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Süßes Internatsleben, was bist du doch bitter

oder: Von der Ungerechtigkeit des Lebens
von

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Jede Menge Hektik

Der 18. August brachte viel Unruhe in das herrschaftliche Anwesen in der Nähe der Müritz. Die Sommerferien waren vorbei und die Schüler des St. Helena Internates kehrten in ihr Zuhause auf Zeit zurück. Wie jedes Jahr zum Beginn des neuen Schuljahres ging alles drunter und drüber. Am Schwarzen Brett drängten sich die Schülermassen. Jeder wollte zuerst wissen, wie die Kurse gelegt und wann Training war. Vor allem aber interessierte die jungen Leute eines: wann das Vorspiel für die Schulmannschaften war. Seit jeher waren die Plätze im Fußballteam des St. Helena Internates heiß begehrt, gewannen sie doch so gut wie jedes Jahr die Meisterschaften.

Die Unterstufenschüler allerdings hatten Besseres zu tun, sie wollten wissen, ob es Neue gab und ob die Zimmerverteilung geändert würde. In der Mittelstufe versuchten besonders viele Schüler das Schwarze Brett einzusehen. Marie zum Beispiel, die soeben mit dem Auspacken ihres Koffers fertig geworden war und sich mit Blatt und Stift bewaffnet hatte, um sich alle wichtigen Infos, die sie betrafen, notieren zu können. Dummerweise war da kein Durchkommen. Ihrer älteren Schwester Cathy ging es auch nicht besser, die mit ihren Freundinnen Lynn, Lesly und Julia mehr oder weniger geduldig darauf wartete, Zugang zu den Informationen zu bekommen. Die vier waren in der Oberstufe, wenn auch nicht im gleichen Jahrgang. Cathy und Jule waren erst in der 12. Klasse, wohingegen die anderen beiden schon den Abschlussjahrgang besuchten.

„Mann, wie lange dauert das denn noch hier?“, maulte Cathy, als sich urplötzlich die Hälfte der Schüler in eine komplett andere Richtung drehte.

Neugierig, was denn das zu bedeuten hatte, folgten auch unsere drei den Blicken der anderen und blieben schließlich an Herrn Casillas, dem Spanisch- und Italienischlehrer hängen. Lynn seufzte genervt.

„Du lieber Himmel! Kaum taucht dieser Mann auf verwandeln unsere Stufenkameradinnen sich in sabbernde Monster.“, bemerkte sie geringschätzig.

„Aber du musst zugeben, dass er verdammt heiß ist!“, warf Jule ein, die Casillas klasse fand, auch wenn er ständig dämliche Vokabeltests in Italienisch schreiben ließ, was die Zwölftklässlerin ziemlich entnervte, da sie ein wenig bequem war in der Hinsicht. Allerdings teilte sie diese Schwäche mit Lesly und Cathy, weswegen es keinerlei Grund gab, sich zu schämen.

Cathy allerdings hatte zu dem Thema etwas ganz anderes zu bemerken: „Jetzt ist mehr Platz am Brett. Nichts wie hin!“

Gesagt, getan. Sage und schreibe zehn Minuten später hatten die Mädchen ihre Informationen und beschlossen sich in ihr Viererzimmer zurückzuziehen, welches sie seit geraumer Zeit miteinander bewohnten, nämlich schon seit mehreren Jahren. Das Zimmer befand sich im dritten Stock des Anwohnerflügels, in dem jedoch nur die Schülerunterkünfte untergebracht waren. Natürlich gab es eine strikte Trennung der Geschlechter. Das St. Helena duldete sogenannte fleischliche Beziehungen unter Internatsschülern nur höchst ungern, was aber nicht hieß, dass die jungen Leute sich großartig darum gekümmert hätten. Wie in allen anderen Schulen auch gab es eine Menge Paare, die sich nur dank der Schule erst fanden und sich in manchen Fällen auch genauso rasch wieder trennten, wie es jüngst bei Cathy im elften Schuljahr der Fall gewesen war. Ganze zwei Monate hatte sie es mit Jannic ausgehalten, dann hatte sie den Externen abgesägt.
 

Das fragliche Zimmer der vier Damen war recht geräumig, so dass nicht nur vier Betten und ein massiver Kleiderschrank Platz darin fanden, sondern auch zwei Schreibtische, die sich zwei Mädchen jeweils teilen mussten, sondern auch einige Regale bzw. Wandborde. Angestrichen waren die Wände in einem Cremeton, hin und wieder verschönert mit Postern oder richtigen Bildern, die unter anderem von Lesly im Kunstunterricht gefertigt worden waren. Die junge Frau war vor allem musisch und malerisch begabt und keineswegs eine der sportbegeisterten so wie Cathy oder Julia.

Der Boden bestand aus hellem Laminat, Teppich gab es keinen, dafür hatten sie den Luxus eines eigenen Badezimmers, was im St. Helena keineswegs eine Selbstverständlichkeit darstellte. Alles in allem konnten die Mädchen mit ihrem kleinen Reich mehr als zufrieden sein und das waren sie meistens auch, wenn nicht gerade bei einer von ihnen Weltuntergangsstimmung herrschte, was jedoch selten genug vorkam.

Wie bemerkte Lynn in solchen Fällen immer altklug? 'Für jedes Problem gibt es eine Lösung.'

Und in 99 Prozent aller Fälle behielt sie auch Recht mit diesem Spruch.
 

Zum gemeinsamen Abendessen fand man sich im Speisesaal ein, wo vor dem Beginn der Mahlzeit der Schulleiter Joachim Löw eine Begrüßungsrede hielt. Er hieß seine Schäfchen recht herzlich willkommen, mahnte sie zu Fleiß und Ehrgeiz und wünschte ihnen alles Gute für das bevorstehende Schuljahr. Außerdem verkündete er, dass es einige Änderungen im Bereich ‚Privatlehrer’ geben würde. Gespannt verfolgten die zwar hungrigen, aber dennoch aufnahmefähigen Schüler die Ansprache des Direx. Einige begannen auch sofort mit angeregten Tuscheleien, die Herr Löw mit der Bemerkung, dass nun gespeist werden dürfte, zum Erliegen brachte. Nach dem stressigen Tag der Anfahrt, dem Auspacken und den restlichen Strapazen waren alle Anwesenden praktisch ausgehungert. Das ging auch den Lehrkräften so, die ihren eigenen Tisch hatten. Hin und wieder gab es leise Seufzer und glutvolle Blicke in Richtung Casillas, die Lynn nur mit abfälligem Schnauben kommentierte, während Lesly, Jule und Cathy in sich hineinkicherten.. Doch der Spanier war vollauf mit seinen Spaghetti beschäftigt und würdigte nur seinen Nebenmann Monsieur Zidane hin und wieder eines beiläufigen Blickes, was natürlich Enttäuschung bei den Mädchen hervorrief. Lynn allerdings empfand dies als höchst gerecht.

„Geschieht euch ganz recht, ihr pubertierenden Gören!“, murrte sie in den Kartoffelbrei, musste aber zugeben, dass Casillas kein schlechtaussehender Mann war.
 

Cathy, die gerade in ihrem Zimmer verschwinden wollte, wurde in diesem Moment von ihrer jüngeren Schwester Marie, die die 10. Klasse besuchte, aufgehalten.

„Warte mal grad.“

Cathy drehte sich um.

„Oh, hi. Was gibt’s? Irgendwelche Katastrophen?“

„Abgesehen von der, dass Joana Sartor bei mir und Maarja im Zimmer ist, nein. Ich wollte dir bloß mitteilen, dass Philipp, unsere Bruder, am Wochenende vorbei kommen will, um endlich mal unsere Schule kennenzulernen. Er hatte sich ja damals für Berlin entschieden, als es hieß, dass er in ein Internat sollte.“

„Ach? Cool. Davon hat die dumme Nuss mir noch gar nichts gesagt!“, empörte Cathy sich über die Dreistigkeit ihres älteren Bruders. Marie grinste nur.

„Das war auch schon alles!“

Sprach’s und entschwand durch den Korridor dem Blick ihrer Schwester. Cathy sah ihr noch einen langen Moment nach, ehe sie den Kopf schüttelte und ihrem eigentlichen Vorhaben nachkam und das Zimmer betrat, welches sie mit Lynn, Lesly und Jule teilte.

Der ältere Bruder von Cathy und Marie war ein auffallend kleiner Mann, jedenfalls wenn man ihn mit Altersgenossen verglich, aber die geringe Körpergröße lag in der Familie, da auch die Schwestern nicht wirklich groß waren. Sehr zu ihrem Leidwesen bekamen die Mädchen ihren Bruder kaum zu Gesicht, da er nun doch schon um Einiges älter war als sie, weswegen sie sich auch so unbändig darüber freuten, dass er sie besuchen kommen wollte. Vor allem Cathy, die sehr an ihren Geschwistern hing, konnte es kaum erwarten Philipp wiederzusehen. Obwohl sie sechs Wochen Ferien gehabt hatte, war es ihr nur sehr kurz vergönnt gewesen, ihren Bruder zu sehen, da er ziemlich beschäftigt war und eine Menge in der Welt herumgondelte, worum Cathy ihn heftig beneidete. Auch die Reiselust musste wohl in der Familie liegen, da alle drei Geschwister längere Zeit im Ausland gelebt hatten oder noch leben würden, wie in Maries Fall, die in der elften Klasse für ein halbes Jahr im Partnerinternat des St. Helena in den USA verbringen würde. Cathy war in England gewesen und Philipp hatte sich gar für Australien entschieden.

'Ich hoffe, er hat wieder eine Menge zu erzählen...', war der letzte Gedanke Cathys, ehe sie sich zur Ruhe begab, gespannt, was das neue Schuljahr ihr wohl bringen würde. Schließlich wurde es für sie und Jule langsam ernst. Sie waren in der 12 und damit in der Qualifikationsphase fürs Abitur. Von nun an würde die Schule kein Spaziergang mehr sein und falls sie es zuvor schon nicht gewesen war, dann würde es nur noch härter werden, aber wenn man jung ist hat man noch den Elan, sich anzustrengen und für seine Ziele zu kämpfen...

Neuigkeiten

Der erste Tag eines neuen Schuljahres war immer etwas Besonderes, wie Cathy fand. Allgemein waren ihr die ersten Wochen nach den Sommerferien die liebsten. Neuanfänge - es ging doch nichts über Neuanfänge. Noch wusste die junge Frau nicht, wie schwerwiegend sich ihr Leben in der Schule verändern sollte. Gemeinsam mit ihren Zimmergenossinnen, sowie Maarja und Marie machte Cathy sich auf den Weg zum Frühstück, wo sie endlich ihren personal Coach und gleichzeitig auch besten Freund Marcell treffen würde.

„Geht schon mal vor, ich will erst Marci Hallo sagen.“, meinte Cathy mit einem Grinsen zu ihren Begleiterinnen. Dass sie sich so gut mit ihrem Coach verstand war den anderen Mädchen hinreichend bekannt. Schon längst hatten sie sich daran gewöhnt, dass Cathy von ihm nur noch als 'Marcell' oder 'Marci' sprach, nicht aber als Herr Jansen, wie ihn die anderen Schüler nannten. Zu Anfang hatte Lynn damit noch ihren Spott getrieben, doch mittlerweile hatte sie eingesehen, dass es nichts brachte Cathy davon überzeugen zu wollen, dass eine solche Verunglimpfung eines Namens albern war. Zudem hatte die ernsthafte Abiturientin sich längst daran gewöhnt. Manchmal hatte sie sogar Mühe, ihn als Herr Jansen anzusprechen, wenn sie ihm vor dem Lehrerzimmer begegnete, was relativ häufig der Fall war, da Lynn die Schülerbibliothek betreute und oft mit Herrn Frings zu tun hatte, der dafür der zuständige Lehrkörper war.
 

Mit raschen Schritten hatte Cathy die Distanz zum Lehrertisch überwunden, ohne dabei großartig auf die anderen Lehrkräfte zu achten. Geschickt lavierte sie sich an den Herren Lahm, Schweinsteiger, Friedrich und Metzelder vorbei, ehe sie ihr eigentliches Ziel, nämlich Marcell Jansen, erreicht hatte. Wäre sie nicht so erpicht darauf gewesen, ihren Kumpeltrainer zu begrüßen, hätte sie sicherlich den sonderbaren Blick, den Herr Metzelder ihr zuwarf, bemerkt und wäre nicht umhin gekommen über dessen Grund nachzugrübeln. Doch an diesem Morgen war Cathy gedanklich zu abwesend, um auf die anderen Lehrer zu achten. Stattdessen baute sie sich neben Marcells Stuhl auf und schenkte ihm ein strahlendes Lächeln, gefolgt von einem gutgelaunten „Guten Morgen, wie waren deine Ferien?“

„Ah, Cathy.“, erwiderte Herr Jansen lächelnd.

Er hatte sich schon gefragt, wann sein langjähriger Schützling wohl bei ihm auftauchen würde. Bevor er sich dagegen wehren konnte, hatte ihn das blonde Energiebündel schon in einen Bericht über ihre Ferien gezogen. Zwar tat es ihm Leid, sie unterbrechen zu müssen, doch verlangte Marcells knurrender Magen nach seinem Recht.

„Heute um Drei am üblichen Ort, ja? Ich hab dir noch eine Neuigkeit mitzuteilen.“, vertröstete der hochgewachsene, junge Mann Cathy.

Diese nickte ungewöhnlich brav, fragte sich aber, warum ihr Trainer bei der Erwähnung der Neuigkeit seine Miene so verzog, als ob er geradewegs in eine Zitrone gebissen hätte. Den Grund dafür sollte Cathy schon noch früh genug erfahren und er schmeckte ihr ganz und gar nicht.
 

Der Schultag war ereignislos an Cathy vorbeigezogen. Sie hatte zur Kenntnis genommen, dass sie künftig Herrn Frings im Deutsch- LK und ihren liebsten Kumpeltrainer Marcell im Englisch- LK haben würde. Weniger angenehm dagegen fand sie die Tatsache, dass sie Herrn Metzelder, der als streng und sehr genau galt, ihren Mathelehrer nennen durfte. Cathy war grottenschlecht in Mathe und hätte sich eher vor einen Zug geworfen, als es im Abitur zu nehmen. Ein Zitronenbonbon von Jule tröstete Cathy allerdings fürs erste über den Schreck hinweg, hatte es die großzügige Spenderin doch ungleich grausamer erwischt, da sie Mathe zu einem ihrer Leistungskurse erkoren und somit die Arschkarte gezogen hatte, denn Herr Metzelder war zumeist für die Mathekurse der Oberstufe verantwortlich und das Niveau in seinen LKs war legendär. Nicht umsonst war er einer der gefürchtetsten Lehrkräfte der Schule. Lynn und Lesly, die den besagten Herrn ebenfalls zur Genüge kannten, verkniffen sich wohlweislich ein paar hämische Kommentare. Als einige der wenigen Nichtsportler hatten sie ohnehin schon einen schweren Stand. Deswegen hielten sie vorerst mit ihrer Meinung hinterm Berg; die 13 war auch ohne einen Streit mit den Zimmergenossinnen und Freundinnen anstrengend genug.
 

Um kurz vor Drei traf Cathy bei ihrem und Marcells Treffpunkt ein- einer alten, verwitterten Parkbank, die irgendwann einmal grün angestrichen gewesen war, welche unter einer Blutbuche stand und schon bald von rotbraunen Blättern bedeckt sein würde, sobald der Sommer erst mal dem Herbst gewichen war. Cathy setzte sich auf die Bank, lehnte sich zurück, legte den Kopf in den Nacken und sah in die Zweige der Buche, wobei sie hin und her überlegte, welche Ankündigung ihr Trainer ihr wohl zu machen hätte. Solcherart beschäftigt war es nicht weiter verwunderlich,dass Marcell ihr einen gehörigen Schrecken einjagte, als er pünktlich um Drei bei der Bank eintraf und seine Schülerin mit einem lauten Gruß zurück in die Realität beförderte.

„Marci!“, schimpfte sie ihn, konnte ihm allerdings nicht lange böse sein.

Stattdessen musterte sie ihn neugierig. Marcell vergrub unbehaglich seine Hände in den Hosentaschen.

„Komm, lass uns ein Stück gehen. Dann lässt es sich besser reden.“, erwiderte er ausweichend und ungewöhnlich ernst.

Diese Tatsache gab den Ausschlag dafür, dass Cathy widerstandslos gehorchte. Zunächst herrschte Schweigen zwischen ihnen. Cathy wartete darauf, dass man sie ins Bild setzte, während Marcell grübelte, wie er ihr die Sache so schonend wie möglich beibringen konnte. Ein paar Mal machte er den Versuch etwas zu sagen, brach dann aber wieder ab.

'Vielleicht hätte ich sie in mein Büro bestellen sollen...', überlegte er, missmutig einen Stein aus dem Weg kickend.

Natürlich kam Cathy nicht umhin, diesen Umstand zu bemerken. Sie kannte Marcell lange und gut genug, um zu wissen, dass es sich bei den Neuigkeiten um etwas Ernstes handeln musste. Ansonsten würde er sich nicht so verhalten, wie er es nun mal tat. Er würde nicht so ein Geheimnis daraus gemacht haben. Sein Benehmen beunruhigte sie zunehmend.

Schließlich hielt sie die Ungewissheit nicht mehr aus.

„Um Himmelswillen, Marcell, WAS IST LOS?“, platzte es schärfer aus ihr heraus als beabsichtigt. Er zuckte zusammen.

Marcell, so nannte sie ihn nur, wenn sie wütend war. Oder beunruhigt, so wie jetzt. Abrupt blieb er stehen. Cathy, die noch ein paar Schritte gegangen war, drehte sich zu ihm um, seinen Blick unverwandt erwidernd.

„Ich bin nicht länger dein Trainer.“, überwand Marcell sich schließlich zu sagen.

Zuerst blinzelte Cathy ihn nur an. Es dauerte mehrere Sekunden bis sie kapierte, was er da gerade gesagt hatte. Ihre Reaktion überraschte den jungen Mann nicht im Mindesten, kannte er sie doch schon recht lange.

„Willst du mich eigentlich verarschen?“, entfuhr es ihr, während sie innerlich flehte, gleich möge Marcell in Gelächter ausbrechen und ihr ein 'Reingefallen!' an den Kopf werfen. Doch er tat nichts dergleichen. Stattdessen schüttelte er den Kopf, seine Miene war ernst. Er jagte Cathy fast schon Angst ein.

„Leider nicht.“, sagte er leise, „Der Schulleiter hat mich vor ein paar Tagen darüber in Kenntnis gesetzt.“

Stumm nahm Cathy diese Information zur Kenntnis. Wenn der Direx Löw etwas beschloss, musste man ihm Folge leisten. Da gab es keinerlei Diskussion. Nicht mal, wenn man so stur, streitlustig und rebellisch war wie Cathy.

„Deine weitere Ausbildung wird von jemand anderem übernommen.“

„Von wem?“, fragte Cathy schwach, noch während sie sprach, hoffend, dass es Clemens Fritz oder Arne Friedrich sein würden.

„Das wird dir jetzt nicht gefallen...“, hob Marcell an, musste aber gar nicht weiter sprechen, da seinem Schützling schon dämmerte, auf wen es hinauslief.

„Nein! Sag mir, dass da nicht wahr ist!“, verlangte Cathy beinahe schon entsetzt.

„Tut mir Leid, aber sein Schüler hat im letzten Mai Abitur gemacht. Und er hat dich beim Turnier im Juni spielen sehen.“, erklärte Marcell dem blonden Mädchen vor sich.

Ihm gefiel die ganze Sache genausowenig wie ihr. Seit er sie in der achten Klasse übernommen hatte, waren sie gute Freunde geworden, ein eingespieltes, funktionierende Team. Es war ungerecht, dass man sie jetzt auseinanderreißen wollte, zumal Cathy ohnehin nur noch eineinhalb Jahre am St. Helena Internat sein würde.

„Offensichtlich hat er dem Schulleiter gegenüber den Wunsch geäußert, dich unter seine Fittiche nehmen zu dürfen.“

„Und ebenso offensichtlich hatte der Direx nicht das geringste Problem damit!“, knurrte Cathy erbost.

Trotzig hatte sie die Arme vor der Brust verschränkt. Sie wollte diese Veränderung nicht.

„Offensichtlich nicht.“, stimmte Marcell ihr zu, der ihre Reaktion gut verstehen konnte.

„Und jetzt?“, wollte sie wissen.

Marcell zuckte die Achseln. Dann seufzte er leise.

„Ich fürchte, wir werden uns nur noch im Unterricht sehen.“

„Aber...“

Cathy zögerte einen Moment, vollendete jedoch dann ihren Satz,

„Wir bleiben doch Freunde, oder?“

Obwohl sie sich alle Mühe gab konnte sie doch nicht verhindern, dass sich eine leichte Besorgnis in ihre Stimme schlich. Kaum, dass er diesen Ausspruch gehört hatte, fing Marcell vor Erleichterung an zu lachen, was ihm einen gleichermaßen erschrockenen, wie empörten Blick seitens seines ehemaligen Schützlings eintrug.

„Natürlich bleiben wir Freunde!“, versicherte er Cathy, „Was hast du denn geglaubt?“

„Du Mistkerl!“, schimpfte sie, umarmte ihn im nächsten Augenblick aber fest.

Er würde ihr entsetzlich fehlen. Auch ihm ging es ähnlich. Sie hatten so viel Spaß gehabt gemeinsam und jetzt sollte ihre Zeit einfach so vorbei sein.

'Ungerecht!', dachten beide, während sie sich aneinander festklammerten, als ob sie sonst untergingen.
 

Nach einer schieren Ewigkeit allerdings löste Marcell sich von Cathy.

„Du gehst jetzt besser, dein neuer Mentor hat mich angewiesen, dir zu sagen, dass er dich nach unserem Gespräch in seinem Büro erwartet.“, sagte der hochgewachsene, blonde Mann, sich dabei um einen neutralen Tonfall bemühend, was ihm aber nicht recht gelingen wollte.

Cathy nickte nur zu seinen Worten, wovon Marcell doch überrascht war. Normalerweise hielt Cathy mit ihren Gefühlen nicht hinterm Berg. Dass sie jetzt so gefasst war oder viel mehr wirkte, denn innerlich war sie alles andere als 'gefasst' oder 'stoisch', war nochmal ein zusätzlicher Dämpfer für Marcell. Es schien, als ob sie mit dem Wechsel doch kein so großes Problem hatte, wie er zunächst angenommen hatte. Natürlich lag der Lehrer damit vollkommen daneben. Cathy wollte es ihnen beiden nicht noch schwerer machen, in dem sie in seiner Gegenwart in Tränen ausbrach, denn am Liebsten hätte sie einfach nur geheult. Es war schließlich nicht so, als ob sie keinerlei Kontakt mehr zueinander haben durften, oder?

Einmal noch umarmte Cathy ihren besten Freund und Ex- Trainer, dann fügte sie sich dem Schicksal und machte sich auf den Weg zum Büro von Herrn Metzelder.
 

Dort angekommen brauchte Cathy einige Augenblicke, um sich zu fassen, bevor sie ihrem neuen Trainer entgegen trat. Auf dem Weg in den zweiten Stock, wo die meisten Lehrerbüros lagen, hatte die junge Frau ziemlich energisch gegen die Tränen ankämpfen müssen, mit mehr oder weniger durchschlagendem Erfolg. Sie atmete tief durch, strich sich eine Haarsträhne hinters Ohr und überwand sich dann, an die Tür zu klopfen.

„Herein.“, erklang die tiefe Stimme des Bürobesitzers, der sich schon denken konnte, wer ihn da mit einem Besuch beehrte.

Wie geheißen betrat Cathy den Raum, versagte sich aber ihrer Neugier zum Trotz jegliche Seitenblicke auf das Interieur des Zimmers. Sie machte erst halt, als sie direkt vor dem Schreibtisch von Herrn Metzelder stand, der die Frechheit besaß, sie anzulächeln.

„Ah, Cathy, ich habe dich schon erwartet.“, begrüßte er das Mädchen, immer noch lächelnd.

Er wies auf einen der Stühle, die vor dem Tisch standen.

„Setz dich doch.“

Cathy blieb stehen, die Lippen zusammengepresst, ihre Hände zu Fäusten geballt. Kein Ton kam aus ihrer Kehle; sie war ihr wie zugeschnürt.

„Herr Jansen hat dich also schon davon in Kenntnis gesetzt, dass ich fortan dein Mentor bin.“, mutmaßte Christoph scharfsinnig, „Und offensichtlich bist du ebenso begeistert von dieser Neuerung wie er.“

„Sparen Sie sich Ihren Sarkasmus!“, knurrte Cathy mit zusammengebissenen Zähnen.

Herr Metzelders Augenbraue wanderte höher. Er hatte sich wohl verschätzt. Sie war nicht nur absolut unbegeistert, nein, sie hasste ihn geradezu dafür, dass er ihr Marcell weggenommen hatte.

'Das kann ja lustig werden.', dachte er bei sich, nahm sich aber gleichzeitig vor, sich von dieser Frau nicht auf der Nase herumtanzen zu lassen.

„Setz dich.“, forderte er Cathy nun merklich frostiger auf.

„Nein danke, ich stehe lieber.“, erwiderte sie im selben kühlen Ton.

Ihre grauen Augen bohrten sich genau in seine braunen. Es brauchte kein Genie, um darin Starrsinn und Schmerz, den Cathy unzweifelhaft aufgrund ihres Verlustes verspürte, zu erkennen. Sie mochte vielleicht bei Marcell ihren Dickkopf durchgesetzt haben, doch bei Christoph würde sie damit auf Granit beißen.

„Wenn ich sage, dass du dich setzen sollst, dann tust du das auch, kapiert?“

Das Lächeln war nun aus seiner Miene gewichen. Er wirkte finster und unnahbar. Die Härte in seiner Stimme ließ Cathy zusammenzucken und den Befehl widerstandslos befolgen. Besser, sie verscherzte es sich nicht schon am ersten Tag mit ihm.

'Sonst wird der Rest meiner Schulzeit die Hölle auf Erden.', dachte Cathy unbehaglich.

„Schön, nachdem wir die Autoritätsfrage geklärt hätten, können wir ja zu angenehmeren Dingen übergehen, wie den Trainingszeiten.“, hob Christoph erneut an.

Das blieb unkommentiert.

„Wir treffen uns außer am Wochenende jeden Tag um Vier auf dem Sportplatz und -“

„Auf welchem?“, unterbrach Cathy ihn unwirsch, ihren guten Vorsatz ebenso schnell vergessend, wie sie ihn gefasst hatte, „Wir haben hier eine ganze Menge.“

Wieder wanderte die Augenbraue ein Stück höher.

„Offensichtlich muss ich dir erstmal Benimm beibringen, da dein voriger Mentor da wohl ein bisschen was versäumt hat.“, bemerkte Christoph bissig.

„Dass ist nicht Marcis Schuld, kapiert?“

Cathys Augen verengten sich wütend.

„Marci? So,so...“, spottete jetzt der Mann.

Plötzlich flog ihm eine Papierkugel an den Kopf und traf ihn hart an der Stirn. Er hatte nicht einmal mitbekommen, wie Cathy nach einem Blatt von seinem Schreibtisch gegriffen hatte, geschweige denn, wie sie es zusammenknüllte. Voller Empörung sah er die widerspenstige, junge Frau an, die ihrerseits nicht minder echauffiert wirkte. Für einen Moment herrschte Stille.

„Du hast kein Recht, dich über die Freundschaft zwischen Marcell und mir lustig zu machen, du blöder Penner!“, brach es aus Cathy heraus, „Ich versteh nicht mal, warum du ihn ersetzen wolltest. Du kennst mich doch gar nicht! Und du hast auch überhaupt keine Ahnung davon, wie viel Marcell mir bedeutet, weil du total unterkühlt, gefühllos und korrekt bist!“

Erst als der letzte Satz bereits gesagt war, dämmerte Cathy, was für eine riesige Dummheit sie da gerade begangen hatte, doch es war zu spät. Sie konnte nichts mehr zurücknehmen. Rasch sprang sie auf, vor Scham rot anlaufend. Ihre Schritte lenkten sie in Richtung Tür.

„Morgen um Vier, Sportplatz drei.“, hörte sie Herrn Metzelder noch sagen, ehe sie endgültig floh, die Tür hinter sich ins Schloss fallen lassend.

Wofür hat man Freunde?

Entsetzt über ihr eigenes Verhalten und verängstigt, was für Folgen es haben könnte, floh Cathy durch die Korridore des Internatsgebäudes. Tränen rannen über ihre Wangen, verschleierten ihre Sicht und sorgten dafür, dass sie beinahe gestolpert wäre. Mit Müh und Not schaffte Cathy es in ihr Zimmer. Zu ihrer maßlosen Erleichterung waren weder Lynn und Lesly, noch Jule anwesend.

'Ich bin so dumm!', schalt Cathy sich innerlich, als sie sich auf ihr Bett warf, den blonden Schopf in ihrem Kissen vergrabend. Ihr war völlig klar, dass sie eine Menge Mist gebaut hatte, indem sie ihren neuen Mentor beschimpft hatte. Es war ein Wunder, dass er sie nicht angeschrien oder gar vor den Schulleiter geschleift hatte, wie sie es durchaus verdient gehabt hätte. Sie schämte sich ihres Ausbruchs, war aber auch zu stolz, um auf der Stelle reuig Abbitte zu leisten. Schließlich war sie aus gutem Grund so explodiert. Den Verlust eines Freundes verkraftete man nicht so leicht, schon gar nicht, wenn man dafür mit einem Ersatz gestraft wurde, dem man nicht nur Respekt entgegen brachte, sondern den man nachgerade fürchtete. Nichtsdestotrotz drohte ohnmächtige Verzweiflung Cathy zu ersticken. Da war es nur gut, dass Lynn, die mit ihrer Aufsicht in der Bibliothek fertig war, das Zimmer betrat. Zunächst bemerkte sie gar nicht, dass sie nicht allein war. Erst als Lynn einen Schluchzer hörte, wurde ihr bewusst, dass noch jemand anwesend sein musste. Es brauchte keine zwei Sekunden, um die Abiturientin an Cathys Bett zu treiben. Ungefragt setzte Lynn sich neben ihre Freundin, ihr eine Hand auf den Rücken legend.

„Hey, was ist denn los?“, wollte Lynn mit sanfter Stimme wissen, „Hast du dich mit Marcell gestritten?“

Die dunkelhaarige, junge Frau wusste, dass Cathy sich mit ihrem Kumpeltrainer getroffen hatte, weil das Programm war nach den Ferien.

„Nein.“, schluchzte Cathy verzweifelt.

„Was ist es sonst?“, bohrte Lynn weiter.

Ihre Freundin so am Boden zerstört zu sehen tat ihr in der Seele weh. Von den unzusammenhängenden Satzfetzen, die Cathy von sich gab, verstand Lynn nur 'Metzelder', 'Fußball', 'Marcell' und 'Trainer'. Außerdem fiel auch das ein oder andere Schimpfwort, was Lynn jedoch geflissentlich überging. Sie konzentrierte sich eher darauf, Cathy den notwendigen Trost zu spenden, auch wenn sie vor Neugier brannte. Was konnte nur vorgefallen sein, dass die sonst so toughe Blondine derart zusammenbrach? Eine schlechte Mathenote konnte es nicht sein, da das Schuljahr ja gerade eben erst begonnen hatte und die ersten Klausuren für Oktober angesetzt worden waren. Zumindest für die Zwölfer, wie Lynn wusste. Sie selbst musste schon im September für ihre Klausuren ranklotzen, da sie ja noch auf Abschlussfahrt fahren würde. Traditionell fand diese Fahrt immer in der letzten Schulwoche vor den Herbstferien statt und in der 13 war das erste Schulhalbjahr verkürzt; es würde bereits vor Weihnachten enden, auch wenn Lynn gar nicht daran denken mochte, denn dann würde eine Unmenge an Arbeit auf sie zukommen. Herr Friedrich, den sie im Bio- LK hatte, war bereits so gnädig gewesen, seinen Schützlingen zu erörtern, was alles von ihnen erwartet wurde. Zwar wurde offiziell nur das Wissen der Qualifikationsphase vorausgesetzt, doch war es ab und an schon mal dazu gekommen, dass ein Prüfling zu einem völlig anderen Thema befragt worden war und daraufhin nicht mit Glanz und Gloria bestanden hatte.

'Was denk ich da wieder?', schalt Lynn sich, 'In erster Linie sollte ich mich um Cathy kümmern und dafür sorgen, dass es ihr besser geht...'
 

Ein Schniefen von Cathy, die sich langsam wieder berappelte, zeigte Lynn an, dass ihr Freundin noch unter den Lebenden weilte und vor Kummer nicht gestorben war. Stumm bot sie der Blonden ein Taschentuch an, welches diese auch dankend annahm. Sie schnäuzte sich ausgiebig, dann folgte ein tiefes Luftholen.

„Lynn.“, begann Cathy ungewöhnlich ernst.

„Ja?“, hakte die Angesprochene nach.

„Ich hab eine riesige Dummheit begangen.“, gestand die reuige Sünderin.

Überrascht von dieser Eröffnung zog Lynn eine Augenbraue hoch.

„Ach ja? Wieso? Hast du Marcell etwa gestanden, dass du ihn süß findest?“

Cathy verdrehte die Augen. Sie fand ihren Ex-Trainer zwar knuffig, aber das war es auch schon. Immerhin war er ihr bester Freund und als Lehrer ohnehin tabu.

„Nein, es geht nicht mal richtig um Marci. Nur teilweise.“

„Okay, wo drückt der Schuh denn dann?“, wollte Lynn mit unverhohlener Neugier wissen.

Ein Seufzer kam von Cathy, ehe sie begann, ihrer Freundin die Geschichte haarklein zu erzählen. Sie ließ nichts aus, nicht einmal die ungehörigen Dinge, die sie Herrn Metzelder an den Kopf geworfen hatte. Entgegen Cathys Erwartung allerdings war Lynn nicht entsetzt. Nein, die Abiturientin fing stattdessen schallend an zu lachen, was Cathy reichlich pikierte. Immerhin hatte sie vor nicht einmal einer Stunde ihre komplette, restliche Schullaufbahn zerstört und alles, was Lynn dazu einfiel war Gelächter? Schon wollte die Brüskierte energisch gegen den Lachkrampf protestieren und Beschwerde einlegen, als Lynn ihr den Grund für ihr mangelndes Mitleid erklärte.

„Sorry...“, keuchte die Dunkelhaarige, „aber die Vorstellung, wie du den Metzelder beschimpfst, ist einfach zu komisch...“

Jetzt musste sogar Cathy grinsen. Es stimmte, was Lynn sagte. Niemand, der geistig noch gesund war, würde es wagen, den gestrengen Mathe- und Physiklehrer als 'blöden Penner' zu titulieren. Nicht, wenn er oder sie an ihrem oder seinem Leben hing. So gesehen also konnte Cathy durchaus nachvollziehen, warum Lynn sich so amüsierte, zumal Herr Metzelder nicht gerade klein von Statur war, wohingegen der blonde Unglücksrabe sich verglichen mit ihrem neuen Trainer wie ein Zwerg ausnahm. Allerdings brachte ihr dieser andere Gedanke auch wieder zu Bewusstsein, dass sie in ernstzunehmenden Schwierigkeiten steckte. Erneut drohte Verzweiflung über Cathy hereinzubrechen. Bevor es jedoch zu einem weiteren hysterischen Heulkrampf kommen konnte, öffnete sich die Tür und Jule schneite herein, gut gelaunt, da sie eine Extrastunde Bio bei Herrn Friedrich gehabt hatte, der sie gebührend auf die Eliteuni vorbereiten wollte, an der Jule Aufnahme zu finden hoffte.

„Was ist denn hier los?“, fragte der Neuankömmling, als er Lynn und Cathy grinsen sah, wie die Honigkuchenpferde, woraufhin beide wieder in Gelächter ausbrachen.

Verwundert schloss Jule hinter sich die Tür, pfefferte ihr Biobuch auf ihr Bett und ließ die Tasche gleich daneben fallen. Dann beschloss sie, ihren beiden Freundinnen ordentlich auf den Zahn zu fühlen. Es ging jawohl nicht an, dass die Zwei Spaß hatten und Jule daraus ausschlossen.

„Also, jetzt mal Klartext, warum lacht ihr so? Hat der Hildebrand endlich zugegeben, dass er auf rosa Spitzentangas steht?“, bohrte Jule unnachgiebig.

Bei dieser Vorstellung allerdings wieherten Lynn und Cathy nur lauter, bis letztere sich schließlich und endlich heftig verschluckte. Während sie darum kämpfte, anständig Luft zu bekommen, erklärte Lynn Julia detailreich, was sich zwischen Cathy und Herrn Metzelder zugetragen hatte. Kaum, dass die Ältere geendet hatte, klappte Jule die Kinnlade runter.

„Bist du wahnsinnig, Cathy?“, entfuhr es ihr dann, wobei sie sich mit ziemlicher Mühe ein Grinsen verkneifen musste, „Du bist so gut wie tot!“

Daraufhin verzog die Angesprochene das Gesicht, drauf und dran, den Springbrunnen wieder anzuwerfen und eine zweite Heulrunde einzulegen.

Kopfschüttelnd ob der Dreistigkeit ihrer Freundin ließ Jule sich neben ihr nieder, dabei ihre Schulter tätschelnd.

„Schade, dass ich nicht dabei war. Ich hätte gern zugesehen, wie du es dem alten Erbsenzähler zeigst.“

Lynn nickte bekräftigend.

„Oh ja, solche Worte hat er definitiv verdient zu hören, wenn man mal bedenkt, wie gern er Lesly an die Tafel holt und sie vor allen anderen vorführt, weil der Sack genau weiß, dass Mathe das letzte Fach ist, indem sie jemals gute Noten haben wird.“

„Abgesehen von Physik vielleicht.“, erklang es trocken von der Tür her.
 

Aufgeschreckt sahen die drei Mädchen hoch, doch zu ihrer maßlosen Erleichterung war es nur Lesly, die im Türrahmen lehnte und sich ein kleines Grinsen gönnte, ehe sie sich dazu bequemte, sich zu ihren Freundinnen zu gesellen.

„Okay, ich nehme mal an, ihr habt vom Metzelder gesprochen. Aber ich kapier nicht so ganz, was eigentlich gelaufen ist. Hilft mir mal jemand auf die Sprünge?“

Sofort war es Lynn, die an Cathys Statt die unselige Geschichte zum zweiten Mal erzählte. Noch während sie Bericht erstattete, veränderte Leslys Miene sich gravierend. Zuerst war sie nur ungläubig, dann empört, bis sie schließlich nicht an sich halten konnte. Auch sie wurde von einem Lachkrampf geschüttelt, der den Lynns fast noch übertraf.

„Nicht dein Ernst!“, japste Lesly, erbarmungswürdig nach Luft keuchend.

„Oh doch, so und nicht anders war es.“, bestätigte Lynn ihr.

„Das hätt' ich zu gern gesehen!“

„Nicht nur du.“, mischte Jule sich ein, die Cathy tröstend die Hand drückte. Sicherlich

war es alles andere als angenehm, wenn jemandes Misere ein ums andere Mal ausgewalzt wurde. Allerdings musste Julia zugeben, dass es schon selten dämlich war, den Mund aufzutun und ausgerechnet den strengsten Lehrer des Internats anzufauchen. Wenn das bei Marcell passiert wäre, nun, der wäre vielleicht beleidigt, aber er würde Cathy nicht lange übelnehmen, was sie gesagt hatte. Schließlich kannte er die Blonde gut genug, um zu wissen, dass im Eifer des Gefechts schon mal ein paar böse Worte fielen, die Cathy in der Regel aber nicht allzu ernst meinte und die sie hinterher heftig bereute, so wie es jetzt auch der Fall war. Das Problem an der ganzen Sache war einfach, dass Herr Metzelder nicht Marcell war. Ganz bestimmt würde er Cathy einen Strick aus dieser Sache drehen, zumal er ja jetzt den Job als ihr Trainer übernommen hatte, was sicher kein Zuckerschlecken würde. Offensichtlich war Cathy dieser Umstand genauso bewusst, da sie drohte, wieder in ihre verzweifelt- deprimierten Zustand zurückzufallen, in dem Lynn sie vorgefunden hatte. Das bemerkten allerdings auch Cathys Freundinnen.

„Was haltet ihr davon, wenn wir Regeln Regeln sein lassen und uns in die Stadt verziehen?“, schlug Lesly vor. Sie grinste verschmitzt.

„Ich hab ne bessere Idee.“, erwiderte Lynn, die ebenfalls ein Grinsen zur Schau trug.

„Ach ja?“- „Und der wäre?“ - „Schieß los!“

„Wir machen uns hier einen gemütlichen Mädelsabend. Vorher werd ich aber mal in die Stadt fahren und ein paar Sachen einkaufen.“

Dieser Vorschlag wurde sogar noch begeisterter aufgenommen, so dass er dann auch zur Durchführung kam. Während Lesly und Lynn mit dem kleinen Mitsubishi Colt der Letzteren den nächstbesten Supermarkt ansteuerten, sorgten Jule und Cathy dafür, dass zum einen niemand etwas von ihrer kleinen Unternehmung mitbekam und zum anderen für ein passendes Ambiente. Sie waren schließlich Mädchen und für einen Frauenabend brauchte man eine entsprechende Umgebung.
 

Der Abend verlief genauso erfreulich, wie die vier Mädchen gehofft hatten, zumal es Cathy wirklich besser zu gehen schien. Zwar würde erst der nächste Tag zeigen, ob ihr unbedachtes Handeln Folgen haben würde, doch gelang es den drei anderen gut, sie davon abzulenken. Und wenn schon, sie war jung, sie war impulsiv und sie wollte ihren Spaß. Als ob Metzelder nie jung gewesen wäre. Bestimmt waren dem auch ein paar doofe Sachen passiert, nach denen heute kein Hahn mehr krähte.

Als sie gegen halb Zwölf beschlossen, dass es doch langsam Zeit fürs Bett war, konnte Cathy erstaunlich gut und schnell einschlafen. Ihr letzter Gedanke galt ihren Freundinnen. Was hatte sie doch für ein Glück gehabt! Mit einem Lächeln auf den Lippen und der Gewissheit im Herzen, dass diese drei immer zu ihr stehen würden, entschlummerte Cathy schließlich sanft, auf den Wogen ihrer Traumwelt dem neuen Tag entgegen schwimmend.

Späte Reue

Ziemlich brutal wurde Cathy am nächsten Morgen vom Wecker aus dem Schlaf gerissen. Missmutig grummelnd schaltete sie selbigen aus, quälte sich aus dem Bett und ins Badezimmer, wo Lynn bereits fast fertig war und Cathy angrinste. Die Ältere war eine ausgesprochene Frühaufsteherin, der es schon morgens um halb Sieben gelang, gut gelaunt zu sein, wenn ihre drei Mitbewohnerinnen stöhnten und maulten, dass sie so früh raus mussten.

„Lächeln, Cathy, lächeln.“, triezte Lynn die Freundin, spuckte den Rest Zahnpasta ins Waschbecken und ignorierte das unfreundliche Knurren, welches Cathy ihr als Morgengruß entbot. Kurz darauf erklang Wasser rauschen und auch Jule fand sich in dem kleinen Bad ein, wo sie mit Lynn um den Spiegel rangelte, ehe die Ältere sich wieder zurück ins Zimmer bequemte, um stattdessen mit Lesly vor dem gemeinsamen Kleiderschrank aneinander zu geraten. Es war alles wie jeden Morgen. Sogar das Wetter war der Stimmung entsprechend grau und trist, obwohl es noch nicht regnete.

Gegen kurz nach Sieben machten die vier jungen Damen sich auf den Weg in den Speisesaal, um zu frühstücken. Keine von ihnen hielt zwei Schulstunden durch, wenn sie zuvor nichts zu sich genommen hatte. Deswegen beschränkte die Unterhaltung am Frühstückstisch sich auch hauptsächlich auf 'Kannst du mir mal die Marmelade geben?', 'Wo ist die verdammte Butter?', 'Hat jemand meine Schwester gesehen?' und 'Hast du Mathe gemacht, Lesly?'.

Vor allem Cathy war morgens ohne Frühstück mehr als ungenießbar. Sie mochte essen und brauchte eine gewisse Anlaufzeit, ehe sie freundlich sein konnte, außer, es ging um Marcell. Sobald die Sprache auf ihn kam, erhellte sich schlagartig Cathys Miene und sie wurde lebhaft, wie sonst auch. Erschöpfte sich dann das Gespräch über das Thema Marcell, verstummte auch Cathy wieder, bis sie ihren Magen ausreichend mit Nahrung versorgt hatte. Ab dann war sie aufnahme- und gesellschaftsfähig, teilweise sogar so geschwätzig, dass Lynn ihr ein paar harte Worte sagte, um sie zum Schweigen zu bringen, was meistens sogar funktionierte. Egal, welche Laune Cathy hatte, es wäre ihr im Traum nicht eingefallen, ihre Freundinnen vor den Kopf zu stoßen. Dasselbe Glück hatte Marie allerdings nicht, die manchmal ziemlich angefahren wurde, wenn sie es wagte, ihrer großen Schwester eine dumme Bemerkung an den Kopf zu werfen. Da Marie aber sehr extrovertiert und selbstbewusst war, bekümmerten sie die Ausbrüche Cathys in den seltensten Fällen. Stattdessen machte sie sich einen Spaß daraus, die Dinge, die sie von ihrer Schwester zu hören bekommen hatte, gemeinsam mit ihrem Personal Coach zu verulken. Marie war auch deutlich zielstrebiger und ehrgeiziger als Cathy, sie liebte es, zu provozieren und ließ ihren Launen freien Lauf. Der Schulleiter wusste schon, warum er Marie der Obhut von Michael Ballack anvertraut hatte; er konnte mit einem solchen Charakter gut umgehen und ließ sich zum einen dank seines Alters und zum anderen dank seines ebenfalls enormen Selbstbewusstseins nichts bieten, schon gar nicht von einer 16- jährigen Blondine mit scharfer Zunge. Die Schlagfertigkeit und gnadenlose Ehrlichkeit schien in der Familie zu liegen, da auch der ältere Bruder der beiden Mädchen selten ein Blatt vor den Mund nahm oder gar um den heißen Brei herumredete. Nun, zum einen war er ein Mann - und die bevorzugten nun mal Klartext- und zum anderen lag es einfach in Philipps Natur, direkt zu sein. Allerdings war es meist Marie, die die verletzendsten Kommentare von sich gab, was sie vielleicht bereuen mochte, doch eine Entschuldigung bekam nur in den seltensten Fällen von ihr zu hören. Cathy war da ganz anders. Wenn sie merkte, dass sie jemanden ernsthaft verletzt hatte, war sie nicht zu stolz, um das eingestehen und ihrem Gegenüber reuige Worte anzubringen, was wohl auch erklärte, warum es so selten schlimmen Krach in dem Viererzimmer gab. Und obwohl harmoniebedürftig konnte Cathy ihre Impulsivität und ihren hohen Freiheitsdrang nicht immer so im Zaum halten, wie es nötig gewesen wäre. Wenn sie auf etwas keine Lust hatte, dann zeigte sie das auch sehr deutlich. Mehr, als manchmal gut für sie war, aber diese Erfahrung sollte sie erst noch machen.
 

Gegen fünf nach halb Acht erhoben sich die Schüler gemächlich, um ihren jeweiligen Unterricht anzusteuern. Für Lynn und Lesly fing dieser Mittwoch mit einer Doppelstunde Mathe bei Herrn Metzelder an, Jule und Cathy hingegen hatten gemeinsam Geschichte bei Herrn Ballack und Marie und Maarja schließlich durften sich durch Französisch bei Monsieur Zidane quälen, was beide Mädchen verständlicherweise wenig begeisterte. Auf dem Korridor vor dem Speisesaal trennten sich also die Wege der Freundinnen. Jule und Cathy begaben sich ins Erdgeschoss, wo Herr Ballack seinen Lehrerraum hatte und bereits auf seine Zwölfer wartete, mit einem ziemlich süffisanten Grinsen, das nichts Gutes verhieß.

„Oha, der macht doch nicht etwa ne Abfrage?“, raunte Cathy ihrer Begleiterin zu.

„Ich hoffe nicht, vom letzten Schuljahr weiß ich nämlich nicht mehr viel.“, gestand Jule, die Geschichte zu ihrem vierten und damit mündlichen Abifach erkoren hatte, während Cathy es als drittes führte und somit eine schriftliche Prüfung würde ablegen müssen.

Eilig setzten die beiden sich auf ihre Stammplätze im hinteren Drittel des Raumes, darauf wartend, dass auch der Rest ihres Kurses eintrudelte.

„Ob der Höfer sich wieder zu uns setzt?“, sinnierte Cathy im Flüsterton.

Jule zuckte aber nur die Schultern. Für sie war die Frage ob Manuel Jung sich neben Höfer einfinden würde, viel bedeutsamer. Der Kerl quatschte nämlich am laufenden Band, womit er seine Umgebung erheblich störte. Oder aber er verlangte wahlweise von Jule oder Cathy, mit ihm Käsekästchen oder Schiffe versenken zu spielen, was beide Mädchen aber meist energisch zurückwiesen, da sie kein gesteigertes Interesse daran hatten von Herrn Ballack aufgerufen zu werden, um eine Quelle oder eine Karikatur zu analysieren. Beides verlangte der Geschichtslehrer mit schöner Regelmäßigkeit in seinen Klausuren und das hing nicht nur Cathy und Jule zum Hals raus.

Bevor sich klären konnte, wer sich wann wo hinsetzte, stand Herr Ballack auf, schloss die Tür hinter dem letzten Ankömmling, mal wieder war es Mario Eisner, und verkündete: „Ihr seid jetzt in der Zwölf, auf uns kommt also eine Menge Arbeit zu.“

Mit einer solchen Ansprache hatte der Kurs bereits gerechnet, da sie selbiges schon in anderen Fächern zu hören bekommen hatten, zumal solche Reden einfach traditionell am Schuljahresanfang gehalten wurde, ganz egal, ob der Lehrer die Klasse oder den Kurs bereits im Vorjahr unterrichtet hatte. Auch Herr Ballack bildete da keine Ausnahme. Natürlich wusste er, dass seine Schäfchen gerade jetzt auf Durchzug stellten, dennoch ließ er es sich nicht nehmen, ein paar mahnende Worte an sie zu richten.

„Um in das neue alte Thema einzusteigen, schlagen Sie bitte die Bücher auf Seite 263 auf und erzählen Sie mir ein bisschen was über die beiden Karikaturen.“, schloss er seinen Vortrag gleich mit einem Arbeitsauftrag, um die unwilligen Zwölfer auf Touren zu bringen.

Brav gehorchten zwanzig Leute. Allgemeines Gemurmel und Rascheln war die Folge, als die Rucksäcke und Taschen geöffnet wurden, um die dicken Geschichtsbücher zu Tage zu fördern.

„Ach ja, was ich eben noch vergessen habe, zu erwähnen.“, erhob Herr Ballack seine Stimme, um die Geräuschkulisse zu übertönen, „Ich will dieses Jahr niemanden ohne Buch sehen. Jeder von Ihnen hat die Pflicht, seine Unterlagen mitzubringen und dazu gehört nun mal auch das Buch. Wenn ich Sie erwische, wie Sie zu zweit in ein Exemplar schauen, werden Sie die Konsequenzen tragen.“

Einige Schüler verdrehten die Augen, andere murmelten empört und wiederum andere, darunter auch Cathy und Jule, fragten sich, welche Laus Herrn Ballack gleich zu Beginn des Schuljahres über die Leber gelaufen war.

„Der ist ja ziemlich schlecht drauf.“, raunte Cathy Jule vertraulich zu, achtete aber darauf, dass es so aussah, als ob sie ihrer Nachbarin etwas im Buch gezeigt bzw. erklärt hatte. Wenn Herr Ballack eins nicht leiden konnte, dann war das Geschwätzigkeit. Die verabscheute er mindestens so sehr wie er Faulheit und Vergesslichkeit hasste.

„Fräulein Lahm, wollen Sie vielleicht so gut sein und uns was zu den Karikaturen erklären?“, wurde Cathy prompt erwischt.

Vor Scham lief sie puterrot an, versuchte aber, sich ansonsten nichts anmerken zu lassen, weswegen sie langsam nickte und ihren Mund dazu gebrauchte, eine detaillierte Beschreibung vom Stapel zu lassen. Der Lehrer ergänzte hier und da etwas, war im Großen und Ganzen aber zufrieden. Als es an die Deutung der beiden Karikaturen ging, nahm er jemand anderen dran. Sehr zur Erleichterung Cathys, die sich schwor, in diesem Leben keine Privatgespräche mehr mit Jule zu führen. Zumindest nicht, wenn sie Geschichte hatten.

'Offensichtlich ist der Olle total übermotiviert.', dachte sie bei sich, mehr als froh, als es zur großen Pause schellte.

Eilig packten Jule und sie ihre Utensilien ein, zusehend, dass sie schnellstmöglich dem Raum entflohen.
 

„Das war echt knapp vorhin.“, meinte Jule schließlich, als sie die Treppe zur Schulbücherei im ersten Stock erklommen. Seit sie mit Lynn befreundet waren, hatte sich die Bibliothek zum Stammtreffpunkt ihrer kleinen Viererclique gemausert. Nirgends konnte man so ungestört lästern, Blödsinn machen oder tiefschürfende Gespräche führen. Zudem war die Privatsphäre relativ groß, da es nur wenigen Schülern in den Sinn kam,ausgerechnet in der Pause zur Bücherei zu gehen. Sie besuchten diesen Ort ohnehin am Liebsten so selten, wie irgend möglich und wenn dann nachmittags, wo keine wertvolle Pausenzeit draufging, zumal in der Bibliothek Essen und Trinken, sowie Kaugummi kauen streng verboten waren. An dieses Verbot hielten sich die vier Freundinnen allerdings nicht gerade oft, da sie der Versuchung, doch etwas zu essen nicht widerstehen konnten. Solange sie sich nicht erwischen ließen, war auch alles in bester Ordnung. Herr Frings hatte in der Pause nämlich ebenfalls Besseres zu tun, als zu überwachen, ob sich an die Regeln gehalten wurde.

„Da kommen ja unsere beiden Kleinen.“, neckte Lynn Jule und Cathy.

Lesly grinste dazu nur. Sie lehnte am Schreibtisch, wie üblich in schwarz gekleidet und mit den Gedanken ganz woanders.

„Sag nichts, wir hatten gerade Geschichte und Ballack ist irgendeine Laus über die Leber gelaufen.“, informierte Jule sofort Lynn, die daraufhin nur grinste.

Allerdings veränderte ihre Miene sich sofort, als sie Cathy sah, die aus irgendeinem Grund niedergeschlagen wirkte, obwohl sie beim Frühstück noch völlig normal gewesen war.

'Bestimmt liegt das an Metzelder.', dachte Lynn, die hoffte, dass Cathy heute kein Mathe hatte, denn der Lehrer war ziemlich schlechter Laune.

„Ihr hattet doch gerade Mathe, oder?“, unterbrach da Jule die Gedankengänge ihrer Freundin.

Lynn nickte.

„Ja, warum?“

„Wie war denn der Metzelder drauf?“, wollte Jule wissen, „Ich hab gleich LK bei dem und hätte vorher gern eine Unwetterwarnung.“

Widerwillen grinste sogar jetzt Cathy, die heilfroh war, dass sie erst am Donnerstag in der fünften und sechsten Stunde Mathe hatte.

„Schlechte Karten, Herzchen.“, mischte Lesly sich in die Unterhaltung ein, „Der hat eine Scheißlaune, sag ich dir. Ich musste an die Tafel und er hat mich gnadenlos fertig gemacht.“

„Na toll...“, beschwerte Jule sich, „Ich hoffe, der kommt nicht auf die doofe Idee gleich in der ersten Doppelstunde abzuprüfen, was wir noch aus der Elf wissen.“

„Nee, ich glaub, das macht der nicht.“, wandte Lynn beruhigend ein, die glaubte, ihren Mathelehrer nach knapp zwei Jahren Oberstufe gut genug zu kennen, um das voraussagen zu können.

„Wollen wir's hoffen...“, war Jules abschließender Kommentar dazu.

Sie war wirklich nicht sonderlich scharf darauf, einer Tafelabfrage unterzogen zu werden, zumal bekannt war, dass Herr Metzelder diese Unglücksraben nicht gerade mit Samthandschuhen anfasste.

Den Rest der Pause verbrachten die vier Mädchen mit angeregtem Geplauder und Plänen für den Nachmittag bzw. das Wochenende. Lynn, die ganz in der Nähe des Internats wohnte, würde am Freitagabend von ihrer Familie abgeholt werden und dann Samstag und Sonntag auf einem Mittelaltermarkt in der Nähe von Berlin verbringen. Darum wurde sie von Lesly heftig beneidet, die selbst gern solche Veranstaltungen besuchte, allerdings selten während des Schuljahres Gelegenheit dazu hatte, da sie in Baden - Württemberg wohnte, was von der Müritz mehr als acht Stunden Autofahrt entfernt war. So beschränkte sie sich darauf, in den Ferien alle möglichen Märkte abzuklappern. Für dieses Wochenende hatte Lesly stattdessen eine ausgiebige Zeichensession geplant, zumal sie ohnehin langsam mal mit ihrer Bewerbungsmappe für das Kunststudium anfangen musste. Tatkräftig unterstützt wurde sie hierbei von ihrem Kunstlehrer Herr Hildebrand, der sein Glück kaum fassen konnte, dass er nicht nur jemanden gefunden hatte, der bereit war, Kunst im Abitur zu machen, sondern der nach der Schule sogar ein Studium anfangen wollte.

„Ich werde also beschäftigt sein.“, meinte Lesly zufrieden.

„Und du, Cathy?“, fragte Jule, die hoffte, dass sie gemeinsam etwas würden unternehmen können. Immerhin hatten sie sich sechs lange Wochen nicht gesehen, obwohl sie nicht weit voneinander entfernt wohnten.

Die Angesprochene seufzte tief, ihre Achseln zuckend.

„Keine Ahnung, ich muss das bestimmt erstmal mit dem arroganten Sack klären.“, sagte sie unbegeistert.

'Arroganter Sack', auf diesen Spitznamen für Herrn Metzelder waren sie am gestrigen Abend gekommen, als sie über das gesprochen hatten, was sich kurz zuvor ereignet hatte und da keine der Vier sonderlich scharf darauf war, dabei erwischt zu werden, wie sie eine Lehrkraft verunglimpften, waren sie zu dem Beschluss gekommen, dass ein Codename her müsste. Es durfte allerdings nichts zu Heftiges sein, weil sie ansonsten trotzdem Ärger bekommen konnten. Nach einiger Diskussion hatten sie sich schließlich geeinigt und alle waren mit dem Ergebnis zufrieden.

„Wollen wir hoffen, dass er dich nicht zur Strafe das ganze Wochenende trainieren lässt.“, grummelte Jule, die bereits eine ausgedehnte Shoppingtour mit anschließendem Eisessen geplant hatte.

„Oder er zwingt dich dazu, Mathe zu machen.“, ergänzte Lynn mit einem gemeinen Grinsen.

„Oder beides zusammen.“, konnte auch Lesly sich nicht zurückhalten.

Genervt verdrehte Cathy die Augen.

„Ihr seid SO doof!“, schimpfte sie, wurde aber dann vom Gong erlöst, der die Mädchen zurück zum Unterricht rief.
 

Englisch bei Marcell und Bio bei Herrn Friedrich brachte Cathy glimpflicher hinter sich als Geschichte, dennoch war sie erleichtert, als der Schultag für heute rum war und sie sich erstmal ihrem Mittagessen und danach den Hausaufgaben widmen durfte, ehe sie zum Training auf Sportplatz drei antanzen musste. Um ihre Ruhe zu haben, zog Cathy sich auf das Viererzimmer zurück. Die anderen drei hatten Nachmittagsunterricht, weswegen es erstmal keine Streitigkeiten der Schreibtischbenutzung wegen geben konnte, wofür Cathy ziemlich dankbar war. So konnte sie ihre Pflichten rasch hinter sich bringen und noch ein paar Seiten lesen, bevor sie sich für das Training fertig machte. Da sie ihr Glück nicht herausfordern wollte, beeilte sie sich, um ja nicht zu spät zu kommen. Der arrogante Sack war sicherlich um Einiges strenger als Marcell, was Pünktlichkeit anbelangte. Cathys bester Freund kam nämlich auch des öfteren mal zu spät, was daran lag, dass er für Sorgen und Nöte seiner Schüler stets ein offenes Ohr fand und ihm daran gelegen war, niemanden, der sich an ihn wandte, vor den Kopf zu stoßen. Das war nur eine der vielen Eigenschaften, die Cathy an Marcell schätzte und von denen sie überzeugt war, dass der arrogante Sack sie nicht hatte und auch nie haben würde.

'Ist eben ein arroganter Sack.', dachte sie, wobei sie sich ein Grinsen nicht verkneifen konnte.

„Du scheinst ja ziemlich gute Laune zu haben.“, bemerkte der Gegenstand ihrer Gedanken säuerlich.

Irritiert ruckte Cathy mit dem Kopf. Sie hatte überhaupt nicht mitbekommen, dass Metzelder aufgetaucht war.

„Darf ich das etwa nicht?“, fragte sie pikiert, ihn mit kaum verhohlener Abneigung betrachtend.

„Die wird dir schon noch vergehen, verlass dich drauf.“, war der einzige Kommentar, den Cathy zu hören bekam, ehe sie angewiesen wurde, zwei Runden um den Platz zu laufen und sich danach zu dehnen.

Zunächst widerwillig gehorchte sie, doch sobald sie erst einmal warm war und mit einigen leichten Übungen anfing, kehrte nicht nur ihre gute Laune zurück, sondern sie legte auch den entsprechenden Elan an den Tag, der dafür sorgte, dass Herr Metzelder sich ziemlich wunderte. Er hatte eigentlich damit gerechnet, dass seine widerspenstige Schülerin sich querstellen würde, sich ihm verweigern und Wiederworte geben würde, doch das war nicht der Fall. Stattdessen arbeitete sie gut mit, schien sogar Spaß daran zu haben. Bald schon erkannte der Mathelehrer, dass er sich ein wenig in Cathy getäuscht hatte. Sie mochte vielleicht nicht immer ihren Mund halten können, aber wenn es darauf ankam, war sie bereit hart zu arbeiten. Zudem merkte Herr Metzelder, dass der Sport ihr wirklich am Herzen lag und sie mit Feuereifer dabei war.

'Genauso bist du mir im Juni ins Auge gefallen.', dachte er bei sich, ein leichtes, kaum merkliches Lächeln auf den Lippen, als er beobachtete, wie Cathy geschickt den Ball um Hütchen manövrierte, die er als Parcours aufgestellt hatte. Vielleicht würde es doch nicht so schlimm werden, wie er erwartet hatte. Nach ihrem gestrigen Ausbruch war ihm klar geworden, dass es ein langer, steiniger Weg würde, bis er sie so weit hatte, dass sie ihn auch nur ansatzweise akzeptierte. Ob sie ihn je mögen würde, das stand auf einem anderen Blatt.
 

Als Herr Metzelder das Training für beendet erklärte, lief Cathy der Schweiß in Strömen über den Körper, doch sie störte sich nicht daran, war sie doch viel zu glücklich darüber, dass er sie nur selten korrigiert hatte. Zwar konnte man nach einer Einheit noch nicht sagen, wie es im Durchschnitt ablaufen würde, doch im Großen und Ganzen gab es erstmal nichts zu meckern.

„Ähm...Darf ich Sie was fragen?“, sprach Cathy das Wochenende an.

Schließlich wollte sie Jule Fakten liefern, wenn diese sie danach fragte.

„Klar, nur raus damit.“

Neugierig musterte Christoph seine Schülerin. Was sie wohl von ihm wissen wollte?

„Wie ist das denn mit dem Wochenende? Muss ich da auch trainieren? Ich wollte nämlich mit einer Freundin in die Stadt und...“

Abrupt brach Cathy ab. Was sie hier machte hatte sie nur bei Marcell getan. Was gingen den arroganten Sack denn ihre Pläne an?

'Nichts.', rief sie sich energisch in Erinnerung. Beinahe wäre sie nett zu ihm gewesen. Ihrer Ansicht nach genügte Höflichkeit vollkommen. Immerhin hatte er ihr Marcell weggenommen.

„Am Sonntag trainieren wir eigentlich nicht, aber Samstag schon.“, begann Christoph, der interessiert und leicht verwirrt ihr wechselndes Mienenspiel studierte. Was hatten diese ganzen widerstreitenden Empfindungen zu bedeuten?

Einmal meinte er sogar ganz deutlich Abscheu in ihrer Mimik zu lesen, was ihn daran erinnerte, dass er ja noch eine Rechnung mit Cathy offen hatte.

„Eigentlich?“, hakte sie nach.

„Diesen Sonntag wirst du zum Training erscheinen.“, erklärte der hochgewachsene

Mann brüsk.

„Warum?“, kam es wie aus der Pistole geschossen zurück.

„Weil du mich beleidigt hast.“

„Nur deswegen?“

Ungläubig klappte Cathy die Kinnlade runter. War dieser Mann etwa so rachsüchtig? Das war er mitnichten, aber er konnte es nun mal auf den Tod nicht ausstehen, wenn man seine Autorität untergrub.

„Du warst heute zwar besser, als ich erwartet hätte nach einer Pause von sechs Wochen, aber wenn du ins Schulteam willst, musst du dich ein bisschen mehr anstrengen.“

Christoph provozierte sie irgendwo ganz bewusst. Sie sollte verstehen, dass nur einer hier das Sagen hatte und das war nun mal er. Da konnte sie sich auf den Kopf stellen, ändern würde es nichts.

„Okay, von mir aus, Sie arroganter Sa-“

Mitten im Satz hielt Cathy inne. Erschrocken fast schlug sie die Hand vor den Mund.

„Das... ich...“, stammelte sie, versuchend, die Situation zu entschärfen, doch es war schon zu spät.

„Wir sehen uns Samstag und Sonntag um Sieben hier auf dem Platz.“, beschied Herr Metzelder sie knapp und kühl. Danach entließ er sie mit einer recht rüden Geste seiner Hand. Es wunderte ihn nicht, dass sie ihren Trainingsanzug schnappte und davon eilte, als ob der Teufel persönlich hinter ihr her wäre.

'Das kann ja noch lustig werden.', dachte der Lehrer bei sich, während er die Überreste des Training beseitigte, nicht ahnend, wie recht er mit diesem Gedanken noch haben würde.

Ein komplett versautes Wochenende

Entsprechend ihrer schlechten Stimmung war es wohl nicht weiter verwunderlich, dass Marie, als sie Cathy auf dem Korridor entdeckte, schlammbespritzt und extrem sauer, nicht umhin kam, ebenfalls ausfallend zu werden, denn die ältere Schwester pampte sie auf die Frage, ob wie ihr Training gewesen war, ziemlich böse an.

„Was geht dich das denn an?“

Marie zog überrascht eine Augenbraue hoch, konnte sich aber ihre Frage nun selbst beantworten. Offensichtlich war das Training alles andere als gut gewesen, wenn Cathy nun so eine Scheißlaune hatte.

„Von mir aus, dann zick halt rum.“, gab Marie nicht minder böse zurück.

Sie war leicht zu provozieren, ging rasch in die Luft und war teilweise extrem nachtragend.

Genervt verdrehte Cathy ihre Augen. Sie hatte absolut keinen Bock, jetzt vor ihrer Schwester zu kriechen, nur, damit Marie nicht auch die nächsten drei Tage noch schmollte, weil sie sie so angefahren hatte.

„Eigentlich wollte ich dir nur sagen, dass Philipp am Samstag um zehn Uhr hier aufkreuzt und uns beide abholt.“

Sofort war Cathys miese Stimmung verflogen.

„Wie? Echt? Wozu abholen?“, brach es aus ihr heraus, in einem völlig anderen Tonfall als vorher. Marie konnte sich, obwohl noch leicht beleidigt, ein Grinsen nicht verkneifen.

„Hörst du eigentlich nie zu?“, stichelte sie, bevor sie ihrer älteren Schwester angemessen Bericht erstattete.

„Wir haben doch schon lange geplant, dass wir nach Grömitz fahren wollen!“, rief Marie ihr dann in Erinnerung, „Mit Übernachtung im Ferienhäuschen von Oma und Opa, du weißt schon.“

Jetzt klingelte es in Cathys Hirn und Freude übermannte sie.

„Yeah! Das hatte ich ganz vergessen!“, schrie sie schon fast, umarmte Marie dann aber heftig, was diese nicht unbedingt toll fand.

„Ihh! Geh weg von mir, du bist völlig verschwitzt und dreckig, du Sau!“

Abrupt ließ Cathy die Jüngere los.

„Tut mir Leid.“, murmelte sie betreten, sich zum Gehen wendend.

„Ich hoffe, du hast das mit deinem Trainer da geklärt.“, rief Marie ihrer Schwester nach, woraufhin diese zusammenzuckte. Um ein Haar hätte sie vergessen, dass sie ja von Herrn Metzelder zu einem Straftraining verdonnert worden war. Andererseits, vielleicht ließ sich ja mit ihm handeln?
 

Nach einer gründlichen und heißen Dusche war Cathys schlechte Laune wie weggewischt. Sie lächelte vor sich hin, während sie gedankenverloren auf ihrem Bett lag und sich das Wiedersehen mit ihrem Bruder ausmalte. Allerdings blieb sie darin nicht lange ungestört. Mit einem Krachen flog die Tür auf. Eine ziemlich wütende Lesly kam ins Zimmer gestürmt.

„Dieser verdammte Wichser!“, machte sie ihrem Ärger laut Luft, dabei heftig gestikulierend.

Lynn folgte der Furie, ein bisschen bedröppelt dreinsehend.

„Ähm, wer?“, wollte Cathy wissen, sich aufsetzend.

Es brauchte viel, damit Lesly derart aus der Haut fuhr. Wegen einer Bagatelle machte die Halbengländerin sich nicht die Mühe, so sauer zu werden. Also musste es etwas Gravierendes sein. Anders konnte Cathy sich den Gemütszustand ihrer Freundin nicht erklären. Fragend sah sie zu Lynn, die mit den Achseln zuckte, was entweder bedeuten konnte, dass sie nicht wusste, weswegen Lesly so aufgebracht war oder aber, dass sie keinerlei Schuld daran trug.

„Ich meine diesen arroganten Sack!“, schimpfte Lesly, während sie das Zimmer mit großen Schritten durchmaß. Dabei schimpfte sie wie ein Rohrspatz. Cathys Augenbrauen wanderten bedrohlich in Richtung Stirn.

„Wieso? Was hat er denn jetzt wieder gemacht?“, fragte sie arglos nach.

Lesly drehte sich abrupt zu ihr um und funkelte die ahnungslose Blondine an.

„Sag mal, musstest du ihn so auf die Palme bringen?“, fauchte sie Cathy an, die bei dem scharfen Ton zusammenzuckte.

„Was hab ICH denn bitte damit zu tun?“, gab sie aber dann pikiert zurück.

„Du hattest doch eben Training mit ihm,oder etwa nicht?“

Unter dem bösen Blick Leslys schrumpfte Cathy in sich zusammen, überwand sich aber dann zu einem Nicken.

„Hätte ich mir ja denken können!“, knurrte Lesly, die jetzt ihre Hände in die Seiten gestemmt hatte.

Cathy aber verstand immer noch nicht genau, was eigentlich Sache war. Dass es um Metzelder ging, so viel hatte sie kapiert. War ja auch nicht zu überhören gewesen, zumal sie den Mathelehrer ja erst kürzlich auf 'arroganten Sack' getauft hatten. Wen sonst also sollte Lesly meinen? Hinzu kam noch, dass er ja jetzt auch Cathys Trainer war. Sehr zu ihrem Leidwesen, wie ihren Freundinnen durchaus bekannt war. Nicht, dass Lesly sich momentan großartig darum zu scheren schien.

„Was ist denn überhaupt los, verdammt?“, platzte Cathy schließlich der Kragen.

Lesly schnaubte böse.

„Deinetwegen hat der Mann eine absolute Scheißlaune und er hat mich zufällig dabei erwischt, wie ich mich in den Kunstraum schleichen wollte, um ein paar Pastellkreiden zu stibitzen.“

„Ja und?“, fragte Cathy weiter, die nicht verstand, was so schlimm daran sein sollte, wenn ein Lehrer, und sei es Metzelder, ihre Freundin dabei erwischte, wie sie den Kunstraum außerhalb der Unterrichtszeiten betreten wollte. Es war allgemein bekannt, dass Lesly bei Herrn Hildebrand einen Stein im Brett hatte und sie freien Zugang zu den Räumlichkeiten hatte. Warum also sollte es Metzelder auf einmal stören? Okay, Lesly kam nicht immer mit einer weißen Weste wieder, da sie nur selten widerstehen konnte, wenn sie all den Utensilien ausgesetzt war, nach denen ihre Künstlerseele geradezu lechzte. Das ein oder andere Mal verschwanden zufällig genau dann, wenn Lesly in den Räumen gewesen war, ein paar Acrylfarben oder der ein oder andere Kohlestift. Allerdings gab Lesly die Materialien auch wieder zurück, sobald sie sie zur Genüge benutzt hatte. Sie alle betrachteten ihre Mitbringsel daher als geborgen, nicht als gestohlen. Zudem war Herr Hildebrand ja nicht dumm. Er konnte sich sicher denken, wer Schuld daran war, dass ab und zu ein paar Sachen fehlten und kurze Zeit später wie durch ein Wunder wieder auftauchten.
 

„Ich fass es nicht!“, beschwerte Lesly sich, „Da fragt die auch noch knallhart 'Ja und?'.“

Ob dieser Dreistigkeit konnte die junge Frau nur den Kopf schütteln.

„Hat er dir Nachsitzen aufgebrummt oder was?“, hake Cathy scharfsinnig nach.

Lynn, die wohl sah, dass Lesly ernsthaft Gefahr lief, zu explodieren, beschloss, dass es sicherer war, wenn sie das Ruder übernahm. Als Lesly wieder das Wort ergreifen wollte, kam Lynn ihr zuvor, indem sie Cathy sagte, dass der 'arrogante Sack' ihrer Freundin nicht nur eine ziemliche Predigt gehalten, sondern sie auch dazu verdonnert hatte, zwei Wochen lang in den Pausen in seinem Raum die Tafel zu wischen. Außerdem hatte er Lesly auch noch zusätzlich Aufgaben aufgebrummt, die sie ihm spätestens Freitagabend abgeben sollte. Und wie sie Lesly nun mal kannten, war sie zum einen eine absolute Mathehasserin und zum anderen ging es ihr gegen den Strich ungerechterweise bestraft zu werden.

„Und wessen Schuld ist das?“, schloss Lesly, die Cathy immer noch mit bösen Blicken bedachte.

Selbige machte sich noch kleiner, als sie ohnehin schon war, bis ihr einfiel, dass Metzelder sie ja auch dran gekriegt hatte.

„Hör mal, der Sack hat mir Training am Wochenende verordnet. Ich bin auch bedient.“

„Mit dem Unterschied, dass du die Strafe verdienst, im Gegensatz zu mir!“, stellte Lesly klar, allerdings schon etwas besänftigter.

„Kann sein.“, wandte Cathy kleinlaut ein, „Aber ich versuch mal, mit ihm zu reden.“

Schwupps, da war sie schon halb aus der Tür raus.

„Das ist jetzt nicht ihr Ernst!“, hörte sie Lynn noch sagen, ehe sie mit eiligen Schritten den Korridor entlang hastete.

Wenn sie genügend Reue und Demut zeigte, würde der Sack ihr gewiss verzeihen und ihr das Training zumindest am Sonntag erlassen. Schließlich wollte sie unbedingt mit Philipp und Marie wegfahren.

'Ich lasse nicht zu, dass du mir das kaputt machst!', dachte Cathy entschlossen, während sie durch die wie ausgestorben wirkende Schule ging.

Die Lehrer hatten ihre Büros zumeist in den oberen Stockwerken, wo es ruhiger war. Außerdem waren sie in einem anderen Flügel untergebracht, als die Unterkünfte der Schüler, damit sie zumindest halbwegs ungestört ihrer Arbeit nachgehen konnten, wenn sie zum Beispiel Klausuren korrigierten oder ihren Unterricht vorbereiteten. Bei manchen Lehrern ging dafür mehr Zeit drauf, als bei anderen. Man mochte über Herrn Metzelder sagen, was man wollte, doch zu behaupten, er hätte kein genaues Konzept oder wüsste nicht, was er täte, wäre schlichtweg eine böswillige Lüge. Er hatte seinen Unterricht hundertprozentig im Griff. Bei ihm folgte immer eins aufs andere, nie überließ er etwas dem Zufall. Und da eine solche Struktur eine ziemlich langwierige und anspruchsvolle Vorbereitung beanspruchte, konnte man Herrn Metzelder fast immer in seinem Büro antreffen, wo er über irgendwelchen Heften und Zetteln brütete.

'Hoffentlich zerfetzt der mich nicht in der Luft, wenn ich da jetzt anklopfe.', überlegte Cathy, die schon mit dem Gedanken spielte, zu kneifen. Dann aber fiel ihr ein, dass sie es nicht drauf ankommen lassen wollte. Jedenfalls nicht, was das Wochenende anbelangte. Immerhin kam es nicht oft vor, dass sie Philipp sehen konnte. Das musste sie weidlich ausnutzen. Bestimmt hatte Metzelder Verständnis dafür.
 

Mit klopfendem Herzen machte Cathy sich vor der Bürotür bemerkbar und wurde dann reichlich genervt hereingebeten. Eingeschüchtert trat sie ein, ihre Hände nervös knetend. Allerdings konnte sie sich ein leichtes Grinsen nicht verkneifen, als sie den überraschten Gesichtsausdruck des Lehrers erblickte, als er bemerkte, wer da eingetreten war.

„Na so was.“, ließ er sich trocken vernehmen, „Mit dir hätte ich am Allerwenigsten gerechnet.“

Cathy biss auf ihre Lippen, platzierte sich dann aber vor seinem Schreibtisch, ihren Blick nur kurz über die mit Zetteln übersäte Arbeitsfläche gleiten lassend.

„Wie kann ich dir helfen?“, überbrückte Herr Metzelder die Stille, sich dafür verfluchend, dass er die Neugier nicht völlig aus seiner Stimme verbannen konnte.

„Ähm...“, begann Cathy zaghaft, brach dann aber ab.

Sie spürte, wie ihr Mut, so fern sie denn zuvor welchen besessen hatte, sich in Wohlgefallen auflöste. Nervös trat sie von einem Fuß auf den anderen, dabei ihren Lehrer nicht aus den Augen lassend.

„Willst du dich vielleicht setzen?“

Stumm schüttelte Cathy den Kopf. Ein Ruck ging durch ihren Körper. Wie kam sie eigentlich dazu, sich so dumm anzustellen? Sie war doch auch sonst nicht auf den Mund gefallen!

'Jetzt reiß dich zusammen!', pampte sie sich an.

Interessiert, um nicht zu sagen, übermäßig neugierig, beobachtete Herr Metzelder das wechselnde Mienenspiel des vor ihm stehenden Mädchens. Was hätte er nicht darum gegeben, jetzt in ihren Kopf sehen zu können. Aber leider war er des Gedankenlesens nicht mächtig.

„Ich wollte...“

Schon wieder blieb es bei einem unfertigen Satzanfang. Die Situation wurde Cathy immer unangenehmer. Sie seufzte leise, ihren Blick von ihm abwendend. Stattdessen schaute sie konzentriert auf die Schreibtischplatte. Vielleicht gelang es ihr ja besser, sich zu artikulieren, wenn sie ihn nicht ansah. Versuchsweise probierte Cathy es noch mal mit einem weiteren Ansatz. Diesmal gelang es sogar.

„Ich wollte Sie bitten, Lesly nicht so hart zu bestrafen und das Training auf Samstag zu beschränken.“

„Und warum sollte ich das tun?“, wollte Herr Metzelder neugierig wissen.

Cathy holte tief Luft.

„Was Lesly angeht, Sie haben sie doch bloß so angefahren, weil Sie sich über mich geärgert haben.“, begann Cathy, „Schließlich hat sie die Erlaubnis von Herr Hildebrand, in den Kunstraum zu gehen, wann immer sie will.“

Keine Antwort. Stattdessen zog Herr Metzelder nur seine Augenbraue hoch. Er hatte nicht erwartet, dass Lesly begeistert über die Strafe wäre, aber dass sie jetzt schon eine Freundin schickte, um ihn umzustimmen, erstaunte ihn nun doch. Er kannte die junge Engländerin schließlich schon seit knapp zwei Jahren und in dieser Zeit hatte sie durchaus für sich selbst sprechen können.

„Und was ist mit der anderen Sache?“, hakte Herr Metzelder nach, „Gibt's dafür einen bestimmten Grund oder hast du nur einfach keine Lust?“

„Wie bitte?“, schnaubte Cathy empört, „Keine Lust? Zugeben, die hab ich nicht, aber deswegen würde ich Sie wohl kaum bitten, mich zu verschonen!“

„Ach nein? Warum denn dann?“

„Mein großer Bruder kommt am Samstag, um Marie und mich abzuholen. Wir planen schon seit Langem einen Wochenendtrip.“

„Dann werden deine Geschwister eben ohne dich auskommen müssen.“, blieb Christoph hart, auch wenn er genau wusste, dass er es sich so nur weiter mit seiner Schülerin verscherzte. Allerdings war er nicht bereit, sein Wort rückgängig zu machen. Zudem würde sie das lehren, dass er keine leeren Versprechungen machte. Wenn sie ihm auf der Nase rumtanzen wollte, war sie definitiv an der falschen Adresse. Er ließ sich nicht von einem halbwüchsigen Teenager ärgern.

„Das ist aber gemein.“, beschwerte Cathy sich leise, jedoch nicht leise genug, dass er das nicht mehr gehört hätte.

„Falls du es noch nicht wusstest: Das Leben ist nicht fair.“, bemerkte Christoph spitz.

„Besten Dank auch, das weiß ich selbst!“, fauchte die Blondine aufgebracht.

Dumme Sprüche konnte sie jetzt noch weniger gebrauchen. Schließlich versuchte sie gerade, damit klar zu kommen, dass sie ihren Bruder mal wieder nicht zu Gesicht bekommen würde, obwohl sie sich seit dem letzten Mal darauf freute.

„Vorsicht, sonst wird das noch böse enden.“, warnte Herr Metzelder sie vor.

„Das wird es ohnehin!“, gab Cathy angefressen zurück, ihm einen angewiderten Blick zuwerfend.

„Schön, dann kannst du ja Leslys Strafe übernehmen.“, meinte der Lehrer gleichgültig, in aller Gelassenheit aufstehend und zu der Kaffeemaschine in der Ecke des Raumes zugehend.

„Wenn du mich jetzt entschuldigen würdest, ich habe noch ein paar wichtige Dinge zu erledigen.“

Cathy klappte bei dieser Dreistigkeit nur die Kinnlade runter.

„Arschloch!“, schimpfte sie allerdings so leise, dass Christoph nur raten konnte, was sie da wirklich gesagt hatte. Das Einzige, was er mit Gewissheit sagen konnte, war, dass es nichts Nettes gewesen sein konnte.
 

Mit einer Miene wie Sieben Tage Regenwetter kehrte Cathy in ihr Zimmer zurück. Sie ignorierte sowohl die Blicke ihrer Freundinnen, als auch deren gutgemeinte und besorgte Frage. Was Cathy jetzt wollte, war ihre Ruhe. Sie wollte einfach nur vor sich hin schmollen, ihrem Ärger irgendwie Luft machen, ihn an jemandem auslassen. Ihre Freundinnen waren dafür allerdings denkbar schlecht geeignet, weswegen Cathy sich ihren iPod schnappte, eine dicke Jacke überzog und zusah, dass sie in den Park kam, der zum Internat dazugehörte. Dort angekommen drehte sie die Lautstärke des iPods voll auf, wütend drauflos marschierend. Hin und wieder wurde ein unschuldiger Kiesel, der das Pech hatte, auf dem Weg rumzuliegen, brutal von Cathy weggekickt. Finster in die Weltgeschichte schauend machte ihr nicht mal der Regen etwas aus, der mittlerweile eingesetzt hatte. Eigentlich passte er perfekt zu ihrer miesen Stimmung, spiegelte ihr Inneres genau wieder. Aus diesem Grund dauerte es auch gut zwei Stunden, bis Cathy beschloss, zum Internat zurückzukehren. Das Abendessen musste längst vorbei sein, doch Hunger verspürte die junge Frau ohnehin keinen. Sie hoffte nur, dass man sie nicht zu sehr vermisst hatte, wusste sie doch genau, wie sehr Marcell und teilweise auch ihre Mädels es hassten, wenn sie sich einfach abseilte und stundenlang verschwunden blieb. Meistens betrachtete Cathy es nicht mal als notwendig, ihr Handy mitzunehmen, so dass man sie im Zweifelsfall erreichen konnte. Wenn sie zu diesen Gewaltmärschen aufbrach, wollte sie nicht erreichbar sein, sondern einfach ihre Wut abreagieren, indem sie Meter um Meter hinter sich brachte. Diese Maßnahme ersparte Cathy oft genug einen gepflegten Wutanfall, der bei ihrem Temperament schon heftig ausfallen konnte, wenn sie nur zornig genug war. Zum Glück kam es nur selten vor, dass jemand oder etwas Cathy so weit reizte. Die meiste Zeit war sie umgänglich und freundlich, es sei denn, man hieß Christoph Metzelder, war Mathelehrer und ein arroganter Sack. Seinetwegen war ihr Wochenende komplett im Eimer.

„Das wirst du noch bereuen, du Arschloch!“, murmelte Cathy leise, während sie die Treppen zu ihrem Zimmer erklomm.

Oh ja, Herr Metzelder sollte sich noch wundern. Niemand wagte es, Cathys Stolz zu kränken, ohne dafür einen Preis zu zahlen. Und so wie es momentan aussah, würde dieser beim arroganten Sack ziemlich hoch ausfallen. Vorerst aber ahnte der Lehrer nichts von den Rachegelüsten seiner Schülerin.

Hate Is In The Air

Einen kleinen Vorgeschmack auf das, was ihn am Wochenende erwartete, bekam Herr Metzelder allerdings am Folgetag zu spüren. Brav war Cathy zum Tafel wischen angetanzt, hatte dabei aber kein einziges Wort mit ihm gesprochen. Ja, sie ging nicht nur schweigend, sondern ziemlich rabiat zur Sache, so dass der Lehrer schon um seinen Schwamm und den Abzieher fürchtete.

'Dann wird die Doppelstunde in der fünften und sechsten heute ja lustig.', dachte er bei sich, während er beobachtete, wie Cathy den Schwamm über dem Waschbecken auswrang. Ihre Miene war, oberflächlich betrachtet, gleichgültig, doch meinte der Lehrer noch mehr darin zu erkennen. Allerdings sprach er sie nicht darauf an. Sie war ohnehin schon wütend auf ihn, wie er sich denken konnte. Da musste er nicht noch Öl ins Feuer gießen.

„Ich bin fertig. Kann ich jetzt gehen?“

Irritiert vom plötzlichen Klang ihrer Stimme brauchte Herr Metzelder ein paar Sekunden, bevor er sich zu einem Nicken durchringen konnte. Er kam sich vor wie ein kompletter Volltrottel.

„Gut.“, war Cathys einziger Kommentar, ehe sie sich ihren Rucksack schnappte und den Raum verließ, einen perplexen Lehrer zurücklassend, der sich fragte, ob er nicht zu hart mit ihr umgesprungen war. Offensichtlich hatte sie sich wirklich sehr darauf gefreut, ihren Bruder wiederzusehen und er hatte ihr das nun kaputt gemacht. Irgendwo tat ihm seine Unnachgiebigkeit leid. Aber andererseits hatte sie seine Autorität untergraben, ja, ihn sogar beleidigt, weswegen sie sich wohl kaum über eine Strafe aufregen durfte.

'Auch wenn ich bezweifle, dass sie mir das jemals verzeihen wird.', dachte Christoph nicht ohne Bitterkeit.

Er tat das ja nicht, um sie zu ärgern, sondern um sie zu fördern, ihr klar zu machen, dass es nun mal nicht immer nach ihrem Kopf ging. Marcell hatte er auch nicht nur aus Lust und Laune abgelöst. Ihm war aufgefallen, was für eine Form Cathy im Juni gehabt hatte und da er seinen letzten Schüler im Mai abgegeben hatte, war es doch nur natürlich, dass er sich nach Ersatz umsah, oder?

'Zumal Marcell ihr eh nicht mehr sonderlich viel beibringen kann.', redete der Mann sich ein, während er auf den Gong wartete, der ihm ein paar Dreizehner bescheren würde, die bei ihm im Mathe- LK schwitzten.
 

Die Mädchen hatten sich wie immer in der Bücherei eingefunden, allerdings nur zu dritt. Cathy hatte ihnen nicht gesagt, dass sie nicht erscheinen würde und so fragten sich die Verbliebenen, wo sie sich wohl herumtreiben mochte.

„Also, Lesly, dass du hier bist, ist mir jetzt klar. Ich meine, der arrogante Sack hat dir ja in der Stunde heute Morgen mitgeteilt, dass du nicht zum Tafel wischen kommen musst.“, eröffnete Lynn die Diskussionsrunde.

Ihr beipflichtend nickte Lesly. Jule, die gerade Italienisch gehabt hatte, während Cathy bei Monsieur Zidane im Französischunterricht hatte leiden dürfen, wusste auch nicht, warum ihre Freundin sich nicht blicken ließ.

„Sie wird uns doch wohl nicht für Marcell versetzt haben?“, sinnierte Jule laut.

„Das soll sie mal wagen!“, empörte Lynn sich, energisch die Hände in die Seiten stemmend.

„Wer soll was wagen?“, ertönte da die Stimme Cathys.

Die drei Mädchen fuhren herum. Ihre Freundin lehnte in der Tür zur Bücherei, eine elende Miene zur Schau tragend und insgesamt merklich geknickt wirkend.

„Cathy!“, erscholl es aus drei Kehlen.

Mit langsamen Schritten kam sie angetrottet, ließ ihren Rucksack auf den Boden knallen und lehnte sich dann an die Heizung.

„Wo kommst du denn her?“, wollte Lynn neugierig wissen, „Hat Zidane dich dabehalten?“

„Nee.“, war die einsilbige Antwort.

Lesly zog eine Augenbraue nach, während Jule die Freundin nur besorgt musterte, Lynn aber weiter Inquisition spielte.

„Und wo warst du dann?“, bohrte sie nach.

Genervt seufzte Cathy, eine der Topfpflanzen auf der Fensterbank befingernd.

„Vom arroganten Sack.“

„Das ist nicht dein Ernst!“, platzte Jule raus.

Auch Lesly und Lynn klappte die Kinnlade runter.

„Verarschen?“, kam es von Letzterer.

„Nee.“,knurrte Cathy noch angenervter, jetzt schon fast an der unschuldigen Pflanze rupfend.

„Was hast du denn beim arroganten Sack gemacht?“

„Das würde mich allerdings auch interessieren!“, musste Lesly gestehen.

„Ich hab die Tafel gewischt.“, gestand Cathy endlich.

„Warum das denn?“- „Ich dachte, du hasst den Kerl?“

„Ich glaub, ich hab des Rätsels Lösung.“,sagte Lesly triumphierend.

„Ach ja?“

Lynn zog eine Augenbraue hoch.

„Dann schieß mal los.“, forderte Jule die Freundin auf.

„Cathy ist doch gestern zum Sack gegangen, um ihn umzustimmen, was meine Strafe angeht.“

„Ja, und?“

„Sag mal, bist du so blöd oder tust du nur so?“, fauchte Cathy Lynn an, die sie nur verdutzt ansah.

Unter den erstaunten Blicken ihrer Freundinnen schnappte Cathy sich ihren Rucksack, hängte sich einen Träger über die Schulter und rauschte sauer aus der Bücherei, wobei sie fast Marcell umgerannt hätte, der in ebenjenem Moment den Raum betrat. Nicht minder überrascht sah er seiner besten Freundin und ehemaligen Privatschülerin nach.

„Was ist denn mit Cathy los?“, wandte er sich daher an ihre Freundinnen, die immer noch perplex vor der Heizung standen und äußerst ratlos wirkten.

Lynn hob die Schultern, Jule sah betreten zu Boden. Nur Lesly bequemte sich, Marcell eine Antwort zu geben: „Sie ist sauer auf Herrn Metzelder und ich glaub, auch auf uns.“

„Was hat er ihr getan?“,fragte Marcell alarmiert nach.

Er hatte Cathy selten so mies gelaunt erlebt. Und selbst wenn sie mal nicht so guter Laune war hatte sie sich doch immer bemüht, ihren Unmut nicht an ihm auszulassen.

„Sie musste Tafel wischen, weil sie dumm genug war, ihn zu beschimpfen.“

„Bitte?“

Marcell traute seinen Ohren kaum. Das klang aber gar nicht nach der Cathy, die er kannte.

„Ja, schon vorgestern hat sie das gemacht und gestern hat sie ihn beim Training wohl nochmal angezickt, so dass er Samstag und Sonntag Straftraining aufgebrummt hat.“

„Was hat das denn mit dem Tafel wischen zu tun?“, mischte Lynn sich ein, die, obwohl normalerweise nicht auf den Kopf gefallen, momentan ziemlich auf dem Schlauch stand.

Lesly schnaubte leise.

„Ist doch logisch, er hat ihr meine Strafe zusätzlich aufgebürdet.“

„Oh.“, machte Lynn erschrocken.

Jetzt konnte sie auch verstehen, warum Cathy so unausstehlich gewesen war. Offensichtlich war Herr Metzelder nicht gerade nett mit ihr umgesprungen.

„Okay, ich werd mit ihm reden.“, meldete Marcell sich zu Wort, schon auf dem Absatz kehrtmachend.

„Keine gute Idee.“, hielt Lesly ihn ab.

„Warum nicht? Ich lass doch nicht zu, dass er Cathy so drangsaliert!“, empörte Marcell sich.

„Rein technisch gesehen hat der Metzelder aber jedes Recht, Cathy so abzustrafen. Sie hat ihn immerhin beleidigt.“, wandte Lesly vernünftigerweise ein, woraufhin Marcell die Schultern und Mundwinkel gleichermaßen hängen ließ.

„Stimmt.“, musste er zugeben.

„Ich glaube, wir können gar nichts tun. Außer Abwarten.“

„Das wird wohl das Beste sein.“, stimmte Marcell widerwillig zu, nahm sich aber vor, seinen Kollegen und Cathy unabhängig voneinander ins Gebet zu nehmen. Sicher, er war alles andere als begeistert von der Tatsache, dass er nicht länger Cathys Coach war, aber deswegen sorgte er sich trotzdem noch um ihr Wohlergehen. Sie waren schließlich gut befreundet.

'Mal sehen, was sich da machen lässt...'
 

Im Deutsch- LK bei Herr Frings fiel es Cathy schwer, sich zu konzentrieren. Am Liebsten hätte sie sich ihren iPod geschnappt und wäre durch den Park gerannt, was aber leider nicht ging, da sie dem Unterricht ja wohl oder übel beiwohnen musste.

'Dann mach ich das heute Nachmittag.', überlegte sie, während sie so tat, als ob sie intensiv das Barockgedicht von Martin Opitz las, welches sie gerade behandelten.

'Und auf Mathe gleich hab ich erst recht keinen Bock.'

Da würde sie nur den arroganten Sack wiedersehen und darauf legte Cathy so gar keinen Wert. Sie verabscheute diesen Mann mindestens so sehr, wie sie auch Mathe hasste. Er hatte ihr Marcell weggenommen, er verbot ihr, mit ihren Geschwistern wegzufahren und er meinte, sie alle naselang bestrafen zu müssen.

'Aber das wird dir schon noch vergehen, du blöder Sack.', dachte Cathy rachsüchtig.

Eigentlich war sie nicht so, wie im Moment, aber es kamen einfach eine Menge Dinge zusammen, die langsam aber sicher das Fass zum Überlaufen brachten. Wenn sich nicht bald etwas änderte, würde Cathy explodieren. Und zwar gewaltig. In diesem Fall konnte Herr Metzelder froh sein, wenn er halbwegs ungeschoren davon kam.
 

Als es endlich zur zweiten großen Pause schellte war Cathy eine der ersten, die den Raum verließen. Mit hastigen Schritten strebte sie dem Schulhof zu, den sie allerdings nicht zu beehren gedachte. Viel mehr wollte sie vor der Doppelstunde Mathe ein bisschen Kraft tanken, indem sie einen kleinen Spaziergang unternahm. Ihren iPod hatte sie zum Glück immer einstecken, so dass sie ihn nur einzuschalten bzw. die Kopfhörer in die Ohren zu stecken braucht, um sich mit Musik zu versorgen, was sie denn auch tat. In voller Lautstärke dröhnte Bullet For My Valentine ihr 'Tears don't fall' ins Ohr. Manchmal hatte sie Metal einfach extrem nötig, vor allem dann, wenn sie so unglaublich geladen war, wie im Moment. Harte Musik half ihr, die Nerven zu behalten und nicht alles und jeden in ihrer unmittelbaren Umgebung zur Schnecke zu machen. Es war ja nicht so, als ob Cathy sich ständig solche Musik anhörte. Normalerweise war ihr Musikgeschmack bunt gemischt; sie hing nicht einem bestimmten Genre an und verteufelte alles andere. Ab und zu hörte sie sogar Clubmusik oder Dance, auch wenn sie ansonsten mehr mit Rock anfangen konnte.

Während Cathy sich im Park ihren Gewaltfantasien, die ihren Mathelehrer betrafen, hingab, hielten ihre drei Freundinnen in der Bücherei eine Krisensitzung ab. Thema war, wie konnte es anders sein, Cathy.

„Mal ganz ehrlich, wir müssen da was tun.“, eröffnete Lynn die Konferenz, es sich auf der Fensterbank gemütlich machend.

„Und was soll das deiner Meinung nach sein?“, erwiderte Lesly skeptisch.

Sie hatte die Arme vor der Brust verschränkt und warf ihrer Stufenkameradin einen prüfenden Blick zu. Wenn es nach der Engländerin gegangen wäre, hätten sie nicht mal dieses unselige Gespräch begonnen, dessen Sinn und Zweck, nämlich Cathy aufzumuntern, gewiss fruchtlos enden würde. Lesly vertrat die Ansicht, dass ihre Freundin einfach nur ein bisschen Zeit für sich allein brauchte und irgendwie schon wieder alles in Ordnung kommen würde.

„Ich finde, Lynn hat Recht.“, mischte Jule sich in die Unterhaltung ein.

„Nochmal, wie sollen wir das denn anstellen? Cathy hat ja offensichtlich keinen Bock, sich mit uns abzugeben.“, bemerkte Lesly spitz.

„Sei doch nicht so negativ!“, forderte Lynn stattdessen, die aber auch keine konkrete Idee vorweisen konnte. Allerdings stand doch genau aus diesem Grund diese Diskussion statt, damit sie gemeinsam eine Lösung finden konnten. Schließlich wollte keinen von ihnen, dass es Cathy schlecht ging. Zumindest Lynn wollte das nicht. Sie hasste es, wenn jemand, den sie gern hatte, litt und sie nicht helfen konnte. Jule ging es da ganz ähnlich. Es fiel ihr schwer, Cathy so am Boden zu sehen und zu wissen, dass nichts ihre Freundin würde aufmuntern können.

'Außer vielleicht ihr Bruder Philipp.', dachte Julia stirnrunzelnd.

Sie war so beschäftigt mit dem Aushecken einer Lösung, dass sie gar nicht mitbekam, wie Lesly und Lynn sich ernsthaft zu streiten drohten. Erst als der Lärmpegel rapide anstieg, kehrte Jule wieder in die Realität zurück.

„Mädels, jetzt haltet doch mal beide die Klappe!“, fauchte sie ihre Freundinnen an, die sich wütend anfunkelten und kurz davor, ein paar unverzeihliche Dinge zu sagen.

Sofort war der Streit vergessen. Stattdessen richtete sich die geballte Aggression der Abiturientinnen gegen Jule, die allerdings gelassen blieb, glaubte sie doch, eine Lösung für ihr Problem namens Cathy gefunden zu haben.

„Warum sollten wir jetzt ruhig sein?“, hakte Lynn neugierig nach, die wohl bemerkt hatte, dass Jule grinste.

„Ihr wisst doch, wie sehr sie an ihrem Bruder hängt..“

„Klar.“, ertönte es zweistimmig von Lesly und Lynn.

„Sorgen wir also dafür, dass Cathy mit Marie und Philipp wegfahren kann.“

„Spinnst du?“

Mal wieder war Lesly die Skeptische, obwohl Lynn diese Rolle auch oft genug übernahm. Diesmal allerdings unterstützte sie Jules Idee vorbehaltlos, ging es doch immerhin um Cathys Wohlbefinden.

„Nein, eigentlich nicht.“, gab Jule pikiert zur Antwort.

„Scheint mir aber doch so. Falls du es vergessen haben solltest: der Sack hat Cathy verboten, wegzufahren!“

„Verbote kann man umgehen.“, konterte Jule gelassen.

Sie würde sich bestimmt nicht von Lesly umstimmen lassen. Eigentlich war es doch schon beschlossene Sache, Cathy aus dem Internat zu schmuggeln.

„Ihr seid so krank!“, beschied Lesly sie, griff nach ihrer Tasche und begab sich frühzeitig zu ihrer Doppelstunde Kunst.

Lynn und Jule sahen ihr irritiert nach.

„Also, mit ihr stimmt aber auch was nicht.“, merkte Letztere an.

Zustimmend nickte Lynn.

„Das kannst du laut sagen.“

Keine der beiden ahnte, dass Lesly sauer auf sich selbst war. Sie erinnerte sich nur allzu gut daran, wie sie am Vortag Cathy angefahren hatte und diese daraufhin Metzelder aufgesucht hatte, nur um noch härter abgestraft zurückzukehren. So gesehen war es Leslys Schuld, dass Cathy jetzt Tafeldienst hatte.

'Ich bin so eine blöde Kuh!', dachte die junge Frau vernichtend, 'Warum kann ich meine Klappe nicht mal halten?'
 

Um ein Haar wäre Cathy zu spät zu Mathe gekommen. Sie war zu versunken in ihre Wutbewältigung gewesen, als dass sie großartig auf die Uhr geachtet hätte. Nur dem glücklichen Zufall war es zu verdanken, dass sie es hörte, als der Gong schellte. Der Akku ihres iPods hatte nämlich seinen Geist aufgegeben, was Cathy zwar nicht erfreute, aber dank dieser Sache ersparte sie sich eine Menge Ärger. Von Lesly und Lynn wusste die junge Frau, wie sehr Herr Metzelder Verspätungen hasste. Gerade noch rechtzeitig schlüpfte sie in den Klassenraum, dabei den eindeutig unzufriedenen Blick Metzelders ignorierend.

'Leck mich!', dachte Cathy wenig charmant, während sie den Raum nach einem Sitzplatz absuchte.

„In die erste Reihe mit Ihnen, Fräulein Lahm.“, beschied ihr Lehrer sie barsch.

Cathy zuckte zusammen, gehorchte aber anstandslos. In der Tat war das der noch einzig freie Platz.

'Muss ich wohl oder übel in den sauren Apfel beißen...', ging es ihr durch den Kopf, als sie ihre Arbeitsmaterialien auspackte und Interesse an der Rede Metzelders heuchelte.

Tatsächlich fiel es ihr leichter, ihm zuzuhören als sie geglaubt oder erwartet hatte. Vorerst verstand sie sogar den Stoff, den er mit diesem unwilligen Grundkurs durchging. Das war zwar noch nicht besonders viel, aber die Art und Weise wie Herr Metzelder den Unterricht gestaltete, machte klar, dass er rege Mitarbeit forderte, Faulheit nicht duldete und Unaufmerksamkeit gnadenlos bestrafte. Das war auch einer der Gründe dafür, warum Cathy sich am Riemen riss. Sie wollte nicht schon wieder Ärger mit ihrem Coach haben.

'Nee, der, den ich jetzt hab, der reicht mir vorerst.'

Auch Christoph, der sein Programm in gewohnt strenger Manier durchzog, ließ es sich nicht nehmen, Cathy zu beobachten. Obwohl sie böse auf ihn zu sein schien, war sie aufmerksam. Von seinem Kollegen Xabi Alonso, der Cathy letztes Jahr in Mathe unterrichtet hatte, wusste Christoph, dass sie kein Talent für das Fach hatte und es sie auch nicht großartig interessierte. Xabi zufolge genügte der jungen Frau ein Ausreichend vollkommen.

'Solang sie nicht ins Defizit abrutscht, ist alles okay.', dachte Herr Metzelder bei sich, nahm sich aber vor, es gar nicht erst drauf ankommen zu lassen. Sollte er merken, dass sie nicht mehr mitkam im Unterricht, würde er einschreiten und ihr ein paar Nachhilfestunden angedeihen lassen.

'Auch wenn sie sich bestimmt energisch dagegen wehren wird.'

Im Moment aber sah es nicht so aus, als ob zusätzliche Mathestunden vonnöten gewesen wären, da Cathy über das Buch gebeugt war und die Aufgaben rechnete, die er dem Kurs erteilt hatte. Sie wirkte nicht nur konzentriert, sondern sogar eifrig. Als ob sie es ihm um jeden Preis zeigen wollte. Unwillkürlich musste Christoph schmunzeln. Allerdings gefror ihm das Grinsen im Gesicht, als er einen Blick von ihr auffing, der vor Verachtung nur so strotzte.

Offensichtlich war sie nachtragender, als er gedacht hatte...

Leg dich nie mit deinem Mathelehrer an

„Boah, ich bin so fertig!“, beklagte Cathy sich, als sie am Freitagnachmittag auf ihr Bett fiel, dabei ihren Rucksack achtlos auf den Boden knallend.

Sie und Jule hatten in der siebten und achten Stunde Religion bei Herrn Klinsmann gehabt. Das war eindeutig mehr Qual als Vergnügen, wie beide zugeben mussten. Der gestrenge Konrektor zog auch im Nachmittagsunterricht das volle Programm durch.

„So siehst du auch aus.“, bemerkte Lesly spitz, die jetzt Cathys Rolle vom Vortag eingenommen hatte und schmollte. Mit Lynn und Jule hatte die Engländerin kein Wort mehr gewechselt.

„Danke für die Blumen.“, erwiderte Cathy gelassen.

Sie wollte nicht auch noch mit Lesly Streit anfangen, da diese schon auf die anderen beiden schlecht zu sprechen war. Jule, die mit Cathy ins Zimmer gekommen war, schnaubte nur leise. Den ganzen Vormittag hatte sie damit zugebracht, einen Plan auszutüfteln, wie sie Cathy aus dem Internat schaffen konnten, ohne dass Metzelder es mitbekam. In den Pausen hatte sie sich mit Lynn darüber beraten, doch jede Idee, die ihnen gekommen war, hatten sie wieder verworfen, weil sie zu offensichtlich war oder schlichtweg nicht durchführbar. Lesly hatte es vorgezogen, sich im Kunstraum aufzuhalten um tiefschürfende Gespräche mit Herrn Hildebrand zu führen, während Cathy ja noch ihre Strafe abzuleisten hatte, indem sie Tafelbimbo für den arroganten Sack spielte. Kaum, dass sie damit fertig war, drehte sie eine Runde im Park, um wieder zu sich zu finden. Von den Plänen ihrer Freundinnen ahnte sie nicht das Geringste und auch auf Marcells komisches Verhalten konnte sie sich keinen Reim machen. Im Englisch- LK in der dritten und vierten Stunde merkte Cathy, wie er sie häufiger beobachtete. Er schien eindeutig besorgt, was wohl auch erklärte, warum er seine beste Freundin kurz dabehielt, nachdem es zur Pause geschellt hatte.

„Hey, ist alles okay?“, erkundigte Marcell sich bei ihr.

Er lehnte an seinem Pult, sie besorgt ansehend. Sie seufzte leise, nickt dann aber, Anstalten machend ohne ein weiteres Wort verschwinden zu wollen.

„Lauf doch nicht gleich weg.“, hielt Marcell sie auf, nicht umhin kommend, sich über ihr Verhalten zu wundern. So war sie doch sonst auch nicht drauf. Ob Metzelder so schlecht mit ihr umsprang?

„Sorry, ich muss noch Tafel wischen.“, erwiderte Cathy, sah Marcell aber bei diesen Worten nicht an. Allein das ließ ihn stutzen. Normalerweise vermied die junge Frau Blickkontakt nur dann, wenn sie etwas zu verbergen hatte bzw. eine Lüge erzählte. Man konnte ihr an den Augen ansehen, wenn sie nicht die ganze Wahrheit sagte. Der Umstand, dass sie ihn jetzt mit dem Tafel wischen abspeisen wollte, legte Marcell den Verdacht nah, dass da noch mehr war. Aber er bekam keine Chance mehr, sich danach zu erkundigen, denn Cathy hatte den Raum schon verlassen. Auf dem Weg zum Klassenzimmer von Herrn Metzelder kämpfte sie mühsam mit den Tränen. Zum Glück dauerte es ein paar Minuten, ehe sie von A nach B gelangt war, was ihr die nötige Zeit verschaffte, sich zusammenzureißen. Sie hasste sich für ihr Verhalten gegenüber Marcell. Er hatte es schließlich nur gut gemeint. Doch wenn sie ihm reinen Wein eingeschenkt hätte, wäre er nur sauer auf Metzelder geworden. Am Ende hätte Marcell sich noch eingemischt und so wie Cathy ihren neuen Coach kannte, wäre diesem die Einmischung sauer aufgestoßen, was dazu geführt hätte, dass der Schulleiter auch noch in diese unselige Sache eingeweiht würde. Nichts aber lag Cathy ferner, als dass Marcell ihretwegen in Schwierigkeiten geriet. Lieber ertrug sie das harte Regime des arroganten Sacks. Sie war doch nicht aus Zucker!

Der arrogante Sack war an diesem Freitag erstaunlich freundlich zu Cathy gewesen, obwohl sie kaum ein Wort mit ihm wechselte, sondern sich allein darauf konzentrierte, die Tafel ordnungsgemäß zu wischen, um danach verschwinden zu können. Länger als nötig wollte sie nicht in Metzelders Nähe sein. Es reichte ihr schon, dass er sie um Vier zum Training wiedersehen würde, auf das sie heute so gar keine Lust hatte, was selten genug vorkam. Normalerweise war ein hartes Training mehr als geeignet, um Cathys angeschlagene Stimmung deutlich zu heben. Aber mit Metzelder war nicht gut Kirschen essen, wie sie in den beiden vorangegangene Trainingseinheiten wohl bemerkt hatte. Ganz anders als mit Marcell, der die Atmosphäre durch ein paar kleine Witze angenehm aufgelockert hatte. Zudem verstand er es wie niemand anders Cathy zu motivieren, wenn sie ihre Null- Bock Einstellung an den Tag legte.
 

Bis zum Training lümmelte Cathy auf ihrem Bett herum, die Nase in einem Schmöker versenkt ('Evermore' von Alyson Noel) und komplett unaware, was ihre Umwelt anging. Das gab vor allem Jule und Lynn die Möglichkeit, ihren Plan weiter gedeihen zu lassen. So schnappte sich Erstere das Handy von Cathy, durchforstete das Telefonbuch und rief schließlich Philipp an, um ihm von dem Desaster zu berichten, aus dem er seine jüngere Schwester am folgenden Tag würde befreien müssen. Es war kein Geheimnis, dass Jule eine Schwäche für Philipp hatte, was auch erklärte, warum sie zunächst ein bisschen rumdruckste, ehe sie sich vernünftig artikulieren konnte. Lynn derweil, die sich ein Grinsen stark verkneifen musste, überlegte, wie sie Marcell in den Plan einweihen konnten. Sie war sich ganz sicher, dass der Englischlehrer sich Cathys erbarmen würde.

'Am Besten ich geh bei Marcells Büro vorbei und bespreche es da mit ihm.', nahm Lynn sich vor, wartete dann aber doch noch, bis Jule mit ihrem Telefonat fertig war.

Außerdem wollten sie nicht, dass Cathy etwas mitbekam, da sie sie zu einem Gutteil auch überraschen und damit Wiedergutmachung leisten wollten. Die Mädchen wussten, dass sie ihre Freundin mit ihrem Verhalten vor den Kopf gestoßen hatten und dass die Sache noch an Cathy nagte, auch wenn sie sich betont gleichgültig gab. Also wollten sie Abbitte leisten, damit die Blonde ihnen wieder gut war. Streit und Funkstille war allen Bewohnerinnen des Viererzimmers zuwider. Wenn man auf engstem Raum miteinander auskommen musste, waren Meinungsverschiedenheiten eher hinderlich.

Um kurz vor Vier erhob Cathy sich unwillig von ihrem Bett, packte ihre Trainingssachen ein und stoppte nochmal an der Tür, um sich zu verabschieden.

„Bis später dann, Leute. Ich bin beim Training.“

„Ja, viel Spaß.“, erwiderten Lynn und Jule im Chor.

Lesly war nicht anwesend, sondern, wie sollte es anders sein, im Kunstraum, wo sie an ihrer Bewerbungsmappe für die Uni bastelte, tatkräftig unterstützt von Herrn Hildebrand. Sie hatte schließlich keine Zeit zu verlieren. Ein solches Material zu erstellen, war zeitaufwendig und sie hatte lieber ein paar Exemplare zu viel als zu wenig von manchen Werken.

„Okay, die Luft ist rein. Gehen wir zu Marcell.“, kommandierte Lynn, nachdem sie auf Nummer Sicher gegangen war, dass Cathy nicht mehr zurückkommen würde, weil sie etwas vergessen hatte oder dergleichen.

„Worauf wartest du noch? Eine schriftliche Einladung?“, gab Jule grinsend zurück, völlig ungeniert in Richtung Lehrerbüros laufend.

Das hier war schließlich keine Sperrzone. Wer sollte sie schon schief angucken oder sich wundern? Dass Schüler in diesen Korridoren rumturnten war keine Seltenheit. Deswegen sah Jule es auch nicht ein, warum sie sich wie eine Verschwörerin verhalten sollte, obwohl sie genau das war. Lynn jedenfalls beeilte sich, ihrer Freundin nachzukommen und möglichst unauffällig zu sein. Sie war nicht scharf drauf, Herrn Metzelder morgen erklären zu müssen, wo Cathy steckte.

„Wir sind da, Lynn.“, informierte Jule ihre Begleiterin, die glatt an der Bürotür Marcells vorbeigelaufen wäre, wenn man sie nicht angehalten hätte, so versunken war sie in Gedanken.

„Oh.“, gab die Träumerin zur Antwort, riss sich dann aber am Riemen und übernahm großzügigerweise das Anklopfen.

Nachdem der Englischlehrer ein 'Herein' hatte erklingen lassen, betraten die Mädchen den Raum. Marcell staunte nicht schlecht, als er Cathys Freundinnen erkannte. Er fragte sich, was sie wohl zu ihm trieb, konnte sich jedoch selbst keine Erklärung liefern. Keine der beiden hatte bei ihm Unterricht, da er nur für die Englischleistungskurse zuständig war, Jule und Lynn aber jeweils im Grundkurs saßen. Die eine in der 13, die andere in der Zwölf.

„Was führt euch zu mir?“, wollte Marcell denn auch neugierig wissen, während er den Schülerinnen die beiden Stühle vor seinem Schreibtisch anbot. Dankend nahmen sie Platz, ernst wirkend.

„Wo fangen wir denn am Besten an?“, überlegte Lynn laut.

„Geht es um Cathy?“, schlug Marcell vor.

Jule nickte.

„In der Tat, um genau die geht es.“

„Wie kann ich euch denn helfen?“

Sofort war Marcell Feuer und Flamme. Wenn es etwas gab, was er tun konnte damit Cathy wieder besser drauf war, nun, dann würde er Himmel und Hölle in Bewegung setzen, um zu erreichen, dass ihre Laune sich steigerte.

„Also, Sie wissen es vermutlich nicht, aber Cathy und ihre Schwester Marie bekommen dieses Wochenende Besuch von ihrem älteren Bruder.“, begann Jule, wurde aber von Lynn unterbrochen, die auch unbedingt etwas beitragen wollte.

„Genau und sie hatten einen Wochenendtrip geplant, der dank Metzelders Straftraining aber nun leider für Cathy ins Wasser zu fallen droht.“

Langsam nickte Marcell.

„Verstehe.“, erwiderte er, fügte aber dann hinzu: „Und wie soll ich eurer Meinung nach eingreifen? Ich meine, ich kann wohl kaum meinem Kollegen sagen, er soll ihr die Strafe erlassen...“

„Oh, so weit haben wir auch gar nicht gedacht.“, meinte Jule locker, dabei aber ziemlich verschlagen grinsend.

„Ach ja?“

Marcell zog fragend eine Augenbraue hoch.

„Und was habt ihr denn sonst ausgeheckt?“

Seine Neugier war dem Lehrer deutlich anzumerken. Er konnte sie kaum noch bezähmen, fürchtete aber, dass die Antwort ihm nicht gefallen könnte. Jedenfalls nicht, wenn er Jules Grinsen richtig gedeutet hatte.

„Wir wollen Cathy aus dem Internat schmuggeln.“, ließ Lynn dann die Bombe platzen.

Gespannt sahen sie Marcell an, der zunächst zu keiner Reaktion fähig war. Stattdessen starrte er die Schülerinnen nur ungläubig an.
 

Während Jule und Lynn mit Marcell weiter Pläne schmiedeten, kämpfte Cathy auf einem der zahlreichen Sportplätze des Internats gegen Erschöpfung und Frustration an. Obwohl sie sich ordentlich bemühte, wollte ihr nichts so recht gelingen. Sie hatte die Zähne zusammengebissen, trotzte ihrem Körper Leistung ab, die er einfach nicht bringen wollte und schaffte es doch nicht, den Vorgaben ihres Coachs gerecht zu werden, was sie ziemlich wurmte. Sie mochte ja in Mathematik eine komplette Null sein, aber das galt nicht für Fußball. Und auch wenn sie Metzelder nicht leiden konnte, genauer gesagt, ihn absolut verabscheute, hatte das doch keine Auswirkungen auf ihren Ehrgeiz. Zumindest keine negativen. Eher wurde sie noch angespornt, wollte sie ihm doch unbedingt etwas beweisen. Nämlich, dass sie gut war, dass sie nicht in allen Dingen versagte. Marcell hatte sie vielleicht gut gefördert und ein ums andere Mal wäre sie vor Müdigkeit bald umgekippt, jedoch hatte er sie nie so sehr an ihre Grenzen getrieben, wie Metzelder es tat. Und obwohl Cathy manchmal ganz schön faul und bequem war, tat ihr das gut. Sie spürte richtig, wie jeder Muskel in ihr arbeitete und sie mit jedem Schritt, den sie tat, jeder Bewegung, die sie vollbrachte näher an 100 Prozent Leistung heranreichte. Aber das war ihr nicht genug. Sie wollte diesen arroganten Sack in Staunen versetzen. Ihm praktisch beweisen, dass die Jahre unter Marcells Führung und Anleitung nicht verschwendet waren, sondern, dass er ihr eine Menge beigebracht hatte. Freilich ahnte sie nicht im Geringsten, dass Herr Metzelder sich dessen durchaus bewusst war, was ihn allerdings nicht davon abhielt, Cathy gehörig zu scheuchen. Immerhin war sie eine ernsthafte Sportlerin. Sie wollte etwas erreichen und das gelang nun mal nicht ohne Mühe. Deswegen nahm er sie direkt hart an die Kandarre. Sie sollte merken, dass er zwar ein strenges Programm durchzog, sie davon aber nur profitieren konnte. Ähnlich wie in seinen 'richtigen' Unterrichtsstunden duldete Christoph auch im Training keinen Müßiggang, keine Wiederworte, keine Lustlosigkeit und kleine Rebellionen wusste er im Keim zu ersticken, wenn man mal von den Beleidigungen absah, die Cathy ihm in der vergangenen Woche an den Kopf geworfen hatte. Den Preis dafür zahlte sie, indem sie auf das gemeinsame Wochenende mit ihren Geschwistern verzichten musste. In Christophs Augen war das Strafe genug. Zudem war sie ja noch seine Tafelputzsklavin und übertreiben wollte er es nicht gerade. Sie konnte ihn ohnehin schon nicht leiden, was er ziemlich bedauerte. Es war ja nicht so, als ob er sie nicht mochte, eher im Gegenteil. Sie war ihm schließlich nicht ohne Grund im Juni aufgefallen. Aber bevor er sich noch einmal an diesen verhängnisvollen Tag erinnern konnte, verscheuchte er den Gedanken unwirsch. Stattdessen reagierte er sich an Cathy ab, indem er ihren Spielcharakter kritisierte, obwohl an diesem nicht gerade viel zu bemängeln war. Wäre Christoph besserer Laune gewesen, wäre sie definitiv nicht so schlecht weggekommen. Er staunte ohnehin, wie viel sie sich heute von ihm gefallen ließ, ohne auch nur einmal zu meckern. Eigentlich war er davon ausgegangen, dass sie mit Kritik absolut nicht umgehen konnte, war ihr ehemaliger Trainer schließlich gleichzeitig eng mit ihr befreundet gewesen und daher sicherlich einer konstruktiven Kritik nicht mächtig. Wie sehr der Herr irrte, merkte er, als Cathy, am Rande des Zusammenbruchs nur um eine Verschnaufpause bat. Kaum, dass sie ihr gewährt wurde, schnappte sie sich ihre Wasserflasche, leerte sie in großen Schlucken und kehrte zum Training zurück. Christoph sah, wie sehr sie sich bemühte, aber ihm fiel auch auf, dass sie heute nicht steigerungsfähig war. Selbst wenn sie noch bis um sieben Uhr Abends trainiert hätten, hätte keine Steigerung stattgefunden. Die Luft war einfach raus.

Aus diesem Grund beendete Christoph das Training daher fünf Minuten früher als es sonst seiner Art entsprach.

„Schluss für heute. Geh duschen und dich ausruhen.“, beschied er Cathy.

Diese nickte dankbar, war sie doch völlig am Ende. Sie griff nach ihrer Tasche, warf sie sich über die Schulter und trollte sich in Richtung der Duschen. Dann aber besann sie sich eines Besseren, kehrte wieder um und stand eine Weile doof vor Christoph rum, der noch damit beschäftigt war, die Notizen, die er sich während der Trainingseinheit gemacht hatte, zu überfliegen und gegebenenfalls noch etwas hinzuzufügen. Erst ein paar Minuten später bemerkte er Cathy.

„Was gibt’s?“, wollte er neugierig wissen.

Aus irgendeinem Grund lief sie rot an, trat unruhig von einem Bein aufs andere und druckste mehrere Augenblicke unzusammenhängend herum, bevor sie sich dazu überwand, vorzutragen, was ihr auf der Seele lag.

„Können Sie mich für Sonntag nicht freistellen, bitte?“, brachte sie leise hervor.

Schon als die Frage stellte, war ihr schlecht und vor seiner Antwort graute ihr geradezu. Christoph aber zog kritisch eine Augenbraue hoch.

„Warum sollte ich?“

„Sie wissen doch, mein Bruder...“, begann Cathy, dann aber verließ sie der Mut, so dass der Satz unvollendet blieb.

„Mag ja sein, aber ich hab dir vorgestern schon 'Nein' gesagt.“, beschied Christoph sie.

Er blieb in der Hinsicht unerbittlich. Und wenn sie sich auf den Kopf stellte, er würde nicht einlenken. Sie musste akzeptieren, dass sie so nicht mit ihm umgehen konnte. Für ihre Frechheit musste sie bestraft werden und sie Sonntag trainieren zu lassen, erschien dem hochgewachsenen Mann durchaus legitim. Er war der Trainer, er war ihr Lehrer, eine Autoritätsperson und sie hatte sich seinem Willen zu beugen. Tat sie es nicht, nun, dann würde er eben weniger nette Saiten aufziehen.

„Bitte...können Sie mich nicht Samstag doppelt trainieren lassen und mich dafür am Sonntag verschonen?“, versuchte Cathy zu handeln.

Sie hasste sich dafür, dass ihre Verzweiflung in ihrer Bitte so sehr zum Ausdruck kam. Der arrogante Sack musste nicht wissen, wie sehr sie sich danach sehnte, ihren heißgeliebten Bruder wiederzusehen. Es geschah selten genug, dass Philipp Zeit für sie und Marie aufwenden konnte. Und noch einmal so lange auf ein Treffen warten zu müssen, nein, das würde Cathy schlichtweg nicht durchhalten. Er fehlte ihr doch so!

Christoph sah durchaus, wie verzweifelt Cathy war, aber er konnte einfach nicht nachgeben. Was hätte das sonst über seine Autorität ausgesagt? Eben, dass er ein Weichei war. Dass er sich von einem Dackelblick rumkriegen und weichklopfen ließ. Und das konnte er nicht. Natürlich wusste er, dass er sich wie ein Arschloch benahm - gut, okay, er konnte vielleicht manchmal wirklich eins sein – aber er genausowenig konnte er sich dazu überwinden, ihr einen Gefallen zu tun. Es ließ sich mit seinem übergroßen Stolz einfach nicht vereinbaren. Zwar rechnete er es ihr hoch an, dass sie sogar bereit war, doppelt zu trainieren, doch einlenken und nachgeben mochte er trotzdem nicht.

„Ich sagte Nein.“, blieb Christoph hart.

„Und dabei bleibt es!“, fügte er barscher hinzu, als beabsichtigt.

Cathy, die schon ihren Mund zu einer Erwiderung geöffnet hatte, starrte ihn einen Moment nur fassungslos an. Dann machte sie auf dem Absatz kehrt und stürmte, trotz ihrer Erschöpfung, sauer und frustriert in Richtung Umkleiden.
 

Ungefähr eine Dreiviertelstunde nach ihrem Abgang war Christoph so weit, dass er ebenfalls duschen und sich umziehen gehen konnte. Ihm ging das Gespräch mit seiner widerspenstigen Schülerin einfach nicht aus dem Sinn.

'Warum konnte ich ihren Vorschlag nicht annehmen?', fragte er sich, während er sich aus den Trainingsklamotten schälte, sich ein Handtuch um die Hüften schlang und mit Duschzeug bewaffnet den Weg zu den Duschen antrat.

Dazu muss erklärt werden, dass es zwar getrennte Umkleiden gab für Jungen und Mädchen, man aber, da das St. Helena zunächst ein reines Jungeninternat gewesen war, schlicht und ergreifend es nicht für nötig befunden hatte, einen weiteren Duschraum hinzuzufügen, nachdem die Schule auch für Mädchen geöffnet worden war. Aus diesem Grund hatte Christoph auch noch 45 Minuten vertrödelt, um Cathy ja nicht zu stören. Er hatte nur einmal, ziemlich am Anfang seiner Karriere, einen weibliche Privatschüler gehabt und wusste daher, dass Frauen, wenn sie Frust hatten, schon mal länger unter der Dusche brauchten. Da er nicht sonderlich scharf darauf war von Cathy als Spanner abgestempelt zu werden, hatte er vorsichtshalber so lange gewartet, bis er sicher war, dass seine kleine Rebellin mit allem fertig war.

Vor sich hin summend, um alle Gedanken zu verscheuchen, die ihn selbst als den Bösen anprangerten, betrat er den Vorraum zu den Duschen. Zwar drang das Geräusch prasselnden Wassers an sein Ohr, doch dachte er sich nichts weiter dabei. Bestimmt hatte Cathy einfach nur vergessen, die Dusche abzustellen.

'Umso besser für mich, dann dürfte das Wasser zumindest warm sein.'

Da die Duschen ein wenig antik, um nicht zu sagen extrem veraltet waren, dauerte es ein paar Augenblicke, ehe das Wasser warm wurde. Wer also klug war, ließ die Dusche erstmal ein bisschen laufen, bevor er sich drunter stellte.

Christoph war drauf und dran, zu den Duschen weiterzugehen, als noch etwas an sein Ohr drang. Und dieses Geräusch konnte er eindeutig als Schluchzen identifizieren. Irritiert und irgendwo auch neugierig konnte er sich nicht bezähmen. Er musste auf Nummer Sicher gehen, dass es sich bei dieser verzweifelten Person nicht um Cathy handelte. Als er um die Ecke spähte wurde seine Wunschvorstellung grausam zerschmettert. Es war in der Tat Cathy, aber in völlig anderem Gemütszustand, als er sie je erlebt hatte.

Sie hockte unter der Dusche, hatte die Arme um ihren Brustkorb geschlungen und ließ, sich ungestört glaubend,ihren Tränen freien Lauf. All ihr Kummer strömte über ihre Wangen, vermischte sich mit dem Wasser aus der Leitung und verschmolz zu einem ewige prasselnden Strahl, der sich schließlich und endlich auf die cremefarbenen Kacheln ergoss und im Abfluss landete. Natürlich hatte Christoph geahnt, dass sie alles andere als begeistert von seiner Abfuhr war, aber dass sie sich so die Seele aus dem Leib heulte, war ihm auch zuwider. Und da nur seinetwegen. Weil er zu stolz gewesen war, um ihr entgegen zu kommen...

In diese Situation fiel ihm nicht mal auf, dass Cathy splitterfasernackt war, nichts am Leibe trug und er ihren trainierten und wohlgeformten, jungen Körper wunderbar betrachten konnte. Seine Aufmerksamkeit war eindeutig auf ihre Verzweiflung gerichtet, von der er nicht gewusst hatte, dass sie so grenzenlos war. Nun sicher, es war bitter, wenn man mit seinen Geschwistern nicht wegfahren konnte, aber dass sie es sich gleich so zu Herzen nahm?

„Philipp...“, schluchzte Cathy da auf.

Sie hob den Kopf, welchen sie bis dato gesenkt gehalten hatte und hielt ihr Gesicht genau in den dampfenden Wasserstrahl, der nun auf ihre geschlossenen Augenlider prasselte. Jetzt konnte Christoph ihre Tränen erst recht erkennen.

'Ich bin so ein sturer, verdammter Idiot!', schalt er sich innerlich, wie gebannt vom Anblick seiner weinenden Schülerin, die nich ahnte, dass er da war und sie beobachtete.

Wie er sie so da sitzen sah, wurde ihm nur noch einmal deutlich bewusst, dass er sein Verhalten ihr gegenüber ändern musste, wenn er wollte, dass sie ihn eines Tages akzeptierte, vielleicht sogar mochte.

'Das wird schwer, aber ich verspreche, dass ich nach diesem Wochenende nicht mehr so hart mit dir ins Gericht gehen werden.', dachte Christoph an Cathy gerichtet, die da natürlich nicht mitbekam, zum einen weil sie zu beschäftigt war mit ihrem Kummer und zum anderen, weil sie nicht damit rechnete, dass irgendjemand auf die Schnapsidee kommen konnte, ihr beim Heulen zuzugucken.

Christophs guter Vorsatz würde sich allerdings schon bald in Rauch auflösen, ohne, dass er es ahnte. Noch wusste er schließlich nicht, was für eine unangenehme Überraschung ihn am Wochenende erwartete.

Geschwisterliebe

Am Samstagmorgen stand Cathy schon um halb sieben auf, da sie keinesfalls zu spät zu ihrem Straftraining erscheinen wollte. Mehr als pünktlich fand sie sich auf dem Sportplatz ein, sogar noch vor ihrem Lehrer. Herr Metzelder hatte es einige Mühe bereitet, sich aus dem Bett zu quälen und ohne Kaffee lief für ihn nichts, weswegen er auch erst um sieben Uhr auftauchte. Er war staunte nicht schlecht als er Cathy dabei beobachtete, wie sie putzmunter, wenn man bedachte, dass es Samstagmorgen war, um den Platz joggte und dabei vor sich summte. Als sie ihn bemerkte, unterbrach sie ihren Lauf. Stattdessen gesellte sie sich zu ihm, ihm einen guten Morgen entbietend. Verwundert, schließlich hatte sie sich am vergangenen Abend noch die Augen ausgeheult, erwiderte Christoph den Gruß.

„Was ist, fangen wir an?“, fragte Cathy mit einem Lächeln.

Natürlich erinnerte sie sich noch zu gut an ihren Zusammenbruch unter der Dusche am Abend zuvor, aber nach einer Nacht gesegneten Schlafs war ihr Kummer fast vergessen. Außerdem hoffte sie immer noch, dass sie Christoph irgendwie würde umstimmen können. Sie wollte einfach nicht aufgeben.

'Und wenn er mir die Erlaubnis nicht gibt, tja, dann geh ich eben, ohne es ihm zu sagen!', beschloss Cathy mit einem Grinsen für sich, nicht ahnend, was Jule und Lynn geplant hatten.

„Freut mich, dass du so motiviert bist.“, meinte Christoph trocken, der eine Stunde Schlaf mehr doch sehr begrüßt hätte.

'Memo an mich: Strafarbeiten günstiger legen.', dachte er bei sich, während er Cathy dabei zusah, wie sie mehrere Aufwärmübungen absolvierte.

Danach ging es circa eine Stunde ans Eingemachte, so dass Cathy der Schweiß hinterher in Strömen über den Körper rann. Doch das störte sie gar nicht großartig. Sie war zu euphorisiert über ihren Trainingserfolg, mit dem sie ihre miese Leistung vom Vortag sicherlich ausgeglichen, wenn nicht gar ausgemerzt hatte. Sogar Christoph musste das anerkennen. Ihm entschlüpfte doch tatsächlich ein Lob! Daraufhin wäre Cathy beinahe über den Ball gestolpert, welcher noch zu ihren Füßen lag. Sie traute ihren Ohren kaum. Mit allem hatte sie gerechnet, nur nicht damit, dass er zufrieden sein könnte.

'Wow, ich glaub, mich laust die grüne Haselmaus!', ging es Cathy durch den Kopf.

„Sie laust mich ganz wahnsinnig...“, murmelte sie laut.

„Wie meinen?“

Christoph hatte natürlich keine Ahnung, worauf Cathys Aussage sich bezog, weswegen er sicherheitshalber nachfragte. Sie aber wurde nur rot und wich ihm aus, indem sie fragte, ob sie für heute entlassen sei. Mit einem Nicken signalisierte ihr der Lehrer, dass sie gehen durfte.

„Dann bis morgen.“, verabschiedete Cathy sich, die jetzt fest entschlossen war, auch ohne seine ausdrückliche Erlaubnis mit ihren Geschwistern wegzufahren. Schließlich sah sie ihren Bruder kaum und eine solche Gelegenheit würde sich so schnell nicht wieder bieten.

'Muss ich eben dafür bezahlen, mir egal.'
 

Als Cathy in das Viererzimmer zurückkehrte, erwartete sie dort eine angenehme Überraschung, nämlich Jule, Lynn und ihre Schwester Marie, die in den tollkühnen Plan der Oberstufenschülerinnen eingeweiht worden war. Man brauchte schließlich ein bisschen Schützenhilfe um ein Gelingen zu garantieren. Da Marie Herrn Metzelder nicht gerade leiden konnte, obwohl Physik eines ihrer Lieblingsfächer war, war es ihr nicht sonderlich schwer gefallen, das Verbot des Lehrers zu ignorieren und Jule und Lynn ihre Unterstützung zuzusichern, was die beiden sichtlich freute.

„Was grinst ihr denn so?“, wollte Cathy daher wissen, als sie ihre Freundinnen erblickte.

„Das siehst du schon noch.“, erwiderte Jule mehr als gelassen, während Lynn auf die gepackte Tasche auf Cathys Bett deutete.

„Ähm...Mädels?“, hakte die Blonde unsicher nach.

„Jetzt schau nicht wie ein Lamm auf dem Weg zur Schlachtbank!“, beschwerte Marie sich, die bis dato keinen Ton gesprochen hatte, was äußerst ungewöhnlich war, da sie normalerweise zu allem ihren Senf dazugab.

„Deine Schwester hat Recht.“, pflichtete Jule Marie bei, dabei ein verschwörerisches Zwinkern austauschend.

„Okay, ihr habt mich so weit, ich versteh bloß Bahnhof.“, gab Cathy daraufhin zu, die tatsächlich verwirrt war und nicht wusste, was sie von dieser ganzen Sache zu halten hatte.

„Ist doch klar.“, schaltete Lynn sich ein, „Du fährst mit deiner reizenden Schwester Marie hier und Philipp nach Grömitz, wie geplant.“

Wie vom Donner gerührt starrte Cathy ihre Freundinnen an. Ihr klappte sogar die Kinnlade runter.

„Ihr verrückten Hühner!“, platzte es aus ihr heraus, ehe sie auf die drei Mädchen zustürmte und sie eine nach der anderen fest und herzlich umarmte. Allerdings fiel diese Liebesbezeugung bei Marie um Einiges kürzer aus, als bei Jule und Lynn, da Marie kein Fan von Knuddeleien war. Jedenfalls nicht, wenn es sich bei dem Gegenüber um ihre ältere Schwester handelte.

„Ist gut jetzt, du kannst mich wieder loslassen.“, grummelte die jüngere der Schwestern auch gleich, sobald Cathy nur die Arme um sie geschlungen hatte. Brav gehorchte die junge Frau, trat ein paar Schritte zurück und war schlicht und ergreifend überwältigt.

„Wow, Mädels...“

„Schon gut, du brauchst uns nur bis in alle Ewigkeit dankbar zu sein.“, grinste Lynn frech.

„Und wegen dem morgigen Training, mach dir mal keine Sorgen, wir haben schließlich noch einen Verbündeten.“, merkte Jule mit diebischem Vergnügen an.

Wie auf ein Stichwort legten sich zwei Hände über Cathys Augen. Sie erschrak im ersten Moment, heftig zusammenzuckend. Dann aber äußerte sie die erste Vermutung, die ihr in den Sinn kam.

„Lesly?“, riet Cathy, die hoffte, dass damit alle Differenzen beigelegt waren.

Stattdessen aber kam ein empörtes Schnauben als Antwort zurück.

„Also bitte, kaum sind wir mal eine Woche nur Lehrer und Schülerin, schon erkennst du mich nicht mehr!“, beschwerte sich eine warme Stimme, deren Klang Cathy nur zu gut bekannt war und die ihr in den vergangenen Tagen ziemlich gefehlt hatte.

„Marci!“, quietschte sie daher, riss seine Hände von ihren Augen, wirbelte herum und hätte ihn beinahe mit ihren Armen erschlagen, als sie ihn heftig umarmte.

„Richtig!“, lachte der hochgewachsene, junge Mann, während er die Umarmung nicht minder innig erwiderte.

Die drei Zuschauerinnen verkniffen sich zwar wohlweislich ein paar trockene Bemerkungen, konnten aber nichts gegen das breite und mehr als amüsierte Grinsen tun, welches sich auf alle drei Gesichter schlich.

„Oh mann...“, platzt Marie dann doch heraus, „Ihr zwei seht aus, wie Romeo und Julia als sie sich zum letzten Mal gesehen haben.“

„Ja, echt mal, star crossed lovers nennt man das doch.“, kicherte Lynn, die von Shakespeare allerdings gestrichen die Nase voll hatte. Zumindest auf Englisch.

Abrupt ließ Marcell von Cathy ab, die sogar rot geworden war bei den Worten ihrer Schwester. Dass auch ihr ehemaliger Kumpeltrainer errötet war, hatte sie nicht mitbekommen. Er räusperte sich leicht, woraufhin Cathy ihm wieder ihre Aufmerksamkeit zuwandte.

„Ich werde den arroganten Sack von dir ablenken.“, meinte Marcell mit einem schiefen Lächeln.

„Ach ja? Und wie willst du das anstellen?“, hakte Cathy neugierig nach.

Doch sie bekam nur ein mysteriöses Lächeln zur Antwort. Offensichtlich wollte Marcell das für sich behalten.

'Also kann es nichts Gutes sein.', überlegte Cathy, die ihrem besten Freund einen misstrauischen Blick zuwarf.

Ehe er diesen aber beleidigt kommentieren konnte, mischte Jule sich ein.

„Hey Sonnenschein, ich hab mit deinem Bruder telefoniert und ihn dazu überredet, Marie und dich früher abholen zu kommen.“

Cathy zog eine Augenbraue hoch, als sie das hörte. Es war kein Geheimnis, dass Jule Philipp mehr als attraktiv fand. Deswegen musste sie auch leicht grinsen. Und dass die Freundin sich überwunden hatte, um Philipp anzurufen, das war schon etwas wert. Wann immer Jule dem berühmt – berüchtigten Bruder Cathys begegnet war, hatte sie entweder keinen vernünftigen Satz rausgebracht, sondern nur gestammelt und verlegen den Boden angestarrt oder genau das Gegenteil war passiert: sie hatte einfach den Mund nicht halten können und Philipp mit einer Unmenge an Informationen bedacht, die er sich natürlich unmöglich alle merken konnte.

„Hut ab, Jule.“, lobte Cathy ihre Freundin, die sich ein zufriedenes Grinsen gestattete.

„Ich will ja nicht stören, aber so langsam sollten wir uns mal verziehen, wenn wir unbemerkt vom Schulgelände verschwinden wollen.“, unterbrach Marie recht brüsk ihre Schwester, der noch ein paar Worte auf der Zunge gelegen hatten.

„Verdammt, du hat Recht. Es ist gleich halb Neun und so langsam stehen die anderen auf.“, fiel Cathy ein, die zwar gern erst noch geduscht hätte, kam sie schließlich frisch vom Training, aber die Notwendigkeit einsah, dass alles schnell gehen musste, wenn sie wollte, dass der Plan ihrer Freundinnen gelang.

„Aber zuerst gehst du gefälligst duschen! Und zwar flott!“, kommandierte Marie, die kein Interesse daran hatte, mit einer verschwitzten Schwester zwei Stunden oder mehr im Auto zu sitzen.

„Okay, okay, ich bin schon weg!“
 

Kaum zehn Minuten später war Cathy frisch geduscht und fühlte sich wieder halbwegs menschlich. Draußen auf dem Korridor konnte man langsam andere Schüler hören, die sich auf den Weg zum Frühstück machten.

„Jetzt müssen wir aber echt zusehen, dass wir Land gewinnen.“, merkte Lynn an.

Sie nickte Marcell zu, der genau wusste, was jetzt auf ihn zukam. Er wurde in den Speisesaal geschickt, um Herrn Metzelder abzulenken. Dummerweise lag der Saal nämlich unmittelbar bei der Eingangshalle, was bedeutete, dass man Cathy jederzeit erwischen konnte.

Deswegen beeilten sich die Mädchen auch, so rasch wie irgend möglich aus der Gefahrenzone zu kommen, was zum Glück recht einfach war. Es war schon fast um Neun und zu dieser Zeit standen die meisten Internatsschüler auf, um frühstücken zu gehen, weswegen sich in der Eingangshalle mehrere Jahrgänge tummelten. In dem Gewimmel fielen Jule, Lynn, Marie und Cathy gar nicht weiter auf. Marcell verabschiedete sich an der Tür zum Speisesaal von ihnen mit einem schwachen Lächeln. Er kam nicht besonders gut mit seinem Kollegen klar. Der einzige Grunde, warum er diesem Unterfangen zugestimmt hatte, war der, dass er Cathy wieder lächeln sehen wollte. Er konnte es absolut nicht leiden, wenn etwas sie bedrückte und da er den Schuldigen kannte und diesem kaum freundschaftliche Gefühle entgegen brachte, nahm er es auf sich, den arroganten Sack von seiner störrischen Schülerin abzulenken.

Als sie erst einmal aus dem Schulgebäude heraus waren, fiel eine Menge Anspannung von den Mädchen ab. Sie konnten sogar schon kichern, amüsierten sich königlich, als sie sich vorstellten, was für ein dummes Gesicht Metzelder doch machen würde, wenn er am Sonntag feststellen musste, dass Cathy nicht da war.

„Sollen wir uns auf die Lauer legen und Fotos machen?“, fragte Jule übermütig.

„Ich glaube, das wäre dann zu viel des Guten.“, wank Lynn ab, die es sich lieber nicht mit dem arroganten Sack verscherzen wollte. Immerhin war Mathe ihr drittes Abifach.

„Och menno!“, beschwerte Jule sich, wurde aber gleich darauf ganz still.

Sie hatten das Schultor erreicht vor dem ein schwarzer Seat Leon stand. An der Fahrerseite lehnte lässig Philipp, der große Bruder von Marie und Cathy. Mit einem Aufschrei ließen die beiden Mädchen alles stehen und liegen, in diesem Fall ihre Reisetaschen und Cathys Freundinnen, und stürmten auf den jungen Mann zu. Zeitgleich fielen sie ihm um den Hals, wobei sie lauthals 'Philipp' quietschten.

„Mädels, Mädels.“, keuchte der ältere Bruder, „Ihr zerquetscht mich ja!“

Doch erst nach zwei, drei Minuten hatten sie ein Einsehen mit ihm. Dann ließen sie ihn los und wieder zu Atem kommen. Er musterte seine Schwestern anerkennend.

„Gut seht ihr aus, ihr zwei.“, sagte er lächelnd, während er Cathy durchs Haar wuschelte und Maries Arm drückte. Er wusste ja, dass seine jüngste Schwester kein Fan von übermäßigem Körperkontakt war. Es sei denn, man hieß Cristiano Ronaldo.

„Danke, danke.“, kam es zurück.

„Wollt ihr vielleicht mal los?“, mischte Jule sich frech ein.

Sie hatte Cathys Tasche geschultert und trabte jetzt auf die Geschwister zu. Lynn tat es ihr nach, auch wenn sie Philipp lediglich nett fand und mehr nicht. Sie wollte sich nicht allzu lange am Tor aufhalten, zumal sie noch nicht gefrühstückt hatte. Ihr Magen bemängelte dieses Versäumnis auch lautstark, weswegen Lynn Philipp nur kurz begrüßte, Jule am Arm zog und sich wieder verabschiedete.

„Bis morgen dann, Cathy.“, rief Lynn ihrer Freundin noch zu.

„Und treibs nicht zu wild.“, fügte Jule kichernd hinzu.

Cathy verdrehte genervt die Augen. Sie übertrieb es nie und dabei würde es vorerst auch bleiben. Statt zu antworten winkte sie ihren Freundinnen noch einmal zu, ehe sie die Reisetasche im Kofferraum des Autos verstaute und danach im Fond des Wagens Platz nahm. Wie selbstverständlich hatte Marie für sich bereits den Beifahrersitz beansprucht, doch störte Cathy sich nicht daran. Zum einen war sie nichts anderes von ihrer Schwester gewöhnt und zum anderen saß sie ohnehin lieber hinten, hörte Musik und hing in aller Ruhe ihren Gedanken nach. Was die Autofahrt anbelangte würde wohl Marie für die Bespaßung Philipps zuständig sein müssen. Nicht, dass es Bruder und Schwester gewundert hätte. Sie kannten es ja nicht anders von Cathy. Außerdem war Marie ganz erpicht darauf, Philipps ungeteilte Aufmerksamkeit zu besitzen. Normalerweise unterhielt er sich lieber mit Cathy, die etwas vernünftiger und reifer war als Marie. Aber wenn man erst 16 war und einen Bruder hatte, der Mitte Zwanzig war, war klar, dass es da einige Unterschiede im Grad der Reife gab. Auch in punkto Interessen gingen die beiden Geschwister weit auseinander. Marie war eben noch ein Teenager, sah sich gern nach Jungs um, egal, wo sie sich gerade befand, liebte es, Klamotten zu shoppen, Liebesfilme zu schauen und am Wochenende tanzen zu gehen. Zudem konnte sie stundenlang vor dem Spiegel stehen und sich selbst bewundern, da sie ein recht eitles Geschöpf war.
 

Sie hatten Glück. Die Autobahn war frei, so dass sie gut voran kamen. Tatsächlich schwatzten Marie und Philipp während der Fahrt. Cathy hingegen sah nachdenklich aus dem Fenster, abgeschottet von der Außenwelt, versunken in ihre Gedanken und in die Musik, mit welcher ihr iPod sie versorgte, darunter auch der Soundtrack zu Tim Burtons 'Alice im Wunderland', einen Film, den Cathy sehr mochte. Vor allem die Grinsekatze hatte es ihr angetan. Aber ihre Gedanken kreisten nicht um den Film oder um die Musik, die in ihre Ohren dröhnte, sondern viel mehr um die tiefgreifenden Veränderungen, die es in ihrem Leben gegeben hatte. Und das allein in einer Woche. Fünf kurze Tage waren genug gewesen, um jahrelange Gewissheit auszulöschen, tiefe Verbundenheit zu zerstören und grenzenloses Vertrauen zu Staub zerfallen zu lassen. Es war nicht nur der Trainerwechsel, der Cathy beschäftigte. Vor allem dachte sie voller Wehmut an Lesly und daran, wie nahe sie sich gestanden hatte. Plötzlich aber erkannte Cathy die Freundin nicht mehr wieder. Sie hatte Lesly noch nie so kühl und zynisch erlebt, auch wenn das einen Gutteil ihres Wesens ausmachte. Zumindest Fremden gegenüber.

Wie Cathy die Sache auch wendete und drehte, es kam nichts Gescheites dabei herum, weswegen sie beschloss, sich von Leslys eigenartigem Verhalten nicht das Wochenende versauen zu lassen. Stattdessen drückte Cathy alle traurigen, zornigen oder sonst wie negativ behafteten Lieder weg und beließ es bei Partysongs, von denen sie allerdings herzlich wenige auf ihrem iPod hatte. Melodramatik war nun mal ein nicht geringer Teil ihres Wesens. Genauso wie ihre rebellische Art nicht von ungefähr kam. Jedoch musste Cathy zugeben, dass Marcell in dieser Hinsicht ihr zu viel hatte durchgehen lassen. Durch ihn war dieses Merkmal nur stärker in ihr zum Tragen gekommen. Er hatte ihr nie Paroli geboten, wenn sie sich geweigert hatte, etwas zu tun. Das hieß nicht, dass er ihr alles erlaubt hatte oder sie gar im Ungehorsam unterstützt hatte. Nein, im Gegenteil. Marcell hatte seine Methoden gehabt, um sie wieder auf den Teppich zu holen. Ihr klar zu machen, wer der Boss war. Etwas, was dem arroganten Sack nicht recht gelingen wollte, obwohl er um ein Vielfaches autoritärer war als Marcell. Cathy seufzte leise.

'Er fehlt mir...', dachte sie wehmütig, während sie 'Memory' aus dem Musical Cats hörte und den vergangenen vier Jahren nachtrauerte.
 

Gegen Mittag trafen sie in Grömitz ein, wo sie gleich das Wochenendhäuschen ihrer Großeltern in Beschlag nahmen. Kaum, dass Marie und Cathy sich einem der beiden Schlafzimmer eingenistet hatten und Philipp es sich im anderen bequem gemacht hatte, beschlossen sie, das Mittagessen ausfallen zu lassen. Stattdessen wollten sie am Abend in ein Restaurant gehen. Natürlich würde Philipp seine Schwester einladen. Nachdem das geklärt war, machten die drei sich zum Strand auf. Ihnen allen war das Meer lieb und teuer, weswegen es fast schon zum Ritual geworden war, die fünfhundert Meter zum Strand zurückzulegen. Wie für einen Augusttag nicht anders zu erwarten, zumal einen Samstag, war der Strand recht belebt, ebenso die Promenade. Die Sonne lachte in einem strahlendblauen Himmel. Nur vereinzelt waren ein paar weiße und ungefährliche Wölkchen zu sehen, die wie Wattebäusche aussahen. Nach einem kleinen Strandspaziergang entschlossen die Geschwister sich, nach Timmendorf zu fahren, um das dortige Sea-Life zu besichtigen. Sie hatten schon immer mal reingewollt, es aber nie geschafft. Was bot sich da also Besseres an, als es jetzt nachzuholen, wo sie einmal vereint waren und vor allem auch in der Nähe des Aquariums?

Zu ihrem Glück wollten die meisten Leute lieber das gute Wetter ausnutzen, was bedeutete, dass sie kaum anstehen mussten. Recht bald spazierten sie durch das Sea-Life und besahen sich interessiert die ausgestellten Meeresbewohner.

„Wow, ich wusste gar nicht, dass es so hässliche Fische gibt!“, platzte Marie heraus, als sie sich mehrere Exemplare ansah, die sich in einem Becken tummelten.

„Bäh...“, stimmte Cathy ihr zu.

Sie hatte einen Narren an den Rochen gefressen.

„Findet ihr die Krebse auch so gruselig?“, wollte Philipp von seinen Schwestern wissen.

Einhelliges Nicken war die Antwort.

„Aber die Rochen sind toll!“, bemerkte Cathy mit Nachdruck.

Marie schnaubte leise, doch Philipp pflichtete ihr bei. Er wollte ohnehin noch ein Gespräch unter vier Augen mit seiner Schwester führen. Von Jule hatte er zumindest einen groben Überblick über die Neuerungen in Cathys Leben bekommen, aber er wollte selbst noch mal nachhaken. Um Marie brauchte er sich keine Sorgen zu machen. Sie war robust und selbstbewusst genug, um allein klar zu kommen und das obwohl sie die jüngste war. Cathy hingegen brauchte eine starke Schulter zum Anlehnen. Es war wichtig für sie, Anerkennung zu bekommen, zu spüren, dass man sie liebte und schätzte. Sie konnte ohne diese Dinge nicht funktionieren, keine Leistung bringen. Deswegen war es Marcell auch besser gelungen als dem arroganten Sack, Cathy zu trimmen und ihr Leistungen abzutrotzen, die sie durch Predigten niemals erreichen würde. Vielleicht konnte man mit strenger Hand Gehorsam erzwingen, aber gewiss keine Zuneigung oder gar Respekt. Letzteres musste man sich erwerben und die Methode Metzelders schien nicht anzuschlagen.
 

Als sie nach dem Abendessen in das Häuschen ihrer Großeltern zurückkehrten, teilte Marie ihren Geschwistern mit, dass sie an diesem Samstagabend auszugehen gedachte und zwar in eine angesagte Diskothek im Ort. Natürlich erteilte Philipp ihr die Erlaubnis, versetzte ihn dies doch in die glückliche Lage, sein Vorhaben in die Tat umzusetzen. Wenn Marie feiern war würde er Gelegenheit genug haben, um mit seiner anderen Schwester über die Dinge zu sprechen, die sie bedrückten. Kaum, dass Marie das Okay ihres großen Bruders eingeholt hatte, verschwand sie auch schon im Bad, wo sie sich innerhalb von 45 Minuten herausputzte. Sie hatte nicht umsonst eine Unmenge an Taschengeld in Kosmetika und Kleider investiert, was nicht heißen soll, dass Marie hässlich gewesen wäre, sondern einfach nur davon zeugte, dass sie ihre Eitelkeit befriedigen wollte. Nichts war dafür besser geeignet als ein Diskobesuch. Dort liefen genügend männliche Wesen herum, denen nicht einmal Maries Name bekannt war, auf deren Urteil das Mädchen sich verlassen konnte. Zudem mochte sie einfach die Atmosphäre in Clubs. Sie würde sich also bis spät in die Nacht vergnügen, während ihre beiden 'langweiligen' älteren Geschwister stumpf daheim sitzen und Fernsehen schauen würde. Oder noch schlimmer: Cathy würde lesen, Philipp Kreuzworträtsel lösen. Man konnte die beiden bei dieser Beschäftigung glatt mit einem alten Ehepaar verwechseln. Zumindest war das Maries Ansicht. Sie hatte es deshalb auch besonders eilig, den Älteren zu entfliehen. Mit einem raschen 'Bis morgen früh!' entschwand die 16- jährige in die kühle Ostseenachtluft.

Cathy hatte es sich in der Tat mit einem Buch auf der Wohnzimmercouch gemütlich gemacht, obwohl sie bezweifelte, dass sie sich auf ihre Lektüre würde konzentrieren können. Ihr spukten noch immer die Ereignisse der vergangenen Woche im Hirn rum.

'Aber versuchen kann ich es wenigstens.', dachte sie bei sich, während sie 'The Constant Princess' von Philippa Gregory aufschlug.

Sie schaffte vielleicht zwei Sätze, dann musste sie sich geschlagen geben. Es hatte keinen Zweck, sie konnte sich einfach nicht auf die Geschichte Katharinas von Aragon konzentrieren, obwohl sich gerade die Liebesgeschichte zwischen der spanischen Prinzessin und dem englischen Thronfolger Arthur anbahnte. Philipp, der seiner Schwester immer mal wieder beiläufige Blicke zugeworfen hatte, kam nicht umhin diesen Umstand zu bemerken. Natürlich ergriff er die günstige Gelegenheit zu dem lang ersehnten Gespräch. Er saß Cathy gegenüber in einem Sessel. Nach mehrmaligen Räuspern hatte er schließlich ihre Aufmerksamkeit sicher.

„Und, wie war die erste Schulwoche?“, fragte er noch recht unverfänglich, in der Hoffnung seine mitteilungsfreudige Schwester würde sich sofort alles von der Seele reden. Unter den üblichen Umständen hätte sie das auch sicher getan. Man war es ja von ihr gewohnt, dass sie zu allem ihren Senf dazugeben musste. Oder sie erfreute einen mit einer erstaunlichen Menge Anekdoten, wenn man bedachte, dass sie gerade eben 18 Jahre zählte. Einige dieser Schwänke erzählten allerdings nicht von persönlichen Erlebnissen Cathys, sondern von Personen, die niemand persönlich kannte außer demjenigen, von dem Cathy die Story gehört hatte.

„Och, eigentlich wie sonst auch immer. Die Lehrer haben uns eine Predigt nach der anderen gehalten. Das Einzige, was sich wirklich geändert hat, ist diese Leistungs- und Grundkurssache. Und natürlich, dass wir jetzt nach Punkten benotet werden, aber das kennst du ja.“, fasste Cathy kurz und trocken zusammen.

Dabei ließ sie die unschönen Ereignisse aus, wie etwa der Verlust Marcells, sowie den Streit mit Lesly, dessen Grund Cathy längst wieder vergessen hatte.

„Klingt ja nicht besonders spannend.“, meinte Philipp, „Und wie geht’s Marcell? Habt ihr schon wieder zu trainieren angefangen?“

Bei diesen Worten zuckte Cathy zusammen. Allein die Erwähnung ihres Kumpeltrainers versetzte ihr einen schmerzhaften Stich.

„Hm...“, nuschelte sie, nach ihrem Buch greifend.

Sie wollte absolut nicht über dieses Thema sprechen. Auch nicht mit ihrem geliebten Bruder. Philipp aber, der ja so ein paar Informationen von Jule bezogen hatte, konnte nicht länger mit seinem Wissen hinterm Berg halten.

„Hör mal, ich weiß, dass sie dir Marcell weggenommen haben.“

Wieder zuckte Cathy zusammen. Diesmal, als habe man sie geschlagen.

„Und ich weiß, dass dein neuer Trainer dir verboten hat, mit Marie und mir wegzufahren.“, fügte Philipp trocken hinzu.

„Was?“, hauchte Cathy entsetzt.

Philipp seufzte.

„Herzchen, du bist meine kleine Schwester, ich lasse doch nicht zu, dass irgendein kranker Volltrottel dir das Leben schwer macht!“

Schwupps, da flog Cathy ihrem Bruder um den Hals und quetschte ihn fast zu Tode. Er bekam sogar einen Moment lang keine Luft mehr, woraufhin Cathy ihn dann auch losließ. Immerhin wollte sie noch mindestens 60 Jahre etwas von ihrem Bruder haben. Da konnte sie ihn doch jetzt schlecht erwürgen. Selbst wenn das in einem Anfall von Zärtlichkeit geschehen war.

„Also, erzählst du mir jetzt die ganze Story?“, bat Philipp sie, nachdem Cathy sich neben ihn gequetscht hatte. Sie nickte, ehe sie ihren Bericht begann.
 

Immer ungläubiger hörte Philipp ihr zu. Nun gut, er kannte seine Schwester um Einiges länger und besser als Metzelder, aber der Mann schien ja ein rechter Kotzbrocken zu sein. Klar konnte Philipp verstehen, dass der Mathelehrer es nicht duldete, wenn man ihn beleidigte und sich ihm widersetzte, aber da Cathy nach eigenen Angaben eine Entschuldigung vorgebracht hatte, sowie das Angebot, doch doppelt zu trainieren, fand Philipp, dass man ruhig hätte einlenken können. Zumal seine kleine Schwester sicher auch erklärt hatte, warum sie so unbedingt das Wochenende frei haben wollte.

Mittlerweile war Cathy bei dem Streit mit Lesly angekommen und da hielten die Schleusen nicht länger dicht. Sie brach in Tränen aus, ging ihr die Meinungsverschiedenheit mit der Freundin doch entsetzlich nahe. Philipp nahm sie begütigend in den Arm, tröstete sie, so gut er konnte. Er hatte ein bisschen Übung darin, war er doch mit zwei kleineren Schwestern groß geworden. Und vor allem bei Cathy hatte er öfters das Trösten übernehmen müssen. Sie war zwar kein Weichei, aber relativ sensibel und leicht zu verletzen. Körperlichen Schmerz trug sie mit Fassung, seelischen hingegen staute sie in sich auf, bis es eines Tages zum Knall kam und bei einer riesigen Explosion alles ans Tageslicht kam. Diese Ausbrüche konnten dann entweder zorniger oder depressiver, fast schön selbstzerstörerischer Art sein. Glücklicherweise kam es selten genug vor, dass es überhaupt bis zu diesem Punkt gedieh. Es hatte nur einmal einen Vorfall gegeben, bei dem Cathys Hang zur Selbstzerstörung zu Tage getreten war und seitdem wurde sie von ihren Mitmenschen mit Argusaugen beobachtet und ziemlich verzärtelt. Philipp hatte damals sehr viel Angst um Cathy ausgestanden, weswegen er sich bemühte, immer Anteilnahme zu zeigen und für sie da zu sein, wenn sie ihn brauchen sollte. So wie im Moment gerade. Er wusste, wie viel Lesly seiner Schwester bedeutete.

„Das gibt sich bestimmt wieder, Cathy. Ihr hattet eben eine Meinungsverschiedenheit, aber das kommt vor. Mit Marie zoffst du dich auch öfter und jedes Mal vertragt ihr euch wieder.“, rief er Cathy in Erinnerung.

„Du hast ja Recht...“, lenkte Cathy ein, schon viel weniger verzweifelt, als zu Beginn des Gesprächs. Sie konnte sich sogar ein schwaches Lächeln abringen.

„Na also, siehst du, alles gar nicht so schlimm.“, versicherte Philipp ihr, der das Lächeln erwidern konnte, ohne sich großartig bemühen zu müssen.

„Ich hab ich lieb.“, sagte Cathy leise, ihre Arme zärtlich um seinen Hals schlingend.

„Ich dich auch, kleine Hexe, ich dich auch.“
 

Völlig zufrieden mit sich und der Welt ging Cathy an diesem Abend zu Bett. Sie verschwendete nicht einmal einen Gedanken an den morgigen Tag und die Konsequenzen, mit denen sie zu rechnen haben würde, weil sie sich den Anweisungen des arroganten Sacks widersetzt hatte. Kaum, dass ihr Kopf das Kissen berührte, war sie schon eingeschlafen. Tief und traumlos schlummerte sie dem neuen Tag entgegen,ein leichtes Lächeln auf den Zügen.

Ein Unglück kommt selten allein

Mit einem unwilligen Knurren wurde der Wecker vom Nachttisch gefegt und landete auf dem Laminat. Die Welt draußen vor dem Fenster zeigte sich trüb und grau, mehr nach November aussehend als nach August. Er hätte es wissen müssen. Natürlich war das Wetter schlecht. Und natürlich hatte er so gar keine Lust, seinen Hintern aus dem Bett zu schwingen. Schon gar nicht, wenn er sich mit seiner biestigen neuen Schülerin herumschlagen musste. Ein Seufzer entfuhr ihm.

'Fünf Minuten noch...', dachte er bei sich, drehte sich auf die Seite und schloss seine Augen. Er würde diese paar Augenblicke dösen und sich danach aus dem Bett quälen. Bestimmt fiel es der kleinen Widerspenstigen genauso schwer wie ihm, jetzt aufzustehen. Es war schließlich Sonntagmorgen. Eigentlich der einzige Tage in der Woche an dem er ausschlafen konnte. Samstags hatte er genug andere Dinge um die Ohren, die ihn schon in aller Frühe aus den Federn holten. Zugegeben, er war irgendwo auch ein Arbeitstier, ein Workaholic und er schämte sich nicht mal dafür. Zwar zog ihn sein Kollege und gleichzeitig guter Freund Xabi Alonso oft genug damit auf, aber er war einfach zu verankert in seinem Verhalten, als dass er etwas hätte ändern können, selbst wenn er gewollt hätte.

'Hm, ich glaube, ich muss doch mal...', dachte er wenig begeistert, schlug aber die Bettdecke zurück und wuchtete sich aus dem Bett.

'Ich muss mir wirklich abgewöhnen, solche idiotischen Strafen zu verhängen.', fügte er gedanklich hinzu, während er ins Badezimmer wankte.

Ein Schwung kalten Wassers belebte ihn allerdings wieder so weit, dass er zumindest Genugtuung darüber empfinden konnte, dass er nicht der Einzige war, der zu dieser unchristlichen Zeit aufstehen musste. Er war sogar ein bisschen schadenfroh, wenn er ehrlich war.
 

Zu diesem Zeitpunkt konnte er ja nicht ahnen, dass nichts sich so entwickeln würde, wie er das gedacht hatte. Schließlich wusste er nicht, dass Cathy sich an der Ostsee befand, noch selig schlummernd und keinen Gedanken an ihren Mathelehrer verschwendend. Wäre er in besserer Verfassung gewesen, hätte er die Sache vielleicht mit Humor nehmen können, aber so wie es lief, war es alles andere als gut. Und Cathy würde das bemerken, sobald sie von ihrem verbotenen Ausflug heimkehrte.

Vorerst aber hatte Herr Metzelder sich auf den Platz gequält, wo er verwundert feststellen musste, dass von seiner widerspenstigen Schülerin nicht das geringste zu sehen war.

'Was solls, gestern war sie eben überpünktlich, dann kommt sie heute eben etwas später.', beruhigte er sich gedanklich, während er an einem Torpfosten lehnte und den Blick über das Schulgelände schweifen ließ. Aber auch nach zehn Minuten war nichts von Cathy zu entdecken, was Christoph durchaus stutzig machte.

'Sie wird es doch wohl nicht vergessen haben?', fragte er sich, beschloss aber im nächsten Moment, ihr einen Besuch abzustatten und sie wenn nötig aus dem Bett zu schmeißen. Das war schließlich kein Kindergeburtstag hier!

So trabte der Mathelehrer denn auch in Richtung des Mädchentraktes, wo er eilig mehrere Treppen erklomm, bis er den richtigen Korridor erreicht hatte. Nun würde er nur noch das Zimmer finden müssen, was sich als nicht allzu schwierig erweisen sollte. Immerhin gab es nicht gerade viele Viererzimmer im St. Helena und die Bewohnerinnen eben jenen gesuchten Zimmers waren auch allgemein als verrückter Haufen bekannt. Christoph konnte das nur bestätigen, da er alle vier Damen im Unterricht genießen durfte. Am meisten mochte er dabei Lynn, die fleißig und gewissenhaft war, am wenigsten konnte er Lesly leiden. Sie widersetzte sich ihm offen, indem sie mitten im Unterricht anfing Zeichnungen anzufertigen und keinerlei Anstalten machte, sich auch nur im Geringsten mit dem Stoff auseinander zu setzen, was ihrer Note allerdings gut getan hätte. Zur Erleichterung beider Parteien war Lesly nicht auf die wahnsinnige Idee verfallen, Mathe im Abitur zu wählen, wie Lynn. Was Jule anging, musste Christoph zugeben, dass er sie nicht gut genug kannte, um sich jetzt schon ein Urteil zu erlauben. Aber er hatte ja bis zum Abi Zeit, sie näher kennenzulernen und dann später zu entscheiden, ob er sie mochte oder nicht. Bisher machte die Zwölftklässlerin einen anständigen Eindruck, auch wenn sie oft genug etwas zum Kichern zu finden schien. Was Fräulein Lahm anging, nun ja, es hatte schon seine Gründe, warum Christoph Herrn Jansen abgelöst hatte.

'Besser, ich denke nicht dran!', ermahnte er sich streng, als er das Zimmer der Mädchen erreichte.

Noch einmal tief durchgeatmet und dann geklopft blieb dem Lehrer nichts anderes übrig, als darauf zu warten, dass man ihm Einlass gewährte. Oder viel mehr ihm erst einmal Gehör schenkte. Schließlich war es höchst unwahrscheinlich, dass die Mädchen bereits wach waren. Damit lag Christoph auch fast richtig. Jule und Lynn lagen noch in seligem Schlummer, wie auch Cathy, die allerdings nicht im Internat war, wie der Lehrer bald genug herausfinden würde. Lesly hingegen hatte gegen sechs Uhr nicht mehr schlafen können, weswegen sie sich aus dem Zimmer geschlichen hatte, ihre Violine unter dem Arm. Sie war in einen der Musikräume gegangen, wo sie sich mit Elgar und Schubert abgelenkt hatte. Nachdem sie ihrer Leidenschaft für klassische Musik genug gefrönt hatte, hatte sie sich auf den Rückweg begeben und wie es der Zufall wollte, traf sie vor ihrem Zimmer den von ihr so verabscheuten Mathelehrer an.

„Was führt Sie denn in aller Herrgottsfrühe her?“, platzte Lesly auch gleich heraus.

Irritiert fuhr Herr Metzelder herum und fand sich beinahe Auge in Auge mit seinem bevorzugten Tafelputzopfer wieder. Einen Moment war er so perplex, dass er nichts sagen konnte. Dann aber hatte er sich wieder unter Kontrolle.

„Ich suche Fräulein Lahm.“, informierte er seine Schülerin kühl.

Lesly zog daraufhin eine Augenbraue hoch.

„Ach? Sie wissen aber schon, dass Cathy nicht hier ist, oder?“, bemerkte sie dann mindestens ebenso kühl.

„Wie meinst du das?“, hakte nun Herr Metzelder scharf nach, woraufhin Lesly zusammenzuckte, aber dennoch Rede und Antwort stand, was sich, wie sie zumindest hätte erahnen können, negativ auf ihre Freundin auswirken würde.

„Cathy ist mit Marie und ihrem Bruder weggefahren. Haben Sie das etwa nicht mitbekommen?“, erwiderte Lesly flapsig, die es nicht leiden konnte, wenn man sie so anfuhr. Dann gab sie eben im selben Ton Kontra. Zwar durfte sie diese Impertinenz oft genug mit Nachsitzen oder sonstigen Sanktionen büßen, doch das war es ihr wert. Wenigstens sie hatte sich behauptet.

„Sie ist- WAS?“, brüllte da der nun wirklich wütenden Mathelehrer die arme Lesly an, die kaum wusste wie ihr geschah.

„WEGGEFAHREN, das hab ich doch gesagt!“, schrie nun die junge Frau zurück, äußerst empört.

Fein, wenn er sie anschreien wollte, dann würde sie eben zurück schreien und den ganzen Plan von Jule und Lynn offenbaren. Sollten die doch Ärger mit Metzelder bekommen!

„Das hatte ich ihr aber verboten!“, knurrte der Lehrer böse, woraufhin Lesly nur höhnisch auflachte.

„Glauben Sie etwa im Ernst, irgendwen interessiert es, was Sie zu sagen haben?“

Empört und verständlicherweise verblüfft starrte Herr Metzelder die hochgewachsene, junge Frau an, die ihm gegenüber stand, den Geigenkasten unter den Arm geklemmt und ihn anfunkelnd, als wolle sie ihm im nächsten Augenblick an die Gurgel springen. Er brachte keinen Ton heraus, aber das musste er auch gar nicht, denn Lesly war so in Fahrt, dass sie ihm einfach alles verriet, bis ins letzte Detail.

„Cathy wäre so oder so gegangen, ob Sie es ihr nun erlaubt hätten oder nicht.“, begann Lesly verächtlich, wobei nicht genau klar wurde, wen sie mehr verachtete, den Lehrer für seinen Irrglauben, dass er einen Sturkopf wie Cathy hätte aufhalten können oder die Freundin, die dumm genug gewesen war, anzunehmen, dass ihr Fehlen niemandem auffallen würde.

„Wie blöd sind Sie eigentlich? Niemand hält Cathy davon ab, ihren Bruder zu sehen.“, fügte sie hinzu, immer ätzender sprechend.

„Das ist ja schon fast Inzest, was die beiden haben. Aber ich misch mich da nicht ein. Das hab ich auch gesagt, als Cathy sich bei uns ausgeheult hat, weil Sie Vollidiot ihr verboten hatten, mit Marie und Philipp wegzufahren. Klar, Jule und Lynn waren sofort voller Mitleid und haben erstmal Pläne geschmiedet, um Cathy doch noch aus dem Internat zu schaffen. Und natürlich haben Philipp und Marie den Beiden tatkräftig geholfen.“

Herr Metzelder traute seinen Ohren kaum. Das war also alles ein infamer Plan gewesen? Und er hatte seine Rolle darin genauso gespielt, wie alle es erwartet hatten?

„Und 'Marci' musste sich ja dann auch noch einmischen.“, giftetet Lesly weiter, die längst über den Punkt hinaus war, an dem es sie gekümmert hätte, was sie mit ihren bösen Worten anrichtete. Sie war nun einmal sauer und diese Wut hatte sich schon länger in ihr angestaut. Jetzt wurde sie in einer gewaltigen Explosion alles los, was ihr so zugesetzt hatte. Dass das auf Cathys Kosten geschah war im Moment nebensächlich.

„Marci?“, hakte Herr Metzelder einigermaßen verständnislos nach.

„Na, der Jansen, wer denn sonst?“, fauchte Lesly genervt, „Mal ehrlich, das sieht doch ein Blinder mit Krückstock, wie geil Cathy und er aufeinander sind!“

„Bitte was?“

Da klappte dem sonst so hartgesottenen Mathelehrer glatt die Kinnlade runter. Er traute seinen Ohren kaum. Natürlich wusste er, dass seine Schülerin und Jansen eine enge Bindung gehabt hatten bzw. immer noch hatten, aber dass sie was miteinander hatten war ihm neu.

'Und das werden sie auch nicht mehr lange haben!', dachte Herr Metzelder grimmig.

Er hatte seine eigenen kleinen Pläne, was Cathy anbelangte und es passte ihm gar nicht, dass ein anderer den Vorzug erhalten sollte.

'Nicht, wenn ich das verhindern kann!', überlegte er nun noch finsterer, während er Lesly nur noch mit halbem Ohr zuhörte, die jetzt den ganzen Plan ihrer beiden Freundinnen offenlegte und bis ins kleinste Detail erläuterte. Irgendwie empfand sie eine perverse Befriedigung dabei, Jule und Lynn in die Pfanne zu hauen. Dass sie auch Cathy schadete, kam ihr zunächst nicht in den Sinn. Dazu war sie einfach viel zu sauer auf ihre drei Freundinnen.
 

„Danke für diese umfassende Information.“, riss Herr Metzelder seine Schülerin grimmig aus ihrer Tirade, machte auf dem Absatz kehrt und beschloss zunächst einmal, seinem Kollegen Herr Jansen einen Besuch abzustatten. Lesly derweil starrte dem Mann hinterher. Erst nach und nach dämmerte ihr, was sie da gerade für einen riesige Dummheit begangen hatte.

„Oh,oh, ich glaube, das wird noch ganz übel enden...“, murmelte sie bedrückt, als sie sich in ihr Zimmer zurückzog, wo zu ihrer Verwunderung Jule und Lynn noch schliefen, obwohl sowohl Lesly, als auch Herr Metzelder laut genug gewesen waren, um einen Toten aufzuwecken.

'Aber eigentlich ist es mir lieber so. Dann muss ich nicht gleich Rede und Antwort stehen.', dachte Lesly unbehaglich.

Das würde ihr noch früh genug bevorstehen und sie wusste, dass sie sich nicht würde drücken können.

Derweil war Christoph bei Herr Jansens Zimmer angekommen und trommelte wenig freundlich gegen die Tür. Es dauerte mehrere Minuten ehe ein verschlafener Marcell öffnete.

„Was gibt’s?“, wollte er mit müder Stimme wissen, den Kollegen noch vom Schlaf verwirrt anblinzelnd.

Christoph aber war in keiner Verfassung, die es ihm erlaubt hätte, behutsam mit dem müden Englischlehrer umzugehen. Stattdessen kam er direkt zur Sache. Mit einem Ruck hatte er Marcell am Kragen gepackt, drückte ihn gegen die Wand seines Zimmers und schloss mit einem Fuß die Tür. Schließlich musste nicht die ganze Schule von diesem Drama erfahren.

„Hey!“, protestierte Marcell, plötzlich um Einiges wacher, „Was soll denn der Scheiß?“

„Das sollte ich besser dich fragen.“, knurrte Christoph wütend, den Jüngeren böse anfunkelnd.

„Wieso das denn?“

„Wo ist Cathy?“, fauchte Christoph, der auf die Frage seines Gegenübers gar nicht einging.

„Häh? Woher soll ich'n das wissen?“, erwiderte Marcell, der sofort Lunte gerochen hatte und bereit war, alles zu tun, um seine beste Freundin zu verteidigen.

„Lüg nicht so dreist! Du hast doch Jule und Lynn Gefolgschaft geschworen, als es darum ging, Cathy aus dem Internat zu schaffen!“, zischte Christoph wutentbrannt.

„Na und?“

So langsam wurde auch Marcell sauer. Er konnte es nicht leiden, wenn man ihm den Schwarzen Peter zuschob. Und schon gar nicht, wenn es dabei um etwas ging, was er getan hatte, um Cathy zu helfen.

„Sie hatte es allemal verdient, ihren Bruder wiederzusehen!“, knurrte Marcell.

„Also gibst du es zu, ja?“, schnappte Christoph nicht minder böse, „Du hast ihr geholfen, obwohl du wusstest, dass ich es ihr verboten hatte?“

„Sie hat sich bei dir entschuldigt, falls du es vergessen haben solltest!“

Mit einem heftigen Ruck machte Marcell sich von Christoph los. Er würde sich nicht in seinem eigenen Zimmer fertig machen lassen.

„Das rechtfertigt aber immer noch nicht, dass-“

„Halt einfach dein Maul, ja?“, unterbrach Marcell den Kollegen brüsk, „Du hast doch überhaupt keine Ahnung! Du kennst Cathy nicht halb so gut wie ich und glaub mir, Freundchen, wenn du sie noch mal zum Heulen bringst, dann kannst du was erleben!“

Christoph zog eine Augenbraue hoch.

„Hatte Lesly also doch Recht.“, knurrte er, „Wie lange läuft das schon zwischen ihr und dir, hm?“

„Ich weiß nicht, wovon du sprichst!“

„Ja, das sagt man dann! Gib doch zu, dass du auf sie stehst!“

Herausfordernd sah Christoph seinen Kollegen an. Doch zu seiner maßlosen Überraschung fing dieser bloß an schallend zu lachen.

„Du glaubst im Ernst, dass ich mit Cathy...? Wie arm bist du eigentlich?“

Marcell wollte sich schier ausschütten. So eine dumme Geschichte hatte er selten gehört. Zwischen ihm und Cathy war nur Freundschaft. Vielleicht mochte es manchmal für andere Leute so aussehen, als ob sie ineinander verliebt wären, aber das war nicht der Fall. Sie waren mehr wie Bruder und Schwester, denn wie zwei Liebenden. Sicher, wenn man Marcell fragte, ob er Cathy liebe, so würde er Ja sagen, denn er liebte sie ja auch, aber eben auf eine andere Art und Weise, als die meisten glaubten. Es war die reine und natürliche Liebe, die man für ein Geschwister empfand.

„Zufällig hab ich da so meine Informationen!“, fauchte Christoph, der einfach nicht glauben wollte, dass nichts zwischen Cathy und Marcell lief. Warum sonst sollte sie so abgestoßen gewesen sein von der Nachricht, dass Jansen nicht länger ihr Trainer war? Es musste einfach so sein, wie Lesly gesagt hatte.

„Ach ja? Und wer hat dir das gesteckt?“, wollte Marcell wissen.

„Eine Freundin von Cathy.“

Es gelang Christoph nicht, den Triumph aus seiner Stimme zu verbannen, doch Marcell ließ das vollkommen kalt. Er lachte nur erneut, sogar lauter diesmal als zuvor.

„Und du glaubst ernsthaft, dass Lesly Stanton Recht hat?“

Überrascht sah Christoph den Kollegen an.

„Woher weißt du, dass sie es war?“, wollte er misstrauisch wissen.

Marcell verdrehte daraufhin nur die Augen.

„Glaub mir, ich kenne Cathys Freundinnen gut genug, um zu wissen, welche von ihnen wie über mich denkt. Tatsache ist, dass Lesly mich zwar besser leiden kann, als dich, aber mögen tut sie mich nicht gerade.“

„So,so.“, machte Christoph, der dem Braten trotzdem nicht ganz traute.

„Ach, glaub doch, was du willst! Fakt ist, dass Cathy und ich einfach nur dicke Freunde sind und mehr nicht.“

„Das will ich aber auch hoffen.“, rutschte es dem Mathelehrer unbedacht heraus.

Damit hatte er sofort Marcells Aufmerksamkeit gefesselt.

„So,so.“, machte jetzt der hochgewachsene, blonde Mann, eine Augenbraue hochziehend und sein Gegenüber scharf musternd.

„Was gibt’s da so doof zu gucken?“, murrte Christoph, der schon Anstalten machte, wieder zu verschwinden.

„Kann es sein, dass es einen bestimmten Grund gibt, warum du Cathy mir weggenommen hast?“, fragte Marcell scharf, jetzt die Hände in die Seiten gestemmt und dem Kollegen halb den Weg versperrend.

„So ein Quatsch!“, wehrte dieser sofort ab.

„Warum tangiert es dich dann so, dass wir, laut Lesly zumindest, was am Laufen haben?“

„Weil du Lehrer bist und sie deine Schülerin!“, antwortete Christoph wie aus der Pistole geschossen.

„Und das sagst ausgerechnet du?“, schnaubte Marcell, „Du, der du selbst deine Finger nicht bei dir behalten kannst? Oder muss ich dich an Laura erinnern?“

„Halt dein Maul!“, zischte Christoph bedrohlich, schon ausholend, um Marcell eine zu verpassen, aber der Blonde war gewappnet und tauchte unter dem Schlag hinweg.

„Dann hör gefälligst auf, mir Dinge zu unterstellen.“, grummelte Marcell, der es wirklich nicht leiden konnte, wenn man ihn beschuldigte, mit Cathy mehr zu haben, als eine enge, freundschaftliche Bindung.

„Wenn du aufhörst, ihr nachzustellen!“

„Mann, kapier das doch endlich, Cathy ist nur meine beste Freundin!“, fauchte Marcell genervt.

So langsam hatte er das Thema wirklich über.

„Das will ich auch für dich hoffen, denn sonst kannst du was erleben!“, zischte Christoph, drängte sich an Marcell vorbei und hinaus auf den Korridor.

„I'm watching you, mate.“, waren seine letzten Worte.

Fassungslos sah Marcell seinem Kollegen nach. Ihm kam langsam ein Verdacht, warum ausgerechnet Christoph Metzelder ihn als Cathys Trainer abgelöst hatte.

'Ich hoffe bei Gott, dass ich mich irre...', dachte Marcell.

Hexenkessel

Während an der Müritz ein wahrer Vulkanausbruch stattfand, genoss Cathy einen letzten Vormittag in Gesellschaft ihres Bruders und Maries. Bevor sie zum Internat zurückkehrten, statteten sie ihren Großeltern noch einen Besuch ab. Sie hatten sie nämlich mindestens so lange nicht gesehen, wie Philipp. Es gab den üblichen gedeckten Apfelkuchen mit frischer Schlagsahne und heißer Schokolade. Obwohl die drei Geschwister längst aus dem Alter raus waren, in welchem sie auf Kakao abfuhren, war es doch wie ein Ritual, weswegen sie es auch beibehielten. Ebenso wie sie bei ihren anderen Großeltern traditionell nur Zitronensprudel tranken, den es daheim bei ihrer Mutter nie gegeben hatte, weil sie sehr umwelt- und gesundheitsbewusst war und ihren Kindern selten bis nie Süßes erlaubt hatte. Natürlich waren die drei längst zu alt, um sich vorschreiben zu lassen, was sie essen durften und was nicht, doch irgendwie hatten sie die bewusste Ernährung, die ihre Mutter ihnen eingebläut hatte, verinnerlicht. Das war vor allem für die Mädchen von Vorteil, da sie sich so nicht übermäßig um ihr Gewicht zu scheren brauchten. Eine wahre Erleichterung, vor allem als Sportlerin.

Während die Geschwister also bei Kaffee und Kuchen im Wohnzimmer ihrer geliebten Großeltern väterlicherseits saßen, wurde selbstverständlich auch die Schule angeschnitten. Ein wichtiges Thema, wollten Oma und Opa doch informiert sein über die Fortschritte ihrer Enkel. Bei dieser Gelegenheit konnte Philipp gleich eine bedeutende Neuigkeit loswerden, die wie eine Bombe einschlug. Er verkündete nämlich, dass er schon zum neuen Halbjahr als Lehrer am St. Helena anfangen würde. Zunächst einmal starrten seine Schwestern ihn nur ungläubig an, dann brachen sie in lauten Jubel aus und umarmten ihn überschwänglich, um nicht zu sagen, so fest, dass Philipp Probleme hatte, zu atmen.

„Mädels, bitte!“, keuchte er, während er versuchte, die Liebesbezeugungen seiner Schwestern zu überleben und zumindest ein wenig zu erwidern.

Erschrocken ließen sie von ihm ab. Schließlich sollte Philipp ihnen noch mindestens 60 Jahre erhalten bleiben.

„Puh...“, machte der junge Mann, der sich erst einmal von dieser Knuddelorgie erholen musste, was einige Zeit in Anspruch nahm.

Gegen vier Uhr am Nachmittag hieß es dann aber Abschied nehmen von Oma und Opa, wenn man rechtzeitig zum Abendessen im Internat sein wollte. Es gab da ja auch noch die Ausgangssperre und weder Marie noch Cathy waren sonderlich erpicht darauf, erwischt zu werden, wie sie nach deren Beginn durch das Gebäude geisterten. Je nachdem welche Lehrkraft gerade Aufsicht führte konnte das ziemlich unangenehm werden. Man denke nur an Herrn Metzelder.
 

Besagter Herr war den ganzen Tag lang derart ungenießbar, dass nicht einmal Xabi Alonso sich in seine Nähe wagte. Stattdessen verbrachte Christoph den Tag allein in seinen Räumlichkeiten, wo er eine Strafe nach der anderen ausheckte. Angefangen beim bloßen Hintern versohlen, was er natürlich nicht machen konnte, schließlich durfte man als Lehrkraft keine Gewalt gegenüber Schülern anwenden, bis hin zu weniger netten Methoden, die er genausowenig durchziehen konnte, da er sich in diesem Falle wirklich strafbar machen würde. Und Cathy hatte ihn zwar mehr als wütend gemacht, aber er wusste sich dennoch zu beherrschen. Allerdings war er sich vor allem sicher, dass sie trotzdem würde büßen müssen. Er ließ sich doch nicht von einem halbwüchsigen Teenager zum Narren halten! Schon gar nicht, wen er an besagter Person ein reges, persönliches Interesse hatte.

'Du wirst dich noch umschauen, glaub mir!', dachte Christoph grimmig, dabei mit den Knöcheln knackend.

Er marschierte vor seinem Schreibtisch auf und ab, laute Rockmusik dröhnte in seine Ohren und das wenig sommerliche Wetter draußen machte ihn nur noch saurer.

'Vielleicht sollte ich trotzdem eine Runde Laufen gehen...', überlegte er.

In den meisten Fällen half ihm Joggen nämlich eine ganze Menge, wenn er sauer war. Laufen machte ihm den Kopf frei und das brauchte er gerade wirklich.

'Auch wenn das Wetter herzlich beschissen ist...', war sein nächster Gedanke.

Er raffte sich allerdings der widrigen Witterung zum Trotz auf, zog sich um und verließ nur in Begleitung seines MP3- Players das Schulgebäude. Eine große Runde durch den weitläufigen Park würde ihn wohl ein wenig abkühlen. Oder viel mehr seinen kochenden Zorn. Da kam der Regen doch gerade recht.
 

Im Viererzimmer hingegen herrschte mindestens so ein Aufruhr wie im Inneren von Herrn Metzelder. Lesly hatte sich überwunden und alles gestanden, nachdem Lynn und Jule vom Frühstück zurückkehrten und ihre Freundin wie ein Häufchen Elend über ihren Skizzenblock gebeugt vorfanden. Natürlich wollten sie wissen, was geschehen war und natürlich machte Leslys Beteuerung, dass es nichts von Interesse wäre, nur neugieriger. Sie bohrten schließlich so lange, bis die junge Halbengländerin nachgab.

„Bitte, ihr habt es ja nicht anders gewollt!“, schnaubte Lesly, bevor sie in einem wahren Redeschwall die ganze Begegnung mit dem arroganten Sack zum Besten gab, wohl wissend, dass sie nur den Zorn ihrer Freundinnen heraufbeschwor.

Und so war es auch. Vor allem Jule wurde sauer. Sie hatte schließlich nicht umsonst Kopf und Kragen riskiert, um Cathy aus dem Internat zu schmuggeln und zwar OHNE, dass irgendwer etwas davon mitbekam, außer den Eingeweihten natürlich. Wie konnte Lesly es wagen, herzugehen und sich zu erdreisten, ausgerechnet dem arroganten Sack alles zu erzählen?

„Ich fass es nicht!“, fauchte Jule die Ältere an.

Ihre Wangen hatten sich vor Wut gerötet und die blauen Augen blitzten nun gefährlich.

„Was bildest du dir eigentlich ein, hm? Wir haben so viel dafür getan, damit Cathy keinen Ärger bekommt!“

Auch Lynn, die sich momentan im Hintergrund hielt, musste zugeben, dass sie Leslys Benehmen absolut daneben fand. Nie hätte sie von ihrer Kameradin erwartet, dass sie zu solcher Niedertracht fähig wäre.

„Hallo? Ich weiß selbst, dass ich Mist gebaut hab!“, wehrte Lesly sich gegen die harten Vorwürfe ihrer Freundin, die aber durchaus berechtigt waren, wie sie gestehen musste. Sehr zu ihrer Schande zwar, doch sie tat es.

„Cathy wird nie wieder eine ruhige Minute haben!“, ereiferte Jule sich jetzt, die Angst hatte, dass nicht nur die Freundin, der sie doch nur hatte helfen wollen, Ärger bekommen würde. Schließlich hatten sich auch Lynn und Jule selbst gegen die Order eines Lehrers gestellt. Ungehorsam wurde im St. Helena traditionell hart abgestraft, zumal derjenige, dessen Gebot sie umgangen hatten, der arrogante Sack war und damit einer der strengsten und gemeinsten Lehrer überhaupt. Sie und Lynn konnten sich schon mal ihr Grab schaufeln lassen.

'Meine Mathenote kann ich abhaken...', dachte Jule grimmig, während sie Lesly unnachgiebig finstere Blicke zuwarf unter welchen sich die Kameradin auch sehr zu Jules Befriedigung wand.

„Ich sags nicht gern, aber Jule hat Recht!“, mischte Lynn sich ein, die bis dato geschwiegen hatte.

„Ach ja?“, schnappte Lesly, der bald die Tränen kamen, „Ihr zwei seid euch wohl immer einig, was?“

Mit diesen Worten griff Lesly sich ihren Skizzenblock, machte auf dem Absatz kehrt und verließ türeknallend den Raum. Sie ließ ein unangenehme Stille zurück, in der die beiden verbliebenen Mädchen sich unsicher ansahen.
 

Derweil kämpfte sich der schwarze Seat Leon von Philipp über die Autobahn in Richtung Müritz. Der Verkehr war stockend und zähflüssig, was vor allem Cathy gut fand. Zum ersten Mal seit der fünften Klasse wollte sie nicht zurück in die Schule. Tief in ihr war die Angst präsent, dass der arrogante Sack doch dahinter gekommen war, wohin Cathy verschwunden war bzw. dass sie sich nicht im Internat befand. Obwohl Lynn und Jule ihr so großspurig versichert hatten, dass dank Marcell und ihrem genialen Plan niemand Wind von ihrem Verschwinden bekommen würde, konnte Cathy sich dennoch nicht des unbestimmten Gefühls erwehren, dass sie nicht ungeschoren davonkommen würde.

'Oh mann...', ging es ihr durch den Kopf, 'Ich schaffe es echt immer wieder, einen genialen Tag im Desaster enden zu lassen.'

Philipp, der sich angeregt mit Marie unterhalten hatte, fiel bei einem Blick in den Rückspiegel auf, wie verloren und abwesend seine andere Schwester aussah. Er kam nicht umhin, sich zu fragen, was ihr wohl so die Laune verdorben hatte.

'Ob sie noch immer an diesen arroganten Sack denkt'?, überlegte er, beinahe die richtige Ausfahrt verpassend.

Es gefiel ihm nicht, dass ein Mann wie Metzelder so viel Macht über Cathy hatte.

'Heute morgen war sie doch noch fröhlich und munter.', bemerkte Philipp gedanklich und nicht minder besorgt, während er den Wagen über eine dunkle Bundesstraße manövrierte.

Er konnte sich noch gut daran erinnern, wie Cathy sich benommen hatte, als sie Marcell zum Trainer bekommen hatte. Zunächst war sie scheu gewesen und nicht besonders begeistert, denn auch zwischen ihnen hatte es eine gewisse Anlaufzeit gebraucht. Doch seitdem waren sie dicke Freunde, vertrauten sich blind. Marcell war sogar Jahr für Jahr bei den Großeltern zum Weihnachtsfest gemeinsam mit dem Rest der Familie geladen und er hatte bisher keine Einladung ausgeschlagen oder verpasst. Man könnte fast schon sagen, dass er zur Familie gehörte. Auch zu Ostern war Marcell in der Familie Lahm ein präsenter und gern gesehener Gast, der vor allem die jüngeren Cousins und Cousinen von Cathy belustigte oder die Kinder der älteren. Er bekam ja sogar von Oma Lahm einen Schal gestrickt, wie ihre eigenen zahlreichen Enkel auch. Zu seinem Geburtstag konnte Marcell immer mit einem Päckchen rechnen, in dem auch ein paar Kleinigkeiten von Cathys Eltern lagen und Cathy selbst überreichte ihm natürlich immer in der Schule etwas. Schon längst hatte der Direx es aufgegeben, sich darüber aufzuregen oder gar ein Verbot aussprechen zu wollen. Gegen die geballte Kraft des Lahmschen Clans war selbst eine Jogi Löw machtlos.

'Ich glaube, ich sollte Cathy noch kurz dabehalten, wenn wir angekommen sind.', beschloss der besorgte ältere Bruder.

Sie kamen dem Internat nun immer näher und zeitgleich wurde auch Cathy auf ihrem Sitz kleiner, bis man sie kaum noch sehen konnte. Zugegeben, die nächtliche Dunkelheit, die mittlerweile hereingebrochen war, erschwerte einem die Sicht. Dennoch fiel es auf. Nicht nur Philipp hatte diese Veränderung bemerkt, auch Marie war stutzig geworden. Sie war vielleicht kein Fan von schwesterlichen Zärtlichkeiten, aber das hieß nicht, dass sie vollkommen gefühlskalt war. Mit wachsender Besorgnis hielt sie also ein Auge auf Cathy gerichtet, der völlig entging, wie still es plötzlich im Auto geworden war. Sie war zu beschäftigt damit, sich auszumalen, was der arrogante Sack mit ihr anstellen würde, sollte der Plan ihrer Freundinnen aufgeflogen sein.

„So, Endstation.“, verkündete Philipp nach fünf Minuten, die ihm und Marie wie eine Ewigkeit erschienen waren. Für Cathy jedoch machte es den Anschein, als sei kaum Zeit verstrichen. Mit einem widerwilligen Gesichtsausdruck schnallte sie sich ab, öffnet die Tür und entstieg dem Fond des Wagens.

Philipp hatte bereits den Kofferraum aufgeklappt und wuchtete die beiden Taschen seiner Schwestern ins Freie.

„Bitte sehr, die Damen.“, grinste er, obwohl er eigentlich alles andere als fröhlich war.

Zum einen mochte er nicht an den bevorstehenden Abschied denken und zum anderen fürchtete er, dass Cathy irgendetwas Dummes tun könnte, sobald er und Marie außer Sichtweite waren.

'Ich glaub, ich sollte auch Jule vorwarnen.', nahm er sich vor.

Seit dem Telefongespräch mit ihr hatte er ja ihre Nummer und konnte so mit ihr in Kontakt bleiben.

'So kann ich immer sicher gehen, dass mit Cathy alles okay ist.'

Der junge Mann war ja nicht dumm. Er wusste nur zu gut, dass seine Schwester ihm nur die halbe Wahrheit erzählte, wenn es um die Frage ging, ob mit ihr alles in Ordnung war. Cathy gab nur ungern zu, dass sie Probleme hatte, obwohl man ihr das meistens von der Stirn ablesen konnte, zumal sie ja zu einigen impulsiven Gefühlsausbrüchen neigte, die ihrer Umwelt einiges über die Verfassung der jungen Dame verrieten. Ob sie das nun wollte oder nicht.

„Also dann Mädels, macht's gut. Wir sehen uns spätestens an Weihnachten.“, läutete Philipp den Abschied ein.

Seine Schwestern drückten ihn herzlich, nahmen dann aber ihre Taschen und machten sich auf den Weg zum Schulgebäude, wo das Abendessen in vollem Gang sein musste. Natürlich verließen sie ihren Bruder nicht wortlos, doch wie immer waren es dieselben Abschiedsworte, die sie alle voneinander gewohnt waren und die daher nicht notwendigerweise erwähnt werden müssen. Viel interessanter gestaltete sich da die Begegnung Cathys mit ihrem immer noch äußerst verstimmten Coach, der so eben von seiner zweiten Laufrunde heimkehrte und sich auf eine heiße Dusche, sowie ein leckeres Abendessen freute.
 

Marie war längst im Inneren des Internats verschwunden, während Cathy dem Seat ihres Bruders noch ein paar Minuten stumm nach gestarrt hatte. Die Reisetasche lag zu ihren Füßen im Matsch. Sie wusste, dass sie das bereuen würde, ahnte aber noch nicht, wie sehr. Herr Metzelder nämlich, der in ebenjenem Moment den Vorplatz des Gebäudes erreichte, erkannte Cathy auf Anhieb, obwohl sie ihm den Rücken zuwandte. Er traute seinen Augen kaum, als er sie dort stehen sah und sofort kochte seine Wut wieder in ihm hoch. Jetzt konnte Fräulein Lahm sich wirklich auf etwas gefasst machen! Mit wenigen, dafür ausladenden Schritten war Christoph bei der jungen Frau. Er fasste sie grob an der Schulter, sie zu sich herum drehend. Noch während das geschah, erstarb der flapsige Kommentar, der Cathy auf der Zunge gelegen hatte. Ihre schlimmsten Alpträume wurde in diesem Augenblick wahr.

„Wo kommst du her?“, fauchte Christoph sie sogleich an, ließ ihr aber nicht die Chance, zu antworten. Stattdessen fuhr er gleich wütend fort: „Ich hatte es dir VERBOTEN! Welchen Teil von Nein hast du nicht verstanden?“

Cathy zuckte zusammen, stocksteif vor Angst. Ja, in diesem Augenblick hatte sie einfach nur nackte Angst. Ihr Mathelehrer sah derart bedrohlich aus, dass sie glaubte, ihr letztes Stündlein habe geschlagen.

„Los, antworte mir!“, verlangte er in barschem Ton.

Doch aus Cathy war nichts herauszubekommen. Sie spürte nur, wie sie drohte, in Tränen auszubrechen, was ihr so gar nicht in den Kram passte. Mit Christoph war in diesem Zustand allerdings nicht gut Kirschen essen, weswegen er Cathy heftig schüttelte, bis ihre Zähne aufeinander klapperten.

„Antworte mir!“, schrie er sie jetzt an.

„Lassen Sie mich los!“, brachte Cathy mit erstickter Stimme hervor.

Dass sie sich ihm erneut verweigerte, machte Christoph nur wütender. Er holte aus, um sie hart zu ohrfeigen. Schon duckte Cathy sich, um ihm, wenn sie schon nicht ausweichen konnte, weniger Angriffsfläche zu bieten. Doch der Schlag sollte nie sein Ziel finden. Wie aus dem Nichts tauchte ein blockender Unterarm auf, der Christoph stoppte. Gleichermaßen irritiert, wie wütend drehte er sich zu dem Eindringling um. Dieser stellte sich als Maarja heraus, die Zimmergenossin und Klassenkameradin von Marie.

„Wagen Sie es ja nicht!“, zischte Maarja böse.

Sie blitzte den Lehrer empört an.

„Und was geht dich das an?“, wollte Christoph sauer wissen.

„Wenn Sie Cathy schlagen, gehe ich zum Schulleiter!“, drohte die 16-jährige dem Lehrkörper dreist. In ihrer Stimme klang Entschlossenheit mit. Sie würde dieses Versprechen wahr machen, das konnte man ihr deutlich anmerken. Aber Christoph war nicht bereit, so leicht aufzugeben.

„Und wenn schon. Wem wird man wohl mehr glauben?“, höhnte er verächtlich.

„Sie hat Zeugen.“, ertönte es da aus dem Schatten.

Irritiert sah der Lehrer auf. Lesly trat in den Schein der Laternen, die den Vorplatz des Internats erhellten.

„Und was wollen zwei kleine Mädchen gegen mich ausrichten?“

„Wer hat gesagt, dass sie zu zweit sind?“

Das war Lynns Stimme. Auch sie zeigte sich jetzt und ihr folgte eine entschlossen dreinblickende Jule.

„Genau. Sie haben verloren.“, fügte sie Lynns Worten hinzu.

„Lassen Sie ja meine Schwester in Ruhe!“, erklang eine letzte Stimme.

Marie war nun auch mit von der Partie.

„Los, Pfoten weg!“, verlangte sich energisch von Herrn Metzelder, der seinen Augen kaum traute. Woher kamen die ganzen Mädchen? Warum traten sie für eine ungehorsame Göre ein?

Wieso konnten sie den Dingen nicht einfach ihren Lauf lassen?

„Ich hab gesagt, Sie sollen die Pfoten von meiner Schwester nehmen!“, fauchte Marie, die jetzt merklich wütender wurde.

Sofort ließ Christoph Cathy los, obwohl er alles andere als amüsiert war, ob der Tatsache, dass er gerade einen Befehl von einem halbwüchsigen, 16- jährigen Teenager angenommen hatte. Er stolperte ein paar Schritte zurück, dann machte er richtig kehrt und floh geradezu in das Schulgebäude. Sechs perplexe Mädchen sahen ihm nach.

„Wow...“, machte Jule andächtig.

Und das traf es ziemlich genau. Keine der fünf hätte gedacht, dass es so einfach würde, Cathy aus den Fängen des grimmigen Mathelehrers zu befreien. Aber siehe da: ihr entschlossenes Auftreten hatte eine Menge bewirkt. Nachdem alle Gemüter sich abgekühlt hatten konnte man sich wieder gut sein und Freundin nennen. Zumindest im Falle des Viererzimmers. Marie und Maarja hatten damit ja nicht allzu viel am Hut gehabt. Dennoch empfand jede der Anwesenden, dass sie einen großen Sieg errungen hatten.

„Danke!“, brach es aus Cathy heraus, die sich mit einer Umarmung bei den anderen bedankte. Lesly kam als Letzte an die Reihe, wurde dafür aber am längsten festgehalten.

„Es tut mir Leid...“, flüsterte sie in Cathys Haar, während sie die Freundin nah an sich drückte,

„Jetzt ist alles gut.“, erwiderte Cathy.

„Das ist es.“, bestätigte Lesly zuversichtlich.

Wenn es denn nur so gewesen wäre...

Verwundeter Stolz

Bangend begab Cathy sich am nächsten Tag in der fünften und sechsten Stunde zum Mathematikunterricht, doch zu ihrer maßlosen Überraschung geschah nichts, wirklich rein gar nichts. Sie musste nicht einmal an die Tafel. Es fielen keine spöttischen Kommentare, es gab keine vielsagenden Seitenblicke. Eigentlich ignorierte er sie schon fast, konnte man sagen. Cathy war es zufrieden. Nach dem vergangenen Abend war sie heilfroh, dass er sie in Ruhe ließ, auch wenn sie genau wusste, dass sein Verhalten sich beim Training an diesem Nachmittag ändern würde. Davor graute ihr ebenfalls.

Allerdings wurde sie auch hier überrascht. Alles, was der Mann tat, war, ihr klar und knapp anzugeben, was er von ihr sehen wollte. Er lobte nicht, aber er meckerte genausowenig. Er stand schweigend dabei und beobachtete sie. Mehr passierte nicht. Natürlich war Cathy nicht wenig verwundert, hatte sie doch geglaubt, dass von nun an die Hölle auf Erden über sie hereinbrechen würde, doch weit gefehlt. Metzelder ließ sie in Ruhe, wenn man mal von den wenigen Anweisungen absah, die er ihr an die Hand gab, damit sie im Training etwas zu tun hatte. Er beobachtete stumm, machte sich Notizen und in Gedanken rechnete er Chancen aus, die Cathy hatte, es ins Schulteam zu schaffen.

Sie jedoch kam nicht umhin, sich stark zu wundern. Ja, sie war sogar ein klein wenig besorgt. Was war nur aus diesem Mann geworden, der ihr so stolz und unerschütterlich erschienen war? Hatte sie ihn am Ende gar umsonst gefürchtet?

'Nein.', dachte sie, 'So leicht gibt ein Kotzbrocken wie er doch nicht auf... Da muss noch mehr dahinter stecken.'
 

Tatsächlich verhielt Herr Metzelder sich äußerst ungewöhnlich, doch das war nur verständlich. Immerhin war er empfindlich in seinem Stolz gekränkt worden und das von einer Gruppe halbwüchsiger Mädchen. Es ärgerte ihn, dass er sich so hatte einschüchtern lassen. Aber andererseits, was hätte er tun sollen? Er hatte nur mit eingekniffenem Schwanz gehen können. Sicherlich hatte er nicht falsch gehandelt, jedoch nützten all diese Gedanken nichts. Sie konnten sein Selbstwertgefühl nicht aufpolieren und ihm auch sein Selbstvertrauen, ja, sein fast krankhaft übersteigertes Selbstbewusstsein nicht erneuern. Er würde es sich neu zusammenzimmern müssen. Mit wenig oder gar unzureichenden Hilfsmitteln. Natürlich war das ein Problem. Seine Schüler und die Kollegen, allen voran sein wohl bester Freund Xabi Alonso, hatten bemerkt, dass mit ihm ein seltsamer Wandel vonstatten gegangen war. Allerdings kam diese Veränderung Knall auf Fall, nicht langsam und schleichend, wie manch einer erwartet haben mochte.

Christoph selbst verachtete seinen Zustand zutiefst, konnte jedoch nichts tun, um sich aktiv daraus zu befreien. Er hasste es, wenn er Wunden lecken musste und das tat nun Not. Wenn auch vielleicht nicht beabsichtigt, so musste er gestehen, dass Cathy ihn mit ihrer kleinen Flucht ziemlich gekränkt hatte. Zugegeben, er wusste genau, dass er sich wie ein komplettes Arschloch verhalten hatte, wenn er bedachte, wie sehr sie ihn um Verzeihung gebeten hatte. Aber er war nun mal verdammt stolz und diese unselige Eigenschaft hatte ihm schon mehr als einmal unrühmlich im Weg gestanden. Ja, er war ein Sturkopf und ein stolzer noch dazu. Es war eine Kleinigkeit, ihn zu kränken und darauf folgte in der Regel ein erbitterter Rachefeldzug. Doch jetzt hatte Christoph keine Energie dafür. Er sah zu, dass er den Unterricht hinter sich brachte, gab kaum Hausaufgaben, verteilte keine Strafarbeiten oder Extra- Arbeiten und ließ keine unangekündigten Tests schreiben über deren schlechtes Ergebnis er sich ohnehin nur aufgeregt haben würde. Ihm graute vor der Klausurenphase. Ihm standen zwei LK- Klausuren bevor und zwei Grundkursklausuren. Das waren um die 60, 70 Arbeiten, die er zu korrigieren hatte. Bei seiner momentanen Unlust und der mangelnden Konzentration, die er an den Tag legte, würde das alles andere als spaßig werden. Im Gegenteil, es würde höllisch werden. Die Dreizehner musste er möglichst nach den Herbstferien abgefertigt haben, da deren erstes Schulhalbjahr verkürzt war, bei den Zwölfern blieb ihm noch etwas Luft. Trotzdem war er alles andere als begeistert von der Aussicht, überhaupt Arbeiten korrigieren zu müssen. Wenigstens würde er ein paar Freistunden haben, wenn die zukünftigen Abiturienten auf Abschlussfahrt nach Berlin fuhren. Zwar ließ das auch mehr Raum für eventuelle Privatstunden mit Cathy, doch darüber machte er sich vorerst keine Gedanken. Viel mehr war er dankbar dafür, dass sie sich auf Grüßen und Verabschieden beschränkte, wenn sie zum Training kam. Sie gab keine Widerworte, sondern tat, was er ihr sagte. Das einzige Positive, was Christoph festzustellen in der Lage war, war die verbesserte Form Cathys. Wenn sie sich weiter so entwickelte, würde sie es doch noch in die Schulmannschaft schaffen. Das war schließlich das erklärte Ziel seiner Schülerin.

'Soll sie mal machen.', dachte er bei sich, während er ihr zusah, wie sie die Trainingsutensilien zusammenräumte und an ihren angestammten Platz brachte.
 

Sein verwundeter Stolz und die daraus resultierende Lethargie fand zwei Monate lang kein Ende. Erst Anfang Oktober als die Dreizehner auf Stufenfahrt ins nicht so ferne Berlin verschwanden und Christoph mehr Luft hatte, kam er langsam wieder zu sich. Er begann, sich wieder für das Wetter zu interessieren, das heißt, er konnte nun feststellen, dass es deutlich kälter geworden war, dass die Blätter sich verfärbten und ein kühler Wind wehte. Es regnete zudem deutlich mehr und die Schwimmer verfluchten den hereinbrechenden Winter, welcher sie ins ziemlich kleine Hallenbad der nahegelegenen Stadt verbannte. Christoph nahm das weniger stoisch zur Kenntnis, als es noch vor zwei Wochen der Fall gewesen wäre. Sein angeknackster Stolz gewann langsam wieder an Form und Stärke. Ja, manchmal war er fast wieder auf altem Niveau, zynisch und knallhart in den Tafelabfragen. Die Klausuren der Dreizehner gingen ihm leichter von der Hand, als er geglaubt hatte und Cathy, die nach den Herbstferien beweisen musste, ob sie Mathe verstand oder nicht, mühte sich nach Kräften im Training nur die beste Figur zu machen. All das zusammengenommen erleichterte Christoph den beschwerlichen Weg zurück aus dem sogenannten Tal der Tränen. Nicht, dass er geweint hätte, er war immerhin ein Mann und zwar ein richtiger, aber er hatte einen argen Zusammenbruch erleben müssen. Zumindest was sein Weltbild und seinen Stolz anbelangte. Außerdem hatte er vermehrt über die drohenden Worte Marcells nachdenken müssen. Dass der Englischlehrer Laura erwähnt hatte, besorgte Christoph nicht wenig. Er hätte nicht gedacht, dass diese alte Kamelle noch die Runde machte. Dann fiel ihm ein, dass Marcell gerade eben sein Abitur gemacht hatte, als das passiert war. Laura war zwei Jahrgänge unter Jansen gewesen...

'Verdammt!', fluchte Christoph innerlich.

Diesen Teil seiner Vergangenheit hatte er für immer und ewig abgehakt geglaubt. Doch jetzt, wo er so unsicher war, kehrte alles zu ihm zurück. Er erwischte sich dabei, wie er an Laura dachte, sich fragte, was wohl aus ihr geworden war nach dieser ganzen unseligen Geschichte. Wann immer ihm das passierte, verbannte er jeglichen Gedanken daran, ging hart mit sich ins Gericht. Wenn dann aber sein Blick auf Cathy fiel, sollte sie rein zufällig anwesend sein, kam er nicht umhin, zu vergleichen. Meistens fragte er sich dann, wie seine neue Schülerin wohl reagieren würde, wenn Marcell auf die Idee käme, ihr von Laura zu erzählen.

'Bitte nicht!'

Das musste Christoph definitiv verhindern. Er stand schließlich immer noch auf Cathys schwarzer Liste und so wie es aussah, würde er auch nicht mehr davon runterkommen. Sehr zu seinem Leidwesen, denn irgendwo wollte er nicht, dass es bei diesem distanziertem Umgang miteinander blieb.

'Ich bin wirklich ein Hornochse.', schalt er sich.
 

Kaum eine Woche später, als die Dreizehner heimkehrten, stand eine Vorabifete an und wie es nun mal die Tradition verlangte, waren auch die Lehrer gern gesehene Gäste. Zu diesem Zweck hatte die Stufe sich eine Diskothek in der Stadt gesucht, in welcher das ganze vonstatten gehen sollte. Geladen waren alle ab der zehnten Klasse, auch junge Leute, die nicht das St. Helena besuchten, durften kommen. Hauptzweck der Veranstaltung war ja, Geld in die Stufenkasse zu bekommen. Schon Tage vorher sprach man in der Schule von nichts anderem mehr. Für Jule und Cathy war es eine Selbstverständlichkeit, sich die Ehre zu geben. Immerhin würden Lynn und Lesly am Ende des Jahres ihr Abitur machen und man musste die Freundinnen doch so gut es ging unterstützen...

Noch ahnte keiner der vier, dass an diesem Abend , oder viel mehr in dieser Nacht, ein paar sehr seltsame, aber auch sehr besondere Dinge geschehen sollten, die ihnen noch lange im Gedächtnis würden haften bleiben. Ebenso war Christoph sich kaum der Gefahr bewusst, in welche ihn die Stufenfeier bringen würde. Erinnern war ein Teil von Vergessen und andersrum, aber war sein verwundeter Stolz schon bereit für einen Anblick, der ihm sicher nicht gefallen würde?

Wenn eine Schule das Tanzbein schwingt...

Endlich war Freitag, endlich war die Stufenfeier gekommen. Schon Stunden vorher gab es einen erbitterten Kampf um das Badezimmer bei unseren vier Grazien. Lesly konnte schließlich aber Jule und Cathy von der Notwendigkeit überzeugen, dass sie und Lynn als erste in den Genuss de Bades kommen durften, da sie als Mitglieder der Stufe Dreizehn vor den beiden Mitbewohnerinnen da sein mussten. Das sah Jule durchaus ein, so dass Lynn und Lesly das Bad drei Stunden lang mit Beschlag belegten, während im Zimmer Jule und Cathy einander bei ihrer Kleiderwahl berieten. Kein leichtes Unterfangen, wie sich herausstellen sollte, zumal irgendwann auch noch Marie und Maarja hereinplatzten, um sich von Jule Tipps zu holen. Die junge Frau war nämlich sehr stilsicher und konnte oftmals weiterhelfen, wenn man nicht sicher war, ob man sich in der gegenwärtigen Garderobe unter Menschen wagen durfte. Bei Marie war der Fall rasch geklärt. Trotz der eisigen Temperaturen wurde Cathys jüngere Schwester mit Hotpants und einem knappen Top ausgestattet, dazu Highheels und fertig war die Laube. Um ihre Schminke kümmerte Marie sich ohnehin selbst. Sie wartete nicht einmal mehr auf Maarja, bei der sich die Angelegenheit schon schwieriger gestaltete, da sie bevorzugt eher lässige und bequeme Kleidung anzog.

„Das kriegen wir schon hin, Sonnenschein.“, versicherte Cathy grinsend, „Wenn Jule mit dir fertig ist will dich sogar Alonso in seinem Chemiekurs haben.“

Maarja, die Chemie gern hatte und sich mit dem Gedanken trug, dieses Fach zu einem ihrer LKs zu machen, schnaubte nur. Xabi Alonso mochte freundlich sein, aber er konnte genauso gut zu einem kompletten Arschloch mutieren. Das hing vorwiegend von seinem werten Befinden ab und dem Verhalten der Schüler im Unterricht, besonders bei den lästigen und ziemlich fiesen Tafelabfragen. Herr Fritz war nichts im Vergleich dazu.

„Nein, ehrlich, glaub mir, Jule hat da ein echtes Talent.“, versprach Cathy, ließ sich auf ihr Bett fallen und genoss die Show.
 

Diese begann damit, dass Jule Maarja ausfragte.

„Trägst du gern Röcke?“, wollte sie wissen.

Beinahe entsetzt und sehr vehement erwiderte die Befragte ein 'Nein'.

„Okay, dann kann ich die Miniröcke gleich vergessen.“, monierte Jule laut, warf aber Cathy einen Blick zu, der nur bedeuten konnte, dass sie versuchen würde, ihr ein solches Kleidungsstück anzudrehen.

„Wie sieht es mit bauchfreien Tops aus?“, ging das Verhör auch sogleich weiter.

Erneut verneinte Maarja, die sich langsam, aber sicher fragte, wo sie hier gelandet war. Sie wollte auf eine Party gehen, nicht auf den Strich.

Jule hingegen verzweifelte fast an der puristischen Kleiderordnung, der Maarja sich normalerweise unterwarf. Wie sollte man ein hübsches, junges Mädel noch hübscher präsentieren, wenn es sich weigerte, auch nur annähernd aufreizende Kleidung zu tragen?

'Wenigstens wird Cathy kein so schwerer Brocken...', dachte Jule hoffnungsfroh.

Sie machte allerdings gute Miene zum bösen Spiel, machte Vorschläge, die meist keine Gnade fanden und überlegte, wie sie Maarja doch noch zu einem ansprechenden Wesen umwandeln konnte. Das sollte natürlich nicht heißen, dass die Zehntklässlerin nie irgendwelche körperbetonten Klamotten getragen hätte oder dass sie gar hässlich gewesen wäre, weit gefehlt, sie war sogar äußerst attraktiv, hatte aber etwas von einem ungeschliffenen Diamanten. Mit ein bisschen Überredungskunst und Spucke konnte Jule die Ratsuchende aber schließlich herausputzen und zufriedenstellen. Auch Cathy musste zugeben, dass ihre beste Freundin ganze Arbeit geleistet hatte. Maarja selbst betrachtete sich ziemlich ungläubig im Spiegel. Jule hatte sie in eine dunkle, aber enge Jeans gesteckt, die ihre Formen positiv hervorhoben, dazu trug Maarja ein eng anliegendes Tanktop in Taubengrau über welches Jule ein weites, flatterndes T-Shirt, das die Schultern frei ließ gezogen hatte. In einer knalligen Farbe allerdings, damit Maarja auffiel. Immerhin wollte sie ja eine Party besuchen. Da brauchte man den Alltagslook definitiv nicht. Den trug man ja bekanntermaßen an knapp 300 Tagen im Jahr zur Schau, Feiertage nicht mit eingerechnet.

„Jetzt machst du noch deine Haare, ein bisschen Schminke und perfekt.“, beendete Jule ihren kleinen Vortrag, während sie Maarja umrundete und mit sichtlichem Stolz ihr Werk begutachtete. Auch Cathy war voll des Lobes.

„Du hast echt ganze Arbeit geleistet. Sieht klasse aus.“

In dem Moment kamen Lynn und Lesly aus dem Bad. Sie staunten ebenfalls nicht schlecht, als sie eine so verwandelte Maarja vorfanden. Nachdem die drei Mädchen eifrig Kompliment ausgetauscht hatten, verschwand die Jüngere aber wieder, um sich den letzten Schliff zu verpassen. Derweil zog Lesly sich rasch und zielgerichtet an. Sie hatte, ähnlich wie Jule, ein sicheres Stilempfinden und wusste genau, was sie tragen konnte und was nicht. Natürlich musste es auch heute wieder Schwarz in Schwarz sein. Nichts Anderes kam für Lesly in Frage. Innerhalb von fünf Minuten war sie in ein enges, schwarzes Minikleid mit Spaghettiträgern geschlüpft, dazu schwarze Nylonstrumpfhosen und schwarze, hochhackige Schuhe, schon war sie fertig. Zum Schminken und frisieren verzog Lesly sich wieder ins Bad, eine leicht verzweifelte Lynn zurücklassend, die vor ihrem Schrankteil stand und ratlos von einem Kleidungsstück zum nächsten sah.

„Brauchst du Hilfe?“, wollte Jule schmeichelnd wissen.

Sofort kam ein böser Blick zurück.

„Natürlich nicht!“, grummelte Lynn, die mit Jules Styleversuchen schlechte Erfahrungen gemacht hatte, weil sie sich einfach nicht wohlfühlte in Kleidern, die zu eng anlagen oder Lynns Meinung nach zu viel zeigten.

„Sicher?“

Treuherzig blinzelte Jule die Freundin an. Nach knapp zwei Minuten Blickduell gab Lynn nach.

„Okay, verdammt, ich brauch Hilfe!“, knurrte sie unwillig.

Sie hasste es, von anderen abhängig zu sein.

„Dann wollen wir mal...“, murmelte Jule vergnügt.
 

Erstaunlicherweise stellte Lynn sich als deutlich pflegeleichter heraus als Jule gedacht hatte. Natürlich sehr zu ihrer Freude. Auch Lynn bekam eine enge Jeans verpasst, ein knalliges Top und auffälligen Schmuck. So ausgestattet wagte die Abiturientin sich zurück ins Bad, wo Lesly ihr ein Kompliment zu dem Outfit machte. Zwar war sonnenklar, dass es sich dabei um Jules Werk handelte, aber das war okay so. Immerhin konnte Lynn jetzt mit mehr Selbstbewusstsein die Disco betreten und sich hoffentlich einen netten Kerl anlachen.

„So.“, machte Jule, nachdem Lesly und Lynn sich verzogen hatten.

„Du gehst jetzt duschen, Cathy.“

Sofort gehorchte die Angesprochene dem Kommando, erhob sich von ihrem Bett und trabte ins Bad, nicht ohne ein bisschen weniger brave Unterwäsche mitgenommen zu haben. Nach einer halben Stunde unter der Dusche kam Cathy wieder hervor. Sie war jetzt geduscht, ihre Haare waren gewaschen, ihr Körper von lästigem Haarwuchs befreit und ihr Körper bereit, um von Jule als Anziehpuppe missbraucht zu werden.

„Also, dann wollen wir mal.“, rieb Jule sich die Hände, während sie in den Kleiderbergen wühlte, die auf den Betten der Mädchen verstreut waren.

„Minirock?“, fragte sie hoffnungsvoll.

Doch Cathy schüttelte den Kopf.

„Jule, du weißt, dass ich so was ungern anziehe.“

„Aber es steht dir SO gut...“

Schmollen schob Jule ihre Unterlippe vor. Cathy allerdings blieb hart, sie schüttelte den Kopf. Als sie ein Kind gewesen war, hatte sie am Liebsten Kleider und Röcke getragen, doch seit sie das St. Helena besuchte, hatte sich das drastisch geändert. Hosen waren nun alles für Cathy und man sah sie höchstens alle Jubeljahre mal in einem Rock, geschweige denn einem Kleid. Außer in den Sommerferien am Strand oder im Garten oder Freibad war es mit dem Kleider tragen Essig bei Cathy. Jule konnte das beim besten Willen nicht verstehen, hatte die Freundin doch einen ordentlichen Körper, der von einem Kleid kaum verschandelt werden konnte. Zumindest ihrer bescheidenen Meinung nach nicht.

'Und ich kriege dich doch dazu, einen Minirock anzuziehen!', dachte Jule bei sich, die sich bereits die Gesichter von Marcell und dem arroganten Sack ausmalte.

'Obwohl deprimiert in letzter Zeit echt besser passt... Nach der Luschi- Klausur, die er den Dreizehnern gestellt hat...'
 

Gegen Acht waren Jule und Cathy beide fertig. Wie sie es gehofft hatte, war es Jule doch noch gelungen, die Freundin zu einem Minirock zu überreden. Es handelte sich hierbei um ein schwarzes Exemplar, teilweise mit Rüschen, Lochstickerei und anderem verziert. Dazu Nylonstrümpfe, die bis unter den Saum des Rocks gingen, relativ flache Schuhe mit einer auffälligen Schnalle und einem engen Top in Violett, das auch Spaghettiträger hatte. Zudem hatte es eine spezielle Raffung, die Cathys Konturen positiv hervorhoben. Eine Hochsteckfrisur rundete das Ganze ab.

Während Cathy sich im Spiegel bewunderte, duschte Jule im Eilverfahren, bevor auch sie sich mit der Kleiderfrage auseinandersetzte. Ähnlich wie Lesly hatte sie sich bereits etwas ausgeguckt und musste es in dem Gewimmel nur noch finden. Das war allerdings leichter gesagt als getan, wie Jule feststellen musste. Schließlich gelang es aber doch und die junge Frau fand sich in einem meergrünen Oberteil und dunklen Jeans wieder. Dazu eine raffiniert aussehende Frisur, die in Wahrheit aber keine fünf Minuten dauerte, Schmuck und Kriegsbemalung, schon war der Käse gegessen.

„Jetzt sind wir fertig.“, verkündete Jule zufrieden, betrachtete nochmal ihr Werk und hakte sich dann bei Cathy unter.

„Zum Glück ist die Disse nicht weit von hier.“, bemerkte Cathy, die sich vor der Kälte draußen fürchtete. Und vor den Blicken ihrer Mitmenschen.

„Glaubst du der Sack kommt?“, wollte sie dann von Jule wissen.

Diese überlegte einen Moment, bevor sie Antwort gab.

„Mag sein. Obwohl er mir ja in letzter Zeit ziemlich geknickt vorkommt.“

„Da hast du allerdings Recht. Ich frag mich, ob das noch immer mit der Sache von vor zwei Monaten zusammenhängt.“

„Glaub ich nicht.“, meinte Jule abwinkend, „Der hat doch ein Selbstbewusstsein bis zum dorthinaus. So schnell schüchtert man den nicht ein.“

„Stimmt auch wieder.“, räumte Cathy ein.

Sie verließen das Zimmer, nicht ohne vorher abgeschlossen zu haben, man konnte ja nie wissen, was Schulkameraden in besoffenem Zustand so alles anstellten, gingen gemütlich den Korridor entlang und überlegten dabei, ob es sich lohnte, Geld für Alkohol auszugeben oder nicht. Für jeden Besucher der Party gab es ein Freigetränk, aber der Abend würde lang und da reichte ein Cocktail nicht, um sich das Leben süß zu schlabbern, wie Culcha Candela so schön in 'Hamma' ausgedrückt hatten.
 

Schon von weitem drang Jule und Cathy wummernde Musik entgegen und eine Menge junger Leute strömte mit ihnen der Disco entgegen. Offensichtlich würde es ziemlich voll werden und die Dreizehner ordentlich abkassieren. Zwar mussten sie einen Teil des Geldes dem Inhaber der Location überlassen, aber das war ja völlig okay. Falls es den Leuten gefiel, würde der Umsatz auch an regulären Öffnungstagen steigen. Da es im Ort nur zwei Discos gab, obwohl es sich um ein Städtchen handelte, herrschte ein reger Konkurrenzkampf und Vorabifeten fanden entweder im 'Verano' statt oder in der sogenannten Penny, eigentlich 'StarLight'. Ganz selten erlaubte der Direx eine solche Veranstaltung auch in der Aula des St. Helena. Aber da musste wirklich jemand mit Engelszungen auf Herrn Löw einreden, damit er zuließ, dass die sonst so ehrwürdig wirkende Aula zum Saustall und Ort des kollektiven Besäufnisses umfunktioniert wurde. Meistens wurde das Gesuch knallhart abgeschmettert, was keine Stufe davon abhielt, es nicht doch wenigstens einmal zu probieren.

Anstandslos ließ man Jule und Cathy ein, als sie den Eingang der Penny erreichten. Ein paar Mädels aus der Achten hatten es da deutlich schwerer. Einlass war nämlich erst ab sechzehn. Ansonsten lohnte sich die Sache auch kaum, da man erst ab einem gewissen Alter bis um Mitternacht wegbleiben durfte und zudem erst ab sechzehn Bier konsumieren durfte. Zudem war die Penny nicht mit einem Rauchverbot ausgestattet, was sie zu einer ziemlich verräucherten Bude machte. Cathy hielt dieser Umstand auch oft genug davon ab, Discos zu besuchen. Jule war schon häufiger Gast in solchen Etablissements. Daheim ging sie furchtbar gern ins 'Twister', wo sie zwar mal böse Erfahrungen mit Johnny Walker gemacht hatte, aber das war Schnee von gestern. Ihr erklärtes Ziel war es heute, Cathy auf die Tanzfläche zu zwingen, was sich als anstrengendes Unterfangen erweisen würde. Jule wusste zu gut, dass ihre Freundin nicht gerade das Rhythmusgefühl mit Löffeln gefressen hatte und zum anderen, dass Cathy glaubte, man würde sie beobachten und auslachen, sollte sie es tatsächlich wagen, sich ins Gewimmel zu stürzen und zu tanzen.

'Dann muss ich eben zu weniger netten Mitteln greifen.', beschloss Jule mit einem leichten Grinsen, wohl wissend, dass sie zumindest von Lynn Unterstützung erfahren würde.

Mit ein bisschen Alkohol im Blut würde man Cathy schon zum Tanzen bewegen können. Einzig und allein musste Jule darauf achten, dass kein Eistee in Cathys Nähe kam. Entgegen aller üblichen Reaktionen auf Eistee war Cathy dann nämlich wie auf Droge und so durchgeknallt, wie es keine zwei Liter Wodka vermochten. Aber auch was sie selbst betraf, hatte Jule Maß walten zu lassen. Zuviel Alkohol war für sie schlecht, da sie in den meisten Fällen mit irgendeinem Typen in einer dunklen Ecke landete, wo sie dann rumknutschte. Dabei musste sie sich diese Kerle auch noch schön trinken, denn unter normalen Umständen hätte sie niemals einen davon angerührt. Am nächsten Morgen war das weniger spaßig, wenn Jule feststellen musste, dass ihr ein entscheidendes Kleidungsstück fehlte. Oder eine Erinnerung. Zugegebenermaßen, sie übertrieb es nicht dermaßen, als das man hätte sagen können, sie hätte sich abgeschossen. Darauf legte Jule wirklich keinen Wert. Ihr war das zwei oder drei Mal passiert und das hatte ihr gereicht. Einen Kater brauchte sie nicht. Nein, da konnte sie sich wahrlich angenehmere Dinge vorstellen.
 

„Siehst du Lynn oder Lesly irgendwo?“, brüllte Cathy Jule ins Ohr, damit die Freundin sie überhaupt verstand, denn die Musik war irrsinnig laut. Bereits jetzt um halb Neun tummelten sich allerlei Gestalten auf der Tanzfläche und bewegten ihre Körper wie im Rausch zu den Klängen von elektronischer Musik. Ab und an wurde auch mal was gespielt, was kein Remix war und dann füllte sich die Tanzfläche mit Leuten, die normale Musik hörten und kein House. Zuletzt war das 'Tik Tok' von Kesha gewesen.

Jule sah sich auf die Frage Cathys hin um, schüttelte dann aber verneinend den Kopf.

„So ein Mist!“, beschwerte Cathy sich, gab aber im nächsten Moment einen verwunderten Laut von sich. Den bekam Jule durchaus mit, weswegen sie neugierig Cathy ansah und zu wissen verlangte, ob sie einen Geist gesehen hätte.

„Wie man's nimmt...“, war die knappe Antwort Cathys, die den Rest ihres Cocktails runterkippte und dann schon Richtung Tanzfläche abschwirrte.

'Was ist denn jetzt los?'

Irritiert starrte Jule der Freundin nach. Dieses ganz und gar untypische Verhalten verwunderte sie ziemlich.

'Cathy hasst tanzen...'

Erst einige Minuten später, als wieder mal Kesha aus den Lautsprechern dröhnte, diesmal aber mit 'Take It Off', erkannte Jule den Grund. An der Bar saß Herr Metzelder höchstpersönlich. Und er sah genau in Cathys Richtung. Diese gab vor, den bohrenden Blick ihres Lehrers nicht zu bemerken. Stattdessen tanzte sie mit einer nie gekannten Inbrunst mitten im Gedränge, um ja unsichtbar zu sein. Dass ihr der ein oder andere Kerl dabei ungeniert an den Hintern fasste, bekam sie kaum mit.

'Ich fass es nicht.', dachte Jule, die den Mathelehrer noch irritierter im Auge behielt. Sie vergaß fast, dass sie selbst auch tanzen wollte, so fasziniert war sie von der Art und Weise, wie Herr Metzelder Cathy beglubschte.

'Das ist aber nicht normal. Er sieht sie ja an, wie ein Typ, der es verdammt nötig hat...', ging es der Blonden durch den Kopf. Sie schüttelte sich vor Ekel. Das wollte sie sich wirklich nicht näher vorstellen.

'Bloß schnell auf die Tanzfläche!'
 

Gesagt, getan. Auch Jule gesellte sich zu der Menschenmenge und gab sich den Beats hin. Sie machte dabei eine bessere Figur als Cathy, aber in dem Gedränge fiel das kaum auf. Wer aber auf jeden Fall alle Blicke, und zwar durchaus bewundernder Art, auf sich zog, war Marie. Da sie oft genug in Discos ging und feierte bis zum Umfallen, war sie mit der Musik dort vertraut, sowie auch den anwesenden Leuten. Sie hatte darum einiges an Übung und ging dermaßen ab, dass ihrem Coach die Kinnlade runterfiel. Er hatte ja gewusst, dass sein Schützling kein Kind von Traurigkeit war, aber wie Marie tanzte, das war schon klasse. Und gehörte verboten. Es brachte alle möglichen Kerle nur auf dumme Ideen. Maarja drückte sich zusammen mit Lesly in einer Ecke rum. Die beiden Mädchen waren absolut keine Discogänger und schon gar nicht Fan der dort gespielten Musik. Lynn, die den beiden zunächst noch Gesellschaft geleistet hatte, war nach mehrmaligem Genuss alkoholischer Getränke auch auf die Tanzfläche entschwunden, wo sie sich einen Studenten angelacht hatte. Sogar einer der Spanischlehrer, nämlich Herr Casillas, hatte sich in der Penny eingefunden. Er drückte sich allerdings weniger im Fokus des Geschehens herum, da er nur zu gut die Reaktionen seiner Schülerinnen einschätzen konnte. Er war schließlich nicht dumm. Auch ihm fiel auf, wie viele der Mädchen für ihn schwärmten. Nicht, dass es ihm nicht geschmeichelt hätte, es war nur, dass er sich nicht an Schutzbefohlenen vergriff. Marcell war ebenso anwesend und genau wie Herr Metzelder hatte er ein Auge auf Cathy. Jedoch völlig anderer Art. Für ihn war Cathy wie eine Schwester und er wollte sichergehen, dass sie es nicht übertrieb. Zwar wusste er von ihrer Eisteemacke, aber Alkohol war auch nicht zu unterschätzen. Da Marcell sich aber auf Cathy fokussiert hatte, entging ihm völlig, wie sein Kollege sie beäugte. Als er seine beste Freundin mit einem weiteren Drink in der Hand sah, schrillten in seinem Kopf sämtliche Alarmglocken los. Er hatte genau mitgezählt, sie war jetzt bei dem sechsten und so langsam musste der Alkohol Wirkung zeigen. Das merkte man vor allem an der Art und Weise, wie Cathy sich nun gegenüber den Herren der Schöpfung verhielt. Sie tanzte eng mit dem einen, wechselte dann den Partner und ließ sich wenn möglich immer einen Drink spendieren. Jule war ähnlich erfolgreich, schielte aber immer wieder in Richtung Metzelder, um festzustellen, ob der Mathelehrer seinen Blick zwischenzeitlich einmal abgewandt hatte. Das tat er mitnichten. Seine Miene wurde sogar immer finsterer, je öfter Cathy etwas trank und je enger sie mit einem Kerl tanzte. Die Anzahl stieg im Verlauf von drei Stunden beträchtlich, doch durch die Musik und die Stimmung, ihre eigenen Bewegungen merkte Cathy nichts von dem Alkohol. Sie glaubte, zu schweben. Ihre Füße schmerzten, sie hatte noch nie so viel getanzt, aber sie wollte keine Pause machen. Lieber genoss sie die Aufmerksamkeiten der Männerwelt, sonnte sich in deren Glanz und vergaß wenigstens einmal alles, was sie bedrückte oder je bedrückt hatte. Man konnte es Naivität schimpfen oder es auf den Alkohol schieben, aber als es auf ein Uhr in der Früh zuging, war Cathy so zu, dass sie nicht mal mehr mitbekam, wie ein junger Mann, der ihr schon den ein oder anderen Drink hatte zukommen lassen, sie aus der Penny lotste. Unter dem Vorwand, etwas frische Luft täte ihnen beiden nach der ganzen Tanzerei nur gut, folgte Cathy dem Unbekannten. Sie hatte sich nicht mal nach seinem Namen erkundigt. Das schien ihr eine unwichtige Nebensache. Wozu musste man denn all die Namen seiner Tanzpartner kennen? Wenn es denn wenigstens beim Tanzen geblieben wäre...
 

Jule bemerkte irgendwann mit Schrecken, dass Cathy verschwunden war. Eigentlich hatte sie die Freundin im Auge behalten wollen, sowie sie auch Metzelder immer im Blick gehabt hatte. Aber nun hatte sie beide verloren.

'Scheiße...', dachte Jule, während sie sich aus dem Gedränge an den Rand kämpfte, um ein bisschen zu verschnaufen.

'Vielleicht ist sie aufs Klo?', fiel Jule dann ein und beinahe hätte sie sich selbst ausgelacht.

'Ich bin echt paranoid. Das ist Cathy, die macht einfach keine Scheiße.'

Zumindest hatte Cathy das bislang nicht getan. Oder Jule hatte davon nichts mitbekommen. Vom Viererzimmer waren eindeutig sie und Lesly diejenigen, die am häufigsten irgendwelche Kerle an der Backe hatten, wenn auch vielleicht nur für eine Nacht. Lynn lebte praktisch wie eine Nonne und Cathy hatte lieber feste Beziehungen, die zwar nie zu funktionieren schienen und die sie auch nicht besonders glücklich machten, aber sie bestand dennoch darauf. Lesly verachtete Männer in ihrem tiefsten Inneren. Sie mochte nur ihren älteren Bruder Thomas und Herrn Hildebrand. Letzteren vor allem, weil sie ein und dieselbe Sprache sprachen. Sie teilten immerhin die Liebe zur Kunst. Ansonsten ging Lesly ziemlich hart mit dem andern Geschlecht ins Gericht, obwohl sie auch früher schon den einen oder anderen Freund gehabt hatte. Mit einem war sie sogar ein knappes Jahr zusammengewesen. Aber seitdem er sie verlassen hatte, um als Zimmermann auf die Walz zu gehen, hatte Lesly keinen Mann mehr nah an sich rangelassen. Emotional wenigstens nicht.

Auch Jule hatte zwei, drei Freunde gehabt, aber der große Fang war noch nicht dabei gewesen. Aber sie war ja noch jung und hatte eine Menge Zeit, um jemanden zu finden, mit dem es sich aushalten ließ. Im Moment war sie ganz froh über ihren Singlestatus, da sie ihr Ziel nicht aus den Augen verlieren wollte und Männer einen immer so furchtbar ablenkten. Kaum, dass sie das beschlossen hatte, erwartete sie eine Überraschung. Der sonst eher ruhige und gelassene Herr Friedrich steuerte auf die junge Frau zu, die noch immer an einer Wand abseits der Tanzfläche lehnte und dem Treiben zusah, in der Hoffnung, Cathy möge wieder auftauchen.

„Hallo, Julia, machst du gerade Pause?“, sprach Herr Friedrich seine Schülerin an, zu den Tanzenden nickend.

Sie sah ihn halbwegs verwundert hatte, brachte aber schließlich ein 'Ja' heraus, konnte sich aber beim besten Willen nicht zurückhalten, als sie wissen wollte, was ihrem Biolehrer in die Penny trieb. Daraufhin lachte Herr Friedrich leise.

„Ich bin ja eigentlich nicht so umtriebig. Zumindest nicht was die Penny angeht.“

Jetzt war Jule definitiv verwundert. Er kannte den Zweitnamen der Disco?

„Wow, ich glaub, ich hab Sie unterschätzt.“, entfuhr es ihr unbedachterweise.

Aber wieder erntete sie nur ein Lachen, ein definitiv belustigtes sogar.

„Das kann gut sein.“, stimmte er ihr zu.

Seine dunklen Augen lachten mit und Jule stellte fest, dass ihr zuvor gar nicht aufgefallen war, wie attraktiv Herr Friedrich eigentlich war.

'Oh shit, das ist ganz falsch!', dachte sie, innerlich ihren Kopf gegen die Wand schlagend.

Er war ein verdammter LEHRER!

'Okay, alle finden Casillas geil, aber das ist was anderes, weil ihn alle toll finden.', ging es sofort weiter, während sie versuchte, Herrn Friedrich halbwegs interessiert zuzuhören. Zu allem Überfluss musste Jule feststellen, dass sie tatsächlich Interesse an dem zeigte, was er erzählte.

'Verdammt, verdammt, verdammt!'

„Sag mal, willst du mich nicht einfach duzen?“, schlug in dem Moment Herr Friedrich vor.

„Äh...was?“, kam es ziemlich perplex von Jule.

„Du mich duzen, verstanden?“, grinste der Lehrer sie an, streckte ihr seine Hand entgegen und fügte hinzu, „Für den Fall, dass du es noch nicht wusstest, ich bin Arne.“

Dabei zwinkerte er ihr sogar verschmitzt zu. Jule starrte ihn an wie ein Fahrrad, griff dann aber nach der Hand und schüttelte sie.

„Und Sie sagen bitte Jule zu mir.“, murmelte sie.

„Arne.“, erinnerte Herr Friedrich sie, „Und du.“

„Klar doch...“

Jule fühlte sich leicht verarscht.

'Andererseits, Cathy und Marcell sind auch seit Jahren total dicke miteinander, warum sollte ich nicht meinen Biolehrer duzen dürfen?', dachte sie bei sich, betrachtete aber intensiv ihre wunden Füße.

Aus irgendeinem Grund wusste Jule, dass das etwas völlig anderes war, als bei Marcell und Cathy. Aber sie musste zugeben, dass es toll war. Zwar konnte sie nicht genau sagen warum, doch es war so. Es war toll, sie mochte es und basta! Ihr dämliches Gewissen sollte gefälligst die Schnauze halten! Und das tat es auch den Rest der Nacht. Erst um halb fünf in der Früh verließ Jule in Begleitung von Herrn Friedrich, ähm Arne, die Penny und tigerte heimwärts, wobei sie sich allerhand zu erzählen wussten und immer wieder in Gekicher ausbrachen. Als Jule totmüde in ihr Bett fiel, bemerkte sie nicht einmal, dass Cathy nicht da war. Lesly und Lynn allerdings lagen in tiefem Schlummer und ahnten genausowenig wie Jule, dass letzte Nacht nicht nur erfreuliche Dinge passiert waren.

Oh Alkohol, oh Alkohol

Als Cathy in Begleitung ihres Tanzpartners die Penny verließ, drehte sich ihre Umwelt beträchtlich. Sie schwankte ziemlich und war innerlich mehr als froh, dass sie relativ flache Schuhe anhatte. So konnte sie im Falle eines Sturzes keine allzu schlimmen Verletzungen davon tragen. Das wäre nämlich reichlich ärgerlich, wo sie doch gerade so gut in Form war. Wenn sie sich so weiter hielt, dass hatte sie in nüchternem Zustand erkannt, hatte sie gute Chancen ins Schulteam aufgenommen zu werden. Vor Weihnachten würden Auswahlspiele stattfinden und dafür trainierte Cathy emsig.

Im Moment allerdings versuchte sie, halbwegs ihr Gleichgewicht zu wahren und dem jungen Mann hinterherzustolpern, der sie aus der Penny gelotst hatte. Vorbei an den Rauchern und den anderen, die genug von der stickigen Luft im Inneren des Clubs hatten.

'Bestimmt suchen wir nur ein ruhiges Plätzchen und dann kann ich mich setzen. Scheiße, tun meine Füße weh...', überlegte Cathy leicht zusammenhanglos, während sie weiter hinterdrein lief. Sie kam sich irgendwie bescheuert vor.

'Liegt gewiss am Alk. Morgen gibt’s Kater...'
 

Viel zu spät bemerkte Cathy, dass der junge Mann sie in den nahen Wald trieb. Dort war es verständlicherweise dunkel, da keine Straßenbeleuchtung, und Cathy hatte panische Angst in der Dunkelheit. Sie sah sich unbehaglich um.

„Wohin gehen wir?“, fragte sie schon weniger betrunken.

Die kühle Nachtluft und die Erkenntnis, dass sie hier gerade eine Menge Scheiße baute rüttelten die junge Frau auf. Zusätzlich wurde ihr bewusst, wie wehrlos sie eigentlich war. So betrunken wie sie es momentan war, hatte sie kaum Chancen sich gegen irgendetwas zur Wehr zu setzen. Sie war dem Fremden praktisch hilflos ausgeliefert.

'Hoffentlich ist das kein Vergewaltiger...', dachte Cathy, die jetzt langsam panisch wurde, aber nicht mal auf den Gedanken kam, dass sie sich auch einfach umdrehen und abhauen konnte.

Der junge Mann gab ihr keine Antwort, er nickte ihr nur zu und deutete damit an, dass sie gefälligst schneller gehen sollte. Betüddelt wie sie war, gehorchte Cathy. Der Alkohol hatte ihre Sinne so gründlich vernebelt, dass sie nicht mal gewusst hätte, wie ihr Bruder hieß oder dass sie eine jüngere Schwester hatte, die weniger dumm und naiv war als sie selbst.

'Aber scheiße, ich hab ANGST!', ging es der jungen Frau durch den Kopf.

Als sie eine Weggabelung erreichten, war das Maß voll. Cathy verfiel nun vollends in Panik. Sie machte auf dem Absatz kehrte und stolperte mit einem Affenzahn den Weg zurück, den sie gekommen waren. Damit tat sie das, was sie längst hätte tun sollen. Dummerweise kam der junge Mann ihr nach. Er war nicht gewillt seine Beute kampflos ziehen zu lassen und da er deutlich weniger Alkohol intus hatte, standen die Chancen nicht mal schlecht, Cathy doch noch zu erwischen. Diese aber, angetrieben von ihrer heftigen Panik, entdeckte unbekanntes Laufpotenzial in sich, obwohl sie reichlich schwankte und häufiger über Baumwurzeln und herumliegende Steine stolperte. Jetzt war sie erst recht dankbar für die flachen Schuhe. Mit Absätzen hätte sie sich längst die Hachsen gebrochen.

Cathy kam der Weg unendlich lang vor. Die Bäume schienen Gesichter zu haben, schnitten ihr Grimassen. Hinter jedem Busch vermutete sie einen Meuchelmörder, einen Komplizen des Mannes, der sie hier durch den dunklen Wald jagte. Zusätzlich dazu glaubte sie, dass jede Sekunde Wildschweine oder anderes wildes Getier aus dem Dickicht brechen konnte, um ihr den Rest zu geben.

'Nie wieder Alkohol!', war Cathys letzter klarer Gedanken, bevor sie mit einem lauten und für sie sehr schmerzhaften Knall auf dem Waldboden landete. Der Aufprall raubte ihr schier den Atem. Mit letzter Kraft rollte sie sich auf den Rücken. Schnappatmung setzte ein. Sie konnte hören wie die Füße ihres Verfolgers über den Boden trommelten, obwohl abgefallenes Laub den Weg bedeckte. Schon rechnete Cathy mit dem sicheren Ende. Schmerz und Panik trieben ihr die Tränen ins Gesicht. Schluchzen war nicht möglich, immer noch bekam sie kaum anständig Luft. Ihr tat von dem Sturz alles weh, was mit dem Boden in Berührung gekommen war.

'Oh bitte... lieber Gott, lass es nicht so zu Ende gehen...', flehte Cathy innerlich.
 

Den ganzen Abend über schon hatte Christoph Cathy im Visier gehabt hat. Gleich als sie mit ihrer Freundin Jule in die Penny gekommen war, hatte er sie bemerkt. Nie zuvor hatte er sie einen Minirock tragen sehen und er hatte auch gewusst warum. Augenblicklich hatte sein verräterischer Körper auf den Anblick dieses Mädchens reagiert. Sie tat gut daran im Alltag nur Hosen zu tragen, die nicht so viel von ihren, dank dem Sport, wohlgeformten Beinen zeigten, sie eher züchtig verhüllten. Ihr Top gab wenig genug preis, was Christoph beruhigte. Allerdings musste er unwillkürlich an diesen einen Abend vor zwei Monaten denken, als er sie unter der Dusche beobachtet hatte.

'Schluss damit!'; befahl er sich energisch, einen letzten Schluck Bier trinkend.

Die Flasche war schon leer. Auch Cathy, die er keine Sekunde aus dem Blick gelassen hatte, war mit einem Getränk ausgestattet. An der Art des Glases war es ihm ein Leichtes, den Inhalt zu erraten. Ein Cocktail, ohne Zweifel. Er konnte nichts dagegen tun, aber seine Laune verschlechterte sich empfindlich. Alkohol war nie gut. Nicht für ihn und schon gar nicht für junge Mädchen.

'Laura hatte auch ein Problem damit...', dachte er beinahe abwesend, seinen Blick über Cathy und Jule schweifen lassend. Dabei bekam Erstere den höheren Anteil ab, war sie doch eindeutig Gegenstand seines Interesses.

Plötzlich stutzte Christoph. Sie hatte ihn bemerkt! Hatte gesehen, dass er sie anstarrte, nichts anderes war es doch. Jetzt starrte sie zurück. Ihr Gesichtsausdruck gefiel ihm ganz und gar nicht. Es lag etwas Trotziges darin, sogar etwas Herausforderndes. Christoph konnte beobachten, wie sie ihren Cocktail in einem Zug leerte, das Glas achtlos abstellte und dann auf die Tanzfläche zustrebte, wo sie sich mitten in das Gewimmel warf und begann, ihren Körper mehr oder minder rhythmisch zu den Klängen elektronischer Musik zu bewegen. Wie gebannt war sein Blick auf Cathy gerichtet. Er konnte einfach nicht wegschauen. Jules angewiderte Miene bekam er nicht mit, als sie registrierte, wie er Cathy ansah. Sie mochte vielleicht nicht im Takt sein und ihre Bewegungen wirkten irgendwo linkisch, doch tat das seinem Begehren keinen Abbruch. So kannte er Cathy nicht, hatte sie noch nie so erlebt. Für Christoph war sie eine freche, vorlaute und belesene Göre, die ganz annehmbar Fußball spielte. Er hatte sich nie näher damit beschäftigt, was sie sonst noch mögen oder hassen könnte, von Mathe mal abgesehen. Und nun musste er miterleben, wie Cathy vor seinen Augen sexy tanzte. Oder es wenigstens versuchte. Offensichtlich mit einigem Erfolg, denn mehrere Kerle hatten es bereits gewagt, ihr an den Hintern zu fassen. Statt jedoch empört zu sein, lachte sie nur. Sie lachte!

'Ich fass es nicht...', dachte Christoph grimmig, seine Hand zur Faust ballend.

Nie hatte er geglaubt, dass Cathy so eine Schlampe sein könnte. Er hatte gedacht, sie würde Männer, abgesehen von Jansen und ihrem Bruder, verabscheuen. Warum ließ sie sich das gefallen? Warum schlug sie die Grabscher nicht auf die Finger? Wieso machte sie bei diesem Wahnsinn mit, als wäre es normal für sie?

Dann aber erkannte Christoph die Lösung. Beinahe hätte er hart und bitter aufgelacht. Natürlich, sie hatte ihn gesehen. Sie hatten sich einen Moment lang in die Augen gestarrt, bevor Cathy auf die Tanzfläche verschwunden war. Sie musste bemerkt haben, dass er sie beobachtete. Das passte ihr nich. Sie konnte ihn nicht leiden, also benahm sie sich so, um ihm zu beweisen, dass sie ihn nicht brauchte, um Spaß zu haben. Dass sie auch ohne seine Anerkennung eine vollwertige Frau war.

'Und das zeigst du mir verdammt gut!', dachte er bitter.

Seine Fingernägel gruben sich jetzt schmerzhaft in seine Handinnenfläche. Er musste sich ziemlich beherrschen. Vor allem, als er registrierte wie viel Cathy trank. Schon bald hatte sie einen in der Krone sitzen, das war offensichtlich. Aber nicht nur das bemerkte Christoph. Ihm blieb nicht verborgen, dass sich vor allem ein junger, zwielichtiger Mann um Cathy bemühte. Und sie in ihrem betrunkenen, ahnungslosen Zustand schien ihn auch noch zu ermuntern!

Das machte Christoph schier rasend. Was fiel ihr ein? Sie konnte sich doch nicht benehmen wie die letzte Dorfhure!

'Dem werde ich einen Riegel vorschieben, glaub mir.', versprach er seiner Schülerin Gedanken.
 

Beinahe hätte er nicht mitbekommen, wie Cathy in Begleitung des jungen Mannes die Penny verließ. Sofort schrillten in Christophs Kopf sämtliche Alarmglocken los. Das konnte ja nichts Gutes bedeuten! Deswegen erhob er sich von seinem Barhocker, vergaß fast das Bezahlen und verfluchte die Penny einmal mehr.

'Verräucherter Sündenpfuhl!', schoss es ihm böse durch den Kopf, während er sich an einigen Rauchern vor der Tür vorbei drängelte.

Er brauchte einen Moment, um Cathy wiederzufinden. In der Dunkelheit der Nacht waren ihre dunklen Kleider kaum zu erkennen.

'Am Besten ich pflanze ihr ein GPS- System ein, mit dem ich sie auf jeden Fall immer finde.', überlegte er halb im Scherz, halb im Ernst.

Dann aber sputete er sich, was die Verfolgung anbelangte. Als er erkannte, dass der Fremde Cathy in den Wald lotste, bekam Christoph es tatsächlich mit der Angst zu tun.

'Entweder das ist ein Dealer oder ein Vergewaltiger.'

Keins von beidem war dem Lehrer genehm, weswegen er sich beeilte, um Cathy und den Mann nicht aus den Augen zu verlieren. Glücklicherweise hatte sich Christophs Alkoholkonsum in Grenzen gehalten, was ihn dazu befähigte, Schritt zu halten. Er wunderte sich ohnehin wie Cathy in ihrem Zustand der Trunkenheit es schaffte dem Fremden hinterherzustolpern, ohne zu fallen oder den Anschluss zu verlieren.

'Das gibt auf jeden Fall noch eine Menge Ärger.', dachte Christoph bei sich.

Er war nicht besonders scharf darauf, Cathy aus den Fängen eines Kriminellen retten zu müssen, obwohl ihn allein der Gedanke daran, dass der Fremde ihr ein Leid tun könnte, so erzürnte, dass er die Steine, die auf dem Weg rumlagen, wegkickte. Nachdem ungefähr eine halbe Stunde vergangen war, wollte Christoph schon aufgeben und sich sagen, dass es Cathys eigene Schuld wäre, sollte ihr etwas passieren. Er war ihr Coach, nicht ihr Babysitter. Mochte ja sein, dass Marcell sie anders behandelt hatte und sie gepampert hatte, aber er, Christoph, war da ganz anders. Es galt nun mal das Recht des Stärkeren. Das war schon immer so gewesen und würde auch so bleiben. Friss oder stirb, ganz einfach.
 

Mit einem wild klopfenden Herzen lag Cathy auf dem kalten, harten Boden und lauschte in die dunkle Nacht hinein. Sie glaubte Schritte zu hören, Rascheln im Gebüsch, doch immer stellte es sich als der Wind heraus. Langsam konnte sie normal atmen, der Schmerz ließ nach, außer an ihren Ellbogen und Knien. Sie vermutete, dass sie sich selbige bei ihrem Sturz aufgeschürft hatte. Das war ein geringer Preis, wenn man bedachte, dass dieser fiese Typ hinter ihr her war, falls er sich nicht im Wald verirrt hatte. Aber das war unwahrscheinlich, denn ansonsten hätte er es bestimmt nicht gewagt, Cathy auch noch in den Schlamassel zu ziehen. Er musste sich auskennen, alles andere war Wahnsinn.

'Ewig kann ich hier nicht liegen bleiben.', dachte sie.

Probehalber versuchte sie, sich aufzurichten. Es gelang relativ gut, bloß drehte sich ihr alles, was sicherlich von den Unmengen an Alkohol herrührte, die sie genossen hatte.

'Hoffentlich schaff ich es noch heim, ansonsten kriege ich mal wieder ne Menge Ärger...', war ihr nächster Gedanke, während sie sich aus der sitzenden Position erhob. Dabei musste sie sich gut an dem Baum festhalten über dessen Wurzel sie gestolpert war. Zwar schwankte sie bedenklich, doch Cathy war zuversichtlich, dass es ihr gelingen würde, zu gehen. Bevor sie sich allerdings darauf verließ, machte sie vorsichtshalber ein paar Schritte. Immer noch drehte sich in ihrem Kopf alles und sie kam sich vor wie auf dem Segelboot ihres Großvaters bei heftigem Wellengang, doch es war auszuhalten.

'Und selbst wenn, ein bisschen was muss ich doch ab können!', feuerte Cathy sich an, während sie sich mühsam Schritt für Schritt in Richtung Waldrand bewegte.

Ein lautes Rascheln, diesmal garantiert nicht vom Wind, ließ sie einen Satz machen. Ihr standen die Haare zu Berge.

„Da bist du ja, du kleine Schlampe.“, knurrte der Fremde in ihrem Rücken.

Cathy warf nur einen kurzen Blick über ihre Schulter, dann erledigte Adrenalin den Rest. Ihre Beine machten einen abrupten Satz nach vorn, so dass sie beinahe wieder ihr Gleichgewicht eingebüßt hätte und dann gab sie Fersengeld. Bei besseren Licht- und anderen Bodenverhältnissen hätte man bestimmt eine Staubwolke hinter der jungen Frau aufstieben sehen können.

'Nichts wie weg!', war Cathys einziger, klarer Gedanke.

Ihr war furchtbar schlecht und schwindelig, sie konnte kaum vernünftig sehen und ab und zu bekam sie den ein oder anderen Zweig ins Gesicht, doch das kümmerte sie herzlich wenig. Sie war so panisch, dass sie beinahe in jemanden hineingelaufen wäre, der ihr entgegenkam und ziemlich grimmig dreinschaute.
 

'Wie lang bin ich jetzt eigentlich schon durch diesen beschissenen Wald gelatscht?', fragte Christoph sich genervt, als er abrupt aus seinen Gedanken gerissen wurde.

Ihm kam eine panisch rennende Gestakt entgegen. Trotz der Dunkelheit brauchte er kaum zwei Sekunden um Cathy zu erkennen. Sie hatte ein solches Tempo drauf, dass es ihr Mühe bereitete, rechtzeitig abzubremsen und vor ihm zum Stehen zu kommen.

„Hoppla, wen haben wir denn da?“, entfuhr es Christoph reichlich zynisch.

Doch er bereute seinen harschen Ton sofort, als er merkte, wie aufgelöst seine Schülerin war. Ihre Schminke war verschmiert, ganz deutlich waren Tränenspuren auf ihren Wangen zu erkennen, die Kleidung verdreckt und die Nylonstrümpfe runtergerutscht bzw. kaputt gewetzt. Es dauerte einen Augenblick ehe Cathy ihn erkannte, dann aber tat sie etwas, mit dem Christoph niemals gerechnet hätte. Sie warf sich geradezu in seine Arme, ein erleichtertes Schluchzen drang aus ihrer Kehle. Perplex starrte Christoph das Mädchen an. Obwohl sie völlig verdreckt, zerschunden und erfroren war erwiderte er die Umarmung. Und schon wieder konnte sein verdammter Körper sich nicht kontrollieren. Zu seinem Glück schien Cathy das überhaupt nicht zu bemerken. Sie zitterte heftig, ob allein der Kälte wegen konnte Christoph nicht sagen. Da sie so auf ihn zugerannt war, nahm er an, dass jemand hinter ihr her sein musste. Aus diesem Grund behielt er die Gegend aufmerksam im Auge. Nichts war zu sehen, zu hören nur der Wind in den kahl werdenen Zweigen der Bäume.

'Besser, wir gehen trotzdem.', beschloss Christoph, dem nun auch langsam kalt wurde. Und unbehaglich außerdem.

„Glaubst du, du schaffst es bis zum Internat?“, wollte er von Cathy wissen.

Diese aber sah ihn nur verschreckt an. Mehr bekam er nicht als Reaktion.

'Also nicht.', schloss er verstimmt, nahm sie Huckepack und hoffte, dass sie ihn nicht vollkotzen würde, sollte sie das Bedürfnis haben.

Eine ganze Weile war von Cathy nur Wimmern und Schluchzen zu hören, dann wurde es ganz still. Nur ihr gemeinsamer Atem war zu sehen, als weißes Wölkchen in der nun eisigen Nachtluft. Das relativ geringe Gewicht auf seinem Rücken erinnerte Christoph an Laura. Auch sie hatte er mehr als einmal so transportiert. Wenn sie müde und erschlagen von einem Spiel kam, zum Beispiel. Im Gegensatz zu Cathy hatte es Laura nämlich auf Anhieb ins Team geschafft. Sie war um Einiges begabter gewesen, aber auch sie hatte schlechte Eigenschaften gehabt, wie Christoph zugeben musste.
 

Laura... Das war ein brünettes, fast 17- jähriges Mädchen gewesen, relativ hochgewachsen mit dunkelblauen Augen, die einen leichten Grünstich hatten. Meistens trug sie einen Pferdeschwanz, der ihren langen, eleganten Hals gut zur Geltung brachte. Der Kleidungsstil war modisch, aber nicht zu knapp, sprich schlampig. Sie hatte Ehrgeiz, sie biss sich durch, die bewies ihren Gegnern, dass mit ihr nicht zu spaßen war. Christoph war ihr erster Privatlehrer, sie seine erste Schülerin. Trotz ihres unglaublichen Talentes hatte sich niemand ihrer annehmen wollen. Schon relativ bald hatte Christoph auch herausgefunden, warum. Laura tat nur was Laura wollte. Sie konnte unglaublich frech sein, sogar so sehr, dass manchen Lehrern beinahe die Hand ausgerutscht wäre. Seltsamerweise machte es Christoph nichts aus, wenn sie ihn mit frechen Kommentaren bedachte. Er fühlte sich eher... geschmeichelt. Das mochte ja komisch klingen, aber so war es. Laura war gut in Mathe, Laura war gut in Chemie, Laura war gut in Bio, Laura war gut in Physik, aber sie versagte vollkommen in den Sprachen. Auch alle anderen Fächer interessierten sie kaum. Sie war faul, was Aufgaben anging und nicht besonders zuverlässig bzw. pünktlich. Es kam vor, dass Christoph eine halbe Stunde oder länger auf sie warten musste. Zunächst ließ er ihr das durchgehen, dann änderte sich das. Er wurde strenger, sie verhielt sich ihm gegenüber plötzlich anders.

'Ach verdammt, Laura ist lange her. Warum verschwende ich überhaupt noch einen Gedanken an sie?', fragte Christoph sich, schüttelte unwirsch den Kopf und beeilte sich lieber, damit er endlich Cathy loswurde. Obwohl sie im Moment ja recht friedlich war, wie er zugeben musste. So ruhig und sanft und harmlos, wie nie zuvor. Da sie ihm auf dem Rücken langsam doch zu schwer wurde, lud er sie sich umständlich in die Arme. Ihre Augen waren geschlossen, auf den Lippen lag ein leichtes Lächeln und nur ein sanftes, kaum wahrnehmbares Schnarchen war von Cathy zu hören. Offensichtlich fühlte sie sich wohl, denn andernfalls wäre sie gewiss nicht eingeschlafen.

Jetzt musste auch Christoph lächeln. Irgendwie war sie wirklich niedlich, was ihn nur darin bestärkte, dass er richtig gehandelt hatte, als er Jansen als ihren Trainer ablöste.

'Der Schlappschwanz hätte ihr nie das abverlangt, was ich von ihr sehen will.', ging es Christoph durch den Kopf.
 

Es musste so um die halb Drei sein, als Christoph mit seiner Last das Internat erreichte. Mit einem Blick auf Cathy beschloss er, dass es besser war, wenn er sie nicht in ihr Zimmer brachte. Wer wusste, wie ihre Freundinnen gesoffen hatten und ob sie in der Lage wären, dafür zu sorgen, dass Cathy nicht an ihrer eigenen Kotze erstickte, sollte sie sich erbrechen. Viel zu risikoreich, fand Christoph. Kurzerhand schleppte er das schlafende Mädchen also zu seinem Zimmer. Dort angekommen stellte sich ihm das nächste Problem, es stand außer Frage, dass sie in seinem Bett schlafen würde. Doch was war mit ihm? Er besaß keine Couch und der Boden war definitiv zu unbequem. Konnte er es wagen, sich zu ihr in sein Bett zu legen? Was, wenn sie am nächsten Morgen aufwachte und ihn neben sich fand? Sicher bekäme sie einen Heidenschreck und würde panisch reagieren...

'Ach verdammt, das ist mir jetzt so was von egal!', dachte er, während er Cathy auf dem Bett ablegte. Danach kramte er ein altes Hemd von sich aus dem Schrank, zog sie bis auf die Unterwäsche aus, wobei er sich bemühte, nicht allzu deutlich hinzuschauen, was ihm aber kaum gelang und ihr dann das Hemd überzuziehen, damit sie nicht in de klammen Sachen schlafen musste. Die ganze Zeit über kam keine Reaktion von Cathy. Sie schlief nur seelenruhig, schien nicht einmal zu bemerken, dass er sie umzog und nachdem das vollbracht war, sie zudeckte und sich neben sie legte. Christoph nahm sich vor, ja nicht einzuschlafen, was aber leichter gesagt, als getan war. So langsam spürte er die Müdigkeit doch.

'Darf nicht schlafen...', ermahnte er sich gegen Viertel nach Drei.

Das war sein letzter klarer Gedanke.

Böses Erwachen

'Scheiße, ist mir schlecht...'

Das war der erste Gedanken, gefolgt von dem Versuch, sich von einer schweren, warmen Bettdecke zu befreien, die ihren Körper festhielt. Erst im nächsten Moment begriff die überaus verkaterte junge Frau, dass es nicht nur eine Decke war, die sie festhielt. Zwei Arme waren um sie geschlungen und drückten sie leicht an einen warmen, männlichen Körper. Der Geruch des Mannes war so angenehm und so unbekannt, dass Cathy leise seufzte. Wenn ihr nicht so schlecht gewesen wäre, hätte sie diese Nähe genießen können. Nun aber wollte sie nur eins: ins Bad und kotzen.

Mit Müh und Not erreichte sie auch tatsächlich die Kloschüssel, in welche sie sich lautstark erbrach. Diese Lärmbelästigung weckte Christoph auf, der sich wunderte. Noch ziemlich benommen vom Schlaf konnte er sich nicht recht erklären, woher der Krach kam. Er beschloss, nachsehen zu gehen und kaum, dass er Cathy vor dem Klo hocken sah, kehrte die Erinnerung zurück. Rasch trat er hinter sie, um ihr das relativ lange Haar aus dem Gesicht zu halten. Das musste sie ja nicht unbedingt vollkotzen. Es genügte, wenn sein Klo leiden musste.

'Dafür hat der Direx Putzfrauen eingestellt.', dachte Christoph bei sich, mittlerweile schon um Einiges wacher.

Seiner bedauernswerten Schülerin ging es hingegen nicht gerade gut. Aber das geschah ihr auch ganz recht, wenn man mal bedachte, was sie sich an Mengen von Alkohol hinter die Binde gekippt hatte. Wen wunderte es da, dass Cathy einen waschechten Kater hatte? Mitleid hatte Christoph nur bedingt mit dem blonden Mädchen. Jeder musste seine eigenen Erfahrungen machen. In Zukunft würde diese Sache Cathy hoffentlich eine Lehre sein.
 

Als die junge Dame ihren Kotzanfall beendet hatte, beschloss Christoph, dass es sicherer wäre, sie wieder ins Bett zu stecken. Er würde sie wohl höchstpersönlich ausnüchtern müssen, aber damit hatte er durchaus Erfahrung. Und schon wieder geisterte Laura durch sein Hirn. Das lag nur an Jansen, diesem Idioten, der ihren Namen überhaupt erst erwähnt hatte.

'Was solls, Laura wohnt eh hundert Meilen weit weg. Ich werde sie nie wieder sehen...'

Zu seiner Überraschung wollte Christoph das nicht mal. Und das verwunderte ihn doch stark. Lange Jahre hatte er sie nicht vergessen können, obwohl er genau wusste, dass sie keinen Wert mehr darauf legte, Kontakt mit ihm zu halten. Er hatte es ein paar Mal mit Annäherung versucht, war aber immer gescheitert. Seit etwa einem knappen Jahr war Laura aus seinen Gedanken gewichen und was viel wichtiger war, auch aus seinem Herzen. Etwas, was er nie für möglich gehalten hatte. Stattdessen hatte jemand anderes diesen Platz eingenommen. Zwar gegen seinen Willen, aber er konnte sich dem etwas seltsamen und ambivalenten Charme dieser Person nicht mehr länger entziehen. Langsam wurde er wieder ein weichherziger Trottel. So wie der junge Mann, der er gewesen war, bevor Laura ihn zerstört hatte.

'Das werde ich nie vergessen.', ging es Christoph durch den Kopf, während er Cathy zurück in sein Bett wuchtete, sie zudeckte und einen Eimer holen ging, damit sie nicht wieder zum Klo rennen musste, sollte sie erneut kotzen müssen.

'Oder vergeben.'
 

Es dauerte seine Zeit, bis Cathy klar genug im Kopf war, um festzustellen, dass sie nicht, wie sie bislang angenommen hatte, in ihrem Zimmer war und von einer ihrer Freundinnen so lieb umsorgt wurde. Zwar erinnerte sie sich noch an den angenehmen Duft, den sie in der Nase gehabt hatte, bevor ihr Elend begonnen hatte, doch sie hatte sich keinerlei Gedanken darum gemacht. Zumindest hatte sie nun eine Erklärung, warum ihr das alles so unbekannt vorkam. Schließlich war sie nie zuvor in den Wohnräumen ihres Coachs gewesen. Bei Marcell hatte sie ja fast selbst gewohnt. Aber die Ära war vorbei.

Kaum, dass Cathy vernünftig aus ihren Augen gucken konnte, realisierte sie, dass etwas nicht stimmte. Zum Einen kam ihr der Raum völlig unbekannt vor und zum anderen benutzte keine ihrer Freundinnen herbe Männerdüfte.

'Okay, also, wenn ich nicht in meinem Zimmer bin, wo denn dann?', fragte sie sich, während sie sich umsah. Ihr Schädel brummte entsetzlich.

'Mann, ein Königreich für ein Aspirin.', war ihr nächster Gedanke.

Mit ihrem Umschauen hatte sie mittlerweile aufgehört. Sie war allein. Jedenfalls so weit sie die Lage beurteilen konnte. Christoph war nämlich gerade in seiner winzigen Küche, um zu frühstücken. Im Gegensatz zu seiner Schülerin ging es ihm nämlich ziemlich gut. Und da er nicht riskieren wollte, sie allein zu lassen, verzichtete er darauf, im Speisesaal sein Frühstück zu sich zu nehmen. Sicher war sicher.

Als er aber hörte, dass Cathy sich regte, griff er nach seinem Kaffeebecher, ließ den Toast liegen und stellte sich in den Türrahmen, von wo aus er eine erstklassige Aussicht auf sein Bett und die darin befindliche, verkaterte Person hatte.

„Na, richtig wach geworden?“, fragte er neckend.

Cathys Kopf flog hoch. Ihre Augen weiteten sich vor Staunen, welches dann aber purem Entsetzen wich.

„Was machst du denn hier?“, duzte sie den Lehrer aus Versehen.

„Ich wohne hier.“, bemerkte Christoph amüsiert, den es nicht im Mindesten störte, dass sie Du sagte. Irgendwie fand er das sogar ganz niedlich. Und bei dem Kater, den sie hatte, war sie durch den Wind genug, um ihr diesen Fauxpas nicht anzukreiden.

Jetzt war ihr Entsetzen nur noch größer.

„Was?“, entfuhr es ihr bestürzt.

Sofort machte sie sich daran, aus dem Bett zu klettern, was ihr jedoch nicht wirklich gelang. All zu sehr drehte sich die Welt um sie herum. Christoph war auf der Stelle an ihrer Seite. Mit sanfter Gewalt drückte er sie auf die Matratze zurück.

„Schön liegen bleiben, du hast einen heftigen Kater, meine Liebe.“, belehrte er sie streng.

Cathy seufzte, ergab sich aber dann der Weisung. Er hatte nun mal Recht. Sie war wirklich absolut nicht in der Lage, irgendetwas anderes zu machen, als rumzuliegen. Und zu kotzen.
 

Nachdem Christoph sein Frühstück in Cathys Gegenwart beendet hatte, fielen ihr ein paar Ungereimtheiten auf.

„Wie komme ich eigentlich hierher?“, fragte sie, leicht besorgt klingend.

„Oh, das kann ich dir sagen.“, begann Christoph, der es sich auf seinem Stuhl bequem machte und es sichtlich genoss, über Informationen zu verfügen, die Cathy fehlten.

„Du hast dich derart abgeschossen letzte Nacht, dass du den Heimweg allein nicht bewältigt hättest und da deine reizende Freundin Julia anderweitig beschäftigt war, habe ich mich deiner erbarmt und dich hergebracht. Da ich nicht wusste, ob du im Schlaf kotzen würdest, befand ich es für sicherer, dich mit zu mir zu nehmen.“

In knappen Sätzen hatte Christoph ihr auf die Sprünge geholfen und zumindest den Teil der Nacht geschildert, der Cathy nicht mehr im Gedächtnis haftete. Dafür konnte sie sich nur allzu gut an den Vorfall im Wald erinnern. Ihr schauderte bei dem Gedanken daran. Lieber wollte sie sich nicht ausmalen, was alles hätte geschehen können, wenn sie nicht die Geistesgegenwart besessen hätte, zu verduften.

„Wann kann ich in mein Zimmer zurück?“, war Cathys nächstes Anliegen.

Christoph zog eine Augenbraue hoch.

„Bis ich dich für nüchtern genug erkläre und das, meine Liebe, kann dauern. Du hast dich so gründlich betrunken, dass du am Besten den Rest des Tages im Bett verbringst und dich auskotzt.“

Langsam nickte Cathy, womit sie ihren Lehrer ziemlich erstaunte. Er hatte mit einer Weigerung gerechnet, mit heftigem Protest, aber nichts da. Cathy schien tatsächlich einzusehen, dass es keinen Zweck hatte, sich gegen ihn aufzulehnen. Zumindest nicht in diesem Fall.

Stattdessen begann sie, sich umzusehen. Ihr fiel auf, wie karg der Raum wirkte, obwohl einige Möbel darin standen. Die Wände waren nüchtern weiß, keine Bilder oder Poster verzierten sie. Auf dem Fensterbrett standen drei Blumentöpfe mit halb vertrockneten Pflanzen, das war aber schon alles an Schmuck. Eine Couch mit Platz für zwei Leute stand in Fensternähe, an der gegenüberliegenden Wand war ein Fernseher auf einem dafür extra angeschafften Schrank zu sehen. Außerdem befanden sich ein paar Regale im Raum, die gefüllt waren mit Büchern und DVDs, wobei die Literatur aber eindeutig überwog. Irgendwie erstaunte das Cathy. Sie hatte ihren Coach nie für jemanden gehalten, der gerne oder gar viel las. Offensichtlich hatte sie ihn unterschätzt.

'Vielleicht tue ich das zu oft.', überlegte sie, nachdem sie mit ihrer Bestandsaufnahme fertig war. Die Küche und das Bad waren separate Räume, wenn auch deutlich kleiner als der Raum, in welchem Cathy sich momentan befand. Das Bett befand sich weit weg von der Tür, die auf den Korridor führte. Praktisch im hintersten Eck. Es war groß genug für zwei Leute und Cathy konnte sich nun auch erklären, wessen Duft und Wärme sie am Morgen genossen hatte, bevor die Natur ihr Recht eingefordert hatte. Ein Seufzer entfuhr ihr. Aus irgendeinem Grund empfand sie das Zimmer als trostlos. Es wirkte deprimierend auf sie, wenn sie ihr eigenes Refugium damit verglich, auch wenn sie es mit drei anderen Leuten teilte. Wenigstens war bei ihnen mehr Leben in der Bude. Poster hingen an den Wänden, überall lagen Klamotten rum oder halb angefangen Bilder von Lesly. Manchmal flatterten auch Notenblätter in dem Kuddelmuddel herum, welches bei den vier Damen herrschte. Lynn war definitiv die Ordentlichste von ihnen allen, dann kam Jule, gefolgt von Lesly. Die unangefochtene Königin des Chaos war Cathy.
 

„Woran denkst du?“, wollte Christoph wissen, der mit brennendem Interesse Cathys wechselndes Mienenspiel beobachtet hatte.

„An nichts Bestimmtes.“, wich sie aus.

Sie mochte dem Mann nicht von ihrem Eindruck berichten, den sie von seiner Wohnstatt hatte. Hinterher war er gewiss beleidigt, weil sie es so deprimierend fand.

'Und wer weiß, am Ende muss ich wieder zum Straftraining antanzen.', dachte Cathy unbegeistert.

Darauf war sie absolut nicht scharf.

„Komm schon, spuck's aus. Ich werd dir schon nicht den Kopf abreißen.“, bohrte Christoph weiter, den nun wirklich interessierte, was in Cathys Schädel vor sich ging.

Mit einem abgrundtiefen Seufzen gab sie sich geschlagen.

„Also gut, aber nur, wenn Sie versprechen, dass es wirklich keine Konsequenzen für mich hat.“,teilte Cathy ihren Entschluss mit.

Der Lehrer nickte nur. In diesem Moment hätte er wohl fast allem zugestimmt, wenn nur das Rätsel um ihre Gedanken gelöst würde.

„Ich mag Ihr Zimmer nicht.“, platzte Cathy heraus, die sich eigentlich sorgfältig zurecht gelegt hatte, was sie sagen wollte. Daraus wurde dank ihrer Impulsivität mal wieder nichts.

Verwundert starrte Christoph sie an. Er hatte ja mit vielem gerechnet, aber nicht damit.

„Und warum magst du es nicht?“, wollte er wissen.

Hilflos hob Cathy die Schultern.

„Weiß auch nicht, es wirkt irgendwie so kahl. Steril.“

Jetzt wanderten die Augenbrauen des Lehrers in die Höhe. So hatte er es noch nie betrachtet.

„Wie kommt es, dass du das so empfindest?“

Seine Neugier war noch längst nicht gestillt. Das schien auch Cathy zu bemerken, die verdrängte, dass sie besser die Klappe halten sollte, wenn sie wollte, dass die Sache hier glimpflich über die Bühne ging. Aber sie war schon zu sehr in dem Geschehen drin. Es gab jetzt kein Zurück mehr.

„Die Wände sind so nackt und leer. Das Weiß verstärkt alles nur. Wenn wenigstens die Wand eine andere Farbe hätte, irgendwas aufmunterndes. Gelb oder Orange oder so. Die mickrigen Pflanzen lassen den Raum ziemlich verwahrlost wirken. Aber ich mag die Bücherregale.“

Langsam nickte Christoph. Sie hatte Recht. Ihm selbst war oft genug aufgefallen, wie trostlos das Zimmer war, in welchem er lebte. Nun ja, eigentlich schlief er nur darin und am Wochenende sah er fern, wenn er nicht in die Stadt fuhr. Oder widerspenstige Kinder trainierte. Manchmal gab er auch Nachhilfe in Mathe, allerdings nur unter der Woche, niemals an Samstagen oder Sonntagen. So gern er etwas an der Trostlosigkeit des Raumes geändert hätte, fiel ihm beim besten Willen nicht ein, wie er das anstellen sollte. Sicher, das ein oder andere Bild hätte dem ganzen auf die Sprünge helfen können, doch da Christoph so gar keine Ahnung von Kunst hatte, ließ er lieber die Finger davon. Und Poster? Die erinnerten ihn zu sehr an Laura, deren Zimmer fast mit solchen Dingern tapeziert gewesen war.

„Alles okay?“, fragte Cathy leise.

Diesmal war sie es, die den Gedankenfluss des Lehrers unterbrach und nicht andersherum. Abwesend nickte Christoph. Er hatte ihre Frage nur am Rande registriert, aber wie automatisch darauf Antwort gegeben, wenn auch nonverbaler Art.

„Wie Sie meinen.“, gab Cathy zurück, während sie sich unter die Decke kuschelte und kurz darauf eingeschlummert war. Schließlich war es eine verdammt kurze Nacht gewesen und im Schlaf heilte man am Besten. Sogar einen Kater...

Lesson Learned

Das restliche Wochenende war für Cathy definitiv gelaufen. Obwohl sie schon am Samstagabend zurück zu ihren Freundinnen durfte, war ihr noch leicht übel. Sie hatte ziemlich heftig mit den Nachwirkungen des Katers zu kämpfen. Natürlich interessierte es die Freundinnen brennend, wo Cathy denn gesteckt hatte und sie trauten ihren Ohren kaum, als die Blonde ihnen tatsächlich Bericht erstattete. Sie hatten ja mit vielem gerechnet, aber nicht damit. Während sie Cathy lauschten, sperrten sie Mund und Ohren auf, ja, ihnen verging schon fast Hören und Sehen konnte man sagen.

„Das glaub ich einfach nicht.“, meinte Lesly ungläubig, nachdem Cathy zum Ende gekommen war, „Ausgerechnet der arrogante Sack?“

„Hm...“, machte Lynn, die erst einmal abwog, bevor sie etwas darüber sagte. Sie unterstellte Cathy in keinster Weise eine Lüge, aber es war untypisch für Metzelder, sich so zu verhalten. Er kam immer so verschlossen, streng und unnahbar rüber, dass es für Lynn kaum vorstellbar war, dass der Mathelehrer ein solches Verhalten an den Tag legte.

„Also, ich find es ziemlich cool von ihm,“, merkte Jule an, die den vergangen Tag damit verbracht hatte, über das merkwürdige, stundenlange Gespräch nachzudenken, welches sie mit Herrn Friedrich geführt hatte.

„Zugegeben, ich hatte auch nicht erwartet, in seiner Gegenwart aufzuwachen heute Morgen.“, gestand Cathy, „Aber er hat sich erstaunlich freundlich benommen und sich um mich gekümmert.“

Das rechnete sie ihrem Coach hoch an. Vor allem, da sie nie geglaubt hätte, dass der Mann so etwas wie ein Herz besaß und somit zu Gefühlsregungen wie etwa Mitleid fähig war. Offensichtlich hatte sie sich ziemlich in ihm getäuscht. Das gestand sie allerdings auch gern ein. Immerhin hatte er dafür gesorgt, dass es ihr deutlich besser ging. Zwar war sie nicht gerade in Bestform, aber sie krebste auch nicht am Rande eines Zusammenbruchs rum und das verdankte sie gewiss nicht ihrer Dummheit. Nachdem der Alkohol aus ihrem Körper gewichen war und sie wieder anständig denken konnte, fragte sie sich natürlich, was sie überhaupt erst dazu bewogen hatte, so abartig viel zu trinken. Das war doch sonst auch nicht ihre Art. Cathy verstand nicht, wie sie so dermaßen die Kontrolle über sich hatte verlieren können.

'Jedenfalls werd ich nie wieder so viel trinken!', nahm sie sich vor.

Ein Absturz reichte ihr völlig. Das musste wirklich nicht zur Dauereinrichtung werden.

'Außerdem brauch ich meine Hirnzellen noch fürs Abi.', war ihr nächster Gedanke.

Allerdings wurde ihr reichlich flau im Magen, wenn sie an die bevorstehende Rückgabe der Matheklausur dachte. Ihre Note konnte Cathy sich schon denken. Mit Steckbriefaufgaben und dem Kram konnte sie nicht besonders viel anfangen, auch wenn sie sich noch so sehr bemühte. Es war ja nicht so, als ob sie nichts für Mathe tat, das Fach lag ihr bloß einfach nicht. Da konnte sie sich auf den Kopf stellen, sie würde niemals besser als Drei minus sein. Wenn überhaupt.
 

Am Montagnachmittag fand Cathy sich zum üblichen Training ein. Ungeachtet der Tatsache, dass sie erst jüngst einen Kater auskuriert hatte, nahm der Herr Coach sie gleich ziemlich an die Kandarre. Irgendwo begrüßte Cathy das auch, denn so konnte sie ihre Wut auf sich selbst und ihre bodenlose Dummheit abbauen, ohne, dass irgendwelche Unbeteiligten zu Schaden kamen. Zugegeben, die Hütchen und der Ball dankten es ihr nicht gerade, dafür aber ihre Gedanken, die sich einzig und allein auf die Übungen konzentrierten, welche Christoph ihr abverlangte. Mit Freude sah er ihr zu, wie sie sich den Aufgaben stellte und verbissen darum kämpfte, ihn zufrieden zu stellen. Oder, wie er leicht wehmütig eingestehen musste, eher sich selbst. Er hatte längst begriffen, dass Cathy von großem Ehrgeiz getrieben war. Ihre Messlatte lag hoch. Vielleicht zu hoch und vielleicht war auch, das was sie antrieb, schon fast ungesund zu nennen. Dennoch, sie bemühte sich, ackerte, wollte beweisen, dass sie etwas wert war und diese Tatsache allein genügte schon, um Christoph ein bisschen Respekt abzutrotzen. Sie war am Samstag so wenig kratzbürstig gewesen, dass er beinahe nicht hatte glauben wollen, dass es sich um ein und dieselbe Person handelte. Als sie ihm allerdings an den Kopf geknallt hatte, dass sie sein Domizil nicht mochte, war wieder etwas von der ihm bekannten Cathy durchgeschimmert. Ein sicheres Anzeichen dafür, dass es ihr schon besser ging.

„Ein bisschen schneller als sonntags!“, machte Christoph ihr Dampf unterm Hintern, obwohl sie im Moment eigentlich alles richtig machte. Ihre geringe Körpergröße mochte ja vielleicht ein Hindernis im Zweikampf sein, aber das dadurch geringe Gewicht machte das wett, denn so war Cathy deutlich schneller als mancher Gegenspieler.

Auf seinen Zuruf hin legte sie an Tempo zu, versuchte aber trotzdem, so akkurat und genau wie möglich den Ball um die Hütchen zu lenken. Das misslang zwar ab und zu, doch im Großen und Ganzen konnte Christoph durchaus zufrieden sein mit ihrer Leistung. Zumal sie ja erst am heutigen Morgen eine zweistündige Matheklausur hinter sich gebracht hatte. Dabei hatte Cathy nun eine weniger gute Figur gemacht. Zumindest hatte Christoph den Eindruck, dass sie von der Klausur nicht sonderlich begeistert gewesen war.

'Mathe ist wohl einfach nicht ihr Fall.', dachte er bei sich, sich aber gleichzeitig fragend, ob es bei der analytischen Geometrie besser würde. Selbige stand den Grundkursschülern nämlich in 12.2 bevor. Normalerweise hatten die Jugendlichen damit weniger Probleme als mit der Algebra, warum auch immer.

'Ich bin jedenfalls gespannt.'
 

Nach 90 Minuten Powertraining durfte Cathy aufhören, sich umziehen und duschen gehen. Sie blieb jedoch noch zurück und half Christoph beim Aufräumen der verwendeten Materialien, was ihn doch reichlich erstaunte, hatte sie dies doch zuvor nie getan.

„Was ist denn mit dir los?“, rutschte es ihm unbedacht heraus.

Cathy hielt inne. Sie warf ihm einen fragenden Blick zu.

„Wieso?“, wollte sie dann wissen, ihre Stimme nur leicht neugierig klingend und gar nicht biestig, wie der Mathelehrer befürchtet hatte.

„Na ja, weil du mir beim Aufräumen hilfst.“, kam prompt die Antwort.

„Ach so.“, meinte Cathy gelassen.

Jetzt lächelte sie sogar leicht.

„Das hab ich mit Marci auch immer gemacht.“, erklärte sie dann.

Langsam nickte Christoph, der zu verstehen glaubte, wie es zu diesem Sinneswandel kam. Vielleicht bildete er sich das auch nur ein, doch er vermutete, dass Cathy ihn nicht mehr allzu sehr verabscheute, ja, eventuell sogar begann, ihn, wenn schon nicht zu mögen, so doch zu respektieren und ihre Hilfe beim Aufräumen war eine Art, dies auszudrücken. Es mochte noch zu früh sein, um diese positive Entwicklung verbal anzubringen, aber trotzdem freute Christoph sich darüber, dass ihm half. Es bewies, dass sie sich für alle Seiten am Fußball interessierte und solange sie nur in der Schule war, würde sie auch beim Aufräumen mit anfassen müssen.

„Du warst sehr gut heute.“, lobte Christoph sie, als sie sich gemeinsam auf den Weg zur Umkleide machten.

Erstaunt, aber definitiv freudig, sah Cathy den hochgewachsenen Mann an.

„Wirklich?“, hakte sie ungläubig nach.

Er nickte.

„Wenn du diese Form hältst oder sogar noch verbesserst, hast du in den Auswahlspielen im Dezember gute Chancen, im Schulteam aufgenommen zu werden.“

So unverhofft die Worte auch kamen, Cathy hatte sich seit Langem gewünscht, sie zu hören. Vor Freude stand ihr der Mund offen und sie brachte kein Wort heraus. Etwas, was wirklich nur selten vorkam, denn eigentlich war sie doch ein geschwätziges Ding.

„Also, streng dich weiterhin an.“, beschied Christoph sie, ehe sich ihre Wege trennten.

Cathy betrat die Umkleide der Mädchen, wo sie sich allerdings nur rasch die Jacke ihres Trainingsanzugs überwarf, dann ihre Tasche schulterte und sich auf den Rückweg ins Internat machte. Sie würde im Viererzimmer duschen gehen. Man hatte dort eindeutig mehr Privatsphäre und konnte sich in aller Ruhe unter dem Wasserstrahl aalen. In der Dusche bei den Umkleiden war das nicht möglich. Schließlich wollte der Herr Coach auch noch Körperpflege betreiben und Cathy hatte es lieber, wenn sie sich Zeit lassen konnte. Meist ließ sie unter dem Wasser das Training noch einmal Revue passieren, analysierte, was sie gut gemacht und was sie schlecht gemacht hatte. Dazu brauchte es eine ganze Weile, weswegen es unpraktisch war, direkt beim Spielfeld zu duschen.

'So muss ich mich wenigstens nicht über Gebühr beeilen.', dachte sie zufrieden.
 

Zu ihrer Überraschung war sie heute nicht die einzige, die beschlossen hatte, in privaterem Umfeld zu duschen. Vor der Umkleide stieß sie nämlich auf Herrn Metzelder, der soeben im Begriff war, sich in Richtung Schule aufzumachen.

„Na so ein Zufall.“, lachte er, als er Cathy erblickte.

Für einen Moment stutzte sie. Noch nie zuvor hatte sie ihn wirklich lachen sehen.

'Seltsam, er sieht echt sympathisch aus, wenn er nicht so eine griesgrämige Miene macht.', dachte sie bei sich, ein leichtes Lächeln auf den Lippen.

„Ja, sieht so aus.“, erwiderte sie dem Lehrer dann.

„Ich nehme an, du bist auch auf dem Weg zur Schule?“

Bei diesen Worten nickte Christoph in Richtung des Gebäudes.

„Allerdings. Sie dann wohl auch, wenn Sie schon so fragen.“, gab Cathy scharfsinnig zurück, immer noch mit einem Lächeln.

„Wir haben ja fast denselben Weg, da könnten wir zusammen gehen.“, schlug der Lehrer vor, bekam zur Antwort ein rasches Nicken und setzte sich, zufrieden mit der Zustimmung, in Bewegung. Cathy hatte keinerlei Schwierigkeiten mit ihm Schritt zu halten.

Zunächst schwiegen sie beide. Was sollten sie auch groß sagen? Nochmal das Training durchkauen? Das hatten sie schon hinter sich. Bevor endgültig Schluss war, gingen sie es gemeinsam durch und würden in Zukunft vielleicht sogar anregende Diskussionen darüber führen. Aber noch war das Zukunftsmusik und lag in nicht unerheblicher Ferne.

„Hm.“, seufzte Cathy leise.

Da hätte sie genauso gut auch allein gehen können, wenn sie sich ohnehin nur anschwiegen. Das wäre vermutlich erheblich unterhaltsamer gewesen.

„Was ist?“, fragte Christoph sofort nach, dem das auch aufgefallen war.

Normalerweise war keiner von ihnen beiden auf den Mund gefallen und sie fanden eigentlich immer etwas zu sagen, doch die momentane Situation überforderte sie irgendwie, ohne dass sie gewusst hätten, wieso. Es war einfach so. Da gab es nichts dran zu rütteln.

„Nichts.“, antwortete Cathy ausweichend.

Sie mochte ihm irgendwie nicht sagen, dass sie sich leicht unbehaglich fühlte, aber das musste sie nicht einmal. Christoph sah es auch so. Deswegen schnitt er ein nicht allzu nettes Thema an. Obwohl bereits drei Tage vergangen waren seit den Geschehnissen hatte er sich eine Menge Gedanken gemacht. Ein paar davon wollte er seiner Schülerin jetzt mitteilen.

„Ich hoffe, du hast nach dem vergangenen Wochenende deine Lektion gelernt?“, fragte er schärfer, als beabsichtigt.

Kaum, dass die Worte seinen Mund verlassen hatten, wollte er sich für den barschen Ton ohrfeigen. Er konnte nur hoffen, dass Cathy sie nicht in den falschen Hals bekam, wie es so oft der Fall war, wenn er mit ihr sprach.

„Wie kommen Sie denn jetzt darauf?“, kam eine Gegenfrage.

Nun war es an Christoph, zu seufzen.

„Ich wollte dich ohnehin längst darauf angesprochen haben.“, meinte er, „Also?“

Cathy nickte.

„Und wie ich das hab, da können Sie Gift drauf nehmen.“, versicherte sie ihm.

„Das will ich auch hoffen.“

Meine Güte, er klang wirklich oberlehrerhaft gerade.

„Regen Sie sich bloß ab, ich bin kein Fan von Alkohol.“, gab Cathy patzig zurück, „Und von solchen Feiern auch nicht!“

„Schon gut, schon gut!“, wehrte Christoph ab, „Ich wollte dich nicht beleidigen.“

„Das haben Sie aber! Klang so, als ob Sie mich für ne Schnapsdrossel hielten!“, beschwerte sich die Blondine.

„Nicht meine Absicht.“

Als sie ihm einen giftigen Blick zuwarf, beeilte er sich hinzuzufügen: „Wirklich nicht!“

„Na schön, ich will Ihnen ausnahmsweise mal glauben.“

Glücklicherweise näherten die beiden sich immer mehr dem Schulhaus, so dass der Schlagabtausch in Kürze beendet sein würde, bevor noch bösere Worte fielen. Den Rest des Weges legten sie erneut schweigend zurück. Als sie den Eingang erreichten, blieb Cathy stehen. Sie sah den Mann ihr gegenüber mehrere Augenblicke einfach nur an.

„Danke.“

Überrascht hob Christoph den Blick, welchen er gesenkt hatte, leicht trübsinnig, ob der Tatsache, dass er nicht in der Lage war, ein unverfängliches Gespräch mit Cathy zu führen. Irgendwie endete es unausweichlich immer gleich: mit Schweigen und miesen Gefühlsregungen.

„Das war echt anständig von Ihnen.“

Jetzt hoben sich seine Augenbrauen doch beträchtlich. Gleichzeitig verspürte er eine ungeahnte Leichtigkeit. Eine, wie er sie schon sehr lange nicht mehr empfunden hatte. Unwillkürlich musste er lächeln.

„Schon gut, nichts zu danken.“, wehrte er ab.

„Nein, ehrlich, das hätte nicht jeder getan.“, hielt Cathy dagegen.

Und dann tat sie etwas, wofür sie sich noch Tage später hätte ohrfeigen mögen: sie umarmte ihn.

Die Auswahlspiele

Wie lange sie den Mathelehrer mit ihren Armen umschlang, wusste Cathy später nicht mehr zu sagen. Einzig und allein an das wohlige Gefühl, welches sich in ihr breit machte, blieb ihr in Erinnerung. Sie konnte sich auch Tage später noch daran erinnern, wie muskulös sein Oberkörper sich angefühlt hatte und wann immer sie ihm nun begegnete, wurde ihr ganz flau im Magen. Ihre Wangen wurden heiß und sie wollte am Liebsten ihren Kopf gegen die nächste Wand schlagen. Was auch immer sie da geritten hatte, es war noch da und verlangte von ihr, dass sie es wieder tat. Und wieder und wieder und wieder, bis sie endlich einsah, dass sie sich all die Zeit geirrt hatte. Dass er gar nicht das Monster war, für das sie ihn hielt. Na schön, er hatte ihr Marcell weggenommen. Sie sah ihren ehemaligen Coach kaum noch außerhalb des Unterrichts, geschweige denn, dass sie ein vernünftiges Gespräch mit ihm geführt hätte. Er fehlte ihr schrecklich.

Nach einer halben Ewigkeit löste Cathy sich von Herrn Metzelder. Verlegen sah sie ihn an.

„Ich... ähm... ich geh dann mal.“

Mit diesen Worten drehte sie sich um und ehe der Mann etwas erwidern konnte, stürmte sie mit einem Affenzahn die Treppen hinauf. In ihrem Kopf überschlugen sich die Gedanken, alles in ihrem Inneren war in Aufruhr. Es war ein einziges Chaos. Und sie war drauf und dran, in diesem Strudel völlig unterzugehen. Was sie jetzt brauchte, war jemand Bodenständiges. Jemand wie Lynn zum Beispiel...
 

Völlig perplex starrte Christoph ihr nach. Hatte sie ihn etwa gerade wirklich umarmt? Konnte das sein? Oder hatte er sich das nur zusammen gesponnen, weil er sich allzu gut daran erinnern konnte, wie es sich angefühlt hatte, sie ihm Arm zu halten?

'Ich fass es nicht...', dachte er, den Kopf schüttelnd.

Niemals hatte er mit so einer Aktion gerechnet, was nur bewies, dass er Cathy noch immer unterschätzte. Sie war eben anders als Laura nicht berechenbar. Vielleicht reizte ihn das so an ihr?

'Falscher Gedanke!', schalt er sich.

Die Richtung, die sein Kopf da einschlug, gefiel ihm absolut nicht. Wie so oft musste er jedoch feststellen, dass es sinnlos war, sich wehren zu wollen. Er hatte einfach keinen Einfluss darauf, was ihn ganz schön wurmte. Immerhin hielt er große Stücke darauf, sich kontrollieren zu können.

'Es sei denn, man ist mir gegenüber so aufmüpfig und respektlos wie gewisse junge Damen.', dachte er belustigt.

'Was solls, besser ich geh endlich duschen. Es gibt bald Abendessen.'

Damit machte er sich auch auf den Weg zu seiner Bleibe, wo er sich unter die Dusche stellte. Noch einmal ließ er Revue passieren, was ihm vor kaum einer halben Stunde widerfahren war. Er war sogar versucht, sich zu kneifen, um festzustellen, ob er träumte oder wachte. Doch er konnte gegen den Drang ankämpfen, verspürte allerdings ein Triumphgefühl. Was auch immer Cathy dazu bewogen haben mochte, ihn zu umarmen, er war ihr dankbar. In einer solchen Hochstimmung war er schon sehr lange nicht mehr gewesen. Geradezu gut gelaunt, fast schon strahlend, begab er sich zum Abendessen in den Speisesaal, wo er sich zufrieden auf den freien Platz neben Xabi Alonso fallen ließ. Sie beide waren mehr als nur Kollegen, sie waren auch befreundet. Natürlich kam der Spanier nicht umhin, die überaus gute Laune seines Nachbarn zu bemerken und sie verwunderte ihn gründlich.

„Was ist denn mit dir passiert? Du grinst wie ein Honigkuchenpferd.“, eröffnete Alonso das Gespräch.

Statt ihn anzufahren, wie er denn auf eine so dumme Idee kommen könne, lächelte Christoph sein Gegenüber beinahe selig an.

„Ach, ich hatte einen guten Tag, das ist alles.“

Misstrauisch hob Alonso eine Augenbraue.

„Sicher, dass es nur das ist?“, hakte er skeptisch nach, „Du siehst aus, als ob dir jemand Drogen untergejubelt hätte.“

„Was?“, erwiderte Christoph empört.

„Kumpel, hast du dich mal im Spiegel angeschaut?“

Natürlich hatte er das. Er war schließlich erst vor zehn Minuten aus der Dusche gestiegen. Wie konnte er da an seinem Spiegel vorbei rennen? Nicht, dass Christoph übermäßig eitel gewesen wäre...

„Klar hab ich. Ich seh nicht anders aus, als sonst auch.“, meinte Christoph ungerührt, während er nach einer Scheibe Brot griff, sich die Butter angelte und nach der Salami griff.

Alonso schüttelte bei so viel Naivität den Kopf, während er darauf wartete, dass auch er an die Butter durfte. Sein Blick schweifte über die bereits versammelten Schüler, die miteinander tuschelten und gemeinsam lachten. Ein bisschen wehmütig erinnerte der Spanier sich an seine eigene Schulzeit, die auch schön gewesen war. Er hatte Heimweh nach Spanien, obwohl er sich mittlerweile ziemlich gut an der Müritz eingelebt hatte. Mit dem Deutschen klappte es auch ordentlich, wenn man mal bedachte, was für eine grausig schwierige Sprach das war.

Gerade noch rechtzeitig wandte Alonso seine Aufmerksamkeit wieder Christoph zu, um mitzubekommen, wie er seiner Privatschülerin nachsah, leise seufzte und dabei ein so idiotisches Lächeln zur Schau trug, dass es dem Spanier ganz anders wurde. Er kannte den Kollegen als ernsthaften, vernünftigen Menschen, der nur selten offen Gefühle zeigte, seien sie negativer oder positiver Art. Nun gut, seine Missbilligung zeigte Christoph schon offen, aber dass er sich so benahm?

„Mein Freund, kann es sein, dass du vergessen hast, mir da was zu sagen?“, fragte Xabi ziemlich spitz.

Zur Antwort bekam er einen irritierten Blick.

„Nein, wieso?“, wollte Christoph arglos wissen.

Jetzt verdrehte der Spanier die Augen.

„Das sieht doch ein Blinder mit nem Krückstab, dass du verknallt bist!“

„Es heißt Krückstock!“, mischte sich Torsten Frings ein, der ja Deutschlehrer war und es gar nicht liebte, wenn man grob gegen Grammatik oder Sprache allgemein verstieß.

„Verknallt? Ich?“

Christoph lachte laut auf.

„Wie kommst du denn bitte auf den Unsinn?“, schnaubte er.

„Ich hab gesehen, wie du diese kleine Blonde da angestarrt hast. Das war ganz schön eindeutig!“, verteidigte Xabi sich.

Beide Männer übergingen geflissentlich den Einwurf seitens des Herrn Frings. Sie waren es nicht anders von ihm gewohnt. Oft hörte man den Ausspruch 'Während du sprichst, korrigiere ich im Kopf deine Grammatik' von dem leidenschaftlichen Deutschlehrer.

„Bitte?“

Nun lag eine leichte Schärfe in Christophs Stimme. Eine unterschwellige Warnung an Xabi, es nicht zu weit zu treiben. Dumme Gerüchte konnte der Mathelehrer nun wirklich nicht brauchen. Er konnte verdammt dankbar sein, dass man ihn damals nach der Laura- Sache nicht rausgeworfen hatte.

„Ist das nicht deine kratzbürstige Privatschülerin?“, hakte Xabi nach, wohl wissend, dass er gefährliches Terrain betrat. Doch zu sehr quälte ihn die Neugier. Er musste es einfach in Erfahrung bringen, zumal er gar nicht wusste, dass Christoph in Sachen Schülerinnen Dreck am Stecken hatte.

„Und wenn schon.“, bemerkte Christoph säuerlich, sich von seinem Freund abwendend.

Er zog es vor, sich mit seinem Abendbrot zu beschäftigen, anstatt den hanebüchenen Vermutungen des Spaniers Gehör zu schenken.
 

Im Viererzimmer herrschte an diesem Abend eine ziemliche Aufregung, nachdem Cathy ihren Freundinnen berichtet hatte, wozu sie sich in ihrer Impulsivität hatte hinreißen lassen. Die Reaktionen darauf waren ganz unterschiedlicher Art. So empfand Jule es nicht weiter als tragisch. Schließlich konnte Cathy wirklich dankbar dafür sein, dass Herr Metzelder sich so um sie gekümmert hatte, zumal er sie nicht an den Schulleiter verpetzt hatte, wie es sonst einige Lehrer sicherlich getan hätten, wie etwa Monsieur Zidane. Und wenn der Direx von der Sache Wind bekommen hätte, nun, dann würde Cathy nicht bei ihren Freundinnen gesessen und geschwatzt haben. Viel mehr würde sie sich eine Strafpredigt angehört haben müssen, die sich gewaschen hatte, ganz zu schweigen von der Sanktion, mit welcher sinnloses Besaufen geahndet wurde. Wer es übertrieb hatte nun einmal mit drakonischen Strafen zu rechnen, ganz gleich um was es sich handelte. Alkoholmissbrauch allerdings gehörte ähnlich wie Drogenbesitz und Doping zu den Dingen, die am schärfsten verurteilt und abgestraft wurden. Cathy konnte wirklich von Glück reden, dass Herr Metzelder sie davon verschont hatte. Das war Jules Meinung dazu und beinahe wäre sie mit Lesly in einen Streit geraten. Die Halb- Engländerin konnte die Verachtung, welche sie nun einmal für ihren Mathelehrer empfand, nicht überwinden.

„Und wenn schon, ich wette, der arrogante Sack bildet sich wieder sonst was ein!“, grummelte Lesly, während sie mal wieder an ihrer Kunstmappe für die Uni arbeitete.

„Jetzt reg dich doch nicht gleich auf.“, mischte Lynn sich ein, die wie immer der ruhende Pol inmitten des Chaos war.

„Tu ich nicht!“, schnappte Lesly, sich sehr wohl aufregend.

Ihr verschloss sich einfach, wie man einen Menschen wie Herrn Metzelder freiwillig umarmen konnte. Nun sicher, Cathy war reichlich unbedarft und impulsiv, aber konnte man es allein darauf schieben? Was, wenn mehr dahinter steckte, als die Freundin erzählt hatte?

„Tust du wohl!“, trumpfte Jule auf, die sich gern mit jedermann stritt, diese Vorfälle aber als 'heftige Diskussionen' deklarierte und sie somit in ihrer Bedeutung herunterspielte. Sie meinte es ja nicht böse. Es war einfach ein Teil ihres Wesens, dass sie, wenn sie schon nicht Recht haben konnte, so doch wenigstens das letzte Wort haben wollte. Dass sie es manchmal zu weit trieb, war ihr auch klar. Doch gegen ihre Natur war sie machtlos. Sie war nun mal so. Mochte sich darüber aufregen, wer wollte.

„Mädels, haltet doch mal die Klappe!“, forderte Lynn die beiden Streitsüchtigen auf.

Ihr war aufgefallen, wie still Cathy geworden war, nachdem sie ihren Bericht beendet und sich die Meinung der Anwesenden angehört hatte. Offensichtlich ging ihr das Gezeter ziemlich nahe beziehungsweise auf den Keks. Auch Lynn konnte sich angenehmeres vorstellen, als Jule und Lesly zuhören zu müssen, wenn diese auf Konfrontationskurs gingen. Sie waren nun mal beide nicht auf den Mund gefallen und verspürten keinerlei Scheu davor, auch unangenehme Dinge beim Namen zu nennen, ganz ungeachtet der Tatsache, dass sie mit ihren harten Worten Wunden schlugen, die nur langsam und beschwerlich heilten. Wenn sie es denn überhaupt taten.

Lynns Appell allerdings stieß auf taube Ohren. Zu beschäftigt waren die anderen Mädchen damit, sich gegenseitig mit haarsträubenden Vermutungen zu übertrumpfen. Sie bemerkten nicht einmal, wie Cathy bei jedem ihrer Worte zusammenzuckte. Lynn aber sah es sehr wohl. Besorgt setzte sie sich neben Cathy, ihr einen Arm umlegend.

„Schau nicht so, sie werden schon aufhören.“, versicherte Lynn der Freundin aufmunternd.

„Ach was...“, murmelte die Blonde, lehnte sich aber an die Ältere an.

„Niemand macht dir einen Vorwurf, dass du so gehandelt hast.“, versuchte Lynn es weiter.

Sie konnte es nun mal auf den Tod nicht ausstehen, Cathy so geknickt zu sehen.

„Dafür sind die Reaktionen von Jule und Lesly aber reichlich heftig.“

„Du weißt doch, wie die beiden sind. Die müssen doch ständig über irgendwas diskutieren und sich die Köpfe einschlagen.“

Mit dieser Bemerkung konnte Lynn der Freundin tatsächlich ein müdes Lächeln entlocken. Erfreut und angespornt vertieft sie das Thema.

„Und solang der Sack nicht glaubt, dass mehr als Dankbarkeit dahinter steckt, musst du dir keine Sorgen machen.“

„Du hast ja Recht...“, räumte Cathy mit einem Seufzer ein, „Ich mach mir mal wieder viel zu viele Gedanken.“

„Das tust du wirklich.“, musste Lynn zustimmen.

Obwohl Lynn dafür gesorgt hatte, dass es Cathy ein wenig besser ging, kam diese doch nicht umhin, sich zu fragen, ob sie die ganze Wahrheit gesagt hatte. Natürlich, ihr Bericht war ehrlich gewesen, sie hatte nichts dazu gedichtet oder ausgelassen. Außer vielleicht die Art und Weise, wie sie empfunden hatte. Während der Umarmung und danach. Aber konnte Cathy sich wirklich sicher sein, dass das nicht nur Illusion war? Hatte sie tatsächlich ein Kribbeln in ihrem Magen verspürt? Konnte es denn überhaupt so gewesen sein?

'Ich werd wahnsinnig!', dachte sie, während sie den ruhigen Atemzügen ihrer schlafenden Freundinnen lauschte. Sie selbst war zu aufgewühlt, um zur Ruhe zu kommen.

'Und was passiert, wenn ich ihn morgen wieder sehe zum Training?', fragte sie sich, 'Was, wenn ich immerzu daran denken muss?'
 

So begründet ihre Sorge auch gewesen sein mochte, am nächsten Morgen nahm der Wecker keinerlei Rücksicht auf die geräderte Cathy. Pünktlich um sieben schellte er sie aus dem Schlaf. Noch unwilliger als sonst kletterte die Blondine aus dem Bett, stapfte ins Bad und machte sich fertig. So mies gelaunt hatten die drei anderen Cathy selten erlebt, auch wenn sie ein bekannter und bekennender Morgenmuffel war.

'Ich frag mich, ob das mit gestern Abend zusammenhängt...', fragte Lynn sich, die ihre Freundinnen gern begluckte.

Zunächst aber ließen die Mädchen Cathy in Frieden. Nach dem Frühstück würde ihre Laune sicher besser sein. Das war schon immer so gewesen, wieso sollte es ausgerechnet heute dann anders sein? Aber als Cathy sogar vergaß Marcell zu grüßen, kam nicht mal Lesly umhin, sich zu fragen, was nur in die Blonde gefahren war. Herr Jansen war seit der achten Klasse ihr Ein und Alles gewesen und plötzlich ignorierte sie ihn? Da konnte etwas nicht stimmen!

Auch Marcell war höchst verblüfft, als seine beste Freundin ihn glatt übersah. Das war ihm noch nie passiert. Nicht mal, wenn sie Streit gehabt hatten, was allerdings kaum jemals vorgekommen war. Dazu verstanden sie sich zu gut.

'Seltsam...'

Tief in Gedanken machte Marcell sich auf den Weg zum Lehrertisch. Er ließ sich ausgerechnet neben Herrn Metzelder nieder. Dieser war nach dem vergangenen Abend in Hochstimmung, obwohl Xabi ihn ziemlich genervt hatte und der Wahrheit bedrohlich nahe gekommen war.

„Alles klar, Kollege?“, wollte Christoph von dem Englischlehrer wissen.

Doch Herr Jansen bekam das gar nicht mit. Sein Blick haftete an Cathy, etwas Grüblerisches lag darin. Natürlich folgte Christoph den Augen seines Nachbarn und auch er blieb an der Blondine hängen. Ihm fiel sofort auf, dass sie schlechte Laune haben musste, denn sie löffelte lustlos ihre Cornflakes, sprach mit niemandem und wirkte überhaupt ganz anders als sonst.

'Komisch. Ob das was mit letzter Nacht zu tun hatte?', überlegte Christoph, den die Erinnerung daran ziemlich pushte. Er kam sich fast vor wie ein Gartenzwerg auf Ecstasy, auch wenn man bei seiner Körpergröße kaum von einem solchen Vergleich ausgehen konnte. Jedenfalls, was den Zwerg betraf.
 

In den nächsten paar Wochen war nicht nur Cathy eifriger bei der Sache als sonst, auch ihre Schwester Marie und deren Zimmergenossin und Freundin Maarja bemühten sich nach Kräften, besser zu werden. Schon in weniger als neun Tagen würden die Auswahlspiele stattfinden. Dann würde sich entscheiden, wer es wert war, in der Schulmannschaft zu spielen und sich wieder einmal ein Jahr in Folge die Regionalmeisterschaft zu sichern. Seit Cathy am St. Helena war, war es ihr erklärtes Ziel in die Mannschaft aufgenommen zu werden. Eine Zeit lang war sie sogar Reservistin gewesen, aber nie zum Einsatz gekommen. Im darauf folgenden Jahr war ihre Leistung dramatisch abgefallen, weswegen sie nicht wieder ins Team gekommen war. Seitdem strampelte Cathy sich ab, um wieder gut genug sein zu können. Sie wollte unbedingt Erfolge feiern, Siege erringen und sich dabei verausgaben. Ihre Leidenschaft für den Sport umfasste auch den Volleyball, was vor allem daran lag, dass sie in ihrer Kindheit oft und gerne 'Mila Superstar' geguckt hatte. Als sie aber aufs St. Helena gekommen war, hatte sie sich endgültig für Fußball entschieden und bis heute diesen Entschluss nicht bereut. Ab und an war sie nicht so motiviert gewesen, aber all diese Phasen waren vorüber gegangen. Zumal Marcell es fabelhaft verstanden hatte, ihren Kampfgeist zu wecken. In dieser Hinsicht war er qualifizierter als Herr Metzelder, der es lieber mit Zuckerbrot und Peitsche versuchte, wenn die Dinge nicht nach seinem Willen liefen.

Aktuell hatte er jedoch keine Mühe, Cathy zu motivieren. Das Mädchen ackerte aus eigenem Antrieb ziemlich, wollte sie doch unbedingt ihr Ziel erreichen. Dieser Ehrgeiz gefiel Herrn Metzelder gut. Wenn sie mit einem solchen Elan bei den Auswahlspielen auftrat, würde sie mit Sicherheit einen Platz im Team bekommen. Und diesmal nicht nur auf der Ersatzbank! Christoph wusste ja, was in ihr steckte, seit er sie im Juni bei einem schulinternen Turnier hatte spielen sehen. Gerade auch ihre sportliche Leistung und nicht gewisse Ähnlichkeiten mit Laura hatten ihn zu der Überzeugung gebracht, dass Cathy einen ernsthafteren Coach brauchte als Herrn Jansen. In Gedanken gab Christoph durchaus zu, dass ihm Marcell zu albern war und zu lasch, was das Training im Speziellen und das Einhalten von Regeln im Allgemeinen anging. Manch anderer hätte dies als Lockerheit bezeichnen mögen, die Herrn Metzelder abging. Es stimmte, dass der werte Herr Lehrer die Dinge manchmal verbissener sah, als es nötig war. Nur weil man Freiheiten gewährte, hieß das ja nicht, dass einem gleich die Schüler auf der Nase herumtanzten. Solche Fälle gab es zwar auch, doch selbst ein so netter Kerl wie Marcell verfügte über genügend Autorität, um sich den nötigen Respekt zu verschaffen. Sogar bei den etwas schwierigeren Fällen von denen es aber kaum welche gab am St. Helena. Es handelte sich schließlich um ein Gymnasium und die Problemfälle kamen häufig aus bildungsfernen und weniger betuchten Familien, weswegen sich diese Schüler eher auf die Haupt- und Realschule in der nahen Stadt konzentrierten. Verächtlich bezeichneten sie die Gymnasiasten als 'Bonzenkinder'. Es stimmte, dass einige durchaus aus wohlhabenden Familien der Oberschicht stammten, doch in der Regel ließen diese Jugendlichen das niemanden zu genau wissen. Prahlereien und dergleichen waren genausowenig erwünscht oder geduldet wie Mobbing oder massives Hänseln anderer. Diese Vergehen wurden ebenfalls hart bestraft. Disziplin, Ordnung, Respekt und Höflichkeit sollten das Schulklima bestimmen und meistens war das auch der Fall, wenn man mal von ein paar kleineren Streitereien absah, die sich aber häufig genug von selbst klärten. Streitschlichter gab es dennoch am St. Helena, genauso wie es ein Krankenzimmer mit dazugehöriger Schwester gab, einen Beratungslehrer konnte das Internat ebenfalls vorweisen und wen wunderte es, dass diese Position Herr Jansen inne hatte?
 

„Schluss für heute.“

Völlig schlapp ließ Cathy sich auf den kalten, nassen Rasen plumpsen. Das Training war heute wirklich hart gewesen. Dass es anspruchsvoll war, war sie gewohnt, aber so extrem streng und unerbittlich war ihr Coach selten gewesen. Nicht einmal zu Beginn des Schuljahres als sie ihn so dreist herausgefordert hatte.

„Ab morgen fangen die Auswahlspiele an. Ich erwarte, dass du dein Bestes gibst.“

„Geht klar.“, kam es von Cathy, die erstmal verschnaufen musste, ehe sie sich auf den Rückweg in ihr Zimmer machen konnte.

„Du warst gut heute.“

Bei diesen Worten stutzte die Blondine. Ihr Blick wanderte erstaunt zu Herrn Metzelder, der sich Mühe gab, möglichst unbeteiligt dreinzusehen, was ihm jedoch nur leidlich gelang.

„Echt?“, hakte sie verwundert nach, „Ich hatte eher das Gefühl, dass ich schlechter geworden bin.“

„Das liegt daran, dass ich das Niveau so rapide hochgeschraubt habe.“, erklärte der Lehrer mit einem Lächeln, „Aber wenn du morgen und in den folgenden Tagen diese Leistung hältst, bin ich zuversichtlich, dass du ins Team aufgenommen wirst.“

„Das wäre toll!“

Cathys Augen begannen regelrecht zu leuchten. Es gab kaum etwas, was sie sich mehr gewünscht hätte. Außer vielleicht, dass Marcell wieder mehr Zeit mit ihr verbrachte.

'Aber das können wir alles in den Ferien nachholen, wenn wir zu Oma und Opa fahren.'

Wie jedes Jahr hatte Marcell auch diesmal eine Einladung bekommen, obwohl er nicht mehr Cathys Trainer war. Deshalb war er trotzdem noch ihr bester Freund. Ohnehin betrachtete man ihn schon fast als Familienmitglied.

„Wie gesagt, streng dich an, gib dein Bestes. Dann wird es schon klappen.“, machte Herr Metzelder ihr Mut.

Motiviert nickte Cathy. Wenn ihr Trainer das schon sagte, dann musste es wohl stimmen. Sie rappelte sich auf, nun etwas ausgeruhter und bereit, den Rückweg ins Internat anzutreten, wo sie eine schöne, heiße Dusche erwartete. Herr Metzelder beobachtete sie, wie sie ihre Tasche schulterte und sich davon machen wollte.

„Geh am besten früh ins Bett.“, riet er ihr, als sie im Begriff war, zu gehen, „Und lass dich nicht nervös machen.“

Noch einmal blickte Cathy sich um, nickte zu den Worten des Lehrers und verschwand dann endgültig in Richtung Internat. Sie hatte nicht vor, sich von irgendwem verrückt machen zu lassen, nicht mal von sich selbst, aber das war leichter gesagt, als getan. Es war zwar nicht das erste Mal, dass Cathy an den Spielen teilnahm und sie hatte ja bereits einmal Erfolg gehabt, doch eine gewisse Nervosität war immer mit von der Partie, ganz gleich, wie sehr die junge Frau sich auch vornahm, ganz gelassen und ruhig an die Sache ranzugehen. Alles, was sie tun konnte, war in der Tat, Herrn Metzelders Rat zu folgen und so früh wie möglich ihr Heiabettchen aufzusuchen, damit sie zum einen ausgeruht war und zum anderen niemand die Möglichkeit hatte, ihr einen Floh ins Ohr zu setzen. Das bedeutete zwar, dass Cathy sich von ihren Freundinnen abschotten musste, die am folgenden Tag, einem Freitag, unterrichtsfrei bekamen, damit sie den Spielen zuschauen oder allein lernen konnten, aber das war ein geringer Preis, wenn sie dafür mit einem Platz im Schulteam belohnt wurde.

'Nichts wird so heiß gegessen, wie es gekocht wird.', ging es Cathy durch den Kopf, als sie sich unter die Dusche stellte.
 

Sehr früh am nächsten Morgen stand Cathy auf. Sie wollte möglichst allein frühstücken und eine der ersten sein, die sich auf den Sportplätzen einfanden. Heimlich still und leise zog sie sich an, putzte ihre Zähne und verließ dann ihr Zimmer. Die drei anderen Mädchen lagen noch in tiefem Schlummer. Heute würden sie etwas länger schlafen können, da die Spiele erst um halb neun begannen. Diesen Umstand begrüßten die Freundinnen sehr und so blieben sie ohne Sünde, während Cathy sich eine Schale Cornflakes, mehrere Toasts und einen Apfel genehmigte, um für die nächsten paar Stunden gewappnet zu sein. Ihre Strategie ging auch fast ganz auf. Als sie den Speisesaal betrat, war nur Maarja schon anwesend und zu Cathys maßloser Überraschung auch Marcell, der sonst doch eher ein ausgesprochener Langschläfer war. Da so wenig los war, hatte der junge Mann beschlossen, nicht als einsames Persönchen am Lehrertisch Platz zu nehmen. Stattdessen ließ er sich bei den Mädchen nieder, die sich nicht im Geringsten daran störten. Man hätte meinen können, dass nun vor allem Cathy lebhaft würde und ihren besten Freund mit einem ausführlichen Bericht über die vergangenen Wochen erfreuen würde, doch nichts dergleichen. Sie war stumm wie ein Fisch, konzentrierte sich auf ihr Essen und hörte nur mit halbem Ohr dem halbherzigen Gespräch ihrer Tischgenossen zu. Natürlich fiel dieses untypische Verhalten ziemlich auf, wurde aber stillschweigend akzeptiert. Man wollte Cathy nicht stören, wenn sie ausnahmsweise mal die Klappe hielt.

Kaum eine halbe Stunde, nachdem Cathy den Speisesaal betreten hatte, erhob sie sich wieder, räumte ihr Geschirr weg und kehrte dem Tisch den Rücken zu.

„Warte mal.“, kam es da von Maarja, die auch mit Essen fertig war.

Cathy blieb stehen, sich dem Mädchen wieder zuwendend.

„Ich bin auch jetzt fertig, lass uns doch zusammen gehen.“, schlug Maarja vor.

Ein Nicken war die Antwort. Bevor Cathy es sich anders überlegen konnte, sprang die Zehntklässlerin von ihrem Stuhl auf, ließ ihr Geschirr einfach stehen und kam auf Cathy zu. Genau wie die Ältere trug Maarja bereits Trainingsklamotten, so dass sie sich nicht würde umziehen müssen, wenn die Spiele begannen.

„Und, bist du schon nervös?“, wollte Maarja wissen, während die Mädchen ihren Weg gemeinsam fortsetzen.

„Es geht so.“

„Ich hoffe echt, die sind heute gnädig.“, versuchte die Dunkelhaarige weiter, ein Gespräch in Gang zu bringen.

Langsam nickte Cathy.

„Außer dem Direx, dem Klinsmann und der Kapitänin soll noch ein Lehrer in der Jury sein. Ich weiß bloß nicht welcher.“

„Alonso.“, sagte da plötzlich eine Stimme hinter den beiden Mädchen.

Sie fuhren herum, gleichermaßen erstaunt.

Marie grinste sie breit an.

„Habt ihr geglaubt, ihr könntet euch ohne mich zum Spielfeld verkrümeln?“, feixte Cathys jüngere Schwester amüsiert.

„Ich hätte nicht gedacht, dass du auch so früh auf bist.“, musste Maarja zugeben.

„Wir wohnen in einem Zimmer, Süße, natürlich bin ich da wach, wenn du aufstehst und Lärm machst.“, erwiderte Marie gelassen.

Sie nahm es Maarja nicht übel, dass diese sie geweckt hatte. Eher im Gegenteil. Marie schaffte es immer wieder, an wichtigen Tagen zu verschlafen. Da war es recht praktisch, jemanden wie Maarja im Zimmer zu haben.

„Woher weißt du, dass es Alonso ist?“, hakte Cathy neugierig nach.

Marie grinste.

„Das hat Micha mir verraten.“

„Hätte ich mir denken können.“, meinte Maarja, die ihren eigenen Coach Herrn Adler auch gefragt hatte, aber keine klare Antwort bekommen hatte. Als Obermacker, was die Privatlehrerriege anging, war Herr Ballack natürlich über alles bestens informiert und stets über Entwicklungen aller Art im Bilde. Eine äußerst zuverlässige Quelle, das musste man schon zugeben.

„Alonso, der ist immer so streng.“

„Tja, keine Arme, keine Kekse. Letztes Jahr war es Zidane und der war auch knallhart.“

„Nein, Zidane war vorletztes, beim letzten Mal war es der arrogante Sack.“, korrigierte Maarja ihre Zimmergenossin.

„Tatsache.“, fiel es nun auch Marie wieder ein.

„Wir sollten vielleicht mal einen Schritt schneller gehen.“, mischte Cathy sich ein, die einen Blick auf die Uhr geworfen und festgestellt hatte, dass es auf acht Uhr zuging.

Nach dieser Bemerkung legten die drei Mädchen den Rest des Weges schnell und schweigend zurück. Es überraschte sie nicht im Geringsten, dass sich bereits eine Menge Schüler versammelt hatten. Das war bei Auswahlspielen immer so. Man wollte sich von seiner besten Seite zeigen und war deswegen mehr als pünktlich. Viele waren zudem schon beim Aufwärmen, damit es nach dem ersten Pfiff sofort losgehen konnte.

„Tja, dann... viel Glück.“, wünschte Cathy, löste sich von ihren Begleiterinnen und begann, eine Runde um den Sportplatz zu drehen.
 

Halb neun war längst durch. Auf dem Sportplatz waren zwei Fußballfelder abgesteckt worden, damit nicht nur ein Spiel zur Zeit stattfinden konnte, was die Sache erheblich hinausgezögert hätte. Zudem spielten Mädchen und Jungen getrennt. Auf dem einen Feld die Jungs, auf dem anderen die Mädels. Herr Klinsmann war meistens mit dem Kapitän des männlichen Schulteams unterwegs, während der Direx sich bei den Damen herumtrieb. Der Lehrer, der jährlich neu in die Jury gewählt wurde, pendelte von einem Spiel zum anderen, um seine Eindrücke mitzuteilen. Alle Lehrkräfte, die einen Schützling hatten, der gerade um einen Platz im Team kämpfte, standen am Rand Spalier und drückten Daumen. Zudem durften auch die Schüler zuschauen, die nichts mit Fußball am Hut hatten. Jule war so jemand. Aus dem Viererzimmer war sie die Einzige, die sich für den Sport erwärmen konnte. Lesly mochte Sport generell nicht und nutzte den freien Tag, um ihre Bewerbungsmappe für die Uni fertigzustellen, Lynn hingegen arbeitete in der Schülerbibliothek, gänzlich ungestört von irgendwem. Beide Abiturientinnen genossen es, dass sie mal ihre Ruhe hatten.

Während also Lesly und Lynn sich vergnügten, fieberte Jule bei Cathys Spiel mit. Ihre Altersklasse war um zehn gestartet. Bislang war alles in Butter. Das fand auch Herr Metzelder, der natürlich seiner Schülerin zusah und seinen Augen kaum traute. Es war erst das zweite Mal, dass er Cathy in einer Mannschaft spielen sah und nicht allein trainieren.

'Komm schon, wenn du die nächsten 15 Minuten so durchhältst, müssen sie dich ins Team aufnehmen.', dachte der hochgewachsene Mann bei sich, unauffällig auch nach Xabi Ausschau haltend, der in diesem Jahr in der Jury war und dem ein Teil der Entscheidung oblag. Christoph hoffte, dass sein Freund das Potenzial erkannte, welches in Cathy steckte. Alles, was sie brauchte, um es freizusetzen, war eine verdammte Chance. Nun sicher, sie konnte auch hier schon zeigen, dass sie wertvoll war, aber wenn man mal im Team drin war, konnte man sich viel besser profilieren. Das wünschte Christoph seiner sturen Schülerin. Er wusste, dass sie bereits einmal als Reservistin Mitglied der Mannschaft gewesen war.

'Du hast es schon mal geschafft, du kannst es wieder schaffen!', ging es Christoph durch den Kopf. Er fragte sich, woran Cathy gerade dachte. Ob sie im Moment überhaupt dachte.

Das tat sie allerdings mitnichten. Sie war zu sehr auf das Spiel konzentriert. Innerlich hörte sie Ermahnungen und Tipps von Marcell und Metzelder, die Stimmen begannen, lauter zu werden und sich zu seinem Crescendo zu vermischen. Aber es störte Cathy erstaunlicherweise gar nicht. Eher stachelte es sie noch mehr an. Sie wollte hier ihr Bestes geben, wollte zeigen, dass sie ruhig ins Team aufgenommen werden konnte. Man sollte sie bemerken. Positiv, versteht sich. Ihr floss der Schweiß in Strömen, doch das war nur gut. Je härter das Spiel, desto mehr musste Cathy sich beweisen und nachdem sie die Enttäuschung vom letzten Jahr verwunden hatte, wollte sie sich diesmal durchbeißen.

'Und wenn ich erstmal nur Reserve bin, wen kümmerts?', machte sie sich selbst Mut, während sie übers Spielfeld peste. Jegliches Zeitgefühl war ihr verloren gegangen. Jetzt existierten nur sie, der Ball und die anderen Leute auf dem Feld. Das war ihr Augenblick.
 

Um die Mittagszeit war das Spektakel vorüber. Morgen würden die jüngeren Jahrgänge geprüft. Die Jury zog sich zu mehreren Stunden Beratung und erhitzter Diskussion zurück. Erst gegen Abend würden die Ergebnisse am Schwarzen Brett aushängen. Bis dahin mussten sich die Schüler gedulden. Cathy ertrug die Spannung merkwürdig gut. Nachdem sie fertig war, trabte sie zum Rand des Platzes, grinste Jule schief an, die sich mal wieder mit Herrn Friedrich unterhielt und beschloss, gleich duschen zu gehen. Danach würde sie sich einen faulen Tag machen. Nach all den Strapazen war das auch bitter nötig. Zunächst einmal aber forderte Herr Metzelder ihre Aufmerksamkeit. Er gab ihr zu verstehen, dass es durchaus Anlass zur Hoffnung gab, erklärte ihr, woran sie noch arbeiten musste, wenn sie ins Team käme und wie zufrieden er im Großen und Ganzen mit ihr war. Zu guter Letzt ließ er sie doch ziehen. Erleichtert machte Cathy sich ab und verbrachte den Tag tatsächlich so, wie sie ihn geplant hatte. Gegen sechs Uhr am Abend gab es eine Durchsage: die Ergebnisse waren fertig und würden nach dem Essen am Brett eingesehen werden können. Natürlich war klar, dass Chaos herrschen würde, weswegen sich Maarja erbot, nachschauen zu gehen. Nicht nur für sich selbst, sondern für Marie und Cathy gleich mit.

Langsam stieg die Spannung ins Unerträgliche. Maarja selbst hielt es kaum noch aus. Das ganze Essen über hibbelten die drei, die an den Spielen teilgenommen hatten, auf ihren Stühlen herum. Kaum, dass Maarja fertig war, sprang sie auf und eilte in die Eingangshalle, wo das Brett angebracht war. Wie nicht anders zu erwarten war sie nicht die Erste, die sich dort einfand, so dass es eine ganze Weile dauerte, ehe sie an die Reihe kam. Rasch suchten ihre Augen die Liste ab. Nachdem sie das Ergebnis erfahren hatte, sauste sie zurück in den Saal. Ihr breites Grinsen verriet bereits Einiges.

„Du wurdest genommen.“, war das Erste, was Marie zu sagen hatte,

Glücklich nickte Maarja.

„Zwar erstmal nur als Ersatz, aber das ist besser als nichts.“

„Stimmt.“, gab Marie zu, „Und jetzt spann mich nicht länger auf die Folter. Wie ist es für mich gelaufen?“

Wieder grinste Maarja.

„Du musst mächtig Eindruck auf Alonso gemacht haben, sie haben dich auf seine Empfehlung hin zur Stammspielerin ernannt.“

Vor Freude platzte Marie fast. In ihrem Übermut vergaß sie völlig, nach den Ergebnissen ihrer Schwester zu fragen. Cathy selbst aber, die sich für Marie freute, war merkwürdig still.

'Ich hab es wieder nicht geschafft.', dachte sie trübsinnig, 'Sonst hätte Maarja schon längst was gesagt.'

In ihrer Euphorie merkten die Mädchen gar nicht, dass Cathy aufstand und sich heimlich aus dem Saal verzog. Nicht einmal Jule, Lesly und Lynn bekamen etwas mit, so beschäftigt waren sie damit, sich für die beiden Glückspilze zu freuen.
 

„Nanu? Was machst du denn hier?“

Cathy sah auf und blickte zu ihrem Entsetzen genau in Herrn Metzelders Gesicht. Dass der Mann sie auch nie in Ruhe lassen konnte! Vor allem gegenwärtig hatte Cathy keine Lust auf seine Gesellschaft, weswegen sie es vorzog, nicht zu antworten.

„Warum schaust du denn so finster? Bist du nicht zufrieden mit dem Ergebnis?“, hakte der Lehrer verwundert nach.

Oder hatte sie am Ende noch gar nicht am Brett geguckt?

Als er wieder keine Antwort bekam, wurde es ihm zu dumm. Er packte Cathy am Arm und zwang sie dazu, ihn anzusehen.

„Was ist los mit dir, hm?“,verlangte er zu wissen.

„Lass mich los.“, knurrte Cathy.

Das heißt, sie versuchte es zumindest. Heraus kam eher ein weinerlicher Laut. Überrascht zog Christoph eine Augenbraue hoch.

„Hab ich dir was getan?“

„Nein.“

Cathy schlang die Arme um sich und seufzte.

„Ich verstehe wirklich nicht, wie du so schlecht gelaunt sein kannst!“

„Ach ja?“

„Immerhin hast du doch dein Ziel erreicht.“

Das ließ Cathy stutzen.

„Wie meinen Sie das?“

Jetzt war Christoph noch verwirrter.

„Wie? Ist doch logisch...“

„Sie meinen...?“, hakte Cathy ungläubig nach.

Langsam nickte Christoph.

„Was dachtest du denn?“

Aber er bekam keine Antwort. Schon war Cathy losgerannt. Nur ein lautes und befreites Lachen drang noch an die Ohren des hochgewachsenen Mannes. Voller Staunen sah er ihr nach.

Erste Annäherung

„Marci! Marci!“

Mit einem lauten Knall flog die Tür zu seiner winzigen Lehrerwohnung gegen die Wand. Erschrocken, da er nicht mit einem solchen Überfall gerechnet hatte, sah Marcell von den Vokabeltests auf, welche er momentan korrigierte. Eigentlich hätte es ihn nicht wundern müssen, dass ausgerechnet Cathy einen solchen Auftritt hinlegte. Er war ein solches Benehmen schließlich von ihr gewöhnt. Dennoch bekam er einen ziemlichen Schrecken und ehe er sich versah, hatte er einen langen, roten Strich über den Test gezogen, welchen er soeben korrigierte. Bevor er ernstlich schimpfen konnte, schlangen sich schon zwei Arme um ihn. Überschwänglich drückte Cathy sich an ihren besten Freund, der zu perplex war um auch nur ein Wort herauszubringen.

„Marci!“, quietschte Cathy wieder freudig und entließ ihn aus ihrer Umarmung.

Nicht, dass sie ihm versehentlich die Luft abdrückte!

Nachdem Marcell ein paar Mal tief eingeatmet hatte, drehte er sich zu seiner besten Freundin um.

„Was ist passiert?“, fragte er neugierig.

Sie strahlte ja richtiggehend! Marcell kannte Cathy zwar nun seit mehreren Jahren, doch selten hatte er sie so überglücklich gesehen. Irgendetwas Gutes musste also geschehen sein. In Anbetracht der Tatsache, dass seine ehemalige Schülerin immer brutal schlecht in Mathe gewesen war, kam ihm der Verdacht, dass sie ja eventuell in der letzten Klausur eine gute Note geschrieben hatte.

„Hast du in Mathe besser als Ausreichend bekommen?“, wollte er sogleich wissen, ohne ihr Gelegenheit gegeben zu haben, mit ihrer bahnbrechenden Neuigkeit herauszurücken. Doch zu seinem Erstaunen schüttelt Cathy heftig den Kopf.

„Nein, du Dummkopf, wie kommst du denn auf diese absurde Idee?“, kicherte sie

Pikiert zog Marcell eine Augenbraue hoch, obwohl es ihn eigentlich nicht besonders störte, dass sie ihn einen Dummkopf genannt hatte. Auch diese Ausdrucksweise war ihm alles andere als unbekannt und er hatte sich längst damit abgefunden, dass er ab und an mal ein Schimpfwort an den Kopf geworfen bekam.

„Mir fällt sonst nichts ein, was dich so glücklich machen könnte. Außer Marko Arnautovic hat es sich anders überlegt und dich zu einem Date eingeladen.“, erwiderte Marcell.

Herr Arnautovic war im letzten Schuljahr für zwei Monate Praktikant gewesen und Cathy hatte aus irgendeinem verqueren Grund einen Narren an ihm gefressen. Allerdings waren ihre Flirtversuche kläglich gescheitert. Der Praktikant hatte sich nicht im Geringsten für die Blonde interessiert und obwohl das damals ein harter Schlag gewesen war, konnte Marcell nicht anders, als Cathy von Zeit zu Zeit mit dem jungen Mann aufzuziehen.

Jetzt aber schnaubte seine beste Freundin nur.

„Tss, der kann schön bleiben, wo der Pfeffer wächst!“, behauptete sie und zu ihrer maßlosen Überraschung stellte sie fest, dass sie es tatsächlich auch so meinte. Nach vier Monaten qualvollen Schmachtens aufgrund unerwiderter Gefühle war Cathy endlich frei. Zumindest bildete sie sich das ein.

Wieder wanderte Marcells Augenbraue in die Höhe.

„Das sind ja ganz neue Töne!“, meinte er, „Aber jetzt sag schon, was ist passiert, dass du so... so... so bist.“

Das klang reichlich lahm, aber Marcell, obwohl er die deutsche Sprache studiert hatte, wusste nicht, wie genau er Cathys Zustand beschreiben sollte. So euphorisch, aufgedreht und maßlos glücklich hatte er sie eben nie erlebt. Dabei kannte er sie seit Jahren und hatte geglaubt, alles von ihr zu wissen. Tja, so täuschte Marcell sich und das nicht gerade wenig.

Cathy hingegen konnte nun wirklich nicht mehr länger mit der fantastischen Neuigkeit hinter dem Berg halten.

„Ich bin im Team.“, platzte sie heraus.
 

Vier einfache Worte. Nicht einmal lange oder besondere Worte. Und doch veränderten sie die Welt schlagartig. Zunächst konnte Marcell die Bedeutung nicht recht erfassen. Er starrte Cathy recht belämmert an. Dann aber gab es kein Halten mehr. Er sprang auf von seinem Stuhl und zog das Mädchen in eine mehr als herzliche Umarmung.

„Ich... wow!“, war alles, was Marcell hervorbrachte, während diesmal er Gefahr lief, Cathy die Luft abzudrücken.

„Ich weiß, ich weiß!“, japste Cathy, der es nichts ausmachte, dass sie kaum atmen konnte. Sie erwiderte die Umarmung und strahlte Marcell mit blitzenden Augen an. Ihre Wangen waren hochrot, ob vor Freude oder Luftmangel wusste der Lehrer nicht zu sagen und es war ihm im Moment auch reichlich schnuppe. Was zählte, war, dass Cathy es geschafft hatte. Sie hatte ein wichtiges Ziel erreicht. Etwas, das sie sich bereits seit Jahren sehnlichst wünschte. Und nun war es in Erfüllung gegangen! Das Leben war doch etwas Wunderbares, fand Marcell. Nicht einmal der Gedanke an Metzelder vermochte es in diesem Moment die Miene des Lehrers finster werden zu lassen.

„Weißt du was?“, sagte er, nachdem er Cathy doch wieder losgelassen hatte.

Gespannt sah sie ihn an. Was er wohl jetzt noch loswerden wollte?

„Das müssen wir feiern, findest du nicht?“

Heftig nickte Cathy. Und wie sie das fand! Sie war ganz einer Meinung mit ihrem besten Freund.

„Lass uns in die Stadt fahren. Wir gehen Essen und dann können wir ja schauen, ob was Gutes im Kino kommt.“

„Au ja!

Sofort war Cathy Feuer und Flamme. Dann aber fiel ihr siedend heiß Metzelder ein. Sicherlich musste sie ihn vorher um Erlaubnis bitten? Immerhin hatte sie ihm keine Gelegenheit gegeben zu ihrem Triumph Stellung zu nehmen.

'Das war ziemlich dumm von mir. Wenn er beleidigt ist, wird er mich nicht mit Marcell weggehen lassen.', dachte sie betrübt.

Marcell derweil bemerkte nichts von ihren Gedanken und dem damit verbundenen Gefühlsumschwung. Er war bereits eifrig dabei, den Abend in allen Einzelheiten zu planen.

„Ich werde noch eben die Tests fertig korrigieren und danach können wir sofort los.“

Cathy nickte.

„In der Zwischenzeit hab ich auch noch was zu erledigen. Sobald ich das hinter mir hab, komm ich zurück zu dir, okay?“

„Einverstanden.“, antwortete Marcell zufrieden.

In diesem Augenblick hätte das Leben nicht schöner sein können. Seine beste Freundin war im Schulteam. Und sie würden nach langer Zeit einmal wieder einen netten Abend miteinander verbringen. Etwas, was sie schon längst hätten tun sollen, aber da war ja Cathy die Ausgangssperre Metzelders im Weg gewesen, gefolgt von der Klausurenphase.

„Also, bis gleich!“, verabschiedete Cathy sich, ehe sie auf dem Absatz kehrt machte und eilig in Richtung von Metzelders Büro stürmte.
 

'Wer kann denn das sein?'

Ein Klopfen an der Tür hatte ihn aus seinen Gedanken gerissen. Er saß an seinem Schreibtisch, wo er wieder und wieder die Begegnung mit seiner Schülerin Revue passieren ließ. Er hatte sie noch nie zuvor so glücklich gesehen.

„Herein!“, rief er, als ihm bewusst wurde, dass vor der Tür ja jemand stand, der ihn zu sprechen wünschte.

Sofort trat die Person ein. Christoph war nicht wenig erstaunt, als er Cathy gegenüber stand. Im Gegensatz zu vorhin allerdings sah sie nun reichlich verzagt aus. Er fragte sich, was geschehen sein mochte, dass sie sich so seltsam betrug. Mit 18 war sie doch schon beinahe aus der Pubertät raus und das 'Himmelhochjauchzend, zu Tode betrübt'- Prinzip sollte in ihrem Fall nicht mehr greifen. Tja, so konnte man sich täuschen.

„Was gibt es denn?“, fragte Christoph, als Cathy keinerlei Anstalten machte, den Mund zu öffnen. Auf seine Frage hin straffte sie ihre Schultern. In ihren grauen Augen schimmerte etwas, was er nicht genau benennen konnte.

„Es tut mir Leid, dass ich vorhin so abrupt fortgerannt bin. Das war sehr ungehörig.“, entschuldigte Cathy sich formvollendet und dazu noch ziemlich altmodisch.

Christoph konnte sich nicht erinnern das Wort 'ungehörig' je aus dem Mund eines Schülers gehört zu haben. In seiner Jugend war das noch etwas verbreiteter gewesen, aber heutzutage? Da er gar nicht mit einer solchen Ansprache gerechnet hatte, war er einen Moment aus dem Konzept gebracht.

„Wirklich, ich hätte mich bei Ihnen bedanken sollen für das harte Training und alles.“

Das klang schon etwas neuzeitlicher. Endlich erwachte Christoph aus seiner Starre. Er erhob sich und kam um den Schreibtisch herum, bis er genau vor Cathy stand. Seine Hand landete auf ihrer Schulter und drückte selbige sanft.

„Du musst dich nicht so verzweifelt entschuldigen.“, meinte er mit einem Lächeln, „Ich bin nicht böse auf dich. Ganz und gar nicht. Eher im Gegenteil.“

Höchst überrascht sah Cathy zu ihm auf.

„Ehrlich?“, rutschte es ihr heraus, woraufhin sie leicht errötete. Dass sie auch nie ihre Klappe halten konnte!

„Ja, ehrlich.“, erwiderte Christoph, jetzt schon beinahe belustigt.

Er fand ihre Verlegenheit irgendwie niedlich. Das kannte er kaum von ihr. Sonst war sie nicht gerade auf den Mund gefallen und übermäßig höflich hatte er sie auch noch nie erlebt. Er hätte wer weiß was darum gegeben, wenn er nur in eben diesem Moment in ihren Kopf hätte schauen können. Zu gern hätte er gewusst, was darin vor sich ging. Da er aber kein Uri Geller war, musste er wohl darauf verzichten.
 

Eine Weile herrschte Schweigen. Stumm sahen Mann und Mädchen sich in die Augen. Aus irgendeinem Grund wollten ihnen die rechten Worte nicht in den Sinn kommen, so dass sie sich auf den Blickkontakt beschränkten. Schließlich aber fiel Cathy ein, dass sie noch etwas Anderes vorhatte an diesem Abend als in den Augen ihres Coachs zu versinken. Beim Gedanken an Marcell wurde ihr heiß und kalt. Sicherlich war er längst fertig mit den Tests und fragte sich nun, wo sie blieb!

„Ähm...“, räusperte Cathy sich.

Neugierig wartete Christoph ab, was sie wohl zu sagen hatte.

„Ich wollte mit Marci noch weggehen in die Stadt und...“

„Ja?“, hakte er nach.

Wollte sie ihn einladen, mitzukommen? Doch das konnte er sich beim besten Willen nicht vorstellen. Er war nun mal nicht besonders grün mit Marcell und das würde er auch niemals sein. Gewiss wollte Cathy sich nicht den Abend verderben, in dem sie die beiden Lehrer mit der gegenseitigen Gegenwart belastete.

„Na ja...“

Wieder brach Cathy ab, sah Christoph allerdings unverwandt an.

„Spuck's schon aus, ich werd dich nicht gleich fressen!“, rutschte es ihm ungeduldig heraus.

„Darf ich mit Marci in die Stadt gehen und so lange wegbleiben, wie ich mag?“, überwand sie sich dann.

Verblüfft starrte Christoph sie an. Hatte sie ihn gerade eben tatsächlich um ERLAUBNIS gefragt? Sie? Eine volljährige Schülerin?

'Ich mag ja ihr Coach sein, aber das heißt doch nicht, dass ich bestimmen kann und darf, wann sie mit wem wo hingeht und wie lange.', schoss es Christoph durch den Kopf.

'Außer am nächsten Tag steht etwas Wichtiges an.', schränkte er ein.

Cathy aber wartete noch auf Antwort. Bang klopfte ihr das Herz bis zum Hals. Wollte er denn nicht endlich antworten? Oder überlegte er gerade, wie er ihr am schonendsten Nein sagte? Unwillkürlich verfinsterte sich ihre Miene, die Hände ballten sich zu Fäusten. Christoph bemerkte die Veränderung natürlich. Er hätte blind sein müssen, um sie zu übersehen. Und erneut wünschte er, er könnte ihre Gedanken lesen. Schließlich gab es keinen plausiblen Grund so düster zu schauen, als ob es einem die Petersilie verhagelt hätte. Das Gegenteil war doch der Fall! Cathy hatte ein wichtiges Ziel erreicht. Sie sollte aufgedreht sein, wie als ob sie Alkohol getrunken hätte. Stattdessen machte sie eine Miene zum Eier abschrecken. Das war doch nicht normal!

„Also gut!“, brach sie das Schweigen, „Ich darf nicht, schönen Dank auch!“

'Hey, Moment mal! Das geht mir jetzt etwas zu schnell!', protestierte Christoph in Gedanken, beeilte sich aber, ihr diesen Unsinn auszureden.

„Wie kommst du denn auf diesen Quatsch?“, fragte er unverblümt.

Irritiert zuckte Cathy zusammen.

„Aber...“, hob sie an, klappte ihren Mund allerdings rasch zu, ohne gesagt zu haben, was für eine Vermutung sie gehabt hatte. Das musste sie nicht einmal. Christoph konnte es sich auch so schon denken. Ein Grinsen, wenn auch kaum merklich, erschien auf seinen Zügen.

„Wieso glaubst du denn, du darfst nicht? Bist du völlig übergeschnappt?“, begann er, hob jedoch mahnend die Hand, als Cathy Anstalten machte, eine Antwort zu geben.

„Ich bin noch nicht fertig, Fräulein!“

Das klang absichtlich etwas strenger, damit sie auch ja die Klappe hielt und die Ohren aufsperrte. Cathy gehorchte, ohne zu wissen, dass sie genau das tat, was Christoph von ihr wollte - nämlich keine Unterbrechung. Sonst würden sie morgen früh noch hier herumstehen und nichts und wieder nichts wäre bei der Diskussion, welche sie unweigerlich geführt hätten, herumgekommen. Lieber nahm er das Zepter in die Hand und sagte, was ihm auf der Seele lag.

„Also, ich will dich vor morgen früh nicht mehr hier sehen, klar?“

Da klappte Cathy glatte die Kinnlade runter.

„Heißt das... ich darf?“, hakte sie sicherheitshalber nach. Nicht, dass sie ihn missverstanden hatte! Das wäre ja noch schöner!

„Genau das heißt es. Los, verschwinde. Amüsier dich mit Jansen!“, beschied Christoph sie.

Jetzt riss sie auch noch ihre Augen auf. Sie meinte, mitten im schönsten Traum zu sein. Er meinte das ernst! Er meinte das tatsächlich ernst!
 

Da war es wieder, dieses Strahlen. Dieser Gesichtsausdruck, der Christoph ganz kribbelig machte. Wenn sie doch nur aufhören würde, ihn anzustarren, wie ein dummes Huhn beim Donnerschlag! Er schluckte hart. Konnte sie nicht endlich abhauen? Er gönnte ihr ja den Triumph und das sie den Abend in angenehmer Gesellschaft verbringen wollte.

Bevor Christoph jedoch dazu kam, auch nur eine weiteren Gedanken zu fassen, hörte er ein gestammeltes Danke. Dann schlangen sich zwei Arme um ihn und zum zweiten Mal seit er ihr Coach war, umarmte Cathy ihn. Diesmal war ihre Dankbarkeit wirklich grenzenlos. Sie weinte schon fast vor Rührung, was beide Beteiligten dann doch etwas albern fanden. Allerdings war Cathy machtlos gegen den Wasserhahn, der sich Tränendrüsen schimpfte.

„Danke, tausend Dank!“, erscholl es aus Cathys Kehle, ehe sie ihn doch losließ.

Ein letztes Lächeln schenkte sie ihm, dann machte sie kehrt und war mindestens so schnell verschwunden, wie sie aufgetaucht war. Lächelnd sah Christoph ihr nach.

'Was bin ich bloß für ein Trottel...', ging es ihm durch den Kopf, während er selbigen schüttelte. Aber er störte sich nicht einmal daran. Zu gefangen war er in dem Augenblick völliger Glücksseligkeit, den er Cathy beschert hatte.

Vielleicht würde von jetzt an ja alles besser werden...

Weihnachtsferien

Gemeinsam mit Marcell verbrachte Cathy einen amüsanten Abend in der Stadt. Wie versprochen gingen sie zuerst essen, bei einem tollen Griechen, der allerdings nicht ganz billig war, so dass man sich als armer Schüler höchstens alle paar Monate dort blicken lassen konnte. Danach schauten sie im Kino vorbei. Zu ihrem maßlosen Erstaunen lief der erste Teil von 'Harry Potter und die Heiligtümer des Todes' und es gab noch Karten. Eigentlich hatten sie beide damit gerechnet, dass die Vorstellungen die nächsten beiden Wochen komplett ausverkauft sein würden. Offensichtlich waren sie da einem gewaltigen Irrtum aufgesessen. Vergnügt schauten Marcell und Cathy sich den Film an, um auf dem Heimweg ordentlich darüber zu diskutieren. Zu schade, dass der zweite Teil erst im Sommer anlaufen würde! Es war doch eine Schande, obwohl beide zugeben musste, dass es der bislang beste Potter war, den sie gesehen hatten. Die Entscheidung, den Film zu teilen, war keine schlechte. Nachdem die beiden ihn gesehen hatten, konnten sie das besser beurteilen.

Marcell brachte Cathy noch zu ihrem Zimmer, sagte ihr Gute Nacht und überließ sie dann, wie er annahm, ihrem Bett. Doch weit gefehlt! Cathys Freundinnen waren noch wach und warteten darauf, dass sie endlich heimkam. Sie waren nicht wenig empört, dass Cathy einfach so mit Marcell ausgegangen war, wo sie doch eine spontane Party geplant hatten, um die Freundin zu feiern.
 

Cathy war nicht wenig erstaunt, als sie Lesly, Lynn und Jule auf einem der Betten hocken sah.

„Was ist denn hier los?“, fragte sie daher, sich ziemlich wundernd.

Doch da brach ein waschechtes Donnerwetter über sie herein. Sie wusste gar nicht richtig, wie ihr geschah, so sehr ereiferten sich die drei Mädchen.

„Wie kommst du eigentlich dazu, einfach mit Marcell abzuhauen?“, schimpfte Lynn, aufspringend, kaum, dass sie Cathy erblickt hatte.

„Allerdings!“, pflichtete Lesly ihr bei.

„Dabei hatten wir uns so darauf gefreut, dich mit einer kleinen Party zu überraschen!“, beschwerte sich nun auch Jule.

„Ja, sie hat Recht. Wir haben uns echt Mühe gegeben, alles Mögliche aufzutreiben und dann bist du nicht da!“

„Marcell hast du wohl lieber als uns!“

„Aber...“, stammelte die arme Cathy, die natürlich überhaupt nichts geahnt hatte.

Das war ja auch eigentlich Sinn der Sache gewesen, dennoch fühlte sie sich leicht schuldig. Nachdem die drei sich noch eine Weile beschwert hatten, war es aber gut. Sie lächelten Cathy an, wussten sie doch, dass es ihre eigene Schuld war. Eine von ihnen hätte die Blondine ja bitten können, nicht wegzugehen. Dann hätte sie es eben Marcell erzählt, hätte danach aber für die Party zur Verfügung gestanden. Jetzt war es nicht mehr zu ändern. Mussten sie es eben am nächsten Tag nachholen. Die Gelegenheit lief ja nicht weg.

„Also, bevor du jetzt grantig ins Bett gehst, Cathy, wollte ich dir nochmal sagen, dass ich mich sehr für dich freue!“

Lynn umarmte die verdutzte Freundin mit einem warmen Lächeln.

„Wir sind stolz auf dich.“, schloss Lesly sich an, obwohl sie Fußball bescheuert fand.

„Das sind wir allerdings.“, musste auch Jule zustimmen, die sich aber in Gedanken dabei ertappte, wie sie noch einmal das angeregte Gespräch mit Arne Revue passieren ließ.

„Und wir werden morgen auf jeden Fall die versäumte Party nachholen!“, fügte Jule hinzu, Cathy zuzwinkernd.

„Mädels...“, erwiderte diese überwältigt, „Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll.“

„Dann halt den Schnabel.“, kicherte Jule.

„Ey!“, empörte Cathy sich, „Willst du etwa frech werden, hm?“

Sprach's und schnappte sich ein Kissen von Lynns Bett, welches sie auch sogleich nach Jule warf. Das Kissen, nicht das Bett, versteht sich. Da Jule überhaupt nicht mit einem solch heimtückischen Angriff gerechnet hatte, bekam sie das Wurfgeschoss voll ins Gesicht.

„Also!“, grummelte sie, während sie versuchte, es Cathy mit gleicher Münze heimzuzahlen.

Lynn und Lesly, bis dato unbeteiligte Zuschauer, konnten sich ein amüsiertes Grinsen kaum verkneifen. Das änderte sich allerdings, als Jule Lesly traf, anstelle von Cathy.

„Ich glaub, dir hackt's!“, schimpfte die Halbengländerin, die sich natürlich sofort rächen wollte. Währenddessen hatte Cathy auch Lynn attackiert. So war innerhalb kürzester Zeit die tollste Kissenschlacht im Gange. Das gab vielleicht ein Juchzen und Gelächter! Es war ein Wunder, dass niemand bei den Vieren hereinschneite und sich über die enorme Lärmbelästigung beschwerte.
 

Das Wochenende ging unbeschwert und in guter Stimmung zu Ende. Lynn, Lesly und Jule vergaben Cathy, dass sie sie für Marcell versetzt hatte und machten ihr Versprechen wahr, am folgenden Tag mit ihr diesen kleinen, aber bedeutenden Triumph zu feiern. Nach dem Abendessen begannen sie, sahen sich einen neuen Film an, den Lesly sich besorgt hatte, aßen lauter ungesundes Zeug und quatschten über Gott und die Welt während sie drei Flaschen Sekt niedermachten. Wie gut, dass der nächste Tag ein Sonntag war!

„Wisst ihr was?“, fragte Cathy in die vom Alkohol beseelte Runde.

Sie hatten sich ein Lager aus Decken und Kissen auf dem Fußboden hergerichtet und darauf lagen sie nun. Cathy sah an die Zimmerdecke, ein leichtes Lächeln auf ihren Zügen. Neben ihr lagen die anderen Mädchen.

„Nein, was denn?“, wollte Lesly neugierig wissen.

„Irgendwie ist der arrogante Sack gar nicht so schlimm, wie ich dachte...“

Plötzlich fing Jule an, tierisch zu kichern. Das brachte die verbleibenden Drei dazu, sich abrupt aufzusetzen und ihre Freundin entgeistert anzusehen.

„Was ist dir denn?“, platzte Lynn heraus.

Aber aus Jule war vorerst nichts herauszubringen. Sie kicherte einfach weiter und steckte irgendwann Cathy an, die einmal mehr ihre Rekordverdächtige Seehundlache vom Stapel ließ. Dies wiederum brachte auch Lynn und Lesly an den Rand der Verzweiflung. Zumindest das Lachen betreffend. So kringelten die vier Mädchen sich am Boden, ohne genau zu wissen weshalb. Mit Ausnahme von Jule vielleicht, die das ganze erst ins Rollen gebracht hatte.

Nachdem sich die ganze Bande wieder beruhigt hatte, konnte Jule gefragt werden, warum sie so urplötzlich in Lachen verfallen war. Ein paar Mal musste das Mädchen tief Luft holen, ehe sie Antwort geben konnte.

„Nun ja, ich hab mir schon fast so was gedacht.“, gab sie zu, Cathy einen raschen Seitenblick zuwerfend, woraufhin diese leuchtend rot anlief. Warum wusste sie nicht einmal.

Jetzt lag allerdings alle Aufmerksamkeit auf Cathy.

„So,so.“, bemerkte Lesly spitz, die sich einfach nicht mit Herrn Metzelder anfreunden konnte.

„Ist da etwa was im Busch?“, hakte Lynn neugierig nach.

Verständnislos sah Cathy die Ältere an.

„Was soll denn da schon im Busch sein?“, fragte sie arglos.

Sie verstand nicht ganz, worauf Lynn hinaus wollte. Jule und Lesly hingegen wussten es ziemlich gut. Deswegen konnte Erstere sich auch nicht ganz zurückhalten.

„Mann, bist du blöd?“, platzte sie heraus.

„Natürlich nicht!“, erwiderte Cathy leicht beleidigt.

„Stehst du nun auf Metzelder oder nicht?“, enthüllte Jule Lynns vorsichtig formulierte Frage als das, was sie eigentlich war.

Völlig baff starrte Cathy ihre drei Freundinnen an. Mehrere Minuten lang herrschte Schweigen.

„Ist das euer Ernst?“, schnaubte Cathy empört, „Ihr glaubt doch wohl etwa nicht, dass ICH in den arroganten Sack verschossen bin!“

Die ehrliche Entrüstung, die in diesen Worten lag, zeigte den drei Neugiernasen sehr deutlich, dass sie mit ihrer Vermutung ziemlich daneben gelegen hatten. Jemand anderes, der vor der Zimmertür stand und unfreiwillig dem Gespräch gelauscht hatte, war allerdings reichlich enttäuscht.

„Na ja, du hast ihn umarmt und in letzter Zeit beschwerst du dich kaum noch über ihn.“, merkte Jule an, die sich am schnellsten wieder berappelt hatte.

„Ist ja auch so.“, gab Cathy zu, „Aber das bedeutet ja nicht gleich, dass ich ihn heiraten will, oder?“

In ihrer Stimme klang Trotz mit.

„Du magst ihn?“, fragte Lynn neugierig.

Langsam nickte Cathy. Es stimmte, sie verabscheute ihn längst nicht mehr. Schließlich hatte er bewiesen, dass er nicht nur schlecht war. Dank ihm hatte sie eines ihrer Ziele erreicht. Cathy musste zugeben, dass Marcell sie sicher nicht so weit gebracht hätte. Vielleicht hatte ihr der Trainerwechsel doch ganz gut getan, auch wenn sie es hasste, sich das eingestehen zu müssen.

„Ich mag ihn, ja.“, fügte sie mit Worten hinzu.

Sofort quietschte Lynn los.

„Ich wusste es!“, triumphierte sie.

„Hey, das heißt aber noch lange nicht, dass ich was von ihm will, klar?“, holte Cathy die Freundin schnell wieder auf den Boden der Tatsachen zurück.

Der Lauscher vor der Tür konnte nicht verhindern, dass ein Lächeln sich auf seine Züge schlich. Immerhin, sie hatte es aufgegeben, ihn zu hassen. Ja, sie hatte sogar zugegeben, ihn zu mögen! Wenn das kein Erfolg war.

'Eigentlich kann ich ganz zufrieden sein mit dieser Entwicklung.', dachte er geschmeichelt. Er versuchte gerade, sich Cathys Gesichtsausdruck vorzustellen, während sie diese paar Worte gesagt hatte, aber es gelang ihm nicht.

„Findest du ihn gutaussehend?“, bohrte Lynn.

„Tss...“, schnaubte Cathy, „Ich sag jetzt kein Wort mehr, ihr alten Klatschtanten!“

Enttäuschung machte sich breit, doch drangen die Freundinnen nicht weiter in Cathy, sondern gaben sich mit dem zufrieden, was sie von ihr erfahren hatten. Vorerst zumindest. Das musste auch der Lauscher tun. Als das Gespräch der Mädchen sich einem anderen Thema zuwandte, beschloss er, es für heute gut sein zu lassen und trollte sich.
 

Rasch flogen die letzten Tage bis zu den Weihnachtsferien dahin. Ehe man sich versah, war der 22. Dezember gekommen, der letzte Schultag bevor zwei Wochen seliges Nichtstun die Schüler des St. Helena Internats erwartete. Die letzten Arbeiten und Klausuren wurden geschrieben, korrigiert und zurückgegeben. Für Lynn und Lesly war das erste Halbjahr bereits vorbei, da sie schon nach den Osterferien ihre Abiturprüfungen haben würden. So bekamen sie an diesem Tag auch schon Zeugnisse. Sie konnten beide zufrieden sein mit ihren Noten. Mathe war zwar ein Schandfleck auf Leslys Laufbahn, aber auch Lynn hatte mit Englisch nicht gerade einen Glücksgriff gelandet. Dennoch, nach all den Strapazen des vergangenen Halbjahres waren sie heilfroh, dass endlich Ferien waren und sie noch mal ausspannen konnten, bevor es im Januar ernst wurde.

Unterricht fand am 22. Dezember längst nicht mehr statt. Es wurde gepackt, man tauschte sich darüber aus, was man in den Ferien machen würde und besprach noch das ein oder andere mit seinem Privatlehrer, so denn man denn einen hatte. So auch Cathy und Jule. Letztere hatte sich mittlerweile daran gewöhnt, ihren Biolehrer nur Arne zu nennen. Immer öfter verbrachte sie ihre Freizeit bei ihm. Sie arbeiteten nicht nur an Jules Vorbereitung für die Uni, sondern sprachen auch über alle anderen möglichen Themen. Ab und an gestatteten sie sich sogar ein kleines, aber nicht böse gemeintes Lästerründchen.

Lesly verbrachte einen Teil des Tages mit Herrn Hildebrand, den sie trotz eineinhalb Jahre Qualifikationsphase immer noch siezte. Es wäre ihr nicht im Traum eingefallen, ihn Timo zu nennen und 'du' zu ihm zu sagen. Sicher, sie verstanden sich gut und führten oftmals anregende Gespräche über Kunst und Musik, aber das bedeutete ja nicht gleich, dass sie auf Kumpel machen mussten. Ehrlich gesagt fand Lesly es reichlich albern, dass Cathy es wagte Marcell mit seinem Vornamen anzusprechen und ihn zu duzen. Ähnlich sah sie es mit Jules Verhalten gegenüber Arne. So benahm man sich einfach nicht. Trotz allem waren die jungen Männer Lehrkräfte und damit Respektspersonen. Dementsprechend hatte man sie zu behandeln. Lesly würde nie verstehen, wie man so etwas tun konnte.

Obwohl Lynn keinen Privatlehrer hatte, verschwand sie auch für eine halbe Stunde, um mit Herrn Frings ein paar Dinge über die Schulbücherei zu besprechen. Er war der Lehrer, der diese Einrichtung betreute, weswegen Lynn mindestens einmal pro Monat mit ihm für ein kurzes Gespräch zusammenfand. Allerdings dauerten diese Begegnungen niemals besonders lang. Lynn hatte alles unter Kontrolle. Sie bekam Lob von Herrn Frings zu hören, zu Weihnachten eine Pralinenschachtel in die Hand gedrückt und ansonsten erfuhr sie keine großartige Beachtung, außer vielleicht im Deutsch- LK.

Auch Marie und Maarja waren für kurze Zeit aus ihrem Zimmer verschwunden, um das ein oder andere zu besprechen. Erstere saß in dem kleinen Häuschen, welches Herr Ballack mit seiner Familie bewohnte und analysierte das vergangene Halbjahr bis ins kleinste Detail, während sie sich an Kakao und Plätzchen gütlich tat, die Frau Ballack bereitgestellt hatte. Die jungen Leute hatte schließlich immer Hunger!

Maarja hingegen erging es nicht ganz so gut. Sie fand sich in Xabi Alonsos Büro wieder, wo sie mit ihm über ihren schulischen Werdegang diskutierte. Seit Beginn des Schuljahres trug sie sich nämlich mit dem Gedanken, Chemie als LK zu wählen. Dann würde Herr Alonso ihr Lehrer werden. Er nahm allerdings längst nicht jeden in seine Kurse auf. Die Schüler mussten schon bestimmte Anforderungen erfüllen, ehe sie sich seine Schützlinge schimpfen durften. Deswegen war auch Maarja bei Alonso aufgeschlagen. Sie war schrecklich nervös, was den Lehrer ziemlich zu belustigen schien. Er grinste kaum merklich. Diese einschüchternde Wirkung hatte er auf fast jeden Schüler. Mittlerweile war er daran gewöhnt. Dennoch belustigte es ihn ziemlich. Nachdem er sich jedoch mit Maarjas bisherigen Leistungen in Chemie befasst hatte, wurde er ernst. In einem fünfminütigen Vortrag erklärte er ihr, dass er bestimmte Anforderungen an seine Schüler stellte, dass der LK Chemie nicht so locker ablaufen würde wie etwa Englisch bei Herr Jansen und dass er von jedem, der Chemie wählte, vollste Konzentration und ebensolches Engagement erwartete. Er schloss mit den Worten, dass Maarja die besten Voraussetzungen mitbrachte und er sich freuen würde, sie in der Zwölf in seinem LK begrüßen zu dürfen. Danach war sie entlassen. Tierisch erleichtert machte Maarja, dass sie davon kam. Da Marie noch bei Herrn Ballack war, beschloss sie stattdessen, Cathy und Jule die frohe Kunde zu überbringen. Auch Lesly und Lynn konnten in den Genuss dieser Neuigkeit kommen, so fern sie denn anwesend waren. Allerdings war nur Lesly im Zimmer, so dass Maarja sich eine ganze Weile gedulden musste, bevor sie ihre Botschaft heraussprudeln konnte.
 

Cathy selbst war noch bei Herrn Metzelder, von dem sie sich zumindest verabschieden wollte. Alles andere wäre ziemlich unhöflich gewesen. Und da Cathy ihn nun besser leiden konnte sah sie nicht ein, ihn zu kränken. Er war nicht wenig erstaunt, als seine Schülerin bei ihm hereinschneite. Gerade packte er seine Sachen, als es an der Tür klopfte. Natürlich bat er den Gast herein.

„Stör ich Sie?“, fragte Cathy leicht zögerlich, war aber schon im Zimmer.

Christoph fuhr herum. Staunen malte sich auf seine Züge.

„Nein, nein. Ist schon okay.“, erwiderte er, dabei auf einen Stuhl deutend, „Setz dich doch.“

Das tat Cathy allerdings nicht. Sie lächelte schwach.

„Ich bleibe gar nicht lange. Sie können gleich in aller Ruhe weiter packen.“, meinte sie, auf ihn zu tretend.

„Ach so.“

Der Lehrer musste sich ziemlich zusammenreißen, um seine Enttäuschung nicht allzu deutlich zu zeigen.

„Ich wollte Ihnen nur schöne Ferien wünschen. Und natürlich ein gesegnetes Fest.“

Jetzt lächelte Cathy ihn an. Dann reichte sie ihm eine Weihnachtskarte.

„Hoffentlich erholen Sie sich gut in den Ferien.“, fügte sie hinzu, sich schon umdrehend, um zu verduften. Doch Christoph hielt sie zurück.

„Warte.“

Langsam wandte Cathy sich ihm wieder zu.

„Ja?“

Gespannt sah sie den Lehrer an.

„Dir auch fröhliche Weihnachten und tolle Ferien.“, wünschte er ihr, schwach lächelnd.

Dieses Mädchen überraschte ihn immer wieder!

„Danke!“, strahlte sie und tat dann etwas, das langsam zur Gewohnheit wurde: sie umarmte ihn. Jedoch nur sehr flüchtig, als sei ihr klar geworden, dass sie etwas Dummes tat.

„Tja, dann kommen Sie gut ins Neue Jahr. Wir sehen uns dann!“, verabschiedete Cathy sich.

Hastig verließ sie den Raum, ehe Christoph auch nur noch ein Wort verlieren konnte. Baff, aber doch erfreut starrte er ihr nach.
 

Am Nachmittag war es so weit: die Schüler und ein Großteil der Lehrer verließen das ehrwürdige Internatsgebäude. Unter großem Hallo ging das von statten. Marie und Cathy würden mit Marcell Richtung Bremen fahren, wo ihre Großeltern lebten. Dort stand alljährlich das Weihnachtsfest an, zu welchem sich die halbe Familie versammelte. Aufgeregt, was es wohl in diesem Jahr geben würde, wuchteten die Mädchen ihre Koffer in Marcells Auto, einen VW Golf neueren Jahrgangs. Der Lehrer verabschiedete sich noch von einigen Lehrern und Schülern, bis er endlich fertig war. Die Zeit nutzten Marie und Cathy, um auch ihren Freundinnen Auf Wiedersehen zu sagen. Von Lynn, Lesly, Jule und Maarja bekam Cathy jeweils ein kleines Päckchen zugesteckt, welches sie jedoch erst an Heiligabend würde öffnen dürfen. Ihrerseits verteilte auch Cathy Geschenke an die Freundinnen.

„Schreibt mir, ja?“, bat sie die anderen vier Mädchen, die brav nickten und es versprachen.

Dann war es Zeit zu gehen. Ansonsten würden die Autobahnen derart voll sein, dass kein Durchkommen mehr war. Das kannte man ja aus vorherigen Jahren schon zur Genüge. Marcell konnte im Stau ziemlich grantig werden, so dass Marie und Cathy es befürworteten, wenn sie sich so rasch wie möglich aus dem Staub machten. Außerdem legten sie auch nicht unbedingt Wert darauf, länger im Auto sitzen zu müssen als nötig.

Schon bald manövrierte Marcell geübt den Wagen über die Autobahn. Im Radio liefen die üblichen Weihnachtshits, die man alle Jahre wieder zu hören bekam und gingen in den Gesprächen der drei Insassen völlig unter. Obwohl Marcell Cathys bester Freund und lange Zeit ihr Trainer gewesen war, scheute Marie sich nicht, an der Unterhaltung der beiden teilzuhaben. Für sie war Marcell auch fast ein Bruder, genau wie für Philipp. Warum also sollte sie sich langweilen, wenn sie doch viel Spaß mit ihrer Schwester und dem Lehrer haben konnte?

Zu ihrer aller Erleichterung kamen sie zügig voran und waren pünktlich zum Abendessen in Bremen. Unter viel Gelächter trug man die Koffer ins Haus. Philipp würde erst am nächsten Tag kommen, dafür aber waren die Verwandten aus Bayern schon da, unter ihnen auch Fee, die Cousine der drei Lahms. Sie war ein ziemlicher Wirbelwind und konnte durch nichts und niemanden gestoppt werden. Nicht einmal Philipp, der sonst gut mit allen Kindern klar kam, war dazu in der Lage. Auch Cathy und Maries Eltern waren bereits da. Sie begrüßten sowohl ihre Töchter, als auch Marcell sehr herzlich. Danach kamen die Großeltern an die Reihe. Diese freuten sich sehr, ihre Enkelkinder so bald wiederzusehen. Marcell kam ebenfalls nicht zu kurz. Er zog sich schon bald mit Cathys Großmutter in die Küche zurück, wo er eine Menge Klatsch zum Besten gab. Marcell war in der Hinsicht wie ein altes Waschweib. Er konnte einfach nichts für sich behalten. Zumindest keine pikanten Klatschgeschichten.

Gegen zehn Uhr abends zog man sich in die jeweiligen Schlafzimmer zurück. Marcell schlief gemeinsam mit Fee, Marie und Cathy in einem Raum. Ab dem nächsten Tag würde auch Philipp mit ihnen in dem Zimmer nächtigen. Fees kleiner Babybruder, der erst zwei Jahre alt war, war bei seinen Eltern einquartiert worden.
 

Bis zum Heiligen Abend geschah nichts Nennenswertes mehr, außer, dass Philipp heimkehrte, schon sehnlichst erwartet vom Rest der Familie. Mit Marcell sprach er lange über das Internat. Und er erkundigte sich auch bei Marie, ob Herr Metzelder Cathy nun anständiger behandelte. Zu seiner Erleichterung konnte die Jüngste der Schwestern nur positives berichten. Zumindest, so weit es ihr aufgefallen war. Von Cathys Aufnahme ins Team erzählte sie jedoch wohlweislich nichts. Sie gönnte es der Schwester, von diesem Triumph selbst zu berichten. Das tat Cathy denn auch ausgiebig und sonnte sich gehörig in der Anerkennung.

Am 24. Dezember schmückte die ganze Familie, einschließlich Marcell, den enormen Weihnachtsbaum, der Platz im Wohnzimmer gefunden hatte. Dabei liefen die guten, alten Weihnachtslieder, die sie später auch in der Christmette singen würden, die sie jeden Nachmittag Heiligabend besuchten. Dazu würden sie mit der Straßenbahn zur Rembertikirche fahren. Nachdem sie die Mette besucht hatten, würden sie heimfahren. Die 'Kinder' würden dann auf ihr Zimmer geschickt, wo sie darauf warteten, dass man sie zur Bescherung rief. Wenn das geschah, fanden sich alle im Wohnzimmer ein, wo unter den ausladenden Zweigen der Tanne Geschenke warteten. Derweil würden die Mütter von Cathy und ihren Geschwistern und Fee in der Küche stehen und das Essen kochen. Es würde sich an den Tisch gesetzt und unter allerlei Gelächter und Geschwätz gegessen. Danach würde man sich für die Geschenke bedanken und in kleineren Grüppchen zusammensitzen, um sich angeregt zu unterhalten. Falls Schnee lag würde früher oder später jemand auf die wahnwitzige Idee kommen, eine Schneeballschlacht im Garten zu veranstalten. Irgendwann gegen Mitternacht würde die ganze Gesellschaft schließlich zu Bett gehen und am nächsten Tag weiter schlemmen. So war es jedes Jahr und so würde es auch in diesem wieder sein.
 

Tatsächlich verlief der Tag ähnlich dieser Struktur. Nur, dass es lächerlich wenig Schnee gab. Wobei man zugeben musste, dass das bereits mehr war, als im Vorjahr. Dennoch gab es lange Gesichter. Vor allem Fee hatte sich auf eine ausgedehnte Schneeballschlacht gefreut. Dass die Natur sie dieses Jahr darum betrog, konnte sie kaum fassen. Sie beschwerte sich, dass es in Bayern sicherlich eine Menge Schnee gab und sie dort sogar ein Iglu hätte bauen können. Allerdings ging niemand ernsthaft auf Fees Gejammer ein. Im Grunde genommen liebte das junge Mädchen die Weihnachtsfeste im hohen Norden viel zu sehr, als dass sie auf sie verzichtet hätte. Genauso ging es Philipp, Cathy und Marie. Sogar Marcell wollte die Feier nicht mehr missen. Zwar fiel sein Besuch bei seinen Eltern in Hamburg dafür reichlich kurz aus, den er für gewöhnlich am 26. Dezember begann und Silvester zurück nach Bremen kam, doch der Preis schien ihm gering. Er hatte ohnehin kaum noch Kontakt zu seinen Eltern und bevorzugte es, mit Cathys Familie zusammen zu sein. Mit Philipp verband ihn bereits eine Freundschaft, die sie sicherlich im neuen Schulhalbjahr vertiefen konnten. Darauf freuten sich die beiden jungen Männer bereits sehr.

Endlich kam es zur ersehnten Bescherung. Cathy konnte einen recht großen Haufen Geschenke ihr Eigen nennen. Zuerst packte sie die aus, die sie von ihren Freundinnen bekommen hatte. Mit Lynns begann sie. Sie hatte der Blondine ein Buch geschenkt, nämlich 'Der Sternenwanderer' von Neil Gaiman. Das hatte Cathy immer schon mal lesen wollen, weswegen sie sich mächtig freute. Von Lesly bekam sie zwei CDs, einmal 'Wicked- Die Hexen von Oz', also ein Musical, und 'Dark Horse' von Nickelback. Auch Herzenswünsche, die Cathy seit Längerem gehegt hatte. Jule schließlich hatte die Freundin mit einem Gutschein für H&M bedacht, auch Maarja hatte Cathy einen Gutschein vermacht, allerdings fürs Kino. Darüber freute Cathy sich sehr. Von ihren Eltern bekam sie Geld, wie auch von ihren Großeltern und Tante und Onkel. Marie schenkte ihr Unterwäsche und Nagellack. Mit einem Zwinkern erklärte sie, dass Cathy es nötig hatte, ihren Style zu ändern. Sie meinte es nicht böse, sie wollte nur verhindern, dass die Ältere wieder an einen solchen Loser geriet wie ihren letzten Freund. Früher einmal hätte Cathy diese wohlmeinende Absicht sicherlich in den falschen Hals bekommen, nun verstand sie, wie Maries Geschenk gemeint war und sie bedankte sich herzlich.

„Keine Ursache, Schwesterlein, immer wieder gern.“, wank Marie ab, die sich auch über das freute, was Cathy ihr gekauft hatte.

Lächelnd öffnete sie schließlich Marcells Geschenk. Es handelte sich hierbei um einen Buchgutschein, sowie eine DVD. Schon seit Längerem hatte Cathy mit der Anschaffung von 'Die Päpstin' geliebäugelt, war aber bislang zu geizig gewesen. Philipp verehrte ihr ein Fußballtrikot von Deutschland, das sicher sehr teuer gewesen sein musste.

„Oh du Scheusal“, ereiferte Cathy sich, meinte es aber doch nicht ernst.

Sie fiel dem Bruder um den Hals, überglücklich.
 

Man verbrachte den Abend sehr vergnüglich, sowie auch die folgenden Tage. Marcell verschwand zu seinen Eltern, kehrte aber am Vormittag des 31. Dezembers zurück. Er wollte auf keinen Fall die Silvesterfeier verpassen. Zu lustig ging es im Hause Lahm zu. Der junge Mann war sich sicher, dass es ein unvergessliches Silvester würde. Das neue Jahr konnte nur gut werden!

'Und hoffentlich lässt Metzelder Cathy in Ruhe!'

Da er vor den Ferien kaum Gelegenheit gehabt hatte, sich mit seiner besten Freundin zu treffen und sich auszutauschen, wusste er noch nicht von der Besserung, die im Verhältnis zwischen Cathy und Metzelder eingetreten war. Zwar hatte Marcell mitbekommen, dass Cathy nicht mehr so geknickt aussah, wie noch zu Beginn des Schuljahres, doch brachte er das nicht mit Metzelder in Verbindung.

Der 31. Dezember verstrich langsam. Zumindest der Vor- und Nachmittag. Gegen Abend machte man sich hübsch, weil ein paar weniger enge Verwandte und Freunde des Hauses zu Besuch kommen würden. Im schier riesigen Esszimmer würden wohl an die 20 Personen Platz finden an einem dieser ausladenden Tische, die man früher einmal gewiss genutzt hatte, um noch größere Gesellschaften zu bewirten. Wie jedes Jahr brummte das Haus vor Geschäftigkeit und die Frauen und Mädchen waren größtenteils damit beschäftigt, das Essen vorzubereiten. Ab und zu erfuhren sie Unterstützung von Marcell, der auch gern Gemüse schnippelte und währenddessen die tollsten Geschichten zum Besten gab. Wirklich, Cathys bester Freund war der geborene Entertainer. Sie musste lächeln, als sie seinen Worten lauschte. Immer wieder lachten die Frauen und Mädchen erheitert über die Erzählungen, die ihnen da zu Ohren kamen. Unwillkürlich stellte Cathy sich Herrn Metzelder an Marcells Statt vor. Wie würde er sich verhalten haben, wenn er hier wäre und nicht der Englischlehrer? Würde er auch so offen und humorvoll gewesen sein? Hätte er Witze erzählt? Mit Cathys Oma, Mutter und Tante geschäkert? Allen möglichen Tratsch ausgeplaudert?

Sie seufzte. Niemals würde sie erfahren, wie Herr Metzelder sich verhalten haben würde. Für ihn würde es keine Einladung geben zu irgendwelchen Familienfeiern, so viel stand fest. Nicht nachdem, was Marie mitbekommen und Philipp von Cathy über ihn erfahren hatte. Sie mochte sich vielleicht in ihrem Coach getäuscht haben, aber das bedeutete nicht automatisch, dass ihre Familie genauso nachgiebig war wie sie. Selbst jetzt noch fiel es Cathy schwer, mehr als nur eine Lehrkraft in Metzelder zu sehen. Sie fand ihn zwar nach seinem anständigen Verhalten ihr gegenüber deutlich sympathischer als zu Schuljahresbeginn, ein Freund wie Marcell würde er jedoch nie werden. Das glaubte jedenfalls Cathy zum gegenwärtigen Zeitpunkt. Wie sehr sie sich doch irren sollte...
 

Mit lautem Getöse brach das neue Jahr an. Um Mitternacht wurde der Himmel über Bremen von buntem Licht erfüllt, herrührend von Raketen. Allerorten hörte man Rufe, vermischt mit dem Lärm von Knallfröschen und Chinaböllern. Die Luft roch verbrannt. Typisch Silvester eben. Man fiel sich in die Arme, wünschte sich ein frohes Neues und stieß mit Sekt darauf an, dass die folgenden 356 Tage besser würden, als die vergangenen oder wenigstens genauso schön. Auch im Hause Lahm zelebrierte man diese Tradition. Die Straße war danach übersät mit allerlei Hinterlassenschaften, die am folgenden Morgen von Kindern aufgesammelt würden, die sich einen Spaß daraus machten, Silvesterknaller in Plastiktüten zu packen. Wer die meisten besaß, hatte gewonnen.

In dem Augenblick, da die Uhr Zwölf schlug und das Spektakel begann, grinsten Cathy und Marcell sich breit an. Dann umarmten sie einander, wobei Marcell nicht umhin kam, zu bemerken, dass seine beste Freundin ein neues Parfum aufgetragen hatte, das er noch nicht kannte. Der Duft hypnotisierte ihn leicht. Erst als Cathy ihn mit einem fragenden Blick ansah, merkte er, dass er sie über Gebühr im Arm gehalten hatte. Sofort gab er sie frei und beide machten ihre Runde durch Verwandt- und Bekanntschaft. Kurz darauf hatten sowohl Cathy als auch Marcell den Zwischenfall erfolgreich verdrängt. Zu viele andere Sinneseindrücke stürmten auf sie ein und ließen keinen Platz mehr für Überlegungen, was das zu bedeuten gehabt hatte.

'Das war ein gelungener Abschluss und ein toller Beginn!', schoss es Cathy durch den Kopf, als sie gegen zwei Uhr in der Früh müde ins Bett fiel. Kaum, dass sie ihre Augen geschlossen hatte, war sie bereits selig eingeschlummert, dem kommenden Jahr entgegen.

Die restlichen Ferientage flogen nur so dahin und ehe man sich versah, war der Tag des Abschieds gekommen. Marcell würde Cathy und Marie wieder mitnehmen ins Internat. Noch war das erste Halbjahr nicht vorbei, so dass Philipp ein wenig Schonfrist hatte, bevor er seinen Job antrat. Das Auf Wiedersehen tat bei diesem Mal niemandem mehr weh, denn alle wussten, dass sie sich schon recht bald jeden Tag zu Gesicht bekommen würden. Derart getröstet fiel es nicht einmal Cathy schwer, dem Haus ihrer Großeltern den Rücken zu kehren. Viel mehr gelang es ihr, voller Zuversicht in die Zukunft zu schauen, gespannt, was das neue Jahr ihr wohl bringen mochte.



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Kommentare zu dieser Fanfic (53)
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Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  MissMalfoy
2010-12-22T02:14:59+00:00 22.12.2010 03:14
Tolles Kapitel, aber ich hoffe das es bald richtig zur Sache geht zwischen den Beiden. :D Du verstehst was ich meine. Ein wenig knisternde Leidenschaft und Liebeleien sind immer was Feines. ;)
Wünsche dir dann schon mal schöne Weihanchten. Ist ja bald so weit.

P.S.: So schlimm ist Chemie nicht. Hatte das 1 Jahr an der Uni. ;)
Von:  MissMalfoy
2010-12-22T01:56:12+00:00 22.12.2010 02:56
Wie süß. ich hatte ja gedacht, da kommt noch ein Kuss. ;) Wer weiß, wann der kommt. :D
Es war ein sehr schönes Kapitel, wirklich toll.
Von: abgemeldet
2010-11-29T14:10:18+00:00 29.11.2010 15:10
nettes kapitel...
passt wunderbar zum schneefall *grins*

allerdings muss ich mich kim anschließen: es zieht sich etwas, und das immer wieder vorrausschauende schreiben, dann aber wieder zu beginn ansetzen (zb wie der heiligabend verlaufen würde und wie er dann wirklich verläuft)störrt etwas den fluss..
Von: abgemeldet
2010-11-28T18:26:37+00:00 28.11.2010 19:26
oh mann du bringst mich echt in weihnachtsstimmung ._.
ok manche beschreibungen, in denen keine wörtliche rede ist, ziehen sich wieder ein bisschen, aber ich glaube eine andere lösung gibt es dafür nicht.
langsam wird es spannend, was aus metze und cathy wird :P ich bin aufs nächste kapitel gespannt!

PS: danke für die erwähnung von xabi und mir *keks geb* ich glaube ich muss angst vor der 12 haben ._.

Von:  Sakura-Jeanne
2010-11-28T14:50:06+00:00 28.11.2010 15:50
Hammer kapitel

Freue mich wenn esw eiter geht
Von:  Sakura-Jeanne
2010-11-26T17:27:39+00:00 26.11.2010 18:27
hammer kapitel
Von:  Sakura-Jeanne
2010-11-20T14:15:33+00:00 20.11.2010 15:15
Hammer kapitel

ich freue mich für sie da<s sie es geschafft hat
Von: abgemeldet
2010-11-18T15:47:39+00:00 18.11.2010 16:47
krückstab xDDDDD die stelle war der hammer!
okay ich muss sagen, das kapitel zieht sich teilweise, da die beschreibungen doch manchmal sehr lang sind.
und du wiederholst sehr oft die formulierung "zwar... aber...", das lässt sich nicht so schön lesen ^.^°
freut mich, dass alonso und ich auch mal wieder vorkommen, aber anspielungen wie bei jule und cathys bruder / friedrich gibt es da nicht, oder? :(
ansonsten gefällt mir aber immer wieder die nähe zur realität, was marie, jule usw. angeht. weiter so!
Von: abgemeldet
2010-11-17T17:38:32+00:00 17.11.2010 18:38
uiuiui.. :)
da war aber jemand fleißig
bin mal gespannt wies weitergeht, jetzt, wo sie in der mannschaft ist

nun.. grund zur kritik gibt es allerdings trotzdem:
gerade der anfang beinhaltet wieder viele fehler
wenn du mir also nen duden zu weihnachten schenken willst, werd ich ihn dir wohl öfters mal ausleihen müssen ;-)
dann ist dieser sprung am anfang irritierend
und auch sonst gab es ein paar haken
Von: abgemeldet
2010-11-13T12:26:55+00:00 13.11.2010 13:26
ohhh sie umarmt ihn??
na das kann ja noch heiter werden im nächsten kapitel :)


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