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Autumn Storm

alter Titel: "Together we can brave the Storm"
von

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Prolog

Prolog
 

Ich saß an meinem Flügel und starrte auf die Tropfen, die sich an den Glasscheiben unseres Wintergartens abzeichneten. Ein kühler Wind wehte durch die offene Tür herein. Ich atmete die reine Luft tief ein und ließ sie durch meine Lunge strömen. Es regnete nun schon seit einer Woche mehr oder weniger durchgängig. Die Sonne hatte sich in den letzten Tagen nicht einmal blicken lassen. Einige Mitglieder meiner Familie hatten sich an dieses für unsere neue Heimat so typische Wetter noch immer nicht gewöhnt, obwohl wir nun schon seit zwei Monaten hier lebten.

Ich selbst hatte nichts dagegen. Der mit Wolken verhangene Himmel passte perfekt zu meinem derzeitigen Gemützustand. Trotz des Schicksalsschlags, den ich schon so früh in meinem Leben hatte erfahren müssen, konnte ich mich nicht erinnern, jemals so deprimiert, frustriert und hilflos gewesen zu sein wie in den vergangenen Tagen.

Verdammt noch Mal, ich hatte sie seit einer Woche nicht mehr gesehen.

Die Person, die wie ein Herbststurm in mein Leben gefegt war und meine komplette Welt auf den Kopf gestellt hatte. Die Person, die mit ihrer Sturheit und ihrer scharfen Zunge meinen Verstand und meine Geduld immer wieder auf die Probe stellte. Die Person, die es schaffte, mich mit einem einzigen Lächeln in ihren Bann zu ziehen und einen kompletten Vollidioten aus mir zu machen. Die Person, der ich endlich sagen musste, was ich für sie empfand.

Es wurde Zeit, dass ich zu ihr fuhr.

Ich lief in den Flur, griff nach meiner Jacke und ging dann weiter in die Garage. Noch bevor ich richtig in meinem Auto saß, öffnete ich das Tor und startete den Motor. Ich lenkte meinen Wagen so schnell es ging die Einfahrt entlang. Als ich den Freeway erreichte, gab ich Gas und in diesem Moment hatte ich tatsächlich das Gefühl, dass die Liebe Flügel verleihen konnte.

Last day of August

Last day of August
 

Plötzlich hupte es.

Mein Blick fuhr hoch und ich konnte im Rückspiegel erkennen, dass der Fahrer hinter mir wild gestikulierend auf die Ampel zeigte, an der ich gerade hielt. Augenscheinlich war das Rot, welches mir noch vor ein paar Sekunden entgegen geleuchtet hatte einem Grün gewichen. Ich schüttelte leicht den Kopf. Der Kerl musste es wirklich eilig haben. Ohne noch einmal nach hinten zu schauen gab ich Gas.

Neben mir hörte ich ein unterdrücktes Glucksen. Ich wand Emmett kurz meinen Kopf zu und sah, dass er übers ganze Gesicht grinste.

„Na, haben wir noch nicht ganz ausgeschlafen, Brüderchen? Wir standen ja ewig. Ein Wunder, dass noch kein … .“

Weiter kam er nicht. Ein Blick von mir ließ ihn verstummen.

Er wusste genau, dass heute nicht der richtige Tag für Scherze war.

Aber Emmett hatte Recht gehabt. Ich war unaufmerksam gewesen. Ich fühlte, dass sich meine Laune schon jetzt im Keller befand und dabei waren wir noch nicht einmal fünfzehn Minuten unterwegs. Dies war keine gute Voraussetzung, um an einer neuen Schule zu beginnen.

All die neugierigen Blicke, all die unangebrachten Fragen – dieser Tag würde die Hölle werden. An jedem anderen Datum wäre mir das egal gewesen. Ich war ein Profi darin, Menschen zu ignorieren, die mir unwichtig waren. Eingeschüchtert durch meine Selbstsicherheit und die kühle Arroganz meines Auftretens bewarten die Leute Abstand. Doch heute würde es mir schwer fallen, diese Fassade aufrecht zu erhalten. Ich fürchtete, dass es meine ganze Kraft kosten könnte, die nächsten Stunden zu überstehen.

Ich hätte auf Esme hören und daheim bleiben sollen. Jeder in meiner Familie hätte es verstanden – auch die Person, wegen der ich nun doch hier war.

Ich musste nicht zur Rückbank schauen, um zu wissen, wie verloren sie aussah – viel zu gut und zerbrechlich für diese Welt. Ich wusste, dass sie nervös mit dem silbernen Medaillon spielte, welches sie immer um den Hals trug. Ich spürte ihre kleinen Füße, die unruhig gegen die Lehne meines Sitzes trommelten. Ich vernahm ihre unruhigen Atemzüge. Alice starb gerade tausend Tode. Für Emmett und mich würde es nur ein schrecklicher Tag an einer neuen High School werden. Für sie würde es ein schrecklicher Tag an der ersten High School werden, die sie je besuchte.

Deshalb saß ich hier in meinem Auto, anstatt mich wie jedes Jahr an diesem Tag in meinem Zimmer zu verkriechen. Ich war ihr Fels in der Brandung, die starke Schulter, die ihr Halt gab. Emmett hätte sich ihrer natürlich liebend gern angenommen. Wenn es darum ging, seine Familie zu beschützen, war auf ihn immer Verlass. Doch mit seiner offenen Art und seiner ansteckenden Leichtigkeit, wäre er nach spätestens zwei Stunden von der halben Schule umringt – und Alice ebenso. Ich war mir sicher, dass das ihr gar nicht gefallen würde. Sie brauchte mich heute.

Ich fuhr weiter durch die Straßen unserer neuen Heimat Forks – einer verregneten und nebeligen Kleinstadt auf der Olympic-Halbinsel, welche im östlichen Teil des Staates Washington zu finden war. Man hatte uns gewarnt, dass die Sonne hier nur selten zu Besuch kam – selbst jetzt, im Sommer. Doch heute hatte sie sich anscheinend dazu entschieden, uns den Tag zu versüßen. Sie schien von einem wolkenlosen, blauen Himmel auf uns herab.

Das Schulgelände war nicht schwer zu finden. Zum einen war es der einzige Gebäudekomplex in der Nähe der Stadt, der mit einem Footballfeld ausgestattet war. Zum anderen fuhren alle Autos und Busse um diese Zeit anscheinend genau dort hin.

Als ich auf den Parkplatz einbog, fiel mir auf, dass die Forks High riesig war. Selbst wenn man die Nebengebäuden wie die Turnhalle und das Schwimmbad außer Acht ließ, war das Haupthaus immer noch imposant. Es erstreckte sich über drei Etagen und jede hatte mindestens Platz für fünfzehn Zimmer. Die Stirnseite zierte ein riesiges Eingangsportal, über dem ein Schild mit der Aufschrift „Forks High School – Home of the Spartans“ prangerte. Die U – förmige Grundform öffnete sich zum Hintergelände und umgab einen sauber angelegten, mit Pflanzen übersäten Hof. Dort war es genauso grün wie überall in dieser Gegend.

Die Schule war eindeutig viel zu groß für so eine kleine Stadt. Wie es aussah kamen die Teenager aus allen umliegenden Gemeinden hier her – entsprechend überfüllt war der Parkplatz. Ein Blick über die abgestellten Autos ließ mich erkennen, wie weit wir hier von unserem alten Leben entfernt waren.

In Chicago waren Emmett und ich auf eine elitäre Privatschule gegangen. Dort waren wir eine wohlhabende Familie unter vielen gewesen. Ich vermisste dies nicht, diese snobistische Welt war nie meine gewesen – auch wenn es auf andere so gewirkt hatte. Ich verstand die Gründe unseres Umzugs und akzeptierte sie.

Aber hier würden wir auffallen wie eine Herde Pfaue in einer Schar von Spatzen. Meiner Familie würde kaum eine ruhige Minute außerhalb unserer eigenen vier Wände vergönnt sein. Ich hasste es, Aufmerksamkeit zu erregen.

Die meisten Wagen auf dem Gelände hatten ihre besten Tage schon hinter sich. Der Ausdruck „Schrottkarre“ war in solchen Fällen keine Beleidigung, sondern eine Tatsache. Die Dellen und Kratzer in den Karosserien ließen die schrecklichsten Vermutungen über die Fahrkünste der Besitzer zu. Ich hoffte inständig, mein Volvo würde seinen ersten Tag hier überleben.

Ich ließ den Motor verstummen und wir stiegen aus. Alice trat neben mich. Zart und blass wie sie war machte sie einen beinahe kränklichen Eindruck. Sie wirkte wie ein Lämmchen, was zur Schlachtbank geführt werden sollte.

„Es wird toll, Schwesterchen, du wirst schon sehen. Keiner hat vor, dich aufzufressen. Sie werden uns neugierig anklotzen, einige werden dumme Fragen stellen, aber alle werden total nett sein. Zu Neuen ist man immer nett – zu reichen, gutaussehenden Neuen sowieso. Und wenn dir doch einer zu blöd kommt, dann ruf einfach nach mir. Ich schwöre dir, das wird das letzte Mal gewesen sein, dass er zu einer Lady frech geworden ist.“

Bei seinen letzten Worten schenkte Emmett ihr eines seiner breiten Grinsen und zwinkerte ihr zu. Sie antwortete ihm mit einem dankbaren Lächeln, atmete tief durch und hakte sie sich bei mir ein.

Gemeinsam betraten wir das Gebäude.
 

Im Foyer herrschte ein betriebsames Treiben. Überall standen Menschen – vom Alter her waren die meisten Schüler dieser Einrichtung. Ein Wirrwarr aus hunderten von Stimmen durchflutete den Raum. Da waren Jugendliche, die sich gegenseitig begrüßten – ob mit Küsschen links-rechts oder anderen albernen Ritualen – übertrieben sah es bei den meisten aus. Andere diskutierten über die neusten Trends und führten Mode und Frisuren auch gleich selbst vor. In anderen Teilen der Eingangshalle lag eine gefährliche Stimmung in der Luft – anscheinend gab es auch in Kleinstätten so was wie Gangs oder zumindest Todfeinde. Alles in allem war es das typische und höchst alberne Getue, welches auch an jeder anderen Schule am ersten Tag nach den Ferien stattgefunden hätte.

Wir bahnten uns einen Weg durch die Massen. Ich konnte die Blicke unserer zukünftigen Mitschüler spüren. Es hätte nur noch gefehlt, dass plötzlich alle verstummten. Wie ich befürchtet hatte, fielen wir auf – nicht zuletzt wegen meinem Auto und unserem Kleidungsstil. Doch das konnten wir nun auch nicht mehr ändern. Sollten sie doch gaffen und sich ihre Gedanken machen, wenn sie nichts Besseres zu tun hatten.

Als erstes suchten wir das Sekretariat auf. Wir mussten uns anmelden und unsere Stundenpläne zusammenstellen. Auch hier hatte sich eine große Gruppe von Menschen versammelt. Die ältere Dame hinter dem Tresen hatte alle Hände voll zu tun, obwohl sie von zwei Schülerinnen – vom Alter her konnten es nur Schülerinnen sein – unterstützt wurde. Wir mussten nicht lange warten. Die meisten vor uns holten nur ihre Unterlagen ab, damit sie ihre Kurse für das kommende Semester zusammenstellen konnten. Als wir an der Reihe waren, lächelte uns die Sekretärin – laut ihres Namensschildes eine Mrs. Cope – freundlich entgegen.

„Was kann ich für euch tun, Kinder?“

Ich übernahm das Reden.

„Wir sind die Cullens. Mein Name ist Edward und das sind meine Geschwister – Alice und Emmett.“

Mit einer kurzen Handbewegung deutete ich auf die beiden.

„Wir sind neu hier und würden uns gerne einschreiben.“

„Die Cullens, ja genau. Euer Vater ist doch der neue Chefarzt im Forks Memorial. Ich hatte die Unterlagen für euch doch schon bereit gelegt.“

Geschäftig wühlte sie in den Papieren, die auf ihrem Schreibtisch verstreut lagen. Nach circa einer Minute kam sie mit drei Pappumschlägen an den Tresen zurück.

„So, da sind ja eure Schulakten. Füllt die Anmeldung bitte sorgfältig aus und legt die gewünschten Dokumente in die Mappen.“

Sie reichte jedem von uns einen Stift. Schnell ergänzten wir die freien Felder auf den Formularen. Bei dem Feld mit dem heutigen Datum musste ich kurz schlucken. Danach holten wir unsere Zeugniskopien und Beurteilungen aus unseren Taschen, legten diese den Unterlagen bei und reichten alles zusammen Mrs. Cope.

„Danke, meine Lieben. Ihr habt Glück, am Anfang des Schuljahres bei uns einzusteigen, denn so könnt ihr eure Stunden selbst wählen. Ihr bekommt von mir einen leeren Stundenplan und einen Bestätigungsschein. Jetzt könnt ihr zu den verschiedenen Klassenzimmern gehen und euch für die Kurse, die ihr belegen möchtet, einschreiben lassen. Mit ihrer Unterschrift bestätigen die Lehrer, dass sie euch in ihrer Veranstaltung eingetragen haben. Bei neuen Schülern, die einen der Fortgeschrittenenkurse belegen wollen, möchten meine Kollegen die vorherigen Noten in dem Fach sehen. Ich gebe euch am besten eure Schulakten noch einmal mit. Ihr könnt sie dann in der Mittagspause zusammen mit den Bestätigungsscheinen wieder zu mir bringen.“

Die Sekretärin sah uns immer noch freundlich an, legte aber die Stirn in Falten. Sie dachte über irgendetwas nach.

„Eigentlich bräuchtet ihr jemanden, der euch auf dem Gelände herumführt. Ihr würdet euch sonst noch verlaufen. Außerdem sollte euch jemand die Modalitäten der Kurswahl genauer erklären. Wir haben dafür aber gar niemanden eingeplant. Ihr seit in diesem Jahr nämlich die einzigen Neuen, abgesehen von den Freshmen – ich meine natürlich die Neuntklässler – doch die bekommen ihre eigene Führung durch die Schule.“

Mrs. Cope machte ein frustriertes Gesicht, bevor sie ihren Kopf zur Seite drehte und eine ihrer Assistentinnen ansah.

„Angela, würdest du mir bitte einen Gefallen tun? Die Drei sind neu bei uns und sie bräuchten jemanden, der sie herumführt.“

Das Mädchen war sehr groß und sehr schlank. Ihre langen schwarzbraunen Haare hatte sie zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Sie lächelte uns aufmunternd entgegen, bevor sie die Sekretärin durch ihre Brille fragend ansah.

„Brauchen sie mich denn nicht mehr?“

„Doch, schon, aber wir müssen uns auch um die neuen Schüler kümmern!“

Ich bemerkte, wie ich ungeduldig wurde. Man behandelte uns wie kleine Kinder. Wir würden es schon schaffen, unsere Stundenpläne zusammenzustellen, ohne uns dabei zu verlaufen. Es war wirklich nett, dass Mrs. Cope sich so um uns sorgte, aber es war nicht nötig. Ich wollte gerade ihre Hilfe ablehnen, als ich von hinten eine Stimme vernahm.

„Ich würde die Cullens gerne über das Schulgelände führen und ihnen bei ihrem Stundenplan helfen, Mrs. Cope. Dann müssten sie auch nicht auf Angela verzichten.“

Ich drehte mich um. Da stand ein Mädchen in einer Cheerleaderuniform und strahlte uns entgegen. Blonde Locken umspielten ihr Gesicht und ihre blauen Augen warfen mir einen geradezu stechenden Blick entgegen. Ohne sich zu schämen musterte sie erst mich und dann meine Geschwister von Kopf bis Fuß, bevor ihr Strahlen noch mehr erleuchtete. Anscheinend gefiel ihr, was sie sah.

Das konnte nicht gut gehen. Ich war es gewohnt, dass mein Äußeres anziehend auf das weibliche Geschlecht wirkte, ebenso wie Emmett. Doch während er dies durchaus zu nutzen wusste und seinen Spaß hatte, zeigte ich den Damen schnell, aber höflich, dass ich kein Interesse hatte. Ich befürchtete, dass ich dieses Feingefühl heute nicht aufbringen konnte.

„Jessica, das ist überaus nett von dir. Ich weiß gar nicht, wie ich dir danken soll.“

Mrs. Cope überschlug sich beinahe, als sie mit der Cheerleaderin sprach. Anscheinend war sie wirklich auf die Hilfe dieser Angela angewiesen.

„Aber nicht doch. Ich sehe es als meine Pflicht als Mitglied dieser Schule an, neuen Freunden zu helfen. Ich bin mir sicher, wir haben eine Menge Spaß.“

Unwillkürlich atmete ich leicht seufzend ein. Ich befürchtete, dass dieser Tag alles andere als spaßig werden würde. Alice hakte sich wieder bei mir ein. Ein ärgerlicher Ausdruck lag auf ihrem Gesicht. Sie hatte also auch keine Lust auf dieses Theater. Nur Emmett grinste in sich hinein. Diesem Kerl konnte echt nichts die Laune verderben.

Wir verabschiedeten uns von Mrs. Cope und folgten unserer „Reiseleiterin“ zurück ins Foyer. Dort blieb sie stehen und drehte sich zu uns um.

„Hi, ich bin Jessica Stanley. Mein Vater ist der Bürgermeister von Forks – also der wichtigste Mann in der Stadt – und meine Mutter arbeitet in der hiesigen Bank. Ihr seid Edward, Emmett und Alice, richtig. Ich habe gelauscht. Aber ich hätte es auch so gewusst. Jeder spricht doch von eurem Vater – den neuen, talentierten Chefarzt des Forks Memorial Hospital – und von seiner tollen Familie. Und, gefällt es euch hier? Habt ihr euch schon eingelebt? Ach, was frage ich denn da, natürlich noch nicht. Ihr wohnt ja erst seit ein paar Tagen hier. Wenn ihr wissen wollt, wo man hier Spaß haben kann, wendet euch nur an mich. Ich kann euch auch alles Wissenswerte über die Leute hier erzählen, man will ja im Bilde sein.

Das da drin, zum Beispiel, war Angela Weber, die Tochter des Reverends. Ein wahnsinnig liebes und wahnsinnig langweiliges Mädchen. Sie ist mit dem Kapitän der Schwimmmannschaft, Ben Cheney, zusammen. Keiner weiß, wie sie das angestellt hat. Vermutlich ist sie eine Hexe und hat ihn verzaubert.“

Verzückt von ihrem eigenen Spott hielt sie kurz inne. Wir waren wahrscheinlich an die mit Abstand größte Tratschtante der ganzen Schule geraten. Ich hätte ihr ihren Mund am liebsten mit Seife ausgewaschen, so abscheulich fand ich ihre Worte. Wie konnte jemand mit einem Atemzug nur so viel Gift versprühen. Alice zitterte leicht. Ein wütendes Funkeln lag in ihren Augen. So schüchtern sie Fremden gegenüber auch sein mochte, Ungerechtigkeit konnte sie noch nie ausstehen. Selbst Emmetts Grinsen war zu einer Maske gefroren. Jessica schien das alles nicht zu bemerken. Ihr Strahlen war ungebrochen. Sie wollte gerade zu einer neuen Ausführung ansetzten, als ich ihr ins Wort fiel.

„Wolltest du uns nicht mit unseren Stundenplänen helfen.“

„Aber natürlich, deswegen bin ich ja hier, nicht wahr. Folgt mir.“

Sie lotste uns durchs Foyer hin zu den Treppenaufgängen, dann folgten wir ihr in den ersten Stock. Währenddessen klärte sie uns über das Kursangebot auf.

„Insgesamt habt ihr sechs Stunden pro Tag – vier vormittags von acht bis zwölf, und zwei nachmittags von eins bis drei. Dazwischen liegt die Mittagspause, die man normalerweise in der Cafeteria verbringt. An der Forks High sind Englisch, Mathe und Sport Pflichtveranstaltungen. Bei den ersten beiden könnt ihr zwischen 'leicht', 'mittel' und 'fortgeschritten', bei Sport nur zwischen 'leicht' und 'fortgeschritten' wählen. Des Weiteren muss jeder Schüler eine Fremdsprache belegen. Durch die Nähe zu Kanada werden hier Französisch und Deutsch angeboten, ebenso wie Spanisch und Italienisch. Auch hier wird in jeder Sprache noch einmal zwischen 'leicht' und 'fortgeschritten' unterschieden. Was ihr davon wählt, ist natürlich von euren Vorkenntnissen abhängig, da ihr ja in höheren Klassen einsteigen werdet. … Welche Stufen werdet ihr eigentlich besuchen?“

Sie ließ die Frage so beiläufig wie möglich anklingen, doch ihre Neugierde war nicht zu überhören. Es interessierte sie brennend, wer von uns in ihren Kursen sein könnte. Ich hatte keine große Lust ihr zu antworten, aber Emmett wollte anscheinend höflich sein.

„Ich werde in den Abschlussjahrgang gehen – ich bin also ein Senior – und Edward und Alice fangen mit der Elften an.“

„Das ist ja fantastisch. Ich gehe nämlich auch in die Elfte. Wir sind alle drei Juniors. Der Tag wird wirklich immer besser.“

Ich atmete tief durch. Jessica fiel dies anscheinend nicht auf, sie fuhr einfach mit ihrem Vortrag fort.

„Nun, wo war ich? Ach ja, die Fremdsprachen. Die hätten wir ja geklärt. Als nächstes kommen die Naturwissenschaften. Hier könnt ihr wählen zwischen Biologie, Physik und Chemie und auch hier gibt es die Einteilung in 'leicht' und 'fortgeschritten'. Ich mag diese Stunden nicht besonders. Die Lehrer entscheiden nämlich selbst, wer dein Laborpartner wird, ist das zu fassen. Irgendein verkorkstes System aus Leistungen und Vorjahresnoten hilft ihnen dabei. Und du darfst dann ein Jahr lang neben einem völligen Dooftrottel sitzen. Ätzend sag ich euch, wirklich ätzend.“

Sie verzog angewidert das Gesicht. Ich bemitleidete den armen Tropf jetzt schon, der sie als Partnerin bekommen würde.

„Zu guter letzt habt ihr noch die Wahl zwischen Wirtschaft, Politik & Recht, Sozialkunde, amerikanische Geschichte und europäische Geschichte. Ihr könnt von diesen Kursen jedoch nur einen wählen, es ist ja nur noch eine Stunde übrig.“

Sie war wieder stehen geblieben. Irgendwie erschien sie mir auf einmal noch euphorischer – wenn dies überhaupt möglich war.

„Jetzt komme ich zum Besten überhaupt, den AGs. Am Nachmittag werden diese noch genauer vorgestellt, aber ich gebe euch schon mal einen kurzen Überblick. Der Besuch von mindestens einer solchen Nachmittagsveranstaltung ist Pflicht – aber keine Angst. An dieser Schule wird ein buntes Sammelsurium angeboten, da ist für jeden was dabei.

Da hätten wir zum einen meine Wenigkeit. Ich bin die Chefin der Cheerleader – mein Outfit ist euch bestimmt nicht entgangen. Wir sind eine super Truppe und eine zierliche Person wie du würde einfach perfekt zu uns passen.“

Sie grinste Alice honigsüß an, bekam als Antwort aber nur ein entschlossenes Kopfschütteln. Meine Schwester würde wahrscheinlich lieber dem Footballteam beitreten als ihre Nachmittage an Jessica Stanleys Seite verbringen zu müssen. Diese ganze AG – Sache würde so schon schwer genug für sie werden. Ich bezweifelte, dass wir etwas finden würden, woran wir beide Spaß hatten. Ich würde sie also nicht bekleiden können.

Jessica wirkte kurz etwas enttäuscht, sprach aber mit gleich bleibender Begeisterung weiter. Sie musste sich wirklich gern reden hören.

„Lass dir Zeit, denk einfach noch mal in Ruhe drüber nach. Ihr habt zwei Wochen, um euch für eine AG zu entscheiden. Bis dahin könnt ihr bei jeder Probeschnuppern.“

Ich bezweifelte, dass Emmett so lange brauchen würde. Seine Augen hatten bei der Herfahrt schon geglänzt, als er das Footballfeld erblickt hatte.

„Nun, weiter im Text. Was wären Cheerleader ohne Sportler. Wir haben sehr erfolgreiche Turner und ein exzellentes Footballteam – bei einem Quarterback wie Mike Newton kann es ja nur exzellent sein.“

Es gab also auch Mitschüler, über die sie nicht herzog.

„Dass wir eine Schwimmmannschaft haben, hatte ich ja schon erwähnt. Die feuern wir aber nicht an. Der Coach lässt uns zu den Wettbewerben nicht in die Halle. Sie sind aber eh nicht besonders gut – keiner schaut sie sich an. Vergesst sie einfach. Des Weiteren gibt es einen Schachverein, einen Wissenschaftsclub, einen Botanikkurs und eine Hauswirtschafttstruppe. Ein paar Möchtegernphilosophen laufen hier auch rum, ebenso wie die Astronomiefreaks und die Informatikcracks. Nicht zu vergessen sind natürlich der Chor, die Schulband und die AG für gestaltende Künste. … Ja, dass müssten alle Wichtigen gewesen sein“

Die Art, wie sie „Wichtigen“ betont hatte, ließ mich aufhorchen. Ich wurde neugierig und fragte nach:

„Welche AGs sind denn unwichtig?“

Sie seufzte geräuschvoll auf.

„Weißt du, die Theaterleute und die Schülerzeitung sind wirklich nicht erwähnenswert. Die Aufführungen dieser Möchtegernschauspieler verbreiten eine gediegene Langeweile. Jedes Jahr zeigen sie die gleichen alten Stücke und jedes Jahr wird die ganze Schule gezwungen, sich den Mist anzuschauen. Es ist eine Qual für jeden Menschen mit Geschmack. Ich muss mich jetzt schon dafür entschuldigen, was dies euren Gemütern angetan wird. Und die 'RainGazette' – schon der Name gehört verboten – ist nichts weiter als ein fantasieloses, oberflächliches, uninteressantes Schmierenblatt. Ich sag’s ja, einfach nicht erwähnenswert.

Wir sollten uns jetzt wirklich um eure Kurse kümmern, sonst habt ihr morgen keinen Stundenplan.“

Und damit setzten wir unseren Weg durch die Flure fort.

Ich wurde das Gefühl nicht los, dass die Mitglieder der Schülerzeitung und der Theater-AG – und wahrscheinlich auch die des Schwimmteams – alles andere als nicht erwähnenswert waren. Dafür hatte Jessica viel zu lange und viel zu abfällig über sie gesprochen. Ich war mir sicher, dass ihre Abneigung nicht das Geringste mit der Leistung dieser Vereine zu tun hatte. Viel zu deutlich waren verletzte Eitelkeit und Voreingenommenheit unterschwellig in ihren Worten mitgeschwungen. Ich freute mich jetzt schon, diese Schüler kennen zu lernen.

In den nächsten zwei Stunden führte uns Jessica durch das gesamte Schulgebäude. Sie zeigte uns jeden einzelnen Klassenraum und brachte uns zu den verschiedenen Lehrern, damit wir unsere Kurse zusammenstellen konnten. Immer wieder trafen wir auf Bekannte von ihr. Die Folge dessen war ein ausführliches Begrüßungsritual – sie war ein Freund der Küsschen-Küsschen-Variante – bevor wir dann vorgestellt und unsere Verbindung zum neuen Chefarzt des Forks Memorial dargelegt wurde. Am Ende dieses Tages würde uns mit Sicherheit die ganze Stadt kennen.

Bei anderen Schülern ließ sie es sich nicht nehmen, uns deren gesamte Unzulänglichkeiten darzulegen und auch vor dem Schulpersonal schreckte sie mit ihren Tratsch nicht zurück.

Jessica strapazierte meine Nerven immer mehr. Es war schwer, in ihrer Nähe die Ruhe zu bewahren. Alles an ihr ging mir gegen den Strich – die aufgesetzte Fröhlichkeit, mit der sie ihren angeblichen Freunden begegnete, die Art und Weise, mit der sie andere in den Dreck zog, ihre Berührungen, die zufällig wirken sollten, ihr Blicke, mit denen sie mich praktisch auszog. Ich mochte Menschen nicht, die sich selbst zu wichtig nahmen, ohne es überhaupt im Verlag zu haben und dieses Mädchen gehörte eindeutig dazu.

Hinzu kam, dass sie ihre Kurse prinzipiell erst dann festlegte, nachdem Alice und ich unsere gewählt hatten. Stimmte sie ihren Stundenplan tatsächlich auf uns ab?

Emmett fand dies überaus witzig.

„Ich sollte ihr vielleicht Ketten für dich besorgen, ich meine für die Zeit, in der sie von dir getrennt sein wird“, flüsterte er mir kichernd zu, nachdem Jessica auch denselben Geschichtskurs wie Alice und ich gewählt hatte.

Ich befürchtete schon, dieses Schuljahr keine ruhige Minute zu erleben, doch ich hatte die Rechnung ohne das Lehrpersonal gemacht. Die Englischlehrerin wies sie darauf hin, dass sie für ihren Fortgeschrittenenkurs nicht gut genug sei. Auch in Mathe und Biologie reichten ihre Noten eigentlich nicht aus, mit einem gekonnten Wimpernaufschlag und dem Versprechen, besser zu lernen gelang es Jessica aber, sich eine Probezeit zu erkaufen. Bei den Fremdsprachen hatten wir Glück. Alice und ich hatten die letzten Jahre Spanisch in einem Fernkurs erlernt und wir wollten unser Wissen noch vertiefen. Jessica hingegen sprach nur französisch.

So kam es, das ich zumindest zwei Stunden am Tag von ihr verschont bleiben würde, Alice sogar fünf.

Okay, sie hatte ihren Stundenplan anscheinend nicht auf uns abgestimmt, sondern auf mich. Es wurde Zeit, dass ich sie in die Schranken wies. Doch das war bei diesem Mädchen gar nicht so einfach, denn sie bemerkte nur das, was sie wollte. Für sie unangenehme Dinge überging sie gekonnt. Egal wie unfreundlich einer von uns auf ihre Ausführungen und Fragen reagierte, ihr aufgesetztes Lächeln wirke immer gleich.

Nachdem wir unsere Stundenpläne endlich zusammengestellt hatten, brachten wir unsere Schulakten und die Bestätigungslisten zurück ins Sekretariat. Hier herrschte immer noch Hochbetrieb. Angela Weber nahm unsere Unterlagen entgegen. Als sie ihre Augen kurz auf Jessica richtete, wurde ihr Blick deutlich kühler. Sie sah wieder zu uns und schenkte uns ein Lächeln. Ich hätte schwören können, dass etwas Entschuldigendes darin lag.

Danach wurden wir zur Cafeteria geführt.

Diese war ein riesiger Raum im Untergeschoss. In die Fensterseite waren Türen eingelassen, die bei schönem Wetter – so wie heute – geöffnet wurden und den Weg zum Hof freigaben. An der gegenüberliegenden Wand befand sich die Theke mit der Essensausgabe. Der restliche Platz wurde von einer Vielzahl von Tischen eingenommen, an denen jeweils bis zu acht Personen Platz hatten.

Wir kauften uns eine Kleinigkeit zum Mittag und setzten uns. Es dauerte nicht lange und ein paar von Jessicas Cheerleaderfreundinnen nahmen ebenfalls bei uns Platz. Anfangs waren wir Cullens wieder der Mittelpunkt der Aufmerksamkeiten, aber nachdem wir auf die an uns gestellten Fragen nur widerwillig eingingen, wendeten sich die Damen anderen, noch belangloseren Dingen zu.

Alice sah sich gedankenverloren um. Ich wusste nicht, ob sie von den Gesprächen am Tisch überhaupt etwas wahrnahm. Emmett schien immerhin Spaß daran zu haben, von den Mädchen angehimmelt zu werden, wirkte aber letztendlich auch genervt. Ich blickte nach unten auf mein Tablett, legte die Finger an meine Schläfen und schloss die Augen. Dieser Tag wurde immer länger – es schien, als wenn die Uhr sich gegen mich verschworen hätte und besonders langsam voranschritt. Ich wollte einfach nur noch nach Hause.

„Wer sind diese beiden?“

Überrascht sah ich auf. Es war das erste Mal, dass Alice Jessica ansprach. Bis auf die eine Situation, in der sie mich darauf hingewiesen hatte, dass ich meine Kurse nicht komplett an ihren Stundenplan anpassen konnte, hatte meine Schwester heute in der Nähe von Fremden überhaupt noch nicht geredet.

Neugierig folgte ich ihrem Blick.

Am Eingang der Cafeteria standen zwei Personen. Allein schon ihr exquisiter Kleidungsstil ließ sie aus der Masse herausstechen, doch auch in einem Kartoffelsack währen sie noch aufgefallen. Ihre Ähnlichkeiten, sowohl im Aussehen als auch in der Haltung, waren unübersehbar. Ich nahm an, dass sie miteinander verwandt waren.

Der Junge hatte in etwa meine Größe, also circa 1,77 m. Durch sein Shirt hindurch wirkte er durchtrainiert. Seine glatten, blonden Haare fielen locker-gestuft in seinen Nacken und umrandeten ein feingliedriges, elegantes Gesicht. Er wirkte jedoch nicht feminin, sondern eher androgyn, was von seiner hellen Haut noch unterstrichen wurde. Seine blauen Augen hatten einen offenen und freundlichen Blick – sein Lächeln war ehrlich.

Ganz anders wirkte seine Begleiterin. Ihre ebenmäßigen Gesichtszüge strahlten Arroganz aus, ihre katzenhaften, goldbraunen Augen schauten abschätzend durch den Raum. Den Mund hatte sie zu einer missbilligenden Miene verzogen. In gewisser Weise erinnerte mich dieser Ausdruck an unsere „Reiseleiterin“, obwohl diese Fremde auf mich nicht den Eindruck machte, als wenn sie irgendjemanden Begeisterung oder Freundschaft vorspielen würde.

Man konnte ihre Erscheinung durchaus als außergewöhnlich schön bezeichnen. Ihre blonden Haare reichten in leichten Wellen bis zu den Ellenbogen. Sie hatte die Größe eines Models, wenn auch nicht deren Gardemaße. Sie war keiner dieser typischen Hungerhaken, wie zum Beispiel Jessica Stanley. Ihre Figur fiel unter die Kategorie „Sehr weiblich“ – sie hätte einer Monica Bellucci alle Ehre gemacht.

Ich bemerkte, dass auch Emmett seine Aufmerksamkeit den Beiden zugewandt hatte und musste lächeln. Seine Gedanken standen ihm immer deutlich ins Gesicht geschrieben und als er die Blonde erblickte, las ich in seinen Zügen zwei Worte – heiß und sexy.

„Das sind die Hale-Zwillinge – Jasper und Rosalie.“

In Jessicas Stimme lag unverhohlene Abneigung. Auf ihrem Gesicht erschien ein Ausdruck, als habe sie ein verfaultes Ei unter der Nase. Ich hatte den leisen Verdacht, die zwei hatten irgendetwas mit dem Schwimmteam, der Theater-AG oder der Schülerzeitung zu tun.

„Die Beiden glauben, sie sind König und Königin der Forks High School und genauso benehmen sie sich auch. Klar, er ist Schulsprecher – aber das ist immerhin ein demokratisches Amt und keine Art von Monarchie. Hallo, wir leben in Amerika, nicht in England. Sie dulden in ihrer Nähe nur ihren auserwählten Hofstab – jeder andere ist unerwünscht. Und das alles nur, weil sie einigermaßen gut aussehen und einen Haufen Kohle haben – ihre Mutter ist eine mehr oder weniger berühmte Modedesignerin und ihr Vater Anwalt in Seattle. Glaubt mir, es gibt keinen an dieser Schule, dem sie mit ihren Getue nicht zumindest insgeheim auf die Nerven gehen.

Aber jetzt seid ihr ja da. Ihr könnt es locker mit ihnen aufnehmen – sowohl beim Erscheinungsbild als auch bei den finanziellen Aspekten. Es wird Zeit, dass diese eingebildeten Snobs endlich mal jemand in die Schranken weist.“

Jessica sah uns erwartungsvoll an. Anscheinend erhoffte sie unsere Zustimmung zu ihren Ausführungen. Was dachte diese unmögliche Person eigentlich, wer sie war. Wollte sie uns etwa für ihre Intrigen einspannen? Ich kannte die Hales nicht, aber zumindest bei diesem Jasper konnte ich mir nicht vorstellen, dass er auch nur annähernd so war, wie Jessica in beschrieben hatte.

Während sie gesprochen hatte, hatte er sich von seiner Schwester entfernt und war zu einer Gruppe jüngerer Schüler – vermutlich die Freshmen – gegangen, die am anderen Ende der Cafeteria auf ihn gewartet hatte. Obwohl dies ein lärmender Haufen von Teenagern war, der ihn aufgeregt gackernd und nervös herumtänzelnd in Beschlag nahm, blieb seine Miene gleich bleibend freundlich und ruhig.

Rosalie gesellte sich derweil zu einer kleineren Ansammlung von Leuten, die sich gerade an der Theke angestellt hatte. Sie machten wirklich den Eindruck einer verschworenen Gemeinschaft, doch wer konnte es ihnen verübeln, wenn sie Personen wie Jessica Stanley nicht in ihrer Nähe haben wollten.

Ich für meinen Teil jedenfalls hatte jetzt endgültig die Nase voll. Wenn ich mir noch eine ihrer Schimpftiraden anhören musste, würde ich am heutigen Tag mit großer Wahrscheinlichkeit ausrasten. Ich sah zu meinen Geschwistern. Emmett machte ein Gesicht, als überlegte er, wie er die Beleidigungen gegen Rosalie Hale am Besten strafen sollte. Alice war noch blasser geworden, aber nicht aus Angst, sondern aus Zorn. Ihre Augen funkelten Jessica wütend an.

Wir sollten wirklich gehen.

„Es wäre das Beste, wenn wir drei das Gelände jetzt noch ein wenig auf eigene Faust erkunden. Danke für deine Hilfe. Man sieht sich!“

Mit diesen Worten stand ich auf, nahm mein Tablett und ging Richtung Geschirrabgabe. Ich hörte, wie hinter mir zwei Stühle bewegt wurden, dann waren meine Geschwister an meiner Seite. Gemeinsam verließen wir den Speisesaal.
 

Wir schlenderten ziellos durch das Gebäude. Jessicas Führung durch das Schulhaus war mehr als ausreichend gewesen, dort gab es also nichts mehr zu erkunden. Unbefriedigte Neugier war aber ja auch nicht der Grund gewesen, weswegen wir die Cafeteria verlassen hatten. Alle drei waren wir froh, der ungewollten und vor allem ungeliebten Gesellschaft entkommen zu sein. Sogar Alice machte ihrem Ärger Luft.

„Wie kann eine einzelne Person nur so viele Gemeinheiten von sich geben? Ist das normal an einer High School? Wenn ja, dann bin ich froh, bis jetzt zu Hause unterrichtet worden zu sein. Zum Glück habe ich nur einen Kurs mit ihr zusammen.“

Ich musste lächeln. Ungerechtigkeit konnte sie wirklich nicht leiden. Emmett legte ihr seinen Arm um die Schulter und gab ihr einen Kuss auf die Haare.

„Reg dich nicht auf, Floh. Solche Typen gibt’s an jeder Schule. Einfach nicht beachten und weghören, dann geben sie nach ´ner Weile von selbst auf. Komm jetzt, wir haben uns noch nicht mal die Sportstätten angesehen.“

Alice verzog missmutig das Gesicht.

„Als wenn die mich interessieren würden, Großer.“

Mein Bruder und ich mussten lachen und auch unsere kleine Schwester stimmte mit ein. Gemeinsam gingen wir nach draußen.

Zuerst besichtigten wir die Schwimmhalle. Das Becken war riesig. Neben einem Abschnitt, der aller Wahrscheinlichkeit nach für das Training und die Wettkämpfe genutzt wurde, gab es noch einen abgegrenzten tieferen Teil, an dem sich die Sprungtürme befanden. Im Wasser spiegelte sich die Sonne wider, die durch die große Glasfront hereinfiel. An der gegenüberliegenden Wand waren Sitzreihen angebracht – diese Sportveranstaltungen wurden also doch besucht. Ich hätte es mir denken können.

Emmetts Begeisterung war kaum zu bremsen, als wir am Footballfeld ankamen. Er freute sich wie ein kleiner Junge. Es hatte ihn zu schaffen gemacht, ein Jahr vor seinem Abschluss sein Team verlassen zu müssen – auch oder vor allem weil er selbst unseren Umzug herbeigeführt hatte. Nun war seine Chance, einem Collageteam aufzufallen, doch nicht vertan – zumal die FHS – SPARTANS gar nicht schlecht spielten und regelmäßig unter den ersten ihrer Liga landeten. Ich wusste, dass Esme und Carlisle bei der Wahl unserer neuen Heimat darauf geachtet hatten.

Als letztes gingen wir zur Turnhalle, in der auch die Vorstellung der AGs stattfinden sollte. Diese Sporteinrichtung unterschied sich kaum von anderen ihrer Art. Der Eingang befand sich an einer der kurzen Seiten, gleich daneben war die Tür, die zu den Umkleidekabinen und Coachbüros führte. Der Geräteraum lag unter der typischen riesigen Anzeigetafel an der einen Wandseite direkt gegenüber von der obligatorischen Tribüne. An jedem Ende des Spielfeldes stand ein Basketballkorb – wahrscheinlich für den Sportunterricht, denn ein Team gab es an dieser High School nicht.

Die Veranstaltung sollte in wenigen Minuten losgehen. Wir suchten uns einen Platz relativ weit oben. Ich hielt meine Augen starr geradeaus – ich wollte den neugierigen Blicken entgehen, zumindest für einen Moment. Ich sah Jasper Hale in der Mitte der Halle mit einem Mirophon in der Hand – wahrscheinlich war es seine Aufgabe, durch das Programm zu führen. Aus den Augenwinkeln bemerkte ich, dass Emmetts Blick erst kurz auf dem Schulsprecher ruhte und dann suchend durch den Raum schweifte, schließlich machte er ein enttäuschtes Gesicht. Er hatte die zweite Hälfte des Zwillingspärchens also nicht entdeckt. Alice schaute ebenfalls interessiert auf das Spielfeld. Sie hoffte gewiss wie ich darauf, dass diese Show bald anfing – um dann noch schneller wieder vorbei zu sein.

Nur langsam füllten sich die Ränge. Viele Schüler standen noch bis zur letzten Minute draußen. Vielleicht genossen sie die für Forks angeblich so untypische Sonne? Dann ging es endlich los.

Jasper hielt eine Ansprache. Er begrüßte alle mit einem freundlichen Lächeln und eröffnete mit ein paar gekonnten Worten offiziell das Schuljahr. Danach hieß er souverän die neuen Lehrkräfte an der Forks High School willkommen. und wies auf die geplanten Veranstaltungen und sportlichen Höhepunkte der nächsten zehn Monate hin. Die Rede war kurz, prägnant und witzig, die Reaktion der Leute darauf unmissverständlich. In diesem Moment konnte sogar ein Blinder erkennen, dass Jessicas Meinung über Jasper von kaum einem geteilt wurde. Er war eindeutig beliebt, sowohl bei den Lehrern als auch bei den Schülern.

Als er seine Worte beendet hatte, stellte er die ersten AGs vor. Es begannen die Sportler.

Die Turner zeigten ein paar ihrer Übungen am Boden – Flik Flak, Salti, Sprünge. Sie waren wirklich nicht schlecht. Danach kam das Schwimmteam. Sie führten nichts vor, zeigten aber Bilder von Trainingseinheiten und Wettkämpfen über eine Beamer. Wie ich vermutet hatte, gehörte der Schulsprecher zu ihnen. Dann betrat die Footballmannschaft in kompletter Montur die Bühne. Sie warfen sich den Ball zu, blockten sich gegenseitig und präsentierten einige Spielaufstellungen. Emmetts Gesicht strahlte. Der Kapitän – dieser Quarterback Mike Irgendwas – berichtete lange und vor allem langweilig über die früheren und die zu erwartenden Erfolge. Ich fand es nicht sehr schlau, direkt nach Jasper eine Rede zu halten – diesen Vergleich konnte man nur verlieren.

Danach folgten AGs wie Kunst, Informatik, Astronomie und Botanik. Der Chor brachte allen Anwesenden ein Ständchen, die Schulband begleitete ihn dazu. Wirklich gut waren beide nicht. Dazwischen kam immer wieder Jasper zu Wort, um die nächsten anzukündigen.

Emmett konnte ein herzhaftes Gähnen nicht unterdrücken und bekam dafür von Alice einen mahnenden Stoß in die Rippen. Diese verfolgte das Geschehen erstaunlicher Weise mit großer Aufmerksamkeit. Ich hingegen schenkte meinem Bruder ein bestätigendes Grinsen. Er hatte völlig Recht – die Darbietungen wurden immer uninteressanter. Ich ließ meinen Blick zum ersten Mal, seit wir uns zu unseren Plätzen begeben hatten, durch die Halle schweifen.

Am Ende der Tribüne in der letzten Reihe saß ein Mädchen, welches meine Aufmerksamkeit sofort erregte. Dies hatte nichts damit zu tun, dass sie da oben fast alleine saß. Sie war auch weder übernatürlich schön noch extrem hässlich.

Nein, es war ihr Kleidungsstil, der mir ins Auge stach. Während jeder andere an dieser Schule heute besonderen Wert auf sein Äußeres gelegt zu haben schien, hatte sie anscheinend genau das Gegenteil getan. Sie trug eine Jeans, die ihre besten Tage längst hinter sich hatte. Ihr kurzärmliges Hemd war mindestens vier Nummern zu groß und ließ sie irgendwie plump erscheinen. Die Haare trug sie zu einem unordentlichen, leicht verfitzten Knoten. Ich hoffte für sie, dass sie eine Wette verloren hatte und nicht freiwillig so herumlief, doch ich wurde das Gefühl nicht los, dass sie genau das tat.

Sie wirkte nicht wie ein Mensch, der darauf Wert legte, sich an die große Masse anzupassen. Keiner schien sie groß zu beachteten, sie selbst wirkte sogar völlig abwesend. Ich glaubte nicht, dass sie sich mit ihren Gedanken gerade in der Turnhalle befand. Mit schnellen Bewegungen pinselte sie Zeile um Zeile in das Notizbuch, das auf ihrem Schoß lag. Schrieb sie etwa Tagebuch – hier in der Schule?

Plötzlich schallte laute Musik durch die Halle. Ich zuckte leicht zusammen. Das Mädchen sah auf. So abwesend wie ich gedacht hatte, war sie doch nicht gewesen. Ich wendete meinen Blick ebenfalls wieder in Richtung Spielfeld. Dort hatte sich eine Gruppe von Schülerinnen – allesamt gleich gekleidet – um ein blondgelocktes Mädchen versammelt. Sie alle hatten dasselbe Grinsen im Gesicht. Wie es aussah, waren jetzt die Cheerleader dran.

Jessica und ihre Freundinnen gaben ihr Bestes. Sie waren gar nicht schlecht, ich hatte schon weitaus schlimmere Darbietungen gesehen. Sie schafften es ohne Probleme, das Publikum zu begeistern. Ich konnte mir gut vorstellen, wie sie das Footballstadion zum Feiern brachten. Alice Gesicht ließ keine Regung erkennen. Sie hätte sich eher die Zunge abgebissen, als irgendetwas an diesem Auftritt gut zu finden. Emmett hingegen klatschte laut mit. Er war und blieb nun mal Sportler – es gehörte für ihn dazu, sich von Cheerleadern anheizen zu lassen. Ich sah zu dem unbekannten Mädchen. Sie beobachtete das Geschen auf dem Spielfeld ebenfalls mit großem Interesse, ihre Mimik ließ jedoch nicht erkennen, ob sie davon angetan war.

Die Musik verstummte. Nach Jessicas Gesichtsausdruck zu gehen, war alles glatt gelaufen. Sie wirkte höchst zufrieden – zumindest für ein paar Augenblicke.

Der Eingang öffnete sich und mehrere Jungen und Mädchen betraten die Halle. Sie waren in Kostüme gekleidet, die hautsächlich aus Leder- und Fellimitaten zu bestehen schienen. Ihre Haare sahen aus, als seien sie in einen Sturm geraten. Dunkle Schminke rundete dieses ganze, reichlich wild anmutende Bild ab. Einige von ihnen hatten sogar Peitschen in der Hand.

Neben mir hörte ich, wie Emmett der Atem stockte. Der Grund dafür war eben zur Tür hereingekommen. Ganz vorne in der Gruppe sah ich Rosalie Hale. Ihre langen Haare hingen zerzaust über ihre Schultern und das bauchfreie Oberteil – sie war wesentlich durchtrainierter, als ich heute Mittag angenommen hatte. Mit ihrem Outfit, dem überheblichen Lächeln auf den Lippen und den selbstsicheren Blick in den Augen sah sie aus wie eine Amazonenkönigin. Ein Tag und sie hatte es tatsächlich geschafft, meinen Bruder in ihrem Netz zu fangen, ohne auch nur ein Wort mit ihm gewechselt zu haben. Das konnte noch lustig werden. Normalerweise war es Emmett, der die Köpfe der Mädchen verdrehte.

Langsam schritten die Neuankömmlinge in die Mitte des Spielfeldes, wo viele der Cheerleaderinnen wie angewurzelt stehen geblieben waren. Rosalie belächelte sie mitleidig. Dann gab sie Jessica ein unmissverständliches Zeichen – diese sollte ihre Freundinnen endlich von Platz schicken. Für einen kurzen Moment sah es so aus, als wollte es Jessica auf eine Szene ankommen lassen, doch dann rauschte sie gemeinsam mit den anderen wutschnaubend aus der Halle. Jasper warf seiner Schwester einen tadelnden Blick zu. Diese zuckte nur leicht mit den Schultern und gab ihren Leuten das Signal zur Aufstellung.

„Und nun, liebe Mitschüler, sehen wir die Darbietung unsere Theater-AG. Wir können nur hoffen, dass ihr Auftritt hält, was uns ihr Einmarsch versprochen hat.“

Rosalie warf ihrem Bruder einen „Sehr witzig“-Blick zu, doch dieser hatte sich schon lachend zum Rand verzogen.

Dann begann die Musik. Die Performance, die die Tänzer auf das Parkett legten, war eine Mischung aus russischem Kasatschock und orientalischem Bauchtanz. Sie bewegten sich so Energie geladen über das Feld, dass man fast schon erwartete, der Boden unter ihnen würde Feuer fangen. Im Takt ließen sie ihre Peitschen knallen oder stießen zum Lied passende, laute Rufe aus.

Die Halle bebte. Jessica – sie musste zurückgekommen sein, um sich den Auftritt anzuschauen – platzte beinahe vor Neid. Jetzt wusste ich, warum sie die Theater-AG und vor allem Rosalie so hasste. Sie waren einfach um Welten besser als die Cheerleader. Alice war meinen Augen gefolgt und lächelte in sich hinein. Emmetts Blick war immer noch auf die blonde Amazone gerichtet. Ich hoffte inständig, dass er bis zur Heimfahrt seinen Kopf aus den Wolken zurück auf Erde befördert hatte.

Unwillkürlich sah ich auch zu dem fremdem Mädchen. Sie schien sich prächtig zu amüsieren. Hatte ihr der Auftritt so gut gefallen? Schon wieder schien sie in ihren Gedanken zu versinken. Dann holte sie ihr Notizbuch heraus und begann erneut zu schreiben. Das konnte unmöglich ihr Tagebuch sein. Vielleicht arbeitete sie schon für den Unterricht vor – bei diesem Lärm aber eher unwahrscheinlich. Es frustrierte mich, nicht zu wissen, was genau sie da tat. Ich konnte nicht sagen, was es war, aber irgendetwas an ihr faszinierte mich.

Nur im Unterbewusstsein bekam ich mit, dass Jasper die Schülerzeitung ankündigte. Ich bemerkte aber durchaus, dass ich plötzlich nicht mehr der einzige war, der die mir Fremde anstarrte. Alle Augen waren auf sie gerichtet. Hatte ich etwas verpasst?

Und dann fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Sie gehörte zur Schülerzeitung, deshalb kritzelte sie ständig etwas in ihr Buch. Sie machte sich Notizen.

Als wenn sie die ungewohnte Aufmerksamkeit spüren würde, hob sie auf einmal ihren Blick und errötete leicht. Es war ihr unangenehm, ihren Einsatz verpasst zu haben.

Langsam ging sie die Tribüne hinab. Es sah so aus, als wenn sie auf jeden ihrer Schritte genau achten würde. Hatte sie etwa Angst, nach unten zu stürzen? Für einen kurzen Moment überkam mich das Bedürfnis, zu ihr zu gehen und ihr meine Hilfe anzubieten.

Als sie bei dem Schulsprecher angelangt war, lächelte sie ihn kurz an und nahm dann das Mikrophon. Sie räusperte sich.

„Hallo, ich bin Isabella.“

Isabella – ein schöner, jedoch ungewöhnlicher Name für eine Amerikanerin. Vielleicht hatte sie europäische Wurzeln?

„Ich bin die Chefredakteurin unserer Schülerzeitung, der 'RainGazette'. Wir treffen uns jeden Diensttag und Donnerstag in dem Redaktionsgebäude der 'Forks Daily News', dort steht uns ein Raum zur Verfügung und dort wird unser Blatt auch gedruckt. Die neue Ausgabe erscheint immer am ersten Montag im Monat, unsere erste dieses Jahr kommt im Oktober raus. Da unsere Verantwortliche für die Interviews letztes Jahr ihren Abschluss gemacht hat, steht dieser Posten noch offen. Des Weiteren haben wir immer noch keinen geeigneten Kandidaten für die Rubrik 'Lifestyle' gefunden. Interessierte müssen eine Schreibprobe abgeben, damit wir sehen können, ob ihr geeignet seid. Bringt sie einfach zu Angela“ – sie machte eine Handbewegung in Richtung der Genannten, die mit einem Fotoapparat bewaffnet an der Wand stand – „oder zu mir. Alle bisherigen Ausgaben der 'RainGazette' können in der Schulbibliothek eingesehen werden.“

Ihr Tonfall war nicht besonders freundlich, als sie ihren Text genervt herunterspulte. Sie unterlegte ihre Worte weder mit Bildern noch mit Artikelauszügen. Dies war weniger eine Präsentation als viel mehr ein kurzes Aufzählen von wichtigen Informationen.

„Ach ja, noch etwas! An dieser Schule besteht eine AG – Pflicht, das heißt wir haben nicht die Möglichkeit, jemanden abzulehnen. Wir sind jedoch nicht gewillt, jeden Trottel in unserer Zeitung herum schreiben zu lassen. Wenn also einer von euch trotz totaler Talentlosigkeit unbedingt bei uns einsteigen will, kann er sich jetzt schon auf ein Jahr voller Dienstbotengänge gefasst machen. Na dann, man sieht sich.“

In der Halle war es still. Keiner sagte etwas. Mit Werbung in eigener Sache hatte dies wenig zu tun. In Isabellas Gesicht konnte man nichts erkennen, was diese Worte als Witz entlarvt hätte. Ihr Ausdruck war ernst, fast schon warnend. Sie meinte es genau so wie sie es gesagt hatte. Ich musste kurz durchatmen.

Die Mädchen an dieser High School waren einfach unfassbar. Sie strahlten eine derartige Überheblichkeit aus, damit wären sie sogar an meiner letzten Schule heraus gestochen. Selbst Angela Weber, die eigentlich sehr nett gewirkt hatte, konnte kaum besser sein – immerhin gehörte sie ja auch zur Schülerzeitung.

Ich sah mich auf der Tribüne um. Die Mienen der Freshmen wirkten ungläubig, einige sogar verängstigt. Die meisten anderen sahen so aus, als wären sie solche Reden von der Chefredakteurin schon gewohnt, ein paar schüttelten den Kopf. Bei einigen wenigen sah ich ein Lächeln auf den Lippen, darunter auch Rosalie Hale. Ihr Bruder hingegen seufzte und verzog missbilligend das Gesicht – eine Mimik, die mich stark an mich selbst erinnerte, wenn Emmett wieder etwas ausgefressen hatte.

Mit einem Mal wurde es unruhig in der Halle. Ich bemerkte, wie sich unsere neuen Mitschüler von ihren Plätzen erhoben. Die Veranstaltung war also vorbei. Meine Geschwister und ich standen ebenfalls auf und gingen in Richtung Ausgang. Ich ließ meinen Blick noch einmal zu Jasper Hale schweifen. Isabella war verschwunden. Dies war vermutlich auch besser so. Nach ihrer Rede hatte ich große Lust, sie zurechtzustutzen. Ich wusste nicht genau wieso. Jessica Stanleys verbale Auswüchse, die wir den ganzen Vormittag hatten ertragen müssen, waren weitaus schlimmer gewesen – trotzdem hatte ich es geschafft, bei ihr die Ruhe zu bewahren. Warum nur hatte ich jetzt das Bedürfnis, laut los zu schreien.

Vielleicht war ich einfach nur enttäuscht. Für einen kurzen Moment hatte ich gedacht, dass diese Fremde sich von den anderen unterscheiden würde – das sie etwas Besonderes wäre. Es hatte mich interessiert, was sie dachte – ich hatte mir sogar Sorgen um sie gemacht. Doch dann hatte ich erkennen müssen, dass dies nur eine Illusion gewesen war. Sie war nicht besser als jede andere.

Vor der Turnhalle atmete ich tief ein. Die frische Luft tat meinen Lungen gut. Da drin, in mitten der vielen Menschen, war es extrem stickig gewesen.

Emmett klopfte mir auf die Schulter. Ich sah ihn an, sah direkt in sein – wie sollte es anders sein – breites Grinsen.

„Das war doch mal interessant. Dagegen waren die Schulveranstaltungen in Chicago die reinste Langeweile. Ich dachte ja schon, der Auftritt der Theater-AG wäre der Höhepunkt gewesen, aber die Kleine am Ende war echt der Hit. Eine klasse One-Woman-Show mit dem Titel 'Wie bringe ich eine ganze Halle zum Verstummen mit nur einem Satz'. Die Gesichter der Leute waren echt zu Schießen. Ich muss sie glatt mal fragen, ob man sie auch für Feiern buchen kann?“

Alice musste kichern.

Erstaunt sah ich von einem zum anderen. Wir mussten dringend nach Hause, diese Schule tat ihren Geisteszustand nicht gut. Ich wandte mich zum Gehen und gab ihnen ein Zeichen, dass sie mir folgen sollten. Da tauchte Jessica vor uns, ein entschuldigendes Lächeln auf den Lippen.

„Und, hat euch die Show gefallen? Ach, was frage ich denn da? Bestimmt nicht! Wie sollte sie auch. Diese Vorstellung der Theaterleute war einfach nur billig und unangebracht – sie haben damit ja sogar unseren Auftritt in den Dreck gezogen – und von Isabella Swan will ich gar nicht erst anfangen. Ich sagte es ja – einfach nicht erwähnenswert. Es tut mir wirklich außerordentlich leid, dass euer erster Tag so ein dramatisches Ende nehmen musste. Ich hoffe doch stark, ihr gebt unserer Schule trotzdem eine Chance?“

Jetzt gab es für Emmett kein Halten mehr, er prustete lautstark los. Einige Schüler in unserer Nähe drehten sich überrascht zu uns um. Es dauerte ein paar Minuten, bis sich mein Bruder halbwegs wieder beruhigt hatte. Jessicas Gesichtsausdruck war in der Zeit von erwartungsvoll über ungläubig zu beleidigt gewechselt. Sie hatte anscheinend begriffen, dass sie selbst und ihre komplette Fehleinschätzung der Situation der Witz gewesen waren. Sie zeigte Emmett die kalte Schulter und wollte sich gerade mir zuwenden, als eine ihrer zahlreichen Freundinnen – den Name hatte ich wieder vergessen – über den Parkplatz auf uns zu gerannt kam.

„Jessica“, rief sie völlig außer Atem, „heute ist dein Glückstag!“

„Lauren“ – ach ja, so hieß sie – „ich habe schon den ganzen Tag nichts als Glück, immerhin konnte ich Edward und Alice durch die Schule führen.“

Sie hatte Emmett mit voller Absicht außen vor gelassen. Ihn schien das nicht zu stören. Lauren fuhr derweil fort:

„Ich weiß, ich weiß. Aber bei dem, was ich gerade gesehen habe, kann dein Tag nur noch besser werden. Deine absolute Lieblingsfeindin hat gerade einen anderen Wagen gerammt. Es war aber keine der üblichen Schrottkarren. Nein, sie hat sich irgend so einen total teuren, silbern funkelnden Schlitten ausgesucht – keine Ahnung, wem … .“

Ihre restlichen Ausführungen bekam ich nicht mit. In meinen Ohren rauschte es. Ich spürte, wie die ganze angestaute Anspannung und Frustration des Tages in mir hoch kamen. Tief in meinem Inneren begann die Wut zu brodeln. Ich musste von dieser Lauren nicht hören, welches Auto es erwischt hatte – ich wusste es bereits.

Mein Volvo hatte diesen 31. August 2009 nicht überlebt.

Circus

Hi,
 

vielen lieben Dank für die netten Kommentare. Ich habe mich über das Feedback wirklich gefreut.
 

Ein besonderes Hallo geht an die Fünf, die mich auf ihrer Favoritenliste haben. Ich hoffe, das zweite Kapitel gefällt euch auch.
 

P.S.: Zwischen den einzelnen Kapiteln wird es leider immer ungefähr so lange dauern.
 

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Circus
 

Ich hasste den ersten Schultag nach den Sommerferien.

Es graute mich nicht davor, weil ich die Schule nicht mochte – ganz im Gegenteil. Ich ging gerne zur Schule. Das Lernen machte mir Spaß und fiel mir ausgesprochen leicht – meine Noten waren ausgezeichnet. Mein Posten als Chefredakteurin der Schülerzeitung gab mir die Möglichkeit, mich kreativ und intellektuell zu entfalten. Ich hatte mit keinem der Lehrer wirkliche Probleme. Bei den Schülern sah dies schon anders aus.

Es gab nur wenige außerhalb der Redaktion, denen ich meine Zeit widmete. Ich liebte meine Ruhe und wenn das einigen nicht passte, mussten sie damit leben. Sollten sie doch denken, was sie wollten – Sticheleien oder bösartiges Getratsche konnten mir den Spaß an der Schule nicht verderben. Außerdem wusste ich mich zu wehren.

Es gab andere Gründe, warum ich den ersten Schultag hasste. Das Ende der Sommerferien bedeutete für Einige die Rückkehr auf die große Bühne. Es war ein Pfuhl der Eitelkeiten, der Selbstdarstellungen und der Heucheleien. Endlich wurde man wieder gesehen – endlich konnte man wieder sehen. Der neuste Tratsch wurde ausgetauscht, die stylischste Frisur bewundert, die hipsten Klamotten vorgeführt. Freundschaften wurden mit großen Gesten und noch größeren Luftblasen wieder erneuert, alte Feindschaften mit tödlicher Mimik zurück in Erinnerung gerufen. Die abschätzenden Blicke der Mitschüler waren allgegenwärtig, jede noch so kleine Veränderung wurde gierig aufgesogen.

Aber auch die Lehrer schienen an diesem Tag besonders aufmerksam zu sein. Die einen fragten interessiert nach den Ferien und ob man einen erholsamen Urlaub verbracht hatte, die anderen erkundigten sich ausführlich nach deinen Plänen bezüglich der Kurswahl fürs nächste Semester. Ruhe war an einem solchen Tag ein Fremdwort. Als krönender Abschluss dieser ganzen Zirkusveranstaltung winkte auch noch die Vorstellung der Schul – AGs am Nachmittag, bei der noch einmal jeder sein Bestes geben konnte.

Ja, ich konnte diesem Tag wirklich nichts Positives abgewinnen.

Doch der heutige erste Schultag sollte der schlimmste von allen werden.

Dabei hätte ich mir das doch wirklich vorher denken können, schließlich waren die Ferien schon furchtbar gewesen.
 

Ich war nie besonders begeistert gewesen von den drei Wochen, die ich mit meiner Mutter und meiner Schwester jeden Sommer seit der Scheidung unserer Eltern verbringen durfte. Ich meine, ich liebe die beiden – auf eine gewisse Art und Weise – auch wenn unser Verhältnis allein schon durch die räumliche Entfernung nie sehr eng war. Aber ich – eine, für einen Teenager viel zu vernünftige Jungendliche – allein mit zwei völlig überdrehten Lebenskünstlern bedeutete jedes Mal eine Belastungsprobe für mein Nervenkostüm. Ihre Tagesplanungen – wenn es so etwas überhaupt gab – änderten sich stündlich und wenn man mit den beiden losfuhr, wusste man nie, wo man am Ende landete. Es gab Essen vom Lieferservice – was bei den Kochkünsten meiner Mutter aber auch besser war – und saubere Klamotten bekam man nur, wenn man den Weg in den Waschkeller selber fand. Ich war es von zu Hause nicht anders gewöhnt. Auch dort kümmerte ich mich um den Haushalt, da mein Vater viel arbeitete. Aber Renée war fast immer da und tat trotzdem nichts.

Nun, Nichtstun war nicht ganz richtig – sie tat nur nichts Sinnvolles. Meine Mutter war ein Mensch, der sich alle paar Monate neu erfand, um dann in seinen eigenen Ideen verloren zu gehen. Ein Jahr war sie Malerin gewesen, dann Yogaguru. Sie hatte Kinderlieder komponiert, war kurz davor gewesen, ins Kloster zu einzutreten, hatte nach Afrika auswandern wollen und war davon überzeugt gewesen, an der Börse spekulieren zu können. Manchmal war es ein Wunder, dass sie und meine Schwester noch nicht auf der Straße lebten.

Doch in den Ferien zuvor waren wir zumindest unter uns gewesen und Renée hatte Zeit für ihre Töchter gehabt. Dieses Jahr war alles anders gewesen.

Meine Mutter hatte völlig überstürzt geheiratet – einen Rockmusiker, in Las Vegas. Phil war nicht unsympathisch – er konnte sogar witzig sein und hatte ein paar spannende Tourgeschichten auf Lager – aber er war immer da gewesen. Renée hatte weder für mich noch für ihren Liebling Renesmée Aufmerksamkeit übrig gehabt. Meine Schwester hatte dies schon gekannt, denn ich hatte sie kaum zu Gesicht bekommen. Ständig war sie mit Freunden unterwegs gewesen, oft bis spät in die Nacht. Als ich meine Mutter gefragt hatte, ob dies das Richtige für eine Vierzehnjährige sei, hatte diese nur abgewinkt.

„Sie soll ruhig ihren Spaß haben!“, war die einzige Antwort, die ich bekommen hatte.

Und so hatte ich meine Tage in Florida allein in meinem Zimmer verbracht. Das Alleinsein hatte mich nicht gestört. Ich hatte die Ruhe genossen und mich meiner Schreib- und Leseleidenschaft gewidmet. Doch ich hatte mich die ganze Zeit gefragt, warum ich überhaupt dort gewesen war. In Forks hätte ich wenigstens meinen Vater und meine Freunde gehabt.
 

Der heutige erste Schultag begann bereits ungewöhnlich – jedenfalls ungewöhnlich für meine Heimatstadt.

Forks begrüßte uns mit strahlendem Sonnenschein. Das passte perfekt zu der Farce, die mich erwarten sollte. Ich mochte den Regen und den mit Wolken verhangenen Himmel. Es gefiel mir, mein Gesicht in den Wind zu halten und die Tropfen auf meiner Haut zu spüren. Ich liebte den Geruch der Luft nach einem reinigenden Schauer.

Dem so genannten „schönen“ Wetter konnte ich nichts abgewinnen. Ich hatte schon früh gelernt, dass die Sonne in dieser Stadt nicht immer Gutes mit sich brachte. Sie hatte geschienen, als meine geliebte Großmutter gestorben war und auch kurze Zeit später, als meine Eltern sich endgültig getrennt hatten. Es war unbewölkt gewesen, als Jakes Vater seinen schlimmen Unfall gehabt hatte, ebenso wie an dem Tag, an dem ich mich mit fünf Jahren im Wald verirrt hatte und die darauf folgende Nacht allein zwischen den Bäumen verbringen musste. Nein, ich mochte die Sonne nicht.

Als ich auf den Parkplatz gefahren kam, sah ich überall meine fein raus geputzten Mitschüler, allesamt bereit, sich in die Meute der wartenden Bewunderer oder Rivalen zu stürzen. Ich hatte mir mit voller Absicht eine ausgewaschene Jeans angezogen und ein altes Karohemd von meinem Vater rausgekramt. Meine Haare waren eine einzige Katastrophe. Könnte mich Tante Liz so sehen, der Schlag würde sie treffen. Aber so fiel ich in diesem bunten Treiben wenigstens nicht auf und blieb unbehelligt von neugierigen Blicken und Fragen. Tief in meinem Inneren musste ich mir selbst eingestehen, dass ich mit meiner Aufmachung im Enddefekt ebenso etwas bewirken wollte, wie all die anderen hier – auch wenn es das gänzlich Gegenteilige war. Über diese Ironie musste ich schmunzeln.
 

Der Vormittag verging wie im Flug und als ich mich zu allen Kursen angemeldet, meinen Stundenplan fertig zusammengestellt und eine Kleinigkeit in der Cafeteria gegessen hatte, machte ich mich zusammen mit Angela auf den Weg in die Turnhalle. Die anderen aus der Redaktion hatte ich heute nur kurz gesehen – das erste Meeting war eh erst für morgen Nachmittag angesetzt.

Die Halle war relativ leer, die meisten genossen noch den strahlenden Sonnenschein. Ich ließ mich in der hintersten Ecke der obersten Tribünenreihe nieder. Hier saß ich gerne bei solchen Veranstaltungen. Zum einen war die letzte Reihe immer nur spärlich besetzt – jeder wollte nah am Gesehen sein – zum anderen hatte man von hier den besten Überblick. Ich schaltete meinen iPod an und beobachtete das Geschen, bewaffnet mit Notizbuch und Stift. Eine gute Kolumne schreibt sich ja schließlich nicht von allein. Angela kümmerte sich derweil um die Fotos.

In der Mitte auf dem Spielfeld stand Jasper. Ich hatte ihn heute Morgen nur flüchtig begrüßen können. Er mochte erste Schultage fast so sehr wie ich. Zu seinen Aufgaben als amtierender Schulsprecher – die Neuwahlen würden erst kurz vor Weihnachten stattfinden – gehörte es, die Neuzugänge von der Junior High in die Gewohnheiten der Forks High einzuführen. Dies bedeutete für ihn, einen ganzen Tag in der Begleitung von schmachtenden, lauten und pubertierenden Neunklässlern verbringen zu müssen. Mein Cousin war der geduldigste und netteste Mensch, den ich kannte, doch ich wusste, dass diese Situation selbst seine Nerven stark strapazierte. Die Erleichterung stand ihm geradezu ins Gesicht geschrieben, jetzt, da die „Kleinen“ brav auf ihren Plätzen saßen, um die Show zu genießen. Er hatte die Ehre, diese Veranstaltung zu moderieren – ebenfalls eine Pflicht seines Amtes. So, wie er da stand, bewaffnet mit einem Mikrofon, erinnerte er mich an einen Zirkusdirektor in der Manege. Ich konnte mir ein Schmunzeln nicht verkneifen.

Nur langsam füllte sich die Turnhalle mit Leben. Da scheint einmal die Sonne und schon bekommst du die Leute nicht mehr in die Häuser – manchmal war diese Stadt echt verrückt. Dann ging es endlich los.

Die Darbietungen der einzelnen AGs unterschieden sich im Wesentlichen kaum von denen in den vergangenen Jahren und es war schwer, sich darauf zu konzentrieren. Ich fragte mich ernsthaft, ob es unpassend wäre, meine Kopfhörer wieder aufzusetzen – ich hatte sie höflicherweise zum Beginn der Veranstaltung abgenommen. Schon bald hatten meine Notizen rein gar nichts mehr mit den Geschehnissen auf dem Spielfeld zu tun. Eine gute Geschichte schreibt sich schließlich auch nicht von allein.

Erst bei dem Auftritt der Cheerleader zwang ich mich wieder in die Wirklichkeit zurück. Zum einen war die Musik nicht zu überhören, zum anderen wollte ich Jessica Stanleys Show nicht verpassen.

Ich hatte es den ganzen Tag geschafft, ihr erfolgreich aus dem Weg zu gehen. Nicht, dass ich eine Auseinandersetzung mit ihr fürchtete, aber an manchen Tagen war es besser für die eigene Gesundheit, gewissen Menschen nicht zu begegnen. Angela hatte erwähnt, dass Jessica voll und ganz mit drei neuen Schülern beschäftigt gewesen wäre, die sie unbedingt hatte beeindrucken wollen – sie hatten anscheinend Geld und sahen einigermaßen gut aus. Dies bedeutete, dass sie jetzt eine perfekte Vorstellung liefern wollte und das musste ich sehen. Ich wurde nicht enttäuscht.

Im Großen und Ganzen war der Auftritt nicht schlecht. Sie hatten es problemlos geschafft, die Tribüne anzuheizen. Ich sah keine Schrittfehler und keine Stürze – aber auch keine innovativen Neuerungen. Im Enddefekt war es die gleiche Routine wie vor jedem Footballspiel.

Der eigentliche Spaß kam erst danach, mit dem Auftritt der Theater – AG. Auch wenn Rosalie genau die Sorte Mensch verkörperte, die diese ersten Schultage zu einer solchen Farce werden ließen, so musste ich sie doch insgeheim für ihre Darbietung beglückwünschen. Die Attraktivität und Souveränität ihres ganzen Auftretens zeigten Personen wie Jessica Stanley schnell, wo deren Grenzen lagen. Keiner der neuen Schüler konnte jetzt noch daran zweifeln, dass meine Cousine die Königin der Forks High war.

Als ich in das Neidzerfressene Gesicht von Jessica sah, konnte ich ein Grinsen nicht unterdrücken. Ich war mir sicher, dass der Tag für sie nicht so gut verlaufen war, wie sie gehofft hatte und es freute mich. Ich war eigentlich kein schadenfroher Mensch. Das Unglück anderer ließ mich nicht jubilieren. Meine ironischen Kolumnen waren selten böse gemeint, und wenn doch, dann hatte es der Betroffene auch verdient. Außerdem hatte ich festgestellt, dass die manchmal schon sarkastischen Kommentare nicht einmal von jedem Angesprochenen verstanden wurden.

Die Offenheit und Direktheit, mit der Jessica ihre potenziellen Opfer drangsalierte, waren jedoch bösartig und beleidigend. Sie erfreute sich daran, andere in den emotionalen Abgrund zu stürzen. Warum sollte es mich dann nicht zum Schmunzeln bringen, wenn sie einmal Mittelpunkt des Gespötts war.

Ich griff nach meinem Notizbuch und begann damit, das eben Geschehene aufzuschreiben. In Gedanken formulierte ich daraus schon eine treffende Kolumne – eine, die nie veröffentlicht werden würde. Ich hatte durchaus die Macht, Jessica mit nur einem Artikel der Lächerlichkeit preiszugeben und sie zu Grunde zu richten. Doch so eine Reporterin war ich nicht. Für mich allein nahmen diese Zeilen jedoch schon seit Jahren Gestalt an, gut verborgen in meinem Kopf. Nur meine kurzen Notizen hatte ich auf Papier festgehalten.

Das unangenehme Gefühl, beobachtet zu werden, lies mich wieder in der Realität erwachen. Ich spürte die Augen der ganzen Halle auf mir. Ich war so in mich gegangen, dass ich gar nicht mitbekommen hatte, dass Jasper die Schülerzeitung angekündigt hatte.

Ich merkte, wie mir das Blut ins Gesicht schoss. Na Klasse, damit wäre dann Jessicas Fünf-Minuten-Blamage direkt auf mich übergegangen. Okay, kleine Sünden wie Schadenfreude werden also doch sofort bestraft.

Ich stieg die Tribüne herunter und achtete dabei ganz genau auf meine Füße. Es fehlte noch, dass ich vor der versammelten Schule auf die Nase fiel – meine Neigung zu Unfällen jeglicher Art war den meisten eh schon bekannt.

Die Vorstellung der „RainGazette“ hielt ich so kurz wie möglich – eine Präsentation sparte ich mir. Wer Lust hatte, bei uns mitzuarbeiten, würde dies auch ohne große Werbung tun. Ich konnte nur hoffen, dass meine letzten Worte fies genug waren, um eventuelle Möchtegernreporter davon abzuhalten, uns ihre Gegenwart zu bescheren. Letztes Jahr hatten wir einen Interessenten, der noch nicht einmal seinen eigenen Namen richtig schreiben konnte – zumindest kam es mir so vor. Wir hatten ganze zwei Monate gebraucht, um ihn davon zu überzeugen, dass er für den Kunstkurs weit besser geeignet sei – Angela hatte zum Glück durch Zufall mitbekommen, dass er ein talentierter Bildhauer war.

Als ich meine kleine Ansprache beendet hatte, war es still – extrem still. Okay, ich hatte vielleicht doch ein wenig übertrieben. Ich spürte den missbilligenden Blick meines Cousins im Nacken – er würde wohl nie aufhören, den großen Bruder zu spielen. Ändern oder zurücknehmen konnte ich das Gesagte eh nicht mehr.

Die Schülerzeitung war die letzte AG gewesen, die sich vorstellen musste. Nachdem die versammelte Menge den Schock über meine verbale Attacke – man konnte es aber auch wirklich übertreiben – verdaut hatte, wurde es unruhig auf den Rängen. Ich verabschiedete mich von Jasper und Rosalie und winkte Angela zu, die mit Ben Cheney in einer der hinteren Ecken stand. Dann verließ ich die Turnhalle.

Ich wollte endlich diesem ganzen Zirkus entfliehen und nach Hause fahren. Was ich jetzt dringend brauchte, war etwas Ruhe. Ein erholsamer Spaziergang und die Welt würde schon wieder freundlicher aussehen.

Ich stieg in meinen Van, knallte meine Tasche auf den Beifahrersitz und startete den Motor, der mich auch gleich laut röhrend begrüßte. Langsam fuhr ich los. Dass ich in der Nähe der Sporthalle geparkt hatte, machte die Sache mit dem schnellen Entkommen nicht gerade einfacher. Es war beinahe unmöglich, sich unfallfrei durch die herausströmenden Schülermassen zu manövrieren. Ständig musste man stoppen, um nicht einen von ihnen als neue Kühlerfigur aufzugabeln. Ich atmete auf, als ich dieses Hindernis endlich im Rücken hatte und gab noch auf dem Parkplatz voll Gas.

Plötzlich, wie aus dem Nichts, lief mir eine Katze direkt vors Auto. Zum Bremsen war es bereits zu spät – da hätte ich das verschreckte Tier voll erwischt – also blieb nur noch ausweichen. Im nächsten Moment spürte ich einen Aufprall und mein Kopf knallte auf das Lenkrad. Da mein Auto so schnell beschleunigte wie eine Schildkröte, hatte ich höchstens zehn Meilen pro Stunde drauf gehabt. Trotzdem war die Wucht enorm gewesen.

Ich spürte ein Ziehen und einen stumpfen Schmerz an meiner linken Stirnseite. Als ich meine Hand hob und gegen meinen Kopf presste, fühlte ich die Wärme und Feuchtigkeit von frischem Blut. Na toll, wieder eine Platzwunde. Ich krallte mir das alte Basecape von meinem Vater, welches auf dem Rücksitz lag – keine Ahnung, wie es dahin gekommen war – und setzte es auf. Dann nahm ich ein paar Tempotaschentücher aus meiner Tasche und stopfte sie unter meine Kopfbedeckung auf meine Verletzung. Dieser provisorische Druckverband musste erst einmal halten.

Benommen stieg ich aus, um den Schaden zu begutachten. Der Mund blieb mir offen stehen. Dies war wirklich nicht mein Tag. Auf einem Parkplatz voller Schrottkarren musste ich natürlich ein Auto rammen, an dem sogar der Kratzer von einem Fingernagel aufgefallen wäre. Zum Glück war es nicht Rosalies geliebtes Cabrio – sie hätte mich glatt einen Kopf kürzer gemacht.

Ich hatte diesen silbernen Volvo vorher noch nie gesehen. Ich überlegte kurz, mir fiel aber keiner von meinen Mitschülern ein, der sich einen solchen Schlitten neu gekauft haben könnte. Er gehörte somit vermutlich einem der Neuen. Also, wenn eine Schramme im Wagen nicht ein passendes Begrüßungsgeschenk war!

Ich bemerkte, dass sich hinter meinen Auto eine Schlange wartender Fahrer gebildet hatte. Ohne lange darüber nachzudenken, stieg ich wieder ein und fuhr ihn in eine freie Lücke ein paar Meter weiter. Die Schaulustigen versuchte ich, nicht zu beachten. Mein Vater würde mich schon nicht verhaften, weil ich mich vom Unfallort entfernt hatte – ich sorgte schließlich nur dafür, dass es keinen Stau gab.

Ich stieg wieder aus und betrachtete den Schaden erneut. Den rechten Scheinwerfer und das darunter liegende Blinklicht hatte es erwischt. Die mussten ersetzt werden. Sonst sah mein Van nicht wesentlich schlimmer aus als vorher. Der Lack war etwas ab und die Stoßstange hatte eine Delle mehr. Alles in allem keine große Sache. Selbst die Materialkosten würden sich in Grenzen halten. Blieb also nur der Schaden an dem Volvo.

Ich ging um meinen Wagen herum, um zum Unfallort zurückzukehren und … erstarrte. Dort, wo vor einer Minute noch mein Auto gestanden hatte, verweilten nun fünf Personen – die gaffende Meute um sie herum zählte ich einfach nicht mit. Zwei von ihnen kannte ich nur zu gut – Jessica Stanley und ihre beste Freundin Lauren Mallory, beide mit einem hämischen Grinsen auf den Lippen. Bei ihnen befanden sich drei mir fremde Schüler, wahrscheinlich die Neuen von denen Angela mir erzählt hatte.

Ich musste heute wirklich sehr geistesabwesend gewesen sein, denn keiner von ihnen war mir in den vergangenen Stunden aufgefallen – und das war eigentlich unmöglich.

Abgesehen von der eleganten und mit Sicherheit teuren Kleidung, die sie trugen – und die Tante Liz die Freudentränen in die Augen getrieben hätte – waren ihr Aussehen und ihre ganze Haltung so hervorstechend, dass nur noch die Hales ihnen an dieser Schule Konkurrenz machen konnten.

Der größte und wahrscheinlich älteste von ihnen war ein Riese – ein Muskelbepackter Riese. Für einen kurzen Moment wünschte ich mir, dass ich doch gegen Rosalies Auto gefahren wäre, denn dieser Gigant hier würde garantiert Hackfleisch aus mir machen, wenn er wütend auf mich wurde. Doch dann blickte ich in sein rundes Gesicht und atmete innerlich auf. Er sah aus, als müsste er sich ein Grinsen verkneifen und seine grünbraunen Augen funkelten belustigt auf. Mit den dunkelbraunen Locken, die seinen Kopf umrandeten und der braungebrannten Haut wirkte er auf den zweiten Blick eher wie ein Teddy als wie ein Furchterregender Grizzlybär.

Direkt neben ihm stand eine Elfe – anders konnte man es nicht sagen. Sie war klein – sie reichte dem Riese nur bis zur Brust – blass und sehr dünn. Ich fragte mich ehrlich, ob sie dem armen Kind nicht genug zu Essen gaben – nur, um sich die Klamotten und das Auto leisten zu können. Ihr zartes, herzförmiges Gesicht wurde von tiefschwarzen Haaren umrandet, die sie zu einem dieser modernen Bobschnitte trug. In ihren großen, grauen Augen konnte ich Sorge und Mitgefühl erkennen und dieser Blick galt dem Jungen neben ihr, in dessen Arm sie sich eingehakt hatte. Ich vermutete, dass dies der Besitzer des Volvo war.

Er war mindestens zehn Zentimeter kleiner als der Riese, wahrscheinlich so groß wie Jasper und ähnlich gebaut, obwohl das ohne einen direkten Vergleich nicht genau zu sagen war. Vielleicht war er auch etwas drahtiger, dies war durch die Jacke aber schwer einzuschätzen. Sein Gesicht war eckig, mit markanten Wangenknochen und einer geraden Nase. Es wurde von einer bronzefarbenen, dichten Haarpracht umgeben, die leicht zerzaust bis in den Nacken fiel. Für eine Sekunde dachte ich wirklich darüber nach, ob er sich einfach nicht gekämmt hatte oder ob er sich diesen Look mit Absicht verpasste. Seine Augen und sein Mund waren zu schmalen Linien verzogen und deshalb nicht deutlich zu erkennen, aber ich vermutete, dass sie ebenso perfekt in sein fast schon blasses Antlitz passten.

Ja, perfekt war das richtige Wort. Er erinnerte mich – mit Ausnahme seiner Frisur – an eine dieser griechischen oder römischen Götterstatuen, deren symmetrische Züge bis in alle Ewigkeit in Marmor gemeißelt waren. Eigentlich schade, eine kleine Unebenheit hier und da hätte seiner Schönheit wirklich gut getan. Ich mochte keine Perfektion.

Nun gut, ich hatte die Neuen lange genug angestarrt – was nur möglich war, da sich alle Welt auf den leicht demolierten Volvo zu konzentrieren schien. Mit festem Schritt ging ich zu dem augenscheinlichen Besitzer meines Unfallpartners und stellte mich vor ihm. Ich wollte ihm in die Augen sehen, wenn ich mich entschuldigte.

„Hi, es tut mir leid, ich meine das mit deinem Auto. Ich wollte ihn nicht rammen, ehrlich, aber es war auch nicht nur meine Schuld, ich musste…“

Weiter kam ich nicht, denn ein hasserfülltes Paar dunkelgrüner Augen sah mich direkt an. Mir stockte der Atem und ich musste schlucken. Nie hätte ich gedacht, dass er so wütend sein könnte. Ich fühlte mich, als hätte ich ein Schwerverbrechen begangen. Man, es war doch nur ein Auto! Ich hatte niemanden verletzt – na ja außer mir selbst und das war nichts Neues.

„Wessen Schuld war es denn dann?“

Sein Flüstern war wie Samt – wie schwarzer, gefährlicher und überaus tödlicher Samt. Ein kalter Schauer lief mir über den Rücken. Sein Blick war ja schon mörderisch, aber in Kombination mit dieser Stimme konnte er einem wirklich Angst machen. Ich war geschockt.

„Na, was ist, hat es dir die Sprache verschlagen? Wieso war es denn nicht dein Fehler?“

Ich konnte immer noch nicht antworten. Der Klang seiner Worte ließ deutlich erkennen, dass er voll und ganz von meiner alleinigen Schuld überzeugt war. Er war an einer Erklärung überhaupt nicht interessiert. Aus diesem Grund war es auch er, der erneut zu Sprechen begann:

„Ich nehme an, es liegt einfach nur daran, dass man den Kindern in dieser Stadt das Fahren nicht richtig beibringt. Man muss sich die Karren auf dem Parkplatz ja nur einmal ansehen, um zu wissen, das solche Unfälle auf der Tagesordnung stehen.“

Während er dies von sich gegeben hatte, war seine Stimme kaum lauter geworden. Es war jedoch so still um uns herum gewesen, dass jeder verstanden hatte, was er gesagt hatte. Ein Murmeln erhob sich unter den Schaulustigen. Also Freunde hatte er sich mit seinen Worten gerade nicht gemacht.

Aus den Augenwinkeln konnte ich sehen, wie das Grinsen auf Jessicas und Laurens Gesicht immer breiter wurde. Die beiden bemerkten nicht einmal, dass er sie gerade ebenfalls beleidigt hatte. Gleichzeitig verzogen sich die Gesichter des Riesen und der Elfe zu einem ungläubigen Staunen. Anscheinend reagierte seine Göttlichkeit – was für ein überaus passender Schimpfname – normalerweise nicht so. Diese Erkenntnis weckte mich aus meiner Starre. Was dachte er eigentlich, wer er war. Hielt er sich für so überlegen in unserer kleinen Stadt oder hatte er sich einfach nur vorgenommen, mich persönlich fertig zu machen. Ich spürte, wie mir vor Wut die Röte ins Gesicht stieg. Trotzdem bemühte ich mich, ruhig zu sprechen, als ich ihm endlich antwortete. Er sollte den Sarkasmus in meiner Stimme bei jedem Wort hören.

„Du hast ja so Recht! Wir in Forks können einfach nicht Auto fahren. Es war extrem mutig von dir, dein glänzendes Silberstück auf unseren Schulparkplatz abzustellen. Ehrlich gesagt, ist es ein Wunder, dass dein Wagen nicht schon viel früher eine Beule abbekommen hat. Ich meine, die Prädikate 'Neu' und 'Teuer' prädestinieren ihn ja geradezu als Zielscheibe für unsere Fahrversuche. Ich entschuldige mich aufrichtig dafür, dass ich dir mit meiner hinterwäldlerischen Dummheit und Rücksichtslosigkeit den Tag verdorben habe. Verzeihst du mir, bitte?“

Ich schenkte ihm mein süßestes Lächeln – so falsch und aufgesetzt, dass es schon wehtat. Nun war er es, der erstmal sprachlos war. Die Wut in seinen Augen ebbte etwas ab und machte einem erstaunten Ausdruck platz. Mit solchen Widerworten hatte er anscheinend nicht gerechnet. Er hatte doch nicht etwa geglaubt, ich würde schluchzend und flehend vor ihm auf die Knie sinken? Nein, so von sich eingenommen konnte noch nicht mal seine Göttlichkeit sein.

Eine Weile standen wir nur da und funkelten uns gegenseitig an, eine eigenartige Spannung lag zwischen uns. Nur undeutlich vernahm ich neben ihm ein unterdrücktes Kichern. Ich unterbrach unseren Augenkontakt und schaute auf. Der Riese grinste über beide Ohren und gab sich Mühe, nicht in Lachen auszubrechen. Jetzt bekam er den wütenden Blick seiner Göttlichkeit zu spüren.

„Emmett!“, zischte mein Gegenüber drohend durch die Zähne, doch der Angesprochene prustete nun doch noch los und mit ihm viele der Umstehenden. Er sagte:

„Tut mir leid Ed, aber die Kleine hat dir gerade ganz schön den Kopf gewaschen.“

Seine Worte waren durch sein Lachen kaum zu verstehen, als er weiter sprach:

„Ich meine, du regst dich doch sonst nicht so über Kleinigkeiten auf.“

„Kleinigkeiten? Sieh dir doch mal mein Auto an!“

Ed – was für ein blöder Name, ich hatte plötzlich das Bild eines sprechenden Pferdes im Kopf – deutete bei seinen Worten auf den demolierten Volvo. Sein Gesprächspartner antwortete Schultern zuckend:

„Ich sehe eine kaputte Stoßstange und einen Lackschaden – alles nicht der Rede wert. Das ist schnell wieder repariert. Dafür musst du der Kleinen wirklich nicht den Kopf abreißen.“

Bei dem letzten Satz wandte sich seine Göttlichkeit wieder mir zu – mit erneuter Wut in seinem Blick. Was war denn nun schon wieder. Ich hatte den Riesen, also Emmett, nicht gebeten, mich zu verteidigen. Meiner Meinung nach war das Wort „Kleine“ viel zu oft in seinen Ausführungen vorgekommen – als wäre ich ein Püppchen, was beschützt werden musste. Außerdem spürte ich den besorgten Blick der Elfe auf mir. Sie hatte anscheinend Angst, dass jede meiner Bewegungen die letzte sein könnte, bevor ich von ihrem Begleiter in der Luft zerrissen wurde. Diese Neuen gingen mir langsam aber sicher auf die Nerven und meine Wut brach nun endgültig durch.

„Was, waren sein Lachanfall und das, was er gesagt hat etwa meine Schuld? Fühlst du dich vielleicht wohler, wenn ich das auch auf meine Kappe nehme. Okay, kein Problem! Und wenn wir gerade dabei sind, es gibt bestimmt noch ein paar Kriege und Umweltkatastrophen, für die sich noch kein Verantwortlicher gefunden hat.“

Meine Stimme war mit jedem Wort lauter geworden und mein Kopf glühte. Mittlerweile mussten wir ein Schauspiel für die ganze Schule bieten. Auch seine Göttlichkeit wurde langsam rot im Gesicht und sein Atem beschleunigte sich. Das war nicht mehr die kontrollierte, mörderische Wut vom Anfang. Nein, er war kurz davor zu Explodieren. Irgendwie gefiel mir das. Seine Perfektion bekam erste Risse.

„Ich glaube nicht, dass du in der Situation bist, Witze zu reisen. Immerhin hast du mein Auto zu Schrott gefahren.“

Na sieh mal einer an, die Samtstimme konnte ja auch lauter werden.

„Schrott?“, mein Schreien überschlug sich fast vor Hohn, „Ich habe Wagen bei Autohändlern gesehen, die mehr nach Schrott aussahen als dein Volvo.“

„Nun, da solltest du vielleicht mal den Autohändler wechseln.“

Er blickte kurz auf und sah in die Richtung, in der mein Van stand. Dann sprach er weiter, in einem überheblich-mitleidigen Ton:

„Obwohl, wenn dieses Ungetüm dort drüben deins ist, dann wundert mich gar nichts mehr.“

Das war zu viel. Klar, mein Auto war so alt wie mein Vater, aber das war noch lange kein Grund, ihn fertig zu machen. Er war Dads Geschenk zu meinem 16. Geburtstag gewesen. Es hatte viel Geld gekostet, die nötigen Ersatzteile zu besorgen und Jake hatte etliche Nachmittage an ihm herumgebastelt, bevor er wieder problemlos lief.

Dieser arrogante, reiche Schnösel.

„Jetzt hör mir mal zu, du aufgeblasener Lackaffe", schrie ich ihn an. Tränen der Wut brannten in meinen Augen. "Du denkst wohl, du kannst dir alles erlauben? Für wen … ?“

„Was ist denn hier los?“

Gleichzeitig drehten wir unsere Köpfe in die Richtung, aus der die Worte gekommen waren. Rektor Green und einige andere Lehrer standen einige Meter von uns entfernt. Unsere Auseinandersetzung hatte sich ja schnell herumgesprochen. Obwohl, wenn ich es mir Recht überlegte, konnte ich nicht genau sagen, wie viel Zeit seit meinem Unfall vergangen war.

„Es gab einen schlimmen Unfall, Direktor. Isabella Swan hat das Auto von Edward Cullen, einem neuen Mitschüler, gerammt – ohne ersichtlichen Grund. Ich habe alles gesehen.“

Lauren hatte also alles gesehen. Jetzt wurde mir auch klar, wie Jessica und ihre neuen Freunde so schnell hier sein konnten. Rektor Green wandte sich mit überraschtem Blick an mich.

„Ist das wahr, Ms. Swan?“, fragte er mit ungläubiger Stimme.

Ich atmete tief durch, bevor ich antwortete. Ich musste meinen Puls wieder auf eine normale Schlagfrequenz bringen und meine Gedanken sortieren.

„Ja, das ist wahr, aber es war nicht grundlos.“ – ich betonte das letzte Wort extra – „Mir ist eine Katze vor die Räder gelaufen. Ich hatte nur die Wahl, sie zu überfahren oder auszuweichen. Ich entschied mich für letzteres. Leider konnte ich danach nicht mehr schnell genug bremsen und so wurde mein Transporter von dem Volvo gestoppt.“

Mit festem Blick sah ich die Lehrer an. Sie mussten doch hören, dass ich die Wahrheit sagte. Der Tag war schon schlimm genug, auch ohne dass die halbe Schule annahm, ich würde absichtlich in anderer Leute Autos fahren. Neben mir vernahm ich einen tiefen Atemzug. Hatte seine Göttlichkeit etwa während meiner Aussage vergessen, Luft zu holen? Nein, ich musste mich verhört haben.

„Also ich habe keine Katze gesehen! Vielleicht hast du sie dir ja nur eingebildet.“

Ich fragte mich ernsthaft, ob Lauren irgendjemand vermissen würde, wenn ich ihr jetzt den Hals umdrehen würde. Böse funkelte ich sie an. Aus den Augenwinkeln bemerkte ich, dass mich seine Göttlichkeit, besser gesagt Edward, Stirn runzelnd musterte. Erst ließ er mich die Situation nicht erklären und jetzt zweifelte er anscheinend an meinen Worten. Ich würde wohl zwei Leuten den Hals umdrehen müssen.

„Also, ich habe die Katze gesehen.“

Ich sah in die Richtung, aus der das Gesagte kam. Mike Newton war aus der Schülermenge herausgetreten und strahlte den Direktor mit einem Ausdruck an, der tiefste Ehrlichkeit verhieß. So ein Schauspieler – ich war mir sicher, dass er während meines Unfalls noch mit den anderen Sportlern in der Umkleide gewesen war. Rektor Green schien ihm jedoch zweifelsfrei zu glauben. Manchmal hatte ein hartnäckiger Verehrer auch seinen Vorteil. Als dann noch einige andere Mikes Worten zustimmten, nickte der Schulleiter beruhigt in die Runde, bevor er mit Edward und mir sprach:

„Nun, wie ich sehe, hat es keine Verletzten gegeben.“ – zumindest keine, von denen er wusste – „Den Sachschaden solltet ihr zwei unter euch klären oder dies besser euren Eltern überlassen.“

Dann wandte er sich wieder an die gaffende Menge.

„So Herrschaften, die Vorstellung ist vorbei. Alle ab nach Hause, genießt den letzten, freien Nachmittag. Morgen beginnt wieder der Ernst des Lebens.“

Langsam verzogen sich die Schülermassen – wobei die Lehrer kräftig nachhelfen mussten – bis nur noch sieben Leute dastanden. Ja, sieben! Mike ließ es sich nicht nehmen, uns jetzt ebenfalls Gesellschaft zu leisten. Er grinste mich an. Okay, ein hartnäckiger Verehrer nervt doch. Wann würde er endlich aufhören, mich wie das Spielzeug zu behandeln, welches er nicht haben konnte. Nun spürte ich zu allem Überfluss auch noch Jessicas tödlichen Blick auf mir. Als wenn ich jemals etwas von Mike gewollt hätte.

Mein Schädel dröhnte. Ich senkte den Blick, schloss die Augen und legte mir meine Finger an die Schläfen. Als ich meinen Kopf berührte, spürte ich einen stechenden Schmerz. Mist, die Platzwunde hatte ich ganz vergessen. Ich befürchtete, dass die beginnenden Kopfschmerzen nicht nur mit dem nervenaufreibenden Streit zu tun hatten. Eigentlich müsste ich ins Krankenhaus, um mich endlich nähen zu lassen, doch ich wollte jetzt auf keinen Fall Schwäche zeigen.

Keiner sagte etwas. Ein unruhiges Schweigen lag in der Luft. Ich wusste, dass alle mich ansahen. Plötzlich legte sich ein Arm um meine Schulter.

„Bella, ist alles in Ordnung? Ich habe gerade erst erfahren, was passiert ist. Bist du verletzt?“

Ich schaute auf. Jasper stand direkt neben mir und sah mich mit besorgtem Blick an. Aus dem Augenwinkel konnte ich hinter ihm Rosalie erkennen. Sie betrachtete mich kurz und ich erkannte auch in ihrem Blick eine Spur von Sorge. Dann wandte sie sich ab.

Ich wollte gerade antworten, als ich die Sirene eines Streifenwagens hörte.

Das durfte jetzt nicht wahr sein.

„Jasper, hast du meinen Dad angerufen?“

Panik lag in meiner Stimme. Mein Cousin schüttelte verwundert den Kopf.

„Nein, das war ich. Immerhin hast du dich vom Unfallort entfernt. Ein typischer Fall von Fahrerflucht. Da musste doch jemand den Chief anrufen.“

Ein honigsüßes Lächeln breitete sich auf Laurens Gesicht aus, während sie sprach. Jetzt war sie wirklich tot. Doch noch bevor ich etwas sagen oder ihr die Augen auskratzen konnte, erhob Jasper das Wort.

„Lauren, Jessica, Mike, ich glaube, ihr könnt jetzt gehen. Falls Charlie, ich meine Chief Swan, eure Zeugenaussagen braucht, kann er euch ja anrufen Ich denke aber nicht, dass das nötig sein wird.“

Dafür erntete er beleidigte Blicke. Nur widerwillig setzten sich die Angesprochenen in Bewegung. Ich schenkte meinem Cousin ein dankbares Lächeln – drei Schwierigkeiten weniger. Doch diese Erkenntnis lenkte mich nicht wirklich von dem großen Problem ab, welches gerade aus seinem Dienstwagen stieg.

„Bells, ist alles in Ordnung? Bist du verletzt? Was ist hier passiert?“

Mein Vater trat an mich heran, schob seinen Neffen zur Seite und legte seinen Arm um mich. Seine Augen strotzten nur so vor Sorge und Panik. Als mich Jasper gerade das gleiche gefragt hatte, wirkten seine Worte deutlich beruhigender auf mich.

„Ja, Dad, es ist alles in Ordnung! Ich lebe noch, wie du siehst. Ich hatte einen kleinen Unfall, das ist doch nichts Neues. Eine Katze ist mir vor das Auto gelaufen und ich musste ausweichen, mehr war da nicht. Mein Van steht und fährt noch. Ich fürchte, der einzige, der diesen Tag nicht überstehen wird, ist der Volvo.“

Die letzten Worte konnte ich mir einfach nicht verkneifen. Mit einer Geste lenkte ich Charlies ungläubigen Blick auf das Auto hinter mir. Der verärgerte Seitenblick seiner Göttlichkeit entging mir dabei nicht – verärgert, nicht mörderisch. Anscheinend war seine Wut genauso verraucht wie meine. Ich schaute in die anderen Gesichter. Emmett grinste immer noch, doch ich hatte das Gefühl, dass dieses Grinsen nichts mehr mit der Situation zu tun hatte, in der wir uns befanden. Er starrte Rosalie unentwegt an. Ihr Tanz heute Nachmittag hatte seine Wirkung also nicht verfehlt.

Die Elfe lächelte mich entschuldigend und ein wenig scheu an. Sie machte sich doch nicht etwa Vorwürfe wegen dem, was passiert war? Jaspers Blick war noch etwas sorgenvoll, aber vor allem neugierig. Er brannte darauf, die ganze Geschichte von mir zu erfahren. Doch am meisten verwirrte mich Rosalie. Sie sah mir erst wissend in die Augen, bevor sie aufschaute, mein Basecape betrachtete und sagte:

„Bella, wieso trägst du eigentlich diese dämliche Kappe? Ich meine, du siehst heute wieder mal völlig daneben aus, aber dies ist ja sogar für deinen Geschmack etwas zu schräg.“

Mist, sie wusste, dass ich etwas verberge. Warum kamen ihr immer in den unmöglichsten Situationen ihre Geistesblitze. Ich hatte keine Wahl. Entweder ich würde die Katze aus dem Sack lassen oder sie würde es tun. Letzteres wäre jedoch mehr als peinlich – vor allem jetzt, wo mein Vater da war. Es reichte, wenn einer mich wie ein kleines Kind behandelte.

Vorsichtig nahm ich meine Kopfbedeckung ab. Ich hörte Jaspers Aufstöhnen, als meine Stirn freigelegt wurde. Die anderen sahen mich entgeistert an – ohne Ausnahme. Die Taschentücher waren rot getränkt, doch die Wunde hatte zum Glück aufgehört zu bluten.

„Ich bin mit dem Kopf aufs Lenkrad geknallt, aber es ist nicht so schlimm, wie es aussieht.“

Mein Vater funkelte mich böse an.

„Das entscheide immer noch ich, junge Dame! Ich fahre dich sofort ins Krankenhaus. Rosalie, Jasper, würdet ihr dafür sorgen, dass der Van nach Hause kommt!“

Ich sah beide nicken. Sie wussten genauso wie ich, dass Charlie sauer war. Widerspruch war in einer solchen Situation zwecklos. Dann wandte sich mein Vater an Edward.

„Wegen dem Schaden soll dein Vater mich anrufen. Er kann mich auf dem Revier erreichen – einfach nach Chief Swan fragen.“

Seine Göttlichkeit nickte leicht mit dem Kopf, erwiderte aber noch etwas:

„Unser Vater arbeitet im Krankenhaus, vielleicht sehen sie ihn ja dort, wenn sie jetzt hinfahren. Sein Name ist Carlisle Cullen. Er ist der neue Chefarzt.“

Seine Stimme war ruhig und freundlich. Sie erinnerte mich immer noch an Samt, doch es lag nichts mehr Bedrohliches darin. Er konnte also auch normal sprechen.

Die Tatsache, dass die Drei mit dem Neuzugang im Forks Memorial verwandt waren, ließ mich aufhorchen. Die ganze Stadt sprach seit Wochen von nichts anderem mehr als von dem Doktor aus Chicago, der mit seiner Familie in unser beschauliches Forks ziehen würde. Wieso war mir die Idee, sie könnten seine Kinder sein, nicht schon eher gekommen? Mein Kopf war heute eindeutig zu nichts zu gebrauchen – mit Ausnahme von Streitgesprächen.

Charlies Worte rissen mich wieder aus meinen Gedanken.

„Ich hoffe, meine Tochter hat nur einen Witz gemacht und der Volvo fährt noch. Wenn doch nicht, könnte euch Rosalie bestimmt mitnehmen.“

Ja, das würde Emmett gefallen – der Hoffnungsschimmer in seinen Augen war nicht zu übersehen. Vielleicht sollte ich ihn warnen. An meiner Cousine hatte sich schon so mancher die Zähne ausgebissen – ihre kalte Schulter ihm gegenüber war deutlich genug. Moment Mal, was dachte ich denn da. Es konnte mir doch egal sein, ob er sich die Finger verbrannte. Das lag bestimmt nur daran, weil er mich vorhin verteidigt hatte.

„Nein, das wird schon gehen", antwortete Edward meinem Vater. "Er springt sicherlich an. Trotzdem danke!“

Mit einem letzten Blick auf mich ging seine Göttlichkeit zu seinem Wagen und stieg ein. Die immer schlimmer werdenden Kopfschmerzen brachten mich jetzt völlig durcheinander, denn ich hätte schwören können, so etwas wie Schuldgefühle in seinen Augen erkannt zu haben. Ich musste wirklich dringend ins Krankenhaus.

Charlie führte mich zu seinem Streifenwagen. Dort stand bereits Jasper und legte meine Schultasche auf die Rückbank. Er musste sie aus meinem Van geholt haben. Ich wollte gerade einsteigen, als ich schnelle Schritte hinter mir hörte. Ich drehte mich um. Vor mir stand die Elfe, immer noch ein scheues Lächeln auf den Lippen.

„Hi, ich wollte mich für das Benehmen meines Bruders entschuldigen. Normalerweise ist er nicht so – überhaupt nicht. Der ganze Tag hat ihm jedoch so zugesetzt, da war die kaputte Stoßstange nur der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Bitte, sei uns nicht böse!“

Ich sah sie verwirrt an. Ich fuhr gegen sein Auto, er reagierte wie ein Berserker und sie bat mich um Vergebung. Diese Familie war eindeutig verdreht. Wenn sich einer für seinen Ausbruch entschuldigen sollte, dann ihr Bruder selbst.

„Ist schon gut, du brauchst mich nicht um Verzeihung bitten!“

Das „du“ betonte ich besonders. Vom Wageninneren hörte ich ein Räuspern. Mein Vater wurde ungeduldig. Mit einem Nicken Richtung Auto sagte ich Lebewohl:

„Ich muss dann los. Tschüß!“

„Ja, Tschüß. Ich hoffe, man sieht sich. … Übrigens, ich bin Alice.“

Und schon war sie verschwunden. Ich winkte Jasper – er hatte der Elfe ebenso verwirrt hinterher geblickt wie ich – zum Abschied zu und setzte mich ins Fahrzeug. Charlie fuhr los. Verstohlen schielte ich ihn von der Seite an.

„Dad, kannst du mir einen Gefallen tun und die Sirene ausmachen. Ich blute ja nicht mehr. Es reicht also, wenn wir in normaler Geschwindigkeit im Krankenhaus ankommen.“

Mein Vater sah mich sauer an, stellte das Signal aber ab. Er wusste, wie sehr ich solche Aufmerksamkeit verabscheute.

„Wieso hast du dich nicht gleich zum Arzt bringen lassen.“

Diese Frage musste ja kommen, deshalb hatte ich mir auch schon eine halbwegs passende Antwort zu Recht gelegt.

„Ich wollte mir den Schaden begutachten und habe deshalb diesen provisorischen Verband angelegt. Außerdem verursachte mein Van einen Stau und ich musste ihn erst einmal wegfahren. Als dann immer mehr Leute kamen und wissen wollten, was passiert war, habe ich die Verletzung irgendwie vergessen. Erst als Rosalie nach dem Basecape fragte, fiel es mir wieder ein.“

Dass ich durch meinen Streit mit Edward abgelenkt war, erwähnte ich lieber nicht. Ich wollte nicht, dass Charlie sich gleich am ersten Tag mit dieser neuen Familie in Forks verkrachte. Er nuschelte etwas in seinen Bart, was nach „Typisch“ klang, sagte aber nichts weiter. Ich musste über seine Bemerkung lächeln. Wie Recht er hatte. Ich war nun mal nicht so empfindlich oder wehleidig wie andere Mädchen. Bei meiner Neigung zu Unfällen jeglicher Art wäre das ja zu einer Lebensaufgabe geworden.

Plötzlich wurde die Stille vom Klingelton meines Handys unterbrochen. Ich drehte mich auf meinen Sitz um und krallte mir meine Tasche von der Rückbank. Das Gitter, welches den hinteren Teil des Polizeiautos von der Fahrerkabine abtrennen und solche Aktivitäten eigentlich verhindern sollte, war schon seit Monaten kaputt.

Mein Vater und der Hilfssheriff hatten einen neuen Schreibtisch für das Revier transportiert. Auf dem Heimweg hatten sie scharf bremsen müssen. Dabei war das Möbelstück gerutscht gekommen und hatte die Absperrung so zerdellt, dass diese zwischen den Vordersitzen hatte herausgeschnitten werden müssen. Eigentlich sollte so etwas ja repariert werden, aber Bürgermeister Stanley weigerte sich, dies zu bezahlen – es war ja nicht während des Dienstes kaputt gegangen. Zum Glück waren die einzigen Gäste in diesem Wagen Besoffene und randalierende Jugendliche. Echte Verbrecher hätte man hier nicht chauffieren dürfen.

Als ich das Telefon endlich gefunden hatte, war es schon wieder verstummt. Ich checkte die Anruferliste. Angela hatte versucht, mich zu erreichen. Anscheinend hatte sie in der Zwischenzeit gehört, was vorgefallen war. Ich rief sie zurück.

„Hallo, Bella, wie geht’s dir denn. Ben und ich haben gerade von Jasper erfahren, dass du einen Unfall hattest. Wenn ich das gewusst hätte, wäre ich doch zu dir gekommen. Aber wir sind hinten aus der Turnhalle raus und haben gar nichts mitbekommen. Es tut mir so leid. Kann ich was machen? Soll ich dich besuchen?“

Mit jedem Wort wurde Angelas Sorge deutlicher. Ich musste sie unbedingt beruhigen.

„Ang, es ist alles in Ordnung. Ich habe nur eine kleine Wunde an der Stirn. Mein Dad bringt mich ins Krankenhaus, damit sich das ein Arzt ansehen kann. Keine Angst, ich war schon schlimmer verletzt.“

Charlie ließ ein verärgertes Schnaufen ertönen und ich blickte ihn warnend an. Angela hatte es trotzdem gehört.

„Dir geht’s wirklich gut?“

„Ja, natürlich. Ich erzähle dir dann alles morgen in der Schule. Hab noch einen schönen Abend.“

„Okay, bis morgen. Schlaf gut!“

Ich musste lächeln. Manchmal benahm sich Angela wie eine besorgte Mutter und nicht wie eine Freundin. Ich kannte sie schon seit der Vorschule, aber unsere Freundschaft war nie eine typische Mädchenfreundschaft gewesen. Keine Pyjamapartys, keine tiefgehenden Gespräche, keine Streitigkeiten und Zickereien, keine Shoppingmarathons, keine „Wir kämpfen gemeinsam gegen den Rest der Welt“ – Schwüre. Wir verbrachten in der Schule die meiste Zeit miteinander – soweit das ging, wenn man kaum einen Kurs gleich belegt hatte – lernten zusammen und gingen hin und wieder ins Kino oder auf irgendein Fest. Seit Angela sich dann letzten Winter in Ben verliebte hatte und die beiden ein Paar geworden waren, beschränkten sich unsere gemeinsamen Interessen nur noch auf die Schule und die Redaktion. Mehr hatte ich aber auch nie gewollt und ich hatte auch nichts vermisst. Ich hatte schließlich Jake.

Ich schmiss meine Tasche wieder auf den Rücksitz. Als mein Blick die zerschlissene Decke streifte, die dort lag, fiel mir etwas ein.

„Dad, wo ist eigentlich Elphie?“

„Sie ist noch auf dem Revier. Ich war gerade unterwegs, als Lauren Mallorys Anruf kam und hatte sie nicht bei mir. Wir holen sie ab, wenn ich dich nach Hause fahre.“

„Okay!“

Ich konnte es gar nicht abwarten, endlich nach Hause zu kommen. Ich hasste erste Schultage wirklich.

Ice

Hi,
 

Danke für die Kommentare. Die sind alle so nett. Wäre aber auch über konstruktive Kritik erfreut – also nur keine falsche Scheu.
 

P.S.: An alle, die das zweite Kapitel vor dem 07.08.2009 gelesen haben, hier noch ein Hinweis. Ich musste Bellas Wagen leider umgestalten, da sich der Transporter in späteren Kapiteln als unpraktisch erwiesen hätte – Grund hierfür ist unter anderem die ominöse Elphie.

Also nicht wundern, wenn jetzt plötzlich von Bellas Van die Rede ist. Aber keine Angst, auch dieses Auto gehört zur Marke „Total verrostet - Eigenbau“.
 

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Ice
 

Ein Sonnenstrahl kitzelte meine Nase und weckte mich aus meinen Träumen. Ich reckte mich schnurrend wie eine Katze und öffnete langsam die Augen. Verwirrt blickte mich im Zimmer um. Ich war nicht bei mir zu Hause, soviel stand fest.

Ich lag in einem sehr steril wirkenden Raum mit kahlen, weißen Wänden, auf einem unbequemen Bett mit seitlichen Hochstellgittern. Über meinem Kopf blinkte eine Vielzahl von Lichtern und das gleichmäßige Piepen eines Herzmonitors drang in mein Ohr. Als ich an mir hinab sah, bemerkte ich die Infusionsnadel, die in meiner Armbeuge steckte. Weitere Schläuche und Drähte kamen unter meiner Decke hervor und führten zu den verschiedensten Geräten im Raum. Ohne jeden Zweifel befand ich mich in einem Krankenhaus. Doch wie war ich hierher gekommen?

Ich wollte mich gerade erheben und das Bett verlassen, als ich bemerkte, dass ich festgeschnallt war. Was war hier eigentlich los? Ich versuchte, mich zu befreien, doch je mehr ich an den Riemen zerrte desto mehr zogen sie sich zusammen. Ein ungutes Gefühl machte sich in meiner Magengegend breit. Irgendetwas stimmte hier nicht!

Doch noch bevor ich genauer darüber nachdenken konnte, wurde die Tür geöffnet und ein Mann in einem weißen Kittel trat herein. Seine weißblonden Haare standen im wirr vom Kopf ab und in seinen dunkelblauen Augen spiegelte sich der Wahnsinn. Er erinnerte mich eher an einen verrückten Professor als an einen Arzt.

„Wer sind sie? Wie bin ich hierher gekommen? Warum bin ich festgebunden?“

Wie aus der Pistole geschossen prasselten meine Fragen auf ihn ein. Als Antwort grinste er mich nur diabolisch an. Ich schrie ihn an, dass er mich losbinden solle, doch er beachtete mich nicht weiter. Gelassen notierte er einige Daten von den medizinischen Geräten auf seinem Klemmbrett. Dann ging er wieder hinaus.

Ich bekam Angst. Jetzt war ich mir absolut sicher, dass hier Irgendetwas nicht stimmte. Ich versuchte, mich zu konzentrieren und einen klaren Gedanken zu fassen, doch alles, was ich vernahm war das immer schneller werdende Piepen des Herzmonitors. Panik stieg in mir auf. Mein Atem beschleunigte sich. Wo war ich hier? Was hatte ich gemacht? Wie war ich hier her gekommen? Was zur Hölle hatte ich vergessen?

Eine leise Stimme riss mich aus meinen Gedanken.

„Hab keine Angst, ich helfe dir.“

Ich sah auf und erblickte einen Lichtpunkt, der über meinem Kopf hin- und herschwebte. Bei genauerer Betrachtung erkannte ich darin eine kleine Fee, die mir sorgenvoll zulächelte.

„Ich befreie dich.“

Kaum hatte sie die Worte ausgesprochen, da war sie auch schon verschwunden.

Ich hingegen lag nicht mehr in dem Krankenzimmer, sondern befand mich auf einem Lichtdurchfluteten Forstweg. Vor mir tauchte eine große, frech grinsende Katze aus dem Geäst auf und rannte an mir vorbei. Verwirrt folgte ich ihr. Ich kam mir vor, wie „Alice im Wunderland“, nur das bei mir das Kaninchen und die Grinsekatze zu einer Figur verschmolzen waren. Sie führte mich auf eine Wiese und verschwand dann genauso schnell wie die winzige Fee.

Ich kannte diesen Ort nur zu gut. Es war meine kleine Waldlichtung, auf die ich mich immer zurückzog, wenn ich meine absolute Ruhe haben wollte. Nicht einmal Jake kannte sie. Nur was wollte ich ausgerechnet jetzt hier? Ich sah mich aufmerksam um.

Zwischen den Bäumen erkannte ich einen Schatten – genauer gesagt, eine riesigen Schatten. War das etwa ein Grizzly? So weit weg vom Nationalpark verirrten sie sich normalerweise nie.

Wieder stieg Panik in mir auf. Das Tier trat heraus und kam langsam auf mich zu. Ich wurde starr vor Angst. Was sollte ich tun? Gegen dieses Ungetüm hatte ich doch nicht die geringste Chance! Wie durch einen Nebel voller Erinnerungen kamen mir Billy Blacks Worte in den Sinn:

„Bei einem Bärenangriff am besten hinlegen und tot stellen.“

Ich schmiss mich auf die Erde, schloss die Augen und versuchte, meinen Atem zu beruhigen. Dies war leichter gesagt als getan, denn ich hatte die immer näher kommenden Schritte genau im Ohr.

Dann wurde es auf einmal gespenstig still. Der Boden unter mir fühlte sich merkwürdig hart und kalt an. Ich blinzelte durch meine Lider und bemerkte, dass ich nicht mehr auf einer Wiese lag, sondern auf einer asphaltierten Straße. Ein unnatürliches, silbernes Leuchten umgab mich. Zögernd nahm ich den Kopf hoch.

Vor mir stand kein Bär – doch was ich jetzt dort sah, ließ meinen Herzschlag ebenfalls kurz stocken. Ich erhob mich vorsichtig und ging langsam auf die Davidstatue zu, die sich am anderen Ende des Schulparkplatzes befand. Kurz davor hielt ich an. Ich betrachtete die Marmorgestalt.

Sie sah fast genauso aus wie auf den Fotos, die ich von der Skulptur gesehen hatte. Ich konnte mich aber nicht daran erinnern, dass das Original smaragdgrüne Augen gehabt haben sollte.

Plötzlich bewegte sich der Kopf und ein stechender Blick nahm mich gefangen. Es lag etwas Furchterregendes darin. Ich wusste, ich sollte wegschauen, sollte mich umdrehen und so schnell wie möglich davonrennen, doch ich konnte nicht. Ich war wie verzaubert. Diese Augen strahlten eine Faszination aus, der ich mich nicht entziehen konnte. Mein Herz raste, mein Atem beschleunigte sich, doch Angst verspürte ich keine. Erst langsam, dann immer schneller wurde ich in einen Strudel gezogen und verlor mich darin.
 

Ein schriller Ton ließ mich auffahren.

Ein Traum, es war nur ein Traum gewesen. Manchmal ging meine Fantasie wirklich mit mir durch. Immer noch schlaftrunken griff ich neben mich auf den Nachttisch und tastete nach meinem Telefon. Wieso hatte ich mein Handy und nicht meinen Radiowecker gestellt? Ich öffnete langsam die Augen und sah auf das Display. Leicht verschwommen erkannte ich die Uhrzeit – 6:30 Uhr. Ich erschrak.

Ich hatte doch tatsächlich verschlafen. Wieso hatte Elphie mich nicht schon vor einer halben Stunde geweckt? Ihre innere Uhr funktionierte doch sonst immer. Ich musste noch mit ihr spazieren gehen, bevor sie Charlie mit zur Arbeit nehmen konnte. Ruckartig setzte ich mich in meinem Bett auf – und erstarrte.

Dies war nicht mein Zimmer. Auch wenn die Wände in einem hellen Apricot gestrichen waren und ein Bild von irgendeiner Landschaft an der gegenüberliegenden Wand hing, so war ich eindeutig in einem Krankenhaus – schon wieder! Ich sah an mir herunter, entdeckte aber weder eine Infusion noch sonst irgendwelche Schläuche. Ich war auch an keine Geräte angeschlossen. Ich atmete kurz durch.

Langsam kehrte die Erinnerung zurück.
 

Mein Vater hatte mich gestern ins Krankenhaus gebracht, damit meine Wunde behandelt werden konnte. Nachdem wir das Aufnahmeformular ausgefüllt hatten, mussten wir nicht lange warten. Schon nach ein paar Minuten war der Arzt erschienen. Ich hatte diesen Mediziner noch nie gesehen, obwohl ich fast Jeden im Forks Memorial Hospital kannte – meiner Neigung zu Verletzungen sei Dank.

Der Neue hatte wirklich gut ausgesehen. Weißblonde Haare hatten ein offenes und freundliches Gesicht umrandet, aus dem einen dunkelblaue Augen warm entgegen gestrahlt hatten. Ich war nicht verwundert gewesen, dass sich ungewöhnlich viele Schwestern in seiner Nähe aufgehalten hatten. Ebenso wenig war ich überrascht gewesen, als er sich mit klassisch-britischem Akzent als Dr. Carlise Cullen vorgestellt hatte.

Zuerst hatte er meine Wunde behandelt. Sie hatte glücklicherweise nicht genäht werden müssen – ein wenig medizinischer Kleber hatte genügt. Danach waren einige Untersuchungen gefolgt. Mein Stirn war abgetastet, mein Blutdruck gemessen und meine Pupillenreflexe getestet worden. Letztendlich hatte der Doktor entschieden, dass ich wegen Verdachts auf Gehirnerschütterung und einer möglichen Schockgefahr aufgrund des Flüssigkeitsverlustes über Nacht zur Beobachtung dableiben sollte.

Ich war aus allen Wolken gefallen. Ich hatte mich doch gut gefühlt. Okay, in meinen Kopf hatte es wahnsinnig gedröhnt und mir war schwindelig gewesen, doch das hätte ich auch zu Hause kurieren können.

Ich hatte Charlie angefleht, mich mitzunehmen, doch er war auf Dr. Cullens Seite gewesen. Dieser Judas – er war anscheinend immer noch sauer gewesen, weil ich nicht gleich zu Arzt gegangen war. Ich hatte es nur noch geschafft, den beiden das Versprechen abzunehmen, zur Schule gehen zu dürfen, wenn es mir am Morgen besser gehen würde.

Stark angesäuert hatte ich mich von meinem Vater verabschiedet, meinen Handywecker gestellt – man konnte sich ja nicht darauf verlassen, in diesem Haus voller Verräter pünktlich geweckt zu werden – und mich viel zu früh ins Bett gelegt. Während ich schon am Einschlafen gewesen war, hatte ich den Tag noch einmal Revue passieren lassen und war zu der Erkenntnis gekommen, dass mich die Cullens nervten. Es war immerhin ihre Schuld gewesen, dass ich im Krankenhaus übernachten musste. Ich war mir sicher gewesen, sollte ich Mrs. Cullen eines Tages kennen lernen, würde ich über sie genauso denken.
 

Es war also kein Wunder, dass ich von ihnen geträumt hatte.

Langsam zog ich die Decke weg und stand auf. Ich hatte am Abend einfach nur meine Jeans und das Hemd ausgezogen, bevor ich mich hingelegt hatte. Erst jetzt wurde mir bewusst, dass ich gar keine frische Wäsche bei mir hatte. Ich konnte doch unmöglich mit dem Top, in dem ich geschlafen hatte, zur Schule gehen – so viel zu meinen tollen Plänen.

Ich ging ins Badezimmer, um mich meiner Morgentoilette zu widmen. Danach schlüpfte ich notgedrungen in meine Klamotten von gestern, flocht meine Haare zu einem ordentlichen Zopf und verließ das Zimmer. Ich wollte Dr. Cullen oder einen anderen Arzt so schnell wie möglich finden, vielleicht schaffte ich es dann vor der ersten Stunde noch einmal nach Hause, um mich umzuziehen.

Kaum hatte ich die Tür hinter mir geschlossen, hörte ich die Stimme meines Vaters.

„Bells, wo willst du denn hin? Hat der Arzt gesagt, dass du gehen darfst?“

Ich drehte mich um und sah Charlie an. Da stand er in seiner Uniform, eine Papiertüte unter den Arm geklemmt. Seine schwarzen Haare wirkten zerzaust und seine braunen Augen machten einen müden Eindruck. Da ist man eine Nacht nicht da und schon geht alles den Bach runter! Ich sollte ihn eigentlich bemitleiden, aber er hätte mich ja mit nach Hause nehmen können.

„Morgen, Dad! Ich war gerade dabei, einen Arzt zu suchen, damit ich hier raus kann. … Du siehst fertig aus und leicht durch den Wind. Ist alles in Ordnung?“

Er schüttelte den Kopf.

„Elphie hat mich nicht schlafen lassen. Die halbe Nacht war sie auf der Suche nach dir und ständig hat sie gewinselt. Zu allem Überfluss habe ich es dann auch noch verpennt. Dieser Hund ist einfach zu verwöhnt.“

Ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen, als ich auf seinen Vorwurf einging:

„Elphie ist nicht verwöhnt. Sie war nachts nur noch nie von mir getrennt, dass ist alles. Außerdem hast du dir das selbst zuzuschreiben. Du hast mich ja schließlich hier gelassen.“

„Isabella!“, sagte mein Vater ärgerlich und ich ließ das Thema fallen. Er schaute mich mit einem besorgten Blick an.

„Wie geht es dir? Hast du noch Schmerzen?“

„Nein, mir geht’s gut, ehrlich.“

Das war nicht gelogen. Das Dröhnen in meinem Kopf war verschwunden und auch das Schwindelgefühl war abgeebbt. Ich sah ihm an, dass er noch nicht ganz überzeugt war. Also startete ich eine Ablenkung.

„Was hast du da in der Tüte, Dad?“

„Das sind saubere Sachen für dich, falls du entlassen wirst. Ich dachte mir, dass du vielleicht etwas Frisches anziehen möchtest. Außerdem hab ich dir ein Sandwich zu Frühstück gemacht.“

Ich fiel ihm um den Hals.

„Danke Dad, du bist der Größte.“

„Na, da ist ja jemand gut gelaunt. Ist die schlechte Stimmung von gestern verflogen?“

Dr. Cullen stand direkt hinter uns und grinste uns freundlich an. Ich ließ Charlie wieder los und dieser räusperte sich verlegen – er mochte solche Gefühlsausbrüche in der Öffentlichkeit nicht. Mit einem Lächeln wandte ich mich an den Arzt.

„Das kommt ganz auf ihre Diagnose an, Herr Doktor.“

„Nun gut, dann gehen wir zurück in dein Zimmer und ich werde dich untersuchen?“

Er nahm mich eingehend unter Lupe. Seinem Gesicht konnte ich nicht anmerken, was er dachte. Der Ausdruck darauf war gleich bleibend freundlich und ruhig, egal welche Werte er gerade ermittelte. Während ich ihn so betrachtete, kam mir der Gedanke, dass er keinem seiner Kinder ähnlich sah. Da die drei aber auch untereinander sehr unterschiedlich waren, konnten sie nicht alle nach Mrs. Cullen kommen. Vielleicht hatten sie ja verschiedene Mütter oder waren adoptiert?

Moment Mal, was dachte ich denn da? Ich war doch nicht Jessica Stanley, die jedem Geheimnis gleich auf die Spur kommen musste. Außerdem interessierten mich die Cullens schließlich nicht im Geringsten.

Als er mit seinen Tests fertig war, erneuerte der Arzt noch das Pflaster an meiner Stirn. Dabei sprach er:

„Die Verletzung ist sehr gut verheilt, besser als ich erwartet habe.“

Ich zuckte leicht mit den Schultern.

„Nun ja, wer immer mir diese Neigung zu Ungeschicken in die Wiege gelegt hat, hat auch für eine gute Wundheilung und einen starken Knochenbau gesorgt. Sonst wäre ich hier Dauergast.“

Dr. Cullen lachte leise auf und strahlte mich an.

„Na dann, ich sehe keinen Grund, warum du nicht zur Schule gehen solltest, Isabella, obwohl die meisten anderen über einen freien Tag begeistert wären.“

Jetzt war ich es, die strahlte. Ich durfte hier raus. Euphorisch, wie ich mich in dem Moment fühlte, erwiderte ich wahrheitsgemäß:

„Der Nachmittag war schon peinlich genug, da will ich dem Getratsche lieber gleich die Stirn bieten. Ein weiterer Tag würde dies nur noch verschlimmern. Außerdem ist heute der erste, richtige Schultag. Können sie sich vorstellen, wo ich sitze, wenn morgen alle Plätze verteilt sind?“

Er nickte immer noch schmunzelnd.

„Ja, das kann ich verstehen“, antwortete er, bevor sein Blick wieder ernster wurde. „Ich erinnere dich noch einmal daran, genügend zu trinken – du hast gestern viel Blut verloren. Ich hoffe, wir sehen uns nicht so schnell wieder – zumindest nicht hier.“

Dann wandte er sich an meinen Vater:

„Charlie, ich rufe sie dann an, wenn wir genaueres aus der Werkstatt erfahren haben. Ich wünsche noch einen schönen Tag.“

Mit einem letzten Lächeln in meine Richtung wandte er sich zur Tür und ging hinaus.

Ich ohrfeigte mich innerlich. Die Reparatur des Volvos hatte ich ganz vergessen. Mein Vater musste gestern Abend noch mit Dr. Cullen drüber gesprochen haben. Fragend sah ich ihn an.

„Ich erzähle dir alles, aber du solltest dich dabei umziehen.“

Ich griff nach der Papiertüte und verschwand im Bad. Durch die Tür konnte ich seine Stimme hören.

„Nachdem wir gestern dein Zimmer verlassen hatten, sprachen wir noch über das, was geschehen war. Er wusste durch das Aufnahmeformular ja bereits, dass du einen Unfall hattest. Anscheinend hatte eines seiner Kinder ihn bereits angerufen, denn er war nicht überrascht gewesen, als ich ihm vom Schaden am Auto seines Sohnes erzählte habe. Er hat aber keinerlei Probleme gemacht.“

Ja, im Gegensatz zu seinem Filius. Was mein Vater erzählte, passte zu dem Dr. Cullen, den ich kennen gelernt hatte. Er war wirklich ein sympathischer, freundlicher und aufgeschlossener Mensch. Ich könnte ihm sogar das mit der unfreiwilligen Übernachtung verzeihen. Vielleicht nervten doch nicht alle Cullens.

„Der Wagen ist jetzt in der Werkstatt und unsere Versicherung wird die Kosten übernehmen“ sprach mein Dad weiter. „Der Volvo wird allem Anschein nach keine bleibenden Schäden davon tragen.“

Bei den letzten Worten gluckste er. Er hatte die Spannung also mitbekommen, die gestern auf dem Parkplatz geherrscht hatte. Ich sollte wirklich aufhören, meinen Vater zu unterschätzen.

Ich hörte das Klingeln eines Handys und beeilte mich mit dem Umziehen. Ich wechselte meine Unterwäsche und zog die langärmelige, dunkelgrüne Bluse an, die ich in der Tüte fand. Meine Jeans musste noch mal ran – Charlie hatte mir doch tatsächlich einen Rock eingepackt, obwohl er wusste, dass ich so was nur trug, um Tante Liz einen Gefallen zu tun.

Als ich das Badezimmer verließ, telefonierte er immer noch. Es klang wichtig. Als er aufgelegt hatte, schaute er mich an.

„Bells, es tut mir leid. Es gab einen Unfall auf dem Highway. Ich muss sofort los. Hast du noch genug Zeit, um zur Schule zu laufen?“

Ich sah auf meine Uhr. Es war viertel nach sieben. Die Forks High lag etwas außerhalb, doch die Zeit müsste reichen.

„Kein Problem! Du musst arbeiten. Ich pack das schon. Grüß Elphie von mir. Ich hohle sie dann heute bei dir ab, bevor ich zu NEWTONS gehe – vor der Redaktionssitzung schaffe ich das ohne Auto nicht. Machs gut, Dad!“

Er lächelte mich noch einmal an, ich gab ihm die Tüte mit den alten Sachen und dann ging er hinaus. Als ich meine Tasche zusammengepackt und meinen iPod startklar gemacht hatte, folgte ich ihm.

Ich trat auf den großen Platz vor dem Krankenhaus und schaute zum Himmel. Anscheinend hatte die Sonne heute nicht vor, uns ihre Aufwartung zu machen. Aber es regnete zu Glück auch nicht. Ich hatte wirklich keine Lust, wie ein begossener Pudel in der Schule anzukommen. Ich wollte gerade auf den Fußweg einbiegen, als ich hinter mir ein Hupen vernahm. Ich drehte mich um und lächelte.

Da stand mein Retter in glänzender Rüstung – sein edles Ross im Schlepptau und ein spitzbübiges Funkeln in den Augen. Nun gut, die glänzende Rüstung waren eine ausgebeulte, viel zu kurze Jeans und ein durchlöchertes Shirt und das edle Ross glich eher einem klapprigen, alten Moped – aber mein Retter war er trotzdem. Während ich meine Ohren von den Kopfhörern befreite, ging ich langsam auf ihn zu und fragte:

„Jake, was machst du den hier?“

Mit einem frechen Grinsen im Gesicht antwortete er mir:

„Dein Vater hat gestern bei Billy und mir angerufen und uns erzählt, was passiert ist. Ich hab natürlich sofort versprochen, mir deinen Van mal anzusehen. Also habe ich mich heute früh auf den langen Weg von La Push hier her gemacht, um den Unglückswagen zu begutachten. Und ich dachte, dir wäre es lieber, von mir zur Schule gebracht zu werden, als vom Streifenwagen. Das dein Vater eh ohne dich fährt, konnte ich ja nicht ahnen.“

Ich strahlte. Manchmal hatte es seine Vorteile, wenn der beste Freund auf die Schule im Quileute – Reservat ging und eben diese eine Woche länger Ferien hatte als die eigene High School.

„Charlie hatte einen dringenden Einsatz“ erklärte ich ihm. „Ich habe also die Wahl zwischen deiner Horrormaschine und Blasen an den Füßen.“

Mittlerweile war ich bei ihm angekommen. Er nahm mich in die Arme und gab mir einen Kuss auf die Stirn. Ich spürte, dass sein Blick auf dem Pflaster lag.

„Wie geht es dir?“, fragte er mit besorgter Stimme.

„Es geht mir gut. Ich hatte schon weitaus schlimmere Verletzungen.“

Diese Erläuterung schien ihn nicht zu überzeugen, denn er hakte nach:

„Aber du musstest über Nacht hier bleiben?“

„Der neue Chefarzt ist etwas übervorsichtig, dass ist alles“ gab ich ihm zu verstehen. „Außerdem bin ich selbst Schuld. Ich hätte gleich ins Krankenhaus fahren sollen anstatt mir einen Kleinkrieg mit dem Besitzer des anderen Autos zu liefern.“

Jake sah mich fragend an. Also erzählte ich ihm kurz die ganze Geschichte. Als ich fertig war, schaute er verärgert drein und erwiderte:

„So ein aufgeblasener Schnösel. Soll ich mir den Kerl mal vornehmen? Glaub mir, ein paar Schrammen würden diesen Esel gut tun.“

Ich schmunzelte.

„Danke, aber dass ist nicht nötig. Ich kann mich auch allein wehren. Außerdem tust du schon genug für mich.“

„Was meinst du?“

Mit einer ausschweifenden Handbewegung deutete ich auf meinen Van.

„Na, mein Auto. Du opferst einen deiner letzten freien Tage, um meinen Mist gerade zu rücken. Du bist wirklich ein Schatz.“

Er grinste über beide Ohren.

„Ach, das ist doch nichts. Für was hat man denn einen großen Bruder?“

„Großer Bruder?“, empörte ich mich. „So weit ich weiß, bist du immer noch zwei Jahre, zwei Monate und zehn Tage jünger als ich. Bild dir ja nichts ein, nur weil du mir über den Kopf ragst.“

Er machte sich absichtlich noch ein wenig höher, bevor er erwiderte.

„Stolze 1,75 m und bei meinem Alter habe ich noch nicht vor, mit dem Wachsen schon aufzuhören.“

Bei seinen letzten Worten verdrehte ich die Augen und sah zu ihm hoch.

„Angeber! Sag mir bescheid, wenn du irgendwann aus der Regentonne saufen kannst. … Wo wir gerade beim körperlichen Erscheinungsbild sind – wolltest du dir die Haare nicht wieder schneiden lassen? Sie werden ja immer fransiger.“

Jake schaute an mir vorbei.

„Nein, ich trage sie lieber etwas länger, das ist ähm … cooler.“

Soso, cooler also! Wen wollte er hier eigentlich veralbern? Sich selber oder mich? Doch so leicht kam er mir nicht davon.

„Jacob Black, wer ist sie und wie ist ihr Name?“

Er funkelte mich sauer an, als er antwortete.

„Ich weiß nicht, wovon du redest. Ich bin ein Quileute und da ist es normal, längere Haare zu haben.“

„Natürlich, wie konnte ich das vergessen? Du warst es ja auch nicht, der einmal sagte, dass er von dieser Tradition nichts halte und dass er nie ein Freund von Pferdeschwänzen werden würde.“

Jacob wurde rot – vor Scham oder Wut, wusste ich nicht, wahrscheinlich beides. Er warf mir einen bösen Blick zu.

„Ach, halt die Klappe! Ich bringe dich jetzt zur Schule, sonst kommst du noch zu spät.“

Mit diesen Worten löste er den festgezurrten Helm vom Gepäckträger und warf ihn mir unsanft zu. Ich stülpte ihn über meinen Kopf – darauf bedacht, das Pflaster nicht zu berühren – und setzte mich hinter Jacob.
 

Es war eine schweigsame Fahrt. Er war eindeutig sauer auf mich. Ich hätte ihn nicht so bedrängen sollen, aber es war in letzter Zeit nicht immer leicht mit ihm gewesen.

Seit ich Jake kennen gelernt hatte – und zwar wenige Stunden nach seiner Geburt – waren wir unzertrennlich gewesen. Er war immer der Bruder gewesen, den ich nie hatte. Ich stand ihm näher als meiner eigenen Schwester. Er kannte all meine Stärken und Schwächen und meine Geheimnisse waren bei ihm sicher. Ich war es gewohnt gewesen, dass er immer für mich da war und mit mir über alles sprach.

Doch seit er angefangen hatte, sich mit Mädchen zu verabreden, war es anders geworden. Er wollte mit mir nicht über diese Dinge reden, solche Gespräche hob er sich für seine Kumpel auf. Als ich ihm einmal nach dem Grund gefragt hatte, hatte er mir eine äußerst chauvinistische Antwort gegeben:

„Bella, du bist meine Schwester, ein Mädchen. Ich kann mit dir doch nicht über andere Mädchen reden. Das sind Männerthemen und die gehören in eine Männerrunde.“

So ein ausgemachter Quatsch. Ich konnte durchaus nachvollziehen, was seine Verehrerinnen an ihm fanden.

Er war groß, für sein Alter geradezu riesig. Seine schwarzen Haare hatten einen beinahe blauen Schimmer und umrandeten ein offenes Gesicht mit warmen, tief liegenden, schwarzbraunen Augen. Er hatte das typische Profil der Quileute – ein markantes Kinn und eine gebogene Nase. Seine Haut war rotbraun und er war für sein Alter erstaunlich durchtrainiert – kein Wunder, wenn man mehr in den Bergen und Wäldern herumstreifte, als sich mit seinen Schulbüchern zu beschäftigen.

Er wirkte sicherlich sehr attraktiv auf das weibliche Geschlecht, zumindest auf diejenigen, die ihn nicht schon in Windeln gekannt hatten.

Wovor also hatte er Angst? Ich würde ihm keine Vorschriften machen oder an seiner Wahl herumnörgeln, so wie Rosalie das bei Jasper drauf hatte. Ich würde nicht das Gesicht verziehen, wenn er sich jede Woche mit einer anderen traf – ich würde zumindest versuchen, dass Gesicht nicht zu verziehen. Ich würde zuhören und wäre für ihn da, so wie immer. Warum musste er nur so stur sein? Es war wirklich frustrierend.

Nach einer knappen viertel Stunde erreichten wir das Schulgelände. Jacob fuhr über den Parkplatz direkt zu dem Vordach, unter dem die Motorräder abgestellt wurden. Ich stieg ab und band meinen Helm wieder auf dem Gepäckträger fest. Jake nahm seinen Kopfschutz ebenfalls ab und lehnte sich gegen sein Moped. Noch immer sagte er nichts. Das war doch wirklich albern. Ich suchte seinen Blick und lächelte ihn an.

„Danke Jake. Du warst mein Retter. Meine Füße stehen auf ewig in deiner Schuld.“

Er erwiderte mein Lächeln. Zum Glück konnten wir nie lange aufeinander böse sein.

„Was macht man nicht alles, um eine Lady vor Schmerzen zu bewahren. Ich gehe sogar noch einen Schritt weiter. Pünktlich um drei Uhr heute Nachmittag werden mein Ross und ich dich wieder hier erwarten, um dich zurück in dein Schloss zu geleiten.“

Ich schüttelte grinsend den Kopf wegen seiner Wortwahl – manchmal konnte er echt spinnen – ging aber auf sein Spiel ein.

„Das ist wahrhaft edel von euch, aber die Lady hat heute noch ein Treffen mit den Dichtern des Burgblattes und danach wartet der Dienst am Newtonschen Marktstand.“

„Mist, heute ist ja Diensttag, das hatte ich ganz vergessen.“

Fragend sah ich ihn an. Er verstand meinen Blick und antwortete.

„Abends kann ich dich nicht abholen. Ich hab schon was vor, weißt du, ich … treff’ mich mit den Jungs.“

Ich spürte einen Anflug von Ärger. Er sagte mir eindeutig nicht die Wahrheit. Wütend sah ich ihm in die Augen. Kurz zuckte er zusammen.

„Jacob Black, ich kann es akzeptieren, wenn du mir nicht alles sagen willst. Ich verstehe es nicht und es ist nicht leicht, doch ich werde deine Entscheidung respektieren. Aber ich warne dich, lüge mich ja nicht an. Das habe ich nicht verdient und das hat unsere Freundschaft nicht verdient, ist das klar?“

Meine Stimme war nicht lauter als ein Flüstern. Jacob sah mich schuldbewusst an.

„Du hast ja Recht. Tut mir leid.“ Er atmete kurz durch: „Ich habe eine Verabredung.“

Ich legte ihm eine Hand auf sie Wange, als Geste der Beruhigung und der Versöhnung.

„War das so schwer? Mehr als Ehrlichkeit verlange ich gar nicht. Du weißt doch, dass du mir vertrauen kannst.“

Ein mattes Lächeln trat auf sein Gesicht.

„Natürlich weiß ich das. Es ist nur, ich glaube nicht, dass du verstehst, was gerade in mir vorgeht. Jungs ticken einfach anders als Mädchen. Ich kann mit dir darüber nicht reden. Nicht, solange ich es selbst noch nicht richtig kapiere. Einige Ansichten und Einstellungen, die ich gerade habe, würden dich verletzen und das will ich nicht. Lass mir einfach Zeit, ja?“

Oje, die Pubertät hatte Jacob voll erwischt. Er würde sich also noch mehr von mir zurückziehen. Das war hart, aber ich würde es akzeptieren. Ich nickte. Sein Lächeln wurde wieder strahlend, es wurde zu meinem Jacob – Lächeln. Enthusiastisch sagte er:

„Ich bringe dir deinen Van einfach gegen halb sechs bei NEWTONS vorbei. Dann kannst du allein nach Hause fahren.“

Ich schluckte meinen Kommentar von wegen Vierzehnjährige als Autofahrer hinunter. Charlie würde wahrscheinlich nicht mal etwas unternehmen, wenn er ihn erwischte. Zum einen war Billy Black sein bester Freund und Jacob als dessen Sohn hatte in gewisser Hinsicht Immunität. Zum anderen lernten die Jungs im Reservat eher Fahren als laufen.

Ich umarmte ihn zum Abschied und ging dann Richtung Eingang – bereit, mich den abschätzenden Blicken und unangebrachten Kommentaren zu stellen. Jake hatte mich erfolgreich von meinem Unfall abgelenkt, doch jetzt – hier auf dem Parkplatz – kam alles wieder hoch. Ich konnte nur hoffen, dass seine Göttlichkeit nicht in meinem Jahrgang war. Es würde schon genügen, ihm auf den Gängen oder in der Cafeteria zu begegnen. Im Unterricht selber konnte ich wirklich keine Ablenkung gebrauchen.

Ich nahm mir vor, ihn einfach nicht zu beachten. Ich hatte es nicht nötig, mich grundlos nieder machen zu lassen, egal, was für Probleme er hatte. Außerdem wollte ich es vermeiden, mich wieder provozieren zu lassen. Eine Showeinlage vor der halben High School reichte für ein Semester. Und falls er sich doch zu einer Entschuldigung durchringen sollte, so wollte ich diese nicht mehr hören. Er hatte mich gestern schließlich auch nicht ausreden lassen. Die Devise hieß also „Eiskalt ignorieren!“

Hinter mir hörte ich, wie Jake den Motor startete und davon fuhr. Ich drehte mich noch einmal um und winkte ihm hinterher, dann betrat ich das Schulgebäude.
 

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Emmett fluchte leise vor sich hin, als er einem Mopedfahrer ausweichen musste, der wie ein Verrückter vom Schulparkplatz gefahren kam. Seine Laune war seit gestern Abend nicht die Beste – seit eine gewisse Blondine ihm am Telefon eiskalt abblitzen lassen hatte. Hinzu kam, dass es ihm gar nicht gefiel, dass heute sein Auto auf dem Gelände der High School stehen würde. Als es meinen Wagen erwischt hatte, war er damit wesentlich lockerer umgegangen.

Ich atmete tief durch. Schon wieder glitten meine Gedanken zum gestrigen Nachmittag. War es nicht schon genug gewesen, dass mich die Erinnerung daran kaum schlafen lassen hatte?

Unwillkürlich ging mir mein Gespräch mit Carlisle noch einmal durch den Kopf.
 

Ich klopfte an das Büro meines Vaters und trat ein. Er saß an seinem Schreibtisch – seine Brille auf der Nase und einen Stapel Unterlagen vor sich. Als er mich sah, lächelte er verständnisvoll. Er wusste als schon Bescheid.

„Hallo, Edward. Setz dich doch.“

Ich nahm auf dem Stuhl ihm gegenüber Platz und atmete kurz durch.

„Ich nehme an, du weißt bereits, was passiert ist?“

Er nickte, bevor er sprach:

„Alice hat mich angerufen, gleich nachdem du sie und Emmett zu Hause abgesetzt hattest, um zur Werkstatt zu fahren. Sie sagte mir, dass du sehr erregt gewesen wärst und dass dich die ganze Geschichte ziemlich mitgenommen hätte. Laut ihrer Auskunft ist der Volvo aber gar nicht so schwer beschädigt. Was war los?“

Ich seufzte.

„Alice hat Recht, das Auto ist so gut wie in Ordnung. Die Ersatzteile sind bis morgen Mittag aus Seattle da und spätestens Mittwoch kann ich ihn wieder abholen. Um den Wagen ging es im Enddefekt auch gar nicht.

Klar war ich sauer über den Unfall. Doch eigentlich nahm ich ihn nur als Vorwand, um Dampf abzulassen. Es war einfach ein langer, anstrengender Tag. Ich hätte nicht zur Schule gehen sollen. Es war ein Wunder, das ich nicht schon eher ausgerastet bin.“

„Und deswegen legst du dich mit dem erstbesten Menschen an, der dir über den Weg läuft?“

Carlisle lächelte noch immer. Sein Tonfall ließ nicht die Spur eines Vorwurfes erkennen. Er wollte nur verstehen, was passiert war. Da war er nicht der einzige.

„Alice hat dir also alles erzählt?“

„Ihr Bericht war sehr ausführlich. Sie wirkte sogar richtig verärgert, als sie mir von dem Streit erzählte.“

Meine Schwester war also verärgert. Irgendwie wurde ich das Gefühl nicht los, dass dieser Groll nicht gegen Isabella ging. Alice hatte die gesamte Heimfahrt kein Wort mit mir gesprochen und war ohne Abschied aus dem Wagen ausgestiegen. Selbst Emmett war ungewöhnlich still gewesen. Es gab mehrere Menschen, bei denen ich mich für mein Verhalten entschuldigen musste. Doch erstmal musste ich mich hier erklären.

„Sie hat ja Recht. Ich habe mich unmöglich benommen. Dabei ist es gar nicht meine Art, mich so leicht aus der Fassung bringen zu lassen. Irgendwie haben dieses Mädchen und ich uns gegenseitig so in Rage gebracht, dass die Situation überkochte. Gleich morgen werde ich sie um Verzeihung bitten.“

Carlisles Gesichtsausdruck änderte sich von interessiert und verständnisvoll zu besorgt.

„Es steht noch nicht fest, ob Isabella morgen zur Schule gehen wird. Genaueres darf ich dir natürlich nicht sagen, aber ich musste darauf bestehen, dass sie zur Beobachtung über Nacht hier bleibt.“

Mir stockte kurz der Atem und ich musste schlucken. Wieder kam dieses Gefühl von Schuld in mir hoch. Seit ich gesehen hatte, dass sie verwundet war, machte ich mir Vorwürfe. Natürlich konnte ich nichts dafür, dass sie meinen Wagen gerammt und sich dabei verletzt hatte. Aber wenn ich nicht so wütend gewesen wäre und ihr zugehört hätte, wäre sie vielleicht eher zu einem Arzt gekommen. Wenn meine angestaute Frustration und meine selbst erbrachte Enttäuschung nicht mein Denken bestimmt hätten, müsste sie jetzt vielleicht nicht im Krankenhaus übernachten. Ich fasste einen Entschluss.

„Dann sollte ich mich gleich entschuldigen. In welchem Zimmer liegt sie.“

Ich stand auf und ging Richtung Tür.

„Nicht so eilig, mein Sohn. Es ist wahrscheinlich keine gute Idee, jetzt zu ihr zu gehen. Ihr Vater ist erst vor einer halben Stunde aufgebrochen – nachdem er zusammen mit mir beschlossen hatte, dass sie hier bleiben sollte. Sie war darüber alles andere als glücklich. Ich befürchte, gerade eben überlegt sie, wen von uns dreien sie zuerst den Hals umdrehen wird.“

Ein amüsiertes Lächeln umspielte seine Lippen. Dann fuhr er fort:

„Ich musste ihr versprechen, sie in die Schule gehen zu lassen, falls es ihr morgen früh gut genug gehen würde. Vielleicht kannst du ja doch dort mit ihr reden.“

Ich gab mich geschlagen und nickte zustimmend. Ein paar Stunden Ruhe würden sowohl Isabella als auch mir gut tun. Carlisle sah mir an, dass alles gesagt war.

„Du solltest jetzt nach Hause gehen, Edward. Esme wartet bestimmt schon mit dem Abendessen. Abgesehen davon wird sie sich Sorgen machen.“

Überrascht sah ich ihn an.

„Ich dachte, wir könnten zusammen fahren? Aus diesem Grund kam ich von der Werkstatt hierher ins Krankenhaus.“

„Ich habe leider kurzfristig den Nachtdienst übernommen. Du musst wohl Emmett anrufen, damit er dich abholt.“
 

Und so war ich aufgebrochen, ohne mich entschuldigt zu haben. Zumindest bei meiner Familie hatte ich dies inzwischen nachgeholt. Fehlte nur noch Isabella.

Wir stiegen aus dem Auto. Alice und ich liefen auf das Eingangsportal des Haupthauses zu, unser Bruder hingegen wandte sich Richtung Turnhalle. Dort wartete bereits Jasper auf ihn.

Rosalie hatte mir gestern noch den Weg zur besten Werkstatt der Stadt erklärt – bei dreien im ganzen Ort war die Auswahl nicht sehr groß. Derweil waren ihr Bruder und Emmett ins Gespräch gekommen und hatten festgestellt, dass sie in der ersten Stunde gemeinsam den fortgeschrittenen Sportkurs belegt hatten.

Meine Schwester und ich machten uns auf den Weg zu unserem Englischunterricht. Den entsprechenden Raum zu finden würde nicht schwer fallen – nicht nach dem ausführlichen Rundgang gestern Vormittag.

Im Vergleich zu der euphorischen Stimmung des ersten Schultages wirkte die Atmosphäre in den Fluren heute geradezu gruselig normal. Die meisten Gespräche drehten sich um Stundenpläne und Lehrer. Viele waren mit ihren Gedanken schon in den Klassenzimmern. Als wir auf der Etage ankamen, in der unser Kurs stattfinden sollte, blieb Alice plötzlich stehen. Ihr Gesicht spiegelte eine Mischung aus Freude und Sorge wider. Ich folgte ihrem Blick.

Am anderen Ende des Ganges, keine fünf Meter von uns entfernt, standen Angela und Isabella und unterhielten sich angeregt – beide mit einem amüsierten Lächeln auf den Lippen.

Sie war also zur Schule gekommen. Ich wusste bereits, dass Carlise ihr die Erlaubnis dafür gegeben hatte – ich hatte heute früh im Krankenhaus angerufen, um mich nach ihrem Zustand zu erkundigen – doch ich hatte gedacht, sie würde sich einen freien Tag gönnen. Schon wieder ein Irrtum!

Ich erlaubte es mir, sie etwas genauer zu betrachten. Gestern in der Turnhalle war ich durch ihren außergewöhnlichen Kleidungsstil zu sehr von ihr selbst abgelenkt gewesen und später auf dem Parkplatz hatte mein Blick nur auf einem Paar großer, wütend funkelnder, brauner Augen geruht. Heute war ich aufmerksamer.

Die grüne Bluse, die sie trug, ließ erkennen, dass sie alles andere als plump war. Sie und Rosalie hatten ungefähr die gleiche Figur, obwohl Isabella mindestens zehn Zentimeter kleiner war und nicht annähernd so durchtrainiert. Auch ihre Haare waren wesentlich länger, als ich angenommen hatte. Würde man den dicken, mahagonifarbenen Zopf, der ihr über die Schulter fiel, öffnen, würden die Strähnen ihr wahrscheinlich bis zur Taille reichen. Ihr ovales Gesicht wirkte ebenmäßig – abgesehen von der Nase, die etwas schief zu sein schien. Sie war relativ blass, bei dem Wetter in dieser Gegend war dies aber wahrscheinlich nichts Ungewöhnliches.

Alles in allem war sie durchschnittlich – zumindest redete ich mir das ein.

„Hallo Edward, hi Alice! Na, wie geht es euch heute Morgen? Habt ihr gut geschlafen?“

Ich zuckte zusammen, drehte mich aber nicht um. Soweit ich mich erinnern konnte, hatte Jessica Englisch nicht mit uns gemeinsam. Was wollte sie dann hier?

Als sie meinen Namen hörte, sah Isabella in unsere Richtung. Ihr freundlicher Blick kühlte merklich ab, ihre Gesichtszüge erstarrten. Sie war immer noch sauer, soviel stand fest. Plötzlich befürchtete ich, dass die Geschichte mit der Entschuldigung nicht so einfach werden würde, wie ich mir das vorgestellt hatte.

Sie verabschiedete sich von Angela und ging dann in das Zimmer, indem unsere Stunde stattfinden sollte. Sie war Chefredakteurin der Schülerzeitung – natürlich war sie ebenfalls im fortgeschrittenen Englischkurs.

Ich spürte, dass mich jemand berührte und sah an mir hinunter. Alice´ kleine Hand lag auf meinem Arm. Ich blickte ihr ins Gesicht. Ihr Ausdruck war missmutig. Mit den Augen deutete sie auf das Mädchen neben sich. Jessica stand da und strahlte mich an. Sie erwartete anscheinend immer noch eine Antwort auf ihre Fragen.

Ich gab ihr keine, nahm Alice bei der Hand und wir folgten Isabella in das Klassenzimmer.

Der Englischunterricht war leidlich interessant. Auch an dieser Schule hielt man sich an die Klassiker, große Überraschungen gab es in der Literaturliste nicht. Mehr Spannung schienen da die Debattierduelle zu versprechen, die Ms. Jacoby ankündigte. Ab Oktober würden immer zwei Schüler zu einem vorgegebenen Thema Pro und Contra vertreten. Die Paare würden nächste Woche bekannt gegeben.

Während der Stunde sah ich hin und wieder zu Isabella, doch sie ignorierte mich eiskalt. Ich musste mir wirklich etwas einfallen lassen, sonst würde sie mir nicht einmal zuhören.

Im Anschluss an Englisch hatte ich Mathe – allein. Alice mochte dieses Fach nicht, deshalb belegte sie nur den normalen Kurs. Als ich den Raum betrat, sah ich schon Jessica, die mir freudig entgegenwinkte und auf den leeren Platz neben sich deutete. Warum musste es ausgerechnet in diesem Fach Doppelbänke geben? Ich beachtete sie nicht – zum zweiten Mal heute. Irgendwann musste sogar sie es verstehen. Mein Blick fiel auf einen unbesetzten Stuhl in der letzten Reihe – neben Angela Weber. Ohne Zögern ging ich auf sie zu und fragte:

„Ist hier noch frei?“

Sie nickte schmunzelnd. Sie hatte wahrscheinlich bemerkt, dass ich vor Jessica floh.

Der Unterricht verlief sehr entspannt. Angela wurde dem ersten Eindruck, den ich gestern von ihr gehabt hatte, gerecht. Meine voreilige Beurteilung am Nachmittag war unangebracht gewesen. Sie war höflich, bescheiden und klug. Wir sprachen kaum miteinander, doch die Stimmung zwischen uns war freundlich.

Als sie sich am Ende der Stunde erhob, verabschiedete sie sich mit einem lächelnden „Mann sieht sich!“ und ging Richtung Ausgang. Ich sah, wie Jessica ebenfalls aufstand. Sie warf mir einen brüskierten Blick zu und stolzierte aus dem Zimmer. Anscheinend hatte sie es endlich kapiert. Ich folgte ihr in gebührendem Abstand. Als ich auf den Flur trat, hörte ich zwei bekannte Stimmen:

„Unsere Cheerleaderkönigin besucht dieses Jahr also den Fortgeschrittenenkurs? Was ist passiert? Ist sie in den Ferien zu einem Mathegenie mutiert?“

Der unterschwellige Spott war nicht zu überhören. Jessica war also auch nicht bei jedem beliebt.

„Nein, wahrscheinlich nicht. Ich befürchte, ihr Wechsel hat keinerlei akademische Gründe.“

Während Angela dies sagte, schielte sie in meine Richtung. Ihre Gesprächspartnerin folgte ihrem Blick. Als Isabella mich sah, verschwand ihr Grinsen und machte einem gereizten Ausdruck Platz. Kühl fixierte sie mich.

„Verstehe!“

Dann wandte sie sich wieder ihrer Freundin zu:

„Wir sollten uns jetzt beeilen. Du weist ja, dass Mr. Waldheim es gar nicht lustig findet, wenn man zu spät kommt.“

„Du hast Recht! Lassen wir Goethe und Schiller nicht warten.“

Ohne einen weiteren Blick in meine Richtung gingen die beiden den Gang runter.

„Hallo, Bruderherz!“

Ich zuckte zusammen. Ich war so in das Gespräch von Isabella und Angela vertieft gewesen, dass ich Alice gar nicht bemerkt hatte. Sie stand neben mir und strahlte übers ganze Gesicht. Ich musste irgendwas verpasst haben, denn als wir uns nach Englisch getrennt hatten, war ihre Laune nicht annähernd so gut gewesen. Ich fragte nach:

„Ist alles in Ordnung mit dir? Du siehst so fröhlich aus?“

„Natürlich ist alles in Ordnung, warum auch nicht? Ich finde nur, dass Mathe ein ausgesprochen schönes Fach ist.“

Das überraschte mich! Den Grund für diesen Sinneswandel wollte ich unbedingt erfahren.

„Seit wann? Soweit ich weiß, hast du Zahlen schon immer gehasst.“

Sie zuckte leicht mit den Schultern und sah gerade aus, bevor sie leise erwiderte.

„Ich habe ja auch nicht gesagt, dass der Unterrichtsstoff mir gefallen hat.“

Stirnrunzelnd blickte ich sie an, doch sie wich meinen Augen aus. Ich wusste, dass ich jetzt keine Erklärung bekommen würde. Also stellte ich keine weiteren Fragen. Gemeinsam machten wir uns auf den Weg zu unserem Fremdsprachenkurs.
 

Die nächsten zwei Stunden verliefen ohne erwähnenswerte Zwischenfälle. In Spanisch machte sich unser Fernlehrgang bezahlt. Wir hatten keine Probleme, mit den anderen mitzuhalten.

Sport bestand heute nur aus der Einweisung, der Belehrung und der Planung für das kommende Semester. Wir mussten noch nicht einmal die Kleidung wechseln. Während Coach Clapp seinen Vortrag hielt, blickte ich mich in der Halle um.

Ich konnte Alice in einer Gruppe von Schülern erkennen, die am anderen Ende des Raumes um eine Lehrerin herumsaßen und ihr mehr oder weniger aufmerksam lauschten. Meine Schwester besuchte einen anderen Kurs als ich. Sie war zwar nicht ungelenk, aber Ballspiele jeglicher Art lagen ihr nicht besonders. Deshalb hatte sie sich für die leichte Variante entschieden – ebenso wie Isabella und Angela.

In meiner Nähe konnte ich Jessica, ihre Freundin Lauren und diesen Mike erkennen. Sie hatten also mit mir Sport. Zum Glück waren die Blicke, die mir Jessica mittlerweile zuwarf, weniger schmachtend, sondern viel mehr verärgert. So ließ sich diese Unterrichtsstunde bis hin zur Mittagspause gut überstehen.
 

Ich stand vor dem Biologiekabinett und wartete darauf, dass der verschlossene Raum geöffnet wurde. Nur ein paar andere Jugendliche waren ebenfalls schon da. Die meisten befanden sich noch in der Cafeteria, obwohl der Unterricht in wenigen Minuten beginnen sollte – die Mittagspause konnte eben nie lang genug sein. Kaum einer begeisterte sich für die Nachmittagskurse. Es war kein Geheimnis, dass die Konzentration nach einem reichlichen Mahl gegen null sank – Verdauung und Gehirnleistung vertrugen sich eben nicht besonders.

Für mich war die letzte Stunde ebenfalls wie im Flug vergangen.
 

Emmett, Alice und ich hatten uns diesmal allein an einen Tisch gesetzt, weit weg von den Cheerleadern. Jessica hatte hin und wieder in unsere Richtung geschielt, war unserem Platz aber ferngeblieben. Es hatte nicht lange gedauert und Mike war zu uns gekommen. Wie es sich herausgestellt hatte, waren er und Emmett schon im Laufe des Vormittages ins Gespräch gekommen und der Eintritt ins Footballteam war für meinen Bruder nur noch Formsache. Das Probetraining würde am Nachmittag stattfinden. Nach kurzer Zeit waren beide aufgestanden, um zum restlichen Team zu gehen.

Alice und ich waren jedoch nicht lange allein geblieben. Jasper hatte sich zu uns gesellt.

„Ist bei euch noch frei? Meine Verabredung fürs Mittagessen ist leider anderweitig beschäftigt.“

Er hatte Richtung Theke genickt. Dort in der Schlange hatten Angela und Ben gestanden. Ich war mir ziemlich sicher gewesen, dass Jasper von dem Jungen gesprochen hatte, immerhin waren sie zusammen im Schwimmteam.

Wir hatten über verschiedene Dinge gesprochen, wobei Alice den zuhörenden Part übernommen hatte. Nur hin und wieder hatte sie unseren Gast schüchtern angeblickt.

Jasper hatte es interessiert, wie uns die ersten Stunden gefallen hatten und ob wir uns schon für eine AG entschieden hatten.

Im Laufe des Gesprächs hatte ich erwähnt, dass ich ein relativ guter Ausdauerläufer war, auch wenn ich dies noch nie wettkampftechnisch erprobt hatte. Bevor ich mich versehen hatte, war ich von Jasper zu einem Probetraining in seinem Team eingeladen worden – immerhin hatte Schwimmen auch etwas mit Ausdauer zu tun.

Er hatte sich auch nach meinem Auto erkundigt. Als er dies erwähnt hatte, war mein Blick noch einmal suchend durch den Raum gewandert – wieder erfolglos. Neben mir hatte ich Jaspers Stimme vernommen:

„Falls du Bella suchst – die ist nicht da. Sie verbringt die Mittagspausen seltener in der Cafeteria. Meistens findest du sie um diese Zeit in der Bibliothek.“

Fragend hatte ich ihn angesehen und er hatte grinsend erwidert:

„Dein Anliegen stand dir förmlich auf die Nasenspitze geschrieben.“

„Ich wollte eigentlich mit ihr reden und mich bei ihr entschuldigen. Doch sie geht mir schon den ganzen Tag aus dem Weg und ignoriert mich.“

Nun hatte er aufgelacht.

„Dich entschuldigen? Na dann, viel Glück. Bei ihrem Dickkopf rennst du wahrscheinlich gegen eine Betonwand.“

Seine Worte hatten beinahe liebevoll geklungen. Die beiden standen sich wohl ziemlich nahe? Neugierig hatte ich nachgehakt:

„Du klingst beinahe so, als wenn du von deiner kleinen Schwester sprechen würdest.“

„In gewisser Hinsicht ist sie das ja auch.“

Nun hatte auch Alice ihren Blick wieder in Jaspers Richtung gewandt. Dieser hatte unsere erstaunten Gesichter bemerkt und uns belustigt angesehen.

„Sagt bloß, Jessica hat euch nicht alle Schlechtigkeiten des Hale – Swan – Clans haarklein offenbart?“

Sie waren miteinander verwandt? Diese Tatsache hatte mich überrascht. Weder der Sheriff noch seine Tochter hatten auf mich den Eindruck gemacht, als gehörten sie in die Welt von Jasper und Rosalie. Doch noch bevor ich etwas erwidern hatte können, hatte Alice das Wort ergriffen gehabt:

„Sie hat so einiges erzählt – hauptsächlich gemeinen Klatsch und Tratsch. Ich kann mich aber nicht erinnern, dass sie eine familiäre Verbindung erwähnt hätte.“

Schmunzelnd hatte Jasper den Kopf geschüttelt.

„Ja, das sieht ihr ähnlich. Jessica Stanley würde so gern selbst zu unserer Sippe gehören, dass sie schnell verschweigt, dass Bella als meine Cousine dieses >Privileg< genießt. Es fällt ja auch nicht sofort auf, aber Chief Swan ist der jüngere Bruder meiner Mutter. Sie wurde in Forks geboren und ist auch hier aufgewachsen, bevor sie für ihr Studium in die große, weite Welt aufbrach.

Und vor sechseinhalb Jahren sind wir aus New York wieder in ihre alte Heimat gezogen, haben sozusagen die Großstadt gegen ein kleines Kaff getauscht.“

Während seiner Ausführungen hatte Jasper meine Schwester lächelnd angesehen. Diese hatte ihren Blick schnell wieder Richtung Tischplatte gesenkt und war leicht rosa angelaufen – normalerweise bekam sie nicht so schnell Farbe im Gesicht. Im Gegenteil, sie wurde eher blass, wenn sie sich zu sehr bedrängt fühlte.
 

Das Öffnen einer Tür riss mich aus meinen Erinnerungen. Mr. Banner, der Biolehrer, erschien im Flur und heftete einen Zettel an die Wand. Danach wandte er sich unsrer mittlerweile deutlich größer gewordenen Schülerschar zu:

„Auf der Liste hinter mir könnt ihr nachsehen, wer euer Laborpartner ist und an welchem Tisch ihr das nächste halbe Jahr sitzen werdet. Ich werde meine Entscheidungen bezüglich der Paarungen nicht rückgängig machen – lange Diskussionen könnt ihr euch also sparen.“

Mr. Banner drehte sich wieder um und ging in das Zimmer zurück. Um mich herum begann ein heilloses Gedränge. Jeder wollte der Erste am Aushang sein – als wenn das am Inhalt des Geschriebenen etwas ändern würde. Die meisten schienen mit der Einteilung zufrieden zu sein – nur hin und wieder war ein unzufriedenes Murren zu vernehmen oder ein langes Gesicht zu sehen. Zu der enttäuschten Kategorie gehörten auch Mike und Jessica, die den fortgeschrittenen Biologiekurs ebenfalls gewählt hatten.

Als die meisten das Kabinett bereits betreten hatten, suchte auch ich meinen Namen – und fand ihn direkt neben dem von Isabella Swan. Das Schicksal meinte es anscheinend gut mit mir. Wenn wir uns einen Labortisch teilen würden, konnte sie mich nicht länger ignorieren. Ich sollte es also doch noch schaffen, mich zu entschuldigen.

Gut gelaunt ging ich zu meinem Platz und stellte fest, dass er leer war. Wenn ich genau darüber nachdachte, hatte ich Isabella auf dem Gang draußen auch nicht bemerkt. Sie war wohl noch unterwegs? Es konnte jede Sekunde zum Unterricht klingeln. Wenn sie jetzt nicht auftauchte, würde sie es nicht rechtzeitig schaffen.

Es läutete - doch sie kam nicht. Auch als Mr. Banner mit zwei Minuten Verspätung den Raum betrat, war der Stuhl neben mir noch frei. Hatte sie etwa gelesen, dass wir Partner sein würden und dann entschieden, zu schwänzen oder den Kurs zu tauschen? Das wäre doch etwas zu viel, nur um mir aus dem Weg zu gehen.

Es vergingen weitere fünf Minuten, bis sich endlich die Tür öffnete und Isabella herein kam. Mit einem entschuldigenden Lächeln auf den Lippen ging sie zum Lehrerpult. Dort redete sie kurz mit Mr. Banner. Dieser nickte zustimmend, sagte etwas und wies dann mit der Hand auf die letzte Bankreihe – direkt in meine Richtung. Isabella folgte seiner Geste.

Zu dritten Mal an diesem Tag erstarrten ihre Gesichtszüge bei meinen Anblick und ihre Augen bekamen einen eisigen Glanz. Für einen Moment blieb sie regungslos stehen, bevor ihre Beine die Arbeit wieder aufnahmen und sie nach hinten kam. Ohne mich noch einmal anzusehen, setzte sie sich hin. Sie packte nicht einmal ihre Sachen auf den Tisch. Ich betrachtete sie aus den Augenwinkeln.

Kerzengerade und völlig bewegungslos saß sie auf ihrem Stuhl und starrte nach vorn zur Tafel. Anscheinend hoch konzentriert lauschte sie Mr. Banners Vortrag, obwohl dessen ausführliche Einweisung in den Lehrplan alles andere als interessant war. Ich hatte den Verdacht, dass sie kein Wort registrierte. Sie war viel zu sehr damit beschäftigt, mich zu übersehen. Es war beinahe witzig. Wenn ich mit meiner Entschuldigung nicht bald rausrückte, würde sie sich wahrscheinlich vor lauter Steifheit noch an der Wirbelsäule verletzen.

Ich drehte mich zu ihr um, ignorierte ihr Seufzen und ihr Augenrollen und begann zu flüstern:

„Hallo! Ich glaube, wir hatten gestern einen ziemlich schlechten Start. Ich wollte dir nur sagen, dass es mir leid … .“

Weiter kam ich nicht, denn sie bedeutete mir mit ihrem Finger, still zu sein. Ich war so verdutzt, dass ich tatsächlich verstummte. Sie blickte mich grimmig an, bevor sie ebenso leise, aber deutlich bestimmter auf meine Worte einging:

„Okay, du hast Recht. Wir hatten einen schlechten Start. Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass es besser für unsere Gesundheit wäre, wir würden uns aus dem Weg gehen.“

Sie atmete tief durch und sprach weiter:

„Nun ist es jedoch so, dass mir meine Noten wichtig sind und da du nur Fortgeschrittenenkurse belegt hast, nehme ich an, dass es dir genauso geht. Wir sollten also vergessen, was gestern passiert ist und versuchen, während dieser einen Stunde am Tag vernünftig zusammen zuarbeiten. Die restliche Zeit können wir uns ja mit ausgesuchter Höflichkeit ignorieren und es vermeiden, uns gegenseitig umzubringen.“

Ich wusste nicht, ob es die Worte allein waren oder ob ihr gereizter Tonfall den Ausschlag gab, doch als sie ihre Ausführung beendet hatte, verspürte ich nicht mehr die geringste Lust, mich zu entschuldigen. Sie wollte es ja sowieso nicht hören oder geschweige denn glauben. Wieso sollte ich Schuldgefühle wegen dem Geschehenen haben? Sie wäre vielleicht auch ohne meinen unangebrachten Wutausbruch nicht ins Krankenhaus gefahren – so verdammt stur, wie sie war. Jasper hatte vollkommen Recht gehabt – doch ich war nicht gewillt, gegen eine Betonwand zu rennen. Das letzte, was ich tun würde, wäre, mich einer solchen Erniedrigung auszusetzen. Dafür hatte ich viel zu viel Stolz.

Also nickte ich nur zustimmend und blickte wieder geradeaus. Sie tat das gleiche. Zum zweiten Mal, seit ich sie kannte, breitete sich ein eigenartiges Gefühl der Enttäuschung und Frustration in mir aus. Ich sollte aufhören, mir ein Bild von ihr zu machen – sie würde es ja doch zum Gegenteil verkehren.

Die restliche Stunde mussten wir nicht zusammen arbeiten und beachteten uns dementsprechend nicht. Ich sah, dass Mike verstohlen zu uns schielte – mit einem zufriedenen Lächeln auf den Lippen. Da hatte wohl jemand Angst gehabt, ich könnte ihm die Tour vermiesen?

Nur keine Angst, Mike. Selbst das Höllenfeuer könnte das Eis nicht auftauen, das sich zwischen Isabella und mir aufgebaut hatte.
 

Wenig später stand ich neben Alice in dem Zimmer, in dem unser letzter Kurs stattfinden sollte. Wir hatten uns auf dem Weg hierher ein wenig zu viel Zeit gelassen und deshalb waren die meisten Plätze schon belegt. Auf einer Dreierbank in der zweiten Reihe saß Jessica und lächelte in unsere Richtung. Sie war schwer darauf bedacht, nur meine Schwester anzusehen. Anscheinend machte sie sich immer noch Hoffnungen, Alice zu den Cheerleadern locken zu können und wollte sich deshalb mit aller Macht mit ihr anfreunden, egal, was sie inzwischen von mir dachte.

Meine Schwester jedoch schien das gar nicht zu bemerken. Ohne zu Zögern ging sie in die letzte Reihe zu einem Tisch, an dem ebenfalls noch zwei Plätze frei waren – neben Isabella Swan. Ich sah, wie die beiden miteinander sprachen. Isabella schaute auf und traf meinen Blick. Für einen kurzen Moment starrte sie mich an und ich konnte förmlich sehen, wie es in ihrem Kopf arbeitete. Dann verzog sie missmutig den Mund und nickte zustimmend.

Alice drehte sich strahlend zu mir um und bedeutete mir, mich neben sie zu setzten.

Ich dachte gar nicht daran.

Ich war nicht darauf angewiesen, von gewissen Damen in deren Nähe geduldet zu werden. Dass meine Schwester sich diesen Sitzplatz ausgesucht hatte, war verständlich. Sie hatte seit gestern noch nicht wieder mit Isabella zu tun gehabt und war sich deswegen sicher, dass der Platz neben ihr weitaus erträglicher wäre, als ein Semester am Tisch von Jessica verbringen zu müssen. Dies hieß aber nicht, dass ich ihr dorthin folgen musste. Ich fand die Idee mit dem gegenseitigen Ignorieren mittlerweile nämlich äußerst verlockend.

Ich schüttelte meinen Kopf und suchte mir einen einzelnen Stuhl eine Reihe weiter vorn. Alice sah mich ungläubig an, machte aber keine Anstalten, mich zu überreden, doch noch nach hinten zu kommen. Die ganze Stunde über spürte ich ihre fragenden Blicke im Rücken, doch ich drehte mich nicht um. Ich hatte keine Lust, mein Verhalten zu erklären oder gar zu rechtfertigen.

Als es zum Stundenende klingelte, erhob ich mich und blickte das erste Mal nach hinten. Alice lächelte ihrer Banknachbarin zum Abschied zu und diese erwiderte die Geste mit einem freundlichen Nicken. Dann trat meine Schwester neben mich, immer noch einen fragenden Ausdruck in den Augen. Ich gab ihr zu verstehen, dass ich jetzt nicht darüber reden wollte. Noch einmal musterte sie mich kurz, gab dann aber auf und wandte sich zum Gehen.

Plötzlich trat Jessica ans Ende des Tisches, an dem ich gesessen hatte und versperrte uns den Ausgang. Deshalb wurden wir unfreiwillig Zeuge eines durchaus interessanten Gespräches.

„Ich muss mit dir reden, Swan!“

Isabella war noch immer damit beschäftigt, ihre Sachen in ihre Tasche zu packen und sah nicht einmal hoch, als sie antwortete:

„Falls es um Nachhilfe in europäische Geschichte geht, so lautet meine Antwort 'Nein'. Wenn du nichts Besseres zu tun hast, als Kurse zu belegen, die über deinem Niveau liegen – nur, um gewissen Leuten hinterherzulaufen – dann ist das nicht mein Problem.“

Es bestand nicht der geringste Zweifel, wen sie mit „gewissen Leuten“ meinte. Jessica machte ein beleidigtes Gesicht und für einen Moment sah es aus, als wollte sie sich umdrehen und gehen. Doch anscheinend war ihr ihr Anliegen zu wichtig und so atmete sie durch und erwiderte:

„Es geht nicht um Geschichte. Ich habe sowieso vor, den Kurs zu wechseln.“

Kurz funkelte sie böse in Alice´ und meine Richtung, bevor sie fort fuhr:

„Ich möchte mit dir über den Cheerleader - Artikel in der Schülerzeitung sprechen.“

Isabella sah überrascht auf.

„Kann es sein, dass ich etwas vergessen habe? Soweit ich mich erinnere, gab es nie einen Artikel über die Cheerleader in unserer Zeitung.“

Jessica nickte zustimmend.

„Und genau das ist das Problem. Letztes Jahr habt ihr jede AG eingehend vorgestellt – nur meine nicht. Ich hatte angenommen, das wäre ein Versehen gewesen. Bis zum Jahresende haben wir auf eine Sonderausgabe gewartet und als diese nicht kam, dachte ich, wenigstens eine gute Erklärung während der AG-Vorstellungen gestern Nachmittag zu bekommen – aber nichts. Ich finde, das ist eine bodenlose Frechheit. Nur, weil du mich nicht leiden kannst, lässt du uns außen vor. Meinst du nicht, dass du dein Amt etwas ausnutzt?“

Jessica hatte die Arme vor der Brust verschränkt. Ein zufriedener Ausdruck lag auf ihrem Gesicht. Sie war wahrscheinlich sehr stolz auf ihre Argumentation. Isabella hingegen musste sich ein Lachen verkneifen, bevor sie antwortete:

„Wir haben euch nicht außen vor gelassen, Stanley. Wir haben nur deinen Wunsch berücksichtigt. Du wolltest nicht, dass wir über euch berichten und wir respektieren solche Bitten im Allgemeinen. Immerhin sind wir keine Paparazzi.“

Damit wollte sie gehen, doch Jessica stellte sich ihr in den Weg. Ihre Wangen glühten vor Zorn.

„Meinen Wunsch? Ich habe nie gesagt, dass ich gegen einen Artikel über die Cheerleader bin.“

Isabella stöhnte geräuschvoll auf, ging auf das Geschrieene aber mit ruhiger Stimme ein:

„Dann muss ich deinem Gedächtnis wohl auf die Sprünge helfen. Du meintest – entschuldige, wenn mir der genaue Wortlaut nicht mehr einfällt – dass 'die RainGazette ein einfallsloses, uninteressantes und völlig langweiliges Käseblatt wäre, mit einer Chefredakteurin, die eine gute Story nicht einmal erkennen würde, wenn man sie mit der Nase darauf stößt und dass nur ein vollkommen verblödeter Dorftrottel seinen Namen und eine Geschichte über sich in dieser Möchtegern-Zeitung lesen wolle'. Ich hoffe, ich habe nichts vergessen.“

Jessica war schneeweiß geworden. Die Worte schienen ihr im Hals stecken geblieben zu sein. Isabella sah sie mitleidig an und sprach weiter:

„Ich muss ehrlicherweise zugeben, dass wir die erwähnte Unterhaltung geführt hatten, bevor du gewusst hast, dass es eine Jahresreihe über die Schul – AGs geben würde. Ich war mir aber sicher, dass du deine Meinung nicht geändert hast. Tut mir leid, da habe ich mich wohl geirrt! Vielleicht können wir ja in einer der nächsten Ausgaben eine kleine Randnotiz vermerken. Nicht, dass noch jemand denkt, die Forks High hat keine Cheerleader.“

Sie tätschelte Jessica leicht die Schulter, ging an ihr vorbei und verschwand nach draußen.

Alice sah mich mit einem Schmunzeln auf den Lippen an, sagte jedoch nichts. Ich für meinen Teil musste ein Grinsen unterdrücken. Es war sehr amüsant, Isabellas bissigen Kommentaren zu lauschen, wenn man selbst nicht der Sparringpartner war.

Jessica erholte sich langsam aus ihrer Starre und blickte Alice beleidigt an:

„Ich nehme an, du kommst nicht mit zum Treffen der Cheerleader?“

Meine Schwester schüttelte den Kopf.

„Wie du willst! Noch einmal werde ich dich aber nicht fragen.“

„Gut. Dann wäre das Thema ja endlich vom Tisch“, antwortete Alice in einem erfreuten Ton.

Jessica schnaubte brüskiert auf, dreht sich auf dem Absatz um und stürmte aus dem Zimmer. Nur einen Augenblick später erschien Jaspers Kopf im Türrahmen. Er sah mich fragend an.

„Wo bleibst du denn, Edward? Das Probetraining fängt gleich an.“

Und schon war er wieder verschwunden. Ich blickte zu Alice.

„Geh schon! Ich warte in der Schulbibliothek, bis Emmett und du fertig seid.“

Sie gab mir einen kleinen Knuff in den Rücken und ich verließ den Raum.

Rain symphony

Hi,
 

ich habe es endlich geschafft, das nächste Kapitel reinzustellen. Viel Spaß beim Lesen.
 

An alle, die die Geschichte schon vorher gelesen haben, bitte wundert euch nicht über den neuen Titel.

Beim Schreiben der Kapitel habe ich bemerkt, dass alles viel umfangreicher wird, als ich ursprünglich gedacht hatte. Deshalb habe ich mich entschieden, meine Ideen in zwei Geschichten unterzubringen. Der Titel „Together we can brave the storm“ und der bisherige Prolog gehören jedoch zum zweiten Teil und mussten daher geändert werden.
 

P.S.: Tut mir leid, dass es so lange gedauert hat. Ich hoffe, das Warten hat sich gelohnt.

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Rain Symphony
 

„Eric, Tyler! Seit still und setzt euch endlich hin. Ich würde gern anfangen.“

Immer noch vor sich hin feixend nahmen die Zwei ihre Plätze ein. Unsere beiden Kindsköpfe waren heute anscheinend ganz besonders gut gelaunt. Ich warf ihnen einen letzten, warnenden Blick zu, bevor ich mich an den Rest der Redaktion wandte:

„Also dann … Willkommen im neuen Schuljahr! Es freut mich, euch alle wieder bei der ‚RainGazette’ begrüßen zu dürfen.“

„Hast du etwa gedacht, dass einer von uns es wagen würde, heute nicht zu kommen, Boss? Dafür lieben wir unsere fahrbaren Untersätze viel zu sehr.“

Tyler brach über seinen eigenen Witz in schallendes Gelächter aus, in welches Eric sofort einstimmte. Ich rollte genervt mit den Augen – zum einen wegen dieser dämlichen „Boss“-Anrede, die ich wohl nie wieder loswerden würde, zum anderen wegen einer Erwartung, die sich nicht erfüllt hatte. Hatte ich tatsächlich geglaubt, dass die beiden über den Sommer reifer werden könnten?

Angela lächelte mich an und schüttelte den Kopf. Sie hatte wahrscheinlich das Gleiche gehofft. Dexter sah mich ebenfalls an. Sein Gesicht spiegelte einen Ausdruck von Unverständnis und Ärgernis wider. Ich konnte mir ungefähr vorstellen, was er gerade dachte.

Dexter Marlow war ein Genie, zumindest wenn es um Mathe und Computer ging. Ich bezweifelte, dass er seine Nachmittage mit etwas anderem als diesen beiden Dingen verbrachte. Für ihn war jedes unserer Redaktionstreffen verlorene Zeit, die er notgedrungen absitzen musste. Doch wenn Tyler und Eric wieder einmal in ihrem Element waren, fühlte sich Dexter wahrscheinlich geradewegs in seine Kindergartenzeit zurück versetzt. Dabei konnten wir froh sein, dass er bei uns mitmachte.

Sein erstes Jahr auf der High School hatte er in der Informatik – AG verbracht, aber laut seinen Worten waren deren Mitglieder die größten Stümper, die er je vor einem PC erlebt hatte.

Bei der „RainGazette“ war er für die Rätselseite und die Witze zuständig. Ich ließ ihm weitestgehend freie Hand. Er hatte ein gutes Gespür für Humor und seine Selbstkreierten Denksportaufgaben waren wirkliche Kopfnüsse. Jeden Monat hatte er eine besonders schwere dabei – doch bis jetzt hatte diese spezielle Herausforderung noch keiner gelöst. Ich wusste, dass ihm das Entwerfen von solchen Fragen einen Heidenspaß machte, ebenso wie die Tatsache, ungeschlagen zu sein. Dies war auch der Grund, warum er der Schülerzeitung bis heute treu geblieben war.

Ich gab Dexter mit einem Zeichen zu verstehen, dass ich das Problem regeln würde und wandte mich an die beiden Störenfriede.

„Wirklich witzig, Tyler. Ich muss schon sagen, ihr zwei seit heute geradezu euphorisch drauf. Was ist passiert – haben eure Mütter euch endlich erlaubt, euch selbst anzuziehen.“

Für einen kurzen Moment funkelten Erics Augen mich beleidigt an, bevor er schelmisch grinsend auf meine Frage einging:

„Keine Chance, Boss! Nicht einmal dein Sarkasmus kann uns heute den Tag verderben.“

„Und was ist so besonders an diesem Tag?“, hakte ich nach. Es war nicht so, dass es mich brennend interessierte, aber ich wusste, dass die beiden sonst nie Ruhe geben würden. Wie nicht anders zu erwarten schoss Tyler sofort los:

„Was an diesem Tag so besonders ist? Ganz einfach – wir sind endlich keine Freshmen mehr. Ab diesem Jahr sind wir nicht mehr die Kleinen. Mit der zehnten Klasse beginnt an der High School ein neuer Lebensabschnitt. Ab jetzt werden wir akzeptiert als dass, was wir sind – Männer!“

„Ja, und nun gibt es einen ganzen Jahrgang voll jüngerer Mädchen, die schwärmend zu uns hoch sehen werden“, stimmte Eric Tylers Worten zu.

Angela unterdrückte mehr schlecht als recht ein Kichern. Dexter sah unsere zwei Jüngsten verständnislos an – er würde sie wohl nie verstehen – bevor er sich wieder seinen Rätseln zuwandte. Ich grinste die beiden an und sagte:

„Gut gebrüllt, ihr Löwenbabys! Ihr habt Recht, dies ist ein wirklicher Tag zum Feiern. Ich hoffe, ihr geht eure ersten Artikel mit genauso viel Elan und einer ebenso treffenden Wortwahl an wie eure Rede gerade.“

Dann sprach ich zu allen:

„Womit wir wieder beim Thema wären – die ‚RainGazette’. Unsere erste Ausgabe erscheint am fünften Oktober. Bis dahin haben wir noch eine Menge zu tun. Dexter, wie steht es um die ‚Humor und mehr’ – Seite?“

„Du kennst mich doch“, antwortete der Angesprochene mit einem Schulterzucken – seine Lieblingsgeste überhaupt, „ich hab die Seiten für die nächsten fünf Ausgaben schon fertig. Sicher, dass ich nicht gehen kann?“

Ich sah in bedauernd an.

„Tut mir leid! Du weist, dass die Anwesenheit Pflicht ist. Wenn ein Lehrer mitbekommt, dass du nicht da bist, bekommen wir beide Ärger. Aber du kannst ja noch weiter vorarbeiten. Dann haben wir auch für die Zeitungen im nächsten Jahr genügend Rätsel auf Vorrat. Du wirst nach deinem Abschluss eh schwer zu ersetzten sein.“

Er lächelte geschmeichelt. Ich hatte mein Ziel also nicht verfehlt. Zum einen besserte das seine Laune schlagartig, zum anderen würde die „RainGazette“ ohne seine Mitarbeit wirklich ein wenig farbloser werden.

„Tyler, wie weit bist du mit deinen Eröffnungsartikeln?“, fragte ich unseren Sportreporter.

„Ich werde in den nächsten Tagen jeder Mannschaft einen Besuch bei den Trainings abstatten und mich nach den neuen Mitgliedern erkundigen, gegebenenfalls ein paar Informationen über diese mit einfließen lassen. Im September werden noch keine Wettkämpfe stattfinden, deshalb schreibe ich über Vorjahreserfolge und angestrebte Ziele in dieser Saison.“

Tyler antwortete immer noch enthusiastisch, aber wesentlich pflichtbewusster. Wenn es um Sport ging, war er in seinem Element. Ich kannte keinen anderen, der sich in den verschiedenen Disziplinen so gut auskannte wie er. Es gab wahrscheinlich keine körperliche Betätigung auf diesem Planeten, von der er nicht zumindest schon gehört hatte. Es war wirklich schade, dass er all dies nur in der Theorie erleben konnte. Durch sein starkes Asthma waren größere Anstrengungen für ihn tabu.

Anfangs hatte ihn diese Erkenntnis ganz schön zugesetzt, doch die Arbeit bei der Schülerzeitung hatte ihm bei der Bewältigung dieser Hürde geholfen. Durch seine ergreifende, mitreisende und faire Berichterstattung und seine witzige Art war er bei den Sportlern so beliebt, dass er ein gern gesehener Gast war. So konnte Tyler seinen Idolen immer nah sein.

„An deinen Vorbereitungen gibt’s nichts auszusetzen“, sagte ich. „Willst du dieses Jahr auch deine Artikelreihe über den weltweiten Sport fortführen?“

Ohne nachzudenken antwortete er:

„Hatte ich eigentlich vor. Ich bin aber noch am überlegen, mit was ich anfangen will.“

Gut, das wäre geklärt. Kamen wir zu meinem Problemkind.

„Nun, Eric, hast du schon an irgendetwas gearbeitet?“

„Du kennst mich doch“, antwortete dieser mit schuldbewusster Miene.

Leider war das wahr. Erics Artikel kamen immer ganz zum Schluss – eigentlich meistens sogar noch nach Redaktionsschluss. Er begründete dies damit, dass die Film- und Musikbranche zu schnelllebig sei und dass er unmöglich schon einen Monat vorher anfangen könnte zu schreiben. Ich war jedoch der Meinung, dass er einfach nur ein fauler Hund war, der sich viel zu leicht von anderen Dingen ablenken ließ. Wenn er nicht Tylers bester Freund wäre, hätte ich ihn wahrscheinlich schon längst rausgeschmissen – oder auch nicht.

„Ideen hast du aber hoffentlich schon gesammelt, oder?“, fragte ich leicht gereizt.

„Ja, natürlich! Die Filme habe ich schon zusammengestellt – es sei denn, es ändert sich noch mal was an den Veröffentlichungsterminen. Niemanden interessieren im Oktober die Streifen, die erst im November in die Kinos kommen. Bei den CD – Neuerscheinungen bin ich noch am recherchieren. Und in der Rubrik ‚Starportrait’ werde ich vermutlich eine Sängerin vorstellen, welche genau steht aber noch nicht ganz fest.“

Ich atmete kurz durch und sagte dann:

„Hört sich so an, als hättest du alles ganz toll geplant. Ich hoffe, an der Umsetzung hapert es nicht wieder. Dieses Jahr gibt es nämlich keinen Neuling – Bonus mehr. Wenn deine Artikel nicht rechtzeitig da sind, kommen sie nicht in die Zeitung, verstanden?“

Eric stimmte mir beflissentlich zu. Na, wir werden es ja Ende September sehen, ob er lernfähig war. Ich blickte auf die letzte in unserer Runde. Angela nickte mir zu und begann zu sprechen:

„Die Fotos von gestern werde ich im Laufe der Woche entwickeln. Dann können wir entscheiden, welche wir in die Story einbringen wollen. Ich werde Tyler zu den Treffen mit den Sportlern begleiten und dort diverse Schnappschüsse schießen. Außerdem würde ich dieses Jahr gerne eine Bilderreihe von den schönsten Plätzen der Olympic-Halbinsel in die Ausgaben einbauen. Nachdem wir dass in den letzten zwei Jahren schon von der Schule und von Forks gemacht haben, fand ich das ganz passend.“

Die letzten Worte galten nicht mir. Sie hatte mich über ihre Idee schon informiert und ich hatte sie abgesegnet. Doch auch, wenn ich die Chefredakteurin war, hatte ich keine Alleingewalt. Jeder wurde über mögliche Artikel in der Zeitung informiert und gegebenenfalls stimmten wir über brisante Themen ab.

Angelas Vorschlag stieß wie erwartet auf keinen Widerstand. Es hätte mich auch gewundert. Damit waren alle Artikel abgeklärt – bis auf meinen. Mir schwirrten schon einige Ideen durch den Kopf, aber wirklich manifestiert hatte sich davon noch keine. Anscheinend sah man mir meine Gedanken an der Nasenspitze an.

„Falls du noch keinen Aufhänger für deine Kolumne hast“, sagte Tyler, „dann wüsste ich schon was.“

Fragend sah ich ihn an und er fuhr fort:

„Schreib doch einfach darüber, wie man neuen Schülern den ersten Tag an einer High School so richtig schön vermiesen kann – inklusive ‚Delle in Blankpoliertem Auto’, versteht sich.“

Feixend stieß er Eric in die Rippen, der ebenfalls ein Grinsen auf den Lippen hatte. Ich wusste, dass Tyler dies nur als Witz gesehen hatte und mich aufziehen wollte, doch ich fand die Idee gar nicht mal so schlecht. In diesen Artikel könnte ich all die Dinge unterbringen, die ich am gestrigen Tag so gehasst hatte. Diese Aussicht gefiel mir.

Natürlich müsste ich mich dann auch wieder mit den Neuen selbst beschäftigen. Bei diesen Überlegungen spürte ich Unmut in mir aufsteigen. Schnell verscheute ich die Cullens aus meinem Kopf. Ich wollte jetzt einfach nicht an sie denken. Deshalb antwortete ich Tyler:

„Ich bin von diesem Vorschlag durchaus angetan. Mal sehen, was sich daraus machen lässt.“

Tyler und Eric sahen mich fragend an. Anscheinend hielten sie meine Reaktion für einen Scherz. Schelmisch lächelte ich sie an. Sollten sie sich darüber nur noch ein wenig den Kopf zerbrechen.

„Neben der Kolumne würde ich ab diesem Jahr auch gerne die Rubrik ‚Buchtipp’ einführen. Gestaltung und Inhalt übernehme ich, es kommt auf euch also keine Extraarbeit zu.“

Nach zustimmendem Kopfnicken fuhr ich mit meinen Ausführungen fort:

„Des Weiteren werde ich vorerst die Berichterstattungen zu den Veranstaltungen übernehmen. Ich hoffe jedoch, dass wir in den nächsten Wochen einen Ersatz für Sondra finden und somit die Lücke, die sie nach ihrem Abschluss hinterlassen hat, schnell wieder geschlossen wird.“

„Letztes Jahr habt ihr ja auch zwei überaus talentierte Neuzugänge begrüßen dürfen“, kommentierte Tyler meine Worte. „Hat sich denn schon jemand gemeldet?“

Angela schüttelte nur den Kopf. Bei ihr hatte sich also keiner beworben – bei mir dagegen schon.

„Nun, ich habe heute nur eine einzige Schreibprobe bekommen – meine Worte gestern waren vielleicht doch ein wenig zu abschreckend gewesen.“

Angela nickte zustimmend. Aus den Augenwinkeln sah ich, wie sich Eric und Taylor gegenseitig angrinsten. Die beiden brachte heute wirklich alles zum schmunzeln. Dexter zuckte nur mit den Schultern. Schnell sprach ich weiter:

„Andererseits brauchen wir höchstes zwei neue Redakteure und je weniger sich melden, desto Wenigeren müssen wir absagen.“

Angela unterbrach mich:

„Wenn du aber jeden verkraulst, der Interesse hat, könnten uns einige Talente durch die Lappen gehen und wir müssen am Ende auf weniger gute Schreiber zurückgreifen.“

Ich hatte mich schon den ganzen Tag gefragt, wann ihre Standpauke bezüglich meiner Präsentation kommen würde – und da hatten wir sie, schön verpackt in freundliche Worte. Angela würde nie laut oder offenkundig tadelnd werden. Nein, sie hatte so eine Art, einen ein schlechtes Gewissen zu machen, damit man sich selbst für seinen Fehler in den Hintern biss. Diese Begabung hatte sie bestimmt von ihrem Vater geerbt. Doch diesmal hatte sie bei mir keinen Erfolg.

„Ich glaube nicht, dass die Kleine, von der ich die Schreibprobe habe, zu wenig Talent besitzt, Ang. Ich habe mir ihren Aufsatz bereits durchgelesen. Außerdem ist sie sehr engagiert. Sie sagte mir, dass sie schon immer bei der ‚RainGazette’ mitarbeiten wollte und dass es ihr nichts ausmachen würde, nur Dienstbotengänge erledigen zu müssen. Sie sagte, es wäre ihr eine Ehre, uns mit Getränken und neuen Stiften zu versorgen.“

„Und wer ist dieser kleine Engel?“, fragte Eric deutlich interessiert.

„Kate Denali, Tanyas jüngere Schwester.“

„Kennst du sie näher?“, wollte nun Tyler wissen. Die beiden versuchten doch nicht etwa, aus der Schulerzeitung eine Datebörse zu machen? Kerle in diesem Alter waren einfach unmöglich. Sie erinnerten mich zurzeit stark an Jake. Trotzdem antwortete ich:

„Nur flüchtig. Da die Denalies nicht in Forks wohnen, hab ich sie nur hin und wieder gesehen. Tanya ist ja schließlich Roses beste Freundin und nicht meine. Sie war ein- zweimal auf einer Party, die meine Tante organisiert hatte, doch wirklich miteinander zu tun hatten wir nicht. Doch wenn euch Kate so brennend interessiert, dann können wir sie gern nächste Woche zu einer Schnupperredaktionssitzung einladen. Ich habe euch ihre Schreibprobe kopiert, ihr könnt sie also in Ruhe zu Hause anschauen.

Ich muss euch aber gestehen, dass ich ihr eigentlich schon so gut wie grünes Licht gegeben habe. Ich meine, selbst wenn ihr sie nicht als talentiert genug betrachtet, so wollte sie es unbedingt – und einen Laufburschen kann man doch immer gebrauchen, nicht?“

Angela sah mich entsetzt an. Sie hatte meine Frage anscheinend für bahre Münze genommen.

„Du kannst dem Mädchen doch keine falschen Hoffnungen machen. Sie wird schwer enttäuscht sein, wenn sie nicht schreiben darf.“

„Beruhige dich, Ang! Les dir ihren Artikel durch. Ich bin sicher, du findest auch, dass ich nicht zu voreilig war. Ihr Stil ist gradlinig und offen, wenn auch noch etwas ungeschliffen. Aber sie ist erst vierzehn – die kleinen Unebenheiten bügeln sich mit der Zeit schon raus. Sie hat eine freundliche Art und keine Angst, auf Menschen zuzugehen. Mit ihrem einnehmenden Wesen fände ich sie geradezu ideal für die Interviews und die Veranstaltungsberichte.

Doch entscheidet selbst.“

Ich teilte die Zettel aus und sah noch einmal in die Runde.

„Gibt es noch etwas, was ihr besprechen wollt?“ fragte ich gewohnheitsgemäß.

Eric nickte eifrig.

„Wir müssen noch über unseren diesjährigen Campingausflug sprechen“, sagte er.

Stirnrunzeln sah ich ihn an.

„Hat das nicht bis nächste Woche Zeit, der September ist ja noch lang?“

„Ja, eigentlich schon“, druckste Eric rum, „aber Tyler und ich dachten, dass es doch toll wäre, wenn wir schon nächstes Wochenende fahren würden. Schließlich hast du am Sonntag Geburtstag und letztes Jahr hatte es ja nicht an diesem Tag geklappt.“

Verwundert blickte ich von einem zum anderen. Letztes Jahr war ihr Plan aufgrund eines angekündigten Sturms nicht aufgegangen, aber für die nächste Woche stand nur schönstes Wanderwetter ins Haus. Dieses Mal würde ich also nicht drum rum kommen.

„Also gut, wenn es euch eine Freude macht? Ich rede mit Jake, ob er es so kurzfristig einrichten kann. Alles weiter besprechen wir dann am Donnerstag.“

Es war ein Wunder, dass die Eric und Tyler nicht in Jubeltänze verfielen, so erfreut wirkten sie. Die beiden hatten irgendwas vor. Ich befürchtete, meine Zustimmung noch zu bereuen. Hilfe suchend sah ich zu Angela, die nur lächelnd mit den Schultern zuckte. Sie war also auch eingeweiht. Das hätte ich mir eigentlich denken können müssen.

Der einzige, der ebenso unwissend wirkte wie ich war Dexter. Da er an unserem Ausflug aber eh nicht teilnehmen würde, störte ihn das wahrscheinlich nicht weiter.

Ich sah auf die Uhr. Es wurde Zeit, dass ich die Redaktionssitzung für heute beendete. Ich musste Elphie noch abholen, bevor ich auf Arbeit ging. Ohne Auto würde dies eine Weile dauern.

Also unterbrach ich die stille Kommunikation zwischen Angela, Tyler und Eric und gab ihnen das Zeichen zum Aufbruch. Als alle aus dem Raum gegangen waren, schloss ich hinter mir ab und verließ zusammen mit den anderen das Gebäude der „Forks Daily News“.

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Die Tür hinter uns fiel scheppernd ins Schloss.

Wir befanden uns bei NEWTONS, einem Fachgeschäft für Sport-, Freizeit- und Campingartikel. Mike hatte uns den Laden seiner Eltern empfohlen, da Emmett einige Teile seiner Footballausrüstung erneuern musste.

Ja, mein Bruder war nun offiziell ein Mitglied der FHS – SPARTANS. Das Probetraining war wie erwartet reine Formsache gewesen. Weder Coach Clapp noch einer der Spieler hatte daran gezweifelt, dass Emmett einen Gewinn für das Team darstellen würde.

Ich selbst hatte mich ebenfalls für eine AG entschieden – ich war der Schwimmmannschaft beigetreten. Ich hatte mich einiger Maßen talentiert angestellt und Coach Carsen hatte mir vorgeschlagen, bei den Langstreckenschwimmern einzusteigen. Die richtige Kondition hatte ich dafür – es war tatsächlich nur eine Frage der Ausdauer. Außerdem hatte diese Teildisziplin wesentlich weniger Wettkämpfe im Vergleich zu den kurzen Strecken. Ich würde also noch genügend Zeit für die Schule und meine Hobbys haben.

Meine Geschwister und ich sahen uns im Geschäft um. Außer den bis zur Decke voll gestopften Regalen, den mit Bällen überfüllten Körben und den dicht behangenen Kleiderständern war nichts und vor allem niemand zu sehen. Der Laden wirkte wie ausgestorben. Dabei musste der Krach, welchen die Tür beim Schließen veranstaltet hatte, doch irgendjemand aufgefallen sein? Abgesehen davon war direkt neben dem Eingang die Theke mit der Kasse. In Chicago hätte kein Verkäufer sein Geld derartig unbedarft stehen gelassen. Jeder Dieb hätte sich riesig über eine solche Chance gefreut. Aber vielleicht gab es solche Langfinger in Forks nicht? Ich musste mich wirklich daran gewöhnen, dass wir jetzt in einer kleinen Stadt lebten.

Plötzlich hörte ich Schritte neben uns. Ein schwarzgrauer, einem Wolf erschreckend ähnlich sehender Hund kam Schwanz wedelnd auf uns zugelaufen. Auf Alices Gesicht breitete sich Strahlen aus. Langsam sank sie in die Hocke, den Blick unverwandt auf das Tier gerichtet.

„Du bist aber ein hübscher Kerl!“, sagte sie sanft.

Ich musste lächeln. Es gab bestimmt nicht viele Personen, die diesen Vierbeiner beim ersten Anblick als „hübsch“ bezeichnet hätten. Seine rechte Gesichtshälfte war von einer Narbe gezeichnet, die auch das Auge in Mitleidenschaft gezogen hatte. Es sah getrübt und starr aus – wahrscheinlich war es blind. Das entsprechende Ohr kippte zur Seite weg und war deutlich kürzer als das andere, der Rand wirkte ausgefranst.

Der Hund betrachtete meine Schwester kurz. Dann setzte er sich hin und stupste sie auffordernd mit der Nase an. Ohne die geringste Angst zu zeigen oder sich an seinen Entstellungen zu stören, tätschelte Alice dem Tier liebevoll den Kopf und kraulte es hinter dem Ohr. Als sie über den Hals stich, blieb sie an seinem Halsband hängen. Es war aus Leder- und Stoffbändern gefertigt, die ineinander verschlungen waren. Kleine Holzperlen waren in das Flechtwerk eingearbeitet worden. Auf einem daran befestigten, flachen Kieselstein stand ein einzelnes Wort.

Auch Alice hatte dies entdeckt.

„Dein Name ist also Elphie. Es freut mich, dich kennen zu lernen. Ich bin Alice.“

Sie streckte der Hündin ihre Hand entgegen und diese hob tatsächlich ihre Pfote und legte sie hinein. Emmett prustete los.

„Sieht aus, als hättest du eine Freundin gefunden, Floh. Da müssen wohl jetzt nicht mehr Edward oder ich mit dir shoppen gehen. Ich kann mir aber nicht vorstellen, dass sie die gleichen Läden bevorzugt wie du.“

Alice sah ihn entrüstet an.

„Das ist nicht witzig, Emmett“, sagte sie in einem tadelnden Tonfall. „Diese arme Kleine denkt noch, du lachst über sie. Sie hat es bestimmt so schon nicht leicht.“

Mitleidvoll sah sie der Hündin in die Augen. Mein Bruder beruhigte sich wieder und setzte eine entschuldigende Miene auf.

„Da hast du vermutlich Recht. Mit dem Namen ist sie aber auch gestraft. Mal ehrlich, wie eine Elphie – Elfe sieht sie nicht gerade aus?“

„Ihr vollständiger Name ist Elphaba und ich finde, der passt perfekt zu ihr.“

Wir sahen alle drei – um genau zu sein alle vier – auf. Die Hündin erhob sich und lief schnurstracks auf die Regalreihen zu. Dort, die Hände mit Kartons beladen, stand Isabella. Sie trug einen grünen Kittel mit brauner Aufschrift – anscheinend arbeitete sie hier. Verärgert funkelte sie uns entgegen, doch dieser Blick galt ausnahmsweise nicht mir. Ich hörte, wie Emmett sich räusperte. Doch noch bevor er etwas sagen konnte, ergriff Alice das Wort.

„Elphaba? Wie bei ‚Wicked’, dem Musical?“

Isabella sah ein wenig überrascht zu meiner Schwester und nickte kurz. Letzter setzte eine wissende Miene auf und fuhr fort:

„Ah, verstehe! Elphaba, die vermeintlich böse Hexe des Ostens, wird von allen nur auf ihr Aussehen reduziert. Die Leute sehen nur ihre grüne Hautfarbe und erkennen nicht, was für ein fantastischer Mansch sie ist. So ist es bei deinem Hund sicher auch – ich nehme einfach mal an, dass sie dein Hund ist. Alle bemerken ihre Narben, aber nicht ihren tollen Charakter – so wie mein idiotischer Bruder.“

Alice warf Emmett einen vorwurfsvollen Blick zu, worauf hin dieser ein verlegenes „Tut mir leid, hab’s nicht so gemeint!“ über die Lippen brachte. Isabella ging auf die Entschuldigung nicht ein. Sie betrachtete meine Schwester – ein verblüffter Ausdruck lag auf ihrem Gesicht. Ich konnte es ihr nicht verübeln – ich selbst erkannte Alice kaum wider.

Das war nicht das schüchterne Mädchen, das Fremden gegenüber kein Wort herausbrachte. So aufgeschlossen war sie sonst nur im Kreis der Familie, wenn sie sich absolut sicher fühlte. Hierher – in eine Umgebung, die ihr nicht vertraut war – passte dieses Verhalten nicht. Ich überlegte, ob dies etwas mit der Hündin zu tun haben könnte. Alice war schon immer tierlieb gewesen. Doch wenn ich genauer darüber nachdachte, war sie schon den ganzen Tag so unbeschwert gewesen – zumindest, wenn Isabella in ihrer Nähe gewesen war. Konnte es sein, dass Alice sie mochte? So sehr, dass sie bereit war, sich ihr zu öffnen? Sie kannte sie doch kaum. Ich konnte mich nicht erinnern, dass meine Schwester jemals vorher so schnell Zutrauen bei einem fremden Menschen gefasst hatte. Sie musste in diesem Mädchen irgendetwas sehen, was ich nicht erkannte. Für mich war sie nur eine sture, viel zu sehr von sich selbst überzeugte Person, welche mich in den Wahnsinn trieb, seit ich sie zum ersten Mal gesehen hatte. Und ich war nicht der Meinung, dass sie die Person war, der Alice sich anvertrauen sollte. Ich wollte nicht, dass sie schon wieder verletzt wurde. Ich musste unbedingt mit meiner Schwester reden.

Während ich noch in meinen Gedanken versunken war, entspannten sich Isabellas Gesichtszüge und sie lächelte mild. Dann wandte sie sich an Emmett:

„Ist schon gut, wir beide sind solche Bemerkungen gewohnt, nicht wahr, Große?“

Sie stellte die Kartons ab und beugte sich über Elphie, um ihr die Brust zu kraulen. Sie konnte also auch verzeihen – zumindest, wenn ich es nicht war, der darum bat. Interessant!

„Und ja, sie ist mein Hund.“

Sie sah wieder nach oben. Das Lächeln hatte sich auf ihrem gesamten Gesicht ausgebreitet und auch ihre braunen Augen erreicht. Ihr Blick war warm und liebevoll. Ich ertappte mich dabei, wie ich fand, dass ihr das ungemein gut stand. Schnell zwang ich mich wieder, an etwas Neutrales zu denken, immerhin vermied sie es auch, mich anzusehen. Gegenseitiges Ignorieren – wir sollten es beide nicht vergessen.

Alice ging – ermuntert durch Isabellas Lächeln – auf sie zu und begann erneut, Elphie zu streicheln. Dabei sagte sie:

„Sie ist wirklich hübsch! Ich kann mich nicht erinnern, schon einmal einen solchen Hund gesehen zu haben. Was ist das für eine Rasse?“

„Irgendwas gemixtes, aber man sagte mir, dass sie wohl ihrer Mutter sehr ähnlich sehen würde. Diese war ein reinrassiger Eurasier – das ist eine relativ junge Art, die hauptsächlich in Europa verbreitet ist. Von dort hatte ihr Besitzer sie auch mitgebracht. Er wollte anscheinend ganz groß ins Zuchtgeschäft einsteigen. Doch seine Hündin lief ihm weg und ließ sich mit der erstbesten Promenadenmischung ein, die ihren Weg kreuzte. Das Ergebnis waren fünf kleine Fellknäule, die allesamt im Tierheim landeten.“

Alice´ Gesicht verzog sich zu einer verärgerten Maske. Mit deutlichem Groll in der Stimme sagte sie:

„Oh, wie gemein! Die armen Babys können doch nichts dafür, wenn dieser Idiot nicht auf sein Tier aufpassen kann. Was wurde aus der Hündin?“

Isabella zuckte mit den Schultern.

„Das wussten die Mitarbeiter im Zwinger nicht. Sie hatten sie nur kurz gesehen, als der Mann die Welpen gebracht hatte. Ich glaube aber nicht, dass er ein besonders schlechter Mensch gewesen ist. Immerhin hat er die Kleinen nicht getötet oder ausgesetzt und er hat sie auch erst weggegeben, als sie alt genug waren, um von der Mutter getrennt zu werden. Der Hündin geht es bestimmt gut.“

Alice nickte beschwichtigt und streichelte Elphaba wieder über den Kopf. Ihr Blick blieb auf den Narben hängen. Zögert begann sie zu sprechen:

„Darf ich fragen, … nun ja, … ?“

„Du willst wissen, was mit ihrem Gesicht passiert ist?“, hakte Isabella nach.

„Du musst es nicht erzählen. Ich wollte nicht neugierig oder unhöflich sein.“

Isabella schüttelte leicht den Kopf und sah gedankenverloren meine Schwester an, die sich erneut neben Elphie gehockt hatte.

„Nein, kein Problem. Es ist verständlich, dass du es wissen möchtest. Ich warne dich aber, es ist keine schöne Geschichte. Ein älterer Hund hat sie und zwei ihrer Geschwister angefallen, kurz nachdem sie ins Tierheim gekommen waren. Die drei hatten ihn wohl mit ihrem Rumgetobe irgendwie gestört. Es muss alles sehr schnell gegangen sein. Als die Menschen dazukamen, hatte er schon wieder von den Welpen abgelassen. Sie konnten nur Elphie retten – die anderen beiden haben es nicht geschafft.“

Ich sah, wie sich Alice´ Augen mit Tränen füllten. Sie kuschelte sich an die Hündin und vergrub ihr Gesicht in ihrem Fell. Ich wollte zu ihr gehen und sie trösten, doch Isabella war schneller. Beruhigend legte sie ihr eine Hand auf die Schulter und sagte:

„Sei deswegen nicht traurig. Das ist jetzt schon drei Jahre her. Solche Dinge passieren und wir können sie leider nicht ändern. Freu dich lieber darüber, dass Elphie überlebt hat. Und was die Narben angeht – die stören uns nicht. Schließlich hätten wir uns ohne sie nie kennen gelernt. Nicht wahr, Große!“

Bei dieser liebevollen Anrede sprang Elphie auf – wobei Alice unsanft zur Seite gestoßen wurde – und tänzelte Schwanz wedelnd um Isabella herum. Plötzlich hatte diese zwei riesige Pfoten auf den Schultern und einen nassen Hundekuss mitten auf die Wange. Lachend schob sie den aufgeregten Hund von sich runter und reichte meiner Schwester die Hand, damit diese aufstehen konnte. Letztere hatte schon wieder ein kleines Lächeln auf den Lippen, als sie fragte:

„Ihr habt euch durch ihre Narben kennen gelernt?“

Seit wann war meine Schwester derartig neugierig? Isabella schien dieser Wissensdurst jedoch nicht weiter zu stören, denn sie antwortete ohne Umschweife:

„Nun, indirekt schon. Mein Dad hatte zwei Tage nach dem Angriff zufällig bei einem Tierarzt in Port Angeles zu tun. Dort war Elphie operiert worden. Der Doktor erzählte meinen Vater, dass ihre Chancen auf Vermittlung mit einem entstellten Gesicht nahezu bei null lägen – Menschen können so was von oberflächlich sein. Meinen Dad rührte diese Geschichte so sehr, dass wir zwei Wochen später zum Tierheim fuhren, um sie abzuholen.“

„Dein Dad ist echt klasse!“, gab Alice euphorisch von sich.

„Ja, dass ist er. Meistens, jedenfalls.“

Isabella lächelte kurz in sich hinein, bevor sie ihren Blick von meiner Schwester abwendete und in Emmetts und meine Richtung schaute.

„Nun, ihr seid doch bestimmt nicht hergekommen, um euch Storys über Elphie anzuhören? Wie kann ich euch helfen?“

Emmett hatte so gespannt zugehört, dass ihn die Frage ein wenig überrumpelte. Er räusperte sich kurz, bevor er antworten konnte:

„Ich brauche einige Dinge für meine Footballausrüstung. Die Gesichtsmaske meines Helmes ist beschädigt und meine Schulterpolster haben auch schon bessere Zeiten gesehen.“

„Na, dann kommt mal mit!“

Isabella drehte sich um und bedeutete uns, ihr zu folgen. Wir gingen tiefer in den Laden hinein, vorbei an Regalen mit den unterschiedlichsten Sportutensilien. Anscheinend waren die Freizeit- und Campingartikel auf der anderen Seite des Geschäfts aufgebaut.

„Du bist also das neue Mitglied bei den SPARTANS? Glückwunsch! Ich wette, Mike ist vor Freude fast geplatzt Schließlich hat er jetzt endlich einen neuen Fullback. Ich nehme doch an, dass du auf dieser Position spielen wirst?“

Überrascht sah ich auf. Dass Isabella vorhin höflich Alices Fragen beantwortet hatte, war eine Sache. Doch dass sie meinen Bruder freundlich und von sich aus ansprach, ließ mich stutzten. Schon wieder reagierte sie völlig anders, als ich es erwartet hätte.

Emmett nickte anerkennend.

„Ganz genau!“, sagte er begeistert. „Du kennst dich anscheinend aus. Gehst du zu den Spielen?“

Isabella lachte auf, bevor sie antwortete:

„Nicht, wenn es sich vermeiden lässt. Aber mein Dad liebt alles, was Sport zu tun hat – zumindest im Fernsehen. Ich kann mich nicht entsinnen, dass er jemals was anderes geschaut hat. Da bekommt man in siebzehn Jahren so einiges mit.

Außerdem lese ich alle Artikel für die ‚RainGazette’ Korrektur und Tyler, unser Sportredakteur, ist wirklich begabt. Wenn er einen Bericht über einen Wettkampf schreibt, hast du das Gefühl, dabei gewesen zu sein.“

Während sie sprach, betraten wir einen großen Raum, der voller unausgepackter Kartons und eingewickelter Ware stand. Dies war mit großer Wahrscheinlichkeit das Lager. Isabella sah uns entschuldigend an.

„So, da wären wir. Leider haben die anderen Spieler am Wochenende unseren ganzen Vorrat an Schulterpolstern und Helmzubehör aufgekauft. Die Lieferung mit der Nachbestellung ist zwar heute Morgen gekommen, ich habe mich aber noch nicht bis zu den Footballutensilien durchgearbeitet. Ich bin mir aber ziemlich sicher, dass sie in den Kisten dort hinten sind.“

Sie schlängelte sich zwischen den Waren hindurch und öffnete eine der Boxen, die an der Wand standen. Triumphierend holte sie die gewünschten Sachen hervor und blickte Emmett auffordernd an.

„Komm rüber, dann kannst du selbst schauen, was du genau brauchst und welche Größe du benötigst.“

Mein Bruder ging zu ihr und gemeinsam begutachteten sie den Inhalt der Kartons. Alice stand neben mir und tätschelte geistesabwesend Elphies Kopf, der zwischen unseren Oberschenkeln ruhte. Plötzlich spürte ich etwas Nasses an meinem Bein und sah nach unten. Die Hündin blickte mich mit ihrem gesunden, bernsteinfarbenen Auge an. Unwillkürlich hob ich meine Hand und kraulte sie hinterm Ohr. Dies schien ihr zu gefallen, denn sie begann, genüsslich vor sich hin zu grummeln. Meine Schwester kicherte leise und flüsterte mir zu:

„Sie scheint dich zu mögen.“

Ich zuckte mit den Schultern.

„Sie scheint jeden zu mögen“, erwiderte ich betont gleichgültig.

Alice schüttelte den Kopf, immer noch lächelnd.

„Ich glaube nicht, dass es daran liegt. Emmett ist von ihr nämlich noch nicht zum Streicheln aufgefordert worden.“

„Emmett hat sie ja auch beleidigt!“

„Damit hat es bestimmt nichts zu tun und das weißt du auch. Nein, sie mag dich. Hunde haben eben ein untrügliches Gespür für Menschen, die ihnen gut tun.“

Mit diesen Worten wandte sich meine Schwester von mir ab und ließ mich mit der Hündin allein. Diese machte gar keine Anstalten, sich vom Platz zu bewegen, weder Alice hinterher noch ihrem Frauchen entgegen. Im Gegenteil – Elphie lehnte sich mit ihrem ganzen Gewicht gegen mein Bein und hob ihre Vorderpfote. Ich hatte nicht die geringste Ahnung, was sie wollte.

„Sie möchte am Brustbein gekrault werden. Das findet sie richtig klasse. Ich würde dir ja zeigen, wie, aber von mir lässt sie sich nicht gerne anfassen. Sie kann mich irgendwie nicht leiden.“

Ich sah auf und blickte in Mikes grinsendes Gesicht. Elphie blickte ebenfalls nach oben, stand auf und lief zu Isabella.

„Ich sag ´s doch, sie kann mich nicht leiden.“

Mike zuckte mit den Schultern, bevor er weiter sprach:

„Habt ihr alles bekommen, was ihr wolltet? Es wäre echt ein Jammer, wenn Emmett nicht sofort ins Training einsteigen könnte.“

Ich deutete in die Richtung, in der Elphie verschwunden war. Mein Bruder stand neben einer der Kisten und probierte gerade ein paar Schulterposter an.

„Wir sind noch beim Kaufen, wie du siehst“, klärte ich Mike auf.

Dieser folgte meiner Armbewegung und nickte.

„Verstehe! Ist wohl noch nicht alles ausgepackt, was? Tja, ohne mich läuft eben nichts!“

Dann wandte er sich an Isabella, die gerade die Helme vor Emmett ausbreitete.

„Tut mir leid, dass ich zu spät bin, Bella.“

Isabella schaute nur kurz auf, bevor sie sich wieder den Kopfschutzen widmete. Trotzdem antwortete sie:

„Mach dir darüber keinen Kopf. Es ist nicht das erste Mal und wird bestimmt auch nicht das letzte Mal sein, dass du nicht pünktlich kommst. Doch da ich nach Stunden bezahlt werde, ist mir das relativ egal. Wenn du nicht da bist, habe ich eben länger zu tun. Du solltest jetzt aber vor in den Laden gehen, falls noch andere Kunden kommen. Dein Vater ist nämlich kurz zur Bank gefahren.“

Mike nickte wieder und verschwand dann nach vorn in den Laden. Es dauerte jedoch nicht lange und die Tür öffnete sich erneut. Ein Mann mittleren Alters erschien im Lager und sah überrascht in die Runde.

„Isabella, was ist denn hier los? Wer sind diese Jugendlichen?“, fragte er in leicht gereiztem Ton.

Die Angesprochene sah auf und lächelte entschuldigend.

„Das sind neue Schüler an der Forks High, Mr. Newton. Sie brauchen einiges für ihre Sportausrüstung. Da ich mit dem Auspacken noch nicht fertig war, habe ich sie einfach mit nach hinten genommen. Das war doch Okay, oder?“

Mikes Vater wirkte verwirrt.

„Ihr seit mit dem Auspacken noch nicht fertig? Die Lieferung war heute doch gar nicht so groß. Eigentlich hätte die Ware schon längst verräumt sein müssen.“

Er hielt kurz inne und Erkenntnis machte sich auf seinem Gesicht breit, bevor er weiter sprach:

„Natürlich! Mein unzuverlässiger Sohn ist gerade erst hier aufgetaucht, stimmt ´s? Aber er wird gleich nach hinten kommen und dir helfen, dafür sorge ich schon. Ich bringe nur noch die Papiere ins Büro und gehe dann selbst nach vorn an die Theke.“

Damit verschwand er in einer Tür seitlich von mir, nur um kurze Zeit später wieder aufzutauchen und in den Laden zu gehen.

In der Zwischenzeit hatte Emmett seine Sachen zusammen. Er bedankte sich bei Isabella, die ihn zum Abschied angrinste. Dann winkte sie Alice zu und widmete sich wieder dem Auspacken der Waren. Ich bekam nicht einmal mehr einen eisigen Blick. Irgendwie störte mich diese Tatsache.

Gemeinsam mit meinen Geschwistern ging ich zurück in das Geschäft. Auf halben Weg kam uns Mike entgegen. Er schien deutlich schlechter gelaunt als noch vor ein paar Minuten. Er lief an uns vorbei, ohne uns noch einmal zu beachten. Das Gespräch mit seinem Vater war anscheinend nicht nach seinem Geschmack verlaufen.

Mr. Newton wartete schon hinter der Kasse auf uns. Während Emmett seine neuen Ausrüstungsteile bezahlte, gingen Alice und ich schon einmal zum Auto.

Plötzlich ertönte hinter uns ein ohrenbetäubender Lärm. Ich drehte mich um und blickte direkt auf das rostige Ungetüm, mit welchem mein Wagen gestern unfreiwillig Bekanntschaft gemacht hatte. Am Steuer saß ein Junge, der deutlich jünger als ich zu sein schien. Ich bezweifelte, dass er schon einen Führerschein hatte. Sein Profil, die dunklen Haare und seine Hautfarbe ließen darauf schließen, dass er aus dem nahe gelegenen Reservat an der Westküste stammte.

Als er ausstieg, fiel mir seine Größe ins Auge. Trotz seines Alters hatte er meine Körperhöhe schon beinahe erreicht. Nicht mehr lange und er würde mich überragen. Er ging um den Van herum und öffnete gerade die hinteren Flügeltüren, als der Eingang des Ladens geöffnet wurde.

Emmett verließ das Geschäft, dicht gefolgt von Isabella und Elphie. Letztere sprintete über den Parkplatz, direkt auf den Fremden zu und sprang ihn freudig an. Der Junge ging lachend in die Knie und kraulte der Hündin die Ohren.

„Hallo, Große! Na, wie geht ´s?“

Wie zur Antwort bellte Elphie kurz auf. Alice neben mir kicherte leise. Sie hatte wirklich einen Narren an dem Tier gefressen.

Mittlerweile war Isabella bei ihrem Auto angekommen. Der Junge erhob sich, legte seinen Arm um ihre Schulter und führte sie zur Motorhaube. Freudestrahlend deutete er auf die Scheinwerfer.

„Wie versprochen präsentiere ich dir deinen nagelneuen Wagen – oder zumindest deinen Wagen mit funktionierenden Lichtern. Die Beulen aus dem Blech hab ich so gut es ging ausgebügelt. Wir sollten demnächst aber vielleicht doch etwas Geld in eine Dose neue Farbe investieren. Alles in allem sieht dein Van nämlich ganz schön mitgenommen aus.“

Er hatte also ihr Auto repariert. Isabella boxte ihm freundschaftlich in die Seite, bevor sie auf seinen Kommentar einging:

„Hey, mach meinen Wagen nicht nieder! Wenn jemand an meiner Rostlaube herummeckern darf, dann ich. … Sag mal, habe ich rechts jetzt einen roten Blinker?“

Der Junge kratzte sich verlegen am Kopf, bevor er antwortete:

„Es gab leider keinen anderen auf dem Schrottplatz. Aber es ist ja vorn, da wird schon keiner denken, dass es sich ums Rücklicht handelt. Und außerdem – solltest du nicht lieber dankbar sein, anstatt an meiner Arbeit rumzunörgeln?“

„Entschuldigung, du hast ja Recht. Ich danke dir, Jacob. Und mein Wagen dankt dir natürlich auch.“

Lächelnd stellte sie sich auf die Zehenspitzen und gab ihm einen Kuss auf die Wange.

Dieser Anblick versetzte mir ein dumpfes Gefühl, welches ich mir nicht erklären konnte. Doch noch bevor ich darüber nachdenken konnte, vernahm ich die Stimme meines Bruders neben mir:

„Ist das nicht das Moped, das ich heute Morgen beinahe über den Haufen gefahren hätte?“

Ich hatte gar nicht bemerkt, dass Emmett mittlerweile bei Alice und mir angekommen war. Ich folgte seinem Blick in das Innere des Vans. Dort stand tatsächlich ein Klappergestell, welches dem Gefährt von heute morgen verdächtig ähnlich sah. Wieso wunderte mich das nicht? Ich nickte kurz, bevor ich meinem Bruder antwortete:

„Sieht so aus!“

Und wieder öffnete sich die Ladentür. Mike kam auf den Parkplatz und schaute zu Isabella und ihren Begleiter. Grüßend hob er die Hand.

„Hi Jake, lange nicht gesehen!“

Der Angesprochene erwiderte den Gruß deutlich unterkühlt. Die besten Freunde waren sie nicht, soviel stand fest. Der Grund dafür war mit Sicherheit Isabella, an die sich Mike jetzt wandte:

„Bella, du solltest wieder rein kommen! Mein Vater sucht dich.“

Isabella sah ihn mit angehobenen Augenbrauen an.

„Wirklich? Das wundert mich. Immerhin habe ich deinem Dad Bescheid gesagt, dass ich Pause mache und er war einverstanden.“

Dieser Jake sah aus, als wenn er sich ein Lachen verkneifen musste. Mike hingegen lief rot an, bevor er etwas erwiderte:

„Oh, da habe ich ihn wohl falsch verstanden.“

Für einen kurzen Moment tat mir der Quaterback leid. Dieses Fettnäpfchen hatte er voll erwischt. Ich wusste nicht, was er sich von derartigen Aktionen erhoffte, denn es war offensichtlich, dass Isabella an ihm nicht interessiert war – selbst, wenn man die Tatsache übersah, dass sie einen Freund hatte.

Und wieder dachte ich mehr über sie nach, als ich sollte. Es hatte mich nicht zu kümmern, mit wem sie was machte. Ich müsste doch froh sein, wenn sie mich ignorierte. Wieso frustrierte mich diese Tatsache derartig? Ihre Nähe tat meinem Verstand eindeutig nicht gut. Es war höchste Zeit, nach Hause zu fahren.

Ich öffnete die Tür zur Beifahrerseite und gab den anderen beiden ein Zeichen zum Aufbruch.
 

Die Heimfahrt verlief ebenso ruhig wie gestern. Hin und wieder versuchte Emmett, die angespannte Situation mit einem Witz aufzulockern, doch dies wollte nicht so recht klappen. Zum einen war seine eigene Stimmung immer noch nicht ganz aus der Tiefe wieder nach oben gekrochen. So weit ich wusste, hatte er Rosalie heute den ganzen Tag ignoriert – anscheinend eine Lieblingsbeschäftigung an dieser Schule. Ich hatte aber das Gefühl, dass er damit mehr sich selbst gequält hatte als sie.

Zum anderen hatte ich Alice immer noch keine Erklärung für mein Verhalten in Geschichte gegeben. Ihre ungestellten Fragen lagen geradezu greifbar in der Luft und ließen ein anderes Gespräch einfach nicht zu.

Nach ungefähr dreißig Minuten erreichten wir unser neues Zuhause. Es lag etwas außerhalb von Forks direkt am Sol Duc River. Die Einfahrt war links und rechts von Wald gesäumt und so lang, dass man den Eindruck gewinnen konnte, das Anwesen läge auf einer Lichtung inmitten von Bäumen.

Das Haus selbst war von den Vorbesitzern vor weniger als zwanzig Jahren gebaut worden, machte von Stil aber eher den Eindruck, etliche Jahre älter zu sein. Es bestand vollkommen aus rotem und grauem Backstein. Die Türen und Fensterrahmen waren weiträumig und aus Ebenholz gefertigt. Die kleine Vorderveranda wurde von vier Säulen umrandet, welche einen großzügigen Balkon über der Eingangstür stützten. Das dunkelgrüne Dach bestand aus vielen, verschiedengroßen Erkern und Giebeln, welche den Räumen in der zweiten Etage interessante Deckenformen verliehen. An der Hinterseite befand sich ein Wintergarten, der sich in eine riesige Terrasse öffnete. Von dieser kam man in einen wild-romantischen Garten, der sich bis zum Fluss erstreckte.

Alles in allem passte dieses Anwesen perfekt zu uns. Die märchenhafte Anmut des Gebäudes war wie geschaffen für Esmes Sammlung von antiken Möbeln. Carlisles Bücher und Gemälde hatten ebenfalls schon ihre Plätze gefunden. Die Ruhe und Abgeschiedenheit würden Emmett gut tun und Alice, die selbst in Chicago immer ein Naturmensch gewesen war, hatte beinahe Luftsprünge gemacht, als sie das Grundstück gesehen hatte. Ja, meiner Familie würde es hier gut gehen und das war alles, was zählte.

Emmett parkte in der großen Garage. Wir stiegen aus und gingen zum Haus. Esme arbeitete im Wintergarten. Solange ihr Atelier im Obergeschoss noch nicht fertig war, hatte sie ihre Staffelei hier unten aufgestellt. Sie sagte, der Blick auf den Fluss inspiriere sie. Ich war gespannt, ob sie mit ihren Kunstutensilien jemals in ihr Arbeitszimmer ziehen würde, wenn sie sich hier unten erstmal eingerichtet hatte.

Als wir herein kamen, drehte sie sich lächelnd zu uns um und sagte:

„Hallo, Kinder. Ich hoffe, ihr hattet einen schönen Tag. In der Küche steht ein leckerer Eintopf. Die neue Haushälterin hat ihn zubereitet. Er schmeckt wirklich exquisit, ich habe zusammen mit Carlisle gegessen, bevor er wieder ins Krankenhaus musste. Wenn Mrs. Dawson sich weiter so hervorragend zeigt, werde ich sie fest anstellen. So eine Seele von Mensch findet man nicht sehr oft.“

Und damit widmete sie sich wieder ihrem Gemälde. Wenn Esme in ihre Kunst vertieft war, wurde sie nicht gern gestört. Sie nannte das dann immer ihre Nachmittage mit ihrer Muse. Wir ließen ihr diese Freiräume, schließlich war es ihr Beruf. Ihre Werke schmückten Ausstellungen und Galerien auf der ganzen Welt.

Ich hatte eigentlich keinen richtigen Hunger, folgte den anderen aber in die Küche. Emmett war gerade dabei, sich einen vollen Teller zu genehmigen, als das Telefon klingelte. Wie von der Tarantel gestochen sprang er auf und rannte beinahe Alice um, die noch am Herd stand. Dann nahm er ab. Sein Gesichtsausdruck verfinsterte sich. Anscheinend handelte es sich nicht um den gewünschten Gesprächspartner. Während er sich unterhielt, setzte ich mich mit einer kleineren Portion Suppe zu meiner Schwester an den Tisch und begann zu essen. Nach ein paar „Jas“ und „Vielleichts“ verabschiedete mein Bruder sich und legte miesepetrig dreinblickend wieder auf.

„Also, dieser Mike geht mir jetzt schon auf die Nerven“, maulte er vor sich hin. „Das Training ist noch keine zwei Stunden vorbei und er ruft schon an, um über neue Spielzüge zu beratschlagen. Wenn das das ganze Jahr so weitergeht, na Prost Mahlzeit!“

Schmunzelnd ging ich auf seine Worte ein:

„Du bist doch nur sauer, weil du jemanden anderen erwartet hattest. Die Aktion mit dem Ignorieren hat wohl nicht ganz so gut geklappt, wie du gehofft hattest?“

„Dafür klappt das bei dir ja umso besser!“

Emmett funkelte mich verärgert an, bevor er weiter sprach:

„Je mehr Isabella dich ignoriert, desto weniger kannst du deine Augen von ihr lassen.“

Ich verschluckte mich beinahe an einer Nudel und bekam einen Hustenanfall. Alice schlug mir kräftig auf den Rücken, bis ich mich wieder beruhigt hatte. Wütend sah ich Emmett an.

„Du weißt doch gar nicht, von was du da sprichst.“

Ich bemerkte selbst, dass meine Stimme einen bedrohlichen Ton angenommen hatte, war aber zu sauer, um diesen abzustellen.

„Ich habe nur aus einem Grund nach ihr Ausschau gehalten“, fuhr ich fort. „Ich wollte die Sache von gestern klären. Doch da sie sich als ein unkommunikativer und äußerst überheblicher Mensch entpuppt hat, hat sich dass auch erledigt. Isabella Swan ist mir völlig egal.“

„Nun, solange du weißt, von was du sprichst, ist es ja gut!“

Mit diesen Worten stand Emmett auf, nahm seinen Teller und verschwand aus der Küche. Was sollte dieser Spruch nun wieder? Natürlich wusste ich, von was ich sprach.

Neben mir stand Alice ebenfalls von ihrem Platz auf. Ich sah zu ihr und blickte direkt in zwei blitzende, graue Augen. Sie war ebenfalls aufgebracht. Was hatte ich getan? Fragend schaute ich sie an. Was darauf folgte war eine Schimpftirade, wie ich sie von ihr wohl noch nie gehört hatte:

„Wie kannst du nur so etwas Gemeines über Isabella sagen? Seit gestern benimmst du dich wie ein ungehobelter Mistkerl. Du legst eine Arroganz und einen Stolz an den Tag – davon wird einem ja schlecht. Ich erkenne dich kaum wieder. So überheblich hast du dich anderen gegenüber noch nie benommen. Gut, du bist immer noch verärgert wegen der Geschichte mit deinem Auto. Das ist aber noch lange kein Grund, Isabella derartig schlecht zu machen. Sie ist der netteste Mensch, den ich außerhalb unserer Familie jemals kennen gelernt habe. Du kennst sie doch kaum!“

Ein Schluchzer ließ ihren kleinen Körper erbeben. Langsam ging ich auf sie zu und nahm sie in die Arme. Ich ging in ruhigem Ton auf ihre Vorwürfe ein, denn ich wollte nicht, dass sie sich noch mehr aufregte:

„Es tut mir leid, wenn ich dich mit meinem Benehmen gekränkt habe. Es war nur ein sehr anstrengender Tag und auch ich bin nicht perfekt. Es ist richtig, ich habe mich nicht immer korrekt verhalten, doch ich wollte dich bestimmt nicht verletzen, das weißt du.

Und was Isabella angeht. Du kennst sie doch auch nicht. Es stimmt, wir hatten einen schlechten Start. Aber glaube mir, die Stunde Biologie, die wir gemeinsam hatten, hat mein Bild von ihr nur bestätigt. Sie ist nicht die Richtige, um deine Freundin zu sein. Ich will nicht, dass sie dir wehtut!“

Schnell wie der Blitz wand sich Alice aus meinen Armen. Mit einem trotzigen Blick sah sie mich an, bevor sie erwiderte:

„Sie wird mir nicht wehtun, dass spüre ich. Ich weiß, dass ich ihr vertrauen kann, dass habe ich von Anfang an gewusst.“ Ihre Stimme überschlug sich beinahe. „Ich weiß nicht, was für Probleme du mit ihr hast und warum dein Biologiekurs so schrecklich war, aber in Mathe wäre ich ohne sie gestorben.

Ich saß bereits auf meinen Platz, als sie rein kam und sich an den Tisch hinter mir setzte. Auf einmal kam Jessicas Freundin herein und ging schnurstracks auf mich zu, ein zufriedenes Lächeln im Gesicht. Als sie mich fragte, ob neben mir noch frei wäre, konnte ich Nichts anderes sagen als ‚Ja’. Sofort belegte sie mich mit irgendwelchen Geschichten über die Cheerleader, während ich immer weiter auf meinem Stuhl zusammensank. Ich wusste, dass würde ein schreckliches Semester werden. Doch plötzlich stand Isabella neben mir und fragte mich, warum ich mich an die falsche Bank gesetzt hatte, immerhin hätte sie mir bei sich hinten etwas frei gehalten.

Sie hat mir heute das Leben gerettet. Also tu mir den Gefallen und versuche, etwas netter von ihr zu denken.“

Ihre Augen füllten sich mich Tränen. Ich musste schlucken. Ich hatte sie mit meinen Worten tatsächlich unbewusst verletzt. Auch wenn Alice Ausführungen sehr melodramatisch waren, so verstand ich doch, was sie mir damit sagen wollte. Sie mochte Isabella wirklich und ich konnte dies nicht mehr ändern.

Tief in meinem Inneren wusste ich, dass ich dies auch nicht wollte. Ich gönnte meiner Schwester von ganzem Herzen eine Freundin, die für sie da war. Und wenn die Geschichte stimmte, so hatte sich Isabella ihr gegenüber als eine solche erwiesen. Egal, welche Probleme ich mit ihr hatte, bei meiner Schwester war sie anscheinend ein anderer Mensch. Diese Tatsache musste ich akzeptieren.

Ich ging auf Alice zu und nahm sie erneut in meine Arme. Leise flüsterte ich ihr ins Ohr:

„Es tut mir leid!“

„Das hoffe ich!“, schluchzte sie an meiner Schulter. Als sie sich beruhigt hatte, setzten wir uns wieder hin und aßen schweigend zu Ende.
 

Ich arbeitete gerade an meinen Hausaufgaben, als es an meiner Zimmertür klopfte. Ich hob den Kopf und bad den Besucher herein.

Esme betrat den Raum. Sie lächelte mich an und setzte sich auf mein Bett.

„Ich muss mit dir reden, Edward.“

Ich legte meinen Stift zur Seite und wandte mich ihr zu. Ihre Kleidung und die Hände waren über und über mit Farbe beschmiert. Sie war am Nachmittag anscheinend sehr kreativ gewesen.

„Ich habe heute durch Zufall eine alte Freundin wieder getroffen“, antwortete sie auf meinen fragenden Ausdruck hin. „Wir hatten zusammen in Paris studiert, an der Kunstakademie. Ich wusste gar nicht, dass sie in Forks lebt. Zumindest hat sie mich und meine Familie am Sonntag zu einer Gartenparty eingeladen und ich habe zugesagt. Wir kennen hier doch keinen. Da ist so eine kleine Feierlichkeit vielleicht genau das Richtige, um unter die Leute zu kommen. Ich hoffe, du gehst mit?“

Jetzt war sie es, die abwartend dreinblickte. Sie wusste, dass ich solche Veranstaltungen eigentlich nicht mochte, schon gar nicht, wenn man niemanden kannte. Doch es war ihr wichtig und deshalb nickte ich zustimmend. Sie strahlte mich an, machte aber keine Anstalten, zu gehen. Sie hatte noch etwas auf dem Herzen.

„Warum bist du eigentlich hier, Mom?“

Sie atmete kurz durch, bevor sie mir antwortete:

„Ich habe mitbekommen, dass Alice und du euch gestritten haben. Und auch Emmett schien irgendwie verärgert. Ich weiß, dass der Umzug für euch Kinder nicht leicht war. Weg aus eurer gewohnten Umgebung, hinein in ein völlig neues Leben. Doch für dich war der gestrige Tag besonders schwer – und damit meine ich nicht diese dumme Geschichte mit deinem Auto. Wenn du reden willst, wenn dir irgendetwas auf dem Herzen liegt, du kannst mir alles sagen. Das weißt du, Liebling?“

Zärtlich lächelt sie mich an.

„Natürlich weiß ich das“, erwiderte ich.

Sie atmete erneut kurz durch und sprach weiter:

„Wenn das alles hier für dich zu viel wird, dann können wir auch eine andere Möglichkeit finden. In deine alte Schule in Chicago ist auch ein Internat integriert. Ich weiß, dass du Alice und Emmett beistehen willst und dass du alles für deine Familie geben würdest, aber du solltest auch an dich denken. Ich sehe doch, wie du dich seit gestern quälst.“

Ihre Stimme zitterte leicht. Die Vorstellung, ich könnte zurück wollen, behagte ihr ganz und gar nicht. Sie vermisste mich ja schon, wenn ich nur für ein paar Tage nicht da war.

Ich stand auf, setzte mich neben sie und nahm sie beruhigend in die Arme.

„Mom, ich will doch gar nicht weg!“

Als ich dies sagte, spürte ich, dass es der Wahrheit entsprach. So sehr die letzten 48 Stunden auch meine Nerven strapaziert hatten, verlassen wollte ich Forks auf gar keinen Fall. Ich befürchtete, dass dieser Wunsch nicht nur mit meiner Familie zu tun hatte.

„Du hast Recht!“, sprach ich weiter. „Die ersten zwei Tage sind nicht optimal verlaufen, aber das wird schon noch. Wenn ich mich erst einmal eingelebt habe, werde ich auch wieder der Alte sein, versprochen.“

„Das freut mich!“, sagte sie. Dann gab sie mir einen Kuss auf die Stirn und stand lächelnd auf.

„Und vergiss nicht! Ich bin immer für dich da, wenn du mich brauchst.“

Leise schloss sie die Tür hinter sich.

Ich versuchte, mich wieder auf meine Aufgaben zu konzentrieren, doch das wollte mir nicht mehr gelingen. Ohne es verhindern zu können, gingen mir die Ereignisse der letzten Tage durch den Kopf. Ich musste mich ablenken.

Ich verließ mein Zimmer und lief nach unten in den Wintergarten. Dort, in einer Nische auf der rechten Seite stand mein Flügel und wartete auf mich. Ich setzte mich und begann wahllos mir bekannte Stücke zu spielen. Dafür brauchte ich keine Noten.

Meine ersten Klavierstunden hatte ich mit fünf Jahren gehabt, das erste Lied komponierte ich mit acht. Einige meiner Lehrer hatten hin und wieder das Wort „Wunderkind“ benutzt, doch mir hatte dieser Ausdruck nie gefallen. Ich war zweifelsohne begabt, doch ich hatte nie mit der Absicht gespielt, ganze Opernhäuser zu füllen und Konzertreisen zu bestreiten – meine Familie hatte mich glücklicherweise auch zu keiner Zeit dazu gedrängt. Ich machte Musik aus Leidenschaft und aus Freude. Es entspannte und beruhigte mich, die Saiten zum Klingen zu bringen. Ich wollte später einmal mit meinen Kompositionen Geld verdienen, doch ich hatte keine Ambitionen, berühmt zu werden.

Während ich spielte, fing es an zu regnen. Der Himmel hatte sich verdunkelt und verlieh der Umgebung einen mystischen Glanz. Ich bemerkte, dass dieser Raum wirklich etwas Inspirierendes an sich hatte. Ohne große Mühe sponnen sich die Noten in meinem Kopf zu Zeilen zusammen. Die Ruhe und Abgeschiedenheit dieses Hauses würden meinen Kompositionen wahrscheinlich gut tun.

Forks gefiel mir immer besser.

______________________________________________________________________________
 

Es hatte angefangen zu regnen.

Elphie sah mich vorwurfsvoll an. Als wenn ich den Himmel abschalten könnte? Sie mochte es überhaupt nicht, während eines Spazierganges durchnässt zu werden. Ein leichter Niederschlag machte ihr nichts aus, doch solch ein Platzregen gefiel ihr ganz und gar nicht. Und da ich mit ihr nach draußen gegangen war, machte sie mich für ihre Misere verantwortlich.

Lächelnd streichelte ich ihr über den feuchten Kopf. Sie schüttelte sich ausgiebig und verschwand dann zwischen den Bäumen, dorthin, wo es noch ein wenig trockener zu sein schien. Schon nach kurzer Zeit konnte ich sie nicht mehr sehen, doch ich brauchte mir keine Sorgen zu machen. Ich wusste, dass sie immer in Hörweite bleiben würde.

Also stellte ich meinen iPod ein wenig leiser und ging weiter. So allein mit Elphie hier im Wald, konnte ich nicht verhindern, dass meine Gedanken wieder zu den Cullens abschweiften. Den ganzen Tag hatte ich versucht, ihnen aus dem Weg zu gehen, doch dies war völlig unmöglich gewesen. Egal, was ich gemacht hatte – sie waren da gewesen. Man wurde sie einfach nicht los.

Natürlich hatte ich das ungeheure Glück, dass seine Göttlichkeit in meinem Jahrgang war. Und wie nicht anders zu erwarten, tauchte er auch noch in einigen meiner Fächer auf. Wieso konnte er nicht strohdoof sein und in die leichten Kurse gehen?

Doch das Schicksal meinte es besonders grausam mit mir – und in diesem Fall wurde Fortuna vertreten durch Mr. Banner.

Ich hatte gedacht, mich müsste der Schlag treffen, als ich bemerkte, dass gerade Edward Cullen mein Biopartner für das Semester sein sollte. Wir mussten uns also zusammenraufen – zumindest für diese eine Stunde am Tag. Wir waren fast erwachsen, das sollten wir doch wohl irgendwie hinbekommen. Die restliche Zeit hatte ich vor, ihn eiskalt zu ignorieren und er hatte sich meinen Vorschlag anscheinend auch zu Herzen genommen, wie der Geschichtskurs gezeigt hatte. Ich war mir sicher, dass mir mein Vorhaben nicht schwer fallen würde.

Bei seinen Geschwistern sah die Sache schon anders aus – und daran war ich ganz allein schuld.

Von Emmett hatte ich mich viel zu schnell um den Finger wickeln lassen. Seine entwaffnende Fröhlichkeit und seine offene Art hatten mich eiskalt erwischt. Selbst in dem Moment, in dem ich eigentlich hätte sauer sein sollen, hatte ich ihm nicht böse sein können. Die Ehrlichkeit seiner Augen hatte mich weich werden lassen. Ich konnte nicht anders – ich musste ihn einfach mögen.

Er hatte ein Gespür dafür, andere zum Lachen zu bringen. Während wir seine Ausrüstung zusammengesucht hatten, hatte er einen Witz nach dem anderen zum Besten gegeben. Wenn wir Dexter nicht hätten – ich hätte ihm glatt einen Posten bei der „RainGazette“ angeboten.

Bei Alice hingegen wusste ich selbst nicht genau, was eigentlich in mich gefahren war. Ich war nicht der Typ, der sich aufopfernd der schüchternen, neuen Schüler annahm – und schüchtern war sie ohne Zweifel. Immer, wenn sie mit ihrem Bruder zusammen war, versteckte sie sich halb hinter ihm, damit er sie vor der Welt beschützen konnte. War sie einmal allein, spiegelte ihre ganze Haltung die pure Unsicherheit wider und ihr Blick glich dem eines scheuen Rehs.

Und doch war es der Ausdruck ihrer Augen gewesen, der mich dazu veranlasst hatte, ihr in Mathe beizustehen, denn immer, wenn sie mich gesehen hatte, hatte sich eben dieser Blick für einen kurzen Moment in ein Leuchten verwandelt. Es war, als wenn sie sich gefreut hätte, mich zu sehen, obwohl wir uns gar nicht kannten. Sie schenkte mir auf eine subtile Art ihr Vertrauen und ich wollte dies auf gar keinen Fall missbrauchen. Wie verrückt war das denn?

Eigentlich sollte ich mich von ihr fern halten, denn ich spürte instinktiv, dass es mit meiner Ruhe schlagartig vorbei sein würde, wenn ich es zuließ, dass sie in mein Leben trat. Dann würde dies wahrscheinlich alles verändern. Und doch weckte ihre ganze Art den Beschützerinstinkt in mir. Ich verstand ihre Beweggründe noch nicht, dass sie verletzt wurde, wollte ich aber schon jetzt nicht.

Und so hatte ich erst in Mathe und später auch in Geschichte neben ihr gesessen. Und obwohl wir kaum ein Wort miteinander gewechselt hatten, war sie in diesen zwei Stunden irgendwie fröhlich und locker gewesen – von unserer Begegnung bei NEWTONS ganz zu schweigen. Diese kleine Elfe war mir wirklich ein Rätsel.

Ein klägliches Bellen riss mich aus meinen Gedanken. Elphie stand triefnass vor mir, ihr gesundes Ohr zur Seite geklappt und einen Mitleideregenden Ausdruck in ihrem bernsteinfarbenen Auge. Ich musste lächeln. Mein Hund war wirklich zu bedauern. Ihre neue Freundin Alice hätte sie bestimmt nicht so lange diesem abscheulichen Wetter ausgesetzt. Vielleicht war ein feuchter Hintern aber auch die gerechte Strafe für ihren Annäherungsversuch mit seiner Göttlichkeit. Mir war nämlich nicht entgangen, wie die kleine Verräterin sich im Lager an ihn geschmiegt hatte. Aber Elphaba hatte Recht! Es war wirklich Zeit, nach Hause zu gehen.
 

Als Elphie und ich zu Hause ankamen, stand das Abendessen schon auf dem Tisch. Dienstags war Charlie für unser leibliches Wohl zuständig, da ich meist nicht vor sieben Uhr abends von der Arbeit kam. Sehr schwer hatte er es bei der Vorbereitung des Mahls jedoch nicht, denn mein Vater war ein so schlechter Koch, dass es für unsere Gesundheit besser war, wenn ich montags etwas zubereitete, was für zwei Tage reichte und nur aufgewärmt werden musste.

Ich schmunzelte bei dem Gedanken. Die Küche war wahrlich nicht sein Metier. Doch sonst teilten wir uns die Arbeiten im Haus so gut es ging. Während Charlie für den Keller, den Garten und sein eigenes Zimmer verantwortlich war, kümmerte ich mich um den restlichen Haushalt, die Wäsche und das Essen. Teamwork war eben alles.

Ich trocknete Elphie schnell ab und gab ihr ihr Futter. Dann setzte ich mich zu meinem Vater an den Tisch. Das Essen verlief wie immer sehr schweigsam, denn Kommunikation war noch nie unsere Stärke gewesen. Trotzdem war das Leben mit meinem Dad unkompliziert. Er kannte mich gut genug, um zu wissen, dass ich meine Freiräume schätzte – eine Eigenschaft, die ich von ihm geerbt hatte – und er ließ sie mir ohne Kompromisse. Er wusste, dass er mir vertrauen konnte und ich wusste, dass er immer für mich da war. Ich liebte ihn einfach.

Nach dem Essen kümmerten wir uns gemeinsam um den Aufwasch, bevor Charlie im Wohnzimmer verschwand. Irgendeine Sportsendung lief doch immer. Ich wollte gerade in mein Zimmer gehen, als das Telefon klingelte.

„Hallo, hier Swan“, meldete ich mich.

Am anderen Ende vernahm ich die kühle Stimme meiner Tante.

„Hallo, Liebes! Wie geht es dir? Tut dein Kopf noch weh?“

„Mir geht’s gut“, versicherte ich ein wenig überrascht. Ein besorgter Anruf passte nicht zu ihr, zumal ich wusste, dass sie bereits gestern mit Charlie gesprochen hatte. Ich sollte Recht behalten.

„Es freut mich, dass es dir gut geht, aber ich habe ein Problem. Du weist ja, dass ich am Sonntag meine jährliche ‚Indian Summer’ - Party feiere?“

Wie sollte ich dies vergessen? Zum einen mochte ich Tante Liz Partys in der Regel nicht, da sie meiner Meinung nach die unmöglichsten Leute einlud. Zum anderen nervte sie uns nun schon seit zwei Monaten, damit wir den Termin nicht vergasen. Ohne eine Antwort abzuwarten fuhr sie fort:

„Ich hatte gerade einen höchst unerfreulichen Anruf. Der Partyservice hat mir abgesagt – angeblich aus familiären Gründen. Das ich nicht lache! Sie waren einfach nicht in der Lage, meine Anforderungen umzusetzen – als wenn ich für mein Geld nicht das Beste erwarten könnte. Doch es wird ihnen noch leid tun, sich mit Elisabeth Hale angelegt zu haben.“

Ich musste kurz schlucken – diesen Partyservice hatte es wahrscheinlich die längste Zeit gegeben. Ich liebte meine Tante wirklich – sie war schließlich in vielen Dingen mehr meine Mutter als Renée – aber wenn sie die eiskalte, reiche Zicke rauskehrte, konnte sie richtig fies werden. Selbst Rosalie konnte da nicht mithalten.

„Ich nehme nicht an, dass du nur angerufen hast, um mir dies zu erzählen?“ fragte ich sie.

„Nein, natürlich nicht! Ich wollte euch darüber informieren, dass sich der Tagesablauf ein wenig geändert hat. Ich habe nicht vor, einen anderen Service zu beauftragen. Noch einmal will ich nicht die ganze Veranstaltung völlig unfähigem Personal erklären. Ich habe mich also dazu entschlossen, alles selbst vorzubereiten – mit der Hilfe meiner Familie.

Die Party wird nun erst um sechs Uhr abends beginnen, so haben wir genügend Zeit. Rosalie wird dich und deinen Vater pünktlich um neun Uhr morgens abholen, damit dein Van nicht die Einfahrt blockiert. Ich erwarte euch voller Tatendrang. Es gibt viel zu tun.“

Sie hatte in ihrer Ausführung nicht eine Frage eingebaut. Sie erwartete einfach unsere uneingeschränkte Zustimmung. In für sie wichtigen Dingen akzeptierte Tante Liz nun mal keine Widerrede.

Mir war das egal – ich hatte eh nichts anderes vor. Bei Charlie war ich da nicht so sicher, doch er würde seiner Schwester wahrscheinlich auch nicht widersprechen.

Ich versicherte meiner Tante unser Kommen und verabschiedete mich von ihr. Danach berichtete ich meinem Dad vom Inhalt des Telefonates. Wie erwartet reagierte er wenig begeistert und für einen kurzen Moment dachte er daran, zurückzurufen. Doch letztendlich ergab er sich seinem Schicksal. Ich sagte ihm „Gute Nacht“ und ging dann mit Elphie in mein Zimmer.

Meine Hausaufgaben hatte ich heute Mittag schon in der Schulbücherei erledigt, bevor ich der Bibliothekarin Ms. Goodale beim Einsortieren der neuen Bücher geholfen hatte – worüber ich leider ein wenig die Zeit vergessen hatte. Da in den letzten zwei Stunden keine neuen Heimarbeiten hinzugekommen waren, hatte ich nun frei. Eigentlich wollte ich noch ein wenig an meiner Kolumne arbeiten, aber irgendwie fehlte mir dazu die richtige Make.

Also holte ich meine Gitarre, setzte mich neben Elphie aufs Bett und begann zu spielen. Sofort erfasste mich ein tiefes Gefühl der Gelassenheit. Alle Probleme des Tages fielen von mir ab. Nichts beruhigte mich so wie ein wenig Musik, egal, ob ich sie selbst erschuf oder sie nur hörte.

Das Talent zum Spielen war so ziemlich das Einzige, was ich von meiner Mutter geerbt hatte. Anfangs hatte sie mich unterrichtet, doch als die Streitigkeiten mit meinem Vater immer häufiger geworden waren, hatte sie sich dafür kaum noch Zeit genommen. Also hatte ich mir vieles selber beigebracht. Auf der Junior High hatte ich dann in der Schulband gespielt, wo mir vom verantwortlichen Lehrer noch etwas Feinschliff verpasst worden war.

Heute spielte ich ganz gut – zumindest für meinen Geschmack. Auf einer Bühne jedoch würde ich wahrscheinlich untergehen.

Während meine Hände über die Saiten glitten, blickte ich nach draußen. Ein paar aberwitzige Sonnenstrahlen brachen gerade durch die dunkle Wolkendecke. Als sie auf die Tropfen trafen, entstand ein wunderschöner Regenbogen. Lächelnd betrachtete ich dieses Naturschauspiel.

In solchen Momenten war Forks der fantastischste Ort auf der Welt.



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Kommentare zu dieser Fanfic (10)

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Von: abgemeldet
2010-04-08T22:12:50+00:00 09.04.2010 00:12
Einfach nur toll
(und das mit Elphie war wunderbar)
mach bitte bitte ganz schnell wieter

lg Crispy <3
Von:  simone123
2009-12-06T00:05:32+00:00 06.12.2009 01:05
Sehr schöne Geschichte, ich hoffe du schreibst bald weiter :)
LG
Simone
Von: abgemeldet
2009-10-23T19:50:49+00:00 23.10.2009 21:50
Elphies Geschichte ist ja echt traurig. Schön, dass es auch solche Leute gibt, die Tiere mit kleinen "Schönheitsfehlern" lieb haben! ;) Nette Idee.
Ich schätze mal, dass Bella und Alice gute Freunde werden. Auch wenn Bella sich das scheinbar noch nicht so vorstellen kann. Alice tut es definitiv gut.
Edward... Bin gespannt, wann sich das Verhältsnis zwischen den beiden etwas entspannt. Immerhin sind sie ja Partner in Bio. Da müssen sie sich ja zusammenraufen.
Schätze es dauert aber noch ne Weile, bis Edward merkt, dass Bella nicht so ein schlechter Mensch ist, wie er vielleicht denkt bzw. grübelt er ja mittlerweile schon darüber nach!
Mike ist echt nervig! Aber ich habe nichts anderes erwartet! ;)

Ich freu mich auf das nächste Kapitel.
LG
Von: abgemeldet
2009-09-02T15:05:15+00:00 02.09.2009 17:05
*kicher*
ich hab grad deine ff gelesen...
sie is voll genial!°!!!!!^^
ich mag bella :D
schreib schnell weida
grüße sobi ♥
Von:  P-Chi
2009-08-13T10:50:25+00:00 13.08.2009 12:50
Wow.
Du bist wirklich wahnsinnig begabt! Einen langweiligen Schultag hast du zu einer aufregenden Sache gemacht und das braucht schon Höchstleistungen! Nur wenige könne mit solchen Situationen umgehen und ich finde es wirlich bewundernswert das du aus faden Dingen einen richtigen Festschmauß für alle Leser machst! x3
Noch dazu gefällt mir, dass man die Unterschiedlichkeit der Charaktere deutlich herauslesen kann. Manchmal kommt es ja vor, dass sich einige ähneln, aber bei dir natürlich nicht x3 *klasse find*
Von der Rechtschreibung her, habe ich auch nichts zu meckern, obwohl du vll ab und an einen Beistrich vergessen hast (was aber auch kein Drama ist).
Ich bin schon sehr gespannt auf das nächste Kapitel.^^

glg Angels
Von: abgemeldet
2009-07-23T20:02:33+00:00 23.07.2009 22:02
Das "schreit" definitiv nach mehr!!!
Habe ich jetzt irgendwas überlesen? Oder, wer ist Elphie? Ein Hund? Naja, ich schätze im nächsten Kapitel erfahre ich das dann.
Bin ja mal gespannt, wie es mit Edward und Bella weitergeht?! Er wird ihr ja hoffentlich verzeihen, dass sie sein Auto geschrammt hat!
Und werden Alice und Bella Freunde?!

Freue mich auf das nächste Kapitel.
LG
Von: abgemeldet
2009-07-23T19:19:32+00:00 23.07.2009 21:19
^^coool!

freu mich darauf wie es weiter geht!
Von: abgemeldet
2009-07-12T20:14:22+00:00 12.07.2009 22:14
hey, fängt sehr vielversprechend...werde die fanfic auf jeden fall weiter verfolgen...glg Argentina
Von:  arrachnia
2009-07-11T13:42:47+00:00 11.07.2009 15:42
Hallo,
ich finde deine Story bis jetzt sehr interessant und witzig, ich freue mich schon auf die fortsetzung :)

bis bald
Von: abgemeldet
2009-07-06T12:27:19+00:00 06.07.2009 14:27
O.o uiii
ok mehr!
bin neugierig.


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