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Abschied und Wiedersehen

Vom Leben und Sterben
von

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Ein Ende

Prolog: Ein Ende
 

Hier sitze ich nun, sehe hinauf in den weißen Himmel und die wogenden Baumwipfel um mich herum und hab keine Ahnung, was ich nun machen soll. Plötzlich legt mir jemand die Hand auf die Schulter. Ich lege den Kopf noch etwas weiter in den ohnehin schon schmerzenden Nacken und sehe hinauf. Hinter mir steht Takeshi, eine der bleichen Hände auf meine Schulter gelegt sieht er genau wie ich hinauf in die Baumwipfel. Plötzlich blickt er mir in die Augen und meint fröhlich: „Lass dich nicht unterkriegen!“

Ich schüttele den Kopf. Das hatte ich nicht vor. Ich hatte gewusst, dass so etwas mal passieren musste, aber… es hat mich geschockt, als man ihren verschmorten Körper aus der abgebrannten Ruine gezogen hatte.

Takeshi geht um die Parkbank herum und lässt sich neben mich fallen. „Sie hat damit gespielt!“, meint er Schulterzuckend. Ja, Takeshi kann das leicht nehmen, Chika war nicht seine Freundin, nein, seine Freundin Fuyu sitzt fröhlich zu Hause und lernt. Sie ist nicht in ihrem Haus verbrannt. Er musste nicht vor dem Inferno stehen, sich die Hitze ins Gesicht wehen lassen und wissen, dass er nichts tun kann. Ich schiebe seine Hand von meiner Schulter und mache mich auf den Weg nach Hause.
 

Es war so plötzlich geschehen, ich war bei Chika gewesen, wir hatten… na ja, jedenfalls hatte ich mich so gegen halb sieben auf den Weg gemacht, ich hatte nach Hause gemusst, Mum ging wieder mal mit so einem Typen weg und hatte mich heimgeschickt, damit ich auf Kumiko aufpassen konnte. Sie hatte so wunderschön ausgesehen, als sie im Türrahmen gestanden und mir nachgesehen hatte, als ich gegangen war, die feuerroten Locken waren so schimmernd wie immer um ihr Gesicht gefallen, die Haut war so wundervoll blass gewesen, wie eben immer. Ja, ich hatte diese Frau geliebt und als sie so dagestanden hatte, die weiche, schwarze Jogginghose, das weiße Top in dem sie so heiß ausgesehen hatte… da hatte ich sie mehr begehrt als alles auf dieser Welt. Ich hatte nicht geahnt, dass ich sie an diesem Abend das letzte Mal zu Gesicht bekommen sollte.

Ich war gegangen, um sieben war ich zu Hause angekommen. Mum hatte im Flur gestanden, in ihrem blauen Lieblingskleid, und Kumiko hatte um ihr Bein herum gelugt. „Hallo Kumiko, ich bin es!“ Sobald sie meine Stimme erkannt hatte, war sie auf mich zugeflitzt und ich hatte mich hastig auf den Boden gehockt und sie in meine Arme geschlossen.

Als das Telefon geklingelt hatte, hatte ich immer noch auf dem Boden gesessen und hatte Kumiko geknuddelt.

Mum war rangegangen und es hatte mich nicht weiter interessiert, mich rief normalerweise niemand auf dem Festnetz an, doch dann hatte sie mir mit schreckensgeweiteten Augen das Telefon entgegengehalten und mir somit das Messer in die Brust gestoßen, mich einfach in mein Verderben geschubst. Mit einem flauen Gefühl im Magen hatte ich das Telefon entgegen genommen. „Ja?“ „Ryo? Hier ist Akemi!“ Chikas Mutter. Als sie es mir gesagt hatte, hatte ihre Stimme so kalt geklungen, als würde sie über eine Fremde reden: „Chika ist tot. Das Haus brennt gerade ab.“ „Nein!“, hatte ich nur hervor gebrachte und hätte ich nicht am Boden gesessen, wäre ich zusammen geklappt. Akemi hatte bereits wieder aufgelegt.

„Ryo…“, hatte meine Mum begonnen, doch ich war bereits aufgesprungen und wieder losgelaufen. Ich hatte zu Chika gemusst, hatte mich überzeugen wollen, dass es ihr gut ging, dass Akemi nur einen geschmacklosen Scherz gemacht hatte, doch ich hatte es schon von weitem gesehen: Das komplette Haus brannte. Überall standen Feuerwehrleute herum und als ich mich dem brennenden Gebäude hatte nähern wollen, hatte man mich zurückgehalten. Ich hatte geschrieen und getobt bis mich plötzlich eine Person von dort weggezogen hatte. Blind vor Trauer und Wut hatte es mich nicht interessiert wer es war, ich hatte nur zurück zum Haus gewollt, hinein, meine Chika retten, doch die Person hatte mich unerbittlich von dort weg gezogen, in den nahen Park und mich auf eine Parkbank gedrückt, dieselbe Parkbank auf der ich heute mit Takeshi gesessen hatte.

Erst da hatte ich die Person wirklich angesehen. Ein blasser junger Mann, vielleicht etwas älter als ich und mit denselben roten Locken wie Chika sie gehabt hatte. „Du bist Ryo, nicht wahr?“ Er hatte eine seltsam melodische Stimme, die mir eine Gänsehaut über den Rücken gejagt hatte. Genau dieselbe Tonmelodie wie Chika. Ich hatte kaum merklich genickt und er hatte sich neben mich auf die Bank gesetzt, die Beine an den Körper gezogen und lange geschwiegen. Endlich hatte er sich vorgestellt: „Ich bin Katsu, Chikas Bruder.“

Plötzlich hatte es in meinem Kopf klick gemacht. Chika hatte oft von ihrem Bruder erzählt, wie nett er war, dass er ihm Ausland studierte, dass er ein Jahr älter war als sie und dass sie ihn vergötterte.

Wir hatten an diesem Abend noch lange auf der Parkbank gesessen, er hatte schließlich angefangen zu erzählen und obwohl immer Chika in meinem Hinterkopf war, hatte ich sogar gelacht.

Seit diesem Abend haben wir uns jeden Tag gesehen. Heute soll ich zu ihm kommen, mal wieder. Er hat eine kleine Wohnung in der Stadt, eine Dachwohnung, denn er will unter keinen Umständen bei Akemi wohnen, weiß der Geier warum.

Als ich zu Hause ankomme sind Mum und Kumiko schon zu Hause. „Bin wieder da“, melde ich mich kraftlos und als Kumiko aus der Küche kommt schließe ich sie in die Arme und spüre einzelne Tränen auf meinen Wangen. Meine kleine Schwester hält mich fest und ich bin ihr dafür so unglaublich dankbar.

Gefühlschaos

Erstes Kapitel: Gefühlschaos
 

Nach dem Mittagessen gehe ich hinauf in mein Zimmer. Ich wollte eigentlich nichts essen, doch Kumiko hat mich angefleht; ich würde alles für sie tun. Jetzt aber… ich will endlich meine Ruhe, will meine Mum nicht hören wie sie mir ewig und drei Tage Trost zusprechen will. Sie kann mir nicht helfen, ich will sie nicht sehen, sie macht alles nur noch schlimmer. Ich wollte nicht mal Takeshi sehen, nicht mal ihn, einen meiner besten Freunde.

Leise, kaum merklich klopft es an der Türe. Ich antworte nicht, doch Kumiko öffnet trotzdem die Tür. Sie kommt zu mir aufs Bett gekrochen und lehnt sich an mich. Obwohl sie blind ist weiß sie immer wo ich bin, das ist irgendwie eine Fähigkeit von ihr, vielleicht ein sechster Sinn. Vorsichtig lege ich einen Arm um sie und sie kuschelt sich an mich. „Ryo?“ „Hm?“ „Stellst du mich diesem Katsu mal vor?“ Woher wusste sie, dass ich gerade an Katsu gedacht habe? „Natürlich werde ich ihn dir mal vorstellen, schließlich bist du meine Lieblingsschwester!“ „Ich bin deine einzige Schwester!“, gibt sie zurück und ich lache. Sie kann so unglaublich witzig sein.

Kumiko steht auf und geht zur Tür. „Ich geh dann mal wieder, du willst ja ganz sicher gleich zu Katsu! Bis bald mal!“ Ich nicke während sie kichernd aus dem Zimmer hüpft. Als sie gegangen ist stehe ich auf und ziehe mich um. Dann gehe ich hinunter in den Flur, ziehe meine Turnschuhe an und verlasse mit einem „Ich bin dann bei Katsu!“, das Haus.

Draußen zerrt der Dezemberwind an meinen Klamotten und ich wickle mich enger in meine Jacke. Verdammt ist das kalt! Und das aller beste ist, dass wir am Stadtrand wohnen und ich jetzt bis ins Stadtzentrum laufen muss. Die Straßen sind wie leergefegt und ich weiß auch voran das liegt, der Wind fegt schließlich wie dumm durch die Stadt. Ha, habt ihr mit diesem tollen Wortspiel gerechnet? Nein, ich auch nicht. Ja ich weiß, ich bin heute irgendwie schlecht drauf, aber ist das ein Wunder? Ich hab gerade meine Freundin verloren.

Eigentlich, wenn ich so darüber nachdenke… wenn Kumiko und Katsu nicht wären… ich glaube ich hätte mich schon längst die nächste Klippe runtergestürzt. Doch so… ich hab kaum geweint, mir geht es einigermaßen gut und ich werde Chika immer in bester Erinnerung behalten, immer vor mir sehen wie sie in der Tür stand und mir nachwinkte.

Ein leises Seufzen, dann sehe ich auf. Während ich so nachgegrübelt habe, haben meine Füße mich wie von selbst zum Park getragen, zu jenem Park in dem ich am Tag des Feuers mit Katsu gesessen habe. Langsam, eine nach der anderen fallen feine, weiße Schneeflocken herab und landen auf mir. Immer noch stehe ich wie festgewachsen da und frage mich warum meine Füße mich unbedingt hierher tragen mussten. In Wahrheit habe ich die Sache mit Chika nicht verkraftet, nicht mal angeschnitten, sondern eher in eine Ecke meines Unterbewusstseins verschoben, hab den Kopf frei gemacht für andere, wichtigere, jetzt näher liegende Dinge. Doch hier, hier in diesem Park in dem wir uns kennen lernten kommt alles wieder hoch.
 

Ich erinnere mich noch ganz genau daran, ich hatte auf der selben Bank gesessen, was eine Ironie, ich sitze am Anfang und am Ende auf der selben Bank, das Leben ist ein Kreis ich wusste es ja schon immer. Nun, als ich so auf dieser Bank saß, die Beine an den Körper gezogen und die Arme um die Knie geschlungen, kam dieses Mädchen auf mich zu, die langen, roten Locken wie seidig schimmernd über die Schultern fließend, in einen knielangen, weißen Mantel gewickelt. „Kann ich mich setzen?“, hatte sie gefragt und ich hatte genickt, warum auch nicht, schließlich war ich zwar schlecht drauf aber nicht bösartig gewesen. Das war vor fast genau einem Jahr gewesen.

Sie hatte sich gesetzt, sich neben mir an die Bank gelehnt und gemeint: „Wie heißt du?“ „Ryo“, hatte ich gebrummt und sie hatte genickt, gelächelt, mir eine Hand entgegengehalten und dann erklärt: „Ich bin Chika!“

Wir hatten uns lange unterhalten, ehe wir beschlossen hatten uns wieder zu sehen. So hatte es mit uns angefangen und eine knappe Woche später waren wir zusammen gewesen.
 

Wieder seufze ich und stelle verblüfft fest, dass mich meine Füße mal wieder von selbst wo hin getragen haben, das scheint ihre neue Lieblingsbeschäftigung zu sein. Dieses Mal ist es wenigstens der richtige Ort, denn nun stehe ich vor Katsus Haustür. Ich klingele und nach dem üblichen Knarren der Gegensprechanlage höre ich seine verzerrte Stimme: „Hm?“ Ich lache, das ist typisch, er meldet sich immer nur mit undefinierbaren Lauten. „Hier ist Ryo!“ „Ryo, warum kicherst du schon wieder so?“, fragt er noch argwöhnisch, als das Summen ertönt und ich die Tür aufstoße.

Schnell trappele ich hinauf ins Dachgeschoß. Dort steht Katsu schon im Türrahmen, lässig dagegen gelehnt in seinen schwarzen Jeans und dem weiten weißen T-Shirt. „Hey! Warum hast du jetzt so gelacht?“ Wieder muss ich lachen, dann antworte ich: „Weil du einfach… so typisch du bist!“

Er grinst mich an, dann winkt er mich herein und ich folge ihm in die Wohnung. Auch das ist typisch. Draußen ist es Arschkalt, hier drinnen hat es vielleicht 18 Grad und er rennt trotzdem in T-Shirt und mit nackten Füßen herum. Er hastet voraus ins Wohnzimmer, räumt seine ganzen Papiere vom kleinen Glastischchen und streicht sich nebenbei mit einer fast nervös wirkenden Geste eine rote Locke aus dem Gesicht.

Plötzlich spüre ich einen Stich in meinem Herzen, diese Geste erinnert mich so verdammt an Chika. Tränen beginnen über meine Wangen zu laufen, und als er aufblickt, mich ansieht und bemerkt, dass ich weine, kommt er auf mich zu, führt mich zum Sofa, zieht mich mit hinunter, drückt mich an sich und streicht mir sanft über den Rücken. „Nicht weinen!“, murmelt er und streicht mir immer noch über den Rücken, „Nicht weinen, wir müssen sie in guter Erinnerung behalten!“ Trotz der Tränen die immer noch aus meinen Augen quellen muss ich unwillkürlich lachen: „Du hörst dich an wie meine Schwester!“ Ein schwaches Lächeln rutscht kurz über sein Gesicht, doch so schnell wie es aufgetaucht ist, ist es auch schon wieder verschwunden.

Langsam lässt er mich los und ich bin fast etwas enttäuscht, obwohl ich nicht sagen kann warum. Es war warm in seinen Armen, aber… Chika ist noch nicht lange tot, ich sollte mich nicht neu verlieben. Verlieben? Warte, warte, warte… hab ich gerade verlieben gedacht? Warum? Ich hab mich doch nicht in Katsu verliebt! Er ist schließlich Chikas Bruder! Ja, Bruder, das bedeutet er ist ein Kerl. Er ist ein Kerl, ich bin ein Kerl… keine Liebe, wir sind nur Freunde, ganz genau. Und das was ich da gespürt hab war… eine verspätete Reaktion auf Chikas Tod, ganz genau!

Da ich jetzt wieder mit mir im Reinen bin kann ich ja jetzt weiter zuhören was Katsu mir zu sagen hat. Seine Augen sind auf mich gerichtet, wahrscheinlich hat er mich gerade etwas gefragt und ich hab wieder nicht zugehört. „Sorry, was hast du gesagt?“, will ich mit nervösem Lächeln wissen, „Ich hab… dir gerade nicht zugehört.“

Er seufzt, dann wiederholt er tonlos: „Ich hab nur gesagt, dass ich uns was zu trinken hole und dass ich wissen will was du willst.“ „Mir egal“, antworte ich leise. Er seufzt, steht auf und geht in die Küche.

Ich höre ihn arbeiten, dann kommt er wieder, zwei Teetassen in den Händen. Stumm gibt er mir eine, dann zieht er die Beine unter den Körper und sieht mich erwartungsvoll an. Ich bleibe schweigend sitzen und sehe ihn aufmerksam an, ehe er endlich fragt: „Was hast du heute gemacht?“ „Hab mich mit Kumiko unterhalten“, erwidere ich tonlos, „Sie will dich unbedingt kennen lernen.“ Sein neugieriges Lächeln verschwindet, ein besorgter Blick erscheint, als er fragt: „Freust du dich nicht? Deine Schwester sorgt sich wenigstens um dich!“ Seine Stimme ist gegen Ende immer leiser, deprimierter geworden „Hat… hat Chika…“, ich breche ab und spüre wie Tränen über meine Wangen laufen. Flink nimmt er mir die Tasse ab und stellt sie zu seiner auf den Tisch und schließt mich vorsichtig in die Arme. „Sie durfte sich nicht um mich kümmern, ihre… unsere Mutter hat sie davon abgehalten!“ „Akemi? Sie war Schuld daran, dass du im Ausland studiert hast?“ Er nickt, lässt mich jedoch nicht los.
 

Lange hält er mich fest, doch als ich fast eingeschlafen bin, klingelt es an der Tür. Erschrocken richte ich mich auf. Was war das? Was hab ich getan? Warum war ich in seinen Armen fast eingeschlafen? Bin ich noch zu retten? Haben die Aliens mein Gehirn geklaut? Gibt es die Aliens wirklich? Und warum denke ich so einen Mist?

Katsu seufzt, steht auf, lässt meine verdatterte Wenigkeit auf dem Sofa zurück und tapst auf nackten Füßen zur Tür.

Ich sitze immer noch geschockt und mit weit aufgerissenen Augen auf dem Sofa. Warum hat es sich in seinen Armen so gut, so entspannend angefühlt? Ich wäre fast eingeschlafen und das passiert mir normalerweise nicht in den Armen fremder Typen. Okay, wir sind beste Freunde aber… da sollte so was auch nicht passieren.

Kopfschüttelnd und zornig vor sich hin murmelnd kommt Katsu wieder zurück ins Wohnzimmer, ein Packet nachlässig unter den Arm gezwickt. Als er mich so erschrocken auf dem Sofa sieht lacht er und fragt belustigt: „Was ist den mit dir passiert? Du bist weiß wie eine Kalksteinwand, welchem Geist bist du begegnet?“ Ich schüttele kurz den Kopf und starre ihn weiter unablässig an. Er kichert immer noch, stellt das Paket achtlos auf den Fußboden, kommt dann herüber zum Sofa und legt vorsichtig eine Hand unter mein Kinn. Was hat er vor? Die Frage beantwortet sich von selbst als er meinen immer noch erschrocken geöffneten Mund vorsichtig zudrückt. „Willst du mir jetzt sagen was du hast?“ Immer noch stumm schüttele ich den Kopf.

Er seufzt auf, boxt mir dann gegen die Schulter und fragt: „Und, wie läufts in der Schule?“ Ich grinse gequält. Katsu weiß ganz genau, dass ich mit meiner einen Lehrerin nicht zu Recht komme. Diese Frau lässt uns arbeiten bis wir schwarz werden. Und diese ganze, schleimige, zuckersüße Art… da bekommt man glatt einen Zuckerschock!

„Hat sie euch wieder arbeiten lassen?“ „Wir haben nur so dummes Zeug gemacht! Und dann immer mit ihrer Trillerpfeife, wenn du da daneben stehst… da bekommst du Tinnitus, wirklich!“ „Armer Ryo, wirklich!“, bemitleidet er mich und fährt mir vorsichtig durchs Haar. Hilfe, warum krieg ich jetzt ne Gänsehaut? Hallo? Hirn ahoi? Ist anscheinend schon weg.

Katsu sieht mich etwas irritiert an, ich sitze nämlich schon wieder so aufrecht da als hätte ich nen Besenstiel verschluckt. „Du bist dir sicher, dass es dir gut geht, oder?“, fragt der Rotschopf und kniet plötzlich vor mir, fast zwischen meinen Schenkeln. Okay, jetzt dreh ich wirklich durch. Mir schießt das Blut in die Wangen, als er mich so süß von unten her anschaute und… Moment. Nur einen einzigen Moment Wieso in aller Welt habe ich jetzt >süß< in Zusammenhang mit meinem besten Freund gedacht? Hab ich irgendwelche… Halluzinationen oder so was? Ich sollte umgehend einen Psychiater aufsuchen.

„Ryo?“, ich sehe ihn wieder an, immer noch ganz rot im Gesicht. „Wenn… wenn Chika… also… hätte sie dich betrogen, was hättest du getan?“ Entsetzt starre ich ihn an. Was soll dies Frage jetzt? Wie kommt er darauf? „Warum?“, frage ich mit rauer Stimme. Immer noch starrt er mich unverwandt an, dann rutscht er wieder neben mich auf die Couch und erklärt leise: „Ich… hab da einen Freund… der hat eine Beziehung, hat sich jetzt aber in ne andere verliebt. Soll er es seiner Freundin sagen und sie übel verletzten oder einfach schweigen und bei beiden bleiben?“

Also dieser Trick ist wirklich uralt. Wenn der Satz schon anfängt mit >Ich hab da einen Freund… < dann kann man sofort davon ausgehen, dass der jenige über sich selbst redet. Deswegen antworte ich nur: „Also, meiner Meinung nach sollte der FREUND sich entscheiden mit wem er Schluss machen will!“

Katsu nickt und starrt nachdenklich an die gegenüberliegende Wand.

Schweigen breitet sich im Wohnzimmer aus, doch es ist irgendwie beruhigend. Wir hängen beide unseren Gedanken nach, er denkt wahrscheinlich über seinen ominösen FREUND nach, genauso wie ich. Ja, richtig gehört, ich denke über seinen Freund, oder besser über sein Problem nach. Ich wusste nicht mal, dass er EINE Freundin hat, aber ZWEI? Wer genau soll das sein? Ob ich ihn darauf ansprechen soll? Lieber nicht, wer weiß was er dann von mir denkt!

Langsam stehe ich auf und strecke mich. Katsu sieht mich an und fragt: „Du gehst? Nicht wegen mir, oder?“ „Natürlich nicht!“, widerspreche ich, „Ich hab aber den anderen zugesagt, dass wir uns mal wieder treffen. Wir haben nicht mehr viel unternommen seit… na ja, aber ist ja auch egal, ich bin dann mal weg, bye!“ Er steht auf und folgt mir zur Tür. Also ich ihn meine Schuhe geschlüpft bin und nach meiner Jacke greifen will umarmt er mich plötzlich von hinten und flüstert: „Kommst du nachher noch mal hier her? Egal wie spät es ist?“ Ich nicke schwach. Mein ganzer Körper ist angespannt, ich muss sagen… die Situation behagt mir ganz und gar nicht. Es ist nicht schlimm, dass er mich umarmt, es fühlt sich sogar überraschend gut an, aber… er überfordert mich.

Anscheinend hat er mitbekommen wie ich mich verspannt hab, erlässt mich nämlich sofort los, wird sogar etwas rot und fragt dann in normalem Ton: „Also kommst du nachher?“ Wieder nicke ich, dann nehme ich meine Jacke und verlasse fast fluchtartig die Wohnung.

Erst unten auf der Straße als meine Füße wieder ihrer neuen Lieblingsbeschäftigung nachgehen und mich wie von selbst zum >Henrys< tragen beginne ich zu grübeln. Das >Henrys< ist sozusagen unsere Stammkneipe, geführt von – stellt euch vor – Henry Thompson, wo wir uns mehr oder weniger regelmäßig treffen.

Aber jetzt zurück zu meinen Grübeleien, es geht natürlich vorrangig um Katsus Umarmung eben. Was war mit ihm los? Ich meine, so umarmt man doch nicht seinen besten Freund, oder? Aber irgendwie hat es mir gefallen, es war so warm und… er roch so gut. Halt, warte, wie komm ich jetzt bitte schön darauf? Es ist wahr, das stimmt, er hat wirklich gut gerochen, nach… Regen und frisch gemähtem Gras… nur schwach aber bei dieser Nähe doch unglaublich deutlich wahrnehmbar.

Ich seufze und stehe auch schon vor dem Henrys. Langsam gehe ich rein und sehe kaum etwas. Draußen war es so hell, doch hier drinnen sind wie immer alle Rollläden herunter gelassen und nur die bunten, müde vor sich hinblinkenden Lampen schicken zuckende Lichtstrahlen durch die verqualmte Dunkelheit. Der Vorraum mit der Theke ist so gut wie leer, nur Henry, der junge Wirt mit den fransigen, schwarzen Haaren steht hinter der Theke, den Blick fest auf seine ‚Lektüre’ – die fast ausschließlich aus Bildern mit nackten Frauen besteht – gerichtet. Als ich mich leise räuspere sieht er auf, wirft sich mit seiner gewohnten Kopfbewegung eine dunkle Strähne aus dem Gesicht und fragt dann fröhlich: „Na Ryo, dasselbe wie immer?“ Ich schüttele leicht den Kopf und murmele: „Wasser!“ und er antwortet überrascht: „Uh, wird Ryo jetzt bodenständig?“ Jetzt schüttele ich matt lächelnd den Kopf und erkläre: „Mir ist nur gerade nicht nach Bier!“ Er zuckt die Schultern, wirft mir eine Wasserflasche zu und wendet sich wieder seiner Lektüre zu als ich in den Nebenraum hinüber gehe. Hier ist es nicht weniger zugeraucht, aber wenigstens einigermaßen hell. „Hey!“, grüße ich und mir schwingt eine allseits gemurmelte Begrüßung entgegen. Hier sind anscheinend nur depressive.

Takeshi ist ja sowieso immer so drauf und rennt rum wie der leibhaftige Tod. Auch heute ist er tief in die Kissen der alten Couch versunken, in einer Hand eine Flasche, deren Inhalt ganz sicher nicht alkoholfrei ist, die andere Hand zwischen die Beine seiner sonst so bodenständigen Freundin Fuyu, die heute – anscheinend auch schon mehr als leicht angeheitert – auf seinem Schoß sitzt. „Sag mal, habt ihr hier ein Saufgelage veranstaltet oder so?“, will ich wissen und lasse meinen Blick über die anderen im Raum schweifen, die – teilweise sitzend, teilweise liegend – irgendwo rumlungern und auch schon alle halbtot wirken. Über allem liegt ein durchdringender Alkoholgeruch. „Ach was!“, winkt Takeshi ab und lässt die Hand mit der Flasche so schwunghaft durch die Gegend zischen, dass er sie fast Minami an den Kopf geknallt hätte, die glücklicherweise gerade von ihrem Hachiro zu einem Kuss hinunter gezogen worden war. Ich seufze über soviel Einfältigkeit auf einem Haufen, dann lasse ich mich an einer Wand hinunter rutschen, öffne die Wasserflasche und genehmige mir einen Schluck.

Später schaltet jemand die Musik ein und meine ganze, übelst besoffene Clique stürmt die Tanzfläche. Nur ich sitze immer noch mit meiner Wasserflasche in einer Ecke und starre düster vor mich hin. Was war in Katsus Wohnung los? Warum hat er mich umarmt? Und warum zum Henker sehne ich mich geradezu danach, dass er es wieder tut? Ich bin nicht in ihn verknallt, wie könnte ich, schließlich sind wir beide Kerle und beide ganz sicher nicht schwul. Im Gegenteil er hat ja ZWEI Freundinnen! Den Gedanken, dass es sich bei den FREUNDINNEN auch um Kerle handeln könnte schieb ich jetzt einfach mal weit von mir… aber schwul sind wir ganz sicher nicht! Warum hat er mich also umarmt?

Spät verlasse ich das Henrys, es ist schon dunkel draußen und der Vorraum mehr als überfüllt. Spätestens jetzt hat im Hinterzimmer der Alkohol Überhand genommen und überall liegen Leute und gehen… weniger delikaten Beschäftigungen nach, die besser hinter verschlossenen Türen stattfinden.

Ich mache mich dagegen auf den Weg zu Katsu. Mittlerweile hab ich auch rausgefunden warum meine Clique sich so hemmungslos besoffen hat: Sie haben einen Weg gesucht, um über Chikas Tod hinweg zu kommen. Ich suche auch noch einen, irgendwie muss ich ja über den Tod meiner Geliebten hinwegkommen, doch… ich glaube ich habe – ohne es mitzubekommen – schon einen Weg gefunden, den ich bin so gut wie darüber hinweg. Ich weiß bei Gott nicht wie ich es geschafft habe. Langsam lenken mich meine Füße in Richtung Katsus Wohnung.

Katsu benimmt sich komisch

Zweites Kapitel: Katsu benimmt sich komisch
 

Als ich klingele meldet er sich wie schon heute Mittag mit einem unbestimmten Laut, doch jetzt lache ich nicht, ich bin niedergeschlagen und weiß nicht warum. „Hier ist Ryo“, nuschele ich nur und er öffnet mit einem surren die Tür.

Es ist warm im Treppenhaus und das Licht taucht alles in einen sanften Schein; ein krasser Kontrast zu mir. Ich gehe hinauf ins Dachgeschoß wo Katsu schon in der Tür steht, aber nicht so lässig wie noch heute Mittag, sondern besorgt, fast schon etwas ängstlich. Seine ganze Haltung drückt Anspannung aus. Lustlos schlurfe ich die Treppe hinauf und Katsu tritt zu Seite als ich an ihm vorbei schreite, die Jacke nachlässig über einen Haken hänge, die Schuhe ausziehe und dann mit dem Rücken zu ihm stehen bleibe.

„Ryo, was ist los mit dir?“, fragt er, doch ich sehe ihn immer noch nicht an, will nicht mit ihm reden. Plötzlich legt er mir die Hand warm um die Schultern und bugsiert mich ins Wohnzimmer und ihr könnt euch gar nicht vorstellen wie gut mir das tut. Bestimmt drückt er mich aufs Sofa, setzt sich neben mich und bittet: „Sie mich an!“ Jetzt, mit seinem warmen Körper dicht neben meinem raffe ich mich endlich auf und sehe ihn an. In seinen Augen liegt Besorgnis, fast Angst und ich murmele nur: „Mir geht’s grad nicht so gut!“ Er legt mir vorsichtig eine Hand auf den Oberschenkel und ich zucke zusammen, diese Hand ist so weich, so warm, ich will sie nicht loswerden und trotzdem… trotzdem bin ich angespannt, seine Hand ist mir fast etwas peinlich und tut doch so unglaublich gut. Hach, vielleicht ist es egal wer oder was er ist, denn es tut gut… sollte es egal sein, dass er ein Kerl ist oder mein bester Freund oder der Bruder meiner kürzlich verstorbenen Geliebten?

Ich glaube ja, im Moment ist es das. Langsam lehne ich mich zurück und schließe die Augen, genieße einfach seine Nähe und schiebe meine Gedanken in weite Ferne. „Willst du mir sagen was los ist?“, schnurrt er und schmiegt sich an mich. Ich lege einen Arm um seine Schultern und schweige einige Zeit, dann seufze ich und erkläre: „Ich habe mich mit den Anderen getroffen. Die haben sich die Kante gegeben um sie zu vergessen, kannst du das glauben?“ Tränen laufen erschreckend kühl aus meinen geschlossenen Augen und meine Wangen hinab, wo sie von einer warmen Hand weggewischt werden. „Wir dürfen sie nicht vergessen“, stellt er leise fest, ehe er den Kopf auf meine Brust lehnt.

Lange, sehr lange sitzen wir so auf seinem Sofa, er ist mittlerweile eingeschlafen und ich betrachte ihn, sehe in das entspannte, weiche Gesicht und muss sagen… für einen Typen sieht er süß aus. Wieder seufze ich und fahre mir mit der freien Hand durch die Haare. Was zum Henker ist los mit mir? Die Situation ist übel, ich bin nicht schwul, schließlich war ich mit Chika zusammen, liege aber trotzdem mit ihrem Bruder auf der Couch und genieße es sogar. Ja, das ist ja das Schlimme, ich genieße das Gefühl auch noch! Am besten ich suche mir die nächste Klippe und werfe mich runter, was bringt der ganze Mist hier überhaupt? Missgelaunt sehe ich auf die Uhr und erschrecke. Halb elf? Geht’s noch? Wie lange haben wir hier gelegen? Ich muss schleunigst zu Hause anrufen, die machen sich bestimmt Sorgen!

Ich will Katsu aufwecken, doch als ich ihn ansehe bring ich’s nicht übers Herz. Ich weiß wie dumm das ist, ich will ihn schließlich nur wecken und nicht gleich umbringen, aber ich kann’s einfach nicht. Die Klippe scheint eine gute Idee zu sein. Mit einem seufzen hebe ich seinen Kopf an und rutsche darunter hervor, ehe ich ihn wieder sanft auf die Couch bette. Sofort rollt er sich zu einer kleinen Kugel zusammen.

Ich gehe hinaus auf den Flur, nehme das Telefon und rufe zu Hause an. Nach endlosem Klingeln meldet sich endlich meine Mutter. „Mum? Hier ist Ryo. Tut mir leid, ich bin bei Katsu, wir haben wohl die Zeit vergessen!“ Angespannt warte ich auf endlose Schimpftiraden, doch sie seufzt nur und murmelt dann: „Schon okay!“ „Echt?“ Ich bin überrascht, sonst hat sie mir immer die Hölle heiß gemacht, wenn so etwas passiert ist. „Ja, ich glaube ich kann dich verstehen. Aber ich will nicht, dass du jetzt noch in der ganzen Stadt rum rennst, meinst du, du kannst bei Katsu bleiben?“ Während ich telefoniert habe bin ich langsam mit dem schnurlosen Telefon in der Hand zum Wohnzimmer geschlendert. Jetzt lehne ich im Türrahmen, sehe verzückt zu dem Schlafenden auf der Couch und murmele dann: „Ja, ich glaube das geht.“ „Gut, dann bis morgen mein Kleiner, Gute Nacht!“ „Dir auch gute Nacht Mum!“, verabschiede ich mich leise, dann lege ich auf und bringe das Telefon zurück zu seinem Angestammten Platz.
 

Als ich wieder ins Wohnzimmer komme, seufzt mein bester Freund im Schlaf gerade auf und ich glaube fast meinen Namen in dem Lautmischmasch erkannt zu haben. Heftig schüttele ich den Kopf. Werde ich jetzt ganz plemplem? Wieso sollte er im Schlaf meinen Namen murmeln? Da wohl eher den seiner Freundin. Warte, er hat ja zwei. Wo wir schon beim nächsten Problem wären. Ich kann mich gar nicht in ihn verlieben, schließlich ist er vergeben. Aber… warum hat er sich dann so vertrauensvoll an mich gekuschelt? Ist es wirklich nur das? Wirklich nur, weil er mir vertraut? Das wäre natürlich gut aber… wenn es so gut ist, warum versetzt es mir dann einen Stich? Fragen über Fragen. Aber die wichtigste ist: Warum stehe ich immer noch in der Tür und starre ihn an? Was mach ich jetzt?

Ich entschließe mich, einfach so mal kurz zu seufzen und dann zur Couch zu gehen, mich davor niederzulassen und ihm erstmal eine rote Locke aus dem Gesicht zu wischen, was er sofort mit einem wohligen Seufzer quittiert. Ich sollte ihn ins Bett bringen und dann auch schlafen. Auf der Couch, das habe ich gerade beschlossen, mir ist nicht so ganz wohl bei dem Gedanken mit ihm in einem Bett zu liegen. Was würde er dazu sagen, wenn er aufwacht und sieht mich in seinem Bett? Eine eindeutig zweideutige Frage, nicht? Also stehe ich auf, hebe ihn hoch und trage ihn ins Schlafzimmer. Auf dem Weg dorthin kuschelt er sich eng an meine Brust und seufzt wieder leise. Als ich ihn auf dem Bett abgelegt habe, stellt sich mir gleich die nächste Frage. Soll ich ihn ausziehen? Das jetzt keiner was Falsches denkt, ich habe keinerlei perverse Experimente oder ähnliches vor, ich kann mir nur vorstellen, dass es bequemer wäre.

Aus schon vorhin gedachten Gründen entscheide ich mich jetzt mal für nein, decke ihn nur noch sanft zu, kann mich aber nicht entschließen von seinem Bett zu verschwinden. Warum in aller Welt kann ich mich nicht einfach auf den Weg ins Wohnzimmer machen? Warum stehe ich hier rum wie ein Pfosten und starre ihn an? Und warum in drei Teufels Namen ist es plötzlich so warm in diesem als Wohnung getarnten Gefrierschrank? Hilfe, ich suche eine Klippe.

Mit heftigem Kopfschütteln und schon fast fluchtartig verlasse ich jetzt dann doch mal das Schlafzimmer und mache mich auf den Weg ins Wohnzimmer, wo ich mich auf die Couch lege. Halt, ich hab das Licht vergessen. Also stehe ich noch mal auf, gehe zur Tür – weil da der Lichtschalter ist – und lasse es mir nicht nehmen noch mal kurz zur Schlafzimmertür zu hetzten und hineinzulugen. Die Türen in seinem Haus sind sowieso immer offen oder er hat erst gar keine, deswegen geht das so einfach. Katsus schmale aber recht lange Gestalt hat sich unter der Decke wieder zu einer kleinen Kugel zusammen gerollt, die roten Locken verdecken schon wieder das Gesicht. Noch einen Moment sehe ich ihn verzückt an, dann reiße ich mich von seinem Anblick los, gehe zurück ins Wohnzimmer, schalte im Vorbeigehen das Licht aus und frage mich nebenbei ob ich von irgendetwas besessen bin oder so, schließlich kann man nie wissen.

Als ich endlich im fahlen Licht, das zum Fenster herein scheint, ich hab nicht wieder eine Lampe vergessen, so verpeilt bin ich auch nicht, na ja, jedenfalls als ich da so auf dem Sofa rumliege, denke ich schon wieder. Über Katsu und sein seltsames Verhalten, über Chika und ihren Tod… was musste sie auch wieder spielen. Ich wusste ja, dass sie sich eines schönen Tages mit ihren ganzen chemischen Experimenten in die Luft jagen würde, aber… ich wollte es nie wahrhaben und sie nie aufhören. Ja, sie war eine Amazone, aber was für eine. Wie eine Raubkatze konnte sie verschmust und anhänglich sein, aber wenn ihr etwas gegen den Strich ging hat sie die Krallen ausgefahren. Später, bei der Untersuchung des Brandes hat man herausgefunden was dafür verantwortlich war. Sie hat wieder mit Alkohol und so Zeug rum experimentiert und als ein Funke flog hat in Sekundenschnelle einiges gebrannt. Ja, irgendwas war noch mit Dämpfen oder so… angeblich konnte sich das Feuer deshalb so schnell ausbreiten… ich weiß nicht, hab nicht wirklich aufgepasst, zu diesem Zeitpunkt war ich noch in einer Art Starre gefangen. Ja, ich fang immer noch an zu Heulen wenn jemand ihren Tod erwähnt, aber… wenigstens kann ich jetzt wieder einigermaßen selbstständig denken.

Mit einem leisen grummeln drehe ich mich auf die andere Seite, starre die Couch an und schlafe bald darauf ein.

Als ich aufwache spüre ich drei Dinge. Erstens: Die Sonne scheint mir auf den Pelz und es ist sogar mal recht Warm. Zweitens: Durch die Wohnung zieht der Duft frisch gebackener Plätzchen und frischen Kaffees. Und natürlich Drittens: Eine Hand liegt auf meinem Haar. Vorsichtig drehe ich mich um, schlage die Augen auf und blicke direkt in die dunkelblauen Iriden von Katsu. „Morgen!“, murmele ich und stütze den Kopf auf meine Hand. „Morgen“, antwortet er, dann schiebt er mir eine blonde Haarsträhne aus dem Gesicht. „Weiß deine Mutter, dass du hier bist?“ Ich nicke schwach, dann will Katsu wissen: „Wann bin ich eingeschlafen?“ „So auf halb elf, ich hab dich ins Bett gebracht!“ „Danke. Du hättest auch mit ins Bett kommen können, wär zwar ein bisschen eng geworden, aber… die Couch war doch sicher scheiß unbequem!“ „Es ging“, nuschele ich, dann stehe ich langsam und vorsichtig auf. „Ich geh mal kurz ins Bad!“

Als ich knappe fünf Minuten später frisch gewaschen wieder heraus komme, werkelt Katsu schon in der Küche. Als ich hineinspitze hab ich nur noch ein Wort dafür: „Wow…“ „Ja, nicht?“, grinst er stolz und sieht sein Werk liebevoll, naiv und so unglaublich süß an… halt ich denke schon wieder so Kacke, ich dachte das wäre ein kurzer Ausrutscher gewesen, aber nein, es geht weiter. Oh Gott, man reiche mir einen Strick.

Jedenfalls ist es wirklich gut geworden was er gemacht hat, er hat nämlich den Tisch gedeckt, sogar mit Sonnenblumenblüten in kleinen Wasserschüsselchen… ich wusste nicht, dass Katsu so süß sein kann. Oder so kitschig, wen man die hellblau karierte Tischdecke ansieht und die farblich abgestimmten Teller. Er hat meinen leicht erstaunten Blick wohl gemerkt, den er zuckt schwach die Schultern und murmelt: „Chika hat’s mir mal vor langer Zeit beigebracht!“ Ich nicke, immer noch etwas erstaunt, dann setze ich mich. „Du magst Pfannkuchen, oder?“, fragt er und kommt mit der Pfanne auf mich zu. „Du hast extra Pfannkuchen gemacht?“ Wieder ein Schulterzucken, dann sieht er mich fragend an. Ich nicke und er schiebt mir vorsichtig einen Pfannkuchen auf den Teller. Nachdem ich ihn großzügig in Schokoladensauce gebadet habe und mit dem Essen anfange, fragt er mich beiläufig: „Wie geht’s eigentlich Akemi?“ „Gut, warum?“ „Nur so.“ Bedächtig lege ich Messer und Gabel neben meinen Teller und frage: „Hast du sie seit… seit Chikas Beerdigung schon mal gesehen?“ Er schüttelt schwach den Kopf, also bohre ich weiter: „Was zum Henker ist zwischen euch vorgefallen?“ Als er mich ansieht liegt ein Ausdruck in seinen Augen, ein trauriger, aber auch etwas verschreckter, wenn nicht sogar ertappter Ausdruck. „Das… das kann ich dir nicht sagen“, murmelt er tonlos. „Katsu, wir sind beste Freunde, das weißt du, oder?“ Er nickt und setzt zu einer Erwiderung an, doch ich lasse ihn gar nicht erst zu Wort kommen: „Ich verstehe wenn du es mir nicht sagen willst, aber… solltest du es je wollen, dann komm zu mir.“ Als er unvermittelt anfängt zu kichern bin ich erst perplex, doch dann fällt mir auf was ich eben gesagt habe und ich lache mit. Eindeutig zweideutig das ganze. „Also, sollte ich ES je wollen komm ich auf jeden Fall zu dir!“, lacht er und ich nehme Messer und Gabel wieder auf und wende mich dem Essen zu.

„Du, Ryo?“ Ich sehe auf und direkt in das niedlich fragende Gesicht meines besten Freundes. Nein, ich mach es schon wieder!

Anstatt jetzt schreiend im Kreis zu laufen, beherrsche ich mich und grinse ihn an: „Ja?“ „Bleibst du heute Nacht wieder hier? Darfst auch mit ins Bett!“ Ich überlege extrem angestrengt. Eigentlich würde ich gerne hier bleiben… in einem Bett mit ihm… Nein! Schon wieder diese kranken Dinge die durch mein Hirn schwirren; geht weg, los! Hallo? Erde an Ryo? Hast du ’ne Vollmeise? Du kannst dich doch in deinem Zustand nicht mit Katsu in ein Bett legen! Idiot, Idiot, Idiot!

„Ryo? Geht’s dir gut? Du musst ja nicht wenn du nicht willst!“ „Doch, ich würde schon gerne!“, werfe ich ein, „Aber ich muss mich zu Hause auch mal wieder blicken lassen!“ Er nickt und ich hänge beim Essen mal wieder meinen Gedanken nach. Ich würde wirklich total gerne mit Katsu in einem Bett übernachten, mich vertrauensvoll an ihn schmiegen, aber… Chika ist gerade gestorben, Katsu ist ihr Bruder und wie gesagt ein Typ… ich bin auch eindeutig männlich… ich sollte mir sowieso einen Strick suchen… und das die Welt scheiße ist weiß ich auch schon lange.

Ich seufze entnervt auf und zucke schon im nächsten Moment zusammen. Während ich nachgegrübelt habe ist Katsu aufgestanden, hat sich mir von hinten genähert und massiert jetzt meine Schultern. „Katsu… was…?“, murmele ich, doch dann lasse ich ihn einfach machen, lehne mich zurück und seufze leise. Schön. „Du armer Kleiner bist ja ganz verspannt!“, flüstert er und darf sich an einem neuerlichen Seufzer erfreuen. Dabei bin ich gar nicht so klein. Ist ja egal, mein Gehirn ist sowieso kaputt, umbringen sollte ich mich auch und seine Hände sind so verdammt warm, wen interessiert da schon so eine Beleidigung wie ‚Kleiner’ oder irgendwelche Werte wie Moral und Anstand oder irgendetwas in der Art. Am liebsten würde ich ihn jetzt küssen, aber… aus, hör sofort mit dem Mist auf du dummes Gehirn!

Nach einiger Zeit der Stille, nur unterbrochen von einigen Seufzern hier und da, murmelt Katsu: „Und, was machst du heute noch so? „Mhh… wir haben Sonntag, nicht? Ich muss noch Hausaufgaben machen, also… hab ich schon eine Beschäftigung die meinen ganzen Nachmittag ausfüllt!“ „Der Drache mit der Trillerpfeife?“ Ich nicke. Er seufzt mitfühlend auf und massiert weiterhin hingebungsvoll meine Schultern. Irgendwann klingelt plötzlich das Telefon und Katsu huscht hinaus in den Flur. Hach, das war sehr gut… aber ich muss jetzt wirklich mal los.

Langsam stehe ich auf, strecke mich noch einmal müde und schlendere dann in den Flur. Katsu legt gerade genervt das Telefon auf als ich in den Flur komme und sieht mich etwas verdutzt an. „Du gehst schon?“ „Ja, ich muss es ausnutzen das du abgelenkt bist!“ Jetzt wirkt er fast etwas enttäuscht als er fragt: „Hat es… hat es dir etwa nicht gefallen?“ „Doch, doch!“, erwidere ich hastig, „Es hat mir sogar so sehr gefallen, dass ich sonst nicht weiß ob ich je wieder von hier weg komme! Und ich muss langsam mal heim!“ „Okay…“, murmelt er, immer noch leicht enttäuscht und ich hauche im vorsichtig einen Kuss auf die Wange, dann ziehe ich hastig Schuhe und Jacke an und verschwinde. Kaum stehe ich vor dem Haus bleibe ich noch einmal stehen und bin extrem geschockt. Warum habe ich ihm jetzt einen Kuss gegeben? Ich spiele ihm hier sozusagen Gefühle vor die gar nicht da sind! Oder sind sie doch da? Ich fühle mich so wohl in seiner Nähe, obwohl er der Bruder meiner Chika ist… meiner süßen Chika.

Wieder sehe ich vor meinem geistigen Auge dieses eine Bild, ihr Bild, wie sie in der Tür steht, die feuerroten Locken, der wohlproportionierte Körper… doch das Bild verändert sich, immer noch rote Locken, doch der Körper… kantiger, sehniger, größer… Katsu! Entsetzt schlage ich mir mit der flachen Hand vor die Stirn. Nein, nein, nein, so kann das nicht sein, so ist es nicht… geht aus meinem Kopf! Blöde, bescheuerte, wirre Gedanken, geht da raus!

Mit einem heftigen Kopfschütteln, den Händen in den Jackentaschen vergraben und einem grummeligen Gesichtsausdruck mache ich mich auf den Weg nach Hause.
 

Mit einem seufzen schließe ich die Türe auf und rufe: „Bin wieder da!“ Kumiko kommt aus der Küche gewetzt umschlingt meine Hüften und quiekt: „Da bist du ja wieder!“ Ich nicke lächelnd, dann erwidere ich: „Ja, tut mir leid, ich wollte eigentlich schon gestern kommen, aber ich hab’s verpennt!“ Mum streckt den Kopf aus der Küchentür, lächelt mich an und grüßt: „Hallo mein Junge, willst du was zu essen?“ Ein schwaches Kopfschütteln meinerseits, dann ein: „Nein, danke für das Angebot, aber… Katsu hatte sich extra die Mühe gemacht zu kochen!“ „Nett von ihm!“, murmelt sie und verschwindet wieder in der Küche. „Ich geh jetzt Hausaufgaben machen, ja?“, erkläre ich, nur damit meine Mum beschied weiß wo ich bin und gehe hinauf in mein Zimmer. Kumiko folgt mir unauffällig, klettert aufs Bett, sieht mir zu wie ich mich an den Schreibtisch setze und fragt: „Na, war’s schön?“ Ich erstarre, dann drehe ich mich langsam zu ihr um und mustere sie erstaunt. Sie lächelt mich an wie immer, mit ihren trüben, grauen Augen. Ja, die Kleine ist erst Fünf. „Wie… wie meist du das?“, frage ich rau und sie grinst nur und fragt: „Du bist in ihn verknallt, aber heftig!“ Ich atme scharf ein, dann zische ich: „Kumiko! So was geht doch nicht! Wir sind… er ist… er ist doch ein Junge, ganz genau wie ich!“ Schulterzucken, dann: „Na und? Wenn du ihn liebst und er dich genauso… ich sehe da kein Problem!“ Ich spüre wie mir das Blut in die Wangen schießt. „Na ja… Kumi… weißt du… also… wenn… oder… zwei Jungs… und dann… äh…“, beginne ich zu stottern und sie winkt hastig ab und räumt großspurig ein: „Du musst jetzt nicht stottern, ist doch nicht schlimm das du schwul bist!“ Mir klappt der Mund auf. Abgesehen davon, dass eine normale Fünfjährige dieses Wort nicht mal kennen sollte… „Wieso glaubst du ich wäre… schwul?“ „Du bist immer bei ihm… du bist relativ glücklich wenn du zu ihm aufbrichst und relativ unglücklich wenn du wieder zurück kommst… so etwas merk ich halt einfach!“

Etwas entsetzt sehe ich meiner kleinen Schwester nach wie sie fröhlich kichernd aus dem Raum hüpft. Woher zum Teufel kennt sie so was? Sie ist Fünf! Ich wusste mit Fünf nicht mal über hetero beschied, aber so was… versaut, das ist das einzige was mir zur heutigen Jugend einfällt!

Kopfschüttelnd widme ich mich wieder meinen Aufgaben, doch keine zwei Minuten später sind meine Gedanken wieder bei Katsu. Verdammt, sollte Kumi Recht haben? Das wäre meiner Meinung nach übel. Vor allem… Chika gegenüber. Ich hab sie geliebt, wirklich, wahrhaftig mit Leib und Seele, aber… was ist das mit Katsu? Seine Augen kommen mir in den Sinn, dieses tief, dunkel Blau… der Kontrast zu dieser Alabasterweißen Haut… oh mein Gott was mach ich hier? Ich träume nicht im Ernst von den Augen von einem Kerl, oder? Entsetzt lasse ich den Kopf auf die Tischplatte fallen, wo er mit einem lauten Knall aufschlägt. Verdammt, ich sitze echt ganz tief in der Scheiße…

Katherina, Katsu und ich

Drittes Kapitel: Katherina, Katsu und ich
 

Mein Wecker zeigt halb sieben an als er mich mit seinem penetranten Ton aus dem Bett wirft. Mann ich muss mir unbedingt mal einen neuen kaufen, am besten einen mit Katsus Stimme… nein, geh weg, hör auf, dass kann doch nicht sein!

Ich stehe seufzend auf und schüttele heftig den Kopf, ehe ich im Bad verschwinde. Während das Wasser über meinen Körper läuft, wandern meine Gedanken wieder zu Katsu… ob er auch gerade duscht? Halt, weg mit den Gedanken, sonst passiert noch ein Unglück! Verdammt, zu spät! Mit einem genervten Aufseufzen drehe ich die Dusche auf kalt. So kann’s doch nicht weiter gehen Als ich Zähne klappernd wieder aus der Dusche steige, überlege ich was ich machen kann, irgendwas muss doch passieren, sonst werde ich noch wahnsinnig! Seufzend packe ich meine Sachen für die Schule zusammen und gehe hinunter in die Küche.

„Guten Morgen Ryo!“ „Morgen Mum, Morgen Kumiko!“ Liebevoll gebe ich meiner Schwester einen Kuss auf die Wange und setzte mich zu ihr an den Frühstückstisch. Mum lehnt am Schrank, eine Tasse Kaffee in den Händen und fragt: „Na Kumiko, freust du dich auf die Schule?“ „Natürlich Mum!“, strahlt sie und Mum erwidert: „Dann ist ja gut! Warte, ich hol dir deine Tasche, ihr müsst ja beide gleich weg, nicht? Sie ist oben, nicht?“ Kumiko nickt, doch sobald Mum aus dem Zimmer ist murmelt sie: „Wer braucht schon die Schule!“ „Also Kumi!“ „Was denn, stimmt doch!“ Sie zuckt die Schultern. „Ich erkenne dich nicht wieder!“, stelle ich kopfschüttelnd fest, doch sie murmelt nur: „Ich mag keine Schule… es nervt!“ „Wieso tust du dann so als könntest du dir nichts Besseres vorstellen?“ „Man muss den Schein wahren! Immer hin hat man mich ein Jahr früher eingeschult, irgendwie muss ich mich ja dafür revanchieren!“

Grinsend schüttele ich den Kopf und widme mich wieder meiner Tasse Kaffe.

Nach dem Essen hole ich meine Tasche aus meinem Zimmer, verabschiede mich von meiner Schwester – Mum bringt sie nachher in eine Spezialschule für Blinde – und schlurfe dann hinaus zur Straße.

Ich hab erstens keine Lust auf Schule und zweitens keinen klaren Gedanken. Dreimal dürft ihr raten, wer in meinem Kopf rumschwirrt, richtig, Katsu. Immer wieder kommen mir seine dunkelblauen Augen in den Sinn, immer wieder muss ich darüber nachdenken, was ich für ihn fühle. Ja, es ist schlimm, denn ich habe keinerlei Ahnung. Es war so schön warm in seinen Armen und seine Berührungen machen mich jedes Mal fast wahnsinnig. Hört sich schwer verliebt an, nicht? Ja, ist aber nicht so, ich hab mich nicht in ihn verliebt, nein, nein, nein! Das wäre mir auf jeden Fall aufgefallen, oder? Sollte ich aufhören mir solche Durchgeknallten Fragen zu stellen? Sollte ich auch aufhören zu denken? Sollte ich mir einen Strick besorgen? Ich weiß wirklich nicht mehr was ich tun soll, was kann ich gegen all die Fragen tun? Au… ich glaube mein Hirn schmilzt gerade, ich hab’s wohl überlastet.

Hey, sieh mal einer an, meine Füße haben mich schon wieder wo hingetragen, dieses Mal zur Schule.

Der Hof ist bereits bevölkert, haufenweise Schüler und Schülerinnen stehen rum, reden, schreiben letzte Hausaufgaben ab und drehen Däumchen.

Ich gehe hinein, zu den Schließfächern und während ich noch meine Schuhe wechsele, schlägt mir gleich jemand auf die Schulter. „Autsch, Takeshi, musst du mich immer niederschlagen?“ „Ach quatsch nicht!“, knurrt er und sieht mir belustigt dabei zu, wie ich mir mit schmerzverzerrtem Gesicht die Schulter massiere. „Sag mal, warum bist du eigentlich am Samstag so schnell gegangen? Und am Sonntag wollten wir uns auch im ‚Henrys’ treffen, hast du das auch vergessen?“ Angestrengt denke ich nach, dann frage ich: „Im ‚Henrys’? Am Sonntag? Sorry, das hatte ich glaub ich wirklich vergessen. Ich hab stattdessen Hausaufgaben gemacht.“ „Ah, die muss ich auch noch abschreiben, hast du die kleine Streberin aus der ersten Reihe gesehen?“ Ich schüttele den Kopf. „Na dann muss ich sie suchen… wie viel Uhr haben wir?“ Ich sehe an Takeshis Kopf vorbei auf die Uhr, dann erkläre ich: „Dreiviertel Acht, warum?“

Doch ich höre es schon, mit einem Quieken kommt Minami um die Ecke gefetzt, gefolgt von einer fröhlich lächelnden Fuyu. Minami kommt schlitternd vor uns zu stehen und wechselt schon die Schuhe, während Fuyu ihren Süßen sehr liebevoll begrüßt. Währenddessen sehe ich demonstrativ zur Seite, wende mich Minami zu und frage: „Hast du… wie heißt sie doch gleich… ach ja, Dana Prince gesehen, du weißt schon, die kleine Amerikanerin?“ „Nö, warum?“, ist ihre Gegenfrage und ich seufze, ehe ich erkläre: „Takeshi muss mal wieder die Hausaufgaben abschreiben, du weißt ja wie er ist!“ Minami nickt heftig, dann fährt sie sich etwas genervt durch die kurzen, rotbraunen Haare und blickt an mir vorbei auf die zwei immer noch wie besessen knutschenden hinter mir. „Takeshi, soll ich die Streberin suchen?“ Er löst sich kurz von Fuyu nickt Minami zu und widmet sich dann wieder seiner anderen Beschäftigung.

Minami flitzt schon wieder los und ich seufze noch kurz, ehe ich murmele: „Ich lass euch dann mal alleine!“

Leicht angenervt schlendere ich in Richtung Klassenzimmer. Die meisten Schüler sind entweder draußen oder in der Aula, hier auf den Gängen ist kaum jemand, ich bin alleine und kann wunderbar meinen Gedanken nachhängen. Mit einem erneuten Aufseufzen lasse ich meine Tasche auf den Boden fallen, lehne mich an die Wand unseres Klassenzimmers und lasse mich daran hinunter rutschen. Ich ziehe die Beine an meinen Körper, schlinge die Arme darum und lehne meinen Kopf in den Nacken. Frustriert starre ich an die Decke.

Was zum Henker ist los mit mir? Warum fühle ich mich in Katsus Nähe so komisch? Geht es ihm genauso? Warum drehen sich alle meine Gedanken immer nur um ihn? Und warum frage ich mich ständig dasselbe? Bin ich langsam ganz durchgeknallt? Ja, ich glaube das ist die einzige Frage, auf die es nur eine Antwort gibt: Ryo alter Junge… du hast so was von einen an der Waffel das es dir selbst nicht mal mehr auffällt. Träumst den ganzen Tag vor dich hin und all diese Träume drehen sich um den BRUDER deiner eben verstorbenen Geliebten. Das ist krank, ganz einfach! Ich meine… das ist nicht nur pietätlos sondern auch gleich noch morbid! Und das was da heute Morgen unter der Dusche passiert ist? Urgs, das war ja mal peinlich, zum Glück hat das keiner mitgekriegt. Wenn mir so was in der Schule passieren würde… nein, lieber gar nicht dran denken… so was ist wirklich ernsthaft Ekel erregend. Wobei wir damit schon beim Thema wären, ich meine… welcher normale Typ wird erregt, wenn er daran denkt, dass sein bester Freund vielleicht auch gerade duscht? Ganz genau, keiner. Junge, jetzt ist es amtlich, du bist entweder total gestört oder schwul. Oder beides. Das sind ja glorreiche Aussichten. Verzweifelt lass ich immer wieder meinen Hinterkopf gegen die Wand knallen, als plötzlich eine leise Stimme sagt: „Das ist sicherlich nicht gut für die Gehirnzellen!“

Ich sehe auf und direkt in die warmen Rehaugen von Dana Prince. Seufzend lässt sie sich neben mir an der Wand nieder und fragt: „Läuft wohl nicht so gut, was?“ „So offensichtlich?“ Ein humorloses Grinsen umspielt ihre Mundwinkel, ehe sie sich einer sehr spannenden Beschäftigung zuwendet: Die Wand gegenüber anstarren. Ich tue es ihr gleich und muss wirklich zugeben… das ist unglaublich entspannend, den Kopf leer machen, einfach die Wand anstarren und gar nichts denken. Noch verrückter kann ich ja gar nicht werden.

Die nächste Zeit sitzen wir also still nebeneinander, ehe die sogar recht schüchterne Dana das Schweigen bricht: „Was ist mit dir passiert, dass es dir so schlecht geht?“ Ich sehe sie verblüfft an. Wieso interessiert sie sich so für mich? Diese Frage stelle ich dann natürlich auch gleich und als sie antwortet, wird sie sogar leicht rot. „Ich… ich sehe es einfach nicht gerne, wenn ein Mensch sich fertig macht und traurig ist. Ich… möchte gerne etwas tun, damit es dir besser geht. Möchtest… möchtest du es mir erzählen?“ „Das würde auch nicht helfen!“ „Vielleicht hilft es trotzdem. Ich mein ja nur!“ Sie legt das Kinn auf die angewinkelten Beine und sitzt jetzt genauso da wie ich. „Gut… wenn… wenn du versprichst absolut diskret zu bleiben, dann… werde ich es dir erzählen.“

Ja, fragt mich jetzt nicht warum ich ihr alles erzählen will, aber… ich tu es einfach, keine Ahnung warum.

„Also gut…“, ich seufze auf, „Ich erzähle dir jetzt etwas, mit dem du mich sehr belasten kannst, also… solltest du je vorhaben mich zu erpressen hör jetzt genau zu!“ Sie kichert leise, dann murmelt sie: „Entschuldigung, red weiter!“ Ich nicke, dann fahre ich fort: „Also… du weißt ja glaub ich, dass ich mit Chika zusammen war und das sie… gestorben ist. Ich habe Chika geliebt, mit ganzem Herzen ganzer Seele, ganzem… oh Gott klinge ich schnulzig. Jedenfalls… in der Nacht ihres Todes habe ich… ihren Bruder getroffen, Katsu, und er hat sich zu meinem besten Freund entwickelt. Seit kurzem muss ich aber feststellen, dass es mir plötzlich irgendwie anders in seiner Nähe geht, ich fühle mich komisch, bin grundlos aufgeregt, sehne mich nach seiner Nähe… so Zeug halt. Und jetzt kannst du mir hoffentlich sagen, was mit mir los ist! Was soll ich jetzt am besten machen? Kannst gerne auch Selbstmord vorschlagen, da hab ich auch schon dran gedacht!“

Sie sieht mich etwas entsetzt an, dann schüttelt sie heftig den Kopf so dass der braune Pferdeschwanz um ihre Schultern schlägt. „Du kannst doch nicht wirklich in Erwägung gezogen haben Suizid zu begehen? Ryo, das bist du dir aber vor allem Chika wirklich schuldig. Und das du dich in Katsu verliebt hast muss ich dir nicht extra sagen, oder?“ Ich schüttele den Kopf, lächele schwach und erkläre: „Meine Schwester hat mich da auch schon drauf hingewiesen!“ „Ist die nett?“ „Hm?“, ich sehe sie an und sie fragt geduldig: „Deine Schwester, ist sie nett?“ Ich zucke die Schultern, dann murmele ich trocken: „Sie ist etwas frühreif, in ihrem Alter hab ich mich mit so was noch nicht ausgekannt!“ „Wie alt ist sie denn?“ „Fünf!“ Sie lacht laut auf, lehnt sich gegen meine Schulter und kichert immer noch vor sich hin. Irgendwie untypisch für sie. „Sie ist wirklich erst fünf!“, beharre ich und lege vorsichtig den Arm um ihre Schulter. Immer noch lachend wischt sie sich einige Tränen aus den Augen und lacht dann: „Entschuldigung, ich wollte weder dich noch deine Schwester beleidigen, aber… ich stelle mir das lustig vor, wenn ein 17-jähriger von seiner fünfjährigen Schwester darüber aufgeklärt wird, dass er sich verliebt hat!“ „Und nicht nur das“, werfe ich ein, „Sie hat mir bei der Gelegenheit gleich noch gesagt, dass sie es nicht schlimm findet, dass ich schwul bin!“ „Ich auch nicht!“, gibt Dana zu und rückt wieder ein Stück von mir weg.

„Also… was soll ich jetzt machen?“, hake ich nach und sie überlegt einen Moment, ehe sie antwortet: „Also, entweder du sagst es ihm oder du beendest eure Freundschaft.“ „Tolle Aussichten!“, murre ich und sie zuckt die Schulter, dann: „Ich kann ja auch nichts dafür!“ „Ich weiß Dana und ich bin dir furchtbar dankbar, dass du mir zu hörst. Aber… ich will es ihm nicht sagen, damit mache ich wahrscheinlich alles kaputt!“ Sie seufzt, dann lehnt sie den Kopf zurück gegen die Wand.

„Ein wirklich schwerwiegendes Problem das du da hast!“, stellt sie fest, dann sieht sie mich fest an und meint: „Du wirst damit fertig!“

Und wie sie das so sagt, so zuversichtlich und fest, fange ich unwillkürlich an zu kichern. Irritiert sieht sie mich an, dann fragt sie: „Wieso kicherst du jetzt so vor dich hin?“ „Dein Vertrauen ehrt mich, aber… ich bin mir nicht sicher ob ich damit fertig werde!“ Sie boxt mir fröhlich gegen den Arm, dann lacht sie: „Du erinnerst mich an so einen tragischen Helden! Nein, im Ernst jetzt, bleib ganz ruhig, ich bin ja auch noch da und werde dir helfen, ja?“ Ich nicke.

Plötzlich Schritte und ein Lehrer läuft um die Ecke. Sofort springt Dana auf und streicht ihren Rock glatt. „Wollt ihr in dieses Klassenzimmer hier?“, will der der Mann wissen und Dana antwortet freundlich: „Ja, würden Sie uns bitte aufsperren?“ Der Lehrer nickt, sperrt die Tür auf und winkt uns zuvorkommend hinein. „Danke sehr!“, antwortet die Braunhaarige höflich und strahlt den Mann an, der nur die Schultern zuckt und mit einem „Nichts zu danken!“ schlendert er den leeren Flur entlang weiter.

Dana geht ins Klassenzimmer und ich folge ihr. So gegen acht und auf jeden Fall nach dem Klingeln und nach dem Lehrer sowieso trudeln auch die anderen aus unserer Klasse ein, bis auf die Unauffälligen natürlich die sich irgendwann nach Dana und mir und vor dem Klingeln hinein geschlichen haben. Ganz unauffällig natürlich.
 

Nach dem das, was man als Unterricht bezeichnen kann, beendet ist, schlendere ich wieder nach Hause. Ich will heute Nachmittag noch zu Katsu. Es ist immer noch arschkalt hier draußen und der Schneefall hat auch wieder eingesetzt. Während die weißen Flocken um mich herumtanzen, denke ich noch mal über das nach, was Dana mir geraten hat. Soll ich’s ihm sagen? Was kann schon passieren, außer das ich meinen besten Freund verliere? Ich mein… er kann ja nicht mehr machen, als mich vor der ganzen Welt bloßzustellen oder solche Sachen. Nicht weiter wichtig also.

Ich weiß, das mein Sarkasmus hier unglaublich fehl am Platz ist, aber… das ist mir gerade egal. Ich hab keinerlei Ahnung was ich machen soll. Wieder seufze ich auf, dann schleppe ich mich unsere Straße entlang, öffne das Gartentürchen und schließe die Haustür auf. „Bin wieder da!“, brülle ich lautstark und Kumiko streckt den Kopf aus der Küchentür und fragt: „Was ist den mit dir passiert? Du klingst als hätte dir gerade einer eine Ladung Schlafmittel injiziert.“ Was will dieser Vergleich uns sagen? Ehrlich, ich habe keine Ahnung. „Du klingst nicht nur miesepetrig sondern auch als würdest du gleich einschlafen.“ Murrt sie etwas ungeduldig, mein Schweigen instinktiv richtig deutend, „Also was ist los?“ „Ich weiß nicht, was ich machen soll!“ „Komm doch erst mal in die Küche…“, schlägt meine kleine Schwester vor, packt mich bei der Hand und zieht mich mit sich. „Mum ist nicht da!“, sprudelt sie hervor, „Aber sie hat dir was zu essen in den Ofen gestellt, du kannst es dir ja in der Mikrowelle aufwärmen! Und dann setz dich her und erzähl es mir!“

Ich gehe zum Ofen, öffne ihn, sehe hinein und… „Urgs! Was soll das sein?“ „Ich glaub irgendein Gratin oder so!“ Ich sehe zu Kumiko, die aufmerksam in ihrem Buch liest. Ja, sie ist fünf, kann lesen, hat versucht mich aufzuklären und ist zudem noch blind. Ein echtes Wunderkind. „Starr mich nicht so an, Brüderchen, das mag ich nicht!“ Ich zucke nur kurz die Schultern, dann haue ich mir etwas von dem Zeug auf einen Teller und stelle ihn in die Mikrowelle.

Gedankenverloren starre ich aus dem Fenster in den weiß gepuderten Garten, während neben mir die Mikrowelle mit Strahlen um sich schießt. Wahrscheinlich ist mein Hirn schon geschmolzen, deswegen denke ich immer so einen Mist. Das Piepen des Geräts reißt mich aus meinen Gedanken und ich nehme den Teller heraus, trage ihn zum Tisch und setzte mich gegenüber von Kumiko hin.

Sorgfältig schiebt sie ein Lesezeichen in ihr Buch, legt die Fingerkuppen aneinander und sieht mich mit einer typischen Psychologenmine an. „Was ist passiert?“ Stockend und kauend erzähle ich ihr die Geschichte, wie ich heute Morgen mit Dana geredet habe. Als ich geendet habe schweigt sie, dann, nach einiger Zeit murmelt sie: „Das ist wirklich schwierig. Nun… wenn ich du wäre würde ich mich wahrscheinlich erst mal rantasten. Das heißt, du solltest herausfinden wie er im Allgemeinen zu Menschen mit homosexueller Ausrichtung steht und dann kannst du ja weiter sehen. Du kannst ja dann versuchen dich erstmal allgemein an das Thema Liebe ranzutasten.“ Plötzlich fällt der Löffel auf den Teller. Nur Sekunden später falle ich meiner Schwester um den Hals und quieke: „Du bist die beste Schwester die es geben kann! Du hast mir echt geholfen Süße, ich muss sofort zu Katsu!“ „Manchmal glaube ich, dass ich erwachsener als du bin!“, tönt ihre Stimme hinter mit her, ehe die Tür zufällt und ich über den Gartenweg zur Straße renne. Nebenbei werfe ich mir die Jacke über die Schultern.

So schnell bin ich noch nie zu Katsu geflitzt, schon zehn Minuten später stoppe ich schlitternd vor seiner Tür und malträtiere den Klingelknopf. „Hmm?“ „Hier ist Ryo!“ Das Summen des Türöffners, aber nicht lange denn schon habe ich die Tür aufgedrückt und hetzt hinauf in das Dachgeschoß. Katsu steht in der Türe und wartet auf mich.

Als ich auf ihn zu renne packt er mich bei den Schultern und murmelt: „Ryo, warte mal. Ich muss dir was sagen. Ich… ähm…“ „Katsu-Schätzchen? Wer ist den an der Tür?“, dringt plötzlich eine Stimme aus der Wohnung. Häh? Katsu-Schätzchen? Hab ich was verpasst. Plötzlich erscheint eine Person hinter Katsu und das einzige was ich mich frage ist: Wer zum Henker ist das?

Okay, das da ist eindeutig weiblich, wie uns der riesige Ausschnitt sofort zeigt. Nein, denkt jetzt nichts Falsches von mir, ich achte bei einer Frau nicht als erstes auf ihren Vorbau. Normalerweise bevorzuge ich ein süßes Gesicht, aber… bei diesem… Ding da kann man gar nicht anders. Okay, um jetzt auf den Rest ihres Aussehens einzugehen… sie hat helle, wasserstoffblonde Locken und sogar recht intelligent aussehende hellbraune Augen. Auch sonst ist sie relativ normal. Bis auf den Ausschnitt eben.

„Katsu? Wer ist das?“, will sie naiv wissen und versteckt sich sogar hinter ihm. Als ob ich gefährlich wäre. „Das ist Ryo, mein bester Freund. Ryo, das ist Katharina, meine feste Freundin.“

Okay… jetzt mal ganz langsam. Schweigend folge ich Katsu und Katharina mit in die Wohnung, wo ich gleich gemeinsam mit der Blonden auf dem Sofa platziert werde, während Katsu losgeht um mir was zu trinken zu besorgen. Während Katharina mich schon über ihren kompletten Lebenslauf unterrichtet muss ich erstmal nachdenken.

Katsus Freundin. Seine feste Freundin. Katsu hat definitiv was gegen Schwule. Und ich stehe schon wieder vor einen Problem. Wie verhalte ich mich der Freundin meines Schwarmes gegenüber? Also so auf jeden Fall nicht, dann sie starrt mich gerade leicht zornig an. „Ich… ähm… Entschuldigung, ich war in Gedanken gerade bei meiner Schwester, sie ist blind musst du wissen. Was hast du eben gesagt?“ Während sie eben schon Mal ausgelegtes noch mal wiederholt (irgendwas von wegen wie alt ich bin) muss ich mich mal wieder beglückwünschen und meiner süßen Schwester mental auf die Schulter klopfen. Kumiko ist immer eine gute Ausrede. „Öhm… ich bin jetzt 17!“, erwidere ich und Katharina nickt heftig, ehe sie erklärt: „Ich bin 18!“

Toll. Hat das jemanden interessiert, dieser unvergleichlich wichtige Fakt ihres Lebens? Nein. Boah, diese Frau ist ja so nervig. Redet und redet und redet und hört gar nicht mehr auf. Und mit der ist Katsu zusammen? Ich hätte seinen Geschmack nie für so schlecht gehalten, aber… wir haben nie über Mädels geredet. Nicht wirklich jedenfalls, nicht in diesem Sinn. Oh Mann, ich muss wirklich sagen… ich habe Angst vor dem Nachmittag den ich jetzt mit ihr verbringen werde. Warum ich das mache? Einfach um bei Katsu zu sein. Ja, ich bin durchgeknallt, aber lassen wir das.

Eifersüchtig? Ich doch nicht!

Viertes Kapitel: Eifersüchtig? Ich doch nicht!
 

Okay, momentaner Status: genervt. Momentaner Standort: auf Katsus Wohnzimmercouch neben einer vollbusigen Blondine die mich in einer Tour mit mehr oder weniger wichtigen Fakten ihres Lebens zu müllt.

Endlich kommt Katsu wieder aus der Küche, ein Tablett mit Tassen dabei. Er stellt die Tassen auf den Tisch, schiebt das Tablett unter selbigen und lässt sich dann in den Sessel sinken. Sofort springt Katharina auf und lässt sich auf seinen Schoß plumpsen, nur um sofort sein Gesicht abzuschlabbern. Wie ein kleines Hündchen.

Nein, ihr braucht euch keine Gedanken machen, ich habe nichts gegen sie und ich ziehe auch nicht grundlos über sie her. Ich stelle nur Tatsachen fest.

Und eifersüchtig bin ich ja schon mal gar nicht. Warum auch? Ich hab mich nicht in ihn verliebt, das was ich seit heute Morgen so festgestellt hab war… keine Ahnung, vielleicht bekomm ich die Grippe oder so, wer weiß. Aber dieses Ding, das da das niedliche Gesicht meines besten Freundes ansabbert ist wirklich kein schöner Anblick.

Ich nehme einen Schluck Tee während ich die beiden weiterhin aufmerksam ansehe. Nun… ich weiß nicht warum er mit ihr zusammen ist und ich habe auch keinerlei Ahnung ob ich mich bei seinem Geschmack getäuscht habe, aber… eines weiß ich sicher: Ich liebe ihn nicht. Punkt.

So, da das ja jetzt geklärt wäre… höre ich mich eigentlich irgendwie schizophren an? Schon, oder? Irgendjemand der Meinung, dass ein Strick auch dieses Problem lösen könnt? Wobei… der könnte wahrscheinlich alles lösen. Nein, ich bin nicht selbstmordgefährdet, wieso auch? Nur weil hier ein… ziemlich fragwürdiges Subjekt mit einem Typen rumknutscht, der mir gar nichts bedeutet? Der nur der Bruder meiner Geliebten ist? Das ist wirklich ein Selbstmordgrund.

„Ähm… soll ich vielleicht wieder gehen?“, will ich wissen, während in mir zwei Parteien toben. Wie im Bundestag. Die eine Partei hat sich mit meinem Kopf verbündet und wünscht sich ein: ‚Ja, geh, komm besser ein andermal wir haben noch was vor!’ die andere hat sich wohl mit… anderen Körperbereichen verbündet und will ein: ‚Nein, ich weiß was besseres, wir werfen die Tussi raus und bleiben hier ganz alleine in meiner Wohnung, meinem Bett und so weiter…’ Und ich? Ich bin eigentlich nur neutraler Beobachter. Wie die Schweiz.

Katsu sieht mit einiger Mühe am wasserstoffblonden Busch vor seinem Gesicht vorbei und meint dann munter: „Nein, bleib doch noch ein bisschen!“

Halt, warte. War das gerade so was wie ein flehender Ausdruck in seinem Gesicht? So ein ‚Bitte, bitte lass mich nicht mit diesem Monster alleine’? Wohl eher nicht, warum auch? Ist ja schließlich seine Freundin, der blonde Busch. Doch sein Gesicht ist schon wieder weg. Ich seufze auf und widme mich wieder meiner Teetasse.

Das kann ja heiter werden.

Fast fünf Minuten später nimmt Katharina wieder eine einigermaßen annehmbare Haltung ein und dreht sich zu mir um. „Sag mal… du gehst doch noch zur Schule, oder?“ „Öhm…ja?“ Was hat sie vor? Will sie mich ausfragen und ihr Wissen gegen mich verwenden? Sei auf der Hut Ryo, man weiß nie was sie dir antun kann… klinge ich irgendwie paranoid? Nein, gar nicht. „Und, bist du einigermaßen gut in der Schule?“ „Ich kann nicht klagen.“ „Weißt du den schon was du später werden willst?“ Ich zucke die Schultern, dann erwidere ich: „Reich wäre nicht schlecht!“ Sie beginnt zu lachen – gackern würde es eher treffen, aber… ich hasse sie ja nicht, nein – dann stellt sie fest: „Du bist aber richtig süß!“

Stopp… hat… das da… mich gerade wirklich ‚süß’ genannt? Und sitzt sie dabei auf dem Schoss ihres Freundes? Und ist das nicht irgendwie… nun ja… abartig? Meiner Meinung nach ist ja die ganze Tussi abartig, aber… so was würde ich ja nie laut sagen, nicht?

„Warum… süß?“ „Na ja, diese schlagfertige Antwort eben… die war wirklich süß und so!“ Ja klar und morgen werden wir alle von Aliens entführt. Ach nein, die haben ja schon mein Gehirn wie ich… war das vorgestern… na ja, ist jedenfalls schon ne Zeit her das ich das festgestellt habe.

„Hast du nicht vorhin von deiner Schwester erzählt? Ist sie nett? Wie alt ist sie? Kennst du sie auch, Katsu-Schätzchen?“ Katsu schüttelt den Kopf und ich mache mich daran, die ganzen Fragen zu beantworten: „Ja, ich hab von ihr erzählt, ja, sie ist nett, sie ist gerade fünf Jahre alt und nein, Katsu kennt sie noch nicht!“

„Du hattest doch immer von deiner netten Schwester erzählt, nicht wahr Katsu? Wie geht es ihr denn eigentlich?“ Ich zucke zusammen. Hat er es ihr nicht erzählt? Diese ignorante Kuh grinst immer noch süßlich, doch hinter ihr sieht Katsu geschockt, fast entsetzt aus. Ich stehe auf, wie betäubt, höre nicht zu als Katsu hinter mir her ruft.

Doch ich gehe nicht, nein, ich verschwinde im Bad, sperre mich ein und lasse mich auf den Badewannenrand sinken. Ich muss das jetzt erst verarbeiten. Ich hatte nicht damit gerechnet plötzlich wieder über Chika zu stolpern, es hat mich eiskalt überfallen. Tränen laufen meine Wangen hinab, heiß tropfen sie auf den Teppich, doch es ist mir egal, in Gedanken bin ich bei Chika, bei meiner Süßen, wie sie in der Tür stand, bei meinem letzten Besuch. Wir hatten noch so viel vor.

Ich höre den spitzen Aufschrei, anscheinend hat Katsu es ihr jetzt gesagt. Ein kleiner Tumult im Flur, dann geht die Tür, alles ist still, bis es an der Tür klopft. „Ryo? Geht’s dir gut?“ Ich antworte nicht. Was glaubt er wie es mir geht? „Ich weiß, dass das ein Schock für dich war, für mich war es ja auch einer. Es kam so vollkommen überraschend jetzt. Bitte Ryo, lass mich rein!“ Gehorsam stehe ich auf, öffne die Tür, sehe einen Moment in sein besorgtes Gesicht und lasse mich dann einfach haltlos schluchzend gegen ihn sinken.

Wieso, wieso spüre ich gerade jetzt so deutlich wie ich sie vermisse? Katsus Hände streichen sanft über meinen Rücken, er schweigt und das tut so gut. Ja, später mache ich mir Vorwürfe und will mich wieder von einer Klippe stürzen, aber… für den Moment lasse ich es einfach gut sein, bleibe einfach in seinen Armen und lasse mich halten. Ein wundervolles Gefühl und die späte Rache meines Gewissens blenden wir einfach mal aus.

Lange hält er mich so fest, dann schiebt er mich ein bisschen von sich weg, sieht mir ins Gesicht und fragt liebevoll: „Geht’s wieder?“ Ich nicke.
 

Eine Stunde später liege ich auf meinem Bett, starre an die Decke und denke über diese Szene nach. Ich habe mich von Katsu verabschiedet, bin nach Hause geschlichen und habe mich sofort in meinem Zimmer eingesperrt.

Ich liebe diese Momente in denen wir uns so nahe sind, in denen ich ihm vollkommen vertraue, aber… sie sind selten, sehr selten.

Das Handy auf meinem Nachttisch klingelt. Schwerfällig hebe ich einen Arm, angele es mir und drücke seufzend auf das kleine grüne Knöpfchen.

„Ryo? Hier ist Katsu. Wie geht es dir?“ „Die Wahrheit? Beschissen.“ Er seufzt und ich kann mir genau vorstellen, wie er jetzt mit dem Telefon in der Hand an der großen Glaswand im Wohnzimmer steht und hinaus über die verschneite Stadt blickt. Das rote Haar fällt ihm ins Gesicht, das von Trauer und Sorge verzerrt ist. Bei dem Gedanken kommen mir die Tränen, ich will nicht, dass Katsu wegen mir solche schrecklichen Gefühle hat.

„Ryo? Was ist los? Warum weinst du?“ „Ich weine doch gar nicht!“, widerspreche ich und wische mir hastig das Wasser aus dem Gesicht. „Lüg mich nicht an, ich kann es hören. Bitte, kann ich irgendetwas für dich tun? Ich… ich würde alles machen, du bist mir so wichtig wie mein eigenes Leben, Ryo!“

Warte… war das gerade so was wie ein Liebesgeständnis? „Wie meinst du das, Katsu?“ „So wie ich es gesagt hab!“, beharrt er, dann seufzt er leise auf und fragt noch mal: „Nein im Ernst, kann ich irgendetwas für dich tun? Du kannst jeder Zeit vorbeikommen, wenn du willst kannst du auch hier übernachten, das Bett ist zwar nicht groß, aber… für uns beide reicht es schon!“

Ich würde so verdammt gerne, aber… ich muss das alles, vor allem dieses Telefonat erst Mal verarbeiten. Also… „Nein, danke Katsu, aber… momentan ist dieser Anruf von dir die beste Medizin, einfach deine Stimme ist schon beruhigend. Du bist da wenn ich dich brauche und das rechne ich dir hoch an. Danke Katsu, danke das du da bist.“ „Immer gerne.“ „Katsu? Ich muss jetzt aber trotzdem auflegen, ich werde noch ein bisschen schlafen, ich muss das jetzt alles erst mal verdauen, bitte sei mir nicht böse!“ „Wieso sollt ich? Ich kann dir nicht verdenken, dass du auch mal schlafen musst. Ich mach mir nur so schreckliche Sorgen um dich. Bitte, meld dich doch noch mal, ja?“ „Natürlich, bis bald Katsu und wie gesagt… danke, danke, dass du immer da bist!“ Dann lege ich auf, platziere das Handy auf dem Nachttisch, sehe auf die Uhr, die gerade 17.00 Uhr anzeigt und rolle mich dann auf meinem Bett zusammen.

Dieses ganze Telefonat, es war so… so vertraut, so liebevoll. Er scheint sich wirklich ernsthaft Sorgen um mich zu machen. So kenne ich ihn normalerweise gar nicht, normal ist er so… lustig, überdreht, fast als verstecke er etwas, aber gerade eben… er klang fast verzweifelt. Der Arme, immer mache ich den Menschen die ich liebe nur Sorgen, immer verletze ich andere! Ich hasse es, hasse es wirklich, die Menschen die mir was bedeuten werden verletzt und ich bin schuld daran! Wieder laufen Tränen aus meinen Augen und tropfen auf meine Matratze.
 

Plötzlich klingelt mein Handy erneut. Hastig fahre ich auf, wische mir die Tränen aus dem Gesicht und gehe ans Telefon. „Ja?“ „Ryo? Hier ist Dana. Ich hoffe du bist nicht sauer, dass ich deine Nummer ermittelt habe, oder?“ „Nein, natürlich nicht. Ich freue mich, dass du anrufst!“ „Du klingst nicht so…“, murmelt sie leise, doch es klingt nicht vorwurfsvoll, sondern eher… besorgt. „Mann noch jemand den ich verletze.“ Sie stutzt, das hört man, dann fragt sie: „Wie kommst du auf die Idee du würdest mich verletzen? Nur weil du traurig bist? Da kannst du nichts dafür. Erzähl mir was passiert ist!“ Ich seufze, dann beginne ich wirklich langsam zu berichten, wie mein Tag gelaufen ist und ich beginne mich besser zu fühlen, vor allem, als sie – nach dem ich geendet habe – erklärt: „Ich kann verstehen, wie du dich jetzt fühlst, oh Ryo du Armer, du musst voll im Chaos stecken. Aber jetzt erzähl doch mal genauer über Katharina, so wie ich das mitbekommen habe wusste sie nichts davon.“ „Das stimmt, sie scheint sich nicht dafür interessiert zu haben warum er zurückgekommen ist. Ich mag die Tussi nicht, wie sie sich immer an Katsu ranschmeißt und sein Gesicht abschlabbert… wie so ein Hund, ein blonder, buschiger Pudel!“ Dana am anderen Ende lacht über meine Beschreibung, dann will sie immer noch kichernd wissen: „Bist du eifersüchtig, Ryo?“ „Ich? Nein, wieso auch? Nur weil sie sich an meinen besten Freund ranmacht? Ich empfinde schließlich nichts für ihn… bis auf Freundschaft eben, aber… nein, nein ich bin doch nicht eifersüchtig!“ „Hört sich aber genau danach an!“, erwidert sie und lacht. „Nein, wie kommst du jetzt darauf, nur weil diese blonde Tussi sich an meinen Katsu ranmacht bin ich doch nicht eifersüchtig… verdammt, du hast Recht, ich bin eifersüchtig und wie… Dana was mache ich den jetzt?“

„Also… erstmal tief durchatmen, Einsicht ist der erste Schritt zur Besserung! Und dann…“ „Ich weiß es!“, unterbreche ich sie, „Ich begeh einfach Selbstmord!“ „Was willst du tun, dich aus dem Kellerfenster stürzen?“ Ist das Sarkasmus in ihrer Stimme? Nein, sicher nicht. Also erwidere ich nur trocken: „Ha, ha…“, ehe ich das Thema wechsele: „Sag mal… hast du Mathe kapiert?“ „Wie kommst du jetzt auf Mathe? Ich dachte wir sind noch bei der blonden Tussi!“

Moment… will Dana jetzt wirklich das, was ich glaube, dass sie will? Das wäre ja krank das würde mein ganzes Weltbild durcheinander bringen, Dana und… nein, das geht doch nicht, das ist… bei jeder anderen, vor allem bei Katharina könnte ich’s mir vorstellen, aber bei Dana? Will sie wirklich… „Dana, du willst doch jetzt nicht etwa… lästern?“ „Doch!“, erwidert sie glücklich. „Ich bin entsetzt, so was macht man doch nicht!“ „Wir tun es beide schon die ganze Zeit, falls dir das noch nicht aufgefallen ist!“, belehrt sie mich und lacht. „Okay, du hast recht!“, erwidere ich und beginne auch zu lachen. „Ich habe immer Recht!“, stimmt sie mir zu.

Dieses Telefonat ist wirklich gut für meine Psyche, vorhin war ich voll depri und jetzt komme ich aus dem Lachen nicht mehr heraus… sehr komisch, ich sollte zu meinen Psychoproblemen noch hinzufügen, dass ich manisch-depressiv bin.

Also gut, dann lästern wir. „Dana, weißt du was Katharina für eine verdammte Nervensäge ist?“ „Ich kann’s mir vorstellen!“ „Die Frau hat in einer Tour gelabert, außer wenn sie Katsus Gesicht abgelutscht hat!“ Dana kichert, dann erzählt sie: „Weißt du Ryo, in Amerika hatte ich eine Freundin, Sara, deren Schwester war auch so ähnlich. Als Kind war sie so ein hübsches Mädchen, lange, rote Haare, ein etwas kantiger Körperbau aber sie sah gut aus, irgendwie verwegen. Aber dann… ja, sie hat ihre Haare gefärbt und gelockt, hat sich einigen Schönheitsoperationen unterzogen und zum Schluss… na ja, sie sah wohl ungefähr so aus wie Katharina. Es war so schade um sie…“

„Dana?“ „Ja?“ „Vermisst du deine Freunde in Amerika?“ Sie überlegt kurz, dann antwortet sie langsam: „Nun… am Anfang war es extrem schwer damit zurecht zu kommen, vor allem da ich keine Freunde hatte, aber jetzt… ich hab dich… Hinata aus dem Kunstkurs… und Junko aus unserer Klasse natürlich. Seit ich euch habe fühle ich mich nicht mehr einsam hier und ich werde meine amerikanischen Freunde natürlich nie vergessen, aber… ihr helft mir, dass ich nicht einsam bin.“ Jetzt bin ich wirklich froh. Es ist schön, dass es ihr so gut geht bei uns und dass sie sagt, dass ich einen Teil dazu beitrage ist wirklich schön.

„Ich bin froh das du glücklich bist!“, stelle ich schlicht fest und sie antwortet fest: „Ich auch Ryo! Aber ich muss jetzt auflegen, meine Hausaufgaben warten!“ „Ach, das wollte ich auch noch fragen… kannst du mir Mathe erklären?“ „Klar!“
 

Zwanzig Minuten und meine ganzen Hausaufgaben später beende ich das Telefonat dann doch und lasse mich wieder in die Kissen meines Bettes fallen. Neunzehn Uhr, keinen Hunger und wieder viele wirre Gedanken in meinem Kopf.

Was ist los, dass ich so scheiße auf Katharina zu sprechen bin? Ich meine, es kann ja nicht nur an ihrer Taktlosigkeit liegen, da steckt sicher mehr dahinter. Nein, ich glaube so langsam nicht mehr, dass es Eifersucht ist, ich glaube eher, dass sie einfach eine dumme Kuh ist. Ich mag sie eben nicht. Aber ich habe keinen Grund zur Eifersucht. Nur… ich hab Katsu sehr gerne und sie nicht, es sieht trotzdem voll nach Eifersucht aus. Ach, ich hab doch keine Ahnung, ich war bei Chika nicht eifersüchtig, ich bin im Allgemeinen nicht der eifersüchtige Mensch, ich kann eigentlich sehr gut damit umgehen, dass mein Partner, nein meine Partnerin mit anderen Leuten flirtet, solange es bei einem Flirt bleibt. Das heißt nicht, dass ich die Erlaubnis zum Fremdknutschen gebe, ich kann auch ganz böse sein. Muhaha, Weltherrschaft ich komme! Verdammt, blödes Fernseherprogramm, das ist da ganz sicher dran Schuld, deswegen werde ich immer Durchgeknallter… aha, da haben wir’s ja, das Fernsehrprogramm ist an allem Schuld. Und natürlich Katharina. Die arbeitet wahrscheinlich mit dem Fernseherprogramm zusammen.

Oh Gott was denke ich schon wieder für Müll? Nur weil Katharina der Inbegriff des Bösen ist? Sie ist an allem Schuld, da haben wir’s!

Geständnisse und Versteckspiel

Fünftes Kapitel: Geständnisse und Versteckspiel
 

Ich muss eingeschlafen sein, denn das nächste was ich mitbekomme, ist das wieder mal penetrante Klingeln meines Weckers. Mistvieh! Seufzend schwinge ich die Beine aus dem Bett und schlurfe ins Bad unter die Dusche. So und jetzt bloß nicht an Katsu denken. Eher mal tief durchatmen. Während das warme Wasser über meinen vom Schlaf auch erwärmten Körper plätschert, wandern meine Gedanken doch wieder zu dem Telefonat von gestern. Es beschäftigt mich total. Was hat er damit bezweckt? Außer das ich pausenlos darüber nachgrübele? Halt, warte, dass ist Katsu und nicht Katharina, er muss mich nicht manipulieren, für ihn würde ich eh alles tun. Wobei… das weiß er ja nicht. Hilflos schüttele ich den Kopf. Was soll ich machen, er ist ja mit Katharina zusammen. Die dumme Zicke… Pudelkind. Verdammt, jetzt hängt die auch noch in meinem Kopf rum.

Ich seufze auf, steige aus der Dusche und schnappe mir mein Handtuch.

Eine Stunde später, nach dem Frühstück, mache ich mich mal wieder auf den Weg zur Schule.
 

Am Schultor treffe ich Dana, die sofort und etwas besorgt wissen will: „Wie geht es dir?“ „Soweit gut!“ Als wir uns gemeinsam auf den Weg nach drinnen machen, ruft plötzlich jemand von hinten: „Hey Ryo, Dana, wartet mal!“ Wir drehen uns fast gleichzeitig um, um zu sehen wer uns da gerufen hat und erblicken Takeshi, der hinter uns her hetzt. Ein rennender Takeshi, das sieht man auch selten. Aber trotzdem bleiben wir gehorsam stehen und warten bis er keuchend bei uns ankommt. „Guten Morgen Takeshi!“, grüßt Dana, freundlich wie immer, doch dieser nickt nur und fragt: „Kann ich die Hausaufgabe haben?“ Sie grinst, dann stellt sie fest: „Oh, heute kommt der große Boss persönlich vorbei, ich fühl’ mich geehrt!“ Trotzdem kramt sie brav nach ihrem Heft und reicht es ihm. „Ich will’s aber unversehrt wieder haben!“ „Kennst mich doch!“ winkt er ab und macht sich mit dem Heft auf den Weg in Richtung Aula. „Deswegen mach ich mir ja Sorgen!“, brüllt sie hinterher, ehe sie lächelnd ihren Rucksack wieder aufsetzt und wir unseren Weg zum Klassenzimmer gemächlich fortsetzen. „Sag mal Dana…“, beginne ich plötzlich „… findest du nicht, dass er dich ausnutzt?“ Sie zuckt die Schultern, dann murmelt sie: Vielleicht ein bisschen… ich bin eben einfach zu gutmütig!“ „Du musst dich wehren, wenn dir einer dumm kommt!“, meine ich gut gelaunt und ziehe sie kurz an mich. Sie zuckt nur schwach die Schultern.

Während wir über belanglose Dinge plaudern laufen wir weiter und als wir um eine Ecke biegen, kommt uns plötzlich Minami entgegen. „Hey ihr!“, ruft sie und winkt. Wir gehen auf sie zu und als sie uns erreicht hat schließt sie uns beide kurz in die Arme, wie immer eben. Ich bin es gewohnt, doch Dana wirkt über diese kleine Geste fast erstaunt. „Sag mal, Ryo… wir wollen morgen Abend Hachiros Geburtstag feiern, um sechs im Henrys wollt ihr zwei vorbeikommen?“ Ich sehe kurz zu Dana, die immer noch wie erstarrt wirkt. „Klar, wir versuchen vorbei zu kommen!“ Minami grinst, dann erklärt sie ernsthaft: „Wir wollen zusammen ein Geschenk kaufen, würdet ihr euch beteiligen?“ Wieder sehe ich Dana an, die endlich aus ihrer Starre erwacht zu sein scheint und jetzt mit einem Lächeln antwortet: „Also ich würde mich schon beteiligen!“ Ich nicke jetzt einfach mal zustimmend. „Okay, ich geh es heute Nachmittag besorgen!“ Wir diskutieren noch etwa fünf Minuten über die Geldangelegenheiten, dann winkt Minami uns zu und flitzt schon wieder um die nächste Ecke. Ich sehe ihr hinterher, dann zucke ich die Schulter.

„Ich versteh das nicht, hat sie mich nur eingeladen, weil ich neuerdings immer mit dir zusammen bin?“ Ich sage jetzt mal gar nichts… ich meine… sie hat ja recht, aber das sage ich ihr ganz sicher nicht ins Gesicht. Erstmal vom Thema ablenken.

„Meinst du ich sollte heute Nachmittag bei Katsu vorbeischauen und mich für gestern bei ihm entschuldigen?“ Dana sieht mich an, dann meint sie: „Du wirst sowieso zu ihm gehen, egal was ich sage, oder?“ Ich nicke begierig. Natürlich, es ist schließlich MEIN Katsu. Verdammt, was denke ich hier für Müll?

„Geh zu ihm!“, rät Dana also nur mit einem Lächeln und ich nicke wieder. Wie so ein Wackeldackel… Mann bin ich psycho.

Als wir in den Flur mit unserem Klassenzimmer abbiegen, hält Dana mich plötzlich am Arm fest und fragt: „Wieso ist die Türe offen?“ „Hm?“ Ich sehe mich um. Ach, die Klassenzimmertür. Ich zucke die Schultern, dann antworte ich: „Weiß nicht, warum interessiert dich das?“ Mit fast gehetzt wirkendem Gesichtsausdruck sieht sie mich an, dann jammert sie: „Jemand ist im Klassenzimmer! Das ist schlimm, sonst bin ich immer die Erste die vorm Klassenzimmer wartet!“ „Bis auf gestern…“, wage ich leise einzuwerfen und schweige hastig nach ihrem Todesblick. „Mein Leben ist vorbei…“, murmelt sie niedergeschlagen, „und das ist alles deine Schuld!“ Ich tätschele vorsichtig ihren Rücken, ehe ich aufmunternd sage: „Wenigstens hast du mehr Spaß als vorher! Sag mal weinst du?“ Sie hat das Gesicht in den Händen vergraben und als ich vorsichtig die Hand auf ihren Kopf lege fährt sie auf und quietscht: „Reingelegt! Ist doch egal ob ich die erste bin oder nicht, Hauptsache ich komm noch vor dem Lehrer! Du tust mir echt gut, so denk ich nämlich erst seit gestern als ich mich intensiv damit auseinander gesetzt habe, weil du der erste am Klassenzimmer warst!“

Ja… ich bin etwas verdutzt. Nur ein kleines bisschen. „Du kannst den Mund wieder zumachen!“, erklärt sie belustigt und ich mache das auch gleich nur um dann einer irre kichernden Dana ins Klassenzimmer zu folgen.

Im Klassenzimmer sind wirklich schon Leute, nur ein paar Unauffällige, die sich auch gleich unauffällig auf ihre Plätze gesetzt haben. Dana lässt sich auf ihren Stuhl sinken und ich stelle meine Tasche auch auf meinen Platz, ehe ich mich umstandslos auf Danas Tisch niederlasse. „Soll ich das als Anmache verstehen?“, fragt sie mit hochgezogener Augenbraue. „Würdest du’s so verstehen wollen?“, ist meine Gegenfrage. „Nicht von dir…“, murmelt sie abwesend. „Bin ich so hässlich?“, murre ich schmollend und sie schlägt mir doch tatsächlich auf den Oberschenkel, ehe sie lacht: „Nein, bist du nicht! Es ist nur…“ sie wendet den Blick von meinem Gesicht ab und starrt den wahnsinnig interessanten Boden an, „… ich steh einfach nicht auf dich.“ „Ich versteh nicht wie man nicht auf mich stehen kann!“, werfe ich ein und sie grinst wieder gequält. „Ach komm!“, ich rutsche von ihrem Tisch und klopfe ihr aufmunternd auf die Schulter, „Aber du musst mir in der Pause unbedingt mal erzählen gegen wen ich da nicht ankomme!“ „Wie kommst du darauf, dass es da jemanden gibt?“ „Entweder das oder du stehst auf Frauen!“, grinse ich, „In allen anderen Fällen würde meine Unwiderstehlichkeit dich auch beeinflussen!“ Dann hüpfe ich frohgemut auf meinen Platz. „Idiot!“, wirft sie mir lachend hinter her.

Hach, ich liebe dieses freundschaftliche Geplänkel.

Da betritt auch schon unser Lehrer den Raum – die anderen kommen natürlich wieder zu spät, bis auf Fuyu, die immer mit dem Lehrer hereinschneit – und mein Gehirn wird bis zur Pause für wichtige Dinge gebraucht. Aus dem Fenster starren.
 

Endlich, endlich nach langem sitzen und aus dem Fenster starren, endlich erklingt er Gong und endlich ist Pause. Wow, schon mal so viele ‚endlich’ in einem Satz gesehen? Die Schule hat anscheinend mein Hirn aufgelöst oder so. „Was haben wir nächste Stunde?“, fragt Takeshi neben mir und Minami wirft sofort ein: „Deutsch!“ „Hmpf!“, mein Kopf macht gerade schmerzhaft Bekanntschaft mit der Tischplatte. Deutsch mit unser aller Lieblingslehrerin.

Akira – ein weiterer Typ aus unserer Clique – klopft mir auf die Schulter und versucht mir mit aufmunternden Worten klar zu machen, dass Deutsch ja nicht SO schlimm ist. Ich lasse einfach mal den Kopf auf dem Tisch liegen und enthalte mich meiner Antwort. Das sehe ich nämlich ganz und gar nicht so.

Nach einigen Sekunden der Niedergeschlagenheit fällt mir wieder ein, dass ich ja noch aus Dana herausquetschen wollte, gegen wen ich da nicht ankomme. Also springe ich auf, schmeiße dabei fast den zierlichen Akira hinter mir um und zeige freudig auf Dana: „Ha! Du wirst jetzt gnadenlos ausgequetscht!“ Vorsichtig drückt sie meinen Finger wieder von ihrem Gesicht weg, tadelt: „Man zeigt nicht mit dem Finger auf Leute!“ und nimmt mich dann bei der Hand.

Sie zieht mich – unter den prüfenden Blicken dutzender Mitschüler – mit sich hinaus auf den Flur, schiebt meine immer noch verdutzte Person – die dutzenden von Schülern blicken mittlerweile hinter uns her – in eine leere Ecke und atmet erst Mal tief durch, ehe sie herausplatzt: „Es ist Kiyoshi!“

Okay, stopp. Ich bin gerade ein kleines bisschen verwirrt. Mein kleines schüchternes Danalein steht auf Kiyoshi den Klassenmacho? Verwirrung ahoi. Kraftlos lasse ich mich an der Wand hinunter rutschen und sie geht vor mit in die Knie und fragt: „Findest du es so schlimm?“ Ich schüttele heftig den Kopf und sage schnell: „Quatsch, es ist nur so, dass es mich gerade ein kleines bisschen überrascht hat. Okay, alles wieder in Ordnung!“ Ich grinse schwach. Dana seufzt erleichtert, dann setzt sie sich neben mich und ich frage: „Erzählst du mir genaueres?“ Sie nickt, dann beginnt sie:

„Also… es ist ein halbes Jahr her, als ich gerade in diese Klasse kam also. An dem Tag war ich spät dran, ich war mit Hinata noch länger im Kunstkurs gewesen um unsere Skulptur zu Ende zu bauen. Hinata ist an dem Tag nicht mit mir heim gelaufen, ich weiß gar nicht mehr warum, irgendetwas war eben. Na ja, ich hab mich schließlich alleine auf den Weg gemacht und plötzlich hielt dieser Wagen neben mir. Ich hatte Angst, natürlich und dann hängte Kiyoshi den Kopf aus dem Dachfenster und ruft so: ‚Hey, wie läufts?’ Wir haben uns unterhalten, er und sein Kumpel sind im Schritttempo neben mir her gefahren. Irgendwann hat er gefragt, ob ich mitfahren will. Ich hab natürlich abgelehnt, aber… er war so richtig zuvorkommend an dem Tag, voll süß!“

Ich sehe jetzt einfach mal davon ab, ihr zu sagen, dass das seine typische Masche ist und dass sie auf sich aufpassen sollte weiß sie glaub ich selbst.

Es klingelt und Dana springt auf. „Komm, wir müssen zurück in die Klasse!“
 

Nach dem Unterricht mache ich mich auf den Weg zu Katsu. Als ich klingle meldet Katsu sich ganz leise mit: „Wer ist da?“ „Nanu? Ein ordentlicher Satz? Ich bin bestürzt!“ „Ryo?“ „Warum redest du so leise, Katsu?“ „Komm rauf und versteck dich im Treppenhaus wenn Katharina da ist!“, befielt er. „Katsu, was…?“

Das Surren des Türöffners. Was hat der Idiot jetzt schon wieder vor? Genervt schüttele ich den Kopf, sprinte aber trotzdem nach oben. An Katsus Wohnungstüre klopfe ich an und schon geht die Tür auf, Katsu zieht mich in die Wohnung, drängt mich rückwärts an die Tür, hält mir mit einer Hand den Mund zu und verschließt die Türe hastig. Endlich nimmt er die Hand wieder aus meinem Gesicht und raunt mir zu: „Sei leise und komm in die Küche!“

Schulterzucken, dann ziehe ich erstmal Schuhe und Jacke aus und folge ihm dann in die Küche. Alles was der Herr will, warum nicht.

„Sag mal bereitest du dich auf einen Überfall vor oder so?“, frage ich und er schüttelt den Kopf, schenkt sich eine Tasse Tee ein und fragt erstmal: „Willst du auch?“ Ich nicke, bediene mich einfach mal schamlos selbst und beharre dann: „Beantworte meine Frage!“ „Katharina“, murmelt er düster, den schlanken Körper rücklings gegen den Schrank gelehnt, „Seit heute Morgen, als sie mich um 7.30 Uhr aus dem Bett geklingelt hat betreibt sie Stalking. Ich tu gerade so als wäre ich nicht zu Hause, das hindert sie aber nicht daran alle fünf Minuten an meiner Tür zu klingeln. Ich bin gerade schrecklich genervt!“ „Wieso bist du nicht einfach wirklich gegangen?“, will ich interessiert wissen, nachdem ich mich neben ihm gegen den Schrank gelehnt habe und an meiner Teetasse nippe. „Na hör mal!“, braust er auf, „Ich lasse mich doch nicht aus meiner Wohnung nerven!“ Ich grinse in meine Tasse. Abgesehen davon das der zornige Rotschopf total süß aussieht – geht weg ihr dummen Gedanken – ist es doch das was er gerade mit sich machen lässt. Er lässt sich zwar nicht AUS seiner Wohnung nerven, aber dafür IN seiner Wohnung.

Ich stelle die Teetasse auf den Schrank und lege vorsichtig den Arm um Katsus Schultern. „Armer Katsu…“, murmele ich und er kuschelt sich sogar gegen mich, nein wie geil! Also, ich mein jetzt so auf rein freundschaftlicher Ebene, nicht? Ja… wir sind nur Freunde. Ein weiters Türklingeln reißt mich aus meinen Gedanken.

„KATSU? BIST DU DA?“ Er seufzt kaum hörbar und ich lege den zweiten Arm auch noch um ihn und spüre wie er zittert. Oh Mann, der Typ ist so schrecklich süß… nein, ist er nicht, Ryo, was denkst du nur wieder?

„Vielleicht solltest du ihr einfach sagen, dass sie dich nervt!“, schlage ich vor und streiche ihm vorsichtig über den Hinterkopf. Er seufzt – eine Mischung aus zufrieden und unwahrscheinlich genervt – und lässt sich dann von mir ins Wohnzimmer schieben. Während Katharina immer noch quietschend gegen die Wohnungstüre hämmert, sitzen wir auf dem Sofa, er eng an meine Brust gekuschelt und immer wieder seufzend. Ich streiche ihm sanft über den Kopf, dann flüstere ich kaum hörbar in sein Ohr: „Bleib ganz ruhig, es wird alles wieder gut!“

Er nickt, dann murmelt er: „Ich kann mich nicht von ihr trennen, so etwas kann ich einfach nicht. Es würde ihr das Herz brechen, ich will ihr doch nicht Weh tun!“ „Aber meinst du nicht, dass es überhaupt nicht gut ist, wenn du sie die ganze Zeit so belügst? Ich meine, du liebst sie doch nicht mehr, oder?“ Er zuckt die Schultern, dann antwortet er ehrlich: „Ich glaube sie war immer nur Tarnung!“ Tarnung? Das verwirrt mich? Wieso Tarnung? Ich glaub ich hab den Durchblick komplett verloren. „Kannst du mir das vielleicht… erklären?“ Er schüttelt schwach den Kopf, dann meint er sanft: „Nicht jetzt. Irgendwann, aber nicht jetzt.“ Ich nicke, wenn er nicht mit mir darüber reden will… ich kann ihn nicht dazu zwingen, auch wenn es mich schon wurmt, dass er es mir nicht sagen will.

Schweigend sitzen wir auf dem Sofa und ich glaube er genießt es. Mein Blick wandert immer wieder zu ihm, in sein Gesicht. Er hat die Augen geschlossen, atmet ruhig und gleichmäßig und ich denke er schläft. Vorsichtig wische ich ihm mit der freien Hand eine rote Locke aus dem Gesicht und versichere mir in Gedanken mal wieder das ich mich NICHT in ihn verliebt habe, dass es ganz normal ist, seinem besten Freund immer wieder so aufmerksam aber verträumt ins Gesicht zu starren und so unglaublich gerne durch diese weiche, rote Lockenmähne zu streichen.

„Hast du heute noch was vor?“ Okay, er schläft trotzdem nicht. „Nein, nichts wichtiges. Ich werde heute Abend Hausaufgaben machen, aber sonst… nein, mehr ist nicht. Ich kann also hier bleiben solange du willst!“ „Danke“, murmelt er, doch ich frage nur belustig: „Für was? Weil ich hier bleibe? Ich kann mir sowieso nichts Schöneres vorstellen!“ Er kichert schwach. Verdammt, hab ich das gerade laut gesagt? Jetzt hält er mich wahrscheinlich für komplett durchgeknallt. Ich tu es je selbst auch schon, ich meine, die ganze Kacke die mir in letzter Zeit durch den Kopf geht ist doch nicht mehr normal, oder? Gut… da ich mich jetzt ja sowieso schon komplett lächerlich gemacht habe – und mir im Übrigen gerade einfällt, dass Kumiko ihn ja mal besuchen wollte – frage ich doch gleich mal spontan: „Sag mal hättest du was dagegen, wenn ich Übermorgen mal Kumi mitbringe? Die wollte dich so gerne mal kennen lernen.“

Katsu zuckt die Schultern und hat den Kopf schon wieder an meine Brust geschmiegt. „Bring sie ruhig mit…“, nuschelt er, dann gähnt er herzhaft. „Willst du dich hinlegen? Soll ich gehen?“ „Nö… du bist extrem gut als Kissen geeignet, vielleicht kannst du das zum Ferienjob ausbauen!“ Er lacht leise auf und ich streiche ihm wieder durchs Haar, was er mit einem glücklichen Seufzen quittiert.

Ich weiß nicht wie lange wir einfach schweigend auf der Couch gesessen haben, aber als ich das nächste Mal auf die Uhr sehe ist es bereits Vier Uhr Nachmittags. Vorsichtig schiebe ich Katsu von mir runter und gehe kurz ins Bad. Oh, dieser Typ ist so putzig wenn er sich so an mich kuschelt wie eben… nein, was denke ich schon wieder? Kopfschüttelnd wasche ich mir die Hände, dann gehe ich wieder ins Wohnzimmer.

Katsu hat sich auf der Couch zusammengerollt, er schläft friedlich, wie es aussieht und ich überlege wirklich, ob ich wieder gehen soll, doch da dreht er sich um, und sieht mich aus halb zusammengekniffenen Augen an. „Sorry, ich bin gestern spät ins Bett gekommen…“, murmelt er, „Würdest du dich wieder her setzen? Es ist so verflucht kalt in dieser Wohnung!“ Kichernd gehe ich auf ihn zu, diesem treuherzigen Augenaufschlag kann man einfach nicht widerstehen. Ich jedenfalls nicht. Katsu setzt sich auf und reibt sich die Augen, doch sobald ich mich neben ihn auf die Couch fallen lassen hab kuschelt er sich wieder an mich und lässt zu, dass ich ihm einen Arm um die Schultern lege. Dass er auch einfach die Heizung weiter aufdrehen könnte vergessen wir jetzt einfach mal, es ist grad so schön hier mit ihm in meinem Arm. „Kannst dir ja den Fernseher anmachen…“, nuschelt er verschlafen, doch ich streiche ihm nur sanft durchs Haar und antworte: „Nee, lass mal, geht schon.“ Ein angedeutetes Schulterzucken, dann schläft er wieder. Denk ich jedenfalls.

Es ist halb sechs als ich beschließe, dass ich doch endlich mal heim muss. Schwerfällig hebe ich den Rothaarigen hoch und trage ihn an meine Brust gepresst in sein Schlafzimmer. Er kuschelt sich an meinen Körper und entlockt mir doch tatsächlich ein wohliges Seufzen. Ein leises Kichern und ich laufe rot an. Das hat er doch jetzt nicht wirklich gehört, oder? Als ich ihn auf sein Bett lege und mich wieder umdrehen will packt er mich am Handgelenk und murrt: „Schade, dass mein süßes Kissen jetzt schon gehen muss! Kannst du dich nicht noch fünf Minuten mit her setzen?“ Mit einem Seufzen und einem genuschelten: „Aber wirklich nur fünf Minuten!“ lasse ich mich neben ihm auf die Bettkante sinken und er rutscht sofort etwas näher zu mir und dreht sich, sodass er auf der Seite liegt und sein Kopf auf seiner Hand ruht. Seine Hüften sind lasziv gegen meinen Po geschmiegt und ich laufe – wenn das überhaupt möglich ist – noch röter an.

Gott sei dank ist es dämmerig im Zimmer, nur durch die Spalten zwischen den Lamellen des zu gezogenen Rollos fließt schwaches Winterlicht. Er hat es anscheinend doch gemerkt, denn er kichert leise, dann streichelt er mir mit der freien Hand entschuldigend über den Rücken und flüstert: „Tut mir leid, aber hier ist es so kalt. Du kannst dich auch mit herlegen!“ Ich kichere jetzt selbst, dann murre ich: „Dann komme ich ja nie heim, Mum wartet auf mich! Ich muss jetzt wirklich, ich würde gerne bleiben, aber… tut mir leid!“

Er winkt ab als ich aufstehe und sagt dann: „Danke, dass du heute Nachmittag für mich da warst und entschuldige, dass ich dir den Nachmittag versaut habe, indem ich dich hier behalten habe und eingepennt bin, aber du warst so weich. Wie gesagt tut mir leid!“ Ich streiche ihm liebevoll eine weitere rote Locke aus dem Gesicht und er seufzt wieder glücklich aus, während ich mit leisem Lachen erwidere: „Ist schon okay, es war ein schöner Nachmittag und ich bereue es nicht. Morgen kann ich wahrscheinlich nur mal kurz vorbeischauen, ich bin auf eine Party eingeladen, zusammen mit Dana. Aber ich wird mich melden, versprochen!“

Dann hauche ich ihm sanft einen Kuss auf die Stirn und sage sanft: „Ich gehe dann, gut Nacht und schlaf gut!“

Er nickt, schließt die Augen und haucht dann: „Dir auch eine gute Nacht und danke für dein Verständnis.“

Ich lache leise, kaum hörbar, dann gehe ich nach Hause. Der Süße braucht jetzt erstmal seinen wohlverdienten Schlaf.

Akiras Geständnis, Hachiros Geburtstag und Danas Verzweiflung

Sechstes Kapitel: Akiras Geständnis, Hachiros Geburtstag und Danas Verzweiflung
 

Zu Hause sperre ich die Haustüre auf und melde mich mit einem fröhlichen: „Bin wieder da!“ „Hallo Ryo!“, dringt Mums Stimme aus der Küche, „Das Essen ist fast fertig, kannst du den Tisch decken?“ „Ja, gleich!“ Ich ziehe die Schuhe aus, hänge meine Jacke auf und lasse meine Tasche erstmal im Flur stehen. Dann gehe ich in die Küche.

Mum rührt in einem Topf, während ich die Teller und Löffel heraus suche.

Nach dem Essen nehme ich meine Tasche mit hinauf in mein Zimmer und lasse mich auf mein Bett sinken. Ich müsste ja jetzt Hausaufgaben machen, aber… ich hab keinerlei Bock darauf.

Aber machen muss ich sie schließlich trotzdem, also setze ich mich an meinen Schreibtisch. Plötzlich klingelt mein Handy und ich schnappe mit einem fast erleichterten Seufzer danach. Endlich meine willkommene Ablenkung. „Ja?“ „Ryo? Hier ist Dana!“ „Hey Dana, rufst du an um mir bei den Hausaufgaben zu helfen?“ „Brauchst du wohl Hilfe? Das lässt sich natürlich auch einrichten. Nein, eigentlich geht es drum, dass Minami mich total unerwartet angerufen hat – ich hab echt nicht damit gerechnet – und mir erzählt hat, dass Kiyoshi auch auf der Party sein wird! Kannst du dir das vorstellen? Es wird so geil!“ „Ach dieses Wort kennst du?“, frage ich belustigt und sie schmollt. „Ach komm schon, sei nicht sauer. Ich bin

diese Wortwahl von dir einfach nicht gewohnt, Süße!“ Das scheint sie zu besänftigen, denn sie kichert leise und erwidert dann: „Ich freu mich jedenfalls auf morgen!“ „Ich mich doch auch…“, ist meine hoffentlich beruhigende Reaktion.

Dana kichert leise, dann fragt sie urplötzlich: „Wie lief ’s bei Katsu?“ Ich werde rot, bin froh, dass sie mich nicht sehen kann und antworte: „Gut!“ Sie hat anscheinend doch was gemerkt, denn sie kichert schon wieder, ehe sie verlangt: „Ich will alles wissen, sofort!“ Erst seufze ich etwas entnervt auf, dann erzähle ich ihr doch von unserem gemeinsamen Gekuschel auf dem Sofa. Sie kichert während meiner Erzählung immer wieder leise und seufzt am Ende verzückt auf. „Also, ich kenn diesen Katsu ja nicht direkt…“, murmelt sie verträumt „… aber so wie du immer erzählst ist das ein ganz kuscheliger!“ „Is’ aber meiner!“, grummele ich und sie erwidert schnell, beinahe hastig: „Ich will ihn dir ja gar nicht wegnehmen!“ „Hoffe ich auch für dich, denn sonst…!“

Sie beginnt herzhaft zu lachen, dann fragt sie: „Also, wie sieht’s jetzt mit deinen Hausaufgaben aus?“
 

Wieder habe ich meine Hausaufgaben mit Danas Hilfe gemacht. Jetzt lasse ich mich auf mein Bett fallen und starre an die Decke.

Irgendwie hat mich dieses Telefonat nachdenklich gemacht, ich habe Angst um Dana. Sie hat so freudig geklungen, als sie davon geredet hat auf der Party Kiyoshi zu treffen, aber… ich habe Angst, dass er sie enttäuscht und verletzt und… na ja, dass er sie verletzt eben. Ich mag Dana und ich würde es mir nie verzeihen wenn sie verletz würde, nur weil ich Holzkopf nicht auf sie aufgepasst habe.

Es klopft an der Tür und reißt mich aus meinen Gedanken. Na ja, nicht ‚es’ sondern Kumiko, die fragt: „Darf ich reinkommen?“ „Klar!“ Sie tapst in mein Zimmer, setzt sich bequem auf meinen Schreibtischstuhl und fragt: „Na, wie war’s bei Katsu?“ „Gut…“, gebe ich zurück, laufe etwas rot an und bin froh, dass sie es nicht mitbekommt.

„Ich hab ihn gefragt, ob ich dich übermorgen mitnehmen kann und er hat gemeint, er würde sich freuen.“ „Oh…“, Kumiko beißt sich auf die Unterlippe, dann murrt sie: „Ai kommt an dem Tag!“ „Meinst du sie würde mitkommen? Ich kann Katsu mal fragen!“ „Das würdest du tun? Oh super!“, Kumiko springt auf, läuft freudestrahlend auf mich zu und schließt mich liebevoll in ihre Arme. „Du bist der beste Bruder den es gibt!“ Ich lache, dann steht Kumiko auf und läuft hinaus.

Ich seufze. Jetzt kann ich ihn nicht anrufen, mein Süßer schläft noch und ich will ihn nicht aufwecken. Liebe ich ihn? Ich bin mir nicht sicher, aber… ich will das es ihm gut geht.
 

Wieder seufze ich auf. Ich weiß ja auch nicht… eigentlich weiß ich gar nichts. Ich meine… es war so geil heute bei ihm, er war so süß… Moment, er ist immer so schrecklich süß, nicht? Na ja, jedenfalls… ich mag es wie er sich an mich kuscheln kann, einfach… ach was weiß ich, irgendwie bin ich sprachlos. Gibt’s dafür Worte? Ich bin mir nicht sicher. Ach, ist ja auch egal. Ich bin durcheinander, er ist Schuld und es ist mir egal.

Wenn da nicht dieses klitzekleine Hindernis wäre… der blonde Busch. Hach… wieso trennt er sich nicht von ihr? Er will ihr nicht wehtun hat er gesagt, er tut sich lieber selbst weh. Und mir gleich mit, obwohl ich überhaupt nicht weiß warum.

Ach verdammt. Ich drehe mich auf den Bauch und lange nach dem Buch das ich unter meinem Bett liegen hab. Nein, nein, keine versauten Bücher… nicht sehr. Es ist so ein Abenteuerbuch und es ist nicht versaut. Nachdem ich mir den Abend mit lesen vertrieben hab, schieb ich das Buch wieder unters Bett, gehe kurz ins Bad, ziehe dann meine Klamotten aus und lege mich ins Bett.

Ich schlafe ein und träume haufenweise wirres Zeug.
 

Ich sitze in Katsus Wohnzimmer, er rittlings mir zugewandt auf meinem Schoß und streichelt liebevoll meine Wange. Noch ehe ich irgendetwas sagen kann kommt Katharina hereingehüpft und wirft mir heulend vor, dass ich ihre Katze geklaut hätte. Ich wusste nicht mal, dass Miss Pudel eine Katze besitzt.

Katsu fängt an zu schnurren.

Kennt jemand diese Teile die man als ‚Catboy’ bezeichnet? So mit Katzenöhrchen und Schwänzchen und so? Genauso sieht Katsu aus, eine Mischung aus dem rotgelockten Mann und einer rötlichen Katze. Und verdammt süß. Oh Gott, ich glaub’s nicht… seine raue Zunge leckt über meine Wange und ich keuche auf, als er ein weiters Schnurren ausstößt und dann… ein Klingeln? Verdammt, warum klingelt Katsu-Kätzchen jetzt?

Ha, mir geht ein Licht auf: Es ist mein verdammter Wecker.

Ich stehe auf, reibe mir den brummenden Schädel und grummele müde vor mich hin. Dann haue ich auf den Knopf vom Wecker und schlurfe genervt ins Bad. Ich brauche jetzt dringend eine kalte Dusche und das nicht Zwecks Säuberungsaktionen. Jedenfalls nicht vorrangig.

Was macht dieser verdammte Kerl nur mit mir? Warum hab ich solchen Shit geträumt… ich stürz mich noch von der Teppichkante Leute, es ist zum durchdrehen.

Ich schlurfe müde zurück ins Zimmer, ziehe mich an, werfe hastig meine Sachen in meine Schultasche und tapse verschlafen hinunter in die Küche.

„Morgen Mum, Morgen Kumiko!“, murmele ich, gähne noch mal ausgiebig und fasse nach der Kaffeekanne.

Meine Mutter sieht mir belustigt dabei zu, wie ich löffelweise Zucker in meinem Getränk versenke.

„Trinkst du das nicht normalerweise schwarz?“, will Kumiko wissen und hebt argwöhnisch eine Augenbraue. „Hab nicht viel geschlafen!“, murre ich zurück, stürze das Gebräu in einem Zug hinunter und schüttele mich angeekelt. Zugegeben, es schmeckt einfach nur widerlich, aber es hilft… jedenfalls kurzfristig. Ja, so ein Zuckerschock ist schon eine feine Sache.

Angeekelt schenke ich mir Kaffee nach, lasse diesmal aber den Zucker weg und widme mich dann dem Rest meines Frühstücks.

Danach gehe ich wieder hinauf in mein Zimmer, schnappe mir meinen Rucksack und mache mich auf den Weg zur Schule.

Am Schließfach wechsele ich meine Schuhe als mir plötzlich jemand mit dem Finger in die Seite pickst. „Hey Ryo, wie läufts? Ich kann heute Abend mit euch rechnen, oder?“ Ich zucke zusammen, dann drehe ich mich zu Minami um, die hinter mir steht und mich belustigt ansieht, als ich mir die schmerzende Seite reibe.

Dana kommt auch gerade vorbei – zufällig bewohnt sie den Spind mir gegenüber – und lächelt freundlich: „Hallo!“ „Hey Dana!“, lacht Minami, schließt das verdutzte Mädchen wieder kurz in die Arme und tut dann bei mir dasselbe.

„Also, ihr kommt heute Abend, nicht?“, wiederholt sie ihre Frage. „Wir werden da sein!“, erwidere ich nach einem kurzen Seitenblick auf die leicht nickende Dana. „Wo werdet ihr sein?“, fragt plötzlich Hachiro, der auf einmal hinter seiner Freundin aufgetaucht ist und ihr einen Kuss auf die Wange drückt. „Nirgendwo!“, lacht diese und dreht sich in seinen Armen um, um ihn erstmal ausgiebig zu küssen.

Dezent wie ich und Dana sind warten wir natürlich bis sie fertig sind um ihm zu gratulieren, doch Takeshi ist natürlich nicht so höflich, kommt angeschlendert, klopft dem immer noch an seiner Freundin klebenden Hachiro auf die Schulter, sodass der beinahe einknickt und ruft: „Hey, alles Gute alter Junge, lass dich von mir nicht stören!“ Das macht er aber trotzdem, wirft dem unschuldig guckenden Takeshi einen mörderischen Blick zu und wendet sich dann Dana und mir zu. „Ihr wollt auch gratulieren was?“ Ich nicke, klopfe ihm wesentlich sanfter als mein Kumpel eben auf die Schulter und wünsche: „Alles Gute Hachiro!“ Auch Dana schüttelt ihm die Hand und murmelt: „Alles Gute!“ Er lächelt sie freundlich an, dann meint er ehrlich: „Danke!“

Plötzlich tippt mir jemand von hinten auf die Schulter. Ich drehe mich um und sehe in Akiras schmales Gesicht. „Ich müsste kurz mit dir reden…“, flüstert er, „kommst du in fünf Minuten hinaus auf den Hof?“ Ich nicke Stirn runzelnd und er geht auf Hachiro zu, schließt ihn in die Arme und sagt: „Alles Gute Hachiro, bleib so wie du bist!“

Fünf Minuten später gehe ich hinaus auf den Hof und entdecke Akira sofort unter einem schneebedeckten, aber ansonsten kahlen Baum. Langsam gehe ich auf ihn zu, setze mich neben ihn auf die blaugraue Bank und frage: „Was ist?“

Ich kenne Akira schon lange, er ist ein schüchterner, fast verschlossener junger Mann, blass, belesen und zierlich.

„Ryo… kann ich dir vertrauen?“, fragt er und sieht mir voll ins Gesicht. Ich erwidere seinen Blick und nicke langsam. „Ich… es gibt… es ist schwierig, aber… ich hab mich verliebt.“ „Wer ist den die Glückliche?“ „Das ist ja das Problem…“, antwortet Akira niedergeschlagen und starrt auf den Boden. „Es ist ein ‚er’?“, hake ich nach und er sieht mich sofort an. „Woher…?“ Ich zucke die Schultern. Sein Blick wandert wieder gen Boden als er schüchtern nickt. „Wer ist also DER Glückliche?“, frage ich weiter und er sieht mich an und fragt ablenkend: „Hast du nichts dagegen?“ „Sollte ich?“, frage ich gelangweilt. Er schüttelt den Kopf, dann stutzt er und fragt: „Bist du etwa auch…? Nein, du warst ja mit Chika zusammen…“ Seine Stimme wird dunkler und man hört, dass er sie vermisst, sie war seine beste Freundin, ich hab das auch akzeptiert und es ist klar, dass er sich an mich gewendet hat. Ich verstehe ihn ja.

„Also, wer ist jetzt der Glückliche?“, will ich begierig wissen und er flüstert kaum hörbar: „Takeshi…“

Verdammt. Das ist ein echtes, riesiges und total dummes Problem. Erstens ist Takeshi vergeben, an Fuyu nämlich, und zweitens ist er… na ja… er hat ein bisschen… Hass auf alle die anders sind als er. Was glaubt ihr warum ich mich so dagegen wehre es mir einzugestehen? Ich würde meinen besten Freund verlieren.

„Du weißt wie er ist, Akira, oder?“, frage ich leise und er nickt niedergeschlagen. Vorsichtig nehme ich ihn in den Arm. „Was soll ich denn machen, ich kann doch auch nichts dafür!“, schluchzt er auf. „Versteh ich ja!“, gebe ich gemurmelt zurück, dann löse ich mich von ihm und bitte: „Kommst du heute Nachmittag vor der Party mal bei mir vorbei?“ Er nickt und ich krame in meiner Hosentasche nach einem Taschentuch, dass ich ihm reiche. „Danke!“, flüstert er und wischt sich erst mal die Tränen aus dem Gesicht.

Ich seufze auf. Noch ein weiters Problem. Akira steht auf Takeshi, Dana steht auf Kiyoshi und ich stehe auf Katsu. Nein, tu ich nicht! Verdammt! Ich… wir sind halt Freunde, also, rede nicht immer so Müll, Ryo! Wartet… ich führe Selbstgespräche, nicht? Ich elender Psychopath. Also gut, jetzt mal wieder zu den Problemen… wenn ich Akira schon vor der Party wieder auf die Beine kriege und Dana währenddessen kann ich danach vielleicht noch mal mit Katsu reden… den muss ich heute auch noch anrufen.

Ich seufze und Akira sieht mich einen Moment an und springt dann auf: „Tut… tut mir leid, dass ich dich da mit rein gezogen hab. Danke für alles, aber… ich… ich komme allein zurecht, Entschuldigung!“ Ich packe blitzschnell seine Hand und ziehe ihn wieder neben mich auf die Bank. „So, du bleibst jetzt erst mal hier. Ich will, dass du mir zuhörst. Ich werde dir helfen, wir sind Freunde, wir… wir haben beide jemanden verloren, der uns wichtig war und ich werde dir jetzt helfen, dein Problem zu lösen! Also bleib hier!“

Er sah mich entgeistert und immer noch stumm vor sich hinweinend an, dann lässt er sich wieder neben mich fallen.

„So, heute Nachmittag wirst du bei mir vorbeikommen, dann werden wir uns über die Sache unterhalten. Du weißt wo ich wohne?“ „Ungefähr!“, nuschelt er. Ich boxe ihm leicht gegen die Schulter, dann stehe ich auf. „So und jetzt stehen wir diesen Schultag durch!“ Ich reiche ihm die Hand und er ergreift sie und lässt sich von mir mit einem schüchternen Lächeln aufhelfen. „Danke!“, murmelt er und ich winke ab. „Ist egal, ich helfe gerne!“
 

Gemeinsam gehen wir zurück ins Gebäude und machen uns gleich auf den Weg ins Klassenzimmer.

Nach dem Unterricht gehe ich nach Hause – mal wieder – natürlich erst nachdem ich Akira das Versprechen abgerungen hab auf jeden Fall bei mir aufzukreuzen. Ich hätte ihn ja gleich mitgenommen, aber er wollte erst nach Hause.

Jedenfalls… ich laufe durch die Straßen, wahrscheinlich erfrier ich bei dem Wind ehe ich daheim ankomme, und mit Katsu muss ich auch noch reden. Das könnte ich gleich machen, schnell ziehe ich das Handy aus der Hosentasche, tippe Katsus Nummer ein und warte bis er abnimmt.

„Ja?“ „Katsu? Hier ist Ryo!“ „Hey Ryo, wie geht’s dir? Kommst du heute doch noch?“ „Wer ist’s denn, Katsu-Schätzchen?“, schallt es aus dem Hintergrund und ich höre Katsu genervt aufseufzen. Er ignoriert sie jedoch weitestgehend. „Sie ist wieder da?“, will ich mitleidig wissen und er murrt leise: „Seit heute Morgen um halb sechs!“

Ich lache auf, dann frage ich schnell: „Du, sag mal... macht’s dir sehr viel aus, wenn ich morgen Kumikos Freundin mitbringe?“ „Bring mit wen du willst!“, meint er ausgelassen, dann fügt er leise hinzu: „Je mehr Menschen desto weniger kann ich Katharinas Stimme hören! Obwohl… die ist wahrscheinlich lauter als ein Presslufthammer in meinem Ohr!“

Ich lache wieder, dann sage ich: „Okay, ich muss jetzt auflegen, das Mittagessen wartet, wir sehen uns Morgen, bis dann, bye!“ „Lass dich nicht auffressen!“, erwidert er lachend, dann legt er auf und ich schiebe mein Handy in die Hosentasche zurück.

Das wäre also auch geklärt. Armer Katsu, dieser blonde Busch hängt wirklich dauernd um ihn rum.

Als ich zu Hause ankomme fährt gerade das Auto meiner Mum aus der Garage. Neben mir bleibt sie stehen, öffnet ihr Fenster und sagt: „Hallo Ryo, Essen ist im Ofen, ich muss noch mal kurz weg, tut mir wirklich leid! Kumiko ist bei Ai, sie hat einen Schlüssel, du kannst also heute Abend trotzdem gehen!“ Ich nicke und sie schließt schon ihr Fenster wieder und fährt aus der Einfahrt. Ich gehe zur Tür, drücke die Klinke nach unten und muss feststellen das abgeschlossen ist. Na prima Ryo, das hättest du dir doch denken könne, deine Mum wusste doch nicht, dass du gleich nach Hause kommst!

Kopfschüttelnd über meine eigene Dummheit schiebe ich den Schlüssel ins Schloss und drücke die Türe auf. Ich gehe rein, schließe sie hinter mir, werfe meine Sachen achtlos auf den Fußboden und wandere in die Küche. Nachdem ich mein Mittagessen verzehrt habe beschließe ich, dass ich auch mal Hausaufgaben machen könnte bis Akira vorbeikommt, heute Abend hab ich ja eh keine Zeit.

Also hole ich meinen Rucksack und setze mich – wahrscheinlich zum… zwanzigsten Mal in meinem Leben – an den Küchentisch zum Hausaufgaben machen.

Als es an der Türe klingelt habe ich wirklich die Hälfte geschafft und beglückwünsche mich selbst zu meiner guten Leistung. Den Rest mach ich… irgendwann mal. Jetzt laufe ich erstmal zur Türe, öffne sie schwungvoll und bitte Akira mit einer einzigen fließenden wie idiotischen Geste herein. Er lacht schüchtern, tritt wirklich in den Flur und sagt ebenso schüchtern: „Danke, dass du dir die Zeit für mich nimmst!“ Ich winke ab, dann bitte ich: „Gib mir deinen Mantel, ich häng ihn für dich auf!“ „Solange du nicht mich aufhängst…“, murmelt er düster, lacht dann aber glücklich auf. Komisch, ich habe Akira noch nie lachen gehört… klingt aber nicht schlecht.

Der Brünette schält sich also aus seinem Mantel, schiebt seinen Schal in einen Ärmel und reicht mir dann alles.
 

Fünf Minuten später sitzen wir schweigend in der Küche an dem Tisch, von dem ich mein Schulzeug schnell verbannt habe – die Tasche liegt wieder im Flur – und haben jeder eine Tasse Tee vor uns.

Toll. Ich rede immer davon allen zu helfen und habe keinerlei Ahnung wie. Am besten ich fang einfach erstmal an zu reden, einfach so, ohne Sinn und Verstand, da kommt meistens was Kluges bei raus. Nein, eigentlich nicht, aber… mir fällt grad nix besseres ein.

Ein imaginäres Schulterzucken später öffne ich endlich den Mund… und sage sogar was: „Du weißt wie Takeshi drauf ist?“ „Du meinst seine Schwulenfeindlichkeit?“, erwidert Angesprochener bitter und stiert in seinen Tee, „Ja, die kenne ich, zum Glück weiß niemand davon außer Chika…“ Er sieht mich an und Tränen steigen in seine Augen als er niedergeschlagen lachend sagt: „Weißt du, sie hat gesagt sie nimmt mein Geheimnis mit ins Grab… kurz vor dem Unfall… ist das Ironie des Schicksals, Ryo? Warum ist Gott so grausam zu den Menschen die er liebt?“ Na ja… in Anbetracht der Tatsache das ich kein Stück an Gott glaube… vielleicht ist er einfach fies? Das sag ich dem vor sich hin schniefenden Akira natürlich nicht, lieber reiche ich ihm ein Taschentuch aus der Packung, die ich extra gesucht habe – irgendwann zwischen Essen und Hausaufgabe nämlich – und übergehe den Satz einfach mal. Kann ja nie schaden den Traurigen anzuschweigen.

„Also… was wirst du jetzt wegen der Sache mit Takeshi tun?“ „Ihn vergessen?“, schlägt Akira leise und niedergeschlagen vor und schnäuzt sich so geräuschvoll, dass ich denke eine Horte Elefanten spielt in unserem Garten.

„Das wäre wohl das einfachste…“, gebe ich nach dieser geräuschvollen Äußerung zurück, „Aber es ist schwer und wenn du ihn wirklich liebst… wird’s nicht so einfach mit dem Vergessen!“ „Ich weiß aber was soll ich den machen?“

Die Frage lasse ich mal wieder unbeantwortet weil mir einfach keine Antwort einfällt, stattdessen frage ich: „Auf was für einen Typ Mann stehst du eigentlich generell?“ „Dunkelhaarig… böse… geheimnisvoll… böse… Takeshi…“, murmelt Akira und lässt den Kopf vorsichtig auf die Tischplatte sinken. „Wenn dann musst du ihn schon richtig draufhauen!“, gebe ich zurück. Ich mach’s aber nicht vor, ich will ja keine Kopfschmerzen haben. Plötzlich kommt mir eine Idee und ich frage sogleich: „Sag mal… stehst du auch auf versaute Jungs?“ Akira schreckt auf und sieht mich entsetzt an. Und rot wie eine Tomate. „Also ja…“, schlussfolgere ich intelligent, „… Wie wär’s dann mit Henry?“ „Hundert Prozent hetero, du kennst doch seine Lektüre.“ Ich nicke und gebe dem Jungen stillschweigend Recht. Aber aufgeben werde ich nicht, das sehe ich gar nicht ein. Sieh mich an Welt, ich bin… ein Held? Wohl eher nicht. Aber so was in der Art… ganz kleine Ähnlichkeit vorhanden… ich hab schließlich einen verdammten Weltretter-Harmonie-Komplex.

So und jetzt retten wir den hier vor mir. „Also Akira… meinst du, du könntest vielleicht auf der Party jemanden kennen lernen, der dir zu sagt? Ich weiß ja nicht wer alles kommt…“ „Hmm… ich weiß auch nicht so genau… du, ich, Hachiro, Minami, Takeshi… und Fuyu!“ Ja, ich kann mir ungefähr vorstellen wie es in Akira aussieht wenn er an Fuyu denkt… ganz genau wie bei mir und dem Busch. Verdammt, heißt das… dass es mir genauso geht wie ihm? Dass ich mich in Katsu verliebt habe? Nein, nein, nein, hörst du auf schon wieder so Müll zu denken? Böses Hirn, also wirklich!

Ich schüttele heftig den Kopf, dann bemerke ich Akiras irritierten Blick, höre schlagartig auf, grinse ihn an und rufe hoffnungsvoll: „Du schaffst das sicher!“ Er sieht mich immer noch etwas entsetzt an und fragt: „Bist du dir sicher, dass es dir gut geht?“ Ich nicke. Akira zuckt sie Schulter, dann sieht er auf die Uhr und erschrickt. „Hey, die Party beginnt in einer Stunde!“

Ich springe auf und überprüfe die Uhrzeit. „Du hast Recht Akira, wir müssen gleich los. Willst du erst noch nach Hause oder kommst du gleich mit ins Henrys?“ „Ich geh erst Mal heim, wir sehen uns dann im Henrys!“ Ich nicke und bringe Akira zur Tür, ehe ich hinauf in mein Bad gehe und mich erstmal dusche.

Dann ziehe ich mich um und gehe hinunter um meine Schuhe und Jacke anzuziehen. Ich sehe auf die Uhr und mache mich hastig auf den Weg. Eine halbe Stunde nur noch? Ich beschleunige meine Schritte und hetze durch die Stadt. Und ich schaff es sogar rechtzeitig anzukommen, Mann, bin ich cool.

Dana sitzt schon in einer Ecke, eine Flasche Wasser in der Hand, ich winke ihr knapp zu, dann gehe ich zu Henry an den Tresen und meine: „Ich bekomm ein Wasser Henry!“ „Nanu, gar kein Bier heute? In letzter Zeit überhaupt nicht mehr, oder?“ Ich schüttele den Kopf, lasse mir mein Wasser geben und setze mich zu Dana in die Ecke. Ich kann keinen Alkohol trinken, ich muss schließlich auf meine beste Freundin aufpassen. „Na, wie ist es mit Akira gelaufen?“ Ich hab’s ihr natürlich erzählt, in der Pause nämlich, aber ich hab ihr nicht gesagt in wen Akira verknallt ist, denn er vertraut mir schließlich. Das mach ich ganz sicher nicht kaputt. Obwohl… Dana könnt ich’s anvertrauen glaube ich, schließlich kann ich ihr alles sagen. „Also wie sieht es jetzt mit Akira aus?“ „Hmm… ich hab heute Nachmittag total viele neue Psychoprobleme gefunden und festgestellt… das man dem ganz sicher nicht mehr helfen kann… außer man findet jemand anderes für ihn. Was mach ich jetzt am besten?“ „Du könntest mir erst mal sagen wer es ist, dann kann ich dir vielleicht helfen! Es wär jedenfalls einfacher.“ Ich beiße mir kurz auf die Unterlippe, dann murmele ich kaum hörbar: „Takeshi.“ „Was? Das ist ein Problem. Der ist doch mit Fuyu zusammen, oder?“ „Das auch… aber jetzt mal zu dir… wie schaut es aus mit der Kiyoshi-Sache?“ „Keine Ahnung… was soll ich machen? Los, berate mich Ryo!“

Entgeistert sehe ich meine beste Freundin an. „Hast du das jetzt wirklich ernst gemeint? Was soll ich denn machen?“ „Ähm… frag ihn doch mal!“ „Sag mal Dana… bist du sicher, dass das nur Wasser ist? Ich kann doch nicht hingehen und fragen… was soll ich überhaupt fragen?“ „Was er von mir hält und jetzt geh!“ Und schon schiebt sie mich los. „Dir hat wirklich jemand was ins Wasser gemischt!“, meine ich noch, ehe ich mich wirklich kopfschüttelnd auf den Weg zu Kiyoshi mache. Was soll ich sonst tun, ich hab gesagt ich löse ihr Problem auf der Party, damit ich mich nachher mit dem Problem Katsu beschäftigen kann. Und morgen. Und immer. Na ja, so bin ich halt.

Ja, ich laufe schon wieder durch die Gegend und träume… mach ich irgendwie dauernd, ich muss unbedingt aufpassen, dass ich nicht mal gegen eine Wand laufe.

Nein, ich bin wirklich bei Kiyoshi angekommen. „Kiyoshi? Kann ich kurz mit dir reden?“ Er zuckt die Schultern, dann folgt er mir, in eine ruhigere Ecke. „Also Ryo, wie läufts? Was gibt’s?“ „Es… geht um Dana Prince, du erinnerst dich?“ Er starrt etwas verwirrt gegen eine Wand, dann nickt er heftig und meint: „Ach, die Kleine… ja, da war mal was. Die sollte ich noch mal ansprechen, die war irgendwie süß!“ „Pass auf…“, ich packe ihn an der Schulter, „Wenn du ihr irgendwie wehtust dann kannst du was erleben!“ „Du bist nicht ihr Vater, oder?“, fragt er belustigt und ich schüttele ihn ein bisschen. „Hallo? Wir sind Freunde, Kiyoshi, es geht darum… ich und Dana wir sind beste Freunde und ich weiß wie leichtfertig du mit Gefühlen umgehst also tu ihr nicht weh, ich warne dich. Aber… was hältst du jetzt von ihr?“ „Wie gesagt… sie ist schon süß, also… ich würde nicht nein sagen.“ „Aber mit ihr gehen würdest du nicht? Du würdest sie nur in die Kiste zerren?“ „Du hast es erfasst Ryo, und jetzt lass mich, ich muss noch mal mit dieser Blonden da tanzen… wie heißt sie… ach, auch egal!“

Kopfschüttelnd sehe ich ihm nach, dann gehe ich zurück zu Dana, die mittlerweile die halbe Flasche leer getrunken hat. Vorsichtig nehme ich sie ihr ab, überzeuge mich noch mal davon, dass es nur Wasser ist und gebe sie ihr dann wieder zurück. Wirklich nur Wasser. „Was hat er gesagt?“, fragt sie leise nach einem Blick in mein Gesicht. Verdammt, ich hab wohl doch zu niedergeschlagen geguckt. „Er wurde mit dir ins Bett gehen, aber nicht mehr.“ Sie nickt, dann schnieft sie kurz, packt mich bei der Hand, zieht mich neben sich aufs Sofa und lehnt sich gegen mich. „Danke, dass du für mich gefragt hast.“ „Schon okay!“ Vorsichtig lege ich einen Arm um ihre Schulter und halte sie fest, als ganz plötzlich Minami durch all die Menschenmassen auf uns zu gewuselt kommt. „Seid ihr zusammen?“, ist ihre erste Frage, welche gleich einstimmig von uns verneint wird. Das hibbelig herumhüpfende Mädchen vor uns zuckt die Schultern, dann meint sie: „Jedenfalls schön das ihr da seid, Hachiro müsste jetzt ja gleich hier sein…“ Ein weiteres Mädchen kommt gerade mit einem lauten: „Minami, er ist da!“, angeflitzt, was diese dazu bewegt loszuhetzen ehe die andere angekommen ist. Die sieht ihr kopfschüttelnd nach, dann feiert sie einfach weiter.

„Hey Ryo, hey Dana, na seid ihr auch so gut drauf wie ich?“, fragt Akira – plötzlich aus dem nichts aufgetaucht – genauso sarkastisch wie niedergeschlagen und lässt sich neben Dana auf die Couch fallen. Ich nicke. Ja, wir können einen Depri- Selbsthilfe- Kurs aufmachen, das hilft sicher immer.

Schweigend und schlecht drauf sitzen wir also zu dritt auf der Couch, als Minami plötzlich über die Musik – jemand hat sie leiser gestellt – brüllt: „Achtung, gleich kommt Hachiro, dann brüllen wir alle ‚Überraschung’, ja?“

Und da bricht das Gebrüll auch schon los, Hachiro muss hereingekommen sein, die Tür können wir ja hier von unserer Position auf der Couch nicht sehen.

Ich stehe auf und zupfe an Danas Hand. „Kommt mit, wir gehen zu Hachiro, gratulieren ihm und machen uns dann auf den Weg zu mir. Wir können uns in die Küche setzen und uns da anschweigen.“ Dana und Akira sehen sich einen Moment an, dann nicken sie mir gleichzeitig zu und stehen auf. Dana lässt meine Hand – die sie seid geschlagenen zwei Minuten festhält – los und wir bahnen uns einen Weg durch die Menge. Hachiro steht noch immer an der Tür, umringt von zahlreichen Gratulanten.

Endlich, nach fast fünf Minuten stürmen, die meisten wieder die Tanzfläche und wir haben endlich die Gelegenheit mal mit dem komischer Weise dauernd grinsenden Hachiro zu reden: „Hey Hachiro! Ist echt ne coole Party, aber wir müssen mal wieder, Sorry alter Junge!“ Hachiro winkt fröhlich ab und meint: „Schon okay! Aber… ihr geht zu dritt? Also, Ryo mit Dana könnt ich mir vorstellen, von mir aus auch Akira mit Dana, aber… zu dritt?“ „Mann Hachiro, was du wieder denkst!“, rufe ich fröhlich – obwohl ich lieber losgeheult hätte – und klopfe meinem Kumpel auf die Schultern. Bin ich nicht gut? Ja ich weiß.

Ich, Dana und Akira schaffen es wirklich uns von der Party loszueisen und gehen zu mir nach Hause.

Als ich die Türe aufsperre kommt meine Mum aus dem Wohnzimmer. „Bist du schon wieder da? Oh, du hast jemanden mitgebracht?“ Ich nicke, dann meine ich: „Akira und Dana!“ Mum kommt auf die beiden zu und reicht ihnen nacheinander die Hand.

Nach einer ausführlichen Begrüßung schiebe ich meine Beiden endlich mal in die Küche und brühe Tee auf, während sie schon mal am Tisch Platz nehmen.

Als endlich alle Tee haben setze ich mich auch dazu und sehe abwechselnd von einem zum anderen. „Will einer was sagen? Das ist jetzt ne Selbsthilfegruppe. Also wer sagt was?“ „Mein Leben ist übel…“, murrt Akira deprimiert und starrt in seinen Tee. „Ich muss dir zustimmen!“, nickt Dana und starrt genauso trübe in ihre Tasse. „Hmm… meines auch!“

Eine Deutschstunde in der Hölle

Siebtes Kapitel: Eine Deutschstunde in der Hölle
 

Gegen halb elf machen sich Dana uns Akira zusammen auf den Heimweg – sie wohnen nicht weit voneinander entfernt – und ich gehe hinüber ins Wohnzimmer, wo Mum immer noch in ihrem Lieblingssessel sitzt, Chips mampft und wie gebannt auf ihr Fernsehdrama starrt. „Ich geh ins Bett, gute Nacht Mum!“ „Gute Nacht Ryo!“, nuschelt sie abwesend und guckt wieder zum Fernsehen.

Ich gehe hinauf in mein Zimmer, ziehe mich um und lasse mich in mein Bett fallen. Als ich gerade das Licht ausmachen will klingelt mein Handy. Seufzend stehe ich wieder auf und hole mein Handy aus meiner Hosentasche. Die Hose liegt natürlich auf meinem Schreibtischstuhl, sodass ich durchs halbe Zimmer schlurfen muss. „Hm?“, gähne ich und die Stimme am Ende fragt: „Schuldigung, hast du schon geschlafen?“ „Nicht wirklich“, antworte ich müde. Natürlich weiß ich wer dran ist, die Stimme würde ich überall wieder erkennen, Katsu. Langsam gehe ich wieder nach drüben, zu meinem Bett, und lasse mich im Schneidersitz darauf nieder.

„Ich wollte nur noch mal anrufen, wenn du lieber schlafen willst, dann…“ „Nein, nein!“, werfe ich schnell ein, „Ich freu mich, dass du angerufen hast, ich freu mich immer, wenn du anrufst…“ Ich höre deine Stimme so gerne, Liebling… hach, ich würde dich jetzt so gerne sehen, in deinem Schlafzimmer, im Halbdunkeln, wie neulich. Uh… verdammt, nach dem Telefonat muss ich erst mal duschen.

„Ryo?“ „Hmm?“ „Du bist so still… ist irgendwas?“ Ob was ist? Weiß nicht… mir ist immer so komisch in deiner Nähe… ist das nichts? „Nein, es ist nichts“, lüge ich munter vor mich hin. Scheinbar ist Katsu sensibler als ich dachte, denn er stellt sofort fest: „Du lügst mich schamlos an.“ „Tut mir leid, aber… ich kann’s dir nicht sagen.“ Katsu seufzt, dann sagt er sanft: „Ryo. Du kannst mir alles sagen.“ „Das nicht!“, beharre ich, „Bitte.“ Wieder seufzt Katsu, dann murmelte er leise: „Gut… ich muss dann mal wieder…“ „Katsu, warte! Ich kann es dir nicht sagen, tut mir leid, aber bitte… schieb mich jetzt nicht ab. Ich vertraue dir doch!“ „Davon merke ich aber nichts…“, murrt Katsu und klingt dabei deprimiert. „Tut mir leid Ryo, aber… wir sind Freunde, du kannst mir vertrauen, ich würde dich nie alleine lassen, ja?“ „Natürlich… ich weiß das doch… aber bitte, lass mich nur dieses eine Mal ein Geheimnis haben!“

Katsu seufzt, dann murmelt er: „Na gut. Wie sehen uns ja morgen, du kommst doch oder?“ Fragend klingt er, ängstlich als wäre er sich nicht sicher. „Natürlich komme ich, ich hab schon Entzugserscheinungen!“ „Hör mit deinen Witzen auf…“ „Das war kein Witz“, sage ich leise, „Das war mein voller Ernst. Ich freu mich auf morgen, wirklich, ich will dich wieder sehen. Mir hat heute wirklich was gefehlt.“ „Danke…“, murmelt er und schnieft. „Katsu? Weinst du?“ „Ja, ja natürlich heule ich, du blöder Hund. Das was du eben gesagt hast war voll süß, ich hab ja auch Sehnsucht, es war so… na ja, still nicht, aber… leblos. Katharina ist durch die Wohnung gerannt uns hat mich zu gelabert und ich hab’s nicht mal geschafft sie auszusperren, weil ich sonst den ganzen Tag alleine in meiner Wohnung auf der Couch gesessen und die Wand angestarrt hätte.

Ich hab einfach nichts gehabt worauf ich mich freuen konnte!“

„Katsu hör auf! Ich fang auch schon an zu heulen…“, schniefend ziehe ich ein Taschentuch aus dem Päckchen auf dem Nachttisch und wische mir die salzige Flüssigkeit aus dem Gesicht.

„Ryo?“ „Ja?“ „Bis morgen. Ich freu mich.“ „Ich mich auch!“ Dann lege ich auf und lasse mich seitlich umkippen. Verstört sehe ich die Wand an.

Alles, verdammt noch mal alles was ich gesagt hab war wahr, ich hab ihn wirklich vermisst, vor allem jetzt, als ich in meinem Bett liege. Ich wollte es mir nicht eingestehen, aber… in meinem Hinterkopf ist immer Katsu. Immer und immer wieder.

Wieder drehe ich mich um und seufze frustriert auf.

Wie ich meinen besten Freund doch vermisst habe.
 

Als das Klingeln meines Weckers ertönt schwinge ich mich genervt aus dem Bett. Wie jeden Tag wieder. Hab ich schon mal gesagt, dass ich Wecker hasse? Im Allgemeinen und meinen in Besonderen? Also: Ich finde Wecker zum Kotzen.

Ich schlurfe gähnend ins Badezimmer, ziehe mich aus und lasse mir dann in der Dusche warmes Wasser über den Körper prasseln.

Hab ich gestern beim Telefonat mit Katsu geheult? Boah… Angst. Warum fang ich jetzt schon an zu heulen? Und… verdammt, ich will wissen warum er immer so kryptisch vor sich hinmurmelt! Ich versteh überhaupt nicht was er mir mitteilen will! Na ja… ich erzähl ihm ja auch nicht, dass ich ihn liebe, aber… halt, das tue ich ja nicht? Oder doch? Nein. Oder? Mensch, ich werd’ noch wahnsinnig!

Seufzend aber entschlossen drehe ich das Wasser auf kalt. Ein Schock am Morgen… nein, das war was anderes, oder?

Fast eine halbe Stunde später – nach dem Frühstück mit meiner Schwester – schlurfe ich müde zur Schule… müde… genervt… dumm… dumm… dumm… mein Hirn hat grad einen total Aussetzer, fürchte ich.

Aber ist ja egal, wir haben ja nur Schule… mit Deutsch. Boah… Deutsch. Wo ist mein Messer? Ich bin selbstmordgefährdet, nicht? Und ich rede immer noch mit mir selbst.

Immer noch müde schlurfe ich also weiter zum Tor, schlurfe über den Hof, schlurfe zu den Schließfächern und höre endlich auf zu schlurfen. Ich bleibe nämlich stehen. Hättet ihr nicht gedacht, was? Aber ich bleibe wirklich stehen, wechsele die Schuhe und werde von einem unerhört gut gelaunten Takeshi fast in den Boden gerammt. Unangespitzt und mit den Füßen voraus.

Zornig funkele ich ihn an. Er sieht müde aus… so wie immer. Ich sollte ihm eine reinhauen, hab ich gerade festgestellt, wegen ihm ist Akira schlecht drauf und wegen ihm bin ich jetzt zwanzig Zentimeter kleiner als vorher. Also gut, wir verprügeln keine Leute nur weil sie nerven… oder an allem Schuld sind… wie Katharina! Die auch verprügelt werden müsste wenn ich so drüber nachdenke, wegen ihr bin ich schlecht drauf und Katsu gleich mit.

„Hey Ryo, war das nicht ne geile Party?“ „Geht…“, nuschele ich müde und hebe meine Tasche auf. „Du bist ja gleich gegangen…“, sprudelt Takeshi weiter, „… später wurde es erst lustig, Minami hat gestrippt!“ „Was habt ihr der gegeben?“, frage ich lahm, gähne, drehe mich um und stehe vor einer nicht minder müden Dana angelächelt. „Morgen!“ „Guten Morgen Ryo!“

Komisch… Dana ist immer so freundlich… ich fühl mich gleich besser, vielleicht sollte sie Psychiaterin werden, sie kann das irgendwie. Ich warte bis sie ihre Schuhe gewechselt hat, dann verabschiede ich mich mit einem: „Bis nachher!“, von Takeshi und lege einen Arm um Danas Schultern. „Gehen wir zum Klassenzimmer?“ Sie nickt.
 

Kaum haben wir uns ein bisschen von der Gruppe entfernt kommt uns ein extrem geknickt wirkender Akira entgegen und guckt starr auf den Boden. Sieht uns anscheinend nicht mal. Also lasse ich Dana los, packe ihn bei den Schultern und er schreckt auf und starrt mich aus weit aufgerissenen Augen an. Dann beruhigt er sich wieder, starrt den total interessanten Boden an und murrt: „Ach du bist es…“

„Was ist los Akira?“, fragt Dana sanft. Sie ist herangetreten, legt ihm die Hand auf den Arm und lächelt ihn so freundlich an, dass sogar ein Eisblock schmelzen würde. „Ihr wisst es genau…“, murrt er lahm und blickt immer noch zu Boden.

Dana sieht mich an, zuckt die Schultern wendet sich dann wieder an Akira um ihn in den Arm zu nehmen. Wow… ich bin überrascht, das macht sie doch sonst nicht.

„So Akira… jetzt ziehst du mal deine Schuhe aus und dann kommst du mit uns zum Klassenzimmer und wir unterhalten uns noch mal.“ Akira nickt schwach und geht zu seinem Schließfach, natürlich nicht ohne Takeshi einen sehnsuchtsvollen Blick zu zuwerfen.

Ich seufze. Schon ein armer Kerl, ich hab wirklich Mitleid mit ihm, unerwiderte Liebe ist schon schlimm.

„Was machen wir jetzt am besten mit ihm?“, fragt Dana und ich sehe sie an. Auch ihr Blick folgt Akira wie er seine Schuhe ins Schließfach stellt. „Schaffst du das dich mit seinem Problem auch noch zu belasten? Ich mein… dir geht’s ja auch nicht grade blendend.“ Sie schüttelt den Kopf und erwidert kühl: „Das war ein Fehler. Er ist ein arroganter Mensch!“ Hmm… der traurige Unterton in deiner Stimme sagt aber was ganz anderes meine Liebe! Akira kommt wieder auf uns zu und wir gehen langsam zum Klassenzimmer.

„Du kannst Takeshi nicht vergessen, was?“, fragt Dana sanft und Akira – der wieder den Boden anstarrt – nickt missmutig. „Was wirst du tun?“ Ein Schulterzucken. „Am besten Ablenken… geh doch mal raus, vielleicht lernst du jemanden kennen!“ „Ich will aber niemanden kennen lernen…“, murrt Akira. Wow. Er hat geredet. Es lebt! Sorry, das passt hier nicht und ich lege auch nicht den nötigen Ernst an den Tag aber ich bin nicht gut darin Leute zu bemitleiden.

Aber jetzt muss ich mich doch mal einmischen, Dana guckt nämlich ganz schön ratlos. „Willst du also auf ewig heulend in deiner Ecke sitzen bleiben?“ „Ich sitz doch gar nicht in einer Ecke…“, murmelt er klingt dabei leicht angepisst. „Das war ein Vergleich, du Heinz! Es geht darum: Du kannst dich in dein Schneckenhaus verkriechen und Trübsal blasen oder rausgehen, dein Leben in die Hand nehmen und Gas geben! Also mach was!“ Akira nickt schwach und sieht nicht aus als wolle er etwas ändern. Ich schnaube. Sieht ihm ähnlich. Ich hatte bisher noch nie viel mit Akira zu tun, aber… er ist bekannt für seine Sturheit.
 

Wir kommen am Klassenzimmer an und Akira lässt sich missmutig auf seinen Stuhl fallen. Dana steht hinter ihm, die Hände auf seinen Schultern und ich knie vor seinem Tisch, sehe ihn an und frage leise: „Willst du wirklich alles hinwerfen nur weil er dich nicht mag? Das kannst du nicht bringen!“

Er nickt schwach, dann murrt er: „Ihr habt ja Recht, alle beide, aber… ich kann ihn nicht vergessen, ich will ihn nicht vergessen, ich will einfach nur, dass er mich auch mag.“ Ich sehe ihm zu wie er den Kopf auf den Tisch sinken lässt, dann stehe ich auf und wuschele ihm durchs hellbraune Haar. „Das wird schon wieder!“ Es klingelt und ich gehe hinüber zu meinem Tisch.

Deutsch. Ich seufze und lasse den Kopf auf den Tisch fallen. „Na Ryo? Sie schlafen doch nicht etwa im Unterricht?“ Ich sehe auf und direkt in das Gesicht meiner liebreizenden Deutschlehrerin. „Nein. Ich hab nur… die Tischplatte bewundert!“ „Sparen Sie sich ihre Kommentare!“

Etwas angesäuert – etwa wie Mildgesäuerte Butter – richte ich mich auf, blicke nach vorne und strahle die Frau an wie ein Halogenscheinwerfer. Sie schüttelt nur den Kopf, dann wendet sie sich dem Rest der Klasse zu und verkündet fröhlich: „Na dann… wer will mir was über Gedichte erzählen?“ Keiner meldet sich… totenstille… alle treten schnell einen Stück zurück damit die Freiwilligen vortreten können… und unsere liebliche Lehrerin mit dem Charme einer alten Suppenkröte blättert munter in ihrem Notenbuch ehe sie aufblickt, uns alle anstrahlt, sodass wir radioaktiv verseucht sind und frohgemut ruft: „Takeshi!“

Der sitzt neben mir, grinst sich einen ab und scheint sich wirklich zu freuen. „Na, was können Sie uns über Gedichte erzählen?“ „Gedichte stammen von Dichtern!“ „Sehr… einfallsreich. Nein, ich meinte die Form!“ „In schriftlicher oder mündlicher Form.“

Immer noch strahlt sie so Nerven zerfetzend fröhlich durch die Gegend und trällert dann: „Kann ich das vielleicht als ganzen Satz haben?“ „Gedichte sind in schriftlicher und mündlicher Form vorhanden!“ Sie starrt ihn einen Moment fröhlich an, dann bittet sie mit zusammengekniffenen Augen: „Also, jetzt machen wir das mal anständig. Aus was bestehen Gedichte?“ Takeshi – immer noch super fröhlich und keineswegs genervt – antwortet: „Normalerweise bestehen Gedichte aus Worten, obwohl ich denke, dass man es bei den alten Ägyptern auch als Bilder hätte bezeichnen können.“

Takeshi… ich glaub jetzt hast du dich zu weit aus dem Fenster gelehnt. Leicht bösartig vor sich hin blinzelnd kommt unsere Deutschlehrerin auf den Tisch zu, den ich mir mit Takeshi teile und fragt: „Können Sie die Sache ernst nehmen oder soll ich Ihnen sofort eine Sechs eintragen?“ Takeshi zuckt die Schultern, dann meint er unschuldig wie ein Neugeborenes: „Bis jetzt hab ich all Ihre Fragen ordnungsgemäß beantwortet… was soll ich noch machen?“ Unsere Lehrerin schnaubt laut auf, dann wirbelt sie herum, rauscht nach vorne und tobt: „So, das reicht! Sie nehmen meinen Unterricht sowie meine Ausfrage keinesfalls ernst. Da Sie keine meiner Fragen ordentlich beantwortet haben sehe ich mich gezwungen, Ihnen eine Sechs einzutragen!“

Takeshi lehnt sich zurück, verschränkt die mageren Arme vor der Brust und sieht immer noch höchst amüsiert aus. Idiot. Oder er ist auf Drogen… kann auch sein, glaub ich aber nicht. Der Mann ist einfach doof. Also… Akiras Geschmack ist komisch.
 

„Nun… heute – da wir mit den Gedichten trotz dieser sehr unschönen Ausfrage fertig sind –“, sie wirft Takeshi einen mörderischen Blick zu, den dieser mit einem relaxten Friede-Freude-Eierkuchen Blick erwidert „… werden wir uns anderen Dingen zuwenden. Wie sie wissen müssen wir uns dieses Jahr mit einem Zweig der Literatur befassen, der…“ abfälliges Lachen, „… meiner Meinung nach im Kunstunterricht besser aufgehoben wäre. Nämlich den Comics.“ Lautes Jubeln dringt aus der zweiten Reihe, die beiden Mangaverrückten aus unserer Klasse sehen das zum Anlass sich zu Wort zu melden. Verrückte sind die nämlich wirklich. „Habt Ihr uns etwas dazu mitzuteilen?“, will der älteste Mensch dieses Raumes wissen und die beiden sehen sich eine Sekunde lang an, ehe sie fröhlich kreischen und ein einziges Wort in den Raum werfen: „Shonen-ai!“

Stille. Noch stiller. Wie vorhin. Ich muss eines gestehen… ich hab keine Ahnung wovon die beiden reden. Mit Mangas und so kenne ich mich nicht wirklich aus, hab mich nie wirklich dafür interessiert.

Frau Deutschlehrerin wackelt also zu den beiden wie irre kichernden Mädels und fragt: „Und was ist ‚Shonen-ai’?“ Die beiden sehen sich einen Moment an, dann: „Shonen-ai ist…“ „…So haben es wenigstens sehr intelligente Menschen mal verlauten lassen…“ „… die Liebe…“ „… zwischen gleichgeschlechtlichen Männern!“ Dann fangen sie wieder an zu kreischen und unsere Lehrerin flüchtet schnell wieder in Richtung Pult.

Ich bin perplex. Shonen-ai sind also Mangas über… Schwule? Na ja, warum nicht, leben und leben lassen ist mein Motto, aber… wer zieht sich so was rein? Mädels? Na ja, auch egal. Schlimmer ist: Die Frau Suppenkröte hat die Angewohnheit sich über alles aufzuregen was in ihrem Unterricht geschieht, also… „Nun… ich bin sehr tolerant gegenüber Homosexuellen, aber das geht dann doch zu weit! Diese Widernatürlichkeit in annähernd literarischem Umfeld zu thematisieren ist meiner Meinung nach höchst bedenklich!“

„Haben sie etwas gegen Homosexuelle oder was?“, fragt plötzlich Junko.

Junko. Danas Freundin. Wieso regt sie sich so darüber auf? Sollte das dann nicht ich oder Akira sein… warte, ich steh ja nicht auf Katsu. Also… ist sie… „Bist du etwa lesbisch?“ Aha, gut erkannt von Sina, der einen Hälfte des Mangafan-Duos. Junko läuft kirschrot an, ehe sie schüchtern nickt.

Der Lehrerin steht der Mund offen. Ein Coming-out in ihrem Unterricht, wenn sie gerade dagegen wettert? So was... na ja, wen stört es. Ist doch mir egal, dann ist sie halt mehr an Mädels interessiert, ist doch ihre Sache.

Ich bin ja auch… nein, bin ich nicht, dummes Hirn, geh weg, lass, aus, kusch, kusch! Oh wenn wir schon dabei sind… ich freu mich riesig auf heute Nachmittag!

„Sonst noch jemand der etwas sagen möchte zu dem Thema?“ Akira steht auf. Immer noch starrt er zu Boden… tut er das irgendwann nicht? Warte. Will er jetzt… hat er etwa vor… sollte er… „Ich bin schwul.“ Ja, sollte er. Boah, wie war das mit ablenken? Takeshi starrt gleich ganz entgeistert zu unserem Kleinen, ich lasse nur den Kopf auf den Tisch fallen und die Lehrerin muss sich erst mal setzten und den Schock darüber verdauen, dass ihr Musterschüler Widernatürlich ist. Na ja und die Fangirlies quieken halt und schauen aus als würden sie gleich in Ohnmacht fallen. Ich sollte auch mal Shonen-ai lesen, schließlich bin ich… nein ich bin nicht schwul, das ist nur der Schlafmangel weil ich gestern ja noch mit Katsu telefonieren musste… und geheult habe… nein, hab ich nicht, ich hatte was im Auge!

Gerade im richtigen Moment und voller Freude klingelt es zur nächsten Stunde und unsere verwirrte Deutschlehrerin ist bis auf weiteres verschont. Akira nicht.

Takeshi steht auf, rauscht auf den Jungen zu baut sich vor ihm auf – der Brünette kann den Blick nicht von ihm nehmen – und brüllt: „Boah du bist ja so was von widerlich! Das ist doch krank, da kann man sich doch sicher therapieren lassen oder so! Akira mach was dagegen, ich bitte dich!“ „Da kann man sich nicht therapieren lassen und ich will das auch nicht…“, lächelt Akira matt. Takeshi dreht sich zu mir um und quengelt: „Ryo mach doch was!“ Ich schüttele nur milde lächelnd den Kopf, lege Takeshi eine Hand auf die Schulter und meine: „Er kann doch machen was er will, nur gegen seine Gefühle kommt er nicht an. Also misch ich mich da nicht ein und du solltest ihn auch akzeptieren wie er ist!“ „Aber da muss ich doch immer Angst haben, dass er über mich herfällt!“ Ich sage ihm jetzt mal nicht das Akira auf ihn steht und es deswegen gut passieren könnte, stattdessen meine ich: „Hast du schon mal erlebt, dass jemand wie Akira einfach über Leute herfällt? Das macht er doch nicht, er ist schwul nicht notgeil oder so wie du!“

Takeshi schüttelt schwach den Kopf und murrt: „Ich muss das erst mal verdauen!“, dann wandert er wie ein Kamel vor zu seinem Platz. Akira sieht aus als würde er gleich sterben, Takeshi ist anscheinend schon tot und sich steh hier voll zwischen den Stühlen. Na dann, willkommen in der Hölle, wo Murphys Gesetz besser greift als irgendwo anders. Ganz toll, wie soll ich das nur überleben?

Trennungen und Schuldgefühle

Achtes Kapitel: Trennung und Schuldgefühle
 

Nach dem ich endlich den Schultag überlebt habe mache ich mich auf den Weg nach Hause um meine kleine Kumiko und ihre beste Freundin Ai abzuholen und mich dann wieder auf den Weg zu meinem Katsu zu machen… und ich freu mich schon drauf ihn wieder zu sehen! Nein… oder? Ach ich weiß doch auch nicht! Natürlich freue ich mich darauf ihn wieder zu sehen, schließlich ist mein bester Freund Teil meines Lebens, aber… wieso habe ich dann dieses komische Gefühl von Sehnsucht?

Ich seufze auf und meine intelligenten Füße haben mich auch schon nach Hause getragen. Also mache ich die Türe auf, melde mich mit einem „Bin wieder da!“ und trage dann erstmal meine Tasche in mein Zimmer.

Ich gehe wieder runter, setze mich in die Küche an den Tisch – meine Mum steht schon am Herd und rührt fröhlich pfeifend in einem Topf – und ziehe dann mein Handy aus der Tasche. SMS schreiben, ratet mal an wen… ganz genau den Mann, den ich NICHT liebe… Katsu. Mein Kätzchen. Gott bin ich dumm.

Aber jetzt mal zu der SMS die ich mit zitternden Fingern tippe:

Hi Katsu

Wir sind in ner Stunde oder so da, freu mich

Ryo

Wieso haben meine Finger gleich gezittert? Keine Ahnung, aber ich fühle mich wie ein verknalltes Schulmädchen. Das ich nicht bin. Weder verliebt noch ein Mädchen.
 

Mum stellt den Topf auf den Tisch, rührt ein bisschen darin rum und schöpft mir dann Suppe auf den Teller, ehe sie sich mir gegenüber setzt, Richtung Wohnzimmer „Essen!“ brüllt und mich dann mit diesem mütterlichen ‚Du kannst mir alles erzählen – Blick’ ansieht.

Da ich diesem Mittel widerstehe sieht sie sich zu einem: „Na Kleiner, wie lief’s in der Schule?“ gezwungen.

Während Ai und Kumiko hereinrauschen und sich links und rechts von mir an den Tisch setzen murre ich: „So wie immer halt…“ „Du siehst aber niedergeschlagener aus als sonst, ich lass mich nicht täuschen, Junge!“ „Ich hab einen Namen!“ Mum seufzt auf ehe sie erwidert: „Ich weiß, ich hab nur auf eine Reaktion gehofft, die was aussagt!“

„Es ist nichts!“, murmele ich, ehe ich an Kumiko gewand verkünde: „Wer mit will soll in einer Stunde fertig sein!“ Dann stehe ich auf, stiefele hinauf in mein Zimmer, lasse die Tür hinter mir zu fallen und werfe mich rücklings aufs Bett.

Natürlich ist was, Takeshi streitet sich mit Akira der deswegen beschissen drauf ist, ich hab komische Gefühle im Bezug auf Katsu. Aber sonst ist alles gut. Hach, was soll ich machen? Ich bin dumm, nicht? Ja… dumm, dumm, dumm, dumm… ach, hilft doch auch nichts sich dauernd als dumm zu beschimpfen. Vielleicht sollte ich… nein, ich werde nicht Katsu anrufen, nein, aus, weg!

Boah, ist mal jemandem aufgefallen, dass ich mein Gehirn wie einen Hund behandele? Dauernd geht’s ‚aus’! Wie so ein Hundebesitzer. Vielleicht sollte ich mir einen kaufen… oder Katsu schenken. Nein, man schenkt seinem besten Freund keinen Hund! Obwohl… Katsu mit so einem süßen, kleinen Welpen, der genauso tapsig wie er durch die Wohnung hopst… nein wie süß. Nein, nicht süß! Hilfe, ich werde noch ganz dumm!

Seufzend schlage ich mir mit der flachen Hand gegen die Stirn. Obwohl…Katsu und so ein niedlicher rotbrauner Zwergpudel auf Katsus Couch… ich komme in sein Wohnzimmer und setze mich zu ihm und dem kleinen Welpen. Zärtlich fahre ich ihm durch die weichen roten Locken. So weich, so niedlich.

Ein plötzliches Klopfen an der Tür reißt mich aus meinen wunderbaren Gedanken. Gelangweilt drehe ich den Kopf um zur Tür zu sehen, die sich eben einen Spalt weit öffnet. Kumiko späht herein und fragt: „Bist du bereit?“ „Schon fertig?“, ist meine Gegenfrage und ich richte mich auf und vergrabe den Kopf in den Händen.

„So schlimm?“, sie geht auf mich zu, schließt mich in die Arme und flüstert in mein Ohr: „Alles wird wieder gut, Bruderherz!“

Ich lächele gequält, dann stehe ich auf und nehme meine kleine Schwester bei der Hand. Wir gehen hinunter in den Flur, ziehen uns an und gehen dann zusammen mit Ai los.

Immer noch ist es kalt draußen, aber irgendwie… ja, irgendwie bin ich total glücklich, weil ich jetzt zu Katsu gehe und ihn endlich wieder berühren kann… nein, das will ich ja nicht! Oder? Oh Gott, er hat so weiche Haare und so ein niedliches, naives Gesicht! Ich könnt ihn knuddeln, aber… ich darf ja nicht, schließlich hat er eine Freundin!

Endlich kommen wir bei dem Hochhaus an in dem Katsu wohnt. Vorsichtig drücke ich auf den Klingelknopf und höre ein sehr bekanntes: „Hmm?“ Noch ehe ich antworten kann höre ich jedoch im Hintergrund ein ebenso bekanntes: „Katsu Schätzchen? Wer ist den an der Tür?“ Ich seufze lautlos auf, dann meine ich: „Katsu? Hier ist Ryo mit Anhang!“ „Kommt hoch!“, murmelt er und klingt dabei so schrecklich niedergeschlagen, dass ich mir wirklich Sorgen um ihn mache. Was hat dieser wasserstoffblonde Busch ihm nur angetan? Meinem armen Katsu? Auf das einladende Summen hin öffne ich die Türe, lasse die beiden Mädels vor mir hineinstürmen – Ai hält ihre blinde Freundin pflichtschuldig bei der Hand – und steige dann hinter den beiden die Treppe hinauf in das Dachgeschoß.

Die Tür ist geöffnet und es versetzt mir einen Stich. Katsu hat mir nie einfach so die Tür offen gelassen, er war immer hier, hat mir die Tür aufgehalten, mich mit seinen auffallend blauen Augen angesehen und mich jedes Mal damit glücklich gemacht. Ich stoße die Tür auf und höre schon Katharinas kreischende Lache aus dem Wohnzimmer.

Ich nehme Ai und Kumiko die Jacken ab, hänge sie mit meiner an die Garderobe und schlüpfe dann aus den Turnschuhen.

Kumiko hat ihre Freundin bereits an der Hand gepackt und ist – wahrscheinlich Katharinas aufdringlicher Stimme folgend – in Richtung Wohnzimmer gelaufen. Ich folge ihnen, wenn auch langsamer. Gott, ich will lieber nicht sehen wie sei Katsu Kätzchen die Zunge in den Hals schiebt.

Aber ich muss natürlich trotzdem hinein. Katharina sitzt wirklich auf Katsus Schoß auf dem Sofa, zerstrubbelt unter den argwöhnischen Blicken Ais die Haare meiner kleinen Schwester und kichert dabei wie irre.

„Hey Katsu!“, lächele ich gequält und er grinst genauso gezwungen zurück. Er sieht nicht so aus als ob es ihm gut ginge, eher… nun ja, einfach so ungeheuer gezwungen, nicht so wundervoll niedlich wie ohne dieses Pudelkind.

„Ich hol mir mal was zu trinken!“, erkläre ich, eigentlich nur um endlich von diesem Bild wegzukommen, und mache mich dann sofort und mit leicht angewidertem Gesichtsausdruck auf den Weg hinüber in die Küche.

Ich öffne den weißen Schrank, nehme eines der hohen Gläser heraus und gieße mir etwas Mineralwasser ein, das ich sofort hinunterstürze.

Gott, wie mich diese Frau doch ankotzt, wenn ich sie nur sehen muss… da schmeckt sogar das Wasser widerlich!

Plötzlich geht die Tür hinter mir zu. Ich drehe mich um und sehe Katsu, rückwärts an die geschlossene Tür gelehnt, den Kopf im Nacken und mit geschlossenen Augen. Ich stelle das Glas auf die Anrichte und gehe langsam zu ihm hinüber. Als er „Komm her, Ryo!“, murmelt gehe ich schneller und bleibe dicht vor ihm stehen. Er lässt sich nach vorne fallen, lehnt den Kopf an meine Schulter und murmelt: „Lass mich ausruhen, bitte, nur einen Moment!“

Ich lege zärtlich die Arme um seine Schultern, halte ihn fest und genieße die Wärme die er ausstrahlt.

„Sie ist kolossal nervtötend!“, stellt er leise fest und schmiegt den Kopf gegen mich, sucht einfach nur Halt… und Ruhe.

Nach zwei Minuten löst er sich mit einem gemurmelten „Danke!“ von mir und geht dann hinüber zur Anrichte und nimmt einige Gläser heraus und reicht sie mir. Dann nimmt er noch eine Flasche Wasser und wir machen uns auf den Weg zurück ins Wohnzimmer.

Ich stelle die Gläser auf den Tisch, setze mich auf den Sessel und sehe Kumiko und Ai an, die beide auf dem Sofa sitzen und mit den Füßen baumeln.

Katharina fängt plötzlich an zu reden: „Sag mal Katsu, wie sieht’s jetzt eigentlich mit den Ferien aus die wir zusammen verbringen wollten?“ Mein süßer Rothaariger zuckt nur die Schultern. „Ach und was willst du eigentlich am Wochenende machen?“ Ein weiters Schulterzucken, dann verzieht Katsu schmerzverzerrt das Gesicht und reibt sich mit den Fingern über die Schläfen. Der Arme, hat er Kopfschmerzen? So ein armer Kerl, Kopfschmerzen und auch noch mit DAS DA in einem Raum.

„Ach, Ryo, bleibt ihr noch zum Abendessen?“ Das fragt sie in einem Ton, der vermuten lässt, dass sie uns lieber loswerden möchte.

Katsu sieht sie kurz entgeistert an – ich gucke nur ein bisschen geringschätzig – dann lächelt er Ai und Kumiko liebevoll zu.

„Euch beiden ist sicher langweilig, nicht?“ Die beiden Mädchen nicken. „Wisst ihr, über die Straße ist ein Spielplatz, wollt ihr da hin?“ „Du willst uns loswerden, nicht?“, stellt meine höchst intelligente Schwester abschätzig fest und meinem Katsu Kätzchen entgleisen einen Moment die Gesichtszüge, ehe er lacht, ihr zärtlich über den Kopf streicht und dann nickt.

Kumiko steht auf, nimmt Ai bei der Hand und führt sie hinaus in den Flur.

Kaum ist die Tür gegangen stehe ich auf. Ich glaube ich weiß was sich da anbahnt, Katsu hätte Kumiko nie weggeschickt, vor allem nicht nach ihrem letzten Satz, wenn er nicht wirklich ernsthaft mit Katharina reden wollen würde.

„Wo willst du hin?“, will Katsu mit fast verzweifeltem Unterton wissen und ich erwidere beruhigend: „Ich geh nur kurz ins Bad!“

Ich gehe also hinüber ins Bad, schließe die Türe hinter mir ab und lehne mich mit dem Rücken dagegen. Ich will nicht hören wie sie da draußen streiten. Lustlos lasse ich mich an der Tür hinab auf den Boden rutschen, lege das Kinn auf die Knie und seufze.

Plötzlich klingt Katsus Stimme durch die Türe zu mir herein: „Verdammt, ich hab Kopfschmerzen und du hast nichts Besseres zu tun als mich zu zulabern? Sag mal geht’s noch? Und dann auch noch meine Gäste abwimmeln wollen, ich glaub’s ja nicht!“ „Ich hab in letzter Zeit kaum mehr einen Nachmittag mit dir verbracht und weißt du wer daran Schuld ist? Dein verfluchter Ryo, verdammt!“, kreischt sie zurück und klingt wie eine Furie Ich stecke die Finger in meine Ohren, spüre Tränen über meine Wangen laufen und will nichts mehr hören, will nicht hören wie ich ihre Beziehung kaputt mache und muss doch die letzten Worte hören die sich anhören wie Nadeln die mein Herz zerstechen: „Weißt du was Katharina? Das mit uns wird hier sicher nichts mehr. Es ist aus, so Leid es mir auch tut! Und mit Ryo hat das nämlich gar nichts zu tun, ich bin schwul, das ist es nämlich! Es war ein Fehler und das weiß ich jetzt. Tut mir wirklich leid!“ Ich höre Katharinas wütendes Schnauben, dann knallt die Wohnungstüre zu. War das… wirklich wahr? Katsu ist schwul? Genauso wie ich? Halt, ich bin ja nicht schwul… obwohl… ich hab mich ja in Katsu verliebt… glaub ich zumindest. Oh Gott, ich hab Angst. Jetzt wo ich weiß, dass er schwul ist… aber halt, war das vielleicht nur eine Lüge? Ja, ganz sicher, er ist nicht schwul, es war ein Joke oder so! Ich höre Katsu unterdrückt aufschreien; keine zwei Minuten später klopft es an der Badezimmertüre.

Ich weine immer noch wie von Sinnen und weiß nicht warum. Ich mein, warum heul ich eigentlich? Katsu hat sich eben von Katharina getrennt, ich müsste feiern, endlich bin ich den Busch los, endlich kann ich Katsu knuddeln wann immer ich will, aber… ich fühl mich einfach schrecklich.

„Ryo? Ryo, mach bitte die Türe auf. Bitte lass mich rein. Ich… ich wollte nicht vor dir streiten, ich will doch auf keinen Fall, dass es dir schlecht geht, ich hätte auch nicht gedacht, dass es dir so zu Herzen geht. Bitte, komm wieder raus!“ Ich antworte nicht. Ich will raus, will bei ihm sein, will ihn im Arm halten, aber ich schaffe es nicht, ich kann nicht raus gehen, kann nicht aufmachen, ich hab so ein schlechtes Gewissen Katharina gegenüber. Trotzdem sperre ich auf, rutsche hinter der Tür weg, hinüber zur Badewanne und lehne mich gegen den Rand.

Katsu öffnet die Türe, schleicht herein und geht vor mir in die Knie.

„Bitte, verzeih mir Ryo, das Letzte was ich will ist dich irgendwie verletzen. Es tut mir so leid. Und mit unserer Trennung hast du nichts zu tun! Bitte, glaub mir das, es hat schon länger zwischen uns gekriselt. Und wie gesagt, ich bin ja schwul, also… das wäre eh nichts geworden.“

Ich lehne mich vor, lege die Arme um seine Schultern und ziehe ihn einfach an mich, halte ihn im Arm – er ist schon längst auf meinen Schoß geplumpst – und heule mich an seiner Schulter aus.

Fünf Minuten später versiegen die Tränen und Katsu kann mich endlich dazu bewegen, ihm auf die Couch zu folgen. Aber los lassen werde ich ihn nicht. Immer noch klammere ich mich an seinen Arm und er hält mich fest.

Dann zieht er mich auf die Couch, auf seinen Schoß und ich lass den Kopf gegen seine Schulter sinken.

Schön… einfach Ruhe und Frieden, ich blende mein schlechtes Gewissen einfach aus, ignoriere einfach alle schlechten Gedanken und lasse mich von seinem Körper wärmen.
 

Als es an der Tür klingelt will ich nicht aufstehen. Ich will Katsu nicht loslassen, ich will ihn behalten, an ihn geschmiegt, ruhig und gelassen atmend hier sitzen und… aber meine Schwester muss ja doch einer einlassen. Also rutsch ich von dem rothaarigen Kätzchen herunter und sehe ihm nach wie er in den Flur läuft, dann sein helles Lachen, dann öffnet er die Türe und kommt zurück zu mir ins Wohnzimmer, wo er sich dieses mal auf meinen Schoß setzt.

„Deine Schwester ist fast so niedlich wie du…“, stellt er fest, „Eben fragt sie so: ‚Wir haben euch doch nicht bei was Wichtigem gestört, oder?’ Das ist ein richtig scharfzüngiges kleines Ding. Ich hab sie echt gerne! Genauso wie dich!“ Er haucht mir einen kleinen Kuss auf die Wange und meine Haut beginnt zu prickeln, dort wo seine Lippen sie berührt haben.

Kumiko und Ai kommen kichernd wieder ins Wohnzimmer, lächeln uns an, dann fragt Kumiko: „Gehen wir wieder? Tut mir echt leid Katsu, ich wäre gerne noch geblieben und ich hätte dir deinen Ryo gerne noch da gelassen, aber ich muss ihn jetzt doch mal entführen, Mum macht sich noch Sorgen.“ Wehmütig rutscht Katsu von meinem Schoß und lässt sich dann von mir mit in den Flur ziehen.

Während ich mir die Schuhe anziehe wendet er nicht einmal den Blick von mir. Kumiko und Ai ziehen sich schnell Schuhe und Jacken an, dann sehen sie mir zu, wie ich mich noch einmal von Katsu in den Arm nehmen lasse. „Wir sehen uns Katsu Kätzchen!“ „Das ist ja süß!“

Er lässt mich los, haucht noch einen Kuss auf meine Wange, ehe ich mit Kumiko und Ai die Wohnung verlasse.
 

Als wir zu Hause ankommen sitzt Ais Mutter schon am Küchentisch um ihre Tochter abzuholen und ich gehe sofort hinauf in mein Zimmer. Dort lasse ich mich wieder aufs Bett fallen und starre hinauf an die Decke.

Soll ich wirklich zu lassen, dass ich mich in den Süßen verliebe? Ich hab mich eigentlich schon in ihn verliebt, so lange schon, aber… Gott, jetzt hat er keine Freundin mehr, was mach ich den jetzt? Soll ich ihm alles gestehen? Umbringen wird er mich schon nicht, ich glaube er liebt mich auch, aber… was soll ich tun, ich werd ihn ansehen, rot anlaufen wie ein Radieschen mit Sonnenbrand und dann werde ich stottern wie eine kaputte Schallplatte.

Verdammt, was soll ich tun? Ich bin so… doof.

Aber… ich bin immer noch bei der Hundeidee… ich mag Hunde irgendwie, klein, tapsig und in Katsus Armen… genau wie ich heute. Oh Mann, war der süß… ich hab’s wirklich genossen in seinen Armen zu liegen, wirklich. Es war so warm und kribbelig wie ein Glas Honigbienen… Moment, wie sollen die Honigbienen ins Glas gekommen sein?

Aber ich lenke vom Thema ab, es ist natürlich dumm, dass Katsu und Katharina sich getrennt haben, aber… irgendwie ist es auch gut.

Ach na ja, wen stört es, ich muss irgendwo sagen… Katharina tut mir leid aber es ist mir egal! Pff! Soll sie doch heulen die dumme Tussi, ich leg mich jetzt hin und schlaf ne Runde!

Seufzend drehe ich mich um, schließe die Augen, denke an Katsu Kätzchen und schlafe sofort ein. Gott ist der Typ süß!

Die Ereignisse überschlagen sich!

Hallo da draußen!

Manch einer mag es seltsam finden, aber es meldet sich doch wirklich mal die Autorin^^ Ich wollte eigentlich auch nur noch mal darauf hinweisen, dass das "Darkfic" nicht unter Genre gerutscht ist, weil ich das Wort hübsch finde. Nur damit mir nachher keiner sagt, dass er es nicht gewusst hat!

Dankeschön übrigens fürs Lesen! Viel Spaß noch!
 

Neuntes Kapitel: Die Ereignisse überschlagen sich!
 

Der Wecker klingelt wieder penetrant, ich verzichte jetzt einfach mal darauf über ihn zu schimpfen und schalte ihn einfach aus. Dann setze ich mich auf, schwinge die Beine aus dem Bett und fahre mir mit beiden Händen durchs blonde Haar. Zum – wahrscheinlich ersten Mal in meinem Leben – bin ich nach dem Aufstehen einfach nur glücklich. Ja… ich denke an Katsu und kann mir grad nicht mal böse sein deswegen.

Seufzend schlendere ich ins Bad, stelle mich erstmal unter die Dusche und denke… an Katsu. Ja… irgendwie bin ich immer noch doof… aber ist ja egal.

Nach dem Duschen und anziehen mache ich mich auf den Weg hinunter in die Küche, setze mich an den Tisch, ziehe Kaffee und Brötchen zu mir und fange erstmal an ausgiebig zu frühstücken.

„Na nu? Was hast du den gemacht, dass du so gut drauf bist?“, will Mum lächelnd wissen. Die soll sich jetzt bloß nicht beschweren! Jetzt bin ich mal gut drauf und fluff und so und dann fragt sie mich so was!

„Katsu hat sich gestern von Katharina getrennt und dann haben er und Ryo auf dem Sofa miteinander gekuschelt!“, antwortet Kumiko an meiner Stelle und Mum fährt mir glücklich durchs Haar. „Das ist doch großartig Kleiner!“ „Wenn’s so großartig ist…“, beginne ich listig, „… kann ich dann Großartigerweise zu Katsu statt in die Schule gehen?“ „Nein!“ „Schade!“

Ich esse noch mein Brötchen zu Ende, dann stehe ich auf, ziehe meine Schuhe an, nehme meinen Rucksack, verabschiede mich von Mum und Kumi und hätte fast meine Jacke vergessen.

Nach dem ich sie doch noch angezogen hab mache ich mich auf den Weg zur Schule. Am Schultor laufe ich auch sofort Dana und Akira in die Arme, die mit meinem radioaktiv verseuchten Dauergrinsen momentan gar nichts anfangen können.

„Was hast du den gemacht, dass du so komisch guckst?“, will ein niedergeschlagener Akira wissen, doch ich winke ab. Besser belaste ich sie jetzt nicht damit, dass ich so gut drauf bin, das bringt’s irgendwie nicht… ich mein, wer will schon hören, dass es allen gut geht, außer einem selbst?

Aber Dana ist glaub ich nicht ganz so niedergeschlagen – oder einfach ein bisschen sensibeler, beziehungsweise intelligenter – sodass sie gleich vermutet: „Du hast mit Katsu rumgeknutscht?“ „Nein… wir haben nur… gekuschelt… nur ein klitzekleines bisschen!“ „Dann versteh ich auch dein Grinsen!“, wirft Akira matt lächelnd ein und fällt mir um den Hals.

„Boah Akira, hör auf damit! Ich kann das nicht ab, lass es!“, zischt plötzlich Takeshi, der mit einem Mal hinter uns aufgetaucht ist. Schlagartig lässt Akira mich los, guckt schuldbewusst zu Boden und murmelt traurig: „Tut mir leid.“

Okay. So geht das nicht, Akira entschuldigt sich dafür, dass er mich umarmt? Das ist krank! Leicht angesäuert packe ich meinen besten Freund – ich hab beschlossen Katsu nicht mehr als besten Freund sondern als fast festen Freund zu sehen – am Arm und zerre ihn mit mir zu der Bank, auf der ich vor drei Tagen noch mit Akira gesessen hab. Da drücke ich ihn auf die Sitzfläche, starre wütend in sein verdutztes Gesicht und zische: „Pass auf! Du bist mein bester Freund und das weißt du, wie kennen uns jetzt seit mehr als zehn Jahren, wir waren zusammen in der Grundschule, aber ich werde nicht zulassen, dass du Akira beschimpfst, runter machst und im Allgemeinen so behandelst, nur weil er von dir abhängig ist! Das geht so nicht und das lasse ich nicht zu!“ „Gott, er ist schwul, er muss sich an so was gewöhnen! Alle werden so mit ihm umgehen, ich bin noch harmlos!“ Gut, wäre nicht noch die gute Laune vom Vortag wäre ich schon längst ausgeflippt, aber so… flippe ich erst jetzt aus. Ich laufe also vor Takeshi auf und ab wie ein Tiger im Käfig, vergrabe die Hände im blonden Haar und versuche ihm mit der Stimme eines alten Oberschullehrers klar zu machen: „Es geht doch nicht drum ob er schwul ist! Dann kannst du anfangen mich auch so zu behandeln, ich bin auch schwul, mein Gott, was soll’s? Ist doch egal!“ Takeshi starrt mich an wie ein Schaf auf Drogen und fragt tonlos: „Du bist schwul? Was war dann das mit Chika?“ „Dann bin ich halt bi, ist doch egal, vielleicht bin ich auch nur besessen von Rothaarigen oder so, wen stört’s? Ist doch nichts dabei, sehe ich irgendwie abartig aus? Oder sieht Akira so aus?“ Takeshi schüttelt heftig den Kopf. „Also, ich geh jetzt zurück zu den anderen, mach hier was du willst, aber mach den Mund zu, du wirst noch einen Vogel verschlucken so weit wie du die Klappe aufreißt!“

Damit gehe ich zurück zu den anderen, die noch am Schultor auf mich warten. Mittlerweile ist auch Fuyu dazu gestoßen, die mich sofort leicht argwöhnisch fragt: „Was ist mit Takeshi los?“ „Gar nichts… er hat eben etwas erfahren das ihn… kurz aus der Bahn geworfen hat, das wird schon wieder!“ Damit strahle ich sie an, dann: „Kommt ihr mit rein?“ Fuyu winkt ab und macht sich auf zu ihrem immer noch lethargisch auf der Bank sitzenden Freund. Aber Akira und Dana kommen mit rein und nachdem wir unsere Schuhe gewechselt haben kommen auch Minami und Hachiro Hand in Hand um die Ecke.

„Sag mal… was habt ihr den mit Takeshi angestellt? Was für Drogen habt ihr dem gegeben? Der sitzt da draußen, starrt in der Gegend rum und wacht nicht mal auf, wenn man ihn schlägt!“ Ich sehe Minami an, dann lache ich: „Ach, wir haben nur festgestellt, dass ich bi bin… also nichts Weltbewegendes. Ich glaub nur er hat ein Problem damit… warum auch immer… na ja… ich hab ihm eben mal richtig den Marsch geblasen… warte, das klingt irgendwie zweideutig, nicht?“

Minami sieht mich einen Moment lang irritiert an, dann fragt sie: „Du stehst also wirklich auf beides?“ „Momentan eher Jungs, aber… im Allgemeinen glaub ich schon, ja!“ Minami guckt immer noch entgeistert, doch Hachiro zuckt nur die Schultern, stellt fest: „Jedem das seine!“, dann drückt er Minamis Hand, die schüttelt schwach den Kopf und fragt dann: „Wer ist der Glückliche? Kenn ich ihn?“ „Glaub nicht… nein, du kennst ihn sicher nicht. Ich will aber auch nicht rumposaunen in wen ich mich verliebt habe!“ Minami zuckt die Schultern, dann verabschiede ich mich und ziehe Dana und Akira mit mir Richtung Klassenzimmer.

„Die würden mich zerfleischen wenn sie rausfinden würden, dass ich was mit dem Bruder meiner toten Freundin hab!“ „Glaubst du sie hätte was dagegen?“, will Akira niedergeschlagen wissen.

Hmm… darüber hab ich mir gar keine Gedanken gemacht… „Ich glaub ich frage Katsu mal was er glaubt… schließlich kennt er sie länger als ich, aber… meiner Meinung nach… sie wäre glücklich gewesen, glücklich, weil die beiden Männer in ihrem Leben sich so gut verstehen… glaub ich wenigstens!“
 

Am Nachmittag komme ich endlich wieder zu Hause an. Komisch… die Haustüre ist abgeschlossen. Also krame ich mühselig den Haustürschlüssel aus meiner Hosentasche, sperre die Türe auf, lasse meine Tasche in den Flur fallen und brülle ins stille Haus: „Bin wieder da! Noch jemand hier?“

Keine Reaktion, ist anscheinend wirklich niemand zu Hause. Ich schlendere in die Küche und entdecke sofort den kleinen karierten Zettel auf dem Küchentisch. Während ich mir ein Brötchen schmiere schnappe ich mir den Zettel, setze mich auf den Küchentisch – ist ja keiner da der’s mir verbietet – und überfliege die Notiz in der runden Schrift meiner Mum:
 

Hey Ryo, Kleiner!

Ich musste mit Kumiko weg, hatte den Arzttermin total verschwitzt ^^°

Leider kommt auch noch ein Paket, dh du musst daheim bleiben, hol Katsu einfach zu dir!

Sorry Kleiner :(

Liebe Grüße

Mum
 

Seufzend zerknülle ich den Zettel. Na toll, jetzt darf ich das Haus hüten! Gut, dann mache ich das, was Mum gesagt hat: Ich ruf jetzt Katsu an und hol ihn hier her!

Pfeifend ziehe ich mein Handy aus meiner Hosentasche, tippe Katsus Nummer ein und freue mich schon jetzt wahnsinnig auf seine Stimme. Und wie immer meldet er sich mit einem unbestimmten: „Hmm?“ Gott ich liebe diese Stimme. „Katsu? Hier ist Ryo!“ „Ryo? Kleiner, ist irgendwas?“ „Jein… ich kann hier nicht weg, Mum ist nicht da und ich muss ein Paket entgegen nehmen… kommst du vorbei?“ Sofort entgegnet er freudig: „Bin in fünf Minuten da! Bis gleich!“ „Ja, bis gleich!“

Katsu hat aufgelegt, ich schiebe mein Handy zurück in die Tasche, bleibe auf dem Tisch sitzen und baumele mit den Füßen.

Yeah… Katsu… bei mir… ich freue mich… Gott bin ich verknallt… aber egal. Ist ja auch ein süßes Katsu Kätzchen.

Ich sitze fünf Minuten später immer noch auf dem Tisch, dann stehe ich endlich auf. Ich hab nämlich eine einmalige Idee… nein, eigentlich nicht, aber…

Mit den Händen in den Hosentaschen tapse ich hinunter in en Keller, muss die Hände dann doch aus den Taschen nehmen und stemme die Gefriertruhe auf.

Da war doch noch… ah ja! Halb in der Gefriertruhe liegend krame ich nach den Windbeuteln, die irgendwo da drinnen sein müssen.

Plötzlich rutsche ich weg. Na toll, ich falle, mit dem Gesicht in die Gefriertruhe…häh? Wieso lande ich nicht mit dem Kopf im Gemüse? Warum ist mir so… heiß? „Du solltest die Türe abschließen, Süßer!“ Katsus Hand greift nach den Windbeuteln, gleichzeitig zieht er mich mit dem Arm der um meine Hüften geschlungen ist aus der Truhe und drängt mich an sich.

„Hey Katsu!“, ich drehe mich in seinen Armen und küsse sanft seine Wange. Er seufzt, lässt sich von mir die roten Locken aus dem Gesicht streichen und erlaubt mir dann, mich von ihm zu lösen.

Ich knalle die Tiefkühltruhe wieder zu, nehme mit einer Hand die Windbeutel, mit der anderen Katsus Hand und ziehe ihn mit nach oben. Während er die Schuhe auszieht, lege ich die Windbeutel zum auftauen auf die Spüle und brülle dann Richtung Flur: „Was willst du trinken?“

„Du brauchst nicht so zu schreien…“, Katsu steht plötzlich neben mir und sieht mich zärtlich an, „… da kommt der wunderbare Klang deiner Stimme nicht so raus!“ Ich laufe rot an auf Grund dieses süßen Kompliments und er sieht das als Anlass, mich sofort in den Arm zu nehmen und zu knuddeln.

Er nimmt mir das Glas ab, das ich eben aus dem Schrank genommen habe und stellt es auf den Schrank. Dann greift er nach der Mineralwasserflasche, gießt es in sein Glas, nimmt mit einer Hand das Glas, legt sich mit der anderen meinen Arm um die Schultern und kuschelt sich dann an mich.

„Kommst du mit aufs Sofa? Ich möchte mit dir reden!“ „Sicher, dass du nicht eher kuscheln willst?“, frage ich belustigt, ziehe ihn aber trotzdem enger an mich und genieße das Gefühl, wie er sich in meine Umarmung schmiegt. „Das auch…“, schnurrt er, „…schließlich bin ich ein kleines Schmusekätzchen… miau!“ Lächelnd küsse ich ihn aufs Haar, dann murmele ich: „Danke, dass du mich vor der Gefriertruhe gerettet hast!“ „Gern geschehen… außerdem… mit wem soll ich den sonst kuscheln?“

Wir lachen, dann lasse ich mich aufs Sofa fallen und ziehe ihn so schwungvoll mit, dass er auf meinem Schoß landet.

Er schmiegt vorsichtig den Kopf an meine Brust und seufzt glücklich auf. Schweigend sitzen wir aufeinander, lange Zeit, ehe er aufsteht und sich kurz ins Bad verzieht, während ich schnell die Windbeutel auf einem Teller drapiere und den dann auf den Wohnzimmertisch stelle. Katsu kommt wieder ins Wohnzimmer, setzt sich auf meinen Schoß, entspannt sich jedoch nicht wie vorher sondern wirkt fast etwas nervös.

„Was ist los, Katsu? Ist irgendwas?“ „Ich muss mit dir reden!“, unruhig rutscht er auf meinem Schoß hin und her. Mein Arm schlingt sich um seine Taille, ich ziehe ihn näher an meinen Körper und vergrabe das Gesicht in seinen duftenden Locken. „Dann sprich!“

Unruhig bewegt er sich, ehe er herum druckst… „Also, du weißt ja… also… ich und Katharina… du warst ja leider dabei… uns, ich… du weißt schon… was ich… gesagt habe… gestern… über, … dass ich… ähm… ich bin ja… schwul… und da… weil… du… und ich… ähm… ich glaub ich hab… mich… verliebt… in dich!“

Ich sitze starr auf meinem Sofa, den zitternden Katsu in den Armen, das Gesicht noch immer in seinen Haaren und bin perplex. Nein, ich glaub’s nicht! Katsu… liebt mich… wirklich… oder? „Du… du liebst mich? Ehrlich?“

Er nickt heftig, dann vergräbt er das Gesicht in den Händen und wimmert: „Vergiss es! Bitte vergiss es wieder! Lass uns so weiter mach wie bisher, ich will nicht, dass du mich hasst!“ Er will aufstehen, doch ich greife mit dem Arm über seine Oberschenkel, halte ihn so fest, dass er nicht aufstehen kann, lasse den anderen Arm von der Taille hinauf zu den Schultern wandern und wühle die Nase wieder in die rote Pracht.

„Ich lasse dich hier nicht weg und ich werde auch nicht vergessen, was du mir gestanden hast… ich werd’s erwidern. Ich liebe dich auch Katsu… ich liebe dich, ich liebe dich, ich liebe dich! Soll ich’s dir noch mal sagen? Ich liebe dich Kätzchen!“

Katsu seufzt auf, lässt sich gegen mich sinken und flüstert: „Lass mich nie wieder so lange im Unklaren! Gott, ich weiß nicht was ich gemacht hätte wenn du mich jetzt abgewiesen hättest!“ Ich halte ihn fest, vergrabe immer noch das Gesicht in diesem göttlichen Haar und seufze. Ich bin ja auch froh… ich dachte es wäre dumm… ich war mir sicher… wir sind beide dumm. Das hätten wir viel früher merken können! „Was glaubst du? Was ändert sich jetzt zwischen uns?“, nuschele ich und er zuckt schwach die Schultern, dann richtet er sich etwas auf, setzt sich so, dass er rittlings auf mir sitzt, nimmt mein Gesicht in beide Hände und kommt mir immer näher.

Seine Lippen schimmern leicht feucht und rot… die sehen so was von weich aus… ich sehe einige Tränen an seinen Wimpern glitzern, er schließt die tiefen blauen Augen und küsst mich. Leicht, schüchtern landen seine Lippen auf meinen, seine Hände liegen immer noch auf meinen Wangen. Vorsichtig bewege ich die Lippen gegen ihn, erwidere den Kuss genauso süß wie er und genieße dieses Prickeln auf meinem ganzen Körper, die Wärme der Lippen auf meinen. Er schmeckt süß… so ein ganz eigener Geschmack… wie von selbst öffne ich die Lippen leicht und stupse ihn mit meiner Zunge an… er erschaudert in meinen Armen als meine Hände in seinem Nacken sich ein bisschen bewegen, doch dann öffnet er die Lippen, nur ein Stück aber doch so weit, dass meine Zunge seinen heißen Mund erobern kann. Gott… mich hat noch nie jemand so geküsst… so… intensiv. Ich erforsche alles, meine ganze Umgebung und als ich mich endlich von ihm löse bin ich darüber fast etwas enttäuscht. Aber… es ist besser so, wir wollen ihn ja nicht in meinen Armen sterben sehen, weil ich ihn tot geküsst habe… ja, Sauerstoffmangel ist schon was übles.

Katsu atmet heftig und öffnet die blauen Augen nur ein Stück. Verschleiert wirken sie, als stünde er unter Drogen… und so fühle ich mich auch… mein Kopf ist irgendwie leer… ich glaub, wenn Katsu nicht auf meinem Schoß sitzen würde, würd’ ich wegfliegen. Einfach so… ganz weit weg… Mein Kopf sinkt vor auf seine Schulter und er legt die Hände auf meinen Rücken.

„Katsu? Jetzt ist es amtlich… das war der beste Kuss den ich je bekommen hab!“ Er nickt schwach zustimmend.
 

Etwa eine Stunde später – wir haben uns abwechselnd mit Windbeuteln gefüttert – klingelt es an der Türe.

Katsu drückt mir noch einen flüchtigen Kuss auf, dann steht er widerwillig auf und lässt mich auch aufstehen, damit ich in den Flur gehen und die Türe öffnen kann.

Der Paketbote steht davor, ein junger Typ mit dunklem Haar und einem spitzbübischen Grinsen. Er reicht mir das Paket, dann lässt er mich unterschreiben und fragt: „Spaß gehabt?“ Ich stutze. Häh? Was meint der Typ?

Man hat mir meine Verwirrtheit anscheinend angesehen, den er deutet auf meinen Hals und meint: „Ist nicht zu übersehen!“

Oh, oh… böse Vorahnung… ein purpurfarbener Fleck…wo der wohl herkommt?

Plötzlich legt mir jemand die Arme von hintan um die Schultern, lehnt sich an mich und schnurrt leise in mein Ohr. Ich reiche dem grinsenden Paketboten sein Gerät zurück und frage leise: „Na Katsu… wie kommt der Knutschfleck auf meinen Hals?“ „Keine Ahnung… ehrlich. Aber… ich muss leider wieder heim… tut mir leid, Süßer!“

Der Paketbote grinst noch mal, winkt dann mit den Worten: „Viel Spaß noch!“, geht zurück zu seinem Wagen und fährt weg.

Katsu legt die Hände in meinen Nacken, zieht mich an sich und küsst mich wieder, wie schon den ganzen Nachmittag seit er es mir gestanden hat. Und ich liebe es, Gott, ich kann gar nicht genug von seinen süßen Lippen kriegen… und von ihm im Allgemeinen. Ich will ihn gar nicht mehr loslassen.

Und doch… wir können nicht ewig knutschend in der Tür stehen. Katsu löst sich widerwillig von mir. „Katsu?“ „Hmm?“ „Ich liebe dich!“ „Ich dich auch, Kleiner!“

Dann geht er hinunter zur Straße und ich wende mich ab um das Paket hinein zu stellen. Dieses Wochenende wird das wahrscheinlich beste meines Lebens, ich werde morgen Abend zu ihm gehen und mit ihm in einem Bett übernachten… sein Kopf auf meiner Brust… ich werde… ein Brummen zerreißt die Stille, wahrscheinlich ein Auto, dann ein dumpfer Knall. Ich wirbele herum und sehe gerade noch eine Person durch die Gegend fliegen, wie eine Stoffpuppe. Mit einem schrecklichen Geräusch kommt der Körper auf dem harten Asphalt auf. Hat sicher wehgetan.

Moment… Katsu! Das Paket rutscht mir aus den Händen, klirrend landet es auf dem Boden und wie nebenbei registriere ich, dass es wohl zerbrechlich war. Doch schon stürme ich los, auf die Straße, hin zu Katsu. Er wird aufstehen, gleich wird er aufstehen, sich den Dreck von den Klamotten klopfen und winken, er wird… doch er steht nicht auf. Das Auto ist längst weg.

Ich komme bei dem leblos auf der Straße liegenden an. Sein rotes Haar ist durcheinander und dunkelrote Flüssigkeit bahnt sich ihren Weg unter dem Haaransatz hervor. „KATSU!“ Ich sinke neben ihm auf den Boden und er schlägt mühsam die Augen auf.

„Ryo…“ „Ja, Katsu! Ich bin hier! Ganz ruhig, Katsu… Katsu!“ Seine Augen fallen zu und ich lege seinen Kopf auf meinen Schoß er seufzt heiser auf, dann krächzt er: „Es… tut mir leid, Ryo… ich will noch hier bleiben… tut mir… leid!“ „Du wirst hier bleiben, Katsu! Erst Chika dann dich oder was? Das lasse ich nicht zu!“ Ich küsse ihn, irgendetwas tropft auf ihn hinab und ich merke, dass meine Augen schon wieder überlaufen und ich vor mich hin weine. Ich muss jetzt stark sein, stark, für meinen Katsu. Katsu erwidert den Kuss, ganz schwach, kaum wahrnehmbar. „Tut mir leid… ich liebe dich!“, murmelt er noch mal, dann stille. „Nein! Katsu! Bleib hier, das geht nicht! Hör mit dem Mist auf, bleib bei mir, mach die Augen auf!“

Ein Krankenwagen fährt heran, hält mit quietschenden Reifen an, weiß gekleidete Gestalten springen heraus, wollen mir Katsu wegnehmen, doch meine Hände bleiben noch auf seinen Schultern liegen.

Eine Person legt mir ihrerseits die Hände auf die Schultern, dann eine weibliche Stimme in meinem Ohr: „Du musst ihn jetzt loslassen, Junge, du kannst nichts mehr tun, er ist tot.“ „NEIN! DAS GLAUB ICH NICHT! DAS GEHT NICHT!“ Schluchzend werfe ich mich über Katsus Körper, doch er bewegt sich nicht. Sanft macht mich die Frau von meinem Liebsten los, hilft mir auf und fragt: „Wo wohnst du?“ Ich deute auf das Haus hinter mir.

Gott… Katsu… die kriegen dich wieder hin, ich bin mir sicher! Katsu, du darfst nicht gehen, nein! Ich will nicht noch jemanden verlieren! „KATSU!“, brülle ich, dann sacke ich in den Armen der Frau ein Stück zusammen, richte mich jedoch sogleich wieder auf.

Sie hält mich am Arm fest und gibt mir eine Spritze.

„Das ist ein Beruhigungsmittel… leg dich ein bisschen hin, Junge. Soll ich dich ins Haus bringen?“ „Nicht nötig…“, nuschele ich, löse mich von der Frau und wanke ein bisschen als ich auf das Haus zugehe. Mein Kopf fühlt sich an wie mit Watte ausgestopft und das Haus wirkt ein bisschen verzerrt. Mir ist schwindelig und ich will unbedingt meinen Katsu in meinem Bett haben… ich liebe dich Katsu… „Katsu…“ Ich gehe in den Flur und stolpere über irgendetwas. Hart schlage ich auf dem Boden auf und dann… nichts… Schwärze umfängt mich und ich treibe in die erlösenden Arme der Ohnmacht… Katsu… ich liebe dich mein Schatz.

Abschied

Meine lieben Leser... unglaublich, aber ich melde mich schon wieder!^^ Eigentlich nur um mal danke zu sagen, dass ihr das hier lest und ganz deutlich zu machen, dass ich für alle Schäden, die beim Lesen der FF entstehen nicht verantwortlich gemacht werden will. Ach ja... was Ryo da macht bitte NICHT zuhause nachmachen!

Ach ja, der Epilog kommt gleich morgen, nur damit ich das mal gesagt hab.
 

Zehntes Kapitel: Abschied
 

Boah brummt mir der Schädel. Knurrend richte ich mich auf. Warum liege ich im Flur? Was mache ich hier? War nicht vorhin Katsu da? Ich richte mich auf, setze mich hin und lehne mich erstmal gegen die Wand. Mir ist immer noch schwindelig. Warum? Langsam… Katsu war hier und dann… „Katsu!“ Oh Gott, mir fällt alles wieder ein, Katsu ist… tot! Wieder breche ich in Tränen aus. „Katsu! Das kann nicht wahr sein, er darf nicht tot sein, Katsu nein!“

Ich lasse den Hinterkopf gegen die Wand knallen. Nein, ich steh das nicht noch mal durch! Chika ist tot, sie war meine erste Liebe, es hat so wahnsinnig lange gedauert bis ich über sie hinweg war und das alles nur dank Katsu… Katsu… Gott Katsu, ich liebe dich doch! „Wieso tust du mir das an?! Wieso Katsu? Bitte!“ Mein Kopf sinkt auf meine Knie und ich weine, weine wie schon lange nicht mehr. Ich hab den wichtigsten Menschen meines Lebens verloren, ich will das nicht, ich kann das nicht, nicht wieder, nicht noch mal, bitte, nein!

Mühsam richte ich mich auf, taumele zur Treppe und wanke hinauf. Immer wieder ist Katsu in meinem Kopf seine Lippen… Gott, ich kann sie immer noch spüren, immer noch… er ist tot! Weg! Für immer! Nie, nie wieder wird er mich küssen, sich in meinen Arm kuscheln, sich von mir knuddeln lassen… wir hatten noch so viel Zeug vor, ich wollte doch… er und Kumiko… ich… wir hatten nie Zeit für einander, wir haben heute zusammengefunden, heute verdammt! Es kann nicht schon wieder vorbei sein, nein, nein, nein!

In meinem Kopf dreht sich alles, ich bin allein, schon wieder so allein… es ist schlimmer als bei Chika, definitiv, ich hatte wenigstens Zeit mit ihr… mit meiner Süßen, aber Katsu… ich liebe dich Katsu, komm zurück!

Ich wanke in mein Zimmer, sperre unbewusst die Türe hinter mir ab, werfe mich auf mein Bett und vergrabe den Kopf in meinen Kissen. Ich heule, heule wie ein Schlosshund. Ich hab ihn verloren! Alle, alle die mir was bedeutet habe, verdammt, sie sind alle tot! Ich bin allein, ganz allein!

„Katsu… Katsu…“, immer wieder murmele ich seinen Namen. Das darf nicht wahr sein, es kann nicht wahr sein, ich will nicht, ich brauche ihn, ich will ihn bei mir haben.

Ich bin Verzweifelt, kein Wort kann das ausdrücken, keine Geste… verdammt, es gibt nicht mal ein Gefühl dafür, nur der dumpfe Schmerz in meinem Herzen.

Es hört sich kitschig an, ich weiß, es ist dumm, ich muss ja doch irgendwie weiter machen, irgendwas muss ich ja machen! Ich kann nicht ewig auf meinem Bett liegen und heulen.

„Katsu! Komm her! Bitte! Ich will dich hier haben!“

Seine Wohnung ist leer… ich sehe es vor mir, das Wohnzimmer, groß und so leer ohne ihn. Das Sofa auf dem wir gekuschelt haben… es wird nie wieder benutzt werden. Ich werde seine Lippen nie wieder auf meinen spüren, das Kribbeln das sich durch meinen ganzen Körper zieht wenn ich ihn ansehe.

Morgen, wenn ich aufstehe… ich will ihn anrufen, ich will seine Stimme hören… ich will seine Lippen spüren, ich will… ich will ihn, hier, bei mir, in meinem Bett… Ich weiß gar nichts mehr, mein Kopf fühlt sich leer an, wie vorhin, als er mich geküsst hatte, meine Lippen berührt hat… ich liebe ihn, ich liebe dich Katsu!

Gott… ich weiß nichts mehr, ich liebe dich… ich brauch dich… ich wiederhole mich die ganze Zeit… Katsu, das kannst du mir doch nicht antun!

Wie hat Akira so schön gefragt? ‚Warum tut Gott uns so was an wenn er uns doch liebt?’ Der Typ muss schrecklich sein. Von wegen Barmherzig, erst nimmt er mir Chika weg, jetzt Katsu… was will er mir noch antun?

Ich stehe auf, wandere hinüber zu meinem Schreibtisch und nehme ein Blatt Papier und meinen Füller. Vorsichtig setze ich ihn auf und das Papier sagt sich sofort mit der blauen Flüssigkeit voll. Daneben tropfen meine Tränen farblos darauf nieder. Ich beginne zu schreiben…

Wieso stehe ich jetzt im Bad? Irgendwie haben meine Füße mich wie von selbst hier hin getragen… ich weine immer noch, wimmere wie ein geprügelter Hund und bekomme es nicht mal mehr mit. Bitte… was auch immer passiert… ich möchte zurück zu meinem Katsu… ich liebe dich… bitte, gebt ihn mir zurück!

Vorsichtig drehe ich das warme Wasser auf, dann schleiche ich hinunter in die Küche, bekomme es aber kaum mit… wieder bin ich weg denke an Katsu denke darüber nach warum alle sterben die mir etwas bedeuten und frage mich wer wohl der nächste ist.

Dann stehe ich wieder im Bad, in meiner Hand ein Messer. Wie bin ich hier her gekommen, was mache ich mit dem Messer? Was will ich überhaupt hier? Geistesgegenwärtig drehe ich den Wasserhahn zu und streife meinen Pullover ab.

Katsu… deine Hände auf meiner Haut… spüre ich sie wirklich? Kuschelst du dich wirklich von hinten an mich? Dein Geruch… er liegt hier überall in der Luft… komm her… zu mir… bitte… Langsam folgt mein T-Shirt dem Pullover auf den Boden, dann öffne ich meine Hose, lasse sie zum Rest gleiten und schicke meine Shorts gleich hinterher. Dann lasse ich mich ins warme Wasser sinken… es umfängt mich… einer Umarmung gleich… wie du… warm… Katsu… ich liebe dich mein Großer, mein Kätzchen. Vorsichtig nehme ich das Messer in die Linke und setze die Spitze auf mein Handgelenk. Halt… was habe ich hier vor? Ich drücke leicht zu und ein einzelner Blutstropfen fließt hinab und tropft ins Wasser. Ungeschickt ziehe ich das Messer Richtung Ellebogen, setze es noch mal oben an und lasse es vertikal über mein Handgelenk sausen. Unter Wasser. Es brennt kaum… irgendwie… angenehm. Noch ungeschickter wechsele ich das Messer in die blutende Rechte und wiederhole den Vorgang am linken Handgelenk.

Das Messer fällt mir aus der Hand und landet klirrend auf dem Badezimmerboden. Ich lehne mich zurück und spüre wie ich langsam wegdämmere. Das Wasser um mich herum ist rot… so rot wie dein Haar… deine Lippen, voll, feucht… zum Küssen.

Das denken fällt mir immer schwerer… aber ich werde ihn doch wieder sehen oder? Katsu… und auch Chika… sein Tod ist schlimm, nicht dass ich ihn mehr geliebt hätte oder so, aber… ich hatte fast ein Jahr mit Chika… ich habe sie geliebt… ich habe sie so verdammt geliebt… genau wie ihn, mit dem mir nicht mal ein Tag vergönnt war… kein Tag…

Ich bereue es nicht das ich hier liege, hier in diesem roten, warmen Wasser… es tut mir nur leid. Mum… Takeshi… Akira… Dana… Kumiko… es tut mir leid… verdammt es tut mir leid, ich hoffe ihr versteht mich… es ging nicht. Nicht noch mal. Entschuldigung.

Das letzt in meinen Gedanken sind meine beiden Rothaarigen… Chika und Katsu. Ich liebe euch. Ich liebe euch so sehr… für immer. Gleich… gleich bin ich wieder bei euch… denn ich liebe euch über alles.

Drei Hochzeiten und ein Todesfall

Epilog: Drei Hochzeiten und ein Todesfall
 

Mein Name ist Akira, ich bin 27 Jahre alt und werde morgen heiraten. Doch heute muss ich erst noch etwas anderes tun, ich muss etwas beenden, einen Schlussstrich ziehen. Deswegen bin ich hier, hier auf dem Friedhof in meiner alten Heimat.

In meinem Ort bin ich schon den ganzen Tag umhergestreift. Ich war im Henrys… und alles war wie immer. Der Besitzer ist noch immer derselbe, immer noch steht er hinter seinem Tresen, das Haar schwarz, die Heftchen mit obszönen Bildern bedruckt.

Auch unsere Schule steht noch, beherbergt noch viele Schüler. Unsere Lehrer sind teilweise auch noch da, sogar unsere alte Deutschlehrerin habe ich wieder getroffen… auch sie hat sich kaum verändert.

In unserer Stadt scheint alles beim Alten geblieben zu sein seit ich weggezogen bin.

Und doch… eine Sache muss ich noch machen. Ich war schon beim Grab meiner besten Freundin, es ist etwa zehn Jahre und zwei Wochen her das sie gestorben ist und ich hab ihr vertraut, bei allem. Gott, was hab ich geweint als sie starb, ich war so traurig, so niedergeschlagen.

Doch dann… dann kam er. Ich fühlte mich sicher bei ihm, er wurde mein bester Freund… dabei hatten wir nicht mal eine Woche.

Der Wind zieht an meinem Mantel und meinem braunen Haar und ich kuschele mich enger in meine Kleidung. Langsam, bedächtig schreite ich über den Friedhof. Ich weiß genau wo ich hin muss, obwohl ich schon mehr als neun Jahre nicht mehr hier war.

Da ist es, ein schlichter, weißer Grabstein, das Grab hübsch und gepflegt, bedeckt mit Tannenzweigen.

„Ryo…“, flüstere ich, gehe in die Hocke und lege die Hand auf die kalte, harte Erde. „Ryo, ich muss dir etwas sagen. Dana ist verlobt! Weißt du, es war… auf deiner Beerdigung. Sie hat geweint, so bitterlich geweint, und dann war da Kiyoshi. Ich hab es ja selbst kaum geglaubt, aber… er hat sie in den Arm genommen, sie getröstet, sie an sich gedrückt. Selbst ich hab geheult auf deiner Beerdigung. Takeshi nicht. Er war wie immer… so… ruhig. Aber seine Hände haben gezittert. Kurz vor deiner Beerdigung hat Fuyu sich von ihm getrennt, sie hatte was mit dieser Katharina am Laufen… ich glaube Takeshi hat deinen Tod nie ganz verkraftet, es hat ihm zugesetzt, dass es in der letzten Woche deines Lebens zwischen euch so still, so kalt wurde.

Und Hachiro und Minami, Traumpaar Nummer eins sind natürlich auch verheiratet. Ja, sie waren ein bisschen schneller als wir, etwa drei Monate.

Ryo, heute ist dein Todestag und… dies ist ein Abschied. Ich werde nicht wieder hier her kommen, niemals. Es tut mir ja leid, aber… wir müssen nun noch mal ganz von vorne anfangen… wo anders, weit weg.“

Tränen laufen über meine Wangen und ich ziehe ein Taschentuch hervor um mich zu schnäuzen und wische dann mit einem anderen die Tropfen aus meinem Gesicht.

„Auf einmal muss ich daran denken wie wir in deiner Küche saßen… ich hab dir alles erzählt und ich hab auch geweint. Um Chika. Auch ihr Tod belastet mich, aber… heute an deinem Todestag gedenke ich dir, Ryo. Danke, dass du für mich da warst.

Okay, Katsu ist auch heute vor zehn Jahren gestorben, aber… ich kannte ihn nicht, nur aus Erzählungen, aber… er hat dir so viel bedeutet, nicht? So viel, dass du dich für ihn umgebracht hast. Ich hoffe es geht euch dreien gut da oben, ich hoffe es wirklich.

Übrigens… Kumiko hat sich prächtig entwickelt. Ich hab sie vorhin getroffen, sie ist ja jetzt fünfzehn… sie sieht genauso gut aus wie du damals, sie hat diesen unschuldigen, mystischen Touch den sie schon immer hatte… sie hat mich sofort erkannt, dabei kannte ich sie kaum. Ich hab mich nach deinem Tod mit ihr unterhalten und eines sofort gemerkt… sie ist nicht wie du, nicht so aufgedreht… sie ist eher kühl, melancholisch, aber… sie ist auch tröstend. Auf ihre eigene Weise. Jedenfalls… Kumiko hat ihren ersten Freund… schon seit einem Jahr oder so… die beiden sind richtig süß.

Ryo… ich muss jetzt wieder gehen. Wenn ich noch länger hier bleibe kann ich es nicht… ich… es war gut noch mal hier gewesen zu sein, noch ein letztes Mal.

Ich kann morgen heiraten, unbeschwert, frei… gelöst von meiner Vergangenheit. Wir werden uns nie wieder sehen. Aber… ich werde dich in meinem Herzen behalten. Irgendwann werden wir uns wieder sehen... Gott wird mich irgendwann zu euch führen, doch… ich hoffe – verzeih mir den Egoismus – nicht so bald. Ich muss mein Leben genießen. Dies ist ein Abschied, aber irgendwann werden wir uns wieder sehen… im Paradies.“

Ich stehe auf, reibe mir über die Tränen Augen, wickele mich enger in meinen Mantel und sehe noch einmal auf das Grab meines besten Freundes.

Dann drehe ich mich um und verlasse im eisigen Wind den Friedhof.

Der schwarze Wagen steht dort wo wir verabredet waren. Seufzend gehe ich hinüber, öffne die Autotüre, lasse mich auf den Beifahrersitz fallen und reibe mir die Arme. „Ist dir kalt?“ Ich sehe hinüber zur Fahrerseite und nicke. „Dann lass uns fahren.“ „Fahren wir!“, stimme ich zu. Der Motor wird gestartet, doch… „Ich liebe dich Takeshi.“ „Ich dich auch Akira, ich dich auch… sonst würde ich dich nicht heiraten!“ „Danke!“ Takeshi lächelt mich leicht an, dann fragt er: „Wofür?“ „Für alles!“ Er nickt.

Der Wagen rollt vom Parkplatz und ein leiser, flüsternder Wind geht durch die Bäume, während Schneeflocken auf den Wagen fallen.

„Ich werde dich nie vergessen Ryo… niemals.“

ENDE
 

So. Ich möchte an dieser Stelle noch mal Danke sagen, meinen Favonehmern, im Moment unglaubliche 9 Leute, den Kommischreibern, die mir ihre Meinung dagelassen haben und meinen Mädels, wegen denen das hier erst fertig geworden ist. Dankeschön.

Und dann noch eine kurze Ankündigung, wenn sich jemand dafür interessiert, wie es Ryo im Himmel so geht, nächsten Freitag der Auftakt zu einer bis jetzt drei-teiligen MSTing-Sammlung, mit Ryo, mir und... ja, ein paar "Werken", die ich auf diese Weise nochmal abschließen musste.

Also, ich hoffe es hat euch gefallen!

Man liest sich!

TeZ



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Von:  Beere
2009-11-16T19:12:45+00:00 16.11.2009 20:12
Oh Gott ;___;
Ich mochte die FF, aber warum muss das Emde nur so verdammt traurig sein? .__. ich hätte Ryo wirklich was besseres gewünscht, wo die beiden endlich zusammen gekommen sind ._. Ich bn die ganze Zeit damit beschäftigt die Tränen zu unterbrechen ._.
Schön dass sich Akira nochmal verabschiedet, bevor sie für immer weggehn. Mich hat es zwar überrascht, dass Fuyu und Katharina was am Laufen haben, aber wenigstens haben Akira und Takeshi zusammengefunden und auch zum Glück is Dana nun auch glücklich.
Hach, ich mag das Kapitel..auch wenn das Ende der FF so traurig ist *schnief*
Von: abgemeldet
2009-05-21T19:51:06+00:00 21.05.2009 21:51
boah is das süüüüüüüüüüüüüüß...okay süß klingt vllt seltsamn...aber is i-wie so...aber auch soo~ traurig...hab geheulz...toll geschrieben...total schön...dankeeeeeeeeeeeeeeeeee
Von:  NARUT0
2009-05-17T12:03:47+00:00 17.05.2009 14:03
Das hassu schön geschrieben das ende q.q
hat mir gut gefallen.
und ich finds süß das die 2 doch zusammen gekommen sind und soga heiraten :)
nja is aba auch traurig dassa nich mehr zum grab kommt aba ich
glaub ja selber das es so besse rist aba wie gesagt sie leben im herzen weiter nich x3?
also nochmals Tolla Epi :3


Von:  NARUT0
2009-05-16T07:52:19+00:00 16.05.2009 09:52
QQ wie tollisch -schon wieder am heulen bin-
das is so einfühldsam also wie soll ich sagen traurig udn shcön zugleich
also wie er bei ihm sein will udn so das hat mich ehct gerührt
und dann auch noch so ein opfer zubringen und die
freunde und Familie zurück lassn wie soll ich sagen ><
ich find keine wörter dafür QQ
aba ich würd auch so handeln wenn ich 2 mal meine größte liebe verloren hätte .__.
also deine FF is echt doll geworden eine der besten
die ich gelesen hab :3
ich laba weider zuviel naja also ich hab mich gefreut diese ff zu lesen :333

achjaah kommt eig noch en epi?
wenn nich is au ok ^.^

GGGLG Botan~
Von: abgemeldet
2009-05-15T17:26:06+00:00 15.05.2009 19:26
ahhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhh​hhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhh
wie kannst du nur????????????
das geht doch nich!!!!!!!!!!
*heul*
okay, aber i-wie war das kla^^
aber trotzdem doof, aber i-wie auch toll..also vom stil her
un den epilgog kann ich nich ma lesn weil ich nich da bin ne woche lang-.-
nija musst du halt aufn kommi warten von mir muhahaha

Von:  NARUT0
2009-05-09T08:18:11+00:00 09.05.2009 10:18
NEIEEEN QQ
Wiesooooo Q0Q
wieso muss da spassieren .___.???
das nech schön..
naja aufjeden fall wieder gtu geschrieben ._.
auch wenns traurig is aba er dich nich wirklich tot oda ..

da sag ich nur is hukari nich die einzige
mri kamen au die tränen .__.
aba is ja auch schrecklich gerade zusammen un dann sowas T^T
Von: abgemeldet
2009-05-08T20:05:58+00:00 08.05.2009 22:05
NEEEEEEEEEIIIIIIIIIIIIIIIIIN!!!!!!!! Nein, nein, nein, nein!
Nicht Katsuuuuu ;____;
*reißenden fluß heul*

ersntahft ich heule wirklich.;.;
aber ich hab mir i-wie sowas gedacht
aber wieso jetzt schooooon????
*heul*
Von: abgemeldet
2009-05-02T17:55:05+00:00 02.05.2009 19:55
Sind die beiden süüüüüüüß^^
Aber jetzt kann es doch nicht mehr lange dauern oder????

Achja, nich wundern, bin doch früher nach hause gekommen^^
Freu mich schon auf nächste Woche
hika
Von: abgemeldet
2009-04-24T20:50:51+00:00 24.04.2009 22:50
öhh..überleben?? gar nicht?? XD
Das is echt n Chaos leben
öhh eig hatte ich n super text den ich dir schreiben wollte aber den hab ich schon wieder vergessen, Gomen! *tante Vergesslich is*
naja jedenfalls is es ma wieder n super Kapi un ich freu mich schon aufs nächste....aber das kann ich erst später lesen weil ich net da bin(*heul*) also net wundern wenn es so lange dauert bis du n kommi bekommst kay?
also freu mich schon
hika
Von: abgemeldet
2009-04-18T19:23:13+00:00 18.04.2009 21:23
Selbsthilfegruppe?? xD
Mann unser "Held" hat schon ne Macke nä..xD
Aber mal wieder n tolles Kapi
lieg ma wieder lachend am boden..so wie jedes mal xD
freu mich auf fortsetzung
hika


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