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Das Rudel des Wolfes

RL / SB
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Laaang ist's her, dass ich diese FF geupdated habe. Meine einzige Entschuldigung ist wohl, dass ich echt ne Menge zu tun hatte, aber jetzt, mit meinem Abschluss in der Tasche, hab ich endlich die Muße und Gelegenheit dazu bekommen, diese Geschichte zu Ende zu bringen. Ja, ihr habt richtig gelesen: Ich habe diese Geschichte zu Ende geschrieben. Es sind insgesamt 26 Kapitel und es fehlt nur noch ein bisschen was an Überarbeitung. Von daher dürft ihr auf wesentliche schnellere Updates hoffen ;)
Aber nun zur eigentlichen Story *Kekse und Kakao verteil* Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Hey :)

Da ich gerade erst aus dem Urlaub zurückgekommen bin (eine Woche Frankreich, yay! :3) habe ich erst jetzt entdeckt, dass mein letztes Kapitel auf Adult umgestellt wurde. Das tut mir Leid für diejenigen, die noch kein Adult lesen können. Ursprünglich hatte ich das Kapitel extra so geschrieben, dass es noch als jugendfrei angesehen werden könnte ... aber offenbar wir das hier anders gesehen. Nun ja, jedenfalls gibt es hier noch einmal eine "zensierte" Version des letzten Kapitels. Ich hoffe es wirkt nicht allzu bruchstückhaft x__x

Viel Spaß damit! <3 Komplett anzeigen

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Veränderung

Prolog: Veränderung
 

Remus Lupin atmete auf. Endlich waren die Prüfungen vorbei. In den letzten Wochen hatte er die Abende paukend hinter Bergen von Büchern verbracht. Seinen Ruf als Streber war er deswegen natürlich nicht losgeworden und hatte sich wie immer dämliche Sprüche anhören müssen. Aber das machte nichts. Das war Remus gewohnt. Schon seit sechs Jahren, die er auf Hogwarts war. War es gewohnt, den Hänseleien aus dem Weg zu gehen und gleichzeitig seine Hausaufgaben zu verteilen, um nicht wie Snape behandelt und vollkommen ausgeschlossen zu werden.
 

War es gewohnt, sein Geheimnis zu verbergen.
 

Er hatte großes Glück, überhaupt an der Schule angenommen worden zu sein. Er war eine Gefahr für die Schüler, für sich selbst schon immer gewesen. Er war Dumbledore so dankbar, dass er sich damals für ihn eingesetzt hatte und doch war er sich manchmal nicht sicher, ob es nicht doch besser gewesen wäre, zu Hause zu bleiben, behütet bei seinem Vater.
 

Remus hievte die schweren Bücher, die er bis zur Prüfung mitgeschleppt hatte, unter seinen Arm und ging die lange Treppe bis zum Haupteingang hinunter. Mit einem Blick in die Große Halle stellte er fest, dass er nicht der Erste war, der mit den Prüfungen durch war, verspürte aber nicht das geringste Bedürfnis danach, sich den Schülern anzuschließen, die aus dem Tor auf die Hogwartsgründe strömten, und auf die baldigen Ferien anzustoßen. Stattdessen schlug er nach dem Haupttor einen anderen Weg ein. Den See, an dem sich die meisten Schüler tummelten, hatte er bald hinter sich gelassen. Hierher führten keine Pfade, die andere Schüler im Laufe der Jahrzehnte plattgetrampelt hatten und er keuchte, während er mit seiner schweren Umhängetasche seinem eigenen, leicht ansteigenden Weg folgte, nicht sichtbar, aber für ihn doch der selbe wie immer. Sein Weg führte ihn in die Ausläufer des Verbotenen Waldes, ganz in die Nähe der Peitschenden Weide, die vor genau sechs Jahren gepflanzt worden war und er setzte sich in den Schatten eines der ausladenden Bäume.Er tat das absichtlich, um nervige Schüler von sich fernzuhalten, um in Ruhe lesen zu können.
 

Natürlich keine Schullektüre. So ein Streber war er nun auch wieder nicht. Er liebte es, sich nach Prüfungen oder anderen anstrengenden Tagen in einem schönen Roman zu vertiefen, am liebsten Liebesgeschichten. Okay, wenn rauskommen würde, dass er romantischen Kitsch las, würde man ihn sicher noch mehr verspotten. Mit einem unwohlen Gefühl im Magen dachte er an Potter und seine Freunde, mit denen er gezwungen war einen Schlafsaal zu teilen. Er hielt sie auf Abstand, so gut er konnte, doch es gelang ihm nicht immer. Vor allem sich alle vier Wochen wegzuschleichen, ohne dass es einer von ihnen bemerkte, erwies sich oft als schwierig. Ebenso den immer wieder aufkommenden Fragen auszuweichen, die sich unweigerlich ob seines seltsamen Verhaltens stellten. Oder wenn einer von ihnen doch einmal ein Stück seiner vernarbten Haut sah. Aber mit den Jahren waren auch diese immer weniger geworden.
 

Er ließ seinen Blick über die Hogwartsgründe schweifen. Jetzt im Sommer erstreckten sich sattgrüne Wiesen um das Schloss und viele Schüler lagen am See, um sich die Sonne auf den Bauch scheinen zu lassen. Es war selbst für Schottland ein wirklich strahlender und heißer Sommertag. Hogwarts war wie ein Zuhause für ihn, aber dennoch musste er immer auf der Hut sein.
 

Er vertiefte sich wieder in sein Buch.
 

Gerade war er an einer besonders herzerwärmenden Stelle angekommen, als ein Schatten über die Seiten fiel.
 

„Hey, Lupin, was liest du denn da?“
 

Er erkannte die Stimme sofort und als er aufblickte, stand Black vor ihm.
 

Sirius Black, der wohl von allen Mädchen am meisten umschwärmt und von den Jungs gleichermaßen gefürchtet und gehasst wurde. Es gab das Gerücht, er hätte bereits jede gehabt.
 

„E-Ein Buch über Runen.“, stammelte Remus mit roten Ohren und steckte das Buch weg. „Nichts Besonderes.“
 

„Das sah mir aber eben gar nicht nach Runen aus.“ Black legte den Kopf schief, dann legte sich ein teuflisches Grinsen über sein Gesicht. „Zeig mal her!“
 

„Hey – nein!“
 

Remus wollte noch verhindern, dass Black nach seinem Buch griff, doch der war als Jäger der gryffindorschen Quidditchmannschaft flink genug, um ihm auszuweichen und das Buch zu erwischen. Neugierig las er den Titel darauf, Remus ließ indes den Kopf hängen. Obwohl Black nicht so schlimm wie Potter war, nutzte er jede Gelegenheit, um ihn zu hänseln. Er konnte nur froh sein, dass bald die Sommerferien begannen. Wenn er danach für sein letztes Schuljahr nach Hogwarts zurückkehrte, würden die anderen hoffentlich so viel zu erzählen haben, dass sie ihn ganz vergaßen.
 

Black räusperte sich schließlich, weshalb Remus ihn wieder ansah.
 

„Liest du immer sowas?“
 

„Äh – nein, also – das ist eine Hausaufgabe … für Wahrsagen.“, erwiderte er lahm.
 

„Tse, du warst schon immer ein schlechter Lügner, Lupin.“ Black wedelte mit dem Buch vor seiner Nase herum, dann gab er es ihm wieder. „Ich muss weiter zu James. Man sieht sich!“
 

Remus sah ihm noch eine Weile nach und hoffte, dass sich seine roten Ohren bald wieder normalisiert haben würden.
 

Er, ein schlechter Lügner? Da schätzte Black ihn nun wirklich falsch ein.
 

~~~~~*~~~~~
 

Sie hassten sich nicht. Auch wenn Blacks Neckereien den Anschein dafür erweckten, so waren sie doch nichts weiter als harmlose Kindereien. Viel schlimmer waren die Slytherins, die in einem Gryffindor, der irgendwie nicht so recht in sein Haus zu passen schien, das ideale Opfer gefunden hatten. Am schlimmsten war es kurz nach Vollmond, wenn er wieder zum Unterricht gehen konnte und die Blicke ertragen musste: teils neugierig, teils neidisch darauf, dass er anscheinend bevorzugt behandelt wurde. Aber das war er, wie gesagt, schon gewohnt.
 

Die Prüfungen hatten beinahe den ganzen Tag in Anspruch genommen und nachdem er eine Weile gelesen hatte, musste er wohl oder übel zum Schloss zurückkehren, damit man ihn beim Abendessen nicht vermisste. Erstaunlich, aber wahr: Er wurde tatsächlich vermisst. Das musste wohl daran liegen, dass sie sich zu viert ein Zimmer teilten – er, Black, James Potter und Peter Pettigrew. Er hielt gerade so viel Kontakt zu den dreien, wie nötig war, um die Temperatur in ihrem Zimmer nicht unter den Gefrierpunkt fallen zu lassen. Sie waren keine Freunde, aber auch keine Feinde, das sollte genügen. Warum er so abweisend war? Damit ihm niemand zu nahe kam.
 

Er suchte den Gryffindortisch nach einem von ihnen ab und als er sie gefunden hatte – Potters stachelige Haarpracht war nicht zu übersehen – setzte er sich zu ihnen. Black mampfte gerade Kürbistorte.
 

„Na, wie ist es gelaufen?“
 

Pettigrew, schüchterner als Remus selbst sich gab, starrte ihn aus großen Augen an. Irgendwie erinnerte er ihn an sowas wie ein Nagetier. Auch wenn er sich von allen gleichermaßen distanzierte, so konnte er Pettigrew wirklich nicht leiden.
 

„Ja, ganz gut.“
 

„Oh, wirklich? Also, ich bin mir nicht sicher, ob man zwei oder drei Messerspitzen Mondkraut zum Aufmunterungstrank geben musste...“
 

Remus hörte schon gar nicht mehr richtig zu. Konnte sein, dass Pettigrew ihm später böse sein würde und die Temperatur um weitere zwei Grad sinken würde, auf gefährliche vier Grad über null, aber er war im Moment definitiv nicht in der Stimmung für Small Talk. Er wartete nur auf den Moment, in dem Black seine neuesten Neuigkeiten losposaunen würde und spitzte seine Ohren:
 

„-diese Miranda ist wirklich heiß, hast du ihren Rock heute gesehen? Ich glaub, den hat sie sich kürzer gezaubert!“, schwärmte Black gerade.
 

„Sie hat sich auch ihre Bluse enger gezaubert.“, erwiderte Potter.
 

„Oh wow! Mann, die fehlt mir echt noch!“ Remus verdrehte die Augen. War ja klar, dass Black schon wieder einen Bettwärmer auserkoren hatte.
 

„Aber trotzdem ist sie nichts gegen Evans!“
 

„Tse, war ja klar, dass du wieder mit der anfängst. Ich weiß gar nicht, was du an der findest – und überhaupt, wenn du sie so geil findest, wieso nennst du sie dann immer Evans? Nenn sie doch beim Vornamen, das ist viel … intimer.“ Auf Blacks Gesicht breitete sich ein dreckiges Grinsen aus.
 

„Pah, nur weil du immer alles gleich intim haben musst! Ich warte lieber.“
 

„Ach, jetzt kommt wieder unser großer Romantiker!“
 

Da, da war das Wort. Romantiker. Romantik. Remus` Buch. Black sah kurz zu ihm herüber, ihre Blicke trafen sich. Remus wappnete sich innerlich gegen den Spott. James dagegen schwärmte ungehindert weiter.
 

„Ich bin kein Romantiker, ich liebe Evans nunmal! Du musst nur noch die Richtige finden!“
 

„Ja, deswegen probiere ich ja auch alle aus!“
 

Sirius hatte sich weggedreht. Er hatte es nicht gesagt. Remus starrte ihn mit offenem Mund an, bis ihm auffiel, dass das wirklich peinlich aussehen musste. Wieso hatte er es nicht gesagt? Während Potter und Black über ihre Bettgeschichten diskutierten, ließ ihn diese Frage nicht mehr los.
 

~~~~~*~~~~~
 

Remus war der Einzige, der im Schlafsaal war. Die anderen hatten beschlossen ihre Prüfungen – bestanden oder nicht – erst einmal gründlich zu feiern. Für Remus jedoch war der Tag anstrengend genug gewesen, und er wollte nichts weiter, als sich in sein Bett fallen zu lassen und am Samstag auszuschlafen.
 

Er wollte sich gerade hinlegen, da wurde die Tür zum Schlafsaal aufgerissen. Black kam in den Raum, sah sich um und schließlich blieb sein Blick an ihm hängen.
 

„Hey, Lupin! Was hockst du denn hier oben?“
 

„Äh ... ich wollte eigentlich schlafen ...“ Eigentlich. Damit hatte er sein Schicksal bereits besiegelt.
 

„Ach komm schon, unten steigt 'ne Party! Wir haben auch Honigbier!“
 

„Hä, wo habt ihr das denn her?“
 

„Aus den Drei Besen natürlich, und jetzt komm!“ Lachend griff Black nach seinem Handgelenk und zog ihn hinter sich her aus dem Schlafsaal. Seiner guten Laune nach zu schließen hatte er das Honigbier wohl schon vorgekostet.
 

Unten im Gemeinschaftsraum war inzwischen nicht mehr viel los. Der Kamin an einer Seite des großen, dank der Gryffindorfarben rot und gelbgold gemütlich wirkenden Raumes war aus, da es viel zu warm war in anzuzünden. Die Sessel waren größtenteils zur Seite gerückt, irgendwer hatte eine Schallplatte aufgelegt und Black hatte wohl, was das Honigbier anging, nicht gelogen. Remus war sich jedoch nach dem ersten Blick sicher, dass einige der Flaschen, die auf dem Tisch nahe des Kamins standen, eine andere Sorte von Alkohol enthielten. Abgesehen von Potter und Pettigrew und ein paar anderen Grüppchen, die sich hier und da im Gemeinschaftsraum verteilt hatten, war jedoch niemand da. Offensichtlich verstand Black unter 'Party' nur, sich zu betrinken.
 

Black zerrte ihn nun zu seinen Freunden, Potter und Pettigrew. Letzterer hatte bereits glänzende Augen und einen deutlichen Rotschimmer um die Nase, doch Potter reichte ihm eine weitere Flasche Honigbier. Remus rümpfte innerlich die Nase. War ja klar, dass Pettigrew wieder einmal für Potters Erfindungskunst herhalten musste – nur, dass er selber nichts davon merkte (oder merken wollte).
 

„Hey, seht mal, wen ich mitgebracht habe!“
 

Potter sah auf, während Pettigrew heimlich die Flasche auf dem Boden absetzte, und grinste.
 

„Wow, hast es doch noch geschafft? Komm, jetzt wird gefeiert!“
 

„Aber-“
 

Remus wollte widersprechen, doch schon hatte Black sich neben Potter gesetzt und ihn selbst mitgezogen, sodass sie einen kleinen Sitzkreis bildeten. Sofort wurde ihm ein Honigbier hingehalten und in der Hoffnung, dass sie es dabei belassen würden, nahm Remus die Flasche an.
 

„Peter und ich haben uns eben was überlegt.“, fing Potter an, während er einen tiefen Schluck von irgendeinem anderen dubiosen Getränk nahm. Sein Blick glitt zu Remus und er fing an zu grinsen. Remus schluckte. Das konnte nichts Gutes verheißen.
 

„Komm Jamie, spuck`s schon aus!“
 

„Jaaa“, sagte Potter gedehnt und sein Grinsen wurde noch breiter, „wir spielen Flaschendrehen.“
 

„Flaschendrehen?“, rief Black empört. „Boah, wie langweilig, das ist doch was für kleine Kinder!“
 

„Ach was, das macht Spaß! Außerdem ...“, und wieder glitt sein Blick zu Remus hinüber, „wollen wir doch alle mal erfahren, was unser kleiner Lupin für geheime Wünsche hegt.“
 

Remus spürte, wie ihm die Röte ins Gesicht schoss. Klar, für `Kindereien` waren sie sich zu schade, aber so einen Kinderkram zogen sie trotzdem durch! Dumm nur, dass das Alter keine Rolle spielte, wenn es um peinliche Geheimnisse ging. Nicht, dass er irgendwelche besonderen hätte. Jedenfalls keine peinlichen. Dennoch – es war ein Spiel, er konnte also lügen, er durfte sich nur nichts anmerken lassen.
 

„Also.“ Potter legte eine leere Flasche in die Mitte. „Frage oder Befehl?“
 

„Frage, Frage!“, krähte Black, nun auf einmal doch begeistert.
 

„Okay. Der, auf den die Flasche zeigt … muss sagen, mit wem er sein erstes Mal hatte!“
 

Potter drehte die Flasche mit Schwung und während sie über den Boden schlitterte, hoffte Remus darauf, dass ihr Ende nicht auf ihn zeigte. Dabei war das im Vergleich zu anderen Dingen noch eine harmlose Frage. Als er wieder nach unten sah, hörte die Flasche langsam auf sich zu drehen, bis sie liegen blieb.
 

„Oh nein!“ Pettigrew schoss das Blut ins Gesicht. Black seufzte theatralisch.
 

„Na toll, das bringt ja nichts! Bei Peter wissen`s wir eh schon, der hat sowieso noch nie!“
 

„Na ja“, wandte Potter ein, „vielleicht hat er es uns auch bloß nicht erzählt?“
 

„Ach Quatsch, als ob! Oder, Peter?“
 

Beide sahen ihn mit großen Augen an. Pettigrew sah aus, als würde er am liebsten im Boden versinken.
 

„Ähm … ja … ihr habt Recht ...“, gab er schließlich leise zu.
 

„Siehste, hab ich`s doch gewusst! Komm, nächste Runde!“
 

Pettigrew nahm zaghaft die Flasche in die Hand. Ihm war die Lust auf das Spiel wohl gründlich vergangen, doch er spielte weiter.
 

„A-Also … Frage oder Befehl?“
 

„Frage, Befehle sind doch langweilig ...“, gähnte Black.
 

„O-Okay … Also … derjenige muss … sagen, welchen Fehler er mal beim Quidditch gemacht hat.“
 

„Boah Peter, wie langweilig!“ Black und Potter verdrehten beide die Augen, doch die Frage war gestellt: Die Flasche drehte sich und alle starrten wie gebannt darauf und warteten, bis sie stoppte.
 

„Also, ich bin eh so gut beim Quidditch, ich hab noch nie `nen Fehler gemacht.“, prahlte Potter, auf den die Flasche gezeigt hatte.
 

„Angeber.“
 

„Also, dann bin ich ja wieder dran. Ich bin aber für `nen Befehl, mir fällt da nämlich ein ziemlich guter ein.“
 

„Und welcher?“
 

Potter grinste. „Derjenige, auf den die Flasche zeigt … muss Lupin küssen!“
 

„Was?“ Diesmal war es Remus, der sich bisher gänzlich still verhalten hatte. „Dann bin ja auf jeden Fall-“
 

„Ich weiß, ich weiß … aber Opfer müssen nunmal vollbracht werden. Sei froh, wenn es nicht Peter ist.“ Potter lachte.
 

Remus wusste nicht, was er tun sollte. Aufstehen und gehen? Damit würde die Temperatur im Zimmer mindestens um zehn Grad sinken, denn wenn man dem Trio ihre Späße versaute, konnten sie ziemlich eingeschnappt sein. Andererseits war es ein Kuss – sein erster.
 

„O-Okay. Los.“ Remus hatte keine Wahl. Irgendwie musste er das überstehen.
 

Als die Flasche anfing sich zu drehen, hatte Remus das seltsame Gefühl, zum ersten Mal seit Jahren keine Kontrolle mehr über seine eigene Situation zu haben. Irgendetwas war im Gange. Das spürte er.
 

Die Flaschenöffnung zeigte auf Black.
 

Stille. Black hatte wohl nicht wirklich damit gerechnet, dass das Los auf ihn fallen würde. Aus dem Augenwinkel sah Remus, wie Pettigrew erleichtert aufatmete.
 

„Hui, Sirius, da hast du ja mal 'nen ganz besonderen Fang gemacht!“, feixte Potter, als der anfängliche Schock überwunden war.
 

Black schien nicht besonders begeistert zu sein. Mit zweifelndem Blick sah er zu Remus herüber, doch der hielt den Blick gesenkt. Er wusste nicht genau, wo er hinsehen sollte.
 

„Ähm ...“ Blacks Stimme war ungewohnt unsicher. „Geht auch auf die Wange?“ Remus konnte das nur hoffen. Nicht, dass er große Pläne für seinen ersten Kuss gehegt hatte, doch ihn bei einem Spiel verlieren wollte er ihn auch nicht.
 

„Ha, hättest du wohl gern!“ Potter genoss die Situation sichtlich und vergaß dabei, dass es ihn genauso gut hätte treffen können. Er würde ihn sicher wochenlang damit aufziehen.
 

Black biss sich auf die Lippe. Remus hielt den Atem an. Würde er passen?
 

„Also gut. Komm her, Lupin.“ Oh nein. Oh nein, oh nein, oh nein. Das hatte er nicht wirklich vor. Remus rührte sich kein Stück. Black sah ihm fest in die Augen. „Mensch, jetzt sei kein Frosch. Ist doch nur ein Kuss!“
 

Für ihn vielleicht, dachte Remus, aber für mich ist es der erste. Verdammt.
 

Und da passierte es: Black beugte sich doch tatsächlich vor. Seine Augen offen, ganz und gar nicht romantisch. Seine halblangen, schwarzen Haare fielen ihm ins Gesicht und er strich sie ungeduldig hinter die Ohren. Remus achtete nur nebenbei auf diese Geste. Er hatte sich das immer ganz anders vorgestellt. Nicht so. Eine Hand in seinem Nacken. Die ihn näher zog. In den Romanen war das immer anders gewesen. Fremder Atem auf seinen Lippen. Und schon gar nicht mit einem Mann!
 

Blacks Lippen waren trocken und fest und gaben doch nach, als sie sich auf seine drückten. Remus vergaß das Atmen. War es das gleiche Gefühl, das all die anderen Mädchen auch immer bei ihm spürten?
 

Dann war es auch schon wieder vorbei. Remus` Kopf glühte und irgendwie war sein Kopf voll von irgendetwas, das sich anfühlte wie Watte. Er schwankte und hielt sich an Blacks Arm fest. Er war ganz warm. Remus schloss die Augen.
 

„Und nächste Runde!“
 

Potter schlug Black lobend auf den Rücken und hielt ihm dann die Flasche hin. Blacks Mundwinkel zuckten kurz, dann griff er zur Seite und griff nach der noch halbvollen Flasche, die Pettigrew abgestellt hatte und nahm einen tiefen Schluck daraus.
 

Und dann ging es weiter. Doch Remus spürte: etwas hatte sich heute verändert.
 

Für jeden Außenstehenden musste es so aussehen, als wäre alles wie gehabt, doch Remus, der die Rumtreiber beinahe sechs Jahre kannte, bemerkte die kleinen Anzeichen der Veränderung sofort. Jedoch war es nicht nur Black, der sich anders verhielt. Der sonst so schüchterne Pettigrew schien sich in den Vordergrund rücken zu wollen, indem er laut über Potters Witze lachte und seine Begeisterung über alles, was seinen Mund verließ, zur Geltung brachte. Potter dagegen wälzte sich regelrecht darin. Das war an sich nichts Neues, das Ausmaß dagegen schon.
 

Und Black - Remus konnte nicht anders, als ihm im Laufe des Abends immer wieder verstohlene Blicke zuzuwerfen. Es war, als sähe er ihn in einem völlig neuen Licht, als hätte er ihn noch nie gesehen. Seine langen, schwarzen Haare, dessen Spitzen gerade so seine Schultern erreichten, seine gerade, etwas zu lange Nase, die sich scharf von seinem athletischen Profil abhob.
 

Erst als Black sich plötzlich zu ihm umdrehte und ihre Blicke sich für den kürzesten aller Momente trafen, wurde ihm bewusst, dass er starrte und er sah weg.
 

Oh ja, etwas hatte sich verändert. Remus wusste nur noch nicht, wie sehr.

Entschuldigung

Sorry, dass ihr solange auf ein neues Kapitel warten musstet. Ich habe wohl zur denkbar schlechtesten Zeit mit dieser FF angefangen - in der Zeit, in der ich für das Abi lernen musste. Jedenfalls sind zumindest die schriftlichen Prüfungen jetzt vorbei und ich kann wieder aufatmen. Glaubt mir, an dieser FF liegt mir sehr viel und ich hoffe deshalb, dass ihr sie weiterhin verfolgen werdet ;)
 

Entschuldigung
 

Remus hatte sich alten Gewohnheiten folgend wieder in die Nähe der Peitschenden Weide begeben und sich dort, an einen Baumstamm gelehnt, in ein Buch vertieft. Wobei 'vertieft' das falsche Wort war, seit dem letzten Abend konnte er an nichts anderes mehr denken als an den Kuss, den Black ihm verpasst hatte. 'Verpasst' war definitiv das richtige Wort. Das, was geschehen war, hatte nichts mit Liebe zu tun. Remus hasste solche Spielchen. Doch um die Temperatur in ihrem Zimmer aufrecht zu erhalten, musste er sich wohl von Zeit zu Zeit auf so etwas einlassen. Oder etwa nicht? Er war sich inzwischen schon fast sicher, dass es ein Fehler gewesen war, nachzugeben.
 

Es war kurz vor den Ferien. Morgen würde der Hogwarts-Express vorfahren und die meisten Schüler zurück zu ihren Eltern bringen. Er würde sich ja auch auf die Ferien freuen, wenn er da etwas zu tun gehabt hätte. Denn das war etwas, das er hasste: Langeweile.
 

Als die beiden in seinem Roman gerade anfingen, ihre Liebe etwas deutlicher zu zeigen, als ihm lieb wahr, klappte er das Buch zu und stand auf, blieb jedoch auf der Stelle stehen, unschlüssig, was er nun tun sollte. Er beschloss schließlich, zum See zu gehen und seine Füße etwas im kühlen Wasser baumeln zu lassen, auch wenn er wusste, dass sich dort jetzt halb Hogwarts tummeln würde.
 

~~~~~*~~~~~
 

Tatsächlich war nicht nur halb Hogwarts da. Was ihn am meisten störte war die Anwesenheit von Potter, Pettigrew – und Black. Alle drei hatten sich ihre Badeshorts angezogen und hüpften wie die Idioten durch das Wasser, weiter vom Ufer entfernt als der Rest der Schüler. Das hatte auch seinen Grund, immerhin war der See bei Hogwarts kein Badesee, aber ein Verbot war damals nicht durchgekommen, weil sich eh keiner dran hielt.
 

Remus hatte eigentlich wieder zurückgehen wollen, da hatte Potter ihn zu seinem Leidwesen schon entdeckt.
 

„Hey! Lupin! Komm mal her!“
 

Was sollte er schon anderes tun? Er ging auf das Trio zu, bis ihn das Wasser daran hinderte. Potter winkte noch immer.
 

„Komm her!“, rief er noch immer.
 

„Ich kann nicht, hab keine Badesachen an.“ War Potter blind oder erwartete er tatsächlich von ihm, dass er sich, nur weil er es so wollte, mit Klamotten in den See stürzte?
 

„Ach, sei kein Frosch!“, rief Black.
 

Remus zuckte zusammen. Das hatte er auch am Tag davor gesagt. Ob er sich der Parallelen bewusst war?
 

„Dann hol deine Sachen und komm her!“ Potter erwies sich als ein klein wenig zuvorkommend, doch Remus dachte nicht daran, mit den dreien schwimmen zu gehen. Außerdem wollte er nicht zu nahe an Black geraten.
 

„Ich – äh – ich hab keine-“
 

„Quatsch, natürlich hast du welche!“ Potter kam aus dem Wasser und Remus wich zurück, doch der andere holte nur seinen Zauberstab vom Ufer. „Accio Lupins Shorts!“
 

Dass nicht das angeflogen kam, mit dem Potter gerechnet hatte, war Remus im selben Moment bewusst, und auch all den anderen Schülern, die seinen Zauber gehört hatten und plötzlich anfingen zu kichern. Remus' Kopf fing an zu glühen und er wirbelte herum, starrte auf den Gryffindorturm, aus dessen geöffneten Fenster eine Reihe von ganz bestimmten Kleidungsstücken herausgeflogen kamen. Seine Shorts. Aber nicht die zum Baden. Potter, erst verblüfft, brach in Lachen aus, als er sah, was sein Zauber bewirkt hatte, während Remus seine Unterwäsche, gut sichtbar für alle anderen, entgegen geflogen kam.
 

Inzwischen waren auch Black und Pettigrew aus dem Wasser gestiegen. Pettigrew kicherte mit, während Black mit verwirrtem Blick auf Remus' Wäsche starrte. Remus dagegen, das Gesicht hochrot wie eine Tomate, sah sich gezwungen, diese wieder einzusammeln. Er ignorierte Potter, der damit beschäftigt war, mit seinem Streich anzugeben. Es war nicht so, dass an seiner Unterwäsche irgendetwas auszusetzen gewesen wäre, sie sah so aus wie jede andere auch. Trotzdem wollte er nicht, dass irgendjemand sie zu Gesicht bekam, sei es nun Junge oder Mädchen, Gryffindor oder Slytherin. Doch obwohl er sich sicher war, dass es jedem in seiner Situation so wie ihm gehen musste, gab es keinen, der Mitleid mit ihm hatte und ihm beim Aufsammeln half. Alle starrten ihn an und die meisten lachten.
 

Dieses Mal war er wirklich zu weit gegangen. Vielleicht war es aber auch nur der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hatte.
 

Potter schlug ihm spielerisch auf die Schulter.
 

„Nimm's nicht so schwer, Lupin, jeder hat mal einen schlechten Tag!“ Er wieherte wieder los.
 

Remus packte den Rest seiner Sachen und drehte sich um, da hörte er etwas, mit dem er wirklich nicht gerechnet hatte.
 

„Hör auf, James! Siehst du nicht, dass du ihn total blamiert hast?“
 

Doch es war nicht wie üblich Lily Evans, die ihn schalt. Es war Black.
 

Potter starrte seinen besten Freund an, als hätte er einen Thestral gesehen. Vor Erstaunen stand sein Mund offen.
 

„W-Was?“
 

Das war das Einzige, was er hervorbrachte.
 

Black hatte inzwischen wohl begriffen, was er gesagt hatte. Remus konnte es an seinem Gesicht ablesen, das eine Mischung aus Schuld und Entschlossenheit trug: Er verstand, dass es im Streit enden würde, würde er nicht irgendetwas sagen, dass die angespannte Situation wieder auflöste. Tatsächlich aber machte er weiter:
 

„Du hast mich schon verstanden, James. Hör endlich auf!“
 

Potters Miene verdunkelte sich.
 

„Wieso sagst du auf einmal sowas? Hast du 'nen Knall?“
 

„Derjenige mit 'nem Knall bist ja wohl du! Du kotzt mich gerade wirklich an, weißt du das?“
 

„Ach ja? Weißt du, was mich ankotzt? Seid gestern bist du die ganze Zeit nur am Grübeln und ich weiß nicht warum! Wieso sagst du mir nicht einfach, was los ist? Sind wir Freunde oder nicht?“
 

An diesem Punkt beschloss Remus, nicht mehr zuzusehen. Er packte seine Klamotten und rannte weg. Weg vom See und in sein Schlafzimmer, so schnell er konnte. Er wollte keinen mehr sehen.
 

~~~~~*~~~~~
 

Es dauerte kaum fünf Minuten, da öffnete sich die Tür zum Schlafsaal wieder. Remus lag mit dem Gesicht nach unten auf seinem Bett. Er hörte das Geräusch von Füßen, die an seinem Bett vorbeigingen. Dann senkte sich ein schweres Gewicht auf die Matratze und er schreckte hoch.
 

Black saß auf seinem Bett.
 

„Was willst du?“, grummelte Remus und ließ sich wieder fallen, das Gesicht im Kissen vergraben.
 

„Tut mir Leid.“ Blacks Stimme war ungewöhnlich leise.
 

„Was? Wofür entschuldigst du dich?“
 

„Für James' Verhalten. Er ist manchmal echt ein Holzkopf. Er denkt nie nach, bevor er etwas tut.“ Und so etwas ausgerechnet aus Blacks Mund, der auch keinen Deut besser war, dachte Remus und beschloss zu schweigen. „Nimmst du meine Entschuldigung an?“ Remus sagte nichts. „Hey, ich rede mit dir!“ Prompt wurde ihm sein Kissen unter dem Kopf weggezogen.
 

„Was willst du von mir, verdammt?“ Remus wurde langsam wütend, er hatte keine Lust mehr auf diese Spielchen. Er gab sich echt Mühe, um die Temperatur in ihrem Schlafsaal nicht zu gefährden, doch auch sein Geduldsfaden riss irgendwann. „Soll ich mich jetzt auch noch dafür bedanken, dass du dich entschuldigst? Nur, damit ihr irgendwann wieder auf mir rumtrampeln könnt?“
 

Das verschlug Black im ersten Moment die Sprache. Dann fasste er sich wieder und sah bedröppelt zur Seite.
 

„Also lag ich richtig ...“ Er sah Remus von unten herauf an, was diesen sehr an den mitleidsheischenden Blick eines Hundes erinnerte. „Ich hab nie gewusst, dass dir unsere Streiche manchmal zu weit gingen. Ich mein ... du bist nie wütend geworden oder so. Hast du das wegen-“
 

„Ja!“, antwortete Remus, ohne weiter abzuwarten. Natürlich machte er das alles nur wegen James und damit man ihn weitestgehend in Ruhe ließ. Er war nun wirklich wütend, ruckartig stand er vom Bett auf und wollte gehen, doch Black packte ihm am Arm.
 

„Dann lass mir wenigstens die Chance, das wieder gut zu machen! Ich meine ... ich wollte dir nie was antun und glaub mir, auch die anderen meinten das nie böse. Ich will nicht ... ich will nicht, dass du mich hasst.“
 

Remus sah ihn vollkommen verblüfft an. Seit wann interessierte es Black denn, was er von ihm dachte? Da kam ihn ein Gedanke.
 

„Wieso hast du mich vor Potter verteidigt? Ihr seid doch sonst die besten Kumpels.“
 

„Na ja ...“ Black kratzte sich verlegen am Kopf. „Ich hab mir nur vorgestellt, wie das wohl für mich gewesen wäre, wenn meine ganze ... na ja, du weißt schon, wenn mein ganzes Zeugs da rausgeflogen wäre. Ziemlich uncool.“
 

„Aha.“ Man hörte es ihm vielleicht nicht an, aber im Stillen wunderte sich Remus nun doch, dass Black zu solch solidarischen Gedanken fähig war.
 

Nun ja, so einfach wollte er es ihm trotzdem nicht machen.
 

„Und was tust du, wenn ich deine Entschuldigung nicht annehme?“
 

Black lächelte verschmitzt.
 

„Dann zwinge ich dich eben dazu!“ Das war mal wieder so typisch! Enttäuscht verdrehte Remus die Augen und wandte sich ab, doch Black war schneller und zog ihn zurück. Sein Griff an seinem Arm wurde fester, sodass es fast wehtat. Black sah ihn aus großen Hundeaugen an.
 

"Mir ist es wirklich ernst!"
 

"Lass mich los."
 

Black tat tatsächlich einmal das, was man ihm sagte und ließ seine Hand sinken. Der Blick, mit dem er Remus jedoch bedachte, hatte immer noch den Charakter eines bettelnden Hundes. Oder noch besser: Eines Hundebabys.
 

Remus seufzte und haderte innerlich mit sich selbst. Wenn er nachgab, bedeutete das nur einen weiteren Sieg für Potter, wenn er jedoch stur blieb, tat er sich selbst keinen Gefallen für seine restliche Zeit in Hogwarts. Außerdem hatte er aus irgendeinem Grund das Gefühl, als sei es Black diesmal ernst.
 

„Okay, ich geb mich geschlagen. Aber wehe“, er erhob den Zeigefinger, „du verarscht mich!“
 

„Wow, solche Worte aus deinem Munde?“ Black konnte wohl nicht anders, als ihn hin und wieder etwas zu necken, doch sein Blick zeigte, dass er nicht gelogen hatte.
 

~~~~~*~~~~~
 

Remus hatte beschlossen, seine neue, wie sollte er es nennen, Freundschaft mit Black nicht an den großen Nagel zu hängen, denn das bedeutete etwas Besonderes. Black war schließlich der Junge schlechthin an der Schule – und mit ihm auch Potter. Pettigrew war eher so etwas wie ein Anhängsel, nur war es so, dass er das wohl selbst noch nicht begriffen hatte. Nach ihrem Gespräch hatte er nur schnell seine Sachen für den morgigen Tag gepackt, samt Unterwäsche, und diese mit einem speziellen Zauber belegt, damit nicht zweimal das gleiche Dilemma passierte. Dann war er zum Abendessen gegangen.
 

~~~~~*~~~~~
 

Remus drängte sich zähneknirschend zwischen einem Haufen kichernder Mädchen durch, die einfach so beschlossen hatten, mitten im ohnehin schon schmalen Seitengang des Hogwartsexpresses stehen zu bleiben. Er war auf der Suche nach einem möglichst leeren Abteil, wusste zugleich aber, dass diese Suche sich wohl als erfolglos erweisen würde. Das hieß, er musste sich zu jemanden dazusetzen – nur wem?
 

Seine Frage wurde beantwortet, als er laute Stimmen aus einem der Abteile hörte, die er sofort zuordnen konnte: Black, Potter und Pettigrew.
 

Remus wollte, wie er es normalerweise tat, daran vorbeigehen, blieb jedoch abrupt stehen, sodass der Schüler hinter ihm in ihn hineinlief und sich schimpfend an ihm vorbeischob. Sollte er es versuchen? Black hatte ihm immerhin seine Freundschaft angeboten, oder so ähnlich, und sollte man als Freunde nicht auch gemeinsam nach Hause fahren? Remus stand eine ganze Weile vor dem Abteil, bevor er sich schließlich dazu aufraffen konnte, die Tür aufzuschieben. Sofort wandten sich drei Köpfe zu ihm um.
 

„Hey, hallo Lupin!“
 

Black hatte es also doch nicht vergessen. Remus zwang sich ein Lächeln ab.
 

„Hallo ... kann ich mich zu euch setzen?“
 

Remus bemerkte einen verblüfften, wenn nicht sogar missmutigen Blick Pettigrews, doch Black nickte wie verrückt und rückte ein Stück auf seinem Platz zur Seite, sodass Remus sich neben ihn setzen konnte. Potters Gesichtsaudruck war kaum lesbar, dennoch entging Remus die angespannte Atmosphäre im Abteil nicht. Am Abend zuvor hatte er noch ein leises Gespräch zwischen den beiden mitbekommen. Weder Black noch Potter wussten, dass er gelauscht hatte, immerhin hatte er schon im Bett gelegen und sich der Einfachheit halber – Entschuldigungen von Potter wollte er nicht auch noch hören – schlafend gestellt.
 

„Mensch, jetzt sag schon!“, hatte Potter Black zugezischt. Die beiden hatten sich auf Blacks Bett gesetzt und die Vorhänge zugezogen, als ob ein Stück Stoff irgendjemanden davon hätte abhalten können, ihr Gespräch mitzubekommen. „Was ist los?“ Und dann, etwas weicher. „Sirius, du bist mein bester Freund, du weißt, dass du mir alles sagen kannst.“
 

Remus war es wie eine Ewigkeit vorgekommen und er hatte schon gedacht, die beiden wären im Schweigen wieder auseinander gegangen, da hatte Sirius doch noch geantwortet. Wenn man es denn noch so nennen wollte.
 

„Ich … ich weiß es selbst nicht. Aber irgendwas … irgendwas ist komisch an mir. Ich weiß nur nicht was.“ Sirius seufzte. „Ich wollte dich nicht anschreien, aber das heute war echt fies. Manchmal tut mir Lupin echt Leid.“
 

Stille. Dann hatte Potter gelacht, ganz leise, unterdrückt.
 

„Er tut dir Leid? Wow, Sirius, ich weiß, was dein Problem ist – du wirst erwachsen!“
 

„Ach, so'n Quatsch!“
 

Ein dumpfes Geräusch hatte Remus gezeigt, dass Potter wohl mit einem Kissen beworfen worden war, dann hatten dieser und Black sich gegenseitig eine gute Nacht gewünscht und waren schlafen gegangen.
 

Vielleicht lag es an Potters unbefriedigter Neugier, dass er Black trotzdem in den Boden starrte.
 

Seit er sich dazugesetzt hatte, waren Potter und Black wieder in Schweigen verfallen. Unruhig rutschte Remus auf seinem Platz hin und her, wusste er doch, dass die Luft im Abteil nur wegen ihm so dick war. Black hätte ihn ja auch nicht verteidigen müssen. Immerhin war er sonst auch immer damit zurechtgekommen, wenn das Trio wieder irgendetwas ausgeheckt hatte. Wieso also hatte Black ausgerechnet jenes Mal eingegriffen?
 

Die Landschaft zog still an ihnen vorbei. Remus sah stumm nach draußen und zählte für eine Weile die Bäume, die an ihnen vorbeizischten. Wieder ein Jahr vorbei. Nicht mehr lange, dann hatte er es hinter sich, nur noch ein weiteres Jahr.
 

Irgendwann holte Potter Spielkarten aus seiner Hosentasche heraus. Sowohl Black, der nicht gewusst hatte, wohin er seine Blicke richten sollte, als auch Pettigrew, dem die angespannte Situation ebenso missfiel wie Remus, war erleichtert darüber und nahm Potters Karten dankend entgegen. Remus verneinte, als er auch zum Spielen aufgefordert wurde, er wusste nicht, wie man 'Slughorn explodiert' spielt.
 

Black rückte daraufhin etwas näher an ihn heran und hielt seine Karten so vor sich, dass sie beide hineinsehen konnten.
 

„Dann zeig ich's dir eben.“, nuschelte er leise.
 

Das Spiel an sich war nicht kompliziert. Irgendwie ging es darum, immer ein paar Karten an den nächsten Spieler weiterzureichen, sodass man mit etwas Glück alle Karten mit der gleichen Zahl oder dem gleichen Bild gesammelt hatte. Der erste Spieler, dem das gelang, musste seine Karten in die Mitte werfen und „Slughorn explodiert!“ rufen. Die anderen Spieler mussten ebenso schnell reagieren und ihre Karten loslassen, der letzte von ihnen war der Verlierer. Dummerweise war Remus nicht unbedingt mit schneller Reaktionsgabe gesegnet, deshalb verloren er und Black immer, wenn er die Karten in der Hand hielt.
 

„Mann, Lupin, du musst mal schneller werden!“, maulte Black irgendwann, nachdem Remus der Liste, auf dem sie die Punkte festhielten, einen weiteren Strich hinzugefügt hatte.
 

„Bin halt noch nicht so geübt darin ...“
 

Remus fand das Spiel nach einigen Parteien ziemlich langweilig, dennoch spielte er weiter. Weil die Zeit so schneller vorbeiging, wie er sich sagte, doch irgendwie wusste er, dass das nicht so ganz der Wahrheit entsprach. Black war während des Spiels immer etwas näher an ihn heran gerückt, sodass sich ihre Beine leicht berührten, und zeigte mal hier, mal dort auf eine Karte, die er weitergeben sollte, oder stieß ihn empört in die Seite, wenn er die falsche nahm.
 

Remus bemerkte, wie sich nebenbei die Landschaft veränderte. Inzwischen zogen immer mehr Dörfer an ihnen vorbei, die sich langsam zu einer Stadt verdichteten, und er wusste, dass sie bald in London sein würden.
 

Nachdem er wieder einmal verloren hatte, ließ Black seufzend die Karten sinken.

Potter sah auf.
 

„Was'los, Sirius?, fragte er. „Hörst dich ja an, als ob du ...“ Er ließ den Satz unausgesprochen, grinste dreckig.
 

Black lächelte, doch anders als sonst.
 

„Na ja, du weißt schon. Ich bin richtig heiß darauf, meine Familie wiederzusehen.“ Er verdrehte die Augen.
 

„Oh.“ Potter biss sich auf die Lippe, während Remus verwirrt überlegte, was Black meinte.
 

„Ich hab nicht unbedingt das beste Verhältnis zu meiner Familie.“ Black sah ihn geradewegs an. Remus schwieg, während es diesmal Potter war, der verwirrt dreinschaute, wahrscheinlich, weil Black ihm so etwas erzählte.
 

„Vor allem hab ich keinen Bock auf Regulus!“ Black zog die Augenbrauen zusammen, während er das Willkommensschild von London mit den Augen erhaschte. „Da war ich so froh, dass dieser Scheißkerl endlich mit der Schule fertig war, und jetzt muss ich ihn wiedersehen!“
 

„Sirius ...“ Potter stupste ihn kurz an, sodass er wieder Blickkontakt mit ihm hatte. „Du weißt, mein Angebot steht noch, ne? Wenn du Stress mit denen bekommst dann ...“
 

„Jaja, ich weiß!“
 

Black schien die Unterhaltung nun doch unangenehm zu sein, jedenfalls stand er plötzlich auf und zupfte seine Hose zurecht, die vom langen Sitzen ganz zerknittert war.
 

„Lass uns schonmal zu den Türen gehen, bevor sich alle wieder rausquetschen.“
 

Damit war er verschwunden.
 

Während Potter ihm folgte und Pettigrew aufsprang und ihnen hinterher dackelte, ließ Remus sich etwas mehr Zeit.
 

Ein Angebot? Wenn Black Ärger zu Hause hatte? Er musste zugeben, dass er zum ersten Mal in seinem Leben neugierig war.

Unverhofftes Treffen

Unverhofftes Treffen
 

Der Hogwarts-Express fuhr schnaufend in den Bahnhof ein. Black hatte Recht damit gehabt, sich schon frühzeitig an die Türen stellen zu wollen, hinter ihnen drängelten die Schüler sich in Massen. Als sich die Türen zischend öffneten, war es Black, der als Erster hinaussprang, ihm folgten Potter, Pettigrew und, mit etwas Abstand, auch Remus.
 

Remus' Augen suchten das Gleis gezielt ab, bis er gefunden hatte, wen er suchte.
 

„Papa!“
 

Sein Vater drehte sich bei seiner Stimme um, gerade rechtzeitig, um Remus abzufangen, der sich regelrecht in seine Arme warf.
 

„Hey, Remus!“ Er lachte und umarmte ihn einmal kräftig, dann drückte er ihn von sich und begutachtete ihn. „Du hast schon wieder zu wenig gegessen, oder, Remus? Du siehst so abgemagert aus!“
 

„Die letzten Wochen waren halt anstrengend.“
 

Remus war froh, seinen Vater endlich wiedersehen zu können und grinste ihn an.
 

„Na ja, wir kriegen dich schon wieder aufgepäppelt.“ Sein Vater zwinkerte ihm zu. „Dann lass uns mal nach Hause fahren, ich habe für heute dein Lieblingsessen gekocht.“
 

Remus hakte sich bei seinem Vater unter und wollte das Gleis verlassen, so wie er es die Jahre zuvor immer getan hatte. Plötzlich drehte er sich jedoch doch noch einmal um.
 

Einige Meter von ihm entfernt standen Potter, Black und Pettigrew. Potter war gerade mit seinen Eltern beschäftigt, doch Black sah ihn unverhohlen an, selbst als sich ihre Blicke trafen, sah er nicht weg. Langsam hob sich seine Hand, Remus fragte sich wozu. Black lächelte, wie immer sein schiefes Lächeln, das an ein Grinsen erinnerte, und dann begriff Remus. Er winkte ihm zu, verabschiedete sich.
 

Remus winkte zurück.
 

~~~~~*~~~~~
 

Das Auto holperte über den steinigen Waldweg, sodass Remus regelrecht durchgeschüttelt wurde. Während der Fahrt nach Hause erzählte er seinem Vater von seiner Schulzeit, und dass er in Hogsmeade wieder ein paar interessante Bücher gefunden hatte.
 

„Und sonst, Remus?“
 

Remus hielt verwirrt in seinem Redefluss inne, sein Vater sah geradeaus.
 

„Sonst?“
 

„Na ja … hast du vielleicht ein Mädchen kennengelernt?“
 

„Papa!“
 

„Ich mein ja nur ...“ Seine rechte Hand hob sich und strubbelte Remus durch das mausbraune Haar. „Wird doch langsam mal Zeit, oder? Ich war mit 16 ein richtiger Herzensbrecher, weißt du das?“ Er grinste, und auch Remus musste lachen, dann kam ihm ein Gedanke, und sein Lächeln verschwand.
 

„Und Mama? Der hast du nicht das Herz gebrochen.“
 

Der Blick seines Vaters richtete sich steif auf die Straße.
 

„Na ja … das mit uns hat eine Weile gedauert. Ich glaube, man könnte es so am besten ausdrücken: Wir haben uns immer wieder gegenseitig das Herz gebrochen, bis wir zueinander gefunden haben.“ Er seufzte, dann fuhr er Remus noch einmal durch die Haare. „Liebe ist nicht immer einfach, weißt du.“
 

„Hm ...“ Remus schwieg.
 

Sein Vater hakte erstmal nicht mehr nach, sondern konzentrierte sich auf die Fahrt. Nach einer Weile lichtete sich der Wald und gab den Blick frei auf weite, gelbe Felder. Nicht mehr lange, und sie würden zu Hause sein.
 

„Und der andere Junge?“
 

Remus schrak aus seinen Gedanken hoch.
 

„Welcher andere-“
 

„Na der, dem du am Bahnhof zugewunken hast.“ Sein Vater sah ihn an. „Hast du doch endlich einen Freund gefunden?“
 

Remus überlegte, wie er es seinem Vater am besten erklären konnte.
 

„Ähm … na ja, so ähnlich. Ich weiß nicht so genau.“ Sein Vater sah ihn fragend an. „Er … er gehört eigentlich zu Potter, weißt du ...“ Damit war die Sache geklärt.
 

~~~~~*~~~~~
 

Remus nahm tief Luft und saugte den Duft in sich hinein. Auf seinem Teller befand sich ein saftiges Steak, blutig, so wie er es am liebsten mochte, dazu – das hatte sein Vater wohl nicht lassen können – etwas Gemüse und Kartoffeln. Hungrig wartete Remus ab, bis sich auch sein Vater an den rustikalen Holztisch gesetzt hatte, bevor er mit dem Essen loslegte.
 

„Und? Wie heißt dein Freund?“
 

Sein Vater konnte es wohl nicht lassen. Remus schluckte den Bissen hinunter.
 

„Black. Sirius Black.“
 

„Und wie ist er so?“
 

Da brauchte Remus nicht lange überlegen.
 

„Nervig. Laut. Spielt andauernd dumme Streiche, lernt nicht für die Schule. Potter und er sind die besten Freunde.“
 

„Und trotzdem bist du mit ihm befreundet? Da muss es doch auch eine gute Seite an ihm geben.“
 

Remus dachte an den Abend nach der Prüfung zurück, schnell starrte er auf seinen Teller und fing an, das Steak mit der Gabel zu drangsalieren.
 

„Ähm … er kann auch nett sein. Ein bisschen jedenfalls. Er … er hat mich in Schutz genommen, vor Potter. Nicht, dass ich das nötig hätte, aber … er hat sich wegen mir mit ihm gestritten.“ Remus stocherte weiter in seinem Essen herum.
 

„Das ist doch nett.“
 

„Hm … schon, irgendwie.“
 

„Kommt er uns mal in den Ferien besuchen? Oder du ihn?“
 

„Ähm … denke nicht. Also … wenn er wen in den Ferien besucht, dann ist es sicher Potter. Und ich ihn besuchen? Ne ...“
 

Sein Vater runzelte die Stirn, beließ es jedoch dabei.
 

~~~~~*~~~~~
 

Es kam, was kommen musste. So sehr Remus das Leben auf dem Land liebte – endlose Felder, auf denen er Spaziergänge unternehmen konnte, oder die schattigen Bäume des nahe gelegenen Waldes, unter die er sich setzte, um der heißen Sonne zu entgehen, mit einem guten Buch in der Hand – so sehr langweilte es ihn nach einer Weile. Die Bücher, die er sich in Hogsmeade gekauft hatte, hatte er schon längst ausgelesen und blätterte eines davon nun schon zum zweiten Mal durch, aber irgendwie fehlte dieses Mal die Spannung, immerhin wusste er ja, dass die beiden sich finden würden. Noch dazu war es drückend heiß, neben ihm zirpten ein paar Grillen und ein Vogelpaar hatte über ihm begonnen ein Nest zu bauen. Remus' Blick glitt nach oben, schweifte über die Felder, die überall gleich aussahen. Sollte er reingehen und für die Schule vorlernen? Nein. Der Gedanke an sein kühles Zimmer reizte ihn zwar, doch er hatte einfach keine Lust, schon in der ersten Ferienwoche zu lernen. Seinem Vater konnte er auch nicht bei der Arbeit helfen. Er kniff die Augen zusammen, entdeckte ihn als schwarzen Punkt auf gelben Hintergrund, wie er mit seinem Traktor über einen Weg zwischen den Feldern fuhr. Remus konnte keinen Traktor fahren und überhaupt war er für die harte Arbeit aufgrund seiner Krankheit nicht geschaffen.
 

Seufzend klappte er das Buch zu, ohne sich vorher sein Lesezeichen – eine getrocknete Rapsblüte – zwischen die Seiten gelegt zu haben, und stand auf.
 

Sein Weg führte ihn zu seinem Vater, der lächelnd anhielt, als er ihn von weitem auf sich zukommen sah.
 

„Was ist, möchtest du ein bisschen mitfahren?“
 

Remus schüttelte den Kopf.
 

„Nein … ich wollte fragen, ob du mich vielleicht bis zur Haltestelle fahren kannst.“
 

„Zur Haltestelle? Willst du in die Stadt?“ Remus nickte.
 

„Ja … mir noch ein paar Bücher kaufen … oder so.“ Sein Vater schüttelte lachend den Kopf.
 

„Du bist wirklich eine richtige Leseratte, was? Aber ich seh schon, du hast mal wieder Langeweile … Ist gut, ich fahr dich.“
 

Remus war dankbar dafür, dass sein Vater ihn fuhr, immerhin war die Strecke bis zur nächsten Haltestelle ziemlich weit. Zu Fuß würde er durch den Wald und die angrenzende Landstraße entlang beinahe zwei Stunden brauchen, mit dem Auto vielleicht eine Viertelstunde.
 

~~~~~*~~~~~
 

Sein Vater setzte ihn an der Haltestelle ab, wünschte ihm viel Spaß und fuhr wieder. Remus sah auf die Uhr, dann auf den Fahrplan, der ihm anzeigte, dass er noch eine halbe Stunde warten musste, bis der Bus kam. Also setzte Remus sich auf die Bank und holte sein Buch wieder hervor.
 

Als Remus in den Bus einstieg, war er vollkommen leer, erst nach und nach stiegen ein paar Leute hinzu, die alle das gleiche Ziel hatten wie er. Es dauert noch eine weitere Stunde, bis er in der Stadt ankam, einem kleinen Vorort von London.
 

In der Stadt war es relativ voll, aber nicht allzu sehr, da es kein Wochenende war, und so klapperte Remus die drei Buchläden, die es gab, ab. Manchmal kicherten ein paar Mädchen hinter ihm, weil er eben nicht die Bücher las, die ein 16-jähriger Junge normalerweise lesen würde, doch das war ihm egal, er kannte sie ja nicht. Nach einigen Stunden holte er sich schließlich ein Eis und setzte sich auf eine Bank, die im Schatten eines Baumes stand. Es war definitiv zu heiß. Er hatte so ziemlich sein ganzes Taschengeld für Bücher ausgegeben, so wie immer. Er sah auf die Uhr. In etwas mehr als einer Stunde müsste er wieder an der Haltestelle sein, damit sein Vater ihn zur üblichen Zeit abholte. Die hatten sie vor langer Zeit mal abgemacht. Also musste er langsam los.
 

Er war gerade aufgestanden, als ihm etwas auffiel.
 

Ein Junge, der an einem Schaufenster lehnte. Schwarze, lange Haare, die etwas zerzaust wirkten. Moment mal. Seine Augen weiteten sich. Das war doch nicht etwa-
 

Remus ging auf ihn zu, und indem er sich ihm näherte, wurde die Ahnung Gewissheit.
 

„Was machst du denn hier, Black?“
 

Sein Kopf schnellte hoch und er sah ihn aus eben so erschrockenen Augen an, wie er ihn anstarrte.
 

„Lupin?“
 

Erst jetzt fiel ihm auf, dass er ziemlich erschöpft aussah. Nicht nur, dass seine Haare wohl schon seit Längerem keine Wäsche mehr bekommen hatten – ziemlich ungewöhnlich für jemanden, der sonst jeden Tag unter die Dusche hüpfte – seine Kleidung war auch so zerknittert, dass es aussah, als hätte er in den gleichen Klamotten geschlafen. Zudem sah er ziemlich blass aus und irgendetwas in seinen Augen sagte ihm, dass etwas nicht in Ordnung war.
 

„Ähm … wohnst du nicht eigentlich in London?“ Die Stadt war etwas zu weit entfernt von hier, um sein Erscheinen hier mit einer simplen Shoppingtour zu begründen.
 

Black nuschelte irgendwas.
 

„Was hast du gesagt?“
 

„Ich bin abgehauen!“
 

„Was?“ Remus starrte ihn so verblüfft an, dass er beinahe die Tasche mit seinen Büchern fallen gelassen hätte. „Warum?“
 

Black zuckte mit den Schultern.
 

Gut, er wollte nicht reden. Aber Remus verwettete sein Abendessen darauf, dass es irgendwas mit seiner Familie zu tun hatte.
 

Vorsichtig sah er wieder zu Black, der einen trotzigen Gesichtsausdruck aufgelegt hatte.
 

„Ähm … und was willst du jetzt tun?“ Black zuckte wieder mit den Schultern. „Potter … hatte dir doch angeboten, in diesem Fall zu ihm zu kommen.“ Black brummte.
 

„Ja, schon ...“
 

„Hörst dich nicht sehr begeistert an.“
 

„Pff … ich weiß nicht, ob ich zu ihm kommen soll.“
 

„Warum nicht?“ Wieder ein Zucken. Remus überlegte.
 

Irgendwie war dieser Black so anders als der, den er in der Schule kannte. Müde und erschöpft. Keine Mädchen um ihn herum, die er einige Stunden später seiner Strichliste hinzufügen konnte. Kein Potter. Benahm er sich nur in seiner Gegenwart wie ein Macho?
 

„Ähm … wo übernachtest du denn?“
 

Black sah ihn aus dunklen Augen an.
 

„Weiß nicht. Parkbank oder so.“
 

Remus bekam große Augen.
 

„Aber – aber das ist doch gefährlich!“
 

„Hm, wieso?“
 

„Äh … vielleicht … gibt es hier wilde Tiere?“
 

„Ach was ...“
 

„Ähm … jedenfalls solltest du nicht einfach so draußen schlafen.“
 

„Ach, und wo sonst? Kann ja schlecht irgendwo einbrechen und für lau nimmt mich auch keiner auf, vor allem nicht so, wie ich aussehe.“
 

„Ähm ...“ Remus kostete es eine Menge Überwindung, das zu sagen. „Du könntest ja … mit zu mir kommen ...“
 

Dieses Mal war es Black, der überrascht aussah. Er antwortete nicht direkt.
 

„Das würdest du tun?“
 

Remus nickte. Ihm war das Ganze unangenehm. Dann fiel ihm wieder etwas ein, er sah auf die Uhr.
 

„Oh nein!“ Gehetzt sah er zu Black auf. „Mein Bus fährt gleich ab!“
 

~~~~~*~~~~~
 

Remus hielt keuchend inne und stützte sich mit den Händen auf seinen Knien ab, während er nach Atem rang. Sie waren so schnell gelaufen wie sie konnten. Black sah dem Bus hinterher.
 

„Knapp vorbei ist auch daneben, würde ich sagen.“
 

„Scheiße! Der kommt nur alle zwei Stunden.“ Remus sah, wie Blacks Mundwinkel zuckten. „Was ist so lustig?“
 

Black grinste.
 

„Hab dich noch nie fluchen hören.“
 

Remus schnaubte, dann setzte er sich auf die Bank, die neben dem Haltestellenschild stand.
 

Eine Weile lang schwiegen beide, bis Black das Wort ergriff.
 

„Jetzt sitzen wir doch auf einer Bank.“
 

„Aber auf keiner Parkbank.“
 

„Ja, auf 'ner Bank von 'ner Bushaltestelle. Hat die bei dir 'nen höheren Rang?“ Black kicherte.
 

Remus dagegen machte sich eher Sorgen. Was würde sein Vater denken, wenn er nicht zum vereinbarten Zeitpunkt da war? Er war noch nie zu spät gekommen.
 

Plötzlich stieß ihn Black von der Seite her an.
 

„Hey, was ist los? Eigentlich müsste ich hier derjenige sein, der Trübsal bläst.“
 

„Nichts … es ist nur, ich habe meinem Vater versprochen, um acht Uhr wieder an unserer Haltestelle zu sein.“ Black nickte.
 

„Hattet ihr das so ausgemacht.“
 

„Ja.“
 

„Na ja … daran kann man nichts mehr machen. Ich schätze, zu Fuß ist es zu weit, oder? Ist ja alles ziemlich ländlich hier.“
 

„Du wohnst in der Stadt, oder?“ Black nickte.
 

„So krass wie in London ist es nicht, aber bei uns wär's nicht so schlimm, wenn man mal den Bus verpasst hat, nach zehn oder zwanzig Minuten kommt dann der nächste.“
 

Sie verfielen wieder in Schweigen.
 

Remus wusste nicht, wie er ein Gespräch mit Black anfangen sollte. Jetzt fiel ihm auf, dass er noch nie wirklich mit ihm gesprochen hatte – Black hatte ihn geärgert, ihm aus Spaß Sachen geklaut und sie dann Tage später unauffällig wieder auftauchen lassen, er hatte manches Mal für seine Streiche herhalten müssen – doch geredet hatten sie nie.
 

Auch Black schwieg. Remus bemerkte aus dem Augenwinkel, dass er nun doch ziemlich müde zu sein schien. Wer wusste schon, wie lange er unterwegs war und wo er die letzten Nächte übernachtet hatte. Remus hoffte, dass er die Sache mit der Parkbank nicht ernst gemeint hatte, doch so wie er aussah, musste wohl etwas Wahres dran sein.
 

Black war so anders als sonst. Still. Die Augen vor Müdigkeit halb geschlossen. Remus beobachtete ihn unauffällig, sah zu, wie ihm nach und nach die Augen zufielen.
 

„Du kannst schlafen, wenn du willst.“, sprach er ihn plötzlich an, Black schreckte hoch. „Ich wecke dich, wenn der Bus da ist.“
 

Black blinzelte ihn an, als hätte er ihn zuvor noch nie gesehen, dann nickte er. Remus protestierte nicht, als er sich auf der Bank ausstreckte und ungefragt seinen Kopf in seinen Schoß legte. Wer wusste schon, was Black in den letzten Tagen alles erlebt hatte. Remus hatte Mitleid mit ihm, und so legte er vorsichtig eine Hand auf seine Schulter, spürte das sanfte Auf und Ab seines Atems, der immer langsamer wurde, bis er sich zu leisen, tiefen Atemzügen verwandelt hatte, die das einzige Geräusch an der kaum befahrenen Straße bildeten.

Warme Schatten

Warme Schatten
 

Remus wurde wach, als ihn jemand an der Schulter rüttelte. Verschlafen blinzelte er und sah direkt in die Augen seines Vaters.
 

„Papa!“
 

Er spürte ein Gewicht auf seinen Beinen, dann ein Stöhnen und verwirrt sah er zur Seite. Ach ja. Black, der immer noch in seinem Schoß lag, sich jetzt jedoch aufrichtete und sich verschlafen die Augen rieb.
 

„Ist es schon so weit?“, nuschelte er und gähnte dann, ohne sich die Hand vor den Mund zu halten.
 

„Hast du den Bus verpasst?“
 

Sein Vater war einfach der Beste. Remus nickte und versuchte möglichst schuldbewusst auszusehen.
 

„Tut mir Leid, Papa.“ Sein Blick schweifte zu Black, der versuchte seine Haare zu ordnen, was nicht sonderlich gut gelang. „Ich wollte eigentlich losgehen und wäre auch rechtzeitig da gewesen, da hab ich … ihn getroffen. Ähm, das ist Sirius Black. Du weißt schon. - Ist es okay, wenn er bei uns übernachtet?“ Der letzte Satz kam holprig und ein bisschen zu schnell, Remus senkte den Kopf, er hatte immer noch ein schlechtes Gewissen und ein kleines bisschen Angst, dass sein Vater ihn schelten würde oder – noch schlimmer – ihm deswegen nicht erlauben würde, dass Black mitkam.
 

Sein Vater jedoch musterte den Jungen neben ihm, seine Augen glitten über die zerknitterte, dreckige Kleidung und die Müdigkeit in seinem Gesicht. Black sah auf.
 

„Alles klar, erklären könnt ihr's mir morgen. Steigt ein.“
 

Remus dankte seinem Vater innerlich für seinen Spürsinn, Black, immer noch verschlafen, stieg in das Auto und schließlich fuhren sie los. Mittlerweile war es dunkel geworden und als sie durch den Wald fuhren, kamen unangenehme Erinnerungen in Remus hoch. Er hasste es, nachts durch den Wald zu müssen.
 

Black war trotz des holprigen Weges wieder eingeschlafen, er schien völlig erschöpft zu sein. Remus beobachtete ihn eine Weile, kam sich irgendwann jedoch wie ein Voyeur vor. Er sollte niemanden im Schlaf beobachten.
 

~~~~~*~~~~~
 

Am nächsten Morgen wachte Remus früh auf. Da es Sommer war, stand die Sonne schon früh am Himmel und schien im hell ins Gesicht, sodass er sich die Hand vor die Augen hielt, aufstand, und mit nackten Füßen aus seinem Zimmer ins Bad ging. Sein Vater war auch schon aufgestanden, von unten hörte er Geklapper, während sein Vater wohl den Tisch deckte. Remus' Magen meldete sich. Er hatte am Abend zuvor nicht viel gegessen, hatte nur noch schnell ins Bett gehen wollen.
 

Vor der Badezimmertüre blieb Remus plötzlich stehen.
 

Black. In seiner morgendlichen Routine hatte er ganz vergessen, dass er ihn bei sich aufgenommen hatte.
 

Langsam öffnete er die Türe, ging ins Bad, fuhr ein paar Mal mit dem Kamm durch seine Haare, die durch diese Prozedur auch nicht viel besser aussahen, und putzte sich die Zähne. Wenn er nach unten ging, musste er seinem Vater erstmal erklären, was mit Black geschehen war. Oder vielmehr musste er das gar nicht mehr erklären, es war offensichtlich, dass er ein Ausreißer war. Er hoffte nur, dass sein Vater ihn nicht zu seinen Eltern zurückschicken wollte, denn Remus hatte im Gefühl, dass Black dann abermals nicht lange dort bleiben würde – und außerdem wollte er nicht, dass Black verschwand.
 

Energisch spuckte er die Zahnpasta in das Waschbecken, seit wann war ihm Black so wichtig? Nun ja, langweilig würde es ohne ihn bestimmt nicht werden, und irgendwie brannte Remus schon darauf, ihm die Gegend zu zeigen.
 

Remus polterte die Treppe hinunter. Sein Vater hatte Rührei und Speck gemacht, der Duft war bereits durch das Haus gezogen.
 

„Guten Morgen.“
 

„Morgen.“, erwiderte Remus, setzte sich dann zu seinem Vater an den Tisch.
 

„Ist dein Freund noch nicht aufgewacht?“ Remus schüttelte den Kopf. „Er schien auch ziemlich erschöpft zu sein.“ Sein Vater blickte auf, sah ihn aus dunkelbraunen Augen an, dieselben, die er noch vor damals gehabt hatte. „Also?“
 

Remus starrte betroffen auf seinen Teller.
 

„Ähm … ja.“ Er wusste nicht, was er sagen sollte.
 

„Wie lange soll er bleiben?“
 

„Ähm … ich weiß nicht, wie lange er bleiben möchte.“
 

„Und wie lange möchtest du, dass er bleibt?“
 

Remus verschluckte sich an dem Bissen Rührei, dass er sich hungrig in den Mund geschoben hatte.
 

„Äh ...“
 

„Schon gut!“ Sein Vater winkte ab und schmunzelte. „Von mir aus kann er bleiben, so lange er will. Ein Esser mehr schadet unserem Vorratskeller auch nicht.“
 

Remus errötete, weil er wusste, dass sein Vater mal wieder auf seinen großen Appetit anspielte. Dafür konnte er ja schließlich auch nichts.
 

„Danke … Papa.“
 

~~~~~*~~~~~
 

Nach dem Frühstück wartete Remus noch eine Stunde, dann beschloss er jedoch, nach oben zu gehen und Black zu wecken.
 

Vor der Tür blieb er abermals stehen, holte kurz Luft und öffnete sie dann leise einen Spalt breit. Nichts passierte. Black schien noch zu schlafen. Remus öffnete die Türe ganz, und sah auf das Lager aus Decken und Kissen, das sie am vergangenen Abend noch schnell vorbereitet hatten. Inmitten dieses Lagers lugte ein schwarzer Haarschopf hervor, der Rest war irgendwo begraben. Remus musste sich ein Lachen bei diesem Anblick verkneifen. Vorsichtig schlich er sich näher, kniete sich anschließend neben Black und legte eine Hand auf die Stelle, unter der er seine Schulter vermutete. Unter der Decke ertönte ein gedämpftes Grummeln, dann drehte sich der Deckenhaufen um, sodass auch das letzte bisschen von Black darunter verschwand, und blieb so liegen.
 

Black war definitiv ein Morgenmuffel. Doch Remus gab nicht auf.
 

Mit einem Ruck hatte er ihm die Decke weggezogen, was ein empörtes Stöhnen nach sich zog. Black hatte die Augen aufgeschlagen, sah sich erst verwirrt im Zimmer um, bis sein Blick an Remus hängen blieb. Verschlafen blinzelte er.
 

„Ach ja.“, murmelte er, dann sah er die Decke, die Remus immer noch in den Händen hielt. „... Decke?“, fragte er.
 

„Nö. Aufstehen. Unten gibt es Rührei mit Speck.“
 

Das war natürlich ein Grund zum Aufstehen. Black pellte sich aus dem Rest der Decke, die sich in der Nacht irgendwie um seine Füße gewickelt haben musste.
 

„Wo sind meine Klamotten?“
 

„In der Wäsche. Kannst ein paar Sachen von mir haben, wenn sie dir nicht zu klein sind.“
 

Remus ging zu seinem Schrank und suchte ein paar extra große Kleidungsstücke raus, die Black anprobierte. Es passte ihm nicht gerade wie angegossen, doch wenigstens war es nicht zu eng. Nur die Hose war zu kurz, aber die krempelte Black eh bis zu den Knien hoch, und beim Hemd ließ er die obersten Knöpfe offen.
 

Zusammen gingen sie wieder nach unten. Remus schaufelte Rührei und Speck auf einen Teller und reichte diesen Black. Minutenlang saßen sie schweigend am Tisch, Black essend – er hatte wohl schon eine ganze Weile nichts Vernünftiges mehr gegessen, so wie er aß – und Remus Löcher in die Luft starrend. Schließlich schob Black den Teller von sich und sah ihn an.
 

„Danke, Lupin.“ Er hielt sich den vollen Bauch. „Ich hatte voll den Kohldampf.“
 

Remus antwortete nicht sofort. Was sollte er auch schon sagen? Schließlich fragte er: „Wieso bist du nicht zu Potter gegangen? Seid ihr immer noch zerstritten?“
 

Damit hatte er wohl den Nagel auf den Kopf getroffen, doch Black ließ sich nichts anmerken.
 

„Kann ich nicht meinen neuesten Freund besuchen?“, fragte er stattdessen. Doch Remus gab sich damit nicht zufrieden.
 

„Ach was. Wärst du überhaupt auf die Idee gekommen, zu mir zu kommen, wenn ich dich nicht zufällig gesehen hätte?“
 

Black zuckte die Schultern. Schon wieder. Remus seufzte, er hatte keine Lust, sich jetzt darüber den Kopf zu zerbrechen.
 

„Na ja, jetzt bist du da. Mein Vater hat jedenfalls gesagt, dass du solange bleiben kannst, wie du willst.“
 

Blacks Augen wurden groß.
 

„Echt?“ Er sprang auf. „Wow, danke!“
 

Mit einem Satz hatte er den Tisch umrundet und Remus stürmisch umarmt.
 

„Hey, warte mal, ich- Mensch, mein Vater hat das doch gesagt, nicht ich!“
 

Black ließ ihn los.
 

„Heißt das, du willst nicht, dass ich bleibe?“
 

„Quatsch, so war das auch nicht gemeint, ich ...“
 

„Macht es dir wirklich nichts aus?“
 

„Nein.“ Verdammt, seit wann fragte Black solche Sachen?
 

Black setzte sich auf den Stuhl neben ihn und sah ihn an.
 

„Und jetzt? Was machst du so die ganze Zeit?“
 

„Ähm … ich lese. Und gehe spazieren. Und so.“ Das hörte sich ja furchtbar spannend an, Black dachte bestimmt, er hätte keine Freunde. Hatte er ja auch nicht. „Ähm … lass uns einfach rausgehen, ja? Vielleicht können wir meinem Vater ja helfen.“
 

~~~~~*~~~~~
 

„Wow, das ist ja ländlicher, als ich dachte!“
 

Black hatte in der vergangenen Nacht nicht sonderlich auf seine Umgebung geachtet, auch hatte er sich nicht die Mühe gemacht, sich in der Dunkelheit die Felder anzusehen, er war vielmehr damit beschäftigt gewesen, so schnell wie möglich ins Bett zu kommen. Jetzt staunte er dagegen nicht schlecht, Remus zuckte nur mit den Schultern.
 

„Mein Vater ist Bauer. Ihm gehören die Felder.“
 

„Cool.“
 

Remus wusste nicht so genau, was daran cool sein sollte, verzichtete jedoch darauf nachzufragen. Wenn Black Streit mit seiner Familie hatte und auch nicht bei Potter einkehren wollte, würde er ihn wohl die ganzen Ferien an der Backe haben. Remus sah dem mit gemischten Gefühlen entgegen. Einerseits bot es ihm Abwechslung, wenn Black da war. Endlich jemand, mit dem er reden konnte. Andererseits dachte Remus immer noch an das unangenehme Spiel von Potter zurück, von dem er hoffte, dass Sirius es vergessen hatte.
 

Und da gab es natürlich noch ein Problem.
 

Remus seufzte, während er seinen Vater auf dem Feld ausmachte. Mit vorsichtigen Schritten trat er in die schmale Erdlinie zwischen den Rapsreihen und ermahnte Black, ja nicht aus Versehen eine zu zertreten. Black balancierte mit ausgestreckten Armen auf dem schmalen Grat und wedelte mit den Armen.
 

„So gut?“
 

Remus verdrehte nur die Augen und ging voran.
 

Die Erde unter ihren Füßen war von der unbarmherzigen Sonne hart und heiß, doch Remus machte das nicht viel aus. Er lief meistens den ganzen Sommer lang barfuß über die Felder und Wege. Anfangs bekam er davon immer Blasen oder kleine Risse, die zu bluten anfingen, wenn er es übertrieb. Doch seit Beginn der Ferien hatte sich eine so dicke Hornhaut unter seinen Füßen gebildet, dass ihm der Ackerboden nichts ausmachte. Ganz im Gegensatz zu Black, der tatsächlich Schwierigkeiten zu haben schien, zwischen den Pflanzen zu balancieren. Remus tapste schweigend weiter voran.
 

„Du willst mir bei der Arbeit helfen?“, fragte sein Vater überrascht, als sie bei ihm angekommen waren. Sowohl Remus als auch sein Vater wussten, dass er dieses Angebot niemals ernst meinen konnte. Feldarbeit war hart, und für so etwas war Remus' Körper einfach nicht mehr geschaffen. Remus wusste das und trotzdem hatte er gefragt. Warum?, fragte er sich nun selbst. Wollte er vor Black etwa zeigen, dass er auch andere Sachen konnte, als nur zu lernen? Dass er stark war? Was für ein Witz. Er sollte einfach nur das tun, was er immer tat.
 

Remus sah kurz zu seinem Vater auf, der ihn immer noch verblüfft ansah, ehe er den Blick wegen der Helligkeit abwenden musste.
 

„'tschuldige, wir gehen wieder.“ Remus drehte sich rasch um, sein Gesicht brannte. Er hätte seinem Vater wirklich gerne geholfen.
 

„Du kannst ja vielleicht das Mittagessen für nachher vorbereiten!“, rief ihm sein Vater hinterher, Remus nickte nur, auch wenn sein Vater das wohl kaum gesehen haben mochte, und lief davon. Er sollte er selbst sein, nicht mehr und nicht weniger.
 

„Lupin?“ Black rannte ihm hinterher, jedoch immer noch darauf bedacht, nicht auf den Raps zu treten.
 

Remus ging schnell, aus irgendeinem Grund war er nun auf Black sauer, auch wenn er sich bewusst war, dass dieser absolut nichts dafür konnte. Er hatte es sich mal wieder selbst beweisen wollen. Sein Vater würde sicher noch deswegen mit ihm sprechen wollen, irgendwann heute Abend, wenn Black nicht anwesend war.
 

„Sorry, war 'ne dumme Idee ...“, nuschelte er, mehr zu sich selbst, als zu Black, der es sicher als Allerletzter hören sollte.
 

„Wieso?“ Er wurde am Arm gepackt. „Ich find's toll von dir! Mir jedenfalls wäre es im Traum nicht eingefallen, meinen Eltern bei irgendwas zu helfen!“
 

Remus wollte sich nicht umdrehen, sein Gesicht war immer noch heiß. Er versuchte sich wieder unter Kontrolle zu bekommen.
 

„Schon gut. Ist nicht wichtig.“
 

„Nicht wichtig? Lupin … ich merke, wenn was in einer Familie nicht okay ist, und da ist was! Also?“
 

Jetzt drehte Remus sich doch um, riss gleichzeitig seinen Arm los.
 

„Und wie kommst du darauf, dass ich ausgerechnet dir das erzähle?“
 

Das hatte gesessen. Er sah, wie kurzzeitig etwas in Blacks Augen aufflackerte.
 

„Weil … wir Freunde sind, zum Beispiel?“
 

Remus hätte in diesem Moment viel sagen können. Doch alles was ihm einfiel waren verletzende Worte. Dass er ihm als Freund noch nicht vertraute, dass ihm dieses Wort wie eine lose Bezeichnung vorkam, die nichts mit der Realität zu tun hatte. Freundschaft? Doch nur, weil Potter gerade nicht zur Verfügung stand.
 

Doch Remus sagte nichts.
 

Und dann sprach Black plötzlich aus seinen Gedanken.
 

„Lupin, warte mal.“ Black legte seine Hände auf seine Schultern, nicht festhaltend, wie er es eben getan hatte. „Du denkst sicher, dass mir das hier alles egal ist. Deine Freundschaft und so. Aber das ist sie nicht, okay? Ich hätte dich nicht darum gebeten, wenn es so wäre. Also“, er sah ihm fest in die Augen, so sehr, dass es Remus beinahe unangenehm war, und kam so nahe, dass Remus gleichzeitig zurückwich, „gib mir eine Chance.“
 

Remus senkte den Blick in der Sekunde, in der Black aufhörte zu sprechen. Er wollte irgendwas sagen, aber irgendwie schien er seine Zunge verschluckt zu haben. Vielleicht war es das, was er als dicken Kloß in seiner Kehle spürte. Und so nickte er bloß, doch das schien Black zu reichen.
 

„Also!“ Black rieb sich die Hände, wieder vollkommen der Alte. „Was wollen wir machen?“
 

~~~~~*~~~~~
 

Remus war es nicht gewohnt, während seiner Ferien andere Leute zu beschäftigen, erst recht nicht, wenn es sich um Freunde handelte. Letzten Endes hatte er so lange rumgedruckst, bis Black ihm grinsend auf die Schulter geschlagen und gesagt hatte, er sollte machen was er wollte, er würde einfach mitmachen.
 

Sie waren erst zurück ins Haus gegangen, um sich etwas zu trinken und zu essen zu holen. Black schwenkte den Korb mit dem Vorrat fröhlich hin und her. Remus war nicht halb so fröhlich. In einiger Entfernung kamen ein paar andere Dorfbewohner den gleichen Weg hinunter wie sie. Remus senkte unbewusst den Kopf.
 

„Hallo!“, grüßte Black gutgelaunt wie immer.
 

Dann war es nur noch ein kurzer Moment. Sie gingen vorüber. Zwei Männer, eine Frau, ein Hund. Ohne ein Wort des Grußes. Nur ein Blick, gefüllt mit Eis, aber auch, wenn auch schwach und gut verborgen, Angst. Der Hund, ein großer Schäferhund, knurrte dunkel und tief. Remus hob den Blick und sah dem Tier in die Augen und beinahe sofort verwandelte sich das Knurren in ein Fiepen und es hechtete seinem Herrn hinterher. Einer der Männer drehte sich noch einmal um und bedachte ihn mit einem Blick, der Remus sich sofort abwenden ließ.
 

Black war wie angewurzelt stehen geblieben, die Stirn gerunzelt.
 

„Was war das denn?“, schimpfte er. Remus ging einfach weiter.
 

Sie gingen zu Remus' Lieblingsbaum, einer ausladenden, knorrigen Weide, in deren Schatten sie sich niederließen. Remus hatte aus Gewohnheit ein Buch mitgenommen – eines der neuen, welche er sich in der Stadt gekauft hatte – und hatte den Buchdeckel aufgeschlagen.
 

„Worum geht es?“
 

Black hockte neben ihm. Er saß nicht, er hockte. Konnte er sich nicht entscheiden, ob er sitzen oder stehen wollte? Remus sah nicht auf.
 

„Ich weiß selbst nicht genau. Irgendwie dreht es sich um eine Frau, die in einen sehr gefährlichen Mann verliebt ist.“ Remus wurde rot. „Mehr weiß ich auch nicht. Hört sich aber ziemlich gewöhnlich an.“
 

„Warum hast du es dann gekauft?“
 

Remus zuckte nur mit den Schultern. Black würde es eh nicht verstehen.
 

„Warum ist der Mann denn gefährlich?“
 

„Er scheint irgendein Geheimnis zu haben. Vielleicht hat er jemanden umgebracht oder hat noch eine Frau und sechs Kinder, keine Ahnung.“
 

Black lachte und Remus sah auf.
 

„Wieso lachst du?“
 

Black wischte sich mit der Hand über sein Gesicht.
 

„Na, über die Art, wie du das sagst! Ein Mörder oder ein Familienvater – als ob das keinen Unterschied machen würde!“
 

Remus schmunzelte, doch seine Mundwinkel fielen relativ schnell wieder herunter, weswegen er sich rasch wieder seinem Buch widmete.
 

„Ich lese jetzt ein bisschen, vielleicht kann ich dir dann mehr sagen, okay?“
 

Black nickte, dann stand er doch auf. Remus fragte sich, was er jetzt tun würde, doch er sprach es nicht aus.
 

Während Remus also scheinbar in sein Buch vertieft war, beobachtete er Black aus dem Augenwinkel. Dieser hatte sich wohl dazu entschlossen, die Weide als seinen persönlichen Mount Everest anzusehen und kletterte mit überraschender Behändigkeit in die Baumkrone, sodass einige Blätter herunter auf die Buchseiten und Remus' Haarschopf fielen.
 

Irgendwann hörte der Blätterregen auf. Remus blickte nach oben, um zu sehen, was Black tat und blickte direkt in ein Paar schwarzer Augen. Black hatte sich mit dem Bauch auf einen besonders dicken Ast gelegt, der genau über ihm wuchs.
 

Black starrte zurück.
 

„Ist was?“
 

„Nichts.“
 

Remus wandte sich wieder seinem Buch zu.
 

„Du bist ja noch nicht mal über die erste Seite hinausgekommen.“
 

„Ich les halt langsam.“
 

„Aha.“
 

Dann auf einmal ein wahrer Blätterorkan, Knistern und Knacken, als Black sich mit beiden Armen an den Ast hing und schwungvoll heruntersprang. Er ließ sich neben ihn fallen, mit dem Rücken zum Stamm, so nah an Remus, dass dieser kurz erschrak.
 

„Was dagegen, wenn ich mitlese?“
 

Black wartete keine Antwort ab, sondern rückte noch ein Stückchen näher, sodass seine linke und Remus' rechte Seite aneinanderlagen und legte seinen Kopf nach links, ganz in der Nähe von Remus' Schulter.
 

Es war warm. Zu warm, auch wenn sie im Schatten saßen. Remus wusste ganz genau, dass der Großteil der Hitze in ihm daher rührte, dass er mit Black zusammen einen erotischen Kitsch-Roman für Frauen las.

Es ist Sommer

Es ist Sommer
 

Sie kamen erst spät nach Hause. Remus zog es vor, bei Einbruch der Dunkelheit zu Hause zu sein, doch es war Sommer, und so ließ der Abend lange auf sich warten. Dass es so spät war, hatte er überhaupt erst daran gemerkt, dass er die Seiten des Buches immer schlechter lesen konnte.
 

Black hatte nicht die ganze Zeit mitgelesen – natürlich. Er hatte auch gar nicht erwartet, dass ein Draufgänger wie er sich stundenlang auf eine Sache konzentrieren konnte. Black hatte irgendwann ausprobiert, wie weit er die Weide erklimmen konnte und Remus, der ihn heimlich dabei beobachtet hatte, hatte sich gefragt, was wohl passieren würde, wenn dieser Baum die Eigenschaften der Peitschenden Weide besäße.
 

Letztendlich hatte Remus das Buch zugeklappt – natürlich mit seinem Lesezeichen dazwischen – und zu Black emporgeblickt, der immer noch in der Baumkrone hockte, als wäre das das Spannendste auf der Welt.
 

Remus war dankbar dafür, dass er ihm kein Unterhaltungsprogramm bieten musste. Darin war er ungeübt.
 

Da sie mittags nichts gegessen und dementsprechend hungrig waren, hatte sein Vater ihnen etwas Warmes zu essen gemacht. Black war wie ein hungriger Wolf darüber hergefallen, Remus auch, wollte aber bei sich nicht diesen Vergleich ziehen.
 

Und sein Vater starrte ihn an. Undurchdringlich. Remus aß absichtlich langsam; er fürchtete sich nicht vor einer Unterhaltung mit seinem Vater, aber vor einem Gespräch, in dem er wie immer einsehen würde, dass sein Vater Recht hatte und er selbst dumm gehandelt hatte. Und es war unangenehm, sich das einstehen zu müssen.
 

Während er Black schonmal zum Zähneputzen nach oben schickte, räumte Remus die Teller ab. Sein Vater lehnte sich an die Theke.
 

„Und, was macht ihr morgen?“, fragte er in neutralem Ton.
 

„Weiß noch nicht.“
 

„Was habt ihr denn heute gemacht?“
 

„Gelesen. Und so, nichts Besonderes.“
 

Sein Vater beobachtete ihn noch eine Weile.
 

„Gib dich nicht anders, als du bist, Remus.“, sagte er dann. „Das nützt nichts und wird dich nur blamieren. Oder schämst du dich dafür, wie du bist?“
 

Remus ließ sich Zeit, bis er den letzten Teller in die Spülmaschine gelegt hatte, dann drehte er sich zu seinem Vater um.
 

„Ich hab selber schon eingesehen, dass es dumm war. Du musst es mir nicht mehr sagen.“
 

Sein Vater lächelte leicht.
 

„Mach dir keine Sorgen, Remus. Er wird dich auch so mögen, glaub mir.“
 

„Ja ja ...“
 

Wie gesagt, unangenehm. Remus räumte das Besteck in den Besteckkorb.
 

„Gute Nacht.“
 

„Nacht.“
 

~~~~~*~~~~~
 

Remus wurde von einem Tritt in sein Gesicht geweckt. Als er erschrocken aus dem Schlaf auffuhr, fiel Blacks Fuß von seiner Schulter und rollte auf seine Matratze. Remus rieb sich grummelnd das Gesicht, seufzte dann jedoch nur. Es war keine Absicht gewesen, stellte er fest, als er die Müdigkeit einigermaßen abgeschüttelt hatte, Black schlief noch. Und wie – in der Nacht hatte er es irgendwie geschafft, seine Decke komplett um sich herum zu wickeln, seine Beine stachen jedoch entblößt aus ihr heraus und eines – eben jenes, zu dem der Fuß gehörte – lag nun halb auf Remus' Bett. Remus starrte einen Moment darauf, doch Black schnarchte nur zufrieden und murmelte im Schlaf vor sich hin.
 

Remus, der auf einmal hellwach war, beschloss sich anzuziehen, nach unten zu gehen und schon mal zu frühstücken. Wenn man so geweckt worden war, konnte man nicht mehr so leicht einschlafen.
 

Als Remus nach einem kurzen Abstecher ins Badezimmer in den Essraum kam, stellte er fest, dass sein Vater wohl schon bei der Arbeit war. Ein Blick an die große, alte Wanduhr zeigte ihm warum. Es war verdammt nochmal spät. Remus starrte noch einen kurzen Augenblick auf die Uhr. Normalerweise stand er nie so spät auf und konnte immer zusammen mit seinem Vater frühstücken. Wieso hatte er so lange geschlafen?
 

Ein Geräusch ließ ihn sich umdrehen.
 

Black war anscheinend aufgestanden, mit schlurfenden Schritten kam er die Treppe hinunter und rieb sich verschlafen durch die Haare und das Gesicht.
 

„Auch schon wach?“, fragte Remus zur Begrüßung.
 

„Hm ...“ Black war wohl noch nicht ansprechbar. „Was gibt’s zum Frühstück?“, nuschelte er.
 

„Weiß noch nicht. Mein Vater ist schon weg.“
 

Remus sah sich in der Küche um und entschloss sich zu simplen Toast. Irgendwie hatte er keinen Hunger mehr. Black lehnte sich derweil an den Küchentisch und beobachtete ihn aus halb geöffneten Augen. Remus fiel auf, dass er immer noch seine Schlafkleidung trug.
 

„Willst du dich nicht schon mal umziehen gehen? Ich kümmere mich um das Frühstück.“
 

Remus war erleichtert, als diese Aufforderung tatsächlich in Blacks Kopf reinzugehen schien. Als er nach oben verschwunden war, fiel eine gewisse Anspannung von seinen Schultern ab, die er erst bemerkte, als sie von ihm abließ. Remus blickte auf die Tischkante, an der Black gelehnt hatte. Sofort schien es ihm, als stände er immer noch dort, in dem schluffigen Hemd, dass er von Remus' Vater geliehen bekommen hatte und den kurzen Shorts.
 

Die kurzen Shorts. Auf einmal dachte Remus an die Beine, die Beine, die daraus hervorstachen, dünn und trotzdem muskulös, Remus wusste, dass das vom Quidditchtraining kam. Ein seltsames, beengendes Gefühl machte sich in seiner Brust breit und er sah zum Treppenaufgang, fühlte sich auf einmal ertappt.
 

Und dann auf einmal dieser Gedanke. Das Spiel. Dieses eine Spiel, das alles verändert hatte, so fühlte es Remus zumindest, auch wenn es für Black nur ein Kuss von vielen gewesen war.
 

Bei Merlin. Remus konnte dieses eine Gefühl noch genauso herbeirufen, als sei es gestern gewesen.
 

Mit einem Klack schossen die Brotscheiben aus dem Toaster und lenkten Remus gerade so sehr ab, dass er es schaffte, die Gedanken ein wenig beiseite zu schieben. Gerade so viel, dass er Black wieder unter die Augen treten könnte.
 

~~~~~*~~~~~
 

„Und, was machen wir heute?“
 

Es war erstaunlich, wie schnell Black wach werden konnte. Hatte er vor einer halben Stunde noch müde und verschlafen ausgesehen, so war er jetzt fit wie ein frisch verzauberter Besen: Mit erwartungsvollem Blick sah er Remus über seinen Toast hinweg an.
 

„Äh ...“
 

Remus war nicht gut darin, andere Leute zu beschäftigen. Vor allem nicht so, dass es unterhaltend war. Dabei hatte er gehofft, dass Black wenigstens noch bis nach dem Frühstück damit warten würde. Fehlanzeige.
 

„Ähm … also ...“ Remus seufzte. Er gab auf. „Keine Ahnung. Was möchtest du machen?“
 

Anstatt der erwarteten Enttäuschung sah Remus jedoch plötzlich ein freudiges Glitzern in den Augen seines Gegenübers.
 

„Gibt es hier zufällig einen Fluss oder einen See?“
 

~~~~~*~~~~~
 

Black war definitiv die Sorte Mensch, die nicht nur zu fröhlich war, sondern auch ständig versuchte, andere Menschen damit anzustecken. Remus fand es ein bisschen seltsam, dass er damit sogar bei ihm Erfolg zu haben schien.
 

Es gab tatsächlich einen See in der Nähe. Und auch einen Fluss, der in den See mündete und wieder herausfloss. Remus war selten dort.
 

Sie hatten einen Korb mit Proviant gepackt und waren aufgebrochen. Black hatte ihm den Korb abgenommen und tänzelte fröhlich voraus, auch wenn er natürlich keine Ahnung hatte, wo es lang ging, und so hüpfte er alle paar Minuten wieder zurück, einmal um ihn herum und fragte nach dem Weg und wenn Remus ihm darauf eine Antwort gegeben oder mit dem Finger in die entsprechende Richtung gezeigt hatte, war er wieder davongerannt, aber nie zu weit. Er blickte sich immer wieder zu ihm um. Wie ein Hund, dachte Remus, der sicher gehen will, dass sein Herrchen noch bei ihm ist.
 

Zuerst kam der Fluss in Sichtweite. Black ließ einen lauten Freudenschrei aus, wegen dem Remus froh war, dass die Felder hier schon längst aufgehört und unberührter Natur Platz gemacht hatten und somit niemand in der Nähe war (gut, nicht nur deshalb war er froh).
 

Black rannte zu ihm zurück und drückte ihm den Korb in die Hand.
 

„Halt mal“, sagte er überflüssigerweise, als er den Korb schon längst losgelassen hatte und war schon wieder in Richtung Fluss davongesaust. Remus seufzte ergeben und folgte ihm langsamer. Er beobachtete, wie Black sich am Flussufer die Schuhe und Socken auszog, seine Hose bis zu den Knien hochkrempelte und in das Wasser watete. Remus fröstelte. Er konnte sich nicht vorstellen, dass das Wasser besonders warm war.
 

„Lupin!“ Black winkte ihm zu. „Komm doch rein!“
 

Remus schüttelte nur den Kopf. Natürlich waren sie zum Schwimmen hergekommen, aber er zog dann doch lieber den stillen See dem Fluss vor, der mit seinen glitschigen Steinen, die von der ständigen Strömung glatt geworden waren, geradezu zum Ausrutschen einlud. Genau das wollte er Black auch sagen, da war es auch schon passiert.
 

Gerade noch hatte Black ihn grinsend zu sich winken wollen, da wurde ebenjenes Grinsen binnen einer Sekunde aus seinem Gesicht gewischt. Im gleichen Augenblick sah Remus, wie Black kippte: Sein Fuß hing plötzlich lose in der Luft und sein Gesicht trug einen seltsam überraschten Ausdruck – dann platschte es und Black lag strampelnd und prustend im Wasser.
 

Remus wartete still, bis er sich wieder aufgerappelt hatte. Irgendwie fand er es schade, dass Blacks gute Laune nun verflogen sein würde.
 

Doch Black lachte. Remus stand verdattert am Ufer. Black lachte und strich sich die nassen schwarzen Strähnen aus dem Gesicht, lachte und prustete, schüttelte sich wie ein nasser Hund, auch wenn es nichts half, das Wasser klebte ihm seine Kleidung an den Körper und so zog er sein Hemd, aus dem Fluss watend, ohne zu zögern aus. Remus hielt sich die Hand schützend vor das Gesicht, um nicht allzu viel Wasser abzubekommen, und lugte anschließend durch zwei seiner Finger hindurch. Schnell wandte er den Blick wieder ab.
 

„Hey, Lupin!“ Black hatte den Korb schon wieder genommen und packte ihn am Arm. „Los, komm!“ Seine Hand rutschte runter, zu seiner eigenen, und ehe Remus sich versah, zog Black ihn ohne Rücksicht hinter sich her. Remus musste sich beeilen, um Schritt halten zu können und nicht zu stolpern.
 

~~~~~*~~~~~
 

Black war wohl wirklich ein Stadtkind, wenn man bedachte, wie sehr er sich über den Anblick eines simplen Sees freute. Aber Remus wollte ihm nicht die Laune verderben und ließ Blacks aufgeregtes Gejubel über sich ergehen.
 

„Gehen wir direkt schwimmen?“ Black hatte den Korb ein paar Meter weit entfernt vom Ufer abgesetzt und sich Remus zugewandt.
 

„Von mir aus ...“
 

„Yes!“
 

Ohne Umschweife zog sich Black auch noch seine Hose aus, schmiss sie hinter sich und rannte nur mit Boxershorts bekleidet und ohne Rücksicht auf Verluste zum Wasser. Remus beobachtete, wie er am Ufer etwas langsamer wurde, wohl darauf bedacht, dieses Mal nicht auszurutschen, und sich dann, als er ein paar Meter weit drin war, hineinfallen zu lassen. Er selbst ging das Ganze etwas ruhiger an. Er war noch nie sonderlich begeistert von Wasser gewesen, aber es war Blacks Idee gewesen, und da er selbst keinen besseren Vorschlag gehabt hatte, hatte er dem seinen zugestimmt.
 

„Lupin! Wo bleibst du?“
 

Remus seufzte und zog sich aus, ehe er ebenfalls zum Ufer ging. Black hockte im Wasser wie ein Frosch und sah ihn aus ebenso großen Augen an. Kaum hatte Remus jedoch den ersten Fuß ins Wasser gesetzt, bekam er eine große Ladung Wasser ab.
 

„Hey!“, beschwerte er sich bei Black, der der Übeltäter war.
 

Dieser grinste jedoch nur. „Ist doch nur Wasser!“
 

„Aha.“
 

Black ließ sich jedoch von nichts die Laune verderben. Rückwärts ließ er sich ins Wasser fallen und paddelte so ein paar Meter weiter hinaus, indem er mit den Beinen Schiffschraube spielte. Dass Remus dabei noch nasser wurde, schien ihn nicht zu stören. Zeit, einfach unterzutauchen, dachte sich Remus, dann hatte er auch keinen Grund mehr ihn nass zu machen. Als das Wasser ihm bis über die Hüfte reichte, beschloss Remus es dabei zu belassen. Zu weit hinaus wollte er nicht. Leicht frierend – es war vielleicht heiß um diese Jahreszeit, aber der See würde sich wohl nie aufwärmen – blieb er im Wasser an einer Stelle stehen, an der er guten Halt hatte und hielt nach Black Ausschau.
 

Er fand ihn nicht.
 

Gut, hier und da hatte der See ein paar Windungen, hinter denen Black verschwunden sein mochte aber die waren viel zu weit entfernt, als dass dieser sie so schnell erreicht haben konnte. Tauchte er vielleicht?
 

Remus hatte den Blick in die Ferne gerichtet, auf der Suche nach einem schwarzen Haarschopf, der an irgendeiner Stelle des Sees wieder auftauchen musste. Er wusste, dass Black lange die Luft anhalten konnte, schließlich war er so verrückt, selbst im See bei Hogwarts ziemlich weit und tief hinauszuschwimmen.
 

Eine Bewegung neben ihm lenkte ihn ab. Erst erschrak er sich, aber dann erkannte er Black, der tatsächlich tauchte, aber direkt neben ihm. In der nächsten Sekunde packte ihn etwas am Bein und plötzlich rutschte der Boden unter seinen Füßen weg. Er schrie auf, etwas zu hell, um nicht peinlich zu wirken, dann bekam er Wasser in den Mund. Er verschluckte sich und hustete, wollte einatmen, aber da war nur noch mehr Wasser und er schlug um sich. Dann waren seine Beine wieder frei und er wurde hochgezogen. Keuchend rang er nach Luft.
 

Black stand hinter ihm, halb grinsend, halb besorgt, das sah er in seinen Augen. Trotzdem motzte er ihn an.
 

„Du Idiot! Willst du, dass ich ertrinke?“
 

Black hob abwehrend die Hände. „Hey, ist doch kein Problem, hier ist es doch nicht tief.“
 

Das wusste Remus selbst. Wenn es tiefer gewesen wäre, wäre Black auch nicht so glimpflich davon gekommen.
 

„Ach, geh doch allein schwimmen.“ Er drehte sich um und tapste aus dem Wasser.
 

„Lupin?“
 

Remus konnte den Ton in seiner Stimme nicht genau einordnen – Wut, Verwirrung, Enttäuschung? War ja auch egal.
 

Black kam ihm nicht hinterher. Kein Wunder. Remus breitete ihre mitgebrachte Decke aus und legte sich darauf. Sie waren ja auch keine Freunde. Black hatte zwar Andeutungen gemacht, dass er ihm wichtig war, aber was bedeutete das schon? Als ob irgendjemand dieser Idioten eine Ahnung hatte, was Freundschaft wirklich bedeutete. Remus legte sich die Hand auf die Stirn, schloss die Augen. Gut, er hatte überreagiert, er wusste das. Er wusste auch warum. Er sah zum Himmel auf. Fast keine Wolken. Sah richtig unschuldig aus, aber Remus hasste dieses Wetter am meisten. Es machte jede mögliche Verzögerung zunichte.
 

Er richtete sich auf und sah, sich auf seine Ellbogen stützend, zum See hinaus. Black drehte ein paar Runden im Wasser, ein heller und ein dunkler Fleck, direkt nebeneinander. Irgendwie verschwommen. Hoffentlich brauchte er keine Brille, dann hätte er das Streber-Image perfektioniert.
 

Er hatte gerade die Augen geschlossen und die bunten Lichtflecke hinter seinen Lidern beobachtet, als ihn ein Schrei in die Senkrechte riss. Verwirrt sah er sich um, bis er Black bemerkte, der wohl inzwischen wieder ans Ufer gekommen war und nun fluchend auf einem Bein hin und her hüpfte, während er sich den Fuß vom anderen hielt. War da etwas Rotes?
 

Remus stand auf, halb besorgt, halb immer noch wütend auf ihn.
 

„Was hast du gemacht?“, fragte er, als er bei ihm angekommen war.
 

„Gar nichts, Mann!“ Blacks Gehüpfe sah inzwischen ziemlich dämlich aus. „Von wegen unberührte Natur! In eine gottverdammte Glasscherbe bin ich getreten!“
 

Erst jetzt erkannte Remus das kleine, aber offensichtlich sehr scharfe Stück Glas, das immer noch in Blacks Sohle steckte.
 

„Aber auf die Idee, es rauszuziehen, bist du noch nicht gekommen, ja?“
 

„Aber das tut doch weh!“
 

Remus seufzte. Black hatte ja gar keine Ahnung, was wirklich weh tat.
 

Dieser setzte sich gerade an Ort und Stelle hin und hielt Remus seinen Fuß hin.
 

„Bitte“, er sah ihn schon wieder aus Hundeaugen an, „kannst du das nicht machen?“
 

Genau in jenem Moment passierte das, was Remus befürchtet hatte. Der Geruch des Blutes stieg ihm in die Nase. Schnell drehte er sich weg. Nicht, dass er Black angefallen hätte oder etwas in der Art, aber es wäre schon etwas seltsam gewesen, wenn ihm beim Anblick von Blacks Fuß gleichzeitig der Magen geknurrt hätte und er sich übergeben musste.
 

„S-Sei kein Frosch!“, wiederholte er Blacks Worte. „Das kannst du doch auch selber.“ Er drehte sich weg.
 

Black war sicher enttäuscht, aber das war ihm jetzt auch egal. Ihm wurde wirklich schlecht.
 

Ein unterdrücktes Zischen bedeutete ihm, dass Black die Scherbe wohl doch selbst aus seinem Fuß gezogen hatte. Erleichtert ließ auch er die Luft aus seinen Lungen entweichen.
 

„Komm, wir schauen mal, mit was wir deinen Fuß verbinden können.“ Remus eilte wieder zur Decke, nur um dem Blutgeruch für eine Weile entkommen zu können. Black folgte ihm humpelnd.
 

Remus hatte tatsächlich etwas zum Verbinden dabei, auch wenn es nur Servietten waren.
 

„Hier.“ Er hielt ihm die Servietten hin.
 

Black sah ihn forschend an.
 

„Hast du irgendwie Angst vor Blut oder so?“
 

Volltreffer. Remus zögerte eine Sekunde zu lange, als dass er seine Antwort noch glaubhaft hätte rüberbringen können, also beschloss er gar nichts mehr zu sagen.
 

Jetzt war auch Black verstimmt, das sah er ihm an. Ohne Kommentar nahm er die Servietten an und begann, sich mehr schlecht als recht den Fuß zu verbinden. Er sah dabei alles andere als konzentriert aus. Remus sah eine Weile lang zu, wie er versuchte den Pseudoverband um seinen Fuß zu wickeln und irgendwie einen Knoten zu machen.
 

„Du machst das falsch, weißt du das?“, sagte er jedoch irgendwann genervt.
 

„Dann mach es doch besser.“
 

Ein Stich. Remus fühlte so etwas oft, direkt in seiner Brust. Normalerweise passierte es immer dann, wenn ihm die Leute auswichen für das, was er war. Aber da war das Gefühl schon längst abgestumpft und es überraschte ihn, es an diesem Ort wiederzufinden. Unwillkürlich fasste er sich an die Brust.
 

„Ach, gib schon her.“ Er stieß Blacks Hand beiseite.
 

Remus versuchte, möglichst nicht durch die Nase zu atmen, während er Black verband und war erleichtert, als er fertig war. Black sah ihn etwas besorgt an.
 

„Alles in Ordnung mit dir? Du siehst irgendwie … grün aus.“
 

„Nein, nein, alles klar.“ Remus wandte sich ab und streckte sich auf der Decke aus. Langsam wich der Blutgeruch aus seiner Nase. Black hatte ihm wohl seine seltsamen Anwandlungen verziehen und legte sich neben ihn.
 

„Keinen Bock zu schwimmen?“, fragte er dann.
 

„Nicht wirklich.“
 

„Na dann bleib ich bei dir.“
 

„Wieso, kannst doch schwimmen gehen!“
 

„Nene, lass mal.“ Black nahm sich einen Schokoladenriegel aus dem Korb, der neben ihnen lag, streckte sich und schloss die Augen. „Ist doch ganz gemütlich hier.“
 

Remus wusste ganz genau, dass Black, Wasserratte wie er war, nichts lieber getan hätte, als in den See zu hüpfen. Und trotzdem blieb er bei ihm. Unbegreiflich.
 

Weil schließlich keiner von beiden mehr ein Wort sprach und jeder von ihnen seinen eigenen Gedanken nachhing, konnte Remus nicht verhindern, dass sich die seinen bald auf eine bestimmte Sache konzentrierten. Egal wie sehr er es versuchte, sie drängte sich immer wieder in den Vordergrund.
 

Es war Sommer, aber irgendwie befand er sich nicht in der Stimmung dafür. Das lag wohl daran, dass es selbst im Sommer diese eiskalten Nächte gab.
 

-
 

Bin nicht so wirklich zufrieden mit diesem Kapitel. Hab eine Ewigkeit dran gesessen. Was Remus und Sirius angeht, keine Sorge, die beiden bändeln noch miteinander an, aber das braucht seine Zeit.

Eiskalte Nacht

Ich melde mich wieder!

Juli hab ich das letzte Mal hochgeladen ... schon ein Weilchen her. Ich war damit beschäftigt, mal eine ordentliche Storyline in diese FF zu bekommen. Jetzt ist diese fertig und es kann weiter gehen. In welchem Tempo weiß ich noch nicht (werdet ihr schon sehen *höhö*).

Der Inhalt dieses Kapitels ist leider auch nicht so erfreulich ... aber so ist das nunmal ;)

Viel Spaß!
 

Eiskalte Nacht
 

Remus fror. Die Hitze des Tages kroch am Abend nur langsam von dannen und eigentlich war es auch nicht die für jedermann messbare Temperatur, die ihm Schauder über Schauder über die Haut jagte. Er saß in der Küche und schaute aus dem Fenster. Er hatte zugesehen, wie es langsam dunkel wurde, während die Sonne hinter den Feldern verschwand und selbst die wenigen Wolken vom Himmel wichen. Eine sternenklare Nacht. Nicht zum ersten Mal wünschte Remus sich, er sei in einem seiner Romane und könnte diesen Anblick genießen, statt ihn zu fürchten.
 

Black war gerade hochgegangen, um sich bettfertig zu machen und Remus war froh, einmal einen Augenblick für sich allein zu haben. Sein Vater würde auch gleich nach Hause kommen – es hatte mal wieder Ärger mit den Nachbarn gegeben, kein seltenes Vorkommen in jenen Nächten – und ihn dafür schelten, dass er immer noch dort herumsaß.
 

Als ihm dieser Gedanke kam, rappelte sich Remus auf und blickte die Treppenstufen hinauf.
 

„Black?“ Aus irgendeinem Grund flüsterte er nur, doch es reichte. Ein schwarzer Haarschopf, zusammen mit dem passenden zahnpastaverschmierten Gesicht, erschien am Treppenaufgang.
 

„Hm?“ Remus meinte etwas Feuchtes auf seiner Wange gelandet gespürt zu haben.
 

„Ich muss noch kurz raus, meinem Vater helfen. Geh ruhig schonmal schlafen, kann länger dauern.“
 

„Warte, ich komm mit!“, rief Black und verteilte dabei noch mehr Zahnpasta, die im Schnellflug nach unten fiel. Remus wich rasch aus.
 

„Nicht nötig!“ Er sah irgendwo an Black vorbei. „Wir machen das schon und du bist doch eh schon umgezogen!“
 

Er drehte sich um, in der Hoffnung, dass Black sich so leicht abwimmeln ließ. Und tatsächlich: Als er sich an der Tür noch einmal umdrehte, stellte er fest, dass Black immer noch oben war und ihm nicht hinterher geeilt kam. Erleichtert schloss er die Tür hinter sich und machte sich auf den Weg. Draußen war es inzwischen stockdunkel, doch Remus wusste, dass es nicht lange dauern würde, bis der Mond aufging und die Felder in weißes Licht tauchte, daher beeilte er sich.
 

Sein Vater kam ihm entgegen, er sah erschöpft aus. Remus sah ihm nur kurz in die Augen.
 

„Ich hol nur kurz den Autoschlüssel.“ Sein Vater verschwand im Haus.
 

Den Autoschlüssel. Den hätte er auch holen können, fiel Remus auf. Hoffentlich war Black wirklich schlafen gegangen. Er würde sich irgendeine Ausrede einfallen lassen müssen, dafür, dass er die ganze Nacht nicht in sein Zimmer zurückkehren würde. Aber das konnte warten. Sein Körper war vor Anspannung schon ganz steif.
 

„Dann mal los!“ Sein Vater war wieder da, lächelte ihn an. Remus wusste, dass er ihn aufmuntern wollte und lächelte zurück, doch ihm war schlecht dabei. Bald ist es vorbei, versuchte er sich einzureden, dann hast du es hinter dir.
 

Jedenfalls bis zum nächsten Vollmond.
 

Sie stiegen in das Auto und sein Vater fuhr los, durch das Waldstückchen, durch das er auch einige Tage zuvor gefahren war. Statt aber Richtung Stadt zu fahren, bog er irgendwann ab. Der Weg wurde holpriger und irgendwann hörte der Asphalt auf und machte dem Waldboden Platz. Remus wurde regelrecht durchgerüttelt und jedes Mal, wenn die Autoreifen über eine besonders dicke Baumwurzel fuhren, machte der Wagen einen Satz nach vorn.
 

Schließlich hielten sie an. Sein Vater stieg aus, lief einmal vorne um die Motorhaube herum und machte auch Remus die Tür auf.
 

„Morgen früh hol ich dich wieder ab.“ Eine Umarmung, ein Winken, dann drehte er sich wieder um und stieg ein. Wie vor zwei Tagen, als er ihn an der Bushaltestelle absetzte. Remus beobachtete, wie er losfuhr und das Auto ruckelnd hinter den dunklen Bäumen des Waldes verschwand.
 

Ihm war kalt. Trotzdem zog er seine Jacke aus, dann das T-Shirt, das er darunter trug, seine Schuhe, seine Hose und seine Unterwäsche, legte sie fein säuberlich gefaltet auf den Waldboden und suchte einen großen markanten Stock, den er in die feuchte Erde rammte, damit er seine Sachen später wiederfinden würde. Er hob seine Nase in die Luft, atmete tief ein. Kein Mensch weit und breit. Über den schwarzen Wipfeln der Bäume stieg langsam der Mond auf.
 

~~~~~*~~~~~
 

Remus wachte auf, als er das vertraute Rumpeln des Autos vernahm. Ohne sich zu regen blieb er liegen, die Augen nur einen Spalt breit geöffnet, und wartete, bis sein Vater bei ihm angekommen war. Als er sich bei Morgengrauen wieder zurückverwandelt hatte, hatte er es gerade so noch geschafft, den Platz, an dem seine Klamotten waren, wiederzufinden und sich seine Jacke über die Schultern zu legen, ehe er vor Erschöpfung eingeschlafen war.
 

Jetzt wurde ihm diese Jacke weggenommen, sogleich jedoch von einer warmen, kuscheligen Decke ersetzt. Remus protestierte nicht, als sein Vater ihn so verpackt auf den Arm nahm, sondern schloss die Augen und lehnte sich an ihn. Er spürte, wie er auf die Rücksitzbank gelegt wurde, wartete, bis sein Vater seine Sachen eingesammelt hatte und losfuhr. Erst dann erlaubte er es sich einzuschlafen.
 

~~~~~*~~~~~
 

„Guten Morgen! Na, endlich auch mal aufgewacht?“
 

Remus blinzelte verschlafen. Wer war das? Das war nicht die Stimme seines Vaters. Er fuhr sich durch die Haare, rieb sich die Augen und versuchte sich auf einem Arm aufzustützen, aber er war noch zu schwach dafür. Erst dann begann sein Gehirn zu arbeiten.
 

„Äh … guten Morgen ...“, nuschelte er, in Ermangelung einer besseren Antwort, und gähnte. Hoffentlich hatte Black noch geschlafen, als sein Vater ihn hierher zurückgebracht hatte.
 

Ein Blick in Blacks Gesicht belehrte ihn jedoch des Gegenteils.
 

„Wo warst du letzte Nacht?“ Seine Augen leuchteten vor Neugier.
 

„Äh ...“ Er sah ihm nicht in die Augen, während er ihm die Lügengeschichte erzählte, die er sich am Abend zuvor zurechtgelegt hatte. „Also … äh, ich hab dir gestern ja noch gesagt, dass ich kurz raus muss, meinem Vater helfen. Aber eigentlich haben wir was bei Bekannten vorbeigebracht. Und auf dem Rückweg ist unser Auto liegen geblieben. Hat eine Ewigkeit gedauert, bis wir wieder hier waren.“
 

„Und was habt ihr vorbeigebracht?“
 

„Äh ...“ Remus zögerte eine Sekunde zu lange. Black starrte ihn an.
 

„Ich hab dir schon einmal gesagt, dass du ein schlechter Lügner bist, Lupin.“
 

„Was? Aber-“
 

Black verdrehte die Augen.
 

„Du warst gestern weg, aber deinen Vater hab ich noch gesehen. Und heute früh ist er reingekommen, mit dir auf dem Arm. Also erzähl mir nicht so'n Quatsch.“ Er piekste ihn in die Seite, aber abgesehen davon sah er ihn vollkommen ernst an. „Du bist echt seltsam drauf, weißt du das? Machst aus allem ein Geheimnis.“ Er schnaubte, dann grinste er. „Aber das bekomm' ich schon noch heraus!“
 

Doch er ging nicht weiter darauf ein. So wie Remus ihn kannte, würde er jedoch früher oder später wieder darauf zurückkommen. Mit einem Blick auf die Uhr stellte er fest, dass es bereits Mittag war. Black würde noch misstrauischer werden, wenn er zu lange im Bett blieb, also versuchte er aufzustehen. Doch kaum hatte er sich aufgerichtet, hatte Black ihn auch schon wieder zurück gedrückt.
 

„Du bleibst schön hier!“
 

„Aber-“
 

„Nichts aber.“ Er deckte ihn wieder zu und verschränkte die Arme. „Ich weiß nicht was der Grund ist, aber du siehst krank aus, und Kranke sollten im Bett bleiben.“
 

Remus setzte zu einer Antwort an, schloss den Mund dann aber wieder. Black wollte, dass er liegen blieb? Wenn er aufstand, würde ihm das nur schaden, was sollte er ihm also widersprechen?
 

„Na gut, wenn du meinst ...“
 

Black sah ziemlich zufrieden aus, ein breites Grinsen stahl sich auf sein Gesicht.
 

„Gut!“ Er klatschte die Hände zusammen. „Was möchtest du zum Frühstück?“
 

~~~~~*~~~~~
 

Black ging in seiner sich selbst zugeschriebenen Mutterrolle regelrecht auf. Eine Viertelstunde, nachdem Remus seine 'Bestellung' aufgegeben hatte, war er mit einem Tablett ins Zimmer zurückgekehrt, hatte die Tür mit seinem Fuß (natürlich dem, in dem noch keine Glasscherbe gesteckt hatte) hinter sich zugedrückt und sich neben Remus auf die Bettkante gesetzt. Man sah dem Frühstück an, dass Black es nicht gewohnt war, so etwas zuzubereiten, doch abgesehen von dem leicht angebrannten Rührei schmeckte es dem ausgehungerten Remus richtig gut. Während er aß, schwieg Black die ganze Zeit.
 

Als er fertig war, nahm Black das Tablett wieder an sich und stand auf.
 

„Bin gleich wieder da! Und wehe, du stehst auf, okay?“ Er wedelte mit dem Finger, Remus musste grinsen.
 

„Ja, danke Mama.“
 

Black legte den Kopf schief.
 

„Was ist eigentlich mit ihr?“, fragte er plötzlich.
 

„Mit wem?“
 

„Mit deiner Mutter.“
 

Das Grinsen in Remus' Gesicht verschwand so schnell, wie es gekommen war. Black hakte nach.
 

„Ist dein Vater geschieden?“
 

Remus schüttelte den Kopf. „Nein. Meine Mutter ist tot.“
 

„Oh.“ Black wusste wohl nicht, was er sagen sollte. „Tut mir Leid.“
 

„Schon okay. Ist ja nicht deine Schuld.“ Remus sah zur Seite, irgendwo auf seine Bettdecke.
 

„Ich – äh, ich bring nur kurz das hier weg.“
 

Black verschwand. Remus hörte, wie er in der Küche herumwerkelte und abermals fragte er sich, wieso Black sich so um ihn kümmerte. All die Jahre, die er in Hogwarts verbracht hatte, in denen sie schon fast mehr Feinde als Freunde gewesen waren, hatte es niemanden interessiert, wie es ihm ging. Und Black war viel zu sehr mit seinen Weibergeschichten beschäftigt. Er hörte Schritte auf der Treppe und schloss die Augen.
 

Diesmal kam Black leiser ins Zimmer. Remus hörte, wie er vorsichtig die Tür hinter sich schloss und sich wieder seinem Bett näherte.
 

„Soll ich dich schlafen lassen?“
 

Remus öffnete ein Auge. „Weiß nicht, ob ich schlafen kann.“
 

„Versuch's einfach. Ich … schau mal, was ich mach.“ Remus schloss seine Augen wieder. Er versuchte wirklich einzuschlafen. Doch irgendwie konnte er nicht, während Black neben ihm auf dem Boden saß, in irgendetwas herumkramte oder in seinem Zimmer umher ging. Er war kurz davor ihm vorzuschlagen nach draußen zu gehen und die Gegend noch etwas zu erkunden, aber irgendetwas hielt ihn davon ab. Er öffnete die Augen und drehte den Kopf zur Seite.
 

Black hatte sich mit dem Rücken an sein Bett gelehnt und las scheinbar konzentriert in einem Buch. Als er genauer hinsah, erkannte er den Roman, in dem sie zusammen gelesen hatten. Wieso las Black so etwas? Kurz überlegte er, ob er ihm das Buch aus der Hand nehmen sollte, immerhin gewährte er ihm damit einen ziemlich tiefen Blick in seine Privatsphäre. Andererseits wollte er ihm auch keinen Anlass dafür geben, Potter davon zu erzählen.
 

Apropos Potter. Wieso war Black nicht bei ihm? Die beiden hätten in den Ferien sicherlich viel mehr Spaß zusammen gehabt, als hier in dieser Einöde. Und war es wirklich Zufall, dass Black gerade in der nahe gelegenen Stadt aufgetaucht war?
 

Natürlich konnte er bei der ganzen Grüblerei erst recht nicht einschlafen.
 

„Black.“ Remus hatte es aufgegeben und setzte sich nun vorsichtig auf. „Wenn du Langeweile hast, musst du das nicht lesen.“
 

„Und was soll ich dann tun?“ Black legte den Kopf in den Nacken und sah grinsend zu ihm herauf.
 

„Ähm … wir könnten Zaubererschach spielen oder so.“
 

„Wolltest du nicht schlafen?“
 

„Ja. Kann ich aber nicht. - Komm, gib das mal her.“ Er deutete auf das Buch. Er brauchte noch nicht einmal einen ganzen Satz zu lesen, um zu erkennen, mit was die zwei in der Geschichte gerade beschäftigt waren.
 

„Aha!“ Das Glitzern in Blacks Augen wurde stärker, und er grinste noch breiter. „Ist dir das etwa peinlich?“
 

„Quatsch! Ich will nur nicht, dass-“ Beinahe hätte er sich verplappert. Remus spürte, wie ihm die Röte in die Wangen schoss. „Gib's einfach her, okay?“
 

„Hm ...“ Black schien zu überlegen, während er das Buch mit ausgestrecktem Arm von ihm weghielt, damit Remus es sich nicht schnappen konnte. „Und was krieg ich dafür?“
 

„Gar nichts, Mann. Black! Jetzt-“ Er beugte sich vor und griff nach dem Buch, doch Black zog es nur noch weiter weg, Remus lehnte sich weiter vor und da passierte es: Er verlor das Gleichgewicht und fiel vornüber aus dem Bett, direkt auf Blacks Beine. Dieser hatte das Buch im selben Moment fallen gelassen. Remus hörte das dumpfe Geräusch, als es auf dem Boden aufkam und packte es endlich. Verärgert stellte er fest, dass ein paar Seiten verknickt waren, erst dann stützte er sich auf und wollte aufstehen, doch Black machte ihm einen Strich durch die Rechnung, indem er ihn festhielt.
 

Doch schon im nächsten Moment hatte er ihn losgelassen, als hätte er sich vergiftet, schob Remus dann doch mit spitzen Fingern von sich herunter, stand auf und sagte ohne ihn anzusehen:
 

„Oh Mann, mir ist so langweilig!“ Er seufzte und wandte sich der Tür zu. „Ich – äh … bin eine Weile draußen. Ruh du dich solange aus.“ Und ging.
 

Remus hing immer noch halb aus dem Bett.
 

~~~~~*~~~~~
 

Nachdem Black gegangen war, hatte Remus tatsächlich noch ein bisschen schlafen können, aber nicht lange. Als er zum zweiten Mal an diesem Tag aufwachte, griff er sich also das Buch, das Black in der Hand gehabt hatte und las. Wie er schon in der Buchhandlung vermutet hatte, war die Geschichte nichts Besonderes und eigentlich ging es nur um das Eine. Gekauft hatte er es sich nur, weil es im Angebot gewesen war. Deswegen war ihm auch bald das Lesen zu langweilig, und so legte er das Buch zur Seite, versuchte wieder zu schlafen, sah ein, dass es nicht funktionierte, drehte sich um, starrte an die Decke und ab und zu zur Tür. Black würde sicher bald wieder kommen.
 

Doch er kam nicht. Remus hatte nicht auf die Zeit geachtet, doch nachdem er gefühlte Stunden einfach nur im Bett gelegen und an die Decke gestarrt hatte, stand er schließlich auf. Seine Knochen schmerzten noch von der Verwandlung der vergangenen Nacht, doch er war es gewohnt und so war es nicht allzu schwierig, sich die Treppe hinunter zu bewegen.
 

Das Haus war verlassen. Nicht ungewöhnlich, wo sein Vater doch beinahe den ganzen Tag auf dem Feld verbracht hatte. Trotzdem fühlte er sich auf einmal unwohl in der leeren Küche, ganz so, als hätte er Black erwartet, der am Küchentisch sitzen und ein wenig mit ihm plaudern würde. Noch ein Blick aus dem Fenster, dann raffte er sich auf, zog sich seine Schuhe an und beschloss, Black suchen zu gehen.
 

Die Sonne stand hoch am Himmel, es war die heißeste Zeit des Tages. Remus wischte sich über die Stirn und sah über das angrenzende Feld, auf dem er seinen Vater entdeckte, der mit dem Traktor über die trockene Erde fuhr. Er kniff die Augen zusammen. Im gleichen Augenblick sah er, wie der Traktor ins Stocken geriet. Aus der Ferne hörte er nur leise den erschrockenen Ausruf seines Vaters, ehe das Gerät endgültig stehen blieb. Eilig machte Remus sich auf den Weg zu ihm.
 

„Was ist passiert?“, fragte er etwas außer Atem, als er angekommen war.
 

Sein Vater, der inzwischen abgestiegen war und irgendetwas am Traktor nachsah, blickte auf.
 

„Was machst du denn hier? Ab ins Bett!“ Er seufzte. „Na ja, du musst wissen, was besser für dich ist ...“
 

„Was ist passiert?“, fragte Remus noch einmal, diesmal besorgter. Bitter verzog sein Vater die Mundwinkel.
 

„Siehst du das?“ Er zeigte auf die Spur hinter sich, die der Traktor im Feld hinterlassen hatte. Bei genauerem Hinsehen erkannte Remus kleine, schwarze Tropfen, die langsam im Boden versickerten. „Muss wohl ein Loch im Benzinkanister gehabt haben.“
 

„Was?“ Remus stand der Mund offen. Sein Vater packte ihn an der Schulter, drehte ihn weg, in Richtung Haus.
 

„So, komm jetzt. Ich erledige das schon. Werd's schon irgendwie flicken.“
 

„Papa, du weißt, dass das nicht so einfach geht.“
 

„Ich krieg das schon irgendwie hin.“ Er schob ihn weiter.
 

„Papa ...“ Remus sah zu ihm hoch, dann umarmte er ihn kurz. „Tut mir Leid ...“ Sein Vater wuschelte ihm durch die Haare.
 

„Red nicht so einen Unsinn, Junge. So, und jetzt Abmarsch!“
 

Remus drehte sich um, aber nur, weil er schnell weg wollte.
 

Ihm fiel es noch schwerer, wieder zurück zu gehen, selbst das bisschen Kraft, das ihn eben noch dazu bewegt hatte herauszugehen, hatte ihn verlassen. Er wusste, dass sein Vater ihm nur keine Sorgen bereiten wollte. Aber das wollte er ja auch nicht! Und es war seine Schuld. Das war so klar, dass sie schon gar nicht mehr darüber zu reden brauchten.
 

~~~~~*~~~~~
 

Black kam erst spät zurück, als Remus schon lange im Bett war. Er tat so, als würde er schlafen, und so konnte er nur mit geschlossenen Augen hören, wie er ins Zimmer kam, sich umzog und unter die Bettdecke schlüpfte. Er fragte sich, wo er wohl den ganzen Tag gewesen war, traute sich aber nicht, ihn direkt darauf anzusprechen. Irgendwann war Blacks Atem zu einem ruhigen, gleichmäßigen Geräusch in der Stille des Zimmers geworden. Er war sicher noch sauer auf ihn, weil er etwas vor ihm verbarg. Aber das war kein Geheimnis, das zwei Freunde zusammenschweißte. Remus starrte an die Decke, auch wenn er im Dunkeln kaum etwas erkennen konnte.
 

Wäre er damals nicht so dumm gewesen, hätten Sirius und er vielleicht doch noch Freunde werden können.

Es gibt immer ein zweites Mal

Es gibt immer ein zweites Mal
 

Mitten in der Nacht wachte Remus auf. Er hatte irgendein Geräusch gehört, aber als er lauschte, konnte er nur Blacks Atem hören. Möglicherweise war irgendetwas draußen, irgendein Tier, das ums Haus schlich. Es würde sich nicht allzu lange aufhalten, da der Geruch eines viel gefährlicheren Tieres in der Luft lag. Er drehte sich wieder um und wickelte sich in die Decke ein. Auch wenn es heiß war, konnte er nicht ohne schlafen, er fühlte sich nackt, und der getrocknete Schweiß des Schlafes auf seiner Haut und Blacks Anwesenheit machten dieses Gefühl nicht besser.
 

Da. Wieder dieses Geräusch. Aber es kam nicht von draußen. Remus hielt die Luft an.
 

Neben ihm, unten auf dem Boden, wo Black auf einer Matratze lag, erklang es wieder. Blacks Atem war stockend, nicht ruhig wie bei Schlafenden.
 

„Bist du wach?“ Remus flüsterte nur, für den Fall, dass er doch schlief.
 

Keine Antwort. Aber das Geräusch des Ein- und Ausatmens war für einen Moment unterbrochen worden, ehe Black wieder vollkommen ruhig weiteratmete. Betont ruhig.
 

Wieso konnte er nicht schlafen? Oder was war das Problem?
 

Nach ein paar Minuten öffnete Remus die Augen wieder, drehte sich auf den Rücken und starrte an die Decke. Seit dem letzten Tag war Black noch seltsamer als vorher. Er verstand ihn nicht. Suchte erst seine Nähe – ausgerechnet seine! - und ging dann wieder auf Distanz.
 

Remus hatte das Gefühl, als hätte er irgendetwas übersehen, aber ihm fiel partout nicht ein, was.
 

„Schlaf endlich, Black.“
 

Er wusste selbst nicht, warum er das gesagt hatte.
 

Geraschel, Black drehte sich um.
 

„Das musst du gerade sagen.“ Was war das für ein Ton, der in seiner Stimme mitschwang?
 

„Zufälligerweise habe ich bis gerade eben geschlafen.“ Stille. Black sagte nichts mehr. Remus kämpfte einen Augenblick mit sich selbst, ehe er fragte: „Kannst du nicht einschlafen?“
 

Sekunden verstrichen, ehe er eine Antwort erhielt.
 

„Geht schon. Ich … muss nur nachdenken.“
 

„Worüber?“
 

Die Worte kamen schneller über seine Lippen, als er wollte. Er wollte doch gar nicht wissen, über was Black nachdachte. Was konnte das auch besondereres sein, als die Planung für seinen nächsten Streich oder welches Mädchen er als nächstes flachlegen würde?
 

„Kann ich dir nicht sagen.“
 

„Dann eben nicht.“
 

Remus versuchte wieder einzuschlafen, aber er kam nur bis zum Augenschließen. Neben ihm raschelte es noch mehr, und als er die Augen wieder öffnete, hatte Black sich neben seinem Bett hingekniet und starrte ihn an.
 

„Was ist?“
 

Black sah zur Seite. Seine Haare verschmolzen mit der Dunkelheit, aber Remus konnte ihn dank seiner geschärften Sinne dennoch erkennen. Black richtete seinen Blick wieder auf ihn, und Remus musste unwillkürlich schlucken.
 

„Das heute tut mir Leid.“ Er kam ihm näher. „Du magst es nicht, wenn ich dich aufziehe, oder?“
 

Remus rang um eine Antwort, aber in seinem Kopf waren Nebelschwaden, die er auf seine Müdigkeit schob. Black war einfach viel zu nah.
 

„Ähm … das ist nicht so schlimm, das bin ich ja gewohnt. Ich … mag es nur nicht, wenn jemand in meinen Büchern liest.“
 

„Ist es dir peinlich?“
 

„Quatsch … ich mag es nur nicht, wenn jemand zu sehr in meinen Sachen rumkramt!“
 

Das Grab hatte er sich selbst geschaufelt. Er hatte zwar etwas vollkommen anderes gemeint, aber er mochte es wirklich nicht, wenn man seine Sachen durchwühlte, sich Dinge in seinem Zimmer ansah und dadurch vielleicht auf etwas stieß, das ihn verraten könnte. Remus wusste nicht, was das überhaupt sein könnte, dennoch hatte er eine geradezu panische Abneigung dazu. Und doch hatte er sich nun selbst verraten.
 

Die entschuldigende Miene, die Black aufgesetzt hatte, war einer nachdenklichen, ernsten gewichen. Black war vielleicht nicht sonderlich empathisch, dafür aber verdammt spitzfindig und vor allem stur.
 

„Lupin … du bist nicht besonders beliebt im Dorf, hab ich Recht?“
 

Remus sah zur Seite. Schweigen war Gold.
 

„Als wir draußen waren, kamen uns doch diese Leute entgegen. Und sie hatten einen Hund dabei, erinnerst du dich? Der hat regelrecht den Schwanz vor dir eingezogen.“
 

Remus ballte die Hände zu Fäusten, er sollte aufhören nachzubohren!
 

„Als ich hierhin zurückgekommen bin, saß dein Vater am Tisch. Er sah ziemlich fertig aus.“
 

„Jetzt lass mich endlich damit in Ruhe, es geht dich nichts an!“
 

Er wollte aufstehen, es war zwar mitten in der Nacht und er wusste nicht wohin, aber in diesem Raum, allein mit Sirius Black, konnte er nicht bleiben.
 

Doch Black streckte den Arm aus, packte ihn am Handgelenk und zog ihn wieder zurück. Remus wehrte sich, aber Black als Quidditchspieler war viel stärker als er mit seinem schwachen Körper. Er drückte ihn auf seine eigene Matratze, die noch warm und klamm war.
 

„Mir war schon vorher klar, dass du nicht sonderlich gesprächig bist. Aber bevor wir uns hier getroffen haben, dachte ich, das läge einfach nur an deinem Charakter. Aber es ist etwas anderes, hab ich Recht?“
 

Sein Blick war so intensiv, als wollte er damit die Wahrheit aus ihm herauszwingen. Remus wehrte sich immer noch, drückte seine Handgelenke gegen den starren Griff, doch Blacks Hände wichen kein Stück, seine Beine lagen nutzlos auf der Matratze, nicht fähig, einen Treffer auf ihm zu landen.
 

„Lupin, bitte.“ Remus fiel auf, dass das schon das zweite Mal war, dass er 'bitte' zu ihm sagte. Nur diesmal nicht mit Hundeaugen und auf einem Bein hüpfend, sondern als sei es ihm wirklich ernst.
 

Aber Sirius Black war noch nie etwas wirklich ernst gewesen.
 

„Wieso bist du nicht zu Potter gegangen? Wieso zu mir?“
 

„Das habe ich dir doch schonmal gesagt. Weil ich dich sehen wollte. Schließlich sind wir Freunde.“
 

„Red doch nicht so einen Unsinn!“ Remus trat noch einmal, traf Black an der Hüfte, was jedoch kaum eine Wirkung hatte. „Das hast du einfach so beschlossen!“, zischte er, sie wussten beide, dass sein Vater nur ein Stockwerk weiter unten schlief.
 

„Ach, stör ich dich etwa? Du hast mir doch selbst angeboten zu bleiben!“
 

„Als hätte es für dich einen Unterschied gemacht, wenn ich Nein gesagt hätte!“
 

„Hätte es auch nicht, weil ich bei dir bleiben will.“
 

Remus stockte. Das hörte sich irgendwie anders an. Aber das war Black, der über ihm kniete. Black, der Mädchenaufreißer, der nach einer erfolgreichen Nacht seiner Liste einen weiteren Namen zufügte und das betroffene Mädchen fortan links liegen ließ. Remus hatte ein ungutes Gefühl. Es wurde Zeit, Black klar zu machen, dass er nichts mit ihm zu tun haben wollte, nichts mit ihm zu tun haben konnte.
 

„Jetzt hör schon auf mit diesem dummen 'Wir-sind-Freunde'-Getue! Wir sind keine Freunde, geht das nicht in deinen Kopf?“
 

„Achja?“ Black schien wirklich sauer zu sein, sein Griff war nun so fest, dass es schmerzhaft war, aber Remus war weitaus größere Schmerzen gewohnt. „Warum willst du dann wissen, worüber ich nachdenke? Ich seh doch, dass du dich zu etwas zwingst, das du eigentlich gar nicht willst! Willst du dich solange vor mir verstecken, bis wir wieder in Hogwarts sind und dich dann wieder hinter deinen Büchern vergraben? Immer bist du allein, du kannst mir nicht erzählen, dass dir das gefällt!“ Seine Stimme überschlug sich fast, dann nahm er Remus' Arm und hob ihn in das Licht des noch fast vollen Mondes. „Und was ist das hier? Diese Narben!“
 

„Das geht dich nichts an!“ Er entriss ihm seinen Arm, wollte weg, dieses Mal noch stärker als zuvor, doch Black hinderte ihn daran. Warum wühlte er bloß so sehr?
 

„Hör zu, Lupin. – Remus.“ So ernst hatte er ihn noch nie angesehen. Remus konnte nicht anders, als den Blick zu erwidern. „Egal was du bist, das ändert nichts daran, dass ich dich mag.“
 

Und damit ließ er ihn los.
 

~~~~~*~~~~~
 

Egal was du bist, das ändert nichts daran, dass ich dich mag.
 

Dieser Satz löste eine Verwirrung in Remus aus, die ihn den ganzen nächsten Tag nicht losließ. Black und er gingen sich nicht wirklich aus dem Weg, aber sie sprachen auch nicht miteinander. Nicht wirklich, denn der Inhalt ihrer Sätze erstreckte sich nicht über viel mehr als „Kannst du mir mal die Marmelade reichen? - Danke.“ Normalerweise war so etwas für Remus kein Problem. Schließlich hatte er damit einen Großteil seiner Kindheit und die letzten sechs Jahre in Hogwarts verbracht, höflich zu den Lehrern, freundlich, aber distanziert zu seinen Mitschülern. Als er Black in der Stadt getroffen und ihm vorgeschlagen hatte, ihn für die Sommerferien bei sich aufzunehmen, hatte er seine eigene Mauer eingerissen.
 

Doch die Realität hatte ihn eingeholt.
 

Ob Black nun wusste oder nicht, was er war, darüber war sich Remus nicht im Klaren. Es hatte so geklungen, ja, aber er würde den Teufel tun und ihn direkt darauf ansprechen. Seltsamerweise schockte es ihn gar nicht so sehr, dass Black eventuell hinter sein Geheimnis gekommen sein könnte. Seine Angst lag eher darin, dass er es jemand anderem erzählen könnte. Déjà-vu. Black hatte seinen Freunden auch nicht von Remus' peinlicher Lektüre erzählt.
 

Aber das war etwas vollkommen anderes!
 

Und da gab es noch etwas, dass ihn seit dem frühen Morgen beschäftigte, etwas, womit er bisher noch keine Erfahrungen gemacht hatte. Black mochte ihn? Und seltsamerweise löste das Assoziationen in Remus aus, die er lieber ganz schnell aus seinem Kopf verbannte. Er sollte sich zukünftig doch Bücher mit mehr Niveau kaufen.
 

Apropos Buch. Remus bemerkte gerade, dass er schon eine ganze Weile keine Buchseite mehr umgeschlagen hatte. Und woran lag das? Richtig. An Sirius Black, der auf dem Baum hockte, an dessen Stamm er lehnte.
 

Jedes Mal, wenn dieser sich bewegte und dabei einen anderen Ast zum Festhalten ergriff, rieselten mehr Blätter auf Remus herab. Kaum hatte er eines von seinem Buch hinunter gewischt, folgte auch schon das nächste, ganz so, als wollte Black ihn ärgern.
 

„Entweder du kommst vom Baum runter oder du hörst auf ständig rumzuzappeln.“, murmelte Remus, mehr zu sich selbst als an Black gerichtet.
 

Blacks Gesicht erschien so plötzlich vor seinem, dass er beinahe das Buch aus seinem Schoß hätte fallen lassen.
 

„Aber mir ist so langweilig!“, nörgelte er, kopfüber an dem dicken Ast hängend, auf dem er eben noch gesessen hatte.
 

„Kannst ja wieder schwimmen gehen.“ Angestrengt starrte Remus auf das Buch, auch wenn einige von Blacks langen schwarzen Haaren ihm die Sicht versperrten.
 

„Kommst du mit?“
 

„Ich geh nicht gern schwimmen.“
 

„Warum?“
 

„Darum.“
 

„Das ist keine Antwort.“
 

Remus stöhnte genervt und sah zu ihm auf.
 

„Es ist einfach so. Du magst auch keine Geschichte der Zauberei. Jeder hat Dinge, die er mag oder nicht mag.“
 

„Geschichte der Zauberei ist auch öde!“ Black verschränkte die Arme und pendelte ein wenig mit den Beinen. Remus konnte nur hoffen, dass er das nicht zu sehr tat, schließlich hing er nur mit den Kniekehlen am Ast. „Was magst du denn?“
 

„Lesen.“
 

„Pah!“ Black schwang die Beine heftiger. „Und sonst?“
 

Remus zuckte mit den Schultern.
 

„Mensch, Lupin, jetzt sei doch nicht so!“
 

Mit einem Satz sprang Black vom Baum runter, Remus zuckte zusammen, einen Augenblick lang befürchtend, er könnte mit ihm zusammenprallen, doch er kam sicher vor ihm zum Stehen. Angeber, dachte Remus.
 

Black hockte sich direkt vor ihn.
 

„Komm schon. Eine Runde mit mir durch den See, dann lass ich dich auch für den Rest des Sommers damit in Ruhe. Okay?“
 

„Nein.“
 

„Kann man es dir überhaupt mal recht machen?“ Blacks Gesicht verdüsterte sich. „Okay, es geht wohl nicht anders.“
 

Und dann tat er etwas, womit Remus nun gar nicht gerechnet hatte: Er hob ihn hoch.
 

Vor Schreck ließ er das Buch fallen.
 

„Hey, was soll das denn?“
 

„Genau das, wonach es aussieht.“ Black grinste ihn an, doch seine Entschlossenheit war nicht zu übersehen. „Wir gehen jetzt schwimmen.“
 

„Was? Nein!“ Remus wehrte sich mit Händen und Füßen, doch wie er schon in der Nacht zuvor festgestellt hatte, war er kein Gegner für ihn. Trotzdem wehrte er sich. Black schwankte ein bisschen, ging aber weiter. Sie näherten sich einer kurzen Biegung des angrenzenden Waldstücks, hinter der der See lag. „Du kannst mich nicht bis zum See tragen!“
 

„Und wie ich das kann.“
 

„Black!“ Remus hämmerte mit den Fäusten gegen Blacks Brust, versuchte ihn zu treten, doch seine Füße wurden einfach festgehalten. „Lass mich sofort runter!“
 

Black grummelte.
 

„Also schön!“
 

Er ließ ihn herunter, ließ ihn beinahe fallen, Remus schwankte, dann wurde er am Kragen gepackt und gegen den nächstbesten Baum gedonnert. Black stand genau vor ihm, er grinste nicht mehr.
 

„Was bei Merlins Eiern ist mit dir los? Was ist denn bitte so schlimm daran, schwimmen zu gehen? So spannend kann dein Buch wohl nicht sein, wenn du schon über eine halbe Stunde keine einzige Seite darin umgeblättert hast!“
 

Remus schwieg mit gesenktem Kopf.
 

„Hasst du mich so sehr, dass du auf jede Art versuchst, mich loszuwerden? Oder bist du wirklich so ein Langweiler, wie du immer vorgibst zu sein?“ Er drückte ihn stärker gegen den Baumstamm. „Antworte mir!“
 

Remus murmelte etwas Unverständliches.
 

„Was?“ Black senkte seinen Kopf zu Remus'. „Sag's nochmal.“
 

Remus schlang die Arme um seinem Körper, er sah immer noch nicht auf. Seine Stimme war ganz leise, aber klar, als er antwortete:
 

„Ich kann nicht schwimmen.“
 

~~~~~*~~~~~
 

„Ich halte das für keine gute Idee.“
 

Am Ufer des Sees zögerte Remus. Sowohl er als auch Black waren bis auf die Shorts ausgezogen, Black war schon bis zu den Knien im Wasser und drehte sich nun zu ihm herum.
 

„Jetzt hab dich nicht so! Hier ist es noch lange nicht tief und ich pass auch auf!“
 

Als er erfahren hatte, dass Remus nicht schwimmen konnte, war Black sofort Feuer und Flamme gewesen und hatte den Plan gefasst, es ihm beizubringen. Remus wusste allerdings nicht so genau, warum er sich überhaupt darauf eingelassen hatte. Er wusste doch, dass er nie schwimmen lernen können würde.
 

„Komm schon, Lupin.“ Black stapfte durch das Wasser auf ihn zu und streckte ihm seine Hand entgegen. Remus zögerte. Wenn er nur so tief ging, wie er stehen konnte, konnte doch eigentlich nichts passieren, oder? Mit einem mulmigen Gefühl in der Bauchgegend nahm er die ihm angebotene Hand an und machte ein paar Schritte vorwärts, tiefer in das klare Wasser hinein. Er konnte allerdings nicht umhin, den Blick gesenkt zu halten und zu versuchen, mit der freien Hand seinen Körper zu bedecken. Natürlich brachte das nichts, Black konnte seine Narben auch so sehen und dass es sie gab, wusste er doch auch schon längst.
 

„Also“, Black sah ihn mit ernstem Blick an, der wohl einen Lehrer imitieren sollte, „das geht so, die Arme ausstrecken, und dann musst du die so bewegen.“ Er ahmte eine Schwimmbewegung nach. In der Luft sah das ziemlich ulkig aus und Remus erwischte sich bei einem kleinen Grinsen.
 

„Die Theorie kenne ich doch.“
 

Black ließ die Arme sinken.
 

„Ach so?“ Er grinste breit. „Dann können wir ja gleich anfangen!“ Und schmiss sich mit vollem Elan in das Wasser. Remus ließ sich auf die Knie sinken, sodass ihm die Wellen bis zur Brust schwappten. Er kam sich ziemlich dumm dabei vor, aber um Blacks Absichten Genüge zu tun, begann er lustlos die Arme durch das Wasser zu ziehen. Die Bewegung kam ihm ungewöhnlich vor, geradezu unnatürlich.
 

„Na geht doch!“ Black schaute ihn an, ein Lächeln auf den Lippen. „Und jetzt das Gleiche mit den Beinen.“
 

„Aber dann geh ich doch unter!“
 

„Nein, dann schwimmst du.“
 

„Ich kann nicht schwimmen.“
 

Black verdrehte die Augen. „Okay, dann machen wir das eben wie mit Kindern. Komm her.“
 

Remus wünschte sich, er hätte nichts gesagt, denn im nächsten Moment hatte Black ihn auch schon gepackt, sodass er das mühsam auf den Knien gehaltene Gleichgewicht verlor, und fasste ihn mit zwei Händen unter den Bauch.
 

„Was tust du da?“ Remus' Gesicht flammte auf.
 

„Siehst du doch, ich halte dich fest. Jetzt kannst du nicht mehr untergehen.“ Seine Stimme hörte sich nicht so fest an wie sonst. Black beugte sich etwas tiefer zu ihm herunter und verlagerte sein Gewicht im Sand. Remus konnte sehen, wie sich seine Zehen in den feinkörnigen Kies krallten. Er sah zu ihm hoch. Dieser lächelte ihn an. „Komm, schwimm.“
 

Und tatsächlich, auch wenn es Remus peinlich wie noch nichts anderes in seinem Leben war, er hatte zum ersten Mal in seinem Leben das Gefühl, wirklich zu schwimmen. Er führte die Bewegungen aus, ließ seine Arme durch das Wasser gleiten, paddelte mit den Beinen und ging nicht unter. Er wusste, dass das nur deswegen war, dass Black ihn hielt, doch für einen Moment wollte er nicht daran denken.
 

Und dann wurde er urplötzlich losgelassen.
 

Er spürte, wie die Berührung an seinem Bauch verschwand, stockte in seinen Bewegungen und sah Wasser über sich schwappen, schnappte instinktiv nach Luft, schluckte aber nur Wasser. Panik wallte in ihm auf, seine Beine traten wild durch das Wasser. Im gleichen Moment, wo seine Füße den Boden wiederfanden, spürte er zwei Arme, die sich um seinen Oberkörper legten und ihn hochzogen.
 

Hustend und mit tränenden Augen schnappte er nach Luft, im nächsten Moment holte er zum Schlag aus. Natürlich wurde seine Hand abgefangen.
 

„Du Idiot!“ Er wirbelte herum, wand sich aus seinen Armen. „Wieso hast du mich losgelassen?“
 

Black antwortete nicht direkt, sondern verstärkte den Griff um sein Handgelenk und zog ihn dann näher.
 

„Wenn ich dich nicht loslasse, wirst du nie schwimmen lernen.“, meinte er.
 

Remus starrte ihn mit tropfnassen Haaren an. Er wusste nicht, ob ihm zum Schreien oder zum Heulen zumute sein sollte.
 

„Ich werde eh nie schwimmen lernen.“
 

Er entzog sich seinem Griff und ging an ihm vorbei. Er würde froh sein, wenn er wieder in trockenen Klamotten war. Black rief ihm nach und natürlich kam er ihm hinterher. Was hatte er auch anderes erwartet, etwa, dass er endlich aufgeben und ihn in Ruhe lassen würde?
 

„Lupin, es tut mir Leid!“ Black hatte ihn eingeholt und umrundet und schaute ihn mit großen Hundeaugen an. Doch dieses Mal würde das nicht bei ihm wirken. Er schob sich ein zweites Mal an ihm vorbei und ging zu seinen Sachen, die er in einem ordentlichen Stapel ein paar Meter vor Ufer entfernt hingelegt hatte.
 

„Lupin!“ Er hörte, wie Black ihm hinterher gestapft kam, aber was danach kam, damit hatte er nicht gerechnet.
 

Bevor er sich zu seinen Sachen hinunterbeugen konnte, wurde er an der Schulter gepackt und herumgewirbelt, ein Arm schlang sich um ihn und drückte ihn näher. Remus schoss das Blut ins Gesicht, als er spürte, wo sich ihre Körper berührten.
 

Black beugte sich doch tatsächlich vor. Seine Augen geschlossen. Remus hatte sich so etwas oft vorgestellt, aber nicht so. Der Druck in seinem Rücken verstärkte sich noch mehr und er hatte das Gefühl, gar nicht alles auf einmal aufnehmen zu können, seine Augen weiteten sich, als er begriff.
 

Er verlor seinen zweiten Kuss an ihn.
 

Irgendwann löste Black sich von ihm und umarmte ihn fester. Remus hatte die Augen geschlossen. Selbst wenn er sie offen gehabt hätte, glaubte er nicht, noch irgendetwas damit wahrnehmen zu können. Seltsamerweise verspürte er nicht mehr den geringsten Willen, sich von ihm loszureißen, ihm Sachen an den Kopf zu werfen – ob nun verbal oder materiell – oder überhaupt irgendetwas zu denken. Beim ersten Mal war es nur ein Spiel gewesen, aber das hier meinte Black ernst. Ein seltsam unerwartetes Glücksgefühl breitete sich in ihm aus.
 

Langsam lehnte er sich gegen ihn.
 

Blacks Hand strich ihm über den Rücken, fuhr dabei wie zufällig über eine seiner vielen Narben. Atem an seinem Ohr, Black flüsterte:
 

„Mein kleiner Werwolf.“

Versuch

Versuch
 

„Mein kleiner Werwolf.“
 

Remus‘ Herz blieb stehen, einfach so. Ein kurzer Ruck, als würde es in zwei geteilt, dann riss er sich los. Die Wärme, die sich zwischen ihren Körpern ausgebreitet hatte, verschwand so schnell wie sie gekommen war. Er starrte ihn an. Starrte in Blacks schwarze Augen, die ihn mit diesem Wissen konfrontierten.
 

„Ich …“
 

Er sprach den Satz nie zu Ende.
 

Remus drehte sich auf dem Absatz um, spürte den heißen Sand, der sich zwischen seine nassen Zehen grub, und rannte weg.
 

Black folgte ihm nicht. Remus wusste nicht warum, und es war ihm auch herzlich egal. Er wollte ihn nie wieder sehen.
 

Im Schatten seines Lieblingsbaumes blieb er stehen, holte Luft, die ihm plötzlich so heiß und feucht erschien, dass er zu ersticken glaubte. Es gab kein Entkommen, das wusste er. Black wusste Bescheid, und bald würde es die ganze Schule wissen. Das bisschen Vertrauen, das er ihm entgegengebracht hatte, war falsch gewesen. Er war selbst Schuld. Was hatte er sich auch darauf eingelassen? Seine Finger krallten sich in die Rinde des alten Baumes, bis es wehtat.
 

War er einfach zu unvorsichtig gewesen? Hatte er einen Fehler gemacht, der Black gezeigt hatte, was er wirklich war? Doch der einzige Fehler, den er gemacht hatte, war auf Black einzugehen.
 

Seine Finger glitten an der rauen Rinde hinunter und langsam lehnte er den Kopf dagegen.
 

Er war auf einmal so müde.
 

~~~~~*~~~~~
 

Irgendwann war Remus es Leid unter dem Baum zu sitzen. Er fragte sich, was er nun machen sollte. Einfach nach Hause gehen? Früher oder später würde Black auch dort auftauchen – oder vielleicht war er schon längst da. Remus konnte ihn einfach nicht sehen. Es nutzte nichts, ob er da war oder nicht, er war auf jede Weise verloren.
 

Etwas stimmte nicht. Remus hielt inne und starrte auf das Rapsfeld. Was war da falsch an seinen Gedankengängen?
 

Langsam wanderte seine Hand hinauf zu seinem Gesicht, bis er, ganz vorsichtig, mit zwei Fingern seine Lippen berührte. Er hatte ihn geküsst. Zweimal. Wozu war das gewesen?
 

Etwa als Entschuldigung? Black hatte schon immer etwas hundeartiges an sich gehabt, das ihn große Augen machen ließ, mit denen er einen gnadenlos von unten ansehen konnte. Aber das war es nicht. Die Art, wie er sich an ihn gepresst hatte – und die Art, wie er selbst erwidert hatte – Remus schoss die Röte ins Gesicht und auf einmal fühlte sich sein Körper schwerer an als sonst.
 

Nein, er konnte definitiv nicht zurückgehen.
 

~~~~~*~~~~~
 

Er kam sich so dumm vor.
 

Den Baumstamm im Rücken, die Knie angezogen und den Kopf auf selbige gelegt: So saß er schon seit Stunden. Die Sonne begann bereits unterzugehen, Remus sah ihr schweigend zu. Er wollte nicht nach Hause, aber genauso wenig wollte er abhauen. Er war zu vernünftig, um so etwas auch nur in Erwägung zu ziehen. Und so war er seit Stunden unschlüssig darüber, was zu tun war. Er hatte schon überlegt, Black mit einem Vergessenszauber zu belegen, doch es gab verschiedene Gründe, warum er das nicht tun konnte. Er würde sich schrecklich fühlen, ihm so etwas anzutun, wo er doch noch selbst an der ganzen Misere schuld war. Und außerdem wusste er nicht, wie lange Black dieses Wissen schon mit sich herumtrug.
 

„Wusste ich doch, dass du hier bist.“
 

Er schrak hoch, glaubte für einen Moment es sei Black, doch es war nur sein Vater. Die Sorge stand in seinem Gesicht nur zu deutlich geschrieben. Er hockte sich vor ihn hin.
 

„Was ist los? Es ist schon spät. Du kommst doch sonst immer Heim, bevor es dunkel wird.“ Sein Vater hob sein Kinn ein wenig an, damit er ihm in die Augen sehen konnte. „Black stand auf einmal völlig aufgelöst in der Tür. Ist irgendetwas zwischen euch vorgefallen?“ Remus schüttelte den Kopf. „Weißt du, du kannst mir alles sagen, alles was du willst. Aber vielleicht ist es besser, ihr macht das unter euch aus.“
 

Damit wollte er ihn hochziehen.
 

„Nein!“
 

Überrascht sah sein Vater ihn an. Remus wich seinem Blick aus.
 

„Ich meine … ja. Okay.“
 

Alles in ihm sträubte sich dagegen, aber er wusste nicht, was er tun sollte. Auf dem Nachhauseweg murmelte er ganz leise, sodass sein Vater es wohl nicht gehört hatte:
 

„Es tut mir Leid.“
 

~~~~~*~~~~~
 

Im Haus war es kalt. Normalerweise liebte Remus es, sich dort in diesen heißen Sommertagen abzukühlen. Dieses Mal fröstelte er jedoch. Sein besorgter Blick glitt die Treppe hoch. Dort oben musste Black sein. Er wollte sich ihm noch nicht stellen.
 

„Jetzt geh schon.“ Sein Vater drückte ihn sanft nach vorne.
 

„Aber Papa“, Remus senkte schuldbewusst den Kopf, „er weiß …“
 

Sein Vater schüttelte nur den Kopf.
 

„Was auch immer passiert ist, er ist hierher zurückgekommen, oder? Und als ich ihn gesehen habe, sah er nicht wütend aus, eher … verzweifelt.“ Er legte Remus die Hand auf die Schulter, lächelte ihn an. „Er will sich sicher entschuldigen. Bewahre einen kühlen Kopf, dann wird schon alles gut.“
 

Einen kühlen Kopf bewahren? Black hatte sein größtes Geheimnis herausgefunden. Wie sollte er da ruhig bleiben? Trotz allem wusste er, dass kein Weg daran vorbei führte. Jeder Schritt, den er tat, kam ihm vor wie eine Meile.
 

Oben angekommen fand er seine Tür nur halb geschlossen vor, ein Spalt war offen geblieben, aus dem ein Streifen helles Licht aus dem Zimmer in den dunklen Gang fiel. Remus schluckte und öffnete dann zaghaft die Tür.
 

Was hatte er erwartet? Dass Black sich sofort auf ihn stürzen würde, oder dass er es bei seinem Anblick mit der Angst zu tun bekam und aus dem Fenster sprang? Natürlich nicht, sonst würde er nicht hier warten und ihn aus großen Augen anstarren.
 

Es war Remus‘ Verstand, der das dachte. Der Rest von ihm wollte sich am liebsten auf dem Absatz herumdrehen und wegrennen.
 

„Remus.“ Vorsichtig, als wäre Remus ein Tier, das man nicht verschrecken durfte, erhob sich Black von seinem Platz auf seiner Matratze, kam aber nicht auf ihn zu. Remus ballte die Fäuste, als einziges Äquivalent, dass ihm gegen das Wegrennen einfiel. Er versuchte, in Blacks Augen zu lesen – war da Angst? Oder Abscheu?
 

„Es tut mir Leid.“
 

Black sah ihn immer noch an, mit diesen dunklen Augen. Remus war verwirrt.
 

„… Leid? Wieso?“
 

„Ich habe dich wohl erschreckt.“ Einer von Blacks Mundwinkeln zuckte, ein kurzes Anzeichen eines Lächelns. Dann senkte er den Blick, besah sich Remus‘ Zimmer, sah nach draußen, sah ihn nur nicht direkt an. „Dabei wusste ich es schon lange. Nein.“ Er seufzte. „Das ist auch wieder nicht wahr. Sagen wir, ich habe es geahnt. Aber erst, als dein Vater dich in dieser Nacht wiederbrachte, wurde es mir klar. Es war offensichtlich.“
 

„Offen…sichtlich?“ Remus ließ das Wort auf seiner Zunge zerfließen, kaum fähig weiterzusprechen. „Wirst du Potter davon erzählen?“
 

„Nicht, wenn du es nicht willst.“ Black drehte den Kopf, sah ihm direkt in die Augen und biss sich auf die Lippe.
 

Remus wandte sich ab, auf einmal ein seltsames Kribbeln spürend. Er merkte, wie Black näherkam.
 

„Was soll das Ganze?“ Das Zittern, das er versucht hatte zu unterdrücken, gewann nun die Oberhand. Es war einfach zu viel für ihn. „Warum tust du das alles? Willst mein Freund sein, läufst mir sogar bis nach Hause nach und …“ Er brach ab, errötend.
 

Black schwieg. Remus wusste auch nicht, was er hören wollte. Es war eine dieser Situationen, in die man sich irgendwie hineinmanövriert hatte und nicht mehr heraus kam. Eine dieser Situationen, von denen er hoffte, dass sie möglichst schnell vorbei sein würden, damit er einfach wieder so weiterleben konnte wie bisher.
 

Aber dieser Tag hatte alles verändert. Noch nie hatte jemand sein Geheimnis erfahren. Es würde nie mehr so werden wie bisher.
 

Plötzlich schlangen sich von hinten zwei braun gebrannte Arme um ihn herum. Er stieß einen erschrockenen Laut aus, doch Black zog ihn ohne Umschweife an sich und vergrub sein Gesicht zwischen Remus‘ Schulterblättern.
 

„Black! Was – was tust du da?“
 

Und dann erinnerte er sich – nicht, dass er sich vorher nicht erinnert hatte, aber die Tatsache, dass Black von seiner Krankheit wusste, hatte es ihn einfach verdrängen lassen – er erinnerte sich, was Black unten am See getan hatte. Er wusste noch genau, wie es sich angefühlt hatte. Und jetzt diese Berührung. Er konnte ihn so deutlich spüren. Seinen ganzen Mut zusammennehmend, fragte er es nochmal.
 

„Was tust du, Black?“
 

Black stieß ein kleines Lachen aus. Er spürte, wie es zwischen seinen Schulterblättern vibrierte.
 

„Du bist vielleicht unerfahren, aber das kannst du dir doch auch selbst beantworten.“
 

„Du weißt genau was ich meine!“ Remus versuchte sich aus der Umarmung zu befreien, doch Black ließ nicht los. „Okay, dann anders. Warum tust du das?“
 

„Hmm … weil ich dich liebe?“
 

Gut, das brachte Remus schon für einen Augenblick außer Fassung. Dann erinnerte er sich, wen er hier vor sich – hinter sich – hatte.
 

„Sagt derjenige, der eine Strichliste über seine Verflossenen führt. Hör auf mit diesen Spielchen!“
 

„Ich meine es ernst.“
 

„Du hast doch noch nie etwas ernst gemeint!“ Er riss sich los, doch Black schnappte seinen Arm und zog ihn wieder zu sich, ohne ihn jedoch wieder in eine Umarmung zu ziehen.
 

„Dann ist es eben das erste Mal.“
 

Remus realisierte sofort, was er im Begriff war zu tun – ihn zu küssen, das dritte Mal. Er wollte sich wieder losreißen, doch Blacks Griff war eisern. Wut und Verzweiflung stiegen in ihm hoch und er tat das Einzige, was ihm in diesem Moment einfiel.
 

Der Knall einer schallenden Ohrfeige hallte durch das Zimmer.
 

Binnen weniger Sekunden war Remus zur Tür zurückgestolpert, vor Aufregung ging sein Atem ganz schnell. Black hielt sich die linke Wange, mit einem Ausdruck ungläubiger Verblüffung auf dem Gesicht. Dann grinste er.
 

„Bin beeindruckt. Das hat sich noch nie eine bei mir getraut.“
 

Remus keuchte. „Weil ich kein Mädchen bin. Geht das in deinen Dickschädel rein, Black? Ich weiß nicht, ob du blind bist oder so, aber ich bin kein Mädchen!“ Die letzten Worte schrie er geradezu heraus.
 

„Das weiß ich.“ Black ließ seine Wange wieder los, auf der sich ein roter Fleck auszubreiten begann. „Aber ich wollte es trotzdem tun.“
 

„Ich aber nicht!“
 

„Bist du dir da sicher?“ Da kehrte es wieder, Blacks Grinsen, das er für unwiderstehlich hielt, weil er sich für unwiderstehlich hielt. Und so war es ja auch, die meisten Mädchen in Hogwarts lagen ihm zu Füßen. Er kam wieder auf ihn zu – Remus wollte zurückweichen, konnte aber nicht, weil er die Tür im Rücken hatte.
 

„Du bist so ein Idiot, Black. Dieses dumme Spiel von Potter ist dir zu Kopf gestiegen.“
 

„Vielleicht hat es damit angefangen.“ Blacks Lächeln verschwand und es trat ein Ausdruck in seine Augen, den Remus noch nie bei ihm gesehen hatte und den er nicht einordnen konnte. „Aber ich konnte nicht mehr aufhören, daran zu denken. Und … ich wollte es wieder tun.“
 

Remus erinnerte sich plötzlich daran, wie er eines Nachts ein Gespräch zwischen Potter und Black belauscht hatte. Black hatte sich verändert, so war Potters Meinung, und Black hatte gemeint, dass er sich komisch fühlte. Aber was hatte das bei ihm schon für eine Bedeutung? Und dann noch, wie er sich für ihn am See eingesetzt hatte, als Potter ihn mit einem einzigen Zauberspruch vor halb Hogwarts blamiert hatte. Wäre Black nicht Black, so hätte Remus sich zumindest eingestanden, dass er ihn mochte. Und mit dem, was Black jetzt getan hatte, wohl auch, dass er ihn mehr als nur mochte.
 

Aber es war Black. Black, der Mädchenaufreißer. Black, dem alles egal war, solange er nur seinen Spaß hatte. Black, der sein Geheimnis aufgedeckt hatte und egal, was er auch sagte, wenn es zu seinem Vorteil war, würde er es verraten.
 

Wie hätte er ihm vertrauen können?
 

Langsam wanderte Remus‘ Hand in Richtung Türklinke. Sein Vater würde versuchen ihn aufzuhalten und früher oder später würde er hierhin zurückkommen müssen. Doch in diesem Moment wollte er einfach nur weg – weg von Black und weg von dieser Situation, die viel zu schwierig für ihn war. Seine Finger berührten das kalte Metall.
 

„Halt!“ Black hatte realisiert was er vorhatte, überbrückte die letzten Zentimeter zwischen ihnen und hinderte ihn somit auch daran, sich umzudrehen und die Klinke hinunterzudrücken. Er packte ihn an der Schulter. „Hau nicht ab.“ Er starrte ihn an. Mit diesen schwarzen Augen. Wie ein Hund, nur diesmal nicht bettelnd. „Was muss ich noch tun, damit du mir glaubst?“
 

Remus schnaufte, antwortete aber nicht, sondern sah an ihm vorbei. Er konnte ihn einfach nicht direkt ansehen, er war viel zu nah.
 

„Denkst du etwa immer noch über diese eine Sache nach? Dass ich herausgefunden habe, dass du – nun ja, was dein Problem ist?“
 

Während Black sprach, spürte Remus plötzlich eine leichte Bewegung an seiner Schulter. Blacks Hand, die ihn festgehalten hatte, glitt langsam an seiner Schulter und dann an seinem Arm hinab.
 

„Glaubst du, ich habe das gesagt, um dich zu ärgern? Oder um dich zu erpressen?“
 

Seine Finger waren nun an seiner eigenen Hand angekommen, verharrten dort für einen Moment und glitten dann wieder hinauf.
 

„Ich habe dir gesagt, dass ich James nichts verrate. Und das mein ich auch so!“
 

Wieder war die Hand oben. Und strich langsam wieder hinunter, dann wieder herauf. Es war ein beruhigendes Gefühl.
 

Remus‘ Augen wanderten wieder zu Blacks Gesicht. Ein bisschen Wut war darin geschrieben, aber nicht allzu viel. Eher – Besorgnis? Auf jeden Fall ungewöhnlich. Die Berührung an seinem Arm wanderte wieder hinunter und verharrte einen Moment in Höhe seines Ellbogens. Dann glitt sie unter sein T-Shirt.
 

„Hey, das geht zu weit!“
 

Augenblicklich war Remus zusammengezuckt und hielt Blacks Hand davon ab, sein T-Shirt noch weiter hochzuschieben.
 

„So? Bis gerade eben scheint es dir aber noch gefallen zu haben.“ Die Andeutung eines Lächelns erschien auf seinen Lippen.
 

„Das ist-“ Gar nicht wahr. Hatte Remus sagen wollen, doch damit hätte er wohl gelogen. Es hatte ihm gefallen, ja. Aber dann hatte Black ihn auf einmal noch mehr berührt, und es war so plötzlich gewesen und er – er hatte Angst gehabt. Purer Reflex, dass er zusammengezuckt war. Er war so etwas einfach nicht gewohnt.
 

Oh Merlin, er war so etwas tatsächlich nicht gewohnt, und das mit seinen sechszehn Jahren. Die meisten mochten ihn nur als Streber und Bücherwurm kennen, doch er war doch auch nur ein Mann. Und auch wenn Black ein Idiot war, war er doch der Einzige – der Erste – der sich so viel Mühe für ihn machte. Als er vor einigen Tagen in der Stadt auf ihn getroffen war, hatte er auch so anders auf ihn gewirkt. Ohne Potter oder das Anhängsel Pettigrew erschien er ihm um einiges erträglicher. Kein Machogetue. Keine fiesen Sprüche. Nur sein wie üblich lebhaftes Verhalten, gemischt mit ein wenig liebenswürdiger Dummheit.
 

„Remus.“ Black sah ihm fest in die Augen und Remus wusste, dass er im Begriff war, etwas sehr, sehr Peinliches zu sagen. „Versuch es doch wenigstens. Willst du-“
 

Remus hielt ihm den Mund zu. Black blinzelte verblüfft.
 

„Ist ja gut. Halt endlich die Klappe.“ Remus spürte Hitze in seine Wangen aufsteigen. „Wehe, wenn du jemals auch nur ein einziges Wort zu Potter oder Pettigrew sagst! Wehe, wenn du mich auf den Arm nimmst! Und wehe, wenn du wieder so weit gehst, ohne mich vorher zu fragen! Und damit das klar ist, nicht auf dem Schulhof oder im Klassenraum oder auf-!“
 

„Heißt das ja?“ Black hatte sich befreit und grinste ihn breit an. In seinem übersprühenden Enthusiasmus hatte er mehr Ähnlichkeit mit einem Hund denn je. „Heißt das ja?“
 

Remus‘ Wangen brannten jetzt, aber er würde keinen Rückzieher machen. So gut er noch konnte, senkte er den Kopf langsam zu einem kaum wahrnehmbaren Nicken.

Verbotenes

Verbotenes
 

Solange sie ihre Sommerferien genossen, bereute Remus seine Entscheidung nicht eine Sekunde.
 

Natürlich hatte sich Black nicht geändert. Er war immer noch der etwas vertrottelte, aber liebenswürdige Kerl, der jeden Tag auf neue verrückte Ideen kam. Es war die Art, wie Remus ihn jetzt sah, die sich geändert hatte. Die Distanz, die er immer zu Potter und seiner Clique bewahrt hatte, hatte ihn davon abgehalten, auch die guten Seiten an ihm zu sehen. Remus gab sich erhebliche Mühe, das zu tun, auch wenn es ihm schwer fiel, umzuschalten.
 

So war Black vielleicht verrückt, aber er konnte gut mit ihm reden. Nicht über weltbewegende Dinge. Jedenfalls nicht über Geschichte der Zauberei oder die Wirkungsweise von Muggelheilpflanzen. Aber über das Dorf, in dem er lebte. Über seine Umgebung und was passierte, wenn man in diese oder jene Richtung ging und was wohl dort unten auf dem Grund des Sees war. Oder auch über seinen Vater, die Dorfbewohner. Darüber, dass er ein Werwolf war, wollte er nicht so gern sprechen und meistens akzeptierte Black das auch. Und manchmal sprachen sie auch über seine Mutter.
 

Sie lagen im Gras. Gerade so in der Nähe des Sees, dass sie das leise Plätschern hören konnten, das von dem Wasser ausging, wenn es von dem flachen Fluss in den See rieselte. Remus lag auf dem Rücken, die Arme hinter dem Kopf verschränkt, die Augen wegen der Sonne halb geschlossen. Sie waren schwimmen gewesen – er wurde immer besser darin – und waren nass und müde. Remus wäre eingeschlafen, hätte Black nicht damit angefangen.
 

„Woran ist deine Mutter gestorben?“
 

Remus wollte nicht darüber reden und genauso sagte er es ihm auch.
 

Doch genauso, wie Black nur meistens – nicht immer – akzeptierte, wenn er nicht über seine Krankheit sprechen wollte, so war es an diesem Tag das erste Mal, dass er bei diesem Thema nicht locker ließ. Seine Neugier war eine herausstechende Eigenschaft.
 

„Du hast mich das doch schon so oft gefragt.“, sagte Remus leise, aber nachdrücklich. Er schloss die Augen ganz, hoffend, dass Black verstand, dass er damit das Thema als beendet ansah.
 

Doch das tat er natürlich nicht.
 

„Hab ich.“ Er lehnte sich über ihn, sodass sein Oberkörper die Sonne aus seinem Gesicht vertrieb. „Aber du hast immer nur gesagt: ‚Es war ganz plötzlich.‘“
 

„Was willst du dann noch wissen? Es ist einfach so. Sie ist tot und punkt.“
 

Remus zögerte. Black irrte sich. Er war ein guter Lügner. Hatte seine Krankheit schließlich lange verbergen können und noch immer wusste auf Hogwarts außer ihm und den Lehrern keiner davon.
 

Seine Mutter war an keiner Krankheit gestorben. Doch das sollte Black nicht wissen.
 

Eine Hand legte sich an seine Wange. „Hey.“ Remus öffnete die Augen einen Spalt. Black lächelte ihn an. „So schlimm kann es doch nicht sein, oder? Ich weiß immerhin, dass du ein Werwolf bist, was könnte mich da noch schocken?“
 

Es gab Dinge, die schlimmer waren. Remus drehte den Kopf zur Seite. Die Erinnerung daran brannte hinter seinen Augen. Vielleicht war er aber auch nur besonders empfindlich, weil in wenigen Tagen wieder Vollmond war.
 

Er spürte, wie Black ihn immer noch anstarrte, als versuchte er auf diese Weise etwas aus ihm herauszulocken, aber irgendwann gab er auf und rollte sich auf den Rücken, direkt neben ihm. Seine Hand suchte Remus' und drückte sie einmal kurz. Er seufzte.
 

~~~~~*~~~~~
 

Sie saßen beim Abendessen. Sein Vater auf der einen Seite des Tisches, Remus und Black auf der anderen. Es war der letzte Tag der Sommerferien und morgen würden sie wieder nach Hogwarts reisen. Die Koffer waren schon gepackt – per Handarbeit, da sie als Minderjährige nicht zaubern durften und sein Vater Muggel war – und Black hatte nach eigener Aussage diesen Tag dafür auserkoren, ein ganz besonderer zu sein.
 

Wie genau er sich das vorstellte, hatte Remus ihn gefragt. Black hatte darauf keine Antwort gegeben. Jedenfalls keine, mit der Remus etwas anfangen konnte. Und er konnte an Blacks Tagesplanung auch nichts Besonderes finden, gingen sie doch wie die meisten Tage zuvor zum See und verbrachten den Tag damit, zu schwimmen, zu reden und zu dösen.
 

Wir machen den Tag einfach zu etwas Besonderem, hatte er gesagt. Das heißt nicht, dass wir was anderes machen müssen.
 

Black war schon ein wenig seltsam.
 

Da gefiel ihm die Methode von seinem Vater doch gleich viel besser. Der hatte zur Feier des Tages mal wieder sein Lieblingsessen gekocht – ein blutiges Steak mit Gemüse und Kartoffeln. Hungrig fing er an zu essen. Aus dem Augenwinkel sah er Black schmunzeln.
 

„Was lachst du denn so?“
 

Black grinste nur noch mehr. Remus war irritiert, irgendetwas musste er unwahrscheinlich komisch finden, doch Remus kam nicht drauf.
 

„Nichts.“, erwiderte Black und schwieg daraufhin geheimnistuerisch.
 

Sein Vater verfolgte das Geschehen wortlos. In letzter Zeit konnte er sich auch keinen Reim aus ihm machen.
 

Sein Vater wusste nichts von ihrer Beziehung. Alles, was er wusste war, dass er und Black befreundet waren und er inzwischen von seiner Krankheit wusste. Dass sie einige Startschwierigkeiten gehabt hatten, war nicht zu übersehen. Umso glücklicher schien er zu sein, dass sein Sohn endlich Anschluss gefunden hatte. Remus hatte nicht vor, ihm diese Illusion zu nehmen, vor allem, weil er sich selbst noch nicht sicher war, was er von alldem zu halten hatte.
 

„Möchtest du noch etwas?“
 

Die Frage war nicht an Black, sondern an ihn gerichtet. Remus war hungrig.
 

„Ja, gern.“
 

Er schaufelte sich eine ordentliche zweite Portion auf den Teller, da sah er es schon wieder. Blacks Mundwinkel verzogen sich zu einem kleinen Lächeln, dieses Mal kaum sichtbar. Diesmal sagte er nichts. Es war ja doch nichts aus Black herauszubekommen.
 

Einige Minuten später waren sie fertig mit dem Abendessen und sein Vater ging noch einmal nach draußen, um den Traktor in die Garage zu bringen. Black und er übernahmen den Abwasch – er spülte, Black trocknete ab.
 

„Wie fandest du die Ferien?“, fragte Remus schließlich, um die Stille zu durchbrechen.
 

„Besser, als ich erwartet habe.“
 

Diese Antwort hätte alles bedeuten können, doch bei Blacks dreckigem Grinsen war die Lage sofort klar. Als sich dann noch ein Arm um seine Taille schlang und er an ihn gedrückt wurde, sodass er beinahe den Teller fallen ließ, wurde es ihm zu fiel.
 

„Nicht! Ich will nicht, dass mein Vater davon erfährt!“
 

Black zog einen Schmollmund.
 

„Ach was, dein Vater ist doch total cool! Meine Familie solltest du mal sehen – wenn die davon erfahren, enterben die mich sicher.“ Den Gedanken fand er wohl besonders lustig, denn er lachte schon wieder.
 

„Das ist nicht witzig.“ Grimmig entzog Remus ihm sich. „Du wirst deiner Familie kein Sterbenswörtchen erzählen. Und Potter oder Pettigrew auch nicht.“
 

Gespielt schockiert sah Black ihn an.
 

„Du glaubst, ich würde mit Peter über mein Liebesleben reden?“
 

Remus knuffte ihn in die Seite.
 

„Du weißt, was ich meine.“
 

Er reichte ihm den abgespülten Teller. Die Augenbrauen nachdenklich zusammengekniffen trocknete Black ihn ab.
 

„Was wäre denn eigentlich so schlimm für dich, wenn sie es wüssten?“
 

Manchmal konnte Remus über so viel Naivität nur den Kopf schütteln.
 

„Vielleicht ist dir aufgefallen, dass ich nicht das beste Verhältnis zu ihnen habe?“ Er war ein wenig wütend darüber. Er hatte gedacht, er hätte sich klar gemacht, aber offensichtlich war Blacks Gehirn in jenem Moment so vernebelt gewesen, dass er es entweder nicht mitbekommen hatte oder jetzt glaubte, es würde ihn schon irgendwie rumkriegen. „Ich brauche nicht noch eine Vorlage, mit der sie mich ärgern können. Wenigstens einmal möchte ich das Gefühl haben, normal zu sein.“
 

Mit aller Kraft fixierte er den nächsten Teller.
 

„Normal?“ Black starrte ihn ungläubig an. „Aber das ist doch langweilig.“
 

Remus starrte ihn böse an.
 

„Manchmal frage ich mich wirklich, woher deine guten Noten kommen.“
 

„Hä? Was meinst du? Was haben meine Noten damit zu tun?“
 

Remus antwortete lieber nicht darauf. Er war wütend, aber nur ein bisschen und nicht so viel, dass er sich mit ihm streiten wollte. Und er hatte die Hoffnung, Black würde es so vielleicht von selbst einsehen.
 

Stattdessen legte Black das Handtuch beiseite und umarmte ihn. Remus hatte erhebliche Mühe, sich so abweisend zu verhalten.
 

„Was – was soll das denn jetzt?“
 

„Tut mir Leid.“, nuschelte Black in seinen Nacken und setzte einen Kuss auf seine nackte Haut, sodass ihm Schauder über den Rücken jagten. „Ich weiß zwar nicht, was ich dir getan habe, aber es tut mir Leid.“ Er umarmte ihn fester und zog ihn näher an sich heran. Remus wurde schwindelig. Ein kleiner Teil seines Verstandes sagte ihm, dass das die Methode war, mit der Black auch immer die ganzen Mädchen überredete, der Großteil jedoch verschwamm im Nebel.
 

Als die Tür klackte, riss er sich von ihm los und schnappte sich hastig den letzten Teller.
 

„Es sieht nach Regen aus.“, bemerkte sein Vater, als er hereinkam. Er hatte offensichtlich nichts mitbekommen. Zum Glück schwieg Black.
 

„Das ist gut für die Felder. Aber ich hoffe es regnet nicht in Hogwarts.“
 

~~~~~*~~~~~
 

Draußen war es dunkel geworden. Remus war gerade dabei sich bettfertig zu machen. Die Sommerferien waren anstrengend gewesen und irgendwie freute er sich auf Hogwarts, auf ein wenig Normalität nach dem Chaos in den letzten Wochen. Er hatte ein wenig Angst davor, wie es mit Black weitergehen würde, doch darüber wollte er im Moment nicht nachdenken. Und wenn er sie alle mit einem Obliviate belegen musste.
 

Black schlurfte durch die Zimmertür.
 

„Du willst schon schlafen?“, fragte er ungläubig, als er Remus im Bett liegen sah. „Es ist der letzte Tag der Ferien!“
 

„Ja, und?“
 

„Da schläft man nicht!“
 

„Wieso? Eigentlich sollte man da noch früher schlafen gehen, genauso wie am ersten Schultag, wenn man ankommt. Schließlich muss man da früher aufstehen.“
 

Black blickte ihn nur fassungslos an.
 

„Ich versteh dich echt nicht.“
 

„Schön, dass wir einer Meinung sind.“
 

Black stand noch eine Weile unschlüssig im Zimmer herum, dann hatte er wohl einen Entschluss gefasst. Jedenfalls sah er sehr konzentriert aus, als er sich zu Remus auf die Bettkante setzte.
 

„Also, es gibt zwei Möglichkeiten.“ Er hielt entsprechend viele Finger hoch. „Entweder unternehmen wir noch etwas-“
 

„Unternehmen? Heißt das, du willst um die Uhrzeit noch rausgehen?“
 

„Oder ich komm zu dir ins Bett.“
 

Remus erstarrte. Der Ausdruck auf Blacks Gesicht zeigte ihm nur zu deutlich, welche der beiden Möglichkeiten er bevorzugte. Er wusste, dass er es ernst meinte, deshalb haderte er nur kurz mit sich selbst, ehe er sich aus dem Bett schwang.
 

„Okay, aber nicht lange!“, sagte er, als er sich anzog.
 

Blacks Enttäuschung über die verlorene Chance hielt nicht lange an, als sie nach draußen schlichen. Er war der geborene Rumtreiber (Remus hatte mitbekommen, dass Potter und er sich so nannten) und schlich mit einer Freude die Treppe hinunter, die Remus nur mit einem Augenrollen kommentieren konnte.
 

In der Küche war es dunkel. Remus tastete sich zur Tür vor, eine Hand immer an der Wand. Hinter sich konnte er Black atmen hören. Der Schlüsselbund hing an der Türklinke, der Hausschlüssel steckte im Schlüsselloch. Remus‘ kalte Finger schlossen sich darum. Einen Moment zögerte er, dann drehte er den Schlüssel um und öffnete die Tür. Black folgte ihm nach draußen.
 

„Und was hast du jetzt vor?“ Remus flüsterte, weil er Angst hatte, dass sein Vater wach werden würde. Black sah ihn mit glänzenden Augen an.
 

„Was glaubst du? Nachsehen, was alles los ist!“
 

„Wir sind in einem Dorf mit weniger als hundert Einwohnern, um die Zeit ist hier nichts los.“
 

„Warst du schonmal um die Zeit draußen?“
 

„Nein.“
 

„Woher willst du das dann wissen?“ Mit diesen Worten nahm er seine Hand und zog ihn zu dem erdigen Weg, der durch das Dorf führte.
 

„Ich weiß wirklich nicht, was du daran so toll findest.“
 

Remus bemühte sich, nicht allzusehr auf die Hand zu achten, die seine umschloss. Ohne die Sonne war es nachts kalt und er hatte sich nicht warm genug angezogen. Blacks Hand war warm. Er wollte nicht hier erwischt werden. Was würden die Nachbarn denken? Was würde sein Vater denken, wenn er sie hier um diese Uhrzeit erwischte. Noch dazu, wenn er sah, wie ihre Hände miteinander verschränkt waren.
 

Ganz in der Nähe bellte ein Hund. Remus zuckte zusammen.
 

„Wir sollten hier nicht sein. Das ist der Wachhund einer unserer Nachbarn!“
 

Black drehte sich zu ihm um. „Etwa der, der dich vor ein paar Wochen so angeknurrt hat?“ Er grinste. „Warte hier.“
 

Damit ließ er ihn los und schlich sich an den Gartenzaun. Remus wusste, dass der Hund angeleint war, doch die Leine war lang und der Hund groß. Und anders als vielleicht in den großen Städten, wo Hunde nicht mehr als bloße Haustierchen waren, war dieser Hund dafür da, das Haus zu bewachen.
 

„Black, komm zurück!“ Er rief nicht, er flüsterte, so laut er konnte. Er hatte Angst gehört zu werden. Er wollte sich gar nicht ausmalen was geschah, würde man ausgerechnet ihn nachts vor einem fremden Haus rumschleichen sehen.
 

Doch Black hörte nicht auf ihn. Remus konnte hören, wie er über den Gartenzaun stieg. Er war verrückt. Durch die Dunkelheit konnte er seine Umrisse nur schemenhaft erkennen. Er kniff die Augen zusammen, doch er konnte nicht mehr als einen schwarzen Schatten ausmachen. Der Hund hatte aufgehört zu bellen, doch er konnte ihn noch immer wahrnehmen. Dann ein paar Geräusche, die er nicht zuordnen konnte – Scharren, Kratzen – ein kurzes Jaulen. Stille.
 

Remus bewegte sich nicht einen Zentimeter. Er hatte das Gefühl blind zu sein. Dann löste sich ein Schatten vor ihm. Black.
 

„Was hast du gemacht?“, zischte er ihm zu, doch Black hob nur den Finger an die Lippen und zog ihn weiter. Remus konnte den Hund nicht hören. Was hatte er gemacht?
 

Eine Weile ließ er sich noch von ihm weiterziehen. Irgendwann kam er jedoch auf den Gedanken, dass Black nur mit ihm nachts draußen herumlief, um eben nachts draußen herumzulaufen.
 

Er riss sich los.
 

„Ich geh jetzt nach Hause! Das ist mir zu blöd.“
 

Er wandte sich um, um zurückzulaufen.
 

„Hey, komm zurück!“ Es waren die gleichen Worte, die Remus eben benutzt hatte. Warum sollte er darauf hören?
 

Da wurde er plötzlich von hinten gepackt, Black hielt ihn fest und drückte seinen Rücken an seine Brust. Remus keuchte erschrocken auf.
 

„Was soll das, Black?“, fragte er schließlich gefasster. Wenn Black glaubte, er konnte alles mit seinen Anmachen überspielen, so hatte er sich geirrt. Und tatsächlich schien sich der Körper hinter ihm einen Moment zu versteifen.
 

„Dir macht es keinen Spaß, nachts draußen herumzulaufen?“ Blacks Stimme war dicht an seinem Ohr, warm in der kalten Nachtluft.
 

„Ich wüsste nicht warum.“ Remus bemühte sich, seinen eigenen Atem ruhig zu halten. „Es gibt nichts, was man nicht auch draußen machen könnte. Der einzige Unterschied ist, dass ich nichts sehen kann.“
 

„Aber reizt es dich nicht?“
 

„Was?“
 

„Na, das Verbotene!“
 

„Warum sollte es mich reizen, etwas Verbotenes zu tun?“ Remus drehte sich in seinen Armen zu ihm um. „Abgesehen davon ist es nicht verboten, nachts draußen rumzulaufen. Es ist nur – nicht normal.“
 

„Und das ist das Tolle daran.“ Black lächelte und schmiegte sich an ihn.
 

„Ist das der Grund, warum du und Potter nachts immer durch Hogwarts streift?“ Remus versuchte immer noch, die Ruhe zu bewahren. Seit er und Black so etwas wie ein Paar waren, gelang es ihm nur schwer, seine Gedanken abzulenken von den Dingen, von denen er immer nur gelesen hatte.
 

„Unter anderem.“
 

Es war Black anzusehen, dass auch er nicht mehr ganz bei ihrem Gespräch war. Remus starrte wie gebannt auf seinen Mund und auch, wenn er sich davon abhalten versuchte, gelang es ihm nicht. Er war wie hypnotisiert. Zudem war es ihm peinlich, dass Black es bemerkte.
 

„Wäre dir die andere Möglichkeit doch lieber gewesen?“, fragte er und Remus schoss die Röte ins Gesicht.
 

„Bild dir bloß nichts ein!“ Flammrot versuchte er sich aus der Umarmung zu befreien, doch Black hielt ihn fest und küsste ihn ganz unvermittelt.
 

Jeglicher Protest in Remus verschwand sofort. Er war zwar immer noch sauer auf ihn, aber das konnte auch warten. Zitternd drückte er sich jetzt näher an ihn. Dieser Kuss war anders als die vorherigen – nicht hart und lieblos wie der erste, den er bei dem Spiel verloren hatte; auch nicht unbedingt zärtlich wie derjenige, den er ihm am See gegeben hatte und wie die vielen anderen, die sie in den letzten Wochen ausgetauscht hatten – dieser Kuss war stärker, leidenschaftlicher und mit einem Versprechen nach mehr.
 

Black löste seine Lippen von seinen, doch er hielt ihn immer noch fest. Keuchend und vor Scham noch viel röter als zuvor lehnte Remus seine Stirn an seine Schulter. Seine Beine zitterten.
 

Ohne Worte nahm Black ihn wieder bei der Hand und führte ihn zurück nach Hause. Ein kleiner Teil von Remus‘ vernebelten Verstand sagte ihm, dass Black etwas von ihm erwartete, wenn sie dort ankamen und er konnte sich nicht entscheiden, welcher Teil seines Verstandes größer war: derjenige, der unbedingt mehr wollte oder der, der Panik bekam.
 

Genauso leise, wie sie die Treppe hinuntergeschlichen waren, schlichen sie auch wieder rauf. Oben angekommen, knarrte jedoch eine Stufe unter Remus' Füßen und er zuckte zusammen, als sei es ein Kanonenschlag. Black drückte seine Hand.
 

Remus war erleichtert, als sie in seinem Zimmer ankamen. Niemand hatte gemerkt, dass sie ausgeflogen waren, auch sein Vater nicht. Black schloss die Tür und kam auf ihn zu.
 

Remus versuchte, seinem intensiven Blick standzuhalten, doch es gelang ihm nicht und stattdessen starrte er auf den Boden. Black legte wieder seine Arme um ihn, sein Körper strahlte Hitze aus. Allein die flüchtige Berührung an seiner Schulter ließ Remus aufkeuchen. Er konnte nicht anders, er drückte sich an ihn, es schien, als könnte er ihm nicht nah genug sein. Black küsste ihn, noch verlangender als zuvor, seine Lippen wanderten von seinem Mund über sein Kinn, über seinen Hals bis zu seiner Schulter, wo er seine Hand ablöste, die immer tiefer glitt, von seiner Schulter über seine Brust, entlang an seiner Seite bis an seinen Hosenbund, wo er mit zwei Fingern entlangstrich, um dann seine Hand unter sein T-Shirt zu schieben.
 

In Remus wallte Panik auf. Er wollte es, wollte es so sehr. Sein ganzer Körper schrie danach, doch sein Verstand rief Nein. Es hallte schwach in seinem Kopf wider. Black drückte ihn fester an sich und schob ihn gleichzeitig nach hinten. Remus wusste, dass dort sein Bett stand. Wenn er nicht stolpern wollte, musste er jedoch rückwärts gehen.
 

Seine Kniekehlen berührten die Bettkante und er knickte weg. Er wurde aufgefangen, sodass er weich auf der Matratze landete. Die Bettdecke kam ihm kalt vor.
 

Black küsste ihn wieder und das war es, was seinen Verstand wieder in dicken Nebel hüllte. Dieses Mal wehrte er sich jedoch dagegen, nicht denken zu können. Black drückte ihn zurück auf die Matratze, seine Beine jeweils auf einer von Remus‘ Seiten, direkt auf der Höhe seines Beckens. Er löste den Kuss, lächelte und setzte sich auf ihn.
 

Heftig zuckte Remus zusammen. Der Nebel in seinem Kopf lichtete sich so schnell, als würde er von einem starken Wind weggeweht. Was er – sie beide – hier im Begriff waren zu tun, spürte er nur zu deutlich auf seinem Schoß. Die Angst, die dabei in ihm aufstieg, ließ ihn ganz plötzlich wieder klar denken.
 

Black ahnte wohl, was er sagen wollte, bevor er es tat, sein Lächeln verschwand aus seinem Gesicht und machte der nachdenklichen Miene Platz, die er immer trug, wenn etwas über seinen Horizont hinausging.
 

„Nein“, flüsterte Remus.
 

Er hatte nicht die Kraft, ihn von sich zu drücken, doch Black verstand auch so. Er konnte spüren, wie die Hitze zwischen ihnen abflaute. Blacks Augen huschten unruhig umher, als versuchten sie in seinem Gesicht zu ergründen, warum Remus nicht wollte. Doch er wusste es ja selbst nicht.
 

„Es – es tut mir Leid.“ Remus war die Sache furchtbar peinlich und er drehte den Kopf weg.
 

„Schon okay.“ Black rollte sich von ihm runter. „War wohl noch zu früh.“
 

Remus nickte schwach. Er hatte das Gefühl, er müsste irgendetwas tun, sonst würde das hier zwischen ihnen stehen und das wollte er nicht. Doch ihm fiel nichts Besseres ein, als nach Blacks Hand zu suchen und sie einmal kurz zu berühren.
 

Black regte sich nicht.

Zurück in die Höhle des Löwen

Ich bin zurück mit einem neuen Kapitel. Obwohl ich diese FF absichtlich unregelmäßig hochlade, um mich selbst nicht zu stressen, wollte ich den Abstand zwischen den Updates niemals so groß werden lassen. Jetzt habe ich dank Schreibflash ein paar Kapitel in petto, die ich in naher Zeit auch hochladen werde.

Ich hoffe, dass sich mein Schreibstil nicht allzu sehr geändert hat. Deswegen ist es mir vor allem bei diesem Kapitel wichtig, eure Meinung zu hören :)
 

Zurück in die Höhle des Löwen
 

Remus wachte früh auf. Das musste er auch, denn heute war der Tag, an dem die Sommerferien vorbei waren und sie zurück nach Hogwarts fahren würden. Sein Vater hatte ihn nicht geweckt. Er hatte darauf vertraut, dass Remus‘ innere Uhr ihn wie immer pünktlich aufstehen ließ. Es dauerte nur wenige Augenblicke, bis er sich den Schlaf aus den Augen gerieben hatte und vollständig wach war. Rasch strampelte er sich von der viel zu warmen Bettdecke frei und warf einen Blick auf Black, der immer noch tief und fest schlief.
 

Im nächsten Augenblick schoss ihm die Erinnerung an die vergangene Nacht durch den Kopf und für einen schockierenden Moment war er sich nicht mehr sicher, ob sie miteinander geschlafen hatten oder nicht. Dann fiel ihm wieder alles ein und erleichtert atmete er aus.
 

Ein Blick aus dem Fenster bestätigte ihm, dass es Zeit war aufzustehen und so weckte er Black mit einem sanften Stupser seines Fußes. Black brummte nur, wälzte sich auf die andere Seite, sodass er sich in seiner Decke eindrehte. Der unerwartete Widerstand ließ ihn wohl aufwachen, denn kurz darauf blinzelte er verschlafen zu Remus auf.
 

„Wasn?“
 

„Aufstehen.“
 

„Oh nein …“
 

Flugs drehte er sich wieder um und drückte diesmal seinen Kopf in das Kissen. Remus ließ sich davon nicht beeindrucken.
 

„Dann fahr ich eben allein nach Hogwarts, bis dann!“
 

Mit aufgerissenen Augen kam Black hoch und wollte aufstehen, verhedderte sich dabei aber wieder in seiner Decke. Remus ging voraus, während er noch auf der Treppe dem Kampf zwischen Magier und Wolllaken lauschte.
 

In der Küche wurde er vom Duft von Eiern und Speck empfangen. Sein Vater stand am Herd und drehte sich lächelnd zu ihm um.
 

„Guten Morgen, Großer. Hunger?“
 

„Immer.“ Er nahm sich einen Teller und sein Vater tat ihm auf. „Was meinst du damit – mit ‚Großer‘?“ Er setzte sich. „So nennst du mich doch sonst nie.“
 

Black stolperte die Treppe hinunter, seine Haare sahen wüst aus.
 

„Morgen …“ Seine Nasenflügel blähten sich, während er den Duft in sich einsog. „Mann, riecht das lecker!“ Hastig holte er sich auch seine Portion ab.
 

Sein Vater setzte sich zu ihnen. „Um deine Frage zu beantworten, Großer.“ Er grinste, scheinbar hatte er richtig gute Laune. „Ich hab einfach das Gefühl, dass das jetzt angebracht ist.“
 

Nun, das half ihm auch nicht weiter, sondern verwirrte ihn nur weiter. Was auch nicht half, war, dass Black unter dem Tisch seine Füße nach seinen Beinen ausstreckte. Er sandte ihm einen warnenden Blick. Black schob schmollend die Unterlippe hervor.
 

„Und, schon aufgeregt? Schließlich bricht jetzt euer letztes Jahr an.“, fragte sein Vater plötzlich. „Sirius, weißt du schon, was du danach machen willst?“
 

Remus spitzte seine Ohren. Was er selbst gerne machen würde, wusste er, auch wenn er genauso gut wusste, dass das nur ein Traum war. Mit den Träumen von anderen hatte er sich bisher noch nie beschäftigt, zu gefangen war er dafür in seiner eigenen Welt. Schließlich hatte er genug eigene Probleme. Und sollte er nicht wissen, welches Blacks Ziel war, jetzt wo sie doch …
 

„Ich will Auror werden.“
 

„Auror?“ Sein Vater klang überrascht. „Das ist ein ganz schön hohes Ziel, hast du denn die Noten dafür?“
 

„Er hätte sie, wenn er sich mehr anstrengen- autsch!“ Black hatte ihn getreten und fuhr dann fort, an seinem Bein entlangzustreichen.
 

„Noten sind kein Problem. Außerdem ist es mir wirklich wichtig.“
 

Er war überrascht. Diesen Ernst hatte er in Blacks Stimme noch nie gehört. Und auch sein Gesichtsausdruck verhieß nur, dass es ihm völlig ernst damit war. So etwas hätte er ihm bisher nicht zugetraut.
 

Oder wollte er nur Auror werden, um vor den Mädels anzugeben? Das traute er ihm viel eher zu. Seine Bewunderung sank.
 

„Remus, was willst du denn später werden?“ Neugier lag in Blacks Stimme, während Remus‘ Herz panisch zu klopfen begann. Merlin, Blacks Berufswünsche waren so cool, während seine eigenen so langweilig klangen. Und letzten Endes vertraute er ihm doch noch nicht so ganz – was, wenn er es Potter weitererzählen würde? Aber lügen konnte er nicht. Sein Vater wusste Bescheid. Und er hatte keine Lust auf noch ein Vater-Sohn-Gespräch mit ihm.
 

„Ich … öhm, ich möchte Lehrer werden.“ Blacks Fuß an seinem Bein hielt inne.
 

„Was? Echt?“
 

„Ja …“ Er sandte ihm einen giftigen Blick. „Wag es ja nicht, dich darüber lustig zu machen!“
 

„Was? Nein! Würde ich nie!“ Er sah ihn ehrlich empört an. „Ich find’s echt cool. Du konntest schon immer gut erklären, warum solltest du also kein Lehrer werden?“
 

Ja, warum nicht. Das wusste er verdammt genau. Remus senkte den Blick. Sein Vater schwieg betrübt.
 

„Oh …“ Black hatte es wohl auch verstanden. „Deswegen.“ Unter dem Tisch senkte sich sein Fuß auf Remus‘ eigenen, als würde er ihm die Hand auf die Schulter legen. „Sorry.“
 

„Schon gut.“, entgegnete Remus schnell. „Ist eh nur ein dummer Traum. Man kann eben nicht alles haben.“ Er stand auf. „Ich hol schonmal die Koffer.“
 

~~~~~*~~~~~
 

Die Autofahrt nach London verlief nicht ruhig. Sein Vater fragte Black aus: Über Hogwarts, darüber, wie sich Remus machte und tatsächlich auch darüber, ob sich sein Sohn denn auch mal mit Mädchen treffen würde. An diesem Punkt musste Remus eingreifen:
 

„Ich hab dir doch gesagt, ich hab keine Freundin!“
 

Aus dem Augenwinkel sah er Black schmunzeln.
 

„Ach, wer weiß, ob du mir immer die Wahrheit sagst.“ Sein Vater zwinkerte ihm zu.
 

„Also, was Offizielles weiß ich zwar nicht, aber …“ Remus‘ Kopf schnellte zu ihm herum. Was hatte er denn jetzt vor? „Manchmal wird unser kleiner Remus mit einer Schwarzhaarigen gesehen.“
 

Jetzt hatte er die Aufmerksamkeit seines Vaters voll für sich. Da Remus auf der Rückbank saß, konnte er nicht viel gegen Blacks Streich unternehmen.
 

„Eine Schwarzhaarige? Soso … und weiter?“
 

„Hmmm … also, sie ist echt gut aussehend. Echt heiß.“
 

Sich selbst Komplimente machen konnte er also schon. Sein Kopf glühte schon. Aber das wollte er nicht auf sich sitzen lassen.
 

„Das Mädchen, das du meinst, ist nicht meine Freundin.“ Black sah ihn erstaunt an. Dass er darauf eingehen würde, hatte er wohl nicht erwartet. „Sie nimmt Nachhilfe bei mir, weil sie in der Schule sonst nicht durchkommt. Abgesehen davon find ich sie überhaupt nicht gut aussehend. Und heiß schonmal gar nicht!“
 

Leider konnte er Black nicht die gewünschte Reaktion entlocken, er wurde weder rot noch zeigte er sonst eine große Reaktion. Nur seine Augenbraue wanderte ein Stück nach oben und Remus, der ihn inzwischen ganz gut lesen konnte, wusste, dass Black sich auf seine Weise rächen würde.
 

~~~~~*~~~~~
 

„In London ist wie immer Verkehrschaos.“ Sein Vater fuhr das Auto an den Rand. „Ich lass euch hier raus. Ich würde dich gerne noch richtig verabschieden, aber hier bekomme ich ja noch nicht einmal einen richtigen Parkplatz.“
 

Black hob ihr Gepäck aus dem Kofferraum und stellte es auf dem Bürgersteig ab. Währenddessen verabschiedete sich Remus von seinem Vater wie immer mit gemischten Gefühlen. Er liebte sein Zuhause und er liebte Hogwarts, doch an beiden Orten hatte er Angst. Trotzdem würde er seinen Vater in den nächsten Monaten vermissen, genauso wie er Hogwarts vermisst hatte.
 

„Also dann, mach’s gut.“ Sein Vater umarmte ihn fest. „Und grüß deine Schwarzhaarige von mir.“
 

„Papa! Ich hab dir doch gesagt-“
 

„Schon gut, du musst mir nichts erklären.“ Dann sah er zu Black herüber und während einer Schrecksekunde dachte Remus, dass er es wusste. Doch der Augenblick ging vorüber und Remus schalt sich einen Angsthasen. Woher sollte er es wissen? Sie waren diskret genug. Und eigentlich gab es nicht viel zu verbergen. Sie hatten nichts Besonderes getan. Na ja, fast.
 

„Wir sollten uns beeilen. Der Hogwarts-Express fährt in zehn Minuten.“
 

Beladen mit ihren Koffern drängten sie sich durch die Menschenmenge, die sich immer genau in die entgegengesetzte Richtung wie sie bewegte. Am Gleis 9 ¾ angekommen blieben sie keuchend und mit Seitenstichen stehen, während der Hogwarts-Express schnaufend andeutete, dass er bald losfahren würde.
 

„Komm, sonst verpassen wir den Zug noch.“ Remus stieg ein und Black kam ihm hinterher.
 

Gemeinsam suchten sie das Abteil, in dem sich Potter und Pettigrew aufhalten würden. Am Bahnsteig hatten sie keinen der zwei gesehen. Durch den Hogwarts-Express ging ein scharfer Ruck, dann ging es los. Black, der hinter Remus hergestiefelt war, rempelte ihn leicht an.
 

„Hey, pass auf.“
 

„Sorry.“ Aus Blacks Stimme war deutlich ein Grinsen herauszuhören. Empört drehte Remus sich um.
 

„Das hast du absichtlich gemacht!“, stellte er fest.
 

„Würde mir im Traum nicht einfallen.“ Black grinste tatsächlich. Remus‘ Gesicht verdüsterte sich.
 

„Hör mal, Black … ich will wirklich, dass du den anderen nichts verrätst. Weder Potter, noch Pettigrew. Keinen von beiden. Auch keine Andeutungen, wie eben im Wagen. Bitte.“
 

Black lächelte ihn an, tätschelte kurz seine Wange, was Remus wirklich aufregte, und nickte.
 

„Klar, kein Problem.“
 

Remus war sich nicht so sicher.
 

Schließlich hörten sie aus einem Abteil lautes Lachen, das eindeutig der Stimme James Potters zuzuordnen war. Blacks Gesicht leuchtete auf, während Remus‘ Stimmung sank. Während Black ganz erträglich sein konnte, besonders wenn sie zwei allein waren, war Potter für ihn das personifizierte Übel. Er hoffte, dass Black sein Versprechen halten würde.
 

Er hatte Angst.
 

Mit dem gewissen Hauch an Dramatik, den Black so liebte, riss dieser die Tür zu besagten Abteil auf und rief: „Tata! Da bin ich wieder!“ Er stürmte zu Potter, der beim Aufreißen der Türe erschrocken aufgesprungen war und umarmte ihn kräftig. „Krone, altes Haus! Wie geht es dir?“
 

„Bei Merlin, Sirius! Du lebst ja!“ Potter klang glücklich, aber da war noch etwas anderes in seiner Stimme, das vielleicht Black, nicht aber Remus entging.
 

Just in diesem Moment wurde er auch entdeckt, wie er immer noch in der offenen Tür des Abteils stand. Pettigrew, der Potter gegenüber saß, starrte ihn an, als hätte er ihn noch nie gesehen. Dann verfinsterte sich sein Gesicht und er wandte sich ab. Black jedoch hatte sich endlich von seinem besten Kumpel gelöst und zog Remus in das Abteil.
 

„Ihr habt doch nichts dagegen, wenn Remus bei uns sitzt, oder?“ Black wartete die Antwort gar nicht ab, sondern scheuchte Pettigrew von seinem Platz, sodass er und Remus nebeneinander sitzen konnten.
 

Potter bemerkte nichts dazu, aber es war ihm nicht entgangen. Stattdessen versuchte er Remus zu ignorieren und fragte Black aus.
 

„Wie waren deine Ferien?“
 

Black grinste verlegen.
 

„Super, und deine?“
 

Potter starrte ihn verblüfft an, während Remus sich auf die Unterlippe biss.
 

„Super?“, echote er. „Du hasst deine Familie und fandest deine Ferien super?“
 

Black stockte. „Na ja …“
 

Potter hob eine Augenbraue. „Schon gut, Sirius. Ich weiß es eh. Oder ich kann’s mir zusammenreimen.“ Er seufzte. „Weißt du, wer kurz nach Ferienbeginn vor meiner Haustür stand?“ Black schüttelte den Kopf. „Dein Bruder, Regulus. Wollte wissen, ob du bei mir bist. Eigentlich war er sich dabei sogar ziemlich sicher, ich bin ihn nämlich fast nicht losgeworden.“ Er schaute ihn vorwurfsvoll an, dann schweifte sein Blick zu Remus, der versuchte, möglichst unschuldig auszusehen. "Und, wo warst du, wenn nicht bei mir?“, fragte er, den Blick immer noch auf Remus gerichtet.
 

Black öffnete den Mund, schloss ihn dann aber wieder. Zum ersten Mal sah Remus ihn sprachlos vor Potter. Er wusste, dass er etwas sagen musste.
 

„Er war bei mir.“
 

Die Worte hingen bedeutungsschwanger in der Luft, gerade wenn er sie mit seinen eigenen Erinnerungen mischte. Aber er wusste, dass es dumm war, nie würde Potter aus dieser Aussage heraus davon ausgehen, dass da mehr lief.
 

Trotzdem schien er verletzt zu sein.
 

„Irgendwie hab ich es mir gedacht.“ Seine Stimme war kalt, dann kramte er etwas aus seiner Tasche heraus. Es war ein Kartenspiel. „Lass uns ‚Slughorn explodiert‘ spielen.“
 

~~~~~*~~~~~
 

Die Stimmung im Abteil war, um es mild auszudrücken, angekratzt. Potter sagte nichts mehr dazu, dass Black die Ferien offensichtlich bei Remus und nicht bei ihm verbracht hatte, Pettigrew ging ganz im Kartenspielen auf und ignorierte Remus geflissentlich, bis auf ab und zu, wenn er ihm einen düsteren Blick sandte. Black versuchte, Remus‘ Versprechen einzuhalten und keinen Verdacht aufkommen zu lassen, dass Remus und ihn mehr verband als die keimende Freundschaft, die Potter vermutete. Remus vergrub sich in den Karten, versuchte auch schneller im Ablegen zu sein, sodass vor allem Potter keinen Grund zum Murren hatte, und ansonsten hielt er den Blick gesenkt. Er hatte sich die Fahrt schlimm vorgestellt und das war sie auch.
 

Irgendwann wurde das Kartenspiel jedoch langweilig und Potter legte es zurück in seine Tasche, dann starrte er aus dem Fenster. So untypisch wie dieses Verhalten für ihn war, so sehr fürchtete Remus sich davor, wenn er wieder in alte Muster zurückfallen würde. So tat er das, was er immer tat, wenn er alles um sich herum ausblenden wollte: Er las ein Buch.
 

„Krone?“
 

Blacks Stimme schnitt wie ein Eindringling durch das Abteil. Sein Tonfall war jedoch ungewöhnlich sanft, beinahe bittend. Potter blickte auf.
 

„Es tut mir Leid. Ich war … irgendwie durcheinander.“
 

Potter musterte ihn. „Schon gut.“, sagte er dann, aber es war klar, dass er es nicht so meinte.
 

~~~~~*~~~~~
 

Remus hatte noch nie so eine anstrengende Fahrt nach Hogwarts erlebt. Als sie sich aus dem Abteil und dem Zug drängten, war er vollkommen ausgelaugt und wünschte sich nichts sehnlicher als ein leckeres Essen und dann sein Bett.
 

Draußen war es dunkel geworden und die Lichter von Hogwarts strahlten hell über den See, über den die Erstklässler der Tradition nach fahren würden. Er erinnerte sich noch gut daran, wie er selber in eins der Boote gestiegen war, voller Glück und Vorfreude darauf, dass er die Schule besuchen durfte. Doch er hatte zwar vieles gelernt, mehr als die meisten Schüler vielleicht, aber alles andere war ein Desaster.
 

Aber Black hatte sein Versprechen gehalten. Er hatte keine Andeutungen gemacht, ihn nicht berührt, ihm noch nicht einmal einen besonderen Blick geschenkt. Er war so davon erfüllt gewesen sein Versprechen zu halten, dass er ihn beinahe vollkommen ignoriert hatte. Jedenfalls hoffte er das. Insgeheim hatte er jedoch die Vermutung, dass dieses Verhalten nicht nur auf sein Versprechen zurückzuführen war.
 

Zu viert stiegen sie in die Kutsche, die, wie Remus wusste, von Thestralen gezogen wurde. Als er im zweiten Jahr das erste Mal mit so einer Kutsche gefahren war, hatte er mitbekommen, wie einige Mitschüler darüber geflüstert hatten, von was sie wohl gezogen würde. Er hatte sie aufgeklärt, dass sie von toten Pferden gezogen wurde, doch er wurde nur angestarrt. Dann hatten sie über ihn geflüstert.
 

Inzwischen hatte er mehr gelernt und wusste, dass es keine toten Pferde waren, sondern Thestrale, und dass man sie nur sehen konnte, wenn man einen Menschen hatte sterben sehen. Bei der Erinnerung schloss er kurz die Augen. Niemand sollte Thestrale sehen können. Er hoffte, dass Black es nicht konnte.
 

Die Kutsche kam ruckelnd in Fahrt und schon bald waren sie angekommen.
 

~~~~~*~~~~~
 

Remus langte ordentlich zu. Einen gesunden Appetit hatte er immer, auch wenn davon nicht viel an ihm hängen blieb. Er nahm sich ein paar Hühnerbeine, schaufelte sich eine dicke Portion Kartoffelauflauf auf den Teller und ging danach zu Kürbispastete und später zu Kürbiskuchen über. Pappsatt und hundemüde schob er schließlich den Teller von sich und wollte aufstehen.
 

„Warte, ich komm mit.“
 

Black hielt ihn am Handgelenk fest, eine Geste, die seltsamerweise einen Schauder seinen Rücken hinunterjagte. Zusammen verließen sie die Große Halle. Dass Potter ihnen nachsah, entging beiden.
 

Remus war davon ausgegangen, dass sie zum Gryffindorturm gehen würden, doch er hatte sich getäuscht. Unvermittelt zog Black ihn in ein leeres Klassenzimmer.
 

„Was-“
 

Er kam nicht weiter, denn Black zog ihn unvermittelt in eine heftige Umarmung.
 

„Das wollte ich schon die ganze Zeit tun.“, nuschelte er gegen seine Schulter. Zögerlich erwiderte Remus seine Umarmung. Sollte er ihm danken dafür, dass er sein Versprechen gehalten hatte? Er wusste nicht, ob es dafür nicht noch zu früh war.
 

Blacks Hände blieben nicht dort wo sie waren. Stattdessen wanderten sie über seine Schultern seinen Rücken hinunter und langsam wieder hinauf, jedoch jedes Mal tiefer gleitend. Remus erschauerte, unfähig, sich zu rühren. Er vergrub seinen Kopf in seiner Schulterbeuge, als Blacks Hände sanft auf seinem Hintern zu ruhen kamen. Der winzige Teil seines Verstandes, der noch nicht von Nebel umhüllt war, schob Panik, und sein Bauch machte Purzelbäume, aber er zwang sich still zu bleiben und zu genießen. Es war viel zu aufregend zum Aufhören.
 

Als Black den Druck seiner Hände auf seinem Hintern verstärkte, wurde ihm schwindelig. Black küsste ihn, küsste seinen Hals, sein Ohr, ein kurzer Schmatzer auf die Wange, dann auf den Mund. Der Kuss wurde schnell tiefer, leidenschaftlicher und Remus warf all seine Hemmungen über Bord und küsste ihn heftig zurück, presste sich an ihn. Blacks Hände taten verbotene Dinge, wanderten unter seine Robe, unter sein Hemd und auf seine nackte Haut. Merlin, er wurde verrückt. Er wurde wirklich verrückt.
 

Black grinste in den Kuss hinein und für einen kurzen Moment musste Remus auch lächeln, egal was sonst war, in diesem Moment, in diesem verdammten, verstaubten und verlassenen Klassenraum war er glücklich.
 

Seine Hand wurde gepackt, sanft, aber doch forsch, und unter Blacks eigene Roben geschoben. Noch trennte sie eine störende Kleidungsschicht und Remus zögerte einen Moment, dann küsste Black ihn einfach so gut, dass er nicht anders konnte, ihm das Hemd aus der Hose zupfte und endlich seine glühende Haut berührte.
 

Er erforschte alles, an das er herankam. Die schlanke Seite, die er mit seinen kleinen Händen gar nicht richtig umfassen konnte, der flache, muskulöse Bauch, der sich unter seiner Hand bewegte, der Rücken, die Brust, die sich stark hob und senkte.
 

Remus wusste, wenn er nicht aufhörte, würde er sein erstes Mal auf einem der Tische verlieren, doch er konnte sich nicht losreißen. Black spürte wohl, dass er sich versteifte, denn er drückte ihn plötzlich ein Stück von sich, ein Gefühl, wie mit eisigem Wasser übergossen zu werden. Er atmete schwer, auch ihn hatte es nicht kalt gelassen. Ihre Hüften waren noch aneinander gedrückt und Remus spürte nur allzu deutlich, wie erregt er war.
 

„Keine Angst.“ Blacks Stimme klang heiser und er leckte sich über die Lippen, eine Geste, bei der Remus beinahe wieder schwach geworden wäre. „Ich fall schon nicht über dich her. Nicht hier. Und auch nicht jetzt.“ Er lächelte unwiderstehlich, dann küsste er ihn vorsichtig und ließ ihn los.
 

Remus wusste nicht, ob er erleichtert sein oder es bedauern sollte.
 

~~~~~*~~~~~
 

Es dauerte eine Weile, bis sie sich wieder so beruhigt und ihre Kleidung geordnet hatten, dass sie sich wieder in die Gänge trauten. Black grinste ihn schelmisch an und Remus erwiderte das Lächeln. Auf dem Rückweg in den Gryffindorturm kamen seine Sorgen nur langsam zurück an die Oberfläche, doch der glückselige Nebel, in den er versetzt war, legte sich nicht.
 

Als sie im Gemeinschaftsraum ankamen, war dieser schon gut gefüllt mir plaudernden Schülern. Black hatte wie immer eine gewisse Aufmerksamkeit, doch Remus versuchte diese zu ignorieren. Stattdessen ging er schnurstracks in den Schlafsaal, den er sich mit den drei Rumtreibern teilte, zog sich seinen Schlafanzug an, putzte sich die Zähne und sank in die Federn.
 

Es mochte keine halbe Stunde vergangen sein, da ging die Tür erneut auf und besagte Rumtreiber kamen laut schwatzend herein. Natürlich hatten sie ihn bemerkt, doch Rücksicht auf seinen Schlaf hatten sie eh nie genommen und eigentlich war er ja auch noch hellwach. Was Black mit ihm angestellt hatte, ließ ihm keine Ruhe. Jetzt, wo er sich wieder beruhigt hatte, konnte er halbwegs rational über die Sache nachdenken und er wusste, dass Black diese Dinge schon hunderte Male mit ebenso vielen Mädchen getan hatte. Er wollte ihm glauben, wollte glauben, dass da mehr war und dass er – ihn liebte. So wie er selber befürchtete es zu tun. Er wusste, dass er ein großes Risiko einging. Das Risiko, verraten zu werden. Nicht nur sein Geheimnis.
 

Es war die furchtbare Angst, verletzt zu werden.
 

Pettigrew zog sich gerade einen etwas zu klein gewordenen Pyjama an, während Potter und Black schwatzend im Bad verschwanden. Remus konnte nicht anders, als heimlich auf seinen Rücken zu starren, die Bettdecke hochgezogen bis unter das Kinn. Er hatte eine Kostprobe bekommen. Und was für eine! Wie sich sein Körper wohl gegen Blacks anfühlen würde?
 

Die beiden kamen wieder aus dem Bad, zogen sich aus und legten sich in ihre Betten, doch Remus wusste, dass sie noch stundenlang miteinander reden würden, vor allem, wenn sie annahmen, dass Pettigrew und er schliefen. Nun, Pettigrew tat dies nach einer weiteren halben Stunde wirklich; sein leises Schnarchen war unüberhörbar.
 

„James?“
 

Black flüsterte.
 

„Ja“, kam es zurück.
 

„Bist du sauer?“
 

Schweigen. Dann:
 

„Ja.“ Wieder Schweigen, dann fügte Potter hinzu: „Ein bisschen. Aber eher verwirrt. Sirius, was ist los?“ Black antwortete nicht. Remus hatte die Augen geschlossen, weil er so tat, als würde er schlafen, doch er hätte viel darum gegeben, jetzt Blacks Gesicht zu sehen. Zu wissen, was er dachte. „Ich mache mir Sorgen um dich, Sirius. Du warst schon vor den Ferien so komisch. Und jetzt haust du von zu Hause ab und kommst nicht zu mir – dabei hab ich’s dir doch angeboten! Und stattdessen versteckst du dich bei Lupin. Was soll ich da denken?“
 

Endlich sprach Black.
 

„Ja … es tut mir auch Leid, Mann. Weiß auch nicht, was mich da geritten hat. Aber ich bin einfach los und – Mann, du weißt gar nicht, was bei mir los war! Meine Mutter dreht voll durch. Faselt die ganze Zeit was von so ‘nem Lord und Regulus ist ganz heiß darauf, bei diesem Verein mitzumachen. Keine Ahnung, was das soll. Halt so ein Reinblüterquatsch. Aber schau dir Peter an, der ist Reinblüter, und mit Sicherheit nicht so toll wie Linda aus Ravenclaw.“ Potter stimmte zu. „Jedenfalls hab ich’s nicht mehr ausgehalten. Und … ach scheiße, James, ich weiß nicht, wie ich’s erklären soll, aber auf einmal war ich halt in der Nähe. Ich weiß kaum, wie ich dahingekommen bin oder wann ich den Entschluss dazu gefasst habe. Und da hat Remus mich schon gefunden.“
 

„Du nennst ihn also schon Remus?“
 

„Klar … ich nenn dich doch auch nicht Potter.“
 

„Und er dich Sirius?“
 

„Ähm … nein. Ist ein bisschen verschlossen.“
 

„Scheint ja wirklich was Ernstes zu sein. Deine Freundschaft zu ihm.“
 

Black schwieg und Remus hatte kurz das Gefühl, als würde Potter mehr sagen wollen als nur das.
 

„Ja … denk bitte nichts Falsches! Du bist und bleibst mein allerallerbester Freund! Remus ist … was anderes. Ein anderer Freund. Bei ihm – ach, ich weiß auch nicht.“
 

Remus wusste nicht warum, aber irgendwie fühlte er bei diesen Worten ein Stechen in der Brust.
 

Eine ganze Weile lang sprachen die beiden gar nicht und er dachte schon, sie wären eingeschlafen. Dann sprach Potter jedoch wieder.
 

„Ganze sechs Wochen, Mann. War dir nicht langweilig?“
 

„Doch, manchmal.“ Rascheln, dann ein Händeschlag. „Ich hab dich vermisst, Krone.“

Alte Narben, neue Wunden

Alte Narben, neue Wunden
 

„Wach auf, Lupin!“
 

Die Bettdecke wurde ihm weggezogen und Remus schlug die Augen auf. Über ihm stand Potter, die Bettdecke in beiden Händen, Pettigrew dahinter. Normalerweise war er früher als das Trio wach, es schien, als nutzten sie die seltene Situation aus, um einmal ihn wecken zu dürfen.
 

Sich den Schlaf aus den Augen reibend stand er auf. Auch Black war schon auf den Beinen. Frisch geduscht kam er gerade aus dem Bad und zog sich an. Remus wandte den Blick ab; er wollte sich nicht durch zu intensives Starren verraten.
 

Potter grinste ihn an.
 

„Ich wollte dich ja eigentlich anders wecken, mit einem Aquatus-Zauber zum Beispiel, aber leider hat mich Sirius davon abgehalten.“ Das schien er wirklich zu bedauern. Potter piekste ihm spielerisch in die Seite, gerade so, dass es ein bisschen zu fest war. „Scheint dich echt gern zu haben, unser Sirius.“ Damit verschwand Potters Lächeln aus seinem Gesicht und er drehte sich um. Pettigrew wuselte ihm hinterher.
 

Die nächsten Tage vergingen beinahe wie gewohnt: Die Rumtreiber planten ihre Streiche und führten sie aus, während Pettigrew umso hartnäckiger versuchte mitzuhalten, Remus vergrub sich hinter seinen Büchern. Der Herbst hatte inzwischen begonnen und Remus hatte mit gemischten Gefühlen beobachtet, wie die Peitschende Weide ihre rotgold gefärbten Blätter mit einem kräftigen Schwung abgeschüttelt hatte. Er war froh, dass seine letzte Verwandlung noch nicht allzu lange her war und er so noch viel Zeit bis zur nächsten hatte.
 

Was seine Beziehung zu Black anging – nun, an die ging er auch mit gemischten Gefühlen heran. Einerseits war es wahnsinnig aufregend. Sie trafen sich manchmal heimlich in leerstehenden Klassenräumen, um ein wenig miteinander rumzumachen, ab und zu zog Black ihn jedoch nur kurz hinter eine Statue, raubte ihm einen atemberaubenden Kuss und verschwand dann wieder, so als wäre nichts geschehen. Die Gefühle, die er damit in Remus auslöste, waren diesem völlig neu. Bisher hatte er von so etwas nur gelesen.
 

Andererseits konnte er nicht anders, als sich wie das fünfte Rad am Wagen zu fühlen. In diesem Fall wohl das vierte.
 

Er hatte es sich gerade unter einem ausladenden Baum gemütlich gemacht, ein Buch über Pflanzenkunde in den Händen, als er Black über die Wiesen auf ihn zulaufen sah. Bei ihm waren Potter und Pettigrew.
 

„Hey, Remus!“ Black strahlte in etwa genauso viel wie die Herbstblätter, auf denen er saß. Es hatte sich tatsächlich eine leichte Röte auf seine Wangen gelegt – ob es wegen Atemnot oder ihm war, konnte er nicht sagen.
 

„Hi.“ Unsicher sah er zu den anderen beiden rüber. Potter fuhr sich durch die Haare, eine Geste, die er sich selbst angewöhnt hatte, um die Mädchen zu beeindrucken, obwohl die ganze Schule wusste, dass er eigentlich nur bei einem Mädchen landen wollte. Pettigrew, kleiner und unscheinbarer als Remus selbst, stand unsicher daneben. Er sah aus, als hätte er gerade in eine saure Zitrone gebissen.
 

„Wir wollten gerade eine Runde Quidditch spielen, aber wir sind einer zu wenig.“ Black sah ihn bedeutungsvoll an und als Remus nicht antwortete, sprach er weiter. „Ich dachte – wir dachten – du könntest mitspielen?“, fragte er zögerlich. Remus hatte in seinem Leben noch nicht oft auf einem Besen gesessen und er hatte gerade den Mund aufgemacht und wollte ablehnen, als Black ihn schon unterbrach: „Sag nicht nein, Remus! Wir brauchen dich! Bitte!“
 

„Also ich, ähm-“
 

„Danke, Remus!“ Black zog ihn hoch und Remus schaffte es noch gerade so, sein Buch festzuhalten. Zu viert gingen sie zum Quidditchfeld, das um diese Jahreszeit nicht mehr ganz so häufig genutzt wurde wie im Frühjahr. Black hatte schon einen Schulbesen parat, den er Remus aushändigte.
 

Remus umfasste das alte, unpolierte Holz des Besenstiels mit unsicheren Händen. Das Fliegen allein bereitete ihm keine großen Sorgen, doch wenn er aus dem Augenwinkel das dicke Grinsen von Potter beobachtete, war er sich nicht so sicher, ob er nur ein harmloses Quidditchspiel im Sinn hatte. Aber er erinnerte sich wieder an die Temperatur in ihrem Schlafsaal, welche seit dem Sommer gefährlich gesunken war. Er wusste, dass Potter es ihm übel nahm, dass Black zu ihm geflohen war und nicht zu seinem besten Kumpel. Und Potter war ein verdammt guter Flieger.
 

Zögerlich stieg er auf.
 

Der Besen hob sofort ab, was er gar nicht vorgehabt hatte, doch er schaffte es schnell, ihn wieder unter Kontrolle zu bekommen. Unter sich hörte er Potter lachen, dann hoben die drei ebenfalls ab.
 

Black und er bildeten ein Team, ebenso wie Potter und Pettigrew. Hätte er mit Pettigrew zusammen gegen Potter und Black fliegen müssen, wäre das Spiel allzu schnell entschieden gewesen und Black hatte sich regelrecht auf ihn gestürzt, als sie ihre Teams gebildet hatten.
 

Einen Schnatz gab es nicht, nur einen alten, abgenutzten Quaffel, den Potter weiß Merlin woher hatte. Nach einigen Spielminuten hatte Remus den Quaffel und flog so schnell er konnte auf die Ringe zu, doch Potter auf seinem neuen Besen war einfach schneller. Binnen Sekunden war er plötzlich neben ihm, rammte ihn unsanft in die Seite, sodass er den Ball fallen ließ, und stürzte demselben anschließend hinterher. Nachdem er die ersten zehn Punkte einkassiert hatte, flog er eine Runde um das Stadion und endete seine Siegesparade nur wenige Zentimeter vor Remus, der zusammengezuckt war.
 

„Erschreck mich doch nicht so.“, murmelte er. Potter tätschelte ihm die Schulter.
 

„Keine Sorge, Lupin, Peter und ich spielen so, dass du auch mithalten kannst.“
 

Was sich für andere vielleicht aufmunternd und ganz nett gemeint anhörte, war für Remus der blanke Hohn; er wusste, dass es Potter nicht passte, dass Black und er Zeit miteinander verbrachten. Merlin allein wusste, was er tun würde, wenn er die ganze Wahrheit herausfände. Pettigrew war im Quidditch meilenweit von Potter entfernt. Ihm zu sagen, dass Pettigrew auf ihn Rücksicht nähme, war selbst für Remus eine Beleidigung, doch er versuchte sich nichts anmerken zu lassen.
 

Black und er bildeten ein gutes Team. Remus wusste, dass dieser die Tore oft im Alleingang machte, dieses Mal nahm er jedoch Rücksicht und warf ihm den Quaffel mehrmals zu, sodass er es zwar nicht schaffte, ein Tor zu erzielen, aber immerhin einige gute Versuche hatte.
 

Einmal hätte er den Quaffel sogar beinahe durch einen der Ringe geworfen. Black hatte ihm zugepasst und Remus flog so schnell er mit dem alten Schulbesen konnte auf die drei Ringe zu. Leider war Potter einfach ein besserer Flieger als er und hatte zudem den besseren Besen. Es kam zu einen Kopf-an-Kopf-Rennen, das etwa drei Sekunden andauerte, bevor Potter heftig gegen ihn stieß, sodass er beinahe vom Besen gefallen wäre. Er konnte sich gerade noch so mit einer Hand festhalten, während sein Besen sich einmal um die eigene Achse drehte. Als Remus endlich wieder sicher saß, hatte Potter bereits ein Tor erzielt.
 

Danach war das Spiel noch härter geworden. Black und Potter schienen sich gegenseitig übertrumpfen zu wollen, doch was sie dazu antrieb, war Remus ein Rätsel. Pettigrew dagegen hatte keine Chance mehr, da Potter den Quaffel niemals zu ihm hinüberwarf. Aus einem kurzen Anflug von Mitleid heraus – schließlich kannte Remus die Außenseiterposition nur zu gut – flog er zu ihm.
 

„Die beiden lassen uns nicht mitspielen, was?“, versuchte er unsicher ein Gespräch zu beginnen.
 

Pettigrew starrte ihn nur an und lenkte dann seinen Besen in höhere Gefilde, um wieder mitzumischen. Remus versuchte es nicht noch einmal.
 

Er gab sein Bestes, aber er musste trotzdem feststellen, dass Pettigrew tatsächlich besser Quidditch spielen konnte als er. Das machte ihn noch frustrierter, was vielleicht daran lag, dass er Pettigrew eigentlich noch nie hatte ausstehen können. Am Ende stand es 140 zu 90 für Potters und Pettigrews Team, keine riesige Niederlage, aber eben doch eine Niederlage. Sie hörten auf, weil es anfing zu regnen.
 

~~~~~*~~~~~
 

Bis sie in der Eingangshalle von Hogwarts angekommen waren, waren alle vier bis auf die Haut durchnässt. Sie beeilten sich daher, in den Gryffindorturm zu kommen und drängten sich alle gleichzeitig durch die Badezimmertür, bis auf Remus, der gut darauf verzichten konnte, sich vor den anderen auszuziehen. Allerdings wurde ihm dieses Mal ein Strich durch die Rechnung gemacht, denn Potter zog ihn ebenfalls hinein und schloss danach die Tür hinter sich.
 

„Du kannst ruhig mit uns zusammenduschen.“, beschloss er. „Immerhin gehörst du ja jetzt irgendwie zu uns dazu.“
 

Remus versuchte sich ins Gedächtnis zu rufen, dass das Potter war, der das sagte, und es aus diesem Grund überhaupt nicht ernst meinen konnte. Während die drei Rumtreiber sich auszogen, stand er stumm daneben und versuchte möglichst nicht zu Black zu schauen und sich am besten unsichtbar zu machen. Natürlich hatte er keine Chance.
 

„Bist du da festgewachsen oder was?“ Potter zupfte an seinem Hemd. „Komm, runter damit!“
 

Remus schlug seine Hand weg, eine Aktion, die er sofort bereute, wusste er doch, dass es Potter nur weiter anstacheln würde.
 

„Ich warte lieber, bis ihr fertig seid.“
 

„Nichts da! Die Dusche ist groß genug.“
 

Remus wehrte sich zwar, aber er hätte es genauso auch nicht tun können, so wenig richtete es gegen Potter aus. Dieser hielt ihn nun fest, während er die anderen beiden aufforderte, ihm zu helfen. Es war Black, der ihm das Hemd aufknöpfte. Remus wehrte sich immer noch, wenn auch nur halbherzig. Einerseits hatte er Panik, weil er es hasste, wenn jemand seinen Körper sah. Dass Black ihn schon beinahe nackt gesehen hatte, war schlimm genug, aber Potter und Pettigrew? Er wusste nicht, welcher von beiden ihm mehr zuwider war. Andererseits wollte er die Stimmung in ihrem Schlafsaal nicht noch weiter gefährden, indem er sich ernsthaft wehrte. Und so hatten die drei es letzten Endes ohne größere Schwierigkeiten geschafft, ihn bis auf das letzte Kleidungsstück auszuziehen.
 

Mit hochrotem Gesicht versuchte er, wenigstens das Nötigste zu verdecken.
 

„Mensch, jetzt stell dich doch nicht so an, Lupin!“ Potter stieß ihn in die Seite. „Du hast nichts, was wir nicht auch haben. Bist ja schließlich kein Mädchen. Oder?“ Er lachte und stellte sich unter die Dusche.
 

Black sandte ihm zwar einen entschuldigenden Blick, doch den ignorierte Remus. Er wusste, dass er sich nicht mehr herausreden konnte und stellte sich zu den dreien unter die Dusche. Die Beine zusammen und möglichst mit den Rücken zu allen Beteiligten fing er an sich die Haare einzuseifen. Er konnte nur hoffen, dass Potter nicht noch mehr fiese Tricks auf Lager hatte.
 

Hatte er.
 

„Lupin, an dir ist echt nichts dran.“ Potter klang beinahe mitfühlend, während er seinen Arm packte und ihn hochhob, als er ihn näher inspizierte. „Keine Muskeln. Du solltest mehr Sport machen. Quidditch zum Beispiel.“
 

Remus entriss ihm seinen Arm.
 

„Und die Narben?“
 

Das war Pettigrew, der bisher kaum einen Ton von sich gegeben hatte. Remus wusste, dass er etwas sagen musste, bevor er noch Potters Interesse weckte. Pettigrew war nicht besonders mutig und auch nicht besonders schlau, aber Potter würde um einiges spitzfindiger sein.
 

„Die sind … von einem Unfall. Als ich klein war. Nichts Besonderes.“
 

Einige Minuten lang sagte niemand mehr etwas. Sie duschten, ohne ein Wort miteinander zu wechseln, eine Stille, die Remus ungewöhnlich vorkam. Er hatte mit mehr Hänseleien seitens Potter gerechnet, oder dass sie sich zumindest gegenseitig mit einem Stück Seife bewerfen würden. Aber nichts.
 

Er wollte gerade fertig aus der Dusche treten, als Potter ihn zurückhielt.
 

„Und diese hier?“
 

Er zeigte auf eine Narbe. Leuchtend rot und mit einer schwachen Kruste darauf hob sie sich nur allzu deutlich von seiner restlichen Haut ab. Sie war frisch.
 

„Nichts Besonderes.“
 

Er floh aus dem Bad.
 

~~~~~*~~~~~
 

In dieser Nacht konnte Remus nicht schlafen. Er hatte noch eine Weile zugehört, wie Potter und Black miteinander flüsterten und ab und zu hatte er sich eingebildet, seinen Namen herauszuhören. Er hatte sich so weit unter der Bettdecke verkrochen, dass sein Kopf vollständig darunter verschwand und seine Füße stattdessen unten herausguckten. Er musste aufpassen. Potter durfte es nie erfahren. Selbst wenn er ihn nicht verriet, so würde er es doch gegen ihn verwenden. Remus hatte keine Ahnung wie genau das aussehen sollte, aber er war sich sicher, dass Potter einen Weg finden würde.
 

Er wollte nicht, dass irgendeiner von ihnen sein Leben aufs Spiel setzte. Denn es war kein Spiel, ein Werwolf zu sein. Es war eine Krankheit, wenn nicht sogar ein Fluch. Er hatte keine Ahnung, was er als Werwolf tat, wo er in der Vollmondnacht entlangstreunte, ob er jagte und ob-
 

Remus krallte die Hände in die Bettdecke und versuchte ein Schluchzen zu unterdrücken. Ihm schien alles zu entgleiten und er hatte im Gefühl, dass irgendetwas sehr, sehr Schlimmes bevorstand.
 

Ein plötzlicher Schmerz zuckte durch seinen Fuß.
 

Mehr vor Überraschung als des Schmerzes wegen schrie er auf, riss die Bettdecke vom Kopf und sah gerade noch so eine Ratte von seinem Bett springen und verschwinden. Fassungslos starrte er dem kleinen Tier hinterher und beobachtete, wie es irgendwo zwischen den umherliegenden Sachen im Schlafsaal verschwand.
 

Sein Schrei hatte auch die anderen geweckt. Es war Black, der als Erster an seinem Bett stand, kurz darauf kam auch Potter dazu.
 

„E-Eine Ratte – sie hat mich gebissen!“, stotterte Remus, immer noch ganz wirr im Kopf vor Schock. An seinem Fuß prangte der Biss deutlich sichtbar. Feine Blutströpfchen quollen aus der Wunde. Blacks Augen verengten sich, als er sie sich besah.
 

„Wir sollten dich sofort in den Krankenflügel bringen.“
 

„Jetzt? Es ist mitten in der Nacht und außerdem ist es nur ein harmloser Biss.“ Potter winkte ab.
 

„Hallo? Das kann sich entzünden! Wer weiß, was für Krankheiten dieses Mistviech hatte!“
 

Potters Gesicht verdüsterte sich, seine Mundwinkel zogen sich nach unten und seine Augen wurden zu schmalen Schlitzen.
 

„Gut! Dann bring du ihn in den Krankenflügel. Er ist schließlich dein Freund.“
 

Black schien einen Moment zu zögern, dann drehte er sich jedoch um.
 

„Okay, komm, Remus.“
 

Er half ihm aus dem Bett und stützte ihn, als er feststellte, dass er den Fuß nicht aufsetzen konnte. Um die Wunde herum hatte sich die Haut jetzt weiß-bläulich verfärbt.
 

Die Treppe in den Gemeinschaftsraum hinunterzukommen, war besonders schwierig und Remus klammerte sich an Black wie an einen Rettungsring. Auch der weitere Weg war beschwerlich, sein Fuß pochte inzwischen wie verrückt und ab und zu wurde ihm schwindelig. Er war um diese Zeit noch nie außerhalb seines Bettes gewesen – wenn man einmal von der besonderen Nacht einmal im Monat absah – und es kam ihm ein wenig unwirklich vor.
 

Black schwang die Tür zum Krankenflügel ohne Klopfen auf und rief nach der Krankenschwester Pomfrey. Diese besah sich den Biss eingehend.
 

„Und sie sagen, es war eine Ratte?“ Remus nickte. „Das ist seltsam. Nicht, dass Hogwarts keine Ratten hätte, aber eine in ihrem Schlafsaal ist schon sehr ungewöhnlich. Wie mag die wohl hereingekommen sein?“
 

Sie tupfte eine Tinktur auf seinen Fuß und verband ihn dann fachmännisch.
 

„Schonen Sie sich die nächsten zwei Tage. Belasten Sie ihren Fuß am besten gar nicht. Nehmen Sie ihn hier“, sie klopfte Black auf die Schulter, „und lassen Sie sich von ihm helfen. Wenn Sie noch irgendwelche Beschwerden haben, kommen Sie bitte umgehend wieder.“
 

Remus nickte und gemeinsam verließen sie den Krankenflügel.
 

~~~~~*~~~~~
 

Potter schien aus irgendeinem Grund nicht gut auf ihn zu sprechen zu sein, jedenfalls hatte Remus das Gefühl, dass er ihn noch mehr ärgerte als sonst. Black dagegen kümmerte sich beinahe schon mütterlich um ihn: Er trug seine Tasche, die zugegebenermaßen durch die Unmengen an Büchern ziemlich schwer war, und er stützte ihn, wenn er eine Treppe bewältigen musste, wovon es in Hogwarts reichlich gab. Er war sogar vor dem Frühstück nach draußen gelaufen und kam mit einem langen Stock zurück, auf den er sich stützen konnte.
 

Remus war für das alles sehr dankbar, aber es wäre ihm lieb gewesen, wenn Potter ihn dafür nicht mit Blicken erdolchen würde.
 

Im Moment begleitete Black ihn in die Bibliothek. Remus setzte sich an einen der Tische, die am nächsten an der Abteilung standen, die er für seinen Aufsatz benötigte. Black stellte seine Schultasche neben ihm ab und zögerte.
 

„Kommst du auch wirklich allein zurecht?“ In seiner Stimme war echte Sorge zu lesen.
 

„Wirklich.“, betonte Remus. „Alle Bücher, die ich brauche, kann ich mir per Accio besorgen. Ansonsten hilft mir sicher Madam Pince.“
 

Black verzog den Mund. „Bäh, die steht sicher auf dich!“ Er lachte, sah sich um und zog ihn dann in eine kurze Umarmung. Sie verabschiedeten sich und Remus blieb allein in der Bibliothek zurück.
 

Jedenfalls dachte er das. Black war gerade um die Ecke gebogen, da hörte er seine und noch eine andere Stimme ein paar Regale weiter. Sie unterhielten sich flüsternd, nicht wissend, dass die Akustik der Bibliothek zu dem Leidwesen von Madam Pince sehr weit trug.
 

„Was willst du hier?“ Blacks Stimme klang beinahe drohend, was Remus einen unangenehmen Schauder über den Rücken jagte.
 

Die andere Stimme war fiepsig, beinahe unterwürfig. Sie gehörte zu Pettigrew.
 

„In die Bibliothek.“, antwortete er.
 

„Das sehe ich! Ich will wissen, was du vorhast.“
 

„Nur was für einen Aufsatz nachsehen-“
 

„Lüg mich nicht an! Seit wann machst du deine Aufsätze schon selbst! Du wolltest zu Remus, stimmt’s?“
 

Jetzt spitzte Remus die Ohren.
 

„Was? Aber nein! Mit dem hab ich nichts zu tun!“
 

„Das kann ich nur hoffen.“ Blacks Stimme klang jetzt gefährlich leise, dann hörte er ein ersticktes Gurgeln. „Ich warne dich, Peter. Wenn du Remus noch einmal ein Haar krümmst, dann bekommst du es mit mir zu tun. Hast du mich verstanden?“
 

Pettigrew keuchte und hustete, dann japste er: „Ja, kein Problem, versprochen!“
 

Schritte entfernten sich und ließen einen verwirrten Remus zurück. Worum war es in diesem Gespräch eigentlich gegangen? Auch, dass Black von ‚noch einmal‘ gesprochen hatte, irritierte ihn. Pettigrew hatte sich bis jetzt doch immer im Hintergrund gehalten.
 

Er beschloss, Black später danach zu fragen und widmete sich erst einmal wieder seinen Hausaufgaben.
 

~~~~~*~~~~~
 

Zwei Tage vergingen und sein Fuß wurde nicht besser. Er wurde schlimmer. Remus schob es hinaus, warum, wusste er nicht, vielleicht, weil er sich zu sehr den Kopf über das Gespräch zwischen Black und Pettigrew zerbrach, als dass er noch Platz für irgendeines seiner Körperteile in seinen Gedanken gehabt hätte. Am vierten Tag musste er deshalb feststellen, dass sich die Wunde entzündet hatte.
 

„Warum sind Sie denn nicht früher gekommen?“ Die Krankenschwester stemmte die Hände in die Hüften. Remus zuckte nur mit den Schultern. Pomfreys Blick wurde weich. „Passen Sie besser auf sich auf, Lupin. Gerade in Ihrem Zustand sollte man nichts überstürzen.“

Geheimnis im Dunkeln

Geheimnis im Dunkeln
 

Das unabsichtlich belauschte Gespräch zwischen Black und Pettigrew ließ Remus keine Ruhe. Dass Black aus irgendeinem Grund Pettigrew die Schuld für den Rattenbiss gab, hatte er zwar inzwischen verstanden, aber er konnte beim besten Willen keine Verbindung dazwischen herstellen. Entweder gab es etwas, von dem er noch nichts wusste, oder Black war völlig durchgeknallt. Da er Letzteres zwar öfter annahm, in diesem Falle aber nicht davon ausging, beschloss er Pettigrew in Zukunft im Auge zu behalten. Gemocht hatte er ihn nie, er war linkisch, geradezu unterwürfig Potter gegenüber und es war ihm ein Rätsel, warum er als einer der Rumtreiber angesehen wurde. Er hatte so ziemlich gar nichts mit ihnen gemein.
 

Und ihm gefiel der Blick nicht, mit dem er ihn ansah. Pettigrew hatte in nie wirklich beachtet, hatte zwar auch bei den Hänseleien mitgemacht, aber nie selbst eine gestartet. Erst seitdem er mit Black zu tun hatte, war auch Pettigrews Aufmerksamkeit auf ihn gelenkt worden. Und diese war alles andere als freundlich.
 

Pettigrew mochte ihn nicht, so viel war glasklar. Eventuell hasste er ihn sogar. Remus konnte sich darauf keinen Reim machen. Black offenbar schon. Dass er Pettigrew, der ja eigentlich sein Freund war, gedroht hatte, um ihm, Remus, zu helfen, war befremdlich.
 

Aber was in Merlins Namen hatte Pettigrew mit dem Rattenbiss zu tun? Kurz kam Remus die Idee, dass er vielleicht eine Ratte in ihren Schlafsaal geschmuggelt hatte, um ihm einen dummen Streich zu spielen. Diesen Gedanken verwarf er aber sofort wieder – Pettigrew hätte damit auch allen anderen geschadet.
 

Die Ratte und Pettigrew – irgendeine Verbindung musste es doch geben.
 

~~~~~*~~~~~
 

Es gab jedoch eine Sache, die Remus von seinen Überlegungen abhielt, eine Sache, die die Rumtreiber miteinander verband und die ihn gleichermaßen ausschloss. Und das war ihr nächtliches Treiben, was auch immer genau das war. Potter und Black, inzwischen auch fast immer Pettigrew, schlichen sich mindestens zweimal pro Woche des Nachts aus dem Schlafsaal, um wer weiß was zu tun. Als es damals im dritten Schuljahr angefangen hatte, war er zwar neugierig gewesen, aber das hatte bald aufgehört. Er hatte zwar ab und mal nachgefragt, nie aber eine befriedigende Antwort erhalten und weil er wusste, dass zu viel Hartnäckigkeit ihm selber schaden könnte, ließ er es irgendwann bleiben.
 

Diese Nacht schlichen die drei Rumtreiber jedoch wieder einmal hinaus und diesmal war Remus verdammt neugierig. Als Freund – Merlin, wie das klang! – von Sirius Black hatte er ja wohl das Anrecht darauf, mehr zu erfahren. Und ehe er sich versah, war er ebenso leise aus dem Bett geschlüpft und verließ nur mit seinem Schlafanzug und seinen Schuhen den Saal.
 

Nachdem er leise die Türe geöffnet und bei ihrem zaghaften Quietschen zusammengezuckt war, lugte er hinaus in den vollkommen verlassenen Gang, der sich vor ihm erstreckte. Er tapste den Teppichboden entlang, bis er an die Treppe gelangt war, die zum Gemeinschaftsraum führte. Er wagte sich gerade soweit die Stufen herunter, dass seine Füße nicht von unten zu sehen waren, dann hielt er sich am Geländer fest und beugte sich so weit und so vorsichtig vor wie er konnte.
 

Der Gemeinschaftsraum war menschenleer. Dafür sah er gerade noch, wie das Portrait am Eingang zuschwang. Hastig lief er hinüber, so schnell, wie es sein verletzter Fuß erlaubte.
 

Er wartete ein paar Sekunden, in denen er an der Rückseite des Bildes lauschte und als er sich sicher glaubte, öffnete er das Portrait Zentimeter um Zentimeter. Als keine Reaktion von außen kam, öffnete er es ganz und schlüpfte hinaus.
 

„Noch ein Ruhestörer!“ Bei der schrillen, genervten Stimme schreckte er zusammen. „Habt ihr Schüler denn nichts Besseres zu tun? Schlafen zum Beispiel!“
 

Es war nur die Fette Dame, stellte er erleichtert fest. Er lächelte entschuldigend, dann fragte er:
 

„Es tut mir Leid, Miss, es wird nicht wieder vorkommen. Würden Sie mir sagen, wo die drei Jungen gerade hingelaufen sind?“
 

Die Fette Dame schaute ihn skeptisch an und er schrumpfte unter ihrem herrischen Blick beinahe zusammen. Dann nickte sie.
 

„Also gut. Aber nur, weil du es bist. Du hast wenigstens noch Anstand! Dieser andere da, der mit diesen unmöglichen schwarzen Haaren, hat mir gedroht, mich mit seiner Feder zu verunstalten, wenn ich irgendwem erzähle, dass er sich nachts ständig herumtreibt!“ Sie murmelte noch ein wenig vor sich hin, ehe sie preisgab, in welche Richtung das Trio abgebogen war. Remus dankte ihr höflich und hetzte dann hinterher.
 

Nachts im Schloss unterwegs zu sein, hatte etwas Unheimliches an sich. Remus konnte die Blicke der Bilder beinahe auf sich spüren. Er hatte sich mit Lumos ein wenig Licht verschafft, musste aber schnell feststellen, dass die Bilder sich über die Ruhestörung beschwerten, sodass er gezwungen war in völliger Dunkelheit die Gänge entlangzutappen.
 

Es war gruselig. Er wusste nie, wann eine Wand, die er mit der Hand entlangglitt, zu Ende war und er in die Leere griff. Dieses plötzliche Gefühl war besonders schlimm. Jedes Mal befürchtete er, dass in der Leere doch noch etwas war, und ihn packte, wenn er mit seiner Hand hineingriff.
 

Es war auch nicht völlig still. Hier und da war es nur das Schnarchen eines Portraits, ab und zu ein Knarren. Er wusste, dass dies vom Holz kam oder vielleicht auch vom Wind, der draußen an den Fensterläden rüttelte. Geräusche, die durch die uralten Mauern weit getragen werden konnten. Ab und zu meinte er aber auch Schritte zu hören, und obwohl er sich darüber freuen sollte, verfolgte er doch schließlich Black, konnte er es nicht. Die Schritte waren nicht vor, sie waren hinter ihm.
 

Es wurde ihm zu viel.
 

Irgendwo war zwar diese Seite in ihm, die ihm sagte, dass Menschen sich vor ihm in der Dunkelheit fürchten müssten und nicht umgekehrt er, doch in diesem Moment war er nur ein Junge, der Angst hatte. Fürchterliche Angst. Zudem hatte er inzwischen nicht mehr den blassesten Schimmer, wo im Schloss er sich gerade aufhielt.
 

Die fixe Idee, das Trio zu verfolgen, hatte er inzwischen längst aufgegeben. Stattdessen murmelte er nun zaghaft „Lumos!“, sodass er wieder etwas sehen konnte. Seiner Angst half das nicht viel weiter; dort wo das Licht in fahle Schatten und rasch wieder in undurchdringliche Dunkelheit überging, meinte er immer noch Dinge zu sehen, die, wie sein Verstand sagte, dort nicht waren. Er musste all seinen Mut zusammenraffen, um auf diese Schatten zuzugehen, um den Weg in den Gryffindorturm wiederzufinden.
 

~~~~~*~~~~~
 

Am nächsten Morgen war er wütend. Auf sich selbst vor allen Dingen. Er fühlte sich, als hätte er einen Wettkampf verloren und noch viel mehr. Gleichzeitig war er wütend auf die Rumtreiber, die anscheinend nichts davon mitbekommen hatten, dass er ihnen hinterhergeschlichen war. Und wütend auf Black, der ihm nichts sagte. Was konnte es so Geheimnisvolles sein, das sie des Nachts taten?
 

Er erinnerte sich daran, wie Black ihn bei sich zu Hause überredet hatte, nachts durch das Dorf zu gehen. Ihm ging es um das ‚Verbotene‘, hatte er gesagt. Hier war es durchaus verboten und vielleicht mochte es einen gewissen Reiz auf ihn haben, den patrouillierenden Lehrern zu entwischen. Aber zweimal die Woche? Niemals, sagte Remus sich. Das zu glauben, wäre schlichtweg naiv.
 

Black kannte sein Geheimnis. Hatte Remus nicht auch ein Anrecht darauf, seins zu erfahren?
 

Nachdem Black ihn wieder einmal in einen leerstehenden Klassenraum gezogen hatte und ihn gerade küssen wollte, schob er ihn von sich weg und sagte es ihm.
 

Black starrte ihn an, als hätte Remus gerade von ihm verlangt, den Mond vom Himmel zu holen.
 

„‘Nächtliche Ausflüge‘? Was meinst du?“
 

Das tat weh. Black misstraute ihm nicht nur, er hielt ihn offensichtlich auch noch für dumm. Remus riss sich ganz vom ihm los. Er traute seiner Zunge nicht, solange sie sich in der Nähe von Black befand.
 

„Verkauf mich nicht für blöd, Black!“ Er versuchte grollend zu klingen, aber er war es nicht gewohnt zu streiten, weniger noch, seine Forderungen geltend zu machen. „Glaubst du wirklich, ich würde es nicht mitbekommen, wenn ihr seit Jahren immer wieder aus dem Schlafsaal schleicht?“
 

Black hatte wenigstens den Anstand, schuldbewusst dreinzuschauen. Remus versuchte ihn niederzustarren. Er hatte es sich wirklich in den Kopf gesetzt, das Geheimnis aus ihm heraus zu kitzeln.
 

Stattdessen wollte Black ihn in eine Umarmung ziehen. Remus wehrte sich, spürte jedoch, dass sein Widerstand schnell schwächer wurde. „Ich mein es ernst … Black, nicht!“ Er tat schon wieder diese verbotenen Dinge. Und wie Black das Verbotene liebte. Remus nahm das bisschen Widerstand, was er noch übrig hatte, zusammen und drückte ihn von sich weg, gerade so weit, dass ihre Körper sich nicht mehr berührten. Dann sah er ihm in die Augen, hoffte, dass sich darin Ernst widerspiegelte. „Black, ich mein’s ernst.“
 

Ein Schatten huschte über Blacks Gesicht, aber es war so kurz, dass er es sich auch eingebildet haben konnte. Black ließ ihn los und leckte sich über die Lippen. Er mied seinen Blick.
 

„Ich kann’s dir nicht sagen, Remus.“
 

„Aber warum nicht?“ Remus begriff es nicht, wollte es nicht begreifen. Welches Geheimnis konnte denn schon größer sein als das, welches er selbst trug?
 

„Ich … hab’s versprochen. Das ist jedenfalls ein Grund.“ Black scharrte mit den Füßen, es schien ihm wirklich Leid zu tun. Aber Remus wusste, dass Black ein guter Schauspieler war. So, wie er auch immer mit den Mädchen umsprang. Ihnen erst die große Liebe vorheuchelte und wie sie darauf hereinfielen, obwohl sie wussten, dass er der Herzensbrecher Nummer Eins in Hogwarts war. Vertraute Black ihm nicht? Und wenn ja, konnte Remus ihm trauen? War sein Geheimnis bei ihm noch sicher?
 

„Ich verspreche auch, dass ich niemanden davon erzähle. Auch wenn – auch wenn es etwas Verbotenes ist. Ich werde euch nicht verpetzen!“ Remus wagte einen letzten Versuch, doch Black schüttelte den Kopf. Remus wurde wütend. „Das ist nicht fair! Du weißt alles über mich, aber ich darf diese eine Kleinigkeit nicht wissen?“
 

„Es ist keine Kleinigkeit!“ Blacks Augen verengten sich, auch er schien sauer zu werden. Remus hatte das nur selten bei ihm erlebt und er wehrte sich dagegen, sich eingeschüchtert zu fühlen. „Es ist etwas total anderes als dein Geheimnis. Deins betrifft nur dich, aber ich kann dir meins nicht einfach sagen, ohne James und Peter zu verraten!“ Er war laut geworden und senkte die Stimme, als er es realisierte. „Remus, bitte.“ Da war er wieder, dieser Hundeblick. Remus spürte seinen Widerstand schmelzen. „Es ist nichts … Schlimmes, was wir tun. Und wir bringen Niemanden in Gefahr. Aber es darf keiner erfahren! Sonst sind wir am Arsch.“
 

Das war alles, was Remus an diesem Tag erfahren würde und er wusste es in der Sekunde, als er es hörte. Enttäuscht senkte er den Kopf und verließ den Klassenraum, ohne aufgehalten zu werden.
 

~~~~~*~~~~~
 

Black wusste, dass Remus nicht gut auf ihn zu sprechen war. Das war wohl auch der Grund dafür, dass er ihm aus dem Weg ging. Remus registrierte diese Veränderung, wie er es mit jeder Veränderung tat: äußerlich gelassen, innerlich jedoch wusste er nicht, ob er wütend, traurig oder enttäuscht sein sollte. Wütend auf Black, dem er anscheinend nicht wichtig genug war, um ein Geheimnis mit ihm zu teilen, traurig wegen Black, weil er glaubte, dass ihre Beziehung nach so kurzer Zeit schon ein Ende hatte. Und er war enttäuscht von sich selbst. Wie hatte er nur so dumm sein können? Black war der Mädchenaufreißer, er hatte es gewusst und doch hatte er ihm geglaubt. Hatte sich von ihm um den Finger wickeln lassen.
 

Und sich dabei selbst verliebt.
 

Nachdem er aus dem Klassenraum gestürmt war, hatte er halb gehofft, dass Black ihn zurückhalten würde, dass er ihn küssen, ihn umarmen und ihm dann doch alles sagen würde. In den Romanen, die er las, war das immer so. Es gab immer ein Happy End. Zu spät hatte er gemerkt, dass er zum ersten Mal seit langer Zeit weinte.
 

Er war dorthin gegangen, wo er zwar keinen Trost finden konnte, aber wo er sich sicher fühlte: Als er eingeschult worden war, war für ihn ein Baum gepflanzt worden, an dessen Wurzel man durch einen Geheimgang in die Nähe des Zaubererdorfes Hogsmeade gelangte. Am Ende des Ganges befand sich eine alte Hütte. Mit dieser verband er keine guten Gefühle, war er doch gezwungen, einmal im Monat dort die Nacht zu verbringen.
 

Und dennoch kam es ihm wie der einzige Ort vor, an den er nun gehen konnte.
 

Remus setzte sich in die hinterste Ecke des kleinen Raumes, zog die Knie an und legte seinen Kopf darauf. Er saß tief im Schlamassel. Black kannte sein Geheimnis und er wusste einfach nicht, ob er ihm vertrauen konnte. Er hatte sich zu schnell einlullen lassen. Nur einmal hatte er alle Bedenken über Bord fallen lassen wollen und schon war er gescheitert.
 

~~~~~*~~~~~
 

Mit den Gedanken völlig woanders kam Remus aus einer Stunde ‚Geschichte der Zauberei‘, das wuchtige Lehrbuch, ‚Eine Geschichte von Hogwarts‘ unter den Arm geklemmt. Er war einer der wenigen Gryffindors, die das Fach gewählt hatten und hatte seinen Platz inmitten einer Horde von Ravenclaws. Er achtete kaum auf seinen Weg und war in Gedanken bei den Prüfungen, die zwar noch ein ganzes Schuljahr entfernt lagen, aber man konnte ja nie früh genug anfangen. Und ‚Geschichte der Zauberei‘ würde sehr viel Paukerei erfordern.
 

Viel zu spät bemerkte er deshalb, dass nur wenige Meter vor ihm Black, Potter und Pettigrew marschierten. Er verlangsamte seinen Schritt und ließ sich so zurückfallen. Sie hatten ihn nicht bemerkt, aber leider hatten sie dasselbe Ziel: Verteidigung gegen die Dunklen Künste. Sein Lieblingsfach, auch wenn jeder dachte, das sei jenes, aus dem er gerade kam.
 

Er wollte gerade durch die Sitzreihen marschieren, um seinen Platz ganz hinten im Klassenraum einzunehmen, als er spürte, wie jemand ihm etwas in die Hosentasche steckte. Als er sich auf seinem Stuhl niederließ, packte er sein Buch und seinen Zauberstab aus und erst dann das kleine, zusammengefaltete Stück Pergament, das man ihm zugesteckt hatte.
 

„Bist du noch böse auf mich?“, fragte es unschuldig und Remus musste nicht hochsehen, um die neugierigen Augen Blacks auf sich zu spüren. Er überlegte, ob er es einfach ignorieren sollte, dann kritzelte er jedoch eine kurze Antwort auf den Zettel und beförderte diesen per Zauber zu seinem Empfänger. Natürlich war er noch böse auf ihn. Böse war gar kein Ausdruck, und so hatte er nur „Ja!“ auf den Zettel geschrieben.
 

Black biss sich auf die Unterlippe, als er die Nachricht saß, doch da ihr Lehrer gerade den Klassenraum betrat, hatte er keine Chance noch weiter zu diskutieren. Dennoch konnte Remus ihn während der gesamten Stunde unruhig auf seinem Stuhl hin und her rutschen sehen.
 

~~~~~*~~~~~
 

Die Stunde war vorbei und Remus, der bewusst mit Scheuklappen an den Rumtreibern vorbeischritt, verließ den Klassenraum ohne ein weiteres Wort. Er war jedoch keine zwei Minuten gegangen, als er urplötzlich am Arm gepackt und hinter eine Statue gezogen wurde. Ehe er auch nur erschrocken aufschreien konnte, wurde er auch in eine stürmische Umarmung gezogen. Sofort wusste er, wer ihn überfallen hatte und er wollte Black von sich drücken, doch wie immer gelang es ihm nicht. Stattdessen sah Black ihn mit ernstem Blick an.
 

„Wir müssen reden.“
 

Es kam Remus fast wie ein Ritual vor, als er wieder einmal in einen verlassenen Klassenraum gezogen wurde. Black steckte den Kopf zur Tür heraus und schaute, ob auch niemand auf dem Gang war, dann zog er sie hinter sich zu. Er konnte hören, wie er die Türe magisch verschloss und leichte Panik wallte in ihm auf. Was hatte Black vor? Gutes oder Schlechtes?
 

Remus weigerte sich, ihn anzusehen.
 

„Du bist böse auf mich, oder?“ Blacks Stimme klang schon wieder zum Weichwerden, aber Remus nahm sich vor, hart zu bleiben. „Ich hab lange darüber nachgedacht. Und … ich habe eine Idee.“
 

Misstrauisch verengte Remus seine Augen. „Welche Idee?“
 

Black zögerte, als sei er sich nicht sicher, wie er darauf reagieren sollte. Kurz wandte er den Blick ab. Remus sah, wie sich sein Adamsapfel bewegte, als er schluckte. Dann schien er einen Entschluss zu fassen und sah ihm fest in die Augen.
 

„Dein Geheimnis gegen meins – unseres.“
 

Remus zögerte.
 

„Du kennst meins doch längst.“
 

„Ja. Aber James und Peter nicht.“
 

Die Katze war aus dem Sack. Remus starrte ihn an – hatte Black den Verstand verloren? Er versuchte die Fassung zu bewahren.
 

„Black, hast du sie noch alle?“ Jetzt sah er ihn doch an. „Ich weiß ja noch nicht einmal, ob ich dir vertrauen kann! Und bei den anderen beiden weiß ich, dass ich ihnen nicht vertrauen kann!“
 

„Aber was verstehst du unter Vertrauen, Remus?“ Black kam auf ihn zu. „Glaubst du, nur einer von uns würde dann durch Hogwarts laufen und es jedem, der es hören will, erzählen? Was hätten wir davon?“
 

„Ich-“ Remus wusste es nicht. Aber- „Wie kann ich sicher sein, dass ihr nichts verratet? Als nur ich davon wusste, musste ich mich wenigstens auf keinen verlassen.“
 

Blacks Blick wurde weich und er kam weiter auf ihn zu, bis er direkt vor ihm stand und ihm die Hände auf die Schultern legen konnte.
 

„Aber willst du dich denn nicht auf jemanden verlassen können? Das kannst du nämlich. Ich weiß nun schon so lange von deinem pelzigen Problem, und ich habe dich nicht verraten. Und ob du’s glaubst oder nicht, James ist ein guter Freund.“
 

Remus versuchte, bei der Formulierung seiner Krankheit nicht unwillkürlich zu schmunzeln und schüttelte den Kopf. „Potter will doch gar nicht mit mir befreundet sein.“
 

„Aber doch nur, weil er dich nicht kennt! Gib ihm eine Chance. Dann wird er dir auch eine geben.“
 

Remus‘ Mundwinkel zuckte.
 

„Seit wann bist du so überhaupt so gefühlsduselig?“
 

Auch Black musste nun schmunzeln.
 

„Vielleicht seit ich dich kenne?“ Er beugte sich vor und küsste ihn flüchtig. Remus ließ es geschehen. „Wieder gut? Bitte.“
 

Da war er wieder, der alte Black mit seinen Hundeaugen. Doch Remus wusste, dass die Situation zu wichtig war, um jetzt einfach nachzugeben.
 

„Ich weiß es noch nicht. Lass mich ein paar Tage darüber nachdenken, ja?“
 

Black schien enttäuscht zu sein, doch er nickte, wenn auch nur widerwillig.

Die Karte des Rumtreibers

Die Karte des Rumtreibers
 

Ein paar Tage vergingen und während Remus‘ verletzter Fuß wieder der alte war und er normal auftreten konnte, wusste er immer noch keine Antwort auf Blacks Angebot. Sein Vertrauen in ihn war, seitdem sie wieder in Hogwarts waren, einfach nicht mehr das, welches es in den Sommerferien gewesen war. Weit weg von Potter und allem anderen hatte Remus für eine Weile vergessen oder zumindest verdrängen können, welche Konsequenzen leichtfertiges Handeln haben konnte. Jetzt war er sich dessen umso stärker bewusst und er hatte Angst, eine Entscheidung zu treffen, die sein Leben für immer verändern konnte.
 

Dementsprechend nervös war er, als das Schloss anlässlich des ersten Quidditchspieles der Saison – Gryffindor gegen Slytherin – wie leergefegt war. Er musste so ziemlich der einzige Schüler sein, der nicht auf den Tribünen saß, um seine Mannschaft anzufeuern. Stattdessen hockte er im Schlafsaal, sah sich ganz verstohlen um und, als er den Anpfiff hörte, atmete erleichtert aus.
 

Der Schlafsaal würde für eine ganze Weile leer sein und selbst wenn Black seine Abwesenheit bemerkte, konnte er als Spieler schlecht das Feld verlassen und nach ihm suchen. Auch Potter war aus dem gleichen Grund verhindert, nur wegen Pettigrew machte er sich Sorgen, aber der würde sich das Spiel sicher nicht entgehen lassen.
 

Mit etwas zittrigen Händen fing er an, das Zimmer zu durchsuchen.
 

Nach was er eigentlich suchte, wusste er nicht, aber er hatte es im Gefühl oder zumindest war es ein Hoffnungsschimmer, dass er irgendetwas finden würde, was ihm vielleicht einen Tipp geben konnte, in welche Richtung das große Geheimnis der Rumtreiber ging. Er musste wissen, ob es sich lohnte, sein Geheimnis dafür preiszugeben.
 

Das Zimmer war durch die angeborene Unordnung aller drei Mitbewohner entsprechend chaotisch und Remus hatte keinen wirklichen Anhaltspunkt. So durchwühlte er ziemlich unsystematisch alle Betten, blickte unter sie und in die Schränke, doch nichts, was seine Aufmerksamkeit auf sich gezogen hätte. In den Schränken waren nur einige unordentlich aufeinandergestapelte Kleidungsstücke, Roben, Hosen, T-Shirts, in den Schubladen Socken und Unterwäsche. In einem anderen Schrank waren Pergamentrollen, Tintenfässchen und Federn verstaut, auch ein paar Schulbücher, die teilweise schon erheblichen Staub angesetzt hatten. Unter den Betten war es nicht weniger staubig. Das einzig Interessante war ein gewisses Heftchen, das er unter Blacks Bett fand und das ihm einen Stich in der Brust versetzte.
 

Er wollte schon beinahe aufgeben, entnervt von der ununterbrochenen Spannung, mit der er dem draußen tobenden Quidditchspiel lauschte, da strich er mit seiner Hand unter Potters Bett unerwartet über etwas, das er noch nie gefühlt hatte. Es fühlte sich weich an, beinahe wie Seide, und doch schien es in seinen Händen zu zerfließen, als sei es gar nicht da. Gespannt sah er unter das Bett, rutschte schließlich darunter und versuchte möglichst keine Staubmäuse einzuatmen. Dabei ließ er das, was er berührt hatte los und fand es auch nicht wieder, jedenfalls entsprach keiner der Gegenstände unter dem Bett dem wasserartigen Stoff.
 

Unter Potters Bett standen zwei Paar Schuhe und eine Kiste. Er hätte schwören können, dass diese Kiste, als er das erste Mal unter das Bett gesehen hatte, noch nicht dagewesen war. Da er aber keine andere Erklärung fand als die, dass er sie einfach übersehen haben könnte, ließ er dieses Problem für das Erste achselzuckend fallen und machte sich daran, die Kiste unter dem Bett hervorzuziehen.
 

Die schwere, aus rustikalem und verziertem Holz gearbeitete Kiste machte ein lautes, quietschendes Geräusch, als er sie unter dem Bett hervor ans Tageslicht holte. Remus scherte sich nicht darum, niemand war da, um es zu hören. Dennoch war er vor Anspannung zum Zerreißen gespannt. Ganz vorsichtig – bei Potter musste man damit rechnen, dass er einen Fluch darauf gelegt hatte, öffnete er die Kiste, als sei sie eine Schatulle mit einem Schatz darin.
 

Auf den ersten Blick jedoch wurde er getäuscht: Kein Fluch lag auf der Kiste und überhaupt befand sich nichts darin, das ihm ungewöhnlich erschien. Viel eher erschien es ihm wie eine Ansammlung von kleinen Nichtigkeiten, die für Potter vielleicht einen hohen persönlichen Wert besaßen, aber mit seinem Geheimnis nicht viel zu tun hatten.
 

Wahllos nahm er einige Stücke heraus und betrachtete sie im Sonnenlicht. Eine Spieluhr – so etwas Sentimentales hatte er Potter nicht zugetraut, sie wirkte schon alt und schien kaputt zu sein, vielleicht ein Erbstück? Weiterhin ein Stück Holz, das er erst nicht zuordnen konnte, dann erspähte er in verschlungenen und schon halb abgeschliffenen Buchstaben den Schriftzug ‚Nimbus 90‘. Wohl ein Stück seines ersten Besens. Stück für Stück nahm er alle Dinge aus der Kiste und legte sie sorgfältig neben sich, darauf bedacht, sich zu merken, wie sie angeordnet gewesen waren, damit er sie genauso wieder zurücklegen konnte.
 

Und ganz am Boden, so zusammengefaltet, dass sie genau in das Format der Kiste passte, lag ein Stück Pergament. Remus runzelte die Stirn, dann nahm er es heraus.
 

Das Pergament war nicht ganz neu, trug aber noch nicht die Spuren vieler Jahre, die es schließlich gelb, dann braun und vergilbt werden lassen würden. Unbeschrieben war es auch nicht. Remus konnte sich im ersten Augenblick keinen Reim auf die unzähligen Linien machen, die er sah, dann verdichtete sich das Bild vor seinen Augen und er erkannte, was er vor sich hatte: eine Karte.
 

Aus welchen Gründen Potter eine Karte als wichtig erachtete, war ihm solange schleierhaft, bis er erkannte, um was für eine Karte es sich handelte. Sie beschrieb keine Landschaft, sondern die Architektur eines Gebäudes, und dieses Gebäude musste riesig sein. Remus brauchte nur wenige Augenblicke um zu erkennen, dass es sich bei seinem Fund um eine Karte von Hogwarts handelte.
 

Als ihm diese Erkenntnis dämmerte, weiteten sich seine Augen vor Schrecken. Wie kam Potter – wie kamen die Rumtreiber, denn bei dieser Karte musste es sich zweifelsfrei um ihr wohlbehütetes Geheimnis handeln, wie kamen ein paar einfache Schüler an so etwas Kostbares und Gefährliches?
 

Wie gefährlich diese Karte war, wurde ihm erst recht bewusst, als er in der Kammer, die, wie er wusste, ihren Schlafsaal darstellte, einen winzigen Punkt ausmachte, neben dem sein Name schwebte. Geistesgegenwärtig huschte sein Blick zu einer Fläche auf den Hogwartsgründen, die das Quidditchfeld darstellte. Dort wimmelte es nur so von Punkten und Schriftzügen, sie waren so dicht nebeneinander gesetzt, dass Remus kaum die einzelnen Namen auseinanderhalten konnte. In der Mitte jedoch, sich sehr schnell bewegend, konnte er Blacks und auch Potters Namen ausmachen.
 

Die Bedeutung dieser Entdeckung ließ ihn eine ganze Weile sprachlos und nicht fähig zu denken auf dem Boden des Schlafsaales sitzen. Urplötzlich stand er jedoch auf und stopfte Potters Habseligkeiten wieder zurück in die Kiste, mit Ausnahme der Karte. So etwas konnte, durfte nicht schutzlos bei Schülern rumliegen, noch dazu bei solchen, denen er nur allzu viel zutrauen würde. Besser war es, er würde sie einem der Lehrer übergeben-
 

Doch halt. Würde er dies tun, würde Potter unweigerlich zur Rede gestellt. Und egal, ob und wie Potter bestraft würde, er würde es ihm in zehnfacher Weise heimzahlen. Auch jegliche Freundschaft mit Black wäre für immer gestorben.
 

Remus stand in der Mitte seines Schlafsaals und wusste, dass er sich selbst in ein auswegloses Dilemma gebracht hatte.
 

~~~~~*~~~~~
 

Wenige Tage später wusste Remus, dass Potter das Verschwinden der Karte bemerkt hatte.
 

Er war auf einmal ganz hektisch geworden, Pettigrew war mit besorgter Miene um ihn herumgetanzt und Black ignorierte ihn, was ihm gar nicht ähnlich sah. Remus hatte die Karte gut versteckt und selbst wenn man sie dort finden sollte, würde man den Ort nicht mit ihm in Verbindung bringen.
 

Er hatte in den vergangenen Tagen noch weiter über die Bedeutung der Karte gegrübelt, und welche Schlüsse er gezogen hatte, ließ ihm ganz und gar übel werden. Nicht nur, dass die Rumtreiber sich wohl besser im Schloss auskannten, als es der Schuldirektor tat, sie waren theoretisch auch jederzeit über jedermanns Aufenthaltsort informiert. Das wiederum führte Remus zu der Schlussfolgerung, dass sie sehr wohl wissen konnten, wo er jeden Monat hin verschwand. Black, der um sein Geheimnis wusste, konnte eins und eins zusammenzählen und würde ganz richtig annehmen, dass es die alte und verlassene Hütte nahe Hogsmeade war, in der er sich jeden Vollmond verwandelte. Immer noch musste er sich darauf verlassen, dass Black schweigen und weder Potter noch Pettigrew gegenüber etwas verlauten lassen würde.
 

Es verging jedoch beinahe noch eine Woche, bis sich seine Gedanken wieder soweit geklärt hatten, dass er an Blacks Vorschlag denken konnte. In der Annahme, das Geheimnis der Rumtreiber von sich aus gelüftet zu haben, schickte er ihm deshalb eine Nachricht, dass er sich mit ihm treffen wolle. Das Treffen verlief jedoch ganz anders als geplant.
 

~~~~~*~~~~~
 

Remus wartete ungeduldig an ihrem üblichen Treffpunkt, einem nicht mehr benutzten Klassenzimmer in einem der oberen Stockwerke Hogwarts. Er wollte Black sagen, dass er seinen Vorschlag ablehnte, weil er das Geheimnis der Rumtreiber jetzt wusste. Ihm war klar, dass Black nicht gerade glücklich darüber sein würde und deshalb versuchte er sich bereits seit seiner Ankunft innerlich dagegen zu wappnen.
 

Die Tür ging auf und Black trat hinein. Sein Blick war ahnungslos – normalerweise ging Remus nie von sich aus auf ihn zu – und er lächelte, als er ihn sah. Behutsam schloss er die Tür hinter sich, ehe er Remus zuerst sanft, dann fester umarmte und sein Gesicht mit Küssen bedeckte.
 

„Na, was gibt es so Dringendes, das du mir sagen möchtest?“, fragte er und schaffte es dabei, seiner Stimme einen Unterton zu geben, die ganz und gar schmutzige Dinge andeutete. Er wackelte mit den Augenbrauen.
 

Remus wich seinem Blick aus; ein wenig hatte ihn der Mut verlassen.
 

„Ich hab darüber nachgedacht. Über deinen Vorschlag.“
 

„Meinen Vorschlag?“
 

„Na ja, dass ich Potter und Pettigrew sage, was mit mir los ist, damit ich erfahre, was ihr nachts treibt.“
 

„Ach so, das meinst du.“ Obwohl es sich nur wie dahingesagt anhörte, wurde Blacks Gesichtsausdruck eine Spur ernster. „Und, was sagst du?“
 

„Ich …“ Remus schluckte, der Moment war gekommen. Er würde zugeben müssen, dass er in ihren Sachen herumgeschnüffelt hatte, doch das gehörte leider dazu. „Ich glaube, es ist nicht mehr nötig. Ich glaube ich weiß was ihr tut. Meine ich zumindest.“
 

Blacks Umarmung lockerte sich ein wenig, doch sein Körper wurde starr. Dann ließ er ihn los.
 

„Dann schieß mal los.“ Sein Blick lag wie gebannt auf ihm.
 

„Also … erstmal muss ich mich wohl entschuldigen.“ Remus schlang die Arme um sich, ohne Blacks Berührung war ihm kalt geworden. Er sah nicht ihn an, sondern einen Fleck auf dem Boden. „Ich – Ich hab Potters Sachen durchsucht.“
 

Stille. Dann:
 

„Du hast was!“
 

Remus kniff die Augen zusammen, als Black plötzlich laut wurde. Seine Arme schlangen sich noch fester um sich selbst, wie als Schutz. Er bemerkte, dass er leicht zitterte.
 

Dann hörte er ein Lachen. Leise, aber unverwechselbar. Verwirrt hob er den Kopf.
 

„Ich kann’s nicht fassen!“ Black grinste. „Mein kleiner Remus – kramt einfach durch James‘ Klamotten!“ Er knuffte ihn spielerisch in die Seite, offenbar fand er das Ganze aus einem für Remus unbekannten Grund witzig. „Und, was hat dir das gebracht? Was hast du denn gefunden? Was ist unser Geheimnis?“ Sein Tonfall war immer noch locker, doch Remus meinte, ein Stück Unsicherheit herauszuhören.
 

Statt zu antworten, öffnete er seinen Umhang und zog die Karte heraus.
 

Einen Moment lang sagte Black gar nichts, dann weiteten sich seine Augen geschockt und er entriss ihm das Stück Pergament.
 

„Woher hast du das?“
 

„Unter Potters Bett. Sie lag in einer Kiste.“
 

„Aber-“ Black stockte, als fiele ihm etwas ein, dann steckte er die Karte ein und beobachtete Remus mit argwöhnischem Blick. „Hast du sonst noch etwas gefunden?“ Remus schüttelte verwirrt den Kopf. „Gut.“
 

„Black, ich …“ Remus verstummte. Was sollte er sagen? Er wollte sich entschuldigen, sah es gleichzeitig aber auch nicht ein. Immerhin waren sie jetzt gleichauf – Black kannte sein Geheimnis und Remus das der Rumtreiber. Diese Lösung gefiel ihm viel besser als das, was Black ihm vorgeschlagen hatte.
 

„Eigentlich hatte ich-“, fing Black an, unterbrach sich jedoch selbst und schüttelte den Kopf.
 

„Was denn?“
 

Black seufzte, etwas, das ihm gar nicht ähnlich sah.
 

„Eigentlich hatte ich gehofft, dass ich es dir leichter machen würde, James von deinem Geheimnis zu erzählen.“ Black sah ihn beschuldigend an. „Aber offensichtlich willst du das gar nicht.“
 

Remus war schockiert.
 

„Natürlich will ich das nicht! Wieso sollte ich auch?“
 

Black wandte den Kopf ab und schwieg. Remus war nun vollends verwirrt. Was erwartete Black denn von ihm? Dass er, nur weil sie zusammen waren, auf einmal allen von seiner Krankheit erzählen würde? Das Risiko, dass er mit Black einging, war so schon zu groß um es verantworten zu können, doch in diesem Punkt konnte er nicht mehr zurück. Er musste Black vertrauen und gab sich auch alle Mühe dazu, doch Potter konnte er beim besten Willen nicht vertrauen.
 

Blacks Schweigen zog sich in die Länge und langsam wurde es Remus unheimlich. Zögerlich hob er die Hand und legte sie auf seine Schulter. Black sah auf.
 

„Kannst du es ihm nicht sagen? Du kannst mir vertrauen, Remus: James ist nicht so, wie du denkst. Klar, manchmal kann er ein Idiot sein, aber er ist wirklich ein guter Freund und er würde dich nie verraten. Kannst du die letzten Jahre nicht einfach vergessen?“
 

Mitleid. Zorn. Remus schwankte zwischen diesen so unterschiedlichen Gefühlen. Beinahe hätte er nachgegeben, beinahe dem zaghaften Blick nicht standgehalten, doch jahrelanges Alleinsein hatten ihn an der Stelle unnachgiebig gemacht, an der er es benötigte.
 

„Tut mir Leid. Ich kann nicht.“ Es tat ihm wirklich leid.
 

Einige Sekunden hielt Black seinen Blick noch auf ihm, dann wandte er sich um, wohl im Begriff zu gehen. Remus hielt ihn zurück.
 

„Black, warte!“
 

„Was denn noch? Jetzt kennst du doch unser großes Geheimnis, was kannst du noch wollen?“ Irgendetwas an seinem Tonfall stimmte nicht, doch Remus beschloss sich später darüber Gedanken zu machen. Vorher musste er noch etwas anderes loswerden.
 

„Diese Karte ist gefährlich.“ Beinahe flehend blickte er ihn an. „Bitte benutzt sie nicht. Wenn sie in die falschen Hände gerät …“
 

Black löste sich von ihm. „Das wird sie nicht. Sie ist sicher.“
 

„So sicher, dass ich sie ohne Probleme finden konnte?“
 

„Wie du das geschafft hast, kapier ich auch nicht. Aber normalerweise ist sie sicher.“
 

„Black! Bitte!“
 

„Bitte was? Soll ich sie zerstören? Oder einem Lehrer geben?“ Er sah, dass Remus nicken wollte und schnaufte verächtlich. „Ich bin doch nicht bekloppt. Weißt du wie viel Arbeit da drin steckt?“
 

Remus schüttelte den Kopf. Und schwieg.
 

Rascheln, dann ein Seufzen. Black legte ihm die Hand auf die Schulter.
 

„Hör zu, Remus. Ehrlich gesagt bin ich schon sauer und enttäuscht darüber, dass du einfach so bei uns rumgeschnüffelt hast. Aber ich war ja auch nicht besser, oder?“ Er zog die Mundwinkel nach oben, in dieses verschmitzte Lächeln, das Remus so liebte. „Am besten vergessen wir erstmal alles darüber, okay? Und … sag bitte keinem was von der Karte.“
 

Remus zwang sich zu nicken. Dann kam ihm eine zündende Idee.
 

„Wie wär’s, wenn ich euch helfe, die Karte wirklich sicher zu machen?“
 

~~~~~*~~~~~
 

„Du hast was!“
 

Remus zuckte zusammen und verbarg sich halb hinter Black, der schützend die Arme vor ihm ausbreitete.
 

Remus‘ Angebot, die Karte richtig zu sichern, hatte einen Haken: Sie mussten Potter und Pettigrew ebenfalls erzählen, dass Remus in ihrem Zimmer herumgeschnüffelt hatte. Dass Potter wütend war, war noch sehr vorsichtig ausgedrückt. In der Sekunde, in der er es erfuhr, wäre er Remus an die Kehle gesprungen, wäre Black nicht dazwischen gegangen. Pettigrew hielt sich im Hintergrund, doch sein Gesicht hielt einen Ausdruck, der Remus eiskalte Schauer über den Rücken sandte.
 

„Und wieso kommt ihr erst jetzt damit an?“ Die Formulierung zeigte deutlich, dass er auch Black einen Teil der Schuld gab. „Hätte ich die Karte letzte Nacht gehabt, hätte ich McGonagall ausweichen können und müsste jetzt nicht Strafe absitzen. Die war richtig glücklich, dass sie mich mal erwischt hat. Wisst ihr, wie sie mich genannt hat? Einen Tunichtgut! Was für’n altmodischer Ausdruck.“
 

„Warte, Jamie!“ Black packte Potter an den Schultern und drückte ihn mit sanfter Gewalt auf das nächste Bett. „Sei nicht sauer auf ihn. Oder mich. Wir haben ja auch nicht ordentlich darauf aufgepasst.“
 

„Nicht ordentlich – hör mal, die Karte war super versteckt!“
 

Unter dem Bett in einer Kiste rechnete Remus nicht zu ‚super versteckt‘, aber er beschloss lieber den Mund zu halten.
 

„Jedenfalls will er uns helfen, sie sicher zu machen. Richtig sicher.“
 

„Pah, wie will er das denn machen? Die Karte war sicher versteckt.“ Er sandte Remus einen stechenden Blick. „Wenn du was verrätst, bist du geliefert.“
 

Soviel zu Freundschaft mit Potter.
 

„Jetzt warte wirklich mal. Bitte!“, flehte Black. Dieser Ton schien wahre Wunder zu wirken, jedenfalls atmete Potter sichtlich ein und aus und versuchte sich willentlich zu beruhigen.
 

„Also gut. Was noch?“
 

Black stellte sich neben Remus und legte ihm beide Hände auf die Schultern. Remus spürte, wie er sie leicht drückte.
 

„Also“, begann er nervös. Wenn Potter mit seiner Idee nicht einverstanden war, würde es ihm gar nicht gut ergehen. Und er war sich nicht sicher, wie weit er auf Blacks Schutz vertrauen konnte. „Für mich war es ehrlich gesagt nicht schwer, die Karte zu finden.“ Potter schnaufte verächtlich und so beeilte er sich zu sagen: „Jedenfalls wenn man danach sucht.“
 

„Und was hast du für eine glorreiche Idee, wie man das ändern könnte?“ Potter hob eine Augenbraue.
 

„Ich dachte an eine Art Passwort. Oder einen Spruch.“
 

„Und nur derjenige, der das Passwort kennt, kann die Karte benutzen?“ Diesmal klang Potter auf einmal ganz interessiert. Remus nickte. „Wie soll das funktionieren?“
 

„Na ja, die Details muss ich mir noch überlegen. In der Bibliothek lässt sich sicher was finden.“
 

Potter schwieg, durchbohrte ihn aber mit einem intensiven Blick, der in Remus den Fluchtinstinkt weckte. Doch er zwang sich möglichst ruhig stehenzubleiben. Niemand traute sich etwas zu sagen, bis Potter seine Zustimmung gegeben hatte.
 

Dann nickte er. Die Anspannung im Schlafsaal nahm spürbar ab.
 

„Okay, ich verzeih dir, was du getan hast.“ Er stand auf und klopfte Remus auf die Schulter, eine Geste, die Remus vor Überraschung erstarren ließ. „Aber du machst dich besser mal an die Arbeit.“
 

~~~~~*~~~~~
 

Yay, ich lebe noch :) Ich weiß, das letzte Update ist mal wieder sehr lange her. Das hat zwei Gründe Erstens hab ich echt viel zu tun. Zweitens komme ich gerade deswegen, weil ich so selten zum Schreiben komme, total aus dem Takt. Ich muss mich jedes Mal wieder in meine eigene Geschichte einlesen, was das Ganze sehr zeitaufwendig macht.
 

Ich bin ziemlich unsicher, was diese FF angeht. Deswegen wäre es echt lieb, wenn mir jemand ein Review hinterlassen könnte. Kritik ist wirklich erwünscht.
 

Was das updaten angeht - ich versuche mich zu bessern :3

Einsamer Wolf

Einsamer Wolf
 

Nachdem er das Einverständnis von Potter bekommen hatte, begann Remus noch am gleichen Abend die Suche nach einem geeigneten Zauberspruch. Diese gestaltete sich schwieriger als erwartet: Zwar kannte er sich in der Bibliothek wahrscheinlich besser aus als Madam Pince, die Bibliothekarin. Jedoch wurde er in keiner der Abteilungen, in denen er jedoch etwas Nützliches erwartet hatte, fündig. So schnell wollte er jedoch nicht aufgeben und so durchsuchte er in den nächsten Tagen auch andere Abteilungen, von denen er sich zwar nicht viel erhoffte, die er aber nicht unversucht lassen wollte.
 

Zu seinem Erstaunen hatten Potters Hänseleien zum gleichen Zeitpunkt erheblich nachgelassen. Sie waren nicht ganz verschwunden – immerhin ging es hier um Potter. Doch sie waren auf ein erträgliches Maß heruntereschraubt. Ob es an seiner Recherche lag oder ob Black ihn dazu gebracht hatte oder eine Mischung aus beidem – Remus war es relativ egal. Zum ersten Mal seit Langem hatte er das Gefühl, dass etwas Gutes im Gange war.
 

Vollbepackt mit einem Stapel von schweren Büchern ging er wieder zurück an den Tisch, den er seit mehreren Tagen in der Bibliothek belagerte. Auf dem Tisch lagen weitere Bücher, von denen manche mit kleinen Zetteln bespickt waren, die er zwischen die Seiten gesteckt hatte. Auf ihnen standen Notizen, von denen er glaubte, dass sie ihm vielleicht einmal nützlich werden konnten, auch wenn er dort nicht viel Hoffnung hegte. Daneben lagen verstreut einzelne Pergamentbögen mit weiteren Notizen, doch keiner seiner Ansätze hatte ihn weitergebracht. Bisher war er immer wieder in einer Sackgasse gelandet.
 

Konzentriert schlug er das erste Buch seines Stapels auf und überflog das Inhaltsverzeichnis. Tatsächlich befasste sich ein Unterkapitel mit Passwörtern und wie man sie an Objekte anbringen konnte. In der Hoffnung, diesmal tatsächlich etwas gefunden zu haben, schlug Remus die Seite auf und griff nach seiner Feder, die er auf dem Tisch liegen gelassen hatte. Seine Hand glitt über Pergament, dann über das raue Holz des Tisches. Stirnrunzelnd blickte er zur Seite, um die Feder zu finden.
 

Sie war nicht da. Dabei war er sich sicher, dass er sie auf dem Pergament liegen gelassen hatte, auf dem er sich zuletzt Notizen gemacht hatte. Verärgert darüber, dass er jetzt seinen Gedanken festhalten musste, bis er die Feder gefunden hatte und sich Notizen machen konnte, hob er die einzelnen Blätter hoch, blickte hinter die Bücherstapel, sah sogar unter dem Tisch nach – doch nichts.
 

Jetzt war Remus nicht nur genervt, sondern auch irritiert. Er hatte die Feder doch an genau dieser Stelle abgelegt! Selbst wenn sie aus irgendeinem Grund vom Tisch heruntergerollt wäre, hätte sie doch darunter liegen müssen. Vielleicht war sie weitergerollt? Remus stand auf und ging zum nahegelegensten Regal, wo er sich herunterbeugte, um nachzusehen, ob sie vielleicht darunter gerollt war.
 

Seine Feder fand er nicht.
 

Dafür ein Paar Schuhe, die sich hektisch entfernten, als er sie erblickte.
 

Jetzt vollends verwirrt, stand Remus wieder auf und blickte über die Buchrücken hindurch auf die andere Seite des Regals, doch natürlich war derjenige, wer auch immer dort gewesen sein mochte, schon längst verschwunden.
 

Verärgert darüber, dass seine Feder anscheinend spurlos verschwunden war, machte er sich auf den Weg zu Madam Pince, von der er sich eine neue leihen würde.
 

~~~~~*~~~~~
 

Es war schon später Abend und kurz vor Sperrstunde, als Remus beschloss seine Recherchen für diesen Tag zu beenden. Er gähnte und streckte sich, sodass die Knochen in seinem Rücken knackten und stand auf. Die Bücher musste er leider alle wieder zurück in ihre jeweiligen Regale stellen, da Madam Pince sonst einen mittleren Anfall bekommen würde, er hatte sich jedoch aufgeschrieben, welche er noch nicht durchgesehen hatte und machte sich deshalb keine Sorgen, diese wiederzufinden.
 

Er war der Letzte in der Bibliothek, selbst die Bibliothekarin war schon gegangen, wissend, dass er ihren geliebten Büchern kein Haar krümmen würde. Auf dem Gang vor der Bibliothek war es auch schon dunkel. Nur ganz am Ende, kurz bevor der Gang eine Biegung machte, spendeten zwei Fackeln ein wenig Licht.
 

Remus schulterte seine Tragetasche und machte sich auf den Weg in den Gryffindorturm. Ein Blick auf seine Uhr verriet ihm, dass er sich besser beeilen sollte, falls er noch zur erlaubten Zeit ankommen wollte und so legte er einen Schritt zu.
 

Während er durch die Gänge hastete, glitten seine Gedanken immer wieder zu Black. Seit er die meiste Zeit in der Bibliothek verbrachte, hatten er und Black keine Zeit mehr füreinander gehabt. Tatsächlich war ihr letztes Stelldichein fast eine Woche her. Vielleicht sollte er sich den nächsten Tag einfach frei nehmen und Black eine Nachricht zukommen lassen. Der würde sich über ein bisschen Initiative sicher freuen. Bei diesem Gedanken errötete Remus innerlich und beschloss, sich wirklich mit Black am nächsten Tag zu treffen.
 

Jedoch achtete er nicht auf seinen Weg. Die Dunkelheit, die nur alle paar Meter durch Fackeln neu erleuchtet wurde, trug ebenfalls ihren Teil dazu bei, dass Remus schließlich über irgendetwas stolperte und der Länge nach auf den Boden knallte. Seine Tasche flog im hohen Bogen davon und landete ein paar Meter weiter auf dem kalten Stein.
 

Remus hatte sich bei dem Fall den Kopf gestoßen, welcher sofort zu pochen anfing. Mühsam rappelte er sich auf und hielt sich die Stirn. Das würde eine Beule geben. Er sah sich um, um zu sehen worüber er gestolpert war.
 

Doch nichts.
 

Der Gang war vollkommen leer. Es stand auch kein Stein heraus, über den er hätte fallen können. Und er war sich ziemlich sicher, nicht über seine eigenen Füße gestolpert zu sein.
 

Vielleicht ein Tier? Viele Schüler hielten sich ein Haustier, es war gut möglich, dass ihm eine Katze über den Weg gelaufen war und er sie einfach übersehen hatte. Andererseits hatte sich das, wogegen sein Fuß gestoßen war, viel kleiner als eine Katze angefühlt.
 

Erst seine verschwundene Feder – und jetzt das. Remus war nicht nur irritiert, jetzt fürchtete er sich auch.
 

Paranoid geworden schwenkte er seinen Kopf schnell in beide Richtungen des Ganges, dann hob er seine Tasche auf, packte die herausgefallenen Bücher unter seinen Arm und setzte seinen Weg etwas schneller fort.
 

~~~~~*~~~~~
 

Als er endlich im Gemeinschaftsraum ankam, fand er ihn halbvoll mit Schülern. Black und Potter saßen in einer Ecke nahe dem Kamin und spielten ein Kartenspiel. Black sah auf, als Remus gehetzt durch das Portraitloch kam. Er wusste, dass er einen seltsamen Eindruck machen musste: Er war vollkommen außer Atem, in einer Hand hatte er seine Tasche, in der anderen deren Inhalt, den er in der Eile nicht mehr an seinen Ort zurückgepackt hatte.
 

Keuchend ließ er sich auf das Sofa direkt neben Black plumpsen. Er wollte nun wirklich nicht allein in ihren Schlafsaal. Nicht, dass schon wieder irgendetwas Seltsames geschah.
 

„Was ist los?“, fragte Black ihn irritiert und warf eine Karte auf den Stapel in der Mitte. „Du siehst aus, als wärst du im Verbotenen Wald gewesen.“
 

Remus wollte schon zu einer Antwort ansetzen, schloss seinen Mund aber wieder. Was sollte er sagen? Dass er seine Feder verloren hatte? Dass er gestolpert war, aber nicht wusste worüber? Es klang so banal, doch Remus wurde das Gefühl nicht los, dass mehr dahinter steckte. Oder bildete er sich das alles einfach nur ein?
 

„Nichts, ich bin nur … ich hab mich nur beeilt. Wegen der Sperrstunde.“ Immerhin war das die halbe Wahrheit.
 

Black schien diese jedoch zu genügen und er wandte sich wieder dem Kartenspiel zu.
 

Remus legte seine Tasche neben dem Sofa ab und setzte sich neben ihn. Er versuchte eine Weile, dem Spielverlauf zu folgen, ohne überhaupt zu erwarten, zum Mitspielen aufgefordert zu werden – er war tatsächlich ein sehr schlechter Spieler. Während er das Konzept des Spieles verstanden hatte, war er einfach nicht schnell genug, um die richtige Karte abzuwerfen, eine Fähigkeit, die unabdingbar war.
 

Black saß nur wenige Zentimeter von ihm entfernt. Remus erinnerte sich daran, wie sie zusammen im Hogwarts-Express gesessen hatten, beinahe Bein an Bein, als er ihm das Spiel beigebracht hatte, und kämpfte gegen die aufkommende Röte in seinen Wangen an. Einen Augenblick lang wünschte er sich, näher rücken zu dürfen, doch war das in Potters Anwesenheit wie auch der zahlreicher anderer Schüler keine gute Idee. Merlin, er sollte ihm wirklich eine Nachricht zukommen lassen.
 

Black dagegen schien seine Nähe nicht das Geringste auszumachen. Seine Gedanken waren vollkommen auf das Spiel konzentriert und er lachte triumphierend, als er in einer Runde die Oberhand gewann. Potter streckte ihm nur die Zunge entgegen und schwor auf Rache.
 

Remus wusste, dass Black ihm hier keine große Zuneigung entgegenbringen konnte, dennoch hoffte er auf geradezu lächerliche Weise auf einen Blick, ein kurzes Lächeln oder sonst irgendein Anzeichen, dass Black überhaupt noch wahrnahm, dass er neben ihm saß. Doch nichts von alldem geschah und Remus, der wegen der seltsamen Geschehnisse früher an diesem Abend sowieso schon angespannt war, spürte, wie sich seine Laune Minute um Minute verschlechterte.
 

Schließlich entschuldigte er sich und stand auf, Black einen vielsagenden Blick zuwerfend. Dieser winkte ihm jedoch nur zu und wandte sich dann wieder zu Potter, der wiederum gar nicht registriert hatte, dass er ging.
 

Remus seufzte innerlich, für heute würde er es jedoch auf sich beruhen lassen. Es war ein langer Tag gewesen – erst seine üblichen Schulstunden, dann die Erledigung seiner Hausaufgaben und, als ob das nicht schon Arbeit genug gewesen wäre, die Recherche für Potters Karte. Er fühlte sich wirklich ausgelaugt, körperlich wie auch geistig.
 

Müde schlurfte er die Treppe zu ihrem Schlafsaal hoch. Er wollte gerade die Tür öffnen, als sie auch schon von innen aufgerissen wurde und Pettigrew an ihm vorbeihastete. Er warf ihm einen unverhüllt bösen Blick zu und ging dann hinunter in den Gemeinschaftsraum. Remus blickte ihm noch kurz hinterher, war aber einfach zu müde, um sich weitere Gedanken zu machen. Die Türe hinter sich schließend begab er sich ins angrenzende Bad und machte sich bettfertig.
 

Es musste schon spät in der Nacht sein, als die Rumtreiber endlich in den Schlafsaal kamen. Remus glaubte nicht eine Sekunde daran, dass sie Rücksicht auf die einzige schon schlafende Person nehmen würden, nicht nur, weil das wirklich etwas Neues gewesen wäre, sondern auch, weil sie schon beim Aufmachen der Türe unglaublich laut waren. Black war der Einzige, der seine Stimme zumindest ein bisschen gesenkt hatte, als sie im Badezimmer verschwanden. Potters laute Stimme konnte er jedoch noch durch die Tür hören, ganz zu schweigen von Pettigrews schriller, piepsiger Stimme. Er drückte den Kopf in sein Kissen.
 

Er war gerade wieder am Eindösen, da ging die Badezimmertür erneut auf und er bekam wieder die volle Lautstärke ihrer Unterhaltung mit. Nach einigem Geraschel und Bettquietschen und noch mehr nur wenig auf ihn Rücksicht nehmender Gespräche – irgendetwas über die Stärke von Ravenclaws Quidditchmannschaft – kehrte endlich wieder Ruhe im Schlafsaal ein. Remus drehte sich auf den Rücken. Die Decke bis zum Kinn hochgezogen, starrte er an die Decke seines Himmelbettes. Jetzt war er hellwach.
 

~~~~~*~~~~~
 

Am nächsten Morgen fühlte Remus sich wie gerädert. Zwar hatte für den Rest der Nacht Ruhe geherrscht – einmal wach war es ihm jedoch nicht mehr gelungen, ein Auge zuzumachen. Erst gegen frühen Morgen war er eingeschlafen, nur um wenige Zeit später von einem viel zu enthusiastischen Black geweckt zu werden. Wohlgemerkt, indem dieser auf sein Bett gesprungen war. Auf sein Bett. Während er geschlafen hatte. Remus wusste nicht, ob man in seinem Alter schon einen Herzinfarkt bekommen konnte.
 

Gemeinsam hatten sie sich auf den Weg in die Große Halle gemacht. Remus wühlte mit halb geschlossenen Augen in seinem Müsli herum. Eine Nacht keine Ruhe zu bekommen war angesichts seiner Krankheit nichts Neues, aber eigentlich hatte er noch ein bisschen Zeit bis dahin. Dass er trotzdem nicht geschlafen hatte, nahm er ihnen übel. Das hieß, wenn er wieder wach genug war, um sauer auf jemanden zu sein. Und es war ja auch nicht so, als könnte er viel dagegen tun.
 

Natürlich hatte er nicht angenommen, dass sich nur durch Blacks neuentdeckte Freundschaft zu ihm alles ändern würde. Potter würde wohl eher mit dem Kraken um die Wette schwimmen, als ihn als einen Gleichberechtigten anzusehen. Er hatte nicht den Hauch einer Ahnung, warum er ihm vor einigen Tagen auf die Schulter geklopft hatte, aber er glaubte auch nicht eine Sekunde daran, dass es freundschaftlich gemeint war. Wahrscheinlich war es einfach nur die Erleichterung gewesen, dass Remus zu keinem Lehrer gegangen war, um die Rumtreiber zu verpetzen – als ob das jemals eine Option gewesen wäre. Sie hätten ihn in Stücke zerrissen.
 

„Isst du das noch?“
 

Black zeigte kauend auf seine Müslischale. Remus schüttelte den Kopf und schob sie ihm herüber, woraufhin Black sich sofort über seine Reste hermachte. Er hatte eh nicht wirklich Hunger. Sein Appetit würde mit jedem Tag, an dem der Mond zunahm, immer weniger werden, um dann nach Vollmond mit doppelter Kraft wieder zurückzukehren.
 

Wenige Minuten später schulterte er seine mit Büchern vollgestopfte Tasche und folgte den anderen aus der Großen Halle.
 

Sie hatten als erste Stunde des Tages Verwandlung bei der Hauslehrerin von Gryffindor, Professor McGonagall. Verwandlung fand Remus eigentlich ganz in Ordnung, war es doch eine willkommene Abwechslung zu den sonst eher theoretischen Fächern, die er den Rest des Tages hatte. Was er weniger gut fand, war, dass der Klassenraum in Gruppentische unterteilt war und Black Anfang des Schuljahrs beschlossen hatte, dass er von nun an zusammen mit ihm sitzen würde – leider aber auch mit Potter und Pettigrew.
 

Sich seinem Schicksal ergebend setzte sich Remus zu ihnen und begann Feder und Pergament auszupacken. Er war einer der wenigen, die sich Notizen zu den Übungen machten, aber er wusste, dass früher oder später einer der Rumtreiber zu ihm kommen und seine Notizen kopieren wollen würde. Ihre Lehrerin kam wenige Minuten später ebenfalls in den Raum und schloss die Tür hinter sich.
 

„Heute werden Sie und Ihre Tischpartner abwechselnd versuchen, die vor ihnen stehenden Tische verschwinden und wieder auftauchen zu lassen.“ Sie blickte prüfend zu ihnen herüber. „Es ist kein einfacher Zauber, da es sich hierbei um ein großes Objekt handelt. Aber da sie Ihre ZAGs alle gut bestanden haben, gehe ich davon aus, dass es für Sie kein großes Problem darstellt. Nun – kennt jemand den Zauberspruch?“
 

Zögerlich blickte Remus in die Runde und, als er sah, dass niemand sonst sich regte, zeigte er auf.
 

„Ja, Mr Lupin.“
 

„Evanesco.“, antwortete er und deutete danach die dazugehörige Handbewegung an.
 

„Exakt. Wie ich sehe, haben Sie über die Sommerferien nicht wieder alles vergessen.“ Sie rümpfte die Nase. „Bitte beginnen Sie.“
 

Augenblicklich beugte Potter sich vor und flüsterte zu Black: „Den Verschwindezauber üben, wie einfach! Ich dachte, wir würden endlich mal was richtig Cooles machen!“
 

„Das habe ich gehört, Mr Potter!“ McGonagall sandte ihnen einen missbilligenden Blick, woraufhin sie sich endlich an die Arbeit machten.
 

Potter war der erste, der es versuchte. Es brauchte nur einen Anlauf, da verschwand der Tisch auf einmal ohne das leiseste Geräusch. Remus‘ Pergament, seine Feder wie auch sein Tintenfass, die darauf gelegen hatten, fielen zu Boden. Beim Aufprall zersprang das Fässchen und Remus fasste sich an die Stirn. Wieso hatte er seine Sachen überhaupt auf dem Tisch abgelegt? Hatte er nicht zugehört?
 

Mit einem Schwenker seines Zauberstabs und dem leise gemurmelten Zauberspruch – Reparo – konnte er den Schaden wieder beheben. Pettigrew kicherte hinter vorgehaltener Hand, während Remus‘ Ohren vor Scham glühten. Zum Glück hatte niemand außer den Leuten an seinem Tisch sein Missgeschick mitbekommen. Diese besondere Auswahl an Schülern genügte jedoch völlig.
 

Auch Black konnte den Tisch ohne weiteres verschwinden lassen, nachdem er ihn vorher wieder hatte entstehen lassen. Remus konnte beobachten, dass die Schüler am Nachbartisch offensichtlich ratlos waren, wie sie den einmal verschwundenen Tisch wiederholen sollten. Pettigrew versuchte sich mehrfach an dem Zauberspruch, doch es zeigte sich erst beim vierten Mal ein sichtbarer Erfolg – auch wenn es sich hierbei nur um das Verschwinden dreier Tischbeine handelte. Der restliche Tisch kippte augenblicklich um. Remus war glücklicherweise diesmal schlau genug gewesen, seine Utensilien auf seinem Schoß zu behalten.
 

Als Letztes war Remus selbst an den Reihe. Auch für ihn war der Zauberspruch kein Problem. Er hatte zwar über die Sommerferien nicht üben können – erstens, da es ihm erst mit siebzehn erlaubt sein würde, außerhalb von Hogwarts zu zaubern und er würde es nie riskieren, wegen eines kleinen Fehltritts aus der Schule geschmissen zu werden, und zweitens, da Black ihn sowieso abgelenkt hätte. Aber er hatte sich die Theorie angeschaut. Außerdem hatte Potter Recht. Der Zauber war wirklich einfach.
 

Nachdem sie jeweils McGonagall ihre Erfolge gezeigt hatten, machten sie sich einen Spaß daraus, zu sehen, wer den Tisch am schnellsten verschwinden und wieder auftauchen lassen konnte. Remus wurde das Spiel schnell langweilig, stattdessen machte er sich einige Notizen, auch wenn er diese wahrscheinlich schon in irgendeiner Form besaß, wenn man bedachte, dass es sich hierbei um Wiederholung handelte. Aber bisher hatten sie noch nie einen Gegenstand dieser Größe verschwinden lassen und er notierte sich eifrig die Veränderungen, die er dabei gespürt hatte.
 

Er zuckte zusammen, als ihn plötzlich ein Bein unter dem Tisch berührte, den Potter gerade wieder herbeigezaubert hatte. Instinktiv sah er zu Black, der ihn jedoch gar nicht weiter beachtete. Stattdessen zog er sein Bein wieder zurück und ließ den Tisch abermals verschwinden. Remus war sich nicht sicher, ob die Berührung mit Absicht erfolgt oder nur ein Zufall gewesen war.
 

Von seiner Arbeit einmal abgelenkt – und wenn er ehrlich war, hatte ein Teil von ihm sich die Notizen nur gemacht, um nicht in die Verlegenheit zu kommen, stumm und mit nichts zu tun bei den Rumtreibern zu sitzen – beobachtete er Black aus dem Augenwinkel. Im Moment lief es nicht so gut zwischen ihnen. Das hatte er geahnt – eher würden sich Gryffindor und Slytherin die Hand reichen, als dass Black ihn einfach so über Potter stellen würde. Die Theorie war jedoch um einiges leichter zu ertragen gewesen als die Realität. Er kam sich dumm vor, doch er vermisste ihn. Er vermisste diese kleinen Neckereien und Merlin, er vermisste seine Berührung. Als er ihn so beobachtete, fühlte er einen kleinen Stich in der Brust und seine Hände umfassten das Tintenfässchen stärker.
 

Black machte seinen Namen wirklich alle Ehre: Seine Haare waren von einem so tiefen Schwarz, wie man es nur selten fand. Remus erinnerte sich daran, wie er einmal seine Hände darin vergraben hatte, während sie sich küssten. Wie Blacks Hände über seinen Körper gewandert und unter sein Hemd geschlichen waren. Er hatte diese ganzen verrückten Dinge mit ihm getan und jetzt saß er in aller Seelenruhe neben ihm, das Hemd lose aus der Hose gerupft, die Krawatte zerknittert, als hätte er sich gerade erst angezogen und das in großer Eile. Remus hatte das Gefühl, ihn mit jedem verstreichenden Moment mehr zu spüren und musste sich letzten Endes dazu zwingen, seinen Blick von ihm abzuwenden. Leider hörten seine Gedanken deshalb immer noch nicht auf, die wahnsinnigsten Bilder in seinem Kopf zu produzieren.
 

In was hatte er sich da bloß hineingeritten? Ein Teil von ihm wusste schon lange, dass er einen Weg eingeschlagen hatte, auf dem er nicht mehr umdrehen konnte. Ein anderer, weitaus größerer Teil wollte diesen Weg jedoch nicht weitergehen und sehen, was am Ende auf ihn wartete. Stillstand war jahrelang ein guter Schutz gewesen, doch einmal niedergerissen konnte er seine Mauer nicht wieder aufbauen.
 

~~~~~*~~~~~
 

Der Tag hatte sich in die Länge gezogen und Remus ging früher als alle anderen in den Schlafsaal. Erschöpft schloss er die Tür hinter sich und lehnte sich für einen Moment dagegen. Black. Sirius Black. Wieso bekam er ihn einfach nicht mehr aus dem Kopf? Es war nicht so, dass sie sich besonders gut verstanden. Die meiste Zeit konnte er ihn noch nicht einmal sonderlich gut leiden. Und trotzdem war da irgendetwas – etwas, das ihm sagte, dass in Black mehr steckte, als er sehen konnte. Vielleicht hatte er sich aber auch nur in der Hoffnung verloren, endlich einen Freund zu finden. Nicht irgendeinen Freund, sondern einen, der ihn verstand, der ihn nicht auslachte, weil er sich mit Freude in Büchern vertiefte, der ihn nicht wegen seiner Krankheit als besonders ansah, sondern weil er er war.
 

Er stieß sich von der Tür ab, ging gähnend auf sein Bett zu und zog sich für die Nacht um. Obwohl er das Licht nicht eingeschaltet hatte, war der Schlafsaal hell von dem Mondlicht erleuchtet, das durch das Fenster schien. Sein Blick blieb daran hängen und er ließ sich, einer plötzlichen Eingebung folgend, auf den Fenstersims sinken, die Beine an den Körper angezogen.
 

Der Mond schien so hell in dieser Nacht, weil er schon beinahe voll war. Er hob sich beinahe kreisrund vor dem dunklen Nachthimmel ab. Nur noch wenige Tage, dann war es wieder so weit. Black saß in diesem Moment mit seinen Freunden im Gemeinschaftsraum und spielte Karten, alberte herum oder lachte Potter für seine Avancen für Lily Evans aus. In jener Nacht würde er wahrscheinlich das Gleiche tun. Spaß haben. Zusammen mit seinen Freunden. Und er war wieder allein.
 

Remus lehnte seine Stirn an die kühle Fensterscheibe und schloss kurz die Augen, ehe er sich wieder zur Disziplin rief. In dunklen Launen zu versinken hatte keinen Sinn. Er vermisste Black. Er sollte etwas dagegen tun.
 

Er ließ seine Beine wieder von der Fensterbank gleiten und tapste mit nackten Füßen zu seiner Tasche, zog Pergament und Feder heraus und schrieb zwei kurze Sätze darauf, ehe er aufstand und den zusammengefalteten Zettel in Blacks Schultasche steckte, direkt neben seiner eigenen Feder, sodass er sich sicher sein konnte, dass dieser ihn auch fand.
 

Danach legte er sich ins Bett, doch das Mondlicht hielt ihn noch lange Zeit wach.

Kleine Liebesbeweise

Kleine Liebesbeweise
 

Remus putzte sich gerade die Zähne, als ein Schrei durch die Tür drang. Alarmiert stürmte er aus dem Bad, nur um Potter und Black miteinander rangeln zu sehen. Blacks Gesicht trug eine Mischung aus Überraschung und Verlegenheit, ein Ausdruck, den Remus noch nie bei ihm gesehen hatte und den er zu seiner eigenen Verlegenheit süß fand. Potter lachte und hielt irgendetwas in seiner Hand, die er nach oben hielt, während Black sich an ihn klammerte und versuchte, was auch immer sich in der Hand befand, zu bekommen. Pettigrew stand etwas unschlüssig daneben. Remus war sich nicht sicher, was er von der Situation halten sollte. Es schien sich nicht um einen Streit zu handeln.
 

„Gib’s her!“, forderte Black und schnappte nach Potters Arm, doch dessen Sucherreflexe waren einfach besser.
 

„Nicht, bevor du mir verrätst, von wem es ist!“ Potter grinste triumphierend.
 

„Das geht dich nichts an!“
 

„Ach komm schon, du kannst mir doch alles erzählen.“, säuselte Potter.
 

„Ich will einfach nicht – ach, komm schon-“
 

„Wer ist es, hm? Ist es Miranda? Die hat dir schon letztes Jahr so gut gefallen.“
 

„Miranda hat jedem gut gefallen und nein, sie ist es nicht und es geht dich nichts an! James!“
 

So langsam bekam Remus einen Verdacht, um was es hier ging, doch er konnte nur hoffen, dass er sich irrte. Kalte Schauer liefen ihm über den Rücken, während er immer noch in der Badezimmertür stand, den Mund voller Zahnpasta.
 

„Also gut.“ Potter senkte den Arm und Black schnappte sofort den Pergamentschnipsel darin. Remus erkannte den Zettel sofort. Er hatte ihn tags zuvor eigenhändig in Blacks Tasche deponiert. Potter hatte ihn offensichtlich gefunden. Was hatte Potter überhaupt mit dieser Tasche zu schaffen? „Komm schon, ich bin neugierig. Du machst doch sonst nie ein Geheimnis draus.“
 

Black sagte nichts, sondern faltete den Zettel auseinander und las die Zeilen, die darauf geschrieben standen: "Treffen wir uns morgen nach Zaubertränke an unserem üblichen Ort? Ich vermisse dich." Merlin wusste, wie erleichtert Remus war, keinen Namen daruntergesetzt zu haben. Potter beugte sich gerade über Blacks Schulter.
 

„Wer es auch ist, sie scheint süß zu sein. Hast mal wieder einem Mädel den Kopf verdreht?“ Remus verdrehte nur die Augen, während Black ihm einen giftigen Blick sandte. Potter schien jedoch einen Geistesblitz gehabt zu haben. „Oder ist es diesmal was Ernstes?“ Er musterte Black mit einem prüfenden Blick. Irgendetwas schien ihm die Bestätigung gegeben zu haben, denn plötzlich rief er geradezu enthusiastisch aus: „Das ist es also! Was Ernstes! Sirius, unser Sirius, wird sesshaft!“ Er legte Black freundschaftlich einen Arm um die Schulter. „Erzähl mir wenigstens, wie sie ist, wenn du mir schon nicht ihren Namen verrätst. Haarfarbe? Welches Haus? Körbchengröße?“
 

Black lächelte, immer noch verlegen. Remus war unsicher, was er von der ganzen Situation halten sollte. Beinahe wären sie aufgeflogen, doch Potter glaubte, es ginge um ein Mädchen. Es würde ja auch niemand vermuten, dass Sirius Black, der Mädchenschwarm von Hogwarts, plötzlich mit einem Jungen ging. Allerdings hatte er nicht damit gerechnet, dass Black tatsächlich auf seine Fragen antwortete.
 

„Braun. Ihre Haarfarbe ist braun. Sie findet es langweilig, aber ich finde, es passt gut zu ihr.“ Als Potter daraufhin grinste, verbesserte er sich. „Ich meine nicht, dass langweilig zu ihr passt. Es ist einfach … sie ist sehr still. Ruhig. Rot zum Beispiel würde gar nicht passen.“, sagte er. Remus hatte das Gefühl, dass er jeden Blick in seine Richtung vermied. „Sie ist in Gryffindor. Und nein, ich sag dir immer noch nicht, wer es ist.“ Potter hatte den Mund aufgemacht, um ihn wieder auszuquetschen, schloss ihn daraufhin aber wieder. „Und … was ihre Oberweite angeht …“ Jetzt musste auch Black grinsen. Remus spürte sein Gesicht heiß werden. Zum Glück waren sowohl Potter, als auch Pettigrew, der bei Mädchengeschichten immer wie gebannt zuhörte, vollkommen auf Black fixiert. „Ehrlich gesagt hat sie nicht viel davon. Maximal A, vielleicht noch nicht einmal das.“
 

„Was?“ Potters Mund hing offen. „Du hast doch noch nie etwas mit einem Mädchen unter C angefangen!“ Black grinste. „Dann hat sie wohl andere … Qualitäten?“ Er stieß ihm spielerisch in die Seite.
 

„Das kann man wohl sagen.“ Blacks Grinsen verbreiterte sich, falls das überhaupt noch möglich war. „Aber jetzt mal ehrlich … ich hab sie wirklich gern. Sie ist klug und süß, aber sie unterschätzt sich andauernd. Sie will immer wie jeder andere behandelt werden, aber ich finde, sie ist etwas Besonderes.“
 

Während er das sagte, ein vorsichtiges Lächeln auf den Lippen, sah Black kein einziges Mal zu ihm herüber, doch für Remus war es, als hätte er ihm die Worte direkt ins Gesicht gesagt.
 

~~~~~*~~~~~
 

Ungeduldig wartete Remus an ihrem Treffpunkt, einem alten, nicht mehr benutzten Klassenraum. Black war schon einige Minuten zu spät. Sein Herz war beinahe stehen geblieben, als er den Zettel in Potters Hand gesehen hatte. Was Black jedoch dann über ihn gesagt hatte, hatte genau die gegenteilige Wirkung. Es hatte wie eine Liebeserklärung geklungen, wenn auch leider eine indirekte, wenn man bedachte, dass Black ihn nicht angesehen hatte und außer ihnen beiden niemand wusste, wer gemeint war.
 

Aber war das wirklich das, was Black von ihm dachte? Etwas in Remus wehrte sich dagegen, es einfach so zu akzeptieren. Außerdem – klug mochte ja noch als Kompliment durchgehen, aber süß? Black hatte wohl wieder einmal übersehen, dass er ein Junge war. Gut, ein Junge, der kitschige Liebesromane las, doch immer noch ein Junge!
 

Die Tür ging auf und herein kam Black. Er sah ein bisschen gehetzt aus, lächelte aber, als er ihn erblickte.
 

„Sorry“, sagte er, die Tür hinter sich zuziehend und mit einem knappen Zauberspruch abschließend, „James wollte unbedingt herauskriegen, wo wir uns treffen und ich musste ihn abhängen.“
 

Remus beobachtete ihn unsicher.
 

„Er … hat keinen Verdacht geschöpft, oder?“, fragte er schließlich.
 

Black schüttelte den Kopf.
 

„Nein. Wer würde das auch denken?“
 

Allerdings, dachte Remus. Niemand würde das erwarten.
 

Black lächelte nur, kam auf ihn zu und schloss ihn in die Arme. Erleichtert atmete Remus aus und lehnte sich gegen ihn. Merlin, wie hatte er das vermisst. Sich nicht mehr zurückhalten zu müssen und einfach die Wärme zu genießen, die von ihm ausging. Behutsam strich Black über seinen Rücken, als wollte er ihn trösten und irgendwie war es das auch für ihn – ein Trost. Er hatte gar nicht bemerkt, wie angespannt er die letzten Tage gewesen war. Ohne in den zärtlichen Berührungen inne zu halten, hob Black schließlich seinen Kopf an und küsste ihn sanft.
 

Der Kuss wurde rasch weniger unschuldig, als er spürte, wie Black sein Hemd aus der Hose zupfte. Diesmal hielt Remus ihn nicht auf, sondern presste sich stattdessen noch näher an ihn. Blacks Hände glitten unter sein Hemd, sie schienen jeden Zentimeter Haut berühren zu wollen, den sie erreichen konnten. Remus erschauerte, als Blacks Lippen von seinem Mund abließen und über seine Wange, sein Kinn und schließlich ganz leicht über seine Kehle wanderten. Er war so ungeschützt in diesem Moment und etwas in ihm – wahrscheinlich der Instinkt des Wolfs, der so kurz vor Vollmond stärker war denn je – wollte vor der Berührung zurückweichen. Doch da war Black schon wieder ganz woanders, diesmal an der empfindlichen Stelle, an der sein Hals in seine Schulter überging. Mit einer Hand zog Black das Hemd beiseite, sodass mehr von seiner Schulter entblößt wurde, doch es war Remus egal. Er hatte die Augen geschlossen und konzentrierte sich ganz und gar auf die Berührungen.
 

Blacks Hände wanderten immer noch tiefer, seinen Rücken hinab, was angenehme Schauer in ihm erzeugte, und stoppten schließlich auf seinem Hintern. Dort angekommen, hielt Black inne, als ob er sich davon überzeugen wollte, dass Remus nicht zusammenzuckte, erst dann zog er ihn noch näher.
 

In diesem Moment spürte Remus nur allzu deutlich, wie erregt Black war. Panik wallte in ihm auf, weil er sich nicht entscheiden konnte, ob er ihn von sich stoßen oder sich noch näher an ihn drücken sollte. In seinem Kopf herrschte Chaos, sein Herz pochte wie verrückt und er spürte, wie ihm das Blut in die Lenden schoss.
 

Letzten Endes siegte die Panik und er legte seine Hände auf Blacks Brust und drückte ihn von sich weg. Black sah ihn irritiert an.
 

„Ist irgendetwas nicht okay?“
 

Remus schüttelte den Kopf.
 

„Nein, ich … es war okay. Ich – es war nur zu viel.“ Er schluckte. Offensichtlich brauchte er noch eine Weile, um wieder richtig reden zu können. Es war mehr als okay gewesen, es war absolut phänomenal gewesen, aber wie sollte er diese ganzen Empfindungen, die auf einmal auf ihn einströmten, ertragen können?
 

Blacks Gesichtsausdruck veränderte sich.
 

„Nur okay?“, fragte er.
 

„Nein, ich mein, mehr als okay, nur …“ Remus‘ Stimme verlor sich, er senkte den Kopf, sein Gesicht glühte.
 

„Remus, ich werde dich nicht fragen, ob es dir nicht gefällt, was wir machen. Denn ich weiß, dass es dir gefällt. Ein Blinder könnte das sehen.“ Black klang so ernst wie selten zuvor. „Aber wieso verdammt nochmal stellst du dich immer so an?“
 

„Ich stell mich nicht an! Im Gegensatz zu dir hab ich noch nicht jedes Mädchen im Schloss flachgelegt.“
 

Black schwieg. Remus wusste, dass er das Falsche gesagt hatte und es war auch nicht so gemeint gewesen, wie es geklungen hatte.
 

„Es ist nicht jedes Mädchen. Bis jetzt sind es gerade mal vierzehn.“, sagte Black schließlich trocken.
 

Remus fand das immer noch viel zu viel.
 

„Und du bist mein Erster.“ Er zwang sich dazu, ihm in die Augen zu sehen. Black sah ungezwungen zurück.
 

„Also gut“, seufzte er schließlich, „ich verstehe, du bist noch eine schüchterne Jungfrau“, Remus protestierte dagegen, doch Black brachte ihn mit einem knappen Kuss zum Verstummen, „aber ich werde mir Mühe geben, Geduld mit dir zu haben.“ Er zwinkerte ihm zu und Remus wusste, dass er sich mal wieder um den Finger wickeln lassen würde.
 

~~~~~*~~~~~
 

Remus hatte schon den ganzen Tag schlechte Laune. Er hatte Kopfschmerzen und in der letzten Nacht schlecht geschlafen. Sein Gesicht war bleicher als sonst und seit er aufgestanden war, spürte er ein Prickeln in seiner Haut, das mit jeder verstreichenden Stunde stärker zu werden schien. Es war Vollmond.
 

Black wusste offensichtlich auch, welcher Tag war, denn er gab sich mehr Mühe als sonst. Zwar trug er ihm nicht gerade die Tasche, wie er es getan hatte, als er sich den Fuß verletzt hatte, aber er behandelte ihn mit allergrößter Vorsicht. Achtete darauf, dass er ein ordentliches Frühstück zu sich nahm, obwohl er nicht das geringste bisschen Hunger verspürte, versuchte ihn aufzumuntern und nach Pflege Magischer Geschöpfe fand er sogar eine Gelegenheit, ihn kurz an der Hand zu berühren. Das hatte Remus tatsächlich kurz zum Lächeln gebracht.
 

Aber nun war der Tag vorbei und Remus befand sich zusammen mit der Krankenschwester auf dem Weg zur Peitschende Weide. Auf den Hogwartsgründen war es inzwischen stockdunkel, was gut war, da ihn so niemand von einem der Fenster sehen konnte. Es war kalt, doch er hatte sich nicht warm angezogen, da er seine Kleidung später eh würde ablegen müssen.
 

An der Weide angekommen, drehte er sich noch einmal zu Madam Pomfrey um. Sie nickte ihm zu, den Mund zu einer strengen Linie zusammengepresst. Mit einem langen Ast betätigte er den Knoten an einer Wurzel des Baumes, warf noch einen letzten Blick auf das Schloss und verschwand dann im Inneren der Weide.
 

Der Tunnel, der sich vor ihm erstreckte, war ebenso kalt wie draußen und nass. Die Wurzeln des Baumes über ihm hingen lose aus der Decke. Sein Weg führte ihn erst ein Stück tiefer, ehe der Tunnel stetig anstieg, um nach etwa einer Viertelstunde abrupt zu enden. Remus sah nach oben. An der Decke war eine hölzerne Falltür angebracht, die er mit etwas Anstrengung öffnete. Die Tür war schwer, eine Versicherung, dass er sie später nicht aus Versehen öffnen würde.
 

Über der Falltür befand sich eine kleine Blockhütte. Die Wände bestanden aus Brettern, die so morsch erschienen, dass er sie mit einer Hand hätte herausreißen können, tatsächlich aber befand sich auf ihnen ein Zauber, der ihn vor dem Ausbrechen und andere vor dem Einbrechen bewahren würde.
 

Routiniert begann er, seine Sachen auszuziehen und in einem ordentlichen Stapel in einer Ecke abzulegen. Er hatte eine weiche Decke mitgebracht, die er ebenfalls in der Ecke verstaute. Bisher war immer alles gut gegangen und auch jetzt hoffte er, dass er die Decke später nicht zerreißen würde.
 

Dann hieß es warten. Er war nun schon so lange krank, dass die Zeit für ihn nicht allzu langsam verstrich. Allerdings hielt ihn das nicht davon ab, ab und zu durch eines der zugenagelten Fenster zu lugen und nachzusehen, wann der Mond aufgehen würde. Es konnte nicht mehr lange dauern.
 

Kaum hatte er den Gedanken zu Ende gebracht, da spürte er auch schon, wie sich das Kribbeln in seiner Haut, das ihn den Tag über begleitet hatte, plötzlich verstärkte. Nun war es keine Minute mehr, bis er das Bewusstsein verlor und der Wolf in ihm Überhand nehmen würde. Er legte sich der Länge nach auf den Boden hin, eine seiner Lieblingspositionen, von denen er glaubte, dass sie die Verwandlung weniger schmerzhaft machen würden.
 

Es begann in seiner Wirbelsäule. Ein Knacken, dann spürte er, wie sie sich in die Länge zog. Gleichzeitig wurde das Prickeln unerträglich und er konnte beobachten, wie dunkle Haare durch seine Haut stachen. Seine Hände ballten sich ohne sein Zutun zusammen. Er hatte gelernt, nicht dagegen anzukämpfen. Seine Füße scharrten über den staubigen Boden, als seine Beine an Länge gewannen. Mit einem Male verschärfte sich seine Sicht, sodass er die Staubkörner in der Luft in der Hütte sehen konnte. Dann verschwamm zunehmend alles. Er wusste nun, dass er bald das Bewusstsein verlieren würde und war dankbar dafür. Er hatte nicht den Hauch einer Ahnung, wie der Wolf aussah und so sollte es auch bleiben.
 

Als sein Kopf sich zu verformen begann, wurde ihm endlich schwarz vor Augen.
 

~~~~~*~~~~~
 

Remus blickte an die weiße Decke des Krankenflügels. Eine bekannte Aussicht. Nachdem er sich zurückverwandelt hatte, hatte er das Bewusstsein gerade so lange wieder erlangt, dass er sich seine Decke schnappen und sich darin einwickeln konnte, dann war er auch schon wieder in den Schlaf gedriftet. Madam Pomfrey hatte ihn dann irgendwann vor Morgengrauen abgeholt und hierher verfrachtet. Vor wenigen Minuten hatte sie ihm noch einen Stärkungstrank gegeben und den Großteil der Kratzer und blauen Flecken geheilt, die er sich nachts zugezogen hatte.
 

Langsam drehte er den Kopf zur Seite und blickte zu seinem Nachttisch, auf dem einige Bücher lagen. Er hatte immer einige im Krankenflügel gelagert, damit er sich, wenn er wieder aufrecht sitzen konnte, nicht langweilte. Bis dieser Zeitpunkt kam, würde es aber noch dauern. Im Moment spürte er jeden Knochen in seinem Körper nur allzu deutlich. Müde schloss er wieder die Augen.
 

Im Laufe der nächsten zwei Stunden gingen einige Schüler ein und aus, um sich etwas gegen Kopfschmerzen oder Übelkeit zu holen. In einem Fall hatte es einen Streit zwischen zwei Mädchen gegeben und die eine hatte der anderen eine dicke, nicht zu übersehbare Warze mitten auf die Nase gehext. Madam Pomfrey musste das völlig hysterische Mädchen erst einmal beruhigen, bis sie die Warze mit einer Tinktur behandeln konnte.
 

Mittags kehrte Ruhe ein. Alle Schüler befanden sich beim Essen in der Großen Halle und auch Remus verspürte ein leichtes Hungergefühl, wusste jedoch, dass sein Magen frühestens am Abend, eher noch am nächsten Tag etwas vertragen konnte.
 

Er döste weiter vor sich hin, als die Tür zum Krankenflügel ein weiteres Mal aufging. Er schenkte dem jedoch kaum Beachtung, sondern döste weiter vor sich hin. Die Krankenschwester redete mit dem Schüler, dessen Stimme ihm vage bekannt vorkam.
 

„… er schläft und sollte sich auch besser ausruhen-“, war ein Bruchstück von dem, was er hören konnte. Der Schüler antwortete irgendetwas, das er nicht verstehen konnte, aber kurz darauf wurde der Vorhang, hinter dem er lag, plötzlich beiseite gezogen und jemand trat an sein Bett.
 

Jetzt machte er doch die Augen auf.
 

Neben seinem Bett stand Black. Offensichtlich hatte er noch nicht bemerkt, dass Remus wach war, denn er sagte nichts zu ihm. Stattdessen legte er ein Paket von der Größe eines Buches auf seinem Nachttisch ab. Remus war neugierig, was wohl darin sein mochte. Dass er ihm ein Buch schenkte, traute er ihm ehrlich gesagt nicht zu.
 

„Du bist wach?“
 

Remus blickte zu Black auf, der ihn jetzt überrascht ansah, ehe sich ein Lächeln auf sein Gesicht schlich. Er nahm sich einen Stuhl vom Bett nebenan und setzte sich an sein eigenes Bett.
 

„Wie geht es dir?“
 

„Schlecht.“ Remus lächelte zaghaft zurück, zuckte dann jedoch zusammen. Selbst seine Gesichtsmuskeln taten weh. „Aber den Umständen entsprechend gut.“
 

„Das freut mich.“ Black sah um den Vorhang herum, dann legte er seine Hand auf Remus‘. „Ich hab dir was mitgebracht, aber vielleicht willst du es später aufmachen?“
 

„Ja. Im Moment will ich einfach liegen bleiben und mich nicht bewegen.“
 

„So schlimm? Beim letzten Mal konntest du schon aufstehen.“
 

„Es ist immer unterschiedlich. Hängt davon ab, wie sehr ich mich selbst verletze.“ Remus konnte ihm bei diesen Worten nicht in die Augen sehen. „Zu Hause setzt mein Vater mich im Wald aus, das scheint besser zu sein. Ich hab dann meistens nur Kratzer von Ästen oder sowas. Aber hier …“ Er schluckte. So offen hatte er noch nie mit ihm darüber geredet und er schob es auf seinen momentanen Zustand. „Ich glaube, es macht ihn wütend. Eingesperrt zu sein.“
 

Black nickte, plötzlich ernst geworden. Sein Daumen strich über Remus‘ Handrücken und obwohl es so eine schlichte Berührung war, tat sie ihm beinahe so gut wie die Medizin, die Madam Pomfrey ihm gegeben hatte.
 

Es war das erste Mal, dass ihn jemand nach der Vollmondnacht im Krankenflügel besucht hatte. Zu Hause brachte ihn sein Vater zwar ins Bett und kümmerte sich um ihn, trotzdem erholte er sich auch dort die meiste Zeit allein. Jemanden zu haben, der sich mit ihm unterhielt und der ihm sogar etwas mitgebracht hatte, war eine völlig neue Erfahrung für ihn.
 

Als Black eine halbe Stunde später zum Unterricht zurückkehrte, richtete sich Remus mühsam auf und öffnete neugierig das Päckchen. Natürlich war es kein Buch. Es waren Süßigkeiten. Aus Hogsmeades Honeydukes, wenn er sich nicht irrte. Es war so typisch Black, dass er ein Grinsen nicht unterdrücken konnte.
 

~~~~~*~~~~~
 

Am nächsten Tag ging Remus wieder in den Unterricht. Er holte sich die Unterlagen der verpassten Stunden bei den Lehrern ab und setzte sich in den Gemeinschaftsraum, um den Stoff nachzubearbeiten. In der Nähe alberten Black und Potter miteinander herum, während Pettigrew seine Nase in einem Buch versteckt hielt.
 

Lief es gut zwischen ihnen oder schlecht? Wenn sie sich im Geheimen trafen, kamen sie immer gleich zur Sache und obwohl er dagegen nichts einzuwenden hatte, wünschte er sich, dass sie sich einfach einmal normal miteinander unterhalten konnten. Aber worüber? Quidditch war ganz okay, interessierte ihn aber nicht so sehr, und Bücher interessierten Black nur, wenn er seinen Kopf zum Schlafen darauf legen konnte. Was dachte Black wirklich über ihn? Was fand er so besonders an ihm? Remus wurde das Gefühl nicht los, dass das einzig besondere an ihm seine Krankheit war und er wollte dieser nicht diese Macht über sein Leben geben.
 

Während er Black und Potter dabei zusah, wie sie zum Spaß miteinander rangelten, fing er einen Blick von Pettigrew auf. Bei diesem Jungen lief es ihm kalt den Rücken herunter. Er wusste nicht, was er ihm getan hatte, aber er schien ihn wirklich zu hassen. An sich wäre ihm das egal gewesen – ob man ihn nun ignorierte oder hasste, welchen Unterschied machte das schon? Bei Pettigrew bekam er jedoch das Gefühl, dass es sehr wohl einen Unterschied machte, er konnte sich nur noch nicht erklären, wie er zu diesem Schluss kam.

Tunichtgut

Kapitel 15: Tunichtgut
 

In den nächsten Tagen war Remus immer in der Bibliothek zu finden. Er glaubte nicht, dass Potter ihn wirklich akzeptiert hatte, doch er wagte zu hoffen, dass die Raumtemperatur in ihrem Zimmer sich um einige Grade erhöht hatte und noch weiter steigen würde, würde er tatsächlich eine Lösung für die Karte finden.
 

Das Passwort selbst war nicht der schwierige Teil. Er hatte schon vor Wochen ein Buch gefunden, das das Anbringen und Entfernen von Passwörtern genauestens beschrieb. Schwierig war, die Karte im Normalzustand harmlos aussehen zu lassen. Remus hatte sich schnell dafür entschieden, sie wie ein unbenutztes Pergament aussehen zu lassen. Auf diese Weise konnte man sie sogar mit sich herumtragen und niemand würde Verdacht schöpfen, wenn ein Schüler ein Stück zusammengefaltetes Pergament mit sich herumtrug, noch dazu unbeschriftet.
 

Doch wie sollte er es anstellen, dass die Schrift, einmal verschwunden, wieder auftauchte? Die ganzen Linien, Gänge, Räume, Namen? Je länger er an seinem kleinen Projekt arbeitete, desto eher musste er die immense Leistung anerkennen, die die Rumtreiber erbracht hatten, indem sie eine so detaillierte Karte erst einmal erstellten.
 

Zuerst hatte er sich überlegt, dass er die Schrift gar nicht verschwinden ließ, sondern nur einen Illusionszauber darüber legte. Schnell verwarf er jedoch diese Idee - Illusionszauber konnten erstens durch einen simplen Aufspürzauber entdeckt werden und waren zweitens leicht aufhebbar, es sei denn, sie waren wirklich stark. Aber er wollte nicht so viel Magie hineinstecken. Er war zwar kein schwacher Zauberer, ebenso wie Potter und Black, doch es wäre Energieverschwendung. Und selbst dann konnten sie immer noch nicht sicher sein, dass die Karte sicher war. Ein stärkerer Zauberer konnte die Illusion immer noch ohne Probleme aufheben.
 

Besser, niemand kam erst auf die Idee, dass hinter der Karte mehr steckte als auf den ersten Blick sichtbar.
 

Die Schrift musste wirklich verschwinden. Und mit dem Passwort wieder abrufbar sein.
 

Er wurde aus den Gedanken gerissen, als sich plötzlich von hinten zwei Arme um ihn schlangen und er vor Überraschung aufschrie.
 

„Psst! Oder willst du, dass Madam Pince auftaucht?“
 

Natürlich war es Black.
 

„Du hast mich erschreckt!“, zischte Remus.
 

„Hab ich gemerkt.“ Black setzte sich auf den Stuhl neben ihn. „Und, hast du schon was gefunden?“
 

„Noch nicht.“ Remus seufzte. „Das ist gar nicht so einfach.“, sagte er beinahe entschuldigend.
 

Er fuhr fort, in dem Buch nach brauchbaren Informationen zu suchen, auch wenn er das schon seit Stunden tat und nicht das Gefühl hatte, weiterzukommen.
 

Eine Hand legte sich auf seine.
 

„Remus, ist mit dir alles in Ordnung?“
 

Erstaunt sah er auf. Black sah ihn tatsächlich besorgt an.
 

„Klar.“
 

„Wirklich?“
 

„Wirklich.“, wiederholte Remus mit Betonung. „Ist ja nicht so, dass Potter mich jemals besser behandelt hätte.“
 

Tatsächlich hatte sich Potters Verhalten zu ihm wieder normalisiert - eine Tatsache, für die Remus eigentlich hätte dankbar sein sollen, schließlich hatte er den fatalen Fehler begangen, in dessen persönlichen Sachen herumzukramen. Dennoch hatte ein naiver Teil in ihm geglaubt, dass Potter ihn mit seinen Neckereien in Frieden lassen würde, und sei es auch nur, damit er sich ganz und gar auf seine Recherche konzentrieren konnte.
 

„Ich bin mir sicher, dass du und James besser miteinander klarkommt, wenn du ihm zeigst, was du draufhast. Und bis dahin - erinnerst du dich noch daran, was ich gesagt habe? Mir ist es egal, was du bist, und mir ist auch egal, dass du manchmal ein ‚langweiliger Streber‘ bist.“, spielte er auf einen der Namen an, die Potter ihm gegeben hatte, „Ich liebe dich trotzdem.“
 

Black legte ihm eine Hand auf die Wange und küsste ihn kurz, doch Remus stockte. Erinnern - Erinnerung! Das war die Idee!
 

„Remus?“ Black klang besorgt, doch Remus achtete gar nicht auf ihn, während er hektisch das Regal durchsuchte.
 

~~~~~*~~~~~
 

„Jetzt bin ich aber gespannt.“
 

Zu viert saßen sie auf Remus‘ Bett, die Karte ausgebreitet zwischen ihnen. Nach Potters Gesichtsausdruck zu urteilen, zweifelte dieser daran, dass Remus irgendetwas Brauchbares gefunden hatte. Am Anfang seiner Recherche hatte Remus selbst an sich gezweifelt; ein Teil seines Vorschlags die Karte zu verbessern, war schließlich auch dafür gedacht gewesen, sich selbst zu retten. Es gab Momente, da traute er Potter alles zu. Es war besser, seinen Groll nicht auf sich zu ziehen.
 

„Also“, begann Remus zu erklären, „was ich vorhabe, ist ein Erinnerungszauber.“ Sofort kamen fragende Blicke auf. „Wenn wir diesen Zauber über die Karte sprechen, erinnert sich das Pergament praktisch an den Zustand, in dem es im Moment ist. Wenn wir den Inhalt dann löschen - ja, wirklich löschen! - kann niemand mehr darauf zugreifen. Es ist dann wirklich nur ein Stück Papier. Zusammen mit dem Passwort aber“, und hier blickte er vielsagend in die Runde, „setzen wir die Erinnerung des Pergaments in Gang. Und die Karte ist wieder da.“
 

„Und das funktioniert?“ Potter sah immer noch zweifelnd aus.
 

„Ich hab’s mehrfach überprüft.“
 

Potter schien mit sich zu ringen, dann nickte er. „Okay. Aber“, er sah Remus drohend an, „wenn die Sache schief geht, stehst du dafür gerade.“
 

Remus schluckte, aber er wusste, dass es funktionieren würde. Theoretisch.
 

„Okay, als erstens müssen wir uns noch ein Passwort ausdenken.“
 

Augenblicklich dachten alle angestrengt nach. Nach einigen Minuten der Stille fragte Black: „Schon einer ‘ne Idee?“
 

„Vielleicht … Chudley Cannons? “, piepste Pettigrew. Potter schüttelte den Kopf.
 

„Nein, es darf nicht zu offensichtlich sein.“
 

„Wie wär’s mit ‚Schniefelus‘ Schniefnase‘?“, schlug Black vor. Potter verzog den Mund.
 

„Willst du das wirklich jedes Mal sagen, wenn wir die Karte benutzen?“
 

„Nicht wirklich.“
 

„Geht mir genauso.“ Potter verzog angestrengt das Gesicht.
 

„Kann ich auch einen Vorschlag machen?“, fragte Remus zögerlich. Potter nickte. „Ich hab noch nichts Konkretes, aber ich glaube, es wäre besser, einen ganzen Satz zu nehmen als nur ein Wort. Ansonsten könnte es sein, dass jemand aus Versehen das Passwort sagt.“
 

„Klingt logisch.“ Potter fuhr sich aufgeregt durch die Haare. „Aber welchen Satz?“
 

„Es muss irgendwas Cooles sein.“, meinte Black. Remus verdrehte die Augen, doch Potter nickte.
 

Abermals verfielen sie in Schweigen. Draußen wurde es langsam dunkel und Remus wurde müde. Er hatte sich noch nicht völlig erholt.
 

Da schnipste Potter plötzlich mit dem Finger und schlug sich an die Stirn.
 

„Ich hab’s!“, rief er aus und sofort starrten ihn alle gebannt an. „Erinnert ihr euch noch, als McGonagall mich einmal erwischt hat? Bei unserem Streich mit dem Mädchenklo.“ Remus hatte keine Ahnung, wovon er sprach, Black dagegen wohl schon, denn er grinste breit. „Sie war damals auf hundertachtzig! Meinte, wenn ich nicht langsam erwachsen werde, würde ich es nie zu etwas bringen.“
 

Black wehrte das mit einer Hand ab.
 

„Das sagt meine Mutter auch immer zu mir.“
 

„Aber“, Potters Augen glänzten vor Aufregung, „wisst ihr, wie sie mich genannt hat? Tunichtgut! Ich musste so lachen, als sie das gesagt hat - okay, das war vielleicht ein Fehler, sie hat mich nachher den Pokalraum ohne Magie putzen lassen. Mit einer Zahnbürste!“ Er lächelte, als handelte es sich dabei um eine besonders zärtliche Erinnerung.
 

„Und wie hilft uns das jetzt mit einem Passwort?“, hakte Black nach.
 

„Das wird dir gefallen.“ Potter grinste schelmisch und ahmte dann das strenge Gesicht McGonagalls nach. „‚Ich schwöre feierlich, dass ich ein Tunichtgut bin‘.“
 

Black fiel beinahe vom Bett vor Lachen.
 

„Merlin, das klingt krass!“, lachte er. „Wie aus dem letzten Jahrhundert!“
 

„Das ist ja Sinn der Sache! Kein Mensch würde das jemals aus Versehen sagen. Und ist es nicht cool? Stell dir das nur mal vor, wenn wir wieder mal unterwegs sind“, er sandte Remus einen skeptischen Blick, „und dieses Passwort sagen … das klingt total geheimnisvoll.“
 

Das weite Grinsen, das sich auf Blacks Gesicht ausbreitete, sagte mehr als tausend Worte.
 

~~~~~*~~~~~
 

„Wieso nehmt ihr mich diesmal mit?“, wisperte Remus.
 

Potter, der vor ihm lief, den Zauberstab wie eine Taschenlampe über die Karte haltend, drehte sich zu ihm um.
 

„Sieh es als Belohnung.“, flüsterte er zurück. Er lächelte. „Ich hatte immer gedacht, dass du ein langweiliger Bücherwurm wärst, aber offensichtlich kannst du deinen Kopf auch für coole Sachen benutzen.“
 

Remus war sich nicht sicher, ob er das jetzt als Kompliment oder Beleidigung auffassen sollte.
 

Nur zwei Tage, nachdem sie die Karte mit dem Passwort versehen hatten - sie hatten sich ein anderes für das Löschen der Karte ausgedacht: Unheil angerichtet - war Black zu ihm gekommen und hatte ihm ins Ohr geflüstert, dass sie an diesem Abend einen kleinen Ausflug planten - ob er mitkommen wollte? Und obwohl Remus normalerweise kein Regelbrecher war, konnte er der Versuchung nicht widerstehen, herauszufinden, was genau die Rumtreiber eigentlich nachts im Schloss trieben.
 

Hogwarts in der Nacht war zusammen mit den anderen nicht weniger gruselig, als wenn er es allein durchstreifte. Er erinnerte sich noch gut an den Abend, als er versucht hatte ihnen zu folgen und gescheitert war. Er war sich zudem nur zu gut bewusst, dass er ihnen praktisch ausgeliefert war, aber er vertraute Black insoweit, dass er ihn nicht mitgenommen hätte, hätte Potter etwas im Schilde geführt. Trotzdem half ihm die Anwesenheit von den anderen, seine Angst vor der Dunkelheit halbwegs zu überwinden.
 

Er versuchte herauszufinden, wohin sie gingen, doch er verlor irgendwann die Orientierung. Potter hielt die Karte vor sich und prüfte sie alle paar Minuten, um sich zu versichern, dass sie keinem patrouillierenden Lehrer über den Weg liefen. Es war geradezu lachhaft einfach mit der Karte. Er fragte sich, wie Potter es geschafft hatte, sich das eine Mal erwischen zu lassen.
 

„Okay, wir sind da.“, flüsterte Black ihm zu.
 

Nach Remus‘ Schätzung befanden sie sich ziemlich weit unten und, wenn er sich nicht irrte, direkt unter der Großen Halle. Der Gang vor ihnen war ungewöhnlich hell erleuchtet. Sie standen direkt vor einem Gemälde, das eine bunte Obstschale zeigte.
 

Potter wisperte „Unheil angerichtet!“, beobachtete, wie die Karte leer wurde, faltete sie dann zusammen und steckte sie in seine Hosentasche. Zu Remus‘ großer Verwirrung trat er dann vor und strich über das Gemälde. Remus hatte keine Ahnung, was er da tat, bis sich auf einmal die Birne auf dem Gemälde regte und zu kichern anfing. Ihm fielen vor Staunen fast die Augen aus dem Kopf, als er realisierte, dass Potter die Birne tatsächlich kitzelte. Einen Augenblick später verwandelte sich die Birne plötzlich in eine Türklinke, die Potter ohne Zögern packte und runterdrückte.
 

Hinter der Tür befand sich ein großer Raum, den Remus sofort als Küche identifizierte. Womit er nicht gerechnet hatte, waren die Dutzenden von Hauselfen, die sich bei ihrem Eintreten umdrehten. Erschrocken wollte er umdrehen, da trat einer der Hauselfen vor.
 

„Kann Tipsy den Herren etwas bringen?“, fragte es in einer piepsigen Stimme.
 

Während Remus noch staunte, dass die Hauselfen es anscheinend nicht für ungewöhnlich hielten, dass sie einfach so in die Küche spazierten, noch dazu nachts, gab Potter seine Bestellung auf. Remus fand, dass es ziemlich viel war, was er forderte, doch kaum hatte Potter fertig gesprochen, machte sich der Hauself namens Tipsy zusammen mit einigen anderen an die Arbeit. Es war ein absolut chaotisches Gewusel, doch keine fünf Minuten später hatte man sie dazu genötigt, an einem der großen Tische Platz zu nehmen und servierte ihnen einen Mitternachtssnack, der es in sich hatte.
 

Remus, der seinen Hunger nach der Vollmondnacht schnell wiedergefunden hatte, überwand sein schlechtes Gewissen sehr schnell und biss abwechselnd in einen Blaubeermuffin und nippte an seiner heißen Schokolade. Von allen Dingen, die er sich ausgemalt hatte, diese Situation war nicht dabei gewesen. Im Moment sah er jedoch keinen Grund sich zu beschweren.
 

Black saß neben ihm und futterte sich mit ungezwungenem Appetit durch das Essen, das die Hauselfen aufgetischt hatten. Wenn er das zweimal die Woche machte, fragte Remus sich, wieso er noch nicht wie ein Hefeteig aufgegangen war. Gut, bei Pettigrew konnte man die nächtlichen Futtereien durchaus schon erkennen.
 

„Und das macht ihr immer? In die Küche schleichen und euch den Bauch vollschlagen?“, wollte er sich versichern. Black winkte ab.
 

„Bei Merlins Bart, nein.“ Potter stieß ihm warnend in die Seite. „Sorry.“
 

„Was macht ihr dann?“ Die späte Stunde machte ihn mutig.
 

„Das geht dich nichts an.“ Potters Gesicht wurde steinern und er wusste, dass er zu weit gegangen war. Um die Situation zu retten, murmelte er eine Entschuldigung, doch die Stimmung verblieb angespannt, bis sie wieder in den Gryffindorturm zurückgekehrt waren.
 

~~~~~*~~~~~
 

Am nächsten Morgen - es war ein Samstag - stand Remus früh auf und verließ den Schlafsaal, um einen Teil seiner Hausaufgaben zu bewältigen, die er durch seinen Ausfall an Vollmond vernachlässigt hatte. Um diese Uhrzeit war noch niemand im Gemeinschaftsraum und er genoss die morgendliche Stille, während er an seinem dreieinhalb Fuß langem Aufsatz über die Gründung von Gringotts arbeitete.
 

Etwa zwei Stunden später waren schon einige Schüler an ihm vorbei durch das Portraitloch geklettert, um frühstücken zu gehen und schließlich hörte er, wie jemand die Treppe von ihrem Schlafsaal herunterkam. Er schrieb seinen Satz zu Ende, strich die übrigbleibende Tinte an seinem Fässchen ab und packte seine Sachen zusammen, als Black zusammen mit Potter und Pettigrew neben ihm zu stehen kam. Blacks Haare waren vollkommen zerwuschelt; er hatte sich wohl noch nicht die Mühe gemacht, sie zu kämmen. Sowohl er als auch Potter trugen ihre Quidditchuniformen und Remus fiel wieder ein, dass heute das zweite Spiel des Jahres stattfinden sollte.
 

„Seit wann bist du denn wach?“, fragte Black.
 

„Schon eine Weile, ich hab Hausaufgaben gemacht.“ Er packte Pergament, Feder und Tintenfässchen in seine Tasche. Potter grinste ihn gut gelaunt an.
 

„Cool, welches Fach? Weniger Arbeit für mich.“
 

Remus verdrehte innerlich die Augen, weil Potter wieder abschreiben wollte.
 

„Geschichte der Zauberei.“
 

„Verdammt, das hab ich doch nicht!“, stöhnte Potter. Black stieß ihn in die Seite.
 

„Sei besser froh darüber. - Können wir jetzt los? Ich hab Hunger.“
 

Und wie zur Bestätigung knurrte sein Magen laut und sie machten sich auf den Weg in die Große Halle, die bereits mit schwebenden Kürbissen für das bevorstehende Halloween-Fest geschmückt war.
 

Obwohl Remus erst in der Nacht gegessen hatte, fand er seinen Appetit beim Anblick des reich gedeckten Frühstücktischs bald wieder. Nachdem er seine übliche Schale Müsli verspeist hatte, nahm er sich einen Teller voll gebratenen Speck, Würstchen und zwei Spiegeleiern, die er in wenigen Minuten verspeist hatte, dazu ein Glas Orangensaft.
 

Potter prahlte derweil damit, dass sein Quidditchteam - er war Kapitän der Mannschaft - Ravenclaw vom Platz fegen würde. Remus interessierte sich nicht so sehr für Quidditch, jedenfalls nicht in dem Ausmaße, dass er stundenlang über verschiedene Taktiken diskutieren oder sich Gedanken über die Stärken und Schwächen eines einzelnen Spielers machen konnte. Black dagegen war Feuer und Flamme für den Sport.
 

„Ich denke, wir sollten auf ihren neuen Jäger aufpassen. Ich habe ihn ein paar Mal während des Trainings gesehen und er scheint echt nicht übel zu sein.“, führte Potter aus und Black nickte ernst, während Pettigrew andächtig lauschte. Remus bezweifelte, dass Pettigrew viel von Quidditch verstand.
 

Black stieß ihn von der Seite an.
 

„Diesmal feuerst du uns an, oder?“, fragte er und Remus errötete, als er so unverfroren daran erinnert wurde, dass er bei ihrem letzten Spiel nicht ohne Grund gefehlt hatte. Er nickte.
 

~~~~~*~~~~~
 

Nach dem Frühstück beeilten sich Potter und Black, aus der Halle und auf das Spielfeld zu kommen, um schon einmal die Flugbedingungen zu prüfen. Beim Aufstehen streifte Blacks Hand wie zufällig Remus‘ eigene und er zuckte zusammen. So etwas hatte er noch nie gewagt. Er biss sich auf die Lippe, um ein Lächeln zu verbergen.
 

Er fing einen Blick von Pettigrew auf, der ihn aus dem Augenwinkel beobachtete. Remus drehte sich zu ihm um.
 

„Sollen wir auch schon gehen? Dann bekommen wir die besten Plätze.“
 

Er trank sein Glas aus und stand auf. Pettigrews Verhalten war ihm nicht geheuer. Wenigstens würde er von dem Spiel abgelenkt sein.
 

Zusammen gingen sie aus dem Schloss raus und zum Spielfeld. Es war relativ windig, normales Wetter für den Herbst, und Remus zog seinen Schal enger. Der Himmel war mit grauen Wolken überzogen. Sie waren nicht die Einzigen, die frühzeitig kamen, einige Schüler saßen schon auf den Tribünen und unterhielten sich oder beobachteten die Spieler, die unter ihnen das Feld abschritten.
 

Sie setzten sich in die oberste Reihe. Pettigrew rutschte ein Stück von ihm weg, doch er beachtete ihn nicht weiter.
 

Als sich die Sitzplätze um sie langsam füllten, wurde Remus unruhig. Jeder um sie herum redete miteinander, alberte herum, lachte oder schmachtete den einen oder anderen Spieler an. Pettigrew schwieg. Er schien über irgendetwas nachzugrübeln.
 

„Also … was denkst du, wer gewinnt?“, fragte Remus, um die Stimmung aufzulockern.
 

„Gryffindor natürlich.“
 

„… natürlich.“ Abermals verfielen sie in Schweigen. „Und … wie viel Punkte?“
 

Pettigrew zuckte die Schultern.
 

„Weiß nicht … vielleicht 250 zu 10, vielleicht auch 20.“
 

Remus hielt das für eine absolute Überschätzung der gryffindorschen Mannschaft, aber er wollte sich nur unterhalten und keinen Disput anfangen.
 

„Dann müssen wir aber einige Tore werfen, bevor Potter den Schnatz fängt.“
 

Pettigrew brummte nur als Antwort.
 

Was war bloß los mit ihm?
 

Der Anpfiff kam und er richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf das Feld. Die Spieler waren bereits in die Höhe geschossen und er brauchte einen Moment, um Black auszumachen, der sich als Erster den Quaffel geschnappt hatte und zusammen mit den anderen zwei Jägern seiner Mannschaft auf das gegnerische Tor zuraste. Als er jedoch passte, schnellte ein anderer Jäger dazwischen und tauchte mit dem Ball in die entgegengesetzte Richtung ab.
 

Das Spiel war ein ewiges Hin und Her, von dem er sich bald gelangweilt fühlte. Sein Blick glitt zu Potter, der langsame Runden über dem Spielfeld drehte, offensichtlich auf der Suche nach dem Schnatz.
 

Da ertönte plötzlich Gejubel um ihn herum: Black hatte ein Tor erzielt. Er klatschte mit, sprang aber nicht auf.
 

Black flog eine Runde um das Spielfeld, dann fädelte er sich nahtlos wieder in das Spiel ein. Remus ließ ihn nicht mehr aus den Augen.
 

Zwei Tore später setzte Regen ein. Er verfluchte sich dafür, nicht an einen Regenschirm gedacht zu haben und hoffte, dass Potter bald den Schnatz fangen und damit das Spiel beenden würde, damit er sich ins Trockene retten konnte.
 

Das Spiel dauerte jedoch noch über eine Stunde. Der Regen war stärker geworden und es war nicht leicht, das goldene Aufblitzen des Schnatzes durch den dichten, grauen Schleier zu erkennen. Remus war durchgefroren und bis auf die Haut durchnässt, als das Spiel endlich als beendet erklärt wurde und er sich mit den anderen Schülern auf den Weg machen durfte.
 

Bevor er jedoch weit gekommen war, packte ihn eine Hand an der Schulter und drehte ihn um.
 

Black stand vor ihm, Kleidung und nasse Haare klebten an ihm wie eine zweite Haut.
 

„Wolltest du mir etwa nicht gratulieren?“, feixte er. Potter, ebenso durchnässt, den Besen über der Schulter, kam neben ihnen zu stehen.
 

„Eigentlich wollte ich so schnell wie möglich ins Trockene.“ Seine Stimme klang nicht annähernd so selbstsicher wie er wollte. Mit roten Wangen ließ er seinen Blick an Blacks Körper hinuntergleiten. Er konnte einfach nicht anders.
 

Pettigrew tauchte plötzlich aus der Menge auf, ging auf Potter zu und schlug ihm freundschaftlich auf die Schulter.
 

„Gutes Spiel!“, gratulierte er und grinste ihn breit an, Potter sandte ihm jedoch nur einen irritierten Blick und wandte sich dann um, um sich von seinen Hauskameraden bejubeln zu lassen, die sich jetzt um ihn scharten.
 

Remus zuckte zusammen, als er auf einmal eine Berührung an der Hand spürte - und plötzlich umarmte Black ihn.
 

Remus versteifte sich - vor all den Leuten?
 

Doch keiner beachtete sie. Es war ja auch nichts dabei; man wusste inzwischen, dass die zwei befreundet waren und nach einem Quidditchspiel war jeder aufgewühlt und eine Umarmung nichts Ungewöhnliches. Jedenfalls musste Remus sich das einreden, um sich wieder zu beruhigen und die Umarmung zu genießen.
 

Black flüsterte ihm ins Ohr und ein Schauer überlief ihn.
 

„Heute Abend, üblicher Ort, ja?“

(K)Ein Tanz an Halloween

Kapitel 16: (K)Ein Tanz an Halloween
 

Remus war nervös. Er wartete in ihrem üblichen Klassenraum, aber er war viel zu früh dran, obwohl er dieses Mal sogar mehr Zeit im Bad verbracht hatte als sonst. Als er in den Spiegel gesehen hatte, hatten ihm seine Haare auf einmal nicht mehr gefallen und er hatte sie sich wieder und wieder gekämmt, jedoch ohne Erfolg. Mit einem frustrierten Blick in den Spiegel, der sein blasses Gesicht zeigte, war er schließlich gegangen.
 

Aber Black war natürlich noch nicht da.
 

Nervös strich Remus seine Schuluniform glatt. Es gab keinen Grund für ihn so zappelig zu sein; Black kannte ihn schließlich und hatte noch nie sein Aussehen in irgendeiner Weise negativ kommentiert.
 

Einige Minuten später ging die Tür auf und Remus zuckte zusammen. Black steckte den Kopf durch den Türrahmen.
 

"Du bist ja schon da!"
 

Er lächelte ihn an, als er eintrat und Remus' Knie wurden weich. Sie begrüßten sich mit einer Umarmung. Remus bemerkte, dass Black frisch geduscht haben musste; seine Haare rochen nach Shampoo und waren noch ein wenig klamm. Als Black sich zu ihm runterbeugte, um ihm einen Kuss zu geben, wich er aus. Er hatte noch etwas auf dem Herzen.
 

"Nein, warte kurz.", sagte er, als er ihn mit beiden Händen von sich wegschob. Black hielt verwirrt inne.
 

"Was ist?"
 

"Ich - ich möchte mit dir reden."
 

Sofort verdüsterte sich Blacks Miene, als hätte er gerade irgendetwas Unheilvolles heraufbeschworen.
 

"Wir haben doch heute schon geredet."
 

"Ja, aber … nicht darüber. Bitte, es ist mir wichtig." Remus hasste es, wie zaghaft seine Stimme klang.
 

Black seufzte. Dann lehnte er sich an die Kante des nächsten Tisches, die Hände in den Hosentaschen.
 

"Also gut, dann schieß mal los."
 

Er überlegte, wie er anfangen sollte. In seinem Kopf hatte alles logisch geklungen. Als er jetzt nach einem Anfang suchte, klang aber alles, was ihm einfiel, viel zu emotional. Auf keinen Fall wollte er, dass Black noch einen Grund hatte, ihn Mädchen zu nennen.
 

Schließlich presste er heraus: "Es ist nur … ich habe das Gefühl, dass ich dir nicht mehr so wichtig bin wie in den Sommerferien."
 

Blacks Augen weiteten sich.
 

"Nicht mehr so wichtig? Remus, du bist mir noch viel wichtiger geworden!"
 

"Das sagst du, aber irgendwie verbringen wir immer weniger Zeit miteinander. Und wenn wir uns hier treffen, dann … na ja, dann küssen wir uns nur und so, aber wir reden nicht miteinander. Oder wir streiten."
 

"Also willst du nicht, dass ich dich küsse?"
 

"Nein! Ich meine, doch! Ach, du verstehst mich falsch …" Remus ließ sich auf einen nahegelegenen Stuhl sinken und fuhr sich mit der Hand durch die Haare.
 

Einen Moment lang sagte niemand mehr etwas.
 

"Dann erklär es mir.", sagte Black schließlich. "Ich möchte dich verstehen."
 

Remus wandte den Blick zum Boden. Er konnte ihn nicht dabei ansehen. Seine Ohren glühten bereits so schon.
 

"Ich … will von dir geküsst werden. Wirklich. Ich mag es, sogar - sogar sehr." Er schluckte. "Aber ist das wirklich alles, was eine Beziehung ausmachen sollte? Du hast gesagt, dass du mich liebst, aber im Moment hab ich das Gefühl, dass du nur mit mir schlafen willst." Zu seinem Entsetzen spürte er, wie seine Augen anfingen zu brennen. Er wagte es nicht, sich mit der Hand darüber zu wischen.
 

Black seufzte.
 

"Ich verstehe dein Problem, glaube ich." Remus blickte auf; Black sah ihm direkt in die Augen. "Aber was erwartest du von mir? Ich kann mich vor James nicht anders verhalten, es wäre zu auffällig. Du warst es doch, dem es so wichtig war, dass das mit uns nicht rauskommt. Und wenn wir hier sind, endlich unter uns … du kannst es mir wirklich nicht verübeln, dass ich die Finger nicht von dir lassen kann."
 

Remus' Gesicht war tomatenrot. Wie Black so offen darüber sprechen konnte, war ihm ein Rätsel.
 

"Wir könnten uns öfter treffen und dann auch miteinander reden.", schlug Black schließlich vor. "Aber dann müssen wir aufpassen. James möchte unbedingt herausfinden, mit welchen Mädchen ich mich treffe und Peter … na ja, der schnüffelt gern. Vor allem, wenn wir zwei immer zur gleichen Zeit verschwinden, könnte es irgendwann auffällig werden."
 

Remus kam plötzlich ein Gedanke.
 

"Die Karte!"
 

Black sah ihn verwirrt an.
 

"Was ist damit?"
 

"Kann Potter nicht sehen, dass wir hier sind? Auf der Karte kann man doch jeden verfolgen."
 

Black nickte.
 

"Ja, das könnte er. Aber er hat mir hoch und heilig versprochen, es nicht zu tun. Und dann wird er es auch nicht tun." Er grinste. "Außerdem findet er es viel spannender, es selbst herauszufinden."
 

Remus war nicht ganz überzeugt. Die Tatsache aber, dass sie immer noch nicht aufgeflogen waren, gab Black Recht.
 

Black war plötzlich vor ihm und zog ihn an sich.
 

"Darf ich dich jetzt küssen?"
 

~~~~~*~~~~~
 

Sie beschlossen, dass Remus diesmal zuerst den Klassenraum verlassen sollte. Black würde in wenigen Minuten folgen. So würde es nicht danach aussehen, als wären sie zusammen irgendwo gewesen.
 

Remus hatte den Klassenraum gerade hinter sich geschlossen und wollte nach links abbiegen, als er von der anderen Seite angesprochen wurde.
 

"Hey, Lupin! Wo hast du Sirius gelassen?"
 

Einen schrecklichen Augenblick lang dachte er, sie wären aufgeflogen. Aber als er sich zu Potter umwandte, der wenige Meter von ihm entfernt auf ihn zukam, seinen Schatten Pettigrew im Schlepptau, wusste er, dass es keinen Grund zur Sorge gab. Nun ja, abgesehen davon, dass Black in wenigen Minuten aus dem gleichen verlassenen Klassenzimmer kommen würde wie er. Er musste hier weg.
 

"Keine Ahnung.", antwortete er auf Potters Frage. "Ich dachte er wäre bei euch?"
 

"Ne." Potter kratzte sich am Kopf und lehnte sich an die Wand, direkt neben der Tür, hinter der Black wartete. "Ist wahrscheinlich wieder mit seinem Mädel unterwegs." Er beobachtete ihn aufmerksam. "Du weißt nicht zufällig, mit wem er sich trifft?"
 

Remus zuckte mit den Schultern. Er hoffte inständig, dass man ihm die Knutscherei mit Black wenige Minuten zuvor nicht ansah. "Tut mir leid, ich weiß es nicht."
 

"Wäre ja auch zu einfach gewesen."
 

Er stieß sich von der Wand ab.
 

"Aber woher solltest du das auch wissen? Hast ja selbst noch nie ein Mädchen gehabt." Er grinste. "Ich frage mich, woran das wohl liegt."
 

Remus schluckte. Potter fischte ihm zu sehr in Gewässern herum, die zu nah an der Wahrheit lagen.
 

"Ich hab einfach noch nicht die richtige gefunden?" Es klang mehr wie eine Frage. Remus hätte sich ohrfeigen können.
 

Jetzt meldete sich auch Pettigrew zu Wort.
 

"Vielleicht ist er ja auch selber ein Mädchen, die werden auch alle vier Wochen krank." Er kicherte hinter vorgehaltener Hand.
 

Remus runzelte die Stirn. Von Potter gemobbt zu werden war nichts Neues, aber Pettigrew hielt sich dabei normalerweise im Hintergrund. Es war das erste Mal, dass er sich einmischte.
 

"Ich hab halt eine schwache Gesundheit." Schon im nächsten Moment wusste er, dass es besser gewesen wäre, gar nichts zu sagen. Selbst in seinen Ohren hatte sich diese Ausrede schwach angehört. Pettigrews Augen fixierten ihn kalt.
 

"Es ist wirklich seltsam, wie regelmäßig du eine schwache Gesundheit hast.", sagte er. Potter lachte darüber.
 

Remus zuckte zusammen. Es war fast so, als wüsste Pettigrew von seinem Geheimnis. Sein Blick huschte zur Tür, aber er zwang sich sofort wieder, ihn auf die beiden Jungs vor ihm zu lenken. Black würde ihn nicht verraten.
 

Sicherlich hatte er sich geirrt. Pettigrew konnte nichts von seiner Krankheit wissen. Oder doch? Ein Schauer lief ihm über den Rücken, als er daran zurückdachte, dass die Rumtreiber die Karte besaßen. Potter würde vielleicht nicht nachsehen und seinen Aufenthaltsort zurückverfolgen, aber konnte er sich sicher sein, dass Pettigrew es ebenfalls nicht tat?

Aber Pettigrew sagte nichts mehr, starrte ihn nur aus zusammengekniffenen, hasserfüllten Augen an. Sicherlich hätte er es schon längst gesagt, wüsste er wirklich von seinem Geheimnis. Sicherlich hatte er sich das alles nur eingebildet.
 

Remus sah auf die Uhr. Es war kurz vor Sperrzeit.
 

"Ich muss los."
 

Er floh geradezu.
 

~~~~~*~~~~~
 

Die Große Halle war geschmückt mit Kürbissen und Kerzen, die durch die Luft flogen und alles in ein oranges, gespenstisches Licht tauchten. Guter Laune strömten alle Schüler und Schülerinnen durch die Eingangstore und schwatzten aufgeregt.
 

Remus hielt sich lieber im Hintergrund. Diese Nacht war Vollmond. Er fühlte sich schwach und wäre am liebsten im Schlafsaal in seinem Bett geblieben, aber das wäre an einem Abend wie diesem zu auffällig gewesen. So sah er sich gezwungen, sich einen Weg durch die plaudernde Schülermenge zu bahnen, um sich anschließend einen Sitzplatz in einer Ecke zu suchen.
 

Black und Potter hatten sich herausgeputzt, beide in traditionelle Zaubererumhänge gekleidet. Remus konnte seinen Blick nicht von Black losreißen. Seine langen, schwarzen Haare hatte er zu einem Zopf zurückgebunden; nur einige Strähnen fielen heraus und hingen im lose ins Gesicht, was ihm einen verwegenen Charakter gab. Sein Umhang war ebenso schwarz und passte ihm wie angegossen, ganz im Gegensatz zu Remus' eigenen, der schon an mehreren Stellen geflickt und ihm ein Stück zu groß war.
 

Black war kaum in der Großen Halle angekommen, da sprangen auch schon gleich mehrere Mädchen auf ihn an. Remus beobachtete aus dem Augenwinkel, wie sie ihn ansprachen und dabei anfassten, als würden sie Besitzansprüche geltend machen. Er versuchte sich nichts draus zu machen. Schließlich konnte er schlecht an ihrer Stelle sein und Black einfach so antatschen. Aber als sich eine von ihnen - eine hübsche, blonde - bei ihm einhakte, konnte er das Gefühl von Eifersucht, das in ihm aufstieg, nicht mehr vor sich leugnen.
 

Musik setzte ein und rasch bildeten sich Pärchen, die im schnellen Takt begannen zu tanzen.
 

Potter hatte Evans gefunden und schien sie zu fragen, ob sie mit ihm tanzen wollte. Zu Remus' Überraschung willigte sie ein und bald wirbelten die beiden zusammen über die Tanzfläche.
 

Sein Blick fiel zurück auf Black, der in der Traube von Mädchen um ihn herum kaum zu sehen war. Die Haare auf Remus' Armen stellten sich auf. Er wusste, dass er so kurz vor Vollmond empfindlicher war als sonst, aber das half ihm auch nicht den Stich in seiner Brust zu überwinden, als sich Black und das blonde Mädchen von eben aus der Traube lösten und ebenfalls auf das Parkett gingen.
 

Sie gaben ein schönes Paar ab, Black und dieses Mädchen. Black war vollkommen schwarz, schwarze Haare, schwarzer Umhang; während sie genau das Gegenteil war, helle Haare und ein Umhang in der Farbe des Mondes. Er biss die Zähne zusammen.
 

Nach ein paar Minuten wechselte Black seine Tanzpartnerin; er bewegte sich nun im langsamen Takt eines Walzers mit einem brünetten Mädchen, das ihre Augen nicht von ihm lassen konnte. Potter dagegen tanzte immer noch mit Evans.
 

"Möchtest du tanzen?"
 

Er schreckte auf und sah hoch.
 

Vor ihm stand ein Mädchen, dessen Name ihm nicht auf Anhieb einfiel. Sie musste ein oder zwei Jahre unter ihm sein, jedenfalls konnte er sich nicht daran erinnern, irgendein Unterrichtsfach mit ihr zu teilen. Sie war unscheinbar; mausbraune Haare wie er selbst und wässrig-blaue Augen, die ihn schüchtern anschauten, die Hände hinter dem Rücken verschränkt. Ihr Umhang bestand aus grauem Satin.
 

Remus sah sich um, doch er saß allein auf der Bank. Sie schien tatsächlich ihn zu meinen.
 

Bevor die Pause peinlich werden konnte, beeilte er sich zu sagen: "Aber klar, gerne." Er nahm ihre Hand in seine und schritt auf das Tanzparkett, unsicher, wie er fortfahren sollte.
 

"Weißt du, wie man tanzt?", fragte sie ihn.
 

"Ähm, ja." Zumindest ein bisschen.
 

Vorsichtig legte er eine Hand auf ihre Schulter, die andere an ihre Taille und begann sich im Takt der Musik zu bewegen. Er wusste nicht genau, wohin er beim Tanzen sehen sollte; direkt in ihr Gesicht war ihm zu nah, aber es kam ihm auch unhöflich vor, zur Seite zu schauen. Schließlich fixierte er seinen Blick auf einen Punkt an ihrem Ohr, was ihm zwar lächerlich vorkam, aber er wusste sich eben nicht anders zu helfen.
 

Sie tanzten eine Weile, ohne miteinander zu sprechen und Remus war froh, als die Musik wieder schneller wurde und die Stimmung nicht mehr romantisch so war.
 

Plötzlich tippte ihm jemand auf die Schulter.
 

"Was dagegen, wenn ich die Lady entführe?"
 

Es war Black, der auf einmal neben ihm stand und mit einem gekonnten Wirbel die Hände des Mädchens zu fassen bekam und mit ihr davontanzte. Verdattert blieb Remus auf der Tanzfläche stehen. Er konnte nicht glauben, dass Black ihm plötzlich das einzige Mädchen gestohlen hatte, das mit ihm tanzen wollte.
 

Er beeilte sich das Parkett zu verlassen und wieder in seine Ecke zu kommen, dann suchte er mit den Augen nach Black.
 

Da war er und tanzte mit der schüchternen Brünetten. Sie schien vollkommen überfordert damit zu sein, dass Sirius Black, der Mädchenschwarm der Schule, sie so plötzlich von den Füßen gefegt hatte.
 

Was hatte ihn dazu bewogen? Konnte er ihm nicht auch ein bisschen Spaß lassen?
 

Oder, der Gedanke kam ihm auf einmal, war er genauso eifersüchtig wie er selbst?
 

Remus beobachtete den abendlichen Himmel. Seiner Schätzung zufolge hatte er noch über eine Stunde, bis es Zeit für ihn wurde, zur Peitschenden Weide zu gehen. Aber es schien, als hätte er hier nicht mehr viel verloren. Genauso gut könnte er es sich schon einmal in seiner Hütte gemütlich machen.
 

Still und heimlich verließ er die Große Halle und machte sich auf den Weg nach draußen.
 

Als er die Türen der Eingangshalle hinter sich gelassen hatte, blieb er für einen Moment stehen. Inzwischen war es fast vollkommen dunkel. Die Luft war kühl und klar und den Himmel bedeckten nur ein paar wenige Wolken.
 

"Hier bist du ja."
 

Er erschrak und wirbelte herum.
 

Hinter ihm stand Black, der sich lautlos an ihn herangeschlichen hatte.
 

"Wieso bist du hier draußen?", fragte Remus mit gesenkter Stimme. Er wusste selbst nicht, warum er flüsterte.
 

"Das Gleiche könnte ich dich fragen.", antwortete Black mit einem Schulterzucken.
 

"Heute ist Vollmond." Remus deutete auf den Nachthimmel.
 

"Wie lange hast du noch?"
 

"In einer Stunde wollte ich in der Hütte sein. Dort, wo ich mich immer verwandele. Es ist sicherer."
 

"Und wie lange bis zu deiner … Verwandlung?"
 

"Ich schätze eineinhalb Stunden." Es war seltsam, mit jemanden darüber zu reden.
 

Black grinste verschmitzt; er zog ihn weiter von der Tür weg und um eine Ecke, sodass sie von der Eingangshalle aus nicht mehr zu sehen waren.
 

"Dann haben wir ja noch etwas Zeit."
 

"Zeit wofür-"
 

Doch er kam nicht weit, denn Black hatte ihn bereits an sich gezogen und küsste ihn auf den Mund.
 

Remus' Nackenhaare stellten sich auf. Er packte Black am Kragen seines Festumhangs und zog ihn noch enger an sich heran. Irgendetwas in ihm reagierte viel stärker auf diese Zärtlichkeiten als sonst; sein Herz hatte schon bei der ersten Berührung schneller zu schlagen begonnen. Ungeduldig öffnete er Blacks Umhang, zog ihm das Hemd aus der Hose und schob seine Hände darunter. Blacks Haut fühlte sich kühler an als seine eigene, wahrscheinlich, weil er selbst so glühte.
 

"Du bist ja richtig wild heute.", neckte Black ihn, doch Remus zog ihn schon wieder an sich heran und küsste ihn enthusiastisch. Black vergrub seine Hände in seinem Haar und zog leicht daran; es tat etwas weh, spornte ihn gleichzeitig aber nur noch mehr an.
 

Sein ganzer Körper kribbelte vor Erregung, als er sich mit seinem Becken an ihn drückte. Einem Teil von ihm war diese Bewegung peinlich, dem größten Teil von ihm war es jedoch vollkommen egal. Er musste ihn einfach spüren.
 

Blacks löste seine Hände aus seinen Haaren, ließ sie über seinen Rücken hinunter bis zu seinen Pobacken wandern und drückte spielerisch zu. Remus konnte ein Stöhnen nicht mehr unterdrücken. Schamlos bewegte er seine Hüften gegen Blacks, während dieser Spuren an seinem Hals hinterließ.

Er hielt es einfach nicht mehr aus. Es war nicht genug.
 

"Black, bitte-" Er keuchte ihm ins Ohr.
 

"Bitte was?"
 

Aber er hatte auch so schon verstanden, wie Remus bemerkte, als sich eine Hand von seinem Hintern löste und zu seiner Vorderseite wanderte. Ohne zu zögern löste er den Reißverschluss seiner Hose und ließ seine Hand zwischen Hose und Boxershorts gleiten.
 

Remus zuckte zusammen, als er den plötzlichen Kontakt spürte. Als seine Knie weich wurden, lehnte er sich gegen Black, der ihn festhielt.
 

"Oh Merlin …"
 

Es fühlte sich einfach unglaublich gut an. Viel besser, als es in den Liebesgeschichten immer beschrieben wurde. Und viel besser, als er es selbst je hatte erreichen können.

Remus hatte sein Gesicht in Blacks Halsbeuge vergraben und versuchte so wenig Geräusche wie nur möglich zu machen, was ihm nicht ganz gelang. Black hielt ihn fest; ohne ihn wäre er wahrscheinlich zu Boden gesunken. Seine Hand bewegte sich gleichmäßig hin und her, während er ihn immer wieder sanft in den Nacken küsste.
 

Schließlich lief ein Zittern durch Remus' gesamten Körper. Ein Seufzer glitt ihm über die Lippen, dann entspannte er sich.
 

Black zog die Hand aus seiner Hose, zog den Reißverschluss wieder hoch und hielt ihn weiterhin fest. Remus war ihm in diesem Moment unendlich dankbar, dass er kein Wort sagte.
 

Dann fiel ihm ein, dass er sich beeilen musste.
 

Widerwillig zog er sich aus der Umarmung zurück.
 

"Danke - ich meine, das war schön." Er räusperte sich. "Aber ich muss los. Der Mond wird in weniger als einer halben Stunde zu sehen sein, vielleicht sogar früher."
 

Black nickte, ließ es sich aber nicht nehmen, ihm noch einen kurzen Kuss auf die Lippen zu geben. Beinahe wäre Remus doch geblieben.
 

Er musste sich geradezu dazu zwingen, sich umzuwenden und zur Peitschenden Weide zu laufen.
 

~~~~~*~~~~~
 

Peter Pettigrew beobachtete, wie Lupin unter der Peitschenden Weide verschwand. Schon oft hatte er den Jungen dabei beobachtet, allerdings nur auf der Karte. Seit Anfang des Schuljahres hatte er schon eine Vermutung gehegt, doch er hatte sich nie sicher sein können, ob diese auch stimmte.
 

Er musste sich immer noch stark konzentrieren, um sich in seine Animagusform zu verwandeln. Einen Moment lang presste er die Augen zusammen und dann hockte an der Stelle, auf der eben noch ein unscheinbarer, pummeliger Junge gestanden hatte, plötzlich eine dicke, graue Ratte. Sie hob das kleine Schnäuzchen hoch und schnupperte, ganz so, als wolle sie eine Fährte aufnehmen. Dann huschte sie mit einem leisen Quieken in Richtung der Weide.
 

Die Äste der Peitschenden Weide schlugen nach dem kleinen Tierchen, aber dank seiner Größe konnte es ohne Probleme ausweichen. Flink rannte sie durch das hohe Gras, bis sie schließlich am Stamm des Baumes angelangt war und betätigte eine knotenförmige Wurzel.
 

Sofort erstarrte der gesamte Baum. Es wurde still.
 

Die Ratte lief in das Loch hinein, immer weiter, bis sie schließlich am Ende des Ganges ein Licht erblickte. Der erdige Boden des unterirdischen Ganges ging in Holz über, dann kam eine schmale Treppe, die nach oben führte. Die Ratte hüpfte hinauf und lugte um die Ecke eines Türrahmens.
 

Dort hockte ein Junge, vollkommen nackt. Seine Haut war blass und mit Narben übersäht, die meisten davon nur noch silbrige Fäden, andere dagegen erschienen rosa in ihren verschiedenen Phasen des Verblassens.
 

Mit einem Rucken krümmte sich der Junge zusammen.
 

Plötzlich konnte die Ratte etwas anderes in der Luft wahrnehmen. Etwas, das nicht mehr menschlich war.
 

Der Junge keuchte. Mit Entsetzen verfolgte die Ratte, wie sein Kopf sich in die Länge zog. Unter der Haut schien es zu rumoren, als würde sich etwas darunter bewegen, Haare stachen durch die gepeinigte Haut, Knochen verschoben sich.
 

Dann war es plötzlich vorbei. Genauso, wie die Ratte auf einmal dagewesen war, war der Junge auf einmal verschwunden und an seiner Stelle-
 

Ein tiefes Knurren erfüllte den Raum. Gelbe Augen starrten direkt zu dem kleinen Nagetier.
 

Die Ratte fiepste und ergriff die Flucht.

Jagd

Kapitel 17: Jagd
 

Sirius Black schwebte auf Wolke Sieben.
 

Was er gerade erlebt hatte, war der intimste Moment mit Remus, den sie bisher geteilt hatten. Ursprünglich hatte er sich nicht mehr erhofft als eine kleine Knutscherei am Halloween-Abend. Sein Freund hatte ihn mit seiner stürmischen Reaktion glatt von den Socken gehauen. Aber er wäre nicht Sirius Black, wenn er diese Chance nicht angenommen hätte. Er konnte nur hoffen, dass Remus sich am nächsten Tag nicht so sehr dafür schämen würde, dass er es nicht wiederholen wollen würde. Aber er hatte so seine Mittel, um ihn rumzukriegen.
 

Das einzige Problem war der Vollmond. Frustriert starrte er die blassgelbe Scheibe an, die vor wenigen Minuten am Himmel erschienen war. Das Mondlicht erleuchtete die gesamten Hogwartsgründe, bis hin zur Peitschenden Weide, unter der Remus verschwunden war und bis hinunter zum Verbotenen Wald, der wie immer schwarz und undurchdringlich war.
 

Plötzlich erregte eine kleine Bewegung am Rande seines Sichtfeldes seine Aufmerksamkeit. Sie kam direkt von der Peitschenden Weide.
 

Er kniff die Augen zusammen, um besser sehen zu können.
 

Tatsächlich, ein kleines Tier schlüpfte unter dem Baum hervor und huschte rasend schnell durch das Gras, direkt auf ihn zu. Black erkannte ihn sofort. Eis breitete sich in seinem Magen aus.
 

Mit einem Schwung seiner Gedanken verwandelte er sich in seine Animagusform, gerade noch rechtzeitig, um mit einer seiner großen Tatzen die Ratte zu erwischen, die an ihm vorbeihuschen wollte. Sie quiekte, als er sie am Boden festpinnte und starrte ihn panisch an.
 

Dann verwandelte sie sich.
 

Peter stand vor ihm. Seine Augen waren vor Schock geweitet und Black war sich sicher, dass dies nicht nur von dem Schreck kam, den er ihm eingejagt hatte. Er verwandelte sich wieder zurück, Peter immer noch festhaltend.
 

"Was hast du getan?", grollte er, aber noch bevor er die Worte aussprach, wusste er es.
 

Peter kannte Remus' Geheimnis. Und er war ihm gefolgt.
 

"Bist du wahnsinnig geworden?", schrie er den verängstigten Jungen an. "Du hättest getötet werden können!"
 

"Ich weiß, ich weiß!", weinte Peter. "Ich wollte es nicht …" Seine Augen weiteten sich plötzlich so stark, dass sie fast überquollen. "Ich- Ich hab vergessen-"
 

Black verlor die Geduld.
 

"Was hast du vergessen?"
 

Aber es war zu spät.
 

Ein Heulen zerriss die Nacht.
 

Peter verlor jegliche Farbe in seinem Gesicht. Langsam wandte Black den Kopf in die Richtung, aus der das Geräusch gekommen war.
 

Am Fuße der Peitschenden Weide stand ein Wesen, das er vorher nur in Schulbüchern gesehen hatte. Das Mondlicht erhellte seine Gestalt. Es sah fast aus wie ein Wolf, nur war es viel größer, die Schnauze etwas länger. Die gelben Augen blickten direkt zu ihm.
 

Dann kam es auf sie zu.
 

Peter kreischte und zappelte unter ihm. Black packte ihn am Kragen, zischte ihm zu "Hol James!", dann verwandelte er sich wieder in seine Animagusform, einen großen, schwarzen Hund. Während alle Instinkte in ihm das Gegenteil schrien, rannte er auf den Werwolf zu, passte ihm den Weg ab und jagte mit ihm zusammen in den Verbotenen Wald.
 

~~~~~*~~~~~
 

Peter rannte die Treppe zum Gryffindorturm hinauf. Als Ratte wäre er vermutlich sogar schneller gewesen, aber in seiner Panik dachte er nicht daran.
 

Er hatte vergessen, den Knoten an der Peitschenden Weide zu betätigen. Es war alles einfach so schnell passiert. Seine Vermutung, dass Lupin nicht normal war, hatte sich bestätigt und er hatte nur noch schnell aus der Hütte abhauen wollen. Und dann hatte er es einfach vergessen. Er konnte doch nichts dafür!
 

Außer Atem kam er am oberen Treppenabsatz des Turmes an und keuchte das Passwort. Das Gemälde rümpfte nur die Nase über seinen verschwitzten Zustand, machte aber auf.
 

Er hatte James sofort auf einem der Sofas nahe am Kamin entdeckt, vertieft in ein Gespräch mit Evans. Sie hatten die Festumhänge bereits abgelegt.
 

"James!"
 

James sah auf, sichtlich genervt darüber, dass er ihn unterbrach.
 

"Was willst du, Peter? Du siehst doch, dass ich gerade mit Lily rede."
 

Verliebt lächelte er sie an und schlang einen Arm um sie.
 

"Aber es ist wichtig!" Peter ruderte mit dem Armen. Wie sollte er es ihm begreiflich machen, ohne alles zu verraten? Er beugte sich zu ihm vor und zischte ihm ins Ohr: "Es ist Sirius. Und Lupin! Die beiden stecken in Schwierigkeiten!"
 

James schob Peter weg und runzelte die Stirn.
 

"Und du bist dir sicher, dass das wichtiger ist?"
 

"Ja!", rief Peter verzweifelt. "Bitte, du musst mitkommen!"
 

James verdrehte die Augen.
 

"Na gut. Aber wehe, es ist doch nicht so wichtig!" Mit einem entschuldigenden Blick zu seiner rothaarigen Flamme stand er auf.
 

Erleichtert führte Peter ihn aus dem Gemeinschaftsraum heraus und gemeinsam rannten sie die Treppe hinunter, bogen ab und hechteten weiter durch die Gänge in Richtung Eingangshalle.
 

"Würdest du mir bitte sagen, was los ist?"
 

Inzwischen waren sie an den Türen der Eingangshalle angekommen. Peter rang nach Atem, um antworten zu können.
 

"Lupin - ich hatte - ich hatte Recht!"
 

"Was?" James blickte ihn verwirrt an. "Womit hattest du Recht?"
 

Peter keuchte und sah ihn an.
 

"Lupin - er ist ein Werwolf!"
 

James klappte der Mund auf und für einen kurzen Moment war Peter stolz, dass er ein einziges Mal schlauer als er gewesen war. Dann fiel ihm ein, in welcher Situation er steckte.
 

"Aber wir müssen uns beeilen! Er läuft da draußen frei rum und Sirius ist mit ihm in den Verbotenen Wald gelaufen!"
 

James' Augen weiteten sich, als er die Schwere der Situation verstand.
 

"Warum hast du das nicht gleich gesagt?"
 

Ohne ein weiteres Wort zu verlieren rannte er aus dem Schloss hinaus, nicht darauf achtend, ob Peter ihm überhaupt folgte.
 

Am Himmel prangte der Vollmond. James hatte sich nie dafür interessiert, aber in dieser Nacht bedeutete es ein schlechtes Zeichen. So schnell er konnte rannte er auf den Rand des Waldes zu und verwandelte sich, als er zwischen den Bäumen ankam, in einen majestätischen Hirsch.
 

Er musste Sirius finden, bevor es zu spät war.
 

~~~~~*~~~~~
 

Sirius hetzte durch den Wald. Trockene Äste knirschten unter ihm. Er hatte sich eine Pfote an einem Dornenstrauch aufgerissen, jeder Sprung schmerzte, aber er musste weiterlaufen, denn der Werwolf war ihm dicht auf den Fersen. So tief war er noch nie im Verbotenen Wald gewesen und er fürchtete sich zu verirren, würde er noch tiefer in ihn eindringen.
 

Als er auf einer Lichtung ankam, glaubte er, dass er weit genug vom Waldrand entfernt war, damit der Werwolf nicht mehr zum Schloss laufen würde. Außerdem konnte er nicht die ganze Nacht durchlaufen. Abhängen konnte er den Werwolf auch nicht, dafür war er zu schnell, außerdem wollte er Remus nicht allein lassen.
 

Er musste sich in Erinnerung rufen, dass es Remus war, der auf der Lichtung ankam und wenige Meter vor ihm stehenblieb. Es war schwer sich vorzustellen, wie so ein ruhiger, schüchterner Junge wie Remus sich in so ein Monster verwandeln konnte.
 

Der Werwolf kam näher. Sirius knurrte.
 

Dann stürzte sich das Tier auf ihn. Sirius spürte, wie sich Krallen in seinem Fell verfingen, die große, geifernde Schnauze biss nach ihm. Er wehrte sich nach Leibeskräften, auch wenn er Angst hatte, ihn zu verletzen.
 

Plötzlich senkten sich die Zähne des Werwolfs in seine Schulter. Sirius jaulte auf, Panik schoss durch seinen Körper. Der Werwolf hatte ihn gebissen. Was bedeutete das für ihn? Hatte er sich angesteckt?
 

Mit einem Bellen schüttelte er den Werwolf ab, doch dieser rappelte sich in Sekundenschnelle wieder auf und fing an, ihn zu umkreisen. Sirius' Schulter schmerzte. Seine Pfote pochte.
 

Jetzt erst wurde ihm bewusst, wie ernst die Situation war, in die er sich gebracht hatte.
 

Er konnte sterben in dieser Nacht.
 

Der Werwolf setzte gerade zum Angriff an, als plötzlich ein Hirsch aus dem Gebüsch sprang.
 

~~~~~*~~~~~
 

Die Geräusche des Kampfes waren schon von weitem zu hören.
 

James erblickte auf seinem Weg durch den Verbotenen Wald kein einziges Tier; es war, als wäre dieser Teil des Waldes ausgestorben. Dafür konnte er das Heulen des Werwolfs nur allzu gut hören. Was ihn aber noch viel mehr beunruhigte, war das Jaulen eines anderen Tieres, das auf einmal die Nacht zerschnitt.
 

Er sprang über ein Gebüsch und war plötzlich auf einer Lichtung. Vor ihm ergab sich ein erschreckendes Bild.
 

Sirius war in seiner Animagusform. Seine Schulter blutete und er hielt eine Pfote hoch, ganz so, als könnte er nicht auftreten.
 

Vor ihm stand ein Werwolf. James erkannte sofort, dass es einer war; sie hatten genug im Unterricht über diese gelesen. Genug, um zu wissen, dass eine Konfrontation mit so einem Wesen tödlich enden konnte.
 

Trotzdem senkte er den Kopf zum Angriff. Sein Geweih konnte ebenso gut gefährlich sein.
 

Sirius hatte ihn bereits entdeckt, der Werwolf jedoch noch nicht, da er mit dem Rücken zu ihm stand. James lief los, hielt den Kopf weiterhin gesenkt und rammte das Tier mit aller Macht mit seinem ausladenden Geweih. Der Werwolf heulte auf, dann gab er ein Geräusch von sich, halb knurrend, halb bellend. Sirius stürzte sich mit in das Gemenge.
 

Der Werwolf wehrte sich verbissen und schnappte nach ihnen; James konnte gerade noch verhindern, dass er ihm die Kehle aufriss. Gegen zwei hatte der Werwolf jedoch keine Chance. Sie rangelten noch einige Augenblicke miteinander; dann verstummte plötzlich sein Jaulen, er hörte auf sich zu wehren.
 

Erstaunt beobachtete James, wie er alle vier Pfoten von sich streckte und ihnen den Bauch zeigte, den Schwanz eingezogen. Es schien ein Zeichen der Unterwerfung zu sein.
 

Sirius knurrte ihn noch ein letztes Mal an, dann nickte er James zu. Zusammen ließen sie von dem Werwolf ab. Dieser blieb noch einen Moment liegen, dann rappelte er sich wieder auf und begann seine Wunden zu lecken. Verblüfft beobachtete James, wie Sirius es ihm gleich tat und seine Pfote zu säubern begann.
 

Angespannt wartete er ab, ob der Werwolf sie noch einmal angreifen würde. Doch als nach einigen Minuten immer noch nichts dergleichen geschehen war, entspannte er sich allmählich.
 

Schließlich ging Sirius zögernd auf den Werwolf zu und stupste ihn mit seiner Schnauze an. James beobachtete ganz genau, wie dieser seinen Kopf an Sirius lehnte. Es sah aus wie ein Friedensangebot. Und Sirius nahm es an. Als beide schließlich aufstanden, gab Sirius ihm ein Zeichen und die drei verschwanden im Schatten der Bäume.
 

James würde diese Nacht immer als eine der verrücktesten seines Lebens bezeichnen.
 

~~~~~*~~~~~
 

Das erste, was Remus wahrnahm, war das Zwitschern von Vögeln, das durch das offene Fenster drang und mit sich eine kühle Brise brachte, die ihm angenehm über das Gesicht strich. Langsam, um sich an das Licht zu gewöhnen, öffnete er die Augen.
 

Wie zu erwarten war, lag er im Krankenflügel. Pomfrey war nirgendwo zu sehen, aber er wusste, dass sie bald herbeigewuselt kommen würde, um ihn von vorne bis hinten zu bemuttern.
 

Sein Kopf pochte, und er kniff die Augen noch einmal fest zusammen, ehe er sich aufsetzte und nach dem großen Glas Wasser griff, das, wie er wusste, nach jeder Vollmondnacht an seinem Bett stand.
 

Er hätte fast das Glas fallen gelassen, als er sah, wer neben seinem Bett saß.
 

Es waren Black, Potter und Pettigrew.
 

Und mit ihnen rauschten die Erinnerungen auf ihn ein.
 

Verschwommene Bilder tauchten vor ihm auf; eine Ratte, die sehr appetitlich ausgesehen hatte, ein dunkler, viel zu enger Gang und plötzlich der Geruch von frischer Nachtluft, von Freiheit. Dann Hunger. Eine wilde Jagd, hindurch zwischen alten Bäumen, Kämpfe, Schmerz - Remus zuckte zusammen - und die Erkenntnis, besiegt worden zu sein.
 

Je länger er in diesen neuen Erinnerungen wühlte, desto schärfer bildeten sie sich in seinem Kopf ab; es war ein Wolf gewesen, mit dem er gekämpft hatte, oder war es ein Hund? Er war ihm ebenbürtig gewesen, aber er hatte ihn auch verletzt. Und dann das Bild eines Hirsches, der scharfe Schmerz, als er ihn mit seinem Geweih angegriffen hatte.
 

Remus starrte geradeaus. Diese Erinnerungen machten keinen Sinn. Woher kam der Hund, woher der Hirsch?
 

"Alles klar mit dir, Moony?"
 

Langsam drehte Remus den Kopf.
 

Er verstand nicht.
 

"Wie hast du mich genannt?"
 

Black, der am nächsten zu ihm saß, lächelte verlegen.
 

"Moony. Du weißt schon, wegen …" Er wedelte mit der Hand, als würde diese Geste in irgendeiner Form seine Krankheit beschreiben können. "Wir fanden es passend."
 

"Passend … ihr fandet es …" Remus bewegte seine Augen zu Potter, der neben Black saß, dann zu Pettigrew, der ein Stück weiter entfernt an der Wand lehnte. Sein Gesicht sah weiß aus.
 

Da wurde ihm plötzlich klar, dass sie es wussten.
 

Sie kannten sein Geheimnis. Seine Krankheit.
 

"Wie konntest du nur?" Er schrie ihn nicht an, er sprach ganz leise. Seine Kehle fühlte sich rau an, aber das war nicht der einzige Grund, warum er sich zu schwach fühlte, um seine Stimme zu erheben.
 

"Du verstehst das total falsch!", beeilte Black sich zu sagen. "Ich hab dich nicht verraten." Er rückte seinen Stuhl ein Stückchen näher an sein Bett heran. "Es war ein Unfall."
 

Remus war verwirrt.
 

"Wie meinst du das?"
 

Potter warf Black daraufhin einen warnenden Blick zu, den Remus nicht einordnen konnte, dann sah er zu der Tür am anderen Ende des Krankenflügels, hinter der sich Pomfrey befinden musste.
 

"Du … bist freigekommen. Bist in Richtung Schloss gelaufen. Ich hatte keine andere Wahl, als dich in den Wald zu locken."
 

"Mich in den Wald zu locken? Ich verstehe nicht. Ich kann mich nicht erinnern-"
 

Dann fiel es ihm wie Schuppen von den Augen.
 

Aber nein, es konnte nicht sein. Hätte er das tatsächlich die ganze Zeit vor ihm verbergen können?
 

Natürlich hätte er das. Anders als er selbst war er nicht dazu gezwungen.
 

Geschockt starrte er Black an. Dessen schwarze Augen waren undurchdringlich.
 

Er flüsterte: "Du bist ein Animagus."
 

Black nickte. Dann fiel Remus' Blick auf seine Schulter, die von einem Verband geziert wurde.
 

"Ist das-"
 

"Ja." Black senkte den Kopf, er sah ihm nicht in die Augen.
 

Bei dem Gedanken, jemand anderen mit seiner Krankheit angesteckt haben zu können, wurde Remus flau im Magen. Er musste es unbedingt aufklären.
 

Seine Stimme war leise, als er fragte: "Warst du zu dem Zeitpunkt verwandelt, an dem ich dich … gebissen habe?"
 

Abermals nickte Black und Remus schloss erleichtert die Augen.
 

"Was heißt das für mich?" Black sah ihn verzweifelt an. "Bin ich jetzt auch-"
 

"Nein." Remus lächelte ihn zaghaft an. "Man kann sich nur als Mensch anstecken, nicht als Tier. Dir passiert nichts."
 

"Bist du dir sicher?"
 

"Natürlich. Ich hab mich mit meiner Krankheit ein bisschen auseinandergesetzt, weißt du."
 

"Und falls er sich irrt, merken wir das immer noch beim nächsten Vollmond.", witzelte Potter und Black warf ihm einen vernichtenden Blick zu.
 

"Danke, aber es geht hier gerade um mein Leben!"
 

"Du hast Moony doch gehört, dir passiert nichts! Also bleib mal locker."
 

Remus kniff nachdenklich die Augen zusammen, als er Potter ansah.
 

"Und du warst-"
 

"Ja, meine Anigamusform ist ein Hirsch." Nervös blickte er zu der Tür der Krankenschwester. "Aber das ist unser Geheimnis, ist das klar? Animagi müssen sich beim Ministerium registrieren, aber das haben wir nicht getan, also darf es keiner wissen."
 

"Aber warum habt ihr euch nicht registriert?"
 

Potter lachte leise.
 

"Wo bleibt denn da der ganze Spaß?" Seine Augen funkelten. Remus hatte das Gefühl, dass er ihn auf einmal viel offener behandelte als noch eine Nacht zuvor. "Wo wir gerade von Spaß sprechen …" Ohne Vorwarnung packte er Remus an den Schultern und zog ihn in eine feste Umarmung. Remus war viel zu perplex um zu reagieren. "Das ist so irre! Ich wäre nie im Leben darauf gekommen, dass du ein Werwolf bist!" Obwohl er recht leise sprach und es so keinen Grund zu Befürchtung gab, dass sie belauscht werden könnten, war es Remus unangenehm, dass Potter so offen über seine Krankheit sprach. Dieser hatte ihn inzwischen wieder losgelassen, grinste ihn aber immer noch breit an. "Deswegen haben wir auch beschlossen, dich bei uns aufzunehmen. Ab heute bist du offiziell ein Rumtreiber!"
 

Er sagte das, als sei es eine besondere Auszeichnung, aber Remus hatte dafür nur ein müdes Lächeln übrig. Der Schock, dass auf einmal so viele Menschen über sein Geheimnis Bescheid wussten, saß tief.
 

Er holte tief Luft.
 

"Eins müsst ihr mir versprechen." Er war sich bewusst, dass er jetzt ebenfalls ein Druckmittel in der Hand hatte. "Ihr dürft niemandem von meiner Krankheit erzählen. Hört ihr? Niemandem. Nicht euren Eltern, Geschwistern - auch nicht Evans!", fügte er mit einem Seitenblick auf Potter zu. Wenn sie ihn verrieten, konnte er es ihnen immer noch heimzahlen, indem er sie an das Ministerium verpfiff.
 

Aber darauf würde er lieber verzichten. Denn während die Rumtreiber vielleicht eine Geldstrafe bezahlen müssten, würde er jede Möglichkeit verlieren, Hogwarts weiter zu besuchen. Sein Leben würde in ganz anderen Bahnen verlaufen.
 

Als ihm die Tragweite seiner Situation bewusst wurde, lief es ihm kalt den Rücken runter. Black musste seinen plötzlichen Schwächeanfall bemerkt haben, denn er drückte ihn auf einmal zurück auf die Matratze und deckte ihn bis zum Kinn zu.
 

"Du solltest dich jetzt besser ausruhen." Zärtlich strich er ihm eine Haarsträhne aus dem Gesicht, sodass Remus besorgt war, die anderen könnten etwas merken. Doch Potter schwelgte noch zu sehr in seinen Tagträumen, in denen er sich ausmalte, was man mit einem Werwolf alles unternehmen könnte, als dass er irgendetwas bemerkt hätte.
 

Und Pettigrew?
 

Remus drehte den Kopf zu dem unscheinbarsten Mitglied aus dem ehemaligen Trio der Rumtreiber und zuckte zusammen. Er hatte ja schon so manchen düsteren Blick von ihm bemerkt, aber das hasserfüllte Glänzen in seinen Augen übertraf alles Vorherige. War es, weil er ein Werwolf war? Oder mochte er ihn einfach nicht?
 

Schließlich kam Pomfrey doch noch aus ihrem Zimmer. Geschäftig wie immer wuselte sie zu seinem Bett und schalt die Jungs, dass sie ihren Patienten nicht in Ruhe ließen.
 

Bevor sie gingen, knuffte Potter ihn noch einmal in die Seite und Black lächelte ihn kurz an, wie um zu sagen, dass er sich keine Sorgen mehr zu machen bräuchte. Dann waren sie aus dem Krankenflügel verschwunden und er war allein.
 

Sich innerlich zerrissen fühlend starrte er an die Zimmerdecke.
 

Obwohl er sich jahrelang gewünscht hatte, so gut von den Rumtreibern behandelt zu werden, konnte er jetzt keine richtige Freude darüber empfinden. Er selbst war ihnen doch immer noch egal. Es war der Wolf, für den sie sich interessierten.
 

Das schmerzte mehr als bloße Ignoranz.

Verlorener Faden

Kapitel 18: Verlorener Faden
 

Schon am frühen Nachmittag konnte Remus den Krankenflügel wieder verlassen. Seine Knochen schmerzten noch von der vergangenen Nacht und sobald er im Gemeinschaftsraum ankam, hatte er nichts weiter vor, als sich in den Schlafsaal zurückzuziehen und ins Bett zu fallen.
 

Leider wurde ihm in dem Moment ein Strich durch die Rechnung gemacht, in dem er durch das Portraitloch schlüpfte.
 

"Remus, da bist du ja endlich!" Potter winkte ihm von den Sofas aus zu. Abgesehen von ihnen war der Gemeinschaftsraum vollkommen leer. Die meisten Schüler waren jetzt in der Bibliothek oder draußen, um im frisch gefallenen Schnee herumzutollen. Dass die Rumtreiber nicht ebenfalls draußen waren, sondern hier drinnen herumsaßen, zeigte ihm, dass sie offensichtlich auf ihn gewartet hatten.
 

Er sah, dass Potter, Black und Pettigrew wieder ihr Lieblingsspiel zu spielen schienen. Remus lächelte sie nur an, etwas angestrengt, und ging an ihnen vorbei Richtung Schlafsaal.
 

Potter rief ihm nach: "Hey, wo willst du denn hin?"
 

"Schlafen." Er blieb kurz stehen, ein Fehler, wie sich herausstellen sollte. "Ich bin immer noch müde."
 

"Schlafen kannst du doch auch noch später. Komm, spiel mit uns eine Runde!"
 

Potter zog ihn bereits zu der Sitzgruppe. Zu erschöpft um zu widersprechen, ließ Remus sich neben Black auf eins der Sofas fallen. Dieser sah ihn entschuldigend an.
 

In seinem Zustand war er nicht gerade schneller im Kartenspielen, aber er gab sich alle Mühe. Trotzdem verlor er fast jede Runde. Er war froh, dass im Kamin neben ihnen wenigstens ein wärmendes Feuer brannte. Es war eine Wohltat für seine schmerzenden Glieder.
 

Irgendwann bemerkte er, dass Potter ihn beobachtete. Er versuchte es zu ignorieren, aber irgendwann lenkte es ihn einfach zu sehr ab.
 

"Ist irgendetwas?" Selbst in seinen Ohren klang er gereizt.
 

Potter wandte den Blick nicht von ihm ab.
 

"Ich frage mich nur wie es ist. Ein Werwolf zu sein, meine ich."
 

Remus zuckte zusammen. Außer ihnen war zwar niemand im Gemeinschaftsraum, dennoch war ihm unwohl dabei, sein Geheimnis in so einem offenen Raum ausgesprochen zu hören.
 

"Nicht so toll.", meinte er deswegen nur vage, in der Hoffnung, Potter würde den Wink verstehen und nicht weiter nachfragen.
 

"Seit wann bist du schon ein Werwolf?", fragte Potter weiter. Remus legte seine Karten in den Schoß.
 

"Seit ich fünf bin. Können wir jetzt bitte das Thema wechseln?"
 

Potter ignorierte die Frage einfach. Mit leuchtenden Augen fragte er: "Wie ist es passiert?"
 

Remus knirschte mit den Zähnen. Merkte Potter denn nicht, wie taktlos er war?
 

"Das ist jetzt wirklich zu persönlich."
 

"Ach komm schon, sei kein Spielverderber!"
 

So langsam bekam er Kopfschmerzen. Hilfesuchend wandte er sich zu Black um, doch der sah genauso neugierig aus wie Potter. Pettigrew dagegen sah aus, als hätte er in eine saure Zitrone gebissen.
 

"Also gut. Aber bitte lass dann die Fragerei, ja?" Auffordernd starrte er Potter an, der sofort zustimmend nickte.
 

Remus seufzte. Es war keine schöne Erinnerung, die er hier ausgraben sollte.
 

"Wie gesagt, ich war fünf.", fing er an. "Meine Eltern und ich lebten auf dem Land und ich spielte jeden Tag in den Feldern. Meine Mutter", er schluckte, "behielt mich immer im Auge. Sie wollte nicht, dass ich mich zu weit vom Haus entferne. Aber meistens habe ich nicht auf sie gehört, ich bin immer weiter durch die Felder gelaufen und manchmal auch bis zum Wald, den es in der Nähe bei uns gibt." Er holte tief Luft. Jetzt wollte er es einfach nur noch loswerden. "Eines Tages bin ich weiter gelaufen als je zuvor. Ich bin bis zum Wald gelaufen und hinein. Und ich habe mich verlaufen. Plötzlich wusste ich nicht mehr, in welcher Richtung mein zu Hause lag und ich bin weitergelaufen, aber es war die falsche Richtung, aber das wusste ich ja nicht." Er zitterte. "Und dann wurde es dunkel. Ich konnte noch genug sehen, denn es war ja Vollmond. Ich bin sogar auf ihn zugelaufen, auf diesen Werwolf. Aus der Ferne habe ich gedacht, er sei ein Mensch. Ich dachte, er könnte mir helfen nach Hause zu kommen."
 

Trotz des Feuers war ihm kalt geworden. Black rückte näher an ihn heran.
 

"Es ist seltsam", fügte Remus abwesend hinzu, "wenn ich jetzt daran zurückdenke, kommt es mir vor, als hätte er genau gewusst, was er tat. Da war dieses Zögern, wisst ihr? Und dann hat er es trotzdem getan."
 

Sie hatten ihm wie gebannt zugehört. Jetzt jedoch unterbrach Black die Stille.
 

"Aber wie bist du ihm entkommen? Wieso hat er dich nicht getötet?"
 

"Meine Eltern hatten mich schon seit Stunden gesucht. In dem Moment, als ich gebissen wurde, sind sie aufgetaucht. Sie hätten mich nur ein bisschen früher finden müssen, dann wäre das alles nicht passiert."
 

"Dann wärst du jetzt kein Werwolf.", stellte Black klar.
 

"Also, ich bin froh, dass wir einen Werwolf bei uns haben!" Potter klopfte ihm freundschaftlich auf die Schulter. Remus biss sich auf die Lippe, sagte aber nichts.
 

~~~~~*~~~~~
 

Als Potter ihn schließlich endlich gehen ließ, fielen Remus beinahe die Augen zu. Todmüde taumelte er die Treppe zu ihrem Schlafsaal hinauf. Dort angekommen machte er sich noch nicht einmal mehr die Mühe, sich umzuziehen, nur die Schuhe streifte er sich noch von den Füßen, bevor er sich auf sein Bett fallen ließ. Er lag auf dem Bauch, seine Arme umschlangen das Kissen, in dem er seinen Kopf vergraben hatte.
 

Bevor er einschlafen konnte, öffnete sich die Tür.
 

"Moony?"
 

Remus hasste diesen Spitznamen. Er betonte nur noch mehr, was ihn eigentlich nicht ausmachte. Zumindest empfand er, dass ihn seine Krankheit nicht ausmachen sollte.
 

An der Stimme hatte er erkannt, dass es Black war, der ihm nach oben gefolgt war. Er konnte nur vermuten, dass Potter und Pettigrew nun doch nach draußen gegangen waren, um im Schnee herumzutollen. Die Matratze senkte sich, als Black sich auf sie setzte. Mühsam wandte Remus den Kopf, um ihn anzusehen. Black lächelte ihn an.
 

"Ich bin froh, dass James jetzt Bescheid weiß.", gab er zu.
 

"Wie schön für dich." Remus drückte sein Gesicht wieder in das weiche Kissen.
 

Blacks Lächeln verblasste.
 

"Bist du sauer wegen irgendetwas?"
 

"Ich bin müde."
 

"Aber auch sauer."
 

"Ja."
 

"Weshalb?"
 

Remus ächzte. Nahm der Tag denn gar kein Ende?
 

"Weil Potter mich anscheinend als Ausstellungsstück ansieht."
 

"Ich weiß nicht was du meinst."
 

"Ich meine damit, dass er es anscheinend cool findet, dass ich ein Werwolf bin! Während wir Karten gespielt haben, hat er mich die ganze Zeit ausgefragt, selbst nach total persönlichen Dingen. Das waren Sachen, die hatte ich noch nicht einmal dir erzählt."
 

Black schwieg und schien nachzudenken. Nach einer Weile spürte Remus seine Hand langsam durch sein Haar streichen. Dann hörte er ihn sagen:
 

"Aber ist das denn so schlimm? Ich meine, kannst du denn nicht verstehen, wie krass es für James ist, dass du auf einmal ein Werwolf bist?"
 

"Also erstens bin ich nicht 'auf einmal' ein Werwolf; ich bin's schon immer gewesen. Und zweitens, nein, kann ich nicht verstehen. Will ich auch nicht."
 

"Versuch's doch wenigstens."
 

"Ich will einfach nicht, dass Potter nur den Wolf in mir sieht! Im Gegensatz zu ihm weiß ich nämlich wie es ist, das jeden Monat durchzumachen. Vorher hat er mich immer ignoriert und jetzt tut er plötzlich so, als seien wir beste Freunde! Diese Heuchelei macht mich krank!"
 

Blacks Hand in seinem Haar hielt inne.
 

"Du kennst James doch gar nicht.", verteidigte er seinen Freund. "Er meint es nicht böse, er ist nur neugierig."
 

"Na hoffentlich kann er wenigstens ein Geheimnis für sich behalten."
 

"Jetzt komm aber mal wieder runter!" Black zog seine Hand schließlich ganz zurück. "Das ist immer noch James, von dem wir hier sprechen, mein bester Freund! Ich weiß, dass du ihn nicht leiden kannst, aber das ist noch kein Grund, so über ihn zu reden!"
 

Erstaunt über seinen plötzlichen Ausbruch hob Remus abermals den Kopf und sah zu ihm hoch. Black schien wirklich wütend zu sein; sein Kopf war rot geworden, seine Miene eisern und die Arme hatte er vor seinem Körper verschränkt. Remus ahnte, dass er die Situation besser entschärfen sollte, aber er war müde und wütend.
 

"Aber so empfinde ich es nun mal.", beharrte er ohne ein Wort der Entschuldigung.
 

"Wieso bist du auf einmal so? So kenne ich dich gar nicht."
 

"Ich war schon immer so. Vielleicht hast du's einfach noch nicht bemerkt."
 

Black biss die Zähne zusammen.
 

"Das glaube ich nicht."
 

"Glaub, was du willst. Vielleicht hättest du das besser überprüfen sollen, bevor wir Freunde geworden sind. Dann hätte ich jetzt dieses Problem nicht."
 

Jetzt hatte er Black verletzt, das wurde ihm sofort klar, als er die Worte ausgesprochen hatte. Es stand ihm ins Gesicht geschrieben; die Zähne hatte er immer noch so stark zusammengebissen, dass es schmerzhaft aussah, die Augen glänzten verräterisch, seine ganze Haltung war steif. Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, stand Black auf, ging aus dem Schlafsaal und knallte die Tür hinter sich zu.
 

~~~~~*~~~~~
 

Remus hatte den gesamten restlichen Nachmittag und die Nacht hindurch geschlafen. Als er am nächsten Morgen aufwachte, hätte er seinen Zustand zwar nicht unbedingt als ausgeruht bezeichnet, aber er fühlte sich schon ein wenig besser als tags zuvor. Unter der Dusche betrachtete er die neuen Verletzungen, die der letzte Vollmond gebracht hatte; es waren vor allem Kratzspuren an seinem Hals und seiner Seite, aber auch eine Bissspur, die wohl von Black in seiner Animagusform stammte.
 

Während er sich die Haare wusch, dachte er über die Erkenntnisse des gestrigen Tages nach. Black und Potter waren Animagi, ebenso wie Pettigrew, wie sie ihm später mitgeteilt hatten. Einerseits war er beeindruckt, dass sie eine so schwierige Verwandlung gelernt hatten. Vor allem dem im Unterricht eher mittelmäßigen Pettigrew hätte er das nicht zugetraut und ein bisschen beneidete er sie, dass sie diese Fähigkeit besaßen. Andererseits fand er es nicht gut, dass sie sich nicht registriert hatten. Wer wusste schon, was daraus erwachsen würde? Sollte jemals einer von ihnen kriminell werden, konnten sie ihre Animagusformen zu ihrem Vorteil nutzen, und er wäre der Einzige, der sie durchschauen könnte. Nicht, dass er einen von ihnen für kriminell hielt.
 

Er griff nach dem Duschgel. Die Erinnerung an den gestrigen Streit mit Black kam wieder hoch. Er war hin und hergerissen zwischen Wut und Traurigkeit. Im Moment tendierte er aber eher zu Traurigkeit. Er war einfach so müde gewesen, dass er nicht darauf geachtet hatte, wie er seine Worte wählte. Er hatte einfach nur in Ruhe gelassen werden wollen. Als Black dann gegangen war, war er auch recht schnell eingeschlafen, aber nur, weil er so erschöpft gewesen war, nicht, weil er ein reines Gewissen hatte.
 

Trotzdem wünschte er sich, Black würde ein bisschen mehr auf seiner Seite stehen, wenn es zu Potter kam. Aber die beiden waren schon seit dem ersten Schuljahr so eng befreundet, dass sie nicht auseinanderzukriegen waren. Fast schon wie ein Paar, dachte er nur einen kurzen Augenblick lang, denn er wusste, dass das Unsinn war. Die beiden hatten andere Dinge gemeinsam.
 

Was hatten sie gemeinsam, Black und Remus? Schon seit dem Tag, an dem Black ihn darum gebeten hatte, sich mit ihm anzufreunden, hatte er sich das immer wieder gefragt. Er musste lächeln, als er an den Hundeblick zurückdachte, mit dem Black ihn rumgekriegt hatte. Jetzt wusste er auch, woher er diese Ähnlichkeit mit einem Hund hatte.
 

Aber was hatten sie schon gemeinsam? Black war ein Draufgänger, ein Casanova. Er war extrovertiert und einer der beliebtesten Schüler, einer der begehrtesten Singles. Nur, dass er eigentlich kein Single war.
 

Etwas in seinem Magen knotete sich zusammen. Ihre Beziehung würde geheim bleiben müssen, das war ihm von Anfang an bewusst gewesen. Aber trotzdem, wenn er an den Tanzabend an Halloween zurückdachte, wünschte er sich, er hätte Black nicht nur von weitem und heimlich beobachten müssen.
 

Er stellte die Dusche aus und trocknete sich ab.
 

Er wollte sich nicht mit Black streiten. Er wollte mit ihm zusammen sein, auch wenn er sich nicht erklären konnte warum. Grinsend und leicht rot werdend dachte er daran zurück, wie Black ihm an Halloween gefolgt war. Und was er mit ihm angestellt hatte. Nie ihm Leben hätte er sowas von sich aus initiiert, aber Black kannte in solchen Dingen keine Scham. Und das war, wie Remus zugeben musste, eine gute Sache, denn sonst würde er wahrscheinlich nie aus seinem Schneckenhaus kommen.
 

Als er sich schließlich fertig angezogen hatte, machte er sich auf den Weg zum Frühstück. Die Gedanken an Black hatten ihm wieder neuen Antrieb gegeben und er fühlte sich frisch wie der Morgen.
 

Mit dem Vorsatz, sich sobald wie möglich bei Black für sein Verhalten zu entschuldigen und möglicherweise noch einmal in Ruhe mit ihm zu reden, trat er in die Große Halle ein. Schon von weitem konnte er ihn ausmachen, wie er zusammen mit Potter und Pettigrew am Gryffindortisch saß. Beschwingt ging er zu ihnen herüber. Potter sah ihn als erstes und winkte ihn zu ihnen heran.
 

"Guten Morgen!", grüßte er ihn. Remus lächelte ihn freundlich an und ließ sich auf den Platz neben ihm sinken, gegenüber von Black. Er griff nach einem Brötchen und etwas Marmelade, dann sah er ihn an.
 

Black saß da wie versteinert. Sein Gesicht war ernst und zeigte nicht die leiseste Andeutung eines Lächelns. Remus zuckte unwillkürlich zusammen.
 

"Dir auch einen guten Morgen.", sprach er ihn an. Doch Black erwiderte nichts. Stattdessen wandte er sich wieder seinem eigenen Frühstück zu.
 

Remus war verwirrt. Wieso benahm Black sich so seltsam?
 

Potter dagegen hatte nichts von alledem bemerkt und quatschte ihn fröhlich von der Seite her an.

"Geht's dir denn heute schon besser?", fragte er und Remus wandte sich ihm wieder zu, wenn auch nur, um Black nicht mehr ansehen zu müssen. Dessen Gesichtsausdruck machte ihm Angst, denn er konnte ihn nicht zuordnen.
 

Er nickte Potter zu.
 

"Ja, jetzt, nachdem ich geschlafen habe." Er konnte sich den leicht anschuldigenden Ton in seiner Stimme nicht ganz verkneifen, aber Potter grinste ihn nur an.
 

"Sorry, Mann.", sagte er darauf nur und biss herzhaft in eine Toastscheibe. "Aber wie sieht's heute mit dir aus? Sirius und ich wollten gleich ne Runde Quidditch spielen, hast du Lust mitzukommen?"
 

"Tut mir Leid, aber ich glaube, dafür geht's mir echt nicht gut genug." Außerdem hatte er kein Interesse daran, von den beiden im Spiel fertiggemacht zu werden. "Und ich muss noch zwei Aufsätze schreiben."
 

Potter zog ein Gesicht, akzeptierte seine Antwort aber.
 

In der nächsten halben Stunde widmete sich Remus ganz seinem Frühstück. Potter und Black diskutierten Quidditchstrategien und Potters neueste Beziehung zu Evans und Pettigrew versuchte, irgendwie etwas zu ihrem Gespräch beizutragen. Remus beobachtete Black; zu seinen anderen Freunden schien er wie immer zu sein. Einmal lachte er sogar herzhaft mit Potter über einen Witz, den dieser gemacht hatte.
 

Lag es an ihm? Er musste an den vergangenen Abend denken. Nahm Black ihm das etwa immer noch übel?
 

Als sie die Große Halle schließlich verließen und Potter vorging, um ihre Besen zu holen und Pettigrew ihm hinterherlief, packte Remus seinen Freund am Arm.
 

"Was ist los mit dir?", zischte er ihm zu. Nicht zu laut, denn um sie herum waren überall Mitschüler. Er wollte nicht, dass jemand lauschte.
 

Black entzog ihm seinen Arm und betrachtete ihn mit der gleichen steinernen Miene wie schon beim Frühstück.
 

"Das weißt du ganz genau." Sein Ton war kalt, ganz anders, als er es gewohnt war. In Remus' Magen bildete sich ein Klumpen aus Eis.
 

"Ist es wegen gestern?"
 

"Natürlich ist es wegen gestern!", zischte Black ihn an. "Und jetzt lass mich, ich hab James versprochen, das Quidditchfeld für uns zu sichern."
 

So einfach wollte Remus ihn jedoch nicht gehen lassen. Er stellte sich ihm in den Weg.
 

"Jetzt warte doch mal.", sagte er entschuldigend. "Du weißt doch, dass ich es nicht so gemeint habe. Ich war nur müde-"
 

"Wow, das ist deine große Entschuldigung? Du warst müde? Bist du also immer so ein gigantischer Idiot, wenn du müde bist?"
 

Remus merkte, wie das Gespräch in die falsche Richtung lief.
 

"Nein, bin ich nicht." Black versuchte an ihm vorbeizugehen, aber er schnitt ihm erneut den Weg ab. "Aber was ich gesagt habe, ist wahr. Ich mag es nicht, dass Potter so mit du-weißt-schon-was umgeht. Ich finde es einfach taktlos von ihm."
 

Black starrte ihn von oben herab an.
 

"Weißt du, was ich taktlos finde? Dass du ständig schlecht über James redest. Dass du dich selbst schlecht machst, nur um zu streiten. Und dass du unsere Beziehung einfach so infrage stellst."
 

Damit drängte er sich an ihm vorbei und ließ ihn verdattert im Gang stehen.
 

~~~~~*~~~~~
 

Tage verstrichen und schließlich Wochen. Es wurde immer kälter und der Schnee, der die Wiesen vor dem Schloss bedeckte, blieb permanent liegen. Es war Ende November und Remus spürte es in seinen Knochen, dass der nächste Vollmond nahte.
 

Seit er sich mit Black gestritten hatte, hatten sie kaum ein Wort miteinander gesprochen. Remus wusste nicht, was das für ihre Beziehung bedeutete. Black hatte sich dazu nicht geäußert. Zu seiner Erleichterung hatte er ihn allerdings auch nicht mit anderen Mädchen gesehen.
 

Er hatte ihm vorgeworfen, dass er ihre Beziehung infrage gestellt hätte. Remus war ihren Streit im Schlafsaal mehrere Male im Kopf durchgegangen, ehe ihm aufgegangen war, auf was er sich bezog. Er hatte ihm gesagt, dass er dieses Problem nicht hätte, hätte er schon vorher überprüft, wie Remus war. Offenbar hatte Black dies ernster genommen, als er selbst es im Nachhinein gemeint hatte.
 

Er hätte sich entschuldigen können, wenn es nur das gewesen wäre. Aber etwas in ihm hielt ihn davon ab, seinen Freund aufzusuchen und es noch einmal zu versuchen. Und das war die Tatsache, dass sowohl Potter als auch Black seine Krankheit nicht als Fluch betrachteten, sondern eine regelrechte Sensation daraus machten. Er hasste es, dass für sie seine Krankheit einen so großen Teil von ihm ausmachte. Er wollte nichts mit dem Wolf zu tun haben. Sie hatten sich ausgesucht, sich in Tiere zu verwandeln, aber bei ihnen war die Verwandlung schmerzlos, weil sie nicht erzwungen wurde und sie behielten ihren Verstand. Er dagegen streifte alle vier Wochen das Fell eines Monsters über. Dass er sich überhaupt an die letzte Vollmondnacht erinnern konnte, verblüffte ihn, denn es war das erste Mal.
 

Remus stand vor seinem Bett im Schlafsaal und zog sich seinen Pyjama an. Jetzt, wo die anderen Jungs von seinem Geheimnis wussten, gab es keinen Grund mehr, sich allein umzuziehen.
 

Potter, der sich gerade ein Oberteil angezogen hatte, kam zu ihm herüber.
 

"Wann ist es denn wieder soweit?", fragte er wie nebenbei. Remus wusste sofort, auf was er hinauswollte.
 

"In zwei Tagen."
 

"Also die Nacht von Freitag auf Samstag?"
 

"Genau."
 

"Cool."
 

Remus verdrehte die Augen.
 

Dann fragte Potter auf einmal: "Wann sollen wir da sein?"
 

Remus hielt inne, sein Flanellhemd nur halb zugeknöpft.
 

"Was?" Dann dämmerte es ihm. "Ihr kommt nicht mit! Das ist viel zu gefährlich!"
 

Potter grinste ihn nur an und klopfte ihm freundschaftlich auf die Schulter.
 

"Mach dir da mal keine Sorgen. Letztes Mal ist es doch auch gut gegangen. Außerdem hat sich dein Wolf", er piekste ihn in den Bauch, als sei der Wolf auf mysteriöse Weise in seinem Magen anzutreffen, "Sirius schon untergeordnet. Weißt du noch, Sirius?" Er drehte sich zu ihm um. "Er hat sich auf den Rücken gelegt und alle Pfoten in die Luft gestreckt!" Lachend ahmte er die Pose nach. "Ich dachte ich werde irre!"
 

Das war er auch, dachte Remus.
 

"Hört mal.", versuchte er es noch einmal verzweifelt. "Das ist wirklich zu gefährlich. Denkt doch mal nach: Ich bin ein Werwolf." Er hasste es, es so direkt auszusprechen. "Nur, weil der Wolf sich das eine Mal untergeordnet hat, heißt das noch lange nicht, dass er es auch ein zweites Mal tut."
 

"Und wenn schon", winkte Potter ab, "wir haben dich schon im Griff. Und wir können uns nicht anstecken, schon vergessen? Das ist wie eine Sondereinladung zur Werwolfvorführung."
 

Jetzt mischte sich auch Black ein. Er hatte nur eine Schlafanzughose an und schien nicht vorzuhaben, sich auch obenrum zu bekleiden. Remus musste sich zwingen, ihn nicht allzu lange anzustarren.
 

"Jetzt stell dich mal nicht so an.", sagte er. "Immerhin hast du mich schon erwischt und es hat mir nichts ausgemacht, außerdem können James und ich dich locker im Zaum halten."
 

Remus erkannte, dass er den Kampf verloren hatte. Es war egal, was er sagte, sie würden ihm ja doch folgen. Er war enttäuscht darüber, dass Black sich lieber auf die Seite seines besten Freundes stellte als auf seine Seite. Aber so, wie die Dinge im Moment zwischen ihnen waren, wunderte er sich nicht mehr darüber.
 

Nachdem sie alle in ihren Betten lagen, wurde es erstaunlich schnell still im Schlafsaal. Potter schnarchte und Pettigrew wälzte sich ständig hin und her. Remus lauschte dem leisen Atmen von Black. Er vermisste ihn. Aber er wusste auch nicht, wo er den Faden aufnehmen sollte, den er verloren hatte.

Erinnerungen an einen Fremden

Kapitel 19: Erinnerungen an einen Fremden
 

Am nächsten Morgen wachte Remus früher als die anderen auf. Er beschloss die Gelegenheit zu nutzen und die Dusche für sich allein zu beanspruchen. Obwohl er die Nacht hindurch gut geschlafen hatte, fühlte er sich ausgelaugt, ein Zeichen des nahenden Vollmondes. Sein ganzer Körper war angespannt, seine Muskeln verhärtet, als wäre er einen Marathon gelaufen. Es machte ihm nicht mehr so viel aus, da er es gewohnt war, dennoch seufzte er erleichtert, als er sich unter den heißen Duschstrahl stellte und das Wasser über seine vernarbte Haut laufen ließ.
 

Dass die Tür aufging, hörte er nicht, aber er spürte es an dem Lufthauch, der ihm plötzlich kalt um die Beine strich.
 

"Na, schon wach?"
 

Er zuckte zusammen, als er die Stimme erkannte. Black trat zu ihm in die Dusche und rasch wandte er sich von ihm ab, mehr aus Scham über seinen nackten Körper, als aus Abneigung.
 

Black kommentierte sein Verhalten nicht, sondern griff nach dem Shampoo, das in einer Vertiefung in der Wand lag.
 

Während Black sich die langen Haare wusch, riskierte Remus einen vorsichtigen Blick auf ihn und bereute es sofort.
 

Black war gut gebaut, das war kein Geheimnis. Ihn jedoch nackt neben sich in der Dusche zu sehen, ließ ihm schwindelig werden. Die langen Beine waren immer noch vom Sommer gebräunt, der Bauch war flach. Remus ließ seine Augen nach oben wandern. Die Wunde an seiner Schulter war gut verheilt, dennoch konnte er noch den inzwischen hellroten Kranz sehen, der sein Schlüsselbein zierte. Es zeigte ihm nur allzu deutlich, wie groß er eigentlich in seiner Wolfsform war.
 

Als sein Blick noch weiter nach oben wanderte, sah er, dass Black sein Starren bemerkt hatte. Rasch senkte er den Blick wieder.
 

Black kommentierte sein Verhalten nicht. Es war nicht das erste Mal, das Remus ihn beobachtet hatte und auch nicht das erste Mal, dass er dabei von ihm erwischt wurde. Jedes Mal vermisste er ihn noch ein Stückchen mehr. Er war sich nicht sicher, ob er einfach nur die Küsse und diese peinlichen, aber doch so aufregenden Fummeleien mit ihm vermisste, oder ob es mehr war. Mehrere Nächte hatte er schon nachts wachgelegen und sich den Kopf darüber zerbrochen, hatte sich gefragt, was er für ihn empfand und einfach keine Antwort gefunden. Er ahnte, dass er seinen Streit mit ihm beenden musste, wenn er es jemals herausfinden wollte.
 

Aber er wusste nicht wie.
 

Schweigend beendete er seine Dusche und verließ das Bad so schnell er konnte.
 

~~~~~*~~~~~
 

Nach dem Frühstück hatten sie Pflege Magischer Geschöpfe. Remus mochte das Fach, da es sich im Freien abspielte und es ihn an zu Hause erinnerte. Ihr Lehrer Professor Kesselbrand hatte bereits in der vergangenen Woche angekündigt, dass sie sich in dieser Stunde mit Thestralen beschäftigen würden und er war gespannt, wie er über etwas unterrichten wollte, das die meisten Schüler noch nicht einmal sehen konnten.
 

Remus erkannte die Thestrale schon von weitem. Sie standen auf einer Weide, die von einem Zaun umspannt wurde. Die Schüler hatten sich um die Weide herumgeschart. Er wusste, dass sich viele Menschen vor den Tieren fürchteten, aber er war ihren Anblick schon seit Langem gewohnt. Trotzdem konnte er ein kurzes Erschaudern nicht unterdrücken, als er in ihre gespenstisch wirkenden Augen sah. Bei diesen Geschöpfen konnte man nie sicher sein, ob sie einen beobachteten oder nicht.
 

"Welches Thema haben wir heute?", hörte er Black fragen, als sie vor der Weide ankamen. Er verdrehte die Augen, da Black mal wieder nicht im Unterricht aufgepasst hatte, war gleichzeitig aber erleichtert, da er die Thestrale anscheinend nicht sehen konnte.
 

"Wir nehmen heute Thestrale durch.", beantwortete er ihm die Frage. Black sah zur Weide.
 

"Heißt das, die Viecher sind gerade da und ich kann sie nicht sehen?"
 

Remus nickte.
 

"Ja. Es sind sechs, nein sieben Stück. Es ist auch ein Fohlen dabei."
 

Black sah ihn schockiert an.
 

"Du hast mir nicht erzählt, dass du die sehen kannst." Es klang vorwurfsvoll und Remus bereute sofort ihn angesprochen zu haben.
 

In diesem Moment tauchte Professor Kesselbrand auf und ermahnte sie zur Ruhe. Der Unterricht begann, aber Remus war mit seinen Gedanken mal wieder nur bei Black.
 

Als sie schließlich zu zweit auf einen Thestral zugehen sollten, beobachtete er, wie Potter und Evans ein Paar bildeten, ebenso wie Black und ein Mädchen. Remus erinnerte sich daran, wie Black und Potter im vergangenen Schuljahr von ihr geschwärmt hatten, weil sie sich angeblich den Rock kürzer gezaubert hatte. Jetzt beobachtete er, wie Miranda sich bei Black einhakte und er es einfach geschehen ließ.
 

Er war wütend, aber vor allem tat dieser Anblick weh.
 

Pettigrew, der ungeduldig auf ihn wartete, räusperte sich und Remus beeilte sich, mit ihm zusammen zu dem letzten verbliebenen Thestral zu gehen.
 

"Du kannst sie ebenfalls nicht sehen, oder?", fragte er, als er bemerkte, wie Pettigrew in die falsche Richtung lief.
 

"Nein, wieso sollte ich auch." Inzwischen klang es direkt feindselig, aber er versuchte es zu ignorieren. Beide waren nicht beliebt genug, als dass sie sich einen anderen Partner hätten aussuchen können.
 

Während sie lernten, mit den Tieren umzugehen und sie zu füttern, beobachtete Remus seinen Freund aus dem Augenwinkel. Er und Miranda schienen sich ja wirklich prächtig zu verstehen. Ständig fasste sie ihn an und lachte über irgendeinen seiner Witze, viel zu laut, wie er fand. Es war offensichtlich, dass sie mit ihm flirtete. Und Black war in solchen Dingen bewandert, er musste ihre Absichten erkannt haben. Aber er tat nichts dagegen. Remus kochte innerlich.
 

Er schrieb einen Zettel an ihn. Er musste einfach wissen, wo sie in ihrer Beziehung standen. Ob sie überhaupt noch eine Beziehung hatten oder ob Black jetzt wieder auf Mädchenfang ging. Remus konnte den Gedanken daran nicht ertragen und so ließ er den Fetzen Pergament in seine Tasche gleiten, als gerade niemand hinsah.
 

Er hatte nicht bemerkt, wie Black ihm später seine Antwort in seine eigene Tasche steckte, aber als er abends hineinsah, war der Zettel plötzlich da. Nervös faltete er ihn auseinander und las den kurzen Satz, der darauf stand.
 

'Ich weiß es nicht.'
 

~~~~~*~~~~~
 

Es war der Tag des Vollmonds.
 

Remus war nervöser als sonst, da er diesmal wusste, dass die Rumtreiber ihn begleiten wollten. Er hatte mit dem Gedanken gespielt, mit dem Schulleiter zu sprechen, sich dann aber dagegen entschieden. Es würde schwere Konsequenzen haben, nicht nur für die Rumtreiber, sondern auch für ihn. Er war auf sich allein gestellt.
 

Der Tag floss dahin und plötzlich war es Abend.
 

Es war recht dunkel in der Hütte, als er ankam. Er legte seine Kleidung und die mitgebrachte Decke ab und legte sie in eine Ecke, in der Hoffnung, dass er sie später nicht zerreißen würde. Dann legte er sich bäuchlings auf den staubigen Holzboden und wartete.
 

Diesmal war er pünktlich, die ersten Anzeichen seiner Verwandlung ließen nicht lange auf sich warten. Er biss die Zähne zusammen und dachte an Black, als sie sich noch nicht gestritten hatten.
 

~~~~~*~~~~~
 

Black fröstelte und zog seinen Umhang enger um seinen Körper. James, Peter und er warteten schon seit einigen Minuten auf das Aufgehen des Vollmondes. Sie hatten sich nicht sehr warm angezogen, da sie davon ausgegangen waren, sich sowieso bald selbst zu verwandeln.
 

Sie hatten bemerkt, wie Remus im Gemeinschaftsraum immer unruhiger geworden war und immer häufiger zum Fenster hinausgesehen hatte. Schließlich war er ohne ein Wort zu sagen aufgestanden und hatte den Gemeinschaftsraum verlassen. Wenige Minuten später waren sie ihm gefolgt und hatten beobachtet, wie er unter der Peitschenden Weide verschwand.
 

Black beobachtete aus zusammengekniffenen Augen die schwarzen Wolken am Himmel. Wahrscheinlich würde es bald wieder schneien. Er hoffte, dass die Verwandlung für Remus dieses Mal nicht allzu schmerzhaft sein würde, wusste aber, dass das nur Wunschdenken war. Die letzten Tage war er immer blasser um die Nase geworden und er hatte sich nichts sehnlicher gewünscht, als ihm irgendwie helfen zu können. Aber selbst wenn sie nicht zerstritten gewesen wären, hätte er nichts unternehmen können.
 

"Da." James' leise Stimme riss ihn aus den Gedanken. Tatsächlich war gerade der Mond hinter den Wolken hervorgekommen. Es wurde Zeit.
 

"Sollen wir?"
 

James nickte. Gemeinsam verwandelten sie sich in ihre Animagiformen; einen großen, schwarzen Hund, einen ausgewachsenen Hirsch mit prächtigem Geweih und eine kleine, aber flinke Ratte. Der Schnee unter seinen Pfoten fühlte sich nun nass und kalt an. Zusammen gingen sie auf die Peitschende Weide zu. Peter, der am kleinsten von ihnen war, huschte zwischen den Ästen der Weide hindurch. Sie schlugen nach ihnen, doch er war zu schnell und gelangte sicher am Stamm des Baumes an, wo er den Wurzelknoten betätigte. Sofort erstarrte die Weide.
 

Black folgte ihm, während James zurückblieb. Er wäre sowieso zu groß gewesen, um in das Loch zu passen.
 

Der Eingang vor ihm gähnte vor Schwärze. Black sprang hinein und landete auf nassem Laub. Vor ihm erstreckte sich ein enger Gang, die Wände aus feuchter, brauner Erde, aus der hier und da einige Wurzeln ragten. Sie strichen ihm über den Rücken, als er den Gang entlanglief.
 

Nach einigen Minuten kündigte sich das Ende des Ganges durch ein sanftes Anheben des Weges an. Er konnte einen schmalen Lichtfetzen entdecken und rannte auf ihn zu, bis der Boden unter seinen Füßen auf einmal aus Holz bestand. Vor ihm lag eine Treppe, die mit ihren schmalen, ausgetreteten Stufen gar nicht vertrauenswürdig aussah.
 

Seine Hundenase nahm einen bekannten Geruch wahr, sein Fell sträubte sich. Von oben konnte er leise Geräusche hören, als würde etwas Schweres umhergehen. Auf einmal hörte er ein Kratzen, dann ein Knallen. Es gab keinen Zweifel: Remus war bereits verwandelt. Seine Instinkte rieten ihm umzukehren, aber sein Menschenverstand führte ihn weiter, die Treppe hinauf.
 

Der Werwolf nahm ihn bereits war, bevor er am oberen Treppenabsatz angelangt war. Black hatte damit gerechnet von ihm angegriffen zu werden. Aber als er um die Ecke bog und im Türrahmen des Zimmers stehenblieb, aus der der Geruch kam, passierte zunächst nichts. Der Werwolf stand in einer Ecke des Zimmers und sah ihn an. Zwischen den Pfoten hatte er Überreste von etwas, das vielleicht einmal ein Stuhl gewesen war. Langsam, um ihn nicht unnötig zu provozieren, betrat Black das Zimmer. Der Werwolf verfolgte ihn aus gelben Augen. Dann bewegte er sich, aber nicht ruckartig, sondern ganz langsam, als wollte er auch seinerseits nicht riskieren, dass man ihn angriff.
 

Und dann senkte er den Kopf bis zum Boden und zog den Schwanz ein. Er fiepte leise.
 

Black konnte es nicht fassen. Die letzten zwei Tage hatte er Angst davor gehabt, erneut mit ihm kämpfen zu müssen, aber der Werwolf hatte sich ihm einfach kampflos unterworfen. Dennoch musste er seine starren Muskeln dazu zwingen, auf ihn zuzugehen.
 

Sanft stupste er ihn mit der Nase an und der Werwolf erhob sich wieder. Er war größer als der Hund. Black nutzte den Moment, um ihn endlich einmal genauer betrachten zu können.
 

Er hatte sich Werwölfe immer mit schwarzen oder grauen Fell vorgestellt, aber Remus hatte hellbraunes Fell, ähnlich seiner Haarfarbe. Er fragte sich, ob das wohl Zufall sein mochte. Seine Augen waren gelb gefärbt, die Pupille klein und rund. Sein Kopf war länglich, seine Ohren aus Angst vor ihm zurückgelegt, den buschigen Schwanz hatte er immer noch eingezogen. Seine Pfoten waren riesig.
 

Wie schon vier Wochen zuvor nickte er ihm mit dem Kopf zu und bedeutete ihm zu folgen. Der Werwolf folgte ihm willig.
 

Zusammen gingen sie den Weg bis zum Eingang der Peitschenden Weide zurück, wo Peter zitternd auf sie wartete. Der kleinen Ratte sträubte sich sichtlich das Fell, als er Remus erblickte und sie huschte davon, bevor sie sie erreichten. Black ging als erster durch das Loch.
 

Peter hatte sich inzwischen auf James' Geweih zurückgezogen.
 

Als der Werwolf sich aus dem Loch unterhalb der Weide zwängte, hielten sie alle den Atem an. Niemand wusste, ob Remus nicht doch durchdrehen würde und sie ihn wieder unter Kontrolle bringen müssten.
 

Doch nichts geschah. Der Werwolf musterte sie nur still mit seinen gelben Augen, dann wandte er den Kopf Richtung Wald, wie um zu fragen, ob sie nun dorthin gehen wollten.
 

Black beschloss den Anfang zu machen. Zielstrebig ging er auf den Wald zu und machte erst nach einigen Metern Halt um sich umzuschauen, ob ihm auch alle folgten. Moony trottete hinter ihm her, dahinter lief James, der Peter immer noch auf seinem Geweih sitzen hatte. Offenbar hielt er das für den sichersten Platz. Er wunderte sich darüber, dass der Werwolf nicht auch James seinen Respekt gezollt und den Kopf gesenkt hatte.
 

Als Animagi hatten James, Peter und er schon oft den Verbotenen Wald erkundet. Sie waren auf Einhörner gestoßen, hatten aus der Ferne Kentauren erblickt, denen sie lieber aus dem Weg gegangen waren, da sie ihre tierische Form sicher durchschaut hätten und hatten auch ein besonders unangenehmen Zusammenstoß mit Acromantulas gehabt, riesigen Spinnen, von denen sie durch den halben Wald gejagt worden waren. Peter hatte sich danach wochenlang geweigert, den Wald nochmals zu betreten.
 

Die meisten ihrer Ausflüge liefen allerdings ruhig ab. Die meisten Waldbewohner schienen sie zu meiden. Dennoch liebten sie einfach den Reiz des Verbotenen und so kam es, dass sie den Wald wie ihre Westentasche kannten.
 

~~~~~*~~~~~
 

Seine Knochen schmerzten.
 

Es machte ihn wütend.
 

Immer dieser Schmerz. Und diese Enge, die ihn einschnürte. Überall Wände, die ihn aufhielten.
 

Er wollte laufen. Er wollte riechen.
 

Er wollte etwas reißen und fressen.
 

Er spürte etwas Scharfes an seinen Pfoten und es stach. Wütend schleuderte er es beiseite.
 

Ein Geruch strömte ihm in die Nase. So vertraut …
 

Seine Nackenhaare sträubten sich und er jaulte, ganz leise. Er schon wieder. Der Fremde. Ängstlich scharrte er mit den Pfoten über den Boden.
 

Der Geruch wurde stärker. Er hörte ihn näher kommen, hörte seinen hechelnden Atem.
 

Er wollte weg, aber er war gefangen. Immer war er gefangen, immer diese Enge, diese Wände, aufhielten, einschnürten.
 

Er war jetzt ganz nah.
 

Er hob den Kopf, starrte ihn direkt an. Er wagte es nicht sich zu bewegen.
 

Wimmernd senkte er den Kopf und zog den Schwanz ein. Er wollte nicht, dass der Fremde ihm wehtat.
 

Als der Fremde näherkam, fiepte er leise vor Angst, er konnte es nicht unterdrücken. Doch er beschnupperte ihn nur und stieß ihn dann mit der Schnauze an.
 

Dann bedeutete er ihm mit dem Kopf ihm zu folgen. Willig folgte er seinem Befehl. Er hatte jetzt jemanden, dem er gehorchen musste. Vielleicht führte er ihn ja auch in die Freiheit. Vielleicht konnte er dann endlich jagen.
 

Während er dem Fremden durch einen dunklen, engen Gang folgte, der ihm auf seltsame Weise vertraut vorkam, stach ihn wiederholt etwas in der hintersten Ecke seines Bewusstseins: Er durfte hier nicht raus. Es war gefährlich. Er war gefährlich.
 

Warum, wusste der Wolf nicht.
 

~~~~~*~~~~~
 

Die Decke im Krankenflügel war weiß gestrichen, aber die Farbe blätterte schon seit einer Weile ab. Remus lag in seinem üblichen Bett und starrte stur geradeaus. Natürlich hatte er es kommen sehen. Black, Potter und Pettigrew hatten die Vollmondnacht mit ihm verbracht. Sie hatten ihn freigelassen und waren mit ihm im Verbotenen Wald spazieren gegangen, als sei er ein Hund, der Gassi geführt werden müsste. Er weigerte sich, auch nur einen von ihnen anzusehen.
 

"Moony." Black sprach ihn zum wiederholten Mal von der Seite an. Potter und Pettigrew waren längst gegangen und genossen den frisch gefallenen Schnee. Nur Black war geblieben und hatte sich einen Stuhl an sein Bett herangezogen. Remus wusste nicht, warum er sich überhaupt die Mühe machte. Er hatte doch gewusst, dass er dagegen war, dass die Rumtreiber ihn freiließen. Wieso wunderte er sich jetzt also, dass Remus sauer war und keine Lust hatte, mit irgendjemanden von ihnen zu sprechen?
 

Black seufzte. Remus hörte ein Rascheln und glaubte für einen Moment, dass Black endlich aufgestanden war, um zu gehen, ein Gedanke, der in ihm gleichzeitig Erleichterung und Traurigkeit auslöste. Doch Black hatte sich nur zu ihm vorgebeugt, die Hände ineinander verschränkt.
 

"Du verstehst das nicht.", sagte er. Remus konnte es nicht fassen.
 

"Ich verstehe etwas nicht? Ich glaube, ihr seid es, die den Ernst der Lage nicht verstehen."
 

"Du bist anders, wenn wir bei dir sind." Stille. Remus starrte weiterhin an die Decke.
 

"Ich weiß. Ich erinnere mich."
 

Und wie schrecklich diese Erinnerungen waren. Er wollte sie am liebsten alle aus seinem Kopf haben. Er konnte sich daran erinnern, wie er einem Hund aus der Hütte gefolgt war und wie sie in den Wald gelaufen waren. Er konnte sich erinnern, wie er Angst vor dem Hund gehabt hatte, ihm gleichzeitig aber auch immer mehr Vertrauen entgegengebracht hatte. Und er konnte sich erinnern, wie sie durch den Wald gestreift waren, bis er eine Fährte aufgenommen und einen Fuchs erlegt hatte. Fast war es ihm, als könnte er das Blut noch auf seiner Zunge schmecken. Ihm wurde schlecht.
 

Black reichte ihm gerade noch rechtzeitig den Eimer, in dem er sich zum wiederholten Male an diesem Morgen übergab. Seine Kehle brannte. Wortlos nahm Black den Eimer wieder an sich und entfernte das Erbrochene mit einem simplen 'Evanesco'.
 

"Du bist wirklich anders. Nicht mehr so wild.", versuchte er es noch einmal. "Du hörst auf mich."
 

"Toller Gedanke.", erwiderte er nur sarkastisch. Sein Ton schmerzte selbst ihm in den Ohren, aber er konnte einfach nicht anders; er war verletzt und wollte, dass Black davon wusste.
 

"Nein, hör doch mal zu." Black berührte eine seiner Hände, doch Remus zog sie weg. "Du hast mir selbst gesagt, dass du glaubst, dass es ihn wütend macht, eingesperrt zu sein. Was könnte also besser sein, als ihm etwas Auslauf zu geben?"
 

Jetzt richtete Remus sich auf, auch wenn es wehtat.
 

"Aber ich habe nie gesagt, dass es anders sein sollte! Er ist ein wildes Tier, er gehört eingesperrt!"
 

Black sah ihn schockiert an.
 

"Aber er ist in dir.", sagte er schließlich bestimmt. "Ein Teil von dir. Und du bist kein wildes Tier. Du bist kein Monster. Das habe ich anfangs zwar gedacht", Remus zuckte zusammen, als hätte er ihn geschlagen, "aber die zwei Nächte, die ich schon mit dir durch den Wald gelaufen bin, haben mir etwas anderes gezeigt."
 

"Ach, und was?"
 

"Wie gesagt, du hörst auf mich. Und ich kann mit dir kommunizieren. Irgendwie verstehst du mich und ich dich, obwohl wir nicht miteinander sprechen können."
 

Remus schluckte. Er wusste, dass Black Recht hatte, immerhin erinnerte er sich an jedes Detail der Vollmondnacht.
 

"Trotzdem. Es ist einfach zu gefährlich.", sagte er schwach.
 

"Und deine Narben? Wenn du eingesperrt bist, verwüstest du die ganze Nacht die Hütte. Willst du das deinem Körper wirklich antun?"
 

"Das kann dir doch egal sein." Remus verschränkte die Arme und sah weg.
 

"Du weißt, dass es mir nicht egal ist."
 

Remus antwortete nicht. Er wollte es einfach nicht, verstanden sie das nicht? Er hatte Angst, Angst jemanden zu verletzen. Allein der Gedanke daran, dass er Black angegriffen und in seine Schulter gebissen hatte, machte ihn ganz krank.
 

Einen kurzen Augenblick lang wünschte er sich, er hätte sich nie auf Black eingelassen. Aber bei diesem Gedanken wurde ihm kalt ums Herz und der Moment ging so schnell, wie er gekommen war.
 

Black stand von seinem Stuhl auf.
 

"Ich gehe jetzt." Eine warme Hand senkte sich auf seine Schulter und drückte kurz zu. Remus hasste, dass er sich nach genau so einer Berührung von ihm gesehnt hatte. "Ruh dich noch ein bisschen aus. Wir sehen uns heute Abend."
 

Als Black den Krankenflügel verlassen hatte, vermisste Remus ihn so sehr, dass es wehtat.
 

~~~~~*~~~~~
 

Es war vier Tage vor Weihnachten und Remus streifte durch Hogsmeade auf der Suche nach Geschenken. Er hatte lange überlegt, ob er Black überhaupt etwas schenken sollte und war sich eigentlich immer noch nicht sicher. Trotzdem hatte er sich an diesem Tag warm angezogen und hatte sich, wie die meisten anderen Schüler, die über die Ferien im Schloss geblieben waren, auf den Weg in das Zaubererdorf gemacht.
 

Potter und Pettigrew waren über die Ferien zu ihren Familien gefahren, also musste er sich keine Gedanken darüber machen, ob die seltsame Art von Freundschaft zwischen ihnen bereits Weihnachtsgeschenke erforderlich machte. Dass Black nicht mitgefahren war, um die zwei Wochen bei Potter zu verbringen, hatte sie alle verwundert.
 

Was schenkte man Sirius Black? Remus war ratlos. Von Quidditch hatte er keine Ahnung und würde mit solch einem Geschenk sowieso Gefahr laufen, dass er es schon hatte. Und sonst? Black las keine Bücher. Süßigkeiten waren okay, aber ein bisschen langweilig. Welche Hobbys hatte er sonst noch? Er hatte sich bereits den Kopf darüber zerbrochen, aber für was interessierte sich Black denn sonst noch? Außer Mädchen natürlich.
 

Je länger er dumpf auf die Schaufensterscheiben starrte und Laden nach Laden abklapperte, desto mehr fiel ihm auf, wie wenig er Black eigentlich kannte.
 

Als es Abend wurde, ging er mit leeren Händen zum Schloss zurück.

Wärme

Wärme
 

Es war der Morgen von Heiligabend. Remus hatte erstaunlich lange geschlafen und reckte sich in seinem Bett. Der Schlafsaal war vollkommen verlassen. Ein Blick auf Blacks Bett bestätigte ihm, dass dieser schon vor ihm wach geworden war und wahrscheinlich schon in der Großen Halle beim Frühstück saß.
 

Er schwang seine Beine über die Bettkante. Der Boden war kalt und er suchte fröstelnd nach seinen Socken. Als er sie sich angezogen hatte, lief er um sein Bett herum und sah auf den kleinen Stapel Geschenke an dessen Fußende. Zwei davon waren von seinem Vater, wie er feststellte, als er das Geschenkpapier vorsichtig öffnete. Es handelte sich um ein Buch über Pflanzenheilkunde. Er besaß bereits so eins, doch stellte er fest, dass dieses noch spezifischer war. Zufrieden legte er es in seinen Schrank. Das zweite Geschenk bestand aus einer Zusammenstellung aus Federn, verschiedenen Tintenarten und einem neuen, elegant wirkendem Federkiel. Sein Vater wusste immer ganz genau, was er ihm schenken konnte.
 

Das waren auch schon die einzigen Geschenke. Er versuchte die Enttäuschung darüber, dass Black ihm nichts geschenkt hatte, zu unterdrücken. Schließlich hatte er auch nichts für ihn. Aber würden sie es jemals schaffen, sich wieder zu vertragen?
 

Seine gute Laune verflog. Rasch zog er sich fertig an und machte sich auf den Weg in die Große Halle.
 

~~~~~*~~~~~
 

Als er in der Großen Halle ankam, stellte er fest, dass Black immer noch am Frühstückstisch saß. Und er war nicht allein.
 

Um ihn herum hatten sich mindestens vier Mädchen versammelt, zwei davon aus der Stufe unter ihnen und himmelten ihn praktisch an. Black genoss die Aufmerksamkeit offensichtlich. Remus beschloss, sich so weit wie möglich von ihm entfernt an den Tisch zu setzen.
 

Während er sich ein Marmeladenbrötchen schmierte, versuchte er das Gekicher der Mädchen auszublenden und betrachtete stattdessen die festliche Dekoration der Halle. In der Nähe des Lehrertisches war ein riesiger Weihnachtsbaum aufgestellt worden, der mit roten, blauen, gelben und silbernen Kugeln überladen war. Er wusste, dass der Baum so bunt war, um keiner Hausfarbe den Vorzug zu geben, dennoch war dieses grelle Gemisch etwas zu viel für seine Augen und er wandte den Blick ab. Ansonsten war die Halle mit schwebenden Kerzen geschmückt und die Decke zeigte einen von Sternen überzogenen Himmel, obwohl es Tag war.
 

Ein besonders penetrantes Lachen von einem der Mädchen zog wieder seine Aufmerksamkeit auf sich und er schaute wieder zu Black hinüber. Da hob dieser plötzlich den Kopf und fing seinen Blick auf. Remus schluckte. Er war sich nicht sicher, ob es ihm lieber wäre, wenn Black zu ihm kommen oder wenn er bei den Mädchen bleiben würde.
 

Black entschied sich für letzteres. Eines der Mädchen - schon wieder diese Miranda! - berührte ihn am Arm und Black drehte sich zu ihr um. Sie tauschten einige Worte mit ihnen aus, die Remus ob der Entfernung nicht verstehen konnte, dann schaute Miranda auf einmal schüchtern zu Boden und überreichte Black ein kleines, liebevoll eingepacktes Geschenk.
 

Remus fühlte sich furchtbar dabei. Er selbst hatte nichts für Black, aber dieses Mädchen? Er fragte sich, was in dem Geschenk wohl drin sein mochte. Und ein kleiner Teil von ihm hoffte, dass es ein unpassendes Geschenk war, etwas, worüber sich Black nicht freuen würde.
 

Der Gedanke daran, dass so ein Mädchen seinem Freund etwas schenken könnte, das ihn freuen könnte, machte ihn krank. Er nahm sich noch ein weiteren Toast, stand auf und verließ die Halle, ohne sich noch einmal umzudrehen.
 

~~~~~*~~~~~
 

In seinen Bemühungen Black nicht über den Weg zu laufen, musste Remus etwas erfindungsreich sein. Er konnte nicht in den Gemeinschaftsraum, da es gut sein konnte, dass er ihn dort antreffen würde. Stattdessen hielt er sich für die ersten paar Stunden in der Bibliothek auf und schrieb an dem letzten der Aufsätze, die sie über die Ferien bekommen hatten. Als es schließlich gerade so Zeit zum Mittagessen wurde, machte er einen kurzen Abstecher in die Große Halle, schaufelte sich kurz etwas Pastete rein und verschwand wieder so schnell wie möglich.
 

Alles, um Black nicht über den Weg zu laufen. Es war Weihnachten. Er wollte ihn nicht sehen.
 

Er wollte nicht schon wieder in die Bibliothek, vor allem, weil er nun wirklich alle Schulaufgaben erledigt hatte. Stattdessen schnappte er sich seinen wärmsten Umhang und ging nach draußen, Richtung See.
 

Außerhalb des Schlosses war es eisig kalt. Eine dicke Schneedecke umhüllte die Hogwartsgründe. Die wenigen Schüler, die über die Ferien in Hogwarts geblieben waren, zogen es vor, in ihren Gemeinschaftsräumen zu bleiben oder sich in der Großen Halle die Bäuche mit Essen vollzuschlagen.
 

Als er den See erreichte, hielt er einen Moment inne und betrachtete die zugefrorene Eisfläche vor ihm. Sein Atem malte kleine Wolken in die Luft.
 

Black. Er hatte ihn den ganzen Tag gemieden, doch es gab nichts, was ihn aus seinem Kopf vertreiben könnte.
 

Er hatte sich in sein Leben geschlichen. Remus hatte nicht mit ihm befreundet sein wollen, er mochte ihn ja noch nicht einmal. Aber Black hatte das einfach nicht akzeptiert und alleine beschlossen, dass sie nun Freunde waren. So ähnlich, wie er eines Tages beschlossen haben musste, dass er mehr als nur Freundschaft wollte und ihn so lange bedrängt hatte, bis Remus schließlich nachgegeben hatte.
 

Außerdem fühlten sich diese Küsse wirklich verdammt gut an.
 

Aber das war doch alles nur sexuell. Oder? Warum fühlte er sich dann seit Wochen, als würde sich etwas in ihm ständig zusammenziehen, als würde er etwas verpassen, wenn er nicht bald etwas unternahm?
 

Warum wollte er nichts lieber, als sich mit ihm zu vertragen und ihn zu umarmen?
 

Er schüttelte seinen Kopf, als könnte er seine Gedanken dadurch irgendwie vertreiben. Er klang schon ganz so wie die Heldinnen in seinen Romanen. Kitschig. Liebestrunken.
 

Außerdem war das alles nur Wunschdenken. Black und er - da gab es eine unüberbrückbare Kluft zwischen ihnen und die nannte sich Potter. Potter und alles, was er mit ihm assoziierte. Dieses Unverständnis. Unverständnis für ihn als Person. Unverständnis für seine Krankheit. Black konnte sich nicht zwischen ihnen entscheiden und Remus hätte das auch nicht gewollt.
 

~~~~~*~~~~~
 

Remus war kalt bis auf die Knochen. Den ganzen Nachmittag hatte er draußen am See verbracht und hatte sich den beißenden Wind um die Nase wehen lassen. Sein wärmster Umhang hatte sich als doch nicht ganz so warm erwiesen, sodass er nun völlig durchgefroren Richtung Schloss stiefelte. Der nasse Schnee war inzwischen auch in seine Schuhe vorgedrungen, jeder Schritt fühlte sich matschig und kalt an. Seine Zehen hingen wie Eisklumpen an seinen Füßen; dafür, dass er nichts mehr mit ihnen spürte, taten sie höllisch weh.
 

Er war schon beinahe an den Toren der Eingangshalle angekommen, als er den Kopf hob und eine einzelne Gestalt sah, die auf ihn zugelaufen kam. Er kniff die Augen zusammen, um besser sehen zu können, und erkannte, dass es Black war. Die ganze Versteckerei umsonst, schließlich hatte er ihn doch gefunden. Trotz der Kälte wäre er am liebsten auf der Stelle wieder umgekehrt, doch da hatte Black ihn erreicht und kam keuchend vor ihm zu stehen.
 

Er war dick in einen pelzumrandeten Umhang gekleidet, auf dem Kopf eine Mütze und um den Hals seinen Gryffindorschal. Remus wünschte sich, er hätte ebenfalls daran gedacht, eine Mütze mitzunehmen.
 

"Hier bist du, Moony!", stieß Black aus. Es klang seltsam normal, beinahe schon liebevoll. Als wäre nie etwas zwischen ihnen gewesen.
 

Remus wich seinem Blick aus und bewegte sich weiter Richtung Hogwarts.
 

"Ich wollte etwas frische Luft schnappen.", erklärte er.
 

"Von wegen frische Luft!" Black trottete neben ihm her. "Du bist ja total durchgefroren! Deine Nase ist schon ganz rot."
 

Remus interessierte die Farbe seiner Nase herzlich wenig, es war eher die Farbe seiner Zehen, um die er sich Sorgen machte. Er vermutete, dass diese irgendwo zwischen blau und lila angesiedelt sein musste.
 

"Hab die Zeit vergessen.", murmelte er und fragte sich, warum er ihm überhaupt antwortete.
 

"Gehen wir erstmal ins Warme." Black klang seltsam, als wollte er eigentlich noch mehr sagen und würde es sich verkneifen. Remus hatte keine Lust mit ihm zu reden. In den letzten Wochen hatten sie kaum ein Wort miteinander gesprochen, außer dem einen oder anderen Gespräch über Schulaufgaben. Wenn sie richtig miteinander reden würden, würde das vermutlich nur wieder im Streit enden.
 

Remus wurde sofort etwas wärmer, als sie das Schloss betraten. Aber seine Schuhe waren immer noch durchnässt und sein Kopf schmerzte von der kalten Luft.
 

Im Gemeinschaftsraum war wenig los, da die meisten nicht über die Ferien in Hogwarts geblieben waren. Er hinterließ nasse Fußspuren, als er den Raum durchquerte und die Treppe zum Schlafsaal hinaufstieg. Black folgte ihm, immer noch schweigend und Remus beschloss ihn auch weiterhin zu ignorieren.
 

Im Schlafsaal angekommen ließ er sich auf sein Bett fallen und zog Schuhe und Socken aus. Die nassen Socken ließ er auf den Boden fallen, während er sich neue aus seinem Schrank holte. Die trockene Wolle fühlte sich wunderbar warm auf seiner Haut an und er seufzte wohlig.
 

"Ich habe dich überall gesucht.", unterbrach Black schließlich die Stille. Remus wusste nicht, was er darauf antworten sollte. "Hast du mich gemieden?" Remus zuckte mit den Schultern.
 

Black seufzte, als hätte er soeben einen Kampf verloren, dann ließ er sich auf das Bett neben ihn fallen. Remus' erster Instinkt war aufzuspringen, doch er hielt sich zurück.
 

Schon seltsam, wie wenig man sich manchmal zu sagen hatte.
 

"Ich habe ein Geschenk für dich.", sagte Black plötzlich, als sei es ihm gerade erst eingefallen. "Eigentlich sogar zwei."
 

Remus wurde rot. Black hatte ein Geschenk für ihn? Aus irgendeinem Grund hatte er damit überhaupt nicht gerechnet.
 

"Nicht nötig.", murmelte er, plötzlich verlegen. "Ich - ich hab doch nichts für dich …"
 

"Das ist mir egal. Ich möchte trotzdem, dass du es bekommst. Es ist nichts Besonderes. Ich dachte nur, dass du es vielleicht magst. Dass es dir vielleicht hilft."
 

Er ging zu seinem eigenen Bett und holte etwas von darunter hervor. Das Geschenk war etwas unordentlich eingepackt. Er drückte es Remus in die Hand. Dieser betrachtete es argwöhnisch, dann riss er vorsichtig das Papier ab.
 

Sofort purzelte der Inhalt in mehreren Teilen auf seinen Schoß.
 

"Schokolade?", fragte Remus überrascht.
 

Black sah ihn alarmiert an.
 

"Freust du dich nicht?"
 

Remus sah auf all die Schokolade auf seinem Schoß.
 

"Ähm … doch."
 

Black rieb sich nervös den Nacken.
 

"Ich hab mir nur gedacht, was mag Remus am liebsten, und das sind Bücher und Schokolade, und von Büchern hab ich keine Ahnung, also …" Er verstummte.
 

Remus legte die Schokolade beiseite.
 

"Aber warum?"
 

Ungläubig sah Black ihn an.
 

"Warum? Es ist Weihnachten, darum."
 

"Aber warum schenkst du mir etwas? Wir haben doch Streit."
 

Jetzt war es an Black, mit den Schultern zu zucken.
 

"Ich wollte dir trotzdem etwas schenken. Mir ist unsere Beziehung nämlich wichtig, weißt du."
 

Das saß. Beinahe wäre Remus wieder aufgesprungen, so sehr wühlte in diese Bemerkung auf. Aber etwas hielt ihn davon ab. Nervös rang er mit seinen Händen und sah zu Boden.
 

"Mir ist unsere Beziehung auch wichtig.", sagte er leise.
 

Black atmete hörbar aus. Dann schlang sich plötzlich ein Arm um seine Schultern.
 

"Das wollte ich von dir hören.", flüsterte er ihm ins Ohr. Remus hatte das Gefühl, als sei sein Herz für einen Moment stehen geblieben, nur um dann mit der doppelten Geschwindigkeit weiterzuschlagen.
 

Er musste sich zusammenreißen.
 

Energisch schob er Black von sich.
 

"Jetzt warte mal." Seine Stimme klang viel zu unsicher, fand er. "Willst du jetzt einfach weitermachen wie bisher? Ich glaube nicht, dass das gut geht."
 

Black nahm die Hände, mit denen er ihn weggeschoben hatte, in seine eigenen.
 

"Nein, möchte ich nicht.", gab er leise zu. "Es ist nur … du zeigst so wenig von dir. Manchmal habe ich das Gefühl, dass du aus allem ein großes Geheimnis machst. Wie - wie mit deiner Mutter."
 

Erschrocken wollte Remus seine Hände zurückziehen, doch Black hielt sie fest.
 

"Ich will damit nicht sagen, dass du mir jetzt sofort alles darüber erzählen sollst. Nur erzähl mir irgendwas. Weißt du, wie schwer es war, ein passendes Geschenk für dich zu finden? Alles, was ich über dich weiß ist, dass du Schokolade magst und Bücher. Liebesromane, okay. Aber das ist nicht viel. Wirklich nicht viel für eine Beziehung."
 

Remus sah ihn nicht an.
 

"Ich weiß auch wenig über dich. Deswegen habe ich auch kein Geschenk gefunden."
 

Black drückte seine Hände kurz.
 

"Wenn wir es irgendwie schaffen, uns wieder zu vertragen, reicht mir das als Geschenk."
 

Remus' Mundwinkel zuckten. Black war manchmal ein hoffnungsloser Romantiker.
 

Aber da war noch diese Sache.
 

"Und Potter?"
 

"Ich kann nichts dafür, was James macht. Ich kann höchstens mit ihm reden." Er ließ seine Hände los, nur um beide Hände an Remus' Gesicht zu legen und es zu ihm zu drehen, sodass er gezwungen war, ihn anzusehen. "Aber es ist einfach so: Du bist ein Werwolf und das ist ziemlich abgefahren. Ich weiß, nicht nur abgefahren", fügte er hinzu, als Remus sich wieder aus seinem Griff winden wollte, "aber zum Teil schon. Und für den anderen Teil: Ich glaube, ich kann dich langsam besser verstehen. Vielleicht kann ich es nie ganz verstehen, weil ich nicht in deiner Haut stecke. Aber ich geb mir Mühe."
 

Remus starrte ihn an. Black sah zurück, ohne zu blinzeln. Seine schwarzen Augen waren so ernst, wie er sie nie gesehen hatte.
 

"Deswegen hab ich dir noch das hier gekauft." Er hielt ihm ein zweites Paket hin. Zögernd nahm Remus es an und öffnete es.
 

Es war eine Phiole mit einer bernsteinfarbenen Flüssigkeit darin.
 

"Was ist das?"
 

Black nahm ihm die kleine Flasche aus der Hand.
 

"Lavendelöl.", sagte er. "Es hilft gegen Knochenschmerzen, Verspannungen und soll sogar bei Narben helfen."
 

Remus betrachtete ihn skeptisch.
 

"Ja, ich hab davon gehört. Aber was soll ich damit?"
 

Black rollte die Augen.
 

"Wirst schon sehen." Er grinste ihn verschmitzt an. "Zieh dich aus und ich zeig's dir."
 

Remus wurde knallrot im Gesicht. Black war sich der Zweideutigkeit seiner Worte eindeutig bewusst, so breit wie er ihn angrinste.
 

Aber so schnell gab er nicht auf.
 

"Warte.", sagte er. "Was ist mit den ganzen Mädchen? Die, mit denen du heute zum Beispiel in der Großen Halle gesessen hast."
 

Black seufzte, etwas theatralisch.
 

"Du weißt doch, dass ich vom schönen Geschlecht nie in Ruhe gelassen werde."
 

"Du könntest aber wenigstens so tun, als würde es dich stören."
 

Black seufzte.
 

"Na gut, ich gebe zu, dass das nicht ganz fair war. Aber du hast mich komplett ignoriert, was sollte ich sonst tun?"
 

Remus brauchte einen Moment, um das zu entziffern.
 

"Das heißt - du wolltest mich eifersüchtig machen?"
 

"Hat es geklappt?"
 

Remus verzichtete darauf, das mit einer Antwort zu belohnen. Stattdessen tat er das, worum er vorhin gebeten wurde und zog sich seinen Pullover aus.
 

"Und was jetzt?", fragte er.
 

"Leg dich mit dem Bauch auf's Bett."
 

Zögernd folgte er dieser Anweisung und legte sich bäuchlings auf sein Bett, nicht aber ohne den Kopf nach hinten zu verrenken, um sehen zu können, was er tat.
 

Black hatte derweil seine Schuhe ausgezogen und kletterte ebenfalls auf das Bett. Remus schoss abermals die Röte ins Gesicht, als Black sich mit jeweils einem Bein neben beide Seiten seiner Hüfte hinkniete und die Flasche mit dem Lavendelöl öffnete. Eine kleine Menge davon goss er in seine Handfläche.
 

Remus' Herz hämmerte wild in seiner Brust.
 

Nachdem Black das Öl zwischen seinen Handflächen verrieben hatte, legte er seine Hände auf Remus' Rücken.
 

Er begann mit langsamen, kreisenden Bewegungen und übte zunächst kaum Druck aus. Stück für Stück arbeitete er sich zu seinen Schultern vor und drückte seine Fingerspitzen in die verhärteten Muskeln. Remus schloss die Augen.
 

Während Minute um Minute verstrich, lockerte Black jeden Muskel in seinem Körper, bis er sich anfühlte wie Pudding. Mal strichen seine Hände über seinen Rücken, so weit hinunter, bis sie den Rand seiner Jeans berührten, dann wiederum massierte er mit kräftigem Griff seine Schultern. Einmal drückte er seinen Daumen in eine besonders pikante Stelle und Remus musste sich auf die Lippe beißen, um keinen Ton von sich zu geben. Sein ganzer Rücken fühlte sich warm und weich an.
 

Als es schließlich aufhörte, war er beinahe eingeschlafen. Mit immer noch geschlossenen Augen hörte er, wie Black sich seine Hände an einem Tuch abwischte. Dann spürte er plötzlich, wie Black sich zu ihm hinunterbeugte, sein Pullover streifte seinen nackten Rücken. Warmer Atem strich über sein Ohr. Aber er flüsterte ihm nichts hinein, sondern küsste ihn auf das Ohr, was ein seltsam lautes Geräusch verursachte. Dann ließ er sich neben ihn auf die Matratze fallen.
 

Remus wartete einen Moment, bis er die Augen öffnete. Black lag direkt neben ihm, das Gesicht ihm zugewandt, und sah ihn an. Sein Blick erschien ungewohnt ruhig.
 

"Danke." Remus wusste nicht, was er sonst sagen sollte.
 

"Gern geschehen."
 

Remus wusste in diesem Moment, dass er ihm wahrscheinlich alles verzeihen würde. Er war hoffnungslos verloren.
 

Blacks Mundwinkel verzogen sich nach oben, dann rutschte er näher an ihn heran und schloss die Augen.
 

Er hatte ziemlich lange Wimpern, fiel Remus auf. Und eine gerade Nase. Und für einen Jungen einen echt hübschen Mund. Er biss sich auf die Lippe, bis es wehtat.
 

Er sagte: "Es war meine Schuld."
 

Black öffnete die Augen, überrascht.
 

"Wovon redest du?"
 

Remus zwang sich dazu, ihn weiterhin anzusehen.
 

"Meine Mutter. Du wolltest wissen, was mit ihr geschehen ist." Er holte tief Luft. "Nun, sie ist tot, so viel weißt du schon. Es ist meine Schuld, dass sie tot ist."
 

Black zog die Augenbrauen zusammen.
 

"Du musst mir das nicht erzählen, wenn du nicht willst."
 

Aber Remus war nicht mehr aufzuhalten. Es war wie ein Damm, der bricht: Ein kleines Leck und dann wird alles überflutet.
 

"Ich war fünf, als ich gebissen wurde. Ich war sechs, als Mama gestorben ist. Sie war eine Hexe, weißt du. Nicht wie Papa, der ist ein Muggel." Remus knetete das Kissen mit seinen Fingern. "Sie hat es nicht ausgehalten.", wisperte er. "Jeden Monat, wenn ich mich verwandelte, hat sie mich tagelang danach ignoriert. Papa musste mich jedes Mal aus dem Keller holen und mich pflegen. Sie saß nur da und … hat kein Wort gesagt. Hat mich nur angesehen." Jetzt senkte er doch den Blick. "Ich war sechs." Seine Finger krallten sich in das Kissen. "Ich hab sie gefunden. Sie hat es mit Tabletten gemacht."
 

Black sagte kein Wort. Es kam Remus wie eine Ewigkeit vor, in der er mit zusammengekniffenen Augen auf seine Reaktion wartete.
 

Eine Hand berührte ihn an der Schulter, dann zog Black ihn an sich heran und hielt ihn fest. Remus wusste nicht, was er sagen sollte. Es war doch schon so lange vorbei, es gab keinen Grund zu weinen. Wieso flossen ihm dann trotzdem Tränen über die Wangen?
 

Eine Hand war auf seinem Rücken, eine andere strich ihm durch die Haare und Black sagte noch immer kein Wort. Remus wusste nicht, wie er sich fühlen sollte, erleichtert, endlich jemanden davon erzählt zu haben, traurig durch die Erinnerung daran und schuldig. Und gleichzeitig tat es so gut, von ihm gehalten zu werden, dass er irgendwann aus einem ganz anderen Grund sein Gesicht in Blacks warmen Pullover presste.

Durchbrechen der Stille

Durchbrechen der Stille
 

Ein Schneesturm hatte begonnen um das Schloss zu toben. Der Wind rüttelte an den Fenstern und heulte um die Turmspitze. Abgesehen davon war es im Schlafsaal vollkommen still. Remus lag auf seinem Bett, Black neben ihm, und verbarg sein Gesicht in dessen Pullover. Er hatte nicht vorgehabt zu weinen. Jungs taten so etwas nicht und doch stellte er fest, dass er diese Regel brechen musste.
 

Er hätte gedacht, dass Black ihn für sein unmännliches Verhalten auslachen würde. Oder dass er ihn wegschieben würde, weil er nicht wusste, wie er damit umgehen sollte. Stattdessen hatte sich sein Griff um ihn nur verstärkt und eine seiner großen Hände strich ihm beruhigend über den Rücken, die andere durch die Haare.
 

Remus weinte inzwischen nicht mehr wegen seiner Mutter. Er wusste nicht so recht, warum er überhaupt weinte. Erleichterung, vor allen Dingen. Und Zuneigung, die in ihm hochwallte. Geräuschvoll zog er die Nase hoch und japste nach Luft.
 

"Alles okay?", fragte Black.
 

Remus nickte nur, er traute seiner Stimme noch nicht, und sah über Blacks Schulter hinweg auf eine Stelle an der Wand. Er wollte ihm nicht mit seinem verheulten Gesicht in die Augen sehen.
 

Black atmete hörbar aus. Remus fragte sich, ob er die ganze Zeit den Atem angehalten hatte.
 

"Wieso glaubst du, dass du Schuld bist?"
 

Er fragte nicht: Wieso hat deine Mutter Tabletten genommen? Wieso hat sich deine Mutter umgebracht? Er wollte wissen, warum er sich die Schuld daran gab.
 

Remus sah ihn immer noch nicht an, während er antwortete.
 

"Sie hat es nicht ertragen, meine Krankheit. Die ständigen Verwandlungen. Wenn ich kein Werwolf wäre, wäre sie noch am Leben."
 

"Aber du kannst doch nichts dafür!"
 

"Ich hätte damals auf sie hören sollen. Ich hätte nicht in den Wald laufen sollen."
 

Daraufhin packte Black ihn am Kinn und zwang ihn so, ihn anzusehen.
 

"Das ist doch Quatsch!" Seine Augen funkelten wütend. "Du warst fünf! Und kein Kind macht immer das, was seine Eltern sagen."
 

"Aber wenn ich es getan hätte, wäre sie jetzt-"
 

"Nein, denk nicht mal dran! Du warst ein Kind", der Griff an seinem Kinn wurde langsam schmerzhaft, "und sie eine erwachsene Frau. Du hast dich nicht dazu entschieden, gebissen zu werden. Was sie aber getan hat, war allein ihre Entscheidung."
 

Schockiert schnappte Remus nach Luft.
 

"Ihre - Ihre Entscheidung?" Er riss sich los. "Wie kannst du so etwas sagen!"
 

Er wollte vom Bett runterspringen, doch Black packte seinen Arm und zog ihn wieder zurück, sodass er auf die Matratze fiel. Er wollte sich wehren, aber Black ließ ihn nicht; er umfasste beide seiner viel zu dünnen Handgelenke mit seiner Hand und stemmte sich mit seinem ganzen Gewicht gegen Remus' fruchtlose Bemühungen.
 

"Lass mich los, du Idiot!", fauchte Remus ihn an. Selten war er so wütend gewesen. Noch nicht einmal bei ihrem letzten Streit war er so wütend gewesen, da hatte er sich einfach kalt und leer gefühlt. Jetzt aber brannte in seinem Körper ein Feuer.
 

"Du bist hier der Idiot!" Black kannte keine Gnade, um ihn besser unter Kontrolle zu halten, setzte er sich einfach auf ihn und hielt ihn weiterhin fest. "Glaubst du, irgendetwas wird besser, wenn du dir selbst die Schuld gibst? Das ist Schwachsinn! Du bist nicht Schuld, Moony! Niemand ist Schuld, hast du gehört? Dass du gebissen wurdest, war ein Unfall, Unfälle passieren nunmal. Und es ist tragisch, aber niemand kann was dran ändern. Nur du. Du kannst etwas dran ändern." Er keuchte vor Anstrengung. Remus starrte ihn perplex an, das Feuer in ihm so schnell erloschen, wie es gekommen war.
 

"Was soll ich denn dran ändern? Lykantrophie ist unheilbar.", sagte er.
 

"Sie ist vielleicht unheilbar. Aber du machst es dir schwerer, als es sein müsste." Black sah, dass Remus endlich still geworden war, dennoch ließ er ihn nicht los. Es musste endlich einmal gesagt werden. "Manchmal glaube ich, du machst dir das Leben absichtlich so schwer wie möglich und jetzt weiß ich auch warum. Du glaubst, dass du irgendein Monster bist, das deine Mutter getötet hat, das das Leben deines Vaters zerstört hat." Remus starrte ihn aus großen Augen an und Black wusste, dass er den Nagel auf den Kopf getroffen hatte. "Aber wie schon gesagt: Ein Unfall. Eine tragische Situation. Aber du solltest das Beste daraus machen. Das heißt: Zeig mehr Selbstbewusstsein und lass dir helfen. Von mir, von James und Peter. Du bist ruhiger, wenn wir als Animagi bei dir sind. Und noch etwas, ich habe es dir schon einmal gesagt", fügte er hinzu, als er sich zu Remus hinunterbeugte, "egal was du bist, das ändert nichts daran, dass ich dich mag."
 

Remus schluckte. Tatsächlich, das hatte er ihm schon einmal gesagt, in der Nacht, bevor er ihn zum ersten Mal richtig geküsst hatte.
 

Irgendwo in seinem Kopf wusste er, dass Black Recht hatte. Dass er loslassen musste. Dass er sich selbst verzeihen musste.
 

"Ich weiß nicht wie."
 

Black lächelte ihn an. Es war eins dieser Lächeln, die er in den letzten Wochen so vermisst hatte.
 

"Dann lass mich dir helfen."
 

Wieder diese Welle, die aus ihm herauszusprudeln drohte. Er erinnerte sich an das Gefühl der Enge in seiner Brust, das ihn in den letzten Wochen immer verfolgt hatte. Blacks Gesicht war so nah.
 

Mit dem letzten bisschen Mut, das er noch zusammenkratzen konnte, streckte Remus ihm den Kopf entgegen und küsste ihn direkt auf den Mund. Blacks Augen weiteten sich überrascht, doch er gab schnell nach und küsste ihn zurück. Remus, der seinen Kopf nicht mehr oben halten konnte, ließ sich von ihm zurück in das Kissen drücken.
 

"Hast du mich also doch vermisst?", murmelte Black gegen seine Lippen. Remus verzichtete auf eine Antwort, stattdessen drückte er seinen Körper enger an Blacks, was sich von seiner Position allerdings als schwierig erwies.
 

Black hielt seine Handgelenke weiterhin mit einer Hand fest, während die andere über seine Arme hinunter bis zu seiner Schulter strich und Gänsehaut hinterließ. Sein Mund wanderte über Remus' Kinn, dann seinen Hals hinunter und hielt kurz an der Kehle inne, Remus hielt den Atem an. Black küsste ihn auch dort kurz, dann biss er sanft in die Stelle, an der sich Schulter und Hals treffen. Remus biss sich auf die Lippe, um kein Geräusch zu machen. Es gelang ihm nicht.
 

Black berührte ihn überall, an der Schulter, am Schlüsselbein, er strich über die feinen Härchen, die sich seit letztem Jahr auf der Mitte seiner Brust gebildet hatten, mit zwei Fingern fuhr er seine Haut entlang, bis sie in Berührung mit seiner Hose kamen. Remus verspannte sich.
 

"Keine Sorge.", murmelte Black in sein Ohr. "Vertrau mir."
 

Remus nickte, wand dann jedoch seine Hände aus Blacks Griff. Es war eine Tortur, berührt zu werden und selbst nicht zu berühren.
 

Zaghaft legte er seine Hände auf beide von Blacks Schultern und ließ sie langsam über dessen Arme gleiten. Es war ein seltsames Gefühl, so ein anderer Mensch. So ähnlich, aber doch ganz anders. Anders waren zum Beispiel die feinen Muskeln an seinen Armen, die Ellbogen, die spitzer waren als seine. Und die Abwesenheit von Narben.
 

Blacks Zähne senkten sich sanft in seinen Nacken und er keuchte auf. Seine Hände rutschten auf Blacks Seiten.
 

"Da bist du empfindlich, was?" Er konnte sein Grinsen an seinem Nacken spüren. Sicher war er wieder rot vor Scham. Wenn er nicht endlich selbst etwas tat, würde Black immer nur das mit ihm tun, was ihm gefiel.
 

Selbstbewusstsein, rief er sich in Erinnerung, als Black an seinen Lippen knabberte.
 

Er schob seine Hände unter Blacks Pullover und Black küsste ihn noch heftiger. Ermutigt schob Remus den Pullover weiter nach oben. Blacks Rücken fühlte sich warm an, als er über seine Haut strich und jeden Zentimeter erkundete. An der Stelle, wo er den Pullover hochgeschoben hatte, berührten sich ihre Körper und plötzlich hielt Remus es nicht mehr aus, er schob den Stoff weiter hoch, bis zu Blacks Schulterblättern und zupfte daran, in der Hoffnung, dass dieser seine Geste verstehen würde.
 

Er tat es, denn schon im nächsten Moment löste Black sich von ihm und zog seinen Pullover über den Kopf. Er beugte sich nicht sofort wieder zu ihm herunter, sondern betrachtete ihn von seiner Position auf ihm, der Blick merkwürdig verschleiert. Remus konnte nicht anders; er hob eine Hand und berührte mit dieser seinen Bauch, der viel flacher war als seiner. Quidditch schien sich wirklich auszuzahlen. Unsicher sah er zu ihm hoch.
 

Black Lächeln war durch etwas anderes ersetzt worden, etwas, wovon Remus nur den Hauch einer Ahnung haben konnte. Als sie sich erneut küssten, Blacks warme Hände überall auf seinem Körper, wurde ihm schwindelig. Sich an ihre letzte Begegnung erinnernd, drückte er sich wieder an ihn heran, was Black ein Geräusch entlockte, das ihn an ein Knurren erinnerte.
 

"Du legst es wirklich drauf an, was?", wisperte Black und biss ihm danach spielerisch ins Ohr. Eine Hand wanderte über seinen Bauch hinunter und machte sich an seinem Hosenknopf zu schaffen.
 

Remus wusste, dass er sich wahrscheinlich an seinen eigenen Worten verschlucken würde, wenn er versuchen würde zu sprechen. Stattdessen versuchte er seinen Verstand auszuschalten und ließ seine Hände zu Blacks Hintern wandern. Black presste seine Hüften an ihn, schaffte es endlich seinen Knopf zu öffnen und zog mit einem Surren seinen Reißverschluss hinunter. Eine Hand glitt hinein. Remus biss sich auf die Lippe und krallte beide Hände in das Laken unter ihm.
 

Da spürte er plötzlich, wie Black nach einer seiner Hände griff und sie sanft, aber bestimmt zu seiner eigenen Hose führte. Remus wusste, was er ihm damit andeuten wollte, hatte aber Angst, etwas Falsches zu machen. Trotzdem fummelte er so lange mit dem Knopf herum, bis er die Jeans schließlich aufbekam. Blacks ablenkende Hand in seiner Hose machte es ihm auch nicht einfacher sich zu konzentrieren.
 

Zögerlich strich er mit der Hand über Blacks Bauch, der sich bei der Berührung anspannte und ließ seine Hand hineingleiten. Black sog scharf die Luft ein. Unsicher ahmte er ihn in seinen Bewegungen nach.
 

Blacks Gesichtsausdruck nach zu urteilen, schien er irgendetwas richtig zu machen: Die Augen hatte er zusammengekniffen, auf seinem Gesicht ein Ausdruck tiefster Konzentration, der Mund leicht geöffnet.
 

Alles schien zu verschwimmen. Remus spürte, wie Blacks Körper sich mit einem Male anspannte, heißer Atem in seinem Ohr. Dann durchlief auch ihn ein Zittern, kleine Lichtblitze zuckten durch sein Sehfeld und er presste sich ihm ein letztes Mal entgegen, bevor er in die Matratze sank.
 

Black lag schwer auf ihm. Remus fühlte sich, als wären alle Knochen in seinem Körper geschmolzen. Gleichzeitig wollte er am liebsten im Boden versinken.
 

Irgendwann rollte Black sich von ihm herunter, zog die Bettdecke über sie beide und schlang beide Arme um ihn. Wenige Minuten später erkannte Remus an den langsamen, gleichmäßigen Atemgeräuschen, dass er eingeschlafen war.
 

Draußen tobte immer noch der Sturm. Erschöpft schloss Remus die Augen und ließ sich von dem Tosen einschläfern.
 

~~~~~*~~~~~
 

Stunden später wachte Remus auf, weil ihn etwas im Ohr kitzelte.
 

Schläfrig öffnete er die Augen und blinzelte zum Fenster, durch das grell die Morgensonne schien. Es schien schon spät zu sein. Sein leerer Magen grummelte unangenehm.
 

Wieder dieses Kitzeln. Er wandte den Kopf.
 

Neben ihm lag Black, offenbar wach und damit beschäftigt, ihm ins Ohr zu pusten.
 

"Dir auch einen guten Morgen.", grummelte Remus, drehte sich um und machte Anstalten aufzustehen. Black hielt ihn jedoch davon ab, indem er beide Arme um seine Körpermitte schlang und ihn einfach wieder zurückzog.
 

Er grinste ihn frech an.
 

"Morgen, Moony!" Er küsste ihn auf den Hals, sodass sich Remus' Nackenhaare aufstellten.
 

"Wie spät ist es?" Black zuckte als Antwort nur mit den Schultern.
 

"Keine Ahnung. Vermutlich zu spät zum frühstücken."
 

Remus blickte ihn an.
 

"Ich vermute, du hast 'nen Plan, wie wir trotzdem noch was zu essen kriegen?"
 

~~~~~*~~~~~
 

Eine Stunde später hatten sie geduscht - was dank Black viel länger dauerte als gewöhnlich - und sich reichlich mit Brötchen und Croissants aus der Küche eingedeckt. Sie waren auf dem Weg nach draußen. Remus, der sich diesmal wärmer angezogen hatte, trug neben seinem Winterumhang Mütze, Schal und Handschuhe.
 

Sie gingen am großen See entlang, wie Remus es erst am vorigen Tag getan hatte. Als sie weit genug vom Schloss entfernt waren, hatte Black sich in seine Animagusform verwandelt und tollte nun als großer, schwarzer und sehr zotteliger Hund um ihn herum. Die riesigen Pfoten wirbelten Schnee auf und sorgten dafür, dass Remus bald bis zu den Knien nass war. Irgendwann hob er einen Stock auf und warf ihn und Black hechtete tatsächlich hinterher, schnappte ihn und brachte ihn wieder zu ihm zurück. Remus lachte. Es fühlte sich befreiend an.
 

Black hechelte ihn an und ließ sich von ihm hinter den Ohren kraulen.
 

Während der Hund weiter im Schnee herumtollte, dachte Remus darüber nach, was Black ihm in der vorherigen Nacht gesagt hatte. Selbstbewusstsein, wenn das mal so einfach wäre. Black war es nicht, der seine Bürde zu tragen hatte, er war es nicht, der sich jeden Vollmond in ein blutgieriges Monster verwandelte, das keinen Unterschied kannte zwischen Freund und Feind, er war es nicht, dessen Mutter sich selbst das Leben genommen hatte, nur um ihm nicht mehr in die Augen blicken zu müssen.
 

Eine feuchte Nase stupste seine Hand an. Er nahm den Stock aus der Schnauze des Hundes und warf ihn erneut, Black kläffte und lief freudig hinterher. Woher kam diese ganze Freude, woher diese Lebenslust? Remus hatte nie daran gedacht sich selbst zu töten, aber seine Art zu leben war markiert von einer gewissen Stille, die er um sich herum aufgebaut hatte. Keine innere Ruhe und auch nicht diese Gelassenheit, die er auszustrahlen gelernt hatte. Nur Stille.
 

Der Schnee knirschte unter seinen Stiefeln, schluckte aber sonst die meisten Geräusche. Nur Blacks aufgeregtes Bellen war zu hören. Typisch von ihm, als Einziger die Stille zu durchdringen.
 

Sie verbrachten einige Stunden im Schnee, ehe es Zeit wurde nach Hogwarts zurückzukehren. Erst als sie beinahe an den Toren angekommen waren, verwandelte Black sich zurück, stahl ihm einen Kuss und lief dann grinsend in die Eingangshalle.
 

Remus konnte nicht anders, als auch zu lächeln.
 

~~~~~*~~~~~
 

Schließlich kam der zweite Weihnachtstag.
 

Remus stocherte lustlos in seinem Essen rum. In wenigen Stunden war Vollmond und von daher war seine Laune auf dem Tiefpunkt. Die letzten zwei Tage mit Black waren wirklich schön gewesen, aber nichts hielt den Mond davon ab, sich alle vier verdammten Wochen als runde Scheibe am Himmel zu zeigen und ihn zu quälen. Black saß neben ihm und aß mit seinem gewohnten Hunger; nur ab und zu erinnerte er ihn daran, dass die Kürbispastete auf seinem Teller zum essen da war und nicht zum zermatschen. Remus sandte ihm nur einen düsteren Blick.
 

~~~~~*~~~~~
 

Abends war es dann soweit. Wie üblich nahm Remus eine weiche Decke mit und machte sich auf den Weg zur Peitschenden Weide. Man ließ ihn inzwischen alleine gehen, ohne die Beaufsichtigung von Madam Pomfrey, dennoch wusste er ganz genau, dass sie jeden seiner Schritte verfolgte, sodass er auch wirklich rechtzeitig im Schutz der Hütte ankam.
 

In der Hütte war es bitter kalt. Das war der Nachteil der Wintervollmonde. Remus fror, als er seine Kleidung ablegte und sich auf den kalten Holzboden legte. Er spürte bereits die Wirkung des Mondlichts auf seinen Knochen, aber es würde vermutlich noch einige Minuten dauern, bis er sich verwandelte. In dieser Nacht war es bewölkt, ein Zeichen, dass es diesmal ein wenig länger dauern würde, bis er sich vollständig verwandelt haben würde.
 

Die Tür knarrte.
 

Hastig blickte er hoch.
 

~~~~~*~~~~~
 

Black war Remus im sicheren Abstand gefolgt. Im Schatten des Schlosses schließlich hatte er sich in einen Hund verwandelt, damit er weniger auffiel, falls jemand aus einem Fenster sehen sollte. Die Peitschende Weide lag ruhig da, Remus hatte erst vor wenigen Minuten den Knoten aus Wurzeln berührt. Er beeilte sich in das Loch unter ihr zu schlüpfen, aus Angst, dass sie sich jeden Moment wieder bewegen könnte.
 

Remus musste schon in der Hütte angekommen sein, denn der Gang war vollkommen leer und still.
 

In der Hütte angekommen, verwandelte er sich wieder zurück. Auch hier war kein Geräusch zu hören. Langsam ging er die Treppe hoch und in das Zimmer, von dem er wusste, das Remus sich immer dort verwandelte.
 

Mit einem Knarren öffnete er die Tür.
 

Dort lag Remus, splitternackt. Er hatte sich auf dem Boden ausgestreckt, Bauch nach unten, Arme und Beine entspannt neben seinem Körper liegend. Er konnte die Gänsehaut auf seinem Rücken sehen.
 

Remus schrak hoch, Panik in seinen Augen.
 

"Hey, schon gut, ich bin's nur." Black hob beschwichtigend die Hände.
 

Remus bedeckte sich schnell mit seinen Händen.
 

"Was machst du hier?"
 

"Na was wohl, mit dir die Nacht verbringen."
 

"Aber - ich bin noch nicht verwandelt! Du musst weg, es ist jeden Moment so weit!"
 

"Keine Sorge, ich verwandel mich jetzt gleich auch. Wollte nur vorher Hallo sagen."
 

Remus sah ein wenig zweifelnd aus.
 

"Bist du dir sicher?", fragte er schließlich leise. "Es ist kein schöner Anblick."
 

Black grinste ihn nur frech an.
 

"Dein weißer Hintern ist auch kein schöner Anblick. Schonmal was von Sonne gehört?"
 

"Es ist Winter.", grummelte Remus zurück, als er sich wieder auf den Boden legte. "Außerdem sieht deiner sicher nicht besser aus."
 

"Woher willst du das wissen?", gab Black fröhlich zurück. Remus hätte ihm gerne geantwortet, aber da durchzuckte der erste Schmerz seine Knochen.
 

"Verdammt!", stieß er aus. Es war selten, dass er fluchte. "Es ist so weit - verwandel - verwandel dich! Schnell!"
 

Black gehorchte ihm, wurde zu einem Hund und wich an die Innenwand des Raumes zurück. Mit großen Augen beobachtete er ihn.
 

Remus lag immer noch auf dem Bauch, aber seine Hände hatten sich in das Holz unter ihm gekrallt und seinen Körper durchliefen starke Zuckungen, die sich wellenförmig unter seiner Haut ausbreiteten. Remus schrie nicht, er wimmerte, aber es klang nicht mehr menschlich, sondern nahm immer mehr die Laute eines heulenden Wolfes an. Entsetzt verfolgte er, wie sich die Wirbelsäule verlängerte. Seine Füße scharrten über den staubigen Boden, zogen sich in die Länge und Black hörte zuerst, wie er mit den langen Fingernägeln über das Holz kratzte, ehe seine Hände zu den riesigen Pfoten wurden, die er kannte. Einzelne Haare sprossen ihm durch die Haut, zunächst auf seinem Rücken, dann sprossen sie ihm zwischen den Fingern, dann im Gesicht, das sich verschoben hatte, er wusste nicht wann, Zähne stachen ihm in die Unterlippe und Remus öffnete den Mund und stieß ein lautes Heulen aus.
 

Black standen die Nackenhaare zu Berge. Ohne es wahrgenommen zu haben entwich ein lautes Knurren seiner Kehle und der Werwolf wandte sich zu ihm um. Remus war nicht mehr da, nur noch Moony.
 

Er würde ihn nie wieder Monster nennen, nicht einmal in seinen Gedanken.

Die Rückkehr der Rumtreiber

Die Rückkehr der Rumtreiber
 

Als Remus aufwachte, schmeckte er Blut in seinem Mund.
 

Er hustete, stemmte sich auf und zuckte zusammen, als er eine Prellung an seiner rechten Seite spürte. Dann stellte er fest, dass er in eine Decke gehüllt war und dass Black neben ihm auf dem Boden lag. Im Gegensatz zu ihm war er wenigstens bekleidet.
 

Angewidert von dem Geschmack in seinem Mund spuckte er aus. Black neben ihm murmelte etwas im Schlaf und rückte näher an ihn heran.
 

Wieder einmal konnte er sich an die Nacht erinnern. Dieses Mal war es ein junges Reh gewesen, das ihm nicht entkommen konnte. Allein der Gedanke an das rohe Fleisch in seinem Magen ließ ihm schlecht werden. Er sehnte sich nach einem Glas Wasser.
 

Sie waren wieder durch den Wald gestreift und hatten jeden neuen Baum erkundet, jede Lichtung, jeden Hügel. Er konnte sich an alle Gerüche erinnern, an den Geruch der Tannenbäume, an den Geruch des frisch erlegten Rehs. Der Schnee hatte fast alle Geräusche erstickt, aber sein ausgezeichneter Hörsinn hatte trotzdem noch das Fiepen einiger Tiere wahrnehmen können.
 

Bevor die Rumtreiber angefangen hatten, sich in seine Vollmondnächte einzumischen, hatte er sich an nichts erinnern können. Irgendwann bei seiner Verwandlung würde er das Bewusstsein verlieren und irgendwann, nachdem er sich längst zurückverwandelt hatte, würde er aufwachen. Er würde die Blessuren und Kratzer auf seiner Haut studieren, bis Madam Pomfrey ihn abholte und in den Krankenflügel brachte.
 

Jetzt erinnerte er sich an alles klar und deutlich. Es war, als hätte der Wolf in ihm ein Fenster geöffnet, damit er ebenfalls hinaussehen konnte. Alles, was der Wolf wahrnahm, konnte auch er wahrnehmen. Es war furchtbar.
 

Black regte sich und zog ihn zu sich heran, dann öffnete er die Augen.
 

Remus sah ihn nur an, ohne etwas zu sagen.
 

"Guten Morgen?", versuchte Black es und küsste ihn auf die nackte Hüfte.
 

Irgendetwas an dieser Geste beruhigte ihn. Vorsichtig hob er eine Hand und strich Black durch die zerzausten Haare.
 

"Ist alles okay bei dir?" Er musste einfach fragen.
 

Black runzelte die Stirn.
 

"Klar, warum nicht?"
 

"Ich meine … wegen meiner Verwandlung. Wie gesagt, es ist kein schöner Anblick."
 

Black zögerte genau einen Augenblick zu lange mit seiner Antwort.
 

"Es ist okay. Ich hab ja auch nicht erwartet, dass das so einfach geht wie bei mir."
 

Remus beschloss nichts zu sagen. Er würde in Zukunft einfach dafür sorgen müssen, dass ihm niemand mehr bei seiner Verwandlung zusah. Auch wenn dieses eine Erlebnis nun für immer in Blacks Erinnerung eingebrannt sein würde.
 

Da fiel ihm plötzlich ein, dass sie keine Zeit mehr hatten.
 

"Black", er zog ihm die Decke weg, "du musst weg! Madam Pomfrey kann jeden Moment hier auftauchen."
 

Hastig stand Black auf, seine Füße verhedderten sich in der Decke und er fiel hin, ehe er sich erneut aufrappelte. Remus fing seinen Blick auf.
 

"Nur eins noch", stieß er aus, während er zur Tür blickte, "nenn mich endlich Sirius."
 

Remus konnte nur nicken, dann war er auch schon verschwunden. Er hörte ihn die Treppe runtertrampeln, dann verloren sich seine Geräusche.
 

Sirius, dachte er, als er sich in seine Decke einwickelte. Was für ein seltsamer Gedanke.
 

~~~~~*~~~~~
 

Am letzten Tag der Weihnachtsferien machten sich Remus und Black - nein, Sirius - auf den Weg zur Zugstation, in der der Hogwartsexpress bald einfahren würde. Es war ein weiter Weg ohne die Kutschen, aber sie wollten die beiden unbedingt von der Station abholen und nicht warten, bis sie im Schloss ankamen. Jedenfalls wollte Sirius das. Remus wusste jetzt schon, dass er die ruhige Zeit vermissen würde.
 

Schnaufend fuhr der Hogwartsexpress das Gleis entlang und kam schließlich zum Stehen. Die Türen öffneten sich und die Schüler strömten aus dem Zug hinaus. Sirius hielt nach Potter und Pettigrew Ausschau. Langsam leerte sich der Zug, aber immer noch gab es keine Spur von ihnen.
 

Plötzlich wurde Sirius von hinten angesprungen. Potter hatte ihn von hinten überrascht.
 

"Hey Tatze! Hast du mich vermisst?" Potter wuschelte ihm durch die Haare, sodass Sirius' eben noch ordentliche Frisur zerstört wurde.
 

Er grinste und knuffte ihn in die Seite.
 

"Klar doch, Mann!"
 

Pettigrew stand schüchtern daneben. Remus' Blick fiel auf ihn, eigentlich unabsichtlich, aber Pettigrew starrte ihn an, als hätte er ihn damit soeben persönlich beleidigt. Rasch wandte Remus den Blick ab.
 

Zusammen gingen sie zu den Kutschen. Die Thestrale, die vor sie gespannt waren, scharrten ungeduldig mit den Hufen. In der Kutsche setzte sich Sirius neben ihn, wofür Remus gleichzeitig dankbar war und auch wiederum nicht - einerseits wollte er lieber vermeiden, neben Potter oder Pettigrew zu sitzen, andererseits konnte er jetzt nicht anders, als ihnen während der gesamten Fahrt in die Gesichter zu schauen.
 

"Wie war's bei deinen Eltern?", fragte Sirius Potter.
 

Potter grinste wie ein Honigkuchenpferd.
 

"Wir hatten die größte Weihnachtsgans die du dir vorstellen kannst!" Remus verdrehte innerlich die Augen. Natürlich fing Potter mit dem Essen an. "Und es gab Pudding, und Kürbistorte, und Plätzchen …", schwärmte er weiter. "Aber es wäre cooler gewesen, wenn du auch dabei gewesen wärst."
 

"Hier gab es auch gutes Essen.", meinte Sirius nur. "Und bei dir, Peter?", fragte er, nicht ganz unauffällig, obwohl es offensichtlich war, dass Pettigrew über die Ferien ein wenig zugenommen hatte.
 

Während Pettigrew anfing von seinen Ferien zu erzählen und schon bald von Potter unterbrochen wurde, legte Sirius einen Arm um Remus' Schultern. Es war eine rein freundschaftliche Geste, jedenfalls konnte es als das interpretiert werden, wenn man nichts von ihrer Beziehung wusste. Trotzdem war es Remus unangenehm. Er hatte das Gefühl, dass Sirius mit dem Feuer spielte, vor allem, als er noch ein Stück näher an ihn heranrutschte. Sie hatten in den letzten zwei Wochen so viel Zeit miteinander verbracht, dass es Sirius anscheinend schwer fiel, ihn vor seinen Freunden wieder normal zu behandeln.
 

Aber keiner der beiden sagte irgendetwas. Potter war viel zu sehr damit beschäftigt zu erzählen, dass Evans ihn über die Weihnachtstage besucht hatte. Trotzdem blieb er die ganze Kutschfahrt über angespannt und entspannte sich erst wieder, als sie endlich aussteigen konnten.
 

~~~~~*~~~~~
 

Im Schlafsaal war es laut. Obwohl nur knapp zwei Wochen vergangen waren, war Remus es nicht mehr gewöhnt, so viel Lärm um sich zu haben. Jetzt war es überall laut: In der Großen Halle, wo plötzlich alle Tische wieder voll waren, in den Gängen, durch die hunderte von Schülern liefen und eben auch hier im Schlafsaal. In dem Schlafsaal, in dem er und Sirius in den vergangenen Wochen nur ein Bett belegt hatten.
 

Sie hatten die Voraussicht gehabt, Sirius' Bett zu zerwühlen, damit es aussah, als hätte er darin geschlafen. Remus' Bett dagegen war wie immer frisch aufgedeckt, so wie er es auch üblicherweise tat. Die Jungs schienen keinen Verdacht zu schöpfen.
 

Obwohl Sirius ihn gebeten hatte, ihn endlich bei seinem Vornamen zu nennen, tat Remus sich schwer damit. Er war es viel zu sehr gewohnt ihn bei seinem Nachnamen zu nennen, wie er es bei jedem seiner Mitschüler tat. Allerdings führte er mit diesen auch keine Beziehung, von daher konnte er durchaus verstehen, wieso er das von ihm verlangte.
 

Potter und Sirius hatten sich sofort nach ihrer Ankunft zusammengesetzt, vermutlich heckten sie den ersten Streich für das neue Jahr aus. Er versuchte, sich nicht wie das fünfte Rad am Wagen zu fühlen, aber es gelang ihm nicht ganz. Er gehörte zwar jetzt irgendwie zu den Rumtreibern dazu und seit Potter von seinem Geheimnis erfahren hatte und er im Gegenzug auch von ihrem, hätte er sich auch dazusetzen und ihren Plänen lauschen können. Aber er wollte nicht. Streiche waren nicht seine Art, vor allem nicht in seiner Position. Er würde sich schämen, wenn er von irgendeinem Lehrer bei so etwas Dummen erwischt würde und das, wo er eigentlich dankbar sein müsste hier überhaupt zur Schule gehen zu dürfen, was er ja auch war.
 

Als es schließlich schon auf Mitternacht zuging und die Rumtreiber sich in ihre Betten legten, kehrte endlich Ruhe in den Schlafsaal ein. Remus lauschte dem leisen Schnarchen Pettigrews.
 

Die Stille währte nur kurz.
 

"Krone?", flüsterte Sirius in die Dunkelheit.
 

"Was ist?", wisperte Potter zurück.
 

"Wir sind doch beste Freunde, oder?"
 

"Na klar, wieso fragst du?"
 

"Na ja … bald ist unser letztes Schuljahr zu Ende. Glaubst du wir werden dann immer noch Freunde bleiben?"
 

"Natürlich."
 

"Uns bringt nichts auseinander, oder?"
 

Potter antwortete nicht sofort. Remus hörte, wie er sich im Bett aufsetzte.
 

"Wieso fragst du mich diese ganzen komischen Sachen?"
 

"Na ja, ich hab das Gefühl, dass du sauer auf mich bist."
 

Potter schnaubte.
 

"Sauer nicht, nein. Nur - verwirrt."
 

"Weil ich nicht mit dir gefahren bin?"
 

"Verdammt richtig."
 

Sirius seufzte. Remus lauschte angestrengt. Dann sprach Potter weiter.
 

"Ich versteh es einfach nicht. Letztes Jahr hast du praktisch jede Gelegenheit genutzt, um zu meinen Eltern zu fahren und jetzt? Du hängst nur noch mit Remus rum. Wieso? ich meine, wenn es so wichtig für dich ist, hätte er von mir aus auch mitkommen können. Aber du hast ja nicht gefragt."
 

"Du weißt doch ganz genau, wieso wir ihn nicht mitnehmen können."
 

"Der Verbotene Wald ist nicht der einzige Wald."
 

"Ich - ach, ich weiß auch nicht, wie ich's dir erklären soll.", seufzte Sirius.
 

"Versuch's."
 

"Ich - also Remus und ich hatten uns gestritten."
 

"Wann? Das habe ich gar nicht gemerkt.", sagte Potter überrascht.
 

"Vor den Ferien. Ich wollte es einfach wieder gutmachen. Deswegen bin ich hiergeblieben, um ihn zu zeigen, dass ich's ernst meine."
 

"Und jetzt habt ihr euch wieder vertragen?"
 

"Ja."
 

"Okay." Wieder Rascheln. "Gibt es sonst noch etwas, das du mir sagen möchtest?"
 

Remus hielt den Atem an. Er wusste, wie wichtig Potter für Sirius war. Würde er ihn so direkt anlügen können?
 

"Nein, nichts.", sagte Sirius nach einer Weile.
 

"Okay.", antwortete Potter leise. "Gute Nacht."
 

"Nacht."
 

Remus lag auf dem Rücken, die Hände in die Bettdecke gekrallt. Das war knapp. Er fragte sich, wie lange sie es noch verheimlichen können würden.
 

~~~~~*~~~~~
 

Die erste Woche nach den Weihnachtsferien verlief ereignislos. Remus passte im Unterricht auf, während Potter und Sirius sich Zettelchen schrieben und die meisten Nachmittage verbrachte er in der Bibliothek. Sirius verbrachte wieder mehr Zeit mit Potter, was Remus auch verstand, auch wenn er sich in seiner Arbeit vergraben musste, um nicht zu sehr an ihn denken zu müssen. Die ganze Woche hatten sie sich nicht alleine getroffen. Remus fragte sich, ob man physische Entzugserscheinungen von zu wenig Küssen bekommen konnte.
 

Am zweiten Montag nach den Ferien saßen sie alle gemeinsam beim Abendessen. Remus schaufelte sich eine Portion Haggis auf den Teller.
 

"Wie kannst du so etwas nur essen?", fragte Potter ihn angewidert.
 

"Es ist leckerer als es aussieht.", meinte Remus nur.
 

"Es sind Innereien, Mann!"
 

Remus zuckte nur mit den Schultern. Er hatte schon immer einen etwas anderen Geschmack beim Essen gehabt. Nun, nicht immer, aber seit er fünf war.
 

Er hatte ziemlich schnell herausbekommen, welchen Streich die beiden geplant hatten, nämlich auf dem gleichen Weg wie die unglückliche Schülergruppe, die vergangenen Donnerstag als erste den Zaubertränkekerker betreten und baden gegangen waren. Potter und Sirius bezeichneten es als einen ihrer gelungensten Streiche, auch wenn ihre Ruhmestat leider anonym bleiben musste. Remus wusste nicht, was an einem überfluteten Kerker so gelungen sein sollte. Immerhin war Zaubertränke dadurch ausgefallen, was sie alle in ihrem Stundenplan zurückwarf.
 

Plötzlich spürte er eine Berührung an seinem Bein. Zuerst dachte er, es wäre ein Versehen, doch als er in Sirius' Gesicht hochsah und dieser ihn breit angrinste, wusste er Bescheid. Es war Sirius' Fuß, der ihm gerade das Bein bis zum Knie entlangstrich. Er spürte, wie er rot wurde und versuchte ihm mit den Augen irgendwie zu bedeuten, dass er damit aufhören sollte, bevor es zu auffällig wurde, doch Sirius hörte natürlich nicht auf ihn. Stattdessen wanderte sein Fuß langsam in Gefilde, die sich am Esstisch wirklich nicht mehr gehörten.
 

"Alles klar bei dir, Remus?", sprach Potter ihn von der Seite an und Remus wäre am liebsten im Boden versunken. "Du bist so rot im Gesicht."
 

"Es ist das Haggis", hustete er, "es ist scharf."
 

Potter nickte und Remus war froh, dass er die schottische Spezialität niemals anrühren würde, um die Wahrheit seiner Aussage zu überprüfen. Trotzdem sandte er Sirius einen bösen Blick, von dem dieser aber vollkommen unberührt blieb.
 

So unauffällig wie möglich versuchte er, seinen Fuß von seinem Schoß runterzuschieben, aber leider war der Fuß stärker als seine Hand. Stattdessen kam Remus plötzlich eine Idee und er streckte selbst ein Bein unter dem Tisch aus, bis er den fremden Fuß berührte. Sirius hob nur eine Augenbraue, als wollte er sagen, traust du dich das denn?
 

Er traute sich. Auch wenn sein Gesicht inzwischen verdächtig rot sein musste, schob er seinen Fuß höher, bis hinein in Sirius' Hosenbein. Sirius hielt die ganze Zeit den Blickkontakt, es war wie eine Mutprobe. Langsam fuhr Remus ihm mit dem Fuß über die bloße Haut. Er wünschte sich, keine Schuhe anzuhaben, noch nicht einmal Socken, dann würde es sich weniger seltsam anfühlen.
 

"Alles klar bei dir, Sirius?" Potter wedelte mit einer Hand vor seinem Freund herum und Remus verlor, indem er rasch seinen Fuß zurückzog. "Du wirkst irgendwie abwesend."
 

"'tschuldigung." Sirius brach den Blickkontakt ab. "Ich musste nur an etwas denken."
 

Potter grinste ihn an.
 

"Denkst wieder an dein Mädel, wette ich.", sagte er anzüglich.
 

Sirius sagte nichts dazu, aber als Potter sich wieder seinem Essen zugewandt hatte, zwinkerte er Remus einmal kurz zu.
 

~~~~~*~~~~~
 

Müde schlich Remus durch die Gänge auf dem Weg zum Gryffindorturm. Er kam gerade von Geschichte der Zauberei, das er als einziger der Rumtreiber belegt hatte und wollte sich am liebsten nur noch in sein Bett legen und schlafen. Leider konnte er seiner Erschöpfung noch nicht nachgeben, er musste sich noch um seine Hausaufgaben kümmern, danach gab es Essen und dann würde er wahrscheinlich noch weiter an seinen Aufsätzen schreiben. Manchmal fragte er sich, wieso er nicht einfach wie Potter und Sirius nur das nötigste für die Schule machte. Aber sein Ehrgeiz verbot ihm dies, ebenso wie das schlechte Gewissen, das sich unweigerlich einstellen würde, würde er nicht sein Bestes geben in der Schule, für die er so hart gekämpft hatte.
 

Die Gänge waren relativ leer, da die meisten Schüler nicht so spät Unterricht hatten wir er und sich vermutlich in ihren jeweiligen Gemeinschaftsräumen aufhielten.
 

Er ging um eine Ecke und wurde plötzlich hinter eine Statue gezogen. Er wollte aufschreien, aber eine Hand hatte sich bereits auf seinen Mund gelegt.
 

"Psst! Oder willst du, dass uns einer hört?" Die Stimme, die in sein Ohr wisperte, war ihm nur allzu gut bekannt.
 

Sirius nahm die Hand von seinem Mund und grinste ihn an, als Remus sich fragend zu ihm umdrehte.
 

"Was-"
 

Weiter kam er nicht, denn Sirius stahl ihm einen Kuss, was ihn für kurze Zeit zum Schweigen brachte. Seit einer Woche hatten sie keine Gelegenheit mehr dazu gehabt und obwohl ihr Versteck hinter der Statue von Wilfried dem Wehmütigen nicht das allerbeste war, küsste er ihn zurück.
 

"Was sollte das heute Mittag?", fragte er, als er sich schließlich von ihm löste.
 

"Ich weiß nicht, was du meinst.", tat Sirius unschuldig, das schelmische Funkeln in seinen Augen verriet ihn jedoch.
 

"Mit deinem Fuß meine ich." Remus versuchte sich nicht von Sirius' wandernden Händen ablenken zu lassen. "Du kannst sowas doch nicht einfach in der Großen Halle machen! Was, wenn uns jemand gesehen hätte? Wenn Potter etwas gemerkt hätte, willst du das etwa?"
 

"Er hat aber nichts gemerkt." Sanft knabberte Sirius an seinem Nacken, ihm wurden die Knie weich.
 

"Das ist nicht fair.", keuchte er. "Erst ignorierst du mich und jetzt-"
 

"James und ich haben uns die ganzen Ferien nicht gesehen, natürlich verbring ich da mehr Zeit mit ihm.", unterbrach Sirius ihn, während er seine Hände unter Remus' Umhang gleiten ließ. Selbst durch den Stoff seines weißen Hemdes fühlten sich seine Hände warm an.
 

"Ich versteh das ja auch, aber ich …" Er verstummte.
 

"Aber was?" Sirius küsste ihn abermals, aber nur kurz und blickte ihm dann erwartungsvoll in die Augen. Remus sah zur Seite.
 

"Aber ich … hab dich vermisst."
 

Mit einer Hand hob Sirius sein Kinn an und zwang ihn so, ihn wieder anzusehen. Er lächelte.
 

"Ich dich auch."
 

Ein warmes Gefühl stieg in Remus auf. Er hatte ihn wirklich vermisst.
 

Diesmal war er es, der sich vorbeugte, um Sirius einen Kuss zu stehlen. Sirius zog ihn enger an sich, eine seiner Hände wanderte von seinem Rücken hinunter zu seinem Po und drückte verspielt zu. Remus keuchte auf. Sirius' Mund senkte sich auf seinen Nacken und biss ihn dort sanft.
 

"Nicht - nicht zu viel, sonst-"
 

Sichtlich widerwillig ließ Sirius von ihm ab.
 

"Du hast Recht." Etwas außer Atem strich er sich die schwarzen Haare zurück. "Ich freu mich ja wirklich, dass James wieder da ist, aber ich vermisse auch die Zeit, in der wir den Schlafsaal ganz für uns allein hatten.", grummelte er.
 

Remus lehnte sich an ihn, das Gesicht in seiner Halsbeuge vergraben und versuchte ebenfalls seinen beschleunigten Herzschlag zu beruhigen. Dass sie kaum Gelegenheit hatten allein zu sein, störte ihn auch, allerdings bot es ihm auch die perfekte Ausrede, falls Sirius mehr wollte. Bereits in den zwei Wochen der Weihnachtsferien hatte Sirius mehrmals versucht weiter als bisher zu gehen und jedes Mal hatte Remus ihn aufgehalten.
 

Es war nicht so, dass er nicht wollte. Er wollte es sogar sehr.
 

Aber er hatte Angst. Nicht vor der Sache an sich, davon hatte er schließlich genug in seinen zahlreichen Liebesromanzen gelesen und auch wenn es zwischen zwei Jungs vermutlich anders sein würde als zwischen Mann und Frau, vermutete er, dass es im Grunde das Gleiche war.
 

Er hatte Angst fallen gelassen zu werden.
 

Sirius war nicht bekannt dafür, längere Beziehungen zu führen. Tatsächlich war die Beziehung mit ihm wahrscheinlich die längste, die er jemals gehabt hatte und dieses Gefühl ließ einen gewissen Stolz in ihm aufkeimen.
 

Wirklich, es war eine irrationale Angst. Remus glaubte nicht wirklich, dass Sirius mit ihm schlafen und ihn dann verlassen würde.
 

Aber irrationale Ängste waren schwieriger zu bekämpfen als rationale.
 

Sein Herzschlag hatte sich inzwischen wieder beruhigt. Die Stelle an seinem Hals, an der Sirius ihn eben noch geküsst hatte, pochte schwach. Er würde aufpassen müssen, falls sich dort ein Knutschfleck bilden sollte. Sirius hielt ihn im Arm und strich ihn in langsamen Bewegungen über den Rücken. Es fühlte sich einfach richtig an, warm und geborgen. Er strich mit seiner Nase über die Haut an Sirius' Halsbeuge, sog seinen vertrauten Geruch ein, eine Mischung aus Erde, Wald und der leisesten Andeutung Hund.
 

Dann kamen Schritte näher.
 

Gleichzeitig ließen sie voneinander ab und kamen hinter der Statue hervor, möglichst unschuldige Mienen auf ihren Gesichtern.
 

Es war Pettigrew, der gerade um die gleiche Ecke gekommen war wie Remus vor wenigen Minuten. Er erblickte sie. Seine Augen huschten kurz zwischen ihnen hin und her, auf seinem Gesicht ein nachdenklicher Ausdruck. So schnell wie er gekommen war, verschwand dieser jedoch, und an seiner Stelle trat ein Ausdruck freudiger Überraschung.
 

"Sirius!" Er übersah Remus geflissentlich. "Da bist du ja, James und ich wollten mit dir eine Runde Karten spielen."
 

Nervös beobachtete Remus ihn. Er schien nichts mitbekommen zu haben, sonst hätte er doch sicher etwas gesagt. Aber was bedeutete dann dieser Blick, wieso hatte er so bedeutungsschwanger zwischen ihnen hin und her gesehen? Nicht zum ersten Mal hätte er ihm gerne in den Kopf geschaut, um zu erfahren, was in diesem vorging.
 

Zusammen gingen sie den Weg bis zum Gryffindorturm. Sirius begann das Kartenspiel mit Potter und Pettigrew und Remus setzte sich weiter von ihnen weg, absichtlich, um in Ruhe seine Hausaufgaben machen zu können, aber auch, weil Pettigrew ihm langsam nicht mehr geheuer war.

Verrat

Verrat
 

Remus war hochkonzentriert. Mit einem Messer zerhackte er die Affodillwurzel in feinste Scheiben und gab sie dann in seinen Zaubertrankkessel, der leise auf niedrigster Flamme vor sich hin blubberte. Im Klassenraum von Professor Slughorn war es totenstill. Nachdem die letzte Stunde durch einen anonymen Streich ausgefallen war, waren sie im Stundenplan zurückgefallen und mussten irgendwie wieder aufholen. Remus kannte seinen Zaubertränkeprofessor üblicherweise als gutmütigen, wenn auch etwas verrückten Lehrer, aber offenbar hatte seine Gutmütigkeit auch Grenzen. Er konnte es ihm nicht verübeln, immerhin hatte es Stunden gedauert, den Kerker wieder zu trocknen.
 

Jetzt folgte die Schlafbohne. Fest drückte er die Seite seines Messers auf die Bohne, die daraufhin wenige Tropfen Saft abgab, die er unter Rühren in den Zaubertrank gab.
 

Er mochte Zaubertränke, es erforderte Ruhe und Konzentration.
 

Etwas Kleines traf ihn am Hinterkopf. Überrascht drehte er sich um, auf Unauffälligkeit bedacht, damit Slughorn nichts mitbekam. Sirius, der einen Tisch hinter ihm saß, grinste ihn breit an, dann flog das Stück Pergament, mit dem er ihn offenbar soeben abgeworfen hatte, auf magische Weise auf Remus' Tisch.
 

Remus verdrehte die Augen und öffnete den Pergamentschnipsel. Warum Sirius nicht einfach bis zum Ende der Stunde warten konnte, um ihm was auch immer mitzuteilen, würde er nie verstehen.

Auf dem Zettel standen nur eine kurze Frage: "Nach dem Abendessen, üblicher Ort?" Remus' Magen hüpfte aufgeregt. Er wagte es zunächst nicht, sich noch einmal zu Sirius umzudrehen, da Slughorn gerade an seinem Tisch vorbeiging. Als sein Professor ihm aber den Rücken zuwandte, drehte er sich auf seinem Stuhl um und zwinkerte Sirius zu.
 

Dann fiel sein Blick auf den Tisch dahinter, an dem Pettigrew saß. Dieser hatte die Arbeit an seinem Zaubertrank offenbar schon länger aufgegeben, was angesichts seines Könnens in diesem Fach nicht verwunderlich war.
 

Und er beobachtete sie. Hatte er mitbekommen, dass sie Zettelchen ausgetauscht hatten? Und selbst wenn, das hatte an sich ja nichts zu bedeuten, also kein Grund zur Beunruhigung.
 

Remus fing seinen Blick auf. Dieses Mal wandte Pettigrew sich nicht ab, sondern starrte ihn unentwegt an. Remus war es, der den Blickkontakt als erster abbrach und sich wieder dem Zaubertrank vor ihm widmete. Während er den Wermutsud beigab und die neue Verfärbung des Tranks beobachtete, fragte er sich nicht zum ersten Mal, was Pettigrew wohl über die Leber gelaufen war. Vermutlich eine Ratte. Remus schnaubte leise über seinen eigenen Witz.
 

Noch einmal wagte er einen Blick über die Schulter.
 

Pettigrew starrte ihn noch immer an. Sein Gesicht hatte eine unnatürlich rote Farbe angenommen. War er wütend? Remus wandte sich wieder nach vorne und runzelte die Stirn. Wieso sollte er wütend sein? Wenn er seinen Trank nicht hinbekam, wurde er höchstens verzweifelt, manchmal auch blass. Aber wütend? Hatte es etwas mit ihm zu tun? Er wusste, dass Pettigrew ihn nicht leiden konnte, warum auch immer. Aber was hatte gerade jetzt dazu geführt, dass er wütend wurde?
 

Er zerbrach sich noch den Rest der Stunde den Kopf darüber, ohne eine Antwort zu finden. Aber er hatte ein ungutes Gefühl.
 

~~~~~*~~~~~
 

Beim Abendessen mied Remus Pettigrew, wo er nur konnte und setzte sich neben Sirius. Die anderen zwei Rumtreiber saßen ihnen gegenüber. Remus blendete ihre Gespräche aus und stocherte stattdessen in seinem Essen herum.
 

"Und, wie läuft es bei euch zwei?", fragte Potter plötzlich und er zuckte zusammen. Unsicher sah er zu Potter.
 

"Ich weiß nicht, was du meinst.", antwortete Sirius.
 

"Ach, tu doch nicht so." Potter grinste, aß einen Bissen und meinte dann mit vollem Mund: "Dein schüchternes Mädel und du mein ich natürlich! Wie läuft's bei euch?"
 

Remus fiel ein Stein vom Herzen. Natürlich hatte er nicht ihn gemeint, sondern das mysteriöse Mädchen, mit dem Sirius angeblich zusammen war.
 

"Seid ihr immer noch zusammen?", hakte Potter nach.
 

Sirius nickte und Potter boxte ihm spielerisch in die Schulter.
 

"Ich kann's immer noch kaum glauben. Wie lange geht das jetzt schon?"
 

"Halbes Jahr." Sirius lächelte verlegen. Potter stützte sein Kinn auf die Hände.
 

"Und ich hab immer noch nicht herausgefunden, wer es ist. Du musst mir eine falsche Beschreibung gegeben haben, Sirius. Ich kenne niemanden, der darauf passt. Braune Haare, flachbrüstig, schüchtern? Jedenfalls keine aus unserem Jahrgang und auch keine aus der sechsten. Wie jung darf's denn sein?"
 

"Pff, als ob ich dir das verrate."
 

"Ich kann immer noch auf die Karte schauen."
 

"Und deine Rumtreiberehre verletzen?"
 

"Manchmal müssen Opfer eben gebracht werden."
 

Einen Moment lang sahen die zwei sich mit ernster Miene an, dann prusteten beide gleichzeitig los.
 

"Mal ehrlich, Mann.", meinte Potter, nachdem er sich beruhigt hatte. "Ich hab nicht die leiseste Ahnung, wer es ist. Aber ich werd's herausfinden. Und wenn ich jedes Mädel einzeln befragen muss."
 

"Viel Glück dabei."
 

Remus bemerkte, wie Sirius wieder mit seinem Fuß an seinem Knöchel entlangstrich und fragte sich, wie dieser so gelassen sein konnte, obwohl Potter ihnen ständig auf den Fersen war. Sein Vertrauen in seinen besten Freund musste wirklich groß sein, wenn er darauf vertraute, dass dieser nicht auf die Karte sehen würde.
 

~~~~~*~~~~~
 

Nach dem Abendessen verschwand Sirius sofort. Potter zwinkerte ihm noch anzüglich zu, er vermutete natürlich, dass Sirius sich mit seiner Freundin traf. Da hatte er im Grunde genommen ja auch Recht, dachte Remus, der zunächst gezwungen war, mit in den Gryffindorturm zu gehen, um keine Aufmerksamkeit zu erregen, nur dass es keine Freundin, sondern ein Freund war.
 

Im Gryffindorturm angekommen, packte er ein paar Bücher, Pergamentrollen, Feder und Tintenfass zusammen und ging auf den Portraitausgang zu.
 

"Wohin willst du denn schon wieder?"
 

Überraschenderweise war es nicht Potter, der ihn angesprochen hatte. Remus blieb wie angewurzelt stehen. Es war Pettigrew. Langsam drehte er sich um und zwang sich eine ruhige Miene zu behalten.
 

"In die Bibliothek. Ich hab noch zu lernen."
 

Pettigrew nickte. Er schien nicht überzeugt zu sein. Aber er konnte die Wahrheit auch nicht wissen. Wenn er sie am vorigen Tag wirklich gesehen hätte, wären sie doch inzwischen längst aufgeflogen. Mit dieser Logik versuchte er sich zu beruhigen, was allerdings nur halb gelang, sein Herz hämmerte immer noch aufgeregt in seiner Brust.
 

"Also dann …", meinte er lahm und kletterte durch das Portraitloch.
 

Natürlich schlug er nicht den Weg zur Bibliothek ein, sondern lief in die entgegengesetzte Richtung, in die Richtung ihres geheimen Klassenzimmers. Als er nach wenigen Minuten dort ankam, war er außer Atem. Er klopfte kurz an - eine spezielle Reihenfolge, die sie sich ausgedacht hatten - und Sirius öffnete sofort, als hätte er die ganze Zeit hinter der Tür gestanden und auf ihn gewartet.
 

"Du bist spät dran.", meinte er, zog ihn aber sofort in die Arme, nachdem sie die Tür verschlossen hatten.
 

"Musste Pettigrew abwimmeln."
 

"Peter?" Sirius zog ungläubig eine Augenbraue hoch. Remus zuckte mit den Schultern. Was brachte es schon, ihm von den seltsamen Blicken zu erzählen, die der sonst so zurückhaltende Junge ihm sandte? Er war sich ja noch nicht einmal sicher, ob er sich das Ganze nicht nur einbildete.
 

Sirius hakte auch nicht weiter nach, sondern war schon dabei, an seinem Nacken zu knabbern, direkt neben der Stelle, an der er erst vor kurzem einen Knutschfleck hinterlassen hatte. Seine Hände wanderten derweil an Remus' Seiten hinunter, zupften ihm umgehend das Hemd aus der Hose und glitten darunter. Remus erschauerte. Er liebte Sirius' Hände einfach, sie waren so selbstsicher und warm, ebenso wie Sirius' Lippen, die über seinen Hals, sein Kinn und schließlich über seinen Mund strichen, um ihn sanft zu küssen. Remus erwiderte den Kuss und drückte sich enger an ihn. Wieso nur konnte er nie genug davon bekommen?
 

Nachdem Sirius jeden Zentimeter seines Oberkörpers erkundet hatte - Lenden, Schultern, Bauch, Rücken - glitten sie weiter nach unten, bis zu seinem Po und zog ihn so noch enger an sich. Remus hatte die Hände in seinem Haar vergraben, Gänsehaut hatte sich auf seinen Armen gebildet. Sirius strich ihm zärtlich mit der Zunge über die Unterlippe und Remus öffnete den Mund ein wenig, während eine von Sirius' Händen zwischen sie wanderte und sich an seinem Reißverschluss zu schaffen machte.
 

In diesem Moment ging die Tür auf.
 

Remus erstarrte zu Eis.
 

Sirius ebenso.
 

In der Tür stand Potter, hinter ihm Pettigrew. Ungläubig starrten sie sich an.
 

Sirius stand immer noch viel zu nah bei ihm, Remus' Hemd war immer noch aus seiner Hose, sein Reißverschluss halb offen und Sirius' Hand am Zipper. Langsam lösten sie sich voneinander, als würde eine allzu schnelle Bewegung die anderen aufscheuchen.
 

"Sirius", unterbrach Potter endlich die Stille, "was tust du da?"
 

Sirius nahm seine Hände weg und steckte sie in seine Hosentasche, als könnte er dadurch irgendwie verbergen, wo sie sich eben noch befunden hatten. Remus versuchte so unauffällig wie möglich sein Hemd wieder in die Hose zu stopfen und strich seine zerknitterte Kleidung glatt.
 

Sirius schluckte sichtbar, sagte aber nichts. Es war auch nicht nötig.
 

"Du und … Remus?" Potters Augen schnellten zwischen ihnen beiden hin und her? "Was ist mit deiner Freundin?" Noch während die Worte aus seinem Mund kamen, dämmerte die Erkenntnis auf seinem Gesicht. "Du hast mich angelogen.", flüsterte er. "Es gibt gar kein Mädchen - du und Remus - ihr seid - ein halbes Jahr!" Zum Ende hin war er immer lauter geworden und Remus versuchte sich so klein wie möglich zu machen.
 

Sirius stellte sich vor ihn und er wäre gerührt gewesen von dieser Geste, wäre die Situation nicht so schlimm gewesen.
 

"Hör zu, Jamie, ich-", fing er an, doch Potter unterbrach ihn.
 

"Komm mir nicht mit Jamie!" Aufgeregt fuhr er sich durch die Haare. "Ein halbes Jahr, wie konntest du nur! Stimmt das überhaupt oder geht das noch länger? Bist du deswegen im Sommer bei ihm gewesen? Und über Weihnachten? Warum hast du es mir nicht erzählt?"
 

"Ich wollte nicht, dass du weißt-"
 

"Dass du schwul bist?" Potter schrie nun. "Wie kommst du überhaupt auf die Idee, du hattest doch immer nur was mit Mädchen!"
 

"Ich weiß nicht, es hat sich einfach so entwickelt." Zum ersten Mal klang Sirius unsicher.
 

Nervös lief Potter auf und ab. Pettigrew stand immer noch im Türrahmen und beobachtete die Szene teilnahmslos.
 

"Schwul", murmelte Potter und raufte sich die Haare, "ich fass es nicht. Willst du nach den Mädchen jetzt auch alle Jungs durchvögeln?"
 

Sirius zuckte zusammen.
 

"Das ist was ganz anderes! Remus und ich, wir-"
 

"Was, ihr liebt euch?", ätzte Potter. "Ach komm, hör schon auf! Du willst ihm doch nur deinen Schw-"
 

"Wag es nicht so über ihn zu reden!"
 

"Sonst was?", brüllte Potter, die Fäuste geballt. "Sind wir dann keine Freunde mehr? Willst du mich schlagen? Versuch's doch!"
 

Alles lief aus dem Ruder. Remus war in eine Ecke zurückgewichen; er konnte nicht den Mut aufbringen, etwas zu sagen, irgendetwas, um den Streit zu schlichten, aber es war eh zu spät: In zwei zügigen Schritten überbrückte Potter den Abstand zwischen ihnen und holte aus. Seine Faust traf Sirius nur noch an der Schulter, da dieser sich gebückt hatte, aber es war geschehen; Sirius griff Potter am Kragen und stieß ihn von sich, zusammen stolperten sie zu Boden und rangelten dort weiter. Entsetzt verfolgte Remus das Geschehen, was sollte er tun? Einen Lehrer holen? Ausgeschlossen. Die beiden auseinanderzwingen? Unmöglich, er hatte nicht die Kraft dazu.
 

Er sah zur Tür.
 

"Pettigrew! Peter, tu doch was!", rief er ihm zu.
 

Aber Pettigrew tat nichts, sah den beiden nur zu, wie sie über den Boden rollten. Beinahe sah es so aus wie ihre spielerischen Kämpfe, die sie manchmal austrugen, nur das dieser hier bitterer Ernst war. Sirius hatte bereits ein blaues Auge und Potters Krawatte lag lose auf dem Boden, nachdem sie gerissen war. Nie im Leben hätte er so eine Reaktion vorhersehen können.
 

Er tat das Einzige, das ihm einfiel.
 

"Locomotor Mortis!" Mit einem Schwung seines Zauberstabs schnappten Potters und Sirius' Beine zusammen, was sie effektiverweise davon abhielt, weiterhin zu kämpfen, stattdessen rollten beide über den Boden, während sie wie Fische auf dem Trockenen zuckten und versuchten aufzustehen. Es wäre ein lustiger Anblick gewesen, wäre es nicht so ernst.
 

Mit einem weiteren Zauberspruch ließ er Sirius in der Luft hängen, verließ so schnell er konnte mit ihm den Klassenraum und floh vor den beiden anderen Rumtreibern.
 

"Lass mich sofort runter!", meckerte Sirius.
 

"Erst wenn du wieder klar im Kopf bist." Remus zwang sich ruhig zu bleiben.
 

"Ich bin klar im Kopf!"
 

"Du hast dich mit Potter geprügelt."
 

"Er hat angefangen!"
 

Ohne Vorwarnung löste Remus den Levicorpus-Zauber und Sirius plumpste zu Boden. Er stemmte die Hände in die Hüften und baute sich vor ihm auf.
 

"Willst du dich deswegen also weiterprügeln?"
 

Sirius sah verlegen zur Seite.
 

"Nein."
 

Remus seufzte. Sie standen vor einem großen Problem.
 

"Was sollen wir jetzt tun?", fragte er schließlich erschöpft. Sirius zuckte mit den Schultern und stand auf.
 

"Ich muss jetzt erstmal allein sein."
 

Remus ließ ihn gehen, auch wenn sich in seinem Magen ein schmerzhafter Knoten bildete. Er hatte Angst, dass hiermit alles enden könnte. Vielleicht war es bereits zu spät.
 

~~~~~*~~~~~
 

Remus lag in seinem Bett, Arme und Beine dicht an seinen Körper herangezogen. Die Aufregung hatte dafür gesorgt, dass er tatsächlich Magenkrämpfe bekommen hatte. Kurz hatte er sogar überlegt, diese Nacht woanders zu verbringen, aber er wusste, dass er letztlich in den Schlafsaal zurückkehren musste. Er hatte gehört, wie Pettigrew und Potter hereingekommen und sich ebenfalls bettfertig gemacht hatten. Sie hatten ihn sicher bemerkt, hatten ihn aber ignoriert. Er wusste nicht, ob das ein gutes oder ein schlechtes Zeichen war.
 

Sirius kam erst sehr spät in den Schlafsaal zurück. Die Tür ging langsam und vorsichtig auf und wieder zu. Remus beobachtete, wie er sich einen Weg durch den dunklen Raum suchte und zunächst im Badezimmer verschwand. Er hörte, wie er unter die Dusche ging, was er normalerweise selten abends tat. Minuten später kam er wieder heraus und legte sich in sein Bett.
 

Remus lag unter der Bettdecke, sein Magen immer noch verkrampft.
 

"Sirius?", flüsterte er in die Dunkelheit.
 

Keine Antwort.
 

"Sirius, du bist noch wach, oder?", versuchte er es noch einmal.
 

Ein Seufzen kam von dem Bett neben ihm. Etwas raschelte.
 

"Was ist?"
 

"Es ist nur … wie geht es dir?"
 

Sirius schnaubte.
 

"Wie soll es mir schon gehen. Ich bin müde, lass mich schlafen."
 

"Willst du nicht darüber reden?"
 

"Nein."
 

Das tat weh, aber vielleicht brauchte Sirius nur noch ein wenig Zeit für sich. Jedenfalls hoffte Remus das.
 

"Okay." Und dann, nach einer Weile noch einmal: "Gute Nacht."
 

Sirius brummte nur kurz.
 

Es dauerte lange, bis er einschlief.
 

~~~~~*~~~~~
 

Am nächsten Morgen beeilte Remus sich aufzustehen, machte eine Katzenwäsche im Bad, packte seine Schultasche und eilte in die Große Halle. Wenn er Glück hatte, würde er weder Potter, noch Pettigrew vor der ersten Stunde sehen müssen. Am Frühstückstisch schnappte er sich zwei Scheiben Toast, schmierte Marmelade drauf und machte sich auf den Weg auf die Hogwartsgründe, da sie Pflege Magischer Geschöpfe hatten.
 

Die Thestrale standen immer noch auf der Weide. Schon von weitem sah er Professor Kesselbrand, die in jeder Hand einen Eimer trug. Er eilte zu ihr, bot ihr seine Hilfe an und zusammen trugen sie mehrere Eimer zu der Weide. In jedem Eimer war rohes Fleisch drin, offenbar das Futter für die Thestrale. Sie unterhielten sich noch eine Weile, während immer mehr Schüler eintrudelten. Nervös hielt Remus nach einem der Rumtreiber Ausschau.
 

Sirius tauchte als Erster auf und er wusste nicht, ob er deswegen erleichtert oder noch nervöser sein sollte. Sie grüßten sich - leise, als wäre selbst dies ein Verbrechen zwischen ihnen - und stellten sich dann ohne ein weiteres Wort miteinander zu wechseln an den Zaun.
 

Über die Ferien hatte die Thestralherde Zuwachs bekommen: Ein weiteres Fohlen stand neben seiner Mutter auf der Weide. Es konnte nicht mehr als ein paar Tage alt sein, so wackelig, wie es noch auf den Beinen war.
 

Potter und Pettigrew folgten kurz vor Unterrichtsbeginn und stellten sich abseits von ihnen hin. Fast hatte Remus erwartet, dass Sirius seine Seite verlassen und zu ihnen gehen würde, aber er ignorierte die beiden vollkommen, wenn man einmal von dem düsteren Blick absah, den er ihnen sandte.
 

Remus fühlte sich unwohl dabei, schließlich war er ja die ursprüngliche Quelle dieses Konflikts.
 

Wieder einmal sollten sie Paare bilden. Diesmal war er in einem Team mit Sirius, was ihn nicht überraschte. Gemeinsam stiegen sie über den Zaun. Sirius hielt einen der Eimer in der Hand, während Remus sie zu den Thestralen führte.
 

Seltsamerweise wurde ihm erst jetzt klar, dass Sirius nun wusste, warum er die Tiere sehen konnte. Dankbarkeit durchströmte ihn, als er daran dachte, wie Sirius mit seinem Geständnis umgegangen war, wie er ihm zugehört und getröstet hatte. Er hatte gedacht, dass er schockiert sein würde, stattdessen hatte er ihn in den Arm genommen wie das kleine Kind, das er gewesen war.
 

"Ich wollte mich entschuldigen.", sagte Sirius auf einmal. Überrascht sah Remus zu ihm.
 

"Entschuldigen? Wofür?"
 

Sirius zuckte mit den Schultern.
 

"Dass ich mich gestern so benommen habe. Und nicht mit dir geredet habe." Er hielt einen Fleischklumpen in die Luft und sah zu, wie er sich scheinbar in Luft auflöste. "Es ist echt mies gelaufen. Aber du kannst ja nichts dafür."
 

Remus lächelte zaghaft, auch wenn ihm seit dem vergangenen Tag kaum danach zu Mute war.
 

"Schon okay, ich versteh's ja." Er strich einem Thestral über die Nüstern. "Ich hab mich ganz schön erschrocken, als Potter auf einmal reinkam. Hattest du die Tür nicht verschlossen?"
 

"Eigentlich schon, aber es war kein starker Zauber."
 

Remus sah aus den Augenwinkeln zu Potter und Pettigrew herüber, die Probleme hatten den Thestral zu füttern, da sie ihn beide nicht sehen konnten. Er seufzte tief.
 

"Was machen wir jetzt?" Er berührte Sirius kurz an der Hand. "Ich will nicht, dass ihr zwei streitet, vor allem nicht wegen mir."
 

"Es ist ja auch nicht wegen dir, es ist wegen mir.", antwortete er und fügte dann leiser hinzu: "Ich hab schließlich selbst entschieden, dass ich mit dir zusammen sein will. Und das ist auch gut so." Ein flüchtiges Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus.
 

Zögerlich fragte Remus: "Du bereust es also nicht?"
 

Sirius schüttelte den Kopf.
 

"Niemals."

Sein bester Freund

Sein bester Freund
 

Am nächsten Morgen wachte Remus früh auf. Er nahm sich eine frische Schuluniform aus dem Schrank, ging ins Bad und drehte die Dusche auf. Schon bald füllte heißer Wasserdampf das Bad.
 

Er hatte sich noch nicht vollständig ausgezogen, als die Tür plötzlich aufging. Erschrocken zuckte er zusammen.
 

"Keine Sorge, ich bin's nur."
 

Sirius zog die Tür hinter sich zu. Sein Blick verweilte auf Remus' nackter Haut. Remus hielt die Schlafanzughose, die er gerade ausgezogen hatte, schützend vor sich und wurde rot. Sirius' Mundwinkel zuckten.
 

"Du brauchst dich doch nicht vor mir verstecken."
 

Mit zwei Schritten ging er auf ihn zu und legte die Hand auf die Hose. Schüchtern erwiderte Remus seinen Blick. Sirius nahm ihm die Hose aus der Hand und legte sie auf dem Boden ab. Dann wandte er sich wieder ihm zu, legte ihm zwei Finger unter das Kinn und küsste ihn kurz und sanft. Seine Hand verweilte noch kurz auf Remus' Hüfte, dann ließ er los.
 

"Duschen?", fragte er und Remus wurde weich in den Knien. Natürlich hatten sie schon miteinander geduscht, sogar schon oft. In der Theorie hatten sie einander schon viele Male nackt gesehen, aber er hatte sich immer Mühe gegeben, nicht in dem Zusammenhang davon zu denken. Er nickte ruckhaft.
 

Schweigend zog er sich die restliche Kleidung aus, legte sie sauber auf dem Boden ab und stieg in die Duschkabine. Sofort umhüllte in der heiße Wasserdampf und er stellte sich unter den Strahl. Hinter sich konnte er hören, wie Sirius sein letztes Kleidungsstück auszog. Dann trat er zu ihm in die Kabine.
 

Eine Hand griff an ihm vorbei und nahm sich das Shampoo. Remus war sich nur allzu deutlich Sirius' Nähe bewusst und trotzdem versuchte er, sich nichts anmerken zu lassen und ganz normal zu duschen.
 

"Hast du 'nen Besen verschluckt oder warum bist du so steif?" Sirius piekste ihm in die Seite und er zuckte zusammen. "Ich werd dich schon nicht in der Dusche vernaschen." Er legte eine Hand auf seine Hüfte und drehte ihn zu sich herum, sodass er ihn ansehen konnte. Seine Haare waren nass und er grinste schelmisch. "Was nicht heißt, dass ich nicht ein bisschen probiere."
 

Merlin, hätte Remus noch röter werden können, wäre er es geworden, vor allem, als er feststellte, dass ihn Sirius' Worte nicht kalt ließen und sich die Hitze an einer ganz anderen Stelle zu sammeln begann. Schnell drehte er sich wieder um und fixierte seine Augen auf die Fliesen der Duschkabine, in der Hoffnung, dass Sirius es nicht bemerkt hatte.
 

Wieder einmal kam eine Hand in sein Sichtfeld, dieses Mal jedoch, um sich an der Wand vor ihm abzustützen; die andere Hand berührte ihn an der Seite und plötzlich spürte er, wie Sirius sich von hinten an seinen Rücken presste. Seine Beine zitterten vor Aufregung und er konnte ein Geräusch nicht ganz unterdrücken, als Sirius ihm einen kleinen Kuss auf den Nacken gab.
 

"Nervös?", flüsterte er ihm ins Ohr.
 

"Ja." Seine Stimme klang viel zu hell.
 

Die Hand an seiner Seite glitt tiefer, strich beinahe wie zufällig über seinen Hintern und wanderte dann nach vorne, bis sie auf seinem Bauch zu ruhen kam. Remus hielt vollkommen still.
 

Dann war Sirius plötzlich weg; seine Hände ließen ihn los und er trat einen Schritt zurück.
 

"Leider kann hier jeden Moment jemand reinkommen.", sagte er entschuldigend. Remus war hin und hergerissen zwischen Erleichterung und Frustration.
 

Während sie sich die Haare zu Ende wuschen, stahl er einen kurzen Blick auf Sirius' niedere Regionen und stellte fest, dass auch ihn die kurze Anmache nicht kalt gelassen hatte.
 

Bald traten sie aus der Dusche und begannen sich abzutrocknen. Remus hörte Geräusche aus dem benachbarten Schlafsaal, offenbar waren die anderen beiden auch schon wach. Er beeilte sich mit dem Abtrocknen und griff gerade nach der Hose, die er sich herausgelegt hatte, als die Tür erneut aufging und Potter in das Bad trat.
 

Einen Moment lang schien die Zeit stehengeblieben zu sein. Keiner von ihnen hatte seit dem Streit miteinander geredet und so starrten sich Potter und Sirius einen scheinbar ewig dauernden Moment an, bevor Potters Blick zu Remus glitt.
 

In diesem Moment fiel Remus auf, dass er immer noch nackt war und er beeilte sich seine Shorts und Hose anzuziehen. Auch Potter hatte ihn schon oft nackt gesehen, aber seit er Bescheid wusste, war es einfach so anders.
 

Potter sah wieder zu Sirius. "Jetzt duscht ihr schon zu zweit?", fragte er. Sirius erwiderte seinen Blick kühl.
 

"Was Remus und ich tun, geht dich nichts an."
 

"Solange ihr nicht die Dusche versaut."
 

Remus konnte sehen, wie Sirius die Hände zu Fäusten ballte. Er konnte nur hoffen, dass die Situation nicht wieder eskalierte.
 

Aber offenbar hatte sich sowohl Potters, als auch Sirius' Gemüt über den vergangenen Tag abgekühlt, zumindest soweit, dass sie sich nicht mehr gegenseitig an die Kehle springen wollten. Dennoch war die Spannung im Badezimmer beinahe greifbar und Remus beeilte sich, sich die restlichen Kleidungsstücke anzuziehen. Als er fertig war, nahm er Sirius an der Hand und zog ihn entschieden aus dem Bad.
 

~~~~~*~~~~~
 

Tage und Wochen vergingen und immer noch herrschte zwischen Potter und Sirius eisige Funkstille. Im Unterricht saßen sie nicht mehr zusammen, beim Essen in der Großen Halle saßen sie an zwei Enden des Gryffindortisches. Ab und zu gerieten sie aneinander, jedoch niemals so heftig wie an dem Tag, an dem sie aufgeflogen waren. Pettigrew folgte Potter wie ein Schatten und Potter war immer öfter in der Nähe von Lily Evans zu sehen.
 

Remus beobachtete diese Entwicklung, ohne ein Wort darüber zu verlieren. Ein Teil von ihm wartete immer noch darauf, dass die beiden sich vertragen würden und Sirius ihn stehen lassen würde. Aber dieser Tag kam nie. Stattdessen verbrachten sie so viel Zeit miteinander wie nie zuvor: Im Unterricht wie auch beim Essen saßen sie zusammen, in der Bibliothek erledigten sie gemeinsam die Hausaufgaben, während sie sich manchmal gegenseitig Küsse stahlen, wenn niemand in der Nähe war. Sie gingen gemeinsam nach Hogsmeade oder spazierten um den See, während Sirius als Hund um ihn herumtollte. Und als der nächste Vollmond nahte, war es Sirius, der ihm Gesellschaft leistete, bis die Nacht vorüber war.
 

Und sie redeten viel. Erst viel später fiel Remus auf, wie wichtig ihm diese Unterhaltungen geworden waren.
 

Sie redeten über die Schule, über ihre Familien. Remus erzählte ihm, an was er sich von seiner Mutter noch erinnern konnte und Sirius berichtete ihm im Gegenzug von seiner eigenen Mutter, die laut seiner Erzählung ein richtiger Drache sein musste. Remus erzählte von seiner ersten Verwandlung und wie es sich angefühlt hatte, dass er Angst gehabt hatte. Und Sirius erzählte ihm, wie er es zum ersten Mal geschafft hatte, sich in einen Hund zu verwandeln und zunächst die Kontrolle über seine vier Beine erlernen musste.
 

Mit der Zeit fühlte Remus sich immer mehr an die Zeit in den Sommerferien erinnert, als Sirius sich noch vollkommen auf ihn konzentriert hatte und nicht zwischen seiner Freundschaft zu Potter und ihm hin und hergerissen war. Nur mit dem Unterschied, dass Remus sich zunehmend wohler in seiner Haut fühlte. War er vorher nervös und starr geworden, wenn Sirius ihn küsste, erwiderte er die Geste inzwischen ohne zu zögern und mit der gleichen Leidenschaft. Hatte er vorher voller Grauen auf den nächsten Vollmond gewartet, so wurde diese Zeit doch dadurch erleichtert, dass er Sirius an seiner Seite wusste. Hatte er sich vorher vor allem verschlossen, nicht willens, auch nur die kleinsten seiner Geheimnisse zu offenbaren, so öffnete er sich Stück für Stück.
 

Darüber reden half viel. Natürlich wusste er, dass er wegen seiner Krankheit kein Monster war. Natürlich wusste er, dass er keine Schuld daran hatte gebissen zu werden. Natürlich wusste er, dass er an dem Freitod seiner Mutter keine Schuld trug. Aber die Erinnerungen waren in seinem Kopf so lange gewuchert, dass es bald ein aussichtsloser Kampf geworden war, anders zu denken.
 

Erst eine zweite Stimme - die von Sirius - hatte ihn wieder vom Gegenteil überzeugen können. Erst Sirius hatte ihm gezeigt, dass es nicht nur ein Fluch sein musste, ein Werwolf zu sein. Und dass er unschuldig war, nicht nur zum Teil, sondern völlig. Ihn traf keine Schuld, nicht nur an seiner Krankheit, sondern auch an Mamas Tod.
 

Es war Nacht, als ihn die Realität einholte. Er hatte geweint, nicht um das, was vor so vielen Jahren geschehen war, sondern um seine Befreiung. Sirius hatte sich schließlich zu ihm gelegt, ohne sich darum zu scheren, was Potter wohl von ihm halten würde; er hatte ihn in den Arm genommen und über den Kopf gestreichelt, als wäre er ein kleines Kind, das Trost brauchte. Und vielleicht war er das auch in jener Nacht.
 

Sirius hatte ihm viel gegeben, ohne dass es ihm zunächst bewusst gewesen war. Umso schwerer wog sein Gewissen, der Grund für den Streit mit dessen besten Freund zu sein.
 

~~~~~*~~~~~
 

Der Januar neigte sich dem Ende zu und der Februar begann. Zwischen den ehemals besten Freunden hatte sich immer noch nichts geändert, stattdessen schien sich das Schweigen nur vertieft zu haben.
 

Sie lagen beide in der Hütte. In den letzten Wochen hatten sie sich immer öfters dorthin zurückgezogen, um für sich zu sein. Ein Wärmezauber sorgte dafür, dass sie nicht froren. Stattdessen war die Hütte wohlig warm geheizt. Sie hatten sich sogar die Mühe gemacht, die zerstörten Möbel in einem Raum der Hütte zu reparieren.
 

Sirius saß mit dem Rücken an das Kopfende des reparierten Bettes gelehnt. Er spielte mit einem Stück Pergament, das er zu einem Flieger gefaltet hatte und nun mit trägen Bewegungen seines Zauberstabes durch die Luft fliegen ließ. Remus lag auf dem Bauch, die Füße auf Sirius' Schoß, und las in einem Roman.
 

"Langweilig!", beschwerte sich Sirius nicht zum ersten Mal und ließ den Flieger auf Remus' Kopf hinuntersausen, wo er sich in dessen Haaren verfing.
 

"Nur noch dieses Kapitel.", antwortete er ohne aufzusehen und pflückte den Flieger aus seinen Haaren.
 

"Das hast du schon vor 'ner Stunde gesagt."
 

"Das waren fünf Minuten. Es sind nur noch ein paar Seiten."
 

Warme Hände sanken plötzlich auf seine Füße. Remus versuchte es zu ignorieren und das Kapitel zu Ende zu lesen, was zunehmend schwieriger wurde, als Sirius seine Daumen in seine Fußsohlen drückte.
 

"Worum geht es denn gerade in deinem Buch?", fragte Sirius.
 

"Sie haben sich gerade ihre Liebe erklärt", Sirius' Hände wanderten von seinen Füßen weiter zu seinen Waden, "und jetzt küssen sie sich."
 

"Wurde ja auch Zeit. Die haben ja fast das ganze Buch dafür gebraucht."
 

"Na ja, sie hatten einige Hindernisse zu überwinden."
 

Sirius schnaubte.
 

"Pah, Hindernisse. Es gibt keine Hindernisse in der Liebe."
 

"Wie kitschig von dir."
 

"Immerhin lese ich keinen Kitsch."
 

"Ich auch nicht, weil du mich ja nicht lesen lässt.", antwortete Remus, nur eine Spur Verärgerung in seiner Stimme.

Sirius schob die Füße von seinem Schoß und beugte sich über ihn.
 

"Du kannst später lesen."
 

Damit nahm er ihm das Buch in der Hand, markierte die Stelle, an der Remus aufgehört hatte zu lesen und legte es beiseite. Remus drehte sich zu ihm herum.
 

"Bei dir hat man echt nie Ruhe, oder?", fragte er.
 

Sirius antwortete zunächst nicht, sondern zog ihn zu sich heran.
 

"Du hast mehr als genug Ruhe.", meinte er schließlich. "Eigentlich sogar zu viel Ruhe. Und zu viel Ruhe macht mich wahnsinnig."
 

Er küsste ihn auf den Mund, dann auf den Nacken. Remus ließ es einen Moment geschehen, dann schob er ihn von sich.
 

"Da ist etwas, worüber ich noch mit dir reden wollte."
 

Sirius zog die Augenbrauen zusammen.
 

"Kann das nicht warten?", jammerte er und fuhr fort, an Remus' Hals zu knabbern.
 

"Nein", er erschauerte unter den sanften Küssen, "kann es nicht."
 

Sirius seufzte, ließ aber von ihm ab.
 

"Was ist denn?"
 

Remus sah ihm in die Augen.
 

"Es geht um Potter.", fing er an, nervös an Sirius' Hemdärmeln herumspielend.
 

"Was ist mit ihm?", fragte Sirius knapp. Sie redeten nicht oft über ihn.
 

"Du vermisst ihn." Es war keine Frage.
 

"Ich verbringe gerne Zeit mit dir.", sagte Sirius ausweichend.
 

"Und ich auch mit dir." Remus strich ihm über die Hand. "Aber so kann es nicht weitergehen. Ich weiß, dass du mit der Situation nicht zufrieden bist. Ihr seid doch beste Freunde."
 

"Waren wir."
 

"Es war sicher ein Schock, als er es herausgefunden hat, das mit uns beiden. Aber wenn ihr nur miteinander reden-"
 

"Reden?", unterbrach Sirius ihn, nicht willens, ihn dabei anzusehen. "Reden ist nicht die Lösung für alles."
 

"Aber für vieles.", sagte Remus bestimmt. Er küsste ihn kurz auf die Lippen, sodass Sirius überrascht aufsah. "Mir hat Reden viel geholfen."
 

Sirius antwortete nicht, sondern zog ihn noch näher zu sich heran und legte seinen Kopf auf Remus' Schulter. Schweigend hielt Remus ihn fest, eine Hand in seinem weichen Nackenhaar vergraben. Sirius weinte nie und er tat es auch jetzt nicht. Es war eher eine Art von Erschöpfung, als die wochenlange Anspannung von seinen Schultern fiel und er sich enger an ihn herandrückte, in Vorbereitung auf den nächsten Tag.
 

~~~~~*~~~~~
 

Es geschah nicht am nächsten Tag, sondern noch am gleichen Abend.
 

Alle lagen schon in ihren Betten. Remus hatte die Augen geschlossen und versuchte einzuschlafen. Da hörte er plötzlich ein Rascheln, dann das Tapsen nackter Füße auf dem Boden. Potter grummelte schläfrig.
 

"Was-", hörte Remus ihn sagen.
 

"Psst, ich bin's."
 

Es war Sirius' Stimme. So wie es sich anhörte, stand er direkt neben Potters Bett. Jetzt war Remus hellwach. So leise wie möglich drehte er sich um und sah durch die Dunkelheit zu ihnen herüber. Er konnte nur Schemen erkennen, aber es war genug.
 

"Was willst du?", zischte Potter.
 

"Mit dir reden."
 

"Ich wüsste nicht, was das bringen soll." Damit drehte er sich von ihm weg.
 

"Warte!" Sirius packte ihn an der Schulter.
 

"Fass mich nicht an!" Remus konnte Sirius' Zusammenzucken beinahe spüren.
 

"Ist es das? Ekelst du dich vor mir?" Die Frage hing schwer in der Luft. Potter brauchte einen Moment, um zu antworten.
 

"Nein." Er setzte sich im Bett auf. "Das ist es nicht."
 

"Was ist es dann?", stieß Sirius aus. "Ist es, weil es Remus ist?"
 

"Nein, es ist-" Potter brach ab und atmete einmal tief ein und wieder aus. Dann sagte er: "Du hast es mir nicht erzählt."
 

"Ernsthaft? Du bist so sauer, weil ich es dir nicht erzählt habe?"
 

"Spiel das bloß nicht runter!", zischte Potter. "Wir haben uns immer alles erzählt, alles! Ich hab dir damals gebeichtet, dass ich auf Lily stehe und du hast mir jede Affäre mit jedem einzelnen Mädchen erzählt! Du hast mir von deiner scheiß Familie erzählt und dann - dann reißt du plötzlich von zu Hause aus und verbringst die Ferien bei Remus! Ausgerechnet Remus! Wie soll ich das verstehen, als dein bester Freund? Und jetzt finde ich plötzlich heraus, dass der Grund dafür ist, dass ihr miteinander vö- ich mein, miteinander schlaft."
 

"Tun wir nicht.", sagte Sirius leise.
 

"Was?"
 

"Tun wir nicht. Miteinander schlafen. Soweit sind wir noch nicht."
 

Der Laut, der Potter entwich, klang beinahe nach einem Lachen.
 

"Ich hab's ja gesagt, du wirst sesshaft. Ihr seit ein halbes Jahr zusammen und habt's noch nicht getan? Was ist los, funktioniert deiner da unten nicht?"
 

"Sehr witzig, James."
 

"Also was, wartet ihr auf den richtigen Moment?"
 

"So in etwa."
 

"Hm."
 

Sie schwiegen eine Weile. Sirius war es, der die Stille unterbrach.
 

"Ich möchte mich nicht mit dir streiten, James. Es war vielleicht nicht okay, dir nichts davon zu erzählen, aber … wir wussten nicht, wie du reagieren würdest."
 

"Wie soll ich schon reagieren, wenn mein bester Freund mir so etwas verheimlicht! Du hast sogar mit mir herumgespielt, indem du mir von diesem flachbrüstigen Mädel erzählt hast."
 

"Das war nur, weil du den Zettel gefunden hast!"
 

"Du hättest mir auch einfach die Wahrheit sagen können."
 

"Klar. Achso, James, den Zettel hat Remus mir geschrieben und gleich treffen wir uns wieder und stecken uns gegenseitig die Zunge in den Hals."
 

"Danke, ich wollte mir das eigentlich nicht vorstellen."
 

"Also ekelst du dich doch."
 

"Nein!" Potter seufzte. "Mann, es ist irgendwie schwer zu erklären."
 

"Versuch's."
 

"Es ist nur … okay, es ist ein seltsamer Gedanke, dass zwei Jungs … nun ja, dass zwei Jungs das machen, was normalerweise ein Junge und ein Mädchen machen. Aber es ist okay. Ich meine, wenn ihr beide Spaß dran habt. Auch wenn ich das nicht unbedingt sehen muss."
 

"Daher die Treffen im Klassenzimmer."
 

"Aber", fuhr Potter fort, "du hättest es mir sagen sollen. Hast du etwa geglaubt, dass ich nicht mehr mit dir befreundet sein will, nur weil du plötzlich auf Jungs stehst? Wir haben viel mehr als das durchgemacht. Der ganze Stress mit der Animagusverwandlung damals. Deine komische Familie. Dass Remus ein Werwolf ist. Wen interessiert's da, ob du schwul bist?"
 

"Ich glaube nicht, dass ich schwul bin.", meinte Sirius.
 

"Dir ist aber schon aufgefallen, dass Remus kein Mädchen ist, oder?"
 

"Idiot, natürlich ist mir das aufgefallen. Was ich meine … ich kann mir nicht vorstellen, mit irgendeinem anderen Jungen was anzufangen. Remus ist der Einzige."
 

"Dann brauche ich mir also keine Sorgen zu machen, dass du plötzlich über mich herfällst?", scherzte Potter.
 

"Ne, deinen haarigen Hintern will sowieso keiner sehen."
 

Potter boxte ihn spielerisch in die Schulter. Sirius rieb sich die Stelle.
 

"Also", fing er zögerlich an, "ist wieder alles okay zwischen uns? Es tut mir wirklich Leid, dass du es so herausfinden musstest."
 

Potter seufzte.
 

"Ich denke schon-"
 

Weiter kam er nicht, denn Sirius jauchzte und zog ihn in eine knochenbrechende Umarmung. Genauso schnell ließ er auch wieder los, etwas peinlich berührt.
 

"Sorry, ich-"
 

"Schon okay." Potter klopfte ihm auf die Schulter. "Wir sehen uns morgen."
 

Sirius stand auf.
 

"Dann gute Nacht."
 

"Nacht."
 

Remus war hellwach, aber er grinste zufrieden.

Das Rudel des Wolfes

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

Das Rudel des Wolfes (kein Adult)

Kapitel 26: Das Rudel des Wolfes
 

Gebannt hörte Remus Professor Flitwicks Monolog zu und schrieb bereits den zweiten Bogen Pergament voll. Sirius saß neben ihm, den Kopf in die Hand gestützt. Wahrscheinlich würde er sich nach der Stunde wieder seine Notizen leihen, weil er selbst nicht aufgepasst hatte. Unauffällig stupste er ihn mit dem Fuß an. Sirius sah auf.
 

"Was?", flüsterte er, leise genug, um Flitwicks Aufmerksamkeit zu entgehen. Remus sah einmal zu ihrem Lehrer nach vorne, dann wieder zu Sirius, dann wieder nach vorne. Sirius verdrehte nur die Augen und deutete auf Remus' Mitschrift.

Remus seufzte, dann riss er ein Stück von seinem Pergament ab und schrieb "Schreib doch selber mit!" und schob den Zettel dann zu ihm. Sirius zückte sofort seine Feder, kritzelte schnell eine Antwort und schob den Zettel wieder zu ihm zurück. "Wozu, wenn ich dich habe?" Remus verzog das Gesicht. "Bin ich also nur für's Abschreiben da?", schrieb er zurück. Sirius grinste und schrieb einen weiteren Satz auf den inzwischen ziemlich vollen Zettel. "Hast du nach der Stunde Zeit?" Remus sandte ihm einen Seitenblick, dann nickte er. Sirius lächelte und rückte dann ein wenig näher an ihn heran.
 

Dann segelte plötzlich ein kleiner Pergamentflieger auf ihren Tisch. Remus drehte sich nach hinten um, wo Potter zusammen mit Pettigrew saß und ihnen zuzwinkerte. Sirius faltete den Flieger bereits auseinander, Remus las mit. "Macht später miteinander rum, ihr Turteltäubchen!"
 

Remus spürte die Hitze in seinem Gesicht aufsteigen, während Sirius bereits eine Antwort kritzelte und den Flieger in die Sitzreihe hinter ihnen zurückschickte.
 

Den Rest der Stunde versuchte er sich auf Flitwick zu konzentrieren, was leider nur mäßig gelang, da Sirius und Potter damit beschäftigt waren, sich gegenseitig Zettelchen zu schreiben. Es schien, als würden wohl beide später bei ihm abschreiben.
 

~~~~~*~~~~~
 

Die Schüler strömten aus dem Klassenraum. Potter fing Sirius ab, doch dieser flüsterte ihm nur kurz etwas ins Ohr, woraufhin Potter die Augenbrauen ungläubig hob, dann aber nickte. Zusammen mit Pettigrew verschwand er, vermutlich zum Abendessen in der Großen Halle.
 

"Wir können uns später was in der Küche holen, okay?", sagte Sirius, als er Remus' Hand nahm und ihn durch die Gänge führte. Seine Hand fühlte sich warm an.
 

Bald waren sie in dem verlassenen Klassenzimmer angekommen, in dem sie sich üblicherweise trafen. Sirius schloss die Tür hinter ihnen, lehnte sich an das alte Holz und zog ihn an sich. Ohne ein Wort zu sagen, vergrub er sein Gesicht in seiner Schulterbeuge.
 

Remus wusste nicht warum, aber aus irgendeinem Grund hatte sich die Atmosphäre schlagartig verändert. Normalerweise würde Sirius ihn in diesem Moment bereits küssen, oder ihn anfassen, aber er hielt ihn nur stumm in seinen Armen.
 

"Moony?", murmelte er irgendwann gegen seinen Hals, warmer Atem wisperte gegen seine Haut. Remus brummte fragend. Sirius drückte sich noch enger an ihn. "Ich bin froh, dass ich dich habe."
 

Remus' Herz begann schneller zu schlagen.
 

"Ich auch.", flüsterte er, ein plötzlicher Kloß in seiner Kehle.
 

Sirius' Finger hatten begonnen, träge Muster auf seinen Arm zu malen.
 

"Ich habe schon mit vielen Mädchen geschlafen.", sagte er plötzlich. "Aber keine war mir wichtig." Er räusperte sich. "Wollte nur, dass du das weißt."
 

"Schon okay."
 

"Auch wenn es nicht mein erstes Mal ist, so ist es doch mein erstes Mal mit dir, und das macht es zu etwas Besonderem."
 

Remus schluckte.
 

"Sirius, warum erzählst du mir das?", fragte er und schob ihn ein Stück von sich, damit er ihm in die Augen sehen konnte. Plötzlich lag nervöse Anspannung in der Luft. Sirius leckte sich über die Lippen.
 

"Ich … möchte mit dir schlafen.", sagte er. Und dann, als hätte er seinen ganzen Mut aufbringen müssen: "Jetzt."
 

Remus wusste nicht, wie er darauf antworten sollte. Was sagte man in so einer Situation? Er wollte es ja auch, aber bei dem Gedanken daran wurde ihm ganz weich in den Knien. Ein Teil seines Unterbewusstseins hatte immer noch Angst davor verlassen zu werden, verletzt zu werden. Und das obwohl Sirius eindeutig bewiesen hatte, dass er ihn auch gegen Potter verteidigte und den Bruch mit ihm riskierte, um an seiner Seite zu bleiben.
 

Wovor hatte er Angst?
 

Mit einem Schlag wusste er es: Es war die Angst vor Veränderung. Jahrelang hatte er sich in seinem eigenen Kokon eingesponnen. Hatte jeden Kontakt zur Außenwelt abgeschirmt.
 

Sirius hatte all seine Mauern eingerissen, hatte aus dem Nichts heraus Freundschaft von ihm verlangt, obwohl er gar nicht wusste, was das war. Und genauso schnell, wie sie Freunde geworden waren, war aus ihnen ein Paar geworden und warum? Weil Sirius es so wollte. Er erinnerte sich noch gut daran, wie genötigt er sich gefühlt hatte, als Sirius sich mehr und mehr in sein Leben gedrängt hatte ohne Rücksicht auf ihn zu nehmen.
 

Wann war der Punkt gekommen, an dem auch er Sirius als Freund angesehen hatte? Wann der Punkt, an dem er ihn liebte?
 

"Remus." Sirius strich ihm über den Handrücken. "Wir müssen nicht, wenn du nicht willst."
 

Aber er wollte. Es fehlte nur der erste Schritt, um alles ins Rollen zu bringen. Immer war es Sirius gewesen, der den ersten Schritt getan hatte. Sicher hatte auch er Mut dafür gebraucht.
 

Langsam, Herz wild klopfend, Hände zu Fäusten geballt, beugte Remus sich vor und küsste ihn einmal sanft auf die Lippen.
 

Nie war es ihm so schwer gefallen zu sprechen.
 

"Ich möchte auch mit dir schlafen. Jetzt."
 

Sirius lächelte und küsste ihn zurück.
 

"Okay", sagte er zwischen zwei Küssen, "ich werde vorsichtig sein."
 

Während Sirius seinen Nacken küsste, öffnete er den Knoten seiner Krawatte, dann die obersten Knöpfe seines Hemdes und strich dort über die freigelegte Haut. Remus versuchte es ihm gleichzutun, obwohl er keine Ahnung von solchen Dingen hatte. Sirius trug seine Krawatte nur selten, weswegen er sich nur noch um die Knöpfe kümmern musste.
 

Die Knöpfe an jemand anderen als sich selbst zu öffnen war ein seltsames Gefühl. Er brauchte ungewöhnlich lange dafür, doch als er es schließlich geschafft hatte, ließ Sirius sein Hemd von seinen Schultern und neben sie auf den Boden gleiten. Danach machte er kurzen Prozess mit den restlichen Knöpfen an Remus' Hemd und half ihm ebenfalls aus diesem.
 

Remus fühlte sich auf seltsame Weise schüchtern. Wenn sie gemeinsam in der Dusche standen, hatte er kein so großes Problem damit sich vor Sirius auszuziehen. Jetzt aber, in diesem Zusammenhang, konnte er nicht anders, als sie beide miteinander zu vergleichen: Sein eigener Körper, leicht untergewichtig, sodass die Rippen beinahe sichtbar waren, mit blasser Haut, die von Narben übersäht war. Und Sirius, dessen Bauchmuskeln sich unter seiner Haut abzeichneten, die von den vielen Stunden an der Sonne einen viel gesünderen Ton hatte als seine.
 

Sirius drückte sich an ihn - er wusste noch, wie panisch er geworden war, als er das zum ersten Mal getan hatte - beugte seinen Kopf zu ihm herunter und setzte kleine, kaum spürbare Küsse auf seinen Hals, dann sein Schlüsselbein, immer weiter hinunter bis zu seinem Bauch. Seine langen, schwarzen Haare strichen mit über seinen Oberkörper. Zuerst kam es ihm vor wie ein vollkommen willkürliches Muster, bis er realisierte, dass er seine Narben küsste, ausgerechnet die Stellen an seinen Körper, durch die er sich am unsichersten fühlte. Er vergrub die Hand in seinem Haar.
 

Er war am Bund seiner Hose angekommen und Remus hielt den Atem an, als er mit geschickten Fingern auch diesen Knopf löste und dann den Reißverschluss hinunterzog. Im nächsten Moment zog er ihm die Hose bis zu den Kniekehlen.
 

"Warte!" Remus hatte es sich nicht verkneifen können. Sein Herz klopfte so schnell in seiner Brust, dass er glaubte, dass es jeden Moment herausspringen müsste. Er hatte das Gefühl, nicht genug Luft zu bekommen. Sirius sah zu ihm hoch.
 

"Ist alles okay?", fragte er und biss sich untypischerweise auf die Lippe.
 

"Nein - ich meine ja - kannst du … etwas langsamer?", fragte er durcheinander.
 

Sirius kam wieder zu ihm hoch.
 

"Klar.", antwortete er. "Wir haben doch Zeit."
 

~~~~~*~~~~~
 

Einige Minuten lagen sie zusammen auf dem Boden des verlassenen Klassenzimmers, Sirius' schwerer Körper auf ihm. Dann rollte er sich von ihm herunter, kuschelte sich aber sofort an ihn heran, den Kopf an Remus' Brust gelehnt. Zögerlich legte Remus einen Arm um ihn und strich ihm durch das verschwitzte Haar.
 

"Ich liebe dich.", sagte Sirius so leise, dass er es kaum hörte. Remus küsste ihn auf die Stirn.
 

"Ich dich auch."
 

~~~~~*~~~~~
 

Der Wolf rannte durch den Wald. Trockene Äste knackten unter seinen riesigen Pfoten, sein Atem flackerte regelmäßig in der kalten Februarluft. Der Geruch des Waldes war ihm vertraut geworden, der Duft von grünen Tannenzweigen, das feuchte Aroma der Erde, die sich unter seinen Krallen sammelte und der verlockende Geruch der kleinen Tiere, deren Herzschlag er beinahe wahrnehmen konnte.
 

Ein schwarzer Hund krachte plötzlich aus dem Gebüsch neben ihm und sprang in seine Seite. Zusammen fielen sie und rollten über den erdigen Waldboden, ein spielerischer Kampf. Ein Hirsch gesellte sich zu ihnen, das majestätische Geweih voller Tau, und scharrte mit den Hufen. Eine Ratte hielt sich fiepsend mit ihren winzigen Pfoten auf seinem Rücken fest.
 

Der Hund hatte ihn losgelassen und leckte über die kleine Wunde hinter seinem Ohr, die er sich an einem Ast zugezogen hatte, der ihm beim Vorbeilaufen geschnitten hatte. Der Wolf stupste ihn dankbar mit der Schnauze an.
 

Der Ruf eines Uhus hallte durch den Wald. Sein Fell sträubte sich.
 

Wie durch eine stumme Vereinbarung machte sich das ungewöhnliche Rudel auf den Weg.
 

Als Remus am nächsten Morgen erwachte, schlich sich ein zufriedenes Lächeln auf sein Gesicht.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Ich bin mir nicht sicher, ob dieses Kapitel als Adult markiert werden sollte ... ich denke, dafür ist es nicht explizit genug. Falls doch, ändere ich das aber gerne. Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Ich wünsche euch einen wunderschönen Sonntagmorgen und hoffe, euch hat das Kapitel gefallen :3 Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Liebt ihr Remus und Sirius auch so sehr wie ich? :3 *Kekse dalass* Komplett anzeigen

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Kommentare zu dieser Fanfic (48)
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Von: abgemeldet
2015-03-03T12:32:34+00:00 03.03.2015 13:32
Vielen Dank für deine schöne Story.
ich hatte tolle Stunden beim lesen und finde deinen Schreibstil iinspirierend!
Schade, dass die Sache zwischen Remus und Peter nicht geklärt bzw. aufgelöst bzw. aufgelöst wurde.
Aber alles in allem eine sehr gute Geschichte.
Nochmals danke dafür :)
Von:  Yuiki
2014-09-04T18:28:05+00:00 04.09.2014 20:28
Ich muss sagen...das sagt mir mehr zu als das adult-Ende xD
Das ist jetzt nicht besonders nett, und ich denke es liegt auch großteils daran dass du ja versucht hattest es so zu schreiben dass es nicht adult wird, aber es war einfach superschwammig und nicht wirklich gelungen :x
Hier passt es wieder (auch weil das einfach eine wunderschöne Stelle für einen Cut ist) da du Cuts von Szenen weg ja die ganze Story über immer wieder mal hattest und es daher gut ins Gesamtbild passt :)

Insgesamt:
Eine sehr schöne Geschichte, interessante Dynamiken in der Gruppe, interessante Grundidee.
Das Einzige was mich persönlich ein wenig stört ist das Ende; es ist ein bisschen hastig, und mir fehlt einfach eine Wurmschwanz-Auflösung. Dieser Antagonismus zwischen Remus und Peter bleibt komplett unaufgelöst, man kann sich zwar denken dass Peter die beiden an James verraten hat aber das wars dann auch; wir als Leser erfahren nie warum Peter Remus so gehasst hat, oder was sich daraus entwickelt, ob sie später doch freundschaftlich werden usw.
Ja, Pettigrew ist in der letzten Szene im Wald dabei, aber er war auch vorher dabei als er Remus am liebsten gefressen hätte wenn die Größenverhältnisse umgekehrt wären...xD
Dadurch, und durch die Hast im letzten Kapitel, wirkt es auf mich einfach irgendwie unvollständig :x
Das wars aber auch schon was ich zu bemängeln hatte^^
Von:  MikaChan88
2014-08-11T10:21:44+00:00 11.08.2014 12:21
Schönes ende wenn auch ein bisschen kurz ^-^

Cu, MikaChan88
Von:  MikaChan88
2014-07-07T06:10:55+00:00 07.07.2014 08:10
total super kapi
ich liebe dieses pairing ^-^

cu,
MikaChan
Von:  MikaChan88
2014-07-01T11:27:24+00:00 01.07.2014 13:27
einfach genial ^-^
gut das sich die 2 wieder vertragen
freu mich schon aufs nächste ^^

cu,
MikaChan
Von:  MikaChan88
2014-07-01T07:04:00+00:00 01.07.2014 09:04
wieder mal ein total super kapi ^-^
freu mich schon aufs nächste, ich liebe diese FF einfach ^^

cu,
MikaChan
Von: Niche
2014-06-13T17:18:15+00:00 13.06.2014 19:18
Haah~♥
Ich hab deine wundervolle Fanfic jetzt in zwei Tagen durchgelesen und bin einfach nur begeistert. Nein, ich liebe sie. Ich liebe es, wie du schreibst und die Charaktere wiedergibst und die Story ist so wundervoll und gefühlvoll. Ich konnte wirklich nicht aufhören zu lesen und bin grade echt geschockt gewesen, als ich beim (bis jetzt) letzten Kapitel angekommen war!
Ich bin wirklich sehr gespannt auf die weiteren Kapitel, die es noch geben wird, und bin sicher, dass sie unwahrscheinlich toll sein werden, so wie die gesamte Fanfic bis jetzt schon ist. >//<

Ich freudiger Erwartung
Niche
Von:  Lichterelfe
2014-06-13T17:13:21+00:00 13.06.2014 19:13
Remi tut mir in den Vollmondnächten immer leid ;-;

Tolles kapi^^
Von:  Haruhi-chan_Amaya
2014-06-10T19:23:23+00:00 10.06.2014 21:23
oh gott da schmilzt man ja nur noch dahin >____< so süüß! Armer Remuslein.
Von:  jessteito
2014-06-10T14:48:45+00:00 10.06.2014 16:48
Servus^^
Die beiden sind sooo süß und knuffig ^-^
Sirius hatte echt gute Geschenkeinfälle!! Massage und Schoki ^^/
Jaja die gute alte Eifersucht-Taktik ^-~
Ach herje, der arme Remy, gibt sich die Schuld am Tod seiner Mutter, dabei kann er überhaupt nichts dafür! Zum Glück ist Siri für ihn jetzt da!
Bis zum nächsten Kapitel
Glg Jessi ^^v


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