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Schattenträume

von

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Adrenalin

Es war dunkel. Die engen Gassen der Nebenstraßen waren wie ein Labyrinth, wenn man die eigene Hand vor Augen kaum sehen konnte. Zwischen den hohen Mauern hallten ihre schnellen Schritte lange wieder im Rhythmus zum schwer gehenden Atem. Hastig sah sie über die Schulter, doch da war nichts. Sie rannte weiter, versuchte auf Verfolger zu lauschen, konnte aber auch nichts hören. Sie rannte weiter. Vor wem rannte sie davon, oder vor was? Da, ein dunkler Fleck, noch schwärzer als die Gassen. Etwas packte sie an den Beinen und riss sie von den Füßen. Ihr Herz pochte rasend. Adrenalin pullsierte in den Adern und vernebelte die Sinne. Durch die Trübheit drang ein deutliches Flüstern aus den Schatten.
 

Mit einem unterdrückten Schrei schoss Elivandra aus dem Schlaf hoch. Es war nur ein Traum, dachte sie sich, nur ein Traum. Doch so oft sie sich das auch sagte, es brauchte eine ganze Zeit, bis sich ihr Atem wieder beruhigt hatte. Die Hände vor das Gesicht geschlagen, saß sie erst einmal so da und lauschte den angenehmen Geräuschen des Morgens. Vor ihrem geistigen Auge malte sie sich die Welt nach dem aus, was sie hörte. Der Wind in den Blättern vor dem Fenster neben ihrem Bett, wärmendes Sonnenlicht zwischen den Ästen, in denen Vögel spielen. Ein schöner und ruhiger Gedanke. Leider war es an der Zeit, sich wieder der Realität zuzuwenden. Trotz des schlimmen Traumes hatte sie wieder einmal verschlafen. „Ich komme zu spät,“ sagte sie sich, strich sich den kalten Schweiß aus dem Gesicht in die dunkelblonden Haare und zwang sich dann, ins Bad zu gehen.

Vor dem Spiegel besah sie sich ihr Gesicht. Einige rote Strimen zeichneten sich da ab, wo sie sich ins Kissen gedrückt hatte. Sie sah immer etwas zerknautscht aus, trotz ihrer relativ reinen Haut. Hier und da ein paar Sommersprossen, aber darauf standen Männer. Zumindest richtige Männer. Genau wie ihre hellgrünen Augen. Eigentlich war es ja nur ein normales Grün, aber irgendwie reflektierten sie Licht besonders gut, fast, als würden sie selbst strahlen. Elivandra war schon immer stolz auf diese Augen gewesen, sie waren einzigartig. Darüber hinaus hatte sie auch nie eine Brille gebraucht. Insgeheim dankte sie dabei ihrer Mutter, dass sie früher immer so viele Karotten hatte essen müssen. Kurz blickte Elivandra zur Waage, entschied sich aber dann doch dagegen. Einen Tag zuvor hatte sie erst etwas zuviel für Elivandras Geschmack angezeigt. Man sah es zwar nicht, trotzdem wusste sie, dass es da war, dieses Stückchen Erdbeerkuchen. Eigentlich hatte sie ja gar keinen Hunger mehr gehabt, aber es wäre auch zu schade gewesen, es liegen zu lassen. Mit der Hoffnung, es würde sich geeignete Stellen an ihrem Körper aussuchen, um zu bleiben. Zum Beispeil oben rum. Es war zwar nicht zu wenig, sondern schon ganz ordentlich, wie sie selbst fand, aber ein wenig mehr wäre doch sicher auch nicht verkehrt. Die morgendliche Inspektion vor dem Spiegel letzten Endes doch zufrieden abschließend, stieg Elivandra in die Dusche.
 

Die erste Stunde war schon halb rum, als Elivandra endlich den Hörsaal erreichte. Vorsichtig öffnete sie die Tür, ihr Frühstückstoast noch im Mund. Damals in der Schulzeit gab es immer Ärger, aber in der Uni sah man das etwas entspannter, solange man die Vorlesung nicht störte. Mit leisen Schritten huschte sie auf den nächsten freien Platz. Der Dozent, ein Herr, dessen Haare schon sehr früh zu ergrauen schienen, hatte offenbar nichts bemerkt. „Na, hast du mal wieder verschlafen, Elli?“ Elivandra drehte sich um. Hinter ihr saß ihre Freundin, Pulvini und grinste sie frech an. Sich die blonden, kurzen Haare aus dem Gesicht streichend und kurz mit den blauen Augen nach dem Dozenten schauend fragte sie: „Liegt es an nem Kerl?“ „Schön wäre es,“ seufzte Elli. Sie vermied es, sich umzudrehen. Pulvini war eigentlich einen ganzen Kopf kleiner als sie und auch bedeutend schmächtiger. In dieser Position war sie jedoch höher und Elivandra kam sich vor, als wäre sie vor Gericht. Dabei hatte sie schon lange keinen Mann mehr, ganz im Gegenteil zu ihrer Freundin. „Hätte ich endlich wieder nen Kerl, würde ich ne ganze Woche nicht mehr aus dem Haus gehen,“ stichelte sie zurück. „Das dachte ich mir schon. Wird mal wieder Zeit, oder?“ Schmollend sank Elivandra tiefer in ihren Stuhl. „Du hast ja keine Ahnung.“

„Ach Elli,“ sagte Pulvini, als sie von Hinten ihre Arme um sie schloss, „hast du Lust heute Abend bei uns zu essen?“ Allein bei dem Gedanken an die Kochkünste ihrer Freundin lief ihr das Wasser im Mund zusammen. Beinahe hätte sie angefangen zu Sabbern, als sie den Mund öffnete, um „Jaahaa“ zu sagen. Im gleichen Moment fragte der Dozent nach einem Frewilligen für das Stundenprotokoll und freute sich über die sonst eher seltene Beteiligung Elivandras an den Protokollen.
 

Nachdem der Unitag sich scheinbar unendlich zog, gingen Elivandra und Pulvini gleich danach zusammen einkaufen. Spaghetti mit Pulvinis selbst gemachter Bolognese sollte es geben, das war für Elli fast genauso gut wie ein Mann. Das und die Tatsache, dass Pulvini wieder etwas kleiner war als sie, stimmten sie reglich zufrieden. So konnte Elivandra kaum das Abendessen abwarten.

In Pulvinis Wohnung wartete schon ihr Freund. Er und Pulvini hatten vor Kurzem erst ihr Dreijähriges Jubiläum gefeiert. Für Ellis Geschmack hatte er zu trübe Augen. Sie achtete sehr auf so etwas und war davon überzeugt, dass unter anderem die Augen Rückschlüsse auf den tief im Urhirn verwurzelten Charakter zuließen. Ihrer Freundin gefiel dieser Typ aber, also musste sie das akzeptieren. Zumindest für den Augenblick. Elivandra half bei der Zubereitung immer mit, auch wenn sie nur kleinere Aufgaben übernahm, wie zum Beispiel das Schnippeln der Gewürze, die in die Soße kamen. Mal wieder vor sich hinträumend schnitt sie sich dabei in den Finger. „Auuh!“ „Was ist denn?“ „Ich hab mich geschnitten,“ presste sie zwischen den Lippen heraus, während sie den Finger im Mund hatte. Es brannte höllisch. Mit einem Blinzeln verdrängte sie eine kleine Träne, die sich in ihre Augen geschlichen hatte. „Ach Elli, schon wieder.“ Seufzend griff Pulvini nach dem Verbandskasten im Eckregal der Küche. Das war bei weitem nicht das erste Mal, dass sie den brauchte, wenn Elli ihr beim Kochen half. „Ich mach das ja nicht mit Absicht,“ gab sie etwas eingeschnappt zurück. „Es sieht aber so aus,“ mischte sich Pulvinis Freund ein. „Arsch,“ dachte Elivandra. Bei anderen vertrug sie solche Näckereien, aber er hatte eindeutig nicht das Recht dazu.

„Schaust du mal bitte nach dem Wasser. Ich glaube es kocht gleich.“ Für einen kleinen Moment dachte Elivandra, dass Pulvini irgendwie auf sie anspielte. „Klar Schatz.“ „Sie ist nicht dein Schatz, sondern meiner,“ dachte sich Elivandra und hätte fast gelacht, als sie das an ein Filmzitat erinnerte. „So und du zeigst mir mal deinen Finger.“ Fast im gleichen Moment baute sich ein freches Grinsen in ihrem Gesicht auf. „Es sei denn, du machst dir damit ein paar schöne Gedanken,“ fügte sie hinzu. Manchmal war sie einfach ein Biest, auch wenn man ihr das sonst nicht zutraute. Elivandra nahm langsam den Finger aus dem Mund und versuchte dabei eine erotische Geste zu imitieren. Pulvini musste laut Lachen. Damit hatte sie nun wiederum nicht gerechnet. Als sie sich wieder gefangen hatte, griff sie nach dem Finger. „Zeig schon her.“ Mit dem fachmännischen Blick einer Biologiestudentin begutachtete sie die Wunde. „Da ist doch gar nichts.“ „Haha, wie witzig.“ „Nein, wirklich, da ist nichts.“ „Ich merk doch wie es puchert.“ „Tut es denn noch weh?“ Jetzt, wo sie es sagte, es tat nicht mehr weh. Nicht mal ein bisschen. Elli besah sich ihren Finger. Es war nichts zu sehen, nicht mal eine kleine Schramme. „Mensch,“ sagte Pulvini, „du machst mal wieder aus einer Mücke einen Elefanten,“ und sah wieder nach dem Essen. Elivandra sah ungläubig auf das Schneidbrett. Dort zeichnete sich ganz deutlich ein dunkler roter Fleck ab. Sie schüttelte den Kopf. Vielleicht gab es ja sowas, sie war immerhin kein Arzt. Eher sollte sie froh sein, dass sie sich wohl nicht wirklich geschnitten hatte.

Viel wichtiger war jetzt: sie hatte großen Hunger. Noch mehr, als vorher.
 

Das Essen war wie erwartet ein Traum. Elivandra konnte gar nicht genug davon bekommen und erntete dafür schon seltsame Blicke. Ihr Appetit war sonst auch nicht von schlechten Eltern, ihr Tischverhalten unter Freunden auf der anderen Seite war heute besonders auffällig. Sie kam sich auf einmal fast wie ein Tier vor. Der Abend nahm weiter seinen Lauf und bald war es Zeit zu gehen.

„Aber er kann dich doch eben nach Hause bringen. Das ist doch kein Problem.“ „Nein.“ Elivandra blieb hart. „Der Weg ist doch wirklich nicht weit und hier in der Gegend ist doch eh nichts los. Was soll mir da schon passieren?“ „Du könntest...“ „Pulvi, das war eine rethorische Frage,“ unterbrach Elivandra sie. „Hör zu, wir haben diese Diskussion jedes mal und immer gehe ich allein nach Hause. Gewöhn dich langsam an den Gedanken. Es passiert nichts.“ Auf der einen Seite glaubte Elli, dass wirklich nichts passierte und selbst wenn, würde sie dem Typen schon das Fürchten lehren. Auf der anderen Seite wollte sie auf gar keinen Fall, dass sie dieser Fischaugen-Typ begleitete. Schließlich bekam sie doch ihren Willen und Pulvini ließ sie gehen.
 

Auf dem Weg nach Hause nahm Elivandra ein paar Nebenstraßen, um den Weg abzukürzen. Die Zeit der lauen Sommernächte war endgültig vorbei und durch den klaren Nachthimmel huschte ein kühler Wind. Vielleicht lag es genau an diesem, dass sie sich unsicher fühlte. Angstgefühle konnten durch Trockeneis simuliert werden, das hatte sie im Studium gelernt. Natürliche Kälte hatte dann sicher den gleichen Effekt. Doch ihre rationalen Überlegungen halfen nichts. Ihr Körper empfand eine gewisse Form von Unbehagen. Automatisch wurden ihre Schritte schneller. War es nur Einbildung, oder wurde es dunkler um sie herum? Elivandra hörte ihr Herz pochen und sie hielt für einen kurzen Moment den Atem an, als sie merkte, dass dies genau wie in ihrem Albtraum letzte Nacht war. Normalerweise glaubte sie nicht im Geringsten an solche Phänomene, aber irgendwie wollte sie es in diesem Moment auch nicht darauf ankommen lassen. Schließlich begann sie zu laufen. Schneller und immer schneller werdend um die Ecken und durch die dunklen Gassen. Aus den Augenwinkeln glaubte sie zu sehen, wie sich die Dunkelheit wie ein Vorhang aus Schatten langsam zuzog. „Nurnoch um die nächste Ecke,“ dachte Elivandra, „dann bin ich wieder auf der beleuchteten Straße.“ Schwer atmend hechtete sie um die Ecke und stieß mit etwas Hartem zusammen. Sie schrie schrill auf und ging zu Boden.

Das Dunkel begann sich zu lichten und sie konnte einen Mann erkennen, der sich pausenlos den Hinterkopf rieb. Langsam konnte Elli wieder klar denken. Offenbar war sie mit ihm zusammen gestoßen und hatte ihn hinten über geworfen. Langes dunkles Haar hing ihm ins Gesicht. Durch die Strähnen konnte Elivandra ein markantes und mit einem Dreitagebart versehenes Kinn erahnen. Die Haare waren so lang, dass sie erst auf Höhe der Brusttaschen des knitterigen Hemdes endeten. Dieses war nicht einmal in die Hose gesteckt und die obersten Knöpfe standen auf. Im ersten Moment dachte sie, er sei ein Obdachloser, verwarf diesen Gedanken aber schnell wieder, da er ansonsten recht gepflegt wirkte. „Tut.. tut mir leid,“ brachte Elivandra hervor. „Ich habe Sie nicht gesehen.“ Der Mann stöhnte leicht und kämmte sich mit der Hand die Haare aus dem Gesicht nach hinten. „Ein paar schöne klare Augen,“ dachte Elli, „tief Grün. Aber genau so leuchtend wie meine.“ „Ist nicht weiter schlimm, mir ist nichts passiert. Bei dir alles in Ordnung?“ Die Stimme klang ein klein wenig knarzig, als hätte er Grippe, passte aber so gut zu seiner Erscheinung. Elivandra hatte sich wieder gefasst und das ungute Gefühl war wie verflogen. „Ja, alles in Ordnung. Ich habe mich nur erschrocken.“ „Na dann ists ja gut.“ Er schaute sich um. „Du hast nicht irgendwo meine Brille gesehen?“ „Oh,“ Elli schaute sich um. Im Dunkel der Nacht konnte sie nicht viel erkennen. „Nein, ich sehe sie nicht.“ „Auch nicht weiter schlimm. Ich wollte mir eh eine neue zulegen,“ sagte der Mann, als er sich aufrichtete und Elivandra eine Hand reichte. Sie nahm sie. „Danke und tut mir wirklich leid. Ich..“ „Kein Problem,“ unterbrach er sie. Erst jetzt bemerkte Elli, dass sich sein Schatten komisch bewegte. Leicht versetzt zu seinen Bewegungen. Aber das konnte auch daher kommen, dass sie sich gerade den Kopf an ihm gestoßen hatte. Sie war ihm direkt gegen das Brustbein gelaufen, so etwas tat weh. Elivandra rieb sich die Augen. Als sie sie wieder öffnete hatte sich der Mann bereits zum Gehen gewand. „Ich wünsche noch eine schöne Nacht.“ Mit diesen Worten verschwand er im Dunkel auf der anderen Straßenseite. „Äh, danke. Ich Ihnen auch.“

Irgendwie hatte sich der Kerl seltsam benommen. Nicht nur sein schnelles Verschwinden, sondern auch, dass er ohne seine Brille gegangen war. Wer machte so etwas schon? Es gab schon sehr seltsame Leute auf dieser Erde.
 

Müde und von ihrem Spurt durchgeschwitzt kam sie zu Hause an. Ihre Zähne klapperten, als eine neue Böe durch ihre nasse Kleidung fuhr. Sie wollte ins Bett, aber nicht so verschwitzt. Wenig motiviert schwankte Elli ins Bad und stellte die Dusche an.

Verwirrung

Ooooh der erste Kommentar. Du bist wirklich ein Schatz und dazu noch so ein langes.

Freut mich/uns sher was du geschrieben hast und der Rechtschreibfehler wurde gleich verbessert. Aber der kalte Schweiß bleibt ;)

Kennst du den nicht? Den gibts wirklich. Wen man eben nicht vor Hitze, sondern vor Angst schwitzt oder auch bei Krankheiten gibts oft den kalten Schweiß (z.B. beim Schüttelfrost).

Den Rest den du geschrieben hast werde ich weitergeben, bzw. kann der Autor selbst nachlesen*g*

Also wünsch ich dir und allen anderen Lesern viel Spaß beim nächsten Kapiel
 

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Am nächsten Morgen wachte Elivandra mal wieder viel zu spät auf. Nachdem sie sich endlich dazu bewegen konnte, aufzustehen trottete sie ins Bad, wo noch immer ihre Klamotten von letzter Nacht nass und überall im Raum verstreut lagen. In der kurzen Zeit hatte sich bereits ein unangenehmer Geruch gebildet und so schmiss sie die Sachen erst einmal in die Waschmaschine und machte das Fenster auf. Der ansonsten Wunder wirkende Morgenluft konnte sie heute überhaupt nichts abgewinnen und so startete Elli schlecht Gelaunt in den Tag.
 

Auf dem Weg zur Uni dachte sie nicht einmal daran, sich zu beeilen. Sie war noch immer ziemlich müde und den ganzen Tag in durchgeschwitzen Klamotten zu verbringen hatte sie auch keine Lust darauf. Wie es der Zufall wollte, kam sie auch an der Stelle vorbei, wo sie die Nacht zuvor in den Mann gelaufen war. Die Seitenstraße, in der er danach verschwunden war, war heute abgesperrt. Einsatzwagen jeder Stelle des öffentlichen Dienstes standen davor. Polizei, Krankenwagen und noch ein paar Nichtuniformierte. Was da wohl passiert war? Bestimmt nichts Bewegendes. In dieser Stadt passierte nie etwas, deshalb waren die Einsatzkräfte immer darum bemüht, aus einer Mücke einen Elefanten zu machen. Davon abgesehen, hatte sie keine Zeit für so etwas.
 

Mit deutlicher Verspätung kam Elivandra schließlich am Hörsaal an. Bevor sie die Klinke runterdrücken konnte, klingelte es bereits zum Stundenende und der früh ergraute Dozent stand vor ihr. „Oh, Sie sind auch da? Nun, leider ein wenig zu spät, um das Protokoll vorzutragen, aber machen Sie doch einfach das der nächsten Stunden.“ Mit diesen Worten ging er, ohne auf eine Antwort zu warten. Mit großem Desinteresse ihrer Strafe gegenüber streckte sie ihm noch die Zunge raus und ging dann zu Pulvini. Da Elli so spät dran gewesen war, hatte sie auch nicht gefrühstückt, aber ihre Freundin hatte immer mehr als genug mit. Mit einem müden „Morgen“ lud sich Elivandra selbst zum Frühstück ein, wogegen Pulvini nicht demonstrierte. Stattdessen legte sie ihrer Freundin die regionale Zeitung mit dazu. „Sag du nochmal hier passiert nichts.“ Auf der Titelseite war ein Foto von der Absperrung, an der sie gerade eben noch vorbei gegangen war. Die Überschrift plakatierte in großen roten Buchstaben „Killer unterwegs!“ Offenbar war es doch keine so unbedeutende Geschichte, auch wenn diese Zeitung die gleiche Überschrift benutzt hatte, um vor den Wespen zu warnen.

„Was ist da passiert?“ „Genau weiß man es wohl noch nicht, aber irgendwann heute Morgen soll da ein Mord geschehen sein. Ich hab das auch eben erst gelesen, sonst hättest du dich darauf verlassen können, dass ich bei dir auf der Matte gestanden hätte!“ „Warum das denn?“ „Na hör mal! Die Stelle liegt genau auf deinem Weg und du warst heute sogar später als sonst. Ich hätte mir in die Hose gemacht vor Sorge!“ Innerlich war Elivandra gerührt über die Fürsorge ihrer Freundin, allerdings musste sie sie jetzt erstmal beruhigen, ansonsten explodierte vielleicht noch ihr Kopf. „Es ist doch nichts passiert.“ „Nichts passiert?!“ Da war er explodiert. Das Bombenentschärfungskommando Elivandra war innerhalb von Sekunden gescheitert. „Ich meine du kennst mich doch. Ich würde mir nichts gefallen lassen und weiß doch, wie ich mich wehren muss.“ Jetzt war Schadensbegrenzung angesagt. Pulvini mochte einen mit spitzen Kommentaren überraschen, die oft auch über die Strenge schlugen, aber niemand wollte sie erleben, wenn sie richtig sauer war. Es brauchte deshalb fast den ganzen Unitag, damit Elivandra ihre Freundin zumindest ansatzweise wieder auf ein normales Stresslevel zu bringen. Vom restlichen Unterricht bekamen sie deshalb auch herzlich wenig mit. Die letzten beiden Stunden wurden wieder von dem ergrauten Dozenten gehalten. Er erklärte irgendeine Funktionsweise des menschlichen Körpers, aber das war Elivandra jetzt auch egal. Sie saß zusammen mit Pulvini in der letzten Reihe und versuchte sich von den Strapazen der Nacht und des Morgens zu erholen. Mehrmals versuchte sie die Augen zu schließen, doch irgendwer in dem Raum tippelte ununterbrochen mit den Füßen. Wenn es irgendetwas gab, was Elli störte, gehörte dieses nervöse Gezucke definitiv mit ganz nach Oben auf die Liste. Völlig entnervt blickte sie durch die Runde. Ein paar Reihen vor ihr saß ein alternativ aussehender Typ, der das verhasste Geräusch erzeugte. Er war offenbar sehr nervös, denn er konnte auch nicht ruhig auf seinem Stuhl sitzen. Immer hin und her rutschend und sich kratzend blickte er in wilden zickzack Mustern durch den Raum. Dabei bewegte er nicht nur die Augen, sondern den ganzen Kopf hektisch von einer Ecke in die andere. Bald hatte das auch der Biologiedozent bemerkt. „Fühlen Sie sich nicht wohl?“ Keine Reaktion. „Möchten Sie sich vielleicht ein paar Minuten an die frische Luft setzten? Macht mal die Fenster auf, bitte.“ Ein paar Studenten kamen der Aufforderung nach, ein paar von den Strebern. Dieser Begriff schien Elli dann doch etwas überholt und sie korrigierte ihre Gedanken in Arschkriecher.

Jetzt, wo die Vorhänge vor den Fenstern beiseite gezogen waren, viel ihr bei dem nervösen Typen eine ähnlich seltsame Schattenbewegung auf, wie bei dem Mann von letzter Nacht. Sie musste unbedingt schlafen, dachte sie sich, einen kurzen Moment, bevor sie den Eindruck hatte, der Schatten des Mannes ein paar Reihen vor ihr würde sich von alleine umdrehen und sie direkt ansehen. Innerlich zuckte sie zusammen, das war ihr zu gruselig. Plötzlich und ohne jede Vorwarnung sprang der offenbar neurotische Student auf, hastete über die Tische, wobei er mehrmals ins Straucheln geriet und sprang aus einem geöffneten Fenster. Dabei hatte er nichts von sich gegeben, außer ein Beständiges Grunzen. Einige Studenten stürmten ans Fenster, andere blieben vor Schreck sitzen und waren offenbar mit der Situation überfordert. Der Dozent blickte kurz aus dem Fenster und eilte danach mit den Worten „Ihr wartet hier!“ zur Tür hinaus.
 

Sie befanden sich im zweiten Stock eines Unigebäudes, der Springer konnte das niemals unbeschadet überstanden haben. Elivandra griff nach ihrem Handy, um einen Krankenwagen zu rufen, als sie von lauten Rufen ihrer Mitstudenten dabei gestört wurde. Ein Blick aus dem Fenster werfend konnte sie sehen, wie der eben zwei Stockwerke tief gefallene Student mit einem unbeschreiblichen Tempo in Richtung Innenstadt davonlief. Niemand, das wusste Elli ganz genau aus den Vorlesungen, war zu so etwas im Stande. Nicht einmal unter dem Einfluss von Drogen. Der Körper hatte seine Limits, an den er definitiv zerbrach. Was ging hier nur vor?
 

Eine Stunde später kam der Dozent zurück und entließ die Studenten, nachdem er sie noch gefragt hatte, ob ihnen vor seinem „Anfall“ etwas aufgefallen sei. Das brachte allerdings kaum Ergebnisse. Pulvini hatte die Vorkommnisse des Morgens sehr gekonnt in dem Versuch sich selbst zu beruhigen ignoriert. Beim Verlassen des Unigeländes kamen sie an einigen Polizisten vorbei, die über das gesamte Gelände verteilt nach dem Fensterspringer suchten. Mitten in dem Gewimmel saß auf einer Bank der Mann von letzter Nacht und las ein Buch, und schien sich dabei von den Suchmannschaften nicht stören zu lassen. Elivanda fand ihn viel zu ruhig. Er tat gerade so, als würde das ständig passieren. Nachts in andere Leute zu laufen, dabei seine Sachen zu verlieren und am Morgen danach liegt an genau der gleichen Stelle eine Leiche und jemand springt aus dem Fenster. Jetzt hatte Elli endgültig genug. Sie ging mit Pulvini im Schlepptau zu ihm und baute sich zu ihrer vollen Größe auf. „Hallo, erkennen Sie mich noch?“ Vorerst wollte sie wissen, mit wem sie es hier eigentlich zu tun hatte. Der Mann blickte über den Rand seines Buches hinweg. Eine Brille mit kantigen Gläsern und einem dünnen Rahmen lag auf seiner Nase und hinderte die strähnigen Haare daran, ihm ins Gesicht zu fallen. „Natürlich erinnere ich mich. Wir sind letzte Nacht zusammengestoßen, richtig?“ Ein schmales Lächeln zerrte an seinen Lippen. „Ganz recht. Mich würde interessieren, mit wem ich das Vergnügen habe.“ Pulvini flüsterte Elli ins Ohr: „Wer ist das? Stehst du auf ihn?“ „Pst,“ zischte Elli sie an. „Ich bin ein Austauschstudent hier an der Uni und erst ein paar Tage hier.“ „Oh, wirklich.“ Elivandra glaubte ihm nicht. Man könnte es Intuition nennen, aber sie wusste genau, wann sie jemand anlog. „Das ganze Gewusel hier scheint dich ja nicht sonderlich zu beeindrucken. Immerhin ist hier viel Polizei unterwegs.“ „Da wo ich herkomme, ist das an der Tagesordnung.“ „Elli“, drängte Pulvini, „jetzt sag doch mal.“ „Du heißt Elli, richtig?“ fragte der Mann. „Elivandra“, korrigierte sie ihn. „Elivandra, sieh mal, ich würde gerne weiterlesen. Ich kenne das Ende noch nicht, also…“ Wieder regte sich die Führsorge in Pulvini. Niemand ließ ihre Freundin einfach so abblitzen. Aber Elli ignorierte das einfach. Das Buch sah ziemlich gebraucht aus und das nicht nur bis zu den Seiten, wo er es aufgeschlagen hatte. „Sag mal, wie lautet die erste Zeile der Unihymne?“ Für einen kurzen Moment glaubte Elli Unsicherheit in den Augen ihres Gegenübers sehen zu können. „Du weißt es nicht, oder?“ stichelte sie nach. „Nein,“ gab er schließlich zu. „Ich bin ja nur zum Austausch hier.“ „Hah, erwischt. Jeder muss die Hymne lernen, ob Austauschstudent oder nicht. Die wird im Eignungstest abgefragt. Du bist kein Student, gibs zu!“ Für Pulvini hatte das Gespräch eine Wendung bekommen, die sie nicht recht verstand. Verwirrt schaute sie zwischen ihrer Freundin und dem Mann hin und her. „Und selbst wenn nicht“, sagte er sich seiner Sache wieder sicher scheinend, „was spielt das für eine Rolle?“ „Ich werde das den Polizisten sagen“, blaffte Elivandra ihn an. „Wollen wir doch mal sehen, was die davon halten mit all den Vorkommnissen heute.“ Jetzt hatte sie ihn. „Tu dir keinen Zwang an.“ „Was?“ Damit hatte sie nicht gerechnet. „Da drüben läuft gerade einer. Ruf ihn her.“ Wie auf Befehl drehte Elli sich im Reflex um. Der Polizist verschwand hinter einer Ecke, noch bevor sie ihn rufen konnte. Pulvini zupfte an ihrem Ärmel. „Du, Elli?“ „Ja, was ist denn?“ Sie hielt Ausschau, ob der Beamte wieder zurück kam. „Er ist weg.“ Elivandra wirbelte herum. „Wie?“ Da wo vor ein paar Sekunden noch der Mann gesessen hatte, lag jetzt nur noch das Buch, was er in den Händen gehalten hatte. Von ihm selbst fehlte jede Spur. „Verdammt“, fluchte Elivandra. „Wenn der mir nochmal über den Weg läuft, kann er sich auf was gefasst machen.“

Bevor die beiden nach Hause gingen und Elli ihrer Freundin einiges zu erklären hatte, steckte sie das Buch ein, welches der Mann hatte liegen lassen. Es war tatsächlich ein sehr altes Buch, noch in Leder eingeschlagen und auf der Innenseite mit einer Art Stempel versehen. In alten lateinischen Lettern stand dort „Noctis Faralis“, wahrscheinlich sein Name.
 

Elivandra verstand das Vorgefallene nicht wirklich, es fehlten noch zu viele Details, als das man Schlüsse ziehen konnte. Umso besser, dass Pulvini davon überhaupt nichts wissen wollte. Sie selbst sah das anders. Elli hatte sozusagen Blut geleckt und wollte alles verstehen. Es passte einfach alles irgendwie zusammen, das spürte sie. Ihr Traum, der fast Wirklichkeit geworden war, die ganzen scheinbaren Zufälle. Normaler weise war Elivandra kein abergläubischer Mensch, sie lachte über Horoskope und dergleichen, aber irgendwie bereiteten ihr die Geschehnisse doch Unbehagen. Ein guter Hinweis war das Buch, was der Mann offensichtlich absichtlich zurückgelassen hatte. Ebenso gehörte der Fensterspringer aus ihrem Kurs mit dazu. Noctis Faralis war auf einem offenen Gelände einfach so binnen Sekunden verschwunden. Das zählte zur Kategorie übernatürlicher Fähigkeiten, die Elivandra reizvoll und erschreckend zugleich fand.

Das Buch war mit der Hand geschrieben, soviel fand Elli allein heraus, aber es war eine Sprache, die sie nicht verstand. Einige Wörter klangen zumindest ähnlich wie Latein, allerdings half ihr das nicht weiter. Sie wusste aber, dass es an der Uni einen Professor gab, der sich mit solchen Sachen auskannte.

Nachforschung

So und endlich ist das nächste Kapitel online und wir hoffen es gefällt euch. Das nächste ist schon in Arbeit.
 

@ Darkimpression:

Lol....Oh Gott wie peinlich ist das denn*g* Ja lesen sollte gelernt sein, nich?

Ich werds gleich mal raussuchen und verbessern.

Und es freut uns wirklich sehr, dass es dir bis hierher gefällt und hoffen dass es so auch weitergeht*g*
 

@ Ithildin:

Echt total toll, dass du es zu uns geschafft hast und es gut findest!

Also seine erste Geschichte ist es bei weitem nicht. Aber ich vage mir anzumaßen zu sagen, dass er bisher ganz andere Genre bedient hat. Zum größtenteil ironisch/sarkastisch/humorvolle Beiträge, die - warum auch immer - hier nicht allzu viel Anklang fanden. Schade drum, denn ich mag sie gerne ;)

Zitat: "nun zum schreibstil. hmmm der ist im großen und ganzen eigentlich okay nur manchmal verdrehst du die zeiten noch ein wenig also zb. schreibst du "schmiss" anstatt "warf" die klamotten usw. ^^"

Also eigentlich is das ja kein vertauschen der Zeiten, denn schmiss is die Vergangenheit von schmeißen und somit ein ganz anderes Verb als werfen. Wenn dann klingt es salopp und das halte ich nicht für verwerflich, oder?

Ich hoffe, dass dir auch das nächste Kapitel gefallen wird*g*
 

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Mit leisen Schritten tappte Elivandra über den mit Teppich ausgelegten Boden der Uni-Bibliothek in Richtung des hinteren Teils mit dem Archiv. Dort gab es wenig interessantes für Normalsterbliche, nur ab und zu kamen hier ein paar der wenigen Geschichtsstudenten her. Schwer hing der Geruch von altem Papier und Leder in der Luft. Einen kurzen Moment horchte Elli in die Stille. Das Knarzen einer Leiter zwischen den meterhohen Regalen zeigte ihr den Weg. Der Professor, der als excentrischer Bücher- und Sprachenvernatiker galt, stand auf der Leiter, einige Meter über dem Boden und sortierte Unterlagen. Es war so still in diesem Abschnitt der Bibliothek, dass man sein Geflüster hören konnte. „Diese verdammten Studenten. Erst alles durchwühlen und es dann auf einen Haufen schmeißen und abhauen.“ Anschließend kamen noch einige Flüche.

„Hallo?“ wagte Elivandra sich leise bemerkbar zu machen. Über der Rand seiner dicken Brille suchte der Professor nach seinem Gast. „Einen Moment,“ sagte er, „ich bin gleich da.“ Ächzend stieg er von der Leiter. Je näher er dem Boden kam, desto älter sah er aus. Lange graue Haare nach hinten weggebunden schienen wie die Spitze eines Leuchtturmes neben den dunklen Cordtönen des Sakkos und der Hose. Endlich angekommen und leicht außer Atem fragte er schließlich mit krächzender Stimme: „Nun, was kann ich für dich tun?“

Für einen Moment zögerte Elivandra noch, doch letzten Endes siegte die Neugier. „Ich habe hier zwischen den Büchern meiner Großeltern etwas gefunden, weiß aber nichts damit anzufangen. Sie kennen sich doch bestimmt mit solchen Dingen aus. Würde es Ihnen etwa ausmachen, mal einen Blick darauf zu werfen?“ Der kleine Mann wirkte solange gelangweilt, bis er das Buch sah, das Elli ihm reichte. „Oh,“ kommentierte er, „darf ich?“ Die knöchigen Finger tasteten nach dem Buch und Elivandra gab es ihm und folgte danach etwas beleidigt zum beleuchteten Schreibtisch. Ihren Rehblick, den sie extra aufgesetzt hatte, war vom Professor ignoriert worden, der nur Augen für das Buch hatte. Angesichts seiner wohl kostenfreien Hilfe war sie aber gewillt, ihm zu vergeben, dieses Mal zumindest.

Interessiert drehte der Professor das Buch mehrmals hin und her, bevor er es überhaupt aufschlug. „Hmm,“ machte er und auch ein paar mal „oh“. Vereinzelt konnte Elli ihn auch seine Stirn runzeln sehen. „Das ist wirklich außergewöhnlich.“ Elivandra machte sein hin und her nervös. „Er soll endlich auf den Punkt kommen,“ dachte sie sich, sagte aber: „Und? Was sagen Sie dazu?“ „Oh,“ der ergraute Mann schreckte leicht auf, als hätte er sie für einen Moment vergessen. „Äh, ja. Das ist ein wirklich außergewöhnliches Buch. Heh, in vielerlei Hinsicht.“ „Wie meinen Sie das?“ „Die Sprache und Schrift sind sehr selten und sind nur in wenigen Schriften vertreten. Die meisten davon aus dem ost- und mitteleuropäischen Raum im Mittelalter. Sie ist sehr komplex und bis heute haben nichtmal alle Worte eine Übersetzung.“ „Wirklich?“ Elivandra versuchte interessiert zu klingen, aber die historischen Fakten waren für sie weniger von Bedeutung. Sie wollte wissen, was da stand. „Und in anderer Hinsicht?“ „Tja, von der Aufmachung ist das im Stil eines Tagebuches, oder eines Zeugenberichtes. Der Textinhalt passt allerdings nicht dazu. Ich kenne zwar nur wenige Worte, aber in den Textteilen geht es um Monster, Wesen und Schatten.“ Elivandra gab ihm zu verstehen, dass sie nicht wusste, worauf er hinaus wollte. „Man könnte zwar annehmen, dass es um sinnbildliche Ausdrücke geht, was aber unüblich ist in dieser Schrift. Sie ist dafür sonst zu sachlich gehalten. Ich glaube deshalb, dass es ein sehr gelungener Professorenscherz ist.“ Er schien sichtlich beeindruckt. „Ein Professorenscherz?“ wiederholte Elli. „Genau. Wir sind nicht alles nur Spießer, auch wenn es aus Sicht der Studenten so scheint.“ Ein verschmitztes Lächeln drang durch seine sonst schlichte Miene, bei der sich Elli gezwungen fühlte, mit einzusteigen. „Dabei geht es um folgendes,“ erklärte er weiter, „der eine Professor denkt sich einen intelligenten Scherz aus, dem er einem anderen spielen kann. In diesem Fall ist es ein Buch, welches alt aussieht und in einer nahezu unbekannten Sprache geschrieben ist, in dem allerdings nur Märchen stehen. Gebrüder Grimm würde ich schätzen.“ Elivandra war von der These nicht überzeugt und bekam das Gefühl ihre Zeit vergeudet zu haben. Würde er die Umstände kennen, unter denen sie das Buch wirklich erhalten hatte, wäre er da ihrer Meinung.

Sie bedankte sich zwar, wollte ihn dennoch gerade enttäuscht verlassen, als er ihr noch hinterherrief: „Möchtest du nicht genau wissen, was in dem Buch steht? Ich hätte hier ein Exemplar des lückenhaften Wortschatzes.“
 

Mit dem Gefühl, ihre Zeit doch nicht ganz verschwendet zu haben, kam Elli zu Hause an, das Buch des Professors aus der Bibliothek in der Tasche. Pulvini hatte sie angerufen, als sie noch unterwegs gewesen war, aber Elli hatte jetzt keine Lust auf Shopping, sie wollte wissen, was in dem Buch stand. Es musste immerhin einen Grund geben, weshalb Noctis es zurückgelassen hatte. Für das Abendessen wiederum war sie bereit, etwas Zeit zu opfern. Nur sehr langsam konnte Elivandra das Buch übersetzen. Die Aufzeichnungen der bekannten Worte waren mehr als lückenhaft und am Abend hatte sie nicht einmal die erste Seite vollständig. Es fehlten ihr ganz entschiedende Schlüsselworte, die den Sätzen einen Sinn geben konnten. Lustlos ließ sich Elli auf den wüsten Stapel Papier fallen. Sie hatte Hunger. Für ein Essen bei Pulvini schaffte sie es gerade noch, sich wieder auf zu raffen. Es war zwar noch gar nicht so spät, aber sie fühlte sich trotzdem müde und geschafft. „Ich werde wohl alt,“ sagte sie sich. Sonst war das immer ein ironischer Witz, dieses Mal seufzte Elivandra jedoch nur leicht darüber.

Der Weg zu Pulvini schien eine Ewigkeit zu dauern und das spontan von angenehm auf unfreundlich umgeschlagene Wetter machte diesen Umstand nicht besser. Nach den ersten Metern vor der Haustür hatte sich Elivandra kurz überlegt, doch schon die dickere Winterjacke aus dem Schrank zu holen, erachtete den Weg zurück jedoch als zu anstrengend vor dem Essen. Die Strapazen schienen sich gelohnt zu haben. Schon, als Elli vor der Tür von Pulvinis Studentenwohnung stand, konnte sie eindeutig riechen, dass es heute Fleisch gab. Irgend eine Art von Braten, sodass ihr das Wasser im Mund zusammenlief und sie es kaum noch erwarten konnte. Das machte sich wohl auch bei ihren Tischmanieren bemerkbar. Während des Essens erwischte sie Pulvini und ihren Freund immer wieder dabei, wie sie sie anstarrten. „Hast du heute noch nichts gegessen?“ feixte sie Pulvinis Freund an. Eigentlich war es einer seiner sonstigen auch überflüssigen Kommentare, trotzdem gewann Elivandra den Eindruck, als würde er es dieses Mal ernst meinen. Doch erst später, auf dem Nachhauseweg wollte ihr Verstand wieder so funktionieren, dass sie das Abendessen noch einmal Revue passieren lassen konnte. Sie hatte wirklich gefressen wie ein Scheunendrescher. Viel zu große Portionen auf der Gabel und drei mal Nachschlag, das war ja schon abnormal. Sonst benahm sie sich immer einwandfrei am Tisch, selbst bei Freunden. Die Menge, die sie gegessen hatte an sich war schon beunruhigend. Das würde sich alles am nächsten Morgen auf der Wage zeigen. In dieser Woche kam auch einfach alles zusammen. Das erinnerte Elli an Murphys Gesetz. Wenn er nur die letzten Tage hätte an Ellis Seite miterleben können. Ein Paradebeispiel für sein Gesetz.

Wehleidig zum Vollmond am jungen Nachthimmel schauend, hatte Elivandra überhaupt nicht mitbekommen, dass sie schon zu Hause angekommen war. Trotz der immensen Fülle des Abendessens bei Pulvini hatte sie doch noch Hunger. „Nein,“ sagte sie laut und vor dem Kühlschrank stehend zu sich selbst, „bloß nicht.“

Um sich abzulenken setzte sich Elli noch einmal vor den Stapel mit den Übersetzungsversuchen des Buches. Bisher waren ihre Erkenntnisse durch dieses an einer Hand abzuzählen. Für einen Professor mit jahrelanger Erfahrung auf diesem Gebiet war es ein Scherz und der Besitzer hieß offenbar Noctis. Äußerst unbefriedigende Ergebnisse für die Arbeit, die sie bisher investiert hatte, wie sie fand. Also noch mal alles durchsehen. Irgend wo musste es doch einen Satz geben, der vollständig war. Doch auch noch einer weiteren Stunde und mehrmaliger Kontrolle kam Elivandra einfach zu keinem Ergebnis. So sehr sie das auch störte, brauchte sie jetzt erst einmal eine Dusche und danach etwas Schlaf. Wenn sie schon das Stundenprotokoll für den nächsten Tag mal wieder nicht hatte, musste sie wenigstens ausgeschlafen genug sein, sich der drohenden Extraarbeit des Dozenten zu entziehen.

Zumindest das Duschen klappte hervorragend und war sehr angenehm. Allerdings lag Elli nun schon mehrere Stunden im Bett und konnte nicht wirklich schlafen. Ab und zu nickte sie mal kurz weg, aber immer, wenn sie auf ihren Wecker schaute, waren erst ein paar Minuten vergangen. Die vor dem Besuch bei Pulvini vorherrschende Müdigkeit hatte sich vollständig ins Gegenteil verkehrt. Schließlich gab Elli es auf, schlafen zu wollen. Auf dem Weg ins Wohnzimmer, kam sie am Tisch vorbei, auf dem Noctis Buch aufgeschlagen lag. Nur kurz überflog sie die Zeilen, wie in Trance und sie hatte das Gefühl, als würde ihr jemand die Übersetzung direkt in ihr Ohr flüstern...

Flüstern

Und nun kommt endlich das nächste Kapitel*g*

Hat ja lang genug gedauert, sorry.

Wir hoffen es gefällt euch! Ich mag es ;)
 

@ Ithildin:

Vielen vielen Dank für dein Kommi. Ich hoffe dieses Kaitel gefällt dir genauso gut!
 

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25. Januar 1456

Nach langem Warten war es jetzt endlich an der Zeit unsere Heirat zu vollziehen. Der Pfarrer kam extra aus der Stadt auf unser spärliches Land hinaus. Schlicht aber dennoch schön fand die Feier in der Scheune meiner Eltern statt. Fast zu Tränen rührte es mich, als mein Herr Vater unsere Mitgift verlauten ließ. Trotz meines Platzes als Zweitgeborenen gab er uns ein Stück seines Landes. Jetzt ist es nur ein leerer Acker mit einem alten Pflaumenbaum, doch es ist unser. Dank der ungewöhnlich milden Nacht konnten wir unter dem Baum unsere Hochzeitsnacht verbringen.
 

28. Januar 1456

Dank des weiter ungewöhnlich frühen Frühlings können wir bereits unser eigenes Heim in Angriff nehmen. Dem Wetter ist es jedoch auch zu verdanken, dass die winterliche Waffenruhe nicht mehr lange halten wird. Ich fürchte um mein kürzlich gewonnenes Glück.
 

17. Februar 1456

Der schon lange tot geglaubte Pflaumenbaum ist am ergrünen. Seit Jahren die ersten Triebe versprechen ein gutes Omen. Unter dess ist die Einberufung für das Heer im Gange. Der Graf hat auch die Männer unserer Familie vorgeladen. Morgen sollen wir an seinem Hofe erscheinen.
 

19. Februar 1456

Bruder sowie Vater sind einberufen und an die Front abgezogen. Meine Kraft ist der Reserve zugeteilt. Erneut lacht mir das Glück, denn so kann ich vorerst bei meiner Frau verweilen. Es gibt uns ein wenig Aufschub und Zweisamkeit. Erst heute ist unser Heim fertig und wir verbringen unsere erste Nacht darin, an jener Stelle, die uns auch schon in der Hochzeitsnacht gute Dienste erwies.
 

24. März 1456

Welch freudiger Tag heute ist! Unser erstes Kind ist auf dem Weg. Jede Ähre des Feldes sprießet, jede Blüte der Pflaumen blühet und der Wind raschelt in den Ästen und Blättern aus denen die Vögelein ihr Liedchen zwitschern. Keine Wolke trübet den Himmel und das Leben ist schön.
 

26. Juni 1456

Eine unglaubliche Kraft erfüllt mich seit jenem verheißungsvollem Tag. Nichts trübt dieses Gefühl, nicht einmal, dass unser Regiment gen Süden ausgerückt ist, um letzten Endes den Sieg nach Jahren des Krieges zu erringen. Auch Vater und Bruder werde ich dort wiedersehen.
 

01. Juli 1456

Das Feld verheißt schlimme Schlachten, die hier ausgetragen wurden. Vater und Bruder sind bisher nicht zu finden und wohl weiter entlang der Grenze stationiert. Der Graf selbst führt uns an. Er verbringt manchmal sogar die Abende an unseren Feuern. Zu Untergebenen gut, zu Feinden unglaublich streng. So ist wohl ein großer Feldherr.
 

14. Juli 1456

Nach ein paar Siegen über letzte Verteidiger sind wir bereits tief im Feindesland. Die Stimmung unter den Männern ist gut, viele Junge in meinem Alter sind dabei. Die Wenigen, die schon zu viele Winter für den Krieg erlebt haben erzählen Geschichten aus damaliger Zeit und über unseren Grafen.
 

15. Juli 1456

Am Abend kam ein Bote im Eiltempo in das Zelt des Grafen geprescht. Sein Pferd ist kurz darauf verendet, er bringt wohl Kunde aus der Heimat. Bald darauf brechen wir übereilt das Lager ab und bewegen uns zurück in die Richtung, aus der wir kamen. Keinem wurde gesagt, was sich zugetragen hatte, doch bei allen konnte man Enttäuschung in den Blicken erkennen. So kurz vor der Hauptstadt umkehren zu müssen, während das nahezu besiegte Volk sich ängstlich vor unserem Grafen niederwirft.
 

Die Ereignisse, die sich später zugetragen haben, sind keinem festen Datum zuzuordnen. Ich weiß nicht, wie viele Tage wir marschiert sind, doch uns wurden kaum Pausen gegönnt. Zurück in der Heimat zeigte sich ein furchtbares Bild. Während wie im Süden waren, sind aus dem Norden und Osten andere Länder in unser Reich eingefallen und haben bereits weite Abschnitte verwüstet. Die Äcker waren verbrannt, auf den Straßen lagen unsere Landsleute erschlagen, als sie das schützten, was noch heil war. Die Kameraden waren bestürzt und auch ich war voller Sorge. Ein Glück, dass wir zielstrebig in die Richtung meines Heimes marschierten.

Schon aus der Ferne erkannten wir deutlich die Rauchschwaden über dem Horizont. Die Höfe brannten noch und das Blut war noch nicht im Boden versickert. So fand ich meine kleine Hütte und meine Frau. Elendig von Hinten gemeuchelt, wehrlos und hochschwanger. Es ist nicht zu beschreiben, wie ich mich fühlte. Trauer und Verzweiflung waren die Stärksten. Ich wusste nicht, was ich tun sollte und war hilflos, wohl wie sie kurz vor dem Ende. Schon bald wuchs in mir jedoch etwas anderes heran, als nur Trauer. Hass, der Wunsch nach Vergeltung und grausamer Rache erwachten in mir und zu dieser Zeit war es auch, dass der Graf neben mich trat. Unsere Blicke vereinten die gleichen Gefühle und Gedanken. Was er dabei verloren hatte, wagte ich nicht zu fragen, aber das war auch nicht nötig. Er packte mit an und wir legte meine Frau zu ihrer letzten Ruh in unser brennendes Haus.
 

Noch am Abend brachen wir auf und erreichten das Lager des Feindes Stunden später in tiefer Nacht. Eine Übermacht zu unserem kleinen Heer, doch unser Graf befahl trotzdem fest entschlossen den Angriff. Ich war es auch.

Nachdem der Moment der Überraschung vorüber war begann ein Massaker. Kamerad um Kamerad fiel im Getümmel. Die Wiesen rutschig von Blut waren erfüllt vom Geschreih, die Luft von Rauch der bluterstickten Feuer. Ein roter Mond war der einzige Zeuge, der am nächsten Morgen noch stand. Der Graf und ich allein auf weiter Flur und alles Menschliche ermordet. Was aus uns geworden war, ich wusste es nicht, doch ich hatte das Gefühl, ich sollte dies hier niederschreiben, solange noch ein Rest von etwas menschlichem in mir steckt. Bald schon werde ich vor den Toren der Hölle dem Wahnsinn einher fallen, genährt von den Seelen der Soldaten.
 

„Wie ich sehe, bist du noch wach.“ Elivandra wirbelte herum, aufgeschreckt aus den Gedanken, von denen sie nicht wusste, ob es ihre oder die eines anderen waren. Hinter ihr stand Noctis und schaute sie aus tiefen Augen an. „Auch noch immer hungrig, Elivandra?“



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Kommentare zu dieser Fanfic (5)

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Von:  Ithildin
2009-12-13T13:27:05+00:00 13.12.2009 14:27
hallo du, ^^
sorry hat n bisschen gedauert aber ich hatte momentan wenig zeit.
so also, wieder ein sehr schönes kapitel, ich vermute mal, das ihre neuste bekanntschaft dahintersteckt. die einflüsterungen der übersetzung soso, na da bin ich ja mal schwer gepannt wer der geheimnisvolle unbekannte ist. *grins*
also schön weiterschreiben, ich freu mich schon drauf, wenn sich für elli das geheimnis lüftet. ^^
lg ithildin
Von:  Ithildin
2009-11-20T17:23:56+00:00 20.11.2009 18:23
hallo erstmal,
hey du hast echt richtig glück, das mir deine ens aufgefallen ist, da guck ich nämlich eigentlich höchst selten rein.
aber genug geplaudert, kommen wir zum wichtigeren teil zur ff. ^^

ist deine erste, seh ich das richtig?
die idee finde ich schon mal ganz gelungen, ich mag vampire *grins*

nun zum schreibstil. hmmm der ist im großen und ganzen eigentlich okay nur manchmal verdrehst du die zeiten noch ein wenig also zb. schreibst du "schmiss" anstatt "warf" die klamotten usw. ^^

macht aber nix ansonsten gefällt sie mir recht gut, der start ist dir geglückt. würde mich freuen wenn du mir bescheid gibst, wenn du wieder was hochlädst, ich würd gerne weiterlesen, auch wenn ich dir nicht versprechen kann es regelmäßig zu tun, ich kann leider nicht so häufig auf animexx, wie ich wollte.^^

ps:nur mut bin gespannt wie´s weitergeht.
grüßle ithildin
Von: abgemeldet
2009-11-19T21:47:19+00:00 19.11.2009 22:47
Ich weiß es zu schätzen... denke ich :P
Aber irgendwie hab ich das glaube ich nciht richtig verstanden ^^
"Außerdem meine ich, dass die Ehrlichkeit und die eher brachiale Ausdrucksweise an manchen Stellen durchscheint, aber ruhig auch in den Vordergrund treten darf. Deswegen soll sich werter Herr Autor mal was trauen - denn nicht nur mit dem Plot macht man Punkte. ^^ "

Das der Stil auch wichtig ist, soweit komm ich mit, aber das mit dem "sich trauen" und die "brachiale Ausdrucksweise"... wie genau meinst du das ? ^^
Von:  Asketenherz
2009-11-16T14:34:54+00:00 16.11.2009 15:34
Hey,
entschuldigt, dass es so spät geworden ist. Eigentlich habe ich es ja schon gelesen, aber vergessen zu kommentieren. Dann war der Computer schon aus und das Wochenende kam.
Natürlich weiß ich, was kalter Schweiß ist. Nur bilde ich mir ein, "kalten Scheiß" gelesen zu haben, anstatt "kalten SchWeiß".
Gut, ich kann mich ja irren.
Nun zum esentielleren Teil: das Kapitel.
Also langsam bekommt es Form. Ich kann mir vorstellen, wie es weitergeht, oder zumindest die Richtung.
Ich finde es gut.
Und bisher sind mir noch keine Fehler (ich kann mich auch nicht mehr erinnern) aufgefallen. Ich bin gespannt, wie es weitergeht.
Von:  Asketenherz
2009-11-09T16:25:04+00:00 09.11.2009 17:25
Die Erste. Ich hoffe ihr wisst das zu würdigen. =) Ich ging nun also einem Link via ENS nach, obwohl ich sowas ja nie mache. Heute war eine Ausnahme und siehe da: es hat sich auch noch gelohnt. Nun ja, im ersten Kapitel erfährt man ja nie sehr viel, aber ich kann schon erahnen (meine ich zumindest) in welche Richtung das läuft. =) Zwei Fehler sind mit noch aufgefallen, werte Beta-Leserin. Zum einen der "kalte Scheiß", was mich sehr zum Lachen gebracht hat und einmal irgendwo weiter hinten der Buchstabendreher mit "haben", was zu "ahben" geworden ist.
Ansonsten finde ich es ziemlich gut und bin gespannt, wie es weiter geht. Außerdem meine ich, dass die Ehrlichkeit und die eher brachiale Ausdrucksweise an manchen Stellen durchscheint, aber ruhig auch in den Vordergrund treten darf. Deswegen soll sich werter Herr Autor mal was trauen - denn nicht nur mit dem Plot macht man Punkte. ^^

Die besten Empfehlungen des ersten Lesers

Darki

p.s. weiter so !


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