treffen! Das hieß, dass sie nicht mehr in den Osten reisen brauchten, er konnte den Herbst und den Frühling auf einmal um Hilfe bitten, und seine Mutter und der Sommer konnten ihm auch noch helfen!

»Dann komm mit«, lächelte sie und lief los. So schnell dass er ihr nur als Wolf folgen konnte. Er rannte ihr nach, so schnell er nur konnte. Er wusste nicht, wohin es ging, er wusste nicht, wo seine Freunde waren, er lief nur. Und irgendwann standen sie inmitten eines dunklen Waldes. Erst hier blieb Kinaya wieder stehen.

»Sind wir da?« Langsam verwandelte sich Lugh Akhtar wieder zurück.

»Nein. Aber immerhin jagen wir auch Wesen, die so viel mächtiger sind, als wir. Wir müssen darauf hoffen, dass sie uns auch dabei haben wollen. Ansonsten kannst du nur ihr Gefolge sehen«, erklärte sie und lächelte.

»Ihr Gefolge? Du meinst das Wolfsrudel des Winters und die Raubkatzen des Sommers?« Lugh Akhtar schaute sie aus großen Augen an, blickte dann um sich.

»Ja, genau die«, bestätigte sie und deutete in den Himmel. Und sie hatte recht, als er genau hinschaute, erkannte er in der Aurora die Wölfin, die einst in Cinders Rudel gelebt hatte, nun aber Nalanis Platz als Nordlicht eingenommen hatte. Sie schien durch das Licht hindurch zu schimmern. Und er erkannte in den Sternbildern Drafnar, der über diese Nacht herrschte. Er sah Eis, wie sie dafür sorgte, dass das Wasser langsam erstarrte, er sah Frost, der das Gras in Glas verwandelte. Aber er sah auch andere Gestalten, die er nicht kannte, von denen er aber dennoch wusste, dass sie zu den Jahreszeiten gehörten.

»Sie sind alle hier…«, flüsterte er mit leuchtenden Augen.

»Natürlich.« Sie strahlte regelrecht vor Glück. Dann lief sie einige Meter von ihm fort, und während der Wind und ein leichter Nebel um sie herumstrichen, rief sie etwas in die Nacht hinaus, was Lugh Akhtar nicht verstand. Sie wiederholte es noch einmal, dann wartete sie gespannt.

Gerade, als der junge Zauberer sie fragen wollte, was sie gesagt hatte, da spürte er, dass dort etwas war. Er blickte sich suchend um, bis er bemerkte, dass Kinaya zielgerichtet in die richtige Richtung blickte und dabei lächelte.

Und dann sah er es auch. Durch den Nebel kamen Gestalten auf sie zu. Er wusste nicht, was es war. Er wusste, dass er Angst haben sollte, dass sie ihm Unbehagen bereiten sollten, doch stattdessen erfüllte ihn dieser Anblick mit einem seltsamen Gefühl des Wohlseins.

Und dann erkannte er sie durch den Nebel hindurch. Es war ein großes Wesen, wie er es noch nie zuvor gesehen hatte. Es war dick und pelzig, es hatte kleine Ohren und eine breite Schnauze, die an die eines Hundes erinnerte. Es lief tapsig auf scheinbar viel zu großen Pranken dahin.

Lugh Akhtar wusste nicht, was es für ein Wesen war, aber er erkannte die Gestalt an seiner Seite. Es war jene weiße Wölfin, die ihn in seinen Träumen begleitete. Dieses wunderbare Tier, in dessen Augen die ganze Welt zu sehen war. Seine Mutter. Der Winter.

»Du brauchst nicht schreien, Kinaya, ich höre dich auch so«, brummte das große Wesen.

»Ich weiß, aber so kommst du schneller«, lachte sie.

»Wen hast du da mitgebracht?« Das Wesen blickte aus kleinen Augen auf Lugh Akhtar.

»Meinen Sohn«, antwortete der Winter und während sie auf ihn zukam, verwandelte sie sich in die Menschenfrau, die ihn in die Arme schloss.

»Oh, das älteste Winterkind«, lachte das Wesen und wandte sich langsam wieder um. »Nimmst du ihn mit?«

»Natürlich, denn mein Sohn ist nicht ganz grundlos hier«, lächelte der Winter und schaute voller Stolz auf ihn herab. »Er hat große Ziele und die sollten auch du und meine Schwester kennen lernen.«

»Gut, dann lasst uns gehen. Es wird Zeit, sie werden schon auf uns warten«, nickte das Tier.

»Ist es denn überhaupt recht, wenn ich mitkomme?«, zögerte Lugh Akhtar.

»Natürlich. Kinaya war schon mehrfach dabei und Kanoa auch, und sie sind nicht mehr als du«, lächelte die Frau und wurde wieder zur Wölfin. Und so zog die seltsame Prozession ins Herbstreich, denn es wurde Zeit, dass der Winter Einzug hielt in die Welt.

Zurück

Die Sonne erhob sich langsam über den Bergen und erhellte die Welt. Sie verscheuchte den nächtlichen Nebel und ließ eine so klare Luft zurück, dass man meinte, wenn man sich nur genug anstrengte, dann gewahr man selbst den Turm der Zauberer in Altena, der tausende Meilen entfernt lag.

Lugh Akhtar lachte, als er den knirschenden Frost unter den Stiefeln hörte und den Geruch von Schnee in der Nase hatte. Es hatte geschneit, aber nicht viel, sodass bis jetzt alles wieder weggetaut war. Doch nicht nur der Sonnenschein, die kalte Winterluft und die wunderschöne, leuchtende Welt um ihn herum ließen ihn vor Glück jauchzen.

Nein, viel wunderbarer war die Erinnerung an das, was hinter ihm lag. Die vergangene Nacht hatte aus mehr Freude, Lachen, Lebenslust und Zauber bestanden, als er es jemals für möglich gehalten hatte. Und all dieser Zauber war noch immer in seinem Herzen, erfüllte ihn mit einer unbändigen, tiefgehenden Freude.

Er fühlte sich im Reinen mit der Welt, er war innerlich so ruhig wie schon lange nicht mehr und er hatte das Gefühl, dass er alles schaffen würde, wenn er es nur genug wollte. Er meinte, dass nichts auf der Welt ihm mehr schaden konnte und er wusste, dass er nun nach Hause gehen konnte. Er hatte keine Angst mehr vor dem, was ihn erwarten würde, dazu war ihm viel zu leicht ums Herz.

»Kinaya, sind die Morgende der Sonnenwechsel immer so wunderschön, oder erscheint mir nur alles viel schöner?«, fragte er lachend.

»Vielleicht lässt deine Mutter die Welt auch einfach für dich viel heller strahlen, als sonst«, lächelte die Frau und sog tief die reine Luft ein.

»Wir sind fast da, oder?« Der junge Zauberer schaute sich suchend um.

»Ja. Wirst du dich mit meinem Sohn wieder vertragen? Oder bist du noch immer so wütend auf ihn?«, fragte sie besorgt. Sie erhielt darauf zwar keine Antwort, doch als sie das Blitzen in seinen Augen gewahr, machte sie sich doch ein wenig Sorgen.

Einige Zeit später, es war schon fast mittag, da kamen sie beim Haus an. Sie hörten laute Rufe, es schien, als wäre dort ein Streit im Gange. Kinaya und Lugh Akhtar schauten einander zögernd an, dann öffnete der junge Zauberer und ging als erstes hinein.

»Nein Soul!«, ertönte da gerade Ice’ scharfer Befehl aus der Küche.

»Aber ich will! Und du wirst mich davon nicht abhalten«, fauchte seine junge Frau daraufhin böse. Lugh Akhtar trat an die Tür und beobachtete die Situation einen Moment. Cinder saß auf der Eckbank und blickte seltsam ratlos auf ihre Freunde. An der Tür, nur zwei Meter von ihm entfernt, stand Sly und verkniff unwillig den Mund, als wenn ihm diese Situation nicht gefiel. Kenai beobachtete den Streit aufmerksam, aber weder besorgt, noch erfreut. Nea stand am Fenster, hatte sich gegen die Wand gelehnt und wirkte besorgt.

»Worum geht’s?«, erkundigte sich Lugh Akhtar, nachdem er das alles erfasst hatte. Erschrocken wandten sich alle Blicke in seine Richtung.

»Lugh!« Sly war der erste, auf dessen Gesicht ehrliche Freude und Erleichterung zu sehen waren, doch auch seine Freunde wirkten erleichtert und erfreut über seinen Anblick. Nur Kenai betrachtete ihn mit einer zurückhaltenden Neugierde, aber nicht feindselig.

»Wo warst du die ganze Nacht, wir haben uns Sorgen gemacht.« Nea kam zwei zögernde Schritte auf ihn zu und Lugh Akhtar lächelte sie freudig an, doch antwortete er ihr nicht. Stattdessen schaute er fragend auf Soul und Ice.

»Worum geht es bei eurem Streit?«, fragte er noch einmal.

»Ice will mich nicht mitgehen lassen, wenn wir zum Herbst gehen«, beschwerte sich Soul sogleich.

»Natürlich nicht. Soul, das ist doch viel zu gefährlich«, fand Ice.

»Und unnötig, sowohl der Herbst, als auch der Frühling werden uns helfen«, antwortete Lugh Akhtar und lächelte über das Erstaunen seiner Freunde.

»Aber was…?«

»Wir haben sie alle getroffen und sie haben Lugh Akhtar angehört und beschlossen, ihm zu helfen.« Auch Kinaya trat nun auf die Bildfläche.

»Mam!« Jetzt wirkte Kenai nicht mehr, wie ein stiller Beobachter, sondern war mit wenigen Schritten bei der hübschen Frau und umarmte sie fest. »Ich hab dich vermisst, als du gestern nicht da warst.«

»Ich habe den Wechsel der Jahreszeiten angesehen«, lachte Kinaya und entwand sich vorsichtig seiner Umarmung.

»Hat er dich mit seinen seltsamen Ideen auch schon angesteckt?« Kenai klang traurig.

»Das brauchte er nicht. Aber bevor du deinen Freunden erzählst, was geschehen ist… willst du sie mir nicht vorstellen, Lugh Akhtar?«

»Entschuldige, natürlich. Der Rotschopf ist Hope, der Blauhaarige ist Ice, der Prinz von Navarre. Ihm gegenüber ist seine Frau und meine kleine Schwester Soul und auf der Bank das ist unsere Schwester Cinder. Und am Fenster steht Nea«, erklärte der junge Zauberer.

»Schön euch kennen zu lernen, vor allem euch, Cinder und Soul.« Ein Blitzen war in ihren Augen, was wohl nur Lugh Akhtar zu deuten vermochte.

»Wer bist du?«, fragte da Cinder neugierig.

»Ich bin Kinaya, Kenais Mutter«, stellte sie sich lächelnd vor.

»Ich habe das Gefühl, dass du eine Menge zu erzählen hast«, brachte da Sly verblüfft hervor.

»Das stimmt wohl, aber dazu ist es hier doch viel zu ungemütlich. Lasst uns ins Wohnzimmer gehen«, schlug der junge Zauberer lächelnd vor. Seine Freunde kannten ihn gut genug, um zu wissen, dass es nicht nur einfach ein Vorschlag war und so trollten sie sich. Als letztes wollte Kenai die Küche verlassen, doch Lugh Akhtar vertrat ihm blitzschnell den Weg.

»Willst du heute da weitermachen, wo wir gestern aufgehört haben?«, wollte der Söldner wissen. Er schien gefährlich klingen zu wollen, doch Lugh Akhtar hörte das Zittern in seiner Stimme nur zu gut.

»Nein, das will ich nicht. Ich möchte mich entschuldigen, du hast recht. Ich habe wirklich zu lange einfach nur so vor mich her gelebt und Nea dabei völlig außer Acht gelassen. Aber das wird nicht so bleiben.« Er lächelte wissend. »Weißt du Kenai, ich weiß eine Menge über dich. Vermutlich mehr, als du selbst weißt.«

»Wie… kommst du darauf?«, zögerte der Söldner.

»Weil Kinaya mir viel erzählt hat. Aber nicht nur sie. Deswegen weiß ich auch, dass wir gar nicht so verschieden sind. Weißt du, wir haben eine Menge gemeinsam…« Der junge Zauberer lächelte bei Kenais erstauntem Gesicht, fuhr dann zufrieden fort. »Aber das ist es natürlich nicht, was ich dir sagen will.«

»Sondern…?«, wollte der junge Mann unsicher wissen.

»Nun, ich möchte dir mitteilen, dass ich deine Herausforderung annehme.«

»Welche… Herausforderung?«

»Nea. Ich weiß nicht, ob es wirklich Liebe ist, was sie für dich empfindet, und ich weiß auch nicht, ob ich eine Chance habe. Aber ich werde nicht kampflos aufgeben. Wann immer du schwächelst, werde ich da sein. Und irgendwann, wenn das Schicksal es will, wird sie wieder an meiner Seite sein. Ich werde tun, was auch immer ich tun kann. Ich werde nicht direkt gegen dich kämpfen. Aber ich werde Nea zeigen, wie ernst es mir ist und auch immer war. Und wenn es tausend Jahre dauern mag. Ich kann warten.«

Damit wandte sich der junge Zauberer ab und ließ den Söldner einfach stehen. Kenai schaute ihm aus großen Augen erstaunt nach. Er verstand nicht wirklich, was der Zauberer ihm hatte sagen wollen. Wie konnte ein völlig Fremder denn mehr über ihn wissen, als er selbst? Selbst dann, wenn er die ganze Nacht mit Kinaya gesprochen hatte, es gab so vieles, was auch sie nicht kannte oder wusste. Doch was er durchaus verstanden hatte war, dass Lugh Akhtar ihm Nea wieder wegnehmen wollte. Und dazu war ein stiller, unsichtbarer Kampf von Nöten. Doch spielte es jetzt keine Rolle. Er setzte sich zu den anderen ins Wohnzimmer.

»Wisst ihr, wenn die Jahreszeiten ihre Macht wechseln, dann treffen sie sich im Reich von dem, der seine Macht aufgeben muss, in diesem Fall der Herbst. Dort erzählen sie, was in letzter Zeit geschehen ist, sie berichten von freudigen Dingen und von traurigen oder schlechten Erfahrungen. Aber sie reden nicht nur, sie lachen auch und tanzen, es ist fast so, als wenn sie ein Fest feierten«, begann der junge Zauberer gerade.

»Wieso durftest du dorthin?«, fragte Nea erstaunt.

»Na ja, manchmal bringen sie Gäste mit. Leute, die ihnen sehr wichtig sind, manchmal auch einfach nur ein Mensch, der das Träumen nicht verlernt hat. Ich bin nicht der erste, der ihrem Fest beiwohnen durfte, auch Kanoa war schon einmal dabei und vor ihm so viele andere«, erklärte der junge Zauberer.

»Wie sieht der Herbst aus? Der Winter hat die Gestalt einer Wölfin, das habt ihr erzählt, und der Sommer ist ein Löwe. Was also sind der Herbst und der Frühling?«, wollte Sly neugierig wissen.

»Der Herbst, ja… Ich habe niemals zuvor irgendwo so ein Wesen gesehen. Kinaya aber sagte, dass er in der Gestalt eines Bären auftauchen würde, genauso wie seine Gefährten. Und der Frühling... ist ein junges Mädchen.«

»Und ihre Tiergestalt?«, fragte auch Nea neugierig.

»Das ist ihre bevorzugte Gestalt. Wie auch die anderen kann sie jede Gestalt annehmen, die sie möchte, aber sie und ihre Gefährten sind in der Regel Menschen. Ich habe sie gefragt, wieso, da hat sie mir erklärt, dass auch Menschen irgendwie Tiere sind und gefährliche, Furcht einflößende Raubtiere noch dazu. Und deswegen sind ihre Gefährten gewöhnliche Menschen oder Zauberer und sie selbst wandelt fast immer selbst in Menschengestalt«, erklärte Lugh Akhtar.

»Was haben sie gesagt, als du sie um Hilfe gebeten hast?«, fragte Soul mit leuchtenden Augen.

»Sie haben mich angehört und wie auch der Sommer schon ihre Begleiter um Rat gefragt. Der Herbst hat schnell zugestimmt, der Frühling hat sich erst ein paar Mal bitten lassen. Aber auch sie hilft uns nun, obwohl sie die Kämpfe nicht ausstehen mag. Aber… nicht einmal sie sind sich sicher, dass sie gemeinsam gegen ein ganzes Zauberreich bestehen können. Sie sind nicht mächtiger als wir, sie bedienen sich nur anderer Möglichkeiten«, berichtete Lugh Akhtar zögernd.

»Was meinst du damit?«, wollte Ice sogleich alarmiert wissen.

»Mit ihnen an unserer Seite haben wir kaum etwas gewonnen… deswegen, Sly… du hast irgendwann einmal gesagt, dass es eine Macht gibt, die über den Jahreszeiten steht… welche ist es?« Hoffnungsvoll schaute der junge Zauberer auf den Rotschopf.

»Es sind zwei Mächte, von ihnen wird im Nachtbuch berichtet. Es werden nirgendwo ihre Namen genannt, aber… wenn ich es richtig verstehe, dann sind sie so etwas wie die Erschaffer der Welt, wie sie jetzt ist. Und die Schöpfer der Jahreszeiten«, antwortete der leise.

»Ihre Eltern sozusagen?« Lugh Akhtar schaute ihn fragend an.

»Könnte man so sagen, ja«, bestätigte Sly.

»Hilft uns das weiter?«, fragte Ice unsicher.

»Nicht wirklich. Ich zumindest weiß nicht, wer ihre Eltern sind«, murmelte der junge Zauberer.

»Wir könnten zu einem Nachttempel laufen. Sie sind immer in der Nähe der magielosen Orte, also müsste sich hier einer befinden. Vielleicht finden wir dort etwas Hilfreiches«, schlug Nea vor.

»Nicht an jedem magielosen Ort gibt es einen Tempel«, erklärte Sly. »Ich weiß, dass hier zum Beispiel niemals einer war. Wir müssten noch weiter in den Westen in ein Zauberhetzergebiet.«

»Dann sollten wir das tun und hoffen, dass wir unerkannt bleiben«, meinte Ice.

»Das wird niemals gut gehen«, fand der Rotschopf.

»Vermutlich nicht, aber was sollen wir denn sonst machen?«, wollte sein Freund wissen.

»Leute?«, mischte sich Cinder leise ein, wurde aber ignoriert.

»Weiß ich nicht, aber ich mag nicht gerne am Galgen enden. Und ich bin immerhin derjenige, der am ehesten unerkannt blieb.«

»Ich auch nicht, aber wenn die Jahreszeiten uns nicht helfen können, dann müssen wir uns eben etwas anderes überlegen, und das ist die sinnvollste Alternative.«

»Das mag sein, aber es wäre trotzdem wahnsinn.«

»Jungs.« Wieder mischte Cinder sich ein, diesmal lauter, aber sie bekam immer noch keine Aufmerksamkeit, von niemandem.

»Wir können aber auch nicht nach Altena zur Mauer reisen, das wäre noch viel mehr Selbstmord. Und nach Navarre auch nicht, der Weg hierher hat ja schon fast ein halbes Jahr gedauert.«

»Und der Osten wäre aus den gleichen Gründen genauso sinnlos, das ist mir durchaus bewusst, aber das alles ändert nichts daran, dass wir so gut wie tot sind, wenn wir weiter nach Westen gehen.«

»Denkst du nicht, dass der Weg hierher nicht schon ein riesig großes Risiko war? Kann das überhaupt noch gefährlicher sein? Seit wann bist du überhaupt so vernünftig, normalerweise muss ich dich doch von einer hirnrissigen Idee nach der anderen abhalten.«

»Ja, und weil du darin im Moment nicht gerade gut bist, müssen wir eben halt mal die Rollen tauschen.«

»SLY!« Nun schrie Cinder. Und jetzt bekam sie auch die Aufmerksamkeit des Rotschopfs, der sie mit einem Stirnrunzeln und ein wenig irritiert anschaute.

»Was ist denn?«, fragte er ungeduldig.

»Es kommt«, verkündete die junge Frau, was jedoch nur für ein verwirrtes, noch tieferes Stirnrunzeln sorgte. Nicht nur bei Sly, sondern auch bei allen anderen, die gespannt das Gespräch der beiden Freunde verfolgt hatten und nun gedanklich nicht so schnell mit Cinders Themawechsel mitkamen.

»Was kommt?«, wollte der Rotschopf unwillig wissen.

»Unser Kind.«

Warten

Im ersten Moment herrschte Stille. Eine so vollkommene Stille, dass man vermutlich ein Haar hätte fallen hören. Dann jedoch war es so, als hätte jemand mitten im Raum eine Bombe hochgehen lassen. Mit einemmal redete alles wie wild durcheinander und der große Raum ähnelte einem panischen Bienenstock. Kinaya war die Einzige, die ruhig blieb. Sie beobachtete die Panik der anderen, seufzte dann und stand auf.

»Beruhigt euch«, sprach sie leise, doch schenkte ihr keiner Gehör, sodass sie sich mit einem neuerlichen Seufzer direkt an Cinder wandte.

»Hast du schon dolle Schmerzen?«, fragte sie leise.

»Nein, eigentlich nicht. Es ist ein bisschen so, wie Bauchweh, weil man zuviel gegessen hat«, fand sie, doch die große Pfütze des Fruchtwassers, das sich um sie herum gebildet hatte, bewies eindeutig, dass sie dennoch recht hatte. Ihr Kind würde nicht mehr lange auf sich warten lassen.

»Hoffe, dass es nicht nennenswert schlimmer wird«, meinte Kinaya dazu nur und half ihr hoch. »Such dir oben irgendwo ein gemütliches Zimmer und mache es dir bequem. Ich komme gleich nach, wenn ich diesen Hühnerstall beruhigt habe.«

Cinder nickte und wandte sich fast schon gemächlich ab. Die anderen bemerkten nicht einmal, dass sie den Raum verließ, denn mittlerweile waren sie wieder in irgendeine Diskussion verstrickt.

»Ruhe jetzt!«, rief Kinaya laut. Nachdem sie die atemlose, ängstliche Aufmerksamkeit der kleinen Gruppe hatte, schaute sie nachdenklich von einem zum anderen. Sie alle waren noch so jung, keiner von ihnen würde schon Erfahrungen mit Kindern haben. Dass sie dabei Sly und Ice unwillkürlich deutlich jünger schätzte, ahnte sie nicht, aber es war eigentlich auch egal. Als erstes wandte sie sich an Ice.

»Du nimmst jetzt deine Frau und machst mit ihr einen schönen, langen Spaziergang«, gebot sie.

»Ich will bei Cinder bleiben!«, widersprach Soul sofort.

»Wirst du aber nicht. Du gehst. Und wenn ich dich eigenhändig aus dem Haus schmeißen muss«, antwortete die Frau sachlich.

»Aber wieso?«

»Weil dich das, das du sehen oder hören könntest im Bezug auf deine eigene Niederkunft nur unnötig nervös machen würde, und glaub mir: Das willst du wirklich nicht. Also raus jetzt.« Kinaya scheuchte sie und Ice mit einer Handbewegung weg. Soul ging zwar, aber der Widerwille war ihr deutlich anzusehen. Dann wandte sich die Frau an ihren Sohn.

»Kenai, mach ein Messer steril und mach Wasser heiß«, gab sie ihm Anweisung, die er kommentarlos und ohne Fragen ausführte. Dann schaute sie nachdenklich auf Nea, Lugh Akhtar und Sly, der so aussah, als würde er gleich ihn Ohnmacht fallen.

»Ich würde euch gerne auch etwas zu tun geben, aber ich fürchte, mehr Hilfe brauche ich nicht. Ihr könnt also nur warten… Am besten geht ihr auch ein wenig raus, ich denke, der werdende Vater hat es nötig.« Sie warf dem Rotschopf ein wohlwollendes Lächeln zu, doch der schüttelte nur entschieden den Kopf und marschierte mit einemmal sehr zielstrebig und mit festen Schritten auf die Treppe zu.

»Warte, wo willst du hin?«, rief Kinaya, lief ihm nach und stellte sich ihm schnell in den Weg.

»Zu Cinder. Du glaubst doch hoffentlich nicht wirklich, dass ich sie alleine lasse, oder?«, fragte er herausfordern.

»Das wirst du wohl müssen. Du gehst jetzt nämlich bitte auch eine Runde spazieren«, meinte sie, doch Sly bewegte sich nicht einen Schritt, starrte ihr nur herausfordernd in die Augen.

»Ganz bestimmt nicht«, erklärte er fest und wollte um sie herum gehen, doch sie war schneller und stand schon wieder in seinem Weg.

»Ich hab keine Zeit, mich um dich zu kümmern, wenn du mir da umkippst«, bemerkte sie.

»Ich war schon bei der Geburt meiner ersten Tochter dabei, ich weiß, was mich erwartet«, antwortete Sly kalt.

»Deiner ersten… Tochter?« Das erstaunte Kinaya sichtlich.

»Hope hatte schon einmal eine Tochter«, bestätigte Nea leise. Kenais Mutter überlegte einen Moment, dann nickte sie sachlich.

»Wenn du aber anfängst, mir im Weg herum zustehen, dann gehst du. Und zwar ohne zu diskutieren, verstanden?« Sie schaute ihn durchdringend an und Sly nickte bestimmt. In dem Moment schrie Cinder oben im Haus so laut, dass sie alle erschrocken und ängstlich die Treppe hinaufschauten. Der Rotschopf stieß daraufhin Kinaya grob zur Seite und flog regelrecht die Treppe hinauf. Die Frau dagegen wirkte besorgt, als sie sich zu Lugh Akhtar und Nea umwandte.

»Dann müsst ihr wohl alleine warten. Vielleicht nutzt ihr die Zeit und sprecht euch ein wenig aus«, schlug sie vor und lief dann ebenfalls die Treppe hinauf.

»Aussprechen? Wieso das?« Nea blinzelte erstaunt.

»Sie meint, dass ich ein solcher Idiot war. Ich hab dir wehgetan und das tut mir leid«, erklärte er und schaute zu Boden.

»Aber das war doch keine Absicht… oder?«

»Nein, natürlich nicht. Aber es ändert nichts daran, dass es geschehen ist, obwohl es nicht hätte sein sollen. Vielleicht… solltest du zu Kenai gehen, nicht, dass er noch irgendwelche falschen Ideen hat, wenn du so lange mit mir alleine bist«, überlegte der junge Zauberer, doch gerade als Nea antworten wollte, kam der Söldner mit besorgtem Gesicht zurück.

»Ich hab Bärenspuren gefunden, als ich eben Holz holen war. Deswegen werde ich mich ein bisschen umschauen. Achtet bitte darauf, dass das Wasser heiß bleibt, das Messer liegt in einem zweiten Topf über dem Feuer. Ich bin in ein paar Stunden wieder da«, erklärte er und ging weiter, ohne auf eine Antwort zu warten.

»Nein, es scheint mir nicht so, dass er irgendwie eifersüchtig wäre«, antwortete sie mit vielsagend gerunzelter Stirn. Lugh Akhtar lächelte warm und deutete dann ins Wohnzimmer.

»Lass uns reden«, bat er. Sie nickte nach einem Zögern. Sie setzte sich auf den Boden auf ein Fell, das vor dem befeuerten Kamin lag. Für eine Weile blieben sie still, dann seufzte Lugh Akhtar.

»Bitte entschuldige, Nea. Alles, was ich getan und alles, was ich gesagt habe. Ich meinte es nicht so. Außer als ich sagte, dass ich dich liebe«, erklärte er und schaute ins Feuer.

»Aber wieso zeigst du es denn nie?« Nea schaute ihn scheu an, als Cinder abermals laut aufschrie. Sie zuckte zusammen.

»Weil… ich glaube, ich habe es verlernt…« Der junge Zauberer wirkte nachdenklich.

»Verlernt? Wie kann man so etwas denn verlernen?«

»Indem man ein begabter kleiner Junge ist, und zu Nikolai in die Lehre geht.« Lugh Akhtar seufzte. »Weißt du, wann immer ich irgendwelche Emotionen zeigte, hat er mit mir geschimpft oder mich dafür bestraft. Er hat mir immer gesagt, dass ein Zauberer nicht emotional sein darf, denn… na ja, du hast es erlebt. Als Sly Cinder gegen den Tag verteidigen wollte, und als ich mich mit Kenai geprügelt habe. Wir… haben unsere Magie dann einfach nicht mehr unter Kontrolle und je mächtiger wir sind, desto gefährlicher ist es. Also habe ich irgendwann damit aufgehört.«

»Aber… bei mir hat Nikolai das nie getan… wieso denn bei dir?«, fragte sie mit großen Augen.

»Das musst du schon ihn fragen. Vielleicht konnte er es nicht ertragen, wenn ich allzu traurig war, und ich war es fast ständig. Ich wollte niemals nach Altena, das einzig Gute, was es mir gebracht hat, bist du gewesen. Vielleicht… hat er aber auch nur bei jedem Lachen an jenen Augenblick denken müssen, der mir meinen Schülernamen einbrachte, ich weiß es nicht…« Der junge Zauberer seufzte.

»Wieso, was hast du getan?« Sie schaute ihn fragend an.

»Mit dem Licht getanzt, was denn sonst?«, fragte er und lächelte. Doch dann schüttelte er den Kopf und wurde wieder ernst. »Etwas, was ihn sehr erschreckt zu haben schien, denn seither ist er über jedes Lachen fast noch wütender geworden, als über jede Träne.«

»Also hast du aufgehört zu lachen?«

»Und aufgehört zu weinen. Und dass jedes Wesen, dem ich irgendwie irgendwann einmal mein Herz geöffnet habe letztendlich gegangen ist, war auch nicht gerade sonderlich förderlich. Vielleicht hatte ich auch Angst, dass du dann auch gehst…«, überlegte er leise.

»Aber das ist doch dumm«, fand sie traurig.

»Ich weiß. Aber meine Lebensgeschichte sagt da etwas anderes. Ich meine, schau es dir doch an. Kanoa ist tot, meine Mutter und Tuwa sind weggezogen, Tariq lebt nun ebenfalls ein Leben, in dem es für mich keinen Platz mehr gibt. Früher oder später verliere ich jeden, der mir irgendwann einmal etwas bedeutet hat, ich habe das Gefühl, dass es nur eine Frage der Zeit ist.« Er ließ sich nach hinten fallen und streckte sich auf dem Fell aus.

»Aber ich würde dich nicht verlassen, wieso sollte ich denn?« Nea schaute ihn aus großen Augen an.

»Das hast du doch schon. Wenn unsere Reise vorbei ist wirst du mit Kenai gehen, nicht mit mir. Auch diesmal ist es nur eine Frage der Zeit«, antwortete er und lächelte traurig. Darauf schwieg die junge Zauberin.

»Und was ist, wenn ich nicht mit ihm gehen würde? Ach Lugh Akhtar, ich weiß doch auch nicht, was ich fühlen soll. Du hast immer so gleichgültig gewirkt und jetzt erzählst du mir solche Dinge!« Mit Tränen in den Augen wandte sie sich ab. Der junge Zauberer schaute sie nachdenklich an, dann lächelte er zufrieden. Er hatte also offensichtlich doch eine Chance.

»Hör auf, ihn zu lieben und lieb wieder mich«, bat er leise.

»Aber das kann ich doch nicht einfach so…« Sie wandte sich ihm wieder zu und schaute ihn mit einem tränenverschmiertem Gesicht an.

»Nein, das nicht. Aber du kannst es zulassen«, lächelte er hoffnungsvoll. Da lächelte auch sie. Zögernd beugte sie sich herab und gab ihm einen Kuss, um sich dann in seine Arme zu kuscheln.

»Ich weiß nicht mehr, was ich hier tue«, murmelte sie.

»Aber ich weiß es. Ich weiß es gut genug für uns beide«, antwortete er und drückte sie fest an sich, küsste liebevoll ihren bloßen Hals.

»Lugh Akhtar, ich…« Sie drehte sich um und schaute lange in seine Augen. »Wieso ist Liebe nur so schwierig?«

»Ist sie nicht. Bei Ice und Soul ist sie nicht schwer und auch Sly und Cinder haben ihr Glück gefunden«, antwortete er mit einem warmen Lächeln.

»Aber sie kommt mir so schwer vor«, meinte sie leise und schaute weg.

»Dann hör auf, dich von deinem Kopf leiten zu lassen, höre nur auf das, was dein Herz dir sagt. Denn wenn dein Herz nicht glücklich ist, dann kannst du es auch nicht sein«, antwortete er und drückte ihren Kopf so, dass er sie ansehen konnte.

Sie schaute ihn noch einmal lange an, dann lächelte sie und küsste ihn abermals. Lange und ausdauernd und voller Hingabe, während sie ihm deutlich machte, dass sie mehr wollte. Er fragte nicht weiter, sondern gab ihrem Wunsch gerne nach.

Danach lagen sie noch eine ganze Weile gemeinsam am Feuer und hörten, wie Cinder ihr Kind zur Welt brachte. Sie sagten nichts, doch sie brauchten auch keine Worte um zu wissen, was der andere dachte.

Plötzlich hörten sie Türenklappern und sahen, wie Sly nach unten flitzte. Er sagte nichts, er schaute nicht einmal in ihre Richtung, sondern stürzte in die Küche und sogleich wieder zurück. Das war das Stichwort für sie beide, dass es nicht mehr lange dauern konnte. Gespannt gingen sie langsam die Treppe hinauf und setzten sich so in den Flur, dass sie niemanden stören würden, während Cinder immer lauter und immer schmerzerfüllter aufschrie. Nur wenige Augenblicke später hörten sie heftiges Türeknallen und sahen auch schon Soul, die mit entsetztem Gesicht die Treppe hinaufstürzte.

»Was tun sie mit ihr?«, rief sie entsetzt.

»Beruhige dich.« Lugh Akhtar sprang auf und nahm sie schnell in den Arm, bevor sie in den Raum stürzen konnte.

»Warum schreit Cinder so?« Soul wirkte, als wäre sie nahe an einer Panik dran. Natürlich, immerhin war es ihre Schwester, die vor Schmerz schrie.

»Das ist normal. Menschen haben immer große Schmerzen bei einer Geburt«, versuchte Lugh sie zu beruhigen. »Tiere auch, aber sie können es besser ertragen, deswegen schreien sie nicht. Oder zumindest nicht so oft«, versuchte auch Nea sie zu beruhigen.

»Aber das ist grausam!«, ereiferte sich Soul und wollte sich von Lugh Akhtar losmachen, doch der hielt sie fest. Da kam auch Ice mit sorgenvollem Gesicht durch die Tür gestürzt.

»Sie ist einfach losgerannt, sie ist viel schneller als ich«, erklärte er, als er die Treppe hinauflief.

»Ist schon gut, Soul, es hat alles seine Richtigkeit so.« Lugh Akhtar drängte seine Schwester mühsam in einen anderen Raum, damit sie sich erst einmal beruhigen konnte. »Deswegen wollte Kinaya, dass du nicht dabei bist. Sie wusste, dass du dich nur unnötig aufregen würdest.«

»Sie hat so große Schmerzen, ich will bei ihr sein«, weinte die und wollte wieder an Lugh Akhtar vorbeilaufen, aber er passte gut auf, dass sie es nicht schaffte, und auch Ice kam langsam dazu und nahm seine Frau jetzt in den Arm.

»Alles ist gut, mach dir keine Sorgen. Das schafft sie schon, das haben schon so viele vor ihr geschafft, warum sollte es ihr nicht gelingen?«, tröstete er sie leise. Da schrie Cinder noch einmal qualvoll auf, dann herrschte eine fast schon gespenstische Ruhe.

Zögernd machte Lugh Akhtar zwei Schritte auf den Flur hinaus, dann hörte er das erlösende Weinen eines Säuglings. Seine Schwester hatte es wirklich geschafft. Die Tür öffnete sich und Kinaya trat heraus. Sie wirkte erschöpft, lächelte aber.

»Es ist ein Mädchen und Mutter und Tochter geht es gut. Aber wir sollten die kleine Familie erst einmal in Ruhe lassen«, erklärte sie, während sie sich mit einem Tuch das Blut weitestgehend von den Händen wischte. Dann ging sie hinaus zur Pupe um sich erst einmal zu waschen. Die anderen indes freuten sich über die gute Nachricht.

Als Kinaya fertig war, kam sie zu ihnen und berichtete lächelnd, wie gut Cinder das gemacht hatte, und tapfer auch Sly sich gehalten hatte, um dann von Ice zu erfahren, dass der Rotschopf dreist gelogen hatte, als er sagte, dass er bei der Geburt seiner ersten Tochter auch schon dabei gewesen war.

»Er wäre damals fast in Ohnmacht gefallen, er musste von seinem Vater gestützt werden und Rose war schon kurz davor, den Heiler wegen ihrem Bruder zu holen«, erklärte er lachend.

»Dafür hat er sich aber wirklich gut gehalten, ich hab schon ganz andere erlebt«, fand Kinaya.

»Woher weißt du eigentlich so viel darüber? Es schien mir zumindest nicht so, als wäre es deine erste Geburt«, überlegte Nea.

»War es auch nicht. In meiner Familie ist es üblich, dass Frauen das Heilen lernen und meine Mutter hat sich dahingehend auf Geburten spezialisiert und das habe ich eben bei ihr gelernt«, erklärte sie lächelnd. Da öffnete sich die Tür und Sly stand stolz, mit seiner Tochter im Arm in der Tür.

»Hope!« Nea und Soul waren so schnell bei ihm, dass er lächelnd einen Schritt zurück machte, damit sie nicht gegen ihn stießen. Auch Ice und Lugh Akhtar kamen schnell näher und betrachteten lächelnd das kleine Wesen in seinem Arm. Wie fast alle Neugeborenen hatte sie blaue Augen, doch während das eine schon einen Graustich aufwies, hatte das andere einen goldenen Schimmer. Das bisschen Flaum auf dem Kopf dagegen war eindeutig rötlich.

»Oh, wie niedlich«, freute sich Soul und musste daran denken, dass auch sie bald so einem kleinen Wesen das Leben schenken würde.

»Wie soll sie heißen?«, fragte Nea und schaute ihren Bruder neugierig an.

»Der Name ist schon lange beschlossene Sache«, meinte dazu Cinder, die im Bett lag und müde, aber stolz durch die Tür schaute. Allerdings wirkte sie darüber nicht unbedingt glücklich, denn sie wirkte bedrückt. Soul ging zu ihr und umarmte sie fest.

»Ja…«, meinte auch Sly und biss sich auf die Lippen. Er wirkte nachdenklich und alles andere als zufrieden, als er seine Tochter anschaute.

»Namida, nicht wahr?«, sprach Ice leise. Er hatte nicht vergessen, was Cinder ihm anvertraut hatte. Cinder nickte traurig, doch Sly schüttelte nach einigen Sekunden entschieden den Kopf.

»Nein, Leilani soll sie heißen«, erklärte er fest.

»Leilani?«, blinzelte Cinder verblüfft. Sly wandte sich lächelnd zu ihr um.

»Ja. Ich würde sie wirklich unheimlich gerne Namida nennen, aber ich weiß, wie wichtig dir Nalani war, aber ich möchte sie nur ungern so nennen. Deswegen Leilani. Es bedeutet >Kind des Himmels<, und ich könnte mir keinen schöneren Namen vorstellen für sie«, erklärte er lächelnd. Da weinte Cinder vor Glück. Sie wusste, wie schwer Sly das gefallen war, und deswegen bedeutete es ihr umso mehr.

»Also Leilani.« Auch Nea lächelte. »Dann hoffen wir mal, dass sie ihren Namen ebenso viel Ehre macht, wie Namida das getan hat.«

»Zweifelst du daran?«, fragte Kinaya lachend. »Bedenke nur, sie heißt Himmelskind, ist die Enkelin des Winters und noch dazu am Tag ihrer stärksten Macht geboren. Ich denke, dass wir von ihr Großes erwarten können. Zumal ihre Namenspatin auch großes getan hat.«

Woher sie schon wieder wusste, wer Nalani gewesen war, fragte keiner. Sie freuten sich zu sehr. Aber sie wussten auch, dass es an der Zeit war, Cinder ihre wohlverdiente Ruhe zu gönnen, also verließen sie alle den Raum, nur Sly blieb bei ihr. Er würde für nichts auf der Welt heute von der Seite seiner kleinen Familie weichen.

Verrat

Ein feiner Nieselregen hing in der Luft, hatte vor Stunden schon die kleine Gruppe bis auf die Haut durchnässt und ein Ende war nicht in Sicht. Der Westen war verregnet, das hatten sie immer schon gewusst. Was erwartete man auch im höchsteigenen Reich des Herbstes, dem der Regen direkt unterstellt war?

Lugh Akhtar hatte gehofft, dass es bald anfangen würde zu schneien, doch wie zu erwarten war, konnten sie sich schon darüber glücklich schätzen, dass der Platzregen aufgehört hatte. Das war der mit Abstand verregneteste Januar den er je erlebt hatte, er hoffte, dass der nahe Februar besser sein würde.

»Kenai?«, rief er dem Söldner zu, der mit Sivan ganz vorne lief.

»Ja?«, fragte der und schaute zurück, lief dabei allerdings weiter. Für einen flüchtigen Moment hoffte der junge Zauberer, dass er stolpern und fallen würde, besann sich dann aber schnell eines besseren.

»Wo sind wir?«, wollte er stattdessen wissen. Der Söldner zögerte kurz, sagte dann kurz etwas zu Nea, die an seiner Seite lief und blieb dann stehen, bis Lugh Akhtar auf seiner Höhe war.

»So weit ist es nicht mehr. Wir sind schon in Tanriar, deswegen solltet ihr euch eher unauffällig verhalten«, bemerkte er und wirkte dabei sorgenvoll. Allerdings wusste Lugh Akhtar, dass er sich nur um Nea allein sorgte, doch es störte ihn eigentlich nicht. Stattdessen nickte er und schaute zu Soul zurück. Mittlerweile fiel ihr die Reise deutlich schwerer als zu Anfang. Ice hatte sie mehrfach darum gebeten, nicht mitzukommen, sondern bei Cinder zu bleiben, aber sie hatte darauf bestanden. Letztendlich hatte er erleichtert zugestimmt. Er hatte seine junge Frau sowieso lieber bei sich, das war ihm deutlich anzumerken.

»Der Tempel ist nahe der Grenze, oder?«, erkundigte sich Sly. Auch er war mitgekommen, jedoch eher gezwungenermaßen, denn er war der Einzige aus der Gruppe, der Rune lesen konnte. Er wäre nur zu gerne an Souls Stelle bei Cinder geblieben, aber zumindest wusste er, dass sie bei Kinaya in den allerbesten Händen war. Ihr würde nichts geschehen.

»Ja. Ich glaube, es ist ein Nachttempel, aber sicher bin ich mir nicht«, antwortete Kenia.

»Ja, ist es. Im Herbstreich und im Winterreich verehrte man die Nacht, im Frühlingsreich und im Sommerreich den Tag. Wir hätten in Navarre einen der Tempel besuchen sollen, das wäre viel interessanter gewesen«, fand Sly.

»Wieso?« Lugh Akhtar schaute ihn fragend an.

»Weil ich nicht glaube, dass dort nennenswert mehr stehen wird, als im Buch. Allerdings hatte ich nie ein Tagbuch, deswegen weiß ich nicht, wovon sie erzählen«, antwortete der Rotschopf und fasste nachdenklich in seine Tasche.

»Schade, dass du es uns nicht übersetzen kannst…«, murmelte Lugh Akhtar.

»Besser, als wenn ich es könnte. Dort stehen Dinge drinnen, die diese Welt vernichten könnten, wenn jemand mit deiner magischen Begabung sie ausführen würde. Aber große Zauberer sind in aller Regel nicht in der Lage, sie zu lesen und meist auch zu ungeduldig, es zu lernen. Ich weiß nicht, wie gut Rex ist, aber vermutlich würde es reichen, um großen Schaden anzurichten. Die anderen Großreiche auslöschen wäre allemal möglich«, erklärte er.

»Gibt es in Altena überhaupt noch ein Albenblutbuch?«

»Das weiß ich nicht. Es kann auch sein, dass das hier das einzige Exemplar ist, aber letztlich ist es egal. Wir müssen ihn daran hindern, irgendetwas zu tun, egal ob er die Möglichkeit hat, noch mächtiger zu werden, oder?«, meinte Sly.

»Stimmt«, nickte Lugh Akhtar. Danach gingen sie still weiter. Nea lief voran, die drei Männer in der Mitte und Soul und Ice bildeten den Schluss. So kamen sie letztlich beim Tempel an. Er war alt und auch schon ein wenig verfallen, aber noch lange nicht so brüchig, wie das Gebäude in Navarre.

»Gehen wir alle rein?«, fragte Ice misstrauisch.

»Nein, das wäre zu gefährlich. Ein paar müssen Wache halten, wer weiß, wer hier in der Nähe herumstrolcht«, antwortete Kenai und trat einen Schritt zurück, um deutlich zu machen, dass er draußen bleiben würde.

»Ich warte auch hier«, meinte Nea sogleich und auch Ice und Soul waren nicht gerade ein Freund des Gedankens, dort hineinzugehen.

»Gut, ich geh auch alleine, wenn du ebenfalls draußen bleiben willst«, meinte Sly zu Lugh Akhtar, doch der schüttelte lächelnd den Kopf.

»Ich komme mit dir. Irgendjemand muss ja Lampe spielen«, erklärte er und ließ eine Flamme auf seiner Handfläche tanzen. Sly nickte und gemeinsam gingen sie hinein. Es war trotz des Feuers sehr dunkel. Es dauerte einen Moment, bis sie begriffen, dass die Wände mit Ruß geschwärzt waren.

Sie setzten ihre Schritte nur sehr zögernd, immer darauf bedacht, keine unnötigen Erschütterungen zu verursachen und auch nicht durch den Boden zu brechen. Sie konnten sich nur allzu gut an die letzte Ruine erinnern. Sie spürten bald, dass sich der Erdboden neigte, es ging langsam aber sicher unter die Erde, doch das erstaunte niemanden wirklich.

Nach einiger Zeit, die ihnen wie Tage vorkamen, verließen sie den Gang und traten in eine solch riesige Halle, wie keiner von ihnen sie jemals gesehen hatte. Selbst Lughs Feuer konnte nur einen kleinen Bereich erhellen, obwohl er sie so groß lodern ließ, wie es möglich war, ohne dass sie in Flammen aufging.

»Was…?« Sly schaute sich ungläubig um.

»Das hier muss ja fast die Ausmaße von Altena haben!«, staunte Lugh Akhtar und ging zögernd ein paar Schritte.

»Und so etwas ist von den Niemands-Adepten erbaut worden… Wer auch immer behauptete, dass die alten Zauberer nichts zustande brachten, ist niemals hier gewesen.« Mit einem ehrfürchtigen Staunen folgte Sly ihm.

»Wollen wir sie durchqueren?« Lugh Akhtar schaute ihn zögernd an.

»Das könnte Wochen dauern«, erwiderte Sly. »Und wir wissen nicht, was uns hier unten noch alles erwartet, was hier so alles hausen mag.«

»Das stimmt, aber wir müssen herausfinden, ob hier etwas ist, was uns weiterhelfen mag…« Lugh Akhtar schaute kurz in den Gang zurück. »Vielleicht sollten wir die anderen zur Hilfe holen?«

Sly dachte kurz darüber nach, doch ein sanftes Glitzern zog ihre Aufmerksamkeit an sich. Es dauere einen Moment, doch dann stand das Nordlicht vor ihnen. Sie lächelte schüchtern.

»Aurora!«, rief Sly erfreut aus. Lugh Akhtar erstaunte das für einen Moment, doch dann erinnerte er sich daran, dass die junge Wölfin ja auch zum Schattenfangrudel gehört hatte und Sly sie somit noch aus ihrer Zeit kannte, bevor sie sich dem Winterrudel anschloss.

»Hallo Sly, hallo Lugh Akhtar. Ich bin hier, um euch ein wenig zu helfen, bevor es dunkel wird«, erklärte sie leise und ließ die Halle hell aufleuchten, bevor einer von ihnen etwas sagen konnte. Doch der Anblick, der sich ihnen nun bot war eher ernüchternd. Der junge Zauberer hatte nämlich durchaus recht, die Halle besaß wirklich die Ausmaße Altenas.

»Wo sollen wir da nur anfangen?«, fragte Sly wie betäubt, als er erkannte, dass die Wände komplett in Rune voll geschrieben waren. Genauso wie die Säulen, die die hohe Decke hielten.

»Ich habe keine Ahnung.« Lugh Akhtar wirkte völlig entmutigt. Sie würden Jahre brauchen, um alles gelesen zu haben. Zumal Sly nach wie vor alleine alles durcharbeiten musste.

»Weiter hinten«, flüsterte Aurora da und schimmerte rötlich.

»Was?« Sly schaute sie fragend an.

»Nacht darf euch nicht selbst helfen, deswegen hat er mich gebeten. Er meinte, dass ihr hinten anfangen sollt. Beim Bild«, erklärte sie und senkte demütig den Kopf.

»Ein Bild? Weiter hinten?« Lugh Akhtar schaute in die Ferne, die schummrig im Nichts verschwand. Sein Auge konnte einfach nicht mehr sehen, was dort war, egal wie sehr er sich auch anstrengte. Dann nickte er langsam und verwandelte sich selbst und Sly in Wölfe. »So sind wir schneller.«

Der Fuchswolf nickte zögernd, dann liefen sie los und Aurora lief mit ihnen. Sie waren noch einmal mindestens ebenso lange unterwegs, wie sie in die Halle selbst gebraucht hatten, dann meinten sie in der Ferne das Ende zu erkennen. Sie legten noch einmal am Ende zu, als sie erkannten, dass sie sich nicht irrten. Sie liefen, bis sie letztlich vor der Mauer standen, die ein riesiges Bild zeigte, was sie mehr erschreckte, als sie es jemals vermutet hätten.

»Sly, was steht da?«, fragte Lugh Akhtar mit zitternder Stimme, nachdem er sie wieder zurückverwandelt hatte und mit großen Augen voller böser Vorahnungen darauf blickten. Der brauchte einen Moment, um zu begreifen, dass sein Freund etwas zu ihm gesagt hatte, dann erst begann er zu lesen. Er verrutschte oft in der Zeile und sein Blick wanderte immer wieder zum Bild zurück. Irgendwann brach er zitternd ab und drehte sich weg.

»Wir haben keine Chance mehr«, flüsterte er mit bebender Stimme. Der Schrecken und die Angst waren ihm deutlich ins Gesicht geschrieben.

»Sly! Verdammt, was steht da!«, brüllte Lugh Akhtar ihn an und riss ihn grob herum.

»Ich habe es geahnt, Lugh. Jene Wesen, die über den Jahreszeiten stehen, sind der Tag und die Nacht, aber sie sind tot. Dort steht, wie man ihre toten Körper fand. Sie hinterließen die Jahreszeiten, den Frühling, den Sommer, den Herbst und den Winter, die an ihrer statt die Welt im Gleichgewicht halten sollten. Drafnar und Paivi sind nur ein müder Abklatsch ihrer selbst«, antwortete er und deutete auf das Bild. Es waren wirklich der Tag und die Nacht, doch sahen sie nicht so mitleid erregend aus, wie jetzt. Drafnar weinte noch keine blutigen Tränen und Paivi war noch nicht verbrannt bis auf die Knochen, sondern sie strahlten und leuchteten und wirkten so edel wie Könige.

»Und der Rest des Bildes?«, fragte der junge Zauberer leise.

»Als sie starben, kehrte im Herzen des Winters Kälte ein. Sie war niemals wieder froh, denn sie hatte die Eltern so viel mehr geliebt, als ihre Geschwister. Deswegen beschloss sie, einen neuen Tag und eine neue Nacht zu gebären. Einen schwarzen Tag und eine weiße Nacht. Und ein Kind des Zwielichts. Und der schwarze Tag und die weiße Nacht werden das Zwielicht opfern, um selbst zum Tag und zur Nacht zu werden und somit dem Winter wieder als Eltern beizustehen«, flüsterte er und deutete auf das Bild.

Es zeigte, wie eine schwarze Wölfin, die Soul so sehr ähnelte, und ein weißer Wolf, der Lugh Akhtar bis aufs Haar glich, eine aschgraue Wölfin, die aussah wie Cinder zerfleischten. Wer dabei also die weiße Nacht und der schwarze Tag waren, war nicht besonders schwer zu erraten. Und auch nicht, wer das Zwielicht war.

»Also haben wir keine Möglichkeit mehr. Wenn sie es alleine nicht schaffen, dann wird Rex gewinnen, denn Cinder könnte ich nichts tun, und Soul schon mal gar nicht«, flüsterte Lugh Akhtar leise.

»Und wer sagt euch, dass die Geschichte stimmt?« Als sie sich erschrocken umwandten, stand Drafnar hinter ihnen, Aurora an seiner Seite.

»Wieso solltest du uns hierher bringen, wenn wir sie nicht lesen sollen? Wenn sie nicht wahr wäre?«, fragte Lugh Akhtar leise.

»Das ist Menschengeschwätz, das ist nichts wert, Fjodor. Denkst du wirklich, ich oder gar der Winter würden wollen, dass du und Soul Cinder tötet? Bestimmt nicht, eher würde ich dich in der Luft zerreißen. Ich wollte, dass du selbst erfährst, wer der Ursprung der Kraft ist, alles andere ist sinnloses Geschwätz. Ideen der Menschen ohne Sinn und Verstand. Man muss nicht immer etwas töten, um Macht zu erlangen.« Drafnar warf dem Bild einen verächtliche Blick zu.

»Aber es stimmt, du und Paivi wart in einem früheren Leben die Eltern der Jahreszeiten?«, erkundigte sich der junge Zauberer vorsichtig.

»Nein. Nicht in einem früheren Leben, wir sind es immer noch. Wir sind niemals gestorben, denn wir sind unsterblich. Aber wir haben unsere Macht eingebüßt, deswegen müssen wir immer wieder für eine Weile als gewöhnliche Tiere leben, als letztes als Duanas Geschwister«, erklärte er.

»Ich verstehe das nicht. Warum habt ihr davon nichts gesagt? Wieso lasst ihr uns suchen? Wieso helft ihr uns nicht einfach?« Sly wirkte wütend.

»Weil wir es nicht können. Wir dürfen es euch nicht direkt sagen, ihr müsst alles selbst herausfinden. Wir dürfen euch auch nicht direkt Tipps geben, das muss immer über Umwege geschehen, in diesem Fall über Aurora. Wir können eure Richtung lenken, gehen müsst ihr selbst«, erklärte er, während plötzlich auch Paivi auftauchte. Sie hatte im Winter keine Macht, deswegen wirkte sie blass und durchscheinend.

»Drafnar hat recht. Wir tun, was wir können, wenn ihr manches nicht versteht, dann können wir es euch leider nicht erklären«, erklärte sie und lächelte.

»Könnt ihr eure alte Macht irgendwie wieder bekommen? Irgendwann wieder… so aussehen?«, fragte Lugh Akhtar leise und deutete auf das Bild.

»Ja. Und dann können wir euch auch so helfen, wie es nötig ist, aber frag nicht, nach dem wie. Lass dir nur sagen, dass das dort der falsche Weg ist, ihr euch aber schon auf dem Richtigen befindet.« Paivi wirkte zufrieden.

»Wir gehen schon den richtigen Weg? Und wenn wir wissen, wie er genau aussieht, ihn also schnell zu Ende gehen, dann könnt ihr wieder so aussehen, wie einst?« Lugh Akhtars Augen glänzten hoffnungsvoll.

»Ja«, bestätigte die Wölfin und verschwand wieder, und auch Drafnar ging, ohne ein weiteres Wort.

»Also müssen wir nur herausfinden, was es ist?«, fragte Sly nachdenklich.

»Ja. Lass uns zurückgehen.« Der junge Zauberer lächelte und verwandelte sie wieder in Wölfe. Gemeinsam mit Aurora liefen sie zurück und aus dem Gebäude hinaus. Kurz bevor sie wieder auf die anderen stießen, nahmen sie wieder Menschengestalt an.

»Da seid ihr ja endlich!«, begrüßte Soul sie, denn sie bemerkte sie als erstes.

»Ja, und wir haben wirklich interessante Dinge erfahren«, nickte Lugh Akhtar, doch als er gerade anfangen wollte zu berichten, schüttelte Kenai schnell den Kopf.

»Nicht hier. Wenn wir Tanriar verlassen haben«, meinte er und der junge Zauberer musste einsehen, dass er recht hatte. So beschlossen sie noch am selben Tag das gefährliche Land zu verlassen.

Sie waren schon wieder ein paar Stunden unterwegs und die Grenze war auch nicht mehr fern, als sich ihnen plötzlich mehrere Gestalten in den Weg stellten. Erst hielten sie sie für gewöhnliche Menschen, und die wollten sie nicht verletzen, deswegen taten sie erst nichts, doch auch hinter ihnen tauchten welche auf und als sie ein magisches Netz woben, war klar, dass sie es nicht waren. Und keiner von ihnen reagierte darauf schnell genug und keiner konnte mehr reagieren, denn es waren zu viele. Bei den anderen damals hatten sie schon Glück gehabt, diesmal versuchten sie gar nicht erst zu entkommen. Sie wussten, dass sie keine Chance hatten und vielleicht konnten sie anderweitig lebend aus der Sache herauskommen, wenn sie sich freundlich gaben.

»Das hat ja jetzt mal wirklich gut geklappt. Solche Hinterhalte mag ich doch«, bemerkte ein Zauberer, der etwas abseits stand. Er war offensichtlich der Anführer.

»Hinterhalt?«, fragte Lugh Akhtar erstaunt. Er hatte angenommen, dass sie sie einfach so aufgespürt hatten.

»Natürlich. Wir hätten euch schon viel früher aufgegriffen, aber hier im Menschenland, wo ihr euch aus Dummheit nicht wehrt war es viel einfacher«, erklärte der Anführer lächelnd. Daraufhin wandten sich böse Blicke zu Kenai, doch der wirkte ebenso verblüfft und erschrocken.

»Verräter«, zischte Nea dennoch, doch er schüttelte den Kopf.

»Ich habe euch nicht verraten! Wieso sollte ich? Damit bringe ich dich doch nur unnötig in Gefahr«, erklärte er.

»Wer soll es sonst gewesen sein?«, fauchte auch Ice.

»Ich war es«, flüsterte darauf eine Stimme. Erstaunt wandten sie sich um. Es war Sly, der gesprochen hatte. Sly hatte sie verraten.

Zurück nach Altena

»Warum?« Ice starrte ihn entsetzt an.

»Ich wollte es nicht! Ich musste es tun«, antwortete Sly und schaute beschämt zu Boden.

»Es gibt nichts auf der Welt, was dich zum Verrat zwingen könnte«, antwortete Ice kalt.

»Du weißt nicht, was geschehen ist, du weißt nicht, was sonst geschehen wäre!«, ereiferte sich der Rotschopf, doch er wusste, dass Ice recht hatte. Nichts auf der Welt konnte einen solchen Verrat rechtfertigen. Er hatte seine Freunde verraten, er hatte seine Schwester verraten, er hatte sich so kalt von seinem besten Freund abgewandt. Der Einzige, der bei ihm geblieben war, als er einen Freund so dringend gebraucht hatte.

»Hope, das… hast du nicht wirklich getan, oder?« Nea konnte es sichtlich nicht glauben.

»Bitte glaubt mir, ich wollte es nicht«, flüsterte Sly. »Ich hatte einfach keine Wahl. Ich musste es tun.«

»Hast du Cinder auch verraten? Und deine Tochter?«, wollte Soul wissen. Sie zitterte vor Unglauben und unbändigem Hass. Der Rotschopf antwortete darauf nicht, doch sein Schweigen schien antwort genug.

»Wir haben dir vertraut. Wir alle haben dir so sehr vertraut, dass wir dir unsere größten Geheimnisse offenbarten. Wie lange treibst du dieses Spiel schon mit uns? Auch damals schon?«, wollte Lugh Akhtar leise wissen.

»Nein! Ich…« Er schüttelte den Kopf und wandte sich ab. Er nahm Sivan am Zügel, dann ging er. Er schaute nicht mehr zurück. Die Soldaten ließen ihn ziehen. Seine Freiheit war also der Preis gewesen. Ice zitterte vor Wut, als er seinen Freund so ziehen sah.

»Renn weg, du Feigling! Verräter! Für dich hab ich mein Leben aufgegeben und jetzt tust du mir das an? Lauf bis ans Ende der Welt, ich werde dich finden! Und dann, irgendwann, wirst du für diesen Verrat bezahlen!«, brüllte er seinem ehemaligem Freund hinterher.

»Tja, letzten Endes ist man sich doch selbst der Nächste.« Der Anführer der Zauberer zuckte mit den Schultern, dann deutete er seinen Männern, dass sie sie wegbringen sollten. Sie wussten nicht, wohin man sie bringen würde, oder ob man einen fairen Prozess zu erwarten hatte, doch eigentlich war ihnen der Ablauf auch so schon klar. Natürlich würde es keine Anhörung geben, ihre Exekution war nur eine Frage der Zeit.

Doch daran dachten sie gar nicht, sie waren immer noch viel zu geschockt davon, dass Sly sie wirklich verraten hatte. Wie hatte er es nur tun können? Er war ihr Freund gewesen! Natürlich, er stellte öfter Dinge an, und manchmal war der Umgang mit ihm doch recht schwierig, doch das hätte keiner von ihnen ihm jemals zugetraut.

So liefen sie still und brütend weiter. Bis sie abends in einer Stadt im westlichen Reich ankamen. Sie wurden in den Keller gesperrt, der mit einem magischen Schutz so manipuliert war, dass selbst Lugh und Soul kaum in der Lage waren etwas zu tun.

»Eines weiß ich, wenn ich diesen Bastard noch einmal in die Finger kriege, dann gibt es Tote«, fauchte Ice und drückte Soul an sich.

»Wie konnte er das nur tun?« Auch Nea wirkte in ihren Grundfesten erschüttert. Sie drängte sich eng an Kenai, der sie traurig festhielt. Selbst er wirkte fassungslos darüber, dass Sly sie so grob verraten hatte.

»Denkt ihr nicht, dass an der Sache etwas seltsam ist?«, warf Lugh Akhtar dazwischen. Vier erstaunte Augenpaare blickten ihn an.

»Was soll seltsam daran sein, das Sly uns verraten hat? Er hat es doch schon zugegeben«, beschwerte sich Ice.

»Das meine ich auch nicht. Im Tempel unten haben wir ein Bild gesehen, auf dem… haben… Soul und ich Cinder zerfleischt«, begann er zögernd.

»Auf einem Bild in einem Tempel bist du gemeinsam mit deinen Schwestern zu sehen?« Kenai wirkte ehrlich verblüfft.

»Ja, irgendwie schon. Es gibt auf jeden Fall dazu eine kleine Geschichte, dass nur, wenn das Zwielicht, also Cinder, geopfert würde, dass wir damit der höchsten Macht wieder zum alten Glanz verhelfen könnten. Und naja, Sly hat nicht gerade den Eindruck gemacht, als würde er es zulassen, dass irgendwer ihr ein Haar krümmt…«, bemerkte der junge Zauberer.

»Tja, aber sie hat er auch verraten, das hat sein Schweigen sehr deutlich gemacht«, fand Kenai.

»Bist du dir da so sicher? Denkt doch mal alle nach, wann war Sly jemals lange genug alleine, dass er einen Verrat hätte planen können. Das war, als wir alle getrennt waren. Er ist erst nach einigen Tagen zu Soul und mir gestoßen, davor war er allein. Und jetzt denkt mal daran, was weiter geschehen ist«, meinte der junge Zauberer.

»Du meinst, wie besorgt er um Cinder war und wie freudig er sie begrüßt hat?«, fragte Soul leise.

»Nein, ich weiß, was du meinst. Der Morgen der Sonnenwende. Er war viel erleichterter, Lugh Akhtar zu sehen, als ihr anderen. Und danach, er ist es gewesen, der nicht hierher wollte. Und auch später hat er darüber alles andere als glücklich ausgesehen. Oder wo wir auf dem Weg zum Tempel waren, er hat sich immer wieder so misstrauisch umgesehen. Ich dachte, er würde Cinder vermissen, aber jetzt bin ich mir da nicht mehr so sicher«, bemerkte auch Kenai.

»Genau das meinte ich. Ich finde, er wirkt nicht wie ein Verräter, dazu war er viel zu besorgt. Er wollte es eigentlich gar nicht. Da steckt mehr hinter«, meinte der junge Zauberer.

»Aber was?« Ice wirkte jetzt auch nachdenklich.

»Was auf der Welt ist ihm wichtig genug, dass er dafür selbst seine besten Freunde verraten würde?«, fragte Kenai nachdenklich.

»Cinder und Leilani«, antworteten die anderen darauf wie aus einem Mund.

»Er hat schon einmal seine Tochter verloren, ich hab ihn danach erlebt. Für Leilani würde er vermutlich jedem von uns eigenhändig das Herz aus dem Leib schneiden«, meinte Ice leise.

»Schön, dann wissen wir immerhin, wieso er uns verraten hat«, bemerkte Soul dazu bissig und schlang eng die Arme um ihren Bauch.

»Sie hat recht, es ändert nichts daran, was er getan hat«, bestätigte Kenai.

»Nein, leider nicht. Aber immerhin ist klar, dass er es nicht grundlos tat. Und vollkommen hat er uns nicht verraten, eine reelle Chance hat er uns gelassen«, bemerkte Nea.

»Wie meinst du das?«, fragte Soul.

»Du hast recht, Nea. Er hat ihnen unsere Schülernamen nicht verraten, obwohl er sie kennt. Hätte er es getan, wäre dieser ganze Aufriss hier nicht nötig, dann hätten sie uns anders und viel leichter bezwingen können«, bestätigte Lugh Akhtar.

»Gut, okay, er ist nicht das größte Arschloch auf Erden«, lenkte Ice knurrend ein. »Aber wenn ich ihn jemals wieder in die Hände kriege, erwürge ich ihn trotzdem.«

Dazu hatte dann niemand mehr etwas zu sagen. Stattdessen ersonnen sie verschiedene Pläne, wie sie entkommen könnten, doch verwarfen sie sie fast ebenso schnell wieder, wie sie die Ideen hatten.

Am nächsten Morgen dann ging die Reise weiter. Auch die folgende Nacht verbrachten sie in einem Keller und so ging es eine ganze Weile, bis sie merkten, dass sie auf dem Weg nach Altena waren. Es war Mitte März, als sie den Ursprung ihrer Reise wieder betraten.

Als Lugh Akhtar durch das Tor in die Stadt lief, kam es ihm vor, wie bei seinem ersten Mal. Er wollte damals wie heute irgendwo anders sein, so weit weg von diesem Ort, wie es irgendwie möglich war. Doch damals wie heute hatte er keine Wahl.

Altena hatte sich verändert. Wo sonst immer Lachen und Freude zu sehen war, wo sonst im tiefsten Winter noch Wärme gewesen war, da war heute Schnee und traurige Gesichter schauten auf sie, als sie durch die Straßen geführt wurden. Obwohl er weder Altena, noch die Menschen, die dort lebten, besonders mochte, tat es ihm im Herzen weh. So wurden sie als Gefangene durch die Hauptstadt des Zauberreiches geführt, bis zum Turm.

»Rex wird morgen persönlich eure Exekution vornehmen, genießt eure letzte Nacht auf Erden«, erklärte der Anführer der Soldaten. Er wirkte ein wenig betrübt, denn er fand es nicht richtig, solch junge Menschen hinzurichten, nur, weil sie einen vermeintlichen Fehler begangen hatten, aber er konnte ihnen nicht helfen, ohne selbst des Todes zu sein, und für Fremde wollte er sich nicht opfern.

Doch Lugh Akhtar lächelte dankbar, bevor er den Turm betrat. Er hörte, wie Nea hinter ihm darum bat, dass man Kenai in ein anderes Gefängnis brachte, denn das Licht im Turm würde ihn wahnsinnig machen, doch diese Bitte blieb verwehrt. Dass ihre Sorge unbegründet war, konnte sie nicht ahnen.

Doch er interessierte sich nicht dafür, er betrat die Halle und lächelte, als er sah, wie hell das Licht heute leuchtete. Als wollte es ihn verabschieden. Es dauerte einen Moment, bis er die Lichtgestalt gewahr, die inmitten des Leuchtens stand. Doch er erkannte sie sofort. Es war Sly. Er wollte etwas sagen, doch sein Freund legte lächelnd die Finger auf die Lippen.

»Morgen, wenn der Kampf beginnt, müssen du und Nea mit dem Herbst gehen, Soul und Ice müssen den Winter begleiten und Kenai soll zum Frühling gehen. Cinder und ich bleiben beim Sommer. Es ist wichtig, dass ihr euch den Richtigen anschließt«, flüsterte er und lächelte dabei.

»Was tust du hier, und…« Lugh Akhtar entging keineswegs, wie niedergeschlagen seine Freunde aussahen, und wie teilnahmslos die Wachen. »Warum kann nur ich dich sehen?«

»Weil du der Lichtertänzer bist. Und ich bin das Licht«, antwortete Sly und lächelte. Dann verschwand er, so plötzlich und unbemerkt, wie er gekommen war und Lugh Akhtar glaubte für einen Moment, dass er es nur geträumt hätte, doch er sah aus dem Augenwinkel, wie der Herzanhänger zu leuchten begann.

»Gut, ich vertraue darauf, dass du weißt, was du tust…«, flüsterte er leise. Dann lief der langsam die Treppe hinauf. Sie wurden in einen Raum gesperrt, in dem oft Schüler unterrichtet wurden. Er wartete noch, bis er auf dem Gang keine Schritte mehr hörte, da folgte er seinen Freunden, die sich in einer Ecke zusammengerottet hatten.

»Ich habe Sly eben gesehen«, erklärte er leise. Die erstaunten Blicke seiner Freunde sagten alles, also erklärte er schnell. »Er war unten in der Halle, aber aus irgendeinem Grund habe nur ich ihn gesehen. Er… ich glaube, er hat sich dem Sommer angeschlossen, er sagte, dass er das Licht wäre…«

»Das Licht?«, fragte Soul leise.

»Ja. Das sagte er, und es wirkte auch so… aber es ist egal, er sagte, wenn morgen die Kämpfe beginnen, dann sollen wir die Jahreszeiten begleiten. Und es ist wichtig, dass wir mit den Richtigen gehen, warum hat er aber nicht gesagt«, erklärte Lugh Akhtar.

»Und… mit wem sollen wir gehen?«, fragte Ice. Obwohl Sly ihn so sehr verraten hatte, war er bereit, sich ihm ein weiteres Mal anzuvertrauen, so irrsinnig es auch klang.

»Kenai soll zum Frühling gehen, Sly selbst und Cinder bleiben beim Sommer. Nea und ich sollen den Herbst begleiten und Soul und Ice beim Winter. Mehr hat er nicht gesagt, ich weiß nicht, was er vor hat«, erklärte Lugh Akhtar leise.

»Sollen wir ihm wirklich vertrauen?«, fragte Kenai leise Nea.

»Ich weiß nicht… er ist mein Bruder, aber er… hat so etwas grausames getan…«, murmelte sie.

»Das meinte ich jetzt nicht, sondern eher, das du mit ihm gehst, aber ja, das sollten wir auch noch mal überdenken«, nickte Kenai ernst. Darauf blinzelte Lugh Akhtar ihn verblüfft an, doch als er das Blitzen in den Augen des Söldners gewahr, da merkte er, dass es nur ein Scherz war.

»Lugh, was hast du eigentlich getan, dass Kenai nicht zum sabbernden Idioten wurde unten in der Halle?«, fragte Ice daraufhin.

»Nichts. Ich musste nichts tun«, antwortete der und lächelte wissend.

»Hat das was mit den Dingen zu tun, die du über mich weißt, ich aber nicht über dich?«, fragte der misstrauisch.

»Ja«, bestätigte der.

»Und willst du es mir jetzt mal nicht langsam mitteilen?«, fuhr der fort.

»Das kommt darauf an… Kenai, was weißt du über deinen Vater. Und was weißt du über Kinaya?«, fragte er lächelnd.

»Über meinen Vater?« Der junge Söldner wirkte überrumpelt, doch der Zauberer nickte auffordernd. Doch Kenai dachte nur einen Moment nach, um dann den Kopf zu schütteln. »Nichts, ich kenne nicht einmal seinen Namen.«

»Das dachte ich mir. Wenn morgen die Kämpfe vorbei sind, dann frag Kinaya mal danach. Es wird dich bestimmt überraschen«, lächelte Lugh Akhtar und machte damit deutlich, dass er nicht mehr verraten würde.

So blieb es nur noch auf den nächsten Tag zu warten. Ein Tag, der alles entscheiden würde.

Flucht

Es war ein grauer Tag. Ein paar wenige Flocken fielen vom Himmel, ein eisiger Nordwind pfiff um den Turm. Dass der Frühling in der vergangenen Nacht die Macht übernommen hatte, schien unglaublich, doch Lugh Akhtar wusste, dass heute die Tagundnachtgleiche war, das erste Sonnenfest im neuen Jahr, mit dem der Frühling begrüßt wurde.

Er erinnerte sich, am vergangen Abend vor einem Jahr hatte er Cinder als Schülerin bekommen, Ice hatte sich Soul angenommen und ihr das Versprechen abgenommen, dass sie binnen Jahresfrist seine Frau sein würde. Sie hatte ihr Versprechen gehalten.

Und heute vor einem Jahr hatte Rex die Macht an sich gerissen. Cinder und Sly hatten einander ihre Liebe gestanden und auch Lugh Akhtar selbst hatte sich endlich getraut, Nea zu sagen, was er wirklich und aus tiefstem Herzen für sie empfand.

Dass genau heute der entscheidende Kampf stattfinden sollte, erfüllte ihn mit einer seltsamen Ironie. Heute, an dem Tag, wo der Frühling, der Lebensbringer die Welt aus ihrem Winterschlaf wecken und zum neuen Leben bringen sollte, da würde auch der entscheidende Kampf stattfinden. An dem Tag, wo alles begann, würde auch alles enden.

»Sie kommen«, bemerkte Soul leise an seiner Seite. Und wirklich, nur Augenblicke später öffnete sich die Tür und ein paar Soldaten wollten sie auf ihren letzten Gang bringen. Sie wehrten sich nicht, sondern liefen freiwillig mit ihnen. Es ging in den höchsten Raum des Turmes, das Zimmer, das einst Nikolai bewohnt hatte, aber das wunderte keinen. Nicht wirklich.

Eine der Wachen klopfte laut an, bevor er öffnete und sie eintraten. Rex wandte ihnen den Rücken zu, stand am Fenster und schaute hinaus. Lugh Akhtar blickte sich in dem Raum um. Er war so völlig anders, als er es zu Nikolais Zeiten gewesen war, das stimmte ihn seltsam traurig und mit einem Mal wurde ihm bewusst, dass er diese Zeit lange nicht so sehr gehasst hatte, wie er immer geglaubt hatte.

Es war nicht die schönste Zeit seines Lebens gewesen, aber er hatte viel gelernt und er mochte Nikolai, wie man einen Großvater mochte. Und ja, der Gildenmeister war immer für ihn da gewesen, wenn er ihn wirklich gebraucht hatte. Er hatte ihm mehr beigebracht, als bloß mit seiner Magie umzugehen. Er hatte ihn zu dem gemacht, der er heute war und er stellte ganz unwillkürlich fest, dass er sich so durchaus mochte.

»Ah, meine neusten Versuchskaninchen.« Rex wandte sich mit einem verächtlichen Grinsen um. Er entließ die Wachen mit einem Lächeln. Als die die Tür hinter sich geschlossen hatten, lächelte er noch einmal viel zufriedener. »Ihr braucht gar nicht versuchen zu entkommen, ihr könnt mir nicht schaden.«

»Er hat einen Schutzgeist«, erkannte Soul verblüfft an der Seite ihres Bruders, aber so leise, dass ihr Gegenüber es nicht hörte.

»Was euch erwartet, das wisst ihr, oder? Wer also will als erstes?«, fragte er und lächelte selbstgefällig.

»Wenn du so fragst, dann will ich dich als erstes erwürgen«, antwortete Ice bissig. Er hatte nicht vergessen, was Rex vor einem Jahr mit ihm gemacht hatte. Auf dessen Gesicht verschwand daraufhin das Lächeln auch sogleich wie weggewischt.

»Also willst du der erste sein, ja?«, fauchte er und ging schnell um den Schreibtisch herum.

»Versuch es ruhig, ich weiß mich zu wehren!«, knurrte Ice. Rex wollte darauf etwas antworten, doch dazu kam er nicht, denn es klopfte heftig an der Tür.

»Was ist?«, brüllte er stattdessen. Eine junge Wache kam herein. Man sah ihm deutlich an, dass er viel lieber ganz woanders wäre.

»Herr, im Westen der Stadt gibt es Unruhen…«, erklärte er leise.

»Dann bringt das in Ordnung«, fauchte Rex und verscheuchte ihn mit einer Handbewegung. Die Wache ging, doch auf Lugh Akhtars Gesicht hatte sich ein zufriedenes Lächeln geschlichen. Es begann. Rex dagegen fuhr wieder zu Ice herum und zückte ein Messer.

»Kommen wir zu dir, kleine blaue Ratte«, knurrte er.

»Nur weil du eine Ratte bist, bedeutet es nicht, dass auch ich eine bin«, antwortete Ice böse.

»Du willst wirklich als erstes, ja?« Rex zückte das Messer und drückte es Ice an den Hals, doch der wich nicht zurück. Diesmal wollte Ice etwas antworten, doch plötzlich fegte ein starker Wind durch den Raum, der sich im großen Turmzimmer zu einem sturmgrauen Bären materialisierte. Nicht nur Rex wurde blass, denn Lugh Akhtar war der Einzige, der den Wind schon kannte.

Der Bär brüllte Rex laut an, der wich erschrocken einige Schritte zurück, obwohl er nichts zu befürchten hatte. Die Jahreszeiten konnten nicht direkt töten. Das Eis oder der Schnee können die Wesen erfrieren lassen, Hitze kann sie austrocknen, doch sie können niemanden direkt verletzen. Das jedoch wusste Rex nicht.

»Bist du hier, um uns abzuholen?«, fragte Lugh Akhtar und war mit einigen Schritten bei dem Bären.

»Ja. Ich werde dich und sie zum Herbst bringen«, bestätigte der Bär und verwandelte sich in einen jungen Mann mit schwarzem Haar und goldenen Augen. »Allerdings werden wir meine Wege gehen.«

»Windlaufen?«, fragte der junge Zauberer erstaunt.

»Ja. Vertrau mir«, lächelte der Wind, doch bevor er zum Fenster zurückkehrte, warf er noch einmal Kenai einen langen Blick zu, bevor er lächelte und nickte. Lugh Akhtar indess nahm Nea bei der Hand und kletterte mit ihr auf die Fensterbank. Der Wind trat zu ihnen, da tauchte als nächstes die Nacht auf.

»Kenai. Wir werden in den Osten der Stadt reisen«, erklärte er sanft und kam langsam auf den völlig verstörten Söldner zu. Das plötzliche Auftauchen des Bären war schon viel zu viel für ihn gewesen, die Nacht mit den Münzen anstelle der Augen und seinen blutigen Tränen war ein so verstörender Anblick für ihn, dass er bis an die Wand zurückwich.

»Bleib fort von mir«, hauchte er entsetzt, als die Nacht einen Schritt auf ihn zumachte, doch Drafnar ließ sich nicht beirren.

»Deine Mutter wartet beim Frühling auf dich, ich bringe dich zu ihr, wenn du auf meinen Rücken steigst«, erklärte er.

»Vertrau ihm, Kenai. Drafnar ist ein Freund«, erklärte Nea beruhigend.

»Er ist ein Ungeheuer«, antwortete der voller Entsetzen. Da tauchte auch Paivi auf.

»Dann komm mit mir«, bot sie an. Auch sie starrte er entsetzt an, doch sie wirkte wohl nicht ganz so Angst einflößend auf ihn, denn langsam und zögernd und sichtlich all seine Ängste überwindend ging er zu ihr und kletterte auf ihren Rücken.

»Wir sehen uns später«, erklärte sie lächelnd und verschwand mit Kenai, Drafnar ebenso. Da tauchte auch Hope auf. Wieder strahlte er, doch diesmal sahen ihn auch die anderen.

»Ice, Soul, kommt mit mir«, bat er leise und streckte ihnen seine Hand entgegen.

»Hope, was ist mit dir geschehen?«, fragte Ice erstaunt.

»Ich habe getan, was nötig war um wieder gut zu machen, was ich nicht hätte tun dürfen. Ich werde euch zum Winter geleiten und an ihrer Seite werdet ihr kämpfen«, antwortete er.

»Was ist mit Cinder?«, fragte Soul leise.

»Ihr geht es gut, wir beide werden auf der Seite des Sommers kämpfen.«

»Wieso kämpfen wir nicht alle auf der Seite des Winters? Ich verstehe nicht, wieso teilen wir uns auf?«, erkundigte sich Ice.

»Weil es nötig ist. Keiner der Jahreszeiten kann so agieren, wie ein Mensch, aber kein Mensch kann so agieren, wie sie, also brauchen sie jeder ein Wesen, das zwischen ihnen steht. Cinder tut das für den Sommer, Lugh für den Herbst, du für den Winter und Kenai für den Frühling«, antwortete Hope.

»Kenai?«, fragte Nea verwirrt.

»Ja«, bestätigte Hope, doch dann schüttelte er entschieden den Kopf. »Ihr werdet es noch früh genug erfahren, aber jetzt kommt mit.«

Ice zögerte noch kurz, doch dann nickte er ergeben. Er reichte Sly die Hand, der nickte lächelnd. Auch Soul reichte ihm zögernd die Hand.

»Wir sehen uns später«, lächelte Sly noch Lugh Akhtar und Nea zu, dann verschwand er, gemeinsam mit Ice und Soul.

»Lasst uns auch gehen«, forderte der Wind und ließ sich einfach aus dem Fenster fallen, um dort wieder ins Nichts zu verwehen.

»Jetzt springen wir«, erklärte Lugh Akhtar Nea mit einem Lächeln.

»Springen? Fliegen wir als Vogel fort?«, fragte sie erstaunt, doch er verneinte.

»Nein. Wir lassen uns einfach fallen und vertrauen dem Wind«, antwortete er.

»Wir werden auf dem Boden zerschmettern«, flüsterte sie.

»Nein, werden wir nicht. Vertrau mir, ich halte dich fest«, erklärte er und nahm sie fest in den Arm. Sie zitterte, doch letztlich drückte sie sich fest an ihn und wartete darauf, dass er tat, was auch immer zu tun war.

Da ließ Lugh Akhtar sich fallen. Sie stürzten dem Erdboden entgegen, doch ein solch starker Wind, wie sie es nie zuvor erlebt hatten, verlangsamte ihren Fall. Sie landeten so sanft auf dem Boden, wie sie es nicht für möglich gehalten hätten. Vor ihnen materialisierte sich wieder der Wind in der Gestalt des jungen Mannes.

»Eigentlich ist es ja schon schade, dass keiner von uns in der Lage ist, das Ganze so einfach zu beenden und ihm direkt die Kehle durchzuschneiden«, meinte er bedauernd und schaute zum Turm hinauf.

»Am ehesten hätte noch Kenai es getan, aber ich möchte nicht, dass er sich auf Rex’ Niveau herablässt. Es wäre nicht richtig, so etwas von ihm zu verlangen«, fand Lugh Akhtar.

»Das stimmt. Kinaya soll keinen Mörder erzogen haben… und schon gar nicht, wenn er meinen Namen trägt«, nickte der Wind, dann deutete er nach Westen. »Herbst wartet schon auf uns. Allerdings müssen wir laufen, ich bin da nämlich etwas bodenständiger, als das Licht und der Tag es sind.«

»Ist mir sowieso lieber«, lächelte Lugh Akhtar, nahm Nea bei der Hand und lief los, dem jungen Mann hinterher.

»Lugh Akhtar, wer ist er?«, fragte die, denn ihr war keineswegs entgangen wie froh der junge Zauberer über den Anblick des jungen Mannes war.

»Ein guter Freund«, antwortete der ausweichend. »Ich erzähle es dir später. Wenn wir diesen Tag unbeschadet überstehen.«

Sie nickte, doch wirkte sie nicht gerade glücklich. Doch sie liefen weiter, bis sie im Westen der Stadt angelangt waren, dabei ignorierten sie die Menschen, die um sie herum waren. Doch plötzlich tauchten Soldaten auf.

»Da sind sie!«, brüllte einer der Männer, zeigte auf sie und sogleich liefen sie los. Aber nicht lange, da verlegten sie sich darauf, mit Feuerbällen nach ihnen zu schießen. Die meisten kamen ihnen nicht einmal nahe und auch die wenigen, die wirklich gefährlich waren, lenkte Lugh Akhtar ohne Probleme ab, denn jetzt konnte er seine Magie wieder frei nutzen.

Allerdings lenkte es ihn so sehr ab, dass er die Bodenschützen erst bemerkte, als der Wind ihm eine Warnung zu schrie. Er schaute sofort nach vorne und konnte sich im letzten Moment noch zur Seite werfen, sodass der Pfeil ihn verfehlte. Aber das sollte nicht der einzige sein, ein regelrechter Pfeilhagel kam nun auf sie nieder, doch sie liefen unbeirrt weiter, denn der Wind lenkte sie so ab, dass sie ihnen nicht wirklich gefährlich wurden.

Es geschah, als der Pfeilregen aufhörte und sie begannen, sich wieder sicherer zu fühlen. Lugh Akhtar gewahr die Bewegung noch aus dem Augenwinkel. Er sah, wie in Zeitlupe, was geschehen würde.

Er gewahr das schlanke Geschoss, das so zielstrebig auf Nea zuflog, aus dem Augenwinkel und er reagierte, ohne darüber nachzudenken. Er wusste nur, dass es sein Ziel um nichts auf der Welt treffen durfte. Deswegen stürzte er sich in den Weg. Deswegen traf es ihn. Deswegen bohrte es sich tief in sein Fleisch.

Es war seltsam. Er spürte keinen Schmerz. Nur eine wage Enttäuschung. Dass er nicht mehr helfen konnte. Dass er sie nun alleine lassen würde. All jene, die ihm etwas bedeuteten. Und er spürte, wie froh ihm ums Herz wurde, dass er Nea noch einmal hatte beschützen können.

»Lugh! Lugh, du darfst nicht sterben«, hörte er Nea weinen. Er nahm alles nur noch wie durch Watte wahr. Er wusste, dass sie bei ihm war, aber er sah sie nicht. Er spürte nur, wie die Dunkelheit nach seinen Gedanken griff. Er spürte, wie ihn jemand hoch hob und er wusste, dass es der Wind war.

Er lächelte, denn er war froh, dass der Mann bei ihm war, der seinem Vater so nahe gestanden hatte. Es war fast so, als wäre sein Vater selbst bei ihm. Und auch Nea war bei ihm. Er wusste, dass sie in guten Händen sein würde, wenn er ging. Er konnte ganz beruhigt gehen.

Doch bevor die Schwärze völlig nach seinen Gedanken griff, da hörte er noch einmal Neas Stimme. Sie klang seltsam klar, als wenn sein Körper wollte, dass er dieses eine noch mit vollem Bewusstsein wahrnahm. Als wenn irgendetwas nicht wollte, dass seine Seele beruhigt gehen konnte, als wenn etwas, was Größer war als er, einen Teil von ihm mit aller Gewalt auf Erden halten wollte. Das bewirkte dieser eine Satz, den Nea ihm nun leise zuflüsterte.

»Lugh, ich erwarte ein Kind von dir.«

»Ihr müsste den Weg…«

Es war das seltsamste Gefühl, das Kenai jemals in seinem Leben verspürt hatte. Es war, als wäre er zwar da, aber würde irgendwie neben sich stehen. Er spürte das raue Fell von Paivi an seinen Händen, doch erschien es ihm so unwirklich, so seltsam körperlos und mehr wie ein helles Licht über Altena zu fliegen, dass er dennoch der festen Überzeugung war, dass er schlief.

Er schloss die Augen und dachte ruhig und mit dem wunderbaren Gefühl unendlicher Freiheit über das nach, was geschehen war. Er wusste, dass in der Nähe von Zauberern immer seltsame Dinge geschahen, doch der Bär, der sich aus nichts anderem als Wind materialisierte und die beiden Wölfe, denen man so grausam mitgespielt hatte, waren doch so abwegig, dass man es nicht einmal auf die Zauberer schieben konnte.

Aber er hatte keine Angst. Er wusste mit einer seltsamen Sicherheit, die keinen direkten Ursprung hatte, die nicht aus Wissen geboren war, dass es so seine Richtigkeit hatte und dass es gut so war, dass es falsch wäre, wenn diese Wesen nicht existierten. Sie lenkten das Gefüge in seiner Welt und ohne sie konnte er nicht existieren.

Plötzlich drang eine Frage in sein Bewusstsein. Er war der Erste, der gegangen war, waren die anderen denn auch entkommen? In den letzten Wochen der Gefangenschaft hatte er mehr und mehr Anschluss an die Gruppe gefunden, Lugh Akhtar, dem er so übel mitgespielt hatte, hatte ihn mit so offenen Armen aufgenommen, dass die anderen nicht umhin gekommen waren, es ihm gleich zu tun.

Niemals zuvor hatte man ihm Freundschaft oder das Gefühl vom Willkommensein entgegen gebracht, immer hatte man ihn ausgegrenzt, ihn ausgelacht, ihn verurteilt wegen Dingen, für die er nichts konnte. Er hatte gelernt, dass man sich immer selbst der Nächste war, von Kindesbeinen an, und dann traf er auf Nea, der seine Herkunft so völlig egal war.

Und mehr noch, er hatte einem völlig Fremden seinen größten Schatz genommen und war dafür von ihm mit so viel ehrlicher Freude als Freund aufgenommen worden, dass er sich verzweifelt fragte, was für ein Mensch man sein musste, was man gesehen und erlebt haben musste, um so selbstlos gut zu sein.

Er bewunderte Lugh Akhtar für seine Größe. Er wusste, dass er das niemals über sich gebracht hätte. Und je länger er darüber nachdachte, umso bewusster wurde ihm, dass es auch völlig unnötig gewesen war, was er getan hatte. Er spürte mehr und mehr, dass es keine Liebe war, die er für Nea empfand. Freundschaftliche Zuneigung war ihm bisher so völlig fremd gewesen, dass er sie irrtümlich für Liebe gehalten hatte, aber nun, da er es ebenso sehr auch für Lugh Akhtar und seine Freunde empfand, war ihm klar, dass es keine Liebe sein konnte und es tat ihm vom Herzen leid, was er dem jungen Zauberer angetan hatte.

»Ist meine Mutter wirklich beim Frühling?«, fragte er leise.

»Ja. Das, was ihr tun müsst, das könnt ihr nicht alleine tun, dazu braucht ihr Unterstützung und das ist in deinem Fall deine Mutter«, erklärte Paivi, die gerade wieder Richtung Erdboden lief. Sie landete auf der Stadtmauer und Kenai, der nun wieder eine wirkliche Gestalt war, kletterte von ihrem Rücken. Sogleich verwandelte sich der Tag und wurde zu einer jungen Frau mit entsetzlichen Brandverletzungen und struppigem, leicht verbranntem Haar.

»Paivi, da bist du ja«, lachte die schönste Gestalt, die er je gesehen hatte. Er wusste gleich, dass sie der Frühling war, denn kein geringeres Wesen konnte von solch atemberaubender Gestalt sein.

»Er hatte Angst vor meinem Bruder, also habe ich ihn geholt«, erklärte der Tag und lächelte entschuldigend.

»Macht nichts, Hauptsache, er ist jetzt hier.« Sie lächelte das zauberhafteste Lächeln, das er jemals bei einem Menschen sah. Sein Herz schlug höher, als sie sich zu ihm umwandte und ihn mit ihren grünen Augen anblitzte. »Du bist also Kenai, ja?«

»Ja«, nickte er, während er sie weiterhin ungläubig anstarrte.

»Mach den Mund zu, da fliegen sonst Viecher rein«, kommentierte Kinaya mit einem Lächeln, als sie ihren Sohn so voller Staunen da stehen sah. Der blinzelte erst irritiert, schloss dann den Mund und nickte beschämt. Es war nicht richtig, solch ein Wesen wie den Frühling so anzugeifern. Doch sie lächelte ihn so warm und offen an, dass er sein Herz sogleich an sie verlor. Kinaya allerdings zog seinen Kopf so herum, dass er sie und nicht mehr die junge Frau anschaute.

»Kenai mein Sohn, du bist nicht grundlos hier«, erklärte sie eindringlich.

»Ich weiß. Aber wieso? Wäre es nicht sinnvoller, wenn wir gemeinsam kämpften?«, fragte er leise.

»Und Sommer und Winter auf solch vernichtende Weise im Wirken ihrer ureigenen Macht stören?«, lachte der Frühling. »Unsere Mächte sind zu verschieden, als dass sie miteinander wirken würden, also haben wir uns aufgeteilt. Wir werden aus jeder Himmelsrichtung gleichzeitig angreifen und jeder hat seinen eigenen Wirkungsbereich, in dem keiner der anderen etwas zu suchen hat. Damit wir uns nicht versehentlich gegenseitig vernichten.«

»Ihr wollt sie in der Mitte der Stadt zusammentreiben?«, hakte er leise nach.

»Ja. Aber wir können sie nicht vernichten. Weißt du, weder ich, noch mein Gefolge können einem Menschen ein Leid zufügen. Das ist auch gut so, denn wir sind nicht hier, um zu richten. Und schon gar nicht, um ein Blutbad hinter uns herzuziehen. Und deswegen brauchen wir euch. Ihr müsst den Weg zu Ende gehen«, erklärte sie leise.

»Heißt das, ihr treibt sie zusammen und wir schlachten sie dann ab, wie Vieh?«, fragte er entsetzt. Er war kein Mörder und dieses Vorhaben ging so völlig gegen seine Prinzipien, dass alleine die Idee ihn mit einer so tiefgehenden Abscheu erfüllte, wie kaum ein anderer Gedanke.

»Nein. Ihr sollt nicht töten. Ihr sollt nur den Weg zu Ende gehen«, flüsterte Kinaya. Sie wusste, was gemeint war, aber sie durfte es nicht sagen. Wenn die vier es nicht selbst verstanden, mit dem tiefsten Grunde ihrer Seele, dann war es egal, was sie ihnen erzählte, denn dann konnten sie es nicht mehr tun.

»Welchen Weg?«, fragte er und schaute sie aus großen Augen erstaunt an.

»Der Weg. Kenai, ich darf dir nicht mehr sagen. Nur, dass du schon angefangen hast, ihn zu gehen, du musst nur noch weiterlaufen. In die richtige Richtung, bis an sein Ende«, erklärte seine Mutter eindringlich, doch er verstand sie nicht. Welchen Weg meinte sie? Und wie konnte das in irgendeiner Weise helfen?

»Mam, ich verstehe dich nicht… welchen Weg habe ich denn angefangen, aber nicht beendet? Ich habe viele Dinge begonnen, doch ebenso viele will ich nicht beenden! Ich will nicht mehr töten«, erklärte er verzweifelt, doch sie lächelte.

»Erzähl es mir, was verlangt dein Herz von dir?«, fragte sie leise.

»Mein Herz?« Er zögerte kurz, dachte darüber nach. Doch, diesen Weg wollte er wirklich zu Ende gehen. Er wollte dem Weg seines Herzens folgen. War das der richtige Weg? Führte er ins Glück?

»Folge dem Weg bis ans Ende. Egal, welche Steine dir auch im Weg liegen, oder wie viele Kurven er hat, laufe immer weiter. Bis deine Schuhe durchgelaufen sind und du mit blutigen Füßen den fremden Pfaden folgst. Folge ihm«, bat der Frühling eindringlich. Dann lächelte sie und verschwand ins Nichts. Aber Kinaya blieb bei ihm.

»Weißt du, welchem Weg du folgen musst?«, fragte sie leise.

»Nein. Aber ich weiß, welchem Weg ich folgen will«, flüsterte er und schaute zum Turm zurück.

»Das soll mir ebenso recht sein«, lächelte seine Mutter und gemeinsam zogen sie los.

Zur gleichen Zeit im Süden der Stadt saß Cinder am Fenster und schaute nachdenklich auf die leeren Gassen hinab. Leilani saugte dabei zufrieden an ihrer Brust, doch das registrierte sie nur am Rande. Mit ihren Gedanken war sie ganz woanders.

»Woran denkst du?«, fragte sie plötzlich eine sanfte Stimme. Sie brauchte einen Moment, um wieder ins Bewusstsein zurückzufinden, doch dann wandte sie sich langsam um und schaute auf den Sommer, der mitten im Raum stand und sie nachdenklich beobachtete.

»Ich frage mich, ob sie alle entkommen konnten. Und wie es Soul wohl gehen mag«, antwortete sie leise. Sie machte sich große Sorgen um ihre Schwester. Sie wusste, dass Lugh Akhtar, Ice und Kenai sehr gut auf sich selbst aufpassen konnten, und auch Nea würde mit den meisten Problemen sehr gut fertig werden, aber Soul konnte man im Moment einfach nicht allzu viel abverlangen, das hatte sie selbst nur zu deutlich gemerkt.

»Du machst dir große Sorgen um die Zukunft, oder? Ich kann sehen, wie dein Herz weint«, bemerkte er leise und machte zögernd noch ein paar Schritte auf sie zu.

»Ja. Selbst wenn wir alle den heutigen Tag unbeschadet überstehen hast du mir dennoch den Vater meines Kindes genommen. Ich weiß nicht, ob ich dir das je verzeihen kann«, antwortete sie kalt.

»Du liebst ihn, oder?«

»Sollte ich es etwa nicht?«

Der Sommer schaute sie lange an, dann nickte er, als wäre er für sich zu einem Entschluss gekommen.

»Ich schlage dir einen Handel vor«, bot er dann an.

»Einen… Handel? Was für einen?«, fragte sie misstrauisch.

»Wenn dieser Krieg gewonnen ist, und wenn du etwas Entscheidendes dafür getan hast, dann entlasse ich ihn aus meinen Diensten.«

»Wenn ich etwas Entscheidendes dafür tue, dass dieser Krieg endet? Und… was genau stellst du dir da vor?«, fragte sie misstrauisch.

»Du musst nur den Weg zu Ende gehen.«

»Welcher Weg?«, wollte sie wissen und runzelte viel sagend die Stirn.

»Das musst du selbst herausfinden. Aber wenn du es tust, wenn du den Weg bis zu seinem Ende gefolgt bist, dann gebe ich Hope frei. Er kann bei mir bleiben, oder er kann all seine Macht aufgeben und wieder als gewöhnlicher Zauberer leben, das ist dann seine Entscheidung. Aber bevor ich das tue musst du meine Bedingungen erfüllen.«

»Woher weiß ich, dass du mich nicht betrügst? Ich habe gesehen, wie du ihn ansiehst, er ist für dich doch wie ein seltenes Juwel in einer besonders kostbaren Sammlung«, erwiderte sie kalt.

»Nein, das ist es nicht. Er ist etwas ganz Besonderes, auch wenn die meisten es nicht sehen, aber nein, er ist kein Sammelobjekt. Ich würde dir ja auch einen anderen Handel vorschlagen, aber ich weiß, dass er müßig wäre. Wenn du den Weg nicht zu Ende gehst, dann wird es schlicht und ergreifend keine Welt mehr geben, in die er zurückkehren wollte. Und auch keine Familie mehr, die ihn brauchen könnte.«

»Du weißt mehr über ihn, als du zugibst, oder?«

»Natürlich. Seine Familie ist mir nicht unbekannt, aber er ist der Einzige, der ihr wirklich Ehre macht. In allem, was er sagt und in allem, was er tut. Ich verliere ihn ungern, aber zu sehen, wie sein Herz blutet und seine Seele vor Schmerz weint ist viel grausamer. Ich werde ihn gehen lassen, aber nur, wenn es eine Welt gibt, in die er zurückkehren kann. Und dafür musst du sorgen, indem du den Weg bis an sein Ende folgst«, erklärte der Sommer leise.

»Verrätst du mir, welchen Weg du meinst?« Sie schaute ihn fragend an.

»Das darf ich nicht. Du musst es selbst herausfinden, denn nur, wenn du wirklich verstehst, kannst du ihn beschreiten. Und du würdest es nicht verstehen, wenn ich es dir sagte. Aber… vielleicht hilft es dir, wenn ich dir verrate, dass Kenai noch ganz am Anfang steht. Und du dich schon mitten darauf befindest. Deine Schwester ist fast an seinem Ende und Lugh Akhtar fehlt nur noch ein einziger Schritt.«

Cinder schaute ihn lange an, dann schaute sie auf Leilani herab. Sie lächelte, als sie in die Augen des kleinen Wesens schaute. Eines war mittlerweile in jenem gräulichen Grün, das auch das Meer trug, das andere dagegen war in einem silbrigen Gold.

»Wir gehen alle denselben Weg, ja? Ist er denn für jeden von uns gleich?«, fragte sie nachdenklich.

»Es ist zwar derselbe Weg, aber er ist für jeden von uns unterschiedlich. Während einige lange brauchten, den Weg überhaupt zu finden, haben andere dafür so viele Steine darauf, dass sie kaum laufen können. Und trotzdem ist es immer der gleiche Pfad«, antwortete der Sommer. Da nickte Cinder zögernd.

»Wenn ich es kann, werde ich ihn bis zu seinem Ende gehen«, nickte sie. In dem Moment tauchte eine Lichtgestalt auf. Sly war wieder zurück, doch er wirkte verzweifelt, fast, als zerreiße etwas sein Herz.

»Ich gehe jetzt. Der Rest liegt in deinen Händen«, flüsterte der Sommer ihr noch zu und verschwand. Cinder dagegen stand auf, legte Leilani in die Wiege, die neben ihr stand, und ging zu Sly. Sie umarmte ihn fest.

»Wie geht es den anderen?«, fragte sie leise.

»Kenai ist mit Paivi beim Frühling, Soul und Ice sind sicher beim Winter und Lugh Akhtar und Nea sind mit dem Wind gegangen. Sie werden mittlerweile auch schon dort sein.« Wie sehr er sich im letzten Punkt irrte, wusste er nicht, doch in diesem Moment spielte es auch keine Rolle für ihn.

»Du wirkst so traurig, ist etwas geschehen? Haben sie dir nicht verziehen?«, fragte sie leise.

»Im Gegenteil, ich glaube, Ice hasst mich mehr als je zuvor. Weil ich schon wieder so etwas Dummes getan habe. Weil ich immer Dinge tue, ohne über die Konsequenzen nachzudenken«, antwortete er leise und stumme Tränen liefen über seine Wangen.

»Wieso, was ist geschehen?«, flüsterte sie.

»Ich denke nicht, dass er die Idee, das Angebot des Sommers im Nachhinein noch anzunehmen so klug fand. Vor allem, weil es kein Zurück mehr gibt«, antwortete er und lächelte sie voller Trauer an. »Zumindest hat er mir die Sonnenwechsel zugestanden, um dich zu sehen.«

Einen Moment überlegte sie, ob sie ihm vom Angebot des Sommers erzählen sollte, doch dann entschied sie sich dagegen. Sie wollte ihm keine unbegründeten Hoffnungen machen. Stattdessen küsste sie ihn und schmeckte die salzigen Tränen auf seinen Lippen.

»Es wird Zeit zu gehen, oder?«, fragte sie leise.

»Ja«, nickte er und schaute auf seine Tochter. Seine Schwester Robin würde sich um die Kleine kümmern, bis sie wiederkehrten, um sie brauchte er sich also keine Sorgen machen. Doch es fiel ihm schwer, zu gehen. Trotzdem verließ er mit Cinder gemeinsam den Raum und sie traten auf die Straße hinab, dem Unbekannten entgegen.

Doch Cinder hatte nun keine Angst mehr vor der Zukunft. Sie wusste noch immer nicht, von welchem Weg der Sommer gesprochen hatte, aber sie hatte sich an den Vorabend des Sonnenfestes vor einem Jahr erinnert. An den Schwur, den sie Lugh Akhtar geleistet hatte, um von ihm als Schülerin anerkannt zu werden. Sie brauchte nur ihrem Herzen folgen. Und ihr Herz zeigte ihr einen hellen, goldenen Pfad, dem sie folgen sollte. Sie wusste nicht, ob es der Richtige war, aber sie war bereit, es herauszufinden.

»… doch nur zu Ende gehen…«

Es war ein seltsames Gefühl, einfach nur ein Lichtstrahl zu sein. Sie konnten sich so schnell bewegen, wie niemals zuvor, doch bewegte sich alles, was sie sehen konnten, wie in Zeitlupe. Doch sie konnte sich nicht frei bewegen, denn Sly hielt sie bei der Hand und zog sie mit sich. Es konnten nur Sekunden sein, doch da waren sie in einem Haus angelangt und Sly sorgte dafür, dass sie sich alle gemeinsam wieder materialisierten.

»Du hast dich wirklich dem Sommer angeschlossen, oder?«, fragte Ice leise und betrachtete die Lichtgestalt traurig. »Lugh Akhtar hat es vermutet, aber so wie es aussieht, hat er recht.«

»Ja, hat er. Ich gehöre jetzt zum Sommer«, bestätigte Sly und wirkte alles andere als glücklich darüber.

»Aber… wieso?« Ice starrte ihn fast schon entsetzt an.

»Weil es die einzige Möglichkeit war«, antwortete der Rotschopf und lächelte traurig.

»Die einzige Möglichkeit, was zu tun?«, wollte Ice scharf wissen. »Schon wieder alle zu verraten?«

»Nein. Die einzige Möglichkeit, einmal in meinem Leben definitiv das Richtige zu tun«, erwiderte Sly.

»Und was bitte ist daran das Richtige? Hope! Weißt du eigentlich, was du da tust?«, ereiferte sich der Blauschopf mit einem ungläubigen Entsetzen.

»Ja. Ich tue, was nötig ist, um zumindest ansatzweise wieder gut zu machen, was ich getan habe. Ich weiß, es macht es nicht ungeschehen und es mindert es auch in keinster Weise, aber es gibt mir das Gefühl, dass dem so wäre«, erklärte der Rotschopf und schaute nachdenklich zur Decke hinauf. Jetzt fiel Ice auf, dass er das Gebäude kannte. Die Decke war mit hunderten von Sternen bemalt und sie war blau wie der Nachthimmel. In diesem Haus war Sly aufgewachsen, das wusste Ice.

»Du kannst aber nicht mehr zurück. Hope, wer sich einmal einem der Jahreszeiten angeschlossen hat, der kann niemals wieder in sein altes Leben zurückkehren«, flüsterte er.

»Ich weiß.«

»Und was ist mit Cinder? Wie kannst du sie einfach alleine lassen? Verdammt, du wirst sie doch niemals wieder sehen!«

»Doch. Zu den Sonnenfesten, das hat der Sommer mir versprochen«, antwortete Sly und sah ihn mit einem traurigen Verziehen der Lippen an.

»Das hast du nicht wirklich getan, oder? Warum bitte verlässt du Cinder, warum verlässt du deine Tochter?! Was um alles in der Welt treibt dich zu so etwas unglaublich dummen?!«, brüllte Ice ihn an.

»Ich wollte ein einziges Mal in meinem Leben das Richtige tun. Ich musste euch helfen und das war die einzige Möglichkeit. Ich bin schwach gewesen, jetzt nicht mehr. Anders wäre es nicht gegangen und glaub mir, ich hab lange genug darüber gebrütet«, erklärte er ruhig.

»Du warst wirklich bereit, all dein Glück zu opfern, nur um uns zu helfen? Und zwar mit etwas, was genauso gut irgendeiner der anderen Anhänger hätte tun können?« Ice starrte ihn völlig ungläubig an.

»Nein. Es hätte niemand anderes tun können, denn niemand anderes war dazu bereit. Einer musste sie ablenken und drei euch dorthin bringen, wo ihr gebraucht werdet. Und dazu haben sich nur Drafnar, Paivi, der Wind und ich gemeldet. Ja, auch die Anhänger des Winters hätten es getan, wenn irgendwer sie darum gebeten hätte, aber das ist nicht ihr Krieg. Es ist schon grausam genug, dass wir sie nun in die Kämpfe hineinziehen, mehr müssen wir ihnen nicht zumuten«, erklärte Sly.

»Und als Mensch hättest du es nicht tun können… nichts davon, du wärst wieder nur Zuschauer gewesen.« Ice nickte verstehend.

»Genau. Ich kann nicht mehr zurück, aber ich habe dafür das Richtige gemacht. Ein einziges Mal.« Der Rotschopf zitterte. Das Wissen änderte nichts an der Tatsache, dass er meinte, sein Herz müsste zerreißen, bei diesem Verlust. »Ich muss jetzt gehen…«

»Werden wir uns irgendwann einmal wieder sehen?«, fragte Ice eindringlich. Es gab noch so viel, was er Sly sagen musste.

»Ich weiß es nicht, aber ich denke nicht«, verneinte der Rotschopf und trat einen Schritt zurück. Er lächelte noch einmal traurig. Auch er hatte noch lange nicht alles gesagt, was zu sagen war. Er wollte Ice noch so viel erzählen, noch für so viele Dinge danken, wie klein sie auch erscheinen mochten, mit ihm noch so oft lachen und einfach glücklich sein. Doch es war zu spät. Während Tränen, die er nicht zurückhalten konnte, in seine Augen stiegen, verschwand er langsam.

Und Soul und Ice konnten nichts anderes tun, als zuzusehen. Soul bedrückte dieser Abschied auch, doch konnte sie kaum erahnen, was in Ice’ Gedanken so vor sich gehen mochte. Er schaute fassungslos und völlig ungläubig auf die leere Stelle, an der sein bester Freund eben noch gestanden hatte. Er konnte es nicht glauben, dass konnte einfach nicht sein. Seit damals waren sie immer Freunde gewesen.

Er fühlte sich wie damals, als er meinte, dass Soul und die anderen im Feuer verbrannt wären. Mit dem Unterschied, dass er dieses Mal mit Sicherheit wusste, dass er seinen Freund nicht wieder sehen würde, und das schmerzte fast noch mehr. Er starrte nur, merkte nicht, wie auch ihm langsam die Tränen in die Augen stiegen und ihren Weg über seine Wangen zum Erdboden suchten.

»Weine nicht. Es wird ihm gut gehen beim Sommer«, sprach eine leise Stimme hinter ihnen und als Soul sich traurig umwandte, erkannte sie den Winter, die in ihrer Menschengestalt dort stand und aufmunternd lächelte.

»Wir weinen nicht um eine tote Person, weil wir nicht wissen, was nach ihrem Tod mit ihr geschieht, sondern weil wir mit völlig unerschütterlicher Sicherheit wissen, dass wir sie niemals wieder sehen werden«, antwortete Ice darauf leise und er hatte recht.

Keiner wusste, ob der Tod wirklich das Ende war, aber selbst wenn es das nicht war trauerte man doch um sie, denn man wusste, dass man alles an ihr so schmerzlichst vermissen würde. Wäre Sly gestorben, es wäre lange nicht so grausam für ihn, wie dieses Wissen, dass sein Freund noch irgendwo auf der Welt war und er dennoch niemals wieder seine schlechten Witze, sein ansteckendes Lachen oder seine vor Leidenschaft glühenden Vorträge mehr hören würde.

»Er ist nicht das erste geliebte Wesen, das so endgültig in unseren Reihen verschwindet. Doch wenn ihr es euch nur von ganzem Herzen wünscht, dann war das kein Abschied für immer, vielleicht nicht einmal für eine lange Zeit«, erklärte sie und lächelte aufmunternd. Ice wandte sich zu ihr um, dabei war er aber so in sich gekehrt, dass sie nichts in seinem Gesicht lesen konnte.

»Wie meinst du das?«, fragte Soul sie leise.

»Ihr müsst eurem Herzen vertrauen. Der Sommer ist nicht grausam. Wenn ihr es nur fest genug wollt, dann wird er euren Freund wieder ziehen lassen«, erklärte sie.

»Und wie können wir es ihm beweisen?«, fragte Ice leise.

»Indem du Soul, indem du den Weg zu Ende gehst. Egal wie steinig und schwer er auch erscheinen mag«, erklärte der Winter und schaute ihrer Tochter ernst in die Augen.

»Den Weg zu Ende gehen?« Auch Soul verstand es nicht.

»Lugh Akhtar hat etwas Ähnliches gesagt, nachdem sie aus dem Tempel kamen, erinnerst du dich?«, fragte Ice leise.

»Ja, aber was bedeutet es?«

»Das darf ich dir nicht sagen. Nur, dass ihr alle auf dem gleichen Pfad lauft, aber jeder für sich dennoch einen völlig anderen.«

»Wie kann es der Gleiche sein, aber doch völlig verschieden?« Soul schaute sie verwirrt an.

»Nun, der Weg von Kenai war sehr schwer zu finden, doch dafür ist er völlig gerade, ohne jeden Stein und mit Blumen gesäumt. Cinder dagegen hat ihn schnell und sehr früh gefunden, doch ist sie voller Zweifel immer wieder umgekehrt, sobald sie die Steine sah. Erst jetzt hat sie den Mut gefunden, einfach weiterzugehen. Und auch Lugh Akhtar hat eine Weile gebraucht, um ihn zu finden. Seiner war nicht immer klar erkennbar und ein paar Mal hat er ihn auch verlassen, doch jetzt, so kurz vor dem Ziel ist er klar und leuchtend, denn jetzt ist er rot vor Blut. Doch es fehlt ihm nur noch ein einziger Schritt. Und auch dein Pfad war nicht immer einfach, kleine Soul. Auch du hast ihn manchmal nicht erkennen können und so mancher Stein lag dir im Weg, doch so kurz vor dem Ziel darfst du nicht aufgeben. Du musst ihn bis zum Ende gehen«, erklärte der Winter eindringlich und schaute sie so gütig aus ihren Augen an.

»Bis zum Ende…?« Soul wirkte nachdenklich, dann nickte sie. »Ich weiß nicht, welcher Weg, aber wenn ich es weiß, werde ich ihm folgen.«

Da lächelte der Winter und nickte dankbar.

»Ich muss gehen«, erklärte sie leise. »Denn mehr darf ich dir nicht verraten. Alles andere liegt an dir.«

Soul nickte nachdenklich und sogleich verschwand der Winter.

»Welchen Weg meint sie nur?«, fragte Ice leise.

»Ich weiß es nicht…«, flüsterte sie, doch da zerriss plötzlich ein solcher Schmerz ihren Unterleib, wie sie es niemals zuvor erlebt hatte. Mit weit aufgerissenen Augen und in einem stummen Schrei erstarrt sank sie zum Boden nieder und krümmte sich unter den Qualen.

»Soul!«, rief Ice sofort erschrocken und ließ sich neben ihr nieder. Mit großen Augen blickte er auf sie herab, er verstand nicht, was gerade geschah.

»Ice… ich glaube es kommt«, flüsterte sie leise mit heiserer Stimme.

»Das Kind? Soul! Jetzt doch nicht!« Ice schaute sich hektisch um, doch natürlich war keine Hilfe in Sicht. Sie versuchte aufzustehen und er half ihr, doch er hatte keine Idee, was er tun sollte. Da begann er in seiner Angst leise vor sich hin zu fluchen. »Wieso um alles auf der Welt kommen Kinder immer dann, wenn man sie so gar nicht brauchen kann?«

Soul schaute ihn an und lächelte dabei. Sie verstand, dass er Angst hatte. Sie auch, aber sie wusste, dass zumindest einer bei klarem Verstand bleiben musste. Außerdem kamen ihre wölfischen Instinkte wieder durch. Sie fühlte sich hier nicht wohl, sie konnte das hier nicht durchstehen, also schaute sie sich suchend um. Irgendein geschützter Ort musste her. Aber sie kannte das Haus nicht und sie glaubte auch nicht, dass Ice ihr da wirklich weiterhelfen konnte.

Ihre gemeinsame Rettung öffnete in genau jenem Moment die Tür, als eine neuerliche Wehe sie heftig schüttelte. Ice sprach leise, aber mit quietschender, hoher Stimme auf sie ein. Er war bisher nicht einmal bei einer Tiergeburt dabei gewesen, bei der eines Menschen erst recht nicht. Er hatte schlicht und ergreifend an Panik grenzende Angst.

»Ice?«, fragte da eine erstaunte Stimme von der Eingangstür her, die sich völlig unbemerkt geöffnet hatte. Er fuhr erschrocken herum, doch er erkannte das erstaunte Gesicht sofort.

»Ashes! Du musst mir helfen!«, rief er mit zitternder Stimme und Slys Schwester brauchte auch nur einen Blick auf Soul um zu begreifen, worum es ging. Sie zögerte noch einen Moment, dann nickte sie und trat völlig ein, zog die Tür hinter sich zu.

»Bring sie ins Wohnzimmer«, bat sie ihn und lief voran, um die Tür zu öffnen. Ice trug seine junge Frau dorthin und setzte sie auf dem Sofa wieder ab.

»Da hat sie sich aber keine gute Zeit ausgesucht, die Soldaten durchsuchen die Häuser und es ist nicht gerade schwer zu erraten, wen sie suchen«, bemerkte die Frau mit dem roten Haar, während sie fachkundig über Souls Bauch tastete.

»Glaub mir, das war so auch nicht geplant«, bemerkte Soul dazu und biss die Zähne zusammen.

»Es liegt gut«, war Ashes' Schlussdiagnose, nachdem sie fertig war mit tasten, dann schaute sie zu Ice auf. »Eigentlich können wir gar nicht viel mehr tun, als zu warten.«

»Aber…!«, begann Ice, doch sie schüttelte entschieden den Kopf.

»Glaub mir, alles andere muss sie alleine schaffen. Lenk sie ein wenig ab, ich geh nach draußen und schau mal, ob ich die Wachen von hier fernhalten kann, bis es da ist«, unterbrach sie ihn und stand auf.

»Und was ist, wenn es Probleme gibt?« Seine Stimme wurde wieder schrill vor Panik.

»Ich bin keine Hebamme, dann kann ich ihr auch nicht helfen. Wenn du hier fachkundige Hände willst, dann musst du Hazel suchen, die läuft auch irgendwo durch die Stadt«, antwortete sie mit einem nachsichtigen Lächeln, deutete dann wieder auf Soul. »Steh ihr einfach bei und versuch nicht ohnmächtig zu werden, das ist nämlich alles andere als hilfreich. Du schaffst das.«

Damit ging sie einfach und Ice schaute ihr völlig ungläubig nach. Aber Ashes hatte ihm zumindest klar gemacht, dass Soul ihn jetzt brauchte und zwar mehr als jemals zuvor. Also wandte er sich zitternd um und suchte verzweifelt etwas, was er ihr erzählen könnte, während sie schon wieder vor Schmerz geschüttelte wurde.

»Soul, ich…«, begann er, doch es fiel ihm einfach nichts ein.

»Ice, wenn das hier vorbei ist, musst du dich mit Nabao vertragen«, begann sie da plötzlich.

»Aber wieso?«, fragte er. Er hatte Mühe, nicht vor ihr und dieser ungeheuerlichen Bitte zurückzuweichen, doch er schaffte es, setzte sich neben sie und zog sie in seine Arme.

»Weil er nicht der böse Mensch ist, für den du ihn hältst. Am Abend vor unserer Hochzeit habe ich mich lange mit ihm unterhalten und da-« Sie brach ab, keuchte vor Schmerz, als die nächste Wehe ihren Unterleib zu zerreißen schien. Es dauerte einen Moment, bis sie weitersprechen konnte.

»Er hat mir von deiner Mutter erzählt. Ich glaube nicht, dass er sie gehasst oder verachtet hat. Im Gegenteil, er hat sie so sehr geliebt, dass er mit ihrem Tod einfach nicht klar gekommen ist. Deswegen hat er verzweifelt versucht sich einzureden, dass er sie nicht mochte. Er war nicht an ihrem Totenbett, weil er es nicht ertragen hätte, ohne wahnsinnig zu werden«, erklärte sie schwer atmend.

»Aber das…«, begann er, musste aber einsehen, dass Soul recht haben könnte, vermutlich auch hatte. »Und was ist mit unserer Hochzeit? Das war doch nur von ihm arrangiert, weil er einen Erben braucht, jetzt, wo ich es nicht mehr tun werde.«

Wieder krümmte sich Soul in einer Wehe, doch dann lächelte sie ihn wissend an und sprach weiter.

»Er wollte, dass du glücklich bist, Ice. Er wusste nichts über mich, er dachte, ich wäre ein armes Bauernmädchen und obwohl er wusste, wie wenig das Volk es begrüßen würde, wenn du eine solche Schande ins Haus schlepptest, hat er es nicht nur zugelassen, sondern sogar noch begrüßt. Weil er dich glücklich sehen wollte«, erklärte sie. Ice hörte ihr nur stumm zu, drückte sie noch fester an sich, als die Schmerzen in immer schnellerer Folge ihren Körper schüttelten.

»Er hat mir immer vorgeworfen, dass ich nicht gut genug wäre«, flüsterte Ice zuletzt.

»Er wollte, dass du gut bist, damit du nicht mit solchen Zweifeln zu kämpfen hast, wie Hope es tut«, flüsterte sie darauf.

Dann konnte sie nichts mehr sagen und auch Ice nicht, denn ein kleines Wesen schob sich immer weiter aus ihrem Körper hinaus und verursachte ihr Qualen, wie sie niemals zuvor gespürt hatte. Und trotzdem hatte sie Glück, denn alles verlief nicht nur ohne Probleme, sondern es dauerte auch keine Stunde, bis der erlösende Schrei erklang.

»Es ist ein Mädchen«, flüsterte Ice ihr zu, als er das kleine Wesen aufhob, es voller Stolz und Glück ansah und es dann in die Arme der jungen Mutter legte. Soul war völlig erschöpft, doch sie lächelte glücklich, als sie das kleine Wesen erblickte. Eine unbändige Freude überkam sie, als sie in die blauen Babyaugen schaute, die sie schläfrig anblinzelten.

»Ice, ich weiß dass es in eurer Welt üblich ist, dass die Väter die Namen des erstgeborenen Kindes aussuchen, aber… darf ich ihr einen Namen geben?«, fragte sie leise.

»Natürlich. Das ist das Mindeste, was ich dir zugestehen kann«, nickte er und nahm sie abermals in den Arm.

»Sie soll Alexia heißen«, bestimmte Soul leise und lächelte voller Glück.

»Alexia?«, hakte Ice voller Verblüffen nach.

»Ja. Wie deine Mutter. Weil du sie so früh verloren hast. Jetzt hast du sie wieder… irgendwie.« Sie schaute glücklich zu ihm hoch. Es dauerte einen Moment, bis er wirklich verstand, was sie sagte, doch dann nickte er lächelnd.

Dann betrachteten sie wieder gemeinsam ihre Tochter, die müde an Souls Brust trank. In dem Moment wurde Soul klar, was der Winter gemeint hatte. Natürlich, wie hatte sie es denn nicht begreifen können?

»Ich muss den Weg zu Ende gehen«, flüsterte sie und wie elektrisiert fuhr sie auf.

»Soul, was ist?«, fragte Ice erstaunt.

»Ich weiß, was sie meinte! Ice, wir müssen gehen!«, ereiferte sie sich und wollte aufstehen, doch war sie noch viel zu geschwächt und mit ihrer Tochter im Arm schaffte sie es sowieso nicht.

»Ist das jetzt nicht egal?«, fragte Ice verblüfft und zog sie wieder zu sich heran, doch sie wehrte sich so gut es ging und schüttelte entschieden den Kopf.

»Nein, ich muss gehen!«, rief sie aus. Da öffnete sich die Tür und Ashes huschte herein. Sie registrierte erstaunt, dass schon alles vorbei war, doch als sie erkannte, dass es Mutter und Tochter gut zu gehen schien, lächelte sie. Doch Ice reagierte nach einem kurzen Zögern.

»Ashes, kannst du… auf unsere Tochter Acht geben? Wir müssen gehen, es ist sehr, sehr wichtig«, bat er sie eindringlich. Slys Schwester verstand es zwar nicht, doch dann nickte sie.

»Wenn es so wichtig ist schon, ja, aber sie… ich meine, ist sie nicht noch viel zu schwach?«, wollte sie dann wissen.

»Soul sagt, dass es nicht anders geht, wir müssen gehen. Pass gut auf Alexia auf, wir kommen zurück, so schnell wir können«, meinte Ice, nahm seine Tochter an sich und gab sie an Ashes.

»Gut. Ich… werde auf sie aufpassen, wie auf meinen Augapfel«, nickte die entschlossen.

»Wir beeilen uns. Hab dank, meine Gedankenschwester«, sprach Ice leise und gab ihr einen Kuss auf die Stirn. Ashes war ihm immer die Liebste von Slys Schwestern gewesen, manchmal war ihm so, als wäre sie auch seine Schwester gewesen, deswegen war ihm viel leichter ums Herz, Alexia bei ihr zu wissen.

Dann half er Soul aufzustehen und gemeinsam verließen sie das Haus. Er wusste nicht, wohin es ging, doch er vertraute ihr. Und Soul kannte ihren Weg, sie würde ihn nun zu Ende laufen.

»… wohin er auch führen mag.«

Unendliche Schwärze lag um Lugh Akhtar herum. Er war schon lange hier, das wusste er, doch das war einerlei. Zeit bedeutete nichts mehr. Zeit brauchten nur jene, für die sie vergänglich war, doch das war sie für ihn nicht. Nicht mehr.

»Du musst aufwachen«, meinte da eine Stimme.

»Ich will nicht. Ich war schon so lange wach«, antwortete er und ließ sich weiter durch das Nichts treiben.

»Doch Fjodor. Du musst aufwachen. Und du weißt es auch«, erklärte die körperlose Stimme eindringlich.

»Jetzt ist Zeit endlich zu schlafen. Ich konnte es so viele Jahre nicht tun, also lass es mich jetzt tun. Alles andere kann warten. Mir läuft nichts mehr davon.«

»Doch. Die Zeit.«

»Zeit interessiert mich nicht mehr, denn ich bin im Nichts. Hier bin ich unsterblich, Zeit gibt es hier nicht mehr.«

»Aber die, die dir wichtig sind, für die läuft die Zeit noch.«

»Sie werden auch hierher kommen, dann ist die Zeit für uns alle egal.«

»Nein. Sie werden nicht hierher kommen, denn in der anderen Welt ist jeder nur für sich. Du wirst sie nicht mehr wieder sehen, wenn du jetzt nicht aufwachst.«

Lugh Akhtar öffnete langsam die Augen. Er stand inmitten von Schnee, ein heller Silbermond leuchtete über seinem Kopf.

»Wo bin ich hier?«, fragte er leise.

»An einem Ort, wo du noch nicht hingehörst. Die Zeit hat noch viel mit dir vor, aber nur, wenn du bereit bist, aufzuwachen«, erklärte die Stimme, doch nun hatte sie einen Körper. Es war ein schwarzer Wolf mit Augen, die in den Farben des Nordlichts leuchteten und einem weißen Halbmond auf der Stirn. Kanoa.

»Wieso bin ich denn hier, wenn ich eigentlich nicht hierher gehöre?«, fragte Lugh Akhtar leise.

»Weil du dich nicht dem Schicksal ergeben hast. Du bist den Weg so weit gelaufen, dass du kurz vor dem Ende stehst, du musst dich nur noch den letzten Schritt zu laufen trauen«, antwortete Kanoa.

»Ich will aber nicht mehr laufen. Ich will nicht mehr aufwachen, ich will schlafen. Ich will träumen, von einer anderen, von einer besseren Welt«, flüsterte der junge Zauberer und schaute in den Sternen überfluteten Himmel hinauf.

»Du kannst sie selbst erschaffen. Und musst nur aufwachen.«

»Ich hab Angst vor dem was mich erwartet, wenn ich aufwache«, vertraute Lugh Akhtar dem Wolf leise an.

»Das kannst du selbst entscheiden. Du kannst hier bleiben, dich ewig fragen und es niemals herausfinden, weil es irgendwann zu spät ist, oder du wachst auf. Und dann kannst du selbst dafür sorgen, dass die Welt zu dem wird, was sie werden soll.«

»Kann ich sie denn überhaupt ändern? Ich bin doch ganz allein.«

»Ja. Jeder kann die Welt ändern, er muss sich nur die suchen, die sie ebenfalls ändern wollen. Und dann müsst ihr es gemeinsam tun.«

»Glaubst du, ich kann es schaffen?«

»Natürlich. Du kannst alles schaffen, wenn du es willst. Und ich werde bei dir sein, vergiss das nicht.«

»Bis ans Ende der Welt…?« Der junge Zauberer schaute sehnsuchtsvoll auf den Wolf und der nickte.

»Gemeinsam bis ans Ende der Welt.«

Da nickte Lugh Akhtar. Er wollte aufwachen. Jetzt. Er schloss die Augen und versuchte sich an die wirkliche Welt zu erinnern und wirklich, er hörte Stimmen. Sie klangen besorgt. Doch er spürte, dass er wach wurde. Er strengte sich noch mehr an, er schaffte es. Die Stimmen wurden lauter und er erkannte sie. Schließlich öffnete er die Augen und gewahr ein Gesicht, das er so schmerzlich vermisst hatte. Seit Jahre schon.

»Kanoa?«, fragte er leise. Sogleich fuhr die Person zu ihm rum, schaute ihn erst erschrocken an, lächelte dann beruhigend.

»Nein, nicht Kanoa«, antwortete der Wind. »Aber ihm sollten wir wirklich danken, dass er meine fixe Idee erfüllt hat.«

Darauf lächelte Lugh Akhtar, denn er wusste, was der Wind meinte. Er hörte, wie etwas näher kam und gewahr Nea, die sich zu ihm setzte.

»Lugh Akhtar, wie konntest du das nur tun?«, fragte sie leise.

»Ich liebe dich Nea. Ich würde es jederzeit wieder tun«, antwortete er lächelnd. Langsam kam der Schmerz, den er die ganze Zeit über nicht gespürt hatte.

»Aber du… Lugh, du wärst fast gestorben. Und das, obwohl ich dich einfach hab fallen lassen«, weinte sie.

»Nea, ich liebe dich nicht, damit du meine Gefühle erwiderst. Ich würde dich auch lieben, wenn du mich hassen würdest«, antwortete er sanft und hob seine Hand um sanft ihre Tränen wegzuwischen.

Da trat noch eine dritte Gestalt zu ihm. Es war der Herbst in seiner menschlichen Gestalt.

»Du hast Mut bewiesen, Winterssohn«, erklärte er leise.

»Nein. Ich habe nur getan, was ich tun musste. Das hat nichts mit Mut zu tun. Hätte ich auch nur eine einzige Sekunde darüber nachgedacht, hätte ich gezögert«, antwortete er ehrlich.

»Aber du hast nicht gezögert. Und das war so unendlich viel mehr, als die meisten anderen getan hätten«, widersprach der Herbst und lächelte voller Stolz.

»Jeder hat das eine Wesen, für das er ohne zu zögern sein Leben geben würde. Ich habe nur das Glück, es zu finden.«

»Du bist deinem Vater wirklich fast zu ähnlich, Fjodor«, meinte darauf der Wind und lächelte voller Stolz. »Auch er hat seine größten Taten immer so viel kleiner gemacht, als sie waren.«

»Weil das, was wirklich groß ist immer auch das ist, was im Geheimen und völlig unbemerkt geschieht«, antwortete Lugh Akhtar und konnte sich mit Neas Hilfe in dem Bett langsam aufsetzen.

»Ganz wie du meinst, einem Kranken widerspricht man nicht«, antwortete der Wind lächelnd

»Wie lange war ich bewusslos?«, wollte der junge Zauberer wissen.

»Ein paar Stunden. Wir glaubten schon, dass es dich töten würde«, meinte der Herbst leise.

»Hätte es mich auch, wenn Kanoa nicht gewesen wäre. Er hat mir wieder Mut gemacht«, lächelte Lugh Akhtar.

»Fjodor, wir wissen alle, dass er nicht mehr am Leben ist, auch gut«, sprach der Wind leise, doch der junge Zauberer lächelte darauf wissend.

»Tod vielleicht, aber nicht fort. Er hat mir versprochen, dass er bei mir ist. Und er hält sein Versprechen«, erklärte er. Und der Wind widersprach nicht, als er die ungebrochene Zuversicht des jungen Zauberers spürte. Er war lange genug beim Herbst gewesen um zu wissen, dass es Dinge gab, von denen selbst die Jahreszeiten nichts verstanden. Kein Wesen auf Erden konnte alle Geheimnisse kennen und offensichtlich kannte Lugh Akhtar eines, was ihm verborgen geblieben war.

»Das ist jetzt egal. Fjodor, da gibt es noch etwas, was du tun musst…«, sprach der Herbst leise.

»Den Weg zu Ende gehen, ich weiß. Und ich weiß auch, dass das Ende so unglaublich nahe ist«, nickte der, nur um sogleich wieder den Kopf zu schütteln. »Aber ich weiß nicht, welchen Weg ihr meint.«

»Mehr darf ich dir nicht sagen. Die anderen laufen ihn bereits, doch du bist seinem Ende trotz allem am nächsten. Und auch du musst ihn zu Ende gehen. Das ist wichtig«, erklärte der Herbst.

»Ich weiß, aber es gibt keinen Weg, den ich nicht bis zum Ende gelaufen bin. Wo nur kann ich kurz vor dem Ziel aufgegeben haben?«

»Mehr darf ich dir nicht verraten und auch niemand sonst. Du musste es alleine erkennen. Ich werde jetzt gehen. Der Rest liegt an dir«, flüsterte der Herbst und verschwand langsam.

»Weißt du, welchen Weg er meint?«, fragte der junge Zauberer den Wind.

»Ja. Aber er hat recht, niemand der es weiß wird es dir verraten«, antwortete der. Da dachte Lugh Akhtar nach. Auch Drafnar hatte etwas ähnliches erwähnt, als er in den Ruinen aufgetaucht war. Und Kanoa sagte, dass er sich nur trauen müsste, den letzten Schritt zu tun. Natürlich, Kanoa. Jetzt verstand er. Er lächelte und schaute den Wind an.

»Hilfst du mir? Ich muss zum Turm«, bat er leise.

»Aber Lugh Akhtar, du musst dich ausruhen«, widersprach Nea, doch der junge Zauberer schüttelte lächelnd den Kopf.

»Ich muss erst den Weg zu Ende gehen«, erklärte er und schaute wieder fragend zum Wind. Der nickte.

»Natürlich«, nickte er und hob Lugh Akhtar hoch. Voller Sorge schaute Nea ihn an, doch sie verstand, dass es egal sein würde, was sie sagte. Also sagte sie nichts mehr, sondern schloss sich ihnen besorgt an. So zogen sie gemeinsam zum Turm. Es schneite, doch an so mancher Stelle war der Schnee blutrot verfärbt.

Sie waren die letzten die ankamen, doch das spielte keine Rolle mehr. Der Tod hatte hier schon sein Werk vollbracht. Lugh Akhtar musste an seinen Traum denken, den er vor einem Jahr einst träumte. Er war damals genau hier gewesen und der Platz war von einer Decke aus rotem Schnee verhüllt gewesen. Er war darüber gelaufen und hatte verzweifelt gehofft, dass es nur Steine waren, über die er stolperte, doch er hatte es besser gewusst. Wie auch jetzt.

»Da bist du ja«, begrüßte ihn Soul leise, die sich schwer auf Ice stützte. Der Wind setzte ihn sacht hin, hielt ihn dabei aber gut fest, denn aus eigener Kraft konnte der junge Zauberer nicht stehen. Er gewahr auch Cinder, die fest von Sly im Arm gehalten wurde und auch Kenai, der bei seiner Mutter stand und die Augen vor der Grausamkeit verschloss und sie dennoch immer noch sah.

»Entschuldigt, ich bin spät«, antwortete er, während um sie herum die Jahreszeiten und ihr Gefolge wieder Gestalt annahmen und sich in einem Kreis um sie herum aufstellten.

»Jetzt sind wir aber alle hier«, antwortete Cinder und lächelte.

»Aber warum wir?«, fragte Kenai leise.

»Weil wir alle zwischen den Welten stehen«, antwortete ihm Lugh Akhtar mit einem Lächeln.

»Kenai nicht«, widersprach Ice.

»Doch«, warf Kinaya ein. »Denn er ist der einzige Sohn des Herbstes.«

Nicht einer von ihnen war wirklich erstaunt darüber. Sie alle hatten gewusst, dass auch der Herbst ein Kind hatte, das hatte der Sommer ihnen erzählt.

»Und mehr noch, er ist nicht nur deswegen unser Cousin. Kinaya ist Kanoas Schwester und der Wind…« Er schaute zu der Gestalt auf, die ihn stützte, »ist sein Bruder.«

Das wiederum löste mehr Erstaunen aus, doch Kinaya lächelte und erklärte weiter.

»Kenai, also der Wind, Kanoa und ich sind Geschwister. Kenai schloss sich damals den Herbst an, Kanoa verliebte sich in den Winter und ich mich in den Herbst. Ich benannte meinen Sohn nach meinem Bruder, der mir so nah und doch so fern war, und hätte ich einen zweiten gehabt, er hätte Kanoa geheißen«, erzählte sie. »Denn meine Brüder sind mir das Liebste gewesen, von klein auf schon.«

»Und Kanoa wiederum wusste davon, dass ich meinen Sohn, hätte ich je einen gehabt, Fjodor genannt hätte, auf dass der den Fluch des Namens, der unseren dritten Bruder im Kindesalter schon zum Verhängnis wurde, brechen mag. Deswegen nur musstest du mit dieser Bürde durch dein Leben gehen«, erklärte Kenai weiter und lächelte voller Stolz auf Lugh Akhtar herab.

»Und Kanoa wusste auch, wie Kinayas Schülername lautet. Und deswegen heißt ihr Cinder und Soul, denn Kinayas Schülername ist Aschenseele«, fuhr wiederum der fort.

»Wir sind alle verbunden, auf die eine oder andere Weise«, nickte Cinder und lächelte.

»Ja. Und es gibt jetzt nur noch eines, was wir tun müssen«, lächelte Soul. »Den Weg zu Ende gehen.«

Das Ende des Krieges

So endete der Krieg. Die vier, die zwischen den Welten standen, gingen ihren Weg zu Ende. Sie fanden einfach nur zu sich selbst. Sie wussten nun, was für sie am Wichtigsten war, in ihrem Leben und sie würden es nicht mehr verlieren. Sie waren am Ende angekommen und vor ihnen lag nichts anderes als Friede.

Sie warteten einfach. Sie wussten, dass sie in demselben Moment, als sie verstanden hatten was ihnen am liebsten war, der Tag und die Nacht immer mehr ihrer Macht wiederbekommen hatten.

Sie waren nicht hier, aber sie wussten alle, dass sie dennoch ihre Macht nutzten, um Gutes zu tun. Da hörten sie Hufgetrappel und nur Augenblicke später stürzten unzählige Reiter auf den Platz. Sie verteilten sich suchend, einige stürzten auch in den Turm, doch waren es nur jene, die das Wappen von Navarre trugen, einen Fennek vor einem roten Wüstenmond.

Diejenigen, die den Raben und das Pferd im Wappen führten, hielten sich fern, kontrollierten stattdessen die Straßen. Die Zauberer beobachteten es ruhig, da kamen drei Pferde direkt auf sie zu galoppiert. Das vorderste war eine weiße Stute mit schwarzem Langhaar, flankiert wurde sie von einem Grauschimmel und einer braunen Stute mit hellem Langhaar. Und auf ihrem Rücken saßen Tariq, Nikolai und Nabao.

»Lugh!«, rief der junge König und zügelte die temperamentvolle Stute und rutschte aus dem Sattel.

»Tariq…« Der junge Zauberer hätte seinen Freund fast nicht wieder erkannt. Er sah so völlig anders aus, als noch vor einem Jahr. So viel erwachsener, wie ein König eben. Und der Ernst, die Sorgen, dabei jedoch auch die Erleichterung und die Freude ließen ihn viel älter erscheinen, als er eigentlich war.

»Ihr lebt, wir waren noch rechtzeitig hier«, flüsterte auch Nabao und sackte auf dem Pferderücken regelrecht in sich zusammen, bevor auch er und Nikolai aus den Sätteln kletterten und auf sie zugingen, dabei sich um die Jahreszeiten nicht weiter kümmerten.

»Der Kampf ist zu Ende, Rex wird nichts böses mehr tun«, erklärte der junge Zauberer, während sich die Welt um ihn zu drehen begann. Er spürte, dass die Wunde wieder heftig blutete, aber er wusste, dass es so wichtig war, dass er hier war, dass ihm nicht einmal der Gedanke kam, zu gehen.

»Viel wichtiger ist, dass ihr noch lebt! Als wir hörten, dass sie die Verräter gefangen haben und sie heute hingerichtet werden sollten, haben wir angegriffen, doch wir fürchteten, schon zu spät zu kommen…« Nabao sprach zwar zu Lugh Akhtar, doch konnte er dabei seinen Blick nicht von Ice wenden. Der zögerte kurz, er hatte nicht vergessen, was Soul ihm erzählt hatte. Er wusste, dass es Zeit war, dass er sich einmal mit seinem Vater aussprach, doch es fiel ihm so schwer.

»Unsere mächtigsten Verbündeten haben uns geholfen«, erklärte Nea leise und deutete einmal in die Runde. Da tauchten mit einem Mal Drafnar und Paivi auf, doch es waren nicht mehr jene Jammergestalten, als die sie sie kennen lernten.

Die Nacht war nach wie vor tiefschwarz und von unzähligen weißen Leuchtflecken bedeckt, doch die Münzen verdeckten nicht mehr seine Augen, die ebenso hell leuchteten, wie der Mond. Er weinte auch keine blutigen Tränen mehr, stattdessen lächelte er glücklich.

Und auch Paivi wurde nicht mehr von Feuermalen verunstaltet, sondern ihr Fell glänzte golden und seidig, ihre Feueraugen waren sanft und gütig und sie wirkte so edel und anmutig, wie ein Blatt im Wind.

»Der sinnlose Krieg ist vorbei und wir werden keinen neuen zulassen. Es ist jetzt an euch, aus eurem Leben zu machen, was auch immer ihr daraus tun wollt, es steht euch nichts mehr im Weg«, lächelte sie.

»Aber wir möchten euch danken. Es ist zwar nicht viel, aber das Einzige, was wir tun können. Und nutzt die Zeit, sie wird nicht von langer Dauer sein«, sprach die Nacht weiter. Dann verschwanden sie und im ersten Moment verstand niemand, was er eigentlich gemeint hatte, doch dann gewahren sie die Gestalten, die sich um sie herum materialisierten. Sie kannten die wenigsten, doch jeder von ihnen gewahr eine Gestalt, die er gekannt hatte.

Im ersten Moment verstand Lugh Akhtar nicht einmal, was für Gestalten es waren. Erst, als er einen jungen Mann mit schwarzem Haar und braunen Augen gewahr, der sie warm anlächelte, da verstand er. Die Person stand da, so wie der junge Zauberer ihn in Erinnerung hatte. Ohne seine Nordlichtaugen, nicht in Wolfsgestalt, nicht als Wesen, dass er nicht verstand, sondern als sein Vater.

»Kanoa?«, fragte er leise und voller Unglaube. Auch Soul und Cinder starrten ihn an. Obwohl sie ihn nicht als Mensch kennen gelernt hatten, hatten sie ihn dennoch sofort erkannt.

»Fjodor, Cinder und Soul… meine Kinder«, lächelte Kanoa und brach damit den Bann. Wie auf ein Kommando hin stürzten sie sich alle drei in seine ausgebreiteten Arme, vergaßen dabei, wie schlecht es ihnen ging, wie verletzt und müde sie waren.

»Wir haben dich so sehr vermisst«, schluchzte Cinder und vergrub ihr Gesicht in seiner Kleidung.

»Ich weiß, aber weint nicht«, tröstete er sie, während er alle drei fest an sich drückte. »Der Tod ist nicht das Ende. Zumindest nicht dann, wenn die Zeit gekommen ist. Deswegen weint nicht um mich, es ist gut so, wie es ist.«

»Aber das ist so grausam! Wieso bist du nur gegangen?«, weinte Soul und schaute ihn aus ihren ungleichen Augen an.

»Ich bin nicht völlig fort, vergiss das nicht. Ich bin immer bei euch. Kein Wesen ist wirklich tot, wenn es noch irgendwen gibt, der sich seiner erinnert. Vergesst mich einfach nicht, dann lebe ich ewig. In euch, in allem, was ihr denkt, sagt oder tut«, flüsterte er und gab seinen Töchtern einen Kuss auf ihr Haar.

»Bleib doch einfach hier, wir brauchen dich«, bat Cinder, doch er schüttelte lächelnd den Kopf.

»Ich bin nur hier, um mich zu verabschieden. Ein Abschied, bis wir uns wieder sehen, doch ich hoffe, dass das noch viele Jahre dauern wird«, erklärte er leise.

»Versprichst du es uns? Dass wir uns wieder sehen werden?«, fragte Soul mit verweintem Gesicht.

»Natürlich. Wenn die Zeit dafür gekommen ist. Doch solange vergesst mich nicht und lebt euer Leben, so gut es euch möglich ist«, flüsterte er ihnen zu. Dann deutete er auf zwei junge Mädchen, die etwas abseits standen und glücklich lächelten. »Doch auch von ihnen solltet ihr euch noch einmal verabschieden.«

Die Schwestern schauten auf die Mädchen und verstanden, dass es Nalani und Laiya waren. Sie zögerten, doch natürlich hatte er recht. Sie drückten sich noch einmal fest an Kanoa, dann gingen sie zu ihren Freundinnen, die ihnen einst so viel bedeutet hatten.

»Was geschieht hier nur?«, fragte Lugh Akhtar da leise und schaute sich um. Er sah, wie Nikolai eine junge Frau im Arm hielt und er wusste, dass es sein Schutzgeist war, die in ihrer Menschengestalt zu ihm gekommen war.

Er gewahr eine wunderschöne Frau, die mit Ice und Nabao sprach, er erblickte den König von Lanta, der Tariq, der plötzlich wieder so jung und schutzlos wirkte, wie ein Hundewelpe, und er sah Sly, der ein kleines Mädchen so heftig an sich drückte, wie es nur möglich war. Nea stand daneben, weinte leise und versuchte ebenfalls das Mädchen an sich zu drücken, so gut es ging.

»Das ist das Geschenk von Drafnar und Paivi. Ihr alle habt so unendlich viel für sie getan, wie man es kaum glauben mag, und ihr habt niemals etwas dafür verlangt. Und dafür wollen sie euch danken, indem sie euch die Möglichkeit geben, noch mal mit jenen zu sprechen, die fort sind, die euch aber so unendlich viel bedeutet haben. Nicht einmal sie können dem Tod gänzlich ins Gesicht lachen, aber sie können dies für euch tun. Und das wiederum bedeutet euch offensichtlich so viel, wie kaum etwas sonst auf der Welt«, erklärte Kanoa leise.

»Ja. Kanoa, ich… ich will dir so viel erzählen, ich hab dir so viel zu sagen…« Lugh Akhtar schaute zu seinem Vater auf, die Tränen konnte er nicht mehr zurückhalten. Sie liefen nun auch ihm ungebremst über die Wangen.

»Ich weiß, denn mir geht es ebenso. Die Zeit, die ich mit euch verbringen durfte war viel zu kurz, aber es war die schönste, die es in meinem Leben gab. Ich werde sie niemals vergessen. Solange ein Teil von mir irgendwo existiert, werde ich es nicht vergessen.«

»Und ich werde dich nicht vergessen. Gemeinsam bis ans Ende der Welt«, flüsterte Lugh Akhtar leise die Worte, die ihm immer Kraft gaben, wenn er sie brauchte. Dann schloss er die Augen. Das Nächste, was er bewusst wahrnahm war, wie er im Schnee kniete und Blut erbrach. Er hörte aufgeregte Stimmen um sich herum, doch die Schwäche griff wieder nach seinen Gedanken. Er versuchte bei Bewusstsein zu bleiben, doch er wurde wieder ohnmächtig.

Als er das nächste Mal erwachte, war er in dem Zimmer, das er während der Lehrzeit im Zaubererturm bewohnt hatte. Er erkannte es sofort, warum wusste er jedoch nicht. Es waren ein paar Stunden vergangen, das verriet ihm das rote Abendlicht, das er sehen konnte. Er gewahr eine junge Frau an seinem Bett, die er nicht kannte, doch die roten Haare wiesen sie als eine von Neas Schwestern aus. Sie sprach leise mit jemandem außerhalb seines Blickfeldes, bemerkte dann aber, dass er wach war.

»Hallo, junger Zauberer. Ich bin Page, eine Schwester von Hope und Nea«, stellte sie sich leise vor und lächelte dabei beruhigend. Lugh Akhtar wollte darauf etwas antworten, doch konnte er nicht, es kam nur ein Krächzen über seine Lippen.

»Versuch gar nicht erst, etwas zu tun. Du hast sehr viel Blut verloren, eigentlich ist es ein Wunder, dass du überhaupt noch einmal aufgewacht bist. Ruh dich aus und schlaf«, meinte sie und lächelte. Doch Lugh Akhtar wollte nicht schlafen, er wollte wissen, was geschehen war. Wie konnte er sich nur verständlich machen? Doch da griff schon wieder die Müdigkeit nach ihm.

Er wusste nicht, wie viel Zeit nun vergangen war, doch als er erneut erwachte, saß Sly an seiner Seite und hielt gedankenverloren Leilani im Arm. Er summte leise ein Lied, das der junge Zauberer sehr gut kannte, denn seine Mutter, Channa, sie hatte es ihm immer leise vorgesungen.

»Sly«, krächzte der junge Zauberer. Er fühlte sich zwar schwach, aber deutlich besser und nun war es ihm auch möglich zu sprechen, daraus schloss er, dass weit mehr Zeit vergangen war. Der Rotschopf dagegen zuckte zusammen und schaute dann erleichtert auf ihn hinab.

»Na, wieder wach?«, fragte er leise.

»Wie lange hab ich geschlafen?« Der junge Zauberer versuchte sich aufzurichten, doch das führte nur dazu, dass ein scharfer Schmerz durch seinen Rücken schoss, also ließ er es.

»Zwei Wochen. Du hast sehr viel Blut verloren, eigentlich ist es schon erstaunlich, dass du das überhaupt geschafft hast, aber andererseits…« Sly zuckte die Schultern und lächelte.

»Was… ist geschehen? Ist Rex… tot?«

»Nein. Niemand hat ihm ein Haar gekrümmt und das wird auch niemand tun. Tag und Nacht haben ihm seine Kräfte genommen, er ist jetzt nur noch ein gewöhnlicher Mensch. Eher weniger als das, ich denke, er ist wahnsinnig geworden. Wer weiß, was er gesehen hat… Ansonsten… Soul hat ihre Tochter bekommen, Alexia heißt sie, aber ich denke, das hast du ihr schon am Turm angesehen, oder?«

Jetzt, wo der junge Zauberer so darüber nachdachte, fiel es ihm auch auf. Damals nicht, aber da hatte er auch andere Dinge im Kopf.

»Und sonst? Was geschah, nachdem ich ohnmächtig wurde?«, fragte er weiter.

»Die… Toten, sie sind wieder gegangen.« Der Rotschopf wirkte nicht, als wäre er traurig darüber, denn er lächelte voller Freude.

»Das Mädchen war Namida, oder?«

»Ja. Sie alle sind wiedergekommen. Für einen kurzen Moment nur, aber sie alle waren wieder da. Und nachdem sie wieder gegangen sind, und wir dich hierher gebracht hatten, da hat… der Sommer mich wieder freigegeben. Er meinte, er könnte einen solchen Nichtsnutz wie mich nicht brauchen, aber… er war der erste, der es mit einem Augenzwinkern sagte.« Sly wirkte glücklich.

»Du bist ja auch kein Nichtsnutz. Sly, du bist ebenso wichtig, wie alle anderen auch.«

Darauf lächelte der Rotschopf verlegen, schüttelte aber den Kopf.

»Tust du mir einen Gefallen?«, fragte er leise.

»Kommt auf den Gefallen an.«

»Nenn mich nicht mehr Sly. Sly ist der Durchtriebene, der Listige, der Schlaue. Der Verräter. Ich möchte aber kein Verräter mehr sein. Ich möchte jetzt nur noch Hope sein.«

Lugh Akhtar lächelte und nickte leicht.

»Dann Hope. Es passt auch viel besser zu dir«, erklärte er.

»Danke… na ja, wo war ich? Ach ja, der Sommer hat mich freigegeben. Danach waren wir erst einmal in Sorge um dich, was du da auch schon wieder angestellt hast… aber als dann klar war, dass du es überleben würdest, da hat Tariq seine Verlobung mit Maya verkündet. Und Ice hat sich endlich mit seinem Vater ausgesprochen, dabei hat sich herausgestellt, dass alles eigentlich nur ein Missverständnis war. Sobald es dir wieder gut geht, wird Ice zum Kaiser gekrönt! Stell dir das mal vor, Ice und Soul werden die Herrscher von Navarre!«

Das überraschte Lugh Akhtar wirklich. Damit hätte er nicht gerechnet, aber es freute ihn. So würde das Volk ein gutes Herrscherpaar bekommen, die gütig und gerecht herrschen werden, dessen war er sich sicher.

»Und die anderen? Nikolai, Ikaika, Kinaya und Kenai? Und… Nea?« Er traute sich fast nicht zu fragen und hatte Angst vor der Antwort.

»Kinaya ist wieder nach Wendel geritten, als klar war, dass es dir besser ging. Sie will deinen Zieheltern Bescheid geben und dann nach Hause gehen, wir sollen ihr die Neuigkeiten schreiben. Ikaika ist wieder über die Mauer zurückgegangen, er will erst Rose und ihre Kinder nach Hause bringen, und sich dann wieder dem Blutmondrudel anschließen. Er weiß jetzt, dass Tariq seine Aufgabe gut meistern wird, er hat ja gute Freunde, die ihm helfen, wenn es nötig sein sollte. Nikolai ist erst einmal wieder der Gildenmeister, aber er will sein Amt bald abgeben, es gibt auch schon einige Kandidaten zu seiner Nachfolge. Und Kenai und Nea… na ja, Kenai ist mit seiner Liebsten gegangen…« Hope wirkte angespannt.

»Also ist Nea fort…?« Entsetzen griff nach Lugh Akhtars Herz und für einen Moment schaute ihn der Rotschopf so ernst an, dass er fast zu zittern begann, doch dann lächelte er.

»Nein. Sie versucht sich abzulenken, indem sie das weiterführt, was deine Aufgabe ist: Cinder das Zaubern beibringen. Sie wird bei dir bleiben, Lugh. Sie liebt dich. Und sie erwartet ein Kind von dir, wenn das mal nicht bindend ist…«

»Hope verdammt, musst du mich so erschrecken?«, fauchte der junge Zauberer, doch war es ihm so lieber, als wäre wahr, was sein Freund ihm sagte.

»Entschuldige, aber das musste einfach sein… noch etwas, was du wissen willst?«

»Nein, ich denke, das war so das Wichtigste… oder nein, mit welcher Liebsten ist Kenai denn dann gegangen?«

»Mit dem Frühling«, antwortete der Rotschopf augenzwinkernd.

»Dem… Frühling?« Das erstaunte den jungen Zauberer, doch dann nickte er. Warum auch nicht? Kenai hatte es durchaus verdient, dass auch er die Liebe fand.

»Gut, wenn du nicht mehr wissen möchtest, dann sag ich kurz in der Küche bescheid, dass du wach bist, sonst verhungerst du noch.«

Lugh Akhtar nickte nachdenklich, als es an der Tür klopfte. Ohne auf eine Antwort zu warten öffnete Nikolai und trat ein. Als er sah, dass sein ehemaliger Schüler wach war, schlich sich ein erleichtertes, warmes Lächeln auf seine Lippen. Hope ging an ihm vorbei und verließ den Raum.

»Es freut mich, dich wach zu sehen, Makani«, erklärte er und setzte sich dorthin, wo zuvor Hope gesessen hatte.

»Es geht mir auch schon erstaunlich gut… aber ich denke nicht, dass du deswegen hier bist…?«

»Unter anderem schon, aber natürlich nicht nur. Ich möchte… dich fragen, ob du Interesse daran hättest, der neue Gildenmeister zu werden?«

Wäre Lugh Akhtar nicht so verblüfft gewesen, hätte er vermutlich laut aufgelacht. Alleine die Idee war für ihn so seltsam und abwegig, dass er Nikolai für einige Sekunden nur anstarrte.

»Ich?«, fragte er dann ungläubig.

»Du bist jung, du bist begabt und du hast ein gerechtes Herz. Wenn nicht du, wer dann?«

»Nein, ich würde das niemals freiwillig tun. Auch wenn ich gemerkt habe, dass Altena mir nicht so zuwider ist, wie ich dachte, würde ich dennoch nicht hier bleiben wollen. Ich werde zurück nach Forea gehen. Gemeinsam mit Nea, wenn sie denn will. Aber ich hab trotzdem jemanden für dich.« Lugh Akhtar lächelte und flüsterte Nikolai leise einen Namen zu. Der wirkte erstaunt, nickte dann aber nachdenklich.

»Die Idee ist wirklich gut… Ich werde ihn fragen. Aber da wäre noch etwas…« Nikolai machte ein so ernstes Gesicht, dass Lugh Akhtar schon mit dem Schlimmsten rechnete. »Forea, so wie du es kanntest, existiert nicht mehr.«

»Was? War das Rex?«, fuhr der junge Zauberer gleich auf, doch sein Schmerz brachte ihn schnell wieder zur gezwungenen Ruhe.

»Nein. Weißt du, die Reiche von Forea und Irian haben einst derselben Familie unterstanden. Es wurde geteilt, weil sich die Brüder nicht einigen konnten, wer der rechtmäßige Lehnsherr sein sollte. Doch der eine Bruder starb kinderlos, der andere nicht. Jedoch war es so, dass das erste Kind verschwand, das Zweite in die Verbannung ging, und das Dritte ebenfalls verschwand und das vierte schon in jungen Jahren starb. Man nahm an, dass keiner der vier Geschwister nachfahren hätte, man hätte sonst von ihnen gehört, doch… jetzt hat sich herausgestellt, dass der zweite, der in die Verbannung ging, durchaus Kinder hatte. Und ihnen gehört das Reich nun«, erzählte Nikolai.

»Und sie wollen nicht, dass ich dort weiterhin meine Dienste tue?«, mutmaßte Lugh Akhtar mit gerunzelter Stirn.

»Nein. Die Schwestern haben auf ihr Recht verzichtet, nur der Sohn ist noch übrig. Ihm gehören die Länder Forea und Irian, es ist nur noch zu klären, ob er sie behalten will«, erklärte Nikolai.

»Habt ihr ihn noch nicht gefragt?«

»Nein. Bisher nicht. Also Fjodor von Winters-Midnight, möchtest du die Lehnsherrschaft von vereinten Reich von Forea und Irian haben?«

Warum nur wollten ihn heute alle so unbedingt in die Irre führen? Eigentlich hätte es ihm klar sein müssen, es gab nicht viele große Zaubererfamilien im Norden. Und trotzdem kam diese Frage so unerwartet. Er überlegte kurz, dann lächelte er.

»Das würde bedeuten, dass ich mit dem Reich tun kann, was ich möchte, oder?«, fragte er leise.

»Ja«, bestätigte Nikolai.

»Dann ja.«

»Dann hat das Volk von Forea und Irian einen neuen Lehnsherrn. Es gehört damit nicht mehr zu Altena und du kannst tun und lassen, was du möchtest, es ist jetzt für mich nicht mehr weiter von belang, solange du deine Grenzen wahrst«, erklärte Nikolai und stand auf.

»Das werde ich«, lächelte Lugh Akhtar zufrieden.

»Was hast du vor?«, wollte sein ehemaliger Meister zögernd wissen.

»Das wirst du sehen, wenn es so weit ist. Wann es soweit ist, weiß ich nicht, aber wenn, dann wirst du es sehen«, antwortete der. Dabei spürte er, wie langsam wieder die Müdigkeit nach seinen Gedanken griff. Diese Gespräche hatten ihn angestrengt. Er schloss die Augen und noch bevor Nikolai den Raum verlassen hatte, war er wieder eingeschlafen.

Wynter

Der Mond schien hell, klar und rund über der dunklen Welt. Es war Anfang September, bald würde die Herbsttagundnachtgleiche gefeiert und der Sommer, der für diese warme Sommernacht verantwortlich war, würde langsam dem Herbst weichen, der mit dem Wind, dem Nebel, dem Regen, aber auch den wunderschönen bunten Blättern und all den reifen Früchten daher kam.

Doch für diesen Moment war das alles noch weit entfernt, denn für diesen Moment stöhnte Lugh Akhtar leise, als er vorsichtig auf der breiten Fensterbank herumrutschte und dabei versuchte, Chess’ leisen Worten weiter zu folgen. Doch der hielt mitten im Wort inne und schaute ihn kurz prüfend an.

»Wir können eine Pause machen, oder es gut sein lassen, für heute«, bot er an.

»Nein, lies ruhig weiter«, antwortete der junge Zauberer durch zusammengebissene Zähne. Chess war vor ein paar Wochen einfach so vor seiner Tür aufgetaucht mit der Bitte, ihm das Lesen beizubringen.

Channa und Tuwa konnten es zwar, doch keiner von ihnen hatte je die Zeit dazu gefunden und Chess hatte beschlossen, mehr aus seinem Leben zu machen. Nachdem Kinaya ihm also erzählt hatte, was geschehen war, war er aufgebrochen und hatte sich irgendwie bis hierher durchgeschlagen.

Lugh Akhtar war stolz auf den Jungen, der zwar nicht sein wirklicher Bruder war, einem solchen jedoch am nächsten kam. Er hatte Chess gerne aufgenommen und auch Nea war froh darüber, dass ihnen jemand half, auch sie hatte ihn mit offenen Armen und gerne begrüßt.

Doch Chess schloss in diesem Moment zögernd das Buch. Er wollte offensichtlich nicht mehr lesen, denn stattdessen schaute er Lugh Akhtar scheu an.

»Darf ich dir eine Frage stellen?«, fragte er leise.

»Frag, was auch immer du möchtest. Ob ich dir antworte, dagegen ist etwas anderes«, erklärte der junge Zauberer und lächelte kurz, bis der nächste Schmerz durch seinen Rücken zog. Er hatte die Verletzung zwar überlebt, doch er war noch lange nicht wieder gesund gewesen, als er mit einer Kutsche zur Hochzeit von Tariq und Maya gezogen war. Und auch die Krönung von Ice und Soul, die in Navarre stattgefunden hatte, war eigentlich viel zu anstrengend gewesen, von der Reise zurück in den Norden, ganz zu schweigen.

Doch er hätte nichts davon verpassen wollen, denn er wollte seine Freunde in die neuen Abschnitte ihres Lebens begleiten, egal wie schlecht es ihm ging. Und jetzt konnte er sich ja ausruhen. Den ganzen Winter über. Bis er sich der Gestalten seines kleinen Reiches widmen würde. Er hatte großes vor. Er wollte aus Forea und Irian Wynter machen. Und das geschah nicht einfach so.

»Sind die Jahreszeiten wirklich Gestalten? Also richtige Wesen? Mama hat uns so oft schon Geschichten von ihnen erzählt und du auch. Du hast sogar behauptet, dass du der Sohn des Winters wärst.« Chess wirkte nicht überzeugt, aber in seinem Gesicht lag ein Zögern, das Lugh Akhtar deutlich machte, dass er sich nicht sicher war über das, was er dachte.

»Ja, sie sind so wirklich, wie du und ich. Wenn du möchtest, dann stelle ich sie dir alle einmal vor, denn zur Wintersonnenwende werden sie alle hier sein. An dem Tag erhält der Winter seine Macht, damit sie die nächsten Monate gut ihr Werk vollbringen kann«, erklärte der junge Zauberer lächelnd.

»Sie kommen zu den Sonnenfesten zusammen?« der Junge blinzelte erstaunt.

»Ja. Nur an diesen vier Tagen ist es ihnen gestattet, einander zu treffen. Und sie sind alle Geschwister und sie lieben einander. Deswegen lieben sie auch diese Tage, sie machen sie glücklich. Und manchmal laden sie andere zu ihrem glücklichen Tanz ein. Und ich darf dabei sein, ebenso wie meine Freunde, also kannst du gerne mit mir kommen, wenn du möchtest«, bot Lugh Akhtar an.

»Aber ich bin ein Mensch«, antwortete Chess leise.

»Das weiß ich wohl, aber in einer Nacht voller Lachen und Glück ist deine Herkunft egal«, lächelte der junge Zauberer. Da zögerte Chess kurz. Er wirkte nachdenklich, als er auf das Buch blickte.

»Kann ich dir ein Geheimnis anvertrauen?«, fragte er leise.

»Natürlich. Ich werde nichts verraten.«

»Als ich klein war, da… hab ich vor unserem Haus einmal einen Wolf gesehen. Ich wollte ihn verscheuchen, doch als ich mit einem Stein nach ihm warf, da drehte er sich nur zu mir um und schaute mich an… zumindest glaube ich das, denn er hatte keine Augen, er hatte zwei Silbermünzen anstelle der Augen. Ich hätte eigentlich erschrecken sollen, aber irgendwie… hatte ich nicht einmal Angst. Ich hab nicht einmal Inaara von ihm erzählt.«

»Das war Drafnar. Er ist die Nacht«, erklärte Lugh Akhtar und deutete Chess, zu ihm zu kommen. Der Junge erhob sich langsam und ging zu seinem Bruder, stellte sich ans Fenster und blickte hinaus. »Diese ganze dunkle Welt, das alles ist sein Werk.«

»Die Nacht ist ein schwarzer Wolf?«, fragte Chess erstaunt.

»Nicht direkt. Sie sind immer das, was sie sein wollen. Ich weiß, dass der Winter keine eigene Gestalt besitzt, sie ist immer das, was sie gerne sein will. Ob das allerdings bei Drafnar und Paivi auch so ist, das weiß ich nicht«, erklärte der junge Zauberer. Da öffnete sich leise die Tür und Nea trat ein.

»Seid ihr immer noch am lernen?«, fragte sie sanft.

»Nicht wirklich, wir klären gerade ein paar grundsätzliche Fragen der Magie«, antwortete Lugh Akhtar lächelnd.

»Die da wären?«, erkundigte sie sich neugierig.

»Ob der Tag und die Nacht eine wirkliche Gestalt haben, oder genauso wie der Winter auch, sich eine Gestalt aussuchen, die nicht unbedingt ihrem wirklichen Wesen entspricht«, lächelte der junge Zauberer.

»Schön. Seid ihr mit dieser grundlegenden Frage bald fertig, oder kommst du heute gar nicht mehr ins Bett?«, wollte sie stattdessen wissen und lehnte sich schwer gegen die Wand, dabei legte sie ihre Hand auf ihren dicken Bauch. Es würde nicht mehr lange dauern, bis ihr Kind kam.

»Ich komme gleich. Es wird eh Zeit«, antwortete Lugh Akhtar. Nea nickte und wollte den Raum schon wieder verlassen, da fiel ihr noch etwas ein.

»Sag mal, Lugh Akhtar, wieso hast du damals eigentlich das Erbe von Forea und Irian angenommen?«, wollte sie wissen und auch Chess schien das zu interessieren, denn auch er schaute ihn fragend und erwartungsvoll an.

»Weil ich großes damit vorhabe«, antwortete der Zauberer und deutete nach draußen. Nea kam langsam näher und gemeinsam schauten sie hinaus, auf die dunkle, weite Welt, die in dieser Nacht kein Ende zu kennen schien. »Ihr kommt beide nicht aus dieser Gegend, deswegen kennt ihr die Wünsche und Sehnsüchte der Menschen hier nicht. Und ein oder zwei Jahre reichen noch lange nicht, um ihre Herzen zu kennen.«

Nea nickte. Sie war in Altena aufgewachsen, sie war eine Fremde hier. Und auch Chess verstand, dass er nichts von dem wusste, was in den Nordmännern vor sich ging.

»Weißt du, als ich damals nach Hause ging um den Brief zu holen, da traf ich auf einen Mann aus meinem Geburtsort. Er sagte mir, dass er und die anderen immer so große Hoffnung in mich setzten, weil ich ja ein Zauberer war. Ich wusste damals nicht, wie ich ihnen helfen konnte, doch jetzt kann ich es. Und ich werde es tun. Die Leute aus dem Norden haben eine Geschichte. Darin geht es um das Land Wynter, in dem alle frei sind. Es gibt keinen mehr, der über seinem Nachbarn steht, es gibt keinen König und keinen Bettler. Alle sind gleich«, erklärte er flüsternd.

»Und du willst aus Irian und Forea Wynter machen?«, fragte Nea leise.

»Ja. So viel wird sich für die Menschen hier dabei gar nicht ändern, denn eigentlich waren sie immer schon frei. Aber sie brauchen keine Angst mehr vor Unrecht zu haben. Sie müssen sich nicht mehr davor fürchten, einen König zu beleidigen, denn wer dieses Land betritt, der ist kein König mehr. Sie brauchen nicht mehr glauben, dass die Gerichte einen hohen Herrn bevorzugen, denn hohe Herren sind ebenfalls nur einfache Leute. Es wird weiter Gerichte geben, es wird weiter Gesetze geben, aber sie werden niemanden mehr bevorzugen. Ein kleines Bettelkind wird dabei genauso sein Recht erhalten, wie ein Zaubermeister. Das ist der Wunsch des Nordvolkes, und ich kann ihn diesen erfüllen. Und ich werde es tun. Ich weiß nicht, wie lange es dauern wird, bis aus Forea und Irian Wynter geworden ist, aber am Tag der Wintersonnenwende werde ich das Reich von Wynter ausrufen. Und dann tun, was auch immer ich tun kann.« Voller Zuversicht schaute Lugh Akhtar seiner Zukunft entgegen. Er wusste nicht, was genau ihn erwarten würde, aber er war sich sicher, dass er alle Hindernisse bezwingen konnte. Irgendwie.

»Das Großreich von Wynter. Ich hoffe, damit fällst du nicht so sehr auf die Nase wie die, die den Westen in ihre Kleinreiche zerschlagen haben…«, überlegte Chess.

»Nein, ich denke nicht. Denn dieses Reich war in seinem Herzen schon immer frei. Dann sind sie es auch offiziell. Und meine Mutter hat es auch geschafft, dass in ihrem Gebiet sieben freie Völker leben. Ich werde sie einfach als Vorbild nehmen. Ich glaube daran, dass es gelingen wird«, antwortete der junge Zauberer. Da nickte Chess zögernd, bevor er herzhaft gähnte.

»Wir werden es ja sehen, aber ich bin müde. Ich geh ins Bett, gute Nacht«, erklärte er und verließ den Raum.

»Ich glaube daran, dass du es schaffen kannst. Ich werde dir dabei helfen und alle anderen auch«, meinte Nea zuversichtlich, nachdem Chess gegangen war.

»Die Zeit wird es uns zeigen«, nickte Lugh Akhtar. Da ging auch Nea langsam wieder zur Tür.

»Komm ins Bett, wenn du zu Ende gegrübelt hast«, bat sie und ging ebenfalls.

Der junge Zauberer schaute ihr noch mit einem Lächeln nach und stand langsam auf, als er spürte, dass sich etwas im Raum befand. Er sah es zwar nicht, doch er wusste, dass er nichts zu befürchten hatte.

Da nahm ein Wesen vor ihm Gestalt an, wie er noch nie zuvor eines gesehen hatte. Es war so wunderbar anzusehen, dass er meinte zu träumen, denn so etwas konnte einfach nicht Wirklichkeit sein. Doch er wusste, dass es das war, denn er kannte das Wesen, nur eben in einer anderen Gestalt.

»Du kannst deinem Bruder gerne erklären, dass Paivi und ich durchaus eine wirkliche Gestalt haben«, begann Drafnar mit einem Lächeln.

»Ist sie das?« Atemlos blickte Lugh Akhtar auf die Nacht.

»Ja. Das ist meine wirkliche, wahre Gestalt. Und du bist einer der wenigen Sterblichen, der sie sehen darf.«

»Sie ist… wunderschön. Aber wieso zeigst du sie mir?« Der junge Zauberer ging langsam zu ihm und berührte das Wesen. Den Winter hatte er nicht anfassen mögen, doch erschien es ihm, als müsste er sterben, wenn er Drafnar nicht berührte. So legte er sanft seine Hand auf das schwarze Fell. »Und was bist du…?«

»Ich bin die Sehnsucht der Menschen. Ich bin all das, was sie in der Nacht sehen, ich bin das Gute, ich bin das Böse, das Romantische, das Angst machende. Ich bin, was auch immer die Menschen in mir sehen mögen. Ich bin, was ich bin.«

»Wieso bist du hier?«

»Um mich zu verabschieden. Ich weiß nicht, wann wir uns wieder sehen werden, oder ob das überhaupt der Fall sein wird«, erklärte Drafnar.

»Wohin willst du gehen? Und wieso bleibst du nicht hier?« Seltsam, Lugh Akhtar hatte keine Angst davor, dass die Nacht ging. Er wollte um nichts auf der Welt einen seiner Freunde verlieren, doch er wusste, dass er Drafnar wieder sehen würde.

»Das kann ich dir nicht sagen, denn ich weiß selbst nicht, wo unser Ziel ist. Aber etwas ruft mich und ich werde gehen.«

»Und Soul und Cinder?«

»Bei Soul war ich schon, zu Cinder werde ich jetzt gleich gehen. Auf Wiedersehen, junger Zauberer. Ich wünsche dir alles Glück der Welt, dass du deine Ziele erreichen magst«, verabschiedete sich Drafnar und wurde zum schwarzen Wolf. Er drückte seinen Kopf an Lugh Akhtar, dann verschwand er ebenso unbemerkt, wie er aufgetaucht war.

Als er gänzlich verschwunden war, blickte Lugh Akhtar noch einmal aus dem Fenster. Die Nacht war ebenso schön, wie zuvor. Natürlich, was hätte sich ändern sollen? Mit einem Lächeln wandte er sich ab und verließ den Raum. Es war Zeit, sich schlafen zu legen.

Ein Leben hinterlässt Spuren

Was ist der Sinn unseres Lebens? Wieso existieren wir? Wozu sind wir überhaupt da? Die Welt würde auch ohne uns existieren, das ist klar. Aber, ab wann ist eine Welt keine Welt mehr? Ab wann würde sie ohne uns nicht mehr existieren?

Eigentlich ist es egal. Das sind Fragen, auf die wir keine Antwort haben. Wir können versuchen, sie zu beantworten, doch werden wir wohl niemals wissen, ob wir der Wahrheit auch nur nahe kommen. Und letzten Endes ist es auch egal, denn es gibt viel wichtigere Fragen, die wir uns stellen sollten.

Wer sind wir? Wer wollen wir sein? Sind wir so, wie wir sein wollen? Was können wir tun, um das zu erreichen? Was macht uns wirklich glücklich im Leben? Was bedeutet uns so unendlich viel, dass wir sogar dafür sterben würden?

Diese Antworten sind schwer zu finden, aber wenn wir sie gefunden haben, dann haben wir ein Ziel. Und zwar ein Ziel, das wir niemals wieder aus den Augen verlieren. Wir vergessen es zwar, aber es wird uns immer wieder einfallen und wir werden danach streben können. Wir brauchen Ziele, denn wenn wir kein Ziel in unserem Leben haben, dann leben wir nicht mehr. Wir existieren noch, aber dann ist es gleich, ob wir da sind oder nicht.

Ein Leben hinterlässt immer auch eine Spur. Manchmal ist sie klein und unauffällig und die Meisten nehmen sie gar nicht weiter wahr, aber, da ist sie dennoch. Und wenn wir keine Ziele haben, dann wird unsere Spur so klein und unauffällig.

Doch manche von uns wollen große Spuren hinterlassen. Spuren, die niemand auf der Welt übersehen kann, denn wir wollen die Welt verändern. Das sind unsere Ziele. Wir können nicht alles ändern, wir können nicht machen, dass sich die Welt plötzlich andersherum dreht, aber es gibt so vieles, was wir erreichen können, indem wir einfach nur unseren Weg gehen. Wenn wir nach unseren Zielen streben.

Wir haben nur ein Leben, mit dem wir Spuren hinterlassen können. Wir können uns aussuchen, welche Spuren das sein sollen. Ob sie gut oder schlecht, groß oder klein sind. Denn wir sind für die verantwortlich.

Es hat wirklich lange gedauert, bis ich das endlich begriffen habe. Doch jetzt weiß ich, welche Spuren ich hinterlassen will. Es sollen große Spuren sein, so groß, dass sie die Welt verändern können. Vielleicht nicht heute, vielleicht nicht morgen, aber irgendwann. Und ich weiß, dass ich damit Gutes tun möchte.

Ich habe nur ein Leben, um das zu schaffen. Doch ich weiß, dass ein Leben dazu ausreicht. Ich habe mein Glück gefunden und den ersten Schritt gemacht. Ich werde weitergehen. Ich werde Fehler machen, ich werde weiterhin dumme Dinge tun, aber ich werde nicht mehr stehen bleiben. Bis ich am wirklichen Ende bin. Aber, das ist das Ende von Allem und bis dahin ist es noch weit. Bis dahin werde ich immer daran denken.

Ein Leben hinterlässt immer auch Spuren.

Ob das gut oder schlecht sein mag, liegt in unserer Hand.

Und in unseren Zielen und Träumen.
 


 

Auch dieses mal ein großes DANKESCHÖN an alle, die bis hierher durchgehalten haben :D

Auch Wolfsliebe steht nun am Ende, doch die nächste Geschichte ist schon in Planung^^ Sie wird "Wolfskinder" heißen (ist bei einer Umfrage bei rausgekommen^^ über jeden Teilnehmer bei der Neusten freue ich mich natürlich auch :D), und es wird nicht Lugh Akhtar die Haupfigur sein, sondern seine Tochter Mana ^^ Der Link kommt natürlich sofort in der Beschreibung, sobald der Prolog online steht^^ Wie immer ist jeder Leser willkommen :D

Ansonsten noch einmal speziellen Dank an meine Kommischreiber, ich freue mich jedes mal sehr und es gibt mir immer wieder das Gefühl, das es nicht sinnlos ist, was ich tue :D

Deswegen nochmal Danke für alles, ihr seid alle miteinander die allerbesten :D

Ansonsten schönen Tag noch, bis hoffentlich bald^^



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Kommentare zu dieser Fanfic (64)
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Von:  Cat-girl
2012-12-25T18:21:38+00:00 25.12.2012 19:21
Was für ein schöner Abschluss. Der Epilog hat viel mit Zielen und Träumen, Wegen und Spuren zu tun. Ich habs ehrlich gesagt nicht so ganz verstanden, aber gefallen hat er mir dennoch. Im Grunde hat er ja recht, wir machen Fehler, aber nur aus denen können wir lernen. Keiner ist Fehlerlos. Wir selbst machen die Spuren und die Ziele sind für jeden anders. Im Allgemeinen mag ich die Wolfssaga, auch wenn ich an manchen Stellen echt die Beherrschung verloren habe und mich mal auslasten musste. Ich mochte sie dennoch und werde sicher auch die übrigen Teile irgendwann lesen. Danke für eine schöne Wolfsliebe.
Von:  Cat-girl
2012-12-25T18:19:44+00:00 25.12.2012 19:19
Okay. Sein 'Bruder' in gewisser Hinsicht, lernt also das Lesen. Naja, warum nicht. Wenn er etwas Großes erreichen will, sollte er das schon beherrschen. Lugh hat ziemlich große Pläne mit den beiden Gebieten und ich glaube, dass er es auf jeden Fall schaffen wird, denn wenn die Menschen so schon frei sind, ist eines der größten Stücke schon vollbracht. Er ist wahrlich ein gutes Wesen mit einem sehr großen und warmen Herz. Die Menschen können sich glücklich schätzen, ihn als Leiter zu haben. Keine Könige, keine Herrscher, nur Menschen, nicht? Es ist so schön, dies zu sehen. Alle können glücklich leben und haben das gleiche Recht. Danke Lughi *.* Er ist so gütig, darum liebe ich ihn ach so. ein wundervolles Wesen erschaffen von der schönsten Jahreszeit, dem Winter. Und Wynter ist auch ein sehr schöner Name für eine vereinigte Gegend. Schön, dass er bei Soul und Ice dabei war und auch bei Tariq und Maya, aber ich mache mir doch etwas Sorgen, weil er ja noch immer nicht ganz fitt ist. Das wird sicher noch etwas dauern, aber er wird wieder auf die Beine kommen und so fidel sein, wie zu Beginn. Eine solche Verletzung braucht eben lange und ich bin froh, dass du diese auch berücksichtigt hast und nicht wie die meisten einfach vergessen oder übersprungen. Ich wüsste gern, wie die wahre Gestalt von Drafnar aussieht und wo er und Paivi jetzt wohl hingehen. Lugh hat ihn berührt und die Nacht ist so schön, wie immer. Etwas seltsam ist es aber, dass Chess ihn gesehen hat, und ich dachte immer, Drafnar hatte goldene Münzen und keine silbernen, habe ich da etwas verpasst, oder ändern die sich ab und an mal? Naja, egal. Ich hoffe jedenfalls, dass Lugh sein Ziel erreichen wird, dass die Jahreszeiten sich sehen können – schade, dass es nur für vier Tage ist, aber diese kosten sie dann richtig aus – und dass er sich recht bald wieder erholt. Viel Glück für das weitere, mein Liebchen.
Von:  Cat-girl
2012-12-25T18:17:54+00:00 25.12.2012 19:17
Oh bei Tor. So langsam weiß ich echt nicht mehr, wie ich diese Schönheit noch aushalten kann. *winselt* Das war ja schön. Der Krieg ist endlich zu Ende, ich hätte zwar gern noch etwas davon gelesen, aber okay. Und Drafnar und Paivi sind so schön, das ist also ihre wahre Gestalt. Bezaubernd. Sie sind so schön gewesen. Aber die Szene, die ich am schönsten fand, war, wo Kanoa als Mensch vor ihnen stand. Das war so süß, wie sie sich da angekuschelt haben und dass sie geweint haben, kann ich so nachvollziehen. Die Bilder waren so süß, und wie auch die anderen ihre Lieben für wenige Zeit wieder einmal bei sich hatten, einige waren doch schon so lange von einander getrennt. Ich hätte echt fast wieder geweint. So ein schönes Geschenk haben die beiden ihnen da gemacht. *freu* Aber, es hat weh getan, als mein Lughi plötzlich zusammengebrochen ist und Blut gespuckt hat. Ich hab mir voll die Sorgen gemacht, weil ich dachte, er stirbt jetzt wirklich... Und er ist dann aber zum Glück doch wieder aufgewacht, Tor sei Dank und Sly ist wieder frei vom Sommer, der hat das mit dem Nichtsnutz bestimmt humorvoll gemeint, weil Sly... sorry Hope ja zu seiner Familie und seinen Freunden gehört. Und Tariq und alle anderen waren ja auch da gewesen. Ja und Tariq und Maya verloben sich, wie süß. Das wird sicher traumhaft, die zwei als Königspaar und Soul und Ice auch, Königspaar von Navarre, das ist einfach zu schön. Und Lugh ist wieder eingeschlafen … was aber unmöglich ist, ist dass man 2 Wochen durchgängig schlafen kann, das ist übertrieben und nicht möglich... Gut, bei Zauberern weiß ich das nicht, aber ich kann's mir dennoch nicht vorstellen. Schön ist aber, dass alle glücklich sind und Kenai und der Frühling? Naja, das ist doch super. Auch, weil der Frühling ja immer in Menschengestalt ist und Kenai ja eh ein Jahreszeitenkind. Ich bin so dankbar, dass Kanoa immer bei seinen Kleinen bleibt, da hätte ich auch fast geweint und Lughi wünsche ich eine gute Besserung von der Wunde und das Blut wird sich auch wieder sammeln. Du wirst dich gut erholen und dann schon bald wieder fit sein. Schlaf schön und träume süß. Alles ist jetzt gut, und so soll das auch bleiben. Rex ist weg und der Krieg vorbei.
Von:  Cat-girl
2012-12-25T18:15:33+00:00 25.12.2012 19:15
Okay, das war also der dritte Teil. Lugh hat sich ziemlich geweigert, aber klar, wenn man ewig nur umher gelaufen ist. Zum Glück hat ihn Kanoa da raus geholt und am Ende waren sie alle zusammen. Interessant, Kenai ist also der Sohn vom Herbst und alle irgendwo verbunden, ein wenig irritierend finde ich das schon, aber damit werde ich wohl noch zurecht kommen. Ich bin ja froh, dass sie alle so zusammenhalten und den Weg gemeinsam gehen wollen. Schön, dass Lugh sich nicht abhalten lassen hat, seinen Weg zu finden. Ich konnte mich gar nicht erinnern, dass er zu Beginn von einem blutroten Schnee geträumt hat, aber das ist ja auch schon Kapitel her. Und der Wind ist also der Bruder von Kanoa, sehr schön, erklärt, warum er ihm so ähnlich sieht O.o Ich weiß, dass sie den Krieg gewinnen werden und ich bin heilfroh, dass Lugh wieder aufgewacht ist. Danke dir.
Von:  Cat-girl
2012-12-25T18:13:17+00:00 25.12.2012 19:13
Oh wow. Das wird ja immer aufregender. Ice tat mir so leid, wie er da vor Sly stand und die beiden so traurig waren. Ich hätte auch fast geweint, weil mir das richtig weh getan hat, auch weil du die ganzen Einflüsse und Erinnerungen so gut beschrieben hast, was sie sich noch sagen wollten und wie sich der Rotschopf entschuldigt hat. Irgendwie haben sie mir da echt leid getan... Aber, der Winter hat recht. Sie werden sich wieder sehen, wenn ich den Sommer richtig verstanden habe und sie den Weg nur zu Ende gehen müssen. Wobei ich mich immer noch frage, wie das Ende wohl aussehen mag, wenn der Weg von Lugh jetzt auch noch mit rotem Blut gezeichnet ist. Ist es am Ende doch der Tod? Das wäre wohl nicht so schön, ich würde sie echt vermissen, wirklich. Und der Winter hat ihnen aber auch Hoffnung gemacht und ich weiß, dass sie Sly nicht das letzte Mal gesehen haben. Aber, dass Cinder ihr Kind in einem echt unpassenden Moment zur Welt gebracht hat, das war echt krass. Aber zum Glück haben sie dann Hilfe von Asches bekommen, eine von Slys Schwester... Die konnte aber auch nicht viel für sie tun, hat aber ihr best Möglichstes getan, dafür bin ich ihr schon dankbar. Zum Glück ist bei der Geburt alles gut gegangen und was Soul Ice alles erzählt hat, ist schon interessant gewesen. So hat sich das alles auch teilweise geklärt und hoffentlich vertragen sich Ice und sein Vater. Soul hat sich wirklich sehr gequält aber angestrengt um nicht auf sie aufmerksam zu machen und die Geburt ist ja auch gut verlaufen und hat nicht ewig gedauert. Die kleine Alexia ist ja süß, und Soul auch. Ich frage mich, wie sie später wohl aussieht und ob sie die Augen ihrer Mutter bekommt. Soul hat das mit dem Weg begriffen, als erste und wohl Einzigste bis jetzt, aber was der Winter ihnen über die anderen erzäht hat, dass Kenai's Weg mit Blumen gesäht sei, okay... Wohl doch der Frühling, obwohl der es doch am schwersten mit hatte. Schön, dass Ashes sich so gut um Alexia kümmert und jetzt werden Soul und Sly ihren Weg zu Ende gehen... Wie auch immer der aussehen mag. Hoffentlich schaffen sie diesen Krieg und können am Ende friedlich leben. Da die Begleiter der Jahreszeiten ihnen helfen, geht das schon. Und Sly wird zu ihnen zurück kehren, das weiß ich. Denn er wird das Richtige tun und dann wird alles gut. Ihr schafft das schon!
Von:  Cat-girl
2012-12-25T18:10:58+00:00 25.12.2012 19:10
Hmh... Kenai scheint sich in den Frühling verliebt zu haben, denn für Nea hat er scheinbar eine sehr innige Freundschaftsbeziehung, wenn ihm auch Lugh und die anderen so ein Gefühl vermitteln. Ich frage mich nur, was nun mit ihm ist, wenn er angeblich etwas mit den Jahreszeiten zu tun hat. Cinder war aber auch süß, wie sie da saß und die Kleine im Arm hatte. Das geht aber nicht, dass die Augen da schon ne Farbe haben, und von einem silbrigen Gold habe ich bis jetzt auch noch nichts gehört... Naja, Sly ist aber süß gewesen und ich hoffe, dass sie den Krieg gewinnen, damit er zu seiner Familie zurück kann, denn die sind ja sein Leben. Aber ich frage mich, was der Sommer damit gemeint hat, wenn er sagt, dass er noch einen Handel hatte. Vielleicht soll dann Leilani dem Sommer dienen, mal sehen. Aber, wenn Lugh den Weg schon bis fast zum Ende gegangen ist, heißt das dann nicht, dass sie alle sterben müssen, um den Weg zu Ende gehen zu können? Das wäre ja noch schöner... Die haben es echt schwer, wie? Aber ich bin echt zuversichtlich, dass sie das schaffen werden und dann ist die Welt wieder okay und hoffentlich kommt dann nicht so schnell wieder so ein Vollidiot der glaubt, die Welt übernehmen zu müssen.
Von:  Cat-girl
2012-12-25T18:08:49+00:00 25.12.2012 19:08
Hmh, so geht’s also mit den Hübschen langsam aber sicher zu Ende. Meine Güte, Rex ist echt ein Miststück, das hat man wieder deutlich gemerkt. Ach ja... Ice hat sich aber gut gewehrt und dann kamen ja die Boten der Jahreszeiten, die Blicke von dem Typi hätte ich gern gesehen und wie Kenai auf die Nacht und den Tag reagiert hat, das war echt cool. So wurden also alle abgeholt und dann hats mein Lughi auch noch erwischt. Oh nein, ich hoffe doch mal, dass er jetzt nicht stirbt, das wäre echt mies und was hat Kenai am Ende mit den Jahreszeiten zu tun, ich kann mir ja fast was vorstellen, aber ich lese lieber weiter. Die Szene, wie Lugh gestorben scheint, hast du sehr gut beschrieben, für deinen Schreibstil jedenfalls.
Von:  Cat-girl
2012-12-25T18:06:25+00:00 25.12.2012 19:06
Oh je, was so alles in ein Kapitel reinpasst... Ja, ja. Der Verrat war also schön länger her, aber Sly hat es nicht mit Absicht gemacht, er war noch immer zu traumatisiert, wegen dem Tod seiner ersten Familie, kann ich auch sehr gut verstehen. Ich kann aber auch die misstrauischen Gefühle der anderen gut nachvollziehen, immerhin hatten sie ihm ja wirklich alles anvertraut. Oh wow, manche von Ice' Aussagen waren ja echt heftig, und ich muss sagen, Kenai ist doch nicht so blöd, wie ich dachte. Ein ganz schön helles Kerlchen und er und Lugh scheinen sich so langsam aneinander gewöhnt zu haben. Dass Sly in der Halle aufgetaucht ist, war schon irgendwie seltsam, aber das zeigt nur, dass er seinen Freunden noch immer helfen will. Was wohl mit Kenai ist, dass er so ruhig geblieben ist, hm, sein Vater könnte einer der Jahreszeiten sein, das würde so einiges erklären, aber ich will mich nicht schon wieder in irgendetwas verlaufen, das am Ende doch nicht stimmt. Sly hat sich also dem Sommer angeschlossen und was wohl diese Richtungsanweisungen zu bedeuten haben? Schön, dass sie dem jungen Zauberer doch wieder vertrauen, aber was sollen sie auch anderes tun, er ist ihre einzige Hoffnung. Und ja, es kriselt immer noch, wenn ich Nea nur sehe... Hoffentlich ändert sich das bald wieder... auf jeden Fall bleibt es spannend und ich weiter aufmerksam.
Von:  Cat-girl
2012-12-25T18:04:14+00:00 25.12.2012 19:04
Oha, so kann ein Bild einen irritieren. Lugh und Sly sind als einzige in die Halle gegangen und dort auf Aurora getroffen. Die hat sie ja zu dem Bild geführt und darauf waren ja schreckliche Bilder zu sehen. Ich fände es auch scheußlich, wenn Lughi und Soul plötzlich ihre eigene Schwester töten müssten und die ist ja gerade schwanger O.o Aber Drafnar und Paivi haben sie ja dann zum Glück aufgeklärt und so müssen sie es nicht tun... Ja, Menschen können viel Blödsninn von sich geben, das wissen wir ja schon. Nun ja, wenn sie die Eltern von den Jahreszeiten sind... Okay... das ist etwas verwirrend, aber gut. Dann waren sie ja wieder draußen und nicht weit weg wurden sie schon wieder von feindlichen Zauberern angegriffen... Ich finde das echt schrecklich, dass sie von Sly angerufen wurden sind, was hat er sich denn dabei nur gedacht? Er hat doch vor kurzem erst ein kleines Mädchen bekommen und seine Cinder ist in guten Händen, warum tut er sowas nur? Was hat er sich dabei gedacht? Das muss aber auch schon eine Weile vorgeplant gewesen sein, weil er ja mit Lugh in die Ruine gegangen ist. Oha, ich bin auf jeden Fall gespannt, wie das weiter geht, wie er sich da rausfitzen will und den Grund...
Von:  Cat-girl
2012-12-25T18:01:49+00:00 25.12.2012 19:01
Was für ein Kapitel. Cinder hat eine schwere aber sehr erfolgreiche Geburt hinter sich. Ich bin froh, dass alles so glatt gelaufen ist, und der Name „Leilani“ ist auch sehr schön. Das mit den Augenfarben ist doch etwas zeitig, denn normal sind die erst mal blau, die eigentliche Farbe kommt später. Ich fand das unheimlich, wie sie so geschrien hat, klar, das ist sie nicht gewohnt und es ist immer wieder schön zu sehen, wie sehr du das mit dem Wolf-Sein umsetzen kannst. Lughi hat eine miese Vergangenheit, der Süße tut mir irgendwie leid, aber das schafft er schon. Fies, dass Nikolai ihm jegliche Emotionen verboten hat, aber das liegt wohl mit seiner starken Magie zusammen, denn er ist ja der mächtigste Zauberer, nicht? Soul tat mir auch leid, wie sie sich gequält hat und gesorgt um ihre Schwester, und jeder sie daran gehindert hat, zu ihr zu kommen und Kinaya... naja, sie war etwas grantig am Anfang, aber das ist ja auch verständlich. Okay, ich hoffe mal, dass das Weitergehende gut wird, und was sie mit dem Kleinen machen wollen, weil irgendwie muss die Kleine ja auch mitgenommen werden.


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