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Schlaflos

Eintagsfliegen
von

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Schlaflos

Ich habe keine Vergangenheit. Keine Erinnerungen. Weder fröhliche noch traurige, weder düstere noch liebevolle, keine hässlichen, keine schönen. Ich habe keine Zukunft. Keine Pläne, keine Vorstellung. Ich habe nur die Gegenwart.
 

Jetzt!
 

Ein surrender Ventilator

Erdrückende Hitze

Neben mir ein schlafender Körper

Stickige Luft

Ein kleines Hotelzimmer

Verstreute Kleider

Zugezogene Vorhänge

Momentaufnahme.
 

Ich wälze, drehe, recke mich. Aufstehen. Einen Schluck Wasser trinken, augenreiben, umhergehen, stehenbleiben. Hellwach und doch todmüde. Ich kann nicht ruhen, ich muss wandern, umherirren, suchen. Alles drängt mich, zieht mich, zerrt mich, reisst mich, treibt mich hin zu dir. Nur zu dir.
 

Lähmende Hitze. Alles ist träge, alles ruht. Nur der Ventilator surrt. Kreiselt pausenlos um die eigene Achse. Surrt und dreht. Immer rundherum.
 

Panisch die Vorhänge beiseite geschoben, das Fenster aufgerissen. Nachtluft. Noch immer durchtränkt von der erdrückenden Tagessonne. Finsterhell. Der Geruch von Abgasen in der Nase, Sommernachtsgeschmack auf der Zunge, im Ohr ferne Nachtgeräusche. Ich sehe nur eine schwarze Ferne. Winzige Löcher, mit der Stecknadel in die Nacht gepiekst. Wer bist du?
 

Du wohnst im Mond. Du wohnst doch sicher in dieser schmalen, hellen, kühlen Scheibe. Sehnsucht. Stille Funkeltropfen laufen über meinen lächelnden Mund. Ganz leise, ganz heimlich.
 

Ich breite die Arme aus und sie werden federleicht. Ich fliege hinauf zu dir. Zum Mond.
 

Endlich.

See

Der See liegt spiegelblank.

Stille Tiefe. Als könnte er tausend Geheimnisse bergen. Als würde er sie nie mehr verraten. Als wären sie für immer seine.

An manchen Tagen ist er flaschengrün und weisse Schaumkronen tanzen auf sturmdurchwühltem Wasser. Dann wieder ist er grau. Wie der Regen, der ihn aufpeitscht, wie die drohenden Wolken die tief über ihm hängen.

Und manchmal… manchmal ist er blau. Himmelblau.

Egal wo ich war, wer ich war, es zieht mich immer zurück zum See. So wandelbar wie ich. Und doch bleibt er auf ewig hier. Das einzig Konstante in meinem Leben. Alles andere verändert sich. Geht irgendwann. Weit fort. Und lässt mich zurück.

Mutterseelenallein. Aber er bleibt hier.

Vor einiger Zeit wollte ich vom See fort. Ganz weit weg. Um das Geheimnis, das ich ihm damals anvertraut habe, zu vergessen. Damals. Als ich mit einem bittersüssen Lächeln auf den Lippen einen Satz ins kühle Wasser sinken liess. Da wollte ich weggehen. Den See verlassen. Um mich endgültig und ganz zu verlieren.

Doch jetzt bin ich hier. Warum?

Das frage ich mich. Ich gehe langsam, unbeirrbar in den Spiegel. Wühle die glatte Oberfläche eigenhändig auf.

Schliesslich umhüllt es mich, wiegt mich sanft hin und her. Langsam verschwindet alles. Nur der See ist noch wichtig. Sonnenstrahlen dringen tief hinein. Lichtschön. Der See. Das Einzige. Und leise wispert es plötzlich. Er gibt mir den Satz zurück. Meinen Satz

»Ich weiss nicht wer ich bin«

SIE

Menschenmassen. Schwitzende, drängelnde, eilende Körper. Jeder sein eigenes Ziel und sei es der Kiosk. Menschenleben kreuzen sich auf ihren Wegen, stolpern, taumeln, irren, fallen…? Manche werden ungesehen niedergetrampelt, anderen wird aufgeholfen, sie werden zurück ins Gewühl gezerrt. Müssen weitergehen, weiterkämpfen, weiterkreiseln. Die Leute rufen, weinen, kreischen, drohen, necken, spötteln, flüstern, lachen schrill auf.

Laut sind sie.
 

Ein müde wirkender Mann im grauen Anzug sagt »ich dich auch« ins Telefon, während er auf die Armbanduhr schaut. Einem kleinen Mädchen mit Latzhose wird am Zopf gezerrt. Ein Baby schreit putzmunter in den Armen einer erschöpften jungen Frau. Ein Jugendlicher mit schwarz gefärbtem Haar schiebt sich selbstbewusst an den Menschen vorbei. Eine streng wirkende junge Frau streicht sich nervös imaginäre Staubfusseln von der weissen Bluse. Da sind noch viele tausend mehr, das taubenverschreckende Kind, das lächelnde Mädchen, der traurige Raucher, die genervte Oma, der strickende Hippie und so weiter und so fort. Sie alle haben ihre eigene, lange Geschichte. Nur für einige Sekunden gesehen und sogleich vergessen. Sekundentheater. Strassenvoyeurismus.

Pulsierende Grossstadt.
 

Und mittendrin SIE.

Unsichtbar und doch oft gesehen.

Zwei grosse Seelenspiegel. Eine Hundertstelsekunde in diesen Tiefen versunken. Nie mehr vergessen.

Eintausend Fragen waren darin. Alle gleichzeitig. Fragen nach der Liebe. Nach Liebe, die den Nächsten gilt, familiärer Liebe, freundschaftlicher Liebe, mitleidiger Liebe, leidenschaftlicher Liebe, langsam wachsender Liebe, Liebe, die Zack einfach da ist, einseitiger Liebe, zerstörender Liebe, zweckmässiger Liebe, leiser Liebe, nach Aufmerksamkeit lechzender Liebe…

Fragen nach jeder Facette der Liebe.
 

Fragen nach dem Leben.

rote Hände

Minuit passé.

Aber das war zu erwarten.

Trotzdem ist jeder Muskel bis aufs Äusserste gespannt. Die Nerven kurz vorm zerreissen. Schlafen – nichts läge mir ferner, obwohl ich in meinem Bett liege.

Wie sind wir bloss hierher geraten? Warum kann ich nicht beruhigt schlafen? Warum muss ich mich fragen, ob er in diesem Moment stirbt?

Ich weiss es nicht.
 

Sekunde um Sekunde, jede einzeln gezählt. Wie eine lange Perlenschnur reihen sie sich auf einen hauchdünnen Faden. Da! Ein Geräusch! Ist er das? Leise geht die Tür auf und der Faden reisst. Alle Anspannung fällt von mir ab, Sekundenperlen wirbeln durcheinander, sind bereits vergessen. Er ist es.

Das spüre ich mit jeder Faser meines müden Körpers. Unglaubliche Erleichterung. Jetzt bin ich todmüde.
 

Eine gebrochene, raue Stimme durchbricht die Stille. Sie klingt rostig, wie zu lange nicht gebraucht – oder doch zu viel benutzt?

„Du bist ja noch wach…?“

Er hat es bemerkt, obwohl ich ihm den Rücken zudrehe und kein Geräusch gemacht habe.

„Natürlich“, müde lächelnd richte ich mich auf und drehe mich zu ihm. Ich erschrecke. Sein Hemd ist zerrissen. Seine Hände zittern wie verrückt. Sie glänzen in der hellen Dunkelheit. Schnell schalte ich die kleine Nachttischlampe an. Glänzen vor Blut. Das Hemd ist auch nicht mehr weiss. Langsam hebe ich den Kopf. Traue mich kaum, ihm in die Augen zu sehen. Meine Augen wandern langsam von den ausgestreckten Händen über das blutverschmierte Hemd zu seinem Hals, als nächstes kommt sein erstarrtes Gesicht und endlich die Augen. Ich kenne sie. Lachend, offen, ironisch, verschlossen, wütend, turbulent und absolut ruhig. So und anders habe ich sie bereits gesehen. Und jetzt?
 

Zersprungene Seelenspiegel. Sein Innerstes liegt offen. Verwirrt. Panisch. Sie wollen mich mit in die Tiefe ziehen, mich nie wieder ans Tageslicht lassen.

„Ist… ist das dein Blut?“ kratzig stelle ich die einzig wichtige Frage.

„Nein.“

Obwohl er es kaum flüstert widerhallt seine Antwort in meinem Kopf.
 

Nicht jetzt! Er braucht dich! Sei stark!

Kinn gehoben, Zähne zusammengebissen, Kopfhaut gespannt.

„Komm“, flüstere ich und berühre ihn vorsichtig, ganz behutsam an der Schulter. Ich habe Angst er könnte in tausend Splitter zerspringen. Ich führe ihn zur kleinen Dusche. Langsam, um ihn nicht zu erschrecken, lasse ich mich auf die Fersen sinken. Ich will ihn an den blutigen Händen zu mir herunter ziehen, doch er schreckt zurück. Ängstlichfragend blicke ich zu ihm auf. Er krächzt:

„Du wirst doch dreckig…“

Entschlossen greifen meine warmen Finger nach seinen eiskalten Händen.

„Das kann man doch abwaschen.“

Nur ein Murmeln, aber er setzt sich. Lässt zu, dass ich seine roten Hände kurz in meine nehme. Meine sind so winzig und weiss neben seinen. Schnell wende ich den Blick ab. Dann beginne ich, sein Hemd aufzuknöpfen. Er hat kaum Wunden. Einige Kratzer und bestimmt ein paar blaue Flecken. Wirklich verletzt ist nur sein Herz. Oder sein Hirn, wasweissich. Ist nicht wichtig jetzt!
 

„Mach die Augen zu.“

Ohne Widerspruch schliesst er sie. Seine Lider flattern. Ich will nicht, dass er sieht, wie das Blut in den Abfluss rinnt. Wieder berühre ich beruhigend seine Hände. Wasser anstellen, auf Körpertemperatur regulieren. Ich wasche seine Hände, seine Unterarme, seinen Oberkörper. Zuerst wird das Wasser ganz rot. Läuft zwischen die weissen Fliessen und färbt auch sie ein. Befleckt die unschuldigste aller Farben mit rot. Blutrot. Wird immer heller. Bis das rot ganz weg ist, bis die Fliessen wieder reinweiss sind.
 

Die ganze Zeit über sind seine Augen geschlossen. Er wird ruhiger, ich spüre es. Und dann, irgendwann, der Wunsch nach einem tiefen, traumlosen Schlaf. Also drehe ich den Wasserhahn zu. Keine Spur mehr. Alles wieder sauber. Einfach mit lauwarmem Wasser weggewaschen.

„Du kannst die Augen wieder öffnen.“

Schweigend blicken mich seine Augen an. Leere Fenster. Durchzogen von hauchfeinen Bruchlinien. Wie die Fäden eines Spinnennetzes.

„Komm“, sage ich weich, „wir gehen schlafen.“

Er nickt. Plötzlich sieht er uralt aus. Und unglaublich müde. Zwei Minuten später ist er in der Traumwelt. Ich hoffe für ihn, dass sie Gutes bereithält. Ich selbst warte. Warte, bis er ganz tief schläft. Warte auf den Moment, wo ich Schwäche zeigen darf.

Bis an den Rand der Realität

Von Nirgendwo bis an den Rand der Realität. Dahin bringt mich dieser Spiegel. Nirgendwo, das ist das Klo einer namenlosen Disco, irgendwo und nirgends. Dahinter und mittendrin. Kaputt.
 

Der Rand der Realität…
 

Ich sehe in den Spiegel und sehe mich selbst. Und das hinter meinem Rücken. Das Nirgendwo. Die glatte Scheibe lässt nicht zu, dass ich hineinsehe. Stattdessen reflektiert sie mich, wirft alles, was sie bekommt zurück. Gnadenlos zeigt es mir die zerstörten Schatten, die verschmierte Maske und das blasse, übernächtigte Gesicht darunter. Die Augenringe, den glasigen Blick. Vergessen, alles vergessen sagen diese Augen. Seelenspiegel. In ihnen ist die Seele gefangen, meine Seele, das, was mich ausmacht.

Doch ich weiss, da ist noch was im Spiegel. Dazwischen. Innendrin. Eine Kante, ein Rand.
 

Aus den Augenwinkeln entdeckt man solche Dinge, denn sie sind nicht klar umrissen. Diffus. Geradeaus sagen meine Augen immer noch vergessen. Vergessen und nicht wollen. Müde. Schlafen.
 

Doch ich befinde mich nicht mehr da, ich habe die Kante im Inneren erreicht. Bin in der Schwebe, ein bisschen über dem Nirgendwo.
 

Und auf einmal bemerke ich die Stille darunter. Unter dem Lärm vergraben, zugedeckt mit Nonsens, mit er Alltagsgeräuschen. Losgelöst von jeglichem Rhythmus. Ich höre nur noch hallende Stille und langsam, ganz langsam senken sich meine müden Lider und ich bin weg...
 

Das ist der Preis, den ich für die Spiegelkante, den Rand der Realität, bezahlen muss. Kein Zurück, du musst sie ganz verlassen, die Wirklichkeit. Einbahnstrasse.
 

Und alles kehrt sich um…

Regentage

An Regentagen werde ich immer so unruhig. Besonders am späten Nachmittag wird es richtig schlimm. Ich will die ganze Zeit etwas machen, doch bin ich so zerstreut, dass nichts Vernünftiges dabei rauskommt. Diese Rastlosigkeit, diese ständige Eile, obwohl ich doch eigentlich gar nichts zu tun hab. Ich könnte gemütlich in einem Sessel sitzen und ein Buch lesen, doch bereits nach dem ersten Absatz merke ich, dass ich kein Wort verstehe. Meine Hände wollen etwas tun, meine Beine wollen nicht rasten, aber ich komme nicht in die Gänge. Ich tigere auf und ab, wie ein Tier im Zoo, auf und ab, auf und ab. Mein Blick schweift durch das Zimmer, streift Photographien und bleibt am Radio hängen. Ich stelle es an, doch es knirscht nur. Rauscht, rauscht wie der Regen vor meinem Fenster. Tropfen prasseln gegen das Fenster, lassen die unheimliche Stille widerhallen.

Ich muss raus aus dieser muffigen Wohnung! Schnell schnappe ich mir meine Schuhe, schlüpfe in den undichten Regenmantel und renne die Treppen hinunter, weil der Aufzug zu lange braucht. Fieberhaft öffne ich die schwere Haustür und stehe endlich im Regen. Sofort fällt mir das Atmen leichter. Tief ziehe ich mir die Kapuze ins Gesicht und gehe, den Blick auf den nassen Asphalt gerichtet, in eine unbestimmte Richtung. Ich überlasse meinen Füssen die Führung, sollen sie mich hinbringen, wo sie wollen, ich bin mit allem glücklich. Ich höre, wie die Abflüsse gluckern und gucke meinen Füssen zu. Die Welt sieht irgendwie trostlos aus, so ganz in grau. Graue Fassaden, dunkle Fenster, hohe Wohnblöcke und dazwischen die durchnässten Strassen. Ich tripple durch diese triste Stadt, ganz wie der Regen, und denke über so manches nach. Über die Qualität von Regenmänteln zum Beispiel. Aber auch darüber, dass die Welt so grau eigentlich ganz in Ordnung ist. Ich denke über die Kanalisation nach, über Ratten, über alles Mögliche.

Und über Ljapa. Ljapa mit dem roten Pullover. Ljapa, der mir das Gitarre spielen beigebracht hat. Mein Ljapa. Jedenfalls war er das früher mal. Es kommt mir so verblasst, so ewig lang her vor. Dabei waren es doch höchstens ein paar Wochen. Unbemerkt haben mich meine Füsse vor seine Haustür getragen. Sie sieht so grau aus wie alles andere auch. Davor der Fussabtreter mit den Blümchen drauf. Er ist schon ganz abgewetzt. War ja klar, dass ich hier landen würde. Unruhige Regentage enden immer bei Ljapa. Die Macht der Gewohnheit. Ein paar Minuten, oder sind es einige Stunden?, stehe ich einfach nur da. Langsam beginne ich zu frieren und spüre meine nassen Schultern. Prompt muss ich niessen. Was für eine blöde Idee, bei dem Mistwetter spazieren zu gehen! Gerade will ich mich umdrehen, da geht die Tür auf. Ich habe nicht geklingelt oder so was. Ljapa lässt mich kommentarlos rein. Es riecht nach essen.

Einsame Wanderung

Eiskalte, einsame, weisse Welt. Ach wär der Schnee doch schwarz. Weiss ist so grell, so schrecklich hell, es brennt mir in den Augen. Kein Leben weit und breit, weder Tier noch Mensch, keine Seele, Niemand. Ewige Schneedecke, darunter das Nichts und mittendrin ich, Drehpunkt dieser Einöde. Hör auf zu singen, der Wind nimmt dir das Lied doch sowieso, die Kehle schmerzt, die Spuren sind längst zugeschneit, wo bin ich, wo bin ich? Ich taumle, ich strauchle, doch darf ich nicht fallen, irre durch den Winter. Wie schmeckt die Sonne noch gleich? Gibt es grün oder ist die Welt nur schwarzweissgrau und eisblau? Ich weiss es nicht mehr. Schneekristalle, schöne, heile Plakatwelt, haha, ich frier doch. Ich friere so sehr meine Hände sind rot und meine Kehle schmerzt. Ich atme unregelmässige kleine Rauchwölkchen, die mir der Wind entreisst. Die Augen sind es müde, so müde, sie wollen etwas anderes. Warum weiss? Warum nicht schwarz, begrab mich doch in schwarz, so, wie es sich gehört. Der Schirm ist schon lange weg, nur noch das Gerüst liegt im Schnee, die Rippen. Weisse Flocken begruben es und machten es passend, surreal, es sah aus wie ein Tier ein totes totes Tier, so weiss, so knochig, so seltsam. Ich will eine andere Farbe, bittebitte nur nicht weiss! Weiss, weiss, nur noch weiss. In Weiss sieht man angeblich alles, doch es stimmt nicht. Es stimmt nicht, es stimmt nicht! Weiss ist keine Farbe, es stimmt nicht, weiss ist rein, so schrecklich rein, es stimmt nicht, es darf nicht sein. Schwarz, oh bittebitte schwarz.

Rot!

Rot darf ich, rot kann ich, es fliesst durch meine Adern, es unterscheidet mich von dieser toten Welt, es tropft in den Schnee, so schön, so rot, so blutrot, scharlachrote Tropfen verteilen sich, zerfliessen, machen Blumen, wunderschöne rote Blumen beflecken das weiss, vertreiben es, fressen es auf, es hat keine Macht mehr, rote Welt, rote Wunderwelt, oh nimm mich mit.

Und was wenn ich das rot über bin? Wenn es mir nicht mehr reicht? Wie ein Stachel bohrt der Gedanke und nimmt mir die Freude am rot. Es ist immer noch schön, doch die Lebendigkeit ist verschwunden, das rot ist aus, die Freude daran ebenfalls und weiss wird’s für mich nimmermehr...

Ich hab kein Schwert

Unter meinem Bett wohnt ein Monster.
 

Ein gefrässiges, nimmersattes Monster. Es schmatzt laut, wenn es etwas gefressen hat und dann schnurrt es, schnurrt zufrieden wie eine Nähmaschine. Es frisst für sein Leben gerne und bestimmt nicht um sein Leben, denn zu Fressen, das hat es genug. In rauen Mengen präsentieren sich ihm die schönsten Leckerbissen, jeder Tag ein Fest und dann schmatzt und schnurrt es und gluckst sogar vor abscheulicher Freude. Gierig, mit weit aufgerissenem Schlund schnappt es nach bunten Gedankenfetzen, zermalmt sie zwischen seinen spitzen Zähnen, sabbert sie voll, zerstückelt sie bis zur Unkenntlichkeit und lutscht die Farbe weg, wobei es geniesserische Laute ausstösst und ich kann mir lebhaft vorstellen, wie es beim Fressen lustvoll die schrecklichen Augen verdreht und sich den Sabber von den widerwärtigen Lippen leckt. Nach der Orgie scheisst es die ungeniessbaren, schlecht verdaulichen Teile aus, das Monster suhlt sich da unten in seinem Kot, gefrässig und fett und zufrieden. Es freut sich schon bestialisch auf den nächsten Leckerbissen, vergeht fast vor Aufregung, obwohl es seinen unzähmbaren Hunger doch gerade eben scheinbar gestillt hatte. Und obgleich es so wählerisch ist, lebt es im Überfluss, obwohl es nur das nimmt, was es will und die schwarzen, eitrigen Kopfergüsse liegenlässt. Sie faulen weiter vor sich hin, versprühen ihr Gift, doch dies scheint das Monster nicht zu stören, es ist ein übler Schmarotzer, ein Parasit!
 

Ich habe vergessen, seit wann das Monster unter meinem Bett hockt und alles zumüllt.

Die erste fallende Scherbe

Ich bestehe aus Atomen.
 

Ich bin aus Fleisch und Blut.
 

Ich habe eine Seele.
 

Und weisst du was? Meine Haut ist aus Porzellan. Nicht nur metaphorisch oder so.

Deswegen geht das mit dem Lachen, dem weinen und dem Grimassen schneiden nicht so gut.
 

Wenn man einem Menschen die Haut abzieht ist er nur noch ein Klumpen Fleisch. Ob jung, alt, schön, hässlich, blond, schwarzhaarig spielt dann keine Rolle mehr. Aber die Leute finden solche Sachen wie Menschen ohne Haut eklig und deswegen pass ich gut auf, damit ich meine Porzellanhaut nicht verlier. Sonst wär ich nackt.
 

Aber das versteht sowieso keiner, die denken sich sonstwas, nur auf das Naheliegende kommen sie nicht. Alleinsein regt zum nachdenken an. Und nachdenken… was bringt mir das eigentlich? Bin ich schlauer als das Durchschnittsmädchen auf der Schulbank neben mir? Oder geistig weiter entwickelt?
 

Oder hoffnungsloser? Müder? Trauriger? Nachdenken macht mich traurig. Traurig sein ist nicht gut. Also sollte ich weniger nachdenken. Aber ich bin doch so oft allein.
 

Weil das Leben zu lang ist habe ich schon viele solche Teufelskreise gefunden und jeder einzelne macht es mir ein wenig schwerer.
 

Was genau macht es mir schwerer? Das Leben? Aber wieso denn? Ah ja, es macht mich etwas hoffnungsloser. Und wenn ich keine Hoffnung mehr habe, dass sich etwas ändert, dann sprech ich auch von mir aus nicht mehr andere an und das verkleinert die Chance, dass sich doch noch was ändert.
 

Manchmal hab ich Angst, jemand schnipst gegen meine Wange und pling bin ich nackt. Einfach so. Aber weil alle denken ich bin gefühllos, baut auch niemand irgendeine emotionale Bindung zu mir auf, also schnipst auch keiner gegen meine Wange. Keiner will meine Porzellanhaut berühren und das ist eben auch gut so. Richtig schlau eingerichtet eigentlich, das mit der Porzellanhaut. Auch ein Teufelskreis. Meiner.
 

Ich frag mich, wer da so intelligent war.
 

Manchmal, da will ich rennen.

Wegrennen, einfach weg, wohin auch immer, egal ob es Sinn macht oder nicht, rennen, bis alle Gedanken verschwinden und dann nochmal so lang. Rennen, bis daraus ein Weg mit unbestimmtem Ziel wird, eine Reise, die mich weiter bringt. Von A nach Irgendwo.
 

Manchmal will ich das so sehr.
 

Und dann holt mich die Realität ein und ich begreife, dass die Erde genau wie mein Kopf rund ist. Teufelskreise.
 

Mich will keiner berühren und wenn sie es ausversehen doch tun, dann schrecken sie sofort zurück.
 

Ich frag mich, wie sich denn eine normale Haut anfühlt. Sie sieht weich aus. Und… lebendig.
 

Aber ich darf natürlich niemanden anfassen.

Ich kapier das mit meiner Haut selber nicht, eigentlich weiss ich nur, dass sie irgendwie abnorm ist. Alle sagen dazu Porzellanhaut. Ich habe mal eine Puppe gesehen, die auch aus Porzellan war. Sie war wunderschön und ganz weit weg. Leider bin ich keine Puppe. Da müsste ich nicht denken, die war ganz leer innendrin. Sie ist vom Gestell runtergefallen und in tausend kleine Splitter zersprungen, irreparabel, ein Leben ist kostbar, von mir würde ein ganzer Klumpen Fleisch und eine Seele übrigbleiben, aber anstatt traurig zu sein würden sich wohl alle ekeln.
 

Manchmal denk ich, vielleicht wächst mir ja eine neue, richtige Haut, eine, die warm ist, und weich und dann häut ich mich. Von der Raupe zum Schmetterling oder so.
 

Aber wahrscheinlich geht das nicht.
 

Wahrscheinlich warte ich einfach auf das pling.

Schwarze Tränen

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

Meermädchen

Wieder bin ich schlaflos. Doch inzwischen ist es Winter. Menschen haben sich andere gesucht, damit die kalten Nächte nicht allzu lang werden. Meine Welt, die ich für einigermassen stabil hielt, verdünnt sich. Sie wird langsam blasser. Sie riecht nicht mehr so stark wie damals in den Sommernächten. Wenn ich aufstehe wird eine diffuse Helligkeit das Zimmer erfüllen und die weissen Wände trist aussehen lassen. Niemand wird hier sein. Keine unerwarteten Bewegungen, kein fremder Geruch mehr in meinen Haaren. Sie müssen immer zurück. Sommervögel. Sie geniessen es solange es andauert, aber die Faszination, die sie spüren, begründet sich auf der Fremdheit die es für sie hat. Die kleinen Menschen. Ich bin kein kleiner Mensch. Ich stecke in der Hülle eines kleinen Menschen. In ihrem Körper. Ich habe mich angepasst. Aber sie alle spüren, dass etwas anders ist. Als wäre ich verschoben, nicht im Einklang mit dieser Welt. Sie finden es anziehend.
 

Ich weiss, wenn ich aufstehe, werde ich versuchen ihrer Realität nachzujagen. Ich werde mich anziehen und in die Winterluft hinaustreten. Ich werde den kalten Wind in meinem Gesicht spüren. Wie ein kleiner Mensch werde ich mich gewohnheitsmässig in meinen Schal ducken und tief einatmen. Es wird sich anfühlen wie ersticken, wenn die kalte Luft in meine Lungen dringt. Als würde ich ertrinken, mir wird übel davon werden. Ich werde kalte weisse Birken im Winterlicht schimmern sehen. Ich werde die fahle Sonne hinter all dem Nebel sehen, Knochen in einer toten Welt. Und ich weiss, dass ich nur eines tun kann. Ich weiss, ich werde nie dort ankommen wo ich ursprünglich hinwollte. Stattdessen werde ich so lange rennen bis ich das Salz in der Luft schmecken kann, ich werde rennen bis meine Lungen brennen und ich wieder atmen kann. Ich werde das Meer sehen. Ich werde das Meer sehen. Ich werde mich strecken, werde mich dem salzigen Wasser zuwenden und es trinken. Wenn ich wieder aufstehe werde ich weinen.
 

Doch noch ist es Nacht und ich bin schlaflos. Ich muss mich mit allem was ich habe davon abhalten schon jetzt zum Meer zu rennen. Das Meer bei Nacht ist gefährlich. Schon bei Tag ist es beinahe unwiderstehlich, eine ewige Versuchung, nur ertragbar indem man ihr so nah wie möglich ist. Doch bei Nacht erstickt es mein Bewusstsein und überwältigt mich. Es würde mich aus meiner Hülle reissen und in die Fluten werfen. Diesem Sog zu widerstehen ist unmöglich. Nie vergesse ich den Tag an dem ich aus dem Meer kam. Doch entkommen kann ich ihm nie. Noch ist die Nacht endlos.



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