Zum Inhalt der Seite

Exodus

Aufbruch ins Land der Dämonen
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Kapitel 1

Die Sonne kroch über weite, mit goldfarbenen Ähren bestückte Felder, auf denen die Insekten im frühen Morgenlicht geschäftig umher flogen, um die letzte Blume noch zu erreichen, bevor die heißen Monate des zweiten Sommers begannen. Vögel, die den nahenden Tag begrüßten, weckten die Tiere im nahen Wäldchen und riefen die Bauern an ihr Tagewerk. Diese trieben ihr Vieh auf die Felder und molken die Kühe, damit sie unbeschwerter auf den saftigen Wiesen grasen konnten.

Diese Idylle verschwand, als der Kriegerpriester Ce’Nedra Esophromatem die letzten Reste des Schlafs aus seinen Augen rieb. An ihre Stelle traten unfreie Leibeigene, die mageren Kühen das letzte Bisschen Milch zu entlocken versuchten, das sie selbst noch behalten durften, hagere Schafe, die lustlos an kargen Grasbüscheln knabberten. Die Felder waren mehr mit Unkraut bewachsen als mit Korn und bei den Insekten handelte es sich häufig um bösartige Stechfliegen oder Kartoffelkäfer, die auch die letzte Ernte versprachen, zunichte zu machen. Einzig die Vögel wollten an der Illusion der ersten Morgenstunde festhalten und trällerten weiterhin trotzig ihr Lied der harten Realität entgegen.

„Wird’s bald, Bursche? Ich kann’s mir nicht leisten, deinetwegen zu spät zu kommen!“, brüllte der Müllermeister von unten herauf und unterstrich seine Worte mit einem herzhaften Tritt gegen die Treppe, die zu dem Nachtlager führte, in dem sich besagter Bursche die Aussicht ansah. Ce’Nedra, der neben ihm saß und den Moment der zweisamen Betrachtung aufrichtig zu schätzen wusste, gab ihm einen freundschaftlichen Klaps auf die Schulter, wodurch er ihn entließ. Gemurmelte Verwünschungen auf den Lippen, fügte sich der Junge und kletterte die Stiege hinunter.

„Du kannst auch diesem Nichtsnutz sagen, dass er herunter kommen soll, ansonsten bleibt nicht viel vom Frühstück übrig!“, donnerte der Müller, ohne sich darum zu scheren, dass der „Nichtsnutz“ ein zahlender Gast war und ihn zudem noch mit Leichtigkeit und ohne irgendwelche Konsequenzen fürchten zu müssen hätte aufknüpfen können. Doch Ce’Nedra sah über die unfeinen Worte seufzend hinweg, stopfte seine Füße in die gepanzerten Stiefel und eilte sich, den gemeinsamen Frühstücksraum zu betreten. Im Prinzip konnte er dem Müller nichts vorwerfen, er war einer der wenigen freien Bürger dieses Landstrichs und musste darum doppelt so hart arbeiten, um sich seinen Kopf, seinen Hof und die kostbare Freiheit auch zu bewahren.

Im Frühstücksraum, der gleichzeitig auch als Werkstatt diente, wurde Ce’Nedra eine Schüssel mit wässrigem Haferschleim und ein sehr dünner Fruchtsaft in die Hand gedrückt. Das Einzige, was ihn davon abhielt, sich zu beschweren, war die Tatsache, dass er wusste, dass der Familie auch nichts Besseres vorgesetzt wurde. Vielleicht sogar etwas Schlechteres, immerhin war er trotz allem eine Respektperson und ein Gast. Am Tischgespräch nahm er kaum teil, auch wenn er im Gegensatz zu dem, was allgemeinhin geglaubt wurde, den Bauernslang sehr gut verstand und fließend sprach.
 

Nur wenige Stunden später befand sich Ce’Nedra wieder auf seiner haselnuss-braunen Stute auf einem unbefestigten Trampelpfad und ritt Richtung Hauptstadt. Je näher er dieser kam, desto ärmer erschienen ihm die zunehmend gehäuft auftretenden Elendshütten, die denen gehörten, die sich die Preise in der Stadt nicht leisten konnten, aber von denen verlangt wurde, dass sie jederzeit in ihr einsatzbereit waren. Bei ihrem Anblick verzog sich Ce’Nedras Mund und formte eine schmale, harte Linie. Wie konnten die feinen Herren und Damen die Menschen, auf die sie angewiesen waren, nur so heruntergekommen im Dreck leben lassen? Wenn sie sich ihren Unterhalt nicht leisten konnten, sollten sie sie frei und eine Arbeit suchen lassen, bei der ihnen mehr als nur der übliche mickrige Hungerlohn gezahlt wurde!

Die Stadttore und die –mauern zeigten all den Prunk und die Pracht, die sowohl den Menschen außerhalb wie auch innerhalb fehlte. Trotz dieser makabren Zurschaustellung der Ignoranz konnte Ce’Nedra Esophromatem nicht umhin, von den gewaltigen Ausmaßen beeindruckt zu sein. Aufgrund seiner Berufung war er schon in vielen Städten gewesen, die sich für reich hielten, doch noch nirgendwo war eine so auf Prestige ausgelegt wie diese hier. Nachdem die Wachen ihn widerstrebend und nicht ohne einen heißhungrigen Blick auf sein schönes Streitross und die edle Kleidung, die die Rüstung verbarg, zu werfen, die einen hohen Zoll versprachen, kostenlos hatten passieren lassen, kontrastierte der Anblick der Behausungen das Tor doch sehr, auch wenn er nichts anderes erwartet hatte. Kaum ein Gebäude war den Putz wert, der es noch zusammenhielt und viele konnten nicht einmal diesen kläglichen Rest Wahrung des Anscheins aufweisen. Wenn man bedachte, dass er hier durch die Hauptstraße der Hauptstadt ritt…

Schnurgerade führte ihn sein Weg vom Tor zum Palast und je weiter er sich ihm näherte, desto prachtvoller wurde übertüncht, welche Armut selbst die Oberschicht litt. Einzig der Palast konnte Ce’Nedra überzeugen, dass es nicht nur falscher Stolz war, der die Fassade noch aufrechterhielt. Die Wächter hier wirkten besser genährt und sie nahmen seine Stute mit kundigen Händen entgegen, um sie im Stall versorgen zu lassen. Die Treppenstufen musste er zu Fuß hinauf steigen und oben seine Waffen abgeben. Dann wurde er von zwei kräftigen Dienern flankiert und durch herrliche Räume und Korridore geführt, bis er schließlich in einem prunkvoll eingerichteten Arbeitszimmer abgestellt wurde, wo er zunächst warten musste. Seine Reisekleidung richtend sah er sich, sich schäbig fühlend, in diesem mit Samt, Seide und farbenprächtiger Wolle ausgestattetem Raum um. Das Sofa, das schräg neben dem Arbeitstisch lehnte, hätte manch einer Familie als Bett dienen können, die Vorhänge als Decke, Teppich und Tapete zugleich und mit dem Gold vom Kerzenständer in der Ecke wären sie mindestens fünf Jahre ohne Sorgen ausgekommen. Und das war nur ein kleiner Teil des Luxus, den Ce’Nedra hier bestaunen musste, Ihm wurde beinahe schlecht.

„Ah, Esophromatem! Man hat Euch hier schon vor einigen Tagen erwartet, was hat Euch aufgehalten?“, erklang ein dröhnender Bass aus dem Hintergrund, wo es anscheinend hinter Haufen von Satinkissen und Seidenstoffen eine Privattür gab, sodass sich der Herr des Hauses nicht unter den normalen Besucher mischen brauchte.

„Mein König“, begrüßte Ce’Nedra den korpulenten Mann und deutete eine Verbeugung an, „Euer Land hat einige faszinierende Szenerien, derer ich mich nicht erwehren konnte. Leider überraschte mich auf der Hälfte der Strecke ein Unwetter, das direkt aus der Hölle stammen könnte.“

„Die Dämonen“, seufzte der König und ließ sich von einer unscheinbaren Dienerin Wein einschenken, „hört zu, was haltet Ihr davon, eine Streitmacht über das Land laufen zu lassen, die jeden Dämon, den sie findet, exorziert oder aufknüpft. Dann wären wir diese Last endgültig los und bräuchten uns nicht mehr mit Umweltkatastrophen wie Eurem Sturm herum zu schlagen.“

„Mein König“, ließ Ce’Nedra seine Meinung im Unklaren. Er wartete auf die Aufgabe, die ihm diesmal zugeteilt werden sollte und wollte vorher keine Präferenzen durchscheinen lassen. Den König schien das nicht zu beeindrucken, er hatte sich in die Idee verrannt.

„Wenn die Dämonen erst einmal ausgerottet sind, können sich die Hexenwirker auch nicht mehr verstecken. Und dann kommen die Elfen dran und die Elben und die Zwerge, … bis irgendwann nur noch die reine Rasse der Menschen übrig ist.“, fantasierte der König, ohne dabei den Gesichtsausdruck Ce’Nedras zu bemerken, der zusehends versteinerte, „doch dazu braucht man Geld und Verpflegung für die Armee. Und wie soll ich armer König das aus eigener Tasche bezahlen, wo es doch einzig und allein für das Wohl des Volkes ist? Esophromatem, Ihr seid ein guter Staatsmann und braver Krieger, findet mir heraus, wo die Leute ihre Steuern vor mir verstecken und macht ihnen dringlichst klar, dass ich doch nicht aus Habgier Geld von ihnen verlange, sondern zum Wohle aller!“ Das war sie also, seine Aufgabe: Den armen Hunden das verlauste und struppige Fell vom Körper ziehen und sie dabei des Hochverrats zu bezichtigen. Nur dank jahrelanger Übung und unantastbarer Treue gelang es Ce’Nedra, nicht in Wut auszubrechen, sondern mit einer knappen Verbeugung anzuzeigen, dass er vernommen hatte und gehorchen würde.

„Ich fange am Besten in der Stadt an, mein König“, murmelte er und begab sich rückwärts zur Tür. Hinter dieser warteten schon die beiden Diener, die ihn in der gewohnten Zeremonie nach draußen geleiteten. Die Treppe hinunterlaufend, nahm Ce’Nedra seine Waffen wieder in Empfang und gürtete sie sich um. Dem Diener, der ihm sein Pferd bringen wollte winkte er ab. Zu Fuß konnte man die Stadt besser durchschreiten.

Zunächst führten ihn seine Wege zu einem noch einigermaßen intakten Gebäude, das eines Geldwechslers. In dem verhangenen Vorzimmer voller in Pfand gegebener, meist wertloser Dinge, brütete ein gebeugter, grauhaariger Mann über einer langen Liste. Als er Schritte die Tür durchschreiten vernahm, sah er kurz auf, erkannte allerdings erst nur einen Schemen vor dem helleren Himmel.

„Wir haben heute kein Geld zu verleihen, tut mir Leid“, murmelte er mürrisch, wobei er wieder seinen Blick die Liste betrachten ließ.

„Ich möchte mir nichts leihen, guter Freund“, schmunzelte Ce’Nedra und zog sich einen wackeligen Stuhl vor den schäbigen Tisch des Wechslers. Bei der Stimme, die er hörte, sah dieser auf und seine Miene erhellte sich.

„Ce’Nedra Esophromatem! Dass du dich hier noch einmal blicken lässt!“, rief der Wechsler aus und saß prompt gerade, wodurch seine schmale hagere Statur sichtbar wurde.

„Dir auch einen schönen Tag, Erwin Goldzahn“, grinste Ce’Nedra, während er aus seinem Reisebeutel einen für seine Größe sehr schweren Beutel kramte, „Ich möchte dir einigen Kram abkaufen,…“

„… zusätzlich zu den Informationen, wem was gehörte und was sich so gesellschaftlich in letzter Zeit begab“, vervollständigte Erwin den Satz, der jedes Mal unzweifelhart auf ihre Begrüßung folgte, „ich muss dich allerdings gleich warnen: die alte Frau Karidon lebt nicht mehr und die Kinder von Jesper und Nadina sind in die Leibeigenschaft gegeben worden, um einem Lord im Namen unseres ehrenwerten Königs auf den Feldern vor der Stadt zu dienen.“

Ce’Nedra knirschte mit den Zähnen. Menschen, die er fast sein ganzes Leben gekannt hatte, starben und solche, die noch so viel vor sich hatten, wurde die Zukunft geraubt. Dennoch ließ er sich nicht zu einer Bemerkung hinreißen, sondern zählte einige Münzen auf den Tisch.

„Wieviel berechnest du mir für die Gegenstände und deine Informationen?“

Erwin überlegte, überschlug kurz den Wert der Dinge, die im Lager gehortet worden waren, während er seinen Blick über sie schweifen ließ, und die Ereignisse, die sich in den Jahren zugetragen hatten, seit sein Freund nicht mehr zugegen gewesen war.

„Für alles zusammen 100 Königstaler“, murmelte Erwin und schaute auf die vor ihm aufgezählten Münzen, „oder ein entsprechender Gegenwert in ausländischer Währung.“ Der Nachtrag war reine Gewohnheit, beide Männer wussten, dass ausländisches Geld zu besitzen selbst einem Geldwechsler den Kopf kosten konnte. Nachdem sein Freund allerdings die verlangten 100 Königstaler fein säuberlich aufgereiht hatte, waren beide erleichtert und Erwin lehnte sich zurück, um die Ereignisse der letzten Jahre angemessen zusammen zu fassen.

Während sie so dasaßen und über die letzten Jahre berichtet wurde, schritt der Tag immer weiter voran und bis in die späten Abendstunden blieben sie beisammen sitzen. Ce’Nedra lernte die neue Hauptstadt kennen und Erwin verdiente sich die 100 Königstaler. Als es Zeit wurde, die Nachtlager aufzusuchen, verabschiedeten sich die Freunde und Ce’Nedra ging mit einem großen Sack beladen einen ihm bekannten Weg zu einer Herberge, die er als gut kennen gelernt hatte. Während er in der Stadt weilte, hatte er zwar das Privileg, im Palast übernachten zu dürfen, doch brauchte er einen Ort, an dem er ungestört ein und ausgehen konnte.

Der Wirt, ein in die Jahre gekommener, schmaler Man, begrüßte den Wanderer persönlich und setzte ihm einen dampfenden Napf vor die Nase. Ce’Nedra war sich zwar nicht ganz sicher, was er enthielt, aber ohne Zweifel war es reichhaltiger und schmeckte besser als das Frühstück, das er bekommen hatte. Auch das Zimmer, das ihm zugewiesen wurde, hielt dem Vergleich mit seiner vorherigen Herberge ohne Probleme stand. Hier entledigte Ce’Nedra sich von seinen Reiseklamotten und seiner Rüstung und schlüpfte in angenehmere, der Stadt angemessenere Kleidung. Inzwischen war die Nacht gänzlich herein gebrochen, doch manche Gestalten des Stadtlebens traf man nur um diese Zeit an.

Die dunkle Straße um ihn herum war lautlos bis auf zwei Tauben, die noch nicht mitbekommen hatten, dass die Sonne schon nicht mehr den Himmel zierte. Zunächst schien es, als sei er alleine, doch dann tauchte aus dem Schatten unvermittelt eine Frau im mittleren Alter auf, die, so wusste er, sich nur herangetraut hatte, weil seine Körperhaltung keine Gefahr signalisierte. Sie hielt einen zerfransten Binsenkorb an die Brust gepresst, in dem sich einige Überreste von irgendwelchen unidentifizierbaren, möglicherweise essbaren Dingen zusammenkauerten. Zaghaft zupfte sie Ce’Nedra am Ärmel, wobei sie jedoch immer noch einen gewissen Abstand wahrte. Wortlos nahm der Mann den Beutel von der Schulter, suchte im Dunkeln kurze Zeit darin herum, dann reichte er der Frau mehrere ramponierte Gegenstände, die sie mir großen Augen entgegen nahm. Jedoch ließ sie sich nicht die Zeit, sie vor Ort genauer in Augenschein zu nehmen, sondern verschwand sofort in einen düsteren Eingang und ward nicht wieder gesehen in dieser Nacht.

Nach fünf weiteren solcher Begegnungen fand Ce’Nedra sich vor einem der zahllosen gedrungenen Gebäuden wieder. Er hielt eine kleine Puppe abwägend in der Hand, dann entschloss er sich, zu klopfen. Ihm wurde erst nach mehreren Minuten geöffnet, doch als das warme Licht einer Kerze auf die Straße floss, bildete es eine willkommene Abwechslung zu der Trostlosigkeit um es herum. Die Frau, die ihm geöffnet hatte, starrte ihn beinahe eine ebenso lange Zeit an, wie sie gebraucht hatte, die Tür zu öffnen. Schließlich jedoch schien sie sich wieder der Situation bewusst zu werden und trat zur Seite, um Ce’Nedra einzulassen. Hinter ihm wurde die Pforte zur Nacht wieder versperrt.

„Setz dich und sei leise!“, gebot die Frau ihm, drückte ihn in einen eigentlich schon lange ausrangierten Sessel und wuselte anschließend mit der Kerze davon.

Als sie wieder zurückkehrte, hatte sie einige Kekse irgendwo ausgegraben, ein sicheres Zeichen dafür, dass sie seine Anwesenheit für einen Grund zum Feuern ansah. Zaghaft, mehr aus Höflichkeit denn aus Appetit, griff Ce’Nedra einen davon und knabberte daran herum, bis sie eine zweite Kerze entzündet hatte und neben ihn stellte.

„Wie lange ist es jetzt her, dass du nicht mehr hier warst?“, flüsterte sie und fasste ihn mit feuchten Augen in Augenschein, „ein halbes Jahr, ein ganzes?“

„Drei Jahre“, antwortete Ce’Nedra, „und jeder Monat davon war eine Qual, nicht in meiner geliebten Stadt zu sein.“

„Jetzt spottest du aber!“, gluckste die Frau, „du hattest es doch so eilig, von hier wieder zu verschwinden, dass wir dir deine Hosen zum Wechseln hinterher tragen mussten!“

„Die habe ich nie wieder gesehen. Bestimmt habt ihr sie verkauft oder selber benutzt“, schoss Ce’Nedra zurück und schielte auf die Beine der Frau, wie um sich zu vergewissern, dass sie sie nicht trug, „Wie auch immer, ich bin auf der Suche nach einer besseren Gegend aufgebrochen, konnte aber keine innerhalb unserer Grenzen finden. Und wie ich hörte, erging es meinen Freunden hier auch nicht sehr gut.“

Die Frau seufzte und schaute zu einem selbstgemalten Portrait eines Jungen. „Wir wollten Jeff und Karina nicht weg geben, für keinen Preis der Welt. Aber der feine Herzog ist zum König gestiefelt und der hat uns vor die Wahl gestellt, entweder wir verkaufen sie, oder er macht sie einen Kopf kürzer, um uns überflüssige Mäuler zu ersparen.“

Mitleidig sah Ce’Nedra Nadina an. „Meinst du, der Herzog würde sich dazu überreden lassen, sie wieder zurück zu verkaufen?“

„Das können wir doch nicht!“, schluchzte Nadina, „Hätten wir genug Geld, um sie zurück zu bekommen, würden wir es ja versuchen, aber dann würde der König misstrauisch, wo wir das denn her haben. Zu uns würde er sagen, er sorge sich, dass wir den Kindern nicht genug Lebensmittel auf Dauer bereit stellen könnten und sie deshalb lieber wieder zum Herzog geben sollten.“

Die Wahrheit schmeckte bitter, auch wenn Ce’Nedra so etwas bereits vermutet hatte. Er biss sich auf die Lippe, legte aber dennoch behutsam die Puppe und eine Rassel auf den Tisch zwischen ihnen. Nadina sah die Spielsachen eine Weile an, dann lief ihr eine einzelne Träne über die Wange, aber sie lächelte, als sie die beiden Dinge an sich nahm.

„Es ist eine große Freude, dass du wieder da bist, Ce’Nedra!“, seufzte sie, „Ohne dich erschienen uns die Tage so düster, jetzt wird selbst diese Nacht von einem freundlichen Licht erfüllt.“

Ce’Nedra lächelte traurig. „Ich wünschte, ich wäre dein Lob wert, aber ich habe schon wieder einen Auftrag, der niemandem gefallen wird. Außerdem bin ich nicht so gut, wie du denkst.“

Nadina sah ihn eine Weile an, dann beugte sie sich vor und flüsterte:

„Ich habe etwas über dich herausfinden können, als du nicht da warst. Meine Vision zeigte mir, wie du ein besseres Leben herbeiführst. Wenn das mal kein Grund zur Freude ist.“

Ce’Nedra stutzte über diese Worte. Nadina sprach nur selten von sich aus über ihre Visionen. Doch wenn sie ihr Mut machte, wollte er auch daran glauben, auch wenn er wenig Hoffnung sah, den naiven König irgendwie von seiner Idee, gegen die Dämonen zu ziehen, abzubringen.

Als er die Herberge wieder betrat, war sein Beutel beträchtlich geschrumpft. Den Menschen, denen er begegnet war und die er zuordnen konnte, hatte er ihre Habseligkeiten zurückgegeben, einigen auf die Fensterbank gelegt, von denen er wusste, wo er wohnte. Den Rest würde er dem Wirt anvertrauen, damit er sie verteile.

Am nächsten Morgen war er der erste, der sein Frühstück eingenommen hatte und die Arbeit begann. Zunächst wollte er sich die „reichen“ Häuser vornehmen und dort nach Schätzen forschen, sich dann langsam an die Stadtgrenzen vorarbeiten. An einer Kreuzung blieb er stehen, um die noch kühlen Sonnenstrahlen durch ein Glasfenster brechen zu beobachten. Wer sich ein solch großes Glasfenster leisten konnte, musste irgendwo „Steuern versteckt“ haben. Ce’Nedra klopfte mit dem Türklopfer aus Messing an die Pforte und ein Diener oder Leibeigener öffnete. Er erschrak, als er der Uniform Ce’Nedras gewahr wurde und eilte sich, seinem Herrn Bescheid zu geben. Ce’Nedra währenddessen betrachtete die tapezierten Wände des Warteraumes. Eindeutig zu farbenprächtig für eine Wohnung in diesem Stadtteil, er war noch recht weit vom Palast entfernt.

Der nervöse Adlige beobachtete Ce’Nedras Vorgehen, während dieser bei einem unaufhörlichen Wortschwall über die Güte und Gerechtigkeit, der Besorgnis des Königs um sein Volk die Wohnung systematisch druchgung und dem armen Mann schließlich eine Liste in die Hand drückte, was er alles besaß, das er eigentlich nicht brauchte und daher sicher bereit wäre, dies z verkaufen und den entsprechenden Gegenwert der königlichen Staatsklasse zuzuführen. Der Adlige war mehr als erleichtert, als Ce’Nedra davon absah, ihn zu fragen, wem die Häuserzeile gehörte, in der er wohnte.

Ce’Nedra hatte noch einige weitere Haushalte auf diese Art unter die Lupe genommen, als an einer Kreuzung ein junges, rothaariges Mädchen auf ihn zu gerannt kam, oder vielmehr in die Richtung, in der er zufälligerweise auch stand. Das Mädchen wurde von einigen Wächtern verfolgt, doch waren sie noch ziemlich weit hinter ihm und es fand die Zeit, kurz neben Ce’Nedra anzuhalten. Grinsend entblößte es einige Eckzähne und drückte ihm einen kopfgroßen, ovalen grünen Stein in die Hände, den sie ihm mit einem Druck auf den Arm beteuerte, gut aufzubewahren und nicht weg zu geben. Dann flitzte sie um ihn herum, weiter in gerader Linie vor den Wachen weg, die ihr nun schon näher gekommen waren. Als sie zu Ce’Nedra aufschlossen, salutierten sie knapp, gaben „Verfolgen eine Dämonin“ bekannt und eilten weiter.

Das grüne Ei an seine Brust gedrückt, setzte Ce’Nedra seinen Weg durch die Stadt fort. Bei einer Korbflechterin erstand er einen solchen, damit er den Stein nicht immer so offensichtlich zeigen musste. In der Tat wunderte er sich ein wenig darüber, dass er sich so ruhig fühlte und das „Ei“ wie natürlich bei sich führte. Es gab ihm ein Gefühl, als müsse es bei ihm sein, als gehöre es zu ihm und sei ein Teil von ihm schon immer gewesen, an dessen Abwesenheit er sich nur gewöhnt hatte, weil er es nicht gekannt hatte.

Die nächsten Hausbetrachtungen verliefen wie die ersten und am Abend hatte er ein gutes Arbeitsmaß erreicht, sodass er sich nun wieder Persönlicherem widmen konnte. Zunächst ließ er sich vom königlichen Stallmeister sein Pferd satteln und zu ihm führen. In den Straßen der Stadt führte er es am Zügel, um es warm werden zu lassen und sich besser durch die Menschen, die auf ihrem Weg nach Hause waren schlängeln zu können.

Plötzlich begann ein Glimmen hinter ihm, erst schwach leuchtend, dann immer heller erstrahlend. Die Straße vor ihm reflektierte das unheimliche Gelb und sein Ross wieherte leise vor Unmut. Ce’Nedra drehte sich langsam um und sah in die Richtung, die bereits von mehreren Augenpaaren verfolgt wurde. Der Palast wurde ausgeleuchtet von dem unnatürlichen Licht, das Ce’Nedra bisher gesehen hatte. Dann wurde eine Druckwelle freigesetzt, die sämtliche Menschen mit schwachem Stand umfegte und den übrigen gehörig die Kleidung sowie die Haare durcheinander brachte. Ce’Nedras Stute stieg vor Furcht und der Mann musste alle seine Kraft aufwenden, um sie davon abzuhalten, davon zu galoppieren. Nachdem sich auch dieses Phänomen gelegt hatte, war es eine Weile still, dann erhob sich ein Donnern wie aus tausend Gewittern und der Palast stürzte in sich zusammen. Entsetzt kletterte Ce’Nedra auf sein Pferd und stob zum Palast, um zu retten, was noch zu retten war, wenn möglich den König. Seine Stimmung verdüsterte sich jedoch, als er eine Traube von Wächtern um einige Trümmerhaufen herumstehen sah, von denen einige versuchten besonders hartnäckige Brocken beiseite zu hieven.

Ce’Nedra sprang vom Pferd, warf die Zügel einem überraschten Jungen zu und stürmte, so gut es ging, über die Überreste des Palastes zu den Soldaten. Als diese ihn in ihrer Nähe gewahrten, standen sie kurz stramm, salutierend, und bildeten dann eine Lücke, um ihn sehen zu lassen, was sie umstanden. Aus den Trümmern ragte ein Pfosten des königlichen Himmelbetts und alle, die die Gewohnheiten des Königs kannten, wussten, dass er meist früh schlafen ging. Ce’Nedras Besorgnis wuchs also, als auch er versuchte, ein Lebens- oder Todeszeichen des Königs zu finden. Ein wenig Erleichterung bot sich, als sie keine Leiche fanden.

Inzwischen hatte sich der Großteil der ortsansässigen Bewohner um den ehemaligen Palast versammelt und beobachteten die auf den Steinen herumlaufenden Männer. Noch wagte keiner, von den zerstörten Kostbarkeiten einige mitgehen zu lassen, doch das war nur eine Frage der Zeit.

„Riegelt das Palastgelände ab und lasst niemanden außer weiteren Wächtern herauf und niemanden herunter!“, ordnete Ce’Nedra an und sofort machte sich die Hälfte der um ihn stehenden Männer auf, den Befehl auszuführen, „Haben wir einen Bauexperten hier, der herausfinden…“ weiter kam er nicht, denn in dem Moment ertönte ein lautes Kichern, das einen Eissturm über ihren Köpfen auslöste, oder andersrum.

„Ihr sucht den König, meine Herren?“, flötete die Stimme, zu der das Kichern gehörte, „dann sucht ihr aber an der falschen Stelle!“

Im Sturm erschien der Schatten eines menschlichen Körpers, einige Soldaten legten ihre Armbrüste darauf an, doch Ce’Nedra gebot ihnen mit erhobener Hand Einhalt. Zu Recht, wie sich bald heraus stellte, denn bei dem Menschen handelte es sich um den schwergewichtigen König, der im Orkan schwebte und von den Winden dort gefangen gehalten wurde. Ce’Nedra und hunderte weitere Menschen schnappten bei dieser Erkenntnis nach Luft, Ce’Nedra fühlte sich hilflos angesichts seines weit über ihm festgehaltenen Herren.

„Ja, ihr habt richtig gesehen, erbärmliche Menschenbrut, ich habe euren König gefangen genommen“, lachte die eisige Stimme, „doch das tat ich nur, weil ich so gutherzig war, euch zu warnen und euch ein Beispiel zu geben, was mit denen geschieht, die sich uns widersetzen. Denn! Wir Dämonen des finsteren Eises, aus der herrlichen Kristallwelt in Esgmensor, werden zurück erobern, was einst uns gehörte, bevor ihr kamt und mit eurem falschen Gott uns vertrieben habt! Ihr habt zwei Monate Zeit, dieses Land zu verlassen. Jeder, der dann noch auf diesem Fleckchen karger Erde, die ihr euer Königreich nenn, angetroffen wird, wird entweder unser Sklave oder getötet, falls er sich widersetzen sollte!“

Abrupt brach der Sturm ab und der König, auf einmal nicht mehr von eisigen Windfingern gehalten, stürzte dem Boden entgegen. Ce’Nedras Aufschrei und sein Sprung zur möglichen Aufprallstelle des Herrschers halfen ihm nicht, den König zu retten. Schwer landete der Adlige auf dem Boden und nur ein Wunder oder ein Fluch konnte es sein, dass er noch bei Bewusstsein und am Leben war, als Ce’Nedra und viele der Menschen auch von außerhalb der Absperrung ihn erreichten. Ce’Nedra fiel, wie einige andere, neben ihm auf die Knie und stützte seine Hände auf den Oberschenkeln ab, damit sie nicht zitterten oder den Ärzten, die klugerweise bereits geholt worden waren, als der Palast einstürzte, gar in die Quere kamen.

Doch auch ihre Mühen blieben vergeblich, schließlich winkte der König schwach mit einer Hand ab, die in Ce’Nedras Nacken zu liegen kam. Gehorsam folgte dieser dem schwachen Druck der Hand, bis sein Ohr auf Höhe des monarchischen Munds ruhte.

„Teurer Esophromatem“, hauchte der König, „du hast mir immer gut gedient, nun höre meinen letzten Willen! Dem Volk muss Schlimmes bevorstehen, wenn Dämonen schon so nahe an unsere geliebte Hauptstadt herankommen. Versammle mein Heer und verfahre mit ihm, wie die am besten in dieser Hinsicht dünkt, ich gebe dir alle Befehlsgewalt, bis das Volk die Dämonen nicht mehr zu fürchten braucht.“

„Jawohl, mein König“, brachte Ce’Nedra tonlos hervor. Seine Hand krabbelte in seinen Nacken und umschloss die seines Königs. Dessen andere Hand vollführte schwach einen Zauber, der einen aus Weidenzweigen geflochtenen, kopfgroßen ovalen Gegenstand herauf beschwor, das königliche Zeichen, das besagte, der, der es besaß, hatte die ganze Vollmacht inne. Nachdem Ce’Nedra es ehrfürchtig in Empfang genommen hatte, verstarb sein König und hinterließ ihm eine gewaltige Aufgabe.

Als das Volk merkte, dass sein König gestorben war, liefen ein Schluchzen und ein Aufstöhnen durch die Reihen und gemurmelt wurden die letzten Worte weitergereicht, die edlen Worte, die noch immer an das Volk gedacht hatten, den eigenen Tod vor Augen. Schließlich kehrte wieder Ruhe ein und aller Augen und Ohren wandten sich dem Kriegerpriester Ce’Nedra Esophromatem zu, der die königliche Vollmacht in Armen hielt. Man wartete auf seine Anweisungen, fürchtete und hoffte, was sie wohl sein mochten. Ce’Nedra bekämpfte die Leere, die der Verlust seines Herrschers in ihm hatte entstehen lassen, weshalb er einige Minuten wortlos auf den Knien blieb. Doch sobald er sich wieder gefasst hatte, richtete er sich zu voller Größe auf, warf einen letzten trauernden Blick auf den Leichnam und wandte sich dann an die ihm anvertrauten Menschen:

„Wie ihr gehört habt, steht uns eine schlimme Zeit bevor, wenn wir hier bleiben, Deshalb werden wir gehen. Packt in den nächsten drei Wochen alle eure Habseligkeiten zusammen und macht euch für einen langen Marsch bereit, wir werden die Ostgrenze des Reiches überschreiten und in das üppige Land nördlich des Thomoth-Flusses ziehen. Alle jungen Männer, die eine Familie haben, die weiß, welche Dinge ihnen wichtig sind, sind dazu aufgefordert, sich in zwei Stunden vor den königlichen Pferdestellen einzutreffen. Sie sollen die Nachricht an die Dörfer weiterbringen, damit auch diese Menschen die Möglichkeit bekommen, mit uns zu fliehen. Das Heer wird und auf unserem Weg schützen. Nun geht und verbreitet die Nachrichten in der Stadt!“

Die Menge löste sich rasch auf, beunruhigt von den Worten und der Zukunft, die sie vor sich sahen. Ce’Nedra blickte von dem Symbol in seiner Hand zu dem toten König, während er nachdenklich überlegte. Als zwei Wächter an ihm vorbei liefen, hielt er sie auf und ordnete an, dass dem König ein Begräbnis bereitet werden solle und sie sich dazu fünf weitere Wachen zu suchen hätten. Der Grabhügel außerhalb der Stadt sollte die letzte Ruhestätte des Königs sein. Nachdem sie gegangen waren, suchte Ce’Nedra die Adligen der Stadt auf, die wie so oft in einem Grüppchen beisammen standen. Von ihnen verlangte er die Freigabe sämtlicher Leibeigener, weil er die Ansicht vertrat, dass Menschen eher bereit waren, für ihr eigenes freies Leben zu arbeiten und die Flucht dahin anzutreiben, als für weitere trostlose Jahre in Knechtschaft, die womöglich nur den Unterschied zum Sklaventum unter den Dämonen aufweisen konnten, dass sie nicht ab und zu gefressen wurden. Zwar wagten einige Adlige, sich sträuben zu wollen, doch brachte das Symbol der Macht sie wieder zur Einsicht und sie fügten sich.

„Müssen wir noch immer die Sachen verkaufen, Herr?“, wagte sich einer vor.

„Wenn Ihr jemanden findet, der sie Euch abkauft…“, schmunzelte Ce’Nedra, „allerdings solltet Ihr Eure Bemühungen lieber dahin treiben, dass Ihr Eure unentbehrlichen Habseligkeiten transportiert bekommt, da es nach unserem Aufbruch niemandem außer den Dämonen nutzt, wenn sie Euch gehören, aber hier verweilen.“

Die Adligen gaben ein vielstimmiges Seufzen der Erleichterung von sich, dann huschten sie davon, um ihre Bediensteten anzuweisen. Da diese zumeist kein anderes zu Hause kannten als das bei den Lord und Ladies, beließ Ce’Nedra es vorerst dabei.

Nach diesem relativ kleinen Erfolg begab sich der Kriegerpriester in die kleine Kapelle in der Nähe des Grabhügels, um sich geistig auf die Beisetzung abzustimmen. Er wollte keinem anderen Priester diese Aufgabe zuteilen, da dieser sicherlich besser darin beraten wäre, ebenfalls zu packen und es zudem dem Kriegerpriester mit seinem höheren Amt eher zuviel, diese wichtige Aufgabe zu erfüllen. Nach einer kurzen Meditation ging er in den kleinen Kapellraum, in dem die Soldaten ihren Herrn aufgebahrt hatten und in der Eile nur einen einfachen Sarg zusammen gezimmert bekommen hatten. Ce’Nedra küsste dem Toten die Stirn, hielt eine kurze Predigt über seinen Sarg, die eher an den Gott gerichtet war, dem er diente denn den wenigen Leuten, die gekommen waren, um ihrem Herren das letzte Geleit zu geben und streute dann die zeremoniellen weißen Blumen über den toten König. Der Sargdeckel wurde gemeinsam von ihm und den Soldaten zugeschoben und von ihm alleine geschlossen, da dies ebenso eine heilige Pflicht darstellte wie die Blumen zu segnen und zu streuen. Danach verließ die Prozession die Kapelle, der Sarg getragen von den Soldaten und angeführt von dem Kriegerpriester. Hintendrein kamen die paar Adligen, Bürgerlichen und der Priester Peter .

Auf dem Hügel war noch kein Grab ausgehoben geworden, und so stellten sie den Sarg einfach auf die Erde, Ce’Nedra sprach gemeinsam mit dem Priester ein Gebet und danach machten sich die Soldaten daran, große Steine auf dem Hügel zu sammeln und sie über den Toten in seinem letzten Bett zu schichten. Der Rest der Prozession löste sich langsam auf, in Trauer und Schock gehüllt, der sich zwar schon wieder etwas gelegt hatte, aber erneut aufgeflammt war, als sie den toten König gesehen hatten. Der Priester der Kapelle dankte Ce’Nedra, dass sein Gotteshaus die Ehre erhalten habe, von einem Kriegerpriester geweiht worden zu sein, doch dieser winkte pragmatisch, wenn auch berührt ab und wies seinen Glaubensbruder an, das Haus aufzulösen und alles Wichtige und Heilige mitzunehmen.
 

Eine Stunde später drängten sich viele junge Männer auf dem Hof vor den Ställen zusammen und waren darauf bedacht, ja nicht ganz vorne zu stehen. Als Ce’Nedra schließlich aus den Ställen kam, in einer Hand die Zügel eines prächtigen Pferdes, quetschten sie sich noch weiter nach hinten. Der Kriegerpriester schüttelte unwillig den Kopf über diese Reaktion.

„Ihr seid hier, um dem Land einen Dienst zu erweisen“, dröhnte seine Stimme über den Platz, „nicht, um euch wie Kaninchen vor einem Hund zu verkriechen. Denkt daran, dass die Wölfe im Rudel kommen werden und dann euer Bau auch keinen Schutz mehr bietet. Darum ist es nun eure Aufgabe, weitere Leute zu warnen, damit wir alle den Wald verlassen können, bevor die Wölfe eintreffen.“

Unruhiges Gemurmel erhob sich aus den Reihen der Männer. Ihnen gefiel es nicht, als feige Kaninchen bezeichnet zu werden. Eher schon wollten sie Hasen sein, die wenigstens aktiv dazu fähig waren, vor dem Feind wegzurennen und ihn auszutricksen. Ce’Nedra hatte nicht erwartet, eine solche Reaktion in den Menschen hervor zu rufen mit einer einfachen Landmetapher. Jedoch ließ er sich seine Verwunderung nicht anmerken, sondern fuhr unbeirrt fort:

„Jeder Freiwillige bekommt ein Pferd, das er, wenn er wieder kommt und es gut behandelt hat, behalten darf. Denkt jedoch daran, nicht nur aus eigener Habgier mein Angebot anzunehmen, sondern möglichst vielen Menschen die schlechte Nachricht zu überbringen. Jeder bekommt einen Soldaten zu seinem Schutz zugeteilt, oder auch zwei, je nachdem, in welches Gebiet er sich vorwagen möchte. Meldet euch dazu bei dem Schreiber hier, nennt euren Namen und Familie, dann ordnen sie euch ein Pferd und Soldaten zu.“

Ce’Nedra wartete, bis die Männer unruhig wurden und sich zaghaft nach dem ersten Wagemutigen umschauten, der die Aufgabe annahm. Noch ein paar Minuten verstrichen, dann stolperte ein junger, milchgesichtiger Bube mit Sommersprossen vor, der mit quakiger Stimmer, die deutlich seine Nervosität kennzeichnete, verkündete, er wolle dem Vaterland diesen Dienst erweisen. Sein Ziel sollte ein kleiner Ort im Nordwesten sein, den er noch aus frühester Jugend kannte. Ce’Nedra ging mit stolzen Schritt auf ihn zu, gab ihm die Hand, klopfte ihm auf die Schulter und reichte ihm die Zügel des prächtigen Pferdes, während er den Mut des Jungen pries. Diese Darstellung überzeugte auch endlich die anderen, sodass sie zu dem aufgestellten Schreibpult drängten und der Jüngling im Endeffekt der zwanzigste war, dessen Name auf der Liste vermerkt wurde.

Der Kriegerpriester blieb, bis alles einen geregelten Gang gefunden hatte, dann begab er sich zu dem stehenden Heer, dem Rest, der noch übrig geblieben war, nachdem die Freiwilligen sich zurückgezogen hatten, um ihre Reisen vorzubereiten. Ihm trug er auf, zusätzlich zu den Polizisten in der Stadt zu patrouillieren und jeden aufkeimenden Streit zu schlichten. Sie konnten es sich jetzt nicht leisten, in Privatfehden zu zerfallen.

Wie sich später heraus stellte, war der König das einzige Opfer der Katastrophe am Palast geblieben. Sämtliche Bedienstete, Berater, Adligen und Palastwachen hatten zuvor das Gebäude verlassen, teilweise aus ihnen selbst unerklärlichen Gründen. So konnte Ce’Nedra sie damit beauftragen, sämtliche sich im Besitz des Königs befindliche Kutschen und Karren unter das Volk zu verteilen, das selbst keine besaß. Mit Beratern setzte er sich schließlich hin, um die Verpflegung und die Route des riesigen Zuges zu planen.
 

Eine Woche später als offiziell geplant, fand sich das ganze Volk um die Hauptstadt versammelt wieder und wartete ungeduldig darauf, dass der Kriegerpriester zum Marsch aufrief. Die letzten Vorbereitungen wurden an einem kühlen Tag vollendet und ein riesiges Gefährt rollte aus den Toren der Stadt. Die Zwerge, die in der Stadt geblieben waren, hatten aus Ce’Nedras Vorstellungen Realität werden lassen und ein dampfbetriebenes Transportmittel für die Nahrung, sowie diverse größere Habseligkeiten, geschaffen, sodass die Menschen genug Platz auf Pferden, Karren und Kutschen für sich selbst und andere bekamen. An diesem Abend ritten die Herolde aus, um die Menschen darauf hin zu weisen, dass sie sich bereit machen sollten, noch in dieser Nacht abzureisen. Die Straßen um die Hauptstadt waren befestigt genug, um eine einigermaßen sichere Fahrt zu erlauben und zusätzlich würden nach dem späten Einbruch der Dunkelheit in regelmäßigen Abständen Fackelträger am Rand des Zuges und der Viehherden, die mitgebracht worden waren, einher reiten.

Schon kurz nachdem sie die Stadttore passiert hatten, traten jedoch die ersten Schwierigkeiten der Reise auf. Ein Ochsengespann geriet in Panik, riss den hinter sich gespannten Karren mit und rammte schließlich einen gewaltigen Baum, der am Wegesrand seine Wurzeln geschlagen hatte. Ce’Nedra, der zufällig in der Nähe geritten war, eilte herbei und half, so gut er konnte, den Wagen wieder flott zu machen. Schließlich hatten sie es irgendwie geschafft, die Vorderräder, die sich im Wurzelwerk verfangen hatten, zu befreien und die Ochsen wieder einzuspannen, die inzwischen friedlich grasten. Trotzdem gab dieser Zwischenfall dem Kriegerpriester einen kleinen Vorgeschmack, was noch kommen wollte.

Sein einziger Halt in dieser Zeit der Entbehrungen, Streitfälle, Versorgungsknappheiten, Katastrophen, Unwetter, Sünden und Seuchen war, dass Jesper und Nadina wieder mit ihren Kindern vereint waren und ihm in dunklen und ansonsten einsamen Nächten Gesellschaft leisteten. Ohne sie und den Geldwechsler Erwin wäre er wohl auch bald wie so viele an der schrecklichen Zeit zerbrochen, auch wenn er diesen Umstand nicht einmal sich selbst eingestand.

Nach der zweiten Woche der Wanderung lagerten sie hinter einem Hügel, den sie zuvor überquert hatten. Auf diesem stand Ce’Nedra mit Nadina, Jesper und den spielenden Kindern und sah zurück auf den mit Leichen gekennzeichneten Weg, der sie hierher getragen hatte. Die Zeit war Ce’Nedra wie mehrere Jahre vorgekommen und nicht wie die 14 Tage, die sie tatsächlich erst unterwegs waren.

Die beiden ovalen Gegenstände, das Zeichen der Befehlsgewalt und der grüne Stein, den er von dem rothaarigen Mädchen bekommen hatte, lagerten in dem Weidenkorb zu seinen Füßen, den er nie von seiner Seite weichen ließ. Er hatte den Eindruck, dass die beiden ähnlichen Dinge ihm zusätzliche Kraft gaben.

Als die Nacht gänzlich herein brach, brachte Nadina die beiden Kinder ins Lager hinunter, um sie schlafen zu legen. Jesper blieb noch eine Weile an der Seite des Freundes, doch sowie er merkte, dass dieser weder sprechen wollte noch seine Anwesenheit benötigte, ging auch er. Ce’Nedra stand nun alleine auf dem Hügel und hielt einsam Wache über die Toten hinter ihm wie die Lebenden vor ihm. Der Moment hatte etwas seltsam Schicksalhaftes an sich, viele der heute noch Lachenden könnten morgen schon tot den Wegesrand säumen.

Der Moment verging und so kam Ce’Nedras Aufmerksamkeit für seine Umgebung wieder. Er musste feststellen, dass er nicht mehr alleine auf dem Hügel stand, sondern das rothaarige Mädchen und einige verhüllte Gestalten mit flackernden Lichtern in Händen bei ihm weilten. Zunächst beunruhigt von diesem unbemerkten Nähern, legten sich seine Sinne doch bald wieder ruhig auf die Lauer, als er die nicht feindlichen Absichten der Ankömmlinge erahnte. Das Mädchen, das bei genauerer Betrachtung eigentlich schon eine bloß recht kleine reife Frau war, löste sich aus dem Kreis, der sich im ihn bildete, und ging auf ihn wie auf ein scheues Tier zu. Der Kriegerpriester beobachtete sie wachsam, ließ dabei jedoch so selten wie möglich die übrigen Gestalten aus den Augen.

„Ihr wisst, wer und was Ihr seid?“, fragte die Frau übergangslos, um seine Aufmerksamkeit zu fesseln. Ce’Nedra schüttelte den Kopf leicht, während seine Hand zur Waffe krabbelte. Die Frau jedoch war schneller, zog ihrerseits sein Schwert und warf es in einem Bogen durch die Luft, sodass es außer Reichweite mit der Spitze im Boden stecken blieb. Der Kriegerpriester sah seiner Waffe hinterher und funkelte die Frau drohend an. Diese hatte sich jedoch schon wieder in einen respektvollen Abstand zu ihm gebracht.

„Wir wollen Euch keinen Schaden zufügen, Krieger, darum benötigt Ihr die Waffe nicht.“, versuchte sie ihn zu entspannen, „Mein Name ist Ko’Descherre Eiphromylop, meines Zeichens Dämonin der feurigen Pflanze, aus der Welt Symbios. Und Euer Name ist…?“

Die Bekanntmachung wurde von einer Verbeugung untermalt, aus der sie auch bei der Frage nicht ausbrach, sondern nur mit neugierig funkelnden Augen hochschaute.

„Ce’Nedra Esophromatem, Halbelb, soweit ich das beurteilen kann“, entgegnete der Kriegerpriester knapp und gereizt und ließ zum ersten Mal bewusst seine Haare hinter die Ohren gleiten, die spitz zuliefen. Nur wenige Menschen wussten um dieses Geheimnis, was auch besser so war, denn den Elben wurde wenig Sympathie entgegen gebracht und ein Mischling unweigerlich ausgestoßen. Ko’Descherre schien noch etwas anderes an ihm aufgefallen zu sein, schon lange vorher, denn ihr neugieriges Funkeln ließ sich unentwegt in ihren Augen sehen und scheinbar wartete sie auf weitere Ausführungen.

„Halb Mensch“, fauchte Ce’Nedra gereizt, ein deutliches Anzeichen dafür, dass er sich seiner Aussage nicht sicher war. Die Dämonin beließ es vorerst dabei, streckte sich und breitete ihre Arme den Sternen entgegen aus, die irgendwo hinter der Wolkendecke funkelten.

„Ihr seid auf der Flucht vor den Dämonen aus Esgemensor“, stellte sie fest, „doch haben sie nicht mit einer solch klugen Tat gerechnet und werden euch sicher aufhalten wollen, die Stürme in letzter Zeit sprechen eine eindeutige Sprache. Je näher ihr der Grenze kommen werdet, umso erbitterter wird ihr Widerstand sein. Sie wollen nicht das Land, sie wollen die Leute.“ Ko’Descherre zwinkerte Ce’Nedra zu, „Das habt Ihr sicher auch schon erkannt. Wollt Ihr unsere Hilfe annehmen, um Euer Volk in Sicherheit zu bringen?“

„Zu welchem Preis?“, verlangte der Kriegerpriester zu wissen.

„Euch.“, gab Ko’Descherre ernst zu, „Wir Dämonen aus Symbios sind alle weiblichen Geschlechts und ergo darauf angewiesen, dass uns männliche Wesen aus Eurer Welt wohl gesonnen sind.“

Ce’Nedra errötete heftig und protestierte mit einem ausgestoßenen „Ich bin Priester!“, was durchaus der Wahrheit entsprach, allerdings seine Reaktion weder entschuldigte, noch seine Abneigung einer erotischen Nacht, wenn auch mit einer Dämonin, rechtfertigte. Ko’Descherre verkniff sich ein Lachen über diese Reaktion.

„Das hält Euch aber nicht davon ab, mit mir zu reden und mich nicht gleich zu exorzieren.“, schmunzelte sie, wurde dann allerdings wieder todernst, „Ihr sollt auch eigentlich keinem solchen Zweck dienen, vor allem nicht, wenn es Euch so sehr abstößt. Nein, in Eurem Fall wollen wir im Prinzip nur eine Vermutung überprüfen, wenn sie sich bestätigt, bleibt Ihr als freier Mitbürger bei uns, wenn nicht, werdet Ihr wohl doch Eure Scheu überwinden müssen, oder Eurem Gott einen guten Tag von uns wünschen.“

„Das sind ja rosige Aussichten“, grummelte Ce’Nedra, doch im Grunde seines Herzens wusste er bereits, dass er diesen vergleichsweise niedrigen Preis bereit war, zu zahlen, um das Volk seines geliebten Königs zu retten. Ko’Descherre hatte an seiner Körperhaltung diese resignierten Entscheidung abgelesen und nickte beifällig, was ihr einen bösen Blick von dem Kriegerpriester einhandelte.

„Lasst mich wenigstens die Menschen zu dem Ort führen, von dem ich glaube, dass er sicher ist“, bat Ce’Nedra ergeben.

„Natürlich! Wir beabsichtigen nicht, einen unserer Leute für diese Aufgabe einer solchen Gefahr auszusetzen und jemand anderem als Euch trauen wir nicht. Es benötigt aber jemanden, der die Macht, die wir Euch zur Hilfe stellen, in die richtige Richtung lenkt“, erklärte die Dämonin überraschend. Dann bedeutete sie dem Kriegerpriester, den grünen Stein hervor zu holen, den sie ihm bei ihrem ersten Zusammentreffen in die Hand gedrückt hatte. Bei dem Anblick des ähnlich geformten Zeichens der Befehlsgewalt des Königs fauchte sie abwehrend, hatte sich aber bald wieder in ihrer Gewalt. Misstrauisch fragte sie:

„Was fühlt Ihr, wenn Ihr die beiden Steine bei Euch tragt, oder sie berührt?“

„Sie geben mir Kraft, Zuversicht und Energie“, antwortete Ce’Nedra aufmerksam, da er wissen wollte, was sie so gereizt hatte. Leider bekam er keine Reaktion, die ihm darüber Aufschluss geben sollte, nur eine verwundert nach oben gezogene Augenbraue. Ko’Descherre bedeutete den Kerzenträgern, näher zu kommen, und nun sah Ce’Nedra auch, dass sie alle schmale, kleine Gestalten waren und sich unter den weiten Gewändern bei manchen Bewegungen verräterische Kurven abzeichneten. Es handelte sich bei ihnen anscheinend um Frauen, und wenn man Ko’Descherre trauen durfte, waren alle Dämonen ihrer Gattung weiblich.

Dem Kriegerpriester fuhr ein kalter Schauer über den Rücken hinab, als die Gruppe zu einem gruseligen, doch leisen Gesang anhob und Ko’Descherre mit dunkler Stimme in einer düsteren Sprache zu rezitieren begann.

„Ihr Mächte, die in den Dämonen der feurigen Pflanze wohnen, hört meinen Ruf! Offenbart euch diesem jungen Mann, bis er diese Welt verlässt und lasst euch von ihm zum Schutze seines Volkes leiten, auf dass jegliche Angreifer zurück geworfen werden mögen!“, vernahm Ce’Nedra in einem Wortlauf, den er meinte, noch nie gehört zu haben und dem sein Unterbewusstsein doch einen Sinn zu geben verstand. Trotz der düsteren Situation fühlte er sich durch die fremden vertrauten Worte an seine Mutter erinnert, die er nie bewusst kennen gelernt hatte.

Aus seiner Selbstbeobachtung wurde er gerissen, als der Stein in seinen Händen mit einem Mal mit kaltem Licht aufglühte und kurzfristig bedeutend schwerer wurde. Dieses Phänomen schien Ko’Descherre herbeizurufen vorgehabt zu haben, denn sie stoppte in der Rezitation der Beschwörung und gebot auch den Umstehenden, ruhig zu werden. Gemeinsam beobachteten sie, in Ko’Descherres Fall deutlich neugierig, wie Ce’Nedra den Stein weiter festhielt und ansonsten nichts weiter geschah, als dass das Licht wieder verblasste. Die Dämonin schnappte nach Luft und sah einen Moment so aus, als wolle sie vorspringen und Ce’Nedra an den Stein drücken. Doch der Moment verflog rasch und es breitet sich ein Lächeln auf ihren Zügen aus.

„Jetzt solltet Ihr so lange in der Lage sein, Euch unserer dämonischen Kräfte zu bedienen, wie sich der Stein in Eurer unmittelbaren Nähe befindet. Sobald Euer Volk allerdings einen sicheren Ort, an dem es auch verweilen kann, gefunden hat, werden diese Kräfte nicht mehr Euren Dienst erfüllen und ich werde kommen, Euch in unser Reich einzuladen.“, erklärte die Dämonin, während sie und die übrigen verhüllten Gestalten langsam in die Dunkelheit entwichen, „erwartet mein Kommen in den Abendstunden. Bis dahin: frohe Reise!“

Dann war sie verschwunden, ohne ein weiteres Wort der Erklärung, der Warnung oder der Hinweise bezüglich der neu erlangten Kräfte zu verlieren. Auf einmal spürte Ce’Nedra die Anspannung, die ihn während der Zeremonie erfasst hatte, und fiel zitternd auf die Knie. Kalter Schweiß rann ihm die Schläfen hinunter und ließ den kostbaren Stein beinahe aus den seinen Händen gleiten. Doch bevor er den Kontakt verlor, griff er rasch erneut zu und platzierte ihn sorgsam zu dem geflochtenen Zeichen der Macht in den Korb. Dann stemmte er sich diesen an die Hüfte und wankte ins Lager zurück. Auf halbem Weg den Hang hinab kam ihm Jesper aufgeregt entgegen, sein Atem ging keuchend und sein Blick hechtete unstetig von verschiedenen Dingen von Bäumen zu dem Kriegerpriester und zurück hin und her.

„Bist du wohlauf?“, keuchte er, als er seinen Freund erreichte, „Wir haben unheimliche Lichter auf dem Hügel gesehen, die sehr an Dämonenlichter erinnerten. Darum hat Nadina mich hochgeschickt, um zu sehen, ob alles in Ordnung ist.“

Ce’Nedra legte Jesper eine Hand kameradschaftlich auf die Schulter.

„Alles in Ordnung, danke, dass ihr euch Sorgen gemacht habt. Ich habe den Eindruck, dass wir nun besser vorankommen werden.“, antwortete der Kriegerpriester und ging neben Jesper den Rest des Weges ins Lager zurück. Wie sich heraus stellte, waren Jesper und Nadina nicht die einzigen, denen das Licht auf dem Hügel aufgefallen war, denn Ce’Nedra wurde mehr als einmal gefragt, ob sie mit Ärger zu rechnen hatten. Er beruhigte die Leute so gut er konnte und sprach auch ihnen seine Zuversicht aus.

Jesper begleitete ihn noch zum Kommandeurszelt, verabschiedete sich dann mit einem „Gute Nacht“ und entschwand zu seiner Familie. Als Ce’Nedra in seinem Schlaflager lag, fragte er sich, ob er sich auch als Familienvater sehen konnte und wenn es nur der einer Dämonenfamilie war. Bei dem Gedanken, diesen menschenfressenden Ungeheuern bei der Vermehrung zu helfen, drehte sich ihm der priesterliche Magen um und er entschied, dass er lieber sterben wollte. Mir diesen aufwühlenden Gedanken behaftet glitt er in einen unruhigen Schlaf hinüber.
 

Die folgende Woche verlief merklich besser als die ersten beiden. Durch den Zauber der Dämonin wurde Ce’Nedra jedes Mal rechtzeitig vorgewarnt, wann sich ein feindlicher dämonischer Fluch anbahnte und konnte diesen dann vorzeitig vertreiben. Zu seinem Erstaunen fiel es ihm überhaupt nicht schwer, die magische Energie in von ihm gewünschte Bahnen zu lenken. Sie schien ihm wie ein weiterer Teil seines Geistes, der ihn verstand und mit ihm kooperierte, weil sie eins waren. Um seine Magie zu wirken, holte er jedes Mal den grünen Stein hervor und richtete seinen Blick in die gewünschte Richtung, aus der der feindliche Zauber nahte, doch verbarg er es nicht vor seinen Folgern. Er fand, dass sie ein Recht hatten, zu wissen, mit welchen Mächten ihr Herr sich eingelassen hatte, um sie zu retten. Wie zu erwarten gewesen war, ertönten bald überall Stimmen, die sich missmutig über die Dämonenhilfe äußerten, die ihr Anführer offenkundig angenommen hatte. Jedoch sahen sie ein, dass sie dadurch wesentlich besser voran kamen und sogar weniger Verluste zu beklagen hatten. Deshalb blieben ihre Münder geschlossen, wenn der Kriegerpriester in der Nähe ritt. Nur Nadina äußerte ihren Unmut offen gegenüber ihrem Freund, der versuchte, ihr die Notwendigkeit dieser Unterstützung begreiflich zu machen, jedoch kläglich scheiterte.

Etwa ab Ende dieser ersten Woche stellte es sich häufig ein, dass Ce’Nedra zurück fallen musste, im ihnen unerwünschte dämonische Verfolger vom Leib zu halten, die sicherlich unter der verschreckten Menge verheerendes Unheil angerichtet hätten. Bei solchen Zusammentreffen griff der Kriegerpriester meistens genauso häufig zum Schwert wie zu dem Stein. Diese Art des Exorzismus erfüllte ihn mit einer grimmigen Freude, war sie doch die eigentliche Bestimmung eines Kriegerpriesters, die nur in Vergessenheit geraten war, weil es nur noch so wenige dieses Berufsstandes gab.

Um einen Ausgleich zu den deutlich dämonensympathisierenden Handlungen mit dem Stein (wenn sie auch gegen andere Dämonen gerichtet waren, wurden sie doch nur durch Dämonen ermöglicht) zu schaffen, holte Ce’Nedra häufig das Zeichen des königlichen Vertrauens hervor und ließ es das Volk sehen, um die Botschaft zu verbreiten: „Ich habe den menschlichen König nicht vergessen, der in seinem letzten Atemzug nur an das Wohl seines Volkes dachte.“ Zudem ritt er nachts, wenn der riesige Menschenstrom zu einer Rast kam, zu den Grüppchen, die am meisten Unruhe verbreiteten und redete mit ihnen so lange, bis sie sich zu bessern gelobten. Dem Volk war es ein Rätsel, wie er immer genau wusste, wo er sein musste, hielt es bisweilen für Dämonenmagie, bis es merkte, dass er auf solchen Ritten nie den Stein dabei hatte, sondern nur das hölzerne Ei des Königs. Ce’Nedra hatte seine Informationen jedoch auch nicht von irgendeiner heiligen Energie, wie man nun langsam zu munkeln begann, sondern von seinem Freund Erwin Goldzahn, der es verstand, sich unters Volk zu mischen und dessen Stimmungsrichtungen richtig zu deuten.
 

Die letzte Woche ihrer Frist kam und ging viel zu schnell. Sie waren noch zwei Tagesmarsche von der Grenze entfernt, als die Woche um war. Die Menschen wurden unruhig und mit ihnen die Tiere, denn sie spürten die Dämonen kommen und hatten daher mit der Angst zu kämpfen. Im stummen Einverständnis mit sämtlichen Männern und Frauen ließ der Kriegerpriester sie nun mit zusätzlichem Tempo selbst einen großen Teil der Nacht durchreiten und weckte sie früh am nächsten Morgen. Als sie sich gegen Mittag der ersehnten Grenze näherten, wagten viele erstmals wieder, Hoffnung zu schöpfen. Doch diese wurde in Sekundenschnelle in Furcht verwandelt, als überall um sie herum Dämonen auftauchten, der Himmel sich verdunkelte und erste Regentropfen einen Sturm ankündigten. Unheimliche Stimmen kicherten in der Ferne und ein Esel, der sich in seiner panischen Flucht zu nah an den dämonischen Kreis gewagt hatte, schrie in entsetztem Schmerz auf, als er zerfetzt wurde und das noch warme Fleisch von den Dämonen verschlungen.

Um Ce’Nedra hatte sich das Volk zusammen gedrängt, weil es sich von ihm Schutz und Hoffnung versprach. Der Kriegerpriester sah über die Köpfe der verängstigten Masse hinweg auf den sich schließenden Todeskreis der Dämonen. Beinahe bekam auch er es mit der Angst zu tun, doch dann sah er auf die Kinder Jeff und Karina, die sich ängstlich an die Beine ihrer Mutter drückten und so zusammen mit ihr von ihrem Vater schützend umarmt wurden. Doch selbst in Jespers Gesicht zeichnete sich bloß pure Angst ab und der einzige Wunsch, wenigstens zusammen mit seiner geliebten Familie zu sterben. Erwin, der ebenfalls in Ce’Nedras unmittelbaren Nähe einen Teil der verängstigten Horde bildete, schlotterte vor Angst, während ihm gleichzeitig der Schweiß aus allen Poren drang.

Erneut lachten die Dämonen, die die Furcht rochen, die sie gesät hatten. Dann erhob sich aus dem Sturm die düstere Stimme von zuvor wie Donnergrollen:

„Na, sieh einer mal an, da hat jemand uns eine solch verlockende Fährte gelegt, um uns zu einem wahren Schlachtfest einzuladen. Und die Lämmer hat er auch schon zusammen getrieben. Ha, ha, ha, ha!“

Entsetzte Blicke fuhren von allen Seiten zu dem Kriegerpriester, dem sie bis jetzt vertraut hatten und gefolgt waren. Ersten Stimmen fiel leise tuschelnd ein, dass er von schändlichen Elben abstammte, zumindest gerüchteweise. Weiteren fiel dringlicher und realistischer auf, wie leicht es ihm gefallen war, die Stürme und Unwetter abzuwehren, die, wie jedermann wusste, von diesen Dämonen stammten. Die Kugel der Menschenmenge begann, von Ce’Nedra zurück zu weichen und wurde so unweigerlich den Dämonen weiter in die Fänge getrieben. Wieder lachten die bösen Stimmen der Ungeheuer, als sie mit Freude sahen, dass sich ihre Opfer ihnen von alleine näherten. Da packte Ce’Nedra die Wut und er donnerte mit lauter Stimme über die Köpfe der Menschen hinweg:

„Lasst diese Leute in Ruhe! Sie waren bereit, euch ihre Häuser, Höfe und Heimaten zu überlassen und nur das Nötigste mitzunehmen. Das Leid, das ihr ihnen dadurch verursacht habt, lasse ich euch nicht durch den Tod lindern, sondern werde sie in ein Land führen, das ihnen eine Zukunft ohne Leid bietet und in dem sie voller Freuden leben können. Diese Aussicht lasse ich nicht von euren niederen Verlangen zerstören!“

Die unerwartet kräftige Stimme des Kriegerpriesters gewann während seiner Worte an Intensität, doch wurde sie auch höher und weiblicher, bekam zum Ende hin beinahe selbst einen dämonischen Klang. Das Lachen der Dämonenschar verklang und sie fauchten den Priester inmitten der menschlichen Mauern drohend an. Als die äußeren Menschen vor Furcht wieder von ihnen zurück wichen, entfesselten sie in ihnen den Jagdinstinkt, sodass die in menschliche Gestalten gehüllten Dämonen ihnen nachsetzten, um ihre Beute zu zerfetzen. Das wollte Ce’Nedra freilich nicht zulassen, und mit seinem Aufschrei entfesselten sich die in dem Stein wohnenden Kräfte zu einer geballten Ladung Macht gegen die Angreifer, die allesamt mit einem Überraschungskreischen von den Menschen zurück geschleudert wurden. Nicht nur die Flüchtlinge am äußeren Rand ließen ein erleichtertes Aufseufzen vernehmen, sondern auch viele aus dem inneren Kreis, die des Kriegerpriesters Worte gegen die Anschuldigung verifiziert sahen und die Furcht mit neuer Zuversicht vertreiben konnten.

Einige Dämonen überwanden ihre schreckhafte Erstarrung und gingen wieder auf die Schäfchen los, die sich um ihren Hirten drängten. Dieser ließ jedoch nicht zu, dass ihnen etwas geschah, sondern hielt eine Art magische Barriere um sie aufrecht, die undurchdringlich für feindlich gesinnte Eindringlinge war und diese somit nur noch rasender machte, bis sie sich beinahe selbst verletzten. Die meisten Augen der Menschen waren auf das Geschehen außerhalb des Kreises gerichtet und merkten daher nicht, welche Veränderung mit ihrem Anführer vorging, nur Jesper und Erwin sahen entsetzt, wie sich ihr Freund vor ihren Augen einer nicht bewussten Verwandlung hingab, um das Volk zu beschützen. Seine Gestalt war hoch aufgerichtet, sein Blick auf die Grenzen des zu schützenden Bereichs gerichtet, seine Hände an die Zügel gekrallt, doch die Gestalt des Kriegers wurde der prunkvollen Rüstung, in der er steckte, nicht mehr gerecht, da sie ihm zu groß geraten schien. An Stelle des starken Mannes saß ein gertenschlankes, rothaariges Mädchen mit brennendem Blick im Sattel.

Im gleichen Moment, als Jesper und Erwin aus ihrer Paralyse mit einem Schrei erwachten, schrie auch die führende Dämonenstimme, allerdings nicht vor Schreck, sondern zum vorerstigem Rückzug. Vor Erleichterung über die tatsächliche Ausführung dieses verbindlichen Vorschlags ließ Ce’Nedra Esophromatem seine Haltung in sich zusammen sacken und entspannte seine Schultern. Dadurch gewann er wieder seine ursprüngliche Gestalt zurück, wodurch Erwin und Jesper sich versichert fühlten, den Blick wieder zu senken, wobei sich wiederum ihre Augen trafen und über diese Brücke das gemeinsame Wissen überspringen konnte. Stumm kamen sie überein, sich vorerst über diese Beobachtung in Schweigen zu hüllen, zumindest was die Mitteilung an Unbeteiligte betraf.

„Na gut, fürs erste belassen wir es dabei, dass ihr ausreisen dürft“, fauchte die dämonische Anführerstimme, erbost über ihren Nichtsieg, „aber glaubt nicht, dass wir euch in Ruhe lassen werden! Spätestens in 50 Jahren wird der Mensch, der den Pakt mit unseren falschen Schwestern geschlossen hat, gestorben sein, aber wir werden uns erinnern und dann müsst ihr euch auf etwas gefasst machen!“

Hysterisches Lachen ertönte, als sich die Dämonen mit sicherem Wissen auf spätere Rache zurück zogen und schließlich nur noch die zerfetzte Ziege und einige Fußspuren an ihre Anwesenheit erinnerten. Der Sturm legte sich durch den gerichteten Willen Ce’Nedras und die Anspannung wich aus vielen Gesichtern. Erleichtertes Gemurmel wurde laut, das sich in ein Jubeln verwandelte, als der Kriegerpriester das Zeichen des Königs empor hob und mit ihm den Sieg anzeigte.

An diesem Abend ließ der Kriegerpriester sie früh rasten und zur Feier des Entrinnens wurden einige Fässer angestochen, die die Wirte mitgebracht hatten, um in der neuen Heimat nicht ganz mittellos dazustehen. Ce’Nedra ging von Feuerstelle zu Feuerstelle und gab den Menschen weiteren Grund zum Feiern. Ihn selbst bedrückte allerdings etwas, das vielen egal, teilweise sogar willkommen war. Der Adel veranstaltete seine eigene Feier, in „kleinem Kreise“ und scheuchte jeden normalen Bürger fort. Auf die strengen Worte des derzeitigen Anführers reagierten sie höhnisch mit abfälligen Bemerkungen, die den Hinweis gebaren, sie betrachteten sich noch immer als etwas Besseres und würden auch im neuen Land alles daran setzen, ihre alten Stellungen wieder aufzubauen.

Spät in der Nacht, als auf das Drängen Ce’Nedras hin die Feuer herunterbrannten und die Menschen sich für die letzte Etappe ihrer Flucht zur Ruhe gelegt hatten, gingen Erwin und Jesper zu ihrem Freund und Anführer. Ihre besorgten Gesichter ließen ihn von seiner Tätigkeit des Rüstungablegens Abstand halten und ihn aufmerksam ihren Worten lauschen.

„Wir bitten dich, den Stein nicht mehr zu nutzen“, begann Jesper ihr Anliegen vorzustellen, „er verändert dich und du merkst es nicht einmal, was wohl das gefährlichste daran ist.“

„Außerdem beginnen die Leute zu zweifeln, auch ohne diese beunruhigende Neuigkeit“, fügte Erwin hinzu, „sie haben Angst vor dem Stein und den dämonischen Kräften, die du von ihm beziehst. Und das wohl nicht ganz zu unrecht, wie mir scheint.“

Nachdenklich holte Ce’Nedra den Gegenstand der Beunruhigung hervor und wog ihn in der Hand, während er in seinem Weidenkorb nach dem ähnlichen Gegenstand, der so wesentlich angesehener war, tastete. Als er beide in Händen hielt, fühlte er die Energie sich ausgleichend zwischen seiner linken Hand, in der der grüne Stein lag, und seiner rechten Hand, in der das geflochtene Ei ruhte, ausbreiten. Seine Augen blickten schließlich von dem grünen Gegenstand zu seinen Freunden, die unruhig von einem Bein aufs andere traten, weil sie sich nicht in Gegenwart des dämonischen Magiespenders wissen wollten.

„Die Dämonen haben sich doch bereits bereit erklärt, uns ziehen zu lassen, also warum lässt du ihn nicht einfach hier?“, schlug Jesper hoffnungsvoll vor, denn er sorgte sich um seinen Freund. Dieser blickte ihm melancholisch ins Gesicht:

„Glaubst du wirklich, dass sie sich so leicht geschlagen geben?“

„Naja, sie haben eingesehen, dass diese Reise unter deinem Schutz steht und dass sie gegen dich nicht angehen können, also…“, Jesper unterbrach sich, weil er bemerkt hatte, dass er eher für ein weiteres Behalten des Steines argumentieren würde. Ce’Nedra hatte es auch bemerkt und lächelte traurig, während seine Lippen ein leises „Siehst du?“ formten.

„Die Gefahr, der du dich aussetzt, ist viel zu groß, um den Nutzen zu rechtfertigen, den du dadurch erzielst“, warf Erwin ein.

„Ich soll also ein ganzes Volk meinem Wohlergehen opfern, nur, weil ich mich durch die Magie, die es schützt, verändere?“, fuhr Ce’Nedra Erwin heftiger an, als er gewollt hatte, „Tut mir leid, Freunde, aber ich habe meinem König geschworden, das für sein Volk zu tun, was ich für am besten halte. Davon kann ich mich jetzt, so kurz vor dem Ende, nicht lossagen.“

Dem Kriegerpriester fiel nun erst ein, was es für seine Freunde wohl bedeuten mochte, wenn er von den Dämonen geholt wurde, was für das Volk, das womöglich seinen Retter vor den Dämonen scheinbar an ebendiese verlor.

„Hol Nadina, bitte“, wandte er sich daher an Jesper, der mit einer angedeuteten Verbeugung das Zelt verließ, um diesem Wunsch zu entsprechen. Die beiden zurückbleibenden Männer musterten sich schweigend, während sie auf die Frau warteten.

Nadina hielt sich nicht lange mit Fragen auf, als sie das Zelt betrat, sondern kam sofort auf Ce’Nedra zugestürmt, um ihn zu umarmen. An sein Ohr, nur für ihn hörbar, flüsterte sie:

„Ich habe dich von uns gehen sehen und daher fürchtete ich um dich, als Jesper mich zu dir rief.“

Der Kriegerpriester wusste nicht, was er dazu sagen sollte, nur die Wahrheit würde sie nun zufrieden stellen und nicht die Halbwahrheiten, die er sich möglicherweise ohne ihre Worte ausgedacht hätte. Er drückte die Frau sanft von sich, fuhr sich mit der Hand übers Gesicht und durch die Haare, bevor er seinen Freunden die Blicke erwiderte und die Wahrheit auf den Tisch packte:

„Ihr habt euch Sorgen um mich wegen des Steins gemacht, und das zu Recht. Allerdings verändert er mich nicht, sondern ich musste einen anderen Preis für die Unterstützung zahlen, die mir durch ihn gewährt wurde.“

„Er verändert dich nicht? Und was war das heute Mittag?“, brauste Jesper auf, doch Erwin gemahnte ihn zur Ruhe:

„Zügelt Eure Wut, guter Mann, wie wir vermutet haben, scheint Ce’Nedra Esophromatem nichts von dieser Verwandlung mitbekommen zu haben. Fahre bitte fort, Kriegerpriester.“

Der Angesprochene war einen Moment beunruhigt über das kurze Gespräch, doch sah er den pragmatischen Aspekt der Aufforderung und wandte sich deshalb wieder seinem Handel zu:

„Die Dämonen der feurigen Pflanze boten mir ihre Hilfe an, wenn ich mich bereit erkläre, ohne Widerstand zu ihnen zu gehen, wenn sie mich holen kommen. Ich werde also nicht lange, nachdem wir die Grenze überschritten haben, von euch gehen müssen.“

„Nein!“, rief Nadina aus, die von ihrem Mann zurück gehalten wurde, damit sie sich nicht schmerzhaft fest an Ce’Nedras Arm klammern konnte. Auch Erwin war entsetzt, doch äußerte er dies in weitaus gemäßigterer Form:

„Dich selbst aufzugeben für ein Volk, das dich nur widerwillig in seine Reihen aufnehmen würde, wenn es wüsste…“

„Was wüsste?“, hakte Jesper nach, als Goldzahn nicht mehr weiter sprach. Die anderen der senkten den Blick, Ce’Nedras Augen wirkten verschleiert, doch dann hob er seine Augen wieder, um der schmerzlichen Enthüllung entgegen zu treten.

„Ich bin ein Halbelb“, offenbarte er, den anderen beiden merkte man deutlich das Unbehagen an. Jesper war im ersten Moment überrumpelt, dann zeichneten sich Gefühlswandlungen auf seinen Zügen ab, die Ce’Nedra schon häufig gesehen hatte: sie liefen von ungläubig über die Wut, die den Elben allgemein hin entgegen gebracht wurde, zu der Einsicht, dass Ce’Nedra schon immer ein Halbelb gewesen war und trotzdem ein verlässlicher Freund und die Wahrscheinlichkeit, dass er sich nur aufgrund dieses Wissens plötzlich in ein Ungetüm verwandelte, sehr gering war. Letztendlich siegte das Vertrauen über die vage und unbestimmte Abscheu vor allem Elbischen in Jespers Gesicht.

„Und trotzdem willst du ein solches Opfer bringen?“, knüpfte Erwin den Faden wieder an, „wenn selbst deine Freunde Schwierigkeiten haben, dich so zu akzeptieren?“

Ce’Nedra seufzte, ging zum Zelteingang, hob die Plane an und sah über die riesige Ansammlung meist primitiver Schlaflager. Seine drei Freunde schauten über seine Schulter auf dasselbe Szenario.

„Es geht hier nicht darum, ob sie mich aufnehmen würden, wenn sie es wüssten“, meinte der Kriegerpriester schließlich, „sondern ob sie leben oder nicht und den letzten Wunsch eines Königs, der ihnen unwillentlich Leid zufügte, aber immer versucht hat, in seiner naiven Sturheit das Beste für sie heraus zu schlagen. Und der, wenn wir gerade beim Thema sind“, erläuterte Ce’Nedra, sich lächelnd an den Geldwechsler wendend, „mich trotz des Wissens um meine Abstammung eine hohe und ehrenwerte Position ergattern ließ, ja mich sogar dafür vorschlug.“

Als Ce’Nedra merkte, dass Nadina, Jesper und Erwin einsahen, dass es keinen Sinn hatte, ihn von dieser Aufgabe abzuhalten, lächelte er beruhigend und wechselte leicht das Thema:

„Wir müssen uns irgendwas ausdenken, das mein Verschwinden den Leuten erklärt, damit sie nicht panisch reagieren werden. Zudem brauchen wir einen neuen Träger des königlichen Zeichens…“
 

Es war beinahe schon am frühen Morgen, als die drei das Zelt des Anführers wieder verließen. Sie alle mussten in diesen Momenten stark sein, Nadina hielt tapfer ihre Tränen zurück, die beiden Männer hatten ihre Muskeln angespannt. Das Ehepaar und der Geldwechsler hatten einander bisher nur aus der Ferne gekannt, oder als Kunden und Anbieter. Nun standen sie auf derselben Seite und das Volk war der Kunde, der noch nicht wusste, was auf ihn zukam.

Ce’Nedra fand diese Nacht keine Ruhe mehr. Er stand im Eingang seines Zeltes, während er auf den Morgen und die aufgehende Sonne wartete. Schließlich kroch besagte am Horizont empor, färbte ihn zuerst goldfarben und dann blutrot, bevor sie ihn wieder in sein gewohntes Blau entließ. Für den Kriegerpriester erschien er wie ein Vorzeichen für seine Zukunft bei den Dämonen, die ihn mit Sicherheit fressen würden. Diese düsteren Gedanken vertrieb er jedoch schnell, gab dem Fahnenträger das Zeichen, die Trompete zum baldigen Aufbruch zu blasen und legte sich seine Rüstung wieder vollständig an, über die er seinen herrlichen Umhang warf. Anschließend half er, sein Zelt abzubauen, sattelte sein Pferd und ritt durch das Lager, um die Leute an die Dringlichkeit ihres Aufbruchs zu erinnern. Ausruhen konnten sie sich, wenn sie die sichere Seite der Grenze erreicht hatten.

Der Marsch gestaltete sich als leichter und beschwingter als alle vorangehenden, nur Ce’Nedra bemerkte die Unwetter, die ihnen hinterher geschickt wurden, in denen er zunehmend die böse Präsenz des Dämonenanführers ausmachte. Als sie so die eigentlich unsichtbare Grenze erreichten, waren alle erleichtert und atmeten seufzend auf. Nun galt es nur noch, den Fluss zu überqueren, der sie vom sicheren Land trennte. Bei diesem Anblick stutzte der Kriegerpriester, er kannte das Land und wusste, dass die Grenze hier nur ein Strich auf Karten in Gelehrtenzimmern sein sollte, diesen Strich hatte er oft genug abgeritten. Sobald der Wind eine Prise des Flusses zu ihm herauf wehte, wusste er allerdings, dass es sich um eine letzte Teufelei der Dämonen handelte, um sie bei sich zu behalten. Sie hatten den Thomoth-Fluss umgebogen, sodass er nun die gesamte östliche Grenze des Reiches umfloss und nicht nur im Nordosten eine Markierung setzte, wo dieses aufhörte.

Er stieg von seiner Stute ab, um an die hohe Böschung zu treten und den Strom in seinem tiefen Bach zu betrachten. Als sich neben ihm mehr und mehr Neugierige sammelten, befahl er, aus allem Holz, das entbehrt werden konnte, eine große, breite Brücke zu bauen. Viele der Männer beeilten sich, dieser Aufforderung nachzukommen, während die Frauen durch das fahrende Lager gingen, einerseits, um Holz aufzutreiben, andererseits, um weitere Männer an der Aufgabe zu beteiligen. Ce’Nedra beobachtete weiterhin den Fluss des Wassers, während er versuchte, zu ergründen, ob der Fluss das einzige Hindernis war, oder ob es darüber hinaus noch einen schädlichen Zauber zu befürchten galt. Bei seinen Betrachtungen wurde er von dem besorgten Erwin beobachtet, der kurz versucht war, ihn zurück zu reißen, als seines Freundes Haare wie in einem Gewitter zu Berge standen, nur um sich dann wieder glatt und feuerrot zu legen. Doch kurz darauf wandte der Kriegerpriester sich von dem Spalt in der Erde ab und seine Haarfarbe war wieder gewöhnlich dunkelbraun. Dennoch blieb die Beklemmung in Erwin zurück, als er sich mit vielen anderen dem Zusammenhämmern der Holzteile widmete, was sich als recht schwierig erwies, da niemand so recht wusste, worauf es beim Brückenbau eigentlich ankam. Es gab zwar ein paar Bauherren unter ihnen, doch stellten die sich nicht als sehr hilfreich heraus, da sie sich schnell in einen Streit untereinander verwickelten.

So dauerte es zwei volle Tage, bis die improvisierte Brücke vervollständigt wurde. In dieser Zeit stritt Ce’Nedra sich häufig mit den Adligen, in seiner Begleitung seine drei Freunde, die für das Volk sprechen sollten. Leider ließ sich eine Sturheit bei dem Adel feststellen, den der Kriegerpriester vorher noch nie mitbekommen hatte, da er der verlängerte rechte Arm des Königs gewesen war, doch ohne König gab es niemanden, den der Adelsstand fürchtete und Ce’Nedra widerstrebte es, das Heer auf diese verwöhnten Leute loszulassen. So blieben seine Bemühungen fruchtlos, brachten im Gegenteil sogar noch mehr Ärger ein, weil die Adligen nun seine Freunde aufs Korn nahmen, wann immer er nicht zugegen war.

Trotzdem trat Ce’Nedra an dem Tag der Fertigstellung der Brücke zusammen mit dem Adel vor das Volk, um eine letzte Ansprache als der Anführer des königlichen Heeres zu halten.

„Gute Bürger! Wir haben einen langen und furchtbaren Marsch sowie unsere Heimat und Häuser hinter uns gelassen, weil wir die Gefahr der Invasion der Dämonen nicht unterschätzt haben. Nun stehen wir nur noch einen Schritt vor der Sicherheit. Lasst uns die Einheit, die sich in dieser schweren Zeit gebildet hat, nicht vergessen, wenn wir uns ein neues zu Hause bauen!“

Damit ließ der Kriegerpriester durch seine dämonische Hilfestellung die Brücke über den Fluss gleiten und sicher auf beiden Seiten des Ufers aufsetzen. Der Adel war der erste, der über sie zu dem neuen Land aufbrach und ihm folgten hoffnungsfrohe, lachende Menschen. Ce’Nedra beobachtete den Strom der Menschen an ihm vorbei gehen und erlaubte sich selbst auch ein Lächeln über das Gelingen dieses schweren Abenteuers. Erwin, Nadina und Jeff mit ihren Kindern lösten sich aus dem Strom, als sie ihren Freund am Rand stehen sahen. Auch sie wirkten erleichtert, bis ihr Blick auf den Weidenkorb zu Ce’Nedras Füßen glitt.

„Wirf den Stein weg“, forderte ihn Erwin auf, „entferne ihn aus deiner Nähe, bevor du das neue Land betrittst.“

Der Kriegerpriester sah darin die Sorge seines Freundes und da sowohl Nadina und auch Jeff derselben Meinung waren als auch er selbst wusste, dass der Stein keine Macht mehr haben würde, sobald er die neue Heimat des Volkes betrat, holte er ihn in der Absicht hervor, ihn irgendwie los zu werden. Zusammen mit seinen Freunden trug er ihn und den Weidenkorb mit dem Königszeichen zur Mitte der Brücke. Ce’Nedra blickte in das bräunlich vorbeiströmende Wasser und ihn dauerte, dass er den Stein für immer aufgeben sollte. Doch wusste er, dass es das Beste war, darum drückte er Jesper den Weidenkorb in die Hand und sprang mit dem Stein in den knietiefen Fluss. Er ignorierte die überraschten Aufrufe hinter sich und watete so lange stromaufwärts, bis er eine geeignete Öffnung in der Uferböschung zum neuen Land hin entdeckte. Mit sanftem Druck erweiterte er diese natürliche Einbuchtung, um den grünen Stein, der ihm solche guten Dienste geleistet hatte, hinein zu legen und zu verschließen.

Gerade, als er seine Hand mit dem Stein im Erdwerk versenkte, gleißte ein grüngelbes Licht auf, das ihn blendete und seine Freunde auf der Brücke nach Luft schnappen ließ. Nadina, die eine Bindung zur Zeitmagie besaß, schrie auf, als sie spürte, wie Ce’Nedra verschwand, Erwin und die Kinder hielten sie davon ab, selbst in den Fluss zu springen, um dem Kriegerpriester zu Hilfe zu eilen.

Ce’Nedra bekam davon nichts mit, denn durch die Magie des Dämonensteins wurde er in ein Portal zu einer anderen Welt gesaugt, sich um die eigene Achse wirbelnd, verlor er die Kontrolle und fühlte sich zum zweiten Mal in seinem Leben hilflos. Um nicht den Verstand in den umeinander wirbelnden grünen und roten Farben zu verlieren, kniff er die Augen zusammen.

Als er sie wieder öffnete, stand er in einem sonnendurchfluteten Hinterhof und vor ihm grinste ihn Ko’Descherre an.

„Es ist zwar noch etwas früh, aber ich freue mich, dass Ihr von selbst gekommen seid“, begrüßte sie ihn, ihm die Hand reichend, „Willkommen in Symbios.“

Kapitel 2

Vogelstimmen zwitscherten Grußrufe in den kleinen Garten hinein, der von hohen efeubedeckten Mauern von der Straße abgegrenzt wurde. Das Sonnenlicht spiegelte sich in einer halb geöffneten Terassentür, die hinter Rosensträuchern in voller Blüte hervorragte. In ganzen Büscheln standen orangene Lilien überall im Garten verteilt zwischen Rhododendren, die schon ausgeblüht waren. Auf dem saftigen Rasen blitzten vereinzelte Tautropfen hervor, der Boden wirkte fruchtbar.

Hektisch drehte Ce’Nedra Esophromatem sich um, um den Durchgang zu suchen, der zu ihrer eigenen Welt zurückführte, doch der Lebensbaum hinter ihr raschelte nur geheimnisvoll, ohne ein Portal zu erkennen zu geben. Verwirrt wandte sie sich wieder an die Dämonin vor ihr.

„Wolltet Ihr mich nicht holen kommen?“, fragte sie verständnislos, „Ich habe keinen von euch gesehen.“

Ko’Descherre Eiphromylop lächelte tiefgründig, als sie die Antwort gab:

„Erinnert Ihr Euch, dass ich von einer Vermutung sprach, als wir uns das erste Mal begegneten? Ihr seid nicht nur Halbelb, sondern auch Halbdämonin.“

„Was?“, entfuhr es Ce’Nedra, „Ihr sagtet, alle Dämonen Eures Stammes seien weiblich!“

Auf Ko’Descherres Kichern hin blickte Ce’Nedra an sich herab und bekam einen Schock. Sie war einen starken, mit harten Muskeln besetzten Brustkorb unterhalb ihres Halses gewohnt, Beine, die meilenweit rennen konnten, wenn es sein musste und Arme, die einem Schmied Ehre gemacht hätten, doch nun... sie blickte auf zwei wohlgeformte Brüste, die oberhalb eines dünnen Bauches und einer tollen Hüfte thronten, schmale, sehnige Beine trugen ihr Gewischt ohne Probleme und ihre Arme fühlten sich zwar nicht anders an, waren aber wesentlich schmaler. Ihr Umhang verdeckte zwar das Meiste, doch wickelte er sich eng genug um sie und sie merkte, dass sie nicht mehr in ihrer Rüstung steckte. Ihr verstörter Blick suchte wieder den Ko’Descherres, die sie bei der Hand fasste.

„Kommt, wir müssen Euch ordentlich kleiden, dann zeige ich Euch unsere schöne Hauptstadt und kläre Eure Verwunderung auf“, frohlockte sie und führte die junge Dämonin in das Haus. Letztere bewunderte die vielen gemütlichen Sessel, Sofas und Kissen, die das Wohnzimmer, das sich an den Garten anschloss, einladend gestalteten. Das zweistöckige, römischer Bauart entsprechende Gebäude strahlte von innen die Gemütlichkeit eines guten Lebensstandards aus, den Ce’Nedra hoffte, noch viele hier erreichen konnten. Die großen Fenster zogen sich durch alle Räume, sodass das warme Sonnenlicht herrliche Vasen mit kunstvollen Gestecken bescheinen konnte. Durch weiße Spitzenvorhänge von Blicken von außen abgeschottet, konnte man hier sicher einige Zeit dem Müßiggang frönen.

Ko’Descherre führte sie in einen kleinen Umkleideraum, der zwar ohne Fenster ausgestattet, dafür aber durch mehrere Kerzen hell und angenehm erleuchtet wurde. Ein begehbarerer Kleiderschrank bildete zwei der Wände, seine Türen reichten bis zu der gegebenermaßen niedrigen Decke. Das dunkle Holz verschluckte einen Teil des Lichts und verlieh dem Kämmerlein eine heimliche Atmosphäre.

„In dem Schrank findet Ihr meine Kleidung, bis wir Euch etwas besorgt haben, werdet Ihr damit vorlieb nehmen müssen“, erklärte Ko’Descherre entschuldigend, „ich hoffe, Ihr findet etwas zu Eurer Zufriedenheit.“

Sie verließ die Kammer und schloss die Tür hinter sich, sodass Ce’Nedra mit sich selbst zurück blieb. Sie öffnete zwei der Schranktüren, hinter denen sich Reihe um Reihe roter Kleider verbargen, manche mit teurer Spitze besetzt, andere schlicht gehalten oder mit unscheinbaren roten Mustern bestickt. Die junge Dämonin fühlte sich noch nicht weiblich genug, um solche Kleidung zu tragen, weshalb sie die anderen beiden Türen öffnete, die zu einem Regalsystem führten, das schon vielversprechendere Gewandung versprach. Aus der roten Unterwäsche suchte sie sich nichts heraus, obwohl ihr Busen schon ungemütlich mit den Bewegungen mitschwang, doch hatte sie ein Schamgefühl gegenüberfremder Unterkleidung. Zu ihrer Freude befanden sich in einem der Fächer mehrere eng anliegender roter Hemden, die ihre Brust genügend bändigte. Diese Erfahrung war für die junge Dämonin neu, doch auch interessant, wie angenehm sich die Berührung des Stoffes anfühlte. In einem anderen Fach fand sie ein Paar knielanger roter Hosen, das ihr gut passte. So gekleidet betrachtete sie sich in einem der in dem Schranksystem eingebauten Spiegel, die zwar ungewohnt erschienen, aber angesichts des reich ausgestatteten Schrankes nicht weiter überraschten. Ihr Anblick hätte sie in ihrem vorigen Leben zu bewundernden Blicken bewegt, wenn nicht vielleicht sogar zu einem jungfräulichen Wunsch nach ein bisschen engerer Vertrautheit. Aber jetzt... Ce’Nedra wusste nicht, was sie jetzt von einem solchen Anblick halten sollte, es war immerhin sie selbst, die ihr da zaghaft zulächelte. Entschieden wandte sie sich von ihrem Anblick ab und schloss die Schranktüren, das Entgegengesetzte widerfuhr der Tür, die aus der Kammer hinaus führte. Das Zimmer auf der anderen Seite empfing sie mit strahlendem Sonnenschein und der Abwesenheit Ko’Descherres.

Nachdem Ce’Nedra ratlos im Zimmer umhergelaufen war, unsicher, ob sie nun auf eigene Faust losgehen sollte, oder hier zu warten hatte, tauchte zu ihrer Erleichterung die andere Dämonin wieder auf. Sie wurde von Kopf bis Fuß gemustert, dann bekam sie nickend Zustimmung erteilt.

„Das steht Euch“, lobte Ko’Descherre, „Möchtet Ihr zuerst bei einem Tässchen Tee über Eure Bestimmung und Euer Sein sprechen, oder lieber der Stadt bekannt werden?“

„Bevor ich mich selbst nicht besser kenne“, ab Ce’Nedra ohne Umschweife zurück, „möchte ich noch nicht etwas Neues kennen lernen.“

Die ältere Dämonin nickte und wies dann auf ein Sofa, auf welches die jüngere sich gehörig setzte. Ko’Descherre nahm zwei zarte Tassen zur Hand, stellte eine davon vor Ce’Nedra und die andere auf die andere Seite eines niedrigen Tischchens, eine Kanne dampfenden Tees folgte sowie ein Kännchen mit Milch und ein Zuckerschälchen. Schließlich nahm sie selbst auf einem Sessel gegenüber ihres Gastes Platz und schenkte beiden eine angenehme Menge Tee ein.

„Nehmt Zucker und Sahne, wie es Euch beliebt“, bot sie an, wobei sie sich selbst eine große Menge Zucker in die Tasse schüttete, „Ihr habt sicher noch meine Worte im Kopf, dass wir Dämonen der feurigen Pflanze alle weiblichen Geschlechts sind. Und wie Ihr auch wisst, brauchen wir männliche Wesen von der Erde, die uns bei der Fortpflanzung helfen. Errötet doch nicht! So ist es nun einmal. Normalerweise kommen die Kinder einer Dämonin und eines Erdenmannes ebenfalls weiblich und mit unseren typischen roten Haaren, gelben, grünen, blauen oder grauen Augen zur Welt. Oft befinden sich die Mütter dann hier in Symbios, doch gelegentlich kommt es vor, dass eine Dämonin sich in den Mann verliebt, der ihr... behilflich war und sie bleibt auf der Erde. Dort werden jedoch nicht selten rothaarige Frauen und Mädchen verfolgt und getötet, weshalb es für sie ein großes Risiko ist.“

Ce’Nedra starrte noch immer errötet in ihren Tee, den sie mit einem Löffel mechanisch umrührte, obwohl sie nicht einmal die Hälfte des Zuckers genommen hatte, der sich in Ko’Descherres Tasse löste. Als sie bemerkte, dass ihre Gastgeberin nicht weiter sprach, sah sie auf und direkt in die Augen der älteren Dämonin, die genüsslich ihren Tee schlürfte, um ihr Grinsen zu verbergen. Entrüstet öffnete Ce’Nedra den Mund, um ihre unschuldige Scheu zu verteidigen, doch Ko’Descherre hob die Hand.

„Ich werde nicht weiter auf dieses Thema eingehen, wenn es Euch so berührt. Jedenfalls gibt es einige Seherinnen hier, die sich darum sorgen, junge Dämoninnen unseres Stammes außerhalb unserer Grenzen auszumachen und uns Bergerinnen ihren Aufenthaltsort sowie Namen mitzuteilen, damit wir sie in die schützenden Arme Symbios zurück holen können. In Eurem Fall allerdings ist es nicht ganz so glatt gelaufen. Eine mächtige Seherin spürte Eure Anwesenheit, konnte jedoch weder Euren Namen noch Euren Aufenthaltsort ausmachen. Das war alles sehr verwirrend für uns und bald verbreiteten sich Gerüchte. Mir wurde aufgetragen, Euch zu finden und das Rätsel, das Euch umgab, zu lüften. Was war ich erstaunt, als ich Eure Aura zu einem männlichen Wesen zurückverfolgte!“ Unbehaglich zerteilte Ko’Descherre immer wieder ihren Tee, was selbstverständlich erfolglos blieb. „Ich habe Euren Namen bekannt gegeben, was mit die Aufgabe einhandelte, Euch zu holen. Dazu diente eigentlich der grüne Stein, den ich Euch gab, er holt Wesen anderer Gattungen nach Symbios. Auch Dämonen haben Schwierigkeiten, seinem Drang zu widerstreben. Ihr jedoch wart einen vollen Tag in seinem Besitz, ohne dass sich irgendeine Wirkung entfaltet hätte. Dann bekamt Ihr das Zeichen des Königs, das der Kraft des Steins entgegen wirkte. Als ich erfuhr, was die Dämonen der Kristallwelt planten, sah ich eine Möglichkeit, Euch doch noch herzubekommen, daher führte ich das Ritual aus, das die übrigen Kräfte in dem Stein entfesselte und sie Euch unterwarf, doch die Kräfte reagierten nur kurz auf mein Anrufung, im Gegensatz zu einer normalen Beschwörung erschien nach dem Licht keine große Schattengestalt, die sich Euch ergriff. Die Kräfte des Steins kehrten in ihren Schlummer zurück, was mir zunächst halb schleierhaft erschien, doch bald spürte ich, dass sie die Kräfte in Euch geweckt hatten.“

„Das... waren meine Kräfte, die die Dämonen zurück gehalten haben?“, unterbrach Ce’Nedra schroff. Die letzten Zweifel, ob dies nur ein grausiger Scherz war, verflogen gerade. Ko’Descherre nickte grinsend.

„Auch ich hätte nie damit gerechnet, dass eine... ein junger Dämon“, verwirrt schüttelte sie den Kopf, „eine junge Dämonin so früh solche Kräfte entfesseln könnte. Doch Ihr tatet es. Und immer fühltet Ihr Euch sowohl von dem Stein als auch dem Weidengeflecht unterstützt und bekräftigt. Das wird Euch seltsam erscheinen, wenn ich Euch sage, dass dieses Zeichen ursprünglich dazu herbei gerufen wurde, um jeglichen Dämon zu bannen. Nun, langer Rede kurzer Sinn, es blieb keine andere Möglichkeit, als Euch mit Eurem eigenen Willen hierher zu bringen. Dass Ihr schließlich alleine herfandet, betrachte ich als Glücksfall. Oder war es von Euch geplant?“

Ce’Nedra überlegte, erinnerte sich der Gefühle, die er in dem Moment empfunden hatte, als er den Stein aufgeben sollte. Halb hatte er sich gewünscht, ihn behalten zu können. Ob das der Grund gewesen war?

„Das kann ich nicht genau sagen“, lehnte Ce’Nedra daher vage ab, „Habe ich nun außer diesen magischen Kräften und der Körperveränderung irgendwelche Wandlungen zu erwarten? Werde ich blutrünstig Menschen anfallen wollen? Euren Ausführungen entnehme ich, dass es bisher keinen Fall wie mich gibt, der vorher männlich war? Gibt es andere Dämoninnen, die von Elben oder Nicht-Menschen abstammen?“

Ko’Descherre lächelte erfreut über die Fragenflut, denn sie zeigte, dass ihr Gast sich mit seiner Situation auseinander setzte. Darm antwortete sie auch bereitwillig:

„Um von hinten anzufangen: Ja, es gibt noch andere von Elben oder Elfen abstammende Dämoninnen, allerdings sehr wenige. Angehörige dieser Rassen bemerken sehr schnell, wenn sich ihnen eine Dämonin nährt. Einige von uns stammen sogar von Orks, Ogern, Goblins oder Drachen ab, viele auch von anderen Dämonenstämmen, auch wenn man diese schnell an ihren schwachen Körpern und Magie erkennt. Aus einer Dämon-Dämon-Beziehung erwächst nicht viel...“, Ko’Descherre musste ein Lachen verkneifen, als Ce’Nedra schon wieder errötete, „Allerdings ist noch nie ein Kind einer unserer Angehörigen männlich zur Welt gekommen.“ Neugierig blickte sie ihr Gegenüber an, das sich bei dem eindringlichen Blick begann, unwohl zu fühlen. „Was das Zerfetzen von Menschen angeht... Ihr werdet bald bemerken dass Ihr der Vorstellung, von ihnen zu kosten, nicht mehr so ablehnend gegenüber steht, es allerdings wesentlich geschmackvoller finden werdet, Schafe oder Rehe zu jagen und den sich intelligenter glaubenden Gattungen durch List und Tücke Lebensenergie zu entsaugen. Allerdings werdet Ihr Eure Blutlust gut unter Kontrolle bringen können, sie macht nur abhängig, wenn Ihr das zulasst und bewusst wollt. Oder zu schwach seid, aber das schließe ich bei Euch mal aus gegebenem Anlass aus. Was weitere Wandlungen betrifft, so denke ich nicht, dass sich Weiteres einstellen sollte, da Ihr bereits im Vollbesitz Eurer Kräfte steht.“

Ce’Nedra nickte beruhigt, schlürfte an dem bereits kalten Tee und begrub ihre Wahrnehmungen unter einem Berg Grübeleien. Ko’Descherre spürte ihr Verlangen nach etwas Ruhe, weshalb sie taktvoll die Teekanne und ihre eigene Tasse wegräumte, bevor sie den Raum verließ.

Später am Tag reichte Ko’Descherre Eiphromylop ihrem Gast einen grünen Umhang, um ihm die Stadt, in der sie sich befanden, zu zeigen. Nachdem sie die Haustür ordentlich verriegelt hatte, machten sie sich auf den weg zur Hauptstraße, an der ein reger Trubel an jung aussehenden, rothaarigen Frauen im Gange war. Ce’Nedra hätte sich gerne unter die Menge gemischt, um ein paar Gespräche aufzuschnappen und diese Gesellschaft kennen zu lernen, doch Ko’Descherre zog sie unerbittlich weiter, bis sie vorm Rathaus standen.

„Hier ist das Ratsgebäude. Hier walten die Seherinnen ihres Amtes, die Ratsherrinnen entscheiden über Streitfälle, die oberen Kriegerinnen überlegen lohnende Ziele und das Einwohneramt entscheidet über Titel und Status. Hier kann es, je nach den Taten einer Einzelnen, passieren, dass sie innerhalb eines Tages von der Gräfin zur Bettlerin degradiert wird. Wobei Bettlerin wie Gräfin nur Titel sind, die besagen, wie glaubhaft eine Dämonin ist und auf wie viel zusätzliche Magie sie zugreifen darf.“

Ce’Nedra, die eine starre Gesellschaft gewohnt war, musste diesen neuen Gedanken erst einmal aufnehmen und verarbeiten. Da Ko’Descherre mit der Erde vertraut war, wusste sie dies und führte die junge Dämonin daher schweigend zu dem Einwohneramt. Die Dämonin hinter dem Schalter blätterte gelangweilt in einigen Papieren herum, die ebenfalls für Ce’Nedra in ihrer Farbenpracht eine Neuigkeit waren. Als den beiden auch nach mehreren Minuten keine Beachtung geschenkt worden war, schlug Ko’Descherre einmal auf den Tisch, woraufhin die am Schalter sitzende Dämonin hochfuhr, ihre Frisur wieder richtete und Ko’Descherre wütend anfunkelte.

„Eiphromylop! Habt Ihr nicht gesehen, dass ich mit wichtigen Dingen beschäftigt war?“, fuhr sie sie an und hob entrüstet die Papiere.

„Ihr saht mir nicht begeistert beschäftigt aus“, konterte Ko’Descherre gelassen, „ich möchte eine neue Mitbürgerin melden.“

„Ah, ja“, murmelte die Dämonin, warf Ce’Nedra einen flüchtigen Blick zu und zig dann ein spezielles Pergament hervor, „Name und Gebiet, in dem sie wohnen wird?“

„Ce’Nedra Esophromatem“, gab Ko’Descherre Auskunft, „vorerst erster Bezirk, sechsundzwanzigste Zeile.“

Bei dem Namen sah die fremde Dämonin neugierig auf und musterte Ce’Nedra in ihrem roten Gewandt und dem grünen Umhang von Kopf bis Fuß. Sie sagte jedoch nichts, sondern beobachtete sie nur weiterhin aus dem Augenwinkel, während sie den Namen und die Adresse auf das Papier krakelte. Dann fiel ihr etwas auf und ihr Blick hob sich.

„Erster Bezirk, sechsundzwanzigste Zeile? Eiphromylop, da wohnt Ihr!“, bemerkte sie, auf deine Antwort oder Erklärung lauernd.

„Ja, sie wohnt vorerst bei mir. Ihr habt doch so gegen mich gewettert, ich hätte ein zu großes Anwesen für mich alleine.“, gab Ko’Descherre bissig zurück, lehnte sich über den Tisch, um sich zu vergewissern, dass alles aufgefasst wurde, drehte sich auf dem Absatz um und verließ das Amt. Ce’Nedra warf der Dämonin hinter dem Schalter noch einen Blick zu, mit dem sie ihren Charakter erkunden wollte, folgte dann jedoch schnellen Fußes ihrer Vertrauten.

Auf der Schwelle zur Straße wurde sie von zahlreichen, emotional geladenen Bildern eingeholt, die die Dämonin hinter dem Schalter in verschiedenen Lebenslagen, Stimmungen mit Gründen und Bekanntschaften zeigten. Überwältigt von der Bilderflut konnte sie den Weg nicht mehr klar sehen, sodass sie in Ko’Descherre hineinstolperte, die sie reflexartig in die Arme schloss. Als die Bilderflut wieder abgeebbt war, hatte Ce’Nedra einen besseren Eindruck des Charakters der Angestellten, als ihr lieb gewesen wäre. Einem solchen hinterhältigen Geschöpf bot ihr Vorstellungsvermögen keinen platz, auch dann nicht, wenn es sämtliche eigensüchtige, habgierige und engstirnige Lords, denen sie bisher begegnet war, in einen Topf warf, einmal kräftig umrührte und die Essenz daraus filtrierte. Keuchend von diesem Eindruck klammerte sie sich an das erste, das ihr Halt bot: Ko’Descherres Arm. Als ihr bewusst wurde, dass sie zusammengekrümmt in der Umarmung der älteren Dämonin hing, schreckte sie auf und entfernte sich rasch ein, zwei Schritte von dieser.

„Was ist geschehen?“, erkundigte sich Ko’Descherre, „hat Euch Phrolyp einen Fluch angehängt? Das tut sie manchmal mit Neulingen.“

Ce’Nedra sah ihrer Bekannten wenig überrascht in die Augen.

„Nein, ich glaube nicht.“, antwortete sie, riss sich zusammen und zwang sich, ihren Atem wieder zu beruhigen, „sie war zwar neugierig, wer ich genau bin, hat aber zu viel Respekt vor Euch, um mir, der… die ich eindeutig unter Eurem Schutz stehe, etwas anzutun. Sie fürchtet, dass Ihr etwas tun könntet, das ihr eine Einbuße im sozialen Status einbringt, oder noch etwas Schlimmeres…“

Ko’Descherre starrte die junge Dämonin offen erstaunt an.

„Woher wisst Ihr das?“, hauchte sie, „ich habe zwar bemerkt, dass sie mir gegenüber manchmal recht vorsichtig ist, aber dass sie mich fürchtet?“

„Ich… habe es gesehen“, gab Ce’Nedra mit mulmigem Gefühl zu, „gerade eben, als Ihr mich auffingt, wallte eine Welle an Momenten aus ihrem Leben an mir vorbei, die einiges erklärte. Übrigens danke, dass Ihr mich auffingt.“

Die junge Dämonin deutete eine Verbeugung an. Die ältere Dämonin winkte gewährend ab, dann gebot sie ihr zu warten und stürmte noch einmal in das Rathaus. Die junge Dämonin lehnte sich an die Außenmauer, beobachtete die vorbeilaufenden Damen, wobei ihr auffiel, dass alle ebenso farbig gekleidet waren, wie sie selbst und Ko’Descherre. Es musste also irgendeine Kleidungsvorschrift hier geben, entschied sie nachdenklich, ansonsten würde niemand bei klarem Menschenverstand… dies hier waren keine Menschen, erinnerte sie sich. Es waren Dämonen.

Statt sich also weiter über die vorbeilaufenden Frauen den Kopf zu zerbrechen, analysierte Ce’Nedra den Moment, in dem sie das Leben Phrolyps mitgeteilt bekommen hatte. Sie stellte fest, dass sie, ohne es zu merken, Magie gewirkt hatte, die hier scheinbar wesentlich leichter durch ihren Willen zu beeinflussen war als außerhalb der Dämonenwelt Symbios. Den genauen Ablauf sich noch einmal vor Augen führend, erkannte sie zudem, dass die Magie die Ereignisse aus dem Leben der anderen Frau so zerteilt hatte, dass sie für die junge Dämonin am besten verständlich waren. Ce’Nedras Wunsch, den Charakter zu erfassen, wurde somit in allen Punkten erfasst und erstklassig ausgeführt, wenn auch mit ein bisschen Verzögerung. Sie entschied, dass sie auf solche unwillkürlichen Magiehandlungen gut und gerne verzichten wollte, wenn es ihr möglich war, wozu sie ihren eigenen Willen unter Kontrolle zu halten hatte.

In Meditation und Übungen zur Selbstbeherrschung versunken wurde sie von Ko’Descherre vor dem Rathaus wieder gefunden. Die ältere Dämonin ließ ihre Präsenz langsam um das Bewusstsein ihrer Begleiterin sickern, um sie nicht abrupt aus den Gedanken zu reißen und somit womöglich ein Unglück herauf zu beschwören. Geduldig stand sie vor dem mit geschlossenen Augen dastehenden Rotschopf, doch langsam krabbelte ein Grinsen auf ihre Lippen, als sie bemerkte, dass dieser sie absichtlich ignorierte. Kichernd beugte sie sich vor, bis ihre Lippen beinahe auf denen Ce’Nedras zu liegen kamen, dann hauchte sie ihren Namen. Abrupt, wenn auch auf das Ende vorbereitet, schreckte die junge Dämonin aus ihrer Meditation hoch. Da sie bereits an der Wand des Rathauses lehnte, konnte sie nicht weiter zurück weichen. Neckend sperrte Ko’Descherre sie zwischen ausgestreckten Armen ein, brachte ihren Körper noch näher an den ihrer Bekannten. Diese spannte ihre Muskeln an, stieß die erfahrenere Dämonin zurück, als diese für ihre Gefühle ihr zu nahe kam. Als sich ihr nun die Lücke zur Flucht bot, fackelte Ce’Nedra nicht lange, sondern stürmte auf die freie Fläche vor dem Rathaus, was Ko’Descherre letztendlich in Lachen ausbrechen ließ.

„Es ist doch nicht so, als wollte ich Euch etwas antun“, kicherte sie, respektierte aber den Abstand, den Ce’Nedra zu ihr gewählt hatte, „Phrolyp war ziemlich überrascht, als ich sie fragte, ob sie bemerkt habe, wie jemand sie ausspionierte. Ihr habt es wirklich brillant hinbekommen!“

Die junge Dämonin wusste nicht, was sie von diesem Kompliment halten sollte, so schwieg sie zunächst und fiel in Gleichschritt mit Ko’Descherre, als diese ihr weitere Teile der Stadt zeigte und in einem Kleidungsgeschäft Unterwäsche und einige Klamotten für Ce’Nedra erstand. Den Rest des Tages verbrachten sie damit, durch die Straßen zu laufen, verschiedene Plätze zu betrachten, die Ökonomie neu zu ergründen und individuell entweder zu versuchen, die eigene Magie und Wünsche zu unterdrücken, oder darauf zu lauern, dass genau dies misslang und ein neues Wunderwerk der Fähigkeiten hervorsprudelte. Ce’Nedra lernte, dass die rot-grüne Kleidung eine Art Uniform darstelle, mit der man zu erkennen gab, dass man zu der Gesellschaft gehörte und keine aggressive Magie gegen andere anwenden würde.

Am Abend erklärte Ko’Descherre, lachend über die Überraschung in Ce’Nedras Gesicht, dass auch Dämonen wie normale Menschen essen können, es sogar müssen, wenn sie zweiteren nicht irgendwie die Energie entzogen. Sie kehrten in ein Lokal ein, was für gewöhnlich nicht in Ko’Descherres Alltag geschah, wie sie erklärte, doch sei es ihr für Ce’Nedra angemessen erschienen. Die Speisen führten, zu der jüngeren Dämonin großer Erleichterung, kein seltsames Eigenleben und sahen auch keineswegs irgendwie eklig schleimig aus. Ihrem Gaumen gefielen sie sogar, sodass sie ihre Vorurteile über die Essensgewohnheiten der Dämonen fahren ließ.

Spät in der Nacht kehrten die beiden Frauen zu ihrem Ausgangspunkt zurück, Ko’Descherre zeigte ihrem Gast explizit noch einmal das Bad und ein Gästezimmer, das dieser in Beschlag nehmen konnte. Sie selbst wollte noch etwas an einem Bericht arbeiten. Ce’Nedra legte die Kleidung, die sie geschenkt bekommen hatte, auf eine Kommode in der Nähe des Fensters ab. Das Bett fühlte sich weich und so an, als würde es ihre Körperwärme gut speichern, ohne sie auskühlen zu lassen. In diesem zwar ungewohnten aber angenehmen Luxus schlief sie recht schnell ein.
 

Die nächsten Wochen vergingen wie im Fluge, sie erkundeten die Stadt und ihre nähere Umgebung, Ce’Nedra lernte nach und nach die Sprache der Dämonen, die so fließende Ausdrücke wie Albarenҫa für Baum, aber auch hässliche Worte wie Krenwrk für Wagenladung hatte. Besonderen Wert legte ihre Tutorin darauf, dass sie sich bald in sämtlichen Pflichten, Eigenheiten Symbios, Titeln und Straßen auskannte, doch galt beider Aufmerksamkeit eher der Gesellschaft und ihren strukturellen Wandlungen auf der Straße. Jedoch ließ Ko’Descherre es nicht zu, dass sie sich eingehender mit den Leuten befasste und stellte sie ihnen auch nur kurz vor, ohne Ce’Nedras Namen deutlicher als genuschelt zu erwähnen. Sorgfältig achtete sie darauf, dass sie nur selten auf dieselben Dämonen traf. Der jungen, mit diesem Ort unvertrauten Dämonin fiel dies erst nach zwei Wochen auf, nach denen sie nur noch wenig Neues aufnehmen musste, somit nicht mehr groß abgelenkt war. Als sie ihre Mentorin darauf ansprach, wich diese ihrer Frage aus, druckste herum und floh sich in andeutungsvollen Ausflüchten. Ce’Nedra war darüber verblüfft, da ihr sonst keine neugierige Frage ausweichend erklärt wurde, oder ihr sogar so deutlich ausgewichen wurde.

Schließlich kannte sich Ce’Nedra auch ohne Ko’Descherres Hilfe in dem vertrackten System aus, das die Dämonen ihr Eigen nannten. Nun war sie erpicht darauf, die Stadt auf eigene Faust zu erkunden und nicht immer den Respekt abgefärbt zu bekommen, der Ko’Descherre unweigerlich entgegen gebracht wurde. Letztere war darüber zwar nicht glücklich, aber seufzend gestand sie, dass sie sich auch mal um die Aufgaben kümmern sollte, die ihr als Bergerin zufielen.

„Euren Status kennt Ihr?“, erkundigte sie sich im Hauseingang, von dem aus sie Ce’Nedra aufbrechen lassen wollte. Diese nickte.

„Kauffrau, was etwas über dem normalen Bürger steht“, antwortete sie, „warum ich allerdings mit einem solch hohen Einstiegstitel beginne, ist mir schleierhaft.“

In Ko’Descherres Augen blitzte es, als sie die Möglichkeit gekommen sah, Ce’Nedra doch noch nicht an die Stadt abzugeben, so schlug sie vor:

„Kommt doch mit mir in die Welt der Menschen, dann werdet Ihr vielleicht selbst erkennen, wieso. Ihr wisst ja, dass es bei dem Titel auf die Taten ankommt, die begangen wurden.“

Ce’Nedra sah über die Schulter auf die sonnenbeschienene, mit Vorgärten gesäumte Straße, entschied, dass die warten konnte und nahm Ko’Descherres Einladung an. Diese verschloss die Haustür, bevor sie Ce’Nedra voran in ein kleines Zimmer ging, das nach Magie nur so duftete. Dort hockte sie sich in die Mitte, deutete Ce’Nedra, es ihr gleich zu tun, grinste sie mit schelmisch blitzenden Augen an, bevor sie diese schloss und in Meditation verfiel.

Die junge Dämonin wusste nicht genau, was sie machen sollte, so schloss sie ebenfalls ihre Augen und suchte eine magische Verbindung zu der älteren Dämonin aufzubauen. Dies wollte ihr zwar nicht recht gelingen, aber sie konnte einen ersten Eindruck von dem Ort bekommen, an den sie reisen sollten. So konzentrierte sie sich auf diesen, bat irgendeine Kraft, ihr ein Portal dorthin zu öffnen und sie dort einzulassen.

Als sie frischen Wind um die Nase fühlte, öffnete sie wieder die Augen und fand sich tatsächlich auf dem Hügel wieder, an den Ko’Descherre gedacht hatte. Die Dämonin selber tauchte kurz nach ihr auf, mit einem Grinsen im Gesicht, das sich erst in Verblüffung und dann in ein schallendes Gelächter verwandelte, als sie Ce’Nedra anblickte. Verwirrt über diese Reaktion, verlangte Ce’Nedra nach einer Erklärung:

„Was ist…?“, sie stockte, als ihre Stimme in ihren Ohren widerhallte. Sie war zu tief. In den Wochen in Symbios hatte Ce’Nedra sich an eine Stimme gewöhnt, die mindestens eine Oktave über dieser hier lag. Sie verdrehte die Augen, sah dann an sich herab und bemerkte erstaunt, dass sie nun wieder das Pronomen „er“ verdiente und in seiner alten Rüstung steckte, die er hier zum letzten Mal getragen hatte.

„Das soll doch mal einer verstehen“, murmelte der Halbelb leicht gereizt.

„Jede Dämonin hat ihre Eigenart, wenn sie diese Welt hier betritt“, kicherte Ko’Descherre, „ich zum Beispiel bekomme hellere Haut, dunklere Haare und einen zierlicheren Körpern; Ihr anscheinen eine vollkommene Metamorphose zum Mann.“

Ce’Nedra schüttelte nur grimmig den Kopf darüber, fand sich dann aber mit seinem Schicksal ab und bemerkte, dass es durchaus seine Vorteile haben konnte, nicht sofort als Dämon der feurigen Pflanze erkannt zu werden. Ko’Descherre nahm ihn bei der Hand und zog ihn vom Hügel herunter, er wolle doch bestimmt wissen, um welchen Ort es sich handelte, in dem sich derjenige befand, dem sie die Möglichkeit bieten sollte, nach Symbios zu gelangen. Die Landschaft um sie herum glühte in der Hitze des zweiten Sommers, doch im Gegensatz zu dem Land, das Ce’Nedra kannte, war das Gras hier noch immer üppig und saftig. Wie er bald bemerkte, nährten sie sich einer Stadt, die sich gerade im Aufbau befand. Kurz, bevor sie in Hörweite der ersten Arbeiter gelangten, hielt Ko’Descherre ihn noch einmal zurück, sah zu ihm auf und erklärte:

„Ihr solltet wissen, dass Ihr aus eigener Kraft hierher gelangt seid. Ich habe Euch nicht mitgenommen“, sie kicherte, „es war eine Art Versuch, den ich mir erlaubte. Aber wie dem auch sei. Sollten wir getrennt werden und in Gefahr geraten, müsst Ihr nicht nach mir suchen, Ihr könnt alleine nach Symbios zurückkehren. Macht Euch also keine Sorgen.“

„Und wenn ich nicht zurück will?“, fragte Ce’Nedra herausfordernd.

„Dann werde ich Euch holen kommen. Ihr seid nun einer von uns und gehört zu uns in unsere Welt, ich werde nicht zulassen, dass Ihr hier der Gefahr ausgeliefert seid, entdeckt zu werden“, zischte Ko’Descherre kühl, was ihr von dem Kriegerpriester einen verwunderten Blick einhandelte. Herausfordernd erwiderte sie seinen Blick, in dem sich nicht der übliche Schalk versteckte. Er ließ sich noch einmal sämtliche Geschichten durch den Kopf gehen, die sie ihm über weibliche Dämonen erzählt hatte, die sich in einen Menschen verliebt hatten. Soweit er sich erinnern konnte, wurden sie nicht zurück gehalten und ihre Kinder erst geholt, wenn beide Elternteile gestorben oder nicht mehr fähig waren, sich um sie zu kümmern. Neugierig, was sie zu diesem Ausbruch bewegt hatte, musterte er Ko’Descherre, die jedoch nicht bereit schien, ihm Auskunft zu erteilen. Ihr Schweigen akzeptierend, gab er sein Einverständnis zur Rückkehr und den Fall, dass sie getrennt würden.

„Falls Ihr Euch hier alleine umsehen möchtet, ich erwarte Euch spätestens am Ende dieses Tages wieder in der Kammer“, erklärte Ko’Descherre geheimnisvoll lächelnd, was ihr einen weiteren fragenden Blick von Ce’Nedra einhandelte, der diese Gegend nicht erkannte und daher nicht wusste, worauf sie anspielte. Doch sie kicherte nur und schritt voran auf das sich im Aufbau befindende Tor zu. Die Männer, die sich bei der Arbeit befanden, schenkten ihnen aufgrund ihrer abgelenkten Konzentration kaum Beachtung. Innerhalb der noch nicht vollständig stehenden Mauern zeigte sich ein ähnliches Bild, überall wurde an breiten Straßen, niedrigen Häusern mit Gärten und mehrstöckigen Gebäuden gewerkelt, Kinder spielten zwischen den Holzspänen, die vom Sägen neuer Bretter abfielen und jeder, der alt genug war, packte mit an. Der Kriegerpriester war erstaunt, eine solche Einheit unter den Menschen zu sehen, die er normalerweise als immer im Zwist miteinander liegend kennen gelernt hatte.

Auf einmal sah einer der Arbeitenden zu den beiden Reisenden auf, schmiss sein Werkzeug hin und rannte mit einem Aufschrei der Freude auf sie zu. Dadurch wurden auch andere aus ihrer Konzentration gerissen und auf die beiden aufmerksam, was ähnliche Reaktionen zur Folge hatte. Bald waren die beiden Dämonen von einer Menge umzingelt, die ein Weiterkommen verhinderte. Zunächst sah Ce’Nedra Ko’Descherre, die ein wissendes Grinsen aufgesetzt hatte, verwirrt an, doch dann begannen die Gesichter um ihn herum Gestalt anzunehmen und seine Erinnerungen anzustoßen, sodass er meinte, die Leute wieder zu erkennen, wenn schon nicht mit Namen, so doch irgendwie. Doch sie schienen sich noch sehr gut an ihn zu erinnern, denn überall um ihn herum wurde sein Name genannt und mit ihm gesprochen, was natürlich dazu führte, dass er kein einziges Wort verstand, somit partout nicht antworten konnte. Ko’Descherre hielt sich den Mund zu, um nicht laut loszulachen, aber die Situation zehrte sehr an ihrer Selbstbeherrschung und irgendwann gab sie auf und brüllte los. Ihr Lachen, das in Symbios kein weiteres Aufsehen erregt hätte, erklang hier doppelt dämonisch mit seinen Terzen, die den Hauptklang ihrer Stimme umspielten. Die Menschenmenge verstummte abrupt, bewegte sich ein, zwei Schritte von der Dämonin weg und suchte sicherheitshalber halb hinter Ce’Nedra Schutz. Doch plötzlich brach ein Tumult los, als einer derjenigen, die auf der noch nicht allzu weit in der Vergangenheit liegenden Flucht ihre Familie verloren hatten, ausrief:

„Verschwinde, du Dämon! Dies hier ist unser Land, das lassen wir nicht auch noch von euch rauben! Ist euch unser ursprüngliches Königreich denn noch nicht genug?“

Daraufhin wurden immer mehr wütende Stimmen laut und die Masse begann, wieder auf Ko’Descherre einzudringen. Ihre Reaktion, nicht verschreckt, sondern grinsend, entfachte nur noch mehr Zorn und die Lage drohte zu eskalieren.

„Haltet ein!“, rief da Ce’Nedra mit kräftiger Stimme aus, „diese Dämonin gehört nicht zu denen, die uns vertrieben haben, sondern ist diejenige, die es mir ermöglichte, euch gegen sie zu verteidigen! Der Preis, den sie forderte, war mein Leben und doch stehe ich hier, hat sie mir erlaubt, zu euch zurück zu kehren, wenn auch nur für einen Tag! Bei meinem Wort und meiner Ehre, sie wird niemandem etwas antun, sondern ist heute in friedlicher Angelegenheit hier!“

Die Menge war noch nicht restlos überzeugt, aber angesichts des Vertrauens, das ihr Retter in die Dämonin setzte, wurde von dem bedrohlichen Gehabe abgesehen und nur noch unwirsch gemurmelt. Trotz dass er sie momentan außer Gefahr sah, packte der Kriegerpriester die Dämonin am Arm und führte sie aus der Menge heraus. Dieses Schauspiel der Beherrschung lockerte die Atmosphäre wieder etwas auf, sodass einzelne Hochrufe an Ce’Nedra ausgerufen wurden. Einige Kinder verfolgten sie und umzingelten Ko’Descherre kaum, dass Ce’Nedra sie losgelassen hatte. Neugierige Blicke und Fragen wurden an sie gerichtet, die wachsamen Augen der Eltern weilten ebenso auf dem Geschehen wie die des Kriegerpriesters. Bei vielen Mutmaßungen über ihre Rasse lachte Ko’Descherre und erklärte den Kindern ausführlich, dass diese Geschichten nicht stimmten, zumindest nicht von ihrem Stamm, fügte sie vertraulicher und verschwörerisch hinzu, aber von den anderen. Die Kinder lachten und quietschten vor Vergnügen, als die Dämonin ihnen Gerücht um Gerücht und Übertreibung um Übertreibung über die anderen Dämonenstämme erzählte und sie schlotterten und stöhnten gehorsam, als sie von den Schrecken der Dämonenwelt hörten.

Dieser Anblick beruhigte die Eltern soweit wieder, dass sie sich erneut ihren Bauwerken widmeten und immer seltener zu der rothaarigen Frau zurück blickten. Auch Ce’Nedra entspannte sich wieder und betrachtete den Aufbau um ihn herum. Viele Gebäude konnte man schon als solche erkennen, auch wenn die meisten noch kein gedecktes Dach hatten und überall an den Wänden Menschen wie Ameisen krabbelten. Schließlich spürte er Ko’Descherres grinsenden Blick im Nacken, was ihn dazu veranlasste, sich wieder umzudrehen. Die Dämonin hatte den Kindern kleine Murmeln, die angefüllt mit unverfänglicher Dömonenmagie waren, geschenkt und ihre Aufmerksamkeit somit von sich abgelenkt.

„Danke für Euer Eingreifen vorhin“, kicherte sie, „Euer Wort zählt hier immer noch.“

„Kein Thema, es hätte für beide Seiten unschön geendet, hätte ich Euch dem Mob überlassen“, erwiderte Ce’Nedra, dessen Blick bald von der Dämonin vor ihm wieder über die nahe Stadt schweifte. Ko’Descherre bemerkte seinen Blick und ließ ein erneutes Kichern ertönen, bevor sie meinte:

„Ihr seht, in was für eine Lage Ihr diese Menschen gebracht habt. Sie werden sich hier eine neue Heimat aufbauen und noch eine lange Zeit in dem neugewonnenen Frieden leben. Doch scheint sich dein Herz nach deinen Freunden zu sehnen. Dann geh. Vergiss aber nicht, bis heute Abend wieder da zu sein!“

Mit leichten, federnden Schritten und einem triumphierenden Grinsen auf den Lippen war die Dämonin so schnell um eine Ecke verschwunden, dass der Kriegerpriester keine Zeit mehr fand, sich über die vertrauliche Anrede bei ihr zu beschweren. Sie leise verfluchend und über sie nachgrübelnd wählte er einen Weg in die Stadtmitte, willkürlich, um irgendwie seine drei Freunde zu finden.

Im Stadtkern wurde, nahe eines Baches, der durch die Stadt floss, ein gewaltiger Gebäudekomplex vor einem großen freien Platz errichtet, der schon in diesem frühen Stadium an ein Herrenhaus, wenn nicht gar einen Palast erinnerte. Mit gemischten Gefühlen, einerseits darüber verwundert, wer denn nun der neue Monarch über dieses vertriebene Volk war, andererseits erbost darüber, dass der Adel sich wieder vom Volk absetzte, ging der Kriegerpriester auf den Bau zu. Zwei Schritte von ihm entfernt, blieb er auf einmal stehen, da er sich wunderte, ob er den Titel „Kriegerpriester“ überhaupt noch beanspruchen konnte und ob er dem neuen König Treue zu schwören hatte. Ehrlich darüber besorgt beschloss er, das am besten gleich mit dem Herrscher persönlich zu besprechen. Doch dazu musste er erst einmal besagten Mann finden.

„Ce’Nedra Esophromatem?“, fragte jemand neben ihm, als er sich ein paar Schritte in die bereits bestehenden Mauern hineingewagt hatte. Er blieb stehen, drehte sich zu dem jungen Mann um, dem die Stimme gehörte, der ihm aber nicht bekannt erschien. So antwortete er:

„Ja, was kann ich für Euch tun?“

„Ihr könnt mir zu dem König folgen, der jedem seiner Diener auftrug, Euch zu ihm zu bringen, wenn man Euch sieht.“, erwiderte der Junge, verneigte sich vor dem Halbelben und deutete ihm dann an, ihm zu folgen. So durchschritt Ce’Nedra als erster die bisher fertig gestellten Räume, denen es nur noch an Einrichtung mangelte. Schließlich erreichten sie eine geräumige Kammer, in der bisher nur ein Schreibtisch aufgestellt worden war, über den in angestrengter Studie ein Mann gebeugt arbeitete. Schüchtern räusperte sich der Jüngling und ging zögernd neben seinen König. Als dieser noch immer nicht reagierte, sah der Diener hilfesuchend zu dem Kriegerpriester zurück, der sich daraufhin selber ankündigte:

„Euer Majestät, Eure Aufmerksamkeit fordert Ce’Nedra Esophromatem, dem gesagt wurde, dass Ihr ihn zu sehen wünscht.“

Bei diesen Worten drehte sich der Monarch unverzüglich um und erhob sich aus seinem Stuhl. Dieses freudige Gesicht erkannte Ce’Nedra sofort wieder, auch wenn es ihn sehr überraschte, es an einem solchen Ort in solch einer Stellung anzutreffen. Jesper ging auf seinen überrumpelten Freund zu, um ihn gemessen zu umarmen.

„Wie schön, dich wieder zu sehen!“, sprach der junge Mann mit ehrlicher Freude in der Stimme, „Hast du den Dämonen ein Schnippchen geschlagen, sie mit einem Trick um dein Leben und deine Freiheit gebracht?“

„Nichts dergleichen“, lächelte der Kriegerpriester, „sie haben mich freiwillig herkommen lassen – für einen Tag.“

Wirklich überrascht riss der König die Augen auf. Nachdem er ein paar Mal fruchtlos angesetzt hatte, brachte er hervor:

„Wie kommt es denn dazu? Das hört man freilich nicht alle Tage, dass Dämonen jemandem eine Gnadenfrist erteilen, um ihn sich noch kurz von seinen Vertrauten und Lieben zu verabschieden!“

Unbehaglich sah Ce’Nedra zu dem jungen Diener, der ebenso nervös wie der Kriegerpriester über seine Anwesenheit zu sein schien. Daher sprang er beinahe vor Schreck in die Luft, als er von dem Held zu den beiden Männern gerufen wurde.

„Würdet Ihr mir einen Gefallen tun?“, erkundigte Ce’Nedra sich, wartete den zustimmungssuchenden Blick des Dieners an seinen Herren und dessen Nicken ab, bevor er fort fuhr: „Holt doch bitte die Königin und den Geldwechsler Erwin Goldzahn.“

„Den Schatzhüter meint er“, berichtigte der König seinen unwissenden Freund und fügte erklärend hinzu: „Wir brauchten jemanden zuverlässigen, der für und mit uns arbeitet und uns auch Informationen beschafft. Der „Schatz“ ist gleichzeitig das Volk und der materielle Geldwert, der uns zugeteilt wurde.“

Froh, diesen Raum verlassen zu können, eilte der Diener sich, der Aufforderung nachzukommen. Jesper warf seinem Freund einen neugierigen Blick zu, der in ebensolch einem erwidert wurde. Als sie gleichzeitig zu sprechen ansetzten, mussten sie über die Situation lachen. Schließlich gewährte der König gütig das Sprechrecht.

„Du bist König? Wie kommt es zu dieser unerwarteten Fügung?“, platzte es aus dem Halbelben heraus.

„Das weiß ich selbst auch nur aus der Erzählung Nadinas“, antwortete der Monarch, „ich selbst wurde zu dem Augenblick vollkommen von anderen Dingen in Beschlag genommen, doch erzähle ich dir gerne, was sie mir sagte. Ich sei unfähig, mich zu bewegen gewesen, da das königliche Zeichen auf einmal wie zur Antwort auf das Leuchten, das dich verschwinden ließ begann, weiß zu scheinen und in die Höhe zu schweben. Es drehte sich, löste sich auf und das Licht umschloss mich, der ich noch immer wie versteinert dagestanden haben soll. In einem Blitz entlud sich dann die Energie wieder und ich spürte nun selbst die Magie des Zeichens in mir, die Menschen sollen sich zu mir umgedreht haben und vor mir, mir huldigend, auf die Knie gefallen sein. Danach haben sich alle sehr schnell einig sein können, dass ich der neue König sein soll, auch wenn das dem Adel gar nicht gefallen hat.“ Jesper stieß ein humorloses Lachen aus. „Letztendlich hatten sie aber zu viel Angst vor der Macht des Ziegels, als dass sie mich hätten anzweifeln wollen.“

Erstaunt lauschte Ce’Nedra der Erzählung und verglich das beschriebene Geschehen mit den Ereignissen, die er selbst mit dem besagten Zeichen erfahren hatte. Es hörte sich durchaus plausibel an.

Nun, nachdem er seine Geschichte erzählt hatte, war der König neugierig darauf, auch die seines Freundes zu vernehmen, doch dieser erwiderte seinen Blick nur mit einem milden Lächeln und meinte:

„Nadina könnte wütend werden, wenn sie als letzte erfährt, dass ich wieder da bin und welches Geheimnis ich euch anzuvertrauen habe. Lass uns derweil lieber noch weiter über Dinge reden, die euch betreffen und auch mir am Herzen liegen. Zunächst: verlangst du von mir einen Treueschwur, sodass ich weiterhin Kriegerpriester bleiben kann?“

„Nein!“, lachte Jesper, seine Aufschiebung der Erklärung akzeptierend, „ich brauche keinen Schwur, der mir sagt, dass du weiterhin mein Freund bist. Und natürlich darfst du deinen Titel behalten, du hast ihn mehr als jeder andere verdient.“

„Danke“, bedankte sich Ce’Nedra mit einer Verbeugung, „das bedeutet mir viel. Was mir jedoch ebensoviel, wenn nicht gar mehr, am Herzen liegt; wie hast du vor, das Volk zu führen? Warum dieser riesige Palast, wo sich doch alle um ihr eigenes Haus zu kümmern haben?“

„Sie wollen ihn so groß bauen“, seufzte der König, „ich habe ihnen gesagt, sie können sich zuerst um ihre eigenen Häuser kümmern, aber einige Sprecher bestanden darauf, einen Palast zu errichten, auf den sie stolz sein können. Sollte ich ihnen diese Freude verwehren? Was die Führung angeht, ich werde mein Möglichstes tun, nicht zu vergessen, was ich selbst erfahren habe und welche Wünsche und Anforderungen ich insgeheim an den König stellte. Um mich ständig daran zu erinnern, habe ich zu den Adligen Sprecher aus dem Volk ernannt, die die Wünsche, Sorgen und Gedanken der Leute einsammeln sollen und mir mitteilen. Nur ein, oder zwei von ihnen dürfen älter als 30 sein, der Rest muss von den dieses Alter überschreitenden wieder ernannt werden; ich habe ihnen verboten, den Titel an die eigene Familie weiter zu geben, in der Hoffnung, dass sie sich nicht eines Tages in ebensolche Adligen verwandeln, mit denen ich mich ohnehin schon herumschlagen muss.“

Ce’Nedra stimmte nickend zu. Die Gedanken seines Freundes schienen dem Volk eine bessere Zukunft zu versprechen und er hoffte, dass die Umsetzung dem auch gerecht wurde. Währenddessen war der Diener mit Nadina und bald darauf mit Erwin zurückgekehrt und stand nun wieder unbehaglich von einem Bein aufs andere tretend in der Ecke. Jesper entließ ihn mit einem Lächeln und einem Winken aus seinem Dienst, was der Junge mit freudiger Erleichterung annahm. Er erinnerte Ce’Nedra an neue Messdiener, die er vor einer halben Ewigkeit beaufsichtigt hatte und die nervös von den Schuhen bis zu den Haarspitzen gewesen waren. Nadina ließ ihn nicht lange in seinen Überlegungen, sondern umarmte ihn ausgiebig, kurz nachdem der Junge den Raum verlassen hatte und formelle Zwänge mit ihm. Sie ließ erst wieder los, als Erwin ihr auf die Schulter klopfte und seinerseits Ce’Nedra eine respektvoll freundschaftliche Begrüßung zuteil werden ließ.

„Wir hatten geglaubt, dich für immer verloren zu haben!“, meinte er schließlich, was Nadina die Tränen in die Augen trieb, „und doch bist du wieder zu uns zurück gekehrt. Der Gott, dem du dienst, sei gepriesen!“

„Er hat ein seltsames Spiel mit mir gespielt“, stimmte Ce’Nedra lächelnd zu. Er wollte seine Freunde aufmuntern, vor allem Nadina, die sich an ihren Mann klammerte, um nicht den Tränen in ihren Augen nachzugeben, doch ihm fielen keine Worte ein. Schließlich erlöste Nadina ihn aus diesem Konflikt, indem sie ihrerseits fragte:

„Wie ist es dir gelungen, den schrecklichen Fängen der Dämonen zu entkommen? Erzähl, was dir widerfahren ist, als du von uns getrennt warst!“

„Ich habe euch doch erzählt, dass ich Halbelb bin“, hob Ce’Nedra an zu erzählen, stockte aber mit einem unbehaglichen Blick zu seinen Freunden, die schon diese Wahrheit schwer zu akzeptieren gefunden hatten, enthielt ihnen aber nicht die Fortführung „die Dämonen haben herausgefunden, was die andere Hälfte ist: einer von ihnen.“

Es folgten Minuten des Schweigens, in denen seine Freunde die beunruhigende Nachricht aufnahmen. Die Vorstellung, dass der Kriegerpriester kein bisschen menschliches Blut in seinen Adern fließen hatte, erfüllte sie mit Unbehagen, auch wenn sie lieber nicht daran glauben wollten. Schließlich räusperte sich Erwin:

„Ich habe mir erlaubt, nach deiner Erklärung, du habest mit den Dämonen der feurigen Pflanze einen Packt geschlossen, Erkundigungen über diesen Stamm einzuholen“, erläuterte er, dann sah er Ce’Nedra direkt in die Augen, „allen Berichten zufolge sind sämtliche Angehörige dieses Stammes von ein und demselben Merkmal gekennzeichnet, das dir offensichtlicherweise entschieden fehlt: Weiblichkeit.“

Überrascht suchten nun auch Jesper und Nadina Ce’Nedras Blick, da sie gelernt hatten, der Informationsbeschaffung des ehemaligen Geldwechslers zu vertrauen. Jesper erinnerte sich jedoch bald an die Gelegenheit, bei der sein Freund schon einmal die Gestalt gewechselt hatte und warf Erwin einen Blick zu, durch den seine Beobachtung bestätigt wurde. Der Kriegerpriester musste an die Geschichte Ko’Descherres denken, die eine ähnliche Überraschung vermittelt hatte wie die Blicke seiner Freunde. Auf einmal von Mitleid überschwemmt, erklärte er:

„Auch den Dämonen war das ein Rätsel. Allerdings habe ich mich beim Eintritt in ihre Welt verwandelt. Dort bin ich eine Frau und ungefähr so groß.“

Er hielt seine flache Hand knapp unterhalb seines Brustkorbs in die Höhe. Erst jetzt fiel ihm auf, dass er tatsächlich schrumpfte, wenn er seine andere Gestalt annahm. In Symbios, wo alle nicht viel größer waren als er dort und sämtliche Gebäude und Einrichtungen darauf abgestimmt waren, war es ihm nicht aufgefallen. Die weitere Geschichte fasste er kurz zusammen, ohne allzu viel Details zu verraten, weil er sich seiner neuen Heimat ebenfalls verpflichtet fühlte.
 

Am Abend, nachdem sich die vier Freunde nach einem Essen zu Tee und Keksen zurückgezogen hatten, kam Ko’Descherre in den Palast gestürmt, mit ihrem üblichen amüsierten Lächeln und anscheinend auf der Flucht vor einigen Wächtern. Als sie Ce’Nedra erblickte, flitzte sie zu ihm und stellte sich hinter dessen Rücken.

„Es tut mir zwar Leid, deine kleine Reunion mit deinen Freunden zu unterbrechen, aber einerseits ist es fast Zeit zum Aufbruch und andererseits könnten deine Worte von vorhin noch einmal Wunder wirken. Ich weiß auch nicht, woran ich immer erkannt werde“, kicherte sie und warf ihre roten Haare zurück. Der Angesprochene verdrehte die Augen ob des vertraulichen Pronomens, sagte jedoch nichts dazu. Jesper, Erwin und Nadina starrten die Dämonin offen an, bis die Wächter wesentlich respektvoller in den Raum kamen und sich mit entschuldigenden Gesichtern von der Tür ausbreitend im Raum verteilten. Der König wusste auch nicht so recht, ob er ihnen befehlen sollte, die Frau gefangen zu nehmen, oder nicht. Ce’Nedra hatte ihnen zwar von Ko’Descherre erzählt, aber das war nicht unbedingt beruhigend gewesen, auch wenn es sicherlich so gemeint gewesen war. So zauderte er, den Wachen Einhalt zu gebieten und die Dämonin für heute unter seinen Schutz zu stellen. Der Kriegerpriester erhob sich und stellte sich neben die Dämonin, um ihre einen Arm um die Schulter zu legen.

„Mein König, meine Königin, Erwin, darf ich euch Ko’Descherre Eiphromylop vorstellen, die Frau, die es mir ermöglichte, den Dämonen aus der Kristallwelt Esgemensor zu entkommen und der ich nun verpflichtet bin?“, erkundigte er sich, wodurch er die gefährliche Situation hinauszögerte.

Die Soldaten zögerten, weiter näher zu kommen und das scheinbar vertraute Paar zu bedrohen. Jesper erhob sich ebenfalls, um mit Ce’Nedra wieder einigermaßen auf Augenhöhe zu sein.

„Ich vertraue Euch, Kriegerpriester, aber das weitet sich deshalb nicht auf eine Angehörige der Dämonen aus“, erklärte Jesper misstrauisch. Der Angesprochene schloss seufzend die Augen, er musste sich recht schnell etwas überlegen, wie er sie aus dieser Lage ohne weitere Probleme herausmanövrieren konnte. Als er sie wieder öffnete, war ihm meine Idee gekommen.

„Vertraut Ihr ihr für heute, wenn ich Euch beweise, dass ich ihr Vertrauen entgegen bringe?“, fragte er, wobei ihm noch nicht ganz genau klar war, wie er das anstellen wollte. Jesper überlegte kurz, bevor er mit einem Nicken und folgenden Worten seine Antwort kundtat:

„Unter diesen Umständen will ich sie gehen lassen. Ich hoffe, dass Euer Vertrauen in sie gerechtfertigt ist und nicht eines Tages schmerzlich gebrochen wird.“

Ce’Nedra atmete einmal tief durch, sah zu Ko’Descherre in seinem Arm herunter und konzentrierte sich ganz auf sie. Ihm waren noch nie so deutlich ihre meergrünen Augen aufgefallen, die in ihrer blassen Haut gut hervor stachen und ihn neugierig musterten, sie war ruhig wie ein Beobachter, der ein junges Tier nicht verscheuchen wollte. Mit klopfendem Herzen zog er sie etwas näher an sich heran, hob ihr Kinn leicht an, beugte sich über sie und drückte ihr seinen ersten Kuss auf die weichen Lippen. Die Dämonin war angenehm überrascht, gab sich somit in seine Umarmung hin und erwiderte seinen Kuss gierig. Als sie ihm jedoch ihre Zunge in den Mund schieben wollte, unterbrach er verschreckt den Kontakt.

Ce’Nedra unterdrückte sein Rotwerden und sag fragend zum König, der sprachlos dastand und das Paar anstarrte. Auch die Soldaten, die sich noch an Ce’Nedra als den Retter vor den Dämonen erinnerten, standen verwirrt auf ihren Stellungen und wussten nicht, was sie davon halten sollten. Eine ähnliche Reaktion zeigte sich in Nadinas Gesicht, die fassungslos von der rothaarigen Frau zu dem Kriegerpriester und zurück blickte. Einzig Erwin schien sich für seinen Freund zu freuen, dass der sich endlich getraut hatte, eine Frau anders als flüchtig und züchtig zu berühren. Letztendlich fing sich der König wieder, räusperte sich einmal leicht verlegen noch und wandte sich an seine Soldaten.

„Nun, wie mir scheint, habt Ihr wirklich großes Vertrauen in diese Dämonin. Dann werde ich mein Wort wohl halten müssen“, erklärte er zwar von Ce’Nedra abgewandt, aber an diesen gerichtet. Den Wachen erteilte er den Befehl, Ko’Descherre in Ruhe zu lassen, bis dieser Tag vorüber sei und nun den Raum zu verlassen.

Keiner der drei Freunde verlangte eine Erklärung, die ohnehin überflüssig ausfiele. Sie sahen die Dämonin jetzt jedoch mit gemischten Gefühlen an und hofften, dass sie Ce’Nedra nicht ausnutzen würde. Sie selbst zupfte an seinem Arm, um seine Aufmerksamkeit zu ergattern.

„Es wird wirklich Zeit, dass wir wieder aufbrechen. Es war nicht gelogen, dass ich noch einige Berichte zu verfassen habe.“, teilte sie ihm mit, lächelnd bei der Erinnerung an den Kuss und Hoffnung auf weitere angenehme Taten.

„Bleib bitte noch etwas!“, bat Jesper an den Kriegerpriester gewandt, „wir können deine Hilfe beim Aufbau gut gebrauchen und auch dazu, die Moral zu stärken, de sich unter den Menschen gebildet hat.“

„Zudem möchten wir dich nicht so schnell wieder verlieren“, fügte Nadina hinzu, warf Ce’Nedra einen flehentlichen und Ko’Descherre einen bösen Blick zu. Erwin schwieg mit gemischten Gefühlen, die jedoch alle in die Richtung gingen, seinen Freund ziehen zu lassen, was er schließlich schon so häufig getan hatte.

„Das kommt nicht in Frage“, stellte Ko’Descherre klar, „Ce’Nedra ist einer von uns und hat mir außerdem im Austausch für die Rettung Eures Volkes sein Leben versprochen. Er liegt in meiner Hand; nichts, was Ihr sagt oder tut wird ihn mir wieder entreißen können!“

Ihre Worte waren untypisch heftig, ohne Widerspruch zu dulden und von einer Spur Eifersucht durchzogen. Nadina, der das gar nicht gefiel, machte den Mund auf, um etwas wahrscheinlich nicht sehr Freundliches zu erwidern, doch legte ihr der Schatzhüter beruhigend die Hand auf den Arm. Auch der Kriegerpriester schüttelte leicht den Kopf, um anzudeuten, dass er zwar gerne geblieben wäre, aber es stimmte, dass er Ko’Descherre verschuldet war.

„So gehe denn in Frieden, Freund“, brach Jesper die Stille, „Wir werden uns an dich erinnern und zu deinem Gott beten, dass er dich uns erneut schicken möge. Doch nun scheinst du Zeit mit deiner Freundin verbringen zu müssen und ihrer Welt zu dienen.“

Traurig und berührt von diesen Worten verabschiedete Ce’Nedra sich von seinen Freunden, hakte Ko’Descherre bei sich unter und begann, sich die Reise zurück in die Dämonenwelt Symbios zurecht zu legen.

Den Einspruch der Dämonin hörte er erst, als es schon zu spät war und so bewirkten ihre Worte nur, dass er seine Konzentration auf sie richtete und sie mit hinein in den Strudel des Wechsels gezogen wurde.

Als sie sich wieder in der kleinen Kammer befanden, hallte Ko’Descherres Einwand noch in beider Ohren nach, doch keine von ihnen konnte ihm einen Sinn verleihen. Neugierig und besorgt zugleich wandte Ce’Nedra sich an die ältere Dämonin, die sie verblüfft musterte.

„Deine Zauberkräfte sind echt erstaunlich“, staunte Ko’Descherre, „ich habe nicht von vielen Dämonen gehört, die sich so ohne Weiteres aus einem ummauerten Gebäude teleportiert haben, geschweige denn jemanden auf dieser Reise mitnahmen. Ein Gebäude stellt nämlich einen abgeschlossenen Raum dar, der die Dimensionen voneinander trennt, wenn er nicht wie dieser hier besonders präpariert wurde. Nun, vielleicht herrschten mildernde Umstände, weil das Haus noch nicht fertig war?“

Die jüngere Dämonin sah die ältere ebenso verblüfft an, wie sie gemustert wurde. Plötzlich brach letztere in ihr typisches Lachen aus, in das sich folgende Worte mischten:

„Du hast wirklich noch eine Menge über die Magie zu lernen. Auch wenn es vielleicht besser ist, wenn du das nicht tust, weil dich so die Einschränkungen nicht kümmern.“

Leicht gereizt, aber auch amüsiert, blickte Ce’Nedra ihre Mentorin an.

„Meine Schuld ist es nicht, dass ich mich damit nicht auskenne“, murmelte sie, wurde jedoch von Ko’Descherres Lachen zu einem Lächeln angeregt. Die ältere Dämonin musste allerdings einlenken, dass ihr Junior Recht hatte. So versprach sie ihr, ihr am folgenden Tag einen Ort zu zeigen, an dem magische Anwendungen geübt wurden, unter den Augen einer erfahrenen Dämonin, die auch Probleme und Risiken erläuterte. Nun jedoch sei sie müde. Auch Ce’Nedra musste gestehen, dass ihre Konzentration immer weiter nachließ. Daher wünschte sie Ko’Descherre eine gute Nacht und wollte in das ihr zugewiesene Gästezimmer verschwinden, wurde aber von dem Schweigen der Dämonin zurück gehalten. Fragend blieb sie in der Tür stehen und warf einen Blick über die Schulter zurück, nur um dem nachdenklichen Blick der anderen Dämonin geradewegs zu begegnen.

„Ich fragte mich nur gerade“, sinnierte Ko’Descherre und hob ihre Hand zu ihren Lippen, „ob und wie viel dir der Kuss vorhin bedeutete. So ein scheues Reh wie du lässt sich nicht so leicht duzen, warum also wegen eines solchen Grundes zu einer derartigen Tat hinreißen?“

In Ce’Nedra flammten plötzlich sämtliche zuvor unterdrückten Schamgefühle auf einmal hoch, was ihren Kopf von einer Sekunde auf die andere hochrot färbte. Hätte Ko’Descherre wieder gelacht, hätte sie irgendeine Ausrede finden und auf ihr Zimmer fliehen können, doch Ko’Descherre blieb ernst. Hastig wandte die junge Dämonin den heißen Kopf ab.

„Gute Nacht“, wünschte Ko’Descherre, den Rückzug vorerst akzeptierend, den Ce’Nedra antrat. Letztere hörte, wie sie sich erhob und gemächlichen Schrittes ebenfalls auf die Tür zuging, in der sie immer noch stand. Einen gute Nachtgruß murmelnd eilte sie auf das ihr zugewiesene Zimmer, warf die Tür hinter sich ins Schloss und vergrub ihre heißen Wangen in den Kissen des Bettes. Empfindungen, die ihr bis dahin fremd erschienen waren, flogen durch ihr Herz, sodass sie über dem Versuch, sie zu ordnen zwar nicht einschlafen konnte, aber irgendwann dann doch in einen schlafähnlichen Zustand hinüber glitt.
 

Mitten in der Nacht wurde sie noch einmal wach und zu ihrer maßlosen Verblüffung fand sie Ko’Descherre neben sich friedlich schlummern. Vorsichtig, um diese nicht zu wecken, drehte Ce’Nedra sich zu r Seite, so weit wie möglich von ihr weg. Wieder brannte ihr Gesicht und hinderte sie am Einschlafen, sodass sie einige Stunden wach lag, bevor sie sich sagte, dass sie morgen ausgeruht und aufmerksam zu sein hatte und sich in einen unruhigen Schlaf zwang. Da sie nicht wusste, ob die Nähe zu Ko’Descherre sie genug störte, um diese aufzuwecken, beließ sie es vorerst einmal dabei.

Beim Frühstück am nächsten Morgen blieb sie verlegen still, was auch der älteren Dämonin auffiel, sodass sie zunächst ein paar Witze darüber machte, doch als sie merkte, dass das ihre Freundin nicht auflockerte, fragte sie vorsichtig nach:

„Ist irgendetwas geschehen? Oder bist du einfach nur nervös?“

„Nun“, gelang es Ce’Nedra nach mehrmaligem Räuspern zu sagen, „heute Nacht, ähm… haben wir ein Bettlager geteilt.“

Als Ko’Descherre sah, dass dies die jüngere Dämonin weiter in Verlegenheit versinken ließ, überlegte sie etwas länger, was sie antworten sollte.

„Es ist gebräuchlich, unter Freundinnen, auch mal das Nachtlager zu teilen, zumindest hier in Symbios“, gab sie schließlich offen zu, „habt Ihr das nicht auch manchmal in Eurer Welt getan? Mit einem guten Freund zwar, aber macht das einen Unterschied?“

Ce’Nedra musste an die vielen Gelegenheiten denken, zu denen sie ihr Schlaflager nicht für sich alleine hatten, sondern mit jemandem teilen musste, aber…

„Das war allerdings meistens aus Platzgrünen, weil nichts anderes mehr frei zur Verfügung stand“, verteidigte sie sich, „Insofern war es schon etwas Anderes, zumindest für mich.“

„Na gut, dann“, seufzte Ko’Descherre und maß ihr Gegenüber dann mit einem durchdringenden Blick, „sieh es als Reaktion auf deinen Kuss. Du solltest in den letzten Wochen bereits gemerkt haben, dass ich dir nicht abgeneigt gegenüber stehe. Da sehe ich so etwas doch als willkommene Einladung, meine Grenzen zu verschieben“, kicherte sie, „und wie es aussieht, ist mir dies auch gelungen. Lass uns enge Freundinnen sein, ja? Mindestens.“

„Gebt mir bitte diesen Tag Bedenkzeit“, bat die junge Dämonin kapitulierend und gleichzeitig innerlich mit gefühlten tausend Empfindungen beschäftigt. Ihr Senior nickte freudestrahlend, legte ihr Besteck beiseite und erhob sich, um anzuzeigen, dass sie nun bereit war, ihren Junior zu gestern vorgeschlagenem Ort zu geleiten. An der Haustür legte sie ihr noch einmal die Hand auf den Arm und empfahl:

„Überlege dir innerhalb der nächsten Wochen, welche Aufgaben du hier übernehmen könntest, da die übrigen Dämonen dich nicht ewig als mein Anhängsel dulden werden, sondern darauf bestehen, dass auch du dir dein Geld und Ansehen verdienst.“

Nachdem sie von der jungen Dämonin das Einverständnis erlangt hatte, öffnete sie die Tür und die beiden traten hinaus in den Sonnenschein.

Ko’Descherre führte Ce’Nedra zu einem Ort, der dieser trotz ihrer zahlreichen Erkundigungen noch nicht aufgefallen war. Es handelte sich um einen mit einer kleinen Mauer umschlossenen Hof, dessen eine Seite in einem flachen Hügel anstieg. Auf dem Rasen sammelten sich einige rothaarige Dämoninnen mit der typischen Kleidung. Sie unterhielten sich lachend in kleinen Grüppchen. Ko’Descherre hielt am offenen Gartentor an, beugte sich zu Ce’Nedra hinüber, hauchte ihr einen leichten Kuss auf die Wange und verabschiedete sich:

„Bis heute Abend. Lass dir geraten sein, nicht zu erwähnen, dass du dich aus einem geschlossenen Raum hierher teleportiert hast.“ Sie zwinkerte ihr zu, „Viel Spaß und lass dir nicht zu lange Zeit heute Abend.“

Bevor Ce’Nedra eine Entgegnung ausgesprochen hatte, war ihre Mentorin schon winkend und hüpfend in dem flachen Strom Dämonen verschwunden, der seinen eigenen Zielen nachging. Die junge Dämonin schüttelte lächelnd den Kopf über sie, bevor sie sich auf den Rasen und in die Nähe der anderen begab. Sie hielt sich an eine Gruppe an der Ummauerung, von der einige Frauen zu ihr herüber geblickt und sie angelächelt hatten.

„Ich habe gehört, Eiphromylop habe eine neue Dämonin rekrutiert“, sagte eine aus der Gruppe.

„Ja, Na’Kereb Releph. Die steht da hinten. Ich persönlich mag sie nicht“, antwortete eine andere.

„Die meinte ich eigentlich nicht. Ich meinte die, von der gemunkelt wird, sie sei eigentlich ein Mann“, berichtigte die erste und rief damit entsetztes Aufkeuchen bei ihren Kumpaninnen hervor. Eine von diesen erinnerte sich schließlich:

„Ja, von der habe ich auch gehört. Sie soll auch bei Phrolyp spioniert haben! Ich glaube, ihr Name war Ce’Nedra Esophromatem, oder so.“

„Die ist ja gruselig“, kicherte eine kleinere, „vielleicht ein Magierspion?“

„Ach, hör doch auf! Das hätte Eiphromylop doch bemerkt!“, verteidigte die erste, die sich dann entschieden von diesem Thema ab und der Neuen in ihrer Runde zuwandte, „Mögt Ihr uns euren Namen verraten?“

Die Angesprochene lächelte vielsagend, antwortete dann selbstbewusst:

„Ce’Nedra Esophromatem.“



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu dieser Fanfic (3)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  rikku1987
2010-08-02T16:43:42+00:00 02.08.2010 18:43
schicke geschichte, obwohl ich schon noch erfahren hätte, wie ihr leben so weiterging, aber wer weiß, vielleicht arbeitest du ja an einer fortsetzung
Von:  Ned
2010-07-31T16:48:03+00:00 31.07.2010 18:48
Also, das Ende kam jetzt etwas abrupt. Als hättest du nicht gewusst, wie du weiterschreiben sollst. Es sind vor allem im zweiten Kapitel kiloweise Flüchtigkeitsfehler drin ('nicht' statt 'noch' und ähnliche Wortfehler, Tippfehler, etc.), die bei mir den Eindruck erwecken, du wolltest die Geschichte bloß schnell erledigt haben. Ich weiß, das klingt hart und als fände ich die Geschichte doof, das ist jedoch nicht so. Ich finde sie nur etwas zu schnell erzählt - und irgendwie haben alle Charaktere den selben Sprachstil. Da hätte ich's schön gefunden, wenn zum Beispiel der anfangs erwähnte "Bauernslang" (ein Begriff, der übrigens in meinen Augen der Atmosphäre leider etwas schadet) etwas mehr umgesetzt worden war. So 'n ausgelassener Buchstabe mi'm Apostroph, der kann Wunder wirk'n, weißte? xD
Noch etwas: Nach dem Tod des Königs sprach Ce'Nedra von der Westgrenze, später in dem Kapitel war die Rede von der östlichen Grenze (an der Stelle mit dem umgeleiteten Fluss). Hab' ich da was nicht richtig verstanden bzw. wurde etwas missverständlich ausgedrückt?

Ansonsten gefallen mir hierbei ganz besonders die Beschreibungen der unterschiedlichen Welten. Die ausgedörrte Armut und dagegen die 'Farbenpracht' in Symbios, sehr schön. Das Nahebringen fiktiver Orte hast du eindeutig drauf, das muss man so sagen. :D Ich würde gerne mehr über die Welten und auch Dämonenstämme erfahren - du lässt dich nicht zufällig dazu hinreißen, weitere Kurzgeschichten in den Welten dort spielen zu lassen? :) Ich würde zu gerne wissen, wie diese Kristallwelt aussieht... Gibt es noch mehr Dämonenstämme mit eigenen Welten?
Wie du siehst, ich hatte zwar einiges zu bemängeln, da ich manchmal furchtbar kleinlich sein kann, doch das Positive wiegt dabei umso schwerer.
Von: abgemeldet
2010-06-29T15:50:10+00:00 29.06.2010 17:50
hui!!!
ich mag die geschichte!
ist voll schön erzählt und packt einen richtig!
ich konnte mir alles voll gut vorstellen!!!

^^

Hi-chaan


Zurück