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Breaking Marble

von

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la larme de la rose

Ein Tropfen kühlen Regenwassers perlt aus dieser Rose. Es scheint, als würde sie weinen. Er kämpft sich aus den Kronblättern heraus ins Freie. Er fällt und ahnt den nahen Tod, den er unwissend oder nicht, selbst gewählt zu haben schien. Doch er zerschellt nicht auf dem harten Pflasterstein, er zerbricht nicht unliebsam an etwas, dass seiner nicht würdig ist. Er gleitet sanft gelandet auf schneeweißem Marmor, das perfekte Gesicht hinab, über den Hals, die Brust und sucht sich einen Platz, an dem er verweilen kann. Hier ... hier ist es schön ...

Er sammelt sich und bleibt.
 

Rose, Statue ... dieser Regentropfen eines Sommergewitters ist es, der sie nun verbindet ...
 

Es donnerte schon den ganzen Tag! Was war das nur? Wochenlang war die Sonne unerbittlich am Himmel gesessen, hatte erbarmungslos auf die Menschen in Tokio niedergebrannt. Nun regnete es Bindfäden! Uruha konnte nur den Kopf schütteln. Aber was sollte es? Die Abkühlung war doch auch nicht schlecht. Aoi schien sich sogar richtig zu freuen. Klar, er war ein Sonnenkind aus Mie ~ die wussten schon lange kräftige Gewitter zu schätzen. Überhaupt war Aoi den ganzen Tag schon super gut gelaunt ...
 

Uruha klappte die Metallstreben wieder zusammen, die er gerade mit den Fingern getrennt hatte, um durch das Rollo des kleinen Aufenthaltsraumes zu schauen.
 

Im Vorbeigehen stupste ihn Aoi an. „Hey, wir machen gleich weiter“, meinte er und zwinkerte ihm zu.
 

Uruha musste lachen. „Hai“, grinste er zurück. Es war schön, den Rhythmusgitarristen wieder so entspannt zu sehen, nach dem Unfall seines Vaters.
 

Seine Einlieferung auf der Intensivstation war für alle erschütternd gewesen. Aber er hatte es seinem starken Willen und seiner guten Konstitution zu verdanken, dass es ihm schon nach einigen Wochen wieder besser ging. Trotzdem war dieses Ereignis nicht nur für ihn, sondern natürlich auch für seine Mitmenschen einschneidend gewesen ...
 

Er überlegte jetzt gewissenhafter, was er tat oder besser bleiben ließ – und mit seinem alten verrosteten Lieblingsauto, das fünfundvierzig Jahre alt war, gegen einen Baum zufahren, gehörte definitiv zu solchen Sachen.
 

„Huch? Ist die neu?“, fragte Reita und schaute auf eine pechschwarze, lederne Gitarrentasche, welche an der Wand stand und betrachtete sie näher ...
 

„Bitte ganz vorsichtig damit“, wies ihn Aoi gleich zurecht. Spätestens jetzt gehörte die ungeteilte Aufmerksamkeit den beiden.
 

„So neu kann sie nicht sein ...“, korrigierte Reita sich selbst. „Diese Ledertaschen werden heute gar nicht mehr hergestellt ...“
 

Nun traten alle etwas näher und Aoi schlich sich dazwischen und stellte sich wie ein Museumsführer neben dem Musikinstrument auf. „Sie gehörte meinem Vater“, meinte er und keinem der anderen entging das geheimnisvolle Funkeln in den Augen des Dunkelhaarigen, als er dies sagte, auch den Tonaufnahmeleitern nicht, die sich nahe bei ihnen eine Kaffeepause gönnten. „Er hat sie mir geschenkt ...“
 

Alle bekamen große Augen.
 

„Das ... das ist doch nicht etwa ... diese Gitarre... oder?“ , fragte Ruki ungehalten.
 

„Hai, das ist sie ...“ Alle waren baff! Aoi hob sie auf dem lässigen an die Wand gelehnt Sein auf und ganz behutsam wurde sie auf die Kommode gelegt und vorsichtig ausgepackt. Sie war eine wahre, schwarze Schönheit, mit einer ins Holz des Klangkörpers geschnitzten schwarzen Rose. Stolz glänzte der Lack unversehrt und staublos ... Ganz sanft strich Aoi mit dem Zeigefinger über die perfekt gestimmten, hochwertigen Saiten und ihr Klang verzauberte alle Ohren im Raum.
 

„Wow ...“, machte Uruha fasziniert.
 

„La larme de la Rose ... die Gitarre, auf der mein Vater seine Lieder komponierte ... Er liebt sie fast mehr als meine Mutter“, lachte Aoi lieblich auf. „Sie ist ja auch ebenso stolz und schön ...“
 

„Und er hat sie dir vermacht ...?“, fragte Kai an.
 

„Hai, ich war doch am Wochenende in Mie, um ihn zu besuchen, er ist doch seit vorgestern wieder aus dem Krankenhaus raus ... Er sagte, das Leben sei kurz und dass er jetzt miterleben wolle, wie wir sein Werk fortsetzen ... Meine Schwester bekommt jetzt auch Unterricht, mein Bruder hat auch eine neue Gitarre bekommen und mir hat er seinen Schatz vermacht ...“ Einen Augenblick herrschte blanke Stille, als sei ein Engel vorbeigeflogen.
 

„Das bedeutet dir unheimlich viel, hai?“, fragte Kai vorsichtig und Aois Blick wurde so sanft wie in den letzten Wochen nicht.
 

„Hai, mein Vater und ich waren immer die größten Rivalen, mein Bruder war der erste, meine Schwester war schon immer seine Kleine, aber ich hatte es wirklich schwer mit ihm. Ich musste bei ihm immer um Annerkennung kämpfen. Mit diesem Geschenk hat er mir gezeigt, dass ich ihm wirklich etwas bedeute ... Das macht mich wirklich glücklich“ , sagte er dann ganz sanft und Uruha war nicht der Einzige, der in diesem Moment eine Gänsehaut bekam. Wenn Aoi so etwas sagte und nicht gerade auf der Bühne stand, oder auf einem Surfbrett, mit einer Gitarre allein in seinem Arbeitszimmer, dann hatte dies wirklich etwas zu bedeuten.
 

Das wussten alle, doch dann unterbrach der Rhythmusgitarrist selbst die Stille.
 

„Hey, jetzt schaut doch alle nicht so weggetreten ...“, kicherte er dunkel und lächelte dann schräg. „Lasst uns endlich anfangen zu arbeiten ...! Hopp, hopp!“, machte er dann und giggelnd wuselten alle zurück auf ihre Plätze. Wiederum vorsichtig packte Aoi die schwarze Träne wieder ein.
 

Sie probten und heute entstanden auch schon erste Aufnahmen für das neue Album. Es war ein guter Tag, alle waren zufrieden. Dies war selten gewesen.
 

„Aoi, soll ich dich mitnehmen...?“
 

Angesprochener drehte sich zu Uruha um. „Hai das wär gut, vielen Dank!", grinste er süß, während er seine Sachen packte. „Ach, Uruha? Kannst du die Gitarre schon mal mit runter in die Tiefgarage nehmen? Ich komm gleich nach, ich muss nur noch diese Bescheinigung abgeben ...“
 

„Hai, mach ich, aber hey, wer sagt dir, dass ich nicht mit der Kleinen durchbrenne, hm?“, grinste Uruha frech und lüpfte das T-Shirt des anderen, um ihn zu ärgern.
 

„Dann hast du wohl ein Problem mit meinem Vater ... sie ist immer noch >seine< Liaison~“ Beide Männer mussten lachen.
 

„Na das riskier' ich lieber nicht ...“
 

Ganz behutsam brachte Uruha die Gitarre danach herunter ins Parkhaus, er stellte sie vorsichtig an die Ladeklappe seines Autos. Ihm fiel ein, dass er noch eine Decke auf seinem Rücksitz hatte, mit der er die Gepäckfläche weiter auslegen konnte, damit es die schwarze Lady noch bequemer hatte. Er schlenderte also nach vorne und öffnete die rechte, hintere Tür, um die Decke zu holen. Gerade wollte er danach greifen, da spürte er, wie eine Hand sich leicht auf seinen Po legte, der nun gut erreichbar aus der Fahrgastzelle lugte. Sein ganzer Körper zuckte zusammen. Er hatte sich heftig erschrocken, sich fast gestoßen. „Aoi, lass den Scheiß!“
 

Nein, halt! Das war nicht Aoi! Es wurde unsanft zwischen seine Beine gegriffen und eine grobe Hand bohrte sich in seinen Oberschenkel und zerrte ihn aus dem Auto, er wurde sofort herumgedreht ... und ... geküsst ...
 

Grob und unkoordiniert, hastig, tief, Ekel erregend ... Mit quengelnden Geräuschen schaffte Uruha es gerade noch, ihn von sich weg zudrücken ... Doch gleich darauf griff eine starke Hand nach seinem Kinn und zwang ihn, in das Gesicht des Angreifers zu sehen.
 

„Na? Erkennst du mich?“
 

Uruha starrte nur in eine vor Gier und Wut entstellte Fratze. „Todo ... kumi ...“, brachte er nur halb im Würgen hervor.
 

„Hai, und ich bin wieder frei ...“ Sofort begann der Kupferblonde zu zittern. Er hatte Todesangst. „Ich sagte doch, ich bin noch nicht fertig mit dir“, schnalzte er gefährlich und leckte über Uruhas Wange, bis dieser angewidert die Augen zukniff, hoffte, dass er verschwinden würde. „Wir sehen uns“, wurde es unerträglich tief in sein Ohr geraunt. Dann wurde gänzlich und ruckartig von ihm abgelassen. Der Angreifer verschwand, aber Uruha traute sich ganze Sekunden nicht die Augen zu öffnen.
 

Ihm schossen Bilder durch den Kopf, Bilder von diesen großen Händen, diesem Blick eines Monsters, Dunkelheit und die Erinnerung an das Geräusch von zerreißendem Stoff holte ihn zurück. Doch sein Zittern wurde nicht weniger. Er vergaß alles. Er wollte fliehen ... nur weg von ihm, der hier noch irgendwo in der Nähe sein musste. Er schmiss hastig die Tür zu und stieg vorne ein. Er wartete auch kaum, bis die Zündkerzen des Dieselmotors vorgeglüht waren, sondern startete einfach, drängte die Gangschaltung unsanft und mit unschönem Ratschen in den Rückwertsgang und gab Vollgas!!
 

Es klappte und im nächsten Moment hörte er es weiter knacken! Erst da realisierte er wieder, was vorher war. Aoi! Die Gitarre! Er starrte nur geschockt nach vorne, dann wanderte sein Blick in Zeitlupe zum Rückspiegel.
 

Aoi--
 

Er war gerade die Treppe herunter durch den Eingang gekommen ... nun stand er wie ein Todesengel mit leerem Blick und leichenfahl dort, starrte auf Uruhas Auto und das immer noch in Leder gehüllte und dennoch geborstene Holz seines liebsten Schatzes ...
 

Der Wagen rollte wieder nach vorne. Knirschen. Die Tür flog auf und Uruha stolperte zu seinem Freund, der wie in Trance auf die Knie sank und sich über die plötzlich so spröden Lippen leckte. Seine zitternden Finger näherten sich dem Reißverschluss der Tasche, doch zwei fast weiße Hände hielten ihn davon ab, ihn zu öffnen und das Übel zu betrachten, das er, Uruha, verursacht hatte. Sein Herz raste noch immer, obwohl die Erinnerung an Todokumi nur wie ein Nebelhauch über ihnen schwebte. „Bitte, Aoi ... tu dir das nicht an“, wollte er ihn mit Worten hindern. Tu mir das nicht an.
 

„Wieso ... wieso, Kouyou?!“
 

Er sah im Augenwinkel, wie eine Hand gehoben wurde, um vernichtend auf ihn niederzugehen. Er rechnete mit dem Schlag, der in seinem Gesicht landen sollte – er hätte ihn verdient – doch nichts passierte. Zögernd sah er auf und erblickte geschockt, was er längst hätte sehen sollen.
 

Eine einzelne Träne bahnte sich ihren Weg über Aois Wangenknochen. Uruha brach es das Herz, dass er ihn am liebsten an sich gezogen und getröstet hätte. Aber er traute sich nicht, einen Finger zu krümmen. „Sag es mir ... was habe ich dir getan?“
 

„D-du hast mir nichts getan!“, behauptete Uruha vehement und versuchte, seinem Freund die Tasche unter den Fingern wegzuziehen. Wenn er vor dem älteren Gitarristen sehen würde, wie schlimm es um la larme bestellt war, könnte er ihn vorwarnen – vielleicht sogar eine Reparatur durchführen lassen, wenn die Schönheit nicht zu sehr zerstört war. „Ich ... ich war nur plötzlich in Eile! I-ich wollte etwas besorgen – ganz schnell, weißt du? Mir ist plötzlich eingefallen, dass ich etwas in der Stadt abholen muss ... ich ...“
 

„Spar dir deine Märchen!“, brüllte Aoi ihn an und für Uruha war das viel schrecklicher als ein Kinnhaken oder eine Ohrfeige. „Bist du tatsächlich schon so abhängig von dem Zeug?“ Er zog voller Gewalt und Aggressionen die Gitarrentasche zu sich in seine Arme, bis sie schlaff wie eine Lederpuppe über seinem Unterarm hing. Das Holz war endgültig gebrochen.
 

„Wa-was meinst du?“ Der Jüngere verstand nicht, wovon Aoi da sprach, was er von ihm wollte.
 

„Der Alkohol, du Idiot! Brauchst du so dringend Stoff, ja?!“ Seine Hände zitterten erneut, während er sich bemühte, aufzustehen und so schnell wie möglich von Uruha wegzukommen – dem Mann, der das Vermächtnis seines Vaters auf dem Gewissen hatte. „Oder bist du gar jetzt betrunken? Hast du deswegen vergessen, dass du eigentlich auf mich warten wolltest und noch dazu ... du hast sie zerstört, Uruha!“
 

Oh mein Gott, warum wachte er denn nicht aus diesem Alptraum auf? Der Dunkelblonde sank zurück auf seine Fersen, wobei er dabei zusah, wie Aoi immer weiter rückwärts ging. „Ich ... es tut mir doch Leid!“
 

„Es tut dir Leid! Echt? Warum hast du dann nicht deine Gedanken beieinander? Warum ist dir der Alk wichtiger als unsere Freundschaft?“
 

„Das stimmt doch gar nicht! Ich war nur abgelenkt!“
 

„Ach ja? Von was denn? Hier ist keine schöne Frau unterwegs, also was? Was, wenn nicht der Gedanke an die nächste Flasche Sake!“ Weitere Tränen quollen aus Aois Augenwinkeln hervor. Nicht Tränen der Trauer, aber das Gefühl der Wut trieb sie hervor.
 

So war es doch viel einfacher, über den Moment der Verzweiflung hinwegzutäuschen. Indem man die Schuld dem gab, der am nächsten war und auch die vermeintliche Schuld besaß. Und welchen Grund sonst sollte der Leadgitarrist haben, um unaufmerksam zu sein? Es war ja schließlich nicht so, dass sich jemand unbemerkt in die Tiefgarage der PSC schleichen und ihm drohen konnte ...
 

„Das habe ich wirklich nie von dir erwartet, Uruha ... So lange du deine Arbeit verrichtest und Niemandem außer dir großartig schadest, kannst du tun und lassen, was du willst, aber das hier ...“ Er drückte die Tasche in seinen Armen näher an sich, die Splitter knirschten unangenehm laut durch die Stille der großen Halle. „Selbst wenn jetzt die Tour auf der Strecke bleibt ... ich werde mit Kai und dem Management reden ... So geht es nicht weiter! Du wirst einen Entzug machen!“
 

„Die Fans warten auf uns!“
 

„Das ist doch eine faule Ausrede, damit du an der Flasche hängen bleiben kannst!“
 

„Das stimmt nicht! Ich habe überhaupt nicht an Alkohol oder Sake oder irgendwas dergleichen gedacht!“, verteidigte er sich und fühlte sich schwach, während er sich auf die Füße kämpfte und taumelte nach vorne, um zu Aoi zu gelangen, ihn festzuhalten und zu trösten, weil er einen großen Fehler begangen hatte.
 

„Woran dann?“, hinterfragte der Dunkelhaarige und im schummrigen Licht der flackernden Lampe über ihren Köpfen glänzte die Feuchtigkeit auf seinem Gesicht wie ein Schleier aus Sternen.
 

„Das ... kann ich dir nicht sagen ...“ Uruha senkte resignierend den Blick, seine Pupillen weiteten sich ohne sein Zutun vor Scham und Angst vor der Erinnerung an den Augenblick, als er in Panik und Aufruhr flüchten wollte. Doch das konnte er niemandem erzählen ... erst recht nicht Aoi.
 

„Also doch!“
 

„Es ist nicht so, wie du denkst!“
 

„Dann sag mir doch, was passiert ist!“, spottete der Ältere und drehte den Kopf demonstrativ weg. „Siehst du, du kannst es nicht!“, hänselte er weiter, als er sah, wie Uruha weiter zusammensank und das Haar hin- und herwarf. Weiterhin hielt er selbst die Gitarrentasche im Arm und schüttelte ebenso seine Haare. „Hast du was getrunken?“
 

„Nein ...“, kam die schwache Antwort und Aoi nickte.
 

„Dann fahr nach Hause ... du kriegst schon Bescheid, ob du morgen zur Arbeit kommst oder sofort in eine Klinik.“ Ihm war es ernst wie nichts anderes. Und er konnte Uruhas Anblick nicht länger ertragen. Egal, warum er sein Schmuckstück zerstört und überfahren hatte.
 

Der Jüngere schluckte schwer seine Tränen, seine Scham und sein Leid herunter, drehte sich um und stieg ins Auto. Der Motor startete, er fuhr weg. Und im Rückspiegel sah er, wie Aoi im Dunkel verschwand.
 

~~~~~
 

Seine Augen standen weit offen, heller als sonst und mit pulsierenden Pupillen starrte er in die Dunkelheit seines Schlafzimmers. Draußen war es Nacht. Und obwohl ihm aufgrund der wieder aufgestiegenen Hitze warm sein sollte, fror er und hüllte sich in seine Bettdecke, zog die Knie an die Brust und kugelte sich ein wie ein Embryo, um nichts von der Kälte zu spüren, die ihn umgab. Er kniff die Augen wieder zusammen, um die gleißenden Lichter seiner Erinnerung verschwinden zu lassen.
 

Wie konnte es sein? Wieso war Todokumi wieder freigekommen? Wie war er in die Tiefgarage gekommen ohne nach wenigen Minuten wieder rausgeschmissen zu werden? Er verstand es nicht. Wieso war er nicht benachrichtigt worden? Hatte er keine Auflage, sich ihm nicht auf weniger als 500 Meter zu nähern? Ob er auch wusste, wo er jetzt wohnte?
 

Uruha öffnete wieder die Augen und blickte auf den Boden vor seinem Bett – dort war niemand, der ihn während des Schlafens beobachtete und ihn maßregelte, dass er zu wenig stöhnte. Sein Blick schweifte hinüber zu seinem Nachtschrank, wo vor der Nachttischlampe sein Handy lag – eine Angewohnheit, die besonders Reita immer zu stören schien, wenn sie sich das Zimmer teilten. Der Bassist behauptete doch tatsächlich, er könnte die Strahlung seines nicht gerade billigen Handys hören und könnte deswegen nicht schlafen. Seine unter dem Kopfkissen versteckte Hand suchte nach einem Gegenstand und fand ihn. Das Messer in seiner Schutzhülle war ihm zum ständigen Begleiter und, ja, beinahe bestem Bettgefährten geworden.
 

Doch was war das? Der Leadgitarrist hörte, wie der Wind unter der Türkante hindurchfegte. Das konnte doch nicht sein, schließlich war seine Wohnung ein Neubau, alles superdicht und das Fenster hatte er auch nicht offen ... Uruha erstarrte unwillkürlich. Das Fenster war offen. Zwar nur gekippt, aber es stand offen. Wie konnte das sein? Er könnte nach diesem Erlebnis heute nicht bei geöffneter Luke schlafen, also hatte er es gleich geschlossen gelassen, aber das war es nicht mehr!
 

Und da waren Schritte, die nicht von der Wohnung über oder neben ihm kamen. Schritte, die sich seinem Schlafzimmer immer bedrohlicher näherten. Das Flurlicht kroch wie Nebel durch den kleinen Spalt über dem Boden, um ihn vor dem Unheil zu warnen, das vielleicht über ihn hereinbrechen würde.
 

Er war nicht umsonst innerhalb der letzten zwei Jahre drei Mal umgezogen. Nirgendwo fühlte er sich sicher genug, um dort zu bleiben. Nirgendwo hatte er die Ruhe, die er manchmal brauchte. Nirgendwo war es ihm möglich, auszuspannen und wie früher auch mal ungeschützt und mit offenem Fenster schlafen zu können.
 

Man hatte ihm diese Möglichkeit der Freiheit genommen, kurz nachdem er zusammen mit seinen Freunden das fünfte Bandjubiläum gefeiert hatte. Niemals hätte er damit gerechnet, Opfer eines Stalkers zu werden. Vielleicht einer Stalkerin, aber tatsächlich ein Mann, der ihn besitzen und lieben wollte? Er war nicht nur überrascht gewesen – sondern gleichzeitig geschockt, weil er ihn lange genug kannte und das nie von ihm gedacht hatte.
 

Und seit jenen Tagen, an denen er seine damalige Wohnung nicht aus eigenem Willen verlassen konnte, war das Messer bei ihm, um ihn vor möglichen Angreifern zu schützen. So wie in diesem Augenblick, als sich der Schatten ins Licht schlich und den Boden wieder in Dunkelheit hüllte. Gleich würde er die Tür öffnen!
 

Wer sonst als Todokumi sollte sich in seine Wohnung schleichen und nicht klingeln, wie jeder normale Mensch es tun würde, wenn er etwas wollte!
 

Uruha wand sich aus der Bettdecke, zog im Aufstehen die Klinge aus der Hülle und stellte sich so hinter die Tür, dass der vermeintliche Angreifer nicht bemerkte, wie er selbst in eine Falle tappte.
 

Mit erhobenen Messer wartete er. Die Klinke wurde heruntergedrückt, das Holz aufgeschoben und mit einem Schrei warf sich Uruha auf den Eindringling, der jedoch gekonnt auswich und den Größeren zu Boden stürzen ließ. „Was soll denn der Scheiß, Uruha?! Kein Wunder, dass kein Mädchen mehr in dein Bett kommen will!“
 

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Danke schön fürs Lesen! <3
 

Wir hoffen, es gefiel ^^
 

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Himi_und_Nami
 

Viele, liebe Grüße!

Himitsu_und_Namida

disparu

Blinzelnd sah der am Bodenliegende auf, ließ das Messer fallen und verbarg sein Gesicht in seinen eigenen Händen. Wenn er getroffen hätte ... Tränen kullerten ungehalten bis zu seinem Kinn entlang, bis sie im Hemdkragen seines Pyjamas versickerten. Das wäre ein Blutbad geworden. Er sah es vor seinen verweinten Augen, wie der kleine Körper vor ihm immer bleicher wurde und ...
 

„Uruha? Hey ...“ Die mit den Jahren erraute Stimme sank zu ihm herunter und eine kleine Hand legte sich auf seine bebende Schulter, die vor der Berührung zurückzuckte. „Habe ich dich so sehr erschreckt? Es tut mir Leid, das war nicht meine Absicht. Ich hab nur mitbekommen, wie Aoi und Kai sich unterhalten haben ... und wollte nach dir schauen ...“
 

Der Ältere schluchzte weiter, wiegte sich wie ein vernachlässigtes Kind vor und zurück, zog die Knie wieder an und schlang die Arme um die Beine. Dass einer seiner besten Freunde neben ihm kniete und versuchte, beruhigend auf ihn einzureden, nahm er nicht wahr.
 

„Komm schon ... hey ... was ist denn?“ Ruki nahm all seinen Mut zusammen und zog den Größeren an sich, bis dessen Kopf an seiner Brust lehnte und sich die langen Arme um seinen Körper schlangen, sich an ihm festhielten, als gäbe es sonst keine Möglichkeit, nicht abzustürzen.
 

„Ruki ... ich ... ich weiß nicht mehr, was ich machen soll! Das Fenster steht offen und ich dachte, du wärst ...“ Ein erneutes Schluchzen erschütterte Uruha.
 

Der Sänger drückte ihn ein wenig näher an sich und streichelte seinen Rücken. „Beruhige dich erst mal ... ich bin ja da ... Ein- und Ausatmen ... komm ...“ Er machte Synchronatemübungen mit dem Gitarristen, damit dieser nicht anfing zu hyperventilieren. „Ein ... und Aus ...“
 

Uruha schämte sich dafür, dass plötzlich alle Gefühle aus ihm herausgebrochen waren. Die Angst war heute nach der Begegnung mit Todokumi immer weiter angestiegen. Und das Schlimmste für ihn war, dass er sich nicht seinen Freunden anvertrauen wollte. Wie könnte er ihnen je wieder in die Augen sehen, wenn sie wüssten, was er durchlebt hatte? Auch wenn ihm das vielleicht aus seinem momentanen Konflikt mit Aoi helfen könnte ... jedoch war das Einheimsen von Mitleid nicht gerade die feine Englische: Es war immer noch Weglaufen. „Es ... es geht schon ...“ Der Kupferblonde zwang sich zu ruhigen Atemzügen, obwohl sich sein Herzschlag noch lange nicht wieder verlangsamen würde.
 

„Bist du sicher?“ Der Kleinere beobachtete verwirrt, wie der Andere aufstand und zischte, als er mit dem linken Fuß auftrat. „Was ist denn?“
 

„Ich hab mir ... beim Fallen wahrscheinlich das Knie verdreht. Nicht weiter schlimm ...“ Er bemühte sich zu lächeln und tat so, als wäre nichts weiter gewesen. Als hätte sein mentaler Zusammenbruch noch vor wenigen Minuten nicht stattgefunden. Er humpelte in die Küche und goss sich ein Glas Wasser ein, um es in einem Zug zu leeren. „Du hast gesagt ... du hast Kai und ... Aoi gehört?“
 

„Hai ...“ Mit einer skeptisch hoch gezogenen Augenbraue folgte er dem Gitarristen. „Aoi meinte, dein Alkoholkonsum würde langsam Überhand nehmen ... dass du in eine Klinik müsstest.“
 

„Weißt du warum?“
 

„Nein.“
 

„Ich hab la larme überfahren. War nicht bei der Sache ...“
 

„Was hast du gemacht?! Das ist ein Scherz, oder? Du weißt doch, wie viel ihm und seinem Vater diese Gitarre be ...“ Geschockt und völlig überrascht erkannte Ruki, dass Uruha litt ... unheimlich litt, dass er es nicht in Worte fassen konnte – oder wollte. „Das weißt du.“
 

„Hai ... ich kann es eben nicht mehr rückgängig machen ...“ Er seufzte tief, lehnte sich mit dem Rücken an die Arbeitsfläche und ließ den Kopf in den Nacken fallen. „Gerade bereue ich es sehr, dass ich mit dem Rauchen aufgehört habe ...!“
 

„Hai, kann ich verstehen ... Magst du eine Kippe haben?“ Der kleine Sänger kramte aus seiner Lederjacke eine Schachtel Pianissimo hervor, schnippte sie auf und bot sie Uruha feil.
 

Dieser schaute ein paar Sekunden auf die in einen Handschuh eingepackte Hand und schüttelte dann den Kopf. „Nein, ich will konsequent bleiben ... Wenn ich jetzt wieder mit dem Rauchen anfange, dann wird Aoi sofort denken, dass ich schwach bin ... und das wird seine These noch verstärken, dass ich alkoholsüchtig bin ...“
 

Ruki steckte die Pappverpackung wieder ein. „These? Du bist also der Meinung, dass du nicht süchtig bist ...?“
 

Uruhas Blick flog in die Augen des Sängers, der ihn interessiert musterte. „Hai, ich weiß es... Ich hab kein Alkohol-Problem ... Sicher trinke ich gerne mal einen über den Durst ... aber ... Das macht mich doch lange nicht zu einem Abhängigen, oder?“
 

„Klar, aber du musst schon zugeben, dass dein Konsum ziemlich zugenommen hat ...“
 

„Ich bin nicht krank ... Ich hab die Gitarre überfahren, weil ich in Eile war ...“
 

„Aber was kann denn so wichtig gewesen sein, dass ...“ Ruki wendete kurz den Kopf fragend hin und zurück.
 

Schweigen. „Das kann ich dir nicht sagen ... Das ist mir zu unangenehm ...“
 

„Hm ...“, machte der Jüngere mit den neuerdings dunkelblonden Haaren. „Ich würde es an deiner Stelle aber zumindest Aoi sagen - meinst du nicht, er hätte ein Recht darauf? – Und ich möchte, dass du das mit ihm klärst, bevor wir in die Tour gehen ... Wir werden mit DIM Scene bis September unterwegs sein. Es bringt uns nichts, wenn ihr euch nicht mehr versteht. Und wenn du nicht willst, dass er dich in eine Entzugsklinik schickt – und ich habe gesehen, wie ernst es ihm war - dann musst du ihm sowieso die Wahrheit sagen ...“
 

Wieder Schweigen.
 

„Uruha, das kann doch nicht so schwer sein ... Sag es mir, ich sag es ihm ...“
 

„Nein!“
 

„Ich versuch doch nur, dir zu hel...“
 

„Nein ... Lass mich bitte damit in Ruhe ... Ich kann das jetzt nicht ... Ich hab zuviel Angst ...“ Uruha konnte sich nur wegdrehen. Er hielt dem festen Blick des anderen nicht mehr Stand.
 

„Aoi wird dir schon nicht den Kopf abreißen“, meinte dieser dann, aber das half dem Kupferblonden gerade herzlich wenig.
 

Er konnte es einfach nicht zugeben, dass ein Mann ihm einmal das Leben zur Hölle machte und er konnte schon gar nicht Aoi davon berichten. Und eine Entschuldigung wäre es auch nicht ... Nichts würde den Verlust des Instrumentes wieder wett machen. Er fühlte sich nicht als hätte er sie zerstört, sondern als hätte er sie getötet ...

Unglaublich, welche Ausstrahlung sie hatte, denn er glaubte, sie hätte eine Seele besessen. Zumindest kam es ihm so vor.
 

Und er wusste genau, dass ihr auch für Aoi diese Bedeutung inne wohnte.
 

Wie er es auch drehte und wendete – er saß in der Falle. Rukis Hilfeangebot war zwar lieb gemeint, aber es brachte ihn nicht weiter. Wenn er den anderen die Wahrheit sagte, mochten sie ihn vielleicht nicht mehr in der Band haben. Denn dieser Typ würde über kurz oder lang auch zu einer Gefahr für seine Freunde werden. Diese Erkenntnis brach ihm fast das Herz ...
 

Er musste das mit Todokumi ganz alleine lösen. Es brachte nichts, die anderen da mit hinein zu ziehen. Und es musste schnell gehen, denn während der Tour würde dieser Mistkerl immer wissen, wo er sich aufhielt.

Aber was sollte er tun? - Zur Polizei gehen ... Ihm blieb gar nichts anderes übrig. Aber die anderen durften davon nichts mitbekommen ... Auf keinen Fall ... das würde alle nur aufscheuchen und die Tour gefährden und vor allem musste er unbedingt Aoi von diesem Klinik-Trip runterbringen. „Ruki ...? Fahr jetzt bitte Heim, hai ...?“
 

„Bist du sicher?“
 

„Hai, ich muss nachdenken ...“ Dabei hatte er das in den letzten Minuten bereits getan.
 

Ruki wusste aber, wann er verloren hatte. Uruha war oft lieb und ein bisschen schüchtern, aber er wusste sich auch durchzusetzen und vor allem war er in den entscheidenden Momenten schlicht stur. Da kam er jetzt nicht dran vorbei, auch wenn der Gitarrist noch so labil und schwach wirkte. „Ok“, sagte er kleinlaut. „Aber wenn irgendwas ist, dann rufst du mich sofort an, hai? Und versprich mir, dass du das ganze mit Aoi beredest ... Bis morgen ...“
 

Uruha nickte schwach - Ruki ahnte dass das kein Versprechen war. Er schüttelte nur den Kopf - was blieb ihm auch anderes übrig ... Und schließlich fiel die Tür hinter ihm einfach ins Schloss.
 

Uruha ahnte schon, dass der andere sich unheimliche Sorgen machte, alle würden das tun. Nur von Aoi konnte er sich das nicht vorstellen.
 

Der schien ihn zu hassen.
 

Wieder weinte Uruha ... es tat weh. Mehr als das.
 

Doch dann brachte er sich zur Raison - er ging zu seinem Handy. Fahrig drückte er die Nummer der Polizei.

Das Gespräch mit dem Beamten am anderen Ende, machte ihn nur noch trauriger. Nach und nach kam alles wieder hoch. Die Verhandlungen, die Angst ... was passierte...
 

Das alles wiederholen zu müssen, war schlimm für ihn, wahrhaft schlimm. Schließlich machte er mit dem Polizisten einen Termin für eine Aussage beziehungsweise Anzeige aus. Für den nächsten Tag, sehr früh. Er konnte sich vorstellen, dass das ganze etwas mehr Zeit in Anspruch nehmen würde, deshalb rief er Kai an und ließ sich freistellen. Kai hatte tausend Fragen, doch erst, als er log und sagte er wolle einen Arzttermin wahrnehmen, ließ er ihn in Frieden. Er wollte nach dem Termin auf der Wache, wirklich zum Arzt gehen und sich bescheinigen lassen, dass er nicht alkoholabhängig war, also war es nicht ganz gelogen. Die ersten Schritte waren getan ... nur für Aoi hatte er noch keine Lösung.
 

Nichts brachte ihm seine Gitarre wieder ...
 

~~~~~
 

Müde taumelte Aoi durch die Gegend, den Kaffee in der Hand. Er hatte die ganze Nacht kein Auge zugetan, die ganze Zeit das kaputte Instrument angestarrt und sich immer wieder gefragt, wieso ...?
 

Und vor allem, wie er das seinem Vater erklären sollte ... Das war das Schlimmste daran. Er würde wieder so entsetzlich an ihm zweifeln. Würde ihm vorwerfen, dass ihm dieses Geschenk nichts bedeutete und dass er immer noch unreif und verantwortungslos sei. Natürlich war es nicht seine Schuld, dass sie kaputt war, schließlich trug Uruha die alleinige Verantwortung dafür, aber es würde immer auf ihn zurückfallen und das würde sein Vater ihm auch nie verzeihen.
 

>Warum hast du sie diesem alkoholkranken Trottel gegeben ...?<

>Du hättest selber auf sie aufpassen müssen ...<

>Dir ist er ideelle Wert dieses Schatzes wohl überhaupt nicht bewusst ...<

>Ich vertraue dir nie wieder etwas an ...<
 

Er konnte sich lebhaft vorstellen, dass er so etwas zu hören bekommen würde, das oder Schlimmeres. Vielleicht würde sein Vater auch einfach nur Schweigen. Vielleicht würde er ihm einfach die Nase brechen.
 

Aber hassen würde er ihn ... auf jeden Fall.
 

Aoi seufzte ... Alles war auf einmal so kompliziert geworden, dass er den Überblick über seine eigenen Gedanken verlor.
 

Eine kleine Mitarbeiterin der PSC kam auf ihn zu. „Aoi-san ...? Ist Kai-san da?“
 

„Nein, noch nicht, wieso ...?“ Keiner war heute morgen so früh aufgestanden wie Aoi.
 

„Ich hab hier ein wichtiges Gespräch für ihn ...“
 

„Das kann ich doch auch entgegennehmen ...“ Und so tingelte er der gut parfümierten Dame hinterher ins Sprechzimmer der Labelverwaltung. Wie oft Kai hier wohl schon gesessen und Dinge für die Band ausgehandelt hatte? Das war also die geheime Telefonzentrale der PSCompany ... interessant ... „Moshi moshi“, nahm er schließlich das Gespräch entgegen.
 

„Ohayou~, Wachtmeister Hitô von der Zentrale Juuban 154 hier. Ich wollte fragen, ob ein gewisser Takashima Kouyou bei Ihnen zugegen ist ...?“
 

„Polizei ...?“, konnte Aoi nur verwundert fragen und drehte sich dann ertappt weg, als die kleine Sekretärin neugierig aufschaute. Sein Blick war mit einem mal hellwach und ernst.
 

„Hai ...“
 

„Anou, Takashima-san ist heute noch nicht hier gewesen, haben Sie es schon bei ihm zu Hause versucht ...?“
 

„Hai, fünf Mal, aber er scheint nicht da zu sein. Er hatte heute einen Termin bei uns, wegen einer Anzeige.“
 

„Anzeige? Weswegen...?“ Hatte er sich selbst angezeigt? Das war doch Schwachsinn!
 

„Es gab in der Vergangenheit mehrere Verhandlungen in seinem Fall und die müssen nun wieder aufgenommen werden. Er hatte schon heute um 5:30 einen Termin bei uns im Präsidium.“
 

Mehrere Verhandlungen? Was hatte das alles zu bedeuten? „Hat er was angestellt?“, fragte Aoi entschlossen.
 

„Iie, er hat die Anzeige erstattet, gegen einen anderen ... Näheres darf ich Ihnen nicht sagen ...“
 

Nani? Jetzt kam Aoi gar nicht mehr mit. Was war denn passiert? „Aber er hat nicht zufällig gegen mich eine Anzeige erstattet, oder? Mein Name ist Shiroyama Yuu.“
 

„Wieso, gab es Probleme?“ War ja klar, dass er nachhaken würde.
 

„Wir hatten nur Streit wegen einer Sachbeschädigung, aber das können wir auch untereinander klären ...“
 

„So so so, iie, Sie sind nicht derjenige. Es handelt sich um eine Angelegenheit seiner Vergangenheit, das sagte ich Ihnen doch schon ...“
 

Aoi atmete aus. Und gleichzeitig wieder tief ein. „Hai, ich verstehe ...“ War ja auch logisch, dass er es nicht sein konnte. „Ich weiß nicht, wo er sein könnte, ich habe ihn seit gestern Abend nicht gesehen ...“ Jetzt machte er sich doch Sorgen. „Aber ich kann Sie benachrichtigen sollte er hier auftauchen.“
 

„Hai, das wäre gut ...“
 

„Aber ich möchte, dass Sie mich auch benachrichtigen, wenn er bei Ihnen auftaucht ...“
 

„Hai, einverstanden. Ich verlasse mich auf Ihr Wort ...“ Damit legte er auf.
 

Aoi konnte nicht einmal mehr zustimmen. Was in Dreiteufelsnamen war da bloß los?
 

Gerade als Aoi dachte, alles wäre unheimlich kompliziert, wurde es noch hundert mal schlimmer.
 

Er schaute aus dem Fenster auf eine Rose, die gerade voll in Blühte stand.

Ein Tropfen fiel aus ihrem Kelch heraus ...
 

und ein ungutes Gefühl schlich sich in sein Herz ...
 

~~~~~
 

„Er war nicht bei der Sache. Den ganzen Tag schon nicht“, murmelte Reita und sah die Lippen vorschiebend zu seinem Gesprächspartner. „Ist ja klar, dass er verstört ist, aber ... so ist ja nicht weiterzuarbeiten.“
 

„Wirf ihm das nicht vor!“ Kai baute sich vor beiden auf und tippte mit dem Fuß ungeduldig auf den Boden. „Dir ging es auch nicht gut, als du deinen Bass zerbrochen hattest.“
 

„Ich konnte die Schuld niemand anderem zuschieben“, gab der Bassist die Augen verdrehend zurück.
 

„Hört auf damit, er kommt gleich wieder!“, warnte Ruki seine Kollegen und prompt kam Aoi durch die Tür. „Hat die Kippe nicht geholfen?“ Anscheinend musste der Sänger seinen Ruf als ‚Aoi-Ärgerer’ verteidigen.
 

„Mh.“ Die Hände in den Hosentaschen geschoben trabte Aoi zu seinem Platz und setzte sich erst mal äußerst legere auf seinen Hocker. „Sagt mal ... Könnt ihr bitte auf eure Handys schauen? Ob sich Uruha gemeldet hat ...“
 

„Er wird einfach schlafen und nichts mitbekommen“, meinte Reita wieder, doch der Älteste schüttelte den Kopf.
 

„Ich glaube nicht ... er hatte was vor, also ...“
 

„Ja, ja ...“ Er sah auf sein Handy und seufzte. „Nichts.“ Bei Kai und Ruki war kein anderes Ergebnis zu sehen, wobei Letzterer die Schultern sinken ließ. „Warum machst du dir denn solche Sorgen? Uruha ist auch schon groß ...“
 

„Aber er meldet sich sonst immer ab, bevor er nicht bei der Arbeit erscheint! Das wisst ihr, genauso gut wie ich!“, platzte Aoi aus sich heraus und schlug mit der Faust auf den neben ihm stehenden Tisch. „Das ist nicht seine Art!“
 

„Was ist denn los?“ Kai runzelte die Stirn. „Das ist doch nicht wegen der Gitarre, oder? Du willst ihm doch keine Abreibung verpassen, oder?“
 

„So’n Quatsch!“ Aoi atmete tief ein und aus. Er musste sich zurückhalten, denn von dieser Sache mit der Polizei musste er nicht jedem erzählen. Wenn Uruha ihm oder besser the GazettE nichts erzählt hatte, hatte er auch nicht das Recht, den anderen von dessen Problemen zu erzählen – zudem er noch nicht mal wusste, um was es sich im Entferntesten handeln könnte. „Ich mach mir nur so meine Gedanken, weil er nicht auftaucht – vielleicht sucht jemand anderes ihn auch.“
 

„Wer sollte ihn denn noch suchen? Die Polizei?“ Ruki hatte einen Witz reißen wollen, doch dem schwarzhaarigen Gitarristen ging kein Lächeln über die Lippen. „Wie jetzt? Echt? Die Polizei sucht ihn?“
 

„Du hast ihn angezeigt?“
 

„Nein, verdammt ...“ Er hatte noch nie lügen können. Und so etwas Wichtiges schon gar nicht verschweigen. „Ich ... die Polizei hat heute hier angerufen. Uruha hatte einen Termin und niemand weiß, wo er ist ... Er hat den Termin selbst ausgemacht, ist aber nicht erschienen. Ich weiß nicht, worum es geht. Man durfte mir natürlich nichts sagen ...“
 

Schweigen stand im Raum. Niemand traute sich, den anderen anzusehen. Bis das Klingeln eines Telefons die Stille entzwei brach.
 

Aoi ging an sein Handy. „Shiroyama desu.“
 

„Shiroyama-san, hier Hitô. Haben Sie ein Fernsehgerät in der Nähe?“
 

Aoi spähte hinüber zum Aufenthaltsraum, wo ein Fernseher stand. „Hai.“ Schon im Antworten stand er auf und ging hinüber, die anderen Gazettos folgten ihm neugierig und Stirn runzelnd.
 

„Schalten Sie es bitte an. Kanal vier, dort läuft gerade ein Bericht. Ich bin vor Ort.“ Anscheinend wartete er, dass er seinen Anweisungen Folge leistete.
 

Der Knopf wurde gedrückt, das Surren erklang, danach leuchtete der Bildschirm auf. Eine Dame in einem mittelteuren roten Designerkostüm und mit Regenschirm stand im rechten vorderen Bildrand, das Mikrofon in der Hand zum Mund gehoben. Hinter ihr war ein wahres Aufgebot an einem großen Einsatzkommando zu sehen, ein Abschleppkran, Taucher traten in dem dunklen See Wasser, um den Krankführer die nötigen Anweisungen zu geben. Mit betont monotoner Stimme und fast toten Augen berichtete die Reporterin den Hergang des Vorfalls.
 

„Vorbeikommende Autofahrer bemerkten die durchbrochenen Leitplanken und riefen sofort die Polizei. Taucher fanden heraus, dass tatsächlich ein Auto in den See gefahren war – anscheinend ohne zu bremsen, denn es konnten keine Bremsspuren festgestellt werden. Die Polizei geht davon aus, dass der Fahrer aus dem Wagen gespült wurde. Es wurde noch keine Leiche gefunden.“ Sie griff sich ans Ohr und nickte in die Kamera. „Wie ich gerade höre, wird in diesem Moment das Autowrack geborgen.“
 

Der Zoom näherte sich dem Kran, der wirklich etwas aus dem Wasser hievte. Nach einigen Sekunden, die Aoi wie Stunden vorkamen, konnte man das Auto erkennen, aus dessen Öffnungen das Wasser floss und an der schweren Stahlkette schwankte. Die Frontscheibe war zerborsten, als sei der Fahrer durch diese geschleudert worden und vermutlich hart auf dem Wasser aufgeschlagen.
 

Reita wandte sich ab und griff sich an die Augen. Kai biss sich auf die Unterlippe und verschränkte schützend die Arme vor der Brust, bevor er den Blick senkte. Ruki ging in die Knie und starrte weiter auf den Bildschirm. Jeder der Gazettos kannte diesen Wagen. Aoi lauschte den Worten des Wachtmeisters stumm und nahm nichts anderes mehr wahr, als die Bilder und Bruchstücke der Worte. ‚Keine anderen Anhaltspunkte’, hörte er. ‚Durchsuchung der Wohnung, kein Abschiedsbrief.’ Der Älteste hörte sich selbst mit den Zähnen knirschen, als er die Frage vernahm: ‚Hatte Takashima-san ein Alkoholproblem?’
 

Der silberne Kombi kam auf dem Abschleppwagen auf und wurde sofort weggefahren. Wachtmeister Hitô verabschiedete sich und kündigte sich für den nächsten Tag zur allgemeinen Vernehmung an der Arbeitsstelle an. Aoi legte auf und sah zu seinen Freunden und Bandkollegen. Er öffnete den Mund, wollte etwas sagen – doch kein Wort entkam ihm. Er erinnerte sich an den Wassertropfen, den er heute Morgen aus der Rosenblüte hatte perlen sehen – und gleichzeitig seilte sich eine Träne über seine Wange ab.
 

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Danke schön fürs Lesen! <3

Wir hoffen, es gefiel ^^
 

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Himi_und_Nami
 

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Himitsu_und_Namida

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„Das darf doch nicht wahr sein!“ Es war Ruki, der ein paar Minuten später mit dem Fuß aufstampfte, als könnte er das Geschehene mit dieser kindlichen Geste rückgängig machen. Seine Fäuste waren geballt und kurz darauf war auch sein Gesicht von Feuchtigkeit benetzt. „Er kann nicht ... er wird doch nicht etwa ...?“ Hilfe suchend sah er sich zu seinen Freunden um, in deren Gesichtern er den gleichen Schock und den gleichen Schmerz erkannte, den er auch in sich spürte.
 

Der sonst so rüde Bassist rieb sich die nackten Unterarme, als würde er frösteln. „Es geht ihm gut, es kann nicht anders sein ... Er wollte sicher tanken, hat den Schlüssel stecken lassen – dem Trottel wurde bestimmt das Auto geklaut.“
 

Kai presste die Lippen aufeinander, bis alles Blut aus ihnen gewichen war. Er traute ihrem Leadgitarristen vieles zu. Aber sich das Auto stehlen lassen? Andererseits ... war er der Typ, der ungebremst durch die Leitplanken brach und in einen See fuhr?
 

Der zweite Gitarrist griff ohne Rücksicht auf Verluste nach seiner Zigarettenschachtel und zündete einen der Glimmstängel an, um sich zu beruhigen. Zitternd führte seine Hand die Nikotinschleuder an seine bebenden Lippen, er nahm einen Zug, öffnete das Fenster und atmete aus. Ruki hatte Recht, das durfte nicht wahr sein. Auch Reita hatte Recht, es ging ihm bestimmt gut. Er kreuzte die Arme über dem Fensterbrett und legte seinen Kopf in die Beuge, atmete immer wieder ein und aus. Seine Schultern bebten, ohne dass er etwas dagegen tun könnte.
 

‚Wir müssen leider davon ausgehen, dass Takashima Kouyou heute Morgen verstorben ist. Sie haben mein Beileid, Shiroyama-san.’
 

Aoi lachte bitter auf und fing noch im selben Atemzug wieder an zu weinen. Der Jüngste kam von hinten auf ihn zu, wollte ihn beruhigen, in den Arm nehmen, doch er schlug die tröstende Hand weg. „Fass mich nicht an!“, brüllte er Wut entbrannt, obwohl er nicht sagen konnte, auf wen er eigentlich so wütend war. Auf den Wachtmeister, dass er so schnell aufgab? Auf Uruha, der sich nicht meldete? Oder auf sich selbst, weil er keine Ahnung hatte, wie er reagieren sollte ...
 

„Aoi ... es ... bestimmt ist er irgendwo da draußen ...“, wollte Kai ihn beschwichtigen
 

„Ach ja? Woher willst du das wissen? Woher? Das war sein verdammtes Auto, Kai! Das war Totalschaden! Das hätte niemand überlebt ...“ Ohne es beeinflussen zu können, flossen die Worte, die er dachte, aus ihm heraus. Die Angst der Wirklichkeit, die womöglich bald über ihn hereinbrechen würde, wenn es hieß: Wir haben ihn gefunden. Er wollte nicht darüber nachdenken, aber er konnte nicht verhindern, dass Bilder eines leblosen, blassen und aufgeschwemmten Körpers in seine Gedanken kamen. Wie Uruha angespült wurde. Die Polizeifotos. Jetzt erst dachte er an die Band ... die Fans ... seine Familie ...!
 

Langsam sah er seinen Freunden in die Gesichter und wurde wieder ruhig. Er hatte nicht das Recht, sich so aufzuführen. Nicht, wenn es galt, der Welt wahrscheinlich bald sagen zu müssen, dass sie einen der besten Gitarristen verloren hatte. Er glaubte nicht mehr daran, dass eine frohe Nachricht kommen würde.
 

„Es tut mir leid“, flüsterte er und umarmte Kai mit allem Gefühl, das er noch in sich spürte.
 

Der Drummer nickte. Seine muskulösen Arme erwiderten die Geste und nur Sekunden später kamen die letzten Beiden auf sie zu und schlossen sich dem augenscheinlichen Knoten aus Köpfen und Armen und Körpern an. Niemand traute sich, etwas zu sagen. Die Streicheleinheiten, die sie sich gegenseitig zuteil werden ließen, taten gut und Aoi seufzte auf, ehe er die Locken unter seinen Fingern spürte, die er sonst nie berührte.
 

Ruki bebte wie Aoi es noch nie erlebt hatte. Das Schluchzen ließ seinen ganzen Körper erzittern, dass man kaum annehmen konnte, er würde sich je wieder beruhigen. Vor den Staffmembern und den Fans hatte er oft eine Maske getragen, doch in diesem Moment lag diese am Boden und er ließ zu, dass seine besten Freunde in sein Innerstes sahen, um ihn zu halten, wenn er fiel.
 

Und der Rhythmusgitarrist fasste einen Entschluss, drückte seine Partner und Freunde noch mal, bevor er tief Luft holte. „Wir suchen ihn“, sagte er mit so fester Stimme, dass er selbst überrascht war. Er sah Kai nach seinem Handy greifen. „Du rufst das Management nicht an. Nichts gerät an die Öffentlichkeit.“
 

Etwas überrannt steckte der Leader das Gerät zurück in seine Hosentasche. Ruki schluchzte noch immer in Reitas Armen, dass Aoi das Herz schwer wurde.
 

„Wir dürfen ihn nicht aufgeben. All seine Lieblingskneipen werden abgeklappert, die Gitarrengeschäfte ... ich bezweifle, dass er sich in einem Krankenhaus befindet, dort hätte ihn die Polizei längst gefunden. Und dort, was euch sonst noch einfällt ... Lieblingsorte ... wo er gute Erinnerungen hat ...“
 

„Einverstanden.“ Der Kleinste unter ihnen rieb sich mit dem derben Stoff seines Ärmels über die Augen.
 

„Ich mach mich sofort auf den Weg. Wenn ich was höre, melde ich mich!“ Reita griff nach seinem Motorradhelm und verschwand durch die Tür. Gleich darauf folgte ihm Kai mit einem aufmunternden, wenn auch unglaubwürdigen Lächeln.
 

Als Ruki losgehen wollte, griff Aoi nach seinem Handgelenk, zog ihn an seine Brust und vergrub beide Hände in Rukis Haaren. „Wir finden ihn“, flüsterte er hoffnungsvoll und bemerkte das erneute Zittern, das durch den kleinen Körper ging. „Hab keine Angst.“
 

„Hai“, schluchzte Ruki und ging zur Tür, ehe er sich noch mal umdrehte. „Er – ich ... gestern war ich bei ihm ... was, wenn ich der Letzte war, der ihn lebend ...?“
 

„Du warst nicht der Letzte“, wurde ihm widersprochen. „Morgen kannst du ihn umarmen und küssen, wenn du magst.“ Eine niedliche Röte strahlte ihm entgegen, die ihm ein zaghaftes Lächeln auf die Lippen trieb. „Geh schon ...“ Auf das Zögern hin musste er wirklich schmunzeln. „Ich verrate niemandem dein kleines Geheimnis.“
 

~~~~~
 

‚You’re a slutty bitch! Spreading your legs and rising your ass like a hot cat ...’ Die Worte wurden nur geraunt und der feuchte Atem zusammen mit dem Geruch von altem Whiskey und Wodka schlugen ihm ins Gesicht. ‚The truth is ... you always missed me ... my cock ... in your sweet tightness ... you’re shivering and seeking for someone to fill you up ... or something ...’
 

Uruha hatte nur Bruchteile verstanden, nur manche Worte, die er vom Klang her kannte, deren Bedeutung ihm unter den Kopfschmerzen nur schwer wieder einfallen wollte. Doch sobald er für sich aus dem Englischen übersetzt hatte, begann er tatsächlich zu zittern und drängte sich gegen den Boden, weg von dem Körper, der über ihm lag und ihn begrabschte. Weg von den schweren Händen, die nach Schweiß stinkenden Haaren, die über seinen Nacken und seine Finger hinwegstrichen.
 

Irgendwie war es ihm gelungen, ihm dieses eine Mal noch zu entkommen. Todokumi verschwand, wollte etwas zu Essen und etwas zu Trinken besorgen. Der schwache Körper schauderte noch immer in Erinnerung an die Hitze. Doch jetzt war ihm kalt und er hatte unheimliche Angst, was passierte, wenn sein Peiniger zurückkäme. Die bisherigen Aktionen waren nur Spielerei gewesen. Das Streicheln unter seinem Oberteil, das verräterische Kneifen in seinen Po. Die Hand, die sich über seinen Bauchnabel hinweg in seine Hose schlich, um zu versuchen ihn zu reizen. Die Worte, die er kaum verstand, von denen er aber wusste, was sie ihm sagen sollten, wozu sie dienten: Um Uruha zu sensibilisieren für die Dinge, die noch kommen sollten.
 

Wenn Todokumi zurückkehrte, würde das kein Zuckerschlecken werden. Er musste verschwinden! Sofort!
 

Das hatte er jedenfalls gedacht. Und nur – es schien ihm wie – Sekunden später lehnte er an einer Hauswand, seine Haarsträhnen klebten ihm regennass in der Stirn. Er sah nicht gut aus. Jedenfalls fühlte er sich nicht so. Noch von Rukis Besuch her schmerzte das Knie, das er sich verdreht hatte. Obwohl er die Kleidung erst am heutigen Tage angezogen hatte, fühlte er sich schmutzig und unwohl.
 

Er ging los und ging und ging. Er stolperte immer wieder über seine eigenen Schuhe, über die offenen Schnürsenkel, seine schweren Füße. Er hinkte über Straßen und Gehwege, über Bordsteinkanten und Treppen, bis er in einen Park kam und dort an einem der Bäume hängen blieb. Voller Kraftlosigkeit ließ er sich auf den nassen Boden fallen, er fühlte die Rinde an seinem Rücken, spürte, wie sie ihm die Haut aufschürfte. Seine Jeans wurde grün und braun, fleckig von Erde und Gras.
 

Der Regen war erbarmungslos und drückte ihn immer weiter zu Boden, doch in der Ferne hörte er das stetige Plätschern eines Springbrunnens. Fließendes Wasser ... Sauberkeit ... Uruha stemmte sich wieder hoch, auf die Knie, hielt sich wieder an der Rinde fest, rutschte ab, landete erneut im Matsch. Er war schwach, schwach und ausgelaugt. Träne um Träne kämpfte sich aus seinen Augenwinkeln.
 

Heute Morgen war er losgegangen, hatte seine Wohnung verlassen – sofort lag er in Todokumis Armen, der ihn zur Seite riss, in den Gang zog und seinen Mund zuhielt, während im Hauptflur eine von seinen Nachbarinnen entlangging. Es hatte nicht lange gedauert, bis er das Bewusstsein verlor. Er wachte auf und fand sich in einem Kellerloch wieder, umgeben von einem Nebel aus Alkohol und Fäulnis.
 

Wussten seine Freunde, dass er nicht in Sicherheit war? Wusste die Polizei, dass er wieder in Gefangenschaft geraten war – nur anders als vor zwei Jahren? Wusste überhaupt jemand, dass er verschwunden war? Wie viel Zeit war vergangen? Es war wieder dunkel, doch der Regen ... er bedrohte ihn schon seit gestern ...
 

Ein letztes Mal versuchte er, wieder auf die Füße zu kommen und endlich gelang es ihm. Nur langsam kam er der Wasseranlage näher und nur langsam konnte er wieder freier atmen. Sein Blick klebte am Boden, er verließ sich auf sein Gehör. Der Platz war groß. Er hob den Kopf vom Kieselsteinboden und blickte sich um. Hier war der Park, in dem es dieses Labyrinth gab, in dem sich Liebespaare versteckten und romantische Augenblicke erlebten. Ein Lächeln huschte wie ein Windhauch über seine aufgerauten Lippen.
 

„Uruha?“ Es war die Stimme, die ihn noch gestern Nacht in seinen Träumen verfolgt und die er sich in den letzten Stunden zu hören gewünscht hatte. Nur nicht so gehetzt und verzweifelt ...
 

Uruha drehte den Kopf und sah die dunkle Gestalt sich gegenüber vor dem Brunnen stehen. Die Laternen glitzerten im Wasserspiegel und beleuchteten Aois Gesicht. In seinen Augen machte der Jüngere zwei Gefühle aus, die er nachvollziehen konnte. Erleichterung und Wut. Er sah Aoi auf sich zukommen, voller Elan. Er selbst lächelte, auch wenn er dieses Mal wirklich mit einem heftigen Kinnhaken rechnete.
 

In ängstlicher Vorahnung kniff er die Augen zusammen, als er Aois Schritte lauter werden hörte.
 

Doch alles, was er spürte, waren feste, starke Arme, die sich schützend um seinen Körper legten. Sie hielten ihn. Seine Kraft schwand und ganz leicht klappte er zusammen, lehnte sein Gesicht auf den robusteren Mann, der ihn so sehr drückte, als gäbe es keinen Morgen. Die letzte Energie brachte er auf, um sich an den warmen Körper des anderen zu klammern. Seine Arme schlichen sich unter dem Mantel um dessen schlanke Taille. Er schluchzte. Diese Geste, diese Umarmung war mehr als Trost, mehr als Schutz – sie bedeutete eine nie gekannte Gnade für ihn.
 

Die Tatsache, dass dieser Mann, dem er durch Unachtsamkeit etwas sehr Wichtiges genommen hatte, ihm auf diese schlichte Art und Weise zeigte, wie sehr er sich um ihn sorgte, kam ihm wie ein Wunder vor.
 

Uruha weinte. An seiner Situation mit Todokumi hatte sich nichts geändert, aber er schien Aoi wieder näher gekommen zu sein. Er fühlte sich besser. Dann riss er die Augen auf, als er ein verzweifeltes Schniefen hörte. „Aoi ...?“ Weinte er?
 

Der Dunkelhaarige vergrub sein Gesicht immer tiefer in die Halsbeuge des anderen. „Ich dachte, du wärst ... tot ...“, spuckte er die Worte aus und begann zu zittern, „Wo warst du, Idiot? Was ist passiert? Wer hat dich so zugerichtet? Ich hab es mit den anderen in den Nachrichten gesehen ... Dein Auto ... es war furchtbar ... Was ist denn nur passiert ...?“ Eindringlich schaute er den Kupferblonden an, er heulte Rotz und Wasser ...
 

„Mein Auto? Was ist damit? Das steht zu Hause ...“ Überrascht hielten beide inne.
 

„Aber ... da war dieser Bericht in den Nachrichten. Sie haben dein Auto aus dem See gezogen, es war vollkommen zerstört!“
 

„Was?“ Uruha bebte vor Aufregung, „Aber wieso ...?“
 

Wieder umarmte ihn Aoi genauso fest wie vorher. „Egal ... egal ... die Hauptsache ist, du lebst ...“ Der Regen versagte einen Moment in seinem Tun. „Du lebst, Kami ... du lebst“, murmelte der Kleinere immer wieder, bis er sich beruhigt hatte. „Ich lass dich ab jetzt nicht mehr aus den Augen ... Keine Sekunde ...“
 

„Aoi, du ... brauchst dir wirklich keine Sorgen um mich machen ... ich kann auf mich aufpassen ...“
 

„Schluss! Ich will nichts mehr hören! Dein Anblick sagt mir, dass du das Chaos in deinem Leben nicht allein bewältigen kannst. Mag sein, dass du nicht alkoholsüchtig bist, aber dich bedrückt etwas dermaßen, dass es dir die Luft abschnürt. Die Polizei hat angerufen und wollte dich sprechen. Sie sagten was von Verhandlungen die wieder aufgenommen werden müssten.. Was ist denn da passiert? Du steckst doch in Schwierigkeiten!“
 

Uruha wand sich aus der Umarmung des anderen heraus und drehte ihm den Rücken zu. „Mit mir ist alles okay. Ich muss das ganz alleine lösen ...“ Er wollte nicht, dass Aoi sah, dass er log. Er war nicht okay: Er zitterte am ganzen Körper, war übersäht von blauen Flecken, hatte eine Schürfwunde am Ellenbogen ... Er hatte Angst. Aber Aoi die Wahrheit zu sagen bedeutete, dass er ihm unweigerlich so manches schmutzige Detail erzählen hätte müssen. Er schämte sich zu sehr für das, was ihm passiert war. Viel zu sehr. Schließlich war er ein Mann. Und sein gesellschaftlicher Stand war ebenfalls in Gefahr. Wurde doch alles, was anders oder Opfer war, sofort zum Outcast des Landes ... „Ich werde nach Hause gehen ...“
 

„Nein!“ Aoi lehnte das Gesicht an den schlotternden Nacken des anderen. Er nahm den Geruch von Schimmelpilzen wahr, von Schlamm und Gras und noch einen anderen, den er nicht kannte. „Ich komme mit“, sagte er ganz ruhig.
 

„Nein ... ich will alleine sein ...“
 

„Ruki meinte, du hättest totale Angst allein zu Hause ... er muss es gesehen haben, als er dich besucht hatte. Bitte Uruha ... lass mich dich beschützen. Ich will den Uruha nicht verlieren, den ich vor so langer Zeit hier das erste Mal gesehen habe. Du hast auf dem Brunnen gesessen ... schön wie eine der Statuen, die hier überall zwischen all den Rosen stehen ... und du hast Gitarre gespielt. Bitte lass mich mitkommen ... oder komm mit zu mir. Ich will dich nicht verlieren, ich will nicht, dass du ständig Angst haben musst. Bitte ...“
 

Uruha konnte nicht verhindern, dass sich eine leichte Röte auf seine Wangen stahl.
 

Erst jetzt begriff er, dass er seinen Freund tatsächlich schon vor ihrer offiziellen Bekanntmachung durch Ruki gesehen hatte. Uruha war damals hier her gekommen und hatte sich auf die Kante es Brunnens gesetzt und Gitarre gespielt. Das war der Tag, an dem ihm wirklich das Herz gebrochen wurde, durch eine Mitschülerin. Sein Spiel klang so Herz zerreißend, dass Aoi einfach stehen geblieben war. Er hatte ihm als Einziger bis zum Ende zugehört. Erst als Uruhas Gesicht von Tränen überschüttet war, verklang sein Tun im Nichts des halbleisen Stadtlärms. Er hatte nicht die Kraft mehr weiterzumachen. Aoi war schließlich einfach auf ihn zugekommen. Völlig gerührt hatte er den anderen umarmt, so er ihn gar nicht kannte.
 

„Ich hoffe, es geht dir bald besser und dass dein Spiel bald nicht mehr so einsam klingt“, wiederholte Uruha Aois Worte von damals.
 

„Genau ...“, flüsterte der Mann hinter ihm sanft, „Ich weiß dass ich sehr ungehalten reagiert habe, wegen meiner Gitarre, meine ich ... aber das alles ist jetzt unwichtig ... das alles zählt jetzt nicht mehr ... Nicht, dass sie zerstört ist und nicht, was mein Vater dazu sagen wird ... Ich will erst mal, dass es dir wieder gut geht, du bist jetzt das Wichtigste ... für mich ...“
 

Uruha presste das Augenpaar zusammen. Er drehte sich zurück und zog den anderen wieder in die Arme. „Aoi“, schluchzte er nur. Er hätte sich so gerne einfach fallen lassen.
 

„Komm mit zu mir nach Hause ... gib dir ein paar Stunden Ruhe ... Ich benachrichtige die anderen, dass alles in Ordnung ist ... Wenn du willst, dann sage ich ihnen, dass du heute Abend deine Ruhe haben möchtest. Bitte Uruha ... wir kriegen das gemeinsam wieder hin. Hm? Und dann kannst du auch Ruki wieder in die Arme schließen. Wir halten zu dir, egal was immer dich belastet ...“
 

„Ruki? Wie kommst du jetzt darauf?“ Uruha schaute den anderen wieder unsicher an. Dieser lächelte nur lieb.
 

„Ich weiß doch, was zwischen euch los ist ...“, stubste er den anderen an.
 

„Hm?“ Uruha wurde aber ignoriert und einfach an die Hand genommen und mit gezogen.
 

„Soll ich dich stützen?“
 

Ein süßes Nicken folgte. Uruha hatte nicht mehr die Kraft, sich zu wehren oder dem anderen zu widersprechen. Er ließ sich mitziehen, setzte sich wackelig neben Aoi ins Auto. Er schaute den Dunkelhaarigen an, während er dessen Finger über die Tastatur seines Handys fliegen sah, um den anderen einen Stein vom Herzen zu stoßen. Er prägte sich gut das Profil des anderen ein, so interessiert hatte er ihn selten gemustert. Er ließ den Blick über den durchgeweichten beigen Pullover unter dem Mantel schweifen, auf die Hand, die seine gerade so fest gehalten hatte, als wolle er sie nie wieder loslassen wollen. Er musste schlucken. Konnte er doch wieder nicht verhindern, dass er ein bisschen rot wurde, bei dem Anblick, schließlich konnte er sich an einen Aoi erinnern, der nie im Leben in aller Öffentlichkeit mit einem Mann Händchen haltend durch die Stadt gelaufen wäre.
 

„So“, sagte Aoi dann und drehte den Schlüssel herum, nachdem sein Handy auf der Armatur gelandet war. Er drückte die Kupplung durch, während er den Motor startete, eine Vorsichtsmaßnahme, die verhindern sollte, dass das Auto los sprang, wenn er versehentlich vergessen haben sollte, den Gang raus zu nehmen. Aoi ging immer sehr umsichtig mit seinen Dingen um. Es war unfassbar, dass er ihm diese Gitarre übergeben hatte. Er musste ihm in diesem Moment bedingungslos vertraut haben. Und nun hatte er ihm scheinbar auch noch verziehen. Die Güte von Aois Herz war unglaublich groß und trieb Uruha schon wieder die Tränen ins Gesicht. Er zog die Nase hoch und wischte sich die Augen trocken.
 

„Alles okay?“, fragte der Rhythmusgitarrist sofort. „Soll ich rechts ran fahren?“
 

Uruha schüttelte nur den Kopf: „Iie, lass uns einfach zu dir fahren, hai?“, und lächelte tapfer, obwohl er dem anderen schon wieder hätte um den Hals fallen können. Aoi nickte nur. Kurze Zeit später waren sie schon angekommen. Der Kupferblonde liebte Aois kleines Apartment. Besonders seinen kleinen Aufnahmeraum und seine Badewanne. Und das wusste Aoi auch.
 

„Ich denke, ich stecke dich erst mal in die Badewanne, hai?“, zwinkerte er und Uruha musste zum ersten Mal an diesem Tag schmunzeln. „Geh schon mal rein, ich hol dir Sachen von mir, deine können wir waschen ...“
 

„Nein, kannst du sie bitte wegwerfen ...? Ich werde sie bestimmt nicht mehr tragen.“
 

Aoi überlegte einen kleinen Moment, dann stimmte er aber zu. „Schmeiß' sie mir einfach vor die Tür ...“
 

Uruha genoss das warme Wasser, das seinen Körper sanft umspielte. Der weiße Schaum gab seiner gepeinigten Haut wieder etwas Unschuldiges. Schon nach kürzester Zeit hatte er das Ziehen in seinen Schrammen erfolgreich verdrängt. Doch er fuhr heftig zusammen, als es an der Tür klopfte. Erleichtert vernahm er, dass Aoi hinter ihr stand und nun vorsichtig in den Raum hinein lugte.
 

„Darf ich kurz reinkommen?“
 

„Was? Anou ... hai ...“ Der Jüngere wusste selber nicht, warum er Aoi einfach rein bat, wo doch nur ein Batzen Schaum dessen Blick von seiner völligen Nacktheit schützte.
 

„Ich leg dir die Sachen hier hin, hai?“ Wie liebevoll sich Aoi um alles kümmerte. Er bemühte sich sogar den anderen Mann im Wasser nicht anzusehen, aus Anstand. Doch kurz vor der Tür hielt er inne. Er schloss ab und nahm den Schlüssel an sich.
 

Sofort beschleunigte Uruhas Herz. Aoi drehte sich mit undefinierbar interessiertem Blick zu ihm um. Er kam näher, setzte sich zu Uruha auf die Kante der Dreiecksbadewanne. „A-Aoi ...?“, fing Uruha an zu zittern – er saß in der Falle.
 

„Bitte, bitte erzähl mir, was passiert ist ... Uruha ... Der Tag war für uns alle schrecklich ... die Hölle, um genau zu sein ... Ich will dir helfen und dir beistehen ... Bitte ... Sag mir, was passiert ist ...“
 

„Ich kann das nicht ... Aoi ...“
 

„Doch.“
 

„Nein! Dann würdest du vielleicht nie wieder etwas mit mir zu tun haben wollen ... Das will ich nicht ...“
 

„Hast du eine Straftat begangen?“
 

„Aoi, bitte zwing mich nicht dazu ...“ Er schlang die Arme fester um die Knie. Wieder zitterte er, obwohl ihn das Wasser immer noch wärmte.
 

„Ich zwing dich zu gar nichts ... ich wünsche mir nur, dass du das Vertrauen, dass ich in dich habe, auch mir entgegenbringst.“
 

Damit hatte er ihn. Das war offenbar das richtige Argument. Mit großen schwimmenden Augen musterte Uruha den lieben und verständnisvollen Blick des Mannes ihm gegenüber. Diesen tiefschwarzen Augen hatte er schon immer schwer widerstehen können. Eine kleine Weile sahen sie sich einfach so an. Uruha wusste nicht wieso, aber ihm kamen auf ein mal Rukis Worte in den Sinn. Er hatte Recht – er war Aoi die Wahrheit schuldig. Schließlich hatte dieser nach all dem, was passiert war, immer noch den Mut so viel auf ihn zu halten. Er starrte eine kleine Weile einfach nur aufs Wasser. Sein Kreislauf sank, sodass Aoi die Farbe aus seinem Gesicht laufen sehen konnte.
 

„Bitte vertrau mir ...“, flüsterte er und lockte ihn, wieder ihn anzusehen.
 

Er brauchte einen weiteren Moment, um sich zu sammeln. Seine Finger pressten sich unangenehm in seine Haut. Ihm wurde schlecht, hätte die Wahrheit gerne auf einen Schlag aus sich heraus gebrochen. Doch er musste alles Stück für Stück erklären.
 

„Als ich ... als ich deine Gitarre in den Kofferraum legen wollte, dachte ich ... ich könnte die Ladefläche mit der Decke auslegen, die ich immer auf dem Rücksitz habe ... damit das feine Leder keine Schrammen bekommt ...“
 

Nun wusste Aoi, dass er gewonnen hatte. Auch sein Herz beschleunigte. Er rückte sich zurecht und hörte aufmerksam zu.
 

„Hai ...“, machte er wehmütig, die Erinnerung an gestern tat natürlich immer noch weh.
 

Uruha fing an, nervös mit den Fingern zu spielen. „Ich hab die Decke von hinten holen wollen ...“ Da musste er jetzt durch – es gab kein Zurück mehr. „Plötzlich hat mich jemand aus dem Wagen gezerrt und mich gegen die Karosse gedrückt ...“, ein scheuer Blick folgte, um Aois Reaktion zu testen. Uruha hatte erwartet, dass der Ältere ihm nicht glauben würde, doch das Gegenteil war der Fall. Alles was er sah, war ein Gesicht voller Überraschung und Betroffenheit. „Er hat mich geküsst ... und mich bedroht ...“
 

Aoi blinzelte auf einmal heftig, doch sein Ausdruck blieb. „Geküsst? Kennst du ihn ...?“
 

„Hai ...“ Uruha musste sich zurückhalten, dass er nicht wieder das Heulen bekam. „Todokumi hat ...“
 

„Todokumi??“, fragte Aoi entsetzt. „Dieser unheimliche Typ von unserem Staffteam damals??“
 

„Hai ...“ Dass der Dunkelhaarige sich daran noch erinnern konnte, hätte Uruha nicht gedacht. „Du weißt also, wen ich meine?“
 

„Hai, klar ... der hat mich doch immer so angegiftet, wenn ich deine Gitarre feingestimmt habe ... Das war mir richtig unangenehm ... Der Typ ist eklig gehässig ...“
 

„Der Typ ist krank...“
 

Aoi sah, wie Uruhas Augen sich in diesem Moment zusammen zogen. Er beugte sich schnell vor, seine Hand klatschte auf die weiße harte Kante, an der er sich abstützte. „Was hat er dir angetan, dieses Schwein ...? Ich mach ihn kalt, ich schwörs ...“
 

Einen Moment lang konnte Uruha nur schockiert aufschauen. Er hatte seinen Freund noch nie so reden hören. Aber das zeigte ihm auch, dass Aoi schon damals eine Art Feingefühl für Todokumi entwickelt hatte. Er wusste wohl von Anfang an, dass er gefährlich war. „Er sagte, er wäre noch nicht fertig mit mir ... Ich hatte Todesangst, Aoi, ich dachte, er würde mich wieder in sein Auto schleifen ... Er hat sich verzogen, wahrscheinlich hat er dich kommen hören ... Da hat er mich losgelassen ... Und ich bin in meiner Angst ins Auto und wollte einfach nur weg ... Ich bin angefahren und da war es auch schon zu spät ... Es tut mir Leid, Aoi ... es tut mir so Leid.“
 

Aois Blick wurde wieder betroffen, doch die Wut war noch nicht entschwunden. „Wieder?“
 

„Was?“
 

„Du sagtest, du hättest Angst gehabt, dass er dich >wieder< in sein Auto schleift ...“
 

Uruhas Augen wurden groß wie Teller. Das war die perfekte Überleitung zu dem, was er so gefürchtet hatte. Er nickte, schluckte wieder, konnte eine Träne nicht zurückhalten, die ihm einfach entkommen war ... „Als wir damals auf Tour waren ... hat ... Todokumi ... sich in mich ... verliebt ... Er hat zuerst versucht, immer in meiner Nähe zu sein. Auch als ich ihn zurückgewiesen hatte, nachdem er mich im Bandraum verführen wollte, als ihr in der Stadt unterwegs ward. Er hat nicht aufgegeben ... er hat mich immer wieder abgefangen und mich geküsst ...“ Uruha wand den Kopf zur Seite.
 

Aoi konnte ihm ansehen, wie peinlich ihm das war, so etwas erzählen zu müssen.
 

„Mir war es damals unangenehm, das zu sagen ... Ich wollte die Tour einfach durchhalten und euch nicht damit belasten, dass ich nicht mit dem Liebesambitionen eines anderen Mannes klar kam. Aber er hörte auch nicht auf, nachdem die Tour beendet war. Er rief mich an, schrieb mir widerliche Briefe. Ich traute mich eine Zeit lang kaum mehr aus dem Haus. Er schmierte englische Sprüche an die Wände meiner Wohnung – da wusste ich, dass es für ihn kein Problem darstellte, einfach in meine Wohnung einzubrechen. Als er mir mal auf dem Parkplatz aufgelauert hatte, habe ich ihn an geschrieen, dass er mich in Ruhe lassen soll, dass er mir Angst mache ... dass ich ihn hassen würde und seine Gefühle nie erwidern könnte ... Da ist ... er ausgerastet ...“
 

Aoi bemerkte, dass Uruha bereits jetzt am Ende war..., aber er konnte und wollte ihn nicht unterbrechen.

„Er hat mich geschlagen, solange bis ich das Bewusstsein verlor ... Als ich aufgewacht bin, lag ich auf dem Rücksitz seines Autos. Er hat ewig lange mit mir diskutiert und mich mit einem Messer bedroht. Ich hab ihn nur immer wütender gemacht, wenn ich ihm widersprach. Plötzlich setzte er sich auf mich ... er hat ... versucht, mich auszuziehen und ... er wollte ... mich stimulieren ...“ Nicht nur Uruhas Hände verkrampften sich in diesem Moment unangenehm. „Er hat meine Sachen zerrissen ... und ich konnte mich nicht bewegen ... er ist viel stärker als ich ... Dann hat er sich aufgeknöpft ... er ist zwischen meine Beine gerutscht und ...“ Wieder kniff Uruha die Augen zusammen. Die Bilder in seinem Kopf sprengten ihm fast die Schädeldecke. „Als ich ihn leicht an mir gespürt habe, bin ich durchgedreht. Ich hab wie wild um mich getreten, auch in sein Gesicht ... er ist gegen die Scheibe geknallt und war sofort ohnmächtig ... Ich hab mich irgendwie aus dem Auto raus gekämpft und mich durch den Wald in den nächsten Ort geschleppt. Da hab ich dann die Polizei verständigt.“ Uruha schaute auf, nur mit verschleiertem Blick konnte er das Entsetzen in Aois Blick ausmachen. „Es tut mir Leid, ich will nicht, dass du mich jetzt verabscheust ...“
 

„Was?“ Sofort brach Aois Starre wieder. „Nein, ich verabscheue dich doch nicht ... hey ...“ Uruha bekam längst keine Luft mehr, schluchzte zu heftig. „Warum sollte ich, er ist es den ich verabscheue ...“ Der Dunkelhaarige bemerkte, dass er Uruha so nicht beruhigen konnte und ohne weiter darüber nachzudenken, stieg er zu dem Weinenden in die Wanne. Ihm war es egal, dass er noch Klamotten an hatte, ihm war es egal, dass Uruha nackt war. Alles, was zählte, war, ihn zu umarmen und ihm das zu geben, wonach er sich gerade mehr als alles andere sehnte – Schutz. Er legte beide Arme um den Körper, der nur kurz irritiert zusammen zuckte und sich ihm dann dankbar zuwendete, sich an ihn klammerte.
 

Eine kleine Weile ließ Aoi ihn einfach weinen. Ohne es zu merken streichelte er den blassen Körper, als wolle er die Angst vertreiben, legte die Lippen auf die Schulter seines Freundes und küsste sie nur, um ihn zu beruhigen. Nun wurde ihm erst richtig bewusst, wie viel Überwindung es Uruha gekostet haben musste, ihm davon zu erzählen ...
 

„Er hätte mich beinahe, er wäre beinahe ...“ Uruha konnte das nicht einmal aussprechen.
 

„Hab keine Angst, du bist jetzt in Sicherheit, es ist alles gut. Hier kann dir nichts passieren. Solange du bei mir bist, kann er dir nichts tun. Ich werde dich beschützen. Zusammen sind wir stärker ...“ Aoi spürte nur, wie Uruhas Finger sich in seinen nassen Pulli krallten. Er begriff, wie unheimlich Uruha gelitten haben musste.
 

„Und heute Morgen ... heute Morgen hat er mich im Flur mit Chloroform überwältigt ... er hat mich in einen Bunker oder so verschleppt und wollte ... wieder ...“ Der Zitternde spürte wie die Arme um ihn ihr Tun intensivierten. „Er hat schon auf mir gelegen ... aber anscheinend wollte er mir nur drohen ... Er ist weg gewesen, wollte was holen, und ich habe es dann geschafft, irgendwie da raus zu kommen ... Ich ... bin durch den Lüftungsschacht geflohen und bin dann in den Park ...“
 

„Oh, mein Gott ...“, flüsterte Aoi bedeutungsvoll. „Und du wolltest uns nichts davon erzählen ...?“
 

„Nein, ich will nicht, dass er euch auch etwas antut, ich trau ihm alles zu, er ist schrecklich ...“
 

„Aber du musst das Alles nicht allein durchstehen ... Wir können dich doch beschützen ...“
 

„Verstehst du denn nicht?? Er ist zu allem fähig ...“
 

„Beruhige dich bitte erst mal wieder ... Ganz ruhig ...“ Über eine Stunde lang lagen die beiden schließlich stumm neben einander in einer innigen Umarmung in der Badewanne. Der Schaum war längst verschwunden, doch dem Kupferblonden schien das jetzt egal zu sein. Aoi durfte ihn so sehen, denn er akzeptierte diesen Körper, diesen Menschen, ungeachtet dessen, was ihm widerfahren war. Und im gleichen Maße, wie der Schaum verschwunden war, waren auch Uruhas Scham und sein Peinlichkeitsgefühl verschwunden.
 

Aoi wusste nun alles und Uruha erzählte ihm dann noch, dass es ein paar Verhandlungen gegeben hatte, in denen Todokumi alles gestand, angeblich, um ihm seine Liebe zu beweisen. Er wurde eingelocht, für lächerliche drei Jahre ... und nun war er ausgebrochen, bereit zu allem und ... frei ... mit dem ruhigen Gewissen, das Alles aus - Liebe – zu tun ...
 

Aoi hatte Uruha dazu gebracht, aus der Wanne zu steigen, sein Körper war so schwach, dass er sich kaum auf den Beinen halten konnte, zu sehr hatten die Gefahren und Gefühlsausbrüche an ihm gezehrt. Ohne Widerworte ließ er sich von Aoi abtrocknen, der seine Haut nur ganz sanft abtupfte. Er stand hier splitterfasernackt vor seinem besten Freund und es war ihm egal. Er brauchte nichts mehr vor Aoi zu verstecken: Keine feinen Narben, keine blauen Flecke, keine Schürfwunden, keine noch so widerliche Erinnerung, die unsichtbar an seiner Haut klebte. Aoi half ihm auch beim Anziehen, wie eine Mutter kümmerte er sich um ihn, wortlos kämmte er ihm die Haare, versorgte ihn mit pflastern und Bandagen, einem Druckverband für sein Bein. Einen Moment schauten sie sich wieder an.
 

„Aoi?“
 

„Hai?“
 

„Darf ich ... darf ich mit dir in einem Bett schlafen ...?“, fragte Uruha schüchtern.
 

Aoi blinzelte wieder, dann setzte er die liebevolle Version seines unvergleichlichen Aoi-Lächelns auf. „Hai, natürlich ...“ Er brachte den Angeschlagenen ins Schlafzimmer und deckte ihn zu, dann legte er sich daneben.
 

Sofort rückte Uruha näher zu ihm ran, hielt sich an ihm fest, der wieder schützend den Arm um ihn legte. Aber Aoi hatte die Müdigkeit schließlich schneller eingeholt. Eine kleine Ewigkeit beobachtete Uruha den Anderen im Schlaf. Die feinen Wimpern, die wie ein Fächer auf seinen Wangen lagen, die sinnlichen Lippen, die sich vorhin wie ein warmer Strahl Licht auf der Haut angefühlt hatten, das leichte Auf und Ab seines Atmens.
 

Immer wieder erschien ihm Aoi wie eine kostbare Rose – wunderschön und stolz, doch konnte man sich auch an seinen Dornen verletzen. Aber gerade in diesem Augenblick kam ihm Aois Nähe so leicht und wohltuend vor wie reiner Rosenduft, der seit jeher die Menschen verzauberte.
 

Wenn es auf diesem Planeten Engel gab, dann zeigten sie ihre bloße Anwesenheit wahrscheinlich durch die Schlichtheit dieses Duftes. Und Aoi kam ihm in diesem Moment mehr als engelhaft vor.
 

Sein Herz zerriss es fast bei dem Gedanken, dass dieser Rose etwas zustoßen konnte ...
 

Aoi bewegte sich leicht im Schlaf, zog den anderen wieder näher zu sich heran, den daraufhin auch die Müdigkeit übermannte ...
 

~~~~~
 

Als Aoi am nächsten Morgen aufwachte ... war er allein ...
 

Nur ein Zettel lag neben ihm auf dem Bett.
 

»Gomen Nasai«
 

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Danke schön fürs Lesen! <3
 

Wir hoffen, es gefiel ^^
 

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Himi_und_Nami
 

Viele, liebe Grüße!

Himitsu_und_Namida

la trace

Sich ungesehen durch sein eigenes Haus schleichen zu müssen, war nicht seine Art. Das musste er ja auch sonst nicht tun. Jede Stufe, die knarrte, jede Tür, die im Treppenhaus quietschte, ließ ihn zusammenfahren. Jedes Licht, das durch den Bewegungsmelder und ihn selbst erneut aktiviert wurde, machte ihn wackeliger und unsicherer in seinem Tun. Auf seiner Etage angekommen tapste er weiter durch den Flur und erkannte an seiner Tür das Absperrband der Kriminalpolizei – doch es hatte einen Makel: Das Siegel war gebrochen.
 

Und auch wenn Uruha oft auf der Leitung stand und er meist einige Minuten für manche Erklärungen brauchte, kombinierte er sehr schnell: Jemand, der nicht zur Polizei gehört und das Siegel nicht erneuern konnte, war in seine Wohnung eingebrochen. Als Täter kamen nicht viele Personen in Frage, genau genommen nur eine.
 

Mit den Handschuhen und seinem eigenen Hausschlüssel, die er hatte aus Aois Wohnung mitgehen lassen, öffnete er zitternd die Tür. Plötzlich hielt er inne und kniff die Augen zusammen. Die Angst holte ihn ein, sie war anscheinend unbemerkt und ohne ein Geräusch zu machen hinter ihm die Stufen hochgekrochen. Was, wenn diese Person noch dort war? Wenn er auf ihn wartete und ihn für seine Flucht bestrafen wollte? Oder war ein Polizist noch drinnen, dem er Rechenschaft ablegen müsste? Was war besser? Sicher der Polizist auch wenn auf jede Möglichkeit nur ein Ergebnis folgen würde: Ein Wiedersehen mit Todokumi.
 

Es nützte nichts. Er musste hineingehen, um das zu holen, was ihn schützte. Der Schlüssel schnarrte im Schloss, dann war es offen. Leise verriegelte er den Eingang hinter sich zu, behielt seine Schuhe an, begab sich weiter in das Innere der Wohnung. Der Flur war unversehrt, nichts schien den Anschein zu erwecken, dass hier ein Verbrechen stattgefunden hatte. Die Schuhe standen ordentlich aufgereiht vor der kleinen Kante – so wie er es immer wollte. Weiter durchpirschend stutzte er. Erwartet hatte er an jeglicher Stelle diese kleinen Schilder mit den Nummern drauf, die Verdächtiges und Ungewöhnliches markieren sollten. An seine ungeleerte Kaffeetasse auf dem Küchentisch, die mit den blauen Bärchen drauf, konnte er sich zum Beispiel gut erinnern. Das Handtuch, das er nach dem Duschen hatte im Schlafzimmer über dem Korbstuhl hatte liegen lassen.
 

Eine alte Zeitschrift mit einem Bericht über seine Band, aufgeschlagen bei einer Doppelseite mit Livefotos aus der Decomposition Beauty. Noch in der Nacht, nachdem Ruki wieder gegangen war, hatte er darin geblättert gehabt, um zu überprüfen, ob man ihm die Anspannung angesehen hatte. Die Bühne war der einzige Ort gewesen, an dem er sicher und geschützt gewesen war. Umgeben von seinen Freunden und den Fans, die ihn liebten und hielten, wenn er fiel. Man hatte ihn nicht stolpern sehen. Keinen Augenblick lang.
 

Uruha ging in die Küche und strauchelte zurück. Eins der kleinen Schilder stand tatsächlich dort auf dem Tisch, doch keine Tasse war zu finden. Ein kleiner Kaffeefleck erinnerte nur daran. Er sah sich um. Die Bärchentasse seiner ältesten Schwester stand in der Spüle, ausgewaschen und kopfüber. Eine Falte zog sich über seine Stirn. Hatte er vergessen, dass er sie abgewaschen hatte? Machte die Polizei in letzter Zeit das Geschirr von Opfern fertig? Das hier war nicht so wild. Man tut doch so vieles, ohne darüber nachzudenken – das hier hatte sicherlich dazu gehört.
 

Vorbei an der einen Spalt breit offenstehenden Wohnzimmertür kam er seinem Ziel entgegen. Dort, wo normale Menschen normalerweise schliefen, bewahrte er eine Waffe auf, die ihm im unruhigen Schlaf selbst Verletzungen verabreichen könnte. Als er das Schlafzimmer erreicht hatte, stutzte er erneut. Das Handtuch ... es lag nicht mehr dort, wo er es für gewöhnlich ablegte. Es war eine seiner schlechten Angewohnheiten, dass er benutzte Tücher nicht zurück ins Bad brachte und über die Heizung hängte, wo sie auslüften konnten.
 

Es lag halb zusammengeknüllt auf der Bettkante, wo er es wirklich niemals hinlegen würde! Daneben war die Bettdecke so eingedrückt, als hätte dort jemand gelegen ... was war hier los? Schnell ging er hinüber zum Kopfkissen, um das zu holen, weshalb er hier war: Es war nicht da! Das Messer war nicht mehr da! Nur die Schutzhülle lag wie ein hämisches Lachen leer und halb aufgerissen unter dem Kissen. Wieso? Wer hatte es genommen? Wer saß auf der Bettkante mit dem Badetuch in seiner Hand und zog dann mit einer Waffe los? Wer spülte eine Kaffeetasse ab, wenn er sie nicht selbst benutzt hatte? Wer war hier gewesen?
 

Sich an den Kopf fassend taumelte er zurück, bis er mit dem Rücken an seinen Kleiderschrank lehnte. Der Spiegel in seinem Rücken strahlte eine unangenehme und erstarrende Kälte aus, die ihn frösteln und seine Gedanken nur sprunghaft laufen, beinahe einfrieren ließ. Todokumi war der Einzige, der in so einer Situation bei ihm einbrechen würde. Es fiel ihm niemand anderes ein. Doch der Haken an der Sache war, dass er nicht so romantisch veranlagt war ... Er hätte kein Interesse daran, nur an einem Tuch zu schnüffeln oder aus einer benutzten Tasse zu trinken.
 

Er würde sie mitnehmen als Trophäe für seine Sammlung an Utensilien. Aber das Messer – was sollte er damit wollen? Er hatte doch wohl selbst genug Druckmittel. Seine Kraft, seine beängstigende Gerissenheit, wenn es darum ging, einen Menschen zu quälen. Des Weiteren hätte er auf ihn gewartet, um den Triumph zu spüren, den er durch eine weitere aufgebrochene Wohnung, ein weiteres gelöstes Schloss an der verriegelten Tür seiner Seele erlangt hatte.
 

Langsam öffnete er die Augen und erlag den Bruchteil einer Sekunde einem Trugbild seiner Erinnerung: Aoi in seinem Bett, schlafend, ruhig atmend. Seine Lippen leicht geöffnet, ein leises Schnarchen zog durch den Raum. Und er spürte seinen Atem im Gesicht, während er die zitternden Lider beobachtete. Wenn das verloren gehen würde ... Er kniff die Augen wieder zusammen. Aoi hatte ihm gestern so liebevoll geholfen, ihm zugehört und ihn gehalten. Warum hatte er ihm nicht sagen können, wohin er ging oder was er vorhatte?
 

Die Antwort auf diese Frage war so einfach wie auch widersprüchlich: So war er sicherer. Aoi war in Sicherheit, so lange niemand ihn mit Uruha zusammen sah.
 

Der junge Fuchsblonde schüttelte sich und straffte die Schultern. Es war keine Zeit da, um zu zögern. Je eher er Todokumi zur Strecke gebracht hatte, desto eher konnte er wieder in Ruhe mit seinen Freunden und Kollegen eine angenehme Zeit verbringen. Vielleicht würde ihm dann auch einfallen, wie er seine Schulden bei Aoi begleichen könnte. Und um sich selbst dieses Seelenheil zu bringen, musste er womöglich das Schlimmste tun, was er je tun könnte ...
 

Egal, ob es nun dieses Messer war, mit dem er Todokumi richten konnte, oder etwas anderes. Er musste jetzt los. Jede Sekunde, die er noch länger wartete, konnte Irgendjemandes letzte sein. Zielstrebig – er kannte dieses Kellerloch, in dem er festgehalten worden war – ging er seinen Flur hinunter, direkt auf die Wohnungstür zu, bis ...
 

Noch etwas stimmte nicht. Die Tür ... diese Wohnzimmertür, sie war doch eben noch angelehnt gewesen. Nicht weit offen, wie sie es jetzt war. Wieso stand sie jetzt auf? Er spürte keinen Windzug, der sie hätte aufstoßen können, doch sie war bis zum Anschlag geöffnet, als wäre niemand mehr dazu gekommen, sie hinter sich zu schließen. Nur langsam registrierte er das unangenehme Gefühl, das ihn jetzt tatsächlich überkam, diese Unruhe, wenn jemand in sein Reich eingedrungen war, der dort nicht hingehörte. Diese Ohnmacht, wenn Todokumi seine Hände unsichtbar um seinen Hals schlang und ihn würgte. Hinter ihm lachte und ihn für seine Schwäche verhöhnte.
 

Blut rann an der Wand hinunter. Es war der rote Streifen, der ihm ins Auge stach und gleichzeitig das Herz zerbrach. Uruha stolperte näher an die tapezierte Wand, auf der anders als die anderen Male, nicht direkt die Schrift stand. Dort war ein Zettel, weiß und beschrieben. Es waren unglaublich saubere Schriftzeichen, die ihn verwunderten. Sein Lieblingsfüller lag mit der Kappe daneben auf dem weißen Teppichboden. Aber das Blut ...
 

Es tropfte. Es lief die Klinge hinab und versickerte im Papier, in dem sie steckte. Es war, als würde die Wand, seine Wohnung bluten – durch sein Messer. Es war sein Messer, das dort in der Mauer steckte und ihn dazu zwang, genauer hinzusehen. Sein Messer, das ihn hätte schützen sollen. Je näher er kam, desto mehr konnte er lesen, was auf dem Blatt stand. Und sein Herz verkrampfte mehr und mehr, mit jedem Wort, das zu seinen Gedanken vordrang. Jetzt hatte die Klinge jemanden getroffen, für den sie nicht bestimmt gewesen war.
 

‚Oh, ich wusste, du würdest herkommen ... genau so wie ich wusste, du würdest es nicht ohne einen Mann aushalten, der dich züchtigt und zu dem du aufsehen kannst. Jetzt sind es sogar zwei, nicht wahr? Du bist nicht bei dem Zwerg, der hier so Stein erweichend auf dich gewartet hat. Oder ist es gar so, dass du nichts von seiner Liebe weißt? Er hat aus deiner Tasse getrunken, an deinem Handtuch geschnuppert, auf deinem Bett gesessen, als könnte er dich so zu sich holen. Du bist nicht hier, um ihn zu retten, Uruha-chan ... Ruki-san wird so lange weinen, bis du bei uns bist. Und wenn es blutige Tränen sind.’
 

~~~~~
 

Aoi zuckte zusammen. Das flappende Geräusch eines Bündels Stoff, das in eine spezielle durchsichtige Plastiktüte gesteckt worden war, holte ihn zurück in die Realität – ohne Rücksicht hatte man sie ihm vor der Nase auf den Tisch geknallt.
 

„Wir hatten eine Abmachung!“
 

Uruhas Sachen vom Vortag waren darin. Aoi hatte sie nicht weggeschmissen. Er hatte sie aufgehoben, für die Ermittlungen, für ... das hier ...
 

Nun schwieg er erst mal.
 

„Wir hatten eine Abmachung!“, wiederholte Hitô lauter, fast bellend.
 

„Hai!“, trotzte Aoi halblaut zurück. „Ich bin nicht taub ...“
 

„Er war bei Ihnen, Sie hätten uns sofort informieren müssen. So war es abgesprochen!“
 

Wieder schaute Aoi nur zur Seite. „Ich weiß, aber er war total am Ende ... ich wollte erst, dass er sich ausruht und ein bisschen schläft ...“
 

„Ihnen ist wohl die Bedeutung des Wortes sofort nicht bekannt ... junger Freund ...“
 

„Tut mir leid ...“
 

„Pah!“
 

„Es tut mir leid!“, brach es laut aus Aoi heraus. „Ein Mensch, der mir unheimlich wichtig ist, hat sich mir anvertraut und schwebt jetzt vielleicht in Lebensgefahr und Sie halten mich hier fest und motzen mich wegen einer Abmachung an?! Mein Gott, mir ist echt elend zu Mute, das müssen Sie doch verstehen! Oder nicht ...?“
 

„Hai, das verstehe ich ...“, sprach Hitô leise. Der kurzhaarige Mann mit der kleinen Narbe am Kinn lehnte resignierend an der Wand des dunklen Vernehmungszimmers auf dem Präsidium 154.
 

Gleich nachdem Aoi aus dem Bett aufgesprungen, zur Schlafzimmertür gehastet war, um Uruha noch irgendwie zu folgen, hatte es an der Tür geklingelt und Hitô hatte den vor Sorge völlig verängstigten Mann eingesackt. Alles Widersprechen und Bitten hatte nichts gebracht.
 

„Ich hab Ihnen alles gesagt, was ich weiß, und jetzt lassen Sie mich endlich gehen!“
 

„Meinen Sie, ich lasse zu, dass Sie sich auf die Suche nach Ihrem Freund begeben? Wenn ich verhindern kann, dass noch mehr Menschen zu Schaden kommen, dann werde ich das tun.“
 

„Aber Sie haben keinen triftigen Grund, mich hier festzuhalten! Verdammt, lassen Sie mich gehen!!“, begehrte Aoi auf und erhob sich von dem unbequemen Eichenholzstuhl. Er stapfte zielstrebig in Richtung Tür. Das durfte alles nicht wahr sein. „Ihm könnte bereits jetzt Schlimmes widerfahren sein. Ich kann nicht hier bleiben, ich muss ihn finden! Ich sterbe vor Sorge ... Ich ...“
 

„Lieben Sie ihn?“
 

Diese Frage ließ Aois Körper so abrupt stehen bleiben, dass es schien, als hätte man ihn mit einem Lasso eingefangen. Er drehte sich zum Polizisten um. „Was ...?“
 

Im Halbdunkel des kargen Raumes sah er ihn auf sich zukommen. „Lieben Sie ihn?“, wiederholte Hitô seine Frage gelassen, als wäre sie das Normalste auf der Welt. „Sind Sie in Takashima-san verliebt ...?“
 

Mehr als die Frage selbst überfuhr den Rhythmusgitarristen gerade die blanke Tatsache, dass er nicht sofort mit Nein geantwortet hatte, und nachdem er sich ihrer Bedeutung bewusst geworden war, mehr als sehnlich einen Moment lang Zeit gelassen hätte, um darüber gründlich nachzudenken, bevor er antwortete. Unfassbar, dass ihn etwas so Simples einen Augenblick lang tatsächlich den Boden unter den Füßen wegsprengte, bis nichts mehr da war, was ihn hielt.
 

Liebe? Liebe ...? Liebe ...
 

„Das ... das tut doch nichts zur Sache ... Uruha ist mein bester Freund und ...“
 

„Warum weichen Sie mir aus?“
 

„Weil ... weil sie das nichts angeht ...“
 

„Also stimmt es ...“
 

Aoi wollte den Mund aufmachen und widersprechen, mehr als ein aufgeregtes Nachluftschnappen kam nicht aus ihm heraus. Was war denn auf einmal ...
 

Die Tür sprang auf. Eine hübsche, farbige Polizistin kam herein. Selbstbewusst hielt sie ein Klemmbrett mit Notizen und eine Akte in der Hand. „Also, die Untersuchung der Spurensicherung ist abgeschlossen ... Die Kleidung des Opfers ...“ Sowohl Aoi als auch Hitô konnten sie nur verdutzt beobachten, während ihr pastellgrüner Kugelschreiber noch ein paar Notizen vornahm. „... wies Spuren von Blut und Schweiß auf, Dreck – vermutlich Lehmschlamm – Gras, Hautschuppen des Opfers und Todokumi-san sowie Reste von Chloroform, Make-up, roten Stücken eines verhärteten Versiegelungslacks für Brandschutztüren auf. Außerdem wurden zwei verschiedene Parfums festgestellt, wobei eines zum Opfer gehört sowie Spuren eines Schimmelpilzes. Die Spuren, die potenziell von Ihnen sind, Shiroyama-san, haben wir aufgenommen und dokumentiert, sie werden nur archiviert, bis die Untersuchungen abgeschlossen sind.“
 

Vollblutprofi ..., war alles, was Aoi denken konnte, während er ihr zunickte und die süße Exotin unter den Japanern innerlich abknutschte dafür, dass sie die Situation abwendete.
 

„Ich bin selten ein Überbringer schlechter Nachrichten, aber ...“ Sie packte eine weitere Türe mit Beweisstücken auf den Tisch mit der Gummiunterlage. „Das hat die Spurensicherung heute Morgen in der Wohnung von Takashima-san gefunden. Der eifrige Polizist schnellte vor Aoi zur Tüte. „Anscheinend wurde gestern zwischen zweiundzwanzig Uhr dreißig und dreiundzwanzig Uhr vierzig erneut in die Wohnung eingebrochen ... Diese Nachricht war mit einem spitzen Gegenstand in eine der Wohnzimmerwände gepinnt worden, die Wand war voller Blut ...“
 

Als Aoi die Nachricht las, wurde ihm schlecht. Er vernahm nur noch beiläufig die Worte der jungen Frau.
 

„Das Blut stimmt mit einer Blutprobe überein, die wir wegen eines Deliktes wegen Trunkenheit am Steuer vor drei Jahren aufgenommen haben. Sie gehört eine m gewissen Takanori Matsumoto ... Der ist bei uns seinen Führerschein losgeworden“, sagte sie in einem US-Profiler-Tonfall.
 

„Ruki ...“, konnte Aoi nur entgeistert flüstern.
 

„Die Haare, die am Tatort fanden, stimmen per DNS mit der Probe überein. Wir müssen davon ausgehen, dass Matsumoto-san nun ebenfalls involviert ist und Takashima-san sich auf den Weg zu Täter und Geisel befindet.“
 

Aoi war einfach nur überfordert. Was war das nur für ein Albtraum.
 

„Wir konnten durch eine Zeugenaussage belegen, das Takashima-san heute Morgen in seiner Wohnung war, und den Brief vor unseren Mitarbeitern fand. Da der spitze Gegenstand nicht gefunden wurde, rechnen wir damit, dass Takashima-san ihn mitgenommen haben muss ...“
 

Erst als sie es erwähnte, wurde Aoi bewusst, was das bedeutete ... Uruha war zu allem bereit! Wenn er und Ruki ... sich liebten, dann würde er alles tun, um den süßen Sänger zu befreien, wirklich alles ...
 

Er musste schlucken. Eine solche Verzweiflungstat war ihm in diesem Zustand definitiv zuzutrauen.
 

In diesem Moment kam ihm sein Straucheln von eben völlig Fehl am Platz vor. Ruki liebte Uruha. Deshalb hatte er den ganzen Abend in seiner Wohnung auf ihn gewartet und nun war er Todokumi in die Hände gefallen. Und Uruha war scheinbar sofort losgestürmt, um ihn zu befreien. Da gab es doch überhaupt keinen Platz für ihn. Wie kam Hitô auf die blödsinnige Frage, ob er ihn liebte? Was spielte das noch für eine Rolle? Was spielte es für eine Rolle, dass sein Herz sich einen Moment lang schmerzlich zusammen zog? Das war doch jetzt völlig egal ... Das gehörte hier nicht hin. Nicht, dass er gestern durch ganz Tokio gefahren war. Nicht, dass ihm fast das Herz stehen geblieben war, als er das Wrack aus dem Wasser tauchen sah wie ein gehobenes Geisterschiff, so, dass er gelähmt war vor Angst und schockiert genug, um nicht weinen zu können. Nicht, dass er mit Uruha gebadet und ihn die ganze Nacht festgehalten hatte. Das war alles Fehl am Platz.
 

Es war nichts im Vergleich zu Rukis Gefühlen, nichts im Vergleich zu dem Mut, den Uruha in diesen Minuten dazu brachte, seiner größten Angst in die Augen zu sehen, obwohl er noch am gestrigen Tag ohnmächtig vor Furcht beinahe erstarrt war im puren Gedanken an diesen Mann, der ihn so gedemütigt hatte ...
 

Was spielten seine geheimen Gedanken, die gerade sein Herz infizierten, da noch für eine Rolle? Das zwischen Uruha und ihm war nichts Besonderes. Er musste Hitô nicht darauf antworten. Und wieso konnte er ausgerechnet jetzt mit dem Grübeln anfangen? Was gab es denn da noch zu denken? Uruha hatte wahrscheinlich auch nicht nachgedacht ...
 

„Also müssen wir davon ausgehen, dass Takashima-san unter Umständen auch zum Täter werden könnte ... Es klingt laut Brief so, als würde sich Matsumoto-san und Takashima-san mehr als nur ...“ Im Umdrehen zu Aoi erstickte ihr Satz an Leere. „Shiroyama-san?“
 

Aoi war verschwunden.
 

Er rannte. Es kam Aoi vor, als würde er nicht um Uruhas oder Rukis, sondern sein eigenes Leben rennen. „Entschuldigung, ich muss telefonieren“, rief er immer nur, wenn er mit Jemandem zusammenstieß. Alle schauten nur verdutzt, doch wie durch ein Wunder hielt ihn keiner auf. Er stürmte zur Straße. Rief sich ein Taxi.
 

Dieser verfluchte Bunker ... er musste irgendwo in der Nähe des Parks mit dem Barocken Garten und dem Statuettenbrunnen sein. Uruha konnte in seinem Zustand nicht weit gekommen sein.
 

Er ließ sich im Vorbeilaufen erklären, wo die Schutzanlagen waren, stolperte immer wieder fast im unwegsamen Gelände, in das er nun eingedrungen war, und entdeckte bald daraufhin eine durch ein großes Stück des Waldgebietes angesiedelte Gruppe an mit Stahl überdachten Lüftungsschächten, allesamt mit Rotorblättern abgegrenzt, und jeder führte in einen anderen Bunker, den er mit Sauerstoff versorgte.
 

Verdammt, woher sollte er wissen, welcher der Richtige war? Er klapperte alle ab. Drei ... nur drei waren so marode oder beschädigt, dass man die Rotoren einfach abnehmen konnte. Aber welcher war der, in dem sein Freund gerade mit Todokumi kämpfte. Aoi war sich ja nicht mal sicher, dass er hier war. Hitô würde ihm auch bald nachkommen. Er lauschte ... aber hören konnte er nichts ... verdammt!
 

Er konzentrierte sich ... er musste sich für eine entscheiden – und zwar gleich! Er drehte sich aus Verzweiflung kurz weg, hielt sich den Kopf, presste die Augen zusammen. Seine Angst kam ihm zunehmend vor wie ein Schwelbrand, der wieder aufzuflammen drohte und über schwarzer Asche kämpfte Feuer. Da kam ihm ein Gedanke!
 

Er musste an die kleine Beamtin denken, die ihn vorhin gerettet und den beiden Männern die Nachricht gebracht hatte ... Sie hatte was von rotem Feuerschutzlack auf Uruhas Klamotten gesagt. Sein Blick fiel auf die Rotorblätter in den viereckigen Verschalungen, mehr oder weniger nahe um ihn herum.
 

Einer davon war mit einer roten dreiundvierzig markiert. Die hatte sich auch relativ leicht abziehen lassen. Das musste sie sein. Der Lack war brüchig und hielt sich nicht gut auf dem Schutzgitter, dass neugierige Hände vor den Rotoren schützen sollte. Bingo. Nummer dreiundvierzig musste es sein. Kein anderer hatte roten Lack, alle anderen hatten schwarze Zahlen. Es war der Hauptbunker, vier für vier Einheiten, daher vier Räume, und drei für Stufe drei, hieß sicher gegen Bombenangriffe der Stufe drei. Herr Gott, was war er froh, seinem Onkel doch ein mal zugehört zu haben. 4.3 machte Sinn ... es war der Bunker, der die meisten Menschen fasste und am Tiefsten gelegen war, unter allen anderen. Normalerweise kam man über einen langen Abgang hinüber, aber der war verschlossen gewesen.
 

Aoi hatte also nur die eine Chance ... Er musste in den Schacht und sich langsam Meter für Meter hinunterhangeln. Er zögerte einen Moment. In was er da sah, war die tiefste Schwärze, die er je gekannt hatte. Außerdem war er sich immer noch nicht sicher, ob die Drei wirklich dort waren, und er hatte auch keine Waffe. Er lief kurz unruhig auf und ab. Er hatte Angst, schließlich wusste er nicht, wo er landete. Und ob er da wieder raus kam ... und ... Egal! Uruha war mutig, um Ruki zu retten, und er musste mutig sein, um beide zu retten, egal wie ... Er hängte sein Armband ans Schloss.
 

Zitternd kletterte er in die Öffnung, seine Muskeln angespannt wie noch nie. Er stemmte alle Viere von sich und presste sich gegen die Wände des Schachts ... Kein Wunder, dass Uruha vollkommen ausgelaugt gewesen war ... Sich hinunter zu bringen, ohne zu fallen war eines, aber raufzukommen würde sich als noch etwas anderes darstellen.
 

Um ihn herum nichts als Dunkelheit und Enge ... Ihn überkam ein leichter Anfall von Platzangst. Eine Träne rannte seine Wange hinunter. Stück um Stück verschwand er mehr in völliger Lichtlosigkeit.
 

~~~~~
 

„Lass ihn bitte gehen ...“, stammelte Uruha dem Halbengländer zu, doch Todokumi konnte nur lachen.
 

„Liebst du ihn ...?“, fragte er kalt und hielt das Kinn des Kupferblonden, den er mit einer Waffe in Schach hielt die stets auf den Sänger gerichtet war, der mit Schiffsseilen einer Leichtbetakelung gefesselt an der Wand hing.
 

An seinem Kopf klaffte eine kleine Platzwunde, die seine linke Schläfe und seinen Hals mit rotem Lebensaft benetzte. Es schien zu bluten aufgehört zu haben . Ruki war bei Bewusstsein. Sonst hatte er keine Verletzungen.
 

„Do you love him?“, schrie Todokumi und alle Wände schienen zu zittern.
 

Uruha stand ihm nur starr gegenüber. Er wechselte einen Blick mit Ruki. Beide Männer hatten Angst. Er musste den anderen retten, nur wie? Im Moment war er klar im Nachteil ... „Nein“, antwortete er dann und sah Ruki im Blickwinkel zucken. „Wir sind Freunde ...“
 

Todokumi entsicherte seine Waffe, deren Lauf immer noch auf den Jüngsten gerichtet war, der einfach nur die Augen schloss und nicht mal wusste, ob er es aus Angst tat oder aus Bestürzung. Bedeutete doch Uruhas Antwort auch eine persönliche Niederlage für ihn. Er weinte. Doch hoffte er immer noch inständig, dass Uruha dies nur gesagt hatte, um ihn zu beschützen.
 

„Ruki ... es tut mir leid ...“, sagte Uruha leise, was die Hoffnungen des Gefesselten gänzlich zerschmetterte. Er sah in Uruhas Blick, dass er wahrheitsgemäß geantwortet hatte.
 

„So, so, well ...“, brummte Todokumi dazwischen ... er war anscheinend noch nicht wirklich überzeugt. Mit einem unheimlich schnellen Schwenk wechselten Kimme und Korn in Uruhas Richtung, der nur erschrocken wie ein Fuchs im Wald in den Lauf starren konnte.
 

Doch er hatte sich nicht vorstellen können, dass Todokumi ihn einfach erschoss. Töteten Stalker ihre Opfer ...?
 

„Ich glaube dir kein einziges Wort! Aber es gibt einen einfachen Weg, das zu prüfen ... How far ... Wie weit würdest du gehen, Ruha-chan ...?“ Er kam auf den Leadgitarristen zu, Stück für Stück, das ließ diesen weichen.
 

Uruhas Herz pochte Staccato. Sein Mund zitterte.
 

Dieser hämische Blick ... dieses verräterische Grinsen und die angeboren hängenden Augenbrauen. Näher und näher. Der Lauf berührte sein Kinn, hob es an.
 

Jetzt oder nie! Uruhas Handschuh am Griff seines Messers knirschte. Diese Handschuhe ... es waren Aois Handschuhe – er würde ihn mit Aois Handschuhen erstechen. Die Handschuhe, in denen für gewöhnlich diese schönen, sanften Hände steckten ... die so zärtlich waren, dass sie es mühelos schafften, durch ein bisschen Streicheln alle Angst aus seinem Körper zu ziehen ... diese Handschuhe ... damit ... damit durfte er so etwas nicht tun, redete er sich plötzlich ein.
 

Eine Ausrede.
 

Uruha war kein Mörder ...
 

Er konnte so etwas nicht tun ... niemals .. Er konnte einen anderen Menschen nicht töten ... niemals ... niemals ...

Diese Erkenntnis ließ ihn verzweifeln, als Todokumi so nahe vor seinem Gesicht erschien, dass er sich am liebsten übergeben hätte. Er hasste sich für seine Schwäche, die eigentlich eine Größe war.
 

Er ließ das Messer fallen.
 

„Lass wenigstens ihn gehen ...“, flehte er mit tränendurchtränktem Blick. „Er hat doch nichts damit zu tun ...“ Er sah nur das Gesicht des anderen auf sich zukommen, presste die Augen zusammen, sodass gleich mehrere Tränen sich über seine Wangen abseilten, die sich vorher vor Angst eine Schwäche zu zeigen, an seine Wimpern geklammert hatten. Er wimmerte und schniefte vor Angst und fuhr entsetzlich zusammen, als er eine glitschige, raue Zunge auf der Haut spürte.
 

„Hm ... Diese Tränen sind das Salz in meiner Suppe“, wurde es ihm ins Ohr geraunt, alles Folgende sagte er wieder laut, so dass Ruki es auch hören konnte. „Gib dich mir hin ...“
 

Uruha sperrte Lider und Mund auf. Er konnte nur bebend ausatmen, antworten konnte er nicht.
 

„Lass dich von mir nehmen – und der Zwerg ist frei ...“

l'obscurité

Es war die Entscheidung, die über Rukis Leben oder sein Sterben entscheiden sollte. Wenn er zusehen müsste, wie der Mann, den er liebte, von einem anderen vollkommen eingenommen werden würde, könnte er den heutigen Tag noch überleben. Die Gewissheit dessen, dass der Mann, den er doch liebte, ihn nicht wieder liebte, ließ die Seile um seinen Körper enger werden, sodass er befürchtete, einige Gliedmaßen – und auch sein Herz – könnten absterben. Aber wenn Uruha, der Mann, den er liebte, sich dafür entscheiden würde, lieber zusammen mit ihm zu sterben als sich einem Fremden hinzugeben – war das nicht ein viel schönerer Beweis ihrer innigen Freundschaft ...?
 

Uruha blinzelte nur, dann schob er ohne Angst und ohne Gefühl Todokumi mitsamt dem Lauf der Waffe von sich, ihm wurde gewährt. Rukis Herzschlag beschleunigte, als der Ältere auf ihn zukam, so schön wie er immer gewesen war, doch angeschlagen und verweint. Seine Atmung setzte aus, wie Uruha seine Hände an seine Wangen legte und seine Lippen an seine Stirn setzte. „Sieh nicht hin, Takanori ... bitte ... tu dir das nicht an ...“
 

Rukis gewellte Haare schwangen energisch hin und her und durch seinen von Tränen verklärten Blick sah er die vollen Lippen, die sich zu einem mütterlichen Lächeln verzogen. In den Augen seines Freundes erkannte er die Angst, die er Todokumi nicht zeigen wollte. Seine Sorge, Todokumi nicht überzeugen und befriedigen zu können, um Ruki frei zu lassen. Die Freundschaft gegenüber dem Sänger, die dieser um keinen Preis sehen wollte ...
 

Wie sehr wünschte er sich jetzt die Minuten zurück, als er noch vorgestern Nacht in der Wohnung des Gitarristen gewesen war, und den Kupferblonden in seinen Armen hatte halten und streicheln können. Jetzt war das wie ein weit entfernter Traum, der wie eine Seifenblase auf dem Kreuz einer Kirchturmspitze zerplatzte. Ihn je wieder umarmen, mit ihm auf der Bühne rumzualbern. Ihn heimlich während eines Fotoshootings anzuhimmeln, während sich Uruha so elegant geschmeidig vor der Kamera bewegte und sobald der Nächste dran war über ein Verlängerungskabel zu stolpern. All diese kleinen Dinge, die Ruki in seinem Alltag mit ihm so liebte ... all das war verloren gewesen, sobald Ruki die Wohnung allein betreten hatte.
 

Da war das Urteil gesprochen gewesen. Es musste bestraft werden, wenn man vor Sehnsucht in die Wohnung eines geliebten Menschen einbrach und sich wünschte, seinen Körper, seine Lippen, seine Stimme ganz für sich haben zu können. Der Kaffee in der Küche mit dem bisschen Zucker in dem braunen Wasser. Das nach Bvlgari riechende Badetuch im Schlafzimmer, in dem, wenn Ruki nur stark daran glaubte, noch immer Uruhas Nachtduft lag. Was war nur geschehen? War Uruha wirklich in diesem Auto umgekommen? Hatte er sich retten können? Oder hatte Reita Recht behalten und jemand Anderes hatte den Wagen gestohlen und ins Wasser gesetzt?
 

Mittlerweile war Aois Nachricht gekommen, dass es dem Leadgitarristen gut ging. Den GazettE-Sänger verließ alle Kraft und er sank vor Glück auf die Bettkante, das Gesicht in dem Badetuch seines Angebeteten vergraben, seine Tränen vor der Wohnung versteckend. Dann war er selig lächelnd zur Seite gekippt und ruhigen Gewissens eingeschlafen.
 

Dann hatte es geklappert. Die Wohnungstür! Jemand bearbeitete das Schloss mit einem anderen Stück Metall. Einem Dietrich? Wer, wenn nicht die Polizei? Es war nur eine Person. Der Schwere der Schritte nach zu urteilen, ein Mann an die siebzig bis achtzig Kilogramm. Ruki hatte ein Gehör dafür ... so hörte es sich zum Beispiel an, wenn Tora wütend war und durch die Flure stapfte. Der kleine Sänger lugte unauffällig in den Flur, wo er einem Hünen gegenüber stand, bei dem es ihm eiskalt über den Rücken lief. Er war größer als Tora! Muskulöser und mit Abstand nicht gut gelaunt. In einem Geistesblitz griff Ruki nach dem Messer unter Uruhas Kissen – und da war er auch schon überwältigt gewesen.
 

Die Minuten, in denen er teilweise nur Meter von Uruha entfernt gewesen war, während dieser weitgehend unbemerkt in seine eigene Wohnung eingedrungen war. Er hatte gehört, wie er ein paar Mal überrascht nach Luft schnappte. Und auch den Schrecken in seiner Stimme, wie er Todokumis Text noch mal laut für sich gelesen hatte, bevor ebendieser ihn aus der Wohnung zerrte und die Tür so laut zuschlug, dass Uruha ihn gehört haben musste!
 

Und jetzt waren sie in dieser Situation. Wusste überhaupt jemand, dass sie hier festsaßen und bedroht wurden? Dass Uruha in Gefahr war, jeden Moment bedrängt und vergewaltigt zu werden? Konnte jemand ahnen, dass sie hier waren, in einem alten Bombenbunker irgendwo in der Stadt versteckt? Ruki weinte vor Verzweiflung, obwohl er es nicht gern zugab, sich schutz- und wehrlos zu fühlen. Er konnte sich nichtmals über die Wangen wischen, um die Feuchtigkeit zu beseitigen. Die Schmach und die Schande, die er fühlte. Ihm wurde mehr und mehr klar, dass nicht Uruhas Zurückweisung das Schlimmste war, was ihm hätte passieren können, nein ... es war seine Schuld, dass der Gitarrist in Todokumis Hände gefallen war!
 

„Es tut mir so leid“, schluchzte Ruki plötzlich laut auf, dass Uruha zusammen zuckte und sich noch mal zu ihm umdrehte.
 

Er lächelte immer noch, eine Träne kämpfte sich aus seinem Augenwinkel, bevor er die Schultern straffte und sich Todokumi zuwandte. „Es ist okay, Ruki.“
 

„Nein, ist es nicht! Ich bin Schuld daran, dass wir hier in der Klemme stecken! Ich will nicht, dass du dafür büßen musst ...“
 

Todokumi horchte auf und grinste allwissend, während er auf Ruki zuging und dabei seine Stimme erhob. „Also willst du deinen Arsch hinhalten, ja, Ruki-san? Willst du dich mir anbieten, um deinen Geliebten zu schützen? Ist er dir so viel wert? Ich verrate dir was ...“ Er war gerade dabei, an Uruha vorbeizugehen, da blieb er stehen. Und das, was als anvertrautes Geheimnis für den Jüngsten gedacht war, hallte dem Betroffenen durch Mark und Bein und dröhnte ihm in diesem Raum noch Hunderte Male in den Ohren. „In Wahrheit sehnt er sich nach mir ... in Wahrheit will er seit Jahren, dass ich ihn besitze ... dass er nur noch mich spürt und den Rest dieser jämmerlichen Welt vergessen kann ...“
 

„Hör nicht auf ihn, Ruki, das stimmt nicht!“, warf Uruha ein und riss Todokumi von seinem Freund weg. „Er ist es doch gar nicht, den du willst! Hör auf, ihn zu quälen! Nimm mich, verdammt!“ Der Kupferblonde biss sich auf die Unterlippe, um seinen seelischen Schmerz zu unterdrücken. „Nimm mich endlich und lass ihn in Frieden ...“
 

„Is it your ... ist es dein größter Wunsch?“ Der Halbengländer kam seinem Opfer ganz nahe, bis diesem wieder richtig speiübel geworden war. Seine Lippen waren so nah, dass er Uruhas Ohr beim Sprechen berührte. „Dann tu, was ich dir sage ... Gehorche mir und dein Schatz wird es nicht bereuen!“
 

~~~~~
 

Er konnte nichts sehen. In diesem Bunker war es absolut stockdunkel. Ein Streichholz oder ein Feuerzeug anzuzünden war ihm zu gefährlich. Wer wusste schon, ob hier unten irgendwelche Gas- oder Öl-Rohre defekt und undicht waren? Ein Funke könnte genügen und alles würde in die Luft fliegen. Stattdessen tastete er sich von Wand zu Wand, jede so kalt wie die nächste, jede so glitschig und feucht, dass es ihn ekelte und schauderte, wenn er etwas Neues berührte.
 

Hier roch es schimmlig ... so wie Uruhas Haare gestern, als er ihn am Brunnen wiedergefunden und im Arm gehalten hatte. Da war wieder alles weitestgehend in Ordnung gewesen. Aoi hatte noch angenommen, dass sie zusammen zur Polizei gingen, dass sie gemeinsam gegen Todokumi arbeiteten. Dass sie Uruha gemeinsam von den Dornen des Strauchs befreiten ... jetzt war es noch viel schlimmer! Ruki war nun auch mit einbezogen – und augenscheinlich verletzt. Wie viel grausamer konnte die Welt noch werden?
 

In seiner Hosentasche vibrierte es. Daran hatte er nicht gedacht! Sein Handy war an! Er könnte das Display als Lichtquelle nutzen und so durch dieses kleine Labyrinth kommen ... Kai wollte ihn erreichen und sich wahrscheinlich nach der Situation erkundigen. Aoi schüttelte für sich selbst den Kopf und schaltete das kleine Gerät ab. Die Gefahr, dass Kai oder Reita ihn aufspüren wollte und das GPRS oder einen ihrer Handy-Tracker dafür verwendeten, war einfach zu groß.
 

Irgendwo hörte er Jemanden wimmern, aber er war sich nicht sicher, ob das Wirklichkeit war oder die größte Angst, die er hatte: Nicht rechtzeitig zu kommen, um Uruha vor allem Unheil zu retten ...
 

~~~~~
 

„You have to kiss me! Kiss my lips! Kiss my body like you wanted to do at our first sight!“
 

Küss meine Lippen! Küss meinen Körper ... Das verstand Uruha, aber er wollte nicht. Es widerte ihn an, den Mann vor sich zu küssen oder mit seinen Händen zu berühren. Es sollte noch viel abartiger kommen, wie er wusste ... In seiner Jugend war er neugierig und verliebt gewesen, da hatte er mit einem anderen Jungen rumgemacht ... selbst mit ihm hatte er nicht geschlafen. Jetzt sollte er es mit Jemandem tun, den er nicht liebte, den er nichtmals sympathisch fand. Wieso ...
 

Uruha wurde herumgerissen, seine Lippen öffneten sich ungewollt und lautlos im Schmerz, ehe sie wieder mit einem feuchten Kuss verschlossen wurden, den er so schön des Öfteren erlebt hatte. So oft wie er mit Todokumi allein gewesen war. Sie waren nicht mehr allein. Der Gitarrist schämte sich vor Ruki und wollte es ihm ersparen zu sehen, wie Jemand anderes mit ihm schlief. Doch er war zu schwach, Todokumi zu groß und zu schwer, als dass er sich hätte gegen ihn wehren können.
 

Schwere Hände legten sich voller Eifer und Inbrunst auf seinen Körper. Aois Hemd wurde ihm von den Schultern gerissen und grobe Finger schoben sich auf seinen Po unter die Jeans, die er sich von Aoi geliehen hatte. Aoi ... Er begann zu weinen. Es hätte alles nichts geholfen. Selbst wenn er bei ihm geblieben und seine Wärme genossen hätte, Ruki wäre immer noch in dieser Lage gewesen. Und dafür hasste Uruha sich.
 

Er hasste sich dafür, dass er seine Freunde in Gefahr brachte.
 

Seine Lippen bebten, während sich ein massiger Körper über ihn schob, ihn nach unten auf den Boden drückte, auf dem er schon gestern gelegen hatte. Dieser widerliche Schimmelgeruch stieg ihm wieder in die Nase. Er konzentrierte sich aber darauf, um nicht auf Todokumi achten zu müssen. Er hörte wie unter einen Käseglocke, wie der Reißverschluss geöffnet wurde. Wie das Material über seine Beine kratzte. Wie irgendwo in diesem Bunker das Wasser tropfte und die Wände anfeuchtete. Wie Ruki schluchzte und versuchte, sich zu befreien.
 

Todokumi schob sich zwischen seine Beine. Uruha registrierte erleichtert, dass sie immer noch von Stoff getrennt waren. Dieser alkoholisierte Atem wurde ihm direkt unter die Nase geblasen, dass er sich schwor, falls er hier rauskam, nie wieder etwas anderes als ein bisschen Sake zu trinken ...
 

„That Knife ...“, raunte der Kerl über ihm. „I saw it ... Ich habe es gesehen, dein Messer ... Deine Verteidigung, ha? Dein Rachefeldzug, dein Schutz ... Ich wollte dich nie verletzen, Kouyou“, flüsterte er beinahe zärtlich und strich ihm sanft über die Wange. Ein paar Mal strich er auf und ab. „Ich liebte dich doch, wusstest du das nicht? Und das tue ich immer noch ... Wolltest du mich töten?“
 

„Nein ...“, antwortete Uruha zitternd und die Lampe, die durch den kleinen Stromgenerator betrieben wurde, sorgte dafür, dass er in das Gesicht seines Peinigers sehen konnte.
 

Es war markant, aber weicher als sonst. Als sei es in eine Wattehülle gepackt. Doch dann funkelten seine Augen auf, gefährlich und animalisch. Diabolisch. „Du solltest mich nie anlügen ... Ich liebe dich, aber ... in einer Sache kannst du dir sicher sein ...“ Todokumi stützte sich ein wenig auf, damit er Uruha ins Gesicht sehen konnte. Seine Hand wanderte an Uruhas Hals, dass dessen Herzschlag von jetzt auf gleich unheimlich beschleunigte. Er begann zuzudrücken. „Du kannst niemanden töten ... nichtmals mich ...“
 

„Aber ich kann es“, dröhnte es über Todokumis Kopf und eine Klinge blitzte an seinem auf- und abhüpfenden Adamsapfel. Aoi hielt ihm das Messer an die Halsschlagader. Seine Kleidung war schmutzig, seine Augen glänzten vor Erregung.
 

Und Uruha erinnerte sich in diesem Moment an seine gestrige Reaktion: Ich mach ihn kalt ...
 

„Tus nicht, Aoi“, krächzte der Jüngere hilflos. „Bitte ...“ Er wünschte sich, dass diese wohltuenden Hände niemals mit Blut besudelt würden.
 

Wie zwei Kontrahenten, die schon seit Jahren auf eine Revanche warteten, starrten die Beiden sich gegenseitig nieder.
 

„Du ...?“ Natürlich wusste Todokumi noch, wer Aoi war. Er war ja schließlich auch oft genug eifersüchtig auf ihn gewesen. Aoi war ihm immer schon ein Dorn im Auge gewesen – nicht nur, weil dieser die Gitarre des anderen stimmen durfte, sondern auch, weil er früh den unsichtbaren Zauber spürte, der die beiden Gitarristen miteinander verband.
 

Aoi zitterte nicht im Geringsten. Er schwieg, blieb glashart. Dieses Funkeln in seinen Augen ... Einen entschlosseneren Blick hatte Todokumi nie gesehen. Und da erkannte er etwas, dass er jahrelang gefürchtet hatte: Seinen größten Konkurrenten. Das, was er befürchtet hatte, war eingetreten. Aoi hatte Gefühle für Uruha, für seinen Uruha ... und er würde nicht so leicht auszuschalten sein wie der kleine Ruki.
 

Denn schon alleine am Blick des Kupferblonden merkte er, dass dessen Zuneigung zu dem dunkelhaarigen Rhythmusgitarristen ganz anderer Natur war oder sich zumindest dorthin bewegte.
 

Aoi war mindestens ein ebenso starker Charakter wie er, bereit, alles zu geben und anderen alles zu nehmen, um das zu schützen, was er liebte. Sie waren sich ähnlich, schoss es Todokumi ein. Nur hatten sie eine völlig unterschiedliche Einstellung zu den Dingen. Aoi war nur darauf bedacht, die Menschen, die er mochte, glücklich zu machen, und er war bereit, dafür zurückzustecken und einsam zu bleiben, wenn es darum ging, dass der Mensch, den er liebte, sich jemand Anderen zuwenden würde.
 

Todokumi fehlte das Verständnis, um Aois Größe und Güte zu sehen, die die Beiden wieder im gleichen Maße unähnlich machten. Für ihn war Aoi in diesem Moment ein Spiegel, ein Konkurrent, der ebenso leidenschaftlich für seinen Sieg kämpfte ... Doch er würde Uruha nicht hegeben! Mit Schwung richtete er mit straffem Arm die Waffe auf Aois Kopf. „Mal sehen, ob du schneller zustichst als ich abdrücken kann ...“ Mit hämischer Freude, die er jedoch nicht zeigte, bemerkte er die Überraschung in Aois Augen.
 

Dieser fing sich jedoch sofort wieder. „Willst dus drauf ankommen lassen ...?“, gab er cool zurück.
 

Sofort verschwand das Lächeln im Gesicht des großen Mannes, der immer noch halb über Uruha hockte, der nur weinte und den die elektrisierte Atmosphäre dazu verdammte zu schweigen.
 

Aoi und Todokumi starrten sich immer noch an, als würden sie nichts anderes wahrnehmen als sich und jedes Zucken des anderen. Die ausgestreckten Arme mit ihren Waffen in der Hand zitterten nicht einmal. Die Spannung vervielfältigte sich, setzte sich auf die Kehlen aller im Raum.
 

Uruha schwieg. Ruki schwieg. Aoi schwieg. Todokumi auch.
 

Plötzlich drückte er einfach ab.
 

Das laute Geräusch sprengte allen die Ohren. Uruha kniff die Augen zusammen. Er hörte einen Schrei. Ruki hatte den Kopf zur Seite gedreht – das wollte er nicht sehen. Etwas ging zu Boden. Einen Moment lang blieb allen das Herz stehen.
 

Weder Ruki noch Uruha trauten sich, die Augen zu öffnen. Nein. Das durfte nicht ...
 

„Nein!“, schrie Uruha, schlug auf Todokumi ein. Er kämpfte sich frei. Trat noch ein Mal nach ihm. Er konnte nicht glauben, dass er tatsächlich geschossen hatte. Er hatte ohne zu zögern abgedrückt. Uruha verkroch sich in eine Ecke. Er wollte das nicht sehen! Er wollte Aoi nicht sterben sehen. Er hatte sich nicht mehr unter Kontrolle. Wut stieg in ihm auf. Es war weniger der Hass auf Todokumi als mehr der Hass auf sich selbst, der ihn dazu brachte, Todokumi wieder anzusehen, ihn zu fixieren.
 

Da bemerkte er erst, dass dieser blutete, am Arm. Wo war seine Waffe?
 

Langsam und Angst erfüllt wanderte sein Blick zu Aoi. Er hockte auf dem Boden. Unter seinem Fuß hatte er Todokumis Waffe eingeklemmt. Mit einem unerträglichen Geräusch zog er sie mit der Sohle seines Fußes zu sich, das Messer immer noch erhoben. Er nahm die Pistole in die andere Hand und richtete sie auf Todokumi.
 

Nur langsam konnte Uruha sich zusammenreimen, was passiert war. Todokumi hatte geschossen, Aoi war in die Hocke gegangen, um ihm auszuweichen. Dabei hatte er mit dem Messer ausgeholt und Todokumi den Arm aufgeschnitten, dieser hatte geschrieen und die Waffe vor Schmerz fallen lassen. Aoi war draufgetreten, um sie sich zu sichern. Durch Uruhas Treten war Todokumi davon abgehalten worden, danach zu greifen.
 

Aoi war unverletzt, Kami, er war unverletzt. Das Messer in der Rechten und die Waffe in der Linken visierte er wieder den Entführer an. Er atmete schwer ... konnte selbst nicht verstehen, warum er nicht vorhergesehen hatte, wann der andere schoss. Er hatte ihn entwaffnet. Nun hatte er gewonnen. Immer noch fixierten die Beiden sich wie zwei Alphawölfe, die einander aus ihrem Gebiet verjagen wollten.
 

„Siehst du, so schnell wendet sich das Blatt ...“
 

„Das sehe ich genauso!“
 

Aoi hörte neben sich das Knacken einer Waffe, die gerade entsichert wurde. Er riss die Augen auf. Vorsichtig wanderte sein Blick nach rechts. Er spürte den Lauf einer Schnellfeuerwaffe an seiner Schläfe.
 

„Hitô ...?“
 

„Nehmen Sie die Waffe runter, Shiroyama-san!“
 

„Nein! Er soll erst Uruha in Frieden lassen! Nehmen Sie ihn fest ...“ Aoi atmete bebend aus. „Los ...!“, brüllte er, weil er plötzlich glaubte, nicht mehr Herr der Lage zu sein.
 

Doch Hitô reagierte nicht.
 

„Shota?“
 

Stille. Es herrschte Totenstille im Raum. Todokumi und ... Hitô ... kannten sich? Aois Augen flogen zwischen beiden hin und her. Was hatte das zu bedeuten? „Was ...“, konnte er nur hauchen.
 

„Du bist doch Shota ...?“ Todokumi bäumte sich ein wenig auf. Sein Arm blutete stark. „Shota ... ich kann es nicht glauben ...“
 

Aoi konnte ein kleines Lächeln auf dem Mund des Entführers ausmachen. Was sollte das? Er starrte Hitô entsetzt an. „Was ist hier los?“
 

„Ian und ich, wir kennen uns seit Jahren ...“, meinte dieser gefasst. „Aus der Schule ... wir gingen in eine Jahrgangsstufe ... waren auch lange danach sehr gute Freunde ... bis Ian sich entschloss, als Roadie bei euch anzuheuern. Schon als ich zum ersten Mal seine Blicke auf Takashima-san sah, wurde mir klar, warum. Er hat ihm total den Kopf verdreht ...“ Er wendete den Blick kurz Uruha zu. „Sieh dir an, was du aus ihm gemacht hast!“ Uruha zuckte zusammen. „Ich weiß gar nicht, was alle hier an dir finden! Du bist doch nichts Besonderes!“
 

Diese Wut, die in Hitôs Stimme mitschwang, beunruhigte Aoi zutiefst. Da war mehr als er nur zu ahnen glaubte, mehr als Hitô eben preisgab.
 

„Seit Jahren hab ich ihn nicht eine Minute aus den Augen gelassen! Ich wollte, dass er seinen Frieden macht, dass er bekommt, was er sich wünscht, damit sein Herz wieder ruhiger schlagen kann, damit er wieder zu Verstand kommt. Damit er glücklich ist ... Und dafür hätte ich alles getan ... wirklich alles. Ich hätte sogar Takashima-sans Freiheit geopfert ... Ich wollte, dass er bei ihm bleibt. Damit Ian glücklich ist ...“
 

Aoi erkannte etwas an Hitô, das ihm noch viel mehr Angst bereitete als alles, was er an diesem Tag gesehen oder erlebt hatte ...
 

Hitô liebte Todokumi ...
 

Und er war viel unerschrockener als dieser Viel aufopferungsvoller als Aoi. Das macht ihn in diesem Moment zum gefährlichsten Menschen in diesem Raum.
 

„Sie waren das ...“, kam es Aoi auf einmal ein. „Sie haben ... Uruhas Auto versenkt ...“
 

Hitô war in keinster Weise überrascht über diese Anschuldigung. „Hai, es stimmt, ich war es. Ich wollte, dass man Takashima-san für tot hält ... ich wollte, dass keiner mehr nach ihm fragt. Damit er für immer bei Ian bleiben kann ...“
 

Aoi musste für einen Moment die Augen schließen und das auf sich wirken lassen. Er stellte sich in Gedanken noch einmal die Szene vor, wie Hitô angerufen hatte ... Er musste halbherzig auflachen. „Das erklärt auch, wieso Sie wussten, dass das Auto Uruha gehört, obwohl es noch gar nicht gehoben worden war ... Sie haben uns vorher angerufen ...“
 

Auch Ruki war das gerade aufgefallen, weshalb er aufgeregt blinzelte.
 

„Stimmt, das war ein Fehler“, meinte Hitô und grinste leicht. „Aber zum Glück hat euch die Todesmeldung dieses kleine Detail total übersehen lassen.“
 

„Und heute Morgen haben Sie mich abgefangen und sofort beschuldigt, obwohl Ihnen offiziell niemand gesagt hatte, dass Uruha wieder von Todokumi geflohen war... Aber Sie wussten es schon, deshalb sind Sie überhaupt zu mir gekommen.“
 

„Hai, aber in deiner Sorge um Takashima-san hast du auch das nicht bemerkt ...“
 

Aoi fühlte sich an der Nase herumgeführt. Warum war ihm das alles nicht aufgefallen? Er kam sich so naiv vor ... „Was? Was haben Sie jetzt vor ...?“, fragte er den Polizeibeamten.
 

„Erinnerst du dich an meine Frage von vorhin?“
 

Aoi wusste sofort, um welche Frage es ging, was seinen Puls noch einmal in die Höhe trieb.
 

„Ich wollte wissen, wie weit Sie in einer Situation wie dieser gehen würden ... Deshalb habe ich Sie gefragt, ob sie Takashima-san lieben ...“
 

Überrascht schaute Uruha Aoi an. Ihn lieben? Er sah, wie Aoi ein bisschen rot wurde.
 

Auch Ruki fixierte den Rhythmusgitarristen genau. Er erinnerte sich an die letzten Sätze, die sie gestern gewechselt hatten. Aoi wusste von seinen Gefühlen. War er selbst in Uruha verliebt? Warum hatte er ihm dann Mut zugesprochen? Ruki biss sich auf die Unterlippe.
 

Aois Blick segelte auf den Boden.
 

„Als Sie bei der Antwort so gestrauchelt haben, da wusste ich, dass es stimmt ... dass Sie alles tun würden, um ihren Freund zu retten. Und da wusste ich auch, dass du eine Gefahr für Ian werden könntest Das hat sich ja jetzt bestätigt ...“ Hitô drückte den Lauf fester an Aois Schläfe. „Nimm die Waffe runter!“, forderte er eindringlich.
 

Aoi reagierte nicht.
 

„Nimm sie runter!!“, donnerte es quer durch den Raum.
 

Aoi fuhr so heftig zusammen, dass seine Arme von ganz alleine zusammenklappten. Sie verließ einfach jegliche Kraft.
 

Todokumi atmete aus. Er grinste. Shota war auf seiner Seite ... Wie damals, schon immer ... Hämisch sah er auf Aoi, wie er zitterte vor Angst, weil er Hitôs Entschlossenheit begriffen hatte. Aoi so gebrochen zu sehen war ein wirklicher Triumph für ihn. Es erfüllte ihn so mit Freude, dass er so selig vor sich hinlächelte und aufstand. „Du hast verloren“, lachte er auf. „Tja, das Blatt endet sich eben schneller als man denkt ...“
 

Dieser Satz war zu viel. Viel schlimmer noch, dass dieser Kerl in aller Seelenruhe zu Uruha herüber wanderte.
 

„Bleib stehen!“, brüllte Aoi los und hielt die Waffe wieder auf ihn, zwang ihn so, auf der Hälfte des Weges stehen zu bleiben.
 

„Waffe runter!“, schrie Hitô ihn an.
 

„Nein!“, entgegnete Aoi sofort lauter als Hitô eben. „Er soll die Finger von Uruha lassen! Meinetwegen erschießen Sie mich, aber vorher werde ich ihn abknallen!“
 

Hitô starrte Aoi einen Moment lang an. Er war entschlossener als er gedacht hatte.
 

„Nein ...“, winselte Uruha nur noch. Er wollte eingreifen, doch er wusste nicht, was er tun sollte. Er konnte sich nicht auf Hitô schmeißen, er konnte sich schon gar nicht auf Todokumi schmeißen. Alles würde darin enden, dass auf Aoi geschossen würde. Er kam sich so ohnmächtig vor.
 

Es ging hier um ihn, aber er konnte gar nichts tun. Er hatte das hier alleine lösen wollen, doch es war aus dem Ruder gelaufen und nun konnte er gar nichts mehr tun, nur zusehen, wie Aoi alles für ihn aufs Spiel setzte. Das ließ ihn verzweifeln. Warum konnte dieser Albtraum nicht endlich vorbei sein?
 

„Nein ... bitte nicht ...“, flehte er Hitô an und weinte. „Bitte schießen Sie nicht auf ihn. Bitte ... Ich ... ich bleibe auch bei Todokumi ... ich bleibe bei ihm, für den Rest meines Lebens, damit er wieder glücklich ist ... Aber schießen Sie nicht auf Aoi ... das ertrage ich nicht ... Halten Sie ihn da raus. Ich bleibe bei Todokumi ...“ Uruha verkrampfte sich vollkommen, er presste die Augen so fest aufeinander, dass auf Schlag alle Flüssigkeit entwich, die sich darin gesammelt hatte. So laut hatte Uruha noch nie geweint.
 

„Nein, Uruha ...“, sagte Aoi leise. Er wollte auf gar keinen Fall, das Uruha je wieder in die Nähe dieses abscheulichen Mannes musste. „Nein, das ist keine Option.“
 

„Aber ich lebe lieber hier unten in der Dunkelheit mit ihm zusammen, als dich sterben zu sehen ...“, schluchzte Uruha laut.

rêver

6. Kapitel
 

„Siehst du? Er will bei mir sein. Er liebt mich! Er will mit mir zusammenleben ...“, sagte Todokumi mit seltsamer Erleichterung, sein Ziel endlich erreicht zu haben. „Shota ... Hast du das gehört ... Er liebt mich, es muss so sein ... Ich werde ihn nie mehr hergeben. Nie mehr. Er soll ganz mir gehören. Jede Nacht. Immer wieder.“
 

„Nein!“, brüllte Aoi wieder dazwischen. Er machte ein paar Schritte auf den Größeren zu.
 

„Shiroyama ...“, drohte Hitô, um ihn aufzuhalten.
 

„Seien Sie still! Ich will nicht, dass Uruha mit ihm zusammen leben muss, ich will nicht, dass du ihn anrührst! Das lasse ich nicht zu! Man darf einen Menschen, den man liebt, zu nichts zwingen. Was macht Liebe für einen Sinn, die erpresst wurde? Was macht Liebe für einen Sinn, wenn sie nicht echt ist ...?“ Aois Hand zitterte. „Wenn ich du wäre, würde ich wollen, dass Uruha glücklich ist, auch wenn es bedeuten würde, dass er mit jemand Anderem sein Glück finden würde und wenn er mich zurückweisen würde. Ich will doch nur, dass es ihm gut geht ... Dass er keine Angst mehr zu haben braucht. Dass er in Frieden leben kann und sich Jemanden aussuchen darf, den er liebt und mit dem er gerne zusammen wäre. Warum geht das nicht in deinen Schädel? Was stimmt denn nicht mit dir? Ich werde dafür sorgen, dass du nie wieder Jemandem Angst einjagen kannst!“
 

Aois Finger wollte gerade den Abzug drücken, doch er konnte nicht. Er konnte das nicht. Trotz aller Abneigung, trotz allem, was geschehen war, dies war nicht der richtige Weg. Aber was sollte er tun?
 

Es knallte. Aoi fuhr zusammen. Dieser Schuss kam nicht aus seiner Waffe. Sein Körper krampfte sich zusammen. Jeden Moment musste ihn die Kugel treffen. Jeden Moment war es vorbei. Er hatte nicht gewusst, ob Hitô wirklich auf ihn schießen würde. Nun hatte er geschossen. Aoi kniff die Augen zusammen. Ein Schmerz durchzog ihn.
 

Außer Atem öffnete er die Augen, sah in die von Todokumi.
 

Sie waren erschrocken, weit aufgerissen und starr. Sie sahen ihn nicht an, sondern durch ihn hindurch.
 

Aoi verstand einen Augenblick lang gar nicht, was passiert war. Erst als heißes, rotes Blut aus Todokumis linker Körperhälfte hervorquellen sah, wurde ihm bewusst, was passierte. Hitô hatte nicht auf ihn geschossen.
 

Er konnte nur zusehen, wie der Körper dieses starken Mannes zusammensank, als wäre er aus Pappe. Todokumi legte die Hand auf sein durchschossenes Herz. Sein ausdrucksloser Blick wanderte zu Hitô. „Wa ... rum?“, fragte er und sank zur Seite in Uruhas Richtung. Er bewegte den Kopf unter großen Schmerzen, um Uruha ansehen zu können. Mit letzter Kraft versuchte er noch ein Mal nach ihm zu greifen. „I just ... wanted ... to be ... loved ...“, sagte er und blieb dann einfach liegen. Seine Augen fielen zu. Das Letzte, was er gesehen hatte, war Uruhas Gesicht, der daraufhin nur tränenverschleiert zu Hitô hinüberstarrte.
 

Auch Aoi folgte seinem Blick zum Polizeibeamten.
 

Der hatte die Waffe sinken lassen. Sein Blick wanderte demütig von Gesicht zu Gesicht und blieb bei Aois Augen hängen. Die ihn fragen wollten, warum er das getan hatte. „Ich sagte Ihnen doch ... wenn ich verhindern kann, dass noch mehr Menschen mit hinein gezogen werden – dann werde ich das tun.“
 

Da wusste Aoi, dass Hitô niemals vorgehabt hatte, auf ihn zu schießen. Er nickte nur. Sein Respekt für Hitô kehrte zurück, denn letztendlich hatte seine Verantwortung als Polizist doch über sein verletztes, liebendes Herz gesiegt. Er zerstörte lieber diese Liebe und sein Leben als das Unschuldiger ...
 

„Ich muss mich bei Ihnen entschuldigen, Takashima-san ... Dafür, dass ich Sie beinahe für ihn geopfert hätte. Das war falsch und unverantwortlich ... und es macht mich nicht einen Deut besser als ihn ... Ihr Freund hat Recht. Liebe darf nicht durch eine andere Liebe erzwungen werde, die dem Wahnsinn die Hand gibt ... Das gilt auch für mich.“ Weinend und zitternd legte er die Waffe auf dem Boden und schoss sie mit dem Fuß ans andere Ende des Raumes, weg von allen anderen.
 

Er ging. Ohne ein weiteres Wort. In der Tür warf er Aoi nur einen verabschiedenden letzten Blick zu, ein Blick auf seinen Ian und dann ging er. Den Flur hinunter, alleine durch die Dunkelheit. Durch den Eingang, den er hatte aufbrechen lassen, zu seinen drei Kollegen, denen er befohlen hatte, draußen zu bleiben, die weder Schüsse, noch Geschrei gehört zu haben schienen. Er ließ sich festnehmen. In Handschellen gelegt, setzte er sich in einen der beiden Streifenwagen. Ein Beamter blieb bei ihm. Die anderen beiden gingen zu den anderen in den Bunker.
 

Hitô war bereit, alle Strafe auf sich zu nehmen. Er wollte Buße tun für seine Sünde und dann ein neues Leben anfangen. Ian hatte sein Altes zu sehr vereinnahmt.
 

~~~~~
 

Aoi starrte nur einen Moment an die Wand. Die anderen brauchten ein bisschen Zeit, um wieder klar denken zu können. Langsam legte auch er seine Waffe auf den Boden. Dann ging er zu Ruki und machte ihn los.
 

Uruha stand ebenfalls auf und taumelte an Todokumis Leiche vorbei, unter der sich immer mehr Blut sammelte. Er half Aoi, den Sänger freizubekommen, der völlig entkräftet war.
 

Aoi war der Erste, der ihn fest an sich drückte.
 

Doch Ruki rappelte sich schnell wieder aus seiner Umarmung. Er wankte an ihm vorbei in Richtung Flur. Dort hörte er schon die Schritte der Beamten.
 

„Ich wusste es nicht“, rief Aoi ihm nach. „Es war mir nicht bewusst ...“
 

„Ist schon gut“, antwortete Ruki ruhig. „Ich weiß, wann ich verloren habe ...“
 

Der Rotblonde begriff nur langsam, was der Dialog seiner Freunde wirklich bedeutete. Aoi liebte ihn? Ruki auch? Warum? Hitô hatte Recht gehabt: Uruha war nichts Besonderes. Nicht für die Welt. Aber wie er jetzt erkennen musste, gab es Menschen, für die er etwas Besonderes war. Egal, ob als Freund oder Geliebter.
 

Sein Körper schwankte in Gedanken an das, was geschehen war. Der Blick auf Todokumi, der blutend – tot – auf dem Boden lag, tat ihm weh. Er wusste nicht, wie er damit umgehen sollte ... war er nicht Schuld daran, dass er jetzt tot war? Hatte er nicht verhindern können, dass jemand starb? Aber eines wusste Uruha: Er würde auch nicht mit dem Wissen, dass Todokumi nicht mehr kommen würde, ruhig schlafen können.
 

Ihm schwindelte, dass er gegen die Wand sank, und Aoi hörte ihn aufstöhnen, war sofort bei ihm, um ihn zu halten. „Uruha? Ist dir schlecht? Willst du dich hinlegen? Ich helfe dir hier raus ... halt dich an mir fest ...“
 

Uruha gehorchte und ließ sich von Aoi stützen, der ihn warm und eng an sich hielt, an den Polizisten vorbei, die sie argwöhnisch betrachteten. Aber der Ältere würdigte sie keines Blickes, zog mit seinem Freund an ihnen vorbei und lotste ihn zum bereitstehenden Krankenwagen, an dem Ruki schon versorgt wurde. Todokumi, Ruki, Aoi ... in seinem Kopf drehte sich alles, dann gaben seine Beine nach und er klappte zusammen.
 

Aoi hielt ihn fest. Von einer Schrecksekunde auf die nächste fing er ihn mit beiden Händen auf. „Eine Trage, bitte!“, rief Aoi und alle zehn Finger des Jüngeren krallten sich in seinen Kragen und in seine Haare, zitternd. Sein rasselnder Atem blies ihm in den Nacken, dass er schauderte. Sein Körper war schwach und seine Haut weiß. Als er den Leadgitarristen auf die Trage legte, wurde er nicht losgelassen. Uruhas Lippen bewegten sich kaum, doch er flüsterte ganz sicher etwas, das Aoi hätte hören wollen. Doch er hörte ihn nicht. Und gleichermaßen spürte er, wie die Finger an seinem Kragen klamm und kalt wurden. Wie kalter Marmor im Regen.
 

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Die Sonne schien in den weißen Raum und die weißen Wände reflektierten die Farbe. Uruha fühlte sich krank. Das Management hatte von der Entführung erfahren und ihm eine Woche Kuraufenthalt aufgebrummt. Hier war jedoch alles wie Krankenhaus. Die Gymnastikkurse, das mentale Training, die Gespräche mit den Psychologen, all das gab ihm das Gefühl, nicht ganz auf der Höhe zu sein.
 

Er wurde unterhalten. Die Leute, mit denen er zu tun hatte, hatten eine Klausel unterschreiben müssen, damit sie nichts an die Papparazzi verrieten, um Trubel zu vermeiden. Die Pressearbeit für das neue GazettE-Album war hart – wie Uruha wusste, denn Ruki schrieb ihm jeden Tag mindestens eine E-Mail mit ein paar Bildern oder Videos vom Aufnahmeraum, von der Mensa oder Scans vom Album-Booklet und dem Case mit dem 3D- und Wackelbild-Effekt.
 

Sie hatten miteinander über Rukis Gefühle gesprochen. Uruha hatte ihm keine andere Antwort geben können. Er liebte ihn nicht so, wie er es sich wünschte. Sie waren Freunde, gute Freunde und nicht mehr. Ruki hatte geweint, Uruha hielt ihn und fühlte sich leer wie ... er kannte gar keinen Ausdruck dafür. Die gesamte Band wollte in ein paar Minuten hier sein. Bis auf Ruki hatte sich noch keiner zu ihm getraut – selbst Aoi war nicht bei ihm gewesen. Nur am ersten Tag hatte er ein paar Sachen für Uruha abgeliefert, nur dass er selbst davon nichts mitbekommen hatte, weil er gerade in einem Kurs gewesen war.
 

Die Uhr tickte an der Wand und sein freier Nachmittag begann gleich offiziell. Es war nicht mehr lange, bis die anderen kommen würden. Irgendwie hatte er Angst, es war wie Lampenfieber, wenn er sich auf die Unterlippe biss. Seinem Psychologen hatte er nicht alles erzählt. Er hatte davon berichtet, wie Todokumi ihn in der Tiefgarage überfallen hatte. Nichts von Aois Gitarre, la larme de la rose, an deren Verschwinden und Tod er Schuld war. Auch von der Entführung, der Demütigung in diesem Bunker und seiner Flucht ... Nichts von der Zeit, als er in Aois Armen gelegen und albtraumlos geschlafen hatte. Sein Entschluss, allein gegen Todokumi vorzugehen ... Nicht seine Überraschung über Aois Liebesgeständnis. Die Beschreibung von Ians Fall durch Hitô ... und nichts, aber auch gar nichts von seiner Verwirrtheit gegenüber Aois Gefühlen.
 

Sein persönlicher Arzt hatte weitere Fachmänner hinzugezogen, weil er wohl gemerkt hatte, dass Uruha etwas vor ihm verbarg. Niemand kam an ihn heran, wenn es darum ging, über etwas anderes zu sprechen als über Todokumi. Deswegen war er hier. Alles andere musste er mit sich selbst ausmachen. Aus einer Laune heraus hatte er sich am zweiten Tag seines Aufenthalts via Internet über Homosexualität informiert. Die gesetzliche Lage in Japan, Praktiken und dergleichen – Dinge, die ihm teilweise die Schamesröte ins Gesicht getrieben hatten.
 

Und heute in seiner Sitzung mit dem Psychiater hatte der gedankliche Höhepunkt seiner Demütigung stattgefunden. Nicht nur, dass man ihm alle Peinlichkeiten seines Lebens entlocken wollte. Dass man ihn auf sein feminines Image ansprach und ihm das Gefühl gab, er hätte es darauf angelegt, von einem Stalker verfolgt zu werden. Nein ... es hatte anscheinend nicht genügt, um ihn zu zermürben. Man hatte seine Pagechronik abgerufen – und nun hatte man ihn darauf angesprochen, ob er nicht doch an Todokumi interessiert gewesen war. Ob er es bereute, so einen Aufruhr verursacht zu haben. Am liebsten hätte Uruha diesem Typen eine reingeschlagen – und da wäre er endlich aus sich rausgekommen!
 

Dass er in Wirklichkeit an eine Beziehung mit Aoi gedacht hatte, wollte er ihnen nicht sagen. Stattdessen schwieg er lieber und ließ ihre Tiraden über sich ergehen, dass er ja gar nicht geheilt werden wollte, dass er nicht mit ihnen zusammenarbeitete, um sich als geheimnisvoll darzustellen. Warum hielt man ihm so etwas vor, als hätte er sich mit Absicht von Todokumi beinahe vergewaltigen lassen? Sie wussten, dass er Ruki hatte schützen wollen. Und den Polizeiberichten konnten sie entnehmen, dass Aoi auch dort gewesen war, um ihn als guten Freund zu retten und zu schützen.
 

Er wollte nicht geheimnisvoll sein. Aber sich und auch Aoi vor diesen Ärzten bloßzustellen, würde ihm nicht im Traum einfallen. Ganz andere Dinge holten ihn währenddessen in der Nacht ein. Immer wieder erinnerte er sich daran, wie er Aoi das erste Mal begegnet war. Damals am Brunnen mit der Gitarre in der Hand, Aoi ihm gegenüber, doch die Erinnerung verschwamm und wandelte sich in einen Strudel aus Wärme und Geborgenheit. Ihre beiden Körper ineinander verschlungen, kuschelnd, sich küssend ...
 

Auch erinnerte er sich an das Gefühl, mit ihm zusammen in der Wanne zu liegen. Seinen Schutz zu genießen. Mit ihm zusammen einzuschlafen ... mit ihm aufzuwachen ... Die Wimpern, die auf seinen Wangen lagen, sich im Takt seiner Atemzüge bewegten. Seine rosigen Wangen, ihre Körper gehüllt in die Wärme der Bettdecke, seine Lippen so verführerisch leicht geöffnet, dass sie Uruha zum Küssen einluden.
 

Es klopfte an der Tür, dass er vor Schreck zusammenfuhr, sich jedoch schnell wieder fing. „Herein!“, rief er ermutigt und begann zu strahlen, sobald er seine Freunde sah, und ging auf sie zu, um sie freudig zu umarmen, einen nach dem Anderen, bis endlich Aoi vor ihm stand. Ein Lächeln kam über seine Lippen, wie er es seit Tagen nicht gekannt hatte. Bestimmt würde er in der Nacht Muskelkater in den Wangen bekommen.
 

Aois Arme waren stark und er genoss es, ihn zu spüren. Doch im gleichen Atemzug erinnerte er sich an die Szene, als Todokumi zusammengebrochen und gestorben war. Sogleich verkrampfte er sich und klammerte sich mit aller Kraft an Aoi, der die Augen öffnete und ihm ins Ohr seufzte. Verstand er, was in Uruha vorging? Oder dachte er, es wäre die pure Freude, ihn wiederzusehen?
 

„Hab keine Angst, Kouyou ... du bist nicht allein“, flüsterte er ihm zu und Uruha ließ die Augen erleichtert zuflattern. Für ein paar mehr Momente als angebracht hielten sie sich so und konzentrierten sich auf die Atemzüge des jeweils anderen. Sie lebten – gemeinsam!
 

„Hey, hey!“ Es war Reita, der ihre Ruhe störte und sie dazu brachte, sich voneinander zu trennen. „Man könnte meinen, du freust dich über Aoi mehr als über uns!“
 

„Ach was!“, wies Aoi diese Äußerung von sich und grinste ganz unverhohlen. „Ich wollte nur überprüfen, ob unser Sorgenkind auch genug gegessen hat.“
 

„Und?“, hakte Kai nach und verschränkte lächelnd die Arme vor der Brust, wobei er das Gewicht von einem Bein aufs andere verlagerte. „Ist er am Aushungern?“
 

Prüfend zwickte der Rhythmusgitarrist seinem Partner in die Seite, dass dieser aufquietschte, und schüttelte dann den Kopf. „Nö ... eher setzt er Fettpölsterchen an!“
 

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Es war Abend, als sie von ihrem Ausflug zurückkamen und alle Uruha zurück an das Kurhaus begleiteten. „Es ist schade, dass du noch nicht raus darfst“, nörgelte Ruki und verdrehte die Augen. Er sah den Größeren nicken und blickte zum See, den sie in den letzten Stunden gemeinsam umrundet hatten. Seine Gedanken gingen weiter. Was passierte, wenn Uruha nach Hause zurückkehrte? „Wirst du übrigens wieder umziehen?“
 

Uruha hatte nicht gesagt, dass er wegen seiner Angst immer wieder die Wohnung gewechselt hatte, aber Rukis Liebe zu ihm schien ihm dieses Rätsels Lösung offenbart zu haben. Reita und Kai blinzelten im ersten Moment verwirrt, doch sie schienen zu begreifen, um was es ging. „Wir helfen dir natürlich, wenn du willst“, bot Reita an und stupste seinem Schulfreund gegen die Wange, dass dieser die Mundwinkel hob und erneut nickte.
 

„Ich hab schon nach Wohnungen gesucht, aber noch nichts gefunden ... nichts Passendes, meine ich ...“ Der Rotblonde sah zu Aoi hinüber und presste die Lippen aufeinander. Der Älteste hatte kaum gesprochen. War er müde? Oder war er wütend auf ihn? Vielleicht hatte er heute Vormittag Stress gehabt ...? Unauffällig wandte er sich wieder ab. „Aber das wird bestimmt noch! Ist ja nicht so, als wäre ich anspruchsvoll!“ Er zwinkerte spitzbübisch und streckte sich dem rotgefärbten Himmel entgegen.
 

Kai grinste. „Nein ... überhaupt nicht ...“ Seine Stimme war von Ironie durchtränkt. „Am Besten Meerblick, Balkon, große Badewanne, französische Fenster, Maisonette – das sind doch keine großen Ansprüche ... oder war da noch was?“
 

„Hm ...“ Uruha tat so, als würde er überlegen. „Hm ...!“ Er überlegte immer noch. „Integrierte Cocktailbar? Nein, das war ein Scherz ...“ Plötzlich wurde er verlegen. Etwas schwach auf den Beinen stolperte er hinüber zu zwei sich gegenüber stehenden Bänken. „Kommt bitte her ...“ Verzweifelt kniff er die Augen zusammen und wartete, bis alle bei ihm saßen und ihn aufmerksam ansahen. „Ich bitte euch darum, mir zu helfen ...“
 

Alle horchten erst recht auf, doch ihr ernanntes Sorgenkind traute sich nicht, sie anzusehen. Seine Finger spielten nervös miteinander, er drehte und wendete sie, als lägen darauf die Worte und die Phrasen, die er suchte und die er jetzt brauchte, um seinen Freunden ... reinen Wein einzuschenken.
 

„Diese Sache mit meinen Trinkexzessen ... ich gebe zu, dass es zu viel war. Das ... hatte ... ich ... tut mir Leid ...“ Leidend rieb er sich die Schläfen und atmete noch ein Mal tief durch. „Ich wollte so Vieles vergessen, versteht ihr? Wenn ich betrunken bin, verliere ich so leicht den Halt und dann ... ich hab die letzten Jahre nur dann durchgeschlafen, wenn ich Alkohol getrunken hatte ... es tut mir so Leid ...“ Er fing an zu weinen und vergrub sein Gesicht in beiden Händen. „Ich bitte euch, Jungs ... Freunde ... helft mir! Ich will nicht so werden, dass ich den Kopf verliere und alles um mich herum vergesse!“
 

Aoi zuckte zusammen. Es erinnerte ihn zu sehr an seinen Vorwurf, nachdem Uruha seine Gitarre überfahren hatte. Hatte er sich in seinem Ozean aus anderen Problem nun ausgerechnet die Worte ausgesucht, die Aoi aus Wut fallen gelassen hatte?
 

„Uruha ...?“ Ruki runzelte die Stirn und kniete sich vor den Gitarristen – seinen persönlichen Gitarristen. Seine Hände suchten nach den benetzten Wangen und brachten Uruha so dazu, ihn wieder anzusehen. „Wir sind bei dir, das weißt du doch! Wenn du hier raus bist, kommst du erst mal bei einem von uns unter, hai? Und gleichzeitig kümmern wir uns um deine Wohnung. Wir ...“
 

„Wir passen auf, dass du nicht zu viel trinkst.“ Seit Langem meldete sich der Älteste wieder zu Wort, den Blick zum See gewandt wie Ruki zuvor. „Ein Schälchen Sake hat noch keinem geschadet, aber mehr werden wir nicht zulassen.“ Mit einem Lächeln schwenkte sein Blick er Uruha an und ermutigte ihn. „Hab keine Angst ... Du wirst den Kopf nicht verlieren!“
 

„Aoi ...“ Über Uruhas Wangen seilten sich Tränen ab, die er in Sitzungen nie vergossen hätte. Es war, als wären sie sich dieses Versprechen schuldig gewesen. Uruha Aoi, dass er aufhören wollte zu trinken, und Aoi Uruha, dass er ihm auch ohne einen Klinikentzug dabei helfen würde. Der jüngere Leadgitarrist fühlte sich nicht krank, nicht krank genug, dass er freiwillig in Therapie gegangen wäre. Er wollte nur die Unterstützung seiner Freunde, die bei ihm waren – und bei ihm blieben.
 

Er weinte, ohne sich die Tränen abzuwischen. Still für sich und doch zusammen mit den anderen. Er spürte Rukis und Kais Hand an seinen Schultern und Reitas auf seinem Knie. Nur Aoi blieb auf der gegenüberliegenden Bank sitzen und lächelte zu ihm hinüber. Es war wie ein warmer Sonnenstrahl, der ihn traf und wärmte. In seinem Herzen hauste trotz allem noch diese Unruhe. Was sollte nun geschehen? Abgesehen davon, dass ihm geholfen wurde, durfte er nicht vergessen, was er von Aois Gefühlen wusste.
 

Es verging eine Weile, in der sie noch dort saßen und Uruha beistanden. Ihn stützten und immer noch hielten. Niemand konnte behaupten, dass es ihm in einer Woche wieder gut gehen könnte. Niemand wusste, ob er in zwei Wochen wieder geregelt arbeiten könnte. Niemand konnte wissen, dass es eine einfache Lösung für das Problem gab ... und dass sie diese eigentlich schon vor sich hatten.
 

Es ging haarscharf auf das Besuchszeitende zu, als sie sich endlich erhoben und Uruha vor dem Eingang absetzten. Merkwürdigerweise war Aoi separat mit seinem Motorrad gekommen. Er wollte nur übers Wochenende zu seinen Eltern fahren und blieb selbst nach dem Abschied an seinem Fahrzeug , während die anderen sich wieder auf den Weg nach Tokio gemacht hatten. Er stand dort und starrte hinauf zu einem der oberen Stockwerke. Langsam hob sich seine Hand aus seiner Motorradjacke und zündete eine Zigarette an. Nach etwa zehn Minuten wurde ein Zimmer erleuchtet und ein Schatten trat an das Fenster heran, öffnete es und atmete noch mal die frische Luft ein – als hätte er in den letzten Stunden nichts anderes gemacht.
 

Aoi wusste nicht so recht, was er mit sich selbst und seinen Gefühlen für den Jüngeren anfangen sollte. Auch nicht, was er mit Uruha anfing, falls sie eines Tages nach langer Zeit allein sein sollten. Allein miteinander, nebeneinander, übereinander, ineinander verknotet. Der Schwarzhaarige spürte die Hitze in seine Wangen steigen und seinen Herzschlag beschleunigen. Noch vor knapp zwei Wochen hätte er sich so etwas nicht vorstellen können. Nicht darüber nachdenken, wie es wäre, mit seinem Freund zusammen zu sein – und schon gar nicht davon träumen!
 

Plötzlich klingelte sein Handy. Er ging ran, ganz in Trance und fasziniert von der tollpatschigen Eleganz, mit der Uruha zu seinem Mobilfunktelefon gegriffen hatte. „Hey.“
 

„Hey“, erwiderte er und leckte sich die Lippen, weil sie unerwartet spröde waren.
 

„Was machst du noch hier? Die anderen sind doch bestimmt schon weg.“
 

„Hai ... anou ... ich wollte auf dich warten. Damit ich weiß, dass du sicher auf deinem Zimmer angekommen bist.“ Aoi grinste frech, obwohl er wusste, dass Uruha sein Gesicht ohne die Brille auf der Nase zu haben auf die Entfernung hin und dazu noch in der Dunkelheit drei Mal nicht erkennen konnte.
 

„Woher willst du wissen, ob ich in Sicherheit bin?“
 

„Wie meinst du das?“
 

Der Jüngere machte eine einladende Bewegung und schien zu schmunzeln. „Was, wenn mich irgendjemand reinlegen will und er sich in meinem Schrank versteckt?“ Einen Moment lang herrschte Stille. „Willst du nicht nachsehen kommen?“, fügte er freundlich hinzu.
 

Der Ältere lehnte sich mit dem Rücken an das Motorrad, damit er etwas hatte, was ihn hielt, falls er schwankte, und hob den Kopf noch ein wenig mehr an. „Man könnte meinen, du lädst mich auf einen Kaffee ein ... Hört sich wie ein unmoralisches Angebot an!“
 

Es war Uruha, der schwankte, sich schnell fing und überlegte. „Kaffee wäre zu aufwühlend, oder? Ich meine, ja, du musst noch fahren, aber ... ich darf dich leider gar nicht mehr reinlassen!“
 

„Schade, oder?“
 

„Irgendwie schon ... ähm ...“ Der Dunkelblonde näherte sich dem Fensterbrett noch näher. „Danke, dass du gekommen bist, Aoi ...“
 

„War doch klar. Ein Anstandsbesuch muss doch sein. Und Sonntag Abend lohnt es sich ja nicht mehr, wenn ich noch mal vorbeikomme ... außer, wenn du gleich mitkommen könntest!“
 

„Das meinte ich nicht ... Du hast uns ... befreit ... dafür danke ich dir sehr!“ Unerwartet kleinlaut stützte er sich mit einem Arm auf dem Fensterbrett ab.
 

Aoi nickte deutlich, weil er nicht wusste, was er darauf antworten sollte. „Die Anderen wären auch gekommen, wenn sie gewusst hätten, wo ihr seid.“
 

„Aber du bist gekommen! Das war sehr mutig von dir ... wenn du nicht bei uns gewesen wärst ... und dieser Polizist sich auf Todokumis Seite gestellt hätte ... Ruki wäre verloren gewesen!“
 

Angesprochener nickte wieder. „Dir wäre kaum etwas passiert. Hitô hätte dich niemals verletzen können, weil er dem Menschen, den er so ... liebte, nicht das Wertvollste nehmen wollte.“ Sein eigener Atem stockte und er verdrängte, was ihm noch durch den Kopf ging.
 

„Er hat sich selbst seinen Schatz genommen“, merkte Uruha an und hielt die Luft an. „Wie lange wusstest du es? Wie lange wusstest du von Rukis Gefühlen?“
 

„Es wurde mir erst klar, als dein Wagen geborgen wurde. Seine Verzweiflung, seine Tränen ... und diese Ohnmacht, als wir uns aufmachten, um dich zu suchen.“ Aoi erzählte es, als wäre er nicht dabei gewesen. Wie der Schriftsteller, der die Bilder vor sich sieht, ohne am Geschehen teilgenommen zu haben. „Ich dachte allerdings, dass ihr schon zusammen ward ... oder zumindest auch du in ihn ver-“
 

„Nein!“, widersprach der Rotblonde heftig und stampfte mit dem Fuß auf. „Ich hatte es nicht mal geahnt. Nicht Rukis Gefühle, nicht Todokumis oder Hitôs ... Nichts von ...“, von deinen Gefühlen, „nichts von alledem ...!“
 

„Ich weiß.“ Aoi lächelte gequält, weil ihm das Herz schmerzte. Hatte sein guter Freund in dem Bunker begriffen, von was Ruki und er gesprochen hatten? Oder hatte er es vergessen und verdrängt? Konnte er ihn darauf ansprechen? Sollte er schweigen?
 

„Aoi ...?“
 

„Hm?“
 

Uruha schüttelte den Kopf und lächelte etwas gedrungen. „Grüß deine Eltern und deine kleine Schwester bitte von mir!“
 

„Mach ich!“ Aois Mund öffnete sich leicht und seine Lippen brannten, so wie es ist, wenn man Jemanden unbedingt küssen will. „Sag, Uruha ...“
 

„Hm?“
 

„Möchtest du am Montag bei mir einziehen, bis du eine neue Wohnung gefunden hast?“
 

Einen Augenblick lang kam gar keine Antwort. Bis er das lockere und ohne Haarspray gebändigtes Haar auf- und abwippen sah. „Gerne! Ich mach mich auch ganz klein!“
 

„Ach was ... du schläfst bei mir im Bett und gehst ins Bad und in die Küche. My castle is your castle! Weißt du doch!“ Der Schwarzhaarige lachte auf und kicherte ein wenig.
 

Uruha versuchte, bei den englischen Worten, die in sein Ohr drangen, nicht zusammenzuzucken. „Hai, weiß ich. Danke dir für das Angebot.“ Er lächelte sanft.
 

„Du solltest jetzt wohl besser schlafen gehen ... du fängst morgen schon wieder um sieben Uhr an, oder?“
 

„Ja, Schwimmen ist aber okay. Komm gut nach Hause, Aoi. Und vergiss nicht die Grüße!“
 

„Mach ich nicht. Schlaf gut, Uruha!“
 

„Du dann auch! Und träum schön!“
 

„Hai, du auch!“ Sie nickten sich zu und schalteten die Handys ab. Aoi schwang sich auf sein Fahrzeug und winkte, bevor er losfuhr. Als eine Ansammlung an roten Lichtern verschwand er zwischen den Straßen.
 

Uruhas Augen waren feucht geworden, als würde ihm in diesem Moment der Fahrtwind ins Gesicht peitschen. In Gedanken an Aois Eltern erinnerte er sich auch an dessen Vater, folglich auch an la larme de la rose. Diesbezüglich war ihm noch keine Lösung eingefallen. Er fröstelte, schloss das Fenster und zog den Vorhang zu. Über ihre Gefühle einander gegenüber am Handy zu reden, wäre ihm zu unpersönlich gewesen. Der junge Gitarrist lehnte an der Wand und legte den Kopf in den Nacken. Mit geschlossenen Augen leckte er sich die Lippen und erinnerte sich voller süßer Sehnsucht an Aois Wärme, die ihn umgeben hatte.
 

Und so sehr in vielleicht das körperliche Zusammensein mit einem Mann fürchten mochte, hinderte es ihn nicht daran, Aois Nähe zu genießen und in einer leidenschaftlichen Vision gefangen zu seufzen.
 

Die dunklen Augen schlugen auf und langsam öffnete Uruha seine Schranktür, in der eine Staffelei mit einer Leinwand verborgen war. Darauf war ein sanftes Graphitportrait zu sehen, ein Mann mit einer Gitarre. Die zarten und gleichzeitig männlichen Hände umgriffen den Schaft der schwarzen ESP, die sonst so strahlenden Augen waren geschlossen, der Kopf gesenkt, die Lippen zu einer entspannten Geste geformt. Es war abgezeichnet von einer MacPeople-Ausgabe des Jahres 2008, in der Aoi ein Interview über seine Arbeit mit Technik und Gitarren gegeben hatte.
 

Pinsel und Farbe kamen hinzu, so dass der Zeichner seine Fehler ausbesserte und manche Linien erneuerte, die er sonst nicht beseitigen konnte.
 

Es würde noch genug Gelegenheiten geben, um über sie beide zu reden. Um über ein wir zu reden.
 

Mit der Zeit wurden seine Augen wirklich müde, dass er das Meiste wieder zusammenräumte, die Pinsel säuberte und die Staffelei samt Portrait erneut verstaute.
 

Danach kuschelte er sich ins Bett und sein Geist trudelte hinüber in die Traumwelt.
 

Die Matratze senkte sich neben ihm ein wenig. Er spürte die Schwere, die Hitze, die sich neben ihm sammelte. Mit einer anmutigen Bewegung wurde ihm die Decke von den Schultern und von der Brust gezogen, dass jeder die weiße Haut unter dem beigen Pyjama erkennen konnte, an dem die obersten beiden Knöpfe offen standen. Durch ein unruhiges Ruckeln, das durch seinen Körper ging, schoben sich auch die nächsten beiden Knöpfe durch die kleinen Löcher ins Freie, dass der Stoff bald aufklaffte und Uruhas zarte Knospen sich in der Kühle des Zimmers zusammenzogen.
 

Seine Lider zitterten, schwangen auf und zu, ohne etwas zu sehen. Sein Kopf wand sich auf den Kissen unruhig hin und her, seine Haare breiteten sich um ihn aus, als hätte er einen kleinen Heiligenschein. Ihm wurde heiß, heiß und kalt zugleich. Er wollte sich winden und Laut geben, doch kein Ton entkam ihm in diesen Minuten.
 

Eine unbeschreibliche Hitze zog sich wie eine Gänsehaut über seine Brust. Sein eigener warmer Atem schickte wie Fingerspitzen kleine Schauer durch seinen Körper. Er hob die Arme über dem Kopf und drückte den Rücken durch, um mehr von dieser Wärme und Geborgenheit zu spüren, die sich da wohltuend über ihm ausbreitete.
 

Aoi. Sein Duft umgab ihn wie ein angenehmer Schleier. Er spürte den Atem auf seiner Wange, auf seinen Lippen – zart und süß. Eine Berührung, gleich dem Streicheln einer Feder zog sich über ihn hinweg. Seine Lippen fanden Berührung mit etwas, das er nicht kannte – und doch wusste er, dass er darin vertrauen konnte.
 

Uruha hob die Arme gen die Zimmerdecke, wollte umschließen, was ihn koste, doch er griff ins Leere. Ein Traum. Es war nur ein Traum gewesen. Diese Erkenntnis schockte oder verletzte ihn aber nicht. Stattdessen freute er sich über diese Zärtlichkeiten und lächelte – für den Moment – befriedigt. Hob die Decke über sich und kuschelte sich murmelnd wieder ein, um in einen angenehmen und traumlosen Schlaf über zu gehen.
 

Die halboffene Schranktür gab den Blick auf Aois Portrait-Ich frei. Seine Lippenkonturen waren verwischt und er lächelte zufrieden in die Dunkelheit seines Schranks.
 

Uruha döste weiter vor sich hin. Er stellte sich Aois Hände vor, wie er sanft Gitarre spielte. Diese Melodie, die er in den letzten Tagen vor der Entführung immer vor sich hin gespielt hatte. Aoi ... Dieser Gedanke war momentan alles, was er brauchte. Dann schweifte er wieder zu la larme ab. Sein entspanntes Gesicht zog sich ein wenig zusammen, er behielt die Augen aber geschlossen. Wie wohl das Gespräch zwischen ihm und seinem Vater laufen würde? Plötzlich schlug Uruha die Augen wieder auf! Mit einem Schwung kam er wieder ins Sitzen!

Sein Puls beschleunigte ...

sans mots

Aoi sauste immer noch über die Autobahn. Er war froh, so gut eingepackt zu sein, nach einer Weile wurde es etwas frisch. Eine Stunde würde er noch fahren, dann würde er endlich in Mie ankommen. Obwohl er sich von Sekunde zu Sekunde mehr wünschte, dass diese Stunde sich ausdehnte. Denn mit jedem Augenblick, den er länger auf dem Motorrad saß, kam er auch der Aussprache mit seinem Vater näher. Er hatte in den letzten Tagen einfach keine Zeit gehabt, darüber nachzudenken, was er ihm sagen könnte – nur eines war ihm vom ersten Moment an klar: Etwas anderes als die Wahrheit kam für ihn nicht in Frage!
 

Es war eines seiner Grundprinzipien in seinem Leben. Außerdem gab es nur eines, was sein Vater noch mehr verabscheuen würde, als die Zerstörung seines größten Schatzes: Eine dumme Ausrede. Obwohl Aoi sich sein Gesicht nicht vorstellen mochte, wenn er ihm die ganze Wahrheit auftischen würde. Diese Geschichte war doch etwas zu abenteuerlich für den langeweile-geplagten und frieden- verwöhnten Geist seines Vaters. Und seine Mutter würde einen halben Herzinfarkt bekommen, wenn sie von Polizei, Stalkern und Toten hören würde ...
 

Sein Puls stieg mit jedem Kilometerstein mehr und mehr. Plötzlich blinkte er und scherte auf einen Verzögerungsstreifen auf einen Parkplatz aus. Er hielt auf einer Stellfläche an. Hastig öffnete er den Helm und setzte ihn ab. Seine Hand schnellte auf seine Brust, die sich heftig auf und ab bewegte. Zittrig stieg er von der Maschine und stützte sich seitlich auf ihr ab. Seine Haare hingen um sein Gesicht herum auf das schwarze Sitz-Leder. Er weinte. Seine Beine klappten zusammen. Er klammerte sich an die Wärme des Bikes. Er konnte nicht mehr ...
 

Das Durcheinander in den letzten Tagen hatte ihm einfach zu wenig Zeit gelassen, um den Verlust der Gitarre zu verdauen, um darüber nachzudenken, was der Tod dieses Instrumentes wirklich bedeutete. An den Tagen, in denen Uruha in der Klinik war, hatte er auch an nichts anderes als an die Arbeit denken können (und wollen) und jeglichen Gedanken an dieses Instrument von sich geschoben. Er würde das Vertrauen seines Vaters verlieren. Dieses Vertrauen, dass er sich so hart erkämpfen musste. Bedeutete es doch auf eine seltsame Art und Weise auch Respekt für ihn, den sein Vater ihm nie offen gezeigt hätte. Er war stolz auf ihn – er hätte es nie gesagt – aber durch dieses Geschenk war es Aoi mehr als bewusst geworden ...
 

Und gerade jetzt wurde ihm die Kostbarkeit dessen mehr als bewusst. Und eine Sache hatte er ebenfalls erkannt: Er hatte Angst. Er hatte höllische Angst vor seinem Vater, es war nicht vergleichbar mit der Angst, die er als kleiner Junge gespürt hatte, wenn er etwas angestellt hatte. Es war, wie die Angst, jemanden zu verlieren. Er mochte sich gar nicht vorstellen, wie es werden würde, wenn er ihm in die Augen sehen und ihm sagen müsste, dass sein größter Schatz zerstört wurde, auch wenn es nicht seine Schuld war. Aber er hatte Uruha die Gitarre anvertraut und dann war dieses Unglück geschehen, das keiner hätte voraussehen können. Aber alles half nichts – denn nichts würde diese Gitarre zurückbringen können. Die Träne der Rose war grausamst erstorben.
 

Aoi krallte sich immer mehr in das Leder. Seine Handschuhe gaben fast unter der grenzenlosen Anspannung seiner Hände nach. Er hatte sich nicht mehr unter Kontrolle. Was würde sein Vater außerdem dazu sagen, dass er gerade drauf und dran war, einem Mann sein Herz zu schenken ...?
 

Darüber hatte er bis eben noch überhaupt nicht nachgedacht.
 

Er sank weiter in sich zusammen, kniete nun auf dem kalten Boden. Wie sollte er so weiterfahren? Er musste sich beruhigen. Doch das konnte er in diesem Moment einfach nicht. Sein Vater war sein größter Rivale, aber genau das war es, was ihn auch zu einem der wichtigsten Personen in seinem Leben überhaupt hatte heranwachsen lassen. Neben der schlichten Tatsache, dass er ihn gezeugt hatte, natürlich. Diesen Blick würde er nicht ertragen können ... Diese vorwurfvollen Augen und das Schweigen, mit dem er den Menschen straft, auf den er wirklich richtig sauer war – viel schlimmer noch: von dem er maßlos enttäuscht war. Und er würde es sein. Wie sollte er denn anders reagieren? Nur würde er vielleicht nie wieder damit aufhören. Scheiße ... Was Aoi zu tun hatte, war mehr als klar ... nur fühlte er sich einfach nicht stark genug, um die Konsequenzen zu tragen.
 

Sein Kajal verteilte sich auf den blassen Wangen. Es war einfach zu viel – viel zu viel ... Ihn verließ die Kraft.

Über eine Stunde kauerte er so in der kalten Nachtluft, die seine Glieder taub werden ließ. Oder war es doch die pure Angst vor der Aussprache selbst?
 

Seine Gedanken schweiften ab zu Uruha. Aoi versuchte sich vorzustellen, welche Panik in den Leadgitarristen gefahren sein musste, dass er nichts anderes mehr in seiner Umgebung wahrnahm und einfach losgefahren war. Todokumi war nicht normal gewesen, ihm war alles zuzutrauen. Erst jetzt wurde ihm bewusst, was die letzten Jahre für Uruha bedeutet hatten. Angst, pure Angst ... vergleichbar mit der, die er gerade in sich spürte ...
 

Aoi musste sich zusammenreißen – das war er Uruha schuldig, ebenso wie sein Versprechen von vorhin und ebenso wie er seinem Vater die Wahrheit schuldig war ... Das Funkeln in seinen Augen kehrte zurück. Sein Mut auch. Er würde das durchstehen, auch wenn es wehtun würde. Selbst wenn sein Vater ihn verstoßen würde ...

Auch wenn das für ihn einen inneren Tod bedeutete ...
 

Er wischte sich die Tränen weg und schluckte den Rest dann bitter. Er atmete tief durch. Schloss die Augen. Als Uruha auf der Bank allesamt um Hilfe gebeten hatte, war er wieder über seinen Schatten gesprungen und er, Aoi, musste das jetzt auch tun. Er befehligte seinen Parasympathikus seinen Körper wieder auf normalen Betrieb zu bringen. Er musste sich beruhigen. Schließlich hatte er immer noch eine lange Strecke vor sich und die musste er unbeschadet überstehen.
 

Er war einfach froh, dass ihn in seiner schwachen Stunde niemand auf dem Parkplatz hatte weinen sehen.

Diese Einstellung war nicht männlich, sie war schlicht japanisch.
 

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Der Himmel war sternenklar ... eigentlich eine Nacht, die viel zu schön war, um sich seinen Vater endgültig zum Feind zu machen. Mehr als unsicher stand Aoi in der Einfahrt zu dem kleinen Häuschen am Strand. Er hatte nur einen Moment noch, um zu überlegen, sich doch noch einmal anders zu entscheiden, aber irgendwann würde er sich definitiv der Sache stellen müssen – und was sollte er tun? Die Vierhundertachtzig Kilometer wieder zurückfahren? Unverrichteter Dinge?
 

Die Tür wurde aufgerissen und ein schwarzer Kater mit weißen Pfötchen kam ihm entgegen. Dann tauchte eine hübsche Mädchengestalt in der Tür auf: „Oni-chaaaan!“
 

Und schon wurde ihm die Entscheidung abgenommen. „Hi“, machte Aoi knapp und sein strahlendes Lächeln folgte. Seine Schwester fiel ihm um den Hals und ließ sich ein wenig herumdrehen. Auch Aois Mutter war nun auf der Bildfläche erschienen und begrüßte ihren Sohn schelmisch.
 

„Hallo, großer, starker Mann mit der ledernen Motorradjacke“, kicherte sie und drückte ihn. Dann schaute sie ihn einen Moment lang an. „Ist alles in Ordnung, Yuu?“, sofort. – Sie hatte es sofort gesehen. Aber klar, sie war ja auch seine Mutter.
 

Was hatte er denn erwartet? „Iie, ich ... kann ich bitte mit Vater sprechen ...?“ Er wollte es einfach hinter sich haben.
 

„H-Hai, natürlich ... Er ist in seinem Musikzimmer ... Komm doch erst mal rein.“ Shiroyama-sans Sohn konnte nur schwach nicken.
 

In der Stube angekommen bemerkte Aoi gleich, dass das da draußen kein Katzenwetter sein konnte, denn der kleine Kater, der sich eben noch von ihm hatte streicheln lassen, war sofort wieder mit ins Haus gekommen, weil es auf Aois Lederjacke, die über der Sessellehne lag, eh viel bequemer und angenehmer war. Ohne zu Fragen wurde dem Sohn sofort eine Tasse heißer Kakao hingestellt und seine Mutter verhieß ihm, gleich zu warten, denn sie würde ihm ein Essen bereiten.
 

Doch Aoi entschuldigte sich, er wollte erst mit seinem Vater reden. Aber seine Frau Mama ließ sich natürlich nicht aufhalten. Sie machte sich Sorgen, aber sie wusste, dass Aoi ihr nichts erzählen würde, eh es nicht sein Vater wusste. Und sein Zittern und die innerlichen Schweißausbrüche hatte sie auch schon bemerkt.
 

Auch seine Schwester schien es verstanden zu haben, denn sie drückte ihn fest, bevor er nach unten in den Keller in das Musikzimmer ging.
 

Aoi liebte dieses Zimmer. Wie lange hatte es gedauert, bis er sich das Privileg beschafft hatte, es einfach betreten zu dürfen. Dies war vielleicht das letzte Mal ... ganz sicher ...
 

Seine Hände wurden immer unruhiger, waren fast nicht in der Lage den Knauf im Halbdunkel zu finden. Sein Vater spielte gerade, das konnte er durch die Tür deutlich hören ... Er liebte es, wenn sein Vater Gitarre spielte. Er hätte sich so gerne als Kind an seine Beine gekuschelt, wenn er in dem alten Ohrensessel auf der Veranda saß und ein Lied nach dem anderen vor sich hingezupft hatte. Natürlich hatte er sich das nie getraut. Tatsächlich hatte er sich erst mit fünfzehn von seinem Bruder das Gitarrespielen beibringen lassen und war zur Salzsäule erstarrt, als sein Vater es mitbekam und ihm zugehört hatte. Er hatte nicht gesagt, ob es gut war, oder schlecht, aber sein skeptischer Blick war eindeutig. Jetzt musste Aoi grinsen, wenn er daran dachte. Er wusste, was er konnte. Nur richtig nach Noten spielen konnte er immer noch nicht, er musste sich dann immer sehr anstrengen und es kam nicht so leicht herüber ... Er spielte sonst immer nach Gehör, so schrieb er seine Songs, so spielte er sie ein.

Es funktionierte, da er ein ausgezeichnetes Gedächtnis für Melodien und Rhythmen besaß. Doch sein Vater konnte alles spielen, nach Gehör, nach Noten, aus dem Nichts ... er war ein Genie. Und Aoi bewunderte ihn dafür. Aber das hätte er niemals zugegeben. Schließlich war da immer diese Rivalität. Sein Bruder hatte sich nie über solche Sachen Gedanken gemacht, wahrscheinlich weil Gitarrespielen nicht sein einziges Talent war, war er doch gerade ein renommierter Arzt geworden. Aber Aoi hatte nur das. Er konnte Gitarre spielen, das war sein großes Steckenpferd. Sein Vater hatte immer gesagt, dass er damit kein Geld verdienen würde und nun war er Mitglied in einer der beliebtesten Bands in Japan. Eigentlich hatte er keinen Grund gehabt, sich je vor seinem Vater zu verstecken, aber das hier war etwas völlig anderes. Hier ging es um Vertrauen ... ein Vertrauen, dass er wohl gleich zerstören würde ... Er kniff die Augen zusammen. Da musste er jetzt durch. Mit der linken Hand klopfte er an. Von innen ertönte die starke Stimme, die er nur ein einziges Mal hatte sanft reden hören ...
 

Als sie ihm sein kostbarstes Geschenk gutgeheißen hatte.
 

Nun gab es kein Zurück mehr. „O-tou-san? Ich bin es.“
 

„Ich hab deine Maschine schon durch das Fenster gehört“, sagte er undefinierbar gelaunt.
 

„Hai, so desu ne ...“, machte Aoi und nickte für ihn typisch relativ oft.
 

„Hast du wieder vor der Tür gestanden und gewartet, bis ich mein Stück zu Ende gespielt habe?“ Mit einem Blick über die Brille, die ihn sehr kleidete, nagelte Shiroyama-san seinen Sohn fest, der daraufhin versuchte, diesem Stand zu halten und ein wenig errötete, weil er sich ertappt fühlte. Denn: Ja, das hatte er wirklich gemacht ...
 

„Hai ...“, gab er leise zu und sein Vater wurde aufmerksam.
 

„Hmhm ...“, wurde ihm nur geantwortet ... wieder mehr als Nichts sagend. „Album schon fertig?“
 

„Hai, die Aufnahmen waren schon vor Wochen drin, aber die Pressearbeit ist noch zu tun. Wir kommen ganz gut voran.“
 

„Hai.“ Schweigen. So lief das immer.
 

Und Aoi machte das immer unheimlich zittrig und jetzt mit dem Kontext in seinem Kopf, drohte er gleich durchzudrehen, wenn er nicht endlich sagte, was er verbrochen hatte. „Du, O-tou-san…?“
 

„Hm?“
 

„Ich muss dir was sagen ...“ Aois Blick flog auf der Stelle auf den Boden.
 

„Dann schau mich an! So rede ich nicht mit dir.“
 

Das war’s. Aois Mut war gebrochen ... doch er musste es sagen, er konnte ihm so was nicht verheimlichen und hoffen, dass es niemals herauskommen würde ... das würde nicht funktionieren. Und überhaupt: So was war nicht seine Art! Diese Feigheit könnte er sich doch selbst niemals verzeihen. Und wieder musste er an Uruha denken. Der sich tapfer Todokumi stellen wollte. Sein Blick hob sich wieder. „Ich weiß gar nicht, wie ich dir das erklären soll ...?“
 

„So fängst du immer an, wenn was Schlimmes passiert ist. Hast du einen Fan geschwängert?“
 

Wieder wurde Aoi rot. „Nein! Ich würde nie ... anou ... es ist schlimmer ...“
 

„Was kann denn noch schlimmer sein?“ Schon etwas ungeduldig schmiss sein Vater das Notenheft auf den Tisch vor sich, in dem er bis eben noch gescribbelt hatte.
 

„Ich ... die Gitarre ...“ Aois Blick fing sofort den Entsetzten seines Gegenübers auf. Er erschrak davor. Er wusste, dass der Ältere bereits jetzt das Schrecklichste vermutete – und das, was dem ganzen den Deckel aufsetzte, war, dass er Recht behalten sollte ... Doch Aoi blieb stark. Er wusste selber nicht warum. Er stellte sich einfach Uruha vor, der hinter ihm stünde und ihm den Rücken stützen würde.
 

„La larme de la Rose ... ist ... tot ...“
 

Dickflüssig quollen die Worte aus ihm heraus. Dieser Satz war ihm fast schwerer gefallen, als je ein anderer in all der Zeit. Er sah die Farbe aus dem Gesicht seines Vaters laufen ... Sein Blick versteinerte auf der Stelle, mehr als er es vorher schon war.
 

„Ich wollte meine Freistellung abgeben und hab Uruha die Gitarre kurz überlassen, damit er sie ins Auto bringt ...“ Aois Augen wurden immer glasiger und füllten sich mehr und mehr. Sein Zittern glich jetzt fast Schüttelfrost ... „A-aber er ist überfallen worden ... und ... und er wollte fliehen ... und die Gitarre stand noch am Auto ... und er ist rückwärts angefahren und ... er hat sie ... überfahren ...“
 

Nun war der Gesichtsausdruck des Mannes ihm gegenüber aktuell, den er die ganze Zeit gefürchtet hatte. Er drückte ihn nieder und er traute sich nicht mal mehr, den Mund aufzumachen, geschweige denn zu atmen ...
 

Jetzt würde er schweigen ... und ihn mit einem abfälligen Ausdruck ignorieren. Er kannte dieses Phänomen schon. Nur würde es diesmal vielleicht für immer andauern ... Und er wusste nichts, um das wieder gut zu machen ... absolut nichts ...
 

„O-tou-san …?“ Wieso versuchte er das jetzt überhaupt noch ...? Es hatte keinen Zweck.
 

Schweigen ... immer noch ...
 

„Es tut mir Leid ... Ich hab nicht aufgepasst, ich hätte sie selber runterbringen sollen ... Ich ... ich ... es tut mir Leid ... ich weiß gar nicht, wie ich das in Worte fassen soll ... Ich ...“
 

„Halt den Mund! Ich will nichts mehr von dir hören! Wie konntest du meine Gitarre einfach diesem stümperhaften Trottel überlassen!?“
 

Aoi war ... geschockt ... so hatte er seinen Vater noch niemals schreien hören. Für einen Moment schien das Haus zu wackeln. Alles im Raum bebte. Der Jüngere war wie gelähmt ...
 

„Diese Niete kann doch nicht einmal eine Gabel grade halten und du gibst ihm meine Gitarre ...“
 

Da. Er hatte es schon wieder gesagt: seine Gitarre ... seine ...

Das hieß, dass er sie ihm nie wirklich überlassen hatte ... hatte er ihn falsch verstanden? Offenbar.

Aoi konnte das Loch gar nicht beschreiben, in das er gerade haltlos fiel.
 

Nachsichtslos hatte sein Vater sein Herz zerschmettert. Das Herz seines eigenen Sohnes ... das ihn liebende Herz seines Sohnes ... Nie - Nicht ein einziges Mal, in all den Jahren, die er schon auf der Welt war, hatte sein Vater ihn angeschrieen. Nie ... war er so aus der Haut gefahren. Das hier war schlimmer als alles, was er sich ausgemalt hatte.
 

„Diese schwule Memme ... Warum bist du so dumm, Yuu? Was soll das?! Ich dachte, ich könnte dir vertrauen ...“ Zumindest kam dieser Vorwurf wie erwartet. Aoi konnte nichts entgegnen. Er konnte nur noch weinen. Er weinte ... Vor seinem Vater ... was er sonst nie getan hätte. Aber ihm fehlte die Kraft, es zu unterdrücken, so wie sonst. In diesem Moment war es ihm egal, ob er ihn so sah. So gebrochen, so fertig mit sich und der Welt. Er hatte diese Strafe verdient, diese Demütigung ... Er war ein Mann, dreißig Jahre alt ... und er weinte wie ein kleiner Junge, der gleich die Hand seines Vaters in seinem Gesicht erwartete.
 

Dann kniff er die Augen zusammen ... Schwule Memme ... Niete ... Stümperhafter Trottel ...?

Er schüttelte sich ... nun keimte ein neues Gefühl in ihm auf, das nur aus einem Gedanken entstanden war: >Warum Uruha, warum nennt er nicht mich so?<
 

„Wenn dieser Weichling sich auch nur in einmal in meine ...“
 

„Sei still!“, brüllte Aoi dazwischen – das erste Mal, dass er seinen Vater angeschrieen hatte. „Hör auf, so über Uruha zu reden! Er hatte Todesangst ... und dir fällt nichts Besseres ein, als ihn eine Schwule Memme zu nennen? Er wurde jahrelang von diesem Typen verfolgt, der ausgebrochen war, um ihn zu vergewaltigen! Er hat ihn entführt, Uruha hat sich alleine frei gekämpft und dann hat der Typ Ruki entführt und Uruha ist zurück, um ihn zu retten, und dann bin ich los, um beide zu retten ... Ich hatte solch eine Wut im Bauch, dass ich diesen Todokumi fast erschossen hätte ... aber weißt du was ...? Ich habe es nicht getan ... Weil ich es nicht konnte ... Ich könnte einen Menschen nicht erschießen ... Willst du mich jetzt auch als schwule Memme bezeichnen?! Dann mach das ruhig, ich wäre stolz drauf! Ich hatte auch Todesangst und zwar nicht um mich selbst, sondern um Uruha, für den ich anscheinend mehr empfinde, als ich dachte ... Also wenn du mich als Schwule Memme bezeichnen würdest, hättest du sogar Recht! Aber wage es nie wieder, so über Uruha zu reden!“
 

„Yuu ...“
 

„Uruha bedeutet mir unglaublich viel und ich möchte nicht, dass irgendjemand auch nur ansatzweise schlecht von ihm spricht – da mache ich auch bei dir keine Ausnahme ... Wenn du mich jetzt für immer rausschmeißen willst ... dann werde ich es akzeptieren ...“
 

„Yuu.“
 

„Aber ich weiß, dass ich alles, was ich in den letzten Tagen tat für den Menschen tat, den ich ...“
 

„Yuu!“
 

„... liebe ...“
 

Alles, was jetzt noch durch den Raum rauschte, war Aois hastiger Rageatem.

Er hatte es gesagt.
 

Er hatte es gesagt ...
 

Erst das Rufen seines Vaters hatte ihn wieder in die Stummheit zurückkehren lassen. Beide schauten sich an. Beide offenbar sprachlos. Aoi wusste nicht, ob sein Vater ihn verstanden hatte, wie er das meinte, wie ernst er das meinte. Aber ihm war anzusehen, dass er einen Moment brauchte, um Aois Protest zu verstehen. Die Totenstille, die nun herrschte, fühlte sich nicht im Geringsten besser an, als das donnernde Brüllen seines Vaters eben. Immer noch starrten sich beide an, beide gleich entsetzt, beide gleich blass, trotz ihrer eigentlichen leichten Sommerbräune. Den Blick nicht von ihm lassend, griff sein Vater zu der Gitarre, auf der er eben das Lied spielte, dass er gerade geschrieben hatte. Fordernd drückte er sie dem Kleineren an die Brust.
 

„Spiel ...“
 

„Was ...?“
 

„Spiel das Stück, das ich eben gespielt hab ... spiel es nach ...“
 

„Warum? Ich ...“
 

„Spiel!“ Wieder dieses Donnern, das seinen Widerstand einfach zusammenklappen ließ. Er musste diesem Befehl gehorchen. Es gab kein Herumkommen. Ängstlich nahm Aoi die Gitarre und legte sie an seinem schwankenden Körper an. Was sollte er jetzt tun, er war doch eben an der Tür völlig in Gedanken versunken gewesen. Er hatte doch gar nicht bewusst zugehört, hatte die Melodie nur als Untermalung seiner Erinnerungen genossen. Außerdem hatte er es noch nie vorher gehört. Sein Vater hatte es gerade erst geschrieben.
 

Aoi schluckte. Er legte die Rechte an die Saiten. Obwohl er nicht einmal wusste, wie er den ersten Akkord hätte greifen müssen, nicht einmal die Tonart wollte ihm einkommen, seine Finger waren taub – immer noch kalt von der Fahrt und gelähmt von der Situation. Und dann erinnerte er sich plötzlich an den Tag, an dem sein Vater ihm zugehört hatte, ohne dass er etwas bemerkt hatte. Dann dieser Blick von ihm ... Den wollte er nicht noch einmal sehen ... aber er würde es jetzt wohl nicht verhindern können ... Er senkte den Kopf, der so erstaunlich schwer war, obwohl er in diesem Moment völlig leer war ...
 

„Spiel!“, donnerte es wieder und Aoi konnte nur noch zusammenzucken. Diese Aufgabe war nicht lösbar für ihn ... Dennoch schloss er die Augen, er konzentrierte sich. Er fing an zu malen. Er malte Töne, in lauten und leisen Farben, in Höhen und Tiefen ... Ebenso wie er sich immer seine Rhythmen mit Strichen vorstellte, die einen gestalterischen Rhythmus auf dem Blatt hervorriefen. Danach versuchte er zu spielen. Seine Finger bewegten sich von allein. Sie übertrugen Farbe um Farbe und Ton um Ton auf die Saiten. Er erinnerte sich mehr und mehr, mit einer Sequenz fiel ihm auch die nächste ein. Ihm wurde bewusst, wie unheimlich schwer diese Melodie war, atemberaubend schwer ... aber das Bild, das er vor Augen hatte, ließ ihn jeden Ton klar und deutlich sehen. Es war ein Code, den er sich in seinem Kopf zurechtlegte und den nur er entschlüsseln konnte. Aoi konnte sich nicht mehr erinnern, wann er sich diese Technik angeeignet hatte, aber so hatte er sich ein ganz eigenes Verständnis von Notenlehre geschaffen.
 

Mit einem Mal kam alles wie von selbst. Er spielte fast, ohne darüber nachzudenken. Auch andere Bilder mischten sich in das Gewebe aus Farbe, Bilder die seine Hände noch sanfter zupfen ließen, sein Spiel noch gefühlvoller werden ließen. Er vergaß alles um sich herum ...
 

Bis zum letzten Ton.
 

Danach legte er andächtig die flache Hand auf den schwingenden Kupferdraht und brachte somit die Stille in den Raum zurück. Wie gerade aus einem Traum erwacht, öffnete er die Augen, blickte seinen Vater an.

Dieser hatte ihm zugehört, ohne sich zu bewegen, ohne zu blinzeln, beinahe ohne zu atmen ...
 

Er legte nur die Hand auf den Tisch, der übersäht war mit Heften, einer Stimmgabel, einem Metronom, frisch gekauften Saiten ... er musste sich einen Moment abstützen, dann setzte er sich hin.
 

Aoi war nun noch verwirrter als vorher. Was sollte denn das alles jetzt?
 

„Mein Vater ... hat dieses Lied geschrieben ...“, fing Shiroyama-san an und seine Stimme klang wieder vollkommen ruhig, beinahe so sanft, wie an jenem Tag, an dem er Aoi die Gitarre überlassen hatte.

„Ich hab ihn vergöttert für dieses Stück ...“
 

„Hai, es ist wirklich wunderschön ...“, sagte Aoi wie betäubt. „Ich wusste gar nicht, das O-jii-san auch Gitarre spielte ...“
 

„Hai, er war sehr gut, verdammt gut, um genau zu sein ... er war mein größter Rivale ...“ Wenn Aoi nicht so durch den Wind wäre, hätte er fast gelächelt – diese Geschichte kam ihm seltsam bekannt vor ... „Aber dann wurde er im Zweiten Weltkrieg verletzt, als er eine Frau retten wollte ... und konnte seine linke Hand nicht mehr bewegen ...“ Richtig, daran konnte Aoi sich schon fast nicht mehr erinnern, sein Großvater war schon vor vielen Jahren gestorben. „Seit diesem Tag hatte er nie wieder eine Gitarre in die Hand genommen ... Nie mehr ... Dieses Stück war das letzte, das er geschrieben hatte, bevor dieses Unglück passierte ...“
 

Er ließ eine halblange Kunstpause und damit Aoi das erzählte schlucken.
 

„Ich habe fünf Jahre gebraucht ... bis ich es spielen konnte ...“
 

Im ersten Moment reagierte Aoi überhaupt nicht auf diesen Satz. Es war ein schweres Stück, kein Zweifel – unglaublich komplex. Doch dann hob er den Blick und schaute seinen Vater an. Dessen Blick war gesenkt.

„Und du ... hast es einmal gehört ... denn ich habe es seit 25 Jahren nicht mehr gespielt, seit dein Großvater starb ... heute ist sein Todestag ... deshalb wollte ich es für ihn spielen ...“
 

Aoi überkam eine seltsame Gänsehaut. Sein Blick wanderte an eines der Bilder, die an der Wand hingen, das seinen Opa zeigte. Er beschaute beide mit seinem Blick, der ihn sonst nie tangiert hatte. Er sagte ihm auf einmal so viel mehr als vorher.
 

„Du hast es einmal gehört ... und konntest es spielen ... Ein einziges Mal ...“, sein Vater sprach immer leiser.
 

Und dann verbeugte er sich vor seinem Sohn ...
 

Überfordert mit der Situation trat Aoi erst einmal ein Stück zurück. Aber er verstand die unglaubliche Geste sofort. Er war einfach von allem überfahren, wusste nun gar nicht mehr, was er denken sollte, geschweige denn sagen ... oder fühlen ... sein Vater, dieser strenge Mann, der so stolz war, dass er nie Widerstand von irgendwem erwartet oder geduldet hatte. Und dieser Mann verbeugte sich vor ihm ... Aoi wären vor Aufregung fast die Knie zusammengeklappt. Er betrachtete den Anderen mit tiefer Ehrfurcht und bekam diese im gleichen Maße zurück.
 

„O-tou-san …“
 

„Gomen Nasai ... ich war nicht ehrlich zu dir ...“
 

„Nani?“
 

„Dein ... Uruha-san ... anou, Kouyou-san hat mich angerufen, bevor du hergekommen bist. Grade vor zwei Stunden ...“
 

„Was?“
 

„Hai, er hat mir schon gesagt, dass La Larme nicht mehr zu retten sei. Er hat sich bei mir entschuldigt und hat mir alles erklärt ...“
 

„Ich versteh nicht ...“
 

„Wie das mit dem Unfall kam und wie tapfer du dich gegen diesen Todokumi gestellt hast ... Der Junge hat Rotz und Wasser geweint am Telefon ...“ Nun musste Shiroyama-san doch schmunzeln. „Aber er hatte den Mumm, es mir zu sagen. Obwohl du ihm offenbar erzählt hattest, was diese Gitarre für mich bedeutete ... Denn weißt du, ich habe sie von meinem Vater bekommen ...“ Nun war Aoi wirklich schlecht ... Die Gitarre hatte also schon sein Großvater besessen? Das hieß er hatte schon zwei Männer um ihren größten Schatz gebracht ... Und wahrscheinlich hatte sein Vater am Telefon Uruha völlig fertig gemacht ...
 

„Deinem Kouyou-san ist natürlich klar, dass er ihm, mir und dir die Gitarre nicht ersetzen kann, aber ich habe auch Verständnis für das, was er durchgemacht hat, denn er hat mir auch davon erzählt, was ihm alles andere als leicht gefallen ist ... Er ist ein guter Junge ... junger Mann ... ebenso wie du. Verzeih mir, dass ich vorhin so ausgetickt bin und so tat, als hätte ich es noch nicht gewusst. Ich wollte dich einfach meine Wut und meine Trauer spüren lassen ... ich musste das einfach loswerden und deinen Kouyou-san konnte ich in dem Moment nicht anschreien, das hätte er nicht verkraftet ... Er ist nicht so stark ... wie du ...“ Aois Vater sagte dies mit einem gewissen Blitzen in den Augen ... wie ein: Ich habe einen guten Sohn herangezogen ... Und die Tatsache dass er Uruha >Kouyou-san< nannte, setzte dem Ganzen schlicht die Krone auf ... Er hatte immer >Uruha< gesagt, weil dieser für ihn nur ein Arbeitskollege von Aoi war und nun war er zu einem akzeptierten Freund geworden ...
 

Mehr noch: deinen Uruha ... hatte er ihn auch als Aois Liebe anerkannt?
 

„Ich hab schon gemerkt, dass dieser kleine Schussel an dir hängt wie die Pest ...“, lachte der Mann mit der Brille, „aber das so etwas dahinter stecken könnte ... Oh je ... Irgendeiner aus unserer Familie musste es ja werden ...“
 

Wieder stahl sich eine leichte Röte auf die Wangen des Rhythmusgitarristen ... Sein Vater hatte nie etwas für Schwule übrig gehabt, aber das Aoi sich gegen ihn aufgelehnt hatte, um den anderen zu beschützen, schien ihn beeindruckt zu haben. „Gomen Nasai ...“
 

„Entschuldige dich nicht! Ein Shiroyama entschuldigt sich nicht für das, was er ist ...“
 

„Hai, das weiß ich ... Aber ich möchte mich wegen der Gitarre entschuldigen ...“ Auch Aoi verbeugte sich nun tief vor dem Anderen.
 

„Ich weiß doch, dass es dir Leid tut ... Ich hab das deutlich gespürt und ich weiß auch, dass du verstanden hast, was ich dir mit diesem Geschenk sagen wollte ... Yuu, seit meinem Unfall weiß ich, dass das Leben zu kurz ist, um auch nur eine Sekunde unglücklich zu sein ... und wenn du meinst, dass du dein Glück mit einem Mann findest ... dann ist das so und dann solltest du das auch tun ... Ich werde nichts dazu sagen und hoffen, dass du glücklich bist – oder dass diese Phase schnell wieder vorbeigeht ...“ Ein Lachen folgte.
 

„Danke ...“, meinte Aoi gerührt und bewegte sich endlich wieder flüssig, wie die Tränen es die ganze Zeit über getan hatten, die er jetzt wegwischte.
 

„Musuko?“
 

„Hai?“
 

„Riechst du das?“
 

Aoi schnüffelte. „Hai ... O-kaa-sans Mieramen ...“
 

„Lass deine Mutter nicht so lange warten ... sei gut zu ihr, denn sie kocht immer noch am besten und vor allem ist sie jetzt meine wirklich einzige Liebe ...“
 

Aoi konnte gar nicht anders als strahlen. „Hai ...“
 

„Geh schon, ich räum hier auf und komm gleich nach ...“
 

„Hai.“ Gerade wollte Aoi sich umdrehen, da wurde er erneut aufgehalten.
 

„Yuu? Eine kleine Frage noch ... dein Großvater hat dieses Stück für meine Mutter geschrieben und er hatte immer ihr Bild vor Augen. wenn er es spielte. Es heißt >Marmorne Rose< ... Yuu, an wen hast du gedacht, als du es gespielt hast ...?“
 

Und schon wieder glühte Aoi vor sich hin ... „Ich ... hab an Uruha gedacht ...“
 

„Hai. Und ich an deine Mutter ... weißt du, was das ist?“
 

„Iie ...“
 

„Ein gutes Zeichen ...“ Damit klappte Shiroyama-san sein Buch zu, das noch vor ihm lag, ein in der Familie liegendes umwerfendes Grinsen folgte, welches auch gleich erwidert wurde. Einen Moment lang schauten sie sich noch an, als es abgeflaut war. „Bis gleich.“
 

„Hai.“
 

Sie hätten sich am liebsten fest umarmt, alle beide.
 

Aber das hätten sie natürlich nie zugegeben.
 

~~~~~
 

Uruhas Herz schlug wie wild, als er die Straße hinunterspähte, um ein Auto heranzuschauen. Er wusste noch nicht, ob ihn seine Bandkollegen oder Aoi alleine abholen würden, aber Aois Motorrad würde nicht für sie beide und sein Gepäck ausreichen. Seine Reisetasche und auch das gestern Abend fertig gestellte Gemälde – eingepackt in ein großes Tuch – standen bereit. Der Gitarrist kam sich vor, wie ein kleiner Junge, der auf seinen Geburtstag wartete. Adrenalin pulsierte in seinen Adern, doch es war nicht halb so schlimm wie bei dem Anruf, den er nur Tage zuvor getätigt hatte.
 

Aois Vater war nicht laut geworden. Uruha hatte den älteren Herren immer als verborgen cholerisch empfunden und war auch mit der Erwartung an die Sache gegangen, dass er das Schlimmste abfing, um seinen Freund nicht zu belasten. Es lastete mit Garantie seit Tagen auf den Schultern des Bandältesten, dass er seinem Vater etwas zu gestehen hatte – Uruha hatte die erste Wut abfangen wollen. Aber da Shiroyama-san außer einer Begrüßungs- und einer Abschiedsfloskel nichts von sich gegeben hatte, war sich der junge Mann nicht sicher, ob er seinen Soll erfüllt hatte.
 

Wie es dem Sohn wohl ergangen war? Außer einer kurzen Absprache per SMS, wann und wie Uruha abgeholt werden würde, hatten sie nicht miteinander geredet. Ob Aoi trotz seiner, Uruhas, Bemühungen alle Wut und alle Enttäuschung abbekommen hatte, konnte er nicht sagen. Sicherlich ... hatte er versagt.
 

Dieser Gedanke trübte die Hochstimmung, die ihn seit zwei Stunden durch die Flure und Zimmer schweben ließ. War denn dann auch Aois Wut auf Uruha zurückgekehrt? Oder hatte er diese Gefühle in ihrer gemeinsamen Nacht, bevor Uruha zu Todokumi aufgebrochen war, über Bord geworfen?
 

Der Fuchsblonde starrte hinüber zur eingepackten Leinwand und bekam rote Wangen. Wie sich das anhörte ... ‚sein Freund’ ... ‚ihre gemeinsame Nacht’ ... Ohne Hintergedanken zu haben, es war eine gemeinsame Nacht gewesen. Niemand hätte sie stören wollen und können – außer den Dämonen, die sie nun zum Glück vertrieben hatten. Er seufzte. Heute, ja, heute würde er gerne behaupten, Aoi sei sein Freund. Würde seinen Freund gerne an sich drücken und küssen und durch die Haare streichen. Doch könnte Aoi es zulassen? Könnte sein Stolz ihm erlauben, solche Dinge mit sich tun zu lassen?
 

Am Ende der Straße erschien ein kleines, orangefarbenes Auto, ein kleines Taxi. Ob das für ihn war? Mit wippenden Füßen beobachtete er die Fahrspur des Transportmittels und wurde wieder positiv aufgeregter. Es fuhr vor den Eingang und stellte sich auf einen der Taxenparkplätze. Einen kleinen Moment der Absprache später stieg ein schlanker Mann mit dunkler Sonnenbrille und schwarzen Haaren aus dem Wagen. Die Sonne wurde von den Gläsern reflektiert. Aoi sah hinauf zu seinem Fenster, hob eine Hand ... und lächelte.
 

Klopfenden Herzens und mit strahlenden Augen nickte Uruha, schloss das Fenster und packte seine Sachen zusammen, um sich auf den Weg nach unten zu machen. Auf dem Flur hinter einer der Säulen, die anscheinend willkürlich in den Gängen verteilt waren, hörte er Atmen und danach davonlaufende Schritte – davor erschrak er jedoch nicht. In Gedanken hatte er sich hier oft und ernsthaft von Todokumi Ian verabschiedet. Und heute ließ er ihn hier zurück. Ohne ein schlechtes Gewissen zu haben und ohne zu hassen.
 

Unten angekommen kam ihm Aoi entgegen und nahm ihm prompt die Reisetasche ab, ein skeptischer Blick auf die als solche zu erkennende Leinwand unter Uruhas Arm gepaart mit einem Lächeln folgte. Sie sprachen kein Wort miteinander, doch es störte nicht. Momentan zumindest nicht.
 

Uruha wusste, dass noch unangenehme Gespräche auf sie zukommen würden. Es blieb abzuwarten, ob und wann diese kämen, doch er spürte sie fast bedrohlich herannahen. Er setzte sich ins Taxi und schnallte sich an, seine Hand lag beinahe nachlässig in der Mitte des Rückbanksitzes.
 

Eine Berührung zart wie ein Windhauch legte sich an seine Hand, warm und – ermutigend. Es waren Aois Finger, die ihn umschlossen und hielten. Sein Herz ging auf und Uruha strahlte wie die Sonne selbst. Er erwiderte Aois Händedruck.
 

Aoi summte ein Lied, das Uruha noch nie gehört hatte. Wunderschön und traurig. Vollkommen. Doch es lullte ihn ein und sein Kopf kippte auf Aois Schulter. Lächelnd döste er ein und spielte im Schlaf mit Aois Fingern.
 

So sehr sie sich jetzt nahe standen und sich berührten, lag ein letzter Felsbrocken auf seinem Herzen: Trotz der Beichte an Aois Vater war Uruha den Shiroyama-Männern etwas schuldig. Den Tod von la larme musste er wieder gut machen – oder es zumindest versuchen.
 

+++++++++++++++

to be continued ...

la lueur solaire

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Von:  -Yamaneko-
2014-01-29T22:14:21+00:00 29.01.2014 23:14
Wow. Das war mit einer der besten FF die ich gelesen habe.
Ich bin sprachlos.

Ganz großes Lob ^-^
Von:  Len_Kagamine_
2012-12-09T22:29:23+00:00 09.12.2012 23:29
so jetzt bin ich beim letzten kp
und ich habe gemichte gefühle weil sie jetzt zu ende ist udn ich es auch toll finde aber ich auch wiel das sie noch weiter geht ^^
auf jeden fall liebe ich die ff und deinen schreib stiel und freue mich immer wen ihr was neues rein setzt ^^
und ich bin auch froph das ich noch eine ff von euc habe auch wen sie noch nicht fertig ist nach der ff werde ich sie direkt an fangen *smile*

ich finde es toll das die stimmung ziwchen den jugs so loker ist voralem bei Ruki *smile*
und wo sie dan zu Aois Familie gefahren sidn hat es mich greut das Uruha so herzlich empfangen worden ist ^^
und so mit seine angst unberechtigt war ^^
ich hasse Uruhas Vater wie kanner ihn wegen so was verstossen Uruha hat sich das immer hin niocht aus gesucht und kann nichts dafür
zumglück hat er seine jungs die ihn auch nach dem die das erfahren haben immer noch zu ihm stehen
oh Uruha wurde auch von der restlichen Familie nett begrüsßt ^^
Love you Uruha das du Aoi zu den anderen beiden mänern schickts *smile*
und ich muste so lachen wo Uruha gesagt hat

„Geh freiwillig, sonst stoße ich dich ... herunter ...“

zu geil ^^
jaaa Uruha so Aoi engllich sagen das er ihn liebt *_*
ahh deswegen ist also die ganze familie von Aoi das so ist das ^^
wau Aois Vater hat sich vor Uruha verbeugt
ich bin sprachlos
oh wie süüüß Uruha alles vorbeitet um Aoi zu sagen das er ihn auch liebt *__*
wuste ich es doch das Aoi nicht mit ihr geschlafen hat weil das konnte ich mir einfach nicht vorstelen da er ja Uruha liebt *smile*
ich bin auch froh das er Uruha so schnel eingeholt hat und ihn sagen konnte das es seine Cousine ist *freu*
und einen besseren ort hätte es nicht geben hönnen wo sie sich englich sagen das sie sich leiben *__*
englich ist es von beiden aus gesprochen *freu*
Aois worte waren soo süüüß *__*
jemanden besseres hätte Uruha nicht bekommen können ^^
soso im brunden XD
ja die stelle hast du auch seh schön geschriben ^///^
hat mir seh gefallen *hust*
ich liebe dir beiden einfach *_*
ohh Uruha du bist sooooo süüüüüß´es ist zwar nicht die orginal aber trotzdem der gedanke zählt und ich fidne es voll schön das Uruha das gemacht hat
und wo Aoi dan auch noch den sig vor spelt bin ich dahin geschmolzen *___*
das ende iust soo wunder schön und perfekt *__*
ich wiel das sie noch weiter geht

Gefangen in Marmor, gebunden von Schuld und Scham.
Doch selbst Marmor zerbricht, wenn die Liebe wie ein Blitz einschlägt.

das ist voll der schöne satz *_*
ich liebe diese ff *smile*
schade das sie nicht noch wieter geht -.- aber das wird sie leider nicht *schnif*
mach auf jeden fall weiter so ^^

Von:  Len_Kagamine_
2012-12-09T20:37:10+00:00 09.12.2012 21:37
so heute bin ich englich dazugekommen es weiter zu lessen *__*
und jetzt habe ich nur noch ein kp vor mir q___q
ich frinde es toll das es jetzt zu ende geht aber auch nicht konnte noch weiter lessen

Aoi tut mir soo leid weil er das jetzt seinen warter sagen muss
*Aoi in den arm nehm und tröste*
ich kann Aoi verstehen das er so eine angst hat es seinem Vater zu sagen wer hätte das nicht
und das nach all dem was paseiert ist das alles aus ihm raus sprudelt ist kein wunder da er in der letzten zeit nicht die zeit hatt dafür
juhu Aoi hat sie wider gefast ih glaube an dich du schafst das und du hast die tollsten freude auf der weld zu dennen du kannst und die dich tröstend in den arm nehmen voralem Uruha ^^
*Aoi fahne schwenk*
o Aoi auf dem weg zu seinem Vater war war ich geauso nervös wie er
und wo er es dan seiem vatter gesagt hat war ich erstaunt das er erstt nichts gesagt hat aber wo er dan los geschrihen hat hatte ich angst
und wo er dan anfing Uruha so nieder zu machen auch wenn er nicht da bei war
Aoi ist sooooo süüüß wie er Uruha in shutz vor seinem Vater genommen hat *___*
und ihm alles gesagt hat was in der letzten zeit pasiert ist und wieso Uruah das pasiert ist also das sie gitarre kapput ist Aoi ist einach nur toll *smile*
okai der vater ist etwas kommich weile r plötzlich wiel das Aoi spielt und wau Aoi hat das direkt hin bekommen und dan auch noch so wie es sein vater nicht geschaft hat respekt Aoi ^^
und was geschockt bin der Vater wuste es schon und macht AOi noch so eine zehne und sagt es ihm erst danch *wirklich geschockt bin*
wenigstens hate er sich bei Aoi deswegn entschuldigt ud h wie toll er ist auf Aoi trotzdem noch stollz und er net Uruha bei seinem richtigen nahmen *freu*
ich finde es toll das der Vater es akzeptirt das Aoi schwull ist und nur wiel das er glücklich ist *smile*
Und das ende ist auch toll von dem kp
wo Aoi seine hand auf Uruhas getan hat habe ich mich so freut auch wen er es Uruha noch nicht gesagt hat ^^
voll süß wie Uruha auf Aois schulter eingeschlafen ist *_*
und das er das wider gut machen möchte finde ich auch toll ich bin mal gespant wie er das machen wiel ^^
so gehe jetzt auch das letzte kp lessen ^^
Von:  Len_Kagamine_
2012-12-07T00:39:47+00:00 07.12.2012 01:39
ih dieser typ macht mich so krank er sol sterben mehr hat er nicht verdint

„Seien Sie still! Ich will nicht, dass Uruha mit ihm zusammen leben muss, ich will nicht, dass du ihn anrührst! Das lasse ich nicht zu! Man darf einen Menschen, den man liebt, zu nichts zwingen. Was macht Liebe für einen Sinn, die erpresst wurde? Was macht Liebe für einen Sinn, wenn sie nicht echt ist ...?“ Aois Hand zitterte. „Wenn ich du wäre, würde ich wollen, dass Uruha glücklich ist, auch wenn es bedeuten würde, dass er mit jemand Anderem sein Glück finden würde und wenn er mich zurückweisen würde. Ich will doch nur, dass es ihm gut geht ... Dass er keine Angst mehr zu haben braucht. Dass er in Frieden leben kann und sich Jemanden aussuchen darf, den er liebt und mit dem er gerne zusammen wäre. Warum geht das nicht in deinen Schädel? Was stimmt denn nicht mit dir? Ich werde dafür sorgen, dass du nie wieder Jemandem Angst einjagen kannst!“

ein tarum was Aoi da sagt und ich kann dem nur zu stimmen
wau das kamm jetzt so unerwartet von Hitô und ich bin so froh das er doch noch vernünftg geworden ist durch Aois worte
und ja er hat die gerechte starfe bekommen undzwar den tot *__*
jetzt kann nur alles besser werden *freu*
Ruki tut mir leid das er so verletzt worden ist in der leibe ich hoffe er findet balt jemanden neus und das die dan erwidert wird
ich finde es schön das er noch mal mit Ruki darüber gerdet hat auch wen es leider schmerzlich ist für Ruki *seuftz*
die arzte haben sie nicht alle Uruha muss ja nicht über sein priwart leben reden nur über den vorfahl und baster sollen die soch denken was sie wollen
xDD Uruha wurde ertapt von Reita XDD auch wen er sich über alle freut ^^

„Ich wollte nur überprüfen, ob unser Sorgenkind auch genug gegessen hat.“
„Und?“, hakte Kai nach
Ist er am Aushungern?“
„Nö ... eher setzt er Fettpölsterchen an!“

zu geil xD
udn schon englich wider lachen zu können in der ff anstat zu heulen find ich viel besser ^^
das sidn einfach wahre frunde *_*
nur schade das er noch nicht entlassen wird
so haben die beiden doch noch mehr mit einander geredet *freu*
und ich bin froh das Aoi sich seinen gefühln jetzt klar ist und nicht mehr verwirt ist ^^
juhu Uruah wohnt erst mal bei Aoi *___*
wie süüß er wiel sich ganz klein machen XD
ohh soso Uruha so was treumst du also von Aoi xDDD
okai ich farge mich gerade was Uruah eingefallen ist das er so kertzen grade plötzlich im bett ligt
so leider schaffe ich jetzt kein kp mehr da ich jetzt schlafen muss -.-
da ich immer so lange beim lessen brauch -.-
aber ich bin auch froh das ich die ff abgeschlosen gefunden habe den ich wäre gestorben hatte ich immer auf das negste kp warten müsen ^^
auf jeden fall ist die ff bis jetzt super geworden ich fand es auch toll das man von allen 3 die sicht gesehen hat auch wen sie nicht immer an einem ort waren und du hast die gefühle von jeden super rüber geracht man konnte sich super in sie rein versetzn und das ich soger weinen musste
af jeden fall freue ich mich morgen noch die beiden letzten kp zu lessen ^^
mach weiter so ^^
Von:  Len_Kagamine_
2012-12-06T23:48:04+00:00 07.12.2012 00:48
nein Uruha q___q
wo bleibt Aoi *heul*
und Ruki muss auch noch dabei sein q__q ist ja nicht schli genug das Utuha schon bestätigt hat das er in nicht liebt nein dann muss er auch noch mit bekommen wie Uruha diesen ... gewähren läst damit Ruki nichts pasiert und frei kommmt q___q
Ruki gib nicht dir die schuld du kannst nicht dafür q__q
AOi *_____* ich bin soo erleichtert das er es noch rechtzeitig geschaft hat
gerade aus freude wein
oh du bist soioo gemein mir so einen schpck ein zu jage ich dachte schon Aoi wäre tot gewesen was zum glück nicht so ist
und ich wiel das er stirbt aber es sol nicht einer von ihnen sein der ihn umbringt es sol dir todes starfe bekomen fals die es in deiner ff geben sollte
oder lebens länglich und die anderen knastis solen er fahren was er ist dan bekommt er auch seine gerehte strafe den so was sehen knastis ja nicht gerne was gut ist
wie kann Hitô nur so einen mal lieben und dan auch noch verteidigen ich aknn es nicht verstehen wie man so krank sein kann aber jetzt versteht man das alless weiso die ermitlungen nicht voran gingen
Uruha q___q
schneil weiter lessen geh
Von:  Len_Kagamine_
2012-12-06T23:13:52+00:00 07.12.2012 00:13
ich habe so angst um Uruha ich hoffe er ist wirklich alleine in der wohnung ist
ich bi geschockt am heulen und könnte kotzen uund alles gleichzeitig
Ruki q___q
er dieser bastat tuht ihm was weh
und Uruha tuh nichts unüberlgtes geh zu Aoi und er wird dir helfen aber das wirst du nicht machen q___q du wirst bestimmt versuchen ihn alleine zu retten q__q
ich wiel nicht das Uruah da alleine hin geht
nein er ist allein da hin gegangen q__q
und das ist Rukis blut q__q
*heul*
ich hasse ihn wie kann man nur so drauf sein ich bringe ihn um wen ich ihn in die finger bekommen und ich hiffe der stirbt der hat es nicht verdint weiter zu leben dieser ...
und nein Aoi q__q
wieso hat dieser Plizist bei Aoi das jetzt aus gelöst das ist fehl am platz das er sich solche gedanken macht er muss doch die beiden retten gehen da die polize ja nicht im stande ist irgentwas zu machen
Renn Aoi renn du kansnt es schafen die beien zu retten ich weis es ich galube an dich
Gut so Aoi gut das du dich daran erinert hast
*Aoi fahne schwenk*
Ruki *heul*
ich habe gearde so eine scheiß angst um die beiden
Aoi du musstt schnel kommen das darf Uuha nicht machen du bist ihre einzige retung
weiter lessen geh
Von:  Len_Kagamine_
2012-12-06T21:59:45+00:00 06.12.2012 22:59
ich kann Aoi wutaus bruch verstehen den so eine nachricht das er vileicht nicht mehr am leben ist schrechlich und wo sie alle da satnden usn sich in den arm genommen haben und am weinen waren kammen mir wieder die tränen hoch
ich bin frph das sie aber die hoffnung nicht auf geben das Uruha noch am leben ist
und das jetzt auch Aoi so denkt den mand arf die hoffnung nicht auf geben so lange es nicht bewiesen ist das er tot ist
ja geht ihn suchen ich hoffe die finden ihn balt
*__* er lebt noch *__*
ich bin soooo erlichtert
nein dieser miskerl sol seine drekigen finger von Uruha lassen
er ist raus gekommen und Aoi hat ihn gefunden *__*
blos sie sollte machen das sie da weg kommen bevor er wider da ist
also haut da schnel ab
udn das Uruha immer noch nichts sagen wiel finde ich nicht gut
so englich sien sie von dem ort weg und in sicher heit
ich bin auch froh das Uruha mit Aoi gegangen ist so ist er erst mal siechera als wen er alleine ist
*schlurtz* zumglück konnte er damal enkommen und ich bin so erleichtert das er sich Aoi englich an vertraut hat
ich finde es auch schhön das Aoi ihn zu hört und nichts sagt und wo er dan in die wane gestigen ist mit klamoten und ihn in den arm genommen hat und ihn weinen lassen hat das wand ich so schön das zeigt ware freund schaft *smile*
ja Aoi ist ein warer engel
O______________________________________O *schok*
nein was hat Uruha gemacht O__O
wieso ist er geganen q___q
ich muss weiter lessen
Von:  Len_Kagamine_
2012-12-06T21:12:42+00:00 06.12.2012 22:12
so da bin ich wider xD

kp 1

oh voll toll das sein Vater so ein tolles geschenk gemacht hat da er ihm damit wirklich gezeiht hat das er ihn auch lieb hat *__*

„Hai, mach ich, aber hey, wer sagt dir, dass ich nicht mit der Kleinen durchbrenne, hm?“

da musste ich lachen XD
Todokumi was hast du Uruha nur an getan das er soger vergist das die gitare an seinem auto gelehnt hat und sie jetzt aus angst kapput gemacht hat ich mag ihn jetzt schon nicht also Todokumi
q_______q
nein jetzt hast Aoi ihn aus den fachen grund q___q
Uruha muss es Aoi sagen denn wen er das wüste würde er es verstehen da bin ich mir ganz sicher und dan wüsste er auch das das keine absicht von Uruha war *schif*
OMG ch würde bei so eine situazion auch voll die angst bekommen auch wen ich nicht das durch gemaht habe wir Uruha zum glück ^^
bin mal gespant wer das war

kp 2

OMG es war Ruki zumglück hat er ihn nicht getrofen
das wäre nicht gut aus gegangen
ich hoffe Uruha vertraut sich wenigstens Ruki an jetzt wo er schon da ist
und ich finde es schln das Ruki ihn in den arm nimmt und ihn tröstet
ohn nein er hat sich auch nicht Ruki an vertraut q___q
aber wenigstens geht er jetzt zur Polizei wenigstens etwas gut aber es wäre trptzdem gut wen er sich seinen freunden wenigstens einen anvertrauen würde
die würden ihn bestimmt helfen ich kann mir nicht vorstellen das sie ihn dann links ligen lassen würden
omg was ist pasiert das die Polizei an ruft das hesit ja das er nicht da angekommen ist *geschock*
*am heulen bin *
das kann nicht sein das darf nicht sein
ich wiel das nicht glauben *heul*
Uruha muss noch am leben sein er kann nicht tot sein *schnif*
ich muss schnel weiter lessen
Von:  Ryouga
2012-01-09T20:56:14+00:00 09.01.2012 21:56
Einfach wunderschöne Geschichte :D
Hab sie empfohlen bekommen und bin wirklich begeistert.
Dein schreibstil ist echt der wahnsinn und schön zu lesen.
Die Gefühle, die du rüberbringen wolltest sind dir toll gelungen. Und ich hab auch des öfteren ein Tränchen vergiesen müssen ^^
Wirklich ein ganz ganz tolle Geschichte.
Wird gleich weiter empfohlen :)

LG Saya.
Von: abgemeldet
2011-01-24T11:46:10+00:00 24.01.2011 12:46
aaw..es hat ein unglaublich süßes ende...
und immer wieder schafft ihr es, die figuren so lebensecht und charakterecht darzustellen, dass man meinen könnte, was sich zugetragen hatte sei nach einer wahren begebenheit...
Euer Schreibstil ist fließend und unglaublich gewählt..
ihr könnt euch super gut ausdrücken-
und trotzdem fluchen *O*
macht weiter so!


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