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Rockin' Heaven

von

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1
 

Ein laues Lüftchen wehte über die Stadt, hinter der gerade die Sonne unterging. Sie blickte in die rote Sonne und ihre Tränen wurden vom Wind verschluckt. Ihre Gedanken waren frei von allem und sie wollte nur eins; endlich die Wahrheit erfahren.
 

4 Monate zuvor.....
 

„Guten Morgen liebe Freunde guter Morgenmusik! Hier ist der neue Sound im Radio. Das ist Rockmenia, hier Sven und ich spiel euch jetzt das Neue vom Neuen.“

Marika stöhnte total genervt. Jeden Morgen das gleiche Geschwafel von diesem ewig -gute Laune- Typen. Davon hatte sie echt genug. Einmal kurz auf den Radiowecker gehauen, umgedreht und wieder in die schöne und entspannende Traumwelt eingetaucht. Sie hatte keine Lust aufzustehen. Viel zu schön war es in ihrem großen kuscheligen Bett. Gerade war sie wieder am Eindösen, als die Tür aufgeschmissen wurde. „Auf, auf Marika!! Der Tag wartet nich’ auf dich!“ Viel zu fröhlich schoss ihre Mutter durch die Tür.

„Och nee...“, konnte das verschlafene Mädchen nur ausstoßen. „Ach komm schon. Dein Bus fährt in einer halben Stunde. Wenn du ihn verpasst dann...“

„Is´ ja gut!!“, entrann es ihr genervt. Sie sprang auf und ging wütend zum Bad. Selten war sie so schlecht drauf wie an diesem Tag. Ein lautes Knallen und die Tür war zu.

Ihre Mutter stand schulterzuckend im Türrahmen und ging dann in die Küche. Dort saß ihr Mann am Tisch und trank entspannt seinen Kaffee, während er den Journalteil der Tageszeitung las. Stutzend sah er über den Rand seiner Kaffeetasse. „Ich weiß auch nicht was sie hat.“, meinte die schon etwas Ältere zu ihrem gleichaltrigem Lebenspartner. „Mmmhhh...“, hörte man diesen nur aus der Tasse schnurren. In diesem Moment kam Marika in die Küche. Ihre dunkelbraunen Haare zu einer leicht freakigen Frisur gestylt, bei der ihre farbigen Strähnen im Gesicht hingen.

Sie ließ sich auf den Stuhl neben ihren Stiefvater fallen und seufzte laut. Während sie eine Schnute zog, sah sie ihre Mutter böse an.

Diese lächelte freudig zurück. „Müsli oder Schnittchen?“

„Ooohhhhh...“. Mit diesem Ausdruck des ‚Warum nur ich’, ließ sie ihren Kopf auf den Tisch fallen. „Also Schnittchen.“, drehte sich ihre Mutter zum beigefarbenen Küchenschrank um, holte alle Utensilien heraus und fing an ihrer leicht gereizten Tochter das Frühstück zu machen.

„Sag mal, hat Theresa nicht diese Woche Geburtstag?“

„.....“

„Mir war so...doch am Freitag nicht?“

„Und wenn schon.“

„Kira, wenn sie nicht will, dann lass sie doch.“ Entgegnete ihr Mann.

„Ach..“ Kira zog eine Schnute.

„Sie ist doch deine beste Freundin.“

„Ich weiß ja. Aber ich hab trotzdem keine Lust auf ihre Party.“

„Och, sei nicht so zickig!“

„Ja, dieser Hendrik nervt mich einfach. Das wird auf dieser Party nicht anders sein.“

Ihre Mutter sah sie wieder mit diesem vielsagenden Blick an.

„Oh nein.“, hörte man die Braunhaarige nur meckern.

„Ich bin nicht eifersüchtig!“

„Das hab ich doch gar nicht behauptet.“

„Kira...“ ermahnte sie ihr Mann

„Ich mein ja nur.“

Marika hatte genug. Sie sprang auf, nahm ihr Frühstück und verschwand durch die Haustür.

„Perfekt, Darling.“ Auch ihr Stiefvater Gino machte sich daraufhin auf den Weg zu Arbeit. Kira zuckte nur mit den Schultern und kümmerte sich dann um den Haushalt, bevor sie sich auf den Weg zur Arbeit zum Finanzamt machte.
 

Gerade so hatte das Mädchen mit den kaputten Strumpfhosen den Bus geschafft. Ihr locker liegendes schwarzes Kleid, das mit einem Nieten besetzten Gürtel verziert war, hatte sich beim Einsteigen an einem der Haltegriffe verfangen und wirbelte dann, als würde ein tobender Sturm im Bus wehen, um ihre Beine.

Auf den Weg zu einem der Sitzplätze klapperten die vielen Ketten und Schilder, welche sie an ihrer Tasche hatte, laut herum und jeder Schritt ihrer schweren Stiefel war laut und deutlich zu hören.

Na ja, zumindest müsste man dies hören können. Im Bus wurde jedoch alles vom lauten Erzählen und Lachen der Insassen übertönt. Selbst das Bassgeräusch, welches aus Marikas Kopfhörer kam, war nicht mehr zu erkennen. Völlig genervt von den Blicken der Insassen, dessen Augen sonst nicht von ihr lassen konnten, ließ sie sich auf den Sitz fallen und sah nachdenklich aus dem Busfenster.

Es war ein langer Weg bis zur Uni. Fast eine halbe Stunde musste sie jeden Tag fahren, nur um sich lange öde Vorlesungen anhören zu können. Sie studierte Theologie, nicht unbedingt einer der beliebtesten Fachbereiche. Ihr machte es aber sehr viel Spaß, auch wenn sie auf die ewigen Lesungen verzichten könnte.

20 Minuten war sie jetzt schon gefahren. Egal wo sie hinsah, überall waren Menschen. Ein eindeutiger Beweis dafür, dass sie nun im Stadtzentrum angekommen war. Noch fünf Stationen und dann muss sie wieder Professor Leimbach beim Philosophieren zuhören.

‚Echt ein komischer Kauz’, dachte sich das eingefleischte Gothic- Mädchen. „Nächste Station_Heidepark“, hörte sie in einer der Pausen zwischen den Songs die mechanische Stimme sprechen. Kurz schloss sie die Augen noch einmal, als sie diese wieder öffnete, saß ihre Freundin Ginger neben ihr. Sie kannte sich noch nicht sehr lang, aber Marika war schon von Anfang an klar, dass sie sich verstehen würden. Ginger war genauso groß wie sie, trug ihr langes mattschwarzes Haar, das im Licht blau schimmerte, meist zusammen und dazu einfache Klamotten. Meist eine etwas lässig hängende Jeans, die leicht ausgefranst und ausgewaschen war. Dazu ein T-Shirt in dunkel-blau, auf dem an der rechten Schulter ein rot-weiß karierter Stern aufgenäht wurde. Wie Marika hatte sie einen schiefen Pony, der ihr jedoch nicht so doll vor den Augen lag, wie bei der gothisch Veranlagten.

Ginger stutzte, weil Marika immer noch tief im Sitz hing und keine Anstalten machte, mal ihre Kopfhörer aus den Ohren zu nehmen. Also zog sie einfach dran und erntete dafür nur einen trüben Blick, der mit einem leichten Lächeln untersetzt war.

„Na, was geht?!“, wollte die Schwarzhaarige nun wissen. Als Antwort bekam sie nur ein Schulterzucken.

„Weiß nicht. Mir ist heute’ irgendwie nicht nach Schule.“ Ihre Freundin nickte und sagte dann nichts mehr.

Sie lies sich nun genauso tief in den Sitz sinken und wartete auf die Endstation. Das war wahrscheinlich auch der Grund, warum Marika sie gern hatte. Wäre Theresa jetzt da gewesen, hätte sie keine stille Minute mehr gehabt. Keine fünf Minuten später waren sie dann an der Endstation, genau neben der Uni, angekommen. Als sie aus dem Bus stiegen, wäre sie fast rückwärts wieder hineingekippt.

Die Mädchen merkten nun wieder einmal mehr, wie war die Aussage ist, dass in der Stadt die Luft förmlich stehe.

„Oh Gott!“, stöhnte Ginger.

„Bloß schnell rein...“, schlug Marika vor.

Völlig einverstanden, machten sie sich in schnellem Schritt auf den Weg zum Eingang der prunkvollen Universität. Kaum betraten sie die Eingangshalle, kam ihnen auch gleich Theresa mit ihrem Hendrik entgegen gesprungen.

„Marika!! Schatzi!! Da bist du ja! Ich hab das ganze Wochenende versucht dich zu erreichen!!“

„Daher hatte ich mein Handy auch aus.“, flüsterte die Braunhaarige ihrer Freundin zu. Diese lachte nur leicht und hielt sich die Hand vor den Mund. Marika wusste, dass es gemein war, aber in letzter Zeit hatte sie einfach keinen Nerv für ihre ehemals beste Freundin.

„Na Resa. Sorry deswegen. Ich muss mein Handy verlegt haben. Wahrscheinlich ist auch noch der Akku leer.“ In diesem Moment räusperte Ginger sich. Marika sah sie vielsagend an.

„Ich wollte dir eigentlich nur Bescheid sagen, dass meine Party am Freitag stattfinden wird. Wir feiern also richtig geil in meinen Geburtstag rein. Du glaubst gar nicht, was das für ein Aufwand war, das alles zu planen. Aber ich werde ja nur einmal 20.“ Sie drehte sich zu Ginger.

„Du kommst natürlich auch, oder?“

„Ähhh....“ Damit hatte sie nun gar nicht gerechnet.

„Ach komm schon! Da können wir uns wenigstens auch mal besser kennen lernen. Ich muss doch wissen, mit wem meine Mari jetzt abhängt.“

„O-kay.“ Ginger sah Marika schulterzuckend an.

Diese atmete nur einmal schwer ein und aus.

„Toll“, freute sich Theresa.

„Gut. Also wir sehen uns dann.“, versuchte Marika nun das Gespräch zu beenden. „Wir müssen echt. Unsere Vorlesung beginnt gleich.“

„Klar. Wir müssen ja auch! Nicht Henni?!“ Sie schmiss sich an seinen Arm, winkte noch einmal kurz und verschwand dann hinter der nächsten Ecke. Erleichtert atmeten beide nun aus. Marika wusste in diesem Moment wieder, warum sie froh war, dass Theresa Biologie studierte.

2
 

Neunzig lange Minuten wollten einfach nicht vergehen.

Noch nie haben die Worte des Professors schläfriger gewirkt, wie an diesem Morgen. Marika hatte das Gefühl sie säße schon sechs Stunden in diesem Saal und müsse es noch sechs weitere Stunden aushalten. Sie hatte an diesem Tag einfach keinen Kopf für Gott und die Welt, aber es blieb ihr ja nichts anderes übrig. Sie wollte schließlich die Prüfungen in zwei Monaten bestehen. Trotz diesem Faktums schwebten ihre Gedanken immer wieder völlig leer durch den Saal.

Ihr Blick glitt schläfrig durch den Raum, blieb kurz an einem der anderen Studenten hängen. Aber nicht lange, denn dieser war nur eifrig am mitschreiben. Also nichts Besonderes oder etwas, dass sie ablenken konnte. Für einen Moment sah sie ihre Freundin an, die auch nicht gerade begeistert den Wortes des Professors lauschte und zwischendurch immer mal kurz schnaufte.

Da dies auch nicht wirklich überraschend für Marika war, sah sie schließlich aus dem Fenster und beobachtet die Blätter an den Bäumen, die vom Wind leicht hin und her wankten. Da sich der Vorlesungssaal im Erdgeschoss befand, konnte man gut die Leute auf dem Gelände der Universität beobachten. Komische Figuren konnte man da sehen. Einige hatte völlig verrückte Klamotten an und Frisuren zum Weglaufen, dagegen sah sogar Marika noch wie ein normaler Mensch aus. Diese Crazy People studierten eindeutig Japanologie. Anscheinend war denen nicht ganz bewusst, dass sie da etwas über Japan lernen werden und nicht japanisch sein sollen und erst recht nicht wie ein Anime-Schulgirly.

Marika war so vertieft in die Analyse der verschiedenen Typen von Studenten, dass sie kaum noch etwas anderes mitbekam.

„Marika?! Willst du hier wurzeln schlagen oder können wir jetzt gehen?“ „Was? Ist die Vorlesung schon vorbei? Verdammt, hab ja nicht viel mitbekommen.“

„Egal. War eh nicht wirklich wichtig. Kannste jetzt in der Bibliothek nachlesen.“ Mit einem lauten Seufzen erhob sich das Gothic Mädchen und beide machten sich langsam auf den Weg zur Bibliothek.
 

Ein wirklich riesiger Raum. Darin konnte man sich richtig gut verirren, was kein Scherz war. Öfters sind Studenten nach einer Vorlesung hinein gegangen, aber erst am Abend wieder aufgetaucht. Jeder Versuch sie zu finden, scheiterte schon von Beginn an. Vier Stunden verbrachten die Beiden in dieser Bücherhölle, aber als sie diese verließen, fühlten sie sich nicht wirklich schlauer.

„Gott!! Wieso wollte ich nur studieren!“, fragte sich Mari nun schon bestimmt das zehnte Mal in diesem Monat.

„Ach hab dich nicht so. Gibt Schlimmeres.“, bemerkte Ginger. In diesem Moment kam Hendrik um die Ecke.

„Ja, danke, dass du mich daran erinnerst.“

„Na Hoppla. Na Ladys, schon genug vom Studieren.“

„Nee, aber von dir.“, entrann es Marika genervt und sie stürmte an ihm vorbei. Dabei rempelte sie ihn noch richtig kraftvoll an. Hendrik sah ihr noch geschockt nach, bevor er sich umdrehte und Ginger fragend ansah. Die zuckte nur die Schultern und ging dann auch.

Marika war nun auf hundert angekommen. Dieser Kerl nervte sie schon von Anfang an. Was glaubte der bloß, wer er sei? Nur, weil er mit ihrer besten Freundin zusammen war, musste er nicht denken, dass sie nun auch die besten Kumpels seien. Die Wut, die sich verspürte, hielt noch den ganzen Weg nach Hause an.
 

Kira war gerade wieder nach Hause gekommen und überlegte, was sie am Besten zu essen machen sollte. In diesem Moment hörte sie die Tür, sah ihre Tochter noch an der Küche vorbei stürzten und dann knallte auch schon die Zimmertür. Das war ein Zeichen für sie, jetzt besser nicht nachzufragen, was sie essen wolle.

Marika schmiss ihre Sachen unter den Tisch und ließ sich auf ihr Bett fallen. Sie atmete schwer und war immer noch völlig aufgelöst.

Dann bemerkte sie, wie unsinnig die ganze Sache war. Wieder kamen ihr die Andeutungen ihrer Mutter in den Sinn. War sie etwa doch eifersüchtig auf ihre Freundin? Sie hatte lange keinen Freund mehr gehabt, was aber auch daran lag, dass sie kein Verlangen danach hatte. Aber jetzt? „Blödsinn!“, fauchte sie bloß vor sich hin. Aber sie fühlte, dass ihr was fehlte.

„Marika???!!!!! Kommst du mal bitte her?“

Ein gereiztes Stöhnen entrann ihr, bevor sie sich erhob, die Treppe herunter schlenderte und im Rahmen der Küchentür stehen blieb. „Was?“

“ Dein Vater hat angerufen. Er ist diese Woche in der Stadt und möchte sich gerne mit dir treffen.“

„Aha. Und Wann?“

„Am Donnerstag. Da hast du doch frei, oder?“

„Ja.“

„Du kannst ihn ja noch mal anrufen. Er meinte gegen um acht am Abend ist er eigentlich immer zu erreichen.“ Marika nickte und drehte sich zum gehen. „Gino kommt in einer Stunde. Kommst du dann zum Essen runter?“

„Ja!“, hörte Kira nur aus dem Treppenaufgang.
 

Nach dem Essen lag sie wieder auf ihrem Bett und starrte die Decke an. Eigentlich hätte sie noch ein wenig für den nächsten Tag machen müssen, aber sie hatte einfach keine Lust mehr auf Gott.
 

Während sie also Trübsal blies und überlegte, wie sie ihr Elend nun ändern konnte, klingelte ihr Handy.

„Hallo?“

„Marika? Alles klar mit dir?“

„Ginger.....“

„Die Aktion heute war ja echt mal’ ne Kanonenkugel.“

„Ach, erinnere mich bloß nicht daran!“

„Was denn los?“

„Kein Schimmer. Der Kerl ist mir einfach nichts.“

„Egal. Ich wollte nur wissen, ob du morgen mit in den Club kommst. Mein Bruder spielt.“

„Ja, weiß nicht. Vielleicht. Ich sag dir morgen noch mal Bescheid“

„Is doch okay. Wollte dir nur die Info geben.“

„Gut. Ich muss dann Schluss machen. Bis morgen dann.“ Sie schmiss ihr Handy in die Kissen auf dem Boden. Das würden ja echt noch lustige Tage werden.

3
 

Als Marika am Dienstag von der Uni kam, hatte sie auch keine bessere Laune. Sie hatte sich von Theresa eine ganz schöne Moralpredigt anhören müssen. Einerseits tat es ihr ja Leid, andererseits war ihr einfach nicht nach ‚glückliche Welt’ zumute. Um kein weiteren Stress zu bekommen, hatte sie sich entschuldigt und die Sache war erledigt.

Resa war ja nicht nachtragend. Auch wenn sie fast nur mit ihren Hendrik zu tun hatte, bemerkte sie doch, dass ihre Freundin etwas bedrückte.

Da Marika aber noch nie wirklich gesprächig war, wenn es um ihre Gefühle ging, fragte keiner weiter nach. Wieder zu hause überlegte Mari, was sie nun mit dem angefangenen Tag machen sollte. Vielleicht sollte sie wirklich mit Ginger in den Club gehen. Obwohl sie keine richtige Lust hatte auf Lucas zu stoßen. Ginger’s Bruder war gleichzeitig auch ihr

Ex-Freund. Na ja, eigentlich waren sie nie wirklich zusammen, aber trotzdem hatte sie ihn als ihren festen Freund anerkannt. Aber seitdem sie Schluss gemacht hatte, war irgendwie Funkstille.

Nach langem Hin und Her entschied sie sich doch zu gehen.

„Ginger? Ich bin’s, Marika. Ich glaub ich komm doch mit. Kann ja ganz lustig werden.“

„Schön zu hören. Treffen wir uns so um acht?“

„Ja, ist okay. Bis nachher.“ Sie machte keinen großen Aufwand, zog sich einfach nur ihren kurzen Faltenrock und ihr Lieblingstop an. Dazu ihre Stiefel, mit Accessoires sah das ganz okay aus. Noch ein wenig Schminke aufgetragen und fertig. Sie begab sich in die Küche um noch etwas zu essen. Ihre Mutter konnte es nicht leiden, wenn sie etwas Trinken gehen wollte und vorher nichts aß.

„Na? Sieht aus als hättest du heute noch viel vor.“, bemerkte ihr Stiefvater.

„Ach, nur ein bisschen was Trinken und Tanzen, nichts Besonderes.“ „Hast du denn schon ein Geschenk für Theresa besorgt.“, mischte sich ihre Mutter nun ein. Das hatte sie natürlich noch nicht getan.

„Nee. Weiß ehrlich gesagt nicht wirklich, was ich ihr holen soll.“

„Ach, du findest schon etwas.“, ermutigten die Beiden sie.

Marika lächelte nur gequält. „Ja, ich mach mich dann mal los. Tschau!“ Mit schnellem Schritt verließ sie das Haus und machte sich auf den Weg zum Club. Da es ja noch nicht so spät war, sah man immer noch aller Hand Menschen auf der Straße. Marika versuchte, so gut es ging, diese zu ignorieren, gerade dann, wenn sie ihr irgendetwas andrehen wollten. „Affen...“, war ihre einzige Äußerung dazu.

Als sie am Club ankam, standen schon große Menge Leute vor der Tür. Sie wollte gar nicht wissen, wie viele erst im Club drin waren. Sie überlegte, ob sie nicht besser wieder gehen sollte, aber ihre Freundin Ginger hatte sie schon bemerkt und heran gewunken. Neben ihr stand Lucas, wie sollte es anders sein, der ihr einen sehnsüchtigen Blick entgegensetzte.

Was sollte sie bloß davon halten? In Gedanken versunken, bemerkte sie die Leute um sie herum gar nicht mehr und wurde auch auf halben Weg einmal richtig heftig angerempelt.

„Idiot.“, meckerte sie und sah die Gestalt nur kurz an. Dann ging sie weiter.

„Was war denn das für einer? Den hab ich hier ja noch nie gesehen.“, sprach Lucas sie an. Mari zuckte nur gelangweilt mit den Schultern. War ihr doch egal, was für Deppen sich um die Zeit hier aufhielten. Hier traf man doch regelmäßig auf komische Leute.

„Ach, lasst uns rein gehen. Mir wird es hier echt zu kalt.“, winselte Ginger.

„Memme.“, bekam sie von ihrem Bruder zu hören. Ginger streckte ihm noch die Zunge raus, bevor sie schon mal vorging und die beiden dort stehen ließ. Peinlich berührt, traute sich keiner der beiden wirklich etwas zu sagen. Marika ergriff dann doch das Wort.

„Lass uns auch reingehen. Du musst dich doch sicher noch für deinen Auftritt fertig machen.“ Lucas nickte.

„Wie geht’s dir eigentlich? Ginger meinte, du bist in letzter Zeit nicht so gut drauf.“

„Keine Ahnung. Is schon okay. Bin nur ein wenig genervt und du weißt ja, da bin ich leicht reizbar.“ Sie lächelte ihn an. Beide sahen sich kurz in die Augen.

„Ja, ich muss dann mal nach hinten. Der Auftritt beginnt ja gleich.“, lenkte Lucas nun ab. Und schon war er verschwunden. Marika begab sich nun zu ihrer Freundin und bestellte sich erst mal etwas richtig Hartes. Um runterzukommen, wie sie es immer so schön ausgedrückt haben.

Keine zehn Minuten später begann dann der Auftritt. Fast zwei Stunden spielten sie und Marika ließ es sich nicht nehmen mal wieder richtig Dampf abzulassen. Sie tanzte ausgelassen und trank eine Menge, was sie sonst nie tat. Aber an diesem Abend war ihr einfach mal danach.

Drei Wodka-Cola und vier Batida Kirsch später bemerkte sie, wie doll sie sich doch noch zu Lucas hingezogen fühlte.

„Na Mädels! Alles klar?“, wollte einer der Band wissen.

„Ja klar is alles klar.“, brachte Marika noch hervor. Ginger war die ganze Zeit am Lachen, wusste aber wahrscheinlich selbst nicht warum. Lucas kam nun auch wieder zu den beiden. Natürlich hatten auch die Jungs schon einen im Tee. Ist ja auch nicht verwunderlich.

Marika hatte nun keine Lust mehr ihrer Freundin beim Lachen zu zusehen. Sie packte Lucas an der Hand und zog ihn auf die Tanzfläche. „Lass uns ein wenig Spaß haben.“, forderte sie ihn. Zu mehreren Liedern tanzten die beiden zusammen und kamen sich immer wieder sehr nah. Es dauerte keine fünf Minuten und sie waren auf der Tanzfläche nicht mehr zu entdecken. Ginger hatte in der Zeit genug vom Lachen und wollte nun nach Hause. Es war ja auch schon ziemlich spät geworden und sie und Marika hatten am nächsten Tag auch noch eine Vorlesung. Also machte sie sich auf die Suche. Im Gang, der zu den Toiletten führte, wurde sie fündig. Dort standen die beiden eng umschlungen und machten keine Mucken mal voneinander zu lassen.

„Hallo!? Ich will nach Hause.....“ Genervtes Stöhnen entrann ihrem Bruder. „Jetzt?“

„Nee, morgen früh!“

„Es ist doch schon morgen früh.“, bemerkte Marika, während sie an Lucas Jacke herum zuppelte.

„Is ja gut. Dann gehen wir halt.“

„Ja...wohin?“, fragte Ginger jetzt nach. Marika fing an zu lachen.

„Die hat voll einen im Tee!“ Erst stutzte Ginger, doch dann fing auch sie an zu lachen.

„Ja, ich merk schon. Ihr solltet echt nicht soviel Alkohol bekommen.“, warf Lucas ein.

Dann machten sie sich auf den Heimweg. Dies war leichter gesagt als getan. Marika hatte es zwar nicht so weit, dafür musste sie den Weg allein gehen und das im betrunkenen Zustand, war leichter gesagt als getan.

Als sie so vor sich hin wippte, wurde sie doch stutzig. Verfolgte sie da etwa jemand. Der angeheiterte Zustand ließ blitzartig nach. Doch als sie sich umdrehte, war keine Menschenseele zu sehen. Sie zuckte mit den Schultern und ging weiter. Aber das Gefühl verschwand nicht.

Ganz im Gegenteil.

Es wurde immer stärker. Mit jedem Schritt den sie machte, kam die Person näher. Marika traute sich nun nicht mehr stehen zu bleiben, geschweige denn sich um zu drehen. Rennen konnte sie aber auch nicht. Sie war froh überhaupt so schnell laufen zu können.

Sie merkte, wie ihr schlecht wurde. Die Wirkung des Alkohols schien langsam nachzulassen, daher wurde sie auch klarer im Kopf. Das Schwindelgefühl wurde jedoch immer stärker, so dass ihr nichts anderes übrig blieb als stehen zu bleiben. Sie wollte sich irgendwo abstützen, aber es war nicht in der Nähe.

Bis zur nächsten Laterne würde sie es nicht schaffen.

Sie merkte, wie sie kippte, aber sie fiel nicht.

Jemand hielt sie an Arm und Hüfte. Sie begann zu zittern. Wer war das und was wollte er? Das Schlimmste was sie tun konnte, war ihn anzusehen. Sie sollte sich losreißen und wegrennen. Aber ihr war bewusst, dass sie das nicht schaffen würde. Höchstens bis zur nächsten Schwindelattacke.

Marika atmete einmal tief ein und wendete ihren Blick dann nach oben. Das Gesicht, in welches sie blickte, kam ihr bekannt vor.

Ja, das war der Typ, der sie am Abend vor dem Club angerempelt hatte. Lucas hatte erwähnt, dass er ihn noch nie dort gesehen hätte. Marika war dies egal gewesen, aber nun? Sie wusste durch Lucas über allen üblen Gestalten Bescheid, dieser junge Mann war ihr aber gänzlich unbekannt. Was sollte sie bloß tun? „Wer bist du und was willst du von mir?“ Mehr wie hoffen, blieb ihr nicht. Der dunkelhaarige Mann, der bestimmt nur wenige Jahre Älter war, sagte kein Wort. Er hielt sie und ging mit ihr weiter, bis zu ihrem Haus. Marika nahm noch einmal ihren ganzen Mut zusammen.

„Ähm, hier wohne ich.“

Er ließ sie los und wartete bis sie im Haus war. Drinnen angekommen, war sie erleichtert. Sie sah vorsichtig aus dem Fenster, aber von ihm war keine Spur mehr. Wollte er sie einfach nur nach Hause bringen, damit ihr nichts passiert? Aber warum sollte er das tun? Sie kannten sich doch gar nicht und außerdem war sie doch so unhöflich zu ihm gewesen. Marika versuchte sich keine weiteren Gedanken zu machen. Sie zog sich um und ging dann sofort ins Bett. Die Geschehnisse machten es ihr jedoch nicht leicht Ruhe zu finden.

4
 

Als der Wecker nur wenige Stunden später laute Töne von sich gab, wäre Marika am liebsten gestorben. Ihr Kopf war nur so am Dröhnen, aber sie war selbst Schuld gewesen. Warum trank sie auch soviel?!

Ihr blieb jedoch keine Wahl, denn kaum hatte sie den Wecker zur Ruhe gezwungen, kam wie eh und je ihre Mutter ins Zimmer.

„Aufstehen Marika! Wer feiern kann, kann auch arbeiten.“ ‚Na klar....’, dachte sich das müde Mädchen. Also raufte sie sich langsam auf und begab sich ins Badezimmer.

Als sie in den Spiegel sah, fragte sie sich wer das wohl war. Nach ihr sah es nicht wirklich aus. Ihr kamen die ganzen Dinge von der Nacht wieder in den Sinn. Sie hatte sich grundlos besoffen, mit ihrem Ex-Freund rumgemacht und dann dieser Typ. War das wirklich passiert? Während sie so darüber nachdachte, kam es ihr eigentlich völlig absurd vor. Warum sollte eine ihr fremde Person so etwas tun? Das ergab überhaupt keinen Sinn.

„Marika? Alles in Ordnung?“, fragte ihr Stiefvater durch die geschlossene Tür. Es war auffällig, dass sie sich solange im Bad aufhielt und dann auch noch so leise war.

„Ja. Keine Sorge. Ich war nur in Gedanken.“

„Wenn du dich beeilst, dann fahr ich dich zur Uni. Hab noch einen Termin in der Nähe.“

„Okay.“ Also musste sie einen Gang hoch schalten.

Nachdem sie noch ein paar Sachen zusammen gepackt hatte, begab sie sich schleppend in die Küche und ließ sich auf einen der Stühle fallen. „Ja, so ist dass, wenn man unbedingt mitten in der Woche einen Trinken muss.“ Marika winkte ab.

Die dummen Sprüche von ihrer Muter Kira war sie gewöhnt.

„Und, war viel los?“, interessierte sich Gino für das Erlebte seiner Stieftochter.

„Ja, man konnte kaum treten. Ein Haufen komischer Leute.“ Sie überlegte, ob sie von dem Dunkelhaarigen erzählen sollte.

Entschied sich aber dagegen. Sie wusste wie viele Sorgen sich ihre Mutter so schon machte, da musste sie ihr nicht noch so einen Schrecken verpassen. „Aber sonst war nichts.“

„Und Lucas?“, fragte ihre Mutter neckisch.

„Was soll mit ihm sein? Wir sind Freunde.“

Ja Freunde. Die machen auch in aller Öffentlichkeit rum.

„Können wir dann?“, fragte Gino vom Flur aus.

„Ich komme!“

„Und, heute noch etwas besonderes vor?“

„Ach. Nur nach einem Geschenk für Resa suchen.“

„Ach ja, sie hat Geburtstag, am Freitag?“

„Nee, Samstag, aber sie will schon am Freitag feiern.“

„Ah, verstehe. So, da sind wir. Dann wünsche ich dir noch viel Spaß.“, lachte ihr Stiefvater. Marikas Antwort war nur ein Augenrollen. Sie stieg mit Schwung aus dem Auto, gab der Tür einen Schubs und winkte noch kurz bevor sie sich auf den Weg zu ihrer Vorlesung machte.

Sie war zu früh dran, aber auch Ginger war schon im Saal.

„Morgen Süße.“

„Oje, mein armer Kopf.“ Ihre Freundin legte den Kopf in die Hände.

„Ja, so ging es mir heute Morgen auch. Schrecklich, dieser Kater.“ Sie setzte sich neben Ginger und verschränkte die Arme.

„Ich wollte dir noch was erzählen.“ Die Schwarzhaarige hob den Kopf und stütze ihn gleich wieder auf ihren linken Arm. Sie sah Marika interessiert an.

„Kannst du dich noch an den Kerl erinnern, der mich gestern fast umgerannt hat?“

„Ja, der vor dem Club, nicht? Was is mit dem?“

„Auf dem Weg nach Hause, ist der mir hinterher gelaufen. Ich hab mich so was von erschrocken. Mir ist dann tierisch schwindelig geworden und da hat der mich bis vor die Tür gebracht. Ich meine, ich dachte der will mich killen oder so.“

„Hat er was gesagt?“

„Das ist es ja. Kein Wort. Er hat mich zu Beginn nur angestarrt und dann hat er mir nicht noch mal ins Gesicht geschaut. Als wir bei mir angekommen waren, hat er gewartet bis ich drin war und dann war er mit einem mal verschwunden.“

„Gruselig.“ Marika nickte. „Ich weiß nicht. Als er mich verfolgte, hatte ich Angst, aber dann kam er mir gar nicht gefährlich vor. Irgendwie klingt das doch völlig bescheuert, oder?“

„Ja, ziemlich unglaublich. Bist du dir sicher, dass du das nicht nur geträumt hast?“

„Hab ich heute Morgen auch überlegt.“

Sie machte ein nachdenkliches Gesicht, bevor sie mit den Kopf auf den Tisch haute. „Langsam glaub ich, ich werde verrückt.“

Ginger strich ihr über den Rücken. „Nicht verzweifeln. Den siehst du bestimmt eh nie wieder.“

„Da könntest du Recht haben.“
 

Nach den Vorlesungen machte sie sich auf den Weg in die Einkaufsstraße. Aber sie wusste immer noch nicht, was sie ihrer Freundin kaufen sollte. Sie lief durch unzählige Geschäfte und entschied sich dann für ein blaues Paillettenkleid, was sie schon des Öfteren bewundert hatte. Noch die passenden Ohrringe dazu und die Sache war für Marika gegessen. Auf den Weg nach Hause klingelte ihr Handy. Unterdrückte Nummer. „Hallo?“

„.........“

„Hallo? Wer ist denn da?“ Das einzige was sie hörte war ein Klicken. Der Anrufer hatte aufgelegt.

„Okay....“ Als sie ihr Handy wieder wegpacken wollte, klingelte es erneut, Sauer nahm sie ab.

„Jetzt pass mal auf, du Spinner...“, weiter kam sie nicht.

„Marika?“

„Papa? Bist du das?“

„Ja. Ich wollte mit dir über morgen sprechen. Aber jetzt sag mir doch erst mal, was los ist.“

„Ach, mich hat gerade irgend so ein Idiot angerufen. Aber das ist unwichtig.“

„Wie du meinst.“

„Ja, ich würde sagen wir treffen uns gegen neun an der großen Uhr?“ „Na klar. So wie immer. Und wie geht’s dir so?“

„Ja. Eigentlich okay.“

„Eigentlich??“

„Lass uns morgen drüber sprechen. Also, bis dann.“

„Tschüss.“
 

Die Tür war zu hören. „Marika? Bist du das?“

„Ja.“ Sie begab sich zu ihrer Mutter ins Wohnzimmer.

„Oh, du warst Einkaufen?“

„Für Theresa.“

„Zeig mal her. Das ist aber ein schönes Kleid. Ich werde das mal für dich einpacken. Ich kenne ja deine Einpackkünste.“ lachte sie.

Marika stimmte zu.

„Vielen Dank auch.“

„Und morgen? Hast du mit deinem Vater gesprochen?“

„Jepp. Gegen neun wollen wir uns treffen.“

„Dann gebe ich dir noch was für ihn mit.“

„Und was?“

„Seine Sportuhr. Die hatte er damals hier vergessen. Die war doch kaputt gegangen. Na ja, Gino hat sich mal rangemacht und sie läuft wieder. Er freut sich sicherlich.“

„Ja. War doch immer seine Lieblingsuhr.“ Marika beobachtete ihre Mutter beim Verpacken des Geschenkes. Um auch einen kleinen Anteil an der Verpackung zu haben, fing sie an kleine Fächer zu basteln und Papierrollen zusammen zu kleben. Letztendlich sah das Geschenk am Ende aus wie ein Kunstwerk. „Super. Ich werde dann mal auf mein Zimmer gehen.“

„Gut.“
 

„Papa!“ Marika sprang ihrem Vater förmlich in die Arme.

„Na na, nicht so stürmisch!“

„Sorry. Freue mich einfach nur dich wieder zu sehen. Was machst du hier?“

„Lass uns erst mal ein ruhiges Plätzchen suchen. Da können wir dann über alles sprechen.“ Die Braunhaarige nickte freudig und die Beiden machten sich auf den Weg zu einem Café in der Stadtmitte.

„So, dann erzähl mal, was in der letzten Zeit so los war. Wir haben uns ja solange nicht gesprochen.“

„Na ja, wo soll ich anfangen.....ja ich weiß. Bei deiner Uhr. Bevor es vergesse sie dir zu geben.“

Er stutzte. „Uhr?“

„Na deine Lieblingsuhr aus der Türkei. Die hast du doch fast 24 Stunden am Tag getragen.“

„Ach ja. Die war doch beim letzten Mal kaputt gegangen.“

„Ja. Gino hat sie repariert.“ Sie reichte sie ihm.

„Nicht schlecht. Da muss ich wohl heute Abend noch mal anrufen. Hat er eigentlich viel zu tun?“

„Ach, geht so. Weißt ja, Beamte haben nie Zeit.“ Marikas Vater war Polizist bei der Kriminalpolizei. Daher war er selten in der Stadt. Er wohnte auch nicht mehr dort, so war es noch schwerer sich regelmäßig zu sehen.

Die 19-jährige erzählte nun weiter. Von ihrem Studium, was sie sich lockerer vorgestellt hatte, von Theresas neuer Errungenschaft und ihrer Party am nächsten Tag und den Geschehnissen in der Nacht.

„Er hat dich nach Hause gebracht.“

„Ja.“ Jonas, ihr Vater, sah sie ungläubig an.

„Du glaubst mir nicht.“

„Tut mir Leid, aber ich schon von vielen Dingen gehört und vieles gesehen aber so was ist mir eindeutig neu.“

Marika sah geknickt aus.

„Du bist dir sicher, dass das kein Traum war?“

„Hältst du mich für paranoid?“

„Quatsch, aber ist schon komisch.“

„Ich weiß. Hab ich ja auch gedacht aber es ist war. Das ist so passiert.“ Sie sagten eine Weile lang nichts.

„Sag mal, warum bist du eigentlich in der Stadt? Du hast doch bei unserem letzten Telefonat gesagt, dass du es mit einem schwierigen Fall zu tun hast und wir uns deshalb in nächster Zeit nicht sehen können.“ „Ja. Das ist auch eine Geschichte...“

„...die ich wissen will.“

„Das ist kompliziert und ich darf dir außerdem davon nichts erzählen.“ „Als ob dich das jemals schon mal aufgehalten hat.“, antwortete Marika trotzig. Jonas überlegte kurz.

„Na gut. Du wirst es eh durch die Nachrichten erfahren. Ein gefährlicher Kerl ist aus dem Gefängnis ausgebrochen und soll sich nun wieder in dieser Stadt aufhalten. Wir sind uns aber nicht sicher, ob er schon hier ist. Daher habe ich mich hierher versetzten lassen, um die Sache im Auge zu behalten.“

„Wieder?“

„Unwichtig. Versprich mir nur, dass du dich in nächster Zeit nichts abends oder nachts draußen aufhältst.“

„Aber..“

„Kein aber. Glaub mir. Mit diesem Typen ist nicht zu spaßen. Er hat in seinen Leben viel Leid angerichtet und ich will nicht, dass dir etwas passiert.“

„Gut. Du sagst mir aber dann Bescheid, wenn du was Neues weißt.“

„Mal sehen.“ Marika gab sich geschlagen, auch wenn es ihr nicht passte. Sie verstand aber die Sorgen ihres Vaters, also widersprach sie nicht weiter. Sie verbrachten dann noch einen schönen lustigen Tag miteinander.

„Ja, obwohl die Prüfungen schon so nah sind, hab ich irgendwie nicht wirklich Elan für diesen ganzen Kram.“

„Na ja, ich denke mal, so wie ich dich kenne, packst du das schon. Du bist doch schlau.“

Marika lachte. „Und von wem hab ich das?“, fragte sie neckisch.

„Uhh, jetzt kommt wieder diese Seite hervor. Die hab ich schon immer gehasst.“

„Haha. Findeste lustig, was?“ Sie besuchten verschiedene Plätze, an denen sie immer waren, als Marika noch jünger war. So verging der schöne Tag viel zu schnell.

Jonas brachte seine Tochter noch nach Hause. „Bestell einen schönen Gruß und danke wegen der Uhr.“

„Mach ich. Vergiss nicht, dass du dich melden willst.“

„Keine Sorge. Ich vergesse mein einziges Kind doch nicht.“

Sie gab ihrem Papa noch einen Kuss auf die Wange und verließ dann das Auto. Jetzt war das einzige Highlight, was diese Woche noch übrig blieb, die Party bei Theresa.

5
 

„Das ist die Tagesschau. Guten Tag.....“

„Hübsch, hübsch ist meine Kleine heute.“

„Wenn du es sagst.“ Kira half ihrer Tochter sich für die Party fertig zu machen und übertraf sich mal wieder selbst.

„Was zum Teufel machst du nur mit meinen Haaren?“

„Eine schöne Frisur, passend zu deinem Outfit.“

„Super...Dazu sag ich nichts.“

„Hör auf zu meckern.“

„Hier! Hört euch das mal an!“, forderte Gino die beiden Frauen auf.

„Die Polizei fand die Leichen in einem abgebrannten Lagerraum. Beide Leichen waren fast vollständig verbrannt. Trotzdem konnten sie der vermissten Krankenschwester sowie dem verschwundenen Börsenmakler zugeordnet werden. Nach Auskunft der Polizei könnte es sich bei dem Täter um den vor kurzen ausgebrochenen Daniel Kailen handeln.“

Marika schluckte. Von diesem Kerl hatte ihr Vater gesprochen.

Das Bild, welches in den Nachrichten gezeigt wurde, brannte sich förmlich in ihr Gedächtnis. Sie konnte jedoch immer noch keinen Zusammenhang zwischen ihr und den Opfern finden. Ihre Mutter riss sie aus ihren Gedanken.

„Musst du nicht los? Du kommst sonst zu spät.“

„Ich bin ja schon weg.“

„Viel Spaß und viele Glückwünsche!!“

Marika winkte noch kurz und fuhr dann zu ihrer Freundin.
 

Als sie am Haus von Theresa ankam, war schon mächtig was los. Viele der Anwesenden waren ihr gänzlich unbekannt. Manche hatte sie schon an der Uni gesehen und natürlich war Hendrik mit seinen Freunden da. Alles Trantüten, wie es Ginger ausdrückte. Aber ihr blieb nichts anderes übrig, als in diese Gruppe einzubrechen, denn das Geburtstagskind befand sich genau in der Mitte dieser Ansammlung.

„Hey Mausi!! Na schon aufgeregt?“

„Marika!! Da bist du ja! Ich dachte schon du kommst nicht mehr.“ „Quatsch. So etwas würde ich dir doch nicht antun.“

„Oh, ich freue mich so! Ist das nicht genial?“

„Ja, war bestimmt ein großer Aufwand.“

„Frag nicht. Ginger ist auch schon da.“

„Ach was.“

„Doch! Da bei Kai. Und mal unter uns. Die beiden würden doch ein tolles Paar abgeben, oder?“

„Denkst du?“

„Na ja, auf jeden Fall quatschen die jetzt schon ewig miteinander. Langsam müssten sie ihren Lebensgeschichten auswendig können.“, lachte das glückliche Mädchen.

„Okay, dann begrüß mal deine anderen Gäste noch. Ich lauf dir schon nicht weg.“

„Alles klar! Bis dann!“ Als sie sich umdrehte, hatte sie einen von Hendriks Freunden vor sich, der einen wirklich fragwürdigen Blick an den Tag legte. Marika nickte und lächelte erschrocken und ging dann kopfschüttelnd zu Ginger.

„Hallo.“

„Oh, hey Marika.“ Wahrscheinlich kam sich Ginger nun erwischt vor. „Ähh...das ist Kai.“

„Hallo. Marika.“

„Freud mich dich kennen zu lernen.“ Wenn man sich Kai ansah, hatte man das beste Beispiel für einen späteren Geschäftsmann. Kaum zu glauben, dass gerade Ginger auf so einen stehen könnte. Aber es schien so. Die Schwarzhaarige sah die ganze Zeit schüchtern zu Boden und spielte mit ihren Haaren oder mit ihren Fingern. So etwas hatte Marika schon lange nicht mehr bei ihr gesehen. Sie wollte gerade fragen, ob die beiden schon wussten, wie es nun weiterginge als sie jemand von hinten umarmte. Erschrocken sah das Gothic-Girl nach hinten.

„Lucas! Man hast du mich erschrocken. Was machst du hier?“

„Weiß nicht. Hatte nichts vor und da hat meine Schwester gefragt, ob ich mitkommen will. Warum? Stör ich dich?“, wollte er nun von seiner Freundin wissen.

„Nein. Warum auch.“ Marika war verwirrt. Warum benahm er sich so komisch? Oder war sie es, die es falsch sah, weil ihr die Geschehnisse in der Disco immer noch im Kopf herumspukten. Der restliche Abend verlief recht ruhig.

Sie tranken etwas, unterhielten sich ausgelassen und beobachteten immer wieder die Attraktionen, die sich Theresa für ihre Party ausgedacht hatte. Lucas weichte nicht von Marikas Seite, was für ihre Freunde sehr auffällig war. Bahnte sich da etwa wieder etwas an?

Auch Marikas Gedanken drehte sich um dieses Thema, jedoch nicht im Sinne ihre Freunde. Ganz im Gegenteil. Sie wollte nichts mehr von Lucas, da war sie sich nun wirklich sicher. Sicher war sie sich auch damit, dass sie es ihm noch in dieser Nacht sagen würde.

Wie, war jetzt nur noch die Frage.

Es war nun kurz vor Mitternacht. Alle starrten jetzt fast sekündlich auf die Uhr, um den richtigen Moment gar nicht zu verpassen. Theresa war nun auch nicht mehr zu halten. Vollkommen verrückt wirbelte sie nun durch den ganzen Raum. Auch Marika sah gespannt auf die Uhr, die nun 23:59 Uhr und 35 Sekunden anzeigte. Lucas hingegen interessierte es nicht wirklich. Er kannte Theresa ja nicht weiter und er war ja nur wegen Marika gekommen. Während diese gebannt die Uhr beobachtete, legte Lucas ihr den Arm um die Hüfte. Als sie dies bemerkte, stutzte sie erst bevor sie sich zu ihm drehte. Er sah ihr in die Augen und es war nicht zu übersehen, was er nun vorhatte. Als er näher kam, stoppte sie ihn mit der Hand an seiner Brust.

„Was soll denn das bitte werden?“

Er sah verwundert aus.

„Ich weiß nicht was du dir hier erhofft hast, aber das wird nichts. Hast du echt gedacht, nur weil wir rumgemacht haben, sind wir jetzt wieder zusammen. Wäre ja schön gewesen, wenn ich mal gefragt werden würde.“ Sie stieß ihn zurück und verließ dann den Raum, während im Hintergrund nun alle auf Theresa anstießen. Lucas sah ihr verdutzt nach, bevor er dann von Ginger zu Theresa gezogen wurde.
 

Marika war auf die Terrasse gegangen und lehnte nun an der Wand.

Sie hatte sich wieder beruhigt und merkte nun wie dumm ihr Ausraster zuvor war. Sie hätte sich ohrfeigen können, weil sie Lucas so angegangen war. Klar wollte sie nichts mehr von ihm, aber das war kein Grund so herum zu zicken. Schließlich konnte er dies ja nicht wissen. So weit sie sich erinnern konnte, war sie es ja auch gewesen, die ihn im Club in den Flur gezogen hatte. Sie sollte sich entschuldigen und noch mal ruhig mit ihm darüber sprechen.

„Was machst du denn hier draußen, so allein? Theresa sucht dich überall!“, lallte es nun von der Seite.

„Was?“ Die Braunhaarige wurde aus ihren Gedanken gerissen.

Als sie zu Seite sah, erkannte sie nach kurzem überlegen wer dort war. Es war ein Freund von Hendrik, aber nicht irgendeiner. Es war genau der, der sie zu Beginn der Feier schon mit fragwürdigen Blicken verfolgt hatte. Es war nicht zu übersehen, dass er schon ziemlich viel intus hatte und das gefiel Marika gar nicht. Er stand nur einen Meter von ihr entfernt und sah sie wieder so komisch an.

„Ja, ich werde dann mal reingehen und Resa gratulieren.“, antwortete sie ihm sehr verunsichert und verspätet. Als sie an ihm vorbei gehen wollte, hielt er sie am Arm fest und drückte sie dann gegen die Wand.

„Ey, sag mal geht’s noch gut?“

„Ach komm schon Süße. Ich merk doch wie scharf du bist.“

„Bitte? Ganz bestimmt nicht und jetzt lass mich los und verzieh dich.“

Er lachte nur und drückte sie noch doller an die Wand heran. Als er sie gerade küssen wollte, wurde er von hinten gepackt und Richtung Terrassentür gestoßen.

„Was zum...Was bist du denn für ein Spinner? Was fällt dir ein uns zu stören? War doch wohl nicht zu übersehen, dass wir gerade beschäftigt waren!“

„Unschwer zu erkennen war, dass sie damit nicht einverstanden ist.“ Marika stand wie versteinert hinter der Person.

Sie beobachtete die ganze Sache nur und konnte kein Wort sagen. Die Person, die gerade vor stand, war derselbe Kerl, den sie angerempelt hatte und der sie dann nach Hause brachte.

„Du?“, brachte sie nur kleinlaut hervor. Er sah nur kurz nach hinten, was man kaum mitbekam.

„Ich wollt ihr nur was Gutes tun, aber die zickt ja nur rum. Ach...“

Er winkte ab und drehte sich dann, um wieder hinein zu gehen. Dabei nahm er noch den Türrahmen mit und dann hörte man ihn nur noch kurz fluchen. Marika stand immer noch an der Wand und starrte den Unbekannten an. Diesem schien das unangenehm zu sein und daher wandte er sich, um wieder zu gehen.

„Warte!“ Er drehte sich zu ihr.

„Danke für deine Hilfe gerade und in der Nacht.“ Der Fremde antwortete nicht sondern sah sie nur, wie schon in der letzten Nacht, an.

„Wer bist du eigentlich? Und warum bist du jedes Mal da, wenn ich Probleme hab?“

„Das ist unwichtig.“

„Nein, das sehe ich anders.“

Sein Blick zeigte ihr, dass sie so nicht weiter kommen würde.

„Okay. Wie auch immer. Sagt du mir wenigstens deinen Namen?“

Er antwortete nicht und wandte seinen Blick zum Boden. Marika schloss die Augen und atmete schwer aus.

„Chris“

„Wie?“, sie sah verwundert auf.

„Mein Name. Ich heiße Chris.“ Sie lächelte erleichtert.

„Marika. Freut mich echt dich kennen zu lernen, Chris.“ Sie hielt ihm die Hand hin. Statt die Geste anzunehmen, entfernte er sich noch weiter von ihr. Daraufhin zog sie ihre Hand schnell zurück. Sie wollte nicht, dass er geht. Ganz im Gegenteil. Sie wollte etwas über ihn erfahren, vor allem warum er immer in der Nähe war.

Als sie gerade etwas sagen wollte, hörte sie Ginger rufen.

„Marika? Wo bist du denn?“ Marika sah zu Chris, der ihr tief in die Augen sah. Dann drehte er sich und wollte gerade wieder verschwinden.

„Können wir uns mal treffen?“ Er blieb abermals stehen.

„Ich würde mich gern mal mit dir unterhalten. In Ruhe.“ Chris drehte sich weder, noch antwortete er auf die eben gestellte Frage.

„Vielleicht Morgen?“

Ohne ein weiteres Wort verschwand er.

„Marika! Da bist du ja! Wo warst du denn die ganze Zeit. Wir suchen dich schon seit einer viertel Stunde.“

„Sorry. Ich brauchte mal Luft.“

„Egal. Los komm, du musst dir das da drin echt mal ansehen. Die machen nur Scheiß!“ Lachend zog sie Marika hinter sich her.

Diese wand sich dabei noch einmal zurück. Aber er war wirklich verschwunden. Nachdem die junge Frau nun ihrer Freundin gratuliert hatte, verfolgte sie in Gedanken das vor ihr ablaufende Programm.

Sie hatte einfach keine Lust mehr auf die ganze Sache. Ginger hingegen amüsierte sich anscheinend prächtig. Während auch sie sich das Programm ansah, unterhielt sie sich die gesamte Zeit mit Kai.

Einerseits freute sie sich für Ginger, andererseits wollte sie jetzt mit ihr sprechen. Ihr von Chris erzählen. Dann würde sie ihr vielleicht mehr glauben. An den Tisch gelehnt überlegte sie, was sie nun tun sollte als Lucas sich zu ihr gesellte.

„Alles klar?“, wollte er wissen.

Sie lächelte in sich hinein. „Entschuldige wegen vorhin.“

„Ach, du hast doch recht.“

„Und wenn schon. Ich hab überreagiert. Das hätte nicht sein müssen.“ „Egal. Vergiss es. Freunde?“

„Klar.“

„Und. Wie findest du die Party?“ Sie pustete die Luft aus ihrem Mund und schüttelte dabei den Kopf. Lucas musste lachen.

„Kannst du mich nach hause fahren? Ich hab heute irgendwie keine Lust mehr.“

Er nickte. „Kein Problem. Ich sag nur Ginger noch Bescheid Du kannst ja schon mal rausgehen.“

„Okay.“ Sie verabschiede sich noch vom Geburtstagskind, was ihr Gehen natürlich nicht verstand aber akzeptierte, und begab sich dann zu Lucas Auto. Als sie dort angekommen war, bemerkte sie jemanden. Chris stand dort an die Mauer gelehnt, den Blick wieder zum Boden gerichtet. Bevor Marika irgendetwas sagen konnte, ergriff er das Wort.

„Morgen Abend am Bahnhof.“ Sie stutzte. „Gegen neun werde ich dort sein, wenn du dann immer noch etwas wissen willst.“

Nachdem er diesen Satz beendet hatte, kehrte er Mari wieder den Rücken zu und wurde nach einigen Metern von der Dunkelheit verschluckt.

In der Zeit erreichte auch Lucas das Auto. Als er seine Freundin dort so perplex ins dunkel starren sah, wurde ihm langsam mulmig zu mute. Was war nur mit ihr los?

„Können wir dann?“, fragte er nach.

Marika, die ihn anscheinend vorher nicht mitbekommen hatte, nickte sofort.
 

Zu hause angekommen, verabschiedete sie sich von Lucas, der nun wieder zur Party fuhr um seine Schwester aufzugabeln.

Als Marika diese Nacht in ihrem Bett lag, konnte sie nur noch an eins denken – Das Treffen mit Chris.

6
 

Es war vier Uhr und Marika war immer noch nicht eingeschlafen. Sie war viel zu aufgeregt und wälzte sich daher nur im Bett herum. Erst jetzt dachte sie wirklich über den Fremden nach. Sein trauriger Blick, die sanfte Stimme. Er war anders, das war ihr nun wirklich klar.

Mit jedem Gedanken, den sie für Chris über hatte, wurde ihr aber auch klarer wie gefährlich es eigentlich war, sich mit ihm allein im Dunkeln zu treffen. Und dann auch noch am Bahnhof. Um diese Zeit war dort doch wirklich nur Gesocks unterwegs. Sie musste unbedingt mit jemanden darüber sprechen. Am Besten mit Ginger. Sie konnte ihr bestimmt einen guten Rat geben. Vielleicht sollte sie um Beistand bitten.

Da würde sie bestimmt nicht nein sagen, aber wie würde Chris dann reagieren? Es war auffällig, dass sie ihm immer nur im Dunkeln begegnete und das er nicht unbedingt auf andere Leute treffen wollte. Schließlich war er, als Ginger nach ihr suchte, sofort verschwunden.

Das alles beschäftigte sie in dieser Nacht. Gegen sechs Uhr schlief sie dann endlich ein.
 

„Marika. Schätzchen? Willst du nicht mal aufstehen?“ Kira strich ihrer Tochter über die Wange, um sie aufzuwecken. Ihre Stimme klang besorgt. Marika konnte sich dies nicht erklären.

„Wie spät ist es?“, fragte sie gähnend.

„Um drei.“ Nun saß sie im Bett und sah ungläubig auf die Uhr. Es war wirklich schon um drei. Gott, hatte sie lange geschlafen. Überraschend war dies jedoch nicht. Die Party, das Geschehene, die ganzen Gedanken, die sie sich machte. Sie war einfach erschöpft gewesen.

Als sie im Bad in den Spiegel sah, wurde ihr bewusst, warum ihre Mutter sie so besorgt betrachtete. Vor ihr bot sich ein schrecklicher Anblick.

Sie war blass und sah völlig verschlafen aus. So konnte sie Chris doch nicht vor die Augen treten. Jetzt dachte sie schon wieder an ihn.

Was war das nur für ein komischer Kauz.... Es blieben ihr nun nicht mehr viele Stunden, um zu entscheiden, ob sie nun zum Bahnhof gehen sollte oder nicht. Als sie aus dem Badezimmer kam und ihrer Mutter versichert hatte, dass es ihr gut ginge und sie nur nichts essen wolle, weil sie zu viel getrunken hatte, lief sie nervös mit dem Handy in ihrer Hand durchs Zimmer. Sie entschloss sich Ginger nun anzurufen. Hoffentlich war sie schon wach und aufnahmefähig.

Es wählte. „Komm schon. Geh ran.“

„Hallo?“

„Ginger! Ein Glück!“

„Marika? Was denn los? Du warst gestern schon so komisch.“

„Du wirst es mir nicht glauben. Der Typ, du weißt doch, wen ich meine. Den hab ich gestern wieder gesehen.“

„Echt?“

„Ja. Ich war doch draußen, auf der Terrasse und da hat mich der eine Kerl so dumm angemacht und mit einem Mal war er da. Schon wieder hat der mir aus der Klemme geholfen.“

„Und? Hat er was gesagt?“, fragte ihre Freundin nun interessiert.

„Nicht viel. Seinen Namen hat er mir verraten, mehr nicht. Er heißt Chris. Na ja, und wir wollen uns heute Abend treffen.“

„Bitte? Das ist nicht dein ernst, oder? Der kann gefährlich sein. Wer weiß, was der für eine krankes Spielchen mit dir spielt.“

„Ja, aber.....“

„Kein aber. Das ist reiner Selbstmord. Du hast doch nicht wirklich vor dahin zu gehen.“

Marika hielt sich das Handy an die Stirn. Ginger hatte völlig recht. Das war doch gehirnamputiert. Wie konnte sie ihn nur treffen wollen und dann auch noch allein.

„Marika?“

„Nein. Natürlich nicht. Du hast ja recht. Das ist viel zu gefährlich.“

„Gut. Am Besten du sprichst mit deinem Vater, oder gehst gleich zur Polizei. Bis jetzt hat er dir vielleicht geholfen aber wer weiß, was der das nächste Mal vor hat.“

„Ja. Ich muss Schluss machen. Also dann, bis Montag.“

„Tschau.“

Marika legte sich wieder auf ihr Bett und starrte zur Decke. Was sollte sie tun? Das war wahrscheinlich die einzige Chance mit Chris zu sprechen, aber sie wusste auch, dass es schief gehen könnte.
 

Mittlerweile war es acht Uhr. Kira las gerade ein Buch und Gino sah die Nachrichten, als sie ihre Tochter die Treppe herunter laufen hörten.

Als sie das Wohnzimmer betrat, stutzte ihr Mutter. „Du willst noch weg? Ich dachte, es ginge dir nicht so gut.“

„Ach, ist schon lange wieder okay. Ich treffe mich noch mit Freunden.“ Sie konnte ihrer Mutter nicht sagen, was sie wirklich vorhatte. Und so dolle gelogen war es ja auch nicht.

„Okay. Hab viel Spaß und sei vorsichtig.“ Sie nickte.
 

Auf der Fahrt zum Bahnhof wurde sie immer nervöser. Würde er wirklich da sein? Die Busfahrt kam ihr vor, wie eine Ewigkeit.

Als sie am Busbahnhof ankamen, war es viertel vor neun. Auf dem Weg zum Bahnhof begegneten ihr die komischsten Typen. Sie war zwar auch ein Gothic, jedoch übertrieb sie es nicht. Fast jeder schmiss ihr einen unsinnigen oder versauten Kommentar hinterher und sie wünschte sich mehr als bisher Chris bei sich zu haben, auch wenn sie ihn gar nicht kannte. Als sie die Bahnhofshalle betrat, war es bereits neun Uhr fünf. Sie sah sich um, entdeckte ihn aber nirgends. War er vielleicht schon wieder weg, weil sie nicht pünktlich da war? Es waren jedoch nur fünf Minuten. Da wird er doch nicht schon wieder gegangen sein.

Marika war noch nie so verängstigt. Sie war keine Person, die schnell Angst bekam, aber zu dieser Zeit am Bahnhof zu sein, machte ihr schon Sorgen. Selbst im Bahnhofsgebäude tummelten sich die verrücktesten Gestalten. Sie wünschte sich, sie wäre niemals hierher gekommen. Hätte sie nur auf Ginger gehört oder wenigstens gefragt, ob sie mitkommen würde. Sie schaute auf die große Bahnhofsuhr.

Neun Uhr fünfzehn. Daneben standen an einer Anzeigetafel die soeben eingefahrenen Züge. Als sie den Kopf wieder senkte, sah sie ihn. Er kam von den Gleisen mit einer Tasche an der Schulter. Marika lächelte freudig. Sie war froh, dass er sie dort nicht alleine gelassen hatte. „Entschuldige. Der Zug hatte Verspätung.“

„Ist doch nicht schlimm.“ Chris sah zur Seite zu einer Gruppe Punks, die Marika schon die ganze Zeit dumm angemacht hatten. Man konnte sehen wie wenig es ihm gefiel.

„Komm.“ Marika folgte ihm bis zu einem der Bahnhofscafés, welche die gesamte Nacht offen waren.

Sie setzten sich an einen unbeobachteten Platz. Er sah Marika kaum an. Meistens waren es nur flüchtige Blicke, worüber sich das Mädchen stark wunderte. Schließlich hatte er ihr schon mehrmals in die Augen gesehen. Wieso tat er das jetzt nicht mehr?

„Willst du was trinken?“, wollte er nun wissen, was Marika kurz überraschte.

„Ähm, ja. Eine heiße Schokolade vielleicht.“ Er nickte kurz, stand dann auf und ging vor zur Theke. Es dauert nicht lange und er war mit der Schokolade und einem Kaffee für sich zurück.

„Danke.“

Er sagte nichts und sah in seinen Kaffee hinunter.

„Also...“, sie wusste nicht, wo sie anfangen sollte und erst recht nicht wie. „Du bist nicht von hier?“

Chris sah sie verwundert an. Dann fiel es ihm auf.

„Doch. Ich arbeite aber außerhalb.“

„Ach so.“, flüsterte sie nur. Daher ist sie ihm nie tagsüber begegnet. Zwar hatte Marika viele Fragen, trotzdem sagten beide eine ganze Weile lang nichts.

Er sah ihr nun wieder ins Gesicht, doch wenn sie ihn ansah und lächelte sah er sofort zu Seite. Es schien ihm unangenehm.

„Chris?“ Er sah wieder zu ihr. „Was willst du eigentlich von mir? Ich meine, dass du mir geholfen hast, dafür bin ich dir sehr dankbar. Aber es ist schon komisch.“

Er trank einen Schluck aus seiner Tasse. „Ich soll mich von dir fern halten?“

„Wie? Nein, so hab ich das nicht gemeint.“

„Ich will dir nichts Böses. Das kannst du mir glauben.“ Marika war sich nicht sicher, ob sie das wirklich konnte aber sie wollte es vorerst.

„Ich werde dich dann nach Hause bringen. Es ist schon spät.“ Marika war froh, das zu hören. Es war schon 22 Uhr und um diese Zeit fuhr kein Bus mehr zu ihr raus. Sie folgte Chris also zum Parkplatz.

Ein schwarzer Ford Mondeo leuchtete auf. Das musste sein Wagen sein. „Steig ein.“ Ihr viel nun auf, dass er offene Handschuhe trug, die bis zu den Ellenbogen gingen. Sie saßen recht locker, aber durch Schnallen an Handgelenk und Unterarm konnten sie nicht rutschen.

Wenn sie sich richtig erinnerte, trug er diese auch an den anderen Tagen. Diese Tatsache kam ihr komisch vor , denn es war Spätsommer. Aber sie wollte ihn in diesem Moment nicht danach fragen. Wahrscheinlich würde er sowieso nicht antworten. Es ging sie ja auch nichts an. Die gesamte Fahrt über sprachen sie nicht.

Worüber auch. Chris schien nicht sehr gesprächig zu sein. Und das einzige, was Marika in diesem Moment interessierte war immer noch die Antwort auf dieselbe Frage: Was wollte er von ihr?
 

Bei ihr zu hause angekommen gab sie sich noch einmal einen Ruck. „Danke fürs fahren. Hier.“ Sie reichte ihm einen Zettel.

„Meine Telefonnummer. Du kannst mich ja mal anrufen oder so.“ Nach diesem Satz stieg sie schnell aus und verschwand hinter der Eingangstür.

Kira betrat gerade verschlafen den Flur. „Ach, da bist du ja wieder.

Na, hattest du Spaß?“

„Ja klar. Gute Nacht.“ Sie ging im Schnellschritt an ihrer Mutter vorbei und ohne ein weiteres Wort tauchte sie in ihrem Zimmer ab.

Kira zuckte nur mit den Schultern und ging wieder ins Wohnzimmer.

Marika war froh wieder zu hause zu sein, trotzdem bereute sie es nicht. Ganz im Gegenteil. Klar, er war komisch aber trotzdem nett.

Sie war müde, was begründet war. Sie hatte zwar lange geschlafen, aber trotzdem stand ihr Körper ziemlich unter Druck. Sie ging ins Bad um zu duschen. Als sie ihr Zimmer wieder betrat, hörte sie ihr Handy. Sie zog es aus ihrer Jackentaschen. ‚SMS von unbekannt’ Stand auf dem Display. Sie öffnete die Nachricht.
 

Es tut mir leid, dass ich deine Fragen nicht beantworten konnte. Ich hoffe du verstehst es irgendwann.

Chris

Marika freute sich über diese Nachricht, auch wenn sie diese nicht unbedingt verstand. Sie überlegte, was sie ihm antworten könnte.
 

Ich hoffe das auch. Es wäre schön dich bald mal wieder zu sehen, obwohl ich jetzt in der nächsten Zeit ziemlich viel Stress haben werde.

Hab noch eine gute Nacht.

Mari

7
 

„Guten Morgen Marika!“ Ginger setzte sich wie jeden Morgen neben ihre Freundin. Marika schien abwesend. Sie blickte die gesamte Fahrt aus dem Busfenster und schien gar nicht realisiert zu haben, dass sie angesprochen wurde.

„Und, ist noch irgendwas interessantes gewesen?“ Erst jetzt schien sie wach zu werden.

„Wie? Was soll schon gewesen sein?“, fragte sie verunsichert. Daraufhin stutze Ginger und wurde aufmerksam. Sie sah ihre Freundin fragend an. „Was denn?“

„Nichts.“, schüttelte Ginger den Kopf. Marika hasste diese Reaktion, dass wusste Ginger. Früher oder später würde sie schon mit der Sprache herausrücken.
 

Sie irrte sich jedoch. Marika hatte ihr auch eine Woche später noch nichts erzählt. An sich benahm sie sich nun auch wieder völlig normal. Aber man merkte doch, dass irgendetwas anders war.
 

Es war Samstagnachmittag und Marika wusste vor Dummheit nicht, was sie machen sollte. Sie hatte keine Lust auf Schule. Davon sollte sie in den nächsten Wochen noch genug bekommen.

Sie stand auf und ging hinunter in die Küche, um etwas zu trinken. Während sie sich ein Glas Cola eingoss, klingelte es an der Tür.

„Ich geh schon!“, rief sie ins Wohnzimmer. Sie öffnete die Eingangstür und hatte ihre Freundin vor sich.

„Ginger! Hey, was machst du denn hier?“

„Hatte Langeweile und dachte deshalb ich komm mal vorbei.“

„Ach, du bist es. Los rein, ich mach euch was zu knabbern.“, kam es aus dem Flur hinter Marika.

Kira war neugierig und freute sich immer auf Besuch. Die Freundinnen verschwanden nach oben in Marikas Zimmer. Dort schmiss sich Ginger in den Sitzsack auf dem Boden und Marika ließ sich auf ihr Bett fallen. Es dauerte keine zehn Minuten und Kira brachte die versprochenen Knabbereien und etwas zu trinken nach oben.

So schnell, wie sie aufgetaucht war, verschwand sie auch wieder. Die Beiden waren nun allein und da keiner ein Wort sprach, war im gesamten Raum sogar das Blubbern der Kohlensäure in der Cola zu hören.

„Erzähl schon.“, forderte Ginger nun. Marika hob den Kopf und sah ihre Freundin stutzend an.

„Ich merk doch, dass du was hast. Ich dachte wir sprechen über alles!?“ „Ja, schon.“ Sie überlegte, setzte sich auf und lehnte sich an die Wand. „Na ja, du kannst dich noch an den Kerl erinnern, der mich verfolgt hatte?“

„Chris hieß der, oder? Was’n mit dem? Belästigt der dich immer noch?“ „Quatsch. Ich wollte mich doch mit ihm treffen.“

„Was du nicht gemacht hast.“ Marika sah vielsagend zur Seite.

„Du bist doch hingegangen. Hätte ich mir ja denken können.“

Sie zuckte nur mit den Schultern.

„Und da ist was passiert?“

„Nicht wirklich...“

„Nu lass dir doch nicht alles aus der Nase ziehen.“

„Okay, also wir haben in einem Café gesessen und ein bisschen erzählt. Na ja, wirklich erzählt haben wir eigentlich nicht. Er ist sehr verschlossen und zurückhaltend. Aber im Gegenzug hat er einen ziemlich durchdringenden Blick.“

„Und was will er von dir?“

„Keine Ahnung. Er wollte mir nichts über sich oder so sagen.“ „Merkwürdig. Auch wenn er nett schien, ganz ehrlich, mit dem stimmt was nicht.“

„Weiß nicht.“

„Sei froh, dass nichts passiert ist.“

„Das ist es ja irgendwie.“

„Hä?“

„Seit diesem Abend hab ich gar nichts mehr von ihm gehört. Ich hab ihn nicht gesehen und gemeldet hat er sich auch nicht.“

„Und das ist schlimm, weil...? Ich dachte er macht dir Angst.“ Als Ginger sich ihre Freundin betrachtete, bemerkte sie gleich was los war.

„Du willst was von ihm.“

„WAS? Nein...“

„Ach komm schon. Du stehst doch auf geheimnisvoll und so. Und jetzt machst du dir Gedanken, ob du irgendwas Falsches gesagt oder getan hast, weil er sich nicht mehr meldet.“ Sie zuckte mit den Schultern.

„Du weißt doch gar nichts über ihn. Vielleicht hat der sich nur nett gestellt und wenn du ihm das nächste Mal begegnet dann hält er dir das Messer an die Kehle.“

Marika antwortete nicht mehr. Sie wusste nicht was richtig oder falsch war oder was sie denken sollte. Ginger hatte recht. Sie wusste eigentlich nichts über ihn, nur dass er nicht in der Stadt arbeitet und daher erst abends nach Hause kam. Sie sah auf die Uhr. Es war kurz nach acht. „Äh, Ginger war echt schön, dass du hier warst. Und echt toll, dass du dich so um mich sorgst, aber ich muss noch was tun.“ Während sie dies aussprach, schob sie ihre Freundin zur Haustür. Als Ginger sie daraufhin fragend ansah, fügte sie noch hinzu. „Für die Schule. Die Ausarbeitung. Du weißt doch, ich brauch meine Zeit.“, lachte sie.

„Also dann, bis Dienstag!“, und noch bevor ihre Freundin etwas sagen konnte, schloss sie die Tür und rannte dann die Treppe wieder hoch um sie keine zehn Minuten später wieder hinunter zu hetzten.

„Was denn los, Süße. Ginger war so schnell weg.“

„Ja, ihr war eingefallen, dass sie noch etwas vor hat und ich muss jetzt auch los.“

„Ach so.“ Ohne ein weiteres Wort schloss sich die Tür vor der völlig verdutzten Kira. Sie drehte sich und ging ins Wohnzimmer.

„Gino? Ich glaub Marika bekommt der Prüfungsstress nicht.“
 

Marika lief im Schnellschritt hinüber zum Hauptbahnhof.

Sie hörte von weitem die Bahnhofsuhr neun schlagen. Ihre Schritte wurden unbeachtet immer schneller. Einmal, weil er die Gestalten am Bahnhof immer noch suspekt waren und andererseits, weil sie befürchtete Chris zu verpassen. Kurz bevor sie den Bahnhof erreichte, packte sie jemand am Arm. „Wo soll’s denn hingehen?“ Einer der pöbelnden Spinner hatte anscheinend nichts Gutes vor.

„Lass mich los und verzieh dich.“

„Sonst was?“ Sie versuchte sich loszureißen. „Na na, wir wollen doch wohl nicht zimperlich werden.“

Sie versuchte weiter von ihm loszukommen, er hielt sie jedoch an beiden Armen und drückte sie nach hinten gegen einen Baum. Als sie ihren Kopf zur Seite wand, erkannte sie Chris, der gerade aus der Bahnhofshalle kam. „Chris.“, flüsterte sie.

„Was meinst du, Püppi.“

Sie wand sich wieder zu ihm, lächelte kurz und hob dann mit voller Kraft ihr Knie. Als er sie dann ruckartig los ließ, rannte sie so schnell sie konnte. Chris war schon fast am Parkplatz angekommen, als sie ihn erreichte.

„Chris!“, rief sie.

Erschrocken sah er hinter sich. „Marika...“

„Ein Glück, dass ich dich gesehen hab.“

„Was..“ Hinter Marika war das laute Gepöbel von dem Kerl zu hören. „Lass uns woanders reden.“

Fünf Minuten später saßen sie in seinem Auto und fuhren...ja, wo fuhren sie eigentlich hin? Marika hatte ihn nicht gefragt und die Gegend kam ihr so im Dunkeln auch nicht bekannt vor.

„Was wolltest du am Bahnhof?“ Marika erschrak. Sie rechnete nicht damit, dass er sie ansprechen würde.

„Ich wollte zu dir.“

Er machte ein ungläubiges Gesicht. „Warum?“

„Ich hab dich seit dem Abend nicht wieder gesehen und auf meine SMS hast du auch nicht geantwortet.“

Er reagierte nicht auf diese Aussage. Marika ließ den Kopf wieder sinken und hielt sich am Sicherheitsgurt an ihrem Hals fest. Ihr wurde langsam doch mulmig zu mute. Wo wollte er bloß mit ihr hin? Sehr bewohnt sah es ja nicht aus. Nach wenigen Minuten hielt er auf einem Schotterboden und stieg aus. Mari sah verunsichert aus dem Fenster des Wagens.

Alles war stockfinster und die zwei Laternen links und rechts machten es nicht besser. Chris öffnete ihre Tür, worauf sie fürchterlich zusammenzuckte.

„Steig aus.“, forderte er. Sie versuchte keine Anstalten zu machen, schließlich hatte sie in den verschiedensten Filmen schon gesehen worin dies enden konnte. Er schloss das Auto ab und ging dann in Richtung eines Trampelpfades, der in der Dunkelheit kaum zu erkennen war. Marika hingegen stand immer noch verängstigt am Wagen und traute sich kaum einen Mucks zu machen.

„Du brauchst keine Angst haben. Ich will dir nur was zeigen.“

Sie wusste, dass sie auf keinen Fall mit ihm in diesen Wald gehen durfte.

Und wenn ihre Mutter dort gewesen wäre. Die hätten einen Aufstand gemacht. Auch die Worte ihres Vaters kamen ihr wieder in den Sinn. ‚Versprich mir nur, dass du dich in nächster Zeit nicht abends oder nachts draußen aufhältst.’, hatte er gefordert und sie hatte zugesagt.

Sie sollte sich am besten umdrehen und so schnell es ginge weglaufen. Einen sicheren Ort suchen und dann ihren Vater anrufen. Als sie jedoch in Chris Gesicht, in seine Augen sah, waren diese Gedanken wie weggeblasen. Sein Blick zeigte keine bösen Absichten, aber vielleicht konnte er sich auch nur gut verstellen. Nach langem Hin und Her folgte sie ihm schließlich doch. Den gesamte Weg über war sie nur am Stolpern. Überall knackte und raschelte es, was nicht gerade Glücksgefühle in ihr freisetzte.

Es war auch schwer für sie Chris nicht zu verlieren. Er kannte den Weg anscheinend sehr gut und hatte daher weniger Probleme. Nach einem langen Aufstieg lichtete es sich und der klare Sternenhimmel war zu erkennen. Als sich Marika genauer um sah, wurde ihr klar, wo sie sich befand. Sie waren auf der Aussichtsplattform am Rande der Stadt.

Von dort aus hatte man eine unwahrscheinlich gute Sicht über den gesamten Ort und da keine einzige Wolke am Himmel zu sehen war, strahlten der Mond und die Sternen aus vollen Züge auf sie herab. Öfters war sie schon dort gewesen, aber der Ausblick auf die Stadt war noch nie so atemberaubend wie zu diesem Zeitpunkt.

Im glänzendem Licht ähnelte dieser Anblick einer Postkarte von L.A.. Marika stand am Rand auf das Geländer gelehnt und vergaß fast, dass sie nicht alleine dort war. Plötzlich bemerkte sie Chris direkt hinter sich und drehte sich um. Sie erschreckte sich fürchterlich, denn so nah, wie in diesem Moment, war er ihr noch nie. Sein Blick war ernst und starr und durchdrang sie förmlich. Marika wich zurück und hatte nun das Geländer direkt im Kreuz. Chris stützte sich mit beiden Händen rechts und links am Geländer ab und blickte Marika nun direkt in die Augen. In diesem Moment wünschte sich das Gothic-Mädchen zum ersten Mal, dass sie auf ihre Freundin gehört hätte. Was hatte er jetzt nur vor?

Sie begann zu zittern und schwer zu schlucken. Sollte sie sich wehren und wegrennen? Aber wohin? Er kannte sich anscheinend viel besser aus als sie.

„Du solltest nicht mehr allein um diese Uhrzeit draußen herumlaufen. Das ist viel zu gefährlich.“

Sie sah ihn überrascht an.

„Am besten wir fahren dann wieder.“ Er ließ von ihr ab und ging in Richtung des Pfades.

Marika war so verdutzt, dass sie sich erst gar nicht rührte. Dann aber folgte sie ihm schnell. Auf keinen Fall wollte sie alleine bleiben. Schnell lief sie den Trampelpfad hinunter. Chris war schon fast am Auto angekommen.

„Chris!“ Marika hatte ihn eingeholt und stand nun hinter ihm. Als er sich zu ihr drehte, sah er in ein verunsichertes Gesicht.

Er stutzte.

„Warum machst du das alles? Warum sorgst du dich so um mich? Wir kennen uns doch eigentlich gar nicht. Ich meine, ich weiß nichts von dir und...“

„Ich weiß, dass es dir schwer fällt, aber versuch einfach mir zu vertrauen.“

„Aber wieso?“

„Tu es einfach.“, forderte er sie mit ernstem Blick auf. Marika lächelte leicht und nickte. Er öffnete ihr die Autotür und fuhr sie dann wieder bis vor ihre Haustür. Als sie gerade aussteigen wollte, ergriff er das Wort.

„Ich bin die nächsten Wochen nicht in der Stadt.“

„Oh. Okay. Du kannst dich ja bei mir melden, wenn du wieder da bist.“ Sie öffnete die Tür. In dem Moment, wo sie aussteigen wollte, hielt er sie an der Hand fest. Überrascht sah sie ihn an.

„Versprich mir, nicht wieder allein im Dunkeln herumzulaufen.“

Sein ernster und gleichzeitig besorgter Blick machte Marika klar, dass er es wirklich ernst meinte. Sie nickte. „Ja.“

Er sah beruhigt aus und schreckte dann zurück, als er bemerkte, dass seine Hand immer noch an Marikas Arm war. Wie zuvor schien ihm die Nähe immer noch sehr unangenehm zu sein.

8
 

Die Tage verstrichen recht langsam. Marika verbrachte fast jeden nur mit lernen. Lernen zu hause, lernen in der Bibliothek, lernen im Park. Egal wo sie war, immer das Gleiche. Aber sie wusste, dass es nötig war. Die Prüfungen sollten kein Klacks sein. Täglich verbrachten die Professoren und Dozenten Stunden damit, ihnen zu erklären, wie schwer diese Arbeiten seien und wie wichtig sie für die Endzensuren waren.

Als dann die Zeit reif war, fühlte sich Marika nicht besonders beflügelt. Den Tag vor der Arbeit war ihr stundenlang schlecht. Sie wusste einfach nicht wie ihr geschieht. Sie hatte alles gelernt und war eigentlich bereit, aber trotzdem war die Versagensangst unglaublich groß. Keiner konnte sie wirklich aufheitern. Kira backte einen Kuchen, Gino ging mit ihr noch mal die wichtigsten Fakten durch und ihr Vater versprach ihr wieder einen Tag frei zu nehmen. Nur für sie. Trotz allem fühlte sie sich nicht besser und war nervöser als je zuvor. Minutenlang lief sie durch ihr Zimmer, bekam Bauchschmerzen und wäre am liebsten aus dem Fenster gesprungen. Es war gerade dunkel geworden, als ihr Handy klingelte.

„Hallo!“, sie klang mitgenommen. Kein Wunder so aufgeregt wie sie war. Sie hatte noch nicht mal auf den Display geschaut.

„Alles okay?“

„Chris? Bist du das?“

„Mmmmh. Ich bin zurück.“

„Schön. Und wie war’s? Ich meine. Ich weiß ja nicht, wo du warst.“ „Unwichtig. Arbeit eben. War aber okay. Du hörst dich komisch an. Bist du krank?“

„Was? Nein, ich hab nur riesige Prüfungsangst.“

„Prüfung?“

„Ja. Morgen schreib ich. Ich hab schon den ganzen Tag Muffensausen.“

„Du schaffst das.“ Obwohl er bestimmt schon der zehnte war, der ihr das versicherte, ging es ihr gleich besser. Sie war froh, dass er an sie glaubte.

„Na gut, dann will ich dich nicht weiter stören.“

„Nein, nein. Du störst nicht. Gar nicht. Ganz im Gegenteil. Du lenkst mich ab und das hat noch keiner bis jetzt geschafft.“

„Dann ist ja gut.“

„Musst du morgen auch arbeiten?“

„Nein. Ich hab jetzt erst mal eine Woche Urlaub.“

„Dann können wir uns sehen?“

„Wann?“

„Ich weiß ja nicht, wann du Zeit hast. Wenn ich die Prüfung geschrieben hab, ist erst mal auch Schluss bei mir. Zumindest für die nächsten zwei Monate.“

„Ruf mich einfach an.“

„Okay.“

„Na dann Schlaf gut und mach dir nicht mehr so viele Gedanken.“

„Ja. Gute Nacht.“ Als Marika aufgelegt hatte, fühlte sie sich das erste Mal an diesem Tag richtig frei. Obwohl ihr Magen immer noch rumorte, konnte sich recht ruhig schlafen.
 

Als Marika den Prüfungsraum verließ hatte sie gemischte Gefühle. Einerseits war sie richtig zuversichtlich, denn sie konnte alle Aufgaben richtig gut beantworten, andererseits hatte sie das Gefühl, das da irgendwo ein Haken sein musste. Es war einfach zu leicht. Aber alles Kopfzerbrechen half nichts. Jetzt war es eh vorbei.

„Und? Wie fandest du es?“, fragte sie bei Ginger nach.

„Ja. Ganz okay. Hab es mir schlimmer vorgestellt.“

„Ja, ich auch. Irgendwie komisch, nicht?“

„Mmmmh, nach den Aktionen von Leimbach hab ich gedacht da kommt die Hölle auf uns zu.“

„Ich weiß, was du meinst. Wäre gestern fast gestorben.“

„Und was machst du heute noch?“

„Weiß nicht. Vielleicht ruf ich Chris an. Er will bestimmt wissen, wie es lief.“

Ginger blieb stehen und sah ihre Freundin ungläubig an. „Chris?“

„Ja, wir haben telefoniert. Gestern und er hat mich aufgemuntert.“ „Wolltest du dich nicht von ihm fernhalten.“ Sie zuckte mit den Schultern. „Er hat wirklich kaum was Böses an sich.“

„Kaum was?“

„Ja, manchmal da ist es irgendwie komisch. Da kommt es mir vor, als würde irgendetwas auf mich lauern. Er ist dann immer so besorgt. Ich weiß aber auch nicht, was das soll, jedoch...“

„Gefällt es dir.“ Marika sah sie schief an.

„Ach komm. Ist doch ganz normal. Aber sei vorsichtig. Irgendwie ist der mir immer noch nicht wirklich koscher.“

„Ja. Und was machst du noch so?“

„Na ja....“ Marika folgte ihrem Blick und blieb bei Kai hängen, der an sein Auto gelehnt auf dem Parkplatz wartete.

„Ach so ist das.“ Ginger lachte verlegen.

„Na los! Ich wünsche dir viel Spaß!“

„Okay, wir hören dann voneinander!“

„Auf jeden Fall!“

Marika überlegte nun, was sie vor Dummheit machen sollte. Nach Hause wollte sie noch nicht, also schlenderte sie noch eine wenig durch die Stadt. Als erstes besuchte sie ihren Lieblingsladen. Sie hatte sich lange nichts geleistet und probierte deshalb erst einmal ausgelassen alle möglichen Sachen an. Obwohl sie eigentlich nichts Besonderes suchte, hoffte sie doch etwas Besonderes zu finden. Vielleicht für ein Date.

Wie kam sie auf diesen Gedanken? Wer sollte sie schon einladen. Während sie in den Spiegel sah, nahm sie ihr Handy und rief die Nummer von Chris auf. Sollte sie ihn anrufen? Er meinte, dass sie Bescheid sagen sollte. Vielleicht wollte er aber erst mal seine Ruhe haben. Schließlich hat er ja Urlaub und sicherlich besseres zu tun.

Sie packte das Handy wieder weg und kaufte sich dann letztendlich ein lila Top und eine passende dunkle Jeans. Sie schlenderte so noch durch viele verschiedene Läden und als sie dann am Abend zu hause ankam, war sie bepackt wie ein Esel.

„Ach Mari! Da bist du ja! Und wie war die Arbeit? Schwer?“ Kira hatte sie schon sehnsüchtig erwartet.

„War ganz okay. Hab es mir echt schlimmer vorgestellt.“ „Also doch! Angst umsonst.“

„Ja.“

„Dein Vater hat übrigens angerufen. Er würde dich gerne diese Woche dann mal sehen.“

„Okay. Dann ruf ich ihn gleich mal an.“
 

Die Tage verstrichen. Es war Freitag und Marika saß im Park auf einer Bank und wartete auf ihren Vater. Eigentlich wollten sie sich schon vor zehn Minuten treffen, aber der werte Herr ließ sie mal wieder warten.

Doch das Warten lohnte sich. Mit einer viertel Stunde Verspätung kam ihr Vater dann doch. „Man! Ich dachte schon, du lässt mich sitzen!“

„Ach quatsch.“

„Bist wieder nicht aus der Revier rausgekommen.“

„Mmmmh. Lass uns ein bisschen laufen.“

„Yo. Also erzähl mal.“

„Und was? Eigentlich müsstest du doch erzählen.“

„Ach das ist doch nicht so interessant. Prüfung war halt recht anstrengend aber machbar.“

„Da bin ich ja froh.“

„Lenk nicht ab. Gibt’s denn schon was Neues von eurem Flüchtigen?“ „Na ja, du weißt...“

„Ja, du darfst mir ‚eigentlich’ nichts sagen.“

„Okay. Also wir wissen jetzt hundertprozentig, dass er sich hier aufhält. Wir haben jedoch keinen Anhaltspunkt, wo er sein könnte.“

„Und was will der gerade hier?“

„Das ist sein Wohnort. Hier ist damals das ganze Unglück passiert.“ Marika sah ihn erwartungsvoll an.

„Komm schon. Irgendwann wird die Presse eh berichten.“

„Ja....“

Sie legte einen Schmollmund hin.

„Er hat damals fast seine gesamte Familie getötet.“

„Was?“

„Ja, der Einzige, der das Massaker damals überlebt hat, war sein Bruder und wir denken, hinter dem ist er jetzt her.“

„Man, das ist ja richtig hart. Und warum hat er das alles getan?“

„So genau kann man das nicht sagen. Er selbst hat sich damals nicht weiter dazu geäußert.“

„Scheiße...“ Jonas zog eine Augenbraue hoch. „Sorry, aber ist doch so. Ich hoffe ihr findet den Kerl bald. So ein Schwein sollte man echt in den tiefsten Kerker werfen.“

„Ach, lass uns nicht mehr darüber sprechen. Los wir gehen uns einen Film ansehen.“

„Klingt gut!“
 

Als sie aus dem Kino traten war es schon acht Uhr. „Langsam wird’s echt kühl.“

„Ach, 20 Grad ist kühl?“ Marika neckte ihren Vater gern.

„Was machen wir jetzt?“, fragte Jonas nun, während er sich streckte. „Marika?“ Er war verwundert, weil seine Tochter sonst immer kesse Antwort auf den Lippen hatte. Diese war jedoch gar nicht mehr bei ihren Vater. Sie starrte in ein Café, welches auf der anderen Straßenseite war. „Was hast du denn?“

„Nichts.“, antwortete sie betrübt.

„Ach komm, irgendwas ist doch. Ist da jemand den du kennst?“ Oja, da war jemand, den sie kannte. Chris saß dort im Café, was ihr jedoch weniger gefiel was, dass er nicht alleine war. Ihm gegenüber saß eine junge, recht hübsche Frau. Die beiden schienen sich gut zu amüsieren. Zumindest lachte Chris mehr. Bei ihr war er nie so ausgelassen gewesen.

„Ich möchte jetzt nach Hause.“

„Wie du willst.“ Ihr Vater wusste, wenn man mit ihr reden konnte und jetzt schien ihr nicht so danach zu sein.

„Mum! Wir sind wieder da!“

„Wir? Jonas!! Ist das schön dich mal wieder zu sehen!“, freute sich Kira. Obwohl die beiden geschieden waren, verstanden sie sich super. Etwas das Marika sehr an ihnen schätzte. Auch Gino verstand sich gut mit ihrem Vater. Es gab nie Probleme zwischen den beiden. Ganz im Gegenteil. Es kam einen manchmal so vor, als wären sie schon ewig beste Freunde.

„Na dann werde ich mal was zu essen machen.“

„Für mich brauchst du nichts zu machen. Mir ist der Appetit vergangen.“ Ihre Tochter ging geknickt nach oben.

„Was hat sie denn?“ Jonas zuckte nur unwissend mit den Schultern.
 

Marika lag wieder einmal auf ihrem Bett und starrte die Decke an. Vielleicht sollte sie dort mal ein paar Bilder hin machen. Der weiße Zustand nervte sie nämlich langsam.

Das Gesehene beschäftigte sie schwer. Wer war bloß diese Person? Wahrscheinlich seine Freundin, aber was wollte er dann von ihr?

Als sie sich so ihre Gedanken machte, merkte sie wie blöd das eigentlich war. Was ging es sie an. Sie wusste noch nicht einmal, ob sie Freunde waren, geschweige denn mehr. Sie schlief an diesem Abend schnell ein. Noch nicht einmal das Gehen ihres Vaters bemerkte sie noch. Irgendwann wurde sie von einem Klingeln geweckt. War das ihr Wecker? Nein, warum sollte ihr Wecker klingeln. Sie hatte doch keinen Termin. Außerdem war es stockdunkel draußen. Marika sah verschlafen auf die Uhr. 23 stand dort in großen leuchtenden Zeichen geschrieben.

Erst jetzt konnte sie das Geräusch deuten. Es war ihr Handy. Im Halbschlaf suchte sie mit der Hand auf dem Boden herum. Es dauerte bis sie es endlich gefunden hatte. Sie sah auf den Display und saß förmlich im Bett. ‚Nachricht von Chris’

Sie öffnete die Message und las:
 

Du hast dich lange nicht gemeldet. Ich hoffe es geht dir gut. Wenn du Zeit hast, würde ich dir morgen gerne etwas zeigen. Ich bin gegen um 9 auf dem großen Parkplatz auf dem Markt. Schlaf gut.

Chris
 

Etwas zeigen? Was kann da nur sein? Diese Fragen stellte sich Marika leise. Wichtiger war aber, ob sie überhaupt gehen sollte. Wenn er doch eine Freundin hat. Marika schüttelte den Kopf und ließ sich nach hinten fallen. Sie wusste doch nicht, was wirklich der Fall war und solange sollte man die Hoffnung nicht aufgeben.

9
 

Die große Uhr auf dem Markt zeigte neun Uhr als Marika aus dem Bus stieg. Schnell huschte sie über die Schienen der Straßenbahn und dann Richtung Parkplatz. Sie erkannte Chris sin Auto schon von Weitem, ihn konnte sie jedoch nirgends erkennen. Auf jeden Fall war er noch nicht weg, also hieß es warten und die Augen offen halten. Keine fünf Minuten dauerte es und Chris kam vom offenen Markt her gelaufen.

Marika stützte sich auf das Dach des Autos und fixierte ihn. Er war erst so mit seinem Handy beschäftigt, dass er sie gar nicht mitbekam, dann entrann ihm aber ein leichtes Lächeln als er sie dort so stehen sah. „Morgen!“, rief sie ihm freudig entgegen.

Er gab ihr keine Antwort, sondern öffnete nur das Auto und gab ihr zu verstehen, dass sie einsteigen sollte.

„Wo willst du eigentlich mit mir hin?“ Er schüttelte den Kopf. Marika senkte den Kopf und versuchte so besser in sein Gesicht zu schauen. „Das ist gemein.“, jammerte sie.

Sie fuhren aus der Stadt heraus und waren nun auf der Landstraße. Da es sich in dem dunklen Ford ziemlich aufheizte, machte Marika nach wenigen Minuten das Fenster hinunter um ein bisschen vom Fahrtwind abzubekommen.

„Schön...“, meinte sie, während sich ihre Augen schlossen und sie versuchte sich ein wenig zu entspannen. Es brannte ihr jedoch immer noch unter den Nägeln. Wo wollte er bloß hin? Den ganzen Weg über sagte er nichts und schien seine gesamte Aufmerksamkeit nur dem Fahren zu widmen. Als Marika ihn sich ansah, fiel ihr erst mal auf, dass sie ihn vorher noch nie im Tageslicht gesehen hatte. Sehr anders sah er aber trotzdem nicht aus. Neben seiner dunklen Hose, dem schwarzen Oberteil und dem weißen Hemd, was er darüber trug und dessen Ärmel er nach oben gekrempelt hatte, trug er wieder Handschuhe. Es mussten die Gleichen sein, die er auch sonst an hatte. Marika kam die ganze Sache immer noch ziemlich spanisch vor. Handschuhe bei 23 Grad und das Tag und Nacht. Verstehe wer will, was in seinem Kopf vorging.

Sie wollte damals nicht nachfragen, weil sie sich ja nicht wirklich kannten. Gut, jetzt wusste sie auch nicht unbedingt mehr über ihn, trotzdem war er ihr jetzt um einiges vertrauter.

„Sag mal, hat das einen speziellen Grund, warum du immer diese Dinger an den Händen trägst? Ist doch bestimmt richtig warm damit.“

Er reagiert überhaupt nicht. Hatte er diese Bemerkung einfach überhört? „Du erzählst mir nie was. Das finde ich gemein.“

„Entschuldige.“, antworte er nur auf Marikas trotzige Bemerkung. Sie ließ sich tiefer in den Sitz sinken und sah wieder aus dem Fenster. Langsam lichtet sich der Wald, durch den sie eine lange Zeit gefahren waren. Zum Vorschein kam ein riesiges abgezäuntes Gelände.

„Willst du etwa dahin?“, fragte sie überrascht nach. Ein sanftes Lächeln war seine Antwort.

Nachdem sie das Auto auf einen freien Platz abgestellt hatten, gingen sie in Richtung des Eingangs dieses Gebietes. ‚Pakita’ stand auf einem großen Schild. ‚Spaß, Entspannung und vieles mehr im Park der Tiere’ „Unglaublich. Ich wusste gar nicht, dass wir so was in der Nähe haben.“ „Freust du dich?“, wollte er von dem verwunderten Mädchen wissen. „Natürlich! So eine Abwechslung brauch ich mal.“ Und nicht nur das.

Sie war froh, mal wirklich viel Zeit mit Chris verbringen zu können und das die Idee dazu von ihm kam, bewies, dass er das auch wollte.

Als sie den Park betraten, kam Marika gar nicht mehr aus dem Staunen heraus. Chris kannte sich gut im Park aus, so dass Mari ihm nur sagen musste, was sie als erstes tun wollte.

„Na ja....“, sie sah verlegen zum Boden, was Chris etwas verdutzte.

„Gehst du mit mir zu dem Lemuren?“ Marikas Hundeblick und die ziemlich schüchtern gestellte Frage brachten den sonst so verunsicherten und zurückhaltenden dann doch zum Lachen.

„Komm.“ Sichtlich erleichtert folgte sie ihm. Sie fand es schön, dass er jetzt auch ein wenig ausgelassener zu sein schien. Die kleinen affenähnlichen Tiere konnten gar nicht von der Schwarzen lassen. Immer wieder zuppelten sie an ihr herum und wollte etwas zum Knabbern haben. Chris beobachtete das Ganze und war sichtlich angetan. Als Marika dann zu ihm aufsah, wand er seinen Blick, wie schon lange nicht mehr, schüchtern zu Seite. Daraufhin stand sie auf und meinte dann zu ihm, „Lass uns weiter.“

„Und wohin?“

„Weiß nicht. Zeig mir mal was.“ Er nickte und Marika konnte kaum glauben, wie nah sie hier an die ganzen Tiere heran kam.

Soviel Spaß hatte sie lange nicht. Als sie gerade mit den Ziegen beschäftigt war und aufpassen musste, dass diese sie nicht umwarfen, fragte Chris, ob sie nicht etwas essen gehen wollten. Mari hatte gar nicht mitbekommen, wie schnell die Zeit vergangen war. ‚Schon fast um eins.’, dachte sie und hatte auf einmal ein mächtiges Magengrummeln.

„Ja, ich glaub was zu essen wäre jetzt schön.“, lachte sie.

Zum Essen verließen sie jedoch den Tierpark und betraten nach wenigen Minuten ein Restaurant in Mitten eines großen weitläufigen Parks. Sie setzten sich auf die Terrasse an einen Tisch genau neben das Geländer.

Von der Terrasse aus hatte man einen wunderschönen weiten Blick auf den gesamten Park.

Nach dem Essen stellte sich Marika an das Geländer und sah in das Blumenmeer vor ihr. Chris war in dieser Zeit bezahlen und kam dann wieder zu ihr heraus.

„Ist echt schön hier. Da kommt man aus dem Träumen gar nicht mehr raus.“ Er stand, die Hände in den Hosentaschen, neben ihr.

„Fährst du hier oft her?“

„Immer mal.“

„Allein oder mit jemanden zusammen?“

„Mit dir.“, meinte er und lächelte sie an.

„Ich meine jemand anderen außer mir.“

„Wen sollte ich mit her nehmen?“ Marika sah zu ihm und bemerkte, dass er sie nun wieder mit seinen durchdringenden blauen Augen ansah. Sie verschränkte die Arme und drehte sich, um nun mit dem Rücken an das Geländer gelehnt neben ihm zu stehen.

„Vielleicht mit ihr?“ Er schien nicht zu verstehen, worauf sie hinaus wollte.

„Ich hab euch gestern gesehen. In dem Café vor dem Kino.“ Nun lachte er nur und lehnte sich mit den Armen auf das Geländer.

„Eifersüchtig?“ Marika spürte ein leichtes zwicken in der Magengegend. Fühlte sie sich erwischt? Erst jetzt wurde ihr bewusst, dass es wirklich so klang, als wäre sie eifersüchtig. Aber war sie es auch? Als sie den Kopf drehte um ihn anzusehen, wurde ihr bewusst, dass es wohl der Wahrheit entsprechen musste. Aber was sollte sie nun antworten.

„Hab ich einen Grund?“, fragte sie kleinlaut.

„Weiß nicht.“, meinte er provozierend.

„Du bist gemein. Nie erzählst du mir was.“, genervt rannte sie die Treppe runter, die zu einem Weg führte.

Sie lief diesen bis zum Mittelpunkt des Blumengartens, wo eine Bank unter einem Holzpavillon stand. Als sie sich darauf setzte und tief eingeatmet hatte, bemerkte sie, was für einen schönen Blick sie auf den kleinen angelegten See hatte. Viele Enten tummelten sich im Wasser und durch die strahlende Sonne schimmerte dieses auffallend hell.

Nach wenigen Minuten setzte er sich neben sie. Ihr war klar, dass diese Aktion ziemlich unangebracht war und nun schämte sie sich auch ein wenig dafür.

„Das war meine Cousine. Sie wohnt weiter weg und ist mal vorbei gekommen um mich zu besuchen.“

„Oh...“ Das war wahrscheinlich der peinlichste Moment in Marikas Leben.

„Sorry.“, flüsterte sie.

Er lachte nur leicht. „Ist doch nicht schlimm.“

Sie war froh, dass er kein Macho oder so etwas in der Art war. Sie spürte, dass auch er nur ein normaler Mensch war, auch wenn es ihr manchmal nicht so vorkam. Er akzeptierte anscheinend vieles um sich herum, ohne es in irgendeiner Form zu hinterfragen.

Das musste es sein, was ihr sonst immer gefehlt hatte.

Die Zeit verging nach einem endlos scheinenden Spaziergang, einer Fahrt mit der wohl schrecklichsten Achterbahn und einem Gang durch ein großes Spiegelkabinett sehr schnell. Gegen sechs Uhr schloss der Park und die beiden machten sich auf den Rückweg.

„Das war echt nett von dir mit mir dort hin zu fahren.“

„Eine Belohnung.“

„Belohnung?“

„Wegen deiner Prüfung. Ich wollte dir was Gutes tun.“

Dieses Faktum erfreute das junge Mädchen umso mehr.

Gegen acht Uhr waren sie an Marikas Haus angekommen. Ihr war gar nicht aufgefallen, wie weit weg sie eigentlich von ihrem Heimatort waren. „Danke noch mal für den schönen Tag.“, meinte das glückliche Mädchen, während sie um das Auto lief. Sie blieb vor Chris stehen, der auch ausgestiegen war und nun an seiner Fahrertür lehnte.

„Kein Problem.“

„Sag, darf ich dich umarmen? Als Dankeschön.“, fragte sie verunsichert und sah dabei schräg nach unten um seine Antwort abzuwarten. Ohne hinzusehen, spürte sie doch, dass er mit sich rang. Eigentlich war ihr von Anfang an klar gewesen, dass er dies nicht wollte. Sie wusste immer noch nicht, warum ihm die Nähe so viel ausmachte, aber die Unsicherheit war dem sonst so selbstbewussten förmlich auf die Stirn geschrieben. Marika hatte sich schon längs mit dem Nein abgefunden als er mit einem Mal direkt vor ihr stand. Sie sah zu ihm auf, in ein sanftes Gesicht. Sie fühlte seine Hände an ihrer Taille.

Eigentlich wollte sie ja ihn umarmen, aber völlig gefasst von seiner Reaktion, konnte sie sich nur noch an ihn lehnen, seine Nähe und Wärme genießen. Sie standen nicht lange so da, jedoch kam es ihr so vor, als wäre es eine Ewigkeit gewesen.

„Du solltest jetzt reingehen.“, flüsterte er ihr zu, während sie immer noch in dieser Umarmung standen. Sie nickte nur leise, richtet sich dann auf und formte mit den Lippen das Wort Tschüß. Dann drehte sie sich und ging zur Haustür. Sie schloss auf und öffnete die Tür einen Spalt, drehte sich dann aber noch mal. Chris war wieder eingestiegen und startete den Wagen. Kurz hob er die Hand und fuhr dann los.

An die offene Tür gelehnt wartete sie noch, bis das Auto nicht mehr zu sehen war und wollte dann hinein gehen. Als sie ihren Blick wand, fiel ihr ein kleines Licht auf der anderen Straßenseite auf. Es leuchtete aus der Dunkelheit immer wieder auf, wie die Glut einer Zigarette. Es war jedoch keiner zu erkennen. Zu dunkel war es dort, ohne Laterne in der Nähe. Mit einem komischen Gefühl im Magen betrat sie das Haus und schloss die Tür hinter sich.

10
 

„Ui! Marika hat einen Freund!!!“

„Quatsch. Bis jetzt ist er nicht mein Freund. Außerdem, fass dich lieber mal an deine eigene Nase!“

Marika war bei ihrer Freundin Ginger zu Besuch. Sie hatten sich lange nicht gesehen, da Ginger erst zwei Wochen in den Urlaub gefahren war und Marika oft mit Chris unterwegs war. Langsam ließ das warme Wetter nach und der Herbst stand vor der Tür. Dieses Wetter war eindeutig angenehmer, auch wenn Regen nicht gerade ihr Lieblingswetter wieder spiegelte.

„Und du warst mit ihm echt shoppen? Welcher Kerl geht shoppen?“, wunderte sich Ginger.

„Weiß nicht. Ihm war es egal und ich denke, es hat ihm schon ein wenig Spaß gemacht.“

„Hast extra viel anprobiert, was?“ Sie mussten lachen.

„Und wie läuft es so mit Kai?“

„Joar, ganz okay.“

Marika legte einen erwartungsvollen Gesichtsausdruck hin. Ginger wurde daraufhin hibbelig.

„Okay, wir sind so kurz davor das glücklichste Paar der Welt zu werden.“ „Wusste ich doch! Schon, wo ich euch das erste Mal zusammen gesehen hab.“

„Er hat mich fast jeden Tag angerufen, als ich weg war. So süß von ihm!“ Marika freute sich richtig für ihre Freundin. Lange hatte sie darauf gewartet, so etwas zu erleben. Lucas betrat das Zimmer.

„Wat willst du denn?“, fragte seine Schwester scherzhaft.

„Nischt besondres!“

„Boar, geht ihr mir auf den Keks.“, mischte sich Marika nun ein. Letzten Endes lachten sich die drei fast schlapp.

„Ich wollte eigentlich nur wissen, ob ihr heute Abend wieder mit in den Club kommt. Die haben heute Happy Hours. Bestell ein, bekomme zwei.“ „Du bist perfekter Werbungsträger, weißt du das?“, neckte seine Schwester ihn.

„Wie auch immer, hört sich jedenfalls gut an.“, warf Mari ein. „Gut! Dann kommt ihr?!“

„Aber natürlich!“, antworteten beide im Chor. Lachend verließ Lucas das Zimmer wieder.

„Wie wär’s, wenn wir zu mir fahren? Nimm gleich deine Sachen mit und wir machen uns dann da fertig. Haben wir es dann nicht so weit.“

„Gute Idee. Kannst mir gleich mal sagen, was ich anziehen soll.“ „Irgendwas Nuttiges.“ Ginger sah sie neckisch an. „Ja. Ich steh auf unartig.“, vervollständigte Marika ihren Satz. Nach einer halben Stunde Suche, konnten sie sich endlich auf den Weg machen. Marika war selten in dieser Gegend der Stadt.

Es war ein völlig anderer Stadtteil und wenn sie Ginger nicht unbedingt besuchen wollte, sah sie keinen Grund sich dort aufzuhalten. Ginger kannte natürlich einige Schleichwege, durch die sie mit dem Fahrrad schneller vorankamen. Ein Weg führte zu einer Straße, welche nicht weit vom Stadtteil, in dem Marika wohnte, entfernt war. Als sie dort entlang fuhren viel Marika ein altes Haus auf. Es war schon ziemlich vermodert und anscheinend wohnte dort keiner mehr.

„Weißt du was das für eine Bruchbude ist?“, fragte sie ihre Freundin, während sie immer langsamer wurde und schließlich vor dem Tor des Hauses stehen blieb.

„Nicht unbedingt.“, antwortete sie ihr und blieb neben Mari stehen.

„Da wohnt schon ewig keiner mehr drin. Da soll vor knapp zehn Jahren mal ein Brand gewesen sein, bei dem fast alle Bewohner umkamen. Seitdem hat da keiner mehr drin gewohnt. Das Haus wurde ja noch nicht mal saniert. Das Erdgeschoss soll wohl noch ganz intakt sein, nur die obere Etage ist völlig ausgebrannt.“

„Man. In der ihrer Haut will man echt nicht stecken.“

„Ich weiß, was du meinst.“

„Na gut. Lass uns weiter, sonst kommen wir heute nicht mehr zum Club.“
 

Die Uhr zeigte neun und Marika und Ginger waren gerade fertig und wollten sich auf den Weg machen.

„So. ich hab alles, was wichtig ist. Meine Sachen kann ich mir ja dann später holen.“

„Mmmmh.“, hörte sie nur von ihrer Freundin. Neugierig sah sie in die Küche, wo Marika, an die Küchenzeile gelehnt, heftig auf ihren Handytasten herumdrückte.

„Alles klar?“, wollte sie nun von ihr wissen.

„Ja. Ich schreib Chris nur, dass ich in den Club geh’. Vielleicht kommt er ja.“

„Wäre schön. Dann würde ich ihn wenigstens auch mal kennen lernen.“, freute sich Ginger.

„Machen wir uns los. Dein Bruder wartet bestimmt schon.“

Als sie am Club ankamen, stand wie eh und je eine große Menge Leute davor. Marika wunderte sich immer wieder, was die alle vor dem Club wollten. Wahrscheinlich war es drin einfach zu voll und mit diesem Gedanken hatte sie voll ins Schwarze getroffen. Es war schier unmöglich Lucas dort zu finden. Aber das war ja nicht so wichtig. Irgendwann würden sie ihn schon sehen oder er sie. Marika trank diesmal nicht so viel. Lieber etwas mehr alkoholfrei, so konnte man schließlich auch Spaß haben. Gegen Mitternacht verschwand sie auf der Toilette.

Sie musste sich erst einmal etwas frisch machen. War auch ziemlich heiß dort. Als auf dem Rückweg zu ihrer Freundin war, suchte sie etwas in ihrer Tasche und achtet nicht darauf, wo sie eigentlich hinlief. Es war vorprogrammiert, dass sie so jemanden anrempeln musste.

„Oh, Entschuldigung.“, brachte sie hervor, bevor sie die Person überhaupt ansah.

„Ach wirklich?“, bekam sie zurück. Diese Stimme kannte sie.

„Chris! Ich dachte, du kommst nicht mehr.“ Überrascht aber trotzdem glücklich begrüßte sie ihren Freund.

„Hatten wir nicht ausgemacht, dass du dich nicht im Dunkeln draußen aufhältst?“, bemerkte er.

„Ach, das gilt noch? Na ja, aber ich hab dir ja Bescheid gesagt und allein bin ich auch nicht. Außerdem ist doch nichts Gefährliches hier. Bin ja schließlich auch nicht zum ersten Mal hier!“, antwortete sie trotzig, aber trotzdem lieb gemeint. Er schien dies nicht lustig zu finden und sah sie nur an. Marika machte sich daraus jedoch nichts, sie wusste ja nun schon langsam wie er tickte und zog ihn deshalb in Richtung Ginger und Lucas, der sich in dieser Zeit auch mal blicken ließ.

„Da bin ich wieder!“

„Und nicht allein, wie man sieht.“, bemerkte Ginger sofort. Marika lachte nur, während Chris nur wieder den Boden anstarrte und gar nicht reagierte. Ginger ließ sich so etwas natürlich nicht bieten und sprang daher von ihrem Hocker und ging zu ihm hinüber.

„Freut mich dich kennen zu lernen. Chris, nicht?“

Dieser sah sie nur kurz an und verschwand dann in Richtung Ausgang. „Kann es sein, dass er nicht so kontaktfreudig ist?“

Marika sah ihm besorgt nach. Dass er aber auch immer so stur sein musste. Was war daran nur so schlimm mal Kontakt zu anderen Menschen zu haben. Sie ging ihm nicht sofort nach. Er sollte schließlich nicht denken, dass er sich alles erlauben konnte. Lange hielt sie es jedoch nicht aus.

Gegen viertel zwei verabschiedete sie sich von ihren Freunden und verließ dann auch den Club. Draußen waren nun viel weniger Leute. Es war auch um einiges kühler geworden. Nicht unbedingt unangenehm, aber trotzdem gewöhnungsbedürftig. Sie sah sich um. War er doch schon gegangen? Das konnte sie sich bei ihm nicht vorstellen.

Nie im Leben hätte er sie dort allein durch die Nacht laufen lassen. Jedoch hatte sie es ja provoziert. Sie meinte, sie wäre ja nicht allein und als er ging, interessierte sie es auch nicht. Vielleicht war er doch sauer. Marika schnaufte kurz. Warum musste sie auch gerade auf so einen komplizierten Typen stehen. Aber sie war ja selbst Schuld. Also machte sie sich auf den Weg. Rechtsseitig von ihr befand sich ein kleines Waldstück. Fünf Minuten musste sie dort allein lang laufen um zu ihrer Straße zu gelangen. Diesen Weg lief sie zum ersten Mal alleine, wirklich froh war sie darüber jedoch nicht. Sie hatte es fast geschafft als sie einige Meter vor sich etwas am Rand erkannte. Das Aufleuchten einer Zigarette?, fragte sie sich leise. Sie wurde unruhig und traute sich kaum noch ein Schritt weiter zu gehen. War dort wirklich jemand?

Mit einem Mal fasste ihr eine Person von hinten auf die Schultern. Vor Schreck zuckte sie fürchterlich zusammen und drehte sich schwungvoll um.

„Alles okay bei dir?“, fragte ihr Freund Chris besorgt.

„Du Idiot. Kannst mich doch nicht so erschrecken. Ich hätte beinahe einen Herzinfarkt bekommen.“, meckert sie, bevor sie ihn erleichtert umarmte.

„Ein Glück. Ich dachte schon du lässt mich allein nach Hause gehen.“

Er schüttelte den Kopf.

„Schön, dass du nicht gegangen bist.“, sie machte eine kurze Pause, „Aber ich fand das trotzdem nicht toll, was du gemacht hast. An meinen Freunden ist nichts Schlimmes. Du kannst dich ruhig mit ihnen unterhalten.“

Er antwortete nicht sondern, sah sie nur liebevoll an. Sie lächelte zufrieden. Sie wusste, dass er verstand, aber ändern würde er sich trotzdem nicht. Dann fiel ihr die Sache von vor wenigen Minuten wieder ein und sie drehte sich erschrocken und blickte den Weg hinab.

„Was ist?“, fragte er nun erstaunt.

„Bevor du mich so erschreckt hast, war da vorn irgendwas.“

„Und was?“

„Weiß nicht. Ein Aufglühen, wie bei einer Zigarette, aber ich konnte niemanden sehen.“

Er zuckte die Schultern und die beiden liefen weiter. Bis sie bei Marika ankamen, redeten sie kaum ein Wort miteinander. Anscheinend hatte Chris wieder einen seiner Tage oder er war immer noch ein wenig angefressen. Trotzdem war er es, der dann zuerst das Wort ergriff. „Kann ich dich morgen Abend abholen? Heute ist schlecht und tagsüber hab ich morgen auch keine Zeit. Aber...“

„Du willst mir was zeigen?“, fragte Mari nun erwartungsvoll. Chris hatte sie in letzter Zeit öfters so überrascht und daher freute sie sich immer wieder, wenn ihm was Neues eingefallen war.

„Ja.“, lachte er sanft. „Etwas, was ich nur dir zeigen will.“

Nach diesem Satz ging er und ließ die nun völlig aufgeregte

Marika allein dastehen. Etwas das er nur ihr zeigen will? Was konnte das nur sein? Die ganze Zeit dachte sie darüber nach, während sie sich bettfertig machte. Als sie am Fenster vorbei ging, hatte sie dann so ein komisches Gefühl. Als würde sie jemand beobachten. Auch dachte sie erst, dass sie wieder ein kleines Licht auf der anderen Straßenseite gesehen hätte. Als sie genauer hinsah entdeckte sie jedoch nichts und legte sich daher dann in ihr Bett. Schlaf bekam sie jedoch nur wenig, denn sie war viel zu aufgeregt.
 

Als Kira ihre Tochter zum essen holte, war diese gerade krampfhaft am überlegen, was sie am Abend anziehen sollte. Nichts gefiel ihr. In letzter Zeit war sie echt wählerisch geworden.

„Ach Schatz. Da bist du ja. Ich ruf dich schon minutenlang. Was machst du denn?“

Ungläubig sah sie sich im Raum um. Überall lagen Sachen herum und ihre Tochter stand mittendrin.

„Ich weiß nicht!“, meckerte sie nur zurück.

„Triffst du dich etwa wieder mit ihm?“ Marika sah ihre Mutter verwundert an.

„Ach komm. Ich merk doch, was hier los ist. Schon seit Wochen bist du so komisch und dein Vater hat auch schon so geheimnisvoll getan. Ich hoffe er ist nett und du stellst ihn uns dann mal vor.“, meinte Kira noch, bevor sie das Zimmer wieder verließ.

Aus dem Flur schallte noch ein, „Komm dann bitte essen!!“, und schon war sie wieder verschwunden.

Als Marika dann die Küche betrat, wuselte ihre Mutter wie wild herum. Heiße Töpfe, heiße Kartoffeln und was nicht noch alles so heiß war. Gino beobachtete das Ganze ziemlich belustigt, machte aber auch keine Anstalten Kira mal zu helfen. Der jungen Frau war aber klar, dass es ins Desaster führen würde. Wenn ihre Mutter kochte, dann durfte kein anderer in die Küche . Höchstens am Tisch durfte man sich aufhalten, aber auch nur, wenn man keinen Mucks von sich ließ. Nach dem Essen widmete Marika sich wieder ihrer Lieblingsbeschäftigung. Klamotten ausmisten. Sie musste doch irgendetwas Anständiges haben. Als sie gerade die Sachen nur so umher warf, klingelte ihr Handy. Sie las die Nachricht und kippte balle aus den Latschen. Um neun wollte Chris sie abholen. Völlig gestresst sah sie auf die Uhr und musste feststellen, dass es ja schon kurz vor acht war. Nicht nur, dass sie immer noch kein Outfit gefunden hatte. Sie musste sich auch noch ein bisschen stylen. Nun wurde sie noch hektischer und als ihr Stiefvater kurz nach oben kam, um etwas aus seinem Heimbüro zu holen, hätte sie ihn fast umgerannt.

„Sorry! Bin in Eile!!“, rief sie ihm nur kurz zu und verschwand dann hinter der Badezimmertür. Gino lachte nur und nahm dann seine Beschäftigung wieder auf. Als Marika das Bad wieder verließ, hatte sie noch kurz Zeit um ihr Zimmer ein wenig aufzuräumen.

Schon wenige Minuten vor neun befand sich das Mädchen vor ihrer Haustür und blickte die Straße auf und ab. Pünktlich wie die Sonnenuhr hielt ihr Freund vor ihr.

„Hey! Na, alles klar?“, fragte sie erfreut während sie einstieg und sich anschnallte. Er lächelte und nickte kurz. Marika hatte Probleme etwas zu erkennen, da im Auto kein Licht war und die Laterne draußen auch nicht wirklich erhellend wirkte. Ohne ein weiteres Wort fuhr er los. Zu Beginn konnte das aufgeregte Mädchen noch erkennen, wo sie sich befand. Aber kurz nachdem sie die Stadt verließen, hatte sie die Orientierung völlig verloren. Obwohl die Gegend ihr gänzlich unbekannt vorkam, waren sie insgesamt nur eine knappe halbe Stunde gefahren.

„Und wo sind wir jetzt?“, wollte sie nun wissen, als er anhielt und das Auto abstellte.

„Lass dich überraschen.“, meinte er nur und stieg aus. Nachdem er noch eine Tasche aus dem Kofferraum geholt hatte, ging er mit ihr einen schmalen Weg entlang, der zu einem kleinen See führte. Marika blieb stehen und beobachtete das glitzern des Wassers, als sie dann bemerkte, dass Chris eine kleine Böschung hinunter ging.

„Warte!“ Schnell lief sie ihm hinterher und verlor dabei fast die Balance. Er reichte ihr die Hand und führte sie dann zu einer geschützten Stelle am Wasser. Von dort hatte man einen weitreichenden Blick auf den See. Marika war beeindruckt. Nicht nur der Mond und die Sterne spiegelten sich im Wasser, auch unzählige Glühwürmchen tummelten sich darüber. Chris holte eine Decke aus seiner Tasche und breitete sie auf dem Gras aus. Sie setzten sich und redeten die erste Zeit kaum miteinander.

Die Grillen zirpten neben ihnen im hohen Gestrüpp und immer wieder summten die Glühwürmchen um sie herum. Sie verschwanden dann aber schnell wieder, wenn sich einer von ihnen bewegte.

„Das ist echt schön hier. Wie hast du diesen Ort gefunden?“

„Zufall. Seitdem komm ich öfters her. Eigentlich nur allein. Du bist die erste Person, der ich das zeige.“

„Danke.“

Der Nachthimmel war völlig klar, daher war es recht kühl in dieser Nacht. Da Marika mit so etwas nicht gerechnet hatte, trug sie nicht gerade passende Sachen. Sie zog ihren Rock immer wieder etwas nach unten und verschloss die Arme vor ihrer Brust.

„Ist dir kalt?“

„Ähh, na ja. Ist schon etwas kühl.“, antwortete sie. Sie sah in seinen ruhigen Augen, die ihr sagten ‚Komm her.’, denn er selbst schien es nicht zu können. Sie rückte näher und lehnte sich leicht an ihn.

Nur wenige Sekunden später legte er seinen linken Arm um ihre Taille. Es dauerte nicht lange und ihr war kaum noch kalt. Ganz im Gegenteil. Mit ihrer Hand spielte sie an seinem rechten Handschuh herum und lauschte mit dem Ohr an seiner Brust seinem Herzschlag. Sie bemerkte, wie sich der Herzschlag beschleunigte. Als sie nach oben sah, wendete auch er seinen Blick und sah ihr direkt in die Augen. Langsam kam er näher, wich aber dann wieder etwas zurück. Marika wusste, dass es bei ihr lag und diese Chance nutzte sie auch.

Sie kam seinem Gesicht näher und berührte seine Lippen. Kurz, aber viel sagend. Daraufhin schienen auch seine Hemmungen völlig gelöst und er küsste sie lang und innig. Als er den Kuss wieder löste, sah er sie nur noch kurz an und schaute dann wieder auf den ruhigen See. Marika beobachtete ihn noch kurz, bevor sie ihren Kopf wieder an seinen Oberkörper legte. Sie genoss die Stille und seine Wärme und war schon fast am einschlafen, als Chris sie unerwartet aus ihren Träumen riss.

„Wir sollten gehen. Es ist schon spät.“

Sie stöhnte. „Müssen wir wirklich?“

Er musste lachen, stand aber auf und zog sie hinter sich her. Auf dem Weg nach Hause war Marika wieder am dösen.

„Wir sind da.“, hörte sie jemanden sprechen, realisierte es aber nicht wirklich. Als sie dann eine Hand spürte, die ihrem Arm leicht entlang strich, öffnete sie doch die Augen und musste erkennen, dass sie sich nun trennen mussten. Er stieg zusammen mit ihr aus, um sie noch kurz zu verabschieden. Sie legte sich in seine Arme und machte damit eindeutig klar, dass sie nicht gehen wollte.

„Ich muss morgen wieder arbeiten.“

„Oh.“ Sie sah ihn an. „Dann sehen wir uns nicht mehr so oft?“

Er schüttelte den Kopf. „Wann immer du willst.“, meinte er nur und lächelte sanft. Sie nickte kurz und gab ihm noch einen leichten Kuss, bevor sie ins Haus ging. Drin sah sie noch aus dem Fenster und wartete, bis er wegfuhr. Sie winkte noch und wollte gerade nach oben gehen, als sie wieder dieses leichte Licht auf der anderen Straßenseite entdeckte. Diesmal erkannte sie auch einen leichten Umriss. Es stand also wirklich jemand dort. Als sie versuchte etwas zu erkennen, spürte sie eine Hand auf ihrer Schulter.

„Papa! Ich glaub’s ja nicht! Willst du mich töten?“

Ihr Vater sah sie erstaunt an.

„Was machst du hier?“

„Deine Mutter hatte mich angerufen. Weil du solange weg warst, hat sie sich Sorgen gemacht.“

„Oh...“

„Marika! Wo warst du denn nur!“

„Mama! Bitte. Ich bin erwachsen!“, antwortete sie genervt.

Kira atmete erleichtert aus und verschwand in der Küche. Marika sah verunsichert zur Seite.

„Was ist?“, wollte ihr Vater nun wissen. „Ach. Ich weiß nicht. Ich glaub, da ist immer irgendwer und beobachtet unser Haus.“

Ihr Vater ging an ihr vorbei und schob die Gardine leicht zur Seite. Er schien aber nichts zusehen.

„Bist du sicher?“

„Ja. Ich hab schon öfters was bemerkt, aber weil ich mir nicht sicher war, hab ich nichts gesagt. Aber gerade eben hab ich jemanden gesehen.“ „Okay. Am besten, wir sagen deiner Mutter erst einmal nichts davon. Sollte wieder etwas sein, rufst du mich sofort an. Verstanden?“

Marika nickte und beschloss dann ins Bett zu gehen. Dieser Abend wird ihr wohl ewig im Gedächtnis bleiben.

11
 

Zwei Wochen waren seit dem Abend vergangen. Nur selten hatten die Beiden sich in dieser Zeit gesehen. Meistens rief Marika Chris an oder er schrieb ihr eine SMS. Zwar hatte er beim Abschied an dem Abend gemeint, sie könne ihn sehen, wann immer sie wollte, jedoch wusste sie wie anstrengend Arbeit sein kann und wollte ihm seine Ruhe lassen.

Vor Langeweile wusste das junge Mädchen meist nicht was sie tun sollte. Immer wieder kam ihr in dieser Zeit das verlassene halb verbrannte Haus in den Sinn. Sie wollte unbedingt mehr darüber erfahren. Es war einfach zu spannend und ihr eben langweilig. Sie hatte sich für diesen Tag mit Ginger an dem Haus verabredet um sich dort einmal genauer umzusehen.

Der Zeiger ihrer Armbanduhr zeigte elf Uhr. Das Gothic-Mädchen lief angespannt vor dem geschlossenen Tor auf und ab. Sie hasste es warten zu müssen und am Meisten, wenn sie es kaum erwarten konnte etwas zu tun, gerade wenn es verboten war. Zehn Minuten später kam ihre Freundin um die Ecke gefahren.

„Sorry! Maus! Lucas hat...“

„Ich will es gar nicht wissen.“, lachte sie.

Ginger stutzte kurz. „Ja, ich glaub da hast du recht.“

„Also, bist du bereit das Fremde zu erkunden.“ Beide sahen das Haus an, dann blickte sie sich wieder an.

„Du gehst vor.“, bemerkte Ginger schnell. Marika zog ein vielsagendes Gesicht und ging dann zum Tor.

„Sieht zu aus.“, stellte sie fest. Trotzdem drückte sie leicht an die Tür. „Dann können wir ja wieder gehen!“, freute sich Ginger, da sie schon zu Beginn nicht sehr begeistert von der Idee war. Mit einem lauten Knarren öffnete sich das Tor.

„Ups. Anscheinend doch offen.“, triumphierte Mari und ging langsam über das Grundstück Richtung Eingang. Ginger seufzte lauthals und schlurfte dann hinter ihr her. Das Gebäude sah von außen recht baufällig aus, was nicht überraschend war, schließlich hatte sich jahrelang niemand darum gekümmert. Als sie die Stufen hinauf zur Eingangstür bestiegen, knarksten diese bedrohlich. Ginger verzog das Gesicht. „Ist doch nicht war.“, entglitt es Marika. „So was klischeehaftes.“ Als sie das Haus betraten, waren sie jedoch trotzdem sehr beeindruckt, denn von innen sah es noch aus, als würden die Besitzer gleich nach Hause kommen und ihren normalen Tagesablauf weiterführen.

Der Flur war groß und weiträumig, das Ende war jedoch in der Dunkelheit nicht zu erkennen. Marika sah sich begeistert um, während Ginger nicht wirklich begeistert war. Sie stand hinter ihrer Freundin und drehte sich zeitgleich mit nach links. Beide schrieen auf.

„Verdammt! Ich kriege noch einen Herzkasper wegen dir.“, meckerte Mari, weil es lediglich ihr Spiegelbild war. Sie gingen und sahen sich weiter um.

Alle Türen standen entweder offen, oder es waren gar keine vorhanden, so wie in einem klassischen amerikanischen Haus. Der erste Durchgang auf der linken Seite führte in die Küche. Eine schöne Küche, auch wenn nicht mehr ganz modern, dachte sich Marika in diesem Moment.

Ginger hingegen schien eher gedankenlos durch dieses Haus zu laufen. Während das Gothic-Mädchen weiterhin die Einrichtung im Wohn- und Esszimmer betrachtet, war ihre Freundin schon weiter gegangen.

„Die Bücher sind völlig staubig. Ist ja schlimmer, als in unserer Bibliothek.“, witzelte Marika. „Ginger?“

„Ich bin hier!“ Aus dem Esszimmer, im hinteren Teil des Raumes, führte ein zweiter Ausgang in den Flur. Marika begab sich zu ihrer Freundin, die am Ende der Treppe stand. Ein Teil führte nach unten. Wahrscheinlich in den Keller.

Der andere in den oberen Teil.

„Sieht ja übel aus.“

„Ich sagte doch, dass der obere Teil völlig ausgebrannt ist.“

Durch das fehlende Licht bemerkte man die Schwärze durch den Ruß gar nicht wirklich.

„Los!“

„Wie? Du willst da hoch? Bist du irre? Da könnte alles zusammenfallen.“ „Ach komm. Haste Angst oder was?“, sie streckte Ginger die Zunge raus und ging vorsichtig die Treppe rauf. Ginger stand nun allein unten und hörte es in jeder Ecke knarren.

„Marika warte!“

Alles ausgebrannt, schwärzer als schwarz. Kaum ein Möbelstück konnte noch identifiziert werden. Fünf Räume befanden sich im Obergeschoss. Einer war so sehr verbrannt, dass wirklich nichts mehr zu erkennen war. Kein Einrichtungsstück, nichts. In den anderen waren Betten oder Schränke noch zu erraten, aber dort.

„Hier muss der Brand begonnen haben. Echt schlimm.“

„Marika bitte. Lass uns gehen. Ich hab ein ganz schlechtes Gefühl.“ Marika hörte ihr anscheinend gar nicht zu, sondern ging immer weiter. Das letzte Zimmer auf der rechten Seite schien ein Kinderzimmer gewesen zu sein. Nach dem, was noch zu erkennen war, schien das Kind noch im Jugendalter gewesen zu sein. Vielleicht 11 oder 12 Jahre. „Stell dir mal vor, was für ein schönes Leben dieses Kind hätte haben können.“

„Ähh, was....ja.“ Ginger schien immer nervöser zu werden. „Marika echt. Irgendwas stimmt hier nicht.“

„Was denn?“

„Spürst du das denn nicht? Als ob uns jemand beobachtet.“, flüsterte sie. „Erzähl keinen Quatsch. Wer bitte soll uns hier beobachten?“ Ihr Handy klingelte. Ginger war vor Schreck an die Wand gehopst. Marika verdrehte die Augen.

„Hallo?....Chris, hey.....Wo ich bin? Ähmmm, ich bin bei Ginger.“ „Interessant. Ich hab heute früher Feierabend gemacht. Wollt dich ins Kino einladen.“

„Klar. Gegen sieben?“

„Warum nicht.“

„Gut, dann sehen wir uns.“

„Ja und sei vorsichtig.“

„Was? Chris?“ Er hatte schon wieder aufgelegt. Was meinte er denn damit? Ein lautes Knallen aus der dem Erdgeschoss war zu hören. Beide sahen sich erschrocken an.

„Was war das?“ Marika zuckte mit den Schultern und ging langsam zur Treppe.

Es schien wirklich jemand im Haus zu sein. Aber wer? Hörte sie da jemanden die Treppe in den Keller hinunter laufen?

„Marika?“

„Psschh...Los komm! Wir hauen besser ab.“

„Das sag ich schon die ganze Zeit.“ Vorsichtig begaben sie sich in den unteren Flur. Ginger ging sofort Richtung Ausgang. Marika dagegen blieb an der Treppe und sah vorsichtig in den Keller.

„Marika.“, flehte Ginger. Ein lautes Krachen aus der Küche, als ob ein Topf hinunter gefallen ist. Jetzt schien es auch Marika zu unheimlich zu werden und beide rannten aus dem Haus, ohne sich noch mal umzusehen.

Als sie vom Grundstück waren, drehten sie sich noch einmal, es war jedoch niemand zu sehen.

„Was zum Teufel war das?“

„Ich hab dir gesagt, wir sollten das nicht tun.“

„Ach komm. Wahrscheinlich war das nur’ne Katze oder so was.“

„Also ich geh da bestimmt nicht noch mal rein. Wir sehen uns.“ Ginger nahm ihr Fahrrad und fuhr in Richtung ihres Hauses. Marika seufzte und nahm nun ihr Rad, um auch zu fahren.

Die Sonne hatte schon begonnen hinter dem Horizont zu verschwinden, als sie zu hause ankam.

Pünktlich um sieben stand Chris vor der Tür.

„Man kann sich echt voll auf dich verlassen.“, freute sich Marika, als sie aus der Tür kam. Chris stand an seinen Wagen gelehnt und schien auch nach dem Begrüßungskuss nicht wirklich glücklich zu sein.

„Alles okay?“

Er nickte. „Steig ein. Hast du dir schon einen Film ausgesucht?“

„Ach, weiß nicht. Vielleicht 2012. Da wo die Welt untergeht. Soll richtig gut sein.“

Den ganzen Abend sprach Chris kaum ein Wort. Er war wieder genauso, wie zu Beginn als sie sich kennen gelernt hatten, nur mit dem Unterschied, dass sie jetzt so was wie ein Paar waren.

Nach dem Film gingen sie noch eine Runde spazieren. Die frische Abendluft war Gold für Marika.

„Sag, bist du irgendwie sauer auf mich?“ Chris sah sie überrascht an. „Wie kommst du darauf?“

„Du sprichst schon den ganzen Abend nicht wirklich mit mir und schaust immer böse.“

„Ich schau doch immer so.“

„Nein, nicht so.“

„Es ist nichts.“, beteuerte er ihr mit liebevollem Blick.

Marika lächelte. „Okay.“

Sie gingen weiter und waren nun fast wieder am Auto.

„Was hast du heute eigentlich mit dem vorsichtig gemeint?“ Er reagierte nicht.

„Am Telefon, als du mich angerufen hattest.“

„Hab ich das gesagt? Kann mich nicht erinnern.“ Sie war verwundert. Irgendwas stimmte nicht, sie wusste bloß nicht, was.
 

Es schüttete wie aus Eimern während es blitzte und donnerte.

Das alte Haus sah im Regen schwer bedrohlich aus und der Wind schien es zum wanken zu bringen.

„So eine verdammte Scheiße. Warum muss das immer regnen?“ Marika konnte es sich nicht verkneifen noch einmal in das Spukhaus zu gehen, auch wenn sie es diesmal allein tun musste. Sie betrat, völlig durchnässt, abermals das Gebäude und es schien alles ganz ruhig. Jedoch war ihr klar, dass es beim ersten Mal auch nicht anders war. Vorsicht war also das höchste Gebot. Langsam bewegte sie sich zur Küche und sah sich diesmal genauer um. Am Tag zuvor hatte sie ja keine wirklich Chance dazu. In diesem Raum fand sie jedoch nichts, was wirklich interessant war. Im Wohnzimmer betrachtete sie sich die Bilder an der Wand und die, welche noch aufgestellt war. Anscheinend hatte keine von den übrigen Verwandten Interesse an den Erinnerungen, oder waren keine mehr da? Als sie jedoch genauer hinsah, erkannte sie, dass auf keinem Bild die Familie abgebildet war.

Es waren Fotos von Landschaften, Gebäuden, Städten. Keine Menschen. Zumindest keine auf denen die Familie zu sehen sein könnte. „Komisch.“ Warum stellt man sich keine Bilder von der Familie hin? Oder vielleicht hatte ja doch noch jemand Interesse daran. Langsam bewegte sie sich durch den Raum, um nicht ein Detail zu übersehen. Als sie wieder im Flur angekommen war, wurde ihre Neugier erneut von der Treppe gepackt.

Diesmal jedoch nicht vom Aufstieg, sondern vom Abstieg. Wieder sah sie vorsichtig hinunter, erkannte aber nichts. Das junge Mädchen drehte sich noch einmal und sah draußen einen hellen Blitz aufleuchten, gefolgt von einem lauten Donnern.

Dann schlich sie langsam die Treppe hinab. Unten stand sie nun vor einer Tür. Groß und massiv. Sie atmete tief ein, nahm die Klinke in die Hand und drückte fest. Nichts passierte.

„Verdammter Dreck! Wer schließt in einem verlassenen Haus die Tür ab??“, meckerte sie lauthals vor sich hin. Mit voller Wucht trat sie gegen die Tür.

„Oh scheiße... das hätte ich besser nicht gemacht.“ Stechende Schmerzen bohrten sich durch ihr rechtes Bein. Aber dann! Was war das? Ein Knarren einer Tür? War da schon wieder jemand? Diesmal konnte sie sich schlecht verstecken, wenn derjenige in den Keller ging.

Sie wartete einige Minuten aber nichts passierte. Sie pustete die Luft aus, die sie vorher angehalten hatte. Es schien doch niemand da zu sein. Sie stand noch eine Weile vor der geschlossenen Tür, hatte aber keine konstruktive Idee diese auf zu bekommen.

„Beim nächsten Mal bring ich eine Brechstange mit. Das kannst´e wissen.“, bedrohte sie völlig sinnlos die Tür. Die interessierte das auch. Dann machte sie sich wieder auf den Weg aus dem Keller und wollte noch einmal nach oben, wurde aber von ihrem Handy aufgehalten. Als sie rangehen wollte war nur ein lautes knistern und knarren zu hören. „Hallo?“ Sie hörte eine verzerrte Stimme, verstand aber kein Wort.

„Wer ist denn da?“ Mit einem Mal war nur noch das Freizeichen zu hören.

Marika packte das Telefon wieder weg und im nächsten Moment hätte sie schwören können, dass die Eingangstür zugefallen war. Auch wenn sie eigentlich nach oben wollte, war sie nun von der Neugier gepackt. Wenn da jemand hinaus gegangen war, müsste er doch noch auf dem Grundstück zu sehen sein. Schnell lief sie nach vorn und öffnete die Tür. Das Gewitter war vorbei und es schien nun die Sonne und wärmte die Erde. Es waren zwar nur knapp fünfzehn Grad, aber trotzdem schön. Niemand war zu sehen. Marika war genervt. Was war nur mit diesem Haus los? Hörte sie die ehemaligen Bewohner ein- und ausgehen? Es war schon später Nachmittag und sie hatte ihrer Mutter versprochen pünktlich zu hause zu sein, da sie noch weg wollten. Also musste sie wohl später noch einmal hierher kommen. Sie verließ das Grundstück und schritt nachdenklich die Straße entlang als sie jemand von hinten packte.

12
 

Ihr blieb fast das Herz stehen. Dann erkannte sie ihren Freund vor sich und der Ballast kullerte wieder von ihr.

„Mensch, ich hab dir doch gesagt, dass du das nicht mehr machen sollst. Ich sterbe bald.“, meinte sie einerseits ernst andererseits auch erfreut ihn zu sehen. Als sie dann bemerkte wie starr und böse sein Blick war, verschwand ihr Lächeln jedoch. Als sie gerade das Wort ergreifen wollte, kam er ihr zuvor.

„Was wollte du in diesem Haus?“, sprach er ohne einen bestimmten Ausdruck.

„Nichts Besonderes. Ich..“

„Ich will wissen was du da wolltest?“ Er schrie förmlich, was ihr Angst machte. Er ging auf sie zu bis sie direkt an der Mauer stand. Sie begann zu zittern. Was war nur mit ihm los?

„Ich will dich nie wieder hier sehen. Hast du verstanden?“ Marika antwortete nicht, sondern starrte ihn nur an.

Diese Aggressivität, die er in seinen Augen hatte. Dieser Blick war noch viel schlimmer war, als der von dem Abend auf der Aussichtsplattform.

„Ob du verstanden hast?“, fragte er energischer und lauter.

„Ja.“, antwortete sie heiser.

Er ließ von ihr ab und schien nun beruhigt. In Marika hingegen begann Wut aufzubrodeln.

„Du solltest jetzt nach hause gehen.“ Sie ging einen Schritt auf ihn zu, sah ihm direkt in die Augen und holte aus. Mit voller Kraft langte sie ihm eine und rannte dann weg.

„Du bist echt unglaublich.“, war das Einzige, was sie noch herausbekam und dies war wirklich nicht positiv gemeint.
 

Sie schlug die Tür hinter sich zu und stürmte sofort an ihrer Mutter vorbei in ihr Zimmer.

„Marika?“ Kira sah ihr besorgt nach. Nach kurzem Überlegen folgte sie ihrer Tochter. Sie fand diese auf ihrem Bett vor, völlig aufgelöst.

„Was ist denn passiert, Schatz?“, fragte sie während sie neben ihr Platz nahm. Sie schüttelte nur den Kopf und versuchte angestrengt ein Lächeln vorzubringen.

„Du willst bestimmt nicht mitkommen, oder?“ Nein, auf heile Familie hatte sie nun wirklich keine Lust.

„Na gut. Dann leg dich mal hin und ruh dich aus.“
 

Drei lange Tage machte sie nichts anderes außer Herumliegen und Trübsal blasen. Einerseits war sie stinksauer auf Chris, andererseits bedeutete er ihr soviel. Sie wusste einfach nicht, was sie tun sollte. Am Abend machte sie einen Spaziergang. Sie brauchte einfach Luft nachdem sie drei Tage kein Tageslicht gesehen hatte. Am Tag wollte sie jedoch nicht raus. Nachher wäre sie noch jemanden begegnet. Im Dunkeln war es einfach entspannender. Sie lief sehr weit, bis zu einem nahegelegenen Fluss. Über diesen führte die Brücke zur Stadt. Sie stellte an das Geländer und betrachtete das Wasser im Mondschein. Es glänzte mit jeder leichten Welle anderes und auch die darüber fahrenden Schiffe waren schön anzusehen mit den vielen Lichterketten. Die Stille wurde jedoch jeher gestört.

„Was willst du? Mich wieder anschreien? Weil ich allein draußen bin? Im Dunkeln.“

Ihr war schon vor eine Weile aufgefallen, dass ihr Freund ihr wieder folgte. Sie bekam keine weitere Antwort. Er stellte sich nur neben sie und blickte ins Leere.

„Ich weiß, du meinst das gut. Warum auch immer, aber sag mir doch mal, wie ich dir jemals wirklich vertrauen soll, wenn du mir nie etwas sagst? Ich meine, ich weiß noch nicht mal deinen Nachnamen. Nichts erzählst du mir.“, sie begann zu weinen.

Marika spürte seine Umarmung und die Wärme, die ihr fehlte.

„Es tut mir Leid. Ich weiß, du willst keine Entschuldigungen mehr hören.“, flüsterte er ihr ins Ohr. „Ich hab einfach Angst um dich.“

Sie drückte ihren Kopf an seinen Oberkörper.

„Echt?“, fragte sie leise. Sie spürte sein Nicken. „Ich würde so gern bei dir bleiben.“

Er nahm ihre Hand und ging mit ihr Richtung Stadt. Sie liefen durch einige Straßen und nach einer halben Stunde kamen sie an einem großen Block an. Als sie über den Parkplatz liefen, erkannte Marika den Wagen von Chris. Wahrscheinlich wollte er sie nun wieder nach Hause fahren. Es war ja schon spät, wie er es immer ausdrückte. Aber er blieb nicht am Auto stehen sondern zog sie weiter zum Eingang des großen Gebäudes. Sie nahmen den Fahrstuhl und fuhren in die sechste Etage. Das Haus sah recht mitgenommen aus. Eben ein völlig normaler Block.

„Was wollen wir hier?“

„Du willst doch bei mir bleiben.“, meinte er nur und schloss mit seinem Schlüssel eine der Türen auf. Er hatte sie wirklich mit in seine Wohnung genommen. Aufregend. Chris ging vor, hing seine Jacke weg und verschwand in einem der Räume. Marika tastete sich erst einmal vorsichtig vor. Einen Meter hinter dem Eingang begann das Wohnzimmer. Chris schien in der Küche verschwunden zu sein. Daneben befand sich das Bad und auf der gegenüberliegenden das große Schlafzimmer. Es war recht gut eingerichtet. Man sah der Wohnung an, dass Chris nicht wirklich viel von solchen Äußerlichkeiten hielt. Sie sah sich weiter um, fand aber nichts, was auf seine Familie hindeutete. Keine Fotos oder etwas Ähnliches. Sie begab sich zu ihm in die Küche. Er bereitete Tee zu und schien wie immer völlig abwesend während er wartete bis das Wasser heiß war. Das Mädchen lehnte sich gegen ihn, was ihn aus seinen Gedanken riss. Kurz lächelte er und wendete sich dann wieder dem Tee zu.

Gegen 22 Uhr saßen sie immer noch auf der Couch und genossen die Ruhe. Auf die Frage, warum er keine Erinnerungen an seine Familie irgendwo stehen hatte, antwortete er nur mit einem trüben Blick und meinte

„Ich hab genug davon in mir.“ Marika beließ es dabei und genoss seine Nähe einfach. Als sie ihre Uhr piepen hörte, setzte sie sich auf und streckte sich.

„Willst du schlafen?“, fragte er nach. Sie nickte nur und sah ihn müde an. Als er aufstehen wollte, hielt sie ihn fest und küsste ihn sanft. Erst einmal, dann zweimal. Im nächsten Moment fiel sie weich. Sie spürte seine Küsse, heiß brennend auf ihrer Haut. Immer weiter, immer inniger. Jedes Kleiderstück das fiel, war wie eine Erleichterung für sie und jede Berührung wie ein Inferno. Brennende Leidenschaft überkam sie. Es wechselte sekündlich zwischen heiß und kalt. Die Luft blieb ihr weg und kein Wort kam mehr über ihre Lippen. Die Berührungen an den empfindlichsten Stellen ihres Körpers ließen sie aufschreien und immer weiter wühlten sie sich in die Ekstase hinein. Ein leichter Schubs und sie sah nun auf ihn herab. Tiefe erotische Blicke wurden ausgetauscht und immer wieder leidenschaftliche Küsse gewechselt. Als er sich aufrichtete, lief Marika ein kalter Schauer über den Rücken, auf den sie aber auf keinen Fall verzichten würde. Sie spürten den heißen Atem, der nur schwer über ihre Lippen glitt. Wieder Blicke. Blicke die soviel sagten, mehr als tausend Worte. Sie strich ihm über die trockenen Lippen und schloss immer wieder die Augen, da es ihr sichtlich schwer fiel, sie offen zu halten. Die Gefühle erschlugen sie allmählich. Aber sie wurde gefangen, immer und immer wieder. Jeder Kuss war die Erlösung und genauso die Gefangennahme. Aber sie ließ sich gern gefangen nehmen, solang er es tat und sie nie wieder gehen lassen würde. Ihre Kraft schwand mit jeder Sekunde, so dass sie ihren Kopf auf seine Schulter senken musste. Sie klammerte sich an ihn, um nicht den Halt zu verlieren. Die Berührungen seiner Lippen an ihrem Hals fühlten sich an, wie einzelne Funken, die immer und immer wiederkehrten. Sie spürte seine Finger langsam an ihrem Rückrad hinunter gleiten. Das weiche Material seine Handschuhe legte sich sanft auf ihrer Haut nieder, was sie nicht weiter störte. Vorsichtig hob sie ihren Kopf wieder und legte ihre Stirn an seine. Ihre Augen waren geschlossen während er seine nicht von ihr lassen konnte. Ein langer leidenschaftlicher Kuss und ein Gefühl der völligen Verbundenheit und Wärme beschwor das Ende herauf. Nicht das Ende der Leidenschaft, nur das Ende von Atem- und Gedankenlosigkeit. Ein Schrei der Befreiung. Auch jetzt ließen sie sich nicht los. Sie schafften es nicht voneinander, zu fest war der Griff. Es dauerte noch einige Zeit, bevor sie in seinen Armen lag, ihre Hand strich langsam von seinem Hals den Oberkörper hinunter. Er hatte die Augen geschlossen und atmete tief ein und aus. Langsam schliefen sie ein ohne ein weiteres Wort.
 

Als Marika die Augen öffnete, war es noch dunkel draußen. Sie konnte nur schwer die Ziffern der Uhr erkennen, die wohl 3.47 Uhr anzeigte. Langsam richtete sie sich auf, kurz musste sie sich schütteln als die Decke ihren unbekleideten Körper hinunter strich. Chris war nicht im Raum. Das junge Mädchen streckte sie und stand dann auf, um in seinem Hemd bekleidet, durch die Wohnung zu schleichen. In der Küche brannte ein kleines Licht. Er saß dort, den Kopf auf die Hände gestützt. Langsam näherte sie sich ihm, ohne das er es zu bemerken schien. Als er jedoch ihre Hand auf seiner Schulter spürte, schreckte er auf. Marika zog ihre Hand sofort zurück.

„Entschuldige. Ich wollt dich nicht erschrecken.“, meinte sie leise.

„Alles okay?“ Der Verschlossene legte sich nur kurz die Hand an die Schläfe, stand dann auf und ging wieder ins Schlafzimmer. Ohne weitere Worte folgte sie ihm. Chris blieb am Fenster stehen und sah kopfschüttelnd hinaus.

„Was ist?“ Marika lehnte sich an seinen Rücken.

„Das ist nicht richtig.“

Stutzend sah sie auf. „Du dürftest gar nicht hier sein.“

Sie versuchte ihm in die Augen zu sehen, denn sie glaubte sich verhört zu haben.

„Chris?“

Er schüttelte nur den Kopf.

„Das kannst du doch nicht ernst meinen.“

Er antwortete nicht.

„Willst du mir sagen, dass dir das alles nichts bedeutet?“

„Was? Das hab ich...“

„Doch! Du willst mich also nicht hier haben, aber zum Sex bin ich gut genug, ja? Du bist…“ Die Wut von drei Tagen zuvor brodelte wieder hoch. Wie an diesem Tag wollte sie ihm eine knallen aber diesmal kam er ihr zuvor. Er packte ihren Arm, zog sie an sich und küsste sie leidenschaftlich. Leise Tränen rollten seine Wangen hinunter und trafen ihr Gesicht. Marika löste den Kuss und sah in ein trauergetränktes Gesicht. Seine Stirn drückte an ihre. Auch wenn sie jetzt hundert und mehr Fragen im Kopf hatte, sie konnte ihn nur an sich drücken. Noch nie hatte er soviel von sich gezeigt, wie in dieser Nacht und das bedeutet ihr sehr viel, auch, wenn sie immer noch nicht alles verstand.

13
 

Chris war am Morgen schon weg gewesen. Er hatte nur einen Zettel hinterlassen.
 

Musste früh los. Wollte dich nicht wecken. Zieh die Tür hinter dir einfach zu, wenn du gehst.
 

Chris
 

Unpersönlich wie immer, dachte sie sich nur und sprang unter die Dusche. Als sie die Küche betrat, war sie sichtlich beeindruckt. Ein wunderschön gedeckter Tisch erstreckte sich vor ihr. Er musste sich wirklich Mühe gegeben habe. Er hatte Tee gekocht, Müsli und Brötchen standen bereit und eine rote Rose rekelte sich auf ihrem Teller. Nach ausgiebigem Frühstück machte sie sich auf den Weg nach Hause. Sie wollte gar nicht wissen, wie ihre Mutter reagieren würde. Sie war lange nicht über Nacht weg gewesen und dann auch noch ohne etwas zu sagen. Ob sie wohl wieder ihren Vater eingespannt hatte? Oder sie saß seelenruhig auf ihrem Sessel, strickte fröhlich vor sich hin und würde sich ihren Teil denken. Wie damals, als sie das erste Mal bei Lucas übernachtet hatte. Unterschiedliche Gedanken schossen ihr durch den Kopf, während sie so die Straße herunterlief. Diese waren nur die harmlosen. Immer wieder musste sie an die heiße Nacht denken, an seinen schweißnassen Körper und die starken Arme, in denen sie geschlafen hatte. Aber auch an die Wut, die Verzweiflung und die Tränen des letzten Tages. Das erste Mal hatte auch Chris eine andere Seiten von sich gezeigt. Dann noch das Horrorhaus. Wieder kam es ihr in den Sinn. Trotz das sie Chris irgendwie versprochen hatte, wenn auch nur vor Angst, nicht wieder dorthin zu gehen, interessierte sie dieses Haus immer noch. Und was sie noch mehr interessierte, wer war die Person, die immer durch das Haus schlich und warum schien Chris genau zu wissen, wo sie war? Wusste er auch am ersten Tag, dass sie mit Ginger da war? Hatte er den Krach in der Küche verursacht?
 

Im Haus war es vollkommen still. An scheinend war keiner zu hause. Marika war leicht verwundert.

„Hatte meine Mutter gestern was gesagt? Ich habe zur Zeit echt nur ein Brett vor dem Kopf.“

In der Küche fand sie einen Zettel.
 

Hallo mein Schatz! Bin beim Sport und gehe mit einer Freundin danach etwas essen. Bin mir noch nicht sicher, wann ich wieder zu hause bin. Deine Mama
 

Jetzt viel es ihr wieder ein. Davon hatte ihre Mutter ja schon lange vorher gesprochen, weil sie sich so auf ihr neue Freizeitaktivität gefreut hatte. Aber was wunderte sie sich eigentlich über ihre Vergesslichkeit, schließlich war in der letzten Zeit soviel passiert.

Einige Tage vergingen, ohne dass sie noch einmal zu diesem Haus gegangen war, auch wenn sie manchmal stundenlang über nichts anderes nachdachte. Auch Chris schien wie vom Erdboden verschwunden zu sein. Seit der Nacht hatte er sich nur noch einmal gemeldet, und zwar am Abend, um sich zu erkundigen, ob sie gut nach Hause gekommen sei. Marika versuchte sich keine weiteren Gedanken deswegen zu machen, denn schließlich war es nicht das erste Mal. Chris hatte ja auch noch ein Leben neben ihr. Seine Arbeit nahm ihn anscheinend auch immer sehr in Anspruch. Er meinte wohl mal, er arbeite mit Computer. Wahrscheinlich so ein EDV-Typ oder so. Marika hatte davon ja nie wirklich Ahnung gehabt. Aber das Wort Arbeit brachte auch ihrer Mutter ins grübeln.

„Sag mal Schatz. Du hast doch noch solange Zeit, bis du deine Ergebnisse bekommst und es dann weitergeht. Willst du nicht ein bisschen jobben gehen? Wäre doch mal eine gelungen Abwechslung in deinem Leben.“, forderte sie fröhlich.

Es dauerte keine zwei Tage und schon stand sie beim Lieferservice des besten Pizzabäckers der Stadt.

„Also! Es gibt nicht viel zu sagen. Du bekommst ein Fahrrad und einen kleinen Stadtplan und lieferst dann die Pizzen an die Leute aus. Klaro?“ „Joar.“ ‚Bin ja nicht völlig behämmert.’ Sie sah durch diese Beschäftigung Teile der Stadt, in die sie niemals Einsicht haben wollte und sträubte sich dagegen nach Einbruch der Dunkelheit auszuliefern.

Nicht nur, dass in bestimmten Teilen der Stadt, die Leute nur auf so was wie sie warteten. Nein! Auch ihr Vater hatte wieder mal eine Warnung rausgeschickt. Nachdem sich der Aufruhr wegen dem entflohen Straftäter wieder gelegt hatte und davon ausgegangen wurde, er sei wieder aus der Stadt geflüchtet, sollen ihn jetzt vereinzelt Bürger erkannt haben. Er wurde jedoch immer noch nicht gefasst und ihr Vater sorgte sich natürlich.

„Zwei Wochen!! Verstehst du das?! ZWEI GANZE WOCHEN!!!! Du glaubst gar nicht, wie mich der Geruch von frisch gebackener Pizza ankotzt.“

„Dafür haust du aber ordentlich rein!“, lachte Ginger.

„Alles Frust. Ich glaub ich hab auch schon richtig gut zugenommen.“ Ginger hatte kurz vor Marikas Feierabend noch eine Pizza bestellt, um Marika auch mal wieder zu sehen. Seit der Sache mit dem Horrorhaus hatten sie nur noch telefoniert, weil einer von beiden immer keine Zeit hatte.

„Was ist eigentlich mit dir und diesem Kai geworden? Hast bist jetzt noch gar nichts weiter erzählt.“, neckte Mari ihre Freundin.

„Ach, ganz gut.“, versuchte diese sie abzuwimmeln.

„Oh nein! Versuch das nicht! Du weißt doch wie anstrengend ich da werden kann, wenn man mir nicht alles haarklein erzählt – Zumindest, wenn ich es auch wissen will.“

„Na ja, wir haben uns noch ein paar Mal getroffen und jetzt gehen wir halt miteinander.“

„Ui, der alte Steinzeitbegriff aber total süß.“

„Und bei dir? Hat er sich mal wieder gemeldet?“

„Nicht wirklich. An sein Handy ist nicht rangegangen, nur auf ein paar meiner SMS hatte er geantwortet. Er hätte zurzeit viel auf Arbeit zu erledigen und wäre immer erst spät zu hause. Aber wenn er wieder ein bisschen Freiraum hat, will er sich melden.“ Ihr Handy klingelte.

„Das wird er doch wohl nicht sein! Hallo Baby, hab endlich Zeit! Lust auf eine kleine Spritztour?“, meinte Ginger lachend mit verstellter Stimme. „Erstens redet er so nicht und zweitens hat er vor sieben nie Feierabend.“

Ginger zuckte nur mit den Schultern und ließ sich in den Stuhl zurückfallen. Auf dem Display des Handys stand nur Nummer unterdrückt.

„Hallo?“

„Hallo Marika….“

„Hallo?? Wer ist da?“

„Ich hab eine Überraschung für dich. Du weißt wo!“ Mit einem Satz stand Mari.

„Was wollen Sie? Hallo?“ Das Freizeichen war zu hören.

„Alles okay?“

„Nicht wirklich. Irgendein Spinner, der mich anscheinend kennt.“

„Und was wollte er?“

„Anscheinend hat er eine Überraschung für mich und ich soll wohl wissen wo.“

Die Fragezeichen über Gingers Kopf stapelten sich nur so hin.

„Schau mich nicht so an. Ich hab keine Ahnung wovon der gesprochen hat. Obwohl…“

„Was!?“

„Die Stimme kam mir irgendwie bekannt vor. Ich glaub, der hat mich schon mal angerufen.“

„Was glaubst du, hat der mit dieser Überraschung gemeint.“

„Is mir echt voll egal. Langsam glaub ich echt, ich hab einen Magneten am Hintern für Durchgeknallte. Chris ist zwar jetzt handlicher und ein wenig verständlicher, aber irgendwie ist bei ihm auch noch was im Busch und jetzt kommt der nächste Idiot und nervt. Echt, das kotzt mich gerade voll an.“

„Was machst du jetzt?“

„Na ja…“ Ihr Handy klingelte erneut. Voller Wut nahm sie ab.

„Jetzt pass mal auf, du Trottel!“

„Entschuldigung? Ich glaube wohl, ich hab mich gerade verhört!“ Diesmal war es der Chef der Pizzeria.

„Oh, ich bitte vielmals um Verzeihung! Ich dachte, sie wären jemand anderes.“

„Das will ich jawohl hoffen. Ich wollte nur Nachfragen, ob mit morgen alles klar geht und ich mich auf dich verlassen kann.“

„Natürlich. Ist doch kein Problem für mich.“ Nach nochmaliger Entschuldigung legte sie auf und ließ sich auch wieder auf dem Stuhl nieder, um den Kopf auch gleich auf den Tisch fallen zu lassen.

„Ich hatte fast vergessen, dass ich morgen den Laden führen muss.“ „Bitte? Du arbeitest doch noch gar nicht solange da und eigentlich doch auch als Lieferant.“

„Ja, aber er hat zu mir das meiste Vertrauen, weil meine Eltern und er, die kennen sich doch schon ewig und ich bin ja so zuverlässig. Na ja, auf jeden Fall hat er morgen einen wichtigen Termin außerhalb und da hab ich zugesagt, auf den Laden zu achten.“

„Du traust dir was.“, lachte Ginger nun wieder.

„Okay! Ich mach mich dann mal nach Hause. Wird schon dunkel und so wie ich meinen Vater kenne, macht der heute mal wieder Visite.“

„Alles klar. Aber sei vorsichtig, ja? Du weißt schon…wegen diesem Anruf und so.“

„Ja ja.“, winkte Marika nur ab, schwang sich auf ihr Rad um loszufahren. Es dämmerte immer mehr und auch die Straßenlaternen waren schon angegangen. Nach langer Zeit fuhr sie an diesem Abend an dem Haus vorbei und wurde auch gleich wieder von diesem gefangengenommen. Sie lehnte ihr Fahrrad an die Mauer und blickte dann vom Tor aus auf das verfallene Haus. Warum nur wollte Chris nicht, dass sie sich hier aufhält? Sie verstand es einfach nicht. Hatte er vielleicht einen Bezug zu diesem Haus? Vielleicht wohnte ja damals ein guter Freund von ihm hier oder hatte einfach nur Angst, dass dieses alte Ding einstürzen könnte. Auch wenn ihr Drang noch so groß war, sie versuchte es zu unterdrücken und wollte sich gerade zum Gehen drehen, als sie oben am Fenster etwas sah. Erst ein kleines Licht, dann schien sich der Vorhang zu bewegen. Also hatte sie sich die letzten Male wirklich nicht eingebildet, dass da jemand im Haus herumlief. Jetzt wollte sie es wissen! Wer war die Person, die der Geist des Hauses zu sein schien. Schnell schnappte sie sich ihr Rad und fuhr um die Ecke. Dort war ein kleiner Absatz von dem aus man über die Mauer sehen konnte. Eine lange Zeit passierte nichts. Marika wollte schon aufgeben, da sie der Meinung war, die Person hatte den hinteren Ausgang genommen. Ihr Telefon klingelte. Wieder unbekannter Teilnehmer. Nun hatte sie wirklich genug. Dem würde sie jetzt mal richtig die Meinung geigen.

„Wer zum Teufel noch mal ist da?“

„Na na, man sollte nicht zu leichtfertig mit den Namen des Bösen umgehen.“

„Gut zu wissen.“

„Marika, willst du dir denn gar nicht deine Überraschung ansehen?“ „Klar, ich hab ja auch sonst nichts zu tun, du Spinner.“

„Ich dachte vorhin, du kommst sie dir ansehen. Schließlich standest du ja so voller Anmut und Begeisterung vor meinem Haus.“ Hatte er da gerade meinem Haus gesagt? Marika hatte nur vor einem Haus gestanden und das war das gleiche Haus gewesen, vor dem sie sich jetzt auch befand.

„Sag mir endlich was du von mir willst oder ich ruf die Polizei! Verstanden!“

„Du solltest lieber einen Krankenwagen rufen.“ Nach diesem Satz beendete er das Telefonat und Marika sah ein Auto mit quietschenden Reifen vom Grundstück wegfahren. Überraschung? Krankenwagen? Was war hier nur los?! Sollte sie es wirklich wagen und in das Haus gehen? Meinte er, sie solle einen Krankenwagen für sich rufen, nach dem Motto – Wenn du hier wieder lebend herauskommst! – Aber wenn dieser Kerl am Telefon derselbe gewesen war wie der im Wagen mit der Schallgeschwindigkeit, dann wäre der Arzt nicht für sie gedacht. Nach langem Hin und Her konnte sie sich selbst einfach nicht zurückhalten. Sie musste wissen, was gemeint war. Langsam betrat sie den Flur des Hauses. Da es nun schon fast um acht war, konnte man in dem Haus ohne Lampen natürlich kaum was erkennen. Als sie den Flur hinunterging, hatte sie das erste Mal vollen Respekt vor dem alten und kaputten Gemäuer. Jetzt verstand sie, warum es Ginger nicht noch einmal in dieses Gebäude verschlagen würde. Es war einfach bedrohlich. Trotzdem riss sich Marika zusammen. Und versuchte so wenig Angst wie nur möglich an sich heranzulassen. Unten schien alles ganz normal zu sein, zumindest sah sie weder im Wohnzimmer noch in der Küche etwas Ungewöhnliches. Als sie sich der Treppe näherte, bekam sie ein sehr flaues Gefühl in der Magengegend. Abstieg und Aufstieg nahmen sich nun vom Gruselfaktor überhaupt nichts mehr und wirkten wie ein alles verschlingendes schwarzes Loch. Es dauerte ein paar Atemzüge und paranoide Drehungen, bevor sie sich den Mut zusammengesammelt hatte die Treppe hinaufzusteigen. Oben hatte sie schließlich das kleine Aufblitzen und den wackelnden Vorhang gesehen. Der Flur im oberen Bereich des Hauses war völlig düster. Langsam tastete sie sich an der Wand entlang. Jedes Bild das sie berührte, brachte einen leichten Schauer mit sich, der sich über ihren gesamten Körper verteilte. Marika hatte das erste Zimmer auf der linken Seite fast erreicht, als sie über etwas stolperte. Es schepperte kurz und ein leichter Schmerz durchzog ihr Bein. Anscheinend hatte jemand einen Blumentopf aus dem Wohnzimmer hier hingestellt.

„Idiot, verdammter. Das büßt der mit noch.“ Sie stand wieder auf und merkte nun einen sehr intensiven stechenden Schmerz im Schienbein. Sie rieb sich die schmerzende Stelle und sah gleichzeitig zu dem Raum, in dem sie die Bewegung festgestellt hatte, der Raum wo, wohl damals der Brand begonnen hatte. Vorsichtig humpelte sie zu dem Zimmer und sah hinein. Es war jedoch auch dort zu dunkel, um etwas zu erkennen, da der Vorhang immer noch zugezogen war. Also musste sie ihn wohl öffnen. Als sie sich auf das Fenster zu bewegte, spürte sie einen leichten Luftzug. Hatte sich da etwas hinter ihr bewegt? Sie konnte den Gedanken gar nicht wirklich zu ende bringen, da merkte sie schon eine Hand auf ihrer Schulter. Vor Schreck schrie sie auf, sprang in Richtung Fenster und sah in den Raum.

„Marika?“ Diese Stimme. Das junge Mädchen konnte erst gar nicht reagieren, so tief saß der Schreck. Doch dann nahm sie sich zusammen und öffnete den Vorhang. Sie wusste, sie kannte die Stimme.

Chris stand an die Wand gelehnt, eine große stark blutende Platzwunde am Kopf.

„Oh Gott. Chris, was machst du denn hier.“ Er hielt sich den Kopf und atmete schwer.

„Zeig mal. Das sieht echt nicht gut aus. Ich ruf einen Krankenwagen. Los, setz dich auf den Boden.“

„Sie haben den Notruf gewählt. Mein Name ist Franke, was kann ich für sie tun?“

„Ja, hallo. Mein Name ist Marika und sie müssen schnell einen Krankenwagen zum Eichenweg 8 schicken. Mein Freund hat eine stark blutende Platzwunde am Kopf.“

„Wissen Sie was passiert ist?“

„Nein, ist mir gerade auch egal“, auch wenn es gelogen war, „er hat Schmerzen, also beeilen sie sich!“ Sie legte auf und streichelte über seine linke Wange.

„Was tust du hier?“

„Dir helfen?“, meinte sie süß und lieb.

Er sah sie daraufhin an.

„Sei nicht böse. Ich erkläre dir das nachher. Jetzt müssen wir erst einmal hier raus. Komm!“ Draußen setzten sie sich auf den Treppenaufstieg und warteten auf die Rettungskräfte. Jetzt wusste sie wenigstens was der Blumentopf oben zu suchen hatte.

Die Rettungskräfte waren schon nach kurzer Zeit da und nahmen beide mit ins Hospital. Dort stellte die angeforderte Polizei ein paar recht unangenehmen Fragen. Beide wurden natürlich unabhängig voneinander befragt, was Marika nervös machte. Sie wusste nicht, was sie dem Beamten erzählen sollte. Schließlich wusste sie auch nicht, was Chris sagte. Nachher würde es ihm Schaden, wenn sie was Falsches erzählen würde. Glücklicherweise war ihr Vater auch mit von der Partie. Er war es auch, der mit ihrem Freund gesprochen hatte. Als er aus dem Zimmer kam, sprang sie sofort auf.

„Und? Was hat er gesagt?“

„Nicht viel.“

„Wie immer.“

„Was wolltest du auf diesem Grundstück?“ Marika sah zur Seite.

„Weißt du, also ich...“ Sie sah ihren Vater kurz an. Man konnte der das gut. Verhören und nicht locker lassen. Das konnte sie noch nie leiden. „Mich hat jemand angerufen.“

„Der dir gesagt hat, wo er ist.“

„Nein. Er kannte meinen Namen und meinte, er hätte eine Überraschung. Ich wüsste wo. Später hat er dann wieder angerufen und gemeint, ich solle mir die Überraschung ansehen kommen und gleich einen Krankenwagen bestellen.“

„Aber du weißt nicht, wer es war.“ Sie schüttelte den Kopf. Die Sache mit dem Haus ließ sie aus gutem Grund weg. Ihr Vater musste nicht erfahren, dass sie mal aus Langeweile in ein leer stehendes Haus einbrach.

„Kann ich jetzt zu ihm?“ Ihr Vater schien nicht sehr begeistert. Anscheinend hatte er mitbekommen, dass Chris nicht so normal war, wie es sonst schien.

„Na gut. Aber nicht zu lang. Ich fahr dich dann gleich nach Hause.“

Mit gemischten Gefühlen betrat sie den Raum. Was würde jetzt wohl kommen. War er immer noch böse oder eher froh. Ruhig und langsam näherte sie sich dem Bett. Er lag auf dem Rücken und hatte beide Hände auf seiner Stirn liegen und die Augen geschlossen.

„Hast du starke Schmerzen?“ Er öffnete die Augen, lächelte kurz und hielt ihr seine linkte Hand hin. Freudig nahm sie diese und setzte sich auf den Rand des Bettes. Er sah sie die gesamte Zeit nur an, ohne auch nur einmal seine Miene zu verändern.

„Mein Vater kann ziemlich unangenehme Fragen stellen, oder? Also mich macht er damit immer fertig.“ Wieder keine Antwort.

Es schien so, als warte er auf was ganz Bestimmtes. Sie wusste auch auf was, schließlich war sie es selbst gewesen, die meinte es ihm später zu erzählen. Also erklärte auch sie ihm die ganze Sache mit den Anrufen. Danach schien er noch nachdenklich als sonst, während er so an die Decke starrte. Marika streichelte ihm währenddessen beruhigt über seine Hand. Erst jetzt wurde ihr bewusst, dass diese fast bis zum Ellenbogen auch bandagiert war. Stutzend sah sie die andere an. Auch diese hatte solch einen leichten Verband angelegt. Sie versuchte sich zu erinnern, ob er auch an den Händen verletzt gewesen war. Nein, nur am Kopf hatte er die Verletzung.

„Sag mal. Was ist eigentlich mit deinen Händen.“

„Was soll damit sein?“ Seine Antwort kam völlig emotionslos, während er sich aufsetzte.

„Na ja, sie sind bandagiert.“

„Und?“

„Entschuldige das ich frage, aber nachdem ich mich noch nicht mal beschwert hatte, dass du deine dämlichen Handschuhe sogar während wir es miteinander getan haben nicht ausgezogen hast, dachte ich du würdest vielleicht doch mal die Güte besitzen mit mir zu sprechen.“

Sie war aufgestanden und zum Fenster gegangen. Stur sah sie aus dem Fenster und wollte diesmal auch nicht nachgeben. Schließlich hatte sie dies oft genug getan und nun wollte sie endlich Antworten.

„Es fällt mir einfach schwer darüber zu sprechen.“

Marika zuckte leicht zusammen, da sie mit einer Antwort in diesem Moment nicht gerechnet hatte. Sie drehte sich wieder zu ihm.

„Über was?“

„Alles. Die ganzen Dinge die mal waren. Ich bin froh, dass du soviel zurückgesteckt hast. Auch wenn ich heute nicht an diesen Stellen verletzt wurde, vor lange Zeit schon.“

Marika viel es in diesem Moment noch viel schwerer als sonst seinen Worten zu folgen. Seine leise und raue Stimme brach immer wieder ab und die schwere in ihm war sehr gut zu erkennen. Gerade als die junge Frau beschloss sich wieder zu ihm auf Bett zu gesellen, öffnete sich die Tür.

„Entschuldigt, wenn ich störe, aber wir müssen jetzt wirklich los.“

Ihr Vater konnte echt in den dümmsten Momenten auftauchen. Leicht geknickt nickte Marika.

„Ich komm morgen auf jeden Fall vorbei.“ Er lächelte in sich hinein und sah sie nicht weiter an.
 

„Marika!! Was machst du denn immer?! Ich bin hier bald gestorben vor Sorge!“

Jonas hatte Kira also Bescheid gegeben. Hätte sie sich ja denken können. Er kann auch nichts für sich behalten.

„Ist doch alles okay. Nichts weiter passiert. Kann ich hoch?“

Ihre Mutter schüttelte verständnislos den Kopf. „Von mir aus. Ach, mir fällt gerade ein, dass ich dich ja noch an was erinnern sollte.“

„Und was?“, entsprang es ihr völlig genervt.

„Du sollst nicht vergessen morgen eine Stunde früher im Laden zu sein. Luigino will dir noch etwas erklären bevor er morgen fährt.“

„Ach so.“ Sie winkte ab und ging nach oben, schmiss sich auf ihr Bett und starrte die Decke an. Sie war gereizt, weil ihr Vater unbedingt im wichtigsten Moment in dieses dumme Patientenzimmer kommen musste, nur um sie nach Hause zu bringen und noch Volksreden mit ihrer Mutter zu halten. Sie war sich sicher Chris hätte ihr erzählt was ihn so bedrückt und warum er so komisch war. Jetzt musste sie bis zum nächsten Tag warten und das passte ihr gar nicht. Sie schreckte hoch, stöhnte und haute sich ein Kissen ins Gesicht.

„Verdammt! Die blöde Pizzeria!!!! Wer weiß wann ich da raus komme! Ach nö…“ Sie griff zu ihrem Handy um Chris noch schnell anzurufen und ihm zu sagen, dass es wohl später werden könnte.

Der Arzt meinte ja eh, er müsse noch den Rest der Woche dort bleiben, weil eine Gehirnerschütterung doch nichts ist, was man auf die leichte Schulter nehmen sollte. Das Freizeichen war zu hören aber niemand nahm ab. Sie ließ es bestimmt fünf Minuten tuten. Keine Reaktion am anderen Ende. Vielleicht schlief er ja schon. Eine kurze Nachricht getippt, dass sie morgen Vormittag noch mal anrufen würde und auf jeden Fall gegen Abend noch mal vorbei kommt. Dicker Smiley und ab die Post.

14
 

„Tina? Bist du noch anwesend?“

„Wie? Was?“

„Nein, wer. Der Kunde da.“ In der Pizzeria war den ganzen Vormittag nicht viel los gewesen. Marika langweilte sich mehr als sie erst dachte. Wie hielt Luigino das nur aus. In der Zeit wäre sie lieber bei Chris im Krankenhaus gewesen. Sie hätte eigentlich allen Grund in Gedanken zu sein, im Gegensatz zu Tina der dämlichen Kellnerin. Chris hatte ihr bis jetzt nicht geantwortet und auch jeder Versuch ihn noch mal anzurufen endete mit Fehlermeldung. Schleppend verging der Tag. Gegen fünf kam Ginger mit Kai zum Essen in das kleine Lokal. Sie brauchte eine Weile um Marika auf sie aufmerksam zu machen, aber nach einigen Versuchen hatte sie es geschafft. Marika sagte Tina, sie solle die Telefonbestellungen annehmen und begab sich zu ihrer Freundin.

„Na ihr Beiden. Was darf es denn sein.“, meinte sie fröhlich, aber Ginger merkte sofort, dass etwas nicht stimmte.

„Ach, weiß nicht. Kai was sagst du?“ Erst wunderte er sich, weil seine Freundin ihm kurz vorher noch erzählt hatte, wie sehr sie die Tunfischpizza liebe. Dann verstand er aber die Geste.

„Ich werde mal kurz nach vorne gehen.“ Marika sah erst ihn verwundert an und dann ihre Freundin. Hatte sie nicht gerade nach der Bestellung gefragt?

„Setzen.“, befahl das Mädchen mit den schwarzen Haaren. Wortlos ließ sich Mari auf den Stuhl fallen. Ginger sah sie fragend an. Nervös und stutzend sah sie ihre Freundin an und zuckte dann mit den Schultern. „Erzähl.“, forderte sie.

„Glaub mir. Du willst es nicht wissen. Weißt doch, immer nur Mist.“

„Das heißt?“ Kurzes Schweigen.

„Chris ist im Krankenhaus.“

„Warum denn das?“

Sie wusste nicht, ob sie ihrer Freundin wirklich alles erzählen sollte. „Er lag verletzt im Haus.“

„In Eurem?“

Sie sah vielsagend zur Seite.

„Och nee!“, äußerte sie sich etwas zu laut. Die paar Menschen die zu diesem Zeitpunkt in der Pizzeria waren sahen sie erschrocken an. Verlegen lachte sie und wand sich dann wieder Marika zu. „Nicht schon wieder dieses Gruselhaus.“, flüstere sie nun schon fast. Schwer atmete ihre Freundin die Luft aus und spielte mit den Fingern. „Ich kann doch da auch nichts dafür.“

„Wieso bist du da eigentlich wieder hin? Ich meine, dass Ding ist ja nu nicht wirklich anziehend.“

„Ich hatte eben Langeweile nachdem ich von dir los bin und wollte nicht gleich nach Hause.“ Sie wollte Ginger nicht belügen aber sie machte sich schon genügend Sorgen. Wenn sie auch noch erzählen würde, dass alles mit dem komischen Anrufen zusammenhänge. Wahrscheinlich würde sie sofort einen Aufstand machen auch wenn sie sonst so besonnen war.

„Hat sich der Kerl eigentlich noch mal gemeldet?“

„Wer?“

„Na der von dem Abend. Der dich immer angerufen hat.“

„Nö. Der hatte wahrscheinlich auch nur Langeweile.“

„Ein Glück. Ich dachte schon, man hätte dich auf dem Kieker.“ Marika lachte gequält. Kai kam nun mit den Pilzen zum Tisch.

„Isst du mit uns?“

„Nee nee. Ich muss noch ein bisschen arbeiten. Machen ja eh bald zu.“ Sie ging rückwärts in Richtung des Durchgangs zum hinteren Teil der Pizzeria, nahm noch halb den Tresen mit, lachte noch mal verlegen und verschwand hinter der Tür.

„Geht’s…ihr gut?“

„Ähh…klar.“, lachte seine Freundin. „Lass uns essen.“
 

18 Uhr zeigte ihre Digitaluhr, als sie den Schlüssel umdrehte und sich auf den Weg zum Krankenhaus machte. Obwohl es nicht weit von der Pizzeria aus war, kam ihr der Weg ewig lang vor. Sie strampelte sich die Brücke nach oben und musste erst mal tief durchatmen. Wenn Marika die Straßen überquerte, sah sich zwar um aber in den Gedanken war sie wieder mal ganz anders. Endlich wollte er ihr alles erzählen, sich ihr offenbaren. Warum musste ihr Vater nur in das Zimmer platzen. Konnte er nicht noch wenige Minuten warten. Hoffentlich hatte es sich Chris sich nicht anders überlegt. Sie hatte ihn bis jetzt nicht erreicht und kannte ja seine Launen.

Nach langen zwanzig Minuten kam sie endlich am Hospital an. Schnell schritt sie durch den Gang, rennen war ja verboten. Vor der Zimmertür blieb sie stehen und atmete noch einmal tief ein und aus. Warum war ihr nur so anders in diesem Moment? Chris war ihr Freund. Sie wollte bei ihm sein, wissen wie es ihm ginge. Dann war da aber noch diese Ungewissheit. Was würde er erzählen? Und dieses Haus und der Anrufer. Hatte er doch etwas mit der ganzen Sache zu tun, so wie es Ginger im geheimen ja schon lange vermutete? Sie fasste die Klinke, klopfte noch mal kurz und betrat das Zimmer.

Sofort stutzte sie. Keiner war dort. Das Bett war verlassen, als wäre nie jemand dort gewesen. Das Mädchen drehte sich zurück in den Flur, wo gerade eine Krankenschwester vorbeiging.

„Entschuldigung. Können sie mir sagen, wo der Patient aus diesem Zimmer ist? Er ist gestern erst eingeliefert wurden. Er heißt Chris…“ Ja, wie heißt er eigentlich mit Nachnamen. Sie hatte ihn nie danach gefragt und auch nicht auf das Klingelschild an seiner Wohnung gesehen. Die Schwester stutzte.

„Tut mir Leid. Aber das Zimmer ist schon seid gestern Abend leer.“ „Was? Aber er war gestern noch hier. Der Arzt meinte, er müsse noch die ganze Woche hier bleiben.“ Marika wurde langsam nervös.

„Warten Sie mal kurz.“ Sie ging an ihr vorbei zur Anmeldung. Dort sprach sie mit einer anderen Schwester. Langsam näherte sich das Gothic-Mädchen den Beiden. Erst kurz bevor sie am Tresen angekommen war, wandte sich die eine wieder ihr zu.

„Es tut uns wirklich Leid. Aber wir haben auch niemanden in den Listen mit diesem Vornamen. Sie sagen, er sei gestern eingeliefert worden?“ Sie nickte nur starr. Noch einmal starrte beiden auf den Bildschirm des PC’s. Dann schüttelte sie wieder den Kopf.

„Nein. Keine Eintragung. Sind sie sich sicher, dass es gestern war?“, wollte sie sich noch einmal versichern.

„Ja.“, hauchte sie nur.

„Vielleicht sollten wir mal Doktor Kilian rufen.“

„Nein, schon gut. Vielleicht irr ich mich ja doch. Danke trotzdem.“ Sie verließ ohne ein weiteres Wort das Krankenhaus und ließ die verdutzten Krankenpflegerinnen stehen.
 

Sie fuhr so schnell sie konnte.

Nichts hätte sie aufhalten können und ihr war es auch egal ,was um sie geschah. Sie wollte nur eins, weg, der Realität entfliehen. Ihre Gedanken wurden erst wieder klar, als sie sich auf eine Mauer setzte und in den Sonnenuntergang starrte. Was war nur los? Warum musste ihr das passieren. Alles hätte so schön werden können, wenn sie Chris unter anderen Umständen kennen gelernt hätte und wenn er nicht so verschlossen gewesen wäre. Nun war er fort. Wie vom Erdboden verschluckt. Als ob er nie da gewesen wäre und keiner konnte ihr sagen, wie es nun weitergehen sollte. Irgendetwas musste doch geschehen sein, oder war er einfach nur abgehauen.

Aber vor was? Der Wahrheit? Quatsch. Marikas Gedanken überschlugen sich. Sie schlug sich die Hand gegen die Stirn um wieder einen klaren Kopf zu bekommen. Langsam beruhigte sie sich wieder und schloss die Augen. Sie spürte den kalten Wind auf ihrer Haut und atmete die frische Luft. Er konnte nicht einfach so verschwunden sein. Denk nach Marika. Wo könnte er sein. Dann der Geistesblitz.

War er etwa dort?

„In diesem Haus. Er war ja auch gestern Abend dort gewesen. Vielleicht besteht ja doch eine Verbindung.“, fing sie an zu sich selbst zu sprechen. Vielleicht sollte sie nachsehen. Vielleicht war wieder etwas passiert. Aber er wollte ja von Anfang an nicht, dass sie sich dort aufhielt. Ein Grund mehr für Marika dort nachzusehen, denn nun war nur noch eins für sie wichtig - endlich die Wahrheit zu erfahren, egal wie. Sie machte sich also auf den Weg zum Gruselhaus, wie Ginger es immer nannte. Ihr Herz begann wie wild zu schlagen, je näher sie sich der Straße näherte, wo es stand. Irgendetwas sagte ihr, dass sie sich beeilen müsse. Am großen Eingangstor angekommen, lehnte sie ihr Fahrrad an die Mauer und betrachtete das große Gebäude vor sich noch einmal. Ihr schien es an diesem Abend bedrohlicher zu wirken, als die Tage zuvor. Langsam hatte sie sich genähert und immer schon weiten alles genau beobachtet. Jedes Fenster, die Tür, den Garten. Bevor sie das Haus betrat, drehte sie sich abermals um. Keiner war zu sehen. Nur Blätter, die der Wind hin und her schupste. Sie blickte wieder zur Tür, nahm die Klinke und schluckte den Kloß in ihrem Hals hinunter. Dann öffnete langsam die knarrende Tür. Starrende Dunkelheit lag vor ihr. Man konnte nur den Anfang des Flurs sehen, der hintere Teil des Hauses war völlig düster Langsam bewegte sie sich durch das Haus. Zuerst blickte die vorsichtig in die kleine Küche. Es war keiner zu sehen. Auch im Wohnzimmer konnte sie nichts Ungewöhnliches erkennen. Doch! Es war etwas anders. An der Wand, die vorher vollkommen leer war, hing nun ein Bild. Marika ging näherer heran um etwas erkennen zu können. Es war eine Familie zu sehen. Zwei Erwachsene und zwei Kinder. Sie sahen glücklich aus. Zumindest die Eltern und der Jüngere auf dem Bild. Der etwas größere Junge darauf schien nicht sehr begeistert. Wie kam dieses Bild nur an die Wand? Ob das die Familie war, die damals hier gewohnt hatte?
 

Ein lauter Knall.

Marika erschrak sich fürchterlich und sprang schnell ein Stück nach hinten. Dann versuchte sie zu erahnen, von wo es herkam.

Der Treppenaufgang.

Daher musste dieses Knallen kommen. Also war jemand dort, oder doch nur eine streunende Katze? Marika schlich langsam an der Couch entlang zum hinteren Ausgang des Wohnzimmers, der direkt zur Treppe führte. Sie ließ die rechte Hand auf der Lehne der Couch entlang gleiten. Sie war aus Leder und eiskalt. Ihre Hände, nein ihr ganzer Körper zitterte vor Angst. Ja, diesmal war es Angst und keine Neugier. Vorsichtig blickte sie um die Ecke in den Flur zur Treppe. Keiner zu sehen. Sie sah sich nochmals um, bevor sie sich dem Treppenaufgang näherte und erst noch einmal zurück in den Flur, Richtung Eingangstür blickte. Noch konnte sie zurück. Einfach wieder gehen und so tun als wäre sie nie hier gewesen. Aber dann wieder dieses Gefühl. Etwas stimmte hier nicht. Und was ist mit Chris? Vielleicht war er gestürzt. Oder seine Verletzung vom Vortag hatte ihm doch mehr zu schaffen gemacht. Wut stieg in ihr auf. Warum war dieser Idiot nicht im Krankenhaus geblieben. Und dann diese dämlichen Krankenschwestern. Sie drehte sich wieder zur Treppe und sah erst hinauf und dann hinab. Das letzte Mal war die Tür zum Keller abgeschlossen. Warum also nach unten.

Die Stufen quietschten bedrohlich und mit jeder Stufe die sie höher stieg, schien es lauter zu werden. Wenn wirklich jemand dort war und sie nicht mitbekommen hatte, jetzt auf jeden Fall.

Oben war es stockdüster Man konnte kaum die Hand vor Augen erkennen. Der Gang nach hinten schien eng und schmal auch wenn er in Wirklichkeit immer noch genauso groß war, wie die anderen Male. Die Zimmertüren standen offen. Nichts schien anders zu sein. Auch in dem Raum, wo sie Chris gefunden hatte, war alles noch wie zuvor.

Doch da.

Wieder dieses Knallen.

Was oder wer war das nur, und woher kam es?

„Doch der Keller.“, stellte sie leise fest und bewegte sich so lautlos wie nur möglich zurück zur Treppe. Sie stellte sich direkt an die Wand und ließ sich langsam nach unten rutschen. Marika versuchte zu erkennen, ob jemand dort war. Als sie gerade wieder aufstehen wollte, huschte ein Schatten vor ihren Augen vorbei.

Er war Richtung Kellertreppe gegangen, oder irrte sie sich? Langsam schlich sich Panik in ihr auf und das Gefühl der Übelkeit wurde stärker. Sie atmete noch ein paar Mal ein und aus um sich zu beruhigen. Dann sah sie noch einmal nach unten, stand dann auf und schlich die Treppe hinunter. Diesmal so nah am Rand, dass sie kaum ein Geräusch machte. Warum war ihr das nicht schon vorher eingefallen. Dann die Kellertreppe. Nach unten schien sie die Dunkelheit fressen zu wollen. Wieder schlich sie direkt an der Wand nach unten. Noch wenige Stufen und sie würde wieder vor dieser Eisentür stehen. Je näher sie der Tür und dem Raum dahinter kam, umso lauter begann ihr Herz zu schlagen. Sie atmete nur flach und starrte sie an.

Diese Tür.

Sie schien gewaltiger geworden zu sein, was natürlich vollkommener Schwachsinn war.

Das letzte Mal hatte sie keine Angst. Sie wollte aus Neugier und Langeweile wissen, was sich dahinter befand. Ein Abenteuer eben. Aber dieses Mal war es anders. Was befand sich dahinter? Gleich würde sie es wissen. Vorausgesetzt, das die Tür auch aufgeht. Langsam griff sie nach der Klinke. Ihre Hand zitterte unaufhörlich. Noch einmal atmete sie tief ein, hielt die Luft an und drückte die Klinke hinunter.

Ein Klicken war zu hören und sie öffnete sich. Also war doch jemand dort gewesen, der einen Schlüssel haben musste. Die Tür machte nicht den Anschein, als ob sie jemand mit Gewalt geöffnet hätte.

Sie zog kräftig an der schweren Tür, die auch noch auf dem Boden kratzte. Endlich geöffnet blickte sie in den offenen Raum vor sich. Er war groß und es standen nur wenig Möbel dort. Eigentlich waren es nur Holzregale. Wahrscheinlich diente er auch nur als Abstellraum, aber warum diese Schutztür? Sie ging bis zur Mitte des Raumes und sah sich um. Eine kleine Lampe brannte rechts von ihr. Es gab also sogar noch irgendwo eine Stromleitung die funktionierte. Sie sah sich genau um, bewegte sich nur sehr langsam durch den Raum. Zwischen den Regalen entdeckte Marika etwas. Sie sah genauer hin und erkannte, es war nicht etwas sondern jemand.

„Chris.“ Sie hob seinen Kopf leicht an. Er schien bewusstlos zu sein. Seine Kleidung war völlig verschmutzt und für diese Jahreszeit eindeutig zu dünn. Außerdem hatte er neben kleineren Schürfwunden, die eindeutig noch am Vortag nicht da gewesen waren. Er musste auch wieder etwas gegen den Kopf bekommen haben, denn die Platzwunde war klaffender und blutete sehr stark.

„Chris, komm wach auf. Hörst du mich.“ Sie schlug ihm leicht an die Wange und er schien langsam wieder wach zu werden.

„Hörst du mich?“

Er kam nun wirklich wieder zu sich und fasste sich sofort mit schmerzverzerrtem Gesicht an die Kopfwunde.

„Nicht. Sie verdreckt so nur.“

Erst schien ihr Freund sie wirklich zu realisieren, denn erstarrte sie mit einem Mal völlig erschrocken an. Dann sah er um die Ecke zur Tür und wollte aufstehen.

„Warte, ich helfe dir. Was ist denn los? Wie kommst…“ Er legte seinen Zeigefinger auf seinem Mund und signalisierte ihr somit, dass sie still sein sollte.

„Hast du jemanden gesehen?“, fragte er im Flüsterton.

Sie schüttelte nur den Kopf. „Nein.“

Er sah sie wieder an. „Bist du sicher?“

Marika nickte nur. Chris ging einen Schritt zurück und lehnte sich an eins der Regale.

„Alles gut?“

„Schwindel…Ich bin froh, dass dir nichts passiert ist.“, sagte er leise. Marika stellte sich direkt vor Chris und legte ihre Hand an seine Wange. Seine Augen waren nun wieder liebevoll und nicht mehr leer und emotionslos. Dann bemerkte sie das Blut, das von seiner Stirn über ihre Hand floss.

„Du musst zum Arzt.“ Ihr Arm wanderte nun hinter seinen Rücken und sie stützte ihn so leicht beim Gehen.

„Na, na. Wo wollen wir denn hin?“

„Konnte ich mir doch denken, dass du noch hier bist.“, sprach Chris langsam und ohne jegliches Gefühl in seiner Stimme.

„Ihr Beide seid ja auch zu süß. Das kann ich mir doch nicht entgehen lassen.“

Die Stimme kam aus der Dunkelheit hinter dem Eingang zum Kellerraum. Wer dort auch war, er versperrte den einzigen Ausgang. Marika versuchte die Schwärze vor ihr zu verdrängen um zu erkennen wer dort war. Sie kannte diese Stimme. Woher nur?

Plötzlich machte es Klick. Es war die Stimme am Telefon. Der Kerl, der sie immer wieder angerufen hatte und anscheinend auch am Abend zuvor im Haus gewesen war, stand nun nur weniger Meter vor ihr. Langsam schien er sich zu nähern. Chris ließ seine verdutzte Freundin los und richtete sich auf. Er starrte die ganze Zeit nur in diesen Flur. In diese Dunkelheit. Und sein Blick war eiskalt. Egal wer dort war, Chris schien ihn zu kennen und die beiden hatten bestimmt kein gutes Verhältnis. Marika blickte nun auch wieder nach vorn und erkannte nun langsam eine Gestalt, die ins Licht trat. Chris schob sie leicht hinter sich.

Nun kam die Übelkeit zurück. Die Angst stieg wieder in ihr hoch und sie klammerte sich an ihn.

Die Person war nun fast ganz in Licht getreten und Marika konnte das Gefühl nicht abschütteln, dass sie ihn irgendwo schon mal gesehen hatte. Doch als sie ihm direkt in die Augen sehen konnte, fiel es ihr gleich wieder ein.
 

Es war Daniel Kailen.
 

Der Mörder vor dem ihr Vater sie die ganze Zeit gewarnt hatte. Er war also doch noch in der Stadt gewesen.

„Wirklich wunderschön hier, nicht? Es hat sich kaum etwas verändert.“, redete Daniel langsam vor sich hin.

„Ich kann nicht verstehen, warum du so weit weg wohnst. Hier hättest du doch alles.“

Marika verstand kein Wort. „Was willst du von uns?“, schrie sie ihn an und merkte dann erst mal, was sie da gerade getan hatte. Einen durchgeknallten Mörder anzuschreien, war wahrscheinlich nicht der Weg um dort wieder heil rauszukommen.

Chris hingegen hatte noch keine Mine verzogen. Ganz im Gegenteil. Er starrte seinen Gegenüber immer noch völlig gefühlskalt an.

„Was ist los Chris. Willst du nicht auch mal etwas dazu sagen. Marika ist ja gesprächiger. Sonst hast du doch auch immer soviel gequatscht.“, lachte er.

Keine Reaktion.

„Er hat dir nichts erzählt. Hab ich mir schon gedacht. Der kleine Feigling spricht nicht gerne über seine schlimme Vergangenheit.“

Sie merkte wie ihr Freund die Fäuste ballte. Die Wut in ihm schien zu steigen.

„Mamis Liebling verkraftet sein Leben nicht. Ein Wunder, dass er noch lebt. Kleines instabiles Baby.“

„Sei still.“, fauchte er zornig.

„Aber, aber. Nicht so frech. So warst du doch sonst nie.“

„Halt endlich deine Klappe!“, schrie er ihn nun an.

Marika schreckte zurück. Sie kannte Chris Ausraster, aber diesmal machte er ihr fast noch mehr Angst, als der Verrückte vor ihr.

„Also wirklich. Jetzt machst du deiner Freundin auch noch Angst. Was sagst du Mari? Spricht man so mit seinem Bruder?“

Bruder?

Daniel Kailen war der Bruder von Chris? Irgendwas in Marika brach zusammen. Sie konnte es nicht fassen. Dieser Kerl war der Bruder von ihrem Freund. Ein Verrückter, der seine ganze Familie ermordet hatte.

„Lass sie in Ruhe. Sie hat mit uns nichts zu tun, also lass sie gehen.“ „Falsch. Ich will dich leiden sehen, kleiner Bruder. Und so macht es doch viel mehr Spaß.“

15
 

Marika sackte in sich zusammen. Ihr ganzer Körper zitterte. Das konnte nicht war sein. Was passierte hier nur? Sie konnte keinen einzigen klaren Gedanken mehr fassen. Das Einzige, was ihr noch im Kopf herumschwirrte, war der Gedanke an ihre Familie, ihrer Mutter. Sie war so voller Sorge, weil es ihrer Tochter in letzter Zeit immer schlecht ging. Aber Marika hatte ihr nichts erzählt. Sie hielt es nicht für wichtig. Ihr Stiefvater, der immer für sie da war aber sich niemals in ihre Angelegenheiten eingemischt hätte. Und ihr Vater. Immer hatte er ihr gesagt, sie solle vorsichtig sein, nicht im Dunkeln draußen herumlaufen, wenn es nicht nötig war. Er hatte sie so oft gewarnt und was war? Sie saß in einem Keller. Gefangen von einem Mörder, der sich an seinem Bruder rächen wollte, ihrem Freund. Aber wieso nur?

Chris stand, seid sein Bruder den Raum verlassen hatte, an ein Regal gelehnt und hatte bis zu diesem Zeitpunkt kein Wort von sich gelassen. Marika starrte die ganze Zeit auf den Boden vor ihr. Wie lange sie wohl schon dort waren?

Sie schreckte leicht auf, als sich ihr Freund plötzlich neben sie gesetzt hatte. Seinen Arm um sie gelegt, versuchte er sie anscheinend zu beruhigen.

Sie sah auf, genau in seine Augen. Nach wenigen Sekunden wendete er seinen Blick ab. Anscheinend konnte er ihr nicht in die Augen sehen.

„Was ist hier los, Chris?“, fragte sie heiser.

Chris suchte die richtigen Worte. Er wusste nicht, wie er es ihr erklären sollte.

„Es ist lange her. Mein Bruder war nicht immer so. Ich kann dir auch nicht sagen, wann er so geworden ist.“

Marika lauschte seinen Worten genau und versuchte jedes einzelne zu verinnerlichen.

„Solange ich denken kann, haben wir in dieser Stadt, in diesem Haus gelebt. Wir hatten nie Probleme, ganz im Gegenteil. Wir haben immer ein schönes Familienleben geführt. Bis zu meinem zwölften Geburtstag.“ Er hielt inne und lächelte dann. „Meine Mutter hatte den ganzen Tag in der Küche gestanden und Kuchen gebacken. Im ganzen Haus roch es danach und im Garten und schmückte mein Vater mit mir zusammen für die Feier mit meinem Freunden am Nachmittag. Ich war den ganzen Tag total aufgeregt. Daniel war nicht da. Er war schon früh am Morgen zu seiner Freundin gefahren. Er war schon Monate zuvor immer so komisch gewesen und dass er dann einfach so, ohne mir überhaupt zu gratulieren abgehauen war, passte unseren Eltern natürlich gar nicht. Sie stritten sich zu der Zeit viel und ich stand oft zwischen den Fronten.“ „Das muss schrecklich gewesen sein.“, unterbrach ihn Marika.

Er zuckte die Schultern. „Der Tag verlief eigentlich schön. Meine Freunde kamen dann am Nachmittag. Wir hatten viel Spaß. Bis Daniel mit Healy kam. Die Beiden waren schon lange zusammen gewesen und wir verstanden uns super. Unsere Eltern waren mit der ganze Sache überhaupt nicht einverstanden. Healy war erst 15 Jahre und Daniel schon fast 18. Sie stritten sich und es fielen viele böse Worte. Irgendwann rastete Daniel total aus. Schmiss mit einer Blumenvase nach unserer Mutter und verschwand dann wieder mit seiner Freundin. Es schien so, als ob er diesen Abend nicht mehr nach Hause kommen würde. Irgendwann in der Nacht bin ich dann aufgewacht, weil ich nicht richtig atmen konnte. Mir kam ein komischer Geruch in die Nase. Ich bin aufgestanden und öffnete die Tür zum Flur. Alles war voller Rauch. Ich konnte kaum was erkennen. Das Erste, an das ich dachte, waren meine Eltern. Um so mehr ich nach vorne in Richtung Treppe ging, umso heißer wurde es. Meine Augen brannten fürchterlich. Mir wurde klar, wo das Feuer begonnen hatte.“

„Im Schlafzimmer deiner Eltern.“

„Ich versuchte die Tür zu öffnen. Dabei hab ich mir die Hände verbrannt.“ Das erklärte die Handschuhe.

„Ich muss dann ohnmächtig geworden sein. Ich weiß nur noch, dass ich im Krankenhaus aufgewacht bin. Die Polizei hat mir dann nur erzählt, dass es Daniel gewesen sei, sie aber den Grund nicht wussten. Ich konnte das nicht glauben. Mein Bruder hätte Vieles gemacht, aber so was.

Aber er hatte ja selbst gestanden. Ich wüsste nur gern ,warum er das alles getan hat.“

Marika schossen Tränen in die Augen. Kein Wunder, dass er so verschlossen war. Endlich verstand sie ihn und konnte einschätzen, was wohl in ihm vorging.
 

Ein Klatschen war zu hören. Daniel kam wieder in den Raum.

„Wow Chris. Das war so...ich finde gar keine Worte.“

Chris war aufgestanden. „Was soll das Daniel. Sag mir, was dich so krank gemacht hat.“

„Du weißt nichts, kleiner Bruder.“, sagte er völlig missbilligend und betonte zusätzlich die letzten beiden Worte. „Du standest doch immer im Mittelpunkt bei unseren Eltern. Immer nur Chris hier, Chris da. Daniel geh doch mal zur Apotheke und hol deinem Bruder Hustensaft. Daniel lass deinen Bruder in Ruhe, er ist doch kleiner. Bla bla. Egal was ich gemacht hat. Es passte ihnen nicht.“

„Das stimmt nicht.“, widersprach Chris.

„Oh doch. Genauso mit Healy. Wir waren glücklich und sie verstanden das nicht. Das passte ihnen nicht ins Bild. Und das ich sie dann noch zu deiner Geburtstagsfeier mitgebracht hab. Das war ja das Letzte.“, schrie er förmlich. „Aber das wollte ich mir nicht länger bieten lassen. Nicht mit mir. Also bin ich in der Nacht ins Schlafzimmer geschlichen und hab das Feuer gelegt. Ihr solltet brennen. Ihr alle. Nur mein kleiner Bruder hatte ja mal wieder unglaubliches Glück. Aber diesmal nicht. Diesmal kannst du mir nicht entkommen.“ Er lachte in einem grausamen Ton. „Und du. Kleine süße Marika. Du musst leider auch sterben.“

„Lass sie in Ruhe. Sie hat damit nichts zu tun.“

„Falsch. Du hast sicher von den beiden gehört, die ich kurz vor meinem Ausbruch erlöst habe?“

„Umgebracht wohl eher.“, widersprach Marika.

„Wie auch immer. Sie stehen für unsere Eltern. Du, mein lieber Bruder, lebst ja noch. Für dich brauch ich kein Opfer. Und Sie. Schau sie dir an. Das Gesicht, klar und rein.“

„Was?” Marika verstand kein Wort. Was wollte dieser Verrückte nur von ihr?

„Healy. Du siehst ihr verdammt ähnlich.“, erklärte Chris.

„Genau.“, stimmte sein Bruder ihm zu.

„Ich konnte mir denken, was er vor hatte. Und als ich dich damals das erste Mal sah, war mir sofort klar, dass er dich auswählen würde.“

„Du bist schlau. Ja, ich hab dich lange beobachtet. Jeden Schritt.“ Deswegen war Chris immer in ihrer Nähe gewesen. Er wollte sie vor seinem Bruder beschützen.

„Du bist krank.“, war das einzige was Marika dazu noch sagen konnte. Daniel ging auf sie zu. „Ach wirklich? Findest du? Ja, wie Healy. Genau das Gleiche hatte sie damals auch gesagt. Vor Gericht, als sie gegen mich aussagte. Dieses kleine Miststück.“ Er wollte Marika greifen, doch Chris ging dazwischen. In Bruchteilen von Sekunden zog Daniel ein Messer aus der Tasche und rammte es seinem Bruder in den Bauch. „Diesmal richtig.“, flüsterte der Mörder ihm ins Ohr, dann zog er das Messer wieder raus und Chris sackte zu Boden.
 

Sofort rannte Marika zu ihm und hielt ihn fest.

„Chris.“

Er spuckte Blut und hielt sich die klaffende Wunde am Bauch. Daniel hatte den Raum in der Zwischenzeit wieder verlassen und die Tür verriegelt. Marika schleppte ihren schwer verletzten Freund zur naheliegenden Wand und lehnte ihn an diese.

„Keine Sorge. Wir kommen hier schon raus. Bitte, du musst nur durchhalten.“

„Es tut mir Leid. Ich hätte....von...“ Er hustete stark.

„Nicht sprechen.“ Ein starker Geruch kam ihr in die Nase. „Was ist das?“ Sie wand ihren Blick Richtung Tür und sah Rauch durch den Türspalt kommen. „Oh Gott. Der hat das Haus angezündet. Er will uns echt umbringen, Chris.“ Ihr Freund reagierte nicht mehr. Er schien das Bewusstsein verloren zu haben. Marika musste bitterlich weinen. Was war jetzt? Sie würden dort unten ersticken. Sie nahm Chris in den Arm, küsste ihn an der Stirn. Sie wollte nicht sterben und er sollte es auch nicht. Sie konnte keine Hilfe erwarten. Keiner wusste, dass sie dort unten waren. Sie musste sich also selbst was einfallen lassen. Das Erste war erst einmal Chris in die stabile Seitenlage zu legen. Unten war man ja am Besten vor dem Rauch in Sicherheit. Dann die Tür. Sie musste diese irgendwie auf bekommen. Alles ziehen und dagegen schlagen und treten half nicht. Sie suchte in den Regalen irgendetwas, das ihr helfen konnte. Farbeimer, Bretter, Tücher, Werkzeug. Vielleicht damit. Sie nahm verschiedene Dinge aus dem Werkzeugkasten. Nur leider hatte sie keine Ahnung, wie sie diese Gegenstände benutzen sollte. Es half ihr nicht. Dann fiel ihr die Haarnadelmethode ein. Es war ein normales Schloss und sie hatte glücklicherweise gerade an diesem Tag eine Hochsteckfrisur. Alles wegen der Arbeit in der Pizzeria. Sie nahm zwei und stocherte und drehte in dem Schloss hin und her. Sie ging einfach nicht auf.

„Los! Geh schon auf, du dummes Teil!“, schrie sie die Tür an und schlug noch einmal mit der Faust dagegen. Ein leises Klacken war zu hören und die Tür ließ sich öffnen.

„Danke!“ Sie drehte sich noch einmal zu ihrem Freund. Er lag immer noch an der selben Stelle.
 

Um so höher sie hinauf stieg, umso schlimmer wurde das Kratzen im Hals. Sie musste unaufhörlich husten und ihre Augen brannten fürchterlich, so, dass sie kaum etwas erkannte. Endlich oben angekommen, konnte sie nur um Haaresbreite einem fallenden Treppenteil ausweichen. Der gesamte obere Teil des Hauses brannte und so war das Erdgeschoss völlig verraucht. Das Feuer breitete sich nun langsam auch im unteren Teil der Treppe aus. Sie musste sich beeilen. Sie drehte sich Richtung Ausgang. Dort stand er. Der Tod in Person.

Daniel starrte sie mit irrem Blick an und hob die Hand mit dem Messer. Langsam näherte er sich. Marika war starr vor Angst. Sie merkte wie wieder ein Hustenanfall langsam ihre Kehle hinauf rann. Gleich würde sie schrecklich Husten müssen und dann würde er ohne Skrupel auf sie einstechen.

Er holte aus, bereit zuzuschlagen und diesem Moment fiel ein Stück von der Decke hinunter. Marika nutzte die Chance und rannte ins Wohnzimmer. Sie müsse nur auf die andere Seite und dann wäre sie schon draußen. Dann fiel ihr das Foto wieder ein. Sie konnte und wollte es nicht hier drinnen verbrennen lassen. Sie lief zu der Stelle, wo das Bild an der Wand hing. Sie nahm es ab und sah noch einmal kurz nach, ob es noch in Ordnung war. Dann merkte sie seine Gegenwart. Als sie sich zum einzigen Ausgang drehte, stand er vor ihr, versperrte ihr den Weg.

„Was nun?“, krächzte er. Der Rauch hatte auch ihm schon schwer zugesetzt. Aber er war schon so psychisch labil, dass er es gar nicht mehr registrierte. „Du kannst ihn nicht retten und dich auch nicht! Ihr werdet hier drin verrecken!“

Sie schüttelte, mit dem Arm vor dem Gesicht, den Kopf. Sie durfte nicht mehr so viel von dem Rauch einatmen. Links von ihr erkannte sie lodernde Flammen. Sie müssen so schnell es ging hier raus und Hilfe holen, sonst würde Chris hier wirklich nicht mehr lebendig rauskommen. Irgendwie musste sie an ihm vorbei kommen. Der einzige Weg war, ihn zu überrumpeln. Sie musste ihn k.o. schlagen und dann hätte sie freie Bahn. Leichter gesagt, als getan. Sie hatte schließlich einen völlig durchgeknallten Kerl vor sich, der sie abstechen wollte. Ihre Augen brannten immer noch wie Feuer und sie musste sich zwingen, sie offen zu halten. Ihm schien das alles nicht zu beeindrucken. Es störte ihn in nicht im Geringsten. Ganz im Gegenteil. Er starrte sie unentwegt an, um nicht einen ihrer Schritte zu verpassen. Sie fasste Mut und ging langsam Richtung Sofa, das sich rechts von ihr befand. Er lächelte schelmisch. Anscheinend wartete er nur auf den richtigen Augenblick. Marika war gerade am Tisch angekommen, da kam er schnellen Schrittes auf sie zu. Ihr Herz blieb in diesem Moment stehen und sie packte nur das Tablett, das hinter ihr auf dem Tisch stand und schlug es ihm mit voller Kraft gegen den Kopf.

Er fiel zu Boden und ließ das Messer fallen. Ihr Chance! Aber er reagierte schneller und hielt ihr Bein fest, so dass sie stürzte. Das Foto rutschte quer durchs Wohnzimmer in den Flur. Er richtete sich auf. Was nun? Sie sah panisch hin und her. Das Messer lag direkt vor ihr. Bevor er sie packen und hochziehen konnte, griff sie zu diesem.

Er hatte sie an den Schultern gepackt.

„Was ist los Marika? Hast du Angst?“, fragte er größenwahnsinnig und schuppte sie mit voller Kraft an die Wand. Schmerzen zogen sich ihren ganzen Körper entlang, aber sie musste durchhalten, für sich und für Chris. Sie konnte es schaffen, nur nicht aufgeben. Das hätte sie sonst auch nicht getan. Einen kurzen Moment war ihr schwarz vor Augen geworden. ‚Reiß dich zusammen Marika!’, befahl sie sich. Ihr Sehvermögen kam zurück und schon hatte er sie wieder gepackt und schlug sie immer wieder mit dem Rücken an die Wand. Marika versuchte sich loszureißen, schaffte es aber nicht. Ihre Kraft hatte sie verlassen. Er stieß sie zur Seite, so dass sie wieder zu Boden fiel. In diesem Moment setzte ihr Gehirn völlig aus. Sie sah ihn nur auf sie zukommen und im nächsten Moment hatte er das Messer in der Brust. Sie hatte einfach ausgeholt und es ihm reingerammt.

Sein Blick wurde leer und das Blut lief ihm aus dem Mund. Dann sackte er in sich zusammen und blieb regungslos auf dem Boden liegen. Marika brauchte einige Minuten, um sich wieder zu sammeln und zu registrieren, was eigentlich los war.

Sie musste raus, Hilfe holen. Der Rauch war dicker geworden, das Feuer größer. Sie tastete sich in den Flur und ließ sich schwer hustend auf den Boden fallen. ‚Nur noch ein kleines Stück. Du hast es gleich geschafft!’, machte sie sich Mut. Sie krabbelte vorsichtig unter dem Rauch lang und entdeckte so auch das Bild, was ihr zuvor runter gefallen war. Sie schnappte es und robbte dann bis zur Eingangstür. Sie zog sich mit voller Kraft am Griff hinauf. Ihre Beine fühlten sich an wie Gummi und der Husten wurde auch nicht besser. Mit einem Ruck öffnete sie die Tür und fiel nach draußen.
 

Die frische Luft war Balsam. Langsam konnte sie auch wieder besser sehen. Sie versuchte sich nach oben zu drücken. Alles war nur noch wie in einem Traum. Es kam ihr nicht mehr wie die Realität vor. Eine komische Gestalt half ihr nach oben. Er sah auch wie eine riesige rote Ameise. Er hob sie hoch und trug sie vom Haus weg. Er setzte sie erst wieder an einem Krankenwagen ab. Jetzt realisierte sie, was das für eine Person war. Ein Feuerwehrmann. Sofort redete ein Arzt auf sie ein. Sie verstand kein Wort. Es war ihr auch egal, was der quatschte. Sie mussten ihren Freund retten, aber sie konnte nicht sprechen. Sie versuchte es ein paar Mal aber es kam einfach kein Ton heraus.

„Marika!“

Eine vertraute Stimme. Ihr Vater schloss sie in den Arm und gab ihr eine Flasche Wasser.

„Trink! Dann geht’s dir wieder besser.“ Sie konnte gar nicht mehr aufhören. Das kalte Nass löschte im wahrsten Sinne den Brand in ihrem Hals. Es schmerzte leicht und sie merkte wie ihre Stimme wiederkehrte. Sie musste wieder husten.

„Ganz ruhig. Es alles okay.“ Sie schüttelte den Kopf.

„Chris..“, kam nur ganz leise und verkrüppelt aus ihrem Mund. „Er ist da noch drin...Du...du musst ihn da...raus holen.“

Er lauschte aufmerksam. „Wo?“

„Keller...“ Wieder ein starker Hustenanfall. Ihr Vater nickte und rannte zu einem der Feuerwehrmänner.
 

Marika wurde schwindelig und schlecht. Das Sitzen viel ihr sichtlich schwer. Liegen. Das war schön. Sie starrte in den Himmel. Im nächsten Moment war auch schon alles schwarz

16
 

Stimmen.

Von überall strömten Worte auf sie ein. Unverständlich und leise. Alles war dunkel oder irrte sie sich? Wo war sie?

Was war passiert?
 

Langsam öffnete Marika ihre Augen. Es war hell, fast unerträglich.

„Was ist denn?“, fragte sie die Stimmen in ihrem Kopf mit kratzender Stimme.

„Sie ist wach.“, sprach eine.

„Marika, hörst du mich?“, fragte eine ihr sehr vertraute.

„Ja.“

Die Bilder vor ihr wurden langsam klarer. Ein heller Raum erstreckte sich vor ihr. Alles weiß. Der Himmel?

„Marika! Liebling! Ein Glück.“ Eine warme Hand legte sich auf ihre Wange. Das Gesicht vor, eindeutig ihre Mutter. Doch nicht der Himmel, nur ein kleines Krankenzimmer im Stadt Hospital.

„Wie geht es dir?“

„Ganz gut.“, meinte sie nur trocken mit einem stummen Lächeln. Vorsichtig richtete sie sich auf. Ihr Stiefvater stützte sie leicht. Er war also auch da. Jeder Knochen in ihrem Körper schien zu streiken. Alles tat weh, jede Bewegung war gehemmt. Auch ihre Lunge schien noch eine Weile zu brauchen, um sich wieder zu erholen.

Ihre Mutter hatte sich zu ihr auf das Bett gesetzt und betrachtete sie ganz genau. Irgendwie schien Marika immer noch wie in Trance. Vielleicht träumte sie das alles ja nur. Ein Klopfen riss das Mädchen jedoch aus dieser Traumwelt.

„Hey! Dir geht’s anscheinend schon besser. Ich hab mir total Sorgen gemacht.“ Ginger ging zu ihrer Freundin ans Bett und nahm ihre Hand. Auch ihr Vater hatte den Raum betreten. Er lächelte nur stumm von Weitem. Auch, wenn er es nicht zeigte, er war genauso froh und erleichtert wie der Rest der Familie. Marika fühlte sich wohl. Alle Leute, die sich sorgten und die sie liebte, waren dort.

Nein, nicht alle.

„Wo ist Chris?“, fragte sie ihren Vater erschrocken. Sein Blick wurde ernster.

„Wir lassen euch besser mal allein.“, warf Gino ein und nahm Kira bei der Hand. Sie wollte ihre Tochter nicht allein lassen, auch wenn ja nun nichts mehr passieren konnte.

„Ich komm dich morgen noch mal besuchen.“ Ginger umarmte ihre Freundin und verließ dann auch den Raum.
 

Ihr Vater nahm sich einen Stuhl und setzte sich an ihr Bett.

„Was ist? Sag schon!“, forderte sie.

„Ruhig. Du darfst dich nicht aufregen.“, versuchte er seine Tochter zu beruhigen.

„Die Feuerwehrmänner konnten ihn aus dem Haus holen. Er wurde notoperiert. Bis jetzt scheint alles okay, aber es steht noch nicht fest…“ „Nein, er wird gesund. Ist er hier? Ich will zu ihm.“ Sie wollte aufstehen, merkte aber schnell ein starkes Schwindelgefühl.

„Nicht. Du musst dich noch ausruhen. Außerdem könntest du jetzt eh nicht zu ihm.“

Sie nickte schweren Herzens.

„Und sein Bruder?“, erkundigte sie sich im nächsten Moment.

„Er konnte nicht mehr gerettet werden.“

„Gut so…“, flüsterte sie. „Ich bin müde.“, fügte sie nach wenigen Momenten noch hinzu.

„Okay. Du brauchst die Ruhe. Wir sehen uns dann morgen.“ Sie spürte einen leichten Kuss an ihrer Stirn und hörte dann nur noch das leise Klicken des Türschlosses.

Dicke Tränen rollten über ihr Gesicht. Sie hatte einen Menschen umgebracht und fand das auch noch toll. Aber er hatte es ja auch verdient schließlich hatte er seine gesamte Familie umgebracht und seinem Bruder das gesamte Leben versaut. Hoffentlich hatte er sein Ziel nicht doch noch erreicht. Chris muss wieder gesund werden.

Dies waren die einzigen Gedanken, die in ihrem Kopf umher schwirrten bevor ihr vor Müdigkeit endgültig die Augen zu vielen.
 

Es war drei Uhr nachts als die Stationsschwester in ihr Buch vertieft in einem Hinterraum die Zeit totschlug.

Obwohl Marika eigentlich eine Woche hätte durchschlafen können, war sie schon gegen zwei Uhr wieder wach gewesen. Eine Stunde hatte sie sich im Bett herumgewälzt und den Kopf einfach nicht frei bekommen. Sie musste jetzt einfach nach ihm sehen.

Leise schlich sie durch das Gebäude in dem alles schlief. Er musste auf der Intensivstation sein, also eine Etage nach unten.

Jeder einzelne Stufe der Treppe war die Hölle, den Fahrstuhl wollte sie jedoch nicht benutzen. Zu viel Angst hatte sie bemerkt zu werden.
 

Im Flur zu den Zimmer hing eine Liste mit den Namen der Personen, die sich gerade in dieser Station befanden. Ihre Finger glitt langsam die Liste hinunter.

Name für Name, bis der Richtige gefunden war. Chris Kailen. Sie kannte ja nun auch seinen Nachnamen, musste aber trotzdem gleich wieder an seinen Bruder denken. Dieser Name hatte sich schon von Beginn an in ihr Gehirn gebrannt.

Sie las die Zimmernummer ab und ging dann vorsichtig weiter. Zwischendurch musste sie sich öfters an der Wand abstützen und kurz stehen bleiben. Dann drehte sich der Gang und es war auch schon wieder weg. Zimmer für Zimmer schritt sie voran. Das Vorletzte der Station war es dann. 305.b stand dort und sein Name. Es musste also wirklich das Richtige sein. Kurz sah sie noch einmal den Flur zurück. Niemand war zu sehen also drückte sie vorsichtig die Klinke und betrat den Raum.

Ein leises Piepen durchdrang die Stille des Raumes. Dieser war kleiner als ihr Zimmer, hatte aber trotzdem einen kleinen Tisch und drei Stühle gegenüber vom Bett.

Als Marika sich ihn betrachtete überkam sie wieder Übelkeit. Zu groß war die Angst ihn doch noch zu verlieren. Sie nahm sich einen Stuhl und setzte sich zu ihm ans Bett. Er war bleich und an die verschiedensten Geräte angeschlossen. Seine Hände waren nun nicht mehr bandagiert sodass die Narben vom Brand gut sichtbar waren. Sie legte ihre Hand auf seine und streichelte ihm mit dem Finger immer wieder über Stirn und Gesicht.

„Du wirst wieder gesund, ja? Du kannst jetzt nicht einfach gehen...jetzt wo alles anders werden kann.“ Sie konnte die leichten Tränen, die ihr über das Gesicht rollten, nicht verhindern. Eine ganze Weile saß sie noch so da, beobachtete ihn und die Geräte gegenüber von ihr. Jede Auffälligkeit wäre ihr sofort aufgefallen, aber da war nichts. Alles blieb unverändert. Seine Hand hatte sie nun fest umschlossen. Er musste sie einfach spüren, sie war da und würde ihn auch nicht allein lassen. Jedoch übermannte sie wieder diese Müdigkeit.

Schnell war sie eingeschlafen, nachdem sie ihren Kopf auf das Bett herabgelegt hatte.
 

Eine große Wiese mit vielen Blumen und Schmetterlingen erstreckte sich vor ihr. Eindeutig ein Traum...oder doch nicht? Marika wanderte langsam über das weiche Gras und genoss die schöne warme Luft. Sie fühlte sich leicht wie eine Feder und schon die kleinste Brise brachte sie ins wanken. Aber sie fiel weich. Es duftete nach allen möglichen Blumen und da! Leises Vogelgezwitscher. Spatzen und Finken, die ihr etwas erzählen wollten. Sie lauschte und versuchte zu verstehen, was sie ihr sagten. Sie schloss die Augen und war völlig entspannt.

Doch da!

Worte drangen an ihr Ohr. Ihre Augen öffneten sich wieder und sie richtete sich auf. Sprachen die Vögel nun doch so klare Worte?

Sie hörte genauer hin.
 

„Wachen sie auf!“
 

Marika schreckte hoch. Es war hell draußen und auf der Uhr standen nun die Zahlen acht null null. Neben ihr stand ein Krankenpfleger und sah sie verdutzt an.

„Was machen sie denn hier? Sagen sie nicht, dass sie hier übernachtet haben. Das geht wirklich nicht.“

„Tut...mir Leid. Ich wollte nur…“

„Ja, sorry aber sie müssen jetzt auf ihr Zimmer zurück. Der Doktor macht gleich Visite und wenn sie da noch da sind, ist Polen offen.“

Marika nickte nur und stand auf. Sie gab Chris noch einen leichten Kuss auf die Stirn bevor sie zusammen mit dem Pfleger den Raum verließ.

„Soll ich sie noch zu ihrem Zimmer begleiten?“

Sie schüttelte sacht den Kopf. „Nein, aber sie können mir sagen, wann ich ihn besuchen darf.“

„Mmmh, na ja. Ist schwer zu sagen. Sie gehören nicht zur Familie, oder?“

„Er hat hier in der Nähe keine Familie mehr. Ich bin seine Freundin.“ „Das ist schwierig.“

Marika sah traurig zum Boden. Sie wollte doch nur bei ihm sein, das war alles. Wieso war das schwierig? Der Pfleger musterte sie genau. „Vielleicht kann ich ja was machen.“ Sie sah ihn stutzend an. Hatte sie das jetzt wirklich gehört.

„Ja, aber ich kann nichts versprechen. Vielleicht ist ihr Freund ja auch schnell wieder auf den Beinen.“

„Ich hoffe es. Danke noch einmal.“
 

„Ach komm. Nimm’ s nicht so schwer.“ Marika zuckte die Schultern und starrte aus dem Flurfenster. Ginger war, wie angekündigt vorbei gekommen und versuchte mit allen Mitteln sie auf andere Gedanken zu bringen. Es war schon Nachmittag und sie wusste immer noch nichts Neues. Anscheinend hatte der Krankenpfleger nichts erreicht oder es wahrscheinlich vergessen. Am Morgen hatten ihre Eltern sie schon besucht. Ihre Mutter wollte sogar Urlaub nehmen, um sich um ihre Tochter kümmern zu können. Marika versicherte ihr aber, dass es ihr schon wieder viel besser ginge und sie keine Betreuung brauche. Ihr Vater schien immer noch sehr besorgt. Es waren aber nicht die physischen Verletzungen, die das Mädchen hatte, die ihm Gedanken machten. Eher die psychische Situation seiner Tochter.

Gegen Mittag waren beide gegangen und schon am frühen Nachmittag stand ihr ihre beste Freundin zur Seite. Einerseits war sie froh, nicht allein zu sein, jedoch war es ihr auch unangenehm. Sie wollte und konnte nicht mit ihr über die Dinge sprechen. Sie wollte mit ihm reden. Im Keller hatte sie nicht die Chance bekommen, nachzufragen oder auf die ganze Sache zu reagieren. Sie wollte nur dort raus und ihren Freund retten. Jetzt war sie sich aber nicht mal mehr sicher, ob sie es auch wirklich geschafft hatte.

Ginger stand grübelnd neben ihr. „Wollen wir ein Eis essen?“, fragte sie unbeholfen.

Marika sah sie vielsagend an. „Wie kommst du jetzt darauf? Willst du Unmengen Geld für nichts ausgeben?“, fragte sie zynisch.

„O-kay, dann nicht.“

„Entschuldige.“ Ginger lächelte nur. Sie wusste, dass alles sehr schwer für ihre Freundin war.

Sie hakte sich bei Marika ein und die beiden schlendert langsam Richtung ihres Zimmers. Von Weiterem erkannte sie, wie jemand aus dem Raum, sich kurz umsah und dann lächelnd in ihre Richtung ging. Marika erkannte sofort, um wem es sich handelte.

„Da sind sie ja. Ich hab sie schon gesucht.“

„Wer ist das?“, fragte Ginger leise.

„Er ist Krankenpfleger in der Intensivstation. Haben sie was erreicht?“ „Brauchte ich nicht. Herr Kailen ist wieder wach. Sie können ihn besuchen gehen. Er wurde heute Mittag in diese Station verlegt.“
 

Sie klopfte leicht an der Tür. Keiner bat sie herein.

Wahrscheinlich hatte sie einfach zu leise geklopft also öffnete sie vorsichtig die Tür und sah hinein. Es war ein Zimmer an der Südseite. Der gesamte Raum war in warmes Licht getaucht und durch das offene Fenster strömte frische Luft. Chris saß auf dem Bett und sah hinaus. Er schien in seine Gedanken versunken und bemerkte seine Freundin, die gerade den Raum betreten hatte, nicht.

„Hey.“, sagte sie leise. Chris fand aus seiner Erstarrung und sah sie an. Ein warmer, wohltuender Blick für Marika. Sie stürzte zu ihm und viel ihrem Freund um den Hals.

„Ich bin so froh, dass jetzt alles vorbei ist.“ Chris strich ihr sanft über das Haar. Langsam beruhigte sie sich wieder und setzte sich ihm gegenüber. Er wischte ihr die Tränen von der Wange und ließ seine Hand darauf liegen. Sie genoss die Berührung, nahm dann aber seine Hand und strich über die Narben.

„Du trägst deine Handschuhe gar nicht mehr.“, bemerkte sie.

Er schüttelte den Kopf. „Die Vergangenheit ist abgeschlossen. Für mich zählt nur noch die Zukunft.“



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Kommentare zu dieser Fanfic (1)

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Von:  nina-04
2014-08-10T01:26:07+00:00 10.08.2014 03:26
Schöne Geschichte ^^


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