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Die Ärzte

Oneshots - Grenzenlos (Kap. 10) editiert
von

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Warnungen: One-Sided(?), leiiiiiiicht OOC.

Kommentare: Ja, gerne. Immer her damit. Auch Kritik. Nur keine Kritik bezüglich der Länge, ich WEISS, dass es kurz ist! xD

So. Habt gefälligst Spaß und so.
 


 

Niemand war freundschaftlicher als Jan. Frustrierend, diese Feststellung, dachte Bela, als er seinen leeren Teller von sich schob und seinen Blick auf Farin richtete. Verärgert schüttelte er den Kopf.
 

"Hm?", fragte Farin, ohne besonders interessiert zu klingen, mit vollem Mund.
 

"Nichts", nuschelte Bela und Farin wandte sich wieder seinem Essen zu, "ich denk nur grade daran, dass ich keine deiner Aktionen je als zweideutig oder irgendwie aufgefasst hab-" Farin hob amüsiert eine Augenbraue - "Also, unsre Freundschaft betreffend mein ich."
 

Jan grinste. "Auch die Küsse nicht?"
 

"Jep"
 

Schweigen. Farin kratzte den letzten Rest Reis von seinem Teller und Bela erhob sich, um das Geschirr einzusammeln und zur Spüle zu tragen. Das hatte er jedenfalls vor, als er mit zwei Händen an den Schultern gegen die nächste Wand gedrückt wurde; Jans Gesicht nur Zentimeter von seinem entfernt.
 

"Und jetzt?" Farins Grinsen, der scherzhafte Tonfall - all das schloss jede zweideutige Situation von vornherein aus. Bela schüttelte den Kopf.

Und dann küsste Farin ihn, länger als sonst und sehr viel mutiger als sonst, und er hätte diesen Umstand sehr gerne genossen, wäre da nicht der Gedanke in seinem Hinterkopf gewesen, dass das definitiv eine Trotzreaktion vonseiten Farins war, der einfach nicht verschwinden wollte. Verdammt. Sollte man bei einem Kuss nicht alles vergessen? Was zur Hölle lief hier also schief?
 

Farin unterbrach den Kuss und sah Bela erwartungsvoll, herausfordernd, triumphierend an. Dieser schlug wortlos seinen Hinterkopf gegen die Wand, bis Farins Hand sich dazwischen legte und ihm damit auch diese letzte Möglichkeit zum Frust Ablassen nahm. Das. War. Nicht. Fair! (Aber ziemlich todesmutig von Farin, wenn man Belas Dickschädel bedenkt)
 

"Vergiss es einfach, Jan", knirschte er frustriert und sank an der Wand herunter, "Du hast es einfach nicht drauf - Bei dir würde wahrscheinlich sogar ein Blow-Job rein freundschaftlich wirken..."

"Tütensuppe?!" Bela klang ehrlich entsetzt. Manchmal wusste Farin nicht genau, ob er es nun ernst meinte oder nicht, aber hier war er sich ziemlich sicher.
 

"Ja, ich dachte, wir probieren mal was anderes. Soll ja gesund sein - abwechslungsreiches Essen."
 

Belas Augenbraue zuckte. Das Wort 'Gesund' stand ziemlich weit oben auf Farins 'Das-bewegt-Bela-mit-großer-Wahrscheinlichkeit-zu-Trotzreaktionen'-Liste.

Bela betrachtete angewidert die wässrige Brühe im Topf.
 

"Gesund. Ich glaub, ich nehm doch lieber Spülwasser."
 

"Klar, ich ruf dann den Krankenwagen."
 

Das Wort 'Spülwasser' hatte bei ihnen nicht die gleiche Bedeutung wie bei den meisten anderen Menschen. In Anbetracht der Tatsache, dass ihr momentaner Abwasch heute sein einmonatiges Dasein mit einer Einzellerparty feierte, war es wohl eher mit... Arsen oder sowas zu vergleichen.
 

Bela warf einen sehr liebevollen Blick zum Tellergebirge in der Spüle und löffelte dann doch die Tütensuppe.
 

"Als würde ich unser Biotop einfach trinken."
 

"Essen. Mittlerweile sind es mehr feste als flüssige Bestandteile."
 

~
 

"Ich wurde ziemlich oft gefragt, wie es ist, einen Kerl zu küssen. Als ob da ein großer Unterschied bestünde zwischen einer Frau, die du nicht liebst und einem Mann, den du nicht liebst. Sind nur weniger Titten." Irgendwie hatte sich das Thema gänzlich anderen Dingen zugewandt.
 

"Und mehr Bart."
 

"Nee, die hatten keinen Bart, die mussten doch Frauen spielen."
 

"Na dann ist ja gut."
 

Bela sah auf, unsicher, ob Farin das nun ernst oder ironisch gemeint hatte. "Dein einziges Problem sind die Stoppeln?"
 

Farin grinste. "Natürlich."
 

"Würdest du mich küssen? Ich hab keinen Bart."
 

Farin fügte seinen leeren Teller zu dem Haufen in der Spüle hinzu, sehr sorgfältig darauf achtend, dass nichts umfiel. Dieses Tellergebilde wurde langsam wirklich ein Kunstwerk.
 

Anschließend drehte er sich um, stützte seine Hände an der Küchentheke ab und musterte Bela gespielt nachdenklich.
 

"Dich? ...Wieviel hast du heute eigentlich getrunken?" Kurze Pause, während der Bela seine Finger hob und so tat, als rechne er angestrengt nach. "...Nur, wenn du dir die Zähne putzt."
 

"Spießer", fauchte Bela und sah einen Moment lang wirklich verärgert aus.
 

Er hatte kein Problem damit, sich die Zähne zu putzen, auch wenn er das nicht wirklich regelmäßig tat. Wohl aber hatte er ein Problem damit, auf eine Forderung von Farin einzugehen.
 

Forderungen von Farin Urlaub hielten auf der Trotzreaktionen-Liste seit einigen Monaten Platz Eins. Je mehr Farin forderte, umso weniger hielt Bela sich daran. Das war auch der Grund, warum ihre Wohnung alles andere als rauchfrei war. Und eine der Eigenschaften an Bela, die Farin mit der Zeit ziemlich auf die Nerven ging.
 

"Aber sicher doch. Ich mach jetzt meinen Spießer-Abendspaziergang mit meinem Spießer-Wachhund, streiche die Spießer-Falten aus meiner Spießer-Markise und überlege mir, ob ich wirklich einen derartigen Unspießer mit Bartstoppeln küssen will." Mit diesen Worten und einem sehr spießigen Winken verschwand Farin aus der Wohnung.
 

Bela war sich ziemlich sicher, dass Farin mit seinem Spießer-Abendspaziergang die Suche nach einer Kneipe, in der er umsonst und ohne den grausamen Gesang von allen möglichen Klomusikern pinkeln konnte, meinte. Der Feigling.
 

~
 

Bela hatte es sich gerade auf seinem Bett gemütlich gemacht, um darüber nachzudenken, was er mit dem angebrochenen Abend anfangen sollte, als er den Schlüssel im Schloss und kurz darauf Farins Schritte im Flur hörte.
 

"Hey, der Spießer ist zurückgekehrt! Jemand da?"
 

Bela gab ein undefinierbares Geräusch von sich. Kurz darauf klopfte es an seiner Zimmertür, "Bela? Kann ich reinkommen?"
 

"Kannst immer reinkommen, weißt du doch - egal, ob ich jetzt am Wichsen bin oder sonstwas", gab der Angesprochene zurück und drehte sich auf die Seite, um die Tür im Blick zu haben. Bei Farin konnte man nie ganz sicher sein, was er als nächstes tun würde; da war es unklug, ihn aus den Augen zu lassen.
 

Die Tür schwang auf und Bela fragte: "Und? Hat der Herr Spießer es sich überlegt?"
 

"Ja, hat er", Farin ließ sich neben Bela auf das Bett fallen, "Und nach reiflicher Überlegung ist ihm aufgegangen, dass ihn eh alle Welt für schwul hält, und wenn nicht, dass es sowieso an der Zeit wäre, das zu ändern, der Unspießer erstens sein bester Freund ist und zweitens meistens sehr penibel darauf achtet, dass er keine Bartstoppeln hat und er außerdem hoffnungslos neugierig ist."
 

Mit diesen Worten beugte er sich einfach herunter und küsste Bela.
 

Das war definitiv die seltsamste Erfahrung, die Bela jemals gemacht hatte. Er hatte schon unzählige Mädchen (und auch ein paar Männer) geküsst, ohne etwas für sie zu fühlen, und sicher auch die eine oder andere aus Verliebtheit, aus Liebe, aber dieser Kuss schien tatsächlich irgendwas dazwischen zu sein - Freundschaft eben.
 

Als Farin sich wieder löste, murmelte Bela atemlos: "Wow. Das war interessant."
 

"Und?", fragte Jan grinsend, "wirst du jetzt schwul?"
 

"Nee", erwiderte Bela und stubste ihn vor die Brust, "zu wenig Titten."

So. Ich werde jetzt auf die Hass-Kommentare warten, weil ich es gewagt habe, einen Oneshot zu schreiben, bei dem sie sich nicht lieben. Yay!

Trotzdem viel Spaß.
 

Farin saß auf der winzigen Couch vor dem Fernseher und sah sich einen der Pornos an, die Bela irgendwann mal begeistert angeschleppt hatte, als er den Schlüssel im Schloss (oder vielmehr überall an der Tür, nur nicht dort) hörte.
 

Es war eher Morgen als Nacht, und wie immer hatte er noch gewartet. Auch wenn es ihn wirklich ankotzte, er wollte nicht morgens über einen auf der Türmatte zusammengerollten Bela stolpern, der dort hatte schlafen müssen, weil er zu betrunken gewesen war, um mit dem Schlüssel das Türschloss zu treffen.

Angenervt schaltete er den Fernseher aus, streckte sich und stand auf.
 

Manchmal war er sich nicht so sicher, ob das mit dem Berühmtwerden so eine gute Idee gewesen war.
 

Er öffnete mit einem Ruck die Haustür, fing wie nebenbei Bela auf, der sich auf der anderen Seite mangels Gleichgewichtssinn dagegen gelehnt hatte, und schloss sie wieder, nachdem er den Anderen wieder auf seine eigenen Füße gestellt hatte. So langsam bekam er Routine darin.
 

Allerdings wollte Bela in sternhagelvollem Zustand gar nicht auf seinen eigenen Füßen stehen, was er durch einen halben Torkelschritt zurück in Farins Arme zum Ausdruck brachte.

Farin pflückte ungeduldig den sich halbherzig wehrenden Schlagzeuger vom Hals und hielt ihn auf Armeslänge von sich entfernt.
 

So langsam nervte es ihn wirklich, bester Freund hin oder her, denn es war alles andere als angenehm, besagtem Freund beim Umziehen zu helfen und sich dabei dessen anzüglichen Kommentare anhören zu dürfen, wenn dieser zu betrunken war, um Männlein und Weiblein auseinanderzuhalten - und in letzter Zeit war er das definitiv zu oft. Man könnte meinen, er machte das mit Absicht, nur weil Farin es nicht leiden konnte.
 

"Hör zu, Felse..."
 

Felse hörte nicht zu. Felse war dicht und er wollte schlafen und ficken, aber ganz sicher nicht zuhören.
 

Farin ließ ihn los und ging gleichzeitig einen Schritt zurück, was zur Folge hatte, dass Bela auf dem Boden zusammensank und auf der Stelle einschlief.
 

Das war zwar nicht ganz der gewünschte Effekt, aber okay, dachte Farin schulterzuckend und wandte sich ab, um ins Schlafzimmer zu gehen. Heute würde er ihn nicht in sein Bett schleifen, umziehen und eine Decke drüberlegen, als wäre er seine Mama. Es reichte wirklich, Bela trieb es eindeutig zu weit, und wenn dieser wieder in der Stimmung war, ihm zuzuhören, würde er es ihm auch sagen.
 

Er hatte genug Abende, Nächte, Morgen lang mitansehen dürfen, wie Bela völlig breit nach Hause kam, in einem Zustand, in dem er mit wirklich ALLEM flirtete.
 

(Und das war noch nicht einmal gelogen. Farin hatte es einmal, früher, als er diesen Zustand noch als Ausnahmezustand bezeichnet und ab und zu auch ganz unterhaltsam gefunden hatte, ausprobiert. Er hatte den betrunkenen Bela einfach vor den Kühlschrank gezogen, welcher prompt mit gelallten Schmeicheleien bedacht worden war, die jedes Mädchen hätten erröten lassen. Leider hatte der Schrank sich nicht erweichen lassen, was Bela dazu gebracht hatte, zuerst beleidigt zu werden, anschließend sehr fantasievoll zu schimpfen und schließlich frustriert seinen Kopf gegen das Möbel zu schlagen.)
 

Es hatte genug Konzerte gegeben, nach denen Bela im Backstagebereich einfach zusammengeklappt war - nie währenddessen, obwohl Farin sich manchmal wünschte, dass es so gewesen wäre, dann hätte er wenigstens einen Grund gehabt, ihn ordentlich zusammenzuscheißen, den Bela auch akzeptiert hätte.
 

Er hatte oft genug miterleben müssen, wie Bela hyperaktiv und übergut gelaunt durch die Wohnung rannte, hier und da etwas umwarf, hysterisch lachte oder Farin Dinge erzählte, die dieser in Ermangelung von Alzheimer in einer Schublade namens 'was ich nie wissen wollte' ganz hinten in seinem Gedächtnis verstaute.
 

Ja, es reichte ganz eindeutig, und dieses Mal war das letzte Mal gewesen, dass er Bela die Tür geöffnet hatte, wenn der es selbst nicht konnte. Mit diesem Gedanken schlief er ein, wohl wissend, dass Bela morgen zusätzlich zu den üblichen Kopfschmerzen auch mit höllischen Rückenschmerzen aufwachen würde.

Farin streckt sich, was sein Rücken mit lautem Knacken quittiert. Das Konzert ist vorbei, sie sind auf dem Weg ins Hotel, die Euphorie ist einer stummen Zufriedenheit gewichen und eigentlich ist alles perfekt. Bis auf Farins Rücken.

"Mann, ich bin total verspannt...", meckert er leise. Bela schließt sehr langsam die Augen und öffnet sie genauso langsam wieder und es sieht beinahe so aus, als müsse er überlegen, ob er auf eine so Farin-untypische Aussage überhaupt reagieren soll.

"Sieh mal, Rod, unser kleiner Farin wird aaalt... ist das nicht niedlich?"

"Das ist erst der Anfang", erwidert Rod trocken, "wenn er dann Alzheimer und Rheuma kriegt, darfst du dich rund um die Uhr um ihn kümmern, das ist dann niedlich..."

Bela hebt eine Augenbraue. "Wer sagt, dass ich mich um ihn kümmere? Ich geb ihn dann in ein gutes Altenheim-"

"Und besuchst mich einmal im Jahr, damit sichergestellt ist, dass ich dich nicht enterbe, ich weiß, ich weiiiß", fällt Farin ihm ins Wort. "Sag mal, gibts in unserem Hotel eigentlich zufällig auch irgendwelche sexy Masseusen?"

"Was willst du mit Masseusen?! ICH massier dich, danach fühlst du dich-"

"...durchgefickt?"

"Mh, gut möglich, aber was ich eigentlich sagen wollte-"

"Bela, ich bin mir nicht ganz sicher, ob ich das wirklich wissen will..."

"Jetzt lass mich doch mal ausreden!"

"Jaja, 'tschuldige."

"Jaja heißt leck mich."

"Und?"

"Klar, komm auf mein Zimmer, wenn du geduscht bist und so..."

Sie lachen und das Thema hat sich für Bela erledigt. Nicht so für Farin, der aber leider an der Rezeption des Hotels erfahren muss, dass es keine Masseusen gibt. (Und das soll fünf Sterne haben? Pah!)

Da fragt man sich doch, wozu man dann überhaupt berühmt geworden ist! Er sollte sich wirklich jemanden einstellen, der rund um die Uhr... wobei... nee. Wofür hat er Bela?
 

"Ja Farin, dir auch einen wunderschönen guten Abend", sagt Bela leicht irritiert, als Farin ohne anzuklopfen in sein Zimmer kommt und sich kommentarlos auf sein Bett schmeißt.

"Mir wurde eine Massage versprochen, wenn ich mich recht erinnern kann, also lass sehen, wie's um deine Fähigkeiten steht!"

Einen Moment lang ist Bela sprachlos. Dann lacht er. Jeden Anderen hätte er rausgeschmissen, aber Farin darf sowas. Manchmal.

"Okay, zieh dich aus, leg dich hin..."

"...weil ich so verliebt in dich bin...", trällert Farin, während er sich das T-shirt über den Kopf zieht, "soviel also zum Thema 'du willst mich nie mehr nackt sehen'..."

"Maul halten oder ich sorge dafür, dass du die restlichen paar Länder im Rollstuhl bereisen musst!" Bela setzt sich kurzerhand auf Farins Hintern und legt warnend eine Handkante auf seinen Rücken.

"Ohoho. Ruhig, Brauner!" Farin bettet seinen Kopf auf seine auf dem Bett aufeinandergelegten Hände und ruckelt sich zufrieden unter Bela zurecht, der seine immer kühlen Hände an seinen Schultern platziert und vorsichtig beginnt, sie zu massieren. Und Bela kann massieren. Farin würde sogar behaupten, er ist besser, als jede Masseuse es je sein wird, weil er genau weiß, wo er empfindlich ist und wo er stärker kneten darf.
 

Nachdem eine ganze Weile kein Lebenszeichen mehr von dem Blonden gekommen ist, entschließt Bela sich, nachzufragen. "Hey, Jan?" Keine Antwort. "Lebst du noch? Hab ich dich zu Tode massiert? ... Bist du eingeschlafen?"

"Mh... mach weiter." Eigentlich fühlt er sich im Moment viel zu wohl, um zu antworten, aber Bela scheint nicht gewillt, weiterzumachen, wenn er nichts sagt.

"Gib mal n paar Geräusche von dir, sonst weiß ich gar nicht, ob's dir gefällt oder nicht!" Lügner. Bela weiß ganz genau, dass er Massagen liebt, insbesondere wenn er verspannt ist. Und vor allem von Bela.
 

"Geräusche...?" Kaum hat er das gesagt, verflucht Farin sich schon dafür.

"Ja, so: Aah~ hah...hn... jaaaah, mehr..." Bela bewegt sich provozierend auf seinem Hintern, während er ihm schamlos etwas vorstöhnt. Und wenn es eins gibt, das Bela besser kann als Massieren, dann ist das Stöhnen. Farin ist wirklich froh, dass er auf dem Bauch liegt.

Als er sich wieder sicher ist, dass seine Stimme einigermaßen normal klingt, sagt er: "Hey, ich wollte eigentlich massiert werden und nicht was vorgestöhnt bekommen!"

"Stimmt ja, der Herr hatte eine bestimmte Vorstellung davon, wie er verwöhnt werden will...", antwortet Bela und klingt leicht angepisst, hört aber auf zu stöhnen und fährt fort, Farins Rücken zu bearbeiten. Der Blonde ist sich einen Moment lang nicht sicher, ob er erleichtert oder enttäuscht sein soll, verschiebt den Gedanken dann aber auf später und genießt die ihn verwöhnenden Hände, die Kühle der Ringe, die ihn erschauern lässt, und das beruhigende warme Gewicht Belas.
 

Irgendwann klopft es, Bela ruft "Ja, bitte?", völlig ungeachtet der Tatsache, dass sie sich in einer äußerst zweideutigen Position befinden, und Rod betritt das Zimmer.
 

"Was macht ihr denn da?"

"Wir haben wilden, hemmungslosen Sex", antwortet Farin im selben Moment, in dem Bela trocken "Ficken, siehst du doch" erwidert. Rod lacht.

"Also eigentlich wollte ich fragen, ob du noch was trinken gehen willst, Bela, aber ich sehe, du bist beschäftigt!" Sprichts und verschwindet. Bela grinst.
 

"Hab ich dir schonmal gesagt, dass du nen tollen Rücken hast?"

"So ungefähr jedes Mal, das du mich massiert hast, ja..." Farin freut sich trotzdem über das Kompliment, und noch mehr freut er sich über die Fingerspitzen, die hauchzart seine Wirbelsäule entlangfahren, sich dann spreizen und auf den Schulterblättern zum Liegen kommen. Es ist beinahe ein Ritual geworden; Bela beendet so jede seiner Massagen und Farin hat absolut nichts dagegen.
 

Als er aufsteht, streckt Farin sich mit einem befreiten: "Hach, Bela, du bist ein Schatz." Auch das gehört zum Ritual; fast erinnert es ihn ein bisschen an die Zigarette danach.

"Ich weiß, ich bin toll."
 

Bela steht ein bisschen verloren im Zimmer herum, überlegend, was er jetzt machen soll.

Farin tritt hinter ihn und legt locker die Arme um seine Hüften. "Bela."

"Hm?"

"Danke", sagt Farin an seiner Wange und Bela dreht sich um, um ihm ins Gesicht sehen zu können. Farin gibt ihm einen kurzen Kuss auf den Mund.

Bela ist überrascht; normalerweise gibt es nur zu irgendwelchen besonderen Anlässen Küsschen, auf der Bühne oder zum Geburtstag, aber einfach so? Meistens ist es doch Farin, der sich wegdreht, weil es ihm zu viel wird.

"Ähm... Warum hast du mich grad geküsst?"

Farin zuckt mit den Schultern. "Keine Ahnung, so aus Scheiß halt."

Hat eigentlich schon mal jemand versucht, aus der Sicht von Bela/Farin/Rod zu schreiben? Nein? Ich weiß, wieso.

Tut mir leid, es ist OoC geworden, aber anders hab ich's nicht hingekriegt.

Spielt im Proberaum um 1998 oder so herum.

Nein, ich habe absolut keine Ahnung von Bands und Proberäumen und ich weiß nicht, ob Bela seine Demos auf CD hat und ob sie wirklich eine so miese Qualität haben, und nein, ich weiß erst recht nicht, was in dem Kopf von Farin Urlaub vor sich geht.

Habt trotzdem Spaß!
 

Bela hüpfte hinterm Schlagzeug hervor.

"Ich hab übrigens noch ne Idee für ein Lied!"

Ich hob den Kopf, Rod lehnte sich im Sofa zurück und murmelte: "Lass hören!"
 

Bela holte eine unbeschriftete CD aus seiner Tasche und warf sie mir zu, da ich neben dem Player saß. Nachdem ich sie mit Mühe und Not gefangen hatte, legte ich das Demo ein.

(Ich hätte schwören können, dass Bela gerade Dinge wie "das Alter" und "nachlassende Reflexe" dachte, der Arsch! Und das, obwohl er älter war - was vermutlich auch der Grund war, warum er seine Gedanken nicht äußerte ... Neben der Tatsache, dass er die CD dann wohl umgehend zurückerhalten hätte - ins Gesicht. Und in Begleitung eines ähnlichen Kommentars.)
 

Die Platte begann sich zu drehen. Rod zündete sich eine Zigarette an, während das übliche Knistern laut die Qualität des Demos kund tat.

Und ich fühlte mich minimal beobachtet. Das ist kein Wunder, wenn ein paar Meter von einem entfernt ein Drummer sitzt und einen anstarrt. Würde wohl jedem so gehen. Die Frage war, warum er mich anstarrte.
 

Das Lied begann mit... viel Schlagzeug, so viel konnte man schonmal sagen. Mehr allerdings auch nicht. Okay, Rod würde vermutlich am Ende tatsächlich in der Lage sein, Vorschläge zur Verbesserung abzugeben, keine Ahnung, wie der das immer schaffte, bei der miesen Qualität. Aber gut, was zählte, war erstmal die Musik und der Text, der gerade einsetzte.
 

Glaubst du an Liebe auf den ersten Blick...
 

Bela strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht und starrte weiter, mit einem Grinsen, das nichts Gutes verhieß. So viel wusste man nach so langer Freundschaft. Rod zog an seiner Zigarette und hörte konzentriert zu.
 

Mir ist sie passiert und ich denk gern zurück

an unsere Anfangszeit

denk ich daran erfüllt es mich immer mit Traurigkeit

was war'n wir fröhlich, unbeschwert, zu jedem Scheiß bereit

doch etwas will ich dir gestehn schon seit geraumer Zeit

und heut ist es soweit
 

Jetzt kommt's, dachte ich.
 

Farin

ich will dich ficken
 

Rod verschluckte sich am Rauch seiner Zigarette und gab ein Geräusch von sich, das man wohl irgendwo zwischen Husten und Lachen einordnen würde, wenn man es denn einordnen müsste. Mein erster Reflex war, so viel Abstand wie möglich zwischen Bela und mich zu bringen, allerdings hätte ihn das vermutlich wirklich gekränkt, und so beschränkte ich mich auf eine gehobene Augenbraue und ein schwaches Grinsen.
 

und das schon seit 17 Jahrn.

Ich will dich ficken,

will mich einfach mit dir paarn.
 

Bela starrte mich herausfordernd an, immer noch dieses gruselige Grinsen im Gesicht. Ich betrachtete angestrengt die rotierende CD im Gerät. Warum genau war dieses Lied mir eigentlich unangenehm?
 

Ich will dich ficken,

komm schon, Farin, mach mich froh,

ich will an deinen süßen Po - oh oh oh oh oh oh,

will an deinen süßen Poooo!
 

Okay, für jeden anderen wäre das hier die Antwort gewesen, aber für mich galt das nicht.
 

Bela schaltete den Player aus. "Na, Farin, unter die Homophoben gegangen? So wie du guckst..." Ich starrte ihn an. Ich hatte ihn bitte wie angesehen? Kann man überhaupt homophob gucken? Nicht, dass ich es schonmal ausprobiert hätte...
 

"Ähm ja, und wo ich grade dabei war, hab ich mich auch taufen lassen, bin jetzt katholisch und laufe mit nem toten Mann um den Hals durch die Gegend..." Das war die etwas intelligentere Version dessen, was mir gerade im Kopf herumgeisterte: Hä?! Ich warf einen Blick zu Rod, der in sein Ich-mische-mich-da-nicht-ein-Verhaltensmuster gefallen war und starr an die Wand blickte. Das hieß meistens, dass wir uns beide benahmen wie Kindergartenkinder.
 

"Ja, du hattest diesen 'Ih, zwei Kerle!'-Blick drauf, du weißt schon...", Bela kam langsam auf mich zu und ich hatte wieder das Bedürfnis, zurückzuweichen, "genau den!"

"Also wirklich Bela, du kennst mich jetzt schon so lange, langsam solltest du echt wissen, dass ich der Meinung bin, Schwule und Lesben gehörten gefoltert und verbrannt! Und dann auch noch so ein Lied zu schreiben..."
 

"Ach", sagte Bela sarkastisch und setzte sich auf meinen Schoß, "Wenn du also absolut kein Problem damit hast", seine Hand wanderte in meinen Schritt, "warum guckst du mich dann an, als wär ich ansteckend oder sonstwie?" So langsam wurde es Zeit, dass mein ach so brillantes Gehirn mir einen Ausweg aus dieser verdammten Situation lieferte, nur mal so als Vorschlag. Belas Hand an einer Stelle, wo sie definitiv nicht hingehörte (besagter Stelle war das allerdings egal), Rod, der überhaupt nichts mitbekam, weil er noch immer die Wand inspizierte (musste ich demnächst auch mal ausprobieren; anscheinend war das eine wunderbare Prophylaxe gegen Streit - mit Rod stritt sich nie jemand!), dieser heiße Atem an meinem Hals und Belas Augen, denen keine meiner Regungen entging. ...Vor allem eine nicht.
 

Als ich eigentlich schon mein Gehirn verfluchen wollte, das immer genau dann nicht funktionierte, wenn ich es am meisten brauchte (Diskussionen mit Kinderpsychologen waren da ein gutes Beispiel), fiel mir doch noch etwas ein.

Ich sah Bela zum ersten Mal heute wirklich in die Augen und ließ alles fallen, was ich bis eben noch so krampfhaft in meinem Gesicht gehalten hatte. Das Grinsen, die Lockerheit, die Ironie und die unterschwellige Verärgerung über seine Unterstellungen, ich konnte beinahe spüren, wie sie Platz für etwas Ehrliches machten.
 

Eine absolut verzweifelte Idee, der ich normalerweise nicht gefolgt wäre, weil sie einfach zu unsicher war und auf Dingen wie Belas Menschenkenntnis beziehungsweise Farinkenntnis, seiner Fähigkeit, schnell zu kapieren, und seiner Hilfsbereitschaft basierte, die bekanntlich je nach Laune wechselten, aber hey, das hier war ein Notfall!
 

Es ging tatsächlich auf. Bela wich sofort zurück, vergewisserte sich mit einem schnellen Seitenblick, dass Rod noch immer verbissen an die Wand starrte, und formte mit dem Mund stumm das Wort: 'Sorry'.

Manchmal könnte ich ihn wirklich küssen. ...Okay, eigentlich immer. Bela brachte es doch immer wieder fertig, mich zu überraschen. Er konnte durchaus kalt und abweisend sein, aber dann war er wieder so liebenswert, dass ihm niemand etwas nachtragen konnte. Ich jedenfalls nicht.

"Bela... du bist ansteckend." Es klang weicher, als es hätte klingen sollen, aber vielleicht war das ganz gut so. Das war es nämlich, was ich meinte: Belas Begeisterung, seine schlechte Laune, seine verrückten Ideen waren schlicht und ergreifend ansteckend.

Meine Antwort signalisierte deutlich, dass die Auseinandersetzung, wenn man es so nennen wollte, beendet war.

Rod räusperte sich und stand auf. "Okay, ich geh dann mal, hab noch Termine und so..." Er umarmte uns kurz, sammelte seine Jacke und seine Tasche vom Boden auf und warf sie sich im Gehen über.
 

Vermutlich hatte er irgendwas mitbekommen - Rodrigo merkte alles, auch Dinge über einen, die man selbst noch gar nicht realisiert hatte, gruselig war das - und ließ uns allein, damit wir miteinander reden konnten. Oder ihn störte die angespannte Stimmung, die sich hier aufgebaut hatte. Oder er hatte wirklich Termine. Tatsächlich, er könnte die Wahrheit gesagt haben. Vielleicht hätte ich zuerst mal davon ausgehen sollen. Himmel, ich brauchte definitiv Urlaub. Aber es gab halt so Menschen wie Rod, deren Gedanken man auch nach jahrelanger Freundschaft noch nicht kannte. Und es gab... Bela.
 

Der sich gerade neben mich auf die Couch fallen ließ und seine Beine lang ausstreckte. "Mensch, Jan, du hättest mir aber ruhig sagen können, dass du ein Problem mit deiner Sexualität hast."
 

Das war der Moment, in dem ich froh war, dass ich durch diverse Interviews (unter anderem mit der Bravo) den Reflex, den Kopf gegen die nächste Wand zu hämmern, relativ gut unter Kontrolle hatte. Das mit dem 'ohne Worte verstehen' hatte früher definitiv besser geklappt.
 

"Ich hab kein Problem mit meiner Sexualität. Ich hab ein Problem mit dir." Entweder er verstand das jetzt auch falsch oder er entschied sich für das betretene 'Oh.'

"Oh", sagte Bela.

Peinliche Stille. Sein Fuß wippte nervös auf meinem Oberschenkel auf und ab.

Er räusperte sich. "Du weißt, dass ich... dass wir keine Beziehung führen können, oder?"

"Echt? Ich dachte, wir führen bereits eine."

"Und das ist es. Mir ist unsere Freundschaft wichtiger als jede Liebe der Welt, und das wird sich nicht ändern." Ah, jetzt wurde er doch noch sentimental. Ich hasste das.

Allerdings war das auch der Schluss gewesen, zu dem ich gekommen war. Weshalb ich auch eigentlich beschlossen hatte, meine Klappe zu halten und weiter zu machen wie bisher. War mir ja mal richtig gut gelungen.
 

Ich schnippte seinen Fuß an, der immer noch zappelte. Bela zappelte dauernd rum. Ich glaube, er konnte gar nicht mehr anders. Wenn er stand, wippte er auf den Fußballen auf und ab, und wenn er saß, zuckte er mit dem Bein. Ihm war das wahrscheinlich nicht bewusst, aber mir tat langsam der Oberschenkel weh.
 

"Hey, Bela."

"Hm?"

"Behandel mich aber jetzt nicht wie nen Kranken oder so, ja?" Er grinste.

"Hatte ich nicht vor. Eigentlich wollte ich dich richtig hart durchnehmen..."

"Bela!"

"Was? Befreundet sein schließt Sex haben nicht aus!"

Der frühe Nachmittag findet Bela halb liegend, halb sitzend auf dem kleinen Sofa vor dem Fernseher, wo er sich aus Mangel an Antrieb niedergelassen hat.

Die Fernbedienung, sonst hart umkämpft und heiß begehrt, wird nun, da er alleine ist, grob malträtiert, während er wahllos herumzappt.
 

Früher ist er rausgegangen, feiern, wenn er gerade nichts zu tun hatte und alleine war - jetzt endet es immer öfter vor dem Fernseher. Wie erbärmlich.

Die sonst so sorgfältig frisierten Haare hängen ihm jetzt teilweise ins Gesicht, während der Rest, von der Couch elektrisiert, wirr von seinem Kopf absteht.

"...die Lage dramatisch verschlechtert..." Zapp. "Du bist so ein verdammtes Arschloch, du-" Zapp. "...die Situation entschärfen und sich entschuldigen." Zapp. "Ich weiß, das ist nicht leicht, aber..." Zapp. "...haben wir hier ein paar Fans, die dich unbedingt mal was fragen wollten..."
 

Die Kamera schwenkt von der dümmlich grinsenden Moderatorin zu einem bekannten Gesicht. Bela hat kurz dieses irritierende "Den kennst du doch!"-Gefühl, das sich auch nach langen Jahren des Berühmtseins noch hartnäckig hält und immer dann aufflackert, wenn er Farin oder Rod oder auch sich selbst im Fernsehen sieht. Er findet es klein wenig gruselig und versteht von daher auch voll und ganz, dass Farin keinen Fernseher hat, kein Radio hört und keine Zeitung liest.
 

Weil er sowieso nichts zu tun hat, schaut er weiter dieses Interview. Vielleicht wirds ja noch ganz lustig, ist ja schließlich Farin Urlaub.
 

Ein Mädchen von vielleicht vierzehn Jahren bekommt das Mikrofon gereicht und stammelt: "Also... ich wollte dich mal fragen, ob das nicht irgendwie eklig ist, so als Mann nen Mann zu küssen..."

Farin hebt eine Augenbraue. "Das wurde ich amüsanterweise ziemlich oft gefragt, immer mit der Betonung auf Mann - und mit einem Blick, den ich nicht einmal sowas Ekligem wie den Prinzen schenken würde - aber seltsamerweise hat mich nie jemand gefragt, ob es nicht eklig war, besagtem Mann die heiligen Haare aus dem Gesicht zu halten, während er sich ins Klo übergeben hat... Also, ich persönlich fand letzteres wesentlich ekliger."

Klick.

Der Fernseher wird dunkel und spiegelt Belas müdes Gesicht. Er gräbt, aus einem plötzlichen Impuls heraus, in den Taschen seines Mantels nach seinem Handy.

Schon allein aus Prinzip gibt er seinen Impulsen immer nach; dadurch wird das Leben auch viel interessanter.

Als er schließlich fündig geworden ist - er ignoriert gekonnt die elf verpassten Anrufe - tippt er eine SMS ein.
 

/Du hast mir beim kotzen die haare aus dem gesicht gehalten?! Wann?/ Farin hat nie etwas davon erwähnt. Bela dachte eigentlich, dass er sich immer von allem, was mit Alkohol oder Drogen zu tun hatte, fern gehalten hat und deshalb auch nie einen Finger gerührt hat, um ihm zu helfen.

Anscheinend hat er sich aber geirrt.

Senden. J-a-n. Nachricht wird gesendet...

Er wird's schon verstehen, da ist Bela zuversichtlich - zu Recht, wie sein Handy ihm bestätigt, als es wenige Minuten später in seiner Hand vibriert.

/Du siehst dir meine interviews an?! Seit wann?/ Der immer mit seinen Gegenfragen.

/Seit ich einen fernseher habe. Du weißt doch, ich bin dein größter fan. Wo bist du? Komm sofort her, wir müssen auf der stelle heißen Dankungssex haben!/ Er braucht beinahe drei Minuten, bis das Handy das Wort 'Dankungssex' geschrieben hat, aber das ist es definitiv wert.

/Dankungssex?/ Er hört den amüsierten Unterton genauso deutlich, wie er das Grinsen sieht.

/Ja, wie Versöhnungssex. Nur eben nicht als versöhnung, sondern als dank./

/Okay, klingt einleuchtend./
 

Vielleicht heißt das 'Ich komme gleich', vielleicht aber auch 'darauf kannst du ewig warten!'. Bela weiß es nicht genau, beschließt aber trotzdem, mal vorsichtshalber ein bisschen aufzuräumen. Nur gerade so viel, dass man es anstatt als 'frustrierte Single-Unordnung' als 'gesundes Rockstar-chaos' bezeichnen kann. Nicht, dass man das tun würde, aber der Eindruck ist wichtig.
 

Nachdem er fertig ist mit dem, was er 'aufräumen' nennt und jeder andere vermutlich als 'wahllos Sachen aus dem Chaos picken und irgendwo anders verschwinden lassen' bezeichnen würde, stellt sich Bela vor den Spiegel und kämmt sich die Haare - könnte ja sein, dass der werte Herr sich tatsächlich hierherbewegt, und dann will er nicht aussehen, wie... er sich fühlt. Reiner Trotz, denn Farin hat ihn schon ganz anders gesehen; er will es dem Schicksal - vielleicht auch der Frau, die ihn jetzt garantiert nicht sehen wird - nur halt irgendwie zeigen. Siehst du, ich lass mich nicht hängen, ha! Es geht mir gut! Eine Lüge, die er sich selbst schuldet, schon allein um seines Stolzes Willen.
 

Es klingelt an der Tür. Es überrascht Bela wirklich, er hat nicht ernsthaft damit gerechnet, dass Farin sich tatsächlich die Mühe machen wird, zu ihm zu fahren, nur wegen einer ihrer sinnlosen SMS - aber bei ihm kann man sich halt nie sicher sein.

Er öffnet und fällt Farin sofort in die Arme, der lacht und ihn auf die Schläfe küsst.

"Na, Felse, haste mich vermisst?"

"Und wie! Ist ja schon ewig her, dass wir uns gesehen haben!" Eigentlich erst eine Woche, aber Bela kommt es länger vor. Irgendwie. Farin schleift ihn ins Haus wie ein ungeduldiges Kind, das es gar nicht erwarten kann, sein Geschenk endlich zu bekommen.

"Und, krieg ich jetzt meinen Dankungssex, oder waren das wieder nur leere Versprechungen?"

Danke für die vielen Kommentare, ich freue mich!

Das hier ist der erste Teil einer etwas längeren Geschichte namens 'Grenzenlos'

...Von der ich noch nicht weiß, ob ich sie weiterschreiben soll.

Wer Unstimmigkeiten in Sachen Zeit, Charaktere oder sonst irgendetwas findet, möge sie mir schreiben, ich beiße nicht.

Ja, die Zeiten sind ein bisschen seltsam, aber ich wollte die Träume in der Gegenwart schreiben, weil es sich dann, finde ich, irgendwie mehr nach Träumen anhört...

Viel Spaß!

P.S.: Mögen sich alle Kommentarschreiber angewidmet fühlen <3 : Jimmey, abgemeldet, abgemeldet, abgemeldet, Melolontha, littleblaze, abgemeldet, Slythericious und dadgrin.

Ähm doch, ja, ich hätte schon gerne Kommentare ... :D
 


 

Man sagt, man bemerkt, wenn etwas Schlimmes geschehen wird. Man sagt, man hat eine Vorahnung, man weiß es, man fühlt sich schon den ganzen Tag seltsam... das stimmt nicht. Die wirklich schlimmen Dinge treffen dich unvorbereitet.
 

Wie die beiden Polizisten, die vor seiner Haustür stehen. Es ist lange her, dass ihm sowas passiert ist, wann war das letzte Mal? Als sie früher noch die Lieder gespielt hatten, die sie nicht singen durften? Was ist es diesmal? Er kann sich an nichts Illegales erinnern. Gut, er ist nicht mehr der Jüngste, aber solche Dinge vergisst er für gewöhnlich nicht.
 

"Wir bedauern, Ihnen mitteilen zu müssen..." Dieser Satz, vor dem jeder Angst hat. Er schaltet um auf automatisch, nickt, verabschiedet sich und schließt die Tür. Das Gesicht versteinert. Er steht lange da. Dirk Felsenheimer, diesen Namen hat er lange nicht gehört. Bela, ja. Felse. Verbissen steht er im Flur, aufrecht, die Augen offen, die Arme an den Seiten, während er langsam versteht.
 

Halt dich nicht fest. Steh aufrecht. Egal, was passiert, steh auf und zeig ihnen, dass du stärker bist.
 

Auch so ein Satz von Bela. Er lächelt, grau und verbissen. Das ist nur... Das Telefon klingelt. Er zieht den Stecker; es ist nicht das erste Mal, niemand wird sich wundern.
 

Diese Stille ist unerträglich. Ihm ist nie aufgefallen, dass Stille so laut in den Ohren pochen kann und dass es hier so viel davon gibt... Ein Autounfall, mein Gott, so etwas musste ja irgendwann mal passieren! Bei diesem Lebensstil... bei diesem Pech - dass der Tank explodiert, war ja beinahe... vorauszusehen gewesen. Nein, war es nicht. Die wirklich schlimmen Dinge sind nie vorhersehbar.
 

Einige Sekunden später schallt Metallica durch das Schlafzimmer. In ohrenbetäubender Lautstärke, gedankenbetäubende, kopfbetäubende, gefühlebetäubende Musik. Er lässt sich auf das riesige Bett fallen, an die Decke starrend. Risse, wie spannend.
 

Eine Erinnerung kämpft sich in ihm hoch, wie Bela ihm begeistert von dem Album vorgeschwärmt hat, auf dem Sofa gesessen und gestikuliert hat, er sieht es vor sich wie in einem Stummfilm. 'Sieh es doch einfach ein Bela, ich werde diesen Lärm nie mögen!' - Natürlich hat er es nicht eingesehen. Und natürlich hat er Recht behalten.

Der Erinnerung folgen weitere, hunderte, tausende. Mit den Erinnerungen kommt das Lächeln und mit dem Lächeln die Tränen.
 

"Ich möchte die Ärzte auflösen."

"Natürlich."

"Ich..."

"Ich kümmer mich darum. Jan."

Man sagt, Trauer verbindet, durch Trauer wachsen Freundschaften.

Die müde Distanz am Telefon sagt etwas anderes. Er weiß, dass die lockere Freundschaft, die ihn mit Rod verbunden hat, diese Sache nicht überleben wird. Es interessiert ihn nicht. Und trotzdem ist er Rod wahnsinnig dankbar, dass er es in die Hand nehmen will. Interviews, Bestürzung, todtraurige Fans, er fühlt sich nicht in der Lage dazu, all dem gegenüberzutreten. Nie mehr.
 

Es war selbstverständlich, dass die Ärzte aufgelöst werden. Ohne Bela ist diese Band undenkbar. Genau wie ohne Farin oder ohne Rod, der genauso unverzichtbar geworden ist wie die beiden anderen.
 

Für ihn ist das, was er als nächstes tut, ebenfalls selbstverständlich; eine logische Konsequenz aus dem, was zuvor passiert ist.
 

"Hör zu. Ich möchte, dass du das hier allen Zeitschriften schreibst, die jemals etwas über uns gebracht haben, den Fernsehsendern und so weiter, du weißt schon. Ich will nie wieder ins Fernsehen. Ich will nicht mehr auftreten, Farin Urlaub ist gestorben, ich will keine Interviews mehr geben, ich will keinen einzigen Reporter, keinen Fan und keine Kamera mehr sehen, keine Autogramme mehr geben und so weiter. Kannst du das veranlassen? Ja, das ist mir ernst. Was dachtest du? Dass ich einfach so weiter machen kann?"

Er fühlt sich seltsam an Laurel and Hardy erinnert - da war doch etwas, nicht wahr? Als der eine gestorben ist, hat der andere geschworen, nie mehr öffentlich aufzutreten? Genau das ist es jetzt.
 

Feine Linien graben sich in sein versteinertes Gesicht. Er hat Leute gesehen, die so wahnsinnig schnell gealtert sind, aber es selbst zu erfahren, ist beinahe gruselig. Sein Spiegelbild lächelt matt.
 

Farin öffnete die Augen und starrte an die blendend weiße, risslose Decke über seinem Bett.
 

Der Traum war so klar, so deutlich in seinem Kopf, dass er sich einen Moment lang fragte, was jetzt wirklich passiert war. Einen Augenblick später schüttelte er den Kopf. Bela war nicht tot, das war unmöglich. Er setzte sich auf und vergrub das Gesicht in seinen Händen.
 

So realistisch hatte er noch nie geträumt. So logisch und klar konnte man doch eigentlich überhaupt nicht träumen. Verdammt.
 

Die meisten Träume verwischten mit der Zeit, die Erinnerung an sie verschwand wie Wasser aus einer hohlen Hand. Dieser nicht. Und mit der Erinnerung an ihn blieb das drückende Gefühl auf der Brust, das man hatte, wenn etwas Schlimmes passiert war, wie ein schlechter Geschmack im Mund, den man nicht vergessen konnte.
 

Farin rappelte sich auf und lief in sein Wohnzimmer, missachtete seinen Hund, der ihm entgegen kam, und stellte sich vor den Kalender. Da. 2008. Belas Autounfall war vor Jahren gewesen und nach diesem hatten sie noch unzählige Konzerte gespielt. Natürlich lebte er noch.
 

Das wirklich Dumme an einem solchen es-ist-irgendwas-passiert-Gefühl war, dass man es mit Logik nicht im Geringsten beeindrucken konnte.
 

Farin glaubte nicht an irgendwelchen Traumdeutungsmist. Man träumte von Dingen, die einen halt irgendwie beschäftigten und die verarbeitet werden mussten, basta. Also hatte Belas Autounfall ihn beschäftigt. - Okay, das war nichts Neues; immerhin wäre er fast dabei draufgegangen, aber warum jetzt?
 

Er sah zur Uhr. Bela würde ihn umbringen - oder zumindest foltern - ach, egal, er hatte ihn so oft mitten in der Nacht geweckt, da müsste er eigentlich was gut haben.

Farin griff nach dem Telefon und tippte seine Nummer ein.
 

"Felsenheimer?" Belas Stimme klang sehr verärgert dafür, dass er gerade geweckt worden war, aber im Moment gab es nichts, was Farin mehr hätte beruhigen können. Der kleine Teil von ihm, der nicht auf seinen Verstand hörte und mit Logik nichts am Hut hatte, hörte augenblicklich auf, zu zetern und zu jammern. Farin fuhr sich durch die Haare.

"Felse, hey. Tschuldigung fürs Wecken, ich wollte nur mal fragen, ob du noch mal Lust auf so nen Abend zu zweit hast... Du weißt schon, wie früher?"
 

~
 

Bela ließ sich auf die Couch fallen, gähnte ausgiebig und schloss die Augen, offenbar in der Absicht, jetzt den verpassten Schlaf nachzuholen. Farin grinste schadenfroh.

"Na, müde?"

Bela zeigte ihm wortlos den Mittelfinger.

"Hey! Du hast mich früher auch dauernd geweckt!"

Das brachte ihn dazu, die Augen einen Spalt weit zu öffnen und eine Augenbraue zu heben. "Als hättest du mir dafür nicht den Mittelfinger gezeigt... Wenn mein Gedächtnis mich nicht trügt, hast du mich sogar ziemlich unfein beschimpft. Und jetzt erzähl mir, warum du mich wirklich aus dem Bett geklingelt hast - wohl kaum für einen Männerabend, dafür heißt es schließlich Abend, da muss man nicht morgens um sechs..."

"Es war elf."

"Sag ich doch, sechs Uhr früh! Also, was ist?"

Farin lehnte sich zurück. Entweder, Bela würde ihn jetzt gnadenlos auslachen oder ihm irgendwas Fassungsloses à la 'und deswegen hast du mich geweckt?!' an den Kopf werfen.

"Ich hab schlecht geträumt."

Bela runzelte die Stirn. Das war immerhin besser als gedacht.

"Wie, so richtig albtraummäßig mit Rumwälzen und schreiend Aufwachen?"

"Nein, eher so was, das dir den ganzen Tag vermiest, weil du die ganze Zeit das Gefühl hast, es wär irgendwas passiert."

"Oho. Und wovon hast du geträumt? Hatten wir schlechten Sex?" Er riss gespielt entsetzt die Augen auf. Mit Bela B. hatte man keinen schlechten Sex. Man hatte entweder bedeutungslosen Sex oder fantastischen Sex mit ihm oder beides. Niemals schlechten. Das war ein Naturgesetz.

"Du bist gestorben."

"Was? Cool!" Bela setzte sich auf. "Wie denn?"

Beinahe hätte Farin 'Das ist nicht cool!' gesagt, aber er konnte sich noch gerade so zurückhalten. "Du hattest nen Autounfall. Der Tank ist explodiert."

"...Ich hab n Deja Vu Jan, woher kommt das nur?"

"Keiiiine Ahnung."

"Und, was hast du so gemacht, ohne mich?"

"Ich hab mir natürlich erstmal dein Mädchen geschnappt." Der Einfachheit halber war Farin in Zeiten, in denen Belas Freundinnen so häufig wechselten, dass er sich ihre Namen nicht mehr alle merken konnte (und er hatte den Verdacht, dass Bela das auch nicht konnte), dazu übergegangen, sie einfach 'dein Mädchen' zu nennen. Das Dumme daran war, dass er es sich bis heute nicht abgewöhnt hatte.

"Quatsch, das Mädchen, das ich damals hatte, konntest du nicht ausstehen."

Das wirklich Dumme daran war, dass Bela es sich auch angewöhnt hatte. Farin war etwas, das man beinahe gerührt nennen konnte.

"Das weißt du noch?"

"Jaaah. War nicht zu übersehen. Also ich meine, du mochtest keine meiner Freundinnen so wirklich, das weiß ich ja, aber bei der hat mans auch gemerkt."

"War wahrscheinlich auch der einzige Grund, warum du so lange mit ihr zusammen warst." Er hatte sie wirklich nicht gemocht. Wie hieß sie nochmal? Ach, egal. Sie war zickig und nervig gewesen und sie war es nicht mal ansatzweise wert, sich ihren Namen zu merken.

"Klar. Ich war noch jung und Rebellion gegen Farin Urlaub war was ganz Tolles, Neues für mich." Okay, wahrscheinlich war das kindisch gewesen. Aber Bela war das gewöhnt, er würde schon damit klarkommen.

"Also, was hast du gemacht?", hakte er nach.

Farin stützte seinen Kopf in die Hände und fuhr sich durch die Haare. Er würde so ohne Weiteres also nicht um eine Antwort herumkommen, also auf in den ... Kampf. Oder so.

"Ich hab die Ärzte aufgelöst und irgendwen angerufen, um klar zu machen, dass ich nicht mehr in der Öffentlichkeit auftreten will."

"Das würdest du machen?" Bela klang ziemlich skeptisch und ein klein wenig geschmeichelt, und Farin hatte wieder das Bedürfnis, ihm zu erklären, dass das hier definitiv der falsche Moment war, um geschmeichelt zu sein.

"Jetzt wahrscheinlich nicht mehr, ich meine, jetzt hab ich ja meine Solokarriere, und man kennt Farin Urlaub nicht mehr nur als Gitarristen von die Ärzte, aber damals... keine Ahnung, vermutlich schon. Zumindest als Farin Urlaub. Zu King Kong Zeiten hab ich mich schließlich auch wieder Jan Vetter genannt..."

"Haben Laurel und Hardy das nicht auch so gemacht?"

Farin lachte. "Genau daran musste ich im Traum auch denken."

"Ein Herz und eine Seele." Bela schlenderte zu ihm hinüber.

"Wir hätten doch heiraten sollen." Es war immer wieder entspannend, so mit Bela herumzublödeln.

"Ah, haben wir das nicht? Ich dachte, du bist meine Frau..." Bela ließ sich dicht neben ihm nieder und ließ seine Hand wie zufällig auf seinen Oberschenkel fallen.

"Ich bin die Frau? Du bist die Frau!"

"Nur weil ich kleiner bin, heißt das nicht, dass ich automatisch die Frau bin!" Bela beugte sich vor und küsste Farin auf die Wange.

"Hey, hey, sagtest du nicht, diesmal sei es dir ernst mit deinem Mädchen?"

"Ich meinte ernster als sonst. Nicht ernster als mit dir." Bela lehnte sich gegen die Schulter des Blonden. "Kann ich hier schlafen? Ich bin echt müde..."

Farin hob eine Augenbraue. "Ach, und du erwartest, dass du hier zu Schlaf kommen wirst? Mit mir?"

"Ja." Überlasst es Bela, die Ernsthaftigkeit eines Gesprächs mit einer einzigen Silbe um fünf Etagen nach oben zu kriegen.

"Alles okay?"

"Ich kann bei ihr im Moment nicht so besonders gut schlafen, das ist alles." Bela nannte sein Zuhause grundsätzlich nur dann "bei ihr", wenn er etwas Negatives darüber sagte. Bei ihr darf ich nicht laut Musik hören. Bei ihr muss ich morgens immer so früh aufstehen. Bei ihr ist es so steril.

"Klar kannst du hier schlafen. Sofa oder Bett?"

Bela sah ihn irritiert an.

"Warum fragst du?!"

"Weil ich wusste, dass Blick göttlich sein würde." Farin öffnete schwungvoll die Tür zu seinem Schlafzimmer.

"Uh, schwarze Bettwäsche. Wie unzüchtig." Belas Standardsatz seit... wie lange?

"Du wirst immer einfallsreicher, wie kommt das nur?"

"Ich bin halt ein... wie nannte meine Lehrerin das immer? Spätblüher?"

"Nah, ich würde es eher Idiot nennen..."

"Ich dich auch Jan, ich dich auch."
 

Sie setzten sich auf das Bett, Rücken an Rücken. Bela gähnte und legte seinen Kopf auf Farins Schulter. "Ach, ich hab letztens so ein Interview von dir und dem Racing Team gesehen, wo du erstaunlich viel die Klappe gehalten hast, was war da los, hat man dir Schlafmittel verabreicht?"

Farin runzelte die Stirn. "Welches meinst du?"

"Naja, dieses mit der total neuen psychologischen Methode, so von wegen, wenn Farin ein Tier wäre, welches wäre er dann..."

"Aaach, das. Nein, die haben mir nur gedroht, ich solle ja den Mund halten, sonst würd ich aus der Band fliegen, ich rede die ja immer um Kopf und Kragen. Aber dafür hab ich jetzt nen Haufen neuer Tiernamen."

"Jah, Schwein und Hund wird bestimmt irgendwann langweilig."

"Mhm." Ein kurzes Schweigen entstand, und gerade, als Farin begann, sich zu fragen, ob Bela an seinem Rücken eingeschlafen war, murmelte dieser im Halbschlaf: "Und was für ein Tier wäre ich?"

"Ne Fledermaus, vermutlich", gab Farin ohne nachzudenken zurück.

"Danke", sagte Bela amüsiert, "keine Kakerlake?"

Farin lachte. "Nein, als Kakerlake würde ich eher unsere Freundschaft bezeichnen."

Bela verzog das Gesicht, auch wenn ihm klar war, dass es irgendwo auch so eine Art Kompliment war.

Ihre Freundschaft, seit hunderten von Millionen Jahren da, und in den nächsten hundert Millionen Jahren vermutlich auch noch, selbst wenn alles andere schon längst tot war, überlebte überall und immer, und wenn man sie in einen Topf mit Gift warf, trotzte Temperaturen von unter Null bis über hundert Grad... Und war ganz einfach verdammt noch mal nicht totzukriegen.

"Danke", sagte er leise, "so verkorkste und komische Komplimente kannst echt nur du machen"

Farin drehte überrascht den Kopf. "Das war kein Kompliment, das war die Wahrheit!" Er klang fast ein bisschen empört über diese gemeine Unterstellung.

"Is doch egal", murmelte Bela, "Ich hab mich jedenfalls geschmeichelt gefühlt." Sprach's, legte sich hin und schlief ein.

Farin sah irritiert auf das Knäuel unter seiner Bettdecke, zuckte dann die Schultern und legte sich selbst hin, in dieses Bett, das eigentlich zu groß für zwei Leute war, aber Bela B. füllte jeden noch so riesigen Schlafplatz aus. Immer.
 

Irgendwann in der Nacht bemerkte Farin, dass er wach war, noch oder wieder? Er wusste es nicht. Er wusste nur, dass er an die Decke starrte und ein grauenvolles Deja Vu hatte. Vielleicht hatte er wieder schlecht geträumt, den miesen Geschmack im Mund würde es erklären.

Aber er brauchte ja glücklicherweise nur den Kopf zu drehen, um Bela zu sehen, der neben ihm friedlich schlummerte, und die Hand ausstrecken, vorsichtig über den Schlafenden hinweg, zu dem Wasserglas auf dem Nachttischschränkchen, um den pelzigen Geschmack auf seiner Zunge hinunter zu spülen. Bela neben ihm atmete tief und langsam, und irgendwie beruhigte das Farin. Ja, vermutlich hatte er wieder schlecht geträumt.

Er beugte sich über Bela, um das Glas auf den Nachttisch zurückzustellen, als dieser plötzlich die Augen öffnete und ihn ansah, mehr nicht, nur seine Augen im Dunkel. Plötzlich war die Stille bis zum Rand gefüllt mit Elektrizität, die Situation so zweideutig, dass sie beinahe schon wieder eindeutig war. Sie waren sich zu nahe, nahe genug, dass Farin spüren konnte, dass Belas Atem schneller ging als sonst, zu nahe, um sich geschickt aus der Affäre zu ziehen mit irgendeiner üblichen Bedeutungslosigkeit. Mit einem leisen Geräusch wurde das Glas abgestellt, das Klonk vermochte die zum Zerreißen gespannte Atmosphäre nicht zu zerstören.

Es gab sie immer wieder, diese Situationen, in denen Farin das Verlangen hatte, noch einmal die herrlich trockenen Lippen zu spüren, noch einmal die raue Bitterkeit des ersten Kusses zu erleben, die sich so wunderbar von dem Geschmack von Frauenküssen unterschied.

Sie verharrten beide bewegungslos, in einem Gedanken erstarrt. Irgendwann leckte Bela sich nervös über die trockenen Lippen, und wäre Farin jünger gewesen, wäre er einfach über ihn hergefallen. Doch jetzt stellte sein Verstand sich ihm in den Weg, und ein weiteres Mal fühlte er sich schrecklich alt und vernünftig, als er sich abwandte und auf das Bett fallen ließ, müde die Decke anstarrend. Ja, das Leben war gut zu ihnen, aber manchmal musste er sich dazu zwingen, sich daran zu erinnern. "Das war unnötig", murmelte er, sich über seine Stimme wundernd, die rauer klang als gewöhnlich.

Bela brauchte eine Weile, bis er verstand, dass Farin sein über die Lippen Lecken meinte, dann nuschelte er eine Entschuldigung. Farin winkte ab. "Man könnte meinen", sagte er leise, an seinen Haaren herumzupfend, "wir hätten uns langsam dran gewöhnt."

"Könnte man." Bela klang genauso wie Farin sich fühlte, irgendwie leer und vor allem müde und angepisst vom Leben.

Dann drehten sie einander wieder den Rücken zu, wohl wissend, dass es schwierig werden würde mit dem Einschlafen.

Kleines Zwischenkapitel, weil Valentinstag der Tag aus der Hölle ist. Exorziert ihn! Ignoriert ihn!

Keine Angst, ich schreibe an 'Grenzenlos' weiter.

Achtung: Pairing: Bela/Rod (Eigentlich sollte es kein Slash werden, aber ich bin eben doch ein hoffnungsloses Zwangsverschwulungsgirlie.)

Die Idee ist zusammengeklaut. Mir gehört lediglich der Kleber zum Aneinanderfügen der Bruchteile. (Und zwar:

- abgemeldets FF 'Silvester' (Ich dachte mir, Valentinstag ist noch viel böser als Silvester, da muss man auch was zu schreiben!)

- Rods Aussage: "Der Mann, der mir immer Zungenküsse reindrücken will! Ich liebe ihn trotzdem: Bela B.!" (oder so ähnlich)

- Ein sehr zutreffender Kommentar von abgemeldet: "Valentine's Day is Single's Awareness Day."

Und die Tradition von einer Frau, deren Namen ich vergessen habe, deren Steckbrief ich aber irgendwann mal auf Animexx gefunden habe und toll fand: Sie ging jeden Valentinstag mit irgendeinem Fremden ins Kino und sah sich eine Schnulze an, um die knutschenden Pärchen mit Popcorn zu bewerfen.

(- Entstanden auf den Wunsch hin, ich solle doch mehr Rod einbringen.)

Viel Spaß!
 

Rod saß in seiner Wohnung, eine Gitarre auf dem Schoß und den Blick auf die Uhr gerichtet, insgeheim die Sekunden zählend, bis Bela anrufen würde - nicht, dass er ihn so sehr vermisste oder so, er wollte nur testen, ob er es auf die Sekunde genau abschätzen konnte. Es war siebzehn Uhr Nachmittags, Bela müsste jetzt so ungefähr wach sein (richtig wach, nicht in diesem Zwischenzustand, in dem er duschen, essen und notfalls auch proben, aber nicht denken konnte), bemerken, dass er allein war, registrieren, dass er noch nichts vorhatte, und mit ziemlich großer Sicherheit bei ihm anrufen.

Zehn, neun, acht, sieben... das Telefon klingelte. Rod fluchte leise und hob ab. "Mensch, Bela, sieben Sekunden hättest du noch warten können, dann wär's auf die Sekunde genau gewesen!"

"Was?", kam es leicht desinteressiert zurück, dann, ohne eine Antwort abzuwarten, "hey, hast du nicht Lust, heute Abend ins Kino zu gehen? Es läuft 'die Rückkehr der Untoten'..."

"Lass mich raten, du musstest heute wieder einmal feststellen, dass du keine Freundin hast, die du ins Kino schleifen kannst, und hast deshalb mich angerufen, weil du genau weißt, dass ich auch keine habe?"

Schweigen am anderen Ende der Leitung. Das bedeutete so viel wie 'Ja'.

Es war Valentinstag, und Valentinstag war, wie Bela letztes Jahr sehr treffend gesagt hatte, "der Anti-Single-Tag". Andere schlossen sich deshalb zuhause ein und betranken sich, aber Bela bekam immer pünktlich zu diesem Tag einen seiner Trotzanfälle und beschloss, rauszugehen, um zu zeigen, dass ihm das alles scheißegal war und es ihm gut ging und überhaupt.

"Also, was ist?", fragte Bela ungehalten.

"Okay. Wenigstens klingt es nicht so, als würde es Pärchen anziehen, die hemmungslos rumknutschen."

"Was meinst du, nach welchen Kriterien ich den Film ausgesucht habe?"

"Nach den üblichen - Splatter, Zombies und der Anzahl der Toten. Müsste doch eigentlich reichen."

"...Wir treffen uns vorm Kino."

"Wann?"

"Gleich."

'Gleich' klang sehr harmlos, konnte aber auch sehr weit gedehnt werden. Und je weiter es gedehnt wurde, umso mehr Tote gab es, wenn man es dann schließlich losließ. Das musste Rod erkennen, als er vor dem Kino stand und wartete, nachdem er schonmal vorsorglich zwei Karten gekauft hatte. Manchmal fragte er sich wirklich, warum er überhaupt noch darauf reinfiel. Belas fünf Minuten waren immer eine halbe Stunde, Belas Morgen ein Nie, Belas 'in ner Stunde' bedeutete am Ende des Tages, und sein 'Gleich' hieß so viel wie 'mal sehen, wenn ich Lust hab, komm ich.'

Bela kam zehn Minuten vor Beginn des Films gemütlich angeschlendert. Er sah, soweit das überhaupt möglich war, noch ein bisschen furchterregender aus als sonst. Rod hatte den vagen Verdacht, dass Bela schlicht und ergreifend Angst gehabt hatte, irgendein wahnsinniger Verkäufer könnte versuchen, ihm eine Rose anzudrehen, wenn er zu brav aussah.

Rod flitschte ihm das Wort 'gleich' um die Ohren, was ihn allerdings herzlich wenig zu kümmern schien. "Was denn, ich bin doch pünktlich." Er wippte auf den Fußballen auf und ab, eine Angewohnheit, die Rod auf die Tatsache schob, dass er es eindeutig irgendwann mal mit dem Speed zu weit getrieben hatte, von der Bela jedoch hartnäckig behauptete, sie komme vom Schlagzeugspielen im Stehen. Vermutlich war es eine gesunde Mischung aus beidem. "Können wir dann?"

Rod nickte nur, vergrub die eine Karte in seiner Jackentasche und zückte die andere, als sie sich auf den Saal zubewegten. Bela würde schon irgendwie drauf kommen, dass etwas fehlte.

Und zwar genau... "Ähm"... jetzt. "Hast du ne Karte für mich?"

Unschuldig sah Rod auf. "Wieso? Du solltest dir doch mittlerweile selbst eine kaufen können... ich war pünktlich, weißt du..."

Kurzes Schweigen.

"Okay, sorry."

Rod lächelte. "Angenommen." Und rührte sich nicht.

"... Kannst du mir bitte die Karte geben?"

"Wenn du sie mir bezahlst, selbstverständlich."

Bela sah ziemlich angepisst aus, aber er rückte das Geld raus - arm war er schließlich nicht. Es ärgerte ihn nur, dass Rod Gefallen daran gefunden zu haben schien, seinen Stolz zu piesacken.
 

~
 

Sie hatten sich getäuscht. Es hatten sich doch knutschende Pärchen in den Film verirrt. Eines, um genau zu sein. Und das saß genau vor ihnen.

Manchmal fragte Rod sich, was er sich nur dabei gedacht hatte, sich mit so einem Pechvogel anzufreunden...

Während Rod versuchte, sich auf den Film zu konzentrieren, wo gerade eine junge Zombiein in das Treppenhaus kam, die nebenbei noch eine Tochter oder was-auch-immer von einem der Typen war und eine schrecklich dramatische Szene sich abspielte, schnippte besagter Pechvogel Pfennigstücke nach dem Pärchen. Dieses fand das alles andere als amüsant, Rod allerdings schon.

"Und was gedenkst du zu tun, wenn die Platzanweiserin oder sonstwer uns rausschmeißen will?", fragte er Bela leise.

"Ähm... ich lasse meinen Rockstar-Charme spielen. Nein, noch besser, ich tarne mich als...", er wandte suchend den Kopf und fand... "knutschendes Pärchen!" Warum nur war das klar gewesen?

"Ach ja?"

"Ruhe bitte!"

Bela stand schnell von seinem Sessel auf und setzte sich auf Rods Schoß. "Klar", flüsterte er ganz leise über das Gurgeln und Stöhnen der Zombies, die mittlerweile scharenweise in die Farm strömten, hinweg, "das ist die Tarnung - man verdächtigt mich garantiert nicht, ich knutsche ja" - sein Mund war mittlerweile nur noch Zentimeter von Rods Lippen entfernt - "selbst rum!" Bela hatte keinerlei Hemmungen, mit irgendwelchen Männern rumzuknutschen, das wusste Rod. Das Seltsame war nur, dass es Rod momentan ganz genauso ging.

"Dein Plan hat einen winzigen Schönheitsfehler", murmelte er zurück, "wie genau willst du so den Film sehen?"

Belas Antwort war nicht wirklich eine Antwort, aber Rod fragte auch nicht weiter nach.

Forsetzung zu Kapitel drei aus Belas Sicht für abgemeldet (die, wenn ich mich nicht irre, auch hier auf Animexx zu finden ist...)

Nein, wieder kein Slash, aber wenn man lange genug zwischen den Zeilen liest, findet man ganz sicher tausende von Andeutungen.

Ich freue mich über Kommentare.
 

Das Aufwachen morgens sagte immer eine Menge über den Tag, der folgen würde, aus.
 

Bela beschloss, diesen Tag zu verschlafen, nachdem ein überdimensionaler Kater ihn geweckt hatte, der seinen Kopf zerkratzte. Von innen. So fühlte es sich jedenfalls an; und als er die Augen öffnete, bemerkte er, dass er zudem auf dem Fußboden irgendwo zwischen Haustür und Küche lag - das erklärte seine Nackenschmerzen. Und es bedeutete, dass Farin schlecht auf ihn zu sprechen war. Nicht gut. Gar nicht gut. Bela schloss die Augen und versuchte krampfhaft, wieder einzuschlafen, aber sein Kater hatte anscheinend ganz andere Pläne, und wenn man erstmal wusste, dass das, worauf man lag, der Fußboden war und kein Bett, fühlte es sich auch an wie ein Fußboden.

Zum tausendsten Male überlegte Bela kurz, dass er das nächste Mal weniger trinken sollte - und verwarf die Idee gleich wieder. Das war es wert, immer noch, immer wieder.

Er kämpfte sich hoch, hielt sich murrend den Kopf und tapste in die Küche, wo Farin schon saß und seinen Tee trank. Er musste über ihn hinweggeklettert sein, um in die Küche zu gelangen - der Hausflur war nicht besonders groß.

"N Morgen, Felse", sagte er laut und ohne irgendwelche Rücksicht auf Belas Schädel zu nehmen, der sich anfühlte wie mit einem Presslufthammer bearbeitet. Oh nein, dieser Tag fing ganz definitiv nicht gut an.

Er murmelte irgendetwas Unverständliches zurück und begann, die Schränke nach Aspirin zu durchsuchen. Farin beobachtete ihn stumm, er schien nicht einmal daran zu denken, ihm zu helfen. Oder es vielmehr zu genießen, dass er es nicht tat. Alles deutete darauf hin, dass er irgendwie sauer war.
 

Bela wusste, dass er ziemlich viel Mist baute, wenn er betrunken war, und er wusste auch, dass Farin momentan am meisten von allen darunter zu leiden hatte, aber er konnte sich beim besten Willen nicht daran erinnern, was er gestern Schreckliches getan hatte, dass sein Mitbewohner derart schlecht auf ihn zu sprechen war. Das letzte Mal, als Farin so angepisst gewesen war, hatte Bela ein (ebenfalls sturzbetrunkenes) Mädchen mitgebracht, es (nachdem Farin ihm die Tür geöffnet hatte, weil er selbst seinen Schlüssel nicht mehr finden konnte) auf dem Flur lautstark gevögelt und anschließend Farin angeschrieen, weil der seine Bekanntschaft hatte rausschmeißen wollen.

Er hoffte stark, dass es diesmal weniger schlimm gewesen war.
 

Aspirin, Aspirin... verdammt, das Zeug musste doch irgendwo griffbereit stehen! Mit dickem Kopf ließ es sich nicht so gut suchen - aber um Farin, der ihn noch immer wortlos beobachtete, zu fragen, war er doch zu stolz.

Schließlich wurde er doch noch fündig, fischte ein Glas aus dem Haufen dreckigen Geschirrs im Waschbecken und spülte es ab, bevor er die Tablette in Leitungswasser auflöste. Das Glas an die Lippen setzend, wagte er einen vorsichtigen Blick zu Farin, der seelenruhig seinen Tee schlürfte.
 

Bela räusperte sich. "Jan?"

"Ja, bitte?"

"Was genau hab ich gestern - nein, heute morgen - eigentlich alles gemacht?"

"Nur das Übliche."

Autsch. Das klang ganz danach, als hätte er die Schnauze voll. Bela trank das Glas aus, genoss das Ausbleiben des regelmäßigen Hämmerns, auch wenn er wusste, dass es nur Einbildung war - so schnell wirkte keine Tablette.

"Was is' das Übliche?"

"Du hast die Tür nicht aufbekommen, mich angegraben, nachdem ich sie dir geöffnet - und dich aufgefangen - habe, mich aber ansonsten erfolgreich ignoriert und bist prompt eingeschlafen, als ich dich losgelassen habe."

"Auf dem Flur vor der Küche." Okay, dachte Bela, das war zwar nicht ganz so schlimm wie letztes Mal, aber es lief auf das selbe hinaus: Farin war angepisst.

"Auf dem Flur vor der Küche." Ziemlich angepisst.

"Sorry." Bela warf das Glas zurück ins Waschbecken und setzte sich Farin gegenüber, hoffend, dass das Thema sich damit erledigt hatte.

Hatte es natürlich nicht. Warum auch? Der Tag hatte es schließlich auf ihn abgesehen. Farin hob eine Augenbraue. "Ach, dir tut es leid?"

Betretenes Schweigen. Bela sah Farin in die Augen - okay, er hatte die Wahrheit verdient. "...Nein."

Farin knallte seine Teetasse so laut auf den Tisch, dass Bela zusammenzuckte und sich den Kopf hielt. "Es ist mir scheißegal, ob du rauchst, trinkst, dir die Arme aufschneidest und Drogen nimmst, solange du nicht daran krepierst - und soweit ich das mitbekommen habe, bist du wenigstens in der Hinsicht vorsichtig - aber lass mich gefälligst da raus! Und ich meine nicht nur, dass du mir nichts aufdrängen sollst, sondern auch, dass ich verdammt noch mal nichts mehr davon mitbekommen will, wenn du morgens um sechs total zu nach Hause kommst! Ich will es nicht wissen! Mir egal, wie du das machst, ob du dich einfach nur so weit betrinkst, dass du noch halbwegs leise rein kommst und vor allem das Türschloss noch findest oder ob du irgendwo anders schläfst, aber von mir wirst du in diesem Zustand keine Hilfe mehr bekommen!"

Bela sank auf der Tischplatte zusammen und zupfte sich an einer Haarsträhne, die ihm ins Gesicht hing. "Und wenn ichs nicht mache?"

Farin stützte sein Gesicht in seine Hände. "Dann müssen wir uns wohl wieder getrennte Wohnungen suchen", sagte er, auf einmal müde klingend.

Bela schüttelte den Kopf. (Und bereute es sogleich wieder, denn sein Nacken erinnerte ihn schmerzhaft an die (nicht besonders heiße) Nacht mit dem Fußboden.)

Alle möglichen Konsequenzen wären ihm völlig egal gewesen - diese hier nicht.

Er hatte sich viel zu sehr daran gewöhnt, an die erfrischenden Diskussionen über Punk und die Welt, daran, dass er fast nie in ein leeres Haus kam, an den Geruch von Tee, der die Wohnung durchzog, daran, den Tisch nicht allein decken zu müssen, an die grauenhafte Musik, die ihn auf dem Klo heimsuchte, an die gemeinsamen Abende, daran, dass immer jemand da war, der ihn ohne Worte verstand, der seine Gedanken aussprach, bevor er sie überhaupt gedacht hatte, einfach an alles.

"Okay", sagte er schließlich, "ich versuchs, ja?"

Farins Züge wurden weicher, er lächelte. "Okay."

"Und Jan?"

"Ja?"

"...Massierst du mich?"

Das Lächeln wurde zu einem Grinsen. "Aber selbstverständlich."

Vielleicht wird der Tag ja doch nicht so schlimm, dachte Bela.

Hier ist Grenzenlos, Teil zwei. Die Geschichte ist damit abgeschlossen.

Versteht irgendjemand die Andeutung? Ich erklär sie hinten nochmal, auch wenn ich das nicht wirklich gerne mache...

Auch der Teil ist natürlich für alle Kommentarschreiber. Ihr wisst ja, wer gemeint ist.
 

Bela ließ sich müde auf seinen Schreibtischstuhl fallen und rieb sich die Augen. Er hatte demonstrativ, sehr langsam und für seine Verhältnisse auch relativ leise die Tür hinter sich geschlossen, für seine Freundin ein deutliches Zeichen, dass er zwar nicht schlecht gelaunt war, aber um Himmels Willen in Ruhe gelassen werden sollte, wenn sie nicht wollte, sich das änderte.

Dieser Traum von Farin ging ihm nicht mehr aus dem Kopf. Natürlich hatte er sich mit seinem Tod beschäftigt, meistens war er allerdings bei der Vorstellung hängen geblieben, nicht mehr da zu sein. Gruselig. Natürlich war ihm klar gewesen, dass sein Tod selbstverständlich auch andere Folgen haben würde, für seine Freundin, für seine Freunde, für Rod, für die Band, für hunderttausende von Fans und - ganz klar - für Farin, aber er hatte nie ernsthaft darüber nachgedacht. Wozu auch?

Was-wäre-wenn-Gedanken waren unnütz, nervig, deprimierend und tauchten immer zum falschen Zeitpunkt auf. (Auch wenn er sich nicht ganz sicher war, ob es für etwas so Widerwärtiges überhaupt einen richtigen Zeitpunkt gab; vermutlich nicht.) Aber das Schlimmste an ihnen war, dass man nicht mehr davon los kam. Man stellte sich eine Situation vor, wie es wohl verlaufen wäre, wenn... und dann kam man zur nächsten Situation, und zur nächsten, immer weiter... Bela seufzte müde und gab auf, seinen Gedanken ihren Lauf lassend in der Hoffnung, sie würden danach Ruhe geben.
 

Ganz gleich, ob Farin nie mehr öffentlich aufgetreten wäre oder nicht, eines hätte er ohne Frage getan: Er wäre in Urlaub gefahren. Wie immer, wenn etwas nicht so gelaufen war, wie er es sich vorgestellt hatte.

Meine Gedanken ordnen, nannte Farin das.

Flucht, sagte Bela dazu.

Es war einer ihrer ewigen Streitpunkte, gleich nach Drogen, Alkohol und Verspätungen.

Bela konnte ihn fast vor sich sehen, wie er seine Sachen packte, nicht hektisch, aber eilig; sich auf sein Motorrad setzte und den Horizont jagen ging, vielleicht schon wieder den ersten Ansatz eines ehrlichen Lächelns auf den Lippen. Sinnlos; aber vielleicht musste man sowas ja haben, wenn man nicht einmal im Leben einen Schluck Alkohol getrunken hatte. Vermutlich brauchte man einfach irgendwas zum Abbauen von Emotionen.

Aber irgendwann davor noch hätte er den Brief bekommen, den Bela geschrieben hatte, als er irgendwann mit dreiundzwanzig oder so zum ersten Mal wirklich gedacht hatte, er müsse sterben. Seitdem waren immer wieder mal neue Seiten hinzugekommen, immer wenn gerade brenzlige Situationen vorbei waren oder Streits oder generell nachdenkliche Phasen.

Diesen Brief sollte Farin bekommen, wenn er tot war, vorher nicht. Vielleicht hätte er ihn entdeckt, wenn er ein letztes Mal den Briefkasten geleert hätte, ein schlichtes Schreiben von einem Notar und diesen Brief; vermutlich würde er ihn im Flieger nach Dubai oder wo auch immer er hinfliegen würde, lesen...
 

Er ist sich nicht ganz sicher, ob er das wirklich will, aber es gibt Dinge, die muss man tun. Also reißt er vorsichtig den Brief auf und entfaltet die Blätter, die ihm entgegenfallen.
 

15.01.86

Hey Jan,

vermutlich bist du jetzt schon im Flieger und ich begraben. Seltsames Gefühl. Du fährst weg, wie immer, da bin ich mir sicher. Ich erinnere mich zu gut an die ganzen Diskussionen, die wir zu dem Thema schon hatten, also lassen wir es diesmal einfach.
 

Er erinnert sich auch.

'Du weißt nicht, ob du überhaupt wiederkommst? Nur, weils grad nicht so gut klappt? Immer verpisst du dich, wenn es Probleme gibt, das wird dich irgendwann noch umbringen! So kannst du doch nicht ewig weiterleben!'

'Ich hatte nicht vor, ewig zu leben, Bela.'
 

...Wie auch immer. Ich dachte mir, du kannst sicher nichts mit irgendwelchem materiellen Zeug anfangen, Geld hast du nun wirklich genug, also schreib ich dir was. (Wo ich das doch so gerne mache...)

Seltsam, daß ich zuerst gestorben bin. Eigentlich hab doch immer ich die Arschkarte. Tja, jetzt hast du sie.

Eigentlich warst du auch immer derjenige, der mir aus dem Urlaub schreibt - jetzt schreibe ich dir in den Urlaub.

Ich hoffe, du findest einen Weg, weiterzuleben, ohne mich zu vergessen - nein, ich bin mir sogar ziemlich sicher, schließlich bist du hier der intellektuelle von uns, ich vertrau dir einfach mal.
 

- Er fährt sich nervös durch die kurzen Haare, immer noch das Schockgefühl wie ein Gewicht auf der Brust - Bela ist tot, es fällt ihm noch immer schwer, das zu glauben - leise murmelnd: 'Der Intellektuelle wird groß geschrieben...' Gewohnheit lässt sich so leicht nicht abstellen.

Eine weitere kleine Erinnerung tritt in den Vordergrund, Bela, der angestrengt einen Brief schreibt, er schaut ihm neugierig über die Schulter und kann es sich nicht verkneifen: 'Das 'Dass' da wird mit sz geschrieben...' Bela schmeißt fluchend den Stift in die Ecke, zerknüllt den Brief und schlägt frustriert seinen Kopf gegen die nächste Wand, so, als hätte Farin mit seiner Bemerkung versehentlich ein Pulverfass angezündet.
 

28.05.94

Ich liebe dich, ich hoffe doch, das weißt du!
 

Das gehört auch zu den Dingen, die immer selbstverständlich waren. Sie haben nie ein Wort darüber verloren, warum auch? Warum es aussprechen - damit es zwischen ihnen steht? Die Freundschaft ist wichtiger, das ist völlig klar. Die Freundschaft überlebt fünf Jahre ohne Kontakt. Die Freundschaft überlebt ihre ständigen Streits, ihre ganzen Unterschiede, ihre völlig verschiedenen Gewohnheiten. Eine Liebesbeziehung gehört zu den Dingen, die sie nie hatten. Ganz einfach weil sie keinen Monat gehalten hätte. Ein Lächeln kämpft sich auf sein Gesicht, ein richtiges. Ihre Geschichte war nie tragisch. Sie hatten einander, immer, also wozu traurig sein? Das Leben war gut zu ihnen.

'Felse, was würdest du tun, wenn du wüsstest, dass du noch einen Monat zu leben hast?'

'Ich würd sofort zu Jan gehn, ihm meine Liebe gestehen und mit ihm in den Sonnenuntergang reiten, natürlich!'

Ein Blick, ein Lächeln, sie beide allein wissen um die Wahrheit hinter den Worten.

Er faltet die Briefe ordentlich zusammen und steckt sie zurück in den Umschlag - wie ein kleines Kind, das sich seine Süßigkeiten aufteilt, behält er sich einige für später zurück - und schläft ein, lächelnd.
 

"Dirk?"

Nicht Dirk, dachte der Angesprochene verärgert und schob die Briefe zurück in seine Schublade.

"Hn?"

"Kommst du runter, essen?"

Er empfand keinen Ekel, keinen Groll, keinen Hass gegen sie. Am ehesten würde er die Gefühle, die er für sie hegte, als 'freundschaftlich' bezeichnen.

Nachdem die erste Verliebtheit abgeklungen war, war es nicht wie sonst immer häufiger zu Streitereien gekommen, ihr Verhältnis hatte sich nur beruhigt. Bela fühlte sich noch immer wohl bei ihr - Grund genug, bei ihr zu bleiben.

"Komme sofort!"
 

~
 

Farin zog aus seinem Karton mit der simplen Aufschrift 'Fotos' zielsicher den Umschlag heraus, der mit 'Band 2004 - 2007' beschriftet war, und nahm die Fotos heraus, um sie sich anzusehen. Nicht, dass er besonders nostalgisch wäre, aber wenn er wieder so einen Unsinn träumen sollte, könnte er wenigstens dafür sorgen, dass er Bela nicht noch einmal aus dem Schlaf klingeln musste. Er sah sie sich alle durch, private Fotos, professionelle Fotos, Schnappschüsse, Rods Fotos von kreischenden Fans, von Instrumenten, Crewmitgliedern und von ihnen, und entschied sich schließlich für ein Bild, das sie beide nebeneinander zeigte, ohne sich zu berühren, dem Publikum zugewandt. Er pinnte es an die Wand und schrieb darunter: "16.7.2004, Darmstadt".
 

Als Bela das Foto zum ersten Mal sah, war sein Kommentar: "Oho, du hast ein Bild von mir überm Bett hängen - was denn, klappt's mit dem Wichsen nicht mehr so gut?"

"Ja, ich dachte mir, wo's doch mit dem Original nicht mehr funktioniert, nehm ich ein Foto, auf dem er noch schlank ist..."

"Hey! Ich nehme aus reiner Solidarität zu, okay?!" Bela strich sich beleidigt über den Bauch.

"Sicher, Wampi."

"...Das wirst du irgendwann noch bereuen."

"Oh, ich glaube, du hast sämtliche Spitznamen ausgeschöpft, die man mir geben kann. Schlimmer als Jannie-Spätzchen kann es wohl kaum werden."

"Mir wird schon was einfallen! Unterschätze niemals einen Spätblüher!"

Farin ließ sich auf das Bett fallen, die Arme hinterm Kopf verschränkt.
 

Sie trafen sich oft in letzter Zeit, einfach um sich jene bedeutungslosen Wortgefechte zu liefern, die sie beide so liebten, um Tee zu trinken, sich über die nächste Tour, Farins Soloprojekt, Gott und die Welt zu unterhalten. Farin war sich sicher, hätten sie sich mit achtzehn jetzt gesehen, sie hätten sich ausgelacht. Allein, dass sie sich zum Tee trafen...
 

Er vermutete, dass es an Belas Beziehung lag, dass er so oft zu ihm kam. Auch wenn oder gerade weil Bela selten davon erzählte.
 

Ihre Beziehungen hielten sie nie voreinander geheim, wohl aber deren Anfänge und Enden.

Sie erzählten nie, wenn sie frisch mit jemandem zusammengekommen waren oder Beziehungsprobleme hatten.

Farin, weil er fand, dass das jedermanns eigene Sache war und weil er es hasste, wenn irgendein Unbeteiligter eine noch nicht einmal begonnene Beziehung bewertete.

Und Bela vielleicht aus einem winzigen Rest an Aberglauben, der es ihm verbot, etwas zu loben, was noch im Entstehen begriffen war oder etwas zu verdammen, was vielleicht noch die Chance hatte, irgendwie zu überleben.
 

Farin sah zu Bela, der sich auf die Bettkante gesetzt hatte und die Wand anstarrte. "Woran denkst du?", fragte er in Erwartung irgendeiner ausweichenden Antwort oder - was wahrscheinlicher war - einem direkten "Geht dich nichts an".

Bela wandte ihm langsam das Gesicht zu. "Erinnerst du dich noch an unseren ersten Kuss?"

Stille. Farin starrte ihn irritiert an. Nicht so sehr wegen der Frage, sondern vielmehr weil Bela das Thema überhaupt angeschnitten hatte, über das sie in stummem Einverständnis nie gesprochen hatten.
 

Natürlich erinnerte er sich.

Es war Backstage gewesen, nach einem grandiosen Konzert, sie waren beide nassgeschwitzt und euphorisch gewesen und Bela ein kleines bisschen angetrunken, er hatte Farin mitten im Wort unterbrochen - "Du warst fantas-hnnh~" - wie sollte er diese Situation vergessen, Belas hungrig-fordernde Lippen, mit absolut nichts zu vergleichen, sie beide an einer schmutzigen Wand der Garderobe und Belas Hand unter seinem Hemd, sein Lächeln an Farins Lippen... unvergesslich.
 

"Jaaah", sagte Farin gedehnt, "du hast ganz ekelhaft nach Rauch geschmeckt..."

Bela lachte, wurde dann völlig übergangslos wieder ernst und ließ sich nun auch rücklings auf das Bett fallen. "Ich finds schade, dass wir's nicht wiederholen konnten."

Farin schüttelte den Kopf. Er hatte Monate damit zugebracht, die Erinnerung an Belas Lippen auf seinen, seine Hände, sein Lächeln, daran zu hindern, immer dann hochzukommen, wenn er Bela nur ansah. Nach außen hin hatte niemand etwas bemerkt, sie waren weiter unzertrennlich gewesen, sie hatten sich weiter ihre Wortgefechte geliefert, hatten weiter perfekt zusammen gepasst. Nach außen hin. Farin war sich sicher, dass Bela sein Zögern vor jeder Bemerkung, sein sich so falsch anfühlendes Lächeln, seine Unsicherheit und Nervosität bemerkt hatte.

"Ich muss alles definieren können", sagte Farin in dem Versuch, zu erklären, "jede Beziehung. Als Freundschaft, als One-Night-Stand, als richtige Liebesbeziehung, als Feindschaft oder schlicht als beendet. Ich brauch für mich Klarheit in meinem Leben. Und nach dem Kuss konnte ich dich nirgendwo mehr einordnen, deshalb hatte ich solche Probleme damit und deswegen..." Er brach ab. Bela wusste sowieso, was er meinte. Auch wenn er das völlig anders sah. Lockerer. Bela hatte keine Probleme damit, mit Freunden rumzuknutschen, die Grenzen zwischen Liebesbeziehung und Freundschaft verschwimmen zu lassen.

"Man kann nicht alles haben", sagte Farin mit einem schiefen Grinsen, "und du musst zugeben, wir beide haben schon ziemlich viel."

Bela lächelte halb. "Schon, ich hätte nur gerne mehr mit dir", antwortete er resigniert.

"Mein Gott, du bist auch echt nie zufrieden", murrte Farin, kletterte umständlich über ihn und küsste ihn kurz.
 

Er liebte diese Küsse, Freundschaftsküsse, kleine Vertraulichkeiten, die seine Vorstellungen nicht durcheinander warfen und ihn trotzdem glücklich machten. Sie waren befreundet, ja, aber außerdem liebten sie sich - und das zeigte sich in ebensolchen Gesten, Küsschen bei besonderen Gelegenheiten, wenn Bela wie selbstverständlich seine Beine um Farins Hüfte schlang, wenn dieser ihn umarmte...
 

Bela grinste ihn an, als er sich wieder aufrichtete. Farin war sich sicher, bei niemand anderem genoss er solche Schmetterlingsküsse so sehr wie bei ihm. Er hielt ihm die Hand hin und zog ihn auf die Beine.

"Hey, wenn du irgendwann mal erfahren solltest, dass du bald stirbst, komm sofort zu mir, ich verspreche dir, die letzten Wochen holen wir das alles nach", sagte Farin halb im Ernst, als er Bela an der Tür mit einem Kuss auf die Wange verabschiedete.

"Glaub mir, das werde ich", antwortete dieser, "und dann bist du die Frau!"

"Hm, mal sehen, klein, liebt Shopping, steht stundenlang vor dem Kleiderschrank und vor dem Spiegel, schminkt sich, hat eine total verquere Logik - du bist die Frau, ganz eindeutig!"

"Achtundsiebzig Prozent aller Frauen reden beim Sex! Ich wette, du bist keine Ausnahme!", rief Bela auf halbem Weg zu seinem Auto.

Farin zog es vor, auf diese Frage keine Antwort zu geben.
 

Bela stieg in den Wagen, die aufgekratzte Hochstimmung senkte sich langsam zu einem trägen Glücksgefühl, dann zu fragiler Melancholie.

Er konnte es nicht lassen, darüber nachzudenken, und zum zweiten Mal in seinem Leben widmete er sich der Frage: Was würde Farin tun, wenn er erst einmal im fremden Land war? Bela versuchte, sich vorzustellen, wie er in einem fröhlichen Sprachengepansche auf die Rezeptionistin einredete, um herauszufinden, welche Sprache sie am besten verstand, Bela wie ein kleines Störgeräusch im Hinterkopf.

Nein.

Er wäre anders, ziemlich sicher. Schon allein der Gesichtsausdruck.
 

Für gewöhnlich kommen die Menschen auf ihn zu, wenn er ihr Dorf, ihren Laden betritt, ihren Weg kreuzt: Nanu, so groß! So blond! Mit diesem riesigen Grinsen! Woher? Wohin? Warum hier? Der seltsame Apparat, was hat es damit auf sich? Ob man auch einmal dürfte? Ob er etwas kaufen wolle? Tauschen? Auf eine Tasse Tee oder eine Kokosnuss vorbeikommen? Oder zumindest: Ob er nicht vielleicht ein wenig Geld… eine kleine Spende, für die zwölf Kinder zuhause? Europäer haben doch schließlich genug Geld?
 

Diesmal streifen ihre Blicke ihn nur flüchtig und verstohlen, sie gehen auf Distanz: der arrogante Europäer, Vorsicht!

Er ist es müde. Vor der Beerdigung zu fliehen, das geht, vor den Beileidsbekundungen, den Fans, dem Papierkram mit der Auflösung, das funktioniert, er ist schließlich reich.
 

Aber seinen Gesichtsausdruck fröhlich zwingen, um im Gegenzug Freundlichkeit zu erhalten, die ihm hilft? Die Leere auffüllen, höfliche Worte finden und aussprechen, wenn ihm schon bei dem Gedanken schlecht wird? Geht nicht. Er ist ein miserabler Schauspieler, früher wie heute. Was er nicht fühlt, das zeigt er nicht.
 

Im Hotelzimmer sieht er in den Spiegel. Die hohe Stirn in leichte Falten gelegt, die Augen starr. Ein einziges Provisorium, das Gesicht, unnatürlich, puppenhaft, mit den schmalen Lippen, die sich nicht einmal nachdenklich verziehen, sondern einfach nur an ihrem Platz sind. Tatsächlich kann man leicht zu dem Schluss kommen, er sei arrogant: Sich zu schade, die Gesichtsmuskeln zu bewegen.

Er wendet sich ab, die Hand in der Jackentasche: Die Briefe knistern. Es hilft nicht. Nicht wirklich.
 

Arme und Beine ausgestreckt, liegt er auf dem Teppich und starrt an die Decke, den Schmerz zulassend. ‚Dann komm doch her, komm doch!‘ Es ist fast so wie aufrecht stehen. Aufstehen und zeigen, dass man stärker ist.

Wie Bela sich immer zusammengerollt hat, wenn er Liebeskummer hatte, eine Kugel, sogar die Fäuste geballt, um sich herum tausend Decken. Ihm war immer kalt, wenn es ihm mies ging.

Farin ist jenseits von kalt und warm. Er registriert nur beiläufig, dass seine Finger, die den Brief entfalten, wie kleine Stöcke sind, auf die er nicht mehr Einfluss hat als auf eine Marionette: Sie tun, was er will, aber sie gehören nicht wirklich zu seinem Körper.
 

Belas krakelige Schrift macht es besser und schlechter, alles Blut sackt ab in seinen Rücken, seinen Hinterkopf, seine Fersen, die kribbeln, als wohne ihnen ein eigenes Leben inne. Der Rest seines Körpers ist weiß und gefühllos. Farin holt tief Luft.

Jan,

Jetzt interessiert es mich doch. Was machst du, wenn ich sterbe? Du gehst nicht zu meiner Beerdigung, klar. Du verziehst dich ins Ausland, auch klar. Verdrängst du mich, geht das? Oder sitzt du auf deinem Hotelbett und liest meine Briefe? Plauderst du mit Einheimischen, um mich zu vergessen und dich mir wieder zuzuwenden, wenn es weniger weh tut? Schließt du hier und jetzt mit allem ab, aller Schmerz zu dir, ordentlich, damit es dich nicht irgendwann unvorbereitet erwischt?

Was ich will, ist keine Kleinigkeit, aber ich denke, ich kann das verlangen von jemandem, der mich seit einer halben Ewigkeit kennt. Denk noch mal an mich, ja?
 

Er schließt die Augen und atmet aus. Dumpf hört er sein Herz bollern, Tränen werden aus seinen Augen gedrückt und ziehen eine unangenehm feuchte Spur bis in seinen Nacken. Herrgott. Wann hat er zuletzt so oft geweint? Wahrscheinlich als Säugling.

Und trotzdem, es ist Bela, Bela hat es nicht verdient, einfach weggeschoben zu werden, soviel Romantik postum ist sogar bei ihm noch vorhanden. Bela Bela Bela. Bela an der Bushaltestelle, mit dem vollkommen überzeugten Zahnlückenlächeln: Wenn sie erst einmal berühmt wären!
 

Bela auf der Bühne, der sich zu ihm dreht und ihn an ebendiesen Moment erinnert, im Hintergrund 6000 Hände, 3000 kreischende Münder, begeisterte Gesichter, verschwitzte Körper.

Bela, der ihn im Votze-Spiel besiegt, wieder und wieder.

Bela, mit Fans flirtend.

Bela, witzelnd, ganz leicht angetrunken, zwischen liebevoll und vulgär schwankend.

Bela gestikulierend, wütend, im Streit, auf seinem Willen beharrend.

Bela, den Mund haltend, ihn ansehend, verstehend, ab und zu auflachend, während er ihm zuhört.
 

Es war genau das gleiche wie bei der Band, überlegte Farin, die Tür schließend, nachdem er Belas wegfahrendem Auto hinterhergesehen hatte. Sie hatten die Grenzen ausgetestet, erkundet, bis wo sie gehen durften, manchmal überschritten, und dann diese Grenzen ganz einfach so lange nach hinten verschoben, bis es so aussah, als gäbe es keine.

Auch wenn es nicht stimmte, der Gedanke gefiel Farin.

Grenzenlose Freundschaft.
 

Ende

Dank geht an Pudel für Vorschläge, Ideen und jede Menge Honig.
 

Kopfschmerz
 

Farin hasste Kopfschmerzen. Alles andere war okay, das konnte er einigermaßen aushalten, ohne stimmungstechnisch großartig beeinträchtigt zu sein. Oder bezüglich seiner Schlagfertigkeit.

Aber Kopfschmerzen waren scheußlich. Mit einer der Gründe, warum er sich gegen den Alkohol entschieden hatte – er war doch nicht bescheuert, neben der Möglichkeit, neben einem völlig unbekannten Mädchen (oder, schlimmer noch, einem Mann) aufzuwachen, auch noch Kopfschmerzen am nächsten Morgen in Kauf zu nehmen…
 

Jetzt lag er also in seinem Bett, wo Bela ihn nach einigen ein bisschen hilflosen Versuchen, ihn aufzumuntern, hingeschickt hatte. Bela kam nicht damit zurecht, soviel war klar. Nicht, dass Farin pausenlos herumjammern würde, es war einfach nicht besonders viel mit ihm anzufangen (wie denn auch, wenn man nicht einmal mehr denken konnte, weil der Kopf sich anfühlte wie mit Kleister gefüllt?!).
 

Und genau das war es, was Bela störte, schließlich war es gerade diese Konstante, an der er sich festhielt. Wie er einmal gesagt hatte: „Frauen sind halt einfach anstrengend. Viel zu zerbrechlich. Ein falsches Wort, eine unbeherrschte Geste, und sie sind sofort am Boden zerstört. Aber du – ich weiß nicht einmal, ob ich überhaupt in der Lage wäre, dich aus der Bahn zu werfen…“
 

War er. Aber das wusste er glücklicherweise nicht.
 

Farin reagierte auf Kopfschmerzen wie jeder andere Mensch auch – er redete weniger und leiser als sonst, war insgesamt wesentlich ruhiger und weniger lebhaft als gewöhnlich. Gerade das schien Bela zu irritieren – diese 0815-Reaktion, ausgerechnet von Farin! –, diese plötzliche Verletzlichkeit verunsicherte ihn sichtlich.
 

Und verdammt, er konnte noch nicht einmal Farin die Schuld geben (nicht, dass er es nicht versucht hätte), sondern müsste sich eigentlich revanchieren. Wo Farin sich doch immer um ihn gekümmert hatte, wenn er (ohne dass Drogen und Alkohol die Hauptrollen gespielt hatten) krank geworden war.
 

Also versuchte er es. Seine Hilfe war leicht zu übersehen, aber überaus liebenswürdig, gerade weil sie so ruppig-ungeschickt war. Eine Tasse dampfender Lindentee auf dem Tisch (er hatte sich also tatsächlich sämtliche Teepackungen durchgelesen, um herauszufinden, was gegen Kopfschmerzen half – ‚geistige Überanstrengung‘ war immer noch am nächsten dran an Kopfschmerzen, und außerdem war Bela der Meinung, Farin sei sowieso rund um die Uhr geistig überanstrengt), halblaute Musikuntermalung aus Belas Zimmer – heute konnte Farin noch nicht einmal genau definieren, was Bela hörte, während für gewöhnlich Metallica, Kiss oder was auch immer er gerade hörte, in nachbarnbetäubender Lautstärke durch die gesamte Wohnung schallte – , Belas ungewohntes Schweigen in Situationen, in denen er sonst laut protestiert hätte… es war wirklich rührend.
 

Die Musik verstummte und Bela erschien im Türrahmen. Er knipste das Licht an, was Farin dazu veranlasste, unterdrückt stöhnend sein Gesicht im Kopfkissen zu vergraben.

„Stell dich nicht so an“, knurrte Bela, schaltete die Lampe aber wieder aus und setzte sich auf die Bettkante, nervös Däumchen drehend. Es war beinahe nicht auszuhalten, wie sichtlich unwohl er sich fühlte.

„Felse“, sagte Farin verärgert, „du musst dich nicht aus schlechtem Gewissen um mich kümmern oder weil du das Gefühl hast, dich revanchieren zu…“

„Ich kümmer mich nicht aus schlechtem Gewissen um dich!“, fiel Bela ihm empört ins Wort.

„Ach, und weshalb dann?“

„Weil ich mir Sorgen mache!“

„Jaah“, murmelte Farin gedehnt und hielt sich die Ohren zu, „Sorgen, so sieht’s aus, ich merk es schon an deiner Lautstärke…“

„Mein Gott, Jan, manchmal bist du so…“

„Eine Sissy?“

„Genau.“

„Egal“, sagte Farin gedämpft, Streit war nicht wirklich das, was er gerade gebrauchen konnte, „warum warst du nochmal hier?“

„Ich wollt dir ne Gutenachtgeschichte vorlesen“, kam es sarkastisch von Bela.
 

„Okay, tu das“, Farin drehte sich ihm wieder vollends zu, den Sarkasmus völlig ignorierend. Er kannte Belas Stimme nur zu gut, wusste um die beinahe einschläfernde Wirkung, wenn er vorlas oder erzählte. (Auch wenn er sich hüten würde, ihm das zu sagen.) Und gerade diesen lindernden Effekt konnte er jetzt wunderbar gebrauchen.

Einen Moment lang schien Bela zu überlegen, ob er widersprechen sollte, dann schüttelte er einfach den Kopf und schnitt eine Grimasse. „Und aus welchem Buch möchte der werte Herr vorgelesen haben?“

Farin streckte sich genüsslich und schloss die Augen. „Ach, wieso erzählst du mir nicht einfach irgendwas? So eine eigene Gutenachtgeschichte für deinen Lieblingsgitarristen?“

„Mann, bist du anspruchsvoll, wenn du krank bist. Aber okay. Ausnahmsweise. Und welches Thema?“

„Prinz Farian und Prinzessin Bella.“

„Och, nee. Wenn dann andersrum.“

„Mir auch recht.“
 

„Okay, also einst lebte die schöne Rockerbraut Farina mit ihren beiden bildhübschen Schwestern und ihrem Vater, dem König, in einem großen, alten Schloss, das von Brombeerranken getragen wurde. Sie hatte ein sehr schönes Leben, jeden Abend gab es ein Fest, und alle hübschen jungen Männer der Welt tanzten mit ihr.

Aber der Rockerbraut war das alles noch nicht genug, und außerdem war sie gerade in dem Alter, in dem man aufzubegehren beginnt…“ Bela verfiel von seinem aufgesetzten Märchenonkelton in seine normale Erzählstimme.

„…Also beschloss Farina, eine Punkerbraut zu werden. Sie schnitt sich die Haare kurz und trug nur noch seltsame Klamotten, die niemand verstand, weil im fünfzehnten Jahrhundert noch niemand etwas von Punk gehört hatte. Aber Farina war nicht nur schön, sondern auch klug, und so erfand sie in weiser Voraussicht selbst den Punk. Doch so entsprach sie nicht mehr dem Schönheitsideal, und so begannen die hübschen jungen Männer sich für ihre Schwestern zu interessieren und mit ihnen zu tanzen, und einer, ein Kutscher, der sehr neidisch auf das Himmelbettchen der Prinzessin war, beschimpfte sie sogar jeden Morgen, wenn sie das Schloss verließ, auf das Übelste.

Und die Eltern verstanden ihre Tochter nicht mehr und drohten ihr sogar mit Enterbung, wenn sie sich nicht die Haare wieder wachsen ließ und wieder vernünftige Kleider anzog…“ Bela sah auf. Farin hatte sich zu einer Kugel zusammengerollt – noch so etwas, was er nur machte, wenn er Kopfschmerzen hatte – und war gänzlich unter der Bettdecke verschwunden.
 

„Hörst du mich so überhaupt noch?“ Ein undefinierbares, irgendwie ungeduldig klingendes Geräusch ertönte unter der Decke. Bela fand es beinahe gruselig, wenn Farin sich so wenig wie er selbst benahm.
 

„Okay, dann weiter im Text… Farina, die sich unverstanden fühlte, beschloss also, wegzulaufen und in den weiten Wäldern, die das Schloss umgaben, nach dem Sinn des Lebens, der großen Liebe und guter Musik zu suchen.

Es ergab sich aber, dass in den Wäldern Graf Bela wohnte, der eigentlich niemanden in seinem Revier duldete, wohnte. Er spürte, dass jemand auf seinen Pfaden unterwegs war, und als er hinlief, sah er Farina, die singend durch den Wald streifte. Er erkannte ihre Schönheit, die alle anderen, verblendet von ihren Vorstellungen von Richtig und Falsch, nicht mehr hatten sehen können, und beschloss, die Prinzessin, die ja jetzt keine Prinzessin mehr, sondern nur noch Punkerin war, zu sich nach Hause auf einen Tee einzuladen.

So kam es, dass die beiden ins Gespräch kamen, sie erzählten sich gegenseitig ihre Geschichten, diskutierten über Gott und die Welt – mehr über die Welt als über Gott – gründeten eine Band und bekamen fünf oder sechs Kinder. Sie waren glücklich bis an ihr Lebensende und wenn du jetzt nicht eingeschlafen bist, dann weiß ich auch nicht weiter.“
 

Farin antwortete nicht.
 

Bela grinste, warf ihm noch eine Kusshand zu, erhob sich dann vorsichtig von der Bettkante und schlich sich in sein Zimmer zurück, wobei er sich wie eine seltsame Mischung aus einer Mutter und einem Einbrecher vorkam. Oder eher wie ein Ausbrecher.

„Annahmestelle für kuriose und vollkommen haltlose Theorien bezüglich Michael Jacksons Tod, hallo, was kann ich für Sie tun?“

„Jan, sag mir, dass du mir zuliebe deinen Namen ändern würdest!“

„Was denn, hast du was ausgefressen und suchst wen, mit dem du das Land verlassen kannst? Such dir dazu besser jemanden, der weniger berühmt und weniger auffällig ist… Oder wolltest du meine Loyalität mal austesten? Nee, Felse, DU bist hier der treudoofe Banddrummer, vergiss es! Oder halt, ich hab’s! Du bist einfach größenwahnsinnig geworden… Nein, das warst du ja vorher scho-“

„Jan!“

„Ist ja schon gut. Was willst du hören? …Nein, sag nichts, ich weiß es! 'Aaach, Schatz, für dich würde ich doch alles tun!'“

„Ah, sei bloß still, von diesen Witzchen hab ich für den Rest meines Lebens genug...“

„Ach, tatsächlich? Was ist passiert? Lohnt es sich, Popcorn zu machen? Oder reicht der Unterhaltungsgrad nur für ne Tafel Schokolade?“

„...Konstanze hat ein Riesentheater gemacht, weil sie das deutsche Wort der Zustimmung und deinen Namen nicht auseinander halten kann, und jetzt glaubt sie, ich hätte eine Affäre mit dir oder sonstwie-“

„Langsam, langsam! Was hat das mit… meinem…“

„...“

„...Achsooo.“

„Fertig damit, mich auszulachen?“

„...Touché. Was hat mich verraten?“

„Dein mieser Charakter. Mir war’s schon klar, als ich beschlossen hab, dich anzurufen.“

„Und warum hast du mich dann angerufen?“

„Weil du der Schuldige bist!“

„Felse, bist du nicht der Meinung, dass deine Beschuldigungen irgendwie ein kleines bisschen haltlos sind? …Vielleicht solltest du dir einfach angewöhnen, auch im Orgasmustaumel deutlich und klar artikuliert zu sprechen und nicht zu nuscheln… Oder schick Konstanze zum Ohrenarzt, sonst wird das nur noch ne Katastrophe! ‚Kommst du essen, Schaaatz?‘ ‚Jahaa!‘ ‚DA! Du hast schon wieder seinen Namen gesagt!‘“

„Du machst dich über mich lustig.“

„Sehr gut erkannt, Miss Marple.“

„Du könntest natürlich auch einfach deinen Namen ändern…“

„Okay. Stell dich mental drauf ein, mich demnächst Bernd zu nennen.“

„…Du, Jan?“

„Mhm?“

„Ich hab’s mir anders überlegt. Behalt deinen Namen.“

„Na also, geht doch.“

„Jaaah.“

„Hör auf, meinen Namen so in die Länge zu ziehen, das macht mich ganz heeeeeihß.“

„JAN!“

„Ich dich auch, Schatz. Ich dich auch.“

Alt und hervorgekramt.

Ursprünglich hatte ichs verworfen, weil es irgendwie kein Thema, keine vernünftige Handlung und kein Ende hatte.

Ein Ende hat es jetzt, der Rest lässt noch immer zu wünschen übrig.
 

Es ist früher Nachmittag. Und Bela ruft an. An und für sich keine Sensation. Zumal er frisch getrennt ist, wie Farin am Telefon erfährt.
 

Es gibt für Bela nur zwei Arten, mit einer Trennung umzugehen.
 

Entweder, er lässt erst einmal vier oder mehr Wochen lang nichts von sich hören, schließt sich mit seinem Alkohol zuhause ein und badet in Selbstmitleid. Es sei ihm gegönnt, aber Farins Ding ist es nicht. Weder das Selbstmitleid, noch der Alkohol, noch das Einschließen.
 

Oder, wie jetzt, er ruft Farin an und schlägt vor, doch noch einmal einen ‚Männerabend‘ zu machen, was im Klartext heißt, dass Bela seine Sachen packt, alle seine DVDs mitnimmt (Anfangs, als Farin noch gar keinen Bildschirm in seinem Haus hatte, nahm er auch den Fernseher noch mit) und für eine oder zwei Wochen zu ihm zieht, während denen sie dann sämtliche mitgebrachten Filme gucken, viel Mist reden und kaum schlafen. Weil Bela sowieso nicht schlafen kann und Farin nicht nachdem er die Filme gesehen hat, die Bela mitbringt.
 

Nach solchen Wochen ist Farin immer fix und alle. Aber das geht schon in Ordnung. Es ist schließlich Bela, der seine Hilfe braucht. Eigentlich besteht kein Unterschied zu einem kranken Bela, außer, dass ein kranker Bela weniger isst. Sowohl ein liebeskranker als auch ein körperlich kranker Bela sind nämlich wahnsinnig pflegebedürftig. Vorzugsweise mit Farin als Pfleger.
 

Also meldet Farin sich kurzerhand für die nächsten Wochen besetzt, kramt eine Fleecedecke hervor und kauft sich allerlei Tiefkühlkost. Wer weiß, ob Zeit fürs Einkaufen bleibt…
 

*
 

„Weißt du noch…“, beginnt Bela versonnen, aber eine Horde Zombies lässt ihn nicht ausreden. Kurzerhand stellt er den Film auf Pause, um seinen Gedanken zu Ende zu sprechen. Das ist eben Bela. Wenn ihm etwas in den Sinn kommt, dann sagt er das, und wenn er dabei gestört wird, dann sorgt er dafür, dass es aufhört, ihn zu stören. Und wenn er den Film an der spannendsten – oder absurdesten - Stelle unterbrechen muss. Aber das geht schon in Ordnung. Es ist schließlich Bela. Wenn Bela den Film unterbrechen will, um kurz nostalgisch zu werden, dann ist das okay.
 

Ein Zombiekopf grinst schräg in den Raum, auf halbem Weg von seinem Körper zum Boden. Farin braucht eine Weile, um sich von dem Kopf ab- und Bela zuzuwenden.
 

„Weißt du noch“, fängt der erneut an, „Wie wir uns immer gestritten haben, als wir noch zusammen gewohnt haben?“
 

„Mhm“, macht Farin. ‚Immer‘ ist eigentlich übertrieben. Größtenteils hatten sie sich eigentlich ziemlich gut verstanden. Aber natürlich gab es ab und zu Reibereien.
 

„Vor allem an den einen Streit? Wo du alle meine Zigaretten weggeworfen hattest?“
 

~
 

„NEIN, du Wichser, hier herrschen NICHT deine Regeln!“ Das ‚Nein‘ und das ‚Nicht‘ wurden untermalt vom Geräusch zerberstenden Porzellans. „Schon mal dran gedacht, dass ICH auch in dieser Wohnung lebe?! SCHEISSE! Ist ja nicht so, dass ich hier drin Drogen nehmen würde, aber verdammt – meine Zigaretten!“
 

Farin war inzwischen auch zum Schreien übergegangen. Anders hätte er sich auch gar nicht verständlich machen können, bei dem Krach, den der Andere veranstaltete. Genau genommen zerwarf er gerade das Geschirr von Farins Mutter.
 

Aber immerhin, man musste ihm zugute halten, dass er nicht ein einziges Mal auf Farin gezielt hatte, von Treffen ganz zu schweigen. Bela bevorzugte standfestere und schmerzfreiere Ziele. Wie Wände oder Fußböden.
 

„Was GLAUBST du denn, von wessen GELD du hier lebst?! Meine Wohnung, MEINE REGELN! Und HIER WIRD NICHT GERAUCHT – wurde nie und wird auch nie!“
 

Das war definitiv unter der Gürtellinie gewesen. Ihre etwas ungleichen Einkommen, die Bela sehr gut kannte und die er immer wieder durch weniger Essen oder irgendetwas Anderes auszugleichen versuchte, hatte Farin eigentlich nie zur Sprache gebracht. Nicht einmal in den heftigsten Streits.
 

Belas Hand um das Zuckerglas zitterte. Er biss die Zähne zusammen, so fest, dass die Kiefermuskeln deutlich hervortraten, und starrte das Gefäß an, als müsse er überlegen, ob es in irgendeiner Hinsicht erleichternd wäre, es jetzt noch zu zerstören.
 

Schließlich stellte er es leise zurück an seinen Platz und huschte ohne ein weiteres Wort an Farin vorbei in sein Zimmer. Die Tür schloss er leise.
 

Und Farin blieb zurück mit einem beißenden schlechten Gewissen und den Scherben von zwei Tellern und drei Tassen.
 

~
 

„Mhm.“ Farin spürt noch immer die Reste des schlechten Gewissens. Irgendwie ist es nie ganz weggegangen, weder als die letzte Kiss-Platte nach dem Streit in Belas Zimmer verstummt war, noch als Bela schließlich wieder aus seinem Loch gekrochen kam und so tat, als wäre alles wieder in Ordnung, noch nachdem ein völlig verwirrter Bela ihm zwei Wochen später versicherte, es sei schon okay und kein Problem und sei eben nur so ein dummer Streit gewesen, wo man halt Dinge sagte, die man nicht so meinte.
 

„Ich fand’s nicht okay. Auch wenn ich das gesagt hab.“
 

Farin wendet überrascht den Kopf. Bela sieht vollkommen ernst aus. „Tut mir leid“, sagt Farin irritiert. Normalerweise ist er es immer, der die alten Streitigkeiten nochmal aufrollt, um Klarheit zu schaffen.
 

Aber wahrscheinlich ist Bela gar nicht nach Klarheit. Wahrscheinlich will er einfach nur irgendeinen Gedanken verdrängen, der ihm gerade gekommen ist. Und wenn ein Zombiefilm nicht ausreicht, ein plappernder Farin Urlaub tut es bestimmt. Aber das geht schon in Ordnung. Es ist schließlich Bela, und wenn Farin dazu beitragen kann, dass Bela weniger an seine Ex denkt, dann nimmt er auch die seltsam bitteren Gedanken, die ihn in letzter Zeit bei bestimmten Felsenheimer’schen Aktionen einholen, in Kauf.
 

„Schon okay“, Bela winkt ab, „Ich dachte immer, deine Fürsorge, als ich danach krank war, war sowas wie ne Entschuldigung…“
 

„Und ich dachte immer, deine Krankheit wäre sowas wie ne Reaktion auf unseren Streit.“
 

„Lag ich denn richtig?“
 

„Ich hab mich dafür verantwortlich gefühlt, dass es dir mies ging. Klar, dass ich versuche, zumindest zur Verbesserung deines Zustandes beizutragen…“
 

„Also ja.“
 

„Und ich?“
 

„Ja.“
 

Was für ein wortkarges Gespräch für ein Gespräch, an dem Farin Urlaub beteiligt ist, denkt Farin.
 

Bela sieht ihn eine Weile lang sinnierend an, dann drückt er auf Play und der Kopf segelt endlich zu Boden.
 

Farin verlegt sich darauf, Bela anstatt des Films anzusehen, was weniger nervenaufreibend und weniger kopfschmerzverursachend ist und generell ein schönerer Anblick, auch wenn Bela auch schon mal besser ausgesehen hat.
 

Es ist der Moment, in dem Bela, ohne den Blick vom Bildschirm zu wenden, die Hand auf seinen Oberschenkel unter der Fleecedecke legt, in dem Farin beschließt, dass es ihm egal ist, warum Bela alte Sachen hervorkramt.
 

Warum er jedesmal zu ihm kommt, wenn er Liebeskummer hat.
 

Warum er immer Filme mitbringt, mit denen Farin garantiert nichts anfangen kann.
 

Warum er ohne Erklärung seltsame Gespräche mit dem Druck auf die Playtaste beendet.
 

Warum er krank und liebeskrank so pflegebedürftig ist und das auch nur für Farin Urlaub.
 

Das geht schon in Ordnung. Es ist schließlich Bela.

Dieses kleine Ding hat als Fingerübung angefangen, dann wurde es zum Wunderbumerang und jetzt ist es - endlich - fertig.

Bei dem Dialog hat das Endenorakel Mefa bzw. Mebell bzw. Merle <3 mir geholfen. yoshi_ hat mich darauf aufmerksam gemacht, dass "Déjà Senti" nicht nur "Schon einmal gerochen" sondern auch "Schon einmal gefühlt" heißen kann und ist überhaupt ganz toll, wenn man Kritik braucht.
 

Viel Spaß!
 


 

Bela holte tief Luft. Und runzelte die Stirn.
 

Irgendetwas war anders, irgendetwas machte ihn glücklich, irgendetwas zog und zupfte an der tief vergrabenen Nostalgie in seinem Innern, klopfte sie ab und stellte sie in den Vordergrund.
 

Umarmungen, Küsse, Perfektion.
 

Bela atmete noch einmal ein. Es war der Geruch, ganz sicher.
 

„Irgendwas riecht komisch“, sagte er vorsichtig, um zu testen, ob er nicht vielleicht nur einer olfaktorischen Halluzination aufgesessen war.
 

Farin drehte sich zu ihm um, schenkte ihm einen irritierten Seitenblick und schnupperte. „Ich riech nix“, erwiderte er schulterzuckend.
 

Bela sog die Luft noch einmal tief ein, und ganz dunkel schob sich sehr, sehr langsam eine konkrete Erinnerung nach vorn. Bela suchte nach einer imaginären Pinzette, um sie bei dem Versuch, sie zu packen, nicht zu zerstören.
 

Ein Fetzen, ein Wort blieb da, der Rest der Erinnerung brach ab zog sich wieder zurück in die Tiefen seines Gedächtnisses.
 

„Weihnachten“, konstatierte Bela. „Es riecht nach Weihnachten.“
 

Farin blinzelte ihn überrascht an. „Also für mich riechts nach Stadt, nach“, er deutete nach rechts und fauchte das nächste Wort beinahe, nicht ohne den gemeinten Menschen mit einem bösen Blick zu bedenken, „Rauchern“, sein linker Arm machte eine weitschweifende Bewegung, „und Abgasen.“
 

Bela schüttelte den Kopf.
 

Weihnachten.
 

Zimt, Mandeln, Mandarinen.

Tannenzweige, Wachs, Feuer.

Gänsebraten, Schokolade, Schnee.
 

Nein.
 

Das war es nicht.
 

Der Begriff war nicht falsch, aber es fehlte –
 

„Du solltest die Luft atmen, nicht inhalieren, Bela. Autoabgase sind nicht unbedingt deiner Gesundheit förderlich.“
 

Bela winkte ab, „Gib dir keine Mühe, Jan, schwarze Seelen sind zu retten, schwarze Lungen nicht. Da machen die paar Abgase auch nichts mehr aus.“
 

- irgendetwas Ergänzendes.
 

Fast Food, frisch gebohnerter Boden, und ganz schwach irgendwelche Blumen.

Bettwäsche, Rasierwasser, ein Männerparfüm.

Jan, Jan, Jan.
 

Und plötzlich lag alles vor ihm, ausgebreitet und geglättet wie ein riesiges Plakat.
 

„Nachtrag: Weihnachten 1982, danach riechts.“ Bela grinste breit und zufrieden, das Rätsel gelöst und den Verdacht auf Alzheimer einmal öfter abgewiesen zu haben.
 

Schweigen. Nostalgie mischte sich unter die Zufriedenheit, Bela beobachtete die Eindrücke, die, nicht ganz realitätsgetreu, ein wenig schaler als die Wirklichkeit, wie schwarzweiße Schnappschüsse vor seinem inneren Auge vorbeizogen.
 

Weißes Bettzeug. Muntere Gitarrentöne, die bewusst die Melodien auslassen, die sie beide in letzter Zeit zu oft gehört haben. Eilige Schritte, Abendessen auf dem Bett. Schlanke Hände an seiner Wange. Das ersterbende Neunzigzähnegrinsen einmal anders wahrgenommen als mit den Augen. Eine Tonlage der bekannten Stimme, die Bela noch nie gehört hat. Das Verlangen, diese Tonlage zu halten, sie immer öfter zu hören. Jans verzerrtes Lächeln aus einer Perspektive, die Bela noch nicht kennt.
 

„82… Unser erstes Weihnachten zusammen?“ Es war nur ein schwacher Unterton, kaum bemerkbar, aber da. Farin erinnerte sich also auch.
 

„Erstes und letztes, genau. Hast du vielleicht wieder ein Parfüm von früher drauf? Rasierwasser? Irgendwas?“
 

Farin zuckte mit den Schultern und schüttelte den Kopf. Dann grinste er. „Aber ich hatte Sex. Vielleicht ist es das?“
 

Bela schwieg einen Augenblick lang. Farin war noch nie sonderlich zimperlich gewesen, wenn es darum gegangen war, Bela aus seinen Träumereien zu reißen, und wie immer holte er ihn auch jetzt mit der Holzhammermethode in die Realität zurück. Sex mit dem Gitarristen gehörte definitiv der Vergangenheit an, heute hatte er nicht mehr das Recht – nicht mehr die Nähe zu Farin – nicht mehr die nötige Unbefangenheit. Heute, Bela rümpfte die Nase bei dem Gedanken, hatte Farin mit Anderen Sex.
 

Er knuffte ihn in die Seite. „Mensch, ich schwelge gerade in Erinnerungen, da will ich nicht unbedingt alte Männer beim Sex vor meinem geistigen Auge sehen!“
 

Farin hob eine Augenbraue. „Soso. Damals hattest du jedenfalls eindeutig nichts dagegen, mich beim Sex zu sehen. Wenn du es jetzt nicht mehr aus deinem Kopf kriegst – dann liegt das nicht an mir!“

Bela zog die Schultern hoch und ließ sie wieder fallen. Seine Antwort klang viel nostalgischer und viel weniger scherzhaft als geplant. „Ja, alter Mann, da warn wir auch noch jung und sahn gut aus.“
 

Es war schön gewesen, jung zu sein, fiel Bela auf. Jungsein war nachträglich immer eine gute Erklärung, eine gute Rechtfertigung, ein guter Grund für alles Mögliche gewesen.
 

Weihnachten einfach seinen besten Freund zu vögeln zum Beispiel.



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Kommentare zu dieser Fanfic (26)
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Von: abgemeldet
2010-05-21T19:26:00+00:00 21.05.2010 21:26
ok....
*auch mal kommi da lass*
Ich finde es auch wirklich sehr schön.
Farin und Bela haben eine Freundschaft aufgebaut, von der man nur träumen kann
und ich finde das hast du hier sehr schön zusammen gefasst.

Von: abgemeldet
2010-05-19T06:45:56+00:00 19.05.2010 08:45
Das ist so verdammt schön~
Ich sitz hier grade im Unterricht und weine...
*von allen blöde angeschaut wird*
Echt wundervoll geschrieben~
*genießerisch seufz*
Vor allem die Stelle, wo Farin darüber nachdenkt, wann er das letzte Mal so oft geweint hat...irgendwie berührt mich das total~
Sehr schön~ ^^
Von:  MissStrange
2009-11-27T15:56:11+00:00 27.11.2009 16:56
Aw.
Das ist so schön~
Super geschrieben und ich bin beim Lesen irgendwie richtig mit den Gedanken abgedriftet... ^^
Ich konnte es mir richtig gut vorstellen.
Und die Idee~
Bela ist so süß... und Farin ist so doof! Unsensibler Idiot! ><
Einfach so die schöne Erinnerung zunichte zu machen! ><
*ihn hau*

Hach... toll! <3

Weiter so!
Von:  Toozmar
2009-11-26T15:32:13+00:00 26.11.2009 16:32
auch wenn sie (deiner Meinung nach) keine Handlung hat, mir gefällt sie richtig. Diese Situation ist einfach schön beschrieben. Da kann ich echt nichts meckern. Auch mit dem Rückblick, das passt einfach!
Davon kannst du ruhig mehr schreiben ^^
Von:  Jimmey
2009-04-23T17:48:34+00:00 23.04.2009 19:48
Kurz aber schön ^___^
Und ruhig +lach+
mir gefällts <3
Von:  Jimmey
2009-03-17T17:10:50+00:00 17.03.2009 18:10
Klasse, wie auch das erste Kapitel <3
Respekt und Blumen bekommst du massig von mir :D
Von:  Jimmey
2009-02-25T15:53:01+00:00 25.02.2009 16:53
Hat Bela aber grad nochmal die Kurve gekratzt, hm?
Ich mags sehr :D
Von: abgemeldet
2009-02-18T17:12:37+00:00 18.02.2009 18:12
xD
Also in einem muss ich dir Recht geben: stoppt den Valentinstag und diesen furchtbaren Konsum drumherum^^

So, und jetzt zu deiner KG *gg*
ENDLICH mal was mit ROD (dafür könnte ich dich knutschen^^)
Und dann acuh noch so toll *smile*
Die Idee ist klasse, die Umsetzung ist witzig und deine Charaktere wirken realistisch und authentisch *g*
Richtig schön geschrieben, nur am Ende hätte ich noch mehr geschriebe, aber jedem das seine, gell =)

Ne schöne KG^^
Ich hoffe es kommen noch mehr *gg*
Lg
Vanitas
Von: abgemeldet
2009-02-17T17:54:05+00:00 17.02.2009 18:54
Ahh endlich komme ich dazu, das hier zu lesen & zu kommentieren! :)

Es ist einfach wundervoll! Ich kann gar nicht oft genug sagen, wie sehr ich deinen Schreibstil bewundere :) Einfach toll, geht total unter die Haut und du stellst Bela und Farin auch sehr authentisch dar.

Ich stimme meinen Vorschreibern zu: Schreib unbedingt weiter, dieses Kapitel ist absolut genial <3

Uund ich bedanke mich ebenfalls für die Widmung :)

LG Katja
Von: abgemeldet
2009-02-17T17:35:58+00:00 17.02.2009 18:35
Also, erstmal danke für die Widmung *gg*

So, und jetzt zum Kapi *smile*
Sehr schön, wirklich, obwohl ich am Anfang echt Schiss hatte. Bela und tot??!! *schauder* >.< Das darf nicht sein!!

Aber die Dialoge zwischen den beiden *gg* Ich musste mir den Bauch heben vor Lachen^^

Sprich: du musst weiterschreiben oder ich helfe Psych0path *gg*

Lg =)


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