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Die Nebelhexe

Formori-Chroniken I
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Dieses kapitel habe ich eigentlich schon letztes Jahr geschrieben, als ich an Rauhnacht gearbeitet habe, aber es die ganze Zeit nicht hochgeladen, weil es mir erschien, als wäre ... zu wenig Handlung darin. Allerdings will ich es jetzt auch nicht weiter auf meinem Laptop versauern lassen; auch wenn unklar ist, wann ich wieder richtig zum Schreiben komme. :,D Komplett anzeigen

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Runen

Layla saß auf der Veranda ihres neuen Hauses am Rande des Waldes und las ein Buch. Sie waren vor ein paar Wochen hergezogen, weil ihr Vater hierher versetzt worden war. Ihre Mutter lebte schon lange nicht mehr; sie starb in einem Autounfall als Layla sieben war.

Sie versuchte sich die Zeit zu vertreiben, denn es waren Ferien und sie kannte noch niemanden hier, was wahrscheinlich auch noch eine Weile so bleiben würde, mit einem Nachnamen wie McCambridge in Deutschland. Die Eltern ihres Vaters waren Iren und sie beide sahen aus wie Klischee-Iren, ohne dass sie der Name verraten musste. Sie hatten beide leuchtend rote Haare und grüne Augen, ganz zu schweigen von den Sommersprossen ihres Vaters; bei ihr hatten sich zum Glück die Gene ihrer Mutter durchgesetzt und sie war nicht ganz so gesprenkelt wie ein Dalmatiner. Ihr Vater würde spät in der Nacht nach Hause kommen, also machte sie sich gar nicht erst die Mühe zu kochen. Sie war sich bis heute immer noch nicht sicher, was ein Buchhalter bis tief in die Nacht zu arbeiten hatte.

Die untergehende Sonne tauchte die Veranda, auf der sie saß in ein angenehmes orangerotes Licht und sie kraulte ihren Kater Phobos, der auf ihrem Schoß saß, gedankenverloren hinter den Ohren, als sie eine Seite in ihrem Buch umblätterte. Das Buch war nicht sonderlich spannend, da die Handlung nicht wirklich existent war und Layla glaubte, dass sie auch nicht mehr existent werden würde .

Gerade als sie hoffte, die „Handlung“ könnte potentiell in Kraft treten, sprang Phobos von ihrem Schoß und ging schnurstracks über den Rasen in Richtung Wald.

Sie sah ihm etwas verwundert nach. Hatte sie etwas getan, das ihn aufgeschreckt hatte?

„Phobos?“

Als ob er sie verstehen könnte, blieb er stehen und sah über seine Schulter hinweg zu ihr zurück. Als sie aufstand um ihn wieder zu holen, setzte er seinen Weg unbeirrt fort. Sie ging einen Schritt schneller, um ihn zu schnappen, aber er schien sie gehört zu haben und entwischte ihr. Das Spielchen wiederholten sie einige Male bis er wieder spielerisch aus ihrer Reichweite sprang und sich auf einen kleinen Pfad am Waldrand setzte.

Layla musterte ihren sonst so trägen Kater verwundert. Er war ein bisschen groß für eine Hauskatze, schwarz wie die Nacht, sodass der weiße Fleck an seinem Hals umso heller leuchtete.

Nope. Nichts anders. Immer noch dieselbe Gammel-Katze wie gestern auch, dachte sie sich.

Als sie wieder einen Schritt auf ihn zu machen wollte, stand er erneut auf und fing an den Pfad entlang zu gehen. So langsam wurde es ihr zu bunt. „Blöde Katze!“, stieß sie wütend aus und stapfte dem Kater hinterher. Sie versuchte erneut ihn zu greifen, aber er sprang wieder weg.

„Dann mach doch was du willst!“, fauchte sie ihn an und wandte sich um, um wieder zum Haus zu gehen. Doch sie hatte noch keine zwei Schritte zurück gemacht, als sie hinter sich ein Miauen hörte. Als sie sich umdrehte, saß Phobos wieder auf dem Pfad und starrte sie aus seinen grünen Katzenaugen an. Sobald sie sich wieder umwandte, maunzte er wieder, aber wenn sie auf ihn zuging, stand er auf und ging weiter in den dunkler werdenden Wald hinein. Verwirrt blieb sie auf dem Pfad stehen. Sie schaute zurück zum Haus dann wieder auf den schwarzen Kater. Phobos war ein paar Schritte weiter gegangen und starrte nun wieder über seine Schulter zu ihr zurück – eine sehr menschliche Geste . Als wollte er, dass sie ihm folgte. Sie machte einen Schritt auf ihn zu, und wie als ob er ihre Vermutung bestätigen wollte, setzte er seinen Weg fort.

„Das ist doch vollkommen hirnrissig!“, meinte Layla nur und drehte sich wieder zum Haus. Phobos miaute wieder und sie seufzte laut auf.

„Gut, gut! Aber ich geh nicht ohne eine Taschenlampe da rein!“, gab sie sich geschlagen und er setzte sich wartend auf den Pfad nur um sie wieder anzustarren.

Widersinnig wie es war, ging sie dennoch zurück zum Haus um ihr eine Taschenlampe zu suchen, am besten mit Duracell-Batterien. Sie hatte ausreichend Project Zero gespielt und genügend Horrorfilme gesehen, um zu wissen wie das übliche Geschehen im dunklen, dunklen Wald mit dem hilflosen Mädchen ablief. Auf ihrem Rückweg durchs Wohnzimmer, kam sie am neueingebauten Kamin vorbei.

Besser auch noch eine Waffe! , dachte sie sich und nahm einen Schürhaken aus dem zugehörigen Ständer. Falls ich irgendwo auf einen Schwarzen Mann treffe…

Layla hatte schon gehofft, dass sie sich umsonst vor ihr selbst vollkommen lächerlich gemacht hatte und Phobos mittlerweile im Wald verschwunden war, doch er saß immer noch da, wo sie ihn zurückgelassen hatte. Die Sonne war längst hinter den Baumwipfeln untergegangen. Nur ein heller Schein am Horizont zeugte noch von ihrer Anwesenheit und ließ die Wipfel golden glänzen. Phobos‘ Augen leuchten im verblassenden Licht und so langsam gruselte Layla ihre eigene Katze etwas.

Als sie wieder auf ihn zutrat, stand er auf und ging wieder in den Wald hinein. Er blickte noch einmal zurück, wie um sich zu vergewissern, dass sie im folgte und setzte seinen Weg dann schnell wieder fort.

Mein Gott, ist das bescheuert! Ich will meiner Katze in den dunklen, dunklen Wald folgen, weil ich so ein Gefühl habe! Jeder, der mich hier mit einem Schürhaken und einer Taschenlampe bewaffnet sieht, wie ich einer Katze in den Wald folge, muss mich für vollkommen bekloppt halten!, wetterte sie in Gedanken, weil sie sich nicht traute, die Worte laut auszusprechen, da sie das Gefühl hatte, dass alles dann noch sinnloser klingen würde. Doch ungeachtet ihrer Schimpftriaden gegen sich selbst setzte sie ihren Weg fort. Um wieder hinter Phobos aufzuholen, ging sie schneller und prompt blieb ihr Rock an einem dornigen Busch hängen. Fluchend friemelte sie den Rock frei und sah, das Phobos wieder gewartet hatte. Schaudernd beschloss sie ihre Taschenlampe einzuschalten, sodass sie nicht wieder irgendwo hängen blieb. Naja, oder zumindest versuchen konnte, auszuweichen.

„Wehe, du hast mir nicht etwas Wichtiges zu zeigen! Wenn du mich irgendwo zu einem Haufen toter Mäuse schleppst, werde ich sauer!“, grummelte Layla den Kater an. „Jetzt rede ich auch noch mit einem Kater!“ Nicht, dass sie das nicht nie getan hätte.

Doch sie gingen immer tiefer in den Wald und Phobos‘ buschiger Schwanz tanzte am Rande des Lichtkegels ihrer Taschenlampe vor ihr hin und her. Über sich hatte sie immer mal wieder durch die Äste der vielen Bäume den Nachthimmel gesehen. Nach einer Ewigkeit wie ihr schien, erreichten sie eine kleine Lichtung, die vom mittlerweile aufgegangenen Mond so stark erhellt wurde, dass sie ihre Taschenlampe schon gar nicht mehr benötigte. Layla dachte zuerst, dass sich ein riesiger Felsen überwuchert mit Gestrüpp auf der Lichtung befand, doch dann erkannte sie, dass der Felsen ein Loch hatte und eigentlich eine kleine Hütte war. Die Hütte war stark verwittert und die Eingangstür hing nur noch in einer Angel, sodass die Tür leicht geöffnet war. Unbeirrt ging der Kater auf den Türspalt zu, sah Layla noch einmal an und verschwand schließlich im Türspalt.

„Phobos!“, zischte sie, „Komm da sofort raus!“ Doch von drinnen hörte sie nichts, nicht einmal ein „miau“. Zitternd fasste Layla ihren Schürhaken fester und stieß die Tür auf.

Als sie eintrat, konnte sie zuerst nichts sehen, so dunkel war es. Das Einzige, was sie vage wahrnehmen konnte, waren Phobos' Augen, die sie aus der Dunkelheit anleuchteten. Sie schaltete ihre Taschenlampe wieder ein, um mehr sehen zu können. Ihr erster Eindruck war: groß, staubig und kaputt.

Die Hütte schien von innen größer zu sein, als es von außen den Anschein machte. Der Raum, in dem sie sich befand, war eine Art Mischung aus Esszimmer und Wohnzimmer, soweit sie es erkennen konnte. Ein Esstisch, von dessen Stühlen keiner wirklich so aussah, als würde er einen ausgewachsenen Menschen tragen können, einige Sessel, aus denen das Polster herausquoll, und ein paar mehr oder weniger heil aussehende Kommoden und kleine Schränkchen zierten den Raum. Phobos saß direkt vor ihr auf einer niedrigen Kommode an der Wand neben einem kleinen Kamin und sah sie an.

"Was soll das hier?", fragte sie den Kater, der ihr natürlich nicht antworten konnte. Vielleicht war ihr Kater ja auch ein Verräter und wollte sie in die Falle eines Vergewaltigers locken? Was in dieser Situation äußerst schlecht gewesen wäre, denn sie hatte nur einen Schürhaken und war mindestens drei Kilometer von ihrem Haus entfernt.

Da jedoch nach einigen Minuten noch immer kein Schurke hinter einem Sessel hervorgesprungen war und geschrienen hatte: "Haha! Ich werde dich jetzt überfallen!" oder sowas in der Art, beschloss sie sich etwas umzusehen an diesem merkwürdigen Ort, zu dem sie ihr seltsamer Kater geführt hatte.

Auf einen inneren Impuls hin ging sie zum Esstisch, um ihn etwas genauer zu inspizieren. Er war noch gedeckt, hatte sogar noch Speisen aufgetragen, die jedoch schon so alt waren, dass sie schon nicht mehr stanken, sondern einfach nur verfallen und mit Staub bedeckt waren. Das Geschirr und Besteck sah ebenfalls alt aus, soweit sie das beurteilen konnte. Sie hatte noch nie wirklich altes Geschirr gesehen, denn sie hatten zu Hause nur einfache weiße Teller, weil ihr Vater etwas unkreativ in der Wohnungsgestaltung war. Mit 14 hatte sie beschlossen, die Dekoration ihres Hauses zu übernehmen, da sie nicht in einem sterilen Haus wohnen wollte, dessen einzige Dekogegenstände noch von ihrer Mutter stammten.

Da ihr der Tisch keine Aufschlüsse darüber geben konnte, was hier vor sich ging, verließ sie ihn und sah zum ersten Mal zwei Türen, die sie zuvor nicht wahrgenommen hatte. Sie fragte sich gerade, was sie noch alles übersehen hatte beim ersten Hineinschauen, als sie ein Geräusch von draußen vernahm. War der Schurke, das Monster, das was-auch-immer doch hier und wollte sie überfallen? Vielleicht hatte sie sich geirrt und sich das Geräusch nur eingebildet? Mit pochendem Herzen stand sie mitten im Raum und wartete.

Das Geräusch erklang erneut. Näher. Lauter. Da draußen war definitiv jemand!

Sie suchte schnell hinter einem der Sessel Zuflucht und schaltete ihre Taschenlampe aus, da sie ihre Position nicht durch den Lichtschein verraten wollte. Unwillkürlich hielt sie den Atem an und hoffte, dass ihr Herz nicht zu laut schlug. Sie starrte ihren Kater wütend hinter dem Sessel hervor an und fasste ihren Schürhaken wieder einmal fester, als eine Gestalt die Tür öffnete und eintrat.

Als sie einige Sekunden atemlos hinter ihrem Sessel verharrt hatte, trat die Gestalt in den Raum und sie erkannte, dass es ein Mann sein musste. Er berührte mit seinem Kopf gerade einmal den niedrigen Türrahmen und schien auch so recht schmal gebaut zu sein.

Wenigstens kein Muskelberg. Vielleicht kann ich ihn irgendwie überrumpeln und abhauen…

Der Mann stand mittlerweile mitten im Raum, der durch die offenstehende Tür erhellt wurde. Wenn sie raus wollte musste sie definitiv an ihm vorbei, es gab keinen anderen Weg. Sie nahm den Schürhaken fest in beide Hände, nachdem sie notdürftiger Weise die Taschenlampe in den Bund ihres Rockes gesteckt hatte, und atmete tief durch. Wahrscheinlich zu tief, denn er fragte: „Wer ist da? Ist da Jemand?“ Seine Stimme klang relativ jung.

Ohne sie weiter darum zu kümmern sprang sie hinter ihrem Sessel hervor und stürmte auf ihn zu. Mehr schlecht als recht schwang sie ihren Schürhaken und er konnte gerade noch ausweichen; vielleicht hatte sie ihn am Arm gestreift, aber sie konnte es nicht mit Bestimmtheit sagen. Das Übermaß an Schwung ließ sie taumeln und er bekam Gelegenheit den Schürhaken zu greifen und versuchte ihn ihr zu entreißen. Es gelang ihm auch fast, denn er war stärker als sie, wie sie fast zu spät merkte. Sie lehnte sich mit Schwung und aller Kraft nach hinten, doch er ließ nicht los und sie fielen beide Richtung Boden. Der Raum war nicht groß und sie hatte sich nicht weit von dem Sessel entfernt, sodass sie gegen seine Lehne fiel und ihn mit sich zu Boden riss. Das gab sicher einen blauen Fleck.

Selbst auf dem Boden ließ der Fremde nicht von dem Schürhaken ab und da er halb auf Layla lag musste sie ganz schön strampeln, um sich zu befreien. Sie rauften miteinander und rollten über den staubigen Boden, sodass der Staub auf ihrer Haut brannte, die nicht von ihrem Tanktop bedeckt wurde, und von der Rangelei aufgeschürft wurde. Nach einer Weile versuchte sie ihm einen Tritt zu versetzten und fluchte laut. „Lass endlich los, du Perverser!“

Sie musste ihn irgendwie mit dem Knie in die Magengegend oder ähnliches getroffen haben, dann er grunze einen Schmerzenslaut und lockerte den Griff um den Schürhaken etwas. Genug jedenfalls, sodass sie ihm den Schürhaken entreißen konnte. Layla rollte sich von ihm weg und stand schwer atmend auf. Sie suchte den Ausgang und fand ihn hinter den fremden Perversling, der sich noch am Boden krümmte.

Ganz toll, Layla! Du hast zwar geschafft den Schürhaken an dich zu bringen, aber auch dich so weit wie nur möglich vom einzigen Ausgang zu bewegen! Ganz großes Kino!

Sie griff den Schürhaken erneut mit beiden Händen und trat damit ausholend auf den Unbekannten zu, der sich mittlerweile versuchte aufzurichten. Als er merkte, dass sie sich ihm wieder näherte, hob er abwehrend die Hände.

„Schon gut!“, schnaufte er. „Ich geb auf! Ich geb dir mein Geld, aber hör verdammt nochmal auf mich zu schlagen!“

„Geld?“, fragte Layla perplex. „Was für Geld? Warum sollte ich Geld von einem Perversen wollen?“

„Ich bin kein Perverser!“, fauchte er. „Und was bist du überhaupt für eine?! Dressierst Tiere damit sie ahnungslose Wanderer in den Wald locken und du sie zusammenschlagen kannst?! Hast du ein Aggressionsproblem?“

„Du bist also kein perverser Mädchenvergewaltiger, der ihren Kater verführt hat?“, hakte sie argwöhnisch nach und ließ ihren Schürhaken ein kleines Stück sinken. Irgendetwas Seltsames lief hier…

„Was? Nein!“

„Da das genau das ist, was ein perverser Mädchenvergewaltiger, der ihren Kater verführt hat, sagen würde, erklärst du dich jetzt! Warum bist du hier?“, herrschte sie ihn an.

„Warum ich und nicht du?“, wollte er ungehalten wissen.

„Weil ich den Schürhaken habe und du auf dem Boden sitzt!“, fauchte Layla.

Er zuckte mit den Schultern, wie um zu sagen ‚Da is‘ was dran…‘. „auch auf die Gefahr hin, dass du mir nicht glaubst und wieder versuchst mir den Schädel einzuschlagen, ich bin einer Eule hierher gefolgt.“

„Einer Eule?“

„Ja!“, antwortete er und man konnte an diesem einen Wort hören, dass er rot wurde.

„Kanntest du die Eule?“, wollte sie wissen.

Die Frage schien ihn zu verwirren, denn er antwortete nicht gleich. „Ob ich die Eule kannte? Soll sie sich vorgestellt haben, oder was? Etwa so: ‚Hallo, ich bin die unschuldig aussehende Eule, die dich in dein Verderben zu einer Verrückten in den dunklen, dunkeln Wald führen wird, damit dir die Verrückte den Schädel mit einem Schürhaken spalten kann. Nett dich kennen zu lernen.‘ Und ich habe dann natürlich geantwortet: ‚Hey, klare Sache! Ich bin der dumme, naive Trottel, der dir bereitwillig in den dunklen, dunklen Wald folgt, damit ich mal meine Hirnmasse außerhalb meines Körpers bewundern kann! Freut mich.‘ So etwa?“, wollte er wissen und sie musste unwillkürlich lachen.

Sie ließ ihren Schürhaken vollständig sinken und fragte ihn: „Du hast diese Eule also noch nie zuvor gesehen?“

„Äh, nein?! Wer zum Geier bist du überhaupt?“, wollte er wissen.

„Oh, ich bin Layla. Willkommen im Club der Wir-wurden-von-sich-seltsam-verhaltenden-Tieren-in-den-dunklen-dunklen-Wald-zu-einer-creepy-Hütte-Geführten.“, meinte sie grinsend und reichte ihm ihre Hand.

Selbst in dem wenigen Licht in der Hütte konnte sie sehen, wie verwirrt er sie anstarrte. „Du bist auch einer… Eule in den Wald gefolgt?“, hakte er nach.

„Nein, meinem Kater. Er hat sich seltsam verhalten und ich bin ihm her gefolgt. Nicht im Sinne von die-Hunde-aus-Scary-Movie-4-verhalten-sich-seltsam-seltsam, sondern seltsam im Sinne von anders-als-sonst-seltsam.‘“

Dann fing er an zu lachen und ergriff ihre Hand. Als Layla ihn vom Boden hochzog sagte er: „Constantin, Constantin Morgenthal. Und… äh… wo sind wir hier?“

„Keine Ahnung.“, meinte sie schulterzuckend, „Irgendwo in einer Hütte im Wald? Ich bin erst hergezogen, ich hab keine Ahnung, ob es für diesen Ort eine Bezeichnung gibt. Aber ich habe eine Taschenlampe. Mit Duracell-Batterien.“ Sie griff zum Bund ihres Rockes, doch natürlich war die Taschenlampe nicht mehr da. „Irgendwo jedenfalls ist sie… Sie muss eben runtergefallen sein…“

Sie konnte grob die Umrisse des Raumes sehen, obwohl die Tür mittlerweile wieder zugefallen war, und ging auf den umgestürzten Sessel zu. Sie hockte sich hin und tastete den Boden um den Sessel herum ab. Nachdem Constantin bemerkt hatte, was sie tat, half er ihr. Sie tasteten eine Weile im Staub herum bis Constantin sie fand.

„Ich hab sie!“, meinte er, schaltete sie an und blendete Layla prompt. „Oh, ‘Tschuldigung!“, sagte er, nachdem sie fluchte und senkte den Lichtstrahl. Er schickte das Licht kurz über die Wände, an denen gelegentlich verblichene kleine Landschaftsbilder hingen, die Kommoden und die anderen mehr oder weniger gut erhaltenen Einrichtungsgegenstände. „Sieht ganz schön runtergekommen aus… egal. Ich wäre dafür, dass wir gehen. Was meinst du?“ Nachdem sie nickte, reichte er ihr ihre Taschenlampe. Sie leuchtete noch einmal zu der Kommode, auf der kurz zuvor noch Phobos gesessen hatte, doch er saß nicht mehr da. Er hatte sich wahrscheinlich während des Kampfes erschreckt und war abgehauen. „Elender Feigling!“, grummelte Layla.

„Was?“, meinte Constantin, der vor ihr zur Tür gegangen war.

„Nicht du, ich meinte meinen Kater. Der ist einfach abgehauen!“, erklärte sie.

„Ach so“, sagte er und öffnete die Tür.

„Wenn ich den zu Hause erwische! Ich werde mich –“ Doch sie konnte ihren Vorschlag Phobos kastrieren zu lassen nicht mehr zu Ende formulieren, denn sie rannte in Constantin hinein, der einfach im Türrahmen stehen geblieben war.

„Was ist? Warum gehst du nicht weiter?“, wollte Layla wissen.

„Ich… ich kann nicht.“, antwortete er.

„Wie du kannst nicht? Hast du ein Trauma bekommen und jetzt Angst wieder in den Wald hinauszutreten oder was?“

„Nein, ich kann einfach nicht. Ich kann meinen Fuß nicht weiter als bis zur Schwelle setzen!“

„Bitte?“, fragte sie ungläubig.

„Versuch du es doch!“, meinte er herausfordernd.

„Gut, bitte. Dann lass mich durch“, entgegnete Layla.

Er trat einen Schritt zurück und ließ sie passieren. Als sie auf der Schwelle stand, wollte sie ihren Fuß nach vorne setzen, aber sie konnte nicht. Sie konnte den Fuß anheben, aber sobald sie ihn nach draußen setzen wollte, fühlte es sich an, als ob sie gegen etwas stieß. Sie runzelte die Stirn und sah Constantin fragend an, doch auch er hatte keine Erklärung. Sie wandte sich wieder zur Tür und hob ihre Hand um sie nach draußen zu strecken. Doch sie kam wieder nur bis zur Schwelle und keinen Millimeter weiter. Über die Schwelle hinaus fühlte es sich an, als würde sie eine unsichtbare Wand anfassen. Sie konnte sogar ihre flache Hand dagegen lehnen und drücken, doch es tat sich nichts.

„Das ist doch vollkommen unmöglich…“, murmelte Layla und starrte nach draußen auf die Lichtung.

„Da wir wohl nicht durch die Tür kommen, wollen wir die Fenster versuchen?“, schlug Constantin sehr praktikabel vor. „Es gibt hier doch Fenster, oder?“

„Äh, keine Ahnung. Ich denke schon“, meinte Layla und leuchtete mit der Taschenlampe die Wände ab. Sie konnten wieder die beiden Türen sehen und mit etwas Mühe ließen sich auch zwei Fenster, deren Läden geschlossen waren, an der jeweils rechten und linken Wand ausmachen. Sie gingen zuerst zum rechten Fensterladen und Constantin stieß ihn mit Schwung auf, als ob er erwartet hätte, dass er blockieren würde. Constantin sah Layla fragend an und sie zuckte mit den Schultern. Er versuchte sich zum Fenster herauszulehnen doch er stockte mitten in der Bewegung.

„Nichts?“, fragte sie.

„Nichts“, antwortete er resigniert. „Lass uns den anderen versuchen.“

Dieses Mal stieß Layla die Läden auf und versuchte hinauszuklettern. Sie konnte sich auf den Rahmen setzen, aber kam nicht weiter aus der Hütte raus und schüttelte den Kopf.

„Hier auch nicht. Was ist mit den Türen?“, fragte sie.

Durch die geöffneten Läden schien das Mondlicht in die Hütte und erleuchtete sie, sodass sie besser sehen konnten, auch ohne Taschenlampe. Constantin stand noch in der Mitte des Raumes und wandte sich an die Tür, die direkt an die rechte Wand grenzte. Layla ließ mich von der Fensterbank gleiten und ging auf andere Tür zu.

„Das hier scheint sowas wie eine Vorratskammer zu sein!“, rief Constantin, der seine Tür schon geöffnet hatte, bevor Layla ihre überhaupt erreicht hatte. „Aber es sieht nicht so aus, als sei hier ein Ausgang. Was ist bei dir?“

Ihre Tür war einen Spalt geöffnet und als sie diese weiter aufstieß, erblickte Layla einen weiteren Raum, in dessen Dunkelheit zwei Augen leuchteten. Fast erschrocken richtete sie meine Taschenlampe darauf und erkannte, dass es nur Phobos war, der auf einem uralten Holzbett saß und sie nun anblinzelte. Sie leuchtete den Raum aus. Der Raum an sich schien fast so groß zu sein wie das Wohn-Esszimmer, vielleicht geringfügig kleiner. Die Wände waren von ähnlicher Beschaffenheit und hier und da hing mal ein vergilbtes Bild. Neben dem Bett stand ein kleiner Nachtschrank, auf dem eine von diesen Kerzen stand, die man an einem Henkel des Ständers herumtragen konnte. Layla hatte sich immer gefragt, ob es wohl einen Begriff für diese Kerzenständer gab. Ansonsten gab es hier noch ein Kleiderschrank und eine weitere Kommode.

„Sieht aus wie ein Schlafzimmer!“, rief Layla zurück.

Sie wollte schon den Raum verlassen und zurück zu Constantin gehen als sie den Fensterladen an der gegenüberliegenden Wand sah.

„Hier ist noch ein Fensterladen!“, fügte sie laut hinzu und durchquerte dabei den Raum. Layla stieß auch diesen Laden mit mehr Kraft als vielleicht nötig gewesen wäre auf. Sie stieg wieder auf die schmale Fensterbank, doch konnte den Raum nicht verlassen.

„Und?“, fragte Constantin wenig hoffnungsvoll von der Tür aus.

„Nein, hier auch nicht“, seufzte sie kopfschüttelnd.

„Das kann doch gar nicht sein…“, meinte er. „Ich meine, wir sind irgendwelchen Tieren in den Wald gefolgt und jetzt sind wir in einer Hütte, die wir nicht mehr verlassen können!“

„Jeder, dem wir das erzählen, hält uns für vollkommen bekloppt“, ergänzte sie seinen Gedankengang und setzte sich neben Phobos auf das Bett. Allerdings fasste sie ihn nicht an und saß so weit wie möglich von ihm entfernt. Obwohl es vollkommen sinnlos war dem Tier die Schuld zu geben, war sie trotzdem sauer auf ihn.

„Was machen wir jetzt?“, fragte Constantin und durchquerte den Raum, um sich neben Layla zu setzen. „Ist das dein Kater?“

„Ja, das ist er“, beantwortete ich grummelnd seine letzte Frage zuerst. „Zu deiner anderen Frage, keine Ahnung. Hast du ein Handy dabei? Vielleicht können wir Hilfe rufen.“

„Hätte ich aus selber draufkommen können“, sagte er und kramte in seiner Hosentasche nach seinem Handy. „Ach, Scheiße! Ich hab keinen Empfang, was ist mit dir?“

„Ich hab kein Handy dabei. Wo sollte ich das denn hinstecken? In den Ausschnitt ?“, entgegnete Layla und merkte, wie er sie nun im Halblicht musterte. Als sie auf ihren Rock hinunter blickte, wurde ihr klar, dass sie furchtbar aussehen musste. Eigentlich war ihr Lieblingsrock schwarz, reichte bis zu den Knien und hatte einen mit Spitze besetzten Saum, doch durch den „Kampf“ mit Constantin und die nächtliche Wanderung durch den Wald hatte einiges einbüßen müssen. Er war unregelmäßig mit Staub bedeckt und sie wusste, dass der Spitzensaum an mindestens einer Stelle zerrissen war, als sie im Wald hängen geblieben war. Ihr Oberteil sah bestimmt nicht besser aus und ihre Haare mussten in alle Richtungen abstehen.

Wenigstens sah Constantin auch nicht besser aus. Seine Jeans – Layla vermutete zumindest, dass es eine war – und sein dunkles T-Shirt mit irgendeinem Aufdruck drauf waren mit Staub bedeckt. Er war in etwa ihrem Alter, vielleicht ein Jahr älter oder zwei, aber nicht mehr, hatte blonde Haare und braune oder grüne Augen. Sie sah erst jetzt, dass er einen Kratzer am Arm hatte.

Von meinem Schürhaken? Vielleicht sollte ich mich entschuldigen…

„Äh, das mit deinem Arm tut mir leid“, meinte sie kleinlaut.

„Was?“, fragte er etwas verwirrt. „Ach so. Nein, das muss dir nicht leid tun. Du dachtest immerhin ich sei ein Perverser… Wenn du noch ein bisschen tiefer getreten hättest, hätte ich meiner abartigen Berufung sicher nicht mehr Folge leisten können…“

„Tut mir leid, wirklich!“, erwiderte Layla erneut und merkte, wie sie rot wurde, aber er grinste nur und winkte ab.

„Was machen wir jetzt?“, fragte er noch einmal und sie war froh, die Peinlichkeit zu überbrücken.

„Da wir hier festsitzen und definitiv nicht hier rauskommen“, fasste sie zusammen, „sollten wir uns vielleicht genauer umsehen. Die Fensterläden sind zwar schon offen und es ist heller hier drin, aber etwas mehr Licht könnte nicht schaden, vor allem, wenn der Mond untergeht. Auf dem Nachttisch ist eine Kerze, vielleicht finden wir noch andere und irgendwas um sie anzuzünden.“

„Klingt nach einem Plan.“

Da der Nachtschrank am vielversprechendsten aussah, versuchten sie zuerst dort unser Glück. Und wurden sogar fündig. Als Constantin die Schublade aufzog kamen ein paar alte Stofftaschentücher und ein kleine Packung Streichhölzer zum Abbrechen zum Vorschein, mit denen sie die Kerze auf dem Nachttisch entzündeten. Leider hatten sie nicht noch mehr Glück und fanden nicht auch noch weitere Kerzen in der Schublade, nur noch ein in Leder gebundenes Buch, das sehr alt aussah. Constantin klappte es auf und sie blickten auf Handschriften herunter.

„Sieht wie ein Tagebuch aus“, meinte Layla. „Aber das ist kein Deutsch, oder?“

„Nein, glaube ich nicht. Viel zu viele Akzente. Französisch? Nein, auch nicht“, mutmaßte er.

„Ich glaube, es ist Irisch.“, meinte sie mach einer Weile.

„Und wie kommst du darauf? Nicht, dass ich es für unwahrscheinlich halten würde, aber die Idee kam mir noch nicht mal“, hakte er nach und sah sie fragend an.

„Mein Vater ist Ire. Deswegen weiß ich grob wie es aussieht und klingt, aber ich kann es nicht sprechen oder verstehen.“, antwortete sie schulterzuckend. „Meine Eltern haben immer nur Deutsch miteinander geredet und meine Großeltern in Irland seltsamer Weise auch. Oder Englisch. Ich erkenne in einer irischen Tageszeitung oder einem Buch mal ein Wort, aber das war’s dann auch schon.“

Nachdenklich klappte er das Buch zu und sah sie prüfend an. „Du hast vorhin erwähnt, dass du erst hierhergezogen bist.“

„Äh, ja. Und?“, wollte sie verwirrt wissen. Layla wusste nicht wirklich, was das mit ihren nicht vorhandenen Irischkenntnissen zu tun haben sollte.

„Ihr seid nicht zufällig in das alte Fuhrmann-Haus auf der anderen Waldseite eingezogen?“, fragte er.

„Doch sind wir. Warum fragst du?“, hakte nun sie nach. Der Zusammenhang war ihr immer noch schleierhaft.

„Dann hat sie euch gemeint…“, murmelte er mehr zu sich selbst als zu Layla.

„Ehrlich gesagt, kann ich dir nicht ganz folgen…“, fügte sie schließlich doch hinzu.

„Meine Tante. Ich wohne bei ihr hinter einem Ausläufer des Waldes auf der anderen Seite, der unsere Grundstücke voneinander abgrenzt.“ Nachdem sie ihn immer noch fragend anschaute setzte er nach: „Wir sind sozusagen eure Nachbarn. Meine Tante war deswegen ganz aus dem Häuschen. Sie hat ganz aufgeregt erzählt, dass eine irische Familie in das Haus einzieht und es renoviert. Da es hier nicht wirklich dicht besiedelt ist, denke ich, dass es weit und breit nur eine neue irische Familie gibt.“

„Aaaaaaaaaaaaaaaaah! Jetzt versteh ich!“, sagte sie. Endlich eine Erleuchtung. „Naja, ‚renoviert‘ kann man nicht direkt sagen, sondern eher ‚fast komplett wieder neu aufgebaut‘. Wir haben den Grundbau beibehalten, mussten aber einiges durch neue Materialien ersetzen… Wie lange stand das Haus leer?“

„Ehrlich gesagt, keine Ahnung. So lange ich denken kann, steht es leer. Ich hab noch nie jemanden da wohnender Weise drin gesehen.“, antwortete er, legte das Buch auf das Bett und stand auf, um die Kommode zu untersuchen.

„Du lebst bei deiner Tante?“, fragte sie und stand auch vom Bett auf.

„Ja“, meinte er und zog eine der Schuladen auf. „Meine Eltern sind beruflich im Ausland und ich lebe solange bei meiner Tante bis meine Eltern wieder fest nach Deutschland ziehen; sie sind Diplomaten. Meine Tante ist zwar ein wenig eigen, aber eigentlich ganz nett.“

„Eigen? In welchem Sinne eigen?“, wollte sie weiter wissen und trat zu ihm an die Kommode. Die erste Schublade hatte nichts Interessantes ergeben, also schloss Constantin sie wieder und öffnete die zweite.

„Naja, sie ist der festen Überzeugung in die Zukunft sehen zu können“, fuhr er fort, während er die Schublade durchsuchte. „Du solltest das Haus sehen! Überall Kristallkugeln, Pendel und spirituelle Bücher. Als ich vor sechs Monaten bei ihr eingezogen bin, habe ich erst mal alle Tarotkarten aus meinem Zimmer verbannt. Aber ich könnte schwören, die führen ein Eigenleben… ich hab heute Morgen schon wieder eine gefunden! In meiner Sockenschublade.“

Layla musste lachen. „War es eine gruselige Karte?“ Sie bemühte sich ernst zu klingen, konnte aber ihr Grinsen sicher nicht verbergen.

„Zum Glück nicht. Ich glaube, sie hieß ‚Wheel of Fortune‘ oder sowas…“, entgegnete er abwesend. „Ach, verdammt, hier ist auch nichts drin!“, grummelte er und stieß die Schublade zu, nur um gleich die letzte auch noch zu öffnen. Doch auch in ihr befand sich nur ein bisschen altes Tuch. Layla wandte sich wieder zum Bett, während Constantin aufstand, doch Phobos lag nicht mehr auf der alten Decke. Verwirrt und immer noch ein bisschen wütend ging sie wieder in den Eingangsraum.

Kann dieser Kater nicht wenigstens einmal an einer Stelle bleiben?!

Hinter sich hörte sie nur ein „Warte!“ als auch Constantin schon wieder zu ihr aufschloss. Sie kamen gerade noch rechtzeitig in das Esszimmer, um zu sehen, wie Phobos‘ Schwanz in dem Spalt, den die schiefe Haustür mit der Wand bildete, verschwand. Von hoffnungsvollen Gedanken beseelt rannten sie fast auf die Tür zu. Energisch stieß Constantin die Tür auf und sie konnte den schwarzen Phobos am Ende der Lichtung nur noch mit dem dunklen Waldrand verschmelzen sehen. Sie rief seinen Namen, doch ihre Stimme hallte nicht einmal ein bisschen auf der Lichtung wieder und die Eule auf dem nächsten Baum zuckte nicht ein Stück. Layla wollte Phobos nach, doch als sie über die Schwelle treten wollte, stieß sie wieder gegen die Wand und fluchte ungehalten.

„Verdammter Kater!“ Sie wetterte noch bestimmt fünf Minuten im Esszimmer auf und abschreitend, bevor Constantin sie beruhigen konnte. Sie war aber auch zugegebenermaßen mit der Gesamtsituation unzufrieden.

„Weißt du, was ich mich gerade frage?“, erkundigte er sich. Nachdem sie den Kopf langsam geschüttelt hatte, führ er fort. „Was ist, wenn andere Dinge und Wesen die Hütte verlassen können, aber nur wir nicht?“

„Aber selbst wenn, was hätte das für einen Sinn?“, überlegte sie.

„Was hat es für einen Sinn, dass wir eine heruntergekommene Hütte im Wald nicht verlassen können?“, entgegnete er.

„Auch wieder wahr…“

„Wir könnten einfach versuchen meine Theorie mal zu testen.“, meinte er und ging auf den Küchentisch zu.

„Wie denn?“, wollte Layla wissen, doch anstatt ihr zu antworten, nahm er eine Tasse vom Tisch und warf sie aus der Türöffnung. Widererwarten zerschellte die Tasse nicht an der unsichtbaren Wand, sondern flog im hohen Bogen durch die geöffnete Tür und landete mit einem dumpfen Geräusch auf dem weichen Waldboden, ohne zu zerbrechen.

„So.“, meinte er nur knapp.
 

„Shit“, sagte Layla nur mit Gefühl.

„Du sagst es.“

„Was machen wir denn jetzt?“

„Ich weigere mich zu glauben, dass wir ganz sinnlos in dieser Hütte festsitzen!“, meinte er aufgebracht. „Wie ist das überhaupt möglich?“

„Keine Ahnung… naja, doch schon, aber das Einzige, was mir einfällt, sind Zauberei und Aliens. Und Zauberei gibt es nicht! Denke ich zumindest… über die Aliens lässt sich streiten.“

„Zauberei…“, murmelte er vor sich hin und durchschritt den Raum. „Das ist doch unlogisch… das geht nicht…“ Nach einigem weiteren Gemurmel setzte er sich auf einen der wenig stabil aussehenden Sesseln.

„Aber was machen wir, wenn es eben doch möglich ist?“, gab Layla skeptisch zu bedenken und setzte sich auf eine der Kommoden und legte ihren Schürhaken neben sich. „Auch auf die Gefahr hin, dass ich wie ein unverbesserlicher Nerd klinge, es gibt zwar keine Beweise für die Existenz von Zauberei, Magie oder wie auch immer wir es nennen wollen, aber auch nicht dagegen.“

„Ja, das stimmt schon, aber selbst, wenn wir davon ausgehen – rein hypothetisch versteht sich – dass Magie existent ist, warum sollte sie dazu verwendet werden, uns in einer Hütte in Wald festzusetzen? Ich weiß ja nicht, wie es mit dir ist, aber ich bin nur ein Oberstufenschüler und habe keinerlei Einfluss auf irgendetwas Weltbewegendes. Ein alter Becher Jogurt bewegt mehr als ich! Also: Warum?“, wollte er wissen und sah Layla fragend an.

„Keine Ahnung, aber die Alternative, Aliens, ist auch nicht viel besser. Mir persönlich wäre Magie lieber als ein strenggeheimes Alienexperiment, das unser Staat finanziert und in das wir reingeraten sind. Hallo?! Wir leben nicht in Amerika, dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten, sondern in Deutschland, dem Land der unbegrenzten Bürokratie. Aber gehen wir jetzt mal davon aus – rein hypothetisch – dass es Magie gibt und sie auf irgendeine Weise hier am Werke ist. Was machen wir dann?“, wollte ich wissen.

„Keine Ahnung. Wenn wir in einem Videospiel wären, müssten wir jetzt was suchen, das uns weiterhilft. Obwohl ich bezweifle in einem Videospiel zu sein, halte ich es trotzdem für keine schlechte Idee hier alles gründlich zu durchsuchen. Kann ja nicht schaden, oder?“

„Quasi das Item suchen, das aus dem Dungeon hilft“, meinte sie ergänzend und er sah Layla ein wenig seltsam an. „Was?“, fragte sie etwas genervt um ihre röter werdenden Wangen zu kaschieren.

„Äh… ich hatte nur nie erwartet je ein Mädchen zu treffen, dem Begriffe wie ‚Item‘ und ‚Dungeon‘ etwas sagen.“

„Tut mir leid deine Welt zerstören zu müssen, aber nicht jedes Mädchen ist eine Barbie“, entgegnete sie. „Vielleicht sollte ich dir das dann auch noch sagen… Schocks lassen schließlich sich besser verarbeiten, wenn sie zusammen kommen…“, fügte sie wie in Gedanken versunken hinzu.

„Mir was sagen?“, hakte er verwirrt nach.

Layla holte tief Luft, wie um sich auf eine schwere Aufgabe vorzubereiten. „Den Weihnachtsmann gibt es nicht“, sagte sie so ernst ich konnte und schaute ihn gespielt fürsorglich an. „Und den Osterhasen auch nicht.“

Er schaute sie zuerst verdattert an und fing dann an laut zu lachen. „Und eigentlich sind es die Illuminaten, die uns hier festhalten, oder?“

„Natürlich. Hast du denn nie die Lehrsendung ‚Galileo Mystery‘ gesehen? Sie lehrt uns, dass hinter allem Mysteriösen die Illuminaten stecken.“, meinte Layla ernst.

„Wenn Aiman Abdallah gleich aus einem Poké-Ball gesprungen kommt, glaube ich das sogar…“, meinte Constantin schulterzuckend und sie musste grinsen. „Aber mal im Ernst. Vielleicht sollten wir uns genauer umschauen.“

Angeleitet von diesen Worten erhob er sich aus dem wackeligen Sessel und durchstreifte den Raum. Schulterzuckend tat Layla es ihm gleich und schob sich von der Kommode, auf der sie saß, nur um diese sogleich zu untersuchen. Doch sehr zu ihrem Missfallen fand sie kein Zauberitem, welches sie bei Berührung nach Hause in ihr Bett beamte und eine heiße Schokolade auf ihren Nachtschrank stellte. Nur uralte Kleidung, die allem Anschein nach noch aus der Vorkriegszeit stammte. Auch in den beiden folgenden Schubladen fand sie nichts Nützlicheres als zwei Kerzenstummel. Seufzend erhob sie sich und wollte gerade zur nächsten Kommode streifen, als Constantin sich zu Wort meldete.

„Ich hab was gefunden. Denke ich zumindest…“

„Was denkst du denn, gefunden zu haben?“, meinte sie schmunzelnd. Erst jetzt bemerkte sie, dass er vor der Kommode stand, auf der zuvor Phobos gesessen hatte.

„Ehrlich gesagt, keine Ahnung. Aber es sieht anders aus als alles, was ich je gesehen habe“, entgegnete er und wendete einen kleinen Gegenstand in den Händen. Als sie näher an ihn herantrat, erkannte sie einen kleinen, dunklen, runden, aber flachen Stein. „Ist das… was ist das?“, fragte er und zeigte Layla ein verschlungenes Muster auf einer Seite des Steins.

„Darf ich mal sehen?“, fragte Layla und streckte ihm ihre Hand entgegen. Schulterzuckend ließ er den Stein hineinfallen und er fühlte sich kalt und schwerer an, als er bei dieser Größe sein sollte. Auch als sie den Stein in die andere Hand nahm, um ihn sich genauer anzusehen, hinterließ er in der ersten Hand, die ihn berührt hatte, ein seltsames Gefühl.

Der Stein war schwarz oder braun, schwer auszumachen bei Mondlicht, und hatte ein kleines Loch an einer Ecke, wie um eine Schnur hindurch zu ziehen. Einer flachen Seite zierte ein verschlungenes Muster, welches Layla auch bei genauerem Hinsehen nichts sagte.

„Keine Ahnung, was das ist. Vielleicht ein Schmuckstück…“, mutmaßte sie. „Obwohl… er fühlt sich komisch an.“

„Ja, oder?“, pflichtete Constantin ihr bei. „Schon als ich ihn aus der Schublade genommen habe, war er so warm.“

„Warm?“, fragte sie stirnrunzelnd. „Ich finde er fühlt sich kalt an und irgendwie… fremd. Ich weiß nicht, wie ich es anderes nennen soll, aber ich finde ‚fremd‘ trifft es ganz gut.“

„Hmm, komisch. Ich finde ihn warm, aber vielleicht haben wir auch nur ein anderes warm-kalt-Verständnis. Warm, wie als ob man ihn in der Hosentasche hatte und ihn dann rausholt.“

„Nein. Ich finde, er ist kalt. So kalt, als ob er Ewigkeiten draußen gelegen hätte“, entgegnete Layla schaudernd und drückte Constantin das vermaledeite Ding wieder in die Hand. Als er sich den Stein stirnrunzelnd ansah, drehte sie sich weg und trat wie von selbst an den Esstisch heran. Sie wusste nicht warum, doch irgendetwas drückte sie weg von diesem seltsamen Stein mit dem Muster und zog sie näher zum Tisch. Sie ließ ein weiteres Mal ihren Blick über die verdorbenen Speisen schweifen, doch dieses Mal genauer.

Nachdem Layla bestimmt zum dritten Mal über die alten Bratenknochen geschaut hatte, sah sie es.

Es war weiß und schimmerte ein wenig. Nicht im Sinne von ‚sparkle-sparkle‘-glänzen wie Modeschmuck, sondern eher das Glänzen eines matten Fotos.

Zögernd streckte Layla die Hand nach dem glänzenden, weißen Ding aus. Als sich ihre Finger darum schlossen, fühlte es sich angenehm kühl an.

„Was ist los?“, hörte sie Constantin hinter sich sagen, doch sie antwortete nicht sondern, sah sich das weiße Ding genauer an. Es sah ähnlich wie der seltsame Stein von Constantin aus, aber nicht rund, sondern oval und flach mit einem kleinen Loch. Außerdem fühlte es sich nicht schwer an, sondern sehr leicht. Als wäre es gar nicht in ihrer Hand. Erst als sie es umdrehte, sah sie, dass auch ein verschlungenes Muster darauf geprägt war, und sog scharf Luft ein.

„Sieht aus wie der Stein hier“, sagte Constantin ganz dicht neben Layla und sie zuckte zusammen. Unbemerkt war er neben sie getreten und hatte sich schräg über ihre Schulter gebeugt, um besser sehen zu können. Er zuckte mit den Schultern und sah sie entschuldigend an.

„Ja, aber ein bisschen anders“, meinte Layla, als sie sich wieder gefangen hatte. „Der Stein hier ist oval und sehr leicht.“

„Der hier ist auch leicht.“

„Was? Nein! Der ist voll schwer!“

„Gib mal bitte her!“, forderte er und Layla ließ den Stein in seine Hand fallen. Nachdem er die Steine in den Händen gewogen hatte, schüttelte er den Kopf. „Nein. Der Weiße ist definitiv schwerer. Und auch noch eiskalt. Als würden einem die Finger abfrieren.“ Wie um es ihr zu bestätigen, legte er ihr beide Steine in die Hände. Sofort stellte sich in der Hand, in der der dunkle Stein lag, wieder dieses seltsam fremde Gefühl ein.

„Okay, der Stein ist kühl, aber ich würde ihn nicht ‚eiskalt‘ nennen. Und der weiße Stein ist leichter“, meinte ich sofort. „Außerdem fühlt sich der dunkle immer noch komisch an. Der weiße fühlt sich… ‚richtig‘ an.“

„Wie wäre es wenn wir uns einigen, dass wir in diesem Punkt uneinig sind und jeder hält den Stein, den er besser findet?“ Nachdem sie nickte und ihm den dunklen Stein wiedergab, fuhr er fort: „Was ist mit den Mustern, Knoten, Runen, was-auch-immer?“

Layla hielt ihren Stein neben seinen und sie verglichen schweigend die schwungvollen, komplexen Muster.

„Nein“, meinte sie nach einer Weile, „sie sind sich ähnlich, aber nicht gleich.“

Layla sah nur noch Constantins zustimmendes Gesicht, doch dann legte sich Dunkelheit von hinten um sie herum und alles war schwarz.
 


 

Langsam drang das Sonnenlicht durch Laylas Lider und verdrängte die Dunkelheit und so auch den merkwürdigen Traum. Das Licht wurde immer heller und sie öffnete widerwillig ihre Augen. Als die Bilder, die sie wahrnahm, langsam in ihr Bewusstsein sickerten, sah sie ihr Zimmer, welches ein wenig in Chaos versank.

Seltsam, wenn der erste Gedanke, den ich habe, wenn ich morgens aufwache, ist, dass ich mein Zimmer aufräumen sollte…Vor allem um halb acht morgens in den Ferien, fügte sie in Gedanken hinzu, als sie auf den Wecker auf ihrem Nachtschrank blickte. Unmut machte sich in ihr breit und sie drehte sich mürrisch in ihrem Bett herum. Layla zwang ihre Augen sich erneut zu schließen, doch der Schlaf wollte nicht zu ihr zurückkehren. Da sie nicht mehr einschlafen konnte, beschloss sie, dass sie ebenso gut aufstehen könnte. Sie schwang ihre Beine aus dem Bett und streckte sich, wobei sich ein Ziehen in ihren Muskeln ausbreitete .

Ich muss wohl falsch gelegen haben…

Im Augenwinkel bemerkte Layla etwas Glitzerndes, doch als sie genauer hinschaute, sah sie nichts, was hätte glitzern können. Mit der Überzeugung, dass sie wahrscheinlich noch nicht vollständig wach war und sich seltsame, glitzernde Dinge einbildete, rieb sie sich die Augen und machte sich auf dem Weg in die Küche um etwas Essbares zu finden. Sie hatte aus ihr unverständlichen Gründen solch einen Hunger als hätte sie seit mindestens einem Tag nichts mehr gegessen.

Als sie ihr Zimmer hinter sich ließ und auf die Holztreppe aus dunklem Holz mit bordeauxrotem Läufer trat, hörte sie Stimmen in der Küche.

Haben wir Besuch? So früh am Morgen?

Layla versuchte so leise wie möglich die Treppe hinunterzugehen und hielt am Treppenabsatz inne um festzustellen, ob sie sich in ihrem Schlafanzug in die Küche wagen konnte, oder es doch lieber bleiben lassen sollte.

„…was hast du dir dabei gedacht?“, hörte sie ihren Vater aufgebracht sagen. „Es hätte weiß Gott was passieren können!“

„Ist es aber nicht“, antwortete eine Stimme, die Layla nicht zuordnen konnte. „Außerdem war es abzusehen, dass sowas auch bald ohne mein Zutun passiert wäre.“

Es folgte der übliche, grummelnde Laut ihres Vaters, der seinen Unmut ausdrücken sollte und anderweitig keinerlei kommunikativen Zweck erfüllte.

„Clancy, gewisse Zeichen lassen sich nicht anders deuten oder ignorieren.“, fügte die fremde Stimme fürsorglich hinzu.

„Ich weiß, aber es muss mir ja nicht gefallen…“, grummelte ihr Vater. „Weißt du, was sie…“

Während Layla das Gespräch belauschte, war sie ohne es zu merken immer weiter die Treppe heruntergegangen. Plötzlich verlor sie auf dem noch nicht ganz festgesteckten Läufer den Halt und rutschte die letzten Stufen unsanft und laut auf ihrem Hinterteil hinunter.

„Autsch“, stöhnte sie.

„Layla!“, rief ihr Vater entsetzt und kam aus dem Wohnzimmer gestürmt um ihr aufzuhelfen. „Ist dir was passiert?“, wollte er wissen und sah seine Tochter besorgt an.

„Nein, ich denke nicht“, antwortete sie und strafte meine Worte Lügen, indem sie sich das Steißbein rieb. Ihr Vater führte sie durch das Wohnzimmer, in dem Phobos auf einem der Sessel saß , in die Küche und brachte sie dazu, sich auf einen der Stühle zu setzen.

„Mit wem hast du geredet?“, wollte Layla wissen und griff nach der Cornflakesschachtel, die auf dem Tisch stand. Beim Anheben der Schachtel bemerkte sie eine Leichtigkeit, die sie nicht gutheißen konnte und schüttelte die Schachtel etwas. Sie hörte sich so leer an, wie sie sich anfühlte und auch ein Blick in ihr Innerstes stimmte Layla nicht fröhlicher. Erst jetzt im fortgeschrittenen Stadium ihres erfolglosen Unterfangens der leeren Packung noch ein paar Cornflakes zu entlocken, bemerkte sie, dass ihr Vater nicht geantwortet hatte. „Und?“ hakte sie nach und stand auf um sich eine Müslischüssel und eine neue Packung Cornflakes zu holen, welche ihre Bedürfnisse hoffentlich erfüllen konnte.

„Mit jemandem von der Arbeit“ meinte er und wandte sich zum Kühlschrank um Layla die Milch zu reichen.

„Der war dann aber schnell weg. Ich hab niemanden im Wohnzimmer gesehen.“

Er stockte etwas in der Bewegung, doch meinte schließlich: „Ich habe telefoniert und den Lautsprecher angehabt.“

„Ach so.“

Während Layla ihre Schüssel mit Cornflakes füllte, betrachte sie ihren Vater, der höchst unväterlich lässig am Kühlschrank lehnte.

Dürfen Väter in seinem Alter so an Kühlschränken lehnen? Vor allem, wenn sie dabei Anzüge tragen?

Mit seinen 1,83 war er weder groß für einen Mann noch klein. Obwohl er schon 48 war, ging sein rotes Haar immer noch nicht zur Neige und seine grünen Augen benötigten auch nur eine Brille mit wenigen Dioptrien zum Autofahren. Seinen Ehering trug er nicht mehr an der Hand sondern mit einer Kette um den Hals, doch stattdessen trug er einen Ring mit keltischen Knoten. Schlagartig fiel ihr auf, dass ihr Vater nicht wie jemand aussah, der stark auf die 50 zuging. Er sah immer noch so jung aus, wie der Mann, den sie in ihren Erinnerungen mit ihrer Mutter sah.

Sah er die ganze Zeit so jung aus? Okay, wann habe ich zum letzten Mal genau hingesehen? Aber er sieht aus wie Anfang oder Mitte 30 und nicht Ende 40!

Stirnrunzelnd betrachte sie ihn weiter; er sah ein wenig angespannt aus, aber ansonsten wirkte er wie immer.

Waren seine Ohren schon immer so spitz?

„Stimmt was nicht?“, fragte er besorgt.

„Äh, nein. Ich frage mich nur gerade, warum du noch hier bist. Ich dachte, du musst arbeiten? Wir haben schon fast acht.“, meinte Layla ausweichend und sah auf die blaue Küchenuhr neben dem Kühlschrank.

„Ja, muss ich jetzt auch. Wir sehen uns heute Abend“, sagte er. Er zögerte einen Moment, als wolle er noch etwas hinzufügen, verabschiedete sich dann doch schnell, indem er ihr durch die ohnehin in alle Richtungen abstehenden Haare wuschelte.

Während sie aß, musste Layla an den seltsamen Traum denken, den sie diese Nacht gehabt hatte, der so jedoch unglaublich real gewesen war. Sie hatte geträumt, sie sei Phobos in den Wald zu einer alten Hütte gefolgt, in der sie auf einen Jungen getroffen war.

Wie hieß er noch gleich? Cornelius? Nein. Conrad? Nein, auch nicht. Naja, ist ja auch nicht so wichtig.

Auf jeden Fall konnte Phobos zwar die Hütte verlassen, aber der Junge und sie saßen immer noch fest. Sie hatten irgendwas gefunden und dann war sie aufgewacht. Seltsamer Traum.

Nachdem sie gefrühstückt hatte, stellte sie ihr Geschirr in die Spüle und machte sich wieder auf den Weg in ihr neues Zimmer zu ihrem ebenfalls neuen Bad. Als sie im Flur an der Telefonstation vorbei kam, steckte das Telefon in der Station.

Wann hat er es denn zurückgesteckt?

In Gedanken ging sie die Möglichkeiten durch, doch sie kam nicht auf die Lösung. Schulterzuckend setzte sie ihren Weg die Treppe hoch fort, wobei ihr ihr Steißbein bei jeder Stufe erneut ihre Ungeschicklichkeit ins Gedächtnis rief.

In ihrem Zimmer angekommen, stöhnte Layla schon allein bei dem Anblick der schmutzigen Kleidung, die sich auf dem Sessel türmte. Das bedeutete: Wäsche waschen. Layla hasste Wäsche waschen und alles, was mit Wäsche zu tun hatte.

Ohne einen weiteren Blick auf das restliche Chaos in ihrem Zimmer zu werfen, ging sie zu ihrem Schrank und griff sich irgendein T-Shirt, eine Jeans und was man noch so an frischer Wäsche brauchte.

In ihrem Bad angekommen, entkleidete sie sich schnell und sprang unter die Dusche. Als der heiße Strahl auf ihre Schultern traf, zuckte sie zurück, denn es brannte höllisch.

Sie drehte das Wasser ab und untersuchte ihre Schultern so gut es ging. Sie hatte auf beiden Schulterblättern Abschürfungen.

„Wo kommen die denn her?“, fragte sie sich selbst verwirrt. Glücklicherweise gab ihr niemand eine Antwort.

Als Layla sich weiter untersuchte, fand sie weitere Abschürfungen an den Beinen, vor allem den Knien; außerdem hatte sie einen großen blauen Fleck an der Hüfte. Sie konnte sich aber keinen Reim darauf machen, wie sie zu diesen Verletzungen gekommen war.

Bin ich unter die Schlafwandler gegangen? Es sei denn… Ach, Quatsch!

Von ihr selbst irritiert stellte sie das Wasser wieder an und zuckte diesmal nicht weg, da sie wusste, was sie zu erwarten hatte.

Layla stand eine Zeit lang einfach nur verwirrt und in Gedanken versunken unter dem Strahl, ohne sich wirklich aktiv zu waschen. Sie starrte die Kabinenwände und die Muster, die das Wasser auf ihnen bildete, an. Eines der Muster irritierte sie. Der Pfad, den das Wasser wählen sollte, war vor ihrem inneren Auge wesentlich harmonischer, als das, was sie in Wirklichkeit sah.

Sie starrte weiterhin auf die Stelle, wie um sie zu zwingen sich zu verändern. Und dann, nach einer Weile intensiven, frustrierten Starrens, geschah es. Das Wasser änderte seine Bahn und floss in dem Muster die Kabinenwand hinunter, das sich in ihrem Kopf gebildet hatte. Sie rieb sich die Augen, um noch einmal hinzusehen. Tatsächlich, ein anderes Muster. Wieder einmal verwirrt an diesem Morgen, aber grinsend , machte sie sich endlich daran sich zu waschen.

Nachdem sie sich abgetrocknet und angezogen hatte, schnappte Layla sich ihre Zahnbürste und fing an, Zähne putzend ihr Bad zu schrubben.

Es lebe die multitaskingfähige Frau!

Als Layla ihr nun sauberes Bad verließ, verließ sie nun im Gegenzug ein wenig ihr Elan. Ihr Schreibtisch war mal wieder überfüllt mit allem möglichen Kram, der Boden hätte gesaugt werden können, nicht zu vergessen die Regale waren staubig und dann… die WÄSCHE.

Um das Schlimmste gleich hinter sich zu bringen, nahm sie den Haufen Kleidung und trug ihn runter in den Waschkeller. Beim Sortieren der Wäsche fiel ihr auf, dass ihr schwarzer Rock einen Riss in der Spitze hatte.

Da muss ich wohl irgendwo hängen geblieben sein… und mich auf dem Boden gewälzt haben. Der ist ja voller Staub!

Stirnrunzelnd stopfte sie den Rock zu den anderen schwarzen Kleidungsstücken in die Trommel.

Wieder in ihrem Zimmer angekommen, band sie sich nur schnell die Haare zusammen und scheuchte Phobos aus dem Zimmer.

„Guck mich nicht so an, ich muss hier sauber machen, da kann ich keinen Kater dazwischen gebrauchen“, meinte sie nur streng und er sah sie vorwurfsvoll an.

Irgendwie sieht er anders aus…überlegte sie …war er schon immer so groß, schlank und geschmeidig? Hauskatzen haben doch normaler Weise keine Schulterhöhe von bestimmt 35 Zentimetern, oder? Außerdem sind die Ohren von anderen Katzen doch auch nicht so spitz und haben kleine Büschel an den Enden wie Luchse, oder? Ich frage mich gerade, was für eine Rasse er eigentlich ist… Ich sollte Papa nachher mal fragen…

„Los, du Riesenkater, beweg dich“, scheuchte Layla ihn fort, doch bevor er das Zimmer verließ, sah er sie noch einmal verwirrt an.

Habe ich gerade gedacht, dass mein Kater mich verwirrt angeschaut hat? Was ist denn heute los mit mir?

Kopfschüttelnd räumte sie die Playstation in das Fernsehtischchen, um zu saugen. Nachdem auch das erledigt war, kümmerte sie sich im ihren Schreibtisch und zum Schluss um die Regale. Gerade blies sie sich eine rote, lockige Haarsträhne aus dem Gesicht, als sie etwas Seltsames in der obersten Regalreihe ertastete. Es fühlte sich angenehm kühl und leicht an, als sie es anhob. Sie betrachtete es genauer: Es war weiß, oval und sah aus wie einer dieser geschliffenen Steine, die man um den Hals tragen konnte

Aber das ist kein Stein, oder?

Sie schaute noch genauer hin und schnappte überrascht nach Luft.

Das ist ein Knochen! Seit wann hab ich einen Knochenanhänger?

Mit ihrer nächsten Handlung fiel Layla schlagartig wieder ein, wie sie zu den schmerzenden Muskeln und den Abschürfungen gekommen und wie ihr Rock so zu zugerichtet worden war.

Layla drehte den Knochen um und erblickte wieder dieses unbekannte Runenmuster auf der anderen Seite.

„Scheiße.“

Tarot

Wie vorher schon einmal erwähnt, ist dieses Kapitel als einziges noch in der ersten Person geschrieben. Bei Gelegenheit werde ich das noch ändern, wobei der Inhalt natürlich derselbe bleiben wird. Viel Spaß ^^
 

__________
 


 

Ich ließ alles stehen und liegen und rannte so schnell ich konnte aus meinem Zimmer. Vorbei an einem aufgeschreckten Phobos stolperte ich geradezu die Treppe hinunter; den Runenknochen die ganze Zeit in der Hand fest umklammert. Halbwegs heil am unteren Ende der Treppe angekommen, flog ich nur so um die Ecke und ließ mich sogleich auf die Knie fallen. Ich durchwühlte den kleinen Telefontisch, bis ich endlich fand, was ich suchte: das Telefonbuch. Glücklicherweise hat das Örtliche eine Landkarte der Umgebung. Wo hat er noch einmal gesagt, wohnt er? Andere Seite des Waldes… aber wo? Ungeduldig schlug ich das Telefonbuch auf und blätterte zu der Seite, die die Umgebung meiner neuen Heimat zeigte. Als ich zum ersten Mal in unser neues Telefonbuch geschaut hatte, war ich etwas verwirrt gewesen, da sich vor mir eine relativ detaillierte Karte erstreckte; in den städtischen Telefonbücher, die ich zuvor gesehen hatte, konnte man nur eine grobe Karte der Stadtteile ausmachen. Nachdem ich mich einigermaßen auf der Karte zurecht gefunden hatte, konnte ich nun auch den Wald und die Stadt ausmachen. Ich fand unser Hause am Waldrand abseits der Stadt und ein Stück darüber auf der Karte ein weiteres Haus. Die beiden Grundstücke wurden getrennt durch den Wald.

Soweit stimmt also alles… Was mache ich jetzt? Versuche ich unter dem Namen ‚Morgenthal‘ einen Eintrag zu finden oder fahre ich gleich hin? Noch während ich vor mich hin grübelte, sah ich wie Phobos die Treppe hinunterkam. Seine Pfoten machten keinerlei Geräusch auf dem weichen Läufer und etwa auf der Hälfte seines Weges setzte er sich auf eine Stufe, schlang den langen Schwanz um die Beine und sah mich unverwandt an. Als ich in seine funkelnden Augen blickte, lief mir ein kalter Schauer den Rücken hinunter. Irgendwas stimmte hier ganz und gar nicht. Er verhielt sich nicht wie eine Katze und das ungute Gefühl in meiner Magengegend verstärkte sich. Ich wollte nur noch weg von dieser Katze. Diesem Bedürfnis nachgebend beschloss ich gleich auf die andere Waldseite zu fahren und nicht anzurufen. Selbst wenn kein Constantin Morgenthal auf der anderen Waldseite wohnte, so war ich dann immer noch weit genug weg von Phobos.

Da Sommer war und sich ein heißer Tag ankündigte, verzichtete ich darauf mir eine Jacke mitzunehmen und zog nur schnell etwas weniger Gammeliges und Schuhe an, schob den Runenknochen in eine Hosentasche, nahm meinen Schlüssel vom Schlüsselbrett und versicherte mich davon, dass alle Türen verschlossen waren. Auf meinem Weg durch das Haus folge mir Phobos auf Schritt und Tritt und verunsicherte mich immer mehr. Ständig fühlte ich seinen Blick in meinem Nacken. Ich versuchte mir nichts anmerken zu lassen, doch ich bin mir nicht sicher inwiefern mir das gelungen war. Als ich an unserem Kamin vorbeikam, bemerkte ich, dass der Schürhaken nicht mehr in seinem Ständer war, was nur meine Sorge verstärkte.

Dummerweise hatten wir nur ein Auto und mit diesem war mein Vater zur Arbeit gefahren, daher musste ich auf mein Fahrrad umsatteln. Ich schloss die Verandatür, mir der Tatsache Phobos im Haus eingeschlossen zu haben vollkommen bewusst, und ging über die Veranda und durch den Garten auf den Fahrradschuppen zu. Der Weg durch den Garten kam mir so lang vor wie der Jakobsweg und ständig meinte ich Phobos‘ Blicke noch immer auf mir zu spüren. Unwillkürlich beschleunigte sich meine Atmung.

Hektisch und mit zitternden Händen schloss ich den kleinen Schuppen auf und trat durch die Tür. Der Schuppen war noch immer staubig und beinhaltete noch Werkzeuge, die gefühlte 500 Jahre alt sein mussten. Als wir eingezogen waren, hatten wir nur schnell unser eigenes Gartenwerkzeug hinzugefügt und unsere Fahrräder in den Schuppen gestellt. Schnell räumte ich meins frei und versuchte es mehr schlecht als recht aus dem Schuppen zu befördern, wobei ich an etwas hängen blieb und hinfiel. Als ich mir hustend den Staub aus den Augen rieb, bemerkte ich entsetzt wie knapp ich einer Hacke, die auf dem Boden lag, nur um wenige Zentimeter entgangen war. Der Schock breitete sich in meinem Körper aus, mein Herz schlug schneller und mir wurde kalt als würde sich eine eisige Hand um mein Innerstes schließen.

Zitternd streckte ich meine Hand nach der Hacke aus, um sie wieder aufzustellen, damit nicht noch jemand wirklich hineinfiel; allerdings ließ das Gefühl des Festgehaltenwerdens nicht nach. Um mich zu beruhigen schaute ich mich um in der Hoffnung zu sehen, worüber ich gestolpert war, doch ich erkannte in dem dämmringen Schuppen nichts Auffälliges, aber ich war nicht der Typ, der beim Laufen über seine eigenen Füße stolperte…

Als ich mich aufrappelte, hörte ich ein Kichern, doch als ich aufsah, war nichts in dem Schuppen. Schaudernd hob ich mein Fahrrad vom Boden auf, klopfte mir notdürftig den Staub von den Kleidern und ging so schnell wie möglich aus dem Schuppen, immer den Boden wachsam im Auge. Und prompt stieß ich mir den Kopf an etwas Undefinierbarem, das von der Decke hing. Hing das schon immer hier? Fluchend rieb ich mir meine Beule und vernahm wieder das Kichern, dieses Mal jedoch deutlicher als zuvor und die Kälte in mir wurde stärker. Doch als ich mich wieder umdrehte, war da nichts. Wer hätte es auch anders erwartet? Zum Glück war ich nur noch einen halben Meter von der Tür entfernt und konnte diese mit einem Tritt nach draußen aufstoßen. Warmes Sonnenlicht strömte herein und ich meinte ein Zischen zu vernehmen, fast wie ein Fluchen. Ich trat ins Sonnenlicht und die Kälte, die sich in mir breit gemacht hatte, wurde mit jedem Schritt, den ich tat, geringer. Doch erst als ich die Türschwelle passiert hatte und den Schuppen verließ, ließ auch das festhaltende Gefühl nach.

Mit einer Gänsehaut, aber erleichtert, verließ ich den Schuppen und schloss die Tür schneller und härter hinter mir als nötig gewesen wäre. Mit leicht zitternden Fingern brachte ich wieder das Vorhängeschloss an und verriegelte so die Tür. Unwillkürlich musste ich zum Haus aufblicken und mein Herz setzte einen Schlag aus, als ich Phobos auf einer Fensterbank im Wohnzimmer sitzen und zu mir herunterschauen sah. Schaudernd zwang ich mich den Blick von ihm abzuwenden und schob mein Fahrrad durch den Garten vor das Haus auf die Ausfahrt zu. Ohne ein weiteres Mal zum Haus zurückzuschauen schwang ich ein Bein über mein Fahrrad um aufzusitzen. Ich wollte nicht wissen, dass Phobos auf einem anderen Fensterbrett saß, wenn ich zurückblickte. So schnell ich konnte verließ ich unser Grundstück und machte mich auf die Suche nach dem nächsten Feldweg, der hoffentlich am Wald entlang lief.

Wenigstens einmal an diesem Tag sollte ich Glück haben und fand einen Weg, der mich um den Wald herumführte, ohne ein einziges Mal durch ihn hindurch fahren zu müssen. Noch immer aufgeregt durch die Geschehnisse zu Hause konnte ich die Fahrt und Aussicht nicht wirklich genießen. Okay, zum Einen das und zum Anderen, die Tatsache, dass ich schon lange nicht mehr eine längere Strecke mit Steigungen gefahren war und meine Ausdauer in den letzten Monaten leicht in die Inexistenz gerutscht war.

Mindestens eine halbe Stunde verbrachte ich keuchender Weise auf diesem Feldweg, den man mit ein wenig Kondition sicher in der Hälfte der Zeit geschafft hätte. Irgendwann suchte ich mir nur noch Punkte, an denen ich mich festhielt und mich so Stück für Stück vorarbeitete, einen Baum, eine Weggabelung, eine Biegung des Waldes. Die Sommerhitze und die ungewohnte Anstrengung brachten mich schnell zum Schwitzen und der Fahrtwind begann auf meinem Gesicht zu brennen. Als sich schon ein starkes Gefühl der Monotonie eingestellt hatte, bog ich erneut um eine Ecke und erblickte ein Fachwerkhaus mit schwarzen Ziegeln, weiß verputztem Gefach, dunkelgrünen Balken und Fensterläden.

Keuchend und auf dem Kies schlitternd kam ich an einem niedrigen Gartentor an. Ich stieg von meinem Rad und lehnte es an den Zaun. Schnell überprüfte ich noch einmal mein äußerliches Erscheinungsbild und musste feststellen, dass sich immer noch Staub auf meiner Kleidung befand. Leise fluchend klopfte ich die letzten Staubreste von meiner schwarzen Hose und meinem dunkelfliederfarbenen T-Shirt so gut es ging und durchschritt währenddessen das Gartentürchen. Der graue Kies knirschte leise unter meinen Sohlen und ich war mir meines noch immer keuchenden Atems bewusst wie auch meines immer noch schnell schlagenden Herzen, das sich gegen meinen Brustkorb drängte.

Endlich an der hölzernen Haustür angekommen, blickte ich auf das Messingschild über der Klingel:

Sybille Morgenthal

Wahrsagerin

Sprechstunde nach Vereinbarung

Was zum Henker mache ich hier eigentlich? Ich bin auf gut Glück hier hergefahren, weil ich plötzlich Schiss vor meinem Kater bekommen habe und ihm entfliehen wollte!

Was, wenn das alles doch nur ein Traum war?

Und was ist mit dem Knochen und all den anderen Dingen?

Zumindest wohnt hier schon mal jemand mit dem Namen ‚Morgenthal‘. Noch dazu eine Wahrsagerin. Wie groß ist jetzt auch noch die Wahrscheinlichkeit, dass sie einen Neffen hat der ‚Constantin‘ heißt?

Um das herauszufinden kann ich nur eins tun: Klingeln. Mehr als wegschicken kann mich die Frau auch nicht.

Nachdem ich mein inneres Selbstgespräch beendete hatte, hob ich meine Hand und betätigte die Klingel. Einige Minuten geschah nichts, bis schließlich eine Frau die Tür öffnete. Sie war etwa Ende dreißig, groß, hatte braunes Haar, das ihre sympathischen Züge umspielte, und die ungewöhnlichste Augenfarbe, die ich je gesehen hatte: gelb. Auch ohne das Schild neben der Klingel gelesen zu haben, stand Esoterik dieser Frau auf den Leib geschrieben, oder vielmehr geschneidert. Sie trug einen dunkelroten Rollkragenpullover, darüber einen Schal um die Schultern gelegt, der passend zu dem leichten, aber weiten Rock in dunkelviolett gehalten war. Auf dem schlichten Pullover war das einzige Accessoire eine große Bernsteinkette, zu der sie passende Ringe trug.

Ich hatte sie bestimmt eine Weile wortlos und mit offenem Mund angestarrt, denn sie fragte: „Ja? Kann ich dir helfen?“

„Ähm, ja. Entschuldigung, aber ich suche jemanden und frage mich, ob ich hier richtig bin.“

„Ah, natürlich. Komm rein.“ Sie lächelte nur und wandte sich ab, um ins Haus zu gehen. Zögernd folgte ich ihr in den dunklen Flur, der durch einen tannengrünen Läufer mit goldgelbem Muster geschmückt war. Vielleicht hätte ich sagen sollen wen ich suche. Nicht, dass sie mich für eine Klientin hält… Gerade als ich weiter in den Hausflur trat, vorbei an einem Bild von einem Männergesicht mit einem dritten Auge, und ein Missverständnis vermeiden wollte, hörte ich jemanden aufgeregt von oben rufen.

„Tante Sybille? Weißt du, wo das Telefonbuch ist?“

„Wie immer neben dem Telefon, mein Junge.“ Meinte die Frau schmunzelnd nach oben gewandt und ich hörte wie jemand polternd Treppe heruntergerannt kam.

„Wer hat geklingelt?“, kam wieder die Stimme von oben und ich drehte mich neugierig zur Treppe aus dunklem Holz, die ein ebenso tannengrüner Läufer wie den im Flur zierte, um den Sprecher ausfindig zu machen. Entweder kommt mir diese Stimme wirklich bekannt vor oder ich habe vom ganzen Grübeln Hallus bekommen… „Wenn es für mich ist, ich hab was dringendes zu erle-“ Auf dem Treppenabsatz erschien Constantin Morgenthal, wie ich ihn kennengelernt hatte: nicht herausragend groß für einen jungen Mann, aber auch nicht klein, mit blonden Haaren und grünbraunen Augen, gekleidet in ein dunkelgrünes T-Shirt und eine Jeans. Nun vielleicht mit einem kleinen Unterschied: Er hielt eine einzige Socke in der Hand.

„-digen.“, beendete er seinen Satz und sah mich überrascht, aber wiedererkennend, an. So als würde er mich kennen, aber hatte nicht erwartet mich in seinem Flur wiederzufinden. Ich musste einen ähnlichen Ausdruck auf dem Gesicht haben, denn Constantins Tante sah fragend zwischen mir und ihm hin und her.

„Ich glaube, wir müssen reden.“, brachte ich nach einer Weile stillen Anstarrens heraus.
 

„Ja, das glaube ich allerdings auch“, meinte Constantin, nachdem er sich schließlich gefangen hatte, und ließ langsam seinen angehaltenen Atem aus.

„Habe ich was nicht mitbekommen?“, schaltete sich nun Constantins Tante ein.

„Äh, ja, ich meine nein“, bemühte sich Constantin schnell zu sagen und ich bemerkte aus dem Augenwinkel, dass sich das Stirnrunzeln seiner Tante in ein leichtes Grinsen verwandelte. Während er die Treppe zu uns hinunter geschritten kam, baumelte der einsame Socken ein wenig vergessen in Constantins linker Hand, während er mit der rechten etwas umschlossen hielt, das ich nicht erkennen konnte.

„Darf ich euch gerade bekannt machen?“, fragte er und fuhr ohne eine Antwort abzuwarten fort. „Tante Sybille, das ist Layla. Sie wohnt mit ihrem Vater auf der anderen Waldseite im Fuhrmann-Haus. Layla, das ist meine Tante von der ich dir letztens erzählt habe.“ Das Wort „letztens“ hatte hier die Konnotation des „nicht-weiter-ausgeführt-werden-Sollens“, wie mir Constantin durch einen recht eindeutigen Blick mitteilte.

„Freut mich Sie kennen zu lernen, Frau Morgenthal“, meinte ich schnell und lächelte höflich.

„Ach, Kind, nenn mich ‚Sybille‘. ‚Frau Morgenthal‘ klingt so unglaublich alt“, entgegnete sie strahlend. „Wo habt ihr euch denn kennen gelernt? Du wohnst ja noch nicht so lange hier, oder?“, fragte sie an mich gewandt.

„Äh…“, meinte ich ausweichend und sah Constantin Hilfe suchend an.

„Wir haben und kürzlich zufällig im Wald getroffen“, meinte er schnell und seine Tante nickte vielsagend. Naja, zumindest ist das nicht gelogen…

Noch immer mit einem leichten Schmunzeln auf den Lippen, wandte sie sich geschmeidig zu einer kleinen Kommode aus dunklem Holz, auf der ein Telefon stand, und öffnete eine der Schubladen. Mit einer ihrer langen, feinen Hände griff sie hinein, holte ein neues Telefonbuch heraus und reichte es Constantin, der es zunächst stirnrunzelnd entgegennahm.

„Was wolltest du eigentlich damit?“, fragte sie.

„Äh, eine Telefonnummer nachschlagen“, antwortete er. „Äh, Patricks. Er hat bald Geburtstag.“

Daraufhin wanderte ihr Blick zu mir und ihr Schmunzeln weiterte sich zu einem fast verhaltenen Grinsen. „Aha.“

„Ja. Äh, tut mir leid, Tante Sybille, aber wir haben jetzt etwas Dringendes zu besprechen. Patricks Geburtstag, du verstehst?“, fügte er schnell hinzu und führte mich so rasch in Richtung Treppe, dass ich kaum bemerkte, wie er mein Handgelenk ergriffen hatte. Bevor ich mich auch nur annähernd gefangen hatte und protestieren konnte, hatten wir schon den ersten Treppenabsatz erreicht. Währenddessen hörte ich Sybille nur noch „Natürlich.“ sagen und erhaschte, als wir den Treppenabsatz erreichten, einen Blick auf ihr vielsagend lächelndes Gesicht.

„Folglich bin ich offiziell wegen der Planung für Patricks Geburtstag hier? Wer auch immer das ist“, fragte ich flüsternd, als wir von der Treppe in einen weiten Flur traten, den ein dunkelblauer Läufer mit goldgelbem Muster zierte. Hinter uns führte die Treppe ein weiteres Stockwerk nach oben und zu unserer rechten konnte man durch ein großes Fenster eingerahmt von passend dunkelblauen Vorhängen auf den naheliegenden Wald sehen. Der Flur, der ich weiter zu unserer Linken erstreckte, war in beige gehalten und mit einer dunklen Borte mit goldenen Mustern geschmückt. Weiter hinten im Flur ließen sich dunkle Kommoden ausmachen, auf denen Kerzen, Räucherstäbchen oder seltsame bunte Steine in Formationen standen.

„Ja. Ich kann ihr ja schlecht sagen, dass wir uns im Wald in einer alten Hütte getroffen haben, aus der wir nicht mehr herauskonnten, oder?“, entgegnete er und führte mich weiter in den Flur. Ich musste ihm schulterzuckend zustimmen und folgte ihm. Wer würde uns das glauben?

„Wenn sie dich fragt, sag am besten, dass du nach den Sommerferien auch aufs Adam-Riese-Gymnasium gehst, selbst wenn das gelogen sein sollte“, fuhr er fort. „Das könnte zumindest im Moment Probleme reduzieren.“

„Zum Glück ist es nicht gelogen“, meinte ich nur.

„Dann lernst du den ominösen Patrick selbst ohne vorgeschobenen Geburtstag noch kennen. Große, grünhaarige Punks mit zu vielen Piercings lassen sich schwer übersehen auf kleinen Schulhöfen“, bemerkte Constantin grinsend und sah mich mit einer hochgezogenen Augenbraue an.

„Eher weniger“, äußerte ich mich lachend dazu. „Äh, ich glaube, du kannst meinen Arm jetzt loslassen.“

„Oh, Entschuldigung“, sagte er leicht errötend und ließ hastig mein Handgelenk los.

„Schon okay“, versicherte ich ihm, doch er verdrehte die Augen. „Was?“, wollte ich wissen.

„Ach, ich hätte das nicht machen sollen, schon gar nicht vor meiner Tante.“

„So schlimm war das jetzt aber auch nicht.“

„Du kennst meine Tante nicht“, meinte er. „Ich hab dir doch gesagt, dass sie ein wenig eigen ist, oder?“ Nachdem ich dies nickend, aber mit einem skeptischen Blick, bestätigt hatte, fuhr er fort: „Damit meinte ich nicht nur dieses ganze Esoterikzeug“ – es folgten ausschweifende Bewegungen auf die Umgebung – „sondern auch ihre zweite Vorliebe“, meinte er verschwörerisch und hielt an.

„Die da wäre?“

„Groschenromane“, sagte er nur und sah mich ernst an. So ernst, dass ich laut lachen musste.

„Tut mir leid“, meinte ich kichernd und bemühte mich, halbwegs erst zu sein. „Aber so schlimm ist das doch auch nicht.“

„Stimmt. Es ist schlimmer.“

Diesmal lag es an mir die Augenbraue hochzuziehen, zwar immer noch schwer grinsend, aber immerhin.

„Glaub mir“, versicherte er mir, „meine Tante hat eine große Vorliebe dafür und hat über die Jahre einen wahren Kuppelinstinkt entwickelt. Und ihr Lieblingsopfer bin ich in Ermangelung anderer Personen in ihrer unmittelbaren Umgebung. Ich hab schon meine Gründe so gut wie keine Mädchen hier herzubringen. Neben den offensichtlichen Tatsachen versteht sich. Du bist in ihren Augen jetzt mindestens meine Freundin und wenn wir nicht spätestens in drei Wochen heiraten, wird die Welt untergehen oder sowas“, erklärte er und setzte seinen Weg fort.

„Wie oft ist die Welt schon untergegangen seitdem du hier wohnst?“, wollte ich grinsend wissen und beeilte mich mit ihm Schritt zu halten.

„In den ersten Wochen bestimmt fast drei Mal, aber ich konnte den Weltuntergang immer vermeiden, indem ich ihr gesagt habe, dass besagte Mädchen in festen Händen sind. Am Besten in denen von meinen Freunden. Das geht immer. Weibliche Logik, du verstehst?“

„Ja, natürlich“, meinte ich gedehnt und grinsend. „und mit wem bin ich jetzt potentiell zusammen? Nur so als Grundinformation.“

„Keine Ahnung. Thomas und Patrick sind beide noch frei, soweit ich weiß. Such dir einen aus.“

„Dann nehm ich Patrick. Da weiß ich zumindest schon mal wie der eventuell aussehen könnte. Aber was sind denn die offensichtlichen Tatsachen, warum du keine Mädchen herbringst?“, hakte ich nach.

Diesmal zog er sogar beide Augenbrauen hoch. „Hast du dich mal umgeschaut?“, fragte er und hielt mitten auf dem Flur inne. „Zum Beispiel hier“, meinte er und deutete auf ein großen, der detaillierten Duck, der an der Wand hinter ihm hing.

„Ist das ein… Mondkalender?“

„Jap, genau. Und nicht nur das, auf der Borte hier sind nicht irgendwelche schön aussehenden Symbole. Nein, das sind die Zeichen für die Planeten in unserem Sonnensystem.“

„Geeky.“

„Du sagst es“, pflichtete er mir bei. „Mädchen, die hier herkommen, sind entweder total abgestoßen davon und wollen meist nicht mehr ganz so viel mit einem zu tun haben oder sie finden es total super-hyper-mega-toll. Und Mädchen, die es total super-hyper-mega-toll finden, sind meist auch für mich zu… eigen. Eine Esoterikerin Schrägstrich selbsternannte Okkultistin Schrägstrich Wahrsagerin in meiner Umgebung reicht mir.“

„Was für Mädchen kennst du?“, fragte ich kopfschüttelnd und richtete gerade noch rechtzeitig von der Borte meinen Blick wieder auf Constantin, um sein Schulterzucken mitzubekommen. „Ich find’s interessant. Zu was macht mich das dann?“

„Nerd. Aber Nerd ist okay“, meinte er grinsend und wir setzten unseren Weg fort. „Allerdings wäre auch Supernerdwoman für meine Umgangsformen zu viel. Aber keine Sorge, so wie ich das sehe, hast du bis dahin noch einen weiten Weg.“

„Ach, und du bist ein Fachmann oder wie?“

„Natürlich. Zweifelst du an meinen Fähigkeiten, Weib?!“, entgegnete er mit gespielt verletztem Stolz.

„Wenn du wüsstest… wenn ich zu Hause alleine bin, flechte ich mir pinke Bänder in die Haare und trage einen Blumenkranz“, meinte ich wichtigtuerisch. „Nicht zu vergessen: Ich verabscheue Schuhe, da sie es dem Menschen nicht ermöglichen mit Mutter Erde in Kontakt zu treten. Daher ziehe ich nachts immer um die Häuser und stehle Schuhe, um sie in einem heidnischen Feuer nachts bei Vollmond zu verbrennen. Oh, verdammt, jetzt habe ich dir mein dunkelstes Geheimnis verraten…“, meinte ich und warf mir theatralisch den Arm über die Augen.

Daraufhin fing er laut an zu lachen und auch ich konnte mein gespieltes Elend nicht vollends aufrecht erhalten und musste grinsen . Noch während ich gegen den Drang laut loszulachen ankämpfte, fiel mir wieder die Socke in Constantins Hand auf.

„Warum trägst du eigentlich eine einzelne Socke mit dir herum? Ich meine, jedem das seine, aber warum eine Socke und nicht zwei?“, wollte ich wissen.

Er richtete den Blick von meinem Gesicht auf die Socke in seiner Hand. Sein Gesicht, das Augenblicke vorher noch Fröhlichkeit ausgestrahlt hatte, wurde schlagartig ernst, als sei ihm erst jetzt wieder eingefallen, dass er die Socke mit sich herumtrug. Warum auch immer ihn der Anblick einer Socke derartig verstimmte, wusste ich beim besten Willen nicht.

„Diese Socke hängt schwer mit dem Grund zusammen, weshalb du wahrscheinlich hergekommen bist“, erklärte er. „Aber das bereden wir besser in meinem Zimmer.“

Daraufhin hielten wir wie auf ein Stichwort vor einer dunklen Holztür, deren goldene Klinke Constantin herunterdrückte und so den Blick auf ein großes Schlafzimmer preisgab.

„Komm rein.“
 

Als ich durch die Tür in Constantins Zimmer trat, bemerkte ich zu allererst eine ungewöhnliche Ordnung für ein Jungenzimmer. Das große Bett war gemacht, die Regale ordentlich eingeräumt, sogar der gläserne Couchtisch war ordentlich und glänzte in dem durch ein großes Fenster einfallenden Sonnenlicht vor sich hin. Die in Ockertönen gehaltenen Wände zierten diverse Poster, von denen ich nicht alle zuordnen konnte, aber dennoch einige. Darunter waren auch Poster, die ich selbst besaß. Keinerlei Kleidung lag auf dem dunkelblauen Teppichboden herum, sondern alles war ordentlich über den einzigen Schreibtischstuhl gehängt oder in eine Wäschetonne hinter der Tür verbannt worden. Die einzige Ausnahme bildete hier eine kleine Kommode, deren oberste Schublade geöffnet worden war. Der Inhalt der Schublade, Socken, ergoss sich vor der Kommode auf dem Boden. Soweit ich es erkennen konnte, schienen die Socken zumindest sauber zu sein.

„Tut mir leid, dass es ein wenig unaufgeräumt ist“, sagte Constantin entschuldigend und schloss leise die Tür hinter mir. Meine hochgezogene Augenbraue schien er nicht zu bemerkten, denn er wandte sich gleich drauf seiner Sockenkommode zu um deren auf dem Boden verteilten Inhalt notdürftig in die geöffnete Schublade zu stopfen.

„Setz dich“, meinte er auf eine Sitzgruppe bestehend aus einer Zweisitzercouch und einem Sessel deutend, die dichtgedrängt beieinander standen, während er mit den letzten Socken kämpfte und versuchte die Schublade beinahe gewaltsam zuzudrücken. Seiner Einladung folgend ließ ich mich auf der Couch nieder und beobachtete seinen mehr oder minder erfolgreichen Kampf mit den Socken. Nachdem er auch dieses Hindernis überwunden hatte, schritt er auf mich zu und setzte sich schräg neben mich in den Sessel.

„Also…“, sagte er schließlich, doch schien es nicht über sich zu bringen weiter zu sprechen.

„Also“, wiederholte ich nicht weniger zurückhaltend.

Nach einiger Zeit brach Constantin schließlich das Schweigen. „Ich denke, wir haben ein Problem, welches zutiefst unmöglich in seiner bloßen Existenz scheint.“

„Sehe ich ähnlich. Ich meine, ich bin heute Morgen aufgewacht mit diversen Verspannungen und habe in der Dusche Kratzer und blaue Flecken an mir gefunden, von denen ich mir nicht erklären konnte wie sie zustande gekommen waren. Ich hatte alles, was in der Hütte geschehen ist, als einen seltsamen Traum abgehakt. Zumindest solange bis das in meinem Regal gefunden habe“, erläuterte ich während ich den Runenknochen aus meiner Hosentasche zog und ihn auf den Glastisch legte.

„Mir ging es genauso“, meinte er. Nach einem kurzen Augenblick des Überlegens schien er sich zu sammeln, beugte sich vor und stützte die Ellenbogen auf den Knien ab. „Ich bin vollkommen verspannt aufgewacht, mit Kratzern am ganzen Körper. Meine Wäsche war dreckig und ich konnte mich nur noch vage an eine Hütte im Wald erinnern. Nach dem Duschen musste ich nochmal zurück und mir Socken holen, weil ich die irgendwie vergessen hatte. Auf jeden Fall habe ich in meiner Sockenschublade diesen Runenstein – oder was auch immer es sein mag – gefunden.“ Mit diesen Worten legte er seine Rune neben meine.

Nachdem er nicht fortfuhr, sah ich von den beiden Runen zu ihm auf. Erst jetzt bemerkte ich, dass wir fast die gleiche Haltung eingenommen hatten; zum Rand der Sitzfläche gerutscht, die Ellenbogen auf die Knie aufgestützt und die Hände in einander verschlungen starrten wir die beiden auf dem Tisch liegenden Runen an. Als er aufsah, wurde mir schlagartig bewusst, dass wir näher beieinander saßen als ich zunächst angenommen hatte. Erst jetzt erkannte ich, dass seine Iris kein grünbraunes Gemisch darstellte, sondern sich von außen nach innen von einem braunen Ring zu einem hellgrünen Ring verjüngte. Sehr ungewöhnlich. Mensch, jetzt bleib mal bei der Sache! Jetzt ist nicht gerade der günstigste Augenblick sich um seine Augenfarbe Gedanken zu machen!, herrschte ich mich innerlich an.

„Zumindest scheint deine Rune aus einem Stein zu bestehen“, setzte ich schließlich an, nachdem ich mich selbst zu Genüge gescholten hatte. „Es hat mir einen tierischen Schrecken eingejagt, als ich festgestellt habe, dass meine aus einem Knochen besteht.“

„Knochen?“, wollte er wissen und zog die Brauen hoch. „Das wird ja immer schöner…“

Wieder schwiegen wir.

„Aber das ist noch nicht alles“, sagte Constantin nach einer Weile leise.

„Inwiefern?“, fragte ich stirnrunzelnd.

„Es ist noch etwas anderes Seltsames passiert“, antwortete er, doch ich merkte, dass er es schon fast bereute, es überhaupt zur Sprache gebracht zu haben.

„Und? Was? Es kann ja kaum unmöglicher als die Hüttennummer sein, oder?“

„Aber es kommt stark an die Hüttennummer, wie du sie nennst, ran. Tu mir nur einen Gefallen und lach nicht zu laut.“ Nachdem ich dies mit einem weiteren Stirnrunzeln und einem Nicken quittiert hatte, fuhr er fort. „Meine Tante hat mir vor ein paar Wochen eine Pflanze ins Zimmer gestellt und meinte noch, ich solle ihr immer gut zureden, was ich auch immer schön brav gemacht habe“, erklärte er während er aufstand und zu seinem Schreibtisch ging, um eine kleine Topfpflanze zu holen. Gleichzeitig bemühte ich mich ein möglichst neutrales Gesicht zu machen. „Und das ist die Pflanze jetzt“, schloss er und stellte die Pflanze vor mich auf den Glastisch.

Ich sah mir die Pflanze etwas genauer an, konnte jedoch nichts Ungewöhnliches an ihr erkennen. Es war eine kleine, aber hübsche Zimmerpflanze, die grade begann ihre Knospen zu öffnen. Sie schien gesund und gut gepflegt.

„Und?“, wollte ich schließlich wissen.

„Die Pflanze war heute Morgen noch halbtot, als ich ihr ihren scheinbar unvermeidlichen Tod mit einem netten Gespräch versüßen wollte.“

„Oh.“, machte ich nur und sah die Pflanze in meinen Händen mit hochgezogenen Brauen an.

„Genau.“

„Das erinnert mich verdächtig an ein ähnliches Erlebnis heute in der Dusche“, murmelte ich vor mich hin während ich die Pflanze in einem ganz anderen Licht betrachtete. Ich drehte sie ein wenig im Sonnenlicht, doch es waren keine äußeren Anzeichen ihres nahen Todes zu sehen. Die Pflanze sah aus, als sei sie schon seit Wochen auskuriert.

„Was für ein Erlebnis in der Dusche?“, wollte Constantin wissen, scheinbar sehr erleichtert, dass ich ihn nicht für verrückt abtat.

„Naja“, setzte ich an, stellte die Pflanze auf dem Tisch ab und sah zu ihm auf, „es ist zwar nicht ganz so drastisch, wie das mit der Pflanze hier, aber immer noch seltsam. Als ich heute unter der Dusche stand, hat sich das Wasser seltsam… naja, ‚verhalten‘ klingt so nach einem eigenständigen Organismus, aber mir fällt grade keine andere Beschreibung ein“ sagte ich und erläuterte ihm mein Erlebnis unter der Dusche. „Kann gut sein, dass ich mir das einbilde, aber es ist trotzdem seltsam. Außerdem bekomme ich langsam Angst vor meinem Kater. Und irgendwie vor allem zu Hause. Alles sieht gleich aus, aber hat sich irgendwie doch verändert. Schwer zu erklären.“

„Ja, mir geht es ähnlich. Ich sehe schon den ganzen Tag Dinge, die nicht da sind… Aber gibt einen speziellen Grund für dein Mistrauen gegenüber deinem Kater?“, fragte er und rieb sich das Gesicht. Er sah besorgt aus.

„Mehr oder weniger. Erst führt er mich in diesen Wald und wie er mich geführt hat, war definitiv nicht normal, nicht tierisch“, versuchte ich zu erklären. „Dann sah er heute so ganz anders aus. Mir ist heute zum ersten Mal aufgefallen, dass er wesentlich größer und auch anders gebaut ist als andere Katzen. Und ich habe diesen Kater seit bestimmt zwölf Jahren. Er kam vielleicht ein Jahr vor dem Tod meiner Mutter zu uns, irgendwann um meine Einschulung herum. Auf jeden Fall, kurz nachdem ich die Rune gefunden hatte, ist er mir überallhin auf Schritt und Tritt gefolgt, hat mich immer beobachtet. Selbst als ich das Haus verlassen hatte! Und es war nicht dieses Beobachten, wenn ein Tier deine Aufmerksamkeit haben will, weil es vielleicht Hunger hat. Oh nein, es war vielmehr so als lugte eine richtige Persönlichkeit hinter seinen Augen hervor, die mir vorher nie bewusst war. Ich will gar nicht daran denken, dass ich nachher wieder mit diesem Kater allein bin.“

Während ich sprach, hatte ich unbewusst die Beine angezogen und umklammerte mit meinen Armen meinen Oberkörper, um mir selbst ein wenig Halt zu geben. Mir wurde diese Schutzhaltung erst bewusst, als Constantin aus seinem Sessel aufstand, sich neben mich setzte und mir beruhigend die Hand auf die Schulter legte.

„Das klingt total verrückt, oder?“, wollte ich wissen und verzog das Gesicht. Besser ich halte jetzt einfach die Klappe und rede mich mit dieser neugefundenen Paranoia nicht noch um Kopf und Kragen. Wenn ich jetzt noch von einem Kichern in unserem Fahrradschuppen erzähle, hält er mich für vollkommen bekloppt.

„Glaub mir, unter diesen Umständen erhält ‚verrückt‘ eine ganz andere Definition“, entgegnete er und lächelte schwach.

Wieder schwiegen wir tief in Gedanken versunken und starrten geistesabwesend auf die Pflanze und die Runen.

„Hey“, meinte ich nach einer Weile.

„Hmm?“

„Hast du irgendeine Ahnung, wie wir nach Hause gekommen sind?“, fragte ich, um auch mal etwas weniger sentimentales und mehr praktikableres zu sagen.

„Nein, nicht wirklich“, antwortete er. „Aber ich konnte auch meine Tante noch nicht fragen. Es hat sich noch keine Gelegenheit dazu geboten. Sobald ich den Runenstein gefunden habe, hab ich mich auf die Suche nach dem Telefonbuch gemacht. Ich hab gar nicht mehr daran gedacht, dass ihr noch gar nicht drinstehen könntet. Allerdings was hätte ich meiner Tante denn auch großartig sagen sollen? ‚Hey! Ich hatte diese Nacht einen komischen Traum von einer Hütte im Wald, in der ich gefangen war. Und stell dir vor: das war gar kein Traum! Hast du gestern gesehen, wie mich eine unheimliche, dunkle, uralte Macht, die man nicht erklären kann und die mindestens das Urböse darstellt , nach Hause in mein Heiabettchen gebracht hat? Ich wollte ihr nur für dieses unglaubliche Erlebnis danken.‘? Wohl eher weniger.“

Entgegen meiner bedrückten Stimmung musste ich doch ein bisschen schmunzeln.

„Ich bin auch noch nicht so ganz dahinter gestiegen, wie ich nach Hause gekommen bin. Als mein Vater heute Morgen zur Arbeit gefahren ist, war ja noch alles Friede, Freude, Eierkuchen und ich hatte die ignorante, aber glückliche Vorstellung nur einen lebhaften Traum gehabt zu haben.“

„Allerdings kann es ja auch nicht allzu schlimm gewesen sein. Sonst hätte sie heute Morgen sicher irgendwas gesagt“, fügte er hinzu. „Außerdem wäre sie dann nicht so normal sondern in irgendeiner Form aus dem Häuschen oder völlig aufgelöst; je nachdem.“

„Stimmt natürlich. Was hast du ihr denn gestern gesagt wohin du gehst, bevor du zur Hütte gekommen bist?“

„Hm“, meinte er und runzelte die Stirn bei dem Versuch sich zu erinnern. „eigentlich nur, dass ich nochmal weggehe. Ich hab ihr nicht gesagt wohin oder wieso.“

„Hätte es dann nicht sein können, dass du dich mit Freunden getroffen hast und einfach nur nicht mehr weißt, wann du nach Hause gekommen bist?“, schlug ich vor.

„Wenn ich dann Alkohol getrunken hätte, würde das wenigstens erklären, warum ich ohne Auto in die ein paar Kilometer entfernte Stadt gegangen bin.“, stimmte er zu. „Irgendwer kann mich ja eingesammelt haben und ich bin zum Ausnüchtern nach Hause gelaufen.“

„Klingt doch plausibel, oder?“, fragte ich, denn ich kannte ja seine üblichen Gewohnheiten nicht wirklich. Nachdem er mit einer Mischung aus Schulterzucken und Nicken seine Zustimmung ausdrückte, erhob ich mich. „Na dann mal auf ins Gefecht! Ach, ja, ich bin potentiell mit Patrick zusammen, oder?“, wollte ich noch einmal wissen. Man sollte schließlich wissen von wem man etwas wollte.

Die Frage entlockte ihm ein Grinsen. „Meinetwegen kannst du auch nur schwer in ihn verschossen sein. Die Hauptsache ist, dass sie nicht auf die Idee kommt zu kuppeln.“, erklärte Constantin.

„Okay, dann bin ich schwer verschossen und fange langsam an den Typen zu stalken. Ich denke, dass reicht also Cover, oder?“, entgegnete ich und wir verließen Constantins Zimmer um uns auf die Suche nach seiner Tante zu machen.

„Ja, ich denke, das sollte vorerst ausreichend sein. Vielleicht kommt sie auch weniger auf dumme Gedanken, wenn wir nicht die ganze Zeit alleine in meinem Zimmer hocken“, überlegte er.

„Ja, vielleicht“, meinte ich schmunzelnd. „Zum Glück ist meine Tante nicht so. Okay, eigentlich ist das schwer zu beurteilen. Ich seh sie jetzt auch nicht sehr häufig, weil sich üblicherweise relativ viel Wasser in Form des Atlantiks zwischen uns befindet, aber ich wage daran zu zweifeln, dass sie je meinen Freund getroffen hat.“

„Wenn du einen Freund hast, musst du nicht in Patrick verschossen sein. Hat doch auch was. Ist wahrscheinlich auch besser. Patrick schnarcht wie ein Sägewerk“, meinte Constantin nüchtern, während wir die Treppe hinabstiegen, und ich musste lachen.

„Exfreund trifft es besser. Wir waren in dieser pubertären Phase zusammen, in der alle zusammen sind. Wir haben es ausprobiert, hat nicht geklappt, wir haben Schluss gemacht. Das Ganze hat höchstens zwei Wochen gedauert. Wir haben uns darauf beschränkt, einfach nur Freunde zu sein und diverse Videospiele an zahllosen Wochenenden durchzuzocken“, erklärte ich.

„Tja, dann hast du jetzt wohl einen Schnarchfetisch“, meinte er grinsend.

„Dann stehe ich jetzt wohl auf männliche Männer“, entgegnete ich schulterzuckend.

„Schnarchen ist männlich?“, fragte er und zog eine Augenbraue in die Höhe.

„Ungeheuer. Und hocherotisch“ beteuerte ich und setzte eine Überzeugungsmine auf, auf die ein Sektenführer stolz gewesen wäre.

„Ach deswegen hat das bei mir nie geklappt!“, folgerte er und schlug sich mit der flachen Hand auf die Stirn.

„Vielleicht gibt Patrick dir ja Nachhilfe“, meinte ich zwinkernd während wir den Flur im Erdgeschoss betraten. Mit einem schwachen Nicken des Kopfes deutete Constantin die Richtung an und ich folgte ihm weiter ins Haus hinein. Gelegentlich konnte ich an den Wänden astrologische Poster erkennen, aber wieder andere Bilder sagten mir gar nichts, doch wir bleiben nicht lange im Flur, sodass ich mir die Bilder nicht genauer ansehen konnte. Unweit der Treppe führte Constantin mich ein einen schattigen, überdachten Wintergarten dessen Boden mit weißen Fliesen ausgelegt war und in dessen Zentrum ein runder Holztisch mit einer mitternachtsblauen Tischdecke, auf der ein säuberlich gestapelter Stoß Karten lag, und dazu passenden Stühlen stand. Aus den Fenstern bot sich die Möglichkeit auf den dem Haus zugehörigen Garten und die dahinter liegende Felder zu blicken. Die Aussicht auf die reifen goldenen Kornfelder, deren Ähren sich leicht im Wind neigten, war so beruhigend wie auch schön. Die leicht abfallenden Felder wurden hier und da von blauen Kornblumen und rotem Mohn gespickt doch ansonsten erstreckte sich hinter dem Garten einige Hektar, bevor sie auf Viehkoppeln traf.

„Die Aussicht ist sehr schön“, meinte ich.

„Ja, nicht wahr?“, hörte ich unerwartet eine weibliche Stimme neben mir sagen und zuckte zusammen. „Oh, entschuldige! Es war nicht meine Absicht dich zu erschrecken!“, entschuldigte sich Sybille und sah mich bedauernd an.

„Nein, nein! Ist schon in Ordnung!“, versicherte ich ihr hastig und lächelte. „Ich habe nur nicht damit gerechnet so versunken war ich.“

„Wirklich?“, hakte sie nach und nachdem ich bestätigend nickte, sah sie erleichtert aus. „Komm setzt dich, dann können wir einen Tee oder Kaffee zusammen trinken und ein wenig die Aussicht genießen“, sagte sie zwinkernd und führte mich zu Tisch. Schnell warf ich Constantin einen fragenden Blick zu, doch er hob nur die Schultern. Nicht wirklich widerstrebend, aber ein wenig zögernd ließ ich mich auf einen der Stühle sinken.

„Tante Sybille, ich wollte dich noch etwas fragen“, warf Constantin ein. Nachdem sie ihm mit einer Handbewegung bedeutete fortzufahren, fragte er, meiner Meinung nach mit einem sehr überzeugenden Stirnrunzeln: „Hast du eine Ahnung, wann ich gestern nach Hause gekommen bin?“

„Nein, tut mir leid. Ich habe hier im Wintergarten ein Buch gelesen nachdem du gegangen warst, und bin selber eingeschlafen. Irgendwann in der Nacht bin ich dann endlich mal aufgewacht, weil es durch die offene Tür gezogen hat“, erklärte sie. „Als ich dann noch die Haustür abgeschlossen habe, standen deine Schuhe aber schon da, also hab ich mir keine weiteren Gedanken gemacht. Hätte ich mir welche machen sollen?“

„Nein, nein. Ich war nur etwas trinken und weiß einfach nur nicht mehr, wann ich nach Hause gekommen bin“, antwortete Constantin abwinkend und Sybille lächelte leicht.

„Dann ist ja gut… Trinkst du lieber Tee oder Kaffee?“, fragte sie an mich gewandt.

Eigentlich beides, aber Tee geht schneller und macht weniger Mühe.

„Tee.“

„Was für welchen?“, schaltete sich nun Constantin ein. „Wir haben so einiges… Früchte, Kräuter…“

Ich hätte doch ‚Kaffee‘ sagen sollen…

„Wenn da ist ein Earl Grey oder anderen Schwarzen Tee, ansonsten Früchtetee.“

„Wärst du dann so freundlich und würdest Wasser heiß machen, Constantin?“, bat Sybille. Zur Antwort nickte er nur, woraufhin sie ihn noch um Himbeertee bat, und er verschwand in den Flur zurück.

Nachdem Constantin wahrscheinlich in die Küche gegangen war, um Wasser zu erhitzen, wandte sich Sybille an mich.

„Es tut mir leid, wenn ich vollkommen unfähig wirke, aber ich hatte noch nie viel mit Erziehung zu tun“, entschuldigte sie sich schulterzuckend. „Relativ plötzlich hat Constantin mich gebeten hier wohnen und sein Abitur hier machen zu dürfen. Mein Bruder, Constantins Vater, und ich haben schon länger keinen angeregten Kontakt mehr. Umso mehr habe ich mich über eine Kontaktaufnahme seinerseits gefreut. Das ist alles noch etwas neu für mich.“

„Aber ist sowas nicht normal? Man braucht immer etwas Zeit sich in einer neuen Situation zurecht zu finden. Ich erinnere mich auch noch daran, wie mein Vater zum Hausmann wurde, nach dem Tod meiner Mutter. Nun gut, er war nicht überall erfolgreich damit und ich habe dann irgendwann herausgefunden, wie der Herd funktioniert und uns etwas wirklich Essbares zubereitet“, erklärte ich und sie lächelte erleichtert.

„Aber mein Neffe und du, ihr könnt euch noch nicht lange kennen, oder? Wie lange wohnst du schon hier? Einen Monat? Zwei?“, erkundigte sie sich.

„Fast zwei, aber ich habe den Unterricht vor den Ferien nicht mehr besucht. Mein Vater ließ sich widerstrebend davon überzeugen, dass die letzten paar Wochen auch keinen Unterschied mehr machen würden“, erklärte ich und konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen, welches Sybille mit einem leichten Lächeln erwiderte. „Nach den Ferien besuche ich das Adam-Riese-Gymnasium. Zumindest ist das geplant.“

„Und in welche Klasse?“, wollte sie wissen.

„In die Zwölf. Mit Englisch und Chemie.“

„Oh, genau wie Constantin!“, meinte sie erfreut und lächelte vielsagend. „Er musste das letzte halbe Jahr wiederholen, weil hier die Leistungskurse, die er zuvor gewählt hatte, letztes Jahr nicht zustande gekommen sind. Aber das weißt du sicher.“

Ich nickte zustimmend und verstehend, doch vielleicht war dies der geeignete Moment mein vermeintliches Interesse an Patrick kundzutun. Gerade als ich den Mund öffnete, um etwas in diese Richtung anzudeuten, betrat Constantin beladen mit einem Tablett klappernd zurück in den Wintergarten und ersparte mir somit seine Tante anlügen zu müssen.

Behutsam stellte er das Tablett auf dem Tisch ab und verteilte mit ruhiger Hand blaugemusterte Teetassen mit passenden Untertassen und einer Teekanne. Zwischen uns in der Mitte des Tisches stellte er ein kleines Zuckerdöschen und Milchkännchen in demselben Muster, hinzu kam eine Box mit verschiedenen Teesorten. Nachdem wir alle unsere Tees ausgesucht hatten und eine Tasse Schwarzen Tees mit Milch und Zucker dampfend vor mir stand, stellte sich ein gewisses Glücksgefühl bei mir mit dem ersten Schluck ein.

„Warum seid ihr denn eigentlich hergezogen, wenn ich fragen darf?“, wollte Sybille nach einer Weile zufriedenen Schweigens wissen. „Hier auf dem Land ist ja nicht viel.“

„Mein Vater arbeitet als Buchhalter und die Firma, für die er arbeitet, hatte eine Außenstelle hier in der Stadt anzubieten. Er wollte schon lange wieder aufs Land ziehen und nach einigen Diskussionen hat er angenommen“, antwortete ich.

„Diskussionen?“, hakte Sybille nach.

„Ja, er wollte zuerst nicht zusagen, weil er dachte, es sei unfair mir gegenüber und ich musste ihm vom Gegenteil überzeugen“, lachte ich. Mit einem Seitenblick auf Constantin überlegte ich die Frage zu stellen, die mich schon die ganze Zeit wurmte. „Haben Sie nie überlegt in die Stadt zu ziehen?“

„Nein, warum?“, entgegnete sie verdutzt.

„Nun ja, Constantin meinte, Sie seien Wahrsagerin und ich habe mich die ganze Zeit schon gefragt, ob auf dem Land überhaupt genügend Leute Ihre Dienste in Anspruch nehmen“, sagte ich und versuchte es so eloquent und ohne Wertung wie möglich klingen zu lassen.

„Ach, so!“, lachte sie. „Nun ja, wenn man gut genug ist, kommen die Leute von überall her, wie auch bei anderen Dienstleistungen“, erklärte sie und zwinkerte mir zu, wobei mein Gesicht wahrscheinlich verdächtigerweise die Farbe meiner Haare annahm, denn es fühlte sich mit einem Mal recht warm an. „Wenn du willst, gebe ich dir eine Kostprobe meines Könnens. Kostenfrei, versteht sich“, trillerte sie fröhlich und schob mir den Kartenstapel zu, ohne auf eine Antwort zu warten. „Mensch, Constantin, schau doch nicht so!“, sagte sie an ihren Neffen gewandt und ich hob meinen Blick von den Karten vor mir. Constantin schaute skeptisch zwischen mir, seiner Tante und den Karten auf dem Tisch hin und her. „Es wird schon nichts Schlimmes passieren! Ich werde sie bitten Karten zu mischen und zu ziehen, nicht eine Ziege auf dem Tisch zu schlachten! Für wen hältst du mich?“, schnaubte sie leicht verärgert. Schmunzelnd bemerkte ich wie Constantin kleinbeigab, die Augen niederschlug und seufzte.

„Und was muss ich jetzt tun?“, fragte ich und betrachtete die Karten zum ersten Mal etwas genauer. Das Deckblatt war bordeauxrot und mit goldenen Mustern und Symbolen verziert, die mir überhaupt nichts sagten. Aber sie sahen wenigstens hübsch aus. Die Karten wirkten schon älter und oft benutzt, denn die Ränder und Ecken waren nicht mehr scharfkantig, sondern weich und etwas ausgefranst.

„Eigentlich genau das, was ich eben gesagt habe“, erklärte sie und räumte den Platz in der Mitte des Tisches frei. „Du mischt die Karten so gut wie du kannst, sodass du im besten Fall jede Karte einmal berührt hast. Du weißt doch wie kleine Kinder im Kindergarten Karten mischen, oder? Genauso ist es am effektivsten.“ Klingt aber nicht sehr mystisch oder okkult… Sie musste irgendetwas an meinem Gesicht bemerkt haben oder aber war es gewohnt, dass die Leute bei dieser Methode skeptisch reagierten, denn sie fuhr erklärend fort: „Vergiss am besten alles, was du je über das Kartenlegen gehört hast, weil es wahrscheinlich sowieso falsch ist. Wichtig ist, dass die Karten nur von dir berührt werden und keine anderen Einflüsse von anderen Personen bekommen. Deswegen musst du die Karten mischen, und nicht ich. Nimm am besten jetzt mal den Stapel und misch die Karten.“

Zögernd griff ich nach den Karten und mischte sie genauso, wie Sybille es mir gesagt hatte: im Kindergartenstil.

„Gut so“, ermunterte sie mich lächelnd. „Ob du nun die Karten zusammenschiebst oder nicht, ist eigentlich unwichtig. Was uns jetzt nur noch interessiert sind die drei Karten, die du ziehen wirst.“

„Nur drei?“, fragte ich verdutzt und warf Constantin einen Blick zu, den er mit einem Schulterzucken erwiderte.

„Ja“, bestätigte sie nickend. „Es ist völliger Humbug viel mehr Karten zu legen, wenn man nur die Großen Arkana benutzt. Wenn neun von zweiundzwanzig Karten auf dem Tisch liegen, kann man ja alles hineinlesen und das ist genau das, was die netten Damen im Fernsehen tun. Sie legen ganz gewichtig eine Karte auf den Tisch und lesen allgemeingültige Dinge hinein. Nein, für einen guten Kartenleser reichen drei Karten im Normalfall. Und genau das bin ich: eine Kartenleserin. Ich lege meinen Klienten die Karten nicht, sondern deute sie nur. Wenn ich selber etwas wissen will, dann lege ich sie, aber sonst nicht.“

Beeindruckt durch diesen Schwall von Informationen, tat ich wie mir geheißen und wählte drei Karten verdeckt aus. Die anderen schob ich zu einem Stapel zusammen und legte sie an die Seite. Fragend sah ich nun zu Sybille auf.

„Nun wählst du eine Karte aus und deckst sie auf“, erläuterte sie.

„Egal welche von den dreien?“, fragte ich.

„Egal welche.“

Willkürlich entschied ich mich für die mittlere Karte und deckte sie auf. Das Bild stand auf dem Kopf, doch ich konnte einen Turm erkennen, in den ein Blitz einschlug und dessen oberer Teil in Brand stand. Außerdem konnte ich noch zwei fallende Menschen bemerken und unter dem Bild stand: ‚The Tower‘.

„Hm“, meinte Sybille und schaute nachdenklich auf die aufgedeckte Karte. „Der Turm hat mehrere Bedeutungen, wie auch die anderen Karten. Das Spektrum reicht von Niedergang über plötzliche Veränderung über Krisen bis hin zu Enthüllungen. Zieh bitte die nächste Karte, damit ich vielleicht das Gesamtbild erkennen kann.“

Ich tat wieder wie mir geheißen und deckte eine der äußeren Karten auf. Mein Herz sank als ich das Bild auf der anderen Seite erblickte. Ein Skelett, das auf einem weißen Pferd durch eine Masse von toten oder sterbenden Menschen ritt und eine schwarze Fahne mit einer weißen Blume darauf mit sich trug. Unter der Karte stand ‚Death‘.

„Das muss nicht zwangsläufig das sein, was drauf steht“, meinte Sybille und legte mir beruhigend eine Hand auf den Arm. Sie fühlte sich kalt an. „Natürlich bedeutet die Karte auch Tod, aber auch Veränderung und das Ende von etwas Vorangegangenem. Wenn diese Karte nicht eher für plötzliche Veränderungen stände, hätte ich jetzt auf irgendetwas während des Umzugs getippt. Deck bitte die letzte Karte auf.“

Missmutig hob ich meine Hand um die letzte Karte auch noch aufzudecken. Wenigstens kann es jetzt nicht noch schlimmer kommen. Die schlimmste Karte hab ich wahrscheinlich eben schon gezogen… Das Bild zeigte einen jungen Mann der kopfüber von einem Baum hing. Passenderweise stand unter dem Bild ‚The Hanged Man‘.

„So“, sagte Sybille, nachdem sie die drei Karten eine Weile schweigend betrachtet hatte, gedehnt. „Ich würde es so deuten, dass du zuerst in deinem Gedankenkonstrukt der Welt gefangen warst, es aber nicht wusstest.“ Sie deutete auf die Tower-Karte. „Dann ist plötzlich“ – Sie deutete auf die Death-Karte – „etwas Unerwartetes passiert. Und da es plötzlich und unerwartet war, gehe ich davon aus, dass es nicht der Umzug hierher war, da dieser dir sicher vorher bekannt war, sondern etwas anderes, das wahrscheinlich erst hier passiert ist. Allerdings denke ich nicht, dass es länger her ist, erst etwas, das in den letzten Tagen geschehen ist“, murmelte sie mehr vor sich hin als dass sie uns einen Bericht gab und ich versteifte mich. Neben mir fühlte ich, dass es Constantin nicht anders erging. „Was auch immer passiert ist, es war tiefgreifend und hat deinen Blickwinkel auf die Welt verändert. Du siehst jetzt mehr von der Welt. Dinge die dir vorher verschlossen waren. Das sagt mir zumindest der Gehängte.“ Als ich Constantin einen Blick zuwarf, sah ich, dass sein Gesicht an Farbe verloren und einen Ausdruck zwischen betroffen und ertappt angenommen hatte. Ich war mir ziemlich sicher, dass mein eigenes Gesicht ein ähnliches Bild wiederspiegelte. Es war mehr als deutlich, dass wir dasselbe dachten, ohne dass einer von uns es hätte aussprechen müssen: die Hütte.

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Vorneweg: Ich bitte um Verzeigung für das Türkisch. Ich weiß, dass es Falsch ist, aber ich kam noch nicht dazu meine Lehrerin zu fragen, wie man das, was ich sagen wollte, äh, sagt. Ich hab allerdings noch vor das zu ändern. Wie auch schon anfangs gesagt, ist ab jetzt alles in dritter Person geschrieben. Ich hatte viel Spaß beim Schreiben (vor allem gewisse Szenen^^ meinten zumindest Freunde...) und ich hoffe, ihr habt auch welchen beim Lesen.^^
 


 

3. Zurück zum Anfang
 

Sybille hatte nichts von ihrem stummen Gedankenaustausch bemerkt, soviel war klar als sie heftig zusammenzuckte, als das Telefon klingelte. So sehr war sie in die Karten versunken gewesen. Sie entschuldigte sich kurz und schritt mit wehenden Rocken davon, um das Telefonat entgegenzunehmen. Layla und Constantin saßen eine Weile schweigend im Wintergarten bis Sybille zurückkam um ihnen zu bedeuten, dass ihr Gespräch wohl länger dauern würde.

Nachdem Layla sich etwas gefangen hatte, wagte sie es Constantin anzusehen. Die Farbe war in sein Gesicht zurückgekehrt, aber er war immer noch blass, seine Züge noch immer steif. Er schien erst gar nicht zu bemerken, dass sie ihn ansah, und sie überlegte sich bemerkbar zu machen, als er plötzlich aufblickte.

„Was machen wir jetzt?“, wollte sie leise wissen, sich immer noch der Tante im Flur bewusst.

„Ehrlich gesagt habe ich nicht den blassesten Dunst eines Schimmers einer Ahnung“, antwortete er ebenso leise und rieb sich mit dem Daumen und dem Zeigefinger die Augen. „Vielleicht sollten wir erst einmal aufzählen, was wir bisher wissen. Vielleicht fällt uns dann auch ein, was wir jetzt machen. Also, wir haben keine offensichtlichen Gemeinsamkeiten außer, dass wir in etwa im gleichen Alter sind, auf zwei Seiten ein und desselben Waldes wohnen und nach den Ferien dieselbe Schule besuchen. Wie auch tausend andere Leute, daher denke ich, dass das keine Rolle spielt.“

„Wir sind beide erst kürzlich hergezogen“, fügte ich hinzu.

„Stimmt, aber was noch? Ich glaube kaum, dass das hier alles irgendwas mit irgendwelchen gemeinsamen Interessen zu tun hat, daher würde ich das auch ausschließen.“

„Oh, wir wurden beide von Tieren zu der Hütte geführt!“ fiel ihr noch ein, doch danach verließ sie ihr Gedankenfluss und sie schwiegen grübelnd.

„Es wäre gut zu wissen, ob wir in diese Hütte sollten, oder ob es auch irgendwelche anderen Leuten hätten sein können“, fragte sich Constantin mehr selbst als dass er die Frage an Layla richtete.

„Entweder hat es was mit den Runen oder dem Haus zu tun. Glaube ich zumindest…“, meinte sie.

„Oder mit beidem“, seufzte er.

„Was ist denn passiert nachdem wir die Runen gefunden haben? Wir konnten aus der Hütte oder wurden zumindest irgendwie hinausbefördert. Ohne die Runen waren wir gefangen.“

„Und wir haben seltsame Dinge gesehen.“

„Oder gehört.“

„Gehört?“

„Ja, da war ein Kichern in unserm Fahrradschuppen nachdem ich mich langgelegt hatte“, erklärte Layla und er zog die Brauen hoch. „Oh, nicht zu vergessen: deine Blume und mein Kater.“

„So alles in allem klingt es eher danach, dass die Runen ausschlaggebend sind und nicht die Hütte. Wahrscheinlich hätten wir auch an jedem anderen Ort sein können. Wenn die Runen auch da gewesen wären, wäre das Gleiche passiert. Man ersetze nur creepy Waldhütte mit beliebigem anderen Ort“, schlussfolgerte Constantin.

„Ja, das denke ich auch“, stimmte sie ihm zu, „aber ich würde trotzdem gerne noch einmal hingehen und die Hütte überprüfen. Und wenn es nur von außen ist.“
 

Nach einigem Überlegen entschieden sie sich dagegen Waffen in Form von Hacken oder ähnlichem mitzunehmen, sondern beschränkten sich auf zwei Taschenlampen, ein Seil, welches Constantin trug, und ein altes Taschenmesser, das sie in einer Schublade im Geräteschuppen auf der Suche nach dem Seil fanden und welches Layla an sich nahm. Nach einigem Hadern entschieden sie sich auch dagegen das Handtuch mitzunehmen.

Als sie endlich glaubten so gut gerüstet zu sein, wie es ihnen möglich war, war es bereits Nachmittag. Obwohl der Tag mit strahlendem Sonnenschein begonnen hatte, waren nun Wolken aufgezogen, hinter denen sich die Sonne versteckte. Gelegentlich brachen Sonnenstrahlen durch die lose Wolkendecke hinter Sybilles Haus, sodass ihr Garten nicht in Zwielicht versank. Das Haus hinter sich lassend, wandten sie sich zu einem kleinen Pfad, der in den Wald hineinführte und von dem Constantin meinte, dass er ihm am Vortag gefolgt sei.

Layla schaute noch einmal zum Haus zurück, welches durch die wenigen Sonnenstrahlen erhellt wurde, und wandte sich schließlich dem Wald zu, über dem sich die Wolkendecke verdichtet hatte und fast schwarz wirkte . Ihr Mut sank bei dem Anblick, doch sie wollte sich nicht darauf einlassen sich von irgendwelchen Naturschauspielen böse Omen vorgaukeln zu lassen. Dennoch konnte sie das Gefühl wie Grenzgänger zwischen Licht und Dunkelheit zu wandeln nicht abschütteln, als sie das Zwielicht des Waldes betrat. Schweigend gingen sie den breiten Pfad nebeneinander entlang, dann Constantin schien ebenfalls von dem Anblick, der sich ihnen bot, wenig erbaut zu sein.

Die Stille hielt sich beharrlich, denn es schienen weder Vögel zu Zwitschern noch Grillen zu zirpen und der Wald vor ihnen wurde mit jedem Schritt dunkler und dichter, sodass immer weniger Sonnenlicht zu ihnen durchdrang. Layla verlor schnell das Zeitgefühl und wusste nicht wie lange sie schon unterwegs waren, als sie ihre Taschenlampe einschaltete, um den Pfad besser erkenn zu können.

„Bist du gestern auch so lange gelaufen?“, fragte sie in die Stille hinein und Constantin zuckte zusammen, als habe ihn ihre plötzliche Frage erschreckt.

„Ich bin schon eine ganze Weile gegangen, allerdings kam es mir nicht so lange vor“, antwortete er. „Aber ich denke nicht, dass wir falsch sind. Das ist genau der Pfad, den ich gestern gegangen bin. Okay, es war dun–“, er stoppte mitten im Satz und Layla sah in fragend an. „Hörst du das?“, fragte er.

Layla wollte zuerst verneinen, doch dann vernahm sie Stimmen. „Da sind Leute!“, keuchte sie leise.

„Und wenn ich mich nicht schwer irre, muss die Hütte ganz in der Nähe sein“, entgegnete er ebenso leise. „Wenn das ein Zufall sein sollte, bin ich die Zahnfee !“

Schnell schaltete Layla ihre Taschenlampe aus, um zu überprüfen, ob noch genug Licht vorhanden war, um sich langsam auf dem Pfad vorwärts zu bewegen. Nachdem sich ihre Augen an die neuen Lichtverhältnisse gewöhnt hatten, bedeutete Constantin ihr ihm zu folgen. So leise wie möglich schlichen sie den Pfad entlang, immer den Stimmen folgend. Bald kamen sie an eine Stelle, an der sie den Pfad verlassen mussten, da sich die Stimmen ein einer andren Richtung wiederfanden.

„Gib mir mal bitte das Taschenmesser“, bat Constantin flüsternd.

Seiner Bitte nachkommend tat Layla wie ihr geheißen und reichte ihm das Messer. Im schwachen Licht konnte sie gerade noch die Klinge aufblitzen und Constantin ein weißes Taschentuch zerteilen sehen. Layla nahm ihm einen Streifen des Tuches ab und band es an einen niedrighängenden Ast eines Busches. Nachdem sie sich davon überzeugt hatte, dass das Tuch fest hing, setzten sie ihren Weg durch das Unterholz fort. Immer wieder blieb ihre Kleidung an Sträuchern hängen und nach kurzer Zeit hatte Layla zahlreiche Schrammen an den freien Armen.

In ungefähr den gleichen Abständen banden sie immer wieder einen Streifen des Taschentuches an Zweige, bis sie sich wünschten doch auf Douglas Adams gehört und das Handtuch mitgenommen zu haben. Indes wurden die Stimmen immer lauter und Layla konnte eine eindeutig weibliche Stimme ausmachen und eine Stimme, die ihr ungleich bekannt vorkam. Sie hatte diese Stimme erst kürzlich zuvor gehört, konnte sich aber nicht erinnern wo das gewesen sein sollte.

Sie schlugen sich nicht so lange durch das Unterholz wie Layla erwartet hätte und in vielleicht hundert Meter Entfernung wurde es wesentlich heller. Nach wenigen Schritten wurde klar, dass sie sich der Lichtung näherten und sie versuchten so leise wie möglich näher heranzugehen. Hinter ein paar niedrigen Büschen zwischen zwei großen Bäumen gingen sie in Deckung. Nachdem sie und Constantin sich so gut es ging Platz schaffen konnten, bohrten sich diverse Äste in Laylas Knie, aber sie versuchte keinen Laut zu machen und die Aufmerksamkeit der Sprecher nicht auf sich zu ziehen. Als sie durch das Astwerk auf die Lichtung spähte, konnte sie eine Frau erkennen, allerdings redete sie nicht, sondern schein wütend etwas auf dem Boden anzustarren. Aber die andere, ihr schon bekannte Stimme sprach ruhig und abgeklärt: „I don’t have the slightest idea what you’re talking about.“

Layla runzelte die Stirn und sah Constantin an. „Das ist Englisch…“, flüsterte sie kaum hörbar. Sie konnte es aber nicht wiederholen, denn die Frau entgegnete erbost etwas, das sie nicht verstand.

„Oh, hadi! Şimdi burada rünleri biliyorum. Size onun kim olduğunu biliyorum inanıyorum! So, Phobos?!“

„Das war kein Englisch, oder? Ich hab nichts verstanden“, fragte Constantin leise und Layla schüttelte verneinend den Kopf. Hinter ihnen vernahm sie ein Knacken, aber als Constantin und sie in die Richtung schauten, sahen sie nichts. Schulterzuckend wandten sie sich ab und blickten erneut auf die Lichtung

Sie rutschte ein Stück auf dem Boden weiter, um durch ein großes Loch im Blätterwerk erkennen zu können mit wem die Frau redete, doch niemand war auf der Lichtung. Niemand außer einer relativ großen, schwarzen Katze.

Als Layla die Katze erblickte, setzte ihr Herz einen Schlag aus und sie versteifte sich. Das kann doch nicht wahr sein… bitte, sag mir jemand, dass das nicht wahr ist… Constantin sah sie fragend an. Doch sie schüttelte nur den Kopf und zog ihn näher zu sich heran, sodass auch er durch das Loch im Blattwerk auf die Lichtung blicken konnte. Der Anblick verfehlte seine Wirkung nicht. Constantin sog scharf Luft ein und fragte leise flüsternd: „Das ist nicht dein Kater, oder?“

„Why should I tell you? Even if I’d known who’s possession they’re in“, fragte die Stimme wieder und von ihrem Blickpunkt aus, konnten sie erkennen, dass niemand anders als die Katze gesprochen haben konnte, so unmöglich es auch sein mochte. Die Frau schaute weiterhin wütend die Katze zu ihren Füßen an und antwortete ihr gestikulierend, und niemand anderem.

„Çünkü lanet olası azar!“

Sie hörten die Katze „My Duty? Oh, haven’t seen that one coming…“ sagen und es klang selbst für jemanden, der der Sprache dieser Katze nicht mächtig war, ironisch.

Sie warteten die Antwort der Frau ab, doch hörten sie nicht mehr, denn schwere Hände legen sich auf ihre Schultern, heißer, feuchter Atem streifte ihre Hälse und eine raue, tiefe Stimme grollte akzentuiert in ihren Ohren: „Na, was haben wir denn hier?“
 


 

Laylas Herzschlag beschleunigte sich, ihr Körper wurde stocksteif; nur ihr Kopf ließ sich noch bewegen. Langsam wandte sie ihren Blick von der Lichtung ab. Wie in Zeitlupe erschien ein bärtiges Gesicht vor ihrem Sichtfeld. Alles in diesem Gesicht schien braun: Haare, Augen und Bart. Sie musste sich nicht lange mit der Frage beschäftigen, wie sie ihren Kopf dazu bewegen sollte auch den Rest seines Erscheinungsbildes aufzunehmen, denn die prankenartige Hand, die sie an der Schulter gefasst hatte, legte sich wie ein Schraubstock um ihren Arm und zog sie gewaltsam auf die Beine. Neben sich hörte sie Constantin fluchen und protestieren, doch Layla war wie gelähmt, um selbst etwas zu unternehmen.

Der bärtige Mann zog die beiden unerbittlich mit sich durch das Unterholz auf die Lichtung zu. Er machte keinen Halt vor den Büschen, sondern ging einfach hindurch ungeachtet der physikalischen Tatsache, dass zwei Individuen nicht denselben Platz im Universum einnehmen können. Layla bemerkte, wie ein langer scharfer Ast ihren Arm entlang zog und einen langen Striemen hinterließ, der sich langsam mit Blut füllte. Das leichte Brennen und der Ausblick auf die schwarze Katze holten sie in die Realität zurück. Sie versuchte die Fersen in den Boden zu stemmen, doch der bärtige Mann zog sie nur weiter und die Erde zu ihren Füßen dazu.

„Lassen Sie mich los!“, fauchte sie, doch er schein gar nicht zu reagieren.

Vergeblich versuchte sie weiterhin sich zu befreien, aber nur wenige Schritte später hatten sie die Frau und die Katze erreicht.

„Leave them be, Aygül. They don’t have anything to do with this“, hörte Layla die Katze wenige Meter vor ihnen sagen.

„Biz karar vermelisin“ , entgegnete die Frau. „Kulübesinde iki getir, Roland .“

Scheinbar auf eine Anweisung hin handelnd, zerrte der Mann sie durch den Eingang der Hütte. Unsanft wurde erst Constantin gegen eine Kommode geworfen, danach Layla gegen einen Sessel, der sich unsanft in ihren Rücken bohrte. Constantin gab ein Stöhnen von sich und rieb sich den Hinterkopf. Layla wollte es nicht wagen aufzustehen und zu ihm zu gehen, denn der Bärtige strahlte Gewaltbereitschaft geradezu aus. Doch ganz alleine wollte sie ihn auch nicht lassen. So versuchte sie sich zunächst durch Blicke mit ihm zu verständigen, was ihr ein Grummeln ihres haarigen Begleiters einhandelte.

„Mir geht’s gut, Layla“, meinte Constantin ungeachtet der funkelnden Augen des Bärtigen.

Anders als bei ihrem letzten Besuch war die Hütte durch einen Kandelaber auf dem Esstisch erleuchtet. Das sanfte Kerzenlicht erreichte nicht alle Ecken des Vorraumes, der sowohl Wohn- als auch Esszimmer darstellte, sondern nur den Bereich um den Tisch herum und zerfloss irgendwann in der Dunkelheit. Die Schatten an den Wänden tanzten einen grausigen Tanz und schienen eigene Wesenheiten zu sein, gefangen auf der Oberfläche der Wand.

Schaudernd wandte sich Layla ihren „Gastgebern“ zu. Der Mann war groß und hatte sehr breite Schultern, war aber nicht massig. Sein Brauner Bart sah nicht aus, als würde er oft gekürzt und vermisste sich an den Koteletten mit seinem krausen Haupthaar. Die dunkeln Augen lagen tief in den Höhlen und glänzten gefährlich. Er trug ein dunkel kariertes Holzfällerhemd, dazu passende Jeans und feste Wildlederschuhe. Als er die Arme vor der Brust verschränkte, viel ihr ein silberner Ring an einem seiner Finger auf, der nicht recht zum Rest seines Outfits passen wollte.

Die Frau schien Orientalin zu sein, allerdings wirkte sie bei Kerzenschein und von nahem nicht mehr ganz so jung, wie Layla zuerst dachte. Ihr schwarzes, lockiges Haar war mit helleren, weißen Strähnen durchzogen und reichte ihr den Rücken hinab. Im Licht wirkten ihre Augen ungewöhnlich hell. Sie trug lange beige Oberbekleidung, eine Mischung aus Kleid und leichtem Pullover, und dazu helle Khakihosen. Als sie gestikulierend auf Layla und Constantin einredete, bemerkte Layla einen ähnlichen Ring auch an ihrer Hand.

„Siz kimsiniz? Ne burada arıyor musunuz? Siz belirtiler var mɪ? Kendini açıklar! Hemen!“

„I don’t think they understand a single word you’re saying. Not everyone is fluently in Turkish, you know. Try English or German“, kam es von der Katze, was Laylas Aufmerksamkeit auf sie lenkte. Eine sehr große, schwarze Katze, mit buschigen Ohren und einem weißen Fleck am Hals. Ihr Herz sank als sich ihre Vermutung bestätigte: vor ihr stand Phobos.
 

In Erkenntnis weiteten sich Laylas Augen als sie auf die Katze blickte, doch sagte sie kein Wort. Constantin konnte sich kaum vorstellen, wie es für sie gewesen sein mochte: Erst bringt ihr Kater sie in den Wald in eine Hütte, die sich nicht mehr verlassen kann, dann findet sie eine merkwürdige Rune und wiederholt verhält sich das Tier seltsam und jagt ihr Angst ein. Und nun sitzt eben dieser Kater vor ihr, seelenruhig, gemeinsam in besagter Waldhütte zusammen mit einer hysterischen Frau und einem gewalttätigem Mann. Und zu allem Überfluss kann das Mistvieh auch noch Englisch sprechen! Kein Wunder, wenn sie Angst bekommt… Doch als er seinen Blick wieder von dem mysteriösen Kater auf Layla richtete, sah er keine Angst in ihren Augen. Alles, was sich in ihnen wiederspiegelte, war Wut, Trotz und Verrat.

Er rieb sich missmutig den schmerzenden Hinterkopf und richtete seinen Blick auf die Frau, die sie wütend in dieser unbekannten Sprache anblaffte. Die Frau funkelte unheilverkündend zu ihnen hinunter und es war offensichtlich, dass sie eine Antwort erwartete. Daraufhin folgte ein trockener Kommentar des Katers, der beinhaltete, dass nicht jeder in der Lage war fließend Türkisch zu sprechen und Constantins Mundwinkel hoben sich unwillkürlich ein wenig mach oben. Die Frau blinzelte scheinbar überrascht und sah den Kater stirnrunzelnd an.

„Wer seid ihr und was wollt ihr hier?“, fragte sie schließlich mit deutlichem Akzent. „Wo sind die Runen?“ Ihre Stimme wurde hart, ebenso wie ihre Augen.

Zögernd wandte Constantin seinen Blick zu Layla, um auszumachen, ob sie sich vielleicht einen Reim darauf machen konnte. Doch Layla sah nicht Frau an, und auf ihrer Stirn bildete sich eine leichte Falte. Ihrem Blick folgend stellte er überrascht fest, dass sie den verräterischen Kater ansah. Hat der Kater gerade leicht den Kopf geschüttelt? Constantin schüttelte den Kopf und rieb sich die Augen. Das musste er sich eingebildet haben. Ohne die Gelegenheit zu bekommen noch einmal darüber nachzudenken, ob und wie er der Frau antworten sollte, wurde ihm diese Entscheidung abgenommen.

„Would someone please be so kind and explain to me what the hell is going on here?”, ertönte eine neue Stimme. Überrascht richteten sich alle Augen auf den Neuankömmling, der an den Türrahmen gelehnt stand, und so den Weg nach draußen versperrte. Nicht, dass sie eine Möglichkeit gehabt hätten zu fliehen. Der Mann trug einen dunkelblauen Anzug mit einem hellblauen Hemd, jedoch keine Krawatte. Ebenso wie die Frau und der andere Mann trug er einen dieser silbernen Ringe am Finger. Zudem hielt er einen länglichen, in ein Tuch eingewickelten Gegenstand in der anderen Hand. Er war vielleicht Anfang bis Mitte dreißig, eher durchschnittlich groß, hatte grüne Augen und rote Haare, die Laylas sehr ähnlich waren. Sein Gesichtsausdruck war hart, aber glatt; einzig seine Augen funkelten wütend und gaben seine Gefühle preis.

Die türkische Frau und der bärtige Mann schienen nicht weniger überrascht den Mann hier zu sehen als Constantin auch. Einzig der Kater schien den Mann erwartet zu haben, denn er wandte sich von der Frau ab und sprang neben dem Eingang auf eine Kommode um sich dort niederzulassen, als würde er so seine Loyalität gegenüber dem rothaarigen Mann bezeugen. Constantin nutzte die Gunst der Stunde und sah Layla fragend an.

Und stutzte.

Layla hatte ebenso wie alle anderen ihren Blick überrascht auf den Mann gerichtet, doch schien sie ihn im Gegensatz zu Constantin zu kennen. Gerade als er eine entsprechende Frage stellen wollte, hörte er die Frau sprechen und er richtete seinen Blick schnell wieder auf das Geschehen vor sich.

„Generalleutnant McCambridge?“, fragte sie offenkundig überrumpelt. „Was tun Sie hier?“ Militär? Doch ein Alienexperiment?

Ohne darauf einzugehen, antwortete er ein einem befehlenden Ton: „Release my daughter. Now. I won’t ask twice.“
 


 

Nachdem Phobos die Frau aufgefordert hatte, doch Englisch oder Deutsch zu sprechen, wiederholte sie ihre Frage erneut auf Deutsch, doch Layla sah die Frau überhaupt nicht an, sondern hielt den Blick auf Phobos gerichtet, welcher sie ebenso anstarrte, wie sie ihn. Die Frau hatte sie aufgefordert ihre Namen zu nennen und hatte nach den Runen gefragt. Wenn Layla nicht die ganze Zeit auf Phobos geschaut hätte, wäre es ihr wahrscheinlich entgangen, doch er schüttelte kaum merklich den Kopf bei dieser Frage, wie um ihr zu bedeuten nicht darauf zu antworten. Was soll ich denn bitte davon halten?

Noch während sie über das seltsame Verhalten des Tieres – wenn er überhaupt ein Tier war – nachgrübelte, vernahm sie eine vertraute Stimme, die eine Erklärung verlangte. Überrascht und ungläubig mit der festen Überzeugung Wahnvorstellungen haben zu müssen sah sie auf. Ihr Herz machte zur Abwechslung einmal einen freudigen Hüpfer als sie ihren Vater im Türrahmen erkannte. Er trug noch immer den Anzug, den er am Morgen getragen hatte und hielt etwas Längliches in der Hand, das sie nicht genau erkennen konnte.

Und er war wütend. Sie hatte ihn noch nie so wütend gesehen. Selten verlor er die Beherrschung und entgegnete etwas Hitziges, das er eigentlich nicht meinte, doch diese beherrschte, kalte Wut war auch für Layla neu.

Kaum, dass er gesprochen hatte, wandte sich ihm auch der Kater zu und lies sich auf einer Kommode neben dem Eingang nieder. Aus dem Augenwinkel bemerkte sie, dass auf der Kommode auch ihr Schürhaken und ihre Taschenlampe lagen. Schließlich schien sich die Frau genügend gefangen zu haben, um Laylas Vater anzusprechen.

Habe ich gerade richtig gehört? Hat sie ihn Generalleutnant genannt? Layla war schon fast davon überzeugt, dass sie dringend eine Ohrreinigung brauchte, als ihr Vater erneut das Wort ergriff.

„Release my daughter. Now. I won’t ask twice.“ Die Aufforderung enthielt eine Drohung, die sie ihrem Vater unter anderen Umständen niemals zugetraut hätte, doch in diesem Moment war es Layla gleich. Sie hoffte nur noch schnell hier wegzukommen und nichts mehr mit alledem zu tun haben zu müssen.

Neben sich bemerkte Layla, wie Constantin sie überrascht anstarrte und merkte, dass sie leicht errötete. Sie erwiderte seinen Blick mühsam mit einem Schulterzucken.

„Ich dachte, dein Vater wäre ein Buchhalter“, flüsterte er und rutschte näher.

„Dachte ich auch“, entgegnete sie ebenso leise, doch Constantin blieb keine Gelegenheit, denn der Bärtige Mann und die Frau hatten sich zu ihnen umgedreht und alle Blicke scheinen auf Layla zu ruhen.

„Das ist Ihre Tochter?“, erwiderte sie überrascht und schaute zwischen Layla und ihrem Vater hin und her.

„Ja“, antwortete Clancy sich der Allgemeinheit anpassend nun auch auf Deutsch. „Gibt es ein Problem, von dem ich wissen sollte? Aygül? Roland?“ Als er die beiden ansprach, schaute er jeden einzeln an. Er kennt diese Leute?

„Nein“, meinte die Frau, „es ist nur so, dass wir von der Existenz von Runen hier wissen und gestern festgestellt haben, dass sie entfernt wurden.“

„Dann haben die Runen wohl ihre Besitzer gefunden“, warf Phobos trocken von der Kommode aus ein. „Soll vorkommen. Dann und wann. Das können natürlich auch nur Gerüchte sein.“

Clancy zog eine Augenbraue hoch und sah Phobos kurz an, sagte jedoch nichts weiter dazu. „Und?“

„Wie ‚Und?‘? Generalleutnant–“, doch weiter kam die Frau – Aygül – nicht, denn Clancy unterbrach sie.

„Nenn mich bitte nicht mehr so. Ich habe das Amt vor über fünfzehn Jahren niedergelegt. Es gibt keinen Grund mich noch so zu nennen. Was ist nun das Problem mit den Runen?“, erkundigte er sich kühl.

„Die neuen Besitzer müssen gefunden und trainiert werden!“, donnerte der bärtige Roland.

„Und deswegen misshandelt man sie erst einmal, damit sie Vertrauen zu einem fassen? Ich sehe auf den Armen meiner Tochter Kratzer, die heute Morgen noch nicht da waren, ganz zu schweigen davon, dass sie noch bluten. Und dass der Junge sich den Kopf hält, kommt sicherlich auch von der plötzlich auftretenden Migräne, ausgelöst durch die starke Sonneneinstrahlung“, erklärte Clancy kühl und deutete mit seiner freien Hand auf die dunkle Lichtung. „Natürlich, ich werde meine Tochter ganz sicher in die Obhut der Wächter geben“, führ er ironisch fort. „Das letzte Mal hat ja auch so gut funktioniert.“

Irgendwie versteh ich nur Bahnhof…

„Und was willst du dann machen? Beide selber ausbilden? Mit ihm?“, höhnte Roland und deutete abwertend auf Phobos.

„Pass auf was du sagst, Frischling!“, fauchte der Kater und stand auf um ihn anzufunkeln.

„Phobos…“ meinte Clancy beruhigend, „lass dich nicht provozieren.“ Nachdem der Kater sich offensichtlich widerstrebend wieder auf der Kommode niedergelassen hatte, setzte Clancy sich in Bewegung und ging auf Layla und Constantin zu. „Nebenbei sehe ich keinen Grund, warum ich nicht in der Lage sein sollte, beide zu unterrichten“, erläuterte er.

„Bei privatem Unterricht hat ein Lehrmeister immer nur einen Schüler“, warf Aygül ein.

Clancy ging zuerst nicht darauf ein, sondern reichte Layla anstatt dessen seinen freien Arm. „Kannst du aufstehen?“, fragte er leise und nachdem sie nickte zog er sie sanft auf die Beine. „Was ist mit dir?“, richtete er sich nun an Constantin. Nachdem auch dieser genickt hatte, zog Clancy auch ihn auf die Beine.

Langsam seufzte er und drehte sich um, um Aygül anzusehen. „Das stimmt durchaus, aber es ist nicht verboten, mehrere Schüler zu haben. Die meisten privaten Lehrmeister sind nur zu bequem sich um mehr als um einen anstrengenden Teenager zu kümmern. Ich habe mich zehn Jahre lang mit biestigen Rekruten herumgeschlagen, da stellen zwei Heranwachsende, von denen eine meine Tochter ist, keine wirkliche Herausforderung dar.“ Ich weiß gerade nicht, ob ich beleidigt sein soll. „Abgesehen davon, haben sie in Phobos einen zweiten Lehrmeister.“

„Und was wollen Sie wegen den Essenzen unternehmen?“, fragte Aygül mit gerunzelter Stirn. „Mit Hilfe der Wächter lassen sich wesentlich schneller welche finden, als auf eigene Faust.“

„Wir brauchen nur eine Essenz für Layla. Constantin hat schon eine“, meinte Clancy abwesend und zog Layla einen Zweig aus den Haaren, sodass er Constantins verwirrten Blick nicht mitbekam.

Constantin versteht genauso wenig wie ich… dachte Layla. Naja, wenigstens hat er eine Essenz, was auch immer das sein mag.

„Ja, sicher“, höhnte Roland.

„Im Gegensatz zu dir merkt Clancy schon bei einer leichten Berührung, ob ein Jungdruide eine Essenz besitzt oder nicht“, erläuterte Phobos trocken. „Hast du schon mal darüber nachgedacht, dass du vielleicht den falschen Beruf gewählt hast, mein bärtiger Freund?“

Also Irgendwas scheint zwischen den beiden ganz und gar nicht zu stimmen… ich frage mich, was der Grund dafür ist… ein alter Zwist?

„Für eine Essenz muss sie nicht den Wächtern beitreten“, meinte Clancy schließlich und überging Phobos Sticheleien geflissentlich.

„Sympathisierst du jetzt auch noch mit den Söldnern?“, grollte Roland.

„Gelegentlich haben sie gar nicht so falsche Ansichten“, sagte Clancy und schenkte Roland einen eiskalten Blick. „Und nun kommt.“ Er legte beiden eine Hand auf den Rücken und führte sie in Richtung Tür.

„Moment!“, meinte Aygül scharf. „Sie können zwar für Ihre Tochter sprechen, aber nicht für den Jungen!“

„‘Der Junge‘ hat auch einen Namen und heißt ‚Constantin‘. Macht man sich nicht einmal mehr die Mühe die Namen der Besitzer herauszufinden?“, entgegnete Clancy und blieb am Eingang stehen. Nachdem er einige Sekunden ihren Blick erwidert hatte, wandte sie sich ab. „Constantin, wie alt bist du?“

„Äh, neunzehn“, antwortete er überrascht und Clancy lächelte leicht.

„Damit bist du volljährig und hast das Recht selbst zu entscheiden, wer dich unterrichtet.“

„Oh, wenigstens eine gute Nachricht heute“, meinte Constantin mit einem grimmigen Lächeln. „Sollten da noch andere gewesen sein, hab ich die gerade nicht mitbekommen. Sowas passiert mir gelegentlich, wenn sich große Mysterien, die die Welt verändern, vor mir offenbaren. Also, wenn ich das richtig verstanden habe, dann gehören die beiden da“ – er deutete auf Roland und Aygül – „zu den ‚Wächtern‘, wer auch immer das ist und was auch immer die tun mögen, aber Sie nicht, oder?“

„Nein, nicht mehr“, antwortete Clancy lächelnd. „Nach dem Tod meiner Frau habe ich die Wächter endgültig verlassen.“

„Dann ist die Entscheidung ja nicht schwer“, entgegnete Constantin. „Ich gehe definitiv nicht zu diesen ‚Wächtern‘, da muss ich ja Angst haben, den kleinen Finger abgeschlagen zu bekommen nur, weil ich eine falsche Antwort gegeben habe, wenn ich schon nur für eine Frage gewaltsam in eine Hütte gezerrt und angeschrien werde. Außerdem habe ich das Gefühl, dass ich bei Ihnen wenigstens erklärt bekomme, was hier überhaupt vor sich geht. Gut, Sie haben einen creepy Kater, der auch noch mindestens drei Sprachen versteht“ von der Kommode kam ein Schnaufen „aber gut, alles hat seine Vor- und Nachteile“, endete er schulterzuckend.

„Bevor du dich endgültig entscheidest“, fügte Phobos hinzu, „sollte dir klar sein, dass Clancy und ich nur ein Mann und ein ‚creepy Kater‘ sind. Die Wächter sind viele und können dich schützen, wenn nötig.“

Layla blickte unwillkürlich zu den beiden Wächtern. Aygül schien überrascht, als habe sie nicht mit diesem Zugeständnis Phobos‘ gerechnet. Rolands Miene jedoch war unter all den Haaren im Dämmerlicht nicht zu deuten. Neben sich vernahm sie ein Schnauben und drehte sich wieder Constantin zu.

„Und wer schützt mich vor denen? Sicher nicht Knight Rider. Nein. Ich kann auch von dem nächsten Bus überrollt werden. Wenn ich so in die Welt gehe, kann ich mich auch gleich in eine Gummizelle einschließen.“

Mit diesen Worten wandte er sich demonstrativ der Tür zu um auf die Lichtung zu treten. Als Layla ihm folgen wollte, bemerkte sie, dass er wieder im Eingang stehen geblieben war. Sie dachte schon, sie wären wieder in der Hütte gefangen, doch dann fiel ihr auf, dass er die Schwelle überschritten hatte.

„Was ist? Warum gehst du nicht weiter?“, fragte Layla.

„Leute, ich glaube, wir haben ein Problem“, meinte er.

Sie versuchte um ihn herumzuschauen und sah was er meinte: Auf der kleinen Waldlichtung tummelte sich eine Gruppe, der merkwürdigsten Kreaturen, die sie je gesehen hatte. Sie waren nicht einheitliche, sondern verschiedene Individuen. Einige sahen aus, wie Kreuzungen zwischen Käfer und Mensch, andere wiederum hatten anstatt Beine Tentakeln und ihre Köpfe schmückten Geweihe. Wieder andere hatten Flügel mit vielen Augen.

Layla hatte nicht lange Zeit sich die Wesenheiten genauer zu betrachten, denn ihr Vater zog sie und Constantin schnell in die Hütte zurück. Noch während er die Tür zuzog, konnte Layla durch einen Spalt sehen, wie das Wesen mit den Augenflügeln zum Sprung ansetzte. Clancy zog gerade noch rechtzeitig die Tür hinter ihnen zu als auch schon die Wucht eines Körpers dagegen prallte.

„Was zum Henker ist da draußen los?“, fragte Roland.

„Formori. An die zwanzig“, antwortete Clancy knapp und Layla sah, wie die Farbe aus Rolands Gesicht wich.
 


 

„Am besten verbarrikadieren wir die Fenster und alle anderen Ausgänge“, wies Clancy sie an, „danach sehen wir weiter, was wir als Waffen benutzen können. Hat irgendjemand etwas mit, wodurch wir Verstärkung bekommen können?“

Aygül schüttelte den Kopf. „Nein, nicht hier drinnen. Draußen haben wir unsere Taschen, in denen sich Spiegel befinden und ich wage zu bezweifeln, dass die noch intakt sind“, antwortete sie, während sie notdürftig einen Riegel vor einen Fensterladen schob.

„Wir haben nur unsere Handys dabei“, fügte Constantin hinzu und verschloss schnell ein weiteres Fenster, „allerdings hatte ich hier gestern keinen Empfang. Abgesehen davon glaube ich kaum, dass wir mit einem Handy jemanden benachrichtigen können, der etwas gegen diese Viecher unternehmen kann, oder?“

Indes war Layla in das Schlafzimmer gerannt und hatte sich gegen den Fensterladen geworfen. Etwas zerrte auf der anderen Seite, doch sie stemmte sich mit aller Kraft dagegen. Unerwartet kamen ihr zwei weitere Hände zu Hilfe, die die Läden festhielten.

„Schieb den Besenstil durch die Griffe, Mädchen, ich halte solange die Läden fest“, grollte Roland.

Sie tat wie ihr geheißen und schob das Holz mühsam durch die Öffnungen. Zurück im Wohnzimmer angekommen sah sie, dass die anderen den Tisch vor die Tür geschoben hatten, um sie so zu verschließen. Gegen die Tür wurden immer wieder Stöße von draußen geführt und sie erzitterte unter jedem Aufprall. Es dauerte auch nicht lange und die Fensterläden wurden ebenso von draußen bearbeitet. Nervös ging Layla zu ihrem Vater und Constantin, die sich in der Mitte des Wohnraumes befanden.

„Hat einer von euch beiden Empfang hier draußen?“, fragte Phobos auf einer Kommode auf und abgehend.

Schnell holte Layla genau wie Constantin ihr Handy aus der Hosentasche, doch musste enttäuscht feststellen, dass nicht nur keine Balken auf den kleinen Display zu sehen waren, sondern darauf stand: kein Netz. Sie seufzte und hob den Blick um mit einem Kopfschütteln zu verneinen.

„Papa?“, nach einigen Augenblicken des Schweigens, in dem die Schläge gegen die Tür und die Läden immer lauter zu werden schienen.

„Ja?“

„Was sind diese Wesen da draußen?“, wollte Layla wissen.

„Grob gesagt, Dämonen. Der Großteil wurde vor langer Zeit versiegelt, doch durch einen Zwischenfall vor dreihundert Jahren wurden viele von ihnen befreit und streifen seither wieder durch die Welt. Die Wächter sind dafür verantwortlich die friedlichen Populationen vor ihnen zu schützen. Wir nennen sie die Formori.“

Layla heilt es für unklug ihre Assoziationen bei diesem Namen mit einem Monster aus der Shin Megami Tensei-Reihe kundzutun und beschränkte sich daher auf das Wesentliche, als die Tür ein weiteres Knarren von sich gab.

„Und wie können wir sie besiegen?“

Überrascht sah sie ihr Vater an.

„Sag mir jetzt nicht, dass man sie nicht töten kann! Ich bin ohnehin schon mit der Gesamtsituation unzufrieden!“

Er blinzelte kurz und grinste dann. „Doch, man kann sie töten, so wie man jedes Lebewesen auf irgendeine Art und Weise töten kann. Ich habe nur nicht erwartet, dass du so praktikabel mit dieser Situation umgehen würdest.“

„Sie schlägt nach Angelika“, meinte Phobos zufrieden und Layla bemerkte, wie sie rot wurde.

„Und mit was entledigt man sich ihrer dann? Angesichts der Tatsache, dass die Tür wahrscheinlich nicht mehr lange halten wird, wäre es günstig sowas zu wissen“, fragte sie um ihre Verlegenheit zu überspielen.

„Im Allgemeinen sind sie nachts agiler als tagsüber, was aber nicht heißt, dass sie am Tag nicht angreifen. Physikalische Schwächen sind unterschiedlich, je nach Gattung. Aber im Normalfall lässt sich sagen, wenn sie keinen Kopf mehr haben oder man ihr Herz durchbohrt, sind sie tot“, erklärte Clancy und schob sie ein Stück weiter von der Tür weg, die zu bersten drohte.

„Mit einem Taschenmesser und einem Schürhaken kommt man da aber auch nur bis zu dem Versuch und nicht weiter…“, murmelte sie, während sie nach dem Schürhaken neben Phobos griff.

„Am besten bleibt ihr bei mir“, meinte Phobos, woraufhin Layla und Constantin ihn fragend ansahen. „Ich kann einen Schild um euch herum aufbauen. Das ist zwar nicht ruhmreich, aber immerhin eine größere Überlebenschance als untrainiert mitten im Getümmel herumzuhechten.“

„Wie lange wird die Tür noch halten?“, ertönte Aygüls Stimme aus dem Schlafzimmer.

„Nicht mehr lange“, rief Clancy zurück, „vielleicht fünf Minuten im Bestfall, aber ich denke weniger. Warum?“

„Wir haben in einem der Nachtschränke einen Spiegel gefunden und versuchen nun jetzt Hilfe zu rufen. Das kann aber etwas dauern, der Spiegel ist ursprünglich nicht magisch“, kam die Antwort zurück.

„Phobos, geh mit den beiden in das hintere Zimmer. Es wird länger dauern bis sie dort sind“, sagte Clancy und wandte sich Richtung Tür.

„Zeit schinden, wo es geht, wie?“

„Natürlich“, grinste er über seine Schulter zurück und begann den länglichen Gegenstand aus dem Tuch auszufalten. Verwundert stellte Layla fest, dass ein Infanteriedegen zum Vorschein kam. Ihr Vater löste ihn aus der Scheide und die Klinge glänzte im schwachen Licht. Zögernd blieb sie auf Höhe eines der versiegelten Fensterläden stehen, als Teile der Tür zerborsten und in Splittern in den Raum hineinflogen.

„Was ist? Warum bleibst du stehen?“, wollte Phobos ungeduldig wissen und hielt wenige Schritte vor ihr entfernt ebenfalls an. Wieder einige Schritte weiterentfernt tat es ihm Constantin gleich und blickte sich um.

„Er ist ganz alleine…“, begann sie.

„Unterschätz deinen Vater nicht. Ich habe selten jemanden gesehen, der schneller in den Rängen der Wächter aufgestiegen ist als er.“, entgegnete Phobos und sie meinte den Kater grinsen zu sehen. Hinter ihnen krachte es und die Tür gab endgültig nach. In den kleinen Raum ergoss sich eine Flutwelle aus dunklen Leibern.

Gerade wollte sie sich wieder in Bewegung setzten als auch die Fensterläden ihren Dienst versagten und knarrend nachgaben. Wie in Zeitlupe, warf sich Layla zu Boden, als über ihr der Fensterladen zerborst und Splitter über sie hinabregneten. Hustend und blind durch den Staub tastete sie nach dem Schürhaken, der ihr aus der Hand gerutscht war. Nach Sekunden, die sich wie Jahrzehnte anfühlten, fand sie ihn endlich und kroch auf die Stelle zu, an der sie Augenblicke zuvor noch Phobos gesehen hatte.
 

Layla kroch nur wenige Meter und stieß fast gegen die Wand. Mit pochendem Herzen zog sie sich an ihr hoch, wagte kaum sich umzusehen. Überall um sie herum ertönte Lärm, den sie nicht zuordnen konnte. Langsam drehte sie sich um, die Wand immer im Rücken. Die Staubwolke hatte sich etwas gelichtet und sie konnte zumindest eine der Geräuschursachen ausmachen.

Ihr Vater stand nahe der einstigen Tür, die jetzt nur noch ein klaffendes Loch mit ausgefransten Rändern darstellte. Er kämpfte mit mindestens vier der Kreaturen, sicher war sich Layla aber nicht, da sie die Arme und Beine den Kreaturen nicht eindeutig zuordnen konnte. Clancy parierte nahezu jeden Streich der Formori und schaffte es gleichzeitig selbst auszuteilen. Jeder Streich erklang laut in ihren Ohren, wenn Clancys Schwert auf Widerstand traf, den es nicht durchbrechen konnte, und jeder Treffer in die weicheren Regionen der Leiber klang schmatzend aus. Doch kaum konnte er einen Formor niederstrecken, füllte ein anderer seinen Platz.

Zuerst glaubte Layla ihren Augen nicht trauen zu können und es mit einer Sinnestäuschung zu tun haben zu müssen als sie ein Leuchten um Clancys unbewaffnete, linke Hand sah. Doch das Leuchten verschwand nicht. Im Gegenteil; es schien stärker zu werden. Wenige Augenblicke später war es so stark, dass Layla kleine Blitze ausmachen konnte, die die geschlossene Hand ihres Vaters umgaben, Noch ehe sie diese Information verarbeiten konnte, machte er eine werfende Bewegung mit der Linken und eine Art Blitz schoss daraus hervor um zwei Formori niederzustrecken, die nach dem Aufprall reglos auf dem Boden liegen blieben.

Clancy nutzte die Gunst der Stunde um sich ein Stück umzudrehen und zu rufen: „Wie weit seid ihr?“

„Haben die Nachricht gerade gesendet!“, grollte Roland.

Doch Clancy hatte nicht die Gelegenheit irgendetwas darauf zu erwidern. Erneut wurde er angegriffen. Als klar war, dass ihr Vater sich würde halten können, fing Layla sich endlich wieder aus ihrer Starre und begann nach Phobos zu suchen. Sie schaute nach rechts und links, doch konnte den Kater nicht entdecken.

Etwa ein oder zwei Schritte von ihr entfernt befand sich die Tür, die in das Schlafzimmer führte. Vielleicht war Phobos im Schlafzimmer, um die anderen beim Senden des Hilferufs abzuschirmen. Sie machte einen Schritt vorwärts, doch nur um sofort wieder wie angewurzelt stehen zu bleiben.

In dem zerfetzten Fensterrahmen neben der Tür erschien eine klauenartige Hand, der sogleich ein Körper folgte und sich langsam durch das Loch in das Zimmer zog. Ebenso langsam rutschte der Formor zu Boden und starrte sie aus Facettenaugen an. Ein Knurren entrann seiner Kehle und er richtete sich auf.

Mit pochendem herzen und Rauschen in den Ohren trat Layla einen Schritt zurück und der Formor folgte ihren Bewegungen mit dem Kopf. Aus dem Nebenzimmer hörte sie ein Reißen, doch sie kümmerte sich nicht darum, zu sehr war sie mit dem Wesen vor ihr beschäftigt. Sie fasste den Schürhaken fester und trat einen weiteren, kleinen Schritt zurück doch diesmal folgte ihr das Wesen. Sein Körper hatte vier Glieder, zwei Arme, die in Klauenhänden endeten, und zwei Beine. Ansonsten ähnelte der Formor eher einer Kreuzung aus Käfer und Fliege als einem Mann. Der schmale Brustkorb war gepanzert und glänzte im schwachen Licht, Arme und Beine waren feingliedrig und behaart.

Während sie weiter versuchte dem Formor zu entrinnen, merkte sie, wie die Reste der Staubwolke sich über den Kopf des Wesens hinweg zu sammeln schienen und in das Nebenzimmer gesogen wurden. Von nebenan hörte sie ein Windheulen, doch wusste nicht, wie sie es in das gesamtgeschehen einordnen sollte.

Ihre Ablenkung ausnutzend, machte das Wesen einen Satz und beförderte sie krachend gegen die Wand. Sie fühlte wie sich kalte Klauen um ihren Hals legten und sie gegen die Wand drückten, während ihr die Luft aus den Lungen gepresst wurde. Der Schürhaken drohte ihrem Griff zu entgleiten und ihre Sicht begann zu verschwimmen. Sie versuchte nach dem Formor zu treten, doch seine Arme waren zu lang und hielten sie zu weit von seinem eigenen Körper entfernt. Als sie seinen stinkenden Atem auf Ihrem Gesicht fühlte, wurde ihr übel, doch ihr Herz schlug durch den Adrenalinschub schneller. Das Blut rauschte durch ihren Körper, doch es hatte nicht genügend Sauerstoff. Schwarze Flecken trübten ihre Sicht und der Schürhaken glitt geräuschlos zu Boden.

Also fängt man vor dem Tod durch Ersticken noch an zu halluzinieren… ich sehe grade Constantin mit einem Stuhl in der Hand…. Man, sieht der wütend aus…

Vielleicht halluziniert man kurz vor dem Tod, vielleicht auch nicht. Layla fand es in diesem Moment nicht heraus, denn Constantin schlug dem Formor einen Stuhl auf den Kopf der sogleich zerbarst. Zwar raubte er Schlag dem Formor nicht die Besinnung, doch er sorgte zumindest dafür, dass das Wesen seinen Griff um Laylas Hals lockerte und sie an der Wand zu Boden rutschte. Noch immer schwindelig klärte sich ihre Sicht langsam und die schwarzen Punkte verschwanden aus ihrem Sichtfeld. Layla sog tief Luft ein und tastete geistesgegenwärtig nach ihrem Schürhaken.

Verärgert durch den Angriff Constantins wandte der Formor leicht seinen Oberkörper von ihr ab, als wolle er sich lieber auf den Störenfried stürzen. Blitzschnell sprang Phobos erschein Phobos zu Constantins Füßen und die Luft zwischen ihnen und dem Formor begann leicht zu flimmern. Grollend wandte der Formor sich den beiden Störenfrieden weiter zu und vor Layla offenbarte sich weiches Bauchfleisch. Geistesgegenwärtig stieß Layla den Schürhaken empor und rammte ihn dem Formor zwischen die Rippen, sodass er vor Schmerz, so hoffte Layla, laut aufheulte. Der Stab drang tief in das weiche Fleisch ein und Layla drückte fester zu. Mit jeder Krafteinheit die sie in den Schürhaken legte, drang er tiefer in den fremden Körper ein. Die Flüssigkeiten, die aus der Wunde quollen, und das Gefühl des nachgebenden Widerstandes, lösten Übelkeit in Layla aus, doch sie ließ nicht locker.

Schließlich wurde es dem Formor zu bunt und er schwang mit seiner Klauenhand nach ihr. Sie wurde gegen eine weitere Kommode geschleudert und fühlte wie warmes Blut ihren Arm herunterran. Knurrend kam der Formor wieder auf sie zu, doch sie hatte kaum Zeit sich, benebelt wie sie war, auch nur aufzusetzen. Aus dem Augenwinkel sah sie, wie Phobos und Constantin dem Formor nachsetzten, doch hinter ihnen war unbemerkt ein weiterer in den Raum gekrochen. Layla wollte eine Warnung ausrufen, aber ihre Stimme versagte. Hilflos musste sie mitansehen, wie der neue Formor auf Constantin zusprang und ihn gegen die Wand warf. Sie sah noch, wie Aygül aus dem Schlafzimmer kam, in eine Wolke aus Staub eingehüllt. Phobos versuchte ebenfalls etwas zu tun, denn die Luft flimmerte wieder, doch Layla war nun gezwungen sich wieder mit dem ersten Formor zu beschäftigen, da er sich in ihr Sichtfeld schob.

Knurrend und schlurfend kam er immer näher, langsam aber unerbittlich. Er legte eine Klauenhand an den Schürhaken und zog ihn aus seinem Körper. Klatschend ergoss sich dunkle Flüssigkeit auf dem Boden und glänzte im einfallenden Mondlicht silbern. Layla versuchte wegzukriechen, stieß aber gegen eine Wand.

Besonders helle sind diese Viecher ja nicht, so ist der Blutverlust wesentlich höher und der blutet irgendwann aus. Aber bevor das passiert, ist er hier und reißt mir den Kopf ab. Wenn diese Wunde nur schneller bluten würde…

Plötzlich kam ihr eine Idee. Was wenn, das, was in der Dusche gesehen war, kein Zufall war? Was wenn es noch einmal funktionierte?

Probieren geht über studieren. Versuchen kostet nichts… außer vielleicht meinem Leben… aber welche Wahl habe ich schon? Ich bin in eine Ecke gedrängt, kann mich kaum bewegen und mein Schürhaken liegt zwei Meter hinter dem Vieh!

So gut wie unter diesen Umständen möglich konzentrierte sie sich auf die Wunde des Formors, dachte immer daran den Blutfluss zu beschleunigen. Langsam bekam sie Kopfschmerzen, doch ihre Versuche zeigten Wirkung: der Formor blutete schneller und die Lache auf dem Boden schwoll zu einem silberschwarzen See an. Dennoch war der Formor immer noch zu schnell. Zwar blutete er umso mehr, je näher er Layla kam, doch, war die Distanz wieder auf einen Meter geschrumpft und sie konnte seinen röchelnden Atem hören.

Sie sah noch, wie der Formor zum Sprung ansetzte, doch konnte nicht mehr in irgendeine Richtung ausweichen und wurde unter seinem Gewicht begraben. Fieberhaft suchte sie nach der Wunde um die Hände darauflegen zu können, in der Hoffnung die Blutung zu beschleunigen. Ringend rutschten ihre eigenen glitschigen Hände über den Brustpanzer der Kreatur hinunter bis zu der Verletzung. Sie drückte die Hände so gut es ging auf die Wunde, das weiche Fleisch unter ihren Händen fühlend, das Blut durch ihre Finger rinnen spüren. Schlagartig beschleunigte sich der Blutfluss und Layla musste den schnappenden Greifwerkzeugen des Formors ausweichen, die fanatisch klickten. Irgendwo weit weg, wie ihr schien, hörte sie etwas wie eine Explosion.

Ganz unerwartet hörten die Greifwerkzeuge auf zu klicken und etwas tropfte auf Laylas Stirn. Misstrauisch schaute sie zu dem Wesen über ihr auf, hielt jedoch die Hände fest auf die Wunde gepresst. Während sie aufblickte, löste sich der Köpf des Formors von dessen Rumpf und rollte zur Seite um mit einem dumpfen Geräusch auf den Boden aufzuschlagen. Noch bevor Layla diese Information verarbeiten konnte, wurde der schwere Körper von ihr gehoben und sie blickte in das grimmige, aber zufrieden wirkende Gesicht ihres Vaters.

„Nicht schlecht“, meinte er und zog sie schnell auf die Beine.

Endlich wieder stehend und schwer atmend, sah sie sich um. Eine Seite der Hütte war fast komplett eingestürzt und ermöglichte einen Blick auf die Lichtung, auf der ein riesenhafter Wolf einem Formori gerade dem Kopf mit dem Maul abriss.

Aygül umgab noch immer eine Staubwolke, die gerade einen Formori vertrocknen lies.

Constantin und Phobos hatten ihren Formor – oder einen anderen – umzingelt und immer, wenn dieser versuchte nach Phobos, der scheinbar leichteren Beute, zu schnappen, von Constantin eins mit dem Kandelaber übergebraten bekam. Sobald er sich dann Constantin zuwandte, flog Besteck durch die Luft und bohrte sich dem Formor in den Leib. Diese „Technik“ mussten sie schon einige Male angewandt haben, denn im Rücken des Formors steckten zahlreiche Gabeln.

Langsam machte sich auch ein beißender Geruch bemerkbar und Layla suchte unwillkürlich nach der Quelle. Ihr Blick schweifte durch den Raum; dort, wo vorher der Eingang war, lagen nun massenhaft dunkle, regungslose Körper, die eindeutig verbrannt aussahen. Verstohlen warf sie ihrem Vater einen Seitenblick zu.

„Selber nicht schlecht, Herr Generalleutnant“, meinte sie trocken, woraufhin er zum Sprechen ansetzte, doch ohne ihn zu Wort kommen zu lassen, fuhr sie fort, „jetzt haben wir keine Zeit, aber später werde ich mit allen Mitteln eine Erklärung verlangen, verlass dich drauf. Und wo zum Geier ist mein Schürhaken? Ich fühle mich gerade nackt.“

Mit betont neutralem Gesicht, welches Layla nur zu gut als unterdrücktes Schmunzeln zu deuten wusste, wies Clancy auf einen Fleck wenige Meter von Laylas Formor entfernt.

„Allerdings wage ich zu bezweifeln, dass du den noch brauchen wirst“, fügte Clancy hinzu, nachdem Phobos‘ und Constantins Formor auch zu Boden sank und scheinbar das Zeitliche gesegnet hatte.

„Egal. Nackt ist nackt“, entgegnete sie und machte die wenigen Schritte, um den Schürhaken aufzuheben. Er war klebrig und in dem der dunkeln Flüssigkeit getränkt, die Formorblut zu sein schien.

Draußen ertönte noch ein letztes Heulen und dann Stille.

„Du blutest“, hörte Layla Constantin neben sich.

„Du auch“, entgegnete sie.

„Ich hab dir gesagt, wir hätten ein Handtuch mitnehmen sollen“, erwiderte er und sie musste lachen.

Langsam trat nun Aygül auf die kleine Gruppe zu.

„Meint ihr nicht, dass ihr bei den Wächtern sicherer seid?“, fragte sie an Constantin und Layla gewandt.

„Bevor ich nicht weiß, was hier vor sich geht, meine ich gar nichts“, entgegnete Constantin.

„Ich bleibe bei meinem Vater“, sagte Layla nur und wandte sich zum Gehen. Aygül seufzte.

„Formoriübergriffe sind in den letzten Jahren immer häufiger geworden…“, setzte sie an.

„Nein“, entgegnete Clancy ruhig, „das war vorher auch schon so, glaub mir. Jetzt ist es nur so, dass die Wächter die Kontrolle verlieren.“
 

Nachdem sich Clancy davon versichert hatte, dass keine Formori mehr in der Lage waren anzugreifen, untersuchte er Laylas und Constantins Wunden.

„Eigentlich müssten wir beides gründlich reinigen und verbinden, aber wir haben hier gerade nicht die Mittel dazu. Am besten gehen wir nach Hause und ich versorge eure Wunden“, murmelte er stirnrunzelnd als er Constantins Schulter untersuchte. „Allerdings sollten wir die Blutung so gut wie möglich lindern…“

Noch während er sprach, zog er sich Jackett und Hemd aus, um letzteres in schmale Streifen zu reißen. Ein Stück zusammengefalteten Stoff legte er auf die Wunde und wies Layla an den Druck aufrecht zu erhalten während er notdürftig Constantins Schulter mit den Stoffstreifen umwickelte. Ähnlich behandelte er Laylas Arm und Constantin hielt den Druck konstant. Schließlich legte er ihr noch sein Jackett um die Schultern, das sie gerne willkommen hieß, denn langsam kroch ihr die Kälte in die Glieder.

„Das hält zwar nicht ewig, aber zumindest bis nach Hause“, meinte Clancy und sie begaben sich auf den Rückweg durch den nächtlichen Wald.

Vorsichtshalber ging Phobos an der Spitze um nötigenfalls schnell einen Schild aufbauen zu können, sollten noch weitere Formori in den Wäldern umherstreifen. Danach folgten Layla und Constantin schweigend und Clancy bildete mit blankgezogenem Degen die Nachhut.

Nachdem das Adrenalin langsam in ihrem Körper abgebaut wurde, begann Laylas Arm unter dem Verband dumpf und schmerzhaft zu pochen. Ein Seitenblick auf Constantin bestätigte ihr, dass es ihm wahrscheinlich nicht besser ging: Er hielt sich die Schulter und unter seinen Fingern sickerte dunkles Blut hervor, doch seine Lippen verlies kein Laut, sein Gesicht verzog kaum eine Miene.

Phobos schien weitestgehend unverletzt, sofern Layla erkennen konnte.

Blieb also nur noch ihr Vater. Nun, außerhalb der Gefahrensituation, stellte sich Trotz, Verwirrung und Ärger bei Layla ein. Warum hatte er all dies vor ihr geheimgehalten? Wie sollte sie ihm jetzt noch trauen? Verstohlen blickte sie sich zu ihm um.

Obwohl Layla so viele Fragen beschäftigten, wagte sie nicht auch nur eine zu stellen solange sie ungeschützt den Wald durstreiften. Sie wusste zwar nicht, ob sie in ihrem Haus sicherer waren als hier draußen, doch erfüllte sie allein der Gedanke an die eigenen vier Wände mit Wohlbehagen und Ruhe.

Ganz in Gedanken versunken bemerkte Layla erst gar nicht wie sich der Pfad vor ihnen lichtete und den Blick auf ihren Garten preisgab. Als sie das weiche Gras unter ihren Sohlen fühlte, atmete sie erleichtert aus. Doch erst als sie die Veranda erreichten und Clancy vortrat, um sie einzulassen, stellte sich ein beruhigendes Gefühl ein.

Layla trat durch die geöffnete Glastür ins dunkle Wohnzimmer und sog den vertrauten Duft ein.

„Wartet bitte kurz hier, ich hole Verbandszeug.“, bat Clancy sie und verschwand nachdem er das Licht eingeschaltet hatte, in seinem Schlafzimmer. Nach einigen Augenblicken kehrte er mit einem Verbandskasten und einem Stapel Kleidung zurück.

„Ich denke, ihr habt beide das Bedürfnis wieder sauber zu sein“, meinte er und nachdem sie kräftig nickten führ er fort, „Layla, dein Arm sieht nicht ganz so schlimm aus wie Constantins Schulter. Geh am besten schon einmal hoch, dusch dich und komm danach wieder runter, damit ich deinen Schnitt nähen kann. Constantin, du kommst am besten gleich mit mir.“

Da Layla den wenig betörenden Duft ihrer selbst keine fünf Minuten länger ausgehalten hätte, war sie nur zu dankbar für diese Anweisung. Müde machte sie sich auf den Weg in den ersten Stock und schälte sich noch in ihrem Zimmer aus ihrer verschmutzten Kleidung, die sie einfach erst einmal auf einem Haufen neben der Toilette liegen ließ. Den dürftigen Verband ließ sie vorsichtshalber noch an Ort und Stelle, da sie nicht den Blutfluss unnötig anregen wollte. Der warme Strahl war eine warme Wonne auf ihrer kühlen Haut und sie blieb einige Augenblicke länger als nötig unter der Dusche.

Gute zehn Minuten später verließ sie ihr Zimmer und traf auf der Treppe auf Phobos.

„Und? Wie sieht es aus?“, fragte sie ungeachtet des seltsamen Gefühls von dem Kater eine wirkliche Antwort zu bekommen.

„Constantin ist auch gerade fertig mit duschen. Clancy meinte, ich solle nach dir sehen, damit du ihm mit den Verbänden helfen kannst. Aus Offensichtlichen Gründen bin ich dazu nicht in der Lage“, entgegnete er und Layla meinte Verbitterung in seiner Stimme mitschwingen zu hören.

Mit einem Nicken nahm sie die Information entgegen und machte sich auf den Weg in das andere Bad des Hauses. Vor dem Badezimmer hielt sie kurz inne und klopfte ungewohnter Weise an die Tür. Nach einem „Komm rein“ von drinnen stieß sie die Tür auf und trat ein.

Constantin saß mit freiem Oberkörper auf dem Rand der Badewanne und Layla bemühte sich nach Möglichkeit nicht zu starren, was ihr zugegebener Maßen einige Mühe machte, denn er sah bei weitem nicht schlecht aus, was sie wahrscheinlich zum ersten Mal wirklich registrierte.

Um sich abzulenken räusperte sie sich leicht und blickte auf ihren Vater. Er stand sehr nah an Constantin und trug Einweghandschuhe. In den Händen hielt er eine Nadel und Layla ahnte schon, was nun kommen würde.

„Was soll ich tun?“, fragte sie ein wenig hilflos.

„Im Augenblick noch nicht viel“, antwortete Clancy. „Erst muss ich desinfizieren, dann kann ich nähen.“

Diese Antwort lenkte Laylas Aufmerksamkeit zum ersten Mal seit der Waldlichtung auf Constantins Wunde. In seiner Schulter klaffte ein Loch als habe jemand etwas längliches und spitzes gewaltsam hineingezwungen. Schließlich nahm Clancy eine grüne Flasche zur Hand und träufelte deren Inhalt auf ein Wattepad.

„Vorsicht“, warnte er, „das wird jetzt ordentlich brennen.“

Nachdem Constantin genickt hatte, presste er die Lippen zusammen und Laylas Vater betupfte die Wunde. Constantin sog scharf Luft ein, doch beklagte sich nicht. Schließlich nahm Clancy die Nadel zu Hand und zog einen langen Faden durch das Nadelöhr.

„Na gut. Layla, jetzt kannst du mir helfen. Neben dem Verbandskasten liegt eine Packung mit Einweghandschuhen. Nimm dir bitte welche und hilf mir beim Nähen.“ Sie musste schockiert dreingeschaut haben, denn er fügte hinzu: „Du sollst mir nur helfen, das Gewebe zu halten, das eigentliche Nähen übernehme ich.“

Etwas erleichterter atmete sie aus und tat wie ihr geheißen.

„So, am besten steigst du in die Wanne und stellst dich hinter Constantin. Gut. Jetzt drückst du das Gewebe so zusammen. Sehr gut.“ Er führte ihre Hände an Constantins Schulter und zeigte, wie sie das Fleisch zusammendrücken sollte, woraufhin Constantin kurz zuckte.

„Fertig?“, erkundigte sich Clancy.

„Nicht wirklich, aber wenn wir darauf warten würden, dass es mir in den Kram passt, säßen wir noch nächste Woche hier“, entgegnete Constantin und Clancy schmunzelte leicht.

„Dann mal los.“

Genesis

Anfangs hatte Layla ein wenig Angst Constantin weh zu tun, wenn sie zu fest drückte, doch musste sie sich eingestehen, dass es vermutlich besser war einfach den Anweisungen ihres Vaters zu folgen, denn Clancy schein zu wissen, was er tat.

„Ich frage mich nur, wie ich deiner Tante beibringen soll, warum du ein Loch in der Schulter hast“, murmelte er nachdem er den Nahvorgang abgeschlossen hatte. „Geschweige denn wo ich anfangen soll, euch das alles zu erklären…“

„Am Anfang?“, schlug Layla vor.

„Anfang ist gut…“

„Vielleicht klären wir die beiden erst einmal wie die Welt wirklich zusammengesetzt ist“, ertönte Phobos‘ Stimme vom Badezimmereingang.

„Wahrscheinlich hast du Recht… Grundsätzlich solltet ihr wissen, dass jedes Lebewesen seine eigene Art von Magie hat. Die muss nicht stark sein, aber sie ist in irgendeiner Form da“, begann Clancy, während er Constantins Schulter ordentlich verband. „Vor ewigen Zeiten war unsere Welt mit allen möglichen Wesenheiten bevölkert. Die lichten unter ihnen beteten den Gott des Lichtes an; die dunklen, die Göttin der Dunkelheit. Aber irgendwann haben die Formori, welche zu den dunklen Geschöpfen gehörten, begonnen Menschen und andere lichte Völker, wie Fey, Vampire und Therianthropen, zu jagen. Heute glaubt man, dass sie sich irgendwie an der Magie der anderen bereichern wollten. Eine Gruppe von Leuten hat sich damals zusammengefunden, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, die anderen zu schützen.“

„Allgemeinhin gilt das als die Geburtsstunde der Wächter“, fuhr Phobos fort, damit Clancy sich in Ruhe den Verbänden widmen konnte, und sprang auf eine der Kommoden. „Über die Jahrhunderte hinweg wuchsen die Zahlen der Wächter, aber auch leider die der Formori. Innerhalb der Wächter hatte sich eine Elitegruppe herauskristallisiert und ebendieser Gruppe gelang es den Großteil der Formori zu bannen. Nur wenige Jahrhunderte später schaffte sie es auch noch die Göttin der Dunkelheit zu versiegeln . Seitdem werden sie die Bewahrer genannt. Nicht nur, weil sie die anderen geschützt haben, sondern vielmehr, weil sie sich um die Aufrechterhaltung der Siegel kümmern.“

Währenddessen verband Clancy Constantins Schulter, wechselte die Handschuhe und bugsierte nun Layla auf den Wannenrand, um ihren behelfsmäßigen Verband zu lösen und ihren Arm nun ebenfalls genauer zu untersuchen.

„Also kann man, wenn man Wächter ist, auch Bewahrer werden?“, fragte Layla.

„Ja, genau“, antwortete Phobos.

„Aber wie kommt es, dass niemand davon weiß?“, wollte Constantin wissen, während er sich ein dunkles Hemd, das sie als eines ihres Vaters erkannte, anzog. „Ich meine, die ganze Sache mit der Magie und den Formori ist sicher nicht einfach geheim zu halten, oder?“

„Ja, gewissermaßen schon“, antwortete Phobos, „aber um das zu erklären muss ich ein wenig ausholen. Wie gesagt, hat jeder Fähigkeiten oder auch Gaben , aber wenn diese nicht gefördert werden, verkümmern sie. Genau das ist mit den Menschen im Laufe der Jahrhunderte passiert. Und irgendwann begannen sie dann diejenigen unter ihnen, welche noch Gaben hatten, zu jagen. Euch ist das wahrscheinlich unter dem Begriff ‚Hexenverfolgung‘ bekannt. Allerdings hat sie wesentlich früher begonnen als ihr in Geschichte lernt. An diesem Punkt angekommen beschlossen die Bewahrer und Wächter im Untergrund zu verschwinden. Seitdem war es Aufgabe der Wächter die Menschen vor der Wahrheit zu beschützen, und die der Bewahrer die Siegel aufrecht zu erhalten.“

„Okay, aber sollte dann jetzt nicht alles Friede, Freude, Eierkuchen sein?“, wollte Layla stirnrunzelnd wissen.

„Theoretisch ja“, antwortete Clancy, während er Laylas Arm mit dem Inhalt der grünen Flasche betupfte. Schon beim ersten Kontakt der stinkenden Flüssigkeit mit ihrer Wunde, fühlte Layla ein starkes Brennen und sog scharf Luft ein.

„Und praktisch?“, hakte Constantin nach.

„Praktisch kam es vor knapp dreihundert Jahren zu einem Zwischenfall“, erklärte Phobos ernst. „Seit der Versiegelung der Formori durch die Bewahrer, stand es unter Höchststrafe Pakte mit ihnen einzugehen oder gar sie befreien zu wollen. Doch vor dreihundert Jahren fing eine fanatische, aber sehr mächtige Wächterin an ihre eigenen Ziele zu verfolgen und befreite die Formori. Daraufhin kam es zu einem Kampf mit den übrigen Wächtern, in dem viele mit dem Leben bezahlten, darunter auch die Wächterin, die die Formori befreite.“

„Ungünstiger Weise konnten die Formori seitdem nicht mehr so versiegelt werden, wie sie es einst waren und es wurde noch mehr Aufgabe der Wächter die Formori zu jagen, wodurch sich schließlich die heutigen Militärränge entwickelten“, fügte Clancy hinzu als er einen Faden durch das Nadelöhr zog.

„Wozu du gehörst?“, fragte Layla und kniff leicht die Augen zusammen.

„Gehört habe, ja“, verbesserte Clancy. „So, Constantin, kannst du mir mal gerade mit Laylas Arm helfen?“

Zur Antwort nickte Constantin und zog sich auf Clancys Geheiß hin ebenfalls Einweghandschuhe an. Danach blieb Layla nicht viel Gelegenheit erneut Fragen zu stellen.

Ihr Vater zeigte Constantin, wie er Laylas Arm halten sollte und drückte das Fleisch leicht zusammen. Sofort durchzuckte ein scharfer Schmerz Laylas Arm und sie fluchte leicht. Constantin wollte ihren Arm loslassen, doch Clancy wies ihn an seine Hände dort zu behalten, wo sie waren. Nach diesem kleinen Zwischenfall bemühte sich Layla keinen Laut mehr von sich zu geben, da sie nicht als weinerlich gelten wollte.

Constantins Wunde sah viel schlimmer aus als meine! Mensch, reiß dich zusammen, Mädchen!

Doch als die Nadel das erste Mal in ihr Fleisch eindrang, spielte sie schwer mit dem Gedanken doch ein wenig zu jammern.

Die heiße Nadel durchstieß das helle Fleisch und der lange Faden wurde mühsam hindurch gezogen. Wann und wie Clancy die Nadel erhitzte hatte, war ihr schleierhaft. Layla versuchte wegzuschauen, doch das machte es nicht besser, eher schlimmer. Also richtete sie ihren Blick wieder auf den Schnitt, in der Hoffnung durch das, was sie sah, gewappnet zu sein.

Und tatsächlich, wenn sie sich bemühte alles von einem neutralen Blickwinkel aus zu betrachten, konnte sie fast ignorieren, dass es ihr Arm war, der da zusammengenäht wurde. Aber auch nur fast.
 

Nachdem Clancy mit Nähen fertig war, zierte Laylas Arm keine klaffende Wunde mehr sondern nur noch eine schmale schwarze Linie.

„Warum hast du bei den Wächtern aufgehört?“, fragte Layla leise.

„Ich habe deine Mutter kennen gelernt“, sagte er einfach und lächelte leicht.

Nun schmierte er eine Salbe auf ihren Arm und verband diesen sorgfältig.

„So, ich würde mich jetzt auch noch gerne von diesen fremden Körperflüssigkeiten befreien und dann erkläre ich euch alles, was Phobos nicht schafft“, meinte Clancy und machte sich auf den Weg in sein Schlafzimmer um sich frische Kleidung zu suchen.

„Setz dich doch“, bat Layla Constantin als sie das Wohnzimmer betraten. „Möchtest du vielleicht etwas trinken?“

„Ja, Wasser wäre nett“, antwortete Constantin matt lächelnd und nahm auf einer der cremefarbenen Couchen Platz. Phobos sprang sogleich auf die andere Couch und Layla begab sich in die angrenzende Küche um Getränke zu holen.

„Also gibt es alles, wovon ich je gehört habe, wirklich?“, fragte Layla als sie schwer beladen mit einem Tablett wiederkam.

„Bei Aliens bin ich mir nicht sicher, aber alles, was potentiell auf unserem Planeten beheimatet ist, ja“, meinte Phobos ruhig.

„Und wie viele Tiere können prozentual sprechen?“, wollte sie weiter wissen, nachdem sie die Getränke verteilt hatte und sich neben Constantin setzte.

„Ehrlich gesagt, keine Ahnung. Bei Gelegenheit frage ich mal eins, wenn ich eins treffe. Ich hoffe die sind dann auch intelligent, und verstehen, was ich von ihnen will…“, meinte er und schien die Stirn zu runzeln.

Bei dieser Antwort schauten beide verdutzt zu Phobos auf.

„Was bist du dann?“

„Eigentlich gehöre ich zu den Halbfey, aber ich wurde von der Nebelhexe verflucht und friste jetzt mein Dasein als Cait Sith beziehungswiese Kellas Katze bis jemand den Fluch aufheben kann“, erklärte er und Layla versuchte bei dieser Erkenntnis krampfhaft die peinliche Erinnerung zu verdrängen sich vor ihm ausgezogen zu haben.

„Die Nebelhexe?“, fragte stattdessen Constantin und trank einen tiefen Schluck Wasser.

„Die Wächterin, die die Formori befreit hat.“

„WAS?!“, reif Layla aus.

Constantin verschluckte sich und brachte nur ein Husten zusammen. Layla klopfte ihm sacht auf den Rücken und nachdem er sich halbwegs gefangen hatte, tränten seine Augen immer noch.

„Du… ehem… bist über dreihundert… ehem… Jahre alt?“, fragte er zwischendurch immer wieder hustend.

„Nicht ganz, aber fast“, entgegnete Phobos und es sah aus als würde er mit den Schultern zucken. „Und nebenbei, Layla, ich hab nie hingeschaut, wenn du dich umgezogen hast. Dein Vater hätte mich kastriert. Oh, wenn man vom Teufel spricht…“

Kann der verdammte Kater – Mann, was auch immer – jetzt auch noch Gedanken lesen?

Layla bemerkte, wie sie errötete und versuchte möglichst neutral zu schauen, als ihr Vater in Jeans, sommerlichem Hemd und mit nassen Haaren ins Wohnzimmer trat.

„Stimmt was nicht, Layla?“, fragte Clancy verwirrt schauend und nahm neben Phobos Platz.

„Nein, alles in Ordnung“, murmelte sie.

„Was habt ihr noch geklärt?“, wollte er mit einem leicht irritierten Blick auf Layla und Constantin wissen.

„Nur dass der Phobos ungefähr dreimal so alt ist wie mein Opa“, meinte Constantin und rieb sich ein letztes Mal die Augen.

Clancy könnte sich ein Grinsen nicht verkneifen und fuhr erst nach einigen Augenblicken fort. „Zeigt mir mal eure Runen.“

Gehorsam holten Constantin und Layla sie heraus und legten sie in Clancys ausgestreckte Hand.

„Wofür sind die überhaupt? Was machen die?“, wollte Layla mit einem Kopfnicken auf die Runen wissen.

„Normalerweise sucht eine Rune einen begabten Menschen, der ihren Anforderungen genügt und weckt den die in ihm schlummernde Kraft. Man kann die Kraft auch anders und weniger freundlich wecken, aber das ist eigentlich nicht üblich“, erklärte Phobos, während Clancy in sich versunken die Runen untersuchte.

„Nur Menschen?“, fragte Constantin nach.

„Ja. Nur Menschen sind in der Lage Runenmagie zu benutzen. Andere Rassen sind in anderen Magien begabt, aber nur Menschen können Druiden oder sogar Hexen werden.“

„Was ist der Unterschied? Ich glaube nicht, dass wir mit unseren altbekannten Definitionen hier weit kommen“, hakte Constantin weiter nach und Phobos schien zu lächeln.

„Ich fürchte nicht viel . Druiden und Hexen benutzen beide Elementar- und Runenmagie, das stimmt soweit. Allerdings sind Hexen komplizierter, wenn man so sagen will. Sie sind um einiges mächtiger und haben ein größeres Verständnis des Ganzen. Leider hat es auch immer einen negativen Beiklang, wenn man von Hexen redet. Anders als Druiden sind sie in der Lage Dinge großflächig zu verändern oder gar zu verfluchen.“

„Demnach hat das Geschlecht keinerlei Einfluss auf die Bezeichnung. Kann ein Druide eine Hexe werden?“, wollte Layla wissen.

„Durchaus, ja“, stimmte er ihr zu. „Es ist sogar so, dass die meisten Menschen erst Druiden sind, sich dann weiter entwickeln und mächtiger werden. Dass jemand gleich eine Hexe ist, ist sehr selten. Die letzte an die ich mich erinnern kann, war die Nebelhexe.“

„Bei Keres bin ich mir nicht so sicher, ob sie nicht vielleicht auch eine ist. Das Mädchen ist fähiger als jeder andere, den ich je kennen gelernt habe“, schaltete sich nun Clancy ein und schaute von den Runen auf. „Also diese hier“ – er hob Constantins dunkelbraune Rune hoch und legte sie auf den niedrigen Couchtisch – „verlangt Erdmagie. Die andere“ – er legte Laylas Rune dazu – „verlangt Wasser oder Wind“, erklärte er ohne weiter auf die genannte Person einzugehen.

„Die Wasserrune ist ein Knochen, oder?“, fragte Phobos und stand auf, um die Rune besser betrachten zu können. Er sah mit einem Mal nachdenklich aus und blickte Layla mit einer hochgezogenen Braue an. Komisch, dass selbst Katzen das können… es ist schon seltsam wie einfach seine Mimik zu lesen ist, wenn man weiß, was er ist und worauf man achten muss.

„Ist das schlecht?“, fragte Layla und rutschte leicht unruhig auf ihrem Platz herum.

„Nein“, lachte Clancy. „Das bedeutet nur, dass die Rune wahrscheinlich sehr alt ist, da die allerersten Runen aus Knochen gemacht wurden.“

Etwas erleichtert atmete Layla aus. „Vorhin war die Rede von ‚Essenzen‘… Was ist das?“

„Essenzen sind ein Teil der elementaren Kraft, die in uns ist, und muss von jedem selbst gefunden werden“, begann Clancy zu erklären. „Sie sind eine Mischung Katalysator und Entkalker, wenn man so will. Zum einen beschleunigen sie unsere Magieentwicklung und zum anderen sorgen sie dafür, dass Magie ungehindert in uns fließen kann ohne uns zu schaden.

Es gibt ganz wenige Menschen, die schon mit einer Essenz geboren werden, und Druiden, die ihre Essenz nicht finden, können nie zu Hexen werden. Hexen haben einen unglaublichen Verbrauch an Magie und wenn man keine Essenz hat, die einen gegebenenfalls vor dem gewaltigen Energiestrom schützt, wird man entzweigerissen und von ihnen heraus versengt.

Je länger eine Essenz bei einem Menschen bleibt, desto mehr nimmt sie die Aura der Person an und nach unserem Tod fließt die sie wieder in den Strom der Dinge zurück bis jemand neues ihre Dienste benötigt und sie gefunden wird. Alte Essenzen umgibt daher einen buntgemischten Schimmer, die die Auren ihrer Vorbesitzer wiederspiegelt“, schloss er.

Overflow Error.

„Willst du nicht Dozent an der Uni werden und Vorlesungen halten?“, fragte Phobos ironisch, woraufhin ihn Clancy stirnrunzelnd ansah.

„Wenn man die Essenz erst suchen muss, warum habe ich dann schon eine?“, fragte Constantin verwirrt.

Stimmt. Syntax Error.

„Runen entstehen gelegentlich neu“, erklärte Clancy. „Wenn das geschieht, bilden sich auch Essenzen neu. Die Rune ‚sucht‘ dann wie gewöhnlich ihren Besitzer, allerdings begleitet sie die Essenz und der neue Besitzer hat gleich eine Essenz, die mit ihm verschmilzt. Deine Rune ist also mit großer Wahrscheinlichkeit neu.“

„Es kann natürlich auch sein, dass du kopfüber in den Schlamm gefallen bist und so mit deiner Essenz in Kontakt gekommen bist“, meinte Phobos. „Bist du in letzte Zeit in den Schlamm gefallen?“

„Äh, nein, ich denke nicht“, antwortete Constantin überrumpelt.

„Du musst dich nicht wegen Layla zurückhalten, die hat sich heute Morgen im Fahrradschuppen im Staub gewälzt.“

Layla wurde gegen jede bessere Absicht rot, doch ihr Vater zog nur die Braue hoch.

„Warum hast du dich im Staub gewälzt?“, fragte er.

Na, super. Scheißkater.

Sie seufzte.

„Wenn ich jetzt sage, dass unser seltsamer Katerfreund hier, welcher nebenbei irgendwie drei Sprachen spricht, mir den ganzen Morgen über Angst eingejagt hat, ich dann ein Kichern gehört habe, welches mich erschreckt hat und ich daraufhin fast in eine Hacke gefallen bin, klingt das sicher bekloppt, oder?“

„Hey, ich hatte mehr als genug Zeit drei Sprachen zu lernen-“, verteidigte sich Phobos, doch wurde von Clancy unterbrochen.

„Ein Kichern? Welcher Art?“

„Du glaubst mir?“, wollte sie verdutzt wissen.

„Ja“, entgegnete er schulterzuckend, „das könnten Kobolde sein, die sich einen Spaß daraus machen wollten dich zu ärgern. Ich sehe mir das morgen früh am besten einmal an.“

„Toller Spaß“, grummelte Layla leise vor sich hin.

„Also, bist du in den Schlamm gefallen?“, versuchte Phobos noch einmal sein Glück.

„Nein“, antwortete Constantin bestimmt. Dennoch röteten sich seine Ohren leicht.

„Ist es nicht eigentlich egal, ob er reingefallen ist oder nicht?“, rettete Layla ihn aus seiner Misere, wofür er ihr einen dankbaren Blick zuwarf. „Das Endergebnis zählt schließlich. Und hier ist das die Essenz. Was mich darauf bringt: Wie komme ich an meine?“

„Unterschiedlich. Die Wächter haben einen ganzen Vorrat, und wenn man ihnen beitritt, stellen sie die Essenz“, erklärte Clancy. „Wenn man ihnen nicht beitritt, muss man sich eine suchen. Die Essenz kann an den unterschiedlichsten Orten sein: einer Quelle, einem verbrannten Haus, einem Feld et cetera. Aber darum musst du dir erst mal keine Gedanken machen. Eher darum, wie wir dir die Wächter vom Hals halten.“

„Warum?“, wollte sie wissen. „Bisher klangen sie ja gar nicht so übel. Wenn man davon absieht, dass sie gelegentlich Leute misshandeln.“

„Ehrlich gesagt, bin ich nicht mehr ganz damit einverstanden, wie sie die Dinge handhaben. Allerdings ist es eure Entscheidung, ob ihr euch von uns ausbilden lasst, oder den Wächtern beitretet.“ Bei den letzten Worten sah er sie beide ernst an, so dass Layla einen Schatten des Mannes sah, der er einmal gewesen sein musste. Er schein seine Gründe zu haben, aber ich denke nicht, dass gerade jetzt der Moment ist um alles aufzuklären… mir schwirrt schon jetzt der Kopf.

„Nein, ich denke, ich will mir erst ein besseres Bild von allem machen und an all das hier gewöhnen, bevor ich mich entscheide“, meinte Constantin und Layla stimmte ihm nickend zu.

„Müssen wir uns jetzt entscheiden?“, fügte sie an.

„Nein, wenn ihr den Wächtern beitreten wollt, könnt ihr das immer noch machen. Egal wann.“

„Und warum muss ich mir die Wächter vom Hals halten?“, fragte Layla weiter.

„Weil offensichtlich ist, dass du Fähigkeiten hast, die sie nur zu gerne nutzen würden“, antwortete Clancy. „Und ich bin sicher nicht der Einzige, der mitbekommen hat, wie du den Formor hast ausbluten lassen.“

„Du hast was?!“, rief Constantin aus und verschluckte sich beinahe wieder.

„Ich war in die Ecke gedrängt – ohne meinen Schürhaken, muss ich bemerken - und wusste nicht mehr was ich machen sollte. Ich hab einfach nur gemacht, was mir gerade einfiel“, verteidigte sie sich und die verdächtige Röte kehrte auf ihre Wangen zurück.

„Und genau das ist der Grund, warum sie sich an deine Fersen heften werden. Ich habe Aygül selbst ausgebildet und darauf trainiert auf solche Dinge zu achten“ entgegnete Clancy.

„Wenn du schon ohne Essenz dazu in der Lage bist Formori ausbluten zu lassen – auch wenn es nur in Notwehr war –, was wirst du dann erst mit einer machen können? “, fuhr Phobos fort und es lief ihr kalt den Rücken hinunter. „Sie werden dir solange nachjagen, wie sie glauben eine Chance zu haben dich zum Beitreten zu überzeugen. Und wenn sie das geschafft haben, werden sie dich irgendwie auch dazu bringen für sie die Drecksarbeit zu erledigen und gegen alles zu kämpfen, was ihnen gerade nicht in den Kram passt. Dich als menschliche Kampfmaschine benutzen. Wie sie es auch bei Clancy gemacht haben.“

Bei diesen Worten schoss Laylas Blick regelrecht zu ihrem Vater, der einen mehr als ernsten Gesichtsausdruck angenommen hatte.

„Ich habe viele Dinge getan, die ich heute in Frage stelle. Doch damals war ich der festen Überzeugung alles richtig zu machen“, entgegnete er. Stirnrunzelnd rieb er sich die Augen mit Daumen und Zeigefinger und ließ sich in die Couch zurücksinken. Mit einem Mal sah er müde aus und in seinen Augen spiegelte sich sein wahres Alter.

„Vielleicht sollten wir schlafen gehen“, meinte Phobos mit einem Seitenblick auf Clancy. „Heute war ein langer Tag.“

„Wenn du willst, Constantin, kannst du über Nacht bleiben und wir erklären deiner Tante morgen alles zusammen“, sagte Clancy. „Wir haben oben zwei eingerichtete Gästezimmer und du kannst auch gerne deine Tante anrufen.“

„Danke, sehr gerne. Allerdings glaube ich nicht, dass sie noch wach ist. Ich schreib ihr besser eine SMS…“, nahm Constantin erleichtert an und zückte sein Handy.

„Du willst doch nur den Groschenromangedanken entfliehen“, grinste Layla und erhob sich.

„Das auch“, gab er zu.

„Groschenromangedanken?“, fragte Clancy verwirrt.

„Glaub mir, du willst das ganz sicher nicht wissen“, entgegnete sie feixend und zog Constantin, der noch immer seine SMS schrieb, mit sich.

Nachdem sich auch ein Schlafanzug finden ließ, machten Layla und Constantin sich allein auf den Weg in die obere Etage, da sich Clancys Schlafzimmer im Erdgeschoss befand. Dennoch blickte er den beiden besorgt nach, als sie die Treppe emporstiegen.

„Und? Was hältst du von der ganzen Sache?“, fragte Constantin murmelnd als sie den ersten Stock betraten.

Eine Weile schwieg Layla.

„Ehrlich gesagt, keine Ahnung“, antwortete sie schließlich, als sie eins der Gästezimmer betraten. „Ich meine, mein ganzes Umfeld ist nicht mehr das, was ich zu kennen glaubte. Mein Vater ist ein Mann mit einer Vergangenheit, die ich mir nicht einmal vorstellen kann. Ganz zu schweigen davon, dass mein Kater ein dreihundert Jahre alter Zauberer oder was-auch-immer ist, der gegen ein weibliches Voldemortäquivalent gekämpft hat!“

Constantin machte ein zustimmendes Geräusch und nickte nachdenklich, während er sich auf dem Bett niederließ. Er machte eine Bewegung als wollte er sich mit der Hand ins Gesicht greifen, doch zuckte in der Bewegung zusammen, da er scheinbar Schmerzen verspürte.

„Tut es weh?“

„Nur wenn ich die falschen Bewegungen mache“, meinte er schief grinsend. „Und bei dir?“

„Nicht sonderlich. Brennt ein bisschen, aber ansonsten…“, meinte sie schulterzuckend und gähnte. „Wenn du noch was brauchst, mein Zimmer ist direkt nebenan.“

Er nickte nur wieder in Gedanken versunken und sie zog die Tür hinter sich zu. Wahrscheinlich war sie diese Nacht nicht die Einzige, die wenig Schlaf bekommen würde.

Die Geschichte von dem Blumenmädchen und dem Wächter

Am nächsten Morgen verspürte Constantin unterbewusst ein Ziehen in der Schulter, das sich nicht mit seinem Traum vereinbaren ließ. Er versuchte sich umzudrehen und weiterzuschlafen, doch das Pochen und Ziehen in seiner Schulter wurde immer stärker und er sah sich gezwungen endgültig aus dem Traumland zurückzukehren und aufzuwachen.

Als er seine Augen öffnete, fragte er sich zuerst verwundert, wo er eigentlich war, denn sein Zimmer sah anders aus als er das letzte Mal nachgesehen hatte. Erst durch einen Blick auf den Nachtschrank kehrte seine Erinnerung vollends zurück.

Dort neben der Uhr, deren leuchtende Digitalziffern verkündeten, dass es viertel nach acht morgens war, lag rötlich schimmernd sein Runenstein.

Seufzend ließ er sich zurück auf sein Kissen sinken und wollte sich mit der Rechten die Augen reiben.

Ein fataler Fehler.

Augenblicklich schoss eine Welle aus Schmerz seinen Arm entlang und das seichte Pochen entwickelte sich zu einem ausgewachsenen Stechen. Leise fluchend, ließ er den Arm sinken und bemühte sich noch einige Minuten möglichst regungslos liegen zu bleiben.

Währenddessen hatte er genug Gelegenheit noch einmal über das am Abend zuvor Erfahrene nachzudenken. Wächter, Runen, Essenzen… und ich mitten drin. Wie soll ich das bloß Tante Sybille beibringen? Traurige Sache, dass ich zuerst daran denke, wie es meine Tante auffassen wird und nicht meine Eltern. Gut, wann habe ich überhaupt das letzte Mal richtig mit den beiden geredet? Mit 12?

In Gedanken versunken schweifte sein Blick durch den Raum und er nahm unterschwellig die Informationen wahr, die er den Abend zuvor verdrängt hatte oder einfach nicht mehr aufnehmen konnte. Die beigen Wände zierte eine dunkelrote Borte, passend zu den gelichfarbigen Vorhängen, die das große Fenster einrahmten. Die dunklen Holzmöbel und das Gemälde einer Ruine im Grünen, welches am Kopfende des Bettes an der Wand hing, komplettierten das Gesamtbild nur noch.

Doch Grübeln und das Gästezimmer bestaunen half alles nichts, Constantin kam zu keinem vernünftigen Schluss und konnte auch nicht mehr schlafen. Langsam erhob er sich, nur um festzustellen, dass er ganz verspannt war und sich umziehen mehr als nur ein wenig komplizierter darstellte, als noch wenige Stunden zuvor. Wahrscheinlich war es weniger günstig die ganze Nacht in einer Position zu verharren… Noch dazu seh‘ ich aus als wäre ich in einen Farbkasten gefallen!

Doch nach einer gefühlten Ewigkeit gelang es ihm endlich sich vollständig zu bekleiden und er machte sich auf dem Weg ins Erdgeschoss.

Den vorangegangenen Abend muss er zu überfordert gewesen sein mit der Informationsflut, die Laylas Vater und der creepy Superkater über sie beide haben hereinbrechen lassen, denn nun nahm er seine Umgebung das erste Mal wirklich wahr.

Der Flur war in den gleichen Farbtönen gehalten, wie auch das Zimmer in dem er geschlafen hatte. Auf dem dunklen Boden ließ sich ein bordeauxroter Läufer ausmachen und die Wände zierte direkt unter der Decke eine ebenfalls bordeauxrote Borte, der eine beige gestrichene Wand folgte bis sie schließlich auf Hüfthöhe von einer dunklen Holztäfelung abgelöst wurde. Dann und wann hing an den Wänden ein Landschaftbild, das ähnliche Motive zeigte, wie das im Gästezimmer: Grüne Landschaften, Ruinen und Burgen.

Nur wenige Schritte weiter gabelte sich der Flur rechtwinklig und Constantin konnte ein dunkles Holzgeländer ausmachen. Dem Gang folgend stieß er auf einen Rundgang, der in der Treppe und einen Balkon mündete und einen Blick auf den Flur im Erdgeschoss preisgab.

Er wollte sich auf den Weg nach unten machen, doch bevor er den Treppenabsatz erreichte blieb sein Blick an einen Bild hängen. Es war den anderen ähnlich und auch wieder nicht. Wie bei den anderen Bildern könnte er eine grüne Landschaft ausmachen, doch im Mittelpunkt des Bildes befand sich keine Burg oder überwucherte Ruine, sondern ein kleines Steinhaus, das durch den qualmenden Schornstein bewohnt wirkte. Vor dem Haus erstreckte sich ein Garten, in dem knorrige Bäume standen und undefinierbare Pflanzen wuchsen.

„Gefällt es dir?“

Unwillkürlich erschrak sich Constantin und zuckte zusammen, so in Gedanken war er gewesen. Erst als er sich umdrehte, erkannte er Phobos, der auf leisen Pfoten näher gekommen war.

„Ja, schon“, sagte er nachdem er sich gefangen hatte. „Aber es ist anders als die anderen Bilder hier.“

„Inwiefern?“, wollte der Kater wissen und Constantin konnte das Gefühl auf die Probe gestellt zu werden nicht abschütteln.

„Nun ja, auf den anderen Bildern sind Ruinen und Burgen zu sehen. Sie wirken allesamt unbewohnt. Nur das hier nicht“, versuchte er seinen Eindruck dieses Bildes wenig eloquent wiederzugeben.

„Sehr richtig. Das liegt daran, dass es bewohnt ist. Das ist Clancys Elternhaus“, erklärte Phobos. „In der tiefsten Pampa Irlands, möchte ich hinzufügen.“

Constantin konnte sich bei diesem vor Ironie triefenden Nachschub ein Grinsen nicht verkneifen, doch wandte seinen Blick nur noch einmal dem Bild zu, um etwas genauer zu betrachten und sich dann der Treppe zuzuwenden, auf der sich der gleiche bordeauxrote Läufer befand wie auch schon im Flur.

„Dafür, dass ihr noch nicht lange hier wohnt, ist die Einrichtung sehr schön“, meinte Constantin die ersten Stufen hinabsteigend und sich ein wenig umsehend. Ein leises Lachen neben sich ließ ihn wieder auf den Kater schauen.

„Das wird Layla freuen. Clancy ist der sterile-weiß-Typ. Wenn es nach ihm gegangen wäre, hätten die Bilder vollkommen ausgereicht. Layla konnte beige rauskitzeln und hat ihm dann noch einfach die rote Borte auf’s Auge gedrückt“, erklärte er als sie die Treppe hinabstiegen. „Das ist diese Vater-hat-eine-Schwäche-für-Tochter-Sache, du verstehst.“

Wieder musste Constantin grinsen.

Wenigstens hat der creepy Superkater Humor…

„Und wie sieht der konkrete Plan für heute aus?“, wollte Constantin schließlich wissen.

„Da Layla bereits die Küche in Beschlag genommen hat, sieht es wohl so aus, als würden wir essen und uns dann auf den Weg zu deiner Tante machen. Wobei ‚fahren‘ eine andere Definition hat, wenn Clancy hinter dem Steuer sitzt. Man könnte dann auch glauben er sei ein alter Mann mit Hut“, die letzten Worte hatte Phobos lauter als nötig ausgesprochen. Constantin wollte entsprechend nachfragen, doch Clancys leicht irritierter Blick als er aus einem der angrenzenden Zimmer in den Flur trat, war Erklärung genug.

„Wenigstens kann ich Auto fahren und einen Hut tragen ohne darin zu versinken“, gab er würdevoll zurück, was Phobos ein Grinsen entlockte.

Super. Jetzt ist er von creepy Superkater zu super-creepy Grinsekatze digitiert. Oder vielmehr super-creepy Grinsekatzemon, wir wollen ja schließlich keine terminologischen Fehler machen.

Noch während Constantins Gedanken leicht abschweiften, betraten sie das große Wohnzimmer, das wiederum offen in ein Esszimmer und die Küche überging.

Layla stand steif in der Küche vor dem Herd und schien nichts zu tun außer in einer Pfanne herumzurühren. Neben sich hörte Constantin Clancy leise seufzen und sah ihn mit betont neutralem Blick an. Clancy machte eine Bewegung als wollte er auf sie zugehen, doch Phobos sprang dazwischen.

„Ich glaube, wir sollten ihr das kleinere Übel schicken.“

Clancy blickte noch einmal auf seine Tochter und nickte schließlich widerwillig.
 

Lustlos und in Gedanken versunken stocherte Layla mit dem Pfannenwender im Rührei herum.

Was soll ich jetzt tun?

Und was wird Constantin machen?

Hinter dieser ganzen Wächtersache steckt sicher mehr als mein werter Herr Vater uns gestern gesagt hat. Aber was?

Fragen über Fragen an sich selbst stellend, hörte sie erst gar nicht, wie jemand hinter ihr ihren Namen sprach.

„…la? Layla?!“

Erst bei der wahrscheinlich x-ten Wiederholung ihres Namens drehte sie sich um.

Und warum zum Henker ist mein Kater keine richtige, normale Katze?

„Was?“, seufzte sie und richtete ihren Blick auf den verfluchten Kater, der sich ihr fast schüchtern näherte.

„Ich würde gerne mit dir reden.“

„Kann ich dem irgendwie entfliehen?“

„Ich fürchte, nein“, antwortete er und Layla meinte das unterdrückte Schmunzeln regelrecht heraushören zu können.

„Und warum willst du mit mir reden und nicht er?“, fragte sie mit einem Kopfnicken in Richtung ihres Vaters, der mit Constantin noch im Wohnzimmer stand.

„Weil du höchstwahrscheinlich mit Dingen nach ihm werfen würdest“, entgegnete er und setzte sich auf die weißen Fliesen.

„Und nach dir nicht, oder was?“, erwiderte sich leicht verärgert.

„Doch, doch“, nickte er, „nur bin ich kleiner und schwerer zu treffen.“

Layla bemerkte, wie sich gegen ihren Willen ein Grinsen aufgrund dieser praktikablen und nüchternen Aussage auf ihre Züge stehlen wollte, und wandte sich schnell wieder dem Rührei zu.

„Jedenfalls war es das, was deine Mutter gemacht hat. Zugegeben, bei ihr waren es Steine und keine Küchenutensilien…“

Noch während seine Gedanken abschweiften, wandte Layla sich ihm bei der Erwähnung ihrer Mutter wieder ruckartig zu.

Genau das, was dieser Mistkater wollte, dachte sie, als sie das listige Funkeln in seinen Augen sah.

„Hörst du mir jetzt zu?“, fragte er.

Sie nickte widerstrebend und zog einen der Küchenstühle heran.
 

Nachdem Phobos sie verlassen hatte, beobachteten Constantin und Clancy schweigend, wie er sich Layla näherte. Zuerst schien sie gar nicht zu reagieren, doch dann drehte sie sich schließlich doch um und Unmut spiegelte sich auf ihren Zügen wieder.

Eine Weile redeten Phobos und Layla miteinander, wobei ihr Gesichtsausdruck sich hin und wieder erweichte und erhärtete oder sie sich gänzlich abwandte, doch Constantin verstand nicht worüber sie sprachen. Als sich Layla dem Kater ein letztes Mal ruckartig mit einem überraschten Gesichtsausdruck zuwandte, näherte sich Phobos ihr wieder. Doch erst als sie einen Stuhl näher heranzog und der Kater darauf sprang, hörte er Clancy neben sich erleichtert ausatmen und sah ihn fragend an.

„Sie wirft keine Dinge nach ihm, ein gutes Zeichen“, meinte er schulterzuckend. „Sie ist ihrer Mutter so ähnlich…“ Bei diesen Worten rückte Clancys Blick in die Ferne und seine Züge wurden zusehends weicher.

„Bei allem Respekt und mir der Tatsache durchaus bewusst seiend, dass es mich überhaupt nichts angeht, aber warum haben sie nicht schon früher mit Layla über das alles geredet?“, stellte Constantin eine der Fragen, die ihm am Meisten beschäftigten.

„Viele Gründe. Aber der wahrscheinlich Wichtigste ist, dass ich es ihrer Mutter versprochen habe.“
 

Nachdem Layla den Stuhl zurückgezogen hatte, sprang Phobos darauf um sich zu setzten und legte dabei den Schwanz um die Beine.

„Also?“, fragte Layla und zog eine Augenbraue hoch. Ihr ganzer Missmut klang in diesem einen Wort mit.

Er seufzte.

„Vielleicht fange ich einfach am Anfang an. Dein Vater hat mit mir zusammen eine Ewigkeit im Außendienst für die Wächter gearbeitet und deine Mutter war eine einfache Floristin mit ihrem eigenen kleinen Blumenladen. Sie hatten also eigentlich keinen Grund sich über den Weg zu laufen, es sei denn, dein Vater hätte Blumen kaufen wollen. Aber wenn wir ehrlich sind, dann wissen wir beide, dass er nie der Typ dafür war Blumen zu kaufen.“

Wieder musste sie unwillkürlich grinsen, doch diesmal ließ sie es geschehen.

„Und was ist passiert?“

„Deine Mutter hatte sich mal wieder auf den Weg in den Wald gemacht, um dort Samen und Zweige für Gestecke zu suchen“, begann Phobos und Layla hatte das Gefühl, dass die Geschichte länger dauern würde und stellte den Herd herunter, damit die Eier nicht verbrannten. „Doch gerade an diesem Tag war der Eingang in den Wald abgesperrt. Allerdings hat Angelika nie viel von Absperrungen jedweder Art gehalten und ist kurzerhand drüber geklettert.

Dummerweise gab es einen Grund für die Absperrung: In diesem Wald hielten sich Formori auf und gerade an diesem Tag wollten die Wächter sie stellen. Es kam natürlich wie es kommen musste: Deine Mutter geriet mitten in die Jagd und begegnete so deinem Vater. Und mir, nebenbei bemerkt.

Clancy versuchte sie zu beruhigen, doch das ist nicht so leicht, wenn man zuvor ein blutiges Schwert schwingend durch den Wald gerannt ist. Normalerweise spreche ich aus offensichtlichen Gründen nicht vor anderen Menschen, doch ein Formor drohte Clancy, der noch immer auf die verstörte Frau einredete, zu überraschen. Ich rief eine Warnung aus, was Angelika den Rest gab und sie wollte uns vertreiben, indem sie Steine, Eicheln und alles was sich irgendwie in ihrer Reichweite befand nach uns zu werfen begann.

Clancy ließ es geschehen und widmete sich erst einmal dem Kampf, während ich mich um Angelika kümmerte und sie in ein Erdloch in Sicherheit führte. Dass sie durchaus widerwillig war, muss ich dir sicher nicht sagen, aber manchmal reicht ein zweiköpfiger, brüllender und sabbernder Formor aus, um einfach mal der sprechenden Katze zu folgen.

Dein Vater wurde in diesem Kampf verletzt und sah sich gezwungen mit uns in dem Erdloch zu verschwinden und dort auszuharren. All das, der schwertschwingende Irre, der gar nicht so bösartig schien, der sprechende Kater und der riesige zweiköpfige Dämon, der nun wenige hundert Meter entfernt ausblutete, trieb sie in kürzester Zeit in eine Mischung aus Verstehen und Schock, was sie wenigstens dazu brachte keine Steine mehr nach uns zu werfen.

Eigentlich ist es in so einer Situation üblich für einen Wächter, dem nichtmagischen Opfer des Angriffes, in diesem Fall deiner Mutter Angelika, die Erinnerung zu nehmen. Unter anderen Umständen hätte dein Vater das auch ohne Zögern getan, doch irgendetwas während unseren gemeinsamen Zeit in diesem Erdloch brachte ihn dazu sich dagegen zu entscheiden und ihr ihre Erinnerung zu lassen.“

„Und warum hast du es nicht getan?“, wollte Layla wissen.

„Weil ich ein Vertreter der Offenbarung bin. Das war lange Jahre ein Streitpunkt zwischen deinem Vater und mir und seine Meinung änderte sich erst durch Angelika.“

„Offenbarung?“, fragte Layla perplex. Sicher nicht die aus der Bibel, oder?

„Ja. Die Vertreter der Offenbarung sprechen sich dafür aus, dass auch die nichtmagische Gesellschaft, wenn man sie so nennen will, von der magischen erfährt und sie Seite an Seite leben“, erklärte er, „aber das hat noch gewissen Diskussionsbedarf und führt uns im Augenblick zu weit von dem weg, was ich dir eigentlich sagen will.“

Mit einem Nicken bestätigte Layla ihm fortzufahren.

„Wie viele Menschen entwickelte auch Angelika ihren eigenen Schutzmechanismus und tat alles Geschehene als etwas wirres Unwirkliches ab und wollte sich selbst einreden alles zu vergessen. Doch nur wenige Tage nach den Ereignissen im Wald suchte Clancy sie an seinen freien Tag in ihrem Blumenladen auf, um ihr alles zu erklären.

Sie war ungläubig, doch meine Abwesenheit brachte sie zumindest dazu ruhiger zu sein. Sie redeten lange. Sehr lange. Und immer mal wieder. Sie fingen an mehr und mehr Zeit gemeinsam zu verbringen und verliebten sich schlussendlich ineinander.

Irgendwann zogen sie zusammen, sehr gegen den Willen der Wächter, doch Clancy war einer ihrer besten Männer und so ließen sie ihn gewähren, aus Angst ihn vielleicht zu verlieren.

Doch bald darauf konnte Angelika es nicht mehr ertragen Clancy Abend für Abend mit neuen Verletzungen nach Hause kommen zu sehen. Wie bei jedem Lebewesen hinterlassen Wunden, wie er sie ertragen hat, Narben. Tiefe Narben. Und Angelika tat es in der Seele weh ihn so sehen zu müssen. Daher bat ihn doch wenigstens in den Innendienst zu treten. Anfangs verstand er nicht, warum ihr das so viel bedeutete, denn für ihn war es seine Arbeit und er vollzog sie Tag für Tag mit dem Wissen, den nächsten Morgen vielleicht nicht erleben zu können. Clancy ist wie wir alle in der Ideologie der Wächter aufgewachsen und in der stellt man gerne das Individuum für das große Ganze zurück.“ Bei diesen Worten rückte sein Blick in die Ferne, als würde er noch einmal die Erinnerungen vor seinem inneren Auge sehen.

„Dennoch willigte er ihr zuliebe ein. Seitdem übernahm er die Ausbildung der Rekruten und leitete in immer selteneren Fällen Außenoperationen. Und für den Fall, dass wir beide nicht bei Angelika sein konnten, brachte er ihr Schildzauber bei, die sie erstaunlich gut meisterte.

In der Zwischenzeit hatten Clancy und Angelika geheiratet und sie erwarteten ihr erstes Kind.“

„Mich.“

„Genau, dich“, bestätigte er und warf ihr einen undeutbaren Blick zu. „Angelika wollte nicht, dass ihr Kind in einer so gewalttätigen Welt aufwuchs und rang deinem Vater das Versprechen ab, ihre gemeinsamen Kinder erst mit Eintreten der Volljährigkeit einzuweisen, also mit neunzehn.

Durch ihr unerwartet großes Talent mit Schild- und Schutzzaubern, gelang es ihr kurz vor ihren Tod einen Zauber auf dich zu legen, sodass dein zweites Gesicht versiegelt wurde. Wir haben nie herausgefunden, ob sie einen triftigen Grund dafür hatte, da sie in diesem Autounfall ums Leben kam“, sagte er und alte Trauer schwang mit seinen Worten mit.

Ihr Tod brachte Clancy endgültig dazu den Wächtern den Rücken zu kehren, denn er hatte sie gebeten in unserer Abwesenheit auf Angelika und dich Acht zu geben und sie hatten in unser beider Augen schändlich versagt. Wie wollten sie ganze Nationen beschützen, wenn es ihnen noch nicht einmal bei einer einfachen Frau und deren kleiner Tochter gelang? Sollte man ein junges Leben in ihre Hände legen, wenn sie dazu nicht in der Lage waren?

‚Nein‘ war die einzige Antwort, auf die wir kamen, und Clancy brachte dich fort von allem um dich in Sicherheit großzuziehen. Wenigstens diesen Wunsch wollte er deiner Mutter noch er füllen, denn dein Vater hat deine Mutter mehr als alles andere geliebt. Nur heute steht sie an zweiter Stelle nach dir.“

Die erneute Erzählung des Todes ihrer Mutter aus dieser ganz neuen Sicht, trieb Tränen in Laylas Augen und ihre Kehle schnürte sich zu. Schnell wandte sie den Blick ab, um nicht gleich vor Phobos in Tränen auszubrechen über etwas, was schon so lange zurücklag. Während sie so tat, als wolle sie nach den Eiern sehen, versuchte sie schnell die Tränen wegzublinzeln.

„Es ist nicht so, dass Clancy dir das alles verheimlichen wollte. Er hatte nur vor es anders und langsamer anzugehen“, fuhr Phobos nach einer Weile leise fort. „Wir waren uns zuerst nicht sicher, ob deine Gaben stark waren oder ob es vielleicht besser wäre, dir gar nichts zu sagen, wenn sie zu gering wären, oder ob deine Reaktionslosigkeit in Bezug auf gewisse Dinge an dem Zauber deiner Mutter lag und das alles überhaupt nichts mit deinen potentiellen Fähigkeiten zu tun hatte. Doch dann wurde immer offensichtlicher, dass du das zweite Gesicht hast, aber es noch unterdrückt war, durch den Zauber deiner Mutter und dein Unterbewusstsein.

Aber sei nicht sauer auf Clancy wegen der Rune. Als ich dich in den Wald geführt habe, habe ich eigenmächtig und ohne Absprache mit ihm gehandelt. Ich habe einfach den Ruf einer Rune in der Nähe gefühlt und dich hingeführt, in der Hoffnung, dass es deine sein könnte. Als dann Constantin auftauchte, war ich mir nicht mehr so sicher. Erst nach einigem Konzentrieren habe ich eine zweite Rune ausmachen können.

Danach habe ich die Hütte verlassen um Clancy Bescheid zu geben, doch als wir zu der Hütte zurückkamen, hatten euch die Runen schon fortgebracht.“

„Fortgebracht? Inwiefern?“, fragte Layla verwirrt. War ich woanders?

„Runen haben schon fast eine eigene Persönlichkeit, wenn es um ihre zukünftigen Besitzer geht. Sie halten die Besitzer oft, wie auch in eurem Fall, fest, bis sie die Runen finden und in etwa erkennen, was sie da gefunden haben. Danach passiert es oft, dass die Runen wieder ein wenig gutmachen wollen, was sie getan haben, und bringen die Besitzer dann an einen Ort, an dem sie sich sicher fühlen. Du glaubst gar nicht, wie erleichtert wir waren, dass du hier warst und nicht zum Beispiel in Irland bei deinen Großeltern.

Eigentlich wollten wir dir alles in Ruhe erklären, aber Clancy musste gestern Morgen fort und ich alleine hätte dir sicher nicht alles zufriedenstellend erklären können. Abgesehen davon, dass du nachdem du die Rune gefunden hast, eine Heidenangst vor mir hattest. Eigentlich wollte ich ein Auge auf dich haben, aber du bist auf und davon. Dass du zu Constantin wolltest, konnte ich mir noch zusammenreimen, aber ich musste Clancy irgendwie Bescheid geben. Hast du schon mal versucht ein Telefon mit Pfoten zu bedienen? Gar nicht so einfach…

Dass Aygül und Roland aufgetaucht sind, haben wir nicht erwartet, weil Rekrutierungen so früh eigentlich unüblich sind. Allerdings erhärtet das nur noch mehr unseren Verdacht, dass die Wächter mit der Situation überfordert sind und auf irgendeine Art in Bedrängnis geraten sind.

Was ich eigentlich sagen will, ist, dass es mir Leid tut, wie ihr alles erfahren habt, und ich bitte dafür um Verzeihung. Allerdings werde ich mich nicht dafür entschuldigen, dass ihr es erfahren habt, weil ich keinen Grund dazu sehe“, schloss Phobos und sah Layla fest in die Augen.

Sie hielt den Blickkontakt eine Weile aufrecht und nahm schließlich seine Entschuldigung mit einem Nicken an.

Unerwartete Offenbarungen

Clancy klärte Constantin über den Teil seiner Vergangenheit auf, der ihn dazu veranlasste seine Tochter fern von aller Magie aufzuziehen und den Wächtern den Rücken zu kehren. Nachdem er geendet hatte, verstand Constantin ihn besser und konnte sein Handeln nachvollziehen.

Hoffentlich kann Layla das auch irgendwann… aber wir reden hier ja auch nicht von meiner Familie. Wenn mein Vater mir irgendetwas von Magie erzählen wollte, würde ich ihn einweisen lassen! Bevor der daran glaubt, gefriert die Hölle! Vorausgesetzt, es gibt eine… ich halte mittlerweile alles für möglich…

Noch während seine Gedanken abschweiften, führte Clancy sie in die Küche, da es mittlerweile relativ sicher schien, dass nicht doch noch ein Topf durch die Gegend flog. Als er Layla sah, wirkte sie nicht mehr wütend sondern eher nachdenklich.

Gemeinsam deckten sie schweigend den Tisch und frühstückten ebenso still. Doch wenigstens war die Luft nicht zum Schneiden dick, sondern hing jeder seinen eigenen Gedanken nach.

Die nachdenkliche Stimmung dauerte noch die ganze, kurze Autofahrt an und eh Constantin sich versah, hielten sie vor dem Haus seiner Tante. Mit dem Unterschied, dass Laylas Fahrrad noch dort an den Zaun gelehnt stand, wirkte alles wie immer. Der gepflegte Garten, der Kiesweg, selbst das niedrige Gartentürchen. Dennoch kam ihm alles so fern vor, wie noch nie zuvor. Als habe nur er sich entwickelt und der Rest der Welt sei stehen geblieben.

Schweigend stiegen sie aus und machten sich auf den Weg zur Haustür. Clancy führte ihre kleine Gruppe an, danach folgte Constantin und den Schluss bildeten Layla und Phobos. Mit jedem Schritt, den sie machten, sank Constantins Herz ein Stückchen tiefer, aber irgendwann musste all das geklärt werden.

Als Clancy die Haustür erreichte, drehte er sich noch ein letztes Mal mit einem fragenden Gesichtsausdruck zu Constantin um. Dieser brachte eine Mischung aus Schulterzucken und Nicken zustande, was so viel bedeuten sollte, wie: „Jetzt oder später, das kommt auf’s Gleiche bei raus.“ Scheinbar fasste Clancy diese leicht unkoordinierte Bewegung ebenfalls so auf und klingelte.

Sie warteten einige Minuten, bis sie schließlich Schritte von drinnen vernahmen und seine Tante vor ihnen erschien. Wie üblich in einen weiten Rock und einem Rollkragenpullover und einer großen Steinkette um den Hals gekleidet. Ihr vertrauter Anblick wirkte auf Constantin sowohl verstörend als auch beruhigend.

„Nanu? Ein Wächter?“, begrüßte Sybille sie und blickte ein wenig verwundert drein.
 

Constantin hatte viel erwartet, aber nicht das.

Clancy schein es nicht anders zu ergehen, denn das, was Constantin von seinem Gesicht sehen konnte, spiegelte pure Überraschung wieder. Ein Blick über seine Schulter zu Layla und Phobos versicherte ihm, dass es ihnen nicht anders erging.

Jedoch fing Clancy sich als erster wieder und begrüßte Sybille.

„Nicht mehr, aber ich war einmal ein Wächter“, entgegnete er freundlich.

„Und ich denke, ich ahne, worauf das alles hier hinausläuft“, fügte sie mit einem wissenden Blick auf Constantin hinzu. „Vielleicht sollten wir das aber nicht zwischen Tür und Angel besprechen. Kommen Sie doch bitte herein.“

Dankend nahm Clancy an und sie folgten Sybille in den Wintergarten. Nachdem alle Platz genommen und ein Getränk vor sich hatten, begann Clancy: „Zuerst einmal sollten wir vielleicht klären, was sie schon wissen und was wir noch zu ergänzen haben.“

„Ich weiß vom Aufbau der Welt und der Aufgabe der Wächter“, antwortete sie ruhig. „Und den Söldnern.“

„Wissen Sie über Runen Bescheid?“, wollte er noch wissen.

„Nur dass sie unter den Menschen ihre Besitzer suchen. Und ich nehme an, genau das ist mit meinem Neffen und Layla passiert, oder?“, erkundigte sie sich. „Deswegen sind sie hier?“

„Ja“, bestätigte er, „aber nicht nur.“

„Wir würden Ihnen gerne noch erklären, was in den letzten Tagen geschehen ist“, fügte Phobos hinzu und Sybille sah ihn leicht überrascht an, nahm aber ansonsten die Tatsache, dass sie gerade mit einem Kater redete, sehr gelassen auf.

Schön, meine Tante ist von der hartgesottenen Sorte. Gut zu wissen.

Mit einer Handbewegung bedeutete sie den Beiden fortzufahren und Phobos begann zu erzählen. Wie er Layla in den Wald geführt hatte, sie dort in der Hütte auf Constantin trafen und schließlich die Runen fanden. Den folgenden Tag ergänzte er mit Laylas und Constantins Hilfe. Als sie bei dem Kampf ankamen, sog Sybille kurz scharf Luft ein, doch unterbrach sie der Erzählung kein einziges Mal.

Nachdem Phobos geendet hatte, schwieg sie eine ganze Weile.

„Und Sie wollen Constantin jetzt unterrichten?“, wollte sie schließlich wissen.

„Vorausgesetzt sie stimmen dem zu, ja, dann würde ich ihn gerne zusammen mit meiner Tochter unterrichten“, bestätigte Clancy nickend.

Wieder schwieg Sybille eine Weile, stieß schließlich ein harsches Lachen aus und rieb sich die Augen.

„Ich habe ja vermutet, dass Constantin Gaben entwickeln würde, aber nicht dass er gleich in den Besitz einer Rune gelangt…“, meinte sie kopfschüttelnd.

„Moment mal“, schaltete sich nun Constantin ein. „Wie: du hast es erwartet?“

„Ich hatte schon immer die Gabe des Dritten Auges und ein Ereignis in der Vergangenheit ließ mich vermuten, dass dein Vater nicht so gabenlos ist, wie er alle Leute glauben machen will“, sagte sei schon fast zynisch und sah Constantin ernst an.

„Wie meinst du das?“ Mir schwant Übles…

„Dein Vater ist ein Telepath. Und wenn du sogar im Besitz einer Rune bist, muss er sogar noch stärker sein, als ich bislang geglaubt habe…“

„Ein Telepath? Wie in ‚Gedanken-anderer-Menschen-hören-können-Telepath?“, fragte er ungläubig.

„Genau. Es gibt durchaus Gründe, weshalb er geschäftlich so erfolgreich ist.“ Ohne diese Aussage weiter auszuführen ließ Sybille sie wortlos im Raum stehen. Doch eine Erklärung war nicht nötig; jeder konnte sich denken, was sie andeutete.

Constantin musste diese Information erst einmal verdauen und unruhiges Schweigen breitete sich im Raum aus.

„Wirst du es ihm sagen?“, fragte er schließlich.

„Es wäre schon verlockend, sein Gesicht zu sehen, wenn er es erfährt“, meinte Sybille und ihr Gesicht nahm einen verträumten Ausdruck an. Nach einigen Augenblicken schien sie sich jedoch wieder zu fangen und fügte nüchtern hinzu: „Aber nein, wenn du es nicht willst, werde ich ihm nichts sagen.“

Dankbar nickte Constantin. „Darf ich dich noch etwas fragen, Tante Sybille?“

„Natürlich“, entgegnete sie und ihre Augen nahmen einen traurigen Ausdruck an, obwohl sie lächelte, sodass Constantin fast bereute gefragt zu haben. „Du willst wissen, woher ich von all dem weiß, oder?“

„Ja“, brachte er nur heraus, da sein Hals sich unerwarteter Weise zugeschnürt hatte.

„Ich hatte schon immer die Gabe des Sehens und dachte anfangs ich sei verrückt, wenn Träume plötzlich wahr wurden. Und die Hänseleien deines Vaters machten es auch nicht besser, glaub mir. Heute bin ich mir ziemlich sicher, dass er das nur tut, um von sich selbst abzulenken. Doch damals dachte ich nur, ich sei, nun ja, ihr würdet sagen ein ‚Freak‘. Die Menschen grenzten mich schneller aus je mehr ich mit meinen Aussagen ins Schwarze traf. Einzig und allein unsere Eltern hielten zu mir. Aber nach ihrem Tod entfernten Cornelius und ich uns immer weiter von einander, sodass uns schließlich Welten trennten.

Kein Wunder. Jeder normale Mensch sollte von seiner Arschlochwelt getrennt sein.

Die Tatsache, dass ich deine Patin bin, Constantin, kann ich manchmal selber nicht ganz nachvollziehen. Als Cornelius mich hat eintragen lassen, lebten unsere Eltern noch und ich dachte er wollte sie einfach nur ruhig stellen. Heute, vor allem in Anbetracht auf die neuen Gegebenheiten, bin ich mir da nicht mehr so sicher. Vielleicht hat Cornelius etwas geahnt. Aber vielleicht versuche ich auch nur etwas in die Handlugen meines Bruders hineinzulesen, das ihn in ein besseres Licht rückt“, meinte Sybille und schenkte Constantin ein leicht gequältes Lächeln.

„Wie dem auch sei, nach dem Tod unserer Eltern war ich lange Zeit allein. Bis ich schließlich auf Benedict traf.“ Bei diesem Namen leuchtete ihr Gesicht kurz auf. „Er verstand mich wie sonst niemand. Wir waren lange zusammen und wollten schließlich heiraten. Aber das Schicksal meinte es nicht so gut mit uns.“

Langsam glitt ihr Blick in die Ferne um die Vergangenheit erneut zu erleben.

„Wir haben oft Spaziergänge im Wald gemacht, so auch an diesem Tag. Völlig unerwartet stand plötzlich ein Formor vor uns und wir flohen Hals über Kopf in den Wald. Wir hofften uns in einer kleinen Hütte, die wir von früheren Besuchen in diesem Wald kannten, verbarrikadieren zu können, doch alles Mühen half nichts . Zu dem Formor hatten sich weitere gesellt und wir waren umzingelt. Ich höre noch heute, wie sie gegen die Tür schlugen und sie polternd zusammenbrach. Benedict versuchte mich zu schützen, doch er wurde verletzt und sank vor meinen Augen zu Boden“, erzählte sie tapfer und schluckte.

„Ich dachte schon, dass unser letztes Stündlein geschlagen hatte, da trat ein Wächter auf den Plan und tötete die Formori. Er versuchte verzweifelt uns zu helfen, doch Benedict erlag noch in der Hütte seinen schweren Verletzungen.

Ich mache dem Mann keine Vorwürfe; er hat getan, was in seiner Macht stand. Nur leider hat es nicht gereicht“, meinte sei und ihre Augen nahmen wieder diesen traurigen Ausdruck an, ihre Stimme geriet ins Stocken. Wie um Halt suchend, griff sie nach ihrer Teetasse und legte beide Hände darum.

„Nach Benedicts Beisetzung besuchte mich der Wächter noch einmal. Er hatte Mitleid und sagte zu mir, ich habe zumindest das Recht zu erfahren, was meinen Geliebten getötet hatte. Bei dieser Gelegenheit erklärte er mir alles. Und wenn ich sage ‚alles‘, meine ich ‚alles‘.

Ich bin ihm bis heute sehr dankbar, doch leider brach vor ungefähr zehn Jahren der Kontakt abrupt ab. Ich frage mich, wie es ihm geht…“

„Vielleicht können wir helfen“, meinte Clancy mitfühlend. „Wie heißt der Wächter?“

„Friedrich von der Blutbuche“, antwortete sie und trank von ihrem Tee.

Mit ein Mal wurde es sehr still im Wintergarten. Phobos und Clancy hatten einen raschen Blickaustausch, doch Sybille und Layla sahen so ratlos aus, wie Constantin sich fühlte.

„Es tut mir leid, dass wir Ihnen diese Information gerade unter diesen Umständen mitteilen müssen“, setzte Clancy an und holte tief Luft, „aber Friedrich und seine Frau wurden vor zehn Jahren von Formori getötet.“

Sybille wurde noch blasser als sie ohnehin schon war, doch schaffte es noch zu sagen: „Es tut mir sehr leid, das zu hören, aber was ist mit seiner Tochter. Bitte sagen Sie mir, dass wenigstens sie überlebt hat!“

„Ja, sie lebt, ist gesund und den Söldnern beigetreten“, entgegnete Clancy ruhig.

„Nehmen Sie es bitte nicht persönlich, aber nach allem was ich in letzter Zeit so gehört habe, wird das wohl die bessere Entscheidung gewesen sein“, meinte sie und zuckte entschuldigend mit den Schultern. Clancy jedoch lächelte sie an, was sie zu irritieren schien.

„Ich gehöre nicht zu den Wächtern“, erklärte er auf ihren fragenden Blick hin.

„Oh, Entschuldigung“, sagte Sybille und ihre hellen Wangen nahmen schnell wieder Farbe an, „ich dachte nur wegen des Ringes…“

„Nicht doch!“, entgegnete Clancy schnell. „ Ich hätte mich deutlicher ausdrücken sollen. Ich bin nicht mehr bei den Wächtern. Nach dem Tod meiner Frau bin ich ausgestiegen, um unsere Tochter großzuziehen.“

Was für ein Eiertanz…

Ein Blick auf Layla, deren Wangen ebenfalls leicht gerötet waren, bestätigte ihr, dass sie etwas Ähnliches dachte. Ihre hochgezogene Braue bestätigte seinen Verdacht nur noch und er musste schnell wegsehen, um sein kaum unterdrücktes Grinsen zu verbergen. Erst nachdem er sich sicher war, wieder einen komplett neutralen Gesichtsausdruck aufgelegt zu haben, blickte er wieder in die Runde.

„Ich unterbreche ja nur ungern, aber was zum Henker sind die ‚Söldner‘?“, wollte Layla wissen, nachdem auch sie sich wieder gefangen hatte.

„Layla, du sollst doch nicht fluchen. Das hat Papatier Clancy gar nicht gern“, meinte Phobos und sah sie gespielt rührselig an, woraufhin er einen Blick von Clancy erntete, der in jedem anderen, den Wunsch geäußert hätte, sofort zu Staub zu zerfallen. Phobos jedoch grinste nur.

„Wenn ihr euren Kleinkrieg beendet habt, kann mir dann bitte jemand auf meine Frage antworten?“, warf Layla trocken ein, was Sybille und Constantin zum Grinsen brachte.

Phobos zuckte nur kurz mit den Schultern und Clancys Augen verengten sich nur noch ein letztes Mal.

„Ja. Erinnert ihr euch noch daran, was wir euch über den Kampf mit der Nebelhexe gesagt haben?“, fragte Phobos und nachdem sie nickten fuhr er fort, „Schon vor dem Kampf hatten sich zwei Strömungen innerhalb der Wächter herausgebildet und nach dem Kampf kam es zu einer Spaltung.

Die eine Seite beharrte darauf, dass eine Offenbarung nur Nachteile mit sich ziehen würde und nun da die Formori sich wieder freier bewegen konnten, der Verschluss zur Außenwelt hin mehr als nur gewährleistet sein müsse.

Die andere Seite wiederum meinte, dass es grade deswegen zur Offenbarung kommen müsse. Man argumentierte, dass es zu energieaufwändig wäre eine Lüge aufrecht zu erhalten und gleichzeitig die Formori effizient zu jagen. Jedoch waren dies weniger Leute, wie ihr vielleicht vermutet, denn der Großteil der Menschen fühlte sich in altbekannten Mustern wohl und hielt es für ungünstig seine Gewohnheiten aufzugeben, wenn sie immer funktioniert hatten.

Die wenigen, die für die Offenbarung waren, kapselten sich schließlich vom Rest ab und bildeten ihre eigene Organisation. Sie boten, wie auch die Wächter, allen die sie wollten, ihre Hilfe an. Jedoch gegen einen Obolus, denn da sie nicht mehr bei den Wächtern waren hatten sie anfangs natürlich keine finanzielle Rücklage. Nahrung lässt sich zwar in der Natur finden, aber Rüstungen und Waffen müssen gewartet werden und das kostet nun mal Geld, wenn man nicht selber in der Lage ist zu schmieden.

Allerdings waren die ehemaligen Wächter mit ihrer Vorgehensweise nicht allein. Das Bedürfnis nach Schutz war groß und überall schossen Söldner wie Pilze aus dem Boden. Jedoch waren viele nicht für diese Art von Arbeit Qualifiziert und nach einer Weile stellte sich ein neues Gleichgewicht ein, sodass es die Wächter gab und die Söldner, die sich mit der abgekapselten Wächtergruppe und deren Nachfahren zusammentaten, um eine neue und effizientere Gemeinschaft zu gründen, die von den Wächtern verächtlich die ‚Söldner‘ in Bezug auf ihre Vergangenheit genannt wurde.

Die Söldner haben sich als eine der wenigen Schutz bietenden Gruppen bis heute gehalten und stellen die zweitgrößte magische Gemeinschaft nach den Wächtern da. Ihr Prinzip ist es bis heute geblieben die nichtmagischen Opfer von Formori Angriffen aufzuklären, während die Wächter es vorziehen ihre Erinnerungen zu löschen oder zu versiegen. Sie arbeiten sozusagen ganz langsam auf die Offenbarung zu, und die Wächter erlauben nur denen ihre Erinnerungen zu behalten, die gewisse Gaben, wie zum Beispiel Sybille hier haben“, meinte Phobos und grinste Constantins Tante an. „Dass sie Clancy damals nicht erwischt haben, als er sich weigerte Angelikas Erinnerung zu löschen, war pures Glück. Wenn sie damals nicht so schnell die Schutzzauber beherrscht hätte, hätte dich das Kopf und Kragen kosten können“, fügte Phobos hinzu und seine Augen verengten sich. „Damals waren die Tendenzen zur Offenbarung hin bei den Wächtern noch nicht so stark wie heute. Nicht, dass ich dagegen bin, aber was hast du dir nur dabei gedacht?“

Clancy seufzte. „Nichts? Vielleicht haben in dem Moment andere Körperregionen das Denken übernommen und mein Hirn nach hinten gedrängt. Man weiß es nicht. Aber ich mach’s nicht wieder, Papa. Naja, höchstwahrscheinlich doch“, meinte er grinsend und zuckte mit den Schultern.

„Na, das wollte ich hören, Junge“, grinste Phobos zurück.

„Papa? Junge?“, fragte Sybille und schaute immer wieder ungläubig und verwirrt zwischen Phobos und Clancy hin und her; gelegentlich schloss sie auch Layla in die Runde ein. „Ich hoffe, dass das nur Ironie ist, sonst wird mein ganzes biologisches Evolutionsverständnis mehr als nur auf die Probe gestellt.“

„Junge, wir waren mal wieder unhöflich und haben uns nicht ganz vorgestellt“, meinte Phobos und sah Clancy ein wenig tadelnd an.

„Wir bitten um Verzeihung uns nicht vorgestellt zu haben. Mein pelziger Freund dort ist Phobos und mein Name ist Clancy McCambridge“, stellte er sie höflich vor und Sybilles Augen weiteten sich.

„Phobos und Clancy McCambridge? Der Phobos und der Clancy McCambridge? Wie in Phobos the Cait Sith? Und Generlleutnant McCambridge?“, fragte sie mit hochgezogenen Augenbrauen.

Celebrity Death Match. Warum weiß hier eigentlich jeder außer mir Bescheid worum es geht? Okay, Layla ausgenommen, die sieht auch gerade ein bisschen baff aus.

“Demnach war dein Nachwuchs auch unhöflich und hat seinen Nachnamen nicht genannt“, meinte Phobos trocken. „Schlechte Erziehung, nenn ich das. Sowas gäb’s bei mir nicht.“

„Bekomm erst mal Kinder, dann reden wir weiter, Pelzball“, entgegnete Clancy.

Noch während Sybille sich dem Geplänkel der anderen beiden anschloss, schob Constantin seinen Stuhl näher an Laylas.

„Und?“, flüsterte er während er sich zu ihr herüber lehnte.

„Phobos hat mir eben in der Küche einige Dinge erklärt und ich tendiere gerade immer mehr dazu mich von meinem Vater unterrichten zu lassen. Und du?“, flüsterte sie zurück.

„Ich auch“, nickte er, „Ich bin mir zwar noch immer nicht sicher, was ich glauben kann und was nicht, aber die drei scheinen das Beste zu sein, was wir als Informationsquelle bekommen können. Außerdem mag ich deinen Kater, auch wenn er ein bisschen creepy ist.“

„Das haben sprechende große Katzen so an sich“, grinste sie zurück. „Und irgendwie weigere ich mich überhaupt daran zu denken, dass mein Vater zu der evil Seite of Doom gehört. Das passt einfach nicht.“

„Denke ich auch. Aber ich frage meine Tante noch einmal in Ruhe. Auch wenn ich nicht weiß inwiefern ihr Wahrheitsverständnis gerade funktionstüchtig ist; sie scheint die beiden zu mögen“, meinte er mit hochgezogenen Augenbrauen, als er Sybille beobachtete, die über eine trockene Erwiderung Phobos‘ lachte. „Wenn ich aber was Ungewöhnliches herausfinde, was ich aber nicht glaube, geb ich dir Bescheid.“

Sie tauschten ihre Handy- und Telefonnummern aus, nur um dann darauf zu warten, bis die anderen drei ebenfalls bereit waren sich zu verabschieden.
 

Draußen auf dem Hof verlud Clancy ohne Mühe Laylas Fahrrad in den großen Kombi und versprach die Tage noch regelmäßig vorbei zu kommen, um nach Constantins Schulter zu sehen.

Während Constantin und Sybille noch Seite an Seite dem dunkelroten Ford nach winkten, fragte Constantin: „Warum weiß jeder, wer Phobos und Laylas Vater sind, außer ihr und mir?“

„Nach Benedicts Tod habe ich immer versucht auf dem Laufenden zu bleiben, was die Mystikwelt betraf“, seufzte sie, „aber ich kann dir auch nur sagen, was ich gehört habe, mehr nicht.“

„Das ist besser als nichts“, entgegnete Constantin.

„Soweit ich weiß, war der Halbfey Phobos Shadowstalker eine treibende Kraft im Niedergang der Nebelhexe. Als er allerdings im Kampf gegen sie verflucht wurde, hat er mit der Zeit den spöttischen Beinamen ‚the Cait Sith‘ bekommen, als Anspielung auf seine Ähnlichkeit mit diesen. Soweit ich weiß, benutzen heute nach fast dreihundert Jahren nur noch ganz wenige seinen richtigen Namen. Ich kannte ihn lange Zeit auch nur unter dem Namen ‚Phobos the Cait Sith‘“, erklärte sie und bedeutete Constantin ihr ins Haus zu folgen.

Phobos Shadowstalker klingt verdammt episch… Naja, besser als ‚von der Blutbuche‘… Denken sich Wächter nur Scheißnamen aus?

„Ich hätte niemals erwartet ihn persönlich kennen zu lernen. Er ist sowas wie eine lebende Legende. Phobos hat schlichtweg Geschichte geschrieben und ich verstehe nicht, warum ihm einige Wächter Verachtung entgegenbringen.

Vielleicht hat Clancy ihn deswegen nur mit seinem Vornamen vorgestellt?

„Und was ist mit Laylas Vater?“, wollte er wissen.

„Generalleutnant McCambridge…“, meinte sie versonnen. „Soweit ich gehört habe, war er einer der besten Wächter dieses Jahrhunderts. Er ist in einem rasenden Tempo die Rangleiter empor geklettert und war bekannt dafür immer einen kühlen Kopf zu bewahren, in jedem Fall effizient zu handeln. Er war wohl auch kurz davor in den Bewahrerstand erhoben zu werden. So wie Friedrich ihn beschrieben hat, klang er eiskalt und nur auf das Ziel bedacht seine Aufgabe zu erfüllen. Ich hätte nie erwartet, dass er eine solch ruhige und freundliche Persönlichkeit ist!“

„Ja“, stimmte Constantin ihr zu. „In Gesprächen mit Phobos und ihm gestern haben sie sowas angedeutet. Also, dass er nicht immer so war.“

„Als ich das letzte Mal mit Friedrich geredet habe, meinte er noch, dass der Generalleutnant die Wächter verlassen wolle, und Phobos the Cait Sith fest entschlossen sei, mit ihm zu gehen. Mir war bis dato gar nicht bewusst, dass die beiden sich kannten geschweige denn Partner waren. Danach habe ich auch immer weniger von den Beiden gehört. Muss ein ganz schöner Schlag für die Wächter gewesen sein, als sie sie verlassen haben“, fügte sie schulterzuckend hinzu.

Schweigend räumten sie den Wintergarten auf.

„Das mit Benedict tut mir leid“, meinte Constantin nach einer Weile.

Sybille lächelte ihn ein wenig traurig an. „Danke, Constantin.“
 

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Ich weiß, dass diese wir-verstecken-uns-in-einer-Hütte-Szene verdächtig nach dem Klingt, was Layla und Constantin passiert ist, aber mir wollte zu dem Zeitpunkt nichts besseres einfallen und ich stand ein bisschen unter Zeitdruck. Mir gefällt auch nicht so ganz, dass Clancys und Sybilles Lebensgeschichten direkt nacheinander kommen, aber ich sehe leider keine andere Möglichkeit, das anderweitig in den Plot noch einzufügen...

Ich lade jetzt auch immer alle paar Tage die kommenden Kapitel hoch bis zu dem Punkt, an dem ich gerade bin.

Magst du Schokolade?

Nach den aktionsgeladenen letzten Tagen, während deren sie in den Besitz der Runen gelangt waren, stellte sich nun eine Ruhephase ein, da sowohl Constantin als auch Layla noch ihre Wunden ausheilen mussten. Zwar heilte Constantin ungleich schneller als Layla, doch würde er Clancys Schätzungen nach noch mindestens bis Anfang der folgenden Woche benötigen um vollständig zu genesen. Obwohl Laylas Schnitt wesentlich kleiner und unspektakulärer war, benötigte sie ebenso lange.

Auf ihre Frage hin, ob dies daran liege, das sie keine Essenz habe, Constantin aber schon eine besitze, hatte Phobos gemeint: „Teils, teils. Zum Einen ja, aber zum Anderen glauben Clancy und ich, dass Constantin Heilkräfte entwickeln könnte. Seine schnelle Genesung könnte ein Hinweis darauf sein.“

Bei jedem Besuch, den Clancy Constantin abstattete, war Layla zugegen und sie verbrachten die Tage endlich mal mit normalen Tätigkeiten wie gemeinsam Filme ansehen und sich über ihren sinnlosen Inhalt lustig zu machen, oder sich einfach nur unterhalten. Bei einer dieser Gelegenheiten einigten sie sich darauf sich von Clancy und Phobos unterrichten zu lassen; die neuen Informationen und die Empfehlung, die Constantin seiner Tante entlocken konnte, waren zwei der ausschlaggebenden Faktoren für ihre Entscheidung. Layla lächelte leicht bei der Erinnerung der offenkundigen Freude ihres Vaters über diese Nachricht.

Eigentlich wollte Layla allgemeine Informationen über die Formori im Internet zusammensuchen, doch war sie durch Wikipediahopping auf der Seite Duncan MacDougalls gelandet und las in diesem Moment einen Artikel über seine Ansicht, dass eine Seele einundzwanzig Gramm wiegen würde.
 

1906 wog MacDougall sechs sterbende Patienten als Versuch einer Psychostasie. Er wollte beweisen, dass die Seele materiell und messbar sei – die Gewichtsdifferenz zwischen lebendigen und toten Patienten betrug nach seinen Angaben durchschnittlich 21 Gramm (zwischen 8 und 35 g). Im März 1907 erschien ein Bericht über diese Untersuchung in der New York Times sowie zwei Berichte im selben Jahr in der medizinischen Zeitschrift American Medicine.

Nach MacDougalls Vorgehen und seinen Ergebnissen wurde 2003 der Film 21 Gramm benannt.

MacDougall vergiftete weiterhin fünfzehn Hunde und stellte während deren Sterben keine Gewichtsabnahme fest, woraus er folgerte, dass Hunde keine Seele besäßen. Später versuchte er, die menschliche Seele auch als „Schattenbild“ auf Röntgenbildern zu erkennen.
 

Gut zu wissen, dass Hunde keine Seele haben, ich fühle mich in meiner Antipathie ihnen gegenüber bestätigt. Aber interessant… vielleicht sehe ich mir mal den Film an.

Noch während sie im Internet illegaler Weise nach dem Film suchen wollte, hörte sie ihren Namen aus Richtung ihrer Zimmertür. Als sie sich umwandte, stand dort Phobos im Türrahmen.

„Ich würde ja klopfen, aber es gibt da dieses Pfotenproblem, du verstehst?“, meinte er grinsend und schulterzuckend zugleich. „Telefon für dich. Constantin.“

„Hat er gesagt, was er will?“, fragte Layla sich aus ihrem Stuhl erhebend.

„War ich am Telefon?“, entgegnete der Kater mit hochgezogener Braue.

Auch wieder wahr… irgendwie muss ich mich auch noch daran gewöhnen, dass er ein Mann Körper eines Katers ist.

„Ja, gut. Ich komme sofort“, sagte sie und der Kater verschwand nickend aus ihrem Zimmer. Schnell folgte sie ihm und ging die Treppe hinunter zur Telefonstation.

„Layla McCambridge“, sagte sie in die Sprechmuschel.

„Hey, ich bin’s“, ertönte Constantins Stimme am anderen Ende.

„Hey. Was gibt’s?“

„Patrick feiert am Freitag seinen Geburtstag. Willst du mit? So deinen potentiellen Jahrgang kennen lernen?“, fragte er.

„Du willst nur nicht alleine hin und damit angeben, das neue Mädchen mitgebracht zu haben“, grinste sie in den Hörer.

„Mist. Erwischt“, lachte er. „Und? Kommst du mit, oder nicht?“

„Ja, okay. Auch wenn ich nicht weiß, wie, wo, wann“, antwortete sie.

„Ich komme einfach gegen halb neun vorbei und sammel dich ein. Ist ja sinnlos, wenn wie getrennt fahren“, entgegnete er.

So klingt das fast wie ein Date.

Bei dem noch an die hundert andere Leute sind.

Wahrscheinlich laut.

Und betrunken.

„Okay, dann bis Freitag.“
 

Am späten Freitagnachmittag lag Phobos zusammengerollt auf einem Sessel im Wohnzimmer und beobachtete, wie Layla mit einer Wanne frisch gewaschener Wäsche vorbeigehechtet kam und wortlos nach oben spurtete. Clancy blickte von seinem Buch auf und sah ihr ein wenig irritiert nach.

„Freiwillig Wäsche? Was hat sie heute nur?“

Leise grinste Phobos in sich hinein.

„Ein Date“, bemühte er sich möglichst nüchtern zu sagen.

„WAS? MIT WEM?“, rief Clancy aus und war drauf und dran aus seinem Sessel aufzuspringen und ihr hinterher zu laufen. Erst als Phobos seine Belustigung nicht mehr um Zaum halten konnte und laut loslachte, stoppte Clancy mitten in der Bewegung.

„Reg dich ab. Sie geht nur mit Constantin auf einen Geburtstag“, meinte er grinsend.

Clancy beruhigte sich soweit, dass er sich wieder hinsetzte, aber sein Kiefer war noch immer angespannt und Phobos wusste, dass das Vatertier in ihm noch immer nicht befriedigt war.

„Sag bloß du hast was gegen Constantin?“, triezte Phobos.

„Nein…“

„Oh, doch, du elendes Vatertier!“, schnaubte der Kater grinsend und Clancy seufzte.

„Nein. Ich habe nichts gegen den Jungen. So an sich. Er ist nett. Aber…“, begann Phobos‘ bester Freund.

„Aber nicht so in Verbindung mit Layla, weil du nicht damit klar kommst, dass deine Tochter älter wird.“

„Ja. Verdammt“, fluchte er und Frustrationsfalten bildeten sich auf seiner Stirn.

„Vielleicht solltest du diese Komplexe mal untersuchenlassen“, entgegnete Phobos feixend, woraufhin Clancy einen seiner grummelnden Laute von sich gab und schoss dem Kater einen bösen Blick zu.

In den folgenden Stunden war Clancy aufgestanden und hatte begonnen im Wohnzimmer auf und ab zu gehen, was weiter zu Phobos‘ Belustigung beitrug.

Aber eigentlich habe ich gar kein Recht dazu mich über ihn lustig zu machen… Ich habe schließlich keine Ahnung, wie ich in dieser Situation reagieren würde. Wahrscheinlich werde ich auch nicht mehr in den Genuss kommen.

Seine Laune sank schlagartig als er daran dachte, wie lange er schon in dieser Gestalt festsaß und dass die Wahrscheinlichkeit von diesem Fluch erlöst zu werden mit jedem verstreichenden Tag geringer wurde.

Bevor Phobos Clancy kennen gelernt hatte, waren seine Möglichkeiten nach einem Gegenmittel zu suchen sehr eingeschränkt gewesen. Selbst über all diese Zeit hatten, die Wächter ihre Vorurteile ihm gegenüber nicht abgelegt, obwohl er seiner Meinung nach alles getan hatte, um sie von seiner Loyalität zu überzeugen. Als ob damals alles seine Schuld gewesen wäre!

Nach einem holprigen Start freundete er sich schließlich mit Clancy an und sie wurden Partner. Von den Wächtern war Clancy einer der wenigen, der Phobos als das nahm, was er war und die Person hinter der pelzigen Fassade sah. Über die Jahre wurden sie zu Freunden und als sich Clancy entschied, den Wächtern den Rücken zu kehren, hielt auch Phobos nichts mehr bei ihnen und er folgte ihm ins Exil.

Clancy hatte zwar das theoretische Wissen den Fluch aufzuheben, aber ihm fehlte die passende Essenz dazu, ganz zu schweigen von der Kompatibilität mit ihr, dennoch erklärte er sich bereit mit Phobos nach diese Essenz zu suchen. Als sie getötet wurde, mussten ihre Essenzen entweder in alle Winde verstreut oder gar ganz mit ihr vernichtet worden sein.

Über die Jahre hinweg hatte Phobos fast aufgegeben die Essenz je zu finden und war schon davon überzeugt, dass die Essenz vernichtet worden sei, doch der Anblick von Laylas Rune ließ ihn neue Hoffnung schöpfen…

Er war so in seine Gedanken versunken, dass er das Klingeln an der Haustür erst realisierte, nachdem Clancy aufgestanden war um die Tür zu öffnen. Schnell sprang Phobos aus seinem Sessel, um ihn in den Flur zu folgen.

Etwa zur gleichen Zeit, als Clancy die Tür öffnete, erschein Layla auf dem Treppenabsatz. Sie trug eine schwarz-grüne Bluse, die die Farbe ihrer Augen hervorhob, deren Ärmel aber jedoch nicht den langen Schnitt an ihrem linken Unterarm verbergen konnten, einen knielangen, schwarzen Rock und dazu, wie es junge Frauen in diesem Jahrhundert gerne taten, Stiefel. In einer Hand hielt sie noch eine dunkle Stoffjacke und in der anderen eine Geschenktüte. Ihre roten Locken hatte sie nur mit wenigen Haarnadeln aus dem Gesicht gesteckt, sodass sie noch immer ihre Schultern großzügig umspielten und ihren Rücken hinab fielen. Alles in allem sah sie durch das wenige Make-up sehr hübsch aus und dennoch züchtig genug, um Clancy keinen Herzschlag zu verpassen.

Etwas Ähnliches schien auch Constantin zu denken, denn sein Lächeln war für Phobos jahrhundertelang geschultes Verständnis etwas zu breit, um nur Wiedersehensfreude auszudrücken. Er war noch mitten in der Begrüßung als Layla sie erreichte.

„Wie lange bleibt ihr denn in etwa weg?“, wollte Clancy in höchst neutralem Ton wissen und Phobos grinste.

„So lange wie es dauert?“, schlug Layla fragend vor und erntete eine hochgezogene Braue Constantins.

„Wenn Layla um eine bestimmte Zeit zurück sein soll“, fügte Constantin schnell hinzu, „bringe ich sie pünktlich wieder her.“

Layla sah in fast pikiert an und er runzelte zur Antwort die Stirn.

Jetzt verstehen sie sich schon ohne Worte. Clancys persönlicher Albtraum tritt gerade ein. Phobos konnte nicht mehr an sich halten und ihm entfuhr unwillkürlich ein Kichern. Als alle Augen sich auf ihn richteten, hatte er sich zum Glück schon wieder soweit gefangen, dass er kaum mehr eine Miene verzog. Zumindest hoffte er das.

„Nein, schon gut“, meinte Clancy abwesend nickend, „die Zeit ist nicht so wichtig.“

Das fasste Layla als Zustimmung auf gehen zu dürfen und wandte sich ab. Als Constantin ihr folgen wollte, hielt Clancy ihn jedoch zurück.

„Warte, Constantin“, sagte er und sah im fest in die Augen, während er ihm seine Hände auf die Schultern legte, was der junge Mann perplex geschehen ließ. „Halte allen männlichen Einfluss von meiner Tochter fern.“

Layla war die kleine Treppe vor der Haustür hinabgestiegen und drehte sich nun schnell mit geröteten Wangen um. „Papa! Das ist…!“, begann sie aufgebracht und Clancy wandte nun seinen Blick ihr zu. „…peinlich!“, schloss sie entrüstet.

„Ähm… gut“, kam die wenig eloquente Antwort Constantins, was Clancys Aufmerksamkeit wieder auf ihn richtete.

Das ist ja fast wie Kino. Nicht, dass ich je in einem gewesen wäre… Das war vor meiner Zeit.

Die Empörung seiner Tochter ignorierend, wandte sich Clancy zufrieden nickend ab und machte sich auf den Rückweg ins Haus. Phobos nutzte die Gelegenheit, um leichtfüßig auf das Geländer zu springen und sich auf leisen Sohlen Constantin zu nähern, der der fluchenden Layla zum Auto folgen wollte.

„Constantin“, hielt Phobos ihn zurück.

Nachdem sich Constantin dem Kater noch immer leicht verwirrt dreinschauend zugewandt hatte, fuhr er fort.

„Männliche Einflüsse implizieren auch dich. Clancy hat scharfe Schwerter und weiß sie zu nutzen.“

Constantin erblasste ein wenig, nickte jedoch tapfer und folgte Layla steifen Schrittes.

Ungesehen grinsend wandte sich Phobos ab.

Man hat ja sonst keinen Spaß im Leben.

Und jetzt sollte ich Clancy davon abhalten Sybille anzurufen um sie über die Fahrkünste ihres Neffen auszufragen…
 

Layla stand mit noch immer heißen Wangen am Ende des Kiesweges, als sie knirschende Schritte hinter sich vernahm. Noch immer zu peinlich berührt von der vorangegangenen Situation, wagte sie sich kaum umzudrehen.

„Stimmt was nicht?“, hörte sie Constantin näher bei sich, als sie erwartet hatte.

Sie zuckte kurz zusammen und sah ihn schließlich doch an.

„Nur, dass mein Vater sich mal wieder peinlich benommen hat. Das tut mir leid“, erklärte sie mit einem gequälten Gesichtsausdruck.

„Das macht nichts“, meinte er und führte sie zu einem dunkelblauen VW Polo, der am Rande ihrer Auffahrt stand. „Ich denke, er macht sich nur Sorgen.“

Immer noch leicht beklemmt ging sie mit ihm mit.

„Ich weiß zwar nicht, wie sehr du deiner Mutter ähnelst, aber von dem, was er manchmal verlauten lässt, wenn du nicht dabei bist, denke ich, dass er viel von deiner Mutter in dir sieht.“

Überrascht sah sie zu ihm auf und sah in sein lächelndes Gesicht.

„Nimm’s ihm nicht übel, ich denke, er meint es nur gut.“

„Ich weiß, aber…“, begann sie und gestikulierte mit den Armen, um etwas darzustellen, das sie selber nicht in Worte fassen konnte.

„Durch gewisse neue Informationen kann er sehr überzeugend sein“, nickte Constantin.

„Ja, irgendwie schon“, gab sie lachend zu. „Tu mir nur einen Gefallen.“

Er zog die Braue hoch und bedeutete ihr mit einer Handbewegung weiterzusprechen.

„Wenn er dich je nach deiner Handynummer fragt, sag einfach nein!“, sagte sie bestimmt, was ihn zum Lachen brachte.

„Wenn ich das jetzt sage, laufe ich wahrscheinlich Gefahr einen elendigen Tod zu sterben, aber du siehst gut aus“, grinste er sie an und hielt ihr die Wagentür auf.

„Danke“, entgegnete sie verlegen und hoffte, dass er ihre höchstwahrscheinlich wieder roten Wangen für immer noch rot hielt. In der Hoffnung das alles zu überspielen stieg sie schnell in den Wagen ein und beobachtete wie Constantin vorne um den Wagen herumging.

Mit dem hellblauen Hemd und der Jeans sieht er selber gut aus. Aber sagt man sowas einem Jungen? Nee, oder? Gibt es nicht irgendwelche Männlichkeitsregen, die das verbieten? Tim hab ich sowas jedenfalls nie gesagt… okay, der sah auch nie gut aus.

Als Constantin die Fahrertür öffnete und in den Wagen stieg, riss sie das aus ihren Gedanken. Dennoch runzelte sie noch immer sie Stirn als er sich neben sie setzte.

„Was?“

„Ich frage mich gerade, ob es Männlichkeitsregeln gibt, die verbieten jemandem zu sagen, dass er gut aussieht“, antwortete sie und das Runzeln verließ ihre Stirn weiterhin nicht, aber Constantin lachte auf und steckte den Zündschlüssel in die zugehörige Öffnung .

„Vielleicht“, meinte er immer noch lachend. „Frauen kann man sowas sagen und anders rum geht das auch. Aber gegenseitig ist unmännlich.“

„So wie viel reden, oder wie?“, entgegnete Layla grinsend.

„Natürlich. Verdammt unmännlich. Deswegen begrüßen sich Männer auch nur mit Grunzlauten, wenn weibliche Wesen nicht anwesend sind“, bestätigte er vielsagend nickend.

„Gut zu wissen“, lachte sie.

Als Constantin versuchte sich anzuschnallen, zuckte er leicht zusammen, bevor er den Gurt schließlich mit der anderen Hand über die Schulter zog.

„Kannst du überhaupt fahren?“, fragte Layla besorgt.

„Ja“, antwortete Constantin, während er den Motor startete. „Nur das Anschnallen ist noch etwas komplizierter als ich es in Erinnerung hatte. Wenigstens konnte der Verband ab und jetzt klebt da nur noch eins von diesen großen, weißen, viereckigen Pflastern. Dein Vater meinte, morgen wollte er die Fäden ziehen.“

„So früh?“, wunderte sich Layla. „Wenn man bedenkt, dass das alles erst fünf Tage her ist und die Wunde groß war… Du echt heilst um einiges schneller als ich. Bei mir meinte er, er wollte damit noch ein paar Tage warten.“

„Meinte er nicht auch, er wollte mit dem Training beginnen, wenn die Fäden draußen sind?“, fragte Constantin und bog auf die Landstraße um in die Stadt zu gelangen.

„Ja, aber ich hab echt noch keine Ahnung, wie das aussehen soll. Wenn wir vollständig genesen sein sollen, wird es wohl auch physischer Art sein, oder?“, meinte Layla und runzelte die Stirn.

Während sie noch Vermutungen anstellten, wie wohl das Training aussehen könnte, erreichten sie den Ort und Constantin fuhr in ein Wohngebiet am Rande der Stadt. Sie bogen in mehrere Straßen und bald hatte Layla die Orientierung verloren. Als Constantin vor einem hellgelben Haus mit gepflastertem Weg hielt, wurde sie leicht unruhig. Sie wurde still um nicht die Leere mit sinnlosem Geplapper zu füllen.

„Sag mir nicht, dass du nervös bist“, meinte Constantin und zog einen Mundwinkel hoch.

Ja.

„Nein. Ich weiß nur nicht was ich sagen soll… ‚Hey, herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag! Ich bin übrigens Layla und stehe seit etwa ‘ner halben Woche auf dich. Magst du Schokolade?‘“, entgegnete sie.

„Ist doch schon mal ein Anfang“, meinte er grinsend und fing sich gleich darauf einen spielerischen Schlag von Layla ein.

„Halt mal bitte kurz“, sagte sie und hielt ihm die Geschenktüte hin, damit sie ungestört in die leichte Jacke schlüpfen konnte. „Kommt vielleicht ein bisschen komisch, wenn jeder gleich die riesige Naht sieht“, fügte sie zur Erklärung hinzu, als sie die Tüte wieder entgegennahm.

Als sie den kurzen Weg entlang schritten, wurde Layla immer nervöser.

Was mache ich hier eigentlich? Ich kenne hier doch niemanden! Außer Constantin, aber der zählt nicht.

Während Constantin klingelte, meinte er zu ihr: „Bleib ruhig. Die beißen dich schon nicht. Naja, vielleicht, wenn du danach fragst“, fügte er schulterzuckend hinzu.

Die Nervosität lies zwar nicht nach, aber sie fühlte sich trotzdem ein wenig besser. Jedoch kam sie nicht mehr dazu etwas Passendes zu erwidern, denn ein großer Junge mit grünen Haaren öffnete die Haustür und begann sofort zu grinsen als er Constantin erblickte. Sie begrüßten sich mit dieser männlichen Handschlag-Umarmung und Constantin gratulierte ihm.

„Ich hab dir ja gesagt, dass ich noch jemanden mitbringe. Das ist Layla McCambridge. Sie ist mit ihrem Vater ins Fuhrmann-Haus gezogen“, erklärte Constantin.

„Quasi seid ihr Nachbarn“, grinste der Junge und reichte ihr seine Hand. „Ich bin Patrick. Komm rein.“

Lächelnd schüttelte sie seine Hand und folgte der Einladung

Im Hausflur konnte sie ihren vermeidlichen Schwarm nun näher betrachten. Er war groß. Wirklich groß. Er überragte Constantin noch um einen halben Kopf und Layla schätzte ihn auf über 1,90 Meter, dennoch wirkte er nicht massig eher dünn. Seine grünen Haare standen in alle Richtungen ab und von dem Metall seiner Ohren wurde nur durch das Metall in seinem Gesicht abgelenkt. Zwischen seinen Augen glänzte ein Bridge-Piercing und seine Unterlippe zierten mindestens zwei Ringe. Die genaue Anzahl war Layla ein wenig schleierhaft.

„Noch sind nicht alle Leute da“, meinte Patrick als er sie durch den Flur in ein Wohnzimmer führte.

„Wer fehlt denn noch?“, frage Constantin.

„Nur die üblichen Verdächtigen“, antwortete er über seine Schulter zurückgrinsend.

Sie durchquerten auch das Wohnzimmer und traten durch eine Terrassentür in einen Garten, der von zahlreichen Leuten belagert wurde.

„Wollte dein vielgenannter Cousin nicht auch noch kommen?“, erkundigte sich Constantin.

„Jop. Und wenn man vom Teufel spricht…“

Aus der Menge kristallisierte sich ein Junge heraus, den Layla überraschenderweise kannte. Er hatte sich nicht viel verändert, war vielleicht großer geworden, seitdem sie ihn das letzte Mal gesehen hatte, doch Tim hatte immer noch braune Haare, braune Augen und trug zu weite Klamotten. Jedoch schien er mit seinen Gedanken woanders zu sein. Erst als er fast vor ihnen stand, stockte er und schien sie wahrzunehmen.

„Äh… Layla?“, fragte er und sah sie verwirrt an. „Was zum Geier machst du denn hier?“

„Hey, Tim! Ich freu mich auch dich wiederzusehen. Ja, danke mir geht es gut“, antwortete sie sarkastisch und konnte sich ihr Grinsen nicht verkneifen.

„Entschuldige“, meinte er und begrüßte sie verspätet mit einer Umarmung. „Warum hast du nicht gesagt, dass du hier her ziehst?“

„Weil du nicht gefragt hast?“, schlug sie vor.

„Wie ich sehe, kennt ihr euch schon“, meinte Patrick trocken. „Woher ist mir allerdings immer noch ein Rätsel. Vielleicht kann mir ja meine reizende Assistentin Connie weiterhelfen.“

Constantin zog nur eine Augenbraue hoch.

„Connie, woher kennt deine Freundin meinen Cousin?“, fragte er und hielt Constantin ein imaginäres Mikro unter die Nase.

Ohne eine Antwort abzuwarten, legte Tim Constantin mitfühlend die Hände auf die Schultern. „Du bist ihr neuer Freund? Du armer Kerl musst dich in so jungen Jahren schon mit Clancy herumschlagen. Mein Beileid. War schön dich gekannt zu haben.“

„Äh… Layla und ich sind nicht zusammen, falls du das meinst.“

„Oh…“, meinte Tim und sah Layla verwundert an, die seinen Blick nüchtern erwiderte.

„Ich bin immer noch Solo. Aber offiziell bin ich jetzt an Patrick interessiert, wenigstens vor Constantins Tante. Und als Zeichen meiner unsterblichen, natürlich nicht vorgetäuschten Liebe habe ich dir auch was mitgebracht“, meinte sie trocken und hielt Patrick die Geschenktüte hin.

Eine Weile standen die Jungs regungslos da, bis sie schließlich in Gelächter ausbrachen, und Layla ebenfalls breit grinsen musste.

„Ich war mir nicht sicher, was deine Präferenzen bei Alkohol sind und ob dieser dann auch noch den Abend überleben würde, also ist es nur Schokolade. Die mögen wenigstens fast alle“, sagte Layla schulterzuckend.

„Mensch hab ich ein Glück solch tiefe Gefühle von einem Mädchen entgegengebracht zu bekommen“, meinte er gespielt leidend schauend, „aber ich fürchte ich kann deine aufrichtigen Gefühle nicht erwidern. Ich kann ja schlecht die Exfreundin meines Cousins angraben, wenn auch gleichzeitig meine Assistentin Connie um deine Gunst wirbt. Pietätsgründe, du verstehst?“

„Ja, natürlich“, meinte Layla und nickte verstehend. „Ich werde versuchen darüber hinwegzukommen, auch wenn es schwer werden wird!“ Sie warf sich theatralisch einen Arm über das Gesicht und wandte sich gespielt beschämt ab. „Aber es war schön solange es gedauert hat.“

„Ungefähr zehn Minuten“, warf Constantin ein.

„Ach, Layla“, meinte Tim fürsorglich, „der eigentliche Grund warum er dir einen Korb gibt, ist ein ganz anderer.“

„Was? Wirklich?“

„Ja. Er würde nur nicht damit klarkommen, dass du ihn in Street Fighter abziehst“, meinte Tim nüchtern, woraufhin wieder alle lachten.

Layla fühlte fast zur gleichen Zeit ein Stechen im Nacken, als ob sie jemand mit bösen Absichten beobachten würde, doch als sie sich kurz unauffällig um drehte, sah sie nur kurz ein braunhaariges Mädchen in ihre Richtung blicken, das sich auch sogleich wieder abwandte. Layla hatte nicht wirklich Zeit sich weiter um das Mädchen zu kümmern, denn Patrick verwickelte sie in Fachsimpeleien über Street Fighter, denen sie ungern entkommen wollte. Nach einer Weile musste er sich jedoch entschuldigen, um noch weitere Nachzügler willkommen zu heißen.

„Er mag Street Fighter“, meinte Layla trocken und vernahm neben sich männliches Gelächter, während sie den Blick über die Menge schweifen ließ. Und an jemandem hängen blieb. Ein Junge stand ganz alleine an einen Baum gelehnt und schien sich nicht sonderlich an den anderen Menschen um sich herum zu interessieren.

Mögen ist leicht untertrieben“, entgegnete ihr Tim und Constantin stimmte ihm grinsend zu.

„Stimmt was nicht?“, fraget Constantin und versuchte ihrem Blick zu folgen.

„Der Junge da…“, begann sie und nickte mit dem Kopf in die Richtung des Jungen, der noch immer an seinem Baum lehnte. Alleine.

„Ach, das ist Thomas, Patricks bester Freund“, erklärte Constantin. „Wenn du später mit ihm reden solltest, mach dir nichts aus seiner möglichen Unfreundlichkeit. Das hat dann nichts mit dir zu tun, aber er mag keine Menschenmassen und wird dann immer ein bisschen grummelig.“

Nickend nahm sie diese Information entgegen.

„Das ist also meine andere Liebesoption?“, fragte Layla mit hochgezogener Braue.

Grinsend bestätigte Constantin dies und auf Tims fragenden Blick hin erklärten sie ihm, was es mit Laylas neuen Liebesleben auf sich hatte.

Stiche der Eifersucht

Nach einigen Stunden auf dieser Party hatte Layla schon mit mehreren Leuten geredet und immer wieder berichtigt, dass sie nicht Constantins neue Freundin sei.

Nun stand sie alleine an einem der Buffettische und war im Begriff sich Bowle nachzufüllen, als sie jemand unerwartet von hinten ansprach.

„Hey!“, ertönte eine weibliche Stimme.

Da außer Layla nur Thomas, der sich mindestens drei Meter entfern aufhielt und sich scheinbar nicht angesprochen fühlte, an dem Tisch stand, schloss sie daraus, dass nur sie gemeint sein könnte.

„Ja?“, fragte Layla und drehte sich zu zwei blonden Mädchen um.

„Du bist Layla, oder? Du bist mit Constantin zusammen hergekommen“, wollte eine der beiden wissen, obwohl der letzte Teil mehr nach einer Feststellung als einer Frage klang.

„Ja. Und nein wir sind nicht zusammen“, fügte Layla gleich hinzu. Wie viele Weiber genau stalken den guten Constantin? Alle? „Wir sind nur zusammen hergekommen.“

„Oh“, meinte die andere Blondine und hatte wenigstens den Anstand rot zu werden. „Wir dachten nur…“

„Naja, ist vielleicht auch besser. Ich meine, wer würde es bei der Tante aushalten wollen?“, meinte die erste Blondine.

Sofort loderte Ärger heiß in Layla auf. Ich wage zu bezweifeln, dass ihr sie überhaupt kennt! Was fällt euch ein, euch einfach so eine oberflächliche Meinung über Sybille zu bilden?! Ihr Zorn wurde auch nicht geringer als sie an die unschöne Vergangenheit der Frau dachte. Dennoch schaffte sie es nicht sonderlich die Miene zu verziehen und brachte ein kühles Lächeln zu Stande.

„Tut mir leid, aber ich weiß nicht, was ihr meint. Ich mag Sybille. Sie ist sehr nett“, sagte Layla kühl. „Bei Gelegenheit solltet ihr mal ihren Kuchen probieren.“

Einen Augenblick herrschte Stille, doch dann entschuldigten sich die beiden Blondinen peinlich berührt, deren Namen Layla noch nicht einmal kannte, und wandten sich ab. Neben sich vernahm sie ein schnaubendes Lachen und blickte Thomas an, der einen höchstamüsierten Gesichtsausdruck aufgesetzt hatte.

„Schöner Konter.“

„Ja, Mensch! Ich glaube kaum, dass sie überhaupt irgendwas über die Frau wissen, dass nicht leeres Geschwafel ist!“, entgegnete Layla schnaubend.

„Thomas“, meinte er grinsend.

Wenn er keine Menschenmassen mag, mag er wahrscheinlich auch keinen Körperkontakt. Ich reiche ihm am besten nur die Hand, wenn er den ersten Schritt dazu macht.

Nun hatte Layla auch endlich Gelegenheit ihn genauer zu betrachten. Er war vielleicht so groß wie Constantin, hatte lange schwarze Haare, die nicht gefärbt aussahen, und dunkle, braune Augen, unter denen sich leichte Ringe abzeichneten. Im Gegensatz zu seinem besten Freund Patrick legte er auf Piercings in offener Sichtweite wohl nicht so viel Wert und schien auch nicht ganz so farbenfroh. Das einzige, das irgendwie bunt an ihm zu sein schien, war sein Ensiferum-T-Shirt. Nun ja, so farbig wie Ensiferum-T-Shirts eben sind.

„Layla, aber das scheint hier mittlerweile schon jeder zu wissen. Constantin ist bekannt, wie ein bunter Hund“, entgegnete sie ebenfalls grinsend und rollte mit den Augen. „Nettes T-Shirt.“

„Danke! Und was macht man so als Constantins Nicht-Freundin?“

„Heute? Genau das jedem erklären!“, meinte sie und Thomas lachte leise. Jedoch bekam er nicht die Gelegenheit etwas zu erwidern, denn Tim erschien an ihrer Seite mit zwei Colabieren in der Hand. Nickend grüßte er Thomas und reichte Layla eines der Biere, die es ein wenig wiederstrebend entgegennahm.

„Langsam fühle ich mich wie eine Säuferin…“, begann sie und hielt vielsagend ihre Bowle hoch.

„Das macht nix“, entgegnete Tim, „jedenfalls mir nicht. Ich bin ja auch nicht derjenige, der das deinem Vater beibringen muss. Nicht mehr.“

„Zum Glück“, fügte Layla hinzu.

„Oh, ja!“, stimmte ihr Tim zu.

„Äh, ihr wart mal zusammen?“, schaltete sich Thomas verwirrt ein.

„Ja“, bestätigte Layla.

„Die schlimmsten drei Wochen meines Lebens“, nickte Tim vielsagend und Thomas grinste.

„Das war doch so lange?“, fragte Layla nach und zog die Augenbraue hoch.

„Länger hätte ich das auch nicht ausgehalten!“

„Was ausgehalten?“, ertönte Patricks Stimme neben ihnen.

„Mit mir zusammen zu bleiben“, antwortete Layla

„Warum?“, wollte Thomas feixend wissen.

„Neben der Tatsache, dass gewisse Dinge nicht sein sollen, weil sie einfach falsch sind? Sagen wir mal so: Clancy, Laylas Vater, ist sehr eigen, wenn es um seine Tochter geht. Wir waren nur ein paar Wochen zusammen und erst nach zwei Jahren, als relativ klar war, dass da nichts mehr laufen würde, hat er mich fast wieder angelächelt. Aber jetzt ist das ohnehin egal. Jetzt gibt es ja das neue Opfer Patrick“, sagte Tim und klopfte seinem Cousin fast bedauernd auf die Schulter.

„Was? Das ging jetzt aber fix“, meinte Thomas und schaute Layla anerkennend an. „So fix, dass noch nicht einmal ich was davon mitbekommen habe. Und ich dachte, ich wär dein Freund!“, sagte er gespielt beleidigt zu Patrick.

„Ja, aber meine ach so tiefen Gefühle werden ja nicht erwidert“, entgegnete sie schniefend und griff sich theatralisch an die Brust, was erneutes Gelächter hervorrief.

In der Ferne vernahm Layla ein Piepen.

„Dann muss ich Constantin wohl ein anderes Opfer suchen, das er an seiner statt den Löwen vorwerfen kann“, grinste Patrick.

„Layla ich glaube, du hast eine SMS bekommen.“

„Was? Oh!“, meinte sie und kramte in ihrem Roch nach dem Handy.

„Faszinierend…“, sagte Patrick.

„Was?“, fragte Thomas.

„Dass es Mädchen ohne Handtaschen mit schwarzen Löchern drin gibt“, grinste er.

„Warum sollte ich eine mitnehmen? Ich bekomme doch alles unter. Das wäre unnötiger Ballast“, entgegnete sie abwesend und klappte das rote Handy auf. Bei dem Text, der dort auf ihrem Display stand, runzelte sie ganz von selbst die Stirn.

Wenn Constantin will, kann er über Nacht hier bleiben. Ich habe mit Sybille gesprochen. Viel Spaß noch, Papa.

„Was?“, wollte Tim aufgrund ihres Gesichtsausdrucks wissen.

„Jemand muss das Handy meines Vaters geklaut haben…“, antwortete sie und zeigte ihm die Nachricht. Als er die Nachricht las, rutschten seine Augenbrauen immer höher, bis sie schließlich fast unter den dunkelbraunen Haaren verschwanden.

„Also entweder das, oder er mag Constantin wirklich. Ich finde die Handy-geklaut-Variante wahrscheinlicher.“

„Wo wir gerade dabei sind: Wo ist er eigentlich?“, fragte Patrick und reckte sich ein Stückchen höher, um noch besser über die Menge hinwegsehen zu können.

„Keine Ahnung. Ich hab ihn bestimmt seit einer halben Stunde nicht mehr gesehen“, antwortete Tim und trank von seinem Bier. „Auf einmal war er - plopp – weg.“

„Er ist hängen geblieben“, meinte Thomas und nickte in eine grobe Richtung. Vielsagend warf er Patrick einen Blick zu, woraufhin sich Layla und Tim fragend umsahen. Nach einigen Augenblicken konnten sie ihn in der Menge neben einem dunkelhaarigen Mädchen ausmachen. Er stand stocksteif da, jedoch schien das Mädchen dies nicht zu bemerken und redete ungehindert weiter auf ihn ein.

„Layla hat Konkurrenz bekommen“, meinte Tim und zog die Brauen hoch.

„Eher weniger“, entgegnete Thomas und Layla sah ihn fragend an.

„Yasmin“, begann an seiner Stelle Patrick zu erklären und nickte in Richtung des Mädchens, „hatte von Anfang an ein Auge auf meine reizende Assistentin geworfen und versucht sie in ihre Fänge zu bekommen. Constantin gibt ihr seit einem halben Jahr immer wieder möglichst höflich aber sehr bestimmt einen Korb.“

„Wohl nicht erfolgreich…“, meinte Layla und zog eine Braue hoch.

„Nein, nicht wirklich“, stimmte ihr Thomas zu.

„Ist er noch zu retten oder wird er den ganzen Abend festsitzen?“, fragte Tim.

„Naja…“, sagte Patrick und warf einen vielsagenden Blick auf Laylas Handy, das sie immer noch in der Hand heilt. Layla bekam eine Idee, aber runzelte die Stirn. Ist ja fast so als wollte er mir einen Hinweis geben… aber ich habe ihm die SMS nicht gezeigt… Er kann nicht wissen, was drin steht! Dennoch räusperte Layla sich und ging auf Constantin und das Mädchen zu, nachdem sie den Jungs sagte sie habe eine Idee und sie mögen doch bitte einen Moment warten.

„… warum trinkst du eigentlich nichts?“, hörte Layla das Mädchen fragen.

„Ich gehöre heute zu den Fahrern“, meinte er leichthin und blickte über ihre Schulter direkt zu Layla, die näher auf die beiden zukam.

„Hallo“, grüßte sie Yasmin lächelnd und wandte dann Constantin zu. „Hast du was von Sybille gehört?“

Ein wenig perplex reagierte Constantin auf die Frage, aber dennoch blitzte kurz Dankbarkeit in seine Augen auf. „Keine Ahnung. Ich hab eben eine SMS bekommen, aber noch nicht nachgeschaut. Warte.“ Er drückte ihr seine Cola in die Hand und suchte in seinen Hosentaschen nach seinem Handy. „Äh, jaaa…sicher…“, meinte er gedehnt und starrte erst das Display verdutzt und dann Layla ernst an. „Yasmin, wenn du uns entschuldigst. Ich muss gerade was mit Layla klären.“ Nachdem Yasmin ein wenig verletzt genickt hatte, drehte er Layla ohne eine weitere Antwort abzuwarten um und führte sie aus der Menge.

„Ich bin dir zwar dankbar, dass du mich da rausgeholt hast, aber wenn du jetzt telepathische Kräfte entwickelt hast, sollten wir darüber reden“, sagte er leise als sie den Rand der Menschenmenge erreichten und etwas entfernt vor niedrigen Rosenbüschen stehen blieben.

„Habe ich nicht“, antwortete sie ebenso leise. „Patrick und Thomas haben mir die Sache nur erklärt und ausnahmsweise einmal hat mein Vater eine passende SMS geschickt, die ich vielleicht mit dir klären sollte.“ Ohne weiter auf seinen fragenden Blick einzugehen, klappte sie ihr Handy auf und zeigte ihm kurzerhand die SMS.

„Oh“, sagte er nur. „Hab ich was nicht mitbekommen?“

„Dann hab ich was auch nicht mitbekommen. Ich denke, es ist halbwegs sicher, wenn wir wieder zu den anderen zurückgehen“, fügte sie mit einem Blick auf die schon kleiner gewordene Menge hinzu.

Nickend stimmte ihr Constantin zu. „Ich dachte nur, das hat wieder etwas mit diesem ganzen Wächterkram zu tun… Trotzdem: die SMS meiner Tante war komisch. Sie hat explizit darum gebeten, dass ich die Nacht bei euch bleibe“, erklärte er stirnrunzelnd.

„So wie ich meinen Vater kenne, ist er sicher noch wach, wenn wir wiederkommen, dann können wir ihn ja fragen“, äußerte sich Layla schulterzuckend, als sie die wartenden, aber grinsenden, Jungs am Buffettisch erreichten.

„Na? Von der holden Maid gerettet worden?“, meinte Thomas feixend.

„Ja, natürlich. Immer“, nickte Constantin. „Sie kam mir auf ihrem weißen Einhorn entgegen geritten und hat mich aus den Fängen des Drachens befreit. Oder so ähnlich.“

„Und wo ist mein Einhorn jetzt?“, wollte Layla schmunzelnd wissen.

„Frisst auf einen Ponyhof mit anderen Fabelwesen regenbogenfarbenes Gras“, antwortete er bestimmt und die andren lachten.

„Aber hoffentlich kein pinkes“, meinte Layla warnend und rieb sich mit der freien Hand über den Nacken, um das plötzlich auftretende Kribbeln loszuwerden.

„Natürlich. Von pinkem Gras würde es ja Bachschmerzen bekommen“, entgegnete Constantin wissend.

„Ich würde auch kein Einhorn mehr reiten, das pinkfarbendes Gras frisst“, fügte Layla hinzu und rümpfte sie Nase.

„Weil du einen Ruf zu verlieren hast?“, fragte Patrick.

„Erstens das und zweitens beißt sich das ja mit meinen Haaren!“, antwortete sie und warf gespielt pikiert die Haare über ihre Schulter zurück.

Aufgrund dieser Geste brach lautes Gelächter aus und das Kribbeln in Laylas Nacken wurde trotz Reibens stärker.

„Vielleicht überlege ich mir das mit der Erwiderung deiner ach so tiefen Gefühle noch einmal…“, meinte Patrick und rieb sich grübelnd das Kinn.

„Du Sau! Einfach so mit den Gefühlen eines Mädchens zu spielen!“, warf Thomas mit einem Seitenblick auf Patrick ein.

„Ach, er will nur wissen, ob ich besser in Street Fighter bin als er“, sagte Layla feixend.

„Mist… Ertappt“, fluchte Patrick und erneut brach Gelächter aus.
 

Nach einiger Zeit musste auch Layla dem Ruf der Natur folgen und entschuldigte sich kurz, um die Toilette aufzusuchen. Als sie durch das Wohnzimmer zurück in den Garten trat, schlug ihr die frische Sommernachtluft entgegen und sie atmete tief ein. Sie hatte zwar nicht viel getrunken, aber dennoch klärte die Luft ihren Kopf ein wenig.

Leise seufzend ausatmend suchte sie die schließlich deutlich kleiner gewordene Gruppe von Gästen nach nun bekannten Gesichtern ab. In einiger Entfernung von allen anderen Gästen saßen Thomas und Tim an einem der Tische und unterhielten sich.

Thomas mag Menschen wirklich nicht sonderlich… er hat den ganzen Abend einen gewissen Abstand zu allen außer Patrick gehalten…

Sie wollte sich auf den Weg zu ihnen machen, als sie plötzlich jemand am linken Arm zurückhielt. Um nachzusehen, um wen es sich handelte, der sie da festhielt, drehte sie sich um und erkannte Yasmin. Aus ihren grauen Augen heraus starrte sie Layla glasig an.

„Ja? Kann ich dir helfen?“, bemühte sich Layla höflich zu sagen.

„In welcher Beziehung stehst du zu Constantin?“, fragte Yasmin gerade heraus.

„Beziehung? In gar keiner“, antwortete Layla wahrheitsgemäß und wollte sich abwenden.

Doch Yasmins Griff lockerte sich nicht, im Gegenteil. Er verfestigte sich nur und langsam wurde es unangenehm. Layla verzog das Gesicht als sich der Druck auf ihrer frischen Naht schmerzhaft verstärkte.

„Lüg mich nicht an! Ich weiß, dass ihr zusammen hergekommen seid!“, fuhr Yasmin Layla an.

„Weil wir Nachbarn sind!“, entgegnete Layla hitziger als sie beabsichtigt hatte.

„Du kommst hier her und verbuchst ihn den ganzen Abend für dich!“

Verdutzt sah Layla sie an. „Hör mal, ich glaube, du hast ein bisschen viel getrunken und siehst die Dinge nicht ganz klar. Also lass mich jetzt bitte los!“

Layla versuchte sich ihrem Griff zu entwinden, doch Yasmin hielt sie wie in einem Schraubstock gefangen. Layla fühlte wie sich der Druck und das Reißen negativ auf ihre Naht auswirkte und keuchte vor Schmerz.

„Bitte las mich los“, stöhnte sie.

„Nicht bevor du mir die Wahrheit sagst!“

Langsam spürte Layla, wie Blut aus ihrer alten neuen Wunde dran und ihre Jacke durchnässte.

„Bitte! Du tust mir weh!“, keuchte sie, das Gesicht in Schmerz verzogen.

„Was ist denn hier los?“, vernahm Layla Constantins ärgerliche Stimme. „Yasmin lass sofort ihren Arm los!“ Mit einem Mal klang er ein wenig panisch, als habe er realisiert, welchen Arm Yasmin festhielt.

Plötzlich ließ der Druck und das Reißen an Laylas Arm nach und sie sah auf. Verwirrt blickte Yasmin auf das Blut an ihrer Hand, als könne sie sich nicht erklären, wie es dorthin gekommen war.

„Das…“, begann sie, doch Constantin ignorierte sie und ließ seinen Blick über die Menschen wandern. Layla hingegen nahm ihren verletzten Arm in die Hand und versuchte die Blutung zu stillen, doch blieb erfolglos. Das Blut sickerte einfach nur weiter durch ihre Jacke und rann durch ihre Finger bis es schließlich zu Boden tropfte.

Nachdem Yasmin losgelassen hatte, wich der Schmerz nun glücklicherweise einem dumpfen Pochen.

Constantin schien gefunden zu haben, was er suchte, und legte Layla eine Hand auf den Rücken um sie an den Gästen vorbeizuführen. Sie gingen nur wenige Meter als auch schon Patrick vor ihnen auftauchte.

„Hast du einen anderen, halbwegs sauberen Ort außer dem Bad, in das alle Leute hineinplatzen werden, an dem wir uns das genauer ansehen können?“, fragte Constantin ohne wirklich Halt zu machen.

„Ja, die Küche. Kommt!“, trieb er sie an und setzte sich mit langen Schritten an die Spitze ihrer kleinen Gruppe, um sie durch die glotzende Meute zurück zum Haus zu führen.

Sie traten durch das Wohnzimmer und den Flur in einen dunklen, abgeschiedenen Raum. Als jemand das Licht einschaltete, wurde Layla kurz geblendet und musste sich erst einmal an die neuen Lichtverhältnisse gewöhnen. Sie blinzelte einige Male bis die weißen Punkte aus ihrem Sichtfeld verschwanden und sie eine helle Küche mit hölzernen Schränken erkennen konnte.

Schnellen Schrittes durchquerte sie den Raum und hielt ihren Arm über die Spüle. Sie blickte geradewegs über ihre Schulter zurück zu Constantin, der ihr gefolgt war.

„Kannst du mir vielleicht gerade mit der Jacke helfen?“

Zur Antwort nickte er nur und gemeinsam gelang es ihnen die Jacke abzustreifen. Als die Sicht auf Laylas Arm frei wurde, hörte sie ein Keuchen und wandte sich um, um nachzusehen, wer ihnen gefolgt war. Tim, Patrick und Thomas standen halb in Küche und halb draußen. Im Flur konnte sie noch das tränenverschmierte Gesicht Yasmins erkennen, jedoch schien ihn niemand anderes gefolgt zu sein.

„Layla! Was um Himmels Willen ist mit dir passiert?“, verlangte Tim geschockt zu wissen.

Vor ihrem inneren Auge zogen noch einmal alle Ereignisse vorbei: die Runen, die Wächter und sehr, sehr bildhaft der Kampf gegen den Formor, den sie fast mit dem Leben bezahlt hätte. Als Constantins Griff sich kurz um ihren Arm versteifte, wusste sie, dass er das Gleiche gedacht hatte. Sein Rücken war den andren zugewandt und sie konnten sein Gesicht nicht sehen, doch Layla konnte es. In seinen Augen spiegelte sich offen die Erinnerung ab, und sie war froh, dass sie ihr Gesicht unter Kontrolle hatte behalten können.

„Ich bin durch eine Scheibe gefallen“, log sie und half Constantin ihre Bluse ihren Arm hochzuschieben, sodass sie einen besseren Blick auf die Wunde hatten und der kurze Ärmel sich nicht auch noch mit Blut vollsog.

„Sieht aber nicht aus, wie eine Schnittwunde…“, meinte Tim skeptisch.

„Was soll es denn sonst gewesen sein? Ein Bär?“, wollte Layla wissen und wandte ihm ihren Blick zu. Doch sie sah nicht Tim an. Patrick schaute ihr direkt in die Augen und hielt ihren Blick gefangen. Er verzog keine Miene, nichts, aber irgendetwas war anders. War es der Ausdruck in seinen Augen? Langsam setzte der Schock ein und sie erbleichte. Er weiß es! Aber wie? Sie schluckte zu schnell und wandte rasch den Blick ab, sodass die andren nicht ihren Gesichtsausdruck erkennen konnten.

„Ich mal einen Verbandskasten und frische Tücher suchen“, meinte Patrick und zog Tim mit sich.

Constantin stand so nah bei ihr, dass er nicht umhinkam zu bemerken, dass etwas nicht stimmte. Aber auf seinen fragenden Blick hin formte sie ungesehen von Thomas und Yasmin mit den Lippen das Wort nachher. Er gab sich vorerst damit zufrieden und begann ihre Wunde zu untersuchen. Sie schaute sich noch kurz im Raum um, nur um zu sehen, dass sich Thomas einige Meter von Yasmin entfernt aushielt, und senkte schließlich auch den Blick auf ihren Arm.

Die Naht war einige Zentimeter aufgerissen, und Layla glaubte, dass es in diesem Augenblick durch das ganze Blut schlimmer aussah als es eigentlich war, denn sie verspürte kaum Schmerzen. Ein leichtes Pochen, aber das war auch schon alles.

„Vielleicht sollten wir meinen Vater anrufen…“, meinte Layla.

„Der ist Buchhalter“, warf Tim ein, als er und Patrick mit Tüchern und einem Verbandskasten bewaffnet zurück in die Küche traten.

„Er war mal Sanitäter“, meinte Layla aalglatt.

„Sani-Töter trifft es wohl eher“, flüsterte Constantin so leise, dass nur sie es hören konnte und sie musste sich beherrschen um nicht zu grinsen.

„Ist der nicht ein bisschen zu jung, um zwei Berufe gehabt zu haben?“, fragte Tim stirnrunzelnd.

„Du hast vielleicht eine seltsame Definition von jung… der ist fast fünfzig!“, entgegnete sie.

„WAS?“, kam es gleichzeitig von Constantin und Tim und sie starrten Layla verblüfft an. Jedoch gelang es Constantin sich als erster wieder zu fangen.

„Na, das sieht man ihm definitiv nicht an“, sagte er und zog beide Brauen hoch.

„Das hab ich auch nie gesagt“, meinte Layla grinsend. „Kannst du mal mein Handy aus der Rocktasche holen? Ich habe hier dieses Blutproblem, du verstehst?“

Leicht grinsend nickte er. Sie drehte sich so, dass er leichter in die Tasche greifen konnte und er holte das Handy heraus. Layla setzte zum Sprechen an, doch wurde durch einen Schluchzer aus dem Eingangsbereich unterbrochen, was ihre Aufmerksamkeit wieder auf Yasmin lenkte.

„Das tut mir alles so leid! Ich wollte das nicht“, stammelte sie.

„Du hattest keine Ahnung, also mache ich dir keinen Vorwurf. Es hätte genauso gut anders passieren können“, entgegnete Layla ruhig und nahm eins der Tücher, die ihr Tim reichte, an sich. Constantin warf ihr einen Blick zu, der Yasmin unmöglich entgehen konnte, sagte jedoch nichts. Aber es war offensichtlich in der Art und Weise, wie sich sein Kiefer verkantete, dass er sauer auf Yasmin war.

„Mein Vater hat die Kurzwahl zwei“, meinte Layla nur. Nach einem langen Blickwechsel gab Constantin schließlich leise fluchend klein bei und wählte.

„Du weißt schon, dass ich für dich hier gerade Selbstmord begehe?“, fragte er. „Dein Vater wird mich killen.“

„Vielleicht vierteilt er dich noch vorher“, warf Tim schulterzuckend ein.

„Sehr aufbauend, wirklich!“, grummelte Constantin mit dem Telefon am Ohr und setzte sich auf einen der Küchenstühle.

Während diesem Sprachabtausch hielt Layla die ganze Zeit den Arm über das Spülbecken, um die Küche nicht vollzubluten. Eigentlich wollte sie einen Blick auf Patrick werfen, traute sich aber nicht und sah stattdessen Thomas an. Der der täuschte gerade einen Vielsagenden Blick mit Patrick aus und Layla war sich nicht sicher wie sie das alles deuten sollte. Schließlich begnügte sie sich damit nur kurz die Augen zu verengen und die beiden unauffällig im Blickfeld zu behalten.

„Ich bin nur ehrlich…“, sagte Tim, jedoch konterte Constantin nicht mehr, da er dem Freizeichen lauschte. Nach einer ganzen Weile schien schließlich jemand am anderen Ende abzuheben.

„Hallo, Clancy. Ich bin’s Constantin. Layla kann gerade nicht, aber wir haben da ein Problem“, begann er und lauschte nun einer Antwort auf der anderen Seite.

„Nein, ihr geht es soweit gut, aber ihre Naht ist aufgegangen“, erklärte Constantin und Layla stellte zufrieden fest, dass er tunlichst vermied zusagen, wie die Naht aufgegangen war.

Wieder etwas von der anderen Seite, das niemand außer Constantin hören konnte.

„Er fragt, ob es weh tut“, leitete Constantin weiter und Layla schüttelte den Kopf. „Nein“, antwortete Constantin ins Telefon, „aber es blutet. Viel.“

Danach schein Clancy genauere Fragen zu der Wunde an sich zu stellen und Constantin stand auf, um sich Laylas Arm genauer anzusehen und entsprechende Antworten zu geben.

„Ja, gut. Machen wir, danke. Bis später“, endete er müde und legte auf.

„Und?“ fragte Layla.

„Er meint, wir sollen deinen Arm nur reinigen und dann mit einem Druckverband verbinden. Wenn es wieder genäht werden muss, kümmert er sich später darum. Und falls es durchbluten sollte, sollen wir nochmal anrufen“, erläuterte Constantin.

„Kein ‚Bring sofort meine Tochter nach Hause!‘?“, hakte Layla mit hochgezogener Braue nach und er schüttelte verneinend den Kopf. „Sicher, dass du auch mit meinem Vater gesprochen hast und nicht jemandem, der sein Handy geklaut hat?“

„Ja, ziemlich“, grinste er und brachte sie dazu sich auf einen der Stühle zu setzen. Um ihr zu helfen, ihren Arm zu reinigen, setzte er sich ihr gegenüber und rutschte so nah wie möglich heran, indem er seine Beine seitlich von Laylas positionierte.

„Können wir euch irgendwie helfen?“, fragte Thomas sichtlich besorgt.

„Nicht wirklich, fürchte ich“, meinte Layla lächelnd und überließ Constantin die Reinigung. „Ich hab zum Glück nur einen verletzten Arm. Ihr könnten höchstens meine Jacke in kaltem Wasser einweichen, damit ich das Blut später besser rausbekomme.“

„Oder uns gleich helfen Laylas Körperflüssigkeiten vom Boden zu kratzen“, fügte Constantin feixend hinzu, während er ihren Arm abtupfte.

Als sich die Jungs schließlich in Bewegung setzten, behielt Layla Patrick im Auge. Als sich ihre Blicke kreuzten, erkannte sie ein Wissen in seinen Augen, das dort nicht sein sollte und verkantete stur ihren Kiefer. Patrick wandte als erster seinen Blick ab und überließ Layla den Blick auf Thomas und Tim, zu denen er sich gesellte, um mit Lappen bewaffnet, die roten Tropfen von den Fliesen zu wischen. Yasmin hingegen nahm die Jacke aus dem Spülbecken und ließ kaltes Wasser darüber laufen, um das Blut auszuwaschen. Ein kurzes Ziepen lenkte ihre Aufmerksamkeit wieder auf ihren Arm und Constantin.

„Oh, sorry“, meinte Constantin.

„Macht nichts“, erwiderte Layla kopfschüttelnd. „Tut mir leid, dass ich dir nicht helfen kann, aber mit nur einer Hand ist das immer ein bisschen schwierig. Als sie aufsah und ich entschuldigend anlächelte, erwiderte er mit einem Grinsen und ihr wurde schlagartig bewusst, wie nah sie beieinander saßen. Schnell wandte sie den Blick ab und bemühte sich möglichst sich auf ihren Arm zu konzentrieren.

Constantin hatte den Schnitt erneute gereinigt und tupfte nun Betaisodona darauf, um den Schnitt wenigstens ein bisschen antiseptisch zu behandeln. Es brannte zwar ein wenig, aber das war nicht weiter tragisch. Als er damit fertig war, legte er eins dieser weißen Wattepads auf die Wunde und begann damit Laylas Arm zu verbinden. Das ganze dauerte weniger als zehn Minuten und Laylas Arm zierte ein blütenweißer Verband.

„Danke“, lächelte sie.

„Kein Problem“, entgegnete er. „Wenn du willst, kleb ich dir auch noch eins dieser putzigen Pflaster drauf“, fügte er hinzu und hielt ein blaues Kinderpflaster mit kleinen Elefanten drauf hoch, woraufhin sie lachte.

Schließlisch standen sie gemeinsam auf, um den anderen zu helfen. Constantin gesellte sich mit einem weiteren Lappen zu den Jungs und Layla trat zu Yasmin an die Spüle.

„Danke“, sagte Layla und Yasmin zuckte überrascht zusammen, „ich mach jetzt weiter.“

Schweigend trat sie ein paar Schritte von der Spüle zurück und reichte Layla ihre Jacke. Schnell wusch Layla sich noch die letzten Blutreste von den Händen und kümmerte sich dann um ihre Jacke, deren Ärmel bereits durchnässt waren, als sie sie in die Hand nahm.

Erneut drehte Layla den Wasserhahn auf und ein kühler Strahl schoss daraus hervor. Sie hielt die Jacke darunter in der Hoffnung, dass der Wasserstrahl bald wieder klar werden würde. Aus dem Augenwinkel bemerkte sie schließlich, dass Yasmin nicht gegangen war, wie Layla zuerst angenommen hatte.

„Hör zu“, begann Yasmin mit einem gequälten Gesichtsausdruck, „das mit deinem Arm tut mir leid, ehrlich. Ich…“

„Du warst einfach betrunken, wie ein Dutzend andere Leute auch“, entgegnete Layla ruhig und sah ihr fest in die Augen. „Das“ – sie deutete auf ihren frisch verbundenen Arm – „hätte auch anders passieren können. Der Schnitt ist groß genug, dass die Naht auch aufgerissen wäre, wenn mich jemand angerempelt hätte“, erklärte sie und wandte sich gelassen wieder der Jacke zu.

„Ja, aber… Ich hätte dich loslassen sollen, als du mich darum gebeten hast!“

„Hätte, könnte, wollte. Wie gesagt, du hattest einen sitzen und ich war als die neue Unbekannte zu allem Überfluss mit deinem Schwarm da“, entgegnete Layla kühl und blickte noch rechtzeitig auf, um Yasmin erröten zu sehen. „Alles einfach nur unglückliche Zufälle. Wenn ich nächste Woche durch die Scheibe gefallen wäre, wäre nichts passiert.“

Gut, wenn die Formori-gleich-Glastür-Nummer erst nächste Woche passiert wäre, würde ich Constantin wahrscheinlich gar nicht kennen und folglich nicht hier sein, aber das sei jetzt mal dahingestellt.

„Aber dein Arm…“

„Hätte so oder so eine Narbe behalten“, unterbrach sie Layla. „Bei einem Schnitt vom Oberarm bis zum Handgelenk lässt sich das selten vermeiden. Seh ich so aus, als ob es mich dann noch kratzen würde, ob da fünf Zentimeter vielleicht etwas breiter sind, als der Rest? Es war nicht deine Absicht, du hast dich entschuldigt und damit ist die Sache gegessen“, endete Layla.

„Okay… aber es tut mir trotzdem leid“, meinte Yasmin ein wenig hilflos.

Layla quittierte die Aussage mit einem Nicken und wandte sich wieder ihrer Jacke zu, die dank Yasmins Vorarbeit mittlerweile nur noch sehr leicht rosafarbenes Wasser absonderte. Zufrieden drehte sie den Wasserhahn zu und begann ihre Jacke auszuwringen.

„Aber… bist du nicht sauer?“, wollte Yasmin unsicher wissen.

„Klar, aber passiert ist passiert und fluchen macht es jetzt auch nicht ungeschehen“, erwiderte Layla schulterzuckend und langsam breitete sich Schweigen zwischen ihnen aus.

„Ich sehe schon, was Constantin an dir mag“, meinte Yasmin schließlich leise.

Layla rollte ungeduldig mit den Augen.

„Ich hab doch gesagt, dass wir nicht zusammen sind!“, entgegnete Layla nun doch leicht genervt. „Wahrscheinlich jedem und gefühlte dreitausend Mal.“

„Tss“, meinte sie und schüttelte leicht resigniert den Kopf. „Aber er mag dich. Das lässt sich bei weitem nicht leugnen.“

Layla blickte sie ungläubig an und zog eine noch ungläubigere Augenbraue hoch.

„Schau mich nicht so an, das ist so schon peinlich genug!“, sagte sie errötend und versuchte den Blick abzuwenden. „Aber es wirkt so als hättet ihr so viel gemeinsam… Wie er dich angesehen hat!“

„Interpretierst du da nicht ein bisschen viel hinein?“, wollte Layla wissen.

Unsere Gemeinsamkeiten liegen eher darin, dass wir knietief in derselben Scheiße stecken…

„Ich kenne ihn seit einem halben Jahr und ich habe nie gesehen, dass er so viel mit einem Mädchen gemacht hat. Ihr kennt euch sicher schon ewig…“

„Nicht wirklich. Wir haben uns letztens erst zufällig kennengelernt und er hat mir bei etwas geholfen.“ Dass ich mit einem Schürhaken auf ihn losgegangen bin, sage ich jetzt besser mal nicht.

Zu Laylas Überraschung lächelte Yasmin wehmütig. „Scheinbar hat er ein Helfersyndrom“, meinte sie und Layla sah sie irritiert an. „Er hat mir auch geholfen. Er ist so anders als die anderen hier. Er war der Erste, der nichts gesagt hat.“

„Gesagt?“, fragte Layla verwirrt.

„Wegen den seltsamen Dingen, die um…“, sie brach mitten im Satz ab und schaute Layla schockiert an, als habe sie zu viel oder unabsichtlich etwas preisgegeben, dass sie geheim halten sollte. Hastig wandte sie das Gesicht ab. „Tut mir leid, ich habe noch etwas zu erledigen.“ Mit schnellen Schritten verließ sie die Küche und ließ Layla ihr verwirrt nachschauend und alleine zurück.
 

Nach einigen Minuten Suchens fand sie die Jungs im Wohnzimmer, die die letzten Blutstropfen vom Parkett wischten. Als sie näher herantrat, begrüßte sie Tim lächelnd.

„Habt ihr Yasmin gesehen?“, wollte Layla wissen. „Wir haben in der Küche geredet und plötzlich ist sie einfach abgehauen.“

„Mach dir nichts draus“, meinte Thomas. „Sie ist gelegentlich so.“ Layla entging der kurze Blick nicht, den er Patrick zuwarf.

„Sei lieber froh, dass der Jüngling in Nöten nicht zu deiner Rettung herbeigeeilt kam“, meinte Patrick grinsend, woraufhin Layla ihn verwirrt ansah. „Der Jüngling hätte fast das Einhorn vom Ponyhof geholt und wäre losgeritten, wenn meine finsteren Schergen“ – er machte eine Handbewegung auf Thomas und Tim, die ihn mit hochgezogenen Augenbrauen ansahen – „nicht zurückgehalten hätten.“

„Ja, Mensch!“, fluchte Constantin und funkelte Patrick wütend an. „Sie ist eben schon unerwartet handgreiflich geworden! Was wenn die beiden sich wieder gestritten hätten?“ Er machte eine ausladende Bewegung auf Layla und eine imaginäre Person neben ihr.

„Haben sie aber nicht“, warf Thomas nun ein und wandte sich schließlich an Layla. „Um was ging es eigentlich bei dem Streit?“

„Ach, ein Missverständnis und sie hatte ein bisschen viel getrunken. Das war alles.“ Das ist wenigstens nicht gelogen… „Kann ich meine Jacke vielleicht irgendwo aufhängen?“, fragte sie schnell an Patrick gewandt, der ihr einen undeutbaren Blick zuwarf. Unwillkürlich wurden ihre Augen einen kleinen Ticken schmaler, jedoch fing sich Patrick schnell wieder.

„Ja. Gib sie mir ruhig. Ich muss ohnehin die Lappen wegbringen“, antwortete er und sammelte die Lappen der anderen Beiden ein.

„Gut. Entschuldige bitte die Unannehmlichkeiten“, bat sie mit einem schiefen Lächeln um Verzeihung.

„Schon okay. Kannst du ja nichts für. Geht schon mal raus. Ich komme gleich nach“, sagte er und machte sich mit langen Schritten auf den Weg aus dem Wohnzimmer.

„Ich geh nochmal grade auf die Toilette“, meinte Tim und verschwand ebenfalls im dunkeln Haus.

„Bleiben also nur noch wir“, sagte Constantin.

„Ich wollte mir gerade ein Bier holen, wollt ihr auch eins?“, fragte Thomas.

„Gleich. Ich wollte wenigstens einmal die Gelegenheit nutzen und Patricks verschmähte Liebe zum Tanzen auffordern, damit er sich schwarz ärgert“, feixte Constantin und griff fix Laylas gesunden Arm um sie auf einen freien Platz auf ‚die Tanzfläche‘, ein Stück besonders platt getrampelten Rasens, zu führen.

Sie hatte gerade noch Zeit ein wenig eloquentes „Was?“ von sich zu geben und Thomas hinter ihnen begann laut zu lachen.
 

Als Patrick wieder in die frisch gewordene Nacht hinaustrat, erblickte er wenige Meter entfernt Thomas, der alleine an einer Wassertonne lehnte. Mit raschen Schritten gesellte er sich zu ihm und kramte in seiner Hosentasche nach dem Helixpiercing, das er sich zuvor aus dem Ohr genommen hatte. Sein Schädel brummte. Zu viele Laute und zu wenig Kapazität sie zu verarbeiten.

„Und?“, fragte Thomas ohne Umschweife und reichte ihm ein kühles Bier.

Patrick ließ seinen Blick über die schwindende Menge gleiten. Schnell fand er, was er unwillkürlich zu suchen schien, und seufzte. Constantin und Layla tanzten umgeben von anderen Gästen, wobei Layla aussah als sei ihr das Ganze ein wenig peinlich und sie möglichst versuchte, die Leute um sich herum nicht allzu sehr zu beachten. Der helle Verband an ihrem Arm leuchtete jedes Mal, wenn er vom Licht getroffen wurde, hell auf.

„Ich denke, sie ahnt etwas“, antwortete Patrick und steckte sich das Piercing wieder ins Ohr. Die Linderung trat sofort ein. Seelig schloss er kurz die Augen und atmete tief ein.

„Wird sie es ihm sagen?“, wollte sein bester Freund weiter wissen und nippte an seinem Bier.

„Ich denke schon. Bleibt nur die Frage, ob er ihr glaubt.“ Da in diesem Monet jedoch Tim auf die zukam, hatten sie keine Gelegenheit das Thema weiter auszuführen.
 

Peinlich berührt stand Layla nun mit Constantin auf der Tanzfläche.

Was zum Henker mache ich eigentlich hier?

„Hat es einen bestimmten Grund, dass ich hier mit dir stehe?“, wollte sie unsicher wissen.

„Ja“, meinte er grinsend. „Wir tanzen nicht, deswegen stehen wir.“

„Haha, Klugscheißer!“, brummte sie in bester Clancy-Manier.

Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, übernahm er die Führung und Layla wurde unangenehmerweise bewusst, dass sie seit der Tanzschule, die sie im Alter von vierzehn besucht hatte, nicht mehr wirklich mit jemandem getanzt hatte. Väter und angetrunkene Anverwandte auf Geburtstagen zählten nicht.

„Neben der Tatsache, dass ich wirklich die Gelegenheit nutzen wollte, um mit dir zu tanzen und Patrick zu ärgern, wollte ich auch in Ruhe mit dir reden“, erklärte er leise.

„Was?“

„Als ich eben mit deinem Vater geredet habe, hat er gemeint, wenn du lieber gehen willst, sollte ich dich doch bitte nach Hause bringen.“

„Will ich denn nach Hause?“, wollte sie wissen und zog eine Augenbraue hoch.

Er zog einen Mundwinkel leicht in die Höhe. „Musst du wissen. Aber dein Vater meinte, er wäre wahrscheinlich nicht da.“

„Warum?“

„Keine Ahnung wollte er am Telefon nicht sagen, weil er wusste, dass noch andere Leute anwesend waren“ meinte Constantin und schaffte es während des Tanzens noch mit den Schultern zu zucken. Bei Laylas Gesichtsausdruck fügte er noch schnell hinzu: „Keine Sorge, er meinte, es sei nichts Schlimmes und Phobos würde uns alles erklären.“

„Ach so, okay. Ich dachte schon…“

Eine Weile tanzten sie schweigend weiter bis Layla das Wort ergriff.

„Vielleicht sollten wir aufhören zu tanzen.“

Nun war es an Constantin eine Augenbraue hochzuziehen. „Ist es so schlimm? Soweit ich weiß, habe ich dich noch nicht getreten.“

Daraufhin musste Layla schmunzeln. „Nein, das ist es nicht.“

„Aber?“

„Yasmin“, antwortet sie ihm und er stieß langsam Lauft aus.

„Sag mir nicht, dass ihr euch deswegen gestritten habt“, meinte er warnend.

Laylas Kiefer verkantete sich. „Gut dann sage ich es nicht, es war auch nicht wirklich ein Streit vielmehr eine recht einseitige Argumentation“, erwiderte sie und Constantin seufzte. „Hör zu. Ich glaube, sie mag dich. Sehr.“

„Dummerweise ich sie aber nicht. Jedenfalls nicht so. Ich gebe ihr immer wieder Körbe, aber sie lässt nicht locker… Und jetzt kann ich nicht einmal mit meiner Nachbarin tanzen, ohne dass die Angst hat!“

„Hey! Ich hab keine Angst!“, verteidigte sich Layla und ihre Wangen röteten sich. Mal wieder.

„Dann sehe ich keinen Grund aufzuhören“, entgegnete er stur.

„Tut mir leid, aber ich habe ihr mehrfach gesagt, dass ich kein Interesse habe“, fügte er nach einer Weile hinzu. Er ließ Laylas Hand kurz los, um sich die Augen zu reiben. Mit einem Mal sah er müde aus. „Und mit wem ich wann, wie und wo tanze; wen ich wohin mit hinbringe, bleibt immer noch meine Sache. Wenn du nicht tanzen willst ist das allerdings eine andere Sache.“

„Nein, das ist es nicht. Es ist nur… ach, keine Ahnung!“, erwiderte sie, als er ihre Hand erneut ergriff.

„Was wolltest du mir eben nicht sagen?“, fragte Constantin.

Layla holte tief Luft und sah ihn gequält an. „Ich glaube, Patrick weiß es“, antwortete sie leise.

„Das kann aber nicht sein“, erwiderte er ungläubig. „Wie denn?“, fragte er weniger Layla als sich selbst und ließ den Blick über die Menschen schweifen bis er sich schließlich auf etwas fixierte. Layla folgte seinem Blick und sah wie Thomas an eine Wassertonne gelehnt und Patrick neben ihm stehend miteinander redeten. In diesem Augenblick gesellte sich Tim zu ihnen und alles vollkommen normal aus.

„Vielleicht habe ich mich auch geirrt… aber er hat so komisch geschaut…“, meinte Layla zweifelnd.

„Oder du wirst paranoid“, entgegnete Constantin schlicht.

„Oder das…“

„Aber mal ehrlich, wer würde dir das verübeln?“

Layla antwortete mit einem Schulterzucken, dass während des Tanzens wenig grazil wirkte und wieder breitete sich Schweigen zwischen ihnen aus, als sie ihren Gedanken nachhingen.

„Ich tanze schlecht“, sagte Layla schließlich in die Stille zwischen ihnen hinein.

„Egal, das tut jeder hier. Torben dahinten kann sich glücklich schätzen, sich überhaupt auf den Beinen zu halten.“, entgegnete er und nickte in Richtung eines schwankenden Jungen hinter Layla, woraufhin sich ein Grinsen auf ihre Züge stahl.

„Bin ich eigentlich Schaschlik, wenn dein Vater herausfindet, dass ich mit dir getanzt habe?“, fragte er versonnen.

„Höchstwahrscheinlich“, lachte sie. „Deswegen sagen wir ihm das einfach nicht.“

„Klingt nach einem Plan. Phobos am besten auch nicht. Der petzt sicher“, grinste er.

„Elender Pelzball“, grinste Layla zurück.

Als jedoch das Lied endete und ein langsameres angespielt wurde, waren sie sich sehr schnell sehr einig, dass sie vielleicht ihr ‚Glück‘ nicht überstrapazieren und doch aufhören sollten zu tanzen und begannen die Tanzfläche verlassend nach den anderen zu suchen.

Kongregation der Seher

Clancy ließ Sybille nur äußerst ungern mit ihrem ungewöhnlichen Besuch alleine zurück, doch sie hatte ihm lächelnd versichert, dass für sie keinerlei Gefahr bestünde. Mit einem Knoten im Magen hatte er sich verabschiedet und war in sein Auto gestiegen. Jedoch konnte er es sich nicht verkneifen ihr hell erleuchtetes Haus im Rückspiegel solange zu beobachten, bis er um eine Kurve bog und das Haus außer Sicht geriet.

Er bekam kaum mit, wie er um die Kurven des Feldweges bog und schließlich vor seinem Haus die Auffahr hinauffuhr. So in Gedanken versunken war er. Erst das Knirschen des Kieses unter seinen Autoreifen holte ihn aus seinem tranceartigen Zustand zurück. Langsam kroch die Müdigkeit in seine Knochen und während er den Zündschlüssel umdrehte um den Motor auszuschalten, gähnte er herzhaft. Er war auf einen der Stellplätze vor dem Haus gefahren und nicht in die Garage, wie sonst üblich. Heute hatte er dazu keine Lust.

Als Clancy aus dem dunkelroten Ford Kombi stieg, schlug ihm die kühle Nachtluft entgegen und er sog sie gierig ein, wie ein Ertrinkender. Die Luft füllte seine Lungen und der Sauerstoff klärte seinen Kopf wenigstens etwas.

Sein Blick wanderte über die Fassade des alten Hauses, das er und seine Tochter renoviert und wieder bewohnbar gemacht hatten. Kein Licht brannte und das Gebäude lag dunkel vor ihm, wie ein weiterer Abgrund. Seufzend schloss er seinen Wagen ab, auch wenn es eigentlich nicht nötig war, und stieg die wenigen Stufen zur Haustür hinauf, um diese mit einem Schlüssel aus seinem Schlüsselbund, den er noch immer in der Hand hielt, aufzuschließen.

Der Hausflur lag dunkel vor ihm und er machte sich nicht die Mühe das Licht einzuschalten, sondern ging schnurstraks geradeaus ins Wohnzimmer. Durch die großen Panoramafenster wurde der Raum tagsüber normalerwiese mit hellem Sonnenlicht durchflutet, doch des Nachts fiel selten das Mondlicht ein. So auch an diesem Abend. Der Raum lag dunkel vor ihm und er konnte nur ein paar Schemen ausmachen bis auf das goldgrüne Augenpaar, das ihn von einem Sessel aus anleuchtete.

Unwillkürlich musste Clancy grinsen. Den Namen Shadowstalker trägt er wirklich zu Recht.

„Und? Was wollten sie?“, fragte sein langjähriger Freund ohne Umschweife.

Clancy ließ sich seufzend auf einer der Couchen fallen, die seine Tochter so sehr mochte. „Vieles und auch nichts. Sie sind sich auf jeden Fall alle einig, dass sie uneinig sind. Sie alle haben Visionen, die unmöglich in Kraft treten können, aber die ja irgendeinen Auslöser haben müssen“, erklärte er und rieb sich die Augen. „Hör mal, ich mache mal gerade das Licht an, sonst werde ich noch depressiv“, warnte er und ohne eine Antwort abzuwarten ließ er die Energie durch sich fließen. Durch all die Jahre des Gebrauches war ihm die Nutzung von Elektrizität ins Blut übergegangen und er benötigte nicht mehr als einen kurzen Gedanken um die Schalter im Wohnzimmer und dem Flur zu betätigen. Ohne sich bewegt zu haben, hatte er das Licht dazu gebracht, nun hell in die Räume zu strömen und zumindest die sichtbaren Schatten zu vertreiben.

Phobos machte ein brummendes Geräusch, jedenfalls soweit es seine Kehle zuließ, und kniff die Augen kurz zusammen.

„Also viel Luft um blablabla?“, meinte er und Clancy quittierte dies mit einer Mischung aus Nicken und Schulterzucken. „Am besten erzählst du mir alles zusammen mit den beiden Frischlingen. Ich glaube, ich habe gerade Constantins Auto die Auffahrt hinauffahren gehört.“

„Sie sind noch nicht hier?“, fragte Clancy mit hochgezogenen Brauen und warf einen Blick auf seine Armbanduhr. Es war halb fünf Uhr am Morgen.

„Hast du nicht selber gesagt, dass dir die Uhrzeit egal ist?“, fragte der Kater und Clancy konnte das Grinsen darin förmlich hören ohne es sehen zu müssen. „Hör auf dich wie eine Glucke zu verhalten und sei ein Mann!“, forderte Phobos und Clancy warf ihm einen weniger freundlichen Blick zu. Doch er bekam keine Gelegenheit etwas entsprechendes zu erwidern, denn wie so oft lag Phobos auch dieses Mal mit seinem Gehör richtig und Clancy konnte das Geräusch eines Schlüssels im Haustürschloss ausmachen. Ein letztes Mal seufzte er leise und rieb sich die Augen mit Daumen und Zeigefinger.

Aus dem Flur ließen sich Schritte ausmachen, ein ‚Klonk‘, das Clancy sagte, dass Layla ihren Schlüssel auf die Kommode gelegt hatte und ein Rufen seiner Tochter. „Wir sind wieder da!“

„Im Wohnzimmer“, antwortete Phobos, bevor Clancy Gelegenheit dazu bekam.

Schritte ertönten und durch die angelehnte Wohnzimmertür trat Layla mit Constantin an ihrer Seite. Als Clancy seine Tochter betrachtete, kam er nicht umhin ein wenig wehmütig zu werden, denn Layla sah ihrer Mutter von Tag zu Tag ähnlicher. Sicher die rote Haare und die grünen Augen hatte sie von ihm, aber ihre Gesichtszüge schlugen nach Angelika. Er hatte sich so oft gewünscht, dass seine verstorbene Frau gewisse Ereignisse im Leben ihrer Tochter erlebt hatte. Ihre Einschulung, ihr erster Kinobesuch, ihre erste holprige Autofahrt illegal im Feld. Doch als Clancys Blick auf den hellen Verband an Laylas Arm und die mit wenigen Blutsprenkeln befleckte Bluse fiel, fügte er etwas zu der Liste hinzu, von dem er sich glücklich schätzte, dass Angelika es nicht miterlebt hatte.

Ich wollte genau wie Angelika nie, dass unsere Tochter je in Kontakt mit Formori kommt oder in der Nutzung von Waffen ausgebildet wird. Doch wie die Dinge liegen, wird das leider unvermeidlich sein… Wenn ich sie selber unterrichte, kann ich wenigstens sicher sein, dass sie das Richtige lernt.

In seinen Gedanken versunken, hatte er erst gar nicht gemerkt, dass er angesprochen wurde, doch Laylas irritierter Blick ließ darauf schließen, dass seine Aufmerksamkeit verlangt wurde.

„Was?“, fragte er.

„Ich habe gefragt, was du Constantin am Telefon nicht sagen konntest“, wiederholte sie.

„Ach, ja. Sybille hat unerwarteten Besuch bekommen. Eine ganze Kongregation Seher“, erklärte er und die Augen seiner beiden neuen Schüler weiteten sich in Erstaunen.

„Und das ist schlecht?“, wollte Constantin wissen, als er sich neben Layla auf die andere Couch Clancy gegenüber setzte.

„Nicht direkt. Es war nur unerwartet“, antwortete Clancy.

„Und warum hat meine Tante dann darauf bestanden, dass ich die Nacht hier bleibe?“ Seine Irritation war offensichtlich.

„Weil ein Essence Hunter unter ihnen ist-“

„Was?“, unterbrach ihn Phobos. „Warum hast du nichts gesagt?“

„Weil ich nicht dazu gekommen bin?“, entgegnete Clancy und bei dem fragenden Anblick Laylas und Constantins fuhr er fort. „Ein Essence Hunter tut genau das, was der Name sagt: Er sucht Essenzen. Gelegentlich auf jede mögliche Art und Weise. Und der Hunter, der unter den Sehern ist, hat einen weniger schmeichelhaften Ruf. Ich denke, deine Tante wollte nicht, dass du auf sei triffst. Schon gar nicht unvorbereitet.“

„Wer?“, fragte Phobos und seine Augen verengten sich.

„Gwen“, sagte Clancy nur und Phobos fluchte.

„Und diese Gwen ist der evil Essence Hunter of Doom, oder wie?“, fragte Layla.

„Ja und nein. Sie nutzt ihre Gabe des dritten Auges aktiv, um nach Essenzen zu suchen. Da sie anders als so viele andere Seher ihre Gabe so konkret und kontrolliert nutzen kann, macht sie das allein schon zu einer mächtigen Persönlichkeit. Die Tatsache, dass sie ein Vampir ist und einst eine der besten Schülerinnen des Weisen aus der Küche war, trägt sein übriges zu ihrem Ruf bei. Sie macht zwar genau, das, was andere Essence Hunter auch tun, aber sie gibt die Essenzen nicht an die Wächter ab, oder verkauft sie, wie die anderen. Keiner weiß wirklich, was sie mit den ganzen Essenzen tut, und so schnell wird man das wohl auch nicht herausfinden, denn sie arbeitet immer und ausschließlich alleine.“

„Der Weise aus der Küche?“, hakte Layla skeptisch nach. Constantin neben ihr sah auch nicht viel überzeugter aus, mit seiner hochgezogenen Augenbraue.

Phobos gluckste.

„Er ist einer von diesen weisen, alten Einsiedlern“, erklärte er grinsend. „Nur, dass er die Leute immer in der Küche empfängt.“ Da die beiden immer noch ein wenig irritiert dreinschauten, fuhr er ernster fort: „Er ist schon uralt und niemand weiß, wie alt wirklich, wann er geboren wurde, oder was er überhaupt ist. Er steht auf keiner Seite, bietet aber jedem seine Dienste an. Den Bewahrern ist er – warum auch immer – ein Dorn im Auge, aber das hindert die Leute trotzdem nicht daran ihn aufzusuchen und um Rat zu bitten. Wenn er ihn gewährt, führt er die Bittenden nun mal in seine Küche. Keiner weiß, warum er das macht, aber er tut es. Und Gwen war eine der wenigen Schülerinnen beziehungsweise Schüler, derer er sich über die Jahrhunderte angenommen hat. Man munkelt, der Grund, warum er keine weiteren Schüler nach Gwen angenommen hat, sei ein Streit mit ihr gewesen, nachdem sich ihre Wege trennten. Da das alles nur Gerüchte sind, weiß man auch nicht, ob die Ursache für den Streit ihre Verwandlung zum Vampir war. Denn sie war früher, genau wie ich, eine Halbfey.“

„Und diese Frau ist jetzt bei meiner Tante?“, fragte Constantin und Clancy konnte ihm den anschuldigenden Tonfall nicht verübeln.

„Ja“, nickte Clancy und versuchte sich sein eigenes Unbehagen bei dem Gedanken daran nicht anmerken zu lassen. „Aber es besteht keinerlei Gefahr für deine Tante. Gwen interessiert sich nur für Essenzen und Sybille hat keine. Sie hat sie einzig und allein in ihrer Funktion als Seherin aufgesucht.“

„Und was will dieser Sehertrupp jetzt?“, schaltete sich Layla wieder ein.

„Seher haben ihr eigenes kleines Netzwerk und heute haben sie unerwartet Sybille kontaktiert und um ein Treffen gebeten. Sybille hatte ein ungutes Gefühl und hat mich schließlich gebeten zu ihr zu kommen, falls es… unklärbare Uneinigkeiten geben sollte. Vor allem zwischen einigen anderen Sehern und Gwen. Dass sie da war zeugt eigentlich nur von der Nützlichkeit des Netzwerkes. Wie dem auch sei, zwei der Seher haben zufällig miteinander über ihre Visionen geredet und eine Ähnlichkeit zwischen ihnen festgestellt. Daraufhin wollten sie ihr Wissen mit weiteren Sehern vergleichen und eine Kettenreaktion brach los. Im Endeffekt hat sich eine Kongregation aus 16 Sehern bei Sybille eingefunden und eine scheinbar endlose Diskussion gestartet. Jeder von ihnen hat Unruhen in irgendeiner Form gesehen, jedoch waren die Auslöser und Ausgänge unterschiedlich, teilweise waren sie auch einfach nur absurd. Ein Seher hat zum Beispiel gesehen, wie jemand versucht hat die Göttin der Dunkelheit zu befreien, ein anderer hat einen Krieg zwischen Wächtern und Bewahrern gesehen und wieder ein anderer meinte herausgefunden zu haben, dass die Söldner mit der Nebelhexe zusammenarbeiten werden, was an sich schon nicht geht, weil die Nebelhexe seit fast 300 Jahren tot ist. Kurz und bündig gesagt, wissen sie nur, dass Unruhen auf die Welt zukommen werden und zwar bald. Sehr bald. Sie stellen sich nun die Frage, wo sie in dem Ganzen stehen. So wie es aussieht wollen sie jetzt ein Bündnis zur Selbsterhaltung gründen“, endete er schließlich.

„Sonst nichts?“, wollte Phobos mit hochgezogenen Brauen wissen.

„Nein“, antwortete Clancy kopfschüttelnd. „Sie haben anfangs ein paar nette Feindlichkeiten ausgetauscht und dann endlich begonnen zu diskutieren. Und bevor du sagst, dass Seher immer Unruhen vorhersehen, diesmal ist es anders. Es scheint etwas Ernsthaftes dran gewesen zu sein. Die Spannung im Raum war hoch und von der Nervosität ganz zu schweigen. Alle waren unruhig, selbst Gwen.“

„Woohoo“, entgegnete sein bester Freund trocken.

„Du sagst es“, stimmte ihm Clancy ernst zu.

„Das heißt, eine Sehergang belagert jetzt unser Haus?“, fragte Constantin.
 

„Sieht wohl so aus“, bestätigte Clancy. „Das bringt mich allerdings auf einen weiteren Punkt: Wir werden früher mit dem Training beginnen, als ich anfangs geplant hatte. Wenn Gwen da ist, solltet ihr schnell eure Kräfte unter Kontrolle haben und die Essenzen an euch binden. Auch wenn sie dem Seherbündnis beitreten will, heißt das nicht, dass sie nicht ein reges Interesse an euch haben kann. Ihr seid schließlich keine Seher und damit Freiwild. Wenn ihr die Essenzen an euch gebunden habt, wird sie das Interesse an euch verlieren. Sie hat nur ein Prinzip und jeder weiß das: Keine gebundenen Essenzen stehlen.

Wir werden noch kein wirklich körperliches Training machen können, aber mit dem mentalen können wir zumindest beginnen. Da es jetzt so spät ist, würde ich sagen, dass wir frühestens morgen Abend anfangen, wenn nicht übermorgen“, erklärte er du die beiden nickten ernst und nervös zugleich.

„So, und jetzt seh‘ ich mir noch deinen Arm an, Layla und dann geht’s ins Bett“, meinte er und stand auf. Seine Tochter und Constantin taten es ihm gleich und folgten ihm schließlich in sein Badezimmer im Erdgeschoss, dass sie zuvor schon für medizinische Aktivitäten genutzt hatten.

Ohne Umschweife setzte sich seine Tochter auf den Wannenrand und es tat Clancy in der Seele weh, zu sehen, wie routiniert sie den Verband abnahm. Der erwartungsvoll schlichte Blick, der nur zeigte, dass sie mit der Situation abgeschlossen hatte und sie als gegeben sah, machte es auch nicht besser. Liese seufzte er.

Ich wollte nie, dass Layla in das alles hineingezogen wird…

Jedoch tat er seine Gedanken nicht kund und setzte sich auf den Toilettendeckel, um ihren Arm zu untersuchen. Sie hielt vollkommen still und zuckte nicht einmal als er ihren Arm berührte. Der Schnitt war in der Mitte des Unterarms ein paar Zentimeter aufgegangen. Eine ungewöhnliche Stelle. Auf Clancys Frage hin, wie das passiert sei, erwiderte sie nur „Ein Missverständnis“ und sah ihm direkt in die Augen. Constantin wirkte auf Laylas Antwort hin etwas verärgert. Doch Clancy beließ es dabei und nahm sich vor, den Jungen bei einer anderen Gelegenheit danach zu fragen, da seine Tochter offensichtlich nicht darauf eingehen wollte.

„Ich fürchte, ich muss das noch einmal nähen“, sagte er und sah Layla ernst an. Sie nickte nur und widersprach nicht. Zwei weitere Stiche in Clancys Brust. Einmal aus Freude und Stolz, dass eine Tochter so tapfer und praktikabel war und nicht jammerte, und einmal aus Traurigkeit, dass es soweit kommen musste.

Er reinigte den Schnitt noch ein weiteres Mal und träufelte die Lösung, die Bláthín für ihn gebraut hatte, auf Laylas Arm. Ihre Augen verengten sich leicht, doch zeigte sie kein weiteres Zeichen von Unbehagen, das die brennende Lösung sicher in ihr hervorrufen musste. Die Nadel, die er aus dem Verbandskasten holte, desinfizierte er wie üblich mit Hitze, ohne mehr als einen Gedanken daran zu verschwenden. Die Tätigkeit hatte sich auf dem Schlachtfeld und danach rasch zur Routine entwickelt. Er zog einen Faden durch das Nadelöhr, und begann zu nähen.

Layla sog beim ersten Stich noch scharf Luft ein und Clancy blickte besorgt auf, doch sie betrachtete ihren Arm mit dem selben nüchtern-gequälten Blick, den sie auch schon zuvor aufgesetzt hatte, und er setzte seine Arbeit fort.

Nachdem er ihren Arm erneut verbunden hatte, verabschiedeten sich Layla und Constantin mit gegähnten „Gute Nacht“-Wünschen und begannen die Treppe hinaufzusteigen, um wenigstens noch ein paar Stunden zu schlafen. Im letzten Moment fiel Clancy noch etwas ein und er hielt Constantin zurück, um ihm die Tasche zu überreichen, die Sybille ihm für ihren Neffen mitgegeben hatte. Zuerst verwirrt, dann aber verstehend nahm er die Tasche entgegen und bedankte sich müde lächelnd.

Clancy blickte ihnen noch ein paar Augenblicke nachdenklich hinterher, nachdem sie schon verschwunden waren, bis er schließlich auch die Tür zu seinem Schlafzimmer öffnete und eintrat.
 

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So, hiernach kommt jetzt die Stelle, an der ich gewaltig hänge... Es kann also ein bisschen dauern, bis das nächste Kapitel kommt.

Die Jägerin

Als Constantin am nächsten Morgen aufwachte und hinunter ins Bad ging, fragte er sich, ob er bald hier einziehen würde, wenn er jetzt schon eine Zahnbürste bei Layla zu Hause hatte. Er nahm frische Kleidung, eine Jeans und ein dunkles Hemd, aus der Tasche, die Clancy ihm am Vorabend von seiner Tante gegeben hatte, und zog sich an. Noch immer etwas müde begann er sich die Zähne zu putzen und setzte sich auf den Wannenrand. Lautlos erschien Phobos wie ein Schatten in der Tür und sprang auf eine der Kommoden.

„Mohgn“, sagte Constantin mit der Zahnbürste im Mund.

„Morgen“ entgegnete der Kater wie üblich grinsend. „Obwohl ‚Morgen‘ relativ ist. Wir haben fast ‚Mittag‘… Clancy ist schon zu deiner Tante aufgebrochen. Er hat Layla zwar einen Zettel geschrieben, aber wenn ich es weiß, warum sollte ich euch es nicht auch sagen? Ich denke allerdings, es ist besser, wenn ihr beide heute hier bleibt bis Clancy wieder kommt. Hier kann ich euch wenigstens schützen. Draußen in der Stadt sähe es schon seltsam aus, wenn zwei Jugendliche in einem Café oder sonst wo sitzen und eine Katze dabei haben.“

Da Constantin nicht mit der Zahnbürste im Mund so viel sprechen wollte, beschränkte er sich darauf verstehend zu nicken.

Nur wenige Augenblicke später konnte er Schritte im Flur ausmachen und Layla erschien gekleidet in eine dunkelblaue Jeans und ein Eluveitie-T-Shirt ebenfalls im Türrahmen. In der Hand hielt sie einen kleinen gelben Notizzettel und mit einem Blick auf Phobos fragte sie: „Du weißt Bescheid?“

„Sieht so aus“, bestätigte er nickend.

Ein schelmisches Grinsen breitete sich auf Laylas Gesicht aus, auf das Phobos hätte stolz sein können.

„Bock auf Street Fighter?“
 

Nach dem Aufstehen hatte Clancy Phobos aufgesucht und ihm seine Pläne für den Tag erklärt. Dass er wieder zu Sybille fahren würde, um zum einen zu sehen, wie die Verhandlungen liefen und zum anderen um als neutrale Partei zu fungieren, damit nicht heilloses Chaos ausbrach. Schnell hatte er noch Layla einen Notizzettel geschrieben, in dem er sie und Constantin gebeten hatte, das Haus nicht zu verlassen. Auf dem Weg zu seinem Auto aß er noch schnell ein Brot und stieg schließlich in den Wagen. Die kurze Fahrt war ereignislos und erst als er auf den Platz vor Sybille Morgenthals Haus seinen Wagen abstellte, bemerkte er ein paar neue Autos. Da viele Seher, wie auch Sybille, nur geringe magische Fähigkeiten besaßen, mussten sie sich der herkömmlichen Verkehrsmittel bedienen, anstatt Portale zu benutzen. Natürlich konnten sie jemanden dafür bezahlen eines zu erschaffen, aber wie kamen sie dann wieder von dem Ort weg, an dem man sie befördert hatte?

Clancy stieg aus seinem Auto, schloss es noch schnell ab, und machte sich auf den Weg zum Haus. Verwundert musste er feststellen, dass die Haustür offen stand. Er klopfte an die Tür und trat in den dämmrigen Flur.

Überall um ihn herum konnte er Stimmen vernehmen, die leise miteinander redeten oder diskutierten. Er war nur ein paar Schritte gegangen bevor er eine Gestalt an eine Kommode gelehnt stehen sah.

Gwen.

Für eine menschliche Frau wäre sie groß gewesen mit ihren 1,80 Meter, doch für eine Fey war das eher unterer Durchschnitt. Ihre gemischte Herkunft fiel kaum auf, denn sie sah mehr nach Fey als nach Mensch aus. Ihre langen weißen Haare fielen ihr seidig den Rücken hinunter und ihre Haut wirkte wie Porzellan. Das einzige, was in ihrem Gesicht widersprüchlich und dennoch passend zugleich wirkte waren ihre blutroten Augen. Wie auch bei den seltenen Gelegenheiten, bei denen sie aufeinander getroffen waren, trug sie ihre übliche dunkle feste Lederkleidung, die sie für ihre Arbeit bevorzugte. Gegürtet mit mehreren Messern stand sie lässig an die Kommode gelehnt und grinste ihn mit ihrer üblichen Mischung aus Spott und Arroganz in den Augen an. Nicht, dass er es persönlich nahm. Gwen lächelte jeden so an. Clancy würde sich erst Sorgen machen, wenn sie ihn nicht so ansehen würde.

„Na, Mr. Wächter? Gut geschlafen?“, fragte sie in dem Akzent, den sie selbst in über 400 Jahren nicht verloren hatte, und ihre Augen funkelten.

„Mr. Ex-Wächter, wenn ich bitten darf. Soviel Zeit muss sein“, erwiderte er und lächelte auf seine eigene kühle Art zurück. „Ich würde ja dieselbe Frage stellen, aber Vampire schlafen nicht.“

Belustig kicherte sie und stieß sich von der Kommode ab.

„Wir haben weiteren hinterwäldlerischen Besuch bekommen“, meinte sie und ohne ein weiteres Wort darüber zu verlieren, machte sie sich auf den Weg in den Wintergarten, der zu einer Art Konferenzsaal umfunktioniert wurde.

Da Clancy nicht viel darauf gab, wen Gwen für einen Hinterwäldler hielt und wen nicht, zuckte er nur mit den Schultern. Dennoch machte er sich weiter auf den Weg in den hinteren Teil des Hauses und stieß auf seinem Weg auf Sybille, die sich in der Küche mit dem großen Indianer unterhielt, der als einer der wenigen mit einem Portal gekommen war, das er selbst geschaffen hatte. Namid, war sein Name, wenn Clancy sich richtig erinnerte. Da Sybille und er hitzig diskutieren zu schienen, gesellte er sich zu ihnen.

Namid war mindestens einen halben Kopf größer als Clancy und sah wie der typische Indianer mit seinem Federschmuck, Halsketten und langen dunklen Haaren, die er offen trug, aus. Das einzige, was ihn daran hinderte, wie ein verschmähter Winnetou auszusehen, waren die Jeans und das Holzfällerhemd, die er trug.

Als Clancy sie erreichte, redete er gerade auf Sybille ein.

„Wie kannst du die in dein Haus lassen?! Ich bin dagegen, sie in das Bündnis mit aufzunehmen“ , beschwerte er sich, doch Sybille sah ihn etwas ratlos, aber immer noch aufgebracht an. Erst da dämmerte Clancy, dass sie nicht verstand, was er gesagt hatte.

„Tut mir leid, aber ich habe dich nicht verstanden“, bestätigte sie Clancys Verdacht, „du musst schon Englisch oder Deutsch mit mir reden.“

Erneut wiederholte Namid seine Forderung mit einem straken Akzent, aber auf Deutsch, und diesmal schüttelte Sybille ihren Kopf zur Antwort.

„Nein. Ich lasse jeden hier bleiben, der wünscht dem Bündnis beizutreten. Wir sollten jeden zulassen, denn jede Fähigkeit ist nützlich. Aber es ist nicht an mir das zu entscheiden. Gestern haben wir uns einheitlich für eine Mehrheitsabstimmung entschieden, falls du dich erinnerst“, erwiderte sie gefasst. „Das einzige, was ich verlange, ist, dass niemand Magie in meinem Haus wirkt.“

„Und er“ – er deutete entnervt auf Clancy – „darf das, oder wie?“

Er ist ein Freund, den ich gebeten habe herzukommen, weil ich nicht denke, dass eine so unterschiedliche Gruppe die ganze Zeit unter ein und demselben Dach eingepfercht, friedlich bleibt, ich im Falle des Falles damit klarkomme und mein Haus noch steht!“, erwiderte sie mit geröteten Wangen.

„Ich habe einen Namen, wisst ihr?“, schaltete Clancy sich kühl ein und Sybille sah ihn um Verzeihung heischen an.

Ich bin mir nicht sicher, ob ich einem Bündnis beitreten will, dem auch diese untoten Bestien bewohnen…“, grummelte Namid in seiner Sprache und starkste missgelaunt davon.

Daher weht der Wind…

„Was hat er gesagt?“, fragte Sybille noch immer irritiert.

„Er hat vornehmlich seinen Unmut darüber kund getan, dass wahrscheinlich auch Vampire dem Bündnis beitreten wollen. Vampire und indianische Stämme haben ihre ganz eigene Geschichte, und nicht erst seit Twilight“, erklärte er.

„Tut mir leid, wegen eben…“, meinte Sybille.

„Schon okay. Ich meinte auch eher Namid. Aber vielleicht hat er recht und ich sollte die Magie auf ein Mindestmaß reduzieren. Ich bin mir auch nicht sicher, ob ich alle unter Kontrolle halten kann, wenn die Hölle losbricht. Selbst wenn ich Phobos hier bei mir hätte. Allein schon Gwen kann durch ihr langes Leben und ihre gemischte Herkunft auf ein großes Repertoire von Fähigkeiten zurückgreifen“, erläuterte Clancy nachdenklich.

„Ich denke mittlerweile es wäre durchaus nützlich, wenn wir zumindest einen Runendruiden dabei hätten, aber die werden schnell von anderen Gruppen angeworben…“, murmelte Sybille. „Die Leute neigen alle dazu in ihre eigene Sprache zurück zu fallen und man kann sich nicht sicher sein, was sie wirklich meinen. Runenringe wären da schon praktisch…“

Währenddessen gingen sie gemeinsam in den Flur und erregte Stimmen wurden lauter. Ein wenig alarmiert sahen sie sich an und gingen schnell in die Richtung, aus der der vermeintliche Streit zu kommen schien.

Als sie in den Wintergarten traten, sahen sie Gwen mit einer jungen Frau diskutieren, die Clancy noch nicht kannte, folglich musste sie einer der Neuankömmlinge sein. Sie hatte braunes Haar und ihre hellbraunen Augen funkelten Gwen zornig an, die den Blick jedoch lässig erwiderte. Die Kleidung der jungen Frau war ebenfalls so praktisch wie die Gwens und ähnelte der des braunhaarigen Mannes mittleren Alters, der neben der jungen Frau mit verschränkten Armen stand. Er war ungefähr so groß wie Clancy, vielleicht wenige Zentimeter größer, und betrachtete sich die Szene, die sich ihm bot. Die ältere russische Dame mit Namen Galina, die es sich in einem Schaukelstuhl bequem gemacht hatte, sah dem Ganzen etwas genervt zu.

„… das war mein Revier!“, fauchte die junge Frau gerade und Clancy vermutete durch den Akzent eine ungarische oder rumänische Herkunft. „Du hattest dort nichts zu suchen!“

„Revier? Seit wann gibt es in diesem Job sowas wie ‚Reviere‘?“, entgegnete Gwen in ihrem üblichen spöttischen Tonfall. „Und im Übrigen recherchiere ich. Ich weiß ja nicht, ob du in deinem kleinen Waldkaff davon schon mal was gehört hast, Köter. Seit Ewigkeiten war niemand mehr in diesen Gebiet aktiv, wahrscheinlich schon nicht mehr als ich noch gelebt habe. Ich habe nur an mich genommen, was ohnehin vergessen wurde.“

„Vergessen?“, bellte sie. „Wohl eher heimlich aus einem gesicherten Trakt gestohlen! Im Gegensatz zu dir untotem Miststück recherchiere ich gründlich!“

Gerade wollte Gwen etwas erwidern, als sich Galina einschaltete.

Könnt ihr vielleicht endlich mit diesem vermaledeiten Penisvergleich aufhören und euch verdammt nochmal hinsetzen? Es gibt hier durchaus Leute die sich an dem Bündnis interessieren! “, fluchte sie auf Russisch, doch niemand schien sie verstanden zu haben. Denn alle Augen richteten sich erwartungsvoll und auch überrascht auf Clancy.

„Was hat sie gesagt?“, fragte Sybille.

„Ähm… Muss ich das wörtlich wiedergeben?“, fragte er ausweichend.

„Nur wenn es Ihre Fähigkeiten nicht überschreitet, werter Herr Ex-Wächter“, meinte Gwen mit funkelnden Augen und legte eine besondere Betonung auf das ‚Ex‘, wahrscheinlich in Anspielung auf ihre vorangegangene Diskussion.

Clancys Augen verengten sich. So trocken wie nur irgend möglich wiederholte er das Gesagte in einer übersetzten Fassung.

Natürlich brach sofort ein weiterer Streit vom Zaun.

Clancy seufzte als ihm von der jungen Frau Sexismus vorgeworfen wurde und zu seiner Überraschung Gwen ihn verteidigte – zwar höchst spöttisch, doch immerhin – und meinte, er habe doch nur übersetzt. Fluchend wandte sich die Frau Gwen wieder zu und da Clancy Handgreiflichkeiten vermeiden wollte, schaltete er sich wieder ein.

„Jetzt ist aber mal Ruhe hier! Verhaltet euch gefälligst eurem Alter entsprechend und setzt euch hin! Und ich will jetzt nichts davon hören, dass man Frauen nicht auf ihr Alter anspricht! Das interessiert gerade herzlich wenig“, fügte er hinzu, als er merkte wie sie wieder aufbegehren wollten. „Hier sind zwei Stühle und wenn ihr nicht wollt, dass ich mich wie im Kindergarten zwischen euch setzte, verhaltet ihr euch ruhig und gesittet und nicht wie zwei keifende Furien!“

Sichtlich über diese Anordnung erbost setzten sie sich auf die beiden Stühle und starrten die gegenüberliegenden Wände in Grund und Boden, würdigten die jeweils andere Frau jedoch keines Blickes. Selbst die normalerweise beherrschte Gwen wirkte aufgekratzt und ließ sich dazu hinreißen ihre übliche arrogante Maske abzulegen und eine säuerliche Grimasse zu ziehen.

Na, das kann ja heiter werden…
 

Während dem späten Frühstück klingelte Constantins Handy und er nahm den Anruf mit einem „Morgenthal?“ entgegen.

Layla beobachtete ihn über den Rand ihrer Cornflakesschüssel hinweg mit einem mehr oder weniger interessierten Blick.

„Nein, tut mir leid“, sagte er gerade zu der Person auf der anderen Seite. „Meine Tante hat unerwartet Besuch bekommen und ich muss anwesend sein…“

Es folgte mehrmaliges Nicken, dass sein Gesprächspartner sicher nicht sehen konnte, was er nach einer Weile auch realisiert haben musste, denn er wiederholte Dinge wie „Ja. Nein. Sorry, geht heute nicht.“ Nachdem sich diese für Layla wenig aufschlussreiche Konversation noch einige Augenblicke fortsetzte, endete er schließlich mit: „Ja, vielleicht ein anders Mal. Okay, ich frag sie. Tschüss.“

Layla musste verwirrt ausgesehen haben, denn er begann sogleich zu erklären, während er sein Handy zurück in seine Hosentasche schob.

„Das war Patrick. Er wollte ins Kino gehen und wollte, dass ich dich auch frage, aber heute geht ja wohl eher weniger. Ich kann ihm ja schlecht sagen, dass dein schwertschwingeder Vater versucht mir in der nächsten Zeit selbiges beizubringen und unser Haus von einer Gang Wahrsager belagert wird, oder?“

Mit einem Schulterzucken und hochgezogenen Augenbrauen stimmte sie zu und begann die Milch aus ihrer Schüssel zu trinken.

Danach folgten mehrere Stunden, in denen sie versuchten sich zu beschäftigen und Laylas Playstation hatte eine sehr aktive Rolle dabei. Irgendwann im Laufe des Tages kam Phobos durch die offene Zimmertür getapst und sprang neben Layla, die im Schneidersitz saß, auf das Sofa.

Als auf dem Bildschirm ein weiteres „Player 2 wins“ erschien, klopfte es an der Tür. Im selben Moment begann Constantin ein grummelndes Geräusch von sich zu geben und Layla sah ihn um Verzeihung bittend an, während ihr Vater ins Zimmer trat. Verwirrt blickte er auf die Szenerie und zog eine fragende Augenbraue hoch.

„Layla hat ihm in Street Fighter abgezogen. Mehrmals“, erklärte Phobos, als er vom Sofa sprang. „Deine Tochter spielt gewaltverherrlichende Spiele, weißt du das?“

Grinsend nahm Clancy die Aussage entgegen und wandte sich dann schließlich an die beiden Jugendlichen, die im Begriff waren aufzustehen.

„Habt ihr schon gegessen?“

„Nein, aber wir haben Essen vorbereitet“, antwortete Layla.

Ihr Vater sah sie einige Sekunden sprachlos an, bis er sie schließlich ein eine rippenbrechende Umarmung zog.

„Was für eine gute Tochter ich habe!“, rief er erleichtert.

Von der Tür aus konnte sie Phobos mittlerweile bekanntes Lachen ausmachen und ein Blick auf Constantins schwer neutrales Gesicht, konnte auch nicht verhindern, dass ihr die Schamesröte ins Gesicht stieg.

„Dad, that’s embarrassing! Cut it out!“, versuchte sie sich zu wehren und wechselte unbewusst ins Englische.

Nach ein paar Augenblicken ließ er sie schließlich los und ging schnell, und offensichtlich auf Wolke sieben schwebend, beschwingt aus dem Zimmer in den Flur. Layla bemühte sich möglichst nichts genau anzusehen und folgte ihm steifen Schrittes. Aus dem Augenwinkel meinte sie zu sehen, wie sich Constantin und Phobos ein kurzes Grinsen zuwarfen.

Elende Verräter…

Als sie schließlich die Treppe hinunterstieg, hörte sie schon ihren Vater in der Küche laut klappernd hantieren. Schnellen Schrittes schloss sie zu ihm auf, denn wenn ihr Vater versuchte zu kochen, kam selten etwas Essbares dabei rum. Sie nahm ihm kurzerhand die Pfanne aus der Hand und er sah sie ein wenig verletzt an. Obwohl er nicht kochen konnte, tat er es sehr gerne.

Nachdem Layla sie alle vor dem möglichen Hungertod bewahrt hatte, und sie voll und gesättigt am Küchentisch saßen, fragte Phobos schließlich: „Und? Steht Sybilles Haus noch?“

„Mehr oder weniger“, antwortete Clancy und setzte sich auf seinem Stuhl zurecht. „Gelegentlich wollten einige Parteien nicht mit anderen zusammenarbeiten und ich musste eingreifen, aber sie haben sich schon mal darauf geeinigt, so etwas wie einen Rat aufzubauen. Mit einem Vertreter jeder Rasse als jeweiligen Ansprechpartner. Jetzt laufen noch Verhandlungen, wer welches Amt übernehmen soll und so weiter und sofort. Da Seher normalerweise abgeschieden leben, sind sie nicht gerade sozial eingestellt… Zumindest konnten sie nach langen Diskussionen dazu entscheiden, doch jeden Seher anzunehmen. Gelegentlich Einwürfe von mir, dass sie als neue, noch schwächelnde Gruppe in dieser Welt jede Gabe brauchen konnten, hatten natürlich rein gar nichts damit zu tun…“, erklärte er und ein schwaches, schelmisches Grinsen stahl sich auf seine Züge.

„Die Diskussionen über die Aufnahme kamen doch sicher erst wegen Gwen auf, oder?“, fragte Phobos mit einer hochgezogenen Augenbraue nach.

„Ja“, antwortete Clancy. „Obwohl ich widerstrebend zugeben muss, dass dazu wenig Grund besteht. Am Anfang gab es zwar einige Streitereien, die sie involvierten, aber die waren mit Werwölfen und Indianern, welche beide offenkundig etwas gegen Vampire haben. Sie an sich scheint an dieser Allianz mehr als nur interessiert. Ich zweifele nicht daran, dass es aus purem Eigennutz ist, weil wir hier immer noch von Gwen Lonescryer reden und nicht irgendwem, aber sie macht sehr rationale Vorschläge.“

„Ich habe mal eine Frage“, schaltete sich nun Constantin ein und nachdem Clancy ihn mit einer Handbewegung bedeutet hatte fortzufahren, sprach er weiter. „Was machen Vampire aus? Sicher nicht, dass man sie mit Knoblauch besiegen kann, oder? Und Werwölfe?“

Phobos ließ ein leises Lachen vernehmen und auch Clancy sah amüsiert aus.

„Vieles, was ihr bisher gehört habt, hat einen realen Hintergrund, aber nicht alles stimmt haargenau“, entgegnete Laylas Vater.

„Vampire sind untot und müssen Blut von Lebendem zu sich nehmen, um überleben zu können. Ob das Tiere, Menschen oder andere Wesen sind, ist egal. Das stimmt soweit“, fuhr Phobos fort. „Aber sie verbrennen nicht im Sonnenlicht. Sie werden schwächer, ja, aber sie sterben nicht. Silber macht gute Löcher in ihren Körpern, aber um sicher zu gehen, dass sie wirklich tot sind, sollte man ihnen, wie jedem Lebewesen, den Kopf abschlagen und/oder sie verbrennen. Desweiteren stimmt das mit dem Knoblauch nicht. Rosenkohl ist das wahre, wenn’s um Vampire geht.“

„Rosenkohl?“, fragte Layla mit hergezogenen Augenbrauen.

„Naja, kann ich verstehen“, meinte Constantin schulterzuckend und Phobos grinste. Wieder einmal.

„Was ist mit sowas wie Kreuzen?“, wollte Layla nach einem Seitblick auf Constantin wissen. „Heilige Reliquien et cetera?“

„Auch Humbug“, antwortete Clancy. „Sie haben immer noch ihre Seelen. Dieses ganze heilige Gedöns wirkt nur bei seelenlosen Wesen; Ghoule, Zombies und so weiter. Und hinzukommt, dass in unserer Welt eine andere Religion vorherrscht, als bei den nichtmagischen Menschen. Im Normalfall wird bei uns der Gott des Lichtes verehrt.“

„Ist dann die Göttin der Dunkelheit sowas wie der Teufel?“

„Ganz grob gesehen, ja“, bestätigte Phobos. „Nur das mit den Engeln und Dämonen… nee, das gibt’s in diesem Konzept nicht. Es gibt Tempel und Priester, an die man sich wenden kann, aber es gibt nicht sowas wie Heiligenverehrung. Und als die Göttin versiegelt wurde, hat man auch alle ihre Tempel zerstört und die Priester getötet. Sicher gibt es noch einige Subkulturen, die die Göttin anbeten, aber das ist wie bei den Menschen eher sektenartig. Ohne richtige Priester kann eine Religion nicht bestehen. Man mag es zwar kaum glauben, aber die Vampire und auch die Therianthropen, also ‚Werwesen‘ wenn man so will, gehören beide zu den lichten Wesen.“

„Und was können die so? Ich meine, Menschen benutzen Runen, so wie ich das verstanden habe, aber was machen dann die anderen?“, fragte Constantin.

„Vampire“, begann Clancy, „benutzen Illusionen, gelegentlich Beschwörungen, wie auch Druiden oder Hexen, und auch Blutmagie, welche sie aber schwächt, weswegen sie eher selten zum Einsatz kommt. Je nachdem, was ein Vampir vor seinem Tod war, hat er auch noch Zugriff auf seine alten Fähigkeiten. Ähnlich verhält es sich mit Therianthropen. Sie können zwar als solche geboren werden, aber gehen auch aus anderen Wesen hervor. Mit dem berühmten Biss. Therianthropen haben an sich die Fähigkeit auf Wilde Magie, wie auch Fey, zurückzugreifen, aber vornehmlich benutzen sie Mondmagie. Welche logischerweise je nach Stand des Mondes variiert. Ein Therianthrop kann sich immer verwandeln, wenn er will, mit einer Ausnahme: Vollmond. Bei Vollmond müssen sie dem Ruf Folge leisten und können die Verwandlung nicht verweigern.“

Sie nickten und versuchten die neuen Informationen in sich aufzunehmen.

„Ihr habt schon oft von ‚Fey‘ geredet… Und Phobos und diese Gwen sind zur Hälfte welche. Aber was sind Fey?“, fragte Layla schließlich.

„Zu den Fey gehören unserer Definition nach eigentlich viele unterschiedliche Rassen“, begann Phobos. „Feen, Zwerge, Elfen, Kobolde… und diejenigen unter ihnen, die den Menschen sehr ähnlich sehen, die Sidhe. Sie können Verbindungen mit Menschen eingehen und sind sehr interessiert daran. Nicht selten locken sie auch Ahnungslose in ihre Hügel, weil sie sie begehren oder interessant finden. Einige wenige entscheiden sich, selbst die Hügel zu verlassen und bei den Menschen zu leben. Wenn, dann heiraten sie oft Aristokraten mit einer mehr oder minder magischen Blutlinie, wie zum Beispiel bei Gwens Eltern.“

„Folglich ist gemischtes Blut günstiger, oder?“, wollte Constantin wissen.

„Das lässt sich auch wieder nicht eindeutig beantworten“, seufzte Clancy. „Natürlich gehen aus gemischten Verbindungen Kinder mit einer größeren Gabenkapazität hervor, allerdings weiß man nie wie gut diese Gaben entwickelt sind. Kinder mit reinrassigem Blut besitzen zwar zahlenmäßig weniger Gaben, aber dafür sind die, die sie haben, umso stärker. Zum Beispiel: Normal-magisch begabte Menschen, wie ihr beide, haben geringe telekinetische Fähigkeiten. Wenn sich jetzt aber zwei Blutlinien kreuzen, die beide starke Telekineten hervorgebracht haben, überträgt sich das auf das Kind und es wird ein noch stärkerer Telekinet. Wenn eine der menschlichen Blutlinien jetzt sich mit einer Feyblutlinie verbinden, hat das Kind zwar höchstwahrscheinlich dieselben telekinetischen Fähigkeiten, wie die Eltern, aber selten wird es noch stärker als durch bloßes Training erreicht werden kann. Dafür ist es aber möglich, dass das Kind Feyattribute hat und die beiden Gaben dann auch noch verbinden kann.“

„Das ist zwar die generelle Regel, aber es gibt dabei natürlich Ausnahmen“, fügte Phobos hinzu. „Zum Beispiel werden Kinder stärker als ihre Eltern und das ohne besonderes Training. Oder aus Blutlinien, von denen man nichts Weltbewegendes erwartet hätte, geht überraschenderweise ein Hexer hervor. Natürlich ist es auch anders herum möglich. Dass zum Beispiel hochmagische Blutlinien magieunfähige Kinder zeugen.“

„Ist das schon lange bekannt?“, platze Layla heraus, obwohl sie es eigentlich nicht wollte. Ihr Vater und Phobos sahen sie fragend an und sie rutschte unangenehm berührt auf ihrem Stuhl herum. Langsam schien es den beiden zu dämmern, worauf sie hinauswollte und selbst Phobos Miene wurde ernst.

„Ja, ist es“, antwortete Phobos. „Und bevor du dich zwingst, das auch noch zu fragen; ja, man hat auch damit herumexperimentiert. Oder es zumindest versucht. Man hat gezielt Ehen zwischen bestimmten Blutlinien arrangiert, um stärkere Nachkommen zu zeugen, vor allem in alten Blutlinien. Als ich in eurem Alter war, war es eher unüblich, dass jemand, der einen Stammbaum für seine Blutlinie hatte, jemanden ohne heiratete“, erklärte er und seine Stimme schwankte nur leicht. Kaum merklich, doch Layla fiel es auf. „Man hatte eine gewisse Ahnung, was aus welchen Kreuzungen“ – dieses Wort troff nur so vor Verachtung – „hervorging und man wollte keine unerwarteten Überraschungen haben.“

Obwohl es Layla interessierte, traute sie sich nicht, weiter danach zu bohren, denn Phobos, den sie zwar als schelmisch, aber im Grunde gut eingeschätzt hatte, hatte ein zorniges Funkeln in den Augen, das ihr einen Schauer den Rücken hinunter jagte. Etwas altes, das niemals ganz geheilt war.

„Ich denke, das ist genug Genetik fürs Erste“, schaltete sich nach einer Weile Clancy ein. „Ich fürchte, für Unterricht könnte es heute etwas zu spät sein und ich denke, ich werde morgen wieder nicht da sein, aber Phobos kann euch das alles genauso gut, wenn nicht besser beibringen.“

„Danke, für die Blumen, Schatzi“, warf Phobos trocken ein, doch das Grinsen auf Clancys Gesicht machte deutlich, dass der Kater nur seine Verlegenheit überspielen wollte.

„Immer wieder gerne“, entgegnete er und wurde nun doch wieder ernster. „Phobos wird euch also erst einmal die Grundlagen beibringen und wenn ich morgen wiederkomme, sehen wir weiter.“
 

Nachdem sie am nächsten Tag aufgestanden waren und gefrühstückt hatten, hatte Phobos Layla und Constantin gebeten ihm in den Garten zu folgen und auf seine Anweisung hin brachten sie Sitzkissen und eine Schale mit Murmeln mit. Er ging ungefähr zur Mitte des Gartens und schien dann zu nicken. Da er offensichtlich zufrieden mit dem Standort war, legten sie sie Sitzkissen auf den Boden und setzten sich darauf, nur um ihren neuen Lehrmeister erwartungsvoll anzuschauen.

„Als allererstes müsst ihr euch der Energie um euch bewusst werden und dann könnt ihr lernen die Magie in euch für euch zu nutzen“, begann er. „Am besten setzt ihr euch so hin, wie es für euch am Bequemsten ist und schließt dann die Augen.“ Nachdem sie sich mehr schlecht als recht auf den Kissen niedergelassen hatten und seinen Anweisungen gefolgt waren, fuhr er fort. „Jetzt versucht euch einfach zu entspannen und nur die Geräusche der Umgebung wahrzunehmen.“

Es dauerte eine Weile doch dann nahm Layla das Zwitschern der Vögel, die leise Bewegung, die der Wind in den Ästen der umliegenden Bäume verursachte, das Summen der kleinen Insekten auf den Blumen wahr. Und schließlich hörte sie Constantin neben sich atmen und Phobos vor ihr; sogar ihrer eigenen Atmung wurde sie sich bewusst und wie das Blut durch ihre Ohren rauschte.

„Was hört ihr?“, ertönte Phobos‘ ruhige und überraschend tiefe Stimme in das Orchester aus Geräuschen.

Sie beschrieben ihre subtilen Eindrücke, die eine starke Ähnlichkeit aufwiesen, und Layla bemerkte, wie die doch so offensichtlichen Geräusche wieder in den Hintergrund traten, und sie öffnete schließlich widerstrebend ihre Augen. Die zarte Verbindung zur Umgebung war noch dort, doch schien sie sich langsam aufzulösen je mehr Layla versuchte sich auf das Gespräch zu konzentrieren.

Nachdem sie mit ihrer Darstellung geendet hatten, nickte Phobos zufrieden.

„Sehr richtig. Jetzt werdet ihr wieder versuchen auf eure Umgebung zu achten, aber meine Stimme im Hinterkopf zu behalten. Ihr solltet so früh wie möglich lernen eine Verbindung mit der Natur einzugehen und dennoch andere Dinge gleichzeitig zu tun. Glaubt mir, das kann euch in bestimmten Situationen, von denen ich hoffe, dass ihr nie in sie hineingeraten werdet, das Leben retten. Schließt jetzt bitte wieder die Augen.“

Wieder folgte Layla der Anweisung und sie meinte, dass es ihr dieses Mal etwas schneller gelang auf die subtilen Geräusche aufmerksam zu werden.

„Hört ihr die Vögel? Die Bäume?“, fragte Phobos. Nachdem sie wohl beide genickt hatten, um ihre Bestätigung lautlos zu signalisieren, fuhr er fort. „Gut. Dann möchte ich jetzt, dass ihr fühlt, wo die Lebewesen und Pflanzen sind, die ihr hört.“

Verwirrung machte sich in Layla breit und sie zog eine Augenbraue in die Höhe, doch schaffte es die Augen geschlossen zu halten.

„Wenn ihr es nicht beim ersten, zweiten oder dreißigsten Mal schafft, ist das nicht schlimm, dafür machen wir das hier und es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen“, versicherte er ihnen und seine Stimme hielt sich die ganze Zeit in derselben Tonlage. Gefasst und beruhigend. „Am Einfachsten ist es, wenn ihr euch auf ein Lebewesen konzentriert. Einen Vogel zum Beispiel. Stellt euch das ganze Gezwitscher wie ein Konzert vor und ihr versucht ein bestimmtes Instrument herauszuhören, den einen Vogel .“

Layla versuchte genau das zu tun, was er ihr sagte, und wurde schließlich auf eine Vogelstimme besonders aufmerksam. Es musste ein kleiner oder junger Vogel sein, denn seine Stimme klang noch dünn. Und er musste ganz in der Nähe sitzen, auf einem Baum oder auf der Vogeltränke.

„Habt ihr schon einen Vogel gefunden?“, fragte Phobos nach einer Weile. Und sie irgendwie beide lautlos ihre Bestätigung zum Ausdruck gebracht haben, denn der Kater fuhr fort. „Schön. Nun stellt euch bitte den Vogel als eine Energieform vor, eine Hülle, die Energie beheimatet.“

Layla hatte einen kleinen Spatz vor ihrem inneren Auge, der auf einer der umliegenden Eichen saß und vor sich hin zwitscherte. Nach dieser Anweisung stellte sie sich einen kleinen, hellen Lichtball vor, der dort auf dem Ast hockte. Wie eine kleine Sonne saß er dort, hüpfte gelegentlich nach rechts oder links und gab helle Töne von sich.

Um Phobos zu signalisieren, dass sie es wohl geschafft hatte, nickte sie, denn sie wagte noch nicht zu sprechen und so vielleicht die Verbindung zu lösen. Nachdem wohl auch Constantin bestätigt haben musste, ertönte Phobos‘ Stimme erneut.

„Jetzt stellt euch bitte euch selber auch als Energieform vor…“

Zu der kleinen Sonne auf dem Ast gesellte sich eine weitere, größere auf dem Rasen hinzu und nach einigen Augenblicken erschienen vor Laylas innerem Auge noch zwei weitere Lichtkugeln; eine in etwa der Größe ihrer Kugel und eine etwas kleinere.

„… und wie diese Energieform mit anderen in Verbindung steht, interagiert.“

Zwischen den Lichtkugeln erschienen mehr oder weniger dicke, leuchtend weiße Fäden. Der Faden, der ihre eigene Energieform mit der Constantins und Phobos‘ verband, war wesentlich dicker als der, der Layla und den kleinen Vogel verband. Während sie Phobs‘ Erläuterungen lauschte, erschien vor ihrem inneren Auge ein Netzwerk, dass alles irgendwie verband.

„Haltet dieses Bild fest vor eurem inneren Auge, sodass sich das Konzept regelrecht in euch einbrennt“, wies Phobos seine beiden neuen Schüler an.

Layla konzentrierte sich wie angewiesen noch einige Augenblicke auf das Bild vor ihrem inneren Auge, ließ es immer mal wieder in den Hintergrund treten und holte es in den Vordergrund zurück. Schließlich öffnete sie die Augen und sah Phobos vor sich sitzen, der sie und Constantin eindringlich betrachtete.

„Gut“, meinte er schließlich. „Wahrscheinlich habt ihr jetzt eine Art Netzwerk vor eurem inneren Auge, denn das ist es, was sie meisten verwenden, obwohl ich auch schon Leute getroffen habe, die ein Atommodel als Vorbild hatten… Wie ihr euch jetzt sicher denken könnt, fließt zwischen allen Wesen Energie und sie beeinflussen sich gegenseitig; nicht immer offensichtlich, aber oft subtil. Der Vogel, den ich euch gebeten habe euch auszusuchen, ist durch eure bloße Anwesenheit in diesem Garten aufgeregt und strahlt deswegen mehr Energie ab. Auf euer Auftreten hin. Wenn dies nicht der Fall wäre, könnte keine Verbindung zwischen euch entstehen.

Aber nicht nur Lebewesen, wie Tiere, strahlen Energie ab. Auch die Elemente an sich. Da die Elemente immer ihre Umgebung beeinflussen, sind sie auch immer in das Netzwerk eingebettet. Fische schwimmen im Wasser, Wasser befindet sich in fast jedem Körper. Alles Leben wandelt auf Erde, vieles Leben geht aus ihr hervor wie zum Beispiel Pflanzen. Luft umgibt fast jedes Lebewesen, denn ohne Luft könnten die Wenigsten von uns existieren. Feuer steht in enger Verbindung mit Elektrizität und ist daher schon in unseren Körpern, in den Synapsen unseres Gehirns, in den Nervensträngen vorhanden. Licht und Schatten sind überall, denn das eine kann ohne das andere nicht existieren, wie zwei Seiten einer Medaille“, versuchte Phobos so bildlich wie möglich zu erklären und seine beiden Schüler nickten und nahmen die neue Information in sich auf.

„Gerade weil die Elemente alles beeinflussen, kann man ihre Kraft immer irgendwie aus diesem Netzwerk ziehen. Und hier kommen eure Runen ins Spiel. Sie fungieren als eine Art Auslöser oder Abzug, wie bei einer Pistole, oder wie ein Medium. Die Runen erlauben es ihren Benutzern auf dieses Netzwerk zurückzugreifen und die jeweilige elementare Energie herbeizurufen. Runen dienen also als ‚Mittelsmann‘. Wenn ihr beide Eure Essenzen habt, müsst ihr den Umweg über die Rune nicht mehr gehen und könnt direkt eine Verbindung zu dem jeweiligen Element herstellen, da eine Essenz aus dessen purer, gebundener Energie besteht.“

„Und warum sind die Runen dann wichtig?“, wollte Constantin wissen.

„Gute und berechtigte Frage“, nickte der Kater. „Runen haben noch andere Funktionen, als ein Auslöser zu sein. Wenn man sie richtig benutzt, können sie ihre Umgebung beeinflussen.“

„Und wie sieht das dann aus?“, schaltete sich nun Layla ein.

„Zum Beispiel Telekinese oder Telepathie. Die Rune kann ebenfalls Verbindungen zu Gegenständen oder Wesen herstellen, mit denen man normaler weise keine Verbindung hat. Inwiefern man diese Verbindung dann nutzen kann, hängt aber von jedem selbst ab“, antwortete Phobos.

„Geht das denn auch ohne Rune?“, fragte Constantin, wahrscheinlich mit dem Gedanken an seinen Vater im Hintergrund, vermutete Layla.

„Ja, allerdings weiß ich immer noch nicht wie genau das ohne Rune funktionieren soll…“, antwortete er und setzte einen nachdenklichen Gesichtsausdruck auf. „Vielleicht sind geborene Telekineten und Telepathen wie auch Seher durch die Synapsen in ihrem Gehirn mit ihrer Umwelt verbunden. Ehrlich gesagt, kann ich dir diese Frage nicht beantworten, sondern nur Vermutungen anstellen.“

Constantin gab sich scheinbar damit zufrieden und nickte, doch legte sich seine Stirn nach wie vor in Falten.

„Aber ich möchte euch erst beibringen eure Rune zu nutzen. Mit Essenzen will ich erst beginnen, wenn ihr beide eine habt. Bei der aktiven Nutzung eurer Rune wird es sicher zu Fehlschlägen kommen. Vor allem bei dir Layla.“ Doch bevor sie aufbegehren konnte, sprach er weiter. „Du hast noch keine Essenz, was bedeutet, dass die Verbindungen bei dir noch nicht stark sind und schneller brechen können, deswegen will ich euch beibringen die Verbindungen zu stärken.“

Danach folgte eine Lehrstunde, in der Phobos ihnen beibrachte wie sie Energie durch das Netzwerk schicken konnten, um so die Murmeln aus der Schüsseln zum Schweben zu bringen. Und wie prophezeit musste Layla das Netzwerk schneller als Constantin loslassen, da alles vor ihrem inneren Auge verschwamm und drohte auszuarten. Nach diesem Versuch bekam sie höllische Kopfschmerzen, die Phobos mit einer Energieüberlastung erklärte.

„Wahrscheinlich hast du zu viel Energie auf einmal in die neue Verbindung gelassen und sie konnte sich nicht rechtzeitig entladen. Also hast du Kopfschmerzen bekommen, weil sich die Energie in deinen Körper entladen hat. Aber mach dir nichts draus, dein Vater war nicht besser“, grinste er und auf Laylas verdutzen Blick hin fuhr er fort. „Er hat es damals auch nicht so schnell hinbekommen, die passende Menge an Energie einzuführen. Dafür hat er schnell gelernt, die Energie aus seinem Körper fernzuhalten. Die Folge dessen waren dann kleine Explosionen und sein Zimmer bekam einen rußigen Touch.“

Ein wenig durch diese Worte aufgemuntert versuchte sie es erneut, mit ein wenig mehr Erfolg.

Die folgenden Tage und Magieversuche, wenn man es denn so nennen wollte, verliefen ähnlich. Zwar glaubte Layla alles richtig zu machen, und Phobos stimmte ihr auch zu, doch immer wieder kam es zu Querschlägen, bei denen die Dinge, die sie schweben lassen sollte, einfach zu Boden fielen, gelegentlich explodierten oder ein wenig zu schnell auf die Kopfe ihrer Mitmenschen zuflogen. Irgendwann schlug Layla frustriert vor, dass sie doch bitte nur noch mit Kissen üben wollte und nicht mehr mit Bechern, nachdem ihr Becher an Constantins Hinterkopf geflogen war, wodurch er die Kontrolle über seinen Becher verlor, der sogleich auf Phobos zu sauste, welcher dem Becher of Doom nur mit Mühe und Not ausweichen konnte. Für ihren Geschmack ein wenig zu dankbar wurde ihr Vorschlag angenommen.

Entgegen seiner Aussage, dass das Seherkonzil nicht mehr länger dauern konnte, saß Laylas Vater noch eine ganze Weile bei ihnen fest, um ein wenig Ordnung in das Chaos zu bringen. Erst Mitte August begannen sich die Fronten endgültig zu klären und die Seher begannen Sybilles Haus zu verlassen. Clancy konnte sie wenig unterrichten und bat sie daher zumindest ohne ihn joggen zu gehen, damit sich wenigstens ihre Ausdauer ein wenig aufbaute. Der Vorschlag wurde von Layla nur widerwillig angenommen, denn Gamer und sportliche Aktivitäten wie Laufen vertragen sich nicht immer miteinander.
 

Nachdem sie eigentlich nun endlich mit diesen ganzen Konzilsverhandlungen abgeschlossen hatten, stand Gwenn nun im Schatten der Bäum und hielt sich bedeckt. Zum einen weil sie nicht gesehen werden wollte zum anderen, weil die Sonne sonst ihren Teint ruinieren und ihre Haut erröten lassen würde. Sie beobachtete das Mädchen, das sich im angrenzenden Garten aufhielt und dessen Frustration sichtbar zunahm. Sie hatte einen verbohrten Gesichtsausdruck aufgesetzt und versuchte in diesem Augenblick mehrere Kissen auf einer Ebene schweben zu lassen. Vor bestimmt zwei Stunden war sie aus dem Haus getreten und versuchte sich seitdem alleine an dieser Übung. Und ebenso lange beobachtete Gwen sie und wartete auf den richtigen Moment.

Es ist so offensichtlich, dass sie die Tochter des Wächters – Exwächters -, fügte sie grinsend in Gedanken hinzu, ist. Die Ähnlichkeit ist offensichtlich.

Das Mädchen hatte rote, lockige Haare, nur eine Spur dunkler als die Clancy McCambridges, zurückgebunden in einem achtlosen Zopf, aus dem sich einige Strähnen lösten, und dieselben leuchtend grünen Augen.

Aber es war nicht die Tatsache, dass sie Clancys Tochter war, die Gwen dazu gebracht hatte, sich stundenlang die Beine im Unterholz in den Bauch zu stehen. Nein. Sie hatte einzig und allein Interesse an dem Mädchen selbst. Dass sie die Tochter des ehemaligen Wächters war, hatte Gwen erst kürzlich erfahren und rückte die ganze Angelegenheit in ein aufregendes neues Licht. Gwen hatte sie sofort erkannt, als sie sie vor einigen Tagen zufällig gesehen hatte. Das Mädchen, dass ich grade in dem idyllischen, benachbarten Garten abplagte, war das Mädchen, das in letzter Zeit ihre Visionen dominierte. Nicht das vermeintliche Weltende – das kam eher unterschwellig – sondern dieses Mädchen.

Als dem Mädchen ein weiteres Mal alle Kissen zu Boden fielen und sie ein mehr oder weniger gut unterdrücktes Wutschnauben von sich gab, sah Gwen den richtigen Moment gekommen aus dem Unterholz auf das Mädchen zuzutreten.

„Warum versuchst du es nicht mal mit einem Evenikel?“, fragte sie während sie leichtfüßig aus dem Unterholz auf den Rasen des Gartens sprang. „Das lässt die Energie gleichmäßiger fließen.“

Ihre Augen glitten über das Mädchen, das sichtlich erschreckt einen Moment erstarrte, bevor es die Augen ein wenig skeptisch zusammenkniff.

„Sie sind Gwen Lonescryer“, sagte das Mädchen nach einigen Augenblicken feststellend.

„Oho, wir sind gut informiert“, entgegnete Gwen und musste lächeln.

„Nicht wirklich“, erwiderte das Mädchen schulterzuckend. „Sie wurden vorher erwähnt und Ihre Messer sehen nicht so aus als würden Sie sie zur Zierde tragen. Eins und eins zusammenzählen kann ich grade noch. Ich will ja nicht sagen, dass Ihre roten Augen ein Hinweis waren, aber… doch eigentlich schon.“

Ein wenig verdutzt gab Gwenn dem Drang nach zu lachen, was nicht alle Tage geschah. Selten ist es in den 436 Jahren, die sie nun auf dieser Erde wandelte, passiert, dass jemand sie mit einem einfachen, trockenen Satz zum Lachen brachte. Immer noch etwas kichernd rieb Gwen sich die Augen und richtet ihren Blick zurück auf das Mädchen, deren Lippen ein leichtes Lächeln umspielte.

„Bei dem Vater, kein Wunder, dass du direkt auf das wesentliche zielst… Dafür, dass du mich zum Lachen gebracht hast, zeige ich dir wie du ein Evenikel setzt…“, meinte die Vampirin und trat näher.

„Ich bin mir nicht sicher, ob meine Lehrer das so gut finden…“, warf Clancys Tochter ein.

„Wenn ich dir jetzt aber den ganz logischen Tipp gebe, die Energie durch deine Rune zu leiten, wird Phobos mir schon nicht die Augen auskratzen“, entgegnete Gwen abwinkend und grinste.

Das Mädchen, dessen Namen Gwen immer noch nicht kannte, wirkte ein wenig unsicher, doch bekam nicht mehr die Gelegenheit etwas zu erwidern.

„Aber er wird es trotzdem versuchen“, ertönte eine Stimme von der Veranda.

Gwens Blick schoss zum Sprecher und auch das Mädchen tat es ihr gleich. Im Türrahmen stand ihr Vater, der berühmt berüchtigte Generalleutnant McCambridge, und hatte eines seiner ebenso bekannten, kühlen Lächeln aufgesetzt.

Ach, irgendwie ist mir der Junge ans Herz gewachsen…, dachte Gwen und setzte ein Grinsen auf. Aber man sollte ihn nicht unterschätzen. Sowas kann durchaus tödlich enden. Oder konnte es zumindest mal. Jetzt kann es immer noch in ‚ziemlich schwer verletzt‘ enden.

„Warum bist du hier, Gwen?“, fragte er und trat sehr langsam aus der Tür heraus in den Garten.

„Selbst, wenn ich dir die Wahrheit sage, dass ich einfach so hier vorbeigekommen bin, glaubst du mir eh nicht, oder?“ Ist aber auch nicht direkt gelogen…

„Eher weniger“, erwiderte er und lächelte.

„Keine Sorge“, meinte sie jedoch abwinkend und grinste wieder. „Hier gibt es nichts, was mich interessiert. Die Essenz des Jungen ist gebunden. Ich nehme keine gebundenen Essenzen an mich. Und deine Tochter hat keine Essenz.“ Beim letzten Satz bemerkte Gwen, wie ihr das Mädchen einen Blick zuwarf. „Ja, ich weiß, dass du seine Tochter bist. Weißt du, deine Locken haben dich verraten“, fügte sie grinsend hinzu und warf einen Blick auf Clancy glatte, rote Haare.

„Und warum bist du dann hier?“, wollte er noch einmal wissen.

„Wie gesagt, einfacher Passant. Aber ich werde ohnehin nicht mehr lange in Deutschland bleiben. Hier gibt es mehr Feueressenzen als alles andere. Allein durch die beiden Weltkriege. Mir ist aber eher ein bisschen nach Erde, also werde ich wohl nach Süden reisen. Oder in irgendwelche Gebirge. Ich war schon lange nicht mehr in den Karpaten…“ meinte sie nonchalant und hob drei kleine Steinchen auf, mit denen sie sogleich einhändig zu jonglieren begann.

„Sie wissen, in welchen Ländern, welche Essenzen zu finden sind?“, fragte das Mädchen sichtlich verwundert.

„Ich mache diesen Job schon seit mehr als 400 Jahren. Irgendwann registriert man gewisse Häufigkeiten…“, meinte sie schulterzuckend.

„Du kannst aus dem Stehgreif sagen, wo welche Essenzenvorkommen besonders groß sind?“, hakte Clancy scheinbar skeptisch nach.

„Frag mich und ich sag’s dir“, antwortete Gwen und konzentrierte sich weniger auf das Jonglieren, als auf ihre Umgebung, doch bemühte sich möglichst aufmerksam zu wirken.

„Wind?“

„Gebirge oder Wüsten. Sahara oder Alpen beispielsweise“, antwortete sie wahrheitsgetreu.

„Erde?“, schaltete sich das Mädchen ein.

„Fruchtbare Länder. Oder Gebirge. Frankreich, die Gegenden um den Nil, der Ural.“

„Feuer?“

„Vulkane wie der Vesuv oder aber auch Orte an denen Bomben niedergegangen sind.“

„Wasser?“, kam es wieder von Clancy und Gwen musste sich bemühen, sich den Triumph nicht anmerken zu lassen.

„Flüsse, Gewässer, Inseln. Die Britannischen Inseln oder Finnland.“ Mit Leichtigkeit fing sie die Steinchen auf und richtet ihren Blick auf Clancy, danach auf seine Tochter. „Da ich euch jetzt genug von meinen Job erzählt habe und es mir langsam ein bisschen zu warm in der Sonne wird, werde ich verschwinden. Bis demnächst, Mr. Exwächter“, verabschiedete sie sich so lässig wie möglich und sah durch einen kleinen Blick über die Schulter noch, wie er die Augen leicht verdrehte.

Zufrieden grinste sie vor sich hin.

Als sie in den Wald eintrat und mit der Umgebung zu verschmelzen begann, dachte sie über das Gesagte nach. Sie hatte bei den Antworten auf die Fragen wirklich nicht gelogen, selbst nicht bei der Frage, auf die es ankam; die Letzte. Die letzte Frage ist immer die ausschlaggebende, dass hatte Gwen mittlerweile gelernt. Sie hatte nicht gelogen; warum auch? Selbst, wenn sie es wussten, würden sie ihre Arbeit nicht behindern. Wenn sie eine Essenz nicht gebrauchen konnten, ließen sie sie für gewöhnlich an dem Ort, an dem sie sie gefunden hatten. Nicht in ihren Künsten Träumen würden die beiden, den Wächtern Essenzen zukommen lassen.

Das was Clancy McCambridge und Phobos Shadowstalker so dringend suchten, war also eine Wasseressenz, ob für das Mädchen oder um den Fluch zu lösen, wusste Gwen nicht und es war auch unwichtig.

Doch sie wusste, dass das Mädchen für das Gelingen Gwens eigener, jahrhundertealter Pläne in Irland sein musste. Und zwar bald.

Portal

Mit skeptischem Blick sah Clancy Gwen hinterher, als sie sich von ihm und seiner Tochter entfernte und mit dem Unterholz verschmolz. Die Informationen, die Gwen preisgegeben hatte, scheinen mehr oder weniger harmlos und sogar richtig. Seine eigenen Quellen berichteten von ähnlichen Essenzvorkommen.

Aber Clancy machte sich nichts vor.

Er wusste, dass Persönlichkeiten wie die Sehende Vampirin nicht ohne Hintergedanken handelten, besonders alte Persönlichkeiten. Und Gwen Lonescryer war alt, auch wenn ihr jugendliches Äußeres leicht dazu verleiten ließ, das Gegenteil anzunehmen. Das Einzige, was Clancy jetzt nur noch an seiner – sehr logischen – Theorie störte, dass er den Grund ihres Handelns nicht kannte.

„Papa?“, riss ihn die Stimme seiner Tochter aus seinen Gedanken in die Wirklichkeit zurück und er wandte sich zu ihr um.

Die Stirn in Falten gelegt, schien sie zu überlegen und sah dabei ihrer Mutter so unglaublich ähnlich, dass es Clancy einen kleinen Stich versetzte. Er konnte gar nicht anders, als ihr ein warmes Lächeln zu schenken.

„Was ist ein Evenikel?“

„Etwas, was ich euch erst später beibringen wollte“, ertönte Phobos‘ Stimme hinter ihnen, noch bevor Clancy zu einer Antwort ansetzen konnte.

Clancy wechselte einen bedeutsamen Blick mit seinem alten Freund, als dieser geschmeidig auf die Veranda sprang.

„Weil es zu schwer ist?“

„Nicht unbedingt schwer, aber… anders.“

„Sie“ – Layla deutete in die Richtung, in der Gwen verschwunden war – „ließ es nach der Lösung klingen…“ Ein leichter Hoffnungsschimmer hatte sich in ihre Stimme geschlichen und Clancy konnte es ihr nicht verübeln. Er wusste nur zu gut, wie frustrierend es sein konnte, Magie ohne Essenz zu wirken; die sensiblen Netzwerke, die man mit aller Mühe aufgebaut hatte, brachen trotz ihrer Richtigkeit durch Instabilität zusammen und man hatte das Gefühl auch nicht schlauer zu sein als vorher.

„Ich würde es nicht die Lösung nennen. Eher einen anderen Lösungsweg“, warf Clancy ein.

„Aber es ist gefährlich?“

„Nicht mehr als ein fliegender Becher“, erwiderte Phobos und Laylas Gesicht nahm eine leicht rötliche Farbe an, die Clancy vermuten ließ, etwas im Leben seiner Tochter verpasst zu haben. Sie versuchte sich jedoch mit einem Räuspern wieder zu sammeln, aber strich sich dennoch unnötiger Weise den Rock glatt.

„Und wir machen es nicht, weil?“, wollte sie in einem Versuch das Gespräch fortzuführen wissen.

„Weil es ein theoretischer Ansatz ist und ich gewisse Ansichtspunkte nicht voraussetzen wollte, da weder du noch Constantin mit dem Wissen, dass magisches Wirken hinter vielem steht, aufgewachsen seid“, erklärte Phobos.

„Wie theoretisch? Mathe-theoretisch?“, setzte Layla nach und der Kater seufzte geschlagen.

„Du lässt nicht locker, bis ich es dir sage, auch wenn du es nicht verstehst, oder?“

„Nope“, grinste sie.

„Ich sehe genetische Ähnlichkeiten“, sagte Phobos und seine Augen verengten sich leicht als er Clancy einen Blick zuwarf, welcher mit seinem freundlichsten Lächeln konterte.

„Also?“, lenkte Layla die Aufmerksamkeit wieder auf sich.

„Also, Evenikel werden benutzt, wenn man weiß, was für ein Element der entsprechende Druide beziehungsweise die entsprechende Druidin hat, aber keine aktive Essenz besitzt. Also arbeitet man mit einer theoretischen Essenz.“

„Wie bei virtuellem Speicher?“

Scheinbar wusste der vermeintliche Kater mit diesem Vergleich nicht viel anzufangen, denn er sah mehr als nur verwirrt aus und Clancy ergriff das Wort. „Ja, wie bei virtuellem Speicher.“

Nickend verarbeitete sie die Information, nur um gleich wieder fragend dreinzuschauen.

„Aber sie hat etwas von Energie durch die Rune gesagt…“

„Ja. Beim Gebrauch von Evenikeln benutzt man theoretisch existente Essenzen. Und Essenzen an sich sind kristallisierte Teile einer Elementarmacht. Wenn die Essenz aber theoretisch ist…“

„… ist auch die Elementarmacht theoretisch“, beendete Layla den Gedankengang.

„Genau, und ich wollte euch nicht zumuten eine theoretische in eine praktische Elementarmach umzuwandeln. Das ist wie ein Haus zu zeichnen und eins zu bauen.

Mit gerunzelter Stirn und verengten Augen nickte sie. „Klingt logisch, aber bei dieser ganzen Sache ist die Runde der Fokus, oder wie?“

„Richtig. Evenikel wurden für den unwahrscheinlichen Fall entwickelt, dass es einmal zu viele Runen und zu wenig Essenzen gibt.“

„Aber ich dachte Essenzen gibt es immer irgendwo“, warf Layla ein.

„Deswegen sagte ich ja auch für den unwahrscheinlichen Fall“, grinste der Kater. „Die ursprüngliche Idee zu Evenikeln kam aber einer Gruppe von Druidenanwärtern, die nicht auf ihre Essenzen warten wollten. Nachdem sie ein paar Häuser in die Luft gejagt hatten und die Unkontrollierbarkeit ihrer neuen Errungenschaft erkannten, baten sie um Hilfe und die entsprechenden Wächter erkannten den offensichtlichen, militärischen Wert, den dieses Wissen mit sich brachte.“

Weiter fortfahren mit seinen Ausführungen konnte Phobos nicht, denn ein lautes Knurren, das auch Laylas Magengegend zu kommen schien, unterbrach ihn.

„Hm“, meinte Clancy nach einem verwunderten Blinzeln, „vielleicht sollte ich uns was zu essen machen…“

Augenblicklich gefroren Laylas Bewegungen einen Moment und sie schluckte einmal hörbar.

„Wenn Sybille ihren Neffen heil wiederbekommen soll, sollte ich das vielleicht – wirklich nur vielleicht – übernehmen“, erwiderte sie und verschwand kurzerhand durch die Verandatür ins Haus, ohne ihrem Vater eine Möglichkeit des Protests oder der Empörung zu liefern. Er kochte wirklich gerne. Dass seine Mahlzeiten selten genießbar waren, hatte dabei für Clancy eine eher sekundäre Priorität. Es war schließlich immer der Wille, der zählte.

Phobos‘ leises Kichern verbesserte die Situation auch nicht augenblicklich, sondern brachte Clancy fast – aber auch nur fast – zum Schmollen.

„Aber mal etwas anderes“, begann Clancy, nachdem er gewisse emotionale Bedürfnisse überwunden hatte, aber beendete den Satz nicht, sondern blickte erneut ins schattiger werdende Unterholz.

„Ja, mir gefällt auch nicht, dass Gwen von der Wasseressenz Wind bekommen hat“, stimmte Phobos ihm zu, als hätte Clancy seine Gedanken verbalisiert.

„Eigentlich hatte ich vor, in den nächsten paar Tagen mit den Kindern meine Eltern aufzusuchen, aber Gwens Involvierung in das Ganze, rückt alles in ein anderes wahrscheinlich nicht gutzuheißendes Licht…“

„Sehe ich ähnlich. Auch wenn ich nicht glaube, dass sie uns angreift, sollten trotzdem noch vorsichtiger als sonst sein.“
 

Clancy hielt es für besser, Layla und Constantin erst nach dem Essen von seinem glorreichen Plan nach Irland zu gehen überzeugen zu wollen. Seiner Meinung nach hatte Essen eine zufriedene Müdigkeit und demnach weniger Protest zur Folge. Seine Logik war wieder einmal bestechend. Ha.

Layla und Constantin stellten träge klappernd die Teller zusammen, als Clancy sich zurücklehnte . Bevor seine Tochter aufstehen konnte, um das schmutzige Geschirr in die Küche zu bringen, hielt er sie zurück.

„Warte bitte einen Moment, Layla, ich möchte mit euch reden.“

„Oh, okay.“ Nachdem sie und Constantin einen raschen, fragenden Blickwechsel hatten, ließ sie sich aus ihrer halb erhobenen Position wieder zurück in den Stuhl sinken.

„Um euer Training zu vertiefen, und vor allem, um es auf euch persönlich zuzuschneiden, würde ich gerne mit euch nach Irland gehen.“

„Aber…“, begann Layla, „… der Flug! … die Schule!“

„Meine Tante!“, warf Constantin ein.

„Wir sind rechtzeitig zu Schulbeginn wieder hier . Wir fliegen nicht, sondern nutzen einen anderen, schnelleren Weg und mit Sybille habe ich heute Morgen geredet“, erklärte Clancy ruhig und schenkte ihnen ein leichtes Lächeln. „Ihr müsst nur noch ‚ja‘ oder ‚nein‘ sagen.“

„Oh“, meinte Constantin und sah immer noch ein wenig überrumpelt aus. „Aber warum Irland? Und nicht zum Beispiel Österreich?“

„Ja, warum Irland?“, wollte nun auch Layla mit einer Mischung aus Interesse, Hoffnung und Widerwilligkeit wissen. „Und wo in Irland?“

„Bei meinen Eltern. Neben der Tatsache, dass sowohl meine Mutter als auch meine Schwester mir seit Wochen in den Ohren liegen, damit sie wahrscheinlich mein armes Kind mit ihrer neugierigen, überfürsorglichen Liebe belagern können, ist das Haus meiner Eltern beziehungsweise ihre Umgebung besser für Training geeignet.“

„Mitten in der Pampa mit Schutzschilden, die die chinesische Mauer gegen die Hunnen wie drei Zahnstocher in einem Klumpen Lehm erscheinen lassen“, fügte Phobos hinzu.

„So kann man das auch sagen.“

„Waren Oma und Opa auch bei den Wächtern?“, fragte Layla und Clancy verbot sich unruhig auf seinem Stuhl herumzurutschen; das wäre pädagogisch nicht wertvoll gewesen.

„Deine Großeltern waren dabei, ja, aber sind schon lange im Ruhestand“, führte Phobos freundlicher Weise aus. Clancy machte sich eine gedankliche Notiz ihm vielleicht als Dankeschön eine Plüschmaus zu kaufen. „Lochan hat aufgehört, nachdem sein Bein im Dienst verletzt und fast unbrauchbar wurde. Morana war lange danach noch bei den Wächtern, während Lochan zu Hause geblieben ist. Neben ihrer Ausbildertätigkeit hat sie Runenringe für die Wächter geschmiedet. Aber schon bevor Clancy Angelika kennengelernt hatte, war sie aus dem aktiven Dienst zurückgetreten und hat nur noch die Ringe für die Wächter geschmiedet. Nachdem Clancy die Wächter verlassen hatte, hat sie auch das nicht mehr getan.“

„Was ist mit Tante Bláthín?“, fragte sie weiter und der kühle Unterton in ihrer Stimme wurde deutlicher. Clancy versuchte nicht das Gesicht zu verziehen, weil seine Tochter immer noch auf ihn sauer war.

„Bláthín war nie bei den Wächtern“, antwortete er dennoch, um sich nicht komplett aus der Affäre zu stehlen und Phobos alles erklären zu lassen. „Zum einen war sie nie mächtig genug und zum anderen ist ihr ganzes Wesen nicht für den Kampf geschafften. Sie ist friedliebend, freundlich und mitfühlend. Und gelegentlich sturer als jeder Muli auf dieser Welt, aber nicht kämpferisch.“

„Also hatte sie nichts weiter mit den Wächtern zu tun, außer mit gleich dreien verwandt zu sein?“, setzte sie ein wenig bissig nach.

„Wenn ich jetzt ‚nein‘ sagen würde, wäre es gelogen“, erwiderte Clancy und war stolz auf sich, sich auf keinen Streit mit seiner Tochter eingelassen zu haben, sondern ruhig zu klingen. Go him. „Bláthín ist eine talentierte Heilerin. Sie ist nicht mächtig im explosionsartigen Sinne, aber begabt darin, Energien zu manipulieren und sie für die Heilung von allem Möglichem zu nutzen. Also sind auch Wächter zu ihr gekommen, aber sie behandelt generell alles und jeden. Außerdem glaube ich, dass sie dir mehr beibringen kann, als wir anderen vier“, fügte er an Constantin gewandt zu.

„Wirklich?“

Im Gegensatz zu Layla, die immer noch nicht glücklich über die Tatsache war, dass ihre Familie ihr ihr ganzes Leben Dinge vorenthalten hatte, wirkte Constantin eher verwirrt. Dennoch strafte Layla ihn mit einem zornigen Blick, als hätte er sie persönlich verraten, indem er die Sache übergangen hatte.

„Wirklich. Pflanzen reagieren auf dich und du heilst wesentlich schneller als Layla. Beides Hinweise auf ein Heilungsattribut, und wenn jemand etwas über Heilung und das Verhalten von Pflanzen, sowie dessen Manipulierung weiß, dann ist es meine Schwester. Ich habe unter anderem auch das Element Erde, aber bei mir sind es die knisternden Angeberfertigkeiten, die Metall und Hitze involvieren. Gut für den Kampf und als Showeinlage auf Familienfesten, aber nicht zum Heilen“, schloss Clancy.

„Also für mich keine extravaganten Sparkle-Superpower-Kampfmoves?“, fragte Constantin, aber er sah eher erleichtert als geknickt aus. „Versteht mich nicht falsch, es war unglaublich, äh, befreiend dem Monster unter meinem Bett einen Stuhl über die Rübe zu ziehen, aber im Alltag hab ich es eigentlich lieber ruhiger.“

„Wir bringen dir aber trotzdem ein paar extravagante Sparkle-Superpower-Kampfmoves bei, damit du nächstes Mal einen Tisch nehmen kannst“, feixte Phobos und Constantin lachte auf.

Nachdem das Lachen abebbte, schien sich auch Layla wieder gefangen zu haben und setzte erneut einen grüblerischen Ausdruck auf.

„Aber was hat Hitze mit Erde zu tun, Papa?“

Nickend pflichtete Constantin ihr bei.

„Normaler Weise nicht viel. Außer mit Magma. Aber meine Rune ist mit zwei Elementen kompatibel. Mehrere Elemente in einer Rune sind auch gar nicht unüblich, allerdings können die Wenigsten mehr als ein Element wirken. Bei meiner sind es Erde und mit Feuer. Dadurch, dass meine Erdrichtung eher zum Metall neigt, kam dann in der Kombination Elektrizität raus. Es hat eine ganze Weile gedauert, bis sich eine entsprechende Essenz gefunden hat…“

„Aber jetzt mal Butter bei die Fische“, schaltete sich Phobos wieder ein und verdrängte Clancys nostalgischen Moment, „Irland: ja, oder nein?“

Wieder kam es zu einem raschen Blickwechseln zwischen Layla und Constantin. Clancys Tochter sah noch unsicher aus; wahrscheinlich graute ihr davor, auf ihre ‚neue‘ alte Familie zu treffen. Doch Clancys anfängliche Ängste, dass Layla sich vielleicht gegen einen Besuch in Irland aussprechen würde, wurden von einem herausfordernden und leicht spöttischen Blick Constantins zunichte gemacht. Layla schnaufte kurz würdevoll, verschränkte die Arme über der Brust und verkantete den Kiefer. Obwohl der Unmut noch in ihren Zügen zu lesen war, wusste Clancy, dass sie gewonnen hatten; seine Tochter war trotz allem noch immer ein offenes Buch für ihn.

„Also Irland“, schloss Phobos, wie üblich grinsend.
 

Es waren keine zwei Tage vergangen seitdem Constantin und Layla in der Küche der McCambridges zugestimmt hatten, ihr Training in Irland zu vertiefen. Während der ‚Abstimmung‘ war Constantin überzeugt gewesen, das einzig Logische und Richtige zu tun, doch nun, da er neben seiner Tante an deren Auto stand, um sein Gepäck zu entladen und zum alten Fuhrmannhaus blickte, wurde er unruhig. Aber nicht nur aufgrund von Aufregung, sondern weil er das ungute Gefühl, das sich über die letzten Tage verstärkt hatte, nicht abschütteln konnte.

Seit einer Woche lag er abends schlaflos im Bett und grübelte vor sich hin. Erst waren es nur all die neuen Dinge, die er lernte, und die Umstellung, die dieses Wissen mit sich brachte, doch mittlerweile schwenkten seine Gedanken immer wieder Richtung Layla und die neue angespannte Situation zwischen ihnen beiden. Während des Trainings kam Layla genauso schnell wie Constantin auf die Theorie, wenn nicht sogar schneller, aber wenn es um das eigentliche Wirken der Magie ging, brauchte sie oft wesentlich länger als er. Sie wurde zusehends frustrierter und machte ihrem Unmut auch mal Luft… Wie dem auch sei, bei dem Gedanken eine längere Zeit mit einer überaus frustrierten Layla zu verbringen, graute es ihm. Er hatte fast erleichtert aufgeatmet, als Clancy und Phobos ihnen mitgeteilt hatten, dass sie von nun an vorerst getrennt unterrichtet werden würden.

Aber nur fast. Schließlich mochte er Layla und ihre Frustration war nachvollziehbar, aber es war doch nicht seine Schuld, dass sie keine Essenz hatte, oder? Was konnte er dafür, wenn ihre Sofakissen nicht in der Luft bleiben wollten?

Er kam aber nicht dazu diesen Gedankengang weiter auszuführen, geschweige denn eine Lösung für das Problem zu finden, denn Clancy, Layla und Phobos kamen aus dem Haus auf sie zugetreten, um sie zu begrüßen. Layla sah sogar gut gelaunt aus. Oder zumindest nicht schlecht.

Nach einem kurzen Gespräch, in dem sich seine Tante bereit erklärte, für die Zeit ihrer Abwesenheit die Pflanzen zu gießen, zog sie zu seiner größten Überraschung Constantin in ihre Arme.

„Pass gut auch dich auf“, meinte sie leise, „und stell nichts Dummes an.“

„Ja, Tante Sybille“, erwiderte er, zu perplex um etwas anderes zu sagen und tätschelte ihr sacht den Rücken. Nach einem Augenblick zog sie sich zurück und Constantin, der so viel Zuneigung nicht gewöhnt war, merkte wie sich Hitze auf seine Wangen stahl, während sich ein warmes Gefühl in ihm ausbreitete, als seine Tante sich zurücklehnte und er ihr Augen feucht schimmern sah. Der Moment hätte peinlich wirken können, wenn sie nicht gelächelt hätte.

„Guck doch nicht so, nur weil eine alte Frau einen sentimentalen Moment hat“, lachte sie.

„Du bist nicht alt“, verteidigte er sie automatisch und fügte nach einem Moment hinzu, „Phobos ist alt.“

„Hey!“, protestierte der Kater, doch Sybille lachte auf.

„Aber es stimmt doch, oder? 300 Jahre plus minus sind jetzt kein Pappenstil…“, setzte Layla nach und sah in bedauernd an.

„Pff“, machte Phobos und versuchte die Ignoranten mit der kalten Schulter zu strafen, indem er sich mit dem Rücken zur Gruppe auf den Kies setzte.

„Hast du alles, Constantin?“, fragte Clancy, nicht ohne dem Kater einen amüsierten Blick zuzuwerfen, und reichte Sybille einen Schlüssel. „Danke schon mal im Voraus.“

„Kein Problem“, meinte Sybille und lächelte.

Constantin umarmte seine Tante noch ein letztes Mal zum Abschied und schritt, sein Gepäck tragend, mit Clancy, Layla und Phobos zum Haus, während Sybille den Motor anließ und mit Kies unter den Reifen knirschend vom Hof fuhr.

„Und wie kommen wir jetzt nach Irland?“, fragte Constantin Layla, sichtlich verwirrt, als Clancy zielstrebig an seinem Wagen vorbeischritt.

„Keine Ahnung“, erwiderte sie, „aber heute Morgen hat er im Wohnzimmer alle Möbel an den Rand geräumt.“

„Vielleicht will er das Haus unattraktiv für Einbrecher machen?“, schlug Constantin vor.

Ein leises lachen vor ihnen machte deutlich, dass Clancy nicht so außer Hörweite war, wie Constantin vermutet hatte.

Mist.

„Nein, will ich nicht, aber wir brauchen den Platz für ein Portal.“, erklärte er über die Schulter hinweg.

„Ein Portal? In unserem Wohnzimmer?“ Layla klang so ungläubig, wie Constantin sich fühlte.

„Aber wie?“, hakte er nach.

„Kommt mit, ich zeig es euch.“

Sie warfen sich zwar gegenseitig skeptische Blicke zu, doch nach einem beiderseitigen Schulterzucken folgten Layla und Constantin Clancy.

Im Wohnzimmer angekommen, verschwand Clancy rasch in der Küche nur um kurz darauf mit einer handelsüblichen Packung Jodsalz in der Hand wiederzukommen. Doch dies blieb nicht das Einzige, was er zusammensuchte. Layla und Constantin nahmen auf einem der Sofas Platz, das mittlerweile direkt vor dem Wohnzimmerschrank stand, während Clancy wieder und wieder im Haus verschwand und mit den seltsamsten Dingen wiederkam: Einer Glocke, einer weißen Kerze, weißen Federn, einem Glas Wasser, einem Kaktus und nachdem ein verdächtiges – Klonk – aus den Tiefen des Hauses erklungen war, mit einer Art Minikommode aus dunklem Holz.

„Und aus diesem Gerödel entsteht ein Portal… Dass ich da nie selber draufgekommen bin…“, meinte Layla.

„Jop. Aus diesem symbolischen Gerödel machen wir ein Portal“, stimmte Clancy ihr zu, während er an dem kommodenähnlichen Ding herumwerkelte. „Warum klemmt das Scheißding denn jetzt?“

„Schlag es“, meinte Phobos auf dem Gepäck in einer Ecke des Raumes sitzend. Nachdem Clancy ihm einen empörten Blick zuwarf, fügte er hinzu: „Was?! Bei alten Fernsehern klappt das auch!“

Clancy ignorierte den Hinweis und werkelte weiterhin an dem Kommoden-Ding herum bis er ein triumphierendes „Ha!“ ausstieß und die Kommode zu klicken begann. Ihre verschiedenen Ebenen begannen sich in einander zu verschieben und neu zu arrangieren, bis sie die grobe Form einer Treppe erreicht hatte, in deren Stufen sich Fläschchen und verschiedenen Formen, Farben und Größen befanden.

„So, wo ist es denn…“, murmelte Clancy vor sich hin und durchstöberte eine Reihe kleiner Fläschchen mit rotbraunem Inhalt. Erst beim zweiten Mal Hinsehen bemerkte Constantin, dass die Fläschchen kleine Etiketten hatten, die er jedoch auf die Entfernung nicht lesen konnte. Er vermutete, dass sie handschriftlich markiert waren.

„Ah, da!“, riss ihn Clancy aus seinen Gedankengängen. Er ließ die restlichen Fläschchen zurück und schnappte sich regelrecht das Salz.

„Und jetzt?“, fragte Layla. Zum ersten Mal seit Tagen sah sie wieder interessiert, wenn auch ein bisschen skeptisch, aus. Sie versuchte es sich möglichst nicht anmerken zu lassen, doch Constantin wusste, dass, seitdem die erste Woge der Wut und Enttäuschung in ihr abgeflaut war, sie ihren Vater einmal richtig arbeiten sehen wollte. Constantin erging es da nicht viel anders. Phobos‘ telekinetische Übungen waren eine Sache, aber ein Portal etwas ganz anderes.

„Jetzt, werde ich einen Kreis mit dem Salz ziehen; Das Salz ist hier unser Medium.“ Noch während er sprach, streute er das Salz auf dem Boden.

„Der Kreis ist wohl auch eher symbolisch…“, murmelte Layla.

„Was? Warum?“, wollte ihr Vater etwas durcheinander wissen.

Daran, dass Layla neben ihm nervös auf ihrem Platz herumrutschte, wusste Constantin sofort, dass sie nicht, damit gerechnet hatte, dass ihr Vater die Bemerkung mitbekam.

„Naja…“, begann sie.

„Es sieht aus wie ein Ei, Clancy“, rette sie Phobos.

„Meinst du? Oh… tatsächlich. Wenn nicht schön, dann aber wenigstens selten“, meinte Clancy.

„Du willst nur nicht zugeben, dass du nicht multitaskingfähig bist. Von wegen Sprechen und Salzkreise streuen“, erwiderte Phobos trocken.

„Meine Beschreibung klang wesentlich positiver…“, konterte Clancy. „Aber meinen Ei-Bannkreis mal beiseite gestellt. Das Salz im Portalbannkreis bildet das Medium, das alle anderen Komponenten miteinander verbindet. Generell gibt es in Bannkreisen immer drei Arten von Komponenten: Das Medium, den Fokus und die Tribute.

Die Tribute sind immer etwas Kleines bzw. Kleineres, das mit einem Element in Verbindung steht. Dieses Tributobjekt wird dem entsprechenden Element angeboten, um sich wieder mit ihm zu vereinigen und ein großes Ganzes zu bilden. Dafür haben wir hier den Kaktus, die Federn, die Kerze und ein Glas Wasser.“

Aus seiner Hosentasche zog Clancy einen Kompass und ordnete die vier Gegenstände in den vier Himmelsrichtungen an. Zumindest glaubte das Constantin. Hätte er irgendeine Ahnung von Geographie gehabt, hätte er auch gewusst, wo was steht. Hatte er aber nicht . Also fragte er nach.

„Ist es wichtig, wo sich welche Tribute befinden?“

„Nicht zwingend. Man kann die Tribute auch einfach irgendwie anordnen, aber das erfordert später mehr Energie, um das Portal zu öffnen und aufrecht zu erhalten, von daher ist es hilfreicher, wenn man sie zielorientiert anordnet. In die Richtung, in die man sich bewegen will, kann man den Erd-, den Luft- oder den Tribut stellen, dessen Element man selbst beeinflussen kann. In meinem Fall ist es ohnehin das Element Erde, von daher ordne ich es in der Richtung im Portalkreis an, die meinem gewünschten Ziel am Nahesten ist. Da wir nach Irland wollen, ist es Nordosten. Im 90-Grad-Winkel dazu ordne ich die Elemente an, die für weiteren Antrieb sorgen sollen. Am besten ist immer etwas, das harmonisch mit einem selbst steht. Bei mir sind das Feuer und Wind.“ Er deutete auf die Kerze und die Federn. „Als letztes bleibt das Wasser übrig, was wir dann in den Südwesten stellen. So, wir zünden jetzt nur noch die Kerze an, damit wir auch echtes Feuer haben und wenden uns dann dem Fokus zu.“

Nachdem Layla ihm eine Streichholzschachte zugeworfen hatte und die Kerze ein wenig einsam vor sich hin flackerte, fuhr Clancy fort.

„Die letzte Komponente Ist der Fokus. Der Fokus kann nur ein Gegenstand sein, aber auch mehrere. Wir haben einen zweiteiligen, obwohl die Glocke kein Muss ist. Aber es ist höflicher sich vorher anzukündigen.“ Während er sprach, hob er die kleine Glocke und das Fläschchen mit der rotbraunen Flüssigkeit hoch.

„Und was ist das?“, wollte Layla wissen und deutete auf das Fläschchen. Constantin hätte es mittlerweile auch nicht mehr gewundert, wenn Clancy ihnen gesagt hätte, dass es die pürierte Leber eines Drachens enthielt.

Clancy hingegen bemühte sich ein möglichst neutrales Gesicht zu machen, als er ihr antwortete, so als wollte er ihre Reaktion abwarten.

„Diese Flasche enthält ein bisschen Blut deines Großvaters“, sagte er ruhig.

„Blut? Von Opa?“ Sie klang ungläubig und Constantin warf ihr einen Seitenblich zu. Sie runzelte zwar die Stirn, doch zuckte schließlich mit den Schultern, nach dem Motto ‚wenn’s halt sein muss‘.

„Ja. Das Blut fungiert wie ein Wegweiser und, wenn das Portal stark genug ist, kann es uns direkt zu dem Aufenthaltsort der Person führen, dessen Blut wir verwenden“, erklärte Clancy.

„Klingt ja eigentlich nicht allzu schwer“, meinte Constantin.

„Ist es auch nicht.“

„Und warum sind wir dann immer geflogen?“, wollte Layla wissen.

„Du sollen nix wissen von Hokuspokus“, antwortete Phobos in einem sehr falschen, russischen Akzent.

„Und warum sind Oma und Opa dann nicht hergekommen und hätten einfach gesagt, sie wären geflogen?“

„Weil dein Opa so geizig ist, dass die von der Bank schon Leute einstellen, die sein Geld umgraben, damit es nicht von unten schimmelig wird. Da muss man dann auch an freiwillig gespendetem Blut sparen“, erwiderte Clancy.

Layla sah nicht so aus, als wollte sie dagegen irgendwelche Einwände vorbringen.

Nachdem Clancy sich versichert hatte, dass es keine weiteren Fragen zu klären gab, brach der das Wachssiegel der kleinen Flasche und träufelte ihren Inhalt auf den kleinen Kaktus.

„Ich denke, es ist vielleicht besser, wenn ich euch den nächsten Schritt nicht erkläre, sondern ihr ihn euch selber anseht – vor eurem inneren Auge.“

Clancy hatte seinen Satz kaum zu Ende gesprochen, als sowohl Layla als auch Constantin ihre Augen bereits geschlossen hatten. In den Letzten Tagen hatte Phobos ihnen beigebracht, wie man das Netzt, wie er es jetzt nannte, auch mit offenen Augen wahrnehmen konnte. Allerdings waren Layla und Constantin noch nicht so schnell im Umschalten, dass es ihnen ohne weiteres gelang. Constantin musste immer noch den gedanklichen Schritt mit verschlossenen Augen machen. Erst als er sich sicher, war, dass das Netz eine feste Form in seinen Gedanken hatte, öffnete er die Augen und sah, wie dünne Fäden aus Licht alles miteinander verbanden. Er hatte sich den Abend zuvor mit Layla ausgetauscht und scheinbar war das Netzt für sie ebenfalls ein Gebilde aus hellen Fäden, wenn auch nicht aus dem scheinenden Licht, das er wahrnahm.

Als Constantin seinen Blick auf Clancy richtete, sah er wie die strahlenden Fäden ihn mit den Tributen verbanden, besonders stark waren die Verbindungen zum blutbesprenkelten Kaktus und zu seiner Tochter, aber das wahr nichts neues. Constantin hatte schon zuvor bemerkt, dass Verwandtschaftsbeziehungen und emotionale Bindungen stärker leuchteten als andere Verbindungen.

Jetzt aber war die Verbindung zum Kaktus am Stärksten; sie leuchtete immer stärker auf als Clancy Energie in den kleinen Kaktus schob. Insgeheim fragte sich Constantin, warum das kleine Ding nicht schon längst geplatzt war.

Vom Kaktus aus begann auch das Salz zu leuchten, jedes einzelne Korn wie ein abgebrochenes Stück Licht, und zog eine Linie aus Licht zur brennenden Kerze und den Federn, welche zu glimmen begannen. Zum Schluss schloss sich der Lichtkreis beim Wasser, das aussah wie ein flüssiger Stern. Die Tribute begannen nun auch untereinander Fäden zu spinnen, die immer stärker wurden und langsam ein dichtes Gewebe aus Licht bildeten, durch das man nicht einmal mehr den Fußboden sehen konnte.

Constantin hörte, wie Clancy etwas murmelte, aber er verstand nicht was. Das Gewebe scheinbar schon. Es begann sich um seine eigene Achse zu drehen, immer schneller und schneller, bis es eine Trichterform angenommen hatte.

Sieht aus wie ein Schwarzes Loch. Nur in Weiß. Gibt es Weiße Löcher?

Doch er stellte diese Frage nicht laut.

„So, jetzt können wir los. Nehmt bitte euer Gepäck“, wies Clancy sie an. „Ich gebe nur noch Bescheid, dass wir kommen.“ Er läutete die Glocke, die einen verhältnismäßig hellen und klaren Ton hervorbrachte. „Phobos und Layla gehen zuerst, dann kommen Constantin und ich, damit ich das Portal hinter mir schließen kann.“

Layla, bewaffnet mit ihrer Reisetasche, trat zögernd an den Rand des Weißen Loches heran. Phobos hingegen warf ihr nur einen Blick über seine Schulter zu und grinste. Danach stolzierte er geradewegs weiter in das Licht hinein und wurde von ihm verschluckt. Layla sah nicht sonderlich überzeugt aus, sich von einem Schwarzen Loch, das sich als Weißes tarnte, verschluckt zu werden, doch setzte einen entschlossenen Ausdruck auf und trat ebenfalls in das Licht.

Kaum war Layla verschwunden, führte Clancy Constantin zum Rand des Kreises. Von oben sah es immer noch aus, wie Licht, es schien auch in seinem Zentrum nicht dunkel zu werden. Allerdings wollte Constantin auch nicht so aussehen, als würde er sich nicht trauen in das Loch zu springen, indem er unschlüssig an seinem Rand herumstand. Er nahm einen tiefen Atemzug, verstärkte den Griff um seine Tasche und trat ins Licht.

Constantin wusste nicht, was er erwartet hatte, aber sich auf einer gewaltigen Rutsche zu befinden, gehörte nicht dazu. Er schlitterte durch einen Kanal aus Licht, der jedoch zu flackern begann, als sich Constantins inneres Auge schloss, sodass er das Erdreich durch die Fetzten aus Licht sehen konnte. Wurzeln in lehmig rotem Boden, helles Sandgestein und dunkler Torf wechselten sich immer wieder ab, doch Constantin hatte nicht die Gelegenheit sich alles einzuprägen, denn die Rutschfahrt war so abrupt zu Ende wie sie begonnen hatte und er versuchte schwankend auf einem moosbewachsenen Boden Fuß zu fassen.

Dummerweise versuchte Layla dasselbe, da sie scheinbar nur wenige Sekunden zuvor hier aufgetaucht sein musste, und mit rudernden Armen gingen sie beide zu Boden.

„Uff.“ und „Au.“ waren die einzigen Worte die er vernehmen konnte und er war sich noch nicht einmal sicher, was er von sich gegeben hatte, und was Layla, da sich sein Kopf immer noch drehte.

Böse bunte Bilder. Keine Drogen mehr vor dem Schlafengehen, Constantin.

Er hatte sogar unbewusst die Augen nach dem Aufprall geschlossen und als er sie wieder öffnete, sah er wie Layla zu ihm heraufschaute. Peinlich berührt wollte er schnellstmöglich aufstehen, doch das gestaltete sich schwieriger als er ursprünglich angenommen hatte, da diverse ihrer Glieder ineinander verheddert waren und es irgendwie geschafft hatten, die Reisetaschen miteinzubeziehen. Phobos war natürlich auch keine Hilfe.

„Lasst euch nicht stören. Ich miaue, wenn Clancy kommt“, meinte er während Constantin und Layla sich mit hoch rotem Kopf entwirrten.

Nach einer gefühlten Ewigkeit hatten sie es schließlich gerade geschafft als Constantin ein Fupp! vernahm.

„Miau. Schade aber auch.“

„Hab ich was verpasst?“, fragte Clancy und nahm die Situation erst einmal auf: Verstreute Taschen, zwei Jugendliche mit Tomatenköpfen und ein grinsender Kater. Glücklicher Weise kam Clancy aber nicht mehr dazu etwas Entsprechendes zu sagen oder eine Vermutung anzustellen, was denn nun wieder passiert war, weil Layla von etwas Weißhaarigem… getacklet wurde und fast wieder zu Boden fiel.

„Hi, Oma“, brachte sie röchelnd hervor. „Ich freu mich auch dich zu sehen.“

Entfernteste Ufer

Laylas Rippen schmerzten immer noch, auch nachdem ihre Großmutter sie losgelassen hatte, und sie musste dem Drang widerstehen sich die Seite zu reiben. Aus irgendeinem Grund hatte Layla erwartet, dass ihre Großmutter anders aussah als sonst, ihr weißes Haar war wie üblich lose in einem Knoten zurückgebunden und ihre grünblauen Augen funkelten durch dasselbe Grinsen, dass auch ihren Mund umspielte. Sie sah aus, wie Layla sie in Erinnerung hatte, vielleicht hatte Morana McCambridge ein paar weitere Falten, doch das war nicht weiter verwunderlich, schließlich hatte Layla ihre Großmutter das letzte Mal vor fast einem Jahr in natura gesehen. Layla war sich noch nicht einmal sicher, ob sie enttäuscht sein sollte, oder nicht.

„Mutter“, begrüßte sie Clancy und Morana umarmte ihn herzlich. „Wenn ich dir vorstellen darf, Constantin Morgenthal, grob gesehen unser Nachbar. Constantin, das ist meine Mutter Morana.“

Höflich, wenn auch nicht ganz auf der Höhe der Ereignisse, nickte er ihr zu und wollte ihr die Hand reichen, welche Morana jedoch ausschlug.

„Ach, Junge, nicht so steif!“, rief sie in ihrem akzentuierten Deutsch und zog ihn kurzerhand in eine Umarmung, welche er nach einem hilfesuchenden Blick auf Clancy erwiderte. Layla musste schmunzeln und warf ihrem Vater einen Blick zu. Das Zucken seines Mundwinkels zeigte, dass er ebenso mit sich zu kämpfen hatte, wie Layla.

Schön, dass wenigstens etwas wie früher ist…

„Morana“, nickte ihr Phobos zu und wirkte das erste Mal seitdem sich herausgestellt hatte, dass er kein gewöhnlicher Kater war, ernst.

„Awww“, machte Morana doch nur und grinste. Bevor Layla sich versehen hatte, hatte ihre Großmutter sich den Kater geschnappt und hochgehoben. Etwas, das niemand mehr seit dem großen Outing getan hatte. Layla fand es schon seltsam ihn nur anzufassen, da sie jetzt wusste, dass er eigentlich ein Mensch war. Auch wenn ihr das gelegentlich etwas schwer fiel; sein Fell war einfach zu weich.

„Morana! Ich bin ein erwachsener Mann! Lass mich runter!“, fauchte er und versuchte sich zu befreien, doch Morana hielt ihn so unter seinen Armen vor sich, dass er schlapp da hing und die müden Versuche seiner Arme – Pfoten – sah einfach nur… niedlich aus.

„Pah! Immer wenn Layla dich so getragen hat, hast du die nie beschwert, Mr. Furry Pants“, erwiderte sie nur und warf ihn sich halb über die Schulter, während Layla versuchte nicht rot zu werden. Über ihre Schulter hinweg starrte Phobos die anderen drei an, während Morana sich in Bewegung setzte. Sein Gesichtsausdruck sprach für sich: Sagt. Jetzt. Einfach. Nichts.

Layla musste den Blick abwenden, um nicht laut loszulachen.

„Wo sind wir hier eigentlich?“, fragte Constantin, der neben sie getreten war und dessen Mundwinkel mehr als nur verdächtig zuckten.

Layla hatte den Ort ihrer Ankunft sofort erkannt, nachdem sie sich mehr oder minder erfolgreich von Constantin gelöst hatte. Sie wandte sich im zu und konnte das Grinsen nicht zurückhalten.

„Nicht weit vom Haus meiner Großeltern“, antwortete sie und blickte sich erneut um. Das Moos, die Lichtung, der Hain. Alles war noch so, wie sie es in Erinnerung hatte. „Als ich klein war, habe ich hier oft mit Liam gespielt.“

„Liam?“

„Ja, mein Cousin . Er ist der Sohn meiner Tante. Wir haben uns anfangs gehasst, aber irgendwann haben wir festgestellt, dass Hepzibah, meine Cousine und Tochter meiner Tante und seines neuen Stiefvaters, zu jung zum war, um vernünftig mit ihr zu spielen, und sonst auch keine anderen Kinder da waren. War doof, also habe ich mich dazu herabgelassen mit dem Schnösel zu spielen.“

„Wenn du Liam fragst, erzählt er die gleiche Geschichte nur andersrum“, warf Clancy ein.

„Aber ich habe recht“, sagte Layla würdevoll. „Der Baum da beweist es.“ Sie deutete auf eine alte, trockene Eiche.

Ihr Vater warf ihr einen Blick zu und Constantin trat näher an die Eiche, um sie zu untersuchen.

„Inwiefern?“, wollte ihr Vater wissen.

„Naja“, ließ Constantin vernehmen, als er die Eiche umrundet hatte, „hier steht: ‚I, Layla, am going to lower myself to play with stupid Liam. It’s so boring.’

“Bitte?” Ihr Vater schien heute nur aus Fragen zu bestehen.

Clancy trat neben Constantin und betrachtete den Stamm ungläubig. Layla musste ein Grinsen unterdrücken als sie daran dachte, wie sie die Buchstaben vor langer Zeit mit dem Taschenmesser ihres Vaters in den Stamm geritzt hatte, das irgendwann auf mysteriöse Weise verschwunden war.

„Was ist das denn?“ Clancy hockte sich hin und grub etwas aus dem Moos. Layla konnte nicht erkennen, was es war, doch ihr Vater blinzelte verwirrt. „Das ist mein Taschenmesser…“ Er warf Layla einen strengen Blick zu.

„Ups.“

„Das gute Schweizer Messer…!“, begann er.

„Stell dich nicht so an, Clancy“, warf Morana ein, die am Rande der Lichtung stehen geblieben war und sich zu ihnen umgedreht hatte. „Oder soll ich von meinem Blumentopf anfangen?“

Ihr Vater ließ ein „hmpf“ vernehmen, aber schwieg ansonsten. Layla hatte nie herausgefunden, was mit Oma Moranas Blumentopf passiert war, auch wenn das Thema immer mal wieder gefallen war. Mittlerweile hatte sie aufgegeben es herausfinden zu wollen.

„Oh, bevor ich es vergesse“, fügte Morana hinzu und kramte mit einer Hand in ihrer Jackentasche herum, während sie mit der anderen Phobos auf ihrer Schulter hielt. Scheinbar hielt er sie alle für Verräter, da sie nicht eingeschritten waren und strafte sie mit einer kalten Schulter voller Ignoranz.

„Hier. Probiert die am besten gleich an, damit ich sie nötigenfalls ändern kann.“ Sie reichte Constantin und Layla jeweils einen Ring, die abgesehen von der Größe gleich aussahen. Ein silberner Ring bestehend aus einem keltischen Knotenmuster, das Runen zu umwickeln schien. Irgendwie kam der Ring Layla sehr bekannt vor…

Auch Constantin runzelte die Stirn und blickte schließlich ruckartig zu Clancy auf.

„Du hast denselben…“

Jetzt da er es erwähnte fiel es Layla wie Schuppen von den Augen. Natürlich, der Ring ihres Vaters… Seit dem Outing hatte er ihn kein einziges Mal abgelegt. Aygül und Roland hatten auch solche Ringe getragen… verstohlen blickte Layla auf die Hände ihrer Großmutter. Tatsächlich. Auch sie trug einen dieser Ringe neben zwei weiteren an ihrer rechten Hand. Links befand sich nur ihr Ehering.

Morana musste ihren Blick bemerkt haben, denn sie lächelte. „Diese Ringe sind eine Erfindung der Wächter. Sie beinhalten einen Zauber, der es dem Träger ermöglicht alle Sprachen um sich herum zu verstehen, während er selbst noch immer seine Muttersprache verwenden kann. Als die Wächter expandierten und sich auch in andere Länder verbreiteten, stellten sie fest, dass Sprache ein sehr großes Problem darstellen kann, deswegen die Ringe. Man kann aber auch ein anderes Assesoir nehmen. Ich persönlich finde Ringe nur am Praktischsten“, erklärte sie.

„Hm, Phobos trägt aber kein Halsband“, warf Constantin ein. „Oder sonst irgendwas.“

Der Nudist.

„Phobos ist auch ein alter Sack und hatte genug Zeit, um Sprachen zu lernen“, zwinkerte Morana ihm zu.

Während Phobos noch leise vor sich hingrummelte, dass er nicht alt sei, zogen Layla und Constantin die Ringe über. Es fühlte sich an, wie eine laue Briese, die einen im Sommer umspielt. Aber Layla war sich nicht sicher, ob sie sich das vielleicht nur eingebildet und wirklich grade ein Briese geweht hatte.

„Und jetzt?“, fragte Constantin.

Testen wir, ob sie funktionieren“, sagte Morana.

„Wie denn?“, erkundete sich jetzt Layla.

Schon passiert“, lächelte ihre Großmutter ihr entgegen. „Ich spreche grade Irisch.

„Wow. Klingt wie Deutsch…“, stellte Constantin fest.

„Oh.“ Layla war sich noch nicht so ganz sicher nach was es klang. Ein bisschen wie die seltsame Mischung aus Deutsch und Englisch, die sich je nach Tagesform in ihrem Kopf wiederfand.

„Man muss nicht seine Muttersprache sprechen, man kann auch eine andere wählen, die man beherrscht“, erklärte sie, „aber für die Meisten ist es angenehmer die Muttersprache zu verwenden. Für Außenstehende sieht das Ganze dann immer so aus, als könnte eine internationale Gruppe von Sprechern jede der gesprochenen Sprachen verstehen. Passen die Ringe, oder muss ich die Größe ändern?“

Sowohl Constantin als auch Layla verneinten.

„Ihr müsst die Ringe auch nicht an der Hand tragen, eine Kette um den Hals geht auch, wichtig ist nur, dass eine Verbindung zu eurer Haut besteht. Hosentaschen und so weiter funktionieren also nicht. Wir sollten uns auch langsam wieder weiterbewegen, sonst denkt Lochan sicher noch uns wäre etwas passiert und macht sich Sorgen“, fügte sie hinzu und setzte sich wieder in Bewegung.

„Was er natürlich niemals zugeben würde“, setzte Clancy nach.

„Niemals“, lachte Morana.

Layla betrachtete den Ring an ihrem linken Mittelfinger. Sie fand, dass er gut dorthin passte. Ja, dort würde er bleiben. Leichten Schrittes setzte sie sich wieder in Bewegung und holte Constantin vor ihr ein.

„Falls du es noch nicht mitbekommen haben solltest“, meinte sie, „meine Familie ist ein bisschen seltsam.“

„Ist das nicht jede Familie? Mein Bruder zum Beispiel ist sehr seltsam“, erwiderte er mit großer Zustimmung in der Stimme.

„Du hast einen Bruder?“ Aus irgendeinem Grund hatte sie immer angenommen, er sei ein Einzelkind wie sie. Allerdings redete er wenig über seine Familie.

„Ja. Er ist knapp ein Jahr jünger als ich. Aber seltsam, deswegen verschweige ich ihn immer. Er ist von der dummen Seltsamen Art. Oh, und er ist ein kleiner Schleimer. Aber meine Familie ist eh eine Gemeinschaft von schwarzen Schafen, das einzig weiße ist Tante Sybille. Neben mir versteht sich.“

„Gut, dass du nicht eingebildet bist.“

„Ja, das wäre ja furchtbar.“

Zum ersten Mal seit einer gefühlten Ewigkeit schienen sie lachend nebeneinander herzugehen. Es tat gut, fand Layla.

„Ja, aber mein Opa ist anders seltsam als die anderen. Während meine Oma andere Leute einfach zur Begrüßung tacklet und mein Vater alle mit den bösen Blick straft oder versucht die Menschheit durch seine Kochkünste auszurotten, ist mein Opa eher von der ruppig-borstigen Seltsamen Art. Ich dachte, ich sollte dich vielleicht vorwarnen. Aber er knurrt nur und beißt nicht. Oder zumindest nur selten.“
 

Constantin wollte sich fast gar nicht eingestehen, wie sehr es ihn erleichterte, ein normales Gespräch mit Layla zu führen, doch genau das tat es. Zwar über den Trottel Maik und ihren widerspenstigen Opa, aber immerhin. Auch Kleinvieh macht bekanntlich Mist.

Während sie redeten und hinter Clancy und Morana hertrabten, hatte Constantin Gelegenheit sich wenigstens ein bisschen umzusehen. Angekommen waren sie in einem Hain, der schon fast an einen Miniwald grenzte. Das Moos federte seine Schritte und das Sonnenlicht brach sich im Blätterdach. Als sie die Bäume verließen, bemerkte er erst, dass sich der Hain auf einem kleinen Hügel befand, von dem ein mit Findlingen gesäumter Weg zum Hinterhof eines kleinen Steinhauses führte.

„Deine Oma ist…“, begann Constantin als das Thema Familie ausgebaut wurde, doch ihm fehlten die Worte, die diese Aussage respektvoll hätten erscheinen lassen.

„… schon eine Nummer für sich?“, schlug Layla schmunzelnd vor.

„Ähm, ja“, sagte er zögerlich und Layla lachte auf.

Er warf Morana einen Blick zu. Sie trug einen dunklen, weitfallenden Rock, der in der frischen Briese leicht wehte, und eine grüne Bluse darüber, sowie einen dunklen Blazer. Aber noch nie hatte er eine Frau über 60 gesehen, die Schnürstiefel trug. Und das auch noch gut. Leichtfüßig wie ein junges Mädchen schritt sie den Weg entlang und verlor nicht einmal die Balance als sie von einem Findling auf den anderen sprang.

Nach wenigen Minuten schon erreichten sie das Haus und Morana führte sie darum herum zur Haustür.

Constantin hatte es sofort erkannt. Es war dasselbe Haus, das im oberen Flur der McCambridges auf einem Bild an der Wand hing: ein kleines Steinhaus inmitten von grünem Land, geflankt von knorrigen Bäumen und außerordentlich unbekannten Pflanzen im Vorgarten. Er wusste instinktiv, dass er dieses Haus mögen würde.

Knarrend öffnete sich die Haustür unter Moranas Händen und sie traten nacheinander ein. Zuerst konnte Constantin gar nichts sehen, da sich seine Augen noch nicht an die Lichtverhältnisse gewöhnt hatten, doch nach und nach erkannte er Details. Von einem minimalistischen Flur kamen sie in einer Art Salon von dem eine Treppe in das obere Stockwerk führte. Obwohl der Raum mit hellen Wänden ausgestattet war, war er dunkel, da kein Fenster existierte, das Licht hereinlassen konnte. Der steinerne Boden war mit einem dunkelroten Teppich ausgelegt, den Constantin unbekannte Muster und Ornamente schmückten. Die Pfirsichfarbenen Wände schmückten rote Wandbehänge, die von der Decke bis zum Boden reichten und drei Türen flankierten, die wahrscheinlich weiter ins Innere des Hauses führten.

„Stellt eure Sachen am besten erst einmal ab, die können wir gleich immer noch hochbringen. Lochan?!“, rief Morana ins Haus.

Wenige Augenblicke später erschien ein älterer Mann in der rechten Tür. Er war kleiner als Morana, die vielleicht bis zu Clancys Schulter reichte, und trug ein graues Hemd über einer karierten Hose. Seine Haare waren weiß mit noch vereinzelten roten Strähnen, doch seine Augen leuchteten in demselben intensiven Grün wie Clancys und Laylas und sein Gesicht hatte nur wenige Falten, die jedoch nicht vorteilhaft in seinem Gesicht saßen und ihm einen dauerhaft mürrischen Ausdruck verliehen. Constantin hatte das Gefühl, dass Lochan McCambridge jünger als seine Frau war, doch er konnte es nicht mit Bestimmtheit sagen, denn als er weiter in den Raum trat, stützte er sich schwer auf einen Gehstock. Nach einigen Schritten bemerkte Constantin erst, dass sein rechtes Bein steif sein musste.

Nachdem Lochan seinen Sohn mit einem Schulterklopfen, welches seine Frau mit einem Schmunzeln quittierte, und Layla mit einer einarmigen Umarmung begrüßt hatte, wurde ihm Constantin vorgestellt. Höflich schüttelte er die Hand des älteren Mannes, dessen Händedruck überraschend fest war, und musste feststellen, dass Lochan seinem Sohn aus der Nähe unglaublich ähnlich sah. Dieselben Züge um Mund und Augen, nur schien bei Lochan der scharfe, finstere Blick, den Clancy in der ersten Nacht, in der er ihm begegnet war, aufgesetzt hatte, eingebrannt. Auch seine Buschigen Augenbrauen nahmen dem Blick nicht an Intensität. Nur seine Ohren schienen noch spitzer als die Clancys, und auch er trug einen der silbernen Runenringe neben seinem Ehering.

„Freut mich dich kennenzulernen, Junge“, erwiderte er überraschender Weise und seine Mundwinkel zuckten leicht, als sei er versucht zu lächeln.

„Ganz meinerseits“, entgegnete Constantin, noch vollkommen überrumpelt. „Vielen Dank für Ihre Gastfreundschaft.“

„Wir freuen uns darüber“, antwortete jedoch Morana. „Es ist schon sooo lange her, dass Clancy Schüler hierher gebracht hat. Wir dachten schon, er mag uns nicht mehr.“ Sie schniefte gespielt theatralisch und wischte sich eine nicht existente Träne weg.

Clancy verdrehte nur die Augen.

„Hepzibah hat angerufen“, ergriff Lochan das Wort und setzte sich wieder in Bewegung auf die Tür zu, aus der er gekommen war, „eigentlich Bláthín, aber ihr wisst ja, wie das Mädchen ist. Schnattert mehr als eine ganze Horde Enten. Bláthín musste sich das Telefon schon wieder zurückerkämpfen… Wie auch immer, Liam hat heute doch nicht so lange Schule und sie kommen früher. Wahrscheinlich zum Tee.“

„Oh, das klang aber britisch“, ertönte Phobos Stimme.

„Sag mir das, wenn du nicht über der Schulter meiner Frau wie ein Schal hängst“, kam Lochans Erwiderung und er schlurfte ungehalten weiter. Phobos machte leise, grummelnde Geräusche, die seinen Unmut vollends zur Geltung brachten.

„Mein Opa ist Schotte“, erklärte Layla freundlicher Weise. „Mit Leib und Seele. Sag ihm niemals er sein Engländer, wenn du es dir mit ihm nicht verscherzen willst.“

Constantin zog ungläubig die Brauen hoch.

Ein Schotte, der in Irland lebt?

„Es gab Komplikationen und bevor er zu den Briten oder Walisern gegangen wäre, hätte er sich lieber selber ersäuft“, warf Clancy ein. „Seine eigenen Worte. Schließlich hat er sich dazu entschlossen nur eine neue Sprache zu lernen.“

Als sie den Eingangssalon verließen und Lochan folgten, kamen sie in eine große Küche, die weiter in ein Esszimmer führte, aber auch selber mit einem Tisch, vier Stühlen und einem Sessel neben dem Ofen ausgestattet war.

Morana forderte sie auf sich zu setzen und bereitete ihnen Tee zu, während sich Lochan in den Sessel sinken ließ und sein Bein rieb. Kaum hatte Morana Phobos angesetzt, sprang dieser auf den Sessel und von dort auf einen der Küchenschränke. Von dort oben, sicher und außer Reichweite Moranas, warf er ihr böse Blicke zu, welche sie jedoch mit einem strahlenden Lächeln erwiderte.

Während sie ihren Tee tranken, kamen die üblichen Gespräche auf, die eine Familie führte, die sich über einen längeren Zeitraum nicht gesehen hatte und nicht Constantins Familie war. Wie der Umzug gelaufen sei, ob sie sich schon eingelebt hätten, waren die Fragen von Morana und Lochan, wobei Lochan weniger redete als der Gruppe düstere Blicke zuzuwerfen, doch das schien niemanden sonderlich zu stören. Morana hatte sein Rededefizit aber auf die eine oder andere Weise wieder wettgemacht, Constantin kam es so vor, als redete sie für sie beide gemeinsam.

Constantin selber redete wenig bei diesen Gesprächen und sprach eigentlich nur, wenn er gefragt wurde. Was sollte er auch zu einem Familiengespräch beitragen? Aber das hatte auch etwas Gutes. Je mehr er sich auf ihre Stimmen konzentrierte, desto eher konnte er kleine Unterschiede hören. Es war nicht, wie er anfangs geglaubt hatte, dass sie alle einfach in seinen Ohren Deutsch sprachen, sondern vielmehr ermöglichte der Ring ihm einfach zu verstehen, als würde er selber ihre Sprachen fließend beherrschen. Morana klang kehlig, Clancy wiederum hatte etwas Klares und seine Worte waren sehr deutlich, wahrscheinlich weil er Englisch redete und sie Irisch. Lochans schottischer Akzent machte alles, was er sagte, wenn er etwas sagte, rauer und unebener, während Laylas Deutsch-Englisch zwischen hart und weich wechselte, je nachdem welche Sprache sie favorisierte, doch schien es im Umkreis ihrer Familie zunehmend Englisch zu werden.

Irgendwann wandelte sich das Teetrinken zu einem Mittagessen und als alle gesättigt waren, stand Morana auf.

„Kommt, Lasst uns die Sachen nach oben bringen, damit ihr auspacken könnt“, meinte sie an Clancy, Layla und Constantin gewandt und trat zurück in den Eingangssalon. Als Constantin sich umdrehte um ihr zu folgen, meinte er Phobos und Lochan leise reden zu hören, während Lochan das Geschirr zu spülen begann.

„Am besten nimmt Layla Bláthíns altes Zimmer, wie sonst auch. Constantin Clancys und Clancy geht ins Gästezimmer mit Phobos. Oder auch ohne Phobos, wo auch immer der schlafen will“, führte sie aus. „Auf jeden Fall habe ich die Betten schon bezogen.

Um ihr Einverständnis zu signalisieren nickten sie und Morana führte sie mit ihrem Gepäck die Treppe hinauf. Die Treppe knarzte unter ihren Füßen, während die kleine Gruppe sie erklomm. Auf dem Treppenabsatz angekommen, wandte sich Clancy ohne Umschweife nach rechts. Alles andere wäre auch sonderbar gewesen, da er in diesem Haus aufgewachsen war. Tatsächlich hatte Constantin eher das Gefühl, dass Morana nur seinetwegen sie führte, schließlich kannten die anderen beiden sich in diesem Haus aus. Der Korridor war nicht lang und bog nach vielleicht zwei Metern und einer weißen Tür schon wieder nach links.

„Nur nebenbei bemerkt, hier ist das Bad“, erklärte Morana und wies auf die Tür. Ohne anzuhalten bogen sie um die Ecke und vor ihnen erstreckte sich ein weiterer Flur mit zwei Türen, rechts und links. Die rechte, vordere Tür nahm Layla in Anspruch, während Morana Constantin zur hinteren, rechten Tür führte.

„Ich hoffe, dass sich kein Brandspuren mehr finden lassen. Obwohl Clancy schon seit Jahrzehnten nicht mehr hier wohnt, finde ich immer noch angekohlte Ecken in diesem Zimmer… „ seufzte sie. „Oder im Esszimmer, oder generell überall. Ein Wunder, dass das Haus noch steht…“

Das Zimmer war größer, als Constantin erwartet hatte, nicht so riesig, wie das bei seiner Tante, aber wer hatte auch schon solche Zimmer? Das Zimmer war mit einer hellen Tapete tapeziert und neben dem Fenster rechts vom Eingang hingen dunkelrote, blickdichte Vorhänge, die die fehlenden Rolladen ersetzten, nicht das Constantin je welche verwändet hätte. Er mochte es nachts vor dem Einschlafen den Himmel zu sehen. Des Weiteren befanden sich in dem Raum ein hölzernes Bett in der rechten Ecke, ein Schrank demgegenüber und unter dem Fenster ein Schreibtisch; alles in einem sattbrauen Holz, nicht hell, aber auch nicht dunkel.

„Du kannst alles in diesem Zimmer benutzen, wie es dir am besten gefällt. Fühl doch wie zu Hause“, fügte sie noch hinzu und lächelte freundlich. „Ich lass dich am besten auspacken. Hat ja keinen Zweck, wenn eine alte Frau dir dabei zuschaut.“

„Sie sind nicht alt“, sagte er schon zum zweiten Mal an diesem Tag einer Frau. Nicht dass der noch zum Don Juan der Nicht-jungen-Generation wurde. „Phobos ist alt.“

Genau wie Sybille lachte Morana auf.

„Lass ihn das nicht hören, sonst schmollt er wieder…“

„Nie wieder“, versprach Constantin scheinheilig.

„Wieder… aha“, grinste sie verstohlen. „Wenn du mich brauchst, ich bin unten, alte Männer piesacken, du verstehst?!“, zwinkerte sie ihm zu und schloss die Tür hinter sich.

Constantin hatte beschlossen, dass er Morana definitiv mochte.

Noch immer mit einem Lächeln auf den Lippen begann er auszupacken. Clancy hatte gesagt, dass sie rechtzeitig zu Schulbeginn wieder in Deutschland sein würden, also hatte Constantin nur für etwas mehr als zwei Wochen gepackt. Nach allem was passiert war, und was sie erfahren hatten, war es seltsam sich vorzustellen, in eineinhalb Wochen wieder in die Schule zu gehen, als sei nichts gewesen.

Als er fertig mit Auspacken war, betrachtete er die Fächer kritisch. Die wenigen Kleidungsstücke sahen mickrig und etwas verloren aus, aber er konnte ja schlecht 70 000 Klamotten mitschleppen nur damit die T-Shirts sich nicht einsam fühlten, also schloss er den Schrank kurzerhand und wollte sich wieder nach unten bewegen. Auf dem Flur traf er auf Layla, die ebenfalls gerade aus ihrem Zimmer kam.

„Schon fertig?“, fragte er. „Was bist du für ein Mädchen, wenn du so schnell wie ein Junge auspackst?“

„Tja, was bist du für ein Junge, wenn du genauso viele Klamotten wie ein Mädchen dabei hast?“

„Touché.“

Sie warfen sich ein Grinsen zu als sie Geräusche aus der Eingangshalle vernahmen. Schnell setzte sich Layla in Bewegung und Constantin folgte ihr rasch. Kaum waren sie die Treppe zur Hälfte hinabgestiegen, erblickten sie in der offenen Tür stehend einen großen, jungen Mann mit langen roten Haaren.

„Ich bin gekommen, um das Matriarchat zu stürzen!“, rief er ihnen entgegen und riss die Arme nach oben.

„Sag nicht immer so was!“, ertönte die Stimme einer Frau hinter ihm. „Und geh weiter!“

Er zog eine Fratze, aber trat schließlich weiter in das Haus. Hinter ihm kamen eine Frau und ein junges Mädchen zum Vorschein, das sich an der Frau vorbeiquetschte und sich auf Layla stürzte, die mittlerweile das Ende der Treppe erreicht hatte. Hätte Constantin nicht noch direkt hinter ihr auf einer der Stufen gestanden, wäre sie von dem Mädchen zu Boden gerissen worden. So fing er Beide gerade noch ab, während das Mädchen Layla in einer knochenbrechenden Umarmung gefangen hielt. Zumindest sah es für Constantin so aus und er stand direkt daneben.

„Luftzufuhr, Zibah, Luftzufuhr!“, röchelte Layla.

„Was?“, fragte das Mädchen – Zibah – sichtlich verwirrt. „Ich hab dir doch schon gesagt, dass ich dein deutsches Gebrabbel nicht verstehe!“

„Hepzibah, Liebes, zieh deinen Ring auf und lass Layla los“, sagte die Frau und legte Hepzibah eine Hand auf die Schulter. „Du bringst sie ja noch um.“ Kaum hatte Hepzibah Layla losgelassen, umarmte die Frau Layla ebenso stürmisch und sie drohten wieder zu fallen. Constantin hatte sich entschieden für den weiteren Verlauf dieses Gespräches einfach hinter Layla stehen zu bleiben.

„Erst verbietest du es Hepatitis und dann machst du es selber. Das ist Pädagogisch nicht richtig, Ma“, warf der junge Mann grinsend ein.

Hepzibah versuchte ihm für die Beleidigung vor das Schienenbein zu treten, doch er wich geschmeidig aus.

„Nenn deine Schwester nicht so“, sagte die Frau abwesend und ließ von Layla ab. Stattdessen trat der junge Mann an ihre Stelle.

„Layl!“, rief er aus und breitete die Arme aus, doch Constantin konnte sehen, dass Layla die Augen verengt hatte. Entweder mochte sie den Spitznamen nicht, oder es war etwas anderes.

„Bist du immer noch mit dieser Amalie zusammen?“ Ohne eine Antwort abzuwarten, drehte sie sich zu den anderen beiden. „Ist er immer noch mit der zusammen?“

„Kritisierst du meinen Frauengeschmack, Weib?!“

„Welcher Geschmack?“, konterte Layla. „Die ist so blöd, dass sie einen Rückschritt der Evolution darstellt.“

„Pff“, machte er und Hepzibah schüttelte hinter seinem Rücken grinsend den Kopf.

„Na, gut“, meinte Layla schließlich und ließ sich dazu herab dazu herab ihn zu umarmen.

„Gib’s zu, du hast mich vermisst“, grinste er.

„Ja“, antwortete sie und sah ihn ernst an. „Wie Fußpilz.“

Er grinste, aber kam nicht dazu etwas zu erwidern, denn Morana, angelockt vom Tumult, öffnete die Küchentür und eine weitere, aber weniger enthusiastischere Welle der Begrüßungen wurde ausgetauscht.

„Oma, Layl ärgert mich.“

„Dann hast du‘s sicher verdient“, erwiderte Morana trocken.

„Das kann man so nicht sagen…“

„Wenn ich dir vorstellen darf, auch wenn ich das im Augenblick nicht sonderlich will, das sind meine Cousine Hepzibah, meine Tante Bláthín und der Kerl, der so viel Mist labert, ist Liam“, stellte Layla vor. „Das ist Constantin.“

Wieder wurden Hände geschüttelt und Nettigkeiten ausgetauscht. Als Clancy schließlich auch dazu kam, hatte Constantin genügend Zeit, um sich Laylas Verwandtschaft näher zu betrachten.

Bláthín sah genauso jung aus wie Clancy und Constantin hätte beim besten Willen nicht sagen können, wer von beiden älter war. Er hatte immer noch im Hinterkopf, dass Clancy fast 50 war, aber nicht so aussah. Wer weiß also, wie alt seine Schwester und seine Eltern wirklich waren? Im Gegensatz zu Clancy hatte sie jedoch keine roten Haare sondern schokoladenbraune. Sie trug sie zurückgebunden, in einem losen Zopf, dem immer wieder Locken entflohen, und ihre Augen waren auch nicht grün, sondern haselnussbraun. Sie war nicht wirklich schlank, aber auch nicht dick, vielleicht ein bisschen füllig um die Mitte, als hätte sie nie das zusätzliche Gewicht der Schwangerschaft verloren.

Ihre Tochter Hepzibah schlug ganz nach ihr. Sie hatte dieselben Haare nur, dass Hepzibah sie modisch kurz trug und wahrscheinlich geglättet hatte. Doch die Augen in ihrem herzförmigen, hübschen Gesicht, waren die ihrer Mutter. Sie war etwa so groß wie Layla, was sie einen halben Kopf kleiner als Constantin selbst machte, aber jünger als sie beide. Constantin schätzte sie auf vielleicht 16.

Und dann war noch Liam.

Als Layla zuvor von ihm erzählt hatte, hatte er mit einem Schuljungen gerechnet, vor allem, da Lochan auch noch irgendetwas von einer Schule erzählt hatte, aber nicht damit. Liam war groß, der größte von allen Anwesenden, gut gebaut und sichtlich kein Teenager mehr. Er hatte lange rote Haare, die er in einem Zopf trug, ein Piercing über der Augenbraue und einen sehr schmalen, gut getrimmten Backenbart, der die Konturen seines Gesichts hervorhoben. Dass Constantin die Attraktivität eines Mannes auffiel, sagte schon viel, und dass er das unbestimmte Bedürfnis verspürte seine Männlichkeit zu beweisen noch wesentlich mehr.

Ugh, Mann haben gesprochen.

Constantin seufzte aufgrund dieser ungewohnt urtümlichen Gefühle und folgte den anderen in das große Esszimmer, das wahrscheinlich nur für Familienfeste genutzt wurde und sich hinter der mittleren Tür befand. Von dem Raum ging eine Tür zur Küche und eine weitere zu einem anderen Zimmer. Das Esszimmer war groß und hatte neben dem riesigen Tisch und den dazugehörigen Stühlen noch weitere Sitzplätze in Couchen und Sesseln. Es gab sogar einen Kamin in der Ecke.

Als Lochan und Phobos aus der Küche geschlurft kamen, hatten sich bereits Grüppchen gebildet, die über alles Mögliche redeten. Constantin hatte sich abgesondert und stand nun vor dem Kamin. Darüber hing die ganze Wand voller Bilder und die, die keinen Platz mehr daran gefunden hatten, standen auf dem Kaminsims. Vor ihm erstreckte sich die ganze weitläufige Familie McCambridge auf vielen gerahmten Bildern.

„Wie du siehst, herrscht in dieser Familie das Matriarchat“, ertönte neben ihm eine Stimme und Constantin konnte sich gerade noch so beherrschen nicht zusammenzuzucken.

„Wie?“, fragte er perplex.

„Das Matriarchat“, wiederholte Liam grinsend und deutete erst auf die Bilder und dann auf seine Großmutter.

„Hm.“ Constantin wollte nichts Falsches sagen, auch wenn er ihm innerlich zustimmte. Seine Mutter und Morana schienen beide das Zepter in der Hand zu halten. Allerdings hatte er auch unwillkürlich das Bedürfnis Liam zu ignorieren.

„Aber wenn das Matriarchat nicht vor langer Zeit einmal zurückgesteckt hätte, wäre Layl heute nicht so tierisch gepisst“, fügte er sanft hinzu.

„Naja, es ist schon irgendwo berechtigt, oder?“ warf Constantin ein und sah ebenfalls zu Layla hinüber, die zwar neben ihrer Tante und Cousine stand, aber sich nicht an deren Gespräch beteiligte.

„Oh, natürlich. Ich wäre auch gepisst, wenn Hepatitis alles vor mir erfahren hätte“, pflichtete er ihm bei. „Allerdings hatte Onkel Clancy vor, sie langsam und in Ruhe an alles heranzuführen. Dass sie eine Rune findet und auf eine von Clancys alten Schülern trifft, geschweige denn von Formori angegriffen wurde, war nicht der Plan. So die Wahrheit zu erfahren ist wirklich nicht optimal, aber sie wäre auch so auf ihren Vater sauer gewesen. Sie kommt sehr nach ihrer Mutter.“

Er blickte kurz suchend, über die Bilder. „Hier, das ist sie. Tante Angelika. Onkel Clancy hatte immer regelrechten Liebeskummer, wenn sie auf ihn sauer war. Es ist eins der großen Mysterien der Menschheit, wie er sie dazu überhaupt bekommen hat, mit ihm auszugehen….“

Constantin sah sich das Bild, auf das Liam gezeigt hatte, genauer an.

Es zeigte einen Clancy, der nicht viel jünger aussah als jetzt, der seinen Arm um eine blonde Frau gelegt hatte, die ein Baby im Arm hielt. Beide lächelten strahlend in die Kamera. Die Frau war vielleicht Mitte zwanzig, wenn überhaupt, und ihre Gesichtszüge sahen denen Laylas unglaublich ähnlich; weich, aber bestimmt. Ihre blonden Haare rahmten in Wellen fallend ihr Gesicht ein und ihre blauen Augen leuchteten regelrecht durch die dichten, dunklen Wimpern.

„Sie ist bei einem Unfall gestorben, nicht?“

„Ja, vor ungefähr elf Jahren“, bestätigte Liam. „Layl und ihr Vater waren seitdem alleine und Onkel Clancy hat sie fern von allem aufgezogen.“

Schweigend betrachteten sie eine Weile die Bilder, die verschiedene Lebensstadien der jeweiligen Familienmitglieder dokumentierten, bis Liam erneut das Schweigen brach.

„So, du bist also Layls neuer Freund…“, begann er.

„So… ist das nicht“, wiedersprach Constantin, doch es klang selbst in seinen Ohren schwach und er versuchte möglichst nicht rot zu werden. Der Versuch war aber nur von mäßigem Erfolg gekrönt.

Liam begann leise zu lachen.

Super, das gutaussehende Alphamännchen lacht mich aus.

„Wahrscheinlich hat Phobos dir Schauergeschichten über ihren letzten Freund und Onkel Clancys Reaktion über die ganze Angelegenheit erzählt“, schätzte Liam.

„Ich hab ihn live und in Farbe getroffen. Das erste, was Tim getan hat, war mir sein Beileid auszusprechen“, erwiderte Constantin trocken. Natürlich merkte er erst, was er gesagt beziehungsweise nicht gesagt und damit impliziert hatte, als es zu spät war. „Nicht, dass da etwas wäre, wofür man sein Beileid aussprechen müsste.“ Vielleicht hätte er diesen Satz auch weglassen sollen. Verflucht sei das Alphamännchen, denn es verwirrte ihn!

„Wie kommt es, dass du sie ‚Layl‘ nennst?“, versuchte er das Gespräch auf eine andere Schiene zu lenken. Vielleicht wäre es aber auch besser, wenn er überhaupt nicht mehr sprach. Nie wieder. Ja, das klang gut.

„Oh, das Übliche. Als 12jähriger Junge sagt man seinen anderen männlichen Männerjungsfreunden doch nicht, dass man mit einem kleinen Mädchen spielt. ‚Layl‘ klang wie ‚Kyle‘ und konnte als mein Cousin durchgehen. Irgendwie ist es hängen geblieben.“

Glücklicher Weise konnte das Alphamännchen ihn nicht noch weiter mit irgendwelchen Fragen verunsichern, denn Clancy rief sie auf, sich alle an den Tisch zu setzen. Nachdem alle Platzgenommen hatten, begann er.

„Da wir alle ohnehin schon einmal hier sind, kann ich auch gleich mit euch besprechen, wie wir uns Laylas und Constantins Training gedacht hatten. Ursprünglich war geplant Layla nur die Kontrolle über ihre potentiellen Fähigkeiten beizubringen, aber die ganze Situation hat sich in den letzten zwei Jahren stark geändert“, erklärte er und rieb sich müde die Augen.

„Inwiefern?“, wollte Hepzibah wissen.

Bevor er antwortete, warf Clancy seiner Schwester einen langen Blick zu.

„Was?“, wollte Hepzibah wissen. Offenbar waren Constantin und Layla nicht die Einzigen, die nicht über alles Bescheid wussten.

Bláthín seufzte.

„Kind, wir haben euch nicht immer alles gesagt, was passiert ist.“

„Euch? Du meinst wohl eher mir! Liam wusste immer über alles Bescheid!“

„Ja, weil Liam einfach älter ist und wir ihm gewisse Dinge nicht verheimlichen konnten.“

Hepzibah warf ihrem Bruder einen bösen Blick zu und er grinste sie an. „Abgesehen davon schnatterst du einfach zu viel, Hepatitis. Bei Onkel Clancys Glück hättest du dich sicher bei Layl verplappert.“

„Liam, hör auf sie so zu nennen!“

„Ja, Ma.“ Allerdings sah er ganz und gar nicht so aus, als würde er sich daran halten.

„Pff“, machte Hepzibah. „Und was habt ihr mir sonst noch nicht gesagt?“

„Wie agil die Formori in den letzten Jahren geworden sind“, meldete sich überraschend Lochan zu Wort. Wahrscheinlich hatte er genug von dem Gezanke der Beiden.

„Wo wir vorher gewohnt haben“, wandte sich Clancy an Layla, „war die Formoriaktivität sehr stark. Wir dachten, dass es an dem Ort an sich lag, dass sich dort vielleicht ein Portal befand, also habe ich eins der Jobangebote angenommen und wir sind in eine der am wenigsten gefährlichen Gegenden gezogen. Ich habe ein paar alte Gefallen eingeholt und so die Gegend überprüfen lassen. Bevor wie in der Hütte angegriffen wurden, gab es dort seit über 150 Jahren keine Übergriffe mehr.“

„Ob es nur die Runen waren und die Formori leichte Beute gewittert haben, oder ob sie uns gezielt folgen, wissen wir nicht“, fügte Phobos hinzu.

„Ich will auf keinen Fall, dass ihr wieder angegriffen werdet, und keine Möglichkeit habt euch zu verteidigen, wenn Phobos und ich nicht da sind. Letztes Mal ist es mit dem Schürhaken und dem Kandelaber gut gegangen, aber das ist nächstes Mal vielleicht nicht so.“

Constantin gefiel gar nicht, dass die Option ‚nächstes Mal‘ überhaupt zur Debatte stand. Laylas Gesichtsausdruck nach zu urteilen, hatte sie auch wenig Lust das Erlebte zu wiederholen.

„Schürhaken und Kandelaber? Wovon zum Teufel redet ihr?“, wollte Hepzibah wissen.

Überrascht sahen Layla und Constantin auf. Sie waren beide davon ausgegangen, dass mittlerweile alle Bescheid wussten.

Wieder wechselten Clancy und Bláthín einen Blick und nachdem sie genickt hatte, erzählte Clancy kurz und bündig, was passiert war. Als er endete, huschte Hepzibahs Blick von Layla zu Constantin und wieder zurück. Dem Ausdruck auf ihrem Gesicht nach zu urteilen, war zumindest für Constantin klar, dass sie ihre Cousine bei der nächsten Gelegenheit mit Fragen löchern würde. Oder auch ihm. Sie betrachtete ihn in diesem Moment intensiver als ihm gerade lieb war.

„Da wir das ja jetzt geklärt haben, kommen wir zurück zum Thema“, erstickte Clancy jede mögliche Diskussion im Keim. „Meine Eltern und Phobos werden sich um Laylas Ausbildung kümmern, während Bláthín und ich Constantins übernehmen. Fragen soweit? Nein? Gut, dann findet euch bitte zusammen, damit wir langsam wenigstens etwas geschafft bekommen.“

Noch während Constantin zu Clancy hinüberschritt, hörte er schon die Diskussion zwischen Bláthín und ihrer Tochter.

„… und warum werde ich nicht ausgebildet?“, fragte Hepzibah hitzig und ihre Mutter seufzte schon wieder.

„Weil Constantin und Layl nur etwas mehr als eine Woche hier sind“, antwortete stattdessen Liam, der Constantin begleitete. „Ma, Oma und Opa können dich auch immer noch ohne Onkel Clancy ausbilden.“

„Außerdem bist du noch nicht soweit“, fügte ihre Mutter hinzu

„Hmpf“, machte Hepzibah und verschränkte die Arme, doch ließ die Diskussion ruhen. Stattdessen beschränkte sie sich darauf Constantin interessierte Blicke zuzuwerfen.

Ungewöhnlich verlegen ließ Constantin den Blick wandern und bleib schließlich an Lochan hängen. Er schien außerordentlich freudig und strafte seinen Ruf Lügen: Er lächelte Layla an, als gäbe es kein Morgen mehr.

„Mein Vater war sehr glücklich, als ich ihm erzählt habe, dass Layla seine Affinität für Wasser teilt. Er hatte schon die Hoffnung aufgegeben“, erklärte Clancy, der Constantins Blick bemerkt haben musste. Nachdem sein Gesicht kurzeitig weich wurde, bei dem Anblick seiner Tochter und seiner Eltern, fing er sich rasch wieder. „Du hast eine Essenz, was vieles einfacher macht. Phobos konnte euch die Grundlagen beibringen, sodass wir vernünftig arbeiten und spezifizieren können. Während der nächsten Tage wird Bláthín dich in den heilenden Funktionen der Erdmagie unterrichten und ich werde den kämpferischen Teil abdecken. Heute werden wir aber nur versuchen dich für Erdverbindungen zu sensibilisieren und herauszufinden, welcher Ansatz für dich am besten ist. Wenn du keine Fragen hast, fangen wir an.“
 

Phobos sah seine bisherigen Vermutungen, während des Trainings bestätigt: ihre beiden Schüler waren schnell von Begriff; zwar noch fern von einer meisterhaften Beherrschung, dafür würde es länger brauchen, als ein paar Wochen Training im Sommer, doch sie machten sich.

Wie Phobos schon vermutet hatte, war Laylas einziges Problem wirklich, dass sie keine Essenz hatte. Phobos und Lochan hatten sich entschieden einen alternativen Weg einzuschlagen, der sie mit einem Fokus arbeiten ließ, ihrer Rune. Phobos hatte das zuletzt in seiner Jugend mit Lir zusammen gemacht, aber bisher funktionierte es gut. Laylas generelles Grundkonzept war solide und Lochan freute sich immer wie ein Schuljunge, wenn es ihr gelang den Aggregatzustand eines Glases Wasser zu verändern. Leider war die Veränderung noch nicht dauerhaft. Dafür hatte sich Laylas Kondition immens verbessert unter Clancys Trainingsplan bevor sie nach Irland gekommen waren. Das kam ihr zugute bei den Kampfübungen mit Morana, die sie immer wie wild durch die Gegend scheuchte. Morana hatte schon immer viel Wert auf Schnelligkeit gelegt. Neben dem Standartfechten stand für den nächsten Tag Probeübungen mit einem Kriegsfächer an, um zu testen, ob sich die Affinität ihrer Rune, wie bei Clancy, auch auf ihr Element übertrug.

Und von dem was Clancy berichtete, war deutlich, dass Constantin rasch Fortschritte in den Heilungsmagien machte, vor allem die Selbstheilung hatte sich rapide verbessert, nachdem ein paar Kampfübungen misslungen waren. Nicht, dass Constantin unfähig in Kampfübungen wäre, aber wenn Clancy der Lehrmeister war, lag die Messlatte hoch und es war nicht ungewöhnlich zwei von fünf Übungen nicht zu schaffen. Da machte sich Phobos keine Gedanken, demnach hielt sich Constantin mehr als gut. Er versaute immer nur eine.

Was ihm allerdings Gedanken machte, war die Stimmung zwischen ihren Schülern.

Neben der Tatsache, dass man gesondert besser auf einzelne Schüler eingehen konnte, war ein weiterer Grund für die Trennung der beiden gewesen, die Stimmung zwischen ihnen zu heben, wenn sie sich nicht immer mit dem anderen vergleichen mussten. Obwohl sie sich nur wenige Stunden am Tag überhaupt sahen, hatten es die zwei irgendwie trotzdem geschafft, eine frostige Stimmung zu entwickeln, die von beiden ausging, nicht nur einem. Dass Layla nicht die Einzige in der Familie war, die nicht über alles aufgeklärt worden war, hatte sie dazu gebracht ihrem Vater fast zu verzeihen.

Phobos seufzte leise, doch Clancy hatte ihn ohnehin nicht gehört; er war ganz in seinen eigenen Gedanken versunken. Schweigend gingen sie beide den Pfad vom Hain hinab zum erleuchteten Haus Moranas und Lochans.

Clancy hatte länger mit Constantin trainiert als Morana mit Layla und hatte seinen Schüler schließlich vor ihm gehen lassen, sodass er noch den Hain für die Übungen des kommenden Tages vorbereiten konnte. Als seine Vorbereitungen die Dämmerung überschritten hatten, hatte sich Phobos Sorgen und auf die Suche nach ihm gemacht. Außerdem wollte er der eisigen Stille im Wohnzimmer entgehen. Wo zur Hölle steckten Lochan und Morana?

„Wir müssen Liam von Layla fernhalten!“, sagte Clancy so plötzlich, dass Phobos fast stolperte.

„Was? Warum das denn?“

„Er ist im heiratsfähigen Alter!“

„Und ihr Cousin?!“

„Es kommt immer mal wieder vor, dass Cousins Cousinen heiraten! Außerdem ist er wie ein alter Freund und das hatten wir schon mal“, warf Clancy ein.

„Ja, aber da hat es nicht geklappt und der Junge hat heute noch Angst vor dir!“

„Er ist älter. Älter ist immer anziehend“, ignorierte Clancy seinen Einwand. „Und außerdem attraktiv. Das kannst du nicht leugnen.“

Phobos seufzte erneut. Clancys Vatertier war wieder einmal zum Vorschein gekommen. Weiß der Geier, was es herausgelockt hatte. Vielleicht hatte Liam sie zu lange umarmt bei einem Abschied oder so was. Clancys Hirnwindungen waren ihm mal wieder ein Rätsel.

„Ich glaube nicht, dass Liam eine Gefahr für die Tugend deiner Tochter darstellt…“

Clancys Augen verengten sich. Doch als sie sich dem Haus auf die letzten Schritte näherten, hörten sie das Gezeter und Clancy brach ab.

„… ach, ja?!“, hörten sie Layla rufen.

„Ja!“ Constantin war auch nicht leiser.

Alarmiert sahen sie sich an und gingen sie schneller, rannten fast die letzten Meter.

„Ich habe ihr nur gesagt, dass ihr der verdammte Pulli steht! Frag doch Super-Liam!“ Wieder Constantin.

Als sie die Tür erreichten und aufrissen, sahen sie, was Phobos schon befürchtet hatte. Layla stand mit hochroten Kopf und Zorn funkelnden Augen auf der Treppe. Constantin stand mit dem Rücken zu ihnen, doch seine Haltung zeigte einem Blinden, dass er nicht weniger wütend war.

„Werde ich machen!“, brüllte sie gerade.

„Schön!“

„Schön!“

Beide machten gleichzeitig Kehrt. Layla warf dem gesamten Raum noch einen eisigen Blick zu und stapfte möglichst geräuschvoll die Treppe hinauf, während Constantin schnaubend auf die Tür zuging.

„Was ist denn passiert?“, fragte Clancy ein wenig hilflos.

„Woher soll ich das wissen?!“, fauchte Constantin und stapfte an ihnen vorbei in die kühle Nachtluft und wäre beinahe mit Morana zusammengestoßen.

Clancy machte Anstalten ihm nachzugehen, doch Morana hielt ihn auf.

„Lass ihn. Es gibt gerade wichtigeres als den Streit der Kinder.“

Verwirrt wechselten Phobos und Clancy einen Blick, und sahen anschließend wieder Morana an. Hinter ihr stand Lochan und dahinter noch eine weitere Person. Phobos schwante Übles.

Als Aygül ins Licht trat, sah er seine Befürchtungen bestätig.

„Ich muss mit Ihnen reden.“

Geführt von Lochan und Morana geführt, traten sie ins Wohnzimmer, links vom Eingangssalon. Allerdings verhinderte die Spannung im Raum, dass es sich irgendjemand gemütlich auf den Sesseln machte.

„Hat man nicht mal in einem anderen Land Ruhe vor den Wächtern?“, fragte Clancy kühl.

„Ich bin nicht für die Wächter hier, sondern aus eigenem Antrieb, als Ihre ehemalige Schülerin“, sagte sie und holte ein Sandwich aus ihrer Umhängetasche. „Tut mir Leid, noch nichts gegessen heute“, erwiderte sie Schulter zuckend auf ihre Blicke.

Wenigstens das hat sich nicht verändert…

„So, was ist nun?“ Clancy machte langsam deutlich, dass er mit der Gesamtsituation unzufrieden war und begann zu grummeln.

„Die Wächter. Sie wollen Sie vorladen. Irgendein vorgeschobener Mist von wegen Vorenthaltung potentieller Rekruten. Ich weiß nicht wann, nur, dass sie es tun wollen“, erklärte sie.

„Warum das denn?“, warf Phobos ein. „Das macht doch gar keinen Sinn. Seit wann darf man nicht mehr privat unterrichten?“

„Letzte Nacht ist ein Erlass durchgekommen, der besagt, dass nur noch qualifizierte Lehrer unterrichten dürfen. Alles noch streng geheim.“

„Natürlich. Gut zu wissen, dass die Bewahrer nachtragend sind“, seufzte Clancy. „Nicht, dass ich mehr Grund dazu hätte.“ Die Ironie triefte und sammelte sich am Boden zu einer Pfütze. „Wer war der führende Offizier?“

„Flynn“, antwortete sie nach einigem Zögern.

Clancy fluchte so laut und farbenfroh, dass selbst seine Mutter entsetzt aussah.

„Aber das ist nicht alles“, meinte Aygül.

„Noch mehr?“

„Ja“, nickte sie kauend, „Es gibt Ungereimtheiten mit den Rekrutenzahlen , der Erlass, der für mehr Pflichtrekruten oder zumindest militarisierten Unterricht sorgt, und zu allem Überfluss findet nächste Woche ein Treffen mit Vertretern der Söldner statt. Wann habe ich noch nicht rausbekommen, aber ich arbeite daran. Das sind keine Zufälle, aber ich wusste einfach nicht, an wen ich mich wenden sollte. Sie kennen das System, was denken Sie?“, fragte sie Phobos und Clancy. Kurz blickte unter dem reifen Gesicht der Wächterin die Schülerin von einst hindurch.

Phobos und Clancy wechselten noch nicht einmal einen Blick, bevor Phobos antwortete.

„Da ist was im Busch.“
 

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Wenn ihr dieses Kapitel nach dem 12.09.2011 lest, dann könnt ihr die Verweise auf die Änderungshinweise in den Steckbriefen in Kapitel 22 getrost ignorieren :)

Schwelle zur Vergangenheit

An dieser Stelle wollte ich auch mal den Freischaltern meinen Dank ausdrücken, die die letzten Male immer so fix waren. Also: Danke! =^.^=

Eigentlich wollte ich noch 'ne knappe Seite mehr schreiben, hab mich aber dann dagegen entschieden, weil ich das Ende so besser fand. Ich hoffe, ihr habt Spaß beim Lesen! °v°
 

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In ihrer Wut war Layla hinauf in den Dachboden gestapft, möglichst weit weg von diesem …! Diesem …! Sie fand noch nicht einmal Worte dafür, was Constantin überhaupt war.

„Argh!“ Was fiel ihm überhaupt ein, mit ihrer Cousine anzubändeln?!

Ja, klar, er hat ihr nur gesagt, dass ihr dieser hässliche Pulli mit den Scheißenten drauf stand! Sicher! So, wie Heptzibah ihn anschmachtet, ist klar, dass da was geht! Sie belagert ihn doch ständig!

Fluchend ging sie in dem zugestellten Dachboden auf und ab. Gelegentlich rempelte sie irgendwelche verstaubten Dinge an, doch aufgebracht wie sie war, interessierte sie das herzlich wenig.

Und was hat er überhaupt ständig mit Liam?! Angst, dass der große Bruder dazwischenpfuscht? Wahrscheinlich!

Fuchsteufelswild, wie sie war, trat sie gegen eine Kommode, als wäre das hölzerne Möbelstück für alles verantwortlich. Doch sie bereute es augenblicklich, als der Schmerz aus ihrem Zeh ihr ganzes Bein hochschoss. Wuttränen vermischten sich mit Schmerztränen und ihr Umfeld wurde unscharf, bis die Tränen heiß ihre Wange hinunterrannen.

„Verdammt“, fluchte sie leise und ließ sich ihren Zeh reibend auf einen alten Hocker niedersinken.

Warum musste auch immer alles so kompliziert sein? Sie wollte sich doch eigentlich gar nicht mit Constantin streiten, aber der Stress der letzten Wochen, das Gefühl von allen verraten worden zu sein, die Misserfolge beim Training und eine nicht gerade marginale Eifersucht hatten dazu geführt, dass ein Wort das nächste ergeben hatte. Im Endeffekt hatten sie sich quer durch die Halle lauthals angeschrien und sich unschöne Dinge an den Kopf geworfen. Nicht zu vergessen, dass in genau diesem Moment ihr Vater und Phobos alles mitbekommen haben, als sie nach Haus gekommen waren. Ganz großes Kino. Jetzt war sie die Zicke der Nation und Constantin hasste sie bestimmt. Kein Wunder, alle hassen schließlich Zicken. Layla eingeschlossen.

Sie seufzte niedergeschlagen und zog die Beine auf den Hocker, um sich zu einem möglichst kleinen Ball zusammenzukrümmen. Wenn sie die Welt nicht mehr sah, sah die Welt sie vielleicht auch nicht mehr. Man konnte ja hoffen.

Ob sie jetzt fünf Minuten, eine halbe Stunde oder länger so dagesessen hatte, wusste sie nicht, aber an einem gewissen Punkt waren ihr wieder die Tränen in die Augen gestiegen und sie drohte in Selbstmitleid zu versinken. Und zu ersticken. Wenn man den Kopf zwischen die angezogenen Knie gelegt hatte, diese dann auch noch umklammerte, als gäbe es kein Morgen mehr, und schließlich anfing zu schluchzen, war die Luftzufuhr zugegebener Maßen limitiert.

Wütend auf sich selbst, stemmte sie die Beine auf den Boden. Sie konnte doch nicht bis in alle Ewigkeit hier oben sitzen und rumheulen!

Aber wenn sie es genau betrachtete, hatte sie auch wenige Lust nach unten zu gehen und sich einen Tadel von ihrem Vater vor versammelter Mannschaft anzuholen, weil sie nicht mit der Gesamtsituation klarkam. Sie war ja sicher nicht die Einzige in der Geschichte der Menschheit, die unverhofft eine Rune gefunden hatte und vom Regen in die Traufe geraten war. Die anderen waren bestimmt wesentlich weniger whiny gewesen.

Entmutigt ließ sie sich auf den Hocker zurücksinken und versuchte sich von diesem ganzen Gedankengang abzulenken, indem sie sich umsah, obwohl sie den Raum seit ihrer Kindheit kannte. Vielleicht entdeckte sie ja etwas, das noch nicht ganz so alt war und ihr eine Lösung für das derzeitige Problem lieferte, sowas wie einen Strick oder so…

Durch die untergehende Sonne war es in dem verstaubten und zugestellten Raum leicht dämmrig und ein alter Spiegel reflektierte das letzte Licht. Erst als sie einige Augenblicke in die Leere gestarrt hatte, betrachtete sie sich die Kommode, die dafür verantwortlich war, dass ich ihr Zeh jetzt mindestens gebrochen anfühlte. Scheiß irische Eiche.

Wahrscheinlich eine alte Kommode von Oma Morana, die ihrer Art aufzuräumen zum Opfer gefallen war, und nun friedlich da stand und überhaupt keinen zehbrecherischen Eindruck machte. Hinterhältige irische Eiche!

Durch Laylas Tritt hatte sich eine Schublade gelockert und war aufgerutscht. Als Layla sich erhob, um die Schublade zuzuschieben, stutzte sie. In der Schublade, neben all dem Gerödel lag etwas Helles…

Layla griff hinein und musste feststellen, dass es ein kleines Buch war. Es sah nicht aus wie ein Roman, eher wie ein Notizbuch oder so etwas, wie es da flach und geblümt in ihrer Hand lag. Auch die Größe von etwa A5 sprach dafür, aber was machte ein Notizbuch hier oben auf dem verstaubten Dachboden? Als sie es aufschlug, bekam sie auch keine Erklärung durch den Inhalt des Buches, denn es war zu dunkel, um etwas lesen zu können. Das einzige, was sie ausmachen konnte, waren längere Textpassagen.

Sie wollte nicht nach unten in ihr Zimmer gehen und dort lesen, aus Angst, dass sie unterwegs jemandem begegnen könnte, und das war das Letzte, was sie in diesem Moment brauchte. Dennoch wollte sie unbedingt wissen, was in dem Buch stand. Blöderweise gab es auf dem Dachboden kein Licht und wenn hatte Layla nie einen Lichtschalter gefunden. Hatte ihre Großmutter hier nicht irgendwo Kerzen rumliegen gehabt? Layla legte das Buch auf ihren Hocker und begab sich auf die Suche in den staubigen Gefilden.

Nach einigen Niesern und etlichen Misserfolgen hatte sie eine Packung alter Kerzenstummel, eine Packung Streichhölzer, die auch schon einmal bessere Tage gesehen hatten, und sogar einen angelaufenen Messingleuchter, in den die Kerzenstummel mit etwas Gewalt passten. Den Messingleuchter auf der fiesen Eichenkommode abstellend, drehte sie ihren Hocher so, dass sie genug Licht zum Lesen hatte und schlug das Büchlein auf.

Anders als sie erwartet hatte, war es kein Notizbuch, zumindest nicht mehr, sondern ein Tagebuch. Wahrscheinlich das einer Frau; wenn schon der geblümte Einband kein Hinweis darauf gewesen wäre, dann aber die filigrane Handschrift.

Layla wollte das Buch schon zuklappen, schließlich war es nicht ihr Tagebuch und das letzte Mal als sie ein Fremdes Tagebuch betrachtet hatte, hatten sie und Constantin ihre Runen gefunden, die zumindest ihr bisher nichts als Ärger beschert hatten, doch da bemerkte sie etwas. Ihren Namen! Layla. Und der ihres Vaters! Clancy.

Mit klopfendem Herzen las sie den Satz:

Layla freut sich sehr, endlich ihre Großeltern wiederzusehen, genau wie Clancy, auch wenn er versucht es nicht zu zeigen, vermisst er seine Familie.

Aber wer zum Geier hatte einen Grund so etwas in ein Tagebuch zu schrieben? Und dann auch noch auf Deutsch… Das konnte nur eine Person sein…

Nervös blätterte sie durch das Tagebuch zum Deckblatt nach vorn. Tatsächlich. Dort stand er, blauer Kuli auf beigem Papier. Der Name ihrer Mutter. Angelika McCambridge.

Aber was machte das Buch hier? Warum war es nicht, wie alle alten Sachen ihrer Mutter, in ihrem alten Haus beziehungsweise jetzt in ihrem neuen Haus?

Ein wenig verwundert blätterte Layla durch das Tagebuch, in der Hoffnung irgendwelche Daten zu finden. Und sie hatte Glück, ihre Mutter war penibel gewesen und hatte jeden einzelnen Eintrag datiert. Die letzten Einträge waren knapp elf Jahre alt. Sie musste sie kurz vor ihrem Unfall geschrieben haben…

Getrieben von der Sehnsucht nach ihrer Mutter und endlich mehr über sie zu erfahren, blätterte Layla zu den hinteren Einträgen.
 

Nächste Woche geht es nach Irland zu Morana, Lochan und Bláthín und wir alle freuen uns schon riesig. Heute hat Clancy die Tickets geholt.

Phobos, der alte Grummelkater, würde es nie zugeben, aber selbst er vermisst Morana. Allerdings fällt es mir jedes Mal schwer nicht in lautem Gelächter auszubrechen, wenn Layla ihn wie ein Kuscheltier durch die Gegend trägt; es sieht einfach zu niedlich aus, wie er schmollt. Aber selber schuld, wenn er es sich gefallen lässt.

Clancy meinte heute Morgen, dass er noch etwas für die Wächter zu erledigen hätte und später kommen würde. Jetzt ist schon 11 und er ist immer noch nicht da… Layla wollte schon gar nicht ins Bett gehen, ohne ihrem Vater gute Nacht zu sagen. Hoffentlich kommt er bald nach Hause…

24. Juli 1998, abends.
 

Bei der Bemerkung ihrer Mutter über Laylas eigenes Verhalten wurde ihr unwillkürlich warm ums Herz - auch wenn sie zum zweiten Mal an diesem Tag darauf hingewiesen wurde, dass sie Phobos durch die Gegend getragen hatte. Irgendwie war es seltsam die Gedanken ihrer Mutter zu lesen, brachten sie sie ihr doch so nahe, obwohl sie sich selber an so vieles einfach nicht mehr erinnerte.

Layla las auch die nächsten Abschnitte, in denen ihre Mutter sich darüber aufregte, dass Clancy einen letzten Auftrag für die Wächter angenommen hatte, aber ihre Mutter nichts dagegen tun konnte. Oder viel mehr im Zwiespalt war, ob sie ihn davon abhalten sollte, wenigstens ein bisschen in seiner ursprünglichen Welt zu leben. In mehreren Passagen führte Angelika aus, dass sie wusste, dass ihr Mann nicht ganz glücklich damit war, die Möglichkeit den Menschen zu helfen vollkommen auszuschlagen und als Buchhalter zu leben, obwohl Clancy selbst nie auch nur eine klitzekleine Andeutung in diese Richtung machte.
 

Heute waren wir an einem historischen Schauplatz, nur wir beide.

Morana hatte sich um Layla gekümmert, die davon überzeugt war, dass sie irgendwann herausbekommen würde, welche geheime ‚Zauberzutat‘ Morana denn nun in ihre Kekse tat. Morana hatte gelacht und die Herausforderung angenommen.

Als Clancy Phobos sagte, wo wir hinwollten, ist er sehr komisch geworden und hatte sich geweigert mitzukommen. In einer stillen Stunde werde ich ihn mal fragen, warum.

Als wir schließlich dort angekommen sind, wusste ich zuerst nicht, was wir überhaupt dort wollten. Ich habe nur eine Wiese gesehen, bis Clancy mich aufgeklärt hat. Er hat mir erzählt, dass die Wächter dort gegen eine Verräterin aus ihren Reihen gekämpft, aber nur knapp gesiegt hatten. Seit diesem Kampf waren die Formori wieder über die Welt gekommen.

Allein schon, wenn ich an die Viecher denke, läuft es mir immer noch kalt den Rücken hinunter, obwohl es schon 12 Jahre her ist, dass ich einen von ihnen in natura gesehen habe. Trotzdem haben mich die Bilder, wie sie sich das zweiköpfige Ungeheuer über uns beugt und sein stinkender Geifer auf mich tropft, nie verlassen. Noch heute rieche ich sie… Ich bin mehr als nur froh, dass Clancy mir die Schutzzauber beigebracht hat.

Allerdings habe ich auf der Wiese einen schönen, glänzenden Stein gefunden. Wenn sich eine Gelegenheit bietet, lasse ich ihn einfassen. Er würde an Layla sicher sehr niedlich aussehen.

Trotzdem hat sich den ganzen Nachmittag keine Gelegenheit gegeben, es ihm zu sagen und ich wollte auch nicht aus heiterem Himmel damit ankommen. Die Momente waren einfach nicht günstig auf einem uralten Schlachtfeld.

31. Juli 1998, abends.
 

„Ihm was zu sagen?“, fragte sich Layla laut. Sie hatte keine Ahnung, was ihre Mutter gemeint haben konnte. Um eine Antwort zu bekommen, wandte sie sich dem nächsten Eintrag zu, der laut Notiz ein paar Tage später geschrieben wurde.
 

Irgendetwas ist komisch, aber ich weiß nicht was. Ich fühle mich irgendwie beobachtet und hoffe, dass es einfach nur mein Verfolgungswahn ist. Trotzdem hat Clancy vorsorglich die Wächter um einen Schutztrupp gebeten.

Ich hatte endlich Gelegenheit mit Phobos zu sprechen

Ich hatte ja keine Ahnung! Kein Wunder, dass er nicht mitwollte, wenn er auf dem Schlachtfeld seine zwei ältesten Freunde verloren hat. Und ich Trottel hab ihn auch noch getriezt. Das tat mir so leid, dass ich es ihm noch vor Clancy gesagt habe. Quasi im Affekt. Morgen früh brechen sie auf und ich konnte es Clancy immer noch nicht sagen. Ich fühle mich wie ein feiges Hühnchen, weil ich einfach nicht auf den Punkt komme… Aber jetzt will ich es ihm auch nicht sagen. Wenn sie morgen Aufbrechen, will ich, dass er ganz bei der Sache ist. Ich wäre ungern Witwe. Abgesehen davon schläft er schon. (Ja, Angie, red dich ruhig weiter raus!)

Nein, wenn er wiederkommt sag ich es ihm.

3. August 1998, nachts.

Dieser Eintrag war noch kryptischer als der vorherige und Layla wusste immer noch nicht worum es ging. Hätte ihre Mutter nicht berücksichtigen können, dass sie ihre Gedanken nicht lesen konnte?! Naja, zumindest konnte sie Phobos fragen, der wusste ja scheinbar Bescheid. Wenn sie sich jemals wieder von hier wegtraute, versteht sich.

Mittlerweile saß sie schon lange genug hier, dass es draußen schon fast vollkommen dunkel geworden war. Ihr erster Kerzenstummel war schon fast zugrunde gebrannt und sie sah sich gezwungen ihn zu wechseln bevor sie weiterlesen konnte.

Der nächste Eintrag war ein wenig krakelig geschrieben und zudem sehr kurz.
 

Nein, ich bilde mir das nicht ein. Irgendetwas ist da und verfolgt mich. Aber ich weiß nicht was und warum. Ich sehe es nicht. Aber Layla hat es gesehen und jetzt Angst alleine zu schlafen. Es hat Ewigkeiten gedauert sie zum Schlafen zu bekommen, aber ich habe es geschafft. Morana hat gesagt, dass sie dem Ganzen auf dem Grund gehen will und bricht morgen nach Limbus City auf. Lochan und ich gehen für die Zeit zu Bláthín, da sich diese verfluchten Wächter immer noch nicht haben blicken lassen. Ich wünschte Clancy wäre hier.

Aber ich schreibe morgen weiter; es ist unbequem mit Layla im Arm auf dem Bett zu schreiben.

7. August 1998, nachts.
 

Ihre Mutter wurde verfolg? Von was? Und warum hatte Layla es gesehen und konnte sich nicht einmal daran erinnern, obwohl sie als Kind sogar Angst hatte alleine zu schlafen? Und was zur Hölle war Limbus City? Fragen über Fragen und Layla hatte nur noch wenig Hoffnung eine entsprechende Antwort zu bekommen, wenn sie sich das Datum des Eintrages betrachtete, denn ihre Mutter war schon in der Nacht vom achten auf den neunten August verstorben.

Die nächsten beiden Einträge waren schnell geschrieben, weniger sorgfältig. Als sei ihre Mutter aufgeregt gewesen oder hatte es sehr eilig gehabt.
 

Ich weiß jetzt, was es ist!

Formori haben uns angegriffen, als ich mit Layla alleine draußen bei den Schaukeln war. Jedenfalls glaube ich, dass es Formori waren. Sie waren bei weitem nicht so riesig und so stark, wie die die ich in Erinnerung hatte. Sie waren eher wie schwarzer Dampf. Sie hatten Layla gepackt und ich hätte sie beinahe nicht befreien können, wenn nicht der Glitzerstein, den ich auf dem Schlachtfeld gefunden habe, mir einen Energieschub gegeben hätte. Mithilfe des Steins konnte ich die Waber-Formori vertreiben, aber Layla war nach dem Angriff nur noch apathisch.

Mit einiger Mühe und mithilfe des Steins ist es mir gelungen ihr Zweites Gesicht zu versiegeln, in der Hoffnung, dass sie sich nicht mehr an die Mistviecher erinnert. Solange wir den Stein haben, können wir das Siegel aufheben, aber erst, wenn alles vorbei ist. Mit dem Siegel ist Layla geschützter als ohne. Solange sie es hat, wird sie nicht angegriffen werden. Formori sind für sie unsichtbar, aber dafür ist sie auch den Formori gegenüber unsichtbar.

Ich bin mir jetzt auch ziemlich sicher, dass der Stein eine Essenz ist, obwohl ich nie zuvor eine gesehen habe. Aber gerade ist auch niemand da, den ich danach fragen könnte; Bláthín ist bei der Arbeit und Lochan einkaufen. Ich habe den Steinzirkel um das Haus aktiviert, damit wir sicher sind. Ich warte nun hier und habe mehr als genug Zeit dies hier zu schreiben, obwohl ich lieber agieren würde. Sobald einer von beiden nach Hause kommt, fahre ich zum Haus von Morana und Lochan. Ich will Layla nicht alleine lassen, nicht jetzt. Gerade schläft sie ruhig und friedlich durch den Zauber.

Hoffentlich ist Morana wieder da, wenn ich bei ihrem Haus ankomme.

8. August 1998, nachmittags.
 

Ungläubig, aber mit pochendem Herzen nichtsdestotrotz, betrachtete Layla den Eintrag. Sie waren von Formori angegriffen worden und sie erinnerte sich nicht mehr daran, weil ihre Mutter ihr ein Siegel auferlegt hatte. Was hatte sie dann noch alles vergessen?

Aber ihre Mutter hat nicht geplant es zu einem dauerhaften Siegel zu machen; es sollte nur solange wirksam bleiben bis die Lage sich wieder beruhigt hatte. Aber etwas war dazwischen gekommen. Ihre Mutter war gestorben.

Bei dem Gedanken daran stiegen Layla die Tränen in die Augen und als sie den letzten Abschnitt, den ihre Mutter jemals schreiben sollte, lesen wollte, musste sie mehrmals blinzeln, um die Schrift ihrer Mutter klar lesen zu können.
 

Auf dem Weg hierher haben mich wieder diese Dampfwesen verfolgt, aber die haben mich nicht angerührt. Sie haben nichts gemacht, sondern sind einfach nur hinter dem Wagen hergeschwebt. Ich bin mir gerade noch nicht einmal sicher, ob sie überhaupt Formori sind.

Hier ihm Haus ist niemand, obwohl ich Moranas Reisetasche in der Küche gefunden habe. Wahrscheinlich haben wir uns gerade verpasst. Am besten fahre ich auch gleich wieder. Als Lochan nach Hause gekommen ist, hab ich ihm nur gesagt, dass ich wegmüsste und er doch bitte auf Layla aufpassen solle. Ich würde alles später erklären. Der arme Mann ist sicher mehr als nur verwirrt.

Aber ich habe den Stein – die Essenz – hier auf dem Dachboden versteckt und lasse auch mein Tagebuch hier, für den Fall dass ich mich irre und Clancy die genauen Instruktionen braucht. Ich habe die Essenz in der Schatulle auf dieser Kommode versteckt, aber über den Spiegel versiegelt. Clancy, du wirst wissen, was du mit dieser Information machen sollst.

Die Dampfwesen haben mich nur verfolgt, nicht angegriffen. Ich denke, sie wissen, was der Stein in Wirklichkeit ist, und wollen ihn, nicht mich oder Layla. Sie scheinen zu wissen, wo der Stein ist und wer ihn hat. Im Garten haben sie sich zielsicher auf Layla zubewegt und Layla hatte den Stein, weil ich ihn ihr gezeigt hatte. Dieses Mal sind sie mir gefolgt und ich hatte den Stein. Deswegen lasse ich sie hier. Falls sie ungeduldig werden, stürmen sie in ein leeres Haus, wenn nicht, ist die Essenz trotzdem sicher.

Ich hoffe, ich liege mit meinen Vermutungen richtig. Es wäre ironisch, wenn ich Clancy nicht selber sagen könnte, dass er ein weiteres Mal Vater wird.

Essentielle Reflexionen

Wütend stapfend hatte Constantin das Haus verlassen und war einfach drauflos marschiert. Unwillkürlich hatte er den Weg zum Hain eingeschlagen, durch den die letzten Sonnenstrahlen schimmerten.

Was hatte Layla nur die ganze Zeit? Er hatte ihrer Cousine doch nur ein Kompliment gemacht! Sicher, wenn der verfluchte Liam so etwas gesagt hätte, wäre es natürlich in Ordnung gewesen! Bei Super-Liam geht ja alles!

Mit einem besonders unschönen Fluch trat er einen Stein aus dem Weg, der ihm viel zu glücklich wirkte. Er wollte jetzt keine glücklichen Steine sehen. Scheißstein.

Constantin hatte sich eigentlich gar nicht mit Layla streiten wollen, doch ein Wort hatte das andere ergeben. Und alles nur, weil er Heptzibah gesagt hatte, dass ihr ihr Pulli stand. Es war ja nicht so, dass sie ihn aus Dankbarkeit in die nächsten Büsche gezogen und die Kleider vom Leib gerissen hatte… Auch wenn Heptzibah zugegebener Maßen oft bei ihm war, wenn er wieder zu Moranas und Lochans Haus zurückkehrte.

Aber sie waren ja auch nicht alleine! Liam, der Layla immer viel zu überschwänglich begrüßte, kam jedes Mal mit. Und jedes verdammte Mal nannte Layla einen neuen wundertollen Aspekt an ihm, wie beiläufig. Oh, Wunder-Liam wollte Lehrer werden, ohoho. Wie wunderschön. Pah.

Constantin taten die Kinder jetzt schon Leid, die von ihm unterrichtet werden würden.

Durch seinen Gewaltmarsch und sein nicht gerade leises Fluchen, hatte er im Endeffekt Seitenstiche als er im mittlerweile dunklen Hain ankam und sich missmutig auf einen Baumstumpf niederließ. Seine Laune wurde auch nicht gerade gehoben, als der den eingeritzten Schriftzug Laylas und den Namen Liams, den sie vor Jahren in dem nur wenige Schritte entfernten Baum für die Ewigkeit hinterlassen hatte.

Von Unmut über die Tatsache getrieben, dass ihre beiden Namen so dicht und schon so lange beieinander standen, atmete er schließlich tief ein und benutzte seine Kräfte, um Moos über Liams Namen wachsen zu lassen. Auch kleine Siege braucht der Mann.

Constantin starrte einige Augenblicke auf den nun bemoosten Baum und seufzte schließlich niedergeschlagen.

Eigentlich hatte er gar kein Recht sauer auf Layla zu sein, weil sie offenkundig eifersüchtig war, wenn er selbst keinen Deut besser war.

Er kannte Layla zwar erst vergleichbar wenigen Wochen, doch hatte seine genuin-imaginäre Männlichkeit sich eingebildet, dass sie irgendwie zu ihm gehörte. Schon allein, weil sie, seitdem sich diese neue, andere Welt ihnen offenbart hatte, immer zusammengewesen waren. Und dass Layla eifersüchtig gewesen war, schmeichelte in einem nicht geringen Maß sein Ego, auch wenn er sich gerade wie der letzte Arsch fühlte. Auch wenn sein Kopf wusste, dass auch Layla eine Vergangenheit mit männlichen Wesen hatte, allein schon, weil sie auf Patricks Party ihren Exfreund getroffen hatten, hatte seine Gefühlswelt Tim nicht als ‚Bedrohung‘ interpretiert, schmächtig wie der Kerl war.

Bei Liam war das was ganz anderes. Groß, gut aussehend, älter, was Mädchen aus einem ihm nicht nachvollziehbaren Grund immer anziehender fanden, und wenn er ehrlich war, konnte Liam eigentlich ganz in Ordnung sein, wenn er wollte. Zudem kannten die beiden sich seit ihrer Kindheit.

Wieder seufzte Constantin und ließ den Blick über die kleine Lichtung schweifen.

Als er die ganzen Gerätschaften betrachtete, mit denen Clancy ihn wahrscheinlich morgen foltern wollte, wurde ihm flau im Magen. Nicht weil er Angst vor dem Training hatte, sondern vielmehr weil er sich Clancys Reaktion auf Constantins Gefühle für dessen Tochter ausmalte. Laylas Vater war an sich sehr anspruchsvoll und streng, was das Training anbelangte (Constantins blaue Flecken sprachen Bände), doch wie furchterregend konnte der Mann werden, wenn es um seine Tochter ging? Tim war noch heute von dem Mann geprägt und wusste noch nicht einmal die Hälfte. Mit einem leichten Schauer musste Constantin an das erste Mal denken, als er Clancy begegnet war, wie er mit beherrschter, kalter Wut in der Tür einer kleinen Waldhütte gestanden hatte.

Nein. Constantin schüttelte den Kopf. Clancy durfte auf gar keinen Fall Wind davon bekommen! Inständig hoffte Constantin, dass sein Streit mit Layla nicht zu offenbarend gewesen war.

Als sein Blick wieder auf Liams moosbedecktem Namen landete, war sein Entschluss gefestigt und er ließ mit einer wischenden Handbewegung das Moos zurückgehen. Noch einige Minuten starrte er auf den Baum, bis er schließlich ein etwas schnaufendes Atmen vernahm und drehte sich langsam, noch immer auf seinem Stumpf sitzend, um.

Und erblickte Lochan, der sich schnaufend den Hain hochgekämpft hatte.

„Ich werde langsam zu alt für sowas“, grummelte er in tiefen Atemzügen.

Schnell stand Constantin auf und half Lochan sich auf den Baumstumpf zu setzen, während Constantin sich im kühlen, aber trockenen Gras niederließ. Solange der ältere Mann sich auf seinen Gehstock stütze und wieder zu Atem kam, machte sich Constantin eine gedankliche Notiz sich, sich bei ihm und Morana dafür zu entschuldigen, dass er sie zuvor fasst umgerannt hatte.

„Man mag es zwar kaum glauben“, begann Lochan schließlich und blickte durch den dünnbewaldeten Hain auf sein steinernes Häuschen hinunter, „aber auch ich war mal jung. Es ist nur natürlich, dass ihr euch streitet…“

Constantin fühlte, wie ihm die Wärme ins Gesicht stieg und er hoffte, dass es entweder schon zu dunkel war oder dass Lochan einfach schlechte Augen hatte, und es nicht sehen konnte. Am besten beides.

„…aber ich denke, dass ihr euch wieder vertragen solltet.“

„Okay“, antwortete Constantin leise und seine Stimme klang ein wenig kratzig. Soviel zu seinen wunderbraren Vorsätzen. Er hatte sich keine zehn Minuten zuvor entschlossen, seine Zuneigung für Layla vorerst geheimzuhalten, da kam auch schon ihr kauziger Opa um die Ecke und bemerkte sofort alles. Wahrscheinlich war Lochan Chuck Norris und der Stock nur eine Tarnung.

„Auch wenn Layla stur wie ein Bock ist“, fügte er nach einer Weile mit einem leichten Grinsen in Constantins Richtung hinzu. „Aber es tut ihr jetzt schon Leid. Das tut es immer, wenn sie selber der Meinung ist, dass ihr Standpunkt nicht gerechtfertigt war. Nach den knallenden Türen und dem schwachen Lichtschein zu urteilen, hat sie sich wahrscheinlich auf den Dachboden verkrochen“, meinte Lochan und nickte zu seinem Haus hinunter.

Constantins Blick folgte ihm und tatsächlich ein einem kleinen Fenster unter dem Giebel leuchtete es schwach flackernd vor sich hin.

„Komm, mein Junge“, meinte Lochan und klopfte Constantin fürsorglich auf die Schulter, als er sich erhob. Constantin seufzte noch einmal in sich hinein, aber folgte schließlich dem schlurfenden Lochan auf den Pfad.
 

Wie? Ihre Mutter war ein weiteres Mal schwanger gewesen? Fassungslos starrte Layla auf den letzten Eintrag, dem kein weiterer mehr folgte. Warum hatte ihr Vater nie auch nur erwähnt, dass sie auch einen Bruder oder eine Schwester verloren hatte? Weil es zu schmerzhaft gewesen war? Verwirrung machte sich erst in ihr breit, bis sie die Erkenntnis, wie ein Schlag traf.

Er weiß es gar nicht! Er hat es nie erfahren, weil weder Mama noch Phobos es ihm gesagt haben!

Voller Traurigkeit las sie den letzten Eintrag ein wieder, bis ihr die Tränen ein weiteres Mal an diesem Abend kamen. Auch wenn niemand hier war, wischte sie sich die Tränen hastig weg, weil die Handschrift ihrer Mutter vor ihren Augen verschwamm. Erst als sie den Eintrag noch einmal las, stutzte sie, denn etwas ganz anderes warf neue Fragen auf.

Wenn er gar nichts von dem Tagebuch weiß, dann weiß er auch nichts von dieser ominösen Essenz! Das Teil hat sicher seit Mamas Tod hier gelegen und wurde nie gefunden. Warum auch?

„Aber was meint sie mit ‚über den Spiegel versiegelt‘?“, sprach Layla ihre Gedanken laut aus und blickte sich auf dem dämmrigen Dachboden, der nur von ihrer schwachen Kerze erleuchtet wurde, um.

Ihr Blick blieb an einem angelaufenen, körpergroßen Spiegel hängen. In der Hoffnung, dass dieser Spiegel gemeint war, trat sie mit ihrem Leuchter in der Hand vor ihn. Halb bedeckt von einem alten Tuch, spiegelte er das Licht der Kerze fleckig wieder. Layla stellte ihren Leuchter auf eine weitere alte Kommode neben einem halbgeöffneten Schmuckkästchen ab und zündete weitere Kerzenstummel an, die sie mit heißem Wachs auf den alten Möbeln befestigte, um mehr Licht zu haben.

Ganz vorsichtig zog sie das Abdecktuch vom Spiegel herunter, zum einen, um keine der Kerzen zu treffen und zum anderen, um nicht durch zu viel Staub zu ersticken. Sie sah jetzt schon wieder aus wie ein Mehlwurm; genau wie vor ein paar Wochen, als sie Constantin begegnet war und sich mit ihm auf dem Fußboden rollend sowas wie geprügelt hatte. Mit einem kleinen Stich dachte sie daran zurück, wie es war, einfach nur blöde Witze mit ihm zu reißen, anstatt ihn wie eine Furie zu beschimpfen. Mit einem Kopfschütteln wollte sie die unliebsamen Gedanken loswerden und wandte sich wieder dem Spiegel zu.

Der Spiegel hatte so viele Altersflecken, dass Layla kaum ihre Reflexion vollständig sehen konnte, beispielswiese wurde ihr rechtes Auge gerade von einem schwarzen Fleck verdeckt. Sie versuchte irgendetwas Besonderes an dem Spiegel zu entdecken, doch das einzige, was sich vollständig spiegeln konnte, schienen die orangen Kerzenflammen zu sein.

Als sie sich schon aufgebend abwandte und nach runter zu ihrem Vater gehen wollte, fiel ihr etwas aus dem Augenwinkel auf, etwas bläulich Schimmerndes. Jedoch als sie wieder hinsah, war es weg. Wieder wollte sie ich wegdrehen, als sie es wieder wahrnahm. Dieses Mal jedoch versuchte sie ihren Blickwinkel zu ändern und sprang auf und ab und wendete ihren Kopf mal hierhin, mal dorthin, bis die das Schimmern wieder sah.

Es befand sich zwischen einer besonders großen Ansammlung von vielen kleinen Altersflecken und mit Mühe und Not konnte Layla erkennen, dass es aus einer kleinen Schatulle zu kommen schien. Doch als sie die entsprechende Schatulle neben ihrem Leuchter untersuchte, fand sie nichts, außer altem Schmuck. Als sie sich aber wieder umwandte, war das Glimmen immer noch zu sehen.

Vorsichtig hob sie die Schatulle hoch und hielt sie vor den Spiegel, sodass sich ihr Großteil spiegeln konnte, doch das blaue Glimmen schein nie ganz sichtbar zu sein. Etwas schien immer verdeckt zu sein. Ratlos betrachtete sie die Schatulle.

Wenn ich doch nur einen größeren Spiegel hätte... Aber, Moment mal!

Regelrecht geschockt blickte sie in den Spiegel und auch die fleckige Oberfläche konnte die mögliche Erkenntnis nicht von ihrem Gesicht wischen.

Wasser spiegelt auch! Aber ob das klappt?

Zögerlich hob Layla ihre rechte Hand und legte sie auf den Spiegel. Sicherheitshalber schloss sie ihre Augen, um sich besser konzentrieren zu können. Erst ihre Gedanken auf die knöcherne Rune um ihren Hals und dann auf ihre Hand auf der kalten Spiegeloberfläche konzentrierend, fühlte sie wie sich langsam kühles Nass unter ihrer Hand bildete und sich gemächlich ausbreitete. Als sie sich sicher war, dass der ganze Spiegel mit schwebendem Wasser bedeckt war, öffnete sie die Augen. Sie hoffte inständig, dass das Wasser seine Form behalten würde, denn noch nie hatte sie es geschafft eine so große Fläche schwebenden Wassers lange aufrecht zu erhalten.

Als sie den Blick auf die blasse Spiegelung der Schatulle richtete, konnte sie einen kleinen, länglichen Stein oder etwas Ähnliches im Inneren sehen, doch in der Schatulle in ihrer Hand war noch immer nichts zu sehen.

Ihr Herz klopfte hart und laut gegen ihren Brustkorb und sie musste erst einen tiefen Atemzug nehmen, so aufgeregt war sie. Ganz langsam schob sie ihre rechte Hand auf dem Wasserfilm auf die Spiegelung der Schatulle zu, um keine allzu großen Wellen zu schlagen. Als ihre Hand nach einer gefühlten Ewigkeit endlich auf dem Spiegelbild der Schatulle lag, fühlte sie nicht mehr die Struktur des flachen Spiegels unter ihrer Handfläche, sondern etwas anderes, etwas Tieferes.

Noch einen weiteren Atemzug nehmend und etwas zögerlich griff sie in die Aushöhlung hinein und sie konnte im Spiegelbild sehen, wie ihre Hand im Wasser über dem Inhalt der Wasserspiegelschatulle schwebte, direkt unter ihren Fingern lag der blau glänzende Stein. Einem Impuls nachgebend, griff sie in die Spiegelschatulle und fühlte unter ihren Fingern einen kühlen, flachen Stein. Ihre Finger schlossen sich darum und sie zog die Hand aus dem schwebenden Wasserspiegel, der platschend zu Boden fiel und ihre Füße durchnässte.

Doch nicht weiter von ihren feuchten Socken in ihren Hausschuhen beeindruckt, sah sie sich den Stein an; etwas länglich, sah er mit seiner achteckigen Form aus, wie diese Bergkristalle und deren Imitate, die man sich um den Hals hängen konnte, nur in einem glitzernden Blau.

Layla bemerkte wie sie ihren Atem angehalten hatte und ließ ihn langsam aus, doch als sie wieder einzuatmen versuchte, spürte sie ein starkes Stechen in ihrer Brust. Einen Augenblick lang, in dem das Stechen wie eine luftleere Ewigkeit andauerte, fühlte sich Layla von violetten Augen beobachtet, die tief in sie hineinblickten.

So abrupt, wie das Stechen gekommen war, war es auch wieder verschwunden und die Essenz lag harmlos glänzend in Laylas Hand. Noch immer verstört blickte sie auf den Stein als sie von draußen das Wiehern eines Pferdes und die Bewegungen von vielen… Dingen vernahm. Sich rasch durch das Labyrinth aus altem Gerümpel zum Fenster durchkämpfend, blickte Layla hinunter auf eine Schar dunkler Kreaturen, die sich vor den Haus sammelten und sich aus den Schatten im plötzlich aufgetretenen Nebel zu bilden schienen, angeführt von einem kopflosen Reiter auf einem tiefschwarzen Pferd.

Nebelschatten und der Kopflose Reiter

Hastig löschte Layla die Kerzen mit einem Schwall Wasser, der wahrscheinlich den halben Dachboden überfluten würde, und stürmte runter auf der Suche nach ihrem Vater, Phobos oder sonst jemandem, der ihr das Gesehene erklären konnte.

Scheiße, scheiße, scheiße! Was wenn das die Viecher sind, von denen Mama erzählt hat?! Man kann doch nach elf Jahren erwarten, dass die Viecher aufgeben.

Doch sie musste nicht lange suchen, denn ihre Großmutter, ihr Vater, Phobos und - aus Layla unbekannten Gründen - Aygül standen bereits im Eingangsbereich und bewaffneten sich. Als Layla die Treppe herunterkam, trat ihre Großmutter auf sie zu und reichte ihr einen Rapier.

„Sind das Formori?“, wollte Layla leise wissen; sie wagte es nicht, lauter zu sprechen, doch nahm den Rapier entgegen. Die Waffe fühlte sich kalt und schwer in ihrer Hand an.

„Wenn ja, dann hat noch keiner von uns diese Art je gesehen“, meinte Morana ernst.

„Sie scheinen aus Nebel oder Schatten zu bestehen“, hörte Layla ihren Vater von der Haustür aus sagen, durch deren Fenster er in den Vorhof blickte. „Phobos, ich fürchte, die musst du übernehmen, wer weiß, ob stoffliche Angriffe überhaupt wirken.“

„Doch müssen sie“, sagte Layla und alle wandten sich ihr überrascht zu. Sie spürte, wie ihr die Röte ins Gesicht schoss. In kurzen, knappen Sätzen erzählte sie das Wenige, was sie im Tagebuch ihrer Mutter über die Schattennebelwesen herausgefunden hatte. „Um sie zu vertreiben, hat sie damals das hier benutzt“, erklärte Layla und zog aus ihrer Tasche den blau schimmernden, kühlen Stein.

„Das ist eine ganz normale Wasseressenz, etwas älter, aber an für sich nichts Besonderes“, sagte Morana, nachdem sie den länglichen Kristall kurz begutachtet hatte und nun Layla zurückreichte. „Steck sie ein, vielleicht kannst du sie brauchen.“

„Wir klären den Rest später“, rief Clancy über seine Schulter zurück, der während Laylas Erläuterungen die Tür verbarrikadiert hatte. „Sie kommen.“

Wie auf ein unsichtbares Zeichen hin, wurden an der Tür pochende Schläge laut und das Splittern von Holz, sowie ein unwirkliches Wiehern waren zu vernehmen. Obwohl sie zwischen Morana und Aygül hinter ihrem Vater und Phobos stand, fühlte sich ihre eigene Haut viel zu kalt an und unterdrückte ein Schaudern, als sie ihren Rapier fester umgriff.

„Wenn Wasser hilft“, setzte Layla leise an, „wäre es dann nicht besser, wenn Opa hier wäre?“

Niemand sagte etwas, doch Morana warf ihr einen Blick zu.

„Wo ist er eigentlich?“, fragte sie weiter. Teilweise, um einfach zu sprechen, teilweise, weil sie es wirklich wissen wollte, als das Holz der Haustür zu bersten begann.

„Hoffentlich mit Constantin weit genug weg“, raunte ihr ihre Großmutter zu. „Keiner von beiden dürfte bewaffnet sein.“

Laylas Herz rutschte ihr in die Hose, doch Morana kam nicht dazu etwas Weiteres zu sagen, denn die Haustür wurde von zwei Vorderhufen niedergerissen und im Eingang stand er.

Der Kopflose Reiter.

In seiner Rechten hielt er ein Schwert aus dunklem Metall in die Höhe und in der Linken hielt einen schwarzen Ritterhelm und Layla hatte das ungute Gefühl, dass sich in ihm der Kopf des Reiters befand. Seine schwarze Rüstung glänzte matt und sein weiter Umhang wehte, als sein Ross einen Schritt in das Haus machte. Im dämmrigen Licht war nicht zu erkennen, wo der Körper des Mannes endete und der des Pferdes begann. Doch sein Reittier war nicht weniger furchteinflößend mit seinen rotglühenden Augen, dem heißen, nebligen Atem, den Layla noch am Ende des Raumes in ihrem Nacken zu fühlen glaubte, und den Hufen, aus denen noch blutige Nägel ragten und mit jedem Schritt ein lautes Klock von sich gaben.

Eine Sekunde stand er da und die nächste schon führte der Kopflose Reiter einen seitlichen Hieb nach ihrem Vater aus. Doch sie hatte keine Zeit, um lange zu beobachten, wie Clancy mit dem Reiter kämpfte, denn die Nebelschatten drängten sich an dem Reiter vorbei ins Haus. Als Layla in ihre nicht vorhandenen Gesichter blickte, hatte sie ein Déjà-vu und ihr linker Arm, an dem sie genauso ein Wesen vor Jahren festgehalten hatte, begann an die Erinnerung daran dumpf zu pochen. Als die Wesen auf sie zu schwebten, wurde ihre Kehle trocken und ihr Kopf schwindelig. Sie musste hier raus, und zwar schnell!

Sie fühlte die Hitze, die von Morana ausging, als sie den ersten nebligen Schatten, regelrecht frittierte, und hörte wie Aygül neben ihr etwas zu murmeln begann, als sich sandige Nebelschwaden bildeten, die ein weiteres Nebelwesen fest umschlossen.

Noch während Aygül die Sandhülle um ihren Gegner verfestigte und diesen so zu Stein erstarren ließ, musste sich Layla zur Seite wegducken, um einem Hieb eines der wabernden Wesen auszuweichen. Das Training mit ihrer Großmutter hatte sich ausgezahlt, sodass Layla bei diesem Manöver nicht stolperte oder gar hinfiel, sondern sich auf den Beinen halten konnte. Zum ersten Mal war sie Morana dankbar, dass sie sie über alle möglichen Hindernisse gescheucht hatte als sie seitlich neben dem Wesen hockte, das noch immer nicht realisiert zu haben schien, dass sich Layla nicht mehr vor ihm befand. Ohne groß zu überlegen, führte Layla einen Hieb an dem Wesen aus, den ihre Großmutter sie den vergangenen tag noch bis zum Erbrechen hatte üben lassen.

Als ihre Klinge die Seite des Wesens längs traf, hatte sie einen Moment Panik, dass der Rapier einfach durch den Nebelschatten hindurch gehen würde, doch fühlte sie im selben Augenblick noch den erstaunlich hohen Widerstand des nebligen Körpers. Aber wie sie erwartet hatte, hatte das Eindringen der Klinge in den flirrenden Schatten aus dunklem Nebel nichts mit dem Aufspießen eines Formors mit einem Schürhaken gemeinsam. Kein weichlich-widerliches Glitschen, kein klebriges Blut, das heiß aus der Wunde quoll, sondern nur das taube, kalte Gefühl eine Straßenlaterne zu fest mit einer Eisenstange geschlagen zu haben in ihrem rechten Arm, dessen Hand den Schlag geführt hatte.

Überrascht wandte ihr das Wesen das bare Gesicht zu und einen Moment bildete Layla sich ein, ein violettes Glimmen in den leeren, nicht vorhandenen Augenhöhlen zu sehen, bevor der Nebelschatten auseinander barst und in weiche Schwaden aus schwarzem Nebel zerfiel.

Perplex starrte Layla auf die Stelle, an der sich nur wenige Sekunden zuvor noch ein formloses Gesicht befunden hatte und rieb sich unterbewusst den seltsam tauben Arm, ehe sie sich wiederfand.

Während sie sich zu Phobos wandte, der es an der Tür gleich mit zwei der Nebelwesen aufnahm, konnte sie aus dem Augenwinkel sehen, wie Aygül ein weiteres Wesen zu Stein erstarren ließ und Clancy und Morana es gleichzeitig mit dem Kopflosen Reiter aufnahmen, dessen Pferd geschickt auf der Stelle tänzelte.

Es gefiel Layla nicht sonderlich den grauenerweckenden Reiter im Rücken zu haben, doch auf Phobos bewegte sich ein weiterer Nebelschatten unbemerkt zu, den der Kater von seinem Blickwinkel aus unmöglich sehen konnte.

„Phobos!“, rief Layla eine Warnung zu ihrem Lehrer, doch als der Kater sich nur eine Millisekunde ihr zuwendete, nutzte einer der Nebelschatten die Situation und wollte sich hinterrücks auf Phobos stürzen.

Layla setzte zum Lauf an, doch die wenigen Meter, die sie von Phobos trennten, schienen eine Ewigkeit zum Überqueren zu benötigen. Glücklicher Weise hatte Layla die Fähigkeiten ihres Lehrmeisters unterschätzt und eines der nun drei Nebelwesen zerstob just in diesem Moment in kleine Schwaden, eingeleitet durch einen unsichtbaren Schlag Phobos‘, welcher noch in dieser Attacke einem Hieb des zweiten Geschöpfes auswich. Layla, die ihren Lauf nicht mehr abbremsen konnte, rannte in das dritte Nebel-Schatten-was-auch-immer-Wesen hinein und riss es mit sich zu Boden. Als sich ihre Körper berührten, breitete sich dieses unangenehme Gefühlt der tauben Kälte überall auf ihrem Körper aus, doch das Adrenalin, das ihr Herz mit ihrem Blut ihr durch die Adern jagte, erlaubte Layla ihren Rapier in dem Wesen unter sich zu versenken. Anklagend sah sie das Wesen ohne Gesicht an, während Layla schwer atmend halb auf ihm hockte, den Griff des Rapiers fest umklammert, bevor das Geschöpf zu violetten Schatten wurde und sich auflöste.

Erst als Layla die Klinge aus den Holzdielen zog, streifte sie nebenbei die Idee, dass sie sich ganz leicht mit dem Rapier im Flug selbst hätte aufspießen können. Doch sie schob den unliebsamen Gedanken beiseite, als sie sich Phobos zuwandte, der mittlerweile wieder alleine vor der leeren Türschwelle stand. Im Kampf hatte er nur noch wenig mit ihrem einstigen, trägen Kater gemeinsam, der liebend gerne den halben Tag verschlief, denn seine grünen Augen funkelten unheilverkündend in die Nacht hinaus, als er das Gebiet vor sich aufnahm.

„Da hat nur noch der animalische Kampfschrei gefehlt“, sagte Phobos, als sie näher kam, und schenkte ihr ein halbes Lächeln. Doch seine Züge froren plötzlich ein, als er zu ihr hinter sich blickte, und er rief: „Pass auf, Layla!“ Die Angst und der Schock in seiner Stimme waren unüberhörbar.

Sie drehte sich nur kurz um, doch das Bild, das sich ihr bot, war bis an ihr Lebensende tief in ihre Erinnerung eingebrannt. Der Kopflose Reiter hatte sich von ihrem Vater und ihrer Großmutter losgerissen und setzte auf seinem schweren Ross mit hocherhobenem Schwert zum Galopp an.

Layla wusste, dass die irgendwas machen musste, doch ihr Körper war wie gelähmt vor Angst und wollte sich keinen Millimeter vom Fleck bewegen. Rufe hallten in ihrem Kopf wider, doch sie verstand ihren Sinn nicht, nahm keinerlei Informationen auf.

Das Nächste, was sie fühlte, war ein Schlag in den Magen, welcher sie von den Füßen riss. Hart prallte sie draußen auf den nassen Schlamm und die Wucht des Aufpralls hatte ihr die Luft aus den Lungen gepresst und ihren Rapier aus der Hand gerissen.
 

Auf dem schmalen Pfad vom Hain hinunter zu Lochans und Moranas Haus hatten sie genügend Zeit um zu reden, denn Lochan hatte Dank seines steifen Beins seine Schwierigkeiten mit dem Abstieg. Zudem hatte der aufziehende Nebel ihre Sicht verschlechtert und sie verlangsamt.

Laylas Großvater hatte Constantin erzählt, dass Aygül, Clancys ehemalige Schülerin, klammheimlich zu den McCambridges gekommen war, um von ihrem persönlichen Verdacht einer möglichen Verschwörung in den Reihen der Wächter zu berichten.

Lochan, der geahnt hatte, dass dieses Gespräch zu einer diskussionsreichen Nacht führen würde, hatte sich still und leise aufgemacht, um Constantin zurückzuholen, bevor die Neuigkeiten das jugendliche Gefühlschaos in Vergessenheit geraten lassen konnten. Constantin war überrascht darüber, wie sehr ihn der Gedanke an den alten Mann berührte, der den für ihn beschwerlichen Weg auf sich genommen hatte, nur um ihn, Constantin, zurückzuholen, weil er einen hormonell bedingten Streit mit Layla gehabt hatte.

„… ich hielt es für besser, wenn ich herkäme“, meinte Lochan gerade in seiner grummelnden Tonlage. „Clancy kann sehr unvernünftig sein, wenn es um seine Tochter geht. Sicher, es ist nicht schön, wenn das eigene Kind einen Schmerz verspürt, den man mit Pusten oder einer guten Nachtgeschichte nicht lindern kann, aber wenn ein Kind keine eigenen Erfahrungen macht, wird es nicht erwachsen werden können. Clancy ist ein guter Junge, ein noch besserer Lehrer, aber manchmal ein bisschen blind.“

Neben der Tatsache, dass er gerade als eine Erfahrung bezeichnet wurde, was ihm wiederum ein warmes Gesicht bescherte, war Constantin beeindruckt von Lochans Ansichten und - man mag es kaum glauben, dass er dieses Wort benutzte - Weisheit.

„Wenn Clancy…“

Doch Constantin sollte niemals hören, wie der Satz zu Ende gebracht wurde, denn Lochan blieb urplötzlich stehen, sodass Constantin erst zwei Schritte weiter merkte, dass der ältere Mann nicht mehr an seiner Seite war.

„Hörst du das?“, fragte Lochan.

Constantin wollte erst verneinen, doch dann vernahm er Geräusche, die ihm unglaublich bekannt vorkamen und von denen er gehofft hatte, sie nie wieder zu hören. Geräusche des Kampfes. Metall, das auf Metall traf und klirrend in der Nacht wiederhallte, und gerufene Flüche.

Er warf Laylas Großvater einen beunruhigten Blick zu und der alte Mann schien sich regelrecht aufzurichten, als sich seine Miene verfinsterte. Sie konnten nicht mehr weit vom Haus entfernt sein, aber wie war das möglich? Hatte Phobos nicht gesagt, dass das Haus bestens gesichert sei? Wie konnte dann von dort der Kampfeslärm kommen?

Unterbewusst fühlte Constantin ein Zucken in dem feinen Netzwerk, das alles umgab, und der Nebel begann sich vor ihnen zu verflüchtigen, um eine Art Tunnel zu bilden, geflankt von zwei grauweißen Wänden aus Nebel. Es dauerte einen Moment bis Constantin realisierte, dass Lochan die winzigen Tröpfchen Wasser, aus denen der Nebel geformt war, bewegt haben musste. Zuerst konnten sie nicht weit sehen, vielleicht fünf Meter vor sich, doch Constantin wusste, dass irgendetwas im Nebel sein musste; er konnte dunkle Schemen sehen und hier und da ein matschiges Schmatzen wie von Schritten vernehmen. Raschen Schrittes bewegten sie sich vorwärts, während der Nebel immer weiter von Lochan zurückgedrängt wurde, wenn er auch nicht gänzlich verschwand.

Mittlerweile waren sie nah genug am Haus, aber dennoch in ausreichender Deckung, um sehen zu können, was ich auf dem Vorhof abspielte. Vor der Haustür hatten sich dutzende dunkler Schemen gesammelt, deren Umrisse zu wabern schienen und die sich an der Pforte drängten. Erst als er und Lochan näher rückten, konnte Constantin erkennen, dass sie keine Gesichter hatten und nur formlose Löcher ihre Augenhöhlen definierten. Wo er noch bei diesem Anblick ein Aufkeuchen unterdrücken konnte, gelang ihm dies nicht mehr als ein weiteres unwirkliches Wesen in sein Sichtfeld rückte.

„Was zum Teufel ist das?!“, flüsterte Constantin aufgeregt Lochan zu, den Blick immer noch starr auf das Geschöpf gerichtet. Eine als grob weiblich zu bezeichnende Gestalt schälte sich aus dem Nebel mit riesigen schwarzgrünen, federnen Flügeln, die über und über mit bernsteinfarbenen Augen übersäht waren. Die Augen schienen in alle Richtungen zu blicken, während das Gesicht des Wesens mit einem Vorhang aus schwarzem Nebel verschleiert war, und seine Haut im Dämmerlicht weiß zu scheinen schien. Die überlangen Arme bewegten sich nicht, als sie sich auf das Haus zu bewegt, und ihre blutrote Robe ihren Körper wehend umspielte.

„Azryel“, meinte Lochan nur grimmig.

„Klingt wie ‚Azrael‘…“, murmelte Constantin, der unwillkürlich an den Todesengel denken musste, sodass es ihm ein flaues Gefühl im Magen verlieh.

„Nur eine von vielen“, begann Lochan. „Über kurz oder lang brauchen wir Waffen…“

Weiter konnte Lochan seinen Plan, wie sie an Waffen kommen sollten, nicht ausführen, denn sie hörten eine vertraute Stimme rufen: „Pass auf, Layla!“ Constantins Herz sackte mehrere Stockwerke tiefer, als die dichte Menge am Hauseingang auseinanderstob und ein allzu bekannter Körper hindurch geworfen wurde, welcher hart auf den matschigen Boden aufprallte . Ihre roten Haare waren ausgebreitet auf dem schlammigen Boden um ihren Kopf und ihr Rapier Meter von ihr entfernt, so lag Layla immer noch vollkommen reglos da, als durch die Haustür erst ein nachtschwarzes Pferd und dann der dazugehörige kopflose Reiter kam und sich fast ungehindert auf sie zu bewegte.

Noch während Clancy, Morana und Phobos aus dem Haus gestürmt kamen und versuchten den Reiter in einen Kampf zu verwickeln, setzte sich der bizarre Engel in Bewegung. Als sie, er oder was auch immer der Engel geschlechtlich war, in schauriger Manier den Arm hob und auf die gefallene Layla deutete, reagierte Constantin fast wie von selbst und rannte aus der Deckung, um sich zwischen Layla und den Engel zu bringen. Wie in Trance bekam er noch mit, wie er eine rostige Eisenstange aus einem Haufen Schrott neben den Mülltonen zog, während er seine eigenen Schritte über das Dröhnen in seinen Ohren nicht mehr hören konnte.

Mit wenig gezielten Hieben schaffte er es den Engel zurückzudrängen, wenn er ihn auch kein einziges Mal traf, aber die nebligen Schattenwesen, die sie scheinbar befehligte, drängten sich an ihm vorbei und schwärmten auf die Kämpfenden hinter ihm zu. Aus den Augenwinkeln konnte er sehen, wie einige der Wesen in Feuersbrünsten verloderten, zu Eis erstarrten oder versteinerten und dann in tausend kleine Teile zersprangen. Halb abwesend sah er noch, wie Layla einem Schwerthieb des Kopflosen Reiters ausweichen konnte, aber sich so im Endeffekt noch weiter von ihrem Rapier weggerollt hatte.

Constantin wollte zu ihr, doch sah sich selbst gezwungen auszuweichen, als die schattenartigen Nebelwesen sich auch auf ihn zu bewegten. Er schwang seine Eisenstange nach ihnen, doch sie lösten sich nicht einfach in Luft auf, wie er erwartet hatte. Als seine notgedrungene Waffe in Kontakt mit ihren Körpern kam, stellte sich ein lähmendes Gefühl in seinen Armen ein und die Eisenstange fühlte sich in seinen Händen wie metallenes Eis an, sodass er mit sich kämpfen musste, um nicht seine einzige Waffe fallen zu lassen.

Währenddessen hatte sich Lochan selbst der Azryel entgegengestellt und schleuderte ihr Wasser und Eis in Massen entgegen, doch der groteske Engel schien seine Regenerationskraft aus dem ihn umgebenden Nebel zu ziehen, wie auch Lochan seine Angriffe. Fasziniert davon, wie der ältere Mann, der sich ohne seinen Stock kaum auf den Beinen halten konnte, scheinbar alles Mögliche aus der ihm gegebenen Wassermagie herausholte, ließ sich Constantin eine Sekunde zu lang ablenken, sodass es einem der wabernden Geschöpfe gelang, sich auf ihn zu stürzen und ihn zu Boden zu reißen.

Sofort fühlte er wie der nasse Schlamm durch seine Kleidung drang und seinen Rücken durchnässte, während der Körper aus Nebel und Schatten noch halb auf ihm lag und sich halb über ihm erhob. Aus seinen leeren Augenhöhlen starrte er Constantin blank an, während seine erstaunlich korporalen Hände sich kalt wie Eis in Constantins Brustkorb fraßen. Die Luft um ihn herum wurde immer kälter und schwerer einzuatmen, je länger das Geschöpf gesichtslos auf ihn hinunterstarrte. Constantins Hände tasteten auf dem morastigen Boden nach seiner Eisenstange, doch sie fanden sie nicht.

Mittlerweile fühlte sich sogar die schlammige Erde wärmer an, als die gefrierende Luft um ihn herum…

So warm und lebendig…

In seinem unterkühlten Hirn benötigten die Impulse länger als gewöhnlich und erst nach einigen Momenten, in denen er die Wärme des Bodens bewundern konnte, kam ihm die Idee das Leben darin für ihn zu nutzen. Wenn er einen Kaktus wachsen lassen konnte, dann sicherlich auch andere Pflanzen. Er streckte seine mentalen Finger in den Boden aus, auf der Suche nach allem pflanzlichen Leben, das er finden und anregen konnte, während die Kälte sich weiterhin in seinen Köper fraß. Glücklicher Weise war der Boden warm und nährstoffreich genug, dass nur wenige Impulse seinerseits ausreichten, um die Pflanzen zum Treiben zu bringen.

Durch seine halb geschlossenen Augen konnte er im spärlichen Licht sehen, wie die Gräser und Sträucher um ihn herum zu treiben und wachsen begannen. In nur wenigen Augenblicken hatte sich eine niedrige Wand aus grünem Leben zwischen Constantin und der größten Gruppe von Nebelwesen erstreckt. Noch während er einen vereisten Luftzug nahm, konnte er sehen wie sich eine dornige Ranke um die optische Mitte des Wesens auf seinem Brustkorb schlang und es von seinem Körper riss.

Einen Moment war er perplex genug, um liegen zu bleiben, während er nun scheinbar brennend heiße Luft in sich einsaugte. Kaum hatte das Wesen seinen Körper verlassen, hatte sich das übliche Temperaturverhältnis wieder eingestellt. Als er sich mit schmerzenden Gliedern, die eher zu einem rund hundert Jahre älteren Menschen passten, erhob, war er kurzeitig über nichts glücklicher, als warme Luft atmen zu können.

Bis er Layla sah.

Sie hockte mittlerweile auf dem Boden und hatte ihren Rapier zurückerlangt, doch musste sich drei der Nebelwesen erwehren, während ihr Vater und ihre Großmutter versuchten den Reiter in Schach zu halten und Aygül sich zu Lochan durchkämpfte. Phobos‘ kleiner, schwarzer Körper war in der Dunkelheit unter der Masse der schwarzen Gestalten schon gar nicht mehr auszumachen.

Ohne lange zu überlegen griff sich Constantin seine Eisenstange und warf nur einen kurzen Blick zurück auf die Nebelwesen, die aus unerfindlichen Gründen, die er aber als Wink des Schicksals interpretierte, noch immer von seiner minimalistischen Rankenhecke aufgehalten wurden. Layla befand sich nicht weit von ihm entfernt und es benötigte nur Augenblicke, um zu ihr durchzudringen. Mit einem gewaltigen Schwall Wasser, der Constantins beturnschuhte Füße überflutete, trieb Layla zwei der Nebelschatten zurück, wenn sie nicht sogar einen ertränkte, während Constantin dem letzten seine Eisenstange überzog und mit diesem tauben Gefühl in den Armen belohnt wurde, bevor sich das Wesen auflöste.

Schwer atmend starrten sie sich einen Moment an, in dem der ganze dämliche Streit erneut aufloderte und gleich wieder erstarb, bevor Layla ein leises „Danke“ vernehmen ließ. Männlich wie er war, unterdrückte Constantin das Kribbeln, das sich von seinem Nacken aus ausbreiten wollte, und nickte kurz ehe er ihr seine Hand anbot, um ihr aufzuhelfen. Er wollte ihr tausend Fragen stellen, von denen der Großteil nichts mit den wuselnden Geschöpfen vor ihnen zu hatte, doch kam noch nicht einmal dazu eine einzige auszusprechen, denn sie wurden sofort wieder von diesen Nebelschatten belagert.

Als ob sie einer einstudierten Choreographie folgen würden, standen sie schnell Rücken an Rücken, um sich so am besten wehren zu können. Durch ihre beiden schlammnassen T-Shirts fühlte Constantin wie sich Laylas kleinerer, warmer Rücken an seinen presste.

Sie hatten jeder vielleicht zwei oder drei der scheinbar unendlichen Nebelschatten zum Auflösen gebracht, als Constantin Clancys und Moranas lautes Fluchen vernehmen konnte. Zu spät wendete er seinen Blick in ihre Richtung und musste feststellen, dass der Kopflose Reiter in vollem Galopp und gezogener Klinge auf Layla und ihn zu preschte und sein schwer atmendes Ross gerade zum Sprung ansetzte. Der Feuerpfeil Moranas ging ohne sein eigentliches Ziel zu treffen unter dem Pferd entlang, während die schwarze Klinge des Reiters schon zum Schlag ausholte.

Constantin dachte nicht, sondern handelte einfach nur, als er einen Schritt nach hinten machte und so Layla aus der Ziellinie schubste, aber nun selber keine Zeit mehr zum Ausweichen hatte.

Er fühlte fast gar nicht, wie die Klinge in ihm eindrang und er auf den schlammigen Boden fiel.

Das letzte, was er wahrnahm, war Laylas Gesicht, eingerahmt von leuchtend roten Locken und mit viel zu hellen Augen, als sie sich über ihn beugte und seinen Namen rief, ehe die Dunkelheit ihn in ihre Arme schloss.

Der Dullahan, der Rabe und die Katze

Ein unerwarteter Stoß in den Rücken raubte Layla das Gleichgewicht, sodass sie vornüber fiel. Ihre Knie schlugen hart auf den feuchten Boden auf, während sie noch versuchte sich mit den Händen abzufangen, doch leider befanden sich vor ihr nur die Rosenbüsche ihrer Großmutter. Der ganze Akt hatte sie insoweit verwirrt, dass sie zuerst ein schwarzes Kaninchen mit seltsam goldgelben Augen anstarrte, das starr vor Schreck in den Büschen hockte, bevor sie ihre blutenden Hände aus den Dornen zog.

Als sie ihre Orientierung wiederfand, wirbelte sie herum, um zu sehen, was sie gestoßen hatte.

Und brauchte nicht lange, um zu realisieren, was geschehen war.

Constantin lag bewegungslos auf dem Boden und auf seiner Brust hatte sich ein nasser, dunkler Fleck gebildet, der zusehends größer wurde, während der Kopflose Reiter am Rande ihres Sichtfeldes sein Ross zügelte. Constantin musste sie weggestoßen haben und hatte selber nicht mehr ausweichen können, als der Reiter angegriffen hatte.

Hals über Kopf stolperte Layla hinüber zu Constantin, der noch immer reglos auf der klammen Erde lag. Ungewollt und unpraktischer Weise brannten Tränen in ihren Augen, die ihre Sicht verschwimmen ließen, als sie sich regelrecht auf den Boden fallen ließ und sich über ihn beugte.

Seine Augen waren nur noch halb geöffnet, sein Atem ging flach und auf seiner Brust klaffte ein tiefer, langer Schnitt, aus dem dunkles Blut quoll. Irgendwo hatte Layla mal gelesen, dass es schlecht sein sollte, in solchen Situationen das Bewusstsein zu verlieren, also rief sie Constantins Namen in der Hoffnung, dass er wach blieb.

„Constantin?! Hey, bleib bei mir!“, rief sie fieberhaft und drehte sein Gesicht in ihre Richtung, doch Constantins Augen verloren an Fokus und drehten sich weiß in den Höhlen zurück, bevor sie sich schlossen.

Dumpf konnte sie ein Trampeln vernehmen und sie wusste instinktiv, dass sie nicht genug Zeit haben würde, erneut auszuweichen, geschweige denn Constantin wegzuziehen. Aber sie konnte ihn ja auch schlecht hier liegen lassen, oder?

Noch während sie sich voller Furcht umwandte, realisierte sie, dass sie noch nicht einmal eine Waffe bei sich hatte, um sich zumindest irgendwie zur Wehr setzen zu können. Höchstens ein paar Steine auf dem Boden. Durch die Panik wanderten sich ihre Gedanken in die paradoxe Richtung ab und sie fragte sich, ob der ganze Reiter sie auslachen würde, wenn sie ihn mit Steinen bewarf oder doch nur sein Kopf.

Im Gegensatz zu zuvor setzte der Reiter nicht zu einem vollen Galopp an, sondern brachte sein Ross dazu langsamer zu werden. Mit jedem Schritt, den es in Constantins und Laylas Richtung machte. Bis Reiter und Ross schließlich direkt vor Layla standen, die zwischen dem Reiter und Constantin hockte, und der Reiter sein Schwert auf Laylas Kehle richtete.

Ihr Herz schlug schneller und mit jedem Atemzug, den sie nahm, fühlte sie die Präsenz der kalten Klinge an ihrem Hals. Aber der Reiter holte nicht zum Schlag aus, sondern stand einfach so da und schien auf irgendetwas zu warten. Sie wusste nicht inwiefern es das Adrenalin und die Angst waren, doch ihre Rune, die unter ihrem T-Shirt auf ihrer Haut lag, fühlte sich eiskalt an.

Als sich ihre Gedanken kurzzeitig mit der Rune beschäftigten, sorgte ihre Assoziationsfähigkeit für alles Weitere.

Die Essenz! Sie sind nur wegen der Essenz hier. Wenn ich sie ihnen gebe. Verschwinden sie vielleicht einfach…

Layla schluckte.

Nervös versuchte die sie Essenz aus ihrer Tasche zu friemeln, doch hatte zu viel Angst, um einfach den Blick vom Kopflosen Reiter abzuwenden und nachzusehen, warum ihre Hand nicht in die Hosentasche ihrer Jeans gelangte. Auch wenn sie wahrscheinlich nur ein paar Augenblicke benötigte, fühlte es sich an, als bräuchte sie Ewigkeiten. Doch schließlich hatte sie den kalten, kleinen Stein in ihrer zitternden Hand und hielt ihn offen dem Reiter hin.

Der Reiter machte Anstalten aus dem Sattel aufzustehen – wahrscheinlich um die Essenz an sich zu nehmen – doch kaum hatte er sich erhoben, begann die Essenz in Laylas fahriger Hand gleißend zu leuchten.

Layla hatte keinen blassen Schimmer, warum die Essenz angefangen hatte zu leuchten, doch sie war irgendwie froh, als der Reiter wieder zurück in seinen Sattel sank.

Allerdings beließ es die Essenz nicht dabei: Das Leuchten schein sich auszubreiten und sich wie eine durchscheinende Mauer zwischen Layla und Constantin auf der einen und dem Reiter auf der anderen Seite auszubreiten. Transparent schimmerte das Gebilde in allen Blautönen von Eisblau bis hin zu Indigo, Lavendel und Grün vor sich hin, doch Layla konnte immer noch sehen, wie die Augen hinter dem Visier des Kopfes, den er Reiter im Arm trug, plötzlich begonnen hatten unheilvoll violett zu glühen.

Sie war sich fast sicher, dass der Reiter den schimmernden Vorhang einfach zerschlagen wollte, als er den Schwertarm hob, aber sein Kopf ließ einen Laut ertönen, den sie nicht übersetzen konnte; selbst mit dem Ring, den sie an ihrem Finger trug, nicht. Augenblicklich verstummten die Kampfgeräusche um sie herum und Layla fühlte sich hinter dem bunt scheinenden Vorhang erstmals in dieser Nacht sicher genug, um sich umzusehen.

Alles blickte in ihre Richtung; ihre Familienmitglieder, Aygül, die Wesen, die weder Schatten noch Nebel waren, schwebten unschlüssig in der Luft umher und selbst der verstörende Engel hatte seine/ihre Aufmerksamkeit auf Layla und den Reiter gerichtet.

Wieder ertönte dieser merkwürdige Laut und die Nebelwesen, der Engel und der Reiter selbst setzten sich in Bewegung. Die Nebelwesen scharrten sich um den Engel, der langsam in den wirklichen Nebel zurücktrat und mit ihm und den schattenhaften Wesen verschmolz. Der Reiter wandte sich noch ein letztes Mal zu Layla um, bis auch er in den Nebel eintrat und verschwand. Wie auf ein letztes Kommando des Reiters verschwand auch der aufgezogene Nebel augenblicklich und sie waren wieder allein in der Nacht.
 

Um ihn herum war es zwar dunkel, aber nicht kalt, sondern angenehm warm, dennoch fühlte sich sein Brustkorb wie eingeschnürt an. Erst nach einer Weile stellte Constantin fest, dass sich die Abwesenheit von Licht durch seine geschlossenen Augen erklären ließ. Als er sie schließlich öffnete, blinzelte er zunächst verwirrt, da er seine Umgebung nicht sofort erkannte. Er wunderte sich vorübergehend, wann er denn eine neue Lampe bekommen hatte, und warum seine Tante diese ohne seine Hilfe angebracht hatte, bis er realisierte, dass er sich in dem Clancys alten Kinderzimmer in Irland befand und nicht im Haus seiner Tante. Stück für Stück kehrten nun auch seine Erinnerungen zurück. Der verfluchte Streit mit Layla, sein Gespräch mit Lochan oben im Hain und der Kampf…

Der Kampf!

Hastig wollte er sich aufrichten, doch der eigentliche Versuch war nicht sonderlich von Erfolg gekrönt und resultierte nur in einem stechenden Schmerz, der sich von seinem Brustkorb über sein Rückgrat bis hinunter in seine Zehenspitzen zog, sodass er ungewollt aufstöhnte. Glücklicher Weise war sein Kissen dick genug, sodass er nicht ganz flach auf dem Bett lang, sondern zumindest an sich hinuntersehen konnte. Er trug einen weiten, hellblauen Pyjama, den er noch nie zuvor in seinem Leben gesehen hatte und der nur knapp den weißen Verband, der seinen Oberkörper umspannte, bedeckte.

Doch waren es nicht die Schichten an weißen Mullbinden, die seinem Herz den Raum zu schlagen in seinem Brustkorb nahmen, sondern der Anblick des roten Haarschopfes an seinem Bettrand. Layla hatte den Kopf auf die Arme gelegt, sodass ihre Haare sich leuchtend auf dem hellen Laken ausbreiteten und sie halb auf dem Bett, halb in ihrem Stuhl lag, während sie zu schlafen schien. Constantin wusste noch, dass er Rücken an Rücken mit ihr gekämpft und sie schließlich weggestoßen hatte als der Kopflose Reiter auf sie zu geprescht gekommen war, doch dann… nichts mehr.

„Du bist wach.“ Die Stimme, die ertönte war jedoch nicht Laylas und Constantin bemerkte erst jetzt, dass sie nicht vollkommen alleine waren. Phobos befand sich auf einer Kommode und war gerade im Inbegriff sich in eine sitzende Position zu bringen, während er Constantin musterte. „Wie geht es dir?“

„Was ist passiert?“, fragte Constantin, anstatt ihm zu antworten.

Phobos sah ihn lange an, bevor er antwortete. „Einiges. Aber dazu haben wir gleich auch noch genug Zeit. Ich hole erst einmal Bláthín und Clancy, damit sie dich untersuchen können.“ Mit diesen Worten sprang er von der Kommode und tapste lautlos zur Tür. Bevor er durch den leicht geöffneten Spalt verschwand, drehte er sich noch einmal zu Constantin um. „Sie hat die ganze Zeit hier gesessen, bevor sie eingeschlafen ist.“ Wie üblich ließ er Constantin mit einem undefinierbar unruhigen Gefühl zurück, auch wenn er ungewöhnlicher Weise mal nicht grinste.

Allerdings hallte er keine Gelegenheit sich zu überlegen, was er zu Layla sagen oder ob er sie überhaupt wecken sollte. Scheinbar hatten sie die sich unterhaltenden Stimmen aus ihrem Schlaf gerissen, auch wenn Constantin und Phobos nur einige wenige Worte sehr leise gewechselt hatten, denn sie begann sich zu regen. Langsam und mit steifen Gliedern richtete sie sich auf. Ihre Locken waren vom Schlaf ungezähmter als sonst und umrahmten ihr Gesicht in wilder Manier, aus dem ihn ihre grünen Augen gerötet anstarrten. Es dauerte nicht lange, bis sich ihre Augen wahrscheinlich nicht zum ersten Mal mit Tränen füllten, die ihre Augen gläsern wirken ließen.

„Gott sei Dank, du bist wach“, sagte sie leise und senkte den Blick. Ob aus Fassungslosigkeit oder um ihre Tränen zu verbergen, wusste er nicht. Was er aber wusste, war, dass es ihm nicht gefiel, als sie mit gesenktem Blick fortfuhr. „Es tut mir so leid. Du hast mein Leben gerettet, und das obwohl ich so ein zickiges Miststück war. Wenn du nicht wieder aufgewacht wärest…“ Ihre Stimme stockte und sie musste einmal tief Luft holen, bevor sie weitersprechen konnte. „Es tut mir so leid…“ Dieses Mal brach ihre Stimme endgültig und sie schloss ihre Augen, sodass ihre Tränen überquollen und ihre Wangen hinunterliefen.

Constantins nächste Reaktion war eher eine Reflex als eine abgewägt geplante Handlung. Zu seinem Glück konnte er zumindest seine Arme halbwegs vernünftig bewegen und er griff nach einer ihrer Hände, die in ihrem Schoß miteinander wrangen, um sie endlich dazu zu bringen ihn anzusehen. „Layla…“, begann er, als sie überrascht den Blick hob, aber er hatte eigentlich überhaupt keine Ahnung, wie er fortfahren sollte; wie er ihr sagen sollte, dass er ein wahrscheinlich ein größerer Arsch als sie ein Miststück war, dass er sie nicht nur seinetwegen weinen sehen wollte, oder dass er es jedes Mal wieder tun würde, wenn es bedeutete, ihre Hand halten zu können, während sie seine schon fast schmerzlich umklammerte. Glücklicher Weise wurde ihm die Armseligkeit seines letzten Gedankens noch rechtzeitig bewusst, bevor er die Gelegenheit hatte, ihn oder einen der anderen tausend auszusprechen.

Zugegeben taten auch Clancy, Bláthín und Morana ihr Übriges dazu bei, als sie ins Zimmer geschwärmt kamen. Auch wenn kurz über Clancys Gesicht ein undefinierbarer Ausdruck huschte, als er Constantin und Layla Hände haltend nebeneinander sah, weigerte sich Constantin ihre Hand loszulassen und Layla machte ebenfalls keine Anstalten sie ihm zu entziehen.

„Wie fühlst du dich?“, fragte Bláthín als sie mit einer kühlen Hand seinen Puls fühlte.

„Als hätte ich an einem Monstertruckmatch teilgenommen“, antwortete er wahrheitsgetreu, „nur ohne Monstertruck.“

Sie ging nicht darauf ein, denn sie war im ‚Doktor-Mode‘, wie Constantin ihre derzeitige Verhaltensweise insgeheim zu nennen begonnen hatte. „Was ist das Letzte, an das du dich erinnern kannst?“, wollte sie wissen, während sie ihm mit einer kleinen Lampe in die Augen leuchtete, um die Reaktion seiner Pupillen zu überprüfen.

„Ein nicht gewollter Kontakt mit einem kopflosen Reiter meinerseits, der in schlammigem Boden und Erinnerungsloch geendet hat“, entgegnete Constantin. „Was ist danach passiert?“

Der Himmel vor seinem Fenster war zwar dunkel, doch Constantin hielt es für durchaus möglich, dass sie sich nicht mehr in derselben Nacht befanden, auch wenn sie mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit gewonnen hatten, denn alle waren in seinem Zimmer versammelt und niemand zückte eine Waffe oder sah sich panisch um. Zwar stand Morana sehr steif an der Kommode und auch Clancys Gesicht zierte eine tiefe, dunkel verschorfte Schrame, während Laylas Hände rau und übersäht von kleineren Kratzern waren, schien es allen gut zu gehen, auch wenn jeder einzelne in seinem Zimmer sehr erschöpft aussah.

Bláthín war noch immer im Doktor-Mode und ignorierte seine Frage einfach gekonnt, doch ihm entging der nicht ganz so subtile Blickwechsel zwischen Morana und Clancy nicht.

„Was?“, wollte Constantin erneut wissen und ungewollte Schärfe schlich sich in seine Stimme, was Bláthín dazu brachte ihrem Bruder und ihrer Mutter einen ärgerlichen Blick zuzuwerfen. Bláthín legte immer sehr viel Wert darauf, dass niemand ihre Patienten aufregte.

„Ehrlich gesagt, sind wir uns immer noch nicht sicher“, meinte Morana, nachdem Clancy sich geweigert hatte zu sprechen, während seine Schwester Constantin noch untersuchte. „Laylas Essenz hat außerordentlich ungewöhnlich reagiert, nachdem du… zu Boden gegangen bist. Ich bin fast 70 und hab sowas noch nie gesehen. Gehört, aber noch nie gesehen… Und dann… sind sie alle verschwunden, genauso schnell, wie sie gekommen sind…“

Und wieder konnte er seinen Gedanken, wie ‚Wo zur Hölle hatte Layla eine Essenz her?!‘ und ‚70?! WTF?!‘, keinen Freiraum in Form von artikulierter Sprache schaffen, denn die Tür zu seinem Zimmer wurde erneut geöffnet und Lochan und Phobos traten ein, gefolgt von… seiner Tante.

Sybille war bleich und unter ihren Augen zeichneten sich dunkle Ringe ab, die ihre geröteten Augen finster wirken ließen, während sich in ihrem Gesicht Besorgnis wiederspiegelte. Sie nickte den Anwesenden kurz zu und strich sacht mit einer Hand über Laylas Schulter, als sie an Constantins Bett trat, während Bláthín weiterhin in aller Seelenruhe Constantins Vitalfunktionen überprüfte. Irgendwie war es Constantin entgangen, doch Bláthín hatte es im Laufe dessen geschafft ihn in eine sitzende Position zu bringen, ohne dass er sich fühlte, als hätte er Rasierklingen gefrühstückt. In dem Moment, als er dies realisierte, war Bláthín für ihn wie die personifizierte Göttin der Heilung. Oder sowas in der Art.

Als Sybille Laylas Schulter berührte, ließ sie Constantins Hand los und stand auf, um Sybille ihren Stuhl anzubieten, während Layla selbst sich halb auf Constantins Kommode setzte, halb daran lehnte. Lochan hingegen schien noch stärker als sonst zu humpeln, als er sich zu seiner Frau gesellte, und Phobos ließ sich abseits von allen auf dem Fensterbrett nieder.

Sybille hatte den Stuhl ein wenig näher an sein Bett geschoben und strich Constantin nun mit einem schweren Seufzer das Haar aus dem Gesicht. „Was machst du nur für Sachen?“

Er wusste, dass die Frage eher rhetorisch gemeint war, aber suchte dennoch nach einer Antwort, die seine Verlegenheit nicht allzu stark wiederspiegelte. Allerdings blieb es ihm erspart, etwas zu sagen, denn Bláthín hatte ihre Untersuchung abgeschlossen, die primär durch Handauflegen stattgefunden hatte, sodass er nicht halb entkleidet in einem Raum voller angezogener Leute saß.

„Alles ist soweit in Ordnung“, sagte die Heilerin, als sie sich zurücklehnte, „aber ich fürchte du wirst eine bleibende Narbe zurückbehalten, an den Stellen, an denen die Klinge Kontakt mit deinem Körper hatte. Fey-Waffen haben leider oft diese Effekte“, fügte sie grimmig hinzu.

„Fey?“ Sybille sah ruckartig auf. „Ich dachte, es wären Formori gewesen?“ Ihr Blick wanderte forschend zu Clancy, welcher ratlos die Schultern zuckte.

„Phobos hat mir in letzter Minute geraten, es wie eine Verwundung durch eine Fey-Waffe zu behandeln und nicht wie die einer Formori-Klinge.“ Bláthín runzelte die Stirn und sah nachdenklich aus. „Zum Glück. Hätte ich dich anders behandelt, sähe es jetzt weniger rosig für dich aus. Ich bin mir nicht sicher, ob ich dich dann noch hätte durchbringen können.“

Trotz der warmen Decke wurde Constantin schlagartig eiskalt. Durch seinen leider sehr gerafften Unterricht mit Bláthín wusste er von den teilweise sehr tückischen Eigenschaften, die von den Fey hergestellte Waffen mit sich zogen. Es war eine seiner ersten Lektionen mit Bláthín gewesen, als sie ihm von möglichen Fähigkeiten, wie Unterbindung der Zellregeneration oder Multiplikation des Zellwachstums berichtet hatte. Wenn Verwundungen durch diese Waffen, selbst minimale, falsch oder gar unbehandelt blieben, konnte das bösartige Folgen haben, die sich vielleicht erst nach Tagen zeigten, wenn es für eine entsprechende Behandlung meist schon zu spät war.

„Danke, Phobos“, sagte Constantin mit Gefühl an den Kater gerichtet. „Aber woher wusstest du es?“

Phobos sah ihn wieder mit seinem undeutbaren Katzenblick an, bevor er antwortete. „Das kann ich dir gleich beantworten, auch wenn ich hoffe, dass ich falsch liege.“ Er wandte sich an Clancy. „Und?“

„Sie ist kompatibel…“, meinte Laylas Vater und wendete nachdenklich einen kleinen Gegenstand, nicht viel größer als einen Kiesel, in einer Hand. „Phobos, was ist los? Wir haben Jahrzehnte nach dieser Essenz gesucht und dann war sie die ganze Zeit hier?!“

„Verdammt!“, sagte Phobos leise, aber mit Gefühl. „Eigentlich dachte ich, dass ich mich freuen würde, wenn dieser Tag irgendwann einmal kommen würde…“ Er fluchte noch ein paar Mal in verschiedenen Sprachen und stand schließlich auf, um auf der Fensterbank hektisch auf und ab zu gehen. „Die Rune ist ja noch in Ordnung, Neiths Essenz ist auch noch gut, aber nicht der Dullahan!“ Er sprach schnell und schien mehr mit sich selbst, als mit einem der Anwesenden zu reden.

„Wer ist Neith?“, wollte Layla wissen.

„Wer ist der Dullahan?“, fragte Constantin gleichzeitig.

Phobos schien sie allerdings nicht zu hören, sondern murmelte weiter unverständliches Zeug, wie „vollkommen unmöglich“ und „ klassisches Desaster“ vor sich her, während er wie auf glühenden Kohlen auf und ab ging.

„Phobos“, begann Morana. „Phobos! Beruhig dich erstmal und fang von vorne an.“

Er holte tief Luft und schien sich regelrecht zur Ruhe zu zwingen, als er sich wieder setzte. „Also gut. Als Layla uns ihre Rune gezeigt hat, habe ich sie nicht zum ersten Mal gesehen und ich bin auch nicht zum ersten Mal in Kontakt mit dieser Essenz gekommen. Tatsächlich habe ich diese Rune für eine sehr lange Zeit fast täglich gesehen.“

Clancys hochgezogene Brauen signalisierten dem Kater einfach fortzufahren. Während er zu erzählen begann, rückte sein Blick in die Ferne; an einen Punkt, den niemand von ihnen kannte.

„Lange bevor ich irgendetwas war, war ich eine von vielen Waisen in den Straßen von London. Die Industrielle Revolution befand sich noch in ihren Kinderschuhen, aber gerade in dieser Zeit war alles knapp, sei es Kleidung, Luft zum Atmen oder einfach nur Nahrung. Mein Leben war tagsüber davon geprägt, dass ich mir mein Essen zusammengestohlen habe, und meine Nächte durchwachsen von aneinander kauernden, unterernährten Kinderkörpern, die versuchten möglichst die Wärme ihrer Nachbarn aufzufangen.

Damals hatte ich keine Ahnung, was ich war, wer meine Eltern waren, oder ob ich überhaupt einen wirklichen Namen hatte, der nicht ‚Grünauge‘, ‚Flinker Finger‘ oder sowas lautete. Das einzige, was ich wusste und wirklich gut konnte, war mich so zu bewegen, dass mich niemand sah. In den Schatten. Für die Bande von Straßenkindern, der ich damals angehörte, bedeutete das, dass ich für die besonders lukrativen Taschendiebstähle verantwortlich war.

An einem besonders regnerischen Tag hatte unser Spionier Spencer sehr reiche Beute aufgetrieben und ich sollte diesem Gentleman die Bürde seines Geldbeutels abnehmen. Etwas, das ich hunderte Male getan hatte und bei dem ich nie erwischt worden war. Also hab ich mich dem Mann genähert, aber es lief ganz und gar nicht so, wie ich erwartet hatte.

Gerade als ich das weiche Leder mit den Fingerspitzen erfühlt hatte, griff der Gentleman nach meinem Arm. Ich dachte, ich würde die Tracht Prügel meines Lebens kassieren und natürlich sind die anderen aus meiner Bande geflohen, aber der Gentleman sah mich mehr verwundert als verärgert an. Ich weiß noch heute, wie sich seine dunklen Brauen über seinen grauen Augen zusammengezogen haben, bis schließlich sein Bart anfing zu zittern und er schallend lachte.

Dieser Gentleman war Sir William Ravensworth.

Er wusste augenblicklich, wer beziehungsweise was ich war und nahm mich bei sich auf. Er war ein Londoner Aristokrat, der aber, wie es in seiner Familie üblich war, eine Fey geheiratet hatte. Lady Lilia war es auch, die mir schließlich meinen heutigen Namen geben hat. Von ihnen habe ich erfahren, was ich war; ein Halbblut, zur einen Hälfte Fey und zur anderen Mensch. Genau wie ihre zwei Kinder. Zusammen mit den beiden wuchs ich auf, lernte, was sie lernten. Ich war nicht ganz ihr Adoptivsohn, aber auch kein Diener. Ihr Sohn Lir wurde sehr schnell mein bester Freund und nicht lange nachdem ich zu ihnen gekommen war, fanden wir zusammen mit seiner jüngeren Schwester Neith unsere Runen in einer kleinen Höhle.“

„Neith Ravensworth…“, murmelte Sybille.

Phobos antwortete nicht direkt, doch sein Blick wurde düster und seine Körperhaltung angespannt, während Constantin den Schock über die Verbindung, die seine Tante geknüpft hatte, nicht verstand. Allerdings war klar, dass alle Anwesenden wussten, wer diese Neith war; alle außer ihm und Layla, versteht sich. Wie üblich.

„Damals war Neith im Besitz der Rune, die jetzt Layla erwählt hat, genau wie diese Essenz ihr gehörte, neben einer weiteren Windessenz.

Als wir alt genug waren, sind wir gemeinsam den Wächtern beigetreten. Auch Neith. Sie war zwar eine junge Lady, erzogen um in den Kreisen der High Society Londons zu verkehren, aber sie war schon immer zu… unbändig, um einfach das schnöde verheiratete Leben mit einem respektablen, aber langweiligen Gentleman zu führen. Sehr zum Leidwesen Sir Williams, aber auch er hat sehr schnell eingesehen, dass ihr Talent, eingesperrt in einen goldenen Käfig, verschwendet gewesen wäre. Sie war eine außerordentlich hochbegabte Hexe, talentierter als jeder andere unserer Generation und stand Lir nur nach, weil sie eine Frau war.“ Während er von dieser Frau sprach, schlich sich in seine Stimme eine Spur Wehmut, doch sein Gesicht blieb bar jeder Emotion.

„Wir alle drei machten uns einen eigenen Namen innerhalb der Gemeinschaft der Wächter; Lir wurde sogar Bewahrer. Er und seine Schwester waren besonders gut im Umgang mit Wasser und Neith hatte zusätzlich noch die Gabe den Wind beziehungsweise die Luft kontrollieren zu können, sodass sie Stürme und Gewitter beherrschte, aber ihr Markenzeichen waren undurchdringbare Nebelschwaden. Während ich im Umgang mit der Dunkelheit mehr als nur gut war, wurde ich schnell zu ‚Phobos Shadowstalker‘ und Neith erhielt den Beinamen ‚Nebelhexe‘.“

Constantin hatte bereits ein mulmiges Gefühl, als Phobos die Nebelschwaden erwähnt hatte, aber bei dem Namen ‚Nebelhexe‘ machte es endgültig ‚klick!‘ bei ihm. Sein Blick wanderte zu Layla und auch sie sah geschockt aus. Sie schluckte und ergriff schließlich das Wort.

„Aber…war die Nebelhexe nicht diejenige, die die Formori freigelassen und dich verflucht hat?“, fragte Layla zögerlich und leise.

Phobos‘ Blick war wieder undeutbar und „Ja.“ war das Einzige, was er dazu sagte.

„Aber…“, begann Layla, sichtlich überwältigt und verwirrt gleichzeitig. „Was ist passiert?“

Als Phobos antwortete, sah er für Constantin das erste Mal unglaublich alt aus. „Glaub mir, in den letzten zwei Jahrhunderten ist kein Tag vergangen, an dem ich mich das nicht selber gefragt habe.

Wir sind damals voller Idealismus und hochtrabender Ziele bei den Wächtern eingetreten und nach Limbus City, der Hauptstadt der Bewahrer, gegangen. Wir wollten mit unserer jugendlichen Motivation die Welt verändern, die Offenbarung propagieren! In einer Stadt, die für jedes magisch begabte Wesen wie Mekka für Muslime ist.

Aber nachdem Lir zum Bewahrer geworden war, wurde alles nach und nach anders. Er und Neith stritten sich immer häufiger und je näher ich selbst dem Bewahrer-Status rückte, desto heftiger schienen ihre Auseinandersetzungen zu werden. Lir war durch seine neuen Aufgaben gebundener, als wir erwartet hatten und ich sah ihn nur noch sehr selten und fast nur noch zu offiziellen Anlässen, wie Auftragsvergaben oder Beförderungen. Neith hingegen hatte irgendeinen geheimen Auftrag angenommen, wie sie mir damals sagte, und der sie zum Stillschweigen und zur Geheimhaltung verpflichtete. Natürlich habe ich ihr damals geglaubt, auch wenn ich heute weiß, dass sie damals schon mit Formori paktiert haben muss. Ich hatte schließlich keinen Grund ihr zu misstrauen.

Als die Streitereien der beiden immer stärker wurden und ich das Gefühl hatte, dass mehr als nur eine kleine Unstimmigkeit die Ursache dessen waren, habe ich den Weisen aus der Küche aufgesucht, welcher mir kryptisch riet beide Positionen abzuwägen und dann erst zu urteilen. Unglaublich hilfreicher Hinweis, wirklich“, meinte Phobos voller Sarkasmus. „Als ob ich das nicht versucht hätte! Aber keiner von diesen beiden Dickschädeln wollte mir sagen, worüber sie sich überhaupt gestritten haben!“

Alter Ärger durchzog seine Erzählung und er sprang auf, um auf und abzugehen, bis er es zu realisieren schien. Ein weiteres Mal an diesem Abend zwang er sich zur Ruhe und setzte sich wieder.

„Wie dem auch sei, ich beschloss dem unglaublich hilfreichen Rat nachzugehen und sie beide auszuquetschen, zusammen, getrennt, wie auch immer. Langsam erhärtete sich mein Verdacht, dass Neiths ‚Geheimauftrag‘ keine unerhebliche Rolle in diesem Streit hatte und ich wollte unbedingt wissen, was los war, und wenn ich sie beide an Stühle gefesselt und sie mit aufklärerischen Romanzen gefoltert hätte. Doch leider kam meine neue Überzeugungskraft ein bisschen zu spät.

Allem Anschein nach hatte Neith aber offenbarendere Pläne, die weder Lir noch ich vorhergesehen hatten. In meiner Abwesenheit eskalierte der Streit zwischen den beiden und Neith tötete ihren Bruder. Von Bulvark, welcher damals schon Bewahrer war, haben wir später erfahren, dass sie bereits vorher mit Formori paktiert hatte, und allem Anschein nach, war ihr Pakt der Grund für die unaufhörlichen Streitereien der beiden. Die Bewahrer sind bis heute fest davon überzeugt, dass es ihr auch nur deshalb gelang Lir, einen von ihnen, zu töten und das uralte Siegel zu brechen, das die Formori unter Limbus City gefangen gehalten hatte.

Als ich zurückkam, war die Stadt bereits verwüstet und eine regelrechte Schlacht war vor ihren Toren zwischen Neith und den Formori auf der einen und den Wächtern und Bewahrern auf der anderen Seite entbrannt. Hals über Kopf bin ich mitten in das Chaos hineingeraten und habe bruchstückhaft zwischen und während der Kämpfe von Kammeraden erfahren, was passiert war. Als ich schließlich zu Neith durchdrang, kämpfte sie bereits mit Bulvark und van Harloch und diversen anderen gleichzeitig.

Als ich schließlich ebenfalls mit ihr zu kämpfen begann, schleuderte sie mir den Fluch entgegen, der mich heute noch immer an diese Gestalt bindet. Auch wenn ich unfähig war mit diesem neuen, unbelastbaren Körper zu kämpfen, gelang einigen Bewahrern und Wächtern Neith mit einem Fluch zu töten. Seitdem waren ihre Rune und ihre beiden Essenzen verschwunden, die mich hätten befreien können.“

Als er endete, waren seine Stimme und sein Blick leer.

Constantin hatte noch nicht einmal eine Ahnung, wie er überhaupt begreifen, geschweige denn nachvollziehen konnte, was Phobos widerfahren war. In einer einzelnen Nacht hatte er seine beiden besten Freunde verloren und seine ganz persönliche Apokalypse miterlebt. Als Phobos einen trockenen Lacher hören ließ, konnte Constantin es zwar nicht nachvollziehen, aber es Phobos auch nicht unbedingt verübeln.

„Und selbst nach ihrem Tod hat sie mich verfolgt“, sagte er mehr zu sich, als zu jemand anderem.

Schweigen setzte ein.

„Was meinst du damit?“, fragte Clancy schließlich nach einer Zeit, die wohl angemessen war.

„Oh, so einiges“, erwiderte Phobos bitter. „Neith hatte mich nicht getötet, sondern nur verflucht. Und ich war zur Zeit ihres bösen Geniestreichs nicht in der Stadt, also zählten die Machthabenden, beziehungsweise was von ihnen noch übrig war, eins und eins zusammen und stellten mich als ihren Komplizen hin. Das einzige, was mich damals vor der Hinrichtung bewahrt hat, war die Bestätigung des Weisen, dass ich wirklich bei ihm war und ihm um Rat gebeten hatte.

Auch wenn er dabei wahrscheinlich einen der coolsten Abgänge der Geschichte machte, hatte ich blöderweise immer noch den Ruf weg, ein Verräter zu sein, nur weil ich überlebt hatte, um im Körper eines Katers gefangen zu sein. Zumindest für ein paar Jahrzehnte. Aber das ist nicht die Tatsache, dass mein wunderschön aufgebauter Ruf damals den Bach runtergegangen ist, die mich beunruhigt“, warf Phobos ein, „sondern der Dullahan.“

„Äh, was ist das, ein Dullahan?“, fragte Layla schließlich nach.

„Ihr habt ihn bereits gesehen“, antwortete Phobos. „Der Dullahan erscheint für gewöhnlich in der Gestalt eines kopflosen, schwarzen Reiters.“

„Und was ist an denen besonders? Oder gibt es den nur einmal?“, wollte Constantin wissen. „Und was ist mit diesen Azryel-Dingern?“ Er warf Lochan einen fragenden Blick zu und der alte Mann lächelte ihm aufmunternd entgegen; scheinbar hatte der den Namen von den furchteinflößenden Engelwesen richtig ausgesprochen.

„Ja, es gibt ihn nur einmal und anders als Azryel ist er kein Formor“, antwortete Phobos.

„Was ist er dann?“, schaltete sich Morana mit skeptischer Miene ein.

„Ein dienstbarer Kontraktgeist“, erklärte er.

„Was für’n Ding?“ Layla sprach genau das aus, was Constantin dachte.

Phobos grinste. „Ein Kontraktgeist oder auch Vertragsgeist. Wesen, mit denen man einen Vertrag abschließt und die einem dann zu Diensten sind. Sie sind nicht gerade häufig, aber auch nicht so selten, dass sie legendär wären. Man muss sie nur zu finden wissen.“

„Das klingt doch gar nicht so übel… oder?“, erkundigte sich Constantin etwas unsicher.

„Nein, eigentlich nicht“, erwiderte Phobos. „Nur sollte es eigentlich niemanden mehr geben, der ihn beschwören kann.“

„Warum?“ Lochans Brauen imitierten weiße, pelzige Raupen als sie sich über seinen Augen zusammenzogen.

„Der Dullahan war für Generationen der Kontraktgeist der Familie Ravensworth gewesen und stand bis zu ihrem Tod in Neiths Diensten“, erläuterte Phobos. „Der Familienlegende nach hat sich eine ihrer Vorfahrinnen in einen Mann verliebt und er sich in sie. Aber sie war eine Druidin und er gehörte den Fey an. Ihre Familie, vor allem ihr Vater, war gegen die Verbindung, sodass der Mann das Mädchen unter dem Mantel der Nacht von zu Hause fortführte und sie in einer Höhle versteckte, vor der er einen Raben bat Wache zu halten. Die Höhle war reich ausgestattet und beinhaltete alles, was das Mädchen zum Leben benötigte, sodass es ihr an nichts mangelte und sie mit dem Mann glücklich war, auch wenn sie ihre Familie ab und an vermisste.

Der Vater des Mädchens aber bereute rasch seine harschen Worte des Verbots und machte sich in seinem Kummer auf zu den Feenhügeln, um seine Tochter anzuflehen nach Hause zurückzukehren. Doch das Mädchen war nicht dort. Der Vater suchte die ganze Welt nach ihr ab, aber fand sie nicht und starb schließlich an seinem gebrochenen Herzen nicht unweit der Höhle, in der seine Tochter bereits ein Kind von ihrem Gemahl erwartete. Der Rabe fand den verstorbenen Vater aber und rief den Mann und die Tochter herbei.

Das Mädchen brach beim Anblick ihres traurigen, toten Vaters in Tränen aus und flehte ihren Gatten an ihren Vater zu ihrer Familie zurückzubringen, damit er ordentlich bestattet werden könnte. Also hob ihr Mann den leblosen Körper auf sein nachtschwarzes Ross vor sich und seine junge, schwangere Frau hinter sich und sie machten sich auf den Weg.

Als er auf das Gehöft der Familie ritt, sahen ihre Brüder aber nur den breitschultrigen Feymann, der auf seinem Pferd den toten Vater heimbrachte, aber nicht ihre zierliche Schwester, die hinter ihm saß. Ihre Brüder gerieten in Wut, da sie dachten, der Feymann wolle sie auch noch verhöhnen, und griffen ihn an. In dem Gefecht schlug ihr ältester Bruder dem Feymann den Kopf von den Schultern, alle Warnungen und Erklärungen seiner Schwester erreichten zu spät seine Ohren.

Doch der Feymann weigerte sich ins Totenreich einzugehen, da sein ungeborenes Kind seinen Schutz brauchte und er sich nicht so von seinem Kind abwenden wollte, wie der Vater des Mädchens es getan hatte und es zurückließ. Also wurde er zu einem Geist, der seinem Kind und all seinen Nachfahren zu Dienste war, auf dass sie nie eine schützende Hand missen mussten“, schloss Phobos seine Erzählung. „Ich nehme an, dass ihr trotz des Märchenwirrwarrs das Problem hier seht, oder?“

Erkenntnis breitete sich wie eine ansteckende Krankheit in dem kleinen Raum aus und Morana nickte. „Wenn mit Lir und Neith, die letzten Ravensworths, gestorben sind, gibt es logischer Weise keine Nachfahren mehr, aber wer hat dann den Dullahan beschworen?“

Graue Materie

Obwohl Constantin sehr lange geschlafen hatte, hatte ihn das Gespräch wieder ermüdet, sodass Bláthín sie alle, außer Sybille, aus dem Zimmer gescheucht hatte, sobald jeder seine Spekulationen zur Identität des Beschwörers des Dullahans hatte abgeben wollte. Constantins Protest war diesbezüglich auch eher halbherzig. Soweit Layla wusste, hatte Sybille kaum geschlafen, da noch einige Nachzügler für das Seherkonzil bei ihr eingetroffen waren und sie Mühe gehabt hatte, sich loszueisen, um mit Lochan durch ein Portal nach Irland zu kommen. Dennoch blieb Constantins Tante an seinem Bett sitzen.

Als Layla das Zimmer verließ, sah sie noch einmal über ihre Schulter zurück zu Constantin. Er erwiderte ihren Blick und schenkte ihr ein schwaches Lächeln, das Laylas Herz einen Schlag aussetzen ließ und ihr neue Hoffnung zur Annahme gab, es doch noch nicht vollends versaut zu haben. Bevor ihre Wangen ein verräterisches Rot annehmen konnten, wandte sie sich ab und folgte ihrem Vater, ihren Großeltern und Phobos hinaus auf den Gang. Sie hörte zwar ihren Vater und Phobos leise miteinander reden, konnte aber nicht verstehen, was sie sagten, während Morana und Lochan fast schweigend vor ihnen hergingen.

Als sie hinter ihrer Familie hinunter trottete, hing sie ihren eigenen Gedanken nach.

Wenn die Nebelhexe die Besitzerin meiner Rune und dieser Essenz war und auch Phobos verflucht hat, könnte man dann nicht mit der Essenz und der Rune den Fluch umkehren?

Gerade wollte sie diese Frage an Phobos richten, doch er war nicht mehr neben ihrem Vater. Etwas verwundert blickte sie sich in der Eingangshalle um, bis sie seinen Bürstenschwanz in einem Spalt zwischen Haustür und Rahmen sah. Rasch wandte sie sich der Tür zu, doch Phobos war schneller als sie erwartet hatte und schon halb um die Hausecke verschwunden, als sie seinen Namen ausrief. Scheinbar hatte er sie nicht gehört, denn sein pelziger Kopf erschien nicht wieder um besagter Ecke. In sich hineinfluchend setzte sie ihm nach und konnte gerade noch sehen, wie Phobos mit der Dunkelheit des geöffneten Gartenschuppentürchens verschmolz.

Was zum Geier will er denn hier?, fragte sich Layla in Gedanken. „Phobos?“, sagte sie noch einmal etwas zögerlich, bevor sie mit einem seltsamen Gefühl im Magen ebenfalls durch die Tür ging.

Doch wider Erwarten fand sie sich nicht im Gartenschuppen ihrer Großeltern wieder, sondern stand auf einer ihr unbekannten Seitenstraße, auf der die Laternen bereits im dämmrigen Licht glommen. Sie blinzelte verwirrt.

Wo bin ich?“, fragte sie in den kühlen Abend hinaus.

Phobos, nur wenige Meter von ihr entfernt, schreckte hoch und wandte sich ruckartig zu ihr um.

„Layla!“, rief er geschockt aus. „Wie bist du hier hergekommen?“

„Ich bin dir nachgegangen“, antwortete sie wahrheitsgetreu und schulterzuckend. Doch als sein Gesicht einen annähernd finsteren Ausdruck annahm, fügte sie sie rasch hinzu: „Ich wollte dich was fragen, aber du hast mich anscheinend nicht gehört…“

Sein Blick wurde wieder neutral. „Was wolltest du mich fragen?“

„Die Nebelhexe hat dich verflucht, oder? Wenn wir jetzt ihre Essenz und ihre alte Rune haben, kann man den Fluch dann nicht umkehren?“ Sie wusste nicht genau warum, aber sie war mit einem Mal sehr nervös und trat von einem Fuß unruhig auf den anderen, während sie sprach.

Er schwieg einen Moment lang. „Ja. Zumindest hoffen Clancy und ich das. Aber dafür bräuchten wir deine Rune.“

„Jetzt?“, fragte sie und war schon fast im Inbegriff das Band um ihrem Hals zu lösen. Phobos starrte sie einen Moment lang vollkommen perplex an, bevor er… lächelte. Kein Grinsen, sondern ein ehrliches Lächeln. Sofern Layla sein Katzengesicht deuten konnte.

Ehe sie nachfragen konnte, ergriff Phobos das Wort. „Danke, Layla.“

„Was? Ich mache doch gar nichts. Oder doch? Wenn ja, werden unsere Füße sicher ganz schnell nass…“, sinnierte sie, um ihre Verlegenheit zu verbergen.

Phobos lachte auf. „Jetzt, da eine Essenz im Spiel ist, sicher nicht mehr.“

„Hoffentlich“, murmelte sie leise vor sich hin.

„Phobos?“, fragte sie nachdem sie eine Weile auf dieser Straße wer-weiß-wo gestanden und nichts gesagt hatten.

„Hm?“

„Wo sind wir hier eigentlich? Limbus City?“, fragte sie, als sie sich umsah.

Phobos kicherte. „Nicht direkt, nein.“

„Also sind wir nicht mehr in Irland? Ist Limbus City überhaupt in Irland?“

„Nein, sind wir nicht. Und nicht direkt.“

„Seit wann haben meine Großeltern ein Portal in ihrem Schuppen?“

„Seitdem ich eben eins geschaffen habe.“.

„Ohne Salzei und kleine Topfpflanzen?“

Phobos grinste. „Wenn man so alt ist, wie ich, gibt es gewisse Fixpunkte zu denen man sich unter bestimmten Umständen sehr schnell hinbewegen kann. Und in dieser Stadt befindet sich einer dieser Fixpunkte.“

„Kann ich mitkommen?“ Phobos sah sie bestimmt an und holte tief Luft. „Bitte?“, setzte sie mit ihrem besten Hundeblick nach. Er sah sie einen weiteren Moment lang so bestimmt an, bis er schließlich die Augen schloss und seufzend den Kopf schüttelte.

„Ich nehme an, wenn du schon hier bist, kannst du auch mitkommen“, gab er sich geschlagen und wandte sich um, um die Straße hinunter zu gehen. „Aber!“, drehte er sich sofort wieder um und sah sie streng an, „du hörst auf das, was ich dir sage, wenn ich es dir sage! Keine Dummheiten! Haben wir uns verstanden?“

Layla war etwas überrumpelt von seiner plötzlichen Forschheit, doch fügte sich mit einem zustimmenden Nicken.

„Ähm, wenn es so gefährlich ist“, begann sie, als sie ihren Weg die Straße hinunter fortsetzten, „warum gehen wir dann dahin?“

„Der Ort, zu dem wir gehen, ist nicht direkt gefährlich.

Bevor er weitersprechen konnte, unterbrach sie ihn: „Mal ehrlich, was hast du heute mit deinem ‚nicht direkt‘? Wie kann man ‚nicht direkt‘ an einem Ort sein?“

„Der Ort, zu dem wir gehen, ist da und auch wieder nicht, sichtbar und unsichtbar. Hier und Dort. Man gelangt nur dorthin, wenn dieser Ort gefunden werden will, oder man bereits weiß, wie man dorthin kommt. Eine Grauzone der Existenz.“

Layla runzelte die Stirn. „Reden wir von einer anderen Dimension?!“

Phobos blieb stehen und sah sie spöttelnd an. „Nach allem, was du gesehen hast, wundert dich sowas noch?“

Sie überlegte kurz und zuckte dann mit den Schultern. „Stimmt auch wieder. Aber jetzt sehe ich wenigstens, warum es da gefährlich ist.“

„Solange du mit mir dort bist, ist das das nicht“, antwortete er, und sie konnte den Schalk in seinen Augen blitzen sehen, bevor er weitersprach. „Nicht direkt, zumindest.“ Als sie die Augen verdrehte, lachte er, wurde dann aber wieder nüchtern. „Also halte dich an mich und gib den Leuten, die wir treffen werden, vielleicht nicht zu viele Informationen ; die wissen ohnehin schon zu viel“, fuhr er fort und verdrehte die Augen.

„Weswegen gehen wir denn überhaupt dahin?“

„Weil wir so am Schnellsten herausfinden können, mit wem der Dullahan nach Neith einen Vertrag abgeschlossen hat. Die einzig andere Option, die wir hätten und die ähnlich lukrativ wäre, wäre die Wächter beziehungsweise Bewahrer zu unserer kleinen Party einzuladen.“

„Was wir nicht wollen, weil die doof sind. Außer vielleicht Aygül. Ein bisschen“, setzte Layla nach. Sie hatte ihre Meinung über Aygül nach dem letzten Kampf etwas revidiert.

Phobos‘ Mundwinkel zuckten, als er neben ihr auf dem Bürgersteig ging. „Du hast es erfasst. Vielleicht wirst du ja noch richtig brauchbar.“

Layla grinste. „Und was sind das so für Leute, die sowas wissen?“

„Den einzigen Namen, den du kennen musst, ist Thompson. Er ist der Barkeeper. Die anderen kannst du einfach ‚Cop‘, ‚Maler‘ und ‚Autorin‘ nennen. Das klingt wahrscheinlich mehr als nur seltsam, aber du wirst wissen, wer wer ist, sobald wir drinnen sind. Wie gut bist du im Darten?“

Zum zweiten Mal heute seitdem sie durch das Portal gegangen war, fühlte sich Layla überrumpelt von dem abrupten Themenwechsel. „Nicht sonderlich gut, denke ich, aber ich treffe die Scheibe zumindest“, gab sie zu.

„Das wird reichen.“ Ohne eine weitere Erklärung dieses kryptischen Themas überquerte er die Straße.

Layla sah sich noch einen Moment lang um, um vielleicht herausfinden zu können, wo sie sich befanden, doch viel sagte ihr ihre Umgebung nicht. Phobos steuerte auf ein Haus zu, das die Hausnummer Acht trug und eine einfache Holztür mit Buntglasfenstern hatte. Sie konnte sehen, dass sich über der Tür der dünne Schriftzug einer Leuchtreklame befand, doch sie konnte sie nicht entziffern. Ein Blick zu beiden Seiten der Straße, zeigten ihr nur einen alten Wagen und ein streunender, nachtschwarzer Hund, dessen leuchtend gelbe Augen den Kater vor der Tür von Nummer Acht müde beobachteten, aber der keine Anstalten machte, Phobos auch nur anzubellen.

„Willst du da Wurzeln schlagen?“, fragte sie Phobos spöttisch, sodass sich Layla schließlich in Bewegung setzte und die Straße ebenfalls überquerte. Irgendwie hatten die Ereignisse der letzten Monate Layla an den Punkt gebracht, an dem sie es einfach nicht mehr hinterfragte, wenn eine sprechende Katze ihr seltsame Referenznamen für Personen nannte, also stieß sie einfach die Holztür auf, vor der Phobos mehr oder weniger geduldig wartete, um in eine andere Dimension einzutreten.

Das Erste, was sie im dämmrigen Inneren erfasste, war das alte Poster eines Wrestlers, dessen breites Gesicht übersäht war mit Dartpfeilen. Unter dem Gesicht des Mannes prangte ein Schriftzug, der den Wrestler als ‚Mad Bull‘ auswies. Nicht unbedingt das, was sie von einer anderen Dimension erwartet hatte.

„Warte einen Moment“, wies Phobos sie leise an, bevor er lauter in den angrenzenden Raum brüllte, „Kann mir mal einer von euch die Pfeile bringen?!“

Nach etwas Gemurmel war das Scharren von Stühlen zu vernehmen und da das, was sie von dem angrenzenden Raum sehen konnte, sehr nach einer Kneipe oder etwas ähnlichem aussah, vermutete Layla, dass es sich um Barhocker handelte. Einen Moment später versperrte der Umriss eines großen Mannes in dunkelgrauem Anzug und beigem Trenchcoat ihre Sicht auf den Schankraum. Er hatte einen dunklen Schnurrbart, dunkle Augen und dunkle Kotletten. Und hielt Layla zwei Dartpfeile in der offenen Hand hin.

„Du?!“, fragte Phobos ungläubig.

Der ältere Herr zuckte mit den Schultern und brummelte eine Antwort. „Hab bei Schere-Stein-Papier verloren.“

Phobos sah ihn noch einen Moment ungläubig an, bevor er grinste und sich wieder Layla zuwandte. „Layla, nimm einen der Pfeile.“

Sie tat wie ihr geheißen. „Und jetzt?“

„Machst du es mir einfach nach“, antwortete er. Der letzte Dartpfeil begann in der Hand des Mannes langsam zu schweben, als Phobos kurz seinen Blick darauf richtete. Plötzlich schoss der Pfeil los und landete direkt zwischen Mad Bulls Augen, wo er wackelnd stecken blieb. „Du kannst ihn aber werfen.“

„Ähm, gut.“ Layla trat nervös von einem Fuß auf den anderen, bevor sie sich gerade hinstellte. Innerlich betete sie, dass sie keinen der Anwesenden treffen würde und warf den Pfeil. Schon fast zu ihrem eigenen Erstaunen blieb der Pfeil in Mad Bulls Kinn stecken.

„Phobos? Warum haben wir das gemacht?“

„Weil Thompson Mad Bull nicht ausstehen kann“, antwortete der Kater und wandte sich um, um hinter dem fremden Mann in den Schankraum zu gehen. Aus dem Raum ertönte das laute Quietschen eines geputzten Glases und Klaviermusik.

Als sie den Schankraum schließlich betrat, erkannte sie, dass an dem U-förmigen Tresen zwei Leute saßen. Eine Frau und ein Mann, beide in T-Shirts, er Weiß sie Schwarz, und Jeans.

Der Mann, der ihnen die Dartfpeile gebracht hatte, sah wie der klassische Detektiv aus Schwarz-Weiß-Filmen aus, nur dass sein Trenchcoat mit Metalbeschlägen verstärkt war. Scheinbar war er der ‚Cop‘, folglich musste der andere Mann der ‚Maler‘ und die Frau die ‚Autorin‘ sein.

Der Cop setzte sich brummelnd wieder an einen der zwei freien Barhocker, vor dem vier Gläser standen. Zwei enthielten noch eine bräunliche Flüssigkeit, die anderen zwei waren bereits leer.

Mit Layla im Raum herrschte nun die Haarfarbe Rot vor, auch wenn die der Autorin gefärbt war. Vor der Autorin waren diverse Dokumente ausgebreitet, auf denen ein Glas mit derselben Flüssigkeit thronte und an denen sie scheinbar schrieb. Um den Maler hingegen lagen zerrissene Fotos und Bleistiftskizzen, sowie farbige Bilder verteilt. Er musterte Layla, als sie eintrat, während er einen Schluck von seiner… Milch?! nahm.

Aber der seltsamste Charakter von allen stand hinter dem Tresen. Ein Hüne von einem Mann, der sein Gesicht unter einer blauen Wrestlermaske verbarg. Das Einzige, was von seinem Gesicht annährend sichtbar war, waren seine Augen und sein schwarzer Iro, für den seine Maske sogar eine passende Aussparung auf dem Kopf hatte. Er trug ein klassisches Barkeeper-Outfit und sein weißes Hemd spannte sich bei jeder Bewegung, als er quietschend Gläser putzte. Allem Anschein nach war dieser Mann ‚Thompson‘.

Phobos hatte Recht gehabt, man konnte ihnen wirklich sofort ihre Namen zuordnen.

„Oha, die Katze hat eine Freundin“, meinte der Maler amüsiert klingend.

„Kater, verdammt nochmal!“, kam es von Phobos.

„Wenn du das sagst…“, erwiderte die Autorin wandte sich wieder ihren Dokumenten zu.

Der Cop ließ ein leises Lachen vernehmen.

Phobos wandte sich zu Layla um und verdrehte die Augen. „Komm.“ Er führte sie an den Tresen und sprang auf den letzten freien Hocker, bevor er von dort auf den Tresen stieg und sich niederließ. Erstaunlicher Weise schien diese Tatsache Thompson nicht im Geringsten zu stören, als er Phobos augenblicklich ein Longdrink-Glas mit derselben bräunlichen Flüssigkeit und einem gelben Strohhalm, sowie einem pinken Schirmchen hinstellte. Als Layla sich auf den letzten freien Hocker mit Phobos vor ihr auf dem Tresen und dem Cop neben ihr, sah Thompson sie fragend an.

„Sie bekommt eine Milch“, antwortete Phobos für sie und Thompson wandte sich nickend ab. Layla schoss unvermittelt die Röte ins Gesicht. Gerade wollte sie protestieren und sagen, dass sie kein kleines Kind mehr war, als Phobos‘ Augen sich verengten. „Während du mit mir unterwegs bist, trinkst du keinen Alkohol! Clancy hat sicher so schon einen halben Herzinfarkt und hier gibt es nichts anderes außer Whiskey, Bier und Milch.“

Thompson ließ ein zustimmendes Geräusch vernehmen, als er aus dem Kühlschrank unter dem Tresen ein Tetra-Pack hervorholte, auf dem einfach nur ‚Milch‘ stand. Er füllte die Mild in ein sehr sauberes Glas und stellte es vor Layla ab.

„Äh, danke“, sagte Layla und warf Thompson ein schüchternes Lächeln zu, das dieser breit erwiderte. Naja, so breit, wie seine Maske es zuließ.

Ein zweiter Blick auf die Autorin und den Maler ließ die beiden Layla gegenüber augenblicklich sympathischer werden, egal was Phobos vorher gesagt hatte. Das T-Shirt des Malers trug einen Aufdruck bestehend aus einem Symbols aus komplexen Kreisen und einem Schriftzug, der ‚University of Gallifrey‘ lautete, während das der Autorin las: ‚The Angels have the Phone Box‘. Allein durch diese Doctor Who-Referenz musste sie Phobos fragen.

„Sind wir in London hier reingekommen?“

Phobos verdrehte die Augen. „Nein. Sind wir nicht.“

Der Maler und die Autorin sahen sie abwägend an, bis er sagte: „Wir wollten, dass Thompson hier einen Dalek aufstellt.“

„Aber er war dagegen“, fügte sie hinzu.

Thompson warf beiden einen strengen Blick zu.

Kaum hatten sie das Thema angeschnitten, wechselte die Musik. Vorher ein gemütliches Jazz-Stück wurde es jetzt…

„Ist das der Imperial March?“, fragte Layla und blickte sich im Raum um. Weiter in den Schankraum hinein, an einer Wand stand ein schwarzes Klavier vor dem ein alter Mann mit gebeugtem Rücken saß, gekleidet in eine schwarze Hose, ein weißes Hemd und eine schwarze Weste und spielte. Als sie ihren Blick auf ihn richtete, drehte er seinen Kopf zu ihr und an den milchig, blauweißen Augen konnte sie sehen, dass er vollkommen blind war. Sein faltiges Gesicht verzog sich zu einem Lächeln und er zeigte ihr seinen erhobenen Daumen, während er einhändig weiterspielte, was dem Stück erstaunlicher Weise keinen Abbruch tat. Nachdem er ihre Erkenntnis gewürdigt hatte, wandte sich der alte Klavierspieler wieder seinem Klavier zu und spielte voller Inbrunst den Imperial March. Ja, den aus Star Wars.

Als Layla sich wieder dem Gespräch zuwandte, war eine hitzige Diskussion zwischen dem Maler, der Autorin und Thompson über das Thema Daleks entbrannt.

„Aber ihre Ohren blinken!“, warf die Autorin, wie Layla fand, vollkommen zu Recht ein.

Thompson ließ ein Schnauben vernehmen.

„Und sie haben diese putzigen Stummelärmchen!“, setzte der Maler mit einer Imitation durch seine eigenen Arme nach.

Aber sein vollkommen legitimes Argument wurde von Thompsons Gläsern mit einem missbilligenden Quietschen bedacht und so in Grund und Boden geschmettert.

„Und ihr Kameraauge blinkt so niedlich blau“, warf Layla mitgerissen ein.

Thompson, der Maler und die Autorin sahen sie wortlos an.

Layla senkte betreten den Blick, als sie errötete und murmelte ein leises „‘Tschuldigung“.

Ein finales Gläserquietschen war zu vernehmen und Layla hörte den Maler und die Autorin Dinge murmeln, wie „seine Bar, pah!“ und „mörderische Kriegsmaschine, pfff!“, als sie die Diskussion endgültig verloren hatten. Der alte Klavierspieler schlug einen Trauermarsch an.

Schweigen breitete sich aus und Phobos stand schließlich genervt auf. Er fluchte und verdrehte wild die Augen.

„Was?“, wollte Layla perplex wissen und ihr Blick wanderte über die Gesichter der Anwesenden: der Cop hielt mit einer hochgezogenen Braue und einem seiner Whiskygläser kurz vor seinen Lippen, Thompsons Gläser quietschten fragend und die Autorin und der Maler saßen ungewöhnlich zahm und fast schüchtern auf ihren Plätzen und sahen Layla an.

„Was?“, wiederholte Layla, die überhaupt keine Ahnung hatte, was überhaupt los war.

„Jetzt finden sie dich ‚cool‘“, antwortete Phobos und nickte in die Richtung des Malers und der Autorin, die verhalten grinsten. „Allerdings musst du wissen, dass ihre Ansichten von ‚cool‘ anders sind, als die des Durchschnitts.“

„Das kommt, weil wir über dem Durchschnitt stehen“, konterte der Maler. „So als Nerds.“

„Genau!“, pflichtete ihm die Autorin bei und die beiden gaben sich ein High Five. Thompson schnaubte verächtlich.

Die Autorin warf ein zerknülltes Blatt Papier nach Phobos, verfehlte ihn aber. Unter Thompsons strengem Blick und einem gebrummten ‚Hrrrrm‘ stand sie auf, um das zerknüllte Blatt wieder einzusammeln.

„Also, warum hast du deine coole Freundin mit her gebracht?“, fragte der Maler, während die Autorin sich wieder auf ihren Platz setzte und nebenbei an einem ihrer Texte weiterschrieb.

„Schreib nicht wieder so schnulzig“, meinte der Cop zur Autorin.

Sie verdrehte die Augen. „Niemals.“

Der Cop warf dem Maler einem Blick zu. „Was macht sie wirklich?“

Der Maler beugte sich zur Autorin rüber und versuchte zu lesen, was sie geschrieben hatte. „Sie macht aus allen ‚i‘-Punkten Herzchen“, antwortete er leichthin und ließ sich mit einem Schulterzucken zurück auf seinen Platz sinken. „Also?“, wandte der Maler sich wieder an Phobos.

„Was?!“, kam es vom Cop. „So kann ich das doch nicht meinem Boss geben!“

„Hör auf meine Arbeit zu kritisieren! Ein Genie kann unter solchen Umständen nicht arbeiten!“, entrüstete sie sich.

„Ihr Name ist Layla“, sagte Phobos, ohne den Cop und die Autorin zu beachten. „Und wir sind hier, weil wir alle Informationen brauchen, die ihr über den Dullahan habt.“

„Dullahan? Wie in Ravensworth-Dullahan?“, kam es eingeworfen von der Autorin. „Oh, dann ist sie Clancys Thochter.“

„Welches Genie?“, murmelte der Cop grummelnd in seinen Whisky, wahrscheinlich mit der Annahme, dass die Autorin abgelenkt war und ihn nicht hörte. Da sich ihre Augen jedoch leicht verengten, war Layla sich dessen nicht so sicher.

„Ja, genau der. Wir müssen wissen, wer sein neuer Vertragspartner ist“, erwiderte Phobos. „Oder, auch wenn es unwahrscheinlich ist, ob es einen weiteren Dullahan gibt.“

„Das ist wirklich unwahrscheinlich, aber ich kann meine Quellen fragen“, entgegnete die Autorin. „Bekomm ich bitte mal dein Rosa?“, wandte sie sich an den Maler.

Der sah sie ein bisschen perplex an, doch grinste schließlich verschlagen und reichte ihr einen Buntstift.

„Sie kennen meinen Vater?“, wollte Layla nun doch verwundert wissen.

„Nope“, antwortete die Autorin und beugte sich wieder über ihre Dokumente.

„Was soll das denn werden?“, wollte der Cop brummelnd wissen.

„Ich setzte Highlights“, erwiderte die Autorin und begann auf einem Blatt mit dem Buntstift zu malen.

„Warte!“, warf der Cop ein und seine Stimme klang zum ersten Mal ein bisschen panisch.

„Warum denn? Findest du mein neues Meisterwerk nicht auch wunderbar?“, fragte sie mit hochgezogenen Augenbrauen und der Sarkasmus troff regelrecht an dem Blatt, auf dem sie gemalt hatte und das sie nun hochhielt, herunter. Es sah aus, als sei es eine Art von Bericht gewesen, bevor sie ein großes rosa Herz auf den Text gemalt hatte, das „J+M“ umschloss.

„Aber…“, begann der Cop, dessen Wangen sich sogar röteten, was er aber zu vertuschen versuchte. Leider erfolglos und der Klavierspieler spielte ein schnulziges Liebeslied, das Layla meinte schon einmal bei Sybille gehört zu haben. Wenn Groschenromane einen OST hatten, dann war dieses Lied sicher drauf.

„Kritisier nie wieder meine geniale Arbeit, oder deine Berichte müssen lernen sich von alleine zu schreiben“, erwiderte die Autorin mit zusammengekniffenen Augen und wedelndem rosa Buntstift.

Der Cop seufzte niedergeschlagen. „Ja. Natürlich. Entschuldige bitte.“

Sie sah ihn noch einmal streng an und nickte dann. Schließlich hielt sie ihr neues Meisterwerk vor sich und betrachtete es nachdenklich, ehe sie seufzte. „Sieht so aus, als müsste ich es neu schreiben…“ Aus dem Papierchaos vor sich holte sie ein neues, weißes Blatt und begann zu schreiben, bis sie sich wieder ruckartig aufsetzte. „Uhh!“, machte sie. „Ich könnte den Gärtner den Mörder sein lassen! Ich wollte schon immer, dass der Gärnter der Mörder ist!“

„Aber es war der Butler…“, warf der Cop minimalistisch protestierend ein. Augenblicklich warf die Autorin ihm wieder einen strengen Blick zu und er gab sich mit erhobenen Händen geschlagen.

„Keine Sorge“, beruhigte der Maler ihn mit ernster Miene. „Ich kann es auf den Bildern so aussehen lassen, als sei es der Butler gewesen, der sich als Gärtner verkleidet hat.“ Mit derselben ernsten Miene, gab er dem Cop ein Daumen hoch.

Der Cop seufzte noch einmal. „Thompson, mach einfach nochmal voll.“

Thompson sah in mitfühlend an und gab ihm einen Klaps auf die breiten Schultern, bevor er die vier Gläser vor dem Cop wieder füllte und noch zwei weitere dazu stellte.

„Ich unterbreche eure kreative Phase ja nur ungern – gut das ist gelogen“, schaltete sich Phobos wieder ein, der während des ganzen Gespräches eher gelangweilt zugesehen hatte. Scheinbar waren solche Diskussionen hier normal. „Aber jetzt wieder zum eigentlichen Thema.“

„Thema?“, fragte der Maler geistesabwesend, während er versuchte die Schnipsel von zerrissenen Fotos wieder zusammenzusetzen. „Oh, ja! Der Dullahan!“

„Ja, der Dullahan“, meinte Phobos geduldig.

„Wenn du mit dem alten Hund kommst, muss er aufgetaucht sein“, sinnierte die Autorin. Scheinbar hielt Phobos es nicht für nötig diese Aussage zu kommentieren, aber die Autorin schien auch keine Antwort haben zu wollen. Sie suchte in dem Papierchaos wieder nach etwas, zog ein blaues DinA5-Notizbuch hervor und schlug es auf.

„So ein einzigartiger Geist hinterlässt immer Spuren“, meinte der Cop, nachdem er zwei der Gläser geleert hatte. „Ein Fey, der zum Kontraktgeist geworden ist, ist genauso auffällig, wie der Formor von Bulvark, der Welthund. Ich kann in unseren Archiven danach suchen. Zumindest nach allem halbwegs Legalem.“ Auch er holte aus seiner Manteltasche einen schwarzen Notizblock.

„Layla, beschreib dem Maler bitte, wie der Dullahan ausgesehen hat. So genau du kannst“, wies Phobos sie an und ging auf dem Tresen ein Stück entlang, bevor er sich dort zwischen den Cop und die Autorin setzte.

Layla war einen Moment lang überrumpelt, doch zog ihre Milch leer und stand auf, um sich neben den Maler an der anderen Seite des Tresens zu setzen. Von Nahem konnte sie sehen, dass er grüne Augen hatte. Der Maler hatte mittlerweile einen Zeichenblock und einen Bleistift gezückt und sah sie erwartungsvoll an.

Layla rutschte einen Moment lang auf dem Hocker hin und her und fing schließlich an sich den Dullahan wieder genau ins Gedächtnis zu rufen. Keine sonderlich schwere Angelegenheit, denn er beherrschte ihre Alpträume mittlerweile. Sie beschrieb alles, von seinem kopflosen Körper, das unheilvolle Violett in den Augen seines Kopfes, seiner Rüstung bis hin zu seinem Schwert. Ja, sogar das Rot in den Augen seines Pferdes. Und der Maler zeichnete.

„Sein Pferd hatte Augen?“, unterbrach der Maler sie. „Wo?“

„Ähm, in seinem Kopf?“, schlug Layla vor.

Der Maler sah sie mit gerunzelter Stirn an. „Normalerweise hat das Pferd keinen Kopf“, meinte er nachdenklich.

„Dann war der Kerl kein Dullahan?“

„Da wäre ich mir nicht so sicher… Das Pferd kann sich mit einem neuen Beschwörer verändert haben. Kontraktgeister spiegeln auf einer gewissen Ebene immer etwas von der Persönlichkeit ihres Partners wieder“, erklärte er.

Nach dieser Unterbrechung beschrieb Layla weiter. Gelegentlich fragte der Maler nach Details, aber die meiste Zeit sprach Layla. In den Pausen, die sich machte, hörte sie, wie Phobos der Autorin und dem Cop ebenfalls alle Einzelheiten des Dullahans beschrieb und auch sie bei dem Kopf des Pferdes stutzten, während Thompson weiterhin Gläser putzte, die gelegentlich interessiert quietschten, sodass entweder Layla oder Phobos ihre Erzählung ausweiteten.

Als sie fertig waren, zeigte der Maler ihr sein Bild. „Er sah also so aus?“, fragte er.

Das Bild war wie ein Foto aus ihrer Erinnerung. Alle Schatten, das Licht, die Falten seines Umhangs. Alles war genauso, wie in Laylas Kopf.

„Das ist… wow!“, entgegnete sie und starrte das Bild an. „Ich meine, ja, er sah genauso aus. Aber… wow!“

Der Maler grinste. „Naja, ich bin der Maler.“

Wenige Augenblicke schienen auch Phobos, der Cop und die Autorin fertig zu sein.

„Wir fragen unsere Kontakte“, meinte der Cop und schlug seinen Block zu. Die Autorin tat es ihm gleich. Beide sahen ernst aus.

„Allerdings könnte es ein paar Tage dauern, bis wir was finden“, fügte sie hinzu.

Phobos nickte. „Danke. Ich schulde euch was.“

„Ach, Quatsch“, sagte der Maler abwinkend und sah sein Bild skeptisch an. „Außerdem sind wir cooler als die Bewahrer.“

Thompson brummelte zustimmend, während er Gläser wusch.

„Wesentlich“, setzte die Autorin nach und durchblätterte doch noch einmal ihr Notizbuch.

Der Cop nickte und leerte noch eins seiner Gläser. Layla war sich mittlerweile sicher, dass er schlichtweg nicht betrunken werden konnte. Es war sicher physisch unmöglich und gab wahrscheinlich Naturgesetze dagegen.

Der Klavierspieler ließ ein ‚Ta-da!‘ ertönen, setzte dann aber wieder zu einem gemütlichen Jazz-Stück an.

„Ich fürchte, wir müssen gehen“, wandte sich Phobos bedauernd an Thompson, der etwas niedergeschlagen seufzte. „Aber Clancy hat keine Ahnung, dass Layla hier ist und springt sicher schon im Dreieck“, setzte er nach.

Das Traurige war, dass Layla sich das noch nicht einmal bildlich vorstellen musste, weil ihr Vater tatsächlich schon mal im Dreieck gesprungen war, als sie das erste Mal bei Tim übernachten wollte. Sie war zehn gewesen. Also nichts mit Romantik und solchen Geschichten.

Thompson versuchte tapfer zu bleiben und nickte. Phobos warf ihm einen letzten bedauernden Blick zu, nickte Layla zu und sprang auf den Boden. Sie rutschte von ihrem Barhocker, schob ihn wieder an den Tresen und ging zu Phobos, welcher auf sie wartete.

„Vielen Dank für die Milch, sie war sehr lecker“, bedankte Layla sich noch höflich bei Thompson, weil sie nicht einfach so gehen wollte, ehe sie Phobos folgte. Thompsons Gläser klangen freudig, aber auch fragend, als sie wieder quietschten.

„Ja“, seufzte Phobos, „wir kommen wieder.“

Thompsons Gläser ließen ein glückliches Quietschen vernehmen.

„Katze“, ergriff die Autorin noch einmal das Wort.

Bereits an der Tür zum Vorraum angekommen, drehten Phobos und Layla sich noch einmal um. „Es heißt ‚Kater‘“, verbesserte sie Phobos.

Ehe die Autorin ihr Notizbuch wieder zuklappte, huschte ein Grinsen über ihre Züge. „Wenn du das sagst…“ Doch dann wurde sie wieder ernst und sah ihn direkt an. „Du hast eine ihrer Essenzen, denk jetzt an Hildisvíni“, sagte sie. Ohne diese für Layla kryptische Aussage weiter auszuführen, wandte sie sich wieder den Berichten des Cops zu und trank ihren Whisky.

Phobos schien die Stirn zu runzeln, nickte aber dann.

Als sie wieder draußen auf der mittlerweile dunklen Straße waren, saß der Hund noch immer dort, wo er war, als sie in die Bar gegangen waren. Die Leuchtreklame über der Tür war mittlerweile eingeschaltet, und las in einem geschwungenen, roten Schriftzug ‚Thompson’s Bar‘.

„Woher weiß sie von der Essenz?“, wollte Layla wissen. „Hast du es ihr gesagt?“

„Nein“, antwortete Phobos und ging in die Richtung, aus der sie gekommen waren. „Ich hab dir doch gesagt, dass sie eh schon viel zu viel wissen.“
 

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Für alle, die nicht wissen, was ein Dalek ist: So [ http://www.zachseinblog.de/wp-content/uploads/2008/09/daleks_appearence.jpg ] sehen die aus, und die sind die eigentlich eviligsten Gegner in Doctor Who. Putzig, aber Killerkriegsmaschienen sondergleichen :)
 

Auch wenn vielen das Kapitel sehr random erscheinen mag, ich hatte mal wieder unglaublichen Spaß beim Schreiben xD Zugegeben ist die Bar an sich ein Insider zwischen Ghaleon und mir, aber ich denke es wird trotzdem klar, was Layla und Phobos hier tun wollen :)

Der Charakter des Cops (sowie auch eigenlich der Maler) gehören Ghaleon, nicht mir. Allerdings hat der Cop, wie auch alle anderen, einen richtigen Namen.

Das ist jetzt insgesamt das zweite Kapitel, das ich für die Bar geschrieben habe, und vielleicht kommen dem ein oder anderen ja auch die Charaktere bekannt vor ;) Wenn nicht, ist es auch nicht schlimm xD

Der Fluch

Beim Schreiben habe ich eigentlich nur zwei Lieder gehört: "Engel aus Kristall" [Link: http://www.youtube.com/watch?v=7w59YWPr7Jk] und "Shadow of a Soul" von Godsmack, wozu es leider kein Video auf Youtube gibt, welches in meinem Land öffnebar wäre. Ich hab mit einem * die Stelle markiert, ab der Engel aus Kristall besonders gut passt :)

Viel Spaß beim Lesen :D
 

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Phobos führte Layla wieder durch dieselben Straßen dieser allein Phobos bekannten Stadt, die sie genommen hatten, um zur Bar zu gelangen. Mittlerweile war es so dunkel, dass Layla zusammenzuckte, als das Krähen eines Raben über ihren Köpfen ertönte.

„Sieh den Raben nicht an!“, wies Phobos sie rasch an, als sie genau das tun wollte. Fast hätte er zu spät reagiert, so sehr hing er seinen eigenen Gedanken nach.

Layla versteifte sich und zwang ihren Blick auf den Boden. „Wieso?“, fragte sie, stur auf ihre Füße schauend.

„Weil das kein Rabe ist“, war alles, was Phobos dazu sagte. Layla musste nicht wissen, welche Kreaturen diese Stadt heimsuchten. Außerdem kümmerte sich darum schon jemand anderes.

Aber Phobos konnte sehen, wie Layla realisierte, dass dies doch kleine so normale Stadt war, wie sie angenommen hatte, denn sie wurde ein bisschen blasser um die Nase.

„Komm“, forderte Phobos sie auf, als er die Tür zu dem üblichen, leer stehenden Laden per Telekinese aufstieß. Gleichzeitig rief er die Schatten zu sich, um das Portal wieder zu öffnen. Er wusste, dass Layla nur tiefste Schwärze sah, auch wenn er schon Moranas und Lochans Garten sehen konnte. Demonstrativ machte er den ersten Schritt durch die für ihn nicht existente Dunkelheit und fand sich keine drei Sekunden später auf der anderen Seite wieder.

Er konnte sehen, dass Layla auf der anderen Seite einen Moment lang mit sich haderte. Auch wenn er sich nicht sicher war, ob es wegen des Raben oder des Schwarzen Loches vor ihr war. Doch der Moment verflog und sie überquerte die Schwelle. Als sie sich wieder im dunklen Garten ihrer Großeltern wiederfand, blinzelte sie einen Augenblick und schaute gen Himmel.

Phobos schloss rasch das Portal und Moranas Gartenschuppen war wieder nur ein Ort, in dem Gartenutensilien aufbewahrt wurden.

„Phobos?“, ertönte Laylas Stimme hinter ihm, als er sich auf dem Weg zurück ins Haus machen wollte.

„Ja?“

„Hast du noch einen Moment bevor wir wieder reingehen?“, fragte sie. Als sie von einem Fuß auf den anderen trat, wusste Phobos, dass das, was sie ihn fragen wollte, ihr wohl schon eine Weile auf dem Herzen lag.

„Natürlich“, erwiderte er und versuchte ernst auszusehen. „Was ist?“

Sie holte tief Luft, ehe sie antwortete. Doch es kam nichts und sie holte wieder Luft. „Weiß mein Vater das mit meiner Mutter? Ich meine, dass sie…“ Sie ließ den Satz unsicher auslaufen.

Nun musste Phobos nicht mehr versuchen ernst auszusehen. „Ja, er weiß es“, antwortete Phobos schwer und versuchte einen Punkt in der Umgebung zu finden, den es eigentlich nicht gab, um seinen Blick darauf zu richten. „Er hat es während der Obduktion erfahren und war gleich doppelt am Boden zerstört. Er hatte seine Frau und sein ungeborenes Kind verloren. Ich bin mir nicht wirklich sicher, warum er es dir nie gesagt hat. Aber ich vermute, dass du anfangs einfach viel zu jung warst und auch grade deine Mutter verloren hattest, und er später einfach keine alten Wunden aufreißen wollte, wenn du ohnehin nicht wusstest, was du verloren hattest. Du musst auch seinen Standpunkt dabei sehen…“

Mitten im Satz unterbrach sie ihn. „Das ist es nicht.“ Sie sah einen Augenblich lang ärgerlich aus, fing sich aber schnell wieder. „Mir ist schon klar, warum er nichts gesagt hat. Ich hab nur keine Ahnung, wie ich das…“ sie gestikulierte mit den Armen „handhaben soll.“

Einen Moment lang fühlte Phobos sich sehr an die junge Angelika erinnert und ein Lächeln umspielte tatsächlich seine Züge, bevor er sich wieder zusammenreißen konnte.

„Ich denke“, begann Phobos, „dass mittlerweile genug Zeit vergangen ist, um gesittet darüber reden zu können. Natürlich vermisst er deine Mutter immer noch irgendwie, aber sie ist schon seit mehr als einem Jahrzehnt tot und er ist ein erwachsener Mann. Und…“, sagte er, bevor er sich bremsen konnte. Jetzt musste er die Situation irgendwie retten; das hatte schließlich nichts damit zu tun. Nicht viel zumindest. „Und… das war’s.“ Phobos verfluchte sich innerlich; Halbfey und konnte immer noch nicht vernünftig lügen.

Layla zog eine Braue hoch und begann zu schließlich breit zu grinsen. Phobos war regelrecht stolz auf sie.

„Und ‚er steht so ein bisschen auf Sybille‘, wolltest du sagen. Komm schon, du musst mich nicht in Watte packen. Ich hab mich eigentlich schon gefragt, wann er endlich wieder in den Teich springt. Er ist ja auch nicht ganz hässlich.“

Phobos seufzte geschlagen. „Sag ihm niemals, dass ich dir das bestätig habe, sonst macht er eine Fellmütze oder sonst was aus mir…“

Layla schnaubte. „Phobos, ich bin nicht vollkommen blind, weißt du?!“

„Oh, ich war fast davon überzeugt…“, rutschte es ihm heraus und Layla wirbelte herum.

Sie warfen sich trockene, aber gleichzeitig sehr vernichtende Blicke zu, ehe sie beide nicht mehr konnten und anfingen zu lachen.

„Okaaaaay“, meinte Layla gedehnt, „Wir sollten gehen, es wird schon peinlich.“

Noch bevor sie die Haustür erreicht hatten, wurde diese auch schon aufgestoßen und Clancy kam herausgestürmt. In einer fließenden Bewegung hatte er Layla in eine Umarmung gezogen, die wahrscheinlich ihre Rippen brechen würde, wenn sie noch länger anhielt. „Oh, Gott sei Dank.“

„Clancy, sie war bei mir“, wendete Phobos ein, als Layla begann um Luft zu ringen.

„Was? Oh, gut“, sagte Clancy und ließ sofort von seiner Tochter ab, doch er wirbelte augenblicklich herum. „Moment… WAS?! Sie war… dort?!“

„Primär war sie mit mir in der Bar und der Einzige, mit dem sie dort sicherer gewesen wäre, ist Thompson, weil ihm die Bar gehört“, begann Phobos jeden Protest herunter zu argumentieren. „Sie ist durch das Portal gekommen, bevor ich es schließen konnte und dazu noch unabsichtlich. Ich habe sie mitgenommen, weil es - wenn wir mal ehrlich sind - dort nicht unbedingt gefährlicher ist als hier, wenn wir nur allein die letzten Tage betrachten. Außerdem war nicht beabsichtigt, dass wir so lange dort bleiben, aber einige Diskussionen sind… ausgeartet.“ Vielleicht hätte Phobos es vorhin einwerfen sollen, aber auch er war pro-Dalek gewesen. Beim nächsten Mal…

Clancy sah ihn einen Moment lang perplex an. „Verdammt“, sagte er schließlich, „ich wurde in Grund und Boden argumentiert, du Feind aller väterlichen Fürsorge.“

Phobos grinste; zu seiner Verteidigung lässt sich aber sagen, dass er zumindest versucht hat, es verhalten aussehen zu lassen.

„Und jetzt bin ich mir nicht sicher, ob ich eifersüchtig auf eine eigene Tochter sein soll, oder nicht“, ergänzte Clancy und warf Layla einen kalkulierenden Blick zu. „Ich wollte schon immer in diese Bar, aber mich hast du nie mitgenommen.“ Er setzte einen (gespielt?) verletzten Gesichtsausdruck auf.

„Naja“, begann Layla die ganze Sache herunterzuspielen, „es war schon ein bisschen… seltsam.“ Sie zuckte hilflos mit den Schultern und Phobos lachte.

„Wenn du unbedingt mit willst, nehme ich dich mit, wenn ich in ein paar Tagen wieder hingehe“, entgegnete Phobos schmunzelnd.

„Das freut sicher den Barkeeper“, fügte Layla hinzu.

Ehrlich frage ich mich manchmal wirklich, wie Thompson sein Geld verdient; es bezahlt ja nie jemand etwas! Wahrscheinlich ist er bei der CIA oder sowas…

„Wieder?!“, Clancy klang schon fast hoffnungsvoll.

Phobos nickte und erklärte seinem Freund die Lage, als sie ins Haus zurückgingen. Währenddessen entfleuchte Layla ein Gähnen, das ihrem Vater nicht entging. Mit rollenden Augen und einem unterdrückten Grinsen ließ sie sich aber von ihm ins Bett schicken. Wahrscheinlich zeigte sich langsam der Schlafmangel der letzten Tage.

Als Clancy sich schließlich seufzend im Wohnzimmer auf einem der Sessel niederließ, sah er auch nicht unbedingt besser als seine Tochter aus.

„Phobos, was machen wir nicht herausfinden, wer den Dullahan geschickt hat?“

Phobos war mittlerweile fast dreihundert Jahre alt und wusste dennoch keine Antwort. Wer auch immer gesagt hatte, dass man im Alter weiser werden würde, hatte aber gewaltig gelogen. Oder war einfach noch nicht alt.

„Ich weiß es nicht, aber ich habe das dunkle Gefühl, dass alles irgendwie zusammenhängt. Die Bewahrer, die anfangen wollen ihren Nachwuchs noch mehr zu militarisieren; die Söldner und die Seher, die beide beginnen sich neu zu formieren und zu strukturieren; wir werden gleich zweimal in kürzester Zeit von Formori angegriffen, die sich eigentlich gar nicht an den entsprechenden Orten aufhalten sollten; und vor allem Kontraktgeister, die seit dem Fall von Pandora’s Box nicht mehr beschwörbar sein sollten!“ Gegen Ende seiner Aufzählung hatte er nicht mehr still sitzen können und begonnen auf Bláthíns altem Klavier auf und ab zu schreiten.

„Nicht zu vergessen: Gwen Lonescryer, die erstaunlich selbstlos und hilfsbereit ist, indem sie uns sagt, an welchen Orten wir nach der Essenz suchen sollen, und Aygül, die zu uns kommt, weil sie glaubt, dass bei den Bewahrern was faul ist“, fügte Clancy sich die Augen reibend hinzu.

Phobos nickte; nicht zuletzt, weil Aygül es nicht sonderlich gut weggesteckt hatte, dass Clancy die Wächter verlassen hatte.

„Ich fürchte, uns bleiben nur zwei Optionen, um diese Situation handzuhaben“, sagte er, als er sich wieder dazu zwingen konnte seinen aggressiven Spaziergang auf dem Klavier zu unterbrechen. „Passiv und Ultra-Passiv.“

„Wir können wie tote Fische mit dem Strom schwimmen und einfach abwarten, was passiert, oder wir ergreifen die kleine Chance, die uns bleibt, um uns wieder in das Geschehen - und die diese mit sich bringende Gefahr, möchte ich hinzufügen - zu katapultieren, ohne bei irgendwelchen Gruppierungen mitzumischen, indem wir zumindest alles untersuchen, was uns diese Essenz zu bieten hat. Aber ein netter Nebeneffekt könnte zumindest sein, dass ich dir endlich mal in die Augen sehen kann, ohne dass du auf einem Möbelstück hockst“, schätzte Clancy nonchalant ab und Phobos musste bei dieser Beiläufigkeit lachen.

„Glaub mir, mir wäre nichts lieber, als endlich wieder auf zwei Beinen laufen zu können, aber das wird nicht funktionieren, solange wir nicht den genauen Fluch kennen, den die Nebelhexe verwendet hat.“ Er benutzte ihren richtigen Namen bewusst so selten wie möglich, um sich gleichsam nicht an ihren Verrat erinnern zu müssen. Die Worte ‚denk jetzt an Hildisvíni‘schossen ihm gleichzeitig durch den Kopf. „Oder ob nur eine Essenz genügt oder ob wir beide doch benötigen. Alles, was bisher klar ist, dass die Essenz reagiert, was alles und nichts heißen kann.“

„Mein Vater kann sie nicht effizient nutzen; wir haben es eben versucht, bis wir gemerkt haben, dass Layla nicht hier war.“ Die Pause, die er machte, hatte alles, um Phobos zu sagen, dass Clancy auf der Suche nach seiner Tochter wie vom wilden Affen durch das Haus gerannt sein musste. Unnötig zu erwähnen, dass er grinste. „Es scheint als hätte die Essenz schon jetzt auf Layla als einzigen Verwender für Lebenszeit eingeprägt. Constantin und Layla sind schon weit gekommen in den letzten Wochen, aber sie haben beide noch zu wenig Kontrolle, um sie an einem Gegenfluch – noch dazu einem mächtigen, wie diesem – arbeiten zu lassen. Aber selbst, wenn Layla ihre Essenz als Katalysator für uns benutzt, dann fehlt uns immer noch der eigentliche Fluch…“ Clancy rieb sich mürrisch die Augen und Phobos konnte ihn leise Flüche murmeln hören; wirkliche und Schimpfwörter.

Aber Phobos wusste, dass der Fluch, der ihn an diese Gestalt band, nicht dabei sein würde. Als er selbst das erste Mal versucht hatte, sich zu befreien, war er jeden Fluch durchgegangen, der ihm einfiel und den die Nebelhexe seines Erachtens nach in Betracht gezogen haben könnte. Selbst als er sich mit Clancy zusammengetan hatte, waren sie noch etliche unwahrscheinlichere durchgegangen, doch mussten zu dem Schluss kommen, dass die Nebelhexe wahrscheinlich ihren eigenen Fluch mit ihren eigenen Kriterien erschaffen hatte, was es praktisch unmöglich machte, den Fluch zu lösen, wenn man nicht die Zusammensetzung der Komponenten kannte und nicht alle Elemente zur Verfügung hatte, die sie benutzt hatte.

Sie drehten sich noch eine Weile mit ihren Argumentationen weiter im Kreis, denn nichts, was sie jetzt noch sagten, wäre etwas Neues, das sie nicht schon mehrfach erwähnt hätten. Phobos und Clancy hatten sich ihr Wissen schon viel zu oft gegenseitig ausgebreitet, als dass es neue Punkte oder Ansichten seit der letzten Diskussion geben könnte. Die Autorin hatte Phobos zwar auf Hildisvíni hingewiesen, aber er hatte keine Ahnung, was sie ihm damit hatte sagen wollen, schließlich war er ein Kater und kein Keiler.

Als der Zeiger der Standuhr schließlich auf die Drei kroch, schälte sich Clancy aus dem Sessel um noch etwas Schlaf zu bekommen. Phobos folgte ihm jedoch nicht aus dem Zimmer nach, denn wer war immer noch hellwach. Er schritt durch den Raum und grübelte vor sich hin. Irgendwann war ihm der Raum nicht mehr groß genug und er schaffte Portale zu anderen Fixpunkten seines Lebens: Richmond in London, Clancys und Angelikas altes Haus, Venedig, Thompson’s Bar und schließlich Stonehenge. [*]

Als er sich vor den Steinkreis setzte und auf die freien, hügeligen Felder blickte, hatte es bereits zu dämmern begonnen. Seine Gedanken kreisten immer noch um dieselben Probleme: die gesamte Situation, der Fluch und die Nebelhexe.

Noch bevor Layla und Constantin die Runen gefunden hatten, hatte sich etwas in Bewegung gesetzt. Irgendetwas lief hier, das schon vor Jahren begonnen hatte, als Angelika noch gelebt und die Wasseressenz zuerst gefunden hatte, aber Phobos wusste nicht was. Zuerst hatte Phobos es nur für eine – wenn auch ironisch-makabre – Laune des Schicksals gehalten, dass gerade dieser eine bestimmte Runenknochen wieder in sein Leben getreten war, aber als der Dullahan, ihr Kontraktgeist, aufgetaucht war, nachdem Layla auch noch ihre Essenz gefunden hatte, war sich Phobos nicht mehr so sicher, ob es sich hier wirklich noch um Zufälle handeln konnte. Es war schon fast so, als wollte sie sich durch Layla und Angelika wieder in dieser Welt manifestieren.

Was unmöglich war, denn die Nebelhexe war tot. Neith Ravensworth war tot.

Und was hat sie mit Hildisvíni zu tun?

Phobos wusste, dass die Autorin auf den Fluch angespielt und ihm einen Tipp hatte geben wollen, aber er wusste partout nicht welchen. Konnte die Autorin falsch gelegen oder etwas verwechselt haben? Nein, das wäre mehr als nur unlogisch. Sie wusste immer alles über das Geschehen, wenn sie einmal einen passenden Einstieg hatte.

Vielleicht sollte er ganz am Anfang beginnen. Also was wusste Phobos über Hildisvíni?

In der nordischen Mythologie galt er als der wilde Kampfkeiler der Göttin Freyja, die ihn auch als Reittier verwendete, wenn sie nicht ihren von zwei Wildkatzen gezogenen Wagen benutzte.

Zumindest sehe ich jetzt eine entfernte Verbindung zu Katzen…

Abgesehen von seinen mythologischen Qualitäten war Hildisvíni ein einzigartiger Kontraktgeist, wie der Dullahan. Soweit Phobos wusste, stand er derzeit im Dienst eines Söldnerkommandanten.

Soll ich jetzt zu den Söldnern gehen? Bevor ich Hals über Kopf losrenne, kann ich immer noch weiterüberlegen. Hinterher war ‚Hildisvíni‘ nur als Denkanstoß gedacht und hatte überhaupt nichts mit der eigentlichen Kreatur zu tun…

Zumindest hätte es zu den verworrenen Gedankengängen der Autorin gepasst. Manchmal wünschte Phobos wirklich, dass sie und der Maler eindeutiger wären; wenigstens, wenn sie unter sich waren.

In den Legenden gehörte Hildisvíni zu Freyja; war also Freyja der eigentliche Ansatz? In Gedanken checkte Phobos alle Assoziationsrichtungen ab, die ihm zu Freyja kamen.

Fruchtbarkeitsgöttin.

Nein.

Gatte: Óðr.

Nein.

Kinder: Hnoss und Gersimi.

Nein.

Liebhaber: zu viele.

Außer Loki, den wollte sie nicht. Der wirft ihr dann vor, etwas mit allem und jedem gehabt zu haben, sogar mit… Oh, verdammt! Óttar!

Phobos erinnerte sich noch daran, dass sie Óttar, einem ihrer Schützlinge, in einem der vielen nordischen Gedichte half seine Ahnentafel zu rekonstruieren. Dazu verwandelte sie ihn in ihren Keiler Hildisvíni und ritt mit ihm zu der Seherin Hyndla, die ihnen dabei helfen sollte. Nach dieser Episode warf Loki Freyja gelinde gesagt vor, einen weiteren Liebhaber zu haben und diese Tatsache auch noch öffentlich zu Schau zu stellen, nämlich Óttar.

In der Subkultur der Hexen hatten Flüche sehr oft die Motive aus Legenden und Sagen, die dann vollkommen verdreht wurden. So auch beim Óttar- oder Celatum Obscura-Fluch. Bei diesem Fluch wurde ein Geheimnis aus der Vergangenheit des zu Verfluchenden genutzt, das selbst diesem nicht bekannt ist und welches dann gegen das Opfer verwendet wurde. Phobos hatte diesen Fluch nur schon gleich zu Beginn seiner Suche ausgeschlossen, da Fluch nur Verliebten angehängt werden konnte, als verdrehte Anspielung auf Lokis Gefühle für Freyja.

Die letzte Erinnerung, die Phobos als aufrecht stehender Mann hatte, war die Nebelhexe gewesen. Und auch nach alle den Jahren musste er zugeben, dass er nie eine schönere Frau gesehen hatte, als Neith, wenn sie wütend gewesen war; wenn ihr rabenschwarzes Haar im Wind geweht und ihre violetten Augen regelrecht geleuchtet hatten. Auch wenn dieser Letzte Blick nur noch voller Hass und Verrat übergequollen war. Aber es war genau dieser Anblick, der sich in Phobos Gedächtnis eingebrannt hatte.

Aber so schön sie auch gewesen sein mochte, wenn der Óttar-Fluch der richtige gewesen sein sollte, dann hatte sie nicht nur etwas über ihn gewusst, das er selbst nicht wusste und das eigentlich nur seine Herkunft beinhalten konnte, sondern auch noch von seinen Gefühlen für sie, die er versucht hatte sich niemals anmerken zu lassen. Irgendwie gab das ihrem triumphalen Blick nach dem gelungenen Fluch eine noch perfidere Note.

Als die Sonnenstrahlen über die Hügel krochen, hätte es der schönste Anblick der Welt sein können und Phobos hätte trotzdem noch den bittersten aller Geschmäcker im Mund gehabt; den des Verrats.

Kohlrabenschwarz

Nachdem Phobos erkennbar widerstrebend eingeräumt hatte, dass der Óttar-Fluch eine potentielle Option darstellte, hatten er und Clancy sich an die Arbeit gemacht und versuchten nun seit ein paar Tagen einen Gegenfluch zu konstruieren. Ehrlich gesagt, war es Clancy immer noch schleierhaft, wie die Nebelhexe es geschafft hatte, den Fluch innerhalb weniger Sekunden zu weben, wenn sie jetzt schon mehrere Tage daran saßen. Er hoffte mittlerweile einfach nur, dass sie den Fluch bereits vorbereitet bei sich getragen und nur noch aktiviert hatte. Wenn nicht, dann jagte ihm allein die Vorstellung der Alternative, nämlich ihrer damaligen Macht und vor allem ihrer unglaublichen Intelligenz, kalte Schauer über den Rücken.

Als Phobos das Thema ihm gegenüber angesprochen hatte, war Clancy nicht genauer darauf eingegangen, da er wusste, was dem Fluch zugrunde lag. Es war ihm falsch erschienen, zu tief in Phobos‘ Gefühlswelt zu wandern, wenn dieser offenkundig nicht darauf angesprochen werden wollte. Als Phobos in seiner Geschichte von der Nebelhexe und ihrem gemeinsamen Hintergrund gesprochen hatte, hatte Clancy zwar den Verdacht gehabt, dass dort mehr auf der einen oder anderen Seite gewesen sein könnte, aber es ist immer etwas anderes, es quasi schwarz auf weiß und dann noch durch so einen Hinweis zu wissen. Aus diesem Grund blieb er auch so vage wie möglich, als seine Eltern und auch seine Tochter nachfragten, an was er und Phobos arbeiteten.

„An einer eventuell sehr weit hergeholten Idee, die wahrscheinlich gar nicht funktioniert“, hatte er nur immer wieder geantwortet und auch Phobos hatte das Thema nicht weiter ausgeführt.

Clancy hatte zwar Phobos‘ Gegenfluch den Vorrang gegeben, doch Constantin hätte ohnehin an keiner körperlichen Lektion teilnehmen können, auch wenn er versuchte auf Krücken durch das Haus zu humpeln, um den äußerst wachsamen Augen Sybilles und Bláthíns zu entkommen. Seine Selbstheilung schritt zwar ungewöhnlich rasch voran, doch waren die beiden Frauen – die sich überraschend gut verstanden – der Meinung er solle sich schonen und in Ruhe erholen. Clancy stimmte ihnen natürlich zu, doch er konnte es dem Jungen nicht verübeln, sich die Zeit vertreiben zu wollen, während Layla anderweitig beschäftigt war. Also war es zu einem Kompromiss gekommen, der Constantin erlaubt hatte, zumindest theoretische Heilertexte zu behandeln, die Bláthín aus ihrer mysteriösen Privatbibliothek herbeigezaubert hatte.

Laylas Umgang mit ihrer neuen Essenz hatte Clancy auf einer objektiven, nicht durch die Vaterbrille vernebelten Ebene ehrlich positiv überrascht. Lochan hatte ihr anfangs sehr einfache Aufgaben erteilt, um sie und die Essenz besser zu synchronisieren, ohne sie jedoch vollkommen an ihren Körper zu binden, und Layla machte beflügelt von neuem Tatendrang rasch Fortschritte, sodass Lochan ihr schon sehr schnell komplexere Aufgaben gegeben hatte und Clancy sich sicher war, dass sie in der Lage war, den richtigen Anstoß für den Gegenfluch zu liefern, wenn sie ihn benötigten. Während er selber mit seiner Tochter und seinem Vater verschiedene Impulse erprobt hatte, hatten sie Layla darauf getrimmt, ihre Essenz zu benutzen, ohne mit ihr im direkten Kontakt zu stehen. Zum einen, weil sie dieses Talent für den Gegenfluch benötigten, und zum anderen, weil sich diese Fähigkeit auch für Clancy selbst immer einmal wieder bewährt hatte. Die ganze Angelegenheit wurde natürlich auch dadurch wesentlich vereinfacht, dass die Essenz noch nicht an Laylas Körper gebunden war.

Da Clancy und Phobos nicht sicher waren, inwiefern die Luftessenz der Nebelhexe in ihrer Rechnung eine Rolle spielte, hatten sie Liam gebeten ihnen zu helfen, wenn er ohnehin immer hier herumlungerte. Seine Luftessenz zeigte Reaktionen auf die bisher erprobten Impulse von Laylas Wasseressenz, sodass er schließlich versucht hatte, sich ihr anzupassen.

Clancy mochte seine Familie, doch er war insgeheim froh, dass sie die Berechnungen bereits in der vorangegangenen Nacht abgeschlossen hatten, da es sich doch recht viele Menschen im geräumigen Wohnzimmer seiner Eltern aufhielten. Unter Lochans gegrummelten Anweisungen versuchten Liam und Layla gerade sich zu synchronisieren, während Morana, Bláthín und Sybille sich leise über das Seherkonzil unterhielten. Constantin bemühte sich unterdessen angestrengt, sich auf seinen Text zu konzentrieren und Liam keine bitterbösen Blicke zuzuwerfen. Dummerweise versuchte zur selben Zeit Heptzibah seine Aufmerksamkeit zu erlangen und da der arme Kerl nicht unhöflich sein wollte – schon gar nicht vor seiner Tante – erntete er dennoch dann und wann einen frostigen Blick von Layla. Clancy musste zugegebener Maßen ein Schmunzeln unterdrücken, auch wenn er immer noch der Meinung war, dass seine Tochter frühestens mit 30 einen Freund haben sollte. Momentan würde er ihr sogar schon mit 35 erlauben, Händchen zu halten. Wenn das nicht zeigte, wie sehr er Constantin mochte, dann wusste er aber auch nicht weiter.

Wenn es nicht geregnet hätte, hätten sie versucht denen Gegenfluch draußen zu wirken, aber so fand sich Clancy dabei wieder, die Möbel seiner Eltern an den Rand des Zimmers zu schrieben, um auf die polierten Holzbohlen mit Kohle den äußerst komplexen Bannkreis mit seinen zig Einzelteilen zu zeichnen, der ihres Erachtens nach nun endlich die richtigen Komponenten beinhaltete. Aber das Gewitter hatte auch etwas Gutes an sich: Nichts war besser, um einen Fluch in Gange zu bringen, als ein klassischer Blitz.

Gerade zeichnete er die geschwungenen Linien der Rune für „Körper“ als Constantin langsam zu ihm herüberkam. Er blickte auf den fast fertigen Bannkreis und runzelte die Stirn als er zum Vergleich auf den Ring an seiner Hand sah.

„Gibt es mehrere Sorten von Runen?“, fragte er schließlich, als auch Layla neben ihn trat.

Clancy lächelte. „Ja und Nein. Die Runen, die zum Beispiel für deinen Ring verwendet wurden, sind Buchstaben oder Silben, die für sich alleine stehend keine wirkliche Bedeutung haben. Die Runen in dem Bannkreis hier haben aber alle eine oder auch mehrere Bedeutungen, wie zum Beispiel ‚Körper‘, ‚Verbinden‘ oder ‚Leben‘“, erklärte er und deutete auf die einzelnen Zeichen.

„Also vom Prinzip her, wie…“ Constantin sah skeptisch aus. „…wie Chinesisch?“

Clancy konnte seine Verwirrung verstehen - die Runen, die er in den Bannkreis gezeichnet hatte, hatten rein äußerlich nichts mit den chinesischen Hanzi gemein, dafür besaßen sie viel zu viele Schwünge, Bögen, Punkte und auch teilweise geometrische Formen.

„So in etwa, ja“, bestätigte Clancy nickend.

„Warum nimmt man denn nicht für alles die Wort-Runen-Teile?“, fragte Layla und betrachte auf dem Boden kniend eins der geschwungenen Symbole genauer.

„‘Wort-Runen-Teile‘, pff“, kam es von Liam, der nun neben Constantin stand. „Ausdruck: sieben, Miss McCambridge.“

„Mein Ausdruck kann dir egal sein, du bist nicht mein Lehrer. Zum Glück“, sagte Layla unbeeindruckt, doch Liam grinste trotzdem , während seine Schwester schon von weitem die Augen verdrehte.

„Aber gute Frage, Onkel Clancy“, fügte Hepzibah hinzu. „Mama benutzt kaum Runen, aber wenn, dann diese hier“ Sie deutete auf die Körper-Rune, die Clancys Schwester als Heilerin logischer Weise beherrschte. „Warum benutzt man dann überhaupt die anderen?“

Clancy räusperte sich, doch bevor er etwas sagen konnte, ertönte die Stimme seiner jüngeren Schwester aus dem hinteren Teil des Zimmers. „Passt auf, jetzt verfällt er gleich in seinen Lehrer-schwall-Modus!“

„Nur weil Geschichte dich nicht interessiert!“, konterte er, bevor er sich leiser wieder an seine vier beziehungsweise drei Zuhörer wandte. „Diese Runen hier“ – er deutete auf die im Bannkreis – „sind schon sehr alt; so alt, dass sie noch aus der Zeit stammen sollen, in der die Göttin der Dunkelheit noch auf dieser Welt wandelte. Zumindest laut Legende. Da sie ganze Wörter darstellen – sowie durch ihr enormes Alter – sind diese alten Runen sehr mächtig. Die neuen Runen, die ihr zum Beispiel in euren Ringen habt, oder auch die Futhark-Runen sind unter anderem aus den alten Runen hervorgegangen.“

„Wenn die alten Runen mächtiger sind“, wollte Constantin wissen, „warum hat man dann überhaupt die neuen erschaffen?“

„Die alten Runen sind leider nur noch in Fragmenten überliefert, sodass uns heute ein Großteil von ihnen verlorengegangen ist. Die wenigen, die wir noch haben, verwenden wir in Bannkreisen, komplexen Zaubern und dergleichen, obwohl auch hier wieder von den wenigsten der wahrer Name noch bekannt ist, sondern eigentlich nur noch ihre grobe Bedeutung.“

Während Clancy sprach, hatte Layla die Kette um ihren Hals gelöst und verglich gerade die Rune in ihrer Hand mit denen, die ihr Vater auf den Boden gezeichnet hatte.

„Die Runen hierdrauf sind auch alte Runen, oder?“, fragte sie und blickte den Knochenanhänger skeptisch an. Auch Constantins Hand war mittlerweile an seinen Hals gekrochen und er hielt höchst spekulativ seinen Runenstein in Händen.

„Ja“, nickte Clancy, sehr zufrieden mit den beiden.

„Also stehen diese höchst ästhetischen Schlängel für das Element ‚Wasser‘ beziehungsweise ‚Erde‘?“, hakte Constantin nach.

Aufgrund der Formulierung zog Clancy eine amüsierte Augenbraue hoch, aber sagte dennoch: „Genau.“

„Und für was steht dann meine? Wasser oder Luft? Schließlich steht hier nur ein Zeichen und keine zwei“, setzte Layla stirnrunzelnd nach, während Liam sich über ihre Schulter beugte und ebenfalls die Rune begutachtete.

„Beides. Diese Rune besteht quasi aus zwei einzelnen, die übereinander liegen“, entgegnete ihr Vater und nahm behelfsmäßig seinen Kohlestift zu Hand, um ihnen zu zeigen, was er meinte.

„Jetzt, wo du’s sagst…“, meinte Liam mit zusammengekniffenen Augen und betrachtete seinen blassblauen Runenstein, den er an einem Lederarmband trug.

„Ich dachte, du wärst Lehrer?“, meinte Constantin zu ihm.

„Ja, aber für Englisch und für Sport“, lachte Liam, „nicht für Runen! Das Meiste, was ich über Runen weiß und was immer noch wenig ist, haben mir Onkel Clancy und meine Eltern beigebracht.“

„Lernen wir die Runen auch noch?“, wandte sich seine Tochter wieder an Clancy. Der interessierte Ausdruck in ihren Augen amüsierte, aber freute ihn auch sehr.

„Wenn ihr das wollt, dann natürlich, aber alles zu seiner Zeit“, antwortete er.

Phobos tapste hinter einem Sessel hervor, betrachtete den Bannkreis und richtete schließlich seinen ernsten Blick auf Clancy. Er hatte seinen alten Freund in den letzten Tagen kaum wiedererkannt, so selten hatte er gegrinst oder irgendwelche Sprüche gerissen. Ein ernster Phobos war ein ganz anderer Mensch. Kater. Whatever.

„Sieht so aus, als wäre alles soweit vorbereitet“, sagte Phobos.

„Ist der Gegenfluch auch wieder in drei Komponenten eingeteilt, wie das Portal?“, wollte Layla wissen. „Also Medium, Tribut und Fokus?“

„Ja“, antwortete Phobos abwesend; wahrscheinlich ging er in Gedanken noch einmal die Berechnungen durch.

Layla zögerte. Es sah so aus, als würde sie gerne mehr Fragen stellen wollen, aber sich nicht sicher sein, ob sie Phobos und ihren Vater stören sollte. Zugegebenermaßen war Clancy auch nervöser als bei anderen Zaubern, Flüchen oder sonstigen magischen Aktivitäten. Sie hatten mehrere Tage an ihren Berechnungen gesessen und es bestand noch immer nur eine fünfzig-fünfzig-Chance, dass sie überhaupt den richtigen Weg eingeschlagen hatten, selbst wenn es sich um den Óttar-Fluch handelte. Alles war wesentlich ungewisser, als Clancy eigentlich lieb war.

Die größte Frage bei ihren Ausführungen war immer gewesen, welchen Ansatz die Nebelhexe wohl gewählt hatte: Ob sie die Basis zugunsten ihrer eigenen Affinitäten oder zugunsten Phobos‘ ausgelegt hatte. Sie hatten sich jetzt für Phobos entschieden und alles aufgrund eines Kohlebannkreises aufgebaut, aber wenn sie falsch lagen und die Nebelhexe es zugunsten ihrer eigenen Kräfte, Wasser und Luft, konstruiert hatte, hätten sie einen Salzbannkreis wählen müssen. Der Großteil ihres Erfolges hing schon an diesem Detail, aber sie hatten sich letztendlich doch für eine der beiden Varianten entscheiden müssen. Selbst wenn sie noch zehn Jahre gewartet hätten, wäre eine Rekonstruktion nicht einfacher gewesen. Bei Bannkreiszaubern konnte man den Aufbau mehrheitlich auf den Charakter des Druiden oder der Hexe zurückführen, aber Phobos hatte bereits früher bei der Nebelhexe falsch gelegen, sonst wäre er heute schließlich nicht in einem pelzigen, vierbeinigen Körper.

Clancy hoffte so sehr, dass sie sich für die richtige Basis entschieden hatten.

Er schenkte seiner Tochter ein schwaches Lächeln. Es würde ihren Vorhaben nicht im geringsten helfen, wenn er Layla jetzt auch noch mit der Aussage nervös machte, dass sie so gut wie keine Ahnung hatten, ob der Gegenfluch wirklich funktionierte, oder dass wenn sie einen Fehler gemacht hatten, mehr auf dem Spiel stand als verkohlter Pelz. Dennoch konnte er seine Tochter und auch Liam nicht vollkommen im Dunkeln lassen, wenn sie ihnen bei dem Gegenfluch helfen sollten.

„Wir haben alles so aufgebaut, dass es genau auf den Primären Fokus, Phobos selbst, passt“, begann Clancy grob zu erklären, „aber immer noch durch die Kräfte der Nebelhexe angetrieben wird.“

„Deswegen das kochende Wasser und die schwarzen Federn als Tribute für die Nebelhexe, die dann aber immer noch an Phobos durch Hitze und Dunkelheit angepasst sind?“, fragte Liam.

„Genau“, nickte Clancy.

„Und deswegen auch Kohle anstatt Salz als Medium?“, hakte Layla nach.

„Richtig. Für mich ist es nicht so wichtig, ob wir das Ganze jetzt auf einer Meerbasis, also mit Salz, oder auf einer Schatten- oder Feuerbasis, also mit Kohle, aufbauen; beides sind Produkte der Erde, sodass ich einen schnellen Zugang finde. Aber Phobos arbeitet mit Feuer- und Schattenmagien, sodass wir uns für dieses Medium entschieden haben.“

„Und meine Essenz?“, wollte sie wissen, als sie den kleinen Kristall in ihrer Hand begutachtete.

„Die Essenz bildet den Sekundären Fokus“, schaltete sich nun doch Phobos ein. „Dadurch, dass sich die Essenz mit mir zusammen im Bannkreis befindet, kommt es zu einer wechselseitigen Beziehung zwischen Innen und Außen. Du greifst zwar von außen auf die Essenz zu, aber die Essenz an sich befindet sich bereits innen, sodass du von innen auf den Tribut zugreifst.“

„Welcher sich dann von außen wieder nach innen wendet“, überlegte Layla.

„Genau“, stimmte Clancy ihr zu. „Durch diesen Kreislauf ist alles wesentlich stabiler, selbst wenn einer von euch zwischendurch schwächeln sollte, bricht nicht alles sofort zusammen und wir haben immer noch Zeit zu improvisieren oder abzubrechen.“

„Ein Fluch verstößt gegen die natürliche Ordnung, weil er etwas grundlegend verändert und braucht deswegen sehr viel Energie“, wandte Phobos ein. „Euch muss klar sein, dass ihr danach auf jeden Fall ausgelaugt sein werdet, egal ob es klappt oder nicht. Auch wenn ihr ‚nur‘ Wasser erhitzt beziehungsweise gefrieren oder Federn fliegen lasst, werdet ihr euch danach mindestens so fühlen, als hättet ihr einen Jahrhundertsturm herauf beschworen. Wollt ihr es immer noch teilnehmen?“

„Klar“, sagte Liam ohne zu Zögern.

„Natürlich!“, antwortete Layla vehement, als wäre es vollkommen abwegig, dass sie ihm nicht helfen würde. Der Geist eines Lächelns erschien auf Phobos‘ pelzigem Gesicht.

„So, jetzt aber husch!“, wies Clancy alle Anwesenden an. „Jeder, der nicht unmittelbar daran beteiligt ist, den Kater zu verfluchen, geht jetzt bitte ans andere Ende des Zimmers!“

Nach einigem Hin- und Herirren der einzelnen Parteien hatte jeder seinen zugeteilten Platz erreicht und Clancy forderte Layla und Liam dazu auf sich zu den ihnen zugehörigen Tributen zu stellen und ihre Essenzen, sofern noch korporal vorhanden, in die Mitte des Bannkreises zu legen. Sorgsam darum bemüht, nicht auf die Kohlezeichnung zu treten und sie so vielleicht noch zu verwischen, machte Layla einen weiten Schritt in den Bannkreis und legte ihre Essenz ab, bevor sie zu der Schüssel dampfenden Wassers zurücktrat. Da Liams Essenz an seinen Körper gebunden war, stellte er sich einfach nur zu den schwarzen Federn.

„Ich hoffe wirklich, dass die Kohlevariante funktioniert und wir nicht die Meerbasis hätten benutzen sollen“, meinte Clancy zu Phobos.

„Hoffe ich auch“, meinte Phobos, „sonst bin ich eine Weile ein sehr nackter Kater.“

Clancy konnte nicht verhindern, dass eine seiner Augenbrauen nicht an ihrem angestammten Platz bleiben wollte.

Dass du deinen Humor wiedergefunden hast, werte ich einfach als gutes Omen, mein Freund. Nacktheit wird dein letztes Problem sein, wenn das hier nicht funktioniert…

„Wir wollen ja nicht, dass du eine Lungenentzündung bekommst“, sagte er allerdings laut.

„Eben“, meinte Phobos grinsend und begab sich in die Mitte des Bannkreises, wo er sich fast geruhsam niederließ.

„Ach, falls du kein Fell mehr haben solltest, kann ich dir ja einen wollenen Strampler mit passender Mütze mit Löchern für die Ohren stricken!“, rief Morana vom hinteren Ende des Zimmers.

„Und wehe, wenn nicht!“, rief Phobos zurück.

Obwohl ein amüsiertes Kichern durch den Raum ging, wusste jeder Anwesende, der sich schon mal mit Flüchen auseinander gesetzt hatte, dass die Witzeleien nur dazu dienten, die Anspannung etwas zu lösen.

„Layla, Liam“, verschaffte sich Clancy die Aufmerksamkeit der Beiden. „Wenn ich euch das Zeichen gebe, dann kühlt bitte das Wasser ab und lasst die Federn schweben, wie wir vorhin besprochen haben. Lasst euch von nichts von dieser Aufgabe abbringen, egal wie sehr ihr von irgendetwas überrascht werdet. Das ist sehr wichtig. Konzertiert euch nur auf diese eine Aufgabe, auf nichts anders.“

Als die beiden ernst nickten, nahm Clancy einen tiefen Atemzug. Als er langsam ausatmete, entzündete er die vier roten Kerzen im Bannkreis und schloss den Kreislauf mit einem letzten Kohlestrich, der den Anfang und das Ende des Zirkels miteinander verband. Er setzte sich im Schneidersitz vor den Bannkreis und legte seine flachen Hände auf den Rand des Kreises, sodass seine Fingerspitzen die Körper-Rune berührten. Als er wieder aufblickte, nickte er seiner Tochter und seinem Neffen zu, die sich augenblicklich mit den ihnen zugeteilten Aufgaben beschäftigten. Die beiden Kreisläufe von Wasser und Luft bildeten zwei Strudel vor Clancys innerem Auge und genau an der Stelle, an der sich die beiden Strudel trafen, saß Phobos, seine grünen Augen unergründlich. Die Reibung der beiden Strudel verursachte Funken von roher Magie, die auf Phobos und von ihm auf den Bannkreis übersprangen, sodass die Kohlezeichnung unter Clancys Händen zu vibrieren, ja, regelrecht zu zucken begann.

Als Clancy auch Phobos zunickte, begann dieser von innerhalb des Bannkreises die Schatten zu sich zu rufen, während Clancy anfing die Gewitterwolken draußen zu seinem Vorteil zu nutzen. Durch die sich ausbreitende Dunkelheit und die kleinen elektrischen Ladungen, die den Bannkreis mittlerweile durchzuckten, konnte man kaum noch die brennenden Kerzen, geschweige denn den schwarzen Kater in der Mitte des Zirkels, erkennen.

Clancy wartete so angestrengt darauf, einen Blitz mit Laylas Erhitzungszyklus abzupassen, dass er fast die Verbindung verlor, als das Telefon seiner Eltern klingelte, so stark zuckte er zusammen. Er bekam nur sehr nebensächlich mit, wie seine Mutter leise fluchend in den Flur ging, er hatte musste sich auf andere Dinge konzentrieren.

Während er vor seinem inneren Auge den Bannkreis abging und die verschiedenen Energieströme, die bei jedem Kontakt mit einer Rune oder einem anderen Energiestrom noch stärker wurden, durch die Runen jagte, murmelte er die Namen der Runen, Berechnungen und die angestrebten Ziele des magischen Stroms. Ausformulierte Zauberformeln wurden überbewertet.

Sein Kopf war überladen mit Kalkulationen über Genetik und Magie und drohte beinahe zu platzen, während Clancy alles im Bannkreis fühlte.

Er fühlte, wie Layla sich angestrengt darauf konzentrierte, ihr verdampfendes Wasser nicht von dem magischen Sturm verwehen zu lassen.

Er fühlte, wie Liam um die Kontrolle seiner Federn kämpfte.

Er fühlte, wie die sich Schatten und die elektrischen Ladungen um Phobos‘ Körper legten.

Und er fühlte auch, wie jeder einzelne von Phobos‘ Knochen mit einem schmatzenden Geräusch brach, als er den Blitz aus dem Gewitter über ihren Köpfen in den Bannkreis lenkte.

Hungersnot und Tiefschlaf

Zum ersten Mal in ihrem Leben sah sie, wie jemand einen Fluch wirkte. Ihre Mutter verwendete immer nur sehr kleine Bannkreise, um Medizin herzustellen, und schon gar keine Flüche. Allerdings war ihr Onkel auch um einiges mächtiger als ihre Mutter; zumindest klang es zwischen den Zeilen immer danach. Zwar hatte Hepzibahs Mutter wiederholt versucht sie für Runenkunde zu erwärmen, doch als sie Constantin neben sich stehen sah, wie er gebannt jedes Detail in sich aufsaugte, wünschte sie sich, sie hätte vielleicht doch ein bisschen besser aufgepasst, sodass der Fußboden für sie nicht nur nach undefinierbaren Schlängeln aussah.

Nichtsdestotrotz beobachtete Hepzibah interessiert, wie Clancy gerade ihre Cousine und ihren Bruder anwies, sich an bestimmte Stellen des Bannkreises zu stellen. Selbst wenn man noch nie einen Fluch von Nahem gesehen hatte, wusste man instinktiv, dass im Wohnzimmer ihrer Großeltern etwas Außergewöhnliches bevorstand. Ihre Mutter stand stocksteif neben Hepzibah und Constantins Tante rang nervös mit den Händen, bis ihr Neffe eine ihrer Hände ergriff und sie ihm ein schwaches Lächeln schenkte. Zwar hatte ihre Großmutter vorhin noch mit Phobos gewitzelt, sie würde ihm einen wollenen Strampler nähen, doch hatte sich ihr Mund nun zu einer dünnen Linie verengt, während ihr Großvater einen noch düsteren Blick als sonst in die Runde warf. Alle wirkten so unglaublich ernst; selbst Liam.

Nun doch etwas nervös richtete Hepzibah ihren Blick wieder auf das Geschehen am anderen Ende des Zimmers vor der großen Fensterfront. Früher war Layla nur ihre coole, wenn auch etwas seltsame, deutsche Cousine gewesen, die für jeden Scheiß zu haben war, doch als Hepzibah auf ihren angespannten Rücken starrte, wirkte sie so, als wäre sie um Jahre gealtert. Layla hatte sich – zu Hepzibahs Leidwesen – nicht sonderlich ausgiebig zu diesem ominösen Formoriangriff geäußert, doch Constantin hatte Hepzibah (nachdem sie ihn bestimmt eine Stunde lang belagert hatte) gegenüber erwähnt, dass einer der Formori Layla fast gefressen hätte, wenn Clancy ihn nicht enthauptet hätte. Mehr hatte er nicht sagen wollen und Hepzibah hatte ausnahmsweise nicht nachgefragt, als sie seinen düsteren Blick sah.

Nachdem ihr Onkel die vier dunkelroten Kerzen im Bannkreis entzündet hatte, nickte er Layla und Liam zu, die die Rabenfedern in wilden und sich immer wieder verändernden Bahnen fliegen und das kochende Wasser gefrieren ließen, während Laylas Essenz in einem gleißend hellen Eisblau vor Phobos Pfoten leuchtete. Clancy sah unglaublich konzentriert aus, als er den Blick wieder hob und schließlich auch Phobos zunickte. Augenblicklich schienen sich schwarze, wabernde Schatten von dem Kater auszubreiten, während kleine helle Blitze über die Kohlezeichnungen zu zucken begannen.

Während ihr Onkel anfing zusammenhanglose Dinge vor sich herzumurmeln, zuckte Hepzibah äußerst heftig zusammen, als auf einmal das Telefon klingelte, so gebannt war sie von dem Bild, das sich ihr bot.

„Verflucht noch eins!“, schimpfte ihre Großmutter leise, aber dennoch ärgerlich, als sie sich in den Flur begab, um den Anruf entgegenzunehmen.

In dem Bannkreis drehte sich eine kohlrabenschwarze Wolke rasend schnell um ihre eigene Achse, während immer wieder kleine Blitze in ihrem Inneren aufleuchteten und rasend schnell über den Kohlezirkel huschten. Erst waren die Blitze nur von einem herkömmlichen Blauweiß, doch je schneller sich die schwarze Wolke zu drehen schien, desto mehr Farben kamen hinzu: rot, gelb, grün, violett.

Der Himmel hinter den Fenstern wurde immer dunkler und Blitze zuckten durch die schwarzen Sturmwolken. Clancy schien noch nicht einmal zu merken, wie hinter ihm mit einem Schlag die einfach verglasten Fenster aufrissen und eine heftige Windböe durch den Raum jagte, die Hepzibah frösteln ließ. Sein Gesicht wirkte ständig konzentrierter, wenn auch zunehmend angestrengter, und schwankte auch nicht, als ein Blitz in ihn einschlug.

Allerdings weiteten sich seine Augen für einen Moment, als Hepzibah ein grässliches Schmatzen und Knacken aus dem Inneren der schwarzen Wolke vernehmen konnte, das ihr eisige Schauer den Rücken hinunterjagte. Hepzibah hatte das mulmige Gefühl, dass nichts in der Welt so klingen sollte, wenn es richtig war.

Aber gut… es ist auch ein Fluch...

Und sie hatte noch keinen Fluch live und in Farbe gesehen. Vielleicht musste das so klingen, versuchte sie sich einzureden, obwohl ihr Bauchgefühl ihr zuschreien wollte, dass etwas gewaltig schief gelaufen sein musste, zumal ihr auch noch der Geruch von Rauch in die Nase stieg. Das Bedürfnis ihrem Bauchgefühl zuzuhören, wurde schließlich dadurch verstärkt, dass Clancy in sich zusammensackte und keine drei Sekunden später auch Layla und Liam zu Boden sanken. Augenblicklich wollten sich Constantin und Hepzibah in Bewegung setzen, doch Lochan hielt sie zurück, obwohl Constantin ohnehin nicht weit ohne seine Krücken gekommen wäre.

„Wartet!“, knurrte er mit einem ausgestreckten Arm.

„A-Aber…!“, versuchte Hepzibah zu protestieren, doch ihr Großvater schüttelte den Kopf.

„Ihr vergesst, dass Flüche widernatürlich sind“, erklärte Bláthín grimmig. „Nach allem, was wir wissen, ist diese Reaktion vollkommen normal. Hinterher rennt ihr in eine hochgradig magisch geladene Zone und wir können euch durch die Nachwirkungen vom Boden kratzen. Wartet noch eine halbe Minute.“

Ihre Mutter hatte immer diese unglaublich blumige Art, Dinge zu beschreiben. Dennoch blieben Hepzibah und Constantin, wo sie waren, nachdem sie einen besorgten Blick gewechselt hatten. Als sie wieder ans andere Zimmerende blickte, begannen sich die schwarzen Wolkenschwaden auf der einen Seite zu lichten, aber auf der anderen aber zu verdichten. Jedoch als Hepzibah ein Husten hören konnte, schöpfte sie Hoffnung, dass vielleicht doch alles nach Plan verlaufen war.

„Uchaah… Alles in… chrm… Ordnung…“, krächzte Clancy zwischendurch immer wieder hustend und winkte ihnen vom Boden aus einarmig zu.

Als sich auch Layla aufrichte und erst einmal herzhaft gähnte und auch Liam ein Grummeln von sich gab, breitete sich Erleichterung unter den Anwesenden aus.

„Boah, hab ich einen Hunger“, hörte Hepzibah ihren älteren Bruder stöhnen.

„Nie wieder Flüche in meinem Wohnzimmer“, sagte ihre Großmutter, als sie wieder ins Wohnzimmer kam und auf das Chaos vor sich blickte. Eigentlich schien sie finster schauen zu wollen, doch mit einem Mal zog sie verwundert ihre Augenbrauen in die Höhe. „Oh“, sagte sie nur.

Als Hepzibah wieder von ihrer Oma zum Bannkreisende des Zimmers blickte, musste sie nicht nur feststellen, dass die restlichen schwarzen Schwaden verflogen waren, sondern auch, dass heute wohl der Tag der ersten Male war. Nicht nur, dass sie heute das erste Mal das Wirken eines Fluches hautnah miterlebt hatte, nein, heute sollte auch der Tag sein, an dem sie das erste Mal einen fremden Mann vollständig nackt sehen sollte.

Ein breit grinsender Kerl mit langen schwarzen Haaren und einem Ziegenbärtchen stand splitterfasernackt mitten im Bannkreis. Obwohl sein Unterleib von Laylas Oberkörper verdeckt wurde, die sich mittlerweile errötend weggedreht hatte, hielt es ihre Mutter dennoch für angebracht, ihr eine Hand auf die Augen zu legen und so ihre Sicht einzuschränken.

„Oh“, hörte sie nur noch einmal Morana sagen. „Sieht so aus, als müsste ich anfangen zu stricken.“
 

Das Erste, was Liam verspürte, als er wieder zur Besinnung kam, war eine unglaubliche Müdigkeit in den Knochen und ein verdammt großes Schwarzes Loch in seiner Magengegend.

„Boah, hab ich einen Hunger“, teilte er stöhnend der Welt mit, just in dem Moment, als sein Magen zu knurren begann.

Das Erste, was er allerdings sah, als er sich wieder aufrichtete, waren zwei wohlgeformte Pobacken. Leider die eines Mannes. Als er um die Beine des Mannes herum blickte, konnte er Laylas Rücken sehen, als sie sich umdrehte. Neben sich hörte er, wie Clancy sich hustend aufrichtete.

Es war unschwer eins und eins zusammenzuzählen und zu dem Ergebnis zu kommen, dass der äußerst unbekleidete Kerl vor ihm Phobos sein musste. Auch wenn es sich sicher nicht so angefühlt hatte, schien der Gegenfluch funktioniert zu haben.

„Oh, sieht so aus, als müsste ich anfangen zu stricken“, sagte seine Großmutter nüchtern und Liam entfleuchte ein hüstelndes Kichern. Man konnte Morana nicht nachsagen, dass sie eine schlechte Verliererin bei Wetten war. Allerdings wusste er, dass Phobos bei diesem Kommentar einfach grinsen musste, auch wenn er sein Gesicht nicht sah. Alles andere wäre nicht Phobos.

„Solange mir irgendjemand was zu essen besorgt, ist mir alles egal“, sagte er und versuchte aufzustehen. Er fühlte sich, als hätte er versucht Iron Man zu werden und das gleich drei Mal hintereinander am selben Tag, ohne vorher auch nur einen Tacken trainiert zu haben.

„So schon deine blanke Rückansicht auch sein mag, Phobos“, raspelte er schließlich, als er sich neben Phobos stellte und ihm eine Hand auf die Schulter legte, wenn auch primär, um nicht umzufallen. „Wir sollten dir Klamotten besorgen, wenn wir wollen, dass Hepatitis jemals wieder das Tageslicht erblickt. Obwohl… vielleicht bleibst du besser doch nackt.“

„Liam!“, schalt ihn seine Mutter.

Neben sich konnte er Phobos leise kichern hören und sah ihm zum ersten Mal ins Gesicht. Phobos war ein erstaunlich gutaussehender Kerl, wie er feststellen musste. Lange schwarze Haare, ausgeprägte Gesichtszüge, immer noch seine grünen Katzenaugen, aber das Beste war bei weitem sein Ziegenbart. Männer mit Bart waren männlich und cool und hatte er schön männlich erwähnt? Nicht umsonst trug er selber einen.

„Sybille?“, wandte sich Bláthín an Constantins Tante. „Kannst du meiner Tochter bitte die Augen zuhalten? Ich muss die vier erst einmal untersuchen.“

Sybille zögerte nur einen kurzen Moment und hielt Hepzibah die Augen zu, die zwar vor sich hin grummelte, es aber über sich ergehen ließ. Sie wusste, dass man sich dem Matriarchat in Form ihrer Mutter besser nicht widersetzte; und schon gar niemand gab dem Obermatriarchat Großmutter Morana Widerworte.

Wie zu erwarten, ging die Untersuchung sehr schnell von statten, da Bláthín wusste, was sie tat, als sie ihnen die Hände an die Schläfen legte und ihnen kurz mit einer kleinen Lampe in die Augen leuchtete.

„Hey, Ma“, meinte Liam schief grinsend, als seine Mutter vor ihm stand. Sein Kopf fühlte sich an, als sei er mit Watte gefüllt. Allerdings war Bláthín im Heiler-Modus und sagte nichts. Auch wenn es durchaus der Fall sein könnte, dass sie sich vielleicht ein bisschen Sorgen machte.

Bevor er noch etwas sagen konnte, fühlte er wie seine Mutter ihm ihre Hände an die Schläfen legte und so etwas von ihrer magischen Energie erkundend in seinen Körper schickte. Sie nahm ihre Hände wieder herunter und leuchtete auch ihm kurz in beide Augen, sodass er schließlich blinzelte.

„Sie sind alle in Ordnung, nur sehr erschöpft“, schloss sie.

„Und hungrig“, fügte Liam hinzu.

„Meinetwegen auch das, aber ihr seid alle in Ordnung“, sagte sie und klang ein bisschen steif. Sie hatte sich also wirklich Sorgen gemacht.

Mit einem schwachen Lächeln auf den Lippen umarmte Liam seine Mutter. „Danke, Ma.“ Sie schniefte einmal kurz, aber klopfte ihm schließlich sanft auf den Rücken.

„Allerdings hat Liam Recht, Phobos“, ergriff Morana schließlich das Wort. „Wir sollten dir wirklich ein paar Klamotten besorgen.“

„Tss“, machte Phobos daraufhin. „Über zweieinhalb Jahrhunderte bin ich unbekleidet rumgelaufen und auf einmal stört es die Leute. Die Welt ist auch nicht mehr, was sie einmal war.“ Er schüttelte den Kopf, aber folgte Morana aus dem Zimmer, jedoch nicht, ohne in die eine oder andere Richtung kurz zu torkeln.

„Ich denke, ich mache euch erst einmal was zu essen“, meinte Lochan grummelnd. „Wenn ihr ohne Nährstoffe einschlaft, schlaft ihr eine ganze Woche.

„Suhpah Idee, Oppa“, gähnte Layla, die immer noch auf dem Boden saß.

Lochan war überraschend schnell, denn Liam hatte nur kurz die Augen geschlossen und schon kam er wieder mit einem Tablett Sandwiches wieder ins Wohnzimmer, dicht gefolgt von Sybille, die ebenfalls zwei Tabletts trug. Bei näherer Betrachtung war es auch möglich, dass er einfach nur eingeschlafen war, denn er hatte keine Ahnung, wie er in den Sessel gekommen war, auf dem er saß. Die Vermutung erhärtete sich, als er sah, wie Constantin und Hepzibah versuchten Layla zu wecken, die sich wie eine Katze auf dem Boden zusammengerollt hatte und schlief.

Ein lautes Schnarchen neben ihm ließ Liam erneut aufschrecken. Verwirrt blickte er sich um und sah seinen Onkel alle viere von sich gestreckt mit offenem Mund auf einem anderen Sessel schlafen. Als er sich erneut umschaute, kam ihm der Verdacht, dass er schon wieder eingeschlafen sein musste, weil auch Layla nicht mehr auf dem Boden lag, sondern auf einem der Sofas saß und schlafend an Constantins Schulter lehne, während er und Hepzibah versuchten sie erneut aufzuwecken.

„Patrick ist besser als du in ‚Street Fighter‘!“, sagte Constantin.

Layla war sofort hellwach. Oder zumindest wach. „Niemals!“ Sie blinzelte ein paar Mal und rieb sich die Augen. „Ich bin wach… ich bin wach…“

„Esst erst einmal was“, ertönte Lochans Stimme. „Danach könnt ihr so viel schlafen wie ihr wollt.“

Bei der Erwähnung von Essen war Liam wirklich wach. Wenn es etwas gab, das Liam wirklich liebte, dann war es Essen. Er würde auch jeden heiraten, solange er nur kochen konnte.

„Oah, Opa, ich liebe dich“, meinte er und richtete sich auf. „Willst –“

„Nein, will ich nicht“, unterbrach sein Großvater wahrscheinlich schon zum tausendsten Mal einen seiner Heiratsanträge, den Liam ohnehin jedem stellte, der ihm mindestens ein Brot schmierte. Dabei konnte Lochan wirklich gut kochen, wenn er wollte. Eine Schande. „Bláthín, weck deinen Bruder“, wies Lochan seine Tochter an.

Liams Mutter stupste Clancy an. Als er nicht reagierte, wiederholte sie es etwas kräftiger, bis er endlich aufwachte.

Während Layla und Clancy eher träge an ihrem ersten Sandwich hingen, hatte Liam schon voller Inbrunst drei verschlungen, als Morana und der endlich bekleidete Phobos sich zu ihnen gesellten.

„Warum bist du so verdammt wach?“, grummelte Layla Phobos verschlafen an.

„Halbfey, anderer Metabolismus“, meinte Bláthín nur.

Natürlich grinste Phobos. „Allerdings habe ich wirklich Hunger!“ Freudestrahlend griff er nach einem Sandwich und man konnte ihm ansehen, dass er sich nicht nur über das Essen freute. Liam hätte sich noch nicht einmal im wachen Zustand vorstellen können, wie es sich anfühlen musste, nach Jahrhunderten endlich wieder im eigenen Körper zu stecken, geschweige denn in diesem übermüdeten und halb verhungerten Nach-Fluch-Stadium. Er fragte sich ernsthaft, warum Leute überhaupt andere Leute verfluchten; es war furchtbar anstrengend.

Nichtsdestotrotz aßen sie Sandwiches in einem mittelstark verwüsteten Wohnzimmer, alle mit nur zwei Armen und Beinen und ohne Pelz oder Schwanz. Die Welt war wieder gut.

Auch wenn seine Aufmerksamkeit immer mal wieder schwand, wenn er nicht aß.

Earl Grey

Murrend drehte sich Layla in ihrem Bett um. Ein Blick auf den Wecker auf dem kleinen Nachtschränkchen sagte ihr, dass sie die Nacht durchgeschlafen hatte, nachdem sie das letzte Mal aufgewacht war, aber sie fühlte sich immer noch nicht ganz auf dem Damm. Seitdem sie, ihr Vater, Liam und Phobos den Gegenfluch gewirkt hatten, waren schon mehrere Tage vergangen, auch wenn Layla die genaue Anzahl noch ein bisschen schleierhaft war durch das ständige Aufwachen und Wiedereinschlafen. Aber es war ja nicht so, dass Phobos sie nicht davor gewarnt hatte.

Ihr Kissen umarmend, blieb sie noch einen Moment liegen. Die Bettwäsche ihrer Großmutter roch immer nach Blumen.

Als ihr Vater den Blitz in dem Bannkreis gelenkt hatte, hatte sie wirklich geglaubt, dass er Phobos buchstäblich zerrissen hatte. Hölle, nach allem, was sie wusste, hatte er das wahrscheinlich auch. Der letzte Teil des Fluches hatte sich sehr… falsch angefühlt. Allein bei dem Gedanken daran wurde ihr flau im Magen, obwohl sie paradoxer Weise wieder Hunger verspürte.

Die Tage beziehungsweise Ereignisse danach waren in Laylas Erinnerung eher trübe, da sie sich nicht immer ganz sicher war, was sie geträumt hatte, und was tatsächlich passiert war. Sie hatte eine grobe Erinnerung daran, im Flur des Obergeschosses eingeschlafen zu sein, als sie auf die Toilette hatte gehen wollen, aber diese besetzt gewesen war. Außerdem glaubte sie mitbekommen zu haben, dass irgendjemand über Portale geredet hatte. Aber es war auch genauso gut möglich, dass Drachen ein Inferno im Obstgarten ihrer Großeltern entfacht hatten, als sie versucht hatten, Quidditch zu spielen, und Layla hatte alles verschlafen.

Sie versuchte sich wieder umzudrehen und erneut einzuschlafen, aber ihr Magen gab nur protestierende Knurrlaute von sich. Nach einer Weile war sich Layla auch ziemlich sicher, dass sie ihr leerer Magen geweckt hatte, und sie stand grummelnd auf.

Noch im Schlafanzug ging sie schließlich hinunter in die Küche, um sich auf die Suche nach etwas Essbarem zu begeben. (Und um vielleicht zu überprüfen, ob der Obstgarten noch stand.) Obwohl schon zu seiner vollen Länge ausgezogen, war der Küchentisch doch recht überladen mit all den Leuten, die daran saßen und scheinbar frühstückten. Allem Anschein nach hatte es ihre Tante geschafft Liam irgendwann ins Auto zu bugsieren und mit ihm und Hepzibah nach Hause zu fahren, denn am Küchentisch saßen nur ihre Großeltern, ihr Vater, Constantin und seine Tante.

Einen Augenblick lang fragte sich Layla wirklich, wer der schwarzhaarige Kerl war, der da neben ihrem Vater saß und abstoßend glücklich vor sich her summte, bis ihr einfiel, dass er ja Phobos in seiner mehr menschlichen Form war.

„Oh, Kaffee. Gut“, murmelte sie und gesellte sich zu ihrem Vater, der sich gerade eine Tasse des heißen Getränks genehmigte. „Morgen.“ Vielleicht half ihr ja der Kaffee, um wieder auf die Höhe zu kommen.

„Morgen“, kam es von den Anwesenden zurück und ihre Großmutter schob ihr lächelnd den Brotkorb zu.

„Bláthín hat schon um halb sieben angerufen, um uns zu sagen, dass Liam seit gestern Mittag die Speisekammer dreimal leergeräumt hat“, sagte Morana mit einem Zwinkern. „Ich nehme daher einfach mal an, dass du auch Hunger hast.“

„Dreimal?“, hakte Layla nach und griff nach einer Brotscheibe. „Nur einmal mehr als sonst, ist doch gut.“ Sie zuckte mit den Schultern. Ihr Großvater ließ einen Laut vernehmen, den man nur mit viel Übung seiner Sprache als ein Lachen identifizieren konnte, und reichte ihr die Marmelade.

„Ach, bevor ich es vergesse“, ergriff Clancy das Wort und reib sich mit Daumen und Zeigefinger die Augen. „Wer hat eigentlich während des Gegenfluches angerufen?“

Morana runzelte kurz die Stirn, bevor sich doch eine Erkenntnis auf ihrem Gesicht abzeichnete. „Jemand, der Phobos sprechen wollte.“

„Mich?“ Phobos klang ehrlich überrascht. Dann schien ihm jedoch etwas einzufallen und sein Gesicht nahm einen berechnenden Ausdruck an. Layla fand es erstaunlich, wie viel man ihm jetzt wirklich vom Gesicht ablesen konnte. „Was hat er/sie/es denn gesagt, worum es ging?“

„Nicht viel. Kaum hatte ich erwähnt, dass gerade ein ungünstiger Zeitpunkt ist, hat die Frau am anderen Ende etwas davon gemurmelt, dass sie sich wohl verschätzt haben müsste. Allerdings wollte sie wieder anrufen, auch wenn sie ihren Namen nicht hinterlassen hat.“

Wie um diese Aussage zu bestätigen, klingelte genau in diesem Moment das Telefon im Nebenzimmer. Morana blickte kurz äußerst skeptisch in Richtung Telefon und dann noch einmal auf Phobos, bevor sie sich erhob, um den Anruf entgegenzunehmen.

„Ich ahne schon, wer das ist…“, meinte Phobos.

Keine zwei Minuten später kam Morana wieder in die Küche. „Da war ein Inspektor Connelly oder so ähnlich am Telefon; ich hab seinen Namen nicht wirklich verstanden, er hat so genuschelt. Aber er meinte, er würde dich an der üblichen Lokalität treffen wollen, Phobos. Er wollte dich nicht sprechen, ich sollte dir das nur bitte ausrichten.“ Laylas Großmutter sah ihn skeptisch an, so als würde sie sich fragen, wann er es denn geschafft hatte, schon etwas in den wenigen Tagen, in denen er seinen ursprünglichen Körper wiederhatte, zu verbrechen.

Es dauerte etwas, bis die metaphorische Glühbirne in Laylas Hirn ansprang, da der ebenfalls metaphorische Hamster, der sie betreiben sollte, noch schlief, doch dafür leuchtete die Birne nun umso heller. „Inspektor?!“, wandte sie sich ruckartig an Phobos. „Ich will mit!“

„Moment!“, schaltete sich Clancy schnell ein, der auch mit einem Mal hellwach aussah. „Wenn meine Tochter mitkommt, komme ich auch mit!“

Phobos drehte sich zu ihnen um, einen spekulativen, aber amüsierten Ausdruck auf dem Gesicht.

„Ich auch! Will ich mit? Wohin überhaupt?“ Constantin klang ein bisschen verwirrt, bis Layla einfiel, dass sie noch gar keine Gelegenheit gehabt hatte, ihm von der seltsamen Bar und ihren Insassen zu erzählen. Zuerst hatte er durch seine Verletzung das Bett gehütet und dann hatte sie sich außerordentlich ausgiebig mit ihrer Essenz beschäftigt, bevor sie ihn die vergangenen Tage wahrscheinlich nur noch aktiv angeschnarcht hatte.

Allerdings schien sich die Diskussion, ob er sie begleiten würde oder nicht, ohnehin zu erübrigen, als er sich fataler Weise an die Brust griff und seine Tante ihm einen strengen Blick zuwarf. „Vielleicht lieber doch nicht“, fügte er mit einer Grimasse hinzu. Scheinbar war er doch noch nicht wieder ganz auf dem Damm, auch wenn seine Gesichtsfarbe wesentlich gesünder aussah.

Layla warf ihm einen vielsagenden Blick zu, vom dem sie hoffte, dass er ihn verstand. Sie würde ihm alles später ausführlich erklären.

Phobos schien etwas sagen zu wollen, doch Clancy unterbrach ihn.

„Sag jetzt nichts davon, ich wäre müde oder so einen Schmu. Ich bin wach“, meinte er grummelnd. „Nach diesem Kaffee.“

Da Layla genauso wenig kleinbeigeben wollte, musste sich Phobos wohl oder übel seufzend geschlagen geben. „Also gut.“

In Momenten wie diesen war die Verbindung zwischen Layla und ihrem Vater nicht zu leugnen. Beide hatten in Rekordzeit gefrühstückt und Layla wuselte aus der Küche heraus, um sich ebenfalls in Rekordzeit zu duschen, Zähne zu putzen und anzuziehen.

Als sie wieder zu ihrem Vater in der Eingangshalle stieß, konnte sie ein aufgeregtes Funkeln in seinen Augen ausmachen, auch wenn er sich darum bemühte, keine Miene zu verziehen und natürlich äußerst professionell zu erscheinen. Scheinbar wollte er wirklich unbedingt in diese Bar. Layla musste grinsen und auch Sybille hatte einen amüsierten Ausdruck auf dem Gesicht, als sie Phobos aus der Küche schob.

„Geht. Wir machen das hier schon“, wies sie ihn an. Man konnte die freudig aufgeregte Spannung, die sich nach diesem Satz in der Eingangshalle ausbreitete, fast greifen.

Als Phobos seinem besten Freund und dessen Tochter ins Gesicht sah, die mehr oder weniger hibbelig auf ihn warteten, konnte er nur die Augen verdrehen. Aber dennoch bedeutete er ihnen mit einem Winken, ihm zu folgen. Natürlich ließen sich die beiden nicht lange bitten.

Phobos führte sie wieder zum Gartenschuppen und dieses Mal konnte Layla erkennen, dass sich etwas Übernatürliches im Türrahmen befinden musste. Da es jetzt helllichter Tag war, war die undurchdringbare Schwärze, die sich wie ein Vorhang über den Durchgang gelegt hatte, anormal. Ein leichtes Frösteln zog über Laylas Haut und ihr Magen machte einen kleinen Salto, als sie ihrem Vater und Phobos durch das Portal folgte.

Auf der anderen Seite fand sie sich wieder auf derselben Straße in derselben unbekannten Stadt wieder, hinter ihr ein kleiner verlassener Laden, dessen Tür jedoch offen stand und mit einem nachtschwarzen Vorhang bedeckt war. Wie bei ihrem ersten Besuch. Allerdings war die Straße nur unwesentlich heller als zuvor, da eine dichte dunkle Wolkendecke über der Stadt hing. An einer Straßenecke konnte sie ein Schild ausmachen, das zumindest den Namen der Straße preisgab: An Mittern.

Es gibt schon seltsame Straßennamen…

Während sie Phobos die Straße hinunter folgten, fielen Layla vermehrt die Raben auf, die scheinbar überall hockten und ein kalter Schauer lief ihr über den Rücken, als sie daran dachte, dass diese Kreaturen – laut Phobos – keine Raben waren, sondern etwas ganz anderes. Rasch wandte sie den Blick ab.

„Sind das –?“, setzte Clancy stirnrunzelnd an, als sein Blick die Raben streifte.

„Ja“, antwortete Phobos brüsk. „Aber darum kümmert sich schon jemand. Deswegen sind wir nicht hier.“

„Ja, natürlich.“ Dennoch verschwand das Runzeln nicht von seiner Stirn. Was immer diese Raben auch waren, es schien wirklich nichts Gutes zu sein.

Als sie dieses Mal an das Haus mit der Nummer Acht kamen, war der Hund, der das letzte Mal auf der Straße gelegen hatte, nicht zu sehen. Ohne Umschweife oder ein höfliches Klopfen riss Phobos die Holztür zu Thompson’s Bar auf, als würde sie ihm selbst gehören.

Scheinbar musste es draußen heller als gedacht gewesen sein, denn die Bar wirkte dämmrig, als sie eintraten und dem Wrestler-Poster entgegenblickten. Heute standen sogar Dartpfeile neben Mad Bulls Poster bereit und warteten nur darauf geworfen zu werden. Natürlich drückten sie alle drei ihre Loyalität Thompson gegenüber aus und nach drei dumpfen Geräuschen steckten drei weitere Pfeile in der Wand und spießten das Poster auf.

Als sie den eigentlichen Schankraum betraten, war Thompson gerade dabei ein altes, lädiertes Telefon wieder wegzustellen. Es war schwarz - obwohl die Farbe schon an einigen Stellen abblätterte - und kleine Pflaster zierten die Ecken des Gerätes. Selbst der Hörer hatte einen Verband mit säuberlicher Schleife. Als Thompson das regelrecht antike Stück in seine großen Hände nahm, meinte Layla kurz ein Seufzen zu vernehmen, als der Ex-Wrestler-und-nun-Barinhaber den Hörer fürsorglich tätschelte und das Telefon wegstellte.

Im Schankraum selber warteten bereits der Cop, der eine Akte in Händen hielt, und die Autorin auf sie, doch der Maler war nirgends zu sehen. Oder ein Dalek.

„Hey, Inspector Connelly!“, begrüßte Phobos den Cop mit einem waffenscheinpflichtigen Grinsen.

Der Cop runzelte jedoch nur die Stirn. „Ich heiße aber gar nicht Connelly“, brummelte er etwas verwirrt. „Wie du sehr wohl weißt.“ Layla fand es bemerkenswert, dass er dieses Detail bemerkte, aber geflissentlich übersah, dass Phobos kein Kater mehr war, sondern ein mindestens 1,85 Meter großer Mann, der mit einer wehenden Mähne schwarzen Haares auf ihn zu schritt.

„Seit heute Vormittag stellst du dich aber so am Telefon vor“, entgegnete Phobos und nun fing auch die Autorin an zu grinsen. „Warum rufst du überhaupt an und nicht jemand, den man auch akustisch versteht, wie zum Beispiel du.“ Er machte eine Handbewegung in Richtung Autorin.

„Er hat schon wieder bei Schere-Stein-Papier verloren“, antwortete die Autorin und warf dem Cop einen amüsierten Seitenblick verhalten zu. Thompsons Gläser quietschten zustimmend. „Allerdings habe ich beim ersten Mal angerufen. Blöderweise warst du da mit dem Gegenfluch ein bisschen indisponiert. Schlechtes Timing. Also mussten wir erneut losen.“ Sie zuckte mit den Schultern. „Oh, Sie sind Laylas Vater, ehemaliger Generalleutnant Clancy McCambridge. Freut mich, Sie kennen zu lernen“, sagte sie freudig und hielt ihm ihre Hand hin.

Nachdem er Phobos einen perplexen Blick geschenkt hatte, schüttelte Clancy jedoch ihre ausgestreckte Hand und danach die des Cops. „Die Freude ist ganz meinerseits“, entgegnete er höflich.

„Wo ist eigentlich…“ Phobos unterbrach sich kurz, als hätte er eigentlich etwas anderes sagen wollen. „…der Maler?“

„Oh, er hat eben eine SMS bekommen. Einer seiner Kontakte hat Lugia gesichtet und er musste natürlich gleich los“, antwortete die Autorin.

„Lugia? Das… Pokémon?!“, platzte es aus Layla heraus.

„Natürlich“, sagte der Cop. „Was denn sonst?“

„Er arbeitet gerade an einer seltenen Monster-Serie“, fügte die Autorin hinzu.

Selbst Thompson nickte hinter der Bar, als wäre die ganze Angelegenheit das Logischste der Welt.

„Ähm, okay“, sagte Layla.

Wie auch immer…

Erst jetzt fiel Layla auf, dass die zu erwartende Klaviermusik ausblieb. Als sie in die Richtung des leicht gruseligen Klavierspielers sah, musste sie feststellen, dass der alte Mann gerade dabei war sich einen Tee zu machen und den Teebeutel hoch konzentriert in eine Tasse heißen Wasser tunkte. Auf dem kleinen Schildchen des Teebeutels konnte sie gerade so Earl Grey ausmachen. Irgendwie hatte Layla gerade das unbestimmte Gefühl, als hätte sie Phobos beim letzten Mal veräppelt, als er ihr eine Milch bestellt hatte.

„Ich dachte, es gibt nur drei Getränke hier?“, fragte sie. „Warum trinkt der Klavierspieler dann Tee?“

Augenblicklich wurde ihr von der Autorin, dem Cop und Phobos eindringlich zugeflüstert: „Nicht fragen!“

Doch dann wurde es totenstill in der Bar.

Niemand machte auch nur einen Ton. Noch nicht einmal Thompsons Gläser.

Aber alle sahen sie an. Ihr Vater sah verwundert aus, aber Phobos, die Autorin und der Cop hatten betont neutrale Ausdrücke aufgesetzt und sahen sich tunlichst nicht an. Das Gesicht des Klavierspielers konnte sie nicht sehen, doch saß er sehr steif an seinem Klavier, aber Thompson sah sie äußerst finster an, sodass ihr das Herz in die Hose rutschte. Thompsons finsterer Blick war etwas, das man besser nicht erlebte. Die Stille, die sich ausbreitete, war wirklich unheimlich und Layla hatte das Gefühl, dass die Temperatur eben um ein paar Grad gesunken war.

Sie wollte sich gerade stammelnd entschuldigen, als der Klavierspieler wieder zu einem Stück ansetzte und Thompson sich erneut seinen Gläsern zuwandte.

Innerlich atmete Layla wieder aus. Auch wenn sie absolut keine Ahnung hatte, was gerade passiert war, war sie äußerst froh, dass es scheinbar vorbei war.

Mit einem krächzenden Geräusch wurde Laylas Aufmerksamkeit (und glücklicherweise auch die aller anderen Anwesenden) wieder auf den Cop gelenkt. Mit einem lauten Grummeln drückte er der Autorin seine Akte in die Hand und begann in den Tiefen seiner Manteltaschen nach der Quelle des Geräusches zu suchen. Nach einigen Sekunden wilden Wühlens holte er ein uraltes Walkie-Talkie heraus, das scheinbar an den Ecken mit Metall verstärkt worden war. Er zog eine kupferne Antenne aus und hielt sich die Apparatur vor den Mund.

„Ja?“, grummelte er laut in das Mikrofon.

„Boss?“, ertönte die rauschende Stimme eines jungen Mannes. Er klang ein wenig miserabel. „Es ist wieder passiert. Sie ist wieder passiert.“

Der Cop fluchte herzhaft, während sich sein Gesicht verfinsterte. „Ich bin auf dem Weg“, meinte er düster.

Er schaltete sein Uralt-Walkie-Talkie aus, verfrachtete es wieder in eine seiner Manteltaschen und drehte sich zum Tresen um, um in einem Zug seinen Rest an Whiskey zu leeren und seinen Hut wiederaufzusetzen. Er nahm der Autorin die Akte wieder ab und drückte sie dieses Mal Phobos in die Hände.

„Hier steht alles drin, was ich herausfinden konnte“, sagte er ernst. „Aber ich fürchte, es wird dir nicht gefallen.“

Er gab Phobos noch einen Klaps auf die Schulter und verabschiedete sich mit einem brummelnden Laut von allen anderen, ehe er stapfend und fluchend die Bar verließ. Thompsons Gläser gaben einen Abschiedsgruß von sich.

„Er hat zugegebener Maßen Recht“, meldete sich die Autorin wieder zu Wort. „Der Maler und ich haben auch nicht so viel gefunden, wie wir gerne gehabt hätten. Meine Hoffnungen liegen derzeit noch in einem meiner besten Informanten, der jetzt auch jeden Augenblick hier eintreffen müsste.“

Sie wandte sich zum Tresen um und holte einen schwarzen Ordner hervor. Als ihr Handy klingelte, reichte sie Phobos den Ordner. „Hier. Ich muss mal gerade rangehen.“ Sie holte eine Art Klapphandy aus ihrer Hosentasche und musterte das Gerät hochkonzentriert, als sie versuchte den Anruf anzunehmen. „Das Ding ist neu; ich komme noch nicht so ganz damit klar“, gab sie zur Erklärung preis.

„Yo“, meldete sie sich und hielt sich das Handy ans Ohr.

„Yohoo!“, ertönte eine bekannte Stimme laut aus dem Handy, welches die Autorin schnell wieder von ihrem Ohr entfernte. „Wieso brauchst du so lange zum Abnehmen?“

„Weil das Scheißteil neu ist! Ich gehe nie wieder mit dir auf eine Messe!“, fluchte sie. „Außerdem bist du grade auf Lautsprecher.“

„Vergiss das jetzt einfach und hör mir zu!“, wies der Maler sie aufgeregt an. „Du verpasst grade wirklich was!“

Die Autorin blickte düster zu Phobos auf. „Du schuldest mir was, Kumpel.“

„Was?“, fragte der Maler perplex.

„Nicht du! Ich meinte die Katze, welche übrigens wirklich männlich ist.“

„Ach, so. Aber jetzt hör gefälligst zu“, meinte er aufgeregt und ungeduldig zugleich. „Ich bin ja hergekommen, um Lugia zu zeichnen. In meinem Hyper-Stealth-Sneak-Mode habe ich das natürlich in 3,7 Sekunden geschafft – meine persönliche Bestzeit übrigens, die wahrscheinlich noch nicht einmal von Snake selber getoppt werden kann – aber dann ist alles in die Luft geflogen. Cr- ich meine natürlich des Cops Arch-Nemesis ist aufgetaucht und es ist wie üblich alles in die Brüche gegangen. Live ist das echt ein Erlebnis! Ich musste das Ergebnis erst einmal zeichnen. Der Stiefel, der an der Laterne hängt, ist mir echt gut gelungen, finde ich; auch vom Schattenwurf her. Aber das ist noch nicht das Beste! Gerade ist der Cop angekommen!“

Im Hintergrund konnte Layla wirklich das Fluchen des Cops hören. „LUCIA!“, brüllte er gerade und es hörte sich so an, als wäre etwas Schweres zu Bruch gegangen.

Es heißt ‚Lugia‘…

„Oh, gerade ist die letzte stehende Hauswand eingefallen!“, sagte der Maler überglücklich. „Ich lege auf; ich muss das zeichnen!“

Missmutig schaute die Autorin auf das tutende Telefon in ihrer Hand und dann zu Phobos. „Du schuldest mir wirklich was“, meinte sie finster.

„Wenn es dich beruhigt: ich sehe es ja auch nicht live“, versuchte Phobos die Situation zu retten.

„Hmpf. Schwacher Trost.“ Sie wirkte wirklich ein bisschen geknickt. Auch Thompsons Gläser quietschten ein bisschen trauriger.

Das dumpfe Geräusch von einem einschlagenden Dartpfeil in eine Posterwand unterband jedoch den potentiell aufkommenden Streit zwischen der Autorin und Phobos. Der kollektive Blick richtete sich auf den Eingangsbereich, in dem gerade ein großer, breitschultriger Mann erschien.

Er trug eine Brille und war komplett in schwarz gekleidet, doch die Ausbeulungen unter seiner Lederjacke ließen vermuten, dass der mindestens zwei Waffen darunter trug. Als er näher kam, revidierte sie ihre anfängliche Annahme bezüglich des Alters des Mannes. Er war wesentlich jünger, als sie anfangs gedacht hatte. Älter als sie selbst, aber nicht viel; er schien etwa im selben Alter, wie die Autorin zu sein, welche Layla auf unter dreißig schätzte.

Als er zur Autorin gesellte, welche ihm vielleicht bis zur Schulter reichte, bemerkte sie erst die versteinerte Miene ihres Vaters, der den jungen Mann anstarrte und noch nicht einmal blinzelte. Allerdings zog er Layla näher zu sich, weg von dem Mann.

„Clancy“, sagte Phobos leise und griff nach seinem Arm. „Denk dran, das hier ist neutraler Boden.“

„Gut“, meinte Clancy zwischen knirschenden Zähnen hindurch. „Meinetwegen.“

Der junge Mann sah ihn mit einem berechnenden Blick in den Augen an, aber er brach den Blickkontakt zuerst. Seine Augen sahen denen der Autorin sehr ähnlich. Layla hatte dennoch ein ungutes Gefühl bei ihm. Er öffnete den Reißverschluss seiner Jacke und holte einen großen beigen Umschlag heraus.

„Was?“, fragte er auf den skeptischen Blick der Autorin hin. Seine Stimme war zwar tief, doch bestätigte Laylas zweite Annahme seines Alters.

„Ich glaube, du bekommst eine Glatze“, sinnierte sie.

„Das ist das Gel!“, meinte er aufgebracht und schob sich verteidigend eine Hand über die dunklen Haare.

Die Autorin grinste.

„Wie auch immer… Das ist alles, was ich herausfinden konnte“, erklärte er irritiert und reichte den Umschlag der Autorin.

Die Autorin öffnete den Umschlag und holte ein paar Dokumente heraus. Während sie sie durchblätterte, wurde ihr Gesichtsausdruck auch nicht glücklicher. Schließlich steckte sie die Dokumente wieder in den Umschlag und reichte ihn ebenfalls Phobos.

„Das ist alles, was wir herausgefunden haben, aber im Prinzip steht überall dasselbe drin“, sagte sie, offensichtlich unzufrieden.

„Ich bin mir nicht sicher“, ergriff der junge Mann das Wort, „aber ich glaube irgendwer hat versucht seine Spuren zu verwischen.“

„Ja, den Verdacht hatten wir auch schon“, nickte die Autorin; ein zustimmendes Quietschen hinter der Bar; ein dunkles ‚dödödödöööm!‘ vom Klavierspieler.

„Inwiefern?“, fragte Phobos nach und fing an die Akte des Cops durchzugehen. Abwesend reichte der Clancy den Ordner und den Umschlag.

„Naja, wir haben alle unsere Quellen angezapft, selbst Thompson, aber keiner von uns hat eine offizielle Sichtung eines Dullahans nach Beginn des Siebenjährigen Krieges gefunden“, erklärte sie. „Schaut selbst nach.“

Stirnrunzelnd reichte Clancy Layla den schwarzen Ordner, um selbst den Inhalt des ominösen Umschlags zu untersuchen. Scheinbar wollte er wirklich nicht, dass sie in Kontakt mit irgendetwas kam, was vorher in Kontakt mit dem noch immer namenlosen Mann war.

Dennoch war ihre eigene Neugier geweckt und sie setzte sich an einen der Tische, um den Ordner aufzuschlagen. Sein Inhalt war grob unterteilt in drei Teile, die mit ‚A‘, ‚M‘ und ‚T‘ gekennzeichnet waren.

Steht wahrscheinlich für ‚Autorin‘, ‚Maler‘ und ‚Thompson‘.

Sie widmete sich dem ersten Teil und überflog eine Liste aller offiziellen Sichtungen, die von einer ihr unbekannten Regierung herausgegeben wurde. Layla wusste zwar nicht mehr, wann genau der Siebenjährige Krieg gewesen war, aber die letzte offizielle Sichtung auf der Liste fand im Jahre 1756 statt.

„Du hast Recht“, sagte Phobos langsam. „Der Cop hat auch nichts Offizielles nach 1756 gefunden.“

„Eben“, entgegnete die Autorin. „Nur durch Glück wusste ich von einem Vampir, der einmal einen Dullahan gesehen hat. Er meinte, er hätte in der Nacht, in der er zum Vampir geworden ist, einen Dullahan gesehen, aber der gute Clifford ist erst 1784 geboren und erst 1803 zum Vampir geworden. Daraufhin habe ich ihn hier“ – sie deutete mit dem Daumen auf den namenlosen Mann – „losgeschickt, um zu überprüfen, ob es vielleicht noch andere Fälle von inoffiziellen Sichtungen gab.“

„Die Ergebnisse sind in dem Umschlag“, fügte der Mann hinzu. „Die wenigen Sichtungen, die es gab, sind oft Leuten wiederfahren, die dann später in Irrenhäusern gelandet sind. In Orten wie dem Blackthorne Institute .“

Der Name klang in Laylas Ohren schon unheilverkündend.

„Was quasi gleichbedeutend mit ‚keine Quellen‘ ist“, setzte Clancy nach.

„Richtig. Aber wir haben vorgestern erst auf dem Schwarzmarkt das Tagebuch einer französischen Maitresse gefunden, die nicht in die Klapse eingeliefert wurde“, erwiderte die Autorin. „Die vollständige Kopie ist in dem schwarzen Ordner. Thompson und der Maler haben eine Liste der inoffiziellen Sichtungen erstellt, die alle außer denen in dem Umschlag enthält.“

Als Layla den Ordner auf der Suche nach eben dieser Liste oder dem französischen Tagebuch durchblätterte, stieß sie auf eine Liste der offiziellen Vertragspartner des Dullahan. Eine Reihe von Namen war auf der Liste aufgeführt, alle aus der Familie Ravensworth. Als letztes wurde Neith Ravensworth genannt. Die Liste war wieder von derselben unbekannten Regierung ausgestellt worden; erst jetzt bemerkte sie, dass sich der Sitz dieser Regierung in Limbus City befand.

Das hier sind offizielle Bewahrer-Dokumente! Was für Quellen haben diese Leute?!

„Habt ihr was zu inoffiziellen Vertragspartnern gefunden?“, wollte Phobos wissen.

Die Autorin schüttelte missmutig den Kopf und Thompsons Gläser gaben ein dumpfes Quietschen von sich.

„Nein. Neith Ravensworth scheint die Letzte gewesen zu sein, die mit dem Dullahan einen Vertrag geschlossen hat. Es gab ein paar Beschwörungen, aber der Geist ist nie lange geblieben. Allerdings hat der Dullahan, dem ihr begegnet seid und der in Beschwörungen erschienen ist, auch ein Pferd mit Kopf. Es könnte also auch ein neuer Dullahan sein, was ich aber persönlich nicht glaube.“

Thompson brummte seine Zustimmung.

„Denke ich auch nicht“, stimmte Phobos ebenfalls zu. „Als der Dullahan noch in Sir Williams Diensten stand, hatte sein Pferd auch einen Kopf, erst bei Neith selber hatte das Pferd keinen mehr.“

„Also gibt es nur drei Möglichkeiten: Entweder der Dullahan agiert von sich heraus und unabhängig von einem Vertrag“, nannte Clancy die erste Möglichkeit.

„Oder es gibt einen neuen Vertragspartner, der es geschafft hat, all die Jahre unentdeckt zu bleiben“, zählte Phobos Nummer zwei auf. „Was auch potentiell bislang unbekannte Nachfahren der Ravensworths beinhaltet.“

„Oder Neith Ravensworth ist widererwarten noch am Leben“, schloss die Autorin.

Phobos ließ einen Brummlaut vernehmen, der Lochan stolz gemacht hätte. „Irgendwie gefallen mir alle drei Möglichkeiten nicht“, meinte er zerknirscht. „Vor allem nicht, wenn du solche Dinge sagst, wie ‚sie könnte noch am Leben sein‘.“

Die Autorin lächelte entschuldigend. „Es ist nur eine Vermutung. Aber vielleicht findest du mehr raus, wenn du andere Kontraktgeister fragst. Wir sind alle nur sehr begrenzt magisch begabt und bekommen nur mit Mühe und Not eine Beschwörung hin. Vielleicht hast du mehr Glück.“

„Einen Versuch ist es wert“, nickte Phobos. „Aber danke für eure Hilfe, ich schulde euch wirklich was.“

„Ein explodierendes Gebäude?“, schlug die Autorin mit einer hochgezogenen Braue vor. Das Piercing darin glänzte verschwörerisch.

Phobos lachte auf. „Ich werde sehen, was ich tun kann.“

„Das ist aber auch das Mindeste“, meinte sie grinsend.

„Bitte nicht mein Haus“, warf Clancy trocken ein und legte die Dokumente wieder in den Umschlag zurück. „Das habe ich gerade erst gekauft.“

Layla hatte das unbestimmte Gefühl, dass sie bald aufbrechen würden, also schloss sie ebenfalls den Ordner und stand auf, um sich wieder zu ihrem Vater zu gesellen.

Während sie sich verabschieden wollten, trat Phobos vor und umarmte die Autorin, die sichtlich überrascht darüber war. Selbst der namenlose Mann schien überrascht. „Danke“, meinte Phobos ein letztes Mal und Layla war sich nicht sicher, ob er vielleicht nicht auch Thompson umarmt hätte, wenn er nicht auf der anderen Seite des Tresens gestanden hätte. Stattdessen reichte er ihm und dem jungen Mann die Hand und beide schüttelten sie. Der Einzige, dem er nicht die Hand schüttelte, war der Klavierspieler. Allerdings war dieser auch auf eine imposante Weise damit beschäftigt, ein trauriges Abschiedsstück zu spielen und hatte somit keine Hand zum Schütteln frei.

Als sie die Tür erreicht hatten, hörte Layla den jungen Mann fragen: „Was zauberst du uns denn heute Schönes zum Mittagessen?“

„Ach, mach dir doch ‘n Mettigel“, antwortete die Autorin entnervt und die Tür fiel ins Schloss, sodass Layla die Erwiderung des Unbekannten nicht mehr hören konnte.

Nachspiel

Hinweis:

Bevor ihr dieses Kapitel lest, möchte ich euch darauf hinweisen, dass ich Liams Familienhintergrund geringfügig verändert habe. Falls ihr die Kapitel ab 12 nach dem 12.09.2011 gelesen habt, könnt ihr diesen Hinweis getrost überspringen. Wenn nicht, dann wäre es vielleicht besser, wenn ihr noch einmal einen kurzen Blick in die Steckbriefe von Liam, Bláthín und Hepzibah werft. Im Spoilertag 'Änderungshinweis' steht, was sich geändert hat. Es ist nichts wirklich Gravierendes, aber es wäre vielleicht günstiger, um spätere Verwirrungen zu vermeiden ;)

Damit ihr euch aber nicht versehentlich für dieses Kapitel spoilt, indem ihr nachseht, aktualisiere ich auch alle anderen Steckbriefe erst in einer Woche oder so.

Aber jetzt endlich viel Spaß beim Lesen :D
 

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22. Nachspiel
 

Nachdem seine Tante und Morana ihn aus der Küche verbannt hatten, obwohl er eigentlich nur spülen hatte helfen wollen, hatte sich Constantin grummelnd einen seiner Texte geschnappt und war nach draußen gegangen. Es war klar, dass er wohl kaum Möbel durch die Gegend schieben konnte – wie sich sehr deutlich während des Aufräumens der Folgen des Gegenfluches gezeigt hatte – aber er war nun wirklich nicht mehr so schwach, dass er keine Tasse abtrocknen konnte.

Allerdings schien er niemanden davon überzeugen zu können. Noch nicht einmal Lochan.

Anfangs hatte er Schwierigkeiten, sich auf seinen Text zu konzentrieren, weil seine Gedanken immer wieder zu Layla schwenkten und den ominösen Ort, an den sie mit ihrem Vater und Phobos gegangen war. Wenn er ihren Blick richtig gedeutet hatte, dann hatte sie vor, ihm alles zu erklären. Trotzdem konnte er sich nicht davon abhalten, zu spekulieren, bis ihn schließlich doch sein Text vereinnahmt hatte.

Als es gegen Mittag immer heißer wurde, war Constantin sehr froh, dass die Bank und der Tisch, an denen er saß, unter einem Baum standen, der zwar nicht besonders hoch war, aber dafür eine riesige Baumkrone besaß. Bevor Constantin von Bláthín unterrichtet worden war, hatte er noch nicht einmal gewusst, dass es Sturmlinden überhaupt gab und jetzt saß er unter einer. Jedoch erwähnten seine Texte auch, dass diese Lindenart nur an Orten, die an einer magischen Quelle lagen, zu finden war und ihre Blätter Gifte neutralisierten.

Im Laufe des Vormittags hatten sich sowohl Laylas Großeltern als auch Sybille zu ihm an den alten, verwitterten Holztisch gesellt. Constantin blieb schleierhaft, wie seine Tante bei diesem Wetter immer noch langärmlige Rollkragen-Pullover tragen konnte ; er starb schon fast mit seinem leichten Verband unter seinem T-Shirt. Wahrscheinlich war es bei seiner Tante einfach eine Gewohnheit, die sie nicht ablegen konnte. Soweit er sich erinnern konnte, hatte er sie nie in etwas anderem als einem Rollkragen oder einer langen Bluse und einem weiten Rock gesehen.

Während Constantin gebannt war von den vielen Funktionen, die ihm die gemeine Distel bislang verschwiegen hatte – zum Beispiel, dass Werwölfe vom Pulver der getrockneten Pflanze niesen mussten, während ihr Sud den Biss der Schattennatter linderte – unterhielten sich Morana, Lochan und Sybille über mögliche Schutzzauber, die sie in Zukunft auf ihren Grundstücken zu verwenden gedachten.

Wenn Constantin etwas las, das ihn interessierte, war es außerordentlich schwer, ihn abzulenken, sodass ihn die leisen Gespräche nicht im Geringsten störten. Allerdings hatte er auch genau deswegen Phobos, Clancy und Layla erst bemerkt, als sie schon fast bei ihnen waren. In ihm machte sich ein bislang unbekannter Neid breit, als er Phobos‘ in der Sonne glänzende Haare erblickte. Normalerweise war es ihm vollkommen egal, wie die Haare von anderen Leuten – vor allem die von anderen Männern – aussahen, solange sie nicht offensichtlich hygienisch vernachlässigt wurden, aber Phobos‘ Haare waren einfach… schön.

Erst als die drei näher kamen, bemerkte Constantin ihre Mienen: Layla wirkte verwirrt und immer noch nicht ganz ausgeschlafen, als sie versuchte ein Gähnen zu unterdrücken, während Clancy missmutig die Arme verschränkt hatte und Phobos gerade die Augen verdrehte.

„Wer ist Jack Freeks?“, hörte Constantin Layla fragen, als sie in Hörweite kamen.

Clancy schoss Phobos einen dunklen Blick zu.

Morana drehte sich zu ihnen mit gerunzelter Stirn um. „Was habt ihr mit Freeks zu schaffen?“

„Er war auch in der Bar“, meine Clancy mit knirschenden Zähnen.

Bar? Freaks? Worum geht es überhaupt?

Constantin verstand nur Bahnhof. „Wer ist ein Freak?“

„Ein Profiauftragskiller“, antwortete zu seiner Überraschung seine Tante und nippte seelenruhig an ihrem Tee, als wäre es das Normalste der Welt über Profikiller zu reden. „Und es heißt ‚Freeks‘ mit Doppel-E.“

Layla drehte sich perplex von ihrem Vater zu Phobos. „Jetzt echt?“

Clancy überging sie geflissentlich und wandte sich an Phobos. „Es hätte wer-weiß-was mit dem Kerl passieren können! Und du hast Layla mitgenommen, obwohl du wusstest, dass solche Typen dort verkehren?!“

„Woher kennst du Profikiller?“, fragte Constantin seine Tante baff.

„Ich bin ein gutes Medium“, meinte sie nur bescheiden und Morana lachte laut und amüsiert auf.

„Clancy, die Bar ist eine neutrale Zone. Niemand wagt auch nur den Gedanken daran, irgendeinen Mist dort anzustellen. Außerdem droht keinem hier Gefahr von Jack Freeks“, bemühte sich Phobos ruhig zu erklären, aber Constantin konnte sehen, dass er sich anstrengte, um nicht doch eine wütende Antwort zu geben.

„Wie kannst du dir da so sicher sein?“, fragte Clancy regelrecht fassungslos.

„Weil seine Schwester mich mag“, entgegnete Phobos mit zusammengezogenen Brauen. „Meistens zumindest.“

„Seine Schwester?! Was zum Geier hat seine Schwester hiermit zu tun?“

„Ich wusste gar nicht, dass er eine hat“, kam es von Morana verwundert, aber leise.

„Naja, du hast ihr eben die Hand geschüttelt“, erklärte Phobos mit einer weit ausholenden Geste.

Sowohl Clancy als auch Layla starrten ihn vollkommen überrumpelt an.

Was?! D-die Autorin?“, kam es stockend von Clancy, als es scheinbar ‚klick‘ machte. Constantin hatte aber immer weniger Ahnung, worum es gehen könnte, allerdings sahen auch Laylas Großeltern nicht viel wissender aus. Nur seine Tante wirkte nicht verwirrt, aber laut ihrer eigenen Aussage war sie ja ein gutes Medium.

„Nur damit ich das richtig verstanden habe: Die Autorin und dieser Killer sind Geschwister?“ Layla wirkte mehr als nur skeptisch.

„Genau“, nickte Phobos, nun sichtlich an ihrer perplexen Reaktion erfreut.

„Was für Leute kennst du eigentlich?“

Wie zu erwarten, grinste Phobos außerordentlich breit.

„Schön und gut; die beiden sind Geschwister“, ergriff Clancy das Wort, als er sich scheinbar wieder gefangen hatte, „aber das heißt noch lange nicht, dass Freeks keinen von uns umlegt, wenn er eine Lkw-Ladung Geld bekommt.“

„Doch“, erwiderte Phobos mit einem Mal ernst, „genau das heißt es. In der Bar-“

„Moment, Moment!“, schaltete sich Morana ein und sah von einem zum anderen. „Könnt ihr uns vielleicht endlich erklären, was es mit dieser ‚Bar‘ auf sich hat? Ich bekomme langsam Kopfschmerzen…“

Laut Phobos Erklärungen war ‚Thompson’s Bar‘ ein Ort, an dem man Antworten auf gewisse, speziellere Fragen bekommen kann, auch wenn es sich allem Anschein nach wirklich um eine Bar handelte. Wenn man die Bar fand, konnte man natürlich einfach etwas zu trinken bestellen, oder aber die Stammgäste nach spezielleren Informationen fragen, an die man auf andere Art und Weise niemals gekommen wäre, während der Barkeeper jedoch kein Wort über die Lippen zu bringen schien. (Layla warf jedoch ein, dass seine Gläser sehr ausdrucksstark zu quietschen vermochten.) Die Stammgäste wurden niemals bei ihrem Namen genannt, sondern nur mit ihren jeweiligen Berufsbezeichnungen angesprochen: Cop, Maler und Autorin. Allerdings klang es auch so, als würde Phobos selber häufig in dieser Bar anzutreffen zu sein…

„Die schiere Masse an Informationen, die dort über den Tresen geworfen wird, ist so gewaltig, dass man sie auf gar keinen Fall unterschätzen darf“, sagte Phobos, nachdem auch er Clancy und Layla sich an den Tisch gesetzt hatten. „Wissen ist wortwörtlich Macht. Wir erfahren oder wissen Dinge, die nicht jeder – in einigen Fällen besser niemand – kennen sollte; auch über einander. Also sind wir übereingekommen, dass wir niemals etwas gegeneinander unternehmen oder gegen unsere Familien. Die einzigen beiden Ausnahmen wären, wenn einer von uns die anderen verrät oder wir selbst gewissen Personen unseres Umfeldes diesen Schutz entziehen. Also, da ihr praktisch meine Familie seid, seid ihr sicher vor Freeks. Die Autorin würde ihm das Leben zur Hölle machen, wenn er auf dumme Gedanken käme, wie zum Beispiel einen entsprechenden Job anzunehmen.“

„‘Wir‘? Das klingt so, als würdest du dich als fester Bestandteil der Bar sehen?“, fragte Constantin schließlich.

„Tue ich auch“, entgegnete Phobos nonchalant mit der Schulter zuckend. „Ich habe durchaus noch ein anderes Leben neben Katzenfutter und Wollknäulen, welche mich nebenbei nie sonderlich interessiert haben, geführt. Mal im Ernst, was soll dieser Mist mit Katzen und Wollknäulen?!“

Phobos sah fast so aus, als wollte er einen Vortrag über den Missbrauch von Katzen durch Wollknäule halten, als Layla ihn unterbrach.

„Dann… heißt die Autorin auch ‚Freeks‘?“

„Hm? Oh, nein.“ Phobos schüttelte den Kopf. „‘Jack Freeks‘ ist an sich ein Codename. Und selbst der Name, unter dem ich die Autorin kenne, ist nicht ihr richtiger; genauso wenig, wie der des Malers. Und ihre Künstlernamen lauten auch wieder anders.“

„Oh.“ Layla klang fast ein bisschen enttäuscht. Constantin vermutete, dass sie vorgehabt hatte, den Namen nachzuschlagen. Das wäre zumindest das Erste gewesen, was er versucht hätte.

„Zumindest scheinen diese Bar-Leute gut in ihrem… Beruf zu sein“, meinte Lochan und richtete seinen Blick auf den schwarzen Ordner, der vor Layla lag.

„Mehr oder weniger“, sagte Phobos. „Aber sie haben wahrscheinlich alle Register gezogen, die sie hatten.“

„Das klingt aber nicht sonderlich erfreut“, warf Morana skeptisch ein und griff nach dem Ordner. Als sie ihn irgendwo in der Mitte aufschlug, schossen ihre Augenbrauen in die Höhe. „Ist das van Harlochs Unterschrift?!“ Augenblicklich lehnte sich Lochan zu seiner Frau hinüber, um ebenfalls den Inhalts Ordners betrachten zu können.

Wieder breitete sich ein breites Grinsen auf Phobos‘ Gesicht aus. „Schon möglich.“

Lochan sah verblüfft aus, als er wieder aufblickte. „Also man kann nicht sagen, dass deine Freunde keine Ressourcen haben…“
 

„Der Barmann trägt wirklich eine Wrestlermaske?“, fragte Constantin.

Layla sah von ihrer Wasserschüssel auf und schmunzelte. „Ja, wirklich.“

„Mit einer Aussparung für seinen Iro?“

Sie lachte auf. „Ja.“

„Und der Klavierspieler kann alles spielen?“

Sie saßen sich im Schneidersitz gegenüber im Gras unter der Sturmlinde und Layla erstattete ihm einen außerordentlich ausführlichen Bericht über Thompson‘s Bar, während Constantin seine Hände über das Gras gleiten ließ und Layla das Wasser in einer Schüssel vor sich zum Tanzen brachte. Die Grashalme folgten jeder seiner Bewegung in der Windstille.

Sie waren mittlerweile alleine, denn alle anderen sichteten entweder die Informationen, die sie in der Bar erhalten hatten, oder waren wieder einmal damit beschäftigt Essen zuzubereiten. Constantin bekam langsam das Gefühl, dass Laylas Familie immer aß.

„Ich bin mir ziemlich sicher, ja.“ Als sie grinste, funkelten ihre Augen. „Sein Imperial March klang schon mal sehr authentisch.“

„Der Imperial March klingt bei jedem authentisch; selbst bei mir“, warf Constantin ein.

Sie sah ihn skeptisch und amüsiert zugleich an. „Du kannst Klavier spielen?“

„Spielen würde ich das nicht direkt nennen… Eher ‚Instrumentvergewaltigung‘“, entgegnete er trocken und vollkommen von seinen Fähigkeiten überzeugt. Sein Vater hätte niemals die unglaublich blöde Idee haben sollen, ihn zum Klavierspielen zu zwingen. „Ich bin mir ziemlich sicher, dass die Ohren meines Vaters noch heute bei der Erinnerung daran bluten.“

Layla konnte sich einen kurzen, prustenden Lacher nicht verkneifen, bevor sie aber schließlich den Kopf schüttelte. „Aber ehrlich mal, ich frage mich echt, wie man solche Leute kennenlernt.“

Constantin musste schmunzeln. „Frag Phobos. Allerdings glaube ich, dass Leute mit seinen Haaren alles erreichen…“

„Ja, seine Haare! Den Verdacht hatte ich auch schon. Ich entwickele langsam wirklichen Neid und den unweigerlichen Wunsch nach langen schwarzen Haaren…“

Constantin warf ihr einen trockenen Blick zu. „Naja…“

„Es würde furchtbar aussehen, ja“, stimmte sie ihm zu und nickte geschlagen, aber tapfer. „Damit werde ich wohl leben müssen.“

Dennoch lachten sie beide auf.

„War van Harloch nicht ein Wächter oder sowas?“, fragte Constantin nach einer Weile.

„Ja. Ich glaube sogar ein Bewahrer“, antwortete Layla.

„Also ich weiß grade ehrlich nicht, ob ich die Insassen aus Thompson’s Bar cool finden oder vor ihnen Angst haben soll…“

Wieder lachte sie und stimmte ihm nickend zu. „So geht es mir auch. Auf der einen Seite sind die total Banane im Kopf und wollen sich einen Dalek in die Bar stellen, aber dann kommen sie einfach so an geheime Bewahrer-Dokumente und uralte, französische Tagebücher!“

„Einen Dalek? Wirklich?“

„Ja, aber leider haben der Maler und die Autorin die Diskussion gegen Thompson verloren.“

„Schade. Daleks sind so viel cooler als Cybermen.“

„Finde ich auch.“

Mit einem schiefen Grinsen auf den Lippen beobachtete er wie Layla den unteren Teil ihrer Wasserschüssel gefrieren ließ und aus dem oberen ein Männchen formte, das darauf Schlittschuh fuhr.

„Ich kann ja verstehen, dass es überhaupt nichts bringt“, meinte Constantin, als er per Magie einige feine, abgestorbene Wurzeln aus dem Boden hervorholte, „wenn wir mit ihnen diese ominösen Dokumente durchgehen, weil uns die Hälfte ohnehin nichts sagt und wir eh die ganze Zeit nachfragen müssten, was wahrscheinlich kontraproduktiv wäre.“ In Gedanken begann er die Wurzeln zu verformen. „Aber ich will trotzdem wissen, was drinsteht.“

„Ich auch.“ Sie blickte ihn an, scheinbar, um noch etwas zu sagen, doch dann zog sie ihre Stirn in tiefe Falten. „Was machst du da eigentlich?“

„Einen Hut“, antwortete er und hielt das kleine Kunstwerk aus abgestorbenen Wurzeln hoch. Er verspürte doch ein wenig Stolz bei dem Anblick.

„Einen Hut?“

„Genau, einen Hut.“

„Wofür?“

„Damit der Schlittschuhläufer nicht mehr nackt ist.“

„Aber der ist eine Schlittschuhläuferin.“

Constantin sah sie tadelnd an. „Du lässt hier einfach eine nackte Frau Schlittschuh fahren, wenn dein Vater jeden Moment rauskommen könnte? Schäm dich.“

Er beugte sich zu der kleinen Figur hinunter, die mittlerweile angehalten hatte und ihm den ebenso kleinen Kopf entgegenstreckte. Vorsichtig setzte er ihr den winzigen Hut auf. Die Figur stand noch einen Moment auf dem Fleck, als Layla sie überrumpelt anstarrte. Als sie sich wieder gefangen hatte, ließ sie die kleine Figur wieder über das Eis gleiten.

„Wenn du nicht willst, dass die Figur nackt ist, warum gibst du ihr dann einen Hut und keine Jacke oder eine Hose?“, fragte sie die Figur anstarrend.

„Weil… die zu lange zum Anziehen brauchen“, sog er sich einen Grund aus den Fingern.

„Natürlich“, entgegnete Layla gedehnt und ironisch. Doch bevor sie etwas anderes sagte, runzelte sich ihre Stirn, als ihr Blick sich auf etwas über Constantins Schulter richtete.

„Was?“, wollte er wissen und drehte sich zu schnell um, sodass er als Strafe für sein unüberlegtes Handeln ein unangenehmes Ziehen in der Brust verspürte. Auch wenn die Wunde gut verheilte, würde er noch eine ganze Weile seinen Spaß an der Verwundung, die ihm der Dullahan hinzugefügt hatte, haben.

Jedoch als er die Frau unweit von ihm stehen sah, vergaß er für einen Moment zu fluchen.

Aygül war keine zehn Meter von ihnen entfernt und als sie auf ihn und Layla zukam, wehte ihre beige Robe im Wind. Constantin benötigte einen Augenblick, um zu realisieren, dass ihre Robe tatsächlich in einer Sandwolke endete, die fein wabernd hinter ihr herschwebte. Ihr Gesicht wirkte ernst und der Ausdruck wurde auch nicht durch ihre straff zurückgebundenen Haare gelindert. Aber vielleicht ein bisschen durch das Sandwich in ihrer Hand.

Das letzte Treffen mit Aygül, an das Constantin sich aktiv erinnern konnte, lag schon einige Wochen zurück; der Beginn der Ferien, als er und Layla die seltsame Hütte im Wald erneut hatten erkunden wollen und dort nicht nur auf Aygül und Roland getroffen, sondern auch das erste Mal von Formori überrascht worden waren. Zwischen Tür und Angel hatte er von Bláthín und Lochan erfahren, dass sie ebenfalls hier gewesen war, als der Dullahan seine Mini-Armee aus Nebelschatten zum Angriff hierher geführt hatte, und sie auf ihrer Seite gekämpft hatte. Constantin hatte sie zwar nicht gesehen, aber er war zugegebener Maßen auch nicht besonders lange am Kampf beteiligt gewesen. Er glaubte Lochan zwar, dass Aygül auf ihrer Seite war, doch war sie immer noch keine Person, die er gerne sah. Schlechte erste Eindrücke lassen sich selten leicht beheben.

Nachdem Aygül einen großen Bissen ihres Sandwiches heruntergeschluckt hatte, war sie schließlich bei Constantin und Layla angekommen. Wie in stummer Absprache hatten sich beide aus dem Schneidersitz erhoben; scheinbar traute auch Layla der Wächterin noch nicht ganz über den Weg. Die Schüssel zu ihren Füßen war wieder nur mit Wasser gefüllt und ein kleiner Hut schwamm auf dessen Oberfläche.

Aygül nickte ihnen zur Begrüßung zu, aber verlor kein weiteres überflüssiges Wort. „Layla“, sagte sie sofort ernst, „wo ist dein Vater? Ich muss mit ihm reden, es ist wichtig.“

Layla runzelte verwundert die Stirn, doch sagte nichts Herausforderndes. „Drinnen“, antwortete sie stattdessen.

„Danke“, erwiderte Aygül grimmig und wandte sich raschen Schrittes in Richtung Wohnhaus. Layla warf ihm einen argwöhnischen Blick zu, den Constantin mit einem nicht ganz so angenehmen Schulterzucken erwiderte. Diese wenigen Gesten waren alles, was sie an Diskussion aufbrachten und sie beeilten sich, um nicht hinter Aygül zurückzubleiben.

Als sie sie eingeholt hatten, hatte sie bereits an der Hintertür zur Küche geklopft und ein überraschter Liam hatte ihr die Tür geöffnet. Scheinbar war er mit seiner Mutter und seiner Schwester zum Kaffee vorbeigekommen, ohne dass weder Constantin noch Layla etwas davon mitbekommen hatten. Constantin hörte gerade noch die Aygül ernst darum bat mit Clancy sprechen zu dürfen, bevor dieser auch schon mit einem fragenden, aber zugleich grimmigen Ausdruck auf dem Gesicht an Liam vorbei auf den Hinterhof trat. Constantin hatte eine ungute Vorahnung.

„Der Entwurf ist gerade durchgekommen“, berichtete Aygül ohne irgendwelche Präambeln. „Ich bin zwar so schnell gekommen, wie ich konnte, aber ich weiß nicht, wie viel Zeit wir haben, bis sie hier sind oder auf welche Art und Weise sie sich Geltung verschaffen wollen.“

Als Antwort darauf fluchte Clancy leise, aber dafür von Herzen.

Constantin gefiel die ganze Angelegenheit immer weniger. Außerdem hatte er keine Ahnung, worum es ging. Noch ein Grund mehr um es, was auch immer ‚es‘ war, nicht zu mögen. Allerdings schien er nicht der Einzige zu sein; Layla und Liam sahen so verwundert aus, wie er sich fühlte.

„Was für ein Entwurf?“, fragte Bláthín als sie neben ihren Sohn trat.

„Geht es um die Wächter?“, kam es von Layla.

Aygül zögerte und Constantin konnte sehen, wie sie mit sich haderte, als sie Clancy einen unruhigen Blick zuwarf. Als ihr alter Lehrmeister missmutig nickte, begann sie zu erklären.

„Der Rat der Bewahrer und Wächter hat eine Bestimmung erlassen, die dafür sorgen soll, dass junge Druiden nur noch von offiziellen Wächtern oder von ihnen sanktionierten Lehrern ausgebildet werden können. Sie wollen sich damit das Lehrmonopol verschaffen und gleichzeitig Spaltgruppen wie zum Beispiel die Söldner entmachten. Indem sie auch verlangen, dass jeder private Lehrmeister nur noch einen Schüler haben darf, wird auch unterbunden, dass Geschwister gleichzeitig von ihren Eltern unterrichtet werden.“

„Das wird sich die magische Bevölkerung doch niemals gefallen lassen!“, warf Sybille regelrecht entrüstet ein.

„Das hoffe ich“, meinte Aygül düster. „Aber die Wächter sind in den letzten zehn Jahren immer militaristischer geworden… ich bin mir sicher, dass sie irgendetwas Ungutes verbergen. Es gibt so einige Ungereimtheiten.“ Ihre Stimme klang verbittert und zornig zugleich.

„Das geht doch viel zu sehr in das Privatleben und die eigne Entscheidungsfreiheit“, warf Liam ein. „Das schränkt zu viele persönliche Rechte ein.“

„Nicht, dass ich es nicht wertschätzen würde, dass du uns warnst, Aygül“, sagte Bláthín, „aber warum kommst du sofort zu uns? Wir sind nur eine kleine Gruppe, um die man sich normaler Weise erst sehr viel später kümmern würde. Vor allem hätten wir auch im Notfall genügend Lehrmeister.“

Wieder zögerte Aygül und warf Clancy einen weiteren Blick zu. Er wirkte zerknirscht und rollte mit einer Schulter. Constantin war sich sicher, dass Clancy den Grund wusste, weshalb Aygül hier war, aber ihm dieser Grund ganz und gar nicht gefiel.

Als Aygül wieder das Wort ergriff, klang sie entschuldigend. „Weil der Entwurf von Flynn ausging.“

Sowohl Liams als auch Bláthíns Gesicht versteinerte sich augenblicklich. Selbst Bláthíns Lippen waren blass, als sie ihren Bruder mit aufgerissenen Augen geschockt ansah.

Scheinbar ist dieser Flynn-Typ hier nicht sonderlich beliebt.

„Warum…“, begann Bláthín und klang ein wenig vorwurfsvoll.

„Was hätte ich dir denn sagen sollen?!“, kam es ärgerlich von Clancy. Es war offensichtlich, dass er noch mehr sagen wollte, doch ein Geräusch ließ ihn inne halten.

„Aaygüüül !“, ertönte ein tiefes, unmenschliches Grollen.

Clancys Blick schnellte augenblicklich nach oben und auch Aygül wandte sich herum. Beide sahen auf einen flüchtigen Blick hin nicht sonderlich beunruhigt aus, aber hielten eine Spannung im Körper, die Constantin an große Raubkatzen bei der Jagd erinnerte.

Die beiden waren mit ihrer Reaktion nicht alleine gewesen.

Alle Anwesenden hatten sich angespannt der knurrenden Stimme zugewandt.

Constantin sah, wie ein riesiger, brauner Wolf um die Ecke des Hauses kam. Die Brust des Untieres hob und senkte sich schnell, als sei es im Sprint von weither gelaufen und hatte erst am Haus angefangen zu bremsen. Seine gelben Augen waren auf Aygül fixiert, die kühl zurückstarrte. Constantin bewunderte sie widerwillig für ihre Selbstbeherrschung; er selbst hatte eine trockene Kehle bekommen und verspürte trotzdem den unbedingten Wunsch zu schlucken.

„Was ist, Roland?“, erwiderte sie gelassen. „Kann ich noch nicht einmal alte Bekannte besuchen, ohne dass du mich überwachst?“

Roland?! Dieses Biest ist Roland? Der Kerl, der mehr Bart als Mann war?

„Scheinbarr habe ich zurrecht so gehandelt“, knurrte Roland . Seine Stimme klang kehlig und rau, als sei sein Kehlkopf nicht für das Sprechen, sondern für andere, primitivere Laute gedacht. Auch Constantins Runenring vermochte nicht über diese Begleiterscheinung hinwegzuhelfen. „Khaum wendet man dirr den Rrühcken zu, machsst du Dummheitenn.“

„Weil dieser Erlass vollkommen hirnrissig ist! Dass musst du doch auch merken!“, entgegnete sie wütend.

„Pass auff, wass du sagsst“, erwiderte der Wolf und seine Augen verengten sich gefährlich. „Du klingsst wie eine Sseparratisstinn!“

Der Himmel hatte sich mit einem Mal zugezogen und ein kalter Wind blies über das Gelände. Constantin tauschte einen raschen Blick mit Layla aus; auch ihr schien die ganze Angelegenheit nicht zu gefallen. Scheinbar unbewusst trat sie von einem Fuß auf den anderen.

„Wag es ja nicht mir zu drohen, Roland!“ Auch Aygüls Augen verengten sich zu Schlitzen. „Wenn es bedeutet, nicht hinter kontrollfetischistischen Erlassen zu stehen, dann bin ich lieber eine Separatistin, als wie ein toter Fisch mit dem Strom zu schwimmen.“

Wolf-Roland sah sie einige Augenblicke an, ohne etwas zu sagen. Sein Wolfsgesicht war etwas gänzlich Neues für Constantin und er hatte keine Ahnung, was in Rolands Kopf vor sich ging.

„Na, er wird sich denn hier streiten?“, ließ eine weitere unbekannte Stimme vernehmen. Constantin konnte aber weit und breit niemanden sehen, dem die Stimme gehören konnte.

Bis sich sein Blick auf einen kleinen Luftwirbel richtete, der sich nicht unweit von Wolf-Roland gebildet hatte. Der Wirbel wurde zunehmend größer und der Wind stärker, bis sich in seinem Inneren etwas zu verdichten schien. Es dauerte nicht lange, bis Constantin einen Körper im Herzen des Miniaturtornados ausmachen konnte.

Keine zehn Sekunden später begann sich der Wind zu legen und ein Mann trat aus dem Wirbel heraus. Er war groß gewachsen, von ansehnlicher Statur und schien seinen schwarzen Gehstock nicht als Fortbewegungshilfe bei sich zu tragen. Sein dunkler Anzug war in einer Constantin unbekannten Mode geschneidert worden und ein goldenes Emblem zierte sein Revers, während er ein dunkles Clipboard unter dem Arm trug. Seine grauen Augen wirkten eisig und die straff zurückgekämmten, braunen Haare wurden an den Schläfen bereits grau. Der unbekannte Mann schien sich zwar in Form zu halten, doch Constantin schätzte ihn dennoch auf etwa fünfzig.

Keiner der Anwesenden machte sich die Mühe den Mann zu begrüßen, noch nicht einmal Roland.

Es dauerte eine Weile bis Clancy schließlich als Erster das Wort ergriff. „Was willst du hier… Flynn?“, fragte Laylas Vater ausgesprochen ruhig, auch wenn er einige Augenblicke verstreichen ließ, bevor er den Namen sagte. Nichts hätte Constantin in diesem Moment mehr beunruhigen können, als ein ‚ausgesprochen ruhiger‘ Clancy. Er hatte gelernt, dass der Gemütszustand ‚ausgesprochen ruhig‘ bei Clancy selten etwas Positives war.

Constantin hielt es für außerordentlich unwahrscheinlich, dass dieser Mann nicht der Urheber dieses ominösen Erlasses war. So viele Zufälle gab es sicher nicht auf einem Haufen. Außerdem warf ihm Bláthín Blicke wie Messerstiche zu.

Flynn verzog seine Miene nur minimal, als Clancy seinen Namen nannte, und trat schließlich an Roland so achtlos vorbei, als sei er ein zahmer Schoßhund und kein zwei Meter großer Werwolf mit einem äußerst fragwürdigen Charakter. Flynns Lächeln war so eisig wie seine Augen und durchzogen von Arroganz, als er sich Clancy und somit auch allen anderen näherte, die mittlerweile aus dem Haus geströmt waren.

„Wie Macar“ – er nickte Aygül zu – „dir sicher schon mitgeteilt hat, ist kürzlich ein Edikt vom Rat bewilligt worden“, erklärte Flynn gelassen. „Alle jungen Runendruiden werden fortan von Wächtern ausgebildet. Es gibt keinen Heimunterricht von unqualifizierten Lehrkörpern mehr und jeder Nicht-Wächter muss sich über eine Prüfung durch den Rat qualifizieren. Ich bin lediglich hier, um die künftigen Lehrmeister zuzuteilen.“

„Hilf mir doch freundlicher Weise auf die Sprünge; inwiefern bin ich denn bitte nicht dafür qualifiziert jemanden auszubilden?“, wollte Clancy kühl wissen. „Ich meine mich daran erinnern zu können, dass ich genau das für fast fünfzehn Jahre gemacht habe. Für den Rat, möchte ich hinzufügen.“ Seine Stimme hatte sich keinen Augenblick angehoben, aber die unterschwellige Herausforderung wurde dennoch mehr als deutlich. „Ich denke, ich kann durchaus drei Jugendliche handhaben.“

Aus der Nähe konnte Constantin sehen, wie ein wütender Ausdruck kurz über Flynns Gesicht huschte, auch wenn er sich fast augenblicklich wieder fing.

„Das mag vielleicht sein, aber du darfst nur einen Schüler unterrichten und keine drei“, erwiderte Flynn. „Und du bist kein Wächter mehr.“ Der letzte Satz hatte in Constantins Ohren einen harten Nachklang.

Constantin schien heute auf dem Schlauch zu stehen, denn er realisierte erst jetzt, wer diese ominöse dritte Person war, von der Clancy und Flynn redeten, als Flynn nach einem sehr langen Blick in Laylas Richtung zu Hepzibah hinübersah.

Clancys einzige Reaktion bestand darin die Augen zu verengen.

„Nicht zu vergessen; was ist mit Bláthíns… Tochter, sobald du dich wieder nach Deutschland verkriechst?“ Constantin war sich ziemlich sicher, dass das Wort, mit dem Flynn Hepzibah eigentlich betiteln wollte, wesentlich unschöner als ‚Tochter‘ war. „Wer wird sie unterrichten? Es wäre für euch doch wesentlich einfacher, wenn ihr die drei einfach bei den Wächtern auflisten würdet, oder nicht?“

„Eher befreie ich die Göttin der Dunkelheit eigenhändig“, zischte Bláthín fast und zog Hepzibah näher an ihre Seite.

Schon fast zu Constantins Überraschung stellte sich Liam ebenfalls schützend vor sie und sah Flynn mit glühenden Augen an. „Bevor ich meine Schwester zu deinen Leuten lasse, friert die Hölle zu!“

„Deine Schwester?“ Flynn klang regelrecht erzürnt. „Ich muss mich wohl verhört haben!“

„Sie ist mehr meine Schwester, als du mein Vater!“, presste Liam düster zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.

Nun war Constantin wirklich überrascht. Die Situation schlug nun eine Wendung ein, die er nicht wirklich erwartet hatte. Ein Blick auf Laylas geschocktes Gesicht, sagte ihm, dass auch sie nicht gewusst hatte, wer genau Liams leiblicher Vater war. Selbst Hepzibah sah erstaunt aus. Etwas musste mit Flynn ordentlich schief gelaufen sein, wenn er noch nicht einmal in der Familie erwähnt worden war. Sowohl Clancy als auch Bláthín ignorierten ihre Töchter und begnügten sich damit Flynn düster anzustarren.

„Was nichts an der Tatsache ändert, dass sie einen offiziellen, von den Wächtern zugelassenen Lehrmeister braucht“, entgegnete Flynn unbeeindruckt. „Also, wen soll ich aufschreiben?“

„Mich“, sagte zu Constantins erneuter Überraschung Aygül. Wenn man Flynn etwas zugutehalten musste, dann war es die Tatsache, dass er seine Perplexität rasch mit einem neutralen Ausdruck überdeckte. Als er sich ihr aber zuwandte, breitete sich ein feines, aber keineswegs freundliches Lächeln auf Aygüls Lippen aus. „Ich bin mir ziemlich sicher, wenn ich deinen unhöflichen Bengel von einem unfähigen Schüler beaufsichtigen kann, kann ich sicher auch die Tochter einer exzellenten Heilerin ausbilden.“

Bevor irgendjemand etwas einwerfen konnte, hatte Bláthín schon „Einverstanden!“ gesagt. Eher zerknirscht schrieb Flynn Aygüls Namen auf sein Clipboard.

„Und dann wohl McCambridge für McCambridge Junior?“, meinte er fragend, obwohl er keine wirkliche Antwort zu erwarten schien, und wollte gerade zum Schreiben ansetzen.

„Nein“, unterbrach ihn Clancy. „McCambridge für Morgenthal.“

Flynn sah ihn zweifelnd an.

„Ich unterrichte Layla“, ertönte zum ersten Mal Phobos Stimme.

Flynn wandte sich um und sah wahrscheinlich zum ersten Mal in seinem Leben den langhaarigen Kerl, der im Türrahmen erschienen war. Kein Wunder bei Phobos‘ pelziger Vergangenheit.

„Und Sie sind?“, fragte Flynn mit hochgezogenen Brauen und ein spöttelnder Unterton schlich sich in seine Stimme. Er schien der Meinung zu sein, dass er jeden, den er für einen qualifizierten Lehrmeister hielt, zu kennen glaubte. Wie auf Kommando begann nun Roland zu knurren.

Phobos grinste regelrecht bösartig. „Frag deinen Schoßhund, wenn du mich selber schon nicht erkennst.“

„Cait Ssith!“, grollte der Große Böse Wolf.

Flynns Augen weiteten sich einen Moment vor Schock.

„Wenn du, ach so großer Häuptling, der du diesen Mist von einem Edikt verzapft hast“, erklärte Phobos mit einer regelrecht sinister wirkenden Fröhlichkeit, „der Meinung bist, dass ich irgendwelche Tests machen soll, bevor ich jemanden unterrichten darf, dann will ich dich nur außerordentlich freundlich darauf hinweisen, dass ich bereits Magie gewirkt habe, als dein Großvater noch nicht einmal daran gedacht hat, seine Windeln zu besudeln.“

Er grinste nur noch breiter und seine Augen funkelten unheilverkündend, als er näher an Flynn herantrat. Flynn war ein verhältnismäßig großer Mann, doch Phobos überragte ihn immer noch um einige Zentimeter und er musste den Blick heben, um Phobos in die Augen sehen zu können. Je näher Phobos Flynn kam, desto mehr wich die Fröhlichkeit aus seiner Stimme und die subtile Drohung wurde nur offensichtlicher, als er die Stimme senkte, aber seinen Mund weiterhin dieses verstörende Lächeln zierte.

Constantin war sich in diesem Moment nicht sicher, ob dieses ganze Gebaren gespielt war oder ob Phobos wirklich Freude dabei empfand, wie sich der Wächter metaphorisch vor ihm wand.

Selbst Roland hatte mittlerweile aufgehört zu knurren.

Die Bedrohlichkeit der Situation, die Constantin einen Schauer den Rücken hinunterjagte, legte sich schlagartig, als Phobos Flynn unerwartet freundschaftlich auf den Arm klopfte und seine Lippen sich wieder zu einem nicht ganz so düsteren Grinsen verzogen.

„Aber da du kleiner Wicht und der Rat der superbesten Freunde ja ohnehin dafür sorgt, dass sich jedes Mitglied der magischen Gemeinschaft möglichst nicht euch anschließt, sind wir, die arme, unglückliche Bevölkerung, ja vor nicht ganz so subtilen Kontrollversuchen geschützt! Schön eigentlich“, meinte Phobos wieder mit derselben verunsichernden Fröhlichkeit.

Memo an mich: Niemals einen Streit mit Phobos anfangen!

„Johnathan“, raspelte Lochan schließlich, ehe Phobos fortfahren konnte. Er klang ruhig und im Vergleich zu den meisten anderen höflich, was seiner finalen Autorität keinen Abbruch tat, als er seinen Blick auf Flynn richtete. „Ich denke, du hast bekommen, was du wolltest, daher bitte ich dich zu gehen. Du bist auf meinem Land nicht mehr willkommen.“

Mit einem Kopfnicken bedeutete Flynn Roland, den Rückzug anzutreten. Der riesenhafte Wolf sah Aygül noch einmal mit seinen gelben Wolfsaugen an, ehe er sich umwandte und der Anordnung Folge leistete. Als das Trommeln seiner Tatzen leiser wurde, drehte sich Flynn noch ein letztes Mal um und warf dem alten, auf seinen Stock gestützten Mann noch einen Blick zu, bevor er sich, mit bitteren Zügen um den Mund, abwandte und wieder in einem Wirbel aus Luft verschwand.

Doppelleben

Argwöhnisch betrachtete sie ihr Gesicht im Spiegel.

Ich hoffe die Massen an Make-up verdecken es…

Zögerlich berührte Yasmin ihre Wange. Und zuckte augenblicklich zusammen. Ihre Wange brannte immer noch höllisch. Das Einzige, worauf sie hoffen konnte, war, dass niemand so genau hinsah. Vor allem Constantin nicht…

Wäre es gestern nicht schon wieder passiert, wäre sie auch nicht wieder ausgerastet. Yasmin wünschte sich nicht zum ersten Mal verbittert, dass sie es einfach ausstellen und aus ihrem Leben verbannen konnte.

Nach einer weiteren kritischen Betrachtung ihres Gesichts, beschloss sie, dass sie es nicht besser hinbiegen konnte. Sie hatte sogar dunklen Lidschatten aufgelegt, um die Verfärbung zu kaschieren. Zur Not konnte sie ja immer noch etwas von Zahnschmerzen oder Mückenstichen sagen.

So leise sie konnte, ging sie in ihr kleines Zimmer, griff sich ihre Schulsachen und schlich sich dann die schmale Treppe im Flur hinunter. Ein flüchtiger Blick ins Wohnzimmer zeigte ihr nur, ihren Arm, der über der Lehne des Sofas hing und die Flasche Korn, die sie gehalten haben musste, lag umgekippt auf der Seite auf dem Teppich. Allerdings hatte sie die Flasche soweit geleert, dass nichts mehr hinauslief. Trotzdem stank die ganze Wohnung nach Alkohol.

Yasmin wollte es nicht riskieren, dass sie aufwachte und beschloss daher so zu tun, als hätte sie die Flasche nicht gesehen. Egal, wozu sie sich in dieser Situation entscheiden würde, sie würde nachher so oder so toben und fluchen.

Selbst wenn an diesem Tag nicht der Beginn des neuen Schuljahres gewesen wäre, wäre Yasmin immer noch viel zu früh in der Schule gewesen. Jedoch stellte die Schule mittlerweile ihren einzigen Lichtblick dar; vor allem, wenn Constantin auch dort war…

Als die Haustür hinter ihr ins Schloss fiel, nahm sie einen tiefen Atemzug, den sie aber noch nicht ausstieß. Sie war ihr schon einmal bis zum Kiosk an der Ecke nachgelaufen, nur in Unterwäsche und einen alten Bademantel gekleidet, und hatte Yasmin an den Haaren nach Hause gezerrt.

Erst als sie durch den nebelverhangenen Park mehrere Blocks weiter ging, ließ sie ihren angehaltenen Atem aus. Sie zwang sich dazu ihre Hände zu entkrampfen und atmete noch ein weiteres Mal mit geschlossenen Augen tief durch. Als ihr Handy vibrierte, waren ihre Hände auch nur noch ein bisschen fahrig, als sie es aus ihrer Hosentasche holte.

Die SMS war von Constantin.

Ihr Herz sprang augenblicklich ihr wieder bis in den Hals, doch das warme Gefühl, das sich in ihr ausbreitete, war dieses Mal eindeutig positiver Natur.

Aber wenn sie es genau bedachte, hatte sie ihn seit Patricks Geburtstag nicht mehr gesehen. Hätte Thomas ihn letzte Woche nicht gefragt, ob er Zeit hatte, hätten sie wahrscheinlich auch erst in der Schule von seinem Unfall erfahren. Constantin war ein sehr netter und hilfsbereiter Mensch, doch war nicht nur Yasmin aufgefallen, dass er ungern Dinge über sich selbst preiszugeben schien.

Als Thomas ihr davon berichtet hatte, hatte sie ihn natürlich sofort besuchen wollen, aber als sie ihn angerufen hatte, um ihn nach seinem Krankenhaus zu fragen, war zunächst nur seine Mailbox rangegangen und schließlich wurde sie von einer unbekannten Nummer zurückgerufen. Constantin hatte ihr dann schließlich mittgeteilt, dass er bei seinen Eltern im Krankenhaus liegen würde und es auch nicht notwendig wäre ihn zu besuchen.

Zuerst war Yasmin ziemlich geknickt gewesen, weil er es für nötig gefunden hatte, eine Ausrede zu erfinden und sogar von einer unterdrückten Nummer angerufen hatte, damit sie ja nicht herausfand, in welchem Krankenhaus er lag und ihn wohl so nicht mehr belästigen konnte. Sie musste ihm ziemlich auf die Nerven gegangen sein, aber Constantin – so schätzte sie ihn zumindest ein – war der Typ, der frontalen Konfrontationen lieber aus dem Weg ging, wenn er als nicht notwendig erachtete und so solche kleinen Notlügen wählte, um ihre Gefühle nicht zu verletzen. Wenn sie es recht bedachte, hatte sie ihn auch erst einmal wütend gesehen. Auf Patricks Geburtstag. Und es war ihre Schuld gewesen.

Aber sie konnte es ihm noch nicht einmal verübeln, von daher war sie auch umso überraschter, als sich Thomas bei ihr im ICQ darüber beschwerte, dass Constantin ihm nicht die Adresse seines Krankenhauses zukommen lassen wollte, damit sie ihn mit dem Auto besuchen fahren konnten. Scheinbar lag er wirklich nicht in einem der städtischen Krankenhäuser.

In der Hoffnung, dass er vielleicht nicht mehr sauer auf sie war, öffnete sie rasch die SMS. Zu ihrer Enttäuschung war es eine Gruppen-SMS.

Hey Leute.

Ich kann heute leider noch nicht in die Schule kommen, weil ich nochmal zum Arzt muss. Könnt ihr mir vielleicht alles, was so an Zetteln und Büchern anfällt, mitnehmen und Layla geben? Sie bringt mir dann denn ganzen Kram in einer Fuhre vorbei. Ich denke, dass ich morgen oder übermorgen wieder da bin. Danke schon mal.

Constantin

Obwohl es nur eine einfache SMS war, schnürte sich dennoch Yasmins Kehle auf einmal zu.

Layla war eben jener Grund gewesen, weshalb Constantin wütend geworden war. Zwar schien sie an sich ganz okay zu sein, aber in diesem Moment kam für Yasmin einfach alles zusammen: Es, sie und Constantins offenkundiges Desinteresse an ihr, Yasmin. Höchstwahrscheinlich aufgrund von Layla, dem Mädchen, das er nach einem halben Jahr der kontinuierlichen Weigerung mit irgendwem auszugehen, mit auf Patricks Geburtstag gebracht hatte.

Verbissen versuchte Yasmin die Tränen zurückzudrängen, doch ihre Sicht verschlechterte sich einfach immer stärker, sodass ihr schließlich doch die Tränen die Wangen hinunterrannen. Um in ihrer Tasche nach Taschentüchern zu suchen, setzte sie sich auf eine nahe Parkbank, doch im Endeffekt starrte sie nur auf ihr mittlerweile erloschenes Handydisplay, auf dem mit viel Mühe vielleicht noch Constantins Nachricht zu lesen war.

Nachdem sie mehrmals geschnieft hatte, breitete sich jedoch allmählich ein stärkeres Bedürfnis nach einem Taschentuch in ihr aus und sie begann in ihrer Tasche danach zu kramen. Super. Natürlich wenn sie es am Dringendsten benötigte, hatte sie keins. Die Frustration darüber trieb ihr erneut die Tränen in die Augen.

Mit der gesamten Situation in diesem Moment überfordert, heulte sie sich erst einmal vollkommen aus. Etwas was sie länger nicht mehr getan hatte. Selbst die Tatsache, dass ihr Schluchzen immer wieder neugierige Bliche von Passanten anlockte, störte sie im Augenblick nicht. Eine Frau kam sogar auf sie zu und bot ihr eine Packung Tempos an und erkundigte sich, ob sie ihr vielleicht helfen könne. Als Yasmin wie üblich verneinen, sich aber für die Taschentücher bedanken wollte und zu der Frau aufsah, konnte sie nur sagen, dass die Frau schwarze Haare und eine ungewöhnliche Abstufung von Blau in ihren Augen hatte, so verschwommen war Yasmins Blick.

„Sicher?“, fragte die Frau nach, als Yasmin sich die Augen mit einem der Tempos trocknete.

„Ja…“, entgegnete Yasmin und zwang sich zu einem Lächeln, das sie nicht fühlte.

Die in schwarz gekleidete Frau war ungewöhnlich schön, wie Yasmin bemerken musste, und sie zögerte noch einen Moment, ehe sie sich umwandte und ging.

Keine zehn Sekunden später stand sie jedoch wieder vor Yasmin und drückte ihr eine Visitenkarte in die Hand.

„Wenn du aber doch einmal mit jemandem reden wollen solltest“, meinte sie mit einem sanften Lächeln, „ruf mich einfach an, ja?“ Sie hatte einen ausgefallenen Akzent, vielleicht kam sie nicht aus der Gegend.

Ohne Yasmin die Möglichkeit zu geben, zu protestieren oder ihr die Karte zurückzugeben, drehte sich die Frau wieder um und verschwand hinter einer Biegung des Parkweges im Nebel.

Nachdem sie der Frau einen Moment lang verdattert nachgeschaut hatte, trocknete sie sich die Augen und schnäuzte sich. Allein, dass die Frau sie angesprochen hatte und nun dieser unerwartete Abgang hatte doch einen recht ernüchternden Effekt auf Yasmin. Sie fing sich langsam wieder und warf einen Blick auf die Visitenkarte.

Loreley Werthers

Freie Sozialarbeiterin

Innerlich stöhnte Yasmin schon wieder auf. Jetzt war es schon so weit, dass sie Sozialarbeiter einfach auf der Straße ansprachen.

Yasmin kam später in der Schule an, als sie ursprünglich geplant hatte, weil sie sich doch recht lange im Park aufgehalten hatte. Glücklicherweise fielen jedoch die ersten beiden Stunden nach den Sommerferien immer wegen des Gottesdienstes aus, an dem Yasmin nur einmal in der fünften Klasse teilgenommen hatte, und sie hatte noch genügend Zeit.

Eigentlich wollte sie die freie Zeit nutzen, um sich den neuen Stundenplan samt neuer Räume abzuschreiben, doch dann stand sie vorm Schwarzen Brett und der Plan war weg. Verdattert stand sie vor der Pinnwand und suchte sie erneut ab, als sie aus einem der anliegenden Gänge Stimmengemurmel und dann ein Lachen vernehmen konnte.

„Hey, wir haben nachher zusammen Englisch“, hörte sie die bekannte Stimme eines Jungen sagen.

„Oh, gut!“, sagte die ebenso bekannte Stimme eines Mädchens, die Yasmin eigentlich nur ungern hören wollte. „Dann kenne ich ja wenigstens eine Person aus dem Kurs.“

„Oh, hey, Yasmin“, sagte der Junge und sie konnte immer noch das Lachen in seiner Stimme hören.

Voller Unmut drehte sich Yasmin zu Patrick und Layla um und bemühte sich ein freundliches Gesicht zu machen, auch wenn ihr nicht im Geringsten danach war.

Patrick trug wie so häufig eine zerschlissene Jeans und ein dazu passendes T-Shirt unter einer Jeansweste, während seine grünen Haare in alle Richtungen abstanden und seine zahlreichen Piercings auch in diesem schlecht beleuchteten Korridor das Licht zurückwarfen. Zwischen ihm und Layla schienen Welten zu liegen, obwohl sie direkt neben ihm stand. Sie trug einen geblümten Rock, der bis zu ihren Knien reichte, und ein sonnengelbes T-Shirt, auf dem die roten Locken lagen, die sie nicht aus ihrem Gesicht zurückgebunden hatte. Sowohl Patrick als auch Layla hielten Kopien in den Händen.

„Hey“, erwiderte Yasmin und hasste sich selbst dafür, dass ihre Stimme schwach klang. „Habt ihr vielleicht den neuen Stundenplan gesehen?“

„Äh, ja. Moment“, sagte Layla und begann ein Blatt aus den Kopien in ihrer Hand zu suchen.

„Wir haben ihn nur grade zum Kopieren abgenommen“, erklärte währenddessen Patrick. „Ich hatte nicht erwartet, dass noch jemand so früh hier ist, sorry.“

„Hier“, meinte Layla und hielt Yasmin eine Kopie hin. „Wir haben zu viele gemacht, weil wir nur 50-Cent-Stücke hatten. Wenn du willst, kannst du eine haben.“

„Danke“, erwiderte Yasmin etwas überrumpelt und nahm unter Laylas aufmunterndem Lächeln die Kopie entgegen. Sie war sogar so überrascht, sodass sie erst bemerkte, dass Layla ihr näher gekommen sein musste, als sie bereits neben Yasmin stand. Layla beugte sich neben ihr vor, um den Stundenplan wieder an das Schwarze Brett zu pinnen, und die lange, immer noch rote Narbe auf ihrem linken Unterarm leuchtete Yasmin regelrecht entgegen. Sie musste schuldbewusst schlucken.

Noch immer mit einem Lächeln auf den Lippen drehte sich Layla wieder zu ihr um.

„Und? Wie geht’s?“, fragte sie, als hatte ihrer beider letzte Begegnung nicht darin resultiert, dass Layla blutend über Patricks Spüle gehangen hatte, sondern sie den Abend damit verbracht hatten, Eis zu essen oder sowas.

Yasmin war sich nicht sicher, ob sie ihr dafür dankbar sein oder sie doch lieber verabscheuen sollte. Sie entschied sich jedoch spontan zu einem Lächeln.

„Ganz gut“, log sie die normalerweise zu erwartende Antwort auf diese rhetorische Frage und wich Patricks Blick aus. Allerdings war nicht er es, der unerwartet regierte, sondern Layla. Sie stockte in ihren Bewegungen und sah Yasmin mit gerunzelter Stirn an.

„Hey, was ist denn mit deinem Gesicht passiert?“

Augenblicklich schoss Yasmins verräterische Hand zu ihrer ebenso verräterischen Wange. Unwillkürlich erwachten in ihrem Kopf die Erinnerungen an die vorangegangene Nacht zum Leben, wie es wieder passiert war, wie sie wieder ausgerastet war und Yasmin eine Ohrfeige verpasst hatte, die sie zu Boden hatte gehen lassen. Auch wenn sie nicht erwartet hatte, dass sie jemand auf ihre Wange ansprechen würde – und vor allem nicht Layla – fing sie sich durch altbekannte Gewohnheit rasch wieder.

„Oh, nichts weiter“, erwiderte sie schnell, „nur ein Mückenstich, der sich entzündet hat.“ Zwar sprach sie die Lüge leichthin aus, doch gelang es ihr nicht vollends in Laylas zweifelndes Gesicht zu blicken. „Äh, ich muss noch etwas erledigen; wir sehen und sicher später noch einmal“, meinte sie hastig.

Ohne Layla oder Patrick genauer anzusehen, schritt sie schnell an letzterem vorbei. Sie wusste, dass ihr beide wahrscheinlich aufgrund ihres seltsamen Verhaltens hinterher sahen, doch würde höchstwahrscheinlich nur Layla perplex aussehen, während Patrick sicher wieder diesen unerträglichen, wissenden Ausdruck auf dem Gesicht tragen würde, den Yasmin nicht ausstehen konnte. Sie fühlte regelrecht, wie sich sein stechender Blick zwischen ihre Schulterblätter zu bohren schien.
 

Constantin saß in seinem Zimmer auf dem Sofa und las einen von Bláthíns Heilertexten, als er Laylas SMS bekam.

Hey. In einer Stunde können wir gehen, dann bringe ich dir die Bücher vorbei, die heute schon rausgegeben wurden. Allerdings sieht es so aus, als wollten Patrick und Thomas mitkommen und ich weiß nicht, was ich ihnen sagen soll…

Constantin warf einen kurzen Blick auf sein Zimmer und die darin verstreuten Texte und Bücher, die er sich von Laylas Tante ausgeliehen hatte. Er überlegte nicht lange, ehe er ihr antwortete.

Schon okay. Ich bin schon vor ner Stunde vom Arzt wiedergekommen. Ich räum nur schnell alle verräterischen Dinge weg und dann sollte alles in Ordnung sein, solange sie nicht meine Schränke durchwühlen.

Ohne sich groß Gedanken darum zu machen, schrieb er noch dazu:

Wir wollen ja auch nicht, dass du weiterhin gezwungen bist, mir SMS vom Mädchenklo aus zu schreiben. :P

Laylas Antwort ließ nicht lange auf sich warten.

Psssst! Das soll doch keiner wissen! ;)

Mit einem Schmunzeln auf den Lippen erhob er sich, um besagte Texte zusammenzuräumen, als ihm sein Handy durch Piepsen signalisierte, dass er eine weitere SMS erhalten hatte.

Außerdem war ich auf dem Jungenklo. Hab mich in der Tür vertan -__-°

Er musste laut auflachen, als er die SMS las und konnte so nicht entsprechend auf das gleichzeitige Klopfen an seiner Tür reagieren.

„Was gibt’s denn hier zu lachen?“, fragte seine eigene Tante amüsiert, als sie die Tür mit einem Wäschekorb unter den Armen öffnete.

„Ach, nichts. Nur Layla“, erwiderte er und schob sein Handy zurück in seine Hosentasche. „Sie hat mir gerade eine SMS geschrieben, dass sie gleich auch noch Patrick und Thomas mitbringt.“

Sybille nickte verstehend und seufzte dann, während sie den Wäschekorb abstellte. „Ach, eine so junge Liebe und dann gleich zwei Nebenbuhler…“, meinte sie schwer und schob mit einem ernsten Blick „Viel Glück!“ hinterher.

„Tante Sybille!“, rief er fast entrüstet aus, auch wenn sein Nacken sich plötzlich sehr warm anfühlte.

Mit einem freudigen Lachen auf den Lippen, ließ Sybille ihn jedoch einfach stehen und schloss die Tür wieder hinter sich, sodass Constantin wohl oder übel einfach nichts anderes übrig blieb, als seine Heilertexte und seine frisch gewaschenen Socken wegzuräumen.

Seine Verletzung schränkte ihn immer noch ein, auch wenn sein Verband nicht mehr ganz so massiv war, dass er sich wie versteinert anfühlte, und so benötigte er länger als üblich um seine Sachen zu verstauen. Als er sich schließlich endlich im Waschkeller befand, um den Wäschekorb zurückzustellen, klingelte es bereits. Seine Tante war jedoch schneller als er und öffnete die Haustür. Noch während er das Licht ausmachte und die Kellertür hinter sich schloss, trat Layla bereits ein und wurde zur Begrüßung von Sybille umarmt.

„Hallo. Kommt doch rein“, sagte seine Tante mit einem Lächeln, als sie für Patrick und Thomas zur Seite trat. Constantin fand es immer wieder erstaunlich wie wenig sich seine Tante an Patricks Aussehen störte, aber wahrscheinlich hatte sie schon weitaus Schlimmeres gesehen.

Allerdings kam hinter Patrick, der gerade ohne sich ducken zu müssen die Schwelle passierte, eine weitere Person zum Vorschein. Yasmin.

Schüchtern stand sie auf der Schwelle und schien sich nicht sicher zu sein, ob sie wirklich eintreten durfte. Patrick drehte sich jedoch wieder zu ihr um und gab ihr einen kleinen Schubs, um sie zum Eintreten zu bewegen. Auch sie begrüßte Sybille höflich, doch Constantin war zu abgelenkt, um weiter darauf zu achten, denn er musste feststellen, dass Layla gar nicht so unhübsch aussah, als sie mit ihrem geblümten Rock und ihren aus ihrem Zopf entfliehenden Locken auf ihn zu trat. Zu seiner Überraschung umarmte sie ihn ebenfalls zur Begrüßung und er bemerkte, dass ihre Haare nach Lilien dufteten, als er hastig ihre Umarmung erwiderte.

„Im letzten Moment hat Patrick noch Yasmin eingeladen; ich hoffe, das ist okay?“, sagte sie sehr schnell und so leise, dass nur er es hören konnte.

„Schon okay“, murmelte er ebenso leise zurück. Er versuchte keinen Unmut darüber zu entwickeln, dass Layla ihn nur umarmt hatte, um die Frage vor den anderen Anwesenden zu verschleiern, als sie sich von ihm zurückzog. Es machte ihm auch nichts aus. Nicht im Geringsten.

„Na? Heute mal männlich?“, fragte ihn schließlich Patrick und ließ ihm mit seiner ihm entgegengestreckten Hand keine Gelegenheit dazu, weiter über seinen Nicht-Unmut zu sinnieren.

„Immer“, erwiderte Constantin und schüttelte erst Patricks und dann Thomas‘ Hand. Und da seine Tante schon wieder dieses unbestimmte Leuchten in den Augen hatte, hielt Constantin es für besser, wenn er auch Yasmin umarmen würde. Diese schien zwar überrascht, aber drückte ihn dennoch leicht zurück.

„Geht doch in den Wintergarten“, schlug seine Tante vor. „Heute ist schönes Wetter.“

Und warum räum ich dann mein Zimmer auf?, fragte sich Constantin innerlich, aber musste Sybille in Bezug auf das Wetter Recht geben.

„Tee? Kaffee? Sonst was?“, fragte Constantin, während sie sich nicht ganz so unüberhörbar im Wintergarten niederließen.

Yasmin und Patrick waren mit Wasser zufrieden, während Thomas, Layla und er selbst Tee bevorzugten. Er wollte gerade zurückgehen, als Layla meinte: „Ich geh schon.“, ihre Tasche am Tisch abstellte und sich zu Sybille in die Küche bewegte.

„Und? Ist irgendetwas Weltbewegendes in meiner Abwesenheit in der Schule passiert?“, fragte Constantin, als er sich an dem runden Tisch niederließ.

„Nope“, erwiderte Thomas prompt. „Zumindest ist kein Alienraumschiff während Mathe gelandet. Für Chemie musst du aber Layla fragen.“

„Heute hatten wir eigentlich nur unsere LKs“, fuhr Patrick mit einem amüsierten Blick auf Thomas fort. „In beiden haben sie uns zwar mit Büchern zugepackt, aber dann konnten wir auch schon wieder gehen. Wir haben dir einfach mal den Stundenplan kopiert, weil wir uns nicht mehr ganz sicher waren, welche Kurse du gewählt hattest… Aber mal was anderes: Was zum Geier hast du gemacht?!“

Unwillkürlich zog Constantin eine Grimasse, aber fing sich schnell wieder, als er versuchte ihnen glaubwürdig die ausgesuchte Lüge aufzutischen und sich nichts anmerken zu lassen.

„Autounfall“, antwortete er. „Der andere hat mir die Vorfahrt genommen und ich bin in ihn hineingebrettert. Beide Autos sind im Eimer, aber wir leben alle noch. Und eigentlich war es das auch schon.“ Er zuckte mit den Schultern, um keine große Sache daraus zu machen.

„Und nun?“, fragte Thomas weiter und lehnte sich vor.

„Ich darf – laut Arzt – die nächsten vier Wochen keinen Sport machen und mein Vater ist nicht sonderlich erpicht darüber, das Auto meiner Mutter zu benutzen.“

Constantins Vater war generell nie über irgendetwas erpicht, weswegen das noch nicht einmal gelogen war, aber er verschwieg einfach mal geflissentlich, dass der Arzt, den er hier aufsuchte, ein ausrangierter Militärarzt der Wächter war und Laylas Tante ein paar Gefallen schuldete.

„Aber du kannst wieder in die Schule?“, fragte Patrick.

Constantin nickte. „Ja. Ich bin vielleicht körperlich vielleicht noch ein bisschen langsam, aber geistig fehlt mir ja nichts.“

Eigentlich. Wenn man von den Alpträumen hier und da absieht.

Das Bild wie der Kopflose Reiter mit gezogener Klinge auf ihn zugeritten kam, sprang vor sein inneres Auge und er musste ein Schaudern unterdrücken.

Patricks Blick war nicht wirklich zu deuten, als Constantin wieder aufblickte, aber ihm blieb eine peinliche Überleitung erspart, denn Layla betrat mit einem Tablett beladen wieder den Wintergarten. Sie verteilte die Gläser und Tassen vor den Anwesenden und Constantin bemühte sich zumindest Yasmin und Patrick ihr Mineralwasser einzuschütten, um nicht als ganz miserabler Gastgeber dazustehen.

„Heißes Teewasser kommt gleich“, meinte Layla, als sie sich zwischen Constantin und Yasmin niederließ.

„Ah, hier, damit ich es nicht vergesse und wieder mitnehme“, meinte Thomas schließlich und beugte sich unter den Tisch. Er schien in seinem Rucksack zu kramen und als er sich wieder aufrichtete, schob er Constantin zwei Bücher über den Tisch hinweg zu. Das eine Buch sah wie die üblichen dicken Mathebücher aus, die jeder kannte und die Stoff für mehr als nur ein Jahr beinhalteten, und das andere trug die Überschrift „Analysis“.

„Yasmin und ich haben leider keine Bücher für dich, Conny“, meinte Patrick und Constantin rollte noch nicht einmal mehr mit den Augen aufgrund dieses Spitznamens. „Nur den Stundenplan. Aber Layla toppt Thomas mit den Büchern.“

Thomas war im selben Mathe-LK wie Constantin und Layla war in seinem Chemie-LK. Da heute scheinbar nur die Leistungskurse stattgefunden hatten, war es logisch, dass nur Layla und Thomas Bücher für ihn hatten. Ächzend hob Layla ihre Tasche hoch und zog einen Zettel aus ihrem Block, um sie ihm zu reichen. Er überflog seinen Stundenplan, während Layla Bücher aus ihrer Tasche holte und ebenfalls auf den Tisch legte.

Am Ende des letzten Schuljahres hatte noch nicht festgestanden, wer seinen Englischkurs leiten würde und er suchte den Stundenplan nach der ersten Englischstunde ab, die alle gemeinsam hatten und nicht nur die Leistungskurse. Morgen sogar. Er überflog die Lehrerkürzel und konnte alle bis auf eins zuordnen. Die Kürzel, die ihm etwas sagten, bezeichneten alle anderen Englischkurse, Leistungs- wie Grundkurse, und das unbekannte Kürzel „GRA“ neben der Raumnummer sagte ihm nicht, wer seinen Grundkurs leitete. Schließlich blickte er zu Yasmin auf, die im selben Englischkurs, wie er war oder ihn zumindest gewählt hatte. Allerdings wurde er wieder abgelenkt.

„Wow!“, meinte er und bestaunte ungläubig den Bücherstapel zwischen sich und Layla. Sie hatte ihm bestimmt sechs Bücher auf den Tisch gelegt. „Layla, du musstest nicht die Chemiebibliothek für mich ausrauben…“

Sie grinste ihn schief an. „Ich glaube, unser werter Herr Schlierdorn wollte für das Schuljahr und das nächste vorsorgen. Aber an sich scheint er ganz nett zu sein. Vielleicht ein bisschen verplant, aber hey, was ist Chemie ohne Verplantheit?“, fragte sie mit einem nonchalanten Schulterzucken, was sogar Thomas einen Lacher entlockte.

„Yasmin“, wandte sich Constantin schließlich wieder ihr zu. „Weißt du wer ‚GRA‘ sein soll?“

Aber wie nicht anders zu erwarten, schüttelte sie den Kopf und erst jetzt fiel ihm auf, dass ihre Wange ein bisschen dick aussah. „Nein, tut mir leid. Ich habe nur Gerüchte gehört, dass es ein junger Referendar sein soll, weil Lehrermangel herrscht.“

Constantin starrte wieder auf seinen Stundenplan. „Naja, was soll’s? Wir werden es ja morgen sehen.“

In der Küche begann der Teekessel zu pfeifen und nur einige Augenblicke später kam Sybille mit dem heißen Kessel in den Wintergarten. Sie füllte das heiße Wasser selber in die Tassen, wahrscheinlich um sicher zu gehen, dass sich niemand verbrannte, auch wenn das Wasser zumindest Layla wohl nichts anhaben würde. Ein weiteres Mal an diesem Tag klingelte es an der Haustür.

„Clancy und Phobos, aber die kommen auch so rein“, meinte Sybille und goss in aller Seelenruhe Layla eine Tasse Tee ein.

„Äh“, artikulierte sich Constantin sprachgewandt wie eh und je und warf Layla einen skeptischen Blick über die Schulter seiner Tante hinweg zu, doch auch Layla zuckte ratlos mit den Schultern. Aber gut, seine Tante war ein Medium; er sollte es mittlerweile besser wissen.

Kaum hatte er diesen Gedankengang zu Ende gebracht, ertönte Clancys Stimme aus dem Flur. „Sybille?“

„Hier“, antwortete diese und goss nun auch Constantin eine Tasse Tee ein.

Im Türrahmen erschienen schließlich Clancy und Phobos. Clancy trug wie üblich keine Krawatte und hielt sein Jackett in einer Hand, während die Ärmel seines hellblauen Hemdes hochgekrempelt waren. Phobos neben ihm sah ähnlich aus, doch trug er nur schwarz; schwarzes Hemd und schwarze Hose. Allerdings hatte er seine langen Haare heute einmal in einem Zopf im Nacken zurückgebunden. Einen Moment lang hatte Constantin Panik, dass seine Freunde vielleicht Phobos‘ Katzenaugen bemerken würden, doch ein Blick auf Yasmin, Patrick und Thomas beruhigte ihn, denn keiner sah mehr als nur milde überrascht aus, dass zwei fremde Männer gerade einfach aufgetaucht waren.

Einen Moment runzelte Clancy die Stirn, als er seinen Blick über die Anwesenden gleiten ließ, sagte jedoch nichts.

„Wie geht es dir, Constantin?“, fragte stattdessen Phobos und lehnte sich an den Türrahmen.

„Besser“, bestätigte er.

„Gut“, nickte Phobos und sein patentiertes Grinsen breitete sich auf seinen Zügen aus. „Kekse gefällig?“ Er hielt eine Aufbewahrungsdose hoch, die tatsächlich Kekse beinhaltete und Constantin konnte Layla seufzen hören.

„Wie sieht mein Herd aus?“, fragte sie und klang dabei resigniert.

„Wunderbar. Wie eh und je“, kam es prompt von Phobos und Clancy sah äußerst neutral aus.

„Schwarzer Rauch ist nicht als ‚wunderbar‘ zu klassifizieren, dass wisst ihr, oder?“

„Das war nur einmal“, verteidigte sich Phobos.

Wieder seufzte Layla. „Wenigstens sind die Kekse mittlerweile essbar…“

„Die waren immer essbar“, kam es ebenso verteidigend von Clancy.

Sybille warf Constantin einen amüsierten Blick zu, während Layla kühl eine Augenbraue hochzog. „Die erste Ladung war kohlrabenschwarz und so hart wie Backsteine.“

„Es waren eben dunkle Schokoladenkekse“, beschwichtigte Clancy.

„Es sollten Blaubeer-Cookies sein.“

Mit überrascht hochgezogenen Brauen drehte sich Clancy zu Phobos. „Wirklich?“

Phobos zuckte nur ein bisschen miserabel mit den Schultern.

„Oh.“

Constantin musste mit sich kämpfen, aber Sybille schaffte es nicht, ihren Lacher zu unterdrücken. Jedoch ehe Clancy und Phobos pikiert aufsehen konnten, ging sie zu den beiden und führte sie an den Ellbogen aus dem Raum.

„Pass auf deinen Herd auf!“, rief ihr Layla nach, ehe sie erneut seufzte. „Die beiden treiben mich in den Wahnsinn… Väter!“, meinte sie und warf verärgert die Arme in die Luft.

Immer noch darum bemüht, nicht zu lachen, versuchte Constantin sie zu beruhigen. „So schlimm ist es doch sicher nicht…“

„Nein. Es ist wesentlich schlimmer“, entgegnete sie niedergeschlagen. „Ich hab schon alle Kochbücher versteckt, aber sie wissen leider, wie man das Internet benutzt…“ Mit einem Schnaufen legte sie ihre Arme auf den Tisch und ließ ihren Kopf darauf nieder.

Auch Patrick und Thomas sahen amüsiert aus, als Constantin hilfesuchend einen Blick in die Runde warf. Yasmin schien hingegen, als wüsste sie nicht, was sie sagen sollte. Schließlich räusperte sich Thomas.

„Ich wusste gar nicht, dass du, äh, zwei Väter hast“, kam es zögerlich von ihm.

Zuerst sah Layla perplex aus und warf Constantin einen fragenden Blick zu, ehe sie zu verstehen schien, wie die Situation gerade gewirkt haben musste. Als es klick machte, lachte sie laut auf.

„Hab ich auch nicht“, erklärte sie auf die verwirrten Blicke hin, die sie erntete. „Ich lebe mit meinem Vater, dem rothaarigen Herrn, der keine Geschmacksnerven zu besitzen scheint, alleine. Phobos, der mit den schwarzen Haaren, ist der beste Freund meines Vaters, der derzeit für eine Weile bei uns wohnt, weil sein Haus abgebrannt ist. Und keiner von beiden kann sonderlich gut kochen, auch wenn Phobos‘ Kekse mittlerweile gar nicht mal so schlecht sind“, räumte sie schulterzuckend ein, aber nicht ohne einen skeptischen Blick in den Flur zu werfen.

„Und für deine Mutter ist es in Ordnung, wenn eure Küche so… belagert wird?“, wollte Thomas weiter wissen.

Constantin sog scharf Luft ein und warf Layla einen raschen Blick zu. Ihre Augen waren zwar nicht mehr amüsiert, aber dennoch umspielte ein Lächeln ihre Lippen.

„Meine Mutter ist bei einem Autounfall ums Leben gekommen, als ich sieben war“, antwortete sie.

„Oh, das tut mir leid“, erwiderte Thomas sofort und man konnte ihm ansehen, dass ihm die Situation mehr als unangenehm war.

„Schon okay. Das konntest du ja nicht wissen“, meinte Layla leichthin abwinkend.

Nach einer Weile lehnte sie sich in ihrem Stuhl zurück und ihr Gesicht nahm einen grüblerischen Ausdruck an.

„Was?“, fragte Constantin, nachdem Thomas, Patrick und Yasmin scheinbar nicht sicher waren, ob sie es wagen sollten, Layla anzusprechen.

„Ich überlege nur gerade, was für Zutaten wir heute Morgen noch im Haus hatten und was wohl daraus für Kekse resultieren könnten. Und wie gefährlich es wäre, die auch noch zu essen.“
 

Als Sybille ihn und Phobos amüsiert lachend aus ihrem Wintergarten führte, konnte Clancy nicht umhin einen Blick zurückzuwerfen. Irgendetwas schien mit den drei Teenagern bei Constantin und Layla nicht in Ordnung zu sein, aber er konnte nicht genau bestimmen, was es war. Aber er bildete sich das auch nicht ein. Er konnte es fühlen.

Das Mädchen schien schüchtern zu sein, aber die beiden Jungs hatten sich während des Schlagabtausches mit Layla einen amüsierten Blick zugeworfen. Für den Augenblick war Clancy jedoch nur froh, dass Layla neben Constantin und dem Mädchen saß und nicht zum Beispiel neben dem großen Kerl mit den grünen Haaren.

„Clancy, hör auf, dir wieder Gedanken über den Umgang deiner Tochter zu machen“, wies ihn Sybille an, als sie an ihnen vorbei in ihr Arbeitszimmer schritt.

Neben ihm kicherte Phobos in seinen Bart und Clancy blieb nichts anderes übrig als leise vor sich hinzugrummeln. Wie war er nur so durchschaubar geworden?

Phobos setzte sich zu Sybille an deren Arbeitstisch, auf dem bereits ein Tablett mit drei Tassen und einer dampfenden Teekanne standen. Er schloss die Tür hinter sich und setzte sich ebenfalls an den Tisch, während Sybille bereits begann, Tassen zu verteilen und Tee einzuschütten.

„Und?“, fragte Sybille, als hätten sie ihre Unterhaltung nie unterbrochen.

„Ich besitze Land!“, antwortete Phobos freudestrahlend und Sybille schenkte ihm ein Lächeln.

„Phobos hat das Land gekauft“, erläuterte Clancy weiter. „Laut den Dokumenten der Stadt stand es schon eine ganze Weile zum Verkauf, doch hat sich wohl einfach kein Käufer gefunden. Auch wenn ich der Meinung bin, dass du zu viel bezahlt hast.“

„Pff“, meinte Phobos. „Ich habe mehr Aktien und Anlagen als die meisten Leute, die noch leben. Es ist ja auch nicht so, dass ich meinen Gefahrenzuschlag in den letzten zwei Jahrhunderten hatte ausgeben können.“ Allerdings wurde sein Gesicht uncharakteristisch ernst. „Aber so können wir auf Nummer sicher gehen, dass wir in dem Besitz des Landes sind und niemand anderes.“

Sybille nickte. „Nicht nur die Seher rotten sich zusammen; dass die Wächter in Verhandlungen mit den Söldnern stehen und neue, wenn auch unsinnige Edikte verabschieden sagt doch mehr als genug, dass sie wegen irgendetwas kalte Füße bekommen.“

Das Auftreten des Dullahan hatte ihnen gezeigt, dass etwas Großes im Gange war und Sybille, Phobos und Clancy hatten beschlossen, Maßnahmen einzuleiten, um sich für den Fall der Fälle entsprechend schützen zu können. Aber um einen flächendeckenden Zauber zu benutzen, mussten erst andere Angelegenheiten geklärt werden, denn der Großteil des Waldes zwischen Sybilles und Clancys Haus gehörte der Stadt. Deswegen hatte Phobos heute der Stadt das Land abgekauft und das dazugehörige, noch unbebaute Grundstück im Norden des Waldes gleich dazu.

„Ich hatte vor dieses oder nächstes Wochenende nach Limbus City aufzubrechen“, meinte Clancy. „Wann treffen sich die Seher das nächste Mal? Mir würde es gar nicht gefallen, Layla und Constantin alleine zurückzulassen, wenn wir alle drei nicht anwesend sind. Selbst wenn Liam hier ist.“

Selbst wenn ihnen dreien jetzt das Land offiziell in der nichtmagischen Welt gehörte, würden sich die Wächter wahrscheinlich immer noch auf den Kopf stellen, wenn sie einfach über ihre Köpfe hinweg, die Ländereien mit Bannkreisen überziehen und mit Zaubern belegen würden. Clancy und Phobos würden also nach Limbus City aufbrechen und die entsprechenden Formulare ausfüllen müssen.

„In drei Wochen sind die Wahlen“, sagte Sybille und verzog das Gesicht. „Vorher ist nichts anderes angesetzt.“

„Worauf habt ihr euch jetzt geeinigt?“, fragte Phobos und nippte an seinem Tee.

„Jeweils drei Vertreter aus den vier großen Rassen und einen Vertreter aus den kleinen“, antwortete sie und stellte ihre Tasse voller Unmut wieder auf den Tisch. Sie sah über etwas gar nicht glücklich aus.

„Lass mich raten“, kam es erneut von Phobos, „du bist auch im Rennen.“

„Leider ja“, seufzte sie.

Clancy hatte sich erneut bei seinen alten Kontakten umgehört, um wieder auf dem Laufenden der aktuellen Geschehnisse zu sein. Allem Anschein nach war Sybille eine der besten ihrer Zunft in ganz Deutschland, bevorzugte es aber im Hintergrund zu bleiben. Mit ihrem Rollkragenpullover und ihrem weiten Rock sah sie dennoch ein wenig verloren in ihren eigenen Räumlichkeiten aus.

„Und wer noch?“, fragte schließlich Clancy.

„Die Amerikaner sind entweder für Namid oder für Gil Robertson; die wählen niemand anderen. Ich persönlich bin aber für Galina“, erläuterte sie. „Erstaunlicherweise sind viele Vampire für Lonescryer, die den Posten scheinbar gar nicht will. Lester und Fontaine scheinen aber auch mehrere Anhänger zu haben. Bei den Werwölfen könnten es mehrere werden, Ivanov, Floros oder auch Nifterik. Ich hab keine Ahnung bei den Fey, ehrlich. Die entscheiden sich die ganze Zeit um. Vielleicht Starcloud oder Muirgen? Aber ich weiß es wirklich nicht.“

„Dass Lonescryer so viele Anhänger hat, überrascht mich doch ein bisschen“, meinte Clancy. „Wo sie doch normalerweise ihr eigenes Ding macht.“

„Vielleicht glauben sie, dass sie die besten Chancen gegen Antivampir-Mitglieder wie Namid hat“, meinte Sybille schulterzuckend. „Und man kann wirklich nicht leugnen, dass sie mächtig ist.“

„Mich überrascht das eigentlich gar nicht“, schaltete sich schließlich wieder Phobos ein. Auf die fragenden Blicke von Sybille und Clancy hin, fuhr er fort. „Sie hatte sich schon einen Namen gemacht, als ich noch in der Ausbildung war, und ist mindestens hundert Jahre älter als ich. Bisher hat sie sich zwar aus allem rausgehalten, aber ich halte sie für einen sehr starken Gegner, besonders wenn man sie sich zum Feind macht. Vor allem, weil man nicht sicher sein kann, mit wem genau sie verbündet ist. Dass der Weise aus der Küche nichts gegen sie unternimmt, sollte eigentlich schon für sich sprechen… Ich habe schon einiges über Lonescryer in meinem Leben gehört und der Großteil ist wahrscheinlich Mist, aber ich kann euch versichern, dass die Vampire Lonescryer wählen. Ohne Zweifel.“

Omen

Sie saßen eine ganze Weile im Wintergarten und redeten, ehe es schließlich an der Tür klopfte und Clancy seinen Kopf durch den geöffneten Türspalt schob.

„Layla, wir wollen fahren. Willst du jetzt auch mit?“, fragte er.

Die Frage klang für jeden der Anwesenden wahrscheinlich vollkommen normal, aber Constantin konnte sich denken, dass Clancy seine Tochter ungern alleine nach Hause kommen lassen wollte. Nach allem, was passiert war, konnte man es ihm auch nicht verübeln.

„Äh, ja. Ich komme sofort“, sagte Layla.

Ihr Vater nickte den Anwesenden zum Abschied noch einmal zu und zog sich dann zurück.

„So furchterregend sieht er gar nicht aus“, meinte Patrick leise murmelnd, sodass wahrscheinlich nur Thomas und Constantin, die neben ihm saßen, ihn hören konnten.

Du hast es auch gut und ihn nicht kennengelernt, während er Monstern den Kopf abgeschlagen hat. Und auch nicht seine knochenbrechenden Trainingsmethoden am eigenen Leib gefühlt.

Jedoch sprach er keinen dieser Gedanken aus.

Patrick sah ihn allerdings an, als hätte er es getan und Constantin wandte sich mit einem etwas mulmigen Gefühl Layla zu.

„Ich denke, er würde dich nachher auch noch holen“, sagte er und nickte in Richtung Tür, um Clancy zu implizieren, während Layla ihre Tasche packte und sich im Sitzen umhängte.

„Das schon, aber Liam ist seit gestern Abend da und ich habe Angst um unseren Vorratsschrank. Hinterher haben wir nur noch Phobos‘ Backsteincookies und ich muss morgen früh verhungern“, entgegnete sie mit einem leidenden Gesichtsausdrück.

„Liam?“, fragte Constantin etwas verwirrt.

Er war noch nicht einmal mehr eifersüchtig, sondern nur überrascht. Nicht, weil es das letzte Mal so unglaublich brillant und ja gar kein bisschen eskaliert war, aber weil Liam einfach… Liam war. Nervtötend gutaussehend, manchmal etwas anstrengend, aber an sich ein guter Kerl. Er schien Layla auch eher als eine Schwester als etwas anderes zu sehen. Ob durch Clancys Einfluss oder ohne war zwar noch fraglich, aber eigentlich unwichtig.

„Ja, keine Ahnung, warum er hier ist. Ich dachte, er hätte irgendwo ein Jobangebot gehabt. Auf jeden Fall treiben sie mich alle jetzt schon in den Wahnsinn. Ich hab schon überlegt, mich mit dem Kühlschrank in meinem Zimmer einzuschließen…“

„Naja, vielleicht hast du ja Glück, und Liam ernährt sich hauptsächlich von Phobos‘ Cookies“, schlug Constantin vor und versuchte ernst auszusehen.

Als Layla aufstand und ihre Tasche hochhievte, schien sie jedoch wirklich ernsthaft darüber nachzudenken.

„Wenn er Phobos den ersten Heiratsantrag macht, ruf ich dich an.“ Schließlich wandte sie sich noch einmal an Patrick, Thomas und Yasmin. „Naja, wenn ich nicht wahnsinnig geworden oder verhungert bin, sehen wir uns morgen.“ Im Gehen winkte sie ihnen über ihre Schulter hinweg noch einmal zu, ehe sie im Flur Constantins Tante zum Abschied umarmte.

„Wer ist ‚Liam‘?“, wollte Thomas wissen. „Er klingt irgendwie wie ein Tasmanischer Teufel.“

Bei dem Vergleich musste Constantin lachen.

„Ein bisschen ist er das vielleicht sogar, wer weiß. Allerdings kenne ich ihn nur als Laylas Cousin, dessen Liebe strikt durch den Magen geht.“

„Hm“, machte Patrick, nach dem das Kichern über Liams Herzenswünsche erstorben war. Nachdem er von allen Seiten fragend angesehen wurde, fuhr er fort. „Irgendwie scheint unsere beschauliche Kleinstadt mitten im Nichts einer Invasion der englischen Muttersprachler entgegenzublicken. In unserem Englisch-LK ist auch noch ein Muttersprachler, der gerade erst hergezogen ist, aber ich hab seinen Namen schon wieder vergessen.“

„Das stimmt irgendwie“, stimmte ihm Thomas grübelnd zu. „Unsere Stadt hat mit umliegenden Ortschaften nicht mal 35.000 Einwohner und ich bin hier aufgewachsen. In all den Jahren ist mir nicht ein englischer Muttersprachler untergekommen und jetzt scheinen sie ja wie die Pilze aus dem Boden zu schießen.“

Bei dem mentalen Bild, das sich von Liam als Pilz bot, musste Constantin jedoch nur unwillkürlich grinsen. Es war ja nicht so, dass er die Hintergründe von Laylas Familie zu dem Thema erläutern konnte.

Während Thomas und Yasmin die Diskussion weiterführten, konnte Constantin jedoch Patricks Blick auf sich fühlen und das seltsame, mulmige Gefühl kehrte zurück.
 

Er war kaum fünfzehn Minuten in der Schule, als sich auch schon das Pochen hinter seinen Schläfen wieder zu Wort melden wollte. Hier waren doch einfach zu viele Menschen. Wenn er nicht aufpasste, sah es die ganze Zeit so aus:

- heute werde ich es ihm sagen! Gleich -
 

- hasse Mathe! Warum auch so früh am Morgen?! –

- der neue Referendar sieht gut aus~ So wild und unbändig~ -
 

- Wir haben eindeutig zu wenig Sport! –

- hoffentlich fackeln heute ein paar Haare ab! –

Als Patrick weiter durch die belebten Gänge schlurfte, wünschte er sich ein weiteres Piercing. Aus Silber. Alles andere brachte ohnehin nichts.

Allgemein schienen sich heute Morgen ohnehin viel zu viele Gedanken um den neuen Referendar zu drehen und er wandte sich davon ab. So gut es eben ging. Die Piercings halfen ungemein dabei.

Nach einigen Treppen und einem knutschenden-Teenager-Pärchen-Slalom später befand er sich endlich auf dem Stockwerk und in dem Korridor, in dem sein Unterricht stattfinden sollte. Von weitem konnte Patrick schon Yasmin, Thomas und Layla beieinander stehen sehen. Yasmin würde er überall finden können und Layla hatte nun mal eine recht auffällige Haarfarbe. Allerdings freute es ihn, auch Constantin bei ihnen stehen zu sehen. Patrick hatte schon befürchtet, dass er vielleicht doch noch länger außer Gefecht bleiben würde.

„Morgen~“, begrüßte er sie. „Meine Assistentin hat sich hier gleich zwei Mädchen geschnappt, und das zu so früher Stunde~“

„Und was bin ich?“, wollte Thomas teils entnervt, teils entrüstet wissen.

Doch seine anfänglich gute Laune schwand, als er näher trat.

Yasmin hatte eine aufgeplatzte Lippe.

Noch während er von Constantin und Layla begrüßt wurde, wusste er, dass er seinen Gesichtsausdruck mal wieder nicht unter Kontrolle halten konnte, als er Yasmin ansah und sie ausweichend zu Boden blickte. Schon beinahe automatisch hörte er wieder zu.

- Hoffentlich sieht er nicht wieder so genau hin… -

Mit Yasmins Stimme, kamen auch einige kurze Bilder. Yasmins Mutter. Alkohol. Ein Streit. Eine erhobene Hand.

- Ich hasse es, wenn er das tut. –

Mit einem Ruck riss Patrick sich zurück und gab sich Mühe, sich stattdessen auf Layla und Constantin zu konzentrieren und bemühte sich, dort auf keinen Fall zuzuhören. Wie sich herausgestellt hatte, war es bei den beiden noch schlimmer, als bei Yasmin. Nein. Unberechenbarer. In jedweder Hinsicht.

Ihm war mehr als nur klar, warum die beiden sich trotz der kurzen Zeit, die sie einander kannten, dennoch so nahe standen, aber er konnte ihnen ja schlecht sagen, woher er das wusste.

Oder?

„…heute Morgen war er aber ungewöhnlich schnell aus dem Haus. Keine Ahnung, was er treibt, ehrlich.“, meinte Layla gerade augenrollend zu Constantin, der ihre Entnervtheit bezüglich ihres Cousins amüsiert hinnahm.

„Oh, da fällt mir was ein“, meinte Patrick, als klar war, dass sie nicht mehr weitersprechen würde und das Thema beendet war. „laut einigen Mädchen soll euer Referendar ‚gutaussehend, wild und unbändig‘ sein. Und ich hatte immer gedacht, dass ich diesen Bereich bereits abgedeckt hätte, aber mich hat hier noch nie ein Mädchen so beschrieben“, lamentierte er.

„Vielleicht sind deine Piercings zu wild und zu unbändig?“, schlug Constantin vor.

„So ein Mist aber auch.“

Auch wenn er dann für immer auf eine Freundin verzichten musste, hatte Patrick doch lieber seine Piercings. Thomas sagte wissend nichts dazu. In seinem Kopf wäre Patrick gerade auch nicht gerne.

Genauso wenig wie in seinem eigenen für die meiste Zeit.

„Layla?“, errang Patrick schließlich ihre Aufmerksamkeit. „Was sagt dir der Name ‚Odette‘?“

Während Yasmin, Constantin und sogar Thomas eher verwirrt waren, schloss Layla gequält die Augen.

„Oh, nein“, meinte sie leise. „Bitte nicht…“

„Doch. Ich habe da diese E-Mail von Tim bekommen…“, warf Patrick noch zusätzlich ein.

Sie gab einen Laut von sich, der Rage, Frustration und auch ein bisschen Resignation in einem verkörpern konnte. „Ernsthaft?“

„Ernsthaft“, bestätigte ihr Patrick. Ihre Reaktion war amüsant, aber das besserte nicht seine Laune diesbezüglich.

„Wer ist Odette?“, wollte Yasmin verwundert wissen.

„Und warum ist sie so schlimm?“ Thomas blickte nicht weniger ratlos.

„Laut einer gewissen E-Mail ist sie augenscheinlich die große Liebe meines Cousins.“

„Und das ist so schlimm weil?“, fragte Constantin Layla.

Ihr linkes unteres Augenlid zuckte leicht. „Sie eigentlich ein Biest ist, das ihn nur ausnutzt. Er ist schon Ewigkeiten hinter ihr her, aber es war immer dasselbe und ich hab ihn jedes Mal wieder gewarnt.“

„Er meinte, du würdest genau das sagen und ich sollte dir bloß nicht glauben.“

„Kein Wunder, dass er mir nichts davon geschrieben hat, ich hätte ihm dasselbe wieder gesagt.“ Ihr Augenlid zuckte erneut. „Von wann ist die Mail?“

„Ich hab sie gestern gelesen. Weil er so darauf gepocht hat, es dir ja nicht zu sagen, musste ich dich jetzt einfach danach fragen. Ich kenne ihn doch.“

„So gern ich jetzt noch weiter Tims potenzielles Liebesleben und dessen Untergang ausdiskutieren würde, muss ich jetzt leider los. Mein Englischraum heute liegt ein Stockwerk tiefer“, merkte Thomas an und warf sich seinen Rucksack über die Schulter. „Wir sehen uns nachher.“

„Unser Raum ist schon auf“, warf Constantin ein. „Ich denke, wir sollten auch schon gehen, ehe all die guten Plätze weg sind. Ich will nicht unbedingt von einem unbändigen Wilden angefallen werden, egal, wie gut er letztendlich aussieht.“

Yasmins Lippen zierte ein amüsiertes Lächeln und Patrick war wirklich froh darum.

Während Thomas durch die Verbindungstür verschwand und Constantin und Yasmin ihren Klassenraum ansteuerten, griff Patrick das Thema wieder auf.

„Ich kenne ihn. Und du kennst ihn. Sein Glück mit Mädchen war schon immer… eher fataler Natur.“

„Ich war nicht schuld, sondern mein Vater“, warf Layla eher nebensächlich ein. „Aber ja, er pickt sich immer die falschen raus. Das ist fast ein Talent.“ Sie runzelte in besorgter, aber auch verärgerter Manier die Stirn. „Grade bin ich mir unschlüssig, ob ich vielleicht doch mal einfach 300 Kilometer fahre, um jemanden, keine Ahnung, besonders feste zu boxen oder ihn einfach mal auf die Nase fallen lasse. Im Endeffekt macht er es ja doch wieder, egal, was ich ihm sage.“

Patrick nickte verstehend. Das klang sehr nach seinem Cousin.

Zum Glück hatte er ihr die Mail doch nicht gezeigt; das hätte alles nur noch schlimmer gemacht. Layla war zwar ganz offensichtlich um Tim besorgt, aber nicht wie er in seiner E-Mail meinte, ‚wahrscheinlich eifersüchtig‘.

„Ich glaube, ich muss mir da was einfallen lassen“, meinte Patrick. „Aber trotzdem danke.“

Layla winkte allerdings nur grüblerisch ab. „Auf mich würde er ohnehin nicht hören. Und genaugenommen habe ich ja gar nichts gemacht.“

Ihr Unterrichtsraum befand sich direkt neben Constantins und Yasmins, aber er war noch abgeschlossen, sodass sie weiter auf dem Gang warten mussten.

„Patrick?“, fragte Layla schließlich blickte geradewegs in den geöffneten Raum, in dem sich Constantin und Yasmin befanden.

„Ja?“

„Kann ich dich was fragen, was mich eigentlich gar nichts angeht?“

Er runzelte die Stirn. Seit dem Zwischenfall eben mit Yasmin hatte er sich wieder gefangen und wieder fest unter Kontrolle. Er hatte nicht weiter zugehört.

„Klar.“

Er hatte erwartet, dass es weiterhin um Tim oder zumindest Constantin ging, doch was sie schließlich fragte, überraschte ihn doch.

„Das auf Yasmins Wange ist kein entzündeter Mückenstich und ihre Lippen sind auch nicht besonders spröde und rissig, oder?“

Patricks Kiefer verkantete sich.

Er wollte erst die übliche Antwort diesbezüglich geben, die die Yasmin allen immer gab, doch selbst wenn er nicht zuhörte, war Laylas Absicht hörbar und so entschied er sich für die Wahrheit.

„Nein.“
 

Um nicht von unbändigen Wilden angefallen zu werden, setzten Constantin und Yasmin sich neben einen Jungen, von dem Constantin glaubte, dass er ‚Dennis‘ oder ‚Daniel‘ oder so etwas hieß und ein bisschen weiter hinten am Rand saß. Für seinen Geschmack saßen sie immer noch zu weit vorne, aber die restlichen freien Plätze befanden sich nur in der ersten Reihe.

„Und was wisst ihr so über den neuen Lehrer?“, wollte Dennis-Daniel wissen.

„Laut unseren Quellen nur, dass er ein unbändig wilder, aber gutaussehender Referendar sein soll“, antwortete Constantin.

Amüsiert rollte Dennis-Daniel mit den Augen. „Sind eure Quellen Mittelstufenmädchen? Bei meiner kleinen Schwester hat er im Sportunterricht gestern schwer Eindruck geschunden.“

Constantin musste grinsen und er bemerkte Yasmin neben ihm schmunzeln.

„Aber warum haben wir in der Oberstufe trotzdem einen Referendar als Lehrer? Wir sind zwar nur ein Grundkurs, aber trotzdem“, warf Yasmin ein.

„Ich glaube, ich habe von irgendwem gehört, dass dieses Jahr wohl akuter Lehrermangel herrscht und wir wohl einfach zu viele Schüler sind. Sie nehmen derzeit anscheinend jeden, den sie kriegen können“, meinte Dennis-Daniel. „Aber meine Schwester meinte, er wäre Amerikaner oder Engländer. Auf jeden Fall kein Deutscher. Oh, Moment…Wie hieß er denn?“ Er verzog das Gesicht in angestrengter Überlegung. „Graham! Genau, so heißt er.“

„Aha“, meinte Yasmin verwundert. „So viel zu Thomas‘ Theorie.“

Unwillkürlich bekam Constantin jedoch ein ganz ungutes Gefühl.

„Inwiefern? Welche Theorie?“, wollte währenddessen Dennis-Daniel wissen.

„Ach, drüben im LK ist gibt es wohl schon eine gut vertretene Englische Fraktion und jetzt auch noch ein Lehrer…“, erklärte sie Schulter zuckend.

„Ah, ja. Dieser Typ mit D und diese Layla, oder?“ Er runzelte die Stirn und sah Constantin an. „Ist sie nicht deine Freundin?“

Überrumpelt blinzelte Constantin nur und Yasmin schien mit einem Mal sehr an der Tischplatte interessiert zu sein.

Offenbar hielt sich dieses Gerücht seit Patricks Geburtstag hartnäckig und hatte auch noch die Runde gemacht. Schließlich seufzte Constantin und schüttelte den Kopf. „Nein, ist sie nicht.“ Aber es lag ja nicht unbedingt daran, dass er abgeneigt wäre.

„Oh, das ist gut. Das ist gut“, meinte Dennis-Daniel nachdenklich.

Aber ehe Constantin ihn – in einem vielleicht etwas zu spitzen Ton – darauf hinweisen musste, dass er sie wohl erst in Street Fighter schlagen musste, ehe überhaupt die Option des Ausgehens für ihn bestand, herrschte ein kleiner Tumult am Eingang des Raumes, in Folge dessen sich auch die noch stehenden Schüler Plätze suchten. Offenbar war der ominöse Lehrkörper eingetroffen.

Als er ihn erkannte, ließ er augenblicklich mit einem Stöhnen seinen Kopf auf die Tischplatte sinken. „Orrr, nein.“

Er wusste, dass ihm auch Dennis-Daniel neugierige Seitenblicke zuwarf, aber ignorierte ihn, genau wie teilweise Yasmins offenkundiges Interesse.

„Du weißt gleich, was ich meine“, beantwortete er murmelnd ihre unausgesprochene Frage.

„Guten Morgen. Mein Name ist Liam Graham und ich werde fürs Erste als Ihr Englischlehrer fungieren, bis sich jemand anderes findet.“

Yasmin wandte sich ruckartig Constantin zu. „Derselbe…?“

„Oh, ja. Ein und derselbe“, gab Constantin resigniert zurück.

Liam.

Zu allem Überfluss war sein Englischlehrer auch noch Liam.

Während Constantin seine Tischplatte in Grund und Boden starren wollte und ernsthaft darüber nachdachte, seinen Kopf in wiederholten Kontakt mit ihr zu bringen, gab Liam vorne seine Einleitung. Im Moment wurmte in noch zusätzlich, das Liams Deutsch gar nicht mal schlecht war und man kaum einen Akzent heraushörte. Sein Wunsch, eine innige Verbindung mit der Tischplatte einzugehen, wuchs.

Sein Verhältnis zu Liam hatte sich zwar gebessert, aber musste er gleich sein verdammter Englischlehrer sein?!

Layla und Constantin waren übereingekommen, ihre Runenringe in der Schule nicht zu tragen. Ihrer beider Meinung nach, war allein der Sprachgebrauch zu verwirrend, wenn man nicht genau darauf achtete, was für eine Sprache gerade wirklich gesprochen wurde, weil man sie ja einfach verstand. Besonders im Fremdsprachenunterricht könnte es möglichweise zu argen Verwirrungen führen.

Neben der Tatsache, dass sie möglicherweise nur noch mehr wie ein Pärchen ausgesehen hätten.

Nicht, dass es Constantin gestört hätte, aber er hatte dies nicht Layla sagen wollen, die den Einwurf eher scherzhaft gemacht hatte.

„Well, if there aren’t any more questions I would like to start“, meinte Liam vorne und wechselte in verhältnismäßig akzentfreies Englisch, das weder einen Hinweis auf seine Herkunft gab, noch das er den Sommer über verwendet hatte. Offenbar besaß Liam zwei Ausdrucksformen. Constantin sah schon eine romantische Zukunft zwischen ihm und seiner neuen Angebeteten, der Tischplatte.

Allerdings kam Liam trotz seiner Absicht doch nicht dazu, seinen Unterricht zu beginnen, denn er wurde durch ein Klopfen an der Tür unterbrochen.

„Ja, bitte?“, wechselte er wieder problemlos ins Deutsche.

Die Tür des Unterrichtsraumes wurde von außen geöffnet und eine nur zu bekannte Stimme erklang.

„Entschuldigung, ich wollte nur fr-“ Doch weiter kam Layla nicht. Sie stockte mitten in der Bewegung als sie durch die Tür trat und starrte Liam fassungslos an.

Oh, nein. Sie hatte auch absolut keine Ahnung, dass er hier als Lehrer arbeitet…

Constantin konnte sehen, wie Liam mit sich rang, nicht breit zu grinsen.

„Ja, Miss McCambridge?“, fragte er stattdessen in einem höchst neutralen Ton, jedoch funkelten seine Augen ungeheuer amüsiert.

Layla fing sich wieder, doch ihre freudig aufgelegte Laune war nicht wirklich echt. Constantin wusste, dass ihr unteres Augenlid sicher zuckte.

„Ich wollte nur fragen, ob wir uns Kreide von Ihnen ausleihen könnten? In unserem Raum ist leider keine mehr.“

„Oh, sicher. Natürlich. Bedienen Sie sich.“

„Danke.“

Als Layla sich schnurstracks ein Stück Kreide von der Tafelablage nahm und sich wieder umwandte, suchte sie augenblicklich Constantins Blick. Beim Herausgehen formte sie für ihn stumm die Worte… nun, die Initialen „W“, „T“ und „F“ sollten ausreichend sein, um kundzutun, was sie meinte. Bevor sie verschwand, gelang ihm auch nur noch ein entgeistertes Schulterzucken.

„Well, then“, lenkte Liam die Aufmerksamkeit des Kurses wieder auf sich.

Constantin ließ sich resigniert in seinen Stuhl zurücksinken.
 

„Constantin, bitte töte mich einfach.“

„Geht nicht. Mein Leben hat sich heute Morgen selbst beendet. Ich bin bereits ein Zombie. Du siehst nur noch meine fleischliche Hülle herumwandern.“

Besonders leidend und resigniert gingen Layla und Constantin in bereits recht untoter Manier nebeneinander her. Bereits am Schuleingang hatten sie sich von Thomas, Patrick und Yasmin verabschiedet, wobei Layla Yasmin ein eine Umarmung gezogen und ihr ein Angebot zugeraunt hatte. Jetzt hatten sie alle Zeit und den nötigen Raum, um ihr vorzeitiges Lebensende zu beklagen.

„Vielleicht kann ich ja was drehen und unsere Lebensmittelvorräte vergiften“, schlug Layla vor.

„Du bist so tapfer“, unterstützte sie Constantin.

Da es ihnen unsinnig erschienen war, immer separat zu fahren, wenn sie beide ohnehin aus derselben isolierten Richtung kamen und in dieselbe isolierte Richtung zurück wollten, hatten Layla und Constantin beschlossen, sich jede Woche damit abzuwechseln, zur Schule zu fahren. Da Constantin in seiner Bewegungsfreiheit noch immer eingeschränkt war, war Layla zuerst dran. Sehr zu Laylas Missfallen besaß der McCambridge-Haushalt jedoch noch nur einen Wagen, weswegen ihr Vater sie vorerst beide auf seinem Arbeitsweg absetzte und nachmittags wieder abholte.

Layla hoffte, dass sich diese Tatsache jedoch bald - auch aufgrund der neuen Situation - ändern würde. Sie wäre ja schon mit einer klapprigen Rostlaube mit Vier-Gang-Getriebe zufrieden. Was wäre denn, wenn ihr Haus, von Formori überrannt werden, oder noch schlimmer, der Dullahan noch einmal auftauchen würde und sie mit den Fahrrad davonradeln müsste? Sie hatte diese Argumentation als durchaus logisch empfunden und ihr Vater hatte dem – etwas Zähne knirschend – zustimmen müssen.

Da diese ominöse Klapperkiste jedoch in so kurzer Zeit noch nicht auftreibbar gewesen war, wartete nun ihr Vater an seinem Wagen auf dem Parkplatz auf sie und Constantin.

„Was ist denn mit euch passiert? War es so schlimm?“, fragte er besorgt, als sich ihm zwei Zombies näherten, die am Morgen noch seine Tochter und sein Schüler gewesen waren.

„Liam ist Lehrer“, kam es trostlos von Layla.

„Nein, Liam ist mein Lehrer, das ist viel schlimmer“, meinte Constantin nicht weniger trostlos neben ihr.

„Oh, nein“, erwiderte Clancy seufzend und rieb sich entnervt den Nasenrücken. Als er wieder aufsah, richtete er einen scharfen Blick auf etwas hinter ihnen. Aber Layla hätte sich noch nicht einmal darum gekümmert, wenn der Dullahan seinen Kopf und andere Gegenstände jonglierend hinter ihr gestanden hätte; sie war zu sehr damit beschäftigt, die Welt als ungerecht zu befinden.

„Du hast es ihr nicht gesagt?!“, wollte Clancy recht erbost von dem potenziell jonglierenden Dullahan wissen. Es war ja auch unerhört vom Dullahan sie nicht persönlich von seinen Jonglierfähigkeiten zu unterrichten.

… Es konnte durchaus sein, dass sie noch unter Schock stand.

„Du hättest ihre Gesichter sehen sollen!“, ertönte Liams außerordentlich erfreute Stimme hinter ihnen. „Ich weiß bis jetzt immer noch nicht, welche Reaktion ich besser fand!“

Zeitgleich gaben sowohl Constantin als auch Layla ein besonders leidendes Aufstöhnen von sich.

„Kann ich nicht bei Constantin bleiben? Wir haben… viele Mathehausaufgaben bekommen“, bat Layla ihren Vater und versuchte sich so zu retten.

„Ihr hattet heute doch kein Mathe“, warf Liam ein und ein Grinsen breitete sich auf seinen Gesichtszügen aus. „Der Oberstufenplan hängt am schwarzen Brett, schon vergessen?“

Gequält schloss Layla ihre Augen.

Es wurde auch nicht besser, als sich Liam zwischen sie stellte, ihnen beiden jeweils einen seiner Arme um die Schultern legte und sie zu sich zog. „Das wird ein wundervolles Jahr werden!“

Beide gaben gepeinigte Laute von sich.

Zielstrebig und mit federnden Schritten ging Liam auf das Auto zu und Clancy verschränkte zwar nicht erfreut die Arme, aber musste sich das Trauerspiel trotzdem mehr oder minder hilflos ansehen.

„Wir können von ihm vom Rücksitz aus böse Blicke zuwerfen und hoffen, dass sein Kopf ein Loch bekommt“, schlug Layla murmelnd vor.

Constantin war Feuer und Flamme.

„Ansonsten haben wir ja immer noch Plan B mit der Speisekammer“, raunte er ihr leise zu.

Dennoch ließen sie sich vorerst missmutig auf der Rückbank nieder.



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Kommentare zu dieser Fanfic (72)
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Von: Futuhiro
2014-04-12T10:38:37+00:00 12.04.2014 12:38
Ich liege! XD
Liam ist Lehrer, nein, wie genial ist das denn? Ich kann nicht mehr vor Lachen. Wobei ich jetzt nicht weis, was die eigentlich alle gegen Liam haben. Ich fand Liam total cool, schon in den vorherigen Kapiteln.

So, und Patrick kann Gedanken lesen? Das hätte ich jetzt nicht erwartet. Schon immer, oder erst seit neuestem?

Ansonsten fand ich das Kapitel ziemlich toll. Die Befürchtung, daß nichts passieren würde, kann ich nicht bestätigen. Für meinen Geschmack ist ausreichend viel passiert. Ich musste nur mal wieder die ganzen Namen sortieren, wer da wer ist. Zum Glück hat <Nebelhexe> sehr ausführliche Charakterbeschreibungen zu allen teilnehmenden Vertragspartnern. ^^
Wer genau wohnt jetzt alles bei Layla und ihrem Vater? Nur Liam, oder auch seine gesamte Sippe? (Also seine Schwester Hepzibah, seine Mutter und so ...)

Ach ja, und was treibt Phobos eigentlich gerade, seit er wieder humanoide Gestalt hat?

... hach, schade, daß die Story gerade pausiert. (Wie so viele deiner Storys Q__Q )
Von:  Flordelis
2014-04-10T14:50:57+00:00 10.04.2014 16:50
> Du hast es auch gut und ihn nicht kennengelernt, während er Monstern den Kopf abgeschlagen hat.
Es muss so awesome sein, jemand auf diese Weise kennenzulernen! XD
Stell dir mal vor, du würdest jeder Person ab sofort nur noch in ihrem Badass-Moment begegnen, in dem sie irgendetwas total Cooles tut ... man würde ganz anders über den ersten Eindruck denken! XD

Warum futtert Liam immer so viel? :,D

Woaah! Patrick kann Gedanken "lesen"/hören? °_____________°
Wooooooooooah! °_______________°

> aber er konnte ihnen ja schlecht sagen, woher er das wusste.
Sag es ihnen! °_°
Schon allein, weil ich wissen möchte, wie sie darauf konzentrieren werden. :,D

> „Was sagt dir der Name ‚Odette‘?“
Die Schwanenprinzessin oder Fumiko Odette von Stein? :,D

> „Patrick?“, fragte Layla schließlich blickte geradewegs in den geöffneten Raum, in dem sich Constantin und Yasmin befanden.
Fehlt hier irgendwo ein Komma oder so? D:

> Aber es lag ja nicht unbedingt daran, dass er abgeneigt wäre.
Ja, es liegt nämlich nur daran, dass ihr nicht mal drüber redet. ò_ó
*vergisst Clancy in dieser Gleichung einfach mal*

LIAM! XDDDDDDDDDDDDDDDDDDDDDDDD
OMG! XDDDDDDDDD
Damit hätte ich absolut nicht gerechnet! XDDDDDDDDDDDDDDDD
Nimm all meine "XD"s, ich finde das einfach zu großartig! XD

> Ich wollte nur fragen, ob wir uns Kreide von Ihnen ausleihen könnten?
Irgendwas fehlt immer. Eines Mittwochs ist im dritten Stockwerk meiner Schule mal ein erbitterter Kampf um einen Schwamm entbrannt, weil einer gefehlt hatte. XD

> Ich bin bereits ein Zombie.
Dann kannst du sie ja einfach fressen, Problem solved. >:D

Aber könnte man einem Dullahan wirklich mit einem Auto davonfahren? Das stell ich mir irgendwie schwer vor.

> als sich ihm zwei Zombies näherten, die am Morgen noch seine Tochter und sein Schüler gewesen waren.
Ich sagte, friss sie, nicht, verwandle sie. >:(

> Es war ja auch unerhört vom Dullahan sie nicht persönlich von seinen Jonglierfähigkeiten zu unterrichten.
*fällt gleich lachend vom Sofa*
OMG! XDDDD

Ah, das war ein schönes Kapitel, das vorerst das entstandene Vakuum ausfüllte. ♥
Mir hat es gut gefallen, auch wenn wenig Plotentwicklung drin vorkam, aber es war schön, endlich mal was über Patrick zu erfahren. =)
Bin mal gespannt, wie es weitergehen wird. ^^
Antwort von:  Lianait
10.04.2014 19:57
ich hab dir in der ENS gleich mit geantwortet. :3
Und jetzt geh ich den Satz verbessern. xD
*flausch*
Von:  Flordelis
2014-04-08T13:56:22+00:00 08.04.2014 15:56
*räusper*
Liebe Lia~
Heute, vor dem Physikunterricht, zu dem ich, wie üblich, zu früh erschien, gelang es mir, das letzte vorhandene Kapitel dieser Geschichte zu lesen - während ich eine epische Schlacht gegen drei Wespen schlug, aber das ist eine andere Geschichte.

Ich muss sagen, dass mich die Geschichte bislang sehr begeistert hat (ja, auch die "schlimmen" Kapitel am Anfang XD) und ich schon mal interessiert bin, wie es weitergehen wird.
Besonders gefiel mir eigentlich, dass wirklich dauernd irgendwas Interessantes geschehen ist, das einen unbedingt weiterlesen lassen wollte, selbst nach einem eher ruhigen Kapitel wie diesem jetzt. Da sind noch so viele Fragen, auf die ich Antworten will. ò_ó

Ich fand übrigens sehr lustig, wie lässig Phobos da Kekse anbietet, ich meine ... WTF? XDDDDD
Kann man sich irgendwie kaum vorstellen, aber nun gut~. Ein wenig schade finde ich aber, dass Layla ihn jetzt, so als Mensch, nicht mehr herumtragen kann. XD

Tjaaaaaaaaa, mir bleibt jetzt eigentlich nur zu sagen, dass ich mich ohne diese Geschichte in einem Vakuum befinde und hoffe, dass du bald dazu kommst, weiterzuschreiben ... irgendwie. ;D

Es grüßt dich herzlichst,
Alo, die zu dumm für Mathe ist, aber immerhin Wespen bezwingen kann >:D
Antwort von:  Lianait
08.04.2014 16:23
Vielen lieben Dank für den Kommentar~ (Jetzt sind es 70, ach, du heilige Scheiße! xD)
Ich hab ihn dir in der ENS von letzten mitbehantwortet, weil das hier sonst sicher wieder ausgeartet wäre. Ich kenn mich doch. :,D
Liebe Grüße und noch einmal Danke~ *flausch*
Von:  Flordelis
2014-04-03T15:50:44+00:00 03.04.2014 17:50
Thompson's Bar! ♥
Hab das heute in der Bahn gelesen und war am Dauergrinsen, deswegen MUSS ich hier einfach mal kurz zwitschern, wie toll ich diese Einrichtung finde. XD
Ich liebe diese Bar und all seine Besucher. ♥
Ich glaube zwar, dass du mir diese Stelle schon mal gezeigt hattest (die quietschenden Gläser! ♥), aber das hat meinem Grinsen heute keinen Abbruch getan. Ein sehr amüsantes und tolles Kapitel. =)
Antwort von:  Lianait
03.04.2014 21:40
Ja~ ♥
Markus und ich haben sehr viel Spaß an der Bar. xDDD
Es gibt in NH - da Phobos ein festes Mitglied der Bar ist - noch ein weiteres Bar-Kapitel, "Earl Grey". Generell ist alles was auf irgendeine Weise "grau" im (Kapitel)Titel hat, ein Bar-Kapitel. Nicht nur hier, sondern auch in allen anderen Stories.
Und ja, ich hatte dir schon mal eine editierte Version dieses Kapitels (und ich glaube auch des anderen) zukommen lassen. =) (Das dritte Bar-Kapitel is übrigens in "Nachtraben" zu finden.)
Vielen Dank für den Kommentar~ *flausch*
(Bald bist du ja tatsächlich schon durch! °_°)
Von:  Flordelis
2014-03-31T17:49:26+00:00 31.03.2014 19:49
Ich bin schon zwei Kapitel weiter (und amüsiere mich sehr, me gusta), wollte dir aber nur mitteilen, dass ich dich für dieses Kapitel hasse. Voll ernstig und so. ಠ_ಠ
Und zwar finde ich die Lehrstunde bei Phobos viel zu toll und alles viel zu detailliert und ich fühl mich daneben so noobig. XD

Nein, im Ernst, immer weiter so.
(Ich würde an deiner Stelle ja schon lange die Übersicht verloren haben. XD)
Ich bin schon mal gespannt, wie mich der Rest unterhalten wird und hoffe, dass du dann weiterschreibst. :,D
[/total unkonstruktiver und nichtsaussagender Kommentar]
Antwort von:  Lianait
31.03.2014 22:05
Huch? Ô_o Der kam jetzt ganz überraschend reingeschlichen. :,D
Danke für den Kommentar~ *flausch*
... Auch wenn du mich jetzt hasst, lol.

Ich muss aber echt sagen, dass ich mir mit dieser Unterrichtsstunde damals echt einen abgebochen hatte. Deswegen hatte ich da auch fast ein Jahr lang eine Blockade und beinahe alle Leser sind abgehauen. xDD
Persönlich mag ich aber die Kapitel, bei denen du jetzt sein müsstest, so 13-16, am liebsten. Als das ganze noch englische Kapiteltitel hatte, hieß dieses hier "Fair Huntress". [/random Info]

Die übersicht hab ioch noch nicht verloren, aber ich hab das Gefühl, dass ich alles zu kompliziert erkläre. xDDD
Und ich hoffe auch, dass ich dann weiterschreibe. :,D Da es der erste Teil einer Triologie ist, dauert es auch gar nicht mehr sooooo lange, bis er beendet ist. Zumindest nicht nach meinem wirren Plan.
Von:  Flordelis
2014-03-12T13:42:35+00:00 12.03.2014 14:42
Heute Morgen hab ich das zweite Kapitel gelesen und weil ich mich nicht mehr an alle Fehler erinnere, gibt es hier nur zwei:
An einer Stelle meint Layla, dass sie "Halos" hätte. Falls du damit nicht wirklich Heiligenscheine meintest, wäre "Hallus" (von Halluzinationen) das richtigere Wort.
Und irgendwo hast du "wage", statt "vage" geschrieben, ich weiß aber nicht mehr genau ...

Kommen wir eher zum Inhalt: Ich fand das Kapitel echt super (auch mit Ich-Perspektive, hat mir gut gefallen) und musste wieder viel lachen/husten. XD
Aber - und jetzt kommt es - ich fand es ab und an ein wenig ZU lustig. Ich meine ... Layla stürmt aus dem Haus, zu Constantin, um Phobos zu entgehen und herauszufinden, was wohl geschehen ist, unterwegs dann noch dieses Kichern im Schuppen - und kaum ist sie da, wird erst mal eine halbe Ewigkeit nur rumgescherzt, bevor es mal ernst wird, damit wieder rumgescherzt werden kann und wir dann mit einem Paukenschlag das Kapitel beenden.
Mir kam das beim Lesen ein wenig seltsam vor, auch wenn ich die Dialoge an und für sich sehr genossen habe. ♥

Das wollte ich nur nebenbei erwähnen, vielleicht bin ich auch die einzige, die so denkt, dann achte nicht zu viel darauf. XD
Weiterlesen werde ich auf jeden Fall. ^^
Antwort von:  Lianait
12.03.2014 14:52
Vielen Dank auch für diesen Kommentar; ich hab dir wieder in der ENS geantwortet. *flausch*
Von:  Flordelis
2014-03-11T18:15:04+00:00 11.03.2014 19:15
Da ich zu Hause mit dem Lesen angefangen habe, dachte ich, ich unterstütze mal die Fehlerausmerzung. XD
Du wirst also nicht jedes Mal einen Kommentar mit Fehlern und Verbesserungen von mir bekommen, keine Sorge. :,D

> und lies ihren Schürhaken
--> ließ

> Dann fing er an zu Lachen
lachen wird hier klein geschrieben, weil Verb.

> Nicht du, ich meinte ihren Kater.
Nicht eher "meinen Kater"? Oder gehört er plötzlich jemand anderem?

> als sie sie weiter ausstieß
Ich lass mal weg, dass "als sie diese" besser aussehen würde und bemerke nur: "aufstieß"
Kieran: Jetzt hast du es ja doch nicht weggelassen. =_=
Alo: Sorry. D:

> den die schiefe Haustür mit der Wandbildete
Zwischen "Wand" und "bildete" fehlt ein Leerzeichen.

> stieß isie wieder gegen die Wand
isie --> sie

> zugegebeneer Maßen
--> zugegebenermaßen

> ‚sparkle-sparkle‘-glänzen
XDDDDDDDDDDDDDDDDDDDDDDDDDDDDDDDDDDDDDDDDDDDDDDDDDDD

Zum Abschluss sei gesagt: Ich sollte keine Kapitel von dir lesen, während ich krank bin, denn vor lauter Lachen musste ich immer wieder zu husten anfangen. XD
Die Atmosphäre in der Hütte war trotz der sehr amüsanten Witze und Anspielungen und Erwähnungen (Galileo Mystery, zu genial! XD) reichlich creepy, ich hab dauernd so eine mysteriöse leise Melodie gehört, wie sie in Horrorspielen bei sowas immer gespielt wird und du immer denkst "Gleich passiert was! D:".
Großartig~.
Der "Break" und der darauf folgende Abschnitt hat mich dann erst mal verwirrt, für eine Weile dachte ich echt, sie hat es nur geträumt und es wird erst noch passieren.
Ich bin jedenfalls schon sehr interessiert an der Geschichte~. Prima. ^^
Antwort von:  Lianait
11.03.2014 21:54
Ich war erst total überrascht, dass hier ein neuer Kommentar auftauchte. ^^
Ich hab dir in der ENS geantwortet. :3
Von: Futuhiro
2012-11-09T22:51:02+00:00 09.11.2012 23:51
Herrje ... Nebelhexe, die FF gab es ja auch noch. XD
Aber hey, es waren alle Figuren noch total präsent. Naja, bis auf Yasmin, aber die hatte ja bisher auch keine große Rolle gespielt.

Irgendwie fand ich den Kontrast zwischen <Der Alltag hat uns wieder.> und <Die Magierwelt ist mehr denn je in Aufruhr.> total gelungen. Auch wenn ich den Beginn des Schuljahres jetzt direkt etwas plötzlich fand. Haben die jetzt überhaupt noch Zeit für ihre Magieausbildung?

Über die Kochkünste der beiden musste ich echt lachen. "Das sollten Blaubeerkekse sein!" - "Oh, echt?" XD Sehr schön!
Ich hoffe, hier geht es auch wieder weiter, ich freu mich. ^^
Von: Futuhiro
2011-09-30T20:57:13+00:00 30.09.2011 22:57
Aaargh ... ich bin platt ...

Okay, erstmal sorry, daß ich so lange zum Lesen gebraucht habe. Bin die letzten Tage einfach nicht dazu gekommen. - Und ich hab was verpasst, wie ich nun feststellen musste ^^
Gott, Phobos wird immer genialer, ich mag ihn immer mehr. Allerdings hatte ich ihn mir nicht so groß vorgestellt. Ich hab ihn mir so 1,65m oder 1,70m vorgestellt, aber in dem Kapitel klang er wie 2 Meter.
Bei Aygül weis ich immer noch nicht, was ich von ihr halten soll. Manchmal kommt sie mir direkt cool vor, aber dann kommen immer wieder so Andeutungen, daß sie doch nicht ganz koscher ist. Naja, das verfolge ich weiter. ^^ - Und die will jetzt Hepzibah unterrichten? Ach so, darf ich aus der Story eigentlich schließen, daß Hepzibah einen anderen Vater hat als Liam? Das wäre ja auch ein interessanter Ansatzpunkt für weitere Fragen. Wer weis, was ihr leiblicher Vater dann für einer ist, und was der so auf dem Kerbholz hat. ^^
Layla hat ihr Element ja inzwischen gut unter Kontrolle. Die Szene mit der Figur in der Wasserschüssel fand ich schön.
Unterm Strich bin ich jetzt jedenfalls gespannt, was es mit dem ominösen Erlass auf sich hat, bzw. was genau die damit eigentlich erreichen wollen. Als hätten die Ärmsten mit dem Dullahan und allem noch nicht genug Sorgen.
Von:  Miezel
2011-09-11T15:55:59+00:00 11.09.2011 17:55
Phobos kann herrlich ironisch und auch selbstironisch sein. Sehr schön. Und ich hab nur einen verrutschten Punkt gefunden gleich auf der ersten Seite. Dafür dass du keinen Betaleser hast schreibst du Superspitze, möcht ich auch mal können. *neidisch guck*


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