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Zwischenzeit

3rd War of Heaven
von

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Das Kloster

Ein kleiner dunkler Schatten huschte über den Flur des alten Klosters. Die Glocken läuteten schaurig die Zwischenstunde Mitternacht ein. Ihre Körper zitterten unter den schweren Lasten der Klanstäbe. Auf den Straßen vor dem Gebäude am Fuße des Hügels, auf dem das Kloster stand, und in der ganzen Stadt herrschte Stille, als ob sie ausgestorben seien. Ein sanfter Wind kam auf. Die Sterne funkelten vom dunklen partiellwolkenverhangenen Himmelszelt herab. Der Schatten nahm im kargen Mondlicht, das durch ein großes Buntglasfenster schien, eine menschliche Gestallt an und irrte durch das einsame Gotteshaus. Vorbei an den vielen Türen und einer Aula schlich das kleine Mädchen bis zur anschließend gebauten Kapelle. Sie ging an den Gebetsstühlen und dem großen Beichtstuhl vorbei. Vor einem kunstvoll gemalten Bild des Altars, der sich in der Kapelle befand, kam sie zum Stillstand. Sie war müde, doch betrachtete sie das jahrhundertealte Fresco, das auf die Wand über dem Altar gemalt wurde. Es erinnerte etwas an Michelangelo, aber war sicherlich nicht von ihm erschaffen worden. Trotz der Dunkelheit, konnte man die Farben gut erkennen. Diese ließen das Bild sehr lebendig erscheinen. Gefesselt von dem Szenario des Freskos, starrte sie es mit traurigen Blicken an. Dann sank das Mädchen zu Boden und kauerte sich zitternd hinter den Altar unter das Bild. Doch nach einer Weile durchdrangen Schritte die Stille der Nacht. Sie kamen immer näher und wurden lauter und lauter. Sie klangen wie ein Herzschlag, aber ihr klang war viel heller. Sie pochten im Ohr. Das Licht einer Kerze durchbrach die Finsternis und erhellte den Raum.

"Was machst du hier? Geh' sofort zu den anderen in den Schlafraum!", das Mädchen sah sie an mit großen Augen verstört an, " Keine Wiederrede, ich will heute nichts mehr von dir hören! Morgen werde ich dich bei der Äbtissin melden!"

Eine Nonne. Sie war dick und der Zorn verzerrte ihr altes Gesicht zu einer hässlichen Fratze. Das Mädchen stand auf, als ob sie eine Puppe wäre behielt sie ihren monotonen Gesichtsausdruck bei, und begab sich mit der alten Frau über den endlosscheinenden Gang zum Schlafraum. Anfangs zerrte die Alte sie noch am Arm den Weg bis zum Schlafgemach der Mädchen, aber dann merkte sie, dass das Kind freiwillig zurückkehrte und sie ließ ihren Arm los. Nach wenigen Minuten erreichten sie das Zimmer der Mädchen und die Alte zog am Türring. Mit einem lauten Knarren öffnete sie die Tür. Der schwere Gegenstand schleifte über den hölzernen Fußboden. Als die beiden das Zimmer betaten, schliefen die anderen Mädchen schon seit geraumer Zeit. Sie sahen zufrieden aus in ihren weißen Betten, doch irgendwie erinnerten sie an Leichen, die nebeneinander geworfen wurden, um später in einem Massengrab begraben zu werden. Aber vielleicht lag es nur daran, dass das Mondlicht durch das einzige Fenster im Raum schien. Die alte Nonne geleitete das Kind zu ihren Bett beim Fenster und verließ darauf gleich das Schlafgemach. Das Mädchen legte sich in ihr Bett, das aussah wie alle anderen, und starrte hinaus. Eine Wolke verdeckte den unteren Teil des Mondes. Die Sterne wirkten fremd und bedrohlich. Stille hallte durch das Zimmer und machte sie fast unerträglich. Es schien alles so unwirklich wie ein Traum, den man am nächsten Tag schon wieder vergessen hat. Langsam schlossen sich ihre großen blauen Augen und sie schlief ein.

Die ersten Sonnenstrahlen ließen die Finsternis der vergangenen Nacht schmelzen und kündigten den neuen Tag an. Die Nonne, die sie in der Nacht gesehen hatte, als sie in der Kapelle war, riss sie unsanft aus dem Schlaf und schrie sie schon wieder mit schriller Stimme an. Der Blick des Mädchens war leblos. Sie ließ sich von der alten Frau beschimpfen, schien aber währenddessen in einer anderen Welt zu sein. Sie hörte die Frau nicht keifen. Plötzlich spürte sie einen brennenden Schmerz auf ihrer rechten Wange, der sie aus ihrer Traumwelt riss. Die Nonne schimpfte weiter. Ihr war die Hand vor Wut ausgerutscht. Dann hörte sie plötzlich auf und stürmte aus dem leeren Zimmer. Die Tür knallte sie hinter sich zu. Das kleine Mädchen stand mit der Hand auf der Wange allein im Zimmer. Das Fenster war offen und ihr weißes Kleidchen wehte im Wind. Nun war sie in dieser schrecklichen Welt gefangen. Ihr Blick verfinsterte sich und wurde entschlossener. Sie fasste einen Beschluss und hockte sich auf den Fußboden. Dann kroch sie unter ihr Bett und zog eine große lederne Tasche hervor, die sie einst vom Kloster geschenkt bekommen hatte. Mit großen Anstrengungen stellte sie die Tasche auf ihr Bett und lief zum Schrank. Sie nahm ihre Kleider heraus, stopfte sie in die braune Ledertasche und zog sie sich an. Dann streckte sie ihren Kopf aus dem Fenster, um zu sehen, ob jemand darunter oder in der Nähe war. Nachdem sich das Mädchen sicher war, dass niemand sie sehen konnte, warf sie die Tasche hinaus und sprang hinterher. Als die anderen Bewohner des Klosters bemerkten, dass sie fort war, suchten sie überall nach ihr und verständigten auch die örtlichen Beamten. Nichts. Sie wurde nie gefunden.

1687. Das Kloster war verlassen worden und verfiel zu einer Ruine, ebenso die Stadt am Fuße des Klosterhügels. Die Ruinenstadt war nun von Pflanzen überwuchert und verlieh der seltsamen Zerstörung eine unvorstellbare Schönheit. Die Mauern der Häuser waren verbrannt und lagen in der ganzen Stadt zerstreut auf ehemaligen Straßen und Wegen. Die Fenster waren zerbrochen und ihre Splitter lagen auf dem Boden und reflektierten das Sonnenlicht. Niemand wusste was hier genau vor 8 Jahren geschehen war, eine Woche nachdem das Mädchen verschwand. Doch was war das? Schon wieder ein Schatten? Der selbe wie in dem Jahr als das kleine Mädchen vermisst gemeldet wurde? Nein, er war größer als damals! Die Nacht war die selbe, aber der Mond war rot und tauchte die dunkle Zeit in blutiges Licht. Glocken läuteten von dem Turm, der als Einziger von den vielen Glockentürmen des alten Klosters nicht zerstört wurde und es nun schon an ein Wunder grenzte, dass er nicht zusammenbrach, ihre schaurige Mär. Der Schatten stoppte wieder vor dem Altarbild, das eigenartiger Weise nicht das geringst erlitten hatte, berührte es sanft mit der Hand und durch die Betrachtung und Berührung des Wesens erwachte scheinbar das alte Bild zum Leben. Es zeigte noch immer das grausame Szenario des Weltuntergangs:
 

Schwarze Ruinen, ein ebenso dunkler Boden und der Himmel hatte seine schöne blaue Farbe verloren und leuchtete nun in einem bedrohlichen dunklen Grau bedrückend auf die darunter liegende Erde herab. Das Licht der Sonne war erloschen und die Finsternis beherrschte das Bild.

Menschen, die lächelten und deren Haut von weißer Farbe war, wurden von Engeln in den Himmel empor gehoben und ihre Augen leuchteten hell auf. Um sie wurden weiße Tücher und Federn gemalt, die sich im Wind wiegten, um ihre Reinheit und Güte zu symbolisieren. Aber unter ihnen befanden sich auch Menschen, die von anderen Engeln zu Boden in den Ruß und Staub gestoßen und daraufhin von Hundeartigen schwarzen und dunkelgrünen Dämonen zerfetzt wurden. Um ihnen war nur Blut, das sich wie ein Fluss quer durch das Bild schlängelte, und Flammen, die Menschen verbrannten und eine Spur des Schreckens durch das Fresko zogen. Ihnen stand die Furcht in den Augen geschrieben und ein paar Gepeinigte weinten sogar, doch in den Augen der grausamen Engeln konnte man nur den Wahnsinn erkennen, der sie zu diesen Taten trieb. In der Mitte der Abbildung befand sich ein auf einem riesigen Berg von Menschenschädeln thronender Mann, der Jesus darstellen sollte, obwohl keiner weiß wie er ausgesehen hatte. Er hatte ein teuflisches Lächeln auf den Lippen und seine Augen erfreuten sich an den Quallen der Verdammten, doch schien er die Erlösten nicht zu beachten. Doch in einem versteckten Winkel hinter Flammen, Dämonen und getöteten Menschen, kaum erkennbar, kauerte ein winziges Etwas. Es war ein Mädchen, das weder Engel noch Dämon noch Gott oder Mensch zu sein schien. Ihre Augen leuchteten in einem sehr blassen Blauton in der Dunkelheit des Bildes und verliehen ihr eine atemberaubend schöne Traurigkeit. Ihr Gesicht und ihr Körper waren mit Russ und Blut verschmiert. Die Haare blutrot gefärbt von dem Fluss aus Blut der Gequälten.
 

Plötzlich durchdringte ein seltsames Geräusch die stille Einsamkeit der Nacht. Es klang wie ein warnendes schauriges Rufen. Ein Kauz, der auf einem kleinen Ast saß im nahegelegenen Wald. Dieser wuchs schon Jahrhunderte bevor die Stadt gebaut wurde auf der Rückseite des Klosterhügels. Doch was war das? Eine Gestalt stand am Rande dieses Waldes. Sie schien diese nicht zu bemerken, denn sie drehte sich nicht um, sondern starrte noch immer auf das Fresco. Eine warme Briese kam auf und befreite den blutigen Mond von seinem weißen Schleier, der ihn zuvor behangen hatte. Das Licht tauchte den ganzen Hügel in einen blutigen Schein. Eine metallene Männerstimme erklang und durchbrach die eben wiederhergestellte Stille:

"Ich wusste doch, dass du wieder zurückkehren wirst!"

Die Silhouette des Wesens streifte langsam den Schatten des dunklen Waldes ab und trat in das rote Licht.

"Du weißt, dass du sie alle getötet hast! Sie werden es dir nie verzeihen, dass du ihnen den Himmel verwehrt hast, aber ich habe dir verziehen. Denn wie soll ein Etwas wie du wissen was Menschen retten kann? Sieh es doch endlich ein, du bist ein Fehler, ein großer Irrtum, nie wirst du zu einer der Welten dieser Erde gehören! Schau dich doch um," er machte eine weitausholende Geste mit seinem Arm und wies auf die Ebene unterhalb des Hügels, "überall, wo du auftauchst, bringst du Tod und Verderben. Nie wirst du Ruhe finden, nur im Tod, der dir nie gewehrt werden wird, denn du bist nur ein fehlgeschlagenes Experiment. Du bist nur ein Fehler."

"Ich bin kein Fehler!", murmelnd trete sich der Schatten, der soeben noch das Gemälde betrachtet hatte, um und das fahle Mondlicht, das heller als sonst schien, gab sein Antlitz preis. Eine junge Frau, ca. 20 Jahre alt, mit hell blauen Augen, die an einen erblindeten Menschen erinnerten, aber auch Trauer und Hass wiederspiegelten.

"Du willst doch nur, dass ich mich euch anschließe. Aber wenn du denkst, dass ich das tue, was ihr von mir verlangt, hast du dich getäuscht!"

Als der andere Schatten sich vollständig von der Dunkelheit befreit hatte und in das Licht trat, konnte man erkennen, dass es sich um einen großen dunklen Mann Mitte 20 mit dunklen Augen und schwarzem Haar handelte.

"Du bist schlau, Kleine! Aber unterschätze uns nicht, wir werden schon einen Weg finden um dich auf unsere Seite zu ziehen. Du weißt, dass wir dich brauchen! Und wenn du nicht freiwillig zu uns kommst, gibt es noch andere Wege, die zum Ziel führen. Du kannst dich einfach nicht aus dem baldigen Krieg halten!"

Seine Stimme wurde zornig und lauter, so dass sie zu zittern begann.

"Willst du mich hier einschüchtern?", entgegnete sie ihm und schritt leise zu ihm bis sie ihm in die Augen blickte, "Du hast Recht, aber ich werde einen Weg finden, um zu verhindern, dass ihr mich bekommt, du wirst schon sehen!"

"Deine Augen sind so kühl und undurchdringlich wie damals," er beruhigte sich wieder, "aber die einzige Möglichkeit, die dich befreien kann, wirst du nie ausführen können. Du bist zwar sehr entschlossen, aber es wird nicht reichen. Komm auf unsere Seite!"

"Niemals!", sie wurde wütend und wandte mit einer langsamen Bewegung ihr Gesicht dem Mond zu, "Selbst den Mond habt ihr schon verändert und ich kenne eure Methoden. Wie ich schon sagte: Ihr werdet mich nie auf eurer Seite sehen!"

"Das wird sich noch herausstellen..."

Als sie sich wieder umgetret hatte, war er verschwunden.

"Ich hasse diese Angewohnheit von euch! Immer müsst ihr diese Nummer abziehen! Aber was kann ich schon dagegen machen. Ich werde hier bleiben, hier kann ich niemanden schaden," sie sah sich um, "Weit und breit keine Menschenseele," ihr entwich ein Seufzer der Erleichterung.

Einen Moment lang, nur der eines einzigen Augenaufschlages, verharrte sie reglos am selben Ort. Mit einer schnellen Bewegung kehrte sie sich um. Ihre Schritte bewegten sich dem gigantischen schwarzen Tor zu, das von umgestürztem Mauerwerk gebildet wurde. Sie trat ein und gelangte immer tiefer in das Gewirr der toten Mauern vorbei an zerbrochenen Fenstern, deren Scherben noch immer auf dem Fußboden lagen und von Staub überzogen waren, und zerbersteten Wänden, deren Stücke manche Wege versperrten. Säulen, die früher die anderen Stockwerken trugen, lagen auf dem rußigen Boden oder ragten zertrümmert in die Leere. Ihre Schritte blieben nicht an einer Stelle, um das Ausmaß der Zerstörung zu erblicken, sondern trugen sie immer weiter. In der Ferne des riesigen Bauwerks konnte man noch Treppen erkennen, die in eine andere zweite Ebene des ehemaligen Gebäudes zu führen schienen. Sie hingen in der Luft und wurden nur von einer umgekippten Säule gestützt, teilweise fehlten einzelne Stufen der marmornen Treppe. Doch erst jetzt fiel auf, dass das Kloster eine fremde Bauweise besaß, die zu dieser Zeit nirgends gebaut wurde und die auch noch nie gebaut worden war. Auch dieses Mal blieb sie nicht stehen, sondern ging mit einer Leichtigkeit die alten Stufen hinauf ohne, dass sie unter ihrem Gewicht sich regten. Am Ende der Treppen breitete sich ein gigantischer Gang aus, der sich wahrscheinlich in alle Himmelsrichtungen verzweigt hatte, aber zur Hälfte eingestürzt war. Sie schritt zielstrebig den langen Flur, der nach Norden verlief, entlang. Er war düster und lang. Sein steinerner Fußboden war einst mit einem roten Teppich geschmückt worden, doch nun war der Stoff verbrannt und der Gang ausgebrannt. Kein Bild oder Wandteppich, den die Nonnen gefertigt hatten, hang mehr an den Wenden, es wurde alles zerstört. Plötzlich blieb sie stehen. Vor ihr erhob sich ein Sternengewölbe, das von einer Kuppel überdacht wurde. Auf ihm thronte eine dunkle Kuppel, die von einem kleinen Glockentürmchen, dessen Glocken aber schon längst entfernt worden waren, gekrönt wurde. In drei der Torbögen waren Buntglasfenster eingesetzt, die die vier Elemente wiedergaben: das Wasser, die Erde und das Feuer. Das vierte Glasfenster zeigte einst den Wind, war aber nun zerbrochen und diente als Eingang. Es befand sich im Freien und war der einzige Abschnitt des Gotteshauses, der nicht zerstört worden war. Das Gewölbe war unversehrt, denn das Glasfenster wurde schon vor der Katastrophe zerschlagen. In diesen kleinen Bau errichtete sie ihr Lager für die Nacht.

"Die Wolken ziehen weiter, aber der Mond bleibt in Blut getaucht. Was haben sie nur vor?"

Sie starrte mit traurigen Blick in das Feuer, das sie entzündet hatte. Die Situation hatte sich verschlimmert und sie wusste, dass der Krieg schon bald beginnen würde, der Mond bestätigte dies. Es herrschte Stille auf dem toten Hügel und in der Stadt der Ruinen. Kein Laut durchdrang den dunklen Schleier der Nacht, außer das leise Knistern des Lagerfeuers, den sanften Atem des Windes, der am Tage durch das smaragdgrüne Gras streift, und hie und da konnte man ein paar Glühwürmchen, die flüchtig in der Dunkelheit aufleuchteten, um dann ebenso schnell wieder zu verblassen, erkennen. Plötzlich störte etwas Ungewöhnliches die Ruhe der Nacht.

"Hey! Warum versteckst du dich?", ein kleiner Junge, ca. 12 Jahre alt, mit roten zerzausten Haaren hing kopfüber von der Kuppel des Gewölbes herab und starrte mit großen Augen die junge Frau an. Sie waren smaragdgrün und erinnerten an die Augen einer Katze, denn die Popillen waren geschlitzt.

"Warum sollte ich mit einem kleinen Gör wie dir reden?", entgegnete sie ihm barsch.

"Du weißt so gut wie niemand sonst, dass der Schein trügen kann, vor allem die Gestallt eines Wesen!", meinte er.

"Ich verstehe was du meinst, aber was willst du? Hat dich Luzifer oder Lilith geschickt?"

Sie wurde etwas unruhig.

"Nein, die haben mich nicht geschickt! Willst du mich nicht reinlassen?"

"Nein!", mit harter Stimme wies sie die Bitte des Kindes ab, "Vor 8 Jahren habe ich den Bannspruch "huius fascinationis angelos et daemonios prohibehat" (lat.: Dieser Bann soll Engel und Dämonen fernhalten) mit meinen unsterblichen Blut in den Stein der Säulen gebrannt. Das war die einzige Möglichkeit euch von hier fernzuhalten."

Der Kleine fing an zu betteln: "Bitte lass mich doch rein. Ich werde dir auch nichts tun und zerstören werde ich auch nichts. Bitte, ich verspreche es!"

"Nein!"

Der Knabe wurde zornig, als er die abermalige Ablehnung seiner Bitte hörte: "Gut, wenn du es nicht anders willst!", er sprang mit einen Salto vom Kuppeldach herab und landete vor dem Eingang. Der Staub, der sich über die Jahre auf dem Ruß gebildet hatte, umhüllte ihn wie ein Nebelschleier. Er hob seine Hände in Brusthöhe und kehrte die Handrücken nach außen. Der Raum zwischen den Handflächen begann zu leuchten. Der Raum zwischen seinen Händen wurde immer heller bis sich eine kleine Flamme bildete, die wuchs und wuchs. Endlich hatte sie ihre volle Größe erreicht und füllte den ganzen Zwischenraum aus. Der Junge machte eine Bewegung und schleuderte die Feuerkugel gegen eine der Säulen. Als er bemerkte, dass dieser eine Feuerball den Bann nicht auflösen konnte, begann er weitere Feuerkugeln zu formen und sie gegen die Säulen zu schmettern. Nach einer Weile wurde er müde und sah, völlig ausgelaugt, ein, dass er den Bannspruch nicht aufheben konnte.

"Siehst du, du kannst hier nicht rein!"

Ein flüchtiges Lächeln huschte über die Lippen der jungen Frau, verschwand aber sofort wieder.

"Dann muss ich dich eben von hier aus überreden!", zornig und schmollend fuhr er fort, "Ich bin geschickt worden, um dich zu bitten auf unserer Seite, der der Dämonen, im 3. Krieg zu kämpfen. Verstehe, wir brauchen dich!"

"Ich sagte schon den anderen, dass ich niemanden helfen werde, um euren Krieg zu führen!"

"Aber es ist nicht nur unser Krieg, sondern auch deiner. Du bist genau so betroffen!"

"Verschwinde endlich!", zischte sie ihn an.

"Aber..."

"Gehe mir aus den Augen, ich will dich hier nicht mehr sehen oder hörst du schlecht?"

Der kleine Dämon sah sie noch einmal mit traurigen und verzweifelten Blicken an, trete sich dann um und verschwand auf die selbe Weise wie zuvor der Schatten am Waldesrand.
 

© by Brigitte Erhardt

Namenlos

Die Sterne verblassten und ein neuer Tag brach an. Die Sonne kroch den Horizont empor und erstrahlte in rotem Licht. Die rötlichen Strahlen fielen durch das bunte Glas, tanzte auf dem steinernen Boden und tauchte ihn in verschiedene Farben. Als der erste morgendliche Sonnenstrahl die Schlafende berührte, wachte sie sofort auf und erblickte den atemberaubenden Sonnenaufgang. Eine Weile lang schien ihr als würde die Sonne das ganze Land mit Blut überschwemmen und der Himmel in Flammen aufgehen. Dann schüttelte sie ungläubig den Kopf, gähnte und murmelte leise: "Nur wieder eine Vision."

Sie richtete sich auf, "Ich hasse es Besuch so spät in der Nacht zu bekommen," die junge Frau gähnte abermals, "Niemals hat man Ruhe und schlafen kann man auch nicht!", mit ihrer rechten Hand streifte sie sich durch ihr vom Schlaf zerzaustes dunkles Haar und glättete es somit. Es war kurz, hing ihr bis zum Schlüsselbein und glänzte je nach Lichteinfall in einer anderen Farbe. Es war auch keine Täuschung gewesen, dass ihre Augen wirkten als wären sie blind. Sie waren blass und sahen tot aus.

"Irgendwie bereue ich, dass ich gestern so schroff zu dem Kleinen war, aber so wissen die Dämonen, dass ich nicht an ihrer Seite kämpfen will!"

Dann wandte sie sich wieder den alten Ruinen zu, die in der morgendlichen Sonne schwarz und bedrohlich wirkten. Jetzt erst konnte man sich das Grauen vorstellen, das vor 8 Jahren hier geschehen sein muss. Die junge Frau trete sich auf der Ferse um und ging wieder zurück in das Gewirr der zerstörten Mauern. Ihre Schritte klangen laut auf dem rußigen Boden und bei jeden Schritt flog eine kleine Staubwolke auf. Es dauerte nicht lange bis sie wieder im Schutz der Dunkelheit des alten Gemäuers war. Wieder im Inneren des steinernen Labyrinths wandelte sie an zum Teil verbrannten Ikonen vorüber, die wie durch ein Wunder das Unheil überstanden hatten, denn ansonsten war alles in der Nähe liegende verkohlt. Die Figuren schienen als würden sie die junge Frau mit bösen Blicken verfolgen, doch sie ging an ihnen vorüber und beachtete die Heiligen nicht. Wie durch eine unsichtbare Hand geleitet glitt sie durch die vielen Korridore an Asche und zerbersteten Mauerwerk vorbei. Es muss ein gigantisches Gebäude gewesen sein, da die Gänge endlos schienen und die Zeit verging wie Sand im Wind. Es befand sich nirgends ein Fenster oder ein größerer Riss in der Wand, der Licht ins Innere des zertrümmerten Klosters ließ. Es war Dunkel, doch sie fand ihren Weg und stieß sich nicht einmal den Fuß an einem der am Fußboden liegenden Wandstücke. Plötzlich kam sie zu einer Tür, die aus schwarzem Ebenholz gefertigt worden war und große eiserne Beschläge verankerten sie sicher in der von Flammen geschwärzten Mauerwand. Der Knauf wurde von einem Löwenkopf, der eine Schlange fraß, die einen Ring mit ihren schönen geschuppten Körper formte, gebildet. Er war ebenfalls aus Eisen, das durch die vielen Jahre schwarz wurde, wie die Beschläge. Vor allem fiel auf, dass neben der Tür kleine Ritzen waren, die Licht in den Gang warfen und dem Portal ein heiligenscheinartiges Leuchten verliehen. Es war noch etwas Seltsames an dieser Tür, auf ihre Mitte hatte jemand mit weißer Kreide die römische Ziffer Eins geschrieben. Die junge Frau streckte ihre Hand aus, ergriff den Schlangenring und zog kräftig an ihm. Die Tür öffnete sich mit einem lauten Knarren in den Flur hinaus. Doch statt dem erwarteten Raum gab das Portal nur noch einen schmäleren Gang preis. Sie schritt durch den Durchgang in der Mauer und ging zielstrebig zu einem anderen, auf dem die Zahl Zwei geschrieben stand. Dieser glich der vorherigen Tür bis ins kleinste Detei. Auch hinter dieser Tür befand sich wieder ein Gang. Endlich gelangte sie zur siebten Tür und öffnete sie auf die selbe Art und Weise wie die anderen sechs Portale davor. Dieses Mal offenbarte sich kein weiterer Flur, statt dessen war alles schwarz. Das kam daher, da ein schwarzer und schwerer Stoff den Eingang verhüllte. Die junge Frau strich den Verhang zur Seite und betrat das Zimmer. Ihre Schritte hallten in dem großen Raum wieder und wirbelten Staub auf, aber auch hier gab es keine große Lichtquelle. Nur kleine Ritzen und Löcher im Wandkopf erlaubten ein dämmriges Licht. Sie trat langsam ein und sah sich einwenig um. Das Zimmer war sechseckig und das karge Licht gab nur die Umrisse verschiedener Gegenstände preis. Es befand sich nicht viel in diesem Zimmer. Plötzlich fixierte sie einen in einer Ecke lehnenden Schubladenkasten, der früher als Aktenschränkchen gedient haben musste. Mit schnellen und großen Schritte eilte sie zu den verbrannten Kasten. Er musste etwas sehr wichtiges enthalten, da sie ihren Gang immer mehr beschleunigte. Neben ihm lag das verrußte Zifferblatt einer alten Uhr, in dem nur noch die verkrümmten eisernen Zeiger steckten. Sie waren rostig und man konnte nicht sagen wie lange diese Uhr schon in diesem Zustand hier lag. Die verkrümmten Zeiger wiesen eine Sekunde vor Mitternacht an. Ansonsten befanden sich nur noch verbrannte Klumpen und eingestürztes Mauerwerk, das mit Asche überzogen war, im Raum. Sie riss die unterste Schublade auf und suchte etwas. Nach einer Weile zog sie mit einer hastigen Bewegung ein Bündel Blätter, das mit einer Schnur zusammen gebunden worden war, aus der Lade und schloss sie wieder mit einer derartigen Wucht, dass der Kasten in einer riesigen Staub- und Rußwolke zusammenbrach und teilweise zu Staub zerfiel. Daraufhin wandte sie sich wieder um und öffnete die Tür, die sich hinter ihr mit einem lauten Knarren geschlossen hatte. Die junge Frau ging wieder auf den langen Flur hinaus und begab sich wieder ins Freie. Als sie den Schatten des zerbersteten Mauerwerks abstreifte, warf die Sonne schon lange Schatten und tauchte die ganze Ebene in glühendes Licht. Sie schritt zu ihren Unterschlupf und setzte sich vor den Eingang. Dann nahm sie das Bündel und öffnete die Schnur, die es zusammen hielt. Die Blätter waren unversehrt, so dass man erkennen konnte, dass es sich hierbei um eine alte Akte handelte, die die Nonnen angelegt hatten. Es war eine Akte über eine Weise und die junge Frau las sie gründlich durch.

"Es sind doch seltsame Wesen, diese Menschen. Hier steht, dass ich eine Weise war und sie mich gefunden haben. In gewisser Weise hatten sie Recht, aber ich bin kein Mensch. Sie fragten mich nach meinen Namen und als ich ihnen keine Antwort gab, hielten sie mich für verrückt, aber wie sollte ich ihnen antworten, wenn ich keinen habe. Sie waren feige! Sie hatten Angst vor mir und gaben mir auch keinen Namen. Uriel war der Erste, der mir einen Namen gab. Er nennt mich einen "Fehler", einen "Irrtum". Vielleicht hat er Recht damit, vielleicht bin ich nur ein Fehler und sollte nie hier leben. Vielleicht war es nie geplant, dass ich existiere und das hier war nur ein "Ausrutscher". Das will ich, aber nicht einsehen!", ihre Augen füllten sich mit Tränen, "Ich gehöre zwar zu keiner Rasse der vielen Welten, aber irgendwo auf dieser Erde muss es doch jemanden wie mich geben oder jemanden, der es vollbringen kann und mich erlöst!"

Die Sonne sank unter den Horizont und zog das dunkle Tuch der Nacht hinter sich her. Die Sterne wurden heller und der Mond ging wieder in seiner vollen Pracht auf. Er war noch immer von roter Farbe und thronte über der Ruinenstadt wie ein bedrohlicher Schatten. Man hörte einen Wolf in der Nähe heulen. Er war sehr nah und, als die Namenlose ihren Blick hinunter in die Stadt richtete, konnte sie erkennen, dass ein silbriges Wesen mit unglaublicher Geschwindigkeit durch das Labyrinth der Felsen hastete. Es war der Wolf, den man zuvor heulen hörte. Er wich allen Hindernissen aus und überquerte den ehemaligen Friedhof. Die Grabsteine waren zerbrochen und von Pflanzen überwuchert. In der Mitte des Friedhofes befand sich eine marmorne Engelstatue, die unversehrt von Efeu überwachsen wurde. Der Wolf verließ wieder den Friedhof und war für eine Weile verschwunden. Dann stand er plötzlich vor der jungen Frau mit heraushängender Zunge, blickte ihr in die Augen und wich nicht von der Stelle. Auch sie bewegte sich nicht und starrte den Wolf an. Er war sehr groß und hatte goldene Augen, seine Zähne waren weiß und spitz, doch er wirkte sehr sanft. Die Haare seines Fells wiegten sich im Wind und spiegelten das Licht der Sterne wieder.

"Sei gegrüßt, Wesen aus keiner Welt," begann er, "du weißt sicher warum ich dich hier aufsuche. Die Erde erwartet deine Entscheidung mit Ungeduld."

"Meister Isegrim, ihr wisst so gut wie ich, dass ich noch keine getroffen habe! Ich kann nicht kämpfen und sich für eine der Seiten zu entscheiden ist eine schwierige Aufgabe!"

"Ich verstehe dich gut, aber ich kann dir nur einen Rat geben: Folge deinem Herzen und verliere nie deinen Weg aus den Augen. In ein paar Tagen werde ich wiederkommen und deine Antwort erwarten," er wollte die Ruinen des Klosters wieder verlassen und kehrte sich wieder um.

Als die junge Frau ohne Namen unerwarteter Weise meinte: "Aber wie soll ich eine so schwere Bürde tragen, wenn ich nicht einmal einen Namen oder eine Existenz habe?"

Der Wolf schmunzelte ein wenig und wandte sich ihr wieder zu: "Einen Namen willst du also haben, so so. Warum hast du dir noch keinen selbst gegeben?"

"Das geht doch nicht!", sie wurde etwas verlegen, "Man kann sich doch selbst keinen Namen geben."

"Warum nicht?", fragte der Silberne erstaunt, die Antwort schon kennend.

"Einen Namen bekommt man von seinen Eltern oder von einer geliebten Person oder von einem angesehenen Wesen."

"So," Isegrim dachte nach, "du hast keine Eltern und so viel ich weiß auch keine "geliebte" Person."

"Das ist richtig, daher habe ich auch keinen Namen!"

Dieses Mal überlegte er nicht lange und meinte: "Ich könnte dir einen Namen geben!"

Die junge Frau war sichtlich überrascht: "Sie? Würden Sie das für mich tun, Meister Isegrim?"

"Ja, aber nur unter zwei Bedingungen," die Augen des Wolfes füllten sich plötzlich mit einem eigenartigen Glanz und sie wusste, dass er etwas im Schilde führte.

"Sprich! Was verlangst du?", sie war etwas irritiert, denn dies hatte sie nicht erwartet.

"Die erste Bedingung wäre, dass du mir, sobald ich wieder zurückkehre, eine Antwort gibst, welche der beiden Seiten, Dämonen oder Engel, du gewählt hast. Es ist sehr wichtig für den Rest der Erde, außerdem wird dadurch wahrscheinlich die Schlacht entschieden!"

"Und was wäre die zweite Bedingung?", ihre Neugierde wuchs, denn sie konnte sich nicht vorstellen was der Silberne von ihr als Zweites verlangen würde.

"Nur die Ruhe, alles braucht seine Zeit! Ich werde es dir gleich verraten, aber erst mache ich es mir bequemer," er legte sich auf den von Ruß bedeckten Boden, "Nun, die zweite Bedingung wäre, dass du im Krieg dir jemanden erwählst, der dir einen anderen Namen gibt."

"Warum verlangt ihr dies von mir? Wie soll dieser Jemand aussehen?"

"Das wirst du dann schon begreifen. Deine Fragen werden alle beantwortet werden, wenn die Zeit dafür gekommen ist," er legte seinen Kopf auf seine Vorderpfoten und schlief ein.

"Warum schläft er jetzt ein?", etwas enttäuscht machte sie sich auf und ging in ihr Nachtlager. Dann schlief auch sie ein.

Die Nacht verstrich und schmolz unter den wärmenden Strahlen der Sonne. Es war wieder Morgen geworden und der Wolf lag noch immer vor dem Eingag des Gewölbes und schlief tief und fest, doch als die junge Frau aufwachte öffneten sich seine Augenlieder blitzartig als hätte er nur darauf gewartet.

"Sie gaben mir noch keinen Namen."

"Darüber bin ich mir klar. Alles braucht seine Zeit und auch das Aussuchen eines Namens muss wohl überdacht werden."

"Haben sie einen Namen für mich gefunden?"

"Ja, ein Name so wunderschön und einzigartig wie kein anderer, aber du hast mir nicht gesagt, ob du mit den Bedingungen einverstanden bist."

"Ich konnte es Ihnen gestern nicht mehr sagen, da Sie eingeschlafen sind!"

"Da hast du Recht, entschuldige," der Wolf grinste wieder, "Nun?"

"Gut, ich bin einverstanden, obwohl ich nicht weiß wozu die letztere Bedingung nützen soll. Wie soll man mich nennen?"

"Er lautet... Enigma."

"Enigma?"

"Ja! Ist er dir nicht angenehm?", fragte er verwundert.

"Er ist wunderschön, aber ich hörte ihn nie zuvor."

"Du musst wissen, er ist sehr alt und wird nie verwendet, denn er darf nur einem bestimmten Wesen zu teil werden. Seine Bedeutung ist vergessen, doch seine Macht lebt noch immer weiter," der Silbrige streckte sich und richtete sich wieder auf. Dann wandte er sich um, ging einen Schritt und blickte die junge Frau mit ernsten Augen an, "Gedenke, dass ich in ein paar Tagen, nachdem die Sonne ihren beschwerlichen Weg beendet hat, wieder hierher zurückkehren werde, um deine Entscheidung entgegen zu nehmen. Vergesse auch nicht, deine Aufgabe zu erfüllen, denn du hast mir dein Wort gegeben und ich habe den ersten Teil meiner Mission erfüllt."

"Was meint Ihr damit, Meister Isegrim?"

"Ich sagte dir doch, dass deine Fragen alle beantwortet werden, wenn die Zeit dafür gekommen ist. Jetzt muss ich dich wieder verlassen. Lebe wohl, Enigma!", bei diesen Satz lächelte er und blickte ihr noch einmal zum abschied tief in die Augen.

Darauf kehrte er sich wieder um und sprang die Klosterruine mit riesigen Sätzen hinab. Sein großer silberner Körper schlängelte sich wieder durch die schwarzen Gesteinsbrocken in der

Ebene. Er durchquerte wieder den Friedhof, sprang über die Überreste seiner Mauer und gelangte in die zerstörte Stadt. Dort musste er an verbrannten Häusern und auseinandergedrifteten Wegen vorbei. Die Erde war auseinander gerissen worden und viele Spalten und Rissen säumten den Rückweg des silbernen Tieres. Enigma verfolgte den Wolf mit ihrem Blick. Manchmal verschwand er unter den schwarzen Trümmern, doch bald darauf tauchte er ein Stück näher am Horizont wieder auf. Selbst im güldenen Licht der Sonne verlor sein Fell nicht die schöne Blässe von Silber. Dann, nach einer Weile, hatte er den Horizont erreicht und blieb stehen. Er hob den Kopf, sah zurück zum Kloster und heulte laut auf. Es war ein Abschiedsgruß. Dann lief er weiter und verschwand hinter dem Horizont.

"Enigma...", wiederholte sie noch einmal leise und der Wind trug ihre Worte fort, doch löste sie ihre Blicke nicht vom Horizont.
 

© by Brigitte Erhardt

Die Prophezeiung

Die himmlischen Geschwister Sonne und Mond wechselten und schienen mehrere Male auf die dunkle Ebene, doch der silbrige Wolf zeigte sich nicht. Die Nächte schienen immer länger zu werden und das Licht des Tages zu verschlingen. Die Dunkelheit der Nacht wurde immer schwärzer und die Sterne verschwanden vom Himmelszelt. Die Einsamkeit umfasste das Herz der jungen Frau fester als zuvor und zerbrach es beinahe. Seit Tagen hatte sie niemanden gesehen, kein Tier, keinen Menschen, keinen Dämonen und auch keinen Engel. Es herrschte die Stille über die Ebene und ließ sie erbeben. Nur hin und wieder hörte man den Wind durch das Gras und die Bäume streifen und für einen kurzen Moment wurde der Dunkelheit Leben eingehaucht. Es schien als hätte man Enigma vergessen, einfach vergessen. Doch eines Tages, als die Sonne aufging, um die Welt mit güldenem Licht zu fluten, tauchte ein Wesen in der toten Ebene auf. Es warf dunkle und lange Schatten in das leere, nie endende Niemandsland und durchbrach die gewohnte Monotonie der Ruinenlandschaft. Enigma stand auf einem teerassenartigen Vorsprung des alten Klosters, der am Fuße der Ruine ins Nichts ragte, und starrte das Wesen an, das in Mitten des Friedhofes stand. Es saß auf einem der zerbrochenen Grabsteine und sein langer schwarzer Mantel wehte im Wind. Bei näherer Betrachtung konnte man auch schwarze Schwingen erkennen, die sich sanft in der aufgeregt bewegten Luft wiegten und hie und da lagen schwarze Feder auf der kalten Erde ringsherum um den Grabstein. Es war Uriel, der Engel der Erde und des Todes. Sein Blick war kalt, doch strahlte er auch eine wohlige Wärme aus. Er verweilte ein paar Momente regungslos auf dem Grabstein hockend und mit dem Gesicht auf den Boden gerichtet. Doch plötzlich erhob er seinen Blick, sprang vom Grabstein und begab sich langsam mit riesigen Schritten zu Enigma. Der Engel durchquerte den ganzen Friedhof, zertrat Pflanzen, die den Boden überdeckten, und zerbrach Trümmer einiger Grabsteine unter seinen Schritten. Sie schrak zurück und wollte fliehen, als sie bemerk wohin der Engel ging, doch er war schneller. Der Engel breitete seine Schwingen aus, die er vorhin gefaltet auf dem Rücken drug, als er sah, dass sie flüchten wollte, schnellte zu ihr und packte sie am Arm, damit sie nicht weglaufen konnte. Doch schon nach kurzer Zeit ließ er sie wieder los, als sie sich wieder beruhigt hatte und nicht mehr an ihrem Arm zerrte um sich zu befreien.

"Wo willst du hin?", fragte er. Seine Augen funkelten in der morgendlichen Sonne und er wirkte unheimlich in seiner schwarzen Gestallt.

"Du brauchst keine Angst zu haben, sie können uns im Moment nicht beobachten," sein Mund verzog sich zu einem Lächeln und er wirkte freundlich.

"Warum? Warum können sie uns nicht beobachten und wen meinst du?", sie verstand nicht.

"Die Engel. Da die Erde nun zu zerbrechen droht, können sie nicht mehr die Zeitgefilde steuern und somit auch kein Lebewesen mehr überwachen. Deshalb bin ich auch hier. Ich muss dich dazu bringen, dass du dich entscheidest, denn es ist schon fast zu spät."

"Ich sagte doch, dass ich nie mit den Engel kämpfen werde! Außerdem meinte Meister Isegrim, dass ich noch Zeit habe, um eine Entscheidung zu fällen."

"Meister Isegrim...," Uriel trete seinen Kopf zur Seite und dachte eine Weile lang nach, "Du meinst den silbernen Wolf aus einer der anderen Welten?"

Sie nickte.

"Er wird nicht kommen," meinte er darauf mit harter Stimme und wandte sich langsam wieder ihr zu, "er wird nie kommen."

"Aber warum? Was habt ihr mit ihm gemacht?"

Der Engel schwieg und richtete seinen Blick gegen den schwarzen staubbedeckten Boden.

"Sag mir was ihr mit ihm gemacht habt!", schrie sie ihn an, doch er antwortete nicht.

Sie setzte sich mit entsetztem Blick auf den kalten Stein und starrte in die Leere. Sie begriff Nichts und wollte es auch nicht verstehen. Der Erdengel nahm neben ihr Platz und streifte sie unwillkürlich mit einen seiner riesigen Flügel. Sie zuckte verschreckt zusammen, erholte sich aber sogleich wieder von dem Schock.

"Es ist mir leider nicht erlaubt es dir zu sagen," flüsterte er ihr leise zu.

Sie starrte ihn für einen kurzen Augenblick mit den selben Blicken wie zuvor an, um darauf wieder in ihre leere stille Welt zurück zu kehren und sich dort für immer zu vergraben.

"Ich möchte, dass du mit den Dämonen kämpfst."

Mit diesen noch so geringen Satz hauchte er ihr wieder Leben ein. Sie kam wieder zurück in die Realität: "Weshalb? Du bist doch ein Engel!"

"Das ist eine alte Geschichte, die von uns Engel wohl gehütet wurde, um die schreckliche Vergangenheit des Anfangs nie wiederzuerwecken. Aber ich werde sie dir gerne erzählen. Vielleicht kannst du dich dann leichter entscheiden und du wirst über die dunkle Vergangenheit dieses Planeten und des einzigen Gottes aufgeklärt", dann fuhr er fort, "Damals, als unser Gott und die Götter der anderen Welten die Erde erschaffen hatten, formten sie die Kinder dieser Welten: Engel, Tiere, Nymphen, Feen, Pflanzen, Menschen und all die anderen Wesen, die auf dieser Erde leben. Dann, nachdem die Erde erfüllt von Leben war, schworen die Götter einen Eid nie gegen andere ihrer Rasse zu kämpfen und dafür zu sorgen, dass ihre Schöpfungen nie Kriege führen werden. Und so herrschte Frieden auf Erden, doch unser Gott veränderte sich immer mehr und mehr und nach einer Weile begannen die Menschen Kriege zu führen und ihres Gleichen zu töten, aber Gott unternahm Nichts. Er wurde immer eigenartiger und begann letztendlich Schlachten gegen die anderen Götter zu schlagen. Es war eine schreckliche Zeit, die für uns alle anbrach. Unser Herr unterjochte viele Kulturen und machte manche dem Erdboden gleich, so dass sie für immer in Vergessenheit gerieten. Dann nahm er sich die Welt der Römer vor zu erobern. Es war die blutigste und grausamste Schlacht, die ich je gesehen habe, aber ich war ihm zur Treue verpflichtet, da er mich erschaffen hatte. Ich konnte nichts tun, ich musste kämpfen. Nach vielen Jahrhunderten des Krieges erblickte Gott im Schlachtgetümmel Lucifer, den Morgenstern. Er war schön und erstrahlte in einem warmen Licht. Am Abend dieses schicksalhaften Tages ließ mich mein Herr zu sich rufen. Als ich seine heiligen Hallen betrat, war die Luft von etwas seltsamen erfüllt, das in mir das Grauen erweckte. Doch ich ließ mir nichts anmerken und ging mit großen Schritten zu den Stufen unterhalb seines Thrones und kniete vor ihm nieder. Er bat mich meinen Blick zu erheben und ich erkannte ein wahnsinniges Lächeln auf seinen Lippen. Er verlangte von mir mich bei den Römern einzuschleichen und Lucifer zu entführen, warum sagte er mir nicht, aber schon bald konnten alle erkennen weshalb er mir dies auftrug. Ich schlich mich also zu den Römern, ging vorüber an Schlafeden und gelangte zu einem Zelt, in dem der römische Gott schlief. Nachdem ich in das Zelt eingedrungen war, erblickte ich ihn auf einem riesigen Bett in der Mitte seines Schlafzeltes und betäubte mein Opfer. Danach verschwand ich aus dem Zelt und brachte Gott, wie von ihm gewünscht, Lucifer, aber er bedankte sich nicht. Mein Herr und Gott hatte sich vollkommen verändert. Es war ein eigenartiges Gefühl, als ich sah wie er den geraubten Lucifer betrachtete. Gott "erhob" ihn zu einen Engel und taufte ihn auf den Namen "Luzifer". Er stahl die Sprache und Geschichte seiner Gegner und brannte das Reich der römischen Götter bis auf die Grundmauern nieder. Bis auf Wenige, die vor der Schlacht geflüchtet waren, starben alle Römer, gleich ob Gott, Mensch oder mythisches Wesen. Nun war Luzifer ohne Identität und Gott gab ihn eine neue, doch er wollte sich nie beugen. Und als er bemerkte, dass Gott, der Herr, seinem Volk den Besitz des Feuers strengstens untersagte, ging er zu dem geheimen Turm in dem das heilige Feuer schon seit Jahrtausenden schlummerte. Luzifer schaltete die Wachen aus und bemächtigte sich des Feuers. Daraufhin flog er zur Erde und brachte den Menschen das Feuer, doch Gott hatte ihn bei dieser Tat beobachtet und erzürnte. Er wollte Luzifer aus seinem Himmel verbannen, aber der Lichtbringer hatte Anhänger unter den Engel, die ihm bei dem Raub zur Seite standen und es entbrannte der erste Krieg des Himmels. Dieser Krieg war beinahe so schrecklich wie alle Schlachten, die zuvor von meinem Herrn geschlagen worden waren, zusammen genommen. Der Himmel färbte sich blutrot und die Leichen vieler Engel pflasterten den Fußboden. Nach einigen Jahrhunderten waren beide Seiten geschwächt und Gott ersinnte eine List. Er ließ nach Michael, dem himmlischen Heerführer, schicken und befahl ihm Luzifer aus dem Himmel zu stoßen, wenn er ihm das Zeichen dazu gebe, denn er war noch unverbraucht und hatte in diesem Krieg kaum gekämpft. Und so geschah es auch. Als sich ein Dutzend Engel auf Luzifer stürzten, um ihn zu töten, aber auch abzulenken, gab Gott Michael ein Zeichen und er tat seine unrechte Pflicht und stürzte ihn in den Abgrund, der den Himmel unseres Herrn von der Erde trennt. Der Leuchtende, Luzifer, stürzte tief in die Gefilde der Hölle, die zwischen unseren Welten liegt und schwor Rache. Er änderte wieder seinen Namen auf "Lucifer", zu Ehren seiner Wurzeln und machte einen Vertrag mit Lilith. Auch sie wurde einst von Gott verraten und in die Hölle gestürzt. Zusammen haben sie die gefallenen Engel, die Lucifer gefolgt waren versammelt und zu einer Streitmacht ausgebildet, um endlich Frieden zwischen den Welten zu erlangen."

"Und warum soll ich nun Seite an Seite mit den Dämonen kämpfen?", fragte Enigma, nachdem sie aufmerksam seinen Worten gelauscht hatte, stand auf und ergriff den ersten Stein der aus der zerklüfteten Mauer ragte, um daran empor zu klettern.

"Ich will nicht, dass Gott weiterhin mordet und seine wahnsinnigen Pläne verwirklicht," erwiderte er und folgte ihr.

"Aber warum kämpfst du nicht mit den Dämonen gegen Gott?", fragte sie ihn, während sie die Bruchstücke der steilen und fast vertikalen Außenwand hochkletterte.

"Ich sagte doch, dass ich ihm meine Treue schwor und dieser Schwur verpflichtet mich ihm gegenüber für die Ewigkeit, aber du kannst gegen ihn kämpfen."

"Warum soll ich gegen einen Gott kämpfen?", meinte sie ein wenig arrogant.

"Weil du nicht willst, dass er noch mehr "Tote Seelen" wie dich erschafft."

Plötzlich hielt sie inne und blickte zurück auf den Engel, der ihr gefolgt war. Auch er stoppte und blickte ihr in die Augen. Sie war überrascht.

"Woher weißt du das?", fragte sie ihn nach langem Zögern.

"Ich sagte doch schon vorhin, dass wir Engel euch überwachen. Ich weiß auch, dass dir seid geraumer Zeit der Name Enigma ist," er lächelte sie schelmisch an, "Er hatte Recht, er passt sehr gut zu dir!"

Sie wendete ihren Blick wieder ab und kletterte weiter nach oben, Uriel folgte ihr. Am oberen Ende der Trümmer angekommen, schwang sie sich mit einer ruckartigen Bewegung über den Rand und landete wie eine Katze auf ihren Füßen. Wieder flog Staub und Ruß auf und umnebelte sie. Dann ging die junge Frau zurück zur Kante, über die sie vorhin gesprungen war, und reichte dem Engel ihre Hand, um ihm zu helfen. Er nahm sie und Enigma zog ihn empor. Wieder bei ihren Unterschlupf angekommen, bemerkten sie erst, dass die Sonne schon unterging und wie jeden Morgen und Abend das Land in blutiges Licht tauchte.

"Wie ist das möglich, der Tag zählt doch erst ein paar Stunden?"

"Das ist einer der vielen Vorboten des Weltuntergangs," unterbrach der Erdengel die Gedanken der jungen Frau, "ein Zeichen dafür, dass die Erde und ihre Welten auseinanderbrechen und für immer verschwinden werden."

Beide starrten den Sonnenuntergang an. In Enigmas Augen spiegelte sich der Ablauf des eigenartigen Geschehens wieder. Man konnte sehen wie langsam die Sonne hinter dem Horizont verschwand, die Schatten immer länger wurden und die Ebene von rotem Licht förmlich verschlungen wurde. Nur ein paar Augenblicke später schien das Licht auf der Erde für immer verschwunden zu sein, denn die Nacht brach an und Nichts konnte die Finsternis durchdringen.

"Es wird Zeit sich zu entscheiden, sonst wird die Erde zugrunde gehen."

Enigma bemerkte diese Aussage nicht und starrte noch immer auf den Horizont, an dieselbe Stelle, an der die Sonne vor wenigen Momenten verschwunden war. Es war, als ob ein Zauber sie versteinert hätte. Wind kam auf und brachte die nächtliche Kälte.

"Ich werde hier bleiben bis du eine Entscheidung getroffen hast!", sprach Uriel mit fester Stimme in die Stille der Dunkelheit.

Eine Weile herrschte die wieder die Stille über das Land. Doch plötzlich vernahm er kaum hörbar eine fremde und ernste Stimme: "Die Welten werden zerstört, der Himmel brennen und bluten, die Erde zerbrechen wie ein Glas, das man unachtsam fallen ließ. Der Boden schwarz und verbrannt, Armageddon. Niemand wird leben, außer wenn ein Toter kämpft. Ein Experiment, das ein dem Wahn verfallener Gott durchführte und erschuf. Nur dieses Wesen kann die Welten wieder einen und die eine retten, denn sie werden alle untergehen, nachdem sie gerettet wurden, bis auf eine, die es nicht verdienen wird zu leben. Eine Welt belebt von seltsamen dummen Wesen, die sich selbst zerstören werden. Doch das Wesen muss sich entscheiden bis die Sonne tot ist, denn dann ist es zu spät, um die Erde zu reinigen und zu heilen," sie wandte sich um, ging mit ebenso leeren Augen wie sonst in das kleine Gewölbe und setzte sich sachte auf den schmutzigen Fußboden ohne, dass nur ein Staubkorn oder ein Rußpartikel in die Luft gewirbelt wurde.

Nach einer Weile ging auch der Todesengel zu dem Sternengewölbe, legte seinen rechten Arm auf den Rahme des zerschlagenen Fensters und verlagerte sein Gewicht so, dass er auf diesem Arm lehnte. Dann fragte er sie verwundert: "Wer war das? Das warst nicht du oder woher weißt du von der Prophezeiung?"

"Wovon sprichst du? Welche Prophezeiung?", die junge Frau war etwas durcheinander.

Der Engel verzog sein Gesicht verwundert, lächelte und meinte dann: "Ach, Nichts."

Schweigen lag wieder in der Luft. Bis Enigma sie durchbrach: "Verzeih, du willst sicher auch in das Gewölbe."

Sie stand wieder auf und ging wieder hinaus, worauf Uriel vom Eingang wich. Dann zog sie ein Messer, das sie in der Scheide, die an ihrem Gürtel hing, und schnitt sich damit langsam über die Fingerkuppeln, so dass Blut heraus quoll.

"Ich muss den Bannspruch ändern," sie lächelte.

Dem Engel war nicht wohl bei dem, was sie tat, aber er sagte Nichts. Enigma ging nun von Säule zu Säule und schrieb unter den Spruch ein seltsames Zeichen mit ihrem Blut. Als sie diese Tat beendet hatte, begab sich die junge Frau wieder in ihren Unterschlupf. Der Todesengel folgte ihr hinein und setzte sich neben sie. Beide starrten in die Leere der Dunkelheit, die die Nacht brachte und erhielten die bereits unerträgliche Stille. Die Erde schien wie ein Gefängnis aus dem nie jemand entrinnen könnte. Ein Gefängnis mit güldenen und vergifteten Gitterstäben, so wunderschön und tödlich zugleich. Der Wind wurde stärker und führte noch kältere Luft mit sich.
 

© by Brigitte Erhardt

Der Aufbruch

Zarte, beinahe zerbrechliche, Sonnenstrahlen fielen auf die Augen der Schlafenden. Sie lehnten an einem der bunten Glasfenster und Uriel hatte seinen Arm um Enigma gelegt, um sie in der kalten Nacht zu wärmen. Beide hatten ein sanftes Lächeln auf den Lippen, die Haare wehten ein wenig im Wind, der durch das zerschlagene Fenster drang und mit dem Sonnenaufgang einen neuen Morgen ankündigte. Sie sahen friedlich und sorglos aus. Doch als die gläsernen Strahlen sie trafen, erwachten sie aus ihrem tiefen Schlaf. Uriel verließ zuerst das Reich des Schlafes. Er schob vorsichtig seinen Arm bei Seite, damit er sie nicht aufwecken konnte. Dann zog er seine Beine, die er ausgestreckt auf dem Boden liegen hatte, an den Körper heran und erhob sich langsam. Der Engel strich den Staub und den Schmutz, der sich auf dem Fußboden befunden hatte, von seinem langen schwarzen Mantel und verließ den Unterschlupf. Als er durch das Fenster ging, fiel sein langer Schatten auf die Schlafende und sie erwachte. Ihre Augen öffneten sich und ein leises Gähnen entwich ihrem Mund.

Während er mit großen Schritten, die in der Stille des Landstriches die ganze Ebene mit ihrem hallenden Geräusch auszufüllen schien, zum Rande des Plato schritt, fragte er die so eben Erwachte mit dem Rücken zu ihr gewannt: "Hast du dich nun entschieden, ob du den Dämonen zur Seite stehen wirst?"

Uriel stand noch immer mit dem Rücken zu ihr gewand am Rande des Ruinenplato und beobachtete die Sonne, wie sie langsam über dem Horizont hervor kroch und die ganze Welt in blutrotes Licht tauchte. Die Einsamkeit und Stille hielt die Ebene fest in ihrer eisigen Hand und schien sie nie wieder loszulassen, denn kein Vogel und kein anderes Lebewesen zeigten sich seit Tagen und ließen dadurch den Eindruck entstehen, dass die Welt schon längst gestorben und es sinnlos sei nur das Geringste in ihr retten zu wollen. Er schwelgte eine kurze Zeit in der Melankolie dieses eisigen Szenarios und wartete auf eine Antwort.

"Ob ich ihnen helfen werde?", wiederholte Enigma noch etwas schlaftrunken und mit einem nachdenklichen Unterton in ihrer Stimme.

Der Engel wurde ungeduldig, ließ sich aber nicht das Geringste anmerken und beobachtete weiterhin den Lauf des aufgehenden Gestirns.

"Es eilt sehr, oder? Die Sonne wird schon bald untergehen und nie wieder auftauchen, dann ist alles, was wir tun, werden und taten, sinnlos."

Er war etwas erstaunt über das, was Enigma gerade gesagt hatte und meinte verblüfft: "Woher weißt du das?"

Er wollte sich zu ihr umdrehen, aber sie kam ihm zuvor und stand nun dicht neben ihm.

"Ich fühle es. Die Tiere, die Pflanzen, alles Leben scheint zu vergehen und sich für immer aufzulösen."

Nachdem sie dies gesagt hatte, sengten beide nachdenklich und wahrscheinlich auch etwas traurig leicht ihren Kopf. Sie schwiegen eine Weile. Die Sonne stand nun schon über dem Horizont und wärmte die beiden, die in Mitten der unerträglichen Stille standen. In den Augen der beiden Wesen spiegelten sich die Ruhe der Ebene und das Krauen, das hier vor 8 Jahren stattgefunden hatte. In Enigma erwachten ihre Erinnerungen an das grausame Spektakel wieder zum Leben, so dass es ihr nur schwer gelang ein qualvolles Wimmern unterdrücken zu könnten.

"Ich werde den Dämonen helfen!"

Uriel war erstaunt, denn so schnell hatte er keine Antwort erwartet.

"Bist du dir sicher?," fragte er skeptisch.

Sie nickte.

"Wenn ich es nicht tue, wird alles Leben auf der Erde vergehen und auch ich werde sterben. Außerdem traue ich den Engel nicht."

Uriel erwiderte das Nicken, um ihre Antwort noch einmal abzusichern und schritt dann langsam und beinahe andächtig zur Mitte des freien Platzes auf dem Plato ohne nur eine Miene zu verzeihen.

"Ich muss einen Führer rufen, der uns nach Bangwiulu bringt, nur so können wir zu Lucifers und Liliths Armee gelangen."

"Du wirst mich begleiten?," unterbrach sie ihn, aber der Engel verwehrte ihr seine Antwort.

Der Todesbote stand nun im Zentrum des Platzes und schien sich sehr zu konzentrieren, man konnte förmlich spüren wie sich die Luft auflud. Kleine Blitze zuckten um den Boten Gottes, um plötzlich in den Boden einzuschlagen und ein Zeichen in die kalte Steinplatte einzubrennen. Es war dasselbe Symbol, das Enigma mit ihrem Blut auf die Säulen geschrieben hatte. Dann begann der schwarz geflügelte Engel plötzlich langsam und schon fast behutsam eine Beschwörung zu sprechen, seine tiefe Stimme erbebte unter den rhythmischen Klängen des Spruches und hallte weit hinaus in die Weiten der Ebene:
 

"Ego, Uriel, qui nuntius dei, angelus terrae et mortem, Mala'ak ha-Mawet, sum, impero a demonio Ky apparatus esse!" (lat.: Ich, Uriel, welcher ich Bote Gottes, Engel der Erde und des Todes, Mala'ak ha-Mawet (alte Bezeichnung für Todesengel), bin, befehle dem Dämonen Ky zu erscheinen!)
 

Ein starker Sturm kam von Süden und fegte über Uriel und das Mal auf dem kalten Steinboden hinweg und wirbelte das Gemisch aus Staub und Ruß, das sich auf jedem Stein des ehemaligen Städtchens befand auf, so dass für einen kurzen Moment jedem Anwesenden die Sicht verwehrt wurde. Für einen Bruchteil eines Augenblicks loderte das Symbol flammendrot auf bevor die Sicht der beiden geraubt wurde, doch plötzlich war alles vorüber und derselbe kleine rothaarige Dämon, der vor ein paar Tagen Enigma in ihrem Unterschulpf besucht hatte, stand bei Uriel, wo sich zuvor noch das Zeichen befunden hatte. Er schien nicht erstaunt oder überrascht zu sein, Enigma wieder zu treffen, sondern war sichtlich froh und lächelte sie an.

"Ich habe einen Auftrag für dich!", meinte Uriel schroff, so dass Ky zusammen führ, "Führe uns nach Bangwiulu, denn du kennst den Weg so gut wie niemand sonst und weißt wie man dort unbeschadet ankommt und besteht."

Er wartete einen Augenblick, um zu sehen, ob der kleine Dämon seinen Befehl ausführte, dann führ er mit demselben schroffen Ton in der Stimme fort.

"Beeile dich, wir haben nicht mehr lange Zeit!"

Der kleine Dämon verbeugte sich schnell unterwürfig, um den wütenden Engel etwas milder zu stimmen, und begann hektisch etwas in seinen Jackentaschen zu suchen. Uriels Miene wurde immer finsterer und finsterer, er schien ernsthaft erbost über die kleine Verzögerung durch die Suche des Dämons. Doch endlich schien er das, was er gesucht hatte, gefunden zu haben und das Gemüt des Schwarzgeflügelten schien sich wieder zu beruhigen. Etwas stolz zog er langsam eine kleine schwarze Hornpfeife, die in der Sonne in verschiedensten Farben schimmerte und etwas an ein kleines Trinkhorn der nordischen Völker erinnerte, hervor und hielt sie sich an die Lippen, um sie zum Klingen zu bringen. Sobald er dies getan hatte, stieß die Pfeife einen merkwürdigen Ton aus, der eher nach einem alten Horn als nach einer kleinen Pfeife klang, außerdem schwang noch etwas Unbekanntes und Gespenstisches wie ein Unterton mit und verstärkte den Laut zu einen ohrenbetäubenden Lärm. Enigma wurde etwas mulmig, doch ließ sie es sich nicht anmerken. Plötzlich verdunkelte sich der Himmel und über das ganze Land fiel ein dunkler Schatten. Eine gigantische Wolkenfront, die wie eine undurchdringliche Mauer schien schob den bereits bläulichen Himmel beiseite und beraubte somit das Land und auch den Himmel seiner herrlichen Farben, um sie in düsteres Schwarz zu hüllen. Diese bewegte sich mit atemberaubender Geschwindigkeit auf die drei Kreaturen zu und ließ den Boden unter ihren Füßen erbeben.

"Was ist das? Was geht hier vor?," fragte Enigma etwas beunruhigt.

"Fühlst du es nicht?," antwortete Uriel auf ihre Frage, da Ky noch immer die Pfeife an seinen Lippen gepresst hielt und in den Himmel auf die Wolkenmauer starrte.

"Was sollte ich fühlen?"

"Die starke dunkle Kraft, die von den Wolken ausgeht oder sollte ich lieber sagen...," der dunkle Engel beendete den Satz nicht, sondern zog es vor mit seiner Hand langsam gen' Himmel zu zeigen, um ihn mit einer Handbewegung fortzusetzen.

Sie folgte mit ihren Blicken seiner Hand empor zu seinem Finger, der in den Himmel deutete. Dann sah sie plötzlich etwas, das sich durch die dicke Wolkenwand bohrte, etwas langes, das sich aus den Wolken schlängelte mit vielen Köpfen, oder irrte sie sich, täuschten sie ihre Augen?

"Siehst du sie jetzt?"

Sie war etwas verwirrt: "Wen?"

"Leviathan."

Nun bestand kein Zweifel mehr: das Untier, das sie dort sah, existierte wirklich, es war real, so real wie diese Welt, und kam auf sie noch schneller als die Wolken zu. Nach nur kurzer Zeit hatte es das Plato erreicht und landete auf einen Trümmerhaufen neben dem Kloster, der unter dem enormen Gewicht des Ungeheuers zerbarstete, ruhte aber mit einem seiner Köpfe, dem Hauptkopf, auf dem großen Steinboden. Der kleine rothaarige Dämon ging sofort zu den Drachen mit dem schlangenartigen Körper und strich mit seiner Hand sanft über das riesige Haupt, das vor ihm auf dem Boden lag.

"Danke, dass du gekommen bist, Liwjatan. Du musst mir einen kleinen Gefallen tun: bringe uns bitte so weit es in deiner Macht steht in die Nähe von Bangwiulu."

"Ich dachte es heißt Leviathan?," fragte Enigma, noch etwas verwirrt von den Gegebenheiten, den Engel, der neben ihr stand, flüsternd.

"Die, die sich von unserem Gott abgewannt haben, nennen sie Liwjatan, das Himmelsvolk nennt sie Leviathan," gab er ihr kühl zur Antwort, dann ging er auf das Ungetüm zu.

Die junge Frau schritt langsam und vorsichtig hinter ihm her.

"Steigt auf! Sie wird uns so weit wie für sie möglich in die Nähe von Bangwiulu bringen," der kleine Dämon fügte noch hinzu, als er sah wie unsicher Enigma auf das monströse Tier zukam, " Es ist ihr eine Freude und sie versprach von uns jegliches Leid fernzuhalten."

Sie wusste, dass er dies nur gesagt hatte, um die Angst von ihr zu nehmen, die sie vor diesem Untier hatte. Aber seine Bemühungen halfen nichts, ihre Furcht blieb, auch wenn sie versuchte sie zu verbergen. Sie war da und daran konnte keiner etwas ändern. Eine Weile stand sie wie angewurzelt vor Liwjatan und beobachtete wie ihre Begleiter sich auf das Tier begaben: Uriel machte einen großen Satz und ließ sich von seinen schwarzen Schwingen leicht auf das Genick des Untieres sinken. Nachdem sie gesehen hatte wie der Todesengel auf das Tier aufgestiegen war, konnte sie endlich ihre Furchtüberwinden und kletterte über den Kopf ins Genick des Tieres, wo auch der Todesengel Platz genommen hatten und tat es ihm gleich. Nachdem Ky sich vergewissert hatte, dass alle auf dem schlangenartigen Monster sicher waren, hielt er sich bei einer, der vielen Haarsträhnen des Ungetüms fest und schwang sich auf seinen Nacken, wo er vor den beiden anderen sich platzierte, um genauer zu sehen wohin der mehrköpfige Schlangendrache flog und im Notfall ihm einen neuen sichereren Weg zu weisen. Dann ließ der Dämon abermals die Hornpfeife ertönen und unter einem Getose und lautem Knarren und Knirschen des Geröllhügels, auf dem sie gelegen hatte, erhob sich Leviathan wieder in die Lüfte, um mit schlängelnden Bewegungen davonzufliegen und die Reise nach Bangwiulu anzutreten.
 

© by Brigitte Erhardt



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Kommentare zu dieser Fanfic (2)

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Von:  TypeZeroTree
2005-05-06T21:12:59+00:00 06.05.2005 23:12
Wow geil *weiter lesen geht*
Ich werd mir das ganze durchlesen ^-^ Ich find es interresant
Von: abgemeldet
2005-01-30T23:35:48+00:00 31.01.2005 00:35
Ich hab jetzt nur die Vorgeschichte gelesen (weil es ja auch schon so spät ist^^'') und bin schon sehr neugierig.
Du hast es sehr spannend gestaltet, ebenso die Umgebung.

Zu Bemängeln wären, das Klischee mit der Nonne. Ok, zur damaligen zeit war es zwar härter, aber es ist halt das ewige Bild: Nonne: Kaltherzig, entweder hager oder Fettleibig.

Vielleicht solltest du direkt erwähnen zu welcher Zeit das spielt, nach dem Prolog (?) steht eine Jahreszahl da. Deshalb wäre es auch interessant zu wissen, zu welcher Zeit das Prolog spielt.
Ich würde dir auch vorschlagen, dass du vor und nach der Jahreszahl Zeilen frei lässt. Das ist etwas übersichtlicher.

Hoffe, dass ich bald Zeit haben werde etwas mehr zu lesen.

LG
L_A


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