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Höllenbrut

Jeder findet seinen eigenen Weg
von

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Prolog

Prolog
 

Ich spüre die kühle Nachtluft, die durch meine Haare weht. Ich stehe mit nackten Füßen auf nassem Gras und bin nur mit einem Nachthemd bekleidet. Ich stehe an dem Auto, in dem Phil und ich miteinander reden. Erst wundere ich mich, doch dann fällt mir ein, was gleich passieren wird. Ich renne auf das Auto zu, doch das wird immer schneller. Ich komme einfach nicht näher an den roten Golf heran. Ich werde müde und verlangsame meinen Schritt. Nun wechseln Phil und ich die Seiten. Ich renne weiter und komme nun erreiche ich endlich das Auto. Ich klopfe gegen die Scheibe und schreie mich an, dass ich sofort wieder vom Fahrersitz gehen soll, doch ich scheine mich nicht zu hören. Ich renne auf die andere Seite, doch auch Phil scheint mich nicht zu bemerken. Das Auto fährt los. Ich sehe mich, wie ich immer wieder von der Spur abkomme. Ich laufe hinter dem Auto her, doch ich komme nie nah genug heran. Da höre ich auch schon, dass ein Wagen schnell näher kommt. Der Wagen. Ich laufe noch schneller. Da kommt schon das andere Auto. Das des Betrunkenen. Ich kann da nicht hinsehen, drehe mich um und schließe die Augen. Ich höre es bremsen und gegen den Baum krachen. Ich drehe mich wieder um. Das Auto ist nur noch ein Wrack und Rauch steigt von der Unfallstelle auf. Ich bleibe stehen, obwohl ich weiß, dass Phil meine Hilfe braucht. Ich sehe, dass auf einmal weißer Rauch aus dem Auto aufsteigt. Über dem Wagen formt sich der Rauch zu Phil. Ich schreie auf. Der Geist sieht mich und schwebt auf mich zu. Immer schneller. Ich renne davon. Phil schwebt hinter mir her. „Du bist Schuld!“, stöhnt er.

Ich renne immer schneller. Doch dann stolpere ich. Langsam stehe ich auf. Mein Bein schmerzt. Phil schwebt durch mich durch. Alles tut mir weh. So einen starken Schmerz habe ich noch nie gespürt! Doch er will nicht aufhören. Phil kommt wieder auf mich zu und ich renne wieder weg. Er stöhnt.

„Lass mich in Ruhe!“, schreie ich.

Phil stöhnt wieder: „Rette mich!“

„Lass mich in Ruhe!“, schreie ich noch einmal, diesmal aber lauter.

Ich renne immer schneller und schneller…

1

Kapitel 1
 

„Das wird so geil!“, stellt Mag fest.

Ich sitze neben Mag im Bus und betrachte die verschwommenen Farben, der an uns vorbeiziehenden Landschaft. Ich heiße Jill Weber, habe lange, schwarze Haare und grüne Augen. Ich bin 16 Jahre alt. In der Schule bin ich relativ beliebt. Meine besten Freundinnen sind Maggie, die kurze, gestylte, braune Haare und schwarze Augen hat, und Melanie, die schulterlange, schwarze Haare und blaue Augen hat. Beide sind wie ich 16 Jahre und beide sind nicht gerade beliebt, ganz im Gegensatz zu mir. In unserer Klasse ist es so, dass sich manche als die >Besseren< bezeichnen. Das sind diejenigen, die beliebt oder reich oder einflussreich sind. Ich gehöre zwar auch dazu, aber ich halte nichts von alledem. Ich habe einen Freund: Giovanni. Van hat schwarze, kurze, hochgestylte Haare und graue Augen. Er wiederholt die 10. und ist so schon 17. Eben habe ich noch geschlafen und hatte wieder diesen Albtraum.

„Was ist?“, frage ich Mag.

„Na was wohl?“, sagt Mel vorwurfsvoll und dreht sich um.

Ich grinse verlegen. Wir sind auf dem Weg in eine alte Jugendherberge. Und das coolste wird, dass wir, weil wir ja nun in der 10. Klasse sind, ohne Lehreraufsicht dort sein werden. Natürlich werden die Lehrer mal Streife gehen, doch das zählt für uns nicht. Auf einmal nimmt sich Frau Klemme das Mikrofon. Ein lautes Pfeifen dröhnt aus dem Lautsprecher. Alle halten sich stöhnend die Ohren zu. >Also<, kommt es nun endlich aus den Lautsprechern, >Wir werden in ungefähr zehn Minuten da sein!<

Alle jubeln laut.

„Endlich kommen wir aus diesem doofen und engen Bus raus!“, flüstert mir Mel zu.

>Ruhe bitte! Also, ich und Herr Gustav werden in einer Pension etwa eine Stunde von hier wohnen. Verboten sind, während eures Aufenthaltes: Rauchen, Alkohol und vor allem: Sex! Und jetzt noch eine schlechte Nachricht: Ihr werdet nicht mit den anderen Zehnern in die geplante Jugendherberge kommen. Dadurch werden Herr Gustav und ich euch auch überhaupt nicht beaufsichtigen können. Also seid ihr auf euch ganz alleine gestellt. Wir hoffen, dass wir uns auf euch verlassen können!<

„Natürlich!“, antworten wir alle im Chor.

Frau Klemme legt das Mikro wieder weg und unterhält sich mit Herrn Gustav.

„Wir sind noch nicht einmal da und doch ist alles schon super!“, stellt Mag grinsend und frohen Mutes fest.

Auf einmal bekomme ich von hinten einen Kuss auf den Hals. Als ich mich umdrehe, auch noch einen auf den Mund.

„Hi, mein Schatz!“, sagt Van und küsst mich wieder.

„Was willst du?“, frage ich und drücke ihn spielerisch von mir weg.

„Ich will dich bloß sehen!“

Van zieht mich um den Sitz zu sich auf seinen Schoß und küsst mich.

„Miss Weber und Mr. Wulf, sie wissen, was ich eben gesagt und verboten habe?“ Ich lasse von Van ab und streiche mir eine Strähne aus dem Gesicht.

„Natürlich, Frau Klemme!“, antworten Van und ich grinsend im Chor.

„Gut!“

Frau Klemme setzt sich wieder ganz nach vorne neben Herrn Gustav und nimmt sich ein Buch zur Hand. Van und ich bekommen einen schrecklichen Lachanfall. Als wir uns wieder eingekriegt haben, küsst Van mich wieder.

„Nehmt ihr eigentlich auch mal Rücksicht auf Singles?“, fragt Steve. Steve hat schulterlange, braune Haare und smaragdgrüne Augen. Er ist der beste Freund von Leo. Leo ist 16 ½ Jahre alt, hat kurze, immer hochgestylte, braune Haare mit blondem Pony und blaue Augen. Manchmal erwische ich ihn dabei, wie er mich beobachtet.

„Wenn du so fragst… Nein!“, antwortet Van und küsst mich wieder.

„Danke für dein Mitgefühl!“, erwidert Jack, der ebenso alt wie Leo ist, kurze, weißblonde Haare und blau- graue Augen hat.

„Nichts zu danken!!“ Unsere Klassenkameraden lachen auf.

„Ruhe!“, donnert Herr Gustav. Alle sind sofort still, da Herr Gustav als streng gilt und niemand von uns will diese “grandiose“ Klassenfahrt verpassen.
 

„Alle aussteigen!“, befielt der Busfahrer. Alle stürmen nach draußen. Als wir draußen sind, fährt der Bus mitsamt unseren Lehrern davon. Steve schreit laut auf:

„Endlich frei!“ Die Bücher, die wir bekommen haben, um sie zu lesen, schmeißen wir auf einen Haufen und Leo verbrennt sie. Alle jubeln.

„Und was machen wir jetzt?“, fragt Mel.

„Ich habe Hunger!“, klagt Karl, ein dicker Streber aus meiner Klasse.

„Dann mach dir was!“, faucht Mag.

„Ich kann aber nicht kochen!“

„Jill kann ganz toll kochen!“, sagt Van und schiebt mich vor. Leo mustert mich.

„Dürfen wir uns was wünschen?“, fragt er dann.

„Klar!“

„Pizza!“, ruft Steve sofort.

„Nein, etwas Einfallsreiches!“

„Schnitzel und Pommes!“, schlägt Jack vor.

„Wie einfallsreich!“, flüstere ich.

„Hast du was gesagt?“, fragt Van mich.

„Nein!“, lüge ich.

„Okay!“

„Schnitzel und Pommes?“, frage ich unsicher.

„Ja, das isst schließlich jeder!“ Bevor ich widersprechen kann, sind alle im Haus verschwunden. Auch ich nehme meine Sachen und suche mein Zimmer. Ich gehe alle Räume durch, doch jeder ist schon besetzt. Endlich finde ich meinen. Ich räume meinen Schrank ein und richte mein Zimmer etwas gemütlicher ein. Ein Bild von Van und mir in einem Herzchenrahmen kommt auf meinen Nachtspinnt. Poster von berühmten Sängern und Schauspielern hänge ich an die Wand und beziehe mein Bett mit roter Bettwäsche. Einige Bücher und Zeitschriften lege ich in mein Nachtspinnt. Auf einmal klopft es. Van kommt herein.

„Was ist?“

„Kannst du mir helfen?“

„Wobei?“

„Ich kann mein Bett einfach nicht beziehen!“, sagt Van schüchtern. Ich kann mir ein Grinsen nicht verkneifen, gehe in Vans Zimmer und räume es etwas auf. Als ich auch noch Steve, Jack und Leo den Schrank etwas eingeräumt und das Bett gemacht habe, gehe ich wieder in mein Zimmer. Auf einmal geht die Tür auf. Mel kommt herein.

„Wie ich sehe, hast du es dir schon gemütlich gemacht!“

„Ja!“

„Kommst du?“

„Wohin?“

„Nun ja, du wolltest kochen!“

„Stimmt ja!“ Genervt verdrehe ich die Augen. Mit Mel gehe ich in die Küche. Schnell habe ich die Schnitzel gebraten und die Pommes in den Ofen geschoben. Für die Vitamine habe ich auch noch einen Salatteller gemacht. Mel ist mir bei allem eine große Hilfe. Alle setzen sich an den großen Esstisch.

„Wir haben Hunger, Hunger, Hunger, haben Hunger, Hunger, Hunger, haben Hunger, Hunger, Hunger, haben Durst!“, singen alle und hauen mit der Unterseite ihrer Bestecke auf den Tisch. Mag, Mel und ich tischen auf und alle sind begeistert. Als sie gegessen haben, räume ich den Tisch wieder ab.

„Willst du nichts?“, fragt Van mich.

„Nein! Ich habe keinen Hunger!“, erwidere ich.

„Hat aber gut geschmeckt!“, meint Leo.

„Das sagt der, dessen Teller nicht mal benutzt ist?“ Ich sehe Leo grinsend an. Dieser kratzt sich verlegen am Kopf. Mel und Mag helfen mir wieder den Tisch abzuräumen und abzuwaschen.

„Warum hast du nichts gegessen?“, fragt Mag mich und räumt den letzten Teller in den Schrank.

„Hab ich doch schon gesagt, ich hatte keinen Hunger!“

„Glaub ich dir nicht! Schnitzel und Pommes sind doch dein Lieblingsessen!“

„Und wenn schon!“ Ich lege den Spüllappen in die Spüle und laufe nach oben in mein Zimmer. Ich habe keine Lust mehr auf irgendetwas. Ich weiß auch nicht, wieso. Ich schmeiße mich aufs Bett und krame einen alten Comic aus meinem Nachtspinnt und fange an zu lesen. Als ich auf die Uhr schaue, merke ich, dass es schon neun ist. Auf einmal geht die Tür auf. Mel kommt herein.

„Was willst du?“, knurre ich.

„Ich will nichts!“

„Dann kannst du ja gehen!“

„Nein, denn die anderen wollen etwas!“

„Was denn?!“, frage ich genervt.

„Die wollen, dass wir spielen!“

„Wissen die von unserer Band?“

„Nein! Kommst du, sonst erzähle ich ihnen davon!“

„Erpresserin!“ Spielerisch piekse ich Mel in die Seite. Dann gehen wir nach unten.

„Und was singen wir?“

„Du singst! Also lass dir etwas einfallen!“ Schnell geht Mel vor und ich gehe langsam hinter ihr her.
 

Die Andern jubeln. Vor ihnen stehen jede Menge alkoholische Getränke und bei näherem Hinsehen, merke ich, dass diese Flaschen alle leer sind. Doch es werden immer mehr Flaschen herangeschafft. Nun fange ich an zu singen:
 

Lasst uns singen, feiern, lachen

Und einfach nur Scheiße machen.

Die Lehrer sind endlich weg,

die kümmern uns doch nen Dreck.
 

Verboten ist verboten,

doch unsere lieben Quoten,

steigen immer und immer weiter,

langsam werden wir heiter.
 

Lasst uns singen, feiern, lachen

Und einfach nur Scheiße machen.

Die Lehrer sind endlich weg,

die kümmern uns doch nen Dreck.
 

Verbote sind uns doch scheißegal,

auch wenn es nicht ist legal,

traust du dich etwa doch nicht?

Mann, was bist du für ’nen Wicht?
 

Ich höre auf zu singen und streiche mir verlegen eine Strähne aus dem Gesicht.

„Zugabe, Zugabe!“, schreien die Anderen. Ich schüttele nur den Kopf, denn ich will nur noch nach oben. Doch die Anderen sind so betrunken, dass sie mich nicht von der Bühne lassen, bis ich endlich etwas singe.

„Einen Lovesong!“, ruft Steve.

„Über uns, Süße!“, meint Van. Ich sehe Leo an, der der Einzige zu sein scheint, der nicht betrunken ist.

„Wenn es sein muss!“, seufze ich. Ich setze mich wieder auf den Stuhl und fange wieder an zu singen:
 

Deine Worte betäuben mich,

für mich gibt es nur dich!

Ohne dich kann ich nicht leben,

denn unsere Liebe

braucht keine Hiebe,

kann es so etwas geben?
 

Unsere Liebe ist wahr,

für uns ist alles klar!

Ich liebe dich so, wie du bist,

Denn einzeln sind wir allein,

wir können nur zusammen sein,

ohne dich wäre doch alles total trist.
 

Ich träume nur noch von dir,

sag mal, glaubst du mir?

Ich liebe nur dich allein,

sei immer für mich da,

solche wie du sind doch rar,

ohne dich kann ich nicht sein.
 

„Darf ich jetzt gehen?“, frage ich vorsichtig.

Van hebt mich von der Bühne und küsst mich. Die anderen klatschen. Van küsst mich weiter und leidenschaftlich. Er schiebt mich in eine Ecke. Mit seiner Hand fährt er sanft unter mein T-Shirt. Ich löse mich von ihm.

„Van, nicht…“, flüstere ich.

Doch Van zeigt keine Reaktion und macht einfach weiter. Diesmal schiebe ich ihn weg. Doch Van lässt sich nicht beirren. Bevor er mich wieder küssen kann, gebe ich ihm eine Backpfeife. Die Musik stoppt und alle sehen mich an. Es herrscht Totenstille. Ich renne nach oben. Van folgt mir. Er hält mich fest und schreit mich an: „Was sollte denn das?“

„Anders ging es ja nicht!“

„Was hab ich denn jetzt schon wieder gemacht?“

„Wenn du das nicht weißt…“

Ich stürme in mein Zimmer, schmeiße die Tür zu und schließe ab, bevor Van mir folgen kann. Van klopft an meine Tür.

„Mach auf!“, schreit er, doch ich ziehe meine Kopfhörer auf und höre so fast gar nichts mehr. Bald merke ich, dass Van weg ist. Ich schalte die Musik ab, schließe die Tür auf und sehe kurz hinaus. Der Gang ist leer und dunkel. Erleichtert schließe ich die Tür. Langsam und seufzend setze ich mich aufs Bett. Auf einmal reißt Mel die Tür auf. Ihre Haare sind zerwuschelt, ihr Lippenstift verschmiert, ihr Oberteil sitzt schief und ihre Hose ist offen. Schnell schließt sie die Tür und schließt ab. Ich begutachte sie von oben bis unten.

„Ich muss dir was sagen!“, meint sie.

„Das … glaube ich auch!“, sage ich langsam.

„Ich habe mit Van geschlafen!“

„Du hast was?!“

„Oder eher, er mit mir!“

„Er hat was?“

„Na ja, er war vorhin völlig verstört und ich wollte ihn trösten, dann hat er mich geschnappt, mit auf sein Zimmer genommen und dann…“

„Bitte nicht weiter!“, flehe ich und mir treten Tränen in die Augen.

Ich stürme aus dem Zimmer. Leo kommt mir entgegen. Ich renne ihn fast um. „Pass doch auch!“, fährt er mich an.

Ich reagiere nicht. Ich stürme in Vans Zimmer. Dieser liegt nackt in seinem Bett. Er steht auf.

„Hi Süße!“

Ich verpasse Van eine Ohrfeige.

„Du verdammte Sau, es ist aus! Für immer aus! Ich hasse dich!“, schreie ich ihn an und bevor Van etwas erwidern kann, verschwinde ich aus seinem Zimmer. „Was ist denn?“, fragt Leo mich.

Nun fange ich endgültig an zu weinen.

„Hey…“, versucht Leo mich zu beruhigen.

Ich sehe ihn an und merke, dass er mich mit sorgenvollen, schönen Augen ansieht. Van kommt aus seinem Zimmer. Er hat wieder seine alte Jeans und sein rotes T-Shirt an.

„Jill…“, fängt er an und kommt langsam auf mich zu.

Ich entreiße mich Leos Griff und renne nach unten.

„Jill, warte doch!“, ruft Van mir nach.

Doch ich bleibe nicht stehen. Ich laufe nach draußen, obwohl ich nur meine Hausschlappen anhabe. Es ist dunkel und es regnet in Strömen. Ich merke gar nicht, dass ich nass werde. Meine Strümpfe sind total durchnässt und meine Füße sind eiskalt.

„Jill, bleib hier!“, schreit Van, der in der Haustür steht und keine Anstalten macht, mir zu folgen.

„Lass mich in Ruhe!“, flüstere ich, während ich immer weiter in den nahe gelegenen Wald renne.

„Verdammter Mist!“, flucht Van.

Ich renne immer weiter und weiter. Mein Gesicht ist nicht nur vom Regen, sondern auch von Tränen benetzt. Ich merke nicht einmal, dass ich mir meine Klamotten durch hervorstehende Äste zerreißen und teilweise sogar meine Haut einreißt. Mir ist alles egal. Ich hatte Van vertraut, ihn geliebt und er… er hatte mich einfach betrogen.
 

Ich hasse ihn! Wie konnte er nur? Ich habe ihn doch so geliebt! Wie konnte er mir das antun? Ich habe gedacht, dass er mich auch so liebt, wie ich ihn geliebt habe!!
 

An mehr kann ich nicht denken. Ich fühle nur noch eins: den unendlichen Schmerz.

Endlich halte ich an. Immer noch regnet es und langsam bekomme ich wieder klare Gedanken, doch trotzdem will ich nicht zurück zu den anderen. Noch nicht. Ich setze mich neben einer Linde, die auf einer Anhöhe in einem Feld steht, ins nasse Gras. Endlich hat es aufgehört zu regnen.
 

Eigentlich hätte ich es wissen müssen! Er war schon immer ein Aufreißer! Wie konnte ich nur denken, dass er sich für mich geändert hat? Dass er mich geliebt hat?
 

Meine Gedanken spielen verrückt. In meinem Kopf dreht sich alles. Ich lehne mich an die Linde und lege meinen Kopf in den Nacken. Plötzlich merke ich auch, dass meine Klamotten an einigen Stellen zerrissen sind und ich an einigen Stellen blute. Ich schaue mir die Verletzungen an und merke, dass es nur kleine Schürfwunden sind. Auf einmal streicht mir jemand sanft über meine nassen Haare. Ich drehe mich um und sehe, dass es Leo ist.

„Was machst du denn hier?“, frage ich ihn und wische mir jegliche Anzeigen von Tränen aus meinen Augen.

„Ich bin dir gefolgt! Ich habe geglaubt, dass du jemanden zum Reden und zum Trösten brauchst!“, erklärt er.

Leo setzt sich neben mich und ich lehne mich an ihn. Weinen muss ich nicht mehr. Leo streicht mir wieder durch das Haar und dann fängt er an, mich zu massieren.

„Das tut gut!“, murmele ich.

„Kommst du wieder mit zurück?“, fragt Leo mich.

„Ich weiß nicht…“

„Komm schon!“

„Ich will aber nicht mit ihm reden!“

„Das wirst du aber sowieso irgendwann müssen!“, meint Leo.

„Du hast ja Recht!“, sage ich und seufze.

Leo hängt mir seine Jacke um und ich lächle ihn an. Während wir zurückgehen, unterhalte ich mich mit Leo.

„Wie bist du eigentlich mit Van zusammengekommen?“, fragt Leo mich.

„Er war ein guter Freund meines Bruders. Ich habe mich in ihn verliebt und er sich in mich. Irgendwann hat er mir das gesagt und wir sind zusammen gekommen!“, erzähle ich.

„Aha!“

Ich springe auf einen umgefallenen Baumstamm und balanciere auf ihm entlang.

„Und du?“, frage ich Leo.

„Was ist mit mir?“

„Warum hast du keine Freundin?“

Verwundert sieht mich Leo an.

„Kannst du dir das nicht denken?“

Ich kann Leo nicht in die Augen sehen. Schnell wechsle ich das Thema:

„Weißt du eigentlich wo wir sind?“

Leo sieht mich überrascht an, da er wahrscheinlich eine Antwort erwartet hatte.

„Ja, weiß ich! Ich weiß es ganz genau!“, sagt Leo und zeigt auf die Jugendherberge, die hinter den Bäumen auftaucht. Ich grinse und auch Leo lächelt mich an. Vor der Tür spielen Jack, Steve, Karl, Joseph, Michel, Timo, Tom und Henrik Fussball.

„Hi Leo, willst du mitspielen?“, ruft Steve, als er uns kommen sieht.

Leo läuft zu ihm.

„Dann sind wir aber einer zu viel!“, beschwert sich Joseph.

„Jill ist noch bei euch!“, ruft Jack.

Ich gehe zu Timos Mannschaft. Wir sind viel zu schlecht für Steves Mannschaft, dennoch schießen wir ein paar Tore. Joseph passt zu Karl, dieser trifft zufällig den Ball, der zufällig dann auch noch zu mir fliegt. Ich spiele Jack aus und schieße ein Tor. Ich springe vor Freunde in die Luft. Doch auf einmal spüre ich, dass an meinem rechten Bein eine tiefe Schnittwunde ist. Ich habe plötzlich keine Kraft mehr in den Beinen und falle so hart wieder zu Boden. Ich kremple meine Hose bis zu den Knien hoch und merke, dass die Wunde unheimlich blutet. Leo kniet sich neben mich.

„Das sieht irgendwie eklig aus!“, bemerkt Karl.

„Memme!“, raunt Steve ihm so zu, dass alle ihn verstehen können.

„Das müssen wir verarzten!“, meint Leo.

Ich stehe unter Schmerzen auf. Leo will mich stützen, doch ich humple allein in das Haus. Als ich die Tür öffne, steht Van davor.

„Jill, ich… was ist denn mit dir passiert?“

Van mustert mich von oben bis unten. Ich beachte ihn nicht weiter und setze mich im Gemeinschaftsraum auf einen Stuhl.

„Kann ich dir helfen?“, fragt Mag mich.

„Ja, bring mir bitte Verbandszeug!“, sage ich.

Mag verschwindet in der Küche und kommt ein paar Minuten später wieder. Van und Leo haben sich neben mich gesetzt, während ich mein Bein verbinde.

„Es tut mir Leid, Jill!“, sagt Van und kniet sich vor mich.

„Kann ich mir davon etwas kaufen?“, fahre ich ihn an.

„Was kann ich sonst tun, außer mich zu entschuldigen?“, fragt Van.

Ich stehe auf.

„Du kannst mich in Ruhe lassen!“, schlage ich vor.

Ich humple aus dem Zimmer, die Treppe hinauf in mein Zimmer.

„Ich liebe dich doch!“, ruft mir Van hinterher.

„Das hättest du dir früher überlegen sollen!“, rufe ich zurück, schließe mich in meinem Zimmer ein und lege mich auf mein Bett. Doch ich kann mich nicht entspannen, da ich immer wieder an das gestrige Geschehen denken muss. Ich sehe auf meinen Wecker und merke, dass es schon sieben Uhr morgens ist. Plötzlich merke ich auch, dass ich ungeheuer müde bin und schlafe ein.

Ich wache auf, als ich einen Schmerz an meiner Kehle spüre. Ruckartig drehe ich mich um. Im Dunkeln des Zimmers kann ich nur die Umrisse einer Person erkennen. Ich will schreien, doch der Fremde hält mir den Mund zu. Ich springe aus meinem Bett.

„Wer sind Sie?“, frage ich und halte mir meine schmerzende Kehle.

Der Fremde gibt keine Antwort. Langsam kommt er auf mich zu. Mich fröstelt es. Ich weiß nicht, ob das vor Angst kommt oder dadurch, dass das Fenster auf ist und ich nur ein knielanges, weißes Nachtkleid anhabe. Ruckartig drehe ich mich um und versuche die Tür zu öffnen, doch sie lässt sich nicht öffnen. Da fällt mir wieder ein, dass ich die Tür ja gestern Abend abgeschlossen hatte. Der Schlüssel steckt. Verzweifelt versuche ich die Tür zu öffnen. Doch der Fremde bleibt nicht tatenlos. Blitzschnell springt er vor, doch ich bin auch schnell und laufe aus meinem Zimmer. Der Fremde folgt mir durch den Gang. Ich schreie, doch das scheint dem Fremden nichts auszumachen. Er drückt mich gegen die Wand. Meinen Kopf dreht er zur Seite. Ich schließe ängstlich meine Augen.

„Hör sofort auf!“, höre ich jemanden schreien.

Ich öffne meine Augen wieder. Van und Leo kommen aus ihren Zimmern. Ich erkenne sie nur an ihren Stimmen, da es immer noch zu dunkel ist, um irgendetwas genau zu erkennen. Die Kreatur lässt von mir ab.

„Es ist noch zu früh!“, sagt Leo ernst.

„Es wird nie genau der richtige Zeitpunkt sein!“, meint Van.

Durch ein Fenster bescheint der Mond die drei Streitenden. Nun kann ich auch die dritte Person erkennen.

„Steve?!“, frage ich.

Überrascht sehen mich die drei Jungen an. Ich setze ein gezwungenes Lächeln auf. Dann laufe ich davon.

„Bleib hier!“, schreit mir Leo hinterher.

Doch wie von Sinnen laufe ich davon. Ich höre, dass die Jungen mir folgen.
 

Im Wald werden sie mich nicht finden! Ich muss nur noch aus der Tür und dann…
 

Meine Gedanken brechen ab, denn ich spüre einen dumpfen Schlag auf meinen Kopf und werde ohnmächtig.
 

Stöhnend wache ich auf und reibe mir meinen Kopf. Dieser fühlt sich an, als ob er gleich platzt. Dafür spüre ich keinen Schmerz mehr an meiner Kehle. Ich liege auf einem Bett in einem Zimmer, das wie das eines Gefängnisses aussieht. Es gibt nur das Bett, einen Holztisch mit zwei Stühlen und ein Waschbecken. Die Wände sind blassgrau.
 

Mein armer Kopf! Wo bin ich hier eigentlich? Was ist gestern Nacht eigentlich passiert?
 

Um mich abzulenken fange ich an zu singen:
 

Die Wand ist kahl,

mein Herz ist leer,

alles ist auf einmal so fahl,

Schmerz verspür ich schon lang nicht mehr.
 

Ich bin hier in Ketten,

ich fühl mich so schändlich,

keiner kann mich retten,

mein Schmerz ist unendlich.
 

Ich halt’s nicht mehr aus,

nichts geht mehr,

will unbedingt hier raus,

bin nicht mehr mein eigner Herr.
 

Ich denk nur noch an Flucht,

ich will gar nichts mehr,

steh an einer dunklen Schlucht

das Ende kommt immer näher.
 

Ich verstumme. Einige Zeit sitze ich nur da und sehe mich nach einer Fluchtmöglichkeit um. Plötzlich geht die Tür knarrend auf und Leo kommt in den Raum. Erst sehe ich ihn verständnislos an, doch dann vergrabe ich mein Gesicht in meinen Händen. Leo setzt sich an den Tisch.

„Setz dich zu mir“, bittet er mich.

Ich stehe auf und setze mich ihm gegenüber.

„Ich weiß, dass du viele Fragen hast, doch …“

„Ja, das hab ich! Was hat Steve mit mir gemacht und warum hat er das gemacht? Warum hat er auf euch gehört? …“, sprudelt es aus mir heraus.

„Ich habe es dir gesagt, sie kann und wird es nicht vergessen!“

Ich brauche mich gar nicht umzudrehen, um zu wissen, dass Van eben in den Raum gekommen ist.

„Lass mich die Angelegenheit klären!“, meint Leo.

„Seit wann können denn Vampire irgendetwas klären?!“, fängt Van an zu streiten. „Und Werwölfe sind da besser, oder was?“

„Vampire,…Werwölfe…“, murmele ich.

Plötzlich fällt mir auf, dass die Tür offen steht. Die beiden streitenden Jungs achten auch nicht auf mich. Langsam und leise stehe ich auf und schleiche zur Tür. Von außen schließe ich ab.

„Hey, aufmachen!“, schreien die Jungs und trommeln wütend gegen die Tür. „Nein! Ich habe Fragen und da ihr sie mir nicht beantwortet, frage ich eben jemand anderen! Ich will weder angegriffen noch eingesperrt werden!“, schreie ich.

„Jill, bleib hier! Mach keinen Mist!“

Ich laufe eine Treppe nach oben. So wie es aussieht, hatten mich die Jungs im Keller der Jugendherberge eingesperrt. Erst einmal möchte ich nur noch hier weg. Ich laufe nach draußen. Wieder zu dem Feld und der Linde. Ich setze mich ins Gras und fange an zu singen:
 

Es ist viel passiert,

Bin innerlich tot,

Es ist viel passiert,

bin in großer Not.
 

Die Zeit war so verrückt,

voll von gemeinen,

dreht sie doch zurück,

so kann das doch nicht sein.
 

Niemand gibt mir ’ne Antwort,

alle schweigen,

schicken mich fort,

die wollen’s mir wohl zeigen.
 

Ich lass es mir gefallen,

was soll ich sonst tun?

Meine Erinnerungen schallen,

ich kann nicht ruhn.
 

Ich höre auf zu singen und starre einfach in die Umgebung. Die Sonne geht am Horizont langsam unter. Der Himmel färbt sich rot, orange und teilweise auch gelb. Dunkle Wolkenschleier ziehen auch über den Himmel. Langsam wird es kälter und mich fröstelt es. Jemand legt mir von hinten seine Jacke über. Ich brauche mich gar nicht umzudrehen, um zu wissen, dass dieser Jemand Leo ist. „Was willst du?“, murmele ich.

Leo setzt sich neben mich. Er drückt mich sanft so gegen sich, dass ich mich an ihn lehne.

„Willst du das alles wieder vergessen?“

„Ich weiß doch gar nichts!“, fahre ich Leo an und springe auf.

Ich gehe ein paar Schritte nach vorne und verschränke meine Arme vor meiner Brust. Leo legt seinen Arm um mich.

„Ich kann dafür sorgen, dass du die ganze Klassenfahrt wieder vergisst!“

„Ich habe aber noch so viele Fragen!“

„Die werden dir noch später beantwortet werden!“

„Ich will aber nicht vergessen, was Van getan hat!“, sage ich.

„Das kannst du nicht vergessen, es ist zu tief in deinem Herzen!“, sagt Leo.

Er dreht mich zu sich und ich schaue ihm tief in die Augen. Leo sagt etwas in einer anderen Sprache und mir wird schwarz vor Augen.

2

Kapitel 2
 

„Aufwachen, Jill, du musst zur Schule!“, ruft meine Mutter von unten.

Ich schrecke schweißgebadet auf und sehe mich erst einmal um. Ich bin froh darüber, dass es nur ein Traum war. Doch ich hasse diesen Traum. Ich stöhne auf. Dann ziehe ich mir eine Hüfthose und ein rotes, bauchfreies Top mit einem weißen Kragen an. Als ich mich fertig gemacht habe, gehe ich frühstücken und dann mit Melanie und Maggie zur Schule. Auf dem Schulhof halten wir an und unterhalten uns.

„Lasst mich in Ruhe!“, höre ich jemanden schreien.

„Wer war das?“, frage ich Mel.

„Wahrscheinlich ärgert Leo wieder Clara!“, entgegnet Mag.

„Was?!“

Ich bin zwar beliebt, dennoch hänge ich mit Mag und Mel, die beide bei den Beliebten unten durch sind, rum. Die anderen verstehen mich nicht. Außerdem helfe ich immer denjenigen, die von den >Oberen< geärgert werden. Vor allem aber denjenigen, die von Leo geärgert werden. Ich gehe los. Leo ärgert mit seinen Freunden Jack und Steve tatsächlich wieder die arme, dicke Clara.

„Fettwanst!“, sagt Jack und schubst Clara zu Steve.

„Streberin!“, erwidert Steve und schubst Clara weiter.

„Du verpestest unsere Luft!“, sagt Leo und wirft Clara zu Boden.

Sie schürft sich ihre Ellbogen auf. Tränen stehen ihr in den Augen. Ich gehe zu ihr und gebe ihr ein Taschentuch.

„Könnt ihr sie nicht einfach in Ruhe lassen?“, schreie ich Leo an.

„Was regst du dich denn so auf, Süße?“, fragt Leo mich und versucht mich zu küssen. Ich schubse ihn weg.

„Lass einfach alle in Ruhe!“, fahre ich ihn an und gehe durch die Menschentraube, die sich gebildet hat. Als ich weg bin, steht Leo auf und sagt zu seinen beiden Freunden:

„Sie steht voll auf mich!“

„Wenn du meinst!“, entgegnet Steve und verdreht unauffällig die Augen.

„Der ist doch voll süß!“, sagt Mag, die in Leo verknallt ist, mit scheinbar funkelnden Augen.

„Dann nimm du ihn doch!“, fahre ich Mag an, doch im nächsten Augenblick tut es mir schon Leid und ich entschuldige mich bei ihr.

„Du brauchst unbedingt einen Freund!“, stellt Mel fest.

„Ich will aber keinen Freund mehr!“

„Denkst du an Phil?“, fragt Mel mich.

Phil war mein großer Bruder und er ist bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Doch das Schlimmste ist, dass ich diesen Autounfall verursacht hatte. Phil meinte, dass ich schon mal Auto fahren üben sollte. Ich rufe mir das Geschehene noch einmal ins Gedächtnis. Phil und ich sitzen in seinem Wagen und reden miteinander. Ich war 15 und er 17 Jahre alt. Plötzlich sagt Phil zu mir:

„Willst du mal fahren?“

Ich lache.

„Was denn? Du machst schließlich bald deinen Führerschein!“, entgegnet Phil.

„Du weißt doch, dass ich erst 15 bin?“, frage ich und lache wieder.

„Na ja, in einem Jahr darfst du aber deinen Führerschein machen!“

„Aber ich kann doch gar nicht fahren!“, erkläre ich.

„Dann probier es aus! Nur hier auf der Landstraße! Hier kommt doch fast nie ein Auto vorbei!“

Doch dieses >fast< tötete Phil. Denn während ich meine Kurven auf der geraden Straße drehte, kam uns ein viel zu schnelles Auto entgegen. Ein Besoffener, der bei einem Autorennen teilgenommen und sich verfahren hatte. Ich erschrak und riss das Lenkrad rum. Wir knallten gegen einen Baum. Bei dem Zusammenprall starb Phil. Der Besoffene begann Fahrerflucht und da es keine Zeugen gab und ich keinen Führerschein besaß, wurde ich für alles verantwortlich gemacht. Niemand wusste, was wirklich passiert war. Oder eher, keiner glaubte mir, außer meinen beiden Freundinnen. Ein Jahr war das jetzt her und fast niemand erinnerte sich mehr daran. Nur noch der Zeitungsartikel klebt überall in irgendwelchen Mappen von denen, die mich kennen.
 

Autounfall auf der Landstraße: Ein Toter

15-Jähiges Mädchen fährt ihren 17-Jährigen Bruder zu Tode.
 

Am 16.7. gegen 20.00 Uhr fuhr Jill W. (15) mit ihrem Bruder Phil W. (17) auf der Landstraße, als die Jugendlichen beschlossen, den Platz zu wechseln. So fuhr Jill, die noch nie hinter dem Steuer gesessen, noch einen Führerschein hatte, auf der Landstraße. Doch wie gesagt, hatte Jill keine Ahnung vom Auto fahren und so endete diese Tour, in dem Jill vor einen Baum fuhr. Beide Jungendliche waren bewusstlos und wurden erst später von dem Rentner Udo C. (65) gefunden. Dessen Hund hatte das Auto >erschnüffelt<. Mit seinem Handy hatte Udo C. die Feuerwehr und die Polizei gerufen. Doch für den 17- Jährigen Phil kam jede Hilfe zu spät. Er starb bereits bei dem Aufprall. Denn ein hervor stehender Ast, durchbohrte seinen Körper. Der Junge starb noch an der Unfallstelle. Jill lag noch eine Woche im Krankenhaus. Doch sie streitet ab, dass sie wegen mangelnden Autoverstandes gegen den Baum gefahren wäre. Sie behauptet, dass ein Betrunkener die Beiden fast angefahren hätte. >Für diese Behauptung gibt es keine Beweise!<, erklärt der Polizeisprecher, >Weder Bremsspuren noch sonst irgendwas!< Und so bleibt Jills Behauptung nur noch eine Lüge. Bei ihrer Verhandlung wegen fahrlässiger Tötung bekam Jill 86 Sozialstunden in einem Altenheim.
 

Die 86 Sozialstunden sind gar nicht schlimm, denn so hatte ich eine nette, ältere Frau namens Lotte Dieter kennen gelernt. Mir hatte es Spaß gemacht, mich um sie zu kümmern. Ich hatte für sie eingekauft, war mit ihr spazieren gegangen und ich hatte mich mit ihr gut unterhalten. In der Schule hatten mich erst einige gemieden, doch nun konnten mich wieder alle leiden. Sogar sehr gut leiden, denn durch mein traumatisches Erlebnis kann ich gut anderen zuhören und ihnen versuchen zu helfen. Nun kommen oft andere Mädchen zu mir und sprechen mit mir. Ich gebe ihnen Ratschläge und hoffe, ihnen damit zu helfen.

„Jill?!“

Ich drehe mich um. Mag und Mel sehen mich an.

„Ist was?“, fragt Mag.

„Nein, ich habe nur etwas nachgedacht!“

„Hast du wieder an Phil gedacht? Wir wissen, dass es nicht deine Schuld war!“, sagt Mel.

„Wir glauben dir!“, bestätigt Mag.

„Ich weiß!“, stöhne ich, „doch ich weiß nicht, ob ich mir glaube! Vielleicht bin ich ja doch gegen den Baum gefahren, weil ich kein Auto fahren konnte!“ „Selbstzweifel sind ganz normal!“, erklärt Mel.

„Wo dir doch niemand glaubt, noch nicht einmal deine Eltern!“, erinnert mich Mag. „Und dabei heißt es immer, dass die Eltern immer zu ihren Kindern halten!“, schnauzt Mel.

„Es spricht ja auch alles gegen mich!“, sage ich.

„Hör auf, dich selbst runter zu machen!“, befiehlt Mag.

Clara kommt angelaufen. Ihre Brille ist verbogen und ihre Hose ist an einigen Stellen zerrissen.

„Was ist denn los?“, frage ich sie.

„Leo und seine Gang haben mich wieder geärgert, nichts Besonderes! Wann tretet ihr mal wieder auf?“, fragt sie.

Mel, Mag und ich haben eine Band gegründet, die wir >Angels< genannt haben. Mel spielt Schlagzeug, Mag spielt Keyboard und ich spiele E-Gitarre und singe. Bis jetzt sind wir allerdings erst einmal aufgetreten, aber das war ein voller Erfolg.

„Wir treten nächste Woche im >WinschClub< auf!“, verkündet Mel.

Der >WinschClub< ist der beliebteste Treff der Jugendlichen unserer Stadt.

„Der Besitzer war bei unserem letzten Auftritt und hat uns nun gebeten, bei ihm aufzutreten, da konnten wir doch nicht nein sagen!“, erkläre ich.

„Ihr habt eine Band?“, fragt Leo überrascht, der gerade hinter mir aufgetaucht ist. „Ja!“, sagt Mel.

„Und wie heißt sie?“, fragt Jack.

„Sie nennen sich >Angels<! Und sie sind irre gut!“, erklärt Clara.

„Hey Leute, hier haben wir ja Engel!“, ruft Steve.

Leo und Jack lachen.

„Wie witzig!“, meine ich sarkastisch.

Leo küsst mich. Ich gebe ihm eine Backpfeife und gehe mit Mel und Mag in eine andere Ecke. Ich sehe noch einmal zu Leo, der mich ebenfalls anstarrt, lächelt und mir zuzwinkert. Ich verdrehe die Augen.

„Was hast du eigentlich gegen Leo?“, fragt Mel mich.

„Eigentlich nichts, aber ich will mich einfach nicht verlieben!“, gestehe ich.

„Das hast du aber, oder?“, fragt Mel mich.

Mag sieht mich böse an.
 

Vielleicht bin ich wirklich in Leo verliebt, doch erstens will ich das nicht sein und zweitens würde ich, wenn ich es zugeben würde, Mag das Herz brechen und unsere Freundschaft ist mir sehr wichtig!
 

„Hi, meine Süße!“, begrüßt mich Van und gibt mir einen Kuss.

Seit ich mit Van Schuss gemacht habe, stellt er mir nach und glaubt trotzdem noch, dass wir zusammen wären.

„Lass das!“, schreie ich ihn an.

„Was hast du denn?“, fragt Van.

Er küsst mich wieder und wieder. Ich versuche zwar, mich zu wehren, doch Van ist stärker. Er drückt mich gegen die Wand und küsst mich weiter. Ich versuche Van irgendwie von mir wegzubekommen. Doch Van küsst mich weiter und drückt meine Arme gegen die Wand. Ich versuche meinen Kopf weg zu drehen, doch auch das funktioniert nicht. Sagen kann ich auch nichts. Auf einmal wird Van von mir weggerissen. Ich öffne die Augen. Leo steht vor mir.

„Lass sie in Ruhe!“, fährt Leo ihn an.

„Du willst mir vorschreiben, was ich mit meiner Süßen mache? Hast du das gehört, Jill?“ Van lacht.

„Verschwinde!“, zische ich.

„Wie kannst du so etwas sagen, Süße? Wir gehören doch zusammen!“

„Du gehörst in die Klapse!“, fährt Leo Van an.

„Und du bald ins Krankenhaus, wenn du weiterhin versuchst, meine Süße und mich zu trennen!“, schreit Van.

Er stürzt sich auf Leo. Die Beiden fangen an sich zu prügeln.

„Lasst es!“, rufe ich, doch die beiden Jungs beachten mich nicht. Ich wende mich an Leos Clique:

„Könnt ihr sie nicht auseinander holen?“

„Lass sie doch!“, sagt Steve grinsend.

Langsam werde ich wütend.

„Dann formuliere ich es eben anders! Bringt sie auseinander!“, befehle ich.

Steve und Jack sehen mich verwirrt an.

„Muss ich noch deutlicher werden?“ Sofort bringen Jack und Steve Leo und Van auseinander. Die Beiden müssen sich echt Mühe geben, dass sich Leo und Van nicht wieder aufeinander stürzen. Ich stelle mich dazwischen.

„Beruhigt euch!“, sage ich. Van, der ein blaues Auge hat, knurrt, entreißt sich Steves Griff, nimmt seine Tasche, wirft mir einen Handkuss zu und verzieht sich. Jack lässt Leo los. Ich gehe zu ihm. Er hat eine blutende Lippe. Mag geht ebenfalls zu ihm. Sie hat ein Taschentuch in der Hand und wischt damit Leo das Blut von der Lippe. Dieser gibt keinen Mucks von sich und beobachtet mich nur. Mich lässt es bei seinem klaren Blick etwas frösteln. Mag ist fertig.

„Danke!“, sagt Leo tonlos und kommt auf mich zu.

„Bekomme ich kein >Danke<?!“, fragt er. So wie er mich jetzt ansieht, würde ich ihn am liebsten mit vielen Küssen übersähen, doch ich beherrsche mich.

„Danke!“, sage ich. Leo sieht mich traurig an. Ich kann diesem Blick nicht standhalten, nehme meine Tasche und renne davon. Nur Mel läuft mir hinterher. „Von mir kannst du ein Danke bekommen!“, höre ich Mag sagen. Ich halte in einer kleinen Abweichung vom Schulhof an, sacke auf meine Knie und vergrabe meinen Kopf in meinen Händen.

„Hey, was ist denn los?“, fragt Mel mich, „Ist es wegen Leo?“

„Nein, wegen Mag!“

„Du liebst ihn!“

„Aber das darf ich nicht!“

„Wieso? Die Liebe ist doch ein schönes Gefühl!“, sagt Mel.

„Die Liebe schon, doch die Freundschaft ebenfalls!“

„Hm!“

„Mag würde mir nie verzeihen, wenn ich ihr Leo ausspannen würde!“

„Wie kannst du ihr Leo ausspannen? Er liebt sie nicht und tief in ihrem Inneren weiß sie auch, dass sein Herz nur für dich schlägt!“

„Das hört sich ziemlich schnulzig an!“

„Hey, nicht meckern, was Besseres ist mir eben nicht auf die Schnelle eingefallen! Ich wollte dich nur aufbauen!“

„Ich weiß!“

„Mag wird sich schon wieder einkriegen, doch du darfst dir wegen ihr nicht dein Glück zerstören lassen! Sie wird nie mit Leo zusammenkommen!“

„Vielleicht hast du Recht!“

„Vielleicht? Habe ich nicht immer Recht? Und am Ende wirst du einen Freund und eine beste Freundin an deiner Seite haben!“

Als Mel meinen Gesichtsausdruck sieht, verbessert sie ihren Satz:

„Du wirst einen Freund und zwei beste Freundinnen an deiner Seite haben!“

„Das hört sich schon besser an!“, sage ich und lache.

„Das ist ja interessant!“

Erschrocken drehe ich mich um. Steve steht da und hat uns anscheinend beobachtet. Er geht weg.

„Scheiße!“, fluche ich und schnappe meine Tasche. Mel und ich laufen hinter Steve her. Ich halte ihn an.

„Was hast du gehört?“, fragt Mel.

„Ich soll mit dir sprechen?“, fragt Steve hochnäsig.

„Ärgern kannst du sie doch auch! Antworte!“, fahre ich ihn an.

„Wie wär’s mit: Alles?!“

„Du wirst ihm nichts sagen?“, frage ich verunsichert.

„Natürlich! Er ist in meiner Clique!“, sagt Steve.

„Bitte sag ihm nichts!“

„Aber dafür will ich etwas von dir!“

„Was denn?“

Langsam kommt Steve auf mich zu.

„Eine Nacht!“, flüstert er mir sanft in mein Ohr.

„Spinnst du?!“, schreie ich und verpasse Steve eine Ohrfeige.

„Du hast es nicht anders gewollt!“ Steve hält sich seine Wange und verduftet.

„Warum hast du das jetzt gemacht?“, fragt Mel, die ja nicht gehört hat, was Steve von mir will.

„Leo? Leo!“, ruft Steve. Noch einmal dreht er sich um und setzt ein falsches Grinsen auf.

„Lass es, Steve!“, schreit Mel. Ich stehe da und sehe geschockt an, wie Steve ausgerechnet Leo mein größtes Geheimnis anvertraut. Von Mag ist keine Spur. Steve ist fertig und Leo sieht verwirrt drein. Dann sieht er mich an. Ich habe keine Lust, mit Leo zu reden und so laufe ich zum Aufsichtslehrer. Heute ist das Herr Mueller. Ich halte mir meinen Bauch.

„Herr Mueller? Mir geht es nicht gut! Kann ich nach Hause gehen?“ Herr Mueller ist ein älterer Lehrer, der einem alles glaubt, aber auch schnell alles vergisst.

„Meinst du, dass du nicht mehr konzentrieren kannst?“, fragt Herr Mueller besorgt.

„Nun ja,…!“

„Ich sage dann deiner Klassenlehrerin Bescheid!“

„Danke!“, murmele ich und gehe. Leo läuft hinter mir her.

„Wo willst du hin?“, fragt er mich und stellt sich vor mich.

„Nach Hause!“

„Du kannst nicht ewig vor mir weglaufen!“

„Mir ist nicht gut! Ich gehe nicht wegen dir!“

„Du weißt genau, dass das nicht stimmt!“

„Was willst du? Ich will heim!“

„Ich will dir sagen, dass ich Mag nicht liebe!“

„Das ist nicht das Problem! Das Problem ist, dass sie dich liebt!“

„Dafür kann ich aber nichts!“

Leo kommt näher an mich heran. Er streicht mir eine Strähne aus dem Gesicht und küsst mich. Ich stoße ihn weg.

„Du verstehst gar nichts!“, murmele ich und laufe davon.

„Du willst es auch! Du kannst nichts für Mags Gefühle und ich werde ihr das jetzt sagen!“, ruft Leo mir hinterher. Ich will das nicht, ich kann mir nämlich genau Mags Reaktion vorstellen. Ihre Wut wird mir gelten! Trotz dieser Gedanken laufe ich weiter und drehe nicht um.

„Ich hätte ihn aufhalten sollen!“, denke ich, während ich endlich etwas langsamer werde. „Und was sage ich Mama?“, frage ich mich selbst, um mich endlich von Leo und Mag abzulenken.
 


 

Ich schließe die Haustür auf.

„Was machst du denn schon hier?“, fragt Leon mich und schiebt noch mehr Chips in sich hinein. Leon ist mein kleiner, sechsjähriger Bruder und nervt mich jeden Tag. Fast den ganzen Tag hängt er vor der Glotze, genau wie jetzt.

„Wo ist Mama?“, frage ich ihn.

„Einkaufen! Und jetzt verzieh dich, es wird gerade spannend!“

Ich setze ein Grinsen auf und gehe zu meinem Bruder.

„Ich mache mir nur noch einen heißen Kakao und dann verschwinde ich in meinem Zimmer!“, beruhige ich ihn. Ich zerwuschle ihm die Haare.

„Lass das!“, schreit er mich an.

Ich muss lachen und laufe in die Küche. Schnell setze ich mir Milch auf und warte, dass diese kocht. Dann suche ich das Kakaopulver. Doch es steht nicht im Schrank.

„Leon, wo ist das Kakaopulver?“, rufe ich, doch mein Bruder gibt keine Antwort. Ich gehe ins Wohnzimmer. Auf dem Sofa sitzt Leon und sieht gespannt auf den Bildschirm, auf dem sich zwei Männchen prügeln. Ich stehe stocksteif da. Neben meinem kleinen Bruder sitzt mein anderer, toter Bruder. Phil..

„Rette mich!“, stöhnt er.

„L…Le…Le…Leon, d…da!“, stottere ich und zeige neben Leon.

„Das bin ich!“, erklärt Leon verwirrt und zeigt auf sich, „und da ist niemand!“ Phil verschwindet langsam.

„Leon kann ihn nicht sehen!“, sage ich zu mir.

„Du! Du musst mich retten, denn es war deine Schuld!“, mit diesen Worten verschwindet Phil endgültig.

Leon sieht mich immer noch verständnislos an.

„Reingelegt!“, sage ich, als ich merke, dass er mich besorgt mustert.

„Wo is’n das Kakaopulver?“, frage ich Leon ablenkend.

„Unter der Spüle!“, sagt dieser und wendet sich wieder den kämpfenden Männchen zu. Ich bin immer noch verwirrt. Ich nehme das Kakaopulver und kippe fast die halbe Packung in eine leere Tasse.

„Oh Scheiße!“, fluche ich. Ich habe total die Milch vergessen, die nun total angebrannt ist. Ich öffne das Fenster, da nun die ganze Küche stinkt. Dann setze ich neue Milch auf. Als diese kocht, schütte ich sie in die Tasse. Dann verschwinde ich in meinem Zimmer. Ich muss nachdenken.
 


 

„Fällt dir wirklich nichts ein?“, fragt Mel mich.

„Nein!“, sage ich tonlos.

„Was ist?“, fragt Mel mich.

„Hat Leo Mag…“, fange ich an.

„Nein, wenn er sie nicht angerufen hat, dann weiß sie nichts!“, erklärt Mel.

Ich atme auf.

„Ein Glück!“, sage ich. Mel ist gerade bei mir, weil uns endlich ein paar gescheite Songs für den Auftritt im >WinschClub< einfallen müssen. Normalerweise habe ich immer viele Ideen. Doch durch das Chaos mit meinen Träumen, von denen natürlich niemand etwas weiß, noch nicht einmal meine Eltern oder Mag und Mel und mit Leo, ist mein Kopf nur noch mit Fragen voll. Auf einmal schwingt meine Tür mit einem Schwung auf und Mag lässt sich neben mir aufs Bett fallen.

„Und was ist mit dir?“, fragt Mel genervt. Ich sehe sie böse an.

„Leo hat mich eben angerufen!“, sagt Mag.

„Und?“, frage ich interessiert.

„Er hat gesagt, dass er mich liebt und mit mir zusammen seien will!“

„Was?!“, rufen Mel und ich gleichzeitig und sehen uns schockiert an.

„Geil, nicht? Ich habe immer gedacht, dass er mich nicht leiden kann!“, schwärmt Mag. Ich bin den Tränen nahe.

„Habt ihr schon einen Text?“, fragt Mag.

„Was?“, frage ich zurück. Ich nehme momentan gar nichts mehr wahr, was um mich herum passiert. Ich denke nur daran, was Leo jetzt schon wieder vorhat. Vorhin hatte er mir noch gesagt, dass er Mag nicht liebt und ihr das auch eigentlich gleich sagen wollte.

„Ich muss mal raus!“, sage ich und stehe auf.

„Aber…“, fängt Mag an.

„Schon gut, wir überlegen derweil weiter!“, unterbricht Mel sie. Ich gehe aus dem Zimmer.

„Aber uns fällt doch nie etwas ein!“, beschwert sich Mag laut. Ich schnappe mir meine Jeansjacke und gehe aus dem Haus. Als ich um eine Ecke biege, laufe ich Leo genau in die Arme.

„Wo willst du denn hin?“, fragt er und setzt ein freches Grinsen auf.

„Kann dir doch egal sein!“, maule ich ihn an.

„Warum bist du denn so mies drauf?“, fragt Leo. Ich würde ihm jetzt am liebsten die Meinung sagen, doch ich gehe einfach an ihm vorbei.

„Warte doch!“, ruft Leo mir hinterher. Ich fange an zu rennen. Nun fange ich doch an zu weinen.

„Jill!“

Erst jetzt merke ich, dass Leo mir hinterher läuft. Ich biege in eine Seitengasse ein. Leo läuft an der Seitengasse vorbei. Auf einmal hält mir jemand den Mund zu. Ich merke nicht, wer das ist, da die Person hinter mir steht. In einer anderen Seitengasse hält der Unbekannte an und dreht mich um. Van steht vor mir. „Was…?“, fange ich an.

„Psst!“, flüstert Van und küsst mich.

„Lass das!“, schreie ich ihn an und gebe Van eine Backpfeife. Dieser hält meine Hände fest.

„Was soll denn das?“, fährt er mich an und schlägt mich. Ich falle zu Boden und halte mir meine rechte Gesichtshälfte.

„Aua!“

„Jill?“, hört man Leo rufen. Van sieht mich erst an und läuft dann davon.

Als Leo sieht, wie Van aus der Seitengasse stürmt, läuft er in diese Gasse und sieht mich am Boden liegen. Er nimmt meine Hand und zieht mich hoch. Ich entreiße mich seinem Griff.

„Lass du mich Ruhe!“, zische ich.

„Was hast du denn auf einmal?“

„Kannst du dir das nicht denken?!“

„Nein!“

„Du hast Mag sehr glücklich gemacht!“

„Mag? Ich habe sie heute den ganzen Vormittag ab der 1. Std. nicht mehr gesehen!“, erklärt Leo.

„Du musst sie ja auch nicht gesehen haben! Es reicht, dass du sie angerufen hast!“

„Und was habe ich gesagt?“

„Du hast ihr gesagt, dass du sie liebst und mit ihr zusammen seien willst!“

„Das stimmt nicht! Du weißt doch, dass ich nur dich liebe!“ Leo zieht mich näher an sich heran und küsst mich sanft.

„Ich liebe dich!“, flüstert er mir sanft ins Ohr.

„Ich dich auch!“, sage ich ohne nachzudenken. Leo küsst mich wieder.

„Sind wir jetzt zusammen?“, fragt er.

Ich lache.

„Ja! Das sind wir!“ Ich sehe flüchtig auf mein Handy.

„Oh nein!“, fluche ich. Leo sieht mir nun richtig in mein Gesicht. Er streicht meine Strähne, die vor mein rechtes Auge gefallen ist, weg. Er sieht mein blaues Auge.

„Wer war das?“, fragt er energisch, „War das Van? Ich…“

„Lass es gut sein!“ Ich beruhige Leo mit einem Kuss.

„Ich muss jetzt aber los! Ich muss mir noch einen Song für den Auftritt nächste Woche ausdenken!“

„Wann habt ihr denn euren Auftritt? Ich komme dann natürlich auch!“, sagt Leo.

„Am Freitag!“

„Ok! Dann Ciao! Ich rufe Mag nachher auf ihrem Handy an und sage ihr Bescheid!“

„Mach das gleich! Ich möchte bei ihr sein, wenn sie erfährt, dass wir…“

Leo küsst mich und dann gehen wir auseinander.

„Hi Leute, ich bin wieder da!“, sage ich und schmeiße meine Jeansjacke in die Ecke.

„Und ich hoffe, dass du eine Idee hast!“, erwidert Mel.

„Was haltet ihr von dem Refrain:
 

Ich gehöre mir,

niemals und nie dir,

denn ich bin ich

und ich bin mein Eigen!
 

Na?“, frage ich gespannt.

„Wenn dir dann auch noch Strophen einfallen!“, sagt Mag.

Auf einmal klingelt ihr Handy. Auf dem Display erscheint ein dickes, rotes Herz.

„Es ist Leo! Er ruft wenigstens mal von seinem Handy an, vorhin war es ein anderes Handy! Ich stelle auf Freisprechanlage!“, freut sich Mag.

Ich schlucke und Mel sieht mich komisch an. Ich sehe sie an und nicke. Doch Mel versteht nicht, was ich meine und sieht nur verwirrt drein. Ich schüttele den Kopf.

„Hi, mein Schatz!“, begrüßt Mag Leo am Telefon.

„Hi Mag!“, sagt Leo.

„Was ist denn los? Hast du mich vermisst?“, fragt Mag zuckersüß.

„Nein, ich möchte dir nur sagen, dass…nun ja, ich … habe dich vorhin nicht angerufen!“

„Was?!“

„Ich liebe dich nicht! Ich liebe Jill! Und wir beide sind auch zusammen!“ Mag ist nun so wütend, dass sie ihr Handy in die Ecke wirft.

„So etwas nennt sich Freundin!“, schreit sie mich an.

„Mag…“, fange ich an.

„Nichts >Mag<! Du weißt ganz genau, dass ich in Leo verknallt bin!“

„Und du weißt ganz genau, dass ich Leo auch liebe!“

Mag schubst mich und ich falle hin.

„Was ist denn das?“, fragt Mel mich. Ich merke, dass mein blaues Auge wieder sichtbar ist, da meine Haare nach hinten gefallen sind.

„Das?! Ach … äh … nichts!“, sage ich schnell und stehe mit Mels Hilfe auf.

„Ist doch auch egal, auf jeden Fall hast du mich betrogen und ich kündige dir hiermit die Freundschaft!“, fährt Mag mich an und stürmt samt ihrem Handy aus meinem Zimmer.

„Genau so habe ich mir das vorgestellt!“, seufze ich und setze mich auf mein Bett.

„Die kriegt sich schon wieder ein!“, ermutigt mich Mel.

„Vielleicht!“

„Aber es freut mich, dass du jetzt endlich mit Leo zusammen bist!“

„Ja, mich auch!“, gestehe ich.

„Aber woher hast du das blaue Auge? Doch nicht von … Leo, oder?!“

„Um Himmels Willen, nein!“

„Von wem denn?!“

„Ist doch egal!“

„Nein, mir nicht! Ich bin deine Freundin!“ Erst zögere ich noch, doch dann erzähle ich Melanie alles.

„Spinnt der denn? Und dann lässt er dich einfach da liegen? Dem musst du mal die Meinung sagen!“

„Wie oft habe ich das denn jetzt schon gemacht? Er ist ja psychisch krank, er hört ja nicht auf mich!“

„Dann halt dich von dem Psychopaten fern!“

„Ich hab’s geahnt!“ Ich drehe mich um. Leo steht in der Tür.

„Leo,… was…“

„Die Tür war offen. Ich bin gleich los, als das Handy auf einmal ausging! Aber… ich habe mir gleich gedacht, dass Van dahinter steckt, wie kommt er darauf, dich einfach zu schlagen?“

„Leo, lass es gut sein, ja?“

„Aber der Typ hat meine Freundin geschlagen und ist danach auch noch abgehauen!“

„Ja, Van hat mich geschlagen und ist dann abgehauen und hat mich im Stich gelassen! Also ist es auch meine Sache!“, erinnere ich Leo.

„Aber…“

„Nichts aber!“ Leo setzt sich neben mich aufs Bett und küsst mich.

„Ich gehe dann mal!“, sagt Mel. Mel und ich geben uns einen Wangenkuss und dann geht Mel mit den Worten:

„Ich rede auch noch mal mit Mag!“

„Und was machen wir beiden Süßen jetzt?“ Leo küsst mich immer und immer wieder.
 

Als ich am nächsten Tag aufwache, liege ich neben Leo in meinem Bett. Leo schläft noch. An diesem Abend habe ich nicht von Phil und dem Autounfall geträumt und ich bin sehr glücklich darüber. Ich stehe auf und ziehe mich wieder an. Leos Klamotten lege ich ordentlich über einen Stuhl. Dann gehe ich nach unten und mache Frühstück.

„Und, wie war’s gestern Abend?“, fragt Leon mich. Er kichert.

„Oh nein!“, denke ich, „Wenn Mama und Papa etwas mitbekommen haben, das gibt dann saumäßig viel Ärger!“

„Keine Bange, Mama und Papa sind den ganzen nächsten Monat wieder mal weg. Ich habe sie nur schwerlich davon abbekommen, zu dir ins Zimmer zu gehen!“, sagt Leon.

Meine Eltern sind beide bei der Regierung tätig und so fast das ganze Jahr über irgendwo unterwegs.

„Du bist mein Held!“, erwidere ich und nehme das Tablett mit dem frischen Frühstück. Ich gehe zu Leon.

„Danke!“, hauche ich ihm ins Ohr und gebe ihm einen Kuss auf die Wange.

„Lass das! Mach das mit deinem Freund! Wer ist eigentlich da oben?“, fragt Leon mich.

„Nichts für kleine Buben!“, sage ich und zerstrubbele Leon seine Haare. Leon knurrt und geht wieder zum Fernsehapparat. Ich gehe fröhlich summend hoch. Leo ist wach.

„Da bist du ja! Ich habe schon befürchtet, dass alles nur ein Traum gewesen ist!“, sagt Leo.

„Ich habe uns Frühstück gemacht!“

„Kommst du wieder zu mir ins Bett?“

„Nein! Ich gehe in die Schule!“

„Wie spät haben wir?“

„Halb Acht!“

„Scheiße!“, flucht Leo und springt auf. Er läuft Richtung Tür.

„Ich an deiner Stelle, würde mich erst einmal anziehen!“, sage ich und deute auf den Stuhl mit Leos Anziehsachen. Ohne irgendeine Bemerkung geht Leo zu dem Stuhl und zieht sich an.

„Wir sehen uns dann in der Schule!“, sagt er und gibt mir einen Kuss.

„Und überschmink dein blaues Auge!“, sagt Leo und lacht.

„Geh endlich!“, sage ich und lache auch. Ich werfe einen Schuh Richtung Tür.

Ich gehe heute erst um halb neun in der Schule. Leo kommt mir entgegen und küsst mich.

„Hast du dein Auge nicht überschminkt?“, fragt Leo mich.

„Nein, ich habe es einfach nicht hingekriegt!“, gestehe ich und schiebe meine Strähne noch mehr über mein Auge.

„Egal!“, sagt Leo und küsst mich noch einmal. Er setzt mich auf eine leere Tischtennisplatte.

„Machen wir heute Nachmittag etwas zusammen?“, fragt Leo mich und küsst mich wieder.

„Können wir…“

„Leo…“, ruft Jack vom Fussballfeld. Leo sieht mich an.

„Geh schon!“, sage ich und grinse.

„Du bist einmalig!“, sagt Leo.

„Deshalb liebst du mich doch!“ Ich lache. Erst läuft Leo weg, doch dann kommt er noch einmal wieder und küsst mich. Leo ist ein leidenschaftlicher Fussballspieler und er ist Kapitän der Schulmannschaft und der des Fussballteams unserer Stadt. Mel kommt auf mich zu.

„Und, was ist mit Mag?“, frage ich sie.

„Die hat auch nicht mit mir geredet! Ich stand vor ihrem Zimmer und sie hat geschrieen, dass ich gehen soll!“

„So ein Mist!!“

„Die kriegt sich schon wieder ein!“, versichert mir Mel. Es klingelt.

„Lass uns reingehen!“, sagt Mel und wir gehen in das Klassenzimmer.
 


 

„Mathe! Ätzend!“, flüstert Mel und stößt ein Geräusch aus, als ob sie sich gleich übergeben würde. Ich muss kichern.

„Was ist denn so witzig, Miss Weber?“, fragt Frau Klemme, unsere Mathelehrerin, mich.

„Nichts! Nur die Gleichungen an der Tafel!“, entgegne ich.

„Wenn Sie die so witzig finden, können Sie uns die ja mal vorrechnen!“, sagt Frau Klemme und setzt ein fieses Grinsen auf. „Natürlich! Darf ich mir meine eigenen Rechnungen mit nach vorne nehmen?“

„Natürlich!“ Unter dem Tisch schiebt mir Mel ihre Rechnungen zu. Mel ist unser Mathegenie. Ich zwinkere ihr zu und gehe nach vorne. Ich sitze nämlich ganz hinten. An der Tafel steht die Gleichung. Wir wiederholen gerade den gesamten Mathemist der letzten fünf Jahre. Ich habe keinen blassen Schimmer mehr.
 

4 + 3 (- 4 x 3 + 6) :2
 

= 4 + 3(-12 +6) : 2

= 4 + 3 (-6) : 2

= 4 -18 :2

= 4 – 9

= -5
 

„Die Lösung ist –5!“, sage ich zu Frau Klemme.

Frau Klemme ist begeistert, aber auch schockiert. Auf einmal reißt jemand die Tür auf. Mag kommt in das Klassenzimmer gestürmt. Ihre Haare sind zerstrubbelt und ihre Schminke ist vom Weinen total verlaufen. Wutentbrannt sieht sie mich an.

„Wie konntest du das tun?“, schreit sie mich an.

„Mag, ich…“

Weiter kann ich nicht reden, denn Mag stürzt sich auf mich. Mehrere Male schlägt sie mir ins Gesicht, dann rammt sie mir ihre Fingernägel in meine Hand. Da ihre Fingernägel total lang und spitz sind, fängt meine Hand ungeheuer an zu bluten. Um ein Haar hat sie meine Ader verfehlt.

„Maggie Valley, hören Sie sofort auf!“, befiehlt Frau Klemme.

Mag sieht sie an und grinst.

„Sie konnte ich noch nie leiden!“, sagt sie.

Bedrohlich langsam geht sie auf Frau Klemme, die sichtlich Angst hat, zu. Mag treibt Frau Klemme bis zum Fenster. Unser Klassenzimmer ist im dritten Stock.

„Buh!“, macht Mag und Frau Klemme weicht nun so weit zurück, dass sie im Fensterrahmen steht.

„Bye, bye!“, sagt Mag und schubst Frau Klemme.

Diese schreit auf und stürzt. Wir hören sie schreien und dann auf einmal einen Aufschlag. Dann wird alles wieder still. Niemand sagt etwas. Alle stehen nur geschockt da. Ich will gerade abhauen, doch Mag zieht mich an meinen Haaren wieder zurück und dann drückt sie mich wieder auf den Boden. Mit einem ihrer Nägel kratzt sie mir nun ganz langsam und tief durch das Gesicht. Ich habe schon die ganze Zeit geschrieen, doch nun schreie ich noch lauter. Leo, dessen Klassenzimmer gleich nebenan ist, kommt herein. Einige Sekunden steht er wie gelähmt da. Leos Bande erstreckt sich nicht nur über Jack und Steve, sondern um die Hälfte der Stadt. Seine Bande sind die >Blood<, die andere Hälfte der Stadt gehört zu Van. Seine Bande sind die >Fear<. Leo schnippst einmal und einige Jungen stehen auf und ziehen Mag von mir. Mag reißt sich los und läuft davon. Steve zieht mich hoch.

„Danke!“, murmele ich. Steve lässt mich los.

„Geht’s?“, fragt er.

„Ja!“, sage ich und nicke dankend. Langsam taumle ich zu einem Stuhl. Leo kniet sich neben mich.

„Warum ist sie so?“, frage ich ihn.

„Du musst sofort in ein Krankenhaus!“, sagt er.

„Du weichst… mir… aus!“, stammle ich, während ich fast ohnmächtig werde.

„Ich weiß es nicht!“ Doch ich weiß, ich sehe es in Leos Augen, dass er mich anlügt. Jetzt werde ich ohnmächtig.
 


 

„Jill!“

Ich öffne die Augen. Ich liege in einem Krankenbett. Mel sitzt neben mir. Meine Blutungen haben aufgehört. Ich spüre, dass eine Narbe durch mein Gesicht läuft.

„Ja, das sieht schon nicht unbedingt schön aus!“, meint Mel.

„Danke für dein Mitgefühl!“, sage ich.

Es klopft und Leo kommt herein. In der Hand hat er einen schönen Strauß Blumen.

„Ach, sind die schön!“, sage ich und stehe auf und küsse ihn auf die Wange. Dann gehe ich schnell zur Krankenschwester und hole eine Vase. Als ich wieder ins Zimmer komme, schnauzt mich Mel an:

„Du sollst doch im Bett liegen bleiben!“

„Ich fühle mich aber wieder topfit!“, erkläre ich.

„Schade, dass du morgen nicht zum Auftritt kommen kannst!“

„Ich komme! Ich fühle mich wieder gut!“

„Aber…“, fängt nun auch Leo an.

„Kein Aber! Es ist meine Entscheidung! Ich habe so schön bescheuerte Texte geschrieben!“, schmolle ich. Mel muss grinsen.

„Dann kümmere ich mich mal um eine Entlassung!“

Leo verschwindet wieder.

„Weißt du, was in Mag gefahren ist?“, frage ich Mel.

„Nein! Sie ist außerdem verschwunden! Sie wird wegen Mordes an Frau Klemme, ja, die dumme Kuh ist tot, polizeilich gesucht!“

„Wer ist denn dann morgen am Schlagzeug?“

„Clara! Sie hat sich richtig gefreut! Natürlich müssen wir sie noch aufstylen!“

„Das schaffen wir schon!“

„Klar!“

Leo kommt wieder mit dem Entlassungspapier herein und ich muss nur noch unterschreiben.

„Morgen wird ein super Tag!“, denke ich. Aber ich ahne nicht, dass ich damit völlig falsch liege. Dieser Tag soll mein ganzes Leben total verändern.

3

Kapitel 3
 

„Wo bleibt denn Clara?“, frage ich Mel nervös.

„Wir haben noch eine halbe Stunde! Reg dich ab!“

„Ja, ja!“

Ich habe plötzlich Kopfschmerzen und muss mich setzen. Während ich am Schminktisch sitze, sehe ich in den Spiegel. Langsam fahre ich mit meinen Fingern über die Narbe quer durch mein Gesicht. Ich seufze.

„So schlimm ist es nicht!“, beruhigt Mel mich.

„Du kannst nicht lügen!“

„Ich habe mir aber so schön viel Mühe gegeben!“ Ich muss grinsen.

„Kannst du die Lieder auswendig?“, fragt Mel mich.

„Ja!“

„Wie viele sind es denn?“

„Vier!“

„Gut! Das reicht!“ Clara kommt angelaufen.

„Sorry Leute!“ Sie setzt sich ans Schlagzeug.

„Na endlich!“, sage ich.

„Wie siehst du denn aus? War das wirklich Mag? Die ganze Schule spricht davon!“ „Dann halt du die Klappe!“, meine ich und nehme meine E-Gitarre in die Hand. „Lass sie! Sie ist etwas gereizt!“, flüstert Mel Clara zu.

Nun stellt sich Mel auch an ihr Keyboard. Der Vorhang öffnet sich. Ich sehe Leo auf der einen Seite und auf der anderen Seite Van.

„Schade, dass unsere Stadt durch diese zwei Gruppen geprägt ist!“, denke ich. Die >Fear< und die >Blood< teilen unsere Stadt. Es ist ein Krieg zwischen ihnen. Doch nur zwischen den jetzigen Jugendlichen. Die Erwachsenen wissen es zwar, halten sich aber daraus. Die Kinder müssen sich, wenn sie älter werden, für eine Seite entscheiden. Ich muss mich auch bald entscheiden, habe aber überhaupt keine Lust dazu. Clara schlägt auf ihre Stöcke und bald spielen wir die Intro. Ich fange an den ersten Song zu singen:
 

Ich verstehe das nicht,

wie konnte so etwas passieren?

Wie konnte unser Band reißen,

wie konntest du so werden?
 

Bin ich wirklich daran schuld?

meinst du wirklich ich war es?

Such die Schuld bitte bei dir,

ich will nicht dein Hass sein!
 

Bist du sicher, dass du mich hasst?!

So sehr ich es auch will,

ich kann dich nicht hassen!

Ich werde immer für dich da sein.
 

Denk daran,

immer, ja wirklich immer,

werde ich für dich da sein!

Wenn du Sorgen hast, komm zu mir!
 

Wie…?
 

Alle klatschen, als ich das letzte Wort gesungen habe. Der Vorhang schließt sich. „Der nächste Auftritt ist erst in einer halben Stunde!“, sagt Mel und geht mit Clara und mir zur Bar. Auf einmal bekomme ich von hinten einen Kuss. Leo steht da und zeiht mich in einen Nebenraum.

„Was ist denn los?“, frage ich.

„Du musst dich jetzt entscheiden!“

„Was?“

„Er hat Recht!“, sagt Van, der in den Raum kommt.

„Ich…“, fange ich an, doch Clara unterbricht mich, weil sie mich zum nächsten Auftritt holt. Ich sehe noch einmal zu Van und Leo.

„Bleib hier!“, knurrt Van.

„Bye!“

Ich entreiße mich Vans Griff und renne auf die Bühne.

„Alles in Ordnung?“, fragt Mel. Ich erzähle ihr alles.

„Ich habe mich doch auch schon entschieden!“, sagt Clara, „ich bin eine >Fear<!“

„Und ich bin eine >Blood<!“, sagt Mel.

„Oh nein!“, denke ich. Doch da geht der Vorhang auf. Ich kann nicht mehr nachdenken, ich will nur noch singen:
 

I don’t know,

was it right?

Was it wrong?

Was I right?

Was I strong?
 

When I am older,

I’ll sit there

And I’ll think

About my past

And I’ll ask me:
 

But than I’ll see

In your wonderful blue eyes

And I’ll don’t think about that.

I’ll think about an other thing,

I‘ll think:
 

I’m sure,

It was right!

It wasn’t wrong!

I was right!
 

But was I weak…?
 

Mit dem letzten Wort verstirbt meine Stimme. Der Vorhang wird wieder zugezogen. Schnell springe ich auf, lege meine E-Gitarre weg und laufe von der Bühne, aus dem Gebäude. Ich gehe hinter das Gebäude und setze mich dort ins Gras und überlege:
 

Wieso ist es für mich so schwer, mich zu entscheiden? Ich liebe doch Leo, also ist es doch klar, dass ich eine >Blood< werde. Für Van empfinde ich doch gar nichts, oder?! Was war Phil eigentlich?
 

„Da bist du ja!“

Mel kommt um die Ecke. Hinter ihr kommen noch Clara, Van und Leo. Ich stehe auf.

„Warum bist du denn hier?“, fragt Leo mich.

„Ich musste nachdenken!“, erkläre ich.

„Hast du dich entschieden?“, fragt Van mich.

„Ich weiß nicht wieso, aber die Entscheidung fällt mir unheimlich schwer!“

„Liebst du mich etwa nicht?“, fährt Leo mich an.

„Doch, ich…“

„Entscheide dich endlich!“, schreit mich Van an.

„Wer soll dich denn beißen?“, fragt Mel hämisch.

„Beißen?“, frage ich verwirrt.

„Halt deine dumme Klappe!“, schreit Van sie an und wirft sie um.

„Spinnst du?“, fahre ich ihn an. Ich knie mich neben Mel und streiche mir noch einmal die Haare zur Seite, die mir ins Gesicht gefallen sind. Mel reißt auf einmal meinen Kopf um und hält mir ihre Zähne an die Kehle.

„Mel, hör auf!“, schreit Van.

„Dieses Privileg gebührt mir!“, ruft Leo. Mel zischt und lässt von mir ab.

„Was war das denn?“, frage ich. Doch anstatt eine Antwort zu bekommen, kommt eine Durchsage:

>Die Angels bitte auf die Bühne! Um ihre letzten zwei Songs zu singen!< Um dem allem hier zu entfliehen, renne ich schnell auf die Bühne. Als Clara und Mel endlich auch da sind, öffnet sich der Vorhang und voller Leidenschaft fange ich an zu singen:
 

Deine Vergangenheit bleibt unvergessen,

deine Schuld kann man nicht messen,

doch Nacht für Nacht musst du deswegen leiden,

doch den Schlaf kann man leider ja nicht meiden.
 

Niemand kann dich heilen,

und so musst du weiter eilen,

fliehen vor deinen Erinnerungen,

vor deiner Vergangenheit.
 

Einige wünschen dir den Tod,

sie ahnen nichts von deiner Not,

Sterben wäre für dich ein Glück,

doch du lässt zu viel zurück.
 

Einen Heiler gibt es nicht,

trotzdem hältst du dicht,

niemand weiß von deiner Plage,

niemand weiß von dieser Sage.
 

Dort sitze ich nun und höre mir an, wie die Zuschauer klatschen. Dann sehe ich Leo und Van mit jeweils einigen seiner Bande da stehen. Ich weiß, dass sie auf mich warten. Darauf warten, dass ich zu Ende gesungen habe.

Irgendwie habe ich Angst, das letzte Lied zu singen, doch ich habe schon den Hinterausgang im Visier. Mit diesem beruhigendem Gefühl, singe ich nun auch noch den letzten Song:
 

Ich gehöre mir,

niemals und nie dir,

denn ich bin ich

und ich bestimme selbst!
 

Es war schön mit dir,

doch es war.

Wir müssen mit der Zeit gehen

Und mein Gefühl sagt mir:
 

Finde dich doch endlich damit ab,

ich liebe dich nicht mehr.

Halte dich nicht an der Vergangenheit fest!

Lass mich endlich in Ruhe!
 

Ich lebe weiter,

du findest wieder jemanden! Aber:

denn die Zeit bleibt niemals stehen!

Folge endlich auch ihrem Lauf!
 

Der Vorhang schließt sich und ich packe blitzschnell meine E-Gitarre ein und mache mich auf den Weg nach Hause. Durch die Hintertür verschwinde ich unbemerkt. Ich merke erst, als ich außer Atem bin, dass ich den ganzen Weg gerannt bin. Ich schließe die Tür auf. Als ich oben in mein Zimmer komme, sitzt auf meinem Bett der Geist von Phil. Ich will schreien, doch mir bleibt die Luft weg.

„Hab keine Angst!“, sagt Phil.

„Du bist gut! Was würdest du denn machen, wenn auf einmal ein Geist auf deinem Bett sitzen würde?“

„Schreien?!“

„Was machst du eigentlich hier?“

„Ich bin hier, um dich endlich dazu zu bewegen, dass du deine Aufgabe erfüllst!“

„Was für eine Aufgabe?“

„Du weißt noch gar nichts!“, stellt Phil fest.

„Dann erzähl mir alles!“ Ich habe plötzlich keine Angst mehr und setze mich auf meinen Schreibtischstuhl.

„Leo und Van haben beide eine Gemeinsamkeit. Sie sind Geschöpfe der Nacht!“

„Der … Nacht?“

„Ja, Van ist ein Werwolf…“

„Ein Werwolf?!“

„… und Leo ein Vampir!“

„Was?!“

„Du musst Leo vergessen!“, fordert Phil mich auf.

„Aber ich liebe ihn!“

„Warum bist du dann nicht einfach eine >Blood< geworden?“

„Genau das weiß ich ja nicht!“

„Weil du gespürt hast, dass du zu mehr berufen bist!“

„Und zu was?“

„Du musst mich wieder zum Leben erwecken!“

„Und zu was soll das gut sein?“

„Ich war, als ich noch gelebt habe, ein Herrscher der Dunkelheit!“

„Und ich soll einen >Herrscher der Finsternis< wiedererwecken?“

„Ich war doch nicht böse! Oder hätte ich sonst mit dir verwandt sein können? Wo du doch das liebste Geschöpf der Welt bist!“

„Du machst dich über mich lustig!“

„Ich doch nicht!“

„Das kann aber nicht das Einzige sein, warum ich nicht einfach eine >Blood< geworden bin!“

„Versuch dich mal zu erinnern! Leo hat eine Klassenfahrt aus deinen Erinnerungen gestrichen, doch wenn du ganz fest daran denkst, kommt sie zurück!“

Ich konzentriere mich und tatsächlich fällt mir die Klassenfahrt in die Rhön wieder ein. Ich nicke. Phil grinst und verlässt durch die Wand mein Zimmer. Mit brummendem Schädel lege ich mich in mein Bett und schlafe ein.
 

Ein Schmerz an meiner Kehle. Mir wird kalt. Erschrocken wache ich auf. Mir ist so, als ob mir jemand meine Seele aus den zwei kleinen Löchern in meiner Kehle zieht. Ich versuche mich loszureißen, doch ich kann nicht. Ich bin zu schwach. Leo saugt mir das Blut aus.

„Das darf nicht passieren!“, denke ich und schiebe Leo weg. Dieser zischt und seine Eckzähne werden wieder kleiner. Er wischt sich den Mund ab.

„Man darf einen Vampir doch nicht beim Essen stören!“, sagt er ernst.

„Wenn ich doch das Essen bin!“, meine ich.

„Ich bin aber noch hungrig!“

„Gegenüber ist noch jemand! Leon ist noch ganz frisch!“

„Ich lechze aber nach dir und das nun schon so lange!“

„Warum hast du mich denn nicht schon früher ausgesaugt?“, frage ich interessiert. „Ich wollte, dass du dich freiwillig für mich entscheidest und dass du mich aus freien Stücken liebst. Ich wollte nicht, dass du bei mir als willenlose Sklavin lebst. Da ich dich liebe und du mich auch, werde ich dir einen freien Willen geben. Jeder Herrscher darf bei seinen Opfern selbst entscheiden, ob er ihnen einen freien Willen gibt oder nicht!“ Leo kommt nun noch näher. „Geh weg!“, schreie ich.

Doch Leo kommt blitzschnell näher und drückt mich gegen die Wand. Er drückt meinen Kopf beiseite und saugt mich ganz aus. Ich bin zu schwach um mich zu wehren. Langsam verliere ich das Bewusstsein.
 

Als ich wieder zu mir komme, ist alles dunkel um mich. Den Gruselfilmen nach müsste ich jetzt in einem Sarg liegen und gleich kommt Leo und öffnet ihn. Doch nichts passiert. Als ich versuche den Deckel zu öffnen, bewegt sich dieser ein kleines Stück und etwas Erde rieselt in meinen Sarg. Ich lasse den Deckel los.

„Der Schwachkopf hat mich eingebuddelt!“, denke ich wütend. Immer wenn ich nachdenke, mache ich nebenbei meine Nägel sauber, doch als ich nun einen Blick auf meine Nägel werfe, erst jetzt fällt mir auf, dass ich in der Dunkelheit sehen kann, merke ich, dass sie spitz wie Messer sind.

„Dann mal los!“ Mit meinen Nägeln ist es kein Problem ein Loch in den Sargdeckel zu hauen. Ich grabe mich nach oben. Da ich schon tot bin, kann ich unter der Erde ohne Sauerstoff auskommen.

„Da oben wartet bestimmt Leo!“, denke ich. Als ich endlich nach draußen komme, sehe ich dort Leo und Van, die sich streiten. Die beiden bemerken mich nicht und so klopfe ich mir die Erde von meinen Klamotten und setze mich auf ein Steingrab. Mel tritt hinter mich, gerade, als sie Leo rufen will, unterbreche ich sie flüsternd:

„Lass es! Ich will doch mal wissen, was sie sagen!“, befehle ich

„Aber…“

„Kein Aber! Ich haue auch nicht ab!“

Mel lässt es gut sein und doch ruhen ihre Augen auf mir. Ich höre Leo und Van nun zu.

„Du hast unseren Vertrag gebrochen!“, schreit Van Leo an.

„Ich bin ein Vampir, schon vergessen?“

„Noch eine solche Bemerkung und ich beiß dich!“

„Oh, was hab ich Angst!“

„Denk an Mag!“

„Ja, du Spinner! Sie hätte Jill beinahe getötet!“

„Ich habe sie doch bloß durch meinen Biss zu einem Werwolf gemacht!“

„Aber sie war doch schon ein Vampir! Du weißt genau, dass man nicht beides seien kann! Die Seele verkraftet das nicht! Man wird verrückt! Genau wie Mag!“

„Wo ist sie eigentlich?“

„Ich habe sie eingesperrt! Hätte ich sie frei rumlaufen lassen?“

„Dann wäre sie sicherlich ins Gefängnis gekommen!“

„Nein, sie hätte eher ein paar Bullen getötet! Doch nun verschwinde!“

„Was macht ihr eigentlich hier?“, fragt Van.

„Wir warten auf Jill! Sie müsste jeden Moment kommen! Und nun verschwinde!“ Erst bin ich geschockt, von dem, was ich da höre, doch dann fasse ich mich wieder und mache mir nebenbei meine Fingernägel sauber. Van sieht in meine Richtung und fängt an zu lachen.

„Hau ab!“, schreit Leo. Van verwandelt sich in einen Wolf und verschwindet. Leo dreht sich um und ich grinse ihn an.

„Hi!“, sage ich vorlaut.

„Wie lange… sitzt du schon da?“, fragt Leo.

„Lang genug!“

„Und, wie fühlst du dich?“

„Wie man sich eben fühlt, wenn man gerade gestorben ist!“

Leo kommt an mich heran und versucht, mich zu küssen, doch ich drehe meinen Kopf weg. Auch Leo zieht seinen Kopf weg.

„Du hast sicher Durst!“

„Äh,… nein!“ Leo sieht mich eindringlich an.

„Und ob!“ Steve kommt und er hat ein kleines Kind auf dem Arm.

„Trink!“, befiehlt mir Leo. Ich will das nicht und doch schlage ich meine Zähne in die Kehle des Kindes und sauge es aus.

„Ich werde mich dafür ewig hassen!“, denke ich angewidert.

„Gut gemacht!“, lobt mich Leo. Ich wische mir das restliche Blut von den Lippen.

„Komm jetzt, meine Liebe!“

Leo legt mir seinen Mantel um, legt seinen Arm um mich und führt mich weg. Weg von dem alten Friedhof, worüber ich sehr froh bin. Auf einmal bleibt Leo stehen.

„Was ist?“, frage ich.

„Wie möchtest du reisen?“

„Hä?!“

Ich verstehe nur Bahnhof. Mel verdreht die Augen.

„Was kann ich dafür, dass ich so doof bin und keine Vampirbücher lese?“, fahre ich sie an.

„Alles kannst du dafür!“, meint sie.

„Ich war als Mensch nun einmal nicht so ein Grufti wie du!“

„Ich war kein Grufti! Wie konntest du nur mal meine beste Freundin sein?“, fragt mich Mel.

„Gute Frage, nächste Frage!“

„Hey Mädels, hört auf zu streiten!“, fordert Leo uns auf. Mel knirscht mit den Zähnen.
 

Ich verstehe das nicht, wie kann es sein, dass sich Mel so verändert hat. Ich erkenne sie gar nicht mehr wieder.
 

„Also?“

„Was also?“, frage ich zurück.

„Na dann so: F oder W?“

„Was soll das denn nun schon wieder?“ Als Leo mich nun wütend ansieht, sage ich: „F!“

„Ok! Wir reisen als Fledermäuse!“

„Können wir nicht den Bus nehmen?“, frage ich vorsichtig.

„Nein!“ Leo und Mel verwandeln sich in eine Fledermaus und fliegen davon. Ich habe keine Ahnung wie das geht und habe so nur eine Idee: Davonlaufen.
 

Das ist eine einmalige Gelegenheit! Ich habe doch keine Lust, mein Leben lang bei Leo zu bleiben. Ich meine, ich liebe ihn ja, oder eher, ich habe ihn mal geliebt, aber ich will mein eigenes Leben.
 

Das denke ich, während ich davonrenne. Da ich ja nun ein Vampir bin, renne ich sehr schnell. Da ich noch Anziehsachen brauche, laufe ich nach Hause. Da ich nicht will, dass irgendjemand genau weiß, wann ich da war, springe ich nach oben auf meine Fensterbank.

„Ok!“, murmele ich. Mit meiner geballten Faust zerschlage ich das Fenster. Meine Hand verheilt gleich wieder. In meinem Zimmer packe ich meine Sachen. In einen Rucksack packe ich alles nötige. Einige Anziehsachen, Schmuck, Schminke, Essen und eine Flasche Wasser. Ich ziehe meinen Minirock und mein Top aus und ziehe mir ein bauchfreies T-Shirt und eine bequeme Jeanshose an.

„Was machst du denn hier?“, fragt mich Leon. Dieser hat einen viel zu langen Schlafanzug an und sieht ziemlich verschlafen aus. Gähnend reibt er sich die Augen.

„Ist das meiner?“ Ich erkenne meinen blauen Schlafanzug.

„Ja!“

„Wo sind Mum und Dad?“

„Weg!“

„Genau wie ich jetzt!“ Ich steige wieder aus dem Fenster auf die Fensterbank.

„Ich muss dir noch was sagen: Wenn irgendwer fragt, ob ich da war, auch wenn Leo fragt, sag einfach nein!“

„Ok! Ich sag dir auch noch was, cool, dass du deine Narbe so gut überschminkt hast. Man sieht sie gar nicht mehr!“

Überrascht springe ich wieder ins Zimmer. Ich sehe auf den Wandspiegel. Tatsächlich ist die Narbe quer durch mein Gesicht verschwunden.
 

Nun müsste ich Leo eigentlich danken. Trotzdem will ich weg! Ich muss mein Gefühlschaos beseitigen.
 

Ich nehme ein Blatt und schreibe Leo einen kurzen, knappen Brief:
 

Muss hier weg! Danke, dass meine Narbe weg ist. Ich muss erst einmal hier weg und alles verarbeiten. Ich verspreche dir aber, dass ich wiederkomme! Wenn endlich meine Gefühle wieder im Klaren sind! Kuss Jill
 

Ich gebe Leon den Brief mit dem Auftrag, ihn Leo zu geben.

„Erst soll ich niemandem etwas sagen und jetzt soll ich noch einen Brief ausgeben?! Und das soll ich mir alles merken?“, beschwert sich mein Bruder. Ich lächele und gebe ihm einen Kuss auf die Wange.

„Lass das!“

Leon wischt sich den Kuss ab.

„Auf Wiedersehen!“ Ich verkneife mir meine Tränen.

„Wohin willst du denn jetzt schon wieder?“

„Weg!“, antworte ich knapp. Ich springe durch das Fenster. Draußen komme ich wie eine Feder auf.
 

Zu was das Vampirdasein alles nütze ist. Ich glaube, daran könnte ich mich gewöhnen.
 

Ich hänge mir meinen Rucksack auf die Schulter und renne los. Außerhalb der Stadt bleibe ich stehen.
 

Ich muss anders, schneller reisen. Als Fledermaus oder … was könnte W sein? Mal sehen. Mel hat doch immer von ihren Vampiren gelabert. Was hat sie gesagt? Irgendetwas mit W, was könnte das sein? Ach ja, Wolf. Vampire können sich auch in Wölfe verwandeln!!!
 

Ich überlege lange, wie das funktionieren kann. Dann habe ich eine Idee. Ich laufe schneller und schneller, so schnell ich kann. Dann verlagere ich mein Gewicht in meine Knie. Ich merke, wie ich langsam kleiner werde und an mir Haare wachsen. Mir wächst eine Schnauze und ich muss aufheulen.
 

Ich hab es geschafft! Ich bin ein Wolf. Und nun weg hier! Weit weg von hier. Dorthin, wo sie mich nicht finden.
 

Ich werde langsamer und langsam bleibe ich stehen. Mein Fell und meine Schnauze, vor allem aber das unangenehme Kratzen im Hals, verschwinden. Seit drei Tagen und Nächten bin ich nun unterwegs. Das Vampire sich nicht bei Sonnenlicht bewegen können, stimmt nicht. Angeekelt hatte ich während meiner Reise jede Nacht ein Kaninchen ausgesaugt. Das arme Ding hatte gegen mich keine Chance. Ich war viel zu schnell und konnte viel besser sehen und hören als es.
 

Vielleicht musste ich arme, kleine Kaninchen aussaugen um nicht zu sterben. Doch niemals wieder werde ich einen Menschen aussaugen! Lieber, viel lieber, sterbe ich.
 

Ich bin an einer kleinen Stadt angekommen. Ich habe vor, hier zu bleiben, da ich glaube, dass mich Leo hier nie suchen würde. Ich durchquere langsam und gemütlich die Stadt. Ich schaue mir jedes der Häuser genau an. Jedes einzelne scheint seine eigene Geschichte zu haben. Mich faszinieren diese Häuser. Meistens sind es Backsteinhäuser. Doch zwischendurch stehen dort auch ziemlich alte, wunderschöne Fachwerkhäuser. Eins finde ich besonders schön. Es ist ein Gästehaus mit dem Namen >Spinnenbein<. Ich trete ein. Gleich als ich hineinkomme ist dort ein alter Speisesaal. Die gleichen Holztische, um die die gleichen Holzstühle stehen, machen diesen Raum irgendwie faszinierend, aber auch gleichzeitig irgendwie unheimlich. Eine alte, ebenfalls aus Holz bestehende Bar ist an der linken Seite des Raumes. Ich gehe zu dem Wirt.

„Kann ich hier ein Zimmer haben?“, frage ich ihn.

„Für wie lange?“, fragt der Wirt mit brummiger, irgendwie unfreundlicher Stimme zurück.

„Weiß ich noch nicht, aber es könnte ziemlich lange werden!“

„Tage?!“

„Viel mehr!“

„Wochen?“

„Mehr!“

„Monate?“

„Wahrscheinlich!“

„Jahre?“

„Vielleicht!“ Der Wirt, der einen langen, braunen Kittel und Holzschuhe anhat und einen Buckel hat, schlürft zu der Wand und gibt mir den Schlüssel für das Zimmer 13. „Danke!“, sage ich, als er mir den Schlüssel in die Hand drückt. Bevor ich in mein Zimmer gehe, will ich aber noch etwas trinken. Ich nehme mir eine, der dort liegenden drei Speisekarten und schlage sie auf. Es ist nichts darauf. Ich nehme mir die zweite. Wieder nichts.

„Ist das ein dummer Scherz?“, frage ich den Wirt.

„Kein Scherz!“, brummt dieser. Er schlägt die dritte Karte auf. Darin kann ich endlich etwas erkennen:
 

Kaninchenblut: 1 Taler

Vogelblut: 1 Taler

Bärenblut: 2 Taler

Fuchsblut: 3Taler

(…)

Menschenblut: 15 Taler
 

„Andere Karten für Werwölfe und Menschen!“, erklärt der Wirt und putzt weiter seine Flaschen. Ich seufze.

„Einmal Kaninchenblut!“, sage ich und lege den einen Taler auf die Bar. Der Wirt schnappt sich diesen blitzschnell und gibt mir ein Glas frisches Kaninchenblut. Ich nehme es und setze mich an einen der Tische. Ein Mädchen und ein Junge betreten das Gasthaus und setzen sich an meinen Tisch.

„Hans, zweimal bitte Fuchsblut!“, ruft der Junge dem Wirt zu. Hans lächelt und bringt dem Jungen und dem Mädchen jeweils ein Glas Fuchsblut.

„Danke!“, sagt das Mädchen höflich.

„Hi!“, begrüßt der Junge mich, „Ich bin Niclas oder einfach Nick und das ist meine Schwester Nicole! Oder einfach Nico!“ Nick hat kurze, blonde Haare und blaue Augen. Nico hat lange, blonde Haare und blaue Augen. Anscheinend sind die beiden Zwillinge.

„Jill!“, sage ich knapp.

„Du bist auch ein Vampir, oder?!“, fragt Nico.

„Ja!“

„Du musst dich noch anmelden!“, sagt Nick.

„Anmelden?!“

„Ja, damit man weiß, wie viele Vampire es hier gibt. Falls mal ein Krieg ausbricht!“, erklärt mir Nico.

Wir drei unterhalten uns noch den ganzen Abend und ich habe das Gefühl, dass wir nun gute Freunde sind. Die beiden sind echt nett. Um fünf Uhr verabschieden sie sich und gehen nach Hause. Am nächsten Abend wollen sie mich aber hier abholen. Für eine Strandparty. Als ich widersprechen will, lassen mich die beiden nicht zu Wort kommen.

„Dann bis morgen!“, ruft Nick und die beiden Zwillinge laufen nach Hause. Ich schnappe mir meinen Rucksack und laufe die Treppen zu meinem Zimmer hoch. Es dauert eine Weile, bis ich mein Zimmer in dem Ganggewirr gefunden habe, doch bald stehe ich vor meinem Zimmer. Als ich die Tür öffne, kriege ich fast einen Herzschlag. Mein Zimmer ist voll von Staub, Spinnen, Spinnweben und einige Mäuse laufen durch das Geschehen.
 

Das wird noch ein langer Tag!



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